Kulturelle Erneuerung und gesellschaftlicher Auftrag: Zur Bestandspolitik der Öffentlichen Bibliotheken und Betriebsbüchereien in der SBZ und DDR 1945 bis 1951 9783110962048, 9783484350205


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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Schaubilder, Listen und Tabellen
Abkürzungen
Vorwort
Teil I
Einleitung: Institutioneller Aufbau des Bibliothekswesens
1. Zur Bestandspolitik bis 1947
2. Zur Bestandspolitik bis 1951
3. Leihbüchereien: Diskussionen und Maßnahmen 1948/49
4. Berichte aus der Praxis 1945-1951
Schluß
Teil II
1. Statistische Befunde
2. Bibliotheksbestände
3. Berichte über die Ausbildung von Betriebsbiliothekaren
Literaturverzeichnis und Register
Literaturverzeichnis
Register
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Kulturelle Erneuerung und gesellschaftlicher Auftrag: Zur Bestandspolitik der Öffentlichen Bibliotheken und Betriebsbüchereien in der SBZ und DDR 1945 bis 1951
 9783110962048, 9783484350205

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STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR

Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil

Band 20

Lutz Winckler

Kulturelle Erneuerung und gesellschaftlicher Auftrag Zur Bestandspolitik der Öffentlichen Bibliotheken und Betriebsbüchereien in der SBZ und DDR 1945 bis 1951

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Win ekler, Lutz : Kulturelle Erneuerung und gesellschaftlicher Auftrag : zur Bestandspolitik d. öffentl. Bibliotheken u. Betriebsbüchereien in d. SBZ u. DDR 1945 - 1951 / Lutz Winckler. — Tübingen : Niemeyer, 1987. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur ; Bd. 20) NE: GT ISBN 3-484-35020-2

ISSN 0174-4410

© Max Niemeyer Verlag Tübingen 1987 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz und Druck: Maisch & Queck, Gerlingen. Einband: Heinr. Koch, Tübingen

IV

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

IX

I. TEIL

EINLEITUNG: INSTITUTIONELLER A U F B A U DES BIBLIOTHEKSWESENS

1

1. Z U R B E S T A N D S P O L I T I K BIS 1947

5

1.1. 1.2. 1.3.

Kriegszerstörungen und Wiederaufbau Aussonderung der nationalsozialistischen Literatur Die >Satzung für Volksbüchereien

5 6 17

2. Z U R B E S T A N D S P O L I T I K BIS 1 9 5 1

2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.3.

19

Vom Sächsischen Bibliotheksgesetz zum Fünfjahrplan Selbstverständnis des Bibliothekars »Die Objektivität des Bibliothekars« - eine Diskussion . . . . Ausbildung der Volksbibliothekare: Prüfungsschwerpunkte . . . Schulung der Betriebsbibliothekare

3. L E I H B Ü C H E R E I E N : D I S K U S S I O N E N U N D M A S S N A H M E N 1948/49

. .

20 28 28 30 32 36

4. B E R I C H T E A U S D E R P R A X I S 1945 BIS 1 9 5 1

42

5. S C H L U S S

49

II. TEIL

1. S T A T I S T I S C H E B E F U N D E

1.1. 1.2.

Allgemeine Bibliotheksstatistik Leser- und Ausleihstatistik

53

53 58 V

2. BIBLIOTHEKSBESTÄNDE 2.1.

68

Auswahlverzeichnis und Listen

2.1.1. Thüringische

Landesstelle

für

69 Buch-

und

Bibliothekswesen:

Romane, Erzählungen, Erlebnisbücher (1948)

69

2.1.2. 100-Titel-Liste für den Grundbestand der kleinsten Bücherein (1950 )

71

2.1.3. Thüringische Landesbücherei Gera: Romane und Erzählungen (1951 ) 2.2.

75

Öffentliche Bibliotheken. Auswertung von Bibliotheksverzeichnissen 1948-1952

77

2.2.1. Gemeindebücherei Weinböhla (1948)

77

2.2.2. Städtische Bücherei Werdau (1948)

80

2.2.3. Volksbücherei der Stadt Zerbst (1951)

82

2.2.4. Kreisbücherei des Landkreises Dresden (1951 u. Nachtrag 1952) .

85

2.3.

Betriebsbibliotheken. Auswertung von Bibliotheksverzeichnissen 1949-1952

88

2.3.1. Bruno-Wolf-Bücherei (1949)

88

2.3.2. Elektro-Apparate-Werke Treptow

92

2.3.3. Groß-Berliner Wasser- und Entwässerungswerke (1952) 3. A N H A N G :

BERICHTE

ÜBER

DIE AUSBILDUNG

VON

. . . .

BETRIEBS-

BIBLIOTHEKAREN 3.1.

98

Sie kommen mitten aus der Praxis. MAS-Büchereileiter wurden in Leipzig geschult (1950)

3.3.

98

Bericht über den ersten Lehrgang der Betriebsbüchereileiter in Sachsen (1949)

3.2.

94

100

Die Betriebsbücherei im Aufbau. Bericht über den Lehrgang für Betriebsbüchereileiter in der FDGB-Landesschule Jena-Lobeda (1950)

3.4.

103

Zwischenbilanz über die Schulung der Leipziger Betriebsbibliothekare (1951)

105

LITERATURVERZEICHNIS

109

REGISTER

111

VI

Verzeichnis der Schaubilder, Listen und Tabellen

Institutioneller Aufbau des Öffentlichen Bibliothekswesens (Sachsen 1945-1949)

1

Struktur des Öffentlichen Bibliothekswesens (1954)

4

Aussonderung der nationalsozialistischen Literatur: ausgewählte Autoren (1946-1952)

11

100-Titel-Liste für den Grundbestand der kleinsten Büchereien

73

Tabelle 1:

Allgemeines Öffentliches Bibliothekswesen in der S B Z / D D R 1 9 4 7 - 1 9 5 4 (Bibliotheken, Leser, Buchbestand, Ausleihe)

..

54

Tabelle 2:

Ernst-Abbe-Bücherei Jena: soziale Struktur der Leser (1949) .

58

Tabelle 3:

Städtische Freihandbücherei Brandenburg: soziale Struktur der Leser (1950)

59

Tabelle 4:

Ernst-Abbe-Bücherei Jena: meistgelesene Bücher im 4. Quartal 1950

60

Tabelle 5:

Meistgelesene Bücher in einem sächsischen Kreis (1949)

Tabelle 6:

Betriebsbibliothek BMW-Werke Eisenach: Ausleihe (März 1951)

63

Tabelle 7:

Gemeindebücherei Weinböhla: Zusammensetzung des Buchbestands (1948)

78

Städtische Bücherei Werdau: Zusammensetzung des Buchbestands (1948)

80

Volksbücherei der Stadt Zerbst: Zusammensetzung des Buchbestands (1951)

82

Tabelle 8: Tabelle 9:

. . .

61

Tabelle 10: Kreisbücherei des Landkreises Dresden: Zusammensetzung des Buchbestands (1951)

85

Tabelle 11: Bruno-Wolf-Bücherei: Zusammensetzung des Buchbestands (1949)

88

Tabelle 12: Betriebsbibliothek Elektro-Apparate-Werke Treptow: Zusammensetzung des Buchbestands

92

Tabelle 13: Betriebsbücherei Groß-Berliner Wasser- und Entwässerungswerke: Zusammensetzung des Buchbestands (1952) 94 VII

Abkürzungen

Β Bbl BRD DDR FD GB FDJ MAS SBZ SED SMAD VB VEB ZfB

VIII

Der Bibliothekar. Monatsschrift für das Bibliothekswesen Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel Bundesrepublik Deutschland Deutsche Demokratische Republik Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Deutsche Jugend Maschinenausleihstation Sowjetische Besatzungszone Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sowjetische Militäradministration in Deutschland Der Volksbibliothekar. Zeitschrift für die Volksbüchereipraxis Volkseigener Betrieb Zentralblatt für Bibliothekswesen

Vorwort

Die vorliegende Untersuchung versteht sich als Beitrag zur Erforschung des literarischen Lebens in der S B Z und der frühen D D R . Für diesen Zeitraum, in dem die Grundlagen der kulturellen und literarischen Entwicklung geschaffen wurden, liegen - zumeist im Rahmen literaturgeschichtlicher Gesamtdarstellungen und Dokumentationen - Untersuchungen über die Kulturpolitik, die Literaturprogrammatik und das literarische Gattungsgefüge vor. 1 Die Erforschung des literarischen Lebens in seinem Gesamtumfang, vor allem der Institutionen literarischer Kommunikation, steht demgegenüber erst am Anfang. In der D D R mögen für dieses Defizit ideologische Gründe eine Rolle spielen, für die Zurückhaltung in der B R D dürfte vor allem die schwierige Quellenlage verantwortlich sein. Von den in den letzten Jahren entstandenen Untersuchungen 2 weisen die Arbeiten von Ingeborg Münz-Koenen und Stephan Bock einen engeren thematischen Bezug zur vorliegenden Untersuchung auf. Während Münz-Koenen einen ersten, den Problemhorizont markierenden Überblick über die literaturvermittelnden Institutionen - Verlage, Bibliotheken, Tagespresse - gibt, untersucht Bock die strukturellen Voraussetzungen für die Entstehung einer gesellschaftsspezifischen Autorund Leserschaft und darauf aufbauend das literarische Funktions- und Gattungsspektrum der frühen D D R . 3 Sämtlichen Untersuchungen ist gemeinsam, daß sie 1

2

3

Vgl. hierzu vor allem: Geschichte der Literatur der Deutschen Demokratischen Republik. Autorenkollektiv unter Leitung von Horst Haase u. a. Berlin 1980 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart, Band 11); Emmerich, Wolfgang: Kleine Literaturgeschichte der DDR. Darmstadt, Neuwied 1981; Schmitt, HansJürgen (Hg.): Die Literatur der DDR. München, Wien 1983 (Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Hg. Rolf Grimminger, Band 11) und darin Greiner, Bernhard, Im Zeichen des Aufbruchs: Die Literatur der fünfziger Jahre, S. 337-384; Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Dokumente 1945-1949. Zusammengestellt und eingeleitet von Gerd Dietrich. Berlin, DDR 1983. Umlauft, Ernst: Der Wiederaufbau des Buchhandels. Beiträge zur Geschichte des Buchmarktes in Westdeutschland nach 1945. Frankfurt/M. 1978 (Archiv für Geschichte des Buchwesens XVII 1977/78) Spalte 1214-1271, 1454-1483 über Verlag und Buchhandel in der SBZ; Literarisches Leben in der DDR 1945 bis 1960. Literaturkonzepte und Leseprogramme. Autorenkollektiv unter der Leitung von Ingeborg Münz-Koenen. Berlin 1979, 19802; Bock, Stephan: Literatur, Gesellschaft, Nation. Materielle und ideelle Rahmenbedingungen der frühen DDR-Literatur (1949 bis 1956). Stuttgart 1980; Scharfschwerdt, Jürgen: Literatur und Literaturwissenschaft in der DDR. Eine historischkritische Einführung. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1982. Münz-Koenen, Ingeborg: Literaturverhältnisse und literarische Öffentlichkeit 1945 bis 1949. In: Literarisches Leben in der DDR, S. 23-100; Bock, Stephan: Literatur, Gesellschaft, Nation, S. 47 ff. IX

mit der Aufarbeitung der Geschichte der literarischen Institutionen ein historisches und analytisches Projektionsfeld schaffen, auf das die Literaturgeschichte und die offenen Fragen der Literaturgeschichtsschreibung kritisch bezogen werden können. In erster Linie gehören dazu Fragen nach Umfang und sozialer Zusammensetzung der Leserschaft, der Struktur der Verlagsproduktion und des Buchangebots der Bibliotheken, aber auch Probleme des Strukturwandels gesellschaftlicher Trägerschaften des literarischen Lebens. Das literatursoziologische Feld, das sich in solchen Untersuchungsschritten konstituiert, stellt gleichsam die empirische Basis für die Realisierung der literarischen Programme und kulturpolitischen Konzeptionen dar. Die Konfrontation des empirischen Lesers mit dem idealen Leser der Literaturtheorie und -kritik, der Vergleich des tatsächlichen Literaturkanons mit dem von der Kulturpolitik und Literaturkritik entworfenen Literaturprogramm und schließlich die Beschreibung der Umsetzung literarischer Programme und Pläne in den Institutionen und Organen des literarischen Lebens vermitteln erst ein realistisches und differenziertes Bild der literaturgeschichtlichen Entwicklung der Nachkriegszeit i Eines der wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Untersuchungen liegt denn auch in der Kritik des für die DDR-Forschung zentralen Periodisierungsansatzes. Ingeborg Münz-Koenen weist auf die »Kluft zwischen dem Stand der fortgeschrittensten literarischen Produktion und dem Stand des Rezeptionsbewußtseins« im literarischen Leben der Nachkriegszeit hin und bestimmt die »Überwindung« dieser Kluft als den »wesentlichen Inhalt« der antifaschistisch-demokratischem Phase zwischen 1945 und 1949.4 Damit ist ein - noch stark normativ bestimmtes - kommunikations- und lesersoziologisches Kriterium in die Periodisierungsdiskussion eingeführt. Vor diesem Hintergrund entfaltet Stephan Bock die widersprüchliche Struktur des literarischen Lebens der frühen 50er Jahre. Die Hinterfragung des normativen Horizonts gestattet es ihm, neben der Geschichte der literarischen Programmbildung die Empirie des literarischen Lebens und hier insbesondere die Kontinuität traditioneller Strukturen und Faktoren - etwa im Bereich der Unterhaltungsliteratur - herauszuarbeiten. Die in beiden Untersuchungen deutlich werdende Diskrepanz zwischen literaturprogrammatischem Anspruch und literaturgesellschaftlicher Wirklichkeit, die die gesamte Literaturgeschichte der D D R durchzieht, verlangt nach einer systematischen Aufarbeitung des institutionellen Gesamtbereichs des literarischen Lebens. Die vorliegende Untersuchung zur Bestandspolitik der Öffentlichen Bibliotheken und Betriebsbüchereien, entstanden im Zusammenhang eines DFG-Forschungsprojekts Literaturgesellschaft DDR am Deutschen Seminar der Universität Tübingen, gilt einer Institution des literarischen Lebens, die für die Entwicklung von Literatur und Leser nach 1945 von Bedeutung war. In den ersten Nachkriegsjahren wurde die Leserschaft infolge der eingeschränkten Buchproduktion der Verlage auf die Zeitungen und die Bibliotheken >umgelenktSäuberung< der Bibliotheken. Über zentrale Konferenzen und Tagungen sowie die Zeitschrift »Der Volksbibliothekar« (VB) (ab 1950 »Der Bibliothekar« (B)) nahm sie Einfluß auf die Entwicklung des Bibliothekswesens in den Ländern. Mit der Gründung der D D R begann auch für das Bibliothekswesen eine neue Phase: mit der Übertragung der Gesetzgebungs- und Verwaltungshoheit auf deutsche Stellen (1949) und der Auflösung der Länder (1952) wurde das Ministerium für Volksbildung zur zentralen Instanz für das gesamte öffentliche Bibliothekswesen der DDR, mit Ausnahme der Wissenschaftlichen Bibliotheken, die in den Aufgabenbereich des Staatssekretariats für Hochschulwesen beim Ministerrat der D D R fielen. 4 Die Gesetzgebungsinitiative ging von den Ländern auf die Volkskammer über: das sächsische Bibliotheksgesetz fand auf Länderebene keine Nachfolger; dafür wurden zentrale Regelungen für das Bibliothekswesen im Rahmen der Jugendverordnung (8.2.1950: Einrichtung von Kinderbuchabteilungen in öffentlichen Bibliotheken), der Kulturverordnung (16. 3. 1950: Einrichtung des Zentralinstituts für Bibliothekswesen) und des Fünfjahrplangesetzes

2 3 4

2

Marks, Erwin: Die Herausbildung des sozialistischen Bibliothekswesens, S. 52. Vgl. Kap. I 1.3. und 2.1. Vgl. Thilo, Martin: Das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, S. 17ff.

(1.11. 1951) getroffen. Mit dem Zentralinstitut für Bibliothekswesen unter der Leitung von Ernst Adler wurde eine Stelle beim Volksbildungsministerium geschaffen, die die gesamte Nachwuchsausbildung vereinheitlichen und organisieren sollte und für eine einheitliche Buchbestandspolitik verantwortlich war. 5 In den Jahren 1951-1953 gab das Institut die 100-Titelliste für den Grundbestand der kleinsten Bücherreien, eine Grundbestandsliste für Kinderbibliotheken, eine Liste »unwissenschaftlicher Literatur< sowie eine Reihe von Themenbibliographien heraus. Eine weitere, im Sinn der Zentralisierung wirkende Maßnahme bildete die Unterstellung der fünf Landesstellen für Bibliothekswesen unter das Volksbildungsministerium bzw. das Zentralinstitut für Bibliothekswesen. Daß die zentralisierenden Effekte der neuen Struktur nur sehr bedingt wirksam wurden, hängt mit der institutionellen Vielfalt und Zersplitterung des örtlichen Bibliothekswesens zusammen. In der Phase der Neugründungen nach 1949 waren neben öffentlichen und Betriebsbibliotheken auch eine Vielzahl kleiner Bibliotheken gesellschaftlicher Organisationen und Verbände, so der Freien Deutschen Jugend (FDJ), des Frauenbundes, der Deutsch-Sowjetischen Gesellschaft, des Verbandes der gegenseitigen Bauernhilfe etc., gegründet worden. Auf diese Weise entstand auf lokaler Ebene, insbesondere in kleinstädtischen und ländlichen Gemeinden ein Nebeneinander von Bibliotheken, deren Praxis - auch wegen der unterschiedlichen Trägerschaften - nicht koordiniert werden konnte. Ebenso war die vertikale Struktur des Bibliothekswesens uneinheitlich. Mit der Auflösung der Länder wurden zwar die Kompetenzen der ehemaligen Länderministerien auf das Ministerium für Volksbildung übertragen, für die Übermittlung und Umsetzung zentraler Direktiven fehlten jedoch auf der Ebene der neugeschaffenen Bezirke entsprechende Institutionen. Die Kreisbibliotheksstellen, die ab 1951 zur Koordinierung der Bibliotheksarbeit in den ländlichen und kleinstädtischen Gemeinden eingerichtet wurden, konnten ihre Aufgaben (u.a.: Aufbau von Ergänzungsbeständen, Organisierung des Leihverkehrs innerhalb und außerhalb der Kreise, Ausbildung und Schulung nebenberuflicher Bibliothekare) offenbar nur unzureichend erfüllen: 1953 waren zwei Drittel aller Kreise noch ohne entsprechende Stelle. 6 Mit den 1954 eingeleiteten Reformen sollten die Strukturprobleme auf lokaler Ebene im Sinn einer Vereinheitlichung der Bibliotheksformen, auf vertikaler Ebene im Sinn einer Zentralisierung von Entscheidungs- und Organisationskompetenzen gelöst werden. 7 Mit der Anordnung über die Koordinierung der Bibliotheksarbeit auf dem Lande wurden zunächst die Grundlagen für den Aufbau einheitlicher Gemeindebibliotheken - durch die Zusammenlegung der lokalen 5 6

7

Ebd., S. 60ff. Günnel, Peter: Zur Geschichte der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken, S. 33ff.; Marks, Erwin: Die Herausbildung des sozialistischen Bibliothekswesens, S. 106. Günnel, Peter: Zur Geschichte der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken, S. 36ff. ; Thilo, Martin: Das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, S. 65ff. ; Marks, Erwin: Die Herausbildung des sozialistischen Bibliothekswesens, S. 145ff.

3

Bibliotheken und Buchbestände - geschaffen. Gleichzeitig wurde die Bibliotheksstruktur der Bezirke und Kreise vereinheitlicht und zentralisiert: verantwortlich für das Bibliothekswesen in den Land- und Stadtkreisen sind die Kreisbibliotheken, die aus der Zusammenlegung der Kreisbibliotheksstellen mit den Kreisstadtbibliotheken entstanden. Verantwortlich für den Bezirk ist die zentrale Bezirksbibliothek, die mit der Bibliothek der Bezirkshauptstadt und (soweit vorhanden) einer ehemaligen Landesstelle für Bibliothekswesen zusammengelegt wurde. Die zentrale Verantwortung für das gesamte Bibliothekswesen der DDR lag seit 1954 im neugegründeten Kulturministerium, das die entsprechenden Kompetenzen und Institutionen - wie das Zentralinstitut für Bibliothekswesen - vom Volksbildungsministerium übernahm. Struktur des Öffentlichen Bibliothekswesens (1954)8 Ministerium für Kultur 1 Zentralinstitut für Bibliothekswesen

4 Stadt- und Bezirksbibliothek I Stadt- und Kreisbibliothek Stadtbibliothek

8

4

Dorfbibliothek

Aus der Arbeit der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken. Graphische Darstellungen und Abbildungen. Erarbeitet und zusammengestellt von Johannes Lohmann. In: Zehn Jahre D D R - Zehn Jahre Allgemeine Öffentliche Bibliotheken. Leipzig 1959, S. 59ff.

