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German Pages 163 [168] Year 1918
Körperliche Ertüchtigung durch Schule, Gemeinde und Staat
eine nationale Lebensfrage Mit besonderer Berücksichtigung einer künftigen
gesetzgeberischen
Regelung
Von
Alfred Steinitzer O b e r s t l e u t n a n t a. D .
Motto: Volkskraft und W e h r k r a f t sind eins. E. v.
Sclienkendorfi.
M ü n c h e n und B e r l i n 1 9 1 8 D r u c k u n d V e r l a g v o n R. O l d e n b o u r g By
Übersetzungsrecht vom Verfasser
vorbehalten.
Inhaltsübersicht. Seite
Inhaltsübersicht Einleitung
. .
III 1
I. Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13.
Begriffsbestimmungen Zur Psychologie von Spiel und Sport Biologische Grundlagen des Sports Bedeutung von Spiel und Sport für die Gesundheit Die Bedeutung des Sports für die Erziehung Der Sport und das weibliche Geschlecht Der Sport im Verhältnis der Geschlechter Soziale und gesellschaftliche Bedeutung des Sports Bedeutung des Sports im Staat Bedeutung des Sports für die Schule Der Sport in der Armee Zur Wertung der verschiedenen Sporte Gegner und Einwände
. . . .
9 12 15 19 29 36 40 43 48 54 61 65 70
II. Sport, Wehrkraft und Krieg in ihren Zusammenhängen. 14. 15. 16. 17. 18. 19.
Verwandtschaft von Krieg und Sport Förderung der Wehrkraft durch Erziehung in Deutschland . Förderung der Wehrkraft durch Turn- und Sportvereine . . Alpinismus und Krieg Die militärische Vorbereitung der Jugend während des Krieges Einfluß der körperlichen Vorbildung auf die Tüchtigkeit zum Heeresdienst 20. Förderung der Wehrkraft durch Erziehung im Ausland . . .
77 80 92 94 103 109 112
IV
Inhaltsübersicht. Seite
III. Folgerangen und Forderungen. 21. S t e i g e r u n g Zukunft
der
W a h r h a f t i g k e i t — eine
Lebensfrage für
die 123
22. F o r d e r u n g e n an die Schule
12fi
23. K ö r p e r l i c h e E r t ü c h t i g u n g a u ß e r h a l b der Schule bis zum Eint r i t t in das H e e r 24. K ö r p e r l i c h e
Ertüchtigung
136 der nicht
zum
Heeresdienst
Ein-
gezogenen u n d n a c h b e e n d e t e r Friedensdienstzeit
138
25. K ö r p e r l i c h e E r z i e h u n g d e r M ä d c h e n und F r a u e n
140
26. Allgemeine R i c h t l i n i e n . — Z u r O r g a n i s a t i o n
142
27. R ü c k - und Ausblicke
154
Benützte Literatur
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Einleitung. Das deutsche Volk wird seiner hohen Kulturaufgabe nur gerecht werden können, wenn seine Wehrhaftigkelt, die zugleich Ausdruck seiner inneren Lebenskraft ist, auch in den kommenden Geschlechtern gesichert bleibt. E. v. Schenkendorff.
Der Weltkrieg h a t eine A n s p a n n u n g der ganzen Nation im Gefolge, von der sich bei Beginn gewiß n i e m a n d etwas h a t t r ä u m e n lassen. Die Aufstellung der Massenheere u n d die lange Dauer, die m a n vorher f ü r unmöglich gehalten h a t t e , h a b e n dazu gezwungen, alle u n t e r die W a f f e n zu rufen, die n a c h Maßgabe des Alters u n d der körperlichen Beschaffenheit noch n o t d ü r f t i g t a u g lich sind. Es k ä m p f e n aber nicht nur die Heere a n der F r o n t . Der neuzeitliche Materialkrieg beansprucht a u c h die Mitwirkung der zu H a u s e Gebliebenen in einem bisher u n g e a h n t e n Maße. Die g e s a m t e Industrie ist nahezu ausschließlich m i t S c h a f f u n g des Heeresbedarfes beschäftigt. Durch E i n f ü h r u n g der Zivild i e n s t p f l i c h t sind alle zur Arbeit irgendwie tauglichen Männer h e r a n g e z o g e n ; H u n d e r t t a u s e n d e von Frauen u n d Mädchen sind in der R ü s t u n g s i n d u s t r i e beschäftigt oder müssen im s t a a t l i c h e n u n d k o m m u n a l e n Organismus die Lücken ausfüllen, die durch den Ausfall der Männerarbeit entstanden sind. Kinder, F r a u e n und Greise bestellen die Felder; in den S t ä d t e n ist die J u g e n d mit S a m m l u n g e n aller A r t , Austragen von L e b e n s m i t t e l k a r t e n u. dgl. b e s c h ä f t i g t . Das Heimatheer ist ebenso ein F a k t o r der Kriegsf ü h r u n g geworden wie die Feldarmee; das g e s a m t e w i r t s c h a f t liche, ö f f e n t l i c h e u n d private Leben ist n u r von d e m einen Ges i c h t s p u n k t des „ D u r c h h a l t e n s " b e s t i m m t ; alle K r ä f t e der Nation sind ausschließlich auf den Krieg eingestellt. W i r h a b e n gelernt, d a ß der moderne Krieg n i c h t nur ein K a m p f der A r m e e n , sondern der Völker ist, d a ß er alle körperlichen, Steinitzer,
Körperliche Ertüchtigung.
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Einleitung.
geistigen und moralischen Kräfte bis aufs äußerste a n s p a n n t ; erst jetzt wissen wir, was es eigentlich besagt, ein „Volk in W a f f e n " zu sein. Der Krieg hat aber auch gezeigt, daß nicht die Zahl entscheidet, sondern die Tüchtigkeit. Wie sich auch die künftigen Zeiten gestalten mögen, die Vervollkommnung unseres Heerund Wehrwesens, die S t e i g e r u n g u n s e r e r n a t i o n a l e n W e h r h a f t i g k e i t , wird immer das vordringlichste Gebot sein, um unsere völkische und staatliche Existenz zu sichern; S t e i g e r u n g , nicht nur E r h a l t u n g , „denn nie befinden sich moralische Kräfte im Stillstand, sie fallen, sobald sie nicht mehr nach Erhöhung streben" (Scharnhorst). So grandios die Leistungen der Armee, des Volkes in diesem Weltkrieg auch sind, so dürfen wir doch nachher nicht rasten und uns zufrieden geben mit dem, was bisher f ü r die Wenrhaftigkeit des Volkes geschehen ist. Die Forderung, jederzeit bereit zu sein, steigert zu neuer und dauernder Anstrengung. Die tiefen Wunden, die der Krieg unserem Volkskörper geschlagen hat, lassen sich in ihrer ganzen Tragweite noch nicht übersehen. Die b i o l o g i s c h e B e l a s t u n g s p r o b e , die uns auferlegt ist, ist eine ganz ungeheure. Die Masseneinberufungen und die Kriegsdauer haben eine lange Trennung der Ehegatten verursacht, die im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichem Druck der Kriegsjahre einen großen Ausfall an Geburten bewirkt hat. Der Verlust von vielen hunderttausenden kräftigen, gesunden, zeugungsfähigen Männern ist für viele Jahre, vielleicht f ü r Jahrzehnte von schwerwiegendster Bedeutung. Zahlreiche Ehen sind durch den Opfertod der Männer zerstört, unzählige Frauen sind durch den Ausfall von Männern für immer um die Aussicht von Ehe und Mutterschaft gebracht. Noch mehr wie die ehelichen dürften die unehelichen Geburten, die im Durchschnitt zehn Prozent betragen, zurückgegangen sein. Auch die Geschlechtskrankheiten haben eine Verminderung der Geburten erwirkt. Die gesundheitlichen Schäden, die sich ein großer Teil der Überlebenden durch den Krieg zugezogen hat, wird gleichfalls einen nicht unerheblichen Einfluß auf die Zahl der Geburten bewirken. Aber nicht nur die Q u a n t i t ä t , sondern auch die Q u a l i t ä t des Nachwuchses ist durch den Krieg ungünstig beeinflußt. Die Ursache liegt nicht nur in der teilweise unzureichenden Ernährung,
Einleitung.
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sondern vielleicht mehr noch in der dauernden gesundheitlichen Schädigung, namentlich des Nervensystems der Zeugenden. Diese letzteren Umstände werden vielleicht ebensolange nachwirken, wie die den Geburtenrückgang beeinflussenden Verhältnisse. Für die Zukunft unseres Volkes wird es also entscheidend sein, einerseits alle Mittel anzuwenden, um die Geburtenzahl zu heben, den Fortpflanzungswillen zu kräftigen, anderseits den Nachwuchs körperlich und sittlich zu ertüchtigen. Denn die Grundlage unserer nationalen Entwicklung ist ein kräftiges, zahlenmäßiges Wachstum der Bevölkerung. Ohne eine genügende Zahl von leistungsfähigen Arbeitshänden und Köpfen ist unsere völkische Entwicklung, unsere wirtschaftliche, kulturelle und politische Z u k u n f t aufs ernstlichste gefährdet. Wir wissen nicht, ob dies der letzte Waffengang ist zwischen Germanen und den numerisch überlegenen Angelsachsen. Die Siege unserer Waffen wären umsonst erfochten, die Ströme kostbaren Blutes umsonst geflossen, wenn das deutsche Volk nicht den Willen und die K r a f t hätte, die biologische Belastungsprobe zu bestehen. Die A u f g a b e , u n s e r e n V o l k s k ö r p e r w i e d e r a u f z u b a u e n , d i e W u n d e n d e s K r i e g s zu h e i l e n , d i e L ü c k e n zu s c h l i e ß e n u n d d i e N a t i o n zu h ö c h s t e r L e i s t u n g i m f r i e d l i c h e n W e t t k a m p f zu e r z i e h e n , v e r l a n g t d i e g l e i c h e n M i t t e l u n d Wege wie die E r z i e h u n g z u r W e h r h a f t i g k e i t . D e n n diese ist n u r P r o d u k t und A u s d r u c k d e r g e s a m t e n v ö l k i s c h e n L e b e n s k r a f t . Damit kommen wir zu der Frage der k ö r p e r l i c h e n E r t ü c h t i g u n g , z u r Q u a l i t ä t s v e r b e s s e r u n g der Rasse. Das wirksamste Mittel zu dieser Qualitätsverbesserung ist eine von Beginn der Schulpflicht an planmäßig durchgeführte körperliche Erziehung durch Spiel und Sport. Wohl haben schon seit Jahrzehnten führende Männer aller Gebiete der Leibesübungen immer wieder darauf hingewiesen, wie wichtig, ja wie entscheidend f ü r die Volkskraft die körperliche Ertüchtigung durch Spiel und Sport, durch Turnen und Wandern usw. ist; auch eine Anzahl hervorragender Staatsmänner und Pädagogen ließen ihre Stimme ertönen, aber sie blieben in der Minderzahl und erst die letzten J a h r e vor dem Kriege wagte sich das Verständnis für diese Dinge a u c h bei den Regierungen und in der Armee hervor. Das Ausland ist uns in dieser Richtung weit voraus. Aber die aktive l*
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Einleitung,
u n d passive Opposition, n a m e n t l i c h in den Reihen der Lehrers c h a f t und der Familie, ist noch lange nicht gebrochen. Um den S p o r t b e t r i e b der, der Schule E n t w a c h s e n e n k ü m m e r t e n sich S t a a t und K o m m u n e n ü b e r h a u p t nicht oder doch nur in ä u ß e r s t geringem Maße. Man b e g n ü g t e sich d a m i t , d a ß wir die allgemeine Dienstpflicht h ä t t e n u n d b e h a u p t e t e , sie wiege alles auf, was a n d e r e N a t i o n e n zur K ö r p e r k u l t u r und - e r t ü c h t i g u n g e r f u n d e n haben. Man wies darauf hin, d a ß die Freiheitskriege g e f ü h r t w u r d e n , ohne d a ß m a n von Sport etwas w u ß t e ; a u c h der r u h m reiche Feldzug 1870/71 w u r d e von einem Geschlecht gewonnen, dem der Sport völlig f r e m d w a r . Aber m a n v e r g a ß dabei, d a ß n u r ein Bruchteil der N a t i o n mit der W a f f e dient u n d a u c h das n u r v o r ü b e r g e h e n d ; m a n v e r g a ß , d a ß vor h u n d e r t J a h r e n D e u t s c h l a n d noch reiner A g r a r s t a a t w a r u n d die körperlich und sittlich schädigenden Einflüsse des m o d e r n e n Lebens noch nicht b e s t a n d e n . Das traf z u m großen Teil a u c h noch auf die Zeit von 1870/71 zu; abgesehen d a v o n waren die Heere, die Deutschland d a m a l s a u f stellte, v e r h ä l t n i s m ä ß i g gering und die Dauer des Krieges kurz. Gewiß wird es a u c h noch n a c h Beendigung des Weltkrieges Leute geben, die auf d e m Boden des alten deutschen Schulmeisters stehen, d a ß der gebildete Mensch in die Stube gehört. Diese werden voraussichtlich l a u t ihre S t i m m e erheben, die J u g e n d sei verwildert und geistig zurückgeblieben, es gälte j e t z t erst r e c h t das V e r s ä u m t e nachzulernen und die körperliche E r z i e h u n g müsse zurücktreten. Es m a g vielleicht infolge einer allgemeinen Erm ü d u n g u n d E n t s p a n n u n g eine R e a k t i o n gegen alles „ K ö r p e r liche" einsetzen. U m so m e h r ist es nötig, energisch zu betonen, d a ß wir keine Zeit h a b e n d ü r f e n , m ü d e zu sein. Es gilt, v o m Säuglingsalter an bis z u m E i n t r i t t des wehrpflichtigen Alters an der Q u a l i t ä t s v e r b e s s e r u n g der Rasse zu arbeiten, d a f ü r zu sorgen, d a ß a u c h die nicht zum Heeresdienst Eingezogenen sich in reiferem Alter mit ihrer körperlichen A u s b i l d u n g befassen u n d d a ß die E n t l a s s e n e n das E r w o r b e n e erhalten und weiterpflegen. Nicht m i n d e r wichtig ist die körperliche E r t ü c h t i g u n g der F r a u e n u n d Mädchen, denn n u r ein k r ä f t i g e s weibliches Geschlecht k a n n den K i n d e r n das Vollmaß an K r a f t und E n t w i c k l u n g s f ä h i g k e i t mitgeben, dessen sie b e d ü r f e n . In erster Linie sind S p i e l u n d S p o r t . i n einem d e m weiligen Alter a n g e p a ß t e n Betriebe berufen, diese Ziele
jezu
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Einleitung.
erreichen. Sie sind — abgesehen von der Zeit der a k t i v e n D i e n s t p f l i c h t — die einzig mögliche und allgemein d u r c h f ü h r b a r e F o r m der k ö r p e r l i c h e n E r t ü c h t i g u n g . Zugleich bergen sie e m i n e n t e e r z i e h e r i s c h e W e r t e . E s ist b e m e r k e n s w e r t , d a ß drei h e r v o r r a g e n d e A u s l ä n d e r , H. S t . C h a m b e r l a i n , ein E n g l ä n d e r , Graf Gobineau, ein F r a n zose, u n d R. K j e l l i n , ein Schwede, w i e d e r h o l t b e k u n d e t u n d b e g r ü n d e t h a b e n , d a ß die K u l t u r einzig in den H ä n d e n der g e r m a n i s c h e n Rasse, und z w a r vorwiegend in denen der D e u t schen liegt. Die E r f a h r u n g e n des Krieges h a b e n dies unwiderleglich bewiesen. G e r a d e d e r K u l t u r s i n d w i r D e u t s c h e e s s c h u l d i g , so s t a r k zu s e i n , d a ß w i r u n s f ü r a l l e Z e i t gegen eine W e l t von F e i n d e n b e h a u p t e n k ö n n e n . Die E r t ü c h t i g u n g u n d E r z i e h u n g im Sinne meiner Ausf ü h r u n g e n sind nicht das einzige Mittel h i n z u ; sie sind kein Allheilmittel. Aber sie sind eine der wichtigsten A u f g a b e n der Familien- u n d Bevölkerungspolitik, m i t denen sie zahlreiche B e r ü h r u n g s p u n k t e eng v e r b i n d e n , von denen sie einen integrierenden B e s t a n d t e i l bilden. Einer unserer jüngeren Sozialpolitiker, Dr. K u r t Blaum, s a g t : „Der S p o r t als eine A n g e l e g e n h e i t des g a n z e n m u ß ein i n n e r e r S i e g e s p r e i s dieses Krieges sein!"
Volkes
Eine z u s a m m e n f a s s e n d e u n d einigermaßen erschöpfende Unters u c h u n g aller der a u ß e r o r d e n t l i c h komplizierten A n s c h a u u n g e n , T ä t i g k e i t e n , Einflüsse und Verhältnisse, die mit der körperlichen E r t ü c h t i g u n g in sportlicher F o r m d i r e k t und indirekt in Verb i n d u n g zu bringen sind, eine D a r s t e l l u n g der vielseitigen und sich auf scheinbar abgelegene Gebiete erstreckenden A u s w i r k u n g e n des S p o r t s fehlt noch in der einschlägigen L i t e r a t u r . Diese U n t e r s u c h u n g schien mir d e s h a l b n o t w e n d i g , weil noch viele den Sport als eine Mode, einen L u x u s oder gar als eine V e r i r r u n g ansehen, d a sie die ganze B e w e g u n g n u r n a c h einzelnen ihnen gerade in die Augen fallenden Ü b e r t r e i b u n g e n u n d Auswüchsen beurteilen.
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Einleitung.
Ich habe deshalb versucht, im ersten Teil des Buches, soweit es der gegebene Raum gestattet, hierüber eine methodische Untersuchung anzustellen. Im zweiten Teil sollen die besonderen Zusammenhänge zwischen Sport, Wehrhaftigkeit und Krieg festgestellt und referierend ein Überblick über den Stand der körperlichen Erziehung bis zum Anfang des Krieges und während desselben gegeben werden. Endlich sollen im dritten Teil die Forderungen aufgezeigt werden, die künftig für die körperliche und mit ihr Hand in Hand gehende sittliche Erziehung des Volkes gestellt werden müssen. Einen Punkt möchte ich noch hervorheben. Die Maßnahmen f ü r die militärische Vorbereitung während des Krieges und noch mehr die Aussicht des kommenden gesetzgeberischen Zwanges zu körperlichen Übungen, durch den auch Kreise erfaßt werden, die sich bisher jeder Einwirkung entzogen haben, lassen Befürchtungen laut werden, es sei beabsichtigt, schon die Jugend zu militarisieren. Bei jeder Gelegenheit, z. B. bei den von den Kriegsministerien veranstalteten Belehrungskursen, haben die offiziellen Vertreter der Heeresverwaltungen bekundet, daß dem nicht so ist. Es würde mich freuen, wenn meine Arbeit dazu beitragen sollte, in dieser Richtung unbegründete Vorurteile zu zerstreuen.
I. Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung. Allmählich, aber mit überzeugender Kraft haben wir einsehen gelernt, d a ß der Sport nicht ein Ausfluß von überschüssiger K r a f t u n d Zeit, sondern daß er ein F a k t o r v o n h o c h n a t i o n a l e r Bedeutung ist f ü r die Gesundheit des Volkes und das wirksamste Mittel, nach anstrengender Geistesarbeit auch dem Körper sein volles Recht zu geben, und daß es kaum ein besseres Mittel gibt, die Geistesgegenwart in blitzschneller Überlegung zu üben, als ein friedlicher Wettkampf ebenbürtiger Kämpfer. Der Gefahr nicht aus dem Wege gehen, sondern lernen, im kritischen Augenblick mit voller Überlegung zu denken und kaltblütig zu handeln, das lehrt uns der Sport. Und gerade durch Überwindung von Schwierigkeiten zum Ziele zu gelangen, das ist S p o r t . . . . E i n S p o r t s m a n n s e i n , h e i ß t ein C h a r a k t e r sein. Herzog
Adolf
Friedrich
von
Mecklenburg.
1. Begriffsbestimmungen. Dann erst genieß' ich meines L e b e n s recht, wenn ich mir's jeden Tag aufs neu' erbeute. Schiller. Nach der Kraft gibt es nichts so Hohes als ihre Beherrschung. Jean Paul.
