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German Pages 505 [508] Year 2013
Kulturen und Werte
Über Wittgenstein
Herausgegeben im Auftrag der Internationalen Ludwig Wittgenstein Gesellschaft e.V. von James Conant, Wolfgang Kienzler, Stefan Majetschak, Volker Munz, Josef G.F. Rothhaupt, David Stern und Wilhelm Vossenkuhl
Band 1
Kulturen und Werte Wittgensteins Kringel-Buch als Initialtext Herausgegeben von Josef G. F. Rothhaupt und Wilhelm Vossenkuhl
ISBN 978-3-11-027749-4 e-ISBN 978-3-11-027756-2 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Medien Profis GmbH, Leipzig Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Die Gefahr eines langen Vorworts ist die daß der Geist eines Buches sich in diesem zeigen muß & nicht beschrieben werden kann. [...] Kringel-Buch Nr. 67 Wittgensteins Werk ist in eminenter Weise sein Nachlass. Ein Beispiel dafür ist das bisher nicht beachtete so genannte Wittgenstein’sche Kringel-Buch, das im Jahr 2008 in München am Philosophie Department der Ludwig-MaximiliansUniversität recherchiert, rekonstruiert, transkribiert und als Proto-Edition erstellt wurde. Interessant wäre, wenn der Nachweis gelingen würde, dass es sich dabei um eine von Wittgenstein selbst konzipierte Textsammlung handelt. Vielleicht ist es sogar möglich, darin einen Initialtext zu seinem Denken zu sehen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung wird dies zu zeigen haben. Bereits jetzt lässt sich aber sagen, dass diese Textsammlung höchst interessante und aktuelle interdisziplinäre Perspektiven zum Thema „Kulturen und Werte“ bietet. Die spannende Debatte über die Bedeutung des Kringel-Buches wird mit dem vorliegenden Band eröffnet. Diese Veröffentlichung eines Tagungsbandes beruht auf einer internationalen und interdisziplinären Fachtagung zum Thema „Kulturen und Werte. Wittgensteins Kringel-Buch als Initialtext“ vom 28. bis 30. April 2011 am Department Philosophie der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Unser besonderer Dank gilt der Fritz Thyssen Stiftung, die in großzügiger Weise die Tagung, auf welcher der vorliegende Band beruht, ermöglichte. Vortragende bei der Tagung waren: Marco Brusotti (Lecce/Berlin), Katrin Eggers (Hannover), Hans-Johann Glock (Zürich), Wolfgang Huemer (Parma), Wolfgang Kienzler (Jena), Matthias Kroß (Potsdam), Stefan Majetschak (Kassel), Sandra Markewitz (Bielefeld), Verena Mayer (München), Johannes Leopold Mayer (Wien), Brian McGuinness (Oxford/ Siena), Marjorie Perloff (Los Angeles), Friedo Ricken (München), Josef Rothhaupt (München), Hans Julius Schneider (Potsdam), Ilse Somavilla (Innsbruck), David Stern (Iowa City), Gabriele Tomasi (Padua), Wilhelm Vossenkuhl (München) und Thomas Wallgren (Helsinki). Zwei Vorträge wurden leider nicht zur Veröffentlichung hier im Tagungsband eingereicht. Die beiden Beiträge von Daniella Jancsó (München) und Volker Munz (Klagenfurt) konnten hier hinzugewonnen werden. Charles Bernstein, bedeutender zeitgenössischer Dichter und Vertreter der amerikanischen “language poetry” hat drei seiner literarischen Texte, die besondere Wahlverwandtschaft mit Wittgensteins Art und Weise zu schreiben haben, zur Veröffentlichung in diesem Tagungsband zur Verfügung gestellt.
Frege is a philosopher’s philosopher, Sartre the media’s idea of an intellectual, and Bertrand Russell every shopkeeper’s image of the sage. [...] But Wittgenstein is the philosopher of poets and composers. Terry Eagleton: My Wittgenstein
Zum 60. Todestag von Ludwig Josef Johann Wittgenstein am 29. 4. 2011 fand zusätzlich am Abend davor ein eigenes auf die Fachtagung „Kulturen und Werte“ abgestimmtes Kulturprogramm statt, das sich dem Einfluss und der Inspiration von Leben und Werk von Wittgenstein auf zeitgenössische Literatur und zeitgenössische Künste widmete. Dabei präsentierten Daniella Jancsó, Pia Elisabeth Leuschner und Kathleen Rabl Lyrik von Ingeborg Bachmann, Charles Bernstein, Richard Dove, Steve McCaffery, Edwin Morgan, Ludwig Steinherr und Rosmarie Waldrop; trug Ulrike Willenbacher vom Bayerischen Staatsschauspiel Thomas Bernhards Prosatext Goethe schtirbt vor; wurde Edwin Morgans Poem The Yellow Triangle: Jews in Ståle Kleibergs Komposition Requiem for the Victimes of Nazi Persecution zu Gehör gebracht; zeigte man Kunstwerke von Andrea Golla: and yesterday things went on just as usual, von Iris Ludwig: Istanbul I + II und Graphiken von Karin Finan und Nerina Wilter zum Nummerierungssystem in Wittgensteins Tractatus Logico-Philosophicus; bot Zamp Wimmer unter dem Titel Alles ist Eins (V) – oder: Wie gesagt: denk nicht, sondern schau! eine Kunstaktion und ein Kunstvideo mit Vertonungen von Texten Ludwig Wittgensteins von Elisabeth Lutyens: Excerpta Tractati Logico-Philosophici (Motette) und Bernd Alois Zimmermann: Requiem für einen jungen Dichter (Prolog). Und Katrin Eggers verfasste zusätzlich den Beitrag “a perfect natural thing to put it to music” in diesem Tagungsband. Die Sammlung Goetz in München ermöglichte es, dass an Ludwig Wittgensteins 60. Todestag selbst das Kunstvideo Remarks on Color von Gary Hill einmalig gescreent werden konnte. Besonderer Dank geht an alle Beteiligten der Fachtagung und des Kulturprogramms sowie an Frau Dr. Gertrud Grünkorn, Herrn Christoph Schirmer, Frau Christina Wollesky und Frau Kathleen Prüfer vom Verlag De Gruyter in Berlin.
Die Herausgeber
Inhalt Vorwort V Josef G. F. Rothhaupt / Wilhelm Vossenkuhl
Philologie und Philosophie Josef G. F. Rothhaupt Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre 3 Stefan Majetschak „Kringel“-Sektionen in Wittgensteins Nachlass. Kritische Bemerkungen zu ihrer Deutung 77 David Stern A New Book by Wittgenstein? The Place of the Kringel-Buch in the Wittgenstein Papers
97
Thomas Wallgren The Genius, the Businessman, the Sceptic: Three Phases in Wittgenstein’s Views on Publishing and on Philosophy Sandra Markewitz Schweigen und Reden in Philosophie und Philologie
113
141
Psychologie Wilhelm Vossenkuhl Vom Unsinn zum Sinn. Wittgenstein auf dem Weg zur Autonomie der Grammatik
161
Volker Munz Apropos Kringel-Buch-Sektion Nr. 31: „In den Schmerzen unterscheide ich eine Intensität einen Ort etc. aber keinen Besitzer.“ 183 Hans Julius Schneider Namen, die „nicht vertreten“. Wittgenstein über Zahlen, Begriffe und „Gegenstände der Psychologie“
203
VIII
Inhalt
Anthropologie Marco Brusotti „Es ist schwer sich an kein Gleichnis zu verlieren.“ Zu einem sprach- und kulturphilosophischen Thema Wittgensteins Verena Mayer Magie der Sprache – Zum Zusammenhang von Sprache und Ritus im Kringel-Buch
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243
Kultur Friedo Ricken Was ist eine rituelle Handlung? Religionsphilosophische Überlegungen Ilse Somavilla „Das Höchste was ich erreichen möchte“: Wittgensteins Suche nach Ausdruck 271 Matthias Kroß Aufwachen zum Staunen Wolfgang Kienzler Wittgenstein und Spengler
299 317
Ästhetik Marjorie Perloff Towards Conceptualism: The Aesthetic of Kringel-Buch #52
339
Gabriele Tomasi Wittgenstein on Life, Art, and the “Right Perspective”
355
Musik Katrin Eggers Musik bei Ludwig Wittgenstein: Polyphonie – Vexierbilder – sinnvolle Unregelmäßigkeit
381
Johannes Leopold Mayer „Die raffinierteste aller Künste“ – Überlegungen zum Umgang Wittgensteins mit der Musik
399
259
Inhalt
Katrin Eggers “a perfectly natural thing to put it to music” – John Cage, Bernd Alois Zimmermann, Elisabeth Lutyens und Steve Reich komponieren Wittgenstein 417
Literatur Wolfgang Huemer Wittgensteins kulturelle Heimat: Über Philosophie und Dichtung im Kringel-Buch
433
Daniella Jancsó The Poet as “guardian of whatever is the case”: Edwin Morgan’s Wittgenstein 451
“Language Poetry” Charles Bernstein Thank You for Saying Thank You / Danke fürs Bedanken Charles Bernstein Sign Under Test
471
Charles Bernstein How Empty Is My Bread Pudding
Personenregister
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467
IX
Philologie und Philosophie
Josef G. F. Rothhaupt
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre1 1 Sektionsmarkierungen in Wittgensteins Nachlass Jeder, der mit dem Wittgenstein’schen Nachlass vertraut ist, weiß, dass sich darin eine besondere Art des Umgangs mit kurzen Texten zeigt und dass dabei Textmarkierungen unterschiedlichster Art eine wichtige Rolle spielen, ja eine tragende philologische Funktion innehaben. Drei Arbeitstechniken sind nämlich bei Wittgensteins Art und Weise zu philosophieren ausschlaggebend – das Schreiben von Kurztexten als Bemerkungskreation, das Auswählen von Kurztexten als Bemerkungsselektion und das Zusammenstellen von Kurztexten als Bemerkungskomposition.
1.1 Sektionen – Subsektionen – Paragraphen In der Wittgensteinforschung werden inzwischen wohlüberlegt die Begriffe „Sektion“, „Subsektion“ und „Sektionsmarkierung“ verwendet2, um jenen Text (gegebenenfalls mit einer Markierung zu Beginn), der durch eine Freizeile davor und eine Freizeile danach von Wittgenstein separiert wurde, der philologischen Form nach eindeutig zu bezeichnen. Die von Wittgenstein selbst verwendeten Begriffe – entweder „Bemerkung“ (im gesamten Nachlass, etwa TS211,322) oder „Absatz“ (in Manuskripten und Typoskripten vor 1936, etwa TS213, MS114(II) +MS115(I) sowie PU-Vorworte) oder „Abschnitt“ (in Manuskripten nach 1936, etwa MS178d,2, MS133,79v, MS135,1r) – sind nämlich selbst doppeldeutig, indem sie entweder/oder bzw. sowohl/als auch inhaltlich wie formal gemeint sein können, philologisch und philosophisch zu veranschlagen und dabei selbstverständlich
1 Für wichtige Kommentare, hilfreiche Hinweise und konstruktive Kritik möchte ich mich bei Wilhelm Vossenkuhl, Wolfgang Huemer und Wolfgang Kienzler bedanken. Der kritische Tagungsvortrag von Stefan Majetschak war mir Motivation, mich noch intensiver und detaillierter mit der Thematik Kringel-Buch zu beschäftigen. Siehe seinen Beitrag in diesem Band. 2 Die Fachbegriffe „Sektion“ (section), „Subsektion“ (subsection) und „Sektionsmarkierung“ (section mark) wurden erstmals von Rothhaupt 1990 in einem Referat in Bergen am Wittgenstein Archiv eingeführt. Siehe dazu Rothhaupt 1996, S. 327–339; siehe insbesondere Rothhaupt 2008(b), S. 245–247; und siehe Anscombe 1969, S. 373–378.
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Abb. 1: MS111,104 (Detail): „[Nur neuer Absatz]“.
Abb 2: MS114(II),27 (Detail): „[Keine neuer Absatz]“.
nicht deckungsgleich sind. Wollte man beispielsweise den Terminus „Absatz“ als alleine angemessen ausrufen, würde man fehlgehen und zudem Konfusion stiften. Dieser Begriff wird im Nachlass von Wittgenstein nicht durchgängig in einer Bedeutung – etwa bezogen auf „Sektion“, „Subsektion“, einen „nummerierten Paragraphen“ – gebraucht, sondern in unterschiedlichen und unterscheidbaren Bedeutungen veranschlagt. Pointiert mit drei Beispielen gezeigt: In MS111,104 lautet ein korrigierendes Notat vom 18.08.1931 „[Nur neuer Absatz]“, um eine vorhandene Freizeile zu entfernen und den folgenden Text in eine Subsektion zu transformieren. (Abb. 1) In MS114(II),27 aus der zweiten Hälfte des Jahres 1933 lautet ein Notat „[Keine neuer Absatz]“, um ebenfalls eine vorhandene Freizeile zu entfernen und den folgenden Text in eine Subsektion zu verwandeln. (Abb. 2) Und seit den ersten Entwürfen für das PU-Vorwort, ab MS159,35r von 1938 etwa, heißt es „Alle meine Gedanken sind ursprünglich als Bemerkungen, kurze Absätze, niedergeschrieben.“, um – aus wohlüberlegten Gründen – damit sozusagen „nummerierte Paragraphen“ zu bezeichnen.3 Bemer-
3 In der gesamten Editionsgeschichte der Philosophischen Untersuchungen wurde von der zweisprachigen PU-Erstausgabe im Jahre 1953 durch Anscombe an und wird bis zur Kritisch-genetischen Edition der PU im Jahre 2001 durch Schulte, bis in die Übersetzungen der PU in viele andere Sprachen und bis hin zur zweisprachigen PU-Neuedition durch Hacker und Schulte im Jahre 2009 vollkommen übersehen, dass Wittgenstein in sämtlichen PU-Fassungen (MS142, TS220, TS239, PU-Zwischenfassung, TS227) einen durchgehenden PU-Text verfasst und die „Bemerkungen, kurze Absätze“ gerade nicht durch Freizeilen voneinander separiert hat, sondern dass die Bemerkungen
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kungen – oder „Betrachtungen“, wie Wittgenstein selbst auch sagt (z. B. MS131,172 „meine Bemerkungen “), – können zudem aus einer Sektion, aus mehreren Sektionen, aus einer Subsektion oder einem Sektionenteil bestehen bzw. entstehen, wie sich an den Transferprofilen für einzelne Bemerkungen bzw. Sektionen einerseits klar zeigen lässt und wie es andererseits an den manchmal vorhandenen und von Wittgenstein selbst verfassten expliziten Textanschlüssen zwischen Sektionen und Textverknüpfungen von Sektionen abzulesen ist. An der von Wittgenstein jeweils verwendeten Begrifflichkeit lassen sich die unterschiedlichen Vorstellungen von der Gestaltung seiner philosophischen Texte, die verschiedenen Konzeptionen für die Gestaltung seines zu einem bestimmten Zeitpunkt intendierten Buches eruieren.
1.2 Sektionsmarkierungen Die Erforschung der weitreichenden Bedeutungen der dabei relevanten Sektionsmarkierungen steht noch am Anfang, aber einige basale Kenntnisse und grundlegende Einsichten wurden bereits kundgetan.4 Zwei Sektionsmarkierungen sind beim Konsultieren des Nachlasses von Wittgenstein entweder in der Bergen Electronic Edition als Faksimile (die Transkription davon ist diesbezüglich höchst unzuverlässig) dieses Œuvres oder in der Wiener Ausgabe aus diesem Œuvre sofort in die Augen springend, nämlich „/“ einerseits und „ ∫ “ andererseits.
1.2.1 Die Schrägstrich-Markierung „/“ Die Markierung von Sektionen mit „/“, einem rechtsgeneigten Schrägstrich zu Beginn einer Sektion5, ist schon in Wittgensteins Tagebüchern 1914–1917, also in
von ihm nur durchnummeriert und so zu „Paragraphen“ transformiert wurden. Auf diesen bedeutenden Sachverhalt bzw. diesen gravierenden Editionsfehler hat mich Sool Park aufmerksam gemacht. Daraufhin konnte ich erstaunlicherweise doch eine rühmliche und berühmte Ausnahme einer PU-Ausgabe entdecken, welche als einzige den PU-Text ohne Separationen und in diesem Sinne authentisch wiedergibt, nämlich jene von Ingeborg Bachmann mitinitiierte von TLP, TB 19141916 und PU im ersten Band von Ludwig Wittgensteins Schriften aus dem Jahre 1960. 4 Schulte 1987, S. 12 f und Rothhaupt 1996, S. 327–339. Siehe auch Stern 2010, S. 460. 5 In ganz wenigen Fällen sind nur Subsektionen oder Sektionsteile mit dieser oder einer anderen Markierung versehen. Dann hat Wittgenstein aber – meistens am rechten Seitenrand durch eine senkrechte Linie gekennzeichnet – angegeben, um welchen Textteil es sich genau handelt, und dieser Text wird dann zu allermeist bei der Weiterverarbeitung in eine eigene Sektion gewandelt. Bei KB Nr. 48 (siehe Wittgenstein: Kringel-Buch, 2012) kann dies exemplarisch studiert werden.
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Josef G. F. Rothhaupt
Abb.3: MS101,18r/1+3 (D: 4.9.1914): Frühe „/“-Markierungen im Nachlass.
MS101 bis MS103, vorhanden (Abb. 3). Dort dient diese Markierung von bestimmten Sektionen bereits zur Herausarbeitung von Bemerkungen für die Weiterverwendung. Welch große Bedeutung gerade diese in Wittgensteins Nachlass sehr früh auftauchende und dort zuallermeist mit rotem Stift angebrachte „/“-Markierung nun innehat, wurde neuestens von Luciano Bazzocchi erforscht und in seinem Beitrag “What Did ‘The Supplements’ to the Tractatus Contain Precisely,
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Abb. 4: MS105,3/1-4 (D: 4. 2. 1929): Nur „/“-Sektionen wurden in TS208 transferiert.
and When Were They Typed by Wittgenstein?”6 dargelegt. Auch nach Wittgensteins Wiederaufnahme seiner philosophischen Tätigkeit 1928 und seiner Rückkehr nach Cambridge 1929 hat er diese „/“-Sektionsmarkierung zur Auswahl von
6 Bazzocchi 2011, S. 19–20.
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Josef G. F. Rothhaupt
Abb. 5: TS213,20r/2-6 (1933/34; 1937/38) : „/“-Markierungen im „Big Typescript“.
Bemerkungen in Typoskripte verwendet. (Abb. 4; ebenjene mit „/“ gezeichneten Sektionen – und nur jene – wurden in Typoskript TS208,1 transferiert.) Auch bei der Auswahl von Sektionen in bzw. aus Typoskripten und deren anschließender Weiterverarbeitung – etwa bei der Be- und Umarbeitung von Typoskript TS213, dem so genannten Big Typescript – hat Wittgenstein die
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Abb. 6: MS177,7r/3 (D: 26. 4. 1951): Letzte „/“-Markierung im Nachlass.
„/“-Kennzeichnung benutzt. (Abb. 5) Es kann zudem gezeigt werden, dass Wittgenstein die Markierung „/“ teilweise noch vor einer Auswahl und Aufnahme in Typoskripte bereits beim Fertigstellen der Niederschrift einer Sektion oder kurz danach zur Kennzeichnung einer besonders gelungenen Bemerkung verwendet hat – die bei einer Typoskripterstellung dann auch dorthin transferiert wurde.
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Relevant ist dieser Sachverhalt insbesondere bei den Manuskripten der Jahre 1948 bis zu Wittgensteins Tod 1951, nämlich MS137–MS138 einerseits und MS167– MS177 andererseits, denn davon wurden von Wittgenstein keine Typoskripte mehr erstellt. Für den Manuskriptenumfang MS137–MS138 existiert daher kein von Wittgenstein erstelltes Typoskript, das als nachfolgend zu TS229 und TS232 anzusehen wäre. Die basalen Manuskriptbände MS137,76b–MS138,33a enthalten aber jene Sektionenauswahl durch die Markierung mit „/“, und damit ist doch – wenn auch implizit – eben jenes Nachfolgetyposkript zu TS229 und TS232, zu den postum so genannten Bemerkungen zur Philosophie der Psychologie (Band I und Band II) vorhanden7 und kann nun postum für heuristische Zwecke hergestellt werden. Zudem findet sich in den Manuskriptbänden MS136,87b–MS138,29b ja auch noch die besondere Sektionensammlung mit einer „C“-Markierung.8 Und mit der Markierung „L.L.“ sind in MS137,76a–MS138,33a jene Sektionen gekennzeichnet, die in die Loseblatt-Sammlung MS144 gewandert sind (daher vermutlich die Markierung „L.L.“ für das Loose-Leaf-Manuskript MS144), einen ehemals fälschlicherweise als Teil II der Philosophischen Untersuchungen und neuestens passender als „Philosophie der Psychologie – Ein Fragment“9 bezeichneten Text. Es ist also – und dies zu zeigen ist der Hauptzweck der hier vorgebrachten Fakten – keineswegs außergewöhnlich, dass in Wittgensteins Gesamtnachlass besondere Sektionssammlungen implizit durch jeweils unterschiedliche Sektionenkennzeichnungen enthalten sind. Und die darauf basierende Erstellung und Sichtung dieser so genannten „impliziten Textcorpora“ zum Zweck der möglichst adäquaten und umfassenden Erschließung der Genese des Nachlasses von Wittgenstein ist ein Desiderat, ja eine Notwendigkeit. Die letzte mit „/“ markierte Sektion findet sich übrigens in MS177,7r/3 und wurde von Wittgenstein drei Tage vor seinem Tod am 26. 4. 1951 eingetragen. (Abb. 6) Über mehr als drei Jahrzehnte hat also Wittgenstein diese Auswahlmarkierung für Sektionen durchgängig und konstant benutzt.10
7 Was als Wittgensteins Letzte Schriften zur Philosophie der Psychologie (Band I) postum publiziert wurde, sind lediglich die der Erstellung des TS232 nachfolgenden Typoskripts zu Grunde liegenden Manuskriptbemerkungen in MS137,87b–MS138,29b – aber eben ohne jegliche Berücksichtigung bzw. Transkription der vorhandenen Sektionsmarkierungen. 8 Das „Nachfolgetyposkript“ zu TS229 und TS232 und die C-Sektionen-Sammlung wurden von Josef G. F. Rothhaupt bereits erstellt. Diese beiden Textcorpora enthalten äußerst interessante und aussagekräftige Informationen. 9 So in der zweisprachigen, revidierten, von Peter M. S. Hacker und Joachim Schulte herausgegebenen Neuausgabe der Philosophischen Untersuchungen/Philosophical Investigations, 2009, S. 182ff. 10 Umfassende Untersuchungen der Typoskriptenerstellung im Längsschnitt durch den Nachlass zeigen, dass Wittgenstein diese Konvention für die Markierung „/“ über die Jahrzehnte hinweg unverändert beibehalten hat.
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1.2.2 Die Schlecht-Schwach-Schwefelnd-Markierung „ ∫ “ Die Markierung zu Beginn einer Sektion mit „ ∫ “, einem vertikal gedehnten und oft leicht rechtsgeneigten Großbuchstaben „S“ ähnlich, hat Wittgenstein bald nach seiner Rückkehr nach Cambridge im Jahre 1929 zur Kennzeichnung von Sektionen eingeführt. Sie taucht erstmals in MS105,43r/1–3 auf. (Abb. 7) Ab diesem Zeitpunkt wurde diese Sektionenkennung von Wittgenstein über mehr als zwei Jahrzente durchgängig und konstant verwendet.11 Die letzte „ ∫ “-Markierung findet sich in MS176,71v/1 und wurde dort am oder kurz nach dem 22.4.1951, also etwa eine Woche vor seinem Tod, angebracht. (Abb. 8). Während die Kennzeichnung mit „/“ eine (mögliche, vorgesehene, tatsächliche) Auswahl von Sektionen anzeigt, steht die Kennzeichnung durch „ ∫ “ für die Bewertung mit „schlecht“12 bzw. „schwach“13 oder gar „schwefelnd“14 einerseits und für die Unterlassung der Auswahl von Sektionen in Typoskripte bzw. zur Weiterverarbeitung andererseits. Es ist sinnvoll und wichtig darauf aufmerksam zu machen, dass bei der Markierung mit „ ∫ “ eben nicht nur „schlecht“, sondern auch die anderen – konnotativ nicht deckungsgleichen – Wertungen „schwach“ oder gar „schwefelnd“ veranschlagt werden können, ja müssen.15 Zudem ist offenzuhalten, dass sich diese Bewertung sowohl auf den Inhalt als auch auf die Form beziehen kann, denn Wittgenstein legte bei der Abfassung seiner Bemerkungen größtes Gewicht nicht nur auf den Gehalt, sondern gerade auch auf die Gestalt.
11 Umfassende Untersuchungen der Typoskriptenerstellung im Längsschnitt durch den Nachlass zeigen, dass Wittgenstein diese Konvention für die Markierung „ ∫ “ über die Jahrzehnte hinweg unverändert beibehalten hat. 12 Obwohl Schulte diese Markierung – durch Hinzufügung eines Fragezeichens – nur dubitativ mit der Bewertung „(für ‚schlecht’?)“ einstuft, sieht er sie dennoch als Signum für „verworfene Bemerkung“ an. Siehe Schulte 1987, S. 13. 13 Vgl. die kritische Behandlung von Schultes Einschätzung der Markierung „ ∫ “ und die erweiterte Behandlung dieser Markierung nicht nur für „schlecht“, sondern auch für „schwach“ oder gar „schwefelnd“ bei Rothhaupt 1996, S. 329 f. und Rothhaupt 2008(a), S. 24, 164, 231, 238, 251. 14 Der Ausdruck „schwafeln“ (allgemein deutschsprachig) bzw. „schwefeln“ (spezifisch österreichisch) wird für gedankenloses Reden – daherreden, schwatzen, schwadronieren, labern, palavern, quatschen, faseln – verwendet. Vgl. Wittgenstein im Brief vom Oktober 1919 an Ludwig von Ficker, wo er über seine eigene Logisch-Philosophische Abhandlung schreibt: „Kurz, ich glaube: Alles das, was viele heute schwefeln, habe ich in meinem Buch festgelegt, indem ich darüber schweige.“ 15 Wolfgang Huemer machte den Vorschlag, doch zu prüfen, ob Wittgenstein sich bei der Markierung mit „ ∫ “ am damaligen Korrekturzeichensystem für den Deutschunterricht in Österreich orientiert hat – etwa „Sb“ für Mängel im „Satzbau“ und „St“ für Mängel im „Stil“. Es konnte bis jetzt aber kein Anhaltspunkt dafür gefunden werden.
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Abb. 7: MS105,43r/1-3 (D: 1929): Erste „ ∫ “-Markierung im Nachlass.
Zwei Nachlassstellen belegen exemplarisch klar, dass für die Markierung „ ∫ “ das Veranschlagen der Bedeutung mit „schlecht“ und/oder „schwach“ tatsächlich angemessen ist. In MS136,3a-4a etwa findet man als Eintrag vom 18. 12. 1947 einen von Wittgenstein entworfenen „Plan der Behandlung der psychologischen
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Abb. 8: MS176,71v/1 (D: 22. 4. 1951): Letzte „ ∫ “-Markierung im Nachlass.
Begriffe“, bei dem neben der Markierung mit „/“ zusätzlich und diagonal zum Schrägstrich geschrieben das Notat „nützlich aber noch schlecht“ vorhanden ist. (Abb. 9) Und in MS120,70r–70v etwa findet sich ein Eintrag vom 15. 2. 1938, der nicht nur am Anfang der Sektion die Markierung „ ∫ “ trägt (exakter: ein gestriche-
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Abb. 9: MS136,3a (Detail des unteren Seitenteils): „/ nützlich aber noch schlecht“.
Abb. 10.1: MS120,70r (Detail des unteren Seitenteils): Sektionsmarkierung „∫ “ und „ ∫ “.
Abb. 10.2: MS120,70v (Detail des oberen Seitenteils): „ungemein schwach“.
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nes „∫ “ und ein nicht wieder gestrichenes „ ∫ “) (Abb. 10.1), sondern zusätzlich am Ende der Sektion am linken Seitenrand senkrecht geschrieben die Anmerkung „ungemein schwach“16 trägt. (Abb. 10.2) Zweifelsfrei steht fest, daß die Markierung mit „ ∫ “ die Auswahl zum Transfer in Typoskripte bzw. zur Weiterverarbeitung unterbindet. Damit ist die Funktion dieser Kennzeichnung gerade entgegengesetzt zur Kennzeichnung mit „/“ und beide Markierungen sind daher gegenseitig exklusiv.17 Zusammenfassend folgende Übersichtstabelle: „/“-Markierung
„ ∫ “-Markierung
gut, gelungen, geeignet
schlecht, schwach, schwefelnd
nicht zu überarbeiten
ggf. zu überarbeiten
nicht verworfen
verworfen (?)
Typoskriptauswahl (vorgesehen)
keine Typoskriptauswahl (vorgesehen)
Wie streng und konsequent die Sektionenauswahl mit diesen beiden Sektionsmarkierungen von Wittgenstein geregelt und gehandhabt wird, lässt sich an Beispielen quer durch den gesamten Nachlass zeigen. So wurden schon die mit den ersten „ ∫ “-Markierungen im Nachlass versehenen Sektionen, nämlich jene in MS105,43r/1–3 (Abb. 7) im Jahre 1929, nicht in das Typoskript TS208 von 1930 übernommen, wohl aber die vorgängigen Sektionen in MS105,40r/1–4+41r/1 und die nachfolgenden Sektionen in MS105,43r/4+44r/1–2. Und im Jahre 1947 wurden in Typoskript TS229 beispielsweise nur jene mit „/“ gezeichneten Sektionen aus MS134,21r/2+3 und 21v/2 übernommen, nicht aber jene mit „ ∫ “ gezeichneten Sektionen aus MS134,21r/1+4 und 21v/1. (Abb. 11 und Abb. 12)
16 Es heißt „ungemein schwach“ und nicht wie in Wittgenstein’s Nachlaß. The Bergen Electronic Edition fälschlich transkribiert „ungenau schwach“. 17 Es gibt sehr wenige Ausnahmen bzw. Sonderfälle, die sich im Bereich von 1 % bis 2 % bewegen. So etwa Fälle, in welchen die Markierungen „/“ und „ ∫ “ zusammen vorkommen, genauer in welchen die Markierung „ ∫ “ zur bereits angebrachten Markierung „/“ hinzugefügt wurde und so gekennzeichnete Sektionen dann nicht in Typoskripte weitertransferiert wurden (vgl. etwa MS134,1v ff). Für diese Fälle kann aber gezeigt werden, dass letztlich die Markierung „∫“ dominiert und ausschlaggebend ist für die Nichtaufnahme einer Sektion in ein Typoskript. Das PU-Motto der so genannten PU-Spätfassung TS227 ist insofern ein Spezial-, ein Sonder-, ein Ausnahmefall, als es im Manuskripteintrag MS134,154 vom 25. 4. 1947 die Markierung „ ∫ “ trägt. Es ist allerdings hinzuzufügen, dass eben dieses Motto in TS227 – das dort ja (sowohl in TS227a als auch in TS227b) lediglich in Handschrift fremder Hand eingetragen ist – keinen eindeutigen und sicheren Beleg dafür besitzt, dass es Wittgenstein tatsächlich selbst als PU-Motto vorgesehen hat.
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Abb. 11: MS134,21r (D: 18. 3. 1947): Nur „/“-Sektionen werden in TS229 transferiert.
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Abb. 12: MS134,21v (D: 18. 3. 1947): Nur „/“-Sektionen werden in TS229 transferiert.
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Josef G. F. Rothhaupt
1.2.3 Weitere Sektionsmarkierungen und Markierungskombinationen Die basalen Sektionsmarkierungen „/“ und „ ∫ “ können nun mit anderen Markierungen kombiniert werden oder mit anderen Markierungen zusammen auftreten. Und wichtig zu erwähnen ist auch, dass nicht jede Sektion notwendigerweise eine Sektionsmarkierung tragen muss, denn es sind auch – sogar in größerem Umfang – nicht markierte Sektionen, sozusagen als noch unentschiedene Sektionen, vorhanden. Es ist beispielsweise möglich, dass einzelne Sektionsmarkierungen mit „/“ oder mit „ ∫ “ zusätzlich mit einem kleinen hochgestellten und zur Sektionsmarkierung linksstehenden Fragezeichen, also „?“, versehen sind, was eben diese Sektionsmarkierung – nämlich „?/“ oder „?∫“ – als dubitativ anzeigt. Und diese Dubitativität bezieht sich in erster Linie, also vorrangig, auf die jeweilige Sektionsmarkierung und nicht bzw. nur in zweiter Linie, also nachrangig, auf die Form oder den Inhalt einer Sektion selbst. Und dies wiederum besagt, dass sich die Dubitativität auch auf die (noch offene bzw. offengehaltene) Entscheidung der definitiven Übernahme oder definitiven Nichtübernahme einer Sektion in ein Typoskript bezieht. So können schließlich mit „?∫“ gezeichnete Sektionen dann dennoch den Transfer in ein Typoskript angetreten haben und mit „?/“ gezeichnete Sektionen können den Transfer nicht vollzogen haben. Es bleibt weiterführend darauf hinzuweisen, dass nicht nur die „ ∫ “-Markierung Sektionen vom Transfer in bestimmte Typoskripte ausschließt, sondern auch noch andere Markierungen – etwa „*“ im Zeitraum 1929/30 in MS105,59– MS108,131 und „C“ im Zeitraum 1948–49 in MS136,87B–MS138,28B oder auch das Fehlen einer Sektionsmarkierung. Das Nichtvorhandensein von beispielsweise mit den Markierungen „*“ und „C“ versehenen Sektionen oder von nichtmarkierten Sektionen in erhaltenen Typoskripten bedeutet nun aber – anders als die Markierung mit „ ∫ “ bzw. mit„?“ – keinesfalls, dass diese Sektionen von Wittgenstein nicht zur Weiterverarbeitung vorgesehen oder gar „verworfen“ worden wären.18 Es ist im Gegenteil davon auszugehen, dass es sich je um eine ganz bestimmte Sektionen-Sammlung zu einem bestimmten Zweck oder zu einer bestimmten Thematik handelt bzw. bei nicht vorhandener Markierung noch Unentschiedenheit besteht. Dass es sich gerade bei den beiden Vorkommnissen von Wittgenstein selbst ausgeführten Markierungsdurchgängen – nämlich mit „*“ (mit einem Textcorpus von ca. 1100 Sektionen) einerseits und mit „C“ (mit dem bereits erwähnten Textcorpus von ca. 450 Sektionen) andererseits – um zwei bisher vollkommen übersehene bzw. übergangene Kennzeichnungs- bzw.
18 Schulte interpretiert etwa „C“ falsch, nämlich als abgeschwächtes „ ∫ “. Siehe Schulte 1987, S. 12 f.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
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Auswahlverfahren handelt, ist hervorzuheben und zeigt auf der einen Seite, wie bedeutend und markant die Markierungspraxis von Sektionen für Wittgensteins ordnende Handhabung des Nachlasses bzw. im Nachlass ist19, und auf der anderen Seite, wie wenig solides Wissen darüber bis jetzt in der Wittgensteinforschung errungen wurde bzw. wie wenig von dem bereits errungenen Wissen im Umlauf ist.
1.2.4 Die Kringel-Markierung „○“ Es braucht daher niemanden zu überraschen und überrascht auch niemanden, der mit dem Nachlass wirklich vertraut ist, dass noch weitere – bisher unentdeckte und unerforschte – Markierungsbereiche in Wittgensteins Nachlass enthalten sind – etwa die so genannten „Kringel“-Sektionen. Gemeint sind damit zunächst all jene Sektionen, die von Wittgenstein mit einem nicht exakt gezeichneten Kreis, einem „Kringel“ also, einer „○“-Markierung versehen worden sind. Diese aus insgesamt 234 Kringel-Sektionen bestehende Sammlung bestimmter Bemerkungen aus Manuskriptbänden – die bewusst postum mit dem formal neutralen Namen Kringel-Buch belegt ist – wurde zunächst als Proto-Edition angefertigt, wurde bei der Tagung „Kulturen und Werte. Wittgensteins Kringel-Buch als Initialtext“ am Department Philosophie der Ludwig-Maximilians-Universität in München im Jahre 2011 verhandelt und wird als eigene Buchpublikation veröffentlicht und so der wissenschaftlichen Fachwelt zur detaillierteren Erforschung und kritischen Würdigung vorgelegt.
2 Das Wittgenstein’sche Kringel-Buch Da grundlegende Fakten und errungene Forschungsergebnisse zum KringelBuch in eigenen Aufsätzen einerseits bereits veröffentlicht sind20 und andererseits im einführenden und kommentierenden Begleittext zur Veröffentlichung des Kringel-Buches geboten werden21, kann und will der hier vorgelegte Beitrag sich nun insbesondere auf Detailthemen konzentrieren und sich möglichen kritischen Anfragen das Kringel-Buch betreffend widmen.
19 Siehe Rothhaupt 1996, S. 331–339 und Rothhaupt 2008(a), S. 20–26 und S. 230–232. 20 Rothhaupt 2008(a), S. 156–229, Rothhaupt 2010, S. 57–59 und Rothhaupt 2011, S. 169–183. 21 Die Publikation des Kringel-Buches als erweiterte und überarbeitete Edition ist in Vorbereitung.
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Josef G. F. Rothhaupt
2.1 Das Kringel-Buch als Proto-Edition und als Edition In der Proto-Edition des Kringel-Buches wurden und in der endgültigen Edition werden die insgesamt 234 Kringel-Buch-Sektionen (KB Nr. 1 bis KB Nr. 234)22 ganz bewusst in zweifacher Weise wiedergegeben, nämlich zunächst (Teil I der Proto-Edition) streng in der chronologischen Abfolge, wie sie in den Manuskriptbänden MS107,159/1 (Oktober 1929) bis MS112,70v/4 (November 1931) sowie MS145,16v/1 (1933), MS118,88v/2 (September 1937), MS120,40v/1–144r/1 (Dezember 1937 bis April 1938) und MS158,36r/1 (1. Drittel 1938) vorkommen, und alsdann (Teil III der Proto-Edition) in bestimmten Sektionsgruppen bzw. Sektionsuntergruppen zusammengestellt. Zuletzt werden noch in einem eigenen Abschnitt die wenigen bezüglich ihrer Sektionsmarkierung dubitativen Fälle eigens dokumentiert. Die Kringel-Motto-Sektion und die Kringel-Vorwort-Sektionen wurden der gesamten Edition des Kringel-Buches auch noch (wohlgemerkt: auch noch) vorangestellt, sind aber sowohl in der chronologischen Abfolge als auch in den jeweiligen Sektionsgruppen enthalten. Schließlich werden dokumentierend (Teil II der Proto-Edition) zu den einzelnen insgesamt 234 Sektionen des KringelBuches kommentierende Anmerkungen, Transferprofiletabellen, Namen- und Sachregister sowie Angaben zur im Kringel-Buch vorkommenden Literatur für die weiterführende Forschung bereitgestellt. Das Vorhandensein einer einzigen ausgewählten Kringel-Motto-Sektion und der ausgewählten Kringel-Vorwort-Sektionen gab den Ausschlag, ganz bewusst nicht nur von einer Kringel-Sammlung, sondern von einem Kringel-Buch zu sprechen. Eine Sektionensammlung, in welcher ein Motto und ein Vorwort vorhanden sind, kann ja mit einigem Recht als „Buch“ bezeichnet werden.23 Wichtig ist nun allerdings, in welchem Sinne man den Titel Kringel-Buch interpretiert. Würde man voreilig und einseitig davon ausgehen, dass Wittgenstein dieses Kringel-Buch zur Verlagsveröffentlichung noch zu seinen Lebzeiten erstellt, dann aber doch wieder aufgegeben oder hintangestellt hat, so würde man
22 Siehe die nachfolgende Tabelle mit den genauen Manuskriptangaben zu den 234 Sektionen im Kringel-Buch dazu. Damit ist über die Bergen Electronic Edition oder über die Wiener Ausgabe ein direkter Zugriff auf all diese Sektionen möglich noch bevor das Kringel-Buch als solches veröffentlicht ist. 23 Damit wird die Möglichkeit eingeräumt, dass Motto und Vorwort für das Kringel-Buch selbst angesehen werden können; aber nicht müssen. Inhaltlich jedenfalls passen Motto und Vorworttexte – mit Wittgensteins Kritik der europäisch-amerikanischen Zivilisation – hervorragend zur großen Mehrheit der Kringel-Buch-Sektionen und ergeben dort wirklich einen Sinn. Die Zuordnung dieser Bemerkungen „Zu einem Vorwort“ zu TS209, zur postumen Publikation Philosophische Bemerkungen, ist definitiv falsch, und die Zuordnung als früheste Phase zu den Philosophischen Untersuchungen ist höchst problematisch und entbehrt jeder Plausibilität.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
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dieses Projekt in eine ganz falsche Richtung drängen. Man würde zudem den Sack schlagen und den Esel meinen; nur um noch vor einer minutiösen Erforschung der Angelegenheit darzutun, dass solch eine Verlagsveröffentlichung – die Wittgenstein gerade nicht beabsichtigte und ja auch nicht realisierte – keinesfalls in Frage kommt, und davon ablenken oder negieren, dass eben dieser Kringel-Sektionen-Sammlung große Bedeutung für ein möglichst adäquates Verständnis und eine tragfähige Interpretation der Philosophie Wittgensteins – präziser vielleicht: des Wittgenstein’schen Philosophierens – zukommt. Man würde nur widerlegen, was man selbst fälschlich und tendenziös zuvor hineininterpretiert hätte. Das Kringel-Buch wurde wohlüberlegt als „Initialtext“ bezeichnet, denn es initiiert einen andersgearteten Umgang mit und eine andersgeartete Sichtweise auf bestimmte Wittgenstein’sche „Bemerkungen“, auf seine Art und Weise zu philosophieren. Das Kringel-Buch ist zudem auch „Initialtext“, insofern es – wie noch zu zeigen sein wird – den Beginn einer eigenen, weit umfassenderen, speziellen, äußerst interessanten Sammlung von Sektionen darstellt, die Wittgenstein dann – mit einem geänderten, neuen Markierungsmodus – Zeit seines Lebens bis kurz vor seinem Tod 1951 fortgeführt und so stetig erweitert hat.
2.2 D as Kringel-Buch als ein „Buch“ bzw. ein „Werk“ Wittgensteins Dass die im Kringel-Buch vorhandenen – eigens als solche auch dokumentierten – Sektions(unter)gruppen nicht alle gleich zu behandeln sind, versteht sich von selbst. Aufgrund dieser Tatsache (wurden bzw.) werden bei der (Proto-)Edition des Kringel-Buches bewusst die Sektionsgruppen und Sektionsuntergruppen gebildet und eigens dokumentiert und kommentiert. Wollte man behaupten, dass sich auf diesem Forschungsgebiet keine neuen, gut begründeten Einsichten erringen lassen, würde man ignorieren, wie diffizil und wie präzise Wittgenstein seinen Nachlass bearbeitet und strukturiert hat. Hier steht die Forschung eben erst am Anfang; und es bedarf minutiöser Untersuchungen um neue, stichhaltige, wohlfundierte Einsichten zu gewinnen.24 Das Kringel-Buch bildet – so kann und sollte
24 Mit speziellen philologischen Techniken und wissenschaftlichen Untersuchungen – etwa Inspektion der Originalmanuskripte und -typoskripte, Computeranalysen an hochauflösenden Faksimiles, Pigmentanalysen des jeweils verwendeten Schreibgerätes (Tintenfüller, Bleistift, Farbstift) – ließen sich bereits anstehende und lassen sich gewiß noch auftauchende Fragen klären – so etwa die chronologische Abfolge der auf- oder nebeneinander gezeichneten Markierungen von Sektionen. Bloße Spekulationen und tendenziöse Vermutungen helfen dagegen nicht weiter. Auf bereits errungene Forschungsergebnisse dazu kann hier leider nicht eingegangen werden.
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Tabelle der 234 Sektionen in Wittgensteins Kringel-Buch und die Manuskriptquellen
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man heuristisch veranschlagen – für Wittgenstein selbst ein Arbeitsbuch, ein Logbuch, ein Experimentierbuch, ein Buch für sein Philosophieren und zu seiner Philosophie. Das Kringel-Buch ist mit seinen unterschiedlichen Sektions(unter) gruppen kein homogenes Gebilde. Treffend könnte man es als Buch-Kabinett – mit erwählten 234 Sektionen als Kabinettstücken in gewählten Gruppierungen – bezeichnen; das philosophische Kringel-Buch als Reminiszenz einer „Wunderkammer“, einer „Raritätensammlung“ der Spätrenaissance. Es ist eben kein vollendetes philosophisches Werk – wie sollte es auch, da ja noch nicht einmal die so genannte Schlussfassung der Philosophischen Untersuchungen, TS227 also, vollendet ist und da zudem das Kringel-Buch in seiner Anlage und Zusammenstellung vollkommen anders als die Philosophischen Untersuchungen beschaffen ist. Das Kringel-Buch ist am ehesten noch vergleichbar mit den postum von Georg Henrik von Wright zusammengestellten Vermischten Bemerkungen oder mit den postum von Rush Rhees herausgegebenen „Bemerkungen zu Frazers Golden Bough“ (es existieren ja sehr große Schnittmengen mit dem Kringel-Buch) – allerdings unter Hervorhebung des Unterschieds, dass die Sektionensammlung des Kringel-Buches von Wittgenstein selbst geschaffen wurde.
2.3 Das Kringel-Buch als (Beginn eines) „Opus“ Wittgensteins Sinnvoll kann es sein, das Kringel-Buch als jenes Buch anzusehen, das nicht bzw. nicht im selben Sinne wie die Philosophischen Untersuchungen geschrieben bzw. nicht veröffentlicht werden kann. Das Kringel-Buch ist – so könnte man eine bemerkenswerte Kringel-Buch-Sektion zitierend konstatieren – Wittgensteins (auf den ersten Blick unscheinbares und auf den zweiten Blick sich erweisendes) Opus bzw. (wie sich noch herausstellen wird) der Initialtext für ein größeres Opus gegen die „große Versuchung den Geist explizit machen zu wollen“ (KB Nr. 68). Ein Opus, das Ludwig Wittgenstein für sich selbst, für andere, für jeden und keinen zusammengestellt bzw. zusammenzustellen begonnen hat. Dabei kommt es besonders auf jene Zweiheit von „Dimension des Sagens“ und „Dimension des Zeigens“ in Wittgensteins eigener Nachlassgestaltung an. Recht gut und treffend kann man diese Differenzierung, welche sich – so die hier geführte Argumentation – durch Wittgensteins Gesamtœuvre zieht und sich durch das bzw. im Kringel-Buch auf besondere Weise manifestiert, mit jenen Worten markieren, die Wittgenstein selbst Ludwig von Ficker gegenüber zur Beschreibung der Intention seiner Logisch-Philosophischen Abhandlung wählte und in einem Brief im Herbst 1919 (nach dem 20. 10. 1919) diesem mitteilte: Ich wollte einmal in das Vorwort einen Satz geben, der nun tatsächlich nicht darin steht, den ich Ihnen aber jetzt schreibe, weil er Ihnen vielleicht ein Schlüssel sein wird: Ich wollte nämlich
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
25
schreiben, mein Werk bestehe aus zwei Teilen: aus dem, der hier vorliegt, und aus alledem, was ich nicht geschrieben habe. Und gerade dieser zweite Teil ist der Wichtige. Es wird nämlich das Ethische durch mein Buch gleichsam von Innen her begrenzt; und ich bin überzeugt, daß es, streng, nur so zu begrenzen ist. Kurz, ich glaube: Alles das, was viele heute schwefeln, habe ich in meinem Buch festgelegt, indem ich darüber schweige. Und darum wird das Buch, wenn ich mich nicht sehr irre, vieles sagen, was Sie selbst sagen wollen, aber Sie werden vielleicht nicht sehen, daß es darin gesagt ist. Ich würde Ihnen nun empfehlen das Vorwort und den Schluß zu lesen, da diese den Sinn am Unmittelbarsten zum Ausdruck bringen. –
Nichts spricht dagegen und vieles spricht dafür, diesen Grundduktus auf Wittgensteins Philosophieren und Schreiben generell zu beziehen; ihn – zumindest heuristisch – als Richtwert für den Umgang mit dem Gesamtnachlass zu veranschlagen und für das Kringel-Buch gelten zu lassen. Die unterschiedlichen von Wittgenstein für eine Veröffentlichung intendierten Buchprojekte – ob geplant, begonnen, ausgeführt oder beendet – würden dann unter jener Ägide stehen, die im Vorwort und am Schluss des Tractatus Logico-Philosophicus formuliert ist und deren Kenntnisnahme und Beherzigung Wittgenstein ja gerade als „den Sinn des Buches“ bzw. hier nun den „Sinn des Nachlasses“ und den „Sinn des Kringel-Buches“ als „Initialtext“ „am Unmittelbarsten zum Ausdruck“ bringend anempfiehlt. – Etwa: Man könnte den ganzen Sinn des Buches [hier nun: den ganzen Sinn des Nachlasses] etwa in die Worte fassen: Was sich überhaupt sagen läßt, läßt sich klar sagen; und wovon man nicht reden kann, darüber muß man schweigen. Das Buch [hier nun: Der Nachlass] will also dem Denken eine Grenze ziehen, oder vielmehr – nicht dem Denken, sondern dem Ausdruck der Gedanken: Denn um dem Denken eine Grenze zu ziehen, müßten wir beide Seiten dieser Grenze denken können (wir müßten also denken können, was sich nicht denken läßt.) Die Grenze wird also nur in der Sprache gezogen werden können und was jenseits der Grenze liegt, wird einfach Unsinn sein.
Die Veranschlagung dieses Leitgedankens Wittgensteins für die Beschäftigung mit dessen Gesamtnachlass im Allgemeinen und dem Kringel-Buch im Besonderen besagt nun gerade nicht, dass die Vorstellung von der Art und Weise, wie die Grenze „in der Sprache gezogen werden“ kann, sich bei Wittgenstein nicht im Laufe seines Schaffens ändern könnte, nicht verfeinert werden könnte, nicht einer Bewährung ausgesetzt werden könnte, nicht unterschiedlich praktiziert werden könnte. Die Veranschlagung dieses Leitgedankens meint vielmehr: „So können wir sagen, dass Wittgensteins spätere Werke [hier nun: Wittgensteins Nachlass bzw. Wittgensteins Kringel-Buch] wie auch schon der ‚Tractatus‘ auf indirekte Weise die Grenzen des Denkens, der Sprache und der Welt aufzeigen. […] Wie schon die Sätze des Tractatus, zeigen uns auch die Sprachspiele in Wittgensteins späteren Schriften [hier nun: Wittgensteins Nachlass; hier nun auch: die 234 Sektionen in Wittgensteins Kringel-Buch], was und was nicht gesagt werden kann.
26
Josef G. F. Rothhaupt
Sie zeigen uns die Grenzen des menschlichen Denkens und des menschlichen Lebens.“25 War in der frühen Philosophie Wittgensteins die Gewichtung beim Sagen-Zeigen auf logischen Aspekten, so verschob sich in der späteren Philosophie Wittgensteins die Gewichtung beim Sagen-Zeigen auf metaphorische, literarische, künstlerische, ästhetische Aspekte.26 Damit rückte Wittgenstein nicht mehr die negative Grenzziehung zwischen „Sagen“ und „Zeigen“ in den Vordergrund, sondern mehr die Möglichkeit der Präsenz des „Unaussprechlichen“ im „Ausgesprochenen“. Oder wie es am 5.10.1931 in MS112,1 im Kontext von Wittgensteins Aufzeichnungen „Zu Engelmanns Orpheus“ in MS111,196–200 heißt: (Das Unaussprechbare (das, was mir geheimnisvoll erscheint und ich nicht auszusprechen vermag) gibt vielleicht den Hintergrund, auf dem das, was ich aussprechen konnte Bedeutung bekommt.)
Es lassen sich aber der Gewichtung auf den logischen Aspekt vorgelagert und mitlaufend, also für die Prä-Tractatus-, Proto-Tractatus- und Tractatus-Phase, bei Wittgenstein bereits metaphorische, literarische, künstlerische, ästhetische Vorkommnisse nachweisen.27 Der wichtigste Beleg dafür ist die Bezugnahme auf das Gedicht „Graf Eberhards Weißdorn“ von Ludwig Uhland im Briefwechsel zwischen Wittgenstein und Engelmann im April 1917. Engelmann schreibt – diesen Gedanken überhaupt erst für Wittgenstein initiierend – am 4.4.1917 an Wittgenstein über dieses Gedicht: Es ist ein Wunder von Objektivität. Fast alle anderen Gedichte (auch die guten) bemühen sich, das Unaussprechliche auszusprechen, hier wird das nicht versucht, und eben deshalb ist es gelungen.
Und Wittgenstein antwortet – diesen Gedanken Engelmanns aufgreifend und ihn mit „Und es ist so“ bestätigend – am 9.4.1917 seinem Freund: Das Uhlandsche Gedicht ist wirklich großartig. Und es ist so: Wenn man sich nicht bemüht das Unaussprechliche auszusprechen, so geht nichts verloren. Sondern das Unaussprechliche ist, – unaussprechlich – in dem Ausgesprochenen enthalten.
25 McGuinness 1985, S. 284. 26 Siehe insbesondere die über fast ein halbes Jahrhundert hinweg weitgehend übersehene bzw. übergangene Studie The Meaning of Poetic Metaphor. An Analysis in the Light of Wittgenstein’s Claim that Meaning is Use von Marcus B. Hester (1967). Siehe auch Vom Nutzen des Scheiterns. Eine literaturwissenschaftliche Interpretation von L. Witttgensteins Philosophischen Untersuchungen von Heinz Brunner (1985). 27 Siehe Rothhaupt 2003, S. 357–360. Weitere Vorkommnisse und Zusammenhänge hat Rubén Aguilar, der sich mit dem Begriff „Bild“ (auch „Gleichnis“, „Metapher“ etc.) bei Wittgenstein eingehend beschäftigt hat und beschäftigt, recherchiert. Aguilar 2012.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
27
Interessant ist hier, dass, bis in die Wortwahl und Ausdrucksweise hinein, eine enge Verbindung dieser beiden – fast 15 Jahre auseinanderliegenden – Vorkommnisse besteht: nämlich erstens bezüglich des Gedankens „Unaussprechliches im Ausgesprochenen“ selbst; zweitens bezüglich des literarischen, künstlerischen, ästhetischen Kontextes dafür; drittens bezüglich der Beteiligung von Engelmann und Wittgenstein dabei. So ist es nicht verwunderlich, dass das zweite Vorkommnis im unmittelbaren Umfeld von Kringel-Buch-Sektionen (nach KB Nr. 221; also am Ende der KB-Portion C) angesiedelt ist und dass Paul Engelmann selbst in einer wichtigen Bemerkung im Kringel-Buch – die ebenfalls im literarischen, künstlerischen, ästhetischen, bildlich-metaphorischen Themen- und Umfeld steht – vorkommt (KB Nr. 52). Wenn es im Kringel-Buch selbst heißt „Es ist eine große Gefahr den Geist explicit machen zu wollen.“ (KB Nr. 68), so ist dies synonym mit der Versuchung, das Unaussprechliche aussprechen zu wollen. Die unterschiedlichen von Wittgenstein für eine Veröffentlichung intendierten Buchprojekte – ob geplant, begonnen, ausgeführt oder beendet – stehen eben auch unter jener Ägide, die sich in den Vorwort-Sektionen im Kringel-Buch findet. Etwa: Dieses Buch ist für solche geschrieben die seinem Geist freundlich gegenüberstehen. Dieser Geist ist ein anderer als der g des großen Stromes der europäischen & amerikanischen Kultur in dem wir alle stehen. Dieser will die Welt durch ihre Peripherie – in ihrer Mannigfaltigkeit – erfassen, jener in ihrem Zentrum – ihrem Wesen. Daher reiht dieser ein Gebilde an das andere, steigt quasi von Stufe zu Stufe immer weiter, während jener dort bleibt wo er ist & immer dasselbe erfassen will. (KB Nr. 73 und KB Nr. 74; vgl. auch KB Nr. 72)
Dieses Kringel-Buch darf daher nicht nur separiert und vom restlichen Nachlass isoliert eingeschätzt werden, sondern ist gerade auch in seinem Eingebundensein in umfassendere Nachlasskomplexe, ja in den Wittgenstein’schen Gesamtnachlass zu verorten – wie exemplarisch noch gezeigt werden wird. Kurz: Es gilt in philologischer und philosophischer Detailarbeit zu zeigen, dass die Dinge komplizierter sind und minutiöser gehandhabt werden müssen, als es so manche Hau-Ruck-Stellungnahme vorgaukeln möchte. Und dennoch, die vorhandene Kompliziertheit in dieser Angelegenheit verhindert gerade nicht Klarheit, denn Wittgenstein hat – wie ja bereits konstatiert und demonstriert wurde – im Umgang mit seinen Aufzeichnungen auch bei der Verwendung von Sektionsmarkierungen größte Sorgfalt walten lassen und beeindruckende Stringenz an den Tag gelegt.
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Josef G. F. Rothhaupt
3 Zur Philologie des Kringel-Buches 3.1 Die Kringel-Buch-Portionen A bis G Die insgesamt 234 Kringel-Buch-Sektionen sind nicht nur in verschiedenen Zeitperioden verfasst, sondern auch in verschiedenen Portionen zu unterschiedlichen Zeiten markiert worden. Zusammenfassend folgende Übersichtstabelle: MSS-Umfang
TSS
MSS-Umfang im Kringel-Buch
Datierung in den MSS
Anzahl
KB Nr.
Portion
105,1–108(I),133 208
107,159/1–108(I), 133/3
10.1929–4.1930 47
1–47
A
108(II),133–300
210
108(II),184/1a–108(II), 6.1930–7.1930 267/5
48–51
B
109,1–114(I),31r
211
109,28/2–112,70v/4
8.1930–11.1931 171
52–222
C
145,1r-48v
---
145,16v/1
1933
1
223
D
118,0–119r
---
118,88v/2
9.1937
1
224
E
120,1r–147r
---
120,40v/1–144r/1
12.1937–4.1938 9
225–233 F
158,36r/1
---
158,36r/1
1. Drittel 1938
234
4
1
G
Die sieben Kringel-Buch-Portionen (siehe Übersichtstabelle letzte Spalte A bis G) sind folgendermaßen einzuordnen: KB-Portion A (KB Nr. 1 bis KB Nr. 47) entstand im Zeitraum Oktober 1929 bis April 1930 in MS107–MS108(I) und wurde sicher vor Ende April 1930 mit der „○“-Markierung versehen, da eben diese Markierung bei der Erstellung von Typoskript TS208, das Ende April 1930 erstellt wurde, eine wichtige Rolle spielt. Eine Besonderheit dieser – und wohlgemerkt nur dieser – A-Portion ist es, dass die Kombination der Markierungszeichen „○“ und „/“ bei einer Sektion stets nebeneinander und nie aufeinander zu sehen ist. In allen anderen Portionen (B bis G) wird die Kombination von „○“ und „/“ stets aufeinander und nie nebeneinander angebracht. Die Sektionen der KB-Portion B (KB Nr. 48 bis KB Nr. 51) wurden Juni/Juli 1930 niedergeschrieben und dann in Typoskript TS210, das nach Mitte 1930 in MS108(II) erstellt wurde, aufgenommen. Die umfangreiche KB-Portion C (KB Nr. 52 bis KB Nr. 222) setzt sich aus Sektionen zusammen, die im Zeitraum August 1930 bis November 1931 in MS109–MS112 geschrieben wurden. Da die Kringel-Markierungen dieser C-Portion eine große Rolle bei der Erstellung von Typoskript TS211 spielen, das 1931/32 entstanden ist,
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
29
müssen die Kringel-Markierungen bereits davor angebracht worden sein. Eine singuläre Kringel-Sektion (KB Nr. 223) bildet KB-Portion D und entstand 1933 in MS145. Wann die Kennzeichnung mit „○“ bei dieser Sektion angebracht wurde, ist offen. Die KB-Portionen E bis G (KB Nr. 224; KB Nr. 225 bis KB Nr. 233; KB Nr. 234) wurden interessanterweise erst Jahre später, nämlich im Zeitraum September 1937 bis etwa April 1938 markiert. Für die Portionen D bis G kann nicht endgültig gezeigt werden, dass sie weitertransferiert worden wären; wichtige Hinweise sind jedoch vorhanden.
3.2 Die Kringel-Buch-Portionen A bis C – Sektionentransfer in TS208, TS210, TS211 Wie es in der Proto-Edition des Kringel-Buches deutlich markiert ist und wie es in der Buchpublikation des Kringel-Buches klar dokumentiert werden wird, ist es erforderlich, die 222 Kringel-Sektionen des Zeitraums Oktober 1929 bis November 1931, also über einen Entstehungszeitraum von etwas mehr als zwei Jahren, dreigeteilt – nämlich Portion A, Portion B und Portion C – zu veranschlagen und so die jeweilige Zuordnung dieser Kringel-Sektionen zur entsprechenden zugehörigen Erstellung eines Typoskriptes – nämlich entweder zu Typoskript TS208 oder zu Typoskript TS210 oder zu Typoskript TS211 – zu veranschlagen. Die insgesamt 222 Kringel-Sektionen des Zeitraums 1929 bis 1931 (KB Nr. 1 bis KB Nr. 222) wurden nachweisbar zur besonderen Herausarbeitung, exakter: für unterschiedliche Herausarbeitungen und den Transfer in unterschiedliche Typoskripte markiert. Und diese Herausarbeitungsetappen wurden nachweisbar von Wittgenstein auch durchgeführt.28 Für ein möglichst adäquates Verstehen und Nachvollziehen der gezielten Herausarbeitung von Kringel-Sektionen in Typoskripte ist das Wissen um detaillierte, aber äußerst wichtige und entscheidende Sachverhalte in Wittgensteins Nachlass einerseits und die Kenntnis bereits erzielter Ergebnisse bei der Nachlasserforschung im allgemein und speziell bei der Erschließung der Markierungssystematik im Nachlass andererseits unabdingbar.
28 Nicht übersehen oder unterschlagen darf man dabei allerdings die notwendige Differenzierung in das Vorsehen der Auswahl einer Bemerkung durch das Anbringen einer Sektionsmarkierung einerseits und die dann ggf. erfolgende tatsächliche Auswahl etwa in ein Typoskript. Bei der tatsächlichen Auswahl kann es sich nämlich dann um eine Auswahl aus der vorgesehenen Auswahl handeln – und nicht selten ist genau dies der Fall.
30
Josef G. F. Rothhaupt
Kringel-Sektionen der KB-Portion A wurden in Typoskript TS208 transferiert. TS208 ist nicht als vollständiges ursprüngliches Typoskript – nämlich TS208, 1-168 – im Nachlass erhalten, sondern es existiert dort nur noch als Konvolut rudimentärer Typoskriptteile – nämlich TS208,1-10, teilweise 11, 12, 17-90, 93-94, teilweise 111, 112-118, 136, 144.29 Das ursprüngliche TS208 kann aber (bis auf kleine Details) rekonstruiert werden, indem man einerseits alle im Nachlass weit verstreut vorhandenen Typoskriptteile in Faksimile zusammenführt und andererseits die in den basalen Manuskripten MS107–MS108(I) vorhandenen Markierungen heranzieht. Diese Rekonstruktion von Typoskript TS208 wurde auch bereits aufwendig ausgeführt. Die ursprüngliche Fassung von TS208 ist also in einer vollständigen Faksimile-Rekonstruktion zusammen mit einer ausführlichen Dokumentation dieser Rekonstruktionsarbeit der Forschung zugänglich.30 Anhand dieser rekonstruierten Fassung des ursprünglichen und vollständigen TS208 kann man überhaupt erst zeigen, dass die Kringel-Sektionen darin aus der chronologischen Abfolge der Sektionenauswahl herausgenommen wurden und in zwei Kringel-Sektionen-Komplexe – nämlich TS208,138 und TS208,166–168 – (mit ganz wenigen Ausnahmen) zusammengezogen sind. Die vier Kringel-Sektionen im Sektionenumfang für TS210 wurden in dieses Typoskript in der chronologischen Abfolge aufgenommen. Für den Sektionenumfang von TS211 wurden dann aber wieder, in der Art und Weise, wie sie bereits in TS208 anzutreffen ist, mit den allermeisten Kringel-Sektionen mehrere Kringel-Sektionen-Komplexe gebildet – nämlich TS211,89–91, TS211,124–127, TS211,157–159 und TS211,313–322.31
29 Obwohl TS208 unvollständig und nur bis Seite 144 im Nachlass erhalten ist, kann eindeutig gezeigt werden, dass TS208 ursprünglich genau 168 Seiten (nicht mehr und nicht weniger) umfasst hat. 30 Siehe die Dokumentation in Rothhaupt 2008(a), Band I, S. 76–110, die Rekonstruktion des „Physikalisch rekonstruierten Typoskripts TS208“ als Anhang IV in Rothhaupt 2008(a), Band II, S. 57–367 und die „Referenztabelle zur Rekonstruktion der Seiten von TS208“ als Anhang V in Rothhaupt 2008(a), Band II, S. 369–420. Siehe alsbald den ersten Band von Kreation und Komposition, einem philologisch-philosophischen Kommentar zum Nachlass Wittgensteins (in Vorbereitung). Mit einem bloßen Hinweis darauf, dass TS208 rekonstruiert werde könnte, ist es nicht getan. Vielmehr war eine konkrete, detaillierte, vollständige und daher aufwendige Rekonstruktion des ursprünglichen TS208 in Faksimile erforderlich. Und die Transkription von TS208 nur als Typoskripttorso in der Bergen Electronic Edition ist dazu unbrauchbar. 31 Für den verständlichen Nachvollzug der Kringel-Sektionen-Sammlungen in TS211 ist die genaue Kenntnis der chronologischen Sektionenabfolge im basalen Manuskriptenmaterial MS109 bis MS114(I) einerseits und die davon abweichende fortlaufende Sektionenabfolge in Typoskript TS211 andererseits notwendig. Bestimmte Kringel-Sektionen in Verbindung mit roter Markierung und bestimmte Kringel-Sektionen der Untergruppe „○/`“ wurden in der Regel nicht in TS211 transferiert.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
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Abb. 13.1–5: Sektionsmarkierungen mit „/“ und „○“ – nebeneinander (1–2); aufeinander (4–5); singulär (3)
Die in TS211 transferierten Kringel-Sektionen sind in der Wittgenstein-Forschung als „Bemerkungen zu Frazers Golden Bough“ (Teil I) bekannt geworden.32 In den allermeisten Fällen treten – wohlgemerkt für die KB-Portion A – die Kringel-Markierungen in Verbindung bzw. in Kombination mit anderen Sektionsmarkierungen auf. Und diese Kombinationsvorkommen können und müssen detailliert recherchiert und dokumentiert werden. Die häufigste Kombination besteht aus dem Kringel „○“ einerseits und dem rechtsgeneigtem Schrägstrich „/“ andererseits. Das Ergänzen eines Schrägstrichs mit einem zusätzlichen Kringel (nebeneinander geschrieben, nicht aufeinander; Abb. 13.1–2) ist als Umwidmung der Herausarbeitung in die Kringel-Sektionen-Komplexe anzusehen. Und das Anbringen nur eines Kringels (Abb. 13.3) stellt die Erweiterung der Kringel-Sektionen-Sammlung durch zusätzliche Sektionen dar. Daher kommen auch Schrägstrich und Kringel nebeneinander geschrieben (Abb. 13.1–2) und nur Kringel (Abb. 13.3) ausschließlich im Sektionenumfang für TS208 vor. Und beide Markierungszeichen aufeinander geschrieben (Abb. 13.4–5) kommen ausschließlich im Sektionenumfang für TS210 und TS211 vor. Nicht übersehen werden darf, dass sich im Sektionenumfang sowohl für TS208 als auch für TS211 noch weitere Auswahl- bzw. Markierungsdurchgänge befinden, etwa – wohlgemerkt nur für TS208 – die Sektionsmarkierung mit einem Stern „*“ (etwa 1100 Sektionen), die Sektionsmarkierung mit der griechischen Minuskel „α“ (23 Sektionen) und die Sektionsmarkierung mit „Χ“ (etwa 50 Sektionen) einerseits und etwa – wohlgemerkt nur für TS211 – die Markierung mit „√“ bzw. „√√“ (etwa 140 bzw. 500 Sektionen) andererseits.33 Dabei werden dann sich überlagernde Markie-
32 Vermerkt sei allerdings, dass es sich bei den „Bemerkungen zu Frazers Golden Bough“ (Teil I) um eine postum von Rush Rhees geschaffene Zusammenstellung handelt, die nicht nur und nicht alle Bemerkungen aus TS211 enthält. Die „Bemerkungen zu Frazers Golden Bough“ (Teil II) basieren dagegen auf den Manuskriptblättern MS143 und sind zeitlich (weit) später zu datieren. 33 Auf die Erklärung dieser und weiterer höchst interessanter Sektionsmarkierungen kann hier
32
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Abb. 14.1–5: Sektionsmarkierungen in Kombination von „/“ bzw. „*“, „○“ und „α“.
rungen und kombinierte Markierungen möglich, nämlich im Zusammentreffen von „/“ und „○“ (Abb. 14.1), von „*“ und „○“ (Abb. 14.2), von „○“ und „α“ (Abb. 14.3), von „/“, „○“ und „α“ (Abb. 14.4–5); nur die Kombination von „/“ und „*“ ist nicht möglich, da diese beiden Markierungen zueinander exklusiv sind. In sehr wenigen Fällen können bei der Kringel-Sektionen-Auswahl für TS211 mit „ ∫ “ bzw. mit „?∫“ markierte Sektionen zusätzlich mit einem Kringel versehen sein und damit dennoch in die Kringel-Sammlung gehören. (Abb. 15.1–12) Prinzipiell ist es möglich und nicht verboten, das mittels Kombination von „ ∫ “ und „○“ vorhandene Zeichen als Kurvenintegralzeichen34 oder als eine Art Notenschlüssel zu interpretieren. Diese Auffassungen erweisen sich dann aber insofern als an den Haaren herbeigezogen, ja gar als abwegig, als sie nur angenommen werden können, wenn man den Gesamtkontext, in welchem diese Markierung von Wittgenstein benutzt wird, vollkommen ausblendet und ignoriert. Konzentriert bzw. fixiert man sich dagegen nicht nur auf ein isoliertes Einzelvorkommen (etwa Abb. 15.1), sondern behält die Übersicht auf die Summe all dieser – insgesamt nur 12 – Tokens, so zeigt sich, dass eben nicht nur „ ∫ “ und „○“ übereinander geschrieben vorkommen (Abb. 15.1, 15.2, 15.6, 15.9, 15.11), sondern auch die Kombination von „?∫“ und „○“ möglich ist (Abb. 15.7, 15.8, 15.12), die aufeinander geschriebene Kombination von „ ∫ “, „/“ und „○“ existiert (Abb. 15.4) und das Auftreten von „/“ und „○“ (aufeinander geschrieben) und zusätzlich (daneben geschrieben) noch „ ∫ “ vorkommen kann (Abb. 15.3, 15.5, 15.10). Sollten dies dann Modulationen eines Kurven- bzw. Ringintegralzeichens oder gar eines notenschlüsselartigen Zeichens sein? Exemplarisch kann die soeben beschriebene Sachlage noch weiter expliziert und veranschaulicht werden. Nämlich: Betrachtet man z. B. eine fortlaufende
nicht ausführlich eingegangen werden. Siehe Rothhaupt 2008a. Hierzu ist zudem ein eigenes Kapitel in der Publikation Kreation und Komposition, einem mehrbändigen Kommentar zum Wittgenstein-Nachlass, in Vorbereitung. 34 Präziser müsste man wahrscheinlich von einem Ringintegral sprechen, nämlich „∲“ bzw. „∮c“.
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Abb. 15.1–12: Sektionsmarkierung in Kombination von „ ∫ “ und „○“ und ggf. „?“
Sequenz von Sektionen, die von Wittgenstein mit Sektionsmarkierungen versehen wurden, in MS111,28–53 (nicht markierte Sektionen können bei der hier vorgetragenen Argumentation übersprungen werden), so zeigt sich ein Sachverhalt, der folgendermaßen tabellarisch dargestellt werden kann:35 Seite/ Sekt.
28/3
32/2
41/3
42/1
42/2
42/3
42/4
43/2
Sekt. mark.
∫
∫
∫
○ ?∫
○/
○∫
○∫
?
KB
---
---
---
176
177
178
179
---
∫
35 In der ersten Tabellenzeile wurde für jede Sektion dieser Sequenz Manuskriptseite und Sektion pro Seite angegeben, in der zweiten Tabellenzeile die jeweilige Markierung einer Sektion notiert und in der dritten Tabellenzeile sind die Nummern der Kringel-Buch-Sektionen genannt.
34
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Seite/ Sekt.
50/5
52/2
52/3
52/4
52/5
53/1
53/2
53/3
Sekt. mark.
∫
∫/
/∫
/
/
/
/
/
KB
---
---
---
---
---
---
---
---
Bei den Sektionen 28/3, 32/2, 41/3 und 50/5 kommt nur die Markierung mit „ ∫ “ vor. Bei den Sektionen 42/1 (KB Nr. 176) und 43/2 ist ebendiese Markierung zu „?∫“ erweitert. Bei den Sektionen 52/4 bis 53/3 ist nur die Markierung mit „/“ vorhanden. Bei Sektion 52/2 wurde erst „∫“ angebracht, dann aber wieder gestrichen und durch „/“ ersetzt. Bei Sektion 52/3 erfolgte das Streichen und Ersetzen vice versa. Bei Sektion 42/2 (KB Nr. 177) ist die aufeinander geschriebene Form von „/“ und „○“ zu sehen. Und bei den Sektionen 42/1 (KB Nr. 176), 42/3 (KB Nr. 178) und 42/4 (KB Nr. 179) taucht schließlich die aufeinander geschriebene Form von „ ∫ “ bzw. „?∫“ und „○“ auf. Und ausgerechnet in diesen letztgenannten Fällen soll plötzlich statt der Kombination von „ ∫ “ und „○“ ein Kurven- bzw. Ringintegralzeichen oder ein Notenschlüssel zu sehen sein? Oder – ebenso befremdend – soll die Kombination von „/“ und „○“ bei 42/2 nun aus heiterem Himmel als Durchschnittszeichen zu interpretieren sein?
3.3 Die Kringel-Buch-Portion A – Besonderheiten Zwei Besonderheiten bezüglich der Kringel-Sektionen im Sektionenumfang von TS208 sind besonders hervorhebenswert. Als erstes das Vorkommen der Sektionsmarkierung „α“ als die griechische Minuskel „α“ und deren trennscharfe Differenzierung zur Sektionsmarkierung „Χ“ und zur Sektionsmarkierung „*“ auf der einen Seite und dem klar ersichtlichen Durchstreichen einer Sektionsmarkierung auf der anderen Seite.
3.3.1 Die Alpha-Markierung „α“ in Kringel-Buch-Portion A Insgesamt finden sich in den Manuskriptbänden MS107 und MS108(I) 23 Sektionen mit der Kennung durch den griechischen Buchstaben „α“. (Abb. 16.1–23) 19 Sektionen davon kommen in Kombination mit der Markierung „○“ vor – wovon neun Sektionen zusätzlich auch noch die Markierung mit „/“ (nebeneinander nicht aufeinander geschrieben) aufweisen (z. B. Abb. 16.1–2 und
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Abb. 16.1–23: Alle „α-Sektionen“ im Kringel-Buch und alle „zusätzlichen α-Sektionen“.
Abb. 16.18–23); drei Sektionen davon (Abb. 16.9–10 und Abb. 16.19) kommen in Kombination mit der Markierung „/“ vor – die allerdings in zwei Fällen (Abb. 16.9–10) wieder gestrichen wurde; eine Sektion hat nur die Kennung mit „α“ (Abb. 16.8); und bei einer zunächst mit „/“, „○“ und „α“ gekennzeichneten Sektion wurde alsdann der Kringel wieder gestrichen (Abb. 16.11). Bis auf zwei der mit „α“ markierten Sektionen (Abb. 16.1–2) wurden alle in TS208 transferiert.
36
Josef G. F. Rothhaupt
Die Bedeutung der „α“-Kennzeichnung und der Zusammenhang mit der „○“-Markierung bedarf noch der näheren Aufklärung36; ebenso die Datierung der Anbringung ebendieser Kennzeichnung. Die Kennzeichnung mit „α“ steht jedenfalls, so kann man in philologischen Detailuntersuchungen zeigen, in enger Verbindung zur Markierung mit „○“ und „/“ oder nur mit „○“. Als ein heuristischer Impuls soll daher der Hinweis dienen, dass es sich bei der mit „α“ markierten Sektionengruppe – es sind signifikante Sektionen zum Thema „Schmerz“ – um Bemerkungen handeln kann, mit denen Wittgenstein seinen Kurzvortrag am 31.01.1930 im Cambridge University Moral Sciences Club bestritten und ihn dann die Woche danach weitergeführt hat37 und mit denen Wittgenstein alsdann plante sein/ein zu einem bestimmten Zeitpunkt 1930/31 intendiertes Buch zu beginnen. So befindet sich ja gerade auch im Kringel-Buch (KB Nr. 150) eine explizite Bemerkung aus MS110,243/3 vom 30. 6. 1931 darüber, wie Wittgenstein gedenkt, gegebenenfalls sein/ein Buch anzufangen, nämlich: ○/` (Ich sollte mein Buch vielleicht mit der Analyse eines Alltäglichen Satzes, etwa ‚auf meinem Tisch steht eine Lampe‘, anfangen. Von da aus müßte man überall hin gelangen können. Das entspricht auch dem Gefühl, was ich schon vor längerer Zeit hatte, daß ich nämlich mein Buch mit einer Naturbeschreibung d. h. überhaupt mit der Beschreibung einer Situation beginnen sollte. Um aus // ihr das Material für alles weitere zu erhalten.)
Und einige Tage später, nämlich am 2.7.1931, trägt Wittgenstein dann weitere Überlegungen über die Gestaltung des Anfanges seines Buches in MS110,258 ein. Diese zwei Sektionen wurden dann ebenfalls ins Kringel-Buch (KB Nr. 161 und KB Nr. 162) transferiert und stehen dort im Kontext mit weiteren Sektionen (KB Nr. 158 bis KB Nr. 162) sowohl in thematischem Zusammenhang mit Goethes Naturauffassung38 als auch mit Frazers Tatsachensammlung – beides wichtige
36 Gerade hier ist es exemplarisch möglich, bestimmte Untergruppen im Kringel-Buch als für einen speziellen Zweck ausgewählt anzusehen. Die Kringel-Sektionen sind als Ausgliederungen aus der allgemeinen philosophischen Arbeit bzw. als Herauslösung für (eine) spezielle Verwendung(en) anzusehen. Über die Verwendung des Kringel-Buches in seiner Gesamtheit bzw. in seiner Zusammensetzung aus verschiedenen Gruppen und Untergruppen sind noch weitere Detailstudien erforderlich. Die Kringel-Sektionen in ihrer Summe haben jedenfalls einen thematischen Gesamtzusammenhang, den man beispielsweise mit dem Titel „Kulturen und Werte“ versehen könnte; die allermeisten Bemerkungen im Kringel-Buch sind thematisch familienähnlich bzw. wahlverwandt. Für wichtige Hinweise dazu danke ich Wolfgang Kienzler. 37 Siehe die näheren Ausführungen dazu unter Punkt 3.3.5. 38 „Was der Gescheite weiß, ist schwer zu wissen.“ ist das Zitat aus Goethes Zahmen Xenien. Das entsprechende Xenion trägt den Titel „Warnung – eigentlich und symbolisch zu nehmen“.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
37
Einflüsse auf die Bildung neuer philosophischer Methoden bei Wittgenstein in den ersten Jahren der 30er Jahre: ○/` ‚Was der Gescheite weiß, ist schwer zu wissen.‘ Hat die Verachtung Goethes für das Experiment im Laboratorium und die Aufforderung in die freie Natur zu gehen & dort zu lernen, hat dies mit dem Gedanken zu tun daß die Hypothese (unrichtig aufgefaßt) schon eine Fälschung der Wahrheit ist? Und mit dem Anfang den ich mir jetzt für mein Buch denke der in einer Naturbeschreibung bestehen könnte? [Und mit dem Anfang den ich mir jetzt für mein Buch denke, der Naturbeschreibung womit // es anfangen soll?] ○/` Denn mit den ‚Hypothesen‘ soll es anfangen, nicht mit den ‚Sätzen‘. Und richtiger wäre es nun statt ‚Hypothese‘ ‚Satz‘ zu sagen & statt des Wortes ‚Satz‘ wie ich es jetzt gebraucht habe einen andern Ausdruck zu setzen.
Bereits zwei Wochen davor – nämlich am 19.6.1931 in MS110,177/4–7 – hat Wittgenstein ebenfalls Überlegungen über den möglichen Beginn seines Buches notiert (dann allerdings diese insgesamt fünf Sektionen alle mit der Markierung „ ∫ “ versehen), die auch schon mit seinen „Bemerkungen über Frazer Golden Bough“ zusammenhängen: ∫ Ich glaube jetzt daß es richtig wäre ein Buch über mit Bemerkungen über die Metaphysik als eine Art der Magie zu beginnen. ∫ Worin ich aber weder der Magie das Wort reden, noch mich über sie lustig machen darf. ∫ Von der Magie müßte die Tiefe beibehalten werden. – ∫ Ja das Ausschalten jeder der Magie hat hier den Charakter der Magie selbst. ∫ Denn wenn ich damit anfing von der „Welt“ zu reden (und nicht von diesem Baum oder Tisch) was wollte ich anderes als etwas Höheres in meine Worte bannen.
Da sich gerade diese „Bemerkungen über die Metaphysik als eine Art der Magie“ im weiteren Umfeld der „Bemerkungen zu Frazers Golden Bough“ (Teil I) finden, also jene Sektionen betreffen, die sich auch im Kringel-Buch befinden, wäre es äußerst spannend, genauer zu untersuchen, ob Wittgenstein gedachte, dazu mit den „Schmerz-Bemerkungen“ im Kringel-Buch, eben jenen Sektionen, welche die Kennzeichnung mit „α“ tragen, gleich zu Beginn seines geplanten Buches einen Kontrapunkt zu komponieren. Derartige weiterführende und nicht nur formal philologisch, sondern eben auch inhaltlich philosophisch orientierte Untersuchungen sind aber künftigen Studien vorbehalten.
38
Josef G. F. Rothhaupt
3.3.2 Differenzierung von Sektionsmarkierungen in Kringel-Buch-Portion A Wollte man die Kombination „○“ mit einem „α“ übereinander geschrieben (Abb. 17.1) bzw. „○“ mit einem „*“ übereinander geschrieben (Abb. 17.3) jeweils als Durchstreichung interpretieren, würde man Unkenntnis bezüglich der systematischen Markierungstektonik im Nachlass demonstrieren. Was sollte das Vorkommen von nur „α“ (Abb. 17.2) und von nur „*“ (Abb. 17.4) auch durchstreichen wollen? Selbst das Vorkommen der Markierung „Χ“ (Abb. 17.5) darf keinesfalls einfachhin als Durchstreichung interpretiert werden, denn „Χ“ ist – bis auf eine Ausnahme (KB Nr. 12), die recht klar als solche auch zu identifizieren ist (Abb. 17.6)39 – als diagonal geschriebenes Kreuz (bei welchem durch rasches Hinschreiben ein Nichtabsetzen des Schreibstiftes die beiden diagonalen Striche miteinander verbunden hält) eine eigene Sektionsmarkierung, die singulär vorkommt und also ebenfalls nicht durchstreicht (Abb. 17.5). Zudem darf die Markierung mit „α“ (Abb. 17.2) nicht mit der Markierung mit „Χ“ (Abb. 17.5) gleichgesetzt oder verwechselt werden. Lokalisiert man den soeben beschriebenen Befund über die klar erkenn- und unterscheidbare Differenzierung von Sektionsmarkierungen im größeren Kontext aller dazu relevanten Vorkommnisse im entsprechenden Nachlassabschnitt MS105-MS108(I), so kommt er noch präziser zum Vorschein.
3.3.3 Kringel-Buch-Portion A und die Typoskripte TS208, TS209 und TS213 Hier seien noch einige Beispiele für die Möglichkeit der Notwendigkeit der minutiösen Sichtung der insgesamt 47 Sektionen der KB-Portion A (siehe die vollständige Wiedergabe dieser Sektionsmarkierungen in Abb.18.1–47) erwähnt. Es existieren ja markante Unterschiede in der Art und Weise der Sektionenmarkierung in der KB-Portion A (KB Nr. 1 bis KB Nr. 47) einerseits und der Art und Weise der Sektionenmarkierung in den KB-Portionen B und C (KB Nr. 48 bis KB Nr. 51 und KB Nr. 52 bis KB Nr. 222) bzw. allen anderen KB-Portionen B bis G (KB Nr. 48 bis KB Nr. 234) andererseits, die zur Kenntnis zu nehmen und im Auge zu behalten sind. In Typoskript TS208, das April 1930 durch Auswahl von Bemerkungen aus den zugrundeliegenden Manuskriptbänden MS105,1r–MS108(I),133 entstanden ist, befinden sich die Kringel-Sektionen der Kringel-Buch-Portion A in zwei eigenen
39 Der Grund für die – einzig existierende – Kringelstreichung bei KB Nr. 12 kann konkret angegeben werden, denn eben diese Sektion wurde nicht – wie zunächst vorgesehen – in einen der Kringel-Sektionen-Komplexe, nämlich TS208,138 in TS208, transferiert, sondern an einer ganz anderen Stelle, nämlich TS208,121f, eingepasst.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
1: KB Nr. 18
5 : MS106,2r/1
2: MS107,219/2
3: KB Nr. 7
6: KB Nr. 12
Abb. 17.1–6: Differenzierung in „α“-Markierung, „*“-Markierung, „Χ“-Markierung und Markierungsstreichung.
39
4: MS107,213/2
Kringel-Sektionen-Komplexen – nämlich TS208,138 und TS208,166–168 – und zusätzlich einigen singulären Vorkommen. Zur übersichtlichen Präsentation und nachvollziehbaren Erklärung wurde eigens eine Tabelle (siehe die nachfolgende Tabelle) ausgearbeitet. Diese „KB-MSS-TS208-TS209-PB-TS213“-Tabelle bietet in einzelnen Spalten für jede der 47 Sektionen die KB-Nummer, die ursprüngliche Manuskriptquelle mit der dort vorhandenen Sektionsmarkierung, die Quelle in Typoskript TS208, die Quelle in Zettel-Typoskriptquelle TS209, die Quelle in der postumen Publikation von TS209 unter dem Titel Philosophische Bemerkungen (=PB) und die Quelle im Big Typescript TS213. Dabei wird nicht nur die Bestückung dieser KB-Portion klar, wird nicht nur das Vorkommen dieser KringelSektionen in den beiden Kringel-Sektionen-Komplexen in TS208 ersichtlich, sondern auch die Weiterverwendung bzw. die unterlassene Weiterverwendung sowohl in TS209 als auch in TS213 transparent.
40
Josef G. F. Rothhaupt
1: KB Nr. 1
6: KB Nr. 6
11: KB Nr. 11
16: KB Nr. 16
20: KB Nr. 20
24: KB Nr. 24
2: KB Nr. 2
7: KB Nr. 7
12: KB Nr. 12
3: KB Nr. 3
4: KB Nr. 4
8: KB Nr. 8
9: KB Nr. 9
13: KB Nr. 13
17: KB Nr. 17
21: KB Nr. 21
25: KB Nr. 25
14: KB Nr. 14
18: KB Nr. 18
22: KB Nr. 22
26: KB Nr. 26
5: KB Nr. 5
10: KB Nr. 10
15: KB Nr. 15
19: KB Nr. 19
23: KB Nr. 23
27: KB Nr. 27
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
28: KB Nr. 28
29: KB Nr. 29
30: KB Nr. 30
32: KB Nr. 32
33: KB Nr. 33
34: KB Nr. 34
36: KB Nr. 36
37: KB Nr. 37
38: KB Nr. 38
40: KB Nr. 40
44: KB Nr. 44
41: KB Nr. 41
35: KB Nr. 35
39: KB Nr. 39
42: KB Nr. 42
45: KB Nr. 45
Abb. 18.1–47: Alle Kringel-Sektionen der KB-Portion A.
31: KB Nr. 31
43: KB Nr. 43
46: KB Nr. 46
47: KB Nr. 47
41
107,269/4
107,270/3
107,271/2
107,271/3
107,271/4
107,271/5
107,272/1
107,274/3
18
19
20
21
22
23
24
107,216/3
11
17
107,203/6
10
107,269/3
107,203/5
9
107,267/3
107,203/4
8
16
107,203/3
7
15
107,200/1
6
107,266/3
107,199/2
5
14
107,199/1
4
108,36/3
107,187/7
3
107,266/1
107,159/2
2
12
107,159/1
1
13
MSS
KB
○s / α
○s /
○*
○α
○α
○α
○α
○
○
○ (...)
○ (...)
○s / α
○*
○α
○α
○α
○*
○*
○α
○*
○*
○α
○s / α
○s / α
Sekt.mark.
1.2.1930
31.1.1930
31.1.1930
31.1.1930
31.1.1930
31.1.1930
31.1.1930
31.1.1930
31.1.1930
30.1.1930
30.1.1930
30.1.1930
25.12.1929
29.11.1929
21.11.1929
21.11.1929
21.11.1929
21.11.1929
20.11.1929
19.11.1929
19.11.1929
8.11.1929
11.10.1929
11.10.1929
Datum
167/3
167/2
---
167/1 Anf
166 !
166 !
166(?)
166(?)
166(?)
166(?)
166(?)
---
121f
138 ! Ende
138(?)
138(?)
---
---
138 !
---
---
138(?)
---
---
TS208
25/4
25/3
---
25/2
26/1
25/8
25/7
---
---
---
---
---
35/2
25/1
24/5
24/4
---
---
24/3
---
---
23/4
---
---
TS209
S. 93/1
S. 92/4
---
S. 92/3
S. 94/2
S. 94/1
S. 93/4
---
---
---
---
---
S. 110/3
S. 92/2
S. 92/1
fehlt in PB
---
---
S. 91/2
---
---
S. 90/2
---
---
Phil.Bem.
505/1
504/3
---
504/2
---
105/1
vgl. 506/6
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---
---
---
---
---
504/1
---
---
---
---
503/1
---
---
509/2
---
---
TS213
42 Josef G. F. Rothhaupt
107,288/1
107,288/2
107,288/3
108,74/1
108,126/2
108,126/3
108,126/4
108,130/1
108,130/3
108,133/3
40
41
42
43
44
45
46
47
107,287/2
35
39
107,286/6
34
38
107,286/5
33
107,287/3
107,286/4
32
107,287/5
107,286/3
31
36
107,286/2
30
37
107,285/4
107,285/3
27
107,286/1
107,285/2
26
28
107,285/1
25
29
MSS
KB
○
○
○
○
○
○
○s / α
○s / α
○s / α
○s / α
○s /
○s / α
○α
○s /
○s /
○s /
○s /
○s /
○s /
○s /
○*
○s /
○s /
Sekt.mark.
24.4.1930
24.4.1930
24.4.1930
24.4.1930
24.4.1930
24.4.1930
19.2.1930
7.2.1930
7.2.1930
7.2.1930
7.2.1930
7.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
6.2.1930
Datum
168(?)
168(?)
168(?)
168(?)
168(?)
168(?)
154/6a
168/6
168/5c
168/5ab
168/4
168/3(?)
168/2
168/1
167/10
167/9b
167/9a
167/8
167/7
167/6
---
167/5
167/4
TS208
---
---
---
---
---
---
2/4a
26/10
26/9c
26/9ab
26/8
---
26/6
26/5
26/4
26/3b
26/3a
26/2
23/5
---
---
25/6
25/5
TS209
---
---
---
---
---
---
S. 52/1
S. 95/3
S. 95/2c
S. 95/2ab
S. 95/1
---
S. 94/7
S. 94/6
S. 94/5
S. 94/4b
S. 94/4a
S. 94/3
S. 90/3
---
---
S. 93/3
S. 93/2
Phil.Bem.
---
---
---
---
---
---
442/1a
507/2
507/1c
507/1ab
506/7
---
506/5
506/4
506/3
506/2b
506/2a
506/1
505/5
505/4
---
505/3
505/2
TS213 Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre 43
44
Josef G. F. Rothhaupt
3.3.4 Wittgensteins „Schmerz-Bemerkungen“ in der Kringel-Buch-Portion A Es geht in diesen Kringel-Sektionen und/oder α-Sektionen insbesondere ja um Wittgensteins innovative – und wohlgemerkt bereits im Jahre 1930 ausgeführte – Behandlung des Themas „Schmerz“, genauer der philosophischen Untersuchung des Begriffes „Schmerz“ bzw. des Ausdrucks „Schmerzen haben“.40 Von diesen ersten 47 Sektionen im Kringel-Buch sind nämlich insgesamt 33 Sektionen (KB Nr. 3 bis KB Nr. 12; KB Nr. 18 bis KB Nr. 40) thematisch als „SchmerzBemerkungen“ zu sehen.41 Diese Sektionen wurden von Wittgenstein bewusst aus den Manuskriptbänden MS107 und MS108 ausgewählt. Die ursprüngliche Aufzeichnung in den Manuskriptbänden erfolgte also November 1929 bis Februar 1930. In den Manuskriptbänden tragen diese Sektionen entweder die zwei kombinierten Zeichen „○“ und „/“ oder die zwei kombinierten Zeichen „○“ und „*“ oder die zwei kombinierten Zeichen „○“ und „α“ oder die drei kombinierten Zeichen „○“, „/“ und „α“. Hervorzuheben ist, dass Sektionen, welche mit „○“ und „*“ gezeichnet sind, nicht in TS208 weitertransferiert wurden. Diese Sektionen (KB Nr. 4, 5, 7, 8, 22, 27) sind aber keinesfalls wertlos, sondern waren für die „*“-Auswahl bestimmt. Und bei der Kombination von „○“ und „α“ könnte es sich ja gegebenenfalls um jene Sektionen handeln, mit denen Wittgenstein sein/ein zu schreiben geplantes Buch – etwa jenes Buch für die Reihe Schriften zur wissenschaftlichen Weltauffassung des Wiener Kreises 1930 oder jenes Mitte 1931 ins Auge gefasste Buch – beginnen wollte (daher evtl. „α“ für „Anfang“). Nach April 1930 erstellte Wittgenstein im Jahre 1930 durch das Zerschneiden eines Durchschlags von TS208 in Zettel dann TS209, indem er eine erneute Auswahl traf, thematische Gruppen bildete und das Material in einen unbeschriebenen Manuskriptband einklebte. Dieses Zettel-Typoskript trägt den Titel Philosophische Bemerkungen und wurde postum auch unter diesem Namen veröffentlicht. Dieses TS209 wurde von Wittgenstein zum eigenen Gebrauch erstellt, aber nicht als eigentliches Buch zur Veröffentlichung ausgearbeitet. Wittgenstein hat TS209 auch kurz nach der Erstellung ab 1931 nicht weiterverwendet; er hat vielmehr auf das vorgängige TS208 zurückgegriffen. In TS209 wurden bis auf eine Ausnahme (nämlich KB Nr. 28) alle Kringel-Buch-Sektionen zum Thema Schmerz verwendet. Es wurde lediglich eine andere Anordnung vorgenommen. 1932/33 erstellte Wittgenstein dann zunächst unter Verwendung der in Zettel zerschnittenen Typoskripte TS208, TS210 und TS211 das Zettel-Typoskript TS212, das
40 Siehe die Beiträge von Wilhelm Vossenkuhl und Volker Munz in diesem Band. 41 Dass nun aber die gesamte KB-Portion A nur diesem Thema gewidmet ist, trifft nicht zu, denn insbesondere KB Nr. 13 bis KB Nr. 15 sind thematisch ganz anders gelagert und zeigen, dass das Kringel-Buch einen durchgängigen thematischen Grundduktus „Kulturen und Werte“ aufweist.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
45
Proto-Big Typescript und ließ anschließend TS213, das so genannte Big Typescript von einem Typisten herstellen. Interessanterweise wurden bei der Erstellung eines eigenen Kapitels „Schmerzen h a b e n“ (§104) in TS213 wiederum die Kringel-Buch-Sektionen zum Thema Schmerz fast alle verwendet (nicht verwendet wurden KB Nr. 9, 10 und 20; dagegen wurde aber KB Nr. 28 – die in TS209 nicht verwendet wurde – nun in TS213 verwendet). In TS213 werden einerseits exakt die beiden in TS208 vorhandenen Kringel-Sektions-Komplexe bezüglich des Themas „Schmerz“ zu einer größeren Einheit zusammengezogen und andererseits durch weitere Sektionen (Nicht-Kringel-Sektionen aus TS208; später entstandene Sektionen aus TS211) ergänzt. (Siehe vorhergehende Tabelle.)
3.3.5 W ittgensteins Vortrag „Evidence for the Existence of other Minds“ am 31. 1. 1930 Über die Verwendung der „α“-Markierung (mglw. bereits in Verbindung mit der „○“-Markierung) lässt sich – wie bereits angedeutet wurde – aber noch ein weiterer, höchst signifikanter und interessanter, Zusammenhang bereits Ende Januar und Anfang Februar 1930 ausfindig machen. Im entsprechenden „Minute Book“ des Cambridge University Moral Sciences Club findet sich nämlich für die erste Sitzung des Lent Term, am Freitag dem 31. 1. 1930 das Protokoll dazu.42 Das Meeting begann um 20.30 Uhr und wurde in Dr. Broads Räumlichkeiten mit 35 Clubmitgliedern abgehalten. Nachdem das Protokoll der letzten Sitzung verlesen war, sprach Dr. Ludwig Wittgenstein – der mit Verspätung eintraf – kurz zum Thema „Evidence for the Existence of other Minds“ und es schloss sich eine Diskussion an. „Prof. Moore was in the Chair.“43 Am 8. 11. 1929 hatte im C.U.M.S.C. bereits B. Moran ein Paper mit ebendiesem Titel gelesen und es ist daher davon auszugehen, dass Wittgenstein darauf erwiderte. Die direkte thematische Verbindung zu den Schmerz-Bemerkungen im Kringel-Buch wird damit offensichtlich, zumal genau am 8. 11. 1929 Wittgenstein seine erste Schmerz-Bemerkung – nämlich KB Nr. 3 – in seinen Manuskriptband MS107,187/7 eingetragen hat. Bis zum Tag seines Kurzvortrags am 31. 1. 1930 hatte er dann bis KB Nr. 12 in MS107,267/3 Schmerz-Bemerkungen geschrieben und ggf. auch schon mit dem α-Zeichen ausgewählt. Am Tag des Vortrags wurden acht Schmerz-Bemerkungen (KB Nr. 16 bis KB Nr. 23), entweder den Kurzvortrag noch vorbereitend oder ihn bereits nachbereitend, eingetragen.
42 Als Faksimile ist eben dieses Protokoll im C.U.M.S.C.-„Minute Book“ (Min. IX 43, S. 73) veröffentlicht bei Nedo/Ranchetti 1983, S. 231 und Nedo 2012, S. 270. 43 Nähere Angaben finden sich bei Leavis 1984, S. 63–64 und bei Klagge/Nordmann 2003, S. 333.
46
Josef G. F. Rothhaupt
Und in der Woche nach dem Vortrag hat er alsdann noch, sozusagen diesen nachbereitend, am 1. 2. 1930 (KB Nr. 24), am 6. 2. 1930 (KB Nr. 25 bis KB Nr. 35) und am 7.2.1930 (KB Nr. 36 bis KB Nr. 40) weitere Schmerz-Bemerkungen in MS107,274/3– 288/3 niedergeschrieben und ggf. mit dem α-Zeichen markiert.44 All diese Angaben können belegen, wie wichtig und wie bedeutend gerade die Kringel-Buch-Sammlung ist, wie viel dazu herausgefunden werden kann, wie zentral darin gerade die (Zahn-)Schmerz-Bemerkungen sind, wie exemplarisch diese KB-Portion A bzw. die vorausliegende oder ggf. auch noch überformende α-Auswahl für das so von Ludwig Wittgenstein zu dieser Zeit betriebene Philosophieren ist und welche weitreichenden Wirkungen sich davon in der weiteren Genese des Wittgenstein’schen Nachlasses ausfindig machen lassen.
3.4 Die Kringel-Buch-Portion C – Besonderheiten Vier Besonderheiten bezüglich der Kringel-Sektionen der KB-Portion C, im Sektionenumfang von TS211 also, sind besonders hervorhebenswert.
3.4.1 Gespiegelte Sektionsmarkierungen in Kringel-Buch-Portion C Die erste Besonderheit findet sich im Manuskriptband MS109. In Manuskript MS109,5-271 hat Wittgenstein Sektionsmarkierungen auf den Rectoseiten nicht – wie sonst in allen anderen Manuskriptbänden üblich – nur am linken Seitenrand vor dem jeweiligen Sektionenbeginn angebracht, sondern auch am rechten Seitenrand. Hauptgrund für diese Ausnahme bei der Markierungsanbringung ist die Tatsache, dass in MS109 der geschriebene Text auf den Rectoseiten sehr nahe an die Manuskriptbandbindung heranreicht und das gut lesbare Anbringen von Markierungen dadurch erschwert bzw. unmöglich wurde. Betroffen sind meistens auch nur die Rectoseiten im besagten Manuskriptabschnitt in MS109. Bei die-
44 Weiterer Aufschluss lässt sich durch die minutiöse Recherche und das genaue Studium aller in MS107 und MS108 vorhandenen Schmerz- oder speziell Zahnschmerz-Bemerkungen gewinnen. Dabei sind die mit „α“, mit „○“, mit „/“ oder mit „*“ versehenen Sektionen differenziert zu analysieren und miteinander zu vergleichen. Exemplarisch sollen hier nur einige Sektionen erwähnt werden, die nicht in die Markierungsauswahl mit „α“ und/oder „○“ gelangten, nämlich: MS107,203/3–5; MS107,204/1; MS107,216/1–2; MS107,217/1; MS107,219/2; MS108,4/1; MS108,8/1–3; MS108,56/4–5; MS108,57/1–4; MS108,59/2; MS107,271/1; MS107,287/1. Und auch das Heranziehen erst später, also ab MS109, von Wittgenstein geschriebenen Schmerz- bzw. Zahnschmerz-Bemerkungen ist höchst informativ. Auch die Auswertung der von G.E. Moore zu Wittgensteins Vorlesungen 1930–1933 erstellten „Lecture Notes“ sind hier relevant.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
1: KB Nr. 71(links)
2: KB Nr. 61(links)
3: KB Nr. 67(links)
4: KB Nr. 74(rechts)
47
5: KB Nr. 63(rechts)
Abb. 19.1–5: Sektionsmarkierungen in MS109 am linken (1–3) und gespiegelte am rechten (4–5) Seitenrand.
sem Wechsel vom linken auch zum rechten Seitenrand wurde die normalerweise rechtsgeneigte Schrägstrichmarkierung gespiegelt und wird alsdann linksgeneigt gezeichnet. Es handelt sich aber von der Bedeutung her zweifelsfrei um die Herausarbeitungsmarkierung. Und damit wird dann – wiederum ohne Bedeutungsänderung – die kombinierte Kringel-Kennzeichnung nicht „/“ und „○“ (Abb. 19.1–3), sondern „\“ und „○“ (Abb. 19.4–5) dargestellt. So ist der Schrägstrich immer der zugehörigen Bemerkung zugeneigt. Diese Markierung meint also kein Durchschnittszeichen, denn gespiegelt würde es ja diese Bedeutung einbüßen. Es lassen sich dann auch klare Belege finden, dass auch nach der KB-Portion A die Kombination von „/“ und „○“ als ein Markierungszeichen zu interpretieren ist, wie etwa an KB Nr. 67 (Abb. 19.3; MS109,208/3), das eindeutig ohne abzusetzen in einem Zug niedergeschrieben wurde, abgelesen werden kann.
3.4.2 Die Haken-Markierung „√“ bzw. „√√ “ in Kringel-Buch-Portion C Die zweite Besonderheit ist das Vorkommen der Sektionsmarkierung mit „√“ bzw. mit „√√“ nur in MS109. Mit einer exemplarischen Detailstudie kann eruiert werden, dass es möglich ist, präzise Ergebnisse hinsichtlich der Bedeutung der Sektionsmarkierungen „√√“ zu erringen. Die folgende tabellarische Aufstellung zeigt das Vorhandensein von Sektionsmarkierungen im Manuskriptband MS109,173–175. Seite/ Sekt.
173/4
173/5
173/6
Sekt. mark.
∫ √R√R
\R
\R
TS211
---
S. 383
KB
---
---
174/1
174/2
174/3
√√
○∫ √√
/
S. 383
---
---
S. 383
---
---
57
---
48
Josef G. F. Rothhaupt
Seite/ Sekt.
174/4
175/1
175/2
175/3
175/4
175/5
Sekt. mark.
∫ √√
∫
∫ √R√R
∫ √R√R
\R
\R
TS211
---
S. 384
---
---
S. 384
S.384
KB
---
---
---
---
---
---
\R
Da es sich um einen Manuskriptteil in MS109 handelt, der auch gespiegelte Markierungen am rechten Seitenrand enthält, wurden explizit erkennbar die gespiegelten Markierungen rechts mit der tiefgestellten Sigle „R“ versehen. Und eine genauere Analyse zeigt dann, dass eben die auf der rechten Seite stehende Markierung zählt und dass zusätzlich die Markierung mit „√√“ die zuvor angebrachten Kennzeichnungen überformt und damit als die endgültige Markierung anzusehen ist. Bei der Sektion 174/3 ist links die Typoskriptauswahlmarkierung „/“ vorhanden. Bei 173/5, 174/6, 175/4 und 175/5 wurde später am rechten Seitenrand die Typoskriptauswahl nachgetragen. Bei 175/1 wurde die linke Markierung mit „ ∫ “ links durch „\R“ rechts ersetzt. Bei 174/4 wurde links „ ∫ “ auf ebendieser Seite überschreibend überformt durch „√√“. Bei 174/2 wurden „○“ und „ ∫ “ auf ebendieser Seite überschreibend mit „√√“ überformt. Bei 173/4, 175/2 und 175/3 wurde „ ∫ “ links durch „√R√R“ rechts überformt. Was berechtigt nun, ebendiese Interpretation als gültig anzunehmen? Zum einen ist es die Aufnahme nur der mit „/“ bzw. mit „\R“ gekennzeichneten Sektionen in TS211. Dies ist exakt bei 174/3 und bei 173/5, 173/6, 175/4, 175/5 und eben auch bei 175/1 der Fall. Zum anderen kann man mit noch diffizileren Recherchen klar erweisen, dass die Markierung mit „√√“ bzw. mit „√R√R“ eine überformende Funktion innehat, dass gerade diese Markierung als letztgültige Kennzeichnung anzusehen ist, dass ebendiese Markierung, die ja nur als zu anderen bereits vorhandenen Sektionsmarkierungen existiert, die Übernahme in TS211 rückgängig macht bzw. den Ausschluss der Übernahme in TS211 bestätigt bzw. den Ausschluss erstmalig anordnet. Zudem hat allgemein die rechte Markierung und speziell dann auch bei mehreren rechten Markierungen die Kennzeichnung mit „√R√R“ Letztgültigkeit. Diese Erkenntnis hat dann aber ggf. eine Konsequenz für die Beurteilung der Gültigkeit oder Nicht(mehr) gültigkeit von Kringel-Markierungen. Bei Sektion 174/2 wurde demnach mglw. auch ihre Mitgliedschaft im Kringel-Buch, nämlich KB Nr. 57, durch das Überschreiben von „○∫“ mit „√√“ aufgehoben. Anhand eines Beispiels, nämlich einer tabellarischen Aufstellung (siehe die nachfolgende zweiseitige Tabelle45), die auf dem Bemerkungsabschnitt
45 In dieser Tabelle steht die tiefgestellte Sigle „r“ für „mit Rotstift geschrieben“ und die tiefgestellte
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
49
MS109,199/1 bis MS109,223/3 basiert, kann ebendieser Sachverhalt nachvollziehbar gemacht und anschaulich demonstriert werden. Auch bei dieser Auflistung ist klar ersichtlich, dass nur (letztgültig) mit „/“ gekennzeichnete Sektionen in TS211 transferiert wurden. Bei Sektion 199/2 wurde dafür die linksstehende Markierung „∫b“ durch die rechtsstehende Kennzeichnung mit „\b“ überformt. Bei Sektion 199/3 war zunächst links die Markierung „/b“ vorhanden, welche gestrichen und ebenfalls links durch „∫b“ ersetzt wurde. Alsdann wurde diese Sektion rechts zunächst mit der Kennzeichnung „√r√r“ versehen, welche dann aber auch wieder gestrichen und durch ein „\b“ ersetzt wurde, was dann den Ausschlag für die Übernahme in TS211 gab. Ähnlich verhält es sich bei 199/4 und bei 213/3. Klar ersichtlich wird auch die Tatsache, dass die gültig mit der Kennzeichnung mit „√r√r“ versehenen Sektionen nicht den Transfer in TS211 angetreten haben. Dass eben diese Zuschreibung von „√r√r“ den Transfer in TS211 negiert, zeigt sich besonders deutlich bei den zwei Sektionen 215/2 und 217/1, denn dort wurde jeweils nur ein Teil der Sektion mit dieser Sigle versehen und nicht in TS211 weitergeleitet, während jeweils der andere Teil der Sektion mit der Sigle „/“ versehen und deshalb in TS211 übernommen wurde. Die in diesem Manusktriptbandabschnitt MS109,199/1–223/3 vorhandenen Kringel-Sektionen, also mit „○r/r“ oder mit „○r\r“ gezeichneten Bemerkungen, wurden ebenfalls nicht in TS211 transferiert. Dass diese Kringel-Sektionen (KB Nr. 59 bis KB Nr. 78) aber fast alle dennoch für eine weitere Verwendung vorgesehen waren, zeigt sich an den beiden Sektionen 207/2 (KB Nr. 63) und 210/3 (KB Nr. 71), denn diese – und nur diese – Sektionen wurden letztgültig jeweils mit der Kennzeichnung „√r√r“ überformt und somit mglw. auch von der Mitgliedschaft in der Kringel-Sammlung dispensiert. In der Tabelle lässt sich auch klar nachvollziehen, dass aus der Textpassage „Zu einem Vorwort“ in MS109,204/3–212/4 zunächst bestimmte Sektionen durch die Kringel-Kennzeichnung ausgewählt wurden (207/1–210/1, 210/3, 211/1–212/4; KB Nr. 62 bis KB Nr. 78) und bestimmte Sektionen dafür verworfen wurden (204/3, 206/1, 210/2, 210/4); alsdann wurden aus dieser Kringel-Auswahl „Zu einem Vorwort“ dann aber wieder zwei Sektionen (207/2; KB Nr. 63 und 210/3; KB Nr. 71) herausgenommen. Weiter ist beachtenswert, dass die drei Renan-Bemerkungen (200/2-202/1; KB Nr. 50 bis KB Nr. 61) von Wittgenstein selbst in die Kringel-Sammlung aufgenommen wurden, da sie ja thematisch sehr eng mit den Frazer-Bemerkungen in der Kringel-Buch-Sammlung verwandt sind.
Sigle „b“ für „mit Bleistift geschrieben“. Dagegen steht die Sigle „R“ in der vorausgehenden Tabelle ja für „am rechten Seitenrand geschrieben.“
50
Josef G. F. Rothhaupt
3.4.3 Eine Markierungsschicht mit Rotstift in Kringel-Buch-Portion C Die dritte Besonderheit ist, dass sich in MS109 zusätzlich eine eigene Markierungsschicht findet, die nicht nur durch die soeben behandelte Verwendung der Markierung als einfaches oder doppeltes Abhaken ausgezeichnet ist, sondern zudem durch die Verwendung eines Rotstiftes gekennzeichnet ist. Diese Rotstiftschicht reicht von MS109,131 (12. 9. 1930) bis MS109,268 (2. 12. 1930) und betrifft insbesondere auch die Renan- und die Frazer-Bemerkungen sowie die Bemerkungen „Zu einem Vorwort“. Interessanterweise finden sich weitere Markierungsund Überarbeitungsschichten mit Rotstift in Manuskripten sowohl in der ersten also auch in der zweiten Hälfte der 30er Jahre. Genauere Analysen ebendieser Rotstiftverwendung(en) sind daher erforderlich und können weitere Klarheit schaffen, bisher unbeachtete Zusammenhänge in Wittgensteins Nachlass aufdecken und neue Einsichten zu Tage fördern. MS109
Sekt.mark. links rechts
Datum
KB
TSS
TSS
TSS
199/1
√r√r
2.11.1930
---
---
---
---
199/2
∫b
\b
3.11.1930
---
211,392/3 116,120b
212,567 228§99b 230§331b
213,185 227§382b
199/3
∫b /b
\b √r√r
3.11.1930
---
211,392/4a
212,621
213,206r
199/4
∫
\b √b√b
3.11.1930
---
211,392/4b
212,621
213,206r
199/5
√r√r
4.11.1930
---
---
---
---
199/6
√r√r
4.11.1930
---
---
---
---
200/1
/ r
4.11.1930
---
211,392/5
212,18
213,3
200/2
○r/r
5.11.1930
59
---
---
---
201/1
5.11.1930
60
---
---
---
202/1
○r/r
5.11.1939
61
---
---
---
202/2
/ r
5.11.1930
---
211,393/1
---
---
203/1
5.11.1930
---
211,393/2
212,1006
213,362
204/1
/ r
5.11.1930
---
211,394/1
---
---
204/2
/ r
6.11.1930
---
211,394/2
212,1934
217,4
204/3
√r√r
6.11.1930
Zu einem Vorwort
---
---
---
○r\r
\r
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
51
MS109
Sekt.mark. links rechts
Datum
KB
TSS
TSS
TSS
206/1
√r√r
6.11.1930
---
---
---
---
207/1
○r\r
6.11.1930
62
---
---
---
207/2
?
/b
○r\r √r√r
6.11.1930
63
---
---
---
207/3
/b
○r\r
6.11.1930
64
---
---
---
208/1
○r/r
6.11.1930
65
---
---
---
208/2
○r/r
6.11.1930
66
---
---
---
208/3
○r/r
7.11.1930
67
---
---
---
209/1
○r\r
7.11.1930
68
---
---
---
209/2
○r\r
7.11.1930
69
---
---
---
210/1
○r/r
7.11.1930
70
---
---
---
210/2
Wellenlinie (Bleistift) 7.11.1930 senkrecht am li. Rand
---
---
---
---
210/3
○r/r √r√r
7.11.1930
71
---
---
---
210/4
/r
8.11.1930
---
211,394/3
212,1205
213,433
211/1
○r\r
8.11.1930
72
---
---
---
211/2
○r\r
8.11.1930
73
---
---
---
211/3
○r\r
8.11.1930
74
---
---
---
212/1
○r/r
8.11.1930
75
---
---
---
212/2
○r/r
8.11.1930
76
---
---
---
212/3
○r/r
8.11.1930
77
---
---
---
212/4
○r/r
8.11.1930
78
---
---
---
213/1
\r?r √r√r
9.11.1930
---
---
---
---
213/2
\r?r
9.11.1930
---
211,394/4 114(II),90
212,641
213,215
213/3
\r √r√r
9.11.1930
---
211,394/5
212,641
213,215
214/1
/ r
9.11.1930
---
211,395/1a
---
---
214/2
/ r
9.11.1930
---
211,395/1b
---
---
214/3
√r√r
10.11.1930
---
---
---
---
214/4
√r√r
10.11.1930
---
---
---
---
52
Josef G. F. Rothhaupt
MS109
Sekt.mark. links rechts
Datum
KB
TSS
TSS
TSS
215/1
\r
10.11.1930
---
211,395/2 114(II),88
212,634
213,211
215/2a 215/2b
√r√r \r
10.11.1930
---
--211,395/3
--212,634
--213,211 und 213,210v
216/1
?
/r
10.11.1930
---
211,395/4
212,1037
213,373
216/2
√r√r
10.11.1930
---
---
---
---
216/3
/r
10.11.1930
---
211,396/1 114(I),139
212,1039 228§523a vgl.230§230
213,373 227§444a
217/1a
\r
10.11.1930 ---
211,396/2 114(II),140
213,373 227§445bM
---
212,1039 228§523bM 230§230bM ---
217/1b
218/1
√r√r
11.11.1930
---
---
---
---
218/2
/r
11.11.1930
---
211,396/3
212,1026
213,370
218/3
√r√r
11.11.1930
---
---
---
---
219/1
\r
11.11.1930
---
211,397/1
---
---
219/2
√r√r
11.11.1930
---
---
---
---
219/3
√r√r
11.11.1930
---
---
---
---
219/4
\r
11.11.1930
---
211,397/2
---
---
219/5
√r√r
11.11.1930
---
---
---
---
220/1
/r
11.11.1930
---
211,397/3
---
---
√r√r
10.11.1930
---
220/2
√r√r
11.11.1930
---
---
---
---
220/3
√r√r
11.11.1930
---
---
---
---
221/1
\r
12.11.1930
---
211,397/4
---
---
221/2
√r√r
12.11.1930
---
---
---
---
221/3
√r√r
12.11.1930
---
---
---
---
221/4
√r√r
12.11.1930
---
---
---
---
222/1
√r√r
12.11.1930
---
---
---
---
223/1
\r
12.11.1930
---
211,397/5
212,320
213,94
223/2
√r√r
13.11.1930
---
---
---
---
13.11.1930
---
211,397/6
212,1079
213,388
223/3
\r
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
53
3.4.4 Die Bälkchen- bzw. Fähnchen-Markierung „○/`“ in Kringel-Buch-Portion C Die vierte Besonderheit ist in Manuskriptband MS110 enthalten. Dort kommt nämlich in MS110,183–299 eine Sonderform von Kringel-Markierungen vor (Abb. 20.1–27), denn die Markierung mit „/“ und „○“ wurde nachträglich zusätzlich am oberen Ende des Schrägstriches durch ein angebrachtes „Querbälkchen“ (Abb. 20.1–6) oder durch ein angebrachtes „Fähnchen“, nämlich „○/`“, erweitert (Abb. 20.7–27). Der Übergang von Bälkchen zu Fähnchen ist eindeutig feststellbar, nämlich zwischen KB Nr. 131 (Abb. 20.6) und KB Nr. 142 (Abb. 20.7). Beide zusätzlichen Markierungsvarianten kommen ausschließlich bei der Markierung mit „/“ und „○“ vor; sie treten nie bei der Markierung nur mit „/“ auf. Zudem erfolgte das Anbringen der Bälkchen bzw. Fähnchen eindeutig später als
1: KB Nr. 123
2: KB Nr. 124
5: KB Nr. 130
6: KB Nr. 131
9: KB Nr. 148
13: KB Nr. 152 © Abb. 20.1–15
10: KB Nr. 149 ©
14: KB Nr. 153
3: KB Nr. 125
7: KB Nr. 142 ©
11: KB Nr. 150
15: KB Nr. 154
4: KB Nr. 129
8: KB Nr. 146 ©
12: KB Nr. 151 ©
54
Josef G. F. Rothhaupt
16: KB Nr. 155 ©
17: KB Nr. 156 ©
19: KB Nr. 162
20: KB Nr. 164 ©
22: KB Nr. 166
23: KB Nr. 168
25: KB Nr. 171
26: KB Nr. 172
18: KB Nr. 161
21: KB Nr. 165 ©
24: KB Nr. 170
27: KB Nr. 173
Abb. 20.16–27: Alle 27 dreifach – mit „○“, mit „/“ und mit „`“ – markierten Sektionen im Kringel-Buch.
die Markierung mit „/“ und „○“. So ist davon auszugehen, dass mit diesen Hinzufügungen die Bedeutung dieser insgesamt 27 Kringel-Sektionen verändert wurde. Manche Hinweise deuten darauf hin, dass so für einen Teil dieser Sektionen (nämlich jene in Code geschriebenen Bemerkungen46) die Aufnahme in die Kringel-Sammlung spezifiziert oder zurückgestellt wurde; manche Hinweise legen es nahe, dass bestimmte Sektionen (nämlich Frazer-Bemerkungen) nachträglich der
46 Von den insgesamt neun codierten Sektionen im Kringel-Buch haben sieben die FähnchenMarkierung, nämlich: KB Nr. 142, Nr. 149, Nr. 151, Nr. 152, Nr. 164, Nr. 165, Nr. 166; keine bei KB Nr. 147 und Nr. 182.
55
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
in TS211 erstellten Auswahl von Frazer-Bemerkungen zugeordnet werden sollten. Betrachtet man nämlich diese 27 speziellen Kringel-Sektionen inhaltlich genauer, so zeigen sich markante Sachverhalte. Jene mit einem Bälkchen zusätzlich gekennzeichneten Sektionen, und eben nur jene, wurden in TS211 transferiert und dort – bis auf eine Ausnahme (KB Nr. 131; Abb. 20.6) – in den eigens zusammengestellten Typoskriptteil mit den Frazer-Bemerkungen aufgenommen und sind daher dann auch in der postumen Veröffentlichung „Bemerkungen zu Frazers Golden Bough“ (Teil I) enthalten. Bei der mit einem Fähnchen gekennzeichneten KringelSektionengruppe lassen sich – bis auf zwei Ausnahmen (KB Nr. 148; Abb. 20.9 und KB Nr. 150; Abb. 20.11) – formal und thematisch zwei Hälften unterscheiden, nämlich: einerseits in Codeschrift (=©) verfasste Bemerkungen, die nicht in TS211 übernommen wurden; andererseits Frazer-Bemerkungen, die – anders als die Bälkchen-Sektionen – nicht in TS211 weitergeleitet wurden, aber postum dann dennoch in der von Rush Rhees edierten Publikation „Bemerkungen zu Frazers Golden Bough“ (Teil I) vorhanden sind, weil es eben auch Frazer-Bemerkungen sind. Folgende Tabelle fasst das Vorkommen bzw. Nichtvorkommen für die Bälkchen- und Fähnchen-Sektionen nochmals übersichtlich zusammen. Vorkommnis in TS211 Frazer-Bem.
KB Nr.
Anzahl
ja
ja
123, 124, 125, 129, 130
5
ja
nein
131
1
nein
ja
153, 154, 161, 162, 166, 168, 170, 171, 172, 173
10
nein
nein
148, 150
2
© nein
© nein
142, 146, 149, 151, 152, 155, 156, 164, 165
9
Summe
27
Gerade die Analyse dieser Bälkchen-Fähnchen-Untergruppe(n) im KringelBuch ist wiederum ein aussagekräftiges Exempel dafür, dass auf dem Gebiet der Erforschung der in Wittgensteins Nachlass vorhandenen Sektionsmarkierungen erst ein Anfang gemacht ist, dass sich dabei sehr wohl wichtige Forschungsergebnisse erringen und neue Einsichten gewinnen lassen. Die Erschließung des Kringel-Buches auf diese Art und Weise kann als Prototyp für einen anders- und neuartigen Umgang mit dem Wittgenstein’schen Œuvre werden. Und bei diesen Untersuchungen ist „noch lang nicht das Ende der Fahnenstange erreicht“.
56
Josef G. F. Rothhaupt
3.5 Die Kringel-Buch-Portionen D bis G – Besonderheit Auch für die letzten vier KB-Portionen D bis G mit insgesamt zwölf Sektionen (KB Nr. 223 bis KB Nr. 234; Abb. 21.1–12) soll hier ebenso eine Besonderheit erwähnt werden. Es ist die Tatsache, dass diese Kringel-Buch-Sektionen erst Jahre danach entstanden sind. Eine Bemerkung, nämlich KB-Portion D (KB Nr. 223; Abb. 21.1), ist erst zwei Jahre später als die KB-Portionen A bis C, nämlich im Jahre 1933, verfasst und also auch erst ab dann mit dem Kringel-Schrägstrich-Zeichen markiert worden. Und die letzten drei KB-Portionen E bis G (KB Nr. 224 bis KB Nr. 234; Abb. 21.2 bis Abb. 21.12) sind sogar erst 6 bzw. 7 Jahre später, nämlich 1937 bzw. 1938 geschrieben und also ab dann erst mit dem Kringel-Schrägstrich-Zeichen versehen worden. Die letzten elf Markierungen sind in einem Zug geschrieben und haben nun eher die Gestalt des griechischen Buchstabens Phi, nämlich „ϕ“, angenommen. Inhaltlich stimmen die KB-Portionen D bis G jedoch mit den vorhergehenden KB-Portionen A bis C überein. Warum Wittgenstein nach so langer Zeit weitere Kringel-Sektionen markiert hat ist noch eine offene, unbeantwortete Frage. Als erster Hinweis kann aber der Sachverhalt erwähnt werden, dass die beiden Zeiträume der Entstehung des Kringel-Buches, nämlich 1929–1931 (+1933) und 1937–1938, nahezu deckungsgleich sind mit jenen Zeiträumen der Entstehung von MS183, der postumen Publikation Denkbewegungen, nämlich 1930–1932 und 1936–1937. Als zweiter Hinweis kann aber vorgebracht werden, dass zusätzlich auch eine Kringel-Sektion in einem zentralen Typoskript vorhanden ist und sich darin auch weitere markierte KringelReferenzen ausfindig machen lassen.47
1: KB Nr. 223
2: KB Nr. 224
3: KB Nr. 225
7: KB Nr. 229
8: KB Nr. 230
9: KB Nr. 231
4: KB Nr. 226
5: KB Nr. 227
10: KB Nr. 232 11: KB Nr. 233
6: KB Nr. 228
12: KB Nr. 234
Abb. 21.1–12: Die zwölf Kringel-Sektionen im Zeitraum 1933 und 1937 bis 1938 (KB Nr. 223 bis KB Nr. 234). 47 Dazu ist ein eigener weiterführender Artikel in Vorbereitung. Und auch die Veröffentlichung des Wittgensteinschen Kringel-Buches wird dieses Kringelmaterial aus einem Typoskript enthalten und kommentieren.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
57
3.6 D as Kringel-Buch im größeren Kontext des Nachlasses von Wittgenstein Überhaupt ist in diesem Zusammenhang eigens darauf hinzuweisen, dass das Kringel-Buch keinesfalls nur singulär betrachtet werden darf, sondern ebenso in seiner Verortung in umfassendere Kontexte im Gesamtnachlass zu sehen und zu studieren ist. Insbesondere die Verbindungen zu bestimmten Markierungsstrukturen in TS212, dem Proto-Big Typeskript, zu MS183, den Denkbewegungen, zu den Code-Bemerkungen, zur Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung und zu MS168 sind dabei vorrangig zu beachten. All diese Textcorpora sind inhaltlich miteinander eng verwandt. Aber auch die Relation zu Wittgensteins Werk Philosophische Untersuchungen und dessen Genese (MS142, TS220, TS239, PUZwischenfassung, TS227) ist beachtenswert. Einige wichtige Fakten zu solchen übergreifenden Zusammenhängen sollen hier entfaltet werden.
3.6.1 Kringel-Buch und Philosophische Untersuchungen In MS110 ist ein Komplex von Bemerkungen enthalten, die sozusagen eine Splittung erfahren haben, weil ein Teil allgemein in TS211,1–312+323–771 ausgewählt wurde und ein anderer Teil sowohl speziell in den eigens gebildeten Frazer-Teil in TS211,313–322 als auch ins Kringel-Buch wanderte. Während Bemerkungen aus TS211 allgemein in späteren Typoskripten – etwa dem Big Typescript (TS213,281/7+282/1) oder den Philosophischen Untersuchungen (MS142,§115b+c; TS227,§122aE+b) – weiterverarbeitet wurden, machte Wittgenstein – so hat es auf den ersten Blick den Anschein und wird in der Wittgensteinforschung bis jetzt auch als Auffassung vertreten – vom speziellen Frazer-Teil in TS211 und von der Kringel-Buch-Sammlung keinen nachweisbaren weiterverarbeitenden Gebrauch. Dass dieser Anschein trügt, lässt sich dann aber mit weiterführenden detaillierten Nachlassstudien erweisen.48 Man könnte nun in dieser Angelegenheit kritisch anführen, dass bestimmte Sektionen im Kringel-Buch, losgelöst vom ursprünglichen Kontext in MS110, zusammenhanglos geworden wären und daher keinen rechten Sinn mehr ergeben würden. Exemplarisch könnten hierbei die zentralen Bemerkungen zur „übersichtlichen Darstellung“ in MS110,256–257 (Abb. 22.1 und Abb. 22.2) angeführt werden. Aber diese Argumentation würde übersehen, übergehen, unterschlagen, dass Wittgenstein gerade diesen Komplex – wenn auch nachträglich – ja gerade vervollständigt hat.
48 Auch zu diesem Sachverhalt ist ein eigener Artikel in Vorbreitung.
58
Josef G. F. Rothhaupt
Abb. 22.1: MS110,256: Sektionen zum Thema „übersichtliche Darstellung“.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
Abb. 22.2: MS110,257: Sektionen zum Thema „übersichtliche Darstellung“.
59
60
Josef G. F. Rothhaupt
Abb. 23.1: TS211,321: Das Thema „übersichtliche Darstellung“ im speziellen TS211-Teil der Frazer-Bemerkungen bzw. im entsprechenden Kringel-Buch-Komplex (KB-Nr. 159 und KB-Nr. 160 mit zusätzlich „zwei Bemerkungen“).
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
Abb. 23.2: TS211,322: Das Thema „übersichtliche Darstellung“ im speziellen TS211-Teil der Frazer-Bemerkungen bzw. im entsprechenden Kringel-Buch-Komplex (KB-Nr. 159 und KB-Nr. 160 mit zusätzlich „zwei Bemerkungen“).
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Josef G. F. Rothhaupt
Abb. 24.1: TS211,281: Das Thema „übersichtliche Darstellung“ im allgemeinen TS211-Teil.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
Abb. 24.2: TS211,282: Das Thema „übersichtliche Darstellung“ im allgemeinen TS211-Teil.
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Josef G. F. Rothhaupt
Es findet sich nämlich im Frazer-Teil in TS211,322 der explizite Vermerk „(zwei Bemerkungen)“, womit gerade diese zunächst – auch im Kringel-Buch – ausgelassenen Sektionen (MS110,257/1+2) in diesen Kontext vervollständigend zurückgeholt werden (Abb. 23.1 und Abb. 23.2). Und diese Referenz bezieht sich auf das Einholen dieser beiden Bemerkungen von TS211,281/7+282/1 her, denn dort sind sie ja bereits in TS211 vorhanden (Abb. 24.1 und Abb. 24.2). So sind diese beiden für die Thematik „übersichtliche Darstellung“ wichtigen Sektionen strenggenommen in TS211 doppelt vorhanden, einmal im allgemeinen TS211-Teil und einmal per Referenz „(zwei Bemerkungen)“ im speziellen TS211-Teil der Frazer-Bemerkungen (TS211,322).49 Tabellarisch kann der Sachverhalt übersichtlich erfasst werden: Sektionsbeginn
MS110
Sekt. TS211 mark. allgemein
TS211 speziell
KB
Die Erfüllung des Satzes ‚p ist der Fall‘ ist
256/1
?/
---
---
---
In den alten Riten haben wir den Gebrauch
256/2
/
281/6
---
---
Unsere Sprache ist eine Verkörperung alter
256/3
○/
---
---
157
„Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.“
256/4
○/
---
---
158
„Und so deutet das Chor auf ein geheimes“
256/5
○/
---
321/5
159
Der Begriff der übersichtlichen Darstellung
257/1
/
281/7
zwei Bemerkungen
---
Diese übersichtliche Darstellung vermittelt
257/2
/
282/1
zwei Bemerkungen
---
Ein Hypothetisches Zwischenglied aber soll
257/3
○/
---
322/1
160
„Was der Gescheite weiß, ist schwer zu“
257/4
○/`
---
---
161
Die Sektion MS110,256/1 wurde wegen der Markierung mit „?/“ nirgendwohin weitertransferiert. Die Sektionen 256/2, 257/1 und 257/2 wurden wegen der Markierung mit „/“ in den allgemeinen TS211-Teil, nämlich in 281/6, 281/7 und 282/1, aufgenommen. Die Sektionen 256/5 und 257/3 in MS110 gelangten direkt in den speziellen Frazer-Teil von TS211. Und die mit „/“ markierten Sektionen 257/1 und 257/2 wurden zunächst in den allgemeinen TS211-Teil aufgenommen und dann durch die Referenz „zwei Bemerkungen“ ebenfalls in den Frazer-Teil verlegt, damit auch dort das Thema „übersichtliche Darstellung“ komplett repräsentiert ist. Die Sektionen 256/3, 256/4, 256/5, 257/3 und 257/4 tragen in MS110 die Markierung „○/“ und gehören damit in die
49 Diese beiden Sektionen wurden daher selbstverständlich von Rush Rhees auch in die postume Veröffentlichung „Bemerkungen über Frazers Golden Bough“ (Teil I) aufgenommen.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
65
Kringel-Buch-Sammlung, wobei dann aber 257/4 zusätzlich mit dem Fähnchen „`“ versehen und ggf. im Kringel-Buch umgewidmet, zurückgestellt oder wieder ausgeschieden wurde. Es ist also davon auszugehen, dass der per Referenz vervollständigende Nachtrag rückwirkend auch auf die Kringel-Buch-Sammlung zu beziehen ist, so ist auch dort die Thematik „übersichtliche Darstellung“ vollständig.50
3.6.2 Die Anfangsstrich-Endstrich-Markierung in Wittgensteins Nachlass In Wittgensteins Nachlass findet sich auch – und dies ist ein bedeutender Sachverhalt, der größere Konsequenzen für die über die Debatte zur Bedeutung des Kringel-Buches hinausgehende, notwendige Diskussion hat, was denn eigentlich als ein „Werk“ Wittgensteins zu gelten hat bzw. als ein „Buch“ Wittgensteins anzusehen ist – eine so genannte „Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung“, welche nachweisbar in engstem Zusammenhang und bedeutender Relation mit dem Kringel-Buch steht. Es finden sich nämlich im Nachlass Bemerkungen, die mit einem senkrechten Strich (selten sogar mit zwei senkrechten Strichen) jeweils am Anfang und am Ende einer Sektion gekennzeichnet sind, also die Markierung „|…|“ oder „||…||“ haben (Abb. 25 bis Abb. 28). Und von ausschlaggebender Bedeutung ist nun die Tatsache, dass im Manuskriptband MS111 die Kringel-Markierung endet und in Manuskriptband MS110 die Anfangsstrich-Endstrich-Markierung beginnt. Diese Weise der Sektionskennung mit „|…|“ taucht erstmals als singulärer (höchstwahrscheinlich nachträglich angebrachter) Ausreißer am 29. 7. 1930 in MS108,268/5 auf. Kontinuierlich verwendet Wittgenstein diese Kennung spätestens ab dem 1. 7. 1931 in MS110,245/2 (Abb. 25)51 und behält sie dann zeitlebens bei. Die letzte dieser Kennungen findet sich am 18. 4. 1951 in MS176,58r/1 und wurde also elf Tage vor seinem Tod erstellt (Abb. 26). Daher: Die letzte Kringel-Markierung ist (abgesehen von einem nachfolgenden Ausreißer in MS112,70v/4 vom 1. 11. 1931 und den zwölf späteren Vorkommnissen der KB-Portionen D bis G von 1933 und 1937–1938) bei einer Bemerkung in MS111,196/1 anzutreffen, die im Zeitraum 13. 9. 1931 bis 5. 10. 1931 verfasst worden ist. Also: Abgesehen von den beiden Ausreißern, nämlich die „|…|“-Markierung in MS108 und die „○“-Markierung in MS112, umfasst die Überlappung des Anfangs der durchgehenden Markierung mit „|…|“ in MS110,245/2 und
50 Die besagten „zwei Bemerkungen“ (als Text in TS211,281/7+282/1 und per Referenz in TS211,322) sind also auch ins Kringel-Buch (zwischen KB-Nr. 159 und KB-Nr. 160) aufzunehmen. 51 Erwähnenswert ist dabei, dass diese ersten Sektionen der Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung nicht nur in MS110 und MS111 vorkommen, sondern bereits in dem dazu vorausliegenden Notizbuch MS153a vorhanden sind und damit eine Entstehung der ersten „|…|“-Markierungen nicht erst am 1. 7. 1931, sondern bereits etwas früher anzusetzen ist. Nada Burkard hat mich explizit auf diesen Umstand aufmerksam gemacht.
66
Josef G. F. Rothhaupt
Abb. 25: MS110,245/2 (D: 1. 7. 1931) – (Detail): Frühe Sektionsmarkierung mit „|…|“ in Wittgensteins Nachlass.
Abb. 26: MS176,58r (D: 18. 4. 1951) – (Detail): Letzte Sektionsmarkierung mit „|…|“ in Wittgensteins Nachlass.
des Endes der Markierung mit „○“ in MS111,196/1 nur etwa drei Monate. In wenigen Fällen (Abb. 27 und Abb. 28) kommen die beiden Markierungen, nämlich mit „○“ und „/“ einerseits und mit „|…|“ bzw. „||…||“ andererseits, bezeichnenderweise in MS111, sogar gleichzeitig bei ein und derselben Sektion vor. Es liegt daher der Schluss nahe, dass Wittgenstein die Kennzeichnung von thematisch besonderen Bemerkungen gerade nicht aufgegeben, sondern nur die Art und Weise der Markierung – aus guten Gründen – geändert hat, also solche Sektionen nicht mehr mit „○“, sondern mit „|…|“ kennzeichnet. Diese Schlussfolgerung ist selbstverständlich noch durch weitere und detailliertere Forschungsarbeit genauer zu prüfen, zu belegen, zu dokumentieren.52 Sollte sich dieser Sachverhalt bestätigen, könnte bzw. würde dies auch Konsequenzen für die zukünftige Nachlasserschließung und für die Interpretation der Philosophie Wittgensteins haben.
52 Seitdem der Autor dieses Beitrags (J. G. F. R.) diese Entdeckung gemacht hat, wird an der LudwigMaximilians-Universität in München die vollständige Erstellung dieser Anfangsstrich-EndstrichSammlung betrieben, eine Transkription davon erarbeitet, eine (Proto-)Edition erstellt und die Erforschung auch dieses Sektionenkomplexes im Detail philologisch und philosophisch weitergeführt.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
Abb. 27: MS111,138/2 (D: 25. 8. 1931): Markierung mit „○“ und mit „|…|“.
67
68
Josef G. F. Rothhaupt
Abb. 28: MS111,170/1+2 (D: 13. 9.–5. 10. 1931): Markierung mit „||…||“ und mit „○/“. („||…||“-Markierung bereits in MS153a,90v/2+91r/2).
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
69
3.6.3 Die Anfangsstrich-Endstrich-Markierung und Manuskript MS168 Eine zusätzliche Außergewöhnlichkeit bezüglich der herausragenden Bedeutung der von Wittgenstein selbst während der Jahre 1931 bis 1951 erstellten Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung, also über zwei Jahrzehnte hinweg, und der von ihm während der Jahre 1929 bis 1931 erstellten Kringel-Buch-Sammlung, soll hier noch behandelt werden, da sie zeigt, dass Wittgenstein wirklich den Plan hatte und dessen Realisierung tatsächlich begann, eine Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung (ggf. zusammen mit der – vielleicht sogar bereits exzerpierend erstellten – Kringel-Buch-Sammlung) herzustellen. In seinem Nachlass findet sich dazu ein auf den ersten Blick recht unscheinbar erscheinendes Manuskript, nämlich MS168 (Abb. 29 und Abb. 30). In diesem eigens neu begonnenen Manuskriptband sind nur die ersten zwölf Seiten beschrieben, nämlich MS168,1r–6v. Er enthält insgesamt nur 23 einzelne Sektionen, welche thematisch wie jene im Kringel-Buch und jene in der Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung geartet sind. Dies verwundert auch nicht, denn eine genauere Analyse zeigt, dass es sich dabei um bereits in anderen Manuskriptbänden, nämlich in MS137 und MS136, vorkommende, dort jeweils ursprünglich niedergeschriebene und mit der „|…|“-Markierung versehene Bemerkungen handelt. Mit MS168 hat man daher tatsächlich den Beginn der von Wittgenstein selbst unternommenen Auswahl und angefertigten Reinschrift – was man alleine schon am akkuraten Schriftbild ersehen kann (Abb. 29 und Abb. 30) – von Anfangsstrich-Endstrich-Sektionen vor sich. Lediglich die am 16. 1. 1949 niedergeschriebenen ersten vier Sektionen in MS168 sind nur dort zu finden. Damit ist auch der Zeitpunkt, an welchem Wittgenstein diese Auswahl und Zusammenstellung begonnen hat exakt datiert. Die Auswahl selbst verläuft übrigens chronologisch ein Jahr betreffend rückwärts von MS137 zu MS136. Die nachfolgende Tabelle fasst diese Daten zu MS168 übersichtlich zusammen. Nr.
MS168
MSS
Datum
Sekt.mark.
1
168,1r/1
Nur in MS168
16.1.1949
keine Sekt.mark.
2
168,1r/2
Nur in MS168
1.1949 in MS168
keine Sekt.mark.
3
168,1v/1
Nur in MS168
1.1949 in MS168
keine Sekt.mark.
4
168,1v/2
Nur in MS168
1.1949 in MS168
keine Sekt.mark.
5
168,2r/1
137,42v/5
30.5.1948 in MS137 [30.5.1948 in MS168]
| … | in MS137
6
168,2r/2
137,43r/1
30.5.1948 in MS137 [5.1948 in MS168]
| … | in MS137
70
Josef G. F. Rothhaupt
Abb. 29: MS168,1r: Beginn der von Wittgenstein selbst exzerpierend angefangenen Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
Abb. 30: MS168,6v: Ende der von Wittgenstein selbst exzerpierend angefangenen Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung.
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Josef G. F. Rothhaupt
Nr.
MS168
MSS
Datum
Sekt.mark.
7
168,2v/1
137,66r/6
3.7.1948 in MS137
C | … | in MS137
8
168,2v/2
137,88v/5
4.10.1948 in MS137
| … | in MS137
9
168,3r/1
137,88v/7
4.10.1948 in MS137
| … | in MS137
10
168,3r/2
137,89r/1
4.10.1948 in MS137
| … | in MS137
11
168,3r/3
137,76r/1
23.8.1948 in MS137
C | … | in MS137
12
168,3v/1
137,102v/8
20.11.1948 in MS137
| … | in MS137
13
168,3v/2
137,105r/1
22.11.1948 in MS137
| … | in MS137
14
168,3v/3
137,113r/6
29.11.1948 in MS137
| … | in MS137
15
168,3v/4
137,113v/1
29.11.1948 in MS137
| … in MS137
16
168,4r/1
137,113v/2
29.11.1948 in MS137
| … in MS137
17
168,4r/2
137,122v/4
11.12.1948 in MS137
| … | in MS137
18
168,4r/3
136,17r/2
21.12.1947 in MS136
∫ | … | in MS136
19
168,4v/1
136,59v/4
4.1.1948 in MS136
∫Blei | … | in MS136
20
168,5r/1
136,80v/1
8.1.1948 in MS136
∫ | … | in MS136
21
168,5v/1
136,107v/2
14.1.1948 in MS136
C ∫ | … | in MS136
22
168,5v/2
136,111r/1
14.1.1948 in MS136
C | … | in MS136
23
168,6v/1
136,92r/5
11.1.1948 in MS136
C | … | in MS136
Warum Wittgenstein diese Sammlung nicht weitergetrieben und fertiggestellt hat, ist eine offene, noch zu beantwortende Frage. Auch ist noch nicht endgültig klar, ob die Erstellung solch einer Zusammenstellung Wittgenstein auch für die Kringel-Buch-Sammlung bereits realisiert hatte oder zu realisieren beabsichtigte. Dass er aber im Januar 1949 die Absicht hatte und den konkreten Versuch unternahm, eine Anfangsstrich-Endstrich-Sammlung physisch in einem eigenen Manuskriptband zusammenzustellen, ist durch die Existenz von MS168 klar belegt.53
53 Und dass er dabei nicht alle mit der „|…|“-Markierung versehenen Sektionen dieses Zeitraums in MS168 transferiert, ist ein anschaulicher Beleg für Wittgensteins Praxis der vorgesehenen Auswahl einerseits und der tatsächlichen Auswahl – welche eine Auswahl aus der Auswahl darstellt – andererseits.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
73
4 T extmarkierungen bei Wittgenstein (1889–1951) und bei Leonardo da Vinci (1452–1519) Abschließend sei noch auf einen einerseits höchst verblüffenden und andererseits gerade bei Wittgenstein nicht ungewöhnlichen Umstand bezüglich seiner Verwendung von Markierungen, insbesondere der Kringel-Markierung, der Schrägstrich-Markierung und der Stern-Markierung, eingegangen. In Manuskripten von Leonardo da Vinci, den Notiz- und Skizzenbüchern, finden sich nämlich ebenfalls genau solche Kennzeichnungen. Leonardo da Vinci hat nicht nur ebenso wie Ludwig Wittgenstein durch Freizeilen voneinander separierte Kurztexte verfasst, hat nicht nur ebenso wie Wittgenstein in einer Codeschrift54 geschrieben, sondern hat eben auch wie Wittgenstein zur Markierung von Kurztexten die Siglen „○“ bzw. „○“ und „/“ oder „○“ und „\“ bzw. „*“ verwendet. Nun könnte man voreilig einwenden, dass dieser Umstand rein zufällig wäre und der mögliche Einfluss von Leonardo auf Wittgenstein reine Spekulation sei und in keinster Weise belegbar. Dem kann dann aber entgegnet werden, dass Wittgenstein eine bedeutende Manuskripte-Ausgabe von Leonardo da Vinci besaß. Konkret handelt es sich um die sechs Bände umfassende aufwendig gestaltete Faksimile-Ausgabe der so genannten „Pariser Manuskripte“ mit Transkription, französischer Übersetzung und Kommentierung, welche unter dem Titel Les Manuscrits de Léonardo de Vinci im Zeitraum 1881–1891 von M. Charles Ravaisson-Mollien herausgegeben worden war. Wittgenstein hatte diese und andere wertvolle Bücher als Student mit nach England gebracht bzw. in England erworben, nach Beendigung seines Aufenthalts in Cambridge 1912–1914 dort deponiert und 1919 dann für wenig Geld an Bertrand Russell verkauft. Russell wollte 1922 ebendiese Leonardo-Ausgabe antiquarisch verkaufen55, was er aber dann doch nicht tat. Und so ist sie in seiner
54 Allerdings hat Wittgenstein mit reversem Alphabet (also a=z, b=y, c=x etc.) geschrieben, während Leonardo da Vinci in Spiegelschrift (mit reverser Schreibrichtung von rechts nach links) geschrieben hat. Wittgenstein kann zwar von Leonardos gespiegelter Schreibweise zusätzlich motiviert worden sein, aber Codeschrift bzw. Chiffrenschrift überhaupt zu verwenden, hat er nicht von ihm (wie dies Øystein 2005, S. 82 vermutet), denn dies praktizierte er höchstwahrscheinlich bereits seit seiner Jugendzeit, spätestens aber in seinen ersten Tagebüchern ab 1914. Diese Chiffrenschrift war offenbar Familiengewohnheit, wie man einer Aussage in einem Brief vom 23.3.1937 von ihm an seinen Schwager Max Salzer entnehmen kann, wo zunächst die Anrede heißt: „Du alter Hxszhrzn!*“ und dann die mit Sternreferenz versehene Erklärung dazu lautet: „*Dieses Wort ist in einer Chiffre geschrieben, die vielleicht Deine liebe Frau herausbringen kann.“ Transkribiert heißt die Anrede also „Du alter Schasian!“ Siehe dazu McGuinness/Ascher/ Pfersmann 1996, S. 157. 55 Am 21. 10. 1922 schreibt Russell in einem Brief an C. K. Ogden: „Dear Ogden, I posses (among the loot aquired from Wittgenstein) a work in 6 vols (folio) called Les Manuscrits de Léonard
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Josef G. F. Rothhaupt
Bibliothek erhalten geblieben und nun in seinem Nachlass vorhanden. Diese Leonardo-Ausgabe befindet sich in The Bertrand Russell Archives am The Bertrand Russell Research Centre der McMaster University in Hamilton/Kanada und die Bände haben dort die Signatur No. 1061 bis No. 1066.56 Und in ebendieser Leonardo-Faksimile-Edition, welche Wittgenstein besessen und – davon kann man, ja muss man ausgehen – genau studiert hatte, sind signifikant viele dieser Markierungen mit „○“, mit „○“ und „/“ oder mit „○“ und „\“, mit „*“ vorzufinden. In Manuskript Nr. 2038, dem ehemals so genannten Manuskript „Ashburnham I“ und eigentlich einem Teil aus dem Pariser Manuskript A, sind beispielsweise auf folio 20r vier Kringel-Markierungen „○“ am rechten Seitenrand klar erkennbar und auf folio 26r sind beispielsweise folgende Markierungen eindeutig vorhanden: zweimal „○“ mit „/“, zweimal „○“ mit „\“ sowie einmal „*“.57 Eine genaue Inspektion dieser sechs Bände steht noch aus.58 Und ein minutiöser, feinfühliger Vergleich der Art und Weise des Erstellens von Kurztexten und der Verwendung und Bedeutung der Markierung von Kurztexten einerseits bei Leonardo da Vinci und andererseits bei Ludwig Wittgenstein kann wertvolle Einsichten und Erkenntnisse zum noch besseren Verstehen der Manuskripte des Einen wie des Anderen zu Tage fördern.59 So ist das Kringel-Buch auch in diesem Sinne ein Initialtext – über 500 Jahre hinweg!
de Vinci, par M. Charles Ravaisson-Mollien, Paris, A. Quantin, 1881. It consists of facsimiles, is absolutely new, & (I belief) worth a great deal of money. I should be glad to sell it if I could get anything like a proper price for it. Could you find out approximately what it ought to fetch, & if it is worth a good deal, sell it for me? (20 %) [...] Yrs. Bertrand Russell“. 56 Siehe dazu auch Øystein 2004 und Wijedeveld 1994, S. 24. 57 Siehe die Faksimiles dazu in: De Vinci, Leonardo: Les Manuscrits de Leonardo De Vinci. Les 14 Manuscrits de L’Institut France. M. Charles Ravaisson-Mollien, Paris 1891, S. 57 und S. 63. 58 Bezüglich persönlicher handschriftlicher Anstreichungen oder Eintragungen von Wittgenstein in diesen Bänden gab mir auf Anfrage Bev Bayzat – The William Ready Division of Archives and Research Collections, Mills Memorial Library, McMaster University, Hamilton, Canada – am 18. 12. 2012 dankenswerterweise folgende Auskunft: “I have examined the six volumes of ‘Les Manuscits de Léonardo de Vinci’ – etidet by M. Charles Ravaisson-Mollien (1881–1891). Unfortunately, there are no handwritten annotations, marks or even bookplates found in these volumes.” 59 Ein eigener Beitrag dazu ist – zusammen mit Experten für die Manuskripte von Leonardo da Vinci – in Vorbereitung.