1. Zur Bestandspolitik bis 1947

Für die Bibliotheken der SBZ stellten sich in den ersten Nachkriegsjähren vor allem drei Aufgaben: 1. der Wiederaufbau bzw. die Wiedereröffnung von zerstörten bzw. funktionsunfähigen Bibliotheken; 2. die Aussonderung von nationalsozialistischen Beständen; 3. die Verständigung über den gesellschaftlichen Standort der Bibliotheken. Grundsätzlich galt es, die Öffentlichen Bibliotheken - ähnlich wie die Schulen und Universitäten - am Prozeß der demokratischen Umerziehung der Nachkriegsbevölkerung zu beteiligen.

1.1. Kriegszerstörungen und Wiederaufbau Eine Übersicht über die Kriegszerstörungen existiert nicht und kann hier auch nicht gegeben werden. Relativ gering waren die Verluste an Gebäuden und Beständen im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken: die Deutsche Bücherei in Leipzig büßte nur etwa 2,5%, die Universitätsbibliothek Leipzig nur etwa 1% ihres Buchbestands ein; nur geringe Verluste hatten auch die Landesbibliotheken in Weimar, Schwerin und Neustrelitz sowie die Universitätsbibliotheken in Berlin, Halle, Greifswald (ca. 7%) und Jena. Lediglich die Dresdner Bibliotheken hatten hohe Verluste: die Sächsische Landesbibliothek wurde völlig zerstört und verlor 50% ihrer Bestände (nach anderen Angaben: 30%), die Bibliothek der Technischen Hochschule büßte zwischen 30 und 50% ihrer Bestände ein. 9 Schwere Verluste hatten die städtischen Volksbüchereien zu verzeichnen, während das ländliche Büchereiwesen den Krieg in der Regel ohne größere Schäden überdauerte. So verloren die Stadtbüchereien in Dresden, Magdeburg und Leipzig zwischen 75 und 90% ihrer Bestände; die Gebäude erlitten Totalschaden. Schwer betroffen waren auch die Stadtbibliotheken in Chemnitz, Frankfurt a.d. Oder, Nordhausen, Potsdam, Dessau und Rostock.10 Der Wiederaufbau und die Wiedereröffnung der Bibliotheken begann schon 1945 unter der Aufsicht und mit 9

10

Haenisch, Wolf: Überblick über die wissenschaftlichen Bibliotheken der sowjetischen Besatzungszone. In: Bbl. Leipzig 114. Jg., 1947, Nr. 1, S. 1-2; Vom Bibliothekswesen in Deutschland. In: Das Antiquariat. Halbmonatsschrift für alle Fachgebiete des Buch- und Kunstantiquariats. 4. Jg. 1948, Nr. 1/2, S. 3f. Thilo, Martin: Das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, S. l l f . ; Vom Bibliothekswesen in Deutschland. In: Das Antiquariat 1948, Nr. 1/2, S. 3f.

5

der Genehmigung der örtlichen Behörden und Militärkommandanturen. Einer quellenmäßig nicht belegten - Angabe zufolge war Ende 1946 der Stand des Vorkriegsjahres 1937/38 bereits wieder erreicht: danach gab es in der SBZ rund 3000 Volksbüchereien mit ca. 2,5 Millionen Bänden gegenüber 2950 Volksbüchereien mit 2,7 Millionen Bänden im Jahr 1937/38.11 Was die Zahlen für die bibliothekarische Praxis aussagen, läßt sich schwer ausmachen. Selbst engagierte zeitgenössische Beobachter konzedieren „Mißverständnisse", „fehlgegangene Praxis" und „laienhaften Dilettantismus" beim Wiederaufbau. 12 Berichte vom Wiederaufbau der Stadtbibliothek Potsdam, über das ländliche Büchereiwesen in Thüringen vermitteln einen Eindruck von den Rückschlägen, Hindernissen und Provisorien, die in einer Zeit materieller Not und sozialer Entbehrungen freilich nicht überraschen können (vgl. Kap. 4).

1.2. Aussonderung der nationalsozialistischen Literatur Die wichtigste bibliothekspolitische Maßnahme der unmittelbaren Nachkriegszeit war zweifellos die Aussonderung von nationalsozialistischer Literatur aus den Büchereibeständen. Die vorhandenen Darstellungen geben darüber zumeist allerdings nur knappe Überblicke, die auf die zentralen Aktivitäten - die Erstellung von Aussonderungslisten durch die Deutsche Bücherei Leipzig - beschränkt sind.13 Die vorhandenen Quellen lassen auch hier noch keine detaillierte Darstellung zu, sie vermitteln aber einen gewissen Einblick in die Spontaneität und Vielschichtigkeit individueller Aktivitäten und dezentraler Prozesse. a) Zuerst handelten offenbar die >Aktivisten der ersten Stundec sie griffen, wie Franz Hammer in Eisenach, zur Selbsthilfe. Hammer verschaffte sich, wie er in seiner Autobiographie berichtet, unmittelbar nach der Besetzung Eisenachs durch amerikanische Truppen vom deutschen Oberbürgermeister eine Ermächtigung, »in Buchhandlungen und Bibliotheken das Nazischrifttum« auszusondern. Er säuberte die offizielle nationalsozialistische Buchhandlung der Stadt und zwei weitere Buchhandlungen, ließ die ausgesonderten Bücher (deren Titel er auf je

11

12

13

6

Vgl. Adler, Ernst: Büchereiarbeit und ihre Aufgaben. In: VB 1. Jg., 1946-47, H. 2, S. 70. Bei den Vergleichszahlen sind allerdings die Neugründungen der 40er Jahre nicht berücksichtigt. Thilo, Martin: Das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, S. 43 schätzt die Gesamtzahl der vor 1945 bestehenden Volksbibliotheken auf 4000 bis 5000. Schröter, Erich: Die Aufgaben der Volksbücherei und ihre Grenzen. In: VB 1. Jg., 1946-47, H. 5, S. 260 Günnel, Peter: Zur Geschichte der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken, S. 23ff. ; (Thilo, Martin:) Bibliotheken als Opfer und Werkzeug der Sowjetisierung. Zur Lage des Büchereiwesens in der sowjetischen Besatzungszone. Berlin 1952 (Bonner Berichte aus Mittel- und Ostdeutschland. Hg. Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen), S. 7ff., Thilo, Martin: Das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, S. 43f.; Marks, Erwin: Die Herausbildung des sozialistischen Bibliothekswesens, S. 63ff.

einer Liste für den Buchhändler und die Kriminalpolizei verzeichnet hatte) abtransportieren und einstampfen. 14 Die Buchhandlungen wurden geschlossen und damit Rechnungen mit Gegnern aus der NS-Zeit beglichen. Danach widmete sich Hammer den Büchereien: den örtlichen Leihbüchereien, einer ausgelagerten Wehrmachtsbibliothek und der Werksbücherei der Bayrischen Motorenwerke. Über die Grundsätze, nach denen Hammer bei der Aussonderung vorging, erfahren wir nichts, nur soviel, daß er bei der »Säuberungsaktion gnadenlos« verfuhr. Franz Hammer war Schriftsteller und Antifaschist - die Identität anderer >Aktivisten der ersten Stunde< ist nicht bekannt. Vermutlich sind solche lokalen >SäuberungsaktionenSäuberung< der Bibliotheken auf der Grundlage dieser Listen zu kontrollieren: so entstanden zwischen Herbst 1945 und Frühjahr 1946 eine Berliner Liste, eine Thüringer Liste sowie neun Fortsetzungslisten der Leipziger Zentralstelle für Buch- und Bibliothekswesen. Über den Inhalt dieser Listen ist nichts bekannt. Dafür informieren zwei Berichte aus Berlin und Leipzig über ihre Entstehung und die sonstige Arbeit der Behörden. 14 15 16

17 18

Hammer, Franz: Zeit der Bewährung. Ein Lebensbericht. Berlin 1984, S. 136ff. Vgl. (Thilo, Martin:) Bibliotheken als Opfer und Werkzeug der Sowjetisierung, S. 7. Staritz, Dietrich: Die Gründung der D D R . Von der sowjetischen Besatzungsherrschaft zum sozialistischen Staat. München 1984, S. 96ff. VB 1. Jg., 1946-47, H. 1, S. 14-15. (Thilo, Martin:) Bibliotheken als Opfer und Werkzeug der Sowjetisierung, S. 7.

7

In Berlin erstellte eine vom Magistrat eingesetzte Arbeitskommission eine Liste der auszusondernden Literatur, welche im Februar 1946 von der Abteilung für Volksbildung im Berliner Magistrat herausgegeben wurde. Die Grundlage dieser Liste bildeten die laufenden Aussonderungsberichte der Berliner Bibliotheken. An der Arbeit der Kommission waren neben den Mitarbeitern des Referats für Bibliothekswesen Mitglieder des Kulturbunds und der Kammer der Kunstschaffenden beteiligt. Eine wichtige Rolle spielte Lotte Bergtel-Schleif, die zum Widerstandskreis der »Roten Kapelle« gehört hatte und 1945 Referentin für Volks- und Betriebsbüchereien in der Abteilung Volksbildung des Berliner Magistrats wurde und ab 1947 die Berliner Büchereischule leitete. 19 Lotte Bergtel-Schleif gründete im Januar 1946 bibliothekarische Arbeitsgemeinschaften, die die Arbeit der Kommission fortsetzten. In Arbeitsgruppen zur biographischen und geschichtlichen Literatur, zu Romanen und Erzählungen, zur länder- und völkerkundlichen Literatur wurden die Bestände der Bezirksbibliotheken bzw. deren Aussonderungspraxis überprüft und die Ergebnisse der Auswertung den Bibliotheken zurück vermittelt. Dieses Verfahren sicherte der Behörde einerseits eine gewisse Kontrolle über die Aussonderungsarbeit vor Ort, beteiligte aber zugleich die Bibliothekare am Erfahrungsaustausch und sorgte bei den Entscheidungen selbst für eine möglichst differenzierte sachliche und fachliche Grundlage. 20 In Leipzig organisierte die 1945 gegründete Zentralstelle für Buch- und Bibliothekswesen (später: Amt für Buch- und Bibliothekswesen des Volksbildungsamtes der Stadt Leipzig) die Aussonderungspraxis. Die Verantwortung lag beim Leiter der Zentralstelle, Dr. Heinrich Becker, der zunächst als stellvertretender, später als Vorsteher des Leipziger Börsenvereins eine entscheidende Rolle im Buch- und Verlagswesen der SBZ/DDR spielte. Auch Becker war als Reformbibliothekar, Sozialdemokrat und Ministerialrat im preußischen Wissenschaftsministerium vor 1933 ein >Antifaschist der ersten Stunden Das von ihm geleitete Amt erstellte 1945/46 insgesamt neun Listen »nicht mehr tragbarer Bücher«, die der Überprüfung der Lagerbestände Leipziger Verlage dienten und vermutlich auch für die Aussonderung der Bibliotheksbestände benutzt wurden. Die Aussonderung selbst wurde von Kommissionen vorgenommen, die jeweils für spezielle Bereiche Schulen, wissenschaftliche Bibliotheken, Leihbüchereien - verantwortlich waren. Diese Kommissionen bestanden aus entsprechenden Fachleuten, in erster Linie Lehrern und Bibliothekaren, sowie aus Mitgliedern der politischen Parteien. Insgesamt wurden bis 1947 zwei Millionen Bände ausgesondert. Private Haushalte, die zur Abgabe der nationalsozialistischen Literatur verpflichtet waren, wurden durch Stichproben überprüft. 1947, so der offizielle Bericht des Volksbil19

20

8

Marks, Erwin: Lotte Bergtel-Schleif - Unvergessen. In: ZfB 88. Jg., 1974, H. 9, S. 581-587; Peter, Heinz: Versuch über Lotte Bergtel. In: Kommunisten im Kampf für ein neues Bibliothekswesen. Leipzig 1977, S. 6 - 2 2 (Beiheft 3 zur Zeitschrift »Der Bibliothekar«), Bergtel-Schleif, Lotte: Der Neuaufbau der Berliner Volksbüchereien. In: VB l . J g . , 1946-47, H. 1, S. 37-41.

dungsamtes, waren die Leipziger Bibliotheken und Haushalte »frei« von nationalsozialistischer Literatur. 21 c) 1946 erschien die für alle Bibliotheken der SBZ verbindliche Grundlage der Aussonderungspraxis: die von der Deutschen Zentralverwaltung für Volksbildung herausgegebene Liste der auszusondernden Literatur (Nachträge 1947, 1948 und 1952). Sie wurde von der Deutschen Bücherei Leipzig erarbeitet: für die erste Liste und die Nachträge wurden bis 1948 zwei Millionen Bücher, Broschüren und Zeitschriften überprüft. Dafür stand ein Stab von bis zu 50 wissenschaftlichen und bibliothekarischen Mitarbeitern zur Verfügung. 22 Indiziert wurden zunächst 13223 Einzeltitel und rund 1500 Zeitschriften. 23 Eine von der Zentralverwaltung für Volksbildung ins Leben gerufene Buchprüfungskommission beriet und kontrollierte die Arbeit der Leipziger Fachleute. Diese Kommission hatte die Einsprüche betroffener Verlage und Autoren zu bearbeiten (insgesamt 36 zur ersten Liste und dem ersten Nachtrag; der zweite Nachtrag führt im Anhang zehn Titel auf, die aufgrund des Verfahrens wieder freigegeben wurden) und über 40000 Grenzfälle zu entscheiden. 24 Welche Kriterien der Prüfung im einzelnen zugrunde gelegt wurden, ist nicht bekannt. Die Vorworte der Listen enthalten aber einige grundsätzliche Hinweise zum Verfahren. Danach mußte aus Zeitgründen auf eine »systematische Durchsicht« der in Frage kommenden Schriften zunächst verzichtet werden: indiziert wurden jene Schriften, auf die die in den alliierten Befehlen genannten Verbotsmerkmale »eindeutig« zutrafen. 25 In den folgenden Jahren wurde der Kreis der überprüften Schriften zum einen um die ausgelagerten Bestände der Jahre 1933 bis 1945, zum anderen aber um die zwischen 1914 und 1933 erschienenen Bücher und Zeitschriften erweitert. 26 Im Vorwort zum dritten und letzten Nachtrag von 1952 wird, wie schon bei den vorausgegangenen Ausgaben, vermerkt, daß die Verbotslisten nicht vollständig seien, sondern als »Beispiele« zu gelten hätten. 27

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Kulturaufbau. Das Leipziger Volksbildungsamt 1946-47. Leipzig 1947 (Das WiederErstehende Leipzig / H. 3. Hg. Volksbildungsamt Leipzig), S. 64ff. Schaaf, Fritz: Zur Geschichte der Deutschen Bücherei nach 1945. In: Deutsche Bücherei 1912-1962. Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Deutschen Nationalbibliothek. Leipzig 1962, S. 70. Mones, Carl: Bericht über die Tagung. In: VB l . J g . , 1946-47, H. 2, S. 67 (Referat Heinrich Uhlendahl). Einschließlich der Nachtragslisten wurden rund 38700 Titel indiziert, vgl. Schaaf, Fritz: Zur Geschichte der deutschen Bücherei nach 1945, S. 70. Zeitfragen der Volksbüchereiarbeit. In: VB 2. Jg., 1948, H. 1, S. 2 4 - 26 (Referat Kurt Fleischhack). Vermutlich wurde die Entscheidung über die >Grenzfälle< an die Deutsche Bücherei zurücküberwiesen und die Ergebnisse in den Nachtragsbänden dokumentiert. Liste der auszusondernden Literatur. Hg. Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung. Berlin 1946, S. 3. Liste der auszusondernden Literatur. Hg. Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung. 1. Nachtrag. Berlin 1947, S. 6; Liste der auszusondernden Literatur. Hg. Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung. 2. Nachtrag. Berlin 1948, S. 3. Liste der auszusondernden Literatur. Hg. Volksbildungsministerium der D D R . Berlin 1952, S. 3.

9

Die Listen schufen also einerseits eine verbindliche bibliographische Grundlage für die Aussonderung, sollten aber gleichzeitig die einzelnen Bibliotheken und Bibliothekare nicht von der Verantwortung entbinden, eigene und auch weitergehende Entscheidungen zu treffen. Es gibt Hinweise, daß es sich dabei nicht nur um mögliche Disziplinierungsmittel handelte, sondern um einen Kompromiß zwischen Fachleuten und engagierten Volksbibliothekaren. Eine Reihe von Volksbibliothekaren und lokalen Aufsichtsbehörden waren offensichtlich mit der »milderen Behandlung der Aussonderung« durch die Mitarbeiter der Deutschen Bücherei nicht einverstanden und wünschten »ein schärferes Vorgehen«. 28 Über Inhalt und Umfang dieses Konfliktes ist nichts bekannt. Eine seiner Ursachen dürfte in der Zentralisierung der Aussonderungsmaßnahmen liegen und der damit verbundenen Übertragung der Verantwortung von den Volksbibliothekaren und politischen Akteuren der >ersten Stunde< - zu denen im Bibliotheksbereich als >Hilfskräfte< eingesetzte Arbeiterbibliothekare und Antifaschisten zählten - auf bürgerliche Fachleute, die sich im Faschismus nicht exponiert hatten, aber eher als unpolitisch einzuschätzen waren. 29 Wieweit das Auswahlverfahren und die Struktur der Listen durch diese Konstellation mitbestimmt waren, kann angesichts der ungenügenden Quellenlage nicht untersucht und entschieden werden. Auch eine ausführliche Analyse der Listen muß aus diesen Gründen vorerst unterbleiben. Einige grundsätzliche Bemerkungen können dennoch gemacht und durch Stichproben - vor allem im Bereich der schöngeistigen Literatur - überprüft und konkretisiert werden. Einer der Grundsätze des Überprüfungsverfahrens bestand darin, Autoren und ihr Gesamtwerk nicht generell zu indizieren, sondern jedes einzelne Werk zu überprüfen. Ausgenommen waren von dieser Regel die Schriften der hauptverantwortlichen nationalsozialistischen Politiker (Hitler, Himmler, Göring, Goebbels, Ley, Streicher, Speer, von Papen) und nationalsozialistische Ideologen wie Alfred Rosenberg. Die politischen Grenzen sind relativ eng gezogen: schon für Hindenburg und Erich Ludendorff galten Einzelprüfungen. Dieses Verfahren führte zu einer auf den ersten Blick unübersichtlichen Reihung von Einzelindikationen; es blieb notgedrungen lückenhaft und bedurfte deshalb der Nachtragslisten. Auf der anderen Seite ließ es jedoch Differenzierungen innerhalb des Werkes einzelner Autoren zu. Eines der Unterscheidungskriterien bildete das Erscheinungsjahr: die große Mehrzahl der indizierten Werke ist 1933 und danach publiziert. Ein weiteres Kriterium bildete der politische Zeitbezug. So wurden etwa die politischen und pädagogischen Schriften Oswald Spenglers indiziert: 1946: »Jahre der Entscheidung« (1933); 1948: »Neubau des deutschen Reiches« (1924); »Politische Pflichten 28

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Zeitfragen der Volksbüchereiarbeit. In: VB 2. Jg., 1948, H. 1, S. 26 (Referat Kurt Fleischhack). Zur Personalsituation und zur Entnazifizierung die knappen Überblicke bei (Thilo, Martin): Bibliotheken als Opfer und Werkzeug der Sowjetisierung, S. 8; Günnel, Peter: Zur Geschichte der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken, S. 23ff.; Thilo, Martin: Das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, S. 13 und Marks, Erwin: Die Herausbildung des sozialistischen Bibliothekswesens, S. 65ff.

der deutschen Jugend« (1924), »Preußentum und Sozialismus« (1942) [1920], »Politische Schriften« (1933) - nicht aber das philosophische Hauptwerk »Der Untergang des Abendlandes«. Von Houston St. Chamberlain wurden indiziert: 1946: »Deutschland - England« (1940) [1939]; 1952: »Hammer oder Amboß« (1916), »Kriegsaufsätze« (1915) [1914], »Mensch und Gott« (1943), »Rasse und Persönlichkeit« (1934), »Arische Weltanschauung« (1917) [21911] sowie verschiedene Werkausgaben, nicht aber »Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts«. Innerhalb der Schönen Literatur wurden mit diesem Verfahren in erster Linie die offen politischen und militanten Werke aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 erreicht: auf sie fällt der Hauptteil der Indikationen. Nicht erreicht wurden neben der Unterhaltungsliteratur die Werke von konservativen und im weitesten Sinn >völkischen< Autoren und ihrer Vorläufer. Hier spielt die zeitliche Zäsur 1933 eine noch weit entscheidendere Rolle als in anderen Bereichen: das Werk von Autoren wie Hans Friedrich Blunck, selbst von Johst wurde halbiert in eine nicht-indizierte - vor 1933 erschienene - und eine nach 1933 erschienene Hälfte, die wie bei Johst generell indiziert, bei Blunck teilweise indiziert wurde. Eine Aussage darüber, ob die Auswahlkriterien im Bereich der Schönen Literatur weit oder eng gefaßt sind, erfordert eine bis ins einzelne gehende Analyse der in Frage kommenden Autoren und Werke. Das kann hier nicht geleistet werden, wäre vielmehr auch Aufgabe einer literaturwissenschaftlichen Spezialuntersuchung. Hier mag deshalb zunächst als Kriterium gelten, was die nationalsozialistische Literaturgeschichtsschreibung selbst als zu ihrem Kanon gehörig beansprucht hat. Im folgenden soll - auf der Grundlage der Darstellung Hellmuth Langenbuchers »Volkhafte Dichtung der Zeit« in der Ausgabe von 1941 - an einer Auswahl von Autoren, die im engeren (1) oder im weiteren (2) Sinn als nationalsozialistische Autoren galten, überprüft werden, in welchem Umfang nationalsozialistische Literatur von der Indizierung erreicht wurde. 30 Aussonderung der nationalsozialistischen Literatur: ausgewählte Autoren (1946-1952) Autoren (1) Heinrich Anacker Ludwig Fr. Barthel Hans Baumann

Anzahl der indizierten Werke 1946 1947 1948 13 4 26

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1

1952 2 2

Langenbuchers Kriterien können hier nicht diskutiert werden; der Versuch, die nationalsozialistische Literatur in eine breite Tradition einzubauen, führte dazu, daß Autoren wie Hans Carossa, Paul Ernst, Lulu von Strauß und Torney, Rudolf Huch und Ernst Wiechert für die nationalsozialistische Literatur reklamiert wurden, während ein Autor wie Felix Riemkasten nicht zur nationalsozialistischen Literatur gerechnet wurde. Vgl. als Einführung in die Problematik: Die deutsche Literatur im Dritten Reich. Themen Traditionen - Wirkungen. Hg. Denkler, Horst und Priimm, Karl. Stuttgart 1976; Loewy, Ernst Hg.: Literatur unterm Hakenkreuz. Das 3. Reich und seine Dichtung. (Neuausgabe) Frankfurt M./Hamburg 1969; Richard, Lionel: Deutscher Faschismus und Kultur. München 1982.