Es ist unmöglich, irgendeine Untersuchung über allgemeine und prinzipielle Fragen anzustellen, ohne sich vorher darüber zu verständigen, was man unter Sport versteht. Denn die Frage: „ W a s i s t S p o r t ? " ist erheblich schwieriger zu beantworten, als es auf den ersten Blick scheinen möchte. Die Schwierigkeit liegt darin, daß es sich um sehr vielseitige Tätigkeiten handelt, die von einem Komplex komplizierter äußerer Verhältnisse und von inneren Triebfedern abhängig sind. In der einschlägigen Literatur finden wir deshalb die verschiedensten Antworten auf obige Frage. Es ist versucht worden, die Definition des Begriffes „ S p o r t " auf etymologischer Grundlage aufzubauen, indem darauf hingewiesen wurde, daß dieses Wort als „ s p a u r d s " schon in der gotischen Ulfilasbibel vorkommt und dort Kampfspiel bedeutet, und daß es mit dem Stamm des englischen „disport", altfranzösisch „despors" und dem italienischen „diporto" (Erholung) zusammenhängen soll. Wieweit das richtig ist, mag dahingestellt bleiben; die Anhaltspunkte, die wir für eine Begriffsbestimmung daraus gewinnen können, sind jedenfalls zu dürftig, um genügen zu können. Eine andere Lösung wurde angestrebt, indem ausschließlich die inneren Motive untersucht wurden. Das f ü h r t e dazu, das Wesen des Sports ausschließlich in der A r t , wie eine Tätigkeit betrieben wird, zu sehen. Daraus ergab sich die Definition, d a ß j e d e T ä t i g k e i t S p o r t s e i , s o w e i t s i e a u s s c h l i e ß l i c h zu dem Zwecke a u s g e f ü h r t wird, K r ä f t e mit anderen
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I. Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
u n t e r b e s t i m m t e n A u s f ü h r u n g s b e d i n g u n g e n zu m e s s e n . Diese Definition f ü h r t d a z u , a u c h d a s S a m m e l n von B r i e f m a r k e n , A n s i c h t s k a r t e n usw. als S p o r t a n z u s e h e n , sofern die T r i e b f e d e r d e r W e t t b e w e r b m i t a n d e r e n S a m m l e r n ist. Konsequenterweise w i r d a u c h v o n einem W o h l t ä t i g k e i t s s p o r t gesprochen, w e n n , wie bei B a s a r e n , ö f f e n t l i c h e n S a m m l u n g e n , ein W e t t b e w e r b zwischen d e n v e r k a u f e n d e n u n d s a m m e l n d e n D a m e n e i n t r i t t . Diese L ö s u n g m u ß auf A b w e g e f ü h r e n , weil sie ausschließlich die s u b j e k t i v e Seite b e t r a c h t e t . E s ist d a h e r n o t w e n d i g , e i n e E r k l ä r u n g des o b j e k t i v e n I n h a l t e s zu s u c h e n , d e r sich auf entwicklungsgeschichtlicher Basis ergibt. U r s p r ü n g l i c h v e r s t a n d m a n u n t e r S p o r t die vers c h i e d e n e n A r t e n der J a g d , H o c h - u n d N i e d e r j a g d , Vogelstellen u n d F i s c h f a n g , wobei v o r a u s g e s e t z t w a r , d a ß sie n i c h t des B e u t e gewinnes halber ausgeübt wurde. Im Mittelalter w a r e n diese u n d d a s T u r n i e r die r i t t e r l i c h e n S p o r t e ; die T u r n i e r k u n s t w a n d e l t e sich m i t der Ä n d e r u n g der B e w a f f n u n g zur F e c h t k u n s t u m . H i e z u k a m n o c h das Ballspiel, der V o r l ä u f e r der R a s e n s p o r t e . D a s vorige J a h r h u n d e r t b r a c h t e den R e n n s p o r t u n d die P a r f o r c e j a g d , R u d e r n u n d Segeln, R a d f a h r - u n d A u t o m o b i l s p o r t , den A l p i n i s m u s , die W i n t e r s p o r t e u n d d e n W a n d e r s p o r t ; unser J a h r h u n d e r t als j ü n g s t e n den F l u g s p o r t . Aus dem a n f ä n g l i c h n u r als k ö r p e r l i c h e Ü b u n g b e t r i e b e n e T u r n e n sind die g y m n a s t i s c h e n Sporte entstanden. W i r sehen, d a ß sich d e r e h e m a l i g e Begriff wesentlich erw e i t e r t h a t ; a b e r sein K e n n z e i c h e n ist das gleiche geblieben. Ü b e r a l l h a n d e l t es sich u m eine oder eine G r u p p e v o n k ö r p e r lichen T ä t i g k e i t e n , die M u t , K r a f t und Geschicklichkeit erfordern und die nicht berufsmäßig ausgeübt werden. Maß und Verhältnis der genannten Eigenschaften sind bei den v e r s c h i e d e n e n S p o r t a r t e n sehr verschieden. Auch ist die Grenze zwischen Spiel, V e r g n ü g e n , körperlicher Ü b u n g und Sport nicht immer mit Genauigkeit bestimmbar. Reiten, S c h w i m m e n , R u d e r n sind a n sich n o c h kein Sport, sie m ü s s e n a u s d e m R a h m e n des rein V e r g n ü g l i c h e n h e r a u s g e h o b e n w e r d e n u n d e r n s t h a f t g e ü b t w e r d e n , u m einen b e s t i m m t e n Zweck zu e r r e i c h e n . Spiel u n d S p o r t u n t e r s c h e i d e n sich darin, d a ß letzterer s t e t s , im G e g e n s a t z z u m reinen Spiel, m i t einem gewissen leidens c h a f t l i c h e n E r n s t u n d E i f e r b e t r i e b e n wird. Man k a n n T e n n i s
1. Begriffsbestimmungen.
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als Spiel und als Sport betreiben. Wer auf gebahnten Wegen einen leichten Berg ersteigt, ist ein Spaziergänger; wer aber e t w a einen schweren R u c k s a c k t r ä g t oder A t e m t e c h n i k treibt, um sich für schwere T o u r e n zu trainieren, ist Sporttourist. Das Schult u r n e n ist eine körperliche Ü b u n g ; Sport wird das T u r n e n erst, w e n n die Schwierigkeit und Vollkommenheit gewertet und d a n a c h die Leistung bemessen, d. h. ein R e k o r d aufgestellt wird. Das R u d e r n erhebt sich vom Vergnügen erst z u m Sport, wenn ein einzelner oder eine M a n n s c h a f t im T o u r e n b o o t weite Ausflüge u n t e r n i m m t , u m unter E n t b e h r u n g der gewohnten Bequemlichkeiten die K ö r p e r k r ä f t e zu stählen oder wenn durch das Trainieren im R e n n b o o t die T e c h n i k des w i r k s a m s t e n Ruderschlags geübt wird, u m im R e n n e n über andere M a n n s c h a f t e n zu siegen. D a r a u s ergibt sich, d a ß zur B e a n t w o r t u n g der eingangs gestellten Frage die Merkmale der objektiven Tätigkeit u n d des s u b j e k t i v e n Inhaltes b e a c h t e t werden müssen. Ich möchte sie folgendermaßen formulieren: S p o r t i s t e i n e G r u p p e v o n a l s Selbstzweck a u s g e ü b t e n körperlichen T ä t i g k e i t e n , die Mut, K r a f t und Geschicklichkeit erfordern und deren p r i m ä r e T r i e b f e d e r K a m p f in i r g e n d e i n e r F o r m i s t . J e d o c h k o m m e n d e m Bewegungsspiel die gleichen Merkmale zu, n u r in einem der J u g e n d a n g e p a ß t e n Ausmaße. F ü r d i e J u g e n d ist das Spiel dem Sport gleichwertig. W e n n die Bezeichnung „ S p o r t " auf Gebiete angewendet wird, bei denen körperliche Tätigkeit nicht in Frage k o m m t — m a n spricht z. B. v o m Sammel-, Schach-, H u n d e s p o r t u. dgl. — , so ist dies zweifellos u n b e r e c h t i g t . Ebenso unberechtigt ist es, denjenigen als „ S p o r t s m a n n " zu bezeichnen, der etwa einen R e n n stall hält, ohne selbst zu reiten, im A u t o sitzt und sich von seinem Chauffeur f a h r e n l ä ß t oder im kurzen S p o r t p a l e t o t auf den T u r f plätzen spazierengeht und a m Totalisator setzt. Das a u s d r ü c k lich festzustellen ist nicht überflüssig, da sich mancher f ü r einen S p o r t s m a n n ausgibt, dem diese Eigenschaft d u r c h a u s nicht zuk o m m t . Man k ö n n t e mit gleichem Rechte, wie die v o r g e n a n n t e n etwa einen B ö r s e n s p e k u l a n t e n S p o r t s m a n n nennen. Der Sport wird nur aus Lust an der körperlichen Tätigkeit selbst, o h n e E n t g e l t ausgeübt. Der A m a t e u r s t e h t in schroffstem inneren Gegensatz zum P r o f e s s i o n a l , der aus der gleichen Tätigkeit seinen L e b e n s u n t e r h a l t zieht. Bedauerlicherweise gibt
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I. Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
es noch keine deutschen A u s d r ü c k e , die sich mit den beiden Begriffen völlig decken. Sowie ein Sport als Beruf oder Gewerbe a u s g e ü b t wird, h a t er sein innerstes Wesen nicht n u r verloren, sondern in das Gegenteil v e r k e h r t . Auch Leute, die a u s der Lehrt ä t i g k e i t des Sports einen Beruf m a c h e n , wie z. B. T u r n - u n d Fechtlehrer oder Trainer s i n d keine Sportsleute, wenn auch ihre B e s c h ä f t i g u n g f ü r m a n c h e A r t e n des Sports ersprießlich, sogar n o t w e n d i g ist und der A u s b i l d u n g von wirklichen Sportsleuten zugute kommt. Das m u ß scharf b e t o n t werden, weil die Anschauungen über diesen P u n k t , z u m a l in Deutschland, vielfach noch nicht so geklärt sind wie n a m e n t l i c h in den angelsächsischen Ländern.
2. Zur Psychologie von Spiel und Sport. Sich m ü h e n u n d m i t d e m W i d e r s t a n d e k ä m p f e n ist dem Menschen B e d ü r f n i s , Hindernisse überwinden ist Vollgenuß des Daseins, der Kampf mit ihnen u n d der Sieg beglückt. Schopenhauer.
Schon die B e g r i f f s b e s t i m m u n g h a t dazu geführt, als das innerste Wesen des Sports den K a m p f zu erkennen. Formen des K a m p f e s und die Art der Gegner haben sich stetig v e r m e h r t . Bei der J a g d s t e h t die menschliche Intelligenz, Geschicklichkeit und Ausdauer im K a m p f e gegen das Tier. Beim J a g d - und Rennreiter, R a d f a h r e r , Automobilisten wird der K a m p f gegen den R a u m , beim R u d e r n , Segeln, beim Skilauf und Fliegen gegen den R a u m und die E l e m e n t e g e f ü h r t , der Alpinist ringt mit der N a t u r allein. Bei den gymnastischen Sporten u n d den Rasensporten ist der Gegner der Mensch. Die technischen Erfindungen und E n t d e k k u n g e n der Geisteswissenschaften müssen als K a m p f m i t t e l gegen die N a t u r k r ä f t e dienen; die einzelnen Sporte suchen und schaffen sich künstlich neue Hindernisse zu neuem K a m p f e . W o der Gegner der gleiche bleibt, wie in den Bergen, sucht der Mensch ihm neue Seiten a b z u g e w i n n e n ; er w ä h l t die schwierigsten Anstiegslinien u n d besteigt die Berge im W i n t e r mit Skiern. Auch mit sich selbst sucht der Mensch den K a m p f , indem er durch zielbewußte Steigerung seiner körperlichen Leistungen T r ä g h e i t s gefühl und Bedürfnis nach Bequemlichkeit überwindet. Man k ö n n t e in diesem Sinne von einem Ich-Sport sprechen. Den
2. Zur Psychologie von Spiel und Sport.
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J u g e n d s p i e l e n , die eine gewisse körperliche A n s t r e n g u n g und Geschicklichkeit b e a n s p r u c h e n , k a n n f ü r die J u g e n d dieselbe Bed e u t u n g zugesprochen werden wie den eigentlichen Sporten des Erwachseneren. Auch sie sind K a m p f und W e t t b e w e r b in den d e m Alter a n g e p a ß t e n A u s m a ß e n und bilden eine wertvolle Vorschule f ü r s p ä t e r e n , ernsten Sportbetrieb. Die Lust am K a m p f ist überall die ursprüngliche Triebfeder. *
Die G e f a h r h a t einen solchen Reiz f ü r den Menschen, d a ß jeder sich b e s t r e b t , im geringeren oder größeren Grad dieselbe in der N ä h e kennen zu lernen. Moses Mendelssohn.
J e d e r Kampf ist mit G e f a h r v e r b u n d e n . J e geringer die G e f a h r , desto geringer wird der Reiz und noch mehr der W e r t des S p o r t s ; eine absolute Gefahrlosigkeit verneint den K a m p f u n d mit ihm den S p o r t selbst. Es wird d a n n die Grenze erreicht, wo das reine Spiel oder die körperliche Ü b u n g beginnt. Es ist auch d u r c h a u s nicht notwendig, daß ein Sport b e s t ä n d i g m i t Gefahr d r o h t , es genügt, wenn ü b e r h a u p t eine Gefahr, ein Risiko dabei sind, die d u r c h Vorsicht u n d Ü b u n g schadlos gem a c h t werden k ö n n e n . Wenn ein Sportschriftsteller b e h a u p t e t : „ D e r erste G r u n d s a t z m u ß sein, d a ß der betreffende Sport gefahrlos i s t , " m u ß dem auf Grund der von uns angestellten B e t r a c h t u n g e n u n b e d i n g t widersprochen werden. Das Maß der Gefahr ist freilich oft ein sehr bescheidenes, aber bei den harmlosesten Sporten setzt sich der S p o r t t r e i b e n d e immer noch einem gewissen Risiko aus und sei es auch nur eine geringfügige Verletzung, vor denen der behäbig und vorsichtig lebende Philister gefeit ist. I m A u f s u c h e n d e r G e f a h r u n d z u g l e i c h in i h r e r Ü b e r w i n d u n g liegt ein H a u p t r e i z des S p o r t s . Die S u m m e u n d Größe der Gefahren, denen m a n sich aussetzt, sowie der im Verhältnis zu ihnen wachsende A u f w a n d von physischen u n d psychischen Leistungen ist der wichtigste Wertmesser f ü r die verschiedenen Sporte. Ein bloßes Aufsuchen der Gefahr ist freilich noch kein Sport. Wer sich in einen Löwenkäfig w a g t , um mit dem Tierbändiger eine P a r t i e Sechsundsechzig zu spielen ist tollk ü h n oder d u m m , wie m a n es nehmen will. Sein T u n ist aber kein Sport. *
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I. Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung. Anstrengung und t r e n n t ein P a a r .
Erfolg sind ungeRückert.
Die erstrebte Wirkung eines jeden Kampfes ist der S i e g ; je gewaltiger der Gegner, je härter der Kampf, desto schöner und wertvoller erscheint auch der Sieg. Der Sieg kann im Kampfe mit dem Objekt selbst errungen werden, der Alpinist besiegt die Hindernisse, die ihm die Natur in einziger Größe entgegenstellt, der Segler macht sich die Elementargewalten des Sturmes dienstbar, der Flieger besiegt die Schwerkraft, der Jäger das Tier, der Fechter den Gegner. Wo der Sieg nicht im unmittelbaren Kampfe mit dem Gegner errungen wird, wie bei den Raum-(Schnelligkeits-) sporten, oder wo eine Mehrzahl von gemeinsamen Kämpfern und Gegnern besteht, t r i t t der W e t t b e w e r b ein; der Sieg liegt dann im R e k o r d , der eine Organisation des Sports durch Aufstellung von Regeln und Wertmessern der Leistungen erfordert. Die moderne Organisation des Sports hat dazu geführt, d a ß durch Aufstellung des Rekords sowohl einzelne als auch ganze Sportsgruppen um den Sieg streiten, ohne sich im Kampfe persönlich gegenüberzutreten. Die Internationalisierung einiger Sports hat zur Aufstellung von Weltrekords geführt. Die Olympischen Spiele sollen den besten Kräften, die Turnen, Schwimmen, Rudern, Radfahren, Ballspiele und Athletik betreiben, Gelegenheit geben, im unmittelbaren Wettkampf ihre Leistungen zu zeigen. Immer ist der Sieg die erstrebte Wirkung des Kampfes, jeder Kämpfer ringt um den Sieg und Siegesfreude. Umgekehrt kann nur der Siegesfreude empfinden, der gekämpft hat. Das kann n u r der ganz nachempfinden, der selbst einen Sport ausübt. Matthias Zdarsky sagt in seiner Skifahrschule: „Wenn wir das Bogenfahren an steilen viele hundert Meter hohen Hängen an exponierten Stellen beherrschen, überfällt uns ein Freudenrausch". Wer nie einen Sport ausgeübt und einen ähnlichen Freudenrausch gekostet hat, kann nur bedauert werden. * Leben ist wesentlich Aneignung, Ü b e r w ä l t i g u n g des F r e m d e n , Schwächeren, U n t e r d r ü c k u n g , Einv e r l e i b u n g , Besitz. Nietzsche.
Im Sieg liegt eine Befriedigung des W i l l e n s z u r M a c h t , in dem Nietzsche das Grundprinzip alles Lebens erkennt, wie oft er sich auch unter immer neuen Erscheinungsformen zu verstecken
3. Biologische Grundlagen des Sports.
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s c h e i n t . Der Sieg löst das Gefühl der Macht über den bezwungenen Gegner aus, wenn es a u c h nur insoferne eine ideelle M a c h t ist, als m a n sich als der Stärkere, Geschicktere erwiesen h a t , als m a n zeigt, d a ß m a n „einer i s t " , u n d zwar einer, der a n d e r e n überlegen ist. Grad und Intensität des Machtgefühls sind je n a c h der A r t des Sports, dem K r ä f t e e i n s a t z u n d der Schwere des e r r u n g e n e n Sieges verschieden. H. Steinitzer modifiziert den Begriff „Wille zur M a c h t " u n t e r A n w e n d u n g auf den Sport als „ W i l l e z u m E r f o l g " , den er als eine Spezialität des Willens zur M a c h t bezeichnet. Zweifellos ist der Wille z u m Erfolg eine der h a u p t s ä c h l i c h s t e n T r i e b f e d e r n f ü r die A u s ü b u n g aller Sporte. Der Mensch s t r e b t w ä h r e n d seines ganzen Lebens nach Geld u n d G u t , Ansehen u n d Stellung u n d erreicht nie oder wenigstens sehr selten die Ziele, die er a n s t r e b t . Und h a t er einmal ein Ziel erreicht, so ist er n i c h t zufrieden, sondern b e t r a c h t e t es n u r als eine S t u f e zu w e i t e r e m . Der S p o r t hingegen ist auf E r r e i c h u n g u n m i t t e l b a r e r Ziele gerichtet u n d g e w ä h r t die Befriedigung des Erfolges wiederholt. Schon bei den Bewegungsspielen der Kinder k ö n n e n wir des ö f t e r e n beobachten, wenn Freude an der Ü b e r w i n d u n g von Schwierigkeiten, einer gewissen Gefahr und der Wille a m Erfolg eine wenn a u c h meistens nicht b e w u ß t e Rolle spielen. Das o b j e k t i v e und s u b j e k t i v e Merkmal des Sportes sind schon im kindlichen Spiele in ihren Keimen e n t h a l t e n .
3. Biologische Grundlagen des Sports. Sind Geist und Körper mit K r a f t und Gesundheit ausgerüstet, so verlangen sie nach anstrengenden Übungen und finden ihr Vergnügen in dem, was den meisten Menschen schwer und mühevoll erscheint. David Hume.