Zur Philologie des Kringel-Buches und seiner Verortung in Wittgensteins Œuvre
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Josef G. F. Rothhaupt
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Stefan Majetschak
„Kringel“-Sektionen in Wittgensteins Nachlass. Kritische Bemerkungen zu ihrer Deutung In den Manuskripten und Typoskripten seines Nachlasses hat Wittgenstein unterschiedliche Randmarkierungen verwendet, deren Bedeutung bislang nur teilweise erschlossen ist.1 Wittgenstein erwähnt sie einmal in einer Nachlassbemerkung aus dem Jahre 1937, in der er von einer neuerlichen Lektüre und Bearbeitung des Big Typescripts (TS 213) berichtet. Hier heißt es: Schreibe jetzt nicht mehr, sondern lese nur den ganzen Tag meine Maschinschrift und mache Zeichen zu jedem Absatz. Es ist viel denken hinter diesen Bemerkungen. Aber brauchbar für ein Buch sind doch nur wenige ohne Umarbeitung, aus verschiedenen Gründen. (MS 119, 80r)
Im Anschluss an Wittgensteins eigene Redeweise könnte man sie am unverfänglichsten als Absatzzeichen (oder eventuell auch als Absatzmarkierungen) bezeichnen.2 In der ersten Abbildung weist ein Pfeil auf ein Beispiel für die Zeichen, die Wittgenstein meint.
Abb. 1: Ausschnitt aus TS 213, 132. 1 Für Anregungen und Hinweise danke ich Alois Pichler und Peter Keicher. 2 Von anderen Interpreten, die sich der Erforschung von Wittgensteins Nachlass widmen, z. B. von Josef Rothhaupt, der sich seit geraumer Zeit um ihre Deutung bemüht (vgl. Rothhaupt
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Einige von ihnen, z. B. jene in Leserichtung von links unten nach rechts oben weisende Striche vor einer Bemerkung, wie man sie in Abbildung 1 sieht, hat Wittgenstein schon in den frühen dreißiger Jahren verwendet.
Abb. 2: Beispiel aus MS 109, 1 von 1930/31.
Hier dienten sie offenbar dazu, die jeweils folgende Bemerkung für eine Weiterverwendung in anderen Typoskripten (in diesem Falle in TS 208) auszuzeichnen, wie wohl zuerst Joachim Schulte gezeigt hat.3 Und darum kann man diese Striche unter der Voraussetzung, dass Wittgenstein seine Konvention im Laufe der Jahre nicht geändert hat – was wir nicht wissen! –, in ihrer Funktion vielleicht generell als Evaluations- oder Auswahlzeichen beschreiben, die die Tauglichkeit eines Absatzes für weitere Verwendungen, welcher Art auch immer, markieren. Darüber hinaus existieren im Nachlass weitere Varianten von Absatzzeichen, deren Bedeutung und Funktion die Forschung vor größere Interpretationsprobleme stellen. Im folgenden soll es insbesondere um jene annähernd kreisförmigen Absatzzeichen gehen, die in Wittgensteins Manuskripten 107 bis 112 der Jahre 1930 und 1931, in wenigen Fällen aber auch noch in Manuskripten von 1937 und 1938 auftauchen, und die Josef Rothhaupt als „Kringel“ bezeichnet hat.4
1996, 327 ff.), werden sie auch „Sektionsmarkierungen“ genannt. In ähnlicher Weise werden sie in der website des Bergener Wittgenstein Archivs (vgl. http://wab.aksis.uib.no/transform/ wab.php?modus=opsjoner) als „section marks“ bezeichnet. Da die basalen Sektionen der Wittgenstein’schen Schriften freilich das sind, was man sich in der Forschung als „Bemerkungen“ – das ist der „Fachterminus“, der sich in der „Wittgensteinforschung“ dafür durchgesetzt hat (vgl. Schulte 2001, 13 Anm. 1) – zu bezeichnen angewöhnt hat, Wittgenstein jedoch nicht immer ganze Bemerkungen in diesem Sinne, sondern manchmal auch nur einzelne Absätze innerhalb ihrer mit Randzeichen versehen hat, erscheint mir die von ihm selbst nahegelegte Rede von „Absatzzeichen“ als ihre angemessenste Bezeichnung. 3 Vgl. Schulte 1987, 12 f., zu Schultes Deutung der Absatzzeichen im Ganzen vgl. auch Rothhaupt 1996, 327 f. 4 Vgl. Rothhaupt 2011, 168 ff.
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Abb. 3: Beispiel aus MS 107, 269.
Diese mehr oder minder kreisförmigen Markierungen, wie man sie in Abb. 3 beispielhaft verwendet sieht, – nennen wir sie ruhig weiterhin „Kringel“ – dienten allem Anschein weder primär dazu, die jeweils folgende Bemerkung für den Weitertransfer in noch zu erarbeitende Typoskripte auszuwählen, noch sollten sie, wie es scheint, die jeweilige Bemerkung von einem solchen ausschließen. Denn derartig ausgezeichnete Absätze erlebten beide Schicksale, wie die „Transferprofile“ erweisen, die Rothhaupt für sie erstellt hat.5 Doch wofür stehen diese „Kringel“ dann? In einem neueren Aufsatz, der in den Wittgenstein-Studien des Jahres 2011 erschienen ist,6 sowie seiner noch unveröffentlichten Habilitationsschrift Kreation und Komposition vertritt Rothhaupt die Hypothese, dass sämtliche Wittgenstein’schen Absatzzeichen, die auf einem solchen Kringel basieren, die jeweils folgende Bemerkung im positiven Sinne für einen bestimmten Zweck selegieren, nämlich für ein „Wittgensteinsches Buchprojekt“7, welches mit jenem Buchprojekt, über das Wittgenstein in einer Reihe von Bemerkungen zu Beginn der dreißiger Jahre explizit spricht, allerdings nicht identisch sei!8 Neben dem Buchprojekt, an dem Wittgenstein zu jener Zeit arbeitet und das er in zahlreichen Bemerkungen erwähnt, läge also ein gleichsam geheimes Buchprojekt im Nach-
5 Vgl. Rothhaupt 2010, 125 ff. 6 Vgl. Rothhaupt 2011. 7 Rothhaupt 2011, 169; auch Rothhaupt 2009, 162; vgl. 180. 8 Vgl. Rothhaupt 2009, 162.
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lass bislang unerkannt verborgen, von dem man als „von einem Wittgensteinschen Kringel-Buch sprechen“9 könne. Was, so wird man natürlich wissen wollen, spricht für eine solche – wenn sie zuträfe – unser bisheriges Wittgenstein-Bild durchaus verändernde Hypothese? Wie problematisch diese Hypothese tatsächlich ist, mag man zunächst schon daran erkennen, dass jene auf „Kringeln“ basierenden Absatzzeichen in Wittgensteins Nachlass, die Rothhaupt allesamt als Selektionsmarkierungen interpretiert, keineswegs so eindeutig sind, wie es in der Formulierung der Hypothese von der Existenz eines bislang unbekannten Kringel-Buches klingt. Zumindest lässt sich aus ihnen nicht ohne weiteres jener Textkorpus ableiten, den Rothhaupt als Kringel-Buch bezeichnet und aus dem Nachlass zusammengestellt hat. Da diese kreisförmigen Textmarkierungen nur „11 mal“ als „reine“ Kringel wie in Abbildung 3, „124 mal“ dagegen auf die eine oder andere Weise als „‚○‘ mit ‚/‘ kombiniert“10 erscheinen, wie Rothhaupt selbst gezeigt hat, stellt sich ja die Frage, wie die auf solche Weise je entstehende Gesamtmarkierung in jedem Einzelfall von Wittgenstein gemeint ist. Selbst wenn man einmal unterstellt, dass „Kringel“ vor Bemerkungen als Selektionsmarkierungen zu deuten seien – und das muss man nicht unbedingt unterstellen, wie ich hier schon betonen möchte! –; selbst wenn man dies also hypothetisch voraussetzt, stellt sich immer noch die Frage: Haben wir es dann in Abbildung 4 mit einer Kringelmarkierung zu tun, die die Bemerkung im positiven Sinne selegiert, oder nicht vielmehr mit einem durchgestrichenen Kringel? Oder sehen wir hier vielleicht überhaupt keinen Kringel, sondern ein mathematisches Durchschnittszeichen, das möglicherweise in Wittgensteins Verwendung einen ganz anderen Zweck verfolgt, als den, etwas zu selegieren; vielleicht z. B. den, die sich anschließende Bemerkung metaphorisch als durchschnittlich zu qualifizieren und somit Wittgensteins Unzufriedenheit mit ihrer stilistischen oder gedanklichen Qualität auszudrücken? Oder sehen wir in der Abbildung noch etwas anderes, nämlich keinen durchgestrichenen Kringel und auch kein Durchschnittszeichen, sondern vielmehr einen Kringel plus hinzugefügten Auswahlstrich, wie wir ihn aus Abbildung 1 kennen? Was ist also, verallgemeinert gefragt, im Falle vieler „Kringel“-Vorkommnisse in Wittgensteins Nachlass eigentlich generell als das von Wittgenstein verwendete Zeichen und was als dessen Modifikation, Ergänzung oder gegebenenfalls gar als Tilgung desselben zu betrachten? Eine konsensusfähige Antwort auf diese Fragen ist solange nicht absehbar, als nicht klar ist, was wir im Falle jedes einzelnen Absatzzeichens
9 Vgl. Rothhaupt 2009, 180. 10 Rothhaupt 2010, 104.
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Abb. 4: Beispiel aus MS 109, 28.
Abb. 5: Beispiel aus MS 107, 271.
– um eine Ausdrucksweise von Alois Pichler zu gebrauchen – als das „atomare“, was als das „molekulare“ Zeichen zu betrachten haben. Und selbst wenn dies entschieden wäre – was es derzeit aber nicht ist –, stellt sich immer noch die weitergehende Frage, auf welcher Grundlage wir eigentlich die Funktion, die wir der jeweiligen Markierung zuschreiben, identifizieren. Dass die Problematik, auf die ich mit solchen Fragen aufmerksam machen möchte, keineswegs künstlich ist, wird an weiteren Beispielen deutlich. In der nächsten Abbildung einer von Rothhaupt sog. „Kringel“-Markierung zeigt sie sich nämlich noch nachdrücklicher. Hier lässt sich allein auf der Basis bloßen Augenscheins nämlich nur außerordentlich schwer entscheiden, ob wir es mit einem mit einer Sternmarkierung überschriebenen Kringel, einem mehrfach durchgestrichenen Kringel, einem Kringel mit Auswahlstrich, der allerdings wieder gestrichen wurde, oder einem kreuzförmig durchgestrichenen mathematischen Durchschnittszeichen zu tun haben. Eine Entscheidung in der Sache ließe sich – falls überhaupt je – begründet nur fällen, wenn man im Einzelfall wüsste, ob Wittgenstein die abgebildeten Markierungen in einem, in zwei oder in noch weiteren Arbeitsgängen angebracht hat. Anhand der Faksimiles der Handschriften, die den Interpreten in der Bergen Electronic Edition des Nachlasses zugänglich sind, ist eine Klärung dieser Frage oft kaum möglich, und es steht zudem zu befürchten, dass auch eine Untersuchung der Originalmanuskripte zu keinem eindeutigen Ergebnis führt. Zwei weitere Beispiele sollen hier noch angeführt werden, die vollends vor Augen führen dürften, wie wenig man in verallgemeinerter Weise von „Wittgen-
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steins Kringel-Markierungen“ sprechen kann, die angeblich allesamt als Selektionsmarkierungen für bestimmte Bemerkungen aufzufassen seien. In der nachstehenden Abbildung erkennt Rothhaupt ein Kringel-Zeichen, das er zu einer eigenständigen Gruppe von Kringel-Markierungen rechnet, die er offenbar dadurch ausgezeichnet sieht, dass in den zugrundeliegenden Kreis ein großes „S“
Abb. 6: Beispiel aus MS 111, 2.
hineingeschrieben sei. Dass er das Zeichen so liest, scheint man jedenfalls der Tatsache entnehmen zu müssen, dass er zu dieser Gruppe von Markierungen kommentiert: „Ob die ∫-Markierung“ an dieser Stelle „als ‚schlecht‘“ zu interpretieren sei, wie Joachim Schulte zur Diskussion gestellt hatte11, sei „sehr fraglich; vielmehr dürfte ‚schwach‘“ als Lesart „weit angemessener sein.“12 Doch muss man hier wirklich ein „S“ in einem Kringel sehen, welcher die sich anschließende „schwache“ Bemerkung überraschenderweise dennoch für ein Buchprojekt auswählt? So scheint Rothhaupt die Sache aufzufassen, der das gezeigte Beispiel als Kringel-Buch-Sektion-Nr. 174 ohne weitere Thematisierung dieser Frage in seine Bemerkungssammlung aufnimmt, als verstehe es sich von selbst, was hier mit der Textmarkierung gemeint ist. Doch sehen wir hier wirklich ein großes „S“ in einem Kringel? Sehen wir hier nicht vielmehr einfach das gängige mathematische Zeichen ∲ für ein Kurvenintegral, wie man es in jeder Liste mathematischer Operatoren nachschlagen kann? Und falls es einem mathematisch versierten Autor wie Wittgenstein tatsächlich entgangen sein sollte, dass er an dieser Stelle gleichsam zufällig das Zeichen für ein Kurvenintegral niedergeschrieben hat, bleibt gleichwohl die Frage offen, woher Rothhaupt eigentlich weiß, dass die wundersame Selektionskraft eines kleinen Kringels, wenn er von einer Schlängellinie, wie sie Wittgenstein häufig in den Handschriften des Nachlasses ohne vergleichbaren Selektionsanspruch verwendet, durchschnitten wird, nicht gestrichen und aufgehoben wird, sondern erhalten bleibt.
11 Vgl. Schulte 1987, 12 f. 12 Rothhaupt 2010, 106.
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Ein letztes Beispiel: In der nächsten Abbildung sieht man eine Wittgenstein’sche Markierung, die Rothhaupt zu einer eigenen Gruppe von Kringeln mit – wie er es nennt – „Fähnchen“13 rechnet. „Es handelt sich hierbei um einen im Nachlass sehr seltenen Sonderfall einer Randzeichenkombination, die nur wenige im Juni und Juli 1931 verfasste Bemerkungen in MS 110 betrifft.“ 14
Abb. 7: Beispiel aus MS 110, 299.
Im Falle dieser Absatzzeichengruppe lässt eine Betrachtung der Faksimiles von Wittgensteins Handschriften auf Grund der unterschiedlichen Strichstärken von Aufstrich und „Fähnchen“ durchaus die Vermutung zu, dass Wittgenstein wohl keineswegs „Fähnchen“ in Kringel gezeichnet hat, sondern dass er wahrscheinlich die sich anschließende Bemerkung zunächst mit einem Kreis, durch den sein üblicher Auswahlstrich verläuft, versehen hat. In einem weiteren, vermutlich späteren Arbeitsgang dürfte er diese Markierung dann zudem um einen in Leserichtung von links oben nach rechts unten weisenden, oft etwas kürzeren Querstrich größerer Strichbreite – das „Fähnchen“ – ergänzt haben. Welche Bedeutung diese Ergänzung für ihn hatte, wissen wir nicht. Wollte er mit dieser Ergänzung des Zeichens die anfängliche Selektion vielleicht negieren? Dafür würde sprechen, dass Wittgenstein, wie Peter Keicher beobachtet hat, Bemerkungen, die mit einem solchen „Gegenstrich in die andere Richtung“ versehen sind, „beim Diktat eines Typoskripts gewöhnlich nicht berücksichtigt“15 hat. Doch wie es sich auch immer verhalten mag; auf jeden Fall wird Rothhaupts Selektionshypothese durch diese Beobachtung nicht gestützt. Die dargebotenen Beispiele zeigen vielleicht: Letztlich wissen wir nicht, wie Wittgensteins auf „Kringeln“ basierende Textauszeichnungen im Nachlass zu deuten sind. Dass sie allesamt Bemerkungen im positiven Sinne für eine virtuelle Sammlung von der von Rothhaupt vorgelegten Gestalt auswählen, ist wenig
13 Rothhaupt 2010, 105. 14 Diesen Hinweis verdanke ich Peter Keicher (Mitteilung an den Verfasser vom 28. 01. 2011). 15 Vgl. Anm. 14.
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wahrscheinlich. Denn nicht nur die Textmarkierung in der zuletzt betrachteten Abb. 7, sondern auch eine Markierung, wie wir sie zuvor in Abb. 5 gesehen haben, könnte die darauf folgende Bemerkung – in diametralem Gegensatz zur Rothhaupt-Deutung – ja durchaus auch verwerfen, wofür im übrigen auch in diesem Fall die Tatsache sprechen würde, dass Wittgenstein auch sie nicht weiter in später erarbeitete Typoskripte übernommen hat.16 Und darum muss man in einem ersten Resumée wohl sagen, dass die Hypothese, auf „Kringeln“ basierende Textmarkierungen seien allesamt Selektionsmarkierungen, aus denen sich ein geschlossener Korpus von Bemerkungen rekonstruieren lasse, wie ihn Rothhaupt als das vermeintliche Wittgenstein’sche Kringel-Buch zusammengestellt hat, eine mindestens ziemlich gewagte Angelegenheit ist. Ebenso gewagt erscheint die Sache, wenn wir erfahren, dass es sich bei jenem „Kringel-Sektionenpool“, den Rothhaupt im Nachlass identifiziert, „nicht einfach um eine lose Ansammlung von Sektionen, sondern tatsächlich um ein Wittgensteinsches Buchprojekt“17 handele, welches mit jenem Projekt, über das Wittgenstein Anfang der dreißiger Jahre in zahlreichen Bemerkungen tatsächlich spricht, nicht identisch sei. Bleiben wir zunächst bei den Fakten: Fakt ist, dass Wittgenstein sich tatsächlich schon bald nach seiner Rückkehr nach Cambridge im Jahre 1929 mit Gedanken an die Veröffentlichung eines zweiten Buches trug, von dem ihm bald klar war, dass es mit zahlreichen Prämissen seiner Logisch-Philosophischen Abhandlung brechen müsste. So überlegt er schon 1930, mit welcher Art von Bemerkungen sein Buch zu beginnen sei (MS 110, 10, 177, 243 und 258). Er macht sich Notizen für ein mögliches Vorwort (MS 109, 204–213) und schreibt an späterer Stelle zudem noch nieder, wessen in diesem Vorwort zu gedenken sei (MS 110, 184). Zweifach erwägt er mögliche Motti für dieses Buch (MS 109, 288 und MS 110, 180), und in mehreren Bemerkungen denkt er über geeignete Buchtitel nach (MS 110, 214 und 254, MS 113, 59 sowie MS 154, 1r). Insbesondere die Buchtitel, die er erwägt, passen so wenig auf das Konvolut der von Rothhaupt aus dem Nachlass extrahierten Kringel-Bemerkungen, dass auch er zugibt, Wittgenstein könne diese Textauswahl bei seinen Titelerwägungen wohl kaum im Blick gehabt haben. „Mein Buch soll […] heißen:“, notiert Wittgenstein in MS 110, 214, „Eine Philosophische Betrachtung. (Als Haupt-, nicht als Untertitel)“. Einige Seiten später heißt es in einer Klammerbemerkung: „(Mein Buch könnte auch heißen: Philosophische Grammatik. Dieser Titel hätte zwar den Geruch eines Lehrbuchtitels aber das macht ja nichts, da das Buch hinter ihm steht.)“ (MS 110, 254) Einem Taschennotizbuch von 1932 lässt sich zudem entnehmen,
16 Bei Rothaupt 2010 rangiert sie dagegen als KBS (= Kringel-Buch-Sektion) Nr. 22! 17 Rothhaupt 2009, 162; vgl. 180.
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dass er sein geplantes Buch auch „Philosophische Betrachtungen nach Stichwörtern angeordnet“ (MS 154, 1r) oder „Philosophische Bemerkungen alphabetisch nach Stichwörtern alphabetisch geordnet“ (MS 154, 9v–10r) zu nennen erwog. Dass diese Titel eher auf TS 212, wie Rothhaupt meint, oder auch auf das sog. Big Typscript (TS 213) zutreffen als auf die Auswahl, die sich aus den hier zur Diskussion stehenden „Kringel“-Markierungen ergibt, sieht er natürlich selbst ebenfalls.18 Womit begründet sich dann aber die Buchprojekt-Hypothese? Begründungen für diese Hypothese sind, wie mir scheint, umso dringender erforderlich, als sie im Blick auf die von Rothhaupt vorgelegte Bemerkungssammlung von geringer Evidenz ist. Neben einigen subsidiären Argumenten, auf die hier gar nicht näher eingegangen zu werden braucht, weil sie allesamt von der Problematik betroffen sind, dass wir von der definitiven Gestalt, die Wittgenstein seinem „Buch“ hätte geben wollen, gar nichts wissen, führt Rothhaupt als Beleg für die Buchprojekt-Hypothese die – wie er es nennt – „Tatsache“ an, dass für dieses Buch „von Wittgenstein selbst ein Motto und ein Vorworttext veranschlagt wurden.“19 Doch folgt daraus, dass Wittgenstein einmal eine Bemerkung zu einem Motto sowie Entwürfe für ein Vorwort mit sog. „Kringeln“ markiert, tatsächlich die „Tatsache“, dass die solchermaßen markierten Textstellen das Motto sowie das Vorwort für alle anderen Kringel-Sektionen bilden sollten? Ein solcher Schluss darauf, dass in diesen Bemerkungen nicht das unter den genannten Titeln explizit geplante Buch gemeint sei, ist keineswegs zwingend, und angesichts dessen, was wir als Kringelsektionsauswahl vor uns haben, erscheint er mir zudem einigermaßen vorschnell. Zwar sind ca. zwei Drittel der von Rothhaupt als Kringel-Buch ausgewählten Bemerkungen für heutige Leser hochinteressant, weil sie Wittgensteins neuen Denkstil und Philosophiebegriff im Spätwerk charakterisieren und die dafür inspirativen Quellen aufdecken. Gerade diese Quellen – z. B. Sigmund Freud, Friedrich Nietzsche oder Paul Ernst – nimmt der Leser ja deshalb interessiert zur Kenntnis, weil sie geeignet erscheinen, die Genese von Wittgensteins Denken ganz anders zu kontextualisieren, als es in der sprachanalytischen Rezeption seiner Schriften in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zumeist geschah. Doch woraus folgt, dass Wittgenstein sie als Buch zusammenzufassen gedachte? Diese Bemerkungssammlung in der vorliegenden Form als Material für ein geplantes „Buch“ zu bezeichnen, hat für denjenigen, der die Auswahl, die Wittgenstein dafür dann getroffen hätte, an den Handschriften überprüft, tatsächlich in einigen Fällen etwas Kontraintuitives an sich. Nehmen wir als Beispiel jene Gruppe von Bemerkungen, in deren Kontext Wittgenstein den methodologischen
18 Vgl. Rothhaupt 2009, 162. 19 Vgl. Rothhaupt, 209, 162 und 180.
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Grundbegriff seines Spätwerkes, den Begriff der „übersichtlichen Darstellung“ erstmals einführt. Auf diesen Begriff kommt er in MS 110 im Zusammenhang seiner heute sog. „Bemerkungen über Frazers Golden Bough“ zu sprechen, die als solche einen beträchtlichen Teil der Rothhaupt’schen „Kringel“-Sammlung ausmachen. In der nächsten Abbildung der Seiten 256 und 257 dieses Manuskriptbandes sieht man eine Folge von Bemerkungen aus dieser Gruppe, die zu einem Teil mit Wittgensteins Auswahlstrich, zum einem anderen Teil mit zwei Varianten dessen versehen sind, was Rothhaupt als „Kringel“ bezeichnet.
Abb. 8: MS 110, 256 und 257.
Zwei dieser Bemerkungen auf Seite 257 oben werden auch denjenigen unter Wittgensteins Lesern bekannt vorkommen, die mit seinen Nachlassmanuskripten nicht näher vertraut sind. Denn sie sind – zwar in umgekehrter Reihenfolge, doch sonst nur mit geringfügigen Änderungen der Formulierung – später zu Bemerkung Nr. 122 der Philosophischen Untersuchungen geworden. Dort heißt es:
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Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art wie wir die Dinge sehen. (Eine Art der ‚Weltanschauung‘ wie sie scheinbar für unsere Zeit typisch ist.) Spengler) Diese übersichtliche Darstellung vermittelt das Verstehen «Verständnis» welches eben darin besteht dass wir die ‚Zusammenhänge sehen‘. Daher die Wichtigkeit der Zwischenglieder [des Findens von Zwischengliedern]
Abb. 9: MS 110, 257 (Ausschnitt).
Da sie hier mit einem Auswahlstrich, jedoch nicht mit einem „Kringel“ versehen sind, haben sie – anders als die meisten anderen Bemerkungen auf diesen beiden Seiten – in Rothhaupts Kringelsektionssammlung keine Aufnahme gefunden. Wäre diese Sammlung nun tatsächlich ein eigenes Wittgenstein’sches Buchprojekt, wäre die Nicht-Aufnahme dieser beiden Bemerkungen eine höchst verwunderliche Tatsache. Denn man müsste in diesem Falle ja sagen, dass Wittgenstein die – soweit ich sehe – beiden einzigen Bemerkungen zum Begriff der „übersichtlichen Darstellung“, die er jemals wirklich in ein Buch aufgenommen und die er ja auch hier schon mit einem Auswahlzeichen versehen hat, zur Charakterisierung dieses Begriffs im Kringel-Buch als ungeeignet befunden hat. Der von links unten nach rechts oben verlaufende Auswahlstrich hieße hier gewissermaßen: „Geeignet, ja; – aber nicht für’s Kringel-Buch“! Und dass es sich so verhält, mag man nicht recht glauben.
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Wenn man die Art und Weise, wie Wittgenstein auf den Seiten 256 und 257 aus Manuskriptband 110 Bemerkungen mit Markierungen versieht, näher betrachtet, wird die Hypothese, dass es sich bei einigen dieser Markierungen um Selektionsmarkierungen für ein Buchprojekt handele, freilich noch aus einem weiteren Grund als kontraintuitiv erkennbar. Auf diesen beiden Seiten finden sich vier Bemerkungen zum Begriff der „übersichtlichen Darstellung“ in dieser Reihenfolge: ‚Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz‘ möchte man zu der Frazerschen Tatsachensammlung sagen. Dieses Gesetz, diese Idee, kann ich nun durch eine Entwicklungshypothese ausdrücken «darstellen» oder auch, analog dem Schema einer Pflanze durch das Schema einer religiösen Zeremonie oder aber durch die Gruppierung des Tatsachen-Materials allein, in einer ‚übersichtlichen‘ Darstellung. Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art wie wir die Dinge sehen. (Eine Art der ‚Weltanschauung‘ wie sie scheinbar für unsere Zeit typisch ist.) Spengler) Diese übersichtliche Darstellung vermittelt das Verstehen «Verständnis» welches eben darin besteht dass wir die ‚Zusammenhänge sehen‘. Daher die Wichtigkeit der Zwischenglieder [des Findens von Zwischengliedern] Ein Hypothetisches Zwischenglied aber soll in diesem Falle nichts tun als die Aufmerksamkeit auf die Ähnlichkeit, den Zusammenhang, der wirklichen Tatsachen lenken. Wie wenn man eine interne Beziehung der Kreisform zur Ellipse dadurch illustrieren wollte «illustrierte» dass man eine Ellipse allmählich in einen Kreis überführt; aber nicht um zu behaupten dass eine gewisse Ellipse tatsächlich, historisch, aus einem Kreis entstanden wäre (Entwicklungshypothese) sondern nur um unserem Auge ‚für‘ einen formalen Zusammenhang zu schärfen. Aber auch die Entwicklungshypothese kann ich als weiter nichts sehen als die «eine» Einkleidung eines formalen Zusammenhangs.
Aus dieser Reihenfolge können die mit einem Auswahlstrich markierten Bemerkungen 2 und 3 sehr wohl herausgelöst und für sich genommen sinnvoll verwendet werden, wie es Wittgenstein auch getan hat, als er sie zu Bemerkung 122 der Philosophischen Untersuchungen zusammenführte. Die mit einem Kringel versehenen Bemerkungen 1 und 4 können dagegen nicht sinnvoll aus dem argumentativen Zusammenhang der vier Bemerkungen isoliert werden und in einem Buch für sich allein stehen. Denn Bemerkung 4 bezieht sich offenbar auf 3, d. h. ist mit den Worten „Ein Hypothetisches Zwischenglied aber soll in diesem Falle...“ argumentativ von der vorhergehenden Bemerkung über die „Wichtigkeit der Zwischenglieder“ abhängig, ohne ihre Berücksichtigung jedenfalls nicht verständlich. Auch dieser Befund spricht in meinen Augen gegen die Hypothese, dass es sich bei den kringelförmigen Absatzzeichen in Wittgensteins damaligen Manu-
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skripten überhaupt um Selektionsmarkierungen handelt, geschweige denn, dass man Gründe hätte, sie zudem noch als Auswahlkennzeichnungen für ein bisher unbekanntes Buchprojekt zu interpretieren. Wenn Wittgensteins „Kringel“ dann aber keine Selektionsmarkierungen sind, was sind sie dann? Nochmals muss hier betont werden, dass die ehrlichste Antwort auf diese Frage wohl lautet: Wir wissen es nicht. Wenn man sich mit dieser Antwort jedoch nicht zufrieden geben will, scheint mir die Vermutung, dass sie für Wittgenstein irgendeine Orientierungsfunktion bei der Weiterverarbeitung seiner Bemerkungen zu jenem Anfang der dreißiger Jahre von ihm geplanten und erwähnten Buch haben, jedenfalls plausibler zu sein, als die Hypothese, dass sie Bemerkungen für ein bisher gänzlich unbekanntes Kringel-Buch-Projekt selegieren. Auf der Basis dessen, was wir einigermaßen gesichert wissen und unter Zugrundelegung der von Rothhaupt für die Kringel-Bemerkungen erarbeiteten Transferprofile würde ich persönlich zur Deutung dieser Textmarkierungen folgendermaßen argumentieren, wobei allerdings vorweg schon zugegeben werden muss, dass sich auch der sich dabei ergebende Vorschlag zu ihrer Lesart nur weitgehend, keineswegs also zu hundert Prozent mit den vorliegenden Transferprofilen deckt: In den Manuskriptbänden 107 bis 112 der Jahre 1930 und 1931 verwendet Wittgenstein (nicht ausschließlich, aber doch vorwiegend) Kreise und Querstriche zur Markierung vieler seiner Bemerkungen. Selten stehen Kreise wie in Abbildung 3 allein vor der Bemerkung, vielmehr kommen sie oft und auf unterschiedliche Weise mit Querstrichen zusammen vor. Diese können – das ist der am häufigsten vorkommende Fall, den wir in Abbildung 4 gesehen haben – den Kreis mit einem von links unten nach rechts oben weisenden Querstrich durchschneiden, sie können aber in einigen Fällen auch neben dem Kreis verlaufen (siehe Abb. 10) oder ihn in Leserichtung von links oben nach rechts unten schneiden, wie man es in Abb. 11 sieht, in der Wittgenstein eine mit einem voranstehenden Querstrich versehene Bemerkung zusätzlich mit rotem Stift auf solche Weise ausgezeichnet hat. Anders als im zuletzt gezeigten Fall, in dem wir annehmen dürfen, dass Wittgenstein Kreis und Querstrich in einem Arbeitsgang an der jeweiligen Bemerkung angebracht hat, wissen wir nicht, ob er auch die hauptsächlich verwendeten, in Abbildung 3 gezeigten Kringel-Querstrich-Kombinationen in jedem einzelnen Falle in einem oder in mehreren Arbeitsgängen in die Manuskriptbände eingezeichnet hat. D. h., angesichts dieser Textauszeichnungen ist unklar, ob Wittgenstein jeweils die vorliegende Gesamtmarkierung in sein Manuskript eingetragen hat, oder ob er in verschiedenen Arbeitsgängen einen Kringel mit einem Kreis oder einen Kreis mit einem Kringel – in welcher Reihenfolge ist unklar – überschrieben hat. Dafür, dass die in Frage stehenden Textmarkierungen zumindest in einigen Fällen in mehreren Arbeitsgängen Gestalt gewonnen haben, dafür sprechen die von Rothhaupt sog. „Kringel mit Fähnchen“, die wir vorhin betrachtet
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Abb. 10: Beispiel aus MS 107, 285.
Abb. 11: Beispiel aus MS 109, 207.
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haben, sowie der Eindruck, dass wir es in manchen Fälle auch mit Streichungen zunächst angebrachter Markierungen zu tun haben. Beispiele dafür sind eine Markierung, wie wir sie in Abbildung 5 gesehen haben, sowie all jene Textmarkierungen, die Rothhaupt auf Grund ihres Aussehens als „α-Sektionen“20 bezeichnet.
Abb. 12: Beispiel aus MS 107, 203.
Denn dass in Abbildung 12 höchst wahrscheinlich nicht ein „α“ über einen Kringel geschrieben wurde, sondern wir hier einfach einen gestrichenen Kringel vor uns haben, wird jeder bestätigen können, der schon einmal im empirischen Selbstversuch mit einem Stift mit kreuzartiger Bewegung auf dem Papier etwas durchgestrichen hat. Da wir nun einigermaßen sicher wissen, dass ein in Leserichtung von links unten nach rechts oben weisender Strich wie in Abbildung 2 ein Auswahlstrich bzw. Evaluierungsstrich ist, mittels dessen Wittgenstein die jeweilige Bemerkung als brauchbar für eine Weiterverwendung in Typoskripten auszeichnet, und zudem anhand der Transferprofile feststellen können, dass Bemerkungen, die wie in Abbildung 11 mit einem Kreis versehen sind, den ein Querstrich in Leserichtung von links oben nach rechts unten durchschneidet, fast ausnahmslos nicht weiter verwendet worden sind, scheint es nicht gänzlich abwegig zu sein zu vermuten, dass ein Querstrich der Form „/“ im Blick auf die jeweilige Bemerkung soviel wie „brauchbar“ heißt, ein Querstrich mit gegenläufigem Richtungssinn „\“ soviel wie „nicht brauchbar“ meint. Im Blick auf den Kringel „○“ als solchen könnte man dann vermuten – und nun begebe ich mich in ähnlich spekulative Gefilde, wie sie Rothhaupt mit seiner Kringel-Buch-Hypothese schon lange mutig betreten hat –, dass er Wittgensteins Unklarheit oder Unentschiedenheit hinsichtlich der Weiterverwendbarkeit der jeweiligen Bemerkung zum Ausdruck bringt. Eine Gesamtmarkierung aus Kreis und Auswahlstrich – ob in einem oder in mehreren Arbeitsgängen zustande gekommen, ist gleichgültig – bezeichnet vor dem Hintergrund dieser Lesart dann eine Bemerkung, die mit Blick auf eine Verwendung im seinerzeit geplanten Buch zwar eine Tendenz zur Auswahl zeigt, gleichwohl aber
20 Vgl. Rothhaupt 2009, 170 ff.
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zu noch bedenken bleibt. Die Absatzmarkierung mit einem Strich in der Gegenrichtung würde dann Gleiches mit Tendenz zur Verwerfung der Bemerkung kennzeichnen; – was auch de facto in fast allen Fällen dann geschehen ist. Der Kringel allein, wie er von Wittgenstein manchmal (wie in Abb. 3) ins Manuskript eingezeichnet, manchmal aber auch (wie in Abb. 12) wieder gestrichen wurde, würde dann seine gänzliche Unentschiedenheit in der Sache bezeichnen. Diese Lesart von Wittgensteins kringelförmigen Absatzzeichen rückt die so gekennzeichneten Bemerkungen natürlich in ein anderes Licht als ihre Interpretation als Selektionsmarkierungen. Am Beispiel vieler „Kringel“-Bemerkungen erscheint sie mir durchaus plausibel, denn viele von ihnen lassen es gut nachvollziehbar erscheinen, dass Wittgenstein hinsichtlich ihrer Brauchbarkeit für sein damaliges Buchprojekt im Zweifel war, jedenfalls die Notwendigkeit sah, sie weiterem Durchdenken und Prüfen anheimzustellen, und zwar aus unterschiedlichen Gründen. In einigen Fällen dürften dies durchaus Qualitätsgründe gewesen sein. Denn manche „Kringel“-Bemerkungen, z. B. Eine Ungleichung kann so gut auf ihre Richtigkeit geprüft werden, wie eine Gleichung. (MS 108, 130)
oder auch Wovon drei Striche ein Bild sind, als dessen Bild können sie dienen. (MS 108, 133)
dürften tatsächlich nicht zum stärksten gehören, was Wittgenstein philosophisch geschrieben hat. In anderen Fällen dürfte er mit Formulierungsdetails unzufrieden gewesen sein. In einem Falle ist dies so deutlich, dass man sich wundert, dass Rothhaupt angesichts dessen, was Wittgenstein hier schreibt, nicht selbst Zweifel an seiner Selektionshypothese gekommen sind: nämlich im Falle des vermeintlichen Kringel-Buch-Mottos. In dieser Bemerkung erwägt Wittgenstein, ob er für sein geplantes Buch nicht das Sprichwort „Ein Narr kann mehr fragen als zehn Weise beantworten können“ als Motto verwenden könne. Aber er sieht sofort, dass dieses Sprichwort dem, was er zum Ausdruck bringen möchte, letztlich doch nicht ganz genau entspricht. Denn er fügt unmittelbar hinzu, dass es eigentlich heißen müsste „zehn Gescheite“, damit das Sprichwort für seine Zwecke in Gänze passend wäre. Und deshalb erhält diese Bemerkung konsequenterweise auch einen „Kringel“, um die Notwendigkeit des nochmaligen Überdenkens der Eignung dieses Sprichwortes als Motto zu markieren. Dass Wittgenstein, wie Rothhaupt es vorschlägt, die Reflexion auf die Eignung einer Formulierung zum Motto selbst zum Motto eines Buches gemacht hätte oder auch nur zu machen plante, darf man dagegen wohl ausschließen, wie sich
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Abb. 13: Abbildung von MS 109, 288, des vermeintlichen Kringel-Buch-Mottos: „[Ich könnte als Motto meines Buches wählen: Ein Narr kann mehr fragen, als zehn Weise beantworten können. Eigentlich müsste es hier heißen ‚zehn Gescheite‘.]“
nicht zuletzt daran zeigt, dass Wittgenstein auf die in Frage stehende Sentenz als solche nicht mehr zurückgekommen ist. In anderen Fällen wird man aber vielleicht zunächst verwundert sein, weshalb Wittgenstein hinsichtlich der Brauchbarkeit mancher Bemerkungen für sein Buch in Zweifel war. Und dies wird, wie ich vermute, vielleicht insbesondere im Falle jener Vielzahl mit „Kringeln“ versehener Bemerkungen so sein, die über Wittgensteins Denkstil und Philosophiebegriff sowie über seine Quellen sprechen, etwa über Frazers Golden Bough, über Freuds Psychoanalyse oder über Paul Ernsts Deutung der Logik der dichterischen Einbildungskraft in Märchen. Tatsächlich sind diese Bemerkungen ja für viele Leser – auch für mich selbst – für das Verständnis von Wittgensteins philosophischer Methode so aufschlussreich, dass man sich wundert, weshalb er sie bei dem Versuch, ein zweites Buch zu erarbeiten, nicht weiter berücksichtigt hat. Denn was ist gegen Bemerkungen wie Es ist eine Haupttätigkeit der Philosophie vor falschen Vergleichen zu warnen. Vor (den) falschen Vergleichen // zu warnen die unserer Ausdrucksweise – ohne dass wir uns dessen ganz bewusst sind – zugrunde liegen. Ich glaube unsere Methode ähnelt hier der der Psychoanalyse die auch unbewusstes bewusst & dadurch unschädlich machen will & ich glaube dass diese Ähnlichkeit keine rein äußerliche ist. (MS 109, 174)
oder Wenn mein Buch je veröffentlicht wird so muss in seiner Vorrede der Vorrede Paul Ernst’s zu den Grimmschen Märchen {*} gedacht werden, die ich schon in der Log. Phil. Abhandlung als Quelle des Ausdrucks „Mis{s}verstehen der Sprachlogik“ hätte erwähnen müssen. (MS 110, 184)
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tatsächlich einzuwenden?21 Anders gefragt: Welche Zweifel sollte Wittgenstein im Blick auf ihre Tauglichkeit für sein Buch gehabt und durch ein kringelförmiges Absatzzeichen ins Manuskript eingezeichnet haben? Die Antwort, so scheint mir, findet man wenigstens andeutungsweise selbst in zwei Kringel-Bemerkungen. Mit solchen Bemerkungen, die auf die Methode reflektieren oder Quellen nennen, verbindet sich nämlich eine „Gefahr“, die Wittgenstein auch mit allzu langen Vorworten verbunden sieht, dass sie nämlich den „Geist eines Buches“, der sich „in diesem zeigen muss & nicht beschrieben werden kann“ (MS 109, 208), gleichwohl explizit zu machen versuchen. „Es ist eine große Versuchung den Geist explizit machen zu wollen“ (MS 109, 209), notiert er in diesem Sinne eine Seite später nochmals. Doch das Buch, das er schreiben wollte, sollte ihr widerstehen und für sich selbst stehen können, d. h. den Geist, in dem es geschrieben ist, zeigen und nicht über ihn sprechen. Und vielleicht, weil Wittgenstein von dieser Überzeugung nicht mehr abrücken wird, kann man an der Entwicklung seiner Manuskripte bis zur Endfassung der Philosophischen Untersuchungen auch beobachten, dass er gerade jene methodologischen Reflexionen, die heutige Leser so hilfreich für das Verständnis finden, immer seltener in die entstehenden Typoskripte übernimmt. Letztmals findet sich eine Sammlung von methodologischen Reflexionen auf die Arbeitsweise der Philosophie im „Philosophie“ überschriebenen Kapitel des Big Typescripts (TS 213) von 1933. Danach hat Wittgenstein Bemerkungen dieser Art nicht mehr zusammengetragen. In den Manuskripten der Jahre 1930/31 wäre der Zweifel an ihrer Verwendbarkeit für ein Buch so besehen bereits durch kringelförmige Absatzzeichen markiert. Dass wir die so markierten Bemerkungen, wie gesagt, heute als aufschlussreich für unser Wittgenstein-Verständnis empfinden, mag freilich ein Grund dafür sein, dass manche geneigt sind, Wittgensteins „Kringel“ für Selektionsmarkierungen zu halten.
Literatur Majetschak, Stefan: „Philosophie als Arbeit an sich selbst. Wittgenstein, Nietzsche und Paul Ernst“. In: Majetschak, Stefan (Hrsg.): Wittgensteins ‚große Maschinenschrift‘. Untersuchungen zum philosophischen Ort des Big Typescripts (TS 213) im Werk Ludwig Wittgensteins. Frankfurt am Main 2006, S. 61–78.
21 Nichts, so scheint mir; vgl. zur zitierten Paul-Ernst-Bemerkung Majetschak 2006 sowie zur Psychoanalyse-Bemerkung Majetschak 2008.
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Majetschak, Stefan: „Psychoanalyse der grammatischen Missdeutungen: Über die Beziehung Ludwig Wittgensteins zum Werk Sigmund Freuds“. In: Alois Pichler, Herbert Hrachovec (Hrsg.): Wittgenstein and the Philosophy of Information. Proceedings of the 30th International Ludwig Wittgenstein-Symposium, Kirchberg am Wechsel, Österreich 2007, Heusenstamm 2008, S. 37–59. Rothhaupt, Josef G. F.: Farbthemen in Wittgensteins Gesamtnachlass. Philologisch-philosophische Untersuchungen im Längsschnitt und in Querschnitten. Weinheim 1996. Rothhaupt, Josef G. F.: Kreation und Komposition (unveröffentl. Habil.-Schrift). München 2009. Rothhaupt, Josef G. F.: (Hrsg.): Wittgensteins Kringel-Buch. München 2010 (Vorabveröffentlichung). Rothhaupt, Josef G. F.: „Wittgensteins Kringel-Buch als unverzichtbarer Initialtext seines ‚anthropologischen Denkens‘ und seiner ‚ethnologischen Betrachtungsweise‘“. In: Wittgenstein-Studien 2, 2011, S. 137–186. Schulte, Joachim: Erlebnis und Ausdruck. Wittgensteins Philosophie der Psychologie. München / Wien 1987. Schulte, Joachim: „Einleitung“. In: Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition. Herausgegeben von Joachim Schulte, Frankfurt am Main 2001.
David Stern
A New Book by Wittgenstein? The Place of the Kringel-Buch in the Wittgenstein Papers1 How nice to read a new book by Wittgenstein! But how much nicer to read ‘A new book by Wittgenstein will naturally be felt to illuminate whatever topic or subject it treats of. Not that the present offering is exactly a new book by Wittgenstein: for it is not a book by Wittgenstein at all. “The first thing to be said about this book is that nothing contained herein was written by Wittgenstein himself.”’ Oh, reading about Wittgenstein, even when it is not exactly about Wittgenstein, is so much better than reading Wittgenstein himself! 19662 Some of the main problems that arise for a reader of Wittgenstein’s KringelBuch are concisely anticipated in Edwin Morgan’s poem ‘A New Book by Wittgenstein.’ It opens with an expression of pleasure at reading a new book by Wittgenstein but ends by saying that reading about Wittgenstein, “even when it is not exactly about Wittgenstein, is so much better than reading Wittgenstein himself!” At first sight, the poem appears to be making fun of all those people who have eagerly bought books by Wittgenstein, only to turn to books about Wittgenstein, much preferring the books about Wittgenstein to the book by Wittgenstein. If we think about it a little more, the joke is equally about all of us who have turned from reading a new book by Wittgenstein to writing another book or article about
1 A much earlier version of this paper was presented at the Munich conference on the KringelBuch in April 2011. Parts of this paper are based on my discussion of the Wittgenstein papers in Stern 2010. 2 Edwin Morgan 1990, p. 586.
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Wittgenstein. But while it is very short and deceptively simple, there is much more to the poem than meets the eye. As indicated by the single quotation marks which open half way through the second line, and close at the end of the tenth, and the double quotation marks around the last three of those lines, most of the poem is ‘found’ poetry, material appropriated from a prior text. Morgan does not provide a citation for his quotations. However, the sentence in double quotes is easily identifiable as the opening sentence of Cyril Barrett’s editorial preface to Wittgenstein’s Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief which, as the title page of the book informs us, were “Compiled from Notes taken by Yorick Smythies, Rush Rhees and James Taylor”.3 It seems likely that the remaining quoted text was taken from publicity for the book, or an early review. So most of the words in Morgan’s poem were not written by Morgan himself. And so there is a sense in which the poem is not exactly a new poem by Edwin Morgan at all. The quoted words pointedly raise questions about authorship and originality: What is it for something to be a new poem by Edwin Morgan, or a new book by Wittgenstein? Does it matter if some, or none, of the words were written by the person to whom the work is attributed, or if the person who originally produced the words in question did so in an entirely different context? What do we want, or expect, from a new work by Wittgenstein, a work that he had not authorized, published long after his death, on the initiative of editors who had to decide how to assemble it? In the case of the Lectures and Conversations, readers must rely on “notes taken down by students, which [Wittgenstein] neither saw nor checked,”4 as Barrett explicitly acknowledges in the second sentence of his editorial introduction. Morgan’s poem concerns a book where we might well wonder about the relationship between what Wittgenstein said, what his students wrote down, and the published text. Is the book really a book by Wittgenstein if nothing in it was written by Wittgenstein himself? We should also ask whether it is really a book by Wittgenstein, given that Wittgenstein had no intention of turning his occasional lectures and conversations with a small group of friends into a published volume. The work of assembling the notes, choosing which ones to use, and how best to edit and arrange them, and turning them into a book, was done by Cyril Barrett, not Ludwig Wittgenstein. This second question about authorship – where the question is not one about whether Wittgenstein actually said, or wrote the words, but rather whether he intended those words to be conceived
3 Wittgenstein 1966, p. vii. 4 Wittgenstein 1966, p. vii.
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of as a book – can also be expressed as a question about whether the book is a work of Wittgenstein’s. Indeed, even if we turn to the many books published under Wittgenstein’s name after the Philosophical Investigations in which every word was written by Wittgenstein himself, one can still ask whether it is a work of Wittgenstein’s, as against a collection of Wittgenstein’s writing, and so whether it is “exactly a new book by Wittgenstein at all.” The Kringel-Buch text corpus, consisting of all those remarks in Wittgenstein’s manuscripts from the 1930s designated by the use of a roughly circular shape as a mark at the beginning of that remark, is an intriguing proposal that brings together many of Wittgenstein’s most interesting writings from this period in an unexpected way. Such a book has more than passing similarities to Morgan’s found poetry: the words are taken from one context, and presented in another. While the words of the Kringel-Buch were written down by Wittgenstein in his manuscript volumes, the current arrangement is the product of extensive “research, reconstruction, arranging and editing.”5 As detailed in the exhaustive “transfer profile,”6 the great majority of the remarks have been published previously, and so are already familiar to those who are acquainted with the Philosophical Remarks, Culture and Value, the “Remarks on Frazer’s Golden Bough” and the Big Typescript.7 While the remarks are not always the same, as these texts each constitute a later stage of revision or selection from the source manuscripts, they are usually very similar and often identical. Approaching the Kringel-Buch from this perspective, we can see it as composed of four roughly equal “chapters” from 1929–1931, plus a short appendix from the mid to late 1930s. The overall character of each chapter can be summarily described in terms of its location in the source manuscripts and its subsequent publication history. This summary is only a brief overview, and leaves out many significant details. In particular, some of the most interesting remarks, including the very first two remarks, are not included in the four well-known volumes listed above, though all of them have been published in the Bergen Electronic Edition, and the first 222 are also included in the Vienna Edition.8 Remarks 1–51 make up our first chapter. Composed between October 1929 and July 1930, they are taken from MSS 107 and 108, the third and fourth manuscript volumes of a series that Wittgenstein began shortly after his return to Cambridge
5 Wittgenstein 2010, p. 3. 6 Wittgenstein 2010, pp. 125–143. 7 Wittgenstein 1964; Wittgenstein 1980; Wittgenstein 1993, pp. 115–155; Wittgenstein 2005. 8 Wittgenstein 2000 and 1994. For a detailed discussion of the first two remarks in the KringelBuch, see Stern 1991.
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in February 1929. The principal theme of most of the remarks is the description of immediate experience, and especially talk about pain. Most of them can be found in chapter 6 of the Philosophical Remarks; many of those are also repeated in §104 of the Big Typescript, under the title “Having Pain”. Remarks 52–93, our second chapter, were composed between August 1930 and February 1931, and written down in MSS 109 and 110. This part of our text does not quite follow the usual pattern. Only half the remarks have been published previously – all but two in Culture and Value – and many of these are also printed at the beginning of the present edition, as its preface (remarks 62–68, 72–78, 89, with the addition of 129). Of the remaining remarks (52–61, 69–71, 79–88, 90–92), some are closely connected to those placed at the beginning, addressing methodological concerns and questions about the nature of Wittgenstein’s work; others concern art, music and the interpretation of cultures. Chapter three, consisting of remarks 94–173, was written between February and July 1931, in MS 110. About three quarters of them correspond closely to those published in “Remarks on Frazer’s Golden Bough”, though a few of the published remarks are not included, and a few related remarks from the source manuscript are included here. Ten more can be found in Culture and Value. This is the chapter that most closely corresponds to a previously published text, and so the content and order of the remarks is strikingly similar, even though there are some significant differences. The fourth and final chapter, remarks 174 to 222, was written between July and October 1931 in MS 111 (except for 222, written in November 1931, in MS 112). Most of them have been published in the Big Typescript; most of the remainder can be found in Culture and Value. This is perhaps the least thematically unified of the four chapters, as is indicated by the many different chapters of the Big Typescript within which the passages were placed. Many themes in the philosophy of mind and philosophy of language are touched on. The appendix, remarks 223–234, was mostly written in 1938 in MS 120, although three remarks have other manuscript sources, and two were composed in 1933 and 1937. Only three have been previously published, in Culture and Value. The question of the nature of the relationship between the manuscript sources and the edited published volume is a question that arises not just for the Kringel-Buch, but for almost every book published under Wittgenstein’s name after his death. And so any consideration of the place of the Kringel-Buch in the Wittgenstein papers must be placed in the context of the broader question of the previous relationship between Wittgenstein’s writing and his posthumous publications. Wittgenstein’s Nachlass consists of over 20,000 pages of manuscripts and typescripts. Because Wittgenstein published barely 25,000 words of philosophi-
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cal writing during his lifetime—the Tractatus Logico-Philosophicus and a short conference paper—the papers that he left unpublished have played an unusually large role in the reception of his work. The posthumous publications, almost all of them based on his Nachlass, contain well over a million words. As the Nachlass contains approximately three million words, one might estimate that roughly a third of Wittgenstein’s writing is in print. However, as much of the material that was not edited for publication consists of early versions and rearrangements of the previously published material, one could argue that considerably more than a third of his Nachlass has already seen the light of day. On the other hand, because Wittgenstein never copy-edited these materials, each of the posthumous publications required considerable editing, often with little or no indication of the relationship between the source texts and the published material, and so one could argue that very little of the Nachlass has been available in print.9 Furthermore, the Nachlass itself is only a fraction of what Wittgenstein wrote, and is itself a selection from a larger body of work. In addition to Wittgenstein’s own writing, he was also the author, or co-author, of a great deal of work written down by others, principally in the 1930s, which is not part of the collection of papers that Wittgenstein entrusted to his literary executors. These include Moore’s 1930–33 lecture notes, Waismann’s dictations and expository writing from the first half of that decade, and the recently discovered Skinner archive, dating from the mid-1930s.10 Nevertheless, any such quantitative approach to the availability of Wittgenstein’s writing, however nuanced and qualified, does not do justice to the complex issues involved. For even though we have had an electronic edition of the Wittgenstein Nachlass since the beginning of the millennium, the principal question that Wittgenstein interpreters face remains the question of how the various parts of the Wittgenstein papers hang together. This, in turn, depends on our understanding of the various projects that Wittgenstein pursued at different points in his career. What we need is a broader orientation as to the “the shape of various projects Wittgenstein had in mind at various stages of his philosophical career”
9 For previous discussion, see Hintikka 1991; Kenny 1976, 2005. The Bergen edition can also be used to review the editing of the published works. While this information is not provided within the digital edition, Biggs and Pichler 1993 provide detailed charts of the Nachlass sources of the published works. A number of more recent publications, such as the critical-genetical German language edition of the Philosophical Investigations (Wittgenstein 2001) and the German-English scholars’ edition of the Big Typescript (Wittgenstein 2005) are sophisticated critical editions. They make use of the information provided in the Bergen edition to present not only the final state of the text, but also such matters as undecided variant wording, marginal marks, and the different stages of revision, by means of footnotes and the use of an elaborate apparatus. 10 See Wittgenstein, forthcoming; Wittgenstein and Waismann, 2004; Gibson 2010.
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that allows us to “make sense of the many versions of superficially similar material.”11 This question about the continuities and changes in what Wittgenstein took himself to be doing at different stages in the development of his writing and teaching is closely connected to the question of what is to count as a work of Wittgenstein’s. For the importance of identifying “works” of Wittgenstein’s is not only a matter of textual history. In order to properly appreciate the significance of the revision, repetition and rearrangement of sentences, remarks, and groups of remarks, we need to have a map of the principal stages in Wittgenstein’s philosophical development. These questions remain particularly pressing so long after Wittgenstein’s death precisely because Wittgenstein published so little during his lifetime, and left us so little more that he was close to being ready to publish.12 As a result, the Bergen electronic edition of the Wittgenstein Nachlass has come to play a particularly significant role in scholarly reflection on these issues. In the early 1990s, the first director of the Bergen Wittgenstein Archive, Claus Huitfeldt, a Norwegian philosopher and computer specialist, led the development of the multi-element coding system (MECS) used to produce a digital transcriptions of the source texts. This “machine-readable version,” a set of marked-up and encoded transcriptions that aims to record as much information about the text as the editors consider appropriate, is the basis of the Bergen electronic edition, but is substantially different from it.13 The machine-readable version can be thought of as a database that systematically encodes the results of the transcribers’ work; the Bergen electronic edition, published by OUP in 2000, was generated from that database. Transcription, coding, and editing these materials took over ten years, forty man-years of work, and a budget of 14 million Norwegian kroner, or approximately 1,000,000 UK pounds at the 2001 rate of exchange.14 The Bergen Edition comprises over 21,000 color facsimiles of almost every page of Wittgenstein’s papers, two different editions of each page, and a custom-built search engine.15
11 Schulte 2002, p. 246. 12 Indeed, the editors of the fourth edition of the Philosophical Investigations, the book he had worked on for most of the rest of his life, make an excellent case that what was previously known as “Part II’ of that book should be renamed “Philosophy of Psychology – A Fragment.” 13 The terminology is due to Claus Huitfeldt. See Huitfeldt 1993, 1994 and 1994a. 14 These figures are taken from Huitfeldt 2001. 15 The organizing principle is Georg Henrik von Wright’s catalogue of the papers, which lists 83 manuscripts (101–183), 46 typescripts, (201–246), and 11 dictations (301–11). There are approximately 5000 pages of typescripts, a few manuscripts on loose sheets, with the remainder written in bound volumes and notebooks. All references to a specific place in the Nachlass are provided in terms of a manuscript number and page number, and search results are always displayed in
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At first sight, it may look as if a scholarly digital edition of an author’s writing is no more than an up-to-date repackaging of familiar components, each of which can be found in the world of scholarly print publishing, such as facsimiles, the concordance, and the critical edition. However, a published book is a physical object, a bound codex, a text that has taken on a definite form. A digital edition is a virtual object, presented in a software package, in which a text can take on multiple forms. Printing a scholarly edition of an author’s writing requires that the editor settle on a specific way of presenting the text. A digital edition, on the other hand, permits multiple ways of presenting and manipulating the transcription of the text and so opens up new ways of reading and exploring them. While both print and digital editing involve transcription, digital editing requires additional decision-making: When one is transcribing for a traditional edition, the choices are bounded by the characters available in the printer’s fount; furthermore, the end of the transcription is its printing and not its distribution in electronic form. But one can expect a computer-readable transcription to be searched, analyzed, and edited in ways not possible with a printed transcription.16
The distinction between the database containing the machine-readable transcriptions on the one hand, the edited versions of that material presented by the Bergen Electronic Edition on the other, and other possible realizations of the machinereadable database may appear to be a minor point of electronic editorial philology, an arcane technical distinction. But this is a difference that marks a crucial difference between print editing and electronic editing. For those machine-level transcriptions have already served as the basis for other presentations of those texts, both in the server-based Intelex edition of the Bergen Electronic Edition and the open-access web-based Discovery project currently under development. Furthermore, that distinction between the transcription, usually recorded in computer code, and the resultant editions, prepared for the ordinary reader, is essential for an appreciation of the extent of the differences between digital and print publishing. Digital publishing not only opens up the possibility of new ways of working with texts, but the software that provides access to a digital text can also prevent one from doing things that we take for granted with books, such as making copies.17 Furthermore, while the editor’s work is done when a traditional
that order. See Wittgenstein 1993, pp. 480–510, with an addendum in Wittgenstein 2003. 16 Robinson 1997, p. 150. 17 For further discussion, see Pichler 2002, II; Hrachovec 2000.
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scholarly text is published, an electronic text, like any other software, must constantly keep up with emerging standards or rapidly become obsolete. 18 The Bergen Electronic Edition is an extraordinary editorial achievement. It provides researchers and editors with unprecedented access to Wittgenstein’s unpublished writing as a whole. It is a landmark contribution to editing in the humanities, both as a state of the art scholarly edition of the papers of a major figure in the history of philosophy, and as one of the first generation of digital editions of the collected work of a canonical author. It will also be of considerable interest to anyone attending to the problems involved in producing a digital edition of a large and complex Nachlass. The Bergen edition is not a replacement for the published texts; its principal use will be as a resource enabling editors and researchers to work on the sources of those texts. For instance, it is extremely unlikely that a project such as the editing of the Kringel-Buch, or for that matter, any of the publications from the Wittgenstein Nachlass in the current century, could have been produced without the prior work done by the Bergen Electronic Edition. In this way, by facilitating new editions and new interpretations of Wittgenstein’s work, its impact on our understanding of his philosophy will extend beyond the narrow circle of experts who currently make use of it. Indeed, digital research on Wittgenstein has flourished in recent years. Crucially, the Bergen Archives have not only developed and disseminated a variety of digital editions of Wittgenstein’s papers, but have also provided research facilities and fellowships, and pursued a variety of collaborative enterprises with other organizations, that have enabled a steady stream of researchers to visit the archive and create an informal international network of Wittgenstein Nachlass researchers. As one observer has put it, there is “a vibrant research community dedicated to the exposition and criticism of Wittgenstein’s work, including the vast Nachlass.”19
18 Alois Pichler, who took over the leadership of the Bergen Wittgenstein Archive just as the Bergen Electronic Edition was published, has done precisely what was needed to ensure that the work of the Archive remains not only relevant but also innovative. For further information, see http://wab.aksis.uib.no/wab_discovery.page and http://www.discovery-project.eu/. For examples of the various display formats, including interactive editions of Wittgenstein manuscripts see http://www.wittgensteinsource.org/ See also the brief HyperWittgenstein project description at http://wab.aksis.uib.no/wab_hw.page/. For further discussion, see Hrachovec 2000, 2005; McEwen 2005; Pichler 2002, 2006. Another promising development is the publication of the Innsbruck electronic edition of Wittgenstein’s correspondence (Wittgenstein 2004), which includes hyperlinks to a substantial and informative commentary, biographical information about people, places and literature mentioned in the letters, and a timeline of Wittgenstein’s activities. 19 Martin 2008, p. 1. For instance, between January 2002 and August 2004, 32 research projects, involving over a thousand days of on-site research, were carried out at the Bergen Wittgenstein Archives, addressing issues in Wittgenstein studies, philosophy, scholarly electronic publishing
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In view of the extent to which a trail of revised and rearranged remarks connects every stage of Wittgenstein’s writing, one might well argue that the Nachlass as a whole should really be regarded as a single work. The Bergen Electronic Edition does facilitate the exploration of these – and other – processes of rewriting connecting the various stages of revision, compilation, reorganization, selection, and rearrangement that are characteristic of his writing. However, there are no hyperlinks connecting earlier and later drafts, and there are no tags that would facilitate a systematic search. In practice, it is rarely difficult to find earlier or later drafts of a given passage, as one just has to use the main search window to look for a few of the less common phrases in the remark in question.20 Nevertheless, it is unfortunate that none of this information was built into the Bergen Electronic Edition, and given the proprietary nature of the software, there is no facility for an individual researcher to add it in. The basic unit in Wittgenstein’s process of revision is the remark, a passage that may be as short as a single sentence, or as long as a sequence of paragraphs stretching over several pages. Typically, remarks are separate from one another by a blank line, and are usually numbered sequentially in the more polished typescripts – each numbered section in Part I of the Philosophical Investigations is a remark. Unfortunately, there is no systematic way of tracking or searching for remarks in the Bergen Electronic Edition. Line breaks are not shown. Nor is it possible to search for remarks or blank lines between paragraphs. Coding for blank lines was included in MECS, the Bergen transcription protocol, but due to problems with the automated conversion process used to move the MECS data into the Folio Views format, that information was not included.21 Wittgenstein often put marginal marks, or sigla, in the margin at the beginning of a remark. It is usually taken for granted that these indicate plans for revision or reorganization, but as he never provided a key, their meaning has to be a matter of inference. While the sigla are included in the diplomatic transcription (but not the normalized one), they do not show up in a search, and the
and text encoding. There has been a great deal of work on the Nachlass materials, much of it not yet published, or only available in the form of theses and dissertations. 20 Readers wishing to explore the systematic links between the Philosophical Investigations and its sources, or the complex process of revision that leads from the manuscript notebooks from 1929-1932 to the various typescripts based on them, will find a great deal of invaluable guidance in the previous literature on the topic. For lists of references connecting different stages of revision, see: Maury 1981, 1994; Wittgenstein 1994-, index volumes; Wittgenstein 2001, appendix. 21 Line breaks and the beginning of remarks will be shown in the improved diplomatic and normalized editions of the Wittgenstein Nachlass in the next-generation Discovery website. For further information, see above, n. 8.
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transcription can be inconsistent. Thus there is no systematic way of looking at Wittgenstein’s use of sigla, short of manually reviewing the 20,000 or so pages of manuscripts and typescripts in the Nachlass. Furthermore, in the absence of any key or other explanation of these marks in Wittgenstein’s own words, we cannot rule out the possibility that Wittgenstein used the same marks for different purposes in different manuscripts, or at different stages of revision. There is some consensus about the overall interpretation of a few of the most common signs. Examples include “S” for “Schlecht,” (bad) a “/” for manuscript remarks to be transcribed in a typescript of selections from that manuscript, and wavy lines in the margin as a way of indicating his dissatisfaction with the wording (the latter is also used under particular words for the same reason). However, such construals are at best reasonably well-established hypotheses. In some cases, such as those where one can look at each paragraph marked with a given sign and observe that all and only those remarks have been typed up in a later manuscript, the evidence that the sign was used in constructing the typescript, or later used to compare it with its source, is indeed very strong. There has been very little explicit discussion of Wittgenstein’s use of sigla and other related editorial techniques in his manuscripts.22 According to Michael Nedo, “Wittgenstein’s marginal marks, which in general relate to the relevant remark in toto, present both a form of commentary and indications for further use in revision.”23 However, as far as I know he does not provide further guidance in construing those remarks. The only extended discussion of this issue in print is by Josef Rothhaupt. 24 Long ago, he observed that even in the cases that seem most straightforward, the evidence for the usual reading is not without its problems. For instance, there is an “S” in front of the first manuscript record of the Nestroy passage that became the motto to the Philosophical Investigations. Clearly, this shows that we cannot take an “S” as a sign that Wittgenstein had given up on using a remark, or had decided that it was plain “bad.”25 Perhaps it meant only that he wasn‘t entirely happy with it, or that he was planning to have some of the remarks typed up and didn‘t want to include the remarks marked “S”. In the case of some of the more elaborate sigla, it is far from clear whether the differences between certain inscriptions are merely orthographic, or should be taken as distinguishing different sigla, let alone how the various sigla interact
22 Some rare exceptions to this rule are the brief but helpful remarks in Schulte 1993, pp. 6–7, Pichler 1994, 2.2, and the preface to the Big Typescript (Wittgenstein 2005, x). See also Paul 2007. 23 Wittgenstein 1993a, p. 100. 24 Rothhaupt 1996, pp. 327–339; 2008. 25 Rothhaupt 1996, p. 329.
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when several are written on top of one another. Given that we can only infer the meaning of Wittgenstein’s sigla on the basis of our observation of his use of them, the question of how to identify or reidentify a siglum—which marks count as the same siglum—becomes pressing, especially when we consider how difficult it is to construe the multiple marks scribbled in the relatively small space available on the far left hand side of the page immediately before the beginning of a remark. A number of the concerns that I have already raised in a general way concerning the interpretation of Wittgenstein’s sigla are particularly relevant when we consider that Rothhaupt’s edition of the Kringel-Buch is premised on his identification of a “Kringel” – a circular siglum, or round squiggle – as indicating Wittgenstein’s selection of remarks for a book, complete with motto and preface. For we have no explicit record of Wittgenstein’s intentions in placing this mark in front of the passages in question.26 Matters are actually considerably less clearcut than the wording in the previous sentence suggests: we do not even know that Wittgenstein thought of himself as placing a circle in front of these remarks, rather than placing a number of different signs in front of them: a pure circle in front of a few remarks, a circle-with-a-slash-through-it (or the sign for the empty set) in front of many more remarks, a circle-with-a-star-on-top-of-it in front of other remarks (or should that be a crossed-out circle-with-a-slash-through-it?) and so on. To put the problem in another idiom, we have no way of knowing which signs are atomic, which are molecular, let alone the logic of their combination. Indeed, maybe the slash (which is actually a part of most of the sigla in question) cancels the effect of the circle siglum. Maybe the circle was used to indicate material that Wittgenstein had decided that he would not use for his book. Maybe the circle had no unitary significance for Wittgenstein. While none of these hypotheses seem particularly plausible, my point is only that Rothhaupt’s hypothesis loses much of its plausibility and attractiveness once we consider how slender the evidence is for such an ambitious construal, and how difficult it is to rule out the alternatives, given how little we know.27 We do not have a typescript or manuscript of Wittgenstein’s in which those remarks are gathered together or revised and rearranged, as we do in the case of a number of Wittgenstein’s book-related writing projects. Even if we do ultimately agree that the use of the circular sign was intended to indicate an interesting or promising group of remarks, this is a very long way from showing that Wittgen-
26 We do, of course, have a number of discussions of “my book”, but we also have a number of other candidates for the book that Wittgenstein might have had in mind at the time. 27 Here, and in what follows, I draw heavily on the paper presented by Stefan Majetschak at the Kringel-Buch conference.
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stein conceived of that group as material for a book. Nor do we have any clear evidence as to the date when any of these sigla were added to the text. In principle, this could have been done any time after they were first written down. Rothhaupt’s hypothesis is that this was done around or shortly after the time the first 223 were composed; the preliminary version of his editing project, produced in 2008, is limited to just these remarks. It seems odd that five years later Wittgenstein should have decided to add another dozen or so remarks to this group, and again, we have no evidence that he conceived of these later remarks as part of the same group. The first four chapters of the Kringel-Buch are a fascinating collection of some of Wittgenstein’s most interesting work, from a crucial transitional period in the development of his thought. The two years from the end of 1929 to the end of 1931 are the years that immediately follow his rejection of phenomenological language as his goal and his turn to ordinary language. They are years of rapid change, and also the years during which he began to write the Philosophical Investigations, although only a very small fraction of that book had been written the end of 1931. Indeed, perhaps what is most striking about the Kringel-Buch if one compares it with the Philosophical Investigations is that it is more explicit and direct in its discussion of a range of topics that Wittgenstein usually only approaches briefly or indirectly: philosophical methods, understanding the culture of our times and our understanding of other cultures, and the nature of experience, among others. There is also much more discussion of other authors. If pressed to say what all these remarks have in common, my first answer would have to be that they may not have anything in common; it may be that there is no one reason why Wittgenstein placed this mark, among others, in front of just these remarks. But if forced to hazard a guess, my best guess would be that what unites all these remarks is precisely that Wittgenstein did not want to make use of them in the book he was writing. Perhaps they were remarks he was considering using and then decided that they were too blunt, too striking, or insufficiently dialogical. We need to think very carefully about why we find so attractive remarks that Wittgenstein ultimately found unsatisfying. As James Klagge and Alfred Nordmann point out in the preface to their collection of publications from the Wittgenstein Nachlass: One of the reasons we scholars want to read the Nachlass is that we are very content with Wittgenstein’s formulations – happy to read and quote them. The formulations seem perfectly adequate for our purposes. Indeed, when Wittgenstein is least satisfied we tend to be most satisfied, because he is least satisfied when he falls into the idiom that we find most familiar and understandable, and that he does not want to buy into.28
28 Wittgenstein 1993, p. ix, n. 4.
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In other words, it may very well be the very attractiveness of so many of the remarks in the Kringel-Buch that helps to explain why Wittgenstein decided to leave them unpublished. The review in the Times Literary Supplement of Wittgenstein’s Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief, the book Edwin Morgan quotes from in our opening poem, begins as follows: When so important a philosopher as Ludwig Wittgenstein leaves the greater portion of his written and spoken work unpublished the temptation is strong to reclaim the work for the reading public.29
The anonymous reviewer perceptively describes the project of reclaiming Wittgenstein’s unpublished work as a temptation, presumably because it is not only attractive, but also dangerous. The danger lies in the very aspects of the project that are highlighted by Morgan’s poem: it is always nice to read a new book by Wittgenstein, but we would do well to keep in mind the complex editorial processes that are involved in producing a new book by a dead author.
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29 Times Literary Supplement #3375, November 3, 1966, p. 1006; review of Wittgenstein 1966.
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The Genius, the Businessman, the Sceptic : Three Phases in Wittgenstein’s Views on Publishing and on Philosophy 1 Introduction I will tell a story of three Wittgensteins. The first is the Wittgenstein from early 20th century, high culture Vienna who claimed genius. The second is the Wittgenstein from the industrialist, progressive, liberal house of his father who wanted to use the power of argument to solve problems, correct and liberate himself and educate others. The third is the Wittgenstein of endless searching for a self and a community beyond the confines of his present age. I will work out my story from the perspective provided by the question: Why did Wittgenstein publish so little? The main thesis I shall pursue is that Wittgenstein’s changing views on publishing support the notion that after the mid 1930s Wittgenstein’s conception of the methods, aims, and worth of philosophy undergoes a shift from a grammatical or therapeutic to a more conversational and sceptical one. To make my case I will exaggerate the distinctness of the three phases. This is helpful, it seems to me, when we address the difficulty of receiving Wittgenstein and, in particular, his challenge to the dominating, progressive and scientistic views of the dialectics of enlightenment in our times.1
2 Three levels of challenge in relating to Wittgenstein How can we find access to Wittgenstein’s philosopyh? Through the texts that he published? Through the texts that he did not publish? Through texts written by him as edited and published by others in his name? Through texts about his texts?
1 By a “progressive and scientistic view of the dialectics of enlightenment” I mean, by a first approximation, that it is natural and legitimate to assume that advances in science have, typically, an intrinsic, benign, emancipatory power, that progress in science plays an important role in cultural and social change and that the effects of the progress of science in society and culture are, on the whole, benign. Cf. Habermas 1973. Habermas 1985. Horkheimer / Adorno 1969. von Wright 1993.
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Through all of that and by also engaging with what we know about his life, as per objective facts, as known through his texts, including diaries and letters, and as known and seen and reported by others? The question of the priority order and the balance between all of these is in the case of Wittgenstein unusually complex and controversial. If we look only at texts the challenge of relating to Wittgenstein is complicated by the obscure nature of the sources and their authority. The only text we have that is uncontroversially a philosophical work by Wittgenstein is the Tractatus.2 Wittgenstein’s unpublished writings, his so called Nachlass, as available in the so called Bergen edition3 complemented by the letters4, is an amorphous material and difficult to navigate in. Further difficulties are due to the fact that excepting the Tractatus all philosophical books that have appeared in Wittgenstein’s name are compiled by editors, whose role in shaping Wittgenstein is huge but remains opaque. The question of the authenticity and authority of the texts as means for relating to Wittgenstein constitutes what we may call the first level of problems concerning the availability of Wittgenstein’s philosophy.5 The second level of problems is defined by the standard question of what to make out of the texts once we have assumed certain parameters about the kind of authority the sources have for us. Recent scholarship has made it evident that addressing level one is essential for discussion at level two.6 But there is, in Wittgenstein’s case, a third level of problems that further complicates the question of how we can best access his achievement. It has been suggested that among contemporary philosophers Wittgenstein in a unique way embodied a unity of philosophy and life of the kind that was expected and aimed at in ancient philosophy.7 To the extent that this is true the question of how we relate to Wittgenstein obliges us to consider how his life and his philosophical work, including both his work as a teacher of philosophy and his work and accomplishment as a writer, are interrelated.8 (The very idea that the distinction that I just now assumed, between philosophical activity that takes
2 Wittgenstein: Tractatus Logico-Philosophicus, 1961. 3 Wittgenstein: The Bergen Electronic Edition, 2000. 4 Wittgenstein: Letters, Lectures, 1992. 5 Von Wright has provided the foundations for the study of these problems. The most important items are included in von Wright 1982. 6 Cf. e.g. Pichler 2004; Pichler 2007; Schulte 2010; Schulte 2006; Schulte 2002; Schulte 1993; Rothhaupt 2008; Stern 1996; Stern 2004; Venturinha 2010. 7 James Conant, talk given at the University of Helsinki, November 22nd, 2011. 8 See e. g. Sluga 1996, Introduction; Klagge 2011; Klagge 2001; McGuinness 1988; Monk 1990.
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the form of writing and teaching philosophy and the “rest of life” can be taken for granted in discussion of Wittgenstein is itself one that we would do well to leave open to further questioning as we go on.) It is in the troubled terrain where we try to understand how work and life meet in the case of Wittgenstein that the question of why and how Wittgenstein published and did not publish seems to me worth asking. The standard academic reader is at this point likely to lose patience. Philosophy, she may say, is about arguments, so let us look at them and leave the rest to the psychologists and journalists. That is fine as long as we acknowledge that we then have already without argument taken a controversial stand on two questions. First, on the question of the relation between understanding arguments and understanding human life.9 Second, on the more specific question what kind of difficulties Wittgenstein had in mind when he said it would be almost impossible for most of his contemporaries to understand his work.10
3 Some facts and conjectures Let us now record the objective facts about what Wittgenstein published and also take note of some key documentation and testimonies of his plans and thoughts about publishing. During his lifetime Wittgenstein published a total of five pieces of his own writing. In 1912 a short book-review was published in The Cambridge Review. His early classic, the Tractatus Logico-Philosophicus was first published in German in 1921. (It appeared in a second edition, with the English translation, in 1922.) The Wörterbuch für Volksschulen was published in 1926. “Some Remarks on Logical Form” appeared in Proceedings of the Aristotelian Society in 1929. In 1933 Mind published a letter to the editor by Wittgenstein. So, Tractatus is the only philosophical book Wittgenstein authorized for publication and it is also the only major work by him published during his life-
9 Arguably, Wittgenstein thought that the concepts of will and argument are intrinsically related. That may explain why he wrote passages like this. “Work on oneself – like work in architecture in many respects – is really more work on oneself. On one’s own conception. On how one sees things. (And what one expects of them.)” Quoted from von Wright 1998, p. 24. See also ch. 7 in Wallgren 2006. 10 See e.g. von Wright 1998, p. 9. Klagge has made a compilation of remarks by Wittgenstein on the difficulty others will have to understand him in Klagge 2011, p. 5. See also Conant’s incisive reflections on Wittgenstein’s use of the phrase “understand me” not “understand the work” in Tractatus 6.54, in Conant 2002.
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time. The other philosophical publications are from 1912, 1929 and 1933. All are of minor importance philosophically as Wittgenstein and his interpreters agree. We know also that questions about whether, what and how to publish often preoccupied Wittgenstein from 1929 and onwards. Let us record some of the facts and some well-known reports and conjectures made by scholars. Von Wright once wrote that in 1929–32 Wittgenstein produced two “virtually completed works” that he did not publish.11 In 1933 Wittgenstein produced a long typescript that is book-like in form, with chapter headings and, arguably, a linear form of presentation that proceeds topically. This is known as the “Big Typescript.”12 In the academic year 1933–1934 Wittgenstein had copies made of some lectures that he dictated for a select audience of a few students. These dictations were copied and circulated in a limited way, with Wittgenstein’s consent. They are known as the Blue Book.13 In the next academic year Wittgenstein dictated what has been called the Brown Book to two students. Three copies of the Brown Book existed and Wittgenstein gave it to colleagues to read.14 From the early 1930s, especially from 1933, there are also several further short typescripts described as “essays” in the von Wright catalogue of the Wittgenstein Nachlass.15 Wittgenstein is known to have said that he considered his lecturing as a form of publication.16 As a Cambridge university teacher Wittgenstein gave lecture courses during at least 44 terms. He mostly lectured two hours twice a week. Between 1930 and 1949 he also gave at least 11 further lectures or introductory talks to academic audiences. Most of the latter were given in the meetings of the Cambridge Moral Science Club.17 In the early 1930s Wittgenstein thought of himself as engaged in collaborative work preparing two separate books for publication, one with Friedrich Waismann who was in Vienna and the other with Francis Skinner, in England.18
11 von Wright 1982, p. 26. 12 Wittgenstein: Big Typescript, 2005. See also von Wright 1982, p. 47, 55 and Klagge 2003, p. 158. 13 Rhees, Rush. 1984. Vorbemerkung des Herausgebers. In: Wittgenstein, Ludwig: Das Blaue Buch, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1970, pp. 9–14. Cf. Monk 1990, p. 336. 14 Rhees 1984, p. 9. 15 von Wright 1982, p. 47. 16 Malcolm 1984, p. 48; Klagge / Nordmann 2003, p. 331. 17 Klagge / Nordmann 2003, p. 331–361. 18 McGuinness, B.F.: ‘Vorwort des Herausgebers’. In: Wittgenstein und der Wiener Kreis. Edited by B.F. McGuinness. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984, pp. 11–31. Monk 1990, p. 340. Schulte, Joachim: ‘Einleitung’. In: Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition. Edited by Joachim Schulte. Frankfurt am Main: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2001, p. 15.
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In 1938 Wittgenstein offered a book manuscript to a publisher and the publisher expressed willingness to publish it. Wittgenstein did not pursue publication then. But in September 1943 he contacted the publisher again. Again the publisher, the Cambridge University Press, promptly offered Wittgenstein a contract. The offer was made in January 1944.19 Once more, Wittgenstein failed to deliver a manuscript to the publisher to print. There are at least three written records of Wittgenstein’s attitude to posthumous publication. In February 1938 he gave to Trinity College the publication rights in the event of his death to a number of manuscripts and typescripts that he deposited there. The deposit was withdrawn in 1944.20 In his will Wittgenstein appointed three literary executors to publish as many of his unpublished manuscripts “as they think fit.”21 We now also know that Wittgenstein had written in 1932 that in the event of his death the “notes” for his “book” “should be published as fragments under the title ‘Philosophical Remarks.’”22 From at least 1938 onwards up to his last year Wittgenstein at times referred in discussion with friends, in his correspondence and in his manuscripts to something he called his book and he often entertained the idea of publishing it.23 In addition, as Josef Rothhaupt argues with great care in his contribution to this volume, we must consider the possibility that the various symbols that appear in the margins of Wittgenstein’s Nachlass are marks that Wittgenstein used as a tool when he considered various ways of, possibly, producing books out of the material he had written and compiled. These marginal symbols may then be seen as potential keys to a detailed study of various notions Wittgenstein at different times entertained of publishing, and more generally, of philosophical communication.24 Finally, it appears that the three original literary executors appointed by Wittgenstein had no doubt that publishing at least the Philosophical Investigations
19 von Wright 1982, p. 120. 20 Ibid., p. 120. 21 Klagge 2011, p. 156. 22 Monk 1990, p. 332. 23 Occasionally he refers to the book as one consisting of more than one volume. The issue of volumes, and the related question about how the published part II of the Philosophical Investigations and the (so called) manuscripts on the philosophy of mathematics relate to what Wittgenstein thought of as his “book” need not occupy us here. 24 See also the comments on Wittgenstein’s ways of working on his material in Luckhardt’s and Aue’s introduction to the version of Wittgenstein’s Big Typescript edited by them. Wittgenstein, Ludwig: The Big Typescript: TS 213. German-English Scholars’ edition. Edited by Luckhardt, C. Grant and Aue, Maximilian A.E. Malden: Blackwell Publishing, 2005.
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was in keeping with what Wittgenstein wished for. It is a subject of some controversy what the correspondence is between what was published as Philosophical Investigations in 1953 and the “book” Wittgenstein referred to in his later years. The consensus is, however, that the first part of the Philosophical Investigations is by far the closest to a complete work authorised by Wittgenstein that we can find in his Nachlass.25 There has, as far as I know, been no criticism of the decision taken by the literary executors to publish at least this first part of the Philosophical Investigations, more or less in its present form. We can therefore with reasonable safety assume that although Wittgenstein’s will alone seems to leave it open to the executors not to publish anything at all out of the Nachlass, Wittgenstein was not neutral towards the publication of Philosophical Investigations, part I, but wanted it to be published. What should we make of these facts and conjectures? – It has often been taken for granted that we get the correct perspective on Wittgenstein’s life and work if we assume that with the exception of his time of withdrawal from philosophy in roughly 1920–1928 Wittgenstein wrote with the intention of publishing books.26 To take one example, much of the narrative in Ray Monk’s biography revolves around the notion that in his later years Wittgenstein worked on a book that he wanted to complete and publish.27 When this perspective is assumed the fact that Wittgenstein published little is usually accounted for primarily in terms of the difficulties he had with finishing his work, or works. The overall upshot of most discussion is then that it was Wittgenstein’s exacting demands on himself – his desire to perfect his work before publishing it – that stood in the way of publishing.28
25 Von Wright 1982, p. 136; Stern 2004, p. 2; Pichler 2004, ch. 2.2.; Venturinha 2010, p. 143–156. 26 The idea that Wittgenstein withdrew from philosophy around 1921 and returned around 1929 is an ingrained fiction. Given what we know today about Wittgenstein’s conversations with Ramsey, Schlick and others during this time the notion is problematic but not in a way that is important to my present concerns. See McGuinness 1984 pp. 11–31; 1988; Monk 1990; von Wright 1982, p. 25. 27 Monk 1990, see e.g. 470 and 476. See also for instance Pichler 2004, p. 47. There is evidence that speak in favour of this perspective. Most prominent is the fact that Wittgenstein on several occasions explained to others his considerations and decisions about where to live in terms of what decision would best serve his desire to complete his book. But it is easy to overstate one’s case. If we assume that work towards publishing is natural to philosophers then that kind of work will also seem to be the natural thing for Wittgenstein to do. And then we will be inclined to emphasise occasions that fit this perspective and to overlook others on which Wittgenstein’s considerations and actual decisions seem motivated by quite different concerns. 28 For a refreshing exception, see Hintikka 2000. Hintikka proposes that Wittgenstein was unable to publish because of a psychological dysfunction.
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I call this the received view. The two ideas that constitute the received view – the idea that Wittgenstein worked with a view towards publishing and that the scarcity of publications is to be accounted for on contingent psychological terms which have little relevance for our interpretation of his texts – seem to me to stand in the way of taking seriously the philosophical reasons there might have been for Wittgenstein’s not publishing.
4 T hree phases in Wittgenstein’s views on publishing Let us now consider the proposition that we have grounds to distinguish between three phases in Wittgenstein’s views on publishing and that these correspond to three phases in the evolution of his conception of philosophy. The first phase is that of young Wittgenstein, the author of his only published major work, the Tractatus Logico-Philosophicus. A common perspective on this phase, especially among scholars with a background in analytical philosophy, has been that when Wittgenstein first came to philosophy in 1911 his conception of philosophy was shaped on terms that were without much sense of difficulty compatible with terms Frege and Russell could have agreed with. The idea we then get is of a young philosopher who gets from his teachers problems to solve, solves them and is then eager to publish his results. Much can be said in support of this idea. The letters to Russell from this time are one key source. Already on 22nd May 1915 Wittgenstein writes to Russell: “If I don’t live to see the end of this war ... you must get my manuscript printed whether anyone understands it or not.”29 On 13th March 1919 Wittgenstein writes: “I finished the book in August 1918 ... I will publish it as soon as I get home.”30 And on 28th November 1921 he writes to Russell: “I must admit that I am pleased that my stuff is going to be printed.”31 If this were all there were to say about young Wittgenstein the story of his publishing record would come with no challenge to contemporary routine expectations about the relation between academic philosophical work, moral and existential issues and publishing. But many scholars have had a sense that something more needs to be said. We owe to Ray Monk a moving and forceful complemen-
29 von Wright 1974, p. 62. 30 Ibid., p. 68. 31 Ibid., p. 97.
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tary story. Monk tries to show that for Wittgenstein a lot more went into the Tractatus than solving Frege’s and Russell’s problems. Monk tells us that Wittgenstein was before the war deeply shaped by two ambitions. One was a relentless search for authentic self-realisation, the other was the conviction, strange to most people today, but not uncommon in Viennese high culture at the time and personified for Wittgenstein by Otto Weininger, that it is the task, perhaps the duty, of man to pursue genius. Monk’s key proposition is that young Wittgenstein thought that he could satisfy both these desires in his philosophy. Monk’s narrative is forceful and compatible with the evidence, witness and interpretation that we have in other key sources. The most vivid evidence we have of Wittgenstein’s desire to prove his worth, even redeem his life, by proving himself as a philosophical genius is due to Russell.32 Russell would not understate the sense of drama. But other sources, including von Wright’s biographical sketch, the reconstruction by Janik and Toulmin, and by McGuinness, of the cultural milieu in which Wittgenstein grew up and also e.g. the letters that inform us about the curious fact that G. E. Moore in 1914 travelled to Norway to take dictations from Wittgenstein supports Russell’s testimony and Monk’s narrative.33 Monk’s story and the story we first presented of Wittgenstein as a conventional problem-solving academic philosopher are easily compatible in the following way. Before the war Wittgenstein’s work in philosophy was given its tools and much of its direction by Russell and Frege. Wittgenstein accepted their idea that in the philosophy of logic we deal with the deepest and most pressing problems of philosophy. But from very early on Wittgenstein had a sense of the unity of logic with ethics. His notion that there is an intrinsic connection between moral and spiritual questions with the problems in logic and semantics that had been defined for Wittgenstein by Frege and Russell has little parallel in the works of the latter. Possibly, the unity was at first just the external unity of Wittgenstein’s Viennese ambition – captured so aptly in Monk’s phrase “the duty of genius” – with the theoretical ambition to solve Frege’s and Russell’s problems. We know, however, that even if the unity was in this sense contingent at first, this changed during the war. At a time when Wittgenstein confronted acute danger at the front he also, famously, read and re-read Tolstoy’s Gospel in Brief. This is also the time when the remarks about ethics and the mystical become an integral part of the manuscript
32 Russell, Bertrand 1975, p. 282, 329. 33 Malcolm 1984; McGuinness 1988; Janik / Toulmin 1996. See also: Wittgenstein, Ludwig: Notebooks 1914–1916. Edited by G. H. von Wright and G. E. M. Anscombe. Oxford: Basil Blackwell, 1979. For Moore’s visit to Norway, see von Wright 1974 p. 28–29 and Monk 1990, p. 101.
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for the Tractatus.34 But did Wittgenstein’s discovery, as he saw things, of the unity of ethics and logic, affect his views on publishing? The issue is complex. When the war ended the manuscript for the Tractatus was complete35 and Wittgenstein pursued publication with great vigour. One aspect that brings out his views of publishing at this time was the choice of publisher. Wittgenstein first offered his work to the publishers of the writers whose work he respected most: Otto Weininger, Karl Kraus and Gottlob Frege. He also insisted on meticulous care in the production process. When publishing met with difficulties Wittgenstein was greatly troubled by the prospect that publication would be a financial burden to the publisher36, but he did not give up the prospect. It was at this point that Wittgenstein invited an Introduction by Russell thinking, realistically, that it would help get his book out. Soon after this, however, Wittgenstein rejected the Introduction by Bertrand Russell because he was convinced that Russell’s essay did not do his work justice and that Russell had not understood it.37 The disappointment brought by Russell’s failure to understand the Tractatus was a shock to Wittgenstein. It must be seen in the light of the fact that Frege’s reaction to the Tractatus in letters that antedate Russell’s Introduction had also been cool.38 The reactions of Frege and Russell, the two persons whose judgement probably mattered most to him, undermined Wittgenstein’s confidence that publishing his book would make much sense. He had never sought a wide readership, but now he had suffered a complete loss of audience before the book was even printed. The fact that no-one in philosophy, not even Frege and Russell, seemed to share or even comprehend Wittgenstein’s basic ideas, including his vision of the unity of logic and ethics, created a sense of solitude and despondency. Even if his philosophy was right, and even if it was a work of genius, it did not seem to make sense to the world of philosophers. So, the genius who thought he had proved himself and who thought that it is natural and right that his book would be published was, by the time the Tractatus appeared, already quite cut off from a life in which the publication of philosophical books mattered much. As these things happen Wittgenstein’s views on publishing are affected by other events and developments as well. In the years after the war Wittgenstein’s concerns and priorities in life seem to be in the state of flux. Problems in his family
34 von Wright / Anscombe 1979; Kremer 2001, p. 39–73; Monk 1990, 115; Russell 1975, 331. Russell, Bertrand: Letter to Lady Ottoline 20.12.1919 in von Wright 1974. p. 82. 35 Monk 1990, p. 156; von Wright 1982, p. 22. 36 Monk 1990, p. 174. 37 Monk 1990, ch. 8, passim. Letter from Wittgenstein to Russell 6.5.1920 in von Wright 1974, p. 87. 38 Monk 1990, p. 163, p. 174.
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relations appear to trouble Wittgenstein more now than before and in his existential search other issues than proving his worth in philosophy become vital. This is the time when Wittgenstein gives up his wealth, works as a gardener, considers becoming a monk and trains as a teacher. In this time of restless self-search the fate of his philosophical work recedes in the background. It is in this context, in a letter to Russell dated 7th July 1920, that Wittgenstein for the first times abandons his own effort to get his work printed.39 Thus, when the book finally is in print Wittgenstein is relieved, but not particularly excited, as shown by the above quote from the 28th November 1921 letter to Russell. To sum up, the picture provided by Monk seems right so far. According to it the Wittgenstein who wrote the Tractatus and was at pains to get it published was a man who had invested his life in his search for philosophical genius and who thought that with his book he had accomplished what his existential duty demanded. It is true that in 1918 to 1921 we can notice a growing sense of frustration in Wittgenstein’s search for an outlet that would be satisfactory and a sense of fatigue with the whole project. But this can be accounted for, it seems, in terms of the sense of loss of audience and changing personal priorities. Indeed, it is in keeping with this picture that Wittgenstein would have thought, around 1920, that it did not matter much when his work is published, but that he would still have regarded publication a natural thing. If this would be all there is to say, then we could conclude that in this phase of Wittgenstein’s career there was nothing intrinsic to his philosophical views that stood in the way of publishing. There is, however, some evidence that does not fit the picture we have so far provided. This evidence is important to us because it is telling of a kind of concern that, arguably, much later rises to the foreground in Wittgenstein’s views on publishing. The most important source is the Preface to the Tractatus. Wittgenstein writes: If this work has any value, it consists in two things: the first is that thoughts are expressed in it, and on this score the better the thoughts are expressed [...] the greater will be its value. Here I am conscious of having fallen a long way short of what is possible. [...] On the other hand the truth of the thoughts that are here set forth seems to me unassailable and definitive [...]. if I am not mistaken in this belief then the second thing in which the value of this work consists is that it shows how little is achieved when these problems are solved.40
The rhetoric is memorable. It derives some of its force from the unabashed claim to genius (and for later day readers, from the fact that Wittgenstein got away with the claim). Nevertheless, the cutting edge comes from the character of the self-
39 von Wright 1974, p. 89. 40 Wittgenstein 1961, p. 3.
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doubt. The doubt is not about the author’s own achievement in philosophy, it is about the worth of philosophy as such. The author of the Tractatus is not ambivalent about the importance of publishing this work of philosophy. He is ambivalent about publishing any work of philosophy. It seems to me that the ambivalence does not, for quite some time, cut through Wittgenstein’s personal, moral convictions in the practical sense of shaping his existential struggle. Wittgenstein remains, up to roughly 1920, committed to what Monk describes as the duty of genius. But we can see, I believe, between 1918 and 1921 an increasing separation of this sense of personal duty from his notion of the worth and point of publishing philosophy. In reflection on these issues the question how one relates to and how much one values modern academic institutions, routines and norms plays a role. The Preface to the Tractatus makes evident that its author had not acquired a stable, conventional academic identity. Academic conventions and standards of publishing are referred to in the Preface, but only to state the author’s indifference to them, in particular to any concern about the originality or sources of his ideas.41 It is not only academic conventions that seem suspect to the author of the Preface of the Tractatus. It is the whole idea that publication of the results of philosophical work, even the best of philosophical work, whether academic or not, is a worthwhile thing to do that he looks at with a suspicion that was not shared by any of his early mentors, Russell, Moore or Frege. The lesson to be drawn here is this: Wittgenstein perhaps never bought into the idea that philosophy is a progressive or in some other sense valuable part of culture such that we may safely assume that publishing one’s philosophical work is under usual circumstance natural and legitimate.42 In the end, it seems then, that it is Wittgenstein’s sense of a personal moral duty of genius – coupled perhaps with the personal vanity and ambition one might expect of a young man from his time, place and background –, more than any sense that publishing philosophical work is as such worth one’s while, that brought Wittgenstein to publish the Tractatus.
41 Any modern philosopher’s views of why, how and how much to publish will certainly be affected by our personal stance on these matters. We see here one aspect of how the unity of philosophy and life is a unity in the life of all philosophers. For some discussion of Wittgenstein’s relevance for the question of how to relate philosophy to academic institutions, see Cavell, Stanley: Statement ‘On Wittgenstein’. In: Philosophical Investigations 24, 2001, pp. 89–96. 42 Max Weber’s “Wissenschaft als Beruf” may be the most definite articulation we have of the idea that an individual can find his/her worth by serving the progress of modern science. Weber delivered his address just a few months after Wittgenstein had completed the Tractatus. Dahrendorf 1992, p. 85.
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During most of the 1920s Wittgenstein did not work intensely on philosophical problems and hence our question – Wittgenstein’s views on publishing philosophy – was not then much of a concern to him. Wittgenstein returned to Cambridge in January 1929 and he died there on April 29th, 1951. During most of this time, up to 1947, Wittgenstein gave lectures at Cambridge where he was professor of philosophy from 1939 to 1947.43 In 1936–1937 and from 1946 to his death he worked on his philosophy but outside the academic context, mainly in solitude in Norway and Ireland. During the war, in 1941–1945 he also worked at hospitals in London and Newcastle. As I have noted, the standard view is that Wittgenstein worked during this whole later phase with the intention of publishing. My suggestion is that his views about publishing change a whole lot during this time, and that we have three periods in Wittgenstein’s views on publishing not two: we have the “Tractatus-period” from 1912–1921 described above, we have the mid-period from 1929 to 1936, and we have the late period, from 1936 to Wittgenstein’s death in 1951. Let me now first sift the evidence we have so as to highlight some facts and observations that fit my suggestion. It is from the time soon after his return to Cambridge, from 1929 and 1933 that we have Wittgenstein’s two later journal publications.44 The record is minimal by current standards. We also know that Wittgenstein soon repudiated the essay from 1929 as substantially worthless.45 But significant for us is another fact: it is the content, not the form – an essay in an academic philosophy journal – that Wittgenstein laments. Even the letter published in Mind in 1933 does not suggest that Wittgenstein is alienated from the idea of academic journals as a vehicle for philosophical communication. Again it is the content of something published in the journal that is his concern, not the idea of communicability in that form or forum or the idea of the worth of such communication. It is therefore not surprising that we have, from this same time, also several short manuscripts that have, more or less, the format of a standard academic paper.46 Another observation is this. The books we now know as the Blue Book and the Brown Book are unique in Wittgenstein’s Nachlass in that they were prepared
43 For a detailed account of Wittgenstein’s lectures at Cambridge see ch. II.3. Klagge / Normann, 2003. 44 “Some Remarks on a Logical Form” is a paper Wittgenstein was supposed to present to the Aristotelian Society. He sent it to the Society before the occasion and the Society published it according to its normal procedure. But in fact Wittgenstein in his talk presented a different manuscript. See Klagge / Nordman 2003, p. 361 and Venturinha, Nuno (ed.): Appendix I. The Ramsey Notes on Time and Mathematics. In: Venturinha 2010, pp. 173–175. 45 Klagge / Normann 2003, p. 28. 46 Von Wright 1982, p. 47.
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with Wittgenstein’s support and consent for circulation in an academic, philosophical public. The salient points for us are two: the Blue and Brown Books reinforce the impression we have that Wittgenstein between roughly 1929 and 1935 wanted to address a public and that he found his audience among professional philosophers and students.47 From this same time is Wittgenstein’s work with Waismann. This too was work undertaken in the spirit of producing something in print for a primarily academic readership. The effort was terminated unilaterally by Wittgenstein around 1934.48 At the same time at Cambridge, Wittgenstein produced his Big Typescript, the closest thing we have to a philosophical book by him that answers to the description in the preface to the Philosophical Investigations of a book in which thoughts “proceed from one subject to another in a natural order and without breaks.” (PI: 1953: p. ix) Lastly, the so-called Kringel-Buch.49 Rothhaupt’s reconstructive effort and his reflections on it provides many indications on top of the evidence already mentioned that in the time from 1929 to roughly 1935 the ambition to prepare books was a natural aspect of Wittgenstein’s style of work. Now, around 1935 all this undergoes a change. The Waismann project is abandoned, the Big Typescript is left aside and from now on no short manuscripts are prepared for publication in journals. In fact, it appears that after the mid 1930s Wittgenstein no longer produces manuscripts such as the earlier Lecture on Ethics or the “chapters” of the Big Typescript that would even vaguely resemble the journal-essay format. At what may be the decisive turning point Wittgenstein seeks solitude in Norway and takes with him there the Brown Book. When he arrives in Norway Wittgenstein seems determined to turn the Brown Book into a publishable book. But by November 1936, within a few weeks after his arrival in Norway, Wittgenstein is convinced that all work he has done according to this plan is nothing worth. He abandons the project and starts afresh.50 We must admit at this point that the evidence we have gone through allows for varying overall assessments. We have seen that Wittgenstein published very
47 In a paper that reached me just before finalising this manuscript John Klagge argues for an interpretation on Wittgenstein’s views on the dissemination of his philosophy different from the one I develop here. I have not been able to consider Klagge’s argument here. Klagge’s generous comments on the present essay have helped me avoid some errors. Klagge’s paper entitled “Wittgenstein and His Audience: Esotericist or Evangelist?” is forthcoming in a volume edited by Nuno Venturinha. 48 McGuinness 1984, p. 24–26. 49 Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, transkribiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt. Munich 2011 [vorläufige, unveröffentlichte Proto-Edition] [= KB]. 50 Pichler 2004, p. 15–18 and passim.
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little in 1929–1935/1936. In fact he published so little then, that the difference as compared with the record after 1936, with no publications coming out at all, may seem insignificant. We may also wish to emphasise that both in 1929–1936 and after 1936 Wittgenstein worked with the intention of finishing at least one book. That fact too may be seen to speak against the main thesis of this paper. Certainly, we must agree that our observations do not by themselves establish beyond doubt the claim that there are clear differences between Wittgenstein’ views on publishing in 1929–1936 and in 1937–1951 and that these differences have an intrinsic relation to deep changes in philosophical outlook. Nevertheless, my claim is that the observations we have made fit our idea of a shift occurring around 1936 more effortlessly than any narrative according to which Wittgenstein’s views on publishing would have remained unchanged before and after that time. Hence, they provide corroborative evidence for an independent narrative, based on both philological and interpretative evidence, according to which Wittgenstein’s philosophical views changed deeply around 1936. I will now move on to do three things. First, I introduce the context in current Wittgenstein scholarship in which my idea of three attitudes to publishing is relevant and I also present a summary statement of the philosophical significance that I attach to that context. Against this background I can in a short second step explain why I suggest the terms “Businessman” and “Sceptic”. In a third step I allow some more cautious remarks on evidence about Wittgenstein’s views on publishing that seems to speak against my three stages-idea.
5 T he unity of form and content and the shift from the grammatical or therapeutic middle Wittgenstein to the heteroglossic late Wittgenstein The kind of continuities and ruptures we locate in Wittgenstein’s development are likely to depend on the kind of interest we have. However, the more our concern is guided by a desire to understand Wittgenstein the more we must pay attention to changes in his conception of philosophy.51 In discussion of this topic the question
51 How important is it to understand Wittgenstein? Why not just use his work for our purposes? The issue strikes me as difficult and important. The more we think that our purposes, our world view, are at stake in philosophical discussion (whether we like it or not?) the more relevant the former kind of question – questions about understanding persons and not just isolated aspects of their philosophical texts.
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of the unity of Wittgenstein’s style of writing with his method and the substance of his work is essential. James Conant has recently contributed a series of studies of this unity in the Tractatus.52 The question concerning the corresponding unity in Wittgenstein’s later work remains curiously under-explored.53 For our purposes Pichler’s studies of the origin of the style, and especially of the form of presentation, in the Philosophical Investigations are of particular interest. On the basis of his detailed exegetical and philological work on how Wittgenstein used and worked on his own manuscripts and typescripts Pichler has argued that in Norway in the autumn of 1936 a shift occurs in the form of presentation that Wittgenstein found appropriate. The shift is conceptualised by Pichler as a shift from the book form to the album form and as a shift from work in which the author speaks from a privileged position, perhaps that of an “Olympic narrator”, from which he can judge the truth of arguments made or thesis presented, to a “polyphony” in which no “voice” can be identified as serving as what Cavell once called “the voice of correctness”.54 Pichler’s arguments are detailed and convincing. However, he does not discuss much the question why the shift from book form to album form and from a presentation with an identifiable author’s voice of authority to a polyphony, or a heteroglossic55 dialogue without a centre, would have been attractive to Wittgenstein. Nevertheless, this is what we need to understand if we are to understand the philosophical motives for Wittgenstein’s abandonment after November 1936 of the linear form of presentation.56
52 See esp. Conant 2002. 53 See however Brunner 1985, Cavell 1976, Heal 1995, Soulez 2004, Pichler 2004. 54 Pichler 2004. See also Stanley Cavell’s Introduction in Cavell 1976. 55 The use of the word “polyphony” in discussion of Wittgenstein is often, also here, inspired by Mikhail Bakhtin’s work on Dostoevsky’s poetics. See Stern 2004; Pichler 2004; Wallgren 2006. The term polyphony seems to suggest that Wittgenstein’s later method and style are inspired by polyphony in music. While I find it possible that Wittgenstein did sometimes think of his style of writing as a form of composing I have no commitments in the debate about this issue. For this reason I now prefer to use another term that Bakhtin introduced in his work on Dostoevsky’s poetics – the term heteroglossi – to the term polyphony to characterise the form of presentation that Wittgenstein saw as the suitable form for his later philosophy. See Bakhtin 1987. Holquist 1987. 56 Is it true that Wittgenstein gave up the intention of producing a book proceeding “from one subject to another in a natural order”? There is one place, actually just one word, in the Preface to the Philosophical Investigations that may seem to speak against this idea. It is the word “only” (German original “nur”) in the sentence: “Thus this book is only an album.” – Does Wittgenstein mean that he would have liked to produce a different book, one that is not “only an album”? I think not. For discussion of this important exegetical detail along lines I would agree with, see Pichler 2004, ch.3. But I would add to Pichler’s arguments one more. If we assume that the form, the “album form”, of the Philosophical Investigations satisfied Wittgenstein and also that it satisfied him because it is the finest possible form for the presentation of philosophical inves-
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I have argued elsewhere that this shift in style, method and form goes together with deep shifts in Wittgenstein’s views on what philosophy aims at, what it can achieve and what kind of significance it has in the lives of individuals and in society. The shift includes these features, among others: A shift from a philosophy seeking to satisfy (– but perhaps always unable to satisfy –) the ambition to achieve a conceptual clarity that establishes true meaning (e. g. of what truth is or means) or does away with problems (e. g. illusions) conclusively to a search for growth in one’s capacity to place concepts responsibly in one’s practices of formation of self and caring for community. A shift from a notion of philosophy that corrects misconception – e. g. the misconception that set-theory marks an important breakthrough in the history of mathematics – to a notion of philosophy as placing before us the various reasons people may have for instance for considering Cantor’s diagonal proof ground-breaking and for people not doing so. A shift from the idea that in philosophy the search for truth is self-legitimising to the idea that the search for truth always also carries risks and opportunities for transformation of concepts, self and others and that the benign connection between various forms of search for truth and attainment of freedom cannot be taken for granted.57 A shift from a notion according to which the end-point of philosophical investigations of concepts is agreement on meaning(s) and sense (or nonsense) to a notion of philosophical clarification of concepts as a democratic practice in which respect for otherness, search for the new and surprising and search for agreement are different poles of the search for understanding of the words that shape our lives and that we shape together. A shift from a notion in which philosophical clarity liberates us from confusion and reduces fragility and vulnerability to a notion in which philosophical investigations are a form of rejoicing in our vulnerability. I am tempted to articulate the last point also by speaking of a shift in the development of Wittgenstein’s philosophical self-understanding from the anti-life legacy of Western philosophy coming from Parmenides, Plato and
tigations, we can still want to stress the “only” in “only an album” as one way of expressing the sense we have that any philosophical work, even the very best we can hope for, will not be worth as much as philosophers from Parmenides and Plato to Carnap and Quine have often hoped for. (For a discussion of the aspirations philosophers have brought to philosophy since the preSocratics and how analytical philosophy has related to them, see Wallgren 2006, chs. 3 and 4.) 57 Gandhi stressed the responsibility we have for unintended consequences of what we do. I believe this is why he has a large place for the question of self-limitation in his reflections on the idea that we can search for emancipation through enlightenment, or through what he called satygraha. (Satya is usually translated as truth, graha is more difficult to translate. Steadfastness, firmness and persistence are three of the candidate words.) See Sharma and Suhrud (eds.) 1997, p. 44.
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Aristotle to a pro-life legacy coming from Socrates and the “Pyrrhonian” scepticism of Sextus.58 The most important difference between mid- and late Wittgenstein for us is this: In his mid-period Wittgenstein thought philosophical problems are due to problems with grammar, i.e., or with commanding a clear view of the everyday meaning of our words. These problems are rooted in the structure of our language. The structure has “traps” that anyone may fall into who makes false generalisations or is misled by mistaken analogies. The problems that we meet in philosophy are of a local nature and they can be solved or resolved piecemeal. It is unimportant for present concerns whether the mid-Wittgenstein was a “grammatical” philosopher of the kind P.M.S. Hacker presents or a “therapeutic” philosopher as presented by Gordon Baker and others.59 In both cases Wittgenstein’s philosophical work would take on the following character. First, we identify a philosophical problem. Then we inspect grammar – what makes sense and what does not make sense. Then we can write philosophy that can, when things go well, make perfectly clear where there is sense and where there is no sense. Such philosophy has the power of liberating us and others from illusions of sense and from grammatical confusion which leads us and them to ask unanswerable questions. This kind of grammatical and therapeutic philosophy produced by mid-Wittgenstein is self-directed in the first instance, i. e. as long as the philosopher is herself confused and chasing illusions. When the philosopher has reached clarity her task becomes other-directed. It now consists in presenting to others things that we ourselves are no longer tricked by but of which we know that they cause confusion to others – grammatical issues, the kind of questions many who use our language feel they must ask but cannot answer in any way – in such a way that they will be freed from their confusion. The late, heteroglossic Wittgenstein no longer sees himself as one who finds out how things are with grammar. He does not think that the question of what makes sense and what does not make sense or the question of whether there is or is not something other or firmer than convention or form of life that validates agreement in logic are questions to which philosophy provides answers of any
58 “Anti-life” means here, roughly, philosophy as a means of overcoming the vulnerability that belongs to humans in so far as we are subject to the passage of time. “Pro-life” means here, roughly, philosophy as a way of digging into and celebrating our fallible, time-bound humanity and, perhaps, of overcoming the desire to overcome it. See Theunissen 1991; Theunissen 2000; Wallgren 2012a, Wallgren 2012b. 59 Baker / Hacker 1980 and 1988; Baker / Hacker 1980 and 1988; Hacker 1990a; Hacker 1990b; Hacker 1996; Baker 2004.
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other kind than the different answers and the views for and against those answers that we find in the course of the investigation.60 He does not think that it is evidence that something has gone wrong, or some work is yet to be done, if people do not agree about sense and nonsense when a philosophical investigation has run its course. This is easily misunderstood. Late heteroglossic Wittgenstein is no relativist, deflationist, ironist or neopragmatist.61 He has not given up on the power of argument, on emancipation through enlightenment, on learning things from philosophy. Arguably, he invests more in reason and is more deeply committed to go where the force of reason takes him than any philosopher outside the sceptic tradition. But the later Wittgenstein situates the power of argument differently than he did as a young man and differently than did Russell and Frege. The search is no longer for arguments from which one requires that they will make it clear to all what must be the case. The search is for evolving understanding (including an evolving understanding of the idea of reaching a kind of understanding that need no longer, or should no longer, evolve) not only of what we may or ought to agree upon (with self and others) but also on where and how we disagree, where our responses and visions part ways, in our shared and contested exercise of dialogic reason.62 Another difference between mid- and late Wittgenstein is that late Wittgenstein no longer thinks conceptual difficulties are (typically) local. Now the chains of conceptual interdependence are indefinite, so that there is perhaps no such thing as an isolated philosophical topic or domain. All topics are parts of the
60 What do I mean by “answers” then? Here are two examples from the Philosophical Investigations of the kind of answers I have in mind. In the discussion of pain Wittgenstein at one point writes: “It is not a something and not a nothing either.” (in part 1, § 304) and, in the course of discussion of rule-following: “To obey a rule, to make a report, to give an order, to play a game of chess, are customs (uses, institutions)”. (In part 1, § 199.) These statements are answers in the following sense: the discussion suggests that there is truth in them. But they are not answers in the sense that they answer to all our needs, nor in the sense that they may not be wrong or misleading in some respects. 61 Not if we take relativism to mean that it is (typically or often) relative to the speaker or to a community which view of things will have more of truth, or more of the better argument, on its side. Not if we take deflationism to mean something like this: that we should learn from the inconclusive debates about philosophical foundationalism, or from the debate about the sceptic’s trilemma, that we should be satisfied in our search for philosophical truth with something that is lesser, has less of reason in it, or less of reason on its side, than what Plato or Aristotle demanded. Not if we take irony to mean that we should give up the search for truth and “only” (sic!) try to be truthful. And not if we take neo-pragmatism to mean any of the foregoing, perhaps with a flavour of historicism or evolutionary theory added. 62 See Wallgren 2006.
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same language. In the Preface of the Philosophical Investigations the metaphor of the landscape is used, elsewhere we have the metaphor of the city. The metaphor of the landscape suggests, among other things, the idea that one part of the landscape can only be understood fully (in the open-ended sense of fully just described) if its place in the large landscape is understood. The city metaphor suggests that old parts of language may vanish, wither away or be demolished, and new parts may be built or new clearings opened – that language is not a closed item without a history. In 1931 Wittgenstein told his friend Drury: “My father was a business man. I am also a business man. I like to get things done.”63 – It was in this spirit that mid-Wittgenstein lectured and wrote. His aim was to produce books that would set things – at least some things – straight. The late Wittgenstein is a sceptic in the sense of Sextus Empiricus: one who continues to search.64 The business of mid-Wittgenstein was to sort out his own confusion and then to produce work that would tell others how to sort out theirs. The grammatical interpretation of late Wittgenstein as articulated by Hacker and as applied by him in particular in his studies of neuroscience and the philosophy of mind is a perfect illustration of the mid-Wittgenstein I have in mind.65 Having said this let me qualify the picture of mid-Wittgenstein that I have drawn. I think it is true that Baker’s therapeutic interpretation captures facets of Wittgenstein’s self-understanding from this period, which are not accounted for by Hacker.66 If we agree with Baker’s emphasis on the personal character of the philosophical effort in mid-Wittgenstein’s work, as evidenced in particular in his work with Waismann, the question of publishing becomes more complicated than if we just assume Hacker’s grammatical self-understanding. The difficulty is in this case how to produce written work that would be responsive to the different reactions and needs of different readers. Indeed, there is reason to say that the more we follow Baker and think of philosophy as a work on conceptual illusion that is linked to varying individual motives and experience, the more philosophy needs to take the form of dialogue, perhaps oral dialogue, between people who actually meet. Why, then, would a therapeutic mid-Wittgenstein have been more keen to publish than were Socrates or the late Wittgenstein?
63 Drury 1981, pp. 125 f. 64 Annas, Julia and Barnes, Jonathan (ed.): Sextus Empiricus: Outlines of Scepticism. 1994. See also Wallgren 2012a. 65 Bennett / Hacker 2003. Bennett / Dennett / Hacker / Searle 2007. 66 Baker 2004.
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In order to answer this question we need to move slowly. Let me note, first, that I do not believe the dispute can be settled definitely whether mid-Wittgenstein is better characterised by Hacker (as a “grammatical” philosopher) or by Baker (as a “therapeutic”) philosopher. This is so because, as it appears to me, Wittgenstein thinks and works along both the “grammatical” and the “therapeutic” lines in the early 1930, and perhaps later as well. The shift from one of the conceptions to the next is not linear and definite. Wittgenstein’s work through much of the 1930 can be seen as experiments with these different conceptions. What he learns is that the idea of a grammatical clarification that would be equally valid for all, e.g. because it clarifies what the relation between our concepts are, and the results of which could therefore be made available likewise to all, is obscure.67 The more he learns about this, the stronger the therapeutic self-understanding becomes and the lesser the urge to publish. But I suggest he also learns three more things that break the model of therapeutic philosophy conceived of as a tool for overcoming illusions of sense and bring clarity. One is that conceptual problems are not typically isolated from each other. The inverted spectrum problem or the question what kind of problem a contradiction is in a logical system are the problems they are partly because of the place they have in relation to many other issues such as the way we place the ideals of progress and certainty in science and the way we place science in culture. The other is that in a philosophical dialogue the question of me finding out what therapy will work for you is just one question that I need to attend to. I may also find that I will be surprised about how your responses work on me, and that in the course of the dialogue the understanding that both I and you have of the distribution of sense and nonsense may be in flux. The third novel feature is the blurring of the difference between self and other. Concepts are shared with others, not owned by individuals. Making sense of a concept is making sense of the meaning it has for me, how I can place it in my life. But making sense of me is something I do with others, including with the otherness in me. (How many voices, how many different attitudes to the material, are there in the first numbered remark in the first part of the Philosophical Investigations? Only two: St Augustine’s and Wittgenstein’s? Hardly. But how many are there exactly? I once counted six. But, of course, there is no way, no one way, to tell.)
67 James Klagge has recently proposed that one formative lesson for Wittgenstein from the experience he gained as a teacher at Cambridge was that people did react in many different ways and differently than he might have expected and hoped for to his arguments and investigations. (Talk at the University of Helsinki, March 22nd, 2012.)
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If we think of publishing the shift from grammatical investigations to heteroglossi would undermine any confidence in the notion that publishing serves the communication to others of solutions to well-defined problems (or: of the dissolution of illusory problems). That would surely explain why this shift would come along with a lessening of the desire to publish. What then if we think of publishing in terms a shift to heteroglossi from therapeutic investigations? When, or to the extent that, the therapeutic philosopher has had the experience that a cure she has found has worked for her she may want to publish with reasonable hope that the same cure will work for others as well. The salient difference to the heteroglossic conception is that in the latter the whole idea of a cure that brings the patient to an end point, a definite result, a liberation from an earlier state that is in some specific and clearly definable sense bad to a later state that is liberated from that badness, is diffuse. Publishing therapeutic philosophy would typically be open to self-critical doubt of the form: your readers will be unknown and there is no way for you to know whether your therapy will work for them. But it would always be invited by the prospect that the thing that worked for you and perhaps for some friends you have talked with may work for others just as well. The fact that your medicine may not cure everyone is hardly a reason not to offer it as a possible cure to whoever it might be. The question what sense it may make to publish heteroglossic philosophy is of a different order. The notion that some isolated case of liberation, some individual step of liberation, may be the purpose becomes marginal. It becomes an open question whether, how, why, and in what sense, we should think of the changes in our understanding of what a concept means that philosophy can bring along as progressive changes. Heteroglossic philosophy is transformative of concepts, self and community. This seems to me to be an empirical fact. The heteroglossic philosophy presented in the first part of the Philosophical Investigations has had, as I have argued at some length elsewhere68, a transformative effect on the concept of philosophy, on selves of people who understand themselves as philosophers, and on the roles the concept philosophy plays in the community of all those who are exposed to the various and changing meanings of “philosophy”. Of what kind is the transformative power of heteroglossic philosophy? Is it emancipatory? In every individual case – in the case of every individual conceptual issue, and in the case of the effects of the work of transformative, heteroglossic philosophy on each individual and each community – this is an open question. For this reason the old idea that publishing philosophy is a natural thing to aspire
68 Wallgren 2006, passim.
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for because philosophy can always claim a promise of freedom is obsolete for the heteroglossic philosopher (but not for the therapeutic philosopher). That goes a long way to explain why the late Wittgenstein would not have been particularly keen to publish. We see also that on this point the author of the Preface to the Tractatus as we interpreted him above, and our late, heteroglossic Wittgenstein find common accord. But we must add: even if transformative heteroglossic philosophy does not carry any promise of emancipation in any one case it can, as I indicated earlier, be seen as a form of life in which the very commitment to philosophical search is an affirmation of life. Spending one’s life examining oneself and others may not be worth our while because of some expected result. It may find its worth in itself. Unlike Socrates Wittgenstein did not think this philosophical form of life is obliging for us. He would not have said, as Socrate did in the Apology, that a life not spent examining oneself and others is not worth living. But he thought such a life is one possible form that may be right for some people, even if perhaps only “for a few friends who are scattered throughout the corners of the globe.”69 This form may be wonderful, for them.70 And publishing work that gives as good a testimony as Wittgenstein was capable of producing of that form of life makes sense not because everyone, or many, would find it enlightening, but because to some, it may be a stimulation.71 The idea of posthumous publication seems to me quite natural from the point of view of heteroglossic philosophy for two reasons. First, because of the sceptical, unfinishable, nature of the search there is no reason not to think that one’s work may always be improved. Hence, the last version can always be a better contribution to the sceptical tradition than any earlier version. Second, the sceptical philosopher is not in a hurry. The way is the goal, so how does is matter when I publish?
69 Wittgenstein Ludwig: Culture and Value: A Selection from the Posthumous Remains. Edited by G. H. von Wright, G. H. (ed.) Oxford: Blackwell Publishers, 1998. p. 9. 70 Wittgenstein’s last words were: “Tell them I’ve had a wonderful life”. (Malcolm 1984, p. 81) If we think of his philosophy as his life and of heteroglossic philosophy as his most refined view of philosophy we can interpret him as saying that for him, and perhaps for others similar to him in relevant respects, a life spent examining oneself and others in aporetic, transformative, heteroglossic dialogue is one way of living a wonderful life. 71 I take my cues from the use in the Preface to the Philosophical Investigations of these two phrases: “It is not likely” that this work will “bring light into one brain or other” and “I should like my writing ... to stimulate someone to thoughts of his own.”
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6 Counter-evidence Have we overlooked, or taken too lightly, two kinds of evidence that some may claim that speak against our idea of three Wittgensteins taking three different views on publishing? Let us look at these. First, there is the question of the publishing contracts, from 1938 and 1943. The first case is, I believe, easy to deal with from the point of view advocated here. Throughout his life Wittgenstein showed a keen sense of duty, conventional and formal, to the many different institutional roles he took on voluntarily. This was true of him as a soldier in the Austrian army, as a schoolteacher, as an architect, as a hospital warden, and, as I wish to suggest, as a professional philosopher at the University of Cambridge. I think the 1938 submission is best explained as a case of Wittgenstein living up to his sense of institutional duty.72 The 1943 case can, I believe, to some extent be seen in this same light. Wittgenstein was still a relatively new professor. As the war continued and Wittgenstein was not always busy with his voluntary civil war time service we may conceive Wittgenstein as being alert to what people, including himself, should expect as a matter of routine and convention from a philosopher. (The fact that Wittgenstein in both cases failed to deliver his manuscript to the press would then be evidence for the fact that the identity as a university professor never became very dominating in his life.) Second, there is the question of the public lectures. The evidence we have shows that Wittgenstein gave classes to students and public lectures to academic audiences at roughly the same rate through the years from 1929 to the mid or late 1940s. Was this not publishing? In a way it was and Wittgenstein at times said so.73 We noted earlier that it was only in what we called the mid-period, from 1929 to around 1936, that the material Wittgenstein prepared for his lectures sometimes took a form that resembles, even remotely, any standard form of printed academic publication. That, we said, is evidence for a shift in Wittgenstein’s views on publishing around 1936 that we have suggested is motivated by a shift in his conception of philosophy. We can now add that it is a fact not only compatible with our narrative but quite fitting for it that Wittgenstein would have continued to lecture after the shift in philosophical conception around 1935. This so because the difference between publishing in print and publishing through oral dialogue is closely related to core aspects of the evolution in Wittgenstein’s conception of philosophy that we have been tracing.
72 See von Wright 1986, p. 120 and Monk 1990, p. 414. 73 See the account by Klagge in Klagge / Normann 2003.
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We have seen that there are reasons why a therapeutic Wittgenstein would have qualms about going to print. But there is no need for a therapeutic Wittgenstein not to publish by lecturing to small groups in which individual reactions can count and direct the flow of the discussion. Lecturing for a large audience would be more problematic for this Wittgenstein. For heteroglossic Wittgenstein the difference between publishing through writing and publishing by printing would be smaller. And to him, scepticism about the worth of oral publishing would be more of an issue than to therapeutic Wittgenstein. For therapeutic Wittgenstein the worry would be that his students would not be cured by his therapy. Then his lectures would be a waste of time. But late in his career Wittgenstein often worried that his lectures might have a harmful influence on his students. The worry is difficult to explain for therapeutic Wittgenstein but quite natural to heteroglossic Wittgenstein. Why then, did Wittgenstein not stop lecturing after his retreat to Norway in 1936/37? – He might have done so: his conception of philosophy no longer comes with the kind of enlightenment optimism that would make publishing an obvious task. But if we assume that the therapeutic conception lingers on, side-by-side with the newly won heteroglossic conception, lecturing would be a possible part of a responsible philosophical life. Some more mundane, human aspects can be added. Wittgenstein had a competitive side. He once said that a philosopher who does not go to public discussion is like a boxer who does not enter the ring, and he seems to have enjoyed being dominant and impressive in discussion. (We can say, primarily, that he could not help being dominant and impressive, but also that he, secondarily, at least at times seemed to like being so.) If we take a more everyday view it is also clear that Wittgenstein wanted things to do – and lecturing was one thing he could do. So, my suggestion here has been that the story of Wittgenstein’s life as a philosophical life is a story of a duty to produce and publish work of philosophical genius as explained by Monk in his biography, but only during a short time span. Around 1920 the question of genius recedes. What remains is an acute sense of a duty to search for self-understanding and sincerity. This duty and the conviction that at least in his case philosophy is essential to allegiance to this duty is, it appears to me, at the core of the unity of Wittgenstein’s later life and philosophy. His views on what that implied changed from the businessman approach of the early 1930s to the sceptical approach of the later years. One mirror in which to see the views and the changes they undergo is to look at Wittgenstein’s publishing record.
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7 Bibliography Annas, Julia / Barnes, Jonathan (ed.): Sextus Empiricus: Outlines of Scepticism. Cambridge: Cambridge University Press, 1994. Baker, Gordon P.: Wittgenstein’s Method: Neglected Aspects. Edited and introduced by Katherine Morris. Oxford: Blackwell, 2004. Baker, Gordon P. and Peter M. S.: An Analytical Commentary on Wittgenstein’s Philosophical Investigations Volume 1. Oxford: Basil Blackwell, 1980 and 1988. Baker, Gordon P. and Hacker, Peter M. S.: An Analytical Commentary on the Philosophical Investigations Volume 2. Wittgenstein. Rules, Grammar and Necessity. Oxford: Basil and Blackwell, 1980 and 1988. Bakhtin, Mikhail: Problems of Dostoevsky’s Poetics. Edited and Translated by C. Emerson. Introduction by W.C.Booth. Theory and History of Literature, Volume 8. Minneapolis: University of Minnesota Press, 1987. Bennett, Maxwell / Hacker Peter M. S.: Philosophical Foundations of Neuroscience. Oxford: Blackwell Publishing, 2003. Bennett, Maxwell / Dennett, Daniel / Hacker Peter M. S. / Searle, John: Neuroscience & Philosophy. Brain, Mind, & Language. New York: Columbia University Press, 2007. Brunner, Heinz: Vom Nutzen des Scheiterns. Eine literaturwissenschaftliche Interpretation von L. Wittgensteins Philosophische Untersuchungen. Bern / Frankfurt am Main / New York: Peter Lang, 1985. Cavell, Stanley: Must we mean what we say? A Book of Essays. Cambridge: Cambridge University Press, 1976. Cavell, Stanley: “Statement ‘On Wittgenstein’”. In: Philosophical Investigations 24, 2001, pp. 89–96. Conant, James: “The Method of the Tractatus”. In: Rech, E. (ed): From Frege to Wittgenstein: Perspectives on Early Analytic Philosophy. New York: Oxford Publication, 2002, pp. 374–462. Conant, James: “The Method of the Tractatus”. In: Rech, Erich H. (ed): From Frege to Wittgenstein: Perspectives on Early Analytic Philosophy. New York: Oxford Publication, 2002. Habermas, Jürgen: Technik und Wissenschaft als “Ideologie”. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1973. Dahrendorf, Ralf: ‘Nachwort’. In: Weber, Max: Politik als Beruf. Stuttgart: Philipp Reclam jun., 1992. Drury, Maurice O’Connor: “Some Notes on Conversations with Wittgenstein”. In: Ludwig Wittgenstein. Personal Recollections, edited by R. Rhees. Oxford: Basil Blackwell, 1981. Habermas, Jürgen: Der Philosophische Diskurs der Moderne: zwölf Vorlesungen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1985. Hacker, Peter M. S.: Volume 3 of an Analytical Commentary on the Philosophical Investigations Wittgenstein: Meaning and Mind, Part I: Essays. Oxford: Blackwell, 1990a. Hacker, Peter M. S.: Volume 3 of an Analytical Commentary on the Philosophical Investigations Wittgenstein: Meaning and Mind, Part II: Exegesis §§ 243–427. Oxford: Blackwell, 1990b. Hacker, Peter M. S.: Volume 4 of an Analytical Commentary on the Philosophical Investigations: Wittgenstein: Mind and Will. Oxford: Blackwell, 1996. Heal, Jane: “Wittgenstein and Dialogue”. In: Philosophical Dialogues: Plato, Hume, Wittgenstein, edited by Timothy Smiley. Oxford: Oxford University Press, 1995, p. 62–83. Hintikka, Jaakko: On Wittgenstein. Australia United States: Wadsworth Thompson Learning, 2000.
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Schweigen und Reden in Philosophie und Philologie1 Auch die Frage nach Philosophie und Philologie fällt unter das Verdikt der „Erkenntnis des Erkannten.“ Der Satz August Boeckhs, „Grundformel der hermeneutischen Wissenschaften“2, exponiert einen Problemzusammenhang: Der Hermeneutiker begreift seine auslegenden Akte als Akte der Wiedererinnerung. Diese anamnetische Qualität des philologischen Tuns verknüpft auf bestimmte Weise die philologische Anstrengung mit dem Reden. Erinnerungen, die in der Sprache „zu einem bestimmten Zweck“ (PU 1989: §127) zusammengetragen werden, formen das diskursive Feld, in dem Rede wirksam wird. Der Traum des Philosophen, jenseits der philosophischen Themenrede zu sagen, was sich nicht sagen lässt, gibt der Anstrengung des philosophischen Disputs den Anstrich einer immanenten Reduktion. Gesagt wird, was sich klar sagen lässt. Wenn nach Problemzusammenhängen gefragt wird, wird gegenwärtig nach der Natur der Fragen gefragt, die gestellt werden. „Was ist eine philologische Frage?“ ist der Titel eines Sammelbandes, der von Jürgen Paul Schwindt herausgegeben wurde;3 „Was ist ein ,philosophisches‘ Problem?“ lautet die Frage des Sammelbandes von Joachim Schulte und Uwe Justus Wenzel.4 Hans Ulrich Gumbrecht spricht von der „Macht der Philologie“ und ergänzt auf seine Weise den philological turn um Beobachtungen auch lebensweltlicher Provenienz: Seine Mutter pflegte Grundschullehrer als „Philologen“ zu bezeichnen.5 Die pejorative Tönung des Ausdrucks besteht in den großen Diskussionszusammenhängen nicht; allenfalls ist der Philologe der, der sich akribisch und genau um jene finiten Daten kümmert, als welche die schriftlichen Äußerungen einer Zeit im fortgesetzten Semantisierungsstrom erscheinen mögen. Die Langfassung, der Boeckh’schen Formel der „Erkenntnis des Erkannten“ lautet: Die Aufgabe der Philologie bestehe
1 Für Kommentare zu einer früheren Fassung dieses Textes danke ich Jürgen Paul Schwindt (Heidelberg) und Ilse Somavilla (Innsbruck). 2 Vgl. Rodi, Frithjof: Erkenntnis des Erkannten. Zur Hermeneutik des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1990. 3 Schwindt 2009. 4 Schulte / Wenzel 2001. 5 Gumbrecht 2003, hier: S. 9.
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im „Erkennen des vom menschlichen Geist Producirten, d. h. des Erkannten.“6 Das Aufmerken auf den Produktionsaspekt verschiebt das intuitive Verständnis vom Erkannten als dem schon einmal Gewussten vom anamnetischen auf den selbsttätigen Aspekt: man erinnert sich an das, was man produzierte, d. h. eine im weiten Sinne handwerklich-reflexive Operation formiert die Wiedererinnerung. Sie ist nicht nur passivisches Wiedereintreten in einen schon einmal gewussten Zusammenhang, gleichsam ein Eintreten in ein Überlieferungsgeschehen durch die Zeiten, sondern hat als wichtigen Faktor der Erinnerungsproduktion die eigene geistige Tätigkeit. Wenn die eigene geistige Tätigkeit das Erinnern an etwas Bekanntes, die Erkenntnis des Erkannten ermöglicht, hat das produzierende Subjekt Teil an der Figuration von Erkenntnis: das, was erkannt werden kann, hat als Bedingung des Wiedererkennens den Verweis auf jene scheinbar uneinholbar subjektive Tönung des Erinnerungsvorgangs, die das schafft (anordnet), was sie wiedererkennt. Boeckhs Formel stellt die Frage nach der Philologie wie die Frage nach dem philosophischen Problem in eine Perspektive, die der „unendlichen Aufgabe für Approximation“ (Boeckh) doch ein Substrat abgewinnen wollte.7 Um die Frage dieses Substrats und seiner Möglichkeit geht es.8 Wittgenstein hat bekanntermaßen den Begriff der „Familienähnlichkeiten“ vorge-
6 Boeckh 1886, S. 10. 7 Vgl. Steinfeld, Thomas: „Skepsis. Über August Boeckh, die Wissenschaft der unendlichen Approximation und das Glück der mangelnden Vollendung“. In: Schwindt 2009, S. 213: „Denn auch die Gegenstände der Philologie tragen ihren Begriff nicht an sich selbst – ja diese weniger als alle anderen und Klassifikationen sind nie Abschluss des wissenschaftlichen Arbeitens gewesen. Mit ihnen fängt das Tasten und Suchen [...] erst an. Und der Zweifel wird gewollt: ‚Das Erkannte wiedererkennen, rein darstellen, die Verfälschung der Zeiten, den Missverstand wegräumen, was nicht als Ganzes erscheint zu einem Ganzen vereinigen, das alles ist wohl nicht ein actum agere, sondern etwas höchst Wesentliches, ohne welches bald alle Wissenschaft ihr Ende erreichen würde.‘“ Das Boeckh-Zitat am Schluss der Bemerkung scheint den Annäherungsanspruch (nicht das Phänomen scheinbar eindeutig dingfest machen, sondern es suchend umkreisen) zu relativieren. Doch es gibt eine Form der Suche nach Reinheit und Ganzheit, die, als Forderung einer Person, dass sie sich in Übereinstimmung bringe mit den eigenen Idealen, das Ansehen einer Substantialität haben kann. Die kühlere Methode – etwa der Begriffsklärung – weiß in diesem Fall mehr; sie hat zu operieren sub specie hominis, nicht sub specie aeterni. 8 Das Substrat entspringt, wo wir es als wünschenswert ansehen, einem Wunsch nach Sicherheit und dem Aufgehobensein im Erkannten. Das Wissensstreben des Menschen hat so eine subjektive Tönung, die nicht in den Konzepten aufgeht, die das Subjekt schützen sollen: „Alle Menschen streben nach Wissen, sagt der Philosoph am Anfang der Metaphysik; das ist eine órexis, ein Bestreben, ein Verlangen, eine Begierde. Das bedeutet vermutlich im weiteren – Aristoteles hat darüber leider nicht nachgedacht –, dass Wissen und Erkennen auch mit diesem Feld des Verlangens zu tun haben und dass eine zureichende Konzeption von Denken und Erkennen das Feld des Wollens und Wünschens zu berücksichtigen hätte.“ (Poppenberg, 2009, S. 162)
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schlagen, um Approximationen, die sich aus Ähnlichkeit ergeben, nicht mehr aus identifizierbarem aristotelischem Wesenswas, benennen zu können. Die Frage nach dem Wesen, das sich in der Grammatik ausspricht (PU 1989: §371), konturiert einen neuen Fragetyp: Der scheinbar finit verfügbare, festgestellte Sinn zerstreut sich nicht nur (das ist eine Metapher, die postmodernen Erfordernissen Genüge tut) – er bekommt ein ganz anderes Gepräge. Die Grammatik eines Ausdrucks ist seine Verwendungsweise mit weitem Hof. Wie der Halo den Mond umgibt, als Licht eines Ungefähren, das nicht völlig deutlich zu sehen ist, ist das Feld der Verwendungsweisen nicht ein für alle Mal erschlossen. Der weite Hof einer Sprachverwendung, die mehr ist als bloße Syntax, ist verschwistert mit bestimmten Lebensformen, d. h. mit einem bestimmten Gegebenen, Hinzunehmenden9 (ich möchte hier für die nicht-monistische Variante des LebensformBegriffs plädieren – mit Haller (bzw. Ferbers Addenda) gegen Garver – da mir die Pointe des Begriffs in der monistischen Variante nicht ersichtlich ist. Biologische condicio ist geteiltes Gut und von eher geringer Erklärungskraft – von der im Lebensform-Begriff angelegten allzu quicken Erinnerung an die „unhintergehbare Relativität der Fundamente menschlichen Seins“, die durch disziplinierte Analyse zu ersetzen ist, nicht zu reden).10 Die philosophische Frage nun, die von Boeckhs Formel berührt wird, die auf die Philologie bezogen war, integriert einen produzierenden Anteil, der darin besteht, dass die grammatische Bewandtnis der Bestimmung der Sprache, die sich auf Verwendungsweisen bezieht, Handlungsanteile aufrufen kann. Diese Handlungsanteile entsprechen der geistigen produzierenden Tätigkeit, die die Erkenntnis des Erkannten ermöglichte, da sie das zu Erkennende so figurierte, dass es als Erkanntes erkennbar war. Anders gesagt: Das Operationsfeld der grammatisch bestimmten, nicht mehr an ein Wesen gebundenen Sprache, eröffnet, mit Wittgenstein, die Möglichkeit der Pragmatisierung von Erkenntnis. Der Teil des philologisch selbsttätig Beglaubigten und Bestätigten (mit Boeckh) wird in der Rede vom philosophischen Problem von jenen pragmatischen Beharrungskräften übernommen, die sicherstellen, dass ein Ausdruck nicht nur in seiner figurierenden Qualität, einer spezifischen Anordnungsleistung, Wiedererkennen ermöglicht. Vielmehr ist die geistige Tätigkeit des Philologen, der figurierend empfindet, was er – produzierend – empfunden hat, nun an jenen Handlungszusammenhang delegiert, der die individuelle Anordnungsleistung auf der Ebene der reifen, gelingenden sprachlichen Sozialität ersetzt. Wo der Philologe sein Material sich im rekombinierenden Nachvollzug aneignet, ist der Philosoph auf eine Grenze verwiesen, die seine eigene Rekombi-
9 Vgl. nur Lütterfelds / Roser 1999, darin: Schulte 1999, S. 156–170. 10 Vgl. von Savigny 1999, S. 120.
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nationsleistung einschränkt: Die alten Fragen werden nun ganz anders gestellt (und es ist reizvoll, Philologie eben nicht nur dort aufzusuchen, wo sie „uns bereits als szientifische Formation entgegentritt“11). Die historisierenden Kontexte werden systematisch durchtrennt; ganz anders verlaufen nun die Linien des Fragens durch die Zeit. Das ist nicht nur die Differenz zwischen Längsschnitt und Querschnitt (beide lassen sich eben auch kombinieren) in der Darstellung eines Wissensbestands, sondern die Reformulierung der Art und Weise, sich zu einem Wissensbestand zu verhalten. Wittgensteins „Zusammentragen von Erinnerungen zu einem bestimmten Zweck“ (PU 1989: 127) geht gleichsam von der Bestimmtheit des Zweckes (der Sprache) aus. Boeckh dagegen legte dem Philologen die Möglichkeit nahe, seine Erinnerungsfähigkeit über den rekombinierenden Anteil der geistigen Tätigkeit selbst herzustellen. Auch das Erinnerte wurde schon einmal gewusst, war Erkenntnis des Erkannten. In figurierenden Akten wirkt das Subjekt der neuen Zeit, das auf sich selber schaut, einem Regress durch Tätigkeit entgegen: das tätig geistig Produzierte verbindet sich mit Sprachpraxen, Bildpraxen (als Alltagspraxen), die es im pragmatisierenden Schritt an einen wiederholten und insofern dauerhaften Gebrauch binden. Boeckhs Satz über die Aufgabe der Philologie stellt sie, mithin, als redende Wissenschaft vor. Die Tätigkeit des Figurierens muss nicht schweigen, um ein Wissen oder eine Ahnung12 zu bewahren. Ebendies aber ist die Implikation einer philosophischen Überzeugung, die weiss, dass vom Höchsten zu schweigen sei, und dass Faktenaussagen keine absoluten Werturteile implizieren können. Die Lecture on Ethics13 bedeutet ihrem Publikum die Abstinenz von einem Äußerungsbereich, der, im Falle des philosophischen Problems, den Status eines Prerequisits bekommt: Ethik ist im Schweigen zu finden, dort, wo man nicht mehr spricht, weil Sprechen hier eine reduzierende, keine erweiternde Qualität hätte. Quantitativ (orientiert an der Messbarkeit als Lieblingskind der aufgeklärten Zeit) bedeutet die ethische Rede kein Surplus, sondern eine Verkennung der philosophischen Problemlage. Wittgenstein erinnert an eine Grenze, die vielen nicht sichtbar ist, da sie mit den idolhaften14 Vorstellungen besetzt ist, die ein Urteil des Sprachbenutzers über das, was ihn umgibt, zu fordern scheinen, das nicht zuletzt ein Sollen impliziert. Das Sein aber wird nun gewissermaßen klein geschrieben, es ist, was es ist (Tautologizitätsaspekt: Das Unübersteigbare des Gegebenen und antwortet nicht mehr auf die
11 Vgl. Schwindt 2009, S. 67. 12 Vgl. Hogrebe 1996. 13 Wittgenstein, Ludwig: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Herausgegeben von Joachim Schulte, Frankfurt am Main 1989. 14 Von großer Aktualität: Bacon, Francis: Neues Organon, 1990.