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Anzahl der indizierten Werke 1946 1947 1948

Autoren Werner Beumelburg Walter Bloem Hans Friedrich Blunck Herbert Böhme Edwin Erich Dwinger Richard Euringer Hans Heinz Ewers Hanns Johst Ernst Jünger Eberhard W. Möller Hans Jürgen Nierentz Hans Rehberg Franz Schauwecker Gerhard Schumann Georg Schmückle Heinz Steguweit Josef Magnus Wehner Hans Zöberlein Autoren

2 3 2 -

3 3 1

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1 -

2 3 2 -

(2)

Albert Bauer Felix Wilhelm v. Beielstein Josefa Berens-Totenohl Konrad Beste Richard Billinger Rudolf G. Binding Friedrich Bischoff Erich Brautlacht Gertrud v. d. Brincken Otto Brües Hermann Eris Busse Hermann Claudius Lena Christ Anton Dörfler Hans Heinrich Ehrler Philipp Faust Ludwig Finck Gustav Frenssen Walter Flex Friedrich v. Gagern Otto Gmelin Joachim v. d. Goltz Georg Grabenhorst Maria Grengg Friedrich Griese Hans Grimm Wolf Justin Hartmann Herbert v. Hoerner Robert Hohlbaum Alfred Huggenberger

12

23 2 2 1 6 8 7 2 3 19 1 13 3 13 2 2 1 sämtliche Schriften mit Ausnahme von 13 vor 1933 erschienenen Titeln 8 1 17 2 4 1 11 4 20 2 1 1 9 1 5 5 4 -

1952

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1

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3 5

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1

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1 2

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1

1 1 1

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6 1 1 4

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1

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1

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_ _ 1 1 -

Autoren Werner Jansen Hans Kaergel Kurt Kluge Eberhard König Wilhelm Kohlhaas Erwin Guido Kolbenheyer Ludwig Kotzde-Kottenrodt Hans Kiinkel Johannes Linke Martin Luserke Edgar Maass Karl Benno v. Mechow Agnes Miegel Ernst M. Mungenast Mia Munier-Wroblewska Bruno Nelissen-Haken Joseph G. Oberkofler Helmut Paulus Otto Paust Josef Fr. Perkoning Erwin H. Rainalter Martin Raschke Wilhelm Schäfer Jakob Schaffner Wilhelm Schmidtbonn Wilhelm v. Scholz Ina Seidel Heinrich Sohnrey Hermann Stahl Hermann Stehr Emanuel Stickelberger Emil Strauss Peter Stählen Ludwig Tügel Walter Vollmer Heinrich Waggerl Josef Weinheber Hans Watzlik Rudolf Witzany Johanna Wolff Marie Zierer-Steinmüller

Anzahl der indizierten Werke 1946 1947 1948

1952

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3

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3 1

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1 -

1 2

1 6

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1 1 2

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3 1 1

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1

1 2 1 1 -

Die Übersicht zeigt, daß der größte Teil der auszusondernden Titel bereits in der ersten Liste von 1946 erscheint. Die relativ große Zahl von Nachträgen bei einer Reihe von Autoren der ersten Gruppe bedeutet aber, daß eine Anzahl einschlägiger nationalsozialistischer Titel noch längere Zeit nach 1945 offiziell freigegeben war; ein nicht zu vermeidender Nachteil des Einzelprüfungsverfahrens, der allenfalls vor Ort durch eigenständige und vorgreifende Entscheidungen des Bibliothekspersonals korrigiert werden konnte. Betroffen ist in erster Linie eine 13

relativ kleine Gruppe von Autoren, die sich politisch und literarisch eindeutig im Sinne des Nationalsozialismus engagiert haben; bei allen übrigen Autoren wurden die Grenzen des literarisch Tragbaren offensichtlich sehr weit gesteckt. So wird man vergeblich nach indizierten Titeln von Autorinnen und Autoren wie Josefa Berens-Totenohl, Konrad Beste, Friedrich Griese oder Hermann Stehr suchen. Ist aber das Feld der Heimatdichter, der konservativen Nationalisten und Mystiker, die zum Teil sehr enge Berührungen mit der nationalsozialistischen Ideologie aufweisen, von partiellen Verboten durchzogen, so sind die Schriftsteller der >Inneren Emigration eindeutig außerhalb der Verbotsgrenzen. In keiner der Listen finden sich Werke von Hans Carossa, Walter von Molo; erst in der letzten Liste (1952) wird ein Titel von Frank Thiess, »Johanna und Esther« (1933), angezeigt. Eher überraschend taucht dann auch Hans Fallada mit dem »Eisernen Gustav« (1938) in der Liste von 1948 auf. Einige Beispiele sollen zeigen, wie mit den Werken der hauptsächlich betroffenen Autoren der ersten Gruppe verfahren wurde. (Die in den Listen genannten Erscheinungsdaten beziehen sich nicht immer auf die Erstausgaben; indiziert sind in jedem Fall sämtliche Auflagen eines angezeigten Titels. Das Ersterscheinungsjahr wird in abweichenden Fällen in [] angegeben). So wurden folgende Werke von Heinrich Anacker indiziert (sämtlich 1946): »Der Aufbau« (1938) [1936], »Bereitschaft und Aufbruch« (1940), »Einkehr« (1934), »Die Fanfare« (1943) [1933], »Glück auf, es geht gen Morgen!« (1943), »Heimat und Front« (1940), »Kämpfen und Singen« (1937), »Über die Maas, über Scheide und Rhein!« (1940), »Singe mein Volk« (1935), »Die Trommel« (1943) [1932], »Ein Volk - Ein Reich - ein Führer!« (1938), »Wir dienen unseres Volkes Ewigkeit« (1941), »Wir wachsen in das Reich hinein« (1943) [1938]. N i c h t indiziert wurden die nach 1933 erschienenen Gedichtbände: »Lieder aus Stille und Stürmen« (1938) und »Norwegen« (1943) sowie der größte Teil der vor 1933 erschienenen Publikationen: »Ebbe und Flut« (1927), »Klinge, kleines Frühlingslied« (1921), »Bunter Reigen« (1931), »Sonne« (1926), »Werdezeit« (1922). Von Hans Baumann wurden indiziert: »Alexander« (1941), »Atem einer Flöte« (1942) [1940], »Der Bärenhäuter« (1942), »Balladen« (1943), »Die treuen Begleiter« (1942), »Die neuen Burgen« (1937), »Dafür kämpfen wir« (1942), »Feuer, steh auf dieser Erde« (1935), »Gelöbnis der Jugend« (1940), »Hans Helk und seine Kameraden« (1935), »Horch auf, Kamerad« (1936), »Der Wandler Krieg« (1942), »Macht keinen Lärm« (1933), »Morgen marschieren wir« (1945) [1939], »Die Morgenfrühe« (1939), »Nur der Freiheit gehört unser Leben« (1944), »Das Reich und der Osten« (1942), »Der Retter Europas« (1942), »Soldatenbrevier« (1942), »Der große Sturm« (1935), »Der helle Tag« (1944) [1938], »Trommel der Rebellen« (1935), »Unser Trommelbube« (1934), »Vaterland, wir kommen!« (1941), »Deutsche Vermächtnisse« (1943), »Wir zünden das Feuer« (1936) sämtlich 1946; »Der Turm Nehaj« (1941), »Das Jahr überm Pflug« (1935) und »Lieder« (1940) - in den Listen 1948 bzw. 1952. N i c h t indiziert wurden folgende Titel: »Bauernlieder« (1936), »Bergbauernweihnacht« (1935), »Ermanerich« (1944), »Der Hampelmann« (1934), »Das heimliche Haus« (1935), »Helfer im 14

Kampf« (1944), »Gläubiges Herz« (1942), »Kampf um die Karawanken« (1938), »Konradin« (1941), »Der Kreterkönig« (1944), »Heilige Nacht« (1934), »Drei kleine Spiele von Hansel Siebengescheit« (1934), »Der Strom« (1941), »Über uns die Sterne« (1942), »Die Weihnacht kommt« (1940). Von Hans Friedrich Blunck wurden indiziert: »Brückengedichte« (1941), »Deutschland und der Norden« (1944, zusammen mit Christian Degn), »Bootsmann Elbing« (1943), »Deutsche Kulturpolitik« (1934), »Mein Leben« (1934), »Deutsche Schicksalsgedichte« (1933), »Trauer um Jakob Leisler« (1941) - sämtlich 1946; »Wieder fährt Sturm übers Land« (1942), »Ein Winterlager« (1941) 1947; »Brüder« (1940), »Gedichte um Österreich« (1938), »Sturm überm Land« (1916) -1948; »H. F. Blunck. Eine Auswahl aus dem dichterischen Werk« (1940), »Rüstung der Geister« (o.J.)-1952. N i c h t indiziert wurde das umfangreiche Werk aus der Zeit vor 1933 (mit der einen Ausnahme »Sturm über Land«), aber auch der größte Teil der zwischen 1933 und 1945 erschienenen Publikationen, u.a.: »Gesammelte Werke in 10 Bänden« (1937), »Italienisches Abenteuer« (1938), »Abenteuer im Vordämmern« (1944), »Das Andachtsbüchlein« (1942), »Aufbruch der Streitwagen« (1937), »Auf dem Babenhof« (1943), »Balladen und Gedichte« (1937), »Begegnungen im Schnee« (1944), »Bergenfahrt« (1942), »Borr der Jäger« (1941), »Dammbruch« (1936), »Erntedank« (1933), »Fährgespräch« (1937), »Die große Fahrt« (1934), »Der Feuerberg« (1934), »Das Feuerhorn« (1933), »Frauen im Garten« (1939), »Freund und Feind« (1939), »Gedichte« (1940), »König Geiserich« (1937), »Heinrich von Lützelburg« (1940), »Deutsche Heldensagen« (1938), »Hüben und drüben« (1940), »Die Jägerin« (1940), »Glückliche Inseln« (1943), »Der Kamerad« (1940), »Kampf um Neuyork« (1938), »Land der Dämmerung« (1934), »Dörfliches Leben« (1934), »Das Mägdespiel« (1935), »Möwen hinterm Pflug« (1944), »Morgenstern und Abendstern« (1944), »Das Nibelungenlied« (1934), »Wolter von Plettenberg« (1939), »Quell der Goden« (1937), »Die Reise nach Amerika« (1943), »Sage vom Reich« (1941), »Die Schlacht von Pleskau und andere Geschichten vom Reich« (1944), »Sommer in Holmenland« (1943), »Die kleine ferne Stadt« (1940), »Die Urvätersage« (1933), »Die Verschwörung« (1940), »Werdendes Volk. Die Romane der niederdeutschen Trilogie« (1934), »Volksbuch der Sage vom Reich« (1944). Von Ernst Jünger wurden indiziert: »Ernst Jünger, Stoßtruppführer im Weltkrieg« (1935, Auswahl), »Das Antlitz des Weltkrieges« (1930), »Feuer und Blut« (1941) [1925], »Der Kampf als inneres Erlebnis« (1942) [1922], »Der Kampf als inneres Erleben« (1933), »Der Krieger« (1934), »In Stahlgewittern« (1942) [1922], »Wäldchen 125« (1935) [1925] - sämtlich 1946; »Die totale Mobilmachung« (1934) [1931] - 1948. N i c h t indiziert wurden: »Der Arbeiter« (1932), »Blätter und Steine« (1934), »Gärten und Straßen« (1942), »Geheimnisse der Sprache« (1939), »Das abenteuerliche Herz« (1929), »Auf den Marmorklippen« (1939), »Mydrun. Briefe aus Norwegen« (1943), »Afrikanische Spiele« (1936). Von Franz Schauwecker wurden indiziert: »Aufbruch der Nation« (1930), »Einer von vielen« (1940), »Die Entscheidung« (1933), »Kasematte >R«< (1937), »Krieg der Deutschen« (1933), »Füsilier Lehmann IV« (1940), »Der Panzerkreu15

zer« (1938), »SoTSt der Friede« (1928), »Soldatendienst« (1933), »Vor dem Sturmangriff« (1939), »Der feurige Weg« (1930) [1926] - sämtlich 1946; »Das Frontbuch« (1927), »So war der Krieg« (1929) [1927], »Im Todesrachen« (1919), »Weltgericht« (1920)-1948; »Endkampf« 1918 (1933)-1952. N i c h t indiziert wurden u.a.: »Deutsche allein« (1931), »Der Dolch des Condottiere« (1919), »Brandenburgische Fahrt« (1932), »Gespenster und Menschen« (1936), »Die Götter und die Welt« (1922), »Richard Holven oder die Symbole« (1927), »Mann zwischen heute und morgen« (1940), »Der weiße Reiter« (1944), »Der große Verzicht« (1938), »Wendekreis der Liebe« (1937). Von Gerhard Schumann sind alle zwischen 1933 und 1945 erschienenen Titel indiziert - mit drei Ausnahmen: »Liebe übers Kreuz« (1935), »Lotte und der Psychologe« (1942), »Gudruns Tod« (1942). Von Josef Magnus Wehner wurden indiziert: »Als wir Rekruten waren« (1938), »Bekenntnis zur Zeit« (1940), »Hindenburg« (1935), »Das unsterbliche Reich« (1933), »Albert Leo Schlageter« (1944) [1934 6.-10. Tsd.] - sämtlich 1946; »J. M. Wehner - eine Dichterstunde« (1939), »Stadt und Festung Beigerad« (1936), »Sieben vor Verdun« (1934) [1932], »Das große Vaterunser« (1935), »Die Wallfahrt nach Paris« (1933)-1948; »Mein Leben« (1934), »Verdun«, aus: »Sieben vor Verdun« (1933)-1952. N i c h t verboten waren: »Der blaue Berg« (1922), »Echnaton und Nofretete« (1940), »Elisabeth« (1939), »Die mächtigste Frau« (1922), »Geschichten aus der Rhön« (1935), »Vom Glanz und Leben deutscher Bühne« (1944), »Das Hasenmaul« (1930), »Hebbel« (1938), »Die Hochzeitskuh« (1928), »Das goldene Jahr« (1943), »Das Land ohne Schatten« (1930), »Erste Liebe« (1941), »... ums Morgenrot. Erzählungen aus dem Weltkrieg« (1936, zusammen mit Gerh. Siegert), »Struensee« (1924), »Der Weiler Gottes« (1921). Sämtliche Titel des nicht sehr umfangreichen Werks von Hans Zöberlein wurden verboten: die Romane »Der Befehl des Gewissens« (1938) und »Der Glaube an Deutschland« (1931) sowie die Erzählungen »Der Druckposten« (1940) und »Der Schrapnellbaum« (1940). Zusammenfassend - und ohne weitergehenden Untersuchungen vorgreifen zu wollen - wird man sagen können, daß das Ziel des komplizierten und zeitraubenden Überprüfungsverfahrens offenbar darin bestand, den literarischen Kanon der vergangenen 30 Jahre von politisch und ideologisch exponierten Werken zu reinigen. Darüber hinausgehende Absichten, z. B. eine grundlegende Revision des literarischen Kanons, sind nicht zu erkennen. Vermutlich war es aber gerade diese Beschränkung, die - berücksichtigt man zudem den möglichen gesamtdeutschen Aspekt des Unternehmens - die Listen für die Praxis der Aussonderung handhabbar machten. Die Ergebnisse der >Reinigung< der Bibliotheken sind vor diesem Hintergrund zu sehen. Dort, wo sie konsequent durchgeführt wurde, betraf die Aussonderung die politische und schöngeistige nationalsozialistische Literatur im engeren Sinn. Vor allem im Bereich der Schönen Literatur blieben aber die Bestände aus dem Umkreis der konservativ-nationalen Autoren, der Heimat- und Unterhaltungsautoren weitgehend unangetastet. So trug die Reinigung mit der Eliminierung der politischen Bestände paradoxerweise zur Wieder16

herstellung der bürgerlichen Bildungs- und Unterhaltungsbibliothek bei, deren Überwindung das ausgesprochene Ziel der antifaschistischen Reformer war. (Vgl. 112.)

1.3. Die Satzung für Volksbüchereien Mit der am 1.2.1946 erlassenen Satzung für Volksbüchereien31 wurden der organisatorische Rahmen für den Wiederaufbau, aber auch zugleich die Grundlagen für die gesellschaftliche Standortbestimmung der öffentlichen Bibliotheken geschaffen. Neben allgemeinen Bestimmungen über die Eröffnung, Verwaltung und die Anstellung des Personals enthielt das Statut daher Aussagen über Aufgaben und Funktionen der Volksbüchereien. So heißt es im Abschnitt 1: »Die Volksbücherei ist eine Einrichtung zur kulturellen Bildung des deutschen Volkes.« Und Abschnitt 6 präzisiert: »Die Hauptaufgabe der Volksbücherei besteht in der Hinführung des Volkes zur wertvollen klassischen und fortschrittlichen Literatur Deutschlands und der anderen Völker, um hierdurch eine humane und demokratische Weltanschauung im deutschen Volke zu begründen.« Der Bildungsauftrag wurde in zweifacher Weise konkretisiert. Die Bibliotheken sollten einmal dem ganzen Volk und nicht nur einer Bildungsschicht offenstehen; ihr Auftrag sollte sich - zweitens - nicht auf die Vermittlung von Bildungswissen im engen Sinn beschränken, sondern die »politische Aufklärung der Leser« (Abschnitt 9) mit umfassen. Den Formulierungen der Satzung ist also ein weiter Kultur- und Bildungsbegriff zugrundegelegt, der die Praxis der bibliothekarischen Erziehungsarbeit aus dem engeren Bereich kultureller Bildung in die politische Öffentlichkeit überführt. In diese Richtung zielten auch die ersten Stellungnahmen antifaschistischer Bibliothekare wie Erich Schröter und Ernst Adler, die als Herausgeber des »Volksbibliothekar« bzw. als Leiter der Leipziger Büchereischule maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des Bibliothekswesens nach 1945 nahmen. 32 Schröter sah die Arbeit der Volksbüchereien eingebettet in die »wichtigen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Aufgaben« der Gegenwart. Dazu müsse die Volksbücherei aus ihrem »Dornröschenschlaf« erwachen und sich den »pulsierenden Straßen unseres Lebens« öffnen: »Sie soll die Schätze der Literatur vor uns ausbreiten, die Werke unserer Klassiker und der Weltliteratur neben die Bücher über Gegenwartspolitik vor uns stellen. Sie soll uns zur Stellungnahme zu den geistigen und politischen Problemen unserer Zeit auffordern, das Material dazu bereitstellen und dieses nicht wie in einem Heiligenschrein weit ab von der

31 32

VB 1. Jg., 1946-47, H. 1, S. 53-55. Vgl. Rückl, Gotthart: Gespräche mit Erich Schröter. In: Ein Wegbereiter sozialistischer Bibliotheksarbeit. Berlin 1964, S. 7-35; ders., Im Gedenken an Erich Schröter. In: Β 20. Jg., 1966, H. 3, S. 248-251; Ernst Adler zum 70. Geburtstag. In: Β 22. Jg., 1968, H. 10, S. 1043-1044.