Im N a t u r z u s t a n d e m u ß t e sich der Mensch den L e b e n s u n t e r halt ausschließlich durch körperliche Tätigkeit v e r s c h a f f e n ; f ü r die Befriedigung seiner primitivsten Bedürfnisse galt das griechische W o r t : ,,Vor| den Erfolg haben die Götter den Schweiß g e s e t z t . " Mit der wachsenden Zivilisation hat sich das V e r h ä l t n i s v e r ä n d e r t . Maschinenarbeit und technische Arbeit, E r f i n d u n g e n h a b e n die körperliche Tätigkeit teils ganz überflüssig g e m a c h t , teils auf ein
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I. Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Minimum b e s c h r ä n k t u n d mechanisiert. Bei den B e r u f s a r t e n der oberen S t ä n d e ist die körperliche Arbeit d u r c h eine einseitige G e h i r n k u l t u r v e r d r ä n g t w o r d e n . Nur wenige, wie derjenige des Offiziers und L a n d m a n n s , stellen Ansprüche an körperliche K r a f t und bringen in B e r ü h r u n g mit der N a t u r . F a s t alle anderen B e r u f s a r t e n u n d Erwerbszweige zwingen ihre Angehörigen hinter T ü r u n d Mauer. Dazu k o m m e n als n e r v e n z e r r ü t t e n d e F a k t o r e n die Angst u m die Existenz u n d der aufreibende, nie a u f h ö r e n d e Kampf u m s Dasein, der schon in der Schule b e g i n n t und w ä h r e n d des ganzen Lebens am schwersten dort e m p f u n d e n wird, wo er u n t e r d e m Druck u n a n g r e i f b a r e r vorgefaßter konventioneller A n s c h a u u n g e n und Vorurteile g e f ü h r t werden m u ß . Schon die J u g e n d leidet d a r u n t e r , sowie sie die Schulpforte a u f n i m m t . Eingepfercht in großen S t ä d t e n , in o f t unzulänglichen R ä u m e n schmilzt der Vorrat des einzelnen an Gesundheit und W i d e r s t a n d s f ä h i g k e i t immer mehr z u s a m m e n ; die v e r e r b t e L e b e n s k r a f t wird von Generation zu Generation v e r m i n d e r t . Einer überwiegenden Anzahl der modernen Menschen ist es erschwert, den K ö r p e r durch das einfachste und sicherste Mittel, Bewegung mit Arbeit in frischer L u f t , zu stählen. Wie brachliegende Organe allmählich verk ü m m e r n und endlich von der N a t u r als nutzlose Leistung a u f gegeben werden und sich rückbilden, so erschlaffen schließlich a u c h die nie gebrauchten Muskeln und Sehnen des Körpers u n d ziehen alle F u n k t i o n e n des bis ins feinste z u s a m m e n h ä n g e n d e n Baues in Mitleidenschaft. Das wohlgeordnete Getriebe des zivilisierten und polizierten R e c h t s s t a a t e s bietet f ü r den körperlichen K a m p f keinen R a u m ; dem modernen Menschen ist die Gelegenheit genommen, E n t schlossenheit und Geistesgegenwart gegenüber einer physischen G e f a h r , Selbstüberwindung bei Strapazen u. dgl. zu b e k u n d e n und zu üben. Mit dem Siegeslauf der Maschine u n d der Einspann u n g ungezählter Massen von Köpfen und H ä n d e n in deren Mechanismus w u r d e auch der Mensch zu einer Arbeitsmaschine degradiert. Die S t a t i s t i k zeigt, d a ß in Deutschland die Familien, die auf das Leben in der S t a d t angewiesen sind, im D u r c h s c h n i t t die d r i t t e und vierte Generation nicht überleben. Nur der beständige Nachschub aus der physisch gesunden, kraftvolleren Bevölkerung des Landes und kleinerer S t ä d t e läßt die verhängnisvolle B e d e u t u n g dieser Statistik nicht in äußere Erscheinung t r e t e n .
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5- Biologische Grundlagen des Sports.
J e mehr die schweren Nachteile unserer Zivilisation e r k a n n t u n d e m p f u n d e n w u r d e n , d e s t o dringender m a c h t e sich glücklicherweise mit elementarer M a c h t das B e d ü r f n i s geltend, ihnen entgegenzuwirken und dem Leben das zurückzugeben, was ihm die verä n d e r t e n Daseinsbedingungen nicht mehr gewähren wollten. E s m u ß t e nicht nur ein Ausgleich gegen die einseitige G e h i r n k u l t u r geschaffen, ein E r s a t z f ü r die durch die Berufsarbeit verlorengegangenen gesundheitlichen Momente gesucht werden, es m u ß t e a u c h f ü r diejenigen psychischen Eigenschaften, die teils zu verk ü m m e r n d r o h t e n , teils n a c h B e t ä t i g u n g d r ä n g t e n , ein neues Feld geboten werden. Gerade die letztere Notwendigkeit und a u c h den W e g h a t schon S c h o p e n h a u e r e r k a n n t , indem er s a g t : „ D i e ursprüngliche B e s t i m m u n g der K r ä f t e , mit denen die N a t u r den Menschen ausgerüstet h a t , ist der Kampf gegen die Not, die ihn von allen Seiten b e d r ä n g t . W e n n dieser Kampf einmal r a s t e t , d a werden ihm die u n b e s c h ä f t i g t e n K r ä f t e zur L a s t ; er m u ß d a h e r jetzt mit ihnen spielen." Das notwendige Spiel ist a b e r der S p o r t und auch S c h o p e n h a u e r w ü r d e h e u t z u t a g e diesen Ausd r u c k gebrauchen. Nietzsche bezeichnet das Leiden des Menschen a m Menschen an sich als Folge einer gewaltsamen A b t r e n n u n g von der tierischen Vergangenheit, eine Kriegserklärung gegen die alten I n s t i n k t e , auf denen bis dahin K r a f t , Lust und F r u c h t b a r k e i t b e r u h t ; er weist darauf hin, „wie die staatlichen Organisationen es m i t sich b r a c h t e n , daß alle jene I n s t i n k t e des wilden, freien, schweifenden Menschen sich r ü c k w ä r t s gegen den Menschen selbst w a n d t e n " . Der S p o r t ist es, der jenen „ a l t e n I n s t i n k t e n " ein neues B e t ä t i g u n g s feld erschließt. Wie sehr die schädigenden Wirkungen der A n h ä u f u n g von Menschen und des öffentlichen Lebens in großen Zentren u n d der einseitigen geistigen Ü b e r l a s t u n g in den Mittelschulen die Rassentüchtigkeit vermindern, zeigt die Statistik der militärischen Aushebungen. Im J a h r e 1893 wurden in d e m vorwiegend ackerbautreibenden O s t p r e u ß e n von 100 Militärpflichtigen 60 tauglich befunden, in Mainz 1894 n u r 20, in N ü r n b e r g 1897 nur 18. W e n n auch die Militärtauglichkeit wegen ihrer Spezialanforderungen an Größe, normale Beschaffenheit des Seh- und Hörvermögens u. dgl. kein absolutes Maß darstellt, so liefert sie doch den besten A n h a l t s p u n k t zur Beurteilung der breiten Volksschichten. Stein itzer,
Körperliche Ertüchtigung.
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Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Erriichtigung.
Im J a h r e 1909 waren m i l i t ä r u n t a u g l i c h : von der L a n d b e v ö l k e r u n g 40, von der Industriewelt 50, v o m H a n d e l s s t a n d 60, von der S t u d e n t e n s c h a f t 70 (!) vom H u n d e r t . In den letzten J a h r e n vor dem Kriege w u r d e n durchschnittlich gegen 50 Prozent t a u g lich b e f u n d e n . Die wenigen a n g e f ü h r t e n Zahlen zeigen, wie sehr sich gerade die körperliche E n t w i c k l u n g der J u g e n d in den S t ä d t e n als ungenügend erweist. *
Trinket Augen, was die Wimper hält, Von dem goldenen Überfluß der Weltl Gottfried Keller. In Wind und Wetter Nicht bei Kranz und Reigen K a n n sich der M a n n In wahrem Lichte zeigen. Smlles.
Die moderne Wissenschaft h a t uns durch Aufzeigung unserer Entwicklungsgeschichte unsere H e i m a t in der N a t u r gezeigt; die m o d e r n e Zivilisation h a t einen großen Teil der Menschen von der N a t u r e n t f e r n t . Wir sind d a d u r c h ihrer R ü c k w i r k u n g auf das G e m ü t und das s e e l i s c h e E m p f i n d e n in immer steigendem Maße verlustig geworden. Der Sport stellt in fast allen seinen B e t ä t i g u n g e n den K o n t a k t mit der N a t u r wieder her. Nichts wirkt nach den nervösen Aufregungen des Berufes und des modernen Lebens beruhigender und wohltuender auf das Gemiit, als die a n g e n e h m e n Sensationen, die der N a t u r g e n u ß auslöst, nichts ist e r h e b e n d e r als der Anblick der Elemente, nichts ist s t ä r k e n d e r als ihre Bezwingung im sportlichen Ringen. Die N a t u r läßt uns die kleinlichen Sorgen des Lebens vergessen; jeder energisch betriebene Sport, m a g er uns auch nur f ü r kürzere Zeit h i n a u s f ü h r e n , erzeugt, wie H. R a c k es treffend a u s d r ü c k t : „ j e n e olympischheitere Gleichgültigkeit gegen alles sonst wichtige D r u m - u n d - D r a n , jenen naiven Z u s t a n d , wo der erwachsene K u l t u r m e n s c h zu seinem Heil auf den S t a n d p u n k t des heiteren Kindes, des Austrainegers, z u r ü c k k o m m t " . Wir dürfen im Sport deshalb ein hervorragendes Mittel erblicken, das gestörte Gleichgewicht unseres E m p f i n d u n g s lebens wiederzugewinnen. Der Ruf „ Z u r ü c k z u r Natur!" w u r d e f ü r die in S t ä d t e n e i n g e p r e ß t e Bevölkerung geradezu zu einem Notschrei.
4. B e d e u t u n g v o n Spiel u n d Sport für die Gesundheit.
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Wir ersehen aus dem allen, daß der Sport, biologisch b e t r a c h t e t , eine a u t o m a t i s c h e Reaktionserscheinung gegen die s c h ä d i g e n d e n Einflüsse der durch die moderne Zivilisation und Kultur bedingten Lebensverh ä l t n i s s e ist.
4. Bedeutung von Spiel und Sport für die Gesundheit. Das Fundament aller Anlage ilt körperliche Gesundheit. J. F. Herbart. Sport bringt Gesundheit. Dr. F. Pick.
Die E n t w i c k l u n g der modernen Medizin u n d Hygiene h a t bis vor etwa zwei J a h r z e h n t e n dazu g e f ü h r t , das Heil der Rassenund Volkstüchtigkeit f a s t ausschließlich in dem ganz schwächlichen und u n t e r g e o r d n e t e n Ziel der V e r m e h r u n g der Volkszahl durch H e r a b s e t z u n g der Sterblichkeitsziffer zu suchen a n s t a t t in der Steigerung von K r a f t und F r u c h t b a r k e i t . Die künstliche A u f p ä p p e l u n g von vornherein lebensunfähigen Geburten im B r u t k a s t e n , die E r h a l t u n g schwächlicher Tuberkuloser in Sanatorien, die n u r schwächliche Kinder in die Welt setzen können u. dgl. w u r d e als höchster T r i u m p h angesehen. Man war zufrieden, wenn man Schulpaläste baute, bei denen den hygienischen Anf o r d e r u n g e n in bezug auf L u f t , L ü f t u n g und Licht die weitgehendste R e c h n u n g getragen wurde, aber es werden auch u n gezählte Millionen zum Bau von Heilstätten, U n t e r k ü n f t e f ü r K r ü p p e l und Idioten, also zur E r h a l t u n g biologisch, physisch u n d psychisch minderwertiger Individuen ausgegeben. Die f ü r den Sport von S t a a t s wegen erst seit einigen J a h r e n b e s t i m m t e n S u m m e n sind dagegen soviel wie nichts. Dabei wird nicht bea c h t e t , d a ß der D u r c h s c h n i t t der Volkskraft damit stetig sinken und zu einer körperlichen E n t a r t u n g f ü h r e n muß. Es wurde nur gezählt und nicht gewogen. Man wurde geradezu gedrängt zu wünschen, daß das W o r t Nietzsches: „ w a s fällt, das soll m a n noch s t o ß e n " , zur rücksichtslosen W a h r h e i t würde. R. Hessen schrieb noch vor zehn J a h r e n mit R e c h t : „ W ü r d e das P u b l i k u m , das h e u t e in unseren größeren S t ä d t e n v e r k o m m t , zu entscheiden haben, was vorzuziehen sei: eine Nation mit f ü n f z i g 2*
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I- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Millionen k r a f t s t r o t z e n d e r A t h l e t e n oder eine m i t h u n d e r t Millionen h o c h g e b i l d e t e r , d o c h m i l i t ä r d i e n s t u n t a u g l i c h e r N e u r a s t h e n i k e r , so d ü r f t e die E n t s c h e i d u n g z u g u n s t e n der Menge f a l l e n . " Ich m ö c h t e n o c h h i n z u f ü g e n : v o n Seiten der Lehrer u n d der B u r e a u k r a t e n a m g r ü n e n Tisch gewißlich I Schon S c h o p e n h a u e r h a t auf die g r o ß e B e d e u t u n g des S p o r t s hingewiesen. Er f ü h r t alle menschlichen K r a f t ä u ß e r u n g e n auf drei physiologische G r u n d k r ä f t e z u r ü c k u n d b e s t i m m t d a n a c h die drei Quellen der möglichen G e n ü s s e : die Genüsse der Rep r o d u k t i o n s k r a f t — Essen, Trinken, Verdauen, Ruhen und Schlafen; die G e n ü s s e der Sensibilität — B e s c h a u e n , D e n k e n , Lesen, L e r n e n usw. u n d endlich die Genüsse der I r r i t a b i l i t ä t — W a n d e r n , S p r i n gen, R i n g e n , F e c h t e n , a t h l e t i s c h e Spiele, J a g d u. dgl. Trotzdem b e g a n n m a n erst vor e t w a dreißig J a h r e n m i t G r a u e n zu f ü h l e n u n d e i n z u s e h e n , d a ß die V e r n a c h l ä s s i g u n g einer d e r drei G r u n d k r ä f t e zur u n a u f h a l t s a m e n D e k a d e n z f ü h r e n müsse. E n d l i c h b e g a n n der Ruf hellsichtig g e w o r d e n e r P ä d a g o g e n u n d Ä r z t e n a c h r a t i o neller K ö r p e r p f l e g e , n a c h E r h o l u n g des d u r c h einseitige G e h i r n t ä t i g k e i t ü b e r l a s t e t e n O r g a n i s m u s d u r c h geeignete k ö r p e r l i c h e B e t ä t i g u n g , n a c h einer B e t ä t i g u n g , die d e m K ö r p e r d a s n ö t i g e M a ß v o n B e w e g u n g u n d Ü b u n g in freier L u f t g e w ä h r t , d e r e n er zu seiner h a r m o n i s c h e n u n d organisch g l e i c h m ä ß i g e n A u s b i l d u n g bedarf. Einer der b e d e u t e n d e r e n n e u e r e n P ä d a g o g e n , die f ü r Spiel u n d S p o r t e i n g e t r e t e n sind, Dr. P a u l s e n , s a g t : „ D i e N a t u r d a c h t e , als sie den menschlichen Leib bildete, n i c h t d a r a n , ein s i t z e n d e s , lesendes u n d schreibendes W e s e n zu bilden, s o n d e r n ein G e s c h ö p f , das d r a u ß e n an den Dingen m i t H ä n d e n u n d F ü ß e n sich b e t ä t i g e n soll." Z u r E n t k r ä f t u n g des E i n w a n d s , d a ß n a c h geistiger A r b e i t die R u h e die alleinige E r h o l u n g sei, mögen n o c h die W o r t e des P r o f e s s o r s R . Z a n d e r a n g e f ü h r t s e i n : „ D i e E r f a h r u n g des täglichen L e b e n s l e h r t , d a ß e n t s p r e c h e n d e K ö r p e r ü b u n g f ü r die meisten M e n s c h e n eine Quelle der E r h o l u n g n a c h d e r T a g e s a r b e i t i s t . " Der E i n f l u ß der L e i b e s ü b u n g e n u n d des S p o r t s auf die Ges u n d h e i t liegt in der S t ä r k u n g v o n H e r z u n d M u s k u l a t u r . Die Muskeln v e r b r a u c h e n ungleich größere M e n g e n B l u t , u m die v e r l a n g t e A r b e i t zu leisten; das Herz m u ß ihnen diese Mengen z u f ü h r e n u n d wird d a d u r c h e r h ö h t b e a n s p r u c h t . Die f r i s c h e L u f t w i r k t g ü n s t i g auf die L u n g e und die H a u t a t m u n g , die d u r c h
4. Bedeutung von Spiel und Sport fUr die Gesundheit.
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Arbeit gleichfalls zu erhöhter Tätigkeit angeregt werden. Die ges a m t e B l u t b e w e g u n g wird energischer, alte u n b r a u c h b a r e Zellen w e r d e n abgestoßen, neue werden gebildet. Überschüssiges F e t t wird als Heizmaterial v e r b r a n n t und durch lebenskräftige Zellen ersetzt, kurz, der Körper wird „ r e p a r i e r t " . Die vegetativen F u n k tionen der N a h r u n g s a u f n a h m e sowie Verdauung, d i e L e i s t u n g s f ä h i g k e i t d e s g a n z e n O r g a n i s m u s wird nach erfolgter E r h o l u n g von den Anstrengungen durch die wiederholten Anf o r d e r u n g e n s y s t e m a t i s c h g e s t e i g e r t und gegen die verschiedenen auf ihn einwirkenden Einflüsse w i d e r s t a n d s f ä h i g e r gemacht. So wird, u m nur einige P u n k t e a n z u f ü h r e n , durch die erh ö h t e L u n g e n t ä t i g k e i t eine ausgiebige L ü f t u n g auch d e r j e n i g e n Lungenteile herbeigeführt, die sonst nur m a n g e l h a f t d u r c h s t r ö m t werden. Dies gilt namentlich von den Lungenspitzen, w o d u r c h die A n s i e d l u n g und E n t w i c k l u n g der Tuberkelbazillen g e h e m m t wird u n d d a m i t der Tuberkulose vorgebeugt wird, derjenigen K r a n k h e i t , die in den S t ä d t e n die meisten Opfer fordert. Von a u ß e r o r d e n t l i c h e r B e d e u t u n g ist auch die Ü b u n g der S i n n e s o r g a n e , die im modernen Leben gänzlich v e r k ü m m e r n , u n d des N e r v e n s y s t e m s . Auge und Ohr werden durch die meisten Sporte g e s c h ä r f t ; die Beherrschung des N e r v e n s y s t e m s wird m ä c h t i g gefördert. Der Kurzsichtigkeit, die in den Schulen durch das viele Nahesehen gezüchtet wird, wird durch die Bewegungsspiele und S p o r t e , die ein scharfes Zusehen erfordern, k r ä f t i g entgegengewirkt. H. R a y d t erzählt, der H e a d m a s t e r von E t o n College h a b e ihm gesagt, daß gesunde K n a b e n nie kurzsichtig w ü r d e n , wenn sie nur n a c h m i t t a g s ihr Cricket oder Football spielten, r u d e r t e n , liefen und sich in freier Luft gehörig t u m m e l t e n . Die M u s k e l g y m n a s t i k , die jeder Sport verlangt, wird zur N e r v e n g y m n a s t i k , da der eigentliche Mechanismus der z u s a m m e n gesetzten Bewegungen seinen Sitz im Zentralnervensystem hat, so d a ß jede Ü b u n g der Muskelbewegung zur Ü b u n g des Zentraln e r v e n s y s t e m s wird. Muskel- und N e r v e n g y m n a s t i k bewirken die Fähigkeit, die Gliedmaßen zweckdienlich und und d e r a r t zu gebrauchen, d a ß sie in genau a b g e s t i m m t e m Einklang f ü r jede gewollte Bewegung zusammenwirken. Den äußeren A u s d r u c k dieser Fähigkeit nennen wir G e s c h i c k l i c h k e i t , die durch die Ü b u n g erreicht wird.