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grenzverletzenden Interrogationen der Subjekte, die auch gehalten sind, sich mit kleinem Anfangsbuchstaben zu denken. Der Konnex von Welt und Frage ist nun in ein ganz anderes Licht getaucht: Nicht mehr die ehrwürdige Union einer Frage und der Welt, die durch sie aufgeschlossen wird, scheint in einer Frage auf, die ihrer Antwort sicher ist. Vielmehr geht es, mit Michael Dummett, um „Begriffsanalysen ohne Definitionshoheit“. Dummett schreibt über den Philosophen: Da er nur ein Mensch ist wie die anderen auch, wird sein Verstand trotz seiner speziellen Schulung kaum je der gänzlichen Erfüllung seiner Aufgabe gewachsen sein. [...] Dennoch verfolgt er ein Ziel, und dieses Ziel ist die Beseitigung der geistigen Hindernisse, die einem klaren Verständnis dessen, was wir bereits wissen, im Wege stehen, damit man, wie Wittgenstein sagt, die Welt richtig sieht.15
Die Untersuchung eines Nachlasstexts ist auch eine Einübung in richtiger Weltsicht; ihre Entscheidungen und Gedankenlinien figurieren, mit Boeckh, Erinnerung des Gewussten, aber: dem Schweigen verpflichtet, nicht der alles scheinbar wissenden, alles verbalisierenden Bewegung vom Eindruck zum Ausdruck. Klarheit als Folge des Verzichts auf Definitionshoheit zu lesen ist schon jener Verzicht auf Dezision, der das philosophische Problem, in dem Rede, auf den ersten Blick, exemplarisch exponiert wird, sich sonst zu verdanken scheint. Wer seinen Definitionen nicht das höchste Recht zuspricht, hält sich ans Material. Doch die Positivität des Materials spricht eben erst dann zu denen, die es analytisch eröffnen, wenn eine Grenze eingehalten wird. Das Bewusstsein, dass über ethische Fragen, LebensFragen, Sollens-Fragen zu schweigen sei, ist die Mitgift des modernen philosophischen Problems nach dem linguistic turn. Der deutende Philosoph beherrscht nicht mehr sein Material wie eine Masse, der er einprägt, was ihm beliebt (ein Bild, das es auch nur als Idolfunktion gibt). Er dient vielmehr dem Material mit den Skrupeln eines Reiseführers, der weiss, welche Wege unter veränderten Bedingungen nicht mehr zu gehen sind. (Entdecker und Erfinder16, legiert in einer Figur.) Die Frage des Sich-Verhaltens zum Material ist eng einer anderen Frage verwandt: jener nach den Grenzen eines Äußerungszusammenhangs. Ein Äußerungszusammenhang, „Gegenstandsbereich“ (wenn der semantische Akzent auf das Objekt der Befragung gelegt wird), fordert eine bestimmte Art und Weise der Behandlung, damit er sich als Gegenstandsbereich einer Disziplin figuriere. Die „Substantiierung des in Rede stehenden Fragens“17, indes, greift den Selbstbezug der Frage, hier der philologischen Frage, an. Wodurch kann sie sich noch
15 Dummett, 2001, S. 41. 16 Vgl. Vorwort in: Schulte / Wenzel 2001, S. 7–19. 17 Vgl. Schwindt 200., Einleitung, S. 11.
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konstituieren, wenn sie ihre Konstitutionsbedingung, die Gegenstandsbezogenheit, aussetzt? Die Gegenstandsbezogenheit ermögliche jenen bedeutungskonstituierenden Selbstbezug einer Fragestellung18, der noch etwas anderes ist als Selbstreferenz. Wonach ich frage, formt die Perspektive, aus der ich frage. Das zu Erkennende, der Gegenstand, weist den Weg, und er weist den Weg, wie man ergänzen kann, indem er betont, dass die Eigenschaft, das Erkannte zu sein, für einen Wissensbestand wichtig ist. Die Definitionshoheit liegt nun in einem Zustand der Überlieferung, ihrem Modus, dem Wie, der Art und Weise. Der überlieferte Gegenstand wird, da er der erinnerte, der einmal gewusste ist, in der Frage, philologisch wie philosophisch, nur aufgerufen – und dieses „nur“ hat es in sich. Konnte sich der „Überlieferungszusammenhang“ mit Hermeneutikern wie Gadamer fast zum idolisierenden Substantiv reifizieren (Stichwort: Rehabilitation der Vorurteile, des zum stehenden Bilde geronnenen Tuns), glaubt die Frage nach der Frage, philosophisch wie philologisch, dem Verb, dem Tätigsein der Erinnerung. Wie nun hängt diese Überlegung mit der Verbindung von philosophischer Frage und dem Schweigen zusammen? Das bloße Aufrufen eines Gesehenen, eines einmal Erinnerten schweigt über eine Konstruktionskompetenz. Nicht hic et nunc wird eine Grenze verteidigt, indem ein Inhalt behauptet wird. Die philosophische Frage ist von vornherein situiert in jenem Raum der triftigen Gründe, der, mit Über Gewissheit, das menschliche Fragen und Diskutieren fasst. Die fundamentalen Lebenstatsachen (wie die Tatsache, dass die Zeit vergeht) werden von diesem Fragen nicht berührt. Sie laufen, ungerührt, weiter. Die Beschränkung auf den Raum der triftigen Gründe als Raum der Argumentation setzt dieser von vornherein eine Grenze, begrenzt sie ethisch – hier geht es nicht weiter, hier beginnt gleichsam der nicht mehr profane Raum. Das Fragen hat, in seiner zweifelnden, skeptischen Qualität etwas von der paganen Glaubenslosigkeit, die sich der höchsten Wahrheit nicht fügt, nicht fügen will. Ebendies tut die philosophische Frage mit Wittgenstein. Anerkennung von Grenzen berührt das Sprechen innerhalb dieser Grenzen, es spricht nicht mehr aus sich selbst, ihm sind Regeln des Schweigens eingeschrieben. Die philosophische Frage ist die schweigebewusste. Der Wahnsinn, das Absehen von den vorgefertigten Lösungsmöglichkeiten, mag denn auch als wichtiges heuristisches Element zur Produktion von Lösungen erscheinen: In Abschnitt 53 des Kringel-Buches
18 Selbstbezug wird erkenntnisstiftender Bruch, vgl. Schwindt, Einleitung, ebenda: „Die Frage nach der Philologischen Frage setzt das philologische Fragen aus, um dessen innezuwerden, was das Eigentümliche dieses Fragens ist. Sie tut dies, indem sie sich für einen Augenblick an die Stelle der philologischen Frage(n) setzt und die geräuschlose Kontinuität eines sich nicht selbst in Frage stellenden philologischen Fragens unterbricht.“
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heisst es: „(Die Methode zu Philosophieren [!] ist sich wahnsinnig zu machen & den Wahnsinn wieder zu heilen.)“ (KB Nr. 53; MS109,28/2) Im Wahnsinn sind die Dinge der Welt ver-rückt und Erkenntnisse möglich; Wittgensteins Haltung erinnert hier an jenen Wahnsinn als Kalkül, der zur Zeit der beginnenden Moderne die Kunstproduktion bestimmte.19 Die Zeit des Wahnsinns als methodisch veranschlagtes Aussetzen aus der Norm der geraden Gedanken ist auch die Zeit des Schweigens – Wert- und Wertungsverhältnisse erfahren eine Lockerung ihrer normativen Gebundenheit, im Stadium von fancy und reverie kann man über den sogenannten gesunden Geist etwas erfahren, da man ihm, zeitweilig, nicht mehr angehört (wobei die Übergänge fließend sind). Die Haltung des Wahnsinns dem Gedanken gegenüber, der in der Ver-rückung aufscheinen soll, ist begleitet von Zartheit und Vorsicht. KB Nr. 92: „(Einen unausgebrüteten Gedanken muß man zart behandeln um ihn am Leben zu erhalten. Man darf von ihm noch nichts verlangen & muß ihn im weichen Medium der fortwährenden Unsicherheit betten.) Ist er flügge dann verläßt er dieses Nest von selbst.“ (KB Nr. 92; MS110, 36/4) Den Irrtum in die Wahrheit zu überführen (KB 95; MS110,58/2), den Weg vom Irrtum zur Wahrheit zu finden, statt Wahrheit einfach zu konstatieren (KB 94; MS110,58/1), ist das Ansetzen an der „Quelle des Irrtums“ (KB 96; MS110,58/3). Ins „Wasser des Zweifels“ (KB 97; M110,63/4) muss man sich hineinbegeben wie in den Wahnsinn. Die Zeit der Angleichung der reflektierenden Persönlichkeit an den Irrtum, den ver-rückten Glauben, wird diesen überdauern und eine vorübergehende sein. Es ist gleichsam die methodisch angemessene Krisis der Krankheit, bevor Heilung einsetzen kann. Wenn Wittgenstein die Lösung philosophischer Probleme mit der Zeit im Zauberberg vergleicht (hier innen erscheint die Lösung schön und angemessen, im „Draußen“ der Welt wie ein Stück Eisen (KB Nr. 167; MS110, 273/6)), ist die Krisis der Krankheit durch diese Trennung der Spielräume von philosophischem und weltlichem Problem beeinträchtigt: Erst im nicht verwunschenen Augenblick können wir lernen, uns mit dem Stück Eisen zu begnügen, das kein Gold ist.20 Das war eben damit gemeint, dass die Lebensprobleme durch Lösun-
19 Vgl. Lange 1992. 20 Damit zusammenhängend: Das Doppelgesicht der Krise, vgl. Schwindt 2011, S. 243: „Wenn sie (die Philologie, S.M.) ihrem Ende entkommen können soll, müsste sie sich auf ihr Stärkstes besinnen, nämlich auf die Krisipraxie, jene schwer zu erlernende Kunst des Umgangs mit der Zeit der Kritik, der Zeit, die der Entscheidung vorausgeht, der Zeit der Abwägung, der Zeit der Krise. Kritikós nannten die griechischen Ärzte schon des fünften und vierten vorchristlichen Jahrhunderts jenen Zustand der Bedeutungs- und Erwartungsoffenheit, in dem nicht zu entscheiden war, ob sich ein Phänomen so oder anders entwickle. Das im medizinischen Sprachgebrauch weiter verbreitete, verwandte Adjektiv krísimos bezeichnet nicht nur das Moment der Entscheidung, sondern bald – in nachklassischer Zeit – auch sein Gegenteil, das Unentschiedene und Streitige.“
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gen philosophischer Probleme noch gar nicht berührt seien. Im verwunschenen Zustand war Eisen Gold (im Zauberberg der Gründe und Gegengründe, in dem gleichsam der Blick nach Außen nicht mehr getan wird). Die Probleme der Philosophie sind auch Märchen, d. h. sind überlieferte Erzählung, narrative Muster, Selbstbeschreibungsfähigkeit. Die philosophische Frage scheint andere Autor- und Leserrollen als die philologische zu verlangen; ihr Ziel ist nicht die Anordnung, sondern die Durchdringung, Entdeckung oder erfindende Ausdehnung eines geistigen Kontinents in einem selbstgeschaffenen Bild statt der Präsentation von Varianten – doch dieser Unterschied lässt sich nicht halten.21 Philologie und Philosophie durchdringen22 sich, wenn ein philosophischer Text kritisch ediert wird; die Anordnungsabsicht als Präsentationsabsicht greift in das geistige Gebäude eines Textes ein. Wie kann dann noch vom schweigenden philosophischen Text geredet werden, wenn er mit der „redenden“, kompilierenden, arrangierenden Tätigkeit eines Herausgebers in Berührung kommt? Mit Wittgenstein erinnere man sich, dass das Schweigen des Philosophen über den höheren Bereich (aus dem die metaphysischen Bedürfnisse kommen) seine kardinale Tugend ist. Der Verzicht auf die „Definitionshoheit“ ist in einer Haltung angelegt, die weiß, dass philosophische Rede vertikal begrenzt ist: Hier geht es nicht weiter (nur um den Preis, den Bereich des sinnvollen Sprechens zu verlassen). Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Grenze hat more philosophico gleichsam künstlich zu einem Zeitpunkt des ante zu erfolgen; wird durch eine Sozialität reguliert. Die Grenze der philologischen Absicht dagegen ist der zu arrangierende Text, liegt im Material. Diese Text-Grenze kennt auch der zu edierende philosophische Text (etwa das Kringel-Buch), aber sie ist die Wiederholung einer früheren Grenzerkenntnis, die in einem Verzicht besteht: Nicht metaphysisch zu spekulieren und dem metaphysischen Bedürfnis so seine Dignität zu bewahren, einer Sache, die ausgelassen wird. Die Grenze bestimmt, wann das Schweigen einsetzt. Die Text-Grenze des konkreten Textes, wie er auf Datenträgern oder Papier zur Verfügung steht23, verlangt eine frühere Entscheidung: zu achten, was Menschen möchten, doch dort nicht weiterzugehen. So werden gewisse Fragen und Diskussionszusammenhänge vom Text ferngehalten (über dieses Fernhalten wird diskursiv entschieden). In schöner Immanenz wird
21 Vgl. Schwindt 2009, S. 62: „Schon die Form der Frage nach der Philologischen Frage könnte sie als etwas erscheinen lassen, das naturgemäß dem Bereich der Philosophie zugehört.“ 22 Wie sich im Kontext der Diskussion des Spielthemas in Wittgensteins Werk Probe und Aufführung durchdringen, der Moment der ausstellenden Handlung immer schon da ist, vgl. Markewitz 2012, S. 77–102. 23 Dilthey regte die Materialität des Manuskripts zum Träumen an, über Farbe, Wärme, Wirklichkeit des Lebens, vgl. Vaderna 2011, S. 348–365.
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der Text aus sich selbst heraus ausgelegt, er wird konstitutiv ein Objekt textueller Bezogenheiten. Der Herausgeber greift ein, aber so, wie ein früherer Autor-Wille es bestimmten interpretativen Hypothesen nach wollte. Die Markierungen des Autors im noch nicht edierten Text weisen den Weg und die Legitimität der editorischen Anordnung ist umso grösser, je plausibler der Autor-Wille nachzuvollziehen ist. Offensichtlich verschmelzen zwei Intentionen: die hoffentlich überzeugend rekonstruierte des Autors und die hoffentlich überzeugend legitimierte des Herausgebers. Der Intentionsbegriff selbst wird mit der grammatischen Bestimmung der Sprachglieder neu gefasst. Mehrere entscheiden sanktionierend über die Geltungsverhältnisse innerhalb einer Sozialität. Im Falle der Autorintention, die zu rekonstruieren sei, verbindet eine gegenwärtige Autorität sich mit einer früheren: Der Herausgeber ordnet an, was zuvor jemand so anordnen wollte. Deutlich der Anklang an Boeckhs Formel der „Erkenntnis des Erkannten“. Herausgeberfiktionen wie bei Kierkegaard oder Pessoa spielen mit diesem rekonstruktiven Anteil einer geistigen Hervorbringung; sie erweitern die Autorrolle um den Herausgeberaspekt, geben sich selbst heraus, verdoppeln Autorität. Die Transparenz und Durchschaubarkeit solcher Herausgeberfiktionen zeigt, dass sie wiederum erkannt werden wollen: die Erkenntnis des Erkannten bekommt hier einen selbstreflexiven Aspekt; der Autor imitiert eine Haltung, die später zu ihm eingenommen werden kann. In Wittgensteins Kringel-Buch findet sich folgende Passage: „Jeder Satz den ich schreibe meint immer schon das Ganze & es sind quasi // nur Ansichten eines Gegenstandes von unter verschiedenen Winkeln betrachtet.“ (KB Nr. 63; MS109, 207/2) Die alten hermeneutischen Kategorien von Teil und Ganzem wie des hermeneutischen Zirkels finden hier ihre Anwendung in einem Text, auf den sie angewendet werden: als Vorstellung an einer Ganzheit orientiert, lässt sich die Bemerkung zugleich so lesen (und eminent fällt hier Wittgensteins „Philosophieren in Bemerkungen“ als Äußerungstypus ins Gewicht): Der Gegenstand der Betrachtung bleibt gleich, seine Unterschiede sind Ergebnisse unterschiedlicher Standpunkte, die diesen Gegenstand betrachten. Die philosophische Bemerkung ist die, die um die Multiperspektivität ihres Gegenstandsbereiches weiß. Diese wird bestimmend für Wahrnehmungsoperationen (hausbackener: für das Sehen von Dingen), Albumperspektive und Teil-Ganzes-Bewusstsein verbinden sich. Die Intention geht auf das Ganze als Gleiches aus. Die philosophische Bemerkung als Anwendungsform der philosophischen Frage definiert eben nicht mehr, sondern setzt den Gegenstand, der von der Sprache gleichsam umkreist wird. Das Erkennen des Gegenstandes ist ebenso perspektivisch wie das Wissen, dass die eine Perspektive nicht alles ist. Erkannt hat man, was den schweigenden, gerade nicht gesehenen, nicht er-kannten Rest einschließt. So ergibt sich eine Ökonomie des Blicks: Ich erkenne
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unter Einschluss des gegenwärtig nicht Erkannten, aber Erkennbaren. Das Schweigen der philosophischen Frage liegt, mit Wittgenstein, nicht nur in einem quantitativen Verzicht auf zu Sagendes, das aus Achtung für eine Grenze nicht gesagt wird (und vielleicht gar nicht ausdrückbar war). Das Schweigen der philosophischen Frage liegt auch in der Hinnahme zeitweiliger Verschattungen von Fragekomplexen. Dem Bewusstsein, dass die Seiten des Objekts, das betrachtet wird, zu einem Großteil im Dunkeln liegen, wenn der erhellende, initiierende Blick nicht auf sie fällt – und dass sie doch da sind. Wieder kann man an den Mond denken (und an Wittgensteins Überlegung, das „Seht ihr den Mond dort stehn...“ usw. zum Motto der Untersuchungen zu machen.) Dies geschah nicht, auch das so genannte Kringel-Buch trägt das Narr-Gescheiter-Motto (KB S. 13 und Nr. 90; MS109,288/2), aber die Gegenstände der Betrachtung werden aufgefasst wie der ferne Himmelskörper, das nach der Sonne zweithellste Objekt. Es ist die Aufhebung eines Banns zur Eindeutigkeit (nicht der Klarheit), die im perspektivischen, schweigebewussten Betrachten des Untersuchungsgegenstandes stattfindet. ÜG 31: „Die Sätze, zu denen man, wie gebannt, wieder und wieder zurückgelangt, möchte ich aus der philosophischen Sprache ausmerzen.“ (ÜG: §31) Der Bann wird bewirkt vom unbeweglichen Satz. Zuweilen wechselt nicht nur die Perspektive des Blicks auf ein Problem, sondern das Problem und Erkenntnisinteresse verändert sich durch historische Verschiebung. (Ein Beispiel des philologischen Bereichs ist etwa die von Gumbrecht genannte zunehmende Gewohnheit, Garcia Lorcas Homosexualität interpretativ zu thematisieren24 – Bartley kam damit in der Wittgenstein-Literatur nicht durch.) Der unbewegliche Satz ist das scheinbar einseitige Objekt; wer diese Sätze „ausmerzt“ verhindert den Etikettenschwindel der eindeutigen Wahrheit. Wittgensteins Schweigebewusstsein ist Einsicht in Multiperspektivität – dass sie nicht zum demonstrativen Programm gemacht werde, sondern dem ruhigen Fluss der Sprache im zeitweilig verhärteten Flussbett entspricht. Natürliches Ansehen eines konventional schattierten Mediums. Multiperspektivität ist dabei die Variante einer Mehrstimmigkeit wie bei Wittgensteins Aspektsehen; ist das Schweigen einerseits mit dem „höheren Bereich“ verbunden (wie Ilse Somavilla betont hat), verbürgt das implizite Wissen um die Möglichkeit, mehr als nur eine Sichtweise einem Gegenstand gegenüber einnehmen zu können, dass die Art, wie er wahrgenommen wird, dem Reichtum der Lebenswelt entspricht. Dorothea Frede schreibt: „Philosophische Probleme bestehen in der Besinnung über Grundfragen, die man sonst gemeinhin übergeht.“25 Dieser Satz lässt
24 Gumbrecht 2003, S. 67. 25 Frede 2003, S. 44.
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sich auf den obigen Zusammenhang der philosophischen Betrachtung eines Gegenstands beziehen. Multiperspektivisch, nicht durch Vor-Urteile als Urteile über eine empfohlene Art von Blicken auf Phänomene getrübt, ist dieser Blick der gemeinhin Übergangene. Trotz Ahnung, Einfühlung und Historisierungskompetenz greifen diese Bemühungen zu kurz, wenn sie das Objekt einseitig in den Blick nehmen. Übersehen wird nicht nur ein fertig ausstaffiertes Problem, das dann, bezogen auf eine Grundlagenqualität, Thema von Philosoph und Philosophin wird. Erst die Einsicht, einen Blick zu üben, der die Phänomene leben lässt, d. h. ihre grundsätzliche Qualität erkennt, ohne sie in ein System stillzustellen, zeigt die Freiheit des philosophischen Blickes an: Er sieht, weil er anders auf die Phänomene blickt. Die Untersuchung einer philosophischen Frage ist nicht nur Kompetenzausweis und Zugehörigkeitsbeweis, sondern initiiert, mit Wittgenstein, eine Sicht auf den Gegenstand, die diesen nicht mehr entblößt, sondern als grundsätzlich perspektivisch erkennt.26 Daran muss man, nach Nietzsche, erinnert werden. Im Kringel-Buch heisst es angesichts der Lösung der philosophischen Probleme im „früheren Buch“: „Es schaut alles noch zu sehr nach Entdeckungen aus.“ (KB Nr. 78; MS109, 212/4) Dies ist keine Litanei des Hausbackenen. Es ist die Einsicht, dass die Sprache für sich selber sorgt, wenn man sie lässt. Wittgenstein nimmt Boeckhs Wort radikal ernst: Was wir erkennen, was wir als Lösungen von Problemen empfinden, tritt, wenn es erkannt wird, in das Bekannte ein, dem es sich als Erkanntes verdankt. Es ist die Erinnerung an das, was wir wissen, ohne es zu wissen, weil wir uns so verhalten, dass diese Annahmen stimmen – Weltbildkompetenz kann man dies nennen oder Lebensweltevidenz. Wir haben indes nicht die Begriffe, sondern die Begriffe haben uns. Das diesseitige Bild der Sprache ernstzunehmen, heisst, auf die Verlockungen des höheren Bezirks zu verzichten, keine „Gehalte“ zu postulieren, wo sie nicht sind. Schweigen ist indes nur Verzicht, wenn die Rede überschätzt wird. Als integraler Bestandteil der Sprachkompetenz (und das Wort „Kompetenz“ ist so harmlos nicht) ermöglicht erst das Schweigen die kontextsensitive Adaption des Gesagten. Anpassung ist auch: zu wissen, wann man mit der Rede nicht weiterkommt. Dabei nicht auf Gewinn und outcome des Schweigens im ökonomisch inspirierten Tauschdenken zu achten (Gewinn = Belohnung minus Kosten), macht die Größe der schweigebewussten philosophischen Rede aus: Schweigen ist hier nicht explizites Motiv, sondern Grundbedingung der Kommunikation. Intersubjektivität, gewonnen durch ihre Aussetzung. Insbesondere die Behandlung philosophischer Probleme fordert den Blickwechsel vom einseitig auf das multiperspektivisch
26 Wie der Gegenstand nicht zeitenthoben der Prädikation vorausliegt, sondern immer schon mit ihr geworden ist, vgl. Gamm 1994, S. 62 ff.
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betrachtete Objekt, was nicht nur eine Leistung in Bezug auf ein Sujet, sondern einen Wahrnehmungsmodus bedeutet: Das Wie vor dem Was.27 Denken wir noch einmal an Matthias Claudius. Wie ein Motto in nuce enthält, was im folgenden gesagt werden wird (auf dass der Keim aufgehe), ist Wittgensteins Absicht, das „Seht ihr den Mond dort stehen“ zum Motto zu machen, aufschlussreich: Hier wäre ab initio an die Ganzheit der Phänomene erinnert, die da ist, auch wenn man sie nicht sieht. Wittgensteins Blick ist ein wissender und das „Was der Leser auch kann, das überlaß dem Leser“ (VB: S. 560) hat hier eine neue Nuance: dem Leser ist nicht zuletzt überlassen, Objektbetrachtungen, Problembetrachtungen so durchzuführen, dass sich nicht nur eine Seite zeigt, beziehungsweise dass sie sich zeigt im Wissen um eine weitere Perspektive. Das geplante Motto als Aufruf zur Einübung in Vielstimmigkeit. Und die Philologie? Aufschlussreich ist ein Satz Boeckhs zum „Entwurf unseres Planes“ in der Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften: Im Vorübergehen ist schon öfter bemerkt worden, dass, wenn eine wissenschaftliche Construction der Philologie zu Stande kommen soll, die Theile derselben und somit der ganze Gang der Entwicklung aus dem Begriffe hervorgehen müssen; die Disciplinen, wie sie gewöhnlich aufgestellt werden und zufällig sich gebildet haben, können nur insofern ihre Stelle in einer solchen Ableitung behaupten, als sie wirklich Disciplinen und nicht blosse begriffslose Aggregate sind.28
Zu einem geistesgeschichtlich vergleichsweise frühen Zeitpunkt erinnert der Philologe an die Notwendigkeit, Begriffe zu betrachten, um zu sinnvollen Ergebnissen zu kommen. Disziplinen werden durch Beschreibung begrifflicher Spezifika konturiert, durch Verteidigung von Begriffshoheiten gesichert (der soziologische Punkt). Überraschend baut Boeckh die Brücke zur „Begriffsklärung ohne Definitionshoheit“ (Dummett) der neueren Zeit: Normativ schwächer, Schwäche der modernité, ohne Anspruch auf einen Hoheitsbereich der Definitionsmacht, hält sie an Begriffsklärung als Mittel gegen den Zufall fest. Dass es keine festen Wahrheiten gebe, sagt, mit Thomas Steinfeld, der „gemeine Mensch“.29 Begriffe befestigen Wahrheiten, aber sie befestigen auch sich selbst als Wahrheiten nach dem Wahrheitsidol. Der Gemeinplatz flieht die feste Wahrheit, prozesshaft-performativ sind seine Begriffe geworden, Konstruktionen eines Geistes, der sich selbst nicht mehr kennen möchte, der seine Gestalt proteisch ändert, wenn seine Begriffe
27 Entsprechend wird das Sujet durch figurierende Vorgänge mobilisiert, in Bewegung gebracht etwa bei Johann Heinrich Lambert, vgl. Kleinschmidt 2011, S. 367–386. 28 Vgl. Boeckh, 1886, S. 53. 29 Steinfeld 2009, S. 211.
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ihn dingfest machen möchten. Dingfest? Die Sache der Philologie entgeht der als „gemein“ gescholtenen Intuition, es gebe keine festen Wahrheiten, so: Pragmatisch wird die theoretische Seite der Ideenproduktion weniger betont als die Realität des textuellen Materials. De Man sprach von der resistence to theory, einem Widerstand gegen den Blick, der die konkrete Textnatur seiner Gegenstände nicht sehen wolle. Wittgenstein widerspricht festen Wahrheiten, aber sein Widersprechen ist nicht gemein. Es ist verbunden mit dem Wissen um die Schweigenotwendigkeit der philosophischen Rede.30 „Gemein“ erscheint das Absehen vom festen Gegenstand dem Autor eines Aufsatzes über Philologie. Die von vornherein gegebene Schweigenotwendigkeit der philosophischen Rede aber korrespondiert mit der erkenntnistheoretischen Einsicht, dass die Kette der Gründe ein Ende habe. Und: „Was ein triftiger Grund für etwas sei, entscheide nicht ich“. (ÜG: §271). Erst die reife Sozialität, die sich in mannigfaltigen Interaktionen ihrer selbst, ihrer Geltung versichert hat – nach den Anfängen, die ein lehrreiches Konfrontationsgeschehen waren – trägt die Entscheidungen, die zu Bedeutung führen. Gerade weil philosophische Probleme nicht unvergänglich sind, sondern so behandelt wurden, fällt das Schweigen über Ethisches schwer. Ethik scheint den philosophischen Einspruch zu erzwingen – das Moralgesetz ist Grundformel als Autoritätssignal. Wittgensteins Abstinenz von den ethischen Problemen (im Sinne einer Einlassung nach den Regeln der Kunst der Disziplin) bildet, so möchte ich sagen, das Muster für eine Abstinenz von einer bestimmten Art und Weise der Thematisierung von Problemen: Sprache sorgt in einem hohen Maße für sich selbst, sorgt auch für die Probleme, die sie aufwirft – das Eingreifen durch explizites Reden hat hier etwas Tautologisches, tautologisch im herkömmlichen Sinne des Pleonasmus. Tautologizität als Variante der Aposiopese aber, des „vielsagenden Verschweigens“, weiß etwas. Das Beschwiegene bleibt bewahrt. Philosophische Rede stellt ihre Probleme mit Wittgenstein nicht mehr aus, sondern befindet sich auf einer Ebene, die von jener der Probleme nicht verschieden ist. Weder beugt sich der Philosoph hinab (das Problem als kritisch zu stellendes, zu entzauberndes Phänomen), noch operiert er nach oben, in eine Höhe, die von ihm fast ganz getrennt ist. Er ist seinen Problemen gleich. Ist sprachverwendendes Wesen. Wo nicht mehr idolisiert wird, ist das philosophische Problem gänzlich diesseitig geworden. Sein Versprechen auf Erkenntnis klammert das rechte Leben aus – es sind Überzeugungen, die hier berührt werden, die den diesseitigen Bereich übersteigen – das ethische Problem verlangt, in the long run, einen unendlichen Horizont, wenn Überzeitliches gefragt wird. Das „Gute“ ist nun sein Verschweigen
30 Vgl. etwa Piltz 1987; Mann 1994; zum Schweigen als soziologischer Konstante: Luhmann / Fuchs 1997; Markewitz 2013.
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und eine Achtung für andere Lebewesen. Wie es Krankheiten gibt, die Menschen feindselig machen, ohne dass sie es wollen, gibt es Probleme, die den Philosophen reden lassen, obwohl er es nicht sollte. Ein Schuss jener „Theorie der Unbegrifflichkeit“, die Blumenberg schon 1979 empfahl,31 kann auch helfen. Die Therapie der philosophischen Behandlung erfolgt zu Zeiten schweigend. In diesen Pausen kann etwas aufscheinen, was das Problem nicht kognitiv löst, sondern eben auflöst wie ein Stück Zucker. Die Umgebung des Problems wird so gestaltet, dass es seinen Problemcharakter verliert und als Phänomen der Sprachverführung32 deutlich wird. Auf den rechten Weg geführt, ist Reden wieder möglich, jenseits des Zustands des Verwunschenseins, der falschen Gestalt. Die richtige Gestalt ist die, die mit Redeformen korrespondiert, die eine Sozialität problemlos beglaubigt. Was die historische Hervorbringung mit Gumbrecht versucht, was ihr eigentliches Ziel ist und auch für philosophische Texte interessant, ist die Überschreitung der Schwelle des Todes.33 Wie der Autor für die Rede vom Sakralobjekt ohne Ironiesignal eintritt, ist dies die Aufgabe: Historisieren, als ginge es weiter. Das individuelle Ende wird durch die als klassisch betrachteten Texte ausgesetzt (sie scheinen der Zeit enthoben und werden nun aufmerksam bedacht). Die philosophische Rede nun ist dieser Intention – der Überwindung der Schwelle des Todes – nah: Ihr Schweigen über den höheren Bezirk verzichtet auf Ausdruck, den man sich als lebendigen Ausdruck vorstellt. Ist die philosophische Rede auf der Seite des Todes? Die Antwort lautet: Ja, insofern sie schweigebewusste Rede ist. Schweigen ist hier nicht Motiv, sondern eine umfassende Einwilligung in die Bestimmtheit des Menschen. Seine condicio verlangt nicht nur Ausdruck, sondern Verzicht auf diesen Ausdruck (der wieder Ausdruck ist). So weist die Frage nach der philosophischen Frage auf ein Anthropologem. Was Gumbrecht über die Philologie sagt, weist den Weg für die Behandlung der philosophischen Frage – die Historisierungsabsicht, die den Tod aufschiebt, seine „Schwelle“ überschreitet, besteht im Fall der philosophischen Frage darin, sich mit grammatischen Bestimmungen zu begnügen, die radikal diesseitig sind. Sich Problem zu sein – mit Henrich ist reflexiver Selbstbezug nicht das, „was ein Problem der Philosophie ausmacht“.34 Vielmehr sei „von ihm her zu begreifen, in welchem Sinne die Philosophie sich
31 Vgl. Blumenberg 1979; auch: Blumenberg 2007. 32 Vgl. nur Kainz 1972; Birnbacher 1985, S. 47–70. 33 Gumbrecht 2003, S. 104. 34 Henrich 2003, S. 93.
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selber ein Problem ist.“35 Neue Verfahren eröffnen neue Problemdimensionen.36 Die Schwelle des Todes zu überwinden, der Historisierung ein Moment des Weiterlebens abzugewinnen, heißt, in die Kontingenz der grammatischen Bestimmung einzuwilligen. Das „Laß die Grammatik, wie sie ist“ (KB Nr. 203; MS111,177/5) Wittgensteins lässt sich in dieser Weise verstehen: Die grammatische Bestimmung geht nach dem Tod des Individuums weiter. Sie prolongiert eine Lebensspanne – nicht metaphysisch, sondern konkret, indem Bestimmungen, unter die x fiel, für seine brothers in language weiter gelten werden und x dies weiß. Die Schwelle des Todes ist nicht die Schwelle der Geltung des philosophischen Problems. Über sein konstitutives Schweigen willigt der philosophisch Sprechende in die bestehenden Regeln seiner Sprache ein. Er entspricht der relativen Unverrückbarkeit der Grammatik. Wenn Hans Ulrich Gumbrechts Mutter also die Grundschullehrer als „Philologen“ bezeichnete, war dies, vor dem Hintergrund des Gesagten, eine gelungene Intuition: Auf einer basalen Stufe, der des Sprachlernens, werden wir mit den komplexitätsmindernden Mitteln versehen, das Leben zu meistern und seine Unterscheidungen, aus denen Bedeutung entsteht, in einem nichtemphatischen Sinn zu verstehen. Diese Kompetenzen sind kein Klischee; das Wort „Kompetenz“ hat einen Anteil, der von seiner Verordnung träumt. Auch Bildung, für die Gebühren bezahlt wird, liefert indes nicht gleichförmige Ergebnisse (die die Investition wettmachten). Die Antworten auf philologische wie philosophische Fragen werden so nicht gewonnen. Die Wissenschaft „unendlicher Approximation“ (Boeckhs Aufgabe) trifft sich mit dem lakonischen Einwilligen in die Gegebenheiten des Lebens des Kringel-Buches und des Vortrags über Ethik. Das moderne Subjekt ist in den Bestimmungen der Verwendungsweisen der Wörter – mit weitem Hof – gehalten und begrenzt. Seine Gedanken können die Begrenzung übersteigen, der sie sich verdanken. Das notwendige Nacheinander geschriebener wie gesprochener Worte ist seine diesseitig gedachte Grenze. Entzauberung? Rüdiger Bittner nannte die Auskunft darüber, was ein philosophisches Problem sei „eine bibliothekarische Auskunft (...) nicht mehr.“37 Diese Bibliothek, so möchte ich schließen, ist für manche lebenswichtig. Die „Erkenntnis des Erkannten“ bleibt nicht in den Regalen stehen. Figurierend und refigurierend treten die neuen Formationen von Erinnerungen in Lebenszusammenhänge ein. Boeckhs philologische Formel trifft sich mit den Erfordernissen einer sprachlosen Ethik. Schweigebewusst zu reden, ist die erste Kunst der Philosophen.
35 Ebenda. 36 Ebenda, S. 95. 37 Bittner 2003, S. 26.
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Psychologie
Wilhelm Vossenkuhl
Vom Unsinn zum Sinn. Wittgenstein auf dem Weg zur Autonomie der Grammatik1 Wittgensteins Originalität gibt immer wieder Anlass zur Verwunderung, manchmal auch zum Kopfschütteln. Ob er etwas wirklich so meint, wie er es sagt, erscheint dann nicht nur unklar zu sein. Wir fühlen uns als Interpreten vielleicht sogar veranlasst, das merkwürdig oder absurd Erscheinende grade zu biegen und Wittgenstein vor dem Verdacht auf Unzurechnungsfähigkeit zu bewahren. Dies ist allerdings eher ein Zeichen eigener Kleingläubigkeit, Verzagtheit und mangelnder Vorstellungskraft als ein Nachweis philosophischer Unzulänglichkeit auf Seiten Wittgensteins. Ein für diese intellektuelle Asymmetrie zwischen Autor und Interpreten einschlägiges Themenfeld ist der Solipsismus. Nicht wenige Interpreten versuchten, Wittgenstein vor dem Verdacht zu bewahren, er habe den Solipsismus – nicht nur in Russells Augen ein offenkundiger Unsinn – ernsthaft als philosophische Option in Betracht gezogen. Was für den Tractatus mit seinen einschlägigen Solipsismus-Passagen noch schwer zu bestreiten ist, sollte zumindest für die Zeit danach als ausgeräumt und als erledigt gelten. Dies ist jedoch ein Irrtum, zumindest aber uninformiertes Wunschdenken. Die sorgfältige und unvoreingenommene Lektüre der Philosophischen Bemerkungen (Kapitel VI, §§ 57–66)2 und – parallel dazu – der Sammlung von Texten, die Josef Rothhaupt unter dem Titel „Wittgensteins Kringel-Buch“ zusammenstellte, öffnet den Blick auf eine argumentative Strategie, in die der Solipsismus nicht nur methodisch integriert, sondern unverzichtbarer Ausgangspunkt ist. Es ist eine Strategie, die ihrem Inhalt und ihrem Gestus nach einzigartig ist, weil sie uns auf den ungewohnten Weg vom – solipsistischen – Unsinn zum Sinn menschlichen Sprechens und Denkens mitnehmen will und dabei vor keiner noch so absurd erscheinenden Denkfigur zurückschreckt. Das ist der eine Aspekt, der an dieser Strategie interessant ist, weil sie einen Moment des Übergangs vom Tractatus zum späteren Denken sichtbar macht. Der andere Aspekt hat etwas mit jenem Weg und Wittgensteins weiterer Entwicklung
1 Für wichtige Hinweise danke ich Josef Rothhaupt, Erich Ammereller und Erasmus Mayr. 2 Die postum erschienenen Philosophischen Bemerkungen (1964) basieren auf Typoskript TS209 in Wittgensteins Nachlaß. Kapiteleinteilung und Paragraphennummerierung wurden aber vom Herausgeber Rush Rhees vorgenommen.
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zu tun. Wir können, wenn wir wollen, jenen Moment des Übergangs schon als Vorgriff auf das verstehen lernen, was dann später unter „Regelskeptizismus“ und „Privatsprachenargument“ bekannt geworden ist. Mit der Strategie ‚vom Unsinn zum Sinn‘ gewinnt der Denkweg Wittgensteins eine Kohärenz, die er ohne sie nicht hat.
1 S innesdaten, Privatsprache und die solipsistische Methode In den Philosophischen Bemerkungen (PB) weist Wittgenstein auf den solipsistischen Charakter der jeweils aktuellen Wahrnehmungen hin. Dies ist auf dem Niveau sinnlicher Wahrnehmungen leicht nachvollziehbar; schließlich sind alle Wahrnehmungen immer zuallererst diejenigen einer Person in einem bestimmten Augenblick, und nur die ihren. Ein so verstandener ‚sensualistischer‘ Solipsismus, dessen Aussage sich auf unmittelbare Erfahrungserlebnisse beschränkt, ist schwer zu bestreiten, außerdem ergeben sich aus ihm über die bloße Tatsache des individuellen Charakters der Wahrnehmung hinaus keine besonderen Einsichten oder Feststellungen. Denn die Individualität jeder Wahrnehmung ist über ihre Tatsächlichkeit hinaus nicht weiter aufklärbar. Wittgenstein hält diesen sensualistischen Solipsismus offenbar für unstrittig. Er will aber nicht an diesem unergiebigen Punkt verharren. Dies wird klar, wenn er bemerkt, dass wir versucht seien zu sagen, nur die Erfahrung des gegenwärtigen Augenblicks habe „Realität“. Mit dieser potentiellen Beschränkung von „Realität“ könnte der uninteressant scheinende Solipsismus Interesse und eine epistemische Qualität gewinnen, die – vielleicht – als Grundlage dafür dienen könnte, der besonderen „Realität“ des gegenwärtig Erlebten auch sprachlichen Ausdruck zu geben. Und genau dies fasst Wittgenstein nun aus metatheoretischer Perspektive ins Auge, wenn er sagt: Jener Satz, daß nur die gegenwärtige Erfahrung Realität hat, scheint die Konsequenz des Solipsismus zu enthalten. Und in einem Sinn ist das auch so; nur kann er ebenso wenig sagen wie der Solipsismus. – Denn was zum Wesen der Welt gehört, läßt sich eben nicht sagen. (PB 85; MS108,2/1b)
Der Schritt über die Realitäts-Vermutung hinaus misslingt und damit schwinden auch die Aussichten auf einen möglichen sprachlichen Ausdruck jener vermeintlichen „Realität“. Damit ist das Problem, um das es geht, aber nur scheinbar aufgeklärt, und die Folgerungen, die sich ergeben, sind auch nur scheinbar klar. Das Problem ist, dass sich das, was philosophisch interessant wäre, nämlich die Aufklärung jener Realität der „gegenwärtigen Erfahrung“, also die Aufklärung dessen, was zum „Wesen der Welt“ gehört, nicht möglich ist, weil sich darüber
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nichts sagen lässt. Und die Folgerung daraus wäre, dass dies an der Sprachlosigkeit des Solipsismus liegt. Das wäre zwar nicht falsch, aber doch nur eine Wiederholung dessen, was Wittgenstein selbst sagt. Und in der Nacherzählung sollte sich die Arbeit eines Interpreten nicht erschöpfen. Es lohnt sich, wie wir sehen werden, jenem Problem der Aufklärung der Realität der „gegenwärtigen Erfahrung“ bzw. des „Wesens der Welt“ nachzugehen und die Folgerungen daraus zu prüfen. Wie im Tractatus ist für Wittgenstein in der eben erwähnten Passage das, was sich sagen lässt, der Bereich der „physikalischen Sprache“, d. h. der Sprache des wissenschaftlichen Weltbilds, welche die Natur wahrheitsfähig beschreibt. In dieser Sprache lasse sich das, was zum „Wesen der Welt“ gehört, – so seine damalige und spätere Überzeugung – nicht ausdrücken. Wer dies nicht wahrhaben wolle, verfange sich in Irrtümern: „Die ärgsten philosophischen Irrtümer entstehen immer, wenn man unsere gewöhnliche – physikalische – Sprache im Gebiet des unmittelbar Gegebenen anwenden will.“ (PB 88; MS107,160/1) Neben der Wiederholung der tractarianischen Einsicht, dass eine spezifisch philosophische Verwendung der Sprache nichts sagen kann, enthält das eben Zitierte nun schon eine weitreichende Folgerung. Wittgenstein sagt hier bereits, wie philosophische Irrtümer durch einen falschen Gebrauch der „gewöhnlichen“ Sprache entstehen. Das ist das eine. Das nicht weniger Überraschende andere der beiden eben erwähnten Passagen ist, dass Wittgenstein die Sinnesdaten, das unmittelbar Gegebene, nicht nur als etwas bloß Privates betrachtet und abtut, sondern diese Privatheit trotz ihrer Unaussagbarkeit und sprachlichen Unausdrückbarkeit ernst nimmt; immerhin enthält das Private in einer nicht näher spezifizierbaren Weise die Realität des unmittelbar Gegebenen, also das, was zum „Wesen der Welt“ gehört.3 Was davor trivial erschien, ist plötzlich interessant. Denn die Identifizierung des unmittelbar Gegebenen, der Sinnesdaten mit dem Privaten widerspricht den Überzeugungen der meisten Theoretiker der Sinnesdaten, die von deren öffentlich zugänglichem Charakter überzeugt sind. Natürlich wird das unmittelbar Gegebene gewöhnlich in der, wie Wittgenstein sagt, zu den „ärgsten philosophischen Irrtümern“ führenden physikalischen Sprache ausgedrückt. Dieser Sprache sieht man ihre Irrtümer nicht an, weil sie den Schein des Sinnvollen wahrt. Genau deswegen ist sie auch bestens geeignet Unsinniges zu sagen und, mangels einer Alternative, zumindest indirekt als Exempel für das zu dienen, was ‚Privatsprache‘ heißen könnte. Diese
3 Wittgenstein identifiziert aufgrund der unterschiedlichen Herkunft das unmittelbar Gegebene nicht mit dem Privaten, weil – außer bei Schmerzen und anderen inneren Wahrnehmungen – das eine äußerlich, das andere innerlich ist; er verwendet die Beispiele, die er wählt und in der gewöhnlichen, physikalischen Sprache schildert, aber so, als wäre das eine mit dem anderen wenigstens dem Sinn nach identisch, nämlich gleich unsinnig.
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Annäherung an die Privatsprache ist nach der Betonung der unüberwindlichen Schranken, die der Solipsismus der Ausdrückbarkeit der Realität der Wahrnehmung des unmittelbar Gegebenen setzt, überraschend. Es zeigt sich damit, dass das oben genannte Problem eben doch noch nicht aufgeklärt ist. Um Missverständnissen vorzubeugen sei gesagt, dass Wittgenstein nicht für eine solche Privatsprache argumentiert. Er setzt ihre Denkbarkeit jedoch an vielen Stellen voraus und spricht so, als ob sie – als meine und nur meine, als deine und nur deine Sprache – denkbar wäre. Es sei die Sprache, „welche mich zum Zentrum hat“ (PB 89; 108,8/3b). Diese Sprache nehme – so fährt er fort – keine Sonderstellung ein, es komme lediglich auf die Anwendung dieser Sprache an, eine Anwendung, die genau so viele Sprachen wie Sprecher hat. Dann beschreibt Wittgenstein die ‚Möglichkeit von Privatsprachen’, wenn er sagt: Alle diese Sprachen stellen nur ein Einziges, Unvergleichliches dar, und können nichts anderes darstellen. (Die beiden Betrachtungsweisen müssen zu demselben führen: Die eine, dass das Dargestellte nicht eines unter mehreren ist, daß es keines Gegensatzes fähig ist; die andere, daß ich den Vorzug meiner Sprache nicht aussprechen kann). (PB 89; MS108,8/3c)
Das sind immerhin vier interessante und unbezweifelbare Merkmale ein und desselben: was Privatsprachen darstellen, ist jeweils singulär, unvergleichlich, ohne Alternative und widerspruchsfrei, besser gesagt, gar nicht zu einem Widerspruch mit alternativen Gehalten fähig. In Übereinstimmung mit diesen Merkmalen sagt Wittgenstein dann: Von Sinnesdaten, in dem Sinne dieses Wortes, in dem es undenkbar ist, daß der Andere sie hat, kann man eben aus diesem Grunde auch nicht sagen, daß der Andere sie nicht hat. Und aus eben diesem Grund ist es sinnlos zu sagen, daß ich, im Gegensatz zum Anderen, sie habe. (PB 90; MS107,215/4)
Solipsistische Sätze, nach dem Muster ‚nur ich habe diese Empfindungen‘ sagen nichts, sind ohne Sinn. Wittgenstein benutzt hier eine Art Vexierbild. Einerseits ist es unbezweifelbar so, dass jeder seine eigenen Sinnesdaten hat, andererseits ist es ebenso unbezweifelbar, dass genau dies nicht gesagt werden kann, weil dann eben jene Merkmale verletzt würden, welche die Privatheit der Sinnesdaten kennzeichnen. Klar ist damit, dass die Merkmale der Sinnesdaten unter den Prämissen der – von Wittgenstein so genannten – physikalischen Sprache selbst-zerstörerisch sind. Dies hält Wittgenstein aber nicht davon ab, genau diese Prämissen außer Kraft zu setzen und darüber zu räsonieren, wie diesseits oder jenseits der physikalischen Sprache bzw. der Erkenntnistheorie über Sinnesdaten nachgedacht werden kann. Er ist sogar der Überzeugung, dass es eine „philosophische Methode“ sei, jen-
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seits der Wahr-Falsch-Unterscheidung über Sätze nachzudenken, „deren Inhalt uns physikalisch als der allerunmöglichste erscheint (z. B. daß einer im Zahn des anderen Schmerzen hat).“ (PB 90; MS107,219/2) Man kann diese Methode ohne Vorbehalt eine solipsistische nennen. Sie arbeitet bewusst im Raum denkbarer Sätze, die Wittgenstein die „eigentlichen Sätze“ (PB 90; MS107,219/2) nennt, auch wenn sie unsinnig sind.4 Diese Sätze sind trotz des Unsinns, den sie ausdrücken, interessant, weil sie erstaunliche Einsichten ermöglichen, z. B. diejenige, dass sowohl die Behauptung, zwei Personen hätten die gleichen Sinnesdaten als auch die Verneinung dieses Sachverhalts gleichermaßen unsinnig sind.5 Diese Unsinns-Symmetrie ist ein Ergebnis der solipsistischen Methode, die diesseits oder jenseits der Wahr-Falsch-Unterscheidung den eigenen und den fremden Sinnesdaten die Merkmale privater Sprachen zuschreibt. Diese Merkmal besagen – um es noch einmal zu wiederholen – dass die Sätze der privaten Sprache über Sinnesdaten jeweils singulär, unvergleichlich, ohne Alternative und widerspruchsfrei und damit zu Aussagen in der „physikalischen Sprache“ nicht zu gebrauchen sind.6 Aus der Unsinns-Symmetrie bzw. der solipsistischen Methode folgt, dass es weder einen privilegierten Zugang zu den eigenen Sinnesdaten gibt noch eine wahrheitsfähige Gleichsetzung der eigenen mit den fremden, in welcher Sprache auch immer. Eine zentrale Pointe von Wittgensteins philosophischer Entwicklung besteht darin, dass aus dieser Unsinns-Symmetrie am Ende, wie die Textpassagen des Kringel-Buchs zeigen, eine Sinn-Symmetrie wird.
2 Solipsistische Methode und Unsinns-Devise Die solipsistische Methode wird in den eben skizzierten Überlegungen Wittgensteins in den Philosophischen Bemerkungen (PB) entwickelt. Sie hat in negativer Hinsicht große Bedeutung für sein späteres Verständnis des Regelfolgens, weil
4 Das ‚Denkbare‘ bezieht sich hier ausdrücklich auf unsinnige Sätze; dies entspricht der Strategie des Tractatus, nach der Wittgensteins Sätze von dem, der sie versteht „am Ende als unsinnig“ erkannt und auf dem Weg zur richtigen Einsicht in die Welt überwunden werden (6.54). 5 In Wittgensteins Worten: „Ebenso ist es Unsinn zu sagen, daß zwei Menschen nicht das gleiche Sinnesdatum besitzen können, wenn mit ‚Sinnesdatum‘ wirklich das Primäre gemeint ist.“ (PB 91; MS107,217/1c) 6 Es ist auffällig, dass diese Merkmale solipsistischer Sätze mit denjenigen der Elementarsätze des Tractatus übereinstimmen. Dies erklärt in gewisser Weise im Nachhinein, warum es keine Beispiele für Elementarsätze gibt und geben kann.
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mit ihr bereits jede Möglichkeit der sinnvollen, wahrheitsfähigen Verwendung solipsistischer Sätze ausgeschlossen wird. Die solipsistische Methode liefert, wenn man so will, einen Unmöglichkeitsbeweis solipsistischer Sätze. Damit ist ihre Funktion aber auch schon erschöpft. Positive, weiterreichende Folgerungen kann Wittgenstein aus dieser Methode nicht gewinnen. Er hält aber an der Verwendung unsinniger Sätze, wie die entsprechenden Passagen des KringelBuchs (KB) zeigen, fest. Die solipsistische Methode wird nun ersetzt durch den Gebrauch der – von mir so genannten – Unsinns-Devise, die besagt, dass man zu dem, was sinnvoll gesagt werden kann, am besten gelangt, wenn man davor gezeigt hat, was unsinnig ist. Mit dieser Devise wird deutlich, wie er sich gegen die epistemischen Einstellungen der analytischen Tradition seiner Zeit stellt und deren rationalistischen Duktus konterkariert. Auf dem Hintergrund der eben interpretierten Textpassagen der Philosophischen Bemerkungen, die im Kern das enthalten, was ich ‚solipsistische Methode‘ nenne, wird das, was Wittgenstein in den Texten des Kringel-Buchs zu den Grenzen des Vernünftigen sagt, besonders gut verständlich. Es wird auf jenem Hintergrund auch klar, warum und mit welchem Ziel er über offenbaren Unsinn nachdenken will. Erst beide Texte zusammen, die Philosophischen Bemerkungen und das Kringel-Buch, vermitteln einen vollständigen Eindruck einer denkerischen Strategie, die mit der Denkbarkeit privater Sprachen und des Unsinns ihrer Sätze beginnt und auf diesem Weg zu den Bedingungen sinnvollen Sprechens gelangt. Die Philosophischen Bemerkungen enthalten zwar auch eine Reihe, aber bei weitem nicht alle der Passagen, die im Kringel-Buch zu finden sind und für die eben beschriebene denkerische Strategie stehen. Das Motto dieser Strategie könnte lauten: ‚wenn du wissen willst, was wirklich sinnvoll ist, musst du dich erst einmal voll und ganz auf den Unsinn einlassen.‘ Diese – von mir so genannte – Unsinns-Devise lautet in Wittgensteins eigenen Worten so: „(Es ist oft nicht erlaubt in der Philosophie gleich Sinn zu reden, sondern man muß oft zuerst den Unsinn sagen weil man gerade ihn überwinden soll).“ (KB Nr. 14; MS107,266/3) Und: „(Es schadet gar nichts in der Philosophie Unsinn zu reden, wenn man sich nur tief genug mit dem Unsinn einlässt.)“ (KB Nr. 51; MS108,267/4) Es wäre weder ergiebig noch erhellend, die Unsinns-Devise und die mit ihr verbundene Strategie aus den erwähnten Texten bloß rekonstruktiv ohne den Blick zurück auf den Tractatus nachzuvollziehen. Damit würde zum einen die Distanz zum Tractatus und die denkerische Wegstrecke, die Wittgenstein inzwischen hinter sich brachte, unbeleuchtet bleiben. Zum anderen würde auch nicht verständlich, aus welchem Grund er dem Unsinn – in Übereinstimmung mit der solipsistischen Methode – überhaupt eine systematisch wichtige Bedeutung zuschreibt. Auf dem Hintergrund der Logik des Tractatus einerseits und dem,
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was die Sinnesdatentheoretiker andererseits denken, entfalten die UnsinnsDevise aber ihr ganzes Potential. Es wird unabweisbar, dass Wittgenstein sich nicht nur von der damals zeitgenössischen Tradition der Sinnesdatentheoretiker, sondern auch von einem Teil seines eigenen früheren philosophischen Selbst distanzieren will. Um welchen Teil des früheren Selbst es sich handelt, werden wir sehen. Dabei müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass das Tractatus-Denken noch in vieler Hinsicht lebendig ist. Sätze wie „Es gibt Gegenstände“, die im Tractatus als „unsinnige Scheinsätze“ (4.1272) entlarvt wurden, gelten noch immer als unsinnig. Und Wittgenstein nimmt den Vorschlag am Ende des Tractatus, der – den späteren therapeutischer Ansatz vorwegnehmend – die „richtige Methode der Philosophie“ darin sieht, Metaphysisches als bedeutungslos nachzuweisen (6.53) weiterhin ernst. Diese „einzig streng richtige“ (a.a.O.) Methode, die mittlerweile die ‚neuen Wittgensteinianer‘ (sog. New Wittgensteinians)7 zu Spekulationen veranlasst, präsentiert sich in der eben erwähnten Unsinns-Devise in einer Metamorphose. Die Unsinns-Devise steht jedenfalls nicht im Gegensatz zur Schlussspekulation des Tractatus über die einzig richtige Methode. Man könnte sagen, dass es lediglich die Kehrseite jener Methode ist. Die Bedeutung der Unsinns-Devise – im Gefolge der solipsistischen Methode – im Gesamtspektrum von Wittgensteins denkerischer Entwicklung wird durch das Kringel-Buch unterstrichen. Der besondere Wert dieser Textsammlung liegt im Hinblick auf das Thema dieses Beitrags darin, dass die relevanten Texte mit den Beispielen unsinniger Sätze in großer Dichte angeboten werden. So kann nicht der Eindruck entstehen, dass es sich um sinnlose, mehr oder weniger zufällige und abwegige Ausrutscher oder exzentrische Provokationen handelt. Wittgenstein hat die Unsinns-Devise sehr ernst genommen, wie das Kringel-Buch zeigt.
3 Sinnesdaten Wie bereits bemerkt, unterscheidet sich Wittgensteins Verständnis der Sinnesdaten diametral von demjenigen der Sinnesdaten-Theoretiker. Es liegt daher nahe, diesem Umstand eine gewisse Aufmerksamkeit zu schenken. Auffällig ist zunächst der pragmatische Aspekt, dass Wittgenstein nach seiner Rückkehr zum philosophischen Arbeiten und nach Cambridge, also in der Zeit nach 1929, das Thema der Sinnesdaten kaum ignorieren konnte. Denn für seinen Freund G. E. Moore spielten die Sinnesdaten eine große Rolle. Ganz und gar nicht pragma-
7 Siehe dazu: Crary, Alice / Read, Rupert (ed.): The New Wittgenstein. London 2000.
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tischer Natur ist allerdings Wittgensteins kritische Distanz zur Common Sense Philosophie Moores und damit auch zur analytischen Behandlung der Wahrnehmung. Allerdings – dies ist nicht zu übersehen – haben die Ergebnisse von Wittgensteins Überlegungen zum Thema ‚Sinnesdaten‘ in der analytischen Tradition keinerlei Spuren hinterlassen. Die analytischen Debatten zur Philosophie der Wahrnehmung, wie sie noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts geführt werden, sind weiterhin im Geiste Moores verpflichtet. Wittgensteins Überlegungen spielen dabei keine Rolle, obwohl es vor allem die Privatheit der Sinnesdaten ist, die in jenen Debatten Kopfzerbrechen macht. Dazu hätte Wittgenstein einiges beizutragen gehabt.8 Im Gegensatz zu dessen Unsinns-Devise gehen viele Teilnehmer der erwähnten Debatten davon aus, dass es am besten ist, die unzugängliche Privatheit einfach von vornherein thematisch auszuschließen und die Sinnesdaten wie gewöhnliche physikalisch bestimmbare Zustände als öffentlich zugängliche Daten zu deklarieren, um Sinnvolles über sie sagen zu können. Niemand will sich auf die privaten Sinnesdaten wirklich einlassen.9 Moore tat dies auch nicht, wie seine Diskussion des Beispiels der unabweisbaren Realität des Sehens der Oberfläche seiner rechten Hand zeigt.10 Ihm wurde zurecht vorgeworfen, er habe die Sinnesdaten auf das Visuelle eingeschränkt und Töne, Gerüche und dergleichen nicht thematisiert.11 Der Common Sense lässt sich aber auch schwer auf Sinnesdaten anwenden, die nicht allgemein zugänglich sind.12 Deswegen kann man Moores Zurückhaltung, was die privaten Sinnesdaten angeht, einerseits durchaus verstehen. Andererseits erscheint es mutlos und oberflächlich, ein Problem nur deswegen zu ignorieren, weil es schwierig ist oder schwer zugänglich erscheint. Wittgenstein hat mit dem Common Sense Moores nichts im Sinn und scheut sich deswegen nicht, private Empfindungen in einem methodisch zunächst nicht eingeschränkten Sinn zu thematisieren. Er tut dies konzentriert in Textpassagen des Kringel-Buchs, im Blauen Buch und – wie wir sahen – in einigen Passagen
8 Es wird interessant sein zu sehen, was Wittgenstein in seinen Vorlesungen zwischen 1930 und 1933 zu diesem Thema zu sagen hatte. Die Mitschriften dieser Vorlesungen von G.E. Moore gibt David Stern derzeit heraus. Sie werden demnächst veröffentlicht. 9 Beispielhaft für diese Einstellung sind die Beiträge in G. J. Warnocks Edition The Philosophy of Perception, Oxford 1967; die Beiträge stammen mehrheitlich aus den 50er Jahren. 10 Moore, George E.: A Defence of Common Sense. In: Muirhead, J. H. (ed.): Contemporary British Philosophy (second series). London 1925, S. 192–233. 11 O. K. Bouwsma, ibid., 17. 12 Diejenigen, die wie Moore ‚Sinnesdaten‘ als sinnliche Wahrnehmungen („Dies ist meine rechte Hand“ etc.) verstanden, waren auch der Ansicht, dass sie direkt und öffentlich zugänglich wahrgenommen werden. Daneben gibt es aber auch die von Wittgenstein vertretene Ansicht, Sinnesdaten seien per se privat.
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der Philosophischen Bemerkungen. Statt über Sinnesdaten, die wie die Oberfläche einer Hand visuell jedermann in der Nähe derselben zugänglich sind, denkt Wittgenstein über die privaten, in einem streng sensualistisch-empirischen Sinn niemand anderem zugänglichen Empfindungen nach, nicht zuletzt über die ganz offensichtlich privaten Schmerzempfindungen. Wir sahen bereits, dass Wittgenstein einerseits nicht daran zweifelt, dass wir Menschen einen individuellen, ausschließlich privaten Zugang zu unseren Empfindungen haben, dass es andererseits aber unsinnig ist, über sie selbst und den besonderen Zugang zu ihnen zu sprechen oder die eigenen gar mit den Empfindungen anderer zu vergleichen. Die solipsistische Methode zeigt, warum dies unsinnig ist. Es ist unsinnig, weil einerseits jeder Satz, der in meiner privaten Sprache eine solche Empfindung beschreibt, einen singulären, unvergleichlichen, alternativlosen und widerspruchsfreien Gehalt hat und andererseits wegen dieser Merkmale in unserer alltäglichen Sprache nicht gesagt werden kann. In der Sprache, die wir verstehen, wirken sich die Merkmale der privaten Sprache kontraproduktiv aus. Natürlich könnten wir alle so tun, als würden wir über private Sinnesdaten in unserer jeweils eigenen Sprache sprechen, wir würden uns dabei aber nur selbst täuschen. Dies ist das Resultat der Klärung der Möglichkeit von Sätzen über private Sinnesdaten durch die solipsistische Methode. Diese Methode, ergänzt durch die Unsinns-Devise, zeigt, warum niemand in seiner privaten Sprache etwas sagen kann. In den Passagen des Kringel-Buches geht Wittgenstein einen deutlichen Schritt über die solipsistische Methode hinaus. Er will nicht nur zeigen, dass Sätze über Empfindungen in einer privaten Sprache unsinnig sind, sondern auch Sätze über Schmerzen in der sog. physikalischen, sinnvoll verwendbaren Sprache. Dies ist eine sehr weitreichende These, dass Sätze über Schmerzempfindungen in der uns geläufigen Sprache weder eine empirische noch eine kognitiv-mentale Grundlage haben kann. Um dies zu zeigen vertieft er die Überlegungen mit Hilfe der Unsinns-Devise in eine Richtung, die er im Kontext der Philosophischen Untersuchungen weiter ausarbeitet. Am Ende dieser Entwicklung steht dann das sog. Privatsprachenargument, mit dem aber primär das bekräftigt wird, was Wittgenstein bereits mit der solipsistischen Methode erreichen will. Über die Vorläufigkeit der solipsistischen Methode und der Unsinns-Devise sollte man sich nicht wundern, schließlich setzt er seinen Fuß in wirkliches Neuland. Ebenso wenig darf man sich darüber wundern, dass einem dabei immer wieder vertraute Denkfiguren aus dem Tractatus begegnen.
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4 Unsinn mit Unsinn austreiben Die Rekonstruktion der ersten 41 Sektionen des Kringel-Buches, in denen sich Wittgenstein vor allem zum Thema Sinnesdaten äußert, lässt sich systematisch in einzelne Schritte zerlegen. Damit wird die Arbeitsweise der Unsinns-Devise besser durchschaubar. Das erklärte Ziel jener Devise ist die Gewinnung von Sinn, aber nicht von irgendeinem Sinn, sondern von dem Sinn von Äußerungen und Sätzen, die nach kritischer Prüfung als sinnvoll verstanden werden können. Um dieses Ziel zu erreichen, prüft Wittgenstein den Sinn von Sätzen, die er in den Philosophischen Bemerkungen der privaten Sprache zuschreibt, also von Sätzen, welche vorgeblich die Privatheit von Schmerzempfindungen in der von uns allen genutzten Sprache zum Ausdruck bringen. Wittgenstein verfolgt nun also nicht mehr den Gedanken weiter, den er mit der „Sonderstellung“ meiner Sprache (PB 89; MS198,8/9b), in der ich das, was zum „Wesen der Welt“ gehört (PB 84f; MS108,1/1) dann doch am Ende nicht sinnvoll ausdrücken kann. Schon in den Philosophischen Bemerkungen geht Wittgenstein über die Denkbarkeit einer privaten Sprache hinaus und skizziert den Gedanken der „Philosophie als Verwalterin der Grammatik“, die unsinnige Sätze durch eine Klärung der Regeln der Sprache ausschließen soll (PB 85; MS108,2/1b). Die Unsinns-Devise übernimmt damit die Aufgabe der solipsistischen Methode, den Nachweis der Unausdrückbarkeit von privaten Sinnesdaten nun aber auf dem Niveau der normalen Sprache zu führen. Die Beispielsätze bleiben die gleichen. Typischerweise sind das Sätze wie „ich habe Zahnschmerzen“ (KB Nr. 6; MS107,200/1; PB 91f) oder Ausdrücke wie „meine Zahnschmerzen“ (KB Nr. 4f; MS107,199/1+2). Natürlich entsprechen solche Sätze und Ausdrücke der gewöhnlichen Sprechweise; genauso sprechen wir über Zahnschmerzen. Deswegen scheint es auch abwegig zu sein, den Sinn dieser Sprechweise in Zweifel zu ziehen. Wittgenstein muss eben deswegen mit seiner Unsinns-Devise gegen ein ziemlich stabiles Vorurteil anrennen, das in unserem Sprachgebrauch so gut verankert ist, dass es ganz und gar nicht wie ein Vorurteil aussieht. Würde ihm dieses Anrennen gegen das erwähnte Vorurteil nicht mit dem von ihm avisierten Resultat gelingen, fiele die Unsinnsvermutung auf ihn selbst zurück. Dies ist das Risiko hinter der Unsinns-Devise, ein Risiko, das in nicht geringerem Maß bereits die solipsistische Methode begleitet. Die Unsinns-Devise arbeitet nach dem Muster, den Unsinn der gewöhnlichen Sprechweise mit Hilfe von unsinnigen Sätzen zu entlarven und bloßzustellen. Einfach ist diese Methode, den Unsinn mit dem Unsinn auszutreiben, nicht. Denn es ist eines, unsinnige Sätze zu formulieren und ein anderes, mit ihnen den Unsinn gängiger und durchaus gebräuchlicher Schmerzäußerungen nachzuweisen. Deswegen kann dieser Nachweis nur in mehreren, genau genommen in
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zwei Schritten gelingen. Im ersten geht es darum, Sätze zu formulieren, die jedermann als unsinnig erscheinen müssen, die aber inhaltlich möglichst den Sätzen ähnlich sind, deren Unsinn es zu entlarven gilt. In einem zweiten Schritt muss dann der Nachweis geführt werden, dass der Unsinn der einen Sätze den Unsinn der anderen einschließt. Das Argument, das dafür notwendig ist, müsste den folgenden Konditional schlüssig erscheinen lassen: ‚Wenn der Satz x unsinnig ist, dann ist es auch der Satz y’. So jedenfalls müsste das Argument im Ergebnis nach dem zweiten Schritt aussehen. Der erste Schritt ist scheinbar leicht. Zunächst bietet Wittgenstein vom Unsinns-Verdacht begleitete Sätze an, z. B. ob es Sinn habe zu sagen, „daß zwei Menschen denselben Körper haben“ (KB Nr. 3; MS107,187/7; PB 90) oder dass es vorstellbar sei, „daß ich einen Schmerz in der Hand eines anderen Körpers als meinen sogenannten eigenen spüre“ (KB Nr. 3). Der erratisch erscheinende Charakter solcher Sätze ist uns bereits von der Erprobung der solipsistischen Methode her bekannt. Wir sind daher auch nicht überrascht, wenn Wittgenstein zunächst einmal – ganz im Sinn der solipsistischen Methode – Annahmen wie Schmerzempfindungen im Körper anderer ernst nimmt und über Konsequenzen solcher Annahmen nachdenkt, z. B. dass es dann auch denkbar wäre, zu guter letzt nur noch Schmerzen im anderen Körper zu empfinden (KB Nr. 3). Wir sollten nun kurz innehalten und überlegen, welche Adressaten mit solchen Beispielsätzen angesprochen werden können. Wer wollte diese Sätze, wenn er ihnen begegnet, wirklich ernst nehmen? Es wäre nicht sinnvoll anzunehmen, dass sich Leserinnen und Leser jener Sätze bereits mit der solipsistischen Methode und der Unsinns-Devise vertraut gemacht hätten und deren Hintersinn verstehen. Wie kann dann aber der Unsinn jener erratischen Annahmen in einem Argument gute Dienste tun, das nachweist, dass auch Sätze unsinnig sind, in denen ich über meine eigenen, nur mir gehörenden Zahnschmerzen spreche? Der zweite Schritt, in dem dieser Nachweis geführt wird, ist schwieriger und vielschichtiger als der erste. Es läge nahe, den Versuch zu machen – für diesen zweiten Schritt – auf die früher skizzierte solipsistische Methode zurückzugreifen. Damit würden wir uns aber interpretatorisch nicht nur im Kreis drehen, sondern nichts erreichen, weil jene Methode ja gerade die Unmöglichkeit von Vergleichen solipsistischer Sätze zum Gegenstand hat und deswegen unbrauchbar für diesen zweiten Schritt ist. Deswegen benötigen wir einen anderen Weg, den uns Wittgenstein selbstverständlich selbst zur Verfügung stellen sollte. Offensichtlich benötigt er für die Schlüssigkeit eines Arguments der Form ‚wenn der Satz x unsinnig ist, dann ist es auch der Satz y‘ ein Kriterium der Äquivalenz, um die Sätze überhaupt vergleichen zu können. Wie lässt sich aber die UnsinnsÄquivalenz solcher Sätze herstellen? Die Antwort auf diese Frage, die ich – im Rückgriff auf den Tractatus – vorschlage, ist: mit demselben Kriterium, mit dem
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– zumindest im Tractatus-System – die Sinn-Äquivalenz von Sätzen nachweisbar ist.13 Wittgenstein kann – so meine Annahme – an dieser Stelle im KringelBuch auf die Logik des Tractatus zurückgreifen, die den Gebrauch von Lauten bei der Äußerung von Sätzen mit Hilfe der Projektionsmethode erklärt (TLP 3.11). Die Projektionsmethode – sagt er dort – sei „das Denken des Satzsinnes“ (a.a.O.). Er unterscheidet dabei modal zwischen der Projektion und dem Projizierten und parallel dazu zwischen der Wirklichkeit und der Möglichkeit des Projizierten. Bleiben wir noch beim Tractatus, denn er bietet den Schlüssel für den zweiten Schritt beim Nachweis des Unsinns von Sätzen an; jedenfalls enthält er den Schlüssel für die Grundlagen dieses zweiten Schritts, den die solipsistische Methode nicht bieten kann. Der Grundgedanke der Projektionsmethode ist, dass zum Satz das Projizierte selbst nicht gehört und dass deswegen lediglich die Form der Satzsinns, aber nicht der Sinn, also das Projizierte, im Satz enthalten ist (TLP 3.13). Denken wir – mit Wittgenstein – an Sätze über Schmerzen, die ein anderer hat und die ich selbst habe. Wenn der Grundgedanke der Projektionsmethode gilt und das jeweils Projizierte, also die jeweiligen Schmerzen nicht zu den Sätzen selbst gehören, dann kann man verstehen, dass die beiden Sätze „er hat Schmerzen“ und „ich habe Schmerzen“ – wie Wittgenstein im Kringel-Buch sagt – „auf der gleichen logischen Stufe stehen“ (KB Nr. 6; MS107,200/1; PB 91f). Denn die „Form des Satzsinns“ ist in beiden Fällen die gleiche. Was immer der Inhalt, also der tractarianische Sinn, der beiden Sätze sein mag, da die Form des Sinnes in beiden Sätzen die gleiche ist, gilt dies auch für die Möglichkeit, den Satzsinn zu denken und auszusprechen. Was ist nun damit gewonnen, dass klar wurde, was mit der Behauptung, die Sätze stünden auf der gleichen logischen Stufe, gemeint ist? Wir haben lediglich die Grundlage für den zweiten, entscheidenden Schritt gewonnen, mehr noch nicht. Die Anleihe bei der Tractatus-Logik reicht nämlich noch nicht aus, um von einer Unsinns-Äquivalenz der beiden Sätze „er hat Schmerzen“ und „ich habe Schmerzen“ sprechen zu können. Denn wir haben keinen Zugang zu den Sinnen, d. h. den Inhalten, dieser beiden „Satzzeichen“; wir wissen also nicht, was genau die beiden Sätze möglicherweise projizieren. Das können und müssen wir auch nicht wissen. Wittgenstein wählt eine indirekte Prüfung des Sinns. Er verändert die Sätze nun, um die Sinn- bzw. Unsinns-Äquivalenz zu prüfen. Seine Beispiele sind „er hat Schmerzen, die ich nicht fühle“ und „ich habe Schmerzen, die ich nicht fühle“. Das Argument ist, wenn es Sinn hat, diese beiden Sätze zu behaupten, muss es auch Sinn haben, beide Sätze jeweils zu verneinen. Und das würde
13 Der Rückgriff auf das Sinn-Kriterium des Tractatus liegt sicherlich näher als die Erfindung eines mutmaßlichen alternativen Kriteriums.
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bedeuten, wie Wittgenstein selbst sagt: „Nur insofern ich Schmerzen haben kann die ich nicht fühle, kann er Schmerzen haben die ich nicht fühle“ (KB Nr. 6; MS107,200/1; PB 91f). Durch die indirekte Sinnprüfung mit Hilfe der Verneinung, d. h. über die Sinn-Äquivalenz von Behauptung und Verneinung eines Satzes, werden Sinn und Unsinn unterscheidbar; entweder beides hat Sinn oder beides ist unsinnig.14 Auf die privaten Sinnesdaten bezogen bedeutet dies, wenn es Sinn hätte von ‚meinen Schmerzen, die ich fühle‘ zu sprechen, müsste es auch Sinn haben, von ‚meinen Schmerzen, die ich nicht fühle‘ zu sprechen; das ginge, wenn wir an die aktuelle Wirkung von Betäubungsmitteln denken, unserem Alltagsverständnis dieser Ausdrücke nach vielleicht gerade noch. In gleicher Weise müsste es dann aber auch Sinn haben von ‚seinen Schmerzen, die ich nicht fühle‘ und ‚von seinen Schmerzen, die ich fühle‘ zu sprechen. Beide Äußerungspaare haben jeweils für sich gesehen entweder Sinn, oder sie sind jeweils unsinnig. So kann Wittgenstein mit der Sinn-Äquivalenz von Behauptung und Verneinung argumentieren. Damit soll klar werden, dass der scheinbar sinnvolle Satz „ich habe Schmerzen, die ich fühle“ ebenso unsinnig ist wie der Satz „ich habe Schmerzen, die ich nicht fühle“. Wenn der eine Satz unsinnig ist, dann ist es auch der andere. Damit wäre dem Argument der Form ‚wenn der Satz x unsinnig ist, dann ist es auch der Satz y‘ zunächst einmal Genüge getan.
5 Die Grammatik von Schmerzäußerungen Methodisch gesehen genügt diese direkte Anleihe beim Tractatus-System, um den Zweck und die Wirkung der Unsinns-Devise zu verstehen. Wittgensteins Überlegungen im Kringel-Buch gehen aber weiter. Er verwendet die Figur der Sinn- bzw. Unsinnsäquivalenz in einem weiteren Schritt, um den Gebrauch des Wortes ‚Schmerz‘ zu erkunden. Immer wieder greift er dabei mit neuen Beispielen die Unsinns-Devise auf. Sie bleibt der Motor der weiteren gedanklichen Entwicklungen bis zum Ende der Behandlung des Themas ‚Sinnesdaten‘ (bis KB Nr. 41; MS108,74/1; PB 53). Das Argument der Sinnäquivalenz von Behauptung und Verneinung, das aus dem logischen Raum des Tractatus stammt, nimmt nach und nach eine andere Gestalt an. Man kann von einer Metamorphose des logischen in den grammatischen Raum sprechen, mit der jene ursprünglich logisch begrün-
14 Es sei in diesem Zusammenhang an die tractarianische Sinn-Bedingung erinnert: „Nur Tatsachen können einen Sinn ausdrücken,...“ (TLP 3.142). Die Tatsachen, um die es dabei geht, sind „Satzzeichen“ (3.14), d. h. Sätze, welche die Möglichkeit des Projizierten enthalten.
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dete Äquivalenz in eine Symmetrie sprachlich sinnvoller Sätze und Äußerungen übergeht. Wittgenstein gibt den tractarianischen Denkduktus nicht plötzlich, sondern nach und nach – und durchaus begleitet von gewissen Unsicherheiten – auf. Er spricht im Blick auf die Sinnäquivalenz bzw. Unsinnsäquivalenz von Behauptetem und Verneintem noch vom „gleichen Raum“ (KB Nr. 10; MS107,203/6; PB 92), ohne dass auf Anhieb klar wäre, ob es sich um den logischen oder den grammatischen Raum handelt. Noch sind diese Räume nicht wirklich getrennt, denn einerseits vergleicht er ganz tractarianisch Sätze wie ‚ich habe keine Schmerzen‘ mit der Wirklichkeit, und zwar einer Wirklichkeit, die dem Projizierten von ‚ich habe keine Schmerzen‘ entspricht. Dementsprechend ist ‚ich habe Schmerzen‘ falsch (KB Nr. 10). Andererseits vergleicht er ganz untractarianisch „Ich habe keine Magenschmerzen“ mit „diese Äpfel kosten nichts“ (KB Nr. 12; MS108,36/3; PB 110f), um dann wieder – scheinbar – tractarianisch fortzufahren, dass die Fähigkeit Schmerzen zu fühlen, die in jenem Satz vorausgesetzt sei, keine „physiologische Fähigkeit“ sein könne, „sondern eine logische Möglichkeit“ (KB Nr. 12). Es ist interessant, dass die Zusammenstellung der Texte in den Philosophischen Bemerkungen den Eindruck erweckt, dass der Übergang vom tractarianischen ins grammatische Denken mehr oder weniger bereits vollzogen ist (vgl. PB 110f.). Diese ex post vorgenommene Glättung von Wittgensteins Entwicklung ist an dieser Stelle aber hilfreich, weil sie zeigt, dass Wittgenstein tatsächlich bereits, zumindest der Tendenz nach, im Kringel-Buch von seiner tractarianischen Auffassung dessen, was eine ‚logische Möglichkeit‘ ist, abrückte. Im Tractatus-System bestimmt der Satz „einen Ort des logischen Raums“, allerdings wird damit – systematisch anspruchsvoll – bereits der gesamte logische Raum gegeben (TLP 3.42). Diese logisch bestimmte systematische Gesamtperspektive fehlt nun gänzlich. Stattdessen geht es Wittgenstein um den Raum, in dem die Verwendung des Worts ‚Schmerz‘ liegt, um den „Schmerzraum“ (KB Nr. 12, MS108,36/3; PB 110). Der große Vorzug des Kringel-Buchs – der allerdings in diesem Zusammenhang am besten im direkten Vergleich mit den Philosophischen Bemerkungen sichtbar wird –, ist die Einsicht in eine Metamorphose, in das langsame Entstehen eines anderen, wenn auch nicht gänzlich anderen Denkens. Wittgenstein denkt nicht mehr daran, den „Schmerzraum“ in das TractatusSystem zu integrieren. Er ist zunächst unsicher, ja beinahe verwirrt, wenn er von der „Logik unserer Sprache“ spricht, die „so schwer zu erfassen“ sei (KB Nr. 20; MS107,271/3; PB 94). Das Schwierige daran ist die Verbindung zwischen dem Sinn der sprachlichen Ausdrücke, mit denen wir Schmerzen beschreiben und uns und anderen zuschreiben und der Zuordnung dieser Ausdrücke zu dem, was sich im Schmerzverhalten zeigt. Wittgenstein will zeigen, dass sich die sinnvolle Verwendung der Sprache nicht nach dem Verhalten richtet, also weder das Ver-
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halten widerspiegelt noch eine behaviorale Grundlage hat. Wonach richtet sie sich aber dann, wenn wir die eigenen und die Schmerzen anderer beschreiben? Weder nach dem Verhalten noch nach dem, was wir uns so alles über die Orte von Schmerzempfindungen denken können. Weder das Mentale noch das Behaviorale taugen als Basis für das Verständnis der Äußerungen über Schmerzen. Die Unsinns-Devise ist der Schlüssel für diese Einsicht, weil es unsinnig wäre, alles das, was wir uns so denken können – z. B. die Schmerzen „in der Spitze meines Nagels... oder in meinen Haaren“ (KB Nr. 19; MS107,271/2; PB 94) – als Sinn einer Äußerung zu akzeptieren. Noch nicht klar ist, inwieweit die Unsinns-Devise auch den Schlüssel dafür bietet, dass die behaviorale Fundierung für sinnvolle Schmerzäußerungen ausgeschlossen werden kann. Wittgenstein sagt – etwas rätselhaft – „die ganze Kontroverse über den Behaviourismus“ (KB Nr. 20; MS107,271/3; PB 94) beruhe auf dem Unsinn der Ausdrücke „ich fühle meine Schmerzen“ und „ich fühle seine Schmerzen“. Wie kann das Ergebnis der Unsinns-Devise jener Kontroverse zugrunde liegen? Der Behaviorismus leugnet die Relevanz des Seelischen für das wissenschaftliche Verständnis des menschlichen Verhaltens und hat damit eine heftige Kontroverse innerhalb der Psychologie des frühen 20. Jh. ausgelöst. Obwohl Wittgenstein kein Freund des Behaviorismus ist, gibt es hier wohl eine partielle Übereinstimmung, insofern er wohl, was die Irrelevanz des seelischen Inneren für das sinnvolle Sprechen angeht, mit dem Behaviorismus übereinstimmt. Im Ergebnis will er wohl sagen, dass jene Kontroverse über den Behaviorismus genau genommen keine Grundlage hat, weil es gar nicht darauf ankommt, dem Seelischen irgendeine Relevanz zu- oder abzusprechen. Wittgenstein kann diese Irrelevanz zumindest für die Bedeutung sinnvoller Äußerungen über Schmerzen in Anspruch nehmen. Am Ende seiner Betrachtung steht die Verabschiedung von der sinnvollen Beschreibung sowohl von eigenen Schmerzen als auch von denen anderer (KB Nr. 41; MS108,74/1; PB 53). Jede Art von Besitzzuschreibung von Schmerzen ist nach seinem Urteil unsinnig. Die Beschreibungen von Schmerzen in der ersten und in der dritten Person teilen nämlich denselben „Schmerzraum“, nehmen nur grammatisch gesehen andere Stellen dieses Raumes ein. Wenn dies so ist, können wir tatsächlich auf die Zuschreibung von Schmerzempfindungen zu beliebigen Personen, einschließlich der eigenen, ganz verzichten. Es gibt dann bei sinnvollen Äußerungen über Schmerzen keine Besitzer mehr (KB Nr. 30+31; MS107,286/2+3; PB 94).
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6 Sinn, nicht Wahrheit. Grammatik als Metapsychologie Schon im Tractatus schrumpft das Ich zu einem ausdehnungslosen Punkt zusammen (TLP 5.64), dort allerdings in dem logisch-metaphysischen Kontext der Identität von Realismus und Solipsismus. Im Kringel-Buch folgt Wittgenstein dieser Strategie nun wiederum in Gestalt einer Metamorphose, nämlich in einem grammatischen Kontext. Er nennt diese neue Betrachtungsweise nicht nur „grammatische Untersuchung“, sondern auch „Metapsychologie“ (KB Nr. 28; MS107,285/4). Entscheidend für diesen perspektivischen Wandel sind nicht diese Etiketten, sondern – verglichen mit dem Tractatus-System – die Trennung von Sinn und Wahrheit.15 Wittgenstein will nun, anders als im Tractatus, den Sinn von Sätzen ohne deren Bezug zur Wahrheit klären (KB Nr. 28, 29). Diese Trennung ist folgenreich für die ganze spätere Entwicklung seines Denkens. Gleichzeitig trennt er – wie in den Philosophischen Bemerkungen (PB 90) – die Gebiete der Logik und Mathematik von dem der Philosophie (KB Nr. 29; MS107,286/1; PB 90), denn in jenen Gebieten gehe es, wie er sagt, nur um Wahrheit. Nachdem ich vorher darauf hinwies, dass es klärend für das Verständnis des Kringel-Buchs ist , die Philosophischen Bemerkungen zur Hand zu nehmen, will ich an dieser Stelle eine Gegenindikation einfügen. In den Philosophischen Bemerkungen lesen wir den Passus über die Trennung von Sinn und Wahrheit mitten in den Passagen, in denen die Unsinns-Devise erprobt und praktiziert wird (PB 90). Das ist unglücklich, weil man diese Einordnung dort nicht oder zumindest nicht gut verstehen kann. Dies ist vor allem deswegen unglücklich, weil man in ihr nichts über die Strategie, vom Unsinn zum Sinn zu gelangen, erfährt. Jener Passus über die Trennung von Sinn und Wahrheit liest sich innerhalb der Passagen der Philosophischen Bemerkungen über unsinnige Äußerungen über Schmerzen wie eine Entschuldigung, so als müsste man diese Passagen nicht wörtlich oder zumindest nicht besonders ernst nehmen. Schließlich wird kaum jemand annehmen, die Äußerungen über Schmerzen, denen Wittgenstein den Sinn abspricht, seien nicht wahr. Dies ist nur eine Zwischenbemerkung. Die Trennung von Fragen nach dem Sinn von Äußerungen von Fragen nach ihrer Wahrheit ist für die Wende zur Grammatik zunächst natürlich im Rahmen der Frage nach dem Sinn der Schmerzäußerungen wichtig. Die Unsinns-Devise, mit der eine Sinn- oder Unsinnsäquivalenz feststellbar ist, kann genau genommen nur erfolgreich sein, wenn jene Trennung bereits vollzogen ist. Nun könnte man einwenden, dass damit lediglich eine Art Fregeanischer Unterscheidung
15 Dieser Trennung begegnen wir auch in den Philosophischen Bemerkungen.
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von Sinn und Bedeutung vollzogen werde. Das ist aber nicht der Fall, weil Freges Unterscheidung auf keine Trennung von Sinn und Wahrheit hinausläuft und außerdem auf einem anderen Sinnbegriff beruht. Der Sinn der Zeichen – so Frege – zeigt die „Art des Gegebenseins“ des Bezeichneten, die wesentlich zur „wirklichen Erkenntnis“ eines Satzes beiträgt.16 Freges Sinnbegriff hat einen veridischen Charakter. Damit bleibt der Bezug zur Wahrheit dessen, was mit Hilfe von Sätzen erkannt werden kann, erhalten. Dieser Bezug ist in Wittgensteins Trennung von Sinn und Wahrheit nicht mehr vorhanden. Denn Wittgensteins Sinnbegriff hat keinen veridischen Charakter. Damit hat Wittgenstein bereits im Kringel-Buch einen systematisch wichtigen Baustein für seine Spätphilosophie gewonnen. Die Trennung des Sinns von der Wahrheit und der nicht-veridische Charakter des Sinns schließen gemeinsam die Erfahrung als Kriterium des Sinns von Äußerungen aus. Wittgensteins UnsinnsDevise setzt von vornherein auf keine empirische Bestätigung oder Falsifikation des Sinns von Äußerungen. Über Sinn oder Unsinn soll innerhalb der Sprache und ihres Gebrauchs entschieden werden. Wittgenstein entwickelt diese Leitidee, den Sprachgebrauch zum Kriterium seiner selbst zu machen, also die Autonomie der Grammatik, nicht freihändig, sondern aufgrund seiner Anwendung der UnsinnsDevise. Sie zeigt nämlich, dass die Erfahrung nicht dazu beiträgt, zwischen sinnvollen und unsinnigen Schmerzäußerungen zu unterscheiden, und zwar einfach deswegen, weil sie zuviel, nämlich beide, die sinnvollen und die unsinnigen gleichermaßen bestätigen kann (KB Nr. 37; MS107,287/5; PB 95). Damit ist in Umrissen deutlich, was Wittgenstein mit ‚Metapsychologie‘ meint. Es geht nicht um empirisch bestätig- oder verwerfbare Sätze über seelische Zustände oder Ereignisse, sondern um den Sinn von Äußerungen über solche Zustände oder Ereignisse. Es mag durchaus sein, dass die Psychologie auf empirische Weise wahrheitsfähige Aussagen über seelische Zustände und Ereignisse machen kann, Wittgenstein will das – so dürfen wir im Anschluss an seine solipsistische Methode annehmen – nicht ausschließen. Es geht ihm nicht um eine Konkurrenz zwischen Philosophie und Psychologie, sein Ansatz ist nicht kompetitiv im Verhältnis zur Psychologie. Er sucht vielmehr nach den Kriterien des Sinns von Äußerungen in der Sprache selbst. Nicht das, was ‚im Kopf‘ ist und gedacht wird und nicht das, was sinnlich wahrgenommen werden kann, geben den Ausschlag für das, was sinnvoll geäußert werden kann. Wittgensteins externalistische Einstellung kommt mustergültig zum Ausdruck, wenn er sagt: „Die Sprache wird verstanden der Gedanke nicht“ (KB Nr. 48; MS108,184/1a).
16 Frege, G.: „Über Sinn und Bedeutung“. In: Frege, G.: Funktion, Begriff, Bedeutung, hg. v. G.Patzig, 41975, 41.
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Wie wichtig das Kringel-Buch im Blick auf Wittgensteins Auffassung der Sinnesdaten ist, zeigt sich vor allem daran, dass er an einem wesentlichen Element der Unsinns-Devise auch in seinem späteren Denken festgehalten hat, an der in ihr enthaltenen Symmetrie-Bedingung. In den Philosophischen Untersuchungen stellt er die These auf, dass ich von mir nicht sagen könne, „ich wisse, daß ich Schmerzen habe“ (§246; MS180a,10r; MS129,39; TS227,162). Ähnlich heißt es in Über Gewißheit: „Denn zu sagen, man wisse, daß man Schmerzen habe, heißt nichts“ (§504; MS176,42r). Diesen Behauptungen liegt die in der Unsinns-Devise enthaltene – dem Tractatus entliehene – Symmetrie-Bedingung zugrunde, dass sinnvoll nur das gesagt werden kann, was auch sinnvoll verneint werden kann. Es kann eben zumindest von mir selbst nicht sinnvoll verneint werden, dass ich Schmerzen habe. Daraus folgert Wittenstein, dass es deswegen auch nicht sinnvoll sei zu sagen, ich wisse, dass ich Schmerzen habe. Dieser Einsicht wollen nicht einmal mehr alle Wittgensteinianer folgen. So meint etwa John Hyman in seiner – durchaus an Wittgenstein angelehnten – Rekonstruktion des Wissensbegriffs nachgewiesen zu haben, dass man von sich selbst auf wahre und bedeutungsvolle Weise sagen und deswegen auch wissen könne, Schmerzen zu haben.17 Dieser Einwand richtet sich direkt gegen die in der Unsinns-Devise enthaltene Symmetrie-Bedingung und indirekt gegen die für die Autonomie der Grammatik entscheidende Trennung von Sinn und Wahrheit. Hyman stellt damit ein Herzstück von Wittgensteins Spätphilosophie in Frage, ist sich darüber aber offenbar nicht im Klaren, jedenfalls sagt er dazu nichts. Der Zweifel an der Autonomie der Grammatik bringt sicherlich mehr ins Wanken, als Hyman Recht sein kann. Von diesen Folgen seiner Überlegungen abgesehen bin ich aber überzeugt, dass Hyman nicht Recht hat, weil die Tatsächlichkeit meiner Schmerzempfindung in einem objektivierbaren Sinn nicht wahrheitsfähig sein muss, um mir selbst als Grund für eine Handlung zu dienen. Anders ausgedrückt, ich muss mich nicht erst der Wahrheit der Tatsache meiner Schmerzen versichern, um sie als Grund für die Einnahme eines Medikaments zu nehmen. Es genügt, dass ich Schmerzen habe, welchen Wahrheitswert diese Tatsache auch haben mag. Natürlich ist damit weder gesagt, dass die Tatsache meiner Schmerzen keinen Wahrheitswert hätte, noch ist damit ausgeschlossen, dass es wissenschaftliche Methoden gibt, mit denen die Wahrheit dieser Tatsache geprüft werden kann. Ungeachtet dieser Möglichkeit würde ich das Medikament auch unter der Prämisse einnehmen, dass meine Schmerzen keinerlei organischen Grund haben und lediglich eingebildet sind. Hyman meint dagegen, die Tat-
17 Hyman, J.: “How Knowledge Works”. In: The Philosophical Quarterly, 49 (1999), S. 451.
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sache, dass ich aufgrund meiner Schmerzen ein Medikament nehme, sei bereits ein veridischer Grund. Dafür spricht nichts, denn nicht jeder Grund einer Handlung muss wahr oder falsch sein. Es genügt völlig, dass ich den Grund als Tatsache betrachte. Da es nicht darauf ankommt, ob es wahr oder falsch ist, dass ich wegen meiner Schmerzen ein Medikament nehme, muss ich auch nicht wissen, dass ich Schmerzen habe. Es genügt, dass ich sie habe. Die Autonomie der Grammatik wird durch Hymans Überlegungen nicht in Frage gestellt. Die Autonomie der Grammatik hat ihren Preis. Preiszugeben ist der Individualismus der Bedeutung und die Cartesianische Vorstellung vom individuellen mentalen Besitz der Bedeutung. Dass damit die Privatheit der Grundlagen von Schmerzäußerungen als einem privilegierten kognitiven Zugang ebenfalls preiszugeben ist, lässt sich dann in wenigen weiteren Schritten ebenfalls einsehen. Worauf Wittgenstein wirklich verzichtet, ist die Möglichkeit einer Aufklärung der Beziehung zwischen der Sprache und den Sprachspielen auf der einen und den wie auch immer gearteten inneren, psychischen Vorgängen, mit denen sie etwas zu tun haben. Auf dem Weg vom Unsinn zum Sinn ist sich Wittgenstein, soweit ich sehe, sehr früh darüber klar geworden, dass schon der bloße Versuch, eine Verbindung oder Verankerung des sinnvollen Sprechens in seelischen Prozessen, Empfindungen oder Wahrnehmungen herzustellen, scheitern muss. Wittgenstein wollte aber auch – was sich als klare und eindeutige Alternative angeboten hätte – kein Behaviorist sein (PU § 307). Die Unentschiedenheit, mit der er auch in den Philosophischen Untersuchungen über das Verhältnis zwischen Schmerzen und Schmerzäußerungen spricht (§§ 300–315), ist offensichtlich und hat System. Er will nicht behaupten, dass Schmerzäußerungen nichts mit Schmerzempfindungen zu tun haben; schließlich tritt, wie er bemerkt, die „Vorstellung des Schmerzes in einem Sinn ins Sprachspiel ein“ (§ 300). Er will und kann aber nicht sagen, in welchem Sinn genau. Dies macht es ihm nicht leicht, überhaupt auf klare Weise Stellung zu beziehen. Festhalten können wir uns lediglich an seiner entschiedenen, negativen Abgrenzung der Grammatik gegen Sinnesdaten und innere, psychische Vorgänge, wenn er uns nahelegt, dass „wir radikal mit der Idee brechen, die Sprache funktioniere immer auf eine Weise, diene immer dem gleichen Zweck: Gedanken zu übertragen...“ (PU § 304) Unmittelbar bevor er uns diesen Rat gibt, fasst er im gleichen Paragraphen seine systematisch begründete Unentschiedenheit zusammen. Das Schmerzempfinden sei zwar „kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts!“ Und warum verzichtet er dann auf eine genauere Bestimmung des Verhältnisses zwischen Schmerzempfindung und Schmerzäußerung? Weil sich über das „Etwas“ der Empfindung nichts „aussagen“ läßt und deswegen „ein Nichts die gleichen Dienste täte wie ein Etwas“. Also lässt er beides bleiben; er behauptet weder, dass die Empfindungen nichts noch dass sie etwas Bestimmtes mit den Äußerungen über Schmerzen zu tun haben.
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Ohne weitere Erläuterung gingen die Überlegungen über Passagen des Kringel-Buchs über zu Überlegungen über Passagen der Philosophischen Untersuchungen. Die Verbindung zwischen beiden Texten kann an dieser Stelle nicht mehr thematisiert werden. Ich will hier aber anmerken, dass es eine thematische und systematische Verbindung gibt, und dass es darum auch sinnvoll wäre, darüber nachzudenken, wie weit diese Verbindung im Blick auf Wittgensteins Verständnis von Schmerzäußerungen und Äußerungen über Empfindungen reicht. Wenn die in den Texten des Kringel-Buchs angelegte grammatische Loslösung der Schmerzen und anderer Sinnesdaten von den Schmerzäußerungen und den Äußerungen über andere Empfindungen ernst zu nehmen ist, verschwindet das „Paradox“ (§ 304) – weder eine Etwas noch ein Nichts – tatsächlich, weil es mit den uns verfügbaren Mitteln der Sprachspiele in jenem Zwischenbereich nichts aufzuklären gibt. Wo etwas aufzuklären wäre, reichen die Sprachspiele nicht hin. Es lässt sich nicht einmal sagen, dass es den Zwischenbereich nicht gibt. Wenn wir dieses Verschwinden des Paradoxons ernst nehmen, wirken die wohlbekannten und häufigen, analytisch motivierten Versuche, Argumente in den Philosophischen Untersuchungen zu finden, die dem Nachweis dienen, es gebe keine Privatsprache, mehr als überanstrengt. Sie sind nicht einfach nur redundant, sondern erwecken den irrigen Eindruck, dass sich das „Nichts“ argumentativ nachweisen lasse. Dies zu glauben und als Ergebnis von Wittgensteins Sprachdenken ernst zu nehmen, wäre nun aber erneut unsinnig. Die Strategie ‚vom Unsinn zum Sinn‘ würde damit ihr Ziel verfehlen und nach einigen Umwegen wieder beim Unsinn landen, nun allerdings bei einem, der – wie wir wissen – ganz und gar nicht offensichtlich wäre.
7 Literatur Crary, Alice / Read, Rupert (Hg.): The New Wittgenstein. London 2000. Frege, Gottlob: „Über Sinn und Bedeutung“. In: Frege, Gottlob: Funktion, Begriff, Bedeutung. Herausgegeben von Günther Patzig. Göttingen 19754. Hyman, John: “How Knowledge Works”. In: The Philosophical Quarterly, 49 (1999), 433–451. Moore, George E.: “A Defence of Common Sense”. In: Muirhead, J. H. (Hg.): Contemporary British Philosophy (Zweite Serie). London 1925, S. 192–233. Warnock, Geoffrey James (Hg.): The Philosophy of Perception. Oxford 1967. Wittgenstein, Ludwig: Logisch-philosophische Abhandlung. Tractatus logico-philosophicus, kritische Edition herausgegeben von Brian McGuinness und Joachim Schulte, Frankfurt 1989. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Bemerkungen. Herausgegeben von Rush Rhees. Werkausgabe: Band 2. Frankfurt 1984 [=PB].
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Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Kritisch-genetische Edition. Herausgegeben von Joachim Schulte. Frankfurt 2001. Wittgenstein, Ludwig: Über Gewißheit. Werkausgabe: Band 8. Frankfurt 1984. [=ÜG] Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, transkribiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt. München 2011 [vorläufige, unveröffentlichte Proto-Edition] [=KB].
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Apropos Kringel-Buch-Sektion Nr. 31: „In den Schmerzen unterscheide ich eine Intensität einen Ort etc. aber keinen Besitzer.“ 1 Vorbemerkungen Vor allem zu Beginn des von Josef Rothhaupt wunderbar rekonstruierten und edierten so genannten Kringel-Buches [=KB] setzt Wittgenstein sich mit Fragen auseinander, die sich um das Phänomen des Schmerzes drehen. Die Bemerkungen stammen ursprünglich aus dem Manuskriptband 107 und wurden alle, wie Rothhaupt eindrucksvoll nachgewiesen hat, mit einer spezifischen Kringelmarkierung versehen. Eingeleitet werden Wittgensteins Auseinandersetzungen mit dem Schmerzbegriff mit einer Bemerkung vom 8. November 1929: Hat es einen Sinn zu sagen daß zwei Menschen denselben Körper haben? Das ist eine ungemein wichtige und interessante Frage. Wenn es keinen Sinn hat so ist damit – glaube ich – gesagt daß nur unsere Körper das Individualisierende [sic!] Prinzip sind. Es ist offenbar vorstellbar daß ich einen Schmerz in der Hand eines anderen Körpers als meines sogenannten eigenen spüre. Wie aber wenn nun mein alter Körper ganz unempfindlich und unbeweglich würde und ich nur mehr [die|meine] Schmerzen etc. im anderen Körper empfände? (KB Nr. 3; MS107,187–188).
Im Zusammenhang des Verhältnisses zwischen einem Schmerz und einem menschlichen Körper betont Wittgenstein an dieser Stelle erstmals, dass es denkbar und somit möglich sei, Schmerzen im Körper einer anderen Person zu empfinden. Ganz bezeichnend für Wittgensteins generelle Auseinandersetzung mit philosophischen Problemen ist hier zunächst die Frage nach dem Sinn einer bestimmten Frage, in diesem Fall der Frage, ob zwei Menschen denselben Körper haben könnten. Fassen wir den menschlichen Körper als einziges individualisierendes Prinzip auf, ist die Frage offensichtlich sinnlos, das heißt, wir können keine wahre (oder falsche) Antwort darauf geben. Wittgensteins anschließende Bemerkung, dass es zumindest vorstellbar wäre, im Körperteil eines anderen Menschen Schmerzen zu verspüren, zeigt allerdings, dass er die Frage keineswegs von vornherein als sinnlos verwirft, sondern uns vielmehr einlädt, dieser Frage einen möglichen Sinn zu verleihen. Diese Strategie zeigt sich auch an anderen Stellen der Schmerzdiskussion, etwa im Zusammenhang von Fragen
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wie, ob zwei Menschen denselben Schmerz haben können, ob ich den Schmerz einer anderen Person haben kann, etc. Wir sollten daher die von Wittgenstein geäußerten Bemerkungen nicht gleich als eine Verwerfung solcher prima facie sinnloser Fragen auffassen, sondern vielmehr als eine Diskussion darüber, ob wir solchen Fragen nicht Sinn verleihen können, indem wir mögliche, auch unseren Erfahrungen widersprechende Denkszenarien erwägen. Der folgende Text versucht daher, unter Berücksichtigung des Sinnaspektes, Wittgensteins Position Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre etwas genauer herauszuarbeiten. Neben relevanten Stellen aus dem Kringel-Buch werden auch einige Bemerkungen Wittgensteins aus einem Diktat an Moritz Schlick, vermutlich Anfang der dreißiger Jahre, herangezogen (D303).
2 Ausgangslage Bevor wir uns genauer Wittgensteins Kringel-Buch-Bemerkungen zuwenden, ist es vielleicht angebracht, zunächst kurz auf den philosophischen Kontext Wittgensteins ab 1929 einzugehen. Nach seiner Rückkehr nach Cambridge im Frühjahr desselben Jahres befasst sich Wittgenstein vor allem mit dem so genannten Farbenunvereinbarkeitsproblem: Im Tractatus vertrat er dabei noch die Auffassung, dass der Satz „Zwei Farben sind zugleich an einem Ort des Gesichtfeldes“ logisch unmöglich sei (vgl. TLP 6.3751). Und da er die Elementarsätze als voneinander unabhängig bestimmte, konnten Ausdrücke wie „A ist grün“ und „A ist rot“ zum selben Zeitpunkt geäußert, keine Elementarsätze sein, da es sich bei ihrer Konjunktion offensichtlich um einen Widerspruch handelt (vgl. ebd.). Der Symbolismus des Tractatus erlaubte allerdings eine solche Und-Verknüpfung beider Sätze und dadurch entstand eine Asymmetrie zwischen dem, was sinnvoll gesagt werden kann und dem, was der Fall sein kann. Diese unterschiedliche logische Mannigfaltigkeit auf Seiten von Sprache und Welt war intern verknüpft mit Wittgensteins zum Zeitpunkt des Tractatus vertretenen Abbildtheorie. Da der Symbolismus der Logisch-Philosophischen Abhandlung das Farbenunvereinbarkeitsproblem offensichtlich nicht lösen konnte, bedurfte es nun einer Erweiterung des Regelwerkes um die Bildung von Satzprodukten wie „A ist grün und A ist rot“ auszuschließen. So räumt Wittgenstein Anfang Januar 1930 ein, dass er sich bezüglich der Unabhängigkeitsbestimmung von Elementarsätzen irrte, und auch darin, anzunehmen, die gesamte Weltbeschreibung bestünde im Produkt teils positiver, teils negativer Elementarsätze. Ich hatte Regeln für den syntaktischen Gebrauch von logischen Konstanten aufgestellt, zum Beispiel ‚p · q‘, und hatte nicht daran gedacht, dass diese Regeln etwas zu tun haben könnten mit der inneren Struktur der Sätze. Falsch war an meiner Auffassung, daß ich
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glaubte, daß sich die Syntax der logischen Konstanten aufstellen lasse, ohne auf den inneren Zusammenhang der Sätze zu achten. So verhält es sich nicht. Ich kann z. B. nicht sagen: an ein und demselben Punkt ist rot und blau zugleich. (WWK S. 74)
Während des Jahres 1929 forderte Wittgenstein zunächst eine logische Analyse uns gegebener Phänomene, die er im Vortrag „Some Remarks on Logical Form“ genauer ausarbeitete. Nach nur sechs Monaten verwarf er allerdings die Idee einer phänomenologischen Sprache wieder, welche auf der Beziehung zwischen primären Sätzen und Hypothesen basierte und fasste nun solche Ausdrücke, die sich auf das uns unmittelbar Gegebene beziehen, vielmehr als grammatische Sätze auf, welche die Verwendung bestimmter darin enthaltener Ausdrücke regeln. So heißt es etwa an einer Stelle des Big Typescript: „Der Satz ‚an einem Ort hat zu einer Zeit nur eine Farbe Platz‘ ist natürlich ein verkappter Satz der Grammatik. Seine Verneinung ist kein Widerspruch, widerspricht aber einer Regel unserer angenommenen Grammatik“, bzw. ein paar Bemerkungen später: „,Rot und grün gehen nicht zugleich an denselben Ort‘ heißt nicht, sie sind tatsächlich nicht beisammen, sondern es ist Unsinn zu sagen, sie seien zugleich am selben Ort und also auch Unsinn zu sagen, sie seien nie zugleich am selben Ort.“ (Wi11, 318) In der Folge gewann der Begriff des grammatischen Satzes immer mehr an Bedeutung und im Zuge dessen die Rolle der Negation im Zusammenhang sinnvoller und unsinniger Sätze, wie wir noch an zahlreichen Stellen der Schmerzdiskussion sehen werden.
3 Schmerz und Schmerzträger Im Kontext seiner Auffassung über die Bestimmung von Schmerzen bemerkt Wittgenstein zunächst über seine philosophische Vorgehensweise sehr allgemein: „Ich sammle gleichsam sinnvolle Sätze über Zahnschmerzen. Das ist der charakteristische Vorgang einer grammatischen Untersuchung. Ich sammle nicht wahre sondern sinnvolle Sätze & darum ist diese Betrachtung keine psychologische.“ (KB Nr. 28) Diese Bemerkung zeigt sehr deutlich, dass wir unsere Untersuchungen, wie bereits angedeutet, auf die Sinnhaftigkeit sprachlicher Ausdrücke richten müssen. So könnten wir etwa fragen, ob es Sinn hat zu sagen, dass zwei Menschen denselben Körper haben (KB Nr. 3), oder, dass ich Schmerzen habe, sie aber nicht bemerke (KB Nr. 6), oder, dass nur A den Satz „A hat Schmerzen“ verifizieren kann (KB Nr. 213), um nur einige Beispiele zu nennen. Ein Aspekt, der besonders im Zentrum dieses Beitrages stehen soll, ist der, ob man sinnvoll behaupten kann, dass zwei Menschen die gleichen Schmerzen haben bzw., dass ich die Schmerzen eines anderen spüre.
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Betrachten wir hierzu zunächst die Frage, was wir überhaupt unter „gleichen Schmerzen“ verstehen sollen. Entscheidend ist dabei zunächst, dass das Wort „Schmerzen“ in den beiden Fällen „Ich habe Schmerzen“ und „er hat Schmerzen“ das gleiche bedeuten soll. Wenn ich nun frage, wie sich denn Zahnschmerzen überhaupt voneinander unterscheiden können, beziehe ich mich auf eine bestimmte Erfahrung eines Zahnschmerzgefühls. Dieses lässt sich, wie Wittgenstein in KB Nr. 31 bemerkt, „nach einer Intensität einem Ort, etc.“ differenzieren. In Anschluss an KB Nr. 11, findet sich im MS107 eine ähnliche Bemerkung, die Wittgenstein allerdings nicht mit einem Kringel versah. Auch hier stellt er die Frage nach den Unterscheidungskriterien von Schmerzen und was es demnach heißt, dass zwei Menschen nicht dieselben Schmerzen haben können. Als Schmerzcharakteristika nennt Wittgenstein hier „Stärke und ähnliche Charakteristika“ und „Lokalisation“ (MS107,217). Nach diesen Kriterien wäre es allerdings sehr wohl denkbar, dass zwei Menschen die gleichen Schmerzen haben, sollten die angegebenen Kriterien übereinstimmen. Schmerzen funktionieren hier also scheinbar wie Farben. So können wir etwa auch von zwei Gegenständen sagen, dass sie die gleiche Farbe hätten, falls sie in den entsprechenden Farbkriterien „Helligkeit, Sättigung etc.“ übereinstimmen. Diesen Punkt bemerkt auch Peter Hacker im Zusammenhang der Frage, ob das Bewusstsein einer Person nicht möglicherweise von einem Körper zum anderen übertragen werden könne und wir so von einem Körperwechsel einer Person sprechen könnten. Natürlich, so Hacker, kann eine Person einen Schmerz von sich auf andere übertragen. Allerdings handelt es sich dabei nicht darum, dass eine Person einen Körper tauscht. Diesen Punkt verdeutlicht er anhand eines Beispiels, in welchem eine Person Magenschmerzen erleidet aufgrund des Verzehrs von Austern und diese Austern nun einer anderen Person zum Verzehr weiterreicht. Erleidet nun auch diese Person Magenschmerzen nach dem Genuss der Muscheln, haben beide genau dann den gleichen Schmerz, wenn ihre Schmerzbeschreibungen übereinstimmen. Und nur in diesem Sinne kann man von einer Schmerzübertragung sprechen. In einer Fußnote dazu erläutert Hacker diesen Punkt: It is true that your stomach-ache is in your body and mine is in mine, but that is no reason for thinking that you have a different stomach-ache from mine. Different people may have the same pain if the pain has the same phenomenal qualities, the same intensity and the same location. But what we call ‘same location’ (of pains) is precisely location in corresponding parts of their respective bodies. […]. The subject of pain does not determine the identity of pain. So being had by A is not a distinguishing property of the sensation that might differentiate it from B’s sensation. Similarly being had by this curtain does not differentiate the maroon colour of this curtain from the maroon colour of that one. The subject of such attributes is not a differentiating mark of the attributes. (Hacker 2010, 302)
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Auch hilft uns, so Hacker weiter, die „type-token“ Unterscheidung im Fall von Schmerzen wie im Fall von Farben nicht weiter. Bei zwei gegebenen kastanienbraunen Vorhängen hieße dies, dass wir zwar zwei Gegenstände mit genau der gleichen Farbe („exactly the same colour“) hätten, aber nicht, zwei „colour token“ desselben Typs. Man könnte zwar über die beiden Vorhänge sagen, sie seien qualitativ identisch, nicht jedoch über die beiden Farben. „Similarly, if two people have a splitting headache in their left temple, which they sincerely describe in exactly the same way, they both have the same pain – neither numerically nor qualitatively the same, but just the same“ (ebd). Hacker weist hier darauf hin, dass die Unterscheidung in „numerisch“ und „qualitativ“ mit Bezug auf Schmerzen keinen Sinn macht. In beiden Fällen greift die Zählbarkeit nicht und so sprechen wir weder von zwei Farben mit Bezug auf das Vorhangbeispiel, noch von zwei Schmerzen, die sich jeweils in zwei verschiedenen Körpern befinden. Die Gleichheit wird garantiert durch die Übereinstimmung hinsichtlich Intensität, phänomenaler Ausprägung und korrespondierender Körperstellen. Die jeweiligen Schmerzträger hingegen sind kein Kriterium der entsprechenden Schmerzen, so wenig wie sich das eine Braun des Vorhangs vom anderen dadurch unterscheidet, dass es von einem bestimmten Vorhang „gehabt wird“. Diese Lesart liefert uns dann zugleich eine Erklärung dafür, warum es unsinnig ist von „meinen Schmerzen“ im Gegensatz zu „deinen Schmerzen“ zu sprechen, da es kein Charakteristikum eines Schmerzes ist, von mir im Gegensatz zu Dir gehabt zu werden. In PU §253 finden wir einen ähnlichen Punkt, wenn Wittgenstein im Zusammenhang der Aussage „Der Andere kann nicht meine Schmerzen haben“ die Frage stellt, welches denn überhaupt die Identitätskriterien für meine Schmerzen seien. Im Fall von Gegenständen etwa können wir sehr wohl sagen: „Dieser Sessel ist nicht derselbe, den du gestern hier gesehen hast, aber er ist ein genau gleicher“. Und, so Wittgenstein weiter: „Soweit es Sinn hat zu sagen, mein Schmerz ist der gleiche wie seiner, soweit können wir auch beide den gleichen Schmerz haben“ (ebd.). Hackers Austern-Beispiel wäre nach dieser Lesart ein Fall, zwei Personen sinnvoll die gleichen Schmerzen zuzuschreiben. Betrachten wir aber zunächst einmal, wie sich Wittgenstein Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre zu diesem Problem äußert. Seine Bemerkung aus MS107,217 scheint zunächst ganz auf der Linie Hackers zu liegen: Wenn das Wort ‚Zahnschmerzen‘ in beiden Fällen [‚Ich habe Schmerzen‘, ‚Er hat Schmerzen‘] die gleiche Bedeutung hat, dann muß man die Zahnschmerzen der beiden miteinander vergleichen können und wenn sie in Stärke etc. miteinander übereinstimmen so sind sie die gleichen Zahnschmerzen wie zwei Anzüge die Gleiche [sic!] Farbe haben wenn sie in bezug auf Helligkeit, Sättigung etc. miteinander übereinstimmen. (MS107,217)
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Nun ließe sich natürlich auch hier zunächst einwenden, dass selbst bei kriterialer Deckungsgleichheit dennoch ein Unterschied zwischen beiden Schmerzäußerungen bestünde, und zwar darin, dass im einen Fall ich die Schmerzen habe und im anderen Fall er. Wittgenstein selbst räumt diesen Einwand an mehreren Stellen ein. So beispielsweise: Wenn man aber einwendet, ihr Unterschied sei eben der daß in einem Fall ich sie habe im anderen Fall er; dann ist also die besitzende Person ein Charakteristikum der Zahnschmerzen selbst; aber was ist dann mit dem Satz „ich habe Zahnschmerzen“ (oder dem anderen) ausgesagt? Gar nichts! (MS107,217).
In KB Nr. 30 und Nr. 31 finden sich dazu die zwei Bemerkungen, dass die Erfahrung eines Zahnschmerzgefühls nicht der Art ist, „dass eine Person Ich etwas hat“ und, dass ich in den Schmerzen eine Intensität, einen Ort aber keinen Besitzer unterscheide. So stellt Wittgenstein im Folgenden die interessante Frage, was etwa Schmerzen wären, „die gerade niemand hat?“ (KB Nr. 32) und bemerkt anschließend, dass Schmerzen als etwas dargestellt werden, was man analog einem Gegenstand, zum Beispiel einer Zündholzschachtel, wahrnehmen kann und dadurch nicht die Schmerzen, sondern lediglich die Wahrnehmung der Schmerzen das Unangenehme seien (vgl. KB Nr. 33). Hier soll offensichtlich zum Ausdruck kommen, dass es mit Bezug auf unsere Schmerzempfindung keinen Sinn macht, zwischen Wahrnehmung und Realität zu unterscheiden und wir Schmerzen nicht als einen privaten Gegenstand in Analogie zu einem öffentlichen Objekt verstehen dürfen. Daher handelt es sich bei Sätzen wie „Ich habe Schmerzen“ auch nicht um eine Relation des Habens zwischen einem Subjekt und einem (privaten) Objekt. Auch im Blue Book nimmt Wittgenstein jenen möglichen Einwand nochmals auf, scheint ihm allerdings hier neutraler gegenüberzustehen: We use the phrase ‘two books have the same colour’, but we could perfectly well say: ‘They can’t have the same colour, because, after all, this book has its own colour, and the other book has its own colour too’. This also would be stating a grammatical rule – a rule, incidentally, not in accordance with our ordinary usage. The reason why one should think of these two different usages at all is this: We compare the case of sense data with that of physical bodies, in which case we make a distinction between: ‘this is the same chair that I saw an hour ago’ and ‘this is not the same chair, but one exactly like the other’. Here it makes sense to say, and it is an experiential proposition: ‘A and B couldn’t have seen the same chair, for A was in London and B in Cambridge; they saw two chairs exactly alike’. (BBB, 55)
Diese Stelle erinnert natürlich sehr stark an die Bemerkung aus PU § 253. Auch im später noch zu diskutierenden Diktat an Schlick findet sich die Diskussion des Einwandes, die „Schmerzbesitzer“ seien ein spezifisches Charakteristikum des jeweiligen Schmerzes.
Apropos Kringel-Buch-Sektion Nr. 31
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Nun scheint sich allerdings die Frage, warum ein Ausdruck wie „Ich habe meine Schmerzen“ sinnlos ist, auf unterschiedliche Weise beantworten zu lassen. Zunächst in der Form, wie sie durch Hacker vertreten wird, und in den entsprechenden von Wittgenstein zitierten Anmerkungen mit Bezug auf Intensität, Örtlichkeit und Besitz zum Ausdruck kommt. Wäre es aber nicht auch denkbar, sie im Sinne Freges zu beantworten, das heißt, dadurch, dass Schmerzen wesentlich mit einer und nur einer Person verbunden sein können und wir daher dem „meine“ keine anderen Schmerzen entgegenstellen können? So bemerkt Frege etwa in „Der Gedanke“: „Vorstellungen werden gehabt. […]. Vorstellungen bedürfen eines Trägers. Die Dinge der Außenwelt sind im Vergleiche damit selbständig […]. Jede Vorstellung hat nur einen Träger; nicht zwei Menschen haben dieselbe Vorstellung.“ (Frege, 1993, 41 f.) Unter „Vorstellungen“ subsumiert Frege die Vorgänge unserer Innenwelt, wie Sinneseindrücke, Einbildungskraft, Empfindungen, Stimmungen, Gefühle etc. (vgl. ebd., 40). Freges Beispiel zweier Spaziergänger, die auf eine gemeinsame grüne Wiese blicken, aber beide einen je eigenen „Sinneseindruck des Grünen“ haben (Frege, 1993, 41), zeigt eindeutig seine Zurückweisung der Frage, ob beide möglicherweise dieselbe Farbwahrnehmung haben, als unsinnig. Denn einer der beiden erblickt eine Erdbeere inmitten grüner Erdbeerblätter, der Begleiter allerdings erkennt sie nicht, da er unter Farbenblindheit leidet. Dadurch unterscheidet sich sein Farbeindruck der Erdbeere nicht maßgeblich von dem, welchen er von den grünen Blättern erhält. Unter diesen Umständen, so Frege weiter, wäre es unsinnig zu fragen, ob der Begleiter vielleicht die Blätter rot, oder die Beere grün, oder beides in einer einheitlichen, mir möglicherweise gänzlich unbekannten Farbe sieht. Denn das Wort ‚rot‘, wenn es nicht eine Eigenschaft von Dingen angeben, sondern meinem Bewusstsein angehörende Sinneseindrücke kennzeichnen soll, ist anwendbar nur im Gebiete meines Bewusstseins; denn es ist unmöglich, meinen Sinneseindruck mit dem eines andern zu vergleichen. Dazu wäre erforderlich, einen Sinneseindruck, der einem andern Bewußtsein angehört in einem Bewußtsein zu vereinen. (ebd.)1
Hierin zeigt sich ganz deutlich, dass Frege die Auffassung vertritt, Empfindungen, wie Schmerzen, seien wesentlich mit einer und nur einer Person verbunden. Insofern gibt es auch hier zu meinen Sinneseindrücken, Empfindungen etc. kein
1 Nun scheint es im Fall von Farbenblindheit keineswegs offensichtlich unsinnig, zu fragen, ob der Begleiter die Erdbeere in der Farbe der Blätter oder umgekehrt wahrnimmt. Man könnte ihm etwa hintereinander verschiedene rote und grüne Gegenstände zeigen, um so die Sinneswahrnehmung besser einzuordnen. Farbenblindheit lässt sich schließlich diagnostizieren.
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Gegensätzliches. Und so könnte auch Frege fragen, was Schmerzen wären, „die gerade niemand hat“? (KB Nr. 32). Natürlich können zwei Personen die gleichen Schmerzen haben, wenn auf sie beide dasselbe Begriffswort, so beispielsweise „hat Zahnschmerzen im rechten unteren Backenzahn“, zutrifft. Die Redeweise von „denselben Schmerzen“ im Sinne einer numerischen Identität ist allerdings genauso sinnlos, wie in Peter Hackers Ausführungen und Entsprechendes gilt für „meine Schmerzen“. Interessanterweise bemerkt Wittgenstein im Big Typescript, dass ein Ausdruck wie „Sinnesdaten sind privat“, nicht im Sinne einer empirischen Feststellung zu verstehen sei, sondern vielmehr als ein philosophischer Satz, der zum Ausdruck bringt, dass eine Person in die Beschreibung von Sinnesdaten nicht eintritt. Denn kann ein anderer meine Zahnschmerzen nicht haben, so kann ich sie – in diesem Sinne – auch nicht haben. In dem Sinne, in welchem es nicht erlaubt ist zu sagen, der andere habe diese Schmerzen, ist es auch nicht erlaubt zu sagen, ich habe/hätte/ sie. Was wesentlich privat ist, oder scheint, hat keinen Besitzer. (Wi11, 339)
Auffällig erscheint hier jedenfalls das Wort „wesentlich“. Und wie wären tatsächlich Schmerzen, die im Moment niemand hat? (vgl. KB Nr. 32). Auch in PU §253 verweist Wittgenstein auf einen Fall, in welchem sich jemand während einer Diskussion auf die Brust schlug und sagte „Aber der andere kann doch nicht DIESEN Schmerz haben!“ (ebd.). Offensichtlich soll es sich auch hier nicht um eine empirische Feststellung handeln, die schlicht deshalb wahr wäre, weil andere nicht diesen Körper haben. Ist der Schmerz vielmehr wesentlich und untrennbar mit meiner Person verbunden, dann macht es keinen Sinn mehr, mit Verweis auf den Schmerzbegriff zu ergänzen, dass ich ihn habe. Im Gegensatz zu Frege finden sich allerdings zahlreiche Stellen bei Wittgenstein, die dafür argumentieren, dass in philosophischen Kontexten, in welchen das „Ich“ oder „meine Schmerzen“ sich von nichts Gegensätzlichem abgrenzen lassen, Ausdrücke wie „Ich habe (meine) Schmerzen“ als sinnlos aufzufassen sind. Und gerade hierin zeigt sich die asymmetrische Ausdrucksweise zwischen erster und dritter Person mit Bezug auf unsere Schmerzempfindungen (vgl. u.a. Wi11, 342; PB, 64). Aufgrund dieser Asymmetrie plädiert Wittgenstein daher an verschiedenen Stellen für eine Elimination des Ausdrucks „Ich“ im Fall von verbalen Schmerzäußerungen (vgl. etwa Wi11, 342; D303; PB, 88 f.; AWL 1979, 22; WWK, 49). Nun scheint es aber, dass Wittgenstein keineswegs Ausdrücke wie „Ich habe meine Schmerzen“, „Ich fühle seine Schmerzen“ etc., a priori als sinnlos auffasst. In KB Nr. 23 bemerkt er beispielsweise: „Man könnte auch so fragen: Was
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in meiner Erfahrung rechtfertigt das ‚meine‘ in „ich fühle meine Schmerzen“. Wo ist die Multiplizität des Gefühls die dieses Wort rechtfertigt und es kann nur dann gerechtfertigt sein wenn an seine Stelle auch ein anderes treten kann.“ Was nun versteht Wittgenstein unter „Multiplizität“? Bereits aus dem Tractatus kennen wir den Begriff der logischen Mannigfaltigkeit im Zusammenhang der Abbildtheorie. Dabei bildet jeder sinnvolle Satz einen möglichen Sachverhalt ab, und die Menge der sinnvollen Sätze muss mit der Menge möglicher Tatbestände übereinstimmen, sodass beide über den gleichen logischen Spielraum verfügen. So heißt es in 4.04 „Am Satz muß gerade soviel zu unterscheiden sein als an der Sachlage, die er darstellt. Die beiden müssen die gleiche logische (mathematische) Mannigfaltigkeit besitzen.“ Und gerade das angesprochene Farbenunvereinbarkeitsproblem stellte eine Verletzung dieser Symmetrie dar. Mit Bezug auf den Schmerzbegriff wiederum zeigt sich die Asymmetrie bezüglich der ersten und dritten Person. Was nun könnte die Verwendung des Wortes „meine“ in „ich fühle meine Schmerzen“ rechtfertigen? Hier liefert uns Wittgenstein in einem anderen Kontext Aufschluss darüber. In KB Nr. 6 heißt es: Hat es einen Sinn zu sagen ‚ich habe Schmerzen, merke sie aber nicht‘? denn in diesem Satz könnte ich dann allerdings statt „ich habe“ „er hat“ einsetzen. Und umgekehrt wenn die Sätze ‚er hat Schmerzen‘ & ‚ich habe Schmerzen‘ auf der gleichen logischen Stufe stehen so muß ich im Satz ‚er hat Schmerzen die ich nicht spüre fühle‘ statt ‚er hat‘ ‚ich habe‘ setzen können. — Ich könnte auch so sagen: Nur insofern ich Schmerzen haben kann die ich nicht fühle, kann er Schmerzen haben die ich nicht fühle. Es könnte dann noch immer der Fall sein daß ich tatsächlich die Schmerzen die ich habe immer fühle aber es muß einen Sinn haben das zu verneinen.
Die Stelle scheint also anzudeuten, dass in Fällen, in welchen ein Satz wie „ich habe Schmerzen, ich merke sie aber nicht“ Sinn macht, im ersten Teilsatz das erste durch das dritte Personalpronomen sinnerhaltend ausgetauscht werden kann. Es stünden dann, anders ausgedrückt, „ich“ und „er“ oder „sie“ auf der gleichen logischen Stufe. Somit wären „ich“, „er“ „V.M.“, etc., alles gleichwertige Variablen. Auch wenn uns die Erfahrung zeigt, dass ein Satz wie „ich habe Schmerzen, ich merke sie aber nicht“ immer falsch wäre, wäre er dennoch sinnvoll. Und Wittgenstein selbst bietet uns einen Kontext, in welchem ein solcher Satz sinnvoll und sogar wahr sein könnte, indem er den Begriff „unbewusster Schmerz“ einführt. So bemerkt er etwa im Blue Book im Zusammenhang des Wissens um die eigenen Schmerzen: “The matter is different, of course, if we give the phrase ‘unconscious pain’ sense by fixing experiential criteria for the case in which a man has pain and doesn’t know it, and if then we say (rightly or wrongly) that as a matter of fact nobody has ever had pains which he didn’t know of.
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(BBB, 55).2 Eine ganz ähnliche Bemerkung findet sich auch in einer Vorlesung Wittgensteins über notwendige Sätze (LNP) im Frühjahr 1938 „There is no reason why I should not say “I have unconscious toothache” if a.) I feel no pain, b.) I have a bad tooth. Saying this would produce depression and fear. It suggests that if I don’t feel it now I shall feel it in a second.” (LNP, unpublished) Im Fall unbewusster Schmerzen könnte ich also durchaus sinnvoll behaupten unter Schmerzen zu leiden, die ich nicht spüre, unabhängig von der empirischen Tatsache, dass ich in der Regel immer meine Schmerzen fühle. Der zugegebenermaßen spezielle Kontext alleine würde durch die sinnerhaltende Ersetzbarkeit von „mein“ und „dein“ die Multiplizität des Schmerzgefühls sichern und die Verwendung der entsprechenden Possessivpronomen rechtfertigen. So scheint uns Wittgenstein, wie sich auch schon ansatzweise in der eben zitierten Stelle zeigt, neben Hacker und Frege noch eine weitere Lesart zu erlauben, da sich offenbar auch Kontexte denken lassen, in welchen Sätzen wie „Ich fühle seine Schmerzen“, „Zwei Personen haben dieselben Schmerzen“ etc. sehr wohl Sinn verliehen werden kann, auch wenn alle bisherigen Erfahrungen diesen Zusammenhängen widersprechen. Widmen wir uns dazu abschließend Typoskript 303, einem Diktat Wittgensteins an Moritz Schlick, vermutlich Anfang der dreißiger Jahre. Hier finden sich viele der bisher angedeuteten Punkte nochmals in pointierter Form und in länger zusammenhängenden Textpassagen.
4 Typoskript 303, Diktat an Moritz Schlick Wittgenstein leitet sein Diktat zunächst mit der Bemerkung ein, dass die übliche Ausdrucksweise von Sätzen wie „Ich habe Zahnschmerzen“ oder „er hat Zahnschmerzen“ eine den Tatschen angepasste „grammatische Zusammenfassung“ darstellt, analog der Beziehung einer Geometrie zu Tatsachen der Physik. Bei dieser Zusammenfassung handelt es sich allerdings nicht um eine Darstellung von Tatsachen. Bestimmte Tatsachen führen uns lediglich dazu, diese bestimmte grammatische Darstellung anderen vorzuziehen. Gemeint sind hier insbesondere Tatsachen unseren Körper betreffend, die unserer Grammatik eine ganz
2 Und etwa 30 Seiten früher heißt es: “It might be found practical to call a certain state of decay in a tooth, not accompanied by what we commonly call toothache, ‘unconscious toothache’ and to use in such a case the expression that we have toothache, but don’t know it. It is in just this sense that psychoanalysis talks of unconscious thoughts, acts of volition, etc. Now is it wrong in this sense to say that I have toothache but don’t know it? There is nothing wrong about it, as it is just a new terminology and can at any time be retranslated into ordinary language.” (BBB, 22)
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bestimmte Richtung gegeben haben. Wittgenstein denkt dabei an Tatsachen wie, dass wir mit den Augen sehen, den Ohren hören, der Nase riechen, meine Hand heute in etwa so aussieht, wie gestern und immer Teil meines Armes war und nicht etwa des Arms meines Freundes (vgl. D303,1). Hinzunehmen könnten wir wohl auch die Tatsache, dass Schmerzen, die ich bisher erfahren habe, noch nie in einem anderen Körper als dem meinen lokalisiert waren, oder dass es üblicherweise keine Nervenverbindungen zwischen verschiedenen menschlichen Körpern gibt. In den Vorlesungen 1932–1935 macht Wittgenstein die folgende Bemerkung: We can say the visual field has certain internal properties, but its being mine is not essential to its description. That is, it is not an intrinsic property of a visual sensation, or a pain, to belong to someone. There will be no such thing as my image or someone else’s. The locality of a pain has nothing to do with the person who has it: it is not given by naming a possessor. (AWL, 22)
Analog, so Wittgenstein weiter, bedarf es zur Beschreibung unseres Gesichtsfeldes keines Körpers oder Wahrnehmungsorgans und Gleiches gilt etwa für unsere Hörerlebnisse. Diese Erlebnisse sind logisch völlig unabhängig von der Existenz irgendwelcher Sinnesorgane. Und auch im Fall von Zahnschmerzen gilt, wir können über Zahnschmerzen sprechen, ohne die Existenz irgendwelcher Zähne: Pains have a space to move in as do auditory experiences and visual data. The idea that a visual field belongs essentially to an organ of sight or to a human body having this organ is not based on what is seen. It is based on such facts of experience as that closing one’s lids is accompanied by an event in one’s visual field, or the experience of raising one’s arm towards one’s eye. It is an experiential proposition that an eye sees. (ebd., 22, vgl. auch ebd., 23)
Auch hier wird also Wittgensteins Punkt deutlich, dass es sich bei den Korrelationen zwischen Wahrnehmungserlebnissen und Wahrnehmungsorganen oder Körpern lediglich um ein empirisches Faktum, nicht aber um eine logische Verknüpfung handelt. Und somit können wir auch Verbindungen herstellen zwischen einem menschlichen Körper und einem Gesichtsfeld, die völlig von unseren bisherigen Erfahrungen abweichen. So ist es etwa vorstellbar, „[…] that I could see with someone else’s eyes and have toothache in his tooth“ (ebd., 23). Auch im Big Typescript findet sich dieser Punkt, dass Schmerzerfahrungen sich in ganz anderer als der uns gewohnten Umgebung denken lassen, im Fall von Phantomschmerzen etwa, die ich in der linken amputierten Hand empfinde. Und „in diesem Sinne könnte man Zahnschmerzen ohne Zahn, Kopfschmerzen ohne Kopf etc. haben“ (Wi11, 343). Diese Gedankenexperimente basieren offenbar auf der Grundannahme, dass die Formen meines Körpers und seine fortdauernde räumliche Existenz für die Schmerzerfahrung nicht wesentlich sind (vgl. ebd.).
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Mit Bezug auf Schmerzempfindungen Dritter betont Wittgenstein in D303 zunächst, dass uns zumindest der gesunde Menschenverstand sagt, dass auch andere Personen sehr wohl Schmerzen haben können, auch wenn ich sie gerade nicht spüre. Sie haben dann einfach gerade das, was ich habe, wenn ich Zahnschmerzen habe. Das sieht zunächst unproblematisch aus. Allerdings weist Wittgenstein nun hin auf die bereits angedeutete Schwierigkeit mit Sätzen wie „er hat jetzt das, was ich früher hatte“ und zwar mit Bezug auf den Ausdruck „haben“. Im selben Sinne wie „Er hat einen faulen Zahn und ich habe einen faulen Zahn“, „Er hat braune Haare und ich habe braune Haare“, kann ich sagen, dass mein Zahn deshalb eine Plombe hat oder, dass ein bestimmter Zahn in meinem Mund Schmerzen hat: Und sage ich nun in diesem Sinne, der andere habe, was ich hatte, so führt uns dieser Übergang nicht von meinen Zahnschmerzen zu seinen Zahnschmerzen, sondern, (wie ich jetzt sagen müsste) von meinen Zahnschmerzen in meinem Munde zu meinen Zahnschmerzen in seinem Munde (ebd., 3).
Mit Sätzen wie „Jeder Mensch spürt immer nur seinen eigenen Schmerz“, so Wittgenstein weiter, wollen wir nicht eine Zusammenfassung all unserer bisherigen Erfahrungen liefern. Ansonsten müsste der Gebrauch solcher Ausdrücke wie „A fühlt die Schmerzen des B“ genauer bestimmt werden und zwar dadurch, dass wir Erfahrungen beschreiben, die als entsprechende Kriterien dafür gelten müssten. Auch diese Bemerkung Wittgensteins zeigt offensichtlich, dass solche Sätze nicht von vorneherein als sinnlos aufzufassen sind. So finden sich zahlreiche Stellen in den Schriften dieser Zeit, die die Möglichkeit einräumen, Schmerzen im Körper anderer Personen zu empfinden: „An innumerable variety of cases can be thought of in which we should say that someone has pains in another person’s body; or, say, in a piece of furniture, or in an empty spot“ (BBB, 50). Wittgenstein selbst liefert ein solches Beispiel im Blue Book, dass wir uns etwa eine drahtlose Verknüpfung zwischen zwei Personen vorstellen könnten, die dazu führt, dass eine Person Kopfschmerzen empfindet, wenn die andere ihren Kopf sehr kalter Luft aussetzt (vgl. ebd., 54). Um dem Einwand zu entgehen, dass ich nur deshalb von „meinen Kopfschmerzen“ spreche, weil ich sie in meinem Kopf spüre, liefert uns Wittgenstein im Folgenden ein weiteres Beispiel: Nehmen wir an, die Nerven und Sehnen meines Armes sind verbunden mit der Hand einer anderen Person. Würde nun eine Wespe in genau diese Hand stechen und wir beiden verzögen daraufhin unsere Gesichter, weinten, lieferten genau gleiche Schmerzbeschreibungen etc., müssten wir dann sagen, beide empfänden dieselben Schmerzen oder unterschiedliche Schmerzen? (vgl. ebd.). Auch hier bietet uns Wittgenstein wieder den möglichen Einwand, warum zwei Menschen nicht denselben Schmerz haben können: Wenn wir in solch einem Fall sagen, dass, obgleich sich
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der Schmerz am selben Ort, im selben Körper befindet und sämtliche Schmerzbeschreibungen übereinstimmen, beide dennoch nicht denselben Schmerz spüren können, dann wohl deshalb, weil meine Schmerzen meine Schmerzen sind und seine Schmerzen seine. Aber, so Wittgenstein weiter, […] here you are making a grammatical statement about the use of such a phrase as “the same pain”. You say that you don’t wish to apply the phrase, “he has got my pain” or “we both have the same pain”, and instead, perhaps, you will apply such a phrase as “his pain is exactly like mine”. (It would be no argument to say that the two couldn’t have the same pain because one might anaesthetize or kill one of them while the other still felt pain.) Of course, if we exclude the phrase “I have his toothache” from our language, we thereby also exclude “I have (or feel) my toothache”. (BBB, 54f)
Ließe sich dieser Klammereinschub nun nicht auch wieder auf dreierlei Weise lesen? Zum einen im Sinne Hackers, dessen Lesart es nach wie vor erlaubt, von „the same pain“ zu sprechen, unabhängig davon, ob der andere den Schmerz überhaupt noch empfindet, da es hier eben nicht um numerische Identität geht. Zweitens wäre aber auch die Frege’sche Lesart möglich, da jede Person notwendigerweise nur ihren eigenen Schmerz spürt. Beim Fallen zweier Personen unter denselben Begriff hätten beide allerdings auch den gleichen Schmerz. Nun könnte man allerdings, drittens, argumentieren, dass das Empfinden eines Schmerzes im Zahn einer anderen Person nicht notwendigerweise verlangt, dass die Person, in dessen Mund sich der Zahn befindet, ebenfalls Schmerzen empfindet. Wäre das der Fall, könnten wir sinnvoll davon sprechen, dass beide denselben Schmerz hätten. Allerdings scheint es auch denkbar, den Schmerz einer anderen Person zu empfinden, im Sinne von „im Körper einer anderen Person“, wenn diese selbst nichts spürt. In KB Nr. 11 bemerkt Wittgenstein: Der Begriff der Zahnschmerzen als eines Gefühlsdatums ist allerdings auf den Zahn des Anderen ebenso anwendbar wie auf den meinen aber nur in dem Sinne in dem es ganz wohl möglich wäre in dem Zahn in eines anderen Menschen Mund Schmerzen zu empfinden. Im Einklang mit der gegenwärtigen Ausdrucksweise würde man aber diese Tatsache nicht durch die Worte „Ich fühle seinen Zahnschmerz“ ausdrücken sondern durch „Ich habe in seinem Zahn Schmerzen“.— Man kann nun sagen: Freilich hast Du nicht seinen Zahnschmerz denn es ist auch dann sehr wohl möglich daß er sagt „ich fühle in diesem Zahn nichts“. Und sollte ich in diesem Fall sagen „Du lügst, ich fühle wie Dein Zahn schmerzt“?
In den Vorlesungen 1932–1935 bemerkt Wittgenstein ganz entsprechend mit Bezug auf die Frage, ob zwei Personen dieselben Sinnesdaten haben könnten: Consider the statement that no two people can ever see the same sense datum. If being in the same position as another person were taken as the criterion for someone’s seeing the same sense datum as he does, then one could imagine a person seeing the same datum, say,
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by seeing through someone’s head. But if there is no criterion for seeing the same datum, then “I can’t know that he sees what I see” does not make sense. (AWL 1979, 18)
Und Gleiches gilt natürlich für die Negation dieses Satzes. Die grundlegende Fehlerquelle sieht Wittgenstein dabei in der Verwechslung unbestreitbarer Tatsachenbeschreibungen mit grammatischen Sätzen über den Gebrauch sprachlicher Ausdrücke in diesen Zusammenhängen: „We are likely to muddle statements of fact, which are undisputed with grammatical statements“ (ebd.). In den Lectures on Experience and Sense Data bemerkt Wittgenstein daher auch, dass der Metaphysiker mit Sätzen wie „Ich kann nicht seine Schmerzen fühlen“ eigentlich etwas über die Natur bzw. das Wesen des Schmerzes zum Ausdruck bringen möchte. Aber, so Wittgenstein : “I can’t feel his pain” is not something about the nature of pain but a grammatical remark about the concept of pain. It seems as though it would be not false but nonsense to say “I feel his pains”, but as though this were because of the nature of pain, of the person etc. as though, therefore the statement were ultimately a statement about the nature of things. So we speak for example of an asymmetry in our mode of expression and we look on it as a mirror image of the essence of the things (Wittgenstein 1993, 208–209).
Hier finden wir zudem wieder Wittgensteins Idee einer Asymmetrie, wie wir sie bereits aus dem Tractatus und der Diskussion der ersten und dritten Person kennen. Und in den Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie heißt es ganz entsprechend: „Philosophische Untersuchungen: begriffliche Untersuchungen. Das Wesentliche der Metaphysik: daß ihr der Unterschied zwischen sachlichen und begrifflichen Untersuchungen nicht klar ist. Die metaphysische Frage immer dem Anscheine nach eine sachliche, obschon das Problem ein begriffliches ist.“ (BPP I, § 949) Auch im Kapitel „Schmerzen HABEN“ des Big Typescript finden sich zahlreiche Bemerkungen, die die Denkmöglichkeit, Schmerzen im Körper einer anderen Person zu haben, einräumen. So ist etwa der Begriff des Zahnschmerzes als ein Gefühlsdatum auf die Zähne einer anderen Person genauso anwendbar wie auf meine eigene, allerdings nur in dem Sinn, in welchem es möglich wäre, im Zahn eines anderen Schmerzen zu empfinden (vgl. Wi11, 337). Oder mit Bezug auf die Frage, ob man sinnvoll sagen kann, dass zwei Menschen denselben Körper hätten, wäre es nach Wittgenstein denkbar, dass sich die Verbindung der eigenen Hand mit dem eigenen Körper löst und nun am Arm einer anderen Person sitzt (vgl. ebd., 340). Es wäre auch vorstellbar, dass eine Person Gesicht und Körper einer anderen annimmt. Und fasst man nun den Personennamen als den Namen eines Körpers auf, hat es ebenfalls Sinn zu sagen „Ich habe im Körper des N Zahnschmerzen“ (ebd., 344).
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Diese Beispiele zeigen somit offensichtlich, dass in bestimmten, unseren tatsächlichen Erfahrungen widersprechenden Situationen, solchen Sätzen wie „A spürt die Schmerzen des B“ „A und B haben dieselben Schmerzen“, etc., beim Vorliegen von Kriterien (etwa der Verbindung zweier menschlicher Körper durch imaginierte drahtlose Nervenverbindungen oder gleiche Raumkoordinaten mit Bezug auf den Sinnesdatenraum, etc.) sehr wohl Sinn verliehen werden kann. Soll allerdings durch die Verwendung solcher Äußerungen, dass jede Person nur ihre eigenen Schmerzen spürt, wenn es sich nicht um eine schlichte empirische Bestimmung oder Denkmöglichkeit handelt, vielmehr zum Ausdruck gebracht werden, dass es logisch ausgeschlossen sein soll, dass eine Person A die Schmerzen einer Person B haben kann, eine Auffassung, wie sie Frege vertritt, dann trifft man nach Wittgenstein vielmehr eine Festlegung darüber, wie solche Ausdrücke zu gebrauchen sind. Und demgemäß ist es sinnlos zu sagen, A könne den Schmerz des B haben. Daraus folgt allerdings, wie bereits gezeigt, dass auch ein Satz wie „A fühlt seinen eigenen Schmerz“ sinnlos ist, da hier wieder Wittgensteins Argument der Negation greift, dass ein sinnvoller Satz auch sinnvoll verneinbar sein muss, bzw., dass auch die Verneinung eines sinnlosen Satzes sinnlos ist. Diesen Punkt macht Wittgenstein nochmals deutlich, indem er auch im Diktat an Schlick zunächst sehr wohl die Möglichkeit einräumt, im Zahn eines andern Schmerzen zu haben: (Wenn der Ort meiner Schmerzen der Zahn eines andern wäre, so könnte ich eigentlich sehr wohl sagen: ich fühle die Schmerzen des andern. Aber dies will man nicht, man will vielmehr sagen: Unsinn, ich kann immer nur meine Schmerzen fühlen, und wäre es auch im Zahn des andern. Hierdurch zeigt man, daß man Ort und Besitzer der Schmerzen voneinander unterscheiden möchte. Obgleich der Ort (der ‚Träger’) der Schmerzen ein anderer Körper ist, soll ich doch ihr Besitzer bleiben, es soll unsinnig sein zu sagen ‚ich fühle die Schmerzen eines andern‘. Dann ist es aber auch unsinnig zu sagen: ‚Ich kann nur meine Schmerzen fühlen’; denn dies wäre nur sinnvoll zusagen [sic!], wenn es eben logisch auch anders sein könnte (wenn jenes ‚kann nicht‘ nur eine empirische Unmöglichkeit wäre). Wenn es also unsinnig ist zu sagen: ‚Die Schmerzen eines andern kann ich nicht fühlen‘, wenn also Schmerz und Besitzer wesensmäßig zusammenfallen, nicht trennbar sind, dann hat es überhaupt keinen Sinn, von einem Besitzer des Schmerzes zu sprechen. Dies hätte nur Sinn, wenn der Schmerz seinen Besitzer wechseln könnte.) (D303,5)
Was also die Fälle, in welchen wir uns sehr wohl vorstellen können, im Körper einer anderen Person Schmerzen zu empfinden von solchen unterscheidet, die zeigen sollen, dass selbst in diesen Situationen meine Schmerzen noch immer meine Schmerzen sind, ist der Schritt, in welchem man den Ort bzw. Träger eines Schmerzes – etwa der Zahn oder Körper einer anderen Person – vom Besitzer des Schmerzes trennt. Sind demnach allerdings, so Wittgenstein, Schmerz und Schmerzbesitzer wesentlich untrennbar miteinander verknüpft, dann hat es
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keinen Sinn mehr, überhaupt von einem „Besitzer“ zu sprechen. Diese metaphysische Position einer untrennbaren Verknüpfung zwischen Schmerzen und Schmerzbesitzern ist allerdings von der in KB Nr. 31 angedeuteten Lesart zu unterscheiden. Denn wenn wir Schmerzen nicht an einen Besitzer knüpfen, dann ist es sehr wohl denkbar, wenn auch empirisch unmöglich, die Schmerzen einer anderen Person zu haben, in dem Sinne, in welchem sich der schmerzende Zahn im Mund einer anderen Person befände. Wird der „Besitzer“ allerdings von der Lokalisation abgetrennt, da vielmehr Schmerzempfindung und Schmerzbesitzer eine untrennbare Einheit bilden, dann macht es eben keinen Sinn mehr von „Besitzer“ zu sprechen, da es zu ihm kein Gegensätzliches gibt. Abschließend möchte ich noch auf ein Beispiel hinweisen, welches sogar die empirische Unmöglichkeit, dass zwei Personen dieselben Schmerzen spüren, in Frage stellen könnte. Dieses Beispiel aus dem Diktat an Schlick findet sich auch in PU §253 wieder, dort allerdings in weit komprimierterer Form. Wittgenstein leitet es mit der Bemerkung ein: Wer sagt: ‚Zwei Menschen können nicht denselben (identischen) Schmerz empfinden‘, kann man fragen ‚Wie ist es etwa im Falle der Siamesischen Zwillinge? Diese könnten Schmerz an einer Stelle ihres Doppelkörpers empfinden. War das nun ein Schmerz, oder waren es zwei Schmerzen, und welcher Art ist die Untersuchung, ob es das eine oder das andere war? (D303,7)
Diese Frage scheint also offensichtlich die Verknüpfung von Schmerz und Zählbarkeit nicht von vorneherein als sinnlos zu verwerfen, wie es in Hackers Analogie zum Begriff der Farben zum Ausdruck kommt. Wenn wir nun die Ausdrücke „Jeder der Zwillinge hat seinen eigenen Schmerz“ und „Beide haben denselben Schmerz“ als einander entgegengesetzte Aussagen betrachten, dann trifft eine von beiden Bestimmungen zu, die andere nicht. Dadurch wird diese allerdings nur falsch und nicht sinnlos (vgl. D303,7). Es müsste daher, so Wittgenstein, „Kriterien in der Erfahrung geben, nach welchen ich einmal das eine, einmal das andere sagen würde (so ein Kriterium der ersten Aussage könnte es z. B. sein, dass der eine sagt, er habe einen stechenden Schmerz, der andere, er fühle einen schmerzenden Druck)“ (ebd.). Stimmen hingegen die Schmerzbeschreibungen völlig miteinander überein, dann können wir auch davon sprechen, dass beide tatsächlich denselben Schmerz haben. Bei dieser Art der Untersuchung scheint es sich also um eine empirische zu handeln. In diesem Beispiel zeigt sich nun ein wesentlicher Unterschied zu Fällen physikalischer Gegenstände, weil in solchen Kontexten dieselben raum-zeitlichen Koordinaten hinreichende Bedingung dafür sind, dass numerische Identität vorliegt und dadurch eo ipso auch Ununterscheidbarkeit mit Bezug auf die Eigenschaften der Gegenstände und ihren entsprechenden Beschreibungen. Im zugegebenermaßen sehr limitierten Fall der Schmerz-
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identität ist dieselbe (nicht nur homologe) Lokalität hingegen zwar notwendig, aber nicht hinreichend für die Anwendung des Begriffs „numerische Identität“, da die Schmerzen trotz identischer Örtlichkeit mit Bezug auf ihre Beschreibungen noch immer abweichen können, wie in Wittgensteins Beispiel beschrieben. Für das Vorliegen numerischer Identität müssen also sowohl die Örtlichkeit als auch die Schmerzbeschreibung völlig übereinstimmen, um eine sinnvolle Anwendung dieses Ausdrucks zu gewährleisten. Daher bilden Örtlichkeit und Beschreibung nur als Einheit verstanden das Individuationskriterium des Schmerzes in dieser neuen Redeweise. Allerdings betont Wittgenstein auch im Anschluss an das Beispiel der siamesischen Zwillinge wieder, dass die Metaphysikerin vielmehr eine metaphysische Aussage machen möchte und nicht zwei Erfahrungen miteinander vergleichen. Wenn ich behaupte, dass beide Zwillinge jeweils ihren eigenen Schmerz haben, selbst wenn Beschreibung, Intensität und Örtlichkeit der Empfindung vollständig miteinander übereinstimmen, dann können wir keinen entgegengesetzten Fall gegenüberstellen, in welchem beide gemeinsam einen Schmerz haben. Und dadurch wird im Satz „A hat seinen Schmerz“ der Ausdruck „seinen“ überflüssig (vgl. ebd.). In PU §253 bemerkt Wittgenstein entsprechend: „Soweit es Sinn hat zu sagen, mein Schmerz sei der gleiche wie seiner, soweit können wir auch beide den gleichen Schmerz haben. (Ja, es wäre auch denkbar, dass zwei Menschen, an der gleichen – nicht nur homologen Stelle Schmerz empfänden. Bei siamesischen Zwillinge, z. B., könnte das der Fall sein.).“ Auffällig ist auch hier die Kursivierung des Ausdrucks „Sinn“. Ein solches Beispiel wäre etwa Hackers Fall der Magenschmerzen zweier Personen, verursacht durch gemeinsamen Muschelverzehr, oder aber die Übereinstimmung der Beschreibungen eines Schmerzes an einer gemeinsamen Körperstelle siamesischer Zwillinge. Und Wittgenstein scheint hier durch die Bemerkung „Welches sind denn meine Schmerzen?“ (ebd.) und der damit verbundenen Frage nach Identitätskriterien von Schmerzen, eine Unterscheidung in numerisch und qualitativ zumindest in Frage zu stellen. So verweist er uns auf den Fall des Vergleichs physikalischer Gegenstände mit Bezug auf die Ausdrücke „derselbe“ und „ein genau gleicher“. Hier möchte er uns wohl auf die unterschiedliche Grammatik der beiden Fälle hinweisen, obwohl sie nach dem gleichen Muster gebildet sind. Ob Wittgenstein zur Zeit der PU noch dieselbe Auffassung wie zu Beginn der dreißiger Jahre vertrat, dass es denkbar wäre, Schmerzen einer anderen Person – d. h. in deren Körper – haben zu können, lässt sich aus den Textstellen nicht eindeutig belegen. Aber immerhin findet sich in PU §303 im Anschluss an die Bemerkung „Denn ich soll mir nicht vorstellen, dass ich an einer Stelle seines Körpers Schmerz empfinde“, wenn auch in einen Klammerausdruck gesetzt, die Ergänzung „(Was auch möglich wäre)“ (Ebd.).
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In empirischen und kontrafaktischen Situationen, in welchen es also denkbar wäre, im Körper einer anderen Person Schmerzen zu empfinden, können wir bei Vorliegen bestimmter Kriterien aus der Erfahrung sehr wohl sinnvoll, das heißt wahr oder falsch, behaupten, dass zwei Personen dieselben Schmerzen haben, oder A den Schmerz des B empfindet. Durch die Angabe dieser Kriterien kann ich solchen Aussagen Sinn verleihen. Gleiches gilt auch für die Lesart Peter Hackers, welcher die Unterscheidung in numerische und qualitative Identität als sinnlos verwirft. Hierbei bezieht sich die gleiche Örtlichkeit lediglich auf die gleiche homologe Stelle zweier oder mehrerer Körper. Zwei Personen können dann die gleichen Schmerzen haben, allerdings macht es nach Hacker keinen Sinn zu sagen, dass A den Schmerz des B hätte, weil nichts an Schmerzerlebnissen selbst diese zu einer Erfahrung einer bestimmten Person macht. Nur scheint mir allerdings, dass Wittgensteins zahlreiche Beispiele von Schmerzempfindungen in anderen Körpern gerade dadurch denkbar werden, dass die Schmerzerlebnisse des A nicht untrennbar mit A als Schmerzträger verbunden sind und man gerade dadurch Aussagen wie „A hat den Zahnschmerz des B“, im Sinne von „im Mund des B“ Sinn verleihen kann. Sind Schmerzen und Schmerzbesitzer allerdings wesentlich miteinander verschmolzen und untrennbar, macht eine Differenzierung in „meine Schmerzen“ und „ihre Schmerzen“ etc. keinen Sinn mehr, da ihnen jeweils nichts entgegengesetzt werden kann. „Ich kann nicht die Schmerzen einer anderen Person spüren“ ist dann weder aufzufassen als eine Zusammenfassung aller bisherigen Erfahrungen, noch als ein metaphysischer Satz über die Natur des Schmerzes und seiner wesenhaft untrennbaren Verknüpfung mit der ersten Person, sondern vielmehr als ein grammatischer Satz, der Ausdrücke wie „Ich spüre seine Schmerzen“ (und somit auch „Ich spüre meine Schmerzen“) verbietet. Und ganz entsprechend des Farbenunvereinbarkeitsproblems erzeugen solche Aussagen keine Widersprüche, sondern widersprechen vielmehr jenem grammatischen Satz unserer neu eingeführten Sprechweise, dass ich nicht die Schmerzen einer anderen Person spüren kann.