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Wirklichkeit des täglichen Lebens verbergen.« 33 Ähnlich argumentierte Ernst Adler: wenn die Bibliothek ihre Aufgabe ernstnähme, »dem Fortschritt der menschlichen Gesellschaft in humanitärem und wahrhaft demokratischen Geist« zu dienen, so müsse sie ihre »Neutralitätspolitik« aufgeben; die konkrete Arbeit dürfe nicht »in erster Linie« durch »formale oder . . . ästhetische Wertungen« bestimmt sein, sondern müsse durch »politische Gründe« gelenkt werden. 34 Der einzelne Bibliothekar, so Schröter, dürfe sich nicht länger mit der Rolle des »Buchverwalters« begnügen, sondern müsse einen »klaren politischen . . . Standpunkt« einnehmen. 35 Pointierter formulierte Adler - über die Funktion der Literatur sprechend - die Aufgaben der Bibliothek, sie dürfe »nicht wie früher nur einfach das Gedächtnis der Nation sein, sie muß darüber hinaus . . . als mahnendes Gewissen der Nation im Mittelpunkt unserer Kulturarbeit am Menschen stehen.« Die Aufforderungen zum politischen Engagement verstehen sich, wie in der Formulierung vom >Gewissen der Nation< deutlich ausgesprochen, als Ausdruck jener Diskussion, der es - im Rahmen der antifaschistischen Umerziehung - um die Rückgewinnung ethischer Grundnormen im öffentlichen Leben ging. Die Argumentation zielte auf die moralische Verantwortung und das soziale Engagement der Beteiligten, während der gesellschaftliche Prozeß, auf den sich die Appelle bezogen, nur in sehr allgemeinen Formulierungen zur Sprache kam. Zugleich ist hier aber der Grund gelegt für eine Entwicklung, die die Bibliotheken in dem Maß, in dem die gesellschaftlichen Zielsetzungen sich konkretisieren, argumentativ und praktisch in das politische Leben einpaßt.

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Schröter, Erich: Vom Zusammenbruch zu neuen Aufgaben. In: VB 1. Jg., 1946-47, H. 1, S. 10. Adler, Ernst: Büchereiarbeit und ihre Aufgaben. In: VB 1. Jg., 1946-47, H. 2, S. 73ff. Schröter, Erich: Wege zum volksbibliothekarischen Beruf. In: VB 1. Jg., 1946-1947, H. 1, S. 30f.

2. Zur Bestandspolitik bis 1951

Mit der Einführung der Planwirtschaft, deren Etappen durch den Halbjahresplan 1948, den Zweijahrplan 1949/50 und den Fünfjahrplan von 1951-1955 markiert sind,36 begann auch für das Bibliothekswesen eine neue Phase. Ausbau und Aufgabenstellung werden in einem schrittweisen Prozeß auf die Zielsetzungen der Pläne, insbesondere auf eine der zentralen Voraussetzungen ihrer Realisierung: die Steigerung der Arbeitsproduktivität der Beschäftigten bezogen. Die Entwicklung läßt sich an folgenden Schwerpunkten festmachen: 1. Die sächsische Landesregierung erließ Anfang 1949 ein Büchereigesetz, das den Ausbau des Büchereinetzes, die Finanzierung und Verwaltung der öffentlichen Bibliotheken regelt; 2. bereits Ende 1948 wurden von der Deutschen Verwaltung für Volksbildung und dem FDGB Richtlinien für die Einrichtung von Betriebsbibliotheken ausgearbeitet, die die Kultur- und Literaturarbeit im Betrieb, die sachliche und personelle Ausstattung der Betriebsbibliotheken und die Zusammenarbeit mit Behörden und Verlagen regeln; 3. innerhalb der Bibliotheken setzte eine Debatte über die Aufgaben der Bibliotheken im Zweijahrplan, über Selbstverständnis und Ausbildungsschwerpunkte der Bibliothekare und die Reorganisation der Bibliotheksbestände ein; 4. die gewerblichen Leihbüchereien sahen sich einer Diskussion über ihre Bestände und ihre Ausleihpraxis ausgesetzt, die zur Aussonderung der Werke bestimmter Unterhaltungsschriftsteller führte. Die gesamte Entwicklung, die kontinuierlich in die erste Phase des Fünfjahrplans hineinreicht, stand im Zusammenhang mit tiefgreifenden Veränderungen im Konzept antifaschistischer Bibliotheksarbeit: der Erziehungsauftrag, der an der Ausbildung humanistischer Haltungen und Werte orientiert war, wurde in einen gesellschaftlichen Auftrag uminterpretiert, in dessen Zentrum die Förderung konkreter Planziele stand. Die veränderte Funktionssetzung führte zu einer engen Bindung der Bibliotheksarbeit an die Betriebe und die für die Planziele verantwortlichen politischen Instanzen. Die Folge war eine vertikale Zentralisierung der Entscheidungsprozesse und eine horizontale Verflechtung der bibliothekarischen Praxis mit der Kulturarbeit der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen, insbesondere der Gewerkschaften.

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Zusammenfassende Darstellungen bei Kiessmann, Christoph: Die doppelte Staatsgründung. Deutsche Geschichte 1945-1955. Göttingen 1982, S. 269ff. und bei Staritz, Dietrich: Die Gründung der D D R , S. 123ff.

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2.1. Vom Sächsischen Bibliotheksgesetz zum Fünfjahrplan Am 4. Februar 1949 beschloß der sächsische Landtag das Gesetz zur Demokratisierung des Büchereiwesens; das Gesetz trat im April 1949 in Kraft. 37 In zehn Paragraphen wurden Einrichtung und Finanzierung, Verwaltung und personelle Fragen sowie behördliche Aufsicht und Kontrolle geregelt. Im einzelnen sahen die Bestimmungen folgendes vor: § 1 erklärt die öffentlichen Büchereien zum Volkseigentum und garantiert ihre unentgeltliche Benutzung durch die Bevölkerung. § 2 verpflichtet alle Gemeinden mit mehr als 1000 Einwohnern zur Errichtung und Unterhaltung einer öffentlichen Bücherei; die Größe der Bücherei sollte in »einem angemessenen Verhältnis zur Einwohnerzahl« stehen. § 3 legt die Verwaltungsträger für die verschiedenen Bibliothekstypen fest; danach sind die Volksbildungsämter der Kreise verantwortlich für die Kreisbüchereien, die Gemeindeverwaltungen für die Gemeindebüchereien, die Betriebsleitungen für die Betriebsbüchereien. § 4 regelt die Aufsicht durch das Ministerium für Volksbildung; § 5 die Anstellung und Ausbildung der Bibliothekare. § 6 regelt die Finanzierung: für den Personalaufwand der Kreis- und Gemeindebüchereien kommen danach das Land, für den Sachaufwand die Kreise und Gemeinden auf, für die personelle und sachliche Ausstattung der Betriebsbüchereien müssen die Betriebe selbst aufkommen. § 7 legt fest, daß die Buchbeschaffung zentral durch das Leipziger >Einkaufshaus für Büchereien< erfolgt. Die in Sachsen lizenzierten Verlage werden verpflichtet, dem Einkaufshaus jeweils die halbe Auflage jedes neuerscheinenden Werks anzubieten. Die Paragraphen 8 bis 10 regeln Genehmigungsfragen, Durchführungsbestimmungen und den Termin des Inkrafttretens des Gesetzes. In einer kurzen Erläuterung hielt Ilse Korn die wichtigsten Ziele des Gesetzes fest. 38 Die angestrebte >Demokratisierung< bezog sich danach einmal auf den zahlenmäßigen Auf- und Ausbau des Bibliotheksnetzes. Hatten Städte und Gemeinden bisher freie Hand gehabt, wurden sie durch das Gesetz zur Gründung und Unterhaltung einer öffentlichen Bücherei verpflichtet. Die Absicht war dabei, die Stellung der öffentlichen Büchereien gegenüber dem Sortiment, aber auch den wissenschaftlichen Bibliotheken oder den Leihbüchereien zu stärken und sie zum eigentlichen Instrument der neuen Kulturpolitik zu machen. Ihren qualitativen Aspekt erhielt die gesetzgeberische Maßnahme denn auch durch ihre Einbindung in die kulturpolitischen Zielsetzungen des Zweijahrplanes; sie sollte die »materielle Basis« für »die kulturelle Hebung des Niveaus der Werktätigen« sichern. Der Gesetzestext selbst enthielt keine Angaben darüber, wie dies geschehen sollte. In ihrer Erläuterung weist Ilse Korn jedoch auf die wichtige Rolle, die den Bibliothekaren zugedacht war: ihrer durch das Gesetz vorgesehenen materiellen Sicherstellung entsprach die Erwartung, daß sie als »Erzieher der Nation« die Mitverantwortung für die »demokratische Bewußtseinsbildung aller entwicklungsfähigen Menschen« übernähmen. 37 38

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Der Text ist abgedruckt in: VB 3. Jg., 1949, H. 1, S. 11-13. VB 3. Jg., 1949, H. 1, S. 8ff.

Damit wurde eine Formulierung aus der Zeit unmittelbar nach 1945 aufgenommen, die, wie die Debatte um die politischen Aufgaben des Bibliothekars zeigen wird, nicht mehr ausreichte, um die konkreten Forderungen an das Bibliothekswesen und die Bibliothekare zu beschreiben. Gleichfalls im Zusammenhang mit dem Zweijahrplan, aber schon einige Monate vor der Verabschiedung des sächsischen Bibliotheksgesetzes wurden Ende 1948 Richtlinien für den Außau und die Verwaltung der Betriebsbüchereien erlassen, für deren Ausarbeitung der FDGB (Abteilung Kultur) und das Referat Bibliotheken bei der Deutschen Verwaltung für Volksbildung verantwortlich waren. 39 Die Richtlinien beziehen sich auf einen Bereich, den das sächsische Bibliotheksgesetz aus der Verantwortung der kommunalen Verwaltungen ausgeklammert und den Betrieben und ihren Leitungen zugesprochen hat. Die Richtlinien enthielten neben einer knappen Beschreibung der Aufgaben detaillierte Bestimmungen über die Einrichtung, den Buchbestand, die Leitung und Verwaltung sowie die Genehmigung und Kontrolle der Betriebsbüchereien. Den Betriebsbüchereien wurden danach folgende Aufgaben im Rahmen der betrieblichen Kulturarbeit und im Zusammenhang mit der Propagierung des Zweijahrplans zugewiesen: die »Befestigung des gesellschaftlichen Bewußtseins«, die fachliche »Weiterbildung und Leistungssteigerung«, die »Vertiefung der Allgemeinbildung« und schließlich »Unterhaltung und Erholung«. Im einzelnen legten die Richtlinien folgendes fest: Betrieben ab 500 Mitarbeitern wird die Einrichtung einer Bücherei zur Vorschrift gemacht; kleinere Betriebe sollen sich zu einer gemeinsamen Bibliothek zusammenschließen. Verantwortlich für Einrichtung, Unterhalt und Verwaltung der Büchereien sind die jeweiligen Betriebsgewerkschaftsleitungen. Der Betrieb hat die Mittel für die Bezahlung eines etwaigen hauptamtlichen Büchereileiters aufzubringen; er hat geeignete Räume und das Mobiliar zur Verfügung zu stellen. Die Benutzung der Bücherei ist für Betriebsangehörige kostenlos. Die fachliche Aufsicht liegt bei der Landesstelle für Büchereiwesen bzw. den in ihrem Auftrag handelnden Kreisbibliothekaren. Spezielle Auflagen werden für den Aufbau des Buchbestands gemacht: 40% des Bestandes sollen auf politische Literatur und Fachliteratur entfallen, die restlichen 60% sollen verteilt werden auf Schöne Literatur, allgemeinbildende Literatur (Biographien und Reisebeschreibungen), auf Werke der Geschichte sowie der Natur- und Länderkunde. Ausgegangen wird von einem Anfangsbestand von 300 Bänden, der auf eine Zahl von zwei Bänden pro Betriebsangehörigen ausgebaut werden soll. Ausgeschlossen wird »minderwertige Literatur« von Schriftstellern wie Rudolf Herzog, Marlitt und Brenda Grey. Grundsätzlich soll der Aufbau der Bücherei der personellen Zusammensetzung und den jeweiligen Aufgaben der Betriebe entsprechen. Mit dem sächsischen Bibliotheksgesetz war ein Modell für die Entwicklung des gesamten Bibliothekswesens in der SBZ geschaffen worden, während die Richtlinien einen wichtigen Schwerpunkt der Arbeit bezeichneten. Damit war zugleich 39

Der Text ist abgedruckt in: VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 185-187.

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der Rahmen gegeben, in dem sich die Diskussion über die Rolle der Bibliotheken im Zweijahrplan bewegten. Ein wichtiges Datum bildete die zentrale Tagung der Bibliotheksreferenten und der leitenden Bibliothekare der SBZ im März 1949. In einer Erklärung der Teilnehmer wurden als »vordringliche Aufgaben« genannt: die »Durchführung des Büchereigesetzes in allen Ländern« der SBZ, der »Ausbau des Büchereinetzes«, die Ausbildung und Schulung der Bibliothekare im Hinblick auf die »kulturpolitischen Aufgaben« des bibliothekarischen Berufs, »die Ausweitung der Büchereiarbeit in die Betriebe, das Dorf und die MAS«, eine »grundsätzliche Regelung des Leihbüchereiwesens durch Richtlinien.40 Die Aufgabenstellung läßt sich auf einen bildungs- und kulturpolitischen Gedanken zurückführen: dem Buch über die Bibliotheken neue Leserschichten zu erschließen. Dieses Konzept wurde nun im Zusammenhang mit der Durchsetzung des Zweijahrplans in eine bestimmte Richtung gelenkt: die neuen Leser sollten vor allem unter Industriearbeitern und der Landbevölkerung gefunden werden. 41 So bildete denn auch unter den genannten Aufgaben die Bibliotheksarbeit in den Betrieben einen wichtigen Schwerpunkt. Die Hauptziele und Argumente faßte Erich Schröter in einem 1949 erschienenen Beitrag für den »Volksbibliothekar« zusammen. 42 Schröter erinnerte zunächst an die konsensfähigen Grundgedanken der bibliothekarischen Arbeit, »alle Schichten des Volkes in einen engeren und lebendigeren Kontakt mit der Literatur zu bringen«, konkretisierte dann aber: das Ziel müsse sein, »das Bewußtsein der Menschen zu steigern, sie für die Erfüllung ihrer gesellschaftlichen, insbesondere der produktiven Funktionen zu qualifizieren«. Damit wurde der kulturpolitische Bildungsauftrag der Bibliotheken deutlich eingeengt und auf die politische und fachliche Ausbildung im Rahmen der produktiven Tätigkeit festgelegt. Die weitere Argumentation orientierte sich an dieser engen Funktionsbindung: der Schwerpunkt der bibliothekarischen Arbeit wird in den Betrieb verlegt, die Einrichtung von Betriebsbibliotheken zum »Mittelpunkt« der Arbeit erklärt. Die Bibliothekare sind aufgerufen, »in die Betriebe« zu gehen. Sie sollen dort nicht nur beratend, sondern auch praktisch tätig werden: bei der Ausleihe »an der Werkbank« und der Pflege des Buchbestands, bei der Organisierung von »Lesezirkeln, Autorenabenden«, von »Lesetischen« und Ausstellungen. Der Aufbau des Buchbestandes soll in erster Linie der »Produktionssteigerung« und in engem Zusammenhang damit der politischen Bildung dienen: vorrangig soll »die das gesellschaftliche Verbundensein des Menschen erklärende und . . . seine gesellschaftliche Funktion fördernde Literatur« angeschafft werden. Den Funktionsrahmen für die Bibliotheksarbeit, insbesondere die Bestandspolitik, bildet aber nicht der Betrieb, sondern die übergreifenden und gleichsam staatsunmittelbaren »aktuellen gesellschaftlichen Erfordernisse«, wie Schröter im

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Erklärung der Zonenvertreter des Bibliothekswesens. In: VB 3. Jg., 1949, H. 2, S. 72t. Schröter, Erich: Gedanken zu aktiver Bibliotheksarbeit. In: VB 2. Jg., 1948, H. 5, S. 273-275. Schröter, Erich: Bibliotheksarbeit in den Betrieben und Maschinenausleihstationen. In: VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 138-143.

Fortgang der Diskussion betonte. 4 3 Dieser gesellschaftlich vorgegebene und im Rahmen staatlicher Planpolitik konkretisierte Auftrag - und nicht spezifische Betriebsinteressen oder individuelle »Leserbedürfnisse« - bildeten den Ausgangspunkt für die Überlegungen zum Bestandsaufbau. Die Frage des »eindeutigen Buchbestands« (ebd.) stellte sich damit in anderer Weise als in der unmittelbaren Nachkriegszeit: die Akzente verschoben sich von der Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Literatur und der Ausarbeitung von Verbotslisten auf den Aufbau eines »positiven«, an den unmittelbaren Gegenwartsaufgaben orientierten Bibliotheksbestands. D i e bibliothekarische Umsetzung des gesellschaftlichen Auftrags und die dabei vorgenommene Umstrukturierung des literarischen Kanons läßt sich an den im 2. Teil wiedergegebenen und analysierten Auswahl- und Bestandsverzeichnissen einzelner Bibliotheken zwischen 1948 und 1952 näher verfolgen. Ein systematischer Überblick ist angesichts der Quellenlage vorerst nicht möglich. Einen Einblick in die organisatorischen Maßnahmen und die kulturpolitischen Maßstäbe der Bestandspolitik vermittelt aber die Auswertung eines im »Bibliothekar« abgedruckten Berichts aus Thüringen. 44 Der Bericht enthält die Wiedergabe und Erläuterung von Richtlinien zur Bestandspolitik, die die hier angedeuteten kulturpolitischen Tendenzen deutlich wiedergeben. Die wichtigsten Passagen der Richtlinien und der Erläuterungen lauten: Zu den entscheidenden Aufgaben der im Lande und in den Gemeinden bestehenden Ausschüsse für Bibliotheksfragen gehört der Bestandsaufbau. Dafür muß maßgebend sein die den Bibliotheken gestellte Aufgabe, den gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu entsprechen und nicht den individuellen Literaturwünschen einzelner Leser. Die gesteigerte Produktion neuer fortschrittlicher Literatur gibt die Möglichkeit, eine bewußte Entwicklung des deutschen Volkes durch die Bibliotheksarbeit entscheidend zu fördern. Es ist daher erforderlich, daß diese fortschrittliche Literatur das Gesicht der Buchbestände bestimmt. Die Kenntnis dieser Literatur ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Erfüllung der bibliothekarischen Funktionen. [...]. Für den Aufbau und die Sichtung der Buchbestände sind daher folgende Maßstäbe verbindlich: Die Werke der Schriftsteller, die antisowjetisch, nationalistisch, militärisch, chauvinistisch, imperialistisch gewirkt haben, sind aus den Beständen der Büchereien abzuscheiden, da sie keinen positiven Beitrag zum Aufbau einer fortschrittlichen Kulturarbeit leisten können (zum Beispiel Grimm, Blunck, Winnig). Für Autoren, die sich der nazistischen Zeitstimmung beugten (zum Beispiel Lersch, Bröger), die antipolnische und antisowjetische Meinungen äußerten (zum Beispiel Sinclair) kann sich die Büchereiarbeit nicht werbend einsetzen. Sie sind daher genauestens zu überprüfen. Die Bibliotheken müssen durch ihre Entwicklung neuer Arbeitsmethoden dazu beitragen, daß die Kritikfähigkeit des Lesers weiter gefördert wird. Literatur, die durch die gesellschaftliche Entwicklung in ihrer Bedeutung für die Bildung eines neuen fortschrittlichen Bewußtseins verloren hat, ist in ihrer Verwendung für die Büchereiarbeit genauesten zu prüfen (zum Beispiel London). [...]