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1- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Die Geschicklichkeit wird nicht erreicht ohne ein ganz bes t i m m t e s Wissen der einschlägigen Verhältnisse, die sich jeder A n h ä n g e r eines S p o r t s aneignen m u ß . Dazu gehören bei den Sportspielen die Regeln, die ohne Überlegung a u t o m a t i s c h b e a c h t e t und in die e n t s p r e c h e n d e Bewegung und Tätigkeit umgesetzt werden müssen. Bei a n d e r e n Sporten sind physiologische, mechanische, physikalische, technische, naturwissenschaftliche K e n n t nisse nötig. Der g r ö ß t e Teil derselben dient auch hier d a z u , in Es wird also die physische T ä t i g k e i t u m g e s e t z t zu werden. geistige T ä t i g k e i t ein F a k t o r , diejenige der Sinnesorgane und des Nervensystems auszubilden. „Sichere und gleichmäßige B e h e r r s c h u n g des Körpers d u r c h richtige A b m e s s u n g u n d A b s t u f u n g der Bewegungen, V e r m e i d u n g u n n ü t z e r A n s t r e n g u n g u n d A n s p a n n u n g , Ausschließen überflüssiger Teilbewegungen, E i n s c h r ä n k u n g auf das jedesmal Notwendige und Zweckdienliche, anderseits a u c h schnelle Erfassung und Verw e r t u n g der Sinneseindrücke u n d schleunige U m s e t z u n g in die dem augenblicklichen Z w e c k b e d ü r f n i s entsprechenden Bewegungsa k t e , rasche und m u t v o l l e E n t s c h l i e ß u n g — alle diese f ü r Nervenund Geistesgesundheit so unendlich wertvollen Eigenschaften und Fähigkeiten werden d u r c h nichts auch nur a n n ä h e r n d in dem Maße wie durch einen, n a t ü r l i c h in vernünftigen Grenzen gehaltenen S p o r t b e t r i e b a n g e r e g t und g e f ö r d e r t . " (Prof. Dr. A. Eulenburg.) Besonders auch gegen die allgemeine verbreitete und sich gerade in den gebildeten S t ä n d e n durch den immer schwerer w e r d e n d e n K a m p f u m s Dasein gesteigerte Nervosität ist der Sport das beste Heilmittel. Eine f ü r die G e s u n d h e i t höchst bedeutungsvolle W i r k u n g des Sports in der Schule w ä h r e n d und nach der Zeit d e r P u b e r t ä t m u ß noch b e t o n t w e r d e n . Die heimlichen J u g e n d s ü n d e n , die bei schwächern Organismen eine d a u e r n d e Benachteiligung f ü r die Gesundheit zur Folge h a b e n , f i n d e n ihren Grund fast durchweg in der geistigen Ü b e r b ü r d u n g , d e m langen, u n u n t e r b r o c h e n e n Sitzen auf h a r t e n B ä n k e n und der Belastung mit häuslichen Aufgaben. N u r täglicher längerer Spiel- und Sportbetrieb, zu d e m n a m e n t l i c h auch die P a u s e n zwischen den Schulstunden b e n u t z t werden müssen, v e r m a g ein Gleichgewicht zu schaffen und d e m Übel, das die Zeit der E n t w i c k l u n g vergiftet, an seiner Wurzel zu s t e u e r n . Sie sind das allein wirksame Mittel, um die
4. Bedeutung von Spiel und Sport für die Gesundheit.
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sinnlichen Triebe e i n z u d ä m m e n u n d die e r w a c h e n d e Sinnlichkeit zu b e k ä m p f e n . D a ß allein mit s c h u l - u n d d r i l l m ä ß i g betriebenen Ü b u n g e n der Zweck der körperlichen E r t ü c h t i g u n g nicht erreicht werden k a n n , liegt auf der H a n d . Der l e h r h a f t e u n d mechanische Betrieb Gemeinsame Übungen ist eintönig, langweilig und e r m ü d e n d . können zudem nicht über das Maß dessen gesteigert werden, was die schwächsten Schüler zu leisten vermögen, da a n d e r n f a l l s diese weniger Leistungsfähigen von den Ü b u n g e n ausgeschlossen oder zu Ü b e r a n s t r e n g u n g e n von möglicherweise schädlicher Wirk u n g gezwungen w e r d e n . Auch die E i n t e i l u n g von T u r n k l a s s e n v e r m a g dem nicht a b z u h e l f e n . Der G r u n d , w a r u m j e d e A r t d e s S p o r t s jedem schulmäßigen Betrieb weit überlegen ist, ist schon allein in d e m beg r ü n d e t , was in den v o r h e r g e h e n d e n A b s c h n i t t e n a u s g e f ü h r t w u r d e . Der S p o r t t r e i b e n d e s u c h t a u s e i g e n e m W i l l e n die Leistungen u n d d a m i t die physischen A n f o r d e r u n g e n s t ä n d i g zu e r h ö h e n ; d a d u r c h erreicht er n a t u r g e m ä ß viel m e h r als der u n t e r d e m Drill handelnde. N u r s p o r t l i c h betriebene Leibesübungen erzielen eine geistige E n t s p a n n u n g , wecken und steigern die Frische des ganzen Wesens, K r a f t g e f ü h l und körperliches Behagen, Lebenslust und Lebensfreude. Dabei spielen a u c h die psychischen und moralischen W i r k u n g e n , die das physische Vermögen erhöhen, eine b e d e u t s a m e Rolle. Auf letztere wird im folgenden A b s c h n i t t näher eingegangen werden. Ich habe das gründlich an mir selbst e r f a h r e n . In der Schule, a u c h noch in der Kriegsschule, wo die Lehrer den Zweck des T u r n e n s nur im Drill sahen und es ihnen d a h e r auch unmöglich w a r , im Schüler und Untergebenen das V e r s t ä n d n i s f ü r die Bed e u t u n g der Übungen als eines A u s b i l d u n g s m i t t e l s f ü r die h a r m o nische E n t w i c k l u n g des Körpers begreiflich zu m a c h e n , erblickte ich im T u r n b e t r i e b n u r eine Quälerei. Zwar sehr gesund, aber wenig kräftig, blieb ich in meiner Klasse einer der schlechtesten T u r n e r . Erst s p ä t e r , als ich b e g a n n , verschiedene Sporte zu treiben, f ü h l t e ich die heilsame W i r k u n g auf Körper und Geist, die Freude, die in der Ü b e r w i n d u n g der körperlichen Bequemlichkeit, in der Steigerung der L e b e n s f u n k t i o n liegt. Ich habe mich nach lang d a u e r n d e n Manövern o f t gefreut, d a ß ich in dem Bewußtsein, in den der E r h o l u n g gewidmeten kurzen
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I- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Urlauben mich freiwillig wesentlich größeren A n s t r e n g u n g e n unterzogen zu h a b e n , im Gegensatz zu viel j ü n g e r e n Offizieren, die keinen Sport trieben, keine Müdigkeit e m p f a n d . J e t z t , in meinem s e c h s u n d f ü n f z i g s t e n J a h r , sind mir a n s t r e n g e n d e Eisund Felstouren sowie winterliche Hochtouren m i t Skiern noch der größte G e n u ß ; a u c h die einst besten T u r n e r meiner Klassenk a m e r a d e n sind schon seit vielen J a h r e n a u ß e r s t a n d e , derartigen oder ähnlichen körperlichen Anforderungen zu genügen. Das d a n k e ich n u r d e m U m s t ä n d e , d a ß ich zu einer Zeit, wo Sport u n d S p o r t v e r s t ä n d n i s in Deutschland noch ziemlich in den W i n d e l n lagen, e r k a n n t e , wie n u r der sportliche Betrieb eine d a u e r n d e rationelle körperliche Ausbildung und Körperpflege gewährleistet.
Zu mächtig fühlt die Jugend ihre Kraft, um deren wahres MaB nicht zu verkennen; drum spielt sie gern mit Felsenstücken Ball. E. Raupach.
W e n n der Sport einerseits das vorzüglichste Mittel zur Erzielung der G e s u n d h e i t ist und selbst bei vielen K r a n k h e i t e n bei richtiger Indikation zu einem hervorragenden Heilmittel werden k a n n , so birgt ein u n v e r n ü n f t i g e r S p o r t b e t r i e b g r o ß e G e f a h r e n in sich. N a m e n t l i c h die J u g e n d m u ß vor Ü b e r t r e i b u n g e n g e w a r n t werden, zu denen Leidenschaft, Unüberlegtheit u n d Ehrgeiz leicht v e r f ü h r e n . Die starke I n a n s p r u c h n a h m e des Herzens k a n n H e r z d e h n u n g e n zur Ursache h a b e n , die d a u e r n d werden und eine E r k r a n k u n g des Herzmuskels im Gefolge h a b e n . Wiederholt h a b e n ärztliche A u t o r i t ä t e n darauf hingewiesen, d a ß im letzten J a h r z e h n t übertriebener Sport in erschreckendem U m f a n g zu H e r z m u s k e l - I n s u f f i z i e n z f ü h r t e . Übermäßige Anstrengungen verursachen ferner E r s c h ö p f u n g s z u s t ä n d e des N e r v e n s y s t e m s ; z u n ä c h s t kommen a k u t e E r s c h ö p f u n g s z u s t ä n d e vor, die wohl die meisten Alpinisten nach langen oder schweren T o u r e n an sich selbst b e o b a c h t e t haben. Allgemeines Unbehagen und das U n v e r m ö g e n der N a h r u n g s a u f n a h m e sind die ersten Ers c h e i n u n g e n ; t r o t z aller Müdigkeit stellt sich kein Schlaf ein. Sehr häufig k o m m e n derartige E r s c h ö p f u n g s z u s t ä n d e bei d e n jenigen vor, die n a c h der angestrengten Berufsarbeit der Woche
4. Bedeutung von Spiel und Sport für die Gesundheit.
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die halbe Nacht im Eisenbahnwagen verbringen, dann eine schwere Bergtour unternehmen und nach einer zweiten durchfahrenen Nacht am Morgen wieder in den Beruf eingespannt werden. Die alpine Unfallstatistik verzeichnet mehrfach derartige Fälle, die während der Tour zu einer Katastrophe führten. Bekannt ist auch die Erscheinung des Ü b e r t r a i n i e r t s e i n s , ein Zustand der von der Erschöpfung der nervösen zentralen Apparate herkommt. Außer in den allgemeinen physischen Erschöpfungszuständen äußert er sich in einer enormen nervösen Reizbarkeit und feindseliger Gesinnung gegen die besten Freunde; man kann das bei Mannschaften, die zum Zwecke des Trainings zusammengesperrt werden und auch unter Tourenkameraden in denBergen beobachten. In vorgeschrittenem Alter, wenn die Gefäße des Körpers an Elastizität eingebüßt haben oder ihre Wandungen gar schon verkalkt sind, kann es durch den gesteigerten Blutdruck in manchen Gefäßgebieten zu Einrissen und Blutaustritt in die Organe kommen, die sich in Bluthusten oder Schlaganfällen äußern. Ein gewisses Maß von Kenntnis der Anatomie, der physiologischen Vorgänge, soweit sie durch den Sport beeinflußt werden, Kenntnis der Ernährungsphysiologie, die beim Sport eine große Rolle spielt und eine auf all diesem fußende Selbstbeobachtung sind daher bei jedem Sporttreibende vonnöten.
Es hat niht
wol getrunken,
W i e zimet daz vom wine? ime
d e r sich
biderbem man
ich w a e n e
daz
Der Tun.
und
hinket
schände
zuo
winket.
Trunk Er
diu zunge
er h o u b e t s i l n d e Walther
gleich.
übertrinket.
ime
befördert
befördert
Buhlerei
von
der
und
das Verlangen Shakespeare,
Vogelweide.
dämpft
und
sie
erschwert
Macbeth
II.
zudas 2.
Außerordentlich bedeutsam ist der direkte Einfluß des Sports auf den Genuß des A l k o h o l s und damit sein indirekter Einfluß auf die s e x u e l l e F r a g e , wenn wir die Zusammenhänge zwischen Sport und Alkohol einerseits und Alkohol und sexuelle Frage anderseits kurz untersuchen. Der Alkohol schwächt die straffe Herrschaft des Geistes über den Körper, verursacht ein zusammenhangloses, untergeordnetes Arbeiten zwischen Bewußtsein und Körperfunktionen; die anfangs angeregten Muskeln ermatten,
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Spiel und Sport als Mittel der körperlichen
Ertüchtigung.
schon kleine Mengen üben eine e r m ü d e n d e u n d einschläfernde W i r k u n g aus. Das h a t z u e r s t der Sport empirisch gelehrt, erst n a c h h e r k a m die Wissenschaft und e r b r a c h t e experimentell den Nachweis von der Schädlichkeit des Alkoholgenusses. Der Sport h a t schon ungezählte T a u s e n d e zur T e m p e r e n z bekehrt, die d u r c h ihn die schädigenden W i r k u n g e n des Alkohols erfahren h a b e n . Sein Einfluß ist n a m e n t l i c h auf die akademischen T r i n k sitten der studentischen J u g e n d , die durch viele unserer angesehensten Dichter in der Saufpoesie verherrlicht wurden, u n d a u c h diejenigen der Offizierskreise seit etwa zwei J a h r z e h n t e n ein ganz enormer und stetig steigender. Das wirkt als gutes Beispiel auch auf die sozial tieferstehenden Schichten. Zur Zeit als ich junger Offizier war, war es selbstverständlich, d a ß m a n sich bei jedem offiziellen Fest- und bei jedem Liebesmahl b e t r a n k ; n a m e n t l i c h in den kleinen Garnisonen d a c h t e niemand d a r a n sich zu scheuen, in einem Z u s t a n d , der die B e w a h r u n g des Gleichgewichts k a u m noch ermöglichte, nach Hause zu gehen und sich auf der Straße zu zeigen. Das wird jetzt n u r sehr selten und wohl nur mehr in den kleinsten Garnisonen v o r k o m m e n . In Studenten-, Offiziers- und Marinekreisen k a n n man schon seit J a h r e n ungeniert ein Glas Limonade oder selbst Wasser trinken, was f r ü h e r als eine Schande galt oder den sofortigen Verdacht einer geschlechtlichen E r k r a n k u n g wachrief. Das h a t dazu g e f ü h r t , den G r u n d s a t z der Temperenz und N ü c h t e r n h e i t in der ganzen A r m e e zu einem Gemeingut zu machen. Die K a n t i n e n f ü h r e n künstliches kohlensaures Wasser und Limonaden, die von den M a n n s c h a f t e n sehr gerne getrunken werden und der alkoholfeindliche E r f o l g des ausgedehnten L i m o n a d e k o n s u m s hat den Bierk o n s u m in den K a n t i n e n durchschnittlich auf die H ä l f t e herabgedrückt. Die Verbreitung des R a d f a h r e n s v e r a n l a ß t e auch in den Kreisen der industriellen Arbeiter und der Landbevölkerung, die schädigende Einwirkung des Alkohols zu empfinden. Man b e k o m m t im kleinsten Dorfwirtshause kohlensaures Wasser und L i m o n a d e n ; selbst auf den Bierkellern, jenen geheiligten Tempeln des Biertrinkers, wird Limonade im Maßkrug gereicht, was vor zwei J a h r z e h n t e n das ästhetische und sittliche Gefühl eines jeden Besuchers zu größter E m p ö r u n g gereizt h ä t t e . Die Einwirkung dieser Verhältnisse läßt sich erfreulicherweise an der A b n a h m e des gesamten Bierkonsums feststellen.
4. B e d e u t u n g von Spiel und Sport für die Gesundheit.
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Der verderbliche Einfluß des Alkoholgenusses auf die sexuelle Frage und damit auf die Volksgesundheit ist in seiner unberechenbaren Tragweite erst seit kürzerer Zeit, namentlich durch Professor A. Forel, völlig erforscht worden. Der Alkohol verschafft durch die Lähmung der höheren ethischen Vorstellungen und der Vernunftüberlegung dem tierischen Trieb ungehemmten Spielraum; die Folgen sind: Unbesonnene sexuelle Verbindungen, Vermehrung der venerischen Geschlechtskrankheiten, Erzeugung von Kindern mit Minderwertigen und unter schlechten Bedingungen (Blastophtorie), Tendenz, den Trieb selbst pathologisch zu gestalten (Perversitäten). Nach einer von Forel aufgestellten Statistik fanden ca. 7 5 % der geschlechtlichen Ansteckungen unter dem Einfluß des Alkohols statt, und zwar hauptsächlich nicht im Zustande der Trunkenheit, sondern dem, durch die leichte Anheiterung bewirkten gesteigerten Unternehmungslust. Die statistischen Tabellen auf der Internationalen Hygiene-Ausstellung zu Dresden im J a h r e 1911 zeigten dies mit erschreckender Deutlichkeit. Die noch immer gepflegten Trinksitten sind Ursache, daß die deutsche Studentenschaft unter allen Volksklassen prozentual das größte Kontingent der Geschlechtskranken stellt. Die schwerwiegendsten Folgen für die Nachkommenschaft hat die Erzeugung der alkoholischen Blastophtorie (Keimverderbnis), sowohl durch einmalige Berauschung wie durch Gewohnheitstrunksucht. Die akute Alkoholvergiftung, der Rausch, die Gewohnheitstrunksucht natürlich in noch höherem Grade, beeinflußt das Protoplasma der Spermatozoen; die Folge ist, daß Kinder, die in diesem Zustand gezeugt sind, bald idiotisch, bald epileptisch, bald sonst körperlich verkrüppelt oder geistig minderwertig und abnorm werden. Wenn ein Mensch infolge der Trunksucht seines Vaters idiotisch, epileptisch oder geistig minderwertig geworden ist, behält er die Tendenz, seinen Idiotismus, seine Epilepsie, seine geistige Minderwertigkeit, selbst wenn er Alkoholabstinent bleibt, auf seine Nachkommen zu übertragen, denn jene pathologischen Anlagen sind nun bereits zu erblichen pathologischen Determinanten im Keimplasma seiner Geschlechtszellen geworden. Der Student, der junge Offizier, aber auch der in geistigen, kaufmännischen und industriellen Berufen usw. Angestellte, der Fabrikarbeiter usw., der von der Arbeit, sei sie körperlicher oder geistiger Art, anstatt auf die Kneipe oder ins Wirtshaus zu gehen,
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1- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
den Sportspielplatz a u f s u c h t oder eine, wenn auch n u r k u r z e R a d t o u r u n t e r n i m m t , e n t g e h t d a d u r c h der Gefahr, im R a u s c h e vielleicht von den Reizen einer Venus vulgivaga angelockt zu werden und in wenigen Sekunden f ü r s ganze Leben seine Gesundheit aufs Spiel zu setzen. Der Verheiratete e n t g e h t der Gefahr, u n t e r d e m E i n f l u ß des Alkohols minderwertige N a c h k o m m e n zu erzeugen. J e d e r , der irgendeinen Sport t r e i b t , s c h ü t z t Gesundheit u n d K ö r p e r k r a f t in höherem Maße u n d m e i d e t deshalb die s c h w ä c h e n d e W i r k u n g stärkeren Alkoholgenusses wie a u c h die leichtsinnige V e r g e u d u n g seiner K r ä f t e in sexuellen Exzessen. Eine Begleiterscheinung der physischen und psychischen D e k a d e n z ist die P e r v e r s i t ä t . F. A v e n a r i u s definiert die Perv e r s i t ä t „als die V e r d e r b t h e i t , V e r k e h r t h e i t ü b e r h a u p t , dergestalt, d a ß dem Perversen L u s t b e r e i t e t , was d e m Gesunden U n l u s t e r r e g t " . Auf den letzten biologischen Grund z u r ü c k g e f ü h r t , heißt dies nichts Geringeres, als d a ß dem so Verirrten nicht Lust erregt, was das Leben f ö r d e r t , sondern was das Leben schädigt. Der Sport, dessen B e d i n g u n g e n , Ziele und Folge ein gesundheitsgemäßes Leben ist, w i r k t allen diesen Verirrungen an ihrer biologischen Wurzel entgegen, denn er ist nicht n u r gesundheitsf ö r d e r n d , sondern g e s u n d h e i t s v e r l a n g e n d ; er d u l d e t keine blasierten, lebensverneinenden „ H y p e r m o d e r n e n " in seinen Reihen, er s c h ü t z t vor dem f r ü h z e i t i g e n Alter des gesunden E m p f i n d e n s und der E n t n e r v u n g , die den Boden f ü r perverse Neigungen bilden. Ein a u ß e r o r d e n t l i c h lehrreiches Beispiel w u r d e mir erst kürzlich von einem A r z t e mitgeteilt. Eine im Schwarzwald liegende Gemeinde b e s t e h t a u s m e h r e r e n z u s a m m e n h ä n g e n d e n Dörfern, die sich an der ansteigenden S t r a ß e eine W e g s t u n d e a u s d e h n e n . F r ü h e r folgten sich die W i r t s h ä u s e r in reichlicher A n z a h l ; wer in einem weiter e n t f e r n t e n H a u s e etwas zu tun h a t t e oder wer in die nicht weit e n t f e r n t e S t a d t ging, kehrte wiederholt ein und t r a n k da ein Glas Bier, d o r t ein Glas Schnaps. Die T r u n k s u c h t war infolge dieser Gewohnheit allgemein und die Anzahl idiotischer, epileptischer u n d geistig minderwertiger Kinder sehr bedeutend. Als das Niederrad a u f k a m , begann ein sehr großer Teil der Bev ö l k e r u n g R a d zu f a h r e n ; da das Fahren von dem niedriger gelegenen nach den höhern Teilen der Gemeinde, noch mehr die R ü c k f a h r t von der S t a d t erhebliche A n s t r e n g u n g erfordert, so
5. Die Bedeutung des Sports für die Erziehung.
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b e o b a c h t e t e n die Leute sehr bald, d a ß sie schon n a c h geringerem Alkoholgenusse nicht m e h r i m s t a n d e w a r e n , die Steigung zu f a h r e n und gezwungen w a r e n , ihr R a d zu schieben. Das f ü h r t e zu einer steigenden A b n a h m e des A l k o h o l k o n s u m s u n d der Anzahl d e r W i r t s h ä u s e r . Der günstige E i n f l u ß auf die N a c h k o m m e n s c h a f t w a r ein ganz enormer und j e t z t , n a c h d e m e t w a zwanzig J a h r e seit E i n f ü h r u n g des F a h r r a d s als allgemeines Verkehrsmittel in der Gemeinde verflossen sind, sieht m a n n u r m e h r gesunde Kinder. Der A l k o h o l ist der g r ö ß t e Feind der Rassenh y g i e n e ; der Sport als A n t i p o d e des A l k o h o l s folglich einer der w i c h t i g s t e n F a k t o r e n f ü r die V o l k s g e s u n d h e i t .