5 Literatur Frege, Gottlob: „Der Gedanke“. In: Frege, Gottlob: Logische Untersuchungen. Herausgegeben und eingeleitet von Günther Patzig. Göttingen 1993, S. 30–53. Hacker, Peter M. S.: Human Nature: The Categorical Framework. Oxford 2010. Wittgenstein, Ludwig: „Notes for Lectures on ‚Private Experience‘ and ‚Sense Data‘“. [Herausgegeben und eingeleitet von David G. Stern [=LPE].. In: Ludwig Wittgenstein. Philosophical Occasions 1912–1951, Herausgegeben und eingeleitet von James C. Klagge und Alfred Nordmann. Indianapolis and Cambridge / USA 1993, S. 200–288
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Wittgenstein, Ludwig: Preliminary Studies for the „Philosophical Investigations“. Generally Known as The Blue and Brown Books. Oxford 1958. Wittgenstein, Ludwig: Single Lecture on Necessary Propositions (unpublished). Wittgenstein, Ludwig: “Some Remarks on Logical Form“. In: Ludwig Wittgenstein. Philosophical Occasions 1912–1951. Herausgegeben und eingeleitet von James C. Klagge und Alfred Nordmann. Indianapolis and Cambridge / USA 1993, S. 28–35. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe. Band 1. Tractatus Logico-Philosophicus [=TLP]. Tagebücher 1914–1916. Philosophische Untersuchungen [PU]. Frankfurt am Main 1984. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe. Band 2. Philosophische Bemerkungen [=PB]. Frankfurt am Main 1984. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe. Band 3. Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis [=WWK]. Frankfurt am Main 1984. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe. Band 7. Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie. Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie [=BPP]. Frankfurt am Main 1984. Wittgenstein, Ludwig: Wiener Ausgabe. Band 11. The Big Typescript [Wi11]. Wien 2000. Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition. Herausgegeben vom Wittgenstein-Archiv an der Universität Bergen unter der Leitung von Claus Huitfeldt. Oxford 1998–2000. Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010 [=KB].
Hans Julius Schneider
Namen, die „nicht vertreten“. Wittgenstein über Zahlen, Begriffe und „Gegenstände der Psychologie“ 1 Fragestellung Für unsere Tages- und Wochenzeitungen ist die Philosophie ein marginales Thema.1 Trotzdem bin ich auf einen Satz im Spiegel gestoßen, der eine ganze sprachphilosophische Theorie erkennen ließ. Der Artikel handelte von den Pilgern auf dem Jakobsweg, und der Satz hieß: „Viele von ihnen treffen eigenem Bekunden zufolge beim Wandern auf Gott – meinen aber nur die erhöhte Ausschüttung an Endorphinen, mit denen der Körper auf die Qualen der Fußarbeit reagiert.“2 Ich interpretiere ihn in fünf Schritten: 1. Der Autor kommt den Menschen, von denen er uns berichtet, entgegen, indem er unterstellt, sie würden keinen Unsinn reden. 2. Damit die Wendung ‚auf Gott treffen‘ einen Sinn hat, meint er voraussetzen zu müssen, der Name ‚Gott‘ habe einen Bezug. Das Wort müsse einen Gegenstand vertreten, so wie der Ausdruck ‚der Schuster an der Ecke‘ für jemanden steht, von dem wir sagen können, wir hätten ihn gestern noch angetroffen. 3. Der Autor teilt die Vorstellung, dass es sich bei den ‚Gegenständen der Religion‘ um etwas ‚Geistiges‘ handelt. Die Fragen, (a) ob damit derselbe Bereich gemeint ist wie mit den Ausdrücken ‚etwas Inneres‘ oder ‚etwas Seelisches‘, und (b) was diese Wendungen genau besehen bedeuten, stellt er sich nicht. 4. Da er selbst den Bezugsgegenstand des Namens ‚Gott‘ offenbar nicht als einen ‚Geist‘ aus der Familie der Schlossgespenster auffassen will, nicht als ein ‚Unding‘, das für den rationalen Teil seiner Leserschaft so wenig existieren sollte wie Einhörner oder Osterhasen, da er aber die Bekundung des Pilgers zugleich nicht als ‚gegenstandslos‘ (‚ohne Sinn‘) ansehen möchte, kommt
1 Eine frühere Fassung dieses Textes wurde auf der Tagung ‚Wittgenstein – Der Geist im Fliegenglas‘ vorgetragen, die im Juli 2009 an der Universität Potsdam anlässlich meiner Verabschiedung stattfand. Ich danke James Conant für seine dort formulierten Nachfragen, die ich hier im Abschnitt 5 zu beantworten versuche, und Stefan Tolksdorf für viele klärende Gespräche. 2 Heft 40, 1. 10. 2007.
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er zu der Auffassung, der benannte Gegenstand müsste etwas sein, das sich buchstäblich in dessen Innerem befinde. 5. Dies spezifiziert er mit dem Interpretationsvorschlag, der Pilger spreche von den Endorphinen, die sein Körper ausschütte. – Kurz gesagt: Wenn die Aussage des Pilgers nicht nur ‚leeres Gerede‘ sein soll (das scheint zu heißen: wenn sie sich überhaupt auf etwas bezieht), dann muss dieser Bezugsgegenstand (das, was der Ausdruck vertritt) ein physischer Gegenstand sein und sich deshalb in den Sprachen von Physik und Chemie beschreiben lassen. Das damit angesprochene Problem ist nicht auf ‚große Fragen‘ (wie die Frage nach der Existenz Gottes) beschränkt. Wenn wir statt des Pilgers den Chemiker Kekulé betrachten und seinen Wachtraum von der Schlange, die sich selbst in den Schwanz beißt, dann können wir sagen, er habe die Lösung seines Problems der chemischen Struktur des Benzols erblickt; vielleicht hat er sogar ausgerufen ‚ich sehe die Lösung!‘ Wollen wir nun sagen, er habe sich mit diesem Wort auf einen ‚inneren Gegenstand‘ bezogen? Falls wir uns für eine positive Antwort entscheiden, ist dieses ‚Innere‘ etwas Persönlich-Mentales (etwas ‚Psychologisches‘) oder (wie der Spiegel-Autor vom Wort ‚Gott‘ meint) etwas Körperliches? Oder wollen wir (anders als der Spiegel-Autor) auch von ‚geistigen Gegenständen‘ sprechen, die wir nicht ‚seelisch‘ oder ‚innerlich‘ nennen? Wollen wir z. B. mit Gottlob Frege ein überpersönliches und von der menschlichen Welt unabhängiges Reich abstrakter Gegenstände postulieren, um einen Bezug auf ‚Kekulés Lösung‘ verständlich zu machen?3 Ich möchte hier eine vierte Möglichkeit explorieren, nämlich die eines sinnvollen assertorischen Sprechens mit Hilfe von Subjekt-Ausdrücken (‚Namen‘)‚ die keinen sprachunabhängig vorgegebenen Gegenstand so ‚vertreten‘, wie wir es z. B. von Personen- und Städtenamen kennen, die sich auf etwas beziehen, das vor ihrer ‚Taufe‘ schon da war. In der Leugnung dieser Vorgegebenheit eines ‚dritten Reiches‘ von Gegenständen besteht meine Differenz zu Frege. Nun könnte man die Sprachauffassung des Spiegel-Autors einfach lächerlich finden und sagen, wir alle wüssten, dass es nicht nur dingliche (materielle, körperliche, konkrete, ...) Gegenstände gebe, sondern auch ‚abstrakte‘ oder immaterielle, wie das Bruttosozialprodukt, die Neigung der Erdachse, die Zahl fünf oder den Begriff Pferd, zu schweigen vom ‚Geist‘ seines Buches, den Wittgenstein z. B.
3 Wörtlich sagt Frege: „So scheint das Ergebnis zu sein: Die Gedanken sind weder Dinge der Außenwelt, noch Vorstellungen. Ein drittes Reich muß anerkannt werden.“ Frege 1990a, S. 353 (orig. S. 69).
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im Kringel-Buch anspricht (KB Nr. 67).4 Diese Entgegnung ist aber so lange unbefriedigend, wie sie auf eine klärende Erläuterung solcher Aussagemöglichkeiten verzichtet. Man kann leicht zugeben, dass es viele solche Ausdrucksweisen gibt, von denen manche täglich ihre Brauchbarkeit unter Beweis stellen. Damit ist aber wenig gesagt, denn erstens gibt es innerhalb dieses Bereichs große Unterschiede, und zweitens bleiben in vielen Fällen auch nach diesem Zugeständnis zwei Aufgaben übrig, nämlich erstens, die Brauchbarkeit der verschiedenen Arten solcher Ausdrücke verständlich zu machen, und zweitens, im Einzelfall zu entscheiden, ob ihr faktischer Gebrauch tatsächlich einer kritischen Prüfung standhält oder ob er in denjenigen Bereich gehört, den Wittgenstein durch die Aussage charakterisiert, hier würde die Sprache nicht arbeiten, sondern ‚feiern‘. (PU § 38) Gilbert Ryle hatte bemerkt, dass es unter den Ausdrücken, die philosophisch erklärungsbedürftige ontologische Annahmen zu involvieren scheinen, auch harmlose gibt, die sich in unproblematische Aussagen umformen lassen.5 Was an ihnen auf den ersten Blick als problematisch erscheint, ist in solchen Fällen eine Sache der Oberfläche, und dass es sich so verhält, kann durch eine logische Analyse festgestellt werden. Deshalb ging in der Nachfolge Ryles eine Tendenz der philosophischen Überlegungen dahin, in Verdacht geratene Namen zu eliminieren, und strittige Fälle auf dem Weg einer Erörterung der Zulässigkeit von Variablenbereichen zu klären. Diese Diskussion führte zur Frage nach der Rechtfertigung von theoretischen Termen und ganzen Theoriesprachen. Wer diese Strategie der Absicherung verfolgt, bindet den Sinn eines logischen Subjektausdrucks weiterhin an seinen Bezug (an die ‚Bedeutung‘ im Sinne Freges, an die Eigenschaft, zu ‚vertreten‘), auch wenn dieser Bezug in den Wissenschaften oft über eine Theorie vermittelt ist, die es mit erschlossenen Entitäten zu tun hat. So versteht z. B. Martin Carrier die Ausdrücke für mentale Zustände als theoretische Terme, die sich auf ein Etwas bezögen, das uns im Moment streng genommen noch verborgen sei. Ähnlich wie der Spiegel-Autor vermutet er, dass dieses ‚Etwas‘ stofflicher Art ist.6 Entscheidend ist dabei, dass hier an der Vorstellung von einem uns der Art nach vertrauten ‚Etwas‘ festgehalten wird, das der sprachliche Ausdruck vertritt. Aber ist dies die einzige Möglichkeit?
4 Verweise auf das Kringel-Buch erfolgen gemäß der vorläufigen Proto-Edition von Josef Rothhaupt. 5 Ryle 1968. 6 Carrier 1998, S. 222. – Vgl. kritisch dazu Schneider 2000.
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2 M üssen alle bedeutungsvollen Ausdrücke vertreten? Als Gottlob Frege die Schritte erarbeitete, die der Idee einer logischen Analyse im oben angesprochenen Sinn zugrunde liegen, war eines seiner Anliegen der Versuch, den Philosophen den Gedanken nahe zu bringen, dass Begriffsausdrücke als den mathematischen Funktionsausdrücken verwandt angesehen werden können. Nach Freges Meinung lässt sich der Begriff sogar als ein Spezialfall einer Funktion ansehen. Einer der Gründe Freges bestand darin, dass dieser Vorschlag es erlaube, die Frage loszuwerden, wofür ein Begriffsausdruck (in seinem prädikativen Gebrauch) stehe. Gegen die Tradition behauptete er nämlich, dass ein früher so genannter ‚Allgemeinname‘ nicht für einen oder für mehrere Gegenstände stehe, auch nicht für ein Abstraktum (ein ‚Universale‘, eine ‚Idee‘). Den Sinn eines ‚ungesättigten‘ Ausdrucks wie ‚Pferd‘ hätten wir vielmehr dann verstanden, wenn wir begriffen hätten, dass und wie wir aus dem Schema ‚x ist ein Pferd‘ einen Satz erhalten, der wahr oder falsch sein kann. An der mit ‚x‘ bezeichneten Stelle muss ein Gegenstandsname stehen, der Teilausdruck ‚Pferd‘ in ‚x ist ein Pferd‘ ist aber nach Frege kein Name. Auch die logischen Junktoren sind schon für Frege keine Namen, sondern ebenfalls Funktionsausdrücke, und in Wittgensteins Abhandlung können wir den Satz lesen, auf den sich der Titel des vorliegenden Aufsatzes bezieht: „Mein Grundgedanke ist, dass die ‚logischen Konstanten‘ nicht vertreten.“ (LPA 4.0312) Auf den prädikativen Gebrauch von Begriffsausdrücken und auf die ‚logischen Konstanten‘ bezogen, stellt die Aussage, sie würden ‚nicht vertreten‘, heute eine Selbstverständlichkeit dar. Dies gilt aber nicht für den nicht-prädikativen Gebrauch von Begriffsausdrücken in Sätzen, mit denen wir ‚über Begriffe‘ sprechen. Ebenso gilt es nicht für Ziffern, die als Subjektausdrücke verwendet werden. Haben wir in den Subjektausdrücken dieser Sätze („‚Spin‘ ist ein Begriff der Physik“, „drei ist ungerade“) Namen vor uns, die ‚nicht vertreten‘? Wie wäre ihr Gebrauch an der Subjektstelle des jeweiligen Satzes aber dann verständlich zu machen? Wie kann ein Ausdruck ein Name sein und trotzdem nicht vertreten? Nach Friedrich Waismanns Notizen war es ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Sprachspielkonzeption des späten Wittgenstein, dass dieser die Möglichkeit sah, nicht nur die logischen Junktoren und die Begriffsausdrücke, sondern auch andere Wörter wie z. B. die Ziffern als Ausdrücke zu deuten, die ‚nicht vertreten‘. Waismann zitiert Wittgenstein mit den folgenden Worten: Für Frege stand die Alternative so: Entweder wir haben es mit den Tintenstrichen auf dem Papier zu tun, oder diese Tintenstriche sind Zeichen von etwas, und das, was sie vertreten, ist ihre Bedeutung. Dass diese Alternative nicht richtig ist, zeigt gerade das Schachspiel:
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Hier haben wir es nicht mit den Holzfiguren zu tun, und dennoch vertreten die Figuren nichts, sie haben in Freges Sinn keine Bedeutung. Es gibt eben noch etwas drittes, die Zeichen können verwendet werden wie im Spiel.7
Diese dritte Möglichkeit wird in den Philosophischen Untersuchungen ausführlich erkundet, über die Bereiche des prädikativen Gebrauchs von Begriffsausdrücken und den Gebrauch der logischen Partikeln hinaus. Neu ist also gegenüber der Abhandlung, dass der späte Wittgenstein die Möglichkeit eines Sinnes ohne Vertreterfunktion nun auch auf inhaltliche Ausdrücke bezieht, die nicht zu den Begriffsausdrücken gehören. Ziffern sind (anders als die logischen Junktoren und die traditionell so genannten ‚synkategorematischen Ausdrücke‘) inhaltlich bestimmte Teil-Ausdrücke, die einen für sie spezifischen Wahrheitsanspruch signalisieren, die aber zugleich keine Begriffsausdrücke sind. Kann man sagen, auch sie würden ‚nicht vertreten‘? Betrachten wir vorbereitend zunächst eine für unsere Fragestellung relevante Ausdrucksweise, die wir beim späten Wittgenstein erörtert finden und bei der auch die Zahlen als Gegenstände erscheinen. In dieser Ausdrucksmöglichkeit sieht Wittgenstein kein Problem. Es ist die Möglichkeit, mit Bezug auf beliebige Wörter Sätze der Form zu bilden ‚das Wort x bezeichnet den Gegenstand y‘. Man kann z. B. sagen: „Das Wort ‚Potsdam‘ bezeichnet die Stadt Potsdam“, aber auch „das Wort ‚petrol‘ bezeichnet eine Farbe zwischen blau und grün“, und „die römische Ziffer, die aus zwei senkrechten Strichen besteht, bezeichnet die Zahl zwei.“ Man kann also die These, dass ein bestimmtes Wort eine sinnvolle Funktion hat, in eine ‚Form der Darstellung‘ kleiden, die sich so anhört, als sei in allen ihren Anwendungen gleichförmig von derselben Vertreterbeziehung die Rede (von einem ‚Stehen-für‘, einem ‚Bezeichnen‘) und als liege die Variation, auf die es hier noch ankomme, allein auf der Seite der Bezugsgegenstände. Wittgenstein macht aber klar, dass es sich bei diesem Eindruck im Fall der angeführten Sätze um ein Phänomen der Oberflächengrammatik handelt. Die Sätze zeigen nichts anderes, als dass die Beschreibung des Gebrauchs der tatsächlich sehr verschiedenartigen Wörter dadurch „abgekürzt“ (PU § 10) werden kann, dass man für alle eine einheitliche Darstellungsform verwendet, mit der Folge, dass die Unterschiede an der gewählten Form (‚x bezeichnet y‘) nicht mehr erkennbar sind. Er macht aber darauf aufmerksam, dass diese Abkürzung nur von einem bereits kompetenten Sprecher verstanden werden kann, bei dem z. B. nur ein Missverständnis bezüglich eines einzelnen Wortes beseitigt werden soll (welche Farbe heißt ‚petrol‘?). Diesem Sprecher muss (wie Wittgenstein sagt) „... die Art und Weise dieses
7 Waismann 1984, 105.
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Bezugs aber, d. h. der Gebrauch dieser Worte im übrigen bekannt“ sein (ebd.). D. h. er muss bereits verstehen, dass der Ausdruck ‚die Zahl 2‘ kategorial anders verwendet wird als der Ausdruck ‚Hannover‘, und der Ausdruck ‚Gott‘ anders als ‚Friedrich Schiller‘, und er muss diese verschiedenen Verwendungsweisen der Arten der Ausdrücke beherrschen. Die abkürzende Redeweise ist insbesondere darin missverständlich, dass sie den Unterschied zwischen Ausdrücken, die vertreten, und solchen, die dies gerade nicht tun, unsichtbar macht. Wenn Wittgenstein mit dieser These im Recht ist, dann bekommen die in seinen Beispielen scheinbar auftauchenden Vertreter- oder Bezugsgegenstände (eine bestimmte Farbe, eine bestimmte Zahl) einen sekundären Charakter. Was aussieht wie ein (in sich gleichbleibender) Bezug auf Gegenstände unterschiedlicher Art ist in Wirklichkeit sehr vielfältig. Der Eindruck der Gleichartigkeit entsteht auf der Ebene der Ausdrucksform, der grammatischen Oberfläche. Wir sprechen in allen Fällen von einem ‚Bezug‘, könnten bei manchen dieser Fälle aber ebenso gut (oder: deutlicher) von ihrem ‚Gebrauch‘ so sprechen, dass klar wird, dass in ihrem Fall dieser sinnvolle Gebrauch (ähnlich wie bei den logischen Partikeln) keinen Bezugsgegenstand involviert. Damit wir hier nicht zu falschen Schlüssen gelangen, formuliert Wittgenstein einen Rat, den er selbst auf Gefühle bezieht, den wir aber auf den einfacheren Fall der Zahlwörter übertragen können: „Sieh auf das Sprachspiel als das Primäre! Und auf die Zahlen (Original: Gefühle) etc. als auf eine Betrachtungsweise, eine Deutung, des Sprachspiels!“ (PU § 656) Auf unser Beispiel bezogen bedeutet dies: Primär ist im Fall der Zahlen zunächst das Sprachspiel des Zählens mit Hilfe der Zahlwörter. Sekundär dazu ist die Verwendung einer vereinheitlichenden Form des Redens über die Eigenschaft von verschiedenartigen Wörtern, einen (jeweils bestimmten, aber nicht von Art zu Art gleichbleibenden) Gebrauch zu haben, nämlich der Form ‚das Wort x bezeichnet den Gegenstand y‘ oder ‚x bezieht sich auf y‘, ‚x vertritt y‘. Diese Form der Darstellung, speziell das Auftauchen des Wortes ‚Gegenstand‘ auf der rechten Seite des Relationsausdrucks, ist die ‚Betrachtungsweise‘ oder ‚Deutung‘, die das Sprachspiel, d. h. diese Form der Darstellung, vollzieht. Ihre Benutzung bringt Mitteilungen über den Gebrauch (‚über Bedeutungen‘) auf die genannte Form und wir deuten diese Form wiederum dadurch, dass wir von ‚den Zahlen‘ als den bezeichneten Bezugsgegenständen sprechen. („Der Ausdruck ‚II‘ bezeichnet die Zahl zwei“.) Man kann deshalb sagen, in der hier betrachteten Aussage würden die Zahlen als ‚Gegenstände der Rede‘ durch diese doppelte Deutung erzeugt, nämlich erstens durch die Form des Sprachspiels (‚x bezieht sich auf den Gegenstand y‘) und zweitens durch unseren Umgang mit dieser Form in weiterführenden Redeweisen. Mit einem Ausdruck Wittgensteins könnte man auch sagen, es handle sich hier um ‚grammatische Fiktionen‘ (PU § 307), was aber keine Entwertung bedeuten würde.
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Schwieriger wird die Beurteilung der Lage nun bei Sprachverwendungen, in denen nicht-vertretende Ausdrücke wie z. B. Begriffswörter oder Ziffern an der Subjektstelle von Sätzen stehen (z. B. ‚drei ist ungerade‘), aber ohne dass problemlos zu erkennen wäre, ob und wie der fragliche Satz so umgeformt werden könnte, dass der Subjektausdruck verschwindet. Hier zeigen sich sprachliche Handlungsmöglichkeiten mit Ziffern (Zahlwörtern), die verschieden sind vom Abzählen, und es zeigen sich Gebrauchsweisen von Begriffsausdrücken, die nicht prädikativ sind, sondern sich auf Begriffe als besondere Gegenstände zu beziehen scheinen. Es gibt also einen Typus der Sachhaltigkeit von Aussagen, bei dem ‚die Sache‘ nicht über diejenige Art des ‚Bezugs‘ vermittelt ist, die wir von den paradigmatischen Fällen des Benennens (von Personen, Städten, etc.) kennen, bei denen sie aber gleichwohl insofern ein ‚Etwas‘ ist, als wir ‚darüber‘ wahre und falsche Aussagen machen. Aus der Perspektive des Erwerbs einer komplexen Sprache können wir sagen, wir hätten in den betrachteten Verwendungen sowohl der Begriffsausdrücke als auch der Ziffern mit Redeweisen zu tun, bei denen ein Ausdruck, der vorher eine andere ‚Rolle im Satz‘ hatte, an die Subjektstelle eines Satzes gesetzt wird. Wie ist die Möglichkeit einer solchen ‚Wanderung‘ und eines damit verbundenen neuartigen Gebrauchs zu verstehen?
3 Eric Stenius und die ‚Syntaktische Metapher‘ Bruno Kerry hatte in einer Diskussion mit Frege die Frage aufgeworfen, wie wir die ‚Aussagen von einem Begriff‘ zu verstehen haben, bei denen Begriffsausdrücke (oder sprachliche Umformungen bzw. Erweiterungen von ihnen) an der Subjektstelle von Sätzen auftauchen. Wenn Frege auch keine endgültige Antwort präsentiert, macht er doch einen Schritt, in dessen Richtung Wittgenstein sich später ein Stück weiter bewegt. Das bekannte Beispiel Kerrys lautet: „Der Begriff ‚Pferd‘ ist ein leicht gewinnbarer Begriff.“8 Die Anschlussfrage heißt: Können wir verstehen, wie ein Begriff zum ‚Gegenstand der Rede‘ wird? Wie kann Frege gegen Kerry an der Behauptung festhalten, der Begriff Pferd sei kein Begriff, und zugleich verständlich machen, dass wir in der Logik ‚über Begriffe‘ sprechen?9 Gibt es Möglichkeiten, den Aus-
8 Frege 1990b. – Mein eigener Lösungsvorschlag für das von Frege und Kerry diskutierte Problem findet sich in Schneider 1995. 9 Wörtlich heißt es auf Funktionen generell bezogen bei Frege 1969a, 129: „Demgemäß ist die Funktion selbst von mir ungesättigt oder ergänzungsbedürftig genannt, weil ihr Name erst durch das Zeichen eines Arguments ergänzt werden muß, um eine abgeschlossene Bedeutung zu erhalten.“
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druck ‚Gegenstand der Rede‘ ohne Rekurs auf eine Vertreterbeziehung zu verstehen? Wenn wir somit den genannten Gedanken Wittgensteins (‚sieh auf das Sprachspiel als das Primäre‘) aufnehmen wollen, es gehe hier um sprachspielinterne Züge, dann ergibt sich die Anschlussfrage, wie solche Züge in denjenigen Fällen zu verstehen sind, in denen die fraglichen Ausdrucksweisen sich nicht als Oberflächenphänomene von Ausdrucksweisen deuten lassen, auf die wir ohne Not verzichten können. Wollen wir z. B. sagen, mit solchen Zügen würden Gegenstände erzeugt, oder wäre es angemessener zu sagen, es gebe diese Gegenstände unabhängig von unseren sprachlichen Handlungen und sie würden in unserem Sprechen nur erschlossen? Im zweiten Fall wären sie vor unseren sprachlichen Handlungen schon da, sie würden von uns nur benannt und dann durch den sprachlichen Ausdruck ‚vertreten‘. Dass das Problem bei Frege noch nicht gelöst ist, erkennt man daran, dass er drei verschiedene Antworten anbietet. Sein erster Ausweg lautet, der Begriff müsse, damit man über ihn sprechen könne, erst in einen Gegenstand verwandelt werden. Diese Formulierung korrigiert er noch im selben Satz (zweite Antwort) durch die Aussage, genauer müsse man sagen, der Begriff müsse durch einen Gegenstand vertreten werden.10 Aber diese Vertreterbeziehung bleibt unklar: Wie soll es eine zweistellige Beziehung ‚a vertritt b‘ geben, wenn eines der beiden Relata kein Gegenstand ist? – Blicken wir deshalb noch einmal zurück auf den von ihm zuerst gewählten Ausdruck ‚verwandeln‘. Mit etwas gutem Willen könnten wir hier nämlich bereits die Andeutung eines Schrittes in die Richtung seiner späteren Aussage lesen, es werde ein Ausdruck, der sonst und primär Begriffs- (oder Prädikat-) Funktion habe, als ein Ausdruck benutzt, der als logischer Eigenname (als Ausdruck mit Subjektfunktion) fungiert. ‚Verwandelt‘ würde bei dieser Lesart nicht eine vom sprachlichen Ausdruck unabhängig vorliegende Entität, wie bei den stofflichen ‚Verwandlungen‘ in der Chemie, sondern die ‚Rolle im Satz‘, die ein bestimmter Ausdruck spielt. Der damit angedeuteten Richtung entspricht der dritte Vorschlag von Frege, den wir in der Nachlassschrift ‚Logik in der Mathematik‘ von 1914 finden.11 Dort sagt er nämlich, es liege in den genannten Fällen gar kein Gegenstand vor (wir ergänzen: weder als Vertreter noch als das Resultat einer Verwandlung). Es sei allein die Sprache, die uns zu einem „schiefen Ausdruck“ zwinge, und es handle sich um eine Analogie.12
10 Frege 1990b, 171 (orig. S. 197). 11 Frege 1969b. 12 „In der Tat haben wir aber hier gar keinen Gegenstand. Die Sprache nötigt uns hier zu einem schiefen Ausdrucke; aber eine Analogie liegt in der Tat vor.“ Frege 1969b, S. 269.
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Es ist bemerkenswert, dass Frege davon spricht, es liege eine Beziehung vor, die deutlich verschieden, aber doch ähnlich zur gewohnten Beziehung ist, und dass er von einer ‚Analogie‘ spricht. Wir benutzen demnach die GegenstandBegriff-Form, um etwas zum Ausdruck zu bringen, das inhaltlich verschieden ist von dem, was sonst mit dieser Form zum Ausdruck gebracht wird. Wenn wir abermals die Perspektive des Sprach-Erwerbs einnehmen, können wir sagen: Der Sprecher eröffnet einen neuen Bereich von Aussagen, und dabei benutzt er eine Form, deren neue Verwendungsweise (deren ‚Inhalt‘) nur analog zu dem ist, zu dessen Ausdruck die Form vorher diente. Und da Frege uns an dieser Stelle (anders als bei seiner Einführung der Quantoren) keine begriffsschriftlich korrekte Fassung dessen vorschlägt, was er ‚auf analoge Weise‘ zum Ausdruck bringt, legt sich an dieser Stelle die Frage nahe, ob das ‚Reden über Begriffe‘ ein Sprechen ist, bei dem Subjekt-Ausdrücke benutzt werden, die (trotz ihrer Stellung im Satz) ‚nicht vertreten‘, jedenfalls nicht in demselben Sinne, in dem Subjekt-Ausdrücke bei nicht-analogem Gebrauch derselben Form Gegenstände vertreten, die vor unseren sprachlichen Aktivitäten bereits vorliegen. Gilbert Ryle hielt noch 1932 an der Vorstellung fest, jeder beurteilbare Inhalt habe als solcher eine logische Form, so dass sich ‚Kategorienfehler‘ an einer Diskrepanz zwischen dem gewählten sprachlichen Ausdruck und einer sprachunabhängigen logischen Wirklichkeit erkennen ließen.13 Bereits die erörterten Überlegungen Freges und seine Benutzung des Begriffs der Analogie hätten aber Anlass geben können, daran zu zweifeln. Und so verwundert es nicht, dass wir bei Eric Stenius 1960 einen anderen Blick auf diesen Problembereich finden als bei Ryle. Im Zusammenhang einer Erörterung von Kerrys Beispiel „Der Begriff ‚Pferd‘ ist ein leicht gewinnbarer Begriff“, kommt Stenius nämlich zu der Charakterisierung, der Sinn eines solchen Satzes „... hat nicht die Form, die von seiner logischen Syntax nahegelegt wird, aber trotzdem scheint diese Syntax die beste zu sein, die wir ihm geben können.“14 Demnach ist der Sinn oder Inhalt bei Stenius (wie bei Ryle) dasjenige, was eine Form hat, wir können diese Form auch erkennen und kommunizieren, wir hätten aber (auch mit Freges Begriffsschrift) keine logische Sprache mit einer Syntax, die diese Form angemessen wiedergeben würde. In diesem letzten Punkt ist Stenius anderer Meinung als Ryle, der noch darauf hoffte, alle Inhalte logisch korrekt fassen zu können.
13 Ryle 1968. Er spricht davon, dass Sachverhalte eine logische Form hätten (S. 42, S. 59) und er spricht von der logischen Struktur (S. 57) und den Formen von Tatsachen (S. 62). 14 Stenius 1960, 212 (meine Übersetzung).
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Da nun schon Frege gesagt hatte, in dem Satz über den Begriff ‚Pferd‘ würden wir die Gegenstand-Begriff-Form in einem analogen Sinne verwenden, überrascht es nicht, dass Stenius mit Bezug auf denselben Satz den Ausdruck ‚syntaktische Metapher‘ prägt. Bei einer Metapher wird ein Wort (oder, wie in unserem Fall, ein Mittel der Satzbildung), das üblicherweise für Gegenstände oder Verhältnisse eines Typus T1 gebraucht wird, dazu benutzt, etwas anderes auszudrücken. Daher wird der Ausdruck ‚Metapher‘ sofort plausibel: Auf der lexikalischen Ebene wird z. B. der medizinische Ausdruck ‚Virus‘ (erster Bereich), dafür verwendet, bestimmte Arten zerstörerischer Computerprogramme zu bezeichnen (zweiter Bereich). Auf der Ebene der Satzbildung benutzen wir nach Frege die Gegenstand-Begriff-Form, um ein inhaltliches Verhältnis auszudrücken, das zu dem, was wir sonst mit dieser Form ausgedrückt haben, nur ‚ähnlich‘ ist.15 Eine bekannte Ausdrucksweise wird benutzt, um ein Verhältnis auszudrücken, das von dem, was bisher so ausgedrückt wurde, verschieden ist. Das Besondere am Fall von Frege und Stenius ist nun, dass hier (wenn wir nicht an die Vorgegebenheit von Freges ‚drittem Reich‘ glauben) noch gar kein Gegenstandsbereich T2 vorliegt, den wir mit T1 so vergleichen könnten, wie wir dies mit dem medizinischen und dem Computer-Virus können. Der Bereich T2 entsteht allererst durch die geschilderten Veränderungen im Gebrauch der Sprache, in unseren Sprachspielen, wobei stets im Auge zu behalten ist, dass der Ausdruck ‚Sprachspiel‘ bei Wittgenstein keine Beschränkung auf das ‚rein Verbale‘ signalisiert. Aber auch diese Besonderheit, dass Metaphern etwas sagen, das vorher nicht zur Sprache kam, so dass der neue metaphorische Ausdruck durch die vorher üblichen Ausdrucksmittel nicht ersetzbar ist, ist uns vom Fall der lexikalischen Metaphern bekannt; oft sagen sie etwas, das sich nicht auch ‚wörtlich‘ sagen ließe, d. h. mit Hilfe des bisher üblichen Gebrauchs der Wörter. Dass es auch in dem von Frege und Stenius erörterten Fall keinen adäquaten wörtlichen Ausdruck (in einer ‚logischen Syntax‘) gibt, spricht also nicht gegen die Verwendung des Ausdrucks ‚Metapher‘. Wenn wir dies akzeptieren, sehen wir, dass die Suche nach der richtigen logischen Form, an deren Erfolg Ryle noch glaubte, hier auf Grenzen stößt.
15 „Die Beziehung eines Gegenstandes zu einem Begriffe erster Stufe, unter den er fällt, ist verschieden von der allerdings ähnlichen eines Begriffes erster Stufe zu einem Begriffe zweiter Stufe.“ Frege 1990b, 174 (orig. pag. 201).
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4 „Philosophie der Psychologie“ bei Wittgenstein Betrachten wir nun den Bereich dessen, was heute oft als Wittgensteins ‚Philosophie der Psychologie‘ bezeichnet wird, was sich aber als sehr viel reichhaltiger erweist als dieser Titel vermuten lässt. Gibt es auch hier Fälle, die der erörterten Weise eines ‚analogen‘ oder ‚metaphorischen‘ Gebrauchs syntaktischer Strukturen entsprechen? Lässt sich auch hier verständlich machen, warum sich dieser Gebrauch (erstens) durch eine begriffsschriftliche Umformulierung (durch den Gebrauch einer ‚der Sache angemessenen Struktur‘, der ‚wirklichen logischen Form‘) nicht vermeiden lässt,16 warum er aber (zweitens) sprachphilosophisch trotzdem legitim ist? Werfen wir zunächst einen Blick auf Wittgensteins Vortrag über Ethik, an dem ein Motiv sichtbar wird, dessen Kenntnis für ein Verständnis seiner späteren Überlegungen förderlich ist: sein Anti-Psychologismus.17 Im Vortrag betrifft er (wie schon in der Abhandlung) die Psychologisierung der Ethik. Was Frege mit Spott und Sarkasmus z. B. gegen die ‚Zahlen des Herrn Schubert‘ vorzubringen hatte, nämlich dass es absurd sei, sie als mentale Vorkommnisse im Geist eines Mathematikers aufzufassen,18 dehnt Wittgenstein auf den Bereich aus, den er ‚das Ethische‘ nennt. Was immer er darunter genau verstanden hat, für uns reicht die negative Feststellung, dass er meinte, die fraglichen Aussagen würden missverstanden, wenn man sie als Beschreibungen von ‚psychologischen Sachverhalten‘ lesen würde.19 Er nennt als Beispiele für Artikulationen des Ethischen u. a. Fälle, in denen jemand ‚über die Existenz der Welt staune‘ oder das Gefühl einer ‚absoluten Sicherheit‘ ausdrücke. Er möchte darauf hinaus, dass hinter solchen Äußerungen über ‚die Welt als ganze‘ zwar ein ehrbarer und wichtiger Impuls stehen könne, dass sie streng genommen aber unsinnig seien. Wie er dazu kommt, zeigt sich an dem folgenden Dilemma, vor dem er sich sieht: Entweder müssten wir die genannten Äußerungen als unsinnig bezeichnen, und zwar deshalb, weil sie keinen ‚Sachverhalt in der Welt‘ (im Sinne einer Konstellation von Gegenstän-
16 Eine ausführliche Begründung dieser These findet sich in Schneider 1992. 17 Robert Brandom zitiert das folgende, offenbar mündlich überlieferte Bonmot von Stanley Cavell: „Kant depsychologized epistemology, Frege depsycholgized logic, and Wittgenstein depsychologized psychology.“ Brandom 2008, 206. 18 Frege 1969c. 19 Die Frage, was Wittgenstein unter dem Bereich des ‚Ethischen‘ verstanden hat, wird genauer erörtert in: Schneider 2010. Eine leicht überarbeitete englische Version ist erschienen als Schneider 2011.
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den) repräsentieren.20 In diesem Sinne kann man sagen, es ‚gebe nichts‘, das sie oder ihre Teile vertreten würden. – Oder wir müssen sie so umdeuten, dass sie doch einen Sachverhalt darstellen. Da Wittgenstein sich bei den hier berührten Themen wiederholt auf William James bezieht, könnten wir vermuten, dass er diesen Sachverhalt als ein Vorkommnis im Bewusstseinsstrom eines Individuums ansehen würde. Dies hätte aber die Folge, dass die von Wittgenstein betrachten Versuche, über das Ethische zu sprechen, nicht mehr das betreffen würden, was er dabei im Auge hat, weil psychologische Sachverhalte einfach ‚Sachverhalte in der Welt‘ sind, die mit allen anderen Sachverhalten auf derselben Stufe stehen. Die Umdeutung des Ethischen in etwas Psychologisches wäre genau der Schritt in den Psychologismus, den er im Fall der Ethik als eine Verfälschung ansieht. Dies bedeutet nun aber, dass er schon damals bemüht war, sich über Ausdrucksmöglichkeiten klar zu werden, die nicht Darstellungen von Sachverhalten in dem Sinne sind, dass sie einen ‚Bezug auf ein Etwas‘ involvieren, das durch Teilausdrücke so ‚vertreten‘ wird wie ein Mensch oder eine Stadt durch einen Eigennamen. In der Abhandlung und im Vortrag über Ethik drückt er noch die Überzeugung aus, sinnvolle Äußerungen könnten nur Darstellungen von Sachverhalten sein, etwas anderes könne die Sprache im assertorischen Bereich nicht leisten. Wie oben erörtert, hatte Frege ein paralleles Problem für die Zahlen durch die These gelöst, sie würden einem ‚dritten Reich‘ von ‚geistigen‘ Gegenständen angehören, das es neben dem Materiellen und dem Psychischen auf eine Weise geben müsse, die es dem Menschen möglich macht, in diesem Bereich etwas zu entdecken. Die Vorstellung eines ‚Bezugs‘ der entsprechenden Wörter bleibt dabei bestehen. Dieser Lösung verweigert Wittgenstein die Gefolgschaft. Welchen Weg er selber einschlägt, werden wir nun an einigen ausgesuchten Bemerkungen zu zeigen versuchen. Betrachten wir den Fall einer so genannten ‚Intention in action‘, in dem ein Sprecher etwas tut (z. B. eine entfernte Person zu sich heranwinkt) und sich dann (etwa wegen eines Missverständnisses) veranlasst sieht, zu erläutern, welche Person er meinte. Wittgenstein betrachtet den in einem solchen Kontext auftretenden erläuternden Satz ‚ich erinnere mich, ihn gemeint zu haben‘ und fragt: „Erinnere ich mich eines Vorgangs oder Zustands? – Wann fing er an; wie verlief er; etc.?“ (PU § 661) Die deutsche Grammatik behandelt das ‚Meinen‘ wie das Laufen als eine Tätigkeit. Das Meinen ist als eine ‚innere‘ Tätigkeit zwar für andere nicht sichtbar, aber im Kontext unserer Philosophiegeschichte erscheint die Auffassung naheliegend, die innerlich handelnde Person könne sich selbst dabei zusehen, wenn sie eine solche Handlung vollziehe.
20 Dies wird ausgeführt in Schneider 2006.
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Die zitierten Nachfragen sollen uns als Leser Wittgensteins aber erkennen lassen, dass bereits der erste Schritt (die Unterstellung eines Bezugs auf eine ‚innere Tätigkeit‘ oder einen ‚inneren Vorgang‘) fehlgeleitet ist, wenn man ihn so versteht, als gestatte er Anschlussfragen der Art, wie wir sie von ‚äußeren Tätigkeiten‘ kennen. Die Intention ist nicht „auch noch etwas ..., was damals vor sich ging“ (PU § 659); eine ‚Intention in action‘ ist nicht eine Komponente in einer aggregathaft komplexen Handlung, wie sie z. B. jemand ausführt, der beim Zeitunglesen raucht. Wir können auf Stenius zurückgreifen und sagen, die Form des Verbums sei im Fall von ‚meinen‘ eine syntaktische Metapher, weil sie eine Art von Inhalt signalisiere, die nicht vorliegt. Gleichwohl leistet diese Form gute Dienste, z. B. erlaubt sie uns, von dem zu sprechen, was wir früher gemeint haben. Wittgensteins Worte lassen vermuten, dass er sich des übertragenen Charakters der einschlägigen Redeweisen bewusst war. Im Paragraphen, der auf die zitierte Nachfrage nach den ‚Vorgängen und Zuständen‘ unmittelbar folgt, heißt es: In einer nur um weniges verschiedenen Situation hätte er, statt stumm mit dem Finger zu winken, jemandem gesagt ‚Sag dem N., er solle zu mir kommen‘. Man kann nun sagen, die Worte ‚Ich wollte, N. solle zu mir kommen‘ beschreiben den damaligen Zustand meiner Seele, und kann es auch wieder nicht sagen. (PU § 662)
Die positive These, dass man vom Zustand der Seele durchaus sprechen könne, ist parallel zu lesen zu einer Aussage wie: Es spricht nichts dagegen, dort, wo die Sprache ‚arbeitet‘, das Verb ‚meinen‘ zu benutzen und dabei auch bestimmte Fortsetzungen (wie Rückfragen nach dem Gemeinten, nach Meinungsänderungen etc.) zuzulassen. Die metaphorischen Schritte zur Rede von einer inneren Tätigkeit oder vom Zustand der Seele wären dann in dem Sinne ‚erschließend‘, dass sie zu neuen sprachlichen Handlungsmöglichkeiten führen, die zwar neu und abweichend sind, die aber eine sinnvolle Funktion haben. Dass man es andererseits „auch wieder nicht sagen“ kann, würde sich auf diejenigen Kontexte beziehen, in denen die Sprache feiert, d. h. in denen sich ein Philosoph oder ein Wissenschaftler z. B. daran macht, durch Introspektion (oder Computertomographie) die Vorgänge und Zustände, die die angebliche Tätigkeit des Meinens ausmachen, genauer zu erforschen. Denn dadurch würde der metaphorische Charakter dieser Ausdrücke ignoriert. Statt zu sehen, dass hier ein sinnvolles Reden ‚ohne Bezug‘ (genauer: ohne eine ‚Bedeutung im Sinne Freges‘) vorliegt, würde ein solcher einfach unterstellt, und das Besondere des Falls würde allein im noch wenig erforschten Charakter des involvierten Bezugsgegenstandes gesehen werden, ob er nun physiologischer Natur ist (wie bei Carrier) oder von der Art eines Abschnitts oder Elements in einem ‚Bewusstseinsstrom‘ (wie bei
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James).21 Die Rede von der Seele ist in den angedeuteten Kontexten also nicht unsinnig, denn sie hat eine klar erläuterbare Funktion. Insofern (und nur insofern) sie sich aber weder auf einen Gehirnvorgang, noch auf einen besonderen ‚mentalen Gegenstand‘ bezieht, könnte man sagen, sie sei ‚ohne Bezug‘. Allgemein lässt sich sagen: Beide Zweige, die uns eine dualistische Denkweise hier anbieten möchte, sowohl der physikalistische als auch der idealistische, führen Wittgenstein zufolge in die Irre. Eine ähnlich abwägende Formulierung finden wir im Zusammenhang mit sehr viel körpernäheren ‚seelischen Entitäten‘, den Schmerzen. In einem fingierten Zwiegespräch mit einem Partner, der ihn des Behaviorismus verdächtigt, schreibt Wittgenstein: ‚Aber du wirst doch zugeben, dass ein Unterschied ist zwischen Schmerzbenehmen mit Schmerzen und Schmerzbenehmen ohne Schmerzen.‘ – Zugeben? Welcher Unterschied könnte größer sein! – ‚Und doch gelangst du immer wieder zum Ergebnis, die Empfindung selbst sei ein Nichts.‘ – Nicht doch. Sie ist kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts! (PU § 304)
Es besteht also kein Zweifel daran, dass Wittgenstein den ‚echten‘ Fall von dem des Simulanten unterscheidet. Die Frage ist nur, ob die Rede von einem ‚Etwas‘ weiterhilft, auf das sich das Wort ‚Schmerz‘ beim ehrlichen Sprecher beziehen solle, beim unehrlichen aber nicht, weil bei ihm ein solches ‚Etwas‘ in Wirklichkeit fehlt (er ‚tut nur so‘ als ‚habe‘ er es). Die Doppelheit von ‚kein Etwas, aber auch nicht ein Nichts‘ lässt sich parallel zum zitierten ‚man kann sagen – man kann nicht sagen‘ auffassen. Wenn jemand Anlass zu der Frage hat „was meint der englische Gast mit dem Ausdruck ‚it hurts‘ “, dann kann man durchaus sagen, er bezöge sich auf seine Schmerzen; in diesem Sinne gilt: ‚kein Nichts‘; wir haben keinen Simulanten vor uns. Auf der anderen Seite bedeutet ‚kein Etwas‘, dass ein Ausdruck wie ‚er hat Schmerzen‘ kategorial anders funktioniert als ‚er hat Gallensteine‘. Je nachdem, mit welchen Rätseln und Anschlussfragen man die so genannten ‚phänomenalen Gegenstände‘ belädt, kann man auch hier in Gebiete geraten, in denen die Sprache ‚feiert‘. Die Seite des ‚man kann sagen‘ betrifft die Tatsache, dass die fraglichen Ausdrücke eine Funktion im menschlichen Leben erfüllen, oft eine zentrale Funktion, d. h. sie artikulieren Aspekte, die wir nicht missen wollen, oder in anderen Fällen Widerfahrnisse, die wir (wie die Schmerzen) gerne los wären, denen wir
21 Vgl. die Bemerkung Wittgensteins zum Resultat der Irreführung durch die Oberflächengrammatik: „Wir müssen also den noch unverstandenen Prozeß im noch unerforschten Medium leugnen. Und so scheinen wir die geistigen Vorgänge geleugnet zu haben. Und wollen sie doch natürlich nicht leugnen!“ (PU § 308)
Namen, die „nicht vertreten“.
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aber nicht entkommen können. Zu dieser ‚Funktion im Leben‘ gehört es auch, dass die Redeweisen legitime sprachliche Anschluss-Züge haben. – Die Seite des ‚man kann nicht sagen‘ (‚kein Etwas‘) betrifft dagegen die Tatsache, dass die sprachliche Form auch Anschlussfragen nahelegt, die unsinnig und daher geeignet sind, uns in Scheinproblemen zu führen. Dass der späte Wittgenstein (anders als Ryle an den oben zitierten Stellen) nicht der Meinung ist, man könne in den genannten Fällen das unbequeme ‚Einerseits – andererseits‘ dadurch loswerden, dass man sich an der ‚logischen Form‘ der fraglichen ‚Gedanken‘ oder ‚Sachverhalte‘ selbst orientiere, zeigt sich an seiner Aussage, man sei versucht, ... zu sagen, unsre Ausdrucksweise beschreibe die Tatsachen nicht so, wie sie wirklich sind. Als ob (z. B.) der Satz ‚Er hat Schmerzen‘ noch auf andre Weise falsch sein könnte als dadurch, dass dieser Mensch nicht Schmerzen hat. Als sage die Ausdrucksform etwas Falsches, auch wenn der Satz, zur Not, etwas Richtiges behauptet. (PU § 402)
Weil die Ausdrucksform in einer Sprache, die mit den geschilderten metaphorischen Bewegungen arbeitet, nach einer solchen Bewegung so wenig etwas Falsches sagt wie eine (nicht durch einen wörtlichen Ausdruck substituierbare) lexikalische Metapher fehlerhaft ist, wäre die Forderung, man solle sie durch eine ‚richtige‘ Form ersetzen, so wenig realisierbar wie die Aufforderung, man solle sich beim Gebrauch einer natürlichen Sprache aller metaphorischen Redeweisen enthalten: Unmengen kreativer Leistungen in der unüberschaubar langen Entwicklung der menschlichen Sprachfähigkeit würden unter Verdacht gestellt. Es ist vielmehr ein unvermeidliches Charakteristikum natürlicher Sprachen, dass in ihnen immer wieder Formen, die aus einem Kontext K1 stammen, auf einen Kontext K2 übertragen werden, der entweder schon vorliegt oder der mit diesem Übertragungsschritt erst entsteht. Dies hat die Folge, dass manche der Anschlussfragen, die in K1 sinnvoll waren, in K2 ihren Sinn verlieren können. Die Aufgabe der Philosophie besteht in nicht geringen Teilen dann darin, sinnvolle von sinnlosen Anschlussfragen zu unterscheiden.
5 S ind geistige Gegenstände Entitäten zweiter Klasse? Abschließend soll die oben zurückgestellte Frage aufgegriffen werden, ob wir es, wenn wir die erörterten ‚Namen, die nicht vertreten‘ benutzen, in keinem Sinne mit einem ‚Bezug‘ zu tun haben. Dass wir alltäglich z. B. sagen können, ein Sprecher habe sich auf Kekulés Lösung bezogen und dazu eine Frage aufgeworfen, ist
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unstrittig, ebenso, dass es eine Primzahl zwischen fünf und neun gibt. Solche Verständnisse von ‚Bezug‘ und ‚Existenz‘ sind so geläufig wie vielfältig. Führen unsere Überlegungen nun zu der Folgerung, dass diese Arten von ‚Bezug‘ und ‚Existenz‘ es mit metaphysisch zweitklassigen Entitäten zu tun haben? Wollen wir sagen, diejenigen ‚Gegenstände der Rede‘, über die wir mit Hilfe von ‚grammatischen Fiktionen‘ sprechen, seien Gegenstände, die es nicht ‚wirklich‘ gebe, deren Existenz uns von der Sprache ‚vorgegaukelt‘ werde? Rechtfertigt die zitierte Aufforderung Wittgensteins, das Sprachspiel als das Primäre anzusehen und z. B. Gefühle und Zahlen als ‚Deutungen des Sprachspiels‘ die These, Gefühle und Zahlen seien metaphysisch gesehen minderwertig und der rationale Sprecher solle es vermeiden, sich ‚auf sie zu beziehen‘ oder solle doch (reduktionistisch) versuchen, solche Bezüge so umzuformen, dass die neuen Formulierungen nur noch physische Gegenstände involvieren? Wir hatten gesehen, dass die dualistische Zweiteilung in ‚Materie‘ und ‚Geist‘ im hier betrachteten Kontext nicht weiterhilft. Trotzdem lässt sich fragen, ob es nicht nachvollziehbare Motive für eine vielleicht etwas anders ansetzende Grenzziehung gibt, bei der auf der einen Seite die ‚echten‘, nämlich die ursprünglichen Arten des Bezugs stehen, auf der anderen Seite die sekundären, die abgeleiteten Arten, die durch sprachliche Analogiebildungen (u. a. durch Metaphern) entstehen können? Sind nicht zumindest manche der so gewonnenen Gegenstände (wie oben angedeutet) in einem klaren Sinn tatsächlich sprachlich erzeugt, während andere Gegenstände, gleichgültig, ob wir uns metaphorisch auf sie beziehen oder wörtlich, auch unabhängig von der Sprache existieren (und z. T. bereits existiert haben, lange bevor der Mensch auf der Erde erschien und Sprachen entwickelte)? Rechtfertigt diese (den Spracherwerb und die systematischen Verhältnisse innerhalb einer Sprache betreffende) Tatsache eine ‚Bifurkationsthese‘, also eine grundlegende Zweiteilung in den Arten des Bezugs, bei der z. B. die ‚primären Gegenstände‘ des Kleinkindes den ‚kulturell vermittelten Gegenständen‘ der gebildeten Erwachsenenwelt gegenübergestellt werden könnten?22 Obwohl sich leicht Kontexte benennen lassen, in denen es einen guten Sinn hat, von ‚in Sprachspielen erzeugten Gegenständen‘ zu sprechen, und obwohl eine genealogische Sicht auf die Sprache sehr oft hilfreich dabei ist, über ihre Teilbereiche eine ‚Übersicht‘ zu gewinnen (PU § 122),23 scheinen mir die genannten Fälle eine Zweiteilung (‚Bifurkation‘) nicht zu rechtfertigen. Ein dadaistisches Gedicht ist ein Gegenstand, den sein Autor als ‚selbstgemacht‘ bezeichnen darf; auch bei der analytischen Geometrie und ihren Gegenständen erscheint diese
22 Vgl. Tolksdorf 2010, 30 f. 23 Vgl. Tolksdorf 2011.
Namen, die „nicht vertreten“.
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Redeweise sinnvoll, sprechen wir doch von Descartes als von ihrem ‚Erfinder‘. Oder sollten wir sagen ‚Entdecker‘? Gab es nicht diese Möglichkeit der Behandlung geometrischer Sachverhalte schon immer? Aber was soll es heißen, von der sprachunabhängigen Existenz einer ‚Möglichkeit‘ zu sprechen, ist die Modallogik nicht selbst ein sprachliches Erzeugnis, und heißt dies nicht, dass auch ‚Möglichkeiten‘ insofern sprachlich erzeugte Gegenstände sind, als das, was wir jeweils für möglich halten, abhängig ist vom Stand unserer Einsichten und von der jeweiligen Gestalt unserer zu einem vorliegenden Zeitpunkt bevorzugten Theorien? Kann es eine Modallogik ‚aus der Perspektive Gottes‘ geben, wie es sich manche modernen Metaphysiker zu wünschen scheinen? Wenn wir Kandidaten für den anderen Pol, also für bestimmt nicht ‚sprachlich erzeugte‘ Gegenstände suchen, so mag uns der Stein einfallen, an dem wir uns stoßen, aber sofort auch der Schmerz, den wir dabei empfinden. Aber hatte Wittgenstein nicht gerade vom Schmerz gesagt, er sei ‚kein Etwas‘? Wir haben die Schmerzempfindung zwar nicht erzeugt; sie stößt uns wider Willen zu. Dass wir Empfindungen, wenn wir sie ‚zur Sprache bringen‘, wie Gegenstände behandeln, ist gleichwohl ein Zug unseres Sprachspiels; als ‚Gegenstand der Rede‘ ist sogar ‚der Schmerz‘ sprachabhängig. Und wenn wir etwas komplexere Empfindungen wie Liebeskummer oder Heimweh, Scham oder Schuld betrachten, werden wir auch mit Bezug auf diese Widerfahrnisse sagen wollen, wir hätten ihre konkreten Exemplifizierungen zwar nicht selbst gemacht, gleichwohl seien sie ‚Erzeugnisse unserer Kultur‘, die so in anderen Kulturen vielleicht nicht vorkommen. Je genauer man die Sache betrachtet, desto weniger sinnvoll erscheint es, genau zwei Teilgebiete zu unterscheiden, z. B. einen primären Bereich ‚natürlicher Gegenstände‘ von einem sekundären Bereich ‚kultureller Gegenstände‘ abzugrenzen. In der ‚Welt des Menschen‘ sind beide Aspekte von Anfang an so eng verwoben, dass innerhalb dieser Welt eine Zweiteilung, selbst wenn sie möglich wäre, witzlos erschiene: Wir haben eine große Vielfalt vor uns, nicht genau zwei Bereiche.24 Dies ist kein Argument gegen den Versuch, ein Bild der Welt zu zeichnen, wie sie vor der Zeit des Erscheinens des Menschen aussah, vor der Entstehung der verschiedenen menschlichen Kulturen. Erdgeschichte und Naturgeschichte sind legitime Forschungsfelder. Sehr viel weniger sinnvoll erscheint allerdings das davon grundverschiedene Projekt, die Welt (einschließlich der physischen Gegenstände der menschlichen Welt) rein physikalisch-chemisch zu beschreiben.25 Dieses
24 Auch die ‚Welt des Kinderzimmers‘ besteht nicht nur aus Dingen, und es wurde erwogen, ob nicht die ersten Wörter, die ein Kleinkind erwirbt, ‚für Handlungen stünden‘. Zur Komplexität der damit angesprochenen Fragen vgl. Schneider 1997. 25 Vgl. Schneider 2008b.
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zweite Projekt scheint den Spiegel-Autor inspiriert zu haben, als er zu der Vermutung kam, der Pilger bezöge sich mit dem Wort ‚Gott‘ auf Endorphine. Obwohl die Ausarbeitung eines solchen Bildes vielleicht möglich wäre, wäre es nun aber offenbar widersinnig, zu sagen, nur das ‚existiere wirklich‘, was in einem so auf methodische Weise eingeschränkten Bild Erwähnung finde. Denn wenn wir diesen Wirklichkeitsbegriff akzeptieren würden, dann müssten wir all das ‚unwirklich‘ nennen, was die Physiker und Chemiker in ihren Forschungsinstituten tun und lassen, weil ihre Handlungen (wie Handlungen überhaupt) aus methodischen Gründen keine Gegenstände ihrer Wissenschaften sein können, so lange sie (wie vorausgesetzt) als Handlungen und nicht als physikalisch-chemische Prozesse in den Blick kommen sollen. Die Konzipierung eines Experiments, der Aufbau von Versuchen, zu schweigen vom Streit im Labor und der Bemühung um die Einladung zu einer wichtigen Tagung, kurz, Physik und Chemie als kulturelle Erzeugnisse (als Gegenstände der Philosophie und der Wissenschaftsgeschichte) können in der Sprache von Physik und Chemie selbst nicht dargestellt werden. Da es nun aber diese Handlungswelt ist, in deren Kontext die Erarbeitung eines physikalisch-chemischen ‚Bildes der Welt‘ allererst möglich ist, würde die These, die Handlungswelt existiere ‚nicht wirklich‘ auch ihr Produkt, das physikalisch-chemische ‚Bild der Welt‘ betreffen: Mit welchem Recht könnte es beanspruchen, die Welt so widerzugeben, wie sie ‚wirklich‘ sei? Ein sich auf die geschilderte Weise auf die Sprachen der Naturwissenschaften beschränkender Theoretiker könnte nicht mehr über den Boden sprechen, auf dem er darüber zu entscheiden beansprucht, was wirklich existiert; seinen Wirklichkeitsbegriff könnte er nicht rechtfertigen, weil er sich die Mittel dazu genommen hätte. Hier sehen wir, dass wir keinen Anlass haben, die Gegenstände unserer kulturellen Handlungswelt weniger wirklich zu nennen als diejenigen Gegenstände, die in einem methodisch eingeschränkten Teilbereich dieser Handlungswelt erforscht werden, in den Naturwissenschaften. Wir sollten uns deshalb gar nicht erst nötigen lassen, eine metaphysische Entscheidung über Prioritätsverhältnisse zu treffen. Alles, was wir brauchen, ist ein genaues Verständnis der jeweiligen Ausdrucksmittel. Daher können wir durchaus sagen, wir würden uns sprachlich auf Handlungen (auf Zahlen, auf Problemlösungen, auf Gott26) beziehen, solange wir die Unterschiede in diesen vielfältigen ‚Bezugsweisen‘ erkennen und in der Lage sind, sinnvolle von unsinnigen Anschlussfragen zu unterscheiden. Mit Wittgenstein gesprochen: Es geht darum, die ‚Übersicht‘ über unsere sprachlichen Handlungsmöglichkeiten zu verbessern, um so die Wahrscheinlichkeit zu verringern, in sinnlose Fragestellungen zu geraten.
26 Vgl. Schneider 2008a.
Namen, die „nicht vertreten“.
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6 Literatur Brandom, Robert: Between Saying and Doing: Towards an Analytic Pragmatism. Oxford 2008. Carrier, Martin: “In defense of psychological laws”. In: International Studies in the Philosophy of Science 12, No. 3, 1998, S. 217–232. Frege, Gottlob: [Ausführungen über Sinn und Bedeutung]. In: Frege, Gottlob: Nachgelassene Schriften. Herausgegeben von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg 1969a, S. 128–136. Frege, Gottlob: „Logik in der Mathematik“. In: Frege, Gottlob: Nachgelassene Schriften. Herausgegeben von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg 1969b, S. 219–270. Frege, Gottlob: „Über die Zahlen des Herrn H. Schubert“. In: Frege, Gottlob: Kleine Schriften. Herausgegeben von Hans Hermes, Friedrich Kambartel und Friedrich Kaulbach. Hamburg 1969c, S. 240–261. Frege, Gottlob: „Logische Untersuchungen. Erster Teil: Der Gedanke“. In: Frege, Gottlob: Kleine Schriften. Herausgegeben von Ignacio Angelelli, 2. Auflage. Hildesheim 1990a, S. 342–362. Frege, Gottlob: „Über Begriff und Gegenstand“. In: Frege, Gottlob: Kleine Schriften. Herausgegeben von Ignacio Angelelli, 2. Auflage. Hildesheim 1990b, S. 167–178. Rothhaupt, Josef G. F. (Hg.): Wittgensteins Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010 [= KB]. Ryle, Gilbert: „Systematisch irreführende Ausdrücke“. In: Bubner, Rüdiger (Hg.): Sprache und Analysis. Texte zur englischen Philosophie der Gegenwart. Göttingen 1968, S. 31–63. Schneider, Hans Julius: Phantasie und Kalkül. Über die Polarität von Handlung und Struktur in der Sprache. Frankfurt am Main 1992. Schneider, Hans Julius: „Begriffe als Gegenstände der Rede“. In: Max, I. / Stelzner, W. (Hg.): Logik und Mathematik. Frege-Kolloquium Jena 1993. Berlin 1995, S. 165-179. Schneider, Hans Julius: „Lorenz lesen. Oder: Was heißt ‚ein Zeichen steht für etwas‘?“ In: Astroh, M. / Gerhardus, D. / Heinzmann G. (Hg.); Dialogisches Handeln. Eine Festschrift für Kuno Lorenz. Heidelberg 1997, S. 281–294. Schneider, Hans Julius: “Metaphors and Theoretical Terms: Problems in Referring to the Mental”. In: Carrier, M. / Massey, G. J. / Ruetsche, L. (Hg.): Science at Century’s End. Philosophical Questions on the Progress and Limits of Science. Pittsburgh / Konstanz 2000, S. 193–216. Schneider, Hans Julius: „Satz – Bild – Wirklichkeit. Vom Notationssystem zur Autonomie der Grammatik im ‚Big Typescript’”. In: Majetschak, Stefan (Hg.): Wittgensteins ‚große Maschinenschrift‘. Untersuchungen zum philosophischen Ort des Big Typescripts (TS 213) im Werk Ludwig Wittgensteins. Wittgenstein Studien, Band 12. Bern etc. 2006, S. 79–98. Schneider, Hans Julius: Religion. Berlin 2008a. Schneider, Hans Julius: „Ein ‚Rätsel des Bewusstseins‘ – für wen?“ In: Cramm, Wolf-Jürgen / Keil, Geert (Hg.): Der Ort der Vernunft in einer natürlichen Welt. Weilerswist 2008b, S. 88–102. Schneider, Hans Julius: „‚Sätze können nichts Höheres ausdrücken.‘ Das ‚Ethische‘ und die Grenzen der Sprache beim frühen Wittgenstein.“ In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 58, 2010, S. 55–70. Schneider, Hans Julius: „Wittgenstein’s Conception of Ethics. Absolute Value and the Ineffable“. In: Wittgenstein Studien. Internationales Jahrbuch für Wittgenstein-Forschung 2, 2011, S. 1–19. Stenius, Eric: Wittgenstein’s Tractatus. A Critical Exposition of its Main Lines of Thought. Oxford 1960.
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Hans Julius Schneider
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Anthropologie
Marco Brusotti
„Es ist schwer sich an kein Gleichnis zu verlieren.“ Zu einem sprach- und kulturphilosophischen Thema Wittgensteins Wittgensteins Auseinandersetzung mit James Frazers Golden Bough führt zu keinem geschlossenen Text, sondern zu polyphonen Stellungnahmen, deren z. T. widerstrebende Gedankengänge in späteren Jahren weitergesponnen werden. Forscher, die sich mit dem handschriftlichen Nachlass der frühen dreißiger Jahre befassen, werden manchmal gewarnt: Wer sich allzu intensiv und allzu exklusiv auf diese Manuskripte konzentriert, könnte zugunsten unausgereifter, dogmatischerer, plakativerer Formulierungen Wittgensteins letzte Ergebnisse aus dem Blick verlieren, v. a., die anspruchsvolleren, vorsichtigeren, differenzierteren Gedankengänge der Philosophischen Untersuchungen.1 Wie dem auch sei: Bei Wittgensteins „kulturphilosophischen“ Reflexionen ist die Lage gerade umgekehrt. Die Gefahr besteht nämlich eher für diejenigen, die vom handschriftlichen Nachlass absehen und sich mit der gängigen Zusammenstellung begnügen, mit den zuerst von Rush Rhees herausgegebenen „Bemerkungen über Frazers Golden Bough“. Diese Leser vergessen leicht, dass sie zum großen Teil ein Produkt der frühen dreißiger Jahre sind.2 Damals steht Wittgenstein noch am Anfang eines langen Weges: Viele seiner wichtigsten begrifflichen Instrumente fehlen noch. In der Aufzeichnung, die ursprünglich die Frazer-Notate einleitet, erwägt Wittgenstein, das neue Buch mit Bemerkungen über die Metaphysik „als eine Art der Magie“ zu beginnen.3 In Riten und Gebräuchen sieht er dieselben Bilder, Gleichnisse und Analogien, die auch ihn selbst irreführen, offener zu Tage treten
1 So argumentierte David Stern auf der Münchner Tagung. 2 Die Bemerkungen zur einbändigen Ausgabe des Golden Bough, die als Teil II von Rhees’ Zusammenstellung abgedruckt sind, sind bekanntlich später entstanden, Rhees zufolge zwischen 1936 und 1948. Auch sonst enthält der handschriftliche Nachlass reifere Aufzeichnungen zu diesem Thema, von denen in dem kurzen Beitrag hier allerdings nur punktuell Gebrauch gemacht werden kann. Vgl. dazu M. Brusotti: „‚Blicke weiter um dich!‘ ‚Ethnologische Betrachtungsweise‘ und Kritik der Ethnologie bei Wittgenstein“. In: Abel, G. / Kroß, M. / Nedo, M. (Hg.): Ludwig Wittgenstein: Ingenieur – Philosoph – Künstler, Berlin 2007, S. 193–208. 3 MS110,177. Zu dieser Aufzeichnung siehe unten S. 226 f. , Anm. 6.
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als in der zeitgenössischen Philosophie, in der sie bis zur Unkenntlichkeit „sublimiert“ sind. Da die Arbeit der Sprache im rituellen Bereich besonders gut zu erkennen ist, lässt er sich auf jene Gebräuche tiefer ein. Neben dem persönlichen Interesse für religiöse Phänomenologie bewegt also ein philosophisches Anliegen – eher noch als ein Augenmerk auf eine fremde Kultur – Wittgensteins frühe Auseinandersetzung mit dem Golden Bough: Sie fokussiert auf die in der Sprache enthaltenen „Bilder“, auf die „primitiven Bilder“. Ist aber Wittgensteins „Vergleichsobjekt“ nicht ebenso irreführend wie Frazers berüchtigte Analogie? Ist die Metaphysik mit der „Magie“, was diese auch sein mag, wirklich enger verwandt als die Wissenschaft? Wittgenstein markiert gleich einen klaren Unterschied: In seinen Augen sind „magische und religiöse Anschauungen“ weder unzutreffende (proto)wissenschaftliche Hypothesen noch verworrene (proto)metaphysische Theorien: Sie heben sich von der Wissenschaft, aber auch von der Metaphysik, durch die zugrundeliegende nicht theoretische Einstellung ab. Aus diesem Grund schreibt man Wittgenstein oft einen strikten Nonkognitivismus zu, und dieser wird den ethnologischen Tatsachen nicht gerecht. Wiederum wäre ein Ansatz, der Rituale nicht auf empirische, sondern auf begriffliche Irrtümer zurückführt, im Prinzip mit demselben Grundmakel behaftet wie bei Frazer: Eine intellektualistische und individualistische Betrachtungsweise würde die pragmatische und die soziale Dimension des Handelns weitgehend ausblenden.4 Beide Alternativen wären insofern gleichermaßen irreführend. Eine Variante ist zuletzt v. a. durch D. Z. Phillips populär geworden: Rituale gehen Wittgenstein zufolge nicht auf empirische Irrtümer à la Frazer zurück und sind anders als die philosophischen Irrtümer keine confused theories, aber sie sind zumeist, wenn auch nicht immer, confused practices.5 Dieser Ausdruck soll hier unübersetzt bleiben. Um verworrene Sprachspiele kann es nämlich nicht gehen; denn über den Sprachspielbegriff verfügt Wittgenstein in seiner ersten Auseinandersetzung mit Frazer noch nicht. Wenn es um confused practices geht, dann nicht in diesem Sinn. Auch an sich aber stellt dieser Begriff für die Fragen, von denen die Debatte über verworrene Theorien heimgesucht wird, nur eine Scheinlösung dar.
4 Siehe dazu ausführlicher unten S. 234 ff. 5 Zu D. Z. Phillips’ Deutung siehe unten S. 240.
„Es ist schwer sich an kein Gleichnis zu verlieren.“
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1 Das Vorhaben, das geplante Buch mit Bemerkungen über die Metaphysik als eine Art der Magie einzuleiten, hat Wittgenstein später nicht weiter verfolgt: Beim Abtippen von Manuskript MS110 wurden die meisten Bemerkungen über Frazer etwa in der Mitte der Maschinenschrift TS211 gruppiert.6 Einige Betrachtungen über den Weg vom Irrtum zur Wahrheit leiten sie hier ein. Der Grundgedanke knüpft an Aristoteles an: Damit dem Wahren mehr geglaubt wird, muss man auch zeigen, warum das Unwahre wahr scheint. „Man muss nicht nur die Wahrheit sagen, sondern auch die Ursache des Irrtums“ (EN VII, 15, 1154a).7 Wittgenstein nimmt die Nikomachische Ethik nahezu wörtlich wieder auf: Aristoteles’ „τὸ αἴτιον τοῦ Ψεύδους“ gibt er als „die Quelle des Irrtums“ wieder; in seiner Begrifflichkeit handelt es sich nämlich um keine „Ursache“, sondern um einen „Grund“.
6 Wittgenstein hat die Aufzeichnung, die in Manuskript MS110 die Auseinandersetzung mit Frazer eröffnet, mit einem „ ∫ “ (für ‚schlecht‘ bzw. ‚schwach‘) aussortiert: Sie wurde in die maschinengeschriebene Synopse TS211 nicht aufgenommen. Ebenso wenig ist sie mit einem Kringel markiert. Ansonsten hat Wittgenstein die Bemerkungen über den Golden Bough, die er ab dem 19. Juni 1931 in Manuskript MS110 niedergeschrieben hatte, zumeist mit einem Kringel markiert. Wann, wissen wir nicht genau. Unabhängig davon hat er die meisten Frazer-Notate in die Maschinenschrift TS211 übertragen. Die verschiedenen Ausgaben der Bemerkungen über Frazers Golden Bough, auf deren editorische Unzulänglichkeiten ich hier nicht näher eingehen werde, greifen vor allem auf diese spätere Abschrift zurück, wenn auch nicht sehr konsequent. Sie wurde zwischen dem Sommer 1931 und dem Sommer 1932 aus den Notizheften MS109–MS114 angefertigt. Die Aufzeichnungen über Frazer wurden bis auf wenige aufgenommen und zum Großteil in den Seiten 313–322 der Maschinenschrift zusammengestellt: Sie bilden einen unbetitelten Abschnitt, der durch Seitenwechsel am Anfang und am Ende vom Rest der Synopse getrennt ist. Diese Abschrift ist nicht wesentlich überarbeitet, auch die Reihenfolge der Aufzeichnungen wurde kaum geändert; sie wurden also nicht wirklich neu geordnet. Von den Notaten über den Golden Bough im Manuskript MS110 wurden einige nicht mit einem Kringel markiert und einige nicht ins Typoskript 211 kopiert. Lässt sich irgendeine Korrespondenz zwischen den beiden Vorgängen feststellen? Nicht alle Aufzeichnungen, die in MS110 mit einem Kringel versehen sind, wurden ins TS211 abgetippt – und umgekehrt. Aber alle Notate, die in den genannten zentralen Block (TS211,313-322) aufgenommen wurden, sind im Manuskript MS110 mit einem „Kringel“ markiert. Wiederum sind die Bemerkungen aus dem Manuskript MS110, die an anderen Orten der Maschinenschrift TS211 kopiert wurden, zumeist nicht mit einem „Kringel“ versehen. Einen „Kringel“ haben die meisten Aufzeichnungen, die erst im Juli 1931 in MS110 notiert wurden; aber sie wurden nicht in die Maschinenschrift TS211 abgetippt. Es gibt hier jedoch Ausnahmen: So sind die Aufzeichnungen, aus denen zuletzt PU § 122 wurde, nicht mit einem „Kringel“ markiert, und sie wurden ins TS211 kopiert, wenn auch nicht in den zentralen Block. Die Tabellen in Rothhaupt 2010 erlauben, diese Ausführungen genauer nachzuvollziehen. 7 Zur Quelle bei Aristoteles (NE 1154a22-25) vgl. Rothhaupt 2010, S. 122. Eine indirekte Quelle ist nicht unwahrscheinlich.
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Einen von der Wahrheit zu überzeugen, genügt es nicht die Wahrheit zu constatieren, sondern man muß den Weg vom Irrtum zur Wahrheit finden. / Man muß beim Irrtum ansetzen und ihn in die Wahrheit überführen / D. h. man muß die Quelle des Irrtums aufdecken, sonst nützt uns das Hören der Wahrheit nichts. Sie kann nicht eindringen solange // etwas anderes ihren Platz einnimmt. / Ich muß immer wieder im Wasser des Zweifels untertauchen.8
Eigentlich geht es nicht um „wahr“ und „falsch“, sondern um „Sinn“ und „Unsinn“; denn philosophische „Irrtümer“ sind nicht empirisch falsch, sondern sinnlos, sinnwidrig. Der Philosoph muss beim Unsinn ansetzen und ihn immer wieder durcharbeiten, um dessen „Quelle“ aufzudecken. „Es ist oft nicht erlaubt in der Philosophie gleich Sinn zu reden, sondern man muß oft zuerst den Unsinn sagen weil man gerade ihn überwinden soll“.9 „Es schadet gar nichts in der Philosophie Unsinn zu reden, wenn man sich nur tief genug mit dem Unsinn einläßt.“10 „Die Methode zu Philosophieren ist sich wahnsinnig zu machen, & den Wahnsinn wieder zu heilen.“11 Die „Quelle des Irrtums”, die der Philosoph „aufdecken“ muss, ist in unserer Ausdrucksweise niedergelegt. Sie besteht in unterschwellig wirkenden falschen Analogien und irreführenden Gleichnissen, die er „bewußt & dadurch unschädlich machen“ muss. Es ist eine Haupttätigkeit der Philosophie vor falschen Vergleichen zu warnen. Vor (den) falschen Vergleichen // zu warnen die unserer Ausdrucksweise – ohne daß wir uns dessen ganz bewußt sind – zugrunde liegen. | Ich glaube unsere Methode ähnelt hier der der Psychoanalyse die auch unbewußtes bewußt & dadurch unschädlich machen will & ich glaube daß diese Ähnlichkeit keine rein äußerliche ist.12
Man muss also den Unsinn „durcharbeiten“. „Es ist schwer sich an kein Gleichnis zu verlieren“,13 aber man muss sich den falschen Vergleichen und Analogien hingeben („sich wahnsinnig […] machen“), um allmählich – wie Wittgenstein später
8 TS211,313; vgl. MS 110,58 (= KB Nrr. 94-96, S. 51). In der ursprünglichen Aufzeichnung ging es ausschließlich um die Methode der Philosophie. Wittgenstein hatte diese erste Fassung am 10. Februar 1931 (in MS110) notiert, also einige Monate vor den Aufzeichnungen zum Golden Bough. Er verband diese methodische Betrachtung erst im Typoskript TS211 mit der Frazer-Kritik, also erst nachträglich. In Rothhaupts ‚Kringel-Buch‘, das die chronologische Reihenfolge in MS110 adoptiert, geht die Aufzeichnung den Frazer-Bemerkungen nicht unmittelbar voran. Der Abstand ist allerdings minimal: KB Nrr. 94-97 (Datum: 10.2.1931) – KB Nr. 100 (Datum: 19. 6. 1931). 9 MS107,266 = KB Nr. 14, S. 24. 10 107,286 = KB Nr. 50, S. 34. 11 MS109, 84 = KB Nr. 53, S. 37. 12 MS109,174 = KB Nr. 57, S. 38. 13 KB Nr. 143, S. 68. Wittgenstein hat die Aufzeichnung mit einem „ ∫ “ (für ‚schlecht‘ oder ‚schwach‘) markiert, aber nicht unbedingt wegen ihres Inhalts.
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„lehren“ will – „von einem nichtoffenkundigen Unsinn zu einem offenkundigen überzugehen“.14 „Man kann in gewissem Sinn mit philosophischen Irrtümern nicht vorsichtig genug umgehen, sie enthalten so viel Wahrheit.| / |Es geht nie einfach an zu sagen: Nein, das ist falsch, das muß aufgegeben werden.|“15 Warum enthalten philosophische Irrtümer „so viel Wahrheit“? Weil sie den Philosophen, der sich auf sie einlässt, bis zu ihrer „Quelle“ in der Grammatik führen: zur falschen Analogie, zum missverstandenen Gleichnis, das ihn gefangen hält. Die im Irrtum bzw. Unsinn wenigstens potentiell enthaltene „Wahrheit“ ist diese mögliche Einsicht in die Arbeit der Sprache. Dann wird die Sprachlogik nicht mehr missverstanden, und der Irrtum (bzw. das Problem) löst sich auf. Hier liegt der Unterschied zu Aristoteles: Diesem zufolge wirkt die wahre Theorie überzeugender, wenn man die Entstehung der falschen schildert. Wittgenstein wiederum ist nicht darauf aus, wahre Theorien aufzustellen; ihm geht es im wesentlichen darum, falsche zu beseitigen. Dementsprechend reicht es in der Philosophie nicht, „die Wahrheit zu konstatieren“, „gleich Sinn zu reden“ oder den Irrtum einfach aufzugeben, wie etwa die Philosophie des common sense gerne möchte: Um das Scheinproblem aufzulösen, muss man die zugrundeliegende Verwechslung durchschauen.
2 Die Aufgabe, „das Denken von einer (falschen)/irreführenden/Mythologie“ zu reinigen, stellt sich angesichts sprachinduzierter philosophischer Irrtümer. Inwieweit verfolgt auch die philosophische Auseinandersetzung mit magischen Ritualen dieses Ziel? Ethnologe und Philosoph haben es mit verwandten Erscheinungen zu tun, sie bringen dieselben Bilder ans Licht. Letztere sind in Bräuchen und Ritualen besonders gut zu erkennen. Sich vertraut machen mit den hier sichtbar werdenden „primitiven“ Bildern ist für Wittgenstein eine Art Propädeutik, um die weit verfänglicheren sublimierten Bilder der Philosophie leichter anzugehen. Diese Aufgabe hat offenbar noch das Kapitel der Großen Maschinenschrift über „Die Mythologie in den Formen unserer Sprache (Paul Ernst)“.16 Eine solche Propädeutik impliziert allerdings nur, dass rituelle Handlungen dieselben
14 PU § 464 15 MS112,197. Nicht im KB. 16 TS213,433.
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Gleichnisse und Analogien enthalten. Sind letztere aber auch hier wie in der Philosophie „Quelle des Irrtums“? Werden sie auch hier missverstanden? Darüber spricht sich das Incipit nicht direkt aus – weder in MS110 noch in TS211. Aber unmittelbar nach dem Vorspann wendet sich die Aufmerksamkeit auf die „magischen und religiösen Anschauungen“ im engeren Sinne, und die Betrachtung schlägt sofort eine andere Richtung ein: „Frazers Darstellung der magischen und religiösen Anschauungen der Menschen ist unbefriedigend: sie läßt diese Anschauungen als Irrtümer erscheinen.“17 Wittgenstein meint bekanntlich nicht, dass diese „Anschauungen“ wahr sind; die Darstellung, in der sie „als Irrtümer erscheinen“ ist nur deshalb „unbefriedigend“, weil sie keine Theorien, Hypothesen, Meinungen sind. Wittgenstein bestreitet auch, dass sie zu den Ritualen in einem Kausalverhältnis stehen. So in der Auseinandersetzung mit Frazer im Juni 1931. Noch einige Monate zuvor, im Herbst 1930, hatte Wittgenstein jedoch den „Sündenbock“ in aller Eindeutigkeit als „ein falsches Bild“ bezeichnet und mit den „falschen Bilder[n] der Philosophie“ verglichen. Der Sündenbock, auf den man seine Sünde legt und der damit in die Wüste hinausläuft, ist ein falsches Bild wie alle, die philosophische Irrtümer verursachen./wie die falschen Bilder der Philosophie./ Man könnte sagen die Philosophie reinige das Denken von einer (falschen)/irreführenden/ Mythologie (Paul Ernst Vorwort zu den Grimmschen Märchen).18
Im Herbst 1930 scheint Wittgenstein also der Meinung zu sein, dass auch ein Ritual „ein falsches Bild“ beinhalten kann. Gegen diese Kritik ließe sich vieles einwenden: Sie sieht vom historischen und kulturellen Kontext des Brauchs völlig ab, nimmt diesen nicht einmal zur Kenntnis.19 Der Sündenbock gehört
17 MS110,178 (19. 6. 1931) = KB Nr.100. 18 MS109,210f. Nicht im KB. 19 Spiegeln sich darin kulturelle Vorurteile, die etwa mit einem christlich geprägten Blick auf das alte Judentum einhergehen? Mit diesem Argument wehrt B. D. Lerner die Kritik des Sündenbockritus ab, zielt dabei allerdings weniger auf Wittgenstein selbst als auf die Aufnahme seiner Kritik durch R. Rhees und v. a. D. Z. Phillips. (Vgl. Lerner 1994, insbes. S. 606; Phillips 1986, S. 30; Rhees stimmt Wittgensteins Kritik nur bedingt zu: Vgl. die Einschränkungen in Rhees 1979, S. 47, S. 56.) Lerners Kritik von Phillips’ langer Variation über Wittgensteins knappe Äußerung ist berechtigt: Das einzige Ergebnis ist letztendlich, dass Phillips’ christlicher Sündenbegriff sich mit so einem Bild nicht verträgt; über den alttestamentarischen Gebrauch besagt dies jedoch nichts. Geht es bei Wittgenstein spezifisch um das alttestamentarische Ritual (Pentateuch 16, 20–22)? Die Anspielung ist eindeutig genug. Frazer wiederum erläutert den Sündenbock nicht als eigenartige hebräische Kulturerscheinung, sondern wie bei ihm üblich im synoptischen Kontext ‚ähnlicher’ Bräuche aus allen Epochen und Kulturen: Er stellt fest, „similar attempts (...) have been common also among the civilised nations of Europe, both in ancient and modern times.”
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Wittgenstein zufolge zu der „(falschen)/irreführenden/Mythologie“, von der die Philosophie das Denken zu reinigen hat. Diese Mythologie entsteht durch ein „Missverständnis der Sprachlogik“: „Wir sind durch falsche Analogien in die Irre geführt und können uns nicht aus dieser Verstrickung erretten. Das ist der morbus philosophicus.“20 Den Begriff oder wenigstens den Ausdruck „Mißverstehen der Sprachlogik“21 verdankt Wittgenstein Paul Ernst: Darauf soll die Vorrede des neuen Buchs eingehen, das mit dem Vergleich zwischen Metaphysik und Magie beginnen soll: „Wenn mein Buch je veröffentlicht wird so muß in seiner Vorrede der Vorrede Paul Ernst’s zu den Grimmschen Märchen gedacht werden, die ich schon in der Log. Phil. Abhandlung als Quelle des Ausdrucks ‚Mißverstehen der Sprachlogik‘ hätte erwähnen müssen.“22 Wittgenstein scheint dem Beispiel des Sündenbocks entnehmen zu wollen, dass die „Sprachlogik“ auch außerhalb eines spezifisch intellektuellen, theoretischen Kontextes missverstanden werden kann. Merkwürdig ist, dass Wittgenstein nicht allein mit Ernst übereinstimmt: Er scheint hier den Brauch ähnlich zu deuten wie der Ethnologe, den er bald darauf scharf kritisieren wird: wie Frazer.23 Wittgenstein beruft sich explizit auf Ernst, in
(FGB 1922, S. 652) Der Gekreuzigte verkörpert bei Frazer dieselbe Denkfigur, und den Höhepunkt der zweiten Ausgabe bildet gerade die Deutung der Kreuzigung. „Frazer was distinctly philosemitic“ (Ackerman 1987, S. 183; vgl. ebd., S. 180 ff.). Von seiner evolutionären Perspektive aus schätzte er die jüdische Religion höher als die christliche: Ihm zufolge stellten die Propheten im alten Israel einen echten Fortschritt dar; dem Christentum, dem eigentlichen Ziel seiner Kritik, wirft Frazer dagegen vor, es habe die römisch-klassische Zivilisation zugrundegerichtet. 20 MS110,86f.; TS211,186 (8. 11. 1930). Nicht im KB. So erläutert diese Aufzeichnung, „was mißverstehen unserer Sprachlogik bedeutet“ (ebd.). 21 MS110,184 = KB Nr. 129. 22 MS110,184 = KB Nr. 129. Auf die „Quelle“ des Ausdrucks („Mißverstehen der Sprachlogik“) ist nicht unbedingt auch die Auffassung zurückzuführen, die ihm in der Abhandlung zugrundeliegt. Anfang der dreißiger Jahre jedoch lehnt sich gerade Wittgensteins Auffassung von jenem „Missverstehen“ weit deutlicher an Ernst an als im Frühwerk. Aus der geplanten Vorrede wird in den Synopsen TS212 und TS213 ein Kapitel über „Die Mythologie in den Formen unserer Sprache (Paul Ernst)“ (TS213,433), in dem auch Bemerkungen über Frazer zusammengestellt sind. In der Großen Maschinenschrift erwähnt die Aufzeichnung selbst – anders als die erste Fassung – Ernst nicht mehr. Dies ist nachvollziehbar: Das Beispiel des Sündenbocks (wie auch das unten angeführte der Kinder Israel) kommt in Ernsts „Nachwort“ nicht vor. Vgl. Grimm / Grimm 1910; Paul Ernsts Nachwort (Wittgenstein nennt es irrtümlich „Vorwort“ oder „Vorrede“) auf S. 271–314. 23 B. R. Clack, der auf das Vorwort von The Scapegoat, dem dritten Teil der zwölfbändigen dritten Ausgabe hinweist, bemerkt zurecht, „perhaps surprisingly“ Wittgensteins „thoughts are little different from those of Frazer himself“ (Clack 1999, S. 129; vgl. Frazer 1913, S. V). Clack (ebd., S. 124) stellt auch eine interessante Parallele auf: zwischen dem Sündenbock, der die Sünden trägt, und dem sogenannten ‚Todaustragen‘. (Beide Male wird ‚tragen‘ metaphorisch verwendet.)
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dessen „Nachwort“ der Sündenbock jedoch nicht erwähnt wird. Frazer wiederum behandelt das Thema unter der Überschrift „The Expulsion of Embodied Evils“.24 Er führt die dem „savage mind“ vertraute „notion that we can transfer our guilt and sufferings to some other being who will bear them for us“, auf eine „very obvious confusion between the physical and the mental, between the material and the immaterial”25 zurück, d. h. auf die „simple confusion (...) between the real possibility of transferring a physical load to other shoulders and the supposed possibility of transferring our bodily and mental ailments to another who will bear them for us“.26 Diese grobe, primitive Verwirrung („confusion“) – bemerkt Frazer – treibt ihre Blüten allerdings erst in der Theologie, in der sie noch heute die Menschen irreführt; „the principle of vicarious suffering“27 verliert also auch in späten Zeiten nichts von seiner konfusen Natur. Im Gegenteil.28 Es ist schwer zu sagen, ob Wittgenstein an Frazers Analyse anknüpft. Beide sehen im Sündenbock-Ritual dieselbe Tendenz am Werk, und Einklang herrscht auch in der Einschätzung, die primitiven Sprachbilder würden in verfeinerten, gleichsam sublimierten Formen erst recht verfänglich. Wittgenstein diagnostiziert eine allgemeinere Tendenz der Sprache – die „Verkörperung“, weil ein Substantiv einen „Träger“ nahelegt. Frazers allgemeine Theorie weist eher auf empirische Irrtümer hin (wobei die zitierten Ausführungen Empirisches und Begriffliches nicht wirklich trennen). In seiner Deutung des Sündenbocks weist Wittgenstein diese Theorie nicht explizit zurück – anders als in den späteren Bemerkungen über den Golden Bough. Letztere halten wiederum nicht mehr daran fest, dass Ritualen falsche Bilder zugrundeliegen und dass begriffliche Verwirrungen sie ver-
Frazer sieht hier allerdings nicht nur eine Parallele, sondern eine Identität: Er erklärt, „that the death was not merely the dying god of vegetation, but also a public scapegoat upon whom were laid all evils (...)“ (Frazer 1922, S. 692). – Auch W. Künne (Künne 1996) verweist auf The Scapegoat, gibt aber keine bestimmte Stelle an. 24 Frazer 1913, S. 170 ff. 25 Frazer 1913, S. 1 = Frazer 1922, S. 646. 26 Frazer 1913, Preface, S. V. 27 Frazer 1913, S. 1. 28 Frazer will “illustrate the theory and the practice as they are found among savages in all their naked simplicity, undisguised by the refinements of metaphysics and the subtleties of theology” (Frazer 1913, S. 1f; = Frazer 1922, S. 647). Aber er legt besonderen Wert darauf, daß dieselbe “pathetic fallacy”, deren “crude inception in savagery” er nachweisen will, ihr “full development” erst “in the speculative theology of civilised nations” erreicht; “the process which has refined the base and foolish custom of the scapegoat into the sublime conception of a God who dies to take away the sins of the world”, zeigt einfach die Fähigkeit “of transmuting the leaden dross of superstition into a glittering semblance of gold” (Frazer 1913, S. V), also in etwas, was zwar weniger grausam als die Anfänge ist, aber doch kaum wertvoller, eher noch verfänglicherer und verwirrenderer.
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ursachen. Wer empirische Irrtümer bei Frazer und begriffliche bei Wittgenstein gegenüberstellt, macht es sich also zu einfach. Wie erklärt sich die Spannung zwischen Wittgensteins Texten? Vielleicht einfach dadurch, dass die Deutung des Sündenbock-Rituals einige Monate früher entstanden ist als die Bemerkungen über Frazer. Hat Wittgenstein also spätestens dann diese Betrachtungsweise aufgegeben? Selbst wenn der Schwerpunkt sich wirklich verlagert, ist diese Deutung des Sündenbocks auf jeden Fall ernst zu nehmen: Wittgenstein ist noch in den vierziger Jahren bemüht, die hier betonte Verwandtschaft zwischen rituellen Anschauungen und philosophischen Irrtümern zu relativieren. An einem neuen Beispiel zieht er zuerst einen ähnlichen Schluss: Wie beim Sündenbock liegt auch hier ein Missverständnis vor – mit denen der Philosophie durchaus vergleichbar. „‚Die Kinder Israel‘: wie es kommt, daß das Gleichnis von den Kindern eines Menschen auf die Leute eines Volkes angewandt wird, und dann das Gleichnis mißverstanden wird. Wie in der Philosophie.“29 Während eine (noch zu besprechende) spätere Ausarbeitung die Analogie relativiert bzw. verklausuliert, behauptet diese erste Skizze die Vergleichbarkeit noch unumwunden. Die „Kinder Israel“ sind die Beni-Israël, von denen Wittgenstein bei Renan gelesen hatte.30 Renan erklärt, der Sinn des Stammesnamens Israël sei ungewiss,31 eine Art Synonym sei aber Jakobel (der vom Gott El entlohnte, bzw. der, der El folgt), den man wiederum als Jacob abgekürzt habe: „Beni-Jacob ou Beni-Israël était le nom de la tribu. Plus tard, on prit Jacob pour un personnage, petit-fils d’Abraham.“32 Bereits Renan nimmt also im äußerst spekulativen Stil des neunzehnten Jahrhunderts an, ein Teil des Stammesnamens sei zuletzt als Personen-
29 TS219,14. 30 Die zwei ‚Bücher’ im ersten Band der Histoire heißen jeweils: „Les Beni-Israël à l’état nomade jusqu’ à leur établissement dans le pays de Chanaan“ (Renan 1953, S. 29 ff) und „Les Beni-Israël à l’état de tribus fixées, depuis l’occupation du pays de Chanaan jusqu’à l’établissement définitif de la royauté de David“ (Renan 1953, S. 157 ff). – Die Histoire du Peuple d’Israël (1887–1893), eine Spätschrift Renans (1823–1892), erscheint in denselben Jahren wie die erste Ausgabe des Golden Bough (1890). Zwischen dem wesentlich jüngeren Frazer und dem von ihm bewunderten französischen Autor bestehen eine Reihe von Verbindungen (vgl. Frazer 1920). 1886 hatte Renan der rätselhaften Gestalt, die Frazer einige Jahre später im Golden Bough erklären wollte, ein Drama gewidmet: Le Prêtre de Némi. Vgl. Hacker 1992, S. 298, Anm. 5; Ackerman 1987, S. 93. 31 Es handelt sich um ein „mot dont le sens est douteux“ (Renan 1953, Chapitre VIII ‚Les BeniJacob ou Beni-Israël‘, S. 92ff, hier S. 93). 32 Renan 1887, S. 94. Einen ähnlichen Vorgang vermutet Renan auch in einem anderen Fall: „Quelquefois les élohim étaient appelés Beni-Élohim, ‚les fils des dieux, la race divine‘. Quand on fit d’élohim un être unique, bien déterminé, les Beni-Élohim devinrent son entourage, une masse d’anges, (...)“ (Renan 1953, S. 53).
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namen missverstanden worden. Wie Renan die Beni-Jacob deutet Wittgenstein die Beni-Israël: Der Ausdruck „die Kinder Israel“ war ursprünglich ein Gleichnis für „den Stamm Israel“, später aber wurde er missverstanden: (Wie „Jacob“ bei Renan) wurde „Israel“ als Bezeichnung einer Person gedeutet. Das missverstandene Gleichnis der „Kinder Israel“ erinnert auch an Herbert Spencers Beispiel, in dem „conquerors coming from the region of sunrise, and therefore called ‚children of the sun‘, come to regard the Sun as ancestor“.33 Spencers höchst spekulative „Theorie der Spitznamen“ führte Kultformen und Gebräuche auf sprachliche Verwechslungen zurück, ohne und statt sie in den jeweiligen soziokulturellen Kontext zu stellen. Auch Wittgenstein scheint an etwas wie eine Spencer’sche „misinterpretation of nicknames“ zu denken. Dieses „Missverständnis der Spitznamen“ ist mit Ernsts „Missverständnis der Sprachlogik“ nicht nur im Wortlaut verwandt.34 Obwohl nicht dem „Nachwort“ entnommen, zeigt das Beispiel den auch von (dem hier nicht genannten) Ernst intendierten Vorgang: Das unverstandene Wort wurde als Personenname gedeutet, ein „Träger“ erfunden, d. h. hier, ein Stammvater postuliert und dessen fiktive Geschichte erdichtet: als nachträgliche „Rationalisierung“ des undurchschauten Gleichnisses. So, als Scheinerklärungen missverstandener Gleichnisse, entstehen nach Ernst Volksmärchen – und bei Wittgenstein philosophische Verwirrungen, z. B., wenn Substantive wie „Zeit“ oder „Seele“ imaginäre Wesenheiten suggerieren. Als Versuch einer historischen Erklärung gedeutet, wäre Wittgensteins Gedankenspiel nicht weniger spekulativ als evolutionistische „Hypothesen“ à la Spencer oder „historische“ Ansätze wie bei Renan und Frazer, deren Fragwürdigkeit Wittgenstein immer wieder thematisiert. Durch Missverständnisse der Sprachlogik lässt sich nämlich eher die Entstehung philosophischer Probleme erklären als die Herausbildung historischer, kultureller und sozialer Erschei-
33 Spencer 2003, S. 431. Spencer will nachweisen, dass der Ahnenkult die Urreligion darstellt. Die Verehrung von Naturerscheinungen – führt er gegen Max Müllers ‚Solar Theory‘ an – gehe in Wirklichkeit auf den Kult eines Ahnen mit entsprechendem Namen zurück: „Sun is either a birth-name or a metaphorical name given because of personal appearance, or because of exalted position“ (ebd.). Die Nachfahren – spekuliert Spencer – nahmen dann die Metapher wörtlich und gelangten so zur Überzeugung, von der Sonne abzustammen. Auf dieselbe Weise, „by misinterpretation of nicknames“, sieht er etwa auch „the conception of animal-ancestry“ (Spencer 2003, S. 345) entstehen: Am Anfang stand “the idea that an ancestor named ‘the Tiger’ was an actual tiger” (Spencer 2003, S. 343). Aus einer ähnlichen Verwechslung (man hatte Kinder mit Ding-Namen getauft) sieht Spencer auch den Glauben an beseelte Dinge entstehen. Es steht bei ihm also außer Frage, dass an jene Abstammung wirklich geglaubt wird. Seine phantasievolle Spitznamentheorie will eben erklären, wie es zu diesem Glauben kommt. 34 In Ernsts Nachwort – und in Renans Histoire – wird Spencer nicht erwähnt. Zu Frazer siehe unten im Text.
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nungen. Letztere auf sprachliche („logische“) Verwechslungen zurückzuführen, entspräche einem lange untergegangenen Verständnis von Ethnologie: Frazer verwirft Spencers spekulative „Theorie der Spitznamen“ als verwandt mit Max Müllers „disease of language“. Dass Institutionen aus einem grammatischen Missverständnis hervorgehen, wäre eine extrem intellektualistische These, die vom jeweiligen soziokulturellen Kontext völlig absieht: Grammatische Missverständnisse würden hier nämlich dieselbe Rolle spielen, die Frazers Erklärungen empirischen Irrtümern zuweisen. Die (etymologisch erschlossene) Genau-so-Geschichte der „Kinder Israel“ wäre bei anderen Autoren – auch bei Paul Ernst – tatsächlich ein hypothetischer Erklärungsversuch. Bei Wittgenstein handelt es sich jedoch nur um ein Gedankenspiel. Jahre später entwickelt er es weiter und stellt die Selbstverständlichkeit in Frage, mit der er zuerst von einem Missverständnis der Sprachlogik ausgegangen war. Denken wir uns, ein Stamm nennt sich ‚die Kinder Israel‘. Ursprünglich, nehme ich an, heiße das nicht die Nachkommen eines Mannes mit Namen Israel. Sondern ‚Nachkommen‘ oder ‚Kinder‘ heiße soviel wie ‚der Stamm‘, betrachtet als eine Erscheinung in der Zeit. Dies wäre als nennte man die Entwickelung von π ‚die Kinder π‘. Nun denke ‚durch ein Mißverstehen‘ faßt man jenen Ausdruck als ‚die Kinder (Nachkommen) des Israel‘ und rede also von einem Mann Israel als dem Stammvater: Die Frage ist: in was für Fällen hat man ein Recht von einem Mißverstehen zu reden; in was für Fällen aber nur von einer bildlichen Ausdrucksweise? Prima facie ist anzunehmen, daß es hier in Wirklichkeit allerlei Grade geben wird. Und daß in gewissen Religionen, was ursprünglich bildliche Ausdrucksweise war, zu einem vollen Mißverständnis sich auswächst. (Mit der Hilfe etwa von Philosophen.)35
Zwar werden bildliche Ausdrucksweisen manchmal völlig missverstanden, manchmal aber, räumt Wittgenstein nun ausdrücklich ein, bewusst als solche verwendet. Ob in einem bestimmten Fall die Akteure eine bildliche Ausdrucksweise missverstehen oder im Gegenteil bewusst als solche anwenden, mag für den Beobachter schwer zu entscheiden sein. Denn beides kommt vor: bildliche Ausdrucksweise und volles Missverständnis. Noch mehr: Es wird zwischen den zwei Grenzfällen wohl „allerlei Grade“ geben. Dem trägt Ernsts Auffassung in der Form, wie Wittgenstein sie sich zuerst angeeignet hatte, wohl nicht Rechnung: Dieser Ansatz
35 MS116,284 f. Laut von Wrights Katalog benutzte Wittgenstein MS116 im Herbst 1937 und dann im Mai 1945 (von Wright 1993, 486). Diese Aufzeichnung wird von R. Rhees (Rhees 1979, S. 65 f) auf 1945 datiert. Vgl. auch Schulte 1990, S. 53 f, Anm. 21, sowie die ausführlichere Besprechung in Brusotti 2007.
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unterscheidet im Wesentlichen nur ein ursprüngliches Gleichnis und dessen späteres Missverständnis und ignoriert jene möglichen schwer bestimmbaren Grade, Zwischenstufen, Übergangsfälle. Hier liegt sein blinder Fleck. Die Idee, ein Ritual beinhalte ein falsches Bild, das mit denjenigen der Philosophie verwandt sei, wird lediglich eingeschränkt. Dass man „ein Recht“ habe, „von einem Mißverstehen zu reden“, wird nicht kategorisch ausgeschlossen. Insofern gibt die spätere Aufzeichnung die Position vom Herbst 1930 nicht ganz auf. Es komme durchaus vor, dass „in gewissen Religionen“ die Akteure ein Bild missverstehen, man dürfe jedoch nicht einfach immer von einem Missverständnis ausgehen; denn in anderen Fällen sei nur „von einer bildlichen Ausdrucksweise“ (ebd.) zu reden. Dass in rituellen Handlungen dieselben Bilder vorkommen wie in der Metaphysik, heißt nun für Wittgenstein weder, dass auch bei den ersteren sprachlogische Missverständnisse vorliegen müssen, noch, dass sie in diesem besonderen, „religiösen“, Kontext ausgeschlossen sind. Es muss bei einem Gedankenspiel bleiben: Der Philosoph kann natürlich nicht sagen, wie jene „Bilder“ in fernen, nicht genau bestimmten Kontexten jeweils verwendet werden. Nicht nur, weil er, wenn überhaupt, sie nur sehr indirekt kennt: Als Philosoph ist er für Tatsachenfragen nicht zuständig; er streitet nie ab, dass es so ist, sondern immer nur, dass es so sein muss. Er ist nur für „grammatische“ Fragen von ihm beherrschter Sprachen zuständig: Er kann also auch nicht sagen, dass jene ferne Grammatik so und so ist, sondern nur, dass sie nicht so sein muss.
3 „Primitive“ müssen eine kausale Erklärung der Naturerscheinungen vermisst, gesucht und verfehlt haben: Daher ihre Religion (Renan) bzw. Magie (Frazer). Diese dreifache anthropologische und religionsphilosophische Notwendigkeit stellt Wittgenstein jedoch in Frage. Auf mangelnde Einsicht in die Kausalverhältnisse führt Renan Einstellungen wie Staunen, Verwunderung, tiefen Eindruck zurück: Der Mensch wundert sich über die Naturphänomene, weil und solange er sie sich nicht erklären kann. „Primitive“ können es nicht und müssen sie also anstaunen. Wittgenstein, der sich dabei an Spengler anlehnt, will dagegen eine positive Vorbedingung betonen: Zur Verwunderung muss der „Geist“ erst erwachen. Er sieht hier also ein Vermögen, nicht ein Unvermögen, ein Können, nicht ein Müssen, eine Möglichkeit, nicht eine Notwendigkeit.36
36 Zu dieser Renan-Kritik vgl. Brusotti 2000.
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Der Einwand, den Wittgenstein merkwürdigerweise zuerst gegen Renan richtet, trifft vor allem Frazer, bei dem die beanstandete Denkfigur zentraler ist. Die Hauptgestalten in seiner Spekulation über den Ursprung der Magie sind Philosophen: Frazers (und Tylors) primitive philosophers denken über die Ursachen der Naturerscheinungen nach. Diese Protowissenschaftler stellen kausale Hypothesen auf, die bei ihrem „primitiven“ Wissensstand unweigerlich fehlgehen müssen. Eine Reihe von Erscheinungen – der schottische Ethnologe listet sie auf – „must have excited the wonder“ der frühen Philosophen, die daraufhin Erklärungen gesucht und in magischen „views of natural causation“ gefunden haben.37 Wittgenstein paraphrasiert diese Stelle. Daß der Schatten des Menschen, der wie ein Mensch ausschaut, oder sein Spiegelbild, daß Regen, Gewitter, die Mondphasen, der Jahreszeitwechsel, die Ähnlichkeit und Verschiedenheit der Tiere unter einander und zum Menschen, die Erscheinungen des Todes, der Geburt und des Geschlechtslebens, kurz alles, was der Mensch jahraus jahrein um sich wahrnimmt, in mannigfaltigster Weise mit einander verknüpft, in seinem Denken (seiner Philosophie) und seinen Gebräuchen eine Rolle spielen wird, ist selbstverständlich, oder ist eben das, was wir wirklich wissen und interessant ist.38
Bei Frazer heißt es: The properties of drugs and minerals, the causes of rain and drought, of thunder and lightning, the changes of the seasons, the phases of the moon, the daily and yearly journeys of the sun, the motions of the stars, the mystery of life, and the mystery of death, all these things must have excited the wonder of these early philosophers [...].39
Wittgensteins Paraphrase wurde als solche bisher nicht erkannt, die Pointe dementsprechend nicht richtig gedeutet.40 Er korrigiert implizit Frazers Behauptung, dass „all these things must have excited the wonder of these early philosophers [...]“. Wittgenstein reformuliert die Ursprungskonjektur in eine allgemeine anthropologische „Selbstverständlichkeit“: Alles, was zum Leben des Menschen gehört, spielt „eine Rolle“ in seinem Denken. Wittgenstein weist damit den
37 Frazer 1911, S. 246. 38 MS110,197/1 (22.6.1931) = KB Nr. 133, S. 64. Vgl. TS211,317/1k. 39 Frazer 1911, S. 246. [In: Chapter V: „The Magical Control of the Weather“, § 1. „The Public Magician“.] 40 Hier ist Wittgensteins Aufzeichnung nach den Entsprechungen zum Golden Bough aufgeschlüsselt: „[...] daß Regen, Gewitter [= the causes of rain and drought, of thunder and lightning], die Mondphasen [= the phases of the moon], der Jahreszeitwechsel [= the changes of the seasons], […], die Erscheinungen des Todes, der Geburt und des Geschlechtslebens [= the mystery of life, and the mystery of death], kurz alles, was der Mensch jahraus jahrein um sich wahrnimmt, [= all these things] (...)“.
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Versuch zurück, „primitive“ Gebräuche auf das Erklärungsbedürfnis zurückzuführen. Seine eigene Reformulierung ist nicht als Erklärungsversuch gemeint: Frazer, so Wittgenstein, verkleidet als (pseudo)historische Hypothese über die „frühen Philosophen“ eine allgemeine anthropologische Annahme – und versteht die Natur der Gründe nicht, die bei uns für diese Annahme sprechen. Die Gründe sind „introspektiver“ Natur: Dass alles, was zum Leben des Menschen gehört, „eine Rolle“ in seinem Denken spielt, ist etwas, was wir von uns selbst wissen und wovon wir bei Menschen ausgehen. Zu den Erscheinungen, die „der Mensch jahraus jahrein um sich wahrnimmt“, gehört auch „das Feuer oder die Ähnlichkeit des Feuers mit der Sonne“.41 Wie anderes, was zum Leben gehört, spielt auch das Feuer im Denken eine „Rolle“ – aber nicht unbedingt als Explicandum. Wittgenstein fährt fort: Wie hätte das Feuer oder die Ähnlichkeit des Feuers mit der Sonne verfehlen können auf den erwachenden Menschengeist einen Eindruck zu machen. Aber nicht vielleicht ‚weil er sich’s nicht erklären kann‘ (der dumme Aberglaube unserer Zeit) – denn wird es durch eine ‚Erklärung‘ weniger eindrucksvoll?42
Wittgenstein behauptet nicht, dass der Mensch sich Naturerscheinungen nicht erklären will, sondern nur, dass er sie sich nicht erklären wollen muss: Der uns durch die modernen Wissenschaften vertraute, ja selbstverständlich gewordene Begriff kausalen „Erklärens“ und das entsprechende Anliegen dürfen nicht unbedingt als universell und überkulturell vorausgesetzt werden.43 Was Frazer – wie übrigens auch Renan – als Verlangen nach kausaler Erklärung missdeutet, ist demnach anderer Art: Naturerscheinungen wie das Feuer verwundern den Menschen; dies heißt aber nicht, dass er nach einer Kausalerklärung verlangt. Kein Naturphänomen muss ihm nur aus dem Grund geheimnisvoll erscheinen, dass er es sich nicht erklären kann. Nicht die Unerklärtheit macht Naturerscheinungen wie das Feuer eindrucksvoll; denn erklärliche Phänomene können geheimnisvoll erscheinen, und eine Erklärung nimmt ihnen ihre beeindruckende Natur nicht. Die erste von Wittgensteins Fragen kommt jedoch überraschend: Dass etwas nicht hätte „verfehlen können“ auf den Menschen „einen Eindruck zu machen“,
41 MS110,197 (22.6.1931) = KB Nr. 133. 42 MS110,197 (22.6.1931) = KB Nr. 134. 43 Unser Ursachenbegriff, so der späte Wittgenstein, bildet eine „Familie“ und richtet sich nach mehreren, heterogenen „Urbildern“, Sprachspiele, die Wittgenstein „primitiv“ nennt, gehören hiernach zwar zu den Wurzeln von „Kausalität“, aber es gibt auch andere, davon abweichende Komponenten (Statistik). Die Frage nach Ursachen- und Erklärungsbegriffen müsste entsprechend differenziert gestellt werden, weit mehr, als Wittgenstein es Anfang der dreißiger Jahre getan hatte.
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suggeriert nämlich gerade die Alternativlosigkeit, die er an Renans Analyse moniert hatte. Wittgenstein scheint zuerst wenigstens zuzugeben, dass jene Erscheinungen den Menschen beeindrucken müssen bzw. dass sie im menschlichen Denken eine Rolle spielen müssen. Damit gesteht er Frazer („must have excited the wonder“) mehr zu, als er eigentlich möchte. Dementsprechend macht er einen Schritt zurück und korrigiert sich noch auf derselben Seite: Ich meine nicht, daß gerade das Feuer Jedem einen Eindruck machen muß. Das Feuer nicht mehr, wie jede andere Erscheinung, und die eine Erscheinung Dem, die andere Jenem. Denn keine Erscheinung ist an sich besonders geheimnisvoll, aber jede kann es uns werden, und das ist eben das Charakteristische am erwachenden Geist des Menschen, daß ihm eine Erscheinung bedeutend wird.44
Für den erwachenden menschlichen Geist bekommen bestimmte Naturerscheinungen Bedeutung, sie können dabei auch geheimnisvoll werden und ihn in Staunen versetzen. Keine Naturerscheinung muss und jede kann den Menschen beeindrucken. Die mystisch gefärbte, an Spengler anknüpfende Terminologie darf jedoch nicht über den wichtigen Punkt hinwegtäuschen: Insgesamt stehen diese Alltagserscheinungen zwar im Mittelpunkt menschlichen Nachdenkens, aber keine bestimmte von ihnen muss besonders markiert werden. Von anderen, auch allgemeinen Naturerscheinungen (z. B. dem Schatten des Menschen45) gilt jedoch: Selbst wenn sie in einer gegebenen Gesellschaft bedeutend (oder erklärungsbedürftig) sind, müssen sie es in einer anderen nicht sein – und alle werden je nach Gesellschaft sowieso eine andere Bedeutung haben. Derlei Unterschiede sind nicht eine Frage individueller psychologischer Reaktionen, sondern eine der sozialen Markierung (der Lebensform und ihrer Sprachspiele). Keine bestimmte Erscheinung muss unbedingt erklärt werden, keine muss den Menschen unbedingt beeindrucken, und keine muss in seinem Denken und in seinen Gebräuchen eine „Rolle“ spielen. Wittgensteins Bemerkung ist nicht als empirische Hypothese zu verstehen; irgendeine Einschränkung – etwa auf bestimmte Arten des Nachdenkens über bestimmte Phänomene, z. B. auf Kausalerklärungen von Naturerscheinungen – wäre allerdings nötig; Völker, die über „die Erscheinungen des Todes, der Geburt und des Geschlechtslebens“ nicht wie auch immer nachdenken, sind auf jeden Fall schwer vorstellbar.
44 MS110,198 = KB Nr. 135. Vgl. TS211,317. Zum „Erwachen des Intellekt“, das „mit einer Trennung von dem ursprünglichen Boden der ursprünglichen Grundlage des Lebens vor sich“ geht, und zur „Entstehung der Wahl“ vgl. MS110,298 = KB Nr. 172. Mit dieser problematischen Idee vom „Erwachen“ knüpft Wittgenstein auch an Spengler an. 45 Vgl. Evans-Pritchard 1934, S. 41, auch S. 39.
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4 Im Laufe der Zeit verschiebt sich Wittgensteins Interesse immer mehr von den ähnlichen Bildern hin zu deren unterschiedlicher Verwendung. Die Analogie bezieht sich von Anfang an vor allem auf die gemeinsame „Quelle“: Metaphysik geht auf dieselben „Bilder“, Gleichnisse und Analogien zurück, die auch in Frazers „Magie“ bzw. in rituellen Handlungen eine Rolle spielen. Fraglich ist dagegen, ob und inwieweit sie hier wie dort ähnlich verwendet werden. „Rhees told me“ – erklärt Phillips – „that around the time he wrote the ‚Remarks on Frazer‘ Wittgenstein thought that probably most rituals were confused.“46 Was mag Rhees zu seiner Äußerung veranlasst haben? Der einzige wirkliche Beleg – die angeführte Aufzeichnung, die im Sündenbock mit Ernst und mit Frazer (!) „ein falsches Bild“ sieht – stammt doch aus der Zeit vor den „Bemerkungen über den Golden Bough“. Wittgenstein mag im Herbst 1930 einstweilen noch davon ausgegangen sein, dass Bilder wie der Sündenbock falsch sind und dass die Akteure sich an Gleichnisse verlieren. Spätestens ab Juni 1931 unterstreicht er aber bei ähnlichen Fällen die Besonderheiten ritueller Handlungszusammenhänge. „In a remark to Drury Wittgenstein said that myths and rites were closer to metaphysical than to scientific errors.“47 Was heißt hier „closer“? Sofern es um dieselben Bilder geht, lassen sich Gebräuche und Rituale mit begrifflichen Verwechslungen eher vergleichen als mit empirischen Irrtümern, mit metaphysischen eher als mit wissenschaftlichen Theorien. Aber dies heißt für Wittgenstein nicht, dass es sich überhaupt um Theorien handelt. Sind (einige) Riten dann, wie Phillips meint, wenn nicht confused theories, so doch confused practices? Kann man von Praktiken sagen, dass sie konfus sind, ohne den Handelnden Theorien bzw. Meinungen zu unterstellen? An eine solche Möglichkeit denkt Wittgenstein nicht: Wenn sie wirklich keine Theorien beinhalten, sind sie nur im Auge des beobachtenden Theoretikers konfus; und dass Rituale keine Theorien beinhalten, ist gerade die Idee, auf die es Wittgenstein 1931 ankommt (später relativiert er sie). Phillips dagegen möchte Praktiken auch in einem solchen Fall eventuell als verworren kritisieren dürfen. Rituale – diese Auffassung schreibt er Wittgenstein zu – müssen nicht unbedingt konfus sein, nicht alle sind es, aber wahrscheinlich die meisten. Eine empirische Kritik à la Frazer sei unangebracht, aber eine philosophische Kritik sei doch imstande, mit rein begrifflichen Mitteln zwischen der Mehrheit konfuser abergläubischer und einer Minderheit nicht verworrener
46 So Phillips 2005, S. 199. 47 Phillips 1993, S. 87 f.
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religiöser Rituale zu unterscheiden. Liegt also der Unterschied zwischen Wittgenstein und Frazer wirklich darin, dass dieser in allen Riten empirische Irrtümer, Wittgenstein in vielen begriffliche erkannt haben will? Wittgenstein verneint, dass Rituale verworrenem Denken entspringen müssen. Schließt er aber ebenfalls aus, dass sie verworrenem Denken entspringen können? 48 Dass Wittgenstein es nicht tut, sei Phillips zugestanden. Legt Wittgenstein aber wirklich Wert darauf? Im Gegenteil: Ihm kommt es eher darauf an, die Bedeutung dieser Frage zu relativieren; in den gemeinten Fällen sind eventuelle sprachliche Äußerungen „selbst ein Bestandteil der religiösen Handlung und keine Theorie. Es kommt also auch gar nicht darauf an, ob die Worte wahr oder falsch oder unsinnig sind. [...]“49 Wenn Wittgenstein hier die Frage nach Sinn und Unsinn relativiert, dann nicht, um zu behaupten, sie stelle sich zwar nicht auf der Ebene der Worte, aber doch auf der Ebene der Praxis. Es geht vielmehr darum, dass der Beobachter Gefahr läuft, vom eigenen Standpunkt aus die jeweiligen Prioritäten – den eigentlichen „Witz“ der jeweiligen Praxis – zu verfehlen. Wittgenstein war zwar zuerst davon ausgegangen, dass die Akteure sich an Gleichnisse verlieren. Die spätere Leitidee ist jedoch, dass falsche Vergleiche vor allem auf den Interpreten fremder Kulturen lauern.
5 Literatur Ackerman, Robert A.: J. G. Frazer. His Life and Work. Cambridge 1987. Brusotti, Marco: „Der Okzident und das Fremde. Wittgenstein über Frazer, Spengler, Renan“. In: Dietrich, Ute / Winkler, Martin (Hg): Okzidentbilder: Konstruktionen und Wahrnehmungen. Leipzig 2000, S. 31–61. Brusotti, Marco: „‘Blicke weiter um dich!’ ‚Ethnologische Betrachtungsweise’ und Kritik der Ethnologie bei Wittgenstein“. In: Abel, Günter / Kroß, Matthias / Nedo, Michael (Hg.): Ludwig Wittgenstein: Ingenieur – Philosoph – Künstler. Berlin 2007, S. 193–208. Clack, Brian R.: Wittgenstein, Frazer and Religion. New York 1999. Cook, John W.: „Magic, Witchcraft, and Science“. In: Philosophical Investigations 6, 1983, S. 2–36.
48 So D. Z. Phillips (Phillips 2001, S. 169). Er argumentiert hier gegen J. W. Cook. Dieser (Cook 1983, S. 31) meint, Wittgenstein wolle alle Riten gegen den Vorwurf, sie seien irrtümlich, prinzipiell in Schutz nehmen. Cook weist diesen Ansatz zurück. Er unterscheidet Irrtümer und confusions, meint aber, Wittgenstein habe die Möglichkeit nicht gesehen, dass Primitive begrifflich verwirrt seien (Cook 1983, S. 35). Phillips zufolge gehört dies dagegen wesentlich zu Wittgensteins Auffassung. 49 WWK, S. 117.
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Marco Brusotti
Ernst, Paul: „Nachwort“. In: Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm: Kinder- und Hausmärchen. Mit einem Nachwort und durch Stuecke aus den Anmerkungen erg. und hg. v. P. Ernst. 3. Bde., München-Leipzig 1910, Band 3, S. 271–314. Wiederabdruck in Wittgenstein Studies 2/95, Datei 24-2-95.txt. Evans-Pritchard, Edward Evan: “Lévy-Bruhl’s Theory of Primitive Mentality.” In: Bulletin of the Faculty of Arts. Fuad I University, Cairo, Vol. II, 1934, pt. 2, S. 1–26. Zit. nach: Journal of the Anthropological Society of Oxford, Vol. I, 1970, Nr. 2, S. 39–60. Frazer, James George: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion, 3rd Edition, Part 1: The Magic Art and the Evolution of Kings. London 1911. Frazer, James George: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion, 3rd Edition, Part 6: The Scapegoat, London 1913. Frazer, James George: “Address to the Ernest Renan Society delivered at the Ecole du Louvre, December 11th, 1920”. Wiederabgedruckt in Garnered Sheaves, London 1931, S. 277–279. Frazer, James George: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion. Abridged Edition. London 1996. Frazer, James George: Der goldene Zweig. Das Geheimnis von Glauben und Sitten der Völker. Abgekürzte Ausgabe. Leipzig 1928, jetzt Reinbek bei Hamburg 2000. Hacker, Peter M. S.: “Developmental hypotheses and perspicuous representations”. In: Iyyun. The Jerusalem Philosophical Quarterly 41, 1992, S. 277–299. Künne, Wolfgang: „Paul Ernst und Ludwig Wittgenstein“. In: Wittgenstein Studies 1/1996, Datei: 18-1-96.TXT. Lerner, Berel Dov: „Wittgenstein’s Scapegoat“. In: Philosophical Investigations 17, 1994, S. 604–612. Phillips, Dew. Z.: Belief, Change and Forms of Life. Atlantic Highlands, New Jersey 1986. Phillips, Dew. Z.: “Wittgenstein’s Full Stop”. In: Wittgenstein and Religion, New York 1993, S. 79–102. Phillips, Dew. Z.: Religion and the Hermeneutics of Contemplation. Cambridge 2001. Phillips, Dew. Z. (Hg.): Religion and Wittgenstein’s Legacy. Aldershot 2005. Renan, Ernest: Histoire du peuple d’Israël, Paris 1887. Zitiert nach: Renan, Ernest: Oeuvres Complètes. Éd. définitive établie par H. Psichari, 10 Bde., Paris 1947 ff., Bd. 6, 1953. Rhees, Rush: „Wittgenstein über Sprache und Ritus“. In: Wittgenstein, Ludwig: Schriften, Beiheft 3, Frankfurt/Main. 1979, S. 35–66. Rothhaupt, Josef G. F. (Hg.): Wittgensteins Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010 [= KB]. Schulte, Joachim: „Glaube und Aberglaube“. In: Schulte, Joachim: Chor und Gesetz. Wittgenstein im Kontext. Frankfurt/Main. 1990, S. 43–58. Spencer, Herbert: The Principles of Sociology, Bd. 1., with a new introduction by J. W: Turner, Chapter XXVI “The primitive Theory of Things“. New Brunswick / London 2003, S. 431.
Verena Mayer
Magie der Sprache – Zum Zusammenhang von Sprache und Ritus im Kringel-Buch Die „Bemerkungen über Frazers The Golden Bough“, wie sie Rush Rhees erstmals 1967 publiziert hatte1, haben die Interpreten zu Recht irritiert. So geht aus dem Konvolut nicht hervor, weshalb Wittgenstein Frazers umfangreiche und damals sehr populäre Beschreibungen magischer Gebräuche so faszinierend fand, dass er sich im Jahr 1931 von Drury über einige Wochen daraus vorlesen2 und zu den publizierten Bemerkungen inspirieren ließ. Weshalb Wittgenstein ausgerechnet die Magie verteidigt, scheint rätselhaft. Im Tractatus heißt es in Satz 5.1361 „Der Glaube an den Kausalnexus ist der Aberglaube“. Ist aber die Magie mit ihrem Vertrauen auf einen wissenschaftlich kaum erklärbaren Kausalnexus etwa nicht der Prototyp des Aberglaubens? Indem Wittgenstein ganz im Gegensatz zu Frazer Magie und Religion als Systeme von gleicher Art behandelt, scheint er darüber hinaus Frazers theoretischen Überbau nicht sonderlich ernst zu nehmen. Vielmehr konzentriert er sich ganz auf eine einzige Frazer’sche These und deren Realisierung in den entsprechenden Beschreibungen: auf die im 19. Jahrhundert noch durchaus revolutionäre Behauptung, dass die Magie der sogenannten Primitiven tatsächlich eine präwissenschaftliche Praxis mit rationalen Zügen darstelle. Es ist aber nun diese, den „Wilden“ scheinbar freundlich gesonnene These, die Wittgenstein in den publizierten Bemerkungen attackiert, offenbar aber ohne dass er gleichzeitig die Magie wiederum als irrational oder gar als „Aberglaube“ desavouieren wollte. Seine Überlegungen sind vielmehr als Versuch einer Rettung der Magie vor Frazer zu lesen. Welchen Reim soll sich nun der Wittgenstein-Interpret auf diese verwirrende Gemengelage machen? Die Erklärungen der Interpreten sind kontrovers. Viele Interpreten glauben, dass Wittgenstein sich hier, indem er einen anthropologischen Text diskutiert, von den Themen seiner Hauptschriften explizit abwende (Rudich/Strassen 1971); dass er dabei wirklich an Fragen der Anthropologie interessiert sei und selbst eine in seinem Sinne richtige Anthropologie skizziere (Lara 2003). Gunter Gebauer argumentiert, das übergreifende Thema von Wittgensteins Spätphilo-
1 Erschienen in Synthese 17, S. 233–253. 2 So berichtete Drury in Rhees 1991, S. 170.
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sophie sei gerade die Anthropologie, wobei Wittgenstein erst durch die Lektüre Frazers auf den Gedanken einer Lebensform gestoßen sei (Gebauer 2009, 22). Anhänger einer solchen anthropologischen Interpretation debattieren dann z. B. darüber, ob man Wittgenstein unter die Expressivisten einreihen kann, die, wie etwa Parsons, Evans-Pritchard und Levy-Bruhl, gegen den auch heute verbreiteten Intellektualismus in der Anthropologie argumentieren (Lara 2003, Clack 1999). Wieder andere Interpreten sehen die Bemerkungen über Frazer nur als Beispiel und Illustration wichtiger Grundbegriffe Wittgensteins, z. B. des Unterschieds zwischen Erklären und Beschreiben, der übersichtlichen Darstellung oder des Begriffs einer Lebensform (Douglas 1978). Wittgensteins Leser haben die von Rush Rhees veröffentlichten Auszüge aus den Manuskripten MS110 und MS143 dabei weitgehend als einen eigenständigen Text behandelt, vor allem wohl deshalb, weil er sich inhaltlich anscheinend mühelos abgrenzen lässt. Das uns nun vorliegende Kringel-Buch spricht eine andere Sprache. Die Art und Weise, wie in dieser Synopse die Bemerkungen zu Frazer eingefügt sind, lässt sich als ein weiterer Versuch Wittgensteins zu einer „übersichtlichen Darstellung“ lesen, die dazu dient, inhaltliche Zusammenhänge aufzuzeigen. Demnach sollten wir den Text eben nicht als eigenständige anthropologische Untersuchung betrachten. Das Kringel-Buch werde ich insofern als Hinweis darauf lesen, dass Wittgenstein einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen der Praxis der Magie und den Praktiken sah, die er davor und danach im Kringel-Buch beschreibt. Nun kann man sicherlich darüber streiten, welche der ganz unterschiedlichen Bemerkungen im Kringel-Buch einen solchen intendierten Zusammenhang herstellen. Meine Hypothese, die ich im Folgenden weiter explizieren und begründen möchte, ist diese: Die Magie fasziniert Wittgenstein, weil sie wichtige Eigenschaften von Sprache im Allgemeinen aufweist, Eigenschaften, um die es ihm auch noch in den Philosophischen Untersuchungen und danach geht. Wörter sind nach meiner These in gewisser Hinsicht wie magische Gegenstände, mit denen wir handeln und durch die wir Wirklichkeit nicht in erster Linie beschreiben, sondern ausdrücken und erzeugen. Die Praxis des Sprechens oder der Sprachverwendung ist also selbst als eine magische Praxis zu verstehen. Ich gehe in drei Schritten vor, wobei ich Unterschiede zwischen frühem und spätem Wittgenstein oder überhaupt die zeitliche Entwicklung seiner Gedanken ignoriere: Erstens werde ich das Gegenbild zu Wittgensteins Auffassung darstellen, das in den Angriffen auf Frazer zum Vorschein kommt. Es geht dabei offenbar nicht in erster Linie um den Intellektualismus in der Anthropologie, sondern, wenn man das Vorwort zum Kringel-Buch (KB Nr. 62 bis Nr. 77) hinzuzieht, um die „wissenschaftliche Weltauffassung“ schlechthin, von der Frazer nur ein frühes Beispiel liefert. Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts und nach Wittgenstein
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ist klar geworden, wie stark dieses Weltbild mit einer bestimmten Auffassung von Sprache und Begriffen verknüpft ist. Auch darauf gehe ich kurz ein. In meinem zweiten Schritt frage ich, was Wittgenstein diesem Bild eigentlich entgegensetzt. Es sind weitreichende Differenzen nicht nur zu einer intellektualistischen Anthropologie. Mir scheint, es ist ein grundsätzliches Gegenbild zum Begriff der Erklärung überhaupt, zur Sprache als einem diskursiven Instrument solcher Erklärung, zur Rationalität als Projekt der Erklärung. Das Verstehen von Sprache und Magie hat mit Erklärung nichts zu tun. Es funktioniert auf andere Weise. Um dies zu erläutern müssen wir wissen, was Magie in einem positiven Sinne – d. h. nicht nur als wissenschaftlicher Irrtum – für Wittgenstein darstellt. Die Antwort lautet, Magie ist Sprache oder doch eine Vorform von Sprache. In meinem dritten Schritt verknüpfe ich dies mit einer viel allgemeineren These, für die ich hier nicht ausführlicher argumentieren kann. Es ist die These, dass Wittgenstein nicht eigentlich eine bestimmte Theorie der semantischen Bedeutung vertritt, die Gebrauchstheorie der Bedeutung, wie sie oft genant wird, sondern vielmehr eine bestimmte Auffassung von der Funktion des Ausdrucks deutlich zu machen versucht. Er ersetzt die semantische Bedeutung durch die Bedeutsamkeit eines Ausdrucks. Magie ist ursprüngliches rituelles Ausdrucksverhalten; in unserem Sprachgebrauch tun wir in gewissem Sinne immer noch dasselbe. Deshalb ist die Magie keinesfalls irregeleitete Wissenschaft, sondern eine höchst bedeutungsvolle Praxis. Darauf weist auch das Motto, das dem Kringel-Buch vorangestellt ist (KB Nr. 90): Der eine Narr, der Magier nämlich, kann mehr fragen als zehn Gescheite (d. h. wohl Wissenschaftler) erklären können.
1 Intellektualismus und Naturalismus Wittgensteins Kritik an Frazer, der noch zeitgleich mit ihm und bereits als eine Art lebendes Fossil am Trinity College in Cambridge lehrte, ist bekanntlich harsch und als Kritik der Person und des Werks nicht ganz gerechtfertigt. Die Kritik setzt im Kringel-Buch ziemlich unvermittelt ein, wenn Wittgenstein schreibt: ‚Frazers Darstellung der magischen & religiösen Anschauungen der Menschen ist unbefriedigend: sie läßt diese Anschauungen als Irrtümer erscheinen‘. (KB Nr. 100)
Frazer war über 100 Jahre lang ein überaus berühmter Anthropologe, in seiner öffentlichen Bedeutung vergleichbar vielleicht mit Levi-Strauss. Diesen Ruhm verdankte er seinem voluminösen Werk The Golden Bough, dessen erster Band 1890 erschien und das 1930 auf 13 Bände angeschwollen war. Im viktorianischen England stieß dieses Werk auf so große Resonanz, weil es ein Bedürfnis erfüllte,
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nämlich, wie Mary Douglas sagte, den menschlichen Geist sich selbst verständlich zu machen, und zwar bis zu den ersten Anfängen zurückgehend. Verständlich wurde der Geist dadurch, dass Frazer ihm, wie im 19. Jahrhundert üblich, eine rational-evolutionäre Entwicklung zuschrieb, die von einer magischen Anfangsphase über eine Phase der Religion ins Zeitalter der Wissenschaft reichte. Wenn Wittgenstein Frazer vorwirft, dass er die Magie zu erklären versucht, dann meint er damit, dass Frazer die Magie in einen solchen theoretischen Zusammenhang einfügt. Erklären heißt ja, eine Theorie aufstellen (PU § 109). Nun ist Frazers Theorie der Magie zu ihrer Zeit durchaus fortschrittlich insofern, als sie den sogenannten Primitiven oder Wilden im Gegensatz zu früheren Auffassungen prinzipiell für durchaus vernünftig erklärt und ihm dadurch auch Menschenwürde zuschreibt. Der Primitive ist vernünftig, weil er zweckrational denkt, dabei auch Prinzipien und Ideen an den Anfang setzt und aus ihnen logisch schlussfolgert. Man betrachte Frazers Beschreibung der Gedankengänge des Magiers im dritten Kapitel seines Buchs. Wenn wir die Grundlagen der Ideen im Einzelnen untersuchen, auf welchen die Magie beruht, so sehen wir, dass diese sich in zwei Teile gliedern: einmal, dass Gleiches wieder Gleiches hervorbringt, oder dass eine Wirkung ihrer Ursache gleicht; und dann, dass Dinge, die einmal in Beziehung gestanden haben, fortfahren aus der Ferne aufeinander zu wirken [...]. Aus dem ersten Grundsatz schließt der Magier, dass er allein durch Nachahmung jede Wirkung hervorbringen kann, die er hervorbringen will; aus dem zweiten folgert er, dass alles, was er einem stofflichen Gegenstand zufügt, ebenso auf die Person wirkt, die einmal mit diesem Gegenstand in Berührung gestanden hat. (Frazer 1977, S. 15f)
Zwar sind die Grundsätze nach heutiger wissenschaftlicher Auffassung falsch, aber das Verfahren der Folgerung und überhaupt auch die Absicht, auf die Natur einzuwirken und sie zu Gunsten eigener Interessen zu verändern, hat durchaus wissenschaftlichen Charakter. Die Magie ist daher, wie Frazer sagt, „ein unechtes System von Naturgesetzen“ (ebd.). Allerdings schränkt Frazer sogleich ein, dass der Primitive all dies nur implizit und gewissermaßen automatisch tue, „Er urteilt genauso wie er Speise verdaut“ und hat von Wissenschaft keinen Begriff. Wittgenstein sagt deshalb mit einer gewissen Berechtigung, dass in Frazers Darstellung die magischen Gebräuche „sozusagen als Dummheiten“ erscheinen (KB Nr. 102) Und zwar als Dummheiten vor dem Hintergrund eines einzigen, als richtig betrachteten Weltbildes, des modernen wissenschaftlichen. Ich möchte von hier aus einen Sprung machen in die analytische Philosophie des 20. Jahrhunderts. Auch hier ist eine Kontinuitätsthese verbreitet und gehört nach Auffassung einiger Wissenschaftstheoretiker sogar zu unseren „besten Theorien“. Die These nimmt, soweit ich sehe, zwei Formen an. Zum einen besagt die kausale Theorie der Referenz, die vor allem von Kripke und Putnam vertreten wurde, dass unsere Begriffe von sog. natürlichen Arten kausal durch die
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Fakten der Welt bestimmt sind, nicht durch unsere zufälligen oder sozial konstituierten Begriffsschemata, und dass sie also durch die Wissenschaft revidiert werden können und müssen.3 Der Begriff der natürlichen Art hat sich inzwischen auf „Arten überhaupt“ erweitert, sodass z. B. auch unsere Begriffe über Mentales von den natürlichen Gegebenheiten bestimmt sind, wie sie die Wissenschaft beschreibt. Die zweite Variante einer Kontinuitätsthese, der sog. „theory view of concepts“, der z. B. von Richard Boyd vertreten wird, besagt, dass unsere Alltagsbegriffe bereits primitive wissenschaftliche Theorien sind, die durch zunehmende Erfahrung und eben wissenschaftliche Kompetenz mehr und mehr in Richtung Wahrheit geschärft werden. Auch Kleinkinder sind demgemäß primitive Naturwissenschaftler, sodass jede ihrer Äußerungen eine implizite pseudowissenschaftliche Erklärung enthält.4 Frazer erscheint vor diesem Hintergrund als ein früher Naturalist: die Orientierung des Menschen in der Welt wird sozusagen rückwärts von den Wissenschaften her als ein Projekt der Erklärung aufgerollt. Insofern erscheinen in der Tat magische und auch religiöse Gebräuche und Überzeugungen als fast unbegreifliche Dummheiten, Denkfehler, denen nur mit mehr Wissenschaft und logischer Schulung abzuhelfen ist. Auch wenn wir heute dank unserer umfassenderen Kenntnis über den Einfluss von Weltbildern geneigt sind, gewisse Zugeständnisse zu machen, hat sich doch die Auffassung Frazers weitgehend durchgesetzt: Magie und Religion gelten als irregeleitete Versuche von Welterklärung. So dient die Auffassung, dass die Alchemie eine primitive und falsche Form der Chemie sei, inzwischen als Standardbeispiel der Wissenschaftstheorie. Vor diesem Hintergrund könnte Wittgensteins Kritik an Frazer durchaus Aktualität beanspruchen. Was setzt Wittgenstein dem Naturalismus nun aber entgegen?
2 Wittgensteins Antwort Im berühmten § 109 der Philosophischen Untersuchungen sagt Wittgenstein kategorisch: Wir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unseren Betrachtungen sein. Alle Erklärung muss fort und nur Beschreibung an ihre Stelle treten.
3 Vgl. Kripke 1980, Putnam 1981. 4 Vgl. dazu etwa die Positionen von Boyd 1991 und Griffiths 1997.
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Dies scheinen normative Forderungen und nicht Argumente gegen den Naturalismus. Wittgenstein setzt also nicht dem naturalistischen Erklärungsprojekt andere Erklärungen entgegen, sondern er fordert den Verzicht auf das Projekt als Ganzes. Unabhängig davon, ob und wie ein solcher Verzicht begründet werden kann, zeigt aber die Forderung selbst, dass eine Theorie der Magie, wie sie Frazer anbietet, in Wittgensteins Sinne nicht adäquat sein kann. Frazer will ja explizit die Magie erklären, indem er sie in eine Entwicklungstheorie integriert, Hypothesen über magische Bräuche formuliert und diese durch eine Fülle von empirischen Details zu bekräftigen versucht. Aber wenn dieses Vorgehen, das ja für unser Verständnis von Wissenschaft zentral ist, zu einer unzulässigen Desavouierung der Magie führt und ihr deshalb nicht adäquat ist, welche Adäquatheitskriterien legt Wittgenstein an und worauf zielt er ab? Eine Antwort wäre die folgende: Frazers Erklärung kann uns das magische Denken höchstens halbwegs plausibel, aber nicht verständlich machen. Verstehen ist nämlich nach Wittgenstein etwas, das nicht auf Erklärungen oder Plausibilisierungen beruht. Wenige Sätze vor der Frazerkritik im Kringel-Buch findet sich die folgende Bemerkung über „Verstehen“: Was ich ‚verstehen‘ nenne, wenn ich z. B. in einem Witzblatt eine Bildergeschichte sehe worin ein Radfahrer auf einer Straße fährt ist nicht, daß ich mir nun einen solchen wirklichen Radfahrer in der Phantasie eigens vorstelle, sondern ich gebe mich mit dem zufrieden was ich auf den Bildern sehe, wenn ich es auch anders sehe, als einer der keinen Radfahrer je gesehen hat. ‚Ah ja, da ist ein Radfahrer‘ sage ich & dokumentiere damit mein Verständnis. (KB Nr. 93)
Verstehen wäre demgemäß eine Form des Wiedererkennens, eine unmittelbare Bekanntschaft, die nicht auf eine Verdopplung durch Repräsentation angewiesen ist. Verfolgen wir diesen Gedanken, dann ist das Verständnis ein nicht-diskursiver Vorgang, der keiner Erklärung bedürftig oder auch nur fähig ist. In KB Nr. 139 des Kringel-Buchs weist Wittgenstein darauf hin, dass auch Frazer offenbar in diesem prädiskursiven Sinne versteht, was die Primitiven meinen, wenn er ihnen z. B. Furcht vor einem Geist zuschreibt. […] Er versteht also sehr wohl diesen Aberglauben da er ihn uns mit einem ihm geläufigen abergläubischen Wort erklärt. Oder vielmehr er hätte daraus sehen können daß auch in uns etwas für jene Handlungsweisen der Wilden spricht. […] (KB Nr. 139)
Hier funktioniert also die Frazer’sche „Erklärung“ von Handlungen mit der „Furcht vor einem Geist“ nur deshalb, weil der Ausdruck ein Wiedererkennen, ein Verständnis in uns auslöst. Worin genau dieser Vorgang besteht, z. B. wenn wir einen chiffrierten Satz, den wir gerade entziffern, und der uns eben noch undurchdringlich schien, plötzlich verstehen, beschäftigt Wittgenstein im Kringel-Buch ausführlich. Man könnte Verstehen geradezu als das große Thema dieses Buchs bezeich-
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nen – von den Schmerzen anderer, den seltsamen Aktionen der Mathematiker und Schachspieler bis zu den faszinierenden Gebräuchen sogenannter wilder Völker. Gerade die magischen Praktiken zeigen uns aber besonders deutlich, dass Erklärung, insbesondere diejenige Frazers, zum Verständnis nichts beiträgt. Frazers Theorie hat in der Tat, ebenso wie die modernen Auffassungen von Alchemie oder Religion, etwas Unplausibles. Wie kann es sein, fragt Wittgenstein, dass Menschen, die über Sprache, Literatur und Kunst verfügten, erfolgreich Getreide anbauten, Waffen schmiedeten und kompliziert strukturierte Sozialsysteme kannten, dies alles auf der Basis falscher naturwissenschaftlicher Theorien taten? Oder vergaßen sie die richtigen, wenn sie sich der Magie zuwandten? Die Erklärung der Magie als pseudowissenschaftliche Praxis macht die „Wilden“ unverständlich, anstatt sie uns näher zu bringen. Wollen wir die Wilden in Wittgensteins Sinne verstehen, müssen wir uns ihre Lebensform bekannt machen, und das geschieht durch Beschreibung. Ich glaube daß das Unternehmen einer Erklärung schon darum verfehlt ist weil man nur richtig zusammenstellen muß, was man weiß & nichts dazusetzen & die Befriedigung die durch die Erklärung angestrebt wird ergibt sich von selbst. […] (KB Nr. 104)
Angestrebt wird die Befriedigung des Verstehens, welche allein durch die Zusammenstellung des Bekannten, die übersichtliche Darstellung, man könnte auch sagen: die Komposition der Fakten zustande kommt. Wittgenstein behauptet also, dass wir die magischen Praktiken, die Frazer beschreibt, ganz unabhängig von dessen Erklärungen bereits verstanden haben, allein indem wir die Beschreibung lesen und „davon berührt“ sind. Die Faszination, die von der bloßen Beschreibung ausging, ist wohl auch der wahre Grund für die Popularität des Golden Bough, nicht etwa die Theorie, zu deren Bestätigung die Beschreibung dienen sollte. Was „verstehen“ wir aber von diesem Buch, unabhängig von der Erklärung? In seiner Sammlung beschreibt Frazer eine Unzahl von scheinbar bizarren Volksbräuchen als Ausdruck einer einzigen universellen Mythologie, die ihnen Sinn und Bedeutung verleiht: der als notwendig empfundenen Tötung des archaischen Priesterkönigs oder vielleicht in einem weiteren Sinne des rituellen Opfertodes zur Sicherung des Lebens. Ausgangspunkt ist die Legende vom Priesterkönig von Nemi, der jeweils von seinem Nachfolger ermordet werden muss. In düsteren Farben malt Frazer das Schicksal des jeweiligen Amtsinhabers aus, der, selbst ein Mörder, allzeit wachsam mit dem Messer in der Hand umherschleicht, um seinen zukünftigen Mörder zu töten. Die Beschreibung, sagt Wittgenstein, überzieht uns mit Schaudern, ein Gefühl, das ein Element von Verstehen (Wiedererkennen) enthält und übrigens verschwinden würde, hätten wir eine solide wissenschaftliche Erklärung an der Hand. Insofern
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spricht die Beschreibung zu uns oder vielmehr, etwas spricht in uns für sie, und nicht zufällig zeichnet Frazer die Situation in ihren schaurigen Details. Offenbar sollen wir „berührt“ sein, indem wir etwas an ihr wiedererkennen, und zwar, wie es scheint, als ein Faktum unseres Selbst. So erübrigt sich die Warum-Frage oder zumindest erhält sie einen ganz anderen, man würde heute vielleicht sagen psychologischen Sinn. […] Wenn Frazer anfängt & uns die Geschichte von dem Waldkönig von Nemi erzählt so tut er dies in einem Ton der zeigt daß er fühlt & uns fühlen lassen will daß hier etwas Merkwürdiges & Furchtbares geschieht. Die Frage aber ‚warum geschieht dies?‘, wird eigentlich dadurch beantwortet: weil es furchtbar ist. Das heißt dasselbe was uns bei diesem Vorgang furchtbar, großartig, schaurig etc. vorkommt nichts weniger als trivial & bedeutungslos vorkommt, das hat diesen Vorgang ins Leben gerufen. (KB Nr. 104)
Daher macht auch die bloße Zusammenstellung, und nicht die aufgepfropfte Erklärung das Faszinierende des Werks aus. Frazer also teilt uns das Wichtige nebenbei, unabsichtlich und untergründig mit, während seine Theorie nur von dieser Tatsache ablenkt und sie unkenntlich erscheinen lässt. Man kann also vermuten, dass Wittgenstein deshalb Frazers Buch für so bedeutend hielt, weil der Text und seine Geschichte in der Tat den Unterschied von Erklären und Verstehen so augenfällig macht. Wir müssen aber noch etwas genauer auf die Frage eingehen, was wir da eigentlich verstehen und auf welche Weise es uns verständlich gemacht wird. Es ist üblich, dass man magische Handlungen als symbolisch versteht, und eine der Defizite von Frazers Theorie ist, dass sie den Begriff des Symbols überhaupt nicht erfasst. Es scheint ja, als ob der primitive Naturwissenschaftler alles wörtlich so meinen müsse, wie er handelt, eben nur auf der Basis falscher Prinzipien und Überzeugungen. Wittgenstein macht darauf zurecht aufmerksam. Wenn etwa die Adoption in einem Kulturkreis dadurch geschieht, dass die Frau das Kind durch ihre Kleider zieht, dann ist es absurd anzunehmen, sie handle so auf Grund der Überzeugung, dass das tatsächlich, physisch gesehen eine Art Geburt sei. Dies hieße in der Tat, ihr ein unplausibles Ausmaß an Dummheit zuschreiben. Aber was heißt es, dass diese Handlung „symbolisch“ gemeint ist? Für Wittgenstein bedeutet dies nichts anderes, als dass die Handlung ein sprachlicher Akt ist, mit dem wir, wie er sagt, etwas bedeuten. Was ist hier mit dem Wort „Bedeutung“ gemeint? Betrachten wir den berühmten Passus aus den Philosophischen Untersuchungen, in denen er die sog. Gebrauchstheorie der Sprache einführt. Man kann für eine große Klasse von Fällen der Benützung des Wortes ‚Bedeutung‘ – wenn auch nicht für alle Fälle seiner Benützung – dieses Wort so erklären: Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache. (PU § 43)
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Man übersieht zu oft, dass Wittgenstein hier „nicht in allen Fällen“ sagt. Er sagt hier nämlich, dass in einigen Fällen Zeichen durchaus Gegenstände vertreten, wie er es auch mit dem primitiven Sprachspiel am Beginn der PU demonstriert hatte. Ähnlich muss man auch den symbolischen Akt der Adoption verstehen. Die Kleider der Frau vertreten sie selbst, das durch die Kleider Ziehen den Akt der Geburt, und die ganze Handlung sagt uns, d. h. den Zuschauern, dass hiermit das Kind als ein eigenes angenommen wurde. Es ist nach Wittgenstein dabei völlig überflüssig, zusätzliche Hypothesen anzunehmen, wie diejenige, dass auf einer anderen Ebene des Seins damit kausal etwas bewirkt worden wäre. Die Handlung ist ein performativer Akt, ebenso gültig wie eine verbale Äußerung der künftigen Adoptivmutter im geeigneten Kontext, etwa der Satz „Ich nehme dich hiermit an Kindes statt an“. Zwischen der verbalen und der „magischen“ Handlung besteht kein wesentlicher Unterschied: beides ist Sprache. Nun verstehen wir eine Adoption genau genommen nicht als magischen, sondern eher als kulturell definierten Akt, ähnlich wie die Taufe, während Prototyp von Magie nach unserem Verständnis vielmehr die Zauberei ist, wie etwa das Voodoo. Hier werden offenbar aus der Performation, also der symbolischen Handlung, nicht nur kulturelle, sondern physikalische Veränderungen erwartet. Indem man z. B. eine Puppe durchsticht, meint man den Menschen, den sie darstellt, zu töten; indem man ein bestimmtes Wort, etwa einen Fluch ausspricht, meint man, den physikalischen Lauf der Dinge beeinflussen zu können. Schon diese Beschreibung des Falls zeigt, wie sehr uns Frazer’sche Erklärungen in Fleisch und Blut übergegangen sind. Selbstverständlich nehmen wir an, dass der Voodooist eine Hypothese von der Art vertritt, wie sie Frazer zu Beginn seines Werkes nennt: Ähnliches hängt kausal zusammen, sodass ein Einfluss auf das eine auch das andere erreicht. Wittgenstein bestreitet die Existenz und Wirksamkeit einer solchen Hypothese. Vielmehr betrachtet er magische Praktiken als analog zu anderen, die uns geläufiger sind. In effigie verbrennen. Das Bild der Geliebten küssen. Das basiert natürlich nicht auf einem Glauben an eine bestimmte Wirkung auf die Gegenstände die die Bild darstellt. Es bezweckt eine Befriedigung & erreicht sie auch. Oder vielmehr, es bezweckt gar nichts, wir handeln eben so & fühlen uns danach befriedigt. (KB Nr. 115)
In solchen Fällen haben wir Dinge gewissermaßen zu Namen für Gegenstände erklärt und vollziehen nun die entsprechenden Handlungen an den Namen mit demselben Ergebnis. Daher gilt: „Man könnte auch den Namen der Geliebten küssen & hier wäre die Stellvertretung durch den Namen klar“. (KB Nr. 116) Aber heißt diese Stellvertretertheorie nicht eben doch, dass hier eine Wirkung auf der Ebene der vertretenen Gegenstände erwartet wird? Wittgenstein weist diese Möglichkeit nicht gänzlich zurück. Magie ist nicht Sprache überhaupt, sondern,
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könnte man sagen, eine bestimmte Satzform, sie äußert Wünsche. Der Wunsch aber bezieht sich häufig auf eine Veränderung der physikalischen Umgebung. Würde man des Durchstechen der Puppe sprachlich übersetzen, so müsste man daraus einen Wunschsatz machen. In diesem Satz würde die Puppe durch den Namen des Betreffenden ersetzt, das Durchstechen durch das Wort Töten, und die Handlung selbst würde dann wiedergegeben werden müssen durch den Satz: „Ich wünsche mir, dass Soundso stirbt“. Mit dem Akt des Durchstechens der Puppe „bedeutet“ man der Wirklichkeit, dass sie sich entsprechend verändern solle, und diese Art des Bedeutens ist mehr als bloße Information. Dennoch steckt hinter ihr keine Hypothese, sondern ein intensiver Wunsch. In diesem Sinne also gilt, dass die Magie „auf der Idee des Symbolismus & der Sprache“ beruht (KB Nr. 119) und dass „die Magie [...] einen Wunsch zur Darstellung [bringt]; sie äußert einen Wunsch“ (KB Nr. 120). Wittgensteins Beschreibung der Magie macht weitere Kausalannahmen oder Schlussfolgerungen seitens des Magiers überflüssig. Darüber hinaus aber zeigt sie eine Verwandtschaft zwischen magischen Akten und einer Satzform, den Wunschsätzen auf. Mag sein, dass die magische Wunschhandlung besonders intensiv ist oder auch dass sie quasi „näher“ am Original ist, weil sie nicht durch Wörter, sondern durch Gegenstände handelt. Das Strukturprinzip hinter beiden Handlungsformen ist jedoch dasselbe. Das bedeutet aber nun für Wittgenstein auch in einem generelleren Sinne, dass Sprache als Magie zu verstehen ist, und dass eine Analyse der Sprache ihren im Grunde magischen Charakter sichtbar machen muss. Im Kringel-Buch deutet Wittgenstein dies auf verschiedene Weise an, insbesondere in KB Nr. 188. Er bezieht sich dort auf „falsche Ideen über das Funktionieren der Sprache und nennt dabei insbesondere C.D. Broad. Broad soll gesagt haben, die Aussage, etwas werde eintreten, sei kein Satz, vermutlich weil sie keine Tatsache abbildet. Wittgenstein kommentiert: […] Die Magie mit Wörtern. Ein Satz, wie der Broads5, kommt mir so vor, wie ein Versuch eine chemische Änderung zu bewirken; indem man den Substanzen, quasi, zu verstehen gibt, was sie tun sollen (wenn man etwa Eisen in Gold überführen wollte indem man ein Stück Eisen mit der rechten Hand faßte & zugleich ein Stück Gold mit der linken) Hand faßte). (KB Nr. 188)
Sprache „gibt etwas zu verstehen“ – das ist ihre wesentliche, praktische Funktion. Sie tut dies, indem sie Stellvertreter in Beziehungen setzt, mit ihnen etwas macht, das wirklichen Beziehungen gleicht, dies alles für Wesen, die ähnliche Erfahrungen haben, die Ähnlichkeiten als Ausdruck ihrer selbst wiedererkennen
5 Gemeint ist natürlich der Satz, etwas werde eintreten.
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und also verstehen. Sprache ist, wie Wittgenstein im Kringel-Buch behauptet, faktisch aus Magie entstanden und ist immer noch eine Form der Magie. Unsere Sprache ist eine Verkörperung alter Mythen. Und der Ritus der alten Mythen war eine Sprache. (KB Nr. 157)
Dies ist der eigentliche Grund, weshalb Wittgenstein im berühmten § 43 der PU die Gebrauchsfunktion der Sprache nur eingeschränkt behauptet: nicht in allen Fällen ist die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch, nämlich nicht dort, wo das Wort eine Stellvertreterfunktion erfüllt. Dann aber ist Sprechen analog zum symbolischen Verbrennen einer Strohpuppe bei Beltanefesten, wie sie Frazer in vielen Varianten beschreibt. Frazer selbst, von seinem eigenen Naturalismus geblendet, verkennt dieses performative Element völlig, obwohl er gleichzeitig unbewusst damit spielt und dadurch erst das Verständnis seiner Leser hervorruft.