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Schröter, Erich: Zur Kritik der Buchbestände. In: Β 4. Jg., 1950, H. 8, S. 402-406. Der Thüringer Landesausschuß für Bibliotheksfragen. In: Β 4. Jg., 1950, H. 7, S. 365-369. 23

Die Produktion westlich lizenzierter Verlage darf grundsätzlich geführt werden, soweit sie nicht mit den Bestimmungen der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik im Widerspruch steht. Vorhandene Literatur ist erneut zu überprüfen. Schöne Literatur, die in ihrem Inhalt Landschaft und Menschen der früheren deutschen Gebiete behandelt oder Gebiete, in denen Deutsche gesiedelt haben, ist kritisch in der Bibliotheksarbeit zu verwenden. Schöne Literatur dieser Art mit geringem literarischem Wert ist auszuscheiden (zum Beispiel Paul Keller, Skowronnek, Strobl). Hinsichtlich der Sachliteratur ist die Überprüfung unter Berücksichtigung der Größe und des Aufgabenbereiches der Bücherei durchzuführen. Zweifelsfragen sind dem Landesausschuß vorzutragen." D i e Erläuterungen geben Hinweise auf kulturpolitische Schwerpunkte, die im Vordergrund der Bibliotheksarbeit, insbesondere auch der Literaturauswahl, stehen sollen: Kampf um die Einheit und nationale Unabhängigkeit Deutschlands und gegen die imperialistischen Mächte in der Welt, Kampf um den Frieden und gegen den Krieg; Aufklärung über Entwicklung und Wesen des Imperialismus und Entlarvung seiner Weltherrschaftsansprüche ; Kampf gegen Rassen- und Völkerverhetzung und für Völkerverständigung und Freundschaft, insbesondere zur Sowjetunion und den volksdemokratischen Ländern; Aufklärung über die Sowjetunion und ihre Friedenspolitik; Entlarvung des Antibolschewismus und Antimarxismus; Aufklärung über die Politik der Deutschen Demokratischen Republik und ihre Ziele; Popularisierung der neuen wichtigen Gesetze, die von der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik erlassen wurden; Kampf gegen die Schädlinge der Nation, Entlarvung der Doppelzüngler, Saboteure, imperialistischen Agenten und ihrer deutschen Helfershelfer; Aufklärung über die gesellschaftlichen Verhältnisse vergangener Epochen (Feudalismus, Bürgertum) durch kritische, geschichtliche Darstellungen; Unterstützung der Wirtschaftspläne durch Bereitstellung geeigneter Fachliteratur mit dem Ziel der Leistungs- und Qualitätssteigerung; Erreichung der Friedenshektarerträge durch Bereitstellung geeigneter landwirtschaftlicher Fachliteratur; Förderung der neuen Einstellung zur Arbeit; Bejahung des Lebens und der Gemeinschaft, Weckung eines optimistischen Lebensgefühls; Unterstützung der Ausbildung jugendlicher Nachwuchskräfte in allen Berufen durch geeignete Fachliteratur; Heranführung der Jugend an die großen gesellschaftlichen Aufgaben; Heranführung der Leserschaft an die neue fortschrittliche Literatur; Förderung der humanistischen und fortschrittlichen Literatur aller Zeiten und Völker sowie Pflege der Güter einer wahrhaft nationalen deutschen Kultur; Hebung des literarischen Niveaus durch die Ausschaltung der kitschigen, dekadenten, rührseligen und banalen, unmoralischen und rein sensationellen Literatur; Bereitstellung der wissenschaftlichen Literatur, die die schaffende Intelligenz für die Lösung der vor ihr stehenden Aufgaben benötigt. D i e Richtlinien knüpfen einerseits an die Grundsätze zur Aussonderung von nationalsozialistischer Literatur an und erneuern deren Verbotskanon. Gleichzeitig wird der Kreis unerwünschter Literatur ausgedehnt auf die Werke von nationalsozialistischen Mitläufern; von Autoren, die sich im Zeichen des Kalten 24

Krieges »antisowjetisch« geäußert haben; ferner auf Literatur, die »für die Bildung eines neuen fortschrittlichen Bewußtseins« irrelevant geworden sei, sowie auf Unterhaltungsliteratur von geringem literarischen Wert. Den sehr weitgehenden Bestimmungen für die Aussonderungspolitik standen in den Erläuterungen präzise Hinweise auf den positiven Bestand gegenüber: die Themenschwerpunkte umfassen von der Deutschland-, Wirtschafts- bis zur Kulturpolitik die programmatischen Schwerpunkte der aktuellen Gegenwartspolitik der DDR. Die Erläuterungen beziehen sich auf unterschiedliche Buchgruppen, in erster Linie auf politische und Fachliteratur. In ihrer Gesamtstruktur geben die Verbots- und Gebotshinweise zugleich einen möglichen Rahmen ab für den Aufbau eines belletristischen Literaturkanons, der eng an der Geschichte der sozialistischen Bewegung und Revolutionen orientiert und unmittelbar auf Fragen sozialistischer Gegenwartspolitik ausgerichtet ist. Verantwortlich für die Beratung und Formulierung der Richtlinien war ein im April 1950 eingerichteter Landesausschuß für Bibliotheksfragen am Thüringer Volksbildungsministerium. Dem Ausschuß gehörten Vertreter der Bibliotheken und des Buchhandels sowie gesellschaftlicher Verbände - der FDJ, der Gewerkschaften, des Kulturbundes, der deutsch-sowjetischen und der deutsch-polnischen Gesellschaft - an. Lokale Unterausschüsse mit entsprechender Zusammensetzung waren verantwortlich für die praktische Durchführung der Richtlinien. Mit der Ausweitung des Bibliotheksnetzes, der Gewinnung neuer Leserschichten unter den Arbeitern und der Landbevölkerung, der politischen Ausbildung und fachlichen Qualifizierung der Bibliothekare wurden die wichtigsten bibliothekspolitischen Forderungen des Zweijahrplans in die Planungen des anschließenden Fünfjahrplans übernommen. Weitere Ländergesetze nach dem Vorbild Sachsens blieben zwar aus, doch wurde mit der Übernahme der Grundforderungen des sächsischen Bibliotheksgesetzes in die kulturpolitische Programmatik und Gesetzgebung des Fünfjahrplans eine länderübergreifende Grundlage für den Auf- und Ausbau des Bibliothekswesens in der DDR geschaffen. Besondere Aufmerksamkeit wurde der Einrichtung von Betriebsbüchereien gewidmet. Insgesamt gesehen wurde neben der organisatorischen Seite den Problemen des Buchbestandes und der politischen Orientierung der Bibliotheksarbeit erhöhte Bedeutung zugemessen. Über die Aufgaben und Schwerpunkte der Bibliotheksarbeit im Fünfjahrplan informiert ein ausführlicher Bericht über eine vom Volksbildungsministerium Sachsen und der Sächsischen Landesstelle für Büchereiwesen organisierte Tagung sächsischer Bibliothekare Ende November/Anfang Dezember 1950.45 Die hier diskutierten und beschlossenen Maßnahmen dürften wegen der Vorreiterrolle Sachsens für das gesamte Bibliothekswesen der DDR von Bedeutung gewesen sein. Arbeitskommissionen diskutierten und verabschiedeten Forderungen zu folgenden Schwerpunkten:

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Volksbüchereien am Start des Fünfjahrplanes. In: Β 5. Jg., 1951, H. 1/2, S. 57-75.

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a. Zur gesellschaftspolitischen und fachlichen Qualifikation des Büchereipersonals Die fachliche und politische Ausbildung von Bibliothekshelfern soll durch einen einheitlichen Ausbildungsplan und Leselisten koordiniert werden; Arbeiter, Bauern und Jugendliche sollen verstärkt als nebenamtliche Bibliothekare (vor allem auf dem Land) gewonnen werden. Den Bibliothekaren wird ein »gesellschaftswissenschaftliches Selbststudium« verordnet (B 5. Jg., 1951, H. 1/2, S. 64-66). b. Zum ländlichen Bibliothekswesen Ziel der Planungen ist es, jedes Dorf mit einer eigenen Bibliothek auszustatten; Landkreise mit der niedrigsten Bibliotheksrate werden zu Schwerpunkten der Arbeit erklärt. Die zentrale Belieferung der Bibliotheken durch das >Einkaufshaus< für Büchereien in Leipzig soll verbessert werden, Angebotslisten sollen monatlich und mit ausführlichen Kommentaren zur Kinder- und Jugendliteratur versehen erscheinen. Die Zweckentfremdung von Gemeindemitteln für die örtlichen Büchereien soll durch zentrale Erhebung und Verteilung der Gelder für Buchanschaffungen unterbunden werden. Die Bibliotheken werden verpflichtet, Zeitschriften zu abonnieren. Folgende Zeitschriften werden empfohlen: Die neue Gesellschaft, Die Frau von heute, Sowjetunion, Urania, Aufbau, Die Neue Zeit, Die Einheit, Die neue Filmwelt, Volk und Kunst, Blick nach Polen, Heute und morgen, Funk und Schule, Die Weltbühne, Demokratischer Aufbau, Die Technik (B 5. Jg., 1951, H. 1/2, S. 66-68). c. Buchbestände Verbotslisten werden nicht erstellt, die persönliche Verantwortung soll beim Büchereileiter selbst bleiben. Als allgemeiner Grundsatz gilt: »Maßstab für den Wert oder Unwert eines Buches ist, ob es den Interessen der Werktätigen sowie der fortschrittlichen Intelligenz dient« (B 5. Jg., 1951, H. 1/2, S. 68). Eher eine Standardformulierung, die aber die Entscheidung des Bibliothekars deutlich an den ideologischen Horizont politischer Instanzen bindet. Konkrete Hinweise zu den verschiedenen Literaturgruppen geben weitere >EntscheidungshilfenErzieher< bis zum >Aktivisten·«. Ein Beitrag von Heinrich Becker mit dem Titel »Objektivität des Bibliothekars - eine Tugend oder eine Schwäche?« bildete den Ausgangspunkt der Debatte. 47 Becker setzt sich hier kritisch mit dem Berufsbild des bibliothekarischen >Fach46

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Vgl. dazu den in Kürze erscheinenden Beitrag >Erwachsenenbildung< von Dieter Langewiesche im Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte Bd. 5, hg. von Langewiesche, Dieter und Tenorth, Heinz-Elmar. ZfB 62. Jg., 1948, H. 5/6, S. 261-265; nachgedruckt im Bbl/Leipzig 116. Jg., 1949, Nr. 8, S. 57.

manns< auseinander, der sich als unpolitischer Verwalter und Vermittler des Buchs begreife. Die Berufung des Fachmanns auf eine durch die sachlichen Erfordernisse seiner Arbeit vorgegebene »Objektivität« enthalte die Gefahr einer »Fixierung an das Gewordene«, verrate eine »Scheu vor dem Künftigen« und bedeute letztlich eine »Weigerung, sich den die Zukunft gestaltenden Kräften zu öffnen«. Das Festhalten am traditionellen Objektivitätsideal laufe deshalb auf eine »Entscheidung gegen die fortschreitenden Kräfte, gegen das Morgen und für das Gestern« hinaus. Dem Nur-Fachmann stellt Becker den über sein Fachgebiet hinausblickenden, an den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen teilnehmenden Bibliothekar - den »Akteur« - gegenüber. Sein Berufsethos gründe sich nicht auf ein positivistisches Objektivitätsideal, sondern auf einen »dynamischen« Wahrheitsbegriff, der auf die Entwicklung und Veränderung der Geschichte setze. Becker begründet seine Position in einem philosophischen Exkurs, der die antikantianische Linie der Erkenntniskritik von Hegel zu Lukács aufnimmt und in der Formulierung aus »Geschichte und Klassenbewußtsein« gipfelt, »nur wer die Zukunft herbeizuführen berufen und gewillt (sei), (könne) die konkrete Wahrheit der Gegenwart sehen«. 48 Eine solche, ins Grundsätzliche weisende Neubestimmung des bibliothekarischen Berufsbilds lag denn auch in der Absicht Beckers, während die naheliegenden praktischen Konsequenzen aus seiner Argumentation ausgeklammert blieben. In diese Richtung bewegte sich aber die weitere Diskussion. Zunächst einmal verteidigte Georg Leyh, der damalige Direktor der Tübinger Universitätsbibliothek, das traditionelle Berufsbild. 49 Die Aufgabe der Bibliotheken und der Bibliothekare bestehe seit 2000 Jahren unverändert in der »kritische(n) Auslese der Bücher und (dem) Bereitstellen für die öffentliche Benutzung«. 50 Bei seinen Entscheidungen müsse sich der Bibliothekar über die Parteien, die wissenschaftlichen Richtungen und literarischen Strömungen stellen und dabei gleichsam die »Sonne über Gut und Böse scheinen lassen«. Die notwendigen Stellungnahmen bezögen sich auf die »sachlichen Forderungen des Tages«; »Fragen einer noch in der Dämmerung liegenden Zukunft« lägen außerhalb der fachlichen Entscheidungskompetenz des Bibliothekars. Als »Privatperson« stehe es ihm frei, sich zu den »aktuellen Fragen der Zeit« zu äußern - die Bibliotheksarbeit selbst stehe aber »der Natur der Sache nach nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit«. Dieses auf der strikten Trennung von fachlicher Kompetenz und politischer Verantwortung, von Öffentlichkeit und Beruf beruhende Bild des Bibliothekars verstand sich vor dem Hintergrund einer Bibliothekskonzeption, die den Bibliotheken eine wesentlich konservierende, arbeitsteilig organisierte Sammler- und Vermittlerfunktion zusprach. Daß Leyh mit seinen kritischen Einwänden gegen eine >politisierte< Bibliothek an unaufgebbare sachliche Grundsätze und fachliche 48 49

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Becker, Heinrich: Zwischen Wahn und Wahrheit. Autobiographie. Berlin 1972, S. 223. Leyh, Georg: Das neue Berufsideal des Bibliothekars. In: ZfB 63. Jg., 1949, H. 3/4, S. 9 5 - 97; ders., Der Bibliothekar der Zukunft. In: ZfB 63. Jg., 1949, H. 5/6, S. 151-171. ZfB 63. Jg., 1949, H. 3/4, S. 97; alle weiteren Zitate aus H. 5/6, S. 151-171.

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Voraussetzungen der Bibliotheksarbeit erinnerte, muß festgehalten werden. Andererseits trug er aber mit einer Auffassung, die in den Bibliotheken das zeitlose und gesellschaftsenthobene »Gedächtnis der Menschheit« und im Bibliothekar den gelehrten »Sammler« sah, wenig zur Diskussion um den politischen Standort der Bibliotheken und die politische Verantwortung der Bibliothekare bei. Wie weit sich hier bereits >Ost< und >West< voneinander entfernt hatten, zeigt der Beitrag Ernst Adlers. Für Adler soll der Bibliothekar ein »politischer Mensch« sein, der über »ein sicheres Wissen über die gesellschaftlichen Grundlagen seiner Zeit« verfügt, den »Bedürfnissen und Forderungen der Zeit aufgeschlossen und verständnisvoll gegenübertritt« und seine Arbeit in »enge(r) Verbundenheit mit den Massen des werktätigen Volkes« ausübt. Erwartet wird von ihm die Mitarbeit in kulturellen und »politisch-demokratischen« Organisationen. Die fachlichen Kenntnisse, die pädagogischen Erfahrungen und die organisatorischen Fähigkeiten sollen im Rahmen des politischen Auftrags realisiert werden. Die gesamte Tätigkeit des Bibliothekars, insbesondere die Arbeit der Literaturvermittlung erhält einen neuen Inhalt: Adler fordert neben einer bewußten Buchauswahl eine spezifische Leserberatung und -erziehung mit dem Ziel, »den Gesamtprozeß der gesellschaftlichen Entwicklung . . . zu fördern und zu unterstützen«. 51 Vergleicht man Adlers programmatische Feststellungen mit seinen Äußerungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit, so wird deutlich, daß die damaligen Vorstellungen von der Verantwortung des Bibliothekars und seiner erzieherischen Aufgabe von der Person gelöst und auf die Institution selbst übertragen wurden. Gleichzeitig wurde damit der umfassende und gleichsam freischwebende Erziehungsauftrag an die konkreten, der Institution übertragenen kulturpolitischen Aufgaben gebunden. Für die Aufrichtigkeit und Überzeugungskraft der Argumentation war es sicher nicht ohne Bedeutung, daß das neue Berufsbild sich innerhalb des weitgehend akzeptierten Erziehungsdiskurses entwickeln und aussprechen ließ. Damit würde sich auch erklären, daß radikalere Positionen, die das Buch als »politisches Kampfmittel« eingesetzt sehen wollten (Erich Reyer) und gemäßigte Positionen, die den politischen Erziehungsauftrag des Bibliothekars zugleich an die Person und die Institution banden (Ilse Korn), 52 offenbar ohne Konflikte nebeneinander bestanden. 2.2.2. Ausbildung der Volksbibliothekare: Prüfungsschwerpunkte Eine der Möglichkeiten, das neue Berufsbild und die veränderten Aufgaben des Bibliothekars im Rahmen des Zweijahrplanes durchzusetzen, stellte das Ausbildungswesen dar. So enthielt der Lehrplan der Leipziger Volksbüchereischule 51 52

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Adler, Ernst: Das Berufsbild des Bibliothekars. In: VB 3. Jg., 1949, H. 2, S. 74-77. Reyer, Erich: Volksbibliothekar - Diener am Buch? In: VB 3. Jg., 1949, H. 5, S. 261-263; Korn, Ilse: Büchereien des Volkes. In: Bbl/Leipzig 116. Jg., 1949, Nr. 8, S. 58f.

neben Literatur- und Fachkunde folgende Fächer: Politik und Gesellschaft, Das politische Buch, Grundzüge der Gesellschaftwissenschaft sowie Bücherkunde des politischen Schrifttums.53 Unterlagen über Lehrpläne aus Berlin, Jena oder Rostock liegen nicht vor. Ein Vergleich der im »Volksbibliothekar« abgedruckten Prüfungsthemen aus den Jahren 1947 und 1949 läßt aber einen Einblick in die Ausbildungsschwerpunkte und ihren Wandel zu. Die erste Berliner Diplomprüfung 1947 enthielt folgende Aufgaben: 1. eine Besprechung des »Siebten Kreuzes« von Anna Seghers, 2. Vorschläge für die Einrichtung eines Leseabends für weibliche Leser in einer Großstadtbücherei bzw. die Neueinrichtung eines Lesesaals, 3. Lesevorschläge für eine junge Arbeiterin, die an Kunstbüchern interessiert ist; einen allgemeinen Lesevorschlag für eine ältere Hausfrau und schließlich einen Lesevorschlag für einen jungen Angestellten zum Thema Frühkapitalismus.54 Die Themen der zweiten Diplomprüfung 1949 lauteten: 1. eine Besprechung wahlweise: Martin Andersen Nexö, »Dritte Menschenkind«, oder Hewlett Johnson, »Ein Sechstel der Erde«; 2. wahlweise: Vorschläge zur Einrichtung einer Betriebsbücherei, zur Aufstellung eines 30 bis 40 Titel umfassenden Auswahl Verzeichnisses einer Berliner Volksbücherei bzw. zur Aufstellung eines Auswahlverzeichnisses für Kinder- und Jugendliteratur; 3. Lesevorschläge für einen jungen Arbeiter zum Thema Widerstandsbewegung, für eine junge Arbeiterin außerhalb des Bereichs der Schönen Literatur, für einen Angestellten zum Thema Zweijahrplan. 55 Bei der Diplomprüfung der Leipziger Büchereischule Anfang 1949 wurden u. a. folgende Themen gestellt: Vorschläge zur Einrichtung einer Bücherei in einer kleineren Industriestadt mit einem überwiegend aus der Arbeiterschaft kommenden Lesepublikum; die Volksbücherei als Faktor demokratischer Erziehung; Zusammenarbeit mit Massenorganisationen; Volksbücherei und Betriebsbücherei sowie gesellschaftskundliche Themen zu den Fragen Krieg und Frieden, zu den Revolutionen von 1848 und 1918, zum Ost-West-Verhältnis und zur wirtschaftlichen und kulturellen Bedeutung des Zweijahrplans. Das Thema der literaturkundlichen Hausarbeit lautete: »Welche Bücher können zur Sinneswandlung und Umerziehung des deutschen Menschen beitragen?«. Unter den 20 zu nennenden Büchern wurden von den Prüfungsteilnehmern am häufigsten gewählt: Hewlett Johnson, »Ein Sechstel der Erde«; Alexander Abusch, »Irrweg der Nation«; Anna Seghers, »Das siebte Kreuz«; Eugen Kogon, »Der SS-Staat«; Theodor Plievier, »Stalingrad«; Maxim Gorki, »Die Mutter«; Valentin Katajew, »Im Sturmschritt vorwärts«; Michail Scholochow, »Neuland unterm Pflug«. Deutlich weniger Nen-

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Adler, Ernst: Ein neuer Lehrgang der Leipziger Volksbüchereischule. In: V B 3. Jg., 1949, H. 3, S. 159f. Bergtel, Lotte: Prüfung der Berliner Nachwuchskräfte. In: V B 2. Jg., 1948, H. 1, S. 2 9 - 3 1 . Woita, Irene: Bericht über die zweite Berliner Diplomprüfung für den volksbibliothekarischen Beruf. In: V B 3. Jg., 1949, H. 2, S. 8 7 - 8 9 .