5. Die Bedeutung des Sports für die Erziehung. Die erste Regel der E r z i e h u n g ist d i e : Die Erziehung soll die Willenskraft z u r T ä t i g k e i t veranlassen. Lingenthal.
Die erzieherische W i r k u n g des Sports ist in erster Linie in der F o r d e r u n g und Ausbildung d e r j e n i g e n C h a r a k t e r e i g e n s c h a f t e n b e g r ü n d e t , die wir bei der B e g r i f f s b e s t i m m u n g des S p o r t s als dessen Kennzeichen festgestellt h a b e n . Zu diesen E i g e n s c h a f t e n , M u t und K r a f t , k o m m e n noch A u s d a u e r , Geduld, Geistesgegenw a r t und Schnelligkeit des Entschlusses, K a m e r a d s c h a f t , R i t t e r lichkeit, Rechtsgefühl und U n t e r o r d n u n g . Auch zur E r l a n g u n g der Geschicklichkeit, der Technik, bedarf es eines großen Maßes von Willensenergie, S e l b s t ü b e r w i n d u n g u n d Selbstzucht. Der Sport verlangt M u t , denn ohne G e f a h r gibt es keinen Sport, wenn a u c h das Maß des Mutes o f t ein bescheidenes ist. Selbst bei den jugendlichen eBwegungsspielen k a n n sich das Kind „wehe t u n " , fallen, eine Beule schlagen u. dgl. Auch hier kann m a n schon beobachten, ob ein Kind Mut zeigt, ob es f u r c h t s a m ist, u n d wie der Spieltrieb, mit den m u t i g e r e n Kindern „ m i t z u t u n " und nicht als Feigling d a z u s t e h e n , erzieherisch w i r k t . Ich h a b e erst im verflossenen W i n t e r dem Rodeln der K i n d e r am Monopteros im Englischen Garten zugesehen. Es ist ein nur etwa 20 Meter hoher, aber steiler Hügel, an d e m sich ausschließlich Kinder bis ungefähr zehn J a h r e n t u m m e l n . Für die ganz kleinen, es
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waren solche von 5 u n d 6 J a h r e n d a r u n t e r , b e d e u t e t es a n f a n g s doch eine gewisse M u t p r o b e . Es war ä u ß e r s t u n t e r h a l t e n d u n d belehrend, wie viele zuerst die weniger steilen Stellen a u f s u c h t e n u n d wie d a n n der M u t w u c h s und sie es a u c h an den steilsten Stellen den älteren n a c h m a c h t e n , gleichgültig ob die Rodel u m warf. D a n n w u r d e es eben solange v e r s u c h t , bis es gelang. Die p a a r F u r c h t s a m e n w u r d e n ausgelacht u n d ü b e r w a n d e n endlich auch ihre Scheu. Die g y m n a s t i s c h e n S p o r t e e r f o r d e r n Mut, d e n n irgendwelche Zufälligkeiten k ö n n e n zur Ursache von Verletzungen, A r m - und B e i n b r ü c h e n , w e r d e n ; beim R e n n - u n d J a g d r e i t e n , beim S c h l i t t s c h u h l a u f e n u n d Rodeln, beim Segeln und Bergsteigen setzt der Mensch o f t b e w u ß t sein Leben ein. Selbst bei einer harmlosen T r e i b j a g d riskiert er, von einem guten F r e u n d e eine L a d u n g Schrot in den Leib zu erhalten. Bei m a n c h e n Sporten liegt die Gefahr in den Z u s t ä n d e n oder K r a f t ä u ß e r u n g e n der leblosen N a t u r , bei anderen in den L e b e n s ä u ß e r u n g e n der Tierwelt, bei wieder anderen in der T ä t i g k e i t des menschlichen Gegners; mit den meisten sind zugleich auch s u b j e k t i v e Gefahren v e r b u n d e n , die in der nicht genügend ausgebildeten und g e ü b t e n Geschicklichkeit, der Technik des Sports, ihren G r u n d h a b e n . Z u m Sport gehört K r a f t ; auch diese ist verschieden nach der Art des Sports. Manche S p o r t a r t e n verlangen auf kürzere Zeit b e d e u t e n d e A n s p a n n u n g der K ö r p e r k r a f t , wie Schwimmsport, R u d e r s p o r t , die g y m n a s t i s c h e n Sporte. Andere erfordern Dauerleistungen, wie das W a n d e r n , R a d f a h r e n , das Bergsteigen; letzterer verlangt u n t e r U m s t ä n d e n beides in sehr erheblichem Umfang. Auch A u s d a u e r und G e d u l d f o r d e r t der Sport, Eigens c h a f t e n , die im heutigen Arbeitsleben des Menschen, das f ü r den geistig Arbeitenden physische K r a f t a n s t r e n g u n g e n ganz ausschließt und sie a u c h infolge der F o r t s c h r i t t e der Maschinentechnik bei der a r b e i t e n d e n B e v ö l k e r u n g wesentlich verringert h a t , fast verlorengehen. „ W e r Geduld sagt, sagt Mut, Ausdauer, K r a f t " (Marie von E b n e r - E s c h e n b a c h ) ; die S t ä h l u n g der Geduld ist deshalb besonders hoch anzuschlagen. Das W o r t „es geht n i c h t " h a t im Leben des S p o r t s m a n n s k a u m einen R a u m ; etwas mehr geht immer noch, wenn m a n m i t Lust u n d Liebe, Leib und Seele dabei ist. J e d e Niederlage s p o r n t n u r an, durch erhöhten Energiea u f w a n d den Erfolg zu erringen.
5. Die Bedeutung des Sports für die Erziehung.
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Sehr wichtige moralische Q u a l i t ä t e n , die der Sport v e r l a n g t , sind Geistesgegenwart und Schnelligkeit des Entschlusses. Sie k o m m e n schon bei den g y m n a s t i s c h e n u n d R a s e n s p o r t e n zum A u s d r u c k ; in noch viel h ö h e r e m Maße aber bei allen denjenigen Sporten, bei denen der Gegner die e l e m e n t a r e n Gewalten sind. Beim Segelsport, d e m Skilauf, d e m alpinen Sport h a n d e l t es sich oft d a r u m , gleichsam a u t o m a t i s c h mit größter Schnelligkeit auf überraschend e i n t r e t e n d e Ä n d e r u n g e n der Verhältnisse zu reagieren u n d richtig und z w e c k m ä ß i g zu h a n d e l n , u m K a t a s t r o p h e n zu v e r m e i d e n . Zur E r l a n g u n g der f ü r die erfolgreiche A u s ü b u n g eines Sports erforderlichen Geschicklichkeit, der Technik, bedarf es eines großen Maßes von W i l l e n s e n e r g i e und S e l b s t ü b e r w i n d u n g . Es sei nur d a r a n erinnert, welcher A u f w a n d dieser E i g e n s c h a f t e n bei E r l e r n u n g einer schwierigen g y m n a s t i s c h e n G e r ä t ü b u n g , des Bogenfahrens beim Skilauf in steilem Gelände, der Ü b e r w i n d u n g einer gefährlichen und technisch schweren Stelle bei Eis- u n d Felstouren, beim T r a i n i n g f ü r sportliche W e t t k ä m p f e erfordert werden. Der Sport ist eine Schule der K a m e r a d s c h a f t . Nirgends lernt man sich besser kennen als auf dem Spiel- und S p o r t p l a t z , beim gemeinsamen R u d e r n , W a n d e r n und Bergsteigen. Die gemeinsam erlebten E i n d r ü c k e , die gemeinsame Arbeit und gegenseitige Hilfeleistung, die gemeinsam b e k ä m p f t e n u n d ü b e r s t a n d e n e n Gefahren sind geeignet, den G r u n d zur K a m e r a d s c h a f t , zur festesten F r e u n d s c h a f t zu legen. N a m e n t l i c h die Gefahr k n ü p f t z u s a m m e n , wie zahlreiche Beispiele aus der Geschichte der Hochtouristik beweisen. Die Verletzung der f ü r Spiel und Sport gültigen Regeln, sei es unabsichtlich oder gar absichtlich, verletzt das R e c h t s g e f ü h l ; das gemeinsame Streben mehrerer nach dem gleichen Ziel weckt in dem einzelnen das V e r a n t w o r t l i c h k e i t s g e f ü h l und die U n t e r o r d n u n g gegenüber der G e s a m t h e i t . „Ohne pflichtgemäßes Handeln, ohne O r d n u n g , o h n e T r e u e und U n t e r o r d n u n g der Selbstsucht u n t e r das Interesse der G e s a m t h e i t k a n n kein Wettspiel, kein gemeinsamer Sport d u r c h g e f ü h r t w e r d e n . " (H. Aschenberg.) W e n n m a n den K a m p f als einen i m m a n e n t e n F a k t o r des Sports b e t r a c h t e t , so erscheint es vielleicht unlogisch, gerade K a m e r a d s c h a f t und U n t e r o r d n u n g als n o t w e n d i g e Folgen
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anzusehen. Denn wer den K a m p f s u c h t u n d sich f ü r ihn vorbereitet, h a t das Bestreben, seine Persönlichkeit a n d e r n gegenüber durchzusetzen. Das ist also ein d u r c h a u s egoistisches Streben. Wenn der Sport t r o t z d e m die g e n a n n t e n E i g e n s c h a f t e n f ö r d e r t , so liegt dies nicht nur in dem äußerlichen U m s t a n d b e g r ü n d e t , d a ß zur Ausübung zahlreicher Sporte m e h r e r e Teilnehmer, ganze Gesellschaften und Vereine mit eigenem Vermögen u n d S t a t u t e n notwendig sind, sondern in dem B a n d , das alle diejenigen innerlich vereint, die nach gleichen Zielen s t r e b e n . O h n e W a h r h a f t i g keit, Verträglichkeit und B e k ä m p f u n g der A f f e k t e ist ein gemeinsames Spiel, das Ringen zweier P a r t e i e n , nicht möglich. Gerade die J u g e n d ist hiefür ä u ß e r s t empfindlich u n d ü b t strenge Rechtspflege; es wird hiedurch ein wertvoller G r u n d s t o c k f ü r das s p ä t e r e Leben gelegt. Die Pflege und A u s b i l d u n g der eben g e n a n n t e n Eigenschaften findet ihren schönsten A u s d r u c k in der R i t t e r lichkeit. „ F a i r p l a y " m u ß bei jedem Spiel und Sport oberstes Gesetz sein. Es ist das einer der hervorstechendsten Züge im englischen Sportbetrieb. Auf dem S p o r t p l a t z herrscht d o r t ein ebenso starker W e t t k a m p f , sich in Ritterlichkeit zu ü b e r t r e f f e n wie an körperlicher G e w a n d t h e i t . A. v. Antropoff f ü h r t zu diesem T h e m a a u s : Ein Streit u m einen P u n k t im Tennis oder ein Verlangen nach demselben, wenn der Gegner sich versehen h a t , ist überhaupt undenkbar. Lieber zählt m a n zehn Bälle wissentlich falsch zugunsten des Gegners als einen etwas zweifelhaften zu eigenen Gunsten. Auch der kleinste Streit w ü r d e jeden gesellschaftlich unmöglich machen. Jederzeit ist m a n z u m Vorschlag bereit, einen Ball nicht zu zählen, wenn m a n g l a u b t , d a ß irgendein zum Wesen des Spiels gehöriges Pech den Gegner u m den Ball gebracht hat. Ganz v e r p ö n t ist es, eine Freude d a r ü b e r zu zeigen, d a ß man seinen Gegner besiegt. Nach diesen G r u n d s ä t z e n wird auch bei anderen Sporten v e r f a h r e n . F. Kemeny, der das amerikanische Erziehungswesen studierte, schreibt u . a . d a r ü b e r : „Sowohl in den Schulen wie in den Vereinen wird innerhalb der K ö r p e r k u l t u r ein großes Gewicht auf die moralischen und sittlichen F a k t o r e n gelegt. Der aus Selbstzucht und U n t e r o r d n u n g quellende Gehorsam, die Pflege k a m e r a d s c h a f t licher Tugenden und die Wahrheitsliebe haben die edle Spielweise (fair play) zur Folge und u m g e k e h r t . "
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5. Die Bedeutung des Sports für die Erziehung.
Man w e n d e nicht ein, es sei u n a n g e b r a c h t , diese Beispiele n a c h den E r f a h r u n g e n des Krieges a n z u f ü h r e n . Engländer und A m e r i k a n e r sind als Einzelindividuen im gesellschaftlichen Verkehr grundsätzlich a n d e r e Menschen, wie in Politik und im wirts c h a f t l i c h e n Leben.
Charaktervolle, sich selbst beherrschende, frei das Cute und Rechte wollende Menschen bilden, das ist die höchste Aufgabe der Erziehung. F.Paulsen. Der C h a r a k t e r ist der größte Multiplikator menschlicher Fähigkeiten. Kuno Fischer.
Es ist ohne weiteres einleuchtend, d a ß eine Betätigung, die besondere moralische Eigenschaften verlangt und fördert, den ganzen C h a r a k t e r bildet und veredelt. Der Sport weckt die K r a f t des menschlichen Wiilens über sich selbst, er erzieht zur Selbstü b e r w i n d u n g im E r t r a g e n alles dessen, was an Anstrengungen, E n t b e h r u n g e n , u n t e r U m s t ä n d e n auch von direkten körperlichen Schmerzen begleitet, als körperlich u n b e q u e m e m p f u n d e n w i r d ; zu e r h ö h t e r Selbständigkeit des Individuums und e r h ö h t e m Selbstbewußtsein d u r c h E r l a n g u n g von Eigenschaften, die den T r ä g e r über das gewöhnliche Niveau hinausheben, v e r b u n d e n mit freiwilliger U n t e r o r d n u n g gegen die Regeln — kurz, er erweckt in uns das Streben nach E r l a n g u n g der stoischen T u g e n d e n — deren P r o d u k t wir mit M a n n h a f t i g k e i t bezeichnen können. Man k a n n mit vollem Recht sagen: D e r S p o r t i s t eine v o r z ü g l i c h e Schule zur A u s b i l d u n g der Persönlichkeit, zur E r l a n g u n g der Mannhaftigkeit. In E n g l a n d , dem klassischen Lande des Sports, hält man Spiel u n d Sport schon lange f ü r die beste Schule der Charakterbildung; „auf dem Spiel- und Sportplatz erwirbt der Engländer jene K l a r h e i t , N e r v e n r u h e , Willenskraft, C h a r a k t e r s t ä r k e und Zähigkeit, wodurch sich die angelsächsische Rasse so vorteilhaft und erfolgreich a u s z e i c h n e t " (H. Aschenberg). Nur dieser Geist ermöglichte es, aus der insularen Bevölkerung, die bis jetzt ihre Kriege f a s t ausschließlich n u r durch andere f ü h r e n ließ, in kürzester Zeit, m a n k ö n n t e sagen im H a n d u m d r e h e n , ein Volk in Waffen zu werden. Das m u ß m a n t auf Grund der Kriegserfahrungen S t e i n i t z c r , Körperliche E r t ü c h t i g u n g .
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u n d t r o t z der „ B a r a l o n g - E n g l ä n d e r " rückhaltlos anerkennen, u m zu lernen wo die W u r z e l n ihrer K r a f t sind und es ihnen da n a c h t u n , wo wir unsere K r a f t s t ä r k e n können. *
Ich kenne keine A u t o r i t ä t , n u r G r ü n d e .
Bismarek.
Selbstvertrauen und S e l b s t b e w u ß t s e i n haben ihre s t ä r k s t e Basis in der L e b e n s k r a f t eines harmonisch ausgebildeten Körpers, in dem Gefühl, die Eigenschaften zu besitzen, die d u r c h den Sport anerzogen werden, in d e m Bewußtsein der M a n n h a f t i g keit. „ E s wird gut sein, der J u g e n d , wenn sie in die J ü n g l i n g s j a h r e t r i t t , zu sagen, d a ß alle großen geistigen u n d moralischen Erfolge ein s t a r k e s S e l b s t v e r t r a u e n u n d d a m i t v e r b u n d e n e n Mangel an A u t o r i t ä t s g e f ü h l v o r a u s s e t z e n . " (L. Gurlitt.) Die F o r d e r u n g , d a ß dem Älteren, dem Vorgesetzten a priori eine u n b e d i n g t e A u t o r i t ä t über den jüngeren „ N a c h g e o r d n e t e n " z u k o m m t , die sich nicht n u r auf den in Familie, Schule und S t a a t gewiß notwendigen Gehorsam, sondern auf das ganze Denken und Fühlen e r s t r e c k t , ist nichts als eine S c h u t z m a ß n a h m e , die sich die ersteren e r d a c h t haben, u m sich die H e r r s c h a f t zu sichern, auch wenn sie schon senil und u n b r a u c h b a r geworden sind. Sie enthebt d a v o n , innerlich zu überzeugen, sie verneint die Berechtig u n g f ü r den J ü n g e r n u n d Untergebenen, selbständig zu d e n k e n , und auch das Gebot, das Alter zu ehren, ist nichts als eine solche S c h u t z m a ß r e g e l . Alt wird jeder, der's e r l e b t ; E h r e verdient nur die erworbene Weisheit, die höhere Lebenserfahrung, der P e r s ö n l i c h k e i t s w e r t . Dieser allein verdient A u t o r i t ä t u n d w e c k t sie a u t o m a t i s c h ; er ist mit den „ G r ü n d e n " gemeint, die Bismarck v e r l a n g t . W o er fehlt, v e r d i e n t das Alter im Gegenteil M i ß a c h t u n g , weil es das Leben u n g e n u t z t vorübergehen ließ, seine Lehren vergeudet h a t . Die F o r d e r u n g der A u t o r i t ä t a priori dient n u r dem S c h w a c h e n ; a b e r „was dem Schwachen dient, ist auch von den Schwachen e r f u n d e n , das geht von ihnen aus. Zu ihrem Nutzen sind diese Lehren e r f u n d e n , zum Schutz vor den S t a r k e n , zur E n t k r ä f t u n g der Starken. Die sollen sein wie sie. Die Schwachen wollen geschont sein; das ist die W a h r h e i t , das Geheimnis dieser L e h r e n " . (Nietzsche.)