3 Ausdruck statt Bedeutung Wenn Wittgenstein im Kringel-Buch das Wort „Bedeutung“ verwendet, dann oft in dem schon erwähnten eigenartigen Sinn. Er sagt also, dass uns etwas „bedeutend“ oder „bedeutsam“ wird oder dass eine magische Handlung den Tatsachen gleichsam „bedeute“, sich ihr anzubequemen. Die magische Heilung einer Krankheit bedeutet man ihr sie möge den Patienten verlassen. (KB Nr. 124)
Wittgenstein meint hier offensichtlich nicht Bedeutung im Sinne eines semantischen Feldes, gewissermaßen als ein Nimbus, der ein Wort umgibt. In den PU wird er ausdrücklich sagen, dass „der allgemeine Begriff der Bedeutung der Worte das Funktionieren der Sprache mit einem Dunstkreis umgibt“ (PU § 5) Der Begriff der Bedeutung, wie er ihn im Kringel-Buch verwendet, hat dagegen mit der Funktion der Wörter als unmittelbarem Ausdruck zu tun. Dies ist die für die Wittgenstein’sche „Bedeutungstheorie“ entscheidende Funktion. Die verbreitete Annahme, Wittgenstein vertrete in den PU eine „Gebrauchstheorie der Bedeutung“, geht deshalb fehl, solange sie immer noch die Existenz eines Dunstkreises, eines semantischen Feldes, voraussetzt, das durch den Gebrauch „konstiuiert“ werde. Meine These, für die ich an dieser Stelle nur rudimentär argumentieren kann, lautet, dass es für Wittgenstein eine solche Bedeutung im semantischen Sinne nicht gibt. Bedeutung in diesem Sinne ist für ihn ein philosophischer Mythos, der sich nur durch die praktische Analyse des Gebrauchs verflüchtigt.
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Der Sinn und Zweck von Wittgensteins Argumenten besteht dann darin zu zeigen, dass sich Bedeutung in Ausdruck erschöpft. Ausdruck ist der Gebrauch von Zeichen (darunter fallen nun auch Gesten oder rituelle Handlungen) als Mitteilung, etwa in dem Sinne, wie „Aua“ Ausdruck und Mitteilung von Schmerzempfinden ist. Interessanter Weise ist die Mitteilungsfunktion jedoch nicht an Personen gebunden, die damit einen kommunikativen Zweck verfolgen. Auch Dinge oder Vorgänge in der Natur können in diesem Sinne etwas ausdrücken, mitteilen oder „bedeutsam“ werden, allerdings wohl für einen Beobachter. Wenn Wittgenstein also eine „Gebrauchstheorie der Bedeutung“ vertritt6, dann ist es eine Theorie ohne semantische Bedeutung, also nicht etwa eine Theorie, die uns sagt, wie semantische Felder entstehen oder verwendet werden. Im Kringel-Buch und insbesondere in den Bemerkungen über Frazer wird meines Erachtens besonders deutlich, wie das gemeint ist. Der grundliegende Akt, den Wittgenstein hier und an anderen Stellen als kennzeichnend für das Auftreten von Bedeutsamkeit nennt, ist das Staunen. Staunen ist eine besondere Betrachtungsweise, die sich von der wissenschaftlichen Betrachtungsweise oder Erklärung fundamental unterscheidet. Indem ich nach einer wissenschaftlichen Erklärung suche, habe ich aufgehört, zu staunen und umgekehrt. Im Vortrag über Ethik heißt es, Staunen bedeute, die Welt als Wunder „in einem absoluten Sinne“ zu betrachten. Damit ist gemeint, dass man die Welt als solche nicht mehr als eine bloße Sammlung von Fakten, sondern als „bedeutsam“ erlebt. Wird dieses Gefühl der Bedeutung durch andere Tatsachen erklärt oder auf diese relativiert, und seien es psychologische, so verschwindet es. Nach Auffassung Wittgensteins liegt diese Erfahrung des Staunens, das Erleben der Welt als bedeutsam oder als Wunder, der Entwicklung von Sprache zugrunde. Im Vortrag über Ethik wird das ohne weitere Erläuterung angedeutet. So sagt Wittgenstein hier: Nun bin ich versucht zu sagen, der richtige sprachliche Ausdruck für das Wunder der Existenz der Welt sei kein in der Sprache geäußerter Satz, sondern der richtige Ausdruck sei die Existenz der Sprache selbst (VE 18).
Diese Idee wird im Kringel-Buch genauer ausgeführt. In einer Linie mit Satz 6.41 des Tractatus7 und den Argumenten im Vortrag über Ethik8 heißt es dort, dass keine Erscheinung an sich besonders geheimnisvoll sei. Jedoch formuliert Wittgenstein nun eine Entwicklungshypothese eigener Art, wenn er fortsetzt:
6 Wogegen allerdings spricht, dass „wir [...] keinerlei Theorie aufstellen“ dürfen (PU § 10). 7 „In der Welt ist alles, wie es ist, und geschieht alles, wie es geschieht; es gibt in ihr keinen Wert ...“ 8 Vgl. etwa „Denn welche Tatsache man sich auch vorstellen mag, als solche hat sie nichts Wunderbares im absoluten Sinne dieses Ausdrucks an sich“ (VE 17f).
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aber jede kann es uns werden & das ist eben das Charakteristische am erwachenden Geist des Menschen daß ihm eine Erscheinung bedeutend wird. (KB Nr. 135)
Wird eine Erscheinung bedeutend, so ist sie nicht mehr einfach nur bestehendes Faktum mit wissenschaftlichem Erklärungspotential; vielmehr spricht sie zu uns, drückt etwas aus, sagt etwas, wird zum Symbol für etwas anderes, kurz: wird Sprache. Mit dem Erlebnis der Bedeutsamkeit verknüpft sich daher eine erste Erkenntnis des Funktionierens von Symbolen, die der Mensch in Riten, Zeremonien, und Gebräuche umsetzt. Die natürlich, Bedeutsamkeit wird im Ritual aufgegriffen, mit ihm wird nun bewusst etwas bedeutet. Ist dies die Urfunktion sowohl der Magie wie der Sprache, dann können wir uns, wie Wittgenstein im KringelBuch sagt, leicht selbst primitive Gebräuche erdichten, „und es müsste ein Zufall sein, wenn sie nicht irgendwo wirklich gefunden würden“. Die Sachen selbst geben also nicht notwendig ihre Möglichkeiten vor, als Ausdruck zu dienen; sie tragen keinen Nimbus semantischer Bedeutung um sich. So kann man sich verschiedene Ausdrucksformen der Pietät denken, die durchaus gegensätzlich sein können: das Verehrungswürdige und die Einzigartigkeit des Königs etwa ließe sich ausdrücken, indem niemand ihn sehen darf, oder alle ihn berühren müssen, er auf einem hohen Thron sitzt, eine Krone trägt etc. Während jedoch solche Bedeutsamkeiten konventionell festgelegt werden können, gilt dies für das folgende Beispiel nicht: […] Denken wir daran daß nach Schuberts Tod sein Bruder Partituren Schuberts in kleine Stücke zerschnitt & seinen Lieblingsschülern solche Stücke von einigen Takten schen gab. Diese Handlung als Zeichen der Pietät ist uns ebenso verständlich wie die andere die Partituren unberührt niemandem zugänglich aufzubewahren. Und hätte Schuberts Bruder die Partituren verbrannt so wäre auch das als Zeichen der Pietät mö verständlich. […] (KB Nr. 132)
Wittgenstein versteht solche Handlungen als sprachliche Akte, die bedeutsam sind, insofern sie auf etwas verweisen, mit dem sie in gewisser Weise in Strukturverwandtschaft stehen. Es ist ein Prinzip, das Wittgenstein schon im Tractatus beschreibt, wenn er in Satz 4.014 nach der Einführung der abbildenden internen Beziehung sagt: (Wie im Märchen die zwei Jünglinge, ihre zwei Pferde und ihre Lilien. Sie sind alle in gewissem Sinne eins.) (TLP 4.014)
Das Beispiel zeigt, weshalb wir hier nicht von einer Bedeutung der Zeichen an sich, also einer Bedeutung im semantischen Sinne sprechen können. Zwei Pferde verweisen nicht an sich auf zwei Lilien oder Jünglinge – der Ausdruckszusammenhang wird im literarischen Kontext hergestellt und besteht nur dort. Ebenso bedeutet das Zerschneiden einer Partitur nicht an sich Pietät, vielmehr mag er in
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anderem Zusammenhang von Aggression, Rache oder Gleichgültigkeit sprechen. Wir verstehen jedoch das Zerschneiden der Partitur als Akt der Pietät, weil und insofern wir ihm auf Grund des Kontexts und eigener Erfahrung Erlebnisdimensionen zuordnen können, deren Ausdruck er ist und auf die er verweist. Verstehen heißt dann im bereits erwähnten Sinn nicht erklären, sondern wiedererkennen. Die Bedeutsamkeit der Handlung eröffnet dabei einen Raum des Ausgedrückten, der uns vielleicht erst durch diesen Akt selbst zugänglich wird oder zum Bewusstsein kommt, also eine Art Urerlebnis („Staunen“) enthält. Metaphorisch könnte man sagen, dass Ausdruck, und das gilt nun natürlich vor allem für künstlerischen Ausdruck, „in die Tiefe“ reicht, während die Erklärung, indem sie von Tatsache zu Tatsache fortschreitet, immer auf der horizontalen Oberfläche verbleibt. Die Dinge werden „dem erwachenden Geist“ also bedeutsam, weil und insofern er sie als Ausdruck von etwas anderem versteht, als Realisierung oder Epiphanie einer anderen Realität. Während nun Wittgenstein im Vortrag über Ethik ausdrücklich die psychologische Erklärung unter die wissenschaftliche subsumiert und also eben als Erklärung, nicht als geeignete Tiefendimension versteht, scheinen die Beispiele im Kringel-Buch in eine etwas andere Richtung zu deuten. Die Magie, wie überhaupt menschliche Rituale, deutet Wittgenstein in einem eher psychoanalytischen Sinne als Ausdruck von Wünschen oder Gefühlen. So „bedeutet“ der Akt des Zerschneidens der Partitur das Gefühl der Trauer über den Verlust eines großen Musikers, und das Durchstechen einer Puppe den Wunsch, der Dargestellte möge sterben. Insofern Riten, Zeremonien und Gebräuche strukturierte Abläufe von Handlungen sind, bilden sie ein Ausdrucks- oder Verweisungssystem, das mit Wünschen und Gefühlen gefüllt werden kann; nämliches gilt dann in einem verwässerten und vielfach unkenntlich gewordenen Sinne auch vom Gebrauch von Wörtern in Sätzen. Alles Rituelle, Sprache eingeschlossen, ist deshalb notwendig ständig von Bedeutungsverlust bedroht: während Funktion des Ritus der Ausdruck eines unmittelbaren Erlebens ist, kann er diese nur erfüllen, indem es das Erleben in eine mehr oder weniger starre Form gießt. Das Zerschneiden der Partitur ist tatsächlich gerade noch kein Ritus, sondern ein lebendiger, kontextabhängiger Ausdruck (heute würde man sagen: eine Performance), der dennoch einen gewissen zeremoniellen Charakter hat. Dagegen ist die Begräbniszeremonie der katholischen Kirche ein starrer Ritus, der mit Gefühl gefüllt werden kann oder nicht, der etwas ausdrücken, aber auch leer bleiben kann. In einer der zum übrigen Text scheinbar inkonsistenten Bemerkungen sagt Wittgenstein deshalb: Alles Rituelle (quasi Hohepriesterliche) ist streng zu vermeiden weil es sofort fault [weil es unmittelbar // in Fäulnis übergeht]. (KB Nr. 67)
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Und schon der Ritus des Küssens unterliegt dieser Gefahr: der Kuss, obwohl Ritus, fault nicht, wie Wittgenstein einen Satz später bemerkt, aber eben nur deshalb, weil er „nur soviel Ritus [...] erlaubt als so echt ist wie ein Kuss“ (KB Nr. 68).Die Bedeutsamkeit der Rituale bleibt deshalb nur so lange erhalten, als sie nicht zur bloßen Zeremonie werden, zur reinen Gebrauchshandlung, die keinem Ausdruck mehr dient. In diesem Sinne also gilt, dass die Bedeutung eines Symbols nur sein aktueller Gebrauch in einer Zeremonie ist, die dem Ausdruck von Lebensfunktionen dient. Daraus folgt, dass nicht darüber hinaus noch etwas mit dem Symbol „gemeint“ werden könnte, das diesem selbst anhaftet, sich festschreiben ließe und als dessen „Bedeutung“ gehandelt werden könnte. Zwar müssen wir gewisse Festsetzungen treffen, wir müssen etwas wie einfache Namen einführen, um den Gebrauch unserer Symbole und symbolischen Handlungen an die Wirklichkeit zu heften. Die Bedeutung eines Zeichens aber ist die Wirklichkeit seines Gebrauchtwerdens als Ausdruck. Bemerkenswert ist hier die Etymologie, die Wittgenstein den Wörtern „Gebrauch“ und „Ausdruck“ zuschreibt: Der Ausdruck ist ursprünglich nicht etwa ein sprachliches Zeichen oder eine Zeichenkette (er verwendet allerdings das Wort im Kringel-Buch gelegentlich auch in diesem Sinn), sondern Ausdruck von etwas „Innerem“, Bedeutsamen. Ebenso ist auch der Gebrauch nicht bloß die Verwendung von sprachlichen Zeichen, sondern ein Ritual, das auch im Plural, die Gebräuche, stehen kann und das dem Ausdruck dient. Gehen wir von hier aus zurück zur naturalistischen Semantik mit ihrer These, dass die Bedeutung von Wörtern von den Dingen, auf die wir mit den Wörtern referieren, und letztlich von den besten wissenschaftlichen Theorien über diese Dinge bestimmt wird. Was würde Wittgenstein darauf antworten? Zwar setzt er voraus, dass wir mit Wörtern auf Dinge und auch auf „natürliche Arten“ Bezug nehmen können, denn nur so können wir einen gemeinsamen Wortgebrauch etablieren. Was wir mit diesen Stellvertretersymbolen ausdrücken, ist jedoch nicht oder jedenfalls nicht nur von diesen selbst oder den natürlichen Fakten bestimmt. Es hieße vielmehr die ganze Dimension der Humanität (den „erwachenden Menschengeist“) negieren, wollte man fordern, dass nur Faktizität für uns Geltung hat. Unsere Meinungen und Theorien über die Dinge selbst sind vielmehr für unser Ausdrucksverhalten mehr oder weniger irrelevant. Nicht nur hatte Schuberts Bruder keine Theorie, als er die Partitur zerschnitt, der Akt wird auch nicht durch eine Theorie über ihn, etwa über seinen Gehirnzustand verständlich. Die Bedeutung eines Wortes ist daher auch nicht die beste wissenschaftliche Theorie über das entsprechende Ding, sondern sein ausdrucksvoller Gebrauch in der Sprache.
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4 Literatur Boyd, R.: “Realism, anti-foundationalism, and the enthusiasm for natural kinds”. In: Philosophical Studies Vol. 61, 1991, 127–148. Cioffi, Frank: Wittgenstein on Freud and Frazer. Cambridge 1998. Clack, Brian R.: Wittgenstein, Frazer and Religion. New York 1999. Douglas, Mary: “Judgments on James Frazer”. In: Daedalus, Vol. 107, 1978, No. 4, 151–164. Frazer, James George: The Golden Bough. A Study in Magic and Religion (abridged edition), New York 1922. Deutsche Ausgabe: Der goldene Zweig. Eine Studie über Magie und Religion. Frankfurt am Main 1977. Gebauer, Gunter: Wittgensteins anthropologisches Denken. München, 2009. Griffiths, P.E.: What Emotions Really Are: The Problem of Psychological Categories. Chicago / London 1997. Kripke, Saul: Naming and Necessity. Cambridge, Mass. 1980. Lara, Philippe de: “Wittgenstein as Anthropologist: The Concept of Ritual Instinct”. In: Philosophical Investigations Vol. 26, 2003, No.2, 109–124. Putnam, Hilary: Reason, Truth and History. Cambridge 1981. Rudich, Norman / Strassen, Manfred: “Wittgenstein’s Implied Anthropology: Remarks on Wittgenstein’s Notes on Frazer”. In: History and Theory Vol. 10, 1971, No. 1, 1971, 84–89. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus logico-philosophicus [=TLP], Tagebücher 1914–1916 [=TB], Philosophische Untersuchungen [=PU], Frankfurt am Main 1984 [= Werkausgabe Band 1]. Wittgenstein, Ludwig: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Herausgegeben von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 1989 [=VE]. Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, transkribiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt. München 2011 [vorläufige, unveröffentlichte Proto-Edition] [=KB].
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Was ist eine rituelle Handlung? Religionsphilosophische Überlegungen Am Anfang seiner Confessiones – nach Wittgensteins Urteil möglicherweise das „ernsteste Buch, das je geschrieben wurde“1 – konfrontiert Augustinus uns mit folgender Alternative: Was ist früher, Gott anzurufen oder von ihm zu wissen? Kann man ihn anrufen, ohne von ihm zu wissen? Oder ruft man ihn an, damit man von ihm weiß? Wittgenstein lehnt die erste Möglichkeit ab. Das Gebet beruht nicht auf der vorgängigen Überzeugung, dass Gott existiert. Die Frage, ob Augustinus im Irrtum war, „wenn er Gott auf jeder Seite der Confessiones anruft“ (KB Nr. 101 =MS110,178/3 =BFG-I 118), ist sinnlos. „Vielmehr ist das Charakteristische einer rituellen Handlung gar keine Ansicht, Meinung, ob sie nun richtig oder falsch ist“ (KB Nr. 135 =MS110,198/1 =BFG-I 128). Aber was ist dann das Charakteristische einer rituellen oder religiösen Handlung? Was tut Augustinus, wenn er Gott anruft und ihn preist? Wittgenstein geht für seine Antwort von einer falschen, irrtümlichen These aus. „Man muss beim Irrtum ansetzen und ihn in die Wahrheit überführen. D. h. man muss die Quelle des Irrtums aufdecken, sonst nützt uns das Hören der Wahrheit nichts. Sie kann nicht eindringen, solange etwas anderes ihren Platz einnimmt“ (KB Nrr. 95-96 =MS110,58/2-3 =BFG-I 118). Welcher Irrtum muss überwunden werden? Welcher Methode bedient Wittgenstein sich, um den Irrtum in die Wahrheit zu überführen? Was ist die Quelle des Irrtums?
1 Sir James George Frazer (1854–1941) war ein einflussreicher Anthropologe und Völkerkundler. Sein bekanntestes Werk ist The Golden Bough. A Study in Magic and Religion (1890). Frazer vertritt dort eine Fortschrittstheorie. Aus dem magischen entwickelt sich das religiöse und aus diesem das wissenschaftliche Denken. Magie und Religion sind für Frazer ein auf wissenschaftlichen Irrtümern beruhender Versuch, die Herrschaft über die Natur zu gewinnen. Das Charakteristische ritueller Handlungen, so fasst Wittgensteins Frazers Position zusam-
1 Rhees 1981, 105.
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men, sei, dass sie „aus fehlerhaften Anschauungen über die Physik der Dinge entsprängen […] Magie sei wesentlich falsche Physik bzw. falsche Medizin, Technik, etc.“ (KB Nr. 135 =MS110,198/1 = BFG-I 128). „Frazers Darstellung der magischen und religiösen Anschauungen der Menschen ist unbefriedigend: sie lässt diese Anschauungen als Irrtümer erscheinen“ (KB Nr. 100 =MS110,178/2 =BFG-I 118). „Es ist sehr merkwürdig, dass alle diese Gebräuche endlich sozusagen als Dummheiten dargestellt werden“ (KB Nr. 102 =MS110,178/4 =BFG-I 118). Der erste Schritt auf dem Weg zur Wahrheit ist eine Warnung. „Es ist eine Haupttätigkeit der Philosophie, vor falschen Vergleichen zu warnen“ (KB Nr. 57 =MS109,174/2; nicht in BFG-I). Beruht der Irrtum vielleicht darauf, dass hier Dinge miteinander verglichen werden, die man nicht vergleichen kann? Um das zu klären, genügt es, „richtig zusammenzustellen […], was man weiß“ (KB Nr. 104 =MS110,179/2 =BFG-I 120). Stellen wir also einige Tatsachen zusammen und erinnern wir uns an Selbstverständliches. „Derselbe Wilde, der anscheinend, um seinen Feind zu töten, dessen Bild durchsticht, baut seine Hütte aus Holz wirklich und schnitzt seinen Pfeil kunstgerecht und nicht in effigie“ (KB Nr. 117 =MS110,182/5 =BFG-I 124). „Ich lese […] von einem Regenkönig in Afrika, zu dem die Leute um Regen bitten, wenn die Regenperiode kommt. Aber das heißt doch, dass sie nicht eigentlich meinen, er könne Regen machen, sonst würde sie es in der trockenen Periode des Jahres […] machen […] Gegen morgen, wenn die Sonne aufgehen will, werden von den Menschen Riten des Tages zelebriert, aber nicht in der Nacht, sondern da brennen sie einfach Lampen“ (KB Nr. 168 =MS110,297/2 =BFG-I 136). Warum kommen die Menschen nicht früher darauf, „dass es ohnehin früher oder später regnet“ (KB Nr. 103 =MS110,179/1 =BFG-I 120)? Wenn eine Handlungsweise auf einem Irrtum beruht, dann genügt es im Allgemeinen, „den Menschen auf seinen Irrtum aufmerksam zu machen, um ihn von seiner Handlungsweise abzubringen. Aber das ist doch bei den religiösen Gebräuchen eines Volkes nicht der Fall und darum handelt es sich eben um keinen Irrtum“ (KB Nr. 102 =MS110,178/4 =BFG-I 120). Frazers Erklärung, so ein weiterer Schritt Wittgensteins, wird dem zu erklärenden Phänomen nicht gerecht. „Wenn Frazer anfängt und uns die Geschichte von dem Waldkönig von Nemi erzählt, so tut er dies in einem Ton, der zeigt, dass er fühlt und uns fühlen lassen will, dass hier etwas Merkwürdiges und Furchtbares geschieht“ (KB Nr. 104 =MS110,179/2 =BFG-I 120). Warum geschieht es? Weil dadurch ein Zweck erreicht werden soll? Diese „Erklärung ist im Vergleich mit dem Eindruck, den uns das Beschriebene macht, zu unsicher“ (KB Nr. 106 =MS110,180/3 =BFG-I 122). Sie kann nicht ausgeschlossen werden, aber der Eindruck, den das Geschehen auf uns macht, legt sie nicht nahe. Frazers Erklärung widerspricht seiner Darstellung. Sein Ton verrät, dass er nicht zeigen will, hier werde eine zweckrationale Handlung vollzogen. Vielmehr will er in uns den
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Eindruck hervorrufen, hier geschehe etwas Merkwürdiges und Furchtbares; er will uns mit diesem Merkwürdigen und Furchtbaren konfrontieren. Damit hat er aber auch die Frage beantwortet: „warum geschieht dies?“. Es geschieht, „weil es furchtbar ist. Das heißt, dasselbe, was uns bei diesem Vorgang furchtbar, großartig, schaurig, tragisch etc., nichts weniger als trivial und bedeutungslos vorkommt, das hat diesen Vorgang ins Leben gerufen“ (KB Nr. 104 =MS110,179/2 =BFG-I 120).
2 Wo ist „die Quelle des Irrtums“ zu suchen? „Ich glaube, dass das Unternehmen einer Erklärung schon darum verfehlt ist, weil man nur richtig zusammenstellen muss, was man weiß und nichts dazusetzen, und die Befriedigung, die durch die Erklärung angestrebt wird, ergibt sich von selbst“ (KB Nr. 104 =MS110,179/2 =BFG-I 120). Die Erklärung ist etwas, das wir zu dem, was wir wissen, hinzufügen, und sie erreicht nicht die Befriedigung, die sie anstrebt. Die richtige Methode ist, was wir wissen richtig zusammenzustellen und ihm nichts hinzuzufügen. Die Erklärung geschieht durch eine Hypothese, und Wittgenstein äußert den Gedanken, „dass die Hypothese (unrichtig aufgefasst) schon eine Fälschung der Wahrheit ist“ (KB Nr. 161 =MS110,257/4; nicht in BFG-I). Aber wann stellen wir das, was wir wissen, richtig zusammen? Wittgenstein zitiert aus Goethes Die Metamorphose der Pflanzen. „‚Und so deutet der Chor auf ein geheimes Gesetz‘ möchte man zu der Frazerschen Tatsachensammlung sagen“ (KB Nr. 159 =MS110,256/5 =BFG-I 132). Die richtige Zusammenstellung der Tatsachen ist also die, welche das von den Tatsachen angedeutete Gesetz, die Idee, sichtbar macht. Aber welche Zusammenstellung ist das? „Das Gesetz, diese Idee, kann ich nun durch eine Entwicklungshypothese ausdrücken“. Aber die „historische Erklärung, die Erklärung als eine Hypothese der Entwicklung, ist nur eine Art der Zusammenfassung der Daten“ (KB Nr. 144 =MS110,225/3 =BFG-I 130). Die Entwicklungshypothese ordnet die Tatsachen in einer zeitlichen Abfolge. Diese Anordnung ist möglich, aber ich kann den Entwicklungsprozess nicht sehen, und insofern ist diese Anordnung eine bloße Hypothese. Eine zweite Möglichkeit wäre, das Gesetz oder die Idee „analog dem Schema einer Pflanze durch das Schema einer religiösen Zeremonie“ (KB NR. 159 =MS110, 256/5 =BFG-I 132) darzustellen. Lassen wir die Frage offen, was das Schema einer religiösen Zeremonie ist, und halten wir lediglich fest, dass es mit dem Schema einer Pflanze verglichen wird. Im Unterschied zu einem Entwicklungsprozess habe ich die Pflanze als Ganzes vor meinen Augen. Während bei einem Entwick-
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lungsprozess die spätere Phase aus der früheren hervorgeht und gegenüber der früheren den vollkommeneren Zustand darstellt, bilden bei der Pflanze die verschiedenen Teile eine organische Einheit; sie sind aufeinander angewiesen; nur durch ihr Zusammenwirken kann die Pflanze leben. Wittgenstein nennt eine dritte Möglichkeit, das geheime Gesetz, auf das die Tatsachen hindeuten, darzustellen: „oder aber durch die Gruppierung des Tatsachenmaterials allein in einer ‚übersichtlichen‘ Darstellung“. Hier wird sowohl auf eine Hypothese wie auch auf ein Schema verzichtet; damit ist die Forderung, dass man „nichts dazusetzen“ (KB Nr. 104 =MS110,179/2 =BFG-I 132) darf, erfüllt; wir haben es mit dem Tatsachenmaterial allein zu tun. Die richtige Gruppierung ist die übersichtliche Darstellung, und sie ergibt sich daraus, dass wir die Zusammenhänge sehen. „Die übersichtliche Darstellung vermittelt das Verständnis, welches eben darin besteht, dass wir ‚die Zusammenhänge sehen‘“ (PU § 122). Die „Quelle des Irrtums“, so hat sich ergeben, ist, dass die Tatsachen nach einer Entwicklungshypothese zusammengestellt werden. Das ist jedoch nur die Folge einer weiteren, tiefer liegenden Ursache. „Welche Enge des seelischen Lebens bei Frazer! Daher: Welche Unmöglichkeit, ein anderes Leben zu begreifen als das englische seiner Zeit“ (KB Nr. 127 =MS110,184/1 =BFG-I 124). „Frazer ist viel mehr savage als meisten seiner savages, denn diese werden nicht so weit vom Verständnis einer geistigen Angelegenheit entfernt sein wie ein Engländer des 20. Jahrhunderts. Seine Erklärungen der primitiven Gebräuche sind viel roher als der Sinn dieser Gebräuche selbst“ (KB Nr. 140 =MS110,205/4 =BFG-I 130). Die Erklärung der religiösen Gebräuche durch eine Entwicklungshypothese ist zurückzuführen auf eine Enge des seelischen Lebens. Das Verständnis der rituellen Handlungen setzt voraus, dass ein Mensch durch bestimmte Phänomene ansprechbar und fähig ist, den Ritus mit seinen „eigenen Gefühlen und Gedanken in Verbindung“ (BFG-II 142) zu bringen. Dazu ist Frazer nicht imstande, weil ihm die dazu notwendigen emotionalen Voraussetzungen fehlen. Er sieht die religiösen Gebräuche aus dem verengten Blickwinkel eines Engländers des 20. Jahrhunderts; er hat für das Verständnis der Religion nur die rohen, ungeeigneten Begriffe zur Verfügung, die sich aus dem verarmten Erlebnishorizont seiner Zeit ergeben. Seine undifferenzierten Erklärungen werden dem differenzierten Sinn dieser Gebräuche nicht gerecht.
3 Aber welches ist das geheime Gesetz, auf das Frazers Tatsachensammlung hindeutet? Wann ist es uns gelungen, das Tatsachenmaterial in einer „übersichtlichen“ Darstellung zu gruppieren? Bisher wurde lediglich ein negatives Ergeb-
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nis erreicht. Es wurde durch die Gruppierung des Tatsachenmaterials gezeigt, dass rituelle Handlungen nicht auf falschen naturwissenschaftlichen Ansichten beruhen. „Derselbe Wilde, der anscheinend, um seinen Feind zu töten, dessen Bild durchsticht, baut seine Hütte aus Holz wirklich und schnitzt seinen Pfeil kunstgerecht und nicht in effigie“ (KB Nr. 117 =MS110,182/5 =BFG-I 124). Wittgenstein spricht von einer zweifachen Perspektive, unter der man sich selbst und sein Leben sehen kann. „Denken wir uns ein Theater, der Vorhang ginge auf und wir sähen einen Menschen allein in seinem Zimmer auf und ab gehen, sich eine Zigarette anzünden, sich niedersetzen u. s. f., so dass wir plötzlich von außen einen Menschen sähen wie man sich sonst nie sehen kann […] das müsste unheimlich und wunderbar zugleich sein.“ Wir sehen uns selbst von außen, und es ist unheimlich und wunderbar, sich selbst unter dieser Perspektive zu betrachten; wer sich so sieht, der sieht sein Leben „als ein Kunstwerk Gottes“. Es ist die Kunst, die uns das Leben in dieser Weise sehen lässt. „Das Kunstwerk zwingt uns – sozusagen – zu der richtigen Perspektive“. Nur der Künstler kann „das Einzelne so darstellen, dass es uns als Kunstwerk erscheint“; seine Tätigkeit besteht darin, „die Welt sub specie aeterni einzufangen“ (KB Nr. 52 =MS109,28/2; nicht in BFG-I). In einer Reflexion zu Renan spricht Wittgenstein über den Unterschied zwischen Kunst und Religion. „Wenn Renan vom sense précoce der semitischen Rassen spricht […], so ist das das Undichterische, unmittelbar aufs Konkrete gehende. Das, was meine Philosophie bezeichnet. Die Dinge liegen unmittelbar da vor unsern Augen, kein Schleier über ihnen. – Hier trennen sich Religion und Kunst“ (KB Nr. 61 =MS109,202/1; nicht in BFG-I). Die Kunst kann uns die Dinge unheimlich und wunderbar erscheinen lassen, aber dazu muss sie einen Schleier über sie legen; sie muss uns dazu zwingen, die Dinge unter einer bestimmten Rücksicht zu betrachten; sie zeigt an den Dingen die Form, das Allgemeine, das Gesetzmäßige. Die Religion geht „unmittelbar“ auf das „Konkrete“; sie fragt nicht nach der Form und sie sieht den Gegenstand nicht unter ästhetischer Rücksicht. Aber sie teilt mit der Kunst die Perspektive, unter welcher die Dinge wunderbar erscheinen. „Denn keine Erscheinung ist an sich besonders geheimnisvoll, aber jede kann es uns werden“ (KB Nr. 135 =MS110,198/1 =BFG-I 128). Es ist diese Sicht der Dinge, die in der rituellen Handlung zum Ausdruck kommt. Aber beruht sie nicht darauf, dass die primitiven Menschen die Gesetze der Naturwissenschaften, auf denen die Phänomene beruhen, nicht kennen? Sollen wir sagen: „diese primitiven Völker mussten alle Phänomene anstaunen“, weil sie die naturwissenschaftliche Erklärung nicht kannten? Oder ist es richtig zu sagen: „diese Völker haben alle Dinge ihrer Umgebung angestaunt“? „Dass sie sie anstaunen mussten“, so Wittgensteins Antwort, „ist ein primitiver Aberglaube“ (KB Nr. 60 =MS109,201/1; nicht in BFG-I). Das Staunen ist vielmehr ein
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Zeichen für den erwachenden Geist des Menschen. Das „ist eben das Charakteristische am erwachenden Geist des Menschen, dass ihm eine Erscheinung bedeutend wird“ (KB Nr. 135 =MS110,198/1 =BFG-I 128). „Die Form des erwachenden Geistes ist die Verehrung“ (KB Nr. 173 =MS110,299/1 =BGF-I 138). Die Sicht der Naturwissenschaft hebt die Sicht der rituellen Handlung nicht auf; auch was erklärt werden kann, ist deshalb nicht weniger wunderbar. „Wie hätte das Feuer oder die Ähnlichkeit des Feuers mit der Sonne verfehlen können, auf den erwachenden Menschengeist einen Eindruck zu machen. Aber nicht vielleicht ‚weil er sich’s nicht erklären kann‘ (der dumme Aberglaube unserer Zeit) – denn wird es durch eine ‚Erklärung‘ weniger eindrucksvoll?“ (KB Nr. 134 =MS110,197/2 =BFG-I 128). Die Wissenschaft kann jedoch die Menschen unfähig machen zu staunen. „Die Menschen, die immerfort ‚warum‘ fragen, sind wie die Touristen, die, im Baedecker lesend, vor einem Gebäude stehen und durch das Lesen der Entstehungsgeschichte etc.etc. daran gehindert werden, das Gebäude zu sehen“ (VB 506). Dass die Menschen plötzlich anfingen, sich über die Dinge zu wundern, hat „nichts mit ihrer Primitivität zu tun. Es sei denn, dass man es primitiv nennt, sich nicht über die Dinge zu wundern, dann aber sind gerade die heutigen Menschen und Renan selbst primitiv, wenn er glaubt, die Erklärung der Wissenschaft könne das Staunen heben. Als ob der Blitz heute alltäglicher oder weniger staunenswert wäre als vor 2000 Jahren. Zum Staunen muss der Mensch […] aufwachen. Die Wissenschaft ist ein Mittel, um ihn wieder einzuschläfern“ (KB Nr. 59 =MS109,200/2; nicht in BFG-I). Wittgenstein bringt das Staunen wiederholt in Verbindung mit dem Erwachen des Geistes. Erst wenn der Mensch staunt, hat er die Fähigkeiten seines Geistes voll verwirklicht. Wir dürfen die Tatsachen nicht wie Frazer nach einer Entwicklungshypothese anordnen; der übersichtlichen Darstellung entspricht eher das Schema der Pflanze, das die Gleichzeitigkeit und wechselseitige Verwiesenheit der Organe zeigt. Ein „Buch über Anthropologie“ könnte so anfangen: „Wenn man das Leben und Benehmen der Menschen auf der Erde betrachtet, so sieht man, dass sie außer den Handlungen, die man tierische nennen könnte […] auch solche ausführen, die einen ganz anderen eigentümlichen Charakter tragen und die man rituelle Handlungen nennen können“ (KB Nr. 135 =MS110,198/1 =BFG-I 128). Am Anfang der Confessiones steht eine solche anthropologische Aussage: „Und preisen will Dich der Mensch, irgendein Teil deiner Schöpfung“. In seinem Vortrag über Ethik spricht Wittgenstein von einem Erlebnis, das er als sein „Erlebnis par excellence“ bezeichnet. „Am ehesten lässt sich dieses Erlebnis, glaube ich, mit den Worten beschreiben, dass ich, wenn ich es habe, über die Existenz der Welt staune. Dann neige ich dazu, Formulierungen der folgenden Art zu verwenden: ‚Wie sonderbar, dass überhaupt etwas existiert‘, oder ‚Wie seltsam, dass die Welt existiert‘“ (VE 14). „Und nun möchte ich das Erleb-
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nis des Staunens über die Welt mit den Worten beschreiben: Es ist das Erlebnis, bei dem man die Welt als Wunder sieht“ (VE 18). Wittgenstein betont, dass wir außerstande sind, das Wunder der Existenz der Welt durch die Sprache zum Ausdruck zu bringen „und dass alles, was wir über das absolut Wunderbare sagen, […] Unsinn bleibt“ (VE 18). Vielleicht ist damit die Bemerkung in Verbindung zu bringen: „der Ritus der alten Mythen war eine Sprache“ (KB Nr. 157 =MS110,256/3; nicht in BFG-I ). Die rituelle Handlung ist die Sprache, die das absolut Wunderbare zum Ausdruck bringt.
4 „Alles Rituelle (quasi Hohepriesterliche)“, so schreibt Wittgenstein in einem Entwurf zu einem Vorwort, „ist streng zu vermeiden, weil es sofort fault […] Ein Kuss ist freilich auch ein Ritus und er fault nicht; aber eben nur so viel Ritus ist erlaubt als so echt ist wie ein Kuss“ (KB Nr. 67 =MS109,208/3; nicht in BFG-I). Was unterscheidet das Rituelle, das sofort fault, von einem Ritus, der echt ist? Was trägt diese Unterscheidung bei zur Frage nach dem Wesen der rituellen Handlung? „Wenn ich über etwas wütend bin, so schlage ich manchmal mit meinem Stock auf die Erde […] ‚Ich lasse meinen Zorn aus‘. Und dieser Art sind alle Riten. Solche Handlungen kann man Instinkt-Handlungen nennen.“ Diese Sätze sind eine Erwiderung auf Frazers historische Erklärung, dass meine Vorfahren geglaubt haben, das Schlagen auf die Erde helfe etwas; das „sind überflüssige Annahmen, die nichts erklären“. Dagegen behauptet Wittgenstein: „Ist ein solches Phänomen einmal mit einem Instinkt, den ich selber besitze, in Verbindung gebracht, so ist eben dies die gewünschte Erklärung“ (KB Nr. 169 =MS110,297/3 =BFG-I 138). Die echte rituelle Handlung unterscheidet sich von dem Rituellen, das sofort fault, dadurch, dass sie ihren Ursprung in einem Instinkt hat, so wie der Kuss einer spontanen Zuneigung entspringt. Die rituelle Handlung ist erklärt, wenn sie mit einem Instinkt, den ich selber besitze, in Verbindung gebracht ist. Nur wer sie mit seinen eigenen Gefühlen in Verbindung bringen kann, ist imstande, sie zu verstehen. Das Prinzip der rituellen Handlung ist „in unserer eigenen Seele vorhanden“; eine Erklärung ist nur dann eine Erklärung, wenn sie „letzten Endes an eine Neigung in uns selbst“ appelliert (KB Nr. 132 =MS110,195/4 =BFG-I 126). Frazer erklärt die rituellen Handlungen teleologisch; sie sind eine verfehlte Form angewandter Naturwissenschaft. Dagegen wendet Wittgenstein ein, dass man die rituellen Bräuche auch erdichten könnte. Worauf es ankommt, ist nicht der einzelne Ritus mit seiner vermeintlichen Teleologie, sondern das in unserer eigenen Seele vorhandene „Prinzip“, dem die rituellen Gebräuche entspringen;
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ein und demselben Prinzip können verschiedene Gebräuche entsprechen. Ein Beispiel für diesen Zusammenhang ist das Verhalten von Schuberts Bruder nach dessen Tod. Er zerschnitt Partituren Schuberts in kleine Stücke, die er dessen Lieblingsschülern gab. „Diese Handlung als Zeichen der Pietät ist uns ebenso verständlich wie die andere, die Partituren unberührt niemandem zugänglich aufzubewahren. Und hätte Schuberts Bruder die Partituren verbrannt, so wäre auch das als Zeichen der Pietät verständlich“ (KB Nr. 132 =MS110,195/4 =BFG-I 126). Es ist möglich, verschiedene Gebräuche auf ein und dasselbe Prinzip in unserer eigenen Seele zurückzuführen; es sind verschiedene Zeichen der Pietät denkbar, die alle in gleicher Weise verständlich sind. Im zweiten Teil der Bemerkungen zu Frazer, der sich mit dem Beltanefest beschäftigt, unterscheidet Wittgenstein zwei Möglichkeiten, rituelle Handlungen zu betrachten. „Das Auffallendste scheint mir außer den Ähnlichkeiten die Verschiedenheit aller dieser Riten zu sein […] Und was man tun möchte ist, Linien zu ziehen, die die gemeinsamen Bestandteile verbinden.“ Aber diese Betrachtung ist unvollständig und bleibt an der Oberfläche. „Es fehlt dann noch ein Teil der Betrachtung und es ist der, welcher dieses Bild mit unseren eigenen Gefühlen und Gedanken in Verbindung bringt. Dieser Teil gibt der Betrachtung ihre Tiefe“ (BFG-II 142). Beim Beltanefest wurde ein Kuchen in Stücke geschnitten. „Alle Kuchenstücke“, so lautet eine Beschreibung des Ritus, „wurden in einen Hut gesteckt. Jeder zieht dann mit verbundenen Augen ein Stück…Wer das schwarze Stück zieht, gilt als der ‘Geweihte‘, der dem Baal geopfert werden soll…“ Wittgenstein kommentiert: „Hier sieht etwas aus wie die Überreste eines Losens. Und durch diesen Aspekt gewinnt es plötzlich Tiefe“ (BFG-II 42). Was diesem Ritus Tiefe gibt, ist „sein Zusammenhang mit dem Verbrennen eines Menschen“ (BFG-II 142). Wie ist dieser Zusammenhang genauer zu bestimmen? Beruht er auf einer historischen Hypothese über die Entstehung des Festes? Liegt der Ursprung des Ritus in vorzeitlichen Menschenopfern, bei denen die Opfer in dieser Weise ausgelost wurden? Ist es die Erinnerung an diese vorzeitlichen Menschenopfer, die dem Ritus Tiefe gibt? Dagegen wendet Wittgenstein ein: „Dann liegt das Tiefe also nur im Gedanken an jene Abstammung. Aber diese kann doch ganz unsicher sein und man möchte sagen: ‚Wozu sich über eine so unsichere Sache Sorgen machen‘ […] Aber solche Sorgen sind es nicht“. „Die Erklärung ist im Vergleich mit dem Eindruck, den uns das Beschriebene macht, zu unsicher“ (KB Nr. 106 =MS110,180/3 =BFG-I 122). Was diesem Gebrauch Tiefe gibt, ist nicht die Erinnerung an ein historisches Ereignis, denn selbst wenn wir des Irrtums historisch überführt werden, bleibt „doch immer etwas, dessen wir sicher sind“ (BFG-II 146). Es ist „die innere Natur des neuzeitlichen Gebrauchs selbst, die uns finster anmutet, und die uns
Was ist eine rituelle Handlung? Religionsphilosophische Überlegungen
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bekannten Tatsachen von Menschenopfern weisen nur die Richtung, in der wir den Gebrauch ansehen sollen“ (BFG-II 144). „Das Finstere, Tiefe liegt nicht darin, dass es sich mit der Geschichte dieses Gebrauchs so verhalten hat, denn vielleicht hat es sich gar nicht so verhalten; auch nicht darin, dass es sich vielleicht oder wahrscheinlich so verhalten hat, sondern in dem, was mir Grund gibt, das anzunehmen“ (BFG-II 146). Aber was gibt mir Grund anzunehmen, dass es sich vielleicht oder wahrscheinlich so verhalten hat? Wittgenstein antwortet zunächst mit einer Frage. „Ja woher überhaupt das Tiefe und Finstere im Menschenopfer?“ Sind es nur die Leiden des Opfers, die uns Eindruck machen? Krankheiten, die mit ebenso viel Leiden verbunden sind, rufen diesen Eindruck doch nicht hervor. „Nein, dies Tiefe und Finstere versteht sich nicht von selbst wenn wir nur die Geschichte der äußeren Handlung erfahren, sondern wir tragen es wieder hinein aus einer Erfahrung in unserm Innern“ (BFG-II 146). Der Ritus erhält seine Tiefe dadurch, dass er uns mit uns selbst konfrontiert; dadurch, dass er uns „die ungeheure Wahrscheinlichkeit dieses Gedankens“ (BFG-II 148), den der Ritus darstellt, bewusst werden lässt. Eine Anspielung auf die Bibel weist in die Richtung, wo wir diese Erfahrung zu suchen haben. „Die Tatsache, dass das Los durch einen Kuchen gezogen wird, hat auch etwas besonders Schreckliches (beinahe wie der Verrat durch einen Kuss), und dass uns das besonders schrecklich anmutet, hat wieder eine wesentliche Bedeutung für die Untersuchung solcher Gebräuche“ (BFG-II 146. Hervorhebung F.R.). Der Ritus des Beltanefestes macht dem Menschen eine furchtbare Möglichkeit, die in ihm ist, bewusst; er konfrontiert uns mit einem „allgemeinen Hang“. Den Annahmen über den vorzeitlichen Ursprung der rituellen Handlungen liegt jedenfalls eine richtige Überzeugung zu Grunde: „dass solche Feste nicht von einem Menschen, sozusagen aufs Geratewohl, erfunden werden, sondern eine unendlich viel breitere Basis brauchen, um sich zu erhalten. Wollte ich ein Fest erfinden, so würde es baldigst aussterben oder aber solcherweise modifiziert werden, dass es einem allgemeinen Hang der Leute entspricht“ (BFG-II 146f). Der Gedanke, dass ein Stück Kuchen dazu gedient hat, das Todesopfer auszulosen, hat etwas Furchtbares; aber er wird furchtbar „durch den Gedanken an den Menschen und seine Vergangenheit, durch all das Seltsame, das ich in mir und in den Anderen sehe, gesehen und gehört habe“ (BFG-II 150).
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5 Literatur Rhees, Rush (Hg.): Ludwig Wittgenstein. Personal Recollections. Totowa, N.J. 1981. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Auf der Grundlage der Kritischgenetischen Edition. Frankfurt/Main 2003 [=PU]. Wittgenstein, Ludwig: Vortrag über Ethik. In: Wittgenstein, Ludwig: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Herausgegeben von Joachim Schulte. Frankfurt/Main 1989, 9–19 [=VE]. Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über Frazers „Golden Bough“ / Remarks on Frazer’s „Golden Bough“. Teil I und Teil II. In: Wittgenstein, Ludwig: Philosophical Occasions 1912–1951. Herausgegeben von James C. Klagge and Alfred Nordmann. Indianapolis/ Cambridge, MA 1993, 118–138 und 138–155 [=BFG-I und BFG-II]. Wittgenstein, Ludwig: Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. Herausgegeben von Georg Henrik von Wright unter Mitarbeit von Heikki Nyman. Frankfurt/Main 1994 [=VB]. Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010 [= KB].
Kultur
Ilse Somavilla
„Das Höchste was ich erreichen möchte“: Wittgensteins Suche nach Ausdruck Am 28. 4. 1930 schrieb Wittgenstein in sein Tagebuch: Ich denke oft das Höchste was ich erreichen möchte wäre eine Melodie zu komponieren. Oder es wundert mich daß mir bei dem Verlangen danach nie eine eingefallen ist. Dann aber muß ich mir sagen daß es wol unmöglich ist daß mir je eine einfallen wird, weil mir dazu eben etwas wesentliches oder das Wesentliche fehlt. Darum schwebt es mir ja als ein so hohes Ideal vor weil ich dann mein Leben quasi zusammenfassen könnte; und es krystallisiert hinstellen könnte. Und wenn es auch nur ein kleines schäbiges Krystall wäre, aber doch eins.1
Obwohl diese Eintragung offenbar auf den Ausdruck seines Lebens bezogen ist, hat sie gleichermaßen ihre Gültigkeit hinsichtlich seiner Philosophie. Nicht nur, da Leben und Philosophieren bei Wittgenstein in engem Zusammenhang stehen, sondern da die Suche nach Ausdruck in der Musik für ihn in beiden Bereichen wesentlich war. Die Befürchtung, in seiner Philosophie nicht verstanden zu werden, sah er auf einer Ebene mit der Unfähigkeit, das auszudrücken, was die Musik für ihn in seinem Leben bedeutete.2 Lebenslang suchte er nach Ausdruck – das heißt, die Welt in Sprache zu (er) fassen, philosophische Probleme – „Konfusionen“ – durch den richtigen Umgang mit Sprache zu beseitigen, sowie seinem Denken, aber auch Fühlen – in persönlicher Hinsicht – Ausdruck zu verleihen. Dies aber schien unmöglich: weder im Leben noch im Philosophieren sah Wittgenstein sich wirklich verstanden – als Folge der Grenzen der Sprache, des Scheiterns an der Sprache. Die Suche nach (anderen) Möglichkeiten des Ausdrucks und des Verständnisses bzw. Verstandenwerdens gab er jedoch nicht auf. Welche Wege des „Zeigens“ anstatt des „Sagens“ er dabei beschritt – sei es über Literatur und Kunst, insbesondere Musik, oder durch Beschreiben statt Erklären, soll im Folgenden erörtert werden. Die in der Rezeption häufig anzutreffende Unterteilung zwischen Wittgenstein I und Wittgenstein II im Hinblick auf den Tractatus und die Spätphiloso-
1 Wittgenstein, Ludwig: Denkbewegungen. Tagebücher 1930–1932/1936–1937. Herausgegeben von Ilse Somavilla. Innsbruck 1997. 2 Vgl. Drury, Maurice O’C. in Rhees, Rush (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein. Porträts und Gespräche, S. 120.
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phie ist nur zum Teil berechtigt: Wittgenstein hat zwar im Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen selbst „Irrtümer“ in seinem ersten Werk bekannt, gleichzeitig aber betont, dass seine spätere Arbeit nur auf dem Hintergrund der früheren Gedanken zu verstehen sei. Überhaupt lassen sich mehrere, für sein Philosophieren grundlegende Aspekte beobachten, die bei allen Veränderungen des Zugangs und der Methode gleichgeblieben sind. Wenn man überhaupt von „zwei Wittgensteins“ sprechen kann, so würde ich von Wittgenstein, dem Verfasser der philosophischen Schriften, und von Wittgenstein, dem Verfasser der persönlichen Aufzeichnungen – bzw. von zwei unterschiedlichen Stimmen – sprechen. Doch auch hier wird bei beiden die Suche nach Ausdruck deutlich. Wie sich diese in der Philosophie äußert, darüber im ersten Teil meines Beitrags, wobei ich mich auf die Tagebücher 1914–1916, den Vortrag über Ethik und die späteren Schriften beziehe. Anschließend werde ich andere Wege erörtern, in denen Wittgenstein eine Erweiterung an Möglichkeiten sah, das in der Philosophie nicht Erklärbare zum Ausdruck zu bringen.
1 Suche nach Ausdruck in der Philosophie Das Unaussprechbare (das, was mir geheimnisvoll erscheint & ich nicht auszusprechen vermag) gibt vielleicht den Hintergrund, auf dem das, was ich aussprechen konnte, Bedeutung bekommt. (MS112,1; 5. 10. 1931)3
Die Suche nach Ausdruck in der Philosophie ist in inhaltlicher und formaler Hinsicht zu sehen: Das heißt, was lässt sich in der Philosophie überhaupt sagen, und wie muss man es sagen, vielmehr „zeigen“, um nicht zu „schwefeln“ bzw. in Unsinn zu münden. Beide Aspekte hängen unmittelbar zusammen, beide stellen ein Sprachproblem dar. Das oben angeführte Zitat besagt deutlich, worum es Wittgenstein in der Philosophie ging, d. h. wo das Aussprechbare an seine Grenze stößt, die Einsicht und Akzeptanz dieser Grenze jedoch die Bedeutung des Unausgesprochenen wie auch die des in der Philosophie Ausgesprochenen festlegt.
3 Diese Bemerkung Wittgensteins ist nur eine unter vielen, mit Kringeln versehenen Bemerkungen hinsichtlich seiner Suche nach Ausdruck (vgl. Kringel-Buch Nr. 86, 87, 88, 92, 109, 163, 178, Z 223).
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1.1 T agebücher 1914–1916, Tractatus und Beginn der Philosophischen Untersuchungen Bereits in den frühen Schriften – den philosophischen Tagebüchern 1914–1916 und im Tractatus – befasst sich Wittgenstein eingehend mit philosophischen Problemen als Sprachproblemen – dem Zusammenhang von Problemen exakter philosophischer Aussagen mit den sich dabei erweisenden Grenzen der Sprache. In Anlehnung an Kants Auffassung von Philosophie als Vernunftkritik definiert Wittgenstein Philosophie als Sprachkritik. Das Bemühen um das Klarwerden von Sätzen führt zu der Unterscheidung zwischen sinnvollen und sinnlosen sowie unsinnigen Sätzen, dabei zur Trennung des Sagbaren vom Zeigbaren, schließlich zur Ausschaltung der Metaphysik aus der Philosophie. Begleitend zur Suche nach einer Lösung philosophischer Probleme bzw. zu den Eintragungen im MS101, MS102 und MS103 verläuft seine Auseinandersetzung mit existentiellen Problemen, vor allem moralischen Fragen, die jedoch die in der Rezeption spät erkannte ethische Ausrichtung in seiner Philosophie berührt, ja mit dieser eng verbunden ist. In diesen verschlüsselten, auf der linken Seite seiner Manuskriptbände geschriebenen Eintragungen, lässt sich häufig philosophisches Gedankengut beobachten, das auch auf den rechten, in Normalschrift geführten Aufzeichnungen, vorkommt. Nicht nur, dass das, auf den Einfluss von Tolstois Schrift Kurze Darlegung des Evangelium zurückzuführende Streben nach Geistigkeit – im Kampf gegen Sinnlichkeit – im philosophischen Teil in der Thematik eines Lebens in der Erkenntnis sichtbar wird, sondern es lassen sich in einer Reihe weiterer Gedankengänge Parallelen zwischen den philosophischen und den persönlichen Tagebüchern beobachten.4 Dementsprechend ruft Wittgenstein in seiner Suche nach Lösung philosophischer sowie moralischer Probleme abwechselnd den „Geist“ und „Gott“ an, den er zum einen um Erleuchtung im Philosophieren, zum anderen um Kraft und Klarheit in existentieller Hinsicht bittet. Wie eng in seiner Suche nach Ausdruck Philosophisches und Persönliches zusammenhängen, zeigt auch der Terminus „erlösendes Wort“, der erstmals im verschlüsselten Teil auftaucht, sich später aber auch in den philosophischen Manuskripten findet: als besessene Suche nach Lösung philosophischer Probleme, nach dem
4 Vgl. seine Auseinandersetzung mit dem Leben „nicht in der Zeit, sondern in der Gegenwart“ (8. 7. 1916), oder der Bemerkung „Was sich nicht sagen läßt, läßt sich nicht sagen.“ Vgl. auch seine Ausführungen über das gute Leben gemäß dem Willen Gottes, oder über den Zusammenhang zwischen Ethik und Ästhetik und dergleichen.
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richtigen, dem treffenden Wort, um in seinen Untersuchungen das „zu fassen, was bis dahin, ungreifbar, unser Bewußtsein belastet hat.“5 Die Diskrepanz zwischen Denken und Schreiben und die daraus resultierende Problematik, seine philosophischen Gedankengänge zum Ausdruck zu bringen, beschäftigt Wittgenstein ein Leben lang. In Anspielung auf Friedrich Theodor Vischer resümiert er über die feinen Unterschiede zwischen Denken, Reden und Schreiben und bemerkt: „Vischer sagte ‚eine Rede ist keine Schreibe‘ und eine Denke ist schon erst recht keine.“6 Er selbst verfalle oft in den Fehler, anzunehmen, dass alles Gedachte aufgeschrieben werden könne. Dabei könne man nur das niederschreiben, was in der „Schreibform in uns entsteht“ (vgl. DB, 27, 9. [5.1930]). Vage, noch unscharfe Gedanken verändern sich augenblicklich, wenn man versucht, sie zu artikulieren; im Prozess des Schreibens verändern sie sich noch einmal. Im MS110 notiert Wittgenstein: „Das meiste was sich mir als Ahnungsvolle Gedankenform zeigt kann ich gar nicht ausdrücken & meine Ausdruckskraft erlahmt vielleicht immer mehr & mehr.“ (MS110,14/1; 16. 1. 1931; KB Nr. 86) Und in Klammern setzt er zwei Tage später hinzu: „(Es ist wie wenn man ein Haar auf der Zunge liegen hat; man spürt es aber kann es nicht erfassen // & darum nicht los werden.)“7 Im selben Jahr zitiert er Kleist, der schrieb, es wäre dem Dichter am liebsten, er könnte die Gedanken an sich ohne Worte übertragen.8 In immer neuen Varianten versucht Wittgenstein, seinem Denken Ausdruck zu verleihen, wobei sowohl Inhalt als auch Form die Orientierung an einem hohen ethischen Anspruch offenbaren. Dieser Prozess des Arbeitens und Überarbeitens, des Streichens und Neu-Formulierens ist nicht unähnlich dem eines Künstlers – sei es in der bildenden Kunst, im Komponieren bzw. Suchen nach dem richtigen Ton in der Musik, oder in der Überarbeitung eines Gedichts. Wie er u. a. im Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen festhielt, sah er sich mehr als Zeichner oder Maler und seine philosophischen aphorismenartigen Bemerkungen ähnlich Bildern oder Skizzen einer Landschaft; denn in einer Richtung fortzudenken und ein Buch zu schreiben, dazu war er nicht fähig.
5 TS238,11. Vgl. dazu: „Der Philosoph trachtet das erlösende Wort zu finden, das ist das Wort das uns endlich erlaubt das zu fassen was bis jetzt immer ungreifbar unser Bewußtsein belastet hat“ (MS110,17). Vgl. auch: „Die Aufgabe der Philosophie ist es, das erlösende Wort zu finden. Das erlösende Wort ist die Lösung eines philosophischen Problems.“ (MS107,114) 6 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Heinrich von Kleist: „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden.“ In: Nord und Süd, Bd. 4, S. 3–7, 1878. 7 MS110,17; 18. 1. 1931; KB Nr. 8. [Neben dieser Bemerkung finden sich noch eine Reihe weiterer Bemerkungen über Probleme des Ausdrucks, die mit Kringeln versehen sind. Vgl. Fußnote 3] 8 Vgl. MS111,173; 13. 9. 1931, zit. nach VB, S. 50.
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1.2 Der Vortrag über Ethik Im Vortrag über Ethik, den Wittgenstein nach derzeitigem Stand der Forschung am 13. November 1929 vor den Heretics hielt, versuchte er erstmals, die seiner Meinung nach in der Philosophie nicht zu behandelnde Thematik der Ethik in einer nicht explizit wissenschaftlichen Erörterung zum Ausdruck zu bringen. Dieses schwierige Unterfangen unternahm er durch Beschreibung persönlicher Erfahrungen, bei denen ihm bewusst wurde, was das Wesen der Ethik ausmachen könne. Er nennt dabei drei Beispiele – das Gefühl absoluter Sicherheit, das Schuldgefühl sowie das Staunen über die Existenz der Welt, das er als sein „Erlebnis par excellence“ bezeichnet. Die Tatsache, dass Wittgenstein in seinem Bemühen, die – im Grunde sein Leben und seine Philosophie bestimmende – Ethik anhand von Beispielen aus persönlicher Erfahrung zum Ausdruck zu bringen versucht, weist den engen Zusammenhang zwischen seinem Leben und Denken auf; darüber hinaus wird deutlich, welch entscheidende Rolle der Aspekt des Staunens – als Motor allen Philosophierens schlechthin – für ihn hatte. Die Veranschaulichung der drei genannten Beispiele war Wittgenstein ein Weg, um ein weder verbalisier- noch erklärbares Phänomen zu vermitteln. Jeder Versuch rationaler Erklärung wäre hingegen zum Scheitern verurteilt, d. h. jedwede sprachliche Erörterung würde in Unsinn münden. Denn, so betont er, das „Unsinnige“ sei geradezu charakteristisch für alle ethischen und religiösen Ausdrücke. Beim Bemühen um sprachliche Darstellung dieser Thematik zeige sich ein Missbrauch von Sprache. Staunen im ethischen Sinn führt daher zu einem ebenso ethischen Schweigen. Doch auch in anderen Fragen auf der Suche nach Ausdruck lässt sich eine ethische Haltung gegenüber Sprache beobachten – die Reduzierung sprachlicher Mittel auf ein Minimum, die Vermeidung jedes überflüssigen Wortes, alles Phrasenhaften. Diese Ökonomisierung von Sprache um des Anspruchs der Lauterkeit, der Wahrhaftigkeit willen führt zu seiner Ablehnung, ja Verachtung eines oberflächlichen Gebrauchs von Worten, den er mit „Geschwätz“ oder „Schwefeln“ abtut. „Nur kein transzendentales Geschwätz, wenn alles so klar ist wie eine Watschen“, schrieb er am 16. 1. 1918 an Paul Engelmann – im Zuge seiner Reflexionen über sein moralisches Verhalten, genauer gesagt, Versagen, wie er es sah.9 Immer geht es also um die ethische Grundhaltung, doch darüber zu sprechen, betrachtet Wittgenstein als unmoralischen Umgang mit Sprache – ein Missverständnis von
9 Vgl. Wittgenstein – Engelmann. Briefe, Begegnungen, Erinnerungen. Herausgegeben von Ilse Somavilla unter Mitarbeit von Brian McGuinness. Innsbruck 2006, S. 33.
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Ethik, damit gleichzeitig ein Missverstehen der eigentlichen Aufgabe von Philosophie. Wie er bereits 1919 an Ludwig von Ficker über sein Manuskript zur LogischPhilosophischen Abhandlung schrieb, habe er das, worüber Andere „schwefeln“, darin festgelegt, dass er darüber schweige.10 Welche Möglichkeiten sah Wittgenstein jedoch, um die ihm wesentlichen Gedanken dennoch zum Ausdruck zu bringen – ohne die Achtung vor dem Wort und damit dem Bereich des Unsagbaren zu verlieren? Es war zum einen, wie erwähnt, die Reduzierung sprachlicher Mittel auf ein Minimum – gleich poetischer Sätze mit verborgenem, doch wesentlichem Gedankengut –, zum anderen der Hinweis auf Gesten, Zeichen, Symbole sowie auf Haltung, Handlung. Diese Möglichkeiten sah er in Musik, Literatur und Kunst sowie in der Lebensweise des Einzelnen gegeben. Für seine vorsichtige Annäherung an Fragen der Ethik und Religion hat er jedoch auch mittels einer eigenen Schrift bzw. eines eigenen Texttypus eine Lösung gefunden, um sich mit dem ihn Bewegenden, doch weder Verbalisier- noch rational Erklärbaren, auseinander zu setzen, wenn auch nur auf chiffrierte und damit „verhüllte“ Weise: die Verschlüsselung, die, ähnlich den mit Kringeln versehenen Bemerkungen, einen eigenen Teil, ja eine Art eigenes Werk innerhalb seines gesamten Oeuvre auszumachen scheint. Allerdings nicht nur unterschieden vom Schriftbild, sondern auch in der Schwerpunktsetzung hinsichtlich des Inhalts. So geht es im Kringel-Buch – neben kulturwissenschaftlichen Bemerkungen – auch um philosophische, in den codierten Eintragungen vorwiegend um rein persönliche oder ethisch-religiöse, nur vereinzelt philosophische Probleme. In beiden Fällen aber finden sich häufig Reflexionen über seine Art des Philosophierens.
1.3 Verschlüsselung Abgesehen von der „Ausnahme“ des Vortrags über Ethik, wo Wittgenstein es sozusagen wagte, ein seiner Meinung nach in der Philosophie nicht zu behandelndes Thema zu erörtern bzw. an Beispielen zu veranschaulichen, kann meines Erachtens seine Verwendung des Code als Weg gesehen werden, den Bereich des „Unaussprechbaren“ anzusprechen. Ich sage bewusst, anzusprechen, denn von einem Aussprechen bzw. einer theoretischen Auseinandersetzung kann nicht die Rede sein. Es handelt sich vielmehr um den Versuch, das wissenschaftlich nicht
10 Vgl. Wittgenstein, Ludwig: Briefe an Ludwig von Ficker. Herausgegeben von Georg Henrik von Wright unter Mitarbeit von Walter Methlagl. Salzburg 1969, S. 35.
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Fassbare, doch ihn gedanklich stets Beschäftigende, auf sozusagen indirekte Weise, d. h. für den Leser nur schwer zugänglich und von den in Normalschrift geführten Bemerkungen sich durch den Code abhebend, darzustellen; dabei geht es nicht um allgemeingültige Behauptungen bzw. Statements oder gar die Erstellung von Theorien, sondern vielmehr um persönliche Empfindungen und Gedankengänge, die auf irgendeine Weise auszudrücken bzw. niederzuschreiben ihm ein Bedürfnis war. Wie er selbst notierte: Es ist merkwürdig welche Erleichterung es mir ist manches in einer geheimen Schrift nieder zu schreiben was ich nicht gerne lesbar schreiben möchte. (MS106; 1929)
Die – abgesehen vom verschlüsselten Teil der Kriegstagebücher – später in seinen Manuskriptbänden verstreut auftretenden Bemerkungen ethisch-religiöser Thematik setzte er vor der im Jahre 1929 erfolgten Übertragung in „Bände“ in Normalschrift, jedoch in eckige Klammern; dies macht deutlich, dass er ihnen eine besondere Stellung (in seinen Gedankengängen) einräumte, sie aber aus den philosophischen Aufzeichnungen heraushalten wollte, da sie seiner Auffassung von der Unaussprechbarkeit ihrer Thematik gemäß dem gegenüber Ficker erwähnten, nicht geschriebenen Teil des Tractatus widersprochen hätten. Dass er diese Gedanken mittels einer eigenen Schrift „verbergen“ wollte, zeigt sich auch in folgender Bemerkung: Es ist ein großer Unterschied zwischen den Wirkungen einer Schrift die man leicht & fließend lesen kann & einer die man schreiben aber nicht leicht entziffern kann. Man schließt, in ihr die Gedanken ein, wie in einer Schatulle. (MS157a, 1937)
Bei Einsicht in seine verschlüsselten Aufzeichnungen scheint sich die Anspielung auf die „in einer Schatulle“ verschlossenen Gedanken vielfach zu bestätigen und die Vermutung, dass er diese als etwas Besonderes bewahren, sowie vor dem schnellen, oberflächlichen Leser schützen wollte, liegt nahe.
1.4 Spätere Schriften In den späteren Schriften rückt das Beschreiben mehr und mehr an die Stelle des Erklärens, der Grammatik wird mehr Bedeutung als der Logik zugesprochen. Es ist eine andere Art des Erfassens und in der Folge eine andere Art der Darstellung des Ausdrucks. An die Stelle konzeptioneller Erfassung tritt eine Art anschauliche Betrachtung im Sinne eines „denk nicht, sondern schau!“ (PU, § 66) Nun, da Wittgenstein in der Untersuchung sprachphilosophischer Probleme die Schwierigkeiten eindeutiger Festlegungen und Definitionen bewusst werden,
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da unsere Worte im Gebrauch verschwommen, vage und vielschichtig sind und auf unterschiedlichste Weise interpretiert werden können, geht er nicht mehr mit jener Bestimmtheit vor, in der er im Vorwort des Tractatus die „W a h r h e i t“ seiner Gedanken als „unantastbar und definitiv“ bezeichnete und der Meinung war, die „Probleme im Wesentlichen endgültig gelöst zu haben.“ Nun nähert er sich in Zweifeln und zugleich in einem verwunderten Staunen der Mannigfaltigkeit der phänomenalen Welt; seine philosophischen Fragen und Überlegungen drücken das Bewusstsein der Unsicherheit all unserer Aussagen und Behauptungen aus: Ich sehe noch kein System in allen diesen Fragen.11 Ich bin mit allen meinen Gedanken über diesen Gegenstand noch immer in einem furchtbaren {Wir}rwarr zwischen erstem & zweitem Ausdruckssystem. Das mei{s}te von dem was ich {j}etzt sagen möchte braucht man & kann man gar nicht sagen.12 Hier ist noch eine große Lücke in meinem Denken. Und ich zweifle, ob sie noch ausgefüllt werden wird.13
Der Kampf mit der Sprache geht also weiter, doch nicht mehr in der Überzeugung, mit Sprache eine philosophische Erklärung der Welt zu geben. Zwar kündigt sich bereits im Tractatus eine kritische Haltung gegenüber den Wissenschaften an – trotz seiner in diesem Werk analytischen Vorgangsweise und der Wertschätzung des wissenschaftlich klar Sagbaren weist er ja bereits im Vorwort auf die Unzulänglichkeiten einer solchen Auseinandersetzung hin. Gegen Ende des Tractatus nimmt er diesen Punkt nochmals auf und stellt fest, dass mit der Beantwortung aller „möglichen wissenschaftlichen Fragen“ unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt seien. (TLP, 6.52) Dabei verwendet er das Wort „fühlen“, womit er meines Erachtens die Bedeutung einer Dimension anspricht, die sich vom Bereich des wissenschaftlich Sagbaren abhebt und eine mystische Erfassung des Ganzen nahelegt.14 Wörter wie „fühlen“, „meinen“ und dergleichen sind als Ausdruck des Nicht-Rationalen und Intuitiven zu sehen und stehen für die Grenzziehung zwischen wissenschaftlich Sagbarem und Unsagbarem. Gleichzeitig weisen sie auf eine Richtungsänderung in Wittgensteins Denken hin, die sich mit Ende des Tractatus bemerkbar macht und sich auch in sprachlicher Hinsicht äußert, d. h.
11 MS105,12; 1929. Zit. nach Alois Pichler, Wittgensteins spätere Manuskripte. Einige Bemerkungen zu Stil und Schreiben, S. 15. 12 MS107,265; 1930. 13 MS176,34; 1950. 14 Vgl. TLP 6.45: „Das Gefühl der Welt als begrenztes Ganzes ist das mystische. “
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sich vom Ton seiner bestimmten, Endgültigkeit beanspruchenden Behauptungen abhebt. In den späteren philosophischen Manuskripten lassen sich immer häufiger Ausdrücke wie „fühlen“, „meinen“ etc. beobachten: Irgendwie scheint es mir 15 Ich habe das Gefühl 16 Einerseits fühle ich Anderseits kann ich nicht verstehen17 Ich fühle so: 18 Das Gefühl an das ich jetzt alle meine Betrachtungen knüpfe 19 Hier bin ich nun geneigt zu sagen: Aber ich fühle auch daß das eine irreführende Ausdrucksweise ist.20 Das bestimmte, zielgerichtete und oftmals arrogante Vorgehen mancher Wissenschaftler sowie die Anmaßung der Richtigkeit wissenschaftlicher Aussagen ist ihm suspekt – einerseits, da sie den Anspruch stellen, alles erklären zu können, andererseits, da rationale Erklärungen das Staunen des Menschen gefährden: Zum Staunen muß der Mensch – und vielleicht Völker – aufwachen. Die Wissenschaft ist ein Mittel um ihn wieder einzuschläfern.21
In seinen „Bemerkungen über Frazers The Golden Bough“ gibt Wittgenstein mehrere Beispiele hinsichtlich der Gefahren, die durch (zumeist naturwissenschaftliche) Erklärungen entstehen. Diese führen nicht zu einer Hebung des Geistes und Wissens, sondern vielmehr zu einer Verminderung d. h. Einbuße von Erkennen im Sinne einer ästhetischen und ethischen Blindheit, da sie die Fähigkeit zum Staunen, zu einer aufmerksamen Wahrnehmung der phänomenalen Welt, und dabei auch den Sinn für Geheimnisvolles, nicht unmittelbar Erkennbares zerstören. Im Gegensatz zu Frazers Annahme, Erscheinungen wie Sonne und Feuer könnten nur auf den sogenannten „primitiven Menschen“ einen Eindruck machen, da sie sich diese Erscheinungen nicht erklären können, ist Wittgenstein der Ansicht, dass jede Erscheinung bedeutungsvoll ist und bei richtiger Betrachtung auch trotz Erklärung bleiben wird. „Denn keine Erscheinung ist an sich besonders geheimnisvoll aber jede kann es uns werden & das ist eben das Cha-
15 MS105,7; 1929. Zit. nach Alois Pichler, S. 14. 16 MS105,25; 1929. Ebenda, S. 14. 17 MS106,80; 1929. 18 MS107,11; 1929. 19 MS108,208; 1930. 20 MS115,20; 1933. 21 MS109,200; 5.11.1930. Zit. nach VB, S. 28. Vgl. auch KB Nr. 59.
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rakteristische am erwachenden Geist des Menschen daß ihm eine Erscheinung bedeutend wird.“22 So gesehen wird deutlich, dass mit zunehmender Kultur der Sinn für Unerklärbares geschärft würde – es sei denn, das philosophische Bewusstsein im Sinne einer staunenden Betrachtung der Welt mit der Erkenntnis von Bedeutsamen setzt ein. Da rationale Erklärungen scheitern bzw. in die Irre führen, gilt es, das Bedeutsame, Eindrucksvolle – Geheimnisvolle – auf andere Art und Weise zu erfassen. Dies ist Aufgabe der Kunst.
2 S uche nach Ausdruck durch andere Wege: Literatur, Kunst und Musik Die Kunst ist ein Ausdruck. Das gute Kunstwerk ist der vollendete Ausdruck. (Tagebücher 1914–1916, 19. 9. 1916)
Abgesehen von den codierten Bemerkungen und den Beispielen persönlicher Erfahrung im Vortrag über Ethik gibt Wittgenstein häufig Hinweise auf andere als rationale Formen der Annäherung an die Thematik des Nicht-Mitteilbaren bzw. „Unsagbaren“. Diese sieht er, wie erwähnt, in Kunst, Literatur und Musik sowie in der Lebensweise eines Menschen. Insbesondere die Lyrik erweist sich als ein Medium, das „Unaussprechliche“ auszudrücken; d. h. wenn man sich nicht bemüht, es auszusprechen, ist es „ – unaussprechlich – in dem Ausgesprochenen enthalten“, wie Wittgenstein am Beispiel eines Gedichts von Ludwig Uhland in einem Brief an Engelmann im Jahre 1917 erläutert23 – als Antwort auf des Freundes einfühlsames Lesen und als Anregung dazu. Doch auch in der Prosa erblickt er die Möglichkeit, wesentliche Fragen darzustellen, sofern sie von theoretischen Erklärungen absieht. So nannte er z. B. Tolstoi und Dostojewski als die zwei einzigen Autoren des 19. Jahrhunderts, die zum Thema Religion „wirklich etwas Wichtiges“ zu sagen hatten.24 Ähnliches gilt für Dramen, insbesondere Tragödien der Antike, in denen Handlungslösungen vorgespielt werden, die ethische Probleme sichtbar machen.
22 MS110,198; 22. 6. 1931; KB Nr. 135, S. 64. Vgl. auch BFGB, S. 35. 23 Vgl. Wittgensteins Brief an Engelmann, 9. 4. 1917. In: Wittgenstein – Engelmann, S. 24. 24 Vgl. Drury, Maurice O’C.: „Bemerkungen zu einigen Gesprächen mit Wittgenstein“. In: Ludwig Wittgenstein, Porträts und Gespräche. Herausgegeben von Rush Rhees. Frankfurt 1992, S. 129.
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In Verbindung mit den Möglichkeiten in der Kunst, das Wesentliche, durch die sogenannte normale Sprache nicht Artikulierbare, darzustellen, weist Wittgenstein häufig auf Begriffe wie Geste, Ton und Farben hin. Dabei kommt seine synästhetische Betrachtungsweise zum Vorschein.
2.1 G este – Farben – Ton: Wittgensteins synästhetische Betrachtungsweise Bereits im Tractatus wird Wittgensteins synästhetische Betrachtung der Welt deutlich: In der Auseinandersetzung mit dem Satz, der für ihn ein Bild der Wirklichkeit darstellt – in der Erkenntnis der Beziehung zwischen Sprache und Welt – bemerkt er: Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen Beziehung zu einander, die zwischen Sprache und Welt besteht. Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam. (Wie im Märchen die zwei Jünglinge, ihre zwei Pferde und ihre Lilien. Sie sind alle in gewissem Sinne Eins.) (TLP 4.014)
Doch während es Wittgenstein zu dieser Zeit noch um eine Logik der Abbildung geht25, verlagert sich seine Denk- und Sichtweise später in eine lebendig-dynamische Annäherung an die Dinge: die statisch anmutende globale Betrachtung, deren Interesse vor allem in einer Abbildtheorie liegt, weicht einem ständig wechselnden „Sehen als“, sein Philosophieren hat zunehmend Ähnlichkeit mit dem Denk- und Arbeitsprozess eines Künstlers. Dementsprechend – und in Anlehnung an die in den Tagebüchern geäußerte Bemerkung über die Kunst als Betrachtung sub specie aeternitatis26 – ordnet er die Philosophie auf derselben Ebene ein: Nun scheint mir aber, gibt es außer der Arbeit/ Tätigkeit/Funktion des Künstlers noch eine andere, die Welt sub specie äterni einzufangen. Es ist – glaube ich – der Weg des Gedankens der gleichsam über die Welt hinfliegt & sie so läßt wie sie ist, – sie von oben im/vom Fluge betrachtend/ sie vom Fluge betrachtend/ sie von oben vom Fluge betrachtend.27
25 Vgl. TLP 4.015: „Die Möglichkeit aller Gleichnisse, der ganzen Bildhaftigkeit unserer Ausdrucksweise, ruht in der Logik der Abbildung.“ 26 Vgl. Tagebücher, 7. 10. 16. 27 MS109,28; 22. 8. 1930, zit. nach VB, S. 27. Vgl. auch KB Nr. 52, S. 35.
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Die Tendenz, die Welt gleichsam im „philosophischen Überflug“ zu betrachten, korrespondiert der „sprachtranszendenten ,Anschauung‘, die der Kunst gelingt, wenn sie sich von den Fesseln der mimetischen Abbildung der Welt befreit.“28 Wenn auch die Perspektive von oben und deren Ziel, alles so zu lassen wie es ist, auf die im Tractatus und in den Tagebüchern bemerkbare gelassene, dabei statisch anmutende Betrachtung der Welt hinweist, so deuten die „in einem Fluge befindlichen“ Gedanken jedoch auf den unaufhörlichen Prozess der Bewegung hin, der Wittgensteins Philosophieren der späteren Phase bestimmte. Sowohl Kunst als auch Philosophie sollen dazu führen, die Welt aus der richtigen Perspektive zu sehen. Dabei müssen alle Aspekte einer Sichtweise berücksichtigt werden – die Unterschiede, ebenso aber auch die (Familien-) Ähnlichkeiten. Diese Ähnlichkeiten lassen sich nicht nur innerhalb eines bestimmten Kontexts, einer bestimmten Gattung oder Kunstrichtung finden, sondern übergreifend, interdisziplinär. Wie aus zahlreichen Beispielen von Wittgensteins philosophischen Untersuchungen hervorgeht, besaß er die Gabe einer synästhetischen Empfindungs- und Betrachtungsweise. Er empfand sprachliche Sätze wie Musik, Melodien in Farben, Bauwerke als Gesten. In seinen philosophischen Erörterungen vergleicht er häufig das Verstehen eines Satzes mit dem Verstehen und Erleben eines Musikstücks oder eines Bildes. Durch die Gegenüberstellung von Satz – Bild – Musikstück und durch die Auseinandersetzung damit aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven zeigt sich die Affinität der dabei empfundenen Erlebnisse. Wie ein Satz Bildern und Musikstücken zu vergleichen ist, so kann man umgekehrt von der Musik sagen, sie habe ihre eigene Sprache. So würde Einer, der Musik nie gekannt habe und nun einen „nachdenklichen Chopin“ spielen höre, überzeugt sein, dies sei eine Sprache und man wolle ihm nur den Sinn geheim halten. Denn: „In der Wortsprache ist ein starkes musikalisches Element. (Ein Seufzer, der Tonfall der Frage, der Verkündigung, der Sehnsucht, alle die unzähligen Gesten des Tonfalls.)“29 Die Musik Bachs erscheint Wittgenstein „sprachähnlicher“ als die von Mozart oder Haydn,30 und er schreibt von der musikalischen „Gedankenstärke bei Brahms“.31
28 Vgl. Bezzel, Chris: „Kunst des Philosophierens und Philosophie der Kunst“. In: Wittgenstein. Eine Ausstellung der Wiener Secession, Wien 1989, S. 277. 29 Vgl. Zettel, § 161. 30 Vgl. VB, S. 76. 31 Vgl. VB, S. 56.
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Nicht nur in der Musik, auch in der Architektur findet er Erscheinungen mit „sprachähnlichem Charakter“; er spricht von der „sinnvollen Unregelmäßigkeit“ in der Gotik und den Türmen der Basiliuskathedrale.32 Zeichnungen, wie die von Busch, könne man seiner Ansicht nach oft „metaphysisch“ nennen – „Gesehen, mit dem Ewigen als Hintergrund“.33 Doch bedeuten die Striche der Zeichnungen dies nur in einer ganzen Sprache, „in einer Sprache ohne Grammatik“, von der man die Regeln nicht angeben könne.34 Wittgensteins intensive Auseinandersetzung mit Farben und seine häufige Verwendung von Wörtern wie „Geste“ und „Ton“ zeugen von der übereinander greifenden Dynamik in den Künsten und ihren Möglichkeiten an Ausdruck für das in Worten nicht Mitteilbare. Es kommt auf das „Zeigen“ an, nicht auf das „Sagen“, und dementsprechend auf die Fähigkeit bzw. Bereitschaft, dieses „Zeigen“ wahrzunehmen, zu verstehen.
2.1.1 Geste Der in Wittgensteins Reflexionen immer wiederkehrende Begriff der Geste ist in philosophischer, in religiöser Hinsicht und in Zusammenhang mit Kunst zu beobachten, wobei diese drei Aspekte sich auf derselben Ebene bewegen und einander berühren.
2.1.1.1 Geste in der Philosophie Es ist sonderbar: Wir möchten das Verstehen einer Geste als ein Übersetzen in Worte erklären, und das Verstehen von Worten als ein Übersetzen in Gesten. Und wirklich werden wir Worte durch eine Geste und eine Geste durch Worte erklären. Anderseits sagt man „ich verstehe diese Geste“ in dem Sinn wie: „ich verstehe dieses Thema“, „es sagt mir etwas“, und das heißt hier: ich folge ihm mit bestimmtem Erlebnis.35
Dies ist nur eines von zahlreichen Beispielen, wo Wittgenstein in seinen philosophischen Überlegungen auf die wechselseitige Bedeutung von Gesten und Worten hinweist. Gesten fungieren als Medium, Gefühle auszudrücken. Wortlos, sprechen sie ihre eigene und deutlichere Sprache.
32 Vgl. VB, S. 76. 33 Vgl. MS137,88b; 4. 11. 1948, zit. nach VB, S. 143. 34 Vgl. MS137,88b; 4. 11. 1948, zit. nach VB, S. 143. 35 Philosophische Grammatik, S. 42 f.
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Im Braunen Buch gibt es eine Stelle, wo Wittgenstein sich mit dem Gefühl des Vergangenen auseinandersetzt: Dieses würde ihm beim Tonfall, in dem die Worte „Lang, lang ist‘s her“ gesprochen werden, bewusst – als eine „Geste“. Noch deutlicher aber könne ihm das Anhören einer Melodie das Gefühl des Vergangenen vermitteln. Dieses Erlebnis erklären zu wollen, bzw. das Erlebnis der Geste oder des Hörens der Musik vom Erlebnis des Gefühls des Vergangenen zu sondern, dabei rational zu erklären, ist zum Scheitern verurteilt.36 Es kommt auf den „Ausdruck“ an, die „Geste“. Wenn wir jemand anderem ein Gefühl mitteilen wollen, so könnten wir niemals wissen, was „am anderen Ende geschieht“. Alles, was wir von ihm bekommen könnten, wäre ein „Ausdruck“ (ebenda, S. 282).
2.1.1.2 Geste in der Kunst Wie wir beim Lesen eines Gedichts oder beim Anhören eines Musikstücks in anerkennender Zustimmung, als Bekräftigung unseres Verstehens, manchmal eine Gebärde, eine Geste machen, so kann in umgekehrter Weise Kunst selbst „Geste“ sein. Dies gilt insbesondere für die Architektur: „Erinnere Dich an den Eindruck guter Architektur, daß sie einen Gedanken ausdrückt. Man möchte auch ihr mit einer Geste folgen.“37 Architektur ist Wittgenstein vor allem dann Geste, wenn sie Ewiges darstellt – somit der Geste im transzendenten Sinne nahekommt: Architektur verewigt & verherrlicht etwas. Darum kann es nicht Architektur geben, wo nichts (zu verewigen &) zu verherrlichen ist.38
Architektur als schweigender Ausdruck von Ewigem, Dauerndem war auch Georg Trakl bewusst. Über das von Adolf Loos erbaute Haus am Michaelerplatz äußerte er sich mit folgenden Worten: „Antlitz eines Hauses: Ernst und Schweigen des Steins groß und gewaltig gestaltet Adolf Loos in Bewunderung“.39
36 Vgl. das Braune Buch, S. 280f. Vgl. dazu Marcel Prousts Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Erinnerns in A la recherche du temps perdu, wo auch er beschreibt, wie optische und akustische Reize etwas scheinbar längst Vergessenes wieder wachrufen können. Allerdings betont Proust neben den sinnlichen Eindrücken eines bestimmten Erlebnisses (die für ihn die erste Phase im Prozess des Erinnerns bedeuten) die nachher unerlässliche rationale Analyse (als zweite Phase), um das zuerst durch sinnliche Eindrücke wachgerufene Erlebnis der Vergangenheit herbeizuholen, gegenwärtig zu machen. 37 MS156a,25r; ca. 1932–1934, zit. nach VB, S. 55. Vgl. auch MS126,15r; 28.10.1942; VB, S. 89. 38 MS167,10v; ca. 1947–1948, zit. nach VB, S. 127. 39 Georg Trakl, Dichtungen und Briefe. 1. Historisch-kritische Ausgabe. Herausgegeben von Walther Killy und Hans Szklenar. Salzburg 1969, Widmung II, S. 465.
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In einem bekannten Zitat weist Wittgenstein auf die Nähe der Architektur – als Ausdruck der Kunst – zum denkenden, schaffenden, sich stets wandelnden, da nach Vervollkommnung strebenden Menschen hin, wobei der enge Zusammenhang zwischen Philosophie und Architektur als „Arbeit an Einem selbst“, an „der eignen Auffassung“,40 deutlich wird. Die Ähnlichkeit zwischen Wittgensteins Arbeit an der Philosophie und der Arbeit in der Architektur betrifft mehrere, entscheidende Aspekte, die hier zu erörtern über den Rahmen hinausgehen würden. Es sei jedoch auf die dynamische Komponente hingewiesen, die in Wittgensteins Auseinandersetzung und Beschäftigung mit Architektur in allem Statischen, dauerhaft Tragenden, deutlich wird.41 Während seiner Tätigkeit als Architekt am Bau des Hauses für seine Schwester Margarete entwickelten sich bei Wittgenstein, wie Engelmann feststellte, fortlaufend neue Ideen – wie dies ja auch aus seinen philosophischen Untersuchungen, aus seinem ständig wechselnden „Sehen als“ hervorgeht, seinem Feingespür für die unterschiedlichen Perspektiven, die subtilsten Nuancen. Wie Bernhard Leitner bemerkt, verband Wittgensteins „Denken in Architektur“ sich mit einer „außergewöhnlichen Selbstsicherheit und Besessenheit im Prozeß des Form-Findens“.42 Wittgenstein dachte die Bewegung durch und gestaltete sie; wenn auch die Räume auf einen ersten, flüchtigen Eindruck hin statisch-starr wirken mögen, so wird man beim Durchgehen der einzelnen Räume der „Bewegung“ gewahr. Das Haus lebt trotz der in sich ruhenden Ausstrahlung; es ist nicht eine „steingewordene Logik“, wie Hermine Wittgenstein fälschlicherweise bemerkte, sondern Ausdruck – „Geste“, „Gebärde“ – von Wittgensteins spezifischer Art zu denken.
2.1.1.3 Geste im religiösen Sinn „A miracle is, as it were, a gesture which God makes.”43 Doch Wittgenstein setzt hinzu, dass er nicht an solche Wunder glaube. „Gott offenbart sich nicht in der Welt“, schrieb er einmal, konnte sich aber der Faszination von „Zeichen“, „Symbolen“, „Gesten“, von den Menschen oft als „Wunder“ bestaunt, nicht entziehen. Trotzdem betrachtet er nicht das als Wunder, was gemeinhin als solches verstanden wird – nämlich das Auffallende, noch nie Dagewesene. Für ihn sind die eigentlichen Wunder vielmehr „verborgen“, durch Achtlosigkeit zumeist überse-
40 MS112,46; 14. 10. 1931, zit. nach VB, S. 52. 41 Vgl. dazu Leitner, Bernhard: „Das Haus in Bewegung“. In: Wittgenstein. Biographie. Philosophie. Praxis. Eine Ausstellung der Wiener Secession (13. September–29. Oktober 1989), S. 166–197. 42 Vgl. Leitner, Bernhard: „Das Haus in Bewegung“, S. 169. 43 MS128,46; ca. 1944, zit. nach VB, S. 92.
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hen. Auf den religiösen Bereich bezogen, liegen Wunder für ihn im „Geist“, in dem etwas geschieht, und weniger in einem ungewöhnlichen Ereignis. In den Tagebüchern der 1930er Jahre erläutert er dies am Beispiel der Hochzeit von Kana aus Dostojewskis Die Brüder Karamasoff. Das Wunderbare daran sei nicht im nie Dagewesenen zu sehen, d. h. in der Verwandlung von Wasser in Wein, sondern im Inhalt und in der Bedeutung der Handlung. Im „Geist“, in dem es getan werde und für den die Verwandlung von Wasser in Wein nur ein „Symbol“, ein „Ausdruck“ – eine „Geste“ – sei.44 Doch vermied es Wittgenstein, im religiösen Bereich von Bildern oder Gleichnissen zu sprechen,45 da diese der Sprache und damit dem Sagbaren zu nahe seien. Der Glaube bewege sich in einer Sphäre, in der jeder Versuch einer Verbalisierung scheitert; allenfalls durch Gesten könne uns die Bedeutung bewusst gemacht werden. [...] Ich könnte also, scheint es, alle Ausdrücke brauchen, die die Religion hier tatsächlich gebraucht. Es drängen sich mir also diese Bilder auf. Und doch scheue ich mich diese Bilder & Ausdrücke zu gebrauchen. Vor allem sind es natürlich nicht Gleichnisse. Denn was sich durch ein Gleichnis sagen läßt, das auch ohne Gleichnis. Diese Bilder & Ausdrücke haben ihr Leben vielmehr nur in einer hohen Sphäre des Lebens nur in dieser Sphäre können sie mit Recht gebraucht werden. Ich könnte eigentlich nur eine Geste machen, die etwas Ähnliches heißt wie „unsagbar“, & nichts sagen.46
2.1.2 Farben Die Stellen, an denen Wittgenstein über Farben schreibt, sind zahlreich und vielschichtig und in Parallele mit seiner Vorliebe für Begriffe wie Ton und Geste zu sehen – als Ausdrucksmittel für das Nicht-Rationale, Nonverbale.47 In einem seiner Manuskripte für die Lecture on Ethics (MS139a) schreibt er auf Seite 15v (die er dann durchgestrichen hat), es sei Unsinn zu sagen, man staune, dass es Farben und Töne gibt. Im selben Manuskript (12–14) bezeichnet er den Satz „Ich staune über die Existenz der Welt“ als denselben Unsinn. Dies sei vom
44 DB, S. 83f. 45 Vgl. dazu Wittgensteins Gespräche mit dem Wiener Kreis (zit. im Kapitel über die Vorlesungen über den religiösen Glauben). 46 DB, S. 172 f. 47 Die Chronologie der Aussagen Wittgensteins über Farben ist allerdings eindeutig geklärt. Vgl. Rothhaupt, Josef G. F.: Farbthemen in Wittgensteins Gesamtnachlaß. Philologisch-philosophische Untersuchungen im Längsschnitt und in Querschnitten. Weinheim 1996.
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grammatischen Aspekt aus betrachtet, bemerkt er, doch der tiefere Hintergrund seiner Überlegungen zielt auf die Feststellung hin, dass alle Sätze über Ethik in Unsinn münden. Staunen über die Existenz der Welt impliziert eine ethische Dimension, und kann im alltäglichen Sprachgebrauch nicht verbalisiert werden. Ebenso birgt das Staunen über Farben und Töne eine Dimension, die allenfalls in der Kunst, nicht aber in der „normalen“ Sprache ausgedrückt werden kann. Farben und Töne sind Teil der „Existenz der Welt“, machen ihre Schönheit aus, doch werden sie zumeist für selbstverständlich genommen, so dass ein verbaler Ausdruck des Staunens über sie unsinnig erschiene. Sie mit Bewunderung wahrzunehmen, liegt auf derselben Ebene wie das ethisch begründete Staunen über die Existenz der Welt, „daß sie ist“. Die Unmöglichkeit, dies zu verbalisieren, ist ähnlich der Unmöglichkeit, unser Empfinden beim Anblick von Farben und Tönen in Worten zu beschreiben. Es sei denn, man staunt über eine besonders auffallende Farbe im Gegensatz zu schwarz oder grau, doch wäre dies ein Staunen im relativen Sinn. Staunen über Farben und Töne an sich – über ihr bloßes Dasein – bedeutet hingegen ein Staunen im absoluten Sinn, das zu erklären über die Grenzen der Sprache hinaus ginge. Wittgenstein spricht auch häufig von Farbtönen: Diese bedeuten Differenzierungen, in mancher Hinsicht – wie in seinen Reflexionen über Wissen, Denken und Glauben – eine Abschwächung. So spricht er einmal vom Glauben als einem „Farbton der Gedanken.“48 Farbtöne, Schattierungen, Nuancen stehen für fließende Übergänge, für Vielfalt – und folglich auch für Aspektwechsel: So wie manche Maler von einem Motiv verschiedene Varianten in immer anderen Farbtönen malen – untersucht Wittgenstein die Bedeutung eines Wortes oder Satzes in unterschiedlichsten Zusammenhängen. Seine Beispiele, die in ständig leichter Abänderung variieren, gleichen Bildern, die in verschiedenen Farbtönen oder aus unterschiedlichen Perspektiven heraus dargestellt sind.49 Darüber hinaus vermögen Farben – ähnlich Tönen in der Musik – unmittelbar zu berühren, wo Worte versagen. Farben deuten an, zeigen auf Verborgenes, Verhülltes – sie sprechen die Sinne an, gleichzeitig aber auch den Geist, da sie
48 PU I, § 578. 49 Vgl. dazu Werke von Malern, die von einem Motiv mehrere bzw. ganze Serien malen: die zahlreichen Seerosen (die „nymphéas“)- oder Heuschober-Studien von Claude Monet oder die Farbkreisstudien von dem bisher fast unbekannten Tiroler Künstler Erich Lechleitner. (Vgl. Erich Lechleitner 1879–1959. Text: Walter Methlagl sen. (Herausgeber), Bildteile und Layout: Walter Methlagl jun. Innsbruck 2003).
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das nicht Aussprechbare intellektuell fassbar machen können, zugänglich, transparent. Farben regen nicht auf, sondern an – wie auch Wittgenstein bemerkt: Farben regen zum Philosophieren an. Vielleicht erklärt das die Leidenschaft Goethes für die Farbenlehre. Die Farben scheinen uns ein Rätsel aufzugeben, ein Rätsel, das uns anregt, – nicht aufregt.50
In seinen Reflexionen über Gewissheit verwendet Wittgenstein u. a. als Beispiele auch Farben und kommt dabei zur Einsicht der Fragwürdigkeit alles scheinbar Sicheren in unseren Ansichten und Ausdrücken. In der Untersuchung verschiedener Kulturen und Lebensformen, in denen Farben unterschiedlich wahrgenommen werden, zeigt sich die Schwierigkeit, Gewissheit zu erlangen. Wie könne man denn wissen, ob ein Anderer die Farbe „rot“ so sieht, wie ich sie sehe; welche Art des Sehens zeichnet Blinde aus? Insofern spielen Farben hinsichtlich des wissenschaftlich nicht Ergründ- oder Beweisbaren eine Rolle, vermögen andererseits jedoch auf ihre spezifische Art und Weise uns dieses näher zu bringen. Gemäß seiner synästhetischen Erfassung der Welt spricht Wittgenstein auch in Zusammenhang mit Musik häufig von Farben. Er vergleicht Werke von Komponisten wie Bruckner und Brahms mit Farben.51 Während er der Brahmsschen Instrumentierung und Thematik Farblosigkeit vorwirft, erscheint ihm die Brucknersche „färbig“. Bruckners Notenschrift findet er „ungeschickt & schwerfällig“, bei Brahms spricht er von den „Farben des Orchesterklanges“, die er den „Farben von Wegmarkierungen“ gleichsetzt.52 Über den zweiten Satz der 7. Symphonie von Beethoven bemerkte er gegenüber Drury: Der Anfangsakkord dieses langsamen Satzes hat die gleiche Farbe wie dieser Himmel [wobei er aus dem Fenster zeigt][...]. Ganz am Schluß des Satzes, da tut Beethoven etwas, wodurch man das Thema in völlig anderem Licht sieht.53
2.1.3 Ton [...] ((Ich möchte sagen: ‚Diese Töne sagen etwas Herrliches, aber ich weiß nicht was.‘ Diese Töne sind eine starke Geste, aber ich kann ihr nichts Erklärendes an die Seite stellen. Ein tief ernstes Kopfnicken. James: ‚Es fehlen uns die Worte‘. Warum führen wir sie dann nicht ein? Was müßte der Fall sein, damit wir es könnten?))54
50 MS136,92b; 11.1.1948, zit. nach VB, S. 130. 51 Vgl. DB, S. 105 f. 52 Vgl. DB, 6.5.1931, S. 78 f. 53 Vgl. Porträts und Gespräche, S. 164. 54 Vgl. PU, § 610.
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Das Wort „Ton“ kommt bei Wittgenstein immer wieder vor – in Zusammenhang mit Dichtung, Farben, Musik. Dabei macht er auf die Wechselseitigkeit zwischen Farben und Tönen bzw. die Assoziationen aufmerksam, die wir bei einem bestimmten Klang mit einer bestimmten Farbe knüpfen. Wie das oben angeführte Zitat zeigt, verwendet er auch das Wort „Geste“ in Zusammenhang mit „Ton“: Beide Begriffe deuten auf in Worten Unausdrückbares, in Kunst und Religion jedoch Zeigbares, hin. Ferner beinhaltet „Ton“ das einem Menschen Zugrundeliegende, seine Haltung oder schöpferische Ausdrucksweise – seinen „Stil“. Von diesem „Ton“ hing Wittgensteins positives oder negatives Urteil über einen Dichter oder Musiker ab – wie er bei Georg Trakl bewegt an Ludwig von Ficker schrieb: Ich danke Ihnen für die Zusendung der Gedichte Trakls. Ich verstehe sie nicht; aber ihr Ton beglückt mich. Es ist der Ton der wahrhaft genialen Menschen.55
Es war vor allem Wahrhaftigkeit, die Wittgenstein vom Künstler bzw. von dessen Kunstwerk forderte – als „Notwendigkeit sub specie aeterni“,56 die er als Grundbedingung für Authentizität und folglich Genialität des Künstlers sah. Nur bei entsprechender Erfüllung dieser Anforderung kann Kunst zum „vollendeten Ausdruck“ werden. Kunst nur als Vermittlerin von Gefühlen zu betrachten, wäre hingegen eine Degradierung von Kunst. Diese müsse aus sich, für sich selbst, sprechen, sei es in der Malerei, in der Musik oder jedem anderen Bereich.57 Ebenso wenig wie als Vermittlerin von Gefühlen sah Wittgenstein die Musik auch nicht als Trostspenderin, sondern – ähnlich wie die Religion – als Vermittlerin der „Chiffren der Transzendenz“ in Grenzsituationen. Kunst entspringt aus der Verzweiflung, dem Aufschrei – wie Karl Kraus sich ausdrückte:
55 Vgl. Wittgensteins Brief an Ludwig Ficker (Poststempel, 28. 11. 1914, zit. nach Briefe an Ludwig von Ficker, S. 22. Hingegen äußerte er sich in einem Brief vom 23. 10. 1921 an Paul Engelmann über Rabindranath Tagore weniger begeistert, da ihm dessen Ton „nicht der Ton eines von der Wahrheit ergriffenen Menschen“ zu sein schien – eine Meinung, die er allerdings wenig später änderte, wie aus einem Brief an Ludwig Hänsel hervorgeht. (Vgl. Wittgenstein – Engelmann, S. 66 und Hänsel, S. 57) 56 Vgl. Wittgensteins Notiz vom 9. 5. 1930: „Stil ist der Ausdruck einer allgemein menschlichen Notwendigkeit. Das gilt vom Schreibstil wie vom Baustil (und jedem anderen). Stil ist die allgemeine Notwendigkeit sub specie eterni gesehen.“ (DB, S. 28) 57 „Musik vermittelt uns sich selbst.“ In: Eine Philosophische Betrachtung (Das sogenannte Braune Buch). In: Das Blaue Buch, S. 272 f. Wittgenstein schreibt des weiteren darüber, wie ein Farbenmuster „etwas sagt“, wenn es uns beeindruckt.
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[...] Kunst kann nur vom Absagen kommen. Nur vom Aufschrei, nicht von der Beruhigung. Die Kunst, zum Troste gerufen, verläßt mit einem Fluch das Sterbezimmer der Menschheit. Sie geht durch Hoffnungsloses zur Erfüllung.58
Das „Sprechen“ des Bildes oder Musikstücks, auf das Wittgenstein oft hinweist, ist auch als Ton des Kunstwerks zu sehen, der, unerklärbar, einen anspricht. Obwohl dieser sich nicht nur auf den Hörsinn beschränkt, scheint der „Ton“ in der Musik für Wittgenstein von besonderer Bedeutung gewesen zu sein.
2.2 Wittgenstein und die Musik (Wie man manchmal eine Musik nur im inneren Ohr reproduzieren kann aber sie nicht pfeifen weil das Pfeifen schon die innere Stimme übertönt, so ist manchmal die Stimme eines Gedankens so leise daß sie vom Lärm des gesprochenen Wortes schon übertönt wird & nicht mehr gehört werden kann wenn man gefragt wird & reden/ soll.)59
Diese, mit einem Kringel versehene Bemerkung erfolgte 1930 – dem Jahr, aus dem es häufig Eintragungen über die Musik in Wittgensteins Nachlass gibt – dies vor allem hinsichtlich der Nähe zu seiner spezifischen Art zu philosophieren, im besonderen hinsichtlich seiner Suche nach Ausdruck. Man erinnere sich an seine Bemerkungen über die feinen Unterschiede zwischen Denken, Reden und Schreiben und die damit verbundene Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit der Umsetzung in Sprache – sowohl gesprochen als geschrieben. Die Musik nahm in Wittgensteins Leben und Philosophieren eine zentrale Stellung ein. In den Tagebüchern 1914–1916 spricht er von der Musik in Zusammenhang mit Logik, die auf derselben „höheren“ Ebene liegt, wo es das Wesen der Dinge zu erforschen gilt. Am 22.1.1915 schreibt er: Meine ganze Aufgabe besteht darin, das Wesen des Satzes zu erklären. Das heißt, das Wesen aller Tatsachen anzugeben, deren Bild der Satz ist. Das Wesen allen Seins angeben. (Und hier bedeutet Sein nicht existieren – dann wäre es unsinnig.)60
Am 7.2.1915 heißt es: „Die musikalischen Themen sind in gewissem Sinne Sätze. Die Kenntnis des Wesens der Logik wird deshalb zur Kenntnis des Wesens der Musik führen.“61
58 Karl Kraus, Die Fackel, Nr. 360/361/362, 7. November 1912, XIV. Jahr, „Nachts“ (S.1–25), S. 22. 59 MS107,267; 30. 1. 1930; TS208,166(?); TS233b,19; KB Nr. 15) 60 TB, S. 129. 61 TB, S. 130.
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Wie Wittgenstein auch noch in späteren Jahren von der Logik spricht – als Ordnung a priori der Welt, der keine Trübe oder Unsicherheit anhaften dürfe, sondern die vom „reinsten Kristall“62 sein müsse –, erhoffte er von der Musik der Zukunft eine ähnliche Reinheit, Klarheit und Einfachheit: Ich sollte mich nicht wundern wenn die Musik der Zukunft einstimmig wäre. Oder ist das nur, weil ich mir mehrere Stimmen nicht klar vorstellen kann? Jedenfalls kann ich mir nicht denken daß die alten großen Formen (Streichquartett, Symphonie, Oratorium etc) irgend eine Rolle werden spielen können. Wenn etwas kommt so wird es – glaube ich – einfach sein müssen, durchsichtig. In gewissem Sinne nackt.63
Für Arnold Schönberg – mit Adolf Loos und Karl Kraus in derselben geistigen Umwelt wie Wittgenstein stehend – war die „musikalische Logik“ von größter Bedeutung: „In der Musik gibt es keine Form ohne Logik und keine Logik ohne Einheit.“64 Auch Schönberg betonte die vielseitige Darstellung des Gedankens durch die Musik – ohne dass dieser direkt ausgesprochen werden müsse. Auch er wollte seine Schüler lehren, ihre eigene, einem individuellen „Ausdrucksbedürfnis“ entspringende, künstlerische Form zu finden. „Der Glaube an Wissenschaft und Technik müßte unterdrückt, das Bestreben nach Wahrhaftigkeit hingegen gefördert werden.“65 Wie alle Kunst, war Musik für Wittgenstein auch Sprache, Ausdruck einer Epoche und Ausdruck des einzelnen Menschen. Gute bzw. wahre Musik erfordert daher Wahrhaftigkeit des Komponisten bzw. Künstlers. Diese Wahrhaftigkeit bezieht sich nicht nur auf die wahrhafte Darstellung der realen Situation, des kulturellen Umfelds, in dem der Künstler sich befindet, sondern auch auf die wahrhafte Wiedergabe seines Empfindens. In Anlehnung an Ricarda Huchs Äußerung über Gottfried Keller „Seine Wahrhaftigkeit, die den Ton nicht um eine Schwingung lauter werden läßt als sein Empfinden“, schrieb Engelmann, dass es diese „Wahrhaftigkeit, diese völlige Angemessenheit des Ausdrucks an das Empfinden“ war, die Wittgenstein in der Kunst suchte, und dieses Suchen schien aus seiner Sicht „auch der Motor seines Philosophierens“ gewesen zu sein.66 Sprache und Kunst bzw. Musik stehen in unmittelbarem Zusammenhang: In den Philosophischen Untersuchungen, § 527, schreibt Wittgenstein: „Das Verste-
62 PU, § 97. 63 4. [10. 1930], DB, S. 41. 64 Vgl. Janik, Allan / Toulmin, Stephen: Wittgensteins Wien. Wien 1998, S. 127. 65 Vgl. Arnold Schönbergs Aufsatz „Probleme des Kunstunterrichts“, zit. nach Janik/Toulmin, Wittgensteins Wien, S. 128. 66 Vgl. Wittgenstein - Engelmann, S. 103.
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hen eines Satzes der Sprache ist dem Verstehen eines Themas in der Musik viel verwandter, als man etwa glaubt.“67 Trotzdem lässt sich Musik wie alle Kunst nicht verbalisieren, sie spricht als ein Sich-Zeigendes, als „Geste“ zu uns. In den Vorlesungen und Gesprächen über Ästhethik, Psychoanalyse und religiösen Glauben bemerkt Wittgenstein, dass für ihn der Ausdruck einer Emotion in der Musik „eine bestimmte Geste“ sei.68 Ein Maler könne diese Geste „aufmalen“, ein anderer zeichnen. Beim Versuch einer Beschreibung eines Musikstücks oder eines Bildes würde sich hingegen zeigen, dass man den Eindruck nicht mit Worten vermitteln könne, sondern entweder malen müsste oder eine „Geste“ machen, die für diesen Eindruck charakteristisch sei. ***** Die Verbindung von ethischer Forderung und ästhetischem Anspruch wie auch die Verknüpfung von Philosophie und Kunst wird in einem Brief Wittgensteins an Rudolf Koder sichtbar.69 Auf dessen Klage, über sich selbst nicht im Klaren zu sein, rät Wittgenstein ihm, bei all seinen Tätigkeiten – sei es im Musizieren oder bei sonstiger Arbeit – stets auf die innere Stimme zu hören und keine Mühe zu scheuen, sondern alles zu geben. Nur dann könne er Klarheit über sich und dabei etwas wirklich Gutes erreichen. Koder wiederum berichtet von der Hingabe, mit der Wittgenstein selbst musizierte und so lange übte, bis der Ton seiner Klarinette so schön war, wie er es sich vorgestellt hatte.70 Die große Bedeutung der Musik für Wittgenstein ist in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Philosophie zu sehen: Als er mit der Arbeit am zweiten Teil der Philosophischen Untersuchungen beschäftigt war, sagte er zu M. O‘C. Drury: Ich finde es unmöglich, in meinem Buch auch nur ein einziges Wort zu sagen über alles das, was die Musik für mich in meinem Leben bedeutet hat. Wie kann ich dann darauf hoffen, daß man mich versteht?71
67 Vgl. auch Philosophische Grammmatik, 41f.,S. 72 f. 68 Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychoanalyse und religiösen Glauben (Düsseldorf / Bonn 1996, S. 57. 69 Vgl. Wittgenstein und die Musik. Briefwechsel Ludwig Wittgenstein Rudolf Koder. Herausgegeben von Martin Alber in Zusammenarbeit mit Brian McGuinness und Monika Seekircher. Innsbruck 2000, S. 37 f. 70 Vgl. den Bericht von Rudolf Koder in Wittgenstein und die Musik, S. 93 f. 71 Drury, M. O‘C.: „Bemerkungen zu einigen Gesprächen mit Wittgenstein“, in Porträts und Gespräche, S. 120.
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Die zu Beginn dieses Beitrags zitierte Stelle über seinen Wunsch, einmal eine Melodie zu komponieren, ist deutlicher Hinweis für seine Suche nach dem richtigen „Ton“, um Unaussprechbarem Gestalt zu geben, der Tiefe seines Empfindens Ausdruck zu verleihen. – Um dadurch Klarheit über sich selbst zu erlangen, wie er auch Klarheit in seiner Philosophie anstrebte. Die Durchsichtigkeit, „Transparenz“, von der er so oft spricht, hoffte er, in der richtigen Melodie zu finden – um das Gedachte und Erfahrene gleichsam als „Kristall“ hinzustellen. Indem die Musik für ihn die Möglichkeit schien, Ausdruck seines Lebens und seiner Philosophie zu geben, bekundet er eine geistige Verbundenheit mit Schopenhauer, für den die Musik in ähnlicher Weise das „tiefste Innere unsers Wesens zur Sprache“72 bringt und eine Sonderstellung unter den Künsten73 einnimmt: im Gegensatz zu diesen drücke die Musik nicht die Ideen bzw. Manifestationen des Willens in der Erscheinung aus, sondern sei unmittelbares Abbild des Willens selbst, stelle daher zu allem Physischen der Welt das Metaphysische, zu aller Erscheinung das Ding an sich dar. (vgl. WWV I, S. 330) Während für Schopenhauer die Musik also das Wesen der „realen Welt“ darstellt, ist sie für Wittgenstein Ausdruck von „Religion“ und „Wirklichkeit“. Am 1. 3. [1931] notierte er: Beethoven ist ganz & gar Realist; ich meine, seine Musik ist ganz wahr, ich will sagen: er sieht das Leben ganz wie es ist & dann erhebt er es. Es ist ganz Religion & gar nicht religiöse Dichtung. Drum kann er in wirklichen Schmerzen trösten wenn die Andern versagen & man sich bei ihnen sagen muß: aber so ist es ja nicht. Er wiegt in keinen schönen Traum ein sondern erlöst die Welt dadurch daß er sie als Held sieht, wie sie ist.74
72 Schopenhauer, I, 322. 73 Vgl. A. Schopenhauer, Metaphysik des Schönen, S. 214: „Sie [die Musik] steht ganz abgesondert von allen andern: wir erkennen in ihr nicht die Nachbildung, Wiederholung irgend einer Idee der Dinge in der Welt. Dennoch ist sie eine große und überaus herrliche Kunst, wirkt mächtiger als irgend eine andre auf das Innerste des Menschen, wird dort ganz, tief und innig verstanden, als eine ganz allgemeine Sprache, deren Verständniß angeboren ist und deren Deutlichkeit sogar die der anschaulichen Welt selbst übertrifft.[...]“ Wittgenstein bezeichnete die Musik als die „raffinierteste aller Künste“. Im MS110,12 schrieb er: „Die Musik scheint manchem eine primitive Kunst zu sein mit ihren wenigen Tönen & Rhythmen. Aber einfach ist nur ihre Oberfläche/ihr Vordergrund während der Körper der die Deutung dieses manifesten Inhalts ermöglicht die ganze unendliche Komplexität besitzt die wir in dem Äußeren der anderen Künste angedeutet finden & die die Musik verschweigt. Sie ist in gewissem Sinne die raffinierteste aller Künste.“ (MS110,12; 12. 1. 1931; KB Nr. 81. Vgl. auch VB, S. 34 f.) 74 DB, S. 72.
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Der Unterschied zu Schopenhauer besteht in Wittgensteins Umsetzung von Schopenhauers Metaphysik des Willens in das Religiöse: Wo für den Ersteren bloße Naturgewalt herrscht, ahnt Wittgenstein etwas Göttliches. Trotz dieses Unterschieds besteht zwischen Schopenhauer und Wittgenstein dahingehend eine Übereinstimmung, als die Musik für beide in engster Beziehung zur Philosophie steht: In seiner Betrachtung der Musik schreibt Schopenhauer, dass, wenn es gelänge, „eine vollkommen richtige, vollständige und in das Einzelne gehende Erklärung der Musik zu geben, also das was sie in Tönen ausspricht, in Begriffen auszudrücken; so würde damit sofort auch eine genügende Wiederholung und Erklärung der Welt selbst in Begriffen gegeben seyn, also die wahre Philosophie.“ Von dieser Ansicht ausgehend, würde er Leibniz‘ Ausspruch über die Musik als ein „exercitium arithmeticae occultum nescientis se numerare animi“ [= eine unbewußte Übung in der Arithmetik, bei der der Geist nicht weiß, daß er zählt] folgendermaßen parodieren: „musica est exercitium philosophiae occultum nescientis se philosophari animi.“ [Die Musik ist eine unbewußte Übung in der Philosophie, bei der der Geist nicht weiß, dass er philosophiert.]75 Nietzsche erscheint die Musik als Wille, als „Abbild des Willens selbst“76, „Gesamt-Erregung und -Entladung der Affekte.“77 Der „Weltsymbolik der Musik“ sei „mit der Sprache auf keine Weise erschöpfend beizukommen“78, „im Verhältnis zur Musik“ sei „alle Mitteilung durch Worte von schamloser Art“.79 In der hohen Bewertung der Kunst lassen sich zwischen Schopenhauer, Nietzsche und Wittgenstein Parallelen finden: Für alle drei steht Kunst als Ausdruck des Schöpferisch-Lebendigen und im Gegensatz zum rationalen, „kalten“ Denken der Wissenschaften. Doch während Schopenhauer in der Kunst die Ideen bzw. Manifestationen des Willens, in der Musik das Abbild des Willens selbst erblickte, Nietzsche die Kunst im Schein, in der Illusion fand, suchte Wittgenstein in ihr den Ausdruck des realen Lebens und die Möglichkeit des Ausdrucks seiner selbst.
75 Vgl. Schopenhauer, Metaphysik des Schönen, S. 214, 225. Vgl. auch Schopenhauer, I, S. 322 und 332. 76 Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie. In: Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke in Einzelbänden, Bd. 70. Stuttgart 1955, S. 135. 77 Nietzsche, Friedrich: Götzen-Dämmerung, Bd. 77. Stuttgart 1978, S. 137. 78 Nietzsche, Friedrich: Die Geburt der Tragödie, Bd. 70, S. 76. 79 Nietzsche, Friedrich: Der Wille zur Macht, Bd. 78. Stuttgart 1964, S. 545.
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2.3 Konklusion Die philosophische Bedeutung der Kunst, die in Wittgensteins synästhetischer Betrachtungsweise zum Ausdruck kommt, hängt mit seiner staunenden Haltung gegenüber der phänomenalen Welt zusammen: In der aufmerksamen Haltung gegenüber Tönen und Farben entdeckt er fortlaufend neue Nuancen an den Dingen, Analogien zwischen ihnen – vielfältige Aspekte – untereinander harmonisch verbunden, durch Klänge, Töne, Farben. Sein Empfinden und Betrachten der Dinge erweist sich als ein synästhetisches, das sich von der Kunst über die Philosophie bis zur Religion gleich einem Bogen spannt. Musik erscheint ihm in Farben oder als Sprache – wie andererseits Lyrik sich ihm in Tönen mitteilt; Erscheinungen der Natur sieht er als Geste Gottes, doch auch in der Architektur, sofern sie Ewiges darstellt, erblickt er eine Geste. Seine philosophische Methode gleicht Skizzen von Landschaften oder aneinandergereihten Bildern, in denen jedes einzelne Beispiel durch die Analogie mit einem anderen erst verständlich wird. Dieses Herausarbeiten der Einzelsituationen innerhalb der Mannigfaltigkeit unserer Sprachspiele und Lebensformen wird bei Wittgenstein in einer dem Künstler ähnlichen Arbeitsweise vollzogen und gestaltet. Wittgenstein bezeichnete sich selbst als „Maler“80, seine Beispiele in den Philosophischen Untersuchungen und anderen Schriften gleichen farbigen Bildern oder musikalischen Sätzen bzw. Variationen ein und desselben Themas. Farben reflektieren Vielfalt, Unruhe, Bewegung. In seiner „Lobrede auf den Herbst“ schreibt Kierkegaard: Was ist Farbe? Das ist, was bedeutet Farbe? Farbe ist die sichtbare Bewegung und Unruhe, so wie der Ton die hörbare ist.[...] Farbe ist Gegensatz, aber Gegensatz ist Unruhe, Bewegtheit, selbst wenn zwei Gegensätze noch so still einander gegenüberstehen, dies, daß es Gegensätze sind, ist Unruhe. So der Sommer, er ist Ruhe. Aber dann kommt der Herbst und mit dem Herbst die Leidenschaften, und mit den Leidenschaften die Unruhe, und mit der Unruhe die Farbe, und mit der Unruhe der Leidenschaft das Verändern und Wechseln der Farbe.[...]81
80 Vgl.: „Und ich bin im Grunde doch ein Maler, & oft ein sehr schlechter Maler.“ MS138,30b; 17. 3. 1949, zit. nach VB, S. 157. An anderer Stelle schrieb er: „Der Denker gleicht sehr dem Zeichner. Der alle Zusammenhänge nachzeichnen will/möchte.“ (MS153a,90v; 1931, zit. nach VB, S. 37; Vgl. auch MS111,170/1, KB Nr. 200) 81 Vgl. Kierkegaard, Sören: „Lobrede auf den Herbst“, aus dem Dänischen von Walter Methlagl. In: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift, 24. Jg., Heft 47 (Innsbruck, Frühjahr 1990), S. 4646–4647.
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Obwohl unerklärbar, unzerlegbar, ermöglichen es Farben oder Töne, den Dingen näher zu kommen. Sie vermitteln bzw. verweisen ohne Worte auf das Eigentliche. Deshalb sind sie von bleibender Wirkung auf uns: „Kann man eine Farbe oder gar einen Ton vergessen?“82 Gesten – im Sinne des Ausdrucks von Kunst und Religion – lassen den Zugang zu Unerklärbarem auf intuitive Weise finden, ohne erklärt zu werden. Wenn dir plötzlich ein Thema, eine Wendung, etwas sagt, so brauchst du dir‘s nicht erklären zu können. Es ist dir plötzlich auch diese Geste zugänglich.83
Allen synästhetischen Formen ist gemeinsam, dass sie das nicht Verbalisierbare bedeuten und – ohne Worte – ausdrücken. Denn: „In der Kunst ist es schwer etwas zu sagen, was so gut ist wie: nichts zu sagen.“84 Oder, wie es im Tractatus heißt: Was gezeigt werden kann, kann nicht gesagt werden.“85 Man könnte hier von einer Begegnung zwischen Kunst und Philosophie sprechen, genauer gesagt, von einem „Scheideweg“: indem die Philosophie an der Grenze des Sagbaren stehen bleiben muss,86 übernimmt die Kunst die Aufgabe, das Unsagbare – jenseits der Grenze – zu vermitteln bzw. auszudrücken, ohne es auszusprechen. Wittgenstein war sich zeitlebens der Grenzen des Sagbaren bewusst. Im Scheitern, seine philosophischen Gedankengänge zum Ausdruck zu bringen, sah er eine Parallele zu seiner Unfähigkeit, das auszudrücken, was die Musik für ihn bedeutete, also das, was ihm das Wesentliche war. Seine Sehnsucht, einmal eine Melodie zu komponieren – das „Höchste“, was er zu erreichen wünschte –, ist im Grunde dieselbe wie seine Sehnsucht nach dem „erlösenden Wort“, die seine Philosophie durchdringt.
3 Literatur Bezzel, Chris: „Kunst des Philosophierens und Philosophie der Kunst“. In: Wittgenstein. Biographie. Philosophie. Praxis. Eine Ausstellung der Wiener Secession (13. September– 29. Oktober 1989). Wien 1989, S. 275–289.
82 Diese Eintragung hat Wittgenstein in eckigen Klammern gesetzt. (MS108,189) 83 Zettel, § 158. 84 Vgl. MS156a,57r; ca. 1932–1934, zit. nach VB, S. 56. 85 TLP 4.1212. 86 Vgl. Das Blaue Buch, S. 75: „In der Philosophie liegt die Schwierigkeit darin, nicht mehr zu sagen, als was wir wissen [...]“
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Janik, Allan / Toulmin, Stephen: Wittgensteins Wien. Aus dem Amerikanischen von Reinhard Merkel. Wien 1998. Leitner, Bernhard: „Das Haus in Bewegung“. In: Wittgenstein. Biographie. Philosophie. Praxis. Eine Ausstellung der Wiener Secession (13. September–29.Oktober 1989). Wien 1989, S. 166–197. Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke in Einzelbänden. Stuttgart 1964. Rothhaupt, Josef G. F.: Farbthemen in Wittgensteins Gesamtnachlaß. Philologisch-philosophische Untersuchungen im Längsschnitt und in Querschnitten. Weinheim 1996 [Monografien zur philosophischen Forschung 273]. Pichler, Alois: „Wittgensteins spätere Manuskripte: einige Bemerkungen zu Stil und Schreiben“. In: Mitteilungen aus dem Brenner-Archiv. Nr. 12/1993, S. 8–26. Schopenhauer, Arthur: Metaphysik des Schönen. Herausgegeben und eingeleitet von Volker Spierling. München / Zürich 1985. Schopenhauer, Arthur: Die Welt als Wille und Vorstellung I und II. Zürich 1977. Somavilla, Ilse: „Das philosophische Staunen bei den Griechen und bei Wittgenstein“. In: Wittgenstein und die Antike / Wittgenstein and Ancient Thought. Herausgegeben von Ilse Somavilla und James M. Thompson. Berlin 2012, S. 15–83. Spinoza, Benedictus de: Die Ethik. Schriften. Briefe. Herausgegeben von Friedrich Bülow. Stuttgart 1982. Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über Frazers Golden Bough. In: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Herausgegeben von Joachim Schulte. Frankfurt 1989, S 29–46. Wittgenstein, Ludwig: Das Blaue Buch. In: Werkausgabe Bd. 5. Eine Philosophische Betrachtung (Das Braune Buch). Frankfurt 1991. Wittgenstein, Ludwig: Denkbewegungen. Tagebücher 1930–1932/1936–1937. Herausgegeben von Ilse Somavilla. Innsbruck 1997 [=DB]. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Grammatik. In: Werkausgabe Bd. 4. Frankfurt 1991. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. In: Werkausgabe Bd. 1. Frankfurt 1990. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus-logico-philosophicus. In: Werkausgabe Bd. 1. Frankfurt 1990. Wittgenstein, Ludwig: Vermischte Bemerkungen. Eine Auswahl aus dem Nachlaß. Herausgegeben von G. H. von Wright unter Mitarbeit von Heikki Nyman. Neubearbeitung des Textes durch Alois Pichler. Frankfurt 1994. Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010 [=KB]. Wittgenstein, Ludwig: Vorlesungen und Gespräche über Ästhetik, Psychoanalyse und religiösen Glauben. Zusammengestellt und herausgegeben aus Notizen von Yorick Smythies, Rush Rhees und James Taylor. Deutsche Übersetzung von Ralf Funke. Düsseldorf / Bonn 1996. Wittgenstein, Ludwig: Vortrag über Ethik und andere kleine Schriften. Herausgegeben von Joachim Schulte. Frankfurt: Suhrkamp, 1989. Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein – Engelmann. Briefe, Begegnungen, Erinnerungen. Herausgegeben von Ilse Somavilla unter Mitarbeit von Brian McGuinness. Innsbruck 1996. Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein und die Musik, Briefwechsel Ludwig Wittgenstein Rudolf Koder. Herausgegeben von Martin Alber in Zusammenarbeit mit Brian McGuinness und Monika Seekircher. Innsbruck 2000. Wittgenstein, Ludwig: Zettel. In: Über Gewissheit. Werkausgabe Bd. 8. Frankfurt 1990. Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein’s Nachlass. The Bergen Electronic Edition. Bergen, Oxford 2000.
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Aufwachen zum Staunen Nicht die bloße Neugierde, sondern das Staunen war der Anlass der abendländischen Philosophie; es stand bei ihrer Geburt Pate – und hat dieses Patenamt bis heute nicht verloren. Thaumazein, das Staunen oder Sich-Verwundern, ist einerseits eine Irritation des Vertrauten oder Herkömmlichen und kann daher die Pforten der Wahrnehmung öffnen, und es ist daher, so Aristoteles, ein wichtiges, wenn nicht das Movens überhaupt für die Entwicklung der theoria (Schau), jener göttlichen Betrachtung, die dazu angetan ist, die bloße Verwunderung wiederum zu bannen. Theoria als die höchste Stufe des Erkennens fußt zwar in der Verwunderung, ist jedoch zugleich das Mittel, den Zustand der Verwunderung zu überwinden und den Weg zur athaumasia zu bahnen. Das sich verwundernde Staunen ist, könnte man mit einer Wendung Wittgensteins formulieren, jener Zustand, der zwischen dem Auftreten eines intellektuellen Juckreizes und dem Beginn des Kratzens liegt, das es sistiert. (Vgl. ÜG 1994, 162 f.) Doch spätestens seit der Frühmoderne, vor allem aber seit Descartes, wird das sich-verwundernde Staunen zum Vehikel nicht mehr zur Erlangung der Ruhe der theoria. Es führt zur Skepsis im wörtlichen Sinne und treibt so zur nie zu beendenden und immer genaueren Untersuchung der zur Verwunderung Anlass gebenden Dinge, sie dient vor allem zur Erfindung von geeigneten Maßnahmen, um dem Staunen wieder abzuhelfen. Das, was die Moderne „Theorie“ nennt, wird damit zu einem bloß zweckmäßigen Werkzeug, um nicht im Staunen verharren zu müssen. Seit dem 17. Jahrhundert begann sich die aktive theoretische Neugierde der Wissenschaften und danach der Philosophie der Aufklärung gegen den „Passivismus“ des thaumazeins durchzusetzen. (vgl. Daston 2001, S. 77–97) Aristoteles hatte die Göttlichkeit der theoria hervorgehoben, und in der abendländischen Philosophie hatte sie lange Zeit die Besonderheit des Umgangs mit dem Staunen bezeichnet, die man als eine Weise der Verwunderung bezeichnen könnte, die nicht, durch „Kratzen“ im Sinne Wittgensteins, zur athaumazia zurückführen, sondern als Zustand bewahrt werden soll. Dieses Staunen gilt nicht als eine Störung des gewöhnlichen Wahrnehmungsvollzugs, sondern ist Vorstufe oder Endziel für ein spirituelles Erleben sui generis. So hat Platon im Theaitetos und im Kratylos die ekpléxis als höchste Form der Erkenntnis gepriesen. (Matuschek 1991, S. 12 ff.) Sie bezeichnet einen vielleicht wahnhaften (mania), ja sogar erotischen Zustand höchster Erkenntnis, der dem Philosophen vergönnt ist und dem „Bauern“, wie Theophrast abfällig bemerkt hatte, vorenthalten bleibt (vgl. Matuschek 1991, S. 15).
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Das platonische Staunen, die ekpléxis, für das die Neugierde wenig zählt und das Einsetzen des Sich-Verwunderns eine Vorstufe ist, hat in der christlichen Theologie gleichsam hibernieren können und sich bis heute als Ortsbezeichnung für eine alteritäre Erfahrung erhalten. Als ein Beispiel mag die bekannte Theologin Dorothee Sölle dienen, die etwa in ihrem Buch Mystik und Widerstand – „Du stilles Geschrei“ dieses Staunen folgendermaßen charakterisiert: „Uns erfasst ein radikales Staunen, das die Schleier der Trivialität zerreißt. Staunen oder Verwunderung ist eine Art, Gott zu loben, auch wenn sein Name nicht genannt wird.“ (Sölle 1997, S. 113) Allgemeiner gesagt: Aus einem die gesamte Persönlichkeit ergreifenden Sich-Verwundern (mirari) erwächst ein genuines, mystisches Staunen über das „Dass“ der Welt bzw. der Schöpfung. Während das erstgenannte Staunen die Differenz zum Gewöhnlichen und die Suspendierung von Vertrautem in der Welt bezeichnet und das „Ziel“ des Staunens die theoretische Einsicht innerhalb der Welt (und damit gleichsam die Stabilisierung ihrer Grenzen) bewirken soll, verweist seine eplektisch-mystische Variante auf das Reich des Mirakulösen, Numinosen und Unfassbaren, dem immer auch etwas Wahnhaftes eignet.1 Es bezeichnet Erlebnisse und Zustände der Sprachlosigkeit, weil die Sprache als Medium von Differenzsetzungen den Punkt der unio mystica und der Verwischungen der Unterscheidungen (coincidentia oppositorum) nicht mehr sinnvoll zu bezeichnen vermag. Dieses Sprachversagen (die Ineffabilität) im Ausnahmezustand wird zum Indikator der Selbst-Verwunderung in Verzückung oder Begnadung.
1 Die Geschichte des Staunens in der abendländischen Philosophie braucht uns hier nicht weiter zu interessieren. Es gibt eine Fülle von terminologischen Unterscheidungen und Überlappungen im Wortgebrauch, die teils den gefühlten systematischen Anforderungen, teils den jeweilig unterschiedlichen terminologischen Definitionspräferenzen verschiedener Denker geschuldet sind. Ich möchte gleich zu Ludwig Wittgenstein übergehen.2 Der Titel meines Beitrags bezieht sich auf eine Bemerkung in dem von Josef Rothhaupt erstellten Kringel-Verzeichnis
1 Platons Beschreibung des erotischen Aufstiegs zur epléxis wurde immer wieder mit der Figur des Epileptikers verbunden, der z. B. in Raffaels Gemälde Die Verklärung Christi angesichts der Auffahrt des Herrn gen Himmel in Zuckungen gerät, oder in Dostojewskis Idiot als Fürst Myschkin über quasi-telepathische Fähigkeiten verfügt. 2 Zu Wittgensteins möglichen Bezügen zur Antike vgl. den Beitrag von Somavilla 2011, S. 15–82.
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über Renan aus dem Jahr 1930: „Zum Staunen muß der Mensch – und vielleicht Völker – aufwachen. Die Wissenschaft ist ein Mittel um ihn wieder einzuschläfern.“ Diese Bemerkung mag ob ihrer Knappheit bei manchem Leser ihrerseits Erstaunen auslösen. Wie fast alle Bemerkungen Wittgensteins hat auch diese, die wir am Ende von Kringel-Eintrag Nr. 59 finden, eine Vorgeschichte, die erzählt sein will, um dem Kringel-Eintrag den bonmot-haften Zug zu nehmen und ihn zu einem Stück echter Wittgenstein’scher Philosophie zu erheben. Daher möchte ich zunächst eine kurze Exkursion in die Wittgenstein’sche Philosophie vor dem Zeitpunkt oder Zeitraum unternehmen, in dem oder an dem die Kringel an die Bemerkungen angebracht wurden.3
2 Obwohl die expliziten Verweise auf das Staunen beim „Prä-Kringel-Buch“-Wittgenstein selten sind, kann man anhand des Wenigen doch gut zeigen, dass auch Wittgenstein im Wesentlichen der von mir gerade skizzierten Tradition folgt. Auch wenn das Wort im Tractatus nicht erwähnt wird, darf man doch davon ausgehen, dass Wittgenstein durchaus mit dem Erstaunen des Lesers rechnete, wenn er im Vorwort behauptet, er habe mit seinem Werk von achtzig Druckseiten die Probleme der Philosophie im Wesentlichen endgültig gelöst. Das läuft auf nichts anderes hinaus, als dass es mit dem Staunen nun definitiv vorbei ist, da ja das ‚Jucken‘ wegfällt, das zum Kratzen provoziert. Allerdings wird man auch unterstellen dürfen, dass Wittgensteins Motiv für die Abfassung seiner Abhandlung ebenfalls eine Reaktion auf das Staunen in einem Sinne ist, den ich das „Staunen aus Irritation“ (Juckreiz!) nennen möchte. Staunen in diesem Sinne ist eine Irritation aufgrund einer, wie ich es mit einem Lieblingsbegriff der funktionalistischen Pädagogik nennen möchte, „kognitiven Dissonanz“ zwischen Erwartung und Befund. Es richtet sich auf Phänomene, deren Existenz oder Kontext zu anderen Phänomenen, die bekannt und nicht-dissonant sind, dissonant ist – im intellektuellen Bereich sind es vor
3 Die philologische Problematik der Frage, ob es sich dabei um eine elementare Markierung oder ein Komposit handelt und welcher philosophische oder editorische Zweck mit diesen Markierung verbunden wurde etc., lasse ich beiseite. Weil sie nach Sachstand der Forschung ungeklärt ist. Ich konzentriere mich im Folgenden darauf, welche Bemerkungen durch ihre Markierung in thematische Nähe zueinander gerückt erscheinen, wenn sie in der im sog. Kringel-Buch vorgegeben Abfolge gelesen werden. Ob Wittgenstein eine solche Abfolge der Einträge vorgenommen hätte, ist allerdings ebenfalls derzeit nicht zu klären.
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allem kognitive Dissonanzen, die aber mit anderen, irrationalen, vorrationalen, ästhetischen, auratischen Aspekten des Erwartungshorizontes wie pragmatische Vorgaben, Intuitionen, künstlerische Sicht- und Empfindungsweisen etc. zusammenhängen können. Wenn ich dieses Staunen als irritiertes Staunen bezeichne, so nehme ich damit natürlich keine Wertung vor, sondern möchte in erster Linie einen systeminternen Schwellenwert benennen, der zu einer Reaktion bzw. Intervention führen wird. Geschieht dies, wird aus dem Staunen als Reaktion auf Irritation eine Motivation zur aktiven Stellungnahme, zu einer Intervention, zur Beseitigung der Widerstimmigkeit, die durch das Staunen ausgelöst wird. Wie diese Stellungnahme bzw. Intervention ausfallen wird, kann nicht vorhergesagt werden. Manchmal führt die Dissonanz zu einer Veränderung von Annahmen über die Existenz von Phänomenen oder ihrer Kontexte bis hin zu einer tief greifenden Veränderung von Betrachtungsweisen, manchmal nur zu einer bloßen Ausdifferenzierung der Betrachtung, manchmal auch zur bewussten Ignorierung der dissonanten Phänomenlage. Ein Beispiel für das erstere ist die vernichtende Kritik an der Metaphysik und am theistischen Weltbild. Für das zweite, die Differenzierung von Haltungen angesichts staunenswerter Phänomene, kann die äußerst clevere neo-scholastische Formel des credo quia absurdum stehen, das auf das certum quia impossibile des Tertullian zurückgeht. Im dritten Fall, der Ignorierungsstrategie, wird das erstaunliche Phänomen im buchstäblichen Sinne des Wortes weggedeutet: Aufgrund der Theorieabhängigkeit von Fakten werden Tatsachen als konstruiert betrachtet, ihre Relevanz wird also durch den Horizont der Theorie vorgegeben und innerhalb der Theorie konstituiert. Die konkrete Deutung von Fakten hängt von dem konzeptuellen Design der die Deutung bestimmenden Anschauung (Theorie im ursprünglichen Sinne) ab. Hier erfolgt entweder eine Umdeutung dissonanter Problemstellungen oder deren bewusste Ignorierung dank dem Festhalten etwa an einem conceptional scheme. Oder, drastischer formuliert, gemäß der ironischen Formel Christian Morgensterns: Was „nicht sein kann, was nicht sein darf“ (Morgenstern 1981, S. 164). In seiner Abhandlung erledigt Wittgenstein alle diese Varianten der Irritationen und Reaktionen und damit ihren philosophischen Staunens-Faktor auf eine atemberaubende Weise durch die Kritik an den Theorien Russells und Freges. Wittgenstein zeigt, dass „Staunen, dass p“ in dem, was Ernst Tugendhat das „Diskursuniversum“ Russells genannt hat, durchaus sinnvoll ist; aber für diese Detailangelegenheiten sind laut Tractatus bekanntlich die Wissenschaften zuständig, und nicht die Philosophie. Wenn es also das (philosophische) Rätsel nicht gibt und keine Antworten auf unsinnige Fragen gegeben werden müssen, dann gibt es auch keinen philosophischen Anlass zum Staunen.
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Allerdings: Die Abfertigung des irritierten Russell-Staunens im und durch den Tractatus scheint Wittgenstein nicht zuletzt deshalb in einer derartigen Radikalität geboten, weil er von ihm die Dimension des mystischen Staunens mit der angestrebten Klarheit abheben wollte. Ein kurzer Blick auf die Schlussakkorde der Abhandlung macht dies deutlich. Sie spiegeln in bis zur Hermetik verknappter Form Bemerkungen wider, die Wittgenstein 1916 in seinen Kriegs-Tagebüchern notiert hatte. Verwiesen sei hier nur auf Wittgensteins lapidare Feststellungen wie diese: „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist“ (TLP 6.44). Es folgen dunkle Andeutungen wie die, dass mit der Beantwortung aller „möglichen wissenschaftlichen Fragen“ mit Blick auf die (allein wichtigen) Probleme des Lebens noch nichts gewonnen sei (vgl. TLP 6.52), und schließlich, dass zur ‚richtigen Weltsicht‘ auch noch diese Einsicht sowie auch alle anderen Eintragungen der Abhandlung zu überwinden seien (vgl. TLP 6.54). Das im berühmten Satz 7 auferlegte Schweigegebot angesichts eines systematischen Versagens von Sprache trägt dann auch kontemplative Züge, wirkt wie ein Ausruhen nach den Mühen des Aufstiegs auf der Satzleiter des Textes bis zum schließlich erfolgenden Überstieg in ein Anderswo.4 Wittgenstein hat an seiner Ineffabilitätsthese des mystischen Staunens, das, wie bereits angedeutet, einen eigenen Traditionsstrang unabhängig von und im Gegensatz zu dem Irritations- oder Russell-Staunen bildet, nach Abschluss der Abhandlung strikt festgehalten. Er hatte seine philosophische Arbeit weitgehend eingestellt. Im Dezember 1919 berichtet Russell seiner Freundin Lady Ottoline von seiner Begegnung mit Wittgenstein in Den Haag. Wittgenstein sei „tief in mystische Denk- und Empfindungsweisen eingedrungen“, doch sei er, Russell, überzeugt, dass Wittgenstein an der Mystik am meisten ihr Vermögen schätze, „ihn vom Denken abzuhalten“. (B 1980, S. 101) Dieses Denk-Verbot durchzieht auch die Aufzeichnungen, die Friedrich Waismann in den zwanziger Jahren als Protokollführer des Wiener Kreises von seinen nicht immer erquicklichen Gesprächen mit Wittgenstein anfertigte. Sie registrieren keine erkennbare intellektuelle Bewegung in dieser Frage – daher kann ich gleich zum Vortrag zur Ethik von 1929 übergehen.
4 Dabei konnte Wittgenstein nicht nur auf Bertrand Russells Aufsatz „Mysticism and Logic“ (Russell 1976, S. 20–48) zurückgreifen, sondern auch auf das reichhaltige, von William James in seinen Varieties of Religious Experience [1901] ausgebreitete Material (James 1997). Vgl. dazu auch Berensmeyer 2006, S. 139–155, der Wittgenstein ein „Verlangen“ nach dem Mystischen jenseits wissenschaftlicher Rationalität unterstellt (S. 142 f.). Ein solches Verlangen ist aber aus den zu Wittgenstein bekannten Quellen nicht unmittelbar zu schließen.
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3 Auch in seinem Vortrag betont Wittgenstein, dass die Wendung „Staunen‚ dass p’“ eine gewöhnliche, philosophisch unschädliche Verwendungsweise besitzt, wenn man im russellschen Diskursuniversum verbleibt. Sollte etwa, so Wittgenstein mit einem recht angestrengt wirkenden Beispiel, ein Mensch mit einem Löwenkopf geboren werden, würde man der erstaunten Verwunderung dadurch Herr zu werden suchen, dass man, sofern schmerzfrei möglich (Wittgenstein hält es für nötig, eigens auf diese Bedingung hinzuweisen), eine Vivisektion des anthropo-leoniden Wesens vornimmt, um sinnvolle, wissenschaftliche Sätze über das Phänomen formulieren und damit das Staunen heben zu können. Innerhalb der Philosophie, in der es etwa um das Staunen über die Existenz der Welt gehe, stünde die Sache allerdings grundlegend anders. Dieses Staunen sei nämlich überhaupt nicht sinnvoll in Sprache zu fassen, sondern unsinnig, ein absurdes „Anrennen gegen den Käfig unserer Sprache“. Wittgenstein stellt hier die aus der Logik des Tractatus vertraute Überlegung an, dass man nicht sinnvoll über etwas staunen könne, von dem gar nicht vorstellbar sei, dass es nicht der Fall ist. „Welt“ ist immer schon „gegeben“, und zwar nicht als ein Gegenstand unter anderen Gegenständen, sondern als denknotwendige Voraussetzung aller intellektuellen Tätigkeit, unter Einschluss des Staunens. Welt in diesem Sinne ist also so etwas wie eine Transzendentalie. Zugleich aber billigt Wittgenstein dem Staunen über die Existenz der Welt die Qualität eines Erlebnisses sui generis zu, das sich in Feststellungen wie „Wie sonderbar, dass überhaupt etwas existiert“ oder „Wie seltsam, dass die Welt existiert“ manifestiere. (VE 1999, 14) Erlebnisse dieser Art ließen sich, im Unterschied zum Russell-Staunen der innerweltlichen Dissonanzerfahrung, in keinem Fall kognitiv oder sprachlich-operativ fassen, es sei denn um den Preis der Unsinnigkeit. (VE 1999, 17 f.) Allerdings müssen laut Wittgenstein solche Sätze als „Zeugnis“ des „Dranges im menschlichen Bewusstsein“ anerkannt werden, „gegen die Grenzen der Sprache anzurennen“, der trotz alledem hoch zu achten und um keinen Preis lächerlich“ zu machen sei. (VE 1999, 19) Der Vortrag über Ethik belegt, dass Wittgenstein bei seiner Rückkehr nach England unverändert an seiner sprachlogischen Sonderstellung des mystischen thaumazein festgehalten und dass er, wie so viele Mystiker vor ihm, dem mystischen Erlebnis des Staunens über die Existenz der Welt eine eigene Qualität zugesprochen hat.