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nungen erhielten Heinrich Manns »Untertan« oder Ernst Wiecherts »Totenwald«.56 Im Vergleich mit 1947 zeigt sich eine deutliche Verlagerung der Prüfungsschwerpunkte von Themen zur allgemeinen Bibliotheksarbeit zu Fragen, wie sie im Mittelpunkt der Zweijahrplanprogrammatik standen: die Gewinnung neuer Leserschichten unter Arbeitern und Angestellten, Bibliotheksarbeit in den Betrieben und Probleme des Literaturkanons. Innerhalb der Literaturkunde behielten Werke der Exilliteratur (Anna Seghers, Theodor Plie vier) ihr Gewicht; Gegenwartsliteratur und Werke, die der sozialistischen Tradition zuzuordnen sind, gewannen jedoch spürbar an Bedeutung. Verstärkt wurde schließlich die gesellschaftskundliche Ausbildung der Bibliothekare: der Themenkreis umfaßt sowohl historische Gegenstände wie aktuelle Fragen. 2.3. Schulung der Betriebsbibliothekare Neben den Bemühungen, innerhalb der allgemeinen Ausbildung an den Volksbibliothekarschulen Probleme der Betriebsbüchereien zu berücksichtigen, spielte die Ausbildung von speziellen Betriebsbibliothekaren eine zunehmend wichtige Rolle. Es handelte sich bei diesem Personenkreis um Werksangehörige, die sich der Betriebsbibliotheken aufgrund besonderer Interessen und Vorkenntnisse angenommen hatten, aber wegen mangelnder Fachkenntnisse ihrer Aufgabe nicht gerecht wurden. Die Ausbildung wurde organisiert von den Landesstellen für Büchereiwesen und den Landesverbänden des FDGB bzw. der Einzelgewerkschaften. Es handelte sich dabei um Tages- und Wochenkurse, nicht um einen durchgängigen Ausbildungsgang; die Teilnehmer wurden von ihren Betrieben für die Dauer des Kurses freigestellt. Über diese Kurse liegen eine Reihe von Berichten vor, die über Schwerpunkte und Themen der Ausbildung informieren. 57 Die Ausbildung der Betriebsbibliothekare hatte drei Schwerpunkte: 1. gewerkschaftliche Kulturpolitik, 2. Fachkunde und Büchereipraxis, 3. Literaturkunde. 56

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Adler, Ernst: Aus der Arbeit der Deutschen Volksbüchereischule. In: VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 157-159. Folgende Berichte wurden ausgewertet: Bamberger, Katharina: Bericht über den ersten Lehrgang der Betriebsbüchereileiter in Sachsen. In: VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 154-156; Schröder, Gerhard: Schulung der Betriebsbüchereileiter in Sachsen-Anhalt. In: Β 4. Jg., 1950, H. 6, S. 308-312; Ruhl, Heinrich: Schulung der Leipziger Betriebsbibliothekare. In: Β 4. Jg., 1950, H. 11, S.579Í.; Böhme, Wolfgang: Sie kommen mitten aus der Praxis. MAS-Büchereileiter wurden in Leipzig geschult. In: Β 4. Jg., 1950, H. 12, S. 634-636; Götz, Walter: Die Betriebsbücherei im Aufbau. Bericht über den Lehrgang für Betriebsbüchereileiter in der FDGB-Landesschule Jena-Lobeda. In: Β 4. Jg., 1950, H. 12, S. 639-641; Bungter, Fritz: Zwischenbilanz über die Schulung der Leipziger Betriebsbibliothekare. In: Bbl/Leipzig 118. Jg., 1951, Nr. 15, S. 190f.; Kunz, Fritz: Schulung der Chemnitzer Betriebsbibliothekare. In: Β 5. Jg., 1951, H. 3, S. 155f.

Obgleich jedem dieser Themen seine besondere Bedeutung zukam, insbesondere das 2. und 3. einen großen Raum innerhalb der Ausbildung einnahmen, spielte die Auseinandersetzung mit gewerkschaftlicher Kulturpolitik eine besondere Rolle: sie bildete gleichsam die politische Motivation und ideologische Klammer des Ausbildungsganges. Unterstrichen wurde so, daß gewerkschaftliche Bibliotheksarbeit stets Bestandteil der Kultur- und Gesellschaftspolitik der Gewerkschaften ist, daß der Betriebsbibliothekar zugleich eine kulturelle und politische Aufgabe wahrnimmt. Der kulturpolitische Primat zeigt sich in spezifischen Themenangeboten der Lehrpläne zu Problemen gewerkschaftlicher Kulturarbeit (VB 3. Jg., 1949 3, S. 154), den kulturellen Aufgaben des Zweijahrplans (ebd.) bzw. Fünfjahrplans (B 4. Jg., 1950, H. 12, S. 635; ebd. S. 639) sowie zu aktuellen politischen Fragen wie der deutschen Einheit, der Rolle der Sowjetunion (VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 155; Β 4 Jg., 1950, H. 12, S. 635; ebd. S. 639). Gleichzeitig wurde versucht, die Kurse unter ein übergreifendes (kultur)-politisches Thema zu stellen: so standen die drei Schulungswochen für Betriebsbüchereileiter in Sachsen-Anhalt unter den Themen »Arbeiterschaft und Intelligenz«, »Frieden und Einheit Deutschlands« und »Die Nationale Front« (B 4. Jg., 1950, H. 6, S. 311). Während die Einführung in die Büchereipraxis ausschließlich fachkundlichen Charakter hatte, stand der dritte Schwerpunkt, die Literaturkunde, in engem Zusammenhang mit den kulturpolitischen Zielsetzungen der Gewerkschaften: die Einführung in die bibliothekarische Literaturarbeit, die Auseinandersetzung mit der Literatur und Literaturkritik dienten dem Zweck politischer Aufklärung und ideologischer Schulung der Gewerkschaftsmitglieder. Die kulturpolitische Funktionssetzung schlug sich in Grundsatzthemen nieder wie: »Der werktätige Mensch und das Buch« ( V B 3. Jg., 1949, H. 3, S. 155); »Die Bedeutung der Literatur für die Neugestaltung unserer Gesellschaftsordnung« (B 4. Jg., 1950, H. 6, S. 310); »Die Rolle des Buches in unserer gesellschaftlichen Entwicklung«, »Das politische Buch als Mittel der ideologischen Erziehung« (B 4. Jg., 1950, H. 12, S. 635); »Die gesellschaftliche Bedeutung und Verantwortung des Schriftstellers«, »Buch und Gesellschaft. Einführung in die Buchkritik« (B 4. Jg., 1950, H. 12, S. 639); »Das gute Buch - ein unentbehrliches Mittel zur fachlichen Qualifizierung und gesellschaftlichen Bewußtseinsbildung« (Bbl/Leipzig 118. Jg., 1951, Nr. 15, S. 190). Die Schwerpunkte der Literaturkunde lagen a) auf dem politischen Buch (VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 155; Β 4. Jg., 1950, H. 6, S. 309; Β 4. Jg., 1950, H. 11, S. 579; Β 4. Jg., 1950, H. 12, S. 635; Bbl/Leipzig 118. Jg., 1951, Nr. 15, S. 190); b) auf der fortschrittlichen erzählenden Literatur, insbesondere der Gegenwartsliteratur, die unter den verschiedensten Bezeichnungen in den Lehrplänen auftaucht;58 c) auf der sowjetischen Literatur (in sämtlichen Berichten). 58

So ζ. B . : V B 3. Jg., 1949, H. 3, S. 155; Β 4. Jg., 1950, H. 6, S. 309 als »gegenwartsbezogene Literatur«, auf S. 310 als »Literatur und Literaturkritik seit 1945 in Ost und West«; Β 4. Jg., 1950, H. 12, S. 640 als »unsere neue Literatur«; Bbl/Leipzig 118. Jg., 1951, Nr. 15, S. 191 als »der deutsche Zeitroman«; Β 5. Jg., 1951, H. 3, S. 156 als »fortschrittliche Literatur«.

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Auffallend ist, daß Arbeiterliteratur und Exilliteratur (B 4. Jg., 1950, H. 12, S. 309, 311) sowie das literarische Kulturerbe (B 4. Jg., 1950, H. 12, S. 639) und die Literatur des 19. Jahrhunderts (B 5. Jg., 1951, H. 3, S. 155) als besondere Themen nur je einmal genannt wurden. Relativ breiten Raum nahm die Auseinandersetzung mit der trivialen Unterhaltungsliteratur (VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 155; Β 4. Jg., 1950, H. 11, S. 579) und mit dem Jugendbuch ein (B 4. Jg., 1950, H. 12, S. 635; Β 4. Jg., 1950, H. 12, S. 640; Bbl/Leipzig 118. Jg., 1951, Nr. 15, S. 190). Die Themen »Abenteuer- und Kriminalromane«, »Reisebeschreibungen und Reportagen« wurden jeweils nur einmal genannt (B 4. Jg., 1950, H. 11, S. 579; Bbl/Leipzig 118. Jg., 1951, Nr. 15, S. 191). Die im Anhang dokumentierten Lehrpläne verschiedener Ausbildungskurse in den Jahren 1949 bis 1951 geben einen Überblick über Strukturen, Schwerpunkte und zeitliche Abfolge der Ausbildung. Bereits der früheste Lehrplan weist die beschriebene Grundstruktur auf. Sie wird in den folgenden Plänen ausdifferenziert, wobei allerdings die übergeordneten kulturpolitischen Gesichtspunkte verstärkt werden. 59 Ein weiteres Dokument, der Arbeitsplan für Betriebsbibliothekare 195060 vermittelt einen Einblick, wie die Ausbildung in die praktische Bibliotheksarbeit umgesetzt werden sollte. Der Plan reicht über das ganze Jahr: »Sinn der Schulungen ist es, den Betriebsbibliothekaren am Anfang jeden Monats praktische Anregungen für die Betriebsbüchereiarbeit im laufenden Monat (Büchereiausstellung, Betriebsfeiern etc.) zu geben«. Die Auswahl der Monatsthemen folgt politischen und kulturpolitischen Gesichtspunkten; auf diese Weise wird ein das ganze Jahr umspannender Zyklus politischer und kultureller Themen und Gedenktage geschaffen. Die Literaturkunde bezieht sich in der Regel auf die (kultur)politische Themenvorgabe. So werden im Zusammenhang mit dem Thema Stalingrad (Februar) Antikriegsromane, dem Weltfrauentag (März) moderne Frauenromane, Lenin (April) moderne Jugendbücher, dem Weltfriedenstag (Oktober) fortschrittliche Literatur der Welt, der Oktoberrevolution (November) Sowjetliteratur, dem Geburtstag Stalins (Dezember) Stalin in der Literatur der Welt behandelt. Der Lektürekanon, der um die Exil- und Widerstandsliteratur (Mai), die klassische russische Literatur (Juni) sowie Reisebeschreibungen und Reportagen (August) zu ergänzen ist, bleibt also unmittelbar bezogen auf den Prozeß politischer Bewußtseinsbildung und Aufklärung der Gewerkschaften. Lesen und Leseerziehung ist Teil der politischen Erziehung, die gewerkschaftliche Bibliotheksarbeit Bestandteil der allgemeinen politischen Schulungsarbeit der Gewerkschaften. Hier dürfte einer der Ansatzpunkte für die Bevorzugung gegenwartsorientierter Literatur liegen. Soll versucht werden, das Ausbildungskonzept für gewerkschaftliche Betriebsbibliothekare zu charakterisieren, so sind folgende Merkmale festzuhalten: 59

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VB 3. Jg., 1949, H. 3, S. 154ff.; Β 4. Jg., 1950, H. 12, S. 634-636; Β 4. Jg., 1950, H. 12, S. 639f£.; Bbl/Leipzig 118. Jg., 1951, Nr. 15, S. 190f. Β 4. Jg., 1950, H. 2, S. 84f.

1. Im Ausbildungskonzept dominierten politische und kulturpolitische Interessen. Angestrebt wurde ein Typus des Gewerkschaftsbibliothekars und -lesers, der seine Lektüre nach politischen (sowohl geschichtlichen wie aktuellen) Interessen wählt. Literatur wurde offensichtlich als Mittel politischer Bewußtseinsbildung und Handlungsmotivation eingesetzt. 2. Das Ausbildungskonzept setzte, soweit die Lehrpläne erkennen lassen, mehr auf die Überzeugungskraft eines Systems (kultur)politischer Erkenntnisse und Normen, als auf die Wirkung einer konkreten lesepädagogischen Arbeit mit dem Leser. Das heißt die Bibliotheksarbeit setzte weniger am konkreten Leseverhalten, den literarischen Gewohnheiten und Interessen der Leser an, sie orientierte sich an ideologischen Normen und Zielvorstellungen, nach denen das Leseverhalten >von oben< modelliert werden sollte. 3. Ausgangspunkt der Bibliotheksarbeit bildeten weder spezifisch literarästhetische Interessen, noch spezifische betriebliche Probleme, sondern eine übergreifende politische Themenstellung. Der literarische und gewerkschaftliche Erfahrungshorizont wurde durch einen staats- und gesellschaftspolitischen Normhorizont verstellt, der wenig Raum für die Entfaltung individueller und konkreter Bedürfnisse >vor Ort< ließ. An diesem Punkt fällt das Ausbildungskonzept des Betriebsbibliothekars mit der volksbibliothekarischen Ausbildung zusammen, deren kulturpolitischer Horizont ebenfalls durch die staatliche Kulturpolitik vorgegeben wurde.

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3. Leihbüchereien: Diskussionen und Maßnahmen 1948/49

Die Leihbüchereien spielten in den Nachkriegsjähren eine wichtige Rolle innerhalb der Literaturkommunikation. Eine Reihe von Faktoren trug dazu bei. Einmal waren die privaten Buchbestände durch unmittelbare Kriegseinwirkung, durch Flucht und Umsiedlung großer Teile der Bevölkerung beträchtlich reduziert. Hinzu kam, daß die Verluste durch die zunächst quantitativ begrenzte Buchproduktion nach 1945 nicht ausgeglichen werden konnten. Die öffentlichen Bibliotheken schließlich, auf die der Leserstrom z.T. umgelenkt wurde, standen selbst im Neuaufbau und boten gerade dort, wo die Bestandserneuerung im Sinn der >demokratisch-antifaschistischen Umerziehung< konsequent betrieben wurde, keinen Ersatz für die Leihbüchereien. Diese standen als gewerbliche Institutionen neben der Bibliotheksverwaltung der Länder; sie unterlagen zwar der Kontrolle durch den Börsenverein (dem sie als selbstständige Sparte angegliedert waren) und den Landesämtern für Büchereiwesen, waren aber administrativen Zugriffen weniger ausgesetzt als die öffentlichen Bibliotheken. Die Entwicklung der Leser- und Ausleihzahlen im Jahr 1947 (vgl. S. 53) zeigt deutlich, daß die Leihbüchereien von einer wachsenden Leserzahl als Nischen für deren an traditionellen Unterhaltungsstoffen orientiertes Lesebedürfnis genutzt wurden. Diese der Kulturpolitik zuwiderlaufende Tendenz rief zwischen 1947 und 1949 den Börsenverein, Bibliothekare und Leihbuchhändler, den Gesetzgeber und die Landesämter für Büchereiwesen auf den Plan. Die unterschiedlichen Initiativen dienten dem Ziel, den Leihbuchhandel »an die Erfüllung fortschrittlicher kultureller Aufgaben im Rahmen der gesellschaftlichen Umformung unserer Zeit« zu binden. 61 Der Börsenverein plädierte für verschärfte Lizenzierungsbedingungen, um eine Überbesetzung des Marktes zu verhindern; er schlug vor, den Zugang zum Leihbuchhandel von einer fachlichen Prüfung abhängig zu machen. 62 Die Berliner Verleger- und Buchhändlervereinigung regte gar an, den Betrieben, »die den heutigen Anforderungen nicht entsprechen«, die Lizenz zu entziehen. 63 Gleichzeitig setzte sich der Börsenverein dafür ein, die Erneuerung der Buchbestände durch eine Zwangsabgabe der Neuerscheinungen der Verlage an die Leihbüchereien bzw. die Gründung eines speziellen Leihbuchverlages sicherzustellen.64 Ob 61

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Schröter, Erich: Die Volksbücherei und die gewerbliche Leihbücherei. In: VB 1. Jg., 1946-47, H. 3, S. 147-151, hier S. 149. Bbl/Leipzig 115. Jg., 1948, Nr. 21, S. 201. Bbl/Leipzig 115. Jg., 1948, Nr. 2, S. 12. Bbl/Leipzig 115. Jg., 1948, Nr. 21, S. 201; Bbl/Leipzig 115. Jg., 1948, Nr. 42, S. 394.

diese Vorschläge, die auf eine marktwirtschaftliche Steuerung der Probleme hinausliefen, weiterverfolgt wurden, konnte nicht festgestellt werden. Jedenfalls verlagerte sich die Debatte im weiteren Verlauf stärker auf den kulturpolitischen und administrativen Bereich. Dabei trat das Problem der Zulassung zugunsten der Frage des Buchbestands und seiner Kontrolle in den Hintergrund. Die Diskussion wurde von Bibliothekaren und Leihbuchhändlern bestritten und mündete schließlich nach entsprechenden Eigeninitiativen Leipziger und anderer Leihbuchhändler in eine Verordnung des sächsischen Ministeriums für Volksbildung im Jahr 1949, die den buchhändlerischen Vertrieb der Werke von 13 namentlich genannten Unterhaltungsautoren untersagte. Die Debatte setzte mit einem Beitrag Karl Tärrers »Das Problem einer literarischen Reform der Leihbüchereien« ein. 65 Tärrer berichtete von seinen Erfahrungen als Mitglied einer von der Landesregierung Sachsen eingerichteten und von Vertretern der Parteien, des Demokratischen Frauenbunds, des Kulturbunds, des FDGB, der FDJ, des Amts für Buch- und Bibliothekswesen, des Stadtgesundheitsamts und von Fachleuten beschickten Kommission zur Überprüfung der Leipziger Leihbüchereien. Die Überprüfung ergab ein widersprüchliches, im ganzen aber desillusionierendes Bild. Zwar war durchgehend festzustellen, daß die Leihbuchhändler den kulturpolitischen und erzieherischen Bemühungen um das >gute< Buch aufgeschlossen gegenüberstanden und teilweise auch Bücher anspruchsvoller Autoren wie Lion Feuchtwanger, Maxim Gorki, Heinrich und Thomas Mann, Jakob Wassermann, Franz Werfel, Arnold und Stefan Zweig sowie von Jack London und Traven in ihr Angebot aufnahmen. Es zeigte sich aber, daß die Leser - Bildungsbürger und Arbeiter - dieses Angebot nicht annahmen. Das Fazit: »Mit einer Beharrlichkeit ohnegleichen, die fast an Besessenheit grenzt, verschließt man sich dem guten Buch und jeder wohlmeinende Versuch, vom Wertlosen zum Wertvollen zu führen, wird, sobald erkannt, geradezu als Beleidigung empfunden. Demonstrative Abmeldungen sind dann oft die Folge.« Gegenüber Berichten, die von einzelnen positiven Erfahrungen mit neuen Lesern und deren kritischen Bedürfnissen auf den beginnenden Wandel der gesamten Institution und ihrer Leserschaft schließen,66 hatte die Einschätzung Tärrers die Alltagsrealität auf ihrer Seite. In der Diskussion ging es darum, wie und mit welchen Mitteln der unbefriedigende Zustand verändert werden konnte. Tärrer schlug zweierlei vor. Einmal gelte es, »den Leser zu ändern« - auf dem Wege der Beratung und einer gezielten literaturpädagogischen Arbeit des Kulturbundes, der Volkshochschulen, aber auch der Presse und des Rundfunks, die sich zu einer »Kampagne . . . gegen den literarischen Kitsch« zusammenfinden sollten. 67 Andererseits müsse durch Vereinbarungen mit den Verlagen auf die Pro65 66

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Bbl/Leipzig 115. Jg., 1948, Nr. 48, S. 445f. Vgl. L. E.: Die Entwicklung der Leihbücherei. In: Bbl/Leipzig 114. Jg., 1947, Nr. 5, S. 73f.; Nagel, Hans: Leihbücherei und Frauenroman. In: Bbl/Leipzig 115. Jg., 1948, Nr. 44, S. 412f. Bbl/Leipzig 115. Jg., 1948, Nr. 48, S. 446.