5. Die Bedeutung des Sports für die Erziehung.
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Die Forderung unbedingter Autorität setzt an Stelle der Überzeugung den Zwang, sie f ü h r t schließlich zur Tyrannei. Fanny Lewald erzählt in ihrer Lebensgeschichte folgenden Vorfall: Sie war mit jungem pochenden Herzen auf einem ihrer ersten Bälle. Da erscheint ihr Hausdiener mit dem Befehl des Vaters, das Fräulein möchte gleich zurückkommen. Was ist geschehen? Sie stürzt in das Ist jemand e r k r a n k t ? Was bedeutet d a s ? Zimmer ihres Vaters. Der sitzt gelassen da und empfängt sie mit den Worten: „ F a n n y , Du hast die Türe offen gelassen, bitte mache sie zu." Ein anscheinend bedeutungsloser Vorfall, der aber die ganze Lieblosigkeit, den Despotismus und die Mißachtung der „untergebenen" Persönlichkeit zeigt, der mit der Beanspruchung der vielgepriesenen unbedingten Autorität organisch verbunden ist. „Aus Männern mit eigenen Gedanken, eigenem Wollen werden Handlanger eines höheren Willens. Das Staatsgefühl geht zurück und mit ihm, trotz aller hohen und festen Worte, die innerliche Achtung vor dem S t a a t " schreibt der Hannoversche Kurier im Jahre 1906. Seither ist es um nichts besser geworden. Die Forderung der Autorität seitens der Oberen, der Mangel an Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein der Nachgeordneten, ist eine der Hauptquellen unserer innerpolitischen Misere, unserer wohl allerseits als unfähig erkannten Diplomatie geworden. Ob das W o r t : „Freie Bahn dem Tüchtigen" zur Tat wird, muß vorerst zweifelnd abgewartet werden; es ist schon bezeichnend, daß man etwas so selbstverständliches als neues Evangelium ansieht. Das naturnotwendige Korrelat zu Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein ist die S e l b s t z u c h t , die, wie schon früher ausgeführt, gleichfalls durch den Sport gefördert wird. „ I m S p i e l e l e r n t d a s K i n d a l l e s , w a s es s p ä t e r a l s S t a a t s b ü r g e r im D i e n s t e d e r A l l g e m e i n h e i t n ö t i g h a t . Es lernt da zunächst Unterordnung unter ein Gesetz, das es sich selbst geschaffen hat, dessen Berechtigung es tief empfindet, dem zu dienen Freude ist; es lernt persönliche Tüchtigkeit, Mut, Ertragung von Anstrengungen und Schmerzen, Gewandtheit und Ausdauer, Ehrlichkeit und rasches Handeln an andern bewundern und seine Kräfte nach solchen hohen Idealen lenken und strecken; es lernt den Störenfried mißachten, der den Gang des Spieles aufhält oder sich durch versteckte Mittel Vorteile schaffen will; kurz, was nur Gutes an Persönlichkeit in dem Kinde steckt, 3*
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Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
das wird im Spiele gewaltig a u f g e r ü t t e l t und g e k r ä f t i g t , w a s Schlechtes in ihm s c h l u m m e r t , das wird so u n g e s t ü m z u r ü c k g e d r ä n g t , d a ß es schon im Keime v e r k ü m m e r n m u ß . " (L. Gurlitt.) „ I m Spiele handelt es sich um eine s e l b s t b e s t i m m t e , von der Freiheit der Entschließung und des Willens abhängige T a t , die psychologisch b e t r a c h t e t von hohem W e r t e ist. Der Trieb zur freien S e l b s t b e s t i m m u n g , dieser Quelle der Sittlichkeit, wird d u r c h das Spiel zur E n t w i c k l u n g gebracht, so d a ß später die höchste S t u f e der sittlichen Freiheit, in welcher die völlige H a r m o n i e , die Ü b e r e i n s t i m m u n g von Menschenwillen und Sittengesetz eint r i t t , erreicht werden k a n n . " (Dr. Eitner.) Das vorgesagte gilt selbstverständlich auch f ü r den S p o r t . So w e r d e n S p i e l u n d S p o r t zu d e m b e d e u t u n g s v o l l s t e n M i t t e l e c h t e r s t a a t s b ü r g e r l i c h e r E r z i e h u n g , die nicht auf A u t o r i t ä t und Zwang, sondern auf sittlicher Freiheit u n d Ausbildung der Persönlichkeit b e r u h t . Und die benötigen wir D e u t s c h e gerade jetzt mehr als jemals, wo wir am W e n d e p u n k t unseres staatlichen und politischen Lebens stehen, wo im g r ö ß t e n Bundess t a a t eine einschneidende innerpolitische Neuorientierung bevors t e h t , wo es sich um die Z u k u n f t unseres Volkes h a n d e l t .
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6. Der Sport und das weibliche Geschlecht. Unsere erste Pflicht gegen die F r a u ist, ihr solche körperliche A u s b i l d u n g u n d Ü b u n g zu s i c h e r n , w i e sie z u r B e f e s t i g u n g u n d V o l l e n d u n g i h r e r S c h ö n h e i t d i e n l i c h Ist. Ruskin.
Von der Gesundheit und Lebenskraft des weiblichen Geschlechtes hängt die Tüchtigkeit der Rasse mindestens ebenso a b als von der des Mannes. Die modernen wirtschaftlichen und Erwerbsverhältnisse u. dgl. haben eine geistige und soziale Emanzip a t i o n bedingt, die auch von der Frau eine physische Vollentwicklung f o r d e r t . Dabei ist aber zu berücksichtigen, d a ß die Frau von N a t u r aus der schwächere und weniger w i d e r s t a n d s f ä h i g e Teil ist, und deshalb an ihren Lebensqualitäten leichter Schaden n i m m t als der Mann. Aus diesen Gründen h a t sich einerseits das Be-
6. Der Sport und das weibliche Geschlecht.
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d ü r f n i s nach sportlicher B e t ä t i g u n g auch bei der F r a u als eine elementare F o r d e r u n g geltend gemacht, anderseits m u ß der sportliche Betrieb der psychischen und physischen Besonderheit des schwachen Geschlechts R e c h n u n g tragen. Die philiströse A n s i c h t : . „ D i e Frau gehört ins H a u s " , ist in D e u t s c h l a n d noch vielfach v e r b r e i t e t ; das g e r ü h m t e Schlagwort: „ D i e Frau ist die beste, von der m a n a m wenigsten s p r i c h t " , m ü ß t e k o n s e q u e n t dazu f ü h r e n , die Frau einzusperren. Obwohl alles in den vorhergehend gesagten Abschnitten cum grano salis auch f ü r die F r a u gilt, erscheint es notwendig, angesichts der vielen Vorurteile, die der sportlichen Bewegung der Frauen noch gegenüberstehen, diese Frage gesondert kurz zu beleuchten. Für die Frau sind die durch die moderne Zivilisation u n d K u l t u r geschaffenen naturwidrigen Verhältnisse vielleicht weniger f ü h l b a r wie f ü r den M a n n ; aber d a r u m f ü r ihre körperliche E n t wicklung um nichts weniger schädlich. Die Germanen v e r t r a u t e n den Frauen die Verteidigung ihrer W a g e n b u r g e n an, wenn V ä t e r , G a t t e n und Söhne zur Schlacht zogen und noch zur Zeit des Deutschen Ordens schlugen gefangene Kolonistenfrauen ihre W a c h e n tot und b a h n t e n sich den W e g zur Freiheit. E r s t der F r a u e n k u l t u s der Ritterzeit f ü h r t e dazu, die Frau als Luxusgegens t a n d anzusehen u n d sie als solchen sorgfältig zu b e w a h r e n . E t w a s Trübseligeres und Abgeschnürteres als das Leben der m i t t e l a l t e r lichen Burg- und B ü r g e r f r a u e n läßt sich k a u m vorstellen. In der galanten Zeit m u ß t e die E r h ö h u n g der Reize durch e r b o r g t e Mittel von a u ß e n kommen, durch den Schnitt der G e w ä n d e r , der Schuhe, den A u f b a u des K o p f p u t z e s , durch Schminken u n d Salben. Die wechselnde Mode verlor jedes Verständnis f ü r hygienische A n f o r d e r u n g e n , u n d die T r a c h t wurde zu einem w a h r e n Martyrium. Dann kam die schon e r w ä h n t e Parole: „ D i e Frau gehört ins H a u s . " Seit langen J a h r h u n d e r t e n h a t t e m a n vergessen, d a ß auch f ü r die Frau d i e G e s u n d h e i t d i e b e s t e K ö r p e r k u l t u r ist. Die jungen Mädchen u n d die Frauen jubelten, als ihnen der Sport eine Befreiung von dem spießbürgerlichen blöden Z w a n g verhieß. Die in geistigen Berufen stehenden Mädchen oder F r a u e n benötigen körperliche E n t l a s t u n g von der Geistesarbeit ebenso wie der Mann. Die arbeitende Frau ist körperlich ebenso einseitig beschäftigt wie der M a n n ; die H a u s f r a u der w o h l h a b e n -
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deren Stände ist nicht einmal im Haushalt zu wechselnder Tätigkeit und Inanspruchnahme ihrer Kräfte und Beweglichkeit gezwungen, denn die gesamte Haushaltungstätigkeit wird ihr von Dienstboten abgenommen. Die Entfernung von der Natur lastet auf der Frau ebenso wie auf dem Manne; sie bedarf deren Rückwirkung auf das Gemüt, auf das seelische Empfinden. Die sportliche Bewegung m u ß t e daher auch die Frau ergreifen, der Sport wurde auch für sie zu einer notwendigen biologischen Reaktionserscheinung. Die Frau ist ihrer Natur nach nicht zum Kampf geschaffen, der Schwerpunkt der Bedeutung des Sportes liegt für sie naturgemäß nach der hygienischen Richtung hin, namentlich als künftige oder seiende Mutter. Wenn ein Schriftsteller, der über den Sport sonst recht Gutes geschrieben hat, sagt, daß die Beliebtheit des Tennis weniger von den Töchtern als von den Müttern herrührt, die in den Tennisplätzen eine willkommene Ausdehnung des Heiratsmarktes erblicken, so mag darin ein Kern von Wahrheit stecken. Aber das ist kein begründeter Einwand gegen die Sache selbst. Allen Tätigkeiten liegen verschiedene und kombinierte Motive zugrunde. Wenn ein Mädchen glaubt, auf dem Tennisplatz einen Mann zu finden, so ist es jedenfalls gescheiter, sie sucht ihn dort als im Ballsaal. Für die W i r k u n g e n des Sports, und auf diese kommt es allein an, ist das Motiv ziemlich gleichgültig. Schon die ersten Sporte, die die Frau ergriff, Radfahren und Tennis, waren allein dadurch, daß sie zu einer zweckmäßigen Kleidung zwangen und die Herrschaft des Mieders brachen, für die Gesundheit von unschätzbarem Wert. Damit wurde eine durch Generationen geheiligte Vergewaltigung der Frauengestalt vollzogen, die uns binnen kurzem als unbegreiflich erschien, denn die zusammengeschnürte Wespentaille ist unserem Auge schon seit Jahren unerträglich. Allerdings tragen viele Frauen noch das Korsett, das sich unsinnig nach unten verlängert hat, aber es schnürt wenigstens den Leib nicht ab und ist deshalb viel weniger ungesund. Unter den Mädchen und jungen Frauen gibt es aber schon eine große Zahl, die gar nichts Derartiges tragen oder sich mit dem, bei stärkerer Entwicklung des Busens aus ästhetischen Rücksichten notwendigen Büstenhalter begnügen. Die ebenmäßige natürliche Gestalt und die ungezwungene freie Bewegung läßt dies auf den ersten Blick erkennen.
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Durch den Wegfall des Schnürens ist der Blutumlauf nicht m e h r u n t e r b u n d e n und d a m i t die H a u p t q u e l l e f ü r die zahlreichen Unterleibsstörungen beseitigt, unter denen die Frauen seit J a h r h u n d e r t e n leiden. Das allein ist schon ein nicht hoch genug zu b e w e r t e n d e r T r i u m p h des Sportes f ü r die weibliche Gesundheit. Aber auch a u ß e r d e m h a t der Sport das B e d ü r f n i s nach rationellerer Bekleidung gezeitigt. Die d ü n n e n Blusen m i t tief a u s g e s c h n i t t e n e m Halse haben eine Bresche in die Gewohnheit geschlagen, sich von der L u f t möglichst abzuschließen und die A u s d ü n s t u n g , die den K ö r p e r von vielen Selbstgiften reinigt, zu u n t e r d r ü c k e n . Damit ist eine der größten Gefahren f ü r E r k ä l t u n g s k r a n k h e i t e n u n d T u b e r k u l o s e beseitigt worden. D a ß die körperlichen Ü b u n g e n u n d Sporte, soweit sie f ü r den weiblichen Organismus geeignet sind, das Aussetzen in freier L u f t , Sonnenschein, Hitze und K ä l t e o h n e Rücksicht auf den f r ü h e r w o h l b e h ü t e t e n Teint u. dgl., die gleichen gesundheitlichen Vorteile bringen wie f ü r den Mann, bedarf keiner weiteren E r ö r t e r u n g ; f ü r die Unterleibsorgane und gewisse sexuelle F u n k t i o n e n sind sie in noch h ö h e r e m Maße w i c h t i g ; rationelle Gesundheitspflege ist Vorbedingung zur E r f ü l l u n g der höchsten fraulichen Aufgaben, der M u t t e r s c h a f t u n d der m ü t t e r lichen E r n ä h r u n g . Vor Übertreibungen des Sports hat sich das weibliche Geschlecht infolge der von N a t u r aus geringeren W i d e r s t a n d s k r a f t des ganzen Organismus und der höheren E m p f i n d l i c h k e i t der Unterleibsorgane sorgfältig zu h ü t e n . Ganz falsch ist das Bestreben, das eine Zeitlang im Vordergrund s t a n d , die Gestalt der männlichen möglichst gleichzumachen und die weichen F o r m e n des Busens und der H ü f t e n f o r t z u t r a i n i e r e n . Der Sport soll den Körper harmonisch gestalten innerhalb des klassischen Schönheitsideals des „ e c h t e n " Weibes; dann wird er ihm auch Gesundheit geben. Wir sehen h e u t z u t a g e unter dem Einfluß des Sports zahlreiche F r a u e n , auch in vorgerückten J a h r e n , die sich körperliche Elastizität und eine gewisse Schlankheit bewahrt haben und sich noch rührig und rüstig zeigen. „ S c h ö n h e i t ist durch sich selbst gebändigte K r a f t , Bes c h r ä n k u n g aus K r a f t " , sagt Schiller; diese K r a f t gibt a b e r der Sport. Er e n t r e i ß t der Frau nicht A p h r o d i t e n s goldenen Gürtel, sondern er s c h m ü c k t sie im Gegenteil mit neuen Reizen und erhält sie, selbst wenn der Mai des Lebens schon lange vorüber ist.
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Spiel und Sport als Mittel der körperlichen
Ertüchtigung.
Mit A u s n a h m e der athletischen Sporte, des Fußballs u n d des Segeins, die die natürliche K r a f t der Frau übersteigen u n d , von ihr v e r s u c h t , unästhetisch u n d unnatürlich wirken würden, sind alle Sporte f ü r die Frau geeignet, wobei nur vorausgesetzt werden m u ß , d a ß sie in einem dem schwächeren u n d empfindlicheren weiblichen Organismus entsprechend a n g e p a ß t e n Maße betrieben werden. Das letztere schließt schon in sich, d a ß der R e k o r d sport, der schärfere W e t t k a m p f , f ü r die Frau nicht in B e t r a c h t k o m m e n kann.
7. Der Sport im Verhältnis der Geschlechter. Körperliche T ü c h t i g k e i t und geistige Elastizität der A m e r i k a n e r sind v o r allem einer auf wissenschaftlicher G r u n d l a g e fuBenden rationellen körperlichen E r z i e h u n g zuzuschreiben, vermöge welcher wieder gesunde K i n d e r zu gesunden E l t e r n h e r a n w a c h s e n und diese wieder solche N a c h k o m m e n erzeugen. L. Gurlitt.
Der Sport hat in den höheren sozialen Schichten das V e r h ä l t nis der Geschlechter neuorientiert, indem er die Stellung der F r a u v e r ä n d e r t e . Er verlieh auch der Frau Mut, K r a f t , G e w a n d t h e i t , E n t s c h l u ß f ä h i g k e i t , Selbstbewußtsein; er gab ihr jene Eigenschaften, die m a n seit J a h r h u n d e r t e n als den ausschließlichen Besitz des Mannes ansah und die der Frau, soferne sie dieselbe einmal ausnahmsweise besaß, den Vorwurf des Mannweibs eintrugen. Die Bewegungsfreiheit in der N a t u r eröffnete der Frau eine neue Welt f ü r ihr körperliches und seelisches G e h a b e n ; er gab den Mädchen Freiheiten und Selbständigkeiten, um die sie f r ü h e r aussichtslos gegen Eltern und Brüder k ä m p f e n m u ß t e n . Er m a c h t e die F r a u frei von dem Zwang vieler eigener Vorurteile und von dem der andern. Er h a t die Mädchen davon abgelenkt, ausschließlich daran zu denken, ob sie bald u n t e r die H a u b e k o m m e n und denjenigen, die nicht heiraten, eine Freiheit der Persönlichkeit gegeben, die sie f r ü h e r nicht einmal in der E h e besaßen. Er brach die Herrs c h a f t der Prüderie, jenes willkürlichen, künstlichen, rein konventionellen und deshalb verlogenen Anstandsgefühls, das sich auf Mode und Vorurteil, a n s t a t t auf das sittliche E m p f i n d e n g r ü n d e t .
7. Der Sport im Verhältnis der Geschlechter.
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Noch vor wenigen J a h r z e h n t e n m u ß t e sich die a u f s i c h t f ü h r e n d e Mama die Füße erfrieren, d a m i t das T ö c h t e r c h e n Schlitts c h u h l a u f e n k o n n t e ; heute findet man es selbstverständlich, wenn eine junge D a m e zum Tennisplatz radelt, wo sie u n b e a u f s i c h t i g t m i t jungen Leuten z u s a m m e n t r i f f t und vielleicht erst s p ä t a b e n d s h e i m k e h r t ; sie f ä h r t mit einem männlichen Begleiter Ski, r a d e l t , u n t e r n i m m t wohl auch mehrtägige Bergtouren, ohne d a ß j e m a n d , abgesehen von ganz u n v e r n ü n f t i g Gebliebenen, d a r a n A n s t o ß n i m m t . Eine Amerikanerin sagte mir einmal vor etwa zwanzig J a h r e n in San Martino, als ich meiner V e r w u n d e r u n g A u s d r u c k gab, d a ß ihre Tochter mit einem jungen Manne eine T o u r u n t e r n a h m , bei der sie einigemale auf U n t e r k u n f t s h ü t t e n ü b e r n a c h t e n m u ß t e , zu einer Zeit also, in der m a n bei uns an derartige Freiheit noch nicht denken k o n n t e : „ W a s wäre denn die ganze Erziehung wert, wenn ich meiner Tochter das nicht z u t r a u e n d ü r f t e ? Unseren Töchtern gegenüber wagt kein Mann, sich etwas U n gehöriges h e r a u s z u n e h m e n und wenn schon, d a n n wissen sie ihn energisch in die gehörigen Schranken zurückzuweisen." Ich h a b e d a m a l s diesen Ausspruch öfters entsetzten deutschen Gluckh e n n e n - M ü t t e r n entgegengehalten. Nun sind wir, G o t t sei's ged a n k t , ziemlich ebensoweit und zwar geschah dies ausschließlich u n t e r der Ägide des Sports. Z u n ä c h s t h a t d a d u r c h das schönere Geschlecht gewonnen, aber es h a t auch dem Manne große Vorteile gebracht. Die sportliche Gemeinsamkeit b e n i m m t beiden Geschlechtern den gefährlichen Reiz des Ungewohnten, die Grundlage der sexuellen S p a n n u n g ; sie v e r m i n d e r t schon beim Knaben den Sexualtrieb, der durch „ U n g e w o h n t e s gereizt, durch Gewohnheit a b g e s t u m p f t w i r d " (Forel). Der häufige Verkehr zwischen Knaben und Mädchen, Jünglingen und J u n g f r a u e n , Männern und Frauen am S p o r t p l a t z und in freier N a t u r zeitigt Unbefangenheit und ein k a m e r a d s c h a f t l i c h e s V e r h ä l t n i s . Ich habe mich gerade über den kameradschaftlichen Ton jedesmal gefreut, wenn ich ihn bei Skitouren oder auf der H e i m f a h r t in den Sportszügen, die mit H u n d e r t e n von jungen Leuten beiderlei Geschlechts besetzt sind, b e o b a c h t e n konnte. Er stellt himmelhoch über dem läppischen H o f m a c h e n und Süßholzraspeln meiner Jugendzeit. Die heutige J u g e n d ist, durch den Sport erzogen, derjenigen, die wir erlebten, weit überlegen. Der geänderte Verkehr bedeutet eine ganz gewaltige Ver-
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besserung der Sitten. Daß dabei auch Ausschreitungen vorkommen, sei zugegeben, aber sie verschwinden gegenüber den Vorteilen. Durch den kameradschaftlich ungezwungenen Verkehr gewinnen beide Teile ein besseres Verständnis für die Besonderheiten des anderen Geschlechts. Das kommt namentlich der Frau zugute und ich möchte hiezu auch einer Frau das Wort geben. R u t h Goetz schreibt: „Die Frau bekommt durch den einfachen und kameradschaftlichen Verkehr mit Spiel- und Sportskameraden einen tieferen Einblick in das Seelenleben eines Mannes und vieles wird ihr verständlich werden, was ihr bisher verschlossen blieb. Möglicherweise werden es die Frauen gerade durch den Sport fassen lernen, was sie niemals begreifen wollen, und was gewiß der Grund zu vielen unglücklichen Ehen geworden ist: das eine, was den Mann in seinem Liebesleben so gewaltig von der Frau unterscheidet, das eine, was die Frau dem Manne meistens persönlich übelnimmt und was doch nichts anderes ist, als eine typisch männliche Eigenschaft —, daß nämlich die Liebe in seinem Leben nur die Rolle spielt, die Arbeit, Beruf und Genuß ihr gestatten. Gerade in dieser Hinsicht wirkt der Sport Wunder auf das Seelenleben der Frau, denn er allein ist imstande, sie so gefangen zu nehmen, daß auch sie die Liebe und die Schwärmerei und die Träumerei, die damit zusammenhängt, an zweite Stelle rücken kann. Gewiß nicht zum Schaden ihrer Seele. Wird man nicht unfrei und selbstsüchtig, wenn man nur liebt und für nichts anderes mehr Neigung empfinden k a n n ? Verliert man nicht Interesse und Bildungsdrang, wenn im Vordergrunde alles Denkens der Mann steht, den man liebt oder gar der, den man erst s u c h t ? . . . " Zweifellos bietet die gegenseitige genauere Kenntnis eine Möglichkeit gründlicherer Prüfung, ehe man sich ewig bindet und damit eine bessere Gewähr für eine g l ü c k l i c h e E h e . Ein weiterer Vorteil des gemeinschaftlichen Sportbetriebs ist, daß die Gesundheit des anderen Teils vor der Eheschließung besser bemessen und durcii den Sport höher bewertet wird. Das hat eine gewisse Z u c h t w a h l zur Folge, die der Nachkommenschaft quantitativ und qualitativ zugute kommt. Denn „der Wille zum Kind", der •uns nach dem Kriege so bitter n o t t u t , findet eineseiner Grundlagen in der Gesundheit der Eltern, die wiederum die Vorbedingung für einen gesunden Nachwuchs ist.