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4 In seiner Spätphilosophie, oder besser, wie Ernst Tugendhat es formuliert hat, „aus der Perspektive der Semantik seiner Spätphilosophie“, ist Wittgenstein nicht mehr auf das Thema des Staunens über die Existenz der Welt zurückgekommen, obwohl die Mystik doch für ihn, so Tugendhat, „so zentral gewesen“ sei. Tugendhat fragt sich und den Leser dann: „War sie es jetzt nicht mehr oder hielt Wittgenstein das Argument, das er im Vortrag gegeben hat, für unerschütterlich?“ (Tugendhat 2004, S. 151) – Die Antwort bleibt er allerdings schuldig. Wie dem auch sei, Tugendhats Befund ist insofern zutreffend, als dass wir keine von Wittgenstein autorisierten öffentlichen Äußerungen zum Thema mystisches Staunen über die Welt als solche kennen. Dennoch wäre es nicht richtig zu sagen, dass Wittgenstein das Thema des Staunens nicht mehr aufgegriffen hätte. Im Gegenteil. In seinen Aufzeichnungen von 1930 und 1931, also nur ein Jahr nach dem Vortrag über Ethik, geht er erneut auf das Staunen ein, allerdings nun in einer grundlegend anderen Art und Weise, die einen tiefen Wandel in seiner philosophischen Haltung anzeigt. Ja fast scheint es mir, als ob es gerade die Auseinandersetzung mit dem Staunen war, die ihn dazu brachte, sich über Implikationen seiner philosophischen Neuorientierung mit sich selbst zu verständigen, indem er sie in programmatischer Prägnanz zu formulieren und zugleich in die Pathosformeln eines großen Neubeginns zu fassen suchte. Ein Blick in die Kringel-Auswahl zeigt, dass sich die Bemerkungen zum Staunen in unmittelbarer zeitlicher wie auch thematischer Nachbarschaft mit den Überlegungen Zu einem Vorwort (MS109,207–212; KB Nr. 62–78) befinden. Das ist meines Erachtens kein Zufall, sondern Indiz für eine Zusammengehörigkeit, die, wie wir sehen werden, über eine zeitliche und thematische Nähe weit hinausreicht und die Aufschluss geben kann über die allmähliche Ausformung einer neuen philosophischen Haltung, für die das Staunen eine konstitutive und nicht nur begleitende Rolle spielt. Mit anderen Worten: Wittgensteins Spätphilosophie ist in diesem Sinne ein methodisch auf Dauer gestelltes Staunen. Um diese These plausibel zu machen, werde ich zunächst eine philologischphilosophische Feinuntersuchung der das Staunen betreffenden Eintragungen vornehmen. Danach werde ich in methodischen und systematischen Überlegungen diese Paragraphen in den Gesamthorizont der Spätphilosophie einzuordnen versuchen und damit meine These über das Umfeld der „Kringel-Sammlung“ hinaus für den gesamten späten Wittgenstein als gültig reklamieren. Und daraus folgt, dass das, was Wittgenstein bei den Adressaten seiner Texte auslösen wollte, ein je eigenes „Aufwachen zum Staunen“ ist. Wenn die Philosophie mit dem Staunen beginnt, so wird sie im Erfolgsfall, am Ende (so es eines gibt), den Leser staunen machen. Ob sie allerdings aus dem Staunen den aristotelischen Schluss
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ziehen, mit Hilfe einer Theorie das Staunen zu „heben“ und in den Zustand der athaumastia zurückkehren oder aber in den der ekpléxis übergehen, muss offen bleiben. Unter dem Datum des 5. November 1930 finden wir zwei Einträge (KB Nr. 59+60), die sich auf Ernest Renans äußerst einflussreiches Buch Geschichte des Volkes Israel in der französischen Originalfassung beziehen (Renan 1887–1893).5 Wittgenstein, der sich zu dieser Zeit auch mit seiner jüdischen Herkunft erneut auseinanderzusetzen beginnt, geht in seinen Kommentaren mit der von Renan gegebenen Herleitung des „Staunens“ primitiver Völker hart ins Gericht. Man gewinnt den Eindruck, als ob er an ihr ein Exempel für die Schärfung der Konturen seines eigenen Denkens statuieren wolle. Er lese bei Renan, schreibt er, dass „[…] Geburt, die Krankheit und der Tod, die Fieberphantasien, die Katalepsie, der Schlaf und die Träume“ unendlich überwältigend6 wirkten, und „dass es selbst heute nur einer kleinen Anzahl von Menschen beschieden sei, deutlich zu sehen, dass die Ursachen aller dieser Phänomene in unserem eigenen Organismus liegen.“ (Renan 1894, S. 54) Wittgenstein kommentiert diese Beobachtung Renans folgendermaßen: […] Im Gegenteil es besteht gar kein Grund sich über diese Dinge zu wundern; weil sie so alltäglich sind. Wenn sich der primitive Mensch über sie wundern muß, wie viel mehr der Hund & der Affe. Oder nimmt man an daß die Menschen quasi plötzlich aufgewacht sind & diese Dinge die schon immer da waren nun zum ersten Mal plötzlich bemerkten & begreiflicherweise erstaunt waren? […] (KB Nr. 59a)
Man könne, so Wittgenstein weiter, so etwas wie das Erstaunen über solche Phänomene bei den Alten durchaus annehmen; aber nicht als eine ursprüngliche Erfahrung, sondern nur so, dass die Menschen erst später damit begonnen hätten, sich über sie zu verwundern. Der Primitive hingegen staunt nicht, da für ihn diese Phänomene nicht rätselhaft, sondern in einem starken Sinne vertraut gewesen seien. Mit dieser Überlegung kommt Wittgenstein zur Pointe seiner Renan-Kritik: Wenn das Staunen mit der Primitivität, auf die der sich überlegen dünkende Wissenschaftler wie auf das Verhalten von Unmündigen herabblicke, in Wahrheit gar nichts zu tun habe, sondern die Primitivität gerade darin besteht, sich gerade nicht zu wundern, also „daß man es primitiv nennt sich nicht über die Dinge zu wundern“ (KB Nr. 59a), dann sind wir argumentativ beim Gegenteil von Renans Spekulationen über den Zusammenhang von Staunen und Primitivität angekom-
5 Wittgenstein bezieht sich in seinen „Kringel-Bemerkungen“ ausschließlich auf den ersten Band. Im Folgenden wird Renan nach der autorisierten deutschen Ausgabe 1894 zitiert. 6 In der autorisierten deutschen Übersetzung wird das französische „frappaiant infinement“ mit „übermächtig“ wiedergegeben.
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men. Damit ist zugleich der Spieß der Polemik gegen den angeblich primitiven Wunderglauben, die Renan nicht ohne Ranküne an dem „religiösen Beruf der semitischen Nomaden“ (Renan 1894: Überschrift des Kapitels III) exemplifiziert, umgedreht: Wenn Renan selbstgewiss behaupte, erst die heutige Wissenschaft habe die Primitivität des Wunderglaubens hinter sich gelassen, dann offenbart er, gewiss gegen seine eigene Absicht, dass „gerade die heutigen Menschen & Renan selbst primitiv [sind] wenn er glaubt die Erklärung der Wissenschaft könne das Staunen heben“ (KB Nr. 59a). Der eigentliche Fehler Renans liegt für Wittgenstein darin, dass er mit der Wissenschaft das Staunen meint beheben zu müssen, anstatt es als eine wertvollen Bestandteil der Beziehungen der Menschen zur Welt zu bewahren: „Als ob der Blitz heute alltäglicher oder weniger staunenswert wäre als vor 2000 Jahren.“ (KB Nr. 59b)7 „Zum Staunen muß der Mensch – und vielleicht Völker – aufwachen. Die Wissenschaft ist ein Mittel um ihn wieder einzuschläfern.“ (KB Nr. 59c) In dem unmittelbar folgenden Eintrag führt Wittgenstein den Gedankengang, dass die moderne Wissenschaft selbst ein „Aberglaube“ sei, sich also derselben Mittel bediene wie die „primitiven Völker“ konsequent weiter: […] es ist falsch zu sagen: Natürlich, diese primitiven Völker mußten alle Phänomene anstaunen. […] – Daß sie sie anstaunen mußten ist ein primitiver Aberglaube. (Wie der, daß sie sich vor allen Naturkräften fürchten mußten & wir uns natürlich nicht fürchten müssen). […] (KB Nr. 60)
Gut möglich, so Wittgenstein, dass auch wir eine Rückkehr der Furcht erleben werden. Davor aber „würden uns die Zivilisation & die wissenschaftliche Kenntnis auch nicht […] schützen können“, auch wenn es klar sei, dass „der Geist in dem die Wissenschaft heute betrieben wird mit einer solchen Furcht nicht vereinbar“ (KB Nr. 60) sei. Wittgensteins Stellungnahme zu Renan geht damit über eine einfache Kritik weit hinaus. Es scheint, als ob sie einen großen Schritt auf dem Weg zur Selbstvergewisserung über eine neue, ihm noch nicht gänzlich vertraute, weil die Dinge gleichsam vom Kopf auf die Füße stellende, Weise zu philosophieren markiert. Wittgenstein arbeitet sich an Renans Sichtweise ab, vor allem um sich über sich selbst zu verständigen. Diese Vermutung bestätigt sich in der Tat in den Bemerkungen an den unmittelbar folgenden Tagen, in denen er seine eigene Haltung in seinem „Vorwortentwurf“ zu Papier bringt. Doch zunächst: Was hat Wittgenstein gegen Renans Charakterisierung des Staunens philosophisch vorzubringen? Wie wir gesehen haben, hatte Wittgen-
7 Renan selbst führt den Donner als Beispiel an (Renan 1894, S. 53).
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stein bereits in seinem Vortrag von 1929 angenommen, dass man sinnvollerweise nur über einzelne Sachverhalte in der Welt staunen könne („Russell-Staunen“), während die Gegebenheit der Welt eine unverzichtbare Vorbedingung für ein Staunen ist, das aber selbst nicht in der Sprache benannt werden könne. Wittgenstein knüpft 1930 offensichtlich hieran an, gibt dem Gedanken aber einen anderen Spin: Diese Überlegung verdeckt nämlich, dass auch das Russell-Staunen einen nicht-erstaunten Umgang mit anderen Tatsachen der Welt logisch voraussetzt. Die Unterstellung, die Menschen müssten ob ihrer Primitivität, also mangels Alternative, ihren Alltag anstaunen, ist deshalb logisch unplausibel, weil in einer Welt, in der Wunder alltäglich sind, sie eben nicht erstaunlich sind. Und umgekehrt gilt: In einer von der „Wissenschaft“ geprägten Welt ist es nicht erstaunlich, dass es keine Wunder gibt, sondern gerade erstaunlich, dass es Völker mit Wunderglauben gibt. Wittgensteins Pointe besteht nun darin, dass der Wunderglaube keineswegs aus der Primitivität der Völker folgt, sondern das an sich wenig spektakuläre Merkmal ihrer Weise des Weltumgangs ist. Folglich ist Renans Überzeugung, allein die Wissenschaft könne das Staunen der primitiven Völker erklären und heben, schlicht falsch. Aber sie ist nicht nur fehlgeleitet, sondern auch verräterisch, und zwar in dem Sinne, dass das Vertrauen auf die Kraft der Wissenschaft sich als ebenso primitives Verhalten erweist wie das Vertrauen der Primitiven in die Wunder. Wenn Renan den „Geist der Wissenschaften“ beschwört, um das Staunen zu erklären, dann erfüllt die Wissenschaft für die Wissenschaftler selbst eine magische Funktion, nämlich das Staunen zu bannen, es im Vollzug der entzaubernden Tätigkeit des „Erklärens“ zu überwinden oder, wie Wittgenstein sagt, es (wieder) „einzuschläfern“. Renan konstruiert das thauma der anderen, um die Wissenschaft als Anti-Thaumatikum verwenden zu können und damit jenen Zustand wieder herbeizuführen, den die Primitiven laut Wittgenstein ohnehin in ihrem Alltag besaßen. Doch ist für Wittgenstein der „Geist der Wissenschaft“ nicht nur kein AntiThaumatikum, sondern geradezu ein Dormitivum, also ein Medikament mit gefährlicher Wirkstoffkombination, weil es die Menschen „einschläfert“ und damit unfähig zu einem Staunen macht, zu dem sie doch gerade erst erwacht sind. Offensichtlich ist dieses „Erwachen zum Staunen“ für Wittgenstein eine Qualität des Weltbezugs, der ihm besonders am Herzen liegt; und die Härte, vielleicht sogar Ungerechtigkeit, seiner Kritik könnte gut darauf zurückgehen, dass er selbst in dieser Zeit ein Erlebnis des „Aufwachens zum Staunen“, eine ihn ergreifende Ver-Wunderung hatte. Hierfür sprechen zumindest die zeitlich unmittelbar an die Renan-Kommentare anschließenden Bemerkungen unter dem Titel Zu einem Vorwort. Die umfänglichen, in nur drei Tagen niedergeschriebenen Einträge zeigen, dass es der Geist der Wissenschaft ist, wie er bei Renan zu Tage tritt, dem er mit seiner neuen Philosophie entgegenzutreten gedenkt.
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Wittgensteins „Aufwachen zum Staunen“, das sich in seiner irritierten Reaktion auf Renan offenbart, kann als programmatische Kurzformel für seine neue philosophische Einstellung betrachtet werden. Wittgenstein beschreibt im Primitiven das, was ihm selbst widerfahren ist und was zu einem der Kernanliegen seiner Betrachtungsweise werden sollte, vielleicht sogar zur hidden agenda seiner weiteren Arbeit – zumindest in jenen ersten Jahren des Neubeginns, dem ja stets ein eigener Zauber innewohnt. Mit Wittgensteins Kritik an Renans Überlegungen zum Staunen können wir also einen genaueren Einblick in Wittgensteins eigene, ihm selbst noch neue und deshalb unsichere Betrachtungsweise gewinnen. Die „Kringel-Sammlung“ verdeutlicht die interne Beziehung zwischen der Renan-Kritik und Wittgensteins neuer Ver-Wunderung mit aller wünschenswerten Deutlichkeit. In seinen Bemerkungen Zu einem Vorwort wendet er seine Kritik an Renan methodisch und stellt das gegen Renan ausgespielte Kriterium der Wahrheit und Falschheit von Aussagen in einen gleichsam morphologischen Horizont, wenn er nun mit dem Begriffspaar „vertraut“ und „fremd“ operiert. Diese Terme stehen für den Zustand des Erstaunt-Seins; die Irritation durch das Unvertraute hat sich in die Dauererfahrung einer Differenz verwandelt. Dieser Übergang ist deshalb wichtig, weil er deutlich macht, dass Wittgensteins „Erwacht-Sein zum Staunen“ das Terrain der Wissenschaft transzendiert. Wenn er nämlich im Vorwort die Wissenschaft zum Signum einer „Zivilisation“ erhebt, von der er sich strikt abgrenzt, so nicht im Namen einer besseren oder höheren wissenschaftlichen Einsicht, sondern von einer grundlegend anderen Warte aus: Nicht einzelne Aussagen, sondern ihr „Geist“ sei ihm fremd, und damit zugleich der Anspruch der Wissenschaftler, mit ihren Methoden und Verfahren ein fortschrittliches „immer komplizierteres Gebilde“ zu konstruieren, wie er am 6.11.30 notiert: Der Geist der Wissenschaft sei aufbauend und systembildend, er, Wittgenstein, hingegen wolle Grundlagen freilegen und Klarheit um ihrer selbst willen gewinnen. Sich in eine solche Position des weltanschaulichen Durchblicks bringen zu wollen, setzt die stete Bereitschaft zum Staunen über die Welt voraus, aber nicht mehr das mystische Innehalten im Sinne des Tractatus. Das mystische Staunen ist ein Zustand der Nicht-Differenzierung, der Distanzlosigkeit und der Entdiskursivierung. Wittgensteins neues Staunen über die Welt hingegen begreift die Distanz konstitutiv in sich. Statt in schweigender, einfältiger Andacht vor dem Dass der Welt zu verharren, bestaunt er die Vielfalt der Welt, aber nicht, um durch sie über sie hinaus zu kommen, sondern um bereit zu sein für die Überraschung und um ein Gespür für die Unterschiede zu entwickeln. Was damit genau gemeint ist, lässt sich am Beispiel der ein Jahr später niedergeschriebenen Kommentare zu Frazers The Golden Bough illustrieren. Viele dieser
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Bemerkungen tragen einen Kringel.8 In seiner Frazer-Kritik thematisiert Wittgenstein vor allem das Vertrauen in die Erkenntnislehre des Empirismus, der in seiner A-Historizität Opfer der eigenen kulturellen Vorurteile wird. Während Renan ein evolutives, organizistisches Geschichtsmodell kultureller Reifung vertritt, das eine schlüssige Entwicklung vom (verständlichen) Aberglauben der Primitiven bis zur (Wahrheit generierenden und verbürgenden) Wissenschaft des kulturell hochstehenden Menschen der Moderne konstruiert, das sich laut Wittgenstein selbst kurioserweise als „primitiv“ entlarvt, so diagnostiziert er bei Frazer intellektuelle Enge und Ignoranz, vor allem aber eine kulturelle Überheblichkeit und philosophische Inkonsequenz. Diese führten zu der Absurdität, beispielsweise die Praktiken „primitiver Völker“ am Maßstab der westlich-wissenschaftlichen Rationalität zu messen und sodann zu diskreditieren. Wenn Magie wirklich bloß falsch verstandene Wissenschaft wäre, dann müsste Frazer die westlichen, angeblich wissenschaftlich entzauberten Gesellschaften (namentlich seine eigene, die englische des Viktorianischen Zeitalters), als ebenso unaufgeklärt und unwissenschaftlich brandmarken, da rituelle und religiöse Praktiken auch in diesen Gesellschaften fortbestehen. 9 Gerade dieser Umstand zeige, dass bereits der Versuch, mittels einer Theorie Mythos, Magie und Ritual durch wissenschaftliche Erklärung zu entzaubern, zum Scheitern verurteilt und selbst ritueller Natur sei. Für Wittgenstein geht es dagegen um die lebensweltliche Funktion solcher Praktiken – die Übung der Wissenschaft eingeschlossen. Hierfür zwei Beispiele aus der „Kringel-Sammlung“. Am 19.6.1931 heißt es: „Die religiösen Handlungen oder das religiöse Leben des Priesterkönigs ist von keiner andern Art als jede echt religiöse Handlung heute, etwa ein Geständnis der Sünden. Auch dieses läßt sich „erklären“ & läßt sich nicht erklären.“ (KB Nr. 114) Und tags darauf: In effigie verbrennen. Das Bild der Geliebten küssen. Das basiert natürlich nicht auf einem Glauben an eine bestimmte Wirkung auf die Gegenstände die das Bild darstellt. Es bezweckt eine Befriedigung & erreicht sie auch. Oder vielmehr, es bezweckt gar nichts, wir handeln eben so & fühlen uns danach befriedigt. (KB Nr. 115)
8 Die in MS110 und TS 211 befindlichen Kommentare Wittgensteins zu Frazer wurden in Gänze in Schulte 1999, S. 29–46 veröffentlicht. 9 Im Golden Bough finden sich in der Tat zahlreiche Belege für den Fortbestand magischer Praktiken zu Frazers Zeit. Als vergleichender Religionswissenschaftler konnte (und wollte) Frazer sie auch nicht ignorieren. Gemäß seiner Verpflichtung auf die empiristische Episteme versucht er sie als irregeleitete Ideenassoziationen abzuweisen. Freilich kollidiert dieser Anspruch mit den auch für Frazer verbindlichen Gehalten der christlichen Offenbarung, die er als Wissenschaftler ebenfalls zurückweisen müsste. Dieses Dilemma wird bereits im dritten Kapitel des ersten Buches (Magic and Religion) deutlich. Die von Frazer dort vertretene These, dass Magie eine falsche, die christliche Religionsvorstellung hingegen eine „wahre“ Ideenassoziation sei, entlarvt sich selbst als „dogmatisch“. Vgl. dazu Fraser 2009, S. XXVII f.
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Man könnte Wittgensteins Auseinandersetzung mit Frazer und Renan dem Verfahren der Ideologie-Kritik zuordnen, einer gerade im 19. Jahrhundert insbesondere unter Religionswissenschaftlern und Ethnologen gern geübten Praxis. Doch verweisen Bemerkungen wie diese auf etwas der Ideologiekritik gerade Entgegengesetztes. Sie definieren keinen alternativen Standpunkt, sondern spielen das Staunen als innehaltendes Sich-Öffnen für etwas Überraschendes oder Differentes gegen das wissenschaftlich rationale Verfahren der Suche nach einer alternativen „Ableitung“, Begründung oder „metakritischen“ Verortung der eigenen Sichtweise aus. Alte Gottheiten vom Sockel stoßen: ja, aber keinesfalls diese durch andere ersetzen (wie Wittgenstein an anderer Stelle schreibt), also bestenfalls die eine, unbefriedigende Erklärung durch eine andere Erklärung zu ersetzen. In den so wichtigen Angelegenheiten des menschlichen Lebens, wie den von Renan und Frazer beschriebenen, versagt laut Wittgenstein jedes Erklären. Man muss bereit sein, sie zur Kenntnis zu nehmen, mit Erstaunen (ob ihrer Fremdartigkeit) zu registrieren, aber keinesfalls mit der Überlegenheitshaltung der erklärenden Geste zu vereinnahmen. Um dies zu verdeutlichen, möchte ich eine weitere Bemerkung über Frazers ethnologische Erklärungsversuche aus der „Kringel-Sammlung“ zitieren: Und die Erklärung ist es hier gar nicht die befriedigt. Wenn Frazer anfängt & uns die Geschichte von dem Waldkönig von Nemi erzählt so tut er dies um uns fühlen lassen will daß hier etwas Merkwürdiges & Furchtbares geschieht. Die Frage aber „warum geschieht dies?“, wird eigentlich dadurch beantwortet: weil es furchtbar ist. […] Nur beschreiben kann man hier & sagen: so ist das menschliche Leben. (KB Nr. 104b)
Der Rückzug auf das Verfahren „Beschreiben statt erklären“ markiert nicht nur die Frontstellung gegen den wissenschaftlichen Geist, sondern zeigt uns in einer griffigen Wendung Wittgensteins Bereitschaft an, Neues und vor allem Überraschendes zuzulassen und die Irritation durch das Befremdliche auszuhalten und zur Beschreibung zuzulassen, anstatt es sogleich mittels einer Theorie sistieren zu wollen. Dass seine Einübung ins Staunen nicht mehr den Punkt einer mystischen Vereinigung oder eines ekplektischen „Überstiegs“ im Sinne Platons sucht, macht Wittgenstein mit seinen Überlegungen zur Entstehung der „Wahl“ deutlich. Erst wenn die naive Eingelassenheit in die Lebenswelt zerbrochen ist, werden Differenzerfahrung, Bruch und Entscheidung („Wahl“) möglich: Kein geringer Grund d. h. überhaupt kein Grund kann es gewesen sein was gewisse Menschenrassen den Eichbaum verehren ließen, sondern nur daß sie & die Eiche in einer Lebensgemeinschaft vereinigt waren also nicht aus Wahl sondern wie der Floh & der> Hund. […] (KB Nr. 170) Nicht ihre Vereinigung hat zu diesen Riten die Veranlassung gegeben, sondern vielleicht ihre Trennung. (KB Nr. 171) Denn das Erwachen des Intellekts geht mit einer Trennung von dem ursprünglichen Boden der ursprünglichen Grundlage des Lebens vor sich. (Die Entstehung der Wahl.) (KB Nr. 172)
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Das Zerbrechen der naiven lebensweltlichen Einheit ist die unverzichtbare logische Voraussetzung für das „Erwachen“, aber es eröffnet allererst die Möglichkeit für die Wahl verschiedener Mittel zur Trennungsbewältigung, um einen Zustand der reaktiven Befriedigung zu erreichen.
5 Und damit auch die „Wahl“, das Staunen entweder zuzulassen oder wieder „einzuschläfern“. Erst wenn durch das Zerbrechen einer naiven Einheit die Möglichkeit der Wahrnehmung des Anderen in der Lebenswelt eröffnet wird und sich eine Wahloption ergibt, kurz: wenn Differenz möglich wird, lässt sich von einem „Erwachen zum Staunen“ sprechen. Erwachen zum Staunen heißt in diesem Fall, die Möglichkeit einer Alternative, die Option zu einem Anderen zu realisieren. Meine Vermutung geht dahin, dass bei Wittgenstein Ende der zwanziger Jahre ein „Erwachen zum Staunen“ und zur „Wahl“ eines neuen Bezugssystems in seinem Denken stattgefunden hat. Dies könnte seine Rückkehr zur Philosophie (die sich äußerlich in der Rückübersiedlung nach Cambridge 1929 manifestierte) motiviert haben. – Es ist gut möglich, dass dabei der von Goethe inspirierte10 Oswald Spengler eine wichtige Rolle gespielt hat. Wittgenstein hat den Untergang des Abendlandes Spenglers spätestens im Jahr 1930 gelesen.11 Aus dem Buch
10 Aus zahllosen direkten und verdeckten Zitaten sowie indirekten Anspielungen und thematischen Auseinandersetzungen wissen wir um den großen Einfluss, den Goethe zeitlebens auf Wittgenstein hatte (vgl. Klagge 2003). Zu Goethes Erneuerung des Staunensbegriffs siehe Matuschek 1991,165–174 (dort auch der Verweis auf Goethes Gedicht Parabase: „Immer wechselnd, fest sich haltend // Nah und fern und fern und nah, //So gestaltend, umgestaltend // Zum Erstaunen bin ich da“), ohne Verweis auf Wittgenstein (es finden sich zahlreiche Belegstellen, die Matuschek gibt, ebenfalls in den Aufzeichnungen Wittgensteins). Es liegt nahe anzunehmen, dass beider „Wahlverwandtschaft“ mit Goethe Wittgensteins positive Rezeption Spenglers wiederum stark begünstigt hat. 11 Am 6.5.1930 notiert Wittgenstein in sein Tagebuch: „Lese Spengler Untergang etc. & finde trotz des vielen Unverantwortlichen im Einzelnen, viele wirkliche, bedeutende Gedanken. Vieles, vielleicht das Meiste berührt sich ganz mit dem was ich selbst oft gedacht habe. Die Möglichkeit einer Mehrzahl abgeschlossener Systeme welche wenn man sie einmal hat ausschauen als sei das eine die Fortsetzung des Anderen.“ (DB 1997, 24) Wir können allerdings nicht mit Bestimmtheit sagen, ob es sich hierbei um eine Erst- oder Wiederlektüre handelt; auch ist nicht mit Sicherheit zu ermitteln, welche Teile des immerhin mehr als 1000 Seiten umfassenden Buches er zur Kenntnis genommen hat. Die Bemerkung Wittgensteins in VB 1994, 51, dass Spengler „Weininger nicht unter die westlichen Philosophen“ einreihe, deutet aber auch eine weitreichende
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konnte Wittgenstein zweierlei lernen: (1) dass das „Aufwachen“ zu verschiedenen Strukturen des „Wachseins“, also der „Selbstauslegung“ in die kulturelle Welt, führt, weil es selbst bereits die Realisierung einer Wahl ist (Spengler 1979, 197–202), und dass folglich die moderne, von Spengler als „faustisch“ bezeichnete und seines Erachtens bereits in die Degenerationsstufe der Zivilisation – mit dem Übergewicht des Wissenschaftsglaubens – übergegangene Form dieses „Wachseins“ nur eine unter mehreren möglichen ist; (2) dass Kunst und Wissenschaft, Philosophie und Mathematik in ihrer jeweiligen Struktur nur relativ zu ihrer Zeit und ihrem Kulturkreis sinnvoll zu begreifen sind und keinen überzeitlichewigen Wesenskern besitzen. Sie sind vielmehr vergängliche Formen des menschlichen Lebens, eingefügt in den Gang der Geschichte, entstehend, vergehend. Von Spengler hat Wittgenstein zudem auch Inspirationen für seine Überlegungen zum Staunen nehmen können. Im Untergang geht Spengler in einer sehr prägnanten Passage auf das Staunen als Begleitphänomen des erwachenden Bewusstseins ein. Er beschreibt, wie „aus dem Urgefühl des nachdenklich gewordnen Daseins eine immer genauer bestimmte Vorstellung des Göttlichen rings in der Außenwelt“ sich herausbildet. Der Mensch fühle um sich „ein schwer zu beschreibendes fremdes Leben unbekannter Mächte, deren Wirkungen er auf numina zurückführt, auf das ,andre‘, insofern es ebenfalls Leben besitzt.“ Weiter heißt es: Aus dem Staunen über die fremde Bewegung entspringen Religion und Physik. Sie enthalten die Deutung der Natur oder des Bildes der Umwelt hier durch die Seele, dort durch den Verstand. Die „Mächte“ sind zugleich erster Gegenstand der fürchtenden oder liebenden Verehrung und der kritischen Forschung. Es gibt eine religiöse und eine wissenschaftliche Erfahrung.
Spengler bringt in der Folge diese Erfahrungen mit dem Namenszauber in Verbindung, mit dessen Hilfe die ursprünglichen numina geistig „verdichtet“ werden zu bedeutungsvollen Worten: Namen, die bannen, werden zu Begriffen, die kalkulieren. „Die ganze Philosophie“, so Spengler, „die ganze Naturwissenschaft, alles, was zum ,Erkennen‘ in irgendeiner Beziehung steht, [ist] im tiefsten Grunde nichts als die unendlich verfeinerte Art, den Namenzauber des primitiven Menschen auf das ,Fremde‘ anzuwenden. Das Aussprechen des richtigen Namens (in der Physik: des richtigen Begriffes) ist eine Beschwörung. […].“ Und „was für ein befreiender Zauber“, so Spengler, „liegt für die Mehrzahl der gelehrten
Lektüre hin, da Spengler Weininger nur zwei Mal erwähnt und der von Wittgenstein angesprochene Zusammenhang erst gegen Ende des zweiten Bandes auftaucht (vgl. Spengler 1979, S. 957).
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Menschen in der bloßen Nennung solcher Worte wie ‚Ding an sich‘, ‚Atom‘, ‚Energie‘, ‚Schwerkraft‘, ‚Ursache‘, ‚Entwicklung‘! Es ist der gleiche, der den latinischen Bauern bei den Worten Ceres, Consus, Janus, Vesta ergriff.“ (Spengler 1979, S. 510 f .) – Und in einer Fußnote zu diesem Abschnitt fügt er trocken hinzu: „Und man darf behaupten, daß der handfeste Glaube, den z. B. Haeckel mit dem Namen Atom, Materie, Energie verband, von dem Fetischismus des Neandertalmenschen nicht wesentlich verschieden war.“ – Gerade diese Anmerkung hätte auch von Wittgenstein stammen können.
6 Fassen wir zusammen. Die philosophischen Reflexionen zu Renan und auch zu Frazer aus den Jahren 1930 und 1931, die in erheblichem Umfang Eingang in die „Kringel-Sammlung“ gefunden haben, lassen sich plausibel als erster Ausdruck eines neues Erstaunens deuten, zu dem Wittgenstein nach einer als Latenzzeit zu bezeichnenden Phase erwacht war. Wie schon in der Abhandlung findet er in der konkreten Auseinandersetzung mit einzelnen Autoren – dort Frege und Russell, hier Frazer und Renan, dann auch Spengler – erste, meist noch recht grobe Orientierungen für den neuen „Wachzustand“. Obwohl in vielem sehr ungenau, zuweilen fast ungelenk und eher programmatisch als durchgearbeitet, kann man aus ihnen, über die Gelegenheit ihrer Entstehung hinaus, doch den Gewinn einer tieferen Einsicht ziehen, wenn man sich dem Aspekt der Interkulturalität zuwendet. Ich vermute, dass der mittlere und der späte Wittgenstein mit Hilfe Spenglers jenen relativierenden Schritt seiner Methode hat tun können, der ihn aus der Hermetik des existenziell-mystischen Staunens über das Dass der Welt hinausgeführt hat zu einer „lebensphilosophischen“ Offenheit, die bei ihm wie auch bei Spengler vollzugslogisch und nicht essentialistisch gedacht wird. Die Rückkehr oder besser das „Aufwachen“ aus der sprachlosen ekpléxis des eremitischen Staunens in das kommunikativ wirksame Staunen innerhalb der wahloffenen Lebenswelt scheint mir von großem und vor allem bleibendem philosophischen Wert. Jeder, der länger in einer fremden Kultur gelebt hat, weiß um die Wichtigkeit, das Fremde zugleich anzuerkennen wie auch sich anzueignen, und dabei die Begrenztheit der eigenen Lebenswelt mitzusehen. Spenglers kulturrelativistische und Wittgensteins praxeologische Lesart lassen wenig Raum für moralische Überheblichkeit oder zivilisatorische Eitelkeiten. Auch wenn sich viele der starken Wertungen, zu denen beide Autoren neigten, in der Folgezeit kaum als sonderlich hilfreich erwiesen haben, so täte manchem von uns ein erneutes „Aufwachen zum Staunen“ zweifellos gut.
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Wolfgang Kienzler
Wittgenstein und Spengler Wittgensteins Verhältnis zu Spengler erweist sich bei näherer Betrachtung als ein komplexes Geflecht aus eher globaler Selbstdeutung mit teilweise retrospektiven Zügen und detaillierter, teilweise sehr tiefgreifender Reaktion auf Anregungen, die verschiedene zentrale Aspekte von Wittgensteins eigener philosophischer Arbeit betreffen. Es lässt sich auch zeigen, dass die Auseinandersetzung mit Spengler bzw. die Aneignung von Spenglers Gedanken im Verlauf von Wittgensteins Entwicklung ihren Charakter verändert und vertieft. Zudem finden durch die Berücksichtigung dieses Hintergrundes einige exegetische Rätsel ebenso überraschende wie natürliche Lösungsvorschläge. Wittgenstein hat Spengler gelesen, mit Drury und Sraffa über Spengler ge-sprochen und mit von Wright über Spengler diskutiert.1 Über sein Verhältnis zu Spengler sind schon einige Betrachtungen angestellt worden.2 In mancher Hinsicht ist es dennoch überraschend, in Wittgensteins bekannter Liste von 1931 mit denjenigen, die ihn beeinflusst haben, tatsächlich Oswald Spengler zu finden. Spengler gilt als weit ausgreifender, im Detail jedoch notorisch ungenauer Denker, der gerade jene für Wittgenstein so charakteristische Strenge, nicht mehr zu sagen, als man verantworten kann, vermissen lässt. In diesem Beitrag möchte ich zunächst einige allgemeinere Anmerkungen über Gedankengänge bei Wittgenstein, die an Spengler erinnern, betrachten (I), und dann in chronologischer Abfolge nachvollziehen, wie sich Wittgensteins Interesse an Spengler von der frühen Zeit vor 1929 (II), über seine Rückkehr zur Philosophie 1929–30 (III) und seine Wende zur Spätphilosophie 1931–32 (IV) bis in seine ausgebildete Spätphilosophie, insbesondere zur Mathematik um 1940 (V) entwickelt und vertieft.3
1 Vgl. Rhees 1987: 162 (Drury), sowie WC 2008: 301 (Sraffa) und WC 2008: 467 (von Wright). Mit von Wright stimmte Wittgenstein darin überein, Spengler ernst zu nehmen. Sraffa machte sich offenbar darüber lustig, dass Wittgenstein ihn so ernst nahm; was Wittgenstein wiederum verstimmte. Trotz, oder vielleicht eher wegen seiner ungeheuren Popularität wird Spengler als Theoretiker von akademischer Seite seit 1918 praktisch durchweg abgelehnt; es gibt bis heute keine Edition seiner Werke und kaum brauchbare Sekundärliteratur. – Die Zitate aus Wittgensteins Manuskripten werden der leichteren Lesbarkeit halber orthographisch vorsichtig normalisiert angeführt. 2 So diskutieren Haller (1986) und Schulte (1990) darüber, ob die „Methode der deskriptiven Morphologie“ (Haller 1986: 176), als Kernpunkt des Einflusses, auf Spengler oder eher direkt auf Goethe zurückgeht. 3 Obwohl in den meisten nachfolgend angeführten Beispielen der Bezug auf Spengler entweder
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1 W eltanschauung und Kulturkritik – Spenglerisches in den Vermischten Bemerkungen und im Kringel-Buch Vielfach hat man die allgemeine Weltanschauung als Bezugspunkt für den angeblichen Einfluss gesehen – eine gewisse antimoderne, teilweise konservative und insgesamt sehr typologische Betrachtungsweise der historischen und kulturellen Gesamtsituation, die bereits von Wright hervorgehoben hat.4 Immerhin kommt gerade dieses Wort „Weltanschauung“ sogar in PU: 122 einmal vor, und war ursprünglich mit einem Hinweis auf Spengler versehen.5 Dieser spezielle Hinweis steht bei Wittgenstein jedoch in keinem unmittelbar erkennbaren Zusammenhang zu spezifisch Spengler’schen Themen. Es ist ganz richtig, dass zahlreiche Bemerkungen allgemeinerer Art, wie sie in den Vermischten Bemerkungen gesammelt sind,6 und von denen einige auch zu den Kringelbemerkungen gehören, an die Betrachtungsweise Spenglers erinnern: so etwa der teilweise apodiktische Ton der Urteile, also die ganz unwissenschaftliche Art, durch knappe Vergleiche Charakterisierungen vorzunehmen.7 Diese eher inhaltliche Ähnlichkeit, die man die kulturkritische Verwandtschaft von Wittgenstein und Spengler nennen könnte, ist zweifellos vorhanden und auch von Bedeutung. Ein Beispiel dafür ist die Bemerkung im Kringel-Buch, die aus dem Umkreis der Vorwortentwürfe stammt und in der es um die „abendländische Geisteswelt“ und die „abendländische Philosophie“ geht (KB Nr. 84).8 Wittgen-
explizit oder eindeutig ist, ist es in Einzelfällen keineswegs ausgeschlossen, dass Wittgenstein auf eine Anregung etwa von Weininger, oder Loos, oder Goethe, reagiert. Hauptabsicht meiner Ausführungen ist es daher auch, einen für das Verständnis wichtigen, aber wenig beachteten Zug in Wittgensteins Denken aufzuzeigen und nicht, in jedem Fall eine bestimmte Quelle dingfest zu machen. Der Reichtum der Bezüge auf Spengler hat mich bei der Arbeit an diesem Beitrag selbst überrascht. 4 Von Wright 1986: 214-9. Von Wright lässt die Frage, ob die Affinitäten zu Spengler, die sich nach seiner Auffassung hauptsächlich auf die Einschätzung der Gegenwartskultur beziehen, mit Wittgensteins philosophischer Arbeit enger oder lockerer verbunden sind, ausdrücklich unbeantwortet. Es ist ein Hauptziel der folgenden Ausführungen, eine solche wesentliche Verbindung aufzuzeigen. 5 PU 2001: 148, 283; vgl. aber auch 522. Überraschend ist dies deswegen, weil Wittgensteins Denkweise in vieler Hinsicht der „Weltanschauungsphilosophie“ diametral entgegengesetzt ist. (Seine Verwendungsweise des Ausdrucks wird weiter unten genauer erläutert.) 6 Spengler ist in dieser Sammlung einer der am häufigsten genannten Autoren. 7 Ein ähnlicher apodiktischer Stil findet sich, mit einigen Abwandlungen, auch in den Schriften von Nestroy, Kürnberger, Kraus, Loos und anderen Autoren, die Wittgenstein kannte. 8 Bemerkungen aus dem Kringel-Buch werden mit der Sigle KB angeführt.
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stein grenzt sich hier allerdings von einer solchen umfassenden Perspektive ab, es sind für ihn „Probleme, an die ich nie herankomme“. Genauer gesagt bekundet Wittgenstein hier sein Interesse an solch umfassenden, man möchte sagen spätHeidegger’schen Perspektiven; und eine ganze Reihe seiner Bemerkungen sind tatsächlich solchen Fragen gewidmet – er nennt Beethoven, Goethe und Nietzsche als wichtige Vertreter der abendländischen Gedankenwelt – schreibt dann aber sofort, dass „kein Philosoph“ diese Fragen je angegangen ist. Und, so ist zu ergänzen, Wittgenstein zeigt, dass er selbst diese Fragen ebenfalls nicht angehen kann und will. Das Ergebnis seiner eigenen Klärungsarbeit ist gerade nicht die Deutung des gesamten Abendlandes, sondern „das Links-liegenlassen der Welt“ bzw. das „In-die-Rumpelkammer-werfen der ganzen Welt“ (KB Nr. 85). Wittgenstein gibt zu, dass sich ihm manches als „ahnungsvolle Gedankenform zeigt“ (KB Nr. 87), aber er fühlt sich ganz außer Stande, das, was sich ihm da vage zeigt, auch sprachlich auszudrücken – hier hat er gerade nicht die unbekümmerte Zuversicht Spenglers. Er fühlt sich einem bestimmten Kulturkreis verbunden und zugehörig, und daher scheint ihm sein eigenes Buch „nur für einen kleinen Kreis von Menschen bestimmt“ (KB Nr. 91). Er schreibt gleichsam für die „Menschen seines Vaterlandes“, im Unterschied zu allen anderen, die ihm einfach „fremd sind“ (KB Nr. 91).9 Die zweite Erwähnung Spenglers im Kringel-Buch scheint von ganz ähnlicher Art zu sein. Es ist der Abschluss einer Bemerkung über die Art wie Juden in der westlichen Kultur eingeordnet werden, wobei Wittgenstein dies mit der Einordnung griechischer Denker sowie der Teilnehmer der antiken olympischen Spiele vergleicht. Hier schreibt er ziemlich unvermittelt: „Richtig reiht Spengler Weininger nicht unter die westlichen Philosophen/ Denker.“ (KB Nr. 221) Diese gesamte Bemerkung strahlt einen Spengler’schen Geist aus, indem sie entgegen der zunächst naheliegenden Meinung gerade das Gegenteil für „natürlicherweise“ richtig erklärt: dass nämlich weder die antiken Philosophen, noch die Athleten der olympischen Spiele Sportler waren. Mit Spengler scheint Wittgenstein hier etwas davongetragen zu werden.10 Was sollte ein antiker Diskuswerfer wohl anderes sein als ein Sportler? Man könnte höchstens sagen, dass der Zusammenhang, in dem damals Sport betrieben wurde, ein ganz anderer war, so dass man sagen müsste, dass der antike Diskuswerfer eben in einem antiken, wenn auch nicht im westlichen Sinne Sportler war.
9 Diese ganz unspenglersche Beschränkung des eigenen Urteilsfeldes zeigt sich besonders deutlich in den späten Bemerkungen Wittgensteins zu Shakespeare, die vor allem hervorheben, dass Wittgenstein (und mit ihm seine gesamte Gegenwart) gar nicht über hinreichende Maßstäbe verfügt, um ein Urteil über Shakespeare abgeben zu können. Ein weiteres Beispiel, in dem Wittgenstein auf ähnliche Weise Kritik übt, sind seine Bemerkungen zu Frazer. 10 Spengler: „Zur Kultur gehört die Gymnastik, das Turnier, der Agon, zur Zivilisation der Sport.“ (UdA: 49)
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Gravierender für unsere Zwecke ist der Fall der Philosophen. Hierzu ist zu sagen, dass Wittgenstein etwa Platon in seiner sonstigen Arbeit ganz selbstverständlich als Philosophen ansieht und behandelt, und Platons Werk verwendet um spezifische, in Wittgensteins (westlichem) Sinn philosophische Auffassungen und Irrtümer zu illustrieren.11 Diese allgemeine Bemerkung ist daher in ihren Details nicht sehr belastbar. Die abschließende Bemerkung über die Art wie Spengler Weininger einreiht, bleibt etwas unklar. Der Sinn scheint (nach Spengler) zu sein, dass Weininger als Jude, d. h. einfach nur deswegen, weil er Jude war, nicht Teil der westlichen Philosophietradition sein kann. Diese Begründung wirkt vollkommen unzureichend – vor allem würde das die Frage aufwerfen, wie sich Wittgenstein selbst denn einordnen würde.12 Es ist bemerkenswert, dass in der Liste derer, von denen Wittgenstein sich beeinflusst glaubte, außer Russell und Schopenhauer niemand im engeren Sinne Teil der philosophischen Tradition war. Das gilt insbesondere auch für Spengler. Wichtig für Wittgenstein aber ist es, sich mit Gedanken auseinanderzusetzen, die gerade nicht der philosophischen Tradition angehören – da er das Denken von überkommenen philosophischen Schematismen befreien will. In diesem Sinne ist für ihn etwa die Kritik Ramseys an seinen eigenen Gedanken wichtig, weil sie ihn auf Schwächen hinweisen – aber für die Entwicklung seiner eigenen Gedanken hilft sie ihm nicht weiter, wenn Ramsey als ein „bürgerlicher Denker“ eigentlich nur „die Dinge in einer gegebenen Gemeinde ordnen“ will (KB Nr. 223). Spengler dagegen ist zwar in manchem unverantwortlich, aber mit Sicherheit kein bürgerlicher Denker.
2 Frühe Lektüre und Anwendung Der erste Band von Spenglers Untergang des Abendlandes erschien 1918 bei Braumüller in Wien, demselben Verlag, dem Wittgenstein Mitte 1919, nach der Absage durch den Kraus-Verleger Jahoda, seine Abhandlung anbot.13 Es gibt Belege dafür,
11 Wittgensteins Einstellung zu Platon und der Umgang mit Platons Dialogen ist jedoch nicht ganz eindeutig, denn er verwendet Zitate aus Platon (ähnlich wie aus Augustinus) um eher vorphilosophische Neigungen zu illustrieren, und er liest Platons Dialoge offenbar aus Motiven, die mit seiner eigenen philosophischen Arbeit kaum etwas zu tun haben. 12 Diese Frage wurde u. a. von McGuinness und Stern kontrovers diskutiert, soll hier aber nicht weiter verfolgt werden. 13 In einem Brief an Ficker vom Oktober 1919 nennt Wittgenstein als Grund, dass Braumüller auch Weininger verlegt hatte. Seit Mitte 1919 erschien Spenglers Buch bei Beck in München.
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dass Wittgenstein Spenglers Buch schon früh gelesen oder zumindest indirekt rezipiert hat. Sein Freund Hänsel schreibt in seinen Tagebüchern am 26. Oktober 1921, dass er in Spenglers Untergang des Abendlands „hineingeschaut“ habe, und am 13. 11. 1921, dass er die Woche über mit diesem Werk beschäftigt war. Nach einem Besuch bei Wittgenstein in Trattenbach notiert er: „Mit Wittgenstein über Spengler: Die ‚arabische Kultur‘.“ Weitere Einzelheiten über diese frühe Zeit sind derzeit nicht bekannt.14 Ein Text, der vermutlich 1925 verfasst wurde und aus dem Nachlass von Hänsel stammt, gibt jedoch weitere Hinweise auf einen Einfluss Spenglers.15 Darin schreibt Wittgenstein: [Der Geist der größten Männer einer Kultur ist der Geist in dieser Kultur in ihren verschiedenen Lebensaltern.]16 Wenn man das reine geistige (das religiöse) Ideal mit dem weißen Licht vergleicht so kann man die Ideale der verschiedenen Kulturen mit den gefärbten Lichtern vergleichen die entstehen, wenn das reine Licht durch gefärbte Gläser scheint. Denk Dir einen Menschen der von seiner Geburt an immer in einem Raum lebt in welchen das Licht nur durch rote Scheiben eindringt.
Diesen bildlichen Vergleich führt Wittgenstein nun bis an den Punkt der Befreiung weiter. Nachdem der geschilderte Mensch „an die Grenze dieses Raumes“ gestoßen ist, kann er entweder resignieren, und zwar entweder „humoristisch oder melancholisch“, oder die Sache so deuten „als wäre er an einen Körper innerhalb des Raumes gestoßen“ und so „wie früher“ weiterleben. Wittgenstein nennt aber noch eine weitere Möglichkeit: Ein Dritter endlich sagt: ich muss hindurch in den Raum und das Licht. Er durchbricht das Glas und tritt aus seiner Begrenzung aus und ins Freie.
Hier bricht Wittgenstein ab und erklärt seinen Vergleich: Der Mensch in der roten Glasglocke ist die Menschheit einer bestimmten Kultur zum Beispiel der abendländischen die etwa mit der Völkerwanderung17 angefangen und im 18. Jahrhundert einen ihrer Gipfel – ich glaube ihren letzten – erreicht hat. Das Licht ist das
14 Diesen Hinweis verdanke ich einer freundlichen Mitteilung von Ilse Somavilla. 15 Vgl. die editorischen Hinweise in LUS 2004: 77. 16 Dieser erste Satz ist im Manuskript durchgestrichen und erscheint in der Edition nur in der diplomatischen Version (LUS 2004: 25 und 31, vgl. aber 44). 17 Diese Abgrenzung ignoriert Spenglers Chronologie völlig, die die Zeit von Christi Geburt bis etwa um 1000 der „arabischen Kultur“ zuordnet, die Gegenstand des Gesprächs mit Hänsel war. Die Einschätzung, dass der Beginn (oder der Mitte) des 19. Jahrhunderts eine wesentliche Grenze und den Beginn einer Verfallsbewegung darstellt, stimmt dagegen ganz mit Spengler überein.
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Ideal und das getrübte Licht das Kulturideal. Dieses wird solange für das Licht gehalten solange die Menschheit noch nicht an die Grenze dieser Kultur gekommen ist. Früher oder später aber wird sie an diese Grenze kommen denn jede Kultur ist nur ein begrenzter Teil des Raums. – Mit dem Anfang des 19. Jahrhunderts (des geistigen) ist die Menschheit an die Grenze der abendländischen Kultur gestoßen. Und nun stellt sich die Säure ein: die Melancholie und der Humor (denn beide sind sauer).18
Dieses Durchbrechen deutet Wittgenstein so: „[...] oder er durchbricht die Begrenzung und wird religiös.“ Für den „bedeutenden Menschen“ allgemein gilt, dass er „an die Grenze der Kultur“ kommt, sich mit dem Licht auseinandersetzen muss, – und (nur) diese Auseinandersetzung „ergreift“. Zusammengefasst: „Die Auseinandersetzung mit dem Geist, dem Licht, ergreift.“ In dieser Überlegung verbindet Wittgenstein einige offenkundig Spengler’sche Motive in der Art, die Kulturentwicklung mit dem Leben eines Organismus zu vergleichen, und auch in der Perspektive eines „Untergangs“ zu betrachten, mit einem un- oder vielleicht antispenglerische Gedanken des Absoluten, nämlich so als müsse es einen Ort geben, der nicht Teil einer spezifischen Kultur ist, sozusagen einen letzten oder einzigen Ort ohne kulturspezifische Trübung, von dem aus man die reine Wahrheit erblicken kann.19 Es kann merkwürdig anmuten, dass Wittgenstein nach Abfassung seiner Abhandlung noch solche, naiv realistisch anmutende Texte verfasst hat.20 Die Abhandlung enthält allerdings auch einige sehr absolut formulierte Passagen, deren Ernsthaftigkeit durch dieses Dokument bekräftigt wird. Es legt die Deutung nahe, dass Wittgenstein mit seiner Abhandlung tatsächlich das Wesen einer solchen absoluten Perspektive auf die Welt, die Logik der Sprache, die allgemeine Form des Satzes, und das Mystische artikulieren wollte. Ein wichtiger Aspekt, der mit der älteren Sichtweise übereinstimmt, ist allerdings die Annahme, dass es ein System gibt, in dem wir uns bewegen und nicht
18 Diese Gegenüberstellung erinnert an Karl Kraus, der als Reaktionsweisen den Humor (insbesondere Nestroys) der Ironie (insbesondere Heines) gegenüberstellte, wobei er jedoch nur die Ironie negativ wertete. 19 Man mag hier an Platons Höhlengleichnis denken. In mancher Hinsicht ist dieser Gedanke, wenn auch uneingestanden, bei Spengler ebenfalls zu finden, denn dieser beansprucht durch die Art seines Auftretens und Formulierens für sich selbst eine über den Kulturen stehende, absolute Perspektive. Er würde jedoch in jedem Fall die Religion (wie auch die Mathematik) als Phänomen innerhalb ihrer jeweiligen Kultur betrachten und ihr niemals eine absolute Bedeutung zubilligen. 20 Dies wirkt vor allem deswegen unpassend, weil die Abhandlung in den wichtigsten Teilen jede metaphysische Unmittelbarkeit als Täuschung ablehnt und auf die jeweils vorausgesetzte Form verweist.
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mehrere. Der Gedanke einer nicht nur möglichen, sondern auch wesentlichen Relativität fehlt hier noch völlig – und gerade in diesem Punkt wird Spenglers Einfluss auf Wittgenstein später besonders wichtig sein.
3 Spengler 1930–31: Denkbewegungen Eine erneute und erweiterte Auseinandersetzung mit Spengler, und zugleich eine Selbstbefragung mit Hilfe Spengler’scher Gedankengänge, unternimmt Wittgenstein ab Mai 1930. Dies ist in Manuskriptband 183 dokumentiert, der erst 1997 unter dem Titel Denkbewegungen herausgegeben wurde. Schon dieser Ort ist bemerkenswert: Dieser Manuskriptband steht nämlich ganz außerhalb der Reihe der Notizbücher und Manuskriptbände, in denen Wittgenstein seine im engeren Sinne philosophischen Forschungen niederlegte, auch wenn es stellenweise enge Berührungspunkte gibt. Der Band enthält neben persönlichen Eintragungen und Anmerkungen zu Kunst, Musik und Religion insbesondere auch Überlegungen, die die Stellung der eigenen Arbeit insgesamt betreffen. Genau in diesem Zusammenhang spielt Spengler eine wichtige Rolle. Wittgenstein verwendet dessen Anregungen also nicht (oder noch nicht) für seine im engeren Sinne philosophische Arbeit, sondern eher für die Gesamtdeutung seiner selbst als eines kulturellen Phänomens.21 Ein besonders prägnantes Beispiel lautet: Wenn mein Name fortleben wird, dann nur als der Terminus ad quem der abendländischen Philosophie. Gleichsam wie der Name dessen der die Alexandrinische Bibliothek verbrannt/ angezündet/ hat. (MS 183: 64)
Hierin drückt sich eine typisch Spengler’sche weltgeschichtliche Großperspektive aus, die Wittgenstein sonst eher fremd ist.22 – Auch die bekannte Bemerkung über eine wesentliche Änderung im Wesen der Philosophie, vom Beginn seiner Vorlesungen im Oktober 1930, die er später nicht wiederholt oder weiter erläutert hat, wird aus dieser Perspektive verständlich:
21 Eine weitere Gruppe von Bemerkungen in einem spenglerschen Geist sind die Vorwortentwürfe vom Herbst 1930. Diese sind durch besondere Zeichen, hauptsächlich Kringel, aus dem fortlaufenden Text der Hauptmanuskriptbände als dort nicht unmittelbar zugehörig hervorgehoben (KB Nr. 62-89). Viele der Bemerkungen aus MS 183 würden umgekehrt gut zu den Kringelbemerkungen passen. Auf diese Verbindung hat schon Rothhaupt 2011: 175-6 hingewiesen (vgl. auch seinen Beitrag in diesem Band). 22 Die antike und doch strukturell so moderne Großstadt Alexandria ist ein Lieblingsbeispiel Spenglers.
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Der Nimbus der Philosophie ist verlorengegangen, denn jetzt haben wir eine Methode des Philosophierens und können von geschickten Philosophen sprechen. Man vergleiche den Unterschied zwischen Alchemie und Chemie: Die Chemie hat eine Methode, und wir können von geschickten Chemikern sprechen. Doch sobald man eine Methode gefunden hat, sind die Möglichkeiten des Ausdrucks der Persönlichkeit entsprechend eingeschränkt. In unserem Zeitalter besteht die Tendenz, solche Möglichkeiten zu beschneiden, und das ist charakteristisch für eine Zeit kulturellen Niedergangs [declining culture] oder ohne Kultur. Das heißt nicht unbedingt, dass ein Mensch in solchen Epochen weniger groß ist, doch die Philosophie wird heute zu einer Sache der Geschicklichkeit reduziert, und der Nimbus des Philosophen verschwindet. (LWL 1984: 43)
Die (ganz vereinzelt dastehende) Bemerkung ist rätselhaft, wenn man sie auf Wittgensteins Methode der Philosophie zu beziehen versucht; sie ist doppelt rätselhaft, wenn man bedenkt, dass Wittgenstein sich zu diesem Zeitpunkt selbst noch in einer Zeit des methodischen Suchens und des beginnenden Übergangs befand; und sie wirkt vollends merkwürdig, wenn sie Philosophie mit dem Ausdruck von Persönlichkeit in Beziehung setzt, einer Relation, die in Wittgensteins Werk sonst kaum eine Parallele besitzt. Tatsächlich versucht Wittgenstein hier keine Charakterisierung seiner eigenen Methode, sondern er ersetzt eine solche Charakterisierung durch eine Spengler’sche allgemeine Bemerkung über die Stellung der Philosophie im Gesamtzusammenhang einer Kultur bzw. Zivilisation.23 Die Fortsetzung der Ausführungen zeigt, dass Wittgenstein selbst keine solche Konzeption von Philosophie anzubieten hat. Am 6. 5. 1930 bezieht sich Wittgenstein erstmals explizit auf Spengler: Lese Spenglers Untergang etc. und finde trotz des vielen Unverantwortlichen im Einzelnen, viele wirkliche, bedeutende Gedanken. Vieles, vielleicht das meiste berührt sich ganz mit dem was ich selbst oft gedacht habe. Die Möglichkeit einer Mehrzahl abgeschlossener Systeme, welche wenn man sie einmal hat, ausschauen als sei das eine die Fortsetzung des Anderen.24 (MS 183: 16)
23 Wittgenstein spricht hier über die Tendenz, Philosophie als Spezialdisziplin, also im Kuhnschen Sinn als normal science, aufzufassen – und damit gerade nicht über seine eigene Auffassung dessen, was Philosophie ist oder sein sollte. Als Paradigma für die abgelehnte Auffassung wäre eher an den Wiener Kreis zu denken, und dessen am naturwissenschaftlichen Stil orientierte, kollektive, arbeitsteilige, unpersönliche Auffassung der Philosophie (Vgl. dazu auch die kurz nach der Rückkehr aus Wien niedergeschriebene Bemerkung MS 183: 46-7). Schulte 2002 gibt eine auf Wittgensteins eigene Methode bezogene Deutung der Bemerkung. – Auch die ziemlich kuriose Bemerkung darüber, dass sich ein Jazztanz „verbessern lassen“ können müsste, ähnlich wie Filme technisch verbessert werden können, drückt dieselbe Einstellung der „Unbeteiligung des Geistes“ aus (VB: 24). 24 Vgl. zu diesem Satz das unten auf S. 332 angeführte Zitat (UdA: 82).
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Diese Reaktion lässt nicht erkennen, dass er Spenglers Buch wiederliest, und insbesondere nicht, dass er sich jetzt schon von Spengler beeinflusst fühlt – sondern sie klingt eher so, dass Wittgenstein eine Übereinstimmung, die nicht auf Einfluss beruht, wahrzunehmen glaubt. Dies ist insofern erstaunlich, weil er bereits 1931 Spengler unter seinen wichtigsten Einflüssen aufzählt.25 Die bereits angeführte Bemerkung von 1930 eröffnet eine längere Reihe von Betrachtungen, die immer wieder auf Spengler und seine Denkweise zurückkommen bzw. ähnliche Denkbewegungen ausführen. Wittgenstein betont vor allem den Gedanken, dass es nicht auf die Fakten ankomme, sondern auf deren Bedeutung innerhalb einer Kultur: „Eine Entdeckung ist weder groß noch klein; es kommt darauf an was sie uns bedeutet.“ (MS 183: 22) Dies illustriert er an einem drastischen Beispiel: „Das Trinken, zu einer Zeit symbolisch, ist zu einer anderen Zeit Suff.“26 (MS 183: 24) Er erläutert diese Formulierung, ebenfalls unter Verwendung der Redeweise, dass der „Nimbus“ verlorengehen kann, wodurch wiederum das Trinken und das Denken in Beziehung gesetzt werden: „D. h. der Nimbus, nämlich der echte Nimbus haftet nicht an der äußern Tatsache, d. h. nicht an der Tatsache.“ (ebd.) Nur innerhalb eines Systems, einer Kultur, kann etwas Bedeutung haben; und es kann zeitlich nacheinander verschiedene solcher Kulturen geben, aber zu einem Zeitpunkt offenbar nur eine. Von einer zeitlichen Koexistenz mehrerer Kulturen ist hier zunächst nicht die Rede, zu jedem besonderen Zeitpunkt gibt es also keine Alternative, hier denkt Wittgenstein (mit Spengler) noch absolut. Wittgenstein spricht zwar zunächst von „vielen Gedanken“ bei Spengler, dann aber wechselt er zum Singular:27 Es ist schade, dass Spengler nicht bei seinen guten Gedanken geblieben ist und weiter gegangen ist als er verantworten kann. Allerdings wäre durch die größere Reinlichkeit sein Gedanke schwerer zu verstehen gewesen aber auch dadurch erst wirklich nachhaltig wirksam. (MS 183: 19)
25 Dazu unten mehr. 26 An späterer Stelle schreibt Wittgenstein in ähnlicher Haltung über das Verhältnis von faktisch vorhandenem Material und Geist: „Ich kann die Qualität eines Malpinsels nicht beurteilen, ich verstehe nichts von Pinseln und weiß, wenn ich einen sehe, nicht ob er gut, schlecht oder mittelmäßig ist, aber ich bin überzeugt dass englische Malpinsel hervorragend gut sind. Und ebenso überzeugt, dass die Engländer nichts von Malerei verstehen. – Die Rohstoffe sind hier immer ausgezeichnet, aber die Fähigkeit fehlt sie zu formen. D. h.: Die Menschen haben Gewissenhaftigkeit, Kenntnisse und Geschick, aber nicht Kunst, noch feine Empfindung.“ (MS 183: 90) 27 Das folgende Zitat schwankt zwischen Singular und Plural, scheint aber dazu zu tendieren, dass Spengler im Grunde nur einen einzigen Kerngedanken ausdrücken will.
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Der Gedanke, den Wittgenstein meint, liegt vor allem darin, dass es feste Formen gibt, die einen Abschluss finden und dann nicht weiterwachsen können. So ist der Gedanke dass die Streichinstrumente zwischen 1500 und 1600 ihre endgültige Gestalt angenommen haben von ungeheurer Tragweite (und Symbolik).28 (MS 183: 19-20)
Wittgenstein vergleicht dies mit dem Fall, dass sich die Kopfnähte eines Kindes in einem bestimmten Alter schließen, so dass „die Entwicklung überall zu einem Ende kommt [und] was sich da entwickelt ein geschlossenes Ganzes ist, das einmal vollständig da sein wird und nicht eine Wurst die beliebig weiterlaufen kann.“ (MS 183: 20) Wittgenstein stellt unmittelbar im Anschluss eine Überlegung an, die eine tiefliegende frühere „Berührung“ beider Denkweisen andeutet:29 Als ich vor 16 Jahren den Gedanken hatte, dass das Gesetz der Kausalität an sich bedeutungslos sei und es eine Betrachtung der Welt gibt, die es nicht im Auge hat, da hatte ich das Gefühl vom Anbrechen einer Neuen Epoche. (MS 183: 21)
Diese Bemerkung ist zum einen insofern rätselhaft, als die Problematik der Kausalität für Wittgensteins frühe Philosophie eine wichtige, aber keine zentrale Rolle zu spielen scheint, und in der Abhandlung nur sehr kurz behandelt wird.30 Der Begriff der Kausalität steht hier für die naturwissenschaftliche, naturgesetzliche Betrachtungsweise überhaupt: „Wenn es ein Kausalitätsgesetz gäbe, so könnte es lauten: ‚Es gibt Naturgesetze.‘“ (TLP 6.36)31 Diese Betrachtungsweise ist aber die in der Moderne herrschende, und gerade diejenige, gegen die Wittgenstein sich in und mit seiner Abhandlung abgrenzt. So schreibt er: „Der ganzen modernen Weltanschauung (!) liegt die Täuschung zugrunde, dass die sogenannten Naturgesetze die Erklärungen der Naturerscheinungen seien.“ (6.371) Diese Einstellung führt dazu, dass man an der falschen Stelle in der Betrachtung halt macht, nämlich bei der Naturgesetzlichkeit, anstatt bei der Logik und der logischen Form: „So bleiben sie bei den Naturgesetzen als bei etwas Unantastbaren stehen, wie die Älteren bei Gott und dem Schicksal.“ (6.372) Wittgenstein dagegen will, und hier stimmt er mit Spengler ganz überein, eine andere „Weltanschauung“,
28 Spengler im Kapitel Vom Sinn der Zahlen: „Die Streichinstrumente haben 1480 bis 1530 in Oberitalien ihre endgültige Gestalt erhalten.“ (UdA: 84) Die Differenz in der Datierung kommentiert Wittgenstein auch hier nicht. 29 Es ist zu bedenken, dass Spengler nur 9 Jahre älter ist als Wittgenstein und dass beide ihre Werke zum Ersten Weltkrieg in Beziehung setzen. 30 Wittgenstein spricht hier zwar genau genommen nur von einem „Gefühl“, nicht einem Faktum, das sich bestätigt hat, aber dennoch ist die Bemerkung ernst zu nehmen. 31 Die Manuskriptquelle zu dieser Bemerkung ist vom 29. 3. 1915.
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d. h. eine andere allgemeine und grundlegende Betrachtungs- und Darstellungsweise entwickeln und praktizieren – und zwar gilt dies nicht erst für seine späte Philosophie, sondern bereits für die Abhandlung.32 Es kann daher nicht überraschen, dass Wittgenstein hier eine ihm tief erscheinende Ähnlichkeit zwischen seinen und Spenglers Denkbewegungen artikuliert. Spengler hatte an zentraler Stelle einen Gegensatz zwischen „Schicksalsidee und Kausalitätsprinzip“ (UdA: 2. Kapitel, Abschnitt II) entwickelt. Seine eigene geschichtliche Betrachtung grenzt Spengler dabei ausdrücklich gegen jede kausale Sichtweise ab.33 Die Entgegensetzung von Kausalität und Schicksal ist in Wittgensteins Bemerkung wörtlich angesprochen, aber die Konzeption eines Schicksals spielt für ihn systematisch keine Rolle – wohl aber die Entgegensetzung des Bereiches der Kausalität gegenüber Fragen eines anderen Bereichs, die in Wittgensteins Fall rein logischer Art sind. Besonders muss Wittgenstein jedoch die von ihm selbst angedeutete chronologische Parallelentwicklung mit derjenigen Spenglers verblüfft haben, die auch in der Rede von einer „neuen Epoche“ angedeutet ist. In seinem Vorwort von 1917 schreibt Spengler davon, dass sein Buch von 1911 bis 1914 entstand und 1917 fertiggestellt wurde, und dass der Titel seit 1912 feststand. Er spricht dort auch im Singular von „ein[em] Gedanke[n], der nicht in eine Epoche fällt, sondern der Epoche macht“ (UdA: X), und Wittgensteins Selbstdatierung führt auf das Jahr 1914, in dem er selbst das Gefühl hatte, Epoche zu machen. Selbst die Einschätzung, mit dem eigenen Beitrag etwas gewissermaßen Natürliches zu leisten und dasjenige auszudrücken, was „man“ allgemein schon dunkel geahnt hatte, verbindet Spengler und Wittgenstein. Spengler schreibt: „Denn es handelt sich nach meiner Überzeugung nicht um eine neben andern mögliche und nur logisch gerechtfertigte, sondern um die, gewissermaßen natürliche, von allen dunkel vorgefühlte Philosophie der Zeit.“ (UdA: X) Wittgenstein war bekanntlich von der Wahrheit seiner Ausführungen und davon die Probleme „im wesentlichen endgültig gelöst zu haben“ überzeugt; und bezogen auf die Logik, die die zentrale Stelle einnimmt, bemerkt er: „Die Menschen haben immer geahnt, dass es ein Gebiet geben müsse, deren Antworten – a priori – symmetrisch, und zu einem abgeschlossenen, regelmäßigen Gebilde vereintliegen.“34 (TLP 5.4541)
32 Spengler spricht einmal von der „geheimnislosen „wissenschaftlichen Weltanschauung““ (UdA: 108) des 19. Jahrhunderts. 33 Das Schicksal nennt Spengler „die eigentliche Daseinsart des Urphänomens, in welchem vor dem Schauenden sich die lebendige Idee des Werdens unmittelbar entfaltet“, während „alle Kausalität, welche die Daseinsart von Gegenständen ist [...] als Form des Verstehens dessen alter ego, die Welt der Natur, beherrscht und prägt“. (UdA: 158) 34 Auch Spenglers Anmerkung, sein Gedanke sei „nur in beschränktem Sinne das Eigentum
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Die Betrachtung Spenglers ist von großen Ordnungsgesten beherrscht, und auch Wittgenstein interessiert sich sehr dafür, so etwa für Spenglers Einordnung Kierkegaards (ablehnend) und auch Weiningers (zustimmend). Er ordnet aber auch sich selbst ein und stößt auf Schwierigkeiten, da er einerseits sich in der Gegenwart fremd fühlt, dann aber auch wieder nicht: „In einer Beziehung muss ich ein sehr moderner Mensch sein weil das Kino so außerordentlich wohltätig auf mich wirkt. Ich kann mir kein Ausruhen des Geistes denken was mir adäquater wäre als ein amerikanischer Film.“35 (MS 183: 21-2)
Die Einordnung großer Entdeckungen, nämlich Kopernikus und Einstein, wird als nächstes thematisiert: Wir sehen in der Kopernikanischen Entdeckung etwas Großes – weil wir wissen dass sie ihrer Zeit etwas Großes bedeutete und vielleicht auch weil noch ein Ausklang dieser Bedeutung zu uns herüber kommt – und nun schließen wir per analogiam dass die Entdeckungen Einsteins etc. zum mindesten etwas ebenso Großes sind. Aber sie sind – wenn auch von noch so großem praktischen Wert, vielseitigem Interesse etc. – doch nur so groß als sie bedeutend (symbolisch) sind. (MS 183: 22-3)
Es folgt darauf noch eine Kritik der Analogie von echtem Heldentum und modernem Sport, und schließlich eine weitere Grobsortierung, die „Loos, Spengler, Freud und ich“ sämtlich „in dieselbe Klasse“ einordnet, nämlich diejenige, „die für diese Zeit charakteristisch ist“. (MS 183: 29) Besonders deutlich prägen Spengler’sche Elemente die Entwürfe zu einem Vorwort vom November 1930, denen (vom Herausgeber) eine Auswahl als Vorwort zu den Philosophischen Bemerkungen entnommen wurde, während der größere Teil in den Vermischten Bemerkungen (VB 1984: 29-33) erschien. Die Zuordnung zu einem spezifischen Text Wittgensteins wurde verschiedentlich in Frage gestellt, und die hier entwickelte Perspektive bekräftigt diese Zweifel weiter. Diese Entwürfe sprechen nämlich, anders als das Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen, gar nicht über irgendein bestimmtes Buch, und sie sind in diesem Sinne nicht spezifisch als Vorwort anzusehen, auch wenn darin an einigen Stellen unbestimmt von einem Buch die Rede ist. Tatsächlich bieten diese Bemerkungen eine eher metaphysische Standortbestimmung innerhalb der Kultur bzw. Zivilisation
dessen, dem seine Urheberschaft zuteil wird. Er gehört der ganzen Zeit“, ebenso wie die Formulierung, sein Buch sei „mit allen Fehlern eines solchen [ersten Versuchs] behaftet“ (UdA: X, bzw. VII und 70) findet ein Echo im Vorwort zu den Philosophischen Untersuchungen. 35 Die Moderne hilft hier Wittgenstein jedoch nur insofern bei seiner eigenen Denkarbeit, als sie ihm abends das Abschalten erleichtert.
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insgesamt und gar nicht der Philosophie im Besonderen.36 Wittgenstein bekennt sich hier auf beinahe militante Weise dazu, kein Teil der „großen europäischen und amerikanischen Zivilisation“ zu sein, deren Geist ihm „fremd und unsympathisch“ sei.37 In dieser „Zeit der Unkultur“ könne er selbst keinen Beitrag zu etwas Größerem leisten, sondern nur „Wärme die er beim Überwinden der Reibungswiderstände erzeugt hat“ abgeben. Er grenzt sich auch vom Gedanken des Fortschritts ab und setzt ihm sein Ideal von „Klarheit“ und „Durchsichtigkeit“ als Selbstzweck entgegen.38 Spengler hatte davon geschrieben, dass auch die Entwicklungsidee eine „Wandlung von der Kultur zur Zivilisation“ durchgemacht habe: Bei Goethe ist sie erhaben, bei Darwin flach, bei Goethe organisch, bei Darwin mechanisch, bei jenem Erlebnis und Sinnbild, bei diesem Erkenntnis und Gesetz. Dort heißt sie innere Vollendung, hier ‚Fortschritt‘.39 (UdA: 475)
Eine weitere Bemerkung betrifft die Konzeption des Apriori, die Spengler konsequenterweise ablehnt bzw. relativiert. In Kants Konzeption der Mathematik als (synthetisch) a priori findet Spengler lediglich „ein starkes inneres Gefühl in eine abstrakte Form gebracht“, erkennt im Apriori dann aber sozusagen als Kulturphänomen betrachtet sehr allgemein „eine der genialsten Konzeptionen aller Erkenntniskritik“ (UdA: 80). Wittgenstein notiert im Anschluss an eine Erwägung zu Tragödie und Komödie als „zwei von vielen Arten des Dramas, die nur einer bestimmten – vergangenen – Kultur als die einzigen erschienen sind“: Es war charakteristisch für die Theoretiker der vergangenen Kulturperiode, das Apriori finden zu wollen, wo es nicht war. Oder, soll ich sagen, es war charakteristisch für die vergangene Kulturperiode, den Begriff des ‚a priori‘ zu schaffen. Denn nie hätte sie diesen Begriff geschaffen, wenn sie von vornherein die Sachlage /Dinge/ so gesehen hätte wie wir sie sehen. (Dann wäre der Welt ein großer – ich meine bedeutender – Irrtum verloren gegangen.) Aber in Wirklichkeit kann man so gar nicht räsonieren, denn dieser Begriff war in der ganzen Kultur begründet. (MS 183: 81)
36 Diese Entwürfe wären somit passender einem allgemeineren, vielleicht kulturkritischen Buch Wittgensteins von der Art des Kringel-Buchs zuzuordnen. 37 Dies trotz der oben angeführten Bemerkung über das Kino. 38 Diese Gegenüberstellung entspricht der oben erläuterten Anmerkung über die Philosophie mit und ohne Nimbus. 39 Der Idee des Fortschritts kann man aber nach Spengler gar nicht entkommen (obwohl er sich selbst davon wohl ausnimmt): „Es ist dem faustischen Menschen gar nicht möglich, diese Grundgestalt seines Daseins zu verleugnen, geschweige zu ändern. Jede Auflehnung dagegen setzt sie schon voraus. Wer den „Fortschritt“ bekämpft, hält diese Wirksamkeit doch selbst für einen Fortschritt.“ (UdA: 437)
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Diese ganze Überlegung steht in einem merkwürdigen Kontrast zu der Art wie sich Wittgenstein in seiner Abhandlung selbst um Aufklärung des Apriori bemüht hatte (vgl. etwa 6.33–6.35).
4 Spengler und die Wende zur Spätphilosophie Die Stellung zu Spengler erweitert und ändert sich bereits im Folgejahr 1931.40 In diesem Jahr erreicht Wittgenstein in wesentlichen Hinsichten den Durchbruch zu seiner Spätphilosophie, und dabei spielen Bezugnahmen auf Spengler zum ersten Mal eine wichtige Rolle für die im engeren Sinne philosophische Arbeit. Dies zeigt sich formal bereits darin, dass die beiden hier zentralen Bemerkungen, die Spengler nennen und thematisieren, in den Hauptmanuskriptbänden erscheinen und zwar ohne als unzugehörig markiert zu sein. Das erste ist die bekannte Bemerkung über den Begriff der übersichtlichen Darstellung: Der Begriff der übersichtlichen Darstellung ist für uns von grundlegender Bedeutung. Er bezeichnet unsere Darstellungsform, die Art, wie wir die Dinge sehen (Eine Art der ‚Weltanschauung‘ wie sie scheinbar für unsere Zeit typisch ist. Spengler) (MS 110: 257)
Diese zentrale Bemerkung über die Wichtigkeit der Darstellungsform ist allerdings systematisch eher auf Goethe bezogen,41 und nur die Deutung dieser Gedankenbewegung bezieht sich, wie schon in den früheren Bemerkungen von 1930, eindeutig auf Spengler. Von ganz anderer Art ist die Bemerkung über Spengler und den Dogmatismus, die Wittgenstein ins Big Typescript aufgenommen und später erneut handschriftlich überarbeitet hat (MS 115: 56). So könnte Spengler besser verstanden werden wenn er sagte: ich vergleiche verschiedene Kulturperioden dem Leben von Familien; innerhalb der Familie gibt es eine Familienähnlichkeit, während es auch zwischen Mitgliedern verschiedener Familien eine Ähnlichkeit gibt; die Familienähnlichkeit unterscheidet sich von der andern Ähnlichkeit so und so. [...] Aber das Urbild soll ja eben als solches hingestellt werden; dass es die ganze Betrachtung
40 Die Bedeutung Spengler für Wittgensteins Wende habe ich bereits in Kienzler 1997: 40–50, dargestellt (dort finden sich auch noch einige weitere Parallelstellen), so dass dieser Abschnitt etwas kürzer gefasst ist. 41 Unmittelbar zuvor hatte Wittgenstein aus Goethes Metamorphose der Pflanze zitiert. Da Spengler seinerseits angibt: „Von Goethe habe ich die Methode“ (UdA: IX) ist eine exakte Abgrenzung hier schwierig.
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charakterisiert, ihre Form bestimmt. Es steht also an der Spitze und ist dadurch allgemein gültig, dass es die Form der Betrachtung bestimmt, nicht dadurch, dass alles was nur von ihm gilt von allen Objekten der Betrachtung ausgesagt wird. (MS 111: 119/ BT: 259/ VB: 48)
Wittgenstein artikuliert hier ein Grundelement seiner späteren Philosophie so, als sei es bei Spengler bereits vorhanden. Das bedeutet aber gerade nicht, dass Spengler selbst bereits über Wittgensteins Konzeption der Familienähnlichkeit verfügt; ganz im Gegenteil weist Wittgenstein hier darauf hin, dass Spengler sich in diesem philosophisch zentralen Punkt selbst gerade nicht versteht, und dass er die Konzeption von Familienähnlichkeit also gegen Spenglers Wortlaut (und gegen dessen metaphysische Intentionen) gewinnt. Es ist insbesondere der Gesichtspunkt des Müssens, in dem sich Wittgensteins Konzeption von derjenigen Spenglers unterscheidet: Spengler glaubt den Schlüssel dafür gefunden zu haben, wie die Geschichte ablaufen muss. Durch seine neuartige Perspektive ergeben viele Einzelheiten einen schlüssigen Zusammenhang, und in der Betrachtung drängt sich dadurch der Gedanke auf: Ja, so musste die Entwicklung verlaufen. Spengler ließ sich von diesem starken Eindruck unter anderem dazu verleiten, zu glauben, dass er die künftige Entwicklung ebenfalls in ihrer „schicksalshaften“ Notwendigkeit vorhersehen können müsste. Dies führte zum ersten Satz der Einleitung: „In diesem Buche wird zum ersten Mal der Versuch gewagt, Geschichte vorauszubestimmen.“ (UdA: 3) Tatsächlich enthält aber nichts von dem, was Spengler geschrieben hat, eine solche Vorausbestimmung, die über äußerst vage Andeutungen hinausgehen würde, und sein Zögern, etwa die Entwicklung der deutschen Politik seit 1933 auf dem Hintergrund seines Untergangs zu kommentieren, ist notorisch. Spengler missversteht also die Natur seines eigenen Unternehmens, und man könnte Wittgensteins Bemerkung auch so umformen: „So könnte Spengler sich selbst besser verstehen.“42 Die Entfernung zeigt sich unter anderem auch darin, dass Spengler das Wort „Familienähnlichkeit“ selbst verwendet, aber in charakteristisch anderer Weise als Wittgenstein, in dem er etwa von der „Familienähnlichkeit“ der europäischen Baustile spricht, die einheitliche Stadtbilder ergeben können (UdA: 261). Wittgenstein greift Spenglers Technik des Vergleichens auf, mit der dieser scheinbar absolute Elemente unserer Kultur und Wissenschaft als relativ und variabel erweist, und trennt sie von der essentialistischen Perspektive, mit der Spengler durchgehend arbeitet, indem er die jeweils notwendige Gestalt der Kul-
42 Tatsächlich lebte Spengler 1931 ja noch. Diese Überlegung passt zu Wittgensteins (später) Bemerkung, dass auch Spengler (wie Freud, Spengler und Einstein) nicht „groß“ sei, denn „je weniger sich einer selbst kennt und versteht umso weniger groß ist er“ (VB: 95 [1946]).
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turphänomene innerhalb jeder Großkultur erkannt zu haben glaubt: Es ist ganz richtig, dass es ganz unterschiedliche Konzeptionen dessen, was Zahl, Raum oder Musik ist, geben kann – aber es ist dogmatisch, anzunehmen, man verfüge über die Einsicht, genau welche Gestalt diese Erscheinungen jeweils annehmen müssen. Man könnte auch sagen, dass Wittgenstein die relativierenden Tendenzen Spenglers konsequent zu Ende führt, und dass er ihm dann das Verdienst zuschreibt, ihn auf diesem Weg ein wichtiges Stück weitergebracht zu haben. Um 1931–32 verwendet Wittgenstein also Spengler nicht mehr zur allgemeinen Selbstcharakterisierung innerhalb der Kultur insgesamt, sondern er arbeitet mit der konkreten Technik Spenglers innerhalb seiner eigenen philosophischen Arbeit.
5 S pengler, Wittgenstein und die Philosophie der Mathematik Für insbesondere den späten Wittgenstein war die Mathematik ein Hauptthema seiner philosophischen Überlegungen, und für Spengler gilt dies insofern auch als gleich das erste Kapitel seines Hauptwerks „Vom Sinn der Zahlen“ überschrieben ist.43 Spenglers Grundgedanke bei der Betrachtung der Mathematik ist die Überlegung, dass Mathematik nicht als überzeitliches, ewiges und abstraktes System von Wahrheiten, das sukzessive erkannt wird, anzusehen ist, sondern dass Mathematik konsequent als Teil der jeweiligen Kultur aufgefasst werden muss: Es gibt keine Mathematik, es gibt nur Mathematiken. Was wir Geschichte ‚der‘ Mathematik nennen, vermeintlich die fortschreitende Verwirklichung eines einzigen unveränderlichen Ideals, ist in der Tat, sobald man das täuschende Bild der historischen Oberfläche beseitigt, eine Mehrzahl in sich geschlossener, unabhängiger Entwicklungen, eine wiederholte Geburt neuer, ein Aneignen, Umbilden und Abstreifen fremder Formenwelten, ein rein organisches, an eine bestimmte Dauer gebundenes Aufblühen, Reifen, Welken und Sterben. (UdA: 82)
Diese Bemerkung untermauert Spengler damit, dass er aufzeigt, wie der Begriff der Zahl in den verschiedenen Kulturen, der griechischen, der arabischen und der modernen, auf eine Weise unterschiedlich gefasst wurde, dass man nicht von einer Weiterentwicklung, sondern jeweils von einer „ganz neuen Schöpfung“
43 Dieser Aspekt des Verhältnisses Wittgensteins zu Spengler ist bisher unbeachtet geblieben; die umfangreichste und gründlichste Monographie zu Wittgensteins Philosophie der Mathematik behandelt den Bezug zu Spengler nicht (Mühlhölzer 2010).
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(UdA: 85) sprechen muss: „Eine Zahl an sich gibt es nicht und kann es nicht geben. Es gibt mehrere Zahlenwelten, weil es mehrere Kulturen gibt.“ (UdA: 79) Wittgenstein kümmert sich nicht um Spenglers Deutung der Geschichte der Mathematik, aber für ihn ist daran zunächst zweierlei interessant: Erstens der antiplatonische Impuls, die Mathematik vom rein „diesseitigen“ Standpunkt zu sehen und zu beschreiben und auf jeden Bezug auf ewige Wahrheiten zu verzichten.44 Zweitens die Konzeption, dass die Mathematik nicht ein System darstellt, sondern dass es in ihr verschiedene Regelsysteme gibt, die in sich abgeschlossen, also für sich genommen vollständig sind. Wittgenstein transformiert Spenglers historisierende Betrachtungsweise, die immer noch essentialistisch von „der“ Zahl der griechischen Mathematik ausgeht, in seine nüchternere und systematischere Perspektive der Familienähnlichkeiten. In den Untersuchungen schreibt er entsprechend: Und ebenso bilden z. B. die Zahlenarten eine Familie. Warum nennen wir etwas ‚Zahl‘? Nun, etwa, weil es eine – direkte – Verwandtschaft mit manchem hat, was man bisher Zahl genannt hat; und dadurch, kann man sagen, erhält es eine indirekte Verwandtschaft zu anderem, was wir auch so nennen. (PU: 67)
Damit beantwortet Wittgenstein eine Frage, die Spengler gar nicht erst stellt; denn nach Spengler bleibt es unverständlich, warum wir in allen von ihm betrachteten Fällen von „Zahlen“ sprechen, – oder aber warum Spengler einerseits die völlige Verschiedenheit betont, zugleich aber die Identität behauptet. So schreibt er über die jeweilige Entstehung der antiken und der neuzeitlichen Mathematik: „Das eine geschah durch Pythagoras, das andere durch Descartes. Beide Akte sind in der Tiefe identisch.“ (UdA: 82) Erst Wittgenstein kann beiden Aspekten gerecht werden; immerhin hatte Spengler beides angesprochen. Die Vielzahl und Verschiedenheit betrifft aber nicht nur den Begriff der Zahl, sondern etwa auch den des Beweises: Wenn von Beweisen der Relevanz (und ähnlichen Dingen der Mathematik) geredet wird, so geschieht es immer, als hätten wir, abgesehen von den einzelnen Operationsreihen die wir Beweise der Relevanz nennen, noch einen ganz scharfen umfassenden Begriff so eines Beweises oder überhaupt eines mathematischen Beweises. Während in Wirklichkeit dieses Wort wieder in vielen mehr oder weniger verwandten Bedeutungen angewandt wird (wie etwa die Wörter ‚Volk‘, ‚König‘, ‚Religion‘ etc. Siehe Spengler). [...] Mit der Erklärung des Wortes ‚Beweis‘ verhält es sich nun wie mit der des Wortes ‚Zahl‘. (MS 113: 203 / BT: 542 / PG: 299)
44 In einer Bemerkung, die er selbst mit dem Hinweis „Lessingisch“ versieht, drückt Wittgenstein dies einmal so aus: „Nicht die ewige Richtigkeit des Kalküls soll gesichert werden, sondern nur die zeitliche, sozusagen.“ (BGM: 215 [Der Hinweis auf Lessing fehlt in der Druckfassung.])
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Ein Grundsatz von Wittgensteins Philosophie der Mathematik lautet daher, dass jeweils ein konkret vorliegendes mathematisches System (oder „Spiel“) zu untersuchen und verständlich zu machen ist, und zwar zunächst unabhängig von bestehenden Vorstufen wie auch von möglichen künftigen Erweiterungen. Wittgenstein interessiert sich gerade für die so sichtbar werdende Verschiedenheit mathematischer Systeme und ihre charakteristischen Eigenschaften. In den späten Aufzeichnungen zur Mathematik von 1937 bis 1944 wird Spengler in Teil IV der BGM einmal genannt – gerade dieser Hinweis wurde jedoch von den Herausgebern getilgt.45 Die zugehörige Passage beginnt mit der Bemerkung: „Nur (auf dem Weg) über die Sprachspiele kann man die Mathematik verstehen.“ (MS 125: 28r) Dieser Grundsatz klingt für Leser Wittgensteins nicht neu, aber seine konsequente Durchführung bringt Beispiele und Überlegungen hervor, die bis heute die meisten (auch wohlwollenden) Interpreten befremden. Wittgenstein entwickelt nämlich „mathematische“ Sprachspiele, die von dem, was wir uns gewöhnlich unter Mathematik vorstellen, sehr weit entfernt sind.46 In der hier einschlägigen Passage (als BGM: 232-3 gedruckt) entwickelt Wittgenstein das fiktive Beispiel von Menschen, die „eine angewandte Mathematik haben ohne eine reine Mathematik“ (MS 125: 28v/ BGM: 232). Sie „haben also Regeln, denen gemäß sie die betreffenden Zeichen (insbesondere z. B. Zahlzeichen) transformieren zum Zweck der Voraussage des Eintreffens gewisser Ereignisse“ (ebd.). Die Technik wird „ganz in der Form von Geboten betrieben“, die dazu dienen, Vorhersagen zu machen: „Der Schwerpunkt liegt für diese Menschen ganz im Tun.“ Wittgenstein resümiert: Ich will doch sagen: Diese Leute sollen nicht zu der Auffassung kommen, dass sie mathematische Entdeckungen machen – sondern nur physikalische Entdeckungen. [Wie sehr ich doch in meinem Denken von Spengler beeinflusst bin!] (MS 125: 30v/ BGM: 233[1942-4])
Anschließend entwickelt er eine Überlegung, wie man das kommutative Gesetz verwenden kann, es dabei aber nicht als Satz auffassen muss, sondern diese Einsicht rein praktisch deutet und handhabt. Der Bezug auf Spengler erscheint hier ebenso unvermittelt wie hervorgehoben und auf die gesamte eigene Denkweise bezogen. Die Deutung der Bemerkung
45 Die Isoliertheit des Verweises macht die Streichung halbwegs verständlich, aber darum nicht weniger ärgerlich. 46 Das vielleicht berüchtigtste Beispiel dafür sind die Holzverkäufer, die den Preis einfach nach der Grundfläche des Stapels, ganz unabhängig von der Höhe bestimmen, so dass einer (für uns) gleichen Menge Holz ganz verschiedene Preise zugeordnet werden können – und zwar mit einer Geste der Begründung: „Jetzt ist es mehr“ (BGM: 93-4).
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kann deshalb nur Vorschlagscharakter haben. Eine Möglichkeit liegt darin, dass Spengler, wie Wittgenstein nach ihm, Techniken der radikalen Umdeutung zentraler Disziplinen und Praktiken, wie hier der Mathematik, verwendet – auch wenn Spenglers Ziel ein anderes ist. Konkreter gesehen beschreibt Spengler auch eine Mathematik, die uns auf extrem ungewohnte Weise als bloß angewandt erscheinen muss: Die antike Mathematik als Lehre von anschaulichen Größen will ausschließlich die Tatsachen des Greifbar-Gegenwärtigen deuten, und sie beschränkt also ihre Forschung wie ihren Geltungsbereich auf Beispiele der Nähe und des Kleinen.47 (UdA: 91)
Dadurch begründet Spengler die „Notwendigkeit“ dass die antike Mathematik weder den (modernen) Begriff der Unendlichkeit, noch den (arabisch-indischen) Begriff der Null haben konnte. Die Frage, ob und wie Bezüge auf Spengler zur weiteren Aufhellung von Wittgensteins Philosophie der Mathematik beitragen können, kann hier allerdings nicht weiter verfolgt werden. Als Hinweis auf eine fortdauernde Bedeutung Spenglers für Wittgenstein, die (in Wittgensteins teilweise retrospektiver) Perspektive damit zumindest für seine Arbeit von 1914 bis 1942-4 von Bedeutung ist, mögen diese Überlegungen genügen.
6 Schlussbemerkung Die Bezüge auf Spengler sind in Wittgensteins Werk nicht nur zahlreich, sondern auch zentral – und ihre systematische Auswertung hat gerade erst begonnen. Zwei Beispiele sollen dies abschließend verdeutlichen. Die bekannte Bemerkung einer der Schwestern Wittgensteins, sein Haus sei „steingewordene Logik“ variiert lediglich Spenglers Diktum: „Gotische Dome und dorische Tempel sind steingewordene Mathematik.“
47 „Die antike Zahl ist nicht ein Denken in räumlichen Beziehungen, sondern für das leibliche Auge abgegrenzter, greifbarer Einheiten. Die Antike kennt deshalb – das folgt mit Notwendigkeit – nur die „natürlichen“ (positiven, ganzen) Zahlen.“ (UdA: 87) Die Schöpfung der Null nennt Spengler „eine grüblerische Schöpfung von bewundernswürdiger Energie der Entsinnlichung, welche für die indische Seele, die sie als Grundlage des Positionssystems der Ziffern konzipiert hat, geradezu den Schlüssel zum Sinn des Seins bildet.“ (UdA: 89) Wittgenstein ignoriert Spenglers Seinsmystik, aber er interessiert sich für die auch praktisch weit voneinander abweichenden Möglichkeiten dessen, was wir (noch) „Mathematik“ nennen. Nur in seinen Kommentaren zu Fehlentwicklungen in der modernen Logik und Mathematik spricht Wittgenstein stellenweise dann doch von der „abergläubischen Angst und Verehrung der Mathematiker vor dem Widerspruch“. (BGM: 122)
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Auch Wittgensteins vieldiskutierte und kontrovers gedeutete Bemerkung, „Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten“ (VB: 58) lässt sich durch einen Satz Spenglers in ein Licht rücken, das ein natürliches Verständnis ermöglicht: „Natur soll man wissenschaftlich traktieren, über Geschichte soll man dichten.“ (UdA: 129) Spengler meint damit nicht Lyrik, sondern er bezieht sich auf die Darstellungsweise und den Stil, die er selbst anwendet; und Wittgenstein macht sich in dieser Bemerkung Gedanken über die richtige Form, um seine eigene Arbeit angemessen darzustellen (und er notiert die Bemerkung als er die „wissenschaftliche“ Form des Big Typescript gerade aufgegeben hat).48 An Stelle eines „Traktats“ (Spengler) verfasste er anschließend, über viele Zwischenstufen, die „Dichtung“ der Philosophischen Untersuchungen.49
7 Literatur Haller, Rudolf: „War Wittgenstein von Spengler beeinflusst?“. In: Fragen zu Wittgenstein, Amsterdam 1986, S.170–186. Kienzler, Wolfgang: Wittgensteins Wende zu seiner Spätphilosophie 1930-1932, Frankfurt/ Main 1997. Kienzler, Wolfgang: „Die Stellung des Big Typescripts in Wittgensteins Werkentwicklung“. In: Stefan Majetschak (Hrsg.): Wittgensteins ‚große Maschinenschrift‘. Bern etc. 2006, S. 11–30. Mühlhölzer, Felix: Braucht die Mathematik eine Grundlegung? Ein Kommentar des Teils III von Wittgensteins BGM. Frankfurt a. M., 2010. Rhees, Rush (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein. Portraits und Gespräche, Frankfurt/ Main 1987. Rothhaupt, Joseph: „Wittgensteins Kringel-Buch als Initialtext“. In: Wittgenstein-Studien 2/2011, S. 137–186. Schulte, Joachim: „Chor und Gesetz. Zur morphologischen Methode bei Goethe und Wittgenstein“. In: Schulte, Joachim: Chor und Gesetz. Frankfurt/ Main, 1990, S. 11–42. Schulte, Joachim: „Wittgenstein’s ‚Method‘“. In: Haller / Puhl (Hrsg.): Wittgenstein und die Zukunft der Philosophie. Wien 2002, S. 399-410. Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. München 1988. (UdA) Wright, Georg Henrik van: „Wittgenstein und seine Zeit“. In: Wittgenstein. Frankfurt/ Main. 1986, S. 206–219. Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010 [=KB].
48 Mehr zu dieser Frage findet sich in Kienzler 2006: 16–18. 49 Wittgensteins Abhandlung war allerdings ebenfalls eine Dichtung im Sinne von Spenglers Wortgebrauch – wenn auch mit einem möglicherweise nicht ganz passenden Titel. – Für Gespräche über Wittgenstein und Spengler sowie für Hinweise verschiedener Art möchte ich mich bei Hans Biesenbach, Josef Rothhaupt, Astrid Schleinitz, Thomas Schmidt und Ilse Somavilla bedanken.
Ästhetik
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Towards Conceptualism: The Aesthetic of Kringel-Buch #52 How hard it is to see what is right in front of my eyes! Wittgenstein, Culture and Value, p. 44 (1940) One of the most enigmatic and complex notebook entries in Wittgenstein’s Kringel-Buch is #52, which dates from 2. 9. 1930: Engelmann sagte mir, wenn er in seiner Lade voll von seinen Manuscripten krame so kämen sie ihm so wunderschön vor daß er denke sie wären es wert den anderen Menschen gegeben zu werden. (Das sei auch der Fall wenn er Briefe seiner verstorbenen Verwandten durchsehe). Ich sagte wir hätten hier einen Fall ähnlich folgendem: Es könnte nichts merkwürdiger sein als einen Menschen bei irgend einer ganz einfachen alltäglichen Tätigkeit wenn er sich unbeobachtet glaubt zu sehen. Denken wir uns ein Theater, der Vorhang ginge auf & wir sähen einen Menschen allein in seinem Zimmer auf & ab gehen, sich eine Zigarette anzünden, sich niedersetzen u. s. f. so daß wir plötzlich von außen einen Menschen sähen wie man sich sonst nie sehen kann; wenn wir gl quasi ein Kapitel einer Biographie mit eigenen Augen sähen, – das müßte unheimlich & wunderbar zugleich sein. Wunderbarer als irgend etwas was ein Dichter auf der Bühne spielen oder sprechen lassen könnte. Wir würden das Leben selbst sehen. – Aber das sehen wir ja alle Tage & es macht uns nicht den mindesten Eindruck! Ja, aber wir sehen es nicht in der Perspektive. – So wenn E. seine Schriften ansieht & sie herrlich // findet (die er doch einzeln nicht veröffentlichen möchte) so sieht er sein Leben, als ein Kunstwerk Gottes, & als das ist es allerdings betrachtenswert, jedes Leben & Alles. Doch kann nur der Künstler das Einzelne so darstellen daß es uns als Kunstwerk erscheint; jene Manuscripte verlieren mit Recht ihren Wert wenn man sie einzeln & überhaupt wenn man sie unvoreingenommen, das heißt ohne schon vorher begeistert zu sein, betrachtet. Das Kunstwerk zwingt uns – sozusagen – zu der richtigen Perspektive, ohne die Kunst aber ist der Gegenstand nur Natur wie jedes andre & daß wir es durch die Begeisterung erheben können das berechtigt niemand es uns vorzusetzen. (Ich muß immer an eine jener faden Naturaufnahmen denken die der, der sie aufgenommen interessant findet weil er dort etwas erlebt hat, der dritte aber mit berechtigter Kälte betrachtet; wenn es überhaupt gerechtfertigt ist ein Ding mit Kälte zu betrachten. Nun scheint uns aber, gibt es außer dem Kü der Arbeit // // des Künstlers noch eine andere, die Welt sub specie äterni einzufangen. Es ist – glaube ich – der Weg des Gedankens der gleichsam über die Welt hinfliegt & sie läßt wie sie ist, – sie von oben im // Fluge betrachtend. [sie vom Fluge betrachtend] [sie von oben vom Fluge betrachtend].1
1 MS 109, 84-7 (D: 2. 9. 1930). #52 was included in Culture and Value ed. G. H. von Wright; rev. ed. Alois Pilcher, trans. Peter Winch. Oxford 1998, #6. Subsequently cited in the text as CV.
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In my own translation, this reads as follows: Englemann told me that when he rummages around in his drawers at home, full of his own manuscripts, they strike him as so wonderful that he thinks they would be worth showing to other people. (This is also the case when he looks through the letters of his deceased relatives). But when he imagines a selection of these manuscripts being published, the whole business loses its charm & value and becomes impossible. I replied that his case was like the following; Nothing could be more remarkable than seeing someone engaged in some simple everyday activity, when he thinks he is not being watched. Let’s imagine a theatre, the curtain goes up & we see someone alone in his room walking up and down, lighting a cigarette, sitting down, etc. so that we are suddenly seeing someone from the outside in a way we can never see ourselves; as if we, so to speak, witnessed a chapter of our biography with our own eyes, – that would be disturbing and wonderful at the same time. More wonderful than anything that a dramatist could produce to be performed or spoken onstage. We would be seeing life itself. – But then we do see this every day & it doesn’t make the slightest impression on us. Yes, but we don’t see it in perspective. – Just so, when E. looks at his writings and finds them marvelous (those that he didn’t want to publish individually), he is seeing his life as God’s work of art, & as such it is certainly worth contemplating, each and every life. But only the artist can represent the individual thing so that it appears to us as a work of art; those manuscripts rightly lose their value when we look at them individually & especially when we look at them without bias, that is to say, without having previously been fascinated by them. The work of art forces us – so to speak – to see it in the right perspective, but without art the object is only a part of nature like any other & the fact that we can exalt it without enthusiasm gives no one the right to thrust it upon us. (It always reminds me of one of those insipid snapshots that the person who took it finds interesting because he was there himself, because he experienced it, but which a third party experiences with justifiable coldness; insofar as it is every justifiable to look at something coldly. But now it seems to me that beside the artist’s creation there is another way to capture the world sub specie aeterni. It is – I think – the way of thought which, as it were, flies above the world & leaves it as it is – contemplating it from its flight above.
If the last paragraph of #52 sounds familiar to readers, it is because, as Josef Rothhaupt has pointed out,2 it echoes an observation made during World War I and recorded in Notebooks 1914–1916: Das Kunstwerk ist der Gegenstand sub specie aeternitatis gesehen; und das Gute Leben ist die Welt sub specie aeternitatis gesehn. Dies ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Ethik. Die gewöhnliche Betrachtungsweise sieht die Gegenstande gleichsam aus ihrer Mitte, die Betrachtung sub specie aeternitatis von außerhalb. The work of art is the object seen sub specie aeternitatis; and the good life is the world seen sub specie aeternitatis. This is the connexion between art and ethics. The usual way of looking at things sees objects as it were from the midst of them, the view sub specie aeternitatis from outside.3
2 Rothhaupt, Josef: Kreation und Komposition, Kapitel 10 (manuscript), S. 71. 3 Wittgenstein, Ludwig: Notebooks 1914–1916, 2nd ed., ed. G. H. von Wright, trans. G. E. M. Anscombe. Chicago 1979, p. 83 (19. 9. 1916).
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But in the later note, the connection made is not between art and ethics but between art and thought, that is to say, in the light of the famous aphorism “Die Philosophie dürfte man eigentlich nur dichten” (CV 28), between poetry and philosophy. And the emphasis on aesthetic distance (the view from sub specie aeternitatis) is brought up again in an aphorism from the Cambridge Tagebücher 193032, where we read “Der Stil ist die allgemeine Notwendigkeit, gesehn sub specie aeternitatis.” (“Style is the universal necessity, seen sub specie aeternitatis”).4 Style, which remains to be defined, is somehow seen by Wittgenstein as absolute, immune from change. Such seemingly Romantic reverence for the autonomy of the artwork is puzzling, given the well-known Wittgensteinian insistence on the impossibility of defining the aesthetic. We all remember the familiar adage in Lectures on Aesthetics, “You might think Aesthetics is a science telling us what’s beautiful—almost too ridiculous for words. I suppose it ought to include also what sort of coffee tastes good.”5 Or again, in Wittgenstein’s Cambridge Lectures for 1932, “The words ‘beautiful’ and ‘ugly’ are bound up with the words they modify, and when applied to a face are not the same as when applied to flowers and trees.” Indeed, for Wittgenstein, “Aesthetics is [always and only] descriptive. What it does is to draw one’s attention to certain features, to place things side by side so as to exhibit those features.”6 Note that Wittgenstein is not saying that one can’t talk about art or differentiate between art and its raw materials; rather, he insists, as he does in the case of meaning, on the context of any artistic procedure or “poetic” use of language. Let’s begin with Wittgenstein’s reference to the “insipid snapshot” (“die fade Naturaufnahme”), which may well mean something to the person who took it, reminding him or her of a particular place or event or moment in time, but which leaves the rest of us simply “cold.” What, we might ask, constitutes the exception? Why have certain photographs – say, Alfred Stieglitz’s Two Towers, New York – a snow scene of 1911 with the towers of the Metropolitan Life Insurance Building and Madison Square Garden in the background [figure 1]—become iconic, while others of the same subject [see figure 2]) seem easily expendable?
4 Wittgenstein, Ludwig: Denkbewegungen: Tagebucher 1930–1932, 1936–1937 (MS 183), ed. Ilse Somavilla, Innsbruck1997, #29; for an inexpensive edition in French translation, see Carnets de Cambridge et de Skjolden, trans. Jean-Pierre Cometti, Paris 1999, p. 39. 5 Wittgenstein, Ludwig: Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology, and Religious Belief, ed. Cyril Barrett, Berkeley 1967, p. 11. Cf. Culture and Value, pp. 27–28 for similar observations about the beautiful. 6 Wittgenstein’s Lectures Cambridge, 1932–35, ed. Alice Ambrose Chicago 1989, p. 35, p. 38.
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Figure 1: Stieglitz, The Two Towers (1911) © VG Bild-Kunst
The difference, Wittgenstein would have it, is a matter of perspective, of framing. Whereas the 1909 photograph has no particular shape, merely reproducing what is seen from above, Stieglitz frames the building by encircling it with the snowy branch in the foreground, above the snow-covered banister leading up the stairs to an old brownstone, with the silhouette of a small black figure in the center front contrasted to the mysterious cloud-covered skyscrapers. Such artful transformation of an actual scene reflects, of course, a perfectly traditional – even Aristotelian – view of the relation of “art” to “life,” of form to informe. But whereas classical theory conceives of form as a set of structural or narrative or rhetorical devices – in Aristotle’s Poetics, for example, tragedy (the highest form of poetry) is defined as mimesis, not of “what happened” but by ton pragmaton systasis, the arrangement of the incidents – Wittgenstein’s conception of aesthetic form has a curiously ethical edge: the “insipid snapshot,” let’s recall, is experienced by “a third party,” not only with indifference but “with justifiable coldness” (“mit berechtiger Kälte”). “No one,” Wittgenstein declares, has the “right to thrust it upon us.” Indeed, the art work “forces us – so to speak – to
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Figure 2: Anonymous photograph 1909
see it in the right perspective” (“Das Kunstwerk zwingt uns – sozusagen zu der richtigen Perspektive”). Force, the right, justifiable coldness: such strong value terms have always governed Wittgenstein’s response to particular artworks. The words “großartig” and “herrlich” appear again and again in his journals and letters, with reference to a specific symphony or poem or novel. Schubert’s Quintet in C Sharp, op. 163, for example, is “von phantasticher Großartikeit” (“exhibits fantastic brilliance”), and the second movement of Beethoven’s Eroica is “unglaublich” (unbelievable, fabulous).7 Negative judgments are just as emphatic. Alfred Ehrenstein’s
7 Wittgenstein, Ludwig: Briefwechsel mit B. Russell, G. E. Moore, J. M. Keynes, F. P. Ramsay et. al., ed. B. F. McGuiness and G. H. von Wright, Frankfurt am Main 1980, p. 47, p. 78, I cite further examples in my “The Poetics of Description: Wittgenstein on the Aesthetic”. In: Ordinary Langage Criticism: Literary Thinking after Cavell after Wittgenstein, ed. Kenneth Dauber and Walter Jost, Evanston 2003, pp. 231–244; see esp. p. 232.
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poetry is “ein Hundedreck,” Mahler’s music is “nichts wert,” the characters in Goethe’s Faust II “eregen unsere Teilnahme nicht” (do not arouse our empathy).8 In keeping with his early formulation in 1916 – and there is no reason to believe Wittgenstein ever changed his mind on this issue – “Ethik und Aesthetik sind Eins” (“Ethics and aesthetics are one”).9 Again, this is by no means a new principle: Plato, after all, dismissed from the Republic poets whose seductive fictions would lead the future Guardians astray. But the conundrum of #52 is that Wittgenstein’s understanding of grammar, first formulated in the notebooks and lectures of the early 1930s, seems to be at odds with his concept of literary value. Thus, in the very same year that note #52 was composed, Wittgenstein was insisting, in his Cambridge Lectures, that “There are no gaps in grammar; grammar is always complete;” or again, “You cannot justify grammar”: Grammatical rules are arbitrary, but their application is not. There cannot therefore be discussion about whether this set of rules or another are the correct rules for the word ‘not’; for unless the grammatical rules are given, ‘not’ has no meaning at all. When you change the grammatical rules you change the meaning of the word.10
There is no prescriptive grammar, no “right” or “wrong” way of saying something; grammar simply is. “Language is not contiguous to anything else. We cannot speak of the use of language as opposed to anything else. So in philosophy all that is not gas is grammar” (Lectures 1930–32, 112). Is poetry, then, “gas”? An additive of some sort, a kind of language plus in the form of tropes and figures of speech? Consider now the case of Engelmann’s attachment to his own manuscripts, as recounted in #52. To look through one’s own writings—letters, diaries, papers, sketches for stories – is to recapture one’s former self—what one once was—and the selves of one’s deceased relatives and former selves. Rereading such manuscripts provides the author with what may be precious information. For the outsider, however, unless he or she happens to be the author’s biographer or is looking for evidence in a court case or some scholarly venture, the manuscript in question holds little interest. Engelmann himself was clearly aware of this situation: he understood that, among the welter of old
8 See Briefwechsel, p. 78, CV 76, 47. 9 1914–1916, p. 77; cf. Tractatus 6.421. 10 Wittgenstein’s Lectures Cambridge 1930–32, from the Notes of John King and Desmond Lee, ed. Desmond Lee, Chicago 1989, p. 16, p. 49, p. 58. The statements are dated Easter Term 1930 and Lent Term 1931.
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manuscripts, there was not a single one that had synecdochic value, not one able to represent the larger sequence to an uninvolved reader. The distinction is between information and art. In the words of an important aphorism in Zettel, “ Vergiß nicht, daß ein Gedicht, wenn auch in der Sprache der Mitteilung abgefaßt, nicht im Sprachspiel der Mitteilung verwendet wird” (“Do not forget that a poem, even though it is composed in the language of information, is not used in the language-game of giving information”).11 And Wittgenstein gives this aphorism the header, “Das Sprechen der Musik” (“The way music speaks”). Poetry is a question of form, not external reference. But the tricky part— and this is where Wittgenstein parts company with theories of poetic autonomy— is that “form” is not a matter of a special language or some form of linguistic deformation as, say, the Russian Formalists argued; on the contrary, the literary work is itself, according to Wittgenstein, “composed in the language of information.” And there is the further complication that, for Wittgenstein, the truly artful work—in this case, a stage play—deals, not with heroic events or “great” characters, but, on the contrary, with ordinary life. “Es könnte nichts merkwürdiger sein als einen Menschen bei irgend einer ganz einfachen alltäglichen Tätigkeit wenn er sich unbeobachtet glaubt zu sehen” (“Nothing could be more remarkable than seeing someone engaged in some simply everyday activity, when he thinks he is not being watched”). What, then, is artistic form? The adage in Zettel implies that the distinction is one of authorial intention – of choosing a language-game whose purpose is to create something artistic (and hence also ethical) rather than to dispense information. But we also know that, from Wittgenstein’s perspective, intention is not the decisive factor: many of the composers and poets he scorns certainly intended to be the best artists they could be. Moreover, the situation described in #52 skirts issues of intention as well as of rhetorical figuration. Wittgenstein imagines the curtain going up on an unobserved man performing the most ordinary of activities, unaware of being observed, “wie man sich sonst nie sehen kann” (“in a way we can never see ourselves”) – a process that is pronounced “unheimlich & wunderbar zugleich” (“at once disturbing and wonderful”). Indeed, “Wunderbarer als irgend etwas was ein Dichter auf der Bühne spielen oder sprechen lassen könnte” (“More wonderful than anything that a dramatist could produce to be performed or spoken onstage”). Accordingly, the highest art, in Wittgenstein’s lexicon, is that which somehow presents us with life itself, as it is actually lived, conveyed in the “language of
11 Wittgenstein, Ludwig: Zettel, ed. G. E. M. Anscombe and G. H. von Wright, trans. G. E. M. Anscombe, Berkeley 1967, #160, p. 28.
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Figure 3: Duchamp, Fountain © VG Bild-Kunst
Figure 4: Duchamp, In Advance of the Broken Arm © VG Bild-Kunst
Figure 5: Duchamp, Bicycle Wheel © VG Bild-Kunst
Figure 6: Duchamp, Bottle Dryer © VG Bild-Kunst
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information” but framed so as to render it other, unfamiliar, strange. Curiously enough, this view of art allies Wittgenstein, not with the great classical composers (Mozart, Beethoven, Brahms) who were his pantheon, or even with his fellow Modernists – for example, the poet Georg Trakl, whose work he had supported financially on the eve of World War I –, but with an exact contemporary he would no doubt have scorned, had he so much as known of his existence. I am thinking of Marcel Duchamp, whose famous Readymades – for example, the upside urinal called Fountain by R. Mutt [figure 3], the snow shovel inscribed In Advance of the Broken Arm [figure 4], the Bicycle Wheel [figure 5] or Bottle Dryer [figure 6] illustrate perfectly the distinction made in Zettel 160, composed as they are in “the language of information” but not used in the “language-game of giving information.” The snow shovel, for example, was purchased at a hardware store on Columbus Avenue in Manhattan in 1915. Duchamp’s biographer Calvin Tomkins tells us: There were thousands like it in hardware stores all over America, stacked up in advance of the winter storms, or, as Duchamp would say in the title that he inscribed on the metal reinforcing plate across the business end, In Advance of the Broken Arm. Why did he choose this particular item? He … had never seen a snow shovel before, he explained some years later – they did not make such things in France … Duchamp, after taking it home and signing it ‘[from] Marcel Duchamp 1915 (to show that it was not ‘by’ but simply ‘from’ the artist), tied a wire to the handle and hung it from the ceiling.12
Describing his newest readymade in a letter to his sister Suzanne, Duchamp remarks, “Don’t try too hard to understand it in the Romantic or Impressionistic or Cubist sense – that has nothing to do with it” (see Tomkins 157). But, as I have argued elsewhere,13 of course it does have a great deal to do with it, Duchamp’s shovel parodying of any number of realist paintings of the period, in which the image of a shovel connotes manual labor and working class ideals. In framing the object itself by hanging it from the ceiling or putting it in a glass case, Duchamp forces us to look at it in an entirely new light. In a note placed in the so-called White Box (A l’Infinitif, 1913) – a note reminiscent of Wittgenstein’s Zettel – Duchamp posed the pressing question, “Can one make works that are not works of ‘art’”?14 Countering the axiomatic belief of his time that the sine qua non of an artwork (e.g. painting and sculpture) was that
12 Tomkins, Calvin: Duchamp: A Biography. New York 1996, pp. 157–158. My italics. 13 See Perloff, Marjorie: “The Madness of the Unexpected: Duchamp’s Readymades and the Survival of ‘High’ Art”. In: Cicero, Antonio (ed.) Forma e Sentido Contemporaneo, Rio di Janeiro, 2012; and in shorter version in Bru, Sasha et al. (ed.): Regarding the Popular: Modernism, the Avant-Garde and High and Low Culture. Berlin: Walter De Gruyter, 2012, pp. 14–32. 14 Duchamp, Marcel: The Essential Writings of Marcel Duchamp, Marchand due Sel / Salt Seller, ed. Michel Sanouillet & Elmer Peterson, London 1975, p. 74.
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it was made by the artist’s own hand, Duchamp introduced the idea of art as idea or concept, in which case craft is replaced by choice. Of Fountain, he wrote in a playful unsigned editorial of 1917, “Whether Mr. Mutt [the comic name inscribed on the urinal, with its play on Mutt and Jeff, or on a mongrel dog or mutt] with his own hands made the fountain or not has no importance. HE CHOSE IT. He took an ordinary article of life, placed it so that its useful significance disappeared under the new title and point of view – created a new thought for that object.”15 Decades, later (1959), looking back at his early work in an interview with George Heard Hamilton, Duchamp explained the artistic process this way: You don’t define electricity; you see electricity as a result, but you can’t define it … You can’t say what it is but you know what it does. You see, that is the same thing with art: you know what art does but you don’t know what it is. It is a sort of inner current in man, or something which you don’t have to define… But with the readymades, it seems to me that they carry out of the world of everyday life— out of the hardware shop, as in the case of the snow shovel—something of your own sense of irony and wit, and therefore can we believe that they have some sort of message? Not message but value, which is artistic even though you haven’t made them. The actual intention in choosing and selecting, in setting them aside from everything else in the world, does that not give them some kind of possibly intellectual value? It has a conceptual value if you want but it takes away all technical jargon.16
Not message but value. Wittgenstein would have understood this notion and the idea of setting the object “aside from everything else in the world” accords nicely with the view of art proposed in Kringel-Buch #52. If the curtain of a theatre went up, showing a man, not knowing he was being observed, performing the most ordinary of acts, that would be “unheimlich & wunderbar zugleich.” “Wir würden das Leben selbst sehen” (“We would see life itself”). But, as Wittgenstein goes on to say, “Aber das sehen wir ja alle Tage” (“But then we do see this every day”), just as we see snow shovels in hardware stores and barely notice them. Choice, framing, perspective: these are what transform the “ordinary” into something else. “Art,” as Hugh Kenner put it with reference to William Carlos Williams, “lifts the saying out of the zone of the things said.”17 Or, as Wittgenstein put it, “Das Kunstwerk zwingt us – sozusagen – zu der richtigen Perspektive, ohne die Kunst aber ist der Gegenstand nur ein Stück Natur wie jedes andre” (“The work of art forces us – so to speak – to see it in the right perspective, but without
15 Unsigned editorial, The Blind Man, 6 May 1919, pp. 4–5. 16 Hamilton, George Heard: “Marcel Duchamp Speaks” (1959; Etant donné: Marcel Duchamp, 4 (202), pp. 108–113; see p. 111. Cf. www.marcel-duchamp.com. 17 Kenner, Hugh: A Homemade World: The American Modernist Writers. New York 1975, p. 60.
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art the object is only a part of nature like any other.” And just as Duchamp talks about “setting [the object] aside from everything else in the world,” so Wittgenstein speaks of the artist’s creation as capturing the world from outside it, “sub specie aeterni.”18 In this regard the counterpart of the artist is the philosopher: “Es ist – glaube ich – der Weg des Gedankens der gleichsam über die Welt infliegt & sie so läßt wie sie ist – sie von oben im Fluge betrachtend” (“It is – I think – the way of thought which, as it were, flies above the world & leaves it as it is – contemplating it from its flight above”). The Conceptualist movement in art (and more recently in poetry) might well have chosen Kringel-Buch #52 as its epigraph. Here, for example, is Sol LeWitt in his famous 1967 Manifesto for Artforum: In conceptual art the idea or concept is the most important aspect of the work. … If the artist carries through his idea and makes it into visible form, then all the steps in the process are of importance. The idea itself, even if not made visual, is as much a work of art as any finished product. All intervening steps – scribbles, sketches, drawings, failed works, models, studies, thoughts, conversations – are of interest. Those that show the thought process of the artist are sometimes more interesting than the final product.19
LeWitt’s comment applies not only to the Engelmann passage but to the KringelBuch itself—indeed to the entire Nachlass. Wittgenstein was constantly revising his propositions, and the process of revision and repetition is central to his own conception of the book, as explained most clearly in the Preface to the Philosophical Investigations: Nach manchen mißglückten Versuchen, meine Ergebnisse zu einem solchen Ganzen zusammenzuscheißen, sah ich ein, daß mir dies nie gelingen würde. Daß das Beste, was ich schreiben konnte, immer nur philosophische Bemerkungen bleiben würden; daß meine Gedanken bald erlahmten, wenn ich versuchte, sie, gegen ihre natürliche Neigung, in einer Richtung weiterzuswingen. – Und dies hing freilich mit der Natur der Untersuchung selbst zusammen. Sie nämlich zwingt uns, ein weites Gedankengebiet, kreuz und quer, nach
18 For a suggestive treatment of a possible link between Wittgenstein and Duchamp, see Nesbit, Molly: “Last Words (Rilke, Wittgenstein, Duchamp).” Art History, 21, no. 4 (December 1998): pp. 546–64. According to Nesbit, Duchamp’s widow Teeny asserted that Duchamp had been reading Wittgenstein, although she is not able to document this supposition precisely. Nesbit relates Wittgenstein’s concept that the meaning of a word is its use in the language to Duchamp’s emphasis on the infrathin as measure of almost imperceptible difference in any designation of meaning. Cf. Perloff, Marjorie: “The Conceptual Poetics of Marcel Duchamp,” Twenty-First Century Modernism. Oxford 2002, pp. 77–120. 19 LeWitt, Sol: “Paragraphs on Conceptual Art”. In: Artforum (June 1967); rpt. http://www.ddooss.org/articulos/idiomas/Sol_Lewitt.htm/
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allen Richtungen hin zu durchreisen. — Die philsophischen Bemerkungen dies Buches sind gleichsam eine Menge von Landschaftskizzen, die auf diesen langen und verwickelten Fahrten entstanden sind. Die gleichen Punkte, oder beinahe die gleichen, wurden stets von neuem von verschieden Richtungen her berührt und immer neue Bilder entworfen. Eine Unzahl dieser war verzeichnet, oder uncharakteristisch, mit allen Mängeln eines schwachen Zeichners behaftet. . . So ist also dieses Buch eigentlich nur ein Album. After several unsuccessful attempts to weave together my conclusions into such a whole, I realized I should never succeed. That the best I could write would never be more than philosophical remarks; that, when I tried to force my thoughts, into one direction against their natural inclination, they soon became paralyzed. – And this was surely connected to the very nature of the investigation, which forces us to move criss-cross in all directions over a large arena of thought. – The philosophical remarks in this book thus resemble a group of landscape sketches, which came into being in the course of these long and complicated excursions. The same or almost the same points were always being touched upon from different angles, and new sketches were constantly emerging. A huge number of these were incorrectly drawn or not characteristic, marked by all the limitations of a poor draughtsman … So this book is really only an album.20
Here is the paradox that haunts Wittgenstein’s aesthetic. In his commentary on the artworks he loved—Beethoven’s symphonies, Mozart’s sonatas, classical Greek sculpture, Goethe’s lyric, Wittgenstein toed the traditional line, as it was given to him in childhood, about the nature and value of art. The canon was so circumscribed that even Shakespeare was held slightly suspect: “War er vielleicht eher ein Sprachschöpfer als ein Dichter?” (“Was he perhaps a creator of language rather than a poet?”), we read in an entry of 1950 in Culture and Value. Or again, coming across a reference to Beethoven’s “great heart,” Wittgenstein says scathingly, “no one could say ‘Shakespeare’s great heart’” (CV 96). But, as Wittgenstein never tired of saying, taste is one thing, the nature of art another; thus Wittgenstein, whose taste would not allow even for the great Modernist compositions of Gustav Mahler, was himself nothing if not an avantgardist. In principle, he admired formal control – the Stieglitz photograph rather than the casual snapshot – but in fact he looked to art to capture the very process of life as it is actually lived – the man moving from chair to window and lighting
20 “Preface,” Philosophical Investigations, The German text with an English translation by G. E. M. Anscombe, P. M. S. Hacker and Joachim Schulte. Rev. 4th edition by P. M. S. Hacker and Joachim Schulte, Oxford 2009, pp. 3–4. I have adapted the translation which seems to me in various places incorrect. For example, “daß meine Gedanken bald erlahmten” does not mean “my thought grew feeble,” but specifically that my thoughts were paralyzed – or, idiomatically, my thoughts froze.
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a cigarette. His predilection, in LeWitt’s words, was for the sketches “that show the thought process of the artist [which] are sometimes more interesting than the final product.” Of course, because these show us how such central concepts as the language-game or the “form of life” are actually arrived at. Indeed, Wittgenstein repeatedly insisted that the language-game could not be defined; it could only be shown. And he gave one specific example after another.21 Accordingly, when Engelmann declared that he found his own manuscripts wonderful but couldn’t find a representative sample to show to others, he was not as wrong as we may suppose; on the contrary, he was thinking like a conceptual artist. As Craig Dworkin puts it about the new conceptual poetry being produced: abandoning “the compositional bids for phenomenological experience or emotional intensities that abstract art elicited … conceptual art offered ʻinformation … in place of the optical apprehension of composition, gesture, and the ‘material facture of traditional media’.”22 Context creates a work that cannot be duplicated. The artist’s vision – sub specie aeternitatis – is of necessity unique. Since the late 1960s, when artists like Joseph Kosuth first declared that theirs was a conceptual art and invoked the example of Wittgenstein,23 the role of context and framing have become increasingly important. Take Christian Marclay’s recent installation piece The Clock, first shown in 2010 at the Hayward Gallery in London and then February 2011 at the Paula Cooper Gallery in New York. The Clock is a twenty-four hour montage made of thousands of film and
21 In his contention that his key terms couldn’t be defined, only exemplified, Wittgenstein resembles the Duchamp, who refused to explain what the infrathin was, giving instead the following examples: – the warmth of a seat (which has just/been left) is infrathin – when the tobacco smoke smells also of the/mouth which exhales it, the two odors/marry by infrathin – 2 forms cast in/the same mold (?) differ from each other by an infrathin separative amount. All “identicals” as identical as they may be (and the more identical they are) move toward this infrathin separative amount. I discuss this further in Perloff, Marjorie: Twenty-First Century Modernism. Oxford 2001, pp. 77–120. 22 Dworkin, Craig: Preface: ”The Fate of Echo,” Against Expression: An Anthology of Conceptual Writing, ed Craig Dworkin and Kenneth Goldsmith, Evanston 2011, p. xxvii. 23 Kosuth, Joseph: Art after Philosophy and After: Collected Writings, 1966–1990, ed. Gabriele Guercio, Cambridge 1991. Conceptual art, writes Kosuth, “changed the nature of art from a question of morphology to a question of function” (p. 18); or again, “the art I call conceptual is such because it is based on an inquiry into the nature of art” (p. 39). See also my “Writing through Wittgenstein with Joseph Kosuth,” Wittgenstein’s Ladder: Poetic Language and the Strangeness of the Ordinary. Chicago 1996, pp. 221–42.
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television clips, each of them capturing a specific minute of the day by glimpsing a clock, wrist-watch, church tower, sun-dial – indeed, any kind of time-piece – or by hearing people onscreen saying what time it is. “This incredible installation,” writes Peter Bradshaw on his Guardian blog, “is stet up so that whatever time is shown is, in fact, the correct time as of that instant. So as well as providing food for thought about the nature of time in the cinema, and indeed in life itself, the whole thing functions as a gigantic and gloriously impractical clock.”24 If, for example, you enter the gallery at 11.23 AM, you will witness a scene taking place at 11:23 AM, so that “real” time and film time intersect. Sometimes time is central to the action, as when someone is rushing for a train; at other times, a clock may flash on for just an instant in the background of a shot, an irrelevancy of sorts that only later strikes us as significant. Throughout, music provides the continuity. As Zadie Smith puts it: … because you have decided that the sharp “cut is the ruling principle of the piece, you’re at first unsure about music bleeding from one scene into another. But stay a few hours and these supposed deviations become the main event. You start to find that two separated clips from the same scene behave like semicolons, bracketing the visual sentence in between, bringing shape and style to what we imagined would have to be … necessarily random.25
The coordination of audience time and film time shows up the extreme coding of commercial film. In the latter, Smith notes, “‘Making lunch’ is a shot of an open fridge, then a chopping board, then food cooked on the stove.” Time, this sequence tells you, is passing! Or again, years can pass in a moment as in the shift from the Paris flashback to the present of Rick’s bar in Casablanca. But in The Clock, time really passes: we only see the moment itself before something entirely different happens, even though the music remains continuous. “Each passing moment,” as the program note tells us, “is a repository of alternatively suspenseful, tragic or romantic narrative possibilities.” The idea, of course, is to witness the actual – and inexorable passage of time – a process the Wittgenstein of Kringel-Buch would have loved. “It is like witnessing a chapter of our biography with our own eyes. No simulation of storyline can be as real as this minute by minute transformation of what we have always already seen.” And the “Vorwort des Kringel-Buches” bears this out. From #65–#78, Wittgenstein tries to define the purpose of his book, circling again and again round the same set of phrases, dissatisfied with their locution. He begins:
24 Bradshaw, Peter: “Christian Marclay’s The Clock: a masterpiece of our times”. In: Guardian Film Blog, April 7, 2011, http://www.guardian.co.uk/ film/filmblog/2011/apr/07/. 25 Smith, Zadie: “Killing Orson Welles at Midnight” (The Clock, a film by Christian Marclay). In: New York Review of Books, 28 April 2011.
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Die eine Bewegung reiht einen Gedanken an den andern, die andere zielt immer wieder nach dem selben Ort. Die eine Bewegung baut, & nimmt Stein auf Stein (in die Hand) … die andere greift immer wieder nach dem selben. The one movement links one thought to the next; the other always comes back to the same place. The one movement builds, putting stone upon stone in one’s hand; the other always reaches for the same stone. (Kringel-Buch #65, #66)
Like the art work which frames and contemplates “life,” seen sub specie aeterni, the “work of thought” or philosophical meditation emerges from the cycle of repetitions and variations, gradually unfolding before our eyes the nature of the language game being played. “The question,” as Craig Dworkin puts it in his discussion of conceptual art, “remains not whether one of these works could have been done better, but whether it could possibly have been done differently at all” (Against Expression, p. 39). It is in this sense that for the poets writing under the sign of Wittgenstein, ethics and aesthetics are one.
Bibliography Bradshaw, Peter: “Christian Marclay’s The Clock: a masterpiece of our times”. In: Guardian Film Blog, April 7, 2011, http://www.guardian.co.uk/ film/filmblog/2011/apr/07/. Duchamp, Marcel: The Essential Writings of Marcel Duchamp, Marchand due Sel / Salt Seller, ed. Michel Sanouillet & Elmer Peterson, London 1975. Dworkin, Craig: Preface: “The Fate of Echo”. In: Against Expression: An Anthology of Conceptual Writing, ed Craig Dworkin and Kenneth Goldsmith, Evanston 2011. Hamilton, George Heard: “Marcel Duchamp Speaks”. In: Etant donné: Marcel Duchamp, 4 (202), 1959, pp. 108–113; Kenner, Hugh: A Homemade World: The American Modernist Writers. New York 1975. Kosuth, Joseph: Art after Philosophy and After: Collected Writings, 1966–1990, ed. Gabriele Guercio, Cambridge 1991. LeWitt, Sol: “Paragraphs on Conceptual Art”. In: Artforum (June 1967); rpt. http://www.ddooss.org/articulos/idiomas/Sol_Lewitt.htm/. Nesbit, Molly: “Last Words (Rilke, Wittgenstein, Duchamp)”. In: Art History, 21, no. 4 (December 1998), pp. 546–64. Perloff, Marjorie: “Writing through Wittgenstein with Joseph Kosuth”. In: Perloff, MJarjorie: Wittgenstein’s Ladder: Poetic Language and the Strangeness of the Ordinary. Chicago 1996, pp. 221–42. Perloff, Marjorie: Twenty-First Century Modernism. Oxford 2001. Perloff, Marjorie: “The Madness of the Unexpected: Duchamp’s Readymades and the Survival of ‘High’ Art”. In: Cicero, Antonio (ed.) Forma e Sentido Contemporaneo, Rio di Janeiro, 2012;
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and in shorter version in Bru, Sasha et al. (ed.): Regarding the Popular: Modernism, the Avant-Garde and High and Low Culture. Berlin: Walter De Gruyter, 2012, pp. 14–32. Perloff, Marjorie: “The Conceptual Poetics of Marcel Duchamp,” Twenty-First Century Modernism. Oxford 2002, pp. 77–120. Perloff, Marjorie: “The Poetics of Description: Wittgenstein on the Aesthetic”. In: Ordinary Langage Criticism: Literary Thinking after Cavell after Wittgenstein, ed. Kenneth Dauber and Walter Jost, Evanston 2003, pp. 231–244. Rothhaupt, Josef G. F.: Kreation und Komposition. Philologisch-philosophische Studien zu Wittgensteins Nachlass (1929–1933). Munich 2008 [Habilitationsschrift]. Rothhaupt, Josef G. F. (ed.): Wittgensteins Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, Munich 2010 [= KB]. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe. Band 2. Philosophische Bemerkungen [PB]. Frankfurt/ Main 1984. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe. Band 3. Ludwig Wittgenstein und der Wiener Kreis [WWK]. Frankfurt/ Main 1984. Smith, Zadie: “Killing Orson Welles at Midnight” (The Clock, a film by Christian Marclay). In: New York Review of Books, 28 April 2011. Tomkins, Calvin: Duchamp: A Biography. New York 1996, pp. 157–158. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus-Logico-Philosophicus, A new edition of the Translation by D. F. Pears and B. F. McGuinness, London 1974. Wittgenstein, Ludwig: Notebooks 1914–1916, 2nd ed., ed. G. H. von Wright, trans. G. E. M. Anscombe, Chicago 1979. Wittgenstein, Ludwig: Philosophical Investigations, The German text with an English translation by G. E. M. Anscombe, P. M. S. Hacker and Joachim Schulte. Rev. 4th edition by P. M. S. Hacker and Joachim Schulte, Oxford 2009 [=PI]. Wittgenstein, Ludwig: Denkbewegungen: Tagebucher 1930–1932, 1936–1937 (MS 183), ed. Ilse Somavilla, Innsbruck1997. Wittgenstein, Ludwig: Carnets de Cambridge et de Skjolden, trans. Jean-Pierre Cometti, Paris 1999. Wittgenstein, Ludwig: Zettel, ed. G. E. M. Anscombe and G. H. von Wright, trans. G. E. M. Anscombe, Berkeley 1967. Wittgenstein, Ludwig: Culture and Value ed. G. H. von Wright; rev. ed. Alois Pilcher, trans. Peter Winch. Oxford 1998 [=CV]. Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein’s Lectures Cambridge 1930–32, from the Notes of John King and Desmond Lee, ed. Desmond Lee, Chicago 1989. Wittgenstein, Ludwig: Wittgenstein’s Lectures Cambridge, 1932–35, ed. Alice Ambrose, Chicago 1989. Wittgenstein, Ludwig: Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology, and Religious Belief, ed. Cyril Barrett, Berkeley 1967. Wittgenstein, Ludwig: Briefwechsel mit B. Russell, G. E. Moore, J. M. Keynes, F. P. Ramsay et. al., ed. B. F. McGuiness and G. H. von Wright, Frankfurt/ Main 1980.
Gabriele Tomasi
Wittgenstein on Life, Art, and the “Right Perspective” In this paper I would like to offer an interpretation of a remark Wittgenstein wrote in 1930. This text has already appeared in Vermischte Bemerkungen, edited by Georg H. von Wright, and has found a new context in the so called Kringel-Buch – a collection of remarks by Wittgenstein recently put together with extraordinary philological expertise by Joseph Rothhaupt. Here, it appears as section 52. Though to strip the section from its larger context and consider it as a sort of autonomous piece is disputable, I hope this move is excusable on the one hand on the ground that the Kringel-Buch as Initialtext or book-project has a relatively loose structure and on the other hand, because section 52 – if I am not mistaken, the longest in the Kringel-Buch – conveys a sense of completeness.1 The paper is divided into five sections. In the first section, I present the structure and themes of KB #52. As we shall see, KB #52 mainly deals with the nature of a certain way of looking at things – a way that transforms ordinary things, actions and events into something significant or wonderful. The remaining sections are devoted to the interpretation of the text. In the second section, I comment on the thought experiment Wittgenstein suggests to the reader, which consists in imagining a certain scene represented on a theatre stage. This is a crucial passage in KB #52, since it introduces the question of the relation between art and value. I concentrate on this question in the third section of the paper, while in the fourth section, in order to explore the implications of a specific passage in Wittgenstein’s text, I suggest a comparison with XVII century Dutch painting and pursue the point further by recalling Hegel’s interpretation of this episode in the history of western art. I do not mean to suggest that Wittgenstein may have been influenced by Hegel. Wittgenstein was a reader of Schopenhauer and was aware of the
1 From now on I shall use the abbreviation KB #52 in order to refer to the remark at issue. Abbreviations for Wittgenstein’s works in the text are as follows: LC = Lectures and Conversations on Aesthetics, Psychology & Religious Belief, ed. by Cyril Barrett, Blackwell, Oxford 1966; LE = “Wittgenstein’s Lecture on Ethics”, The Philosophical Review, 74 (1965), pp. 3-12; TB = Tagebücher 1914–1916, in Ludwig Wittgenstein Werkausgabe, Band 1, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, pp. 87–187; TLP = Tractatus logico-philosophicus, in Ludwig Wittgenstein Werkausgabe, Band 1, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984, pp. 9–85; WWK = Wittgenstein und der Wiener Kreis, in Ludwig Wittgenstein Werkausgabe, Band 3, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1984. References to LE and WWK are by page number; references to LC and TLP are to section number; references to TB are by entry date.
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latter’s conception of art, while he had probably no idea about Hegel’s aesthetics. However, I believe that juxtaposing Wittgenstein’s (Schopenhauerian) conception of art as a way of looking at things with Hegel’s interpretation of XVII century Dutch painting could be illuminating, since Hegel’s interpretation is very powerful in casting light on how art can give significance to the ordinary. Finally, in the fifth and conclusive section I hint at some problems with Wittgenstein’s (early) idea that ethics and aesthetics – or art and life – are connected with each other.
1 Structure and themes of KB #52 KB #52 seems to be the record of an actual conversation Wittgenstein had and it probably conveys Wittgenstein’s considerations on an issue concerning himself. At the same time, it is a piece of philosophical reflection, although a strange one: it was written in 1930 but, at times, it sounds as if it came from the past, like a fragment from the early Wittgenstein. In particular, it reminds the reader of some entries in the Tagebücher or in the Tractatus, because it shows a conception of art and artwork that seems reminiscent of the “transcendental” aesthetics typical of the early Wittgenstein.2 However, as we shall see, the core of the section is introduced by „Ich sagte wir hätten hier einen Fall ähnlich folgendem […]“, a phrasing typical of a later Wittgenstein and in line with his conviction that we can understand a phenomenon by focusing our attention on the resemblance it has with other phenomena – a conviction that underlies many among Wittgenstein’s critical notes on Sir James George Frazer’s The Golden Bough collected in the Kringel-Buch (see, for instance, KB #169). Stylistic features aside, I do not believe KB #52 is a sort of relic. Rather, I am inclined to think that it illustrates some points that are deeply rooted in Wittgenstein’s outlook, even though his conception of aesthetics was undergoing a change at the time he wrote the remark.3
2 In the Tractatus Wittgenstein states that ethics is transcendental and that ethics and aesthetics are one (TLP 6.421). Aesthetics too, then, is transcendental. In my interpretation, by qualifying aesthetics in this way Wittgenstein means to emphasize that it is connected to the world and, at the same time, that its “content” disappears if we try to make it part of the world. In this sense, aesthetics is also “transcendent” (cf. TB 30.7.16). Aesthetics is connected to the world in a way similar to that of logic, i.e. as a condition of the world (cf. TB 24.7.16). If logic mirrors the formal properties of the world it fills (cf. TLP 5.61, 6.12), aesthetics is a point of view on the meaning or value of the world. And, just like logic, aesthetics does not have representational content, it is not about a particolar kind of facts. According to Wittgenstein, the value of the world must lie outside the world (cf. TLP 6.41). 3 Wittgenstein’s 1938 lecture on aesthetics suggests that he developed a conception of aesthetics as grammar, that is, as a kind of conceptual inquiry primarily concerned with the ways practices
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The text can be divided into two parts. The first part can be regarded as a story or a plot. The second part is a sort of theoretical development of the story told in the first part. I shall quote from the first part of the text, following its narrative structure. It opens with the account of a conversation between Wittgenstein and his friend Paul Engelmann: Engelmann sagte mir, wenn er in seiner Lade voll von seinen Manuscripten krame so kämen sie ihm so wunderschön vor daß er denke sie wären es wert den anderen Menschen gegeben zu werden. (Das sei auch der Fall wenn er Briefe seiner verstorbenen Verwandten durchsehe).
From a narrative point of view, the opening is the exposition: it provides the reader with the elements that will be developed and clarified throughout the rest
like appreciation, criticism, discussion or other direct forms of involvement with artwork are interwoven with language (cf. Johannessen 2004). In the opening remark of the Lectures, Wittgenstein states that the subject, i.e. Aesthetics, “as far as” he could see, is “entirely misunderstood” (LC I 1). It is not easy to specify what misunderstandings Wittgenstein had in mind. However, among them there was certainly the consideration of aesthetics as a branch of psychology. For Wittgenstein, the idea of a science of aesthetics was ridiculous or stupid (cf. LC II 1, 2 e 35). I think we can draw a parallel between a central aspect of Wittgenstein’s critique of Frazer’s Golden Bough and his critique of the idea that some kind of scientific aesthetics is possible. In a nutshell, the core of the criticism towards this idea is that “aesthetic explanation is not causal explanation” (LC II 38). Wittgenstein addresses a similar objection against Frazer’s treatment of primitive rituals. He claims that Frazer assimilates the understanding of ritual customs to a problem of scientific explanation and maintains that this is a wrong move, since it brings to represent the ritual in question as nonsense (cf. KB #102). The point, for Wittgenstein, is that, when we consider primitive rituals, we can gain the satisfaction we seek in an explanation by means either of describing a way of acting, arranging in the right way what we already know, or of considering the relation that links the ritual in question to us. Once a ritual or a custom is brought into connection with something that finds an echo in our experience, we get the desired explanation (cf. KB #104). Wittgenstein’s point is not only methodological; what he tries to show is that if we seek to explain a ritual we mistake the exact nature of what we are supposed to explain (cf. De Lara 2003 and Bouveresse 2007). A remark by G. E. Moore, which appears in his account of Wittgenstein’s 1930–1933 lectures, documents the connection between Wittgenstein’s remarks on the understanding of rituals and the conception of aesthetics he developed through the Thirties. Moore writes: “His discussion of Aesthetics […] was mingled in a curious way with criticism of assumptions which he said were constantly made by Frazer in the Golden Bough, and also with criticism of Freud”. According to Moore’s notes, for Wittgenstein “what Aesthetics tries to do […] is to give reasons, e.g. for having this word rather than that in a particular place in a poem, or for having this musical phrase rather than that in a particular place in a piece of music. […] Reasons, he said, in Aesthetics, are of the nature of further description” (Moore 1955: 16, 19). This sounds very similar to what Wittgenstein also maintains for understanding primitive rituals (cf. KB #105).
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of the story. It must be noted that Wittgenstein is not explicit on the nature of Engelmann’s manuscripts: evidently, this is not relevant to the story. He limits himself to describe the changes in Engelmann’s feelings when he looks at the drawer full of his own manuscripts: when he considers them as a whole, he thinks they are certainly valuable and worth publishing; if he considers publishing a selection from the manuscripts however, “the whole business loses its charm and value”. Why is it so? This is the problem that will find a (partial) solution at the end of the story. The story goes on with Wittgenstein’s reply to Engelmann: Ich sagte wir hätten hier einen Fall ähnlich folgendem: Es könnte nichts merkwürdiger sein als einen Menschen bei irgend einer ganz einfachen alltäglichen Tätigkeit wenn er sich unbeobachtet glaubt zu sehen.
From a narrative point of view, this is the rising action: the element that builds up tension and leads to the climax of the story, which comes immediately afterwards. Wittgenstein suggests a thought experiment: Denken wir uns ein Theater, der Vorhang ginge auf & wir sähen einen Menschen allein in seinem Zimmer auf & ab gehen, sich eine Zigarette anzünden, sich niedersetzen u.s.f. so daß wir plötzlich von außen einen Menschen sähen wie man sich sonst nie sehen kann; wenn wir gl quasi ein Kapitel einer Biographie mit eigenen Augen sähen, – das müßte unheimlich & wunderbar zugleich sein. Wunderbarer als irgend etwas was ein Dichter auf der Bühne spielen oder sprechen lassen könnte. Wir würden das Leben selbst sehen.
Unlike the man who is unaware of being watched, the man on the stage is well aware of being watched. However, in a sense the theatrical situation gives structure to the former case and Wittgenstein focuses his attention on the effect of the vision „von außen“ we have in both cases: an ordinary scene becomes extraordinary, remarkable. He thus suggests that the way we look at things can have a sort of power of transformation on them. Hinting at the nature of this way of seeing with the theatre thought experiment, Wittgenstein collocates the turning point of the story, its climax, at the level of our attitude towards things. The story ends with an answer to an objection: – Aber das sehen wir ja alle Tage & es macht uns nicht den mindesten Eindruck! Ja, aber wir sehen es nicht in der Perspektive.
The conclusion confirms that at the level of our attitude towards objects, a transformation of the value or meaning they have for us can occur. Maybe this does not completely dissolve the trouble in Engelmann’s case. Still, when we consider Wittgenstein’s interpretation of the story we can see that it explains one of the two ways Engelmann feels towards his manuscripts:
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So wenn E. seine Schriften ansieht & sie herrlich // findet (die er doch einzeln nicht veröffentlichen möchte) so sieht er sein Leben, als ein Kunstwerk Gottes, & als das ist es allerdings betrachtenswert, jedes Leben & Alles.
This passage can be seen as the narrator’s commentary on the story, his meditation on the reported events; it also marks the beginning of the second part of the section – the theoretical one. It is a passage packed with ideas. Wittgenstein introduces new concepts. As the above lines document, there’s a change in the description of the object of Engelmann’s sight. Wittgenstein suddenly shifts from considering Engelmann’s attitude towards his own manuscripts to claiming that, while looking at the manuscripts in the drawer, his friend was taking a certain attitude towards his life. It is as if, when Engelmann gives value to his manuscripts, what he actually finds valuable is his own life. To express this idea, Wittgenstein claims that Engelmann could see his life as a work of art created by God. From this standpoint, Wittgenstein comments, life is certainly worth contemplating. This suggests that looking at one’s life from the outside – as one would look at an actor on a theatre stage – is like seeing it as a divine work of art. Wittgenstein goes on to articulate two general theses: one concerning the work of the artist, and the other concerning artworks. It is worth quoting Wittgenstein at length: Doch kann nur der Künstler das Einzelne so darstellen daß es uns als Kunstwerk erscheint; jene Manuscripte verlieren mit Recht ihren Wert wenn man sie einzeln & überhaupt wenn man sie unvoreingenommen, das heißt ohne schon vorher begeistert zu sein, betrachtet. Das Kunstwerk zwingt uns – sozusagen – zu der richtigen Perspektive, ohne die Kunst aber ist der Gegenstand nur Natur wie jedes andre & daß wir es durch die Begeisterung erheben können das berechtigt niemand es uns vorzusetzen. (Ich muß immer an eine jener faden Naturaufnahmen denken die der, der sie aufgenommen interessant findet weil er dort etwas erlebt hat, der dritte aber mit berechtigter Kälte betrachtet; wenn es überhaupt gerechtfertigt ist ein Ding mit Kälte zu betrachten).
As a sort of conclusive comment, Wittgenstein mentions a way of looking at things that he considers similar to the one typical of the artist: Nun scheint uns aber, gibt es außer dem Kü der Arbeit // // des Künstlers noch eine andere, die Welt sub specie äterni einzufangen. Es ist – glaube ich – der Weg des Gedankens der gleichsam über die Welt hinfliegt & sie läßt wie sie ist, – sie von oben im // Fluge betrachtend. [sie vom Fluge betrachtend] [sie von oben vom Fluge betrachtend].