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duktion einer »guten« Unterhaltungsliteratur hingewirkt werden. Tärrer setzte also auf langfristige Erziehungsprozesse und Strukturveränderungen. Kurzfristige Maßnahmen, wie etwa »die sofortige Ausmerzung des zu leicht befundenen Schrifttums auf dem Verordnungswege« hielt er wegen des dann zu erwartenden »wilde(n) und unkontrollierte(n) Bücheraustausch(es)« für problematisch. Vier Nummern später druckte das Börsenblatt einen Beitrag von H. J. Jessel ab, der in teils grundsätzlicher, teils pragmatischer Argumentation für eine sofortige administrative Lösung, die Einstampfung »de(s) gesamten Schund(es) . . . restlos und auf der Stelle« plädierte. 68 Der Verfasser begründete zunächst die historische Notwendigkeit kulturpolitischer Eingriffe und Kontrollen. Ein laissezfaire unter Berufung auf die Verschiedenartigkeit des Lesergeschmacks und die freie Wahl des Lesers würde einerseits die vorhandenen Bildungsunterschiede, deren Abbau gerade angestrebt sei, zementieren. Andererseits würden durch die Lesestoffe der massenhaft verbreiteten Unterhaltungsliteratur zumindest unterschwellig politische Inhalte und Einstellungen vermittelt, die »die Keimzelle und d(en) Nährboden eines Neo-Faschismus« bilden könnten. Werden mit den Stichworten der Geschmacksfreiheit und Tendenzlosigkeit Argumente aus dem bürgerlichen Lager, das sich in der Debatte selbst nicht zu Wort meldet, kritisiert, so wenden sich die Überlegungen gleichzeitig gegen das literaturpädagogische Reformkonzept, wie es Tärrer vertrat. Jessel zweifelt am durchschlagenden Erfolg sowohl der buchhändlerischen Beratung wie der Neuauflagenpolitik der Verlage: der Buchhändler könne immer nur einzelne erreichen und die fortschrittliche Buchproduktion könne die alten Bestände nicht zugleich vom Markt und aus den Leihbüchereien schaffen. Einen »grundsätzlichen Wandel auf breiter Basis« konnte sich Jessel daher nur von einem administrativen Verbotsakt, nicht vom kommunikativen Zusammenwirken der beteiligten Institutionen mit dem Lesepublikum erwarten. Damit waren die Fronten der Diskussion abgesteckt, die das Börsenblatt auszugsweise in der Nummer vom 5. Februar 1949 unter der Überschrift »Die berühmten zwei Möglichkeiten. Literarische Reform der Leihbüchereien - sofort oder allmählich?« dokumentierte. 69 In einer Reihe von Fragen herrschte Übereinstimmung. So waren sich die Teilnehmer der Diskussion darin einig, daß der salvatorische Hinweis auf die Autonomie des Lesers und die Verschiedenartigkeit des literarischen Geschmacks das breite Angebot an Kitsch- und Unterhaltungsliteratur nicht rechtfertigen könne. Lesebedürfnisse und literarischer Geschmack seien nicht >ursprünglichKitsches< bzw. der >Unterhaltungsliteraturoben< verordneten administrativen Akt, sondern um eine Entscheidung an der Basis - wenn auch nicht der Leser, so doch der beteiligten Leihbuchhändler. Dem Leipziger Beschluß schlossen sich im Verlauf des Jahres Leihbuchhändler aus anderen Städten - Güstrow, Neustrelitz, Rostock, Warnemünde 71 und Dresden 72 - an. Im Frühjahr 1949 untersagte die sächsische Landesregierung unter ausdrücklicher Berufung auf den Leipziger Beschluß den buchhändlerischen

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Tärrer, Karl: Leipzig geht voran. In: Bbl/Leipzig 116. Jg., 1949, Nr. 6, S. 45f. Bbl/Leipzig 116. Jg., 1949, Nr. 11, S. 87. Die Dresdener Leihbuchhändler erweiterten die Liste um folgende Heftreihen bzw. Autoren: Billy Jenkins, Maly, William Tex, Rauenberg, Blasius, Daum, F. Roberts, Hilgendorff, Schobert, E. Werner. In: Bbl/Leipzig 116. Jg., 1949, Nr. 27, S. 226.

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Vertrieb von Werken der 13 Autoren. 73 Damit hatte die Debatte, zumindest in Sachsen, ihren administrativen Abschluß gefunden. Als flankierende Maßnahme wurden im März 1949 in Leipzig auf Initiative des Amts für Buch- und Bibliothekswesens, des Börsen Vereins, des Kulturbunds und der Vertreter des Leihbuchhandels selbst Fortbildungskurse für Leihbuchhändler eingerichtet. Dresden folgte im Juni nach. Die mangelnde fachliche Qualifikation und die fehlende kulturpolitische Einstellung der Leihbuchhändler hatte in der Debatte eine wichtige Rolle gespielt. Ernst Adler, bei dem als Direktor der Städtischen Bücherhallen Leipzig und als Vertreter des Amts für Buch- und Bibliothekswesen die Verantwortung lag, betonte denn auch die gesellschaftlichen und kulturpolitischen Ziele der Initiative und benannte als Themenschwerpunkte 1. Kulturpolitische Aufgaben; 2. Literaturkunde; 3. Fachlich-kaufmännische Vorlesungen. 74 Die Leipziger Kurse fanden zweimal in der Woche abends statt und dauerten drei Monate; sie wurden von 140 Teilnehmern, Leihbuchhändlern, Angestellten und Lehrlingen besucht. 75 Regelmäßige Besucher erhielten zum Abschluß einen Teilnahmeschein, Prüfungen waren nicht vorgesehen. Die Teilnahme war freiwillig; das Fernbleiben zog keinerlei Sanktionen - Einschränkungen der Gewerbeerlaubnis oder gar die Schließung von Betrieben - nach sich. Den knappen Berichten im Börsenblatt zufolge waren die Kurse erfolgreich; die Teilnehmerzahl blieb konstant. Ausdrücklich wurde vermerkt, daß die »anfängliche Abneigung gegen die gesellschaftswissenschaftlichen Themen« im Verlauf des Kurses schwand. 76 Soweit ersichtlich orientierten sich die gesellschafts- und kulturpolitischen Vorträge und Diskussionen in erster Linie darauf, ein grundsätzliches Verständnis für den sozialen Auftrag des Leihbuchhandels und die Bereitschaft für ein entsprechendes Engagement der Leihbuchhändler zu wecken. Selbst Parteivertreter wie Hans Schlösser vom Hauptamt für Kultur und Erziehung der SED Leipzig betonten ausdrücklich, daß es sich bei der weltanschaulichen Erziehung »keineswegs um eine Beeinflussung im parteipolitischen Sinne oder eine Beschränkung der selbständigen Entwicklung« handele. 77 Den möglichen politischen Konsens der Beteiligten sprach Ernst Adler vermutlich in seinem Schlußvortrag »Buchvermittlung als Erziehungsaufgabe« aus, wenn er als Ziel leihbibliothekarischer Arbeit die »demokratische Erneuerung Deutschlands« bezeichnete. 78 Über die literarischen Themen liegen kaum Informationen vor; Schwerpunkte der Diskussion bildeten offenbar der unterhaltende >TendenzromanFrauenromanNeuland unterm PflugDas siebte KreuzAbrechnung< (H. Holtz) und >Wolfszeit< (K. Türke) aus der unwahrscheinlich kitschigen Romanproduktion des Sachsenverlags. Der Etat: 390 DM im Jahr reicht nicht aus, den Buchbestand der wachsenden Leserzahl entsprechend zu erhöhen. (.··)« Paul Wiens berichtet aus Fürstenberg/Oder: »Gelesen wird hier, scheint's, von vielen. Als Auslage im Fenster: Schillers Briefe in Goldschnitt, Selma Lagerlöff, Heinrich Mann >Schlaraffenland Wegen Krankheit geschlossene Pech! Pech am Donnerstag, Pech am Montag, Pech am Mittwoch... Übrig bleibt nur, dem Zeitgenossen Volksbibliothekar (oder ist er eine sie?) gute * Besserung zu wünschen . . . und die ungelöste, scheinbar unlösbare Frage: Was wird aus Lesern und Büchern Fürstenbergs, wenn der einzige dortige bibliotheksbedienende Mensch sich ganz zur Ruhe setzen sollte?« Verschiedene Momente kommen in den negativen Beispielen zusammen: Desinteresse der Werksleitungen und Verwaltungen, Inkompetenz und Überlastung der zumeist ehrenamtlichen Bibliothekare, Raumnot und schlechte finanzielle Ausstattung - aber auch die kulturelle Rückständigkeit in ländlichen Gegenden und Kleinstädten, die die bibliothekarischen Initiativen erschweren. Die Zusammensetzung der Leserschaft ist uneinheitlich, sie variiert mit den örtlichen Gegebenheiten, insbesondere der sozialen Struktur der Bibliotheksorte. Ob das traditionelle Lesepublikum der öffentlichen Bibliotheken um Leser aus Arbeiter- und Angestelltenschichten erweitert werden konnte, hing von entsprechenden Aktivitäten der Bibliothekare mit ab; in den Betriebsbibliotheken selbst war die Beteiligung der Werksangehörigen unterschiedlich. Veränderungen und Stagnationstendenzen also auch hier. Die 2000 Leser der Bibliothek in Meerane waren in der Mehrheit Arbeiter der örtlichen Textil- und Metallindustrie; die Leser der Bibliothek in Bernburg waren hingegen vor allem 46

Rentner, Hausfrauen und >geruhsame< Kleinbürger. Hausfrauen und Rentner, nicht Bauern und Landarbeiter bilden das Lesepublikum der Dorfbibliotheken in Braunsdorf, Lichtenwalde und Caputh. Die Bibliotheken der Maschinenausleihstationen in Flöha und Werther wurden von Funktionären, Angestellten und Betriebsarbeitern genutzt. Hinweise auflesende Bauern sind selten. Im Gegensatz zu ihnen haben die Arbeiter und Angestellten das Angebot der Betriebsbibliotheken - örtlich in unterschiedlicher Weise - angenommen. Die 340 Leser der neu eingerichteten Betriebsbibliothek des Karl-Marx-Werks in Potsdam waren Schlosser, Schweißer, Techniker, Putzfrauen, Ingenieure, Werkspolizisten, Feuerwehrleute und vor allem Lehrlinge; die 500 Leser der B M W Werke in Eisenach waren zu 7 0 % Arbeiter, der Rest Angestellte. Auch hier gibt es andere Beispiele: in den V E B Schachtbau- und Bohrbetrieben in Nordhausen lasen von 586 Arbeitern ganze 32; die Bibliothek der Kammgarnspinnerei in Eisenach wurde von den Angestellten, nicht von Arbeiterinnen benutzt; Bibliotheken kleinerer Betriebe hatten wenige oder gar keine Leser; aber auch ein Großbetrieb wie das Eisenhüttenkombinat Ost hatte keine Bibliothek. Auch das Leseverhalten ist, teilweise quer durch alle Leserschichten hindurch, unterschiedlich. Buchbestand und Ausleihe in Volks- und Betriebsbibliotheken unterschieden sich nur graduell; die Trennungslinie verläuft eher zwischen >alten< und >neuen< Bibliotheken. Auffallend ist, daß durchweg nur zwei Literaturgruppen genannt werden: fortschrittliche Gegenwartsliteratur und Unterhaltungsliteratur, beide oft in unmittelbarer Nachbarschaft. Die meist genannten Autoren und Bücher der fortschrittlichen Gegenwartsliteratur sind Maxim Gorki, Michail Scholochow, Ilja Ehrenburg, Nikolai Ostrowski, Martin Andersen Nexö, Jorge Amado, von deutschen Autoren Willi Bredel, Hans Fallada, Hans Marchwitza, Friedrich Wolf, Anna Seghers (Das siebte Kreuz), Heinrich Mann, Arnold Zweig (Grischa-Zyklus), Lion Feuchtwanger (Simone); Bertolt Brecht und Egon Erwin Kisch werden einmal genannt. Hinweise auf die klassische Literatur und Autoren des 19. Jahrhunderts sind selten: in der Betriebsbibliothek von Abus-Maschinenbau, Nordhausen, werden die Goethe-Ausgabe des Aufbauverlags und das HeineLesebuch von Walther Victor häufig entliehen; die Frauen der B M W Werke in Eisenach verlangen »Effi Briest«. Neben solcher Lektüre stand der Wunsch nach Unterhaltungslektüre. Heiner Müller hat in seinem Bericht die Koexistenz beider Lektüregruppen notiert, häufiger schlossen sie sich aber gegenseitig aus. In der Kammgarnspinnerei Eisenach wird von den überwiegend weiblichen Lesern Felicitas Rose und Johanna Spyri verlangt; Ludwig Ganghofer ist der meist gefragte Autor der Kleinstadtbibliothek in Caputh. Diese Bibliothek bietet gleichzeitig ein Beispiel für die Konkurrenz von Volks- und Leihbüchereien. Beide sind im selben Haus untergebracht; die Bestände: 500 bzw. 3000 Bände. Gegenüber dem konservativen Bestand der Volksbücherei (neben Ganghofer stehen Bücher von John Knittel, Martin Luserke, Heinrich Zerkaulen, Paul Schreckenbach, Louise von François und Gorch Fock) hebt sich das Angebot der Leihbücherei noch einmal deutlich ab. Der Berichterstatter (Harald Kohtz) spricht von einem »Archiv für Wildwest47

und Hintertreppenliteratur«. Das war keine Übertreibung. Der Katalog (die meisten Bücher und Zeitschriften waren ausgeliehen) zählte: »49 Titel Billy Jenkins, 43 Titel Frank Sander, 42 Titel William Tex, 14 Titel John Kling, 13 Titel Texas Bill (>Mit Colt und LassoTom der Würger< usw.), 12 Titel William George, erstaunlicherweise nur 11 Titel Edgar Wallace usw. Karl May kommt mit 20 Titeln schlecht weg. Ferner leben hier noch Anny v. Panhuys (20 Titel), Nataly v. Eschstruth (14 Titel), die Marlitt (nur 7 Titel). Ganghofer mit 14 Titeln hat dagegen schweren Stand.«

Das durch die Berichte gezeichnete Bild läßt für die Zeit von 1945 bis 1951 Schwerpunkte, Tendenzen, Brüche und Kontinuitäten in der Entwicklung der Bibliotheken, wesentliche Merkmale und Veränderungen des Buchbestands, Strukturen und Strukturveränderungen der Leserschaft und des Leseverhaltens erkennen. In der Zeit bis 1947 stehen Probleme des Wiederaufbaus, der Sichtung und Aussonderung der Buchbestände, der Rückgewinnung von Lesern im Vordergrund; in der zweiten Phase bis 1949 gewinnen Fragen der Erneuerung des Buchbestands, der Gründung von Betriebsbibliotheken, der Mobilisierung neuer Leserschichten an Bedeutung. Damit sind die wichtigsten Aufgaben für die Jahre ab 1950 vorgegeben; einige positive Beispiele deuten an, daß sich Erfolge einstellen. Das Gesamtbild bleibt widersprüchlich, die einzelnen Phasen überlappen sich, ungelöste Probleme werden in einer durch Sprünge und Stagnation gekennzeichneten Entwicklung weiter mitgeschleppt. Eine der wichtigsten neuen Tendenzen ist zweifellos die Erweiterung der Leserschaft in Schichten der Arbeiter und der Landbevölkerung, zum Teil durch die Betriebsbibliothekare, aber auch dank der Funktionsveränderung der öffentlichen Bibliotheken in Städten und Dörfern. Einer der interessantesten Brüche vollzieht sich in der Struktur des Buchbestands: schon die Aussonderung der nationalsozialistischen Literatur stellt in gewisser Weise einen Bruch dar (daher auch die Uneinheitlichkeit und >UnvollständigkeitErbe< der nationalsozialistischen Bestandspolitik deutlich.94 Bis 1949 setzt sich - in den hier untersuchten Bibliotheken - der Großteil der belletristischen Bestände aus Werken zusammen, die in den 30er Jahren entstanden sind. Ab 1951 ist ein deutlicher Wandel in der Bestandsstruktur zu erkennen: die Unterhaltungsliteratur und die Literatur der 30er Jahre rückt aus dem Zentrum und wird durch Werke bürgerlicher Realisten des 19. Jahrhunderts und gesellschaftskritischer bürgerlicher, vor allem aber sozialistischer Autoren des

94

50

Vgl. Sywottek, Jutta: Die Gleichschaltung der Volksbüchereien 1933-1937 (Archiv für Geschichte des Buchwesens XXIV 1983, Sp. 385-535), insbesondere Sp. 435ff. zur nationalsozialistischen Säuberungspolitik und Sp. 449ff. zum Bestandsaufbau in den 30er Jahren.

20. Jahrhunderts ersetzt. Eine Vorreiterrolle spielen hier neben den Neugründungen die Kreisbibliotheken; aber auch die Auswahlverzeichnisse der Landesstellen und Landesbibliotheken tragen zur Durchsetzung des neuen Literaturkanons bei. Wenn Stephan Bock 95 im Hinblick auf die literaturprogrammatische Weichenstellung und die Schwerpunkte der belletristischen Produktion der späten 40er und frühen 50er Jahre von einem »zweigeteilten Literatursystem« spricht, so kann diese Einsicht vor dem Hintergrund der Entwicklung des Bibliothekswesens weiter differenziert werden: neben der Zweiteilung innerhalb der literarischen Neuproduktion in den Klassizismus der hohen Literatur und die >gute< Unterhaltungsliteratur verläuft eine zweite Trennungslinie zwischen dem >gereinigten< traditionellen Buchbestand und der nach 1945 geschriebenen bzw. publizierten zeitgenössischen Literatur. Dabei dominiert im Angebot der Bibliotheken bis zu Beginn der 50er Jahre deutlich der traditionelle Bestand. Die zeitgenössische Literatur ist vor allem durch Werke sozialistischer oder linksbürgerlicher Exilautoren sowie sowjetischer Autoren vertreten. Nachkriegsliteratur und die Literatur der westlichen Moderne sind so gut wie nicht vorhanden. Bezieht man die Ergebnisse sämtlicher Fragenkomplexe aufeinander, so zeichnet sich trotz aller Widersprüche und regionalen Unterschiede eine Entwicklung ab, in deren Verlauf neue Lesergruppen an neue Bibliotheken mit einem neustrukturierten belletristischen Buchbestand herangeführt werden. Dieser Prozeß entfaltet sich - unterstützt durch die Neugründung von Kinder- und Jugendbibliotheken - in den 50er Jahren. Für die Leserbiographien und die Leseerwartungen, letztlich auch für das literarische Leben, dürfte von Bedeutung sein, in welcher Weise sich die Bestandsveränderung in den Bibliotheken vollzog. Die Ausdünnung und Aussonderung des traditionellen Bestands an Unterhaltungs- und Abenteuerliteratur anfangs der 50er Jahre verursachte fraglos eine Erwartungslücke beim Publikum, die weder mit Fachliteratur noch mit politischer Literatur gefüllt werden konnte. In diesem Punkt erwies sich das auf >Produktionssteigerung< und politische Bewußtseinsbildung< ausgerichtete Kulturkonzept der Zweiund Fünfjahrplanungen als zu begrenzt und in der Praxis nicht durchführbar. Eine der >Lösungen< bestand im Ausweichen des Publikums auf private Leihbüchereien und auf im Schleichhandel vertriebene Heftchenliteratur aus dem Westen. 96 Einen anderen Weg weist die Entwicklung der Bestandspolitik der öffentlichen Bibliotheken: folgt man den Bestandsverzeichnissen und berücksichtigt dabei vor allem die Spitzenreiter-Autoren, so war offensichtlich den realistischen Autoren des 19. Jahrhunderts wie Theodor Storm, Theodor Fontane, Emile Zola und der realistischen, eher traditionell geschriebenen Gegenwartsliteratur von Martin Andersen Nexö, Lion Feuchtwanger, Willi Bredel sowie sowjetischer Autoren die Aufgabe zugedacht, das Bibliothekspublikum für eine unterhaltende und zugleich zeitkritische Lektüre zu gewinnen. Zu untersuchen bleibt, wieweit dieser durch die Bestandspolitik der Bibliotheken favorisierte Literaturkanon für die 50er 95 96

Bock, Stephan: Literatur, Gesellschaft, Nation, S. 71ff. Ebd., S. 78ff.

51

Jahre allgemein als verbindlich gelten kann. Dazu sind weitere Bestands- und Leseranalysen, aber auch vergleichende Untersuchungen zur Buch- und Verlagsproduktion, zur Kulturpolitik des Kulturbunds, der FDJ und der Gewerkschaften sowie zum Feuilleton der Tagespresse erforderlich.

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Teil II

1. Statistische Befunde

1.1. Allgemeine Bibliotheksstatistik Für die Zeit bis 1950 existiert kaum veröffentlichtes statistisches Material. Die vorhandenen Unterlagen enthalten ausschließlich Informationen über die Anzahl von Bibliotheken und Lesern, die Lesehäufigkeit und den Umfang des Buchbestands. Auf dieser Grundlage läßt sich daher nur ein (sehr grobes) quantitatives Bild des Bibliothekswesens zeichnen. Der erste statistische Überblick bezieht sich auf den Stand vom 1.1.1948. 1 Zu diesem Zeitpunkt wurden gezählt: 1. 57 Wissenschaftliche Bibliotheken mit einem Bestand von 13227724 Bänden, 272533 Lesern, die insgesamt 393833 Bände (im zweiten Halbjahr 1947) ausliehen. 2. 3925 Volksbibliotheken mit einem Bestand von 3620295 Bänden und 697387 Lesern, die insgesamt 4952763 Bände (im zweiten Halbjahr 1947) ausliehen. 3. 1783 gewerbliche Leihbüchereien mit einem Bestand von 3274509 Bänden und 1076488 Lesern, die insgesamt 18336020 Bände (im zweiten Halbjahr 1947) ausliehen. 4. 1131 Betriebsbüchereien mit einem Bestand von 323442 Bänden und 105347 Lesern. Auffallend sind die Vergleichszahlen der Volksbibliotheken und der Leihbüchereien: die Leihbüchereien haben nahezu doppelt soviel Leser und eine um mehr als das Dreifache höhere Ausleihe als die Volksbibliotheken. Die Ursachen werden einmal in der »stellenweise katastrophalen Zusammenschmelzung des Buchbestandes« in den Volksbibliotheken (durch Kriegsfolgen und Aussonderung von nationalsozialistischer Literatur) gesucht, andererseits aber in der »Diskrepanz« zwischen den »Bedürfnissen der Leserschaft und den hohen kulturellen Aufgaben der Volksbüchereien«. Statistische Unterlagen über die Entwicklung des Verhältnisses von Volks- und Leihbüchereien sind mir nicht bekannt. Alle verfügbaren Vergleichszahlen beziehen sich auf die Entwicklung der Volksbibliotheken (bzw. der Allgemeinen Öffentlichen Bibliotheken). Die Entwicklung des allgemeinen öffentlichen Bibliothekswesens stellt sich bis 1954 folgendermaßen dar: 2 1

2

Mones, Carl: Der Stand des Bibliothekswesens in der sowjetischen Besatzungszone. In: VB 2. Jg., 1948, H. 3, S. 129-131. Entwicklung des allgemeinen öffentlichen Bibliothekswesens in der D D R 1947-1958. In: Β 13. Jg., 1959, H. 6, S. 595-598. (Die Vergleichszahlen für 1947 weisen ζ. T. Abweichungen gegenüber Mones auf.)