8. Soziale und gesellschaftliche Bedeutung des Sports.
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8. Soziale und gesellschaftliche Bedeutung des Sports. G e s u n d h e i t ist des Arbeiters V e r m ö g e n ; sie m a c h t seine k ö r p e r l i c h e u n d geistige A n s t r e n g u n g leicht u n d gibt i h m die Fähigk e i t , viel A r b e i t in k u r z e r Zeit zu v e r richten. Findlay.
Alles was Gesundheit und V o l k s k r a f t in psychischer und physischer Beziehung steigert, h a t gewaltige soziale A u s w i r k u n g e n . Die allgemeine soziale B e d e u t u n g des Sports geht deshalb schon aus den bisherigen A u s f ü h r u n g e n hervor. Es soll hier n u r der Einf l u ß des Sports f ü r die sozialen Verhältnisse im engeren Sinne, auf die gesundheitlichen und w i r t s c h a f t l i c h e n Verhältnisse der breiten Volksschichten und auf das Verhältnis zwischen letzteren und den höheren Kreisen b e t r a c h t e t w e r d e n . In der sozialen und Arbeiterschutzgesetzgebung ist D e u t s c h l a n d allen anderen L ä n d e r n zweifellos weit überlegen. Die soziale B e d e u t u n g des Sports f a n d hingegen noch k a u m eine B e a c h t u n g ; sie k a n n a m besten an d e m Beispiel Englands, das in dieser Beziehung geradezu das Musterland g e n a n n t werden k a n n , e r ö r t e r t werden. In E n g l a n d durchzieht „die ganze B e v ö l k e r u n g bis in die ä r m s t e n Volksschichten der F a b r i k a r b e i t e r die S e h n s u c h t , Sport zu treiben u n d .gentlemanlike' zu sein, d. Ii. Leibeskultur zu pflegen bei d u r c h den Spieltrieb gesteigertem Daseinsreiz u n d sich gemessen, mit Selbstbeherrschung und ,fairness' dabei zu b e h a b e n , welcher Sehnsucht an freien Tagen oft m i t einer r ü h r e n d e n I n b r u n s t n a c h gelebt wird, während Millionen d e u t s c h e r Arbeiter a n ihren Sonntagen nur den einen leidenschaftlichen Zug k e n n e n : den Zug in den B i e r g a r t e n " (R. Hessen). Auch Karl Peters, einer der besten Kenner Englands, h a t ausgesprochen, d a ß der noch nicht degenerierte englische F a b r i k a r b e i t e r im allgemeinen keinen höheren Ehrgeiz f ü r seine Freistunden k e n n t , als ,,to b e h a v e himself like a g e n t l e m a n " , was den Sport selbstverständlich einschließt. Im J a h r e 1906 w u r d e vom P a r l a m e n t ein Gesetz a n g e n o m men, n a c h dem jedes offene G e s c h ä f t v e r p f l i c h t e t ist, seinen Angestellten einen freien N a c h m i t t a g zu körperlicher E r h o l u n g zu gewähren. Der Engländer weiß, w a r u m er die ungeteilte Arbeitszeit e i n g e f ü h r t hat, w a r u m er die K o n t o r e zu einer Zeit schließt,
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wo in D e u t s c h l a n d noch intensiv gearbeitet werden muß, w a r u m er es den Angestellten w ä h r e n d der guten J a h r e s z e i t auch u n t e r der W o c h e ermöglicht, Sport zu treiben, zu r u d e r n , die Spielplätze f ü r Cricket, Tennis u n d Hockey a u f z u s u c h e n . Er weiß, um wieviel elastischer der j u n g e Mann an seine Arbeit geht, der tags v o r h e r in der freien L u f t seinen Bewegungstrieb befriedigen k o n n t e , ans t a t t gezwungen zu sein, ein Bierlokal a u f z u s u c h e n , weil es zu s p ä t ist, etwas anderes zu u n t e r n e h m e n . " In D e u t s c h l a n d geben seit einigen J a h r e n w e n i g s t e n s die G r o ß b a n k e n ihren Angestellten den S a m s t a g N a c h m i t t a g frei. Wie segensreich die E i n f ü h r u n g der Sportspiele f ü r die Arbeiterklasse ist, zeigt eine Mitteilung der vereinigten Maschinenbauer Englands, nach der im J a h r e 1871 das D u r c h s c h n i t t s a l t e r der M ä n n e r dieser Vereinigung 3 8 % J a h r e , das der F r a u e n 37 y 2 J a h r e b e t r u g , w ä h r e n d im J a h r e 1889 dasjenige der Männer auf 4 8 % , das der F r a u e n sich auf 4 3 J a h r e erhöhte. W e n n hierbei auch die Verbesserung der hygienischen Verhältnisse durch die F a b r i k gesetzgebung m i t g e w i r k t h a t , so k a m sie beiden Geschlechtern gleichmäßig zugute. Die u n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e E r h ö h u n g des m ä n n lichen Alters ist n u r dem Sport zuzuschreiben, der in diesen Kreisen ausschließlich von M ä n n e r n a u s g e ü b t wird. Professor K. Koch b e t o n t , wie sehr diese große Verbesserung des Verhältnisses der im p r o d u k t i o n s f ä h i g e n Alter stehenden Personen zu dem nicht p r o d u k t i v e n Kindes- u n d J u g e n d a l t e r von B e d e u t u n g f ü r die Volksw i r t s c h a f t ist. Gemeinsam betriebenes Spiel und Sport, an dem sich arm und reich, gering u n d v o r n e h m beteiligen, t r ä g t nicht wenig dazu bei, die s o z i a l e n K l a s s e n g e g e n s ä t z e zu m i l d e r n ; m a n bet r a c h t e t es in E n g l a n d als eine wichtige Aufgabe, die durch den K a p i t a l i s m u s b e d i n g t e , i m m e r schroffer werdende Scheidung zwischen den verschiedenen Gesellschaftsklassen zu verwischen, wodurch als geeignetster Vermittler der Sport angesehen wird. Selbstverständlich setzen sich auch in England die Unzahl größerer und kleinerer V e r b ä n d e u n d Klubs, die sich zur Pflege eines bes t i m m t e n oder verschiedener Sporte z u s a m m e n g e t a n haben, zum großen Teil aus E l e m e n t e n der gleiche Kreise und Lebensverhältnisse z u s a m m e n . Aber die allgemeine T e i l n a h m e des ganzen Volkes a m Sport u n d seinen Ergebnissen, sei es nun als Ausübender oder nur als Z u s c h a u e r , wie auch die Wichtigkeit, die in allen
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Schichten der B e v ö l k e r u n g dem Sport beigelegt wird, dieses Gef ü h l b e s t i m m t e r , gemeinsamer Interessen, schlingen ein Band der Z u s a m m e n g e h ö r i g k e i t von einem zum a n d e r n u n d brechen wenigs t e n s teilweise die traditionelle Macht der sozialen Gegensätze. J e d e n f a l l s w ä r e es in keinem anderen L a n d e der Welt d e n k b a r , a m wenigsten in D e u t s c h l a n d , d e m Lande des Kastengeistes, d a ß der P r e m i e r m i n i s t e r mit einfachen Fischerleuten sich in einen sportlichen W e t t k a m p f einließe, wie es Mr. A r t h u r Balfour beim Golfspiel getan h a t . Freilich wird in E n g l a n d auch den u n t e r e n Schichten im weitesten U m f a n g Gelegenheit gegeben, den Sport a u s z u ü b e n . Überall sind f ü r die großen Massen des Volkes Spielplätze mit P a r k a n l a g e n e i n g e r i c h t e t ; sie gelten als die wichtigsten der öffentlichen Wohlf a h r t s e i n r i c h t u n g e n . In London bestehen 4960 Morgen P a r k l a n d , wovon jeder Q u a d r a t f u ß 800 Mark wert ist, über die ganze S t a d t verteilt mit m ä c h t i g e n alten B ä u m e n , t e p p i c h a r t i g e n Wiesen u n d herrlichen, jedem zur V e r f ü g u n g s t e h e n d e n Spielplätzen. Zur E r h a l t u n g dieser Anlagen werden jährlich über 2 y 2 Millionen M a r k ausgegeben. Im J a h r e 1907 b e s t a n d e n 7446 größere Rasenspielplätze, zu denen noch die a s p h a l t i e r t e n Spielplätze der Schulen k o m m e n . Zahlreiche reiche S t i f t u n g e n werden z u g u n s t e n öffentlicher, der Allgemeinheit zugänglicher Spielplätze g e m a c h t . Die S t a d t Manchester h a t sich nicht besonnen, u m einen in ihrer Mitte liegenden P l a t z zur B e n ü t z u n g von Spielen freizulegen, acht Millionen Mark auszugeben. In Sheffield k o m m t auf je f ü n f t a u s e n d E i n w o h n e r mindestens ein H e k t a r öffentlicher Spielplätze. Dies sind n u r einige Beispiele. Auch in den Vereinigten S t a a t e n N o r d a m e r i k a s stehen Spiel und S p o r t in hoher Blüte. Die Verwaltungen der G r o ß s t ä d t e begnügen sich nicht mit der Anlage von großen, der ganzen Bev ö l k e r u n g o f f e n s t e h e n d e n P a r k a n l a g e n , sondern sie sorgen a u c h d a f ü r , d a ß darin f ü r den Betrieb der verschiedenen Leibesübungen Vorsorge getroffen wird. Chikago, die zweitgrößte S t a d t der Vereinigten S t a a t e n , h a t seit 1903 das großartigste P a r k s y s t e m der Welt geschaffen und allein f ü r die südlich gelegenen P a r k s mehr als 80 Millionen Mark ausgegeben. In Südchikago, wo h a u p t s ä c h l i c h die a r b e i t e n d e Bevölkerung wohnt, gab es im J a h r e 1911: 194 Tennisplätze, 32 Plätze f ü r Baseball, 25 f ü r Fußball, 2 Golfspielplätze, 11 S c h w i m m b ä d e r , 16 Teiche z u m W a t e n , 20 T u r n h a l l e n ,
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Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
12 Kinderspielplätze, 13 Sandspielplätze, 19 Teiche zu E i s b a h n e n f ü r den W i n t e r s p o r t , 2 Krocketplätze, 1 Flotte von R u d e r b o o t e n , a u ß e r d e m Speisehallen, Volksbibliotheken usw. J e d e r darf diese E i n r i c h t u n g e n benützen, ohne einen Cent zu zahlen. Von welchem Segen diese volksfreundlichen Einrichtungen sind, h a t sich darin gezeigt, d a ß seit ihrer Erschließung die Polizei wesentlich e n t l a s t e t w u r d e , denn seit der J u g e n d ein Feld zur E n t f a l t u n g ihrer Energie geboten w a r , sank die Zahl der Vergehen u n d Verbrechen J u g e n d licher. New Y o r k w e n d e t e f ü r die zahlreichen P a r k s im S t a d t gebiet M a n h a t t a n 60 Millionen Mark auf, und zahlt an Gehältern f ü r die Leiter und Leiterinnen der Sportspiele auf den zahlreichen Übungsplätzen jährlich gegen eine Million Mark. Solche Riesensummen geben die praktisch rechnenden E n g länder und Amerikaner aus, weil sie davon überzeugt sind, d a ß das Kapital durch H e b u n g der Volksgesundheit und Volkstüchtigkeit reiche Zinsen t r ä g t . Wie s t e h t es in dieser Hinsicht in Deutschland, wo der Schulmeister, der B ü r o k r a t und der Ästhet in ihrem geistigen H o c h m u t den materialistischen Angelsachsen nur von oben h e r a b a n s e h e n ? Die R e i c h s h a u p t s t a d t Berlin h a t t e 1907 in ihrem E t a t insgesamt für Leitung der Spiele an höheren und Volksschulen, f ü r Schwimmu n t e r r i c h t an den Gemeindeschulen, f ü r Beaufsichtigung der Höfe an Volksschulen, f ü r Ferienspiele sowie f ü r Beihilfe usw. ganze 4 5 5 0 0 Mark eingestellt. Wo immer sich in Deutschland öffentliche P a r k s befinden, stehen schon am Eingang Tafeln m i t unendlich vielen V e r o r d n u n g e n ; meilenlange Einfriedungen von Eisengeländern und S t a c h e l d r a h t zwingen den Spaziergänger, umgeben von den schönsten Wiesen und Bäumen auf den vielbegangenen Wegen den S t a u b einzuschlucken. W a g t es einmal ein Kind, in f r ö h l i c h e m Ü b e r m u t den Rasen zu betreten, um ein lockendes G ä n s e b l ü m c h e n abzupflücken, so erscheint flugs ein W ä c h t e r des Gesetzes, um die Namen der Eltern, W o h n u n g , S t a n d , Alter, H e r k o m m e n und Religion aufzuschreiben, und ein S t r a f m a n d a i ist ihnen sicher. Ich erinnere mich an den Fall, d a ß eine junge D a m e Dresden verließ, weil sie mit ihrem Rad v o m Fußweg auf den Rasen gefallen w a r und deshalb mit einer polizeilichen S t r a f e bedroht wurde. D a ß z. B. im Englischen Garten in München nicht ein p a a r Wege, wenigstens die F a h r s t r a ß e n , für R a d f a h r e r freigegeben sind, ist f ü r den beschränkten U n t e r t a n e n v e r s t a n d einfach un-
8. Soziale und gesellschaftliche Bedeutung des Sports.
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begreiflich. Es gibt ja einzelne A u s n a h m e n , so ist in H a m b u r g eine prachtvolle Fläche der „Moorweiden" vor dem D a m m t o r ein öffentlicher T u m m e l p l a t z . W ä h r e n d des Sommers lagern d o r t Familien mit Kind und Kegel, schlafen, essen und spielen, aber das k o m m t wohl nur daher, weil die freie H a n s a s t a d t von englischen G e w o h n h e i t e n „ i n f i z i e r t " ist. Selbst in den romanischen L ä n d e r n , wo viel weniger Sport getrieben wird als in Deutschland, h a t m a n m e h r V e r s t ä n d n i s f ü r das Volksbedürfnis. In den öffentlichen Anlagen des Bois de Boulogne in Paris, des Bois de Cambre in Brüssel, der Villa Borghese und selbst der Privatvilla Doria P a m p h i l i in R o m v e r g n ü g t sich alt und j u n g auf den Rasenplätzen, hingelagert oder in fröhlichem Spiel. In Deutschland ist eben die v o m Polizeistaat sorgfältig b e h ü t e t e O r d n u n g das Ideal jeder Verwalt u n g , d a s Verbieten die höchste Seligkeit eines jeden B e a m t e n . Ich glaube mit vollem Recht b e h a u p t e n zu können, d a ß , wenn bei uns der großen Masse des Volkes in gleicher Weise wie in E n g l a n d die Gelegenheit zur A u s ü b u n g des Sports gegeben w ä r e und sich auch Angehörige höherer gesellschaftlicher Kreise beteiligen w ü r d e n , bei der D u r c h f ü h r u n g der innerpolitischen u n d wirtschaftlichen K ä m p f e der fanatische H a ß gegen die „ B o u r goisie" wesentlich gemildert würde. Aber — kann man sich einen preußischen S t a a t s m i n i s t e r auf dem gemeinschaftlichen S p o r t p l a t z vorstellen ? *
Die g e s e l l s c h a f t l i c h e B e d e u t u n g des Sports m a c h t sich in verschiedenster R i c h t u n g geltend. In S ü d d e u t s c h l a n d , wo die J u g e n d , n a m e n t l i c h durch die Nähe des Gebirges angeregt, sehr viel F r e i l u f t s p o r t treibt, h a t er die Bälle fast vollständig v e r d r ä n g t . Eine n o r d d e u t s c h e Mutter erzählte mir vor einigen J a h r e n , ihre T o c h t e r h ä t t e mit dem Schrittmesser festgestellt, d a ß sie auf einem Offiziersball in einer N a c h t 21 km getanzt habe. Ich bin überzeugt, d a ß es in München gerade unter den gebildeten Ständen, T a u s e n d e von Mädchen gibt, die diese Anzahl in ihrem ganzen Leben nicht erreichen. Auf ihrem Weihnachtstisch liegen Sportskostiime, Skier, d e r b e Bergstiefel usw., a n s t a t t wie ehemals d u f t i g e Ballkleider. W a s sich f r ü h e r zum T a n z einfand, treibt S p o r t ; die die Gesundheit verwüstenden Bälle sind aus dem gesellschaftlichen Leben nahezu ausgeschieden. Durch den Einfluß des Sports ist d a s
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l- S p i e l u n d
S p o r t als Mittel der körperlichen
Ertüchtigung.
W i r t s h a u s und der Alkoholgenuß nicht mehr die einzige Gesells c h a f t s f o r m f ü r die männliche J u g e n d ; die vielseitigen hygienischen Vorteile dieses U m s t a n d s sind schon im 4. A b s c h n i t t e r w ä h n t w o r d e n . E b e n s o die Veränderungen der Beziehungen zwischen beiden Geschlechtern im 7. Abschnitt. Es ist b e k a n n t , d a ß der Engländer alles Geschraubte, U n n a t ü r l i c h e als schlechte, niedrige Manier b e t r a c h t e t . A n t r o p o f f , der das Sportsleben in E n g l a n d eingehend s t u d i e r t hat, schreibt die absolut natürlichen U m g a n g s f o r m e n des Engländers zum großen Teil dem S p o r t p l a t z zu, wo die Hauptgeselligkeit s t a t t f i n d e t . Ich h a b e d a r a u f h i n in Deutschland B e o b a c h t u n g e n angestellt und k a n n den günstigen sportlichen Einfluß auf die Umgangsf o r m e n n u r bestätigen. Als Herr Balfour nach seiner A n k u n f t in A m e r i k a mit Herrn Lansing ein Golfwettspiel v e r a n s t a l t e t e , schrieben deutsche Zeit u n g e n : Zu welchen Mitteln müssen die Engländer greifen, um die G u n s t der Amerikaner zu gewinnen!" Das ist eine vollkommene V e r k e n n u n g der Tatsache, daß bei den E n g l ä n d e r n und Amerik a n e r n der Sport ein ebenso beliebtes gesellig-diplomatisches Mittel ist, wie bei uns das Diner und der Bierabend. Ich bin weit d a v o n e n t f e r n t , b e h a u p t e n zu wollen, d a ß die kläglichen Mißerfolge unserer D i p l o m a t e n nur d a h e r k o m m e n , weil sie nicht sportlich erzogen w e r d e n ; aber d a ß die englischen Diplomaten die unb e k ü m m e r t e zähe Ausdauer im Verfolgen ihrer Ziele der individuellen sportlichen Erziehung wie auch derjenigen der ganzen Nation mit v e r d a n k e n , scheint mir ebenso sicher, als daß der Sport eine höhere Art der Geselligkeit ist wie lukullische und bacchanalische Genüsse. *
9. Bedeutung des Sports im Staat. Der C h a r a k t e r einer N a t i o n spiegelt sich nirgends a u f r i c h t i g e r ab als In ihren Spielen. Keine Verände« r u n g in diesen, die nicht entweder die V o r b e r e i t u n g oder die Folge einer V e r ä n d e r u n g in ihrem sittlichen oder politischen Z u s t a n d e w ä r e . C. M. Wieland.