The observation is of some importance for the topic of the text. The presence of the expression sub specie aeterni in these last lines of KB #52 brings us back to the Tractatus, where the expression is used in relation to the (metaphorical) act of
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seeing the world as a whole (cf. TLP 6.45), and above all to a well known entry from Wittgenstein’s Tagebücher 1914–1916, which I shall quote below. As for now, it is interesting to note that while in the previous part of KB #52 Wittgenstein speaks of art as directed to particular objects, in the closing lines of the text he mentions the world as object of the artist’s work. The shift parallels that in the Engelmann’s anecdote, where Wittgenstein first considers his friend’s manuscripts and then his life. This last part of the discourse evokes the young Wittgenstein’s thesis that life and the world are the same (cf. TLP 5.621). Before we analyse the text in some detail, let us recall the problem it addresses. KB #52 begins by discussing an experience that happened to Paul Engelmann, a close friend of Wittgenstein, when he was looking at his manuscripts. He noted a sharp difference in the attribution of value to the writing depending on whether he looked at all of the manuscripts in a drawer, or considers the hypothesis of publishing a selection of them. As Engelmann feels that in the latter case his writings lose their charm and value, the former case contrasts with the latter. However, maybe the feeling that the manuscripts seem to lose their value is not due to the fact that Engelmann contemplates them singly, but that he thinks about publishing them. In other words, I suggest that what determines the change in Engelmann’s feelings when he considers the hypothesis of publishing a selection from his manuscripts is that in this circumstance he withdraws from his detachment. Since Wittgenstein identifies the whole of Engelmann’s manuscripts with his life, if the point were singularity, it would follow that one’s life is worth being contemplated only if taken as a whole, while episodes of a life, considered singularly, have no value. However, this is not plausible, because if we look at an episode from the “right perspective”, the episode can become our world or our life, according to Wittgenstein. It is just like in the theatre experiment: when we observe a fragment of life, we see life itself. At this point it is worth quoting the above mentioned entry from the Tagebücher: Das Kunstwerk ist der Gegenstand sub specie aeternitatis gesehen; und das gute Leben ist die Welt sub specie aeternitatis gesehen. Dies ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Ethik. Die gewöhnliche Betrachtungsweise sieht die Gegenstände gleichsam aus ihrer Mitte, die Betrachtungsweise sub specie aeternitatis von außerhalb. (TB 7.10.16)
According to this note, a work of art is a way of seeing an object. The entry from the following day suggests that a work of art basically is a way of seeing that strips the object from its context – the state of affairs – and makes it the world of the observer. Wittgenstein writes: „Als Ding unter Dingen ist jedes Ding gleich unbedeutend, als Welt jedes gleichbedeutend“ (TB 8.10.16). I shall come back to this entry below. As for now, I would like to point out that Wittgenstein’s words seem
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to confirm that what is relevant in Engelmann’s case is the change in attitude. If this is correct, then also the selection of Engelmann’s writings could be seen, at least in principle, in its singularity, as a work of art, i.e. as something worth contemplating. This obviously does not mean that, in virtue of the way it would be looked at, it would be transformed into a valuable piece of literature. Suppose the selection is a collection of poetry of little artistic value. When it is seen as a work of art, its poor artistic value does not change. Nevertheless, it receives value in virtue of how it is seen, i.e. because of the fact that it is seen from the outside, as one’s world or life. In the closing lines of KB #52, Wittgenstein metaphorically describes the „Weg des Gedankens“ as a way of looking at the world from above, as if thought could fly above the world. This is an image that suggests a sense of detachment. Moreover, according to the entry I have just quoted, this is the way of seeing that characterizes a good, happy life. This may sound rather odd. After all, when observed from the outside, our life does not look like ours; moreover, such a view “from above” seems to strip life of its (human) character. It is hard to think that this is the very point of view from which our life should look special to us.4 But this is what Wittgenstein seems to suggest, and he sees a connection between detachment and happiness (cf. e.g. TB 13.8.16). However, this point is not emphasized in KB #52; rather, the point of the text is the description of a way of seeing that allows for appreciating ordinary life, the commonplace. The everyday – a man walking up and down, lighting a cigarette, etc. – turns out to be of aesthetic value, if looked at in the “right perspective” or sub specie aeternitatis. Whatever else this expression means, it seems to suggest that we behold the object – what Wittgenstein calls “a chapter from a biography” – as if it had nothing to do with us. Art exemplifies the nature of this way of seeing. Wittgenstein, as we have seen, speaks of Engelmann seeing his life “as a work of art created by God” and therefore as “worth contemplating”. Moreover, he suggests that “every life & everything whatever” is worth contemplating. Art is the topic of the theoretical part of the section. But it is in the first part of the section, with the narration of Engelmann’s anecdote and the proposal of the theatre thought experiment that Wittgenstein seeks to evoke the nature of the way of seeing that art exemplifies. Let us now analyse this part of the text in more detail, beginning from the transformative action, i.e. from Wittgenstein’s suggestion to imagine a scene represented on a theatre stage.
4 For a different reading see Landau 2011.
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2 Theatre and life The thought experiment Wittgenstein engages the reader in is rather intriguing. He does not ask us to imagine watching the sequence of a play; apparently he wants us merely to imagine the theatrical framing of an ordinary activity. Hence, what he asks us to imagine would essentially be a “theatre” in the very Greek meaning of the word, i. e. a “theatron”, a “place for seeing”. In a sense, the theatre situation formalizes the scene Wittgenstein evokes in his reply to Engelmann, where someone is looking at someone else who is unaware of being watched. There is a degree of voyeurism in the situation Wittgenstein wants us to imagine. However, in this case, to see and not to be seen seems to be a necessary condition for the vision „von außen“ to take place. If the person who is being watched were aware of being watched, then the viewer would enter the scene, and one could not speak of a vision “from outside”. That the point of Wittgenstein’s voyeurism is not an interest in truth of expression as, for example, in traditional approaches to photography, is made clear by his comment on the theatre experiment. But before getting to this, let us consider a complication in the thought experiment. The text does not exclude that what Wittgenstein is asking us to imagine is not the mere theatrical framing of an ordinary activity, but ourselves watching an actor performing. For example, “someone alone in his room walking up and down, lighting a cigarette, seating himself etc.”. The meaning of this interpretation becomes clear if we consider the artistry involved in this performance together with Wittgenstein’s idea that art compels us to see an object in the right perspective – an idea I shall examine below.5 It is not difficult to imagine that a variety of skills are required in order for us to observe, in Wittgenstein’s words, “a human being”: not an illusion of reality, or a pretence, but a full-blooded presence, and a presence regarded “from outside in a way that ordinarily we can never observe ourselves”.6
5 If we were looking at an actor’s performance, then that we were able to see a human being “from the outside”, would be part of the effect of art. Michael Fried recalls that according to Diderot, actors should use all the skills at their command “in order to create the dramatic stage tableaux that will secure the overarching illusion that the audience has not been taken into account” (Fried 2008: 27). Since absorption goes hand in hand with unawareness of being beheld, we can understand why Fried sees Wittgenstein’s thought experiment as belonging to the cast of mind he calls “antitheatrical” (cf. ivi, 77). 6 The theatre thought experiment suggests that Wittgenstein, in line with the beliefs of modernist theatre, assumes that the actor must not be perceived as be acting, whereas he must be the character onstage. This is indirectly confirmed by a recollection by John King, a former student of Wittgenstein’s. King writes: Wittgenstein “never would go to any British film; and if we passed a
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What we observe in this case, then, is a fragment of life, “a chapter from a biography” or “life itself”. And we observe it as if we were external spectators, as if we were not taking part in it. This has aesthetic consequences. Wittgenstein comments that the sight of an utterly ordinary activity from this perspective is more wonderful than any story a playwright could arrange to be acted on a stage. Wittgenstein is thus suggesting that (and how) the everyday can become a domain for the aesthetic. As we have seen, he anticipates an objection that might be raised against this idea: life – one might say – is something we see every day, but it does not impress us much. Every day we see other human beings busy performing some action, we come upon someone absorbed in their activity who, at least for a few moments, is unaware of being observed, but we are not in the least impressed by what we see. However – Wittgenstein’s reply goes – this is not equivalent to looking at a scene from a detached point of view, objectively, so to speak. Detachment makes the difference. If seen with detachment – Wittgenstein maintains – an ordinary scene looks at the same time unheimlich and wunderbar. This merits some comment. As for the former, it is quite obvious to think of the Freudian Unheimliches. According to Freud, what is unheimlich belongs to the class of the frightening, which leads us back to what is known of old and has been familiar to us for a long time.7 Wittgenstein, though, uses the term to refer to a rather different situation. Nevertheless, Freud’s choice to trace back the unheimlich to something familiar is consonant with Wittgenstein’s use of the term. What we find uncanny is something that, in a sense, we know well: it is life itself. The point is that it loses its familiar character by virtue of the perspective from which we look at it: our perspective on it is separate from that of the person being observed, as if we were inhabiting different worlds, or better, as if we were seeing life from the outside. To see life in this way is to see it sub specie aeternitatis, and this is the reason why what we see is not only uncanny, but is “at once” wonderful. In an entry from his Tagebücher 1914–1916 Wittgenstein writes: „Das künstlerische Wunder ist, daß es die Welt gibt. Daß es das gibt, was es gibt“. (TB 20.10.16) In a sense, nothing is more familiar to us than the existence of the world. Nevertheless, that the world is, may be seen as a wonder. It is interesting that just at this juncture of KB #52, art and the artist enter the scene.
cinema advertising one he pointed out how the actor looked dressed-up, unnatural, unconvincing, obviously play-acting, while, in comparison, in the American films the actors were the part, with no pretence” (“Recollections of Wittgenstein” in Rhees 1984: 71 quoted in Fried 2008: 365). 7 Cf. Freud 2005.
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3 The transfiguring power of art In what I have called the “resolution” of the narrative portion of KB #52, Wittgenstein, going back to Engelmann’s anecdote, introduces the concept of art. He claims that when Engelmann looks at what he has written and finds it marvellous, he is seeing his life as God’s work of art and, as such, as certainly worth contemplating. It seems that Wittgenstein here draws a parallel between Aesthetics and Ethics that recalls the one drawn in the above quoted 7.10.16 entry from the Tagebücher. However, we must observe that by speaking of life as a work of art created by God he also stresses the fact that – as Carolyn Wilde writes – “one does not produce one’s life as one produces a work of art”.8 Engelmann did not create his life in the same way he produced his manuscripts, nevertheless he can look at his life as if it were a work of art, provided that he sees it from a certain point of view. What follows in the text suggests that this point of view is that of the artist: “only the artist – Wittgenstein writes – can so represent the individual thing (das Einzelne) so that it appears to us as a work of art”.9 With regards to life, the exercise of artistry consists in the adoption of a peculiar perspective on it – the view sub specie aeternitatis – as opposed to the idea of shaping it as if it were a work of art. If it is seen in this way, life – any kind of life, Wittgenstein seems to be saying – can be seen as a work of art created by God, that is, as valuable. This suggests that for Wittgenstein the value of a life does not depend on its content, so to speak, but on its form. What makes the difference is how life is seen, that is, how it is accepted. It is interesting that Wittgenstein not only attributes to the artist the ability to “represent the individual thing so that it appears to us as a work of art”; furthermore, he claims that a work of art compels us to see things in the right perspective. The terms “art” and “work of art” are used interchangeably. Just like in the Tagebücher, in KB #52 Wittgenstein seems to conceive of art as a way of looking at things, and therefore to identify art with an attitude, more than an activity. If this is correct, it follows that what issues from an act of art-making is a change in the way we look at things. That as a result of that act, new objects are produced
8 Wilde 2004: 174. 9 This recalls Schopenhauer’s description of the work of the genius in section 36 of book III of The World. However, as Wilhelm Vossenkuhl has pointed out to me, Kant had already depicted the artist, the genius, as someone who has the capacity to make an object appear (when, like the ideas of reason, it does not belong to the realm of experience), or appear under a new light (when it belongs to the realm of experience) (cfr. Critique of Judgment, sec. 49).
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is secondary. First and foremost, the artist provides a way of viewing that turns things into works of art. To better articulate the point, let us look at how the work of the artist is characterized in the text.
3.1 Art and value Wittgenstein maintains that a work of art compels us to see an object in the right perspective, while “without art, the object is a piece of nature like any other”. It is a Tractarian idea that any piece of the world merely considered as such is just an element of the how of the world, of the accidental „Geschehen und So-sein“, while value is non-accidental (TLP 6.41). Now, Wittgenstein is suggesting that art can turn an object that is a mere “piece of nature” into an object that is worth contemplating. This sounds like a theoretical translation of the thought experiment of framing an ordinary action within the box of a theatre stage. This idea of transformation is well illustrated by the following entry from the Tagebücher: Als Ding unter Dingen ist jedes Ding gleich unbedeutend, als Welt jedes gleichbedeutend. Habe ich den Ofen kontempliert, und es wird mir nun gesagt: jetzt kennst du aber nur den Ofen, so scheint mein Resultat allerdings kleinlich. Denn das stellt es so dar, als hätte ich den Ofen unter den vielen, vielen Dingen der Welt studiert. Habe ich aber den Ofen kontempliert, so war er meine Welt, und alles Andere dagegen blaß. (TB, 8.10.16)
The entry develops the content of another entry quoted above, where Wittgenstein claims that the work of art is the object seen sub specie aeternitatis. There he explained that to view objects sub specie aeternitatis is to see them from the outside, „So daß sie die ganze Welt als Hintergrund haben“; and he closed the entry by adding: „(Es drängt sich der Gedanken auf): Das Ding sub specie aeternitatis gesehen ist das Ding mit den ganzen logischen Raum gesehen“ (TB 7.10.16). Michael Morris comments that to see something in this way means seeing it “with a consciousness […] of the way in which” it “can be combined with other things”.10 Combinations of objects are facts, and facts in logical space are the world. When the stove is contemplated together with the whole logical space, or as being capable of shaping the logical space, it becomes the world of the observer. According to Wittgenstein, this is what makes it significant. We can hypothesize that, if Englemann were to look at a fragment from his manuscripts
10 Morris 2008: 326.
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in this way, contemplating it as such, then the fragment would appear significant to him, because it would be his world, that is, his life.11 The above mentioned stove example looks like Wittgenstein’s version of a thought by Schopenhauer. In The World as Will and Representation (18181, 18442) Schopenhauer writes: Art […] plucks the object of its contemplation from the stream of the world’s course, and holds it isolated before it. This particolar thing, which in the stream was an infinitesimal part, becomes for art a representative of the whole […]. (Schopenhauer 1969, Book III, sec. 36, vol. I, 185)
Wittgenstein too can be said to think that art makes us perceive objects as if they were representative of the whole world. In his words, this means looking at objects together with the whole logical space. In the entry where the work of art is defined as the object seen sub specie aeternitatis, he contrasts this way of seeing with another he calls „die gewöhnliche Betrachtungsweise“. The latter, Wittgenstein writes, „sieht die Gegenstände gleichsam aus ihrer Mitte“, considers the objects that are being seen as well as the relationship they have with other objects, it considers the facts being one specific way rather than another. By transforming an object into the world of the beholder, art brings to the fore not how the world is but that it is. According to Wittgenstein, aesthetically, the miracle is that there is what there is (cf. TB 20.10.16). In order to attempt to make sense of this idea, it is worth recalling that the experience that something is, does not properly count as an experience (cf. TLP 5.552). It is not a fact, and therefore it is not part of the (describable) content of experience. That Wittgenstein calls the being there of what there is “aesthetically, the miracle” suggests that art exemplifies the form of contemplation of the world that the Tractatus connects to the mystical feeling (cf. TLP 6.45). As we have seen, Wittgenstein parallels art and ethics as forms of the vision sub specie aeternitatis. Since, according to Wittgenstein, the world seen in this way is the good life (cf. TB 7.10.16), it is quite obvious to assume that “work of art” is the expression of what – borrowing an expression by Michael Fried – we could call “good objecthood”.12 A good life, is a life that has ethical or absolute value; a work of art is an object that has the same kind of value, that is, absolute value. If we recall that in the Lecture on Ethics Wittgenstein, to express what he means
11 The source of Engelmann’s problem does not consist in the fact that he singles out a part from the whole of his manuscripts, but in the fact that he thinks about publishing that part. When this happens, he ceases to have a vision „von außen“. This is the reason why the manuscripts lose the value they appeared to have for him. 12 Fried 2008: 303.
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by “absolute value”, mentions the experience of wondering at the existence of the world (cf. LE, 8), we may get a glance of the reason why art confers value on things.13 The idea is that by compelling us to see objects in the right perspective, art makes us capable of wondering at the existence of what there is and arouses in us a feeling about of the value of what there is. This brings us back to the theatre thought experiment that plays a key-role in Wittgenstein’s reflection. When the curtain goes up, a scene opens up for our view: we see a space where something comes to presence or, better perhaps, where presence (or presentness) is felt more intensely. Sense and value, it seems, are packed together in this experience. I would like to elaborate on this point a little more by recalling a moment in western painterly tradition, XVII century Dutch painting, and the way it has been interpreted by Hegel – a philosopher whose way of thinking is very different from Wittgenstein’s.
4 Dutch painting and the everyday In what Wittgenstein considers the artistic way of looking at things there is, I believe, something very similar to the attitude towards the world that we find in XVII century Dutch painting, where the most commonplace scenes are depicted with the greatest accuracy and skill, so that they look stunning and beautiful. Consider paintings such as The Courtyard of a House in Delft (1658) by Pieter De Hooch, Woman Reading (late 1660s) by Pieter Janssens Elinga, Woman peeling apples by Gerard Ter Borch (ca. 1660), or Johannes Vermeer’s The Lacemaker (1669–70). The way these works of art are painted expresses the acknowledgment that even the least interesting objects can also be seen – and depicted – as immensely valuable. Without getting into interpretative details, we can acknowledge a sort of implicit Spinozism in these paintings, for two reasons. In the first place, they show how even extremely ordinary scenes can be seen to embody the perfection of the world. There is a difference, though. As Tzvetan Todorov notices, while Spinoza claimed that reality in itself is perfect, it is actually the gaze of the painter that by means of selecting an object or a scene from the world and transforming it, put us in contact with beauty.14 Paintings like the ones mentioned above show that beauty
13 While in the Lecture Wittgenstein stresses the altogether personal character of his connection between the experience of wondering at the existence of the world and the notion of absolute value, in his talk with Waismann he seems to give it a more extended significance (cf. Waismann’s records of his December 17th 1930 conversation with Wittgenstein, in WWK, 118). 14 Todorov 2000: 88.
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can be found in the most meaningless objects, in the most obvious gesture. But what makes it appear is the quality of the (artist’s) gaze. In the second place, there is a sense of suspension of time in De Hooch as well as in Ter Borch and Vermeer that suggests a Spinozian vision sub specie aeterni, so that the transient is captured and becomes eternal. The depicted scenes are taken from ordinary life – a lady writing a letter, a woman peeling apples, people drinking in a courtyard, etc. – , but they look as if they did not belong to it anymore. Once again, this is the effect of the painter’s gaze, a gaze full of grace that rejoices in the existence of things, that transforms life illuminating it with meaning and beauty.15 It is, I believe, the same grace Wittgenstein evokes while speaking of art as of a way of looking at things sub specie aeterni or with a happy eye. The philosopher’s stove example is, at least in spirit, near to the Dutch painterly experience that beauty can be found in the most common and humble objects.16 The artistic way of seeing is by no means an easy attitude to take. In KB #52, Wittgenstein maintains that art forces us into the right perspective17 and, presumably to avoid misunderstandings, he opposes the artistic way of viewing to a way of viewing that we could call “the perspective of the enthusiastic”: while art can compel us to wonder at something, “we may exalt an object through our enthusiasm but – Wittgenstein writes – that does not give anyone else the right to confront us with it”. He explains the point with an example that is worth commenting on before going back to the analogy between Wittgenstein’s conception of art and XVII century Dutch painting. In brackets Wittgenstein observes that he is “always reminded of one of those insipid snapshots of a piece of scenery which is of interest for the man who took it because he was there himself and experienced something; but someone else will look at it with justifiable coldness, in so far – he adds – it is ever justifiable to look at something with coldness”.
15 Cf. ivi, 116. 16 As a reader of Schopenhauer, Wittgenstein could have had in mind a passage from section 38 of book III of the World, where Schopenhauer hints at Dutch painting. Further, he may have found in the following passage an attitude similar to the one exemplified by Dutch painting: “Every state or condition, every person, every scene of life, needs to be apprehended only pure objectively, and made the object of a description or sketch, whether with brush or with words, in order to appear interesting, delightful, and enviable” (Schopenhauer 1969, Suppl., Book III, cap. 30, vol. II, 372). According to Schopenhauer, to objectively grasp something means understanding it not as a particular object or event, but as an idea, an eternal form. Wittgenstein’s version of the idea is a way of looking at things so that they appear meaningful in themselves just for their existence, for being what there is, that is, my world, the world of the beholder. 17 How art can “force” us is an interesting question that I cannot pursue here. However, I will say something on this later in sect. 4.2.
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4.1 The snapshot case Sometimes things acquire value for idiosyncratic reasons. To me the dried flower that I placed in a book is not just a piece of nature. It is, instead, an object of great value because it reminds me of a distant summer in the mountains, of the friends I was with, and of the beauty of the place. However, looking at the flower as if it were something of great value is an entirely personal experience. There is no way to force someone else to look at that flower with enthusiasm, and there is no way someone can force me to look at it with enthusiasm. Suppose that I took some photographs of the mountains in that summer and that I am enthusiastic about them, whereas you cannot find anything interesting in them. This case is similar to the one Wittgenstein mentions. Often, the photos we take look insipid to others; they are interesting to us, because they are connected to an experience we had and find valuable in some way. At the end of the above quoted passage, Wittgenstein is clear about the fact that we have no reason to show ordinary objects to other people and expect them to find those objects valuable. However, as Michael Fried points out, looking at something “with coldness (mit Kälte)” emerges from Wittgenstein’s words “as a (perhaps inevitable) failure of humanity”.18 If coldness is a failure, coolness could be an ideal. Fried quotes the following entry from Culture and Value: Mein Ideal ist eine gewisse Kühle. Ein Tempel, der den Leidenschaften als Umgebung dient, ohne in sie hineinzureden. (ca. 1929) (VB, 453)
The distinction between looking at something “with coldness” and looking at something “with coolness” is as ethical as it is aesthetic. It may hint at the (Kantian) ideal of the judgment of taste, or of a disinterested and distanced contemplation. Reference to this ideal may be implied by the passage in KB #52 we are commenting on. Speaking of an insipid snapshot of a scene that is of interest only to the man who took it, Wittgenstein implies that it would be possible to take a different, more interesting, “artistic” photograph of the same scene.19 The way he builds up the opposition between the artistic and the enthusiastic way of viewing suggests that we must distinguish between the personal character of the artistic way of looking at things and those ways of looking at things, which depend on the feelings and interests of the viewers. The latter is a case of looking at things „aus ihrer Mitte“, from the perspective of our psychological self, instead that „von außen“. According to Wittgenstein, this is not the artistic way of seeing. The arti-
18 Fried 2008: 78. 19 I owe this point to Wilde 2004: 172.
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stic point of view is a detached one, it is the point of view of a subject who is not „ein Teil der Welt“, since it shrank to the „Grenze der Welt“ (TLP 5.641).20 As it is clear that the difference between an artistic photograph and an insipid snapshot does not depend on the nature of the object that is photographed, presumably an artistic photograph, according to Wittgenstein’s conception, should embody the point of view „von außen“. It should be a photograph taken in such a way that it allows to focus one’s attention on what it shows, so that the represented subject appears meaningful in itself, and not because it is associated with the viewer. Maybe such a photograph should allow for a way of seeing that transcends the limits of individual perspective in the sense intended by contemporary aesthetics of impassiveness. Works by Clare Richardson from the series Sylvan (2002), or the industrial structures photographed by Bernd and Hilla Becher may be examples of (Wittgensteinian) artistic photographs. However, the best example is probably provided by Jeff Wall’s Morning cleaning (1999). It is not without reason that Michael Fried conjoins it to KB #52 in a revelatory and suggestive way. Morning cleaning, a transparency in lightbox, depicts a window cleaner as he manipulates a long-handled squeegee inside the (reconstructed) Pavillon that Mies van der Rohe, together with Lily Reich, built for the German section of the Exposición Internacional in Barcelona in 1929. The work renders the merger of interior and exterior spaces by means of the transparent and translucent walls that characterize the Pavillon but, despite the richness and elegance of the building, “the principal focus of the work” is the window-cleaner,21 that is, a man (who appears) unaware of being watched, while he is performing an ordinary activity, just like the man in Wittgenstein’s thought experiment. Actually, in Morning cleaning there is something that reminds one of the kind of gaze on ordinary scenes Wittgenstein evokes in KB #52, and I think it is not wrong to maintain that a work of art like this comes close to realizing (the young) Wittgenstein’s ideal of art.22 Fried links Morning cleaning to the “absorptive mode” exemplified by painters like Chardin, in which figures are immersed in their own world and activities and display no awareness of the construct of the picture and the necessary presence of the viewer.23 But there is also a Dutch-painting char-
20 According to Schopenhauer, the artist is like a clear mirror of the object; s/he is no longer an individual among others in the world, whereas s/he becomes the pure subject of knowledge (cf. Schopenhauer 1969, Book III, sec. 34, vol. I, 178–179). 21 Fried 2008: 67. 22 Cf. the analysis of the work in Fried 2008: 63–93 and the critical commentary by Mulhall 2011: 95–98. 23 According to Fried, “starting in the mid-1750s in France a new conception of painting came to the fore that required that personages depicted in a canvas appear genuinely absorbed in what-
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acter to it. Although the van der Rohe’s Pavillon does not qualify as a domestic setting, Morning Cleaning recalls the scenes of ordinary people engaged in everyday activities in domestic interiors that we find in XVII century Dutch painting. Fried himself stresses the affinity between Wall’s picture and a painting such as Interior with Painter, Reading Woman, and Sweeping Maid (1665–70) by the Dutch painter Pieter Janssens Elinga. Like the Dutch painters, Wall discovers that the everyday, the commonplace, can be a domain of the aesthetic. Revealingly, Wall tells Jan Tumlir: “the everyday is a space in which meanings accumulate, but it’s the pictorial realization that carries the meanings into the realm of the pleasurable”.24 As we have seen, in KB #52 Wittgenstein makes a similar point: only a work of art, compelling us to see life in the right perspective, can make it available for aesthetic contemplation and lets us perceive value in it. This last observation brings us back to the analogy between Wittgenstein’s conception of art and XVII century Dutch painting I have suggested above. Paintings belonging to that period of western art history embody the possibility of illuminating life with meaning and beauty, quite like the happy eye of the Wittgensteinian artist. I shall now further comment on this point, recalling some passages from Hegel that have partially inspired my proposal.
4.2 Hegel’s Dutch painters I shall not go into details about Hegel’s interpretation of Dutch painting – which can be found above all in his Aesthetics, i.e. in the account of Hegel’s lectures on fine arts offered by H. G. Hotho – since it may suffice to recall some of its elements. The first thing to consider is that Hegel discusses XVII century Dutch painting in the context of his account of the romantic form of art. According to Hegel, the domain of romantic art is existent humanity, and the principle of the romantic form of art is Innerlichkeit, i.e. inwardness, and, more precisely, Innigkeit, intimacy.25 As Benjamin Rutter points out, Innigkeit is a term that indicates
ever they were doing, thinking, and feeling, which also meant that they had to appear wholly unaware of everything other than the objects of their absorption, including – and this was the crucial point – the beholder standing before the painting”. Any suggestion that a painted personage was acting for an audience “was considered theatrical in the pejorative sense of the term” and was regarded as a fault. Fried recalls that the double stress on absorption and anti-theatricality received a theoretical articulation in Diderot’s writings on drama and painting (Fried 2008: 26 and for an extensive discussion of the topic Fried 1986). 24 The interview is quoted in Fried 2008: 64. 25 Hegel 1975: 80–81, 801, 812.
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the standpoint of feeling, of an affective mode of access to the world. This notion constitutes the structuring principle of Hegel’s taxonomy of the forms of romantic painting, each of which “is defined by the class of objects to which it grants the viewer intimacy”.26 Dutch painting belongs to the third kind of romantic painting, the first one being religious painting, and the second landscape. While, according to Hegel, religious painting makes it possible to establish a felt relation “with the central figures of Christian ethical life”, and landscape “expands the realm of intimacy” to what is “plainly external”, therefore allowing us to “posses in nature a spiritual depth of our own”, genre painting attempts to endow “a trivial content with significant human feeling” instead.27 For Hegel, it is a principle of the modern man, of the “free subjective individual”, that he proves himself “in his own eyes to be concrete and living” only by his “involvement with concrete reality”28. Dutch painters show this attitude since they take “delight […] in what is there”29, and in this way what they allow is intimacy with the finitude of human beings. However, in the interpretation of Dutch genre painting, Hegel must face an intriguing problem. The objects of this kind of painting are often trivial and insignificant, they belong to what he calls “the prose of the world”,30 where people are frequently means to others and depend upon external forces and purposes. As Rutter observes, “it is artistically impossible to invest such subjects with the thoroughgoing harmony of content and form” required by Hegel’s strict definition of beauty.31 The finitude of everyday life is not suited to the ideal. In a sense, Dutch painters renounce beauty by making the prose of life the content of their works. They depict liveliness, soulfulness; the challenge they take up is to present “the life and joy of independent existence in general which persists amid the greatest variety of individual aims and interests”32. Dutch artists succeeded in creating this appearance of liveliness because they were able to imbue scenes of daily life with a sense of necessity, of a “living fit between the feeling and the scene”.33 For Hegel, in these paintings “something ephemeral is held fast and made stationary. […] This is – he further comments –
26 Rutter 2010: 74–75. 27 Ivi, 75–76. Rutter here is referring to Hegel 1975: 814–837. On Hegel on painting cf. also Houlgate 2000: 61–82. 28 Hegel 1975: 803. 29 Ivi, 573. 30 Ivi, 150. 31 Rutter 2010: 90 and Hegel 1975: 149. On Hegel’s conception of beauty cf. ivi, 85–90. 32 Hegel 1975: 833. 33 Rutter 2010: 93–94.
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the triumph of art over transience”34. It is interesting that, according to Hegel’s interpretation, Dutch artists could achieve such an effect, because they chose as the subject of their art the intimacy with the immediate present that results from one’s engagement in daily tasks.35 Very often in Dutch paintings the subjects seem to exist for the particular task they are carrying out, as if they were devoted to it, as if they had put their whole selves into it. It is not without reason that, in regard to this, Rutter recalls Fried’s notion of “absorption”. According to Hegel, it is this intertwining of the individuals and the tasks they are performing that produces the harmony in which lies the attraction of Dutch painting. Rutter notices that the painter can overcome our resistance to recognize ourselves in the trivial scenes genre painting so often presented to us, by shifting our attention “from the particularity of the scene at hand, to its quality of absorption, of commitment to the form of life at hand”. And the painter can succeed in doing this not only because the depicted subjects are themselves absorbed in their actions, but also “by absorbing himself in their lives”.36 The notion of the artist’s concentration and commitment to “the world and its daily life” is crucial. The painter’s attentiveness and interest in the scene in question suggest the scene may deserve the beholder’s attention. Rutter, quoting Hotho’s Hegel, states: the painter is thus able to “make significant even what is in itself without significance”.37 It is the artist’s own activity that confers value to works that cannot be – in Hegel’s sense – beautiful, since they depict the prosaic content of daily life. More radically, it is the artist’s activity that can make sig-
34 Quoted in Rutter 2010: 93 from Hegel 1998: Ms. 186. 35 Cf. Rutter 2010: 94. 36 Ivi, 97. Rutter quotes the passage in Hegel’s Aesthetics where we read that “the final achievement of German and Flamish art is its utterly living absorption in the world and its daily life” (Hegel 1975: 884). Hegel speaks of “the subjective vivacity with which the artist, with his own spirit and heart, breathes life entirely into the existence of such [prosaic] topics […] and presents them to our vision in this animation” (ivi, 596). By qualifying as “subjective” the liveliness of the scene, Hegel makes it clear that such liveliness is conferred by the artist. As we also read in Aesthetics, “[…] something new is […] added to these commonplace subjects, namely the love, the mind and spirit, the soul, with which the artist seizes on them, makes them his own, and so breathes his own inspiration of production as a new life into what he creates” (ivi, 837). Incidentally, it is worth noticing that in this way Hegel somehow offers an indirect account of how the absorption of ordinary people in their common tasks is not simply imitated, but presented in its liveliness by Dutch painting. 37 Ivi, 98 (Hegel 1975: 596). This is not to ignore that daily life can be banal – not to say desperate and nonsensical, as many paintings show us. While acknowledging that the content of genre painting has an empirical justification in Dutch history, Hegel wants to clarify the role of the painter’s talent in the redemption of the everyday. See also Todorov 2000: 88–89.
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nificant what is in itself insignificant. By painting individuals doing the most mundane tasks with meticulousness, commitment and intensity, the artist “forces us to see the painted subjects as absorbed”, as if their individuality existed precisely for the particular tasks in which they are engaged.38 This idea that what matters is the artist’s “way of seeing, his manner of treatment and elaboration, his living absorption”39 in the execution of the work, is strikingly similar to Wittgenstein’s conception of the artistic way of looking at things and to his idea that art can force us to assume a certain perspective. As in (Hegel’s interpretation of) Dutch painting also for Wittgenstein it is the artist’s way of seeing which makes the trivial significant. However, for both philosophers, by achieving this transformation, the artist does not create something new; rather, s/he discovers significance, s/he suggests the perspective from which significance is revealed to our eyes. In this way, the artist makes life itself available for aesthetic contemplation. In Wall’s words, the artist “carries into the realm of the pleasurable” the meaning accumulated in the everyday.
5 Art and Life Let me sum up briefly. In KB #52, with the theatre thought experiment – with curtains opening on a scene where an individual performs an utterly ordinary activity – Wittgenstein seeks to evoke a particular way of looking at things that allows one to take delight not in the fact that things are a certain way rather than another, but instead, in the simple fact that there are things. This way of seeing things allows to take delight in there being what there is, because it allows us to see it as a miracle. Wittgenstein thinks art exemplifies this way of seeing. I have suggested that XVII century Dutch painting – and, following Michael Fried, Jeff Wall’s photographs – may approximate Wittgenstein’s conception of the artistic
38 Ivi, 100. In their works of art, Dutch painters link “supreme freedom of artistic composition, fine feeling for incidentals, and perfect carefulness in execution, with freedom and fidelity of treatment, love for what is evidently momentary and trifling, the freshness of open vision, and the undivided concentration of the whole soul on the tiniest and most limited things. […] And when it proceeds from the insignificant and the accidental to peasant life […], these scenes appear so completely penetrated by a naïve cheerfulness and jollity that the real subject-matter is […] this cheerfulness and naïveté […]: it is the Sunday of life which equalizes everything and removes all evil” (Hegel 1975: 886–887). According to Hegel, by depicting the everyday what Dutch paintings present us with is how the modern individual comes to feelingly identify with daily life, or to feel reconciled with the instrumentality and banality of daily life. 39 Hegel 1975:836.
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way of looking. The relevance of the attitude Wittgenstein thematizes is ethical and aesthetic. That a fragment of daily life, of something we take part in, appears to us uncanny when it is seen from a detached perspective and that, at the same time, it looks – as it happens with many XVII Dutch paintings – more wonderful than anything a playwright may want to be acted or spoken on a stage, tells us an important thing about the source of meaning and value. Wittgenstein points out that the everyday, is both a basic and a rich artistic and ethical category: it is the place were beauty and value accumulate, although we can only enjoy them when looking from the right perspective, i. e. by means of adopting the artistic way of looking at things. It is because Wittgenstein considers art as a way of looking at things that confers meaning and value to them, that he connects it to ethics. In the Tagebücher he writes: Ist das Wesen der künstlerischen Betrachtungsweise, daß sie die Welt mit glücklichem Auge betrachtet?
To this question Wittgenstein answers with a quote from Schiller: Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst. (TB 20.10.16)
The quote comes from the Prologue of Wallenstein, a drama set in the middle of the havoc, the robberies, the miseries of the Thirty Years’ War. It reminds us that the serenity of art is not to be found in what it presents, but that rather it resides “in how it is presented”.40 It is possible that by means of quoting Schiller, Wittgenstein may want to tell us something about the nature of the connection between art and ethics, namely that what is essential for art, that is, the perspective on things, is also essential for ethics, for the “enquiry into what is valuable, […] or into the meaning of life” (LE, 5). It seems that for Wittgenstein, value resides “in an attitude or style, in one’s acceptance of all the facts”,41 that there is a view, a way of feeling the world that amounts to an understanding of its sense. Of course, this is a disputable idea; above all, there remains the crucial question of what is the relationship between the serenity of art, or the experience of art, and the seriousness of life, the “prosaic” structure that life has outside the artistic domain. Wittgenstein says that the artistic way of looking at things consists in looking at them with a happy eye, but he also maintains that the world of the happy is quite another world than that of the unhappy (cf. TLP 6.43), suggest-
40 Wilde 2004: 173. 41 Murdoch 1993: 28. Cf. also Majetschak 2000: 121–123.
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ing that that relationship between the two worlds is one of mutual exclusion and incomprehensibility. How, then, can the experience of art be related to the rest of our experience? As the distinction between art and everyday life cannot collapse, it is not easy to understand how these existential domains can be co-ordinated or can belong to the same totality.42 According to Wittgenstein, art can offer us moments of grace in which the beauty and significance of the world, that is, of life, is revealed. However, more than of a form of integration he seems to be thinking of a sort of gestaltic change, by which the world changes its form, it becomes a happy world, although the facts are the same. This attitude – the attitude that, in Wittgenstein’s conception, art exemplifies – is one with seeing the world, that is, life, with wonder, like a miracle and not like a mere accident. As a response to the world, wonder is a sort of affective grasping of the non accidentality of the being of what there is, a way of feeling this non accidentality. Therefore, it is a way of experiencing value and sense. A similar thought appears in other texts from the same period from which it results that for Wittgenstein, wonder does not arise from the perception of a problem, and therefore it is not something that an explanation can eradicate (cf. WWK, 68). We do not wonder because there is something we cannot explain, but we wonder because we look at something in a certain way.43 However, suffering from a sort of “blindness to wonder” or “blindness to miracle”, many of us are inclined to think that a miracle is simply a fact that science has not yet explained. Wittgenstein argues that “the scientific way of looking at a fact is not the way to
42 Cf. Gardner 2002: 295–296. This problem was clear to Hegel. By depicting the everyday, Dutch painting suggests a feelingly identification with daily life. However, what follows the “Sunday of life” are working days with their instrumental character and banality, and for Hegel romantic art is not able to integrate these two antagonistic domains of existence. 43 Incidentally, it is interesting to observe that this idea also seems to operate in Wittgenstein’s criticism to Frazer’s work on primitive rituals – a criticism that occupies many among the remarks collected in the Kringel-Buch. As already observed, Wittgenstein’s criticism is not merely methodological. When discussing Frazer’s explanation of primitive rituals, Wittgenstein sometimes suggests that any phenomenon can look mysterious and significant, and not because of our ignorance of its cause (cf. KB #134–135). He rejects the explanation of primitive amazement as a result of ignorance, calling it the “dummen Aberglaube unserer Zeit”, and he seems to assume that looking at something from a perspective that confers meaning to it is a distinctive feature of humanity. According to him, primitive rituals are based on an instinct, which is pervasive of human behaviour, a disposition to react in a certain way towards “significant phenomena”. This persuasion is the reason why Wittgenstein thinks that Frazer misunderstands the nature of the phenomena he seeks to explain and wrongly assimilates the understanding of rituals to the solution of a scientific problem.
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look at it as a miracle” (LE, 10-11). Sure, facts are not miraculous as such, since they are not particularly significant as such. However, as Ronald Hall points out, “blindness to wonder” is a form of “blindness to reality”.44 It is a blindness to that aspect of reality – call it significance or value – that art, by compelling us to the right perspective, makes us able to see. This is also the idea that lies at the heart of KB #52. We can summarize it by saying that the everyday can be surprising and wonderful only if seen under the right perspective.45
6 Bibliography Bouveresse, Jacques (2007): “Wittgenstein’s Critique of Frazer”. In: Ratio, 20, p. 357–376. De Lara, Philippe (2003): “Wittgenstein as Anthropologist: The Concept of Ritual Instinct”. In: Philosophical Investigation, 26, p. 109–124. Freud, Sigmund: “Das Unheimliche”. In: Freud, Sigmund (2005): Gesammelte Werke, Vol. XII, London: Imago Publishing, p. 229–268. Fried, Michael (2008): Why Photography Matters as Art as Never Before, New Haven and London: Yale University Press. Gardner, Sebastian (2002): “The Romantic-Metaphysical Theory of Art”. In: European Journal of Philosophy, 10, p. 275–301. Hall, Ronald L. (2010): “It’s a Wonderful Life: Reflections on Wittgenstein’s Last Words”. In: Philosophical Investigation, 33, p. 285–302. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1975): Aesthetics. Lectures on Fine Art, trans. by T. M. Knox, Oxford: Clarendon Press. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1978): Vorlesungen über die Philosophie der Kunst: Berlin 1823, hrsg. von A. Gethmann-Siefert, Hamburg. Houlgate, Stephen: “Presidential Address: Hegel and the Art of Painting”. In: William Maker (ed.) (2000): Hegel and Aesthetics, Albany: State University of New York Press, p. 61–82. Johannessen, Kjell S.: “Wittgenstein and the Aesthetic Domain”. In: Peter B. Lewis (ed.) (2004): Wittgenstein, Aesthetics and Philosophy, Aldershot: Ashgate. King, John: “Recollections of Wittgenstein”. In: Rush Rhees (ed.) (1984): Recollections of Wittgenstein, Oxford: Oxford University Press. Landau, Iddo (2011): “The Meaning of Life sub specie aeternitatis”. In: Australasian Journal of Philosophy, 89, p. 727–734. Majetschak, Stefan (2000): Ludwig Wittgensteins Denkweg, Freiburg/Munich: Alber. Moore, George E. (1955): “Wittgenstein’s Lectures in 1930–33”. In: Mind, 64, p. 1–27. Morris, Michael (2008): Wittgenstein and the Tractatus, Routledge. London and New York. Mulhall, Stephen (2011): “A Critical Commentary”. In: British Journal of Aesthetics, 51, p. 95–98. Murdoch, Iris (1993): Metaphysics as a Guide to Morals. London: Penguin.
44 Hall 2010: 290. 45 I would like to thank Elisa Caldarola for translating the text and for critical comments and suggestions that greatly helped me to improve it.
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Rutter, Benjamin (2010): Hegel on the Modern Arts. Cambridge: Cambridge University Press. Schopenhauer, Arthur (1969): The World as Will and Representation. trans. by E. F. J. Payne, New York: Dover Publications. Todorov, Tzvetan (2000): Elogio del quotidiano. Saggio sulla pittura olandese del Seicento. trans. by R. de Mambro Santos, Rome: Apeiron. Wilde, Carolyn: “Ethics and Aesthetics are One”. In: Peter B. Lewis (ed.) (2004): Wittgenstein, Aesthetics and Philosophy, Aldershot: Ashgate, p. 165–184. Wittgenstein, Ludwig (1966): Lectures & Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief, ed. by Cyril Barrett, Oxfort: Blackwell. Wittgenstein, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, Munich 2010 [=KB].
Musik
Katrin Eggers
Musik bei Ludwig Wittgenstein: Polyphonie – Vexierbilder – sinnvolle Unregelmäßigkeit Im Kringel-Buch reflektiert Wittgenstein selbstkritisch: „Es ist eine große Versuchung den Geist explicit machen zu wollen.“ (MS 109,209/1; D: 7. 11. 1930; KB Nr. 68). Er vergleicht diese Versuchung dabei u. a. mit einem „schlechten musikalischen Satz“, bei dem eine einzelne Stimme, untersuche man sie für sich genommen, „unangenehm hervor[sticht]“: (Der Stil meiner Sätze hat – glaube ich – oft den Fehler eines schlechten musikalischen Satzes. Man glaubt diese Stimme klar zu hören, spielt man sie aber, so fällt sie heraus [so sticht sie unangenehm hervor] weil diese Töne anders untergebracht gehörten.) (MS 110,232/4; D: 29. 6. 1931; KB Nr. 148)
Wittgenstein zieht offenbar eine Parallele zwischen dem Stil seiner geschriebenen Sätze und den Regeln eines musikalischen Satzgefüges. Warum, in welcher Form und wie das Ernstnehmen einer solchen Parallele neue Perspektiven für eine Wittgensteinlektüre bieten kann, diesen Fragen will der vorliegende Beitrag im Folgenden nachgehen.
1 Polyphonie Ein musikalisches Satzgefüge bietet im Sinne Wittgensteins gegenüber einem geschriebenen oder gesprochenen Satz einen strukturellen Mehrwert: Obwohl Musik horizontal hörbar in der Zeit, in einem Nacheinander verläuft, ist sie zugleich vertikal organisiert – in einer polyphonen Partitur können nicht nur mehrere Stimmen gleichzeitig erklingen, sondern auch verschiedene Themen und Motive neue oder alte Verbindungen miteinander eingehen sowie durch Kontrastierung und Engführung Gleichzeitigkeit behaupten. Zum Beispiel wird dies sichtbar an einem von Wittgenstein bevorzugten Beispiel, dem dritten Satz der Dritten Sinfonie d-Moll von Anton Bruckner: Nach der Introduktion erklingt das tanzartige Wechselnotenmotiv gemeinsam mit den aufsteigenden Dreiklängen einer gezupften, ländlerartigen Begleitfigur. Ein wenig später im Satz wird beides zur Hintergrundstruktur des dritten Themenkomplexes in den Geigen, verwoben mit einem rhythmischen Motivverweis. Zusätzlich ist
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Katrin Eggers
aber nicht nur das erste Thema aus dem Kernmotiv der Sinfonie entwickelt (verweist also auf den ersten Satz zurück), sondern das zweite Thema bereitet bereits das Finale vor – die Musik kann über rhythmisch-thematisch-motivische Arbeit eine polyphone, mehrdimensionale Verweisstruktur erreichen, die über jene von geschriebenen Texten und die „Komposition“ von Büchern hinausgeht. Nun muss, auf Texte bezogen, Polyphonie, so oft sie auch bemüht wird, letztlich immer eine Metapher bleiben. Man könnte zudem einwenden, dass Collage, Montage oder Reihung auch gängige literarische Verfahren sind; aber in der Musik gibt es demgegenüber einen signifikanten Unterschied: In der musikalischen Textur ist es möglich, thematische „Vexierbilder“ zu schaffen und so mehrere Motive tatsächlich gleichzeitig zu verweben. Jedoch kann auch ein geschultes Ohr dabei nur bedingt alle Stimmen, die – offen oder verdeckt – gleichzeitig vorhanden sind, auch gleichzeitig wahrnehmen.
2 (Musikalische) Vexierbilder In den Philosophischen Untersuchungen ist ein schwarz-weißes Vexierbild zu sehen, welches Wittgenstein als „Doppelkreuz“ bezeichnet. Man könne es „als weißes Kreuz auf schwarzem Grund und als schwarzes Kreuz auf weißem Grund“ (PU 1972 (II, xi): 331) sehen, beides gleichzeitig wahrzunehmen ist dagegen nicht wirklich möglich. Man kann das schwarze bzw. das weiße Kreuz jeweils als Figur sehen, aber auch als Grundfläche, auf der sich das andersfarbige Kreuz überhaupt erst ausbreiten kann. Wittgenstein nutzt diese graphische Darstellung unter anderem zur Erläuterung seiner Überlegungen zum „Aspektsehen“, denn das Vexierbild fordere dazu auf, ein und dasselbe Material verschieden zu sehen „und bilde[t] einen Versuch, eine Art von ‚Technik‘ des Blickwechsels von einer Figur zu einer anderen Figur und von der Figur auf den Grund zu entwickeln.“ (Hiltmann 1998: 15). Ein Grund mehr für Wittgenstein, sich auch für strukturelle Momente von Musik zu interessieren: Eine polyphone Musik kann diese gleichzeitig-ungleichzeitige Perspektive nämlich nicht nur buchstäblich kreuz und quer durch die Partitur leisten, sondern gelegentlich sogar innerhalb eines einzigen Tons, wie er (auch im Kringel-Buch) festhält: [...] Das Empfinden eines Ausdrucks als Abkürzung (Veränderung) dieses, nicht jenes Ausdrucks, ist ganz analog dem Sehen von
als eine Variante von
nicht von
Der Unterschied von eis und f in der Musik. (MS 110.260/1; D: 2. 7. 1931; KB Nr. 163)
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Bei einer funktionalen enharmonischen Verwechslung (im Gegensatz zu einer, die lediglich der leichteren Lesbarkeit geschuldet ist) bildet ein Klang eine Schnittstelle zwischen zwei tonal oft weit voneinander entfernten kadenzierenden Abschnitten, in denen er zwei sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen kann, die man entweder auf das Zurückliegende oder auf das Kommende, aber nicht auf beides gleichzeitig hin hören kann. Ein Zeitgenosse Wittgensteins, der Musikwissenschaftler Ernst Kurth beschrieb Enharmonik als eine „eigentümliche Fähigkeit des musikalischen Hörens […] in ein und dasselbe Klanggebilde verschiedenartige Energiezustände [] projizieren“ zu können. (Kurth [1923] 1968: 69). Aufgrund dieser Eigentümlichkeit des Hörens müssen wir uns analog zum Betrachten der Vordergrund-Hintergrund-Struktur des „Doppelkreuzes“ für jeweils ein „Hören als“ entscheiden: Da fällt mir ein, daß in Gesprächen über ästhetische Gegenstände die Worte gebraucht werden: ,Du mußt es so sehen, so ist es gemeint‘; ,Wenn du es so siehst, siehst du, wo der Fehler liegt‘; ,Du mußt diese Takte als Einleitung hören‘; ,Du mußt nach dieser Tonart hinhören‘; ,Du mußt es so phrasieren‘ (und das kann sich auf‘s Hören wie auf‘s Spielen beziehen). (PU 1972 (II, xi): 323)
3 Sinnvolle Unregelmäßigkeit Für Wittgenstein findet sich diese Vordergrund-Hintergrund-Struktur jedoch nicht nur innerhalb der thematischen oder harmonischen Struktur der Musik, sondern macht sie als Kunstform geradezu aus, wie u. a. eine Kringelbemerkung betont: Die Musik scheint manchem eine primitive Kunst zu sein mit ihren wenigen Tönen & Rhythmen. Aber einfach ist nur ihre Oberfläche [ihr Vordergrund] während der Körper der die Deutung dieses manifesten Inhalts ermöglicht die ganze unendliche Komplexität besitzt die wir in dem Äußeren der anderen Künste angedeutet finden & die die Musik verschweigt. Sie ist in gewissem Sinne die raffinierteste aller Künste. (MS 110,12/3; D: 12. 1. 1931; KB Nr. 81).
Diese Bemerkung führt auf die Spuren einer romantischen Musikphilosophie (von der sich Wittgenstein andernorts jedoch auch deutlich absetzt (vgl. Eggers 2011: 203ff.)), vor allem auf die Spur Schopenhauers. In den Vermischten Bemerkungen heißt es: Erscheinungen mit sprachähnlichem Charakter in der Musik [...]. Die sinnvolle Unregelmäßigkeit [...]. Die Rezitative der Bässe im vierten Satz der neunten Symphonie von Beethoven. (Vergleiche auch Schopenhauers Bemerkung über die allgemeine Musik zu einem besonderen Text.) (MS 121,26v; D: 25. 5. 1938; VB 1970: 497 f.)
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Zunächst geht es Wittgenstein auch hier um musikalische Verweisstrukturen in Vorder- und Hintergrund: Bekanntlich erklingen im 4. Satz der 9. Sinfonie Beethovens alle Themenköpfe der vorangegangenen Sätze erneut an und werden zu einem neuen Ganzen verwoben. Wittgensteins Verweis auf Schopenhauer folgt dieser Beobachtung: An der angegebenen Stelle bei Schopenhauer findet sich die Bemerkung, dass die Musik einer Oper zum Text und zur Handlung „im Verhältniß des Allgemeinen zum Einzelnen, der Regel zum Beispiele steht.“ (Schopenhauer 1988: § 39, 522) Direkt daran anschließend beschreibt Schopenhauer die „Beethoven‘sche Symphonie“ als „die größte Verwirrung, welcher doch die vollkommenste Ordnung zum Grunde liegt“ (Schopenhauer 1988: § 39, 522), folglich als das in Wittgensteins Bemerkung als „sinnvolle Unregelmäßigkeit“ bezeichnete Phänomen. Nimmt man beide Zitate zusammen, hat Musik also eine auf den ersten Blick „primitive“ Oberfläche, auf welcher die „größte Verwirrung“ herrscht, bei genauerem Hinsehen entpuppt sich jedoch ihr „Körper“ als „unendlich komplex“, indem ihm in „raffiniertester“ Weise die „vollkommenste Ordnung zum Grunde liegt.“ Wenn Wittgenstein nun, wie im Ausgangszitat dieses Textes bedauert: „Der Stil meiner Sätze hat – glaube ich – oft den Fehler eines schlechten musikalischen Satzes“ (MS 110,232/4; D: 29. 6. 1931; KB Nr. 148) stellt sich die Frage, wie man eine so begriffene musikalische Grundstruktur in das eigene Schreiben integrieren kann – wohin führt Wittgenstein sein offenbarer Wunsch nach „gutem musikalischen Stil“?
4 Musikalischer Stil Michael Nedo kam während einer Rede zur Präsentation der ersten 17 Bände der „Wiener Ausgabe“ der Wittgenstein’schen Schriften zu dem Schluss: [Wittgenstein] wrote completely differently from the academic, more like a fugue with repetitions of themes reappearing in changing circumstances. [For Wittgenstein] this is how you understood something, by looking at it again and again, first this way, then that, as you do a musical theme. Philosophers translating him could not understand that, and had to use their own language, which is why he has become unreadable. His heirs made the mistake of striking out the repetitions so the changing nature of his writing was lost. (Tait 2003, o. S.)
Wenn es um Kunst, insbesondere um Musik geht, spricht Wittgenstein allen verfestigten Systemen und Methoden Erkenntnisgewinn letztlich grundsätzlich ab. Entsprechend seiner Überzeugung, nur ein Zeigen könne ein anderes Zeigen erhellen, versuchte er in gewissem Sinne selbst ein zeigendes Gebilde zu schaf-
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fen, eine Art Sprachkomposition mit musikalischen Mitteln. Von solchen Beobachtungen ausgehend muss dem bekannten Paragraphen 43 der Philosophischen Untersuchungen, dass die Bedeutung eines Wortes in vielen Fällen „sein Gebrauch in der Sprache“ sei, eine weitere Deutungsebene hinzugefügt werden: Wenn „Worte [...] auch Taten“ (PU 1972: § 546) sind, ist das nicht nur ein Hinweis auf die performative Dimension der Sprache allgemein, sondern auch auf Wittgensteins eigenen Argumentationsgestus als einer bestimmten Form sprachlichen Handelns: „Der argumentative Gestus eines auszulegenden Gegenstandes und sein Verhältnis zu ‚thematischen‘ Aussagen können Spuren bilden, denen zur Annäherung an instrumentale Schichten dieses Gegenstandes gefolgt werden kann. Es kann fruchtbar sein, eine ‚thematische‘ Aussage [...] als Beschreibung des Denkgestus zu lesen – d. h. den Inhalt gleichsam auf die Form zurückzuwenden“ (Hiltmann 1998: 20).1 Indem dieser Gestus auf musikalische Prinzipien zurückgeführt und seine „Rückwendung“ nachvollzogen wird, werde ich versuchen, was oben von Nedo als musikalische Schreibweise nur angedeutet wird, im Folgenden zu verdeutlichen. Für Wittgenstein dienen die Musikbeispiele der Erhellung bestimmter Aspekte und gleichzeitig dem Aufzeigen eines bestimmten musikalischen Gestus und seiner Rückbeziehung auf die Denkgestalt. Denn Wittgenstein spricht tatsächlich – und das ist meist übersehen worden – über Formprinzipien musikalischer Komposition, und zwar vornehmlich bei Brahms, Bruckner, Schubert und Beethoven. Dabei kann man zwei Grundprinzipien musikalischer Formbildung herausfiltern, die ihn besonders zu interessieren scheinen: Auf der einen Seite Variation und Wiederholung, auf der anderen Seite Kontrast, oder genauer, das blockartige Gegeneinanderstellen von Klangfeldern. Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass diese beiden Prinzipien sich, zwar wohl nicht für eine explizite philologische Analyse, doch aber für eine Wittgensteinlektüre fruchtbar machen lassen. Diese Lesart kann „Aspekte“ seiner Schreibweise erhellen, die er selbst nahelegt, ohne seine „Methode“ eigens zu erläutern.
1 Hiltmann bezieht sich allerdings nicht auf musikalische Vorbilder.
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5 Variation und Wiederholung Auf der Manuskriptseite MS 154,21v (VB 1970: 479) (siehe Abb. 1) ist die einzig erhaltene „Komposition“ Wittgensteins zu sehen. Er schreibt darunter: Das wäre das Ende eines Themas, das ich nicht weiß. Es fiel mir heute ein, als ich über meine Arbeit in der Philosophie nachdachte und mir vorsagte: „I destroy, I destroy, I destroy – .
Abb. 1: MS 154,21v
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Es handelt sich hierbei um eine musikalisch nicht besonders bemerkenswerte Skizze, zudem ist die Notation eher ungelenk und deutet auf wahrscheinlich wenig, oder lang zurückliegende Übung hin. (So sind u. a. Notenhälse falsch gesetzt, die rhythmische Notation ausschließlich in Triolen wirkt etwas ungeschickt, ein vorgegebener ternärer Takt hätte dies erspart.) Trotzdem fallen einige Dinge sofort ins Auge: Es gibt einen musikalischen Gedanken der beim zweiten Auftauchen variiert wird (eine Art „Thema mit Variation“), das zweite Thema – wenn man es so bezeichnen will – soll viermal wiederholt werden und dann folgt das allbekannte Wittgenstein’sche „etc.“, welches den Leser in diesem Falle genauso alleine stehen lässt, wie in vielen seiner schriftlichen Bemerkungen: Soll hier die Wiederholung weitergeführt werden oder die Form der Variation? Besonders auffällig erscheint jedoch, dass Wittgenstein „als ich über meine Arbeit in der Philosophie nachdachte“ (s. o.) gerade zwei grundlegende Prinzipien der Schreibweise seiner Philosophie kompositorisch nachzeichnet: Variation und Wiederholung. Nicht zufällig ist Johannes Brahms, der immer wieder als „Meister der Variationenkunst“ (Schmidt 1998: 91) bezeichnet wurde, einer der häufigen Beispielgeber Wittgensteins. Zahlreiche der Kompositionen Brahms‘ sind als Variationen gearbeitet und selbst innerhalb größerer Formen fügt Brahms nicht selten Variationssätze ein, Schönberg prägte für seine Kompositionsweise den Begriff der „entwickelnden Variation“. Wittgenstein kannte und schätzte mehrere Variationswerke von Brahms. Ein Werk, welches in seinen Schriften mehrfach genannt wird, sind die Variationen über ein Thema von Haydn, B-Dur, op. 56a, welche er der Schwester Margarethe gegenüber lobte, als „in the highest & cleanest cell“ (McGuinness 1996: 179): Ich höre Variationen über ein Thema und sage: ,Ich sehe nicht, [inwiefern] das eine Variation des Themas ist, aber ich merke eine gewisse Ähnlichkeit (Analogie).‘ Bei gewissen charakteristischen Punkten der Variation ,wußte ich, wo ich im Thema bin‘; und diese Erfahrung konnte darin bestehen, daß mir blitzartig die betreffende Stelle des Themas einfiel, oder es schwebte mir ein Notenbild vor, oder ich machte die gleiche Geste, wie an jener Stelle, etc. (MS 115,235; nach August 1936)
Wittgenstein wählt ausdrücklich Wiederholung und variative Abwandlungen als „Mittel der Erforschung von Zusammenhängen“ (Nedo/Ranchetti 1983: 393) wie er in seinen Vorlesungen mehrfach betont haben soll und was in seinen Schriften leicht zu beobachten ist: Ein Aphorismus kehrt häufig in den verschiedenen Schriften in identischer oder leicht abgewandelter Form wieder, taucht über Jahre hinweg nicht auf und ist dann plötzlich, innerhalb eines ganz anderen Gedankenganges wieder da, und dann „wusste man, wo man im Thema ist“ (s. o.) – wie bei einem Variationssatz.
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Die Entwicklung einer Variation aus thematischem Material beschäftigt Wittgenstein in vielerlei Hinsicht. Wie und woraus entwickeln sich in der Musik die bei Nedo für Wittgenstein konstatierten „repetitions of themes [...] in changing circumstances“ (Nedo/Ranchetti 1983: 393)? Die ,Notwendigkeit‘, mit der der zweite Gedanke auf den ersten folgt. (Figaro Ouvertüre.) Nichts dümmer, als zu sagen, es sei ,angenehm‘ den einen nach dem andern zu hören. – Aber das Paradigma, wonach das alles richtig ist, ist freilich dunkel. ,Es ist die natürliche Entwicklung.‘ Man macht eine Handbewegung, möchte sagen: ,natürlich!‘ – Man könnte den Übergang auch einem Übergang, dem Eintritt einer neuen Figur in einer Geschichte, z. B., oder einem Gedichte, vergleichen. So paßt dies Stück in die Welt unsrer Gedanken und Gefühle hinein.“ (VB 1970: 531)2
Zwar scheint Wittgenstein von Entwicklung zu sprechen, bei genauem Hinsehen liegt der Fokus aber gerade nicht auf der „natürlichen Entwicklung“, der entsprechende Satz steht in Anführungszeichen, kennzeichnet also einen Satz, über den Wittgenstein nachdenkt, ohne zwangsläufig seine Aussagen zu teilen. Der Schwerpunkt dieser Aussage zur Musik liegt auf ihrer Verwebung in Kontexte, in unsere „Lebensform“. Ein Thema, eine bestimmte Musik ist nicht überzeitlich naturgegeben oder entwickelt sich organisch zwangsläufig, sondern ist nur im Kontext anderer kultureller Äußerungen des Menschen zu verstehen. Sätze, die dies unterstreichen, finden sich bei Wittgenstein häufig, auch im Kringel-Buch: Mancher> Man versteht gewisse Musikstücke indem er sich ein Ballett zu ihnen ausdenkt . (MS 145,16v/1; D: 1933; KB Nr. 94)
Wittgenstein zielt nicht auf musikologische Erkenntnisse ab (hier soll nichts Substantielles über die Figaro-Ouvertüre gesagt sein), sondern es ist die Schärfung des eigenen Stils an einer thematischen Arbeit, wie sie nur in der Musik zu finden ist und nicht im philosophischen Diskurs. Bei der Bemerkung zur Entwicklung des Themas stand offensichtlich das Ausleuchten der thematischen Möglichkeiten im Vordergrund, deren „Lösung“ man im Moment des Erklingens nicht anzweifelt, sondern „plötzlich“ wieder weiß, wo man ist: ‚Brahms hat alles herausgebracht, was in dem Thema liegt.‘ Aber wäre es in dem Thema gewesen, wenn er‘s nicht herausgebracht hätte? – D. h.: wenn das Ganze da ist, so ist es als habe die Entwicklung in dem Thema gelegen. ,Es liegt schon irgendwie in dem Thema, er holt es nur heraus.‘ – Wir sind geneigt zu sagen: ‚diese Entwicklung liegt bereits in dem
2 Man darf hier anmerken, dass Wittgensteins Vergleich, die Übergänge glichen dem „Eintreten einer neuen Figur in einer Geschichte“, bei einer Opernouvertüre nicht sonderlich tiefgreifend ist. Von solchen, etwas „bildungsbürgerlichen“ Bemerkungen lassen sich bei Wittgenstein mehrere finden, man muss daher unterscheiden zwischen Wittgenstein als Musikhörer, der private Gedanken notiert, und Wittgenstein als philosophischem Denker (über Musik) (vgl. Eggers 2011: 173 ff.).
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Thema.‘ [...] Wir hätten auch sagen können. Dies ist die natürliche Entwicklung des Themas. – Und inwiefern ist sie natürlich? Um dies zu beantworten, dazu genügt es nicht daß wir das Thema genau anschauen, sondern (vor allem) die Entwicklungen anderer musikalischer Themen. (MS 121,6v; D: 10. 5. 1938)
6 Kontraste und Brüche Es geht also tatsächlich weniger um die Entwicklung von Gedanken, die Wittgenstein verfolgt, als vielmehr ein kreisendes Argumentieren im Sinne der „Erforschung von Zusammenhängen“ (s. o.) Diese These untermauert auch das zweite angesprochene Grundprinzip musikalischer Formbildung, das Wittgenstein favorisiert: Die Gegenüberstellung zweier oder mehrerer teils kontrastierender, teils (scheinbar) beziehungsloser Formteile oder Blöcke. Auch Wittgenstein „komponiert“ in seinen Notizbüchern und Typoskripten beständig und überwiegend „Brüche“ und zelebriert das abrupte Wechseln von Themen und Motivebenen. Als Beispiel dafür kann wieder die eingangs bereits erwähnte Begeisterung für den dritten Satz der 3. Sinfonie von Bruckner dienen. In diesem Satz stellt Bruckner vollkommen gegensätzliche thematische Felder mittels Generalpause nebeneinander, er reiht eher (zumindest an der von Wittgenstein beschriebenen Stelle), als dass er überhaupt den Gedanken einer Entwicklung aufkommen lässt: Liebe Mining! Danke für Deinen Brief. Ich will nur schreiben daß auch mir den großen Eindruck am Scherzo der III.ten nur das Scherzo gemacht hat und zwar besonders die ersten – sagen wir – 16 Takte des Themas nach den ich glaube 8 Takten Introduktion3: Diese Takte (des Themas) sind auch primitiv, aber grandios. – Ja, ganz gewiß zeigt sich diese selbe Primitivität auch in der Aneinanderreihung der Themen; auch an dem gänzlichen Mangel einer Überleitung vom ersten Gedanken zum zweiten in den ersten Sätzen (ähnlich wie bei Schubert und ganz entgegengesetzt der Brahms‘schen Weise.) (McGuinness 1996: 132f.)
Diesen „gänzlichen Mangel an einer Überleitung“ warf man Bruckner in der zeitgenössischen Presse heftig vor. Einer der schärfsten Kritiker war Eduard Hanslick, der offenbar zumindest einmal im Hause Wittgenstein zu Gast gewesen sein soll und den man kannte und las. Hanslick schrieb über die dritte Sinfonie: Es bleibt ein psychologisches Rätsel, wie dieser sanfteste und friedfertigste aller Menschen – zu den jüngsten gehört er ja auch nicht mehr – im Moment des Componierens zum Anarchisten wird, der unbarmherzig alles opfert, was Logik und Klarheit der Entwicklung, Einheit der Form und der Tonalität heißt. (Hanslick 1892: 307)
3 Tatsächlich sind es 16 Takte.
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Das Thema von dem Wittgenstein hier spricht ist fast ohne spezifische Thematik und hat etwas martialisch Beharrendes. Tatsächlich setzt der Mittelteil des Scherzos absolut unvermittelt konträr ein. Jedoch liegen hier bei näherer Betrachtung zugleich schärfster Kontrast und untergründige melodisch-rhythmisch-thematische Vermittlung nicht nur innerhalb des Satzes, sondern auch in Bezug auf das Ganze der Sinfonie vor – ganz im Sinne der Vordergrund-Hintergrund-Struktur des Vexierbildes und eben auch im Sinne des „sehen als“ oder in diesem Falle besser „hören als“ – wir sind gezwungen, es als etwas zu hören. Oder mit den Worten Wittgensteins: Ich könnte von einem Bild von Picasso sagen, ich sehe es nicht als Menschen. Das ist doch ähnlich dem: ich war lange nicht Imstande dies als Einheit zu hören, jetzt aber höre ich’s so. Früher schien es mir wie lauter kurze Stücke, die immer wieder abreißen, – jetzt hör ich’s als Organismus. (Bruckner). (MS 137,142a; D: 7. 1. 1949; LSPP 1989: 436)
Man könnte an dieser Stelle zudem eine philologische Parallele zwischen Wittgensteins und Bruckners kompositorischer Arbeit ziehen: Was ist eigentlich die dritte Sinfonie? Dem verehrten Meister Richard Wagner gewidmet enthielt sie Zitate aus dessen Werken, die Bruckner später wieder herausnahm. Zwischenzeitlich erschien aufgrund eines heute verschollenen Manuskripts – und damit einer heute verschollenen Fassung – ein Klavierauszug des jungen Gustav Mahlers. Bruckner schrieb 16 Jahre lang (zwischen 1873–1889) um, verkürzte die Sinfonie auf Wunsch von Dirigenten und Musikern, stellte aus Zwischenfassungen Stimmauszüge her, die auf wieder andere Strukturen schließen lassen, und korrigierte eigenmächtige Redaktionen des Herausgebers Joseph Schalk – wer hier was wann schrieb ist nicht in allen Fällen eindeutig nachzuvollziehen. Einige Manuskripte gingen verloren, tauchten zum Teil später wieder im Besitz der Wagner oder Mahler-Erben wieder auf, insgesamt sind vier vollständige und mindestens zwei partielle Partitur-Abschriften sowie zwei handschriftliche Stimmensätze bekannt. (Vergl. Röder 1996: 47–64, insbes. 48) Wittgenstein wird vermutlich die dritte Version gekannt haben von der ich hier auch ausgehe, die in seinem Geburtsjahr 1889 entstand und im Gegensatz zu dem Skandal bei der Uraufführung der zweiten Version 1877 ein Erfolg wurde. Und Wittgenstein kannte einige Manuskriptseiten anderer Werke von Bruckner, sie befanden sich in der enormen Musikaliensammlung der Familie. In Manuskripten wie diesen wird Buckners Arbeitsweise deutlich: Er strich durch, klebte oder heftete neue Blätter oder Zettel in die Partitur, überschrieb oder machte mehr oder weniger klare Anweisungen, wie alles zusammenzusetzen sei. Ähnliche Probleme stellen sich bekanntlich auch bei der Edition der „Werke“ Wittgensteins, nicht zuletzt Josef Rothhaupt bei der Herausgabe des KringelBuches, in dessen Vorwort er bemerkt:
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Für sehr große Portionen dieses Nachlasses konnte bisher keine Textgestalt gefunden werden, die Ludwig Wittgensteins Denken sowohl im Hinblick auf seine Entwicklung als auch im Hinblick auf seine inhaltlichen Ansprüche gerecht wird. [...] Mit dem KringelBuch, wie es im Wittgenstein-Nachlass vorhanden und überliefert ist, kann gezeigt werden, dass das Fixiertsein auf Typoskripte und Manuskripte, um ‚Werke‘ zu finden, eine Engführung darstellt. (Kringel-Buch Vorbemerkung S. 7)
So berückend und vielsagend diese Parallele in der „Kompositionsweise“ der beiden Wiener jedoch sein mag, so ist sie dennoch mehr oder weniger zufällig. Nicht zufällig sind dagegen die strukturellen Parallelen in der Konzeption und damit noch einmal zurück zu Wittgensteins Bemerkung über Bruckners dritte Sinfonie (s. o.): […] Ja, ganz gewiß zeigt sich diese selbe Primitivität auch in der Aneinanderreihung der Themen; auch an dem gänzlichen Mangel einer Überleitung vom ersten Gedanken zum zweiten in den ersten Sätzen (ähnlich wie bei Schubert und ganz entgegengesetzt der Brahms‘schen Weise.) (McGuinness 1996: 132 f.)
Wittgenstein setzt in dieser Bemerkung die feldartige Bruckner’sche Kompositionsweise gegen die entwickelnd-vermittelnde von Brahms4 und drückt damit seine Faszination für das neben Variation und Wiederholung zweite kompositorischen Prinzip aus: Den Kontrast blockartiger Klangfelder. In den Kompositionen Franz Schuberts, dem dritten Komponisten des Zitats nun findet Wittgenstein beide beschriebenen Elemente wieder: „ähnlich wie bei Schubert“ (s.o.) fasziniert ihn dessen eigentümlicher, spezifisch undramatischer Formverlauf. In den sinfonischen Kompositionen zeichnet sich nämlich auch Schubert gelegentlich durch eine Art Aneinanderreihung von blockartigen Feldern aus, die nicht im klassischen Sinne stringent motivisch-thematisch entwickelt werden, sondern oft in unveränderter Form wiederkehren, als die „Wiederkehr des Gleichen in der ausgebreiteten Vielfalt“, wie Adorno (2003: 26) es ausdrückt. Auch die moderne Schubert-Forschung bestätigt diesen Eindruck, dass unterschiedliche Komplexe und Motivfelder in eine große, als Fläche hörbare Einheit umschlagen können (vergl. u. a. Hinrichsen 1988: 47 ff.). Bei Schubert zeigt sich für Wittgenstein zusätzlich neben Wiederholungsstrukturen und großen Klangfeldern in der Sinfonik und Kammermusik insbesondere das „Aufleuchten eines neuen Aspektes“ mittels unerwarteter, harmonischer Modulation auf ganz unmittelbare Weise. Adorno bezeichnet diese Stellen passenderweise als „Umbelichtungen“.
4 Zu dem Verhältnis Wittgensteins zu Brahms siehe Eggers 2011: 176 ff.
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Georg Henrik von Wright beschreibt in einer biografischen Skizze die Querständigkeit des Stils seines Freundes und zieht erste Parallelen zu musikalischen Kompositionsprinzipien: An aspect of Wittgenstein‘s work which is certain to attract growing attention is its language. It would be surprising if he were not one day ranked among the classic writers of German prose. The literary merits of the Tractatus have not gone unnoticed. The language of the Philosophical Investigations is equally remarkable. The style is simple and perspicuous; the construction of sentences firm and free, the rhythm flows easily. The form is sometimes that of dialogue, which questions and replies; sometimes, as in the Tractatus, it condenses to aphorisms. There is a striking absence of all literary ornamentation, and of technical jargon or terminology. The union of measured moderation with richest imagination, the simultaneous impression of natural continuation and surprising turns, leads one to think of some other great productions of the genius of Vienna. (Schubert was Wittgenstein’s favourite composer.) (von Wright: 21).
Die von von Wright angesprochenen „surprising turns“ stellen ebenso ein wesentliches Merkmal der Schubert’schen Tonsprache dar und exemplifizieren das dialektische Verhältnis von Komplexität und Einfachheit, welches typisch für Schubert (und Wittgenstein) ist. Vor allem in Schuberts Liedern bildet eine Vereinfachung des äußeren Formverlaufs den Hintergrund, auf dem die harmonischen Überraschungen umso eindrücklicher „aufleuchten“ (Dittrich 1997: 155ff.). Oder mit den Worten Adornos: „Wie Blenden verstellen jene plötzlichen, entwicklungsfremden, niemals vermittelnden Modulationen das Oberlicht“ (Adorno 2003: 29). Wittgenstein bezeichnet diese „Blenden“ als „Pointen“, deren zeigender Charakter einen ständigen Lichtwechsel über dem Dargestellten herbeiführt: Von den Melodien Schuberts kann man sagen, sie seien voller Pointen, und das kann man von den Mozarts nicht sagen; Schubert ist barock. Man kann auf gewisse Stellen einer Schubertschen Melodie zeigen und sagen: siehst Du, das ist der Witz dieser Melodie, hier spitzt sich der Gedanke zu. (MS 131,2; D: 10. 8. 1946; VB 1970: 516f.)5
Wittgenstein wollte die wenigen Stücke, mit denen er sich offensichtlich wieder und wieder beschäftigte, so gut wie möglich kennen lernen, nicht so sehr aus dem Bedürfnis, etwas über Musikgeschichte zu lernen, sondern um etwas über sich selbst zu lernen. McGuinness beschreibt dieses Verhalten: Immer wieder kam er auf die gleiche Stelle oder das gleiche Gedicht zurück, wenn dieses ihm ,etwas sagte‘, wie er auch beim Hören einer Schallplatte die Nadel mehrmals an die gleiche Stelle und an einen musikalischen Übergang zurückführte, aus dem er alles herausholen wollte. (McGuinness 1988: 69).
5 Wittgensteins Verständnis von „barock“ scheint einem ganz persönlichen Eindruck zu folgen, und bei seiner Beschreibung der Pointen ist das harmonische Element sicher zu ergänzen.
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Diese Haltung beschreibt auch einen Grund, warum Schubert einen so hohen Stellenwert in Wittgensteins Kosmos einnimmt.6 In Wittgensteins Vorstellung zweifelte Schubert mit seinem bekannten Wunsch, gegen Ende seines Lebens noch einmal Unterricht im Kontrapunkt nehmen zu wollen, nicht etwa an seinem stilistischen Können, sondern er wollte vielmehr erneut suchend seine Stellung in den kompositorischen Traditionen hinterfragen – eine Haltung, die Wittgenstein auch für sich und seine Stellung zu den philosophischen Traditionen in Anspruch nahm: Der Kontrapunkt könnte für einen Komponisten ein außerordentlich schwieriges Problem darstellen; das Problem nämlich: in welches Verhältnis soll ich mit meinen Neigungen mich zum Kontrapunkt stellen? Er mochte ein konventionelles Verhältnis gefunden haben, aber wohl fühlen, daß es nicht das seine sei. Daß die Bedeutung nicht klar sei, welche der Kontrapunkt für ihn haben solle. (Ich dachte dabei an Schubert; daran, daß er am Ende seines Lebens noch Unterricht im Kontrapunkt zu nehmen wünschte. Ich meine, sein Ziel sei vielleicht nicht gewesen, einfach mehr Kontrapunkt zu lernen, als vielmehr sein Verhältnis zum Kontrapunkt zu finden.) (MS 163,25r; D: 4. 7. 1941; VB 1970: 506 f.)
Das kompositorische Verfahren, hier der Kontrapunkt, bei Wittgenstein Variation und Kontrast, sollte in diesem Sinne immer die Möglichkeit in sich bergen, dem Hörer die Aufgabe der Positionierung zu überlassen, die Anforderung, sich der Musik selbst gegenüber einzuordnen und weniger durch die technische Kraft des Komponisten in die aufgefächerten Welten möglicher Entwicklung mit fortgerissen zu werden. Schubert ließ für Wittgenstein diese Möglichkeit der eigenen Positionierung und des sich immer neu gegenüber der Musik Einfindens offenbar zu. Und so sind Schuberts „pointierte“ Gedanken, die sich oft nicht im klassischen Sinne entwickeln, sondern durch ihre ständige Wiederholung, ihr kreisendes Insistieren auf den immergleichen thematischen Feldern plötzlich einen Aspekt zum „Aufleuchten“ bringen, auch ein wesentliches Merkmal des Wittgenstein’schen Stilideals: Eines ist, in Gedanken säen, eines, in Gedanken ernten. Die beiden letzten Takte des »Tod und Mädchen« Themas, das ~; man kann zuerst verstehen, daß diese Figur konventionell, gewöhnlich, ist, bis man ihren tiefern Ausdruck versteht. D. h., bis man versteht, daß hier das Gewöhnliche sinnerfüllt ist. (MS 132,61; D: 25. 9. 1946; VB 1970: 523)
6 McGuinness stellt diese Beziehung bereits unmissverständlich her, er trifft allerdings, wie ich meine, nur einen Aspekt dieser Beziehung: „Schubert zog ihn noch aus einem anderen Grunde an, in dem Ethisches und Ästhetisches einander durchdringen: Gemeint ist der Gegensatz zwischen dem Elend von Schuberts Leben und der völligen Abwesenheit dieses Elements in seiner Musik, dem Fehlen jeglicher Bitterkeit.“ (McGuinness 1988: 205). Dieses Schubert-Bild war zu Wittgensteins Zeit ein bekannter Topos, ist aber seit längerem von der Wissenschaft relativiert.
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Wittgenstein verweist hier offenbar auf die Doppelschlagfigur, die in Schuberts Streichquartett Nr. 14 d-Moll D 810 nur einmal, an sehr markanter Stelle auftaucht, eben am Ende des „Tod und Mädchen“-Themas zu Beginn des zweiten Satzes. Das 1824 entstandene Quartett nimmt dabei das Thema aus dem gleichnamigen Lied von 1817 auf, die bezeichnete Stelle nimmt auch hier eine prominente Position ein, jedoch ohne das Doppelschlagzeichen. Dieses ist eine häufig anzutreffende Verzierungsfigur mit einer festgelegten Ausführungsstruktur. Nicht weniger konventionell ist auch das, was diese Verzierung gewissermaßen „tut“: Die Aufhellung des Mollkontextes des Themas mittels der alten Tradition der sogenannten „picardischen Terz“, welche – passend zum Inhalt des Themas – bereits in der Musik vor Schuberts Zeiten nicht selten bedeutungsleitende Funktion in theologischsakralem Sinne hatte (oft im Kontext von Auferstehung, Trost etc.). Was passiert an dieser Stelle? Der Satz beginnt in g-Moll, um sich, nach der Moll-Wiederholung ab Takt 13, den leitereigenen Dur-Tonarten B-Dur und Es-Dur zuzuwenden. In den letzten vier Takten wäre nun gewissermaßen „eigentlich“ die Rückmodulation nach g-Moll zu erwarten, überraschend sind jedoch die von Wittgenstein bezeichneten „beiden letzten Takte“ des Themas: Im vorletzten Takt steht ein G-Dur Quartsextakkord, dessen Terz h in der Bratsche bei der folgenden Auflösung in den Dominantseptakkord in der obersten Stimme erscheint und somit eine emphatische Übersteigerung des Septakkordes durch die Tredezime erreicht. Die erste Violine erreicht diese besondere Note über die genannte Doppelschlagfigur, somit kommt der von Wittgenstein genannten Figur in der Schlusskadenz die Aufgabe zu, die Durterz überdeutlich aufleuchten zu lassen. Als Tredezime über dem Dominantgrundton wird sie bereits strahlend hervorgehoben und damit die Verwandlung ins Dur vollzogen. Sowohl der Quartsextakkord als auch die Doppelschlagfigur mit der picardischen Terz sind zwar konventionelle kompositorische Mittel, machen aber gerade das dialektische Verhältnis von Einfachheit, die in Komplexität umschlägt, deutlich. „Das Gewöhnliche“ ist hier plötzlich „sinnerfüllt“, so Wittgenstein. Auch hier empfindet Adorno ähnlich und gibt eine mögliche Erklärung dessen, was Wittgenstein nur andeutet: Im letzten großen allegorischen Gedicht der deutschen Sprache, dem Bilde des Matthias Claudius vom Tod und vom Mädchen, erreicht der Wanderer den Schwerpunkt seiner Landschaft. Dort wird das Wesen Moll offenbar. Aber wie beim ertappten Kinde die Strafe der Tat, wie im niedrigsten Sprichwort die Hilfe der Not auf dem Fuße folgt, so folgt auf jenem Punkte Trost der Trauer auf dem Fuße. Die Rettung geschieht im kleinsten Schritt; in der Verwandlung der kleinen in die große Terz; so dicht rücken beide aneinander, daß die kleine Terz nach dem Erscheinen der großen als deren Schatten sich enthüllt. (Adorno 2003: 30 f.)
Was Adorno über das Lied sagt, gilt für das Streichquartett daher analog: G-Dur und G-Moll sind im Quintenzirkel weit voneinander entfernt, in der Komposition jedoch nur durch den „kleinsten Schritt“ der kleinen Terz in die große, welche
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durch die Verzierung der Doppelschlagfigur „aufleuchtet“. Lied und Streichquartett beinhalten auch den Aspekt der (variierten) Wiederholung: Das nun in der Wiederholung in Dur erscheinende Thema wird im Wittgenstein’schen Sinne auch durch die den Gestus des „Zweimal-sagens“ mit Veränderung im „kleinsten Schritt“ mit „Sinn“ erfüllt, und macht eine gewisse Vorbildfunktion dieser Kompositionsweise für das eigene Schreiben deutlich: Die Wiederholung ist notwendig.“ Inwiefern ist sie notwendig? Nun singe es, so wirst Du sehen, daß ihm erst die Wiederholung seine ungeheure Kraft gibt. (MS 132,60; D: 25. 9. 1946; VB 1970: 523)
Adorno schreibt – neben dem Bild des „Erwanderns einer Landschaft“ – mehrfach über die wachsende Kristallstruktur bei Schubert, seine „kristallinische Form“ (Adorno 2003: 27). Hier werden die Parallelen zwischen Wittgenstein und Schubert unmittelbar deutlich. In einer bekannten Tagebuchstelle schrieb Wittgenstein am 28. April 1930:7 Ich denke oft das Höchste was ich erreichen möchte wäre eine Melodie zu komponieren. Oder es wundert mich daß mir bei dem Verlangen danach nie eine eingefallen ist. Dann aber muß ich mir sagen daß es wohl unmöglich ist daß mir je eine einfallen wird, weil mir dazu eben etwas wesentliches oder das Wesentliche fehlt. Darum schwebt es mir ja als ein so hohes Ideal vor weil ich dann mein Leben quasi zusammenfassen könnte; und es krystalliert hinstellen könnte. Und wenn es auch nur ein kleines schäbiges Krystall wäre, aber doch eins. (MS 183,9; D: 28. 4. 1930)
In der Forschung wird dieses Zitat meist nur im Hinblick auf den Begriff des „Kristalls“ im Sinne eines Kalküls o.ä. interpretiert, dabei geht es hier dezidiert um Musik! Und Musik war nicht nur integraler Bestandteil des Lebens von Ludwig Wittgenstein, sondern sie ist ein essentieller Ausgangspunkt auf dem Weg zum Verständnis vieler seiner Gedanken, ihrer Herkunft und ihrer Wirkung. Musik ist ein Hintergrundbild, der „Krystall“, auf dem man die Hauptgedanken Wittgensteins lesen kann. In diesem Sinne möchte auch die hier versuchte Engführung der Art Wittgenstein’schen Denkens mit musikalischen „Lösungswegen“ verstanden werden: Wittgenstein lädt immer wieder dazu ein, alte Fragen in neuem Licht zu sehen – innerhalb bekannter Sprachspiele neue Aspekte zu erhellen, wie er es
7 Irene Suchy hat angesichts dieser Bemerkung darauf hingewiesen, dass Wittgensteins Wunsch nach der Fähigkeit zu komponieren nicht dem tatsächlichen Schaffen eines Musikstücks gegolten hätte, sondern dass es sich um ein vorgestelltes Ideal der Zusammenfassung seines Lebens und all seiner Ansichten zu einem „Krystall“ handeln würde. (Suchy 2006: 25). Diese These geht etwas zu weit. Zwar war Wittgensteins Denken in erster Linie auf philosophische Ziele gerichtet, aber Musik war für ihn durchaus nicht nur ein „Mittel zum Zweck“ (ebd.), sondern nach einhelligen Berichten seiner Weggefährten und Schüler eine Herzensangelegenheit in vielerlei Hinsicht.
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an dem „großen Könner“ Brahms bewunderte. Oder eben, wie bei Schubert, das Gewöhnliche durch eine kleine Wendung, durch eine kompositorische Pointe, mit immer neuem Sinn zu füllen. Oder um noch einmal das Kringel-Buch zu Wort kommen zu lassen: (Wie man manchmal eine Musik nur im inneren Ohr reproduzieren kann aber sie nicht pfeifen weil das Pfeifen schon die innere Stimme übertönt, so ist manchmal die Stimme eines Gedankens so leise daß sie vom Lärm des gesprochenen Wortes schon übertönt wird & nicht mehr gehört werden kann wenn man gefragt wird & reden // soll.) (MS 107,267/3; D: 30. 1. 1930; KB Nr. 15)
Wiederholungen, Variationen, Brüche, Polyphonie, nach allen Seiten hin verweisende leise und laute Stimmen, sichtbar und unsichtbar arbeitende VordergrundHintergrundstrukturen als Teile komponieren, die nicht der Versuchung erliegen „den Geist explizit machen zu wollen“, oder den „philosophischen Gedanken übertönen“ wie es im Kringel-Buch heißt, die nicht eindeutige Antworten geben, sondern immer neu zu denkende Sinnzusammenhänge als pointierte „Lösungen“, wie Variationen eines Themas und nicht wie Antworten – das alles sind musikalische Prinzipien, die Wittgenstein faszinieren und deren musikalischen Stil er bei sich selbst durch zahlreiche Überarbeitungen, Umbelichtungen und Aspektwechsel immer wieder zu erreichen suchte.
7 Literatur Adorno, Theodor W.: „Schubert“ [1928]. In: Gesammelte Schriften Bd. 17 (=Musikalische Schriften Bd. IV. Moments musicaux. Impromptus). Herausgegeben von Rolf Tiedemann. Frankfurt a. M. 2003, S. 18–33. Alber, Martin (Hg.): Wittgenstein und die Musik. Briefwechsel Ludwig Wittgenstein Rudolf Koder. Innsbruck 2000. Dittrich, Marie Agnes: „Vokalmusik. Die Lieder“. In: Schubert-Handbuch. Herausgegeben von Walther Dürr und Andreas Krause. Kassel, Stuttgart, Weimar 1997. Eggers, Katrin: Ludwig Wittgenstein als Musikphilosoph. Freiburg 2011. Hanslick, Eduard: Aus dem Tagebuch eines Rezensenten. Gesammelte Musikkritiken. Herausgegeben von Peter Wapnewski. Kassel u. a. 1989. Hanslick, Eduard: „Bruckners III.“. In: Hanslick, Eduard: Aus dem Tagebuch eines Musikers (Der Modernen Oper VI. Teil): Kritiken und Schilderungen. Berlin 1892. Hiltmann, Gabrielle: Aspekte sehen. Bemerkungen zum methodischen Vorgehen in Wittgensteins Spätwerk (=Epistemata. Würzburger Wissenschaftliche Schriften. Reihe Philosophie Bd. 235). Würzburg 1998. Hinrichsen, Hans-Joachim: „Die Sonatenform im Spätwerk Franz Schuberts“. In: Archiv für Musikwissenschaft, 45. Jg, Heft 1 (1988), S. 16–49.
Musik bei Ludwig Wittgenstein
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„Die raffinierteste aller Künste“ – Überlegungen zum Umgang Wittgensteins mit der Musik Die Themenstellung evoziert nachgerade eine Bemerkung aus einem musikalischen Kunstwerk, welches Ludwig Wittgenstein höchst vertraut war, nämlich aus Richard Wagners Oper „Die Meistersinger von Nürnberg“. Der Merker Sixtus Beckmesser äußert sich dortselbst über die ihm zukommende Aufgabe, das Lied Ritter Walthers von Stolzing, mit welchem dieser die Meistersingerwürde erwerben will – und zwar ganz außer der Art gleich ad hoc –, nach allen Regeln der Kunst zu beurteilen mit den Worten: ’s wird ’ne harte Arbeit sein: wo beginnen, da wo nicht aus noch ein.1
„Wie dort, so hier“ – um nochmals den Fundus der „Meistersinger“ nutzbar zu machen2 – ist die Ausgangslage verzwickt genug. Denn: welche Regel sollte da passen, wo die Fülle des Vorgegebenen und dessen schwere Fassbarkeit den Referenten – dem Merker gleich – an den Rand eigener Möglichkeit bringt? Es wird angemessen sein, sich von Wittgenstein selbst Pardon geben zu lassen. Im Kringel-Buch ist zu lesen: Die Musik scheint manchen eine primitive Kunst zu sein mit ihren wenigen Tönen & Rhythmen. Aber einfach ist nur ihre Oberfläche [ihr Vordergrund] während der Körper der die Deutung dieses manifesten Inhalts ermöglicht die ganze unendliche Komplexität besitzt die wir in dem Äußeren der anderen Künste angedeutet finden & die die Musik verschweigt. Sie ist in gewissem Sinne die raffinierteste aller Künste. (KB Nr. 81)
Um dieser Verschwiegenheit auf die Spur zu kommen und sie über etwas verschwiegen sein zu lassen fragen wir – nochmals von Wagner geleitet – mit dem innovativen Dichter Walther von Stolzing: ‚Wie fang ich nach der Regel an?‘, um uns vom erfahrenen und regelkundigen Meistersinger Hans Sachs raten zu lassen: ‚Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann.‘3
1 Wagner o.J., Band 1, S. 215 f. 2 Wagner o.J., Band 2, S. 761. 3 Wagner o.J., Band 2, S. 524.
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Wir stellen somit als Ausgangsregel jene der Kulturgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Österreichischen. Dieses Vorgehen ist mit Wittgenstein selbst zu begründen: „Ich glaube, das gute Österreichische (Grillparzer, Lenau, Bruckner, Labor) ist besonders schwer zu verstehen. Es ist in gewissem Sinne subtiler als alles andere, und seine Wahrheit ist nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit.“4 Es ist im Auge zu behalten, dass der Philosoph als Beispiele zwei Dichter und zwei Komponisten anführt und dass er eben vom „guten Österreichischen“ spricht und Persönlichkeiten anführt, welche gleichermaßen die zeitlichen wie die geographischen Grenzen von Wittgensteins Wien5, dem so nachhaltig beschworenen, weit hinter sich lassen und eingeordnet werden wollen in ein durch epochenübergreifende Kontinuitäten geprägtes, kulturgeographisch vielgestaltiges Österreich. Wenn Wittgenstein Grillparzer anführt, so ist bewusst zu machen, dass Grillparzer eminent musikalisch gewesen ist, was sich auch darin zeigt, dass er beim berühmten Theoretiker Simon Sechter Kontrapunkt studiert hat. Seine beispielhafte Erzählung Der arme Spielmann ist demnach nicht nur ein Bericht über einen Bettelmusikanten. Sie enthält zur Charakterisierung der Titelfigur Reflexionen über das Verhältnis des poetischen Wortes zum reinen, gleichermaßen poetischen Klang. So lässt der Dichter seinen Hauptakteur bei dessen Beschreibung eines Liedes sagen: ‚…daß man die Worte gar nicht zu hören braucht. Wie ich denn überhaupt glaube, die Worte verderben die Musik.‘6 Und im selben Zusammenhang heißt es: ‚Die Rede ist dem Menschen notwendig wie Speise, man sollte aber auch den Trank rein erhalten, der da kommt von Gott.’7
Unter dem Trank versteht der arme Spielmann die Musik als das mit nichts Anderem vermischte reine Erklingen ihrer selbst, also jenen Vorgang, der in seiner Ausschließlichkeit vorgehen muss, damit gemäß Wittgenstein gefragt werden kann: „Was heißt es, wenn man sagt: ‚Das musikalische Thema sagt mir sich selbst‘?“ (PU § 523) Wie etwas oder jemand sich selbst sagt – darüber gibt es vieles bei Nikolaus Lenau, einem weiteren Vertreter des „guten Österreichischen“, zu lesen, zumal in seinem großen Gedicht Faust. Die Quintessenz dortselbst ist, dass Gott nicht im herkömmlichen Sinne spricht, sondern inhaltsreich über etwas schweigt und sich dadurch wahrnehmbar macht. Der Mensch, der Gott zum Sprechen zwingen
4 Wittgenstein im Manuskriptband MS 107, 185, Eintragung vom 7. 11. 1929. Sieh auch VB 454. 5 Vergl. Janik / Toulmin 1973. 6 Grillparzer: Der arme Spielmann. In: Grillparzer 1981, S. 1124. 7 Grillparzer: Der arme Spielmann. In Grillparzer 1981, S. 1124.
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will, weil er meint, nur Worte verstehen zu können, verstrickt sich in Schuld. Und gerade zu dieser will Lenaus Mephistopheles Faust verführen, wenn er ihm rät: Dein Schöpfer ist dein Feind, gesteh’ dir’s keck, Weil grausam er in diese Nacht dich schuf, Und weil er deinen bangen Hilferuf Verhöhnt in seinem heimlichen Versteck. Du mußt, soll sich dein Feind dir offenbaren, Einbrechen plötzlich als ein kühner Frager….. Daß er die stumme, starre Stellung bricht, Und, aufgereizt, sich endlich rührt und spricht. Du mußt entweder dieses Erdenleben Vertaumeln dumpf in viehischer Geduld; Wo nicht, dich als entschlossner Mann erheben Und kühn zur Wahrheit dringen durch die Schuld.8 Das göttliche Schweigen ist freilich nicht ohne Aussage. Somit ist Vernehmbarkeit seine tiefste Eigenschaft – und Lenau macht diese vernehmbar: Tiefschweigend ruhn die Alpenwiesenhänge, Die Blume schließt den Tau in ihren Schoß, Und freut sich still an ihrem Frühlingslos; Die Vögel sinnen schweigend auf Gesänge. Fern unten tönt im Tal ein leiser Bronnen, als träumte dem Gebirg’ von einem Quell; es glüht im Abendscheine purpurhell Der Wald, verloren in sprachlosen Wonnen. Wie freudesinnend steht die Lämmerherde, Vergessend nun das frische Alpenkraut; Still hält der lichte Wolkenzug und schaut Herunter nach der schönen Frühlingserde. Nur manchesmal die blühenden Gestalten Der Bäume selig rauschend sich verneigen, Ein Windhauch, überschwellend, bricht das Schweigen, Wie Wonneseufzer nimmer festzuhalten.9
8 Lenau 1971, S. 10, Verse 193–208. 9 Lenau 1971, S. 77, Verse 2030–2045.
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Wie einstens dem Propheten Elias so könnte sich in diesem Windhauch auch Lenaus Helden Gottes vernehmbare Gegenwart offenbaren. Doch: Unerfreut von Gottes Lenzgedanken Irrt Faust umher durch Felsen, Wies’ und Hain, Von der Natur geächtet und allein.10 Mit diesem Exkurs zu Lenaus Gedicht sind wir schon wieder oder immer noch mitten im Musikalischen. Denn dieser „Faust“ gibt Wittgenstein Gelegenheit, seine Überlegungen zu zwei musikalischen Kunstwerken zu präzisieren: Die Brucknersche Neunte ist gleichsam ein Protest gegen die Beethovensche und dadurch wird sie erträglich, was sie als eine Art Nachahmung nicht wäre. Sie verhält sich zur Beethovenschen sehr ähnlich wie der Lenausche Faust zum Goetheschen, nämlich der katholische Faust zum aufgeklärten, etc., etc... (VB 497)
Zwei namentlich dem „guten Österreichischen“ zugewiesene Künstlerpersönlichkeiten – Lenau und Bruckner – werden in dieser Stellungnahme zusammengedacht, um die Unterscheidbarkeit zweier neunter Symphonien ausdrückbar zu machen. Wittgenstein hat damit das punctum saliens getroffen. Diese Aussage vermag uns das Phänomen des „unvermischten Trankes“, wie Grillparzer die wortlose Musik poetisch benennt, klar vor zu Ohren stellen. Im 4. Satz seiner „IX. Symphonie“ lässt Beethoven in der Art einer Collage die Hauptthemen der Sätze eins bis drei nochmals aufklingen. Aber eine zum ersten Male in eine Symphonie eingeführte Singstimme, jene des Baßsolisten, stellt fest: O Freunde nicht diese Töne! Sondern laßt uns angenehmere anstimmen und freudenvollere! Diesem in rezitativischer Form dargebrachten Aufruf der Singstimme gehen rhythmisch und melodisch ähnlich strukturierte rezitativische Passagen der tiefen Streicher voraus. Wittgenstein spricht genau diesen Instrumentalrezitativen „sprachähnlichen Charakter“ (VB 497) zu und stellt treffend fest, dass Beethoven den Gesang durch die Instrumente antizipiert und der Komponist daher schon in diesem Orchesterrezitativ den Hörenden das Verwerfen des Vorausgehenden als etwas Notwendiges klar macht. Nach dem ablehnenden und zu Neuem auffor-
10 Lenau 1971, S. 77, Verse 2045–2048.
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dernden Baßrezitativ kommt dann ja wunschgemäß der „Freudenhymnus“ auf den Text Friedrich von Schillers, der alles Vorhergegangene vergessen macht. Ganz anders Bruckner: in seinen Messen und in fast allen seinen Symphonien folgt im letzten Satz eine „restitutio in integrum“ durch die Wiederaufnahme eines Hauptgedankens des ersten Satzes, sodass das Gesamtwerk, unter Mitnahme der Ideen des letzten, triumphal an seinen Ausgangspunkt zurückkehrt. Beethoven bedarf des Wortes, um die nochmals aufgegriffenen Gedanken der ersten drei Sätze zu verwerfen. Bruckner verwirft nichts, sondern kehrt zurück. Dieses Vorgehen darf christlich gedeutet werden als Umkehr, als geläuterte Wiedergewinnung, als das, was Bernhard von Clairvaux (1091–1153) „reditus“ benennt, damit die Rückkehr des Menschen aus dem irdischen ins ewige Leben umschreibend.11 Hörbar wird eine religiöse Interpretation dieses strukturellen Vorgehens, wenn Bruckner im „Agnus dei“ zweier seiner großen Messen thematisches Material aus dem „Credo“ wiedererklingen lässt – absolut jenseits jeglichen bestimmten Wortes, den Singstimmen gleichermaßen wie den Instrumenten des Orchesters zugewiesen. Im Bereich katholisch-liturgischer Musik lässt sich dieses Phänomen auch theologiegeschichtlich erklären mit der bis weit ins 20. Jahrhundert hinein feststellbaren „Unterordnung des Wortes unter das Sakrament“.12 Die Wahrnahme von Zeichen, welche jedem Sakrament definitorisch zukommen, sowie von architektonischen und klanglichen Räumen haben die katholischen Menschen und deren Umgebung über Jahrhunderte geprägt, sodass die Liturgiewissenschaft es als Erfahrungstatsache anerkennt, dass diese Prägung nachhaltiger wirkt als das gesprochene Wort.13 Ohne auf Wittgensteins persönliche Religiosität näher eingehen zu können darf festgestellt werden, dass er als Österreicher die Atmosphäre dieser Tradition lebendig mitbekommen hat und zudem getaufter Katholik war.14 Auch wenn er vielleicht ausschließlich zu hohen Festtagen eine Messe besucht hätte, so wäre er gerade dann mit Kirchenmusik in ihrer besten Ausformung – von Haydn und Mozart bis Schubert und Bruckner – nachhaltig in Berührung gekommen. Diese Musik basiert in ihrem Wesen auf den Überlegungen des Aurelius Augustinus, welcher Intensität und Wirkung der Musik auf das gläubige Empfinden
11 Bernhard von Clairvaux 1993, S. 164. 12 Neckel 2010, S. 67. 13 Neckel 2010, S. 75. 14 Es ist darauf zu verweisen, dass sowohl Wittgensteins zweiter Taufname Joseph als auch der Taufname der Mutter Leopoldine Leitnamen des katholischen Österreich gewesen sind.
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nicht nur anerkennt, sondern, nachhaltig beeindruckt von den Möglichkeiten der Tonkunst, dieser die gleiche effiziente Bedeutung zuerkennt wie dem gesprochenen Wort alleine, weil auch Nichtwörtlichem die Qualität eines Zeichens, eines Verweisens auf etwas zu Bezeichnendes innewohnt.15 Wittgenstein, der Augustinus-Kenner, war vertraut mit zumindest 7 brucknerischen Symphonien und 2 Messen jenes Tonsetzers. Ab dem für den Philosophen so wichtigen Jahr 1929 bekommt dieser Komponist für ihn eine Wichtigkeit, welche ihn veranlaßte, Gedankengänge anhand von Bruckner zu entwickeln. Und es mag wohl seine Bedeutung haben, dass auch die Überlegung vom „guten Österreichischen“ mit Bruckners Nennung aus eben diesem Jahr 1929 stammt. Aus seinen Bemerkungen nach Aufführungen brucknerischer Symphonien lässt sich eines erkennen: die Musik dieses Meisters muß für den Philosophen eine tönende Manifestation der Einheit gewesen sein. In dieser Weise grenzt er sie auch von Werken anderer ab. Wittgenstein erkennt, dass sich diese brucknerische Einheit aus individuellen Teilen zusammensetzt. „Von einer Brucknerschen Symphonie kann man sagen, sie habe zwei Anfänge: den Anfang des ersten & den Anfang des zweiten Gedankens. Diese beiden Gedanken verhalten sich nicht wie Blutsverwandte zueinander, sondern wie Mann & Weib.“ (DB 110)16 Bezeichnend ist auch ein Gedankengang, welcher nicht von der Musik ausgeht, sondern von einem Kunstwerk surrealer Malerei, um dann erhellend zu Bruckner zu führen. „Ich könnte von einem Bild von Picasso sagen, ich sehe es nicht als Menschen. Das ist doch ähnlich dem: ich war lange nicht Imstande dies als Einheit zu hören, jetzt aber höre ich’s so. Früher schien es mir wie lauter kurze Stücke, die immer wieder abreißen, – jetzt hör ich’s als Organismus. (Bruckner).“ (LS-I 436) Das assoziative Zusammendenken von Bruckner und Picasso mag auch ein Schlaglicht werfen auf Wittgensteins angeblichen „Konservativismus“ in Sachen Kunst. Jenseits eines solchen Begriffes und seines vermeintlichen Gegenteiles offenbart sich hier ein Betrachtungsvermögen „sub specie aeternitatis“, welches der Philosoph selbst von sich eingefordert hat und auf der Basis von Gedanken Baruch de Spinozas in einer Tagebucheintragung folgendermaßen definierte: „Das Kunstwerk ist der Gegenstand sub specie aeternitatis gesehen; und das gute Leben ist die Welt sub specie aeternitatis gesehen. Dies ist der Zusammenhang zwischen Kunst und Ethik. Die gewöhnliche Betrachtungsweise sieht die Gegen-
15 Augustinus 1998, besonders S. 6 f. und S. 24. 16 Im KRINGEL-BUCH mit diversen Varianten.
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stände gleichsam aus ihrer Mitte, die Betrachtung sub specie aeternitatis von außerhalb.“17 So könnte auch diese Betrachtung eines Bildes von Picasso mittels einer Symphonie von Bruckner als eine solche „sub specie aeternitatis“ verstanden werden, weil es Wittgenstein mit Hilfe des musikalischen Kunstwerkes aus dem katholischen Österreich des 19. Jahrhunderts gelingt, einem Kunstwerk surrealer Malerei eines Spaniers des 20. Jahrhunderts näher zu kommen. Bild und Ton in dieser Weise erklärend miteinander zu denken, das fordert dazu auf, Wittgenstein selbst – „sub specie aeternitatis“ – epochenübergreifend zu verorten und in Zusammenhang zu bringen mit Persönlichkeiten, welche anscheinend in ganz andere kulturgeschichtliche Gegebenheiten eingebunden sind, aber unter eben diesem Blickwinkel mit diesem Philosophen in einem betrachtet werden können – so wie dieser es mit Picasso und Bruckner tut. Da ist zum Einen Wittgensteins Landsmann, der Dichter Adalbert Stifter, welcher Erscheinungsformen des Musikalischen eine bilderklärende Bedeutung zumisst. Als kleines feines Beispiel möge eine Textpassage aus der Erzählung „Feldblumen“ dienen. „Du kennst das Gläschen mit dem Ultramarin; es sah in seinem Feuerblau wie ein tiefer Harmonikaton aus, der Purpur wie Liebeslieder, die Grün (sic!) wie sanfte Flöten, das Rot wie Trompetengeschmetter.“18 Und einer der bedeutendsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, der Franzose Olivier Messiaen (1908–1992), in seiner Geprägtheit durch den katholischen Glauben in seinen geistigen Grundlagen und in den fundamentalen Begründungen seiner Kunst Bruckner verwandt, schrieb gemäß eigenem Wort Musik, welche durch die Töne Farben und sich daraus zusammensetzende Bilder zur Evidenz bringt. Für Messiaen gehören die Töne und die durch sie evozierten Farben und Bilder untrennbar zusammen, sie sind ein „phénomène synesthesique merveilleux, indépendent de la conscience claire, irréducible aux classements et aux catalogues.“19 Die gemeinsame Erwähnung Wittgensteins mit Stifter und Messiaen läßt die Musik in ihrer funktionellen Bedeutung für Wittgensteins Philosophie deutlich werden: sie macht hörbar, dass unter gewissen Bedingungen auch in der Wort-Ding-Beziehung dem Wort ausschließlich die Bedeutung des Verweisens zukommt.20 Eine solche Bedingung ist etwa die katholische Kirchenmusik, welche in Österreich über Jahrhunderte bedeutende Repräsentanten gehabt hat.
17 Eintragung vom 7. 10. 1916. Zitiert in DB, im Kommentar von Ilse Somavilla, S. 115. 18 Stifter o. J., S. 114. 19 Vinay 2008, S. 150. 20 Annelore Mayer: Die Evidenz des Redens in der fremden Sprache. In Mayer, A. / Mayer, J. L. 2006.
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Die ausschließliche Verweisbedeutung des Wortes ist nun freilich ein Phänomen, welches in der liturgischen Musik evangelisch-lutherischer Provenienz nicht vorstellbar ist. Die einschlägigen Kompositionen eines Johann Sebastian Bach bringen gerade im Gegenteil dieses Wort als es selbst verstärkt zur Evidenz. Der katholischen Kirchenmusik hingegen ist das Wort zumindest seit den ersten Höhepunkten der Mehrstimmigkeit im späten Mittelalter bloß etwas, das – wittgensteinisch gesprochen – seine Bedeutung nur von dem unaussprechlichen Untergrund bekommt, auf welchem es verweisend aufruht. (vgl. VB 427) So ist nicht mehr das Wort das Erlebnis, wenn ein Werk katholischer liturgischer Musik erklingt, sondern dieses Werk verhilft selber zum Erlebnis, indem der darin enthaltenen Musik selbst die Funktion der Verweiserin auf den unaussprechlichen Untergrund zufällt, der aber durch sie eben nicht verschwiegen wird. Eine Kantate von Johann Sebastian Bach vermittelt demnach ganz andere Erlebnisse als eine Vertonung des ordinarium missae durch Josquin des Prés, Joseph Haydn oder Anton Bruckner. In der Auseinandersetzung mit Wittgenstein ist es unumgänglich, sich an dieser Tradition der katholischen Kirchenmusik – auch als Phänomen des „guten Österreichischen – Bruckner“ – zu orientieren. Innerhalb einer solchen ist der Blick auf Messiaen dann gewinnbringender als jener auf Bach. Der Umgang in Österreich zumal mit der liturgischen Vokalmusik des Thomaskantors zur Zeit Wittgensteins lässt sich im Allgemeinen so beschreiben: diese war hierzulande kaum ein Bestandteil gottesdienstlicher Handlungen, sondern wurde fast ausschließlich im Rahmen des weltlichen Konzertwesens aufgeführt. Eine Darbietung eines solchen Werkes hatte vielfach den Charakter einer kunst- oder ersatzreligiösen Handlung, an welcher Menschen aller Konfessionen, also aus der katholischen Mehrheit Österreichs ebenso wie aus dem Judentum im Sinne verehrenden Kunstbestrebens teilnahmen. Solch ein Umgang kann natürlich durchaus zu einem großen musikalischen Erlebnis führen, das sich aber doch in allem von den ursprünglichen Intentionen des Komponisten entfernt hat. Jedenfalls unterschied sich der Umgang mit Bachs liturgischer Vokalmusik in dieser örtlichen und funktionellen Zuordnung deutlich von katholischer liturgischer Musik, welche mit ganz wenigen Ausnahmen nur in der Kirche erklang. Ein aber tatsächlich sehr persönliches und ganz im Sinne Bachs sich manifestierendes Verhältnis zu diesem offenbart Wittgenstein in seinen Überlegungen zu einer Widmung seines geplanten großen Buches. Es sollte dieses „zur Ehre Gottes geschrieben“ (KB Nr. 75) sein. Nach eigener Aussage wollte der Philosoph damit Bach zitieren.21 Jener schrieb unter den Titel seines „Orgel-Büchleins“, einem Compendium instruktiver Choralbearbeitungen:
21 Rothhaupt 2008, S. 178 f.
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Dem höchsten Gott allein zu Ehren, Dem Nächsten, daraus sich zu belehren. Bezüglich der Bedeutung des Wortes in der evangelisch-lutherischen und der katholischen Kirchenmusik, etwa jener Joseph Haydns und Wolfgang Amadeus Mozarts gibt es eine Bemerkung Wittgensteins, welche nicht nur im Hinblick auf die dort festgestellte Unterscheidung, sondern auch aufgrund ihres vergleichenden Ausgangspunktes eine solche „sub specie aeternitatis“ ist. „Erscheinungen mit sprachähnlichem Charakter in der Musik oder der Architektur. Die sinnvolle Unregelmäßigkeit in der Gotik z. B. (mir schweben auch die Türme der Basiliuskathedrale vor). Die Musik Bachs ist sprachähnlicher als die Mozarts oder Haydns.“ (VB 497) Die Frage nach Sprachlichem und dem Sprechenden im Musikalischen beschäftigt Wittgenstein auch im Zusammenhang mit dem Komponisten Josef Labor, der zweiten komponierenden Persönlichkeit im Quartett der Vertreter des „guten Österreichischen.“ Denke daran, wie man von Labors Spiel gesagt hat ‚Er spricht’. Wie eigentümlich. Was war es, was einen in diesem Spiel so an ein Sprechen gemahnt hat? Und wie merkwürdig, daß die Ähnlichkeit mit dem Sprechen nicht etwa nur Nebensächliches, sondern etwas Wichtiges und Großes ist. Die Musik, und gewiß manche Musik, möchten wir eine Sprache nennen, manche Musik aber gewiß nicht. (Nicht, daß damit ein Werturteil gefällt sein muß). (VB 538)
Dieser Josef Labor, geb. 1842 in Hořovice im österreichisch-habsburgischen Kronland Böhmen, gest. in Wien 1924, ist mitnichten eine Art „wittgenstein’ische Lokalgröße“, weil im Hause der Familie viele Aufführungen seiner Werke arrangiert wurden. Obwohl früh erblindet, war er in der Öffentlichkeit als Virtuose, Komponist und vor allem Lehrer höchst präsent. Er unterrichtete immerhin Arnold Schönberg. Labor selbst war Schüler von Simon Sechter. Sein Condiscipel war Anton Bruckner, der sich in einem Brief an einen erblindeten eigenen Schüler daran erinnert, dass Labor trotz seiner schweren Behinderung den sechterischen Theorielektionen beiwohnen konnte.22 Labor hat vor allem für seine eigenen Instrumente, das Klavier und die Orgel geschrieben. Als Pianist genoss er einen guten Ruf, einen sicherlich noch höheren Rang nahm er als Organist ein. Zu seiner Zeit galt er als einer der Besten auf diesem Instrument in den Österreichischen Ländern – was neben und nach Anton Bruckner viel zu besagen hat. Seine Orgelkompositionen können zum
22 Anton Bruckner: Brief an Ludwig Moser, Linz, vom 5. Sept. 1884. In Bruckner 1998, S. 220.
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weitaus Besten gerechnet werden, was im katholischen Österreich damals für dieses Instrument geschrieben worden ist.23 Labor hat im Hause Wittgenstein Musik von Bach und auch von Brahms dargeboten. Letzterer war als Freund dort zu Gast. Und es wurden in diesem Hause – zumal von Hermine und auf Anraten Ludwigs zum wiederholten Male – gleichermaßen brucknerische Symphonien vierhändig am Klavier musiziert. Über Brahms und dessen Musik äußert sich Wittgenstein sehr differenzierend. „Die musikalische Gedankenstärke bei Brahms“ (VB 482) vermerkt er als charakterisierendes Faszinosum. Bedenkenswert sind seine mehrfachen Überlegungen im Hinblick auf die Verschiedenheit von Brahms und Bruckner. Unter anderem schließt er dabei auf unterscheidbare Arten des Kompositionsvorganges, ja sogar der Notenschrift. (DB 44) Seine Ausführungen über den Klang bei den Beiden zeigen hohes Verständnis für diese sinnliche Seite der Tonkunst. Wenn der Brahmsschen Instrumentierung Mangel an Farbsinn vorgeworfen wird, so muß man sagen daß die Farblosigkeit schon in der Brahmsschen Thematik liegt. Die Themen schon sind schwarz-weiß, wie die Brucknerschen schon färbig;.....Nun könnte man sagen: dann ist ja alles in Ordnung, denn zu schwarz-weißen Themen gehört auch eine schwarzweiße (farblose) Instrumentation. Ich glaube nur daß gerade hier die Schwäche der Brahmsschen Instrumentation liegt, indem sie nämlich vielfach doch nicht ausgesprochen schwarz-weiß ist. Dadurch entsteht dann der Eindruck der uns oft glauben macht, wir vermissen Farben, weil die Farben, die da sind, nicht erfreulich wirken. In Wirklichkeit vermissen wir, glaube ich, Farblosigkeit.....Die Klänge Bruckners empfindet man als die selbstverständliche Umkleidung der Knochen dieser Themen. (DB 55f)
Was Wittgenstein hier anspricht, dessen war sich Brahms selbst bewußt: er hatte immer das Gefühl, bei der Instrumentation seiner Orchesterwerke nicht recht von dem ihm vertrauten Klavierklang loszukommen. Bruckner spricht bezüglich der Themen in den brahmsischen Symphonien von einer geringen Plastizität, die jene wenig geeignet machen für den Orchesterklang. Es seien eben – so Bruckner – „keine Symphoniethemen“. Wittgenstein hat also auf eine und nicht nur auf seine Weise richtig gehört. Ebenso ganz richtig ist des Philosophen Feststellung: „Einen dreifachen Kontrapunkt gibt es nur in einer ganz bestimmten Umgebung.“ (VB 566) Damit sind wir bei den von bestimmten Werken und Komponisten losgelösten musikalischen Basisphänomenen angelangt, welche Wittgenstein in seinem Denken heranzieht. Woher hatte er sein Wissen darüber?
23 Siehe auch Quoika 1960, Spalte 16.
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Es ist zu vermuten, dass in der Familie schon durch den in diesen Dingen hochgebildeten Brahms – der vor Freunden gerne im polyphonen Stil ad hoc improvisierte – jedoch mehr noch durch den ebenso kenntnisreichen Labor ein Verständnis für musiktheoretische Fragen geweckt wurde. Labor wurde ja von seinem Lehrer Sechter in eine auch unter dem Blickwinkel der gesamteuropäischen Musikgeschichte hochqualitative und weithin wirksame Tradition hineinunterrichtet. Mit Felix Salzer, dem Sohn von Ludwigs Schwester Helene, kam dann gar noch ein Vertreter universitär-akademisch fundierter Musikwissenschaft in die Familie. Salzer hat bei Guido Adler, einem bedeutenden Reformator dieser Wissenschaftsdisziplin, studiert. Adler war u. a. Herausgeber der „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“. In den Mitarbeiterstab berief er – und hier beginnt sich offenkundig ein Kreis zu schließen – Josef Labor.24 Adler seinerseits war – der Kreis schließt sich weiter – Schüler Anton Bruckners. Ebenfalls ein Student dieses Komponisten war Heinrich Schenker, dessen Überlegungen zur Struktur musikalischer Kunstwerke Salzer in seinem Buch Sinn und Wesen der abendländischen Mehrstimmigkeit, erschienen 1935 in Wien, kommentierte und weiterentwickelte. Schenker – und mit ihm Salzer – sieht die europäische Musik als ein vertikales, fast punkthaftes Phänomen, welches in seinem Wesen stets gleich bleibt. Die unterschiedlichen Stile sind nur eine Art horizontale Verwerfung dieses Zentralpunktes. Salzer formuliert dies am Beginn seines Buches wie folgt: „Im Gegensatz zu der heute herrschenden Auffassung, die die Entwicklung der abendländischen Musik als eine Aufeinanderfolge ‚wechselnder Stile’ empfindet, wird hier, ausgehend von der Lehre Heinrich Schenkers, der Versuch unternommen, eine neue und fruchtbare Betrachtungsweise der musikgeschichtlichen Probleme in den Vordergrund zu rücken, die im Zeichen eines einheitlichen und in seinem Grundprinzip gleich bleibenden Stiles steht.“25 Das salzerische Vorgehen macht sich Schenkers Vorstellungsgebäude der „Schichten“ zunutze. Dieses geht davon aus, dass alle europäische Musik auf einem „Ursatz“ beruht, welcher durch die harmonischen Grundschritte definiert wird. Über diesen stülpen sich dann „Mittel-“ und „Vordergrund“, welche die Komponisten mithilfe der von ihnen gehandhabten Stimmführungs-„Züge“ individuell ausgestalten. In vieler Hinsicht ist diese Betrachtung eine solche „sub specie aeternitatis“ und daher nicht neu. Johann Joseph Fux (1660–1741) etwa geht in seiner bis ins 20. Jahrhundert nachwirkenden Kontrapunktlehre Gradus ad Parnas-
24 Quoika 1960, Spalte 16. 25 Salzer 1935, Deckblatt.
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sum, geschrieben im Stile eines platonischen Dialoges in lateinischer Sprache, erschienen in Wien 1725, von unveränderlichen und daher stets gültigen Grundlagen für das polyphone Komponieren aus. Zu diesen immer gleichbleibenden Fundamenten hinzuführen ist die Aufgabe seines philosophischen Gespräches zwischen einem Lehrenden und einem Lernenden, welches es Letzterem ermöglichen soll, das über das Unveränderliche erworbene Wissen beim Komponieren in durch ihn veränderter Form anzuwenden. Die Lehre findet demnach ihre Erfüllung im rechten Handeln, sodass sich hier Wittgensteins Feststellung realisiert: „Die Philosophie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit.“ (TLP 4.112) Ganz im Sinne des notwendigen Erkennens der ersten Grundlage beginnt der Lehrmeister seinen Unterricht folgerichtig und „sub specie aeternitatis“ mit den Worten: „Ergo ad opus pergamus exordium sumendo ab ipso Deo ter maximo, omnium scientiarium fonte.”26 Der Autor paraphrasiert hier eine Formulierung des Dionysios Areopagita in dessen Buch „Perí theiōn onomaton“. Ebenso wie Fux hielt Anton Bruckner fest an den von ihm aufgrund ihrer geheiligten Kontinuität und ihrer Verstehbarkeit bedingungslos akzeptierten Regeln – allerdings nur als Lehrer des strengen Satzes. Er duldete im Unterricht kein Abgehen von denselben – ein solches Abgehen unter den Prämissen der Angemessenheit stand seiner Ansicht nach nur dem Meister zu, weil nur ein solcher diese Angemessenheit auch zu begründen wusste. Die Angemessenheit – ein Begriff, den Augustinus im Zusammenhang mit der Musik gebraucht – ist auch Ausgangsbegründung für epochenübergreifende Phänomene, wie den „stylus ecclesiasticus“. Durch die Jahrhunderte polyphoner Musik ist er feststellbar als hörbare Kulmination kunstvollster kontrapunktischer Arbeit. So finden wir dieses Stilmerkmal im späten Mittelalter in Messen des Niederländers Josquin des Prés (um 1440–1521) und im 20. Jahrhundert in Werken des Russen Dmitrij Dmitrijewitsch Schostakowitsch (1906–1975). In derartige Zusammenhänge kann vielleicht folgende Äußerung Wittgensteins gestellt werden: „Ist nicht die Harmonielehre wenigstens teilweise Phänomenologie, also Grammatik? Die Harmonielehre ist nicht Geschmacksache.“ (PB 53, § 4) Im schenker-salzerischen Sinne ist sie dies in der Tat ebenso wenig wie der Kontrapunkt und wie gemäß Fux oder Bruckner. Diese als grundgelegt akzeptierten Bedingungen dürfen aber nicht dazu verleiten, die sich im individuellen Gebrauch durch Komponierende oder im Wechsel der Epochenstile sich ergebenden Unterschiede – schenkerisch gesprochen also den jeweiligen „Mittel-“ und „Vordergrund“ – als belanglos anzusehen oder zu negieren. Wittgenstein nimmt dazu anhand der Kirchentonarten Stellung.
26 Fux 1725, S. 44 .
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Als solche bezeichnet man die bis in die beginnende Neuzeit in der europäischen Kunstmusik mehrheitlich im Gebrauch befindlichen Modi, welche sich vom Durmoll-System durch unterschiedliche Platzierung der Halbtonschritte unterscheiden. Ihre Gültigkeit bewahren sie auch noch im „Gradus ad Parnassum“ von Fux, welcher seine Aufgaben – sich auf Palestrina, dessen Musik kirchentonal ist, als Lehrmeister berufend – anhand kirchentonaler Beispiele stellt. Wittgenstein schreibt von solchen Tonalitäten: „Eine Kirchentonart verstehen, heißt nicht, sich an die Tonfolge gewöhnen, in dem Sinne, in dem ich mich an einen Geruch gewöhnen kann und ihn nach einiger Zeit nicht mehr unangenehm empfinde. Sondern es heißt, etwas Neues hören, was ich früher nicht gehört habe, etwa in der Art – ja ganz analog -, wie es wäre 10 Striche IIIIIIIIII, die ich früher nur als 2 mal fünf Striche habe sehen können, plötzlich als ein charakteristisches Ganzes sehen zu können.“ (PB 281, § 224) Kirchentonale Musik konnte Wittgenstein mit Selbstverständlichkeit gekannt haben. Es gehörte bis ins 20. Jahrhundert zur Tradition der österreichischen Kirchenmusik, im Advent und zur vorösterlichen Fastenzeit Messen ohne Orchester aufzuführen. Da griff man dann auf a-cappella-Werke zumal Palestrinas zurück. Auch Österreichs Chorgemeinschaften nahmen Werke von Komponisten des Spätmittelalters und der Renaissance in die Programme ihrer weltlichen Konzerte auf. Wenn also Wittgensteins Freund und ehemaliger Kollege, der Volksschullehrer Rudolf Koder aus Puchberg am Schneeberg, an den Philosophen über Aufführungen von Stücken Palestrinas berichtet27, oder über seine Beschäftigung mit „alten Meistern des 17. Jahrhunderts“28, so konnte er davon ausgehen, dass der Adressat wusste, wovon die Rede ist. Wittgenstein geht es um das ausgewogene Verhältnis zwischen dem Grundgelegten und dem, was ein Einzelner daraus im Weiteren machen kann, wenn er schreibt: Der Kontrapunkt könnte für einen Komponisten ein außerordentlich schwieriges Problem darstellen; das Problem nämlich: in welches Verhältnis soll ich mich zum Kontrapunkt stellen? Er mochte ein konventionelles Verhältnis gefunden haben, aber wohl fühlen, daß es nicht das seine sei. Daß die Bedeutung nicht klar sei, welche der Kontrapunkt für ihn haben solle. (Ich dachte dabei an Schubert; daran, daß er am Ende seines Lebens noch Unterricht im Kontrapunkt zu nehmen wünschte. Ich meine, sein Ziel sei vielleicht nicht gewesen, einfach mehr Kontrapunkt zu lernen, als vielmehr sein Verhältnis zum Kontrapunkt zu finden.) (VB 506 f)
27 Brief von Rudolf Koder an Ludwig Wittgenstein vom 20. 7. (?) 1929. In Alber 2000, S. 25 f. 28 Brief von Rudolf Koder an Ludwig Wittgenstein vom 13. 10. 1929. In Alber 2000, S. 26 f.
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Der Philosoph zeigt in diesen Überlegungen viel Verständnis für Schubert, der knapp vor seinem Tod begann, Kontrapunktstunden bei Simon Sechter zu nehmen. Seine Beschäftigung mit Händel hatte ihm – wittgensteinisch gesprochen – das Fehlen seines eigenen Verhältnisses zum Kontrapunkt offenbar werden lassen. Wittgensteins Position gegenüber der Musik kann beschrieben werden als jene eines hörend Denkenden, dem somit auch Denken zum Hörerlebnis zu werden vermag, sodass er schreiben kann: (Wie man manchmal eine Musik nur im inneren Ohr reproduzieren kann aber sie nicht pfeifen weil das Pfeifen schon die innere Stimme übertönt, so ist manchmal die Stimme eines Gedankens so leise daß sie vom Lärm des gesprochenen Wortes schon übertönt wird & nicht mehr gehört werden kann wenn man gefragt wird & reden soll.) (KB Nr. 15)
Oder: (Der Stil meiner Sätze hat – so glaube ich – oft den Fehler eines schlechten musikalischen Satzes. Man glaubt, diese Stimme klar zu hören, spielt man sie aber, so fällt sie heraus [so sticht sie unangenehm hervor] weil diese Töne anders untergebracht gehörten.) (KB Nr. 148)
Solche Selbstreflexionen offenbaren Wittgensteins Fähigkeit, mit Hilfe der Musik, respektive musikalischer Phänomene und deren Handhabbarkeit Assoziationsketten zu bilden, wie jene von den 10 Strichen zu den Kirchentonarten, oder der von Picasso zu Bruckner. Eine solche Kette sei nun nochmals von Bruckner zu Wittgenstein gespannt. Die Frage nach der Einheit und deren Gestaltung mag ihm durch die Struktur brucknerischer Musik – im Sinne eines „reditus“ – auf nachhaltige Weise beantwortet und daher neu gestellt worden sein – dies ganz im Sinne des Findens eines eigenen Verhältnisses zum Phänomen der Gesamtheit. „Gestern spielten mir zwei bekannte die 7te von Bruckner vor (vierhändig). Sie spielten schlecht, aber nicht ohne Verständnis. Ich hatte die Symphonie seit Jahren nicht gehört und sie hatte wieder einen großen Eindruck.“29 – So schreibt Wittgenstein seiner Schwester Helene am 30. 3. 1946. Diese Siebente ist eines jener brucknerischen Werke, bei welchem das Phänomen der Gesamtheit als „reditus“ nachhaltigst hörbar ist. Wie wichtig Wittgenstein das hörende Erleben gerade dieser Gesamtheit war, belegt ein Brief an Rudolf Koder vom 22. 4. 1950. Dort äußert er sich über eine von Eduard van Beinum geleitete Aufführung eben dieser Siebenten Bruckners:
29 McGuinness / Ascher / Pfersmann 1996, S. 187.
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In der Aufführung…war das ganze Stück in winzige Teile zerrissen, ohne jeden melodischen Zusammenhang gespielt...Das ist die ungeheure Gefahr, wenn Bruckner jetzt aufgeführt wird, daß jeder Satz klingt wie eine Aneinanderreihung kleiner Einfälle...Etwas, was ganz gefehlt hat…ist die Süße, die Bruckner immer wieder hat.30
Das Erlebnis der Gesamtheit ist eben auch ein sinnliches Erlebnis. Wittgenstein und Bruckner lassen sich anhand mancher Gemeinsamkeiten den Traditionen österreichischer Kultur zuordnen, sodass die hier gewählte Ausgangsregel – jene der Kulturgeschichte unter besonderer Berücksichtigung des Österreichischen – auch im Sinne des subtileren guten Österreichischen –, gerechtfertigt wird. Zwei Beispiele dazu: Bruckner verstand fast jedes seiner Werke als „opus progrediens“. Fünf seiner Symphonien und seine drei großen Messen hat er regelmäßig überarbeitet und in mehreren Fassungen hinterlassen, stets bestrebt, diese Werke auf den letzten Stand eigener Erfahrung und gesteigerten Könnens zu bringen – großteils unter Wahrung des ursprünglichen Materiales. Er war ein minutiöser Arbeiter, der es in Kauf nahm, lieber Fragmentarisches zu hinterlassen als nach seinem Empfinden noch nicht wirklich Fertiges, den eigenen aktuellen Möglichkeiten Entsprechendes. Ist Wittgenstein im Bemühen, sein Material immer wieder in eine andere Formulierung zu bringen, dem Komponisten nicht verwandt? Der Musiker und der Philosoph – letzterer in seinen Bemühungen um sein großes Buch – sie stehen mit ihrer fragmentarischen Hinterlassenschaft in Österreichs Kulturgeschichte jedoch keineswegs allein. Franz Schuberts Unvollendete, oder Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften repräsentieren ebenso das Phänomen des Fragmentarischen in der österreichischen Kulturgeschichte wie das in seiner barocken Konzeption als „österreichischer Escorial“ ein Torso gebliebene Stift Klosterneuburg in Niederösterreich.31 Das Fragmentarische ist jedoch keineswegs gleichzusetzen mit dem Unvollkommenen. Es steht vielmehr für etwas noch Geöffnetes, in das hinein und aus dem heraus die Frage nach der Vollkommenheit gestellt werden kann. Zum Zweiten: der Komponist vermachte seinen musikalischen Nachlass der Österreichischen Hofbibliothek mit der Hoffnung, dass damit sein Werk für spätere Zeiten gesichert sei und verständnisbereiten „Freunden und Kennern“ zur Verfügung stünde, um verstanden zu werden. Diese verstehenden Freunde
30 Zitiert in Alber 2000, S. 81 f. 31 Wittgenstein hat dort als Gärtnergehilfe gearbeitet.
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und Kenner unterscheiden sich dann notwendigerweise von jenen, welche nicht verstehen.32 Vergleichbar ist Wittgensteins Hinweis auf das Verstanden- und Nichtverstanden-werden in einem der Vorwortentwürfe zu seinem großen Werk: „Das Buch muß automatisch die Scheidung derer bewirken die es verstehen & die es nicht verstehen. Auch das Vorwort ist eben für solche // geschrieben, die das Buch verstehen.“ (KB Nr. 67) Und somit zur Abschlussfrage, gestellt auf der Grundlage der hier stattgehabten Überlegungen: was könnte es heißen: „Das musikalische Thema sagt mir sich selbst“? Kann es heißen, daß es sich in einer – seiner – Gesamtheit sagt – und daß die Weise, in der es sich sagt zu all dem gehört, wovon man nicht sprechen kann? Was vielleicht bedeutet, daß man drüber hören kann und am Ende – gleichsam mitgerissen von einem Protest in der Art von Bruckners „Neunter“ – welche der Komponist übrigens „der Majestät aller Majestäten, dem Lieben Gott“ gewidmet hat – vor eine Wahrheit hingestellt wird, die „nie auf Seiten der Wahrscheinlichkeit“ ist? In all dem mag die Qualität der Tonkunst liegen, „die raffinierteste aller Künste“ zu sein. Aus dieser Qualität wird es sich von selbst verstehen, dass die hier formulierten Überlegungen zum Umgang Wittgensteins mit der Musik bestenfalls einige Voraussetzungen sein können für weitere Schritte hinein in diese vielschichtige und in Wittgensteins Schriften so vielfältig ausgeführte Thematik. Die Musik offenbart aber ihre Qualität als Knüpferin von Assoziationsketten. Eine Kenntnis ihrer Theorien eröffnet demnach sonst nicht zu gewinnende Möglichkeiten. Kann aber je Abgeschlossenheit erreicht werden? Es ist zu vermuten, dass dies nicht möglich ist und notwendig vielleicht nur als Weg, aber nicht als Ziel. Die Musik ist selbst das Ziel, welches als solches Wege eröffnet. So könnte man es von Wittgenstein lernen, von jenem Denker, der – wie es Josef Rothhaupt formuliert – „mit dem, was er philosophisch leistete, der Kunst näher als den Wissenschaften“ stand.33 Im besten Falle ist die Auseinandersetzung – wie etwa eine brucknerische Symphonie – ein „opus progrediens“, die Betrachtenden oder Hörenden einige Schritte mitnehmend in Richtung des vertikalen, gewissermaßen fast punkthaften „Ursatzes“, wo das eigene Verhältnis zum Betrachtungsgegenstand seine größtmögliche Ausgewogenheit erfährt.
32 Siehe dazu Mayer, J. L. 1980, S. 148 ff. 33 Rothhaupt 2008, S. 154.
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Anton Bruckner (1824–1896)5
Josef Labor (1842–1924)
[Johannes Brahms (1833–1897)4] Ludwig Wittgenstein (1889–1951) Paul Wittgenstein (1887–1961)
Arnold Schönberg (1874–1951)6 Guido Adler7 Heinrich Schenker8 (1855–1941) (1868–1935)
Felix Salzer Anton von Webern (1904–1986)9 (1883–1945)10 Ludwig Wittgenstein (1889–1951)
1 Giovanni Pierluigi da Palestrina ist fiktiver Lehrer J. J. Fux’ in dessen „Gradus ad Parnassum“, 1725. 2 Johann Georg Albrechtsberger ist in seinem Theoriewerk auf Fux aufbauend. 3 In seiner Theorie ist Simon Sechter auf Albrechtsberger → Fux fußend. 4 Johannes Brahms ist Gast der elterlichen Familie Wittgenstein. 5 Anton Bruckner studierte selbst das Theoriewerk Albrechtsbergers. 6 Arnold Schönberg ist Schüler Labors. 7 Guido Adler beruft Labor als Mitarbeiter für die „Denkmäler der Tonkunst in Österreich“ (DTÖ). 8 Ludwig Wittgenstein nimmt Bezug auf die „Schenkersche Betrachtungsweise“ im Big Typescript (213,258v). 9 Felix Salzer ist Schüler von Schenker. Er ist zudem Neffe von Ludwig und Paul Wittgenstein. 10 Anton von Webern ist Doktorand Adlers und Kompositionsschüler Schönbergs.
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“a perfectly natural thing to put it to music” – John Cage, Bernd Alois Zimmermann, Elisabeth Lutyens und Steve Reich komponieren Wittgenstein After I had played about ninety-eight exercises I was ready to do a little improvising. I used to take a fistful of chords and crash the piano from one end to the other, then sullenly modulate into “the Burning of Rome” or the “Ben Hur Chariot Race” which everybody liked because it was intelligible noise. Long before I read Wittgenstein’s Tractatus Logico-Philosophicus I was composing the music to it, in the key of sassafras. (Miller, [1939] 1961: 248)1 Die Vertonung genuin philosophischer Texte hat in der Musik Seltenheitswert. Zwar wurden Komponisten immer wieder durch philosophische Lehren beeinflusst, eine direkte Umsetzung philosophischer Texte scheint jedoch in den allermeisten Fällen kaum denkbar. Umso erstaunlicher ist die schiere Anzahl der Kompositionen, die auf Wittgensteins Texten fußen. Der britische Komponist Anthony Powers, dessen Arbeit A Picture of the World (für Countertenor, Klarinette und 16-stimmigen Chor, 2001) genau dies unternimmt, behauptet gar: „The phrasing, the form of words he uses, the way some sentences look as if they have meaning but actually go nowhere, are all amazingly musical, and it seems a perfectly natural thing to put it to music.“ (Tait, 2003: o. s.) Beziehungen der Wittgenstein’schen Sprache zur Musik wurden immer wieder hergestellt, bereits einer der ersten Tractatus-Interpreten verwies auf die musikalische Grundstruktur des Werkes: Wenn man die Nummerierung [des Tractatus] als ein Gegenstück zu den Zeichen ansieht, mit denen in Notenschrift die Variation der Tonstärke bezeichnet wird, bekommt man eine Vorstellung von dem wogenden Rhythmus des Traktats und seiner Einteilung in Haupt- und Nebenthemen. (Stenius, 1969: 17)2
1 Der Sassafras-Baum bildet den Rohstoff Safrol zur Herstellung von Root-Beer, der Droge Ecstasy sowie mehrerer Psychopharmaka. 2 Stenius geht es vor allem um den Rhythmus: „[...] man kommt der Sache tatsächlich am nächsten,
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Toru Takemitsu ließ sich 1969 für sein Werk Stanza I (für Gitarre, Klavier, Celesta, Harfe, Vibraphon und Sopran) von dem Tractatus-Satz 6.432 inspirieren: „Wie die Welt ist, ist für das Höhere vollkommen gleichgültig.“ Laurie Anderson widmete Wittgenstein zwei Songs über dessen Sätze „If You Can‘t Talk About it, Point to it“ und „Language is a Virus from Outer Space“, und Donnacha Dennehy komponierte 2000 Counting (für Streichquartett und Elektronik). Ein Beispiel aus jüngerer Zeit ist Balduin Sulzers Tractatus logico-philosophicus (für Sopran solo und unterschiedliche Klanggeräte, 2007). Bekannt ist auch die Tractatus-Suite des finnischen Künstlers Mauri Antero Numminen aus ausgewählten Sätzen des Tractatus von 1966, bestehend aus sechs Liedern verschiedener Stile bzw. Gattungen wie Jazz, Rock oder Walzer, einem atonalen Lied sowie dem Marsch Wovon man nicht sprechen kann. Numminens absurd verstellte Stimme singt diesen Satz in deutscher Sprache mehrfach abwechselnd mit martialisch anmutendem Männerchor, unterlegt von absichtlich dilettantischer Marschmusik, und konterkariert damit in Kurt Weill’scher Bissigkeit eine allzu oft zur leeren Phrase abgeflachte Verwendung dieses bekannten Satzes. Wie es sich mit dieser so „natürlichen Sache“ wie es Anthony Powers nennt, Wittgenstein zu vertonen, tatsächlich in einigen Fällen verhalten hat, möchte ich anhand von vier Komponisten und Werken näher betrachten. Diese reizte an Wittgenstein anscheinend (mindestens) drei verschiedene Dinge zu einer musikalischen Darstellung: die Idee des Sprachspiels (hierzu John Cage und Bernd Alois Zimmermann), die Struktur seiner Schriften (hierzu Elisabeth Lutyens) und die „Idee einer Idee“ selbst (Steve Reich).
1 Musikalisierte Sprachspiele: Cages I–VI (1988/89) und Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter (1967/69) John Cage widmete sich Wittgenstein in seinen „Harvard-Lectures“ (Charles Eliot Norton Lectures) 1988/89. Sie bestanden aus der an sechs lectures von Cage als Sprecher selbst aufgeführten Arbeit I–VI mit jeweils einer nachfolgenden Fragestunde für die Teilnehmenden. Cages Arbeit besteht aus auf etwa 400 Textseiten
wenn man sagt, die Nummerierung zeige eine Art Rhythmus des Nachdrucks, der Betonung. Die Sätze 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7 können als „forte“-Stellen angesehen werden, denen natürlicherweise Decrescendos folgen – aber denen auch Crescendos vorausgegangen sind.“ (ebd.).
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abgedruckten sogenannten „mesostics“, seiner bevorzugten kompositions-poetischen Form. Bilden bei einem Akrostichon Anfangs oder Endbuchstaben der horizontalen Zeilen vertikal gelesen einen neuen Begriff, steht der vertikal zu lesende Begriff bei einem mesostic in der Mitte der Zeilen, Cage hebt sie durch Großbuchstaben heraus. Unterhalb dieser mesostics läuft der ohne sprachliche Korrekturen transkribierte Text der Fragen des Auditoriums mit Cages Antworten in Kleinbuchstaben ohne jegliches Satzzeichen als „Kontrapunkt“ in der abgedruckten Version mit. Cages Antworten sind jeweils kursiv, die anonym bleibenden Fragen gerade gedruckt. Die entstehenden mesostics, die nacheinander abgehandelt werden, bilden den eigentlichen Titel der Arbeit: „Method, Structure, Intention, Discipline, Notation, Indeterminacy, Interpenetration, Imitation, Devotion, Circumstances, Variable Structure, Nonunderstanding, Contingency, Inconsistency, Performance.“ Als Materialbasis dienen ihm einzelne Zitate von Wittgenstein, Thoreau, Emerson, McLuhan und anderen, aber auch der New York Times, dem Wall Street Journal und dem Christian Science Monitor. Die Originaltexte sind im Anhang für jedes der mesostics aufgelistet. Mit einem Computerprogramm welches auf Operationen des I Ging beruht, reihen sich Bruchstücke aus den Zitaten auf der Basis von „chance operations“ aneinander. (Cage hatte bereits zuvor solche Zufallsoperationen für die Musik maßgeblich nutzbar gemacht und verwendet sie in vielen seiner Werke ausgiebig (Vergl. z. B. Perloff 1997).) Wittgenstein nimmt dabei, Cages’ eigener Einführung zufolge, eine prominente Rolle ein: I have long been attracted to his work, reading it with enjoyment but rarely with understanding. Peter Yates introduced me to it. John Holzaepfel, who has written a text3 relating Wittgenstein’s ‘use’ to my ‘process’, offered to help me by finding Wittgenstein’s quotations suitable for some of my files. I accepted his help but found his choices as mysterious as the books from which they were taken. I decided to subject the Wittgenstein corpus to chance operations. Which book? which page? were my questions. Given the page I made a choice. Ninety-three entries were made in the fifteen files having nothing to do with the file names as subjects, unless by coincidence. (Cage 1990: 3)
Cage wählt aus sehr unterschiedlichen Werken Wittgensteins Passagen aus, darunter die Lectures 1932–1935, Lectures and Conversations, Philosophical Grammar, Culture and Value, Remarks on the Foundation of Mathematics oder dem Tractatus. Da es sich bei den Quelltexten – bis auf den Tractatus – bekanntlich nicht um originale Zusammenstellungen von Wittgenstein handelt, ist Cages Herangehensweise auf eine eigene Weise sehr konsequent: Er findet die Auswahl
3 Dieser Text wurde nie veröffentlicht.
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Holzaepfels nicht weniger „mysterious“ als die Texte selbst und tritt dann durch eine völlig idiosynkratrische Auswahl mit Unterstützung des Zufallsverfahrens von einer semantischen Auslegung Wittgensteins zurück: Er macht den Text zum reinen Klangmaterial, lässt ihn „geschehen“ und macht diese Performativität zu seiner eigenen ,Sprachkritik‘: In the nature of the use of chance operations is the belief that all answers answer all questions. The nonhomogeneity that characterizes the source material of these lectures suggests that anything says what you have to say, that meaning is in the breath, that without thinking we can tell what is being said without understanding it. (Cage 1990: 6)
Abb.1: John Cage 1988/89: 27 (Ausschnitt)
In diesem Ausschnitt aus I–VI ist die erste Zeile mit einiger Sicherheit einem Wittgensteinzitat entnommen, das „et cetera“ vielleicht ebenfalls, doch die Spur verliert sich, der Leser gerät ins Spekulieren, während sich der Hörer längst dem Fluss der Klänge anvertraut hat. Diese Herangehensweise ist in gewissem
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Sinne eine sehr konsequente Umsetzung Wittgenstein’scher Sätze, ein tatsächlicher „use“, wie Cage formuliert. Dem festesten Prinzip, dem Zufall überlassen, kann sich ein solcher Text selbst auslegen ohne feste Bedeutungen herzustellen. Sagen als klingendes und verschweigendes Sagen – es spricht nicht mehr der Text, sondern die Worte werden zu musikalischen Elementen, an denen nur noch Klang, Dauer, Rhythmus oder Tonhöhe aufgefunden werden können, die gleichzeitig aber ihre Bedeutungsgeschichte nicht verleugnen, sondern dieser sprachspielartig durch die Neu-Kontextuierung auf ungeahnte Weise erweitern. Dass Cage genau aus diesem Verständnis heraus arbeitet, dafür spricht seine Antwort aus dem „Kontrapunkt“ der Arbeit: i have the feeling as i work on these lectures you know from my introduction that i don’t understand wittgenstein but nevertheless i’m using him i have the feeling that i’m beginning to understand him now at least more than i did and i told that to my friend mr holzaepfel who does understand his work and he said oh good and the i told him what i thought i understood he sees more possibilities or more uses of things than just a few uses and ultimatively there are almost limitless uses then mr holzaepfel spoke of wittgenstein as someone who was able to ask questions that haven’t been asked this had to do with creativity that is to say bringing into existence the things that hadn’t been or hadn’t been noticed so that you could then pay attention differently to other things (Cage 1990: 38–40).
Bernd Alois Zimmermann übernahm Zitate Wittgensteins in die Textmontagen des Prologs zu seinem Requiem für einen jungen Dichter (1967/69). Zwar ist bekannt, dass Zimmermann Teile von Wittgensteins Werk kannte, ob es sich jedoch um ein vertieftes Studium der sprachphilosophischen Ansichten Wittgensteins oder um ein Zusammentreffen ähnlicher Ansichten handelte, kann nicht genau rekonstruiert werden. (Vgl. Hiekel 1995: 65) Ohne Frage jedoch bekommt der Sprachspiel-Begriff im Requiem eine programmatische Funktion: Sprache wird [...] vor allem in ihrem sprachpragmatischen Aspekt, in der Vielfalt ihrer funktionalen Verwendungsweisen eingearbeitet. [...] Für Zimmermann ergibt sich dadurch die Möglichkeit, durch ein Auseinanderfallenlassen von semantisch-genetischem Gehalt der verwendeten Materialien und ihrer pragmatischen (Sprachspiel-)Funktion Spannungsverhältnisse zu komponieren, die politische, philosophische und religiöse Bedeutungsgehalte aufleuchten lassen. (Birnbacher 2008: 49)
Seine Zusammenstellung dieser „genetisch“ so unterschiedlichen Texte wie Passagen des Grundgesetzes, von Messtexten oder Zitaten aus dem Roten Buch Mao Zedongs, von James Joyce, Kurt Schwitters und Augustinus, werden mit akustisch vorfindlichem Material wie Originaleinspielungen von Hitler und Papst Johannes XXIII zusammengestellt. Die musikalische Zitatebene ist dabei ebenso komplex
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angelegt: Ausschnitte aus Wagners Tristan wechseln mit Messiaens L’Ascension, Beethovens Neunter Symphonie oder Hey Jude von den Beatles. Der Hörer muss so aktiv in die – ganz Wittgenstein’sche – „Erforschung von immer neuen Sinnzusammenhängen“ eintreten, und den wie Sprachspielkonfigurationen zusammengesetzten Deutungselementen im Gebrauch (hier: im Erklingen) neuen Sinn verleihen. (Vgl. Hiekel 1995: 634) Zimmermann hinterfragt durch solche Neukonfigurationen jedoch nicht nur die Ebene von Text und Musik-Zitaten, also vorfindlichem semantisiertem Material, sondern auch die historische Dimension von Musik selbst: Nicht nur werden traditionell festgeschriebene kompositorische Strategien mit neuen Herangehensweisen kombiniert und so neu definiert, sondern er tritt auch mit der Gattung des Requiems und ihrem historischen Kontext immer neu ins Gespräch. Dass Wittgenstein nicht nur mit der Idee des Sprachspiels, sondern auch auf der konkreten Textebene eine besondere Rolle einnimmt zeigt sich zum Einen daran, dass es sich, auf etwa elf Minuten gedehnt, um das längste Textzitat der gesamten Komposition handelt. Außerdem stellt Zimmermann mit einer Bemerkung in der Partitur sicher, dass die Verständlichkeit dieser Textebene nicht durch andere musikalische Schichten beeinflusst werden darf. Mit seinen Textmontagen stellt Zimmermann immer wieder neu kombinierte semantische Situationen her, ähnlich wie Wittgenstein durch die immer wieder neue Zusammenstellung – allerdings nacheinander erscheinender thematischer Felder – neue „Belichtungen“ schafft. In gewissem Sinne führt Wittgenstein auf ähnlich „musikalische“ Weise in seinen Texten nicht nur immer neue Themen ein, variiert oder kontrastiert sie und führt sie in neue Kontexte, sondern man könnte für diese Texte sogar die Metapher einer sinfonischen Partitur bemühen: Wittgensteins multiperspektivisches Sprechen ist polyphon. Die verschiedenen Stimmen mit ihren individuellen Klangfärbungen erhalten eigene Rollen in der thematischen Arbeit, treten auf, verschwinden wieder, kommen später zusammen mit anderen in neuen Kontexten und neuen Verbindungen.5
4 Hiekel ist vor allem an Zimmermann interessiert, seine Ausführungen zu Wittgenstein sind daher recht kurz. 5 Einen sehr interessanten Versuch der optischen Darstellung dieser Polyphonie in Wittgensteins Texten hat Ingolf Max unternommen (Max 2010).