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Tabelle 1: Allgemeines

Öffentliches

theken, Leser,

Bibliothekswesen

Buchbestand,

in der SBZ/DDR

1947-1954

(Biblio-

Ausleihe)

a. Anzahl der Bibliotheken 1947 3 935 1950 6049 1954 10306 Die Prozentzahl der Gemeinden mit Bibliotheken steigt von 3 0 - 4 0 % (1947) über 5 0 - 6 0 % (1950) auf 93,8% (1954). b. Bibliotheksleser 1947 677387 1950 998386 1954 1502570 Der Anteil der Bibliotheksleser an der Gesamtbevölkerung erhöht sich von 3,6% (1947) über 5,4% auf 8,3% (1954). c. Buchbestand 1947 2 680295 1950 4312356 1954 7586995 Auf den Leser entfallen durchschnittlich 3,9 (1947), 4,3 (1950), 5 (1954) Bände. d. Ausleihe 1947 10310195 1950 ca. 14. Mill. 1954 21474072 Diese Zahlen spiegeln den Ausbau und das Entwicklungstempo des öffentlichen Bibliothekswesens deutlich wider: die Jahre 1947-1950, 1950 bis 1954 stellen offenbar qualitative Entwicklungsetappen dar; danach zeichnen sich statistisch nur noch graduelle Veränderungen ab. Die Zahlen für 1958 lauten: 11171 Bibliotheken in 9 6 , 6 % aller Gemeinden; 1995393 Leser (bzw. 1 1 , 4 % der Gesamtbevölkerung); 1 0 6 6 9 7 6 2 Bände ( = 5,3 pro Leser) und 3 3 8 7 9 3 3 6 Ausleihen. Für 1956 und 1957 werden die Anteile am Buchbestand und der Ausleihe genannt: Bestand 1956: 33,6% Sach-und Fachliteratur 47,0% schöngeistige Literatur 19,4% Kinderliteratur

Entleihungen 15,0% 53,0% 32,0%

1957: 33,7% Sach-und Fachliteratur 46,2% schöngeistige Literatur 20,1% Kinderliteratur

15,2% 53,1% 31,7%

Die Förderung der Qualifizierungs- und Bildungsmaßnahmen durch die Bestandsaufbaupolitik der Bibliotheken fand bei den Lesern offenbar nur sehr begrenzten Widerhall.

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Über die Entwicklung des Bibliothekswesens in den einzelnen Ländern und in Berlin liegt nur wenig Material vor. Nur für Thüringen und Berlin kann ein grobes Bild für die Nachkriegszeit gegeben werden. Die vorliegenden Berichte enthalten Vergleichsdaten aus der Vorkriegszeit bzw. der unmittelbaren Nachkriegszeit, so daß ein etwas genauerer Einblick in den zahlenmäßigen Umfang des bibliothekarischen Wieder- und Neuaufbaus möglich ist. In Thüringen3 gab es 1945 1149 Volksbüchereien; die Zahl blieb 1946 konstant und erhöhte sich in den Jahren 1947 und 1948 geringfügig auf 1154 bzw. 1171. Der Buchbestand betrug 1945 946679 Bände, 1948 672723 und 1948 874950 Bände. Die Verluste erklären sich überwiegend aus der Aussonderung der nationalsozialistischen Literatur: bis 1949 wurden insgesamt 427613 Bände, also fast die Hälfte des Bestandes, aus den Bibliotheken entfernt, davon schon über 400000 in den Jahren 1946 und 1947. Die Zugänge, ab 1947 sprunghaft ansteigend (1946:13760, 1947: 54473,1948: 76236,1949: 211613), konnten die Verluste nicht ausgleichen. Wichtig ist, daß sich als Folge der Aussonderungsmaßnahmen die Struktur des Buchbestands vollkommen veränderte. (Genauere Angaben darüber enthält der Bericht nicht.) Die Zahl der Entleihungen steigt von 1453863 (1946) auf 1670671 (1947) und 1879716 (1948 [Zahlen nicht vollständig]). Die relativ langsame Steigerung der Ausleihzahlen hängt vermutlich mit der Umstrukturierung des Buchbestands zusammen: die neuen Bücher wurden zwar von einer zunehmenden Zahl von Lesern akzeptiert, die Masse potentieller Leser scheint sich aber reserviert bzw. ablehnend verhalten zu haben. In Berlin4 gab es am 31. August 1945 43 Volksbibliotheken mit 393077 Bänden und 15266 Lesern. Gegenüber 1939 bedeutet dies einen Verlust von 59% der Bibliotheken, 56% der Bestände und mehr als 80% der Leser (S. 27). Nach der verwaltungsrechtlichen und politischen Teilung Berlins 1948 fielen nur noch 8 Bezirke in die Verantwortung des Ostberliner Magistrats. In ihnen gab es Ende 1949 48 Bibliotheken (davon 6 Hauptbibliotheken, 5 Quartierbüchereien, 27 Zweigstellen, 7 Kinderbüchereien und 3 Musikbüchereien) mit insgesamt 209780 Bänden (davon 104711 Bände Belehrende Literatur, 80878 Schöne Literatur, 24191 Kinderliteratur), 33017 Lesern, die 828575 Bände entliehen (S. 40-42). Der Anteil der Bibliotheksleser ist mit 2,7% an der Gesamtbevölkerung geringer als in Städten wie Jena oder Chemnitz. Im Stadtgebiet von Ost-Berlin gab es weiter 108 Betriebsbüchereien mit 46994 Bänden (also einem durchschnittlichen Buchbestand von 450 Bänden); deren 10346 Leser entliehen im Jahr 1949 162533 Bände (S. 42). Eine offenbar mittelmäßige Bilanz, wie der Rezensent der Festschrift andeutet. 5 3

4

5

Thilo, Martin: Zur Entwicklung des Volksbüchereiwesens in Thüringen seit 1945. In: Β 4. Jg., 1950, H. 3, S. 142f. Festschrift der Stadt Berlin zum hundertjährigen Bestehen der Volksbüchereien. Hg. Magistrat von Groß-Berlin, Abt. Volksbildung. Berlin 1950 (daraus auch die folgenden Seitenangaben im Text). Β 5. Jg., 1951, H. 8, S. 420f. (Martin Thilo).

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Wegen fehlender Vergleichsdaten zum Stand des Bibliothekswesens im Ostteil der Stadt vor und nach 1945 sind der Statistik keine Hinweise zur Entwicklung der Bibliotheken in den Nachkriegsjahren zu entnehmen. Allerdings lassen sich für einige Bezirke die Ausgangsbedingungen für den Neuaufbau des Buchbestands ermitteln: in den Bezirken Treptow und Prenzlauer Berg liegt der Anteil der vor 1945 erschienenen Bücher am Gesamtbestand zwischen 30 und 50%, während er in der Bücherei Friedrichshagen im Bezirk Köpenick vor allem bei der Belletristik offenbar sehr viel höher ist.6 So haben nicht nur hier kriegs-, orts- und bibliothekspolitisch bedingte Gründe den Rahmen für den inhaltlichen Neuaufbau der Bibliotheken mitbestimmt. Bestrebungen zu einem beschleunigten Ausbau des Berliner Bibliothekswesens sind den Planungen für 1951 bis 1955 zu entnehmen. Im Zuge des Fünfjahrplans sind fünf neue Zentralbibliotheken, zehn Erwachsenenbüchereien, zehn Kinderbüchereien, acht Leseräume und 18 Zweigstellen geplant. 7 Für Brandenburg, Mecklenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen existieren einige Grunddaten, die wegen fehlender Vergleichsdaten nicht kommentiert werden können. In Brandenburg gab es 1949 neun hauptamtlich geleitete größere Büchereien, 90 Kleinstadt- und 400 Dorfbüchereien, also insgesamt 499 Volksbibliotheken. Daneben existieren 297 Betriebs- und 46 MAS-Büchereien. 8 In Mecklenburg gab es 1947 (Stichdatum April) 109 Volksbüchereien mit 174846 Bänden. Davon entfielen 8699 Bände auf Politik, 39945 auf Wissenschaft, 88946 auf Belletristik, 10970 auf Jugendschriften und 26286 auf >SonstigesDurchleuchtung< einer Bücherei. In: Β 5. Jg., 1951, H. 5, S. 266-269, hier S. 267. 59

An den wechselseitigen Anteilen von schöngeistig-unterhaltender und allgemeinbildender bzw. Fachliteratur an der Ausleihe hat sich trotz z.T. veränderter Anschaffungspolitik wenig verändert: in Jena (1949) beträgt das Verhältnis 57% zu 43%; in Gera (1950) 64% zu 36% an der Hauptstelle, 60% zu 40% an der Nebenstelle; in Chemnitz 65% zu 35%. Eine gegenläufige Tendenz stellt die Bibliothek Brandenburg für bestimmte Lesergruppen fest, insbesondere für Leser aus akademischen Berufen, für Schülerinnen und Schüler sowie für weibliche und männliche Lehrlinge. Die Veränderungen des Lektürekanons schöngeistiger Literatur ist statistisch nur ansatzweise erfaßt. Es fehlt eine einheitliche Bezeichnung für die >neue Literatur< : die Kategorien >fortschrittliche< bzw. zeitkritische Literatur< umfassen einen weiteren oder engeren Bereich. Für Gera wird 1950 ein Anteil von rd. 6 % (Hauptstelle) bzw. 20% (Nebenstelle) zeitkritischer Literatur an der belletristischen Gesamtausleihe genannt;24 für die vier Bibliotheken der Stadt Brandenburg werden für Februar 1951 Anteile zwischen 7 % und 38% an der Gesamtausleihe genannt.25 Die Ernst-Abbe-Bücherei in Jena nennt als meistgelesene schöngeistige Bücher des letzten Quartals 1950 folgende Titel: 26 Tabelle 4: Ernst-Abbe-Bücherei Jena: meistgelesene Bücher im 4. Quartal 1950 Nikolai Ostrowski, »Wie der Stahl gehärtet wurde« Martin Andersen Nexö, »Ditte Menschenkind« Anna Seghers, »Das siebte Kreuz« Arnold Zweig, »Der Streit um den Sergeanten Grischa« Anton S. Makarenko, »Der Weg ins Leben« Hans Fallada, »Jeder stirbt für sich allein« Willi Bredel, »Die Väter« Maxim Gorki, »Die Mutter« Heinrich Mann, »Der Untertan« Michail Scholochow, »Der stille Don« L e o N. Tolstoi, »Krieg und Frieden«

Die Veränderung des Lektürekanons geht in all diesen Fällen auf gezielte bibliothekarische Maßnahmen zurück: auf Wettbewerbe (Brandenburg); gezielte Jahresplanung (Jena); Leseabende, Buchausstellungen, Buchbesprechungen (Brandenburg, Chemnitz) und auf eine verstärkte Jugendbucharbeit. Teilweise wird die Entwicklung durch Neugründungen bzw. den völligen Neuaufbau des Buchbestands (Zweigstelle Brandenburg) begünstigt. Wie repräsentativ diese Ergebnisse 24

25

26

60

Burkhardt, Marianne: Bericht der Thüringischen Landesbücherei Gera über das Arbeitsjahr 1950. In: Β 5. Jg., 1951, H. 4, S. 2 0 4 - 206, hier S. 205; H. 5, S. 2 5 8 - 2 6 1 , hier S. 259. Krause, Greti und Kurt: Bericht über die Erfahrungen der Städtischen Freihandbücherei Brandenburg (Havel). In: Β 5. Jg., 1951, H. 6., S. 318. Steiner, Gerhard: Aus der Arbeit der Ernst-Abbe-Bücherei zu Jena im Jahr 1950. In: Β 5. Jg., 1951, H. 1 - 2 , S. 7 7 - 7 9 , hier S. 78.

sind, muß offenbleiben; sie sind aber in jedem Fall Anzeichen einer veränderten Bibliothekspraxis. Zwei weitere Beispiele machen deutlich, wie stark die Veränderungen des Leseverhaltens bzw. des Lektürekanons von den örtlichen Gegebenheiten abhängig ist. Die Bibliothek einer Kreisstadt mit 28000 Einwohnern enthält den traditionellen Buchbestand von Werkausgaben, Gedichten, Dramen und Romanen von Schriftstellern des 19. und frühen 20. Jahrhunderts; der Anteil von Neuerscheinungen und »fortschrittlich-gesunder« Literatur beträgt 10%. Neben der »altväterlichen >BildungsliteraturFrauenklassischer< Autoren (Gorki) und deutscher Exilautoren. Auffallend ist, daß sich Werke der Nachkriegs- und Heimkehrerliteratur (Georg Holmsten, Maria Langner, Peter Neil, Günther Spranger) mit Ausnahme Heinz Reins zumindest nicht unter den meistgelesenen Titeln befinden. Nicht feststellen läßt sich, ob ein Zusammenhang zwischen der Ausweitung und Umstrukturierung der Leserschaft und der Veränderung des Lektürekanons besteht. Jedenfalls läßt sich überall dort, wo eine aktive und zielgerichtete Bibliotheksarbeit vorhanden ist, eine Veränderung in diesem doppelten Sinn feststellen. Damit verbindet sich ein weiteres Merkmal, das für jene Bibliotheken gilt, die den veränderten kultur- und bibliothekspolitischen Zielsetzungen am deutlichsten entsprechen: das Arbeitsfeld des Bibliothekars schließt literaturpropagandistische Tätigkeiten (Beratung, Leseabende, Wandzeitungen, betriebliche Literaturarbeit, Arbeit mit [politischen] Jugendgruppen) mit ein. Der Leser und das Lesen, Bibliothek und Bibliothekar werden so mit dem sozialen Feld vernetzt. Die Hinweise auf das Leseverhalten in den öffentlichen Bibliotheken können ergänzt werden durch Berichte über Betriebsbüchereien in Eisenach (Thüringen), Genthin (Sachsen-Anhalt) sowie von Eisenbahnbetrieben in einigen Städten der 29

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Steiner, Gerhard: Eine Bücherei gibt Rechenschaft. In: Β 4. Jg., 1950, H. 4, S. 193.

DDR. Neben Informationen über Buchbestände und Buchbestandspolitik enthalten die Berichte Zahlenmaterial oder zumindest Hinweise zum Leseverhalten. Auch hier handelt es sich um Einzelbeispiele, denen sich positive wie negative Trends entnehmen lassen - ohne daß die Möglichkeit einer Verallgemeinerung bestünde. a) Betriebsbibliothek BMW-Werk Eisenach30 Der Buchbestand beträgt 3362 Bände, die Zahl der Leser 817 (von ca. 5500 Werksangehörigen); im ersten Quartal 1951 wurden 7466 Bücher ausgeliehen. Zwischen Ende März 1950 und Ende März 1951 ist der Buchbestand um mehr als 400%, die Zahl der Leser um nahezu das Achtfache gestiegen. Die Verwaltung der Bibliothek liegt in den Händen eines hauptamtlichen Bibliotheksleiters. Der Bestand von 3362 Bänden (31. März 1951) setzt sich zusammen aus: 2491 Bänden der erzählenden Literatur

(74%)

544 Bänden der politischen Literatur 327 Bänden der Fachliteratur

(16%) (10%)

Ein überraschendes Bild: Die Richtlinien für den Aufbau und die Verwaltung der Betriebsbüchereien sahen einen Anteil von 40% für politische und Fachliteratur und von 60% für belletristische, allgemeinbildende sowie natur-länderkundliche Werke zusammen vor. Die Eisenacher Betriebsbibliothek ist demgegenüber offensichtlich weniger eine Bibliothek für politische und fachliche Aus- und Weiterbildung, sondern eine Bibliothek für den literarische Unterhaltung und Bildung suchenden Leser. Die für März 1951 mitgeteilten Ausleihzahlen bestätigen das. Tabelle 6: Betriebsbibliothek BMW-Werke Eisenach: Ausleihe (März 1951) Von 2789 entliehenen Büchern entfallen 1720 Bücher auf erzählende Literatur (1) 173 Bücher auf Klassiker (2) 210 Bücher auf Gesellschaftswissenschaft (3) 134 Bücher auf Marxismus-Leninismus (4) 232 Bücher auf Literatur über die Sowjetunion (5) 51 Bücher auf Naturwissenschaften (6) 245 Bücher auf Technik und übrige Fachliteratur (7) 24 Magazine und Zeitschriften

Das entspricht prozentualen Anteilen von rd. 68% für die erzählende Literatur (1, 2), 21% für politische Literatur (3, 4, 5), 11% für Fachliteratur (6, 7). Interessant ist die Aufschlüsselung der erzählenden Literatur nach Nationen und Autoren. Von den 1720 ausgeliehenen Büchern waren 776 Bücher von deutschen Autoren, 561 Bücher von sowjetischen und russischen Autoren, 98 Bücher von Autoren anderer sozialistischer Länder, 285 Bücher von Autoren aus westlichen Nationen. Deutlich ist der hohe Anteil von Übersetzungen aus der 30

Tenner, Harry: Aus der Arbeit einer Betriebsbibliothek. In: Β 5. Jg., 1951, H. 6, S. 320f.

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sowjetischen bzw. russischen Literatur (Michail Scholochow, Nikolai Ostrowski, Lazar Lagin, Alexander N. Stepanow, Weniamin Kawerin, Alexei Tolstoi, Maxim Gorki u.a.), aber auch aus der westlichen, in erster Linie der sozialistischen Literatur (Martin Andersen Nexö, Jorge Amado, Howard Fast, Louis Aragon, aber auch Mark Twain). Die meist gelesenen deutschen Autoren sind: Arnold Zweig, Hans Fallada, Clara Viebig, Anna Seghers, Theodor Fontane, Heinrich Mann, Bernhard Kellermann, Oskar Maria Graf, Erwin Strittmatter, Adam Scharrer, Ferdinand Bruckner. Die Liste enthält - übereinstimmend mit der Literaturkonzeption der Nachkriegszeit - Werke von Exilautoren, von Autoren der inneren Emigration und mit Erwin Strittmatter auch einen Autor der >jungen Generation^ Auffallend ist das Fehlen Johannes R. Bechers, Erich Weinerts und Friedrich Wolfs. Das mag zusammenhängen mit der Vorrangstellung des epischen Genres (hier fehlen allerdings von den sozialistischen Gegenwartsautoren Willi Bredel, ebenso Theodor Plievier, der nach seinem Weggang aus der DDR zur persona non grata erklärt wurde; von den bürgerlichen Schriftstellern fehlen Thomas Mann, von den Klassikern Johann W. Goethe, Friedrich Schiller und Heinrich Heine). Einzelne Romane werden nicht genannt: man kann aber von den (deutschen) Autoren auf einen bestimmten Romantyp, den historischen und zeitgeschichtlichen Gesellschaftsroman, schließen. Wenn wir die Eisenacher Bibliothek als eine Bibliothek für den literarische Unterhaltung und Bildung suchenden Leser bezeichneten, so dürfen wir präzisieren: angeboten und gelesen wird erzählende Literatur von deutschen, russischen und westlichen (sozialistischen) Autoren, die sich mit deutscher und internationaler Zeitgeschichte befassen. Damit allerdings kommt die Lektüre dem allgemeinen politischen Bildungsauftrag der Betriebsbibliotheken nach. Aus diesem politischen Auftrag, der aktuelle Tagesfragen in der DDR einschließt, ergeben sich auch Schwerpunkte der angebotenen und entliehenen Romanliteratur zum Thema Erster und Zweiter Weltkrieg, Faschismus, Oktoberrevolution und Sozialismus in der Sowjetunion. b) Betriebsbücherei Persil-Werk Genthin/Sachsen-Anhalt*1 Die Bibliothek enthält 3000 Bände; sie wird von der Hälfte der 1000 Werksangehörigen benutzt (zu den > aktiven Lesern< wurden vermutlich nicht nur die regelmäßigen Leser gezählt, sondern auch jene, die nur ein oder wenige Bücher entliehen). Genauere Angaben über den tatsächlichen Buchbestand und das empirische Leseverhalten fehlen. Doch gibt der Bericht Aufschluß über bibliothekarische Bemühungen, die dem gewünschten Leseverhalten gelten. In den Diskussionen über Betriebsbibliotheken spielte die Frage, wie der Leser an das >richtige< Buch heranzuführen sei, eine wichtige Rolle.

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Schaefer, Gertrud; Meye, Christel: >Diese Zeit ist eine Wende