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2 Musikalisierte Struktur: Elisabeth Lutyens Motet (1953) William Glock, Redakteur bei der BBC, der sich als Multiplikator um die zeitgenössische Musik in England verdient machte, war Freund und Förderer des enfant terribles Elisabeth Lutyens. Diese ist vor allem als eine der wenigen Vertreterinnen der Dodekaphonie in England bekannt, ihre Kompositionen sind durch Anton Webern angeregt, jedoch durchaus eigenständig. Sie hatte zudem eine enge Beziehung zu Strawinsky, der in den 50er Jahren ebenfalls zwölftönig komponierte. Glock gab bei Lutyens eine Vokalkomposition in Auftrag und lobte das so entstandene Werk später als „a kind of geometry answering to Wittgenstein’s philosophical thought.“ (Glock 1983: o. S.) Lutyens Motette Excerpta Tractatuslogico-philosophicus besteht aus 29 Sätzen des Tractatus, die kurzen Sätze übernimmt sie ganz, längere werden nur in Auszügen präsentiert, eher logische Komponenten von Sätze fallen gelegentlich zu Gunsten einer stärkeren Aussagewirkung weg (z. B. Takt 19–21 vertont Satz 2.021 „Die Gegenstände bilden die Substanz der Welt.“ Dabei fehlt der anschließende Teil „Darum können sie nicht zusammengesetzt sein.“) Zweimal wiederholt sie, vermutlich aus klanglichen wie inhaltlichen Gründen den Nachsatz „sind die Welt“ (Takt 38+44), und fügt in Takt 47 eigenmächtig „ein Bild der Welt“ hinzu, später „dass es sich so verhält“ (T 66f, „verhält“ hat eine gewisse klangliche Ähnlichkeit zu „Welt“). Obwohl ihre Biographie (und in der Folge verschiedene Programmnotizen) behauptet, sie habe die durch Wittgensteins Nummerierung hervorgehobenen Propositionen vertont, „which effectively constitued a summary of the thought of the book“ (so die Behauptung), ist das nicht der Fall: Die Hauptsätze 5 und 6 zur Wahrheitsfunktion fehlen, allerdings wäre der 6. Satz mit seiner enthaltenen Formel auch kaum hörerfreundlich vertonbar gewesen. Sie geht teilweise bis in die vierte Dezimalstelle der Tractatus-Nummerierung und wählt ohne erkennbares System vor allem (klanglich) starke Sätze zu den Themen Welt, Wirklichkeit, Wahrheit, Leben und Tod. Im Gegensatz zu Cage, Reich (s. u.) oder Zimmermann beruhte dabei die Wahl des Textes nicht auf einer bereits früheren persönlichen Beschäftigung mit dem Philosophen. Auf der Suche nach einem Text, der keine jugendliche Liebeslyrik sein sollte, sondern „something accurate and impersonal but not religios“ (Lutyens 1972: 222), stand offenbar zunächst Euklid zur Auswahl, Lutyens entschied sich erst auf Vorschlag ihres Freundes Terence Tiller für den Tractatus, von Wittgenstein hatte sie nach eigener Aussage bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gehört. (Lutyens 1972: 223) Auch der kompositorische Prozess scheint zunächst nicht vornehmlich inhaltlich, sondern strukturell und klanglich orien-
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tiert gewesen zu sein: „From the first glance I knew I had found what I wanted, the words and ideas being ideally suited to the already formulated sound and architecture of the music in my mind.“ (Lutyens 1972: 223) Trotz der deutschenglischen Ausgabe war die Komponistin überzeugt, dass nur der Klang der deutschen Sprache ein Äquivalent zur musikalischen Architektur bilden könne, Ein Wort wie „Satz“ sei so einmalig in Klang und Bedeutung, dass die englische Übersetzung „proposition“ das Ergebnis nur stören könne. (Lutyens 1972: 223) Also ließ sich Lutyens von der befreundeten Komponistin Chula Doniach die deutschen Worte in musikalische Notation fassen und so lange in deren Klang unterrichten „until she knew the meaning of every sound.“ (Harris 1989: 157) Erst dann verband sie die bereits fertiggestellte Musik Silbe für Silbe mit den deutschen Worten (Harris 1989: 158). Die Komposition für unbegleiteten Chor, op. 27, uraufgeführt 1953, ist mit „Motet“ überschrieben und folgt dem Modell der Gattung: Die Textpassagen werden klar hörbar nacheinander musikalisch „abgehandelt“, es wechseln homophon-syllabische Teile und kontrapunktische, z. T. kanonische, z. T. konzertierende Passagen einander ab. Das ganze Werk beruht auf einer Zwölftonreihe, die, ähnlich wie bei Werken Anton Weberns, aus zwei intervallisch symmetrischen Sechstonhälften gebaut ist, der zweite Teil ist einen Ganzton tiefer transponiert und erscheint als Krebs.
Abb. 2: Originalreihe für „Motet“
Der Schönberg’schen Reihenidee folgend lassen sich von dieser Reihe als Original, Krebs, Umkehrung und Krebsumkehrung 47 weitere Reihen ableiten (in diesem Falle sind sich, auf Grund der symmetrischen Reihengestalt, Originalgestalt und Krebs sehr ähnlich), die das gesamte Tonmaterial der Komposition bilden – in den polyphonen Teilen der Komposition horizontal, bei den homophonen Teilen vertikal als Akkordstrukturen verwendet. Beginn und Ende der Reihen korrelieren zumeist mit den vertonten Sätzen, bei längeren Sätzen lassen sich – dabei nicht nur linear sondern auch quer durch die Stimmen – mehrere Reihen auffinden. Durch die Intervallstruktur der Reihe können vier übermäßige Dreiklänge gebildet werden, mit denen Lutyens in der Vertikalen arbeitet. Sichtbar wird dies z. B. in den Takten 7–10. In Takt 7 erklingen alle 12 Töne, Lutyens schiebt jedoch die entstehenden übermäßigen Dreiklänge (die nie rein, sondern
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immer mit einem weiteren Ton gemeinsam erklingen) vertikal verschoben weiter. So bildet schließlich z. B. der Akkord in Takt 10 über „Welt“ die harmonische ,Essenz‘ der Reihe ab: zwei chromatisch übereinander geschichtete übermäßige Dreiklänge, die Bestandteil einer jeden Reihenhälfte sind, die übrigen Reihen-
Abb. 3: Beginn von Motet (Lutyens, 1975: 1)
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töne finden sich im Takt davor. Das deutet auf eine bestimmte Interpretation des überzufällig häufig erscheinenden Wortes „Welt“ hin: in diesen beiden Takten werden alle vier übermäßigen Dreiklänge präsentiert, sie sind die „Tatsachen“, die im „logischen Raum“ unseres temperierten, westlichen Tonsystems tatsächlich die ganze „Welt“ sind, da dieses Tonsystem nur eben diese vier möglichen übermäßigen Dreiklänge kennt. Die Ausgangsreihe findet sich neben dem Beginn des Stückes besonders auffällig noch an zwei prägnanten Stellen in (fast) originaler Gestalt: Am Schluss, in Terzen geführt von Sopran und Bass sowie an der auch klanglich hervorstechenden Solopassage in der Nähe des goldenen Schnitts (Takt 96–109), die mit Erreichen der Spitzentöne im Sopran das Thema ,Tod‘ in expressiver Weise abhandelt (in dieser Passage ändert sie auch zugunsten einer klareren Aussage den Text ab, T 106/7). Der Hauptaugenmerk Lutyens‘ liegt also auf einer sehr eigenenständigen und emotionalen Interpretation des Tractatus. Als korrespondierendes Element könnte man lediglich die logische Struktur begreifen: Wie im Tractatus die Propositionen von sieben Hauptsätzen ,abgeleitet‘ werden, und in einem bis heute diskutierten, und keineswegs sofort verständlichen Nacheinander angeordnet sind, leitet Lutyens ihr gesamtes Material von einer Tonreihe ab und bringt deren – sozusagen klanglich sinnvolle Sätze – in geordnetem, ebenfalls klanglich sinnvollen Nacheinander zur Erscheinung.
3 Musikalisierte Idee: Steve Reich Proverb (1995) „How small a thought it takes to fill a whole life“ – dieser Satz aus der Kompilation Culture and Value liegt dem etwa 14 Minuten dauernden Stück Proverb (für drei Soprane, zwei Tenöre, zwei Vibraphone und vier MIDI Keyboards mit zwei Spielern) zugrunde, welches 1995 beim Early Music Festival Utrecht vom Theatre of Voices unter Paul Hillier uraufgeführt wurde. Die offensichtlichste Beziehung Reichs zu diesem Satz ist schnell hergestellt6: Als einer der Hauptvertreter der sogenannten „minimal music“ könnte er auch als Motto über dem kompositorischen Lebenswerk Reichs stehen, deren Ausgangspunkt oder Idee fast immer aus einem solchen „small thought“ besteht. Aber die Beziehung zwischen Reich und Wittgenstein geht tiefer und reicht weiter
6 Zu Proverb gibt es einen sehr instruktiven Aufsatz von Ronald Woodley, der auch auf die Wittgensteinbezüge eingeht (Woodley 2007).
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zurück. So sollte The Desert Music (1984) ursprünglich ebenfalls ein WittgensteinText zugrunde liegen und Reichs vielleicht bekanntestes Werk, Different Trains (1988), sollte sogar Wittgensteins gesampelte Stimme enthalten, was Reich offenbar nur aufgab, weil er keine Aufnahme von Wittgensteins Stimme finden konnte. (Woodley 2007: 465) Diese Faszination begann bereits in Reichs Philosophiestudium (1953–57) an der Cornell Universität, welches er mit einer Arbeit über Wittgensteins Spätwerk abschloss; in eigenen Bemerkungen zu Proverb erinnert der Komponist explizit daran: As an undergraduate, what originally drew me to Wittgenstein was his idea that philosophical problems could be understood by looking at how we normally use language. For instance, the philosophical question, ‘How can a mind (or soul) be inside a material body?’ is using the noun ‘mind’ or ‘soul’ as ‘spoon’ or ‘stone’. Wittgenstein asks how we would teach a word like ‘mind’ or ‘soul’ to a child. In what language games would we use these words? This kind of close, subtle examination of everyday speech had a strong appeal to me. As to his text that I used in Proverb, I was trying to embody it in the piece. That is, the ‘small thought’ is the idea of canon or round. (Reich 2002: 193)
Reich erforscht in Proverb diesen „kleinen Gedanken“ in vielerlei Hinsicht. Zuerst ist ein Kanon eine strenge musikalische Regel und kann nur gelingen, wenn dieser Regel gefolgt wird. Zusätzlich zum einfachen Kanon wendet Reich das Prinzip des Proportionskanons (nach franco-flämischem Vorbild) an. Beide Verfahren nutzend, spielt er dabei alle kompositorischen Grenzen dieser Idee durch: Wo man fast meditative Strenge regelkonformen Aufeinanderfolgens zu hören meint, breiten sich tatsächlich feine Risse in der kontrapunktischen und augmentierten Struktur der Komposition aus: die Mikrostrukturen als solche werden in ihrem harmonischen und rhythmische Potential ,vor Ohren‘ geführt und so entfaltet der „small thought“ sich im Verlauf der Komposition zu einem Spannungsfeld zwischen strengem Regelfolgen und Regelbruch: Wann ist eine Regel überhaupt noch als solche wahrnehmbar? Wann ist ein Kanon noch ein Kanon? Die Idee der Augmentation leitet sich dabei bereits aus dem Thema ab, das selbst in sich augmentiert ist. Das Thema konstituiert durch seine Intervalle und seinen halbschlüssigen Charakter aber auch die Basis für Reichs andere klingende Untersuchung von sich entfaltenden Kanonregeln: er bezieht nicht nur Ideen der Renaissancemusik mit ein, sondern auch die Geschichte der mehrstimmigen Musik selbst wird „thematisiert“. Deutlich hörbar bezieht er sich auf Perotins Organa, die ältesten überlieferten vierstimmigen Musiken des Abendlandes. Hier werden die beiden ersten Worte des lateinischen Graduale über mehrere Minuten ausgekostet, Silbe für Silbe lösen sich so für heutige Ohren zu einem reinen Klangerlebnis auf. Perotin vertonte den liturgischen Text nicht mehr auf Verständlichkeit hin, sondern organisierte musikalisch-architektonische Merkmale, wie zum Beispiel Stimmentausch, über sehr kurze wie über längere Zeiträume hinweg.
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Das melismatische Singen über einer Silbe greift Reich auf, macht Anleihen bei der mittelalterlichen Modalrhythmik und übernimmt das enge Stimmengeflecht mit seinen Lagenwechseln (die Samples verstärken diesen Eindruck). Das ist zwar für eine analytische Betrachtung oder geübte Sänger erkennbar, doch selbst ein erfahrener Hörer nimmt in erster Linie die Wiederholungsstruktur selbst wahr: Eine Art Spiel zwischen Vorder- und Hintergrundstruktur entsteht.7 Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Interpreten der Einspielung: Die bekannteste (und 1995 wahrscheinlich immer noch einzige) Aufnahme der Perotin’schen Organa stammt ebenfalls von den Sängern unter Paul Hillier, die klanglichen Ähnlichkeiten sind unüberhörbar. Reich kann also für seine „historische Kanonforschung“ zusätzlich zur musikalischen Faktur auch auf die Kategorie „Sound“ zurückgreifen. Reichs musikalisches „Nachdenken“ auf vielfachen Ebenen folgt damit tatsächlich dem ihm zu Grunde liegenden Satz aus den Vermischten Bemerkungen aus dem Jahr 1946: Welch ein kleiner Gedanke doch ein ganzes Leben füllen kann! Wie man doch sein ganzes Leben lang dasselbe kleine Ländchen bereisen kann, und meinen, es gäbe nichts außer ihm! Man sieht alles in einer merkwürdigen Perspektive (oder Projektion): das Land, was man unaufhörlich bereist, kommt einem ungeheuer groß vor; alle umgebenden Länder sieht man wie schmale Randgebiete. Um in die Tiefe zu steigen, braucht man nicht weit reisen; ja, Du brauchst dazu nicht Deine nächste und gewöhnliche Umgebung zu verlassen. (VB 520)
Innerhalb der „gewohnten Umgebung“ „in die Tiefe steigen“ kann eben auch meinen, die eigenen kompositorischen Vorstellungen mit Wittgensteins Sprache, Texten und Ideen neu auszuleuchten. Cage, Zimmermann, Lutyens und Reich tun das auf jeweils ganz eigene Weise und mit höchst unterschiedlichen Ergebnissen. Ein alle Kompositionen verbindender Reiz, sich auf Wittgenstein einzulassen, liegt aber anscheinend in der Sprache des Philosophen: Wittgensteins Sätze kommen meist ohne komplexen Satzbau aus, die zur Vertonung gewählten weisen oft einen pointierten Stil auf, deren Kürze durch eine gewisse Klanglichkeit unterstrichen wird. Wenn z. B. Numminen den letzten Tractatus-Satz singt, biegt er die satzeigenen Rhythmen für seine Klangidee zurecht: Das erste Wort wird auftaktig, das letzte, im deutschen eigentlich eher weich anmutenden Wort „schweigen“ wird mittels der unnachgiebigen Silbenbetonung der vorangehenden Worte zu einer Art akustischem Faustschlag – der Sinn des Satzes tritt hinter seinem plötzlich ganz neu gehörten Klang völlig zurück.
7 Vergl. den Beitrag von Eggers, „Musik bei Ludwig Wittgenstein“ in diesem Band.
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Die Textauswahl für eine Vertonung oder ein Lied stellt den Komponisten oder die Liedermacherin immer auch vor die Entscheidung, mittels dieser Auswahl gewisse persönliche Eigenschaften oder Gedanken einer Öffentlichkeit preiszugeben. Wittgensteins Sätze sind auf den ersten Blick weder weltanschaulich, noch sentimental oder in Wortschatz oder Bildsprache verbraucht. Gleichzeitig vermitteln Sie aber zumindest für einen von der Wittgensteinforschung nicht zu stark beeinflussten Leser eine gewisse Offenheit der Interpretation und damit das Potential, eigene Kreativität in vielfacher Weise anzuregen und ganz andere „Leitern“ nach dem Aufstieg zurückzulassen, als die etablierten Philosophen: Cage kann Wittgenstein zu einem Material unter vielen machen, Zimmermann braucht nicht nachzuweisen, wo Wittgensteins Gedanken in die seinen übergehen und umgekehrt, und Lutyens reicht gar die Struktur und der Sprachklang. Und so ist es in gewisser Weise bezeichnend, dass Steve Reich, als er sich 2004 in You Are/ Variations wieder Wittgenstein zuwandte, ausgerechnet den Satz vertonte: „Die Erklärungen haben irgendwo ein Ende.“
Literatur Birnbacher, Dieter: „Musik und Musikalisches bei Wittgenstein“. In: Musik & Ästhetik 46, (April 2008), S. 49–64. Cage, John: I-VI. MethodStructureIntentionDisciplineNotationIndeterminacyInterpenetration ImitationDevotionCircumstancesVariableStructureNonunderstaningContingencyInconsistency Performance (=The Charles Eliot Norton Lectures, 1988–89), Cambridge/MA 1990. Eggers, Katrin: Ludwig Wittgenstein als Musikphilosoph (=Musikphilosophie 2), Freiburg i. Br./ München 2011. Glock, William: „A Tribute to Elisabeth Lutyens“, script of BBC Radio 3 broadcast of 15. December 1983. British Library, Sdd. 71114, f. 220. Harris, Merion / Harris, Susie: A Pilgrim Soul. The Life and Work of Elisabeth Lutyens. London 1989. Hiekel, Jörn Peter: Bernd Alois Zimmermanns Requiem für einen jungen Dichter (=Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft Bd. XXXVI), Stuttgart 1995. Lutyens, Elisabeth: A Goldfish Bowl. London 1972. Lutyens, Elisabeth: Excerpta Tractati logico Philosophici: Motette. op. 27. gemischter Chor (SATB). London: Schott Music Ltd., 1975. Max, Ingolf: „Familienähnlichkeit als Analysemethode von Spätwerken Beethovens und Wittgensteins“. In: Heinrich, Richard / Nemeth, Elisabeth / Pichler, Wolfram (Hg): Bild und Bildlichkeit in Philosophie, Wissenschaft und Kunst / Image and Imaging in Philosophy, Science, and the Arts. Papers of the 33. International Wittgenstein Symposium, Kirchberg am Wechsel, Austrian Ludwig Wittgenstein Society, Kirchberg am Wechsel 2010, S. 196–200. Miller, Henry: Tropic of Capricorn. New York 1961. Perloff, Marjorie: „The music of verbal space: John Cage’s ‘What you say’“. In: Morris, Adalaide (ed.): Sound States: Innovative Poetics and Acoustical Technologies, with accompanying CD, Chapel Hill and London 1997, S. 129–148.
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Reich, Steve: Writings on Music 1965–2000. Edited with an Introduction by Paul Hillier, Oxford 2002. Stenius, Erik: Wittgensteins Traktat. Eine kritische Darlegung seiner Hauptgedanken. Aus dem Englischen von Wilhelm Bader, Frankfurt/Main 1969. Tait, Simon: „Mind over Music“. In: The Independent, 12. November 2003. Woodley, Ronald: „Steve Reich’s Proverb, Canon, and a little Wittgenstein“. In: Canons and Canon Techniques, 14th–16th Centuries: Theory, Practice, and Reception History. Proceedings of the International Conference, Leuven, 4.-6. October 2005, Leuven 2007, S. 457–481.
Literatur
Wolfgang Huemer
Wittgensteins kulturelle Heimat: Über Philosophie und Dichtung im Kringel-Buch Das Werk Ludwig Wittgensteins hat große Aufmerksamkeit von Seiten prominenter Schriftstellerinnen und Schriftsteller, von Dichterinnen und Dichtern, aber auch von Literaturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern auf sich gezogen und in letzter Zeit, so scheint mir, gewinnt das Thema Wittgenstein und die Literatur auch unter Philosophinnen und Philosophen immer mehr an Interesse. Vermutlich liegen die Gründe dafür – abgesehen von der Faszination an der ungewöhnlichen Biographie und oft kompromisslosen Lebenseinstellung des Philosophen – hauptsächlich an der zentralen Rolle, die die Sprache in seinem Werk spielt, und dies in mehrfacher Hinsicht: einerseits als Gegenstand philosophischer Reflexion, andererseits, und nicht weniger bedeutsam, aber auch an der sprachlichen bzw. literarischen Qualität seiner Texte. Diese sind oft aphoristisch und reich an kraftvoll inszenierten Bildern. Sie bestehen aus relativ kurzen, manchmal sprunghaften Bemerkungen, in denen häufig ein Dialog mit einem nicht näher charakterisierten Gesprächspartner, der in der zweiten Person Singular angesprochen wird oder diese gebraucht, angedeutet wird. Oft scheint der Autor mit einer Formulierung zu ringen – er sagt etwas, um es gleich wieder zurück zu nehmen und es anders nochmals zu sagen. All das erinnert eher an ein intimes Gespräch mit einem vertrauten Menschen oder an einen inneren Monolog als an eine philosophische Abhandlung und kann zu dem Eindruck führen, dass sich aus der Menge der Bemerkungen, die den Korpus von Wittgensteins Werk, vor allem in seiner späteren Philosophie, ausmachen, die Konturen einer konkreten Persönlichkeit abzeichnen – einer Persönlichkeit, die nicht darauf aus ist, ein bereits fertiges, mit autoritativem Ton vorgetragenes Denkgebäude zu präsentieren, sondern darauf, eine Vielzahl von einzelnen Problemen gleichsam mit dem Leser zu durchdenken. Dadurch kann so etwas wie ein Gefühl der Vertrautheit, der Komplizenschaft zwischen Autor und Leser entstehen, das diese oft in ihren Bann zieht. Somit trägt auch der unkonventionelle Stil der Texte, gerade unter Leserinnen und Lesern, die sich nicht nur für philosophische Konstrukte, sondern auch für Fragen des Stils und der literarischen Form interessieren, zur Faszination Wittgensteins bei. Dies erklärt, wie ich meine, Wittgensteins Bekanntheit auch außerhalb der fachphilosophischen Kreise (im engeren Sinne) – und, im Umkehrschluss, die skeptische
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und ablehnende Haltung, die ihm innerhalb dieser Kreise gelegentlich entgegen gebracht wird. Es ist allerdings festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen Wittgenstein und der Literatur einseitig ist. Während Wittgenstein, mehr als andere Philosophen, Autorinnen und Autoren dazu angeregt hat, Aspekte seiner Philosophie, aber auch direkte Zitate und manchmal sogar ihn selbst, als literarische Figur, in ihr Werk aufzunehmen, äußert er selbst sich nur selten über Schriftsteller und fast gar nicht über Literatur.1 Wiewohl der Hinweis auf die Vielfalt und den Nuancenreichtum unserer Sprache ein wesentliches Charakteristikum seiner Spätphilosophie darstellt, finden wir nur sehr wenige Bemerkungen über das Funktionieren der Sprache im literarischen Kontext. Die Tatsache, dass Wittgensteins Philosophie sehr fruchtbar auf die Philosophie der Literatur wirken kann – und immer mehr wirkt, wie einer Reihe von Publikationen der jüngsten Zeit zeigen – soll nicht darüber hinweg täuschen, dass er selbst kaum theoretische Reflexionen über Literatur angestellt und keine Philosophie der Literatur entwickelt hat. In seinem Gesamtwerk finden sich relativ wenige Bemerkungen über Literatur und auch in diesen entwickelt er keine systematische Position. In meinem Beitrag will ich die Rolle dieser vereinzelten Bemerkungen über Schriftsteller und Literatur diskutieren. Die Frage, auf die ich mich dabei konzentrieren will, ist: wenn es Wittgenstein nicht um Literatur geht, worum geht es ihm in diesen Bemerkungen dann? Ich werde versuchen zu zeigen, dass es ihm kaum um eine Diskussion von literarischen Phänomenen, von konkreten Texten oder Autoren geht, sondern vielmehr um die Illustration philosophischer Thesen, aber auch um eine kulturelle Verortung seiner selbst. Verliert man diese Rolle aus den Augen, so kann das leicht zu irritierenden Missverständnissen führen.
1 Literarischer Stil und kultureller Hintergrund Die Bedeutung des literarischen Stils der Texte Wittgensteins, die oben angesprochen wurde, ist keinesfalls zufällig, dieser ist nicht bloß ein angenehmes Nebenprodukt, wie es bei anderen Philosophinnen oder Philosophen der Fall sein kann, die talentiert im Formulieren von Argumenten sind, denen es aber wesentlich um die Kommunikation eben dieser Argumente und nicht um die literarische Form der Darstellung geht. Für Wittgenstein wäre schon diese Unterscheidung verfehlt.
1 Das bedeutet aber nicht, dass Wittegnstein wenig gelesen hätte, noch, dass diese Lektüre keinen Einfluss auf sein philosophisches Schaffen gehabt hätte. Für eine ausführliche Diskussion dieses Aspektes vgl. Bru/Huemer/Steuer (in Erscheinen).
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Wie wichtig ihm der Stil seiner Texte war erkennt man daran, dass er sowohl im Vorwort zum Tractatus, als auch in dem zu den Philosophischen Untersuchungen explizit auf deren literarischen Stil eingeht. Gleich am Beginn des ersteren stellt er fest, dass dieses „Buch ... nur der verstehen [wird], der die Gedanken, die in ihm ausgedrückt sind ... schon selbst einmal gedacht hat“ und ergänzt: „Sein Zeck wäre erreicht, wenn es Einem, der es mit Verständnis liest, Vergnügen bereitet“ (TLP, S. 9). Der Wert der Arbeit bestehe in den Gedanken, die in ihm ausgedrückt werden, „und dieser Wert wird umso größer sein, je besser die Gedanken ausgedrückt sind. Je mehr der Nagel auf den Kopf getroffen ist. – Hier bin ich mir bewußt, weit hinter dem Möglichen zurückgeblieben zu sein“ (TLP, S. 9). Auch im Vorwort der Philosophischen Untersuchungen thematisiert er deren Stil. Er habe sich, „zu verschiedenen Zeiten verschiedene Vorstellungen“ über die Form des Buches gemacht, und auch hier stellt er (wenn auch ein wenig verspielter) fest, dass das Ergebnis hinter dem Ideal zurück geblieben sei: Nach manchen mißglückten Versuchen, meine Ergebnisse zu einem solchen Ganzen zusammenzuschweißen, sah ich ein, daß mir dies nie gelingen würde. Daß das beste, was ich schreiben konnte, immer nur philosophische Bemerkungen bleiben würden; daß meine Gedanken bald erlahmten, wenn ich versuchte, sie, gegen ihre natürliche Neigung, in einer Richtung weiterzuzwingen. (PU, S. 231)
Aus Wittgensteins Selbsttadel klingt falsche Bescheidenheit durch, sagt er doch, er habe bewusst einen für ein philosophisches Werk ungewöhnlichen Stil entwickelt, weil er nur so seinen Gedanken gerecht werden könne – was wiederum impliziert, dass seine Gedanken zu originell für den herkömmlichen Stil philosophischer Abhandlungen seien. Dennoch schließt das Vorwort mit der Feststellung: „Ich hätte gerne ein gutes Buch hervorgebracht. Es ist nicht so ausgefallen; aber die Zeit ist vorbei, in der es von mir hätte verbessert werden können.“ (PU, S. 233) Diese Zitate zeigen, wie wichtig Wittgenstein der literarische Stil seiner Texte war, aber auch, wie intensiv er damit gerungen hat, einen eigenen Stil zu finden, der seinen Gedanken gerecht wird. Wenn wir vor diesem Hintergrund die Vorworte der beiden Bücher mit dem des Kringel-Buchs2 vergleichen, so fällt auf, dass hier der Stil nicht thematisiert wird – was aber auch daran liegen könnte, dass es sich ja erst um eine erste Auswahl von Einträgen in Notizbücher handelt. Ein anderer Aspekt, den ich oben angesprochen habe, ist aber umso stärker im Vordergrund; und zwar der der Ver-
2 Ich beziehe mich hier auf die von Josef Rothhaupt unter dem Titel Kringel-Buch-Sammlung von Passagen aus dem Nachlass Wittgensteins. Im folgenden zitiere ich aus dem Kringel-Buch mit der vom Herausgeber festgelegten Paragraphen-Nummerierung mit Angabe der Quelle aus dem Nachlass. Bei Verweisen auf den Nachlass berziehe ich mich auf die Bergen Electronic Edition.
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trautheit, oder besser: der Gegensatz zwischen vertraut und fremd. So heißt es etwa „Dies Buch übergebe ich denen, die dem Geist in dem es gemeint ist freundlich gegenüberstehen” (KB Nr. 77 [MS109,212/3]); und im darauffolgenden Paragraphen liest man: Wenn ich sage daß mein Buch nur für einen kleinen Kreis von Menschen bestimmt ist (wenn man das einen Kreis nennen kann) so will ich damit nicht sagen daß dieser Kreis die Elite der Menschheit ist aber es ist der Kreis an den /< es sind die Menschen an die>/ ich mich wende (nicht weil sie besser oder schlechter sind als die andern sondern) weil sie mein Kulturkreis sind gleichsam die Menschen meines Vaterlandes im Gegensatz zu den anderen die mir fremd sind. (KB Nr. 89 [MS110,18/2])
Auch hier, so scheint mir, versucht Wittgenstein, ein Gefühl der Vertrautheit bzw. der Komplizenschaft mit dem Leser aufzubauen. Es ist, als wollte er nicht überzeugen, nicht argumentieren, sondern verstanden werden, gleichsam um seiner selbst willen, oder besser: um seiner Gedanken willen, akzeptiert werden – wie das eben in einer freundschaftlichen Beziehung der Fall ist, die ja oft auf einer gemeinsamen Basis von geteilten Auffassungen, Perspektiven und Lebenseinstellungen beruht. Freundschaften, und besonders Freundeskreise, können (vielleicht gerade deshalb) aber auch exklusiv sein: man gehört dazu oder man gehört nicht dazu. Je vertrauter ein Freundeskreis ist, umso mehr grenzt er sich vom Rest der Menschheit ab, der ihm fremd wird. Wittgenstein spricht diesen Aspekt explizit an: “Denn ist ein Buch nur für wenige geschrieben so wird sich das eben dadurch zeigen, daß nur wenige es verstehen. Das Buch muß automatisch die Scheidung derer bewirken die es verstehen & die es nicht verstehen“ (KB Nr. 67 [MS109,208/3]). Diese Gefühle der Vertrautheit und Fremdheit hängen für Wittgenstein auch davon ab, ob jemand zum selben Kulturkreis gehört oder nicht, ob es sich „gleichsam [um einen] Menschen meines Vaterlandes“ handelt3, was wiederum die Frage in den Mittelpunkt rückt, in welchem breiteren kulturellen Kontext Wittgenstein seine Gedanken verortet – welches gleichsam sein Vaterland ist. Schon im ersten Paragraphen des Vorwortes setzt er sich von „unserer Zivilisation“, die „durch das Wort Fortschritt charakterisiert“ sei, ab; seine Bemerkungen hätten eben damit nichts zu tun. Dennoch ist aber gerade diese westli-
3 Dass Wittgenstein das Wort „Vaterland“ an dieser Stelle metaphorisch verwendet – und nicht mit den starken politischen Assoziationen, die v. a. in dieser Zeit bedeutsam waren, wird nicht nur durch das Wort „gleichsam“ deutlich, sondern auch dadurch, dass er es sonst so gut wie nie verwendet, weder im Nachlass, noch im Briefwechsel. Wittgenstein meint also nicht den Staat Österreich bzw. die österreichische Nation, sondern vielmehr einen Kulturkreis, der auch historische und geographische Wurzeln (im weitesten Sinne) hat.
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che Kultur immer, sozusagen als notwendiger Hintergrund, von dem man sich abheben will, präsent. Wittgenstein darüber im Vorwort: Aber es ist richtig zu sagen, daß das Buch meiner Meinung nach mit der fortschreitenden Europäischen & Amerikanischen Zivilisation nichts zu tun hat. Daß diese Zivilisation vielleicht die notwendige Umgebung dieses Geistes ist aber daß sie verschiedene Ziele haben. (KB Nr. 67 [MS109,209/2])
Damit ist gerade die als Kringel-Buch bezeichnete Auswahl von Bemerkungen Wittgensteins aus den Jahren 1929 bis 1931 als Initialtext für die Frage nach der Rolle des kulturellen Hintergrundes des Denkens Wittgensteins besonders geeignet. In seiner Vorbemerkung stellt der Herausgeber fest, dass „die gehäufte Einbeziehung von und konzentrierte Referenz auf wichtige Personen bzw. deren schriftstellerische, literarische, philosophische, wissenschaftliche, künstlerische Werke“ (Rothhaupt, 2010, S. 8) besonders auffällig und beachtenswert sei. Alleine schon die Auflistung dieser Namen im Personenregister spricht Bände über Wittgensteins Situierung bzw. Verortung im Kontext europäischer Kultur und im weiteren Kontext verschiedener Kulturen und Werte. (ebda.)
Das wirft die Frage auf, welche Rolle diese Referenzen spielen. Worauf will Wittgenstein hinaus, wenn er sich in seinen Bemerkungen auf Dichter bzw. deren Werke bezieht? Bevor ich jedoch auf diese Frage eingehe, will ich durch ein Beispiel illustrieren, welche Rolle sie meines Erachtens jedenfalls nicht spielen.
2 Wittgenstein über Shakespeare In Wittgensteins Nachlass finden sich insgesamt sieben Bemerkungen, in denen Shakespeare namentlich erwähnt wird4; sie wurden allesamt in die Vermischten Bemerkungen aufgenommen. Alle Bemerkungen stammen aus einer relativ späten Phase, die erste, die Wittgenstein Paul Engelmann zuschreibt, ist von 1939, zwei wurden 1946 verfasst, die anderen in den Jahren 1949 und 1950. Wittgensteins Urteil über den Dichter ist eindeutig negativ. So heißt es zum Beispiel: „Die Gleichnisse Shakespeares sind im gewöhnlichen Sinne schlecht“ (VB S. 519), das Wesentliche an ihm seien seine „Leichtigkeit und Selbstherrlichkeit“ (VB S. 519). Etwas
4 Im weiteren interessiere ich mich ausschließlich für Bemerkungen, an denen Shakespeare namentlich erwähnt wird. Es finden sich an wenigen weiteren Stellen Verweise auf oder Zitate aus Werken Shakespeares. Vgl. dazu auch Biesenbach (2011, S. 351 ff.). Es soll hier aber darum gehen, wie Wittgenstein den Namen „Shakespeare“ verwendet.
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später stellt er fest: „Ich habe ein tiefes Mißtrauen gegen die allermeisten Bewunderer Shakespeares“ (VB S. 569). Shakespeare sei kein Dichter, sondern ein Sprachschöpfer, „Ich könnte Shakespeare nur anstaunen; nie etwas mit ihm anfangen“ und etwas später in derselben Bemerkung heißt es: „Es ist nicht, als ob Shakespeare Typen von Menschen gut portraitierte und insofern wahr wäre. Er ist nicht naturwahr. Aber er hat eine so gelenke Hand und einen so eigenartigen Strich, daß jede seiner Figuren bedeutend, sehenswert ausschaut“ (VB S. 569). Shakespeares Dichtung folge ihren eigenen Regeln, sie „sind ihr eigenes Gesetz“ (VB S. 519): „Man könnte es auch so sagen: Wenn Shakespeare groß ist, kann er es nur in der Masse seiner Dramen sein, die sich ihre eigene Sprache und Welt schaffen. Er ist also ganz unrealistisch. (Wie der Traum.)“ (VB S. 568). Es ist, als wäre Shakespeare (für Wittgenstein) nicht einer von uns, als wäre er nicht vertraut, sondern fremd: „Die Menschen staunen ihn an, beinahe wie ein Naturschauspiel. Sie fühlen nicht, daß sie dadurch mit einem großen Menschen in Berührung kommen. Sondern mit einem Phänomen“ (VB S. 570). Während man vom großen Herz Beethovens sprechen könne, sei das bei dem Dichter nicht möglich: „niemand könnte sagen »Das große Herz Shakespeares«. ›Die gelenke Hand, die neue Naturformen der Sprache geschaffen hat‹, scheine mir richtiger. Der Dichter kann eigentlich nicht von sich sagen »Ich singe wie der Vogel singt« – aber Shakespeare hätte es vielleicht von sich sagen können“ (VB S. 569f). Wittgensteins Bemerkungen über Shakespeare haben sehr geteilte Reaktionen hervorgerufen, die, wie mir scheint, häufig Ausdruck einer Irritation sind. Vielen derer, die sich überhaupt zu den Bemerkungen geäußert haben, erschien es unverständlich wie Wittgenstein, dessen literarischer Geschmack als konservativ bezeichnet werden kann, sich über Shakespeare in einer solch negativen Form äußern hat können. Exemplarisch hierfür will ich an den Aufsatz „A Reading Against Shakespeare“ von George Steiner erinnern. Steiner beendet ihn mit den Worten: „Wittgenstein misreads Shakespeare“ (Steiner 1995, S. 128) und sieht die Bemerkungen als Indiz dafür, dass „[a] great logician and epistemologist can be a blind reader of literature“ (Steiner 1995, S. 127).5 Aber auch Interpreten, die Wittgenstein wohlwollender gegenüber stehen, scheinen von der Prägnanz dieser Bemerkungen irritiert gewesen zu sein. So charakterisiert zum Beispiel Brian McGuinness Wittgensteins Auffassungen von Shakespeare, wenn er von der Tatsache berichtet, dass Wittgenstein von Jugendtagen an mit den Stücken Shakespeares durch Liebhaberaufführungen im Hause Wittgensteins vertraut gewesen sei, die seine Schwester Gretl gemeinsam mit dem
5 Für eine detailliertere Diskussion und Kritik von Steiners Wittgenstein-Interpretation verweise ich auf Huemer (2012).
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Bruder Rudi und Freunden aufgeführt und die Wittgensteins Vorlieben geprägt hätten, mit den folgenden Worten: Shakespeare war „nach seiner Auffassung eine in der abendländischen Kultur einzigartige Erscheinung, die wie die Natur oder wie eine Landschaft einfach da ist, und der, vielleicht weil er nichts vom Sittenlehrer hatte, mehr Schöpfer war als Dichter“ (McGuinness 1988, S. 73). Bei der Aussage von McGuinness handelt es sich freilich nur um eine Nebenbemerkung – und nicht um eine detaillierte Interpretation und Analyse, wie im Falle Steiners; McGuinness führt keine textuellen Belege an, es fällt aber doch auf, dass Formulierungen aus den oben zitierten Bemerkungen Wittgensteins aufgegriffen werden, der negative Charakter dieser aber nicht erwähnt wird. Dies mag ein Indiz dafür sein, dass McGuinness entweder durch die Bemerkungen irritiert war, oder aber auch, dass er der Meinung ist, dass sich Wittgensteins wahre Einstellung zu Shakespeare nicht aus diesen Bemerkungen herauslesen ließen. Letzteres könnte wiederum ein Indiz für die These sein, die ich hier vertreten will, nämlich: dass Wittgenstein mit seinen Bemerkungen ein anderes Ziel verfolgt, als die Werke Shakespeares zu diskutieren. Verkürzt könnte man sagen, dass Wittgensteins Bemerkungen über Shakespeare nicht in erster Linie über Shakespeare sind. Abgesehen von diesen Bemerkungen gibt es nur sehr wenige Indizien, die über Wittgensteins Shakespeare-Bild Aufschluss geben könnten. Neben den vier Zitaten von Texten Shakespeares, auf die Biesenbach hinweist6 sind mir nur zwei Stellen aus dem Briefwechsel bekannt, in denen Wittgenstein auf Shakespeare eingeht. Beide Male spricht er über eine Aufführung des Sommernachtstraums: einmal in einem Brief an Engelmann vom 31.3.1917, aus dem hervorgeht, dass Wittgenstein eine Aufführung dieses Stückes im Hause Engelmann als Liebhaberaufführung gesehen hat. Die zweite Stelle findet sich in einem Brief an Rudolf Koder vom 16. 6. 1950, in dem Wittgenstein über den Besuch einer „fürchterlichen“ Vorstellung des Sommernachtstraums schreibt. Er geht aber nur auf die Regie ein, die so „gräßlich [gewesen sei], daß selbst gute Schauspielertalente verloren gewesen seien. Es war eine Freiluftaufführung & die Personen rannten auf dem Rasen herum wie Tennisspieler & schrien ihre Zeilen, da man sie sonst nicht gehört hätte.“7 Auf das Stück selbst bzw. dessen literarische Qualitäten geht er in beiden Briefen bezeichnenderweise nicht näher ein.
6 Vier Zitate von Macbeth, zwei von Hamlet und drei Verweise auf King Lear. Bei all diesen Stellen scheint es aber nicht von Bedeutung, dass es sich um Zitate von Shakespeare handelt; sie werden eher wie Redewendungen verwendet bzw., im Falle von Macbeths Dolch, wie das Aufgreifen eines in der philosophischen Diskussion über Halluzination oft benutzten Beispiels. 7 Zitiert aus (Wittgenstein, 2004). Eine weitere Stelle findet sich in einem Brief an Helene Salzer vom 15. 3. 1948, bezieht sich aber wahrscheinlich auf eine Vertonung des Stückes, vermutlich die von Felix Mendelssohn Bartholdy.
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Darüber hinaus finden wir in dem Buch Ludwig Wittgenstein: Porträts und Gespräche noch drei Verweise auf Shakespeare: John King erzählt von einem Gespräch über eine Aufführung von King Lear in der Marlowe Society, die die beiden unabhängig von einander gesehen hatten und in dessen Verlauf beide die Leistung des Hauptdarstellers gewürdigt hätten.8 Drury berichtet von einem Gespräch im Jahre 1936, in dem Wittgenstein über formale Aspekte der Kunst spricht und kurze Chorstücke der Passionen Bachs mit kurzen Szenen in manchen Stücke von Shakespeare vergleicht.9 In einem anderen Gespräch im Herbst 1948 habe Wittgenstein ihm erzählt, dass er daran gedacht hätte, „ein Zitat von King Lear als Motto meines Buches zu verwenden: ‚Ich werd‘ Dich Unterschiede lehren.‘“10 Die geringe Anzahl sowie der Inhalt dieser Belegstellen scheint mir deutlich darauf hinzudeuten, dass Wittgensteins Interesse für den englischen Dichter nicht besonders stark ausgeprägt war; es ist aber auch bezeichnend, dass er sich in Briefen oder Gesprächen, soweit mir bekannt ist, nicht negativ über Shakespeare äußert – die Tatsache, dass er es erwogen hat, ein Zitat Shakespeares als Motto zu verwenden, sollte eher für eine prinzipiell wohlwollende Einstellung sprechen. Doch nun zu den Bemerkungen selbst: bei näherer Betrachtung fällt auf, dass die Kritik sehr allgemein ist. In den sieben Bemerkungen, in denen Wittgenstein Shakespeare namentlich erwähnt, formuliert er punktuelle, meist sehr allgemein gehaltene Kritikpunkte. Er geht dabei auf kein einziges Werk des Dichters ein, führt keine Textbelege für seine Behauptungen an, noch finden wir, nicht einmal ansatzweise, den Versuch, die vorgetragene Kritik zu begründen. Es geht ihm also offensichtlich nicht darum, einen Beitrag zur Shakespeare-Interpretation vorzubereiten oder gar eine neue, unkonventionelle Lesart der Werke Shakespeares vorzustellen und zu begründen, sondern eher darum, von der eigenen, persönlichen Reaktion auf die Werke Shakespeares zu berichten. Und was diese Reaktion betrifft, so fällt auf, dass Wittgenstein immer wieder feststellt, dass er Shakespeare nicht verstehe und nichts mit seinen Werken anfangen könne. Dass Wittgenstein berichtet, er würde das Werk eines Dichters nicht verstehen, ist per se noch nicht als negative Reaktion zu werten. Ich erinnere hier an die Reaktion auf die Gedichte Trakls, die Wittgenstein per Feldpost im November 1914 von Ficker erhalten hatte. In seinem Tagebuch notiert er dazu: „Ficker sandte mir die Gedichte des armen Trakl, die ich für genial halte, ohne sie zu verstehen. Sie taten mir wohl“ (MS102,27v). In Bezug auf beide Dichter gesteht Wittgenstein ein, dass er sie nicht verstünde. Was aber bedeutsam erscheint: während er Trakl
8 Vgl. King 1984, S. 113 f. 9 Vgl. Drury 1984, S. 185. 10 Vgl. ebda, S. 217.
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dennoch für genial hält, fügt er im Falle von Shakespeare hinzu, dass er mit dem Werk nichts anfangen könne. Diese zwei Aspekte, dass Wittgenstein nicht auf Shakespeare oder sein Werk eingeht und stattdessen die eigene Reaktion darauf beschreibt, zeigt meines Erachtens, dass es ihm nicht wirklich um Shakespeare geht, sondern darum, die eigene Distanz zu Shakespeare – und dessen Bewunderern – auszudrücken. Wenn ich damit recht habe, so ist also Shakespeare nicht das eigentliche Thema der Bemerkungen über Shakespeare, der Name „Shakespeare“ wird zum Stellvertreter. Eine solche Strategie ist für Wittgenstein nicht unüblich. So weist etwa Wolfgang Kienzler darauf hin, dass Wittgenstein in den Jahren 1930 bis 32 seine Kritik an den eigenen, eben überwundenen Position über „Stellvertreter“ vorbringe: „Daher kritisiert Wittgenstein in seinen Aufzeichnungen dieser Phase Platons Atomismus und nicht den Russells, und er arbeitet das Bild der Sprache bei Augustinus und nicht bei Frege heraus“ (Kienzler, 1997, S. 31). Dass diese These nicht ganz unplausibel ist, zeigt auch eine Bemerkung, die Wittgenstein in einem ganz anderen Zusammenhang im Jahre 1946 gemacht hat. In einer Diskussion über die Bedeutung eines Namens weist er darauf hin, dass Namen oft von einem „Aroma“ oder einer „Atmosphäre“ begleitet seien. Wittgenstein schreibt: Aber erinnere Dich daran, wie die Namen berühmter Dichter und Komponisten eine eigene Bedeutung in sich aufgesogen zu haben scheinen. So daß man also sagen kann: die Namen ‚Beethoven‘ und ‚Mozart‘ klingen nicht nur verschieden, sondern es begleitet sie auch ein anderer Charakter. (BPP § 243)
Und wenn Wittgenstein nun über Shakespeare spricht, so zielt er wohl auch nicht auf die historische Figur ab, den Autor von Romeo und Julia und Hamlet, der im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert in England gelebt hat, sondern vielmehr auf den englischen Dichter par excellence, den Repräsentanten der britischen Kultur, die unangefochtene Schlüsselfigur der literarischen Tradition Englands bzw. des englischsprachigen Raums. Er spricht von dem Autor, der von bestimmten Kreisen der Kultur (in- und außerhalb Englands) bewundert und angestaunt – aber nicht notwendigerweise gelesen oder verstanden wird. Das ist die Atmosphäre bzw. das Aroma des Namens „Shakespeare“, die Wittgenstein, wie ich meine, im Auge hatte, was sich auch durch den letzten Satz der vorletzten Bemerkung bestätigt, wo es heißt: „Ich glaube, um einen Dichter zu genießen, dazu muß man auch die Kultur, zu der er gehört, gern haben. Ist sie einem gleichgültig oder zuwider, so erkaltet die Bewunderung“ (VB S. 570). Wenn diese Deutung richtig ist und Wittgensteins Bemerkungen über Shakespeare nicht über Shakespeare sind, worum geht es dann in diesen Bemerkungen? Die Tatsache, dass Wittgenstein auch seine Reaktion auf die Werke Shakes-
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peares (und dessen Bewunderer) thematisiert, legt den Schluss nahe, dass es ihm darum geht, zu zeigen, dass er einer gewissen Kultur nicht angehört; es könnte ihm also um eine kulturelle Verortung seiner selbst gehen, aber auch darum, sein Bild eines Dichters zum Ausdruck zu bringen. Shakespeare wird zum Stellvertreter für eine Kultur (im weiten Sinne), die Wittgenstein fremd ist, die nicht seine Sprache spricht. Damit will ich nicht suggerieren, dass Wittgenstein mit seinen Bemerkungen über Shakespeare seine Abneigung gegen die kulturelle Tradition seiner Wahlheimat England zum Ausdruck bringen wollte. Zwar weist von Wright darauf hin, dass Wittgenstein sich in England nicht unbedingt wohl gefühlt habe: „Im allgemeinen jedoch mochte er die englische Lebensweise nicht und verabscheute die akademische Atmosphäre von England.“ (von Wright 1990, S. 38). Seine Bemerkungen über Shakespeare zielen m.E. aber eher gegen eine bestimmte Art, mit den anerkannten „Klassikern“ einer Kultur umzugehen – sie zu bestaunen, anstatt mit ihren Werken etwas anzufangen – die auch in Österreich und in anderen (europäischen) Ländern weit verbreitet ist. Wittgenstein will meines Erachtens ausdrücken, dass Personen dieser Einstellung nicht zu seinem „Kulturkreis“ gehören, sie sind nicht „Menschen meines Vaterlandes“ (KB Nr. 89 [MS110,18/2]), egal, welcher Nation sie angehören. Dennoch scheint es mir nachvollziehbar, dass es für Wittgenstein leichter ist, diesen Punkt mit Verweis auf den Namen Shakespeares auszudrücken als etwa mit Verweis auf Goethe, dessen Werke ihm viel näher stehen und mit dem er tatsächlich etwas anfangen kann. Gleichzeitig zeigen die Bemerkungen über Shakespeare aber auch Wittgensteins Idealbild vom Dichter. Für ihn sollte ein Dichter, mit dessen Werk man etwas anfangen kann, naturwahr bzw. in seinem gewissen Sinne realistisch sein; dieser sollte kein Sprachschöpfer sein, der die eigene Sprache und Welt erschaffe; es gehe nicht darum, neue „Naturformen der Sprache“ zu kreieren, zu singen, wie ein Vogel singt, sondern vielmehr darum, dass er – oder sie – in der Dichtung Typen von Menschen gut porträtiere und somit wahr sei. Um einen Zugang zum Werk eines Dichters zu finden, muss man seine Kultur gern haben, muss eventuell, wie es in der Einleitung zum Kringel-Buch heißt, zum selben Kulturkreis, gehören und sollte einem nicht fremd sein. Die Einleitung zum Kringel-Buch könnte aber noch einen weiteren Schlüssel bereit stellen, um zu erklären, warum Wittgenstein gerade Shakespeare zum Stellvertreter macht: er weist dort darauf hin, dass sein Buch „mit der fortschreitenden Europäischen & Amerikanischen Zivilisation nichts zu tun hat.“, fügt aber sofort im nächsten Satz hinzu, dass „diese Zivilisation vielleicht die notwendige Umgebung dieses Geistes ist ...“ (KB Nr. 67 [MS109,209/3]). Damit wird deutlich, dass Wittgenstein sich absetzen will gegen eine bestimmte Kultur, die gleichzeitig aber auch den Hintergrund für die Entwicklung der eigenen Person dargestellt hat; es ist also eine Kultur, aus der er herauswächst und gegen die er
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sich abgrenzt; und der Name Shakespeare könnte ganz besonders geeignet sein, diese Kultur zu repräsentieren – aber auch den Umgang mit Literatur und Kunst in dieser Kultur. In diesem Zusammenhang scheint relevant dass Wittgenstein, wenn er Shakespeare beschreibt, einige Positionen vorwegnimmt – und verwirft wie eine Kultur, aus der man herauswächst – die die Debatte der analytischen Philosophie der Literatur des 20. Jahrhunderts bestimmt haben, etwa den literarischen antiKognitivismus oder die Ansicht, dass literarische Texte andere mögliche Welten wahrheitsgetreu beschreiben würden.
3 Philosophie und Dichtung im Kringel-Buch Damit will ich zum eigentlichen Thema des vorliegenden Bandes zurückkommen, also zu der Sammlung von Bemerkungen, die von Josef Rothhaupt unter dem Titel Kringel-Buch vorgestellt wurde. Als nicht-Philologe fühle ich mich nicht berufen, ein Urteil über die Authentizität dieses Kringel-Buchs abzugeben. Mir scheint es aber wichtig, auf einen Punkt hinzuweisen, der mir unkontroversiell und offensichtlich zu sein scheint: Das Kringel-Buch ist kein Buch, sondern, wenn Rothhaupt recht hat – und ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln – ein Buchprojekt, das allerdings Projekt geblieben und von Wittgenstein nicht in eine publikations-fähige Fassung weiter entwickelt worden ist. Wir müssen bei der Beurteilung des Kringel-Buchs also auch die Tatsache in Betracht ziehen, dass Wittgenstein dieses Buch nicht nur zu Lebzeiten nicht publiziert hat – das würde ja auch für die Philosophischen Untersuchungen gelten, bei denen kaum jemand zögern würde, von einem Buch zu sprechen – sondern auch, dass sich der Text bei einer weiteren Bearbeitung sicherlich verändert hätte: Wittgenstein hätte einige Paragraphen ergänzt, andere umgeschrieben, die Anordnung wesentlich verändert, etc. Andererseits sind wir mit diesem Problem bei allen Texten aus der späteren Philosophie Wittgensteins – mit Ausnahme der Philosophischen Untersuchungen – konfrontiert, das Kringel-Buch stellt hier keine Ausnahme dar; es ist mindestens so authentisch wie Über Gewißheit und wohl authentischer (weil mit sorgfältigeren Kriterien ausgewählt) als etwa Vermischte Bemerkungen oder Zettel. Aus meiner Perspektive – also der eines nicht-Philologen – bestimmt sich der Wert einer solchen Sammlung aber wesentlich danach, ob aus der Zusammenstellung eine interessante Perspektive entstehen kann. In seiner Einleitung weist Josef Rothhaupt darauf hin, dass die Sammlung reich an Bemerkungen über wichtige Personen sind, „Nicht nur und nicht in erster Linie Philosophen“, sondern „insbesondere Literaten ... und Komponisten“ (Rothhaupt, 2010, S. 8),
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wodurch das Kringel-Buch zu einem „‚Who is who‘ für den geistigen und kulturellen Hintergrund von bzw. für die kulturanthropologische, kulturphilosophische, ästhetische, ethische und religiöse Kontextualisierung bei Ludwig Wittgenstein“ (ebda.) wird. Betrachtet man nun die Bemerkungen des Kringel-Buchs über Literaten, so fällt sofort auf, dass auch hier keine Interpretationen oder ausführlichere Kommentare zu finden sind. In manchen Fällen haben wir nur ein Zitat, ohne Angabe der Quelle oder des Namens des Autors (z. B. Busch, Carroll, Chamisso); aber auch in den anderen Fällen wird der Name oft nur erwähnt ohne weitere Erläuterung; Wittgenstein lässt die Namen oft für sich selbst sprechen, es geht ihm meines Erachtens um die mit dem Namen verbundene Atmosphäre bzw. das Aroma, mit dem er den jeweiligen Punkt verdeutlichen will. Exemplarisch will ich hier auf Nr. 82 (MS110,12/4) des Kringel-Buchs verweisen, wo diese Strategie besonders deutlich wird: Es gibt Probleme an die ich nie herankomme, die nicht in meiner Linie oder in meiner Welt liegen. Probleme der Abendländischen Gedankenwelt an die Beethoven (& vielleicht teilweise Goethe) herangekommen ist & mit denen er gerungen hat die aber kein Philosoph je angegangen hat (vielleicht ist Nietzsche an ihnen vorbeigekommen).
In diesem Zitat finden wir nicht einmal eine Andeutung auf eine inhaltliche Bemerkung über Beethoven, Goethe oder Nietzsche und schon gar keine Interpretation ihrer Werke, ja nicht einmal eine Andeutung, auf welchen Aspekt dieser Wittgenstein sich beruft. Die Bedeutung der genannten Personen wird nicht erklärt, sondern vorausgesetzt und dient zur Erklärung und illustriert so (in etwas enigmatischer Weise), worauf Wittgenstein hinaus will. Wie in den Bemerkungen über Shakespeare verwendet Wittgenstein also die Namen von Literaten und Komponisten als Kürzel; durch ihr „Aroma“ sollen sie sinnstiftend wirken. Wenn dies stimmt, so tragen sie zur kulturellen Verortung Wittgensteins bei, indem sie diese zeigen, und zwar dem, der sie zu dechiffrieren weiß, ganz so, wie er es im Vorwort zum Kringel-Buch verlangt: „Anständigerweise hänge ein Schloß vor die Tür das nur die anzieht // die es öffnen können & denen nicht auffällt“ (KB Nr. 67 [MS109,209/1]). Wittgenstein will sich nicht erklären, sondern verstanden werden. Das Schloss werden nur diejenigen erkennen und den Schlüssel zur Interpretation nur denjenigen finden, die demselben Kulturkreis angehören wie er. Das führt uns zu der Frage, ob das Kringel-Buch unser Verständnis von Wittgensteins Literatur-Begriff erhellen kann. Oberflächlich gesehen scheint die Antwort einfach: Wittgenstein sagt im Kringel-Buch nichts über Literatur oder die Rolle von Sprache im fiktionalen Kontext. Wenn wir genauer hinsehen, können wir aber doch zwei wichtige Erkenntnisse gewinnen.
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Die erste beruht auf der Einsicht, dass man, um den Wert einer Auswahl von Bemerkungen zu erkennen, nicht nur die positiv ausgewählten Paragraphen berücksichtigen sollte, sondern auch diejenigen, die nicht ausgewählt wurden: nur so kann man ein klareres Bild über die Auswahlkriterien bekommen. Und in diesem Zusammenhang will ich auf einen Eintrag in das MS109 verweisen, der sich dort direkt vor Nr. 52 des Kringel-Buchs findet. Die Bedeutung dieser Bemerkung liegt darin, dass dies eine der ganz wenigen Stellen ist, in der Wittgenstein über das Funktionieren der Sprache im fiktionalen Kontext spricht: Wie ist es mit Sätzen, die in Dichtungen vorkommen? Hier kann doch gewiß von Verifikation nicht geredet werden und doch haben diese Sätze Sinn. Sie verhalten sich zu den Sätzen für die es Verifikation gibt wie ein Genre-Bild zu einem Porträt. Und dieses Gleichnis dürfte die Sache vollständig darstellen. ... Denn in jenen erdichteten Sätzen haben doch die Wörter Bedeutung wie in den anderen, rot, blau, rechts, links, Kopf, Fuß, bedeuten dasselbe wie sonst. D. h. es ist eine Verbindung mit der Wirklichkeit vorhanden. In einem Sinne wenigstens; aber es fehlt die Verbindung mit dem Jetzt und Hier.11 ... Wenn ich ein Bild anschaue so sagt es mir auch etwas, wenn ich keinen Augenblick glaube (mir einbilde) die Menschen seien wirklich oder es habe wirkliche Menschen gegeben von denen dies ein verkleinertes Bild sei. ‚Es sagt mir etwas‘ kann aber hier nur heißen es bringt eine gewisse Einstellung in mir hervor. Meine Einstellung gegen das Bild ist auch keine hypothetische so daß ich mir etwa sagte ‚Wenn es solche Menschen gäbe, dann...‘ ... Ist die Sprache [der Satz] ein Bild so kann ihn nicht erst die Meinung dazu machen. Die Meinung macht ihn nur zum Porträt. (MS109,26ff)
Die Bedeutung dieser Bemerkung liegt darin, dass Wittgenstein hier explizit davon spricht, dass die Sprache im fiktionalen Kontext einen Weltbezug, eine „Verbindung zur Wirklichkeit“ hat, was in der Philosophie der Literatur, vor allem von Seiten der analytischen Philosophie, häufig bestritten worden ist bzw. wird. Es ist zudem eine der ganz wenigen Stellen, in denen Wittgenstein das Funktionieren der Sprache der Literatur überhaupt explizit und (relativ) ausführlich anspricht. All das macht sie, meiner Meinung nach, zu einer der wichtigsten Bemerkungen, die Wittgenstein explizit zu diesem Thema macht. Umso bedeutsamer erscheint es, dass gerade diese Bemerkung von Wittgenstein nicht mit einem Kringel versehen und also nicht für das Buch über Kulturen und Werte ausgewählt worden ist. Eine überarbeitete Version findet sich statt-
11 Ein Anklang auf diese Bemerkung finden wir in KB Nr. 13 (MS107,266/1), allerdings viel enigmatischer und mit Gleichsetzung erdichtete Erzählung = falsche, die nach Ort und Zeit bestimmt ist.
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dessen im dem als Big Typescript bekannten TS213,85.12 Wenn also die Kringel tatsächlich eine Auswahl für ein Buchprojekt signalisieren sollten, so zeigt das, dass die eben zitierte Bemerkung für Wittgenstein nicht in dieses Buch gepasst hätte. Das bedeutet weiter, dass das Funktionieren der Sprache im literarischen Kontext für Wittgenstein kein Thema war, das er in der Sammlung über Kulturen und Werte, dem Kringel-Buch, diskutieren wollte. Statt dessen verwendet er die Bemerkung in TS213 an einer Stelle, an der er sprachphilosphische Fragen (und nicht Probleme der Philosophie der Literatur) diskutiert, was zeigt, dass es Wittgenstein eher um das Funktionieren der Sprache im Allgemeinen, und nicht um unser theoretisches Verständnis von Literatur im Besonderen geht. Es gibt viele Belege die bezeugen, dass Wittgenstein gern und viel gelesen hat13, aber offensichtlich ist Literatur für ihn kein Thema für die theoretische Reflexion. Dass er generell eine gewisse Skepsis gegenüber der Literaturtheorie hatte, zeigt sich auch darin, dass er Frank Leavis, einem Literaturwissenschaftler aus Cambridge, mit dem er befreundet war, geraten hat, „die Literaturwissenschaft an den Nagel zu hängen“ (Leavis 1984, S. 104), was dieser gar nicht gut aufnahm. „Es lag,“ so Leavis „auf der Hand, dass er sich ohnehin nicht vorstellen konnte, die Literaturwissenschaft könne in intellektueller Hinsicht womöglich von Belang sein.“ (ebda.) Das bedeutet aber freilich nicht, dass Wittgensteins Philosophie nicht von großem Interesse und Nutzen für die Philosophie der Literatur sein kann. Wenn Leavis also meint: „daß Studenten der Literaturwissenschaft in Schutz genommen werden sollten vor der Anregung, sie könnten zumindest per Saldo davon profitieren, wenn man ihnen Vorlesungen oder Seminare über Wittgensteins Philosophie anböte“ (ebda.), so liegt das wohl auch daran, dass er Wittgensteins Philosophie (wie er explizit eingesteht) nicht kennt; denn diese entwickelt ein Bild der Sprache, das für unser theoretisches Verständnis der Literatur wesentlich mehr zu bieten hat als die meisten anderen Ansätze des zwanzigsten Jahrhunderts. Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt, der die Bemerkungen des KringelBuches für das Thema „Wittgenstein und die Literatur“ interessant macht, und zwar seine Bemerkungen über die Philosophie. In den Jahren, aus denen die Bemerkungen des so-genannten Kringel-Buches stammen, ist Wittgenstein bekanntermaßen gerade dabei, seine philosophischen Ansichten zu überdenken
12 Ich danke Josef Rothhaupt für diesen Hinweis. 13 Für eine ausführliche Darstellung von Wittgensteins Lektüre und deren Bedeutung für sein philosophisches Werk verweise ich auf (Bru e. al., im Erscheinen).
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und eine neue Methode zu entwickeln; was einen Blick auf die Philosophie-Paragraphen spannend erscheinen lässt. In KB Nr. 61 (MS109,202/1) bezeichnet Wittgenstein seine Methode als eine, die „unmittelbar auf’s Konkrete“ gehe und demnach etwas „Undichterisches“ habe – womit er wohl betonen will, dass man nichts erdichten muss, nichts hinzufügen, nichts „hinzudichten“, sondern „nur die Wahrheit sagen“, wie es in KB Nr. 91 (MS110,33/1) heißt. Und wenn er in KB Nr. 82 (MS110,12/4), den ich oben zitiert habe, sagt, dass es Probleme gäbe, an die er nicht herankomme, Beethoven und Goethe aber schon, so zeigt das, dass er Philosophie und Dichtung als zwei völlig voneinander getrennte Beschäftigungen ansieht, die verschiedene Methoden anwenden und deshalb auch verschiedene Ziele erreichen können. Interessant erscheint dagegen, wie er seine neue Methode der Philosophie in Nr. 28 (MS107,285/4) und Nr. 29 (MS107,286/1) charakterisiert: Ich sammle gleichsam sinnvolle Sätze über Zahnschmerzen. Das ist der charakteristische Vorgang einer grammatischen Untersuchung. Ich sammle nicht wahre sondern sinnvolle Sätze ... Man könnte sagen: in der Die Philosophie sammelt fortwährend ein Material von Sätzen ohne sich um ihre Wahr- und Falschheit zu kümmern, nur im Falle der Logik & Mathematik hat sie es nur mit den ‚wahren‘ Sätzen zu tun.
Und in Nr. 50 (MS108,267/4) heißt es: „(Es schadet gar nichts in der Philosophie Unsinn zu reden, wenn man sich nur tief genug mit dem Unsinn einläßt.)” Es ist, als ob Wittgenstein hier die Arbeit eines Dichters charakterisieren würde. Denn auch ein literarischer Text – egal ob fiktional oder nicht – besteht aus einer Ansammlung an Sätzen, deren Wahrheitswert irrelevant erscheint. Viele literarische Texte enthalten unsinnige Sätze (im Sinne des Tractatus), lassen sich aber tief genug darauf ein, wodurch ein neuer Sinnzusammenhang hergestellt wird. In vielen literarischen Texten gilt zudem, was Wittgenstein in Nr. 52 (MS109,28/2) über die Kunst sagt: „Das Kunstwerk zwingt uns – sozusagen – zu der richtigen Perspektive, ohne die Kunst aber ist der Gegenstand nur Natur wie jedes andre.” So kann auch zum Beispiel der Roman uns zu der richtigen Perspektive auf gewisse Aspekte unserer Welt oder Lebensform zwingen. Ich möchte bei dieser Gelegenheit daran erinnern, dass Literatur ein sehr vielfältiges und nuancenreiches Phänomen ist und dass es literarische Formen, etwa das experimentelle Gedicht, gibt, die näher an Wittgensteins Charakterisierung der Philosophie sind als andere, etwa ein Krimi oder ein Liebesroman. Was aber fast allen Formen der Literatur gemein ist (zumindest dann, wenn man den Ausdruck „Literatur“ im normativen Sinn verwendet), ist, dass sie die Aufmerksamkeit immer auch auf die Sprache richten, in gewissem Sinne lässt sich also sagen, dass Literatur immer auch grammatische Untersuchung im Sinne Wittgensteins ist.
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Vielleicht erklärt das auch, warum Wittgenstein es im Jänner 1949, also 17 Jahre später, als negativ bewertet, dass Shakespeare seine „eigene Sprache und Welt“ schaffe. Shakespeare führt „neue Naturformen der Sprache“ ein und ist damit vergleichbar den Philosophen, die meinten, man müsste die natürliche Sprache reglementieren und neue Ausdrucksformen schaffen, um so die Wissenschaften und die Philosophie auf ein methodisch einwandfreies Fundament stellen zu können. Aber im Kringel-Buch ist er noch nicht so weit, die Parallelen zwischen Philosophie und Dichtung zu sehen, und auch später wird er sie nur in zwei oder drei enigmantischen Bemerkungen andeuten, wo er meint, Philosophie dürfe man eigentlich nur dichten.14 Es bleibt also, auch nach der Lektüre des Kringel-Buches, der Befund aufrecht, dass das Verhältnis zwischen Wittgenstein und der Literatur ein sehr einseitiges ist.
4 Literatur Biesenbach, Hans: Anspielungen und Zitate im Werk Ludwig Wittgensteins. Bergen 2011. Bru, Sascha, Wolfgang Huemer und Daniel Steuer: Wittgenstein Reading. Berlin/Boston 2013. Drury, M. O’C.: „Gespräche mit Wittgenstein“. In: Rhees, Rush: Ludwig Wittgenstein: Porträts und Gespräche. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 1984, S. 142–235. Huemer, Wolfgang: „Misreadings. Steiner and Lewis on Wittgenstein on Shakespeare“. In: Philosophy and Literature, 36 2012, S. 229–237. Kienzler, Wolfgang: Wittgensteins Wende zu seiner Spätphilosophie 1930–32. Frankfurt am Main 1997. King John: „Erinnerungen an Wittgenstein“. In: Rhees, Rush: Ludwig Wittgenstein: Porträts und Gespräche. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 1984, S. 107–116. Leavis F. R.: „Wittgenstein – einige Erinnerungsbilder“. In: Rhees, Rush: Ludwig Wittgenstein: Porträts und Gespräche. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 1984, S. 84–106. McGuinness, Brian: Wittgensteins frühe Jahre. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 1988. Rhees, Rush: Ludwig Wittgenstein: Porträts und Gespräche. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 1984. Rothhaupt, Josef: „Wittgensteins Kringel-Buch als unverzichtbarer Initialtext seines ‚anthropologischen Denkens‘ und seiner ‚ethnologischen Betrachtungsweise’“. In: Wittgenstein-Studien. Internationales Jahrbuch für Wittgenstein-Forschung 2, 2011, S. 137–186. Steiner, George: „A Reading Against Shakespeare“. In: No Passion Spent. Essays 1970–1995, London 1996, S. 108–128.
14 Vgl. VB, S. 483.
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Von Wright, Georg Henrik: Wittgenstein. Übersetzt von Joachim Schulte. Frankfurt am Main 1990. Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie. Werkausgabe. Band 7. Herausgegeben von G.E.M. Anscombe und G.H. von Wright. Frankfurt am Main 1984. [=BPP]. Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Werkausgabe. Band 1. Herausgegeben von G.E.M. Anscombe, G.H. von Wright und R. Rhees. Frankfurt am Main 1984. [=PU]. Wittgenstein, Ludwig: Tractatus Logico-Philosophicus. Werkausgabe. Band 1. Frankfurt am Main 1984. [=TLP] Wittgenstein, Ludwig: Vermischte Bemerkungen. Werkausgabe. Band 8. Frankfurt am Main 1984. [=VB] Wittgenstein, Ludwig: Briefwechsel. Innsbrucker elektronische Ausgabe. Herausgegeben von Monika Seekirchner, Brian McGuinness und Anton Unterkirchner, 2004. Wittgenstein, Ludwig: Nachlass. The Bergen Electronic Edition. Oxford: Oxford University Press, 2000. Wittgensteins, Ludwig: Kringel-Buch. Recherchiert, rekonstruiert, arrangiert und ediert von Josef G. F. Rothhaupt, Ludwig-Maximilians-Universität München, München 2010 [=KB].
Daniella Jancsó
The Poet as “guardian of whatever is the case”: Edwin Morgan’s Wittgenstein Wittgenstein stands out among twentieth-century thinkers as a philosopher of poets.1 Writing in his native language and living mostly in England, he had a tremendous impact on literature both in English and in German. Poets as diverse as Ingeborg Bachmann, Hans Magnus Enzensberger, Richard Dove, Ludwig Steinherr, Rosmarie Waldrop, Veronica Forrest-Thomson, Charles Bernstein, Steve McCaffery, and Michael Palmer, to mention only a few, refer to Wittgenstein’s philosophical ideas, evoke his person, and even quote directly from Wittgenstein’s writings in their poems.2 But nowhere, to my knowledge, is the influence of Wittgenstein more wide-ranging than in the work of Edwin Morgan (1920–2010). Born in Glasgow, Morgan is recognised not only as a major voice in Scottish poetry, but also as one of the most innovative and versatile poets writing in English in the twentieth – and twenty-first – centuries. In his long creative life, Morgan repeatedly called to mind Wittgenstein’s person and appropriated his philosophical ideas for poetic purposes. Most notably, he returned several times to the opening sentence of Tractatus Logico-Philosophicus, which he reinterpreted, step by step, in terms of his own poetics of moral commitment. “A New Book By Wittgenstein” is the first poetical evidence of Morgan’s preoccupation. Written in 1966, but first published in 1990 in Collected Poems, it ponders the uncertainties surrounding the authorship of books that go under the philosopher’s name. It also pokes fun at many readers’ preference for secondary sources over primary ones, a practice that Morgan, a lecturer at Glasgow University, might have observed in the academic circles to which he himself belonged:
1 Cf. Terry Eagleton’s assessment in „My Wittgenstein” (Eagleton 1998, p. 337). 2 Ingeborg Bachmann was a driving force behind the bilingual edition of Philosophical Investigations, and she remarked in an interview that what she learnt from Wittgenstein is “how to think with enormous exactitude and clear expression” (cf. Perloff 2011). Veronica Forrest-Thomson developed her theory of twentieth century poetry in Poetic Artifice (1978) along lines inspired by Wittgenstein. Poems which directly refer to Wittgenstein’s person and work include “Probleme” by Hans Magnus Enzensberger; “Hockneyesque” by Richard Dove; “Hoffnungslos” by Ludwig Steinherr; “Inserting the Mirror [29]” by Rosmarie Waldrop; “The Measure” by Charles Bernstein; and “Autobiography” by Michael Palmer. Steve McCaffery’s collection, Evoba: The Investigations Meditations 1976–78, shows throughout Wittgenstein’s profound influence.
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How nice to read a new book by Wittgenstein! But how much nicer to read ‘A new book by Wittgenstein will naturally be felt to illuminate whatever topic or subject it treats of. Not that the present offering is exactly a new book by Wittgenstein: for it is not a book by Wittgenstein at all. “The first thing to be said about this book is that nothing contained herein was written by Wittgenstein himself.” ’ Oh, reading about Wittgenstein, even when it is not exactly about Wittgenstein, is so much better than reading Wittgenstein himself! (Morgan 1990, p. 586) What strikes one first about this poem is the compulsive repetition of the name Wittgenstein, which occurs altogether nine times. It is as if the poet was even more fascinated by the sound of the name than by the work itself, the “book”. Such obsessive repetition may create greatly divergent effects: it can establish the name as an object of reverence, if not veneration; or, it can make the name sound nonsensical, as in children’s games, when a word is repeated to the point of becoming meaningless. In any case, the poem plays a language game with family names. Thus, even if it does not engage explicitly with any particular philosophical idea, it suggests that Morgan had more than just a cursory interest in Wittgenstein. He was aware of the textual-critical problems raised by the posthumous publication of the philosopher’s notes, and he certainly read Wittgenstein: Lectures & Conversations on Aesthetics, Psychology and Religious Belief, since he quotes the book’s first sentence verbatim. “The first thing to be said about this book is that nothing contained herein was written by Wittgenstein himself”, began Cyril Barrett, the editor of Lectures & Conversations, his “Preface” (LA 1966). “Not Playing the Game” (1973) marks Morgan’s first attempt to put specific concepts from Wittgenstein’s philosophy to poetical use. It is a witty, playful dialogue on poetics conducted by a handful of playing cards, apparently. The discussion is fuelled by concepts borrowed from Wittgenstein’s later philosophy: playing games, rules, words in a box. Typically, Morgan creates surprising new meanings for Wittgenstein’s familiar concepts by devising ambiguous, and often humorous, constructions: “Your deal is showing, my dear“, declares a playing card at one point. The joy of participating in language games culminates in the last stanza in the reshuffling of words and the deployment of multiple quotation marks for phrases that have appeared previously in the poem:
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– Back in the box you go in words. ‘Back in the box’, in other words. Now we’ll just let that ‘ ‘‘ ‘dealer’s eyeshade’ ” ’ wilt on whatever can support it, like a poem on baize. (Morgan 1990, p. 277) But playfulness is not all there is in “Not Playing the Game”. The opening lines “– Although a poem is / undoubtedly a ‘game’ / it is not a game”, suggest as much. There is an ongoing concern with the relationship between words and things in the world; the quotation marks indicate the oscillation between focusing on words and attending to objects. The complex simile that ends the poem condenses a whole cloud of poetics into a drop of imagery, as it touches on the question of the referentiality of literature. Does the poet direct the reader’s attention to language or to things in the world? The triple quotation marks around ‘ ‘‘ ‘dealer’s eyeshade’ ” ’ imply that both options can be maintained at the same time; they also intimate that from a poet’s perspective, playing out these two realms against each other appears misguided. The ending of the poem is ambiguous as regards the power of poetry, too. A poem may have the strength to hold up ‘ ‘‘ ‘that dealer’s eyeshade’ ” ’ as a work of art (quite in the sense of Wittgenstein’s remark No. 52 in the Kringel-Buch; MS109,28); or, the poem itself may be in need of support, wilting, like ‘ ‘‘ ‘that dealer’s eyeshade’ ” ’, on baize. It is tempting to see these ambiguities, together with the elusiveness and indefiniteness of the word whatever, as a poet’s tongue-in-cheek response to critical discussions about poetry. In that respect, it chimes with the wry tone that Morgan adopted in “A New Book By Wittgenstein”. The first instance of Morgan quoting Wittgenstein’s Tractatus verbatim appears in his autobiographical “The New Divan”, a sequence of one hundred numbered poems in which Morgan recollects as well as reinvents his time with the Royal Army Medical Corps in the Middle East during World War II. Morgan began writing “The New Divan” in 1973, and published it as part of the eponymous collection in 1977. Poem 53 evokes Wittgenstein as a gardener – one of the odd jobs that the philosopher actually took on in 1926 in a monastery in Hütteldorf: In huge cups, in swags of stone, a fountain garden fattened the snoring well-barbel’d carps. They lived like dynasties, a shaded golden age. The garden, bubbling and drowsing in a palm pocket, dreamed, steamed, lay round its days to hatch nearly nothing, to wind
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about a carp-scale. His algae kept the gardener happy. He thought as he skimmed some, left some, with the sun flinging watery light over his fingers, it would do. He still hoped he would die there. He always knew where the fish were, his hand fed them, stroked the oldest back. He lived like them in that great theatre where the world is everything that is the case. (Morgan 1990, p. 312) This peaceful, lonely episode contrasts strongly with what precedes and follows it in the sequence: at first sight, it is a microcosm of relief amidst the macrocosm of war, of mental and physical distress. Yet the limitations of this form of life are immediately evident. While in the surrounding poems the dominant image is the vast, whirling sea, in poem 53, water – the basis of all life – can be found only in comparatively small-scale containers, “in cups and swags of stone”. This sheltered, tidy, pocket-sized garden world turns out to be no more than a pastoral escapist fantasy. The solitary gardener, the only human being to inhabit this “shaded golden” environment, leads a primitive life, a life more animal than human, more artificial than real. He is happy with “his algae” – with one of the simplest and most ancient forms of life – and he lives like the fish. The last two lines of the poem strike a critical note and make Wittgenstein’s words sound ironical.3 Possibly, the critique is directed against the strictly limited, solipsistic, ‘artificial’ construction – the great theatre, the ‘grand theory’ – that Wittgenstein devised in the Tractatus and which he equated with the world.4 Judging from Morgan’s own poetics, which places special emphasis on the poet’s moral responsibility, what must have disturbed Morgan most in Wittgenstein’s logical approach to philosophy in the Tractatus is the claim that “ethics cannot be put into words” (TLP 1972 6.421; cf. also 6.42). It is remarkable that whenever Morgan quotes the Tractatus hereafter, he does so in a context that directly speaks of moral issues. In these poems to come, Morgan gradually reinterprets Wittgenstein’s words in terms of his own poetics which assumes the poet’s moral responsibility as its starting point: asked in an interview if he had a philosophy, Morgan replied that “[i]njustice is a thing that I react most strongly to: I have a very strong feeling for fairness.” (Morgan 1990a, p. 53).
3 Evidently, Morgan used C.K. Ogden’s translation of Wittgenstein’s Tractatus Logico-Philosophicus, which was published in 1922 in London. 4 Considering Morgan’s keen interest in etymology, one can assume that he knew that the words theatre and theory derive from the same root in Greek.
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“Wittgenstein on Egdon Heath”, published likewise in The New Divan, is of key importance in the process of reinterpreting the opening words of the Tractatus. In twenty-four steps, in the form of a concrete poem, Morgan transforms Wittgenstein’s logical proposition into a moral statement. In each line, some letters of the original quotation are deleted so as to yield a grammatically correct new proposition. The typography conserves nevertheless a semblance of the initial order by leaving the place of the deleted letters blank: the world is everything that is the case the world is verythin ha the world is eve in a case the world is the case the world is that case the world is th is case the world is every case world is hat case world is hat world is case world is thing world is that world is th is world is the se the world is everything that is the se he is the se he is th is he is that he is eve he is everything the wor d is everything the wor d is everything that is the case h o ld everything the wo ld is everything that is the case [The first line is a quotation from Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus] (Morgan 1990, p. 355) In criticism, this poem is usually discussed in terms of its “ludic disordering” of a philosophical proposition, which results in the ironic subversion of the original statement (Nicholson 2007, p. 109; cf. also Crawford 1990, p. 15, Watson 1997, p. 176, and Nicholson 2002, p. 96). Some commentators praise this kind of play-
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fulness, others condemn it for being just a mere game, „tedious and predictably dull“, if not „duller by far than ludo“ (Young 1980, p. 120). I think, however, that the poem calls for a broader perspective. Morgan himself had emphasised that his concrete poems are meant to be more than just ‘language games’ in graphic space: In my own work I don’t feel that the boundary into these other areas [painting, sculpture, advertising, music] is crossed, because I have a strong sense of solidarity with words as parts of a semantically charged flux, and in so far as I isolate or distort them I do this in obedience to imaginative commands which come through the medium of language and are not disruptive of it. This means that each of my poems has a ‘point’ and is not just an object of contemplation, though it is also that. I like to hear the semantic mainsheets whip and crack but not snap. I like to extend the possibilities of humour, wit, and satire through concrete techniques and although this involves ‘play’, whether of words, letters, or punctuation, it must be an imaginative and therefore fundamentally serious kind of play. [...] Abstract painting can often satisfy, but ‘abstract poetry’ can only exist in inverted commas. In poetry you get the oyster as well as the pearl, and the pursuit of purity is self-defeating. The best visual or concrete poems, as it seems to me, acknowledge this fact inversely; their anatomy may be rigid and exoskeletal, but there is something living and provocative inside. (Morgan 1990a, p. 256–257).
Morgan’s brilliant mastery of the art of concrete poetry is acknowledged, among others, by Roderick Watson, who points out that “in Morgan’s hands even individual isolated letters, and especially the spaces (or absences) between them, become an eloquent expressive force in their own right” (Watson 1997, p. 175). „Wittgenstein on Egdon Heath“ is a case in point. A certain seriousness of intent is suggested already by the fact that of all of Morgan’s poems which quote Wittgenstein’s proposition, in this one alone is the source clearly identified. Only when the reader recognises the intertextual reference may he realise that Morgan is in the process of revising a philosophical proposition. The ‘argument’ of the poem might run something like this: the second line – “the world is verythin ha” – resumes Morgan’s critique from “The New Divan” of Wittgenstein’s narrow definition of the world. The following variants literally illustrate the confinement, the artificiality, the limitedness, indeed, the emptiness of such a world. Using the word world without the definite article intensifies the vagueness and abstractness, and this process reaches its culmination in the lines where world is coupled with deictic pronouns (that, this, these) in place of the earlier nouns (hat case, hat, case, thing): “world is these”. The ensuing statements in third person singular may be understood as the critique of a solipsistic worldview, where “he is everything”.5 This proposition is immediately followed by a ‘linguistic turn’ in the
5 If “he is everything”, it is only logical that “he is eve”, too. The gender issues that the presence of “eve” raises in this poem would be worth a separate investigation.
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poem, where now “the word is everything”. This ‘linguistic turn’ is cemented by the next line: “the word is the everything that is the case”, which sounds like the battle cry of a language philosophy understood in the strictest sense imaginable. Yet such reasoning carries matters evidently too far and therefore, it should be stopped: the exclamation “hold everything” signals a turning point in the argument. The conclusion – “the wold is everything that is the case” – sets the record straight as it offers an ethical conception of the world in place of a merely logical or linguistic one. This requires some explanation. The key to Morgan’s transformation of the first proposition of the Tractatus into an ethical statement is provided by the title of the poem. Egdon Heath is a reference to the fictional landscape imagined by the nineteenth-century English novelist Thomas Hardy. In The Return of the Native (1878), Hardy devotes the entire first chapter, entitled „A Face on Which Time Makes But Little Impression“, to the description of Egdon Heath, the clearly symbolic “sombre scene of the story” (Hardy 1969, p. 1): The most thorough-going ascetic could feel that he had a natural right to wander on Egdon: he was keeping within the line of legitimate indulgence when he laid himself open to influences such as these. [...] It was at present a place perfectly accordant with man’s nature – neither ghastly, hateful, nor ugly: neither commonplace, unmeaning, nor tame; but, like man, slighted and enduring; and withal singularly colossal and mysterious in its swarthy monotony. As with some persons who have long lived apart, solitude seemed to look out of its countenance. It had a lonely face, suggesting tragical possibilities. (ibid. p. 3–4)
Egdon Heath is a sublime landscape as well as an inner reality; it corresponds to human nature and is at once a symbol for the human world. Hence, in Hardy’s conception, “wold” is congruent with “world”, the natural laws of the heath are also the laws governing human nature and hence the world of mankind. The suggestion of tragical possibilities – which Hardy will spell out in the course of the novel – means that Egdon Heath is the place where moral values clash. The Kantian echoes in the following passage are suggestive, only that in Hardy, the heath and the starry heavens determine and anchor the moral law within. The ancient permanence of the natural scene provides the only form of support available for humankind in Hardy’s godless world: To recline on a stump of thorn in the central valley of Egdon, between afternoon and night, as now, where the eye could reach nothing of the world outside the summits and shoulders of heathland which filled the whole circumference of its glance, and to know that everything around and underneath had been from prehistoric times as unaltered as the stars overhead, gave ballast to the mind adrift on change, and harassed by the irrepressible New. (ibid. p. 4–5)
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By placing Wittgenstein on Egdon Heath, Morgan makes us see the first proposition of the Tractatus in terms of Hardy’s world.6 He literally ‘brings out’ the moral core of Wittgenstein’s proposition, in a manner that recalls Wittgenstein’s remarks on aspect change in Philosophical Investigations: “If you search a figure (1) for another figure (2), and then find it, you see (1) in a new way. Not only can you give a new kind of description of it, but noticing the second figure was a new visual experience.” (PI 2001, 170e). That Morgan retained this new way of seeing Wittgenstein’s proposition is evinced by three late poems where invariably, the statement becomes an appeal to conscience. In 2002, twenty-five years after The New Divan, Morgan published “The Trondheim Requiem” in his collection Cathures. The poem was commissioned by the Norwegian composer Ståle Kleiberg for his Requiem for the Victims of Nazi Persecution.7 Morgan’s poem is a triptych, consisting of “The Yellow Triangle: Jews”, “The Brown Triangle: Gypsies”, and “The Pink Triangle: Homosexuals”. “The Yellow Triangle” renders in harrowing images the ordeal of the Jews. The first stanza recalls the stations of their extermination from the “shattered shops of the Kristallnacht” to the “shattered bodies of the camps”; the second stanza evokes the horror of “that grey chamber”, of thousands “clawing through the gas, / Crying, unheard, even the strongest / Choking at last on the last pocket of air.” The closing stanza is at once an outcry and a prayer, spoken by the dead – for the dead. The last words of the poem are Wittgenstein’s words, which Morgan puts to the most shocking effect imaginable: Beat the drum like the pulse of man! It is steady, it falters, it steadies, it fades. Take what you will of us to the shades, God of our fathers! We are dust, We are not gods, we are not fashioned From gold or lapis lazuli, we live, We have children, we die. Give us our human place, Allow our human race. Let no one forget the world Is everything that is the case. (Morgan 2002, p. 63)
6 In “Unfinished Poems – a sequence for Veronica Forrest-Thomson”, the last poem in the The New Divan collection, Morgan refers to the philosopher as “Wittgenstein the sad” (Morgan 1990, p. 374); evidently, Morgan saw certain affinities also between Wittgenstein’s character and Hardy’s landscape “with a lonely face”. 7 Kleiberg’s Requiem is the final part of his trilogy on war; this monumental choral work achieved great public acclaim when it was performed on 11 September 2004 in Washington Cathedral and broadcast across the U.S. to commemorate the victims of 9/11.
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Morgan ends this poem with Wittgenstein’s words, which may signal the failure of his own language when confronted with the Holocaust. It is intriguing that of all things, it is a quotation from the Tractatus (whose famous last proposition is, in the translation of D.F. Pears and B.F. McGuinness, “What we cannot speak about we must pass over in silence”; TLP 1972) that enables Morgan to overcome his own speechlessness and to speak of the unspeakable. By rhyming an emphatically human place and human race with “everything that is the case”, Morgan makes his moral commitment unmistakably clear. He explicitly rejects the established modernist response to suffering which seeks refuge in art and distances the “tragic scene” by making it an object of aesthetic contemplation.8 Morgan insists both in his poems and his essays on poetry that the task of the poet should be conceived of both in aesthetic and in ethical terms. As he memorably puts it in the last stanza of “The Poet”: What poor creature then? He limps, he prowls, winces when something deep inside him howls. His line reminds, entices, soars, grieves, growls. (Morgan 1997, p. 63) The same aesthetic and ethical imperative is expressed some ten years later in “Acknowledge the Unacknowledged Legislators!” (2007). This poetic manifesto, mingling the genres of lament, sermon, polemic pamphlet, didactic poem, and parody, is developed on the ground marked by two programmatic quotations. The title refers to the last sentence of Percy Bysshe Shelley’s A Defence of Poetry (written in 1821, published in 1840), the apogee of a flourish of metaphors on the infinite power of poetic expression: Poets are the hierophants of an unapprehended inspiration, the mirrors of the gigantic shadows which futurity casts upon the present, the words which express what they understand not; the trumpets which sing to battle, and feel not what they inspire: the influence which is moved not, but moves. Poets are the unacknowledged legislators of the World. (Leitch 2001, p. 717)
The closing lines of Morgan’s poem are a paean of poetry as ardent as Shelley’s. It is here that the other programmatic reference is to be found, an adaptation of the first proposition of Wittgenstein’s Tractatus:
8 That Morgan takes issue with the established modernist approach is also evident from the intertextual references: “gods”, “gold”, and “lapis lazuli” are the keywords of William Butler Yeats’s canonical poems, “Sailing to Byzantium” (1928) and “Lapis Lazuli” (1938), which find in art the only source of consolation for human pain and distress.
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What is it but language that clamps A country to glory? Ikons, concertos, Pietàs, gamelans, gondolas, didgeridoos, Luboks, a brace of well-tuned sleigh-bells – These are very fine, of course they are. But better still, always far better still Is the sparkling articulacy of the word, The scrubbed round table where poet and legislator Are plugged in to the future of the race, Guardians of whatever is the case. (Morgan 2007, p. 12) Unsurprisingly for a poet, Morgan proclaims the supremacy of poetry over the other art forms. What is remarkable however, is that he does not shy away from allying poets with politicians, claiming that they have essentially the same duty. They are responsible for the future by casting a watchful eye on whatever is the case at present. On the face of it, this is a testimony to facile optimism, if not unabashed naivety, and indeed, Morgan was sometimes reproached for his unshakable belief in the progress of mankind. The associations of casualness and indifference that the word whatever brings up might even suggest the trivialisation of suffering. While the charge of optimism is certainly valid, Morgan’s awareness of human distress is unquestionable. We should note that Morgan reverts here to the same rhyme as in “The Trondheim Requiem”: race and case. If we recall the shocking context of these two words in the earlier poem, we arrive at a more nuanced reading of the closing lines. Poets and politicians have a burdensome legacy to attend to, which absolutely necessitates a moral commitment. When Morgan draws on Wittgenstein’s Tractatus for the last time, the proposition serves, once more, to emphasise human responsibility. “When in Thrace” (2007), an homage to Ovid published in the same collection as “Acknowledge the Unacknowledged Legislators!”, celebrates Ovid’s strength of character during his exile in Tomis: Ovid had to start wearing furs – layers of them sometimes – in Thrace. He said the winter winds and the salt sleet would cut off your face. He threeped and threeped that his exile was a conspiracy and a disgrace. Surrealistic metamorphoses of love and lust were hardly to be written about in that place. But once he learned to stop girning and moaning he uncovered a trace Of common humanity Cast off urbanity Wrote poems in the barbarian tongue which he hated but which was now, as a philosopher would one day say, the case. (Morgan 2007, p. 97)
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Ovid regains his human dignity by facing up to the facts, he can resume his work as a poet once he had come to terms with “which he hated but which was now […] the case”. What a formidable task Ovid has to take on is made clear by a poetic device: almost every long elegiac line rhymes with the word case, letting the entire poem resonate with what Ovid detests and must struggle against. The words Thrace, face, disgrace, place, and trace stake out Ovid’s territory and define the landmarks of his world. Thus, when Morgan draws on Wittgenstein’s Tractatus for the final time in his poetry, he not only places the proposition in an ethical context, but accomplishes a genuinely poetic rendering of the idea that “The world is everything that is the case”. “When in Thrace” is not the end of Morgan’s literary encounters with Wittgenstein, however. He saved, if not the best, then certainly the strangest meeting of all, for the last. The final poem in Book of Lives (2007), the final collection Morgan published in his lifetime, is a bewildering “Conversation in Palestine”. It is a fantastic, humorous, if not farcical dialogue between Jesus of Nazareth and a clueless interrogator: – Your learned friends have been asking about you. Where have you been and what have you seen? – I walk around the lake and I collect people. – That is not what I would call promising. – Nothing not based on the ordinary will ever succeed. – A face floating past the jamb of the door: is that ordinary? People talk. – My mother, with a candle! She doesn’t sleep. Find better evidence than that. She’s ordinary. I’m ordinary. I go to the temple, ask some very simple questions. They bridle, they splutter, they say respect your elders. Well, there’s another who’s even younger, not being born yet, but once my Wittgenstein gets the bit between his teeth, oho, or shall we say a simple ordinary poker, they might complain indeed: give him a chance he’ll change the world, give me a chance I’ll change the world, and while I’m at it there’s my mother who has already changed the world in having me, an ordinary man in Galilee. – What is so great about this Winterheim? – Wittgenstein. – Whatever. What has he done,
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or rather, what will he do, if I believe you? – Give away a fortune. Don’t you like that? Ferociously honest, a life pared to the bone. If you want processions, hierarchies, he’s not your man. Swish vestments are anathema to my father I can tell you that, and to me too if it comes to it, and I go further: white robes disingenuously simple are worse than any magisterium’s twinkle. Stand under the poplars in the park says Wittgenstein, and it will come to you. – What will? – I have said. – The stars will soon be out. – I think so: the beam, the blinter, and the blaze. (Morgan 2007, p. 105) Jesus of Nazareth admires his Wittgenstein both for his frugal life and his (future) philosophical achievement. (Apparently, nothing has slipped Jesus’s divine omniscience, as he even alludes to the legendary episode when in the heat of the argument, Wittgenstein is reputed to have threatened Karl Popper with a fireplace poker.) Jesus, as conceived by Morgan, sees Wittgenstein on a par with himself as regards his potential to “change the world”. Nevertheless, when Jesus goes into detail (or refuses to be more specific) as to what exactly he and Wittgenstein could and will do, the poem begins to verge on farce. Jesus keeps going on about “swish vestments” and cuts short further inquiries with an autocratic “I have said”. These comic traits in “Conversation in Palestine” are reminiscent of “A New Book by Wittgenstein”, Morgan’s first poetic encounter with the philosopher. What saves Morgan’s last poem in his last volume from being no more than a bizarre language game is its ending. In comparison with what has come before, the closing lines are at once meditative and poetical, and hint at more serious, predominantly moral concerns. To hear that “the stars will soon be out” in a conversation where one dialogue partner is, as regards Western civilisation, the moral law embodied, brings to mind, once again, Kant’s remark on the starry heavens and “the moral law within” as the two sources of ever increasing wonder and awe. It is tempting to read the last lines as Morgan’s tribute to Wittgenstein. Morgan honours the philosopher by placing him in the company of Jesus of Nazareth and Immanuel Kant, the pillars of morality and moral thought in Western culture. In Jesus’s poetical response, Morgan also gives expression to his appreciation of Wittgenstein’s thought. Jesus responds by splitting the stars into three
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alliterating synonyms for light, and thus directs the reader’s attention away from things in the world to the words on the page, to language. This suggests that language, too, can become a source of wonder and awe. It has been exactly that for Wittgenstein – and a poet like Morgan could not agree more. It is perhaps not a mere coincidence that Jesus picks up the very term that Wittgenstein used in his first example of a language game in Philosophical Investigations, where he starts out from a language consisting of the words “block”, “pillar”, “slab” – and “beam” (PI 2001, 3e.). For all its comedy and farce, Morgan’s last poem is therefore also a literary monument to the philosopher whose words, reinterpreted in moral terms, allowed the poet to appeal to human conscience and responsibility without adopting a moralising tone. Morgan could thus offer a poetically acceptable alternative to irony, which has been, since Baudelaire, the dominant approach to human distress in modern poetry.9
Bibliography Bernstein, Charles: Islets / Irritations. New York 1983, 1992. Crawford, Robert: “The Whole Morgan”. In: Crawford, Robert / Whyte, Hamish: About Edwin Morgan, Edinburgh 1990, S. 10–25. Dove, Richard: Syrische Skyline. Aachen 2009. Eagleton, Terry: The Eagleton Reader. Ed. Stephen Regan. Oxford 1998. Enzensberger, Hans Magnus: Rebus. Gedichte. Frankfurt/ Main 2009. Forrest-Thomson, Veronica: Poetic artifice. A theory of twentieth-century poetry. Manchester 1978. Hardy, Thomas: The Return of the Native. New York 1969. Larrissy, Edward. (ed.): William Butler Yeats. Oxford 1997. Leitch, Vincent B. (ed.): The Norton Anthology of Theory and Criticism. New York / London 2001. McCaffery, Steve: EVOBA. The Investigations Meditations 1976–78. Toronto 1987. Morgan, Edwin: Book of Lives. Manchester 2007. Morgan, Edwin: Cathures. New Poems 1997–2001. Manchester 2002. Morgan, Edwin: Collected Poems. Manchester 1990b. Morgan, Edwin: Nothing Not Giving Messages. Reflections on work and life. Ed. Hamish Whyte. Edinburgh 1990a. Morgan, Edwin: Virtual and Other Realities. Manchester 1997. Nicholls, Peter: Modernisms. A Literary Guide. Houndmills, Basingstoke 2009. Nicholson, Colin: Edwin Morgan. Inventions of Modernity. Manchester 2002. Nicholson, Colin: Fivefathers. Interviews with Late Twentieth-Century Scottish Poets. Tirril, Penrith 2007.
9 Cf. Peter Nicholls‘s chapter on “Ironies of the Modern”. In: Modernisms. A Literary Guide (2009, S. 1–24).
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“Language Poetry”
Charles Bernstein
Thank You for Saying Thank You / Danke fürs Bedanken1 Thank You for Saying Thank You This is a totally accessible poem. There is nothing in this poem that is in any way difficult to understand. All the words are simple & to the point. There are no new concepts, no theories, no ideas to confuse you. This poem has no intellectual pretensions. It is purely emotional. It fully expresses the feelings of the author: my feelings, the person speaking to you now. It is all about communication.
Danke fürs Bedanken Dieses Gedicht ist völlig verständlich. In diesem Gedicht ist nichts, das in irgendeiner Form schwer zu verstehen wäre. Alle Wörter sind einfach & auf den Punkt genau. Hier gibt’s keine neuen Konzepte keine Theorien, keine Ideen, die Sie verwirren könnten. Dieses Gedicht ist kein Gedicht mit intellektuellen Ambitionen. Es wirkt rein emotional. Es drückt die Gefühle seines Autors aus vollstem Herzen aus: meine Gefühle, die Gefühle der Person, die in diesem Augenblick zu Ihnen spricht. Alles dreht sich
1 Erschienen in: Bernstein, Charles: All the Whiskey in Heaven. Selected Poems. New York: Farrar Straus Giroux, 2010, pp. 255–258. In einer englisch/deutschen Ausgabe erscheint dieser Lyrikband von Charles Bernstein demnächst bei luxbooks. Für die Erlaubnis dieses Gedicht bereits hier zweisprachig veröffentlichen zu dürfen sei Herrn Christian Lux von luxbooks in Wiesbaden herzlich gedankt.
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Charles Bernstein
Heart to heart. This poem appreciates & values you as a reader. It celebrates the triumph of the human imagination amidst pitfalls & calamities. This poem has 90 lines, 269 words, and more syllables than I have time to count. Each line, word, & syllable has been chosen to convey only the intended meaning & nothing more. This poem abjures obscurity & enigma. There is nothing hidden. A hundred readers would each read the poem in an identical manner & derive the same message from it. This poem, like all good poems, tells a story in a direct style that never leaves the reader guessing. While at times expressing bitterness, anger, resentment, xenophobia, & hints of racism, its ultimate mood is
um Kommunikation. Herz an Herz. Dieses Gedicht achtet Sie als Leser & nimmt Sie als Leser ernst. Es feiert den Triumph der menschlichen Fantasie in Gefahren & Elend. Dieses Gedicht hat 90 Zeilen, 269 Wörter, und mehr Silben als ich jetzt eben schnell zählen kann. Jede Zeile, jedes Wort & jede Silbe wurden so gewählt, dass nur die intendierte Bedeutung vermittelt wird & nichts anderes anklingt. Dieses Gedicht schwört jeder Dunkelheit & jedem Geheimnis ab. Hier ist nichts versteckt. Von hundert Lesern würde jeder dieses Gedicht absolut identisch lesen & dieselbe Botschaft von ihm empfangen. Dieses Gedicht erzählt, wie alle guten Gedichte, eine Geschichte auf direkte Art, die keine Fragen offen lässt. Obwohl es von Zeit zu Zeit Traurigkeit, Wut, Ressentiments, Xenophobie & versteckten Rassismus zeigt, ist seine Grundstimmung doch
Thank You for Saying Thank You / Danke fürs Bedanken
affirmative. It finds joy even in those spiteful moments of life that it shares with you. This poem represents the hope for a poetry that doesn’t turn its back on the audience, that doesn’t think it’s better than the reader, that is committed to poetry as a popular form, like kite flying and fly fishing. This poem belongs to no school, has no dogma. It follows no fashion. It says just what it says. It’s real.
eine wohlgesinnte. Freude empfindet es selbst in jenen bösen Momenten des Lebens, die es mit Ihnen teilt. Dieses Gedicht steht für die Hoffnung auf eine Poesie, die dem Leser nicht den Rücken zukehrt, die nicht denkt, sie sei klüger als der Leser, die der Poesie als populärer Form verpflichtet ist, etwa wie Kite-Surfing oder Fliegenfischen. Dieses Gedicht gehört keiner Schule an, es ist durch keinerlei Dogma gekennzeichnet. Es folgt keiner Mode. Es sagt bloß, was es sagt. Es ist wahr. Übersetzung: Tobias Amslinger
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Sign Under Test1 On an evening in June, alone with anxious mediations, reading by mobbed light, I come again, taste to taste, with my own self-inoculations. Paying double but taking only half. As swill becomes saunter. The sky lies so the dirt can give the boot. Then again, there are certain things I never understood, yet lately I find myself mesmerized by these blank spots. They have become the sign posts of my consciousness. The old becomes new again when it arrives after whatever is recent and seems fresh. On the other hand, nothing is so old as that which comes after but seems as if it must have been from before. It’s so quiet you can hear the lint festering in the fog. I’ll give you a hand but only one. Fighting fire with sugar to make pie while the hay dries in the oysterman’s holiday. Winter tears, summer shadows. Poetry is patterned thought in search of unpatterned mind. Love is the messenger not the message. Till you get to the backside of where you began. Neither round robin nor oblong sparrow.
1 Erstveröffentlichung in Bernstein, Charles: Girly Man. Chicago / London: University of Chicago Press, 2006, pp. 157–163.
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My faculties are impolitic. But at least: For two dimes and a nickel you still get something like a quarter. Sometimes a gust is just a gust. The ghosts just left. That still, small voice may not be the root of all evil but it’s no innocent bystander either. There’s tackle in the tackle box. How can you separate the breach from the brook, the branch from the book? The haze doesn’t obscure the view it makes it palpable. It’s not the absence in the presence but the presence in the absence. When you go away there’s no back to come back to. All the addresses have changed and the locks have new combinations. A husband returns home to find a burning cigar in his ashtray. He soon discovers a man in the broom closet. “What are you doing there?” —“Everybody’s got to be somewhere.” [Henny Youngman] Rabbi Eliza asks, “When is a Jew no longer a Jew?” —“When the book is closed.” The pit of the cherry is like the soul of a self-righteous man: when you find it, you want to spit it out. The slips have become skirts. The dove cannot find rest for the soul of its foot. Neither can I find peace in the inner worlds beside the nearby. Inoperative nomenclature. A series of hints without a question, a slew of clues without a crime.
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Why did the turtle cross the road? – To find the chicken. What you don’t know’s a far cry from what you do. Desperately searching for a book that I don’t even want to read. “The world is everything that is the case.” But the case is locked in the trunk of a stolen car. Everything that happens is lost. Even what is recalled is lost in the recalling. Nonetheless, things go on happening. Memory is to life like a band-aid to a wound. A girl I once met told me her name rhymed with orange. Did I just imagine that? Complexity is a ten-letter word, like difficulty. There’s moxie in complexity and tilt in difficulty but what difference does this make? I’ll give you ten minutes and if you don’t come out I’ll give you ten more minutes. My cares turned to wares. Simply stated, there’s nothing to state. It’s not what you say that counts nor what you don’t say but the relation. He understated the price of the property to be sure he got less than it was worth. This was the only way he knew for the exchange to have value. Give me a place to sit and I will look for a place to put up my feet. TILT Everything in the world exists in order to end up as an opera. An opera without music is what we call everyday life. Poetry is opera without the story, score, costumes, make-up, or staging. It’s a libretto set to its own music. The reader is both the conductor and lead singer. The audience gathers at the unconscious. Tickets
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are sold only on the morning of the performance; students pay half but often stand. Unsatisfied customers may claim refunds for twice the cost of admission; these are paid directly by the poet. “You’ve got a lot of moxie.” The “double silly” consists of making two complete turns with another person while walking in the street. I’ve got my next few years of work mapped out for me: figuring out what to do over the next few years. When you say baroque you’re barking up the wrong tree, which suits me. The station wagon stayed stationary at the station. Stunned he put down his gun and started to run. The Jew stops being the Jew when the movie’s over. No horizon on the horizon. Going to sleep to continue the story. Third eye hindsighted. Making another patch for the patch. There’s no business like no business like no business I know. Blue is no longer blue when it loses its hue. Terrible day to start the way. (Terrible way to start to stray.) If language could talk we would refuse to understand it. Hue is a property of optics not objects. As to “avant garde”: I am not in advance of anything but perhaps close, in the neighborhood, around.
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Better to come up from behind than to lead. If you lead you’d have to know where you are going whereas I only know where I am not going. The politics in a poem has to do with how it enters the world, how it makes its meaning, how its forms work in social contexts. The politics in a poem is specific to poetry not politics. Now I am getting weary of ideology and would like to give it up entirely but it seems the more I give it up the more it has me by the throat. I write so I can breathe. And better artificial respiration than no respiration. Better imaging reparation than silence. Or let’s say trying to re-imagine the possibilities of sentience through the material sentience of language. Don’t ask me to be frank. I don’t even know if I can be myself. You never know what invention will look like or else it wouldn’t be invention. We see each other as if with hidden sensors. Those not tuned in miss the action entirely, even when it’s right before them. The Greeks had an idea of nostos, which is not quire what we call nostalgia. Nostos suggests the political and ethical responsibility of the human being in orienting herself or himself. You can’t go home again but you can stay tuned to your senses of responsibility. So much depends upon what you are expecting. The chicken she is cooked but the liver is raw. As for we who love to be admonished … Certain that this satin would intoxicate even Satan; the trips of the trade, the lisps of the frayed. If that’s the price I will pay it but not gladly.
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Like I told her, you can add up all the zeros in the world but it will never amount to anything. Whereas two plus two, while barely four, suggests progress. If progress is a process, what is the purpose of purpose or the allure of allure? You see I told you so but you weren’t listening or maybe I forgot to press SEND. It is equally problematic to shout “Theater!” at a crowded fire. I break for speed bumps. Eugene Ormandy wore organdy. George Solti speaks in sotte voce. Toscanini dons a bikini. Neville Marriner slides down the banister. Herbert von Karajan had two carry-ons. Kurt Mazur abhors clamor. Everything that happens in life exists to be reflected on in Boca. “Do you see that? Those people came in after us and they’re being served first.” It takes a village to read a poem. The patter of petunias in the marmalade. Everybody’s got to be somewhere. Save the last chance for me.
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How Empty Is My Bread Pudding1 for George Lakoff The conceited poet believes the entire world to be his poem. As if you could or could not, would or would not, were or were not; as if the day ended and a new one popped out of the imagination, free of shadows, hurtling to an end of hurt, beyond sorrow’s gate; but could not nor can not, would not nor will not; as if promise were just make-believe and make-believe a veil behind a veil; as if the news were never told and ignorance took the place of this incessant, miserable rain. All the signs say no passage; still, there must be a way. Sometimes one has to shake off even the most sophisticated modes of self-presentation (or self-concealment) to find a sense of where you are. Particulars and their constellation: mosaic, seriality. Imagination of the negotiation of democratic social space: the particular not consumed, not made into an abstraction nor into stone, not dominated. The arrival of a station at the train. Everyone is talking about memoir but I just want to forget. I want a poetry that helps me to forget what I never knew. Show me the baloney and I will immerse myself in last season’s mausoleums. The new is never new but we make it new in order to keep it from becoming dead to us. The motto shouldn’t be make it new but make it live, but necrophilia surrounds us and we take its stench as the perfume of our hip indifference to art as
1 Wird erscheinen in Bernstein, Charles: Recalculating. Chicago/London: University of Chicago Press, 2013.
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something that changes in time, shifts against the tides, hollers out in anguish and exasperation at the suffocating banalities that seem to call our name out loud, as if we were written by them. Poetry is too important to be left to its own devices. Show me a man with two feet firmly planted on the ground and I’ll show you a man who can’t get his pants on. The questioning of the beautiful is always at least as important as the establishment of the beautiful. Not the desert clarity of my lamp But the blanched consequence of my intransigence [from Mallarmé] 1848 – Faraday: “A slight efflorescent appearance was seen on the broken edge.” Felix: “Nothing to bite but my tongue” Free verse is not a type of poetry but an imperative to liberate verse from constraints no longer applicable for a new time and new circumstance. The rich do live better and have the narcotic of money to help them forget how it was acquired. Be thorough: leave no turn unstoned. Poets can be more or less overlooked: known but not well known, like Willy Loman on a pipefitter’s holiday; known in their day but lost to us now; recovered or, if not, recovering. For every emerging poet a couple of others begin to fade; we even begin to fade to ourselves, if the truth be told. We know of the poet’s poet and even hear from time to time of the poet’s poet’s poet, repeating, more in relief than disappointment, John Ashbery’s famous quip that a famous poet is not famous. But poetry’s “disappeared,” as Ron Silliman once called them, haunt us, less from a fear for ourselves than a dread that the context that imparts meaning to our work is so fragile. I is not an other but many others, fellow travelers among the dead, near dead, and just about alive.
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Digital poetry 2003: In 1975, everyone was worried about the idea that language is code; in 2003, everyone is worried that code is language. To each his tone. The truth of the poem is neither in the representation nor the expression. Its truth dwells in what has never been and what will never be. Where possibility and impossibility collide, here the poem is forged. Sometimes a sentence is just a sentence. I’ve got difference, you’ve got the same. Thought is more resourceful than reality; that is why reality repudiates thought. The poem is not finished even when it is completed. I embrace a poetics of bewilderment. I don’t know where I am going and never have, just try to grapple as best as I can with where I am. The poetry that most engages me is not theoretically perspicacious, indeed it has a poetics and an aesthetics but not a predetermining theory; it is multiform and chaotic, always reformulating and regrouping. Competence is less important to me than responsiveness, mobility; ingenuity and invention more important than solutions to predefined problems. You don’t hear anything unless you first listen, just as you can’t have truth without trust, or thirst without memory. The translation of poetry is never more than an extension of the practice of poetry. Traditional metrical verse in the 21st century is like having sex through a net. “You ask me to throw you a bone & I throw you a bone & now you say you don’t want a bone.” Everything is relative and if not relative it ought to be. You can’t get there from here But you can pretend Sometimes a cigar is just a symbol.
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Clinging to the loss as if it would protect you against the loss. A line of zeros totally nothing. This is not a sentence. Alexandar Becanovic, the editor of Monitor, a Montenegrin journal, asks me: “Can you find, in the massive plurality of recent American poetry, common reference points? Is there, in that ‘cacophony,’ some kind of harmony?” – It is always possible to find points in common just as it is always possible to find differences. As to the points in common, the question for American poetry – and it has been a question for a long time – is what are the terms of the common? Emerson imagines an America that is in process, where the commonness is an aspiration, not something that is a given social fact. Langston Hughes says we are a “people in transition.” The “point” is not to hurry through this going because we never arrive. Get used to it! Perhaps this is what we have in common, the particularities that we cultivate within the same space: our simultaneous presence to, and difference from, one another. I worry that harmony would be too close to homogeneity. I go for a microtonal tuning where the music is discovered in the process of active (maybe activist?) listening, not given to, predetermined by, idealized scales. The sirens screeching in the night to take away the dead or wounded interrupt our quiet, refined mediations. I want a poetry that incorporates those interruptions without losing its own newly foundering rhythms. The space between ‘is’ and ‘as,’ ‘sigh’ and ‘sight,’ is the infinity of finitude. Morality vs. aesthetics: I don’t want to make poems that tell you what to think but that show a different order of thinking. Fragments not as discontinuous but as overlays, pleats, folds: a chordal poetics in which synchronic notes meld into diachronic tones. Larry Eigner’s Another Time in Fragments: another time – one that extends and deepens the always present present, created by the algebra of constellated (or multiplied) moments of perception; a kind of hyperperceptual poetry. A criticism is responsible to the degree it is able to respond. Reforming a famous remark of Rimbaud, I would say “I” is a question, poetry an exploration, poetics a foundering refounding.
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Longing for nothing is often the only way to get anywhere. I suppose I could equally say the foundation of language is empathy, that empathy is what allows us to get the sense of something, and that its absence puts us outside the possibilities for meaning. But I don’t like my empathy solicited. Experience presented is one thing, but being directed toward how to feel about it, well, I’d rather take a walk. Problem is: Is it really possible for a poem not to tip its didactic hat? Poems can’t just be, they always mean more than we might want to say or hear. Even the bracketing of experience leans toward a mode of experience. I’m not telling you what you can’t do but what you can do. A sigh is the sword of a textual thing. Angels are not just literary conceits or supernatural realities. The angelic might be a moment of grace in which the images we use to measure out, contain or shield, our suffering melt away. That would mean not using images to symbolize the real but rather letting the real pour in through the cracks between the words. It is not the poets born in America that are native to our poetry, but the ones who came here, in exile, and made America their home; for exile is a native, indeed founding, experience for American poetry. Sticks and stones will break my bones But names wound the soul Two prosodies diverged in a striated field, and I –, I took the hand of the hired man, I took the hand of the hired man and did the polka in the dark, if polka governs in a thing so marked. a world of misplaced desire in the aftermath of feeling’s collusion with happenstance Syntax is never what you thought it was; just when you think you’ve got it down, it bolts out of the corral into the high chaparral. The job of poetry is not to get syntax back in the corral but to follow its wild journey into the unclaimed. When you’re right you’re right and even when you’re wrong you’re right, just not as right as when you’re right.
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Now you’re cooking with salt pork. o, head, get me an ox an ox and toad to pay the toll till I get there with nary a care In a recent poem, Leonard Schwartz asks -- what can drive a nonviolent person to violence? My question would be what can drive a violent person to nonviolence, since that is the only hope when there is too much righteousness on all sides. Who’s right (or who’s been more wronged), who’s got the rights (or who’s got the wrongs), or when you date the right (or wrong) only feeds the fire, since there are so many factors, real and imaginary, that one or the other side chooses, as a matter of principle, to discount. While I am for counting all the factors. But then it’s not poetry but violence that rules. Don’t confuse the puzzle for the solution, the poet for the poem. If you can’t say something nice it’s better not to say anything at all. Yet being a parent, or teacher, gives a provisional license to be “frank,” to be negative, even to be harsh. Provisional in that the license is given for good cause – to avert immanent harm or toward some necessary reflection. The license of a critic to be frank comes without provision, unless it be the good of the body politic, our collective aesthetic benefit. Injustice in the pursuit of order is oppression. Mendacity in the pursuit of security is tyranny. From time to time, poets or editors suggest the value of reading poems anonymously, for example publishing a magazine without author attributions. It sounds democratic, as if this would allow us to read poems for themselves. But art works, like people, are not self-sufficient, but part of a series, embedded in contexts, that give them not only meaning but also resonance, depth; you might even say, life. Without some sense of the author, one cannot account for these other, often determining, factors. Prejudice may be avoided. But (poetic) justice is sorely checked. I quote this from Rosmarie Waldrop, who is citing an embedded reference to Susan Howe, who is alluding to a line of Dickinson, who is echoing Emerson in a way that suggests Jabés, who is paraphrasing a remark of Waldrop’s.
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What you see is never what it is, just as what you don’t see may forever remain invisible to you. Hope is a thing with claws and a recently shorn mustache. I long for a time when the longing will stop. This is the one anxiety that I have the power to overcome. Instead, I nourish it. My saliva tastes like ash. Régis Bonvincino asks about my remark in With Strings that “art is made not of essences but of husks,” pointing out that this is exactly the contrary of Ezra Pound’s dictum, “Great literature is simply language charged with meaning to the utmost possible degree.” “I see your new book as a kind of songbook for ‘sense remote,’” he writes and goes on to wonder about With Strings’ sometimes comic dialogue with popular music. – If poetry is a shell game it’s because it’s all about the shells not the peas. The peas have barely touched the spoon and already it’s time to change the tablecloth. Once we got hold of the peas, the game would be over; whereas poetry never gets anywhere, it just makes you more present to where you are, or at least where you were when you were brushing up against it, rubbing closures. A husk is “the outer covering of an ear of maize”; mine was always that, enmazed, or, in other words, the inner lining of our outer aspirations. History is husk and eternity its other shore, its negation or, as they say in thrillers, neutralization. Pound’s technique of collage is more weighted in husks than he believed; this is the secular redemption of The Cantos. “Desafinado” – off key – remains my motto. I love the intoxication but it doesn’t trust me, and so I find myself always low and wet, humming another tune to taxi me to the next transit point. It’s also that the tunes that are going through my head are remote, they remind me of being reminded. “Sense remote” is like “husks” in that way. As young Hamlet says early on, “too much in the sun.” We seek the solace of shade. Discretion, indirection, sense remote leave a space for conversation, the gaps we will for one another, one after another. “The nearness of you” is also a measure of distance. Reading the poems as about poetry is an inevitable fallout of the speculative nature of these imaginary songs, whose tune is maybe more res cogitans than res extensa, but then who said it was a race anyway? The motif of poetry is just a husk.
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When it falls away you don’t get to essence but are drifting in time, like always, the strings maybe lifting you up (like a puppet?) or else playing along side (Charlie Parker’s “Everything Happens to Me” on With Strings: “But now I just can’t fool / This head that thinks for me. / I’ve mortgaged all my castles in the air”). Deep in the middle of the everyday, which as you say is sometimes pretty comical (slipping on a banana peel, not the banana) and sometimes political (getting up). The imaginary ride that actually works. Bus me, baby, to the telltale tattle of invidious celebration. The thought is always anterior to the reflection, even if the reflection averts resemblance. Make love not unilateralism. The cherry that is not in the garden has fallen under the canopy of the proposition. The issue of availability is in many ways external to what I do as a poet (in contrast, for example, to what I do as a teacher). I do what I can, what I want, what I come up with, what appeals to me, what hasn’t been done in this way before, what I don’t understand, what holds my attention, what pushes me a little further than I have gone, what throws me back to ground I thought I knew so well but in which I can no longer find my way. Poetry is difficult in the sense that it is not easily consumed as a mass culture product, but that applies to a wide variety of poems. Writing poems that try to be available, by using familiar styles and subjects, or telling stories, or avoiding complication, doesn’t necessarily make the work any more accessible. The genre of poetry is itself an unpopular one and is rarely (never say never) able to use such traditional principles as effectively (if the goal is accessibility to the greatest numbers) as films, pop music, TV and the like. At the same time, actually existing readers of poetry will find quite available what would be considered inaccessible by mass culture criteria. So then the question is, available to whom? People who have no sustained engagement with poetry? don’t spell out what you can imply & never imply what you can’t address for it’s later than it once was but early all the same (earlier than it was once but later just the same)
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Let’s just say that one day is completely different than the next, but they still connect and we call the pattern our lives. Or how about: The storage you rent is equal to the mortgage you forgo. Just because you think you can’t change the world is not a reason to try any less. No man is a peninsula entire unto himself. Your desire for independence will ultimately be your slavery. The pen is tinier than the sword. Not yet? When then? The poetry is not in speaking to the dead but listening to the dead. Even when it’s over it’s not over.
Anhang
Personenregister
A Abel, Günter 225Fn2, 411Fn27–28, 413Fn30 Ackerman, Robert A. 231Fn19, 233Fn30 Adler, Guido 409, 416, 416Anm7 Adorno, Theodor W. 113Fn1, 391, 392, 394, 395 Aguilar, Rubén 26Fn27 Alber, Martin 292Fn69 Albrechtsberger, Johann Georg 416, 416Anm2–3 Alexander der Große 323, 323Fn22 Ambrose, Alice 341Fn6 Ammereller, Erich 161Fn1 Amslinger, Tobias 469 Anderson, Laurie 418 Annas, Julia 131Fn64 Anscombe, G. Elizabeth M. 3, 4Fn3, 120Fn33, 121Fn34, 340Fn3, 345Fn11, 350Fn20 Aristoteles 129, 130Fn61, 227, 227Fn7, 229, 299, 305, 342 Ascher, Maria Concetta 73Fn54, 412Fn29 Ashbery, John 478 Aue, Maximilian 117Fn24 Augustinus, Aurelius 132, 259, 264, 320Fn11, 404, 404Fn15, 421 B Bach, Johann Sebastian 282, 406, 407, 408, 440 Bachmann, Ingeborg VI, 5Fn3, 451, 451Fn2 Bachtin, Michail Michailowitsch 127Fn55 Bacon, Francis 144Fn14 Baedecker, Karl 264 Baker, Gordon P. 129, 129Fn59, 131, 131Fn66, 132 Barnes, Jonathan 131Fn64 Barrett, Cyril 98, 341Fn5, 355Fn1, 452 Bartley, William Warren 150 Baudelaire, Charles-Pierre 463 Bayzat, Bev 74Fn58 Bazzocchi, Luciano 6, 7Fn6 Bečanović, Aleksandar 480 Becher, Bernd / Becher, Hilla 370 Beatles, The 422
Beck, Carl Gottlob 320Fn13 Beckmesser, Sixtus 399 Beethoven, Ludwig van 288, 319, 343, 347, 350, 383–385, 402, 422, 438, 441, 444, 447 Bennett, Maxwell 131Fn65 Berensmeyer, Ingo 303Fn4 Bernhard, Thomas VI Bernhard von Clairvaux 403, 403Fn11 Bernstein, Charles V, VI, IX, 451, 451Fn2, 467–485, 467Fn1, 471Fn1, 477Fn1 Bezzel, Chris 282Fn28 Biesenbach, Hans 336Fn49, 437, 439 Biggs, Michael 101Fn9 Birnbacher, Dieter 154Fn32, 421 Bittner, Rüdiger 155, 155Fn37 Blumenberg, Hans 154, 154Fn31 Boeckh, August 141, 142, 142Fn7, 143–145, 149, 151, 152, 152Fn28, 155 Bonvincino, Régis 483 Bouveresse, Jacques 357Fn3 Bouwsma, Oets Kolk 168Fn11 Boyd, Richard 247, 247Fn4 Bradshaw, Peter 352, 352Fn24 Brahms, Johannes 282, 288, 347, 385, 387–389, 391, 396, 408, 409, 416, 416Anm4 Brandom, Robert 213Fn17 Braunmüller, Wilhelm 320Fn13 Broad, Charlie Dunbar 45, 252 Bru, Sasha 347Fn13, 434, 446Fn13 Bruckner, Anton 288, 381, 385, 389, 390, 391, 399, 402–410, 407Fn22, 412–414, 416, 416Anm5 Brunner, Heinz 26Fn26, 127Fn53 Brusotti, Marco V, VIII, 225–242, 225Fn2, 235Fn35, 236Fn36 Burkard, Nada 65Fn51, 66Fn52 Busch, Wilhelm 283, 444
C Cage, John IX, 417, 418–421, 423, 428, 429 Caldarola, Elisa 377Fn45
Personenregister Cantor, Georg 128 Carnap, Rudolf 128Fn56, Carrier, Martin 205, 205Fn6, 215 Carroll, Lewis 444 Cavell, Stanley 123Fn31, 127, 127Fn53–54, 213Fn17 Chamisso, Adelbert von 444 Chardin, Jean Siméon 370 Chopin, Frédérik 282 Cicero, Antonio 347Fn13 Clack, Brian R. 231Fn23, 244 Claudius, Matthias 152, 394 Cometti, Jean-Pierre 341Fn4 Conant, James 114Fn7, 115Fn10, 127, 127Fn52, 203Fn1 Cook, John W. 241Fn48 Cooper, Paula 351 Crary, Alice 167Fn7 Crawford, Robert 455 D Dahrendorf, Ralf 123Fn4 Darwin, Charles 329 Daston, Lorraine 299 Dauber, Kenneth 343Fn7 De Hooch, Pieter 367, 368 De Lara, Philippe 357Fn3 Dennehy, Donnacha 418 Dennett, Daniel 131Fn65 Descartes, René 333 Dickinson, Emily Elizabeth 482 Diderot, Denis 362Fn5, 371Fn23 Dilthey, Wilhelm 148Fn23 Dionysius Areopagita 410 Dittrich, Marie Agnes 392 Doniach, Chula 424 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 127Fn55, 280, 286, 300Fn1 Douglas, Mary 244, 246 Dove, Richard VI, 451, 451Fn2 Drury, Maurice O’Connor 131Fn63, 240, 243, 243Fn2, 271Fn2, 280Fn24, 288, 288Fn53, 292, 292Fn71, 317, 317Fn1, 440, 440Fn9–10 Duchamp, Alexina (Teeny) 349Fn18 Duchamp, Marcel 346, 347, 347Fn12, 347Fn14, 348, 348Fn15–16, 349, 349Fn18 Duchamp, Suzanne 347 Dummett, Michael 145, 145Fn15, 152 Dworkin, Craig 351, 351Fn22, 353
489
E Eagleton, Terry VI, 451 Eggers, Katrin V, VI, VIII, IX, 381–397, 383, 388Fn2, 391Fn4, 417–430, 428Fn7 Ehrenstein, Alfred 343 Eigner, Larry 480 Einstein, Albert 328, 331Fn42 Elias (Prophet) 402 Elinga, Pieter Janssens 367, 371 Eliza (Rabbi) 472 Emerson, Ralph Waldo 419, 480, 482 Engelmann, Paul 26, 27, 275, 280, 280Fn23, 285, 289Fn55, 291, 291Fn66, 339, 340, 344, 349, 351, 357–362, 364, 365, 366Fn11, 437, 439 Enzensberger, Hans Magnus 451, 451Fn2 Ernst, Paul 85, 93, 229–231, 231Fn22, 234, 234Fn34, 235, 240 Euklid 423 Evans-Pritchard, Edward Evan 239Fn45, 244 F Faraday, Michael 478 Ferber, Rafael 142 Ficker, Ludwig von 11Fn14, 24, 276, 276Fn10, 289, 289Fn55, 320Fn13, 440 Finan, Karin VI Forrest-Thomson, Veronica 451, 451Fn2, 458Fn6 Frazer, James George 31, 36, 49, 50, 54, 55, 64, 86, 88, 93, 225–227, 230–241, 231Fn19, 231Fn23, 232Fn23–28, 233Fn30, 234Fn34, 237Fn37, 237Fn39, 243–251, 253, 254, 259–262, 264–266, 279, 309, 310, 310Fn9, 311, 314, 319Fn9, 356, 357Fn3, 376Fn43 Frede, Dorothea 150, 150Fn25 Frege, Gottlob VI, 119–121, 123, 130, 177Fn16, 189, 192, 197, 204, 204Fn3, 205–207, 209, 209Fn8–9, 210–215, 210Fn10–12, 212Fn15, 213Fn18, 302, 314, 441 Freud, Siegmund 85, 93, 328, 331Fn42, 357Fn3, 363, 363Fn7 Fried, Michael 362Fn5, 363Fn6, 366, 366Fn12, 369, 369Fn18, 370, 370Fn121–23, 371, 371Fn23–24, 373, 374 Fuchs, Peter 153Fn30 Fux, Johann Joseph 409, 410, 410Fn26, 411, 416, 416Anm1–3
490
Personenregister
G Gamm, Gerhard 151Fn26 Gandhi, Mohandas Karamchand 128Fn57 Gardner, Sebastian 376Fn42 Garver, Newton 143 Gebauer, Gunter 243, 244 Gibson, Arthur 101Fn10 Glock, Hans-Johann V Glock, William 423 Goethe, Johann Wolfgang von VI, 36, 261, 288, 312, 312Fn10, 317Fn2, 318Fn3, 319, 329, 330, 330Fn41, 344, 350, 402, 442, 444, 447 Goetz, Ingvild VI Goldschmith, Kenneth 351Fn22 Golla, Andrea VI Griffiths, P. E. 247Fn4 Grillparzer, Franz 400, 400Fn6–7, 402, 416 Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm 93, 231Fn22 Grünkorn, Gertrud VI Guercio, Gabriele 351Fn23 Gumbrecht, Hans Ulrich 141, 141Fn5, 150Fn24, 154, 154Fn33, 155 H Habermas, Jürgen 113Fn1 Hacker, Peter M. S. 4Fn3, 10Fn9, 129, 129Fn59, 131, 131Fn65, 132, 186, 187, 190, 192, 195, 198–200, 233Fn30, 350Fn20 Haeckel, Ernst 314 Hänsel, Ludwig 289Fn55, 321, 321Fn17 Hall, Roland 377, 377Fn44 Haller, Rudolf 143, 317Fn2 Hamilton, George Heard 348, 348Fn16 Hanslick, Eduard 389 Hardy, Thomas 457, 458Fn6 Harris, Merion / Harris, Susie 424 Haydn, Joseph 282, 387, 406, 407 Heal, Jane 127Fn53 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 355, 356, 367, 371–374, 371Fn25, 372Fn27–32, 373Fn34, 373Fn36–37, 374Fn38–39, 376Fn42 Heidegger, Martin 319 Heine, Heinrich 322Fn18 Henrich, Dieter 154Fn34–35, 155Fn36 Hester, Marcus B. 26Fn26 Hiekel, Jörn Peter 421, 422
Hill, Gary VI Hillier, Paul 426, 428 Hiltmann, Gabrielle 382, 385, 385Fn1 Hinrichsen, Hans-Joachim 391 Hintikka, Jaakko 101Fn9, 118Fn28 Hitler, Adolf 421 Hogrebe, Wolfram 144Fn12 Holquist, Michael 127Fn55 Holzaepfel, John 419–421 Horkheimer, Max 113Fn1 Hotho, Heinrich Gustov 371 Howe, Susan 482 Hrachovec, Herbert 103Fn17, 104Fn18 Huch, Ricarda 291 Huemer, Wolfgang V, IX, 3, 11Fn15, 347Fn13, 433–449, 434Fn1, 438Fn5, 446Fn13 Hughes, Langston 480 Huitfeldt, Claus 102, 102Fn13 Hyman, John 178, 178Fn17, 179 J Jabés, Edmond 482 Jahoda, Georg 320, James, William 214, 216, 303Fn4 Jancsó, Daniella V, IX, 451–464 Janik, Allan 120, 120Fn32, 291Fn64–65, 400Fn65 Jesus 461–463 Johannes XXIII. (Papst) 421 Johannessen, Kjell 357Fn3 Josquin des Prés 406, 410 Jost, Walter 343Fn7 Joyce, James 421 K Kainz, Friedrich 154Fn30 Kant, Immanuel 273, 364Fn9, 369, 462 Karajan, Herbert von 47 Keicher, Peter 77Fn1, 83, 82Fn14–15 Kekulé, Friedrich August 204, 217 Keller, Gottfried 291 Kenner, Hugh 348, 348Fn17 Kenny, Anthony 101Fn9 Kerry, Bruno 209, 209Fn8, 211 Kienzler, Wolfgang V, VIII, 3, 36Fn36, 317–336, 330Fn40, 336Fn48, 441 Kierkegaard, Søren Aabye 149, 295, 295Fn81, 328
Personenregister Killy, Walter 284Fn39 King, John 344Fn10, 362Fn6, 440, 440Fn8 Klagge, James 45Fn43, 108, 114Fn8, 115Fn10, 116Fn16, 117Fn21, 124Fn43,124Fn44, 124Fn45, 125Fn47, 132Fn67, 135Fn73, 312Fn10 Kleiberg, Ståle VI, 458, 458Fn7 Kleinschmidt, Erich 152Fn27 Kleist, Heinrich von 274, 274Fn5 Koder, Rudolf 292, 292Fn69–70, 411, 411Fn27–28, 412, 439 Kopernikus, Nikolaus 328 Kosuth, Joseph 351, 351Fn23 Kraus, Karl 121, 289, 290Fn58, 291, 318Fn7, 320, 322Fn18 Kremer, Michael 121Fn34 Kripke, Saul 246, 247Fn3 Kroß, Matthias V, VIII, 225Fn2, 299–315 Künne, Wolfgang 232Fn23 Kürnberger, Ferdinand 318Fn7 Kuhn, Thomas 324Fn23 Kurth, Ernst 383 L Labor, Josef 400, 407–409, 416, 416Anm6–7 Lakoff, George P. 477 Lambert, Johann Heinrich 152Fn27 Landau,Iddo 361Fn4 Lange, Wolfgang 147Fn19 Lara, Philippe 243, 244 Leavis, Frank Raymond 75Fn43, 446 Lechleitner, Erich 287Fn49 Lee, Desmond 344Fn10 Leibniz, Gottfried Wilhelm 294 Leitch, Vincent B. 459 Leitner, Bernhard 285, 285Fn41–42 Lenau, Nikolaus 400, 401Fn68–9, 402, 402Fn610 Leonardo da Vinci 73, 74, 74 Fn59 Lerner, Berel Dov 230Fn19 Lessing, Gotthold Ephraim 333Fn44 Leuschner, Pia Elisabeth VI Levi-Strauss, Claude 245 Levy-Bruhl, Lucien 244 LeWitt, Sol 349, 349Fn19, 351 Loman, William (Willy) 478 Loos, Adolf 284, 291, 318Fn3, 318Fn7, 328 Lorca, Federico García 150 Luckhardt, C. Grant 117Fn24
491
Ludwig, Iris VI Lütterfelds, Wilhelm 143Fn9 Luhmann, Niklas 153Fn30 Lutyens, Elisabeth VI, IX, 417, 418, 423–426, 428, 429 Lux, Christian 467Fn1 M Mahler, Gustav 344, 350, 390 Majetschak, Stefan V, VII, 3, 94Fn21, 107Fn27, 77–95, 375Fn41 Malcolm, Norman 116Fn16, 120Fn33, 134Fn70 Mallarmé, Stéphane 478 Mann, Christian 153Fn30 Marclay, Christian 351, 352Fn24–25 Markewitz, Sandra V, VII, 141–157, 148Fn22, 153Fn30 Marriner, Neville 476 Martin, M. G. F. 104Fn19 Matuschek, Stefan 299, 312Fn10 Maury, André 105Fn20 Mayer, Annelore 405 Mayer, Johannes Leopold V, VIII, 399–416, 405Fn20, 414Fn32 Mayer, Verena V, VIII, 243–258 Mayr, Erasmus 161Fn1 Max, Ingolf 422 Mazur, Kurt 476 McCaffery, Steve VI, 451, 451Fn2 McEwen, Cameron 104Fn18 McGuinness, Brian V, 26Fn25, 73Fn54, 114Fn8, 116Fn18, 118Fn26, 120, 120Fn33, 125Fn48, 275Fn9, 292Fn69, 320Fn12, 343Fn7, 387, 389, 391–393, 393Fn6, 412Fn29, 438, 439, 459 McLuhan,Marshall 419 Mendelssohn Bartholdy, Felix 439Fn7 Messiaen, Olivier 405, 406, 422 Methlagl, Walter 276Fn10, 287Fn49, 295Fn81 Mies van der Rohe, Ludwig 370, 371 Miller, Hanry 417 Monet, Claude 287Fn49 Monk, Ray 114Fn8, 116Fn13, 116Fn18, 117Fn22, 118Fn26, 118Fn27, 119, 120, 120Fn33, 121Fn34, 121Fn35, 121Fn36, 121Fn37, 121Fn38, 122, 123, 135Fn72, 136 Moore, George Edward 45, 46Fn44, 101, 120, 120Fn33, 123, 167, 168, 168Fn8, 168Fn10, 357Fn3
492
Personenregister
Moran, B. 45 Morgan, Edwin VI, IX, 97, 97Fn2, 99, 109, 451–463, 454Fn3–4, 458Fn6, 459Fn8 Morgenstern, Christian 302 Morrell, Ottoline 121Fn34, 303 Morris, Michael 365Fn10 Moser, Ludwig 407Fn22 Mozart, Wolfgang Amadeus 282, 347, 350, 403, 407, 441 Müller, Max 234Fn33, 235 Mühlhölzer, Felix 332Fn43 Muirhead, John Henry 168Fn10 Mulhall, Stephen 370Fn22 Munz, Volker V, VII, 44Fn40, 183–201 Murdoch, Iris 375Fn41 Musil, Robert 413 N Neckel, Bruno 403Fn12–13 Nedo, Michael 45Fn42, 106, 225Fn2, 384, 387, 388 Nesbit, Molly 349Fn18 Nestroy, Johann Nepomuk 106, 318Fn7, 322Fn18 Nicholls, Peter 463Fn19 Nicholson, Colin 455 Nietzsche, Friedrich 85, 151, 294, 294Fn76–79, 319, 444 Nordmann, Alfred 45Fn43, 108, 116Fn16, 121Fn43, 124Fn44, 124Fn45, 135Fn73 Norton, Charles Eliot 418 Numminen, Mauri Antero 418, 428 O Ogden, Charles Kay 73Fn55, 452Fn3 Ormandy, Eugene 476 Orpheus 26 Ovid 460, 461 Øystein, Hilde 73Fn54, 74Fn56 P Palestrina, Giovanni Pierluigi da 411, 416, 416Anm1 Palmer, Michael 451, 451Fn2 Park, Sool 5Fn3 Parker, Charlie 484 Parmenides 128 Patzig, Günther 177Fn16
Paul, Denis 106Fn22 Pears, David F. 459 Perloff, Marjorie V, VIII, 339–354, 347Fn13, 349Fn18, 351Fn21, 419, 451Fn2 Pérotin 427, 428 Pessao, Fernando 149 Peterson, Elmer 347Fn14 Pfersmann, Otto 73Fn54, 412Fn29 Phillips, Dewi Zephaniah 226, 226Fn5, 230Fn19, 240, 240Fn46–47, 241, 241Fn48 Picasso, Pablo 390, 404, 405, 412 Pichler, Alois 77Fn1, 81, 101Fn9, 103Fn17, 104Fn18, 106Fn22, 114Fn6, 118Fn25, 118Fn27, 125Fn50f, 127, 127Fn53, 127Fn54, 127Fn55, 127Fn56, 278Fn11, 279Fn15, 339Fn1 Piltz, Wolfgang 153Fn30 Platon 128, 130Fn61, 299, 300, 300Fn1, 311, 320, 320Fn11, 322Fn19, 344, 410, 441 Poppenberg, Gerhard 142Fn8 Popper, Karl Raimund 462 Pound, Ezra 483 Powers, Anthony 417 Proust, Marcel 284Fn36 Putnam, Hilary 246, 247Fn3 Pyrrhon 129 Pythagoras 333 Q Quine, Willard van Orma 128Fn56 Quoika, Rudolf 408Fn23, 409Fn24 R Rabl, Kathleen VI Raffael 300Fn1 Ramsey, Frank 118Fn26, 124Fn44, 320 Ranchetti, Michael 45Fn42, 387, 388 Ravaisson-Mollien, Charles 73, 74Fn55, 74Fn57 Read, Rupert 167Fn7 Reich, Lily 370 Reich, Steve IX, 417, 418, 423, 426–429 Renan, Ernest 49, 50, 233, 233Fn30–32, 234, 234Fn34, 236, 236Fn36, 237, 238, 239, 263, 301, 306–311, 307Fn7, 314 Rhees, Rush 31Fn32, 64Fn49, 98, 116Fn13, 161Fn2, 225, 230Fn19, 235Fn35, 240, 243, 243Fn2, 244, 259Fn1, 271Fn2, 280Fn24, 317Fn1, 363Fn6 Richardson, Clare 370
Personenregister Ricken, Friedo V, VIII, 259–268 Rilke, Rainer Maria 349Fn18 Rimbaud, Arthur 480 Robinson, Peter 103Fn16 Rodi, Fritjof 141Fn2 Röder, Thomas 390 Roser, Andreas 143Fn9 Rothhaupt, Josef G. F. II, III, V, VII, 3–76, 3Fn2, 11Fn13, 19Fn19–20, 26Fn27, 30Fn30, 32Fn33, 77Fn1, 78, 78Fn4, 79, 79Fn5–8, 80, 80Fn9–10, 82, 82Fn12, 83, 83Fn13, 84, 84Fn16–17, 85, 85Fn18–19, 87, 89, 91, 91Fn20, 92, 106, 106Fn24–25 , 108, 114Fn6, 117, 125, 125Fn49, 161, 161Fn1, 183, 205Fn4, 227, 227Fn6–7, 228Fn8, 286Fn47, 300, 323Fn21, 336Fn49, 340, 340Fn2, 355, 390, 406Fn21, 414, 414Fn33, 435Fn2, 437, 443, 446Fn12 Rudich, Norman 243 Russell, Bertrand VI, 73, 73Fn55, 74, 74Fn55, 119, 120, 120Fn32, 121, 121Fn34, 121Fn37, 122, 123, 130, 161, 302, 303, 303Fn4, 304, 308, 314, 320, 441 Rutter, Benjamin 371, 372, 372Fn26–27, 372Fn31, 372Fn33, 373, 373Fn34–37, 374Fn38 Ryle, Gilbert 205, 205Fn5, 211, 211Fn13, 212, 217 S Salzer, Felix 409, 409Fn25, 416, 416Anm9 Salzer, Helene 409, 411, 439Fn7 Salzer, Max 73Fn54 Sanouillet, Michel 347Fn14 Sartre, Jean-Paul VI Savigny, Eike von 143Fn10 Schalk, Joseph 390 Schenker, Heinrich 409, 416, 416Anm8–9 Schiller, Friedrich von 208, 375, 403 Schirmer, Christoph VI Schleinitz, Astrid 336Fn49 Schlick, Moritz 118Fn26, 184, 188, 192, 197, 198 Schmidt, Christian Martin 387 Schmidt, Thomas 336Fn49 Schneider, Hans Julius V, VII, 203–222, 205Fn6, 209Fn8, 213Fn19, 214Fn20, 219Fn24–25, 220Fn26
493
Schönberg, Arnold 291, 291Fn65, 387, 416, 416Anm6, 416Anm10, 424 Schopenhauer, Arthur 293, 293Fn72–73, 294, 294Fn75, 320, 355, 356, 364Fn9, 366, 370Fn20, 383, 384 Schostakowitsch, Dmitrij Dmitrijewitsch 410 Schubert, Franz 255, 266, 343, 385, 391–396, 393Fn6, 403, 411–413 Schubert, Hermann Cäsar Hannibal 213 Schulte, Joachim 4Fn3, 5Fn4, 10Fn9, 11Fn12, 18Fn18, 78, 78 Fn2–3, 82, 82Fn11, 83, 102Fn11, 106Fn22, 114Fn6, 116Fn18, 141, 141Fn4, 143Fn9, 144Fn13, 145Fn16, 235Fn35, 310Fn8, 317Fn2, 324Fn23, 350Fn20 Schwartz, Leonard 482 Schwind, Jürgen Paul 141, 141Fn1, 141Fn3, 142Fn7, 144Fn11, 145Fn17, 146Fn18, 147Fn20, 148Fn21 Schwitters, Kurt 421 Searl, John Rogers 131Fn65 Sechter, Simon 400, 407, 409, 412, 416, 416Anm3 Seekircher, Monika 292Fn69 Sextus Empiricus 129, 131 Shakespeare, William 319Fn9, 350, 437–444, 437Fn4, 439Fn6 Shelley, Percy Bysshe 459 Sharma, Suresh 128Fn57 Silliman, Ron 478 Skinner, Francis 101, 116 Sluga, Hans 114Fn8 Smith, Zadie 352, 352Fn25 Smythies, Yorick 98 Sölle, Dorothee 300 Sokrates 128Fn56, 129, 131 Solit, George 476 Somavilla, Ilse V, VIII, 141Fn1, 150, 271–297, 271Fn1, 275Fn9, 300Fn2, 321Fn14, 336Fn49, 341Fn4, 405Fn17 Soulez, Antonia 127Fn53 Spencer, Herbert 234, 234Fn33, 235 Spengler, Oswald VIII, 87, 88, 236, 239Fn44, 312, 312Fn10–11, 313, 313Fn11, 314, 317–336, 317Fn1–3, 318Fn4, 318Fn6, 319Fn10, 320Fn13, 321Fn17, 322Fn19, 323Fn22, 324Fn24, 326Fn28–29,
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Personenregister
327Fn32–34, 328Fn24, 329Fn39, 330Fn40–41, 331Fn42, 335Fn47, 336Fn49 Spinoza, Baruch de 367, 368, 404 Sraffa, Piero 317, 317Fn1 Steiner, George 438, 438Fn5, 439 Steinfeld, Thomas 142Fn7, 152, 152Fn29 Steinherr, Ludwig VI, 451, 451Fn2 Stenius, Eric 209, 211, 211Fn14, 212, 215, 417, 417Fn2 Stern, David V, VII, 5Fn4, 97–111, 114Fn6, 118Fn25, 127Fn55, 168Fn8, 225Fn1, 320Fn12 Steuer, Daniel 347Fn13, 434, 446Fn13 Stieglitz, Alfred 341, 342, 350 Stifter, Adalbert 405, 405Fn18 Stonborough-Wittgenstein, Margarethe 285, 387, 438 Strassen, Manfred 243 Strawinsky, Igor Fjodorowitsch 423 Suchy, Irene 395Fn7 Suhrud, Tridip 128Fn57 Sulzer, Balduin 418 Szklenar, Hans 284Fn39 T Tagore, Rabindranath 289Fn55 Tait, Simon 384, 417 Takemitsu, Toru 418 Taylor, James 98 Ter Borch, Gerard 367, 368 Tertullian 302 Theophrast 299 Theunissen, Michael 129Fn58 Thoreau, Henry David 419 Thyssen, Fritz V Tiller, Terence 423 Todorov, Tzvetan 367, 367Fn14, 373Fn37 Tolksdorf, Stefan 203Fn1, 218Fn22–23 Tolstoi, Leo 120, 273,280 Tomasi, Gabriele V, VIII, 355–378 Tomkins, Calvin 347, 347Fn12 Toscanini, Arturo 476 Toulmin, Stephen 120, 120Fn33, 291Fn64–65, 400Fn65 Trakl, Georg 284, 284Fn39, 289, 347, 440 Tugendhat, Ernst 302, 305 Tumlir, Jan 371, 371Fn24 Tylor, Edward Burnett 237
U Uhland, Ludwig 26, 280 V Vaderna, Gábor 148Fn23 Venturinha, Nuno 114Fn6, 118Fn25, 124Fn44, 125Fn47 Vermeer, Johannes 367, 368 Vinay, Gianfranco 405Fn19 Vischer, Theodor 274 Vossenkuhl, Wilhelm II, III, V, VII, 3, 44Fn40, 161–181, 364Fn9 W Wagner, Richard 390, 399, 399Fn1–3, 422 Waismann, Friedrich 101, 101Fn10, 116, 125, 206, 207Fn7, 303, 367Fn13 Waldrop, Rosmarie VI, 451, 451Fn2, 482 Wall, Jeff 370, 371, 374 Wallgren, Thomas V, VII, 113–139, 115Fn9, 129Fn58, 130Fn62, 133Fn68 Walters von Stolzing 399 Warnock, Geoffrey James 168Fn9 Watson, Roderick 455 Weber, Max 123Fn42 Webern, Anton von 416, 416Anm10, 424 Weil, Kurt 418 Weininger, Otto 120, 121, 312Fn11, 313Fn11, 318Fn3, 319, 320, 320Fn13, 328, Wenzel, Uwe Julius 141, 141Fn4, 145Fn16 Wijdeveld, Paul 74Fn56 Wilde, Carolyn 364, 364Fn8, 369Fn19, 375Fn40 Willenbacher, Ulrike VI Williams, William Carlos 348 Wilter, Nerina VI Winch, Peter 339Fn1 Wittgenstein, Helene 409, 412, 439Fn7 Wittgenstein, Hermine 408 Wittgenstein, Leopoldine 403Fn14 Wittgenstein, Margarethe 285, 387, 438 Wittgenstein, Paul 416, 416Anm9 Wittgenstein, Rudi 439 Wollesky, Christina VI Woodley, Ronald 426Fn6, 427 Wright, Georg Henrik von 102Fn15, 113Fn1, 114Fn5, 115Fn9, 116, 117Fn19, 118Fn25, 118Fn26, 119Fn29–31, 120, 120Fn33, 121Fn34, 121Fn35,
Personenregister 121Fn37, 122Fn39, 124Fn46, 134Fn69, 135Fn72, 235Fn35, 276Fn10, 317Fn1, 318, 318Fn4, 339Fn1, 340Fn3, 343Fn7, 345Fn11, 355, 392, 442 Y Yates, Peter 419 Yeats, William Butler 458Fn8 Young, Alan 456 Youngman, Henny 472 Z Zimmermann, Bernd Alois VI, IX, 417, 418, 420–423, 429
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