Metternich hat diesen Ausspruch Wielands k a u m g e k a n n t , noch weniger d ü r f t e er über die erzieherische B e d e u t u n g des Sports n a c h g e d a c h t haben, denn damals war k a u m das W o r t , noch weniger der Begriff b e k a n n t . Aber der kluge S t a a t s m a n n
9. Bedeutung des Sports im Staat.
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der Reaktion, der Deutschland um alle Errungenschaften der Freiheitskriege zu bringen gewußt h a t t e , besaß einen sicheren Instinkt d a f ü r , d a ß die von Guts Muths zu Ende des 18. J a h r h u n d e r t s b e g r ü n d e t e Turnbewegung, die F. L. J a h n , zu einer Wiedergeburt der damals verweichlichten J u g e n d zielbewußt ausbaute, der T u r n e n und Turnspiele nicht bloß als Mittel körperlicher E r t ü c h tigung, sondern auch der sittlichen Erziehung verstand, nicht in sein System paßte. Er begriff sehr bald, daß die von den deutschen Wissenschaften aufgenommenen Bestrebungen J a h n s geeignet waren, charaktervolle Männer zu erziehen, die seiner S t a a t s k u n s t gefährlich werden konnten. Deshalb gaben ihm die Ausschreitung einiger ü b e r s p a n n t e r Jünglinge beim W a r t b u r g f e s t und noch mehr die E r m o r d u n g Kotzebues eine sehr erwünschte Gelegenheit, gegen diese Bewegung einzuschreiten. Im J a h r e 1819 wurden allein in Preußen 80 Turnplätze gesperrt und der T u r n v a t e r J a h n bis 1836 unter polizeilicher Aufsicht gestellt. T u r n e n und Turnspiele, der einzige in dem damaligen armen Deutschland mögliche Sport, waren damit unterdrückt, bis Friedrich Wilhelm IV. in einem Erlaß vom 6. J a n u a r 1841 das Turnen an den Schulen als notwendigen und unentbehrlichen Bestandteil der männlichen Erziehung einführte. Aber die Idee J a h n s war geb r o c h e n ; das T u r n e n wurde nicht als Mittel zur sittlichen Erziehung und Bildung des Charakters gebraucht, sondern es sollte das gerade Gegenteil bewirken. Es wurde Unterrichtsgegenstand in den Kasernen und damit Mittel zum Drill; die dort geübten Lehrer bekamen den Unterricht in den Gymnasien und die Schulpädagogen gewöhnten sich daran, im Turnen eine Gelegenheit mehr zu sehen, den Schüler unter die Fuchtel des Lehrers zu bringen. So wurde es nur ein neues Mittel, um den Charakter der J u g e n d zu knicken und sie in widerspruchslose Maschinen zu verwandeln. Wenn J a h n mit seinen Turnerfahrten Fühlung mit der N a t u r gesucht hatte, so war der Turnbetrieb jetzt in die Höfe und Säle der Schulen eingespannt und durch den militärischen Drill vielfach nur zu einer Vorübung zum Parademarsch umgewandelt. Erst als nach und nach von den privaten Turnvereinen der Anschluß an das sportliche Wesen, das J a h n mit sicherem Instinkt erfaßt hatte, zurückgewonnen war und außerhalb der Schulen die Frage: „ S p o r t oder D r i l l ? " endgültig zugunsten des Sports S t e l n i t z e r , Körperliche Ertüchtigung.
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1- Spiel und Sport als Mittel der körperliohen Ertüchtigung.
entschieden w a r , ais das T u r n e n d u r c h E i n f ü h r u n g des R e k o r d s zum Wettspiel und W e t t k a m p f w u r d e , k o n n t e es mit der F r e u d e u n d der Leidenschaftlichkeit betrieben werden, die seine Verb r e i t u n g und Z u k u n f t f ü r die E r t ü c h t i g u n g der Rasse sicherstellten, k o n n t e es zur V o l k s s i t t e werden. Es wäre eine T ä u s c h u n g zu glauben, d a ß der Geist, der vor h u n d e r t J a h r e n die M a ß n a h m e n gegen die deutsche T u r n b e w e g u n g diktiert h a t , in D e u t s c h l a n d schon völlig erloschen sei. Die Generation, die u n t e r dem S c h a t t e n des Lorbeers von 1870/71 u n d dem E i n d r u c k der R e i c h s g r ü n d u n g heranwuchs, schwelgte in einem R a u s c h e , wie herrlich weit wir es gebracht h a t t e n . Die wirtschaftliche und industrielle Entwicklung, die F o r t s c h r i t t e der Technik waren auch s t a u n e n e r r e g e n d , aber der W e r t der Persönlichkeit sank. Soweit sich nicht die persönliche Politik des Kaisers geltend m a c h t e , herrscht das B e a m t e n t u m . Letzteres w a r zwar auch u n t e r Bismarck der Fall, aber es t r a t weniger schädlich in Erscheinung, solange die H a n d dieses Titanen D e u t s c h l a n d s Geschicke lenkte. Mit seiner E n t l a s s u n g begann der u n a u f h a l t s a m e Niedergang. Das d e u t s c h e B e a m t e n t u m ist gewiß pflichttreu und vor allem unbestechlich, aber es ist im B ü r o k r a t i s m u s versunken, es ist innerlich unfrei, es fehlen große Persönlichkeiten, H ö h e n n a t u r e n . Woher sollten diese aber auch k o m m e n , wo die Persönlichkeit s y s t e m a t i s c h u n t e r d r ü c k t wird, wo als B e a m t e n t u g e n d nur Gehorsam, Pflichttreue, P ü n k t l i c h k e i t , Amtsverschwiegenheit, Bescheidenheit der N a c h g e o r d n e t e n jedem Vorgesetzten gegenüber, vorbildlicher kirchlicher Lebenswandel, Korrektheit, „ B e k u n d u n g " der G e s i n n u n g s t ü c h t i g k e i t gilt. „ E i n e Reihe trefflicher Tugenden, aber — bei Licht besehen — doch vorwiegend Tugenden von Unfreien, eben von B e d i e n s t e t e n . Wenn wir zuviele Beamte, Untergebene h a b e n , so haben wir d a m i t auch zuviele gebundene, unfreie Intelligenzen und M o r a l i t ä t e n " , sagt L. Gurlitt in seinem prächtigen Buche „ E r z i e h u n g zur M a n n h a f t i g k e i t " . Schon Bism a r c k klagte d a r ü b e r , d a ß dein Deutschen, so m u t i g er auch auf dem Schlachtfelde sei, die „ Z i v i l c o u r a g e " fehle. Der B e a m t e hat ein A m t , aber keine Meinung. Die G e b u n d e n h e i t nach oben erzeugt als natürliche R e a k t i o n , als Ausgleich, die Neigung zur Unfehlbarkeit und b r u t a l e n M a c h t e n t f a l t u n g nach u n t e n . Um die U n f e h l b a r k e i t des Ü b e r g e o r d n e t e n zum Dogma zu erheben, h a t man f ü r die regierte Menge den schönen Satz ge-
9. Bedeutung des Sports im Staat.
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p r ä g t : „ W e m G o t t ein A m t gibt, gibt er a u c h V e r s t a n d . " Es ist zu v e r m u t e n , d a ß er dem Gehirn eines w a s c h e c h t e n B ü r o k r a t e n zum Schutz der eigenen U n f ä h i g k e i t e n t s p r u n g e n ist. Die Folgen des B e a m t e n s t a a t e s sind R e g l e m e n t i e r u n g der A n s c h a u u n g e n , V e r s t a a t l i c h u n g der Überzeugungen und Ideale, einseitige B e t r a c h t u n g der Wirklichkeit, Vorurteil und P e d a n t e r i e , Ü b e r h e b u n g u n d Ü b e r s c h ä t z u n g des Wissens gegen nicht zur Kaste Gehörige — Kastengeist und B ü r o k r a t i s m u s in R e i n k u l t u r . Deshalb ü b t a u c h der ganze R e g i e r u n g s a p p a r a t gerade auf die fähigsten u n d selbständigsten K ö p f e keinerlei A n z i e h u n g s k r a f t aus, denn die bedingungslose U n t e r o r d n u n g der besseren Einsicht u n t e r das höhere Dienstalter ist nicht sehr erstrebenswert. Die t ü c h t i g s t e n M ä n n e r , die geborenen F ü h r e r n a t u r e n , vermeiden d a her den S t a a t s d i e n s t , wo ihre besten Fähigkeiten sich nicht auswirken k ö n n e n und v e r t r o c k n e n müssen. Diese B e t r a c h t u n g e n erscheinen vielleicht mit dem T h e m a des Buches nicht in V e r b i n d u n g zu stehen u n d angesichts der E r folge unseres Heeres nicht zeitgemäß. Das ist aber d u r c h a u s der Fall. Viele T a u s e n d e von denen, die ohne Zögern jede Minute ihr Leben gegen den Feind einsetzen, w ü r d e n nicht wagen, in ihrem Friedensberuf ihrem Vorgesetzten gegenüber eine eigene Überzeugung zu v e r t r e t e n . Der Sport f ö r d e r t nun gerade diejenigen Eigenschaften u n d Tugenden, die den o b e n g e n a n n t e n der „ U n f r e i e n " d i a m e t r a l entgegengesetzt s i n d ; er f ö r d e r t die Persönlichkeit und den C h a r a k t e r , er wertet ausschließlich nach der T ü c h t i g keit; er erzieht zur Selbstzucht, die von innen heraus k o m m t u n d nicht ein P r o d u k t der U n t e r d r ü c k u n g ist. Insoferne ist d e r S p o r t ein w e r t v o l l e r F a k t o r d e r w a h r h a f t s t a a t s b ü r g e r l i c h e n E r z i e h u n g der J u g e n d und des ganzen Volkes, einschließlich des B e a m t e n t u m s , zu einer E r z i e h u n g des Selbständigwerdens der Persönlichkeit, der Ursprünglichkeit des Handelns, des Wirkens und S c h a f f e n s von innen heraus, zu einer Freiheit, die das Gesetz in sich t r ä g t . Damit erst gewinnt der Begriff der Pflicht den rechten Sinn, denn er b e d e u t e t nicht Z w a n g gegen ein äußeres Gebot, sondern freie A n e r k e n n u n g einer unserem Innern entstammenden Ordnung.
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>• Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Im bürokratischen Geist des B e a m t e n s t a a t e s ist auch begründet, w a r u m f ü r den S p o r t d e s V o l k e s gar so wenig getan wird, obwohl die soziale Gesetzgebung f ü r das gesundheitliche Wohl der arbeitenden Klassen und den Arbeiterschutz gewiß in höchstem Maße besorgt ist. Aber den Sport kann m a n staatlicherseits nicht reglementieren und deshalb weiß m a n nichts damit anzufangen. Besonders charakteristisch ist, wie sich die staatliche und kommunale Polizei zu ihm verhält. Goethe äußerte sich darüber zu E c k e r m a n n : „Ich brauche nur in unserem lieben Weimar zum Fenster hinauszusehen, um gewahr zu werden, wie es bei uns steht. Als neulich der Schnee lag und meine Nachbarskinder ihre kleinen Schlitten auf der Straße probieren wollten, sogleich war ein Polizeidiener nahe und ich sah die armen Dingerchen fliehen, so schnell sie konnten. J e t z t wo die Frühlingssonne sie aus den Häusern lockt und sie mit ihresgleichen vor ihren Türen gern ein Spielchen m a c h t e n , sehe ich sie immer geniert, als wären sie nicht sicher und als f ü r c h t e t e n sie das Herannahen irgendeines polizeilichen Machthabers. Es darf kein Bube mit der Peitsche knallen oder singen oder rufen, sogleich ist die Polizei da, um es ihm zu verbiet e n . " Man kann nicht behaupten, d a ß das seit h u n d e r t J a h r e n besser geworden sei. Ich erinnere mich, daß, als das R a d f a h r e n a u f k a m , sofort in der Umgebung Münchens eine große Menge Tafeln mit Wegverboten aufgestellt wurden, wo es gänzlich überflüssig war und hinter jedem Busch lauerte ein Polizist. Zu gleicher Zeit brachten die Tageszeitungen wiederholt Klagen, d a ß in der Gegend des H a u p t b a h n h o f s sich das Dirnen- und Zuhälterwesen in einer die Sicherheit gefährdenden Weise zunehme, ohne daß die Polizei einschreite. Sie h a t t e wichtigeres zu tun, sie m u ß t e harmlose R a d f a h r e r notieren. Erst kürzlich empörte ich mich darüber, als ich Zeuge war, wie ein Polizist in brutaler Weise einigen sechsjährigen Kindern, die in einer der breitesten und verkehrsärmsten Straße einer Vorstadt Münchens Kreisel spielten, das Spielzeug wegnahm und die N a m e n der Eltern notierte. Im vorigen Abschnitt wurde schon darauf hingewiesen, was f ü r Volksspiele und Volkssport in England getan wird. Der London Country Council, die für Erwerbung und Anlage von Spiel- und Sportplätzen in London verantwortliche Behörde, schrieb im J a h r e 1893: „Die Förderung der Spiele und Leibesübungen ist einer
9. Bedeutung des Sports im Staat.
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der angenehmsten Teile unserer Arbeit." Von einer deutschen staatlichen oder kommunalen Behörde kann ich mir bis jetzt einen derartigen S t a n d p u n k t nicht vorstellen. Im Gegenteil haben hohe staatliche Behörden wiederholt einen einschränkenden Zwang auf allgemein als sehr nützlich erkannte sportliche Bestrebungen ausgeübt. So hat das bayerische Kultusministerium in einem Erlaß von 1912 verordnet, daß das Fußballspiel aus der Reihe der von der Schule gepflegten Turnspiele wegen der damit verbundenen Gefahren und Nachteile ausscheide und" den Schülern unter 17 J a h ren die Teilnahme an den Fußballspielen in Vereinen ernstlich zu widerraten sei. Dadurch wurde die Verbreitung desjenigen Sports, der vor allen anderen berufen ist, zur allgemeinen Volkssitte zu werden, schwer geschädigt. Die badische Eisenbahnverwaltung hat schon im Winter 1916/17 die Mitnahme von Sportgeräten verboten, weil „Sport und sonstige Vergnügungsausflüge dem Ernst der Zeit nicht entsprächen und daher möglichst zu unterlassen seien." Ob dies im Hinblick auf die Verkehrsschwierigkeiten nötig war, sei dahingestellt. Aber diese Begründung verrät eine so völlige Verkennung der gesundheitlichen und erzieherischen Bedeutung, besonders des Wintesports, daß sie als Ausfluß der Anschauungen einer hohen staatlichen Behörde festgenagelt zu werden verdient. Die Kölnische Zeitung hat zu dieser prächtigen Verfügung u. a. ausgeführt: „ F ü r die Erhaltung der Volksgesundheit und zur Erziehung eines kräftigen Geschlechts ist der verständige Sport eines der wichtigsten Mittel. Und nun soll plötzlich während des Kriegs unserer Jungmannschaft seine Ausübung erschwert werden, weil er zum überflüssigen, „dem Ernst der Zeit nicht entsprechenden Vergnügen" gestempelt w i r d ! ? Will man sie denn mit Gewalt in die Kinos usw. treiben, die mit ihren Anzeigen von Schauerdramen und Possen das Ärgernis vieler Frontsoldaten bilden?! Wenn ein Eingreifen gegen unangemessene Vergnügungen notwendig erscheint, so wäre jedenfalls hier ein geeigneteres Wirkungsfeld gegeben. Jeder, der es mit der Gesundheit unseres Volkes ernst meint, wird mir beistimmen, wenn die Hoffnung ausgesprochen wird, daß Auffassungen, wie sie die Verfügung der badischen Eisenbahnverwaltung widerspiegelt und wie sie zum Schaden unseres Volkes lange genug gewirkt haben, für immer verschwinden!"
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I- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
W e n n staatlicherseits die B e d e u t u n g des Sports richtig e r k a n n t w ü r d e , m ü ß t e er gerade in den B e a m t e n k r e i s e n gefördert werden. N u r gesunde und selbstbewußte Männer k ö n n e n wirklich Tüchtiges leisten; kranke und schwächliche Menschen sind meist in ihrem Beruf Schwächlinge. Namentlich ist der Sport das beste Heilmittel gegen die Nervosität, die gerade in den Büros zuhause i s t ; ihre B e k ä m p f u n g k o m m t dem Beruf selbst zugute und d a m i t nicht nur direkt dem einzelnen, sondern auch seinen Nebenmenschen, mit denen er beruflich in Beziehung t r i t t .
10. Bedeutung des Sports für die Schule. M a n erziehe die K n a b e n zu M ä n n e r n , d a n n wird es überall g u t stellen. Goethe.
Die B e d e u t u n g des Sports in der Schule erstreckt sich nach zwei Richtungen, nach derjenigen der k ö r p e r l i c h e n A u s b i l d u n g und der e r z i e h e r i s c h e n E i n w i r k u n g zur Bildung des Charakters. Die klassische E r z i e h u n g der Griechen und Römer u m f a ß t e neben der geistigen Ausbildung beides; das kirchliche C h r i s t e n t u m , dessen Vertreter die Schule f r ü h e r f a s t ausschließlich beherrschten und das auch heute noch einen sehr weitgehenden E i n f l u ß auf Lehrer und E r z i e h u n g a u s ü b t , b e t r a c h t e t den Leib als ein Sündengefäß, das nicht nur keiner Ausbildung wert ist, sondern im Gegenteil kasteit und a b g e t ö t e t werden soll. Es ist zugleich ein natürlicher Gegner der C h a r a k t e r b i l d u n g , denn seine Erziehungsgrundsätze gehen dahin, den Menschen bedingungslos zu unterwerfen und zu diesem Zweck den C h a r a k t e r zu brechen. Die katholische Kirche k e n n t nur eine Art des Sports an, den Ichsport der Verneinung des Willens z u m L e b e n : die Askese. Demg e m ä ß ist ihr Klerus in seiner Allgemeinheit ein grundsätzlicher Gegner des Sports. In E n g l a n d h a t sich die katholische Geistlichkeit schon längst von diesen Vorstellungen zum Heile der J u g e n d b e f r e i t ; in Rom sah ich sehr oft die englischen und schottischen Zöglinge des Collegio r o m a n o , der römisch-katholischen Hochschule, in der Villa Borghese und der Villa Doria Pamphili, also an öffentlichen Orten, in ihren langen schwarzen und violetten S o u t a n e n Fußball und Hockey spielen, w ä h r e n d die deutschen
10. Bedeutung des Sports für die Schule.
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Zöglinge in ihrem roten Kleid mit gefalteten Händen und zu Boden gesenkten Blicken in der Reihenkolonne weitabgewandt herumwandelten. Auch zu Hause hat die englische Geistlichkeit den segensreichen Einfluß des Sports anerkannt und fördert ihn nach Kräften. Der deutsche gymnasiale Lehrer alten Schlags hat das köstliche W o r t geprägt: „Der gebildete Mensch gehört in die Stube", und ganz dürfte diese Sorte von „Jugendbildnern" auch heute nicht ausgestorben sein. Eine tiefe Bresche in diese Anschauungen schlug der preußische Kultusminister v. Goßler, der selbst im Turnen, Fechten, Rudern, Schwimmen, Eislauf und Segeln nach seinem eigenen Ausspruch nicht unerheblich über das M a ß der Mittelmäßigkeit hinausgekommen war, mit seinem berühmten Erlaß vom 27. Oktober 1882. E s heißt u. a. darin: 1 „Mit dem Turnplatz wird eine Stätte gewonnen, wo sich die Jugend im Spiel ihrer Freiheit freuen kann, und wo sie dieselbe, nur gehalten durch Gesetz und Regel des Spiels, auch gebrauchen lernt. E s ist von sehr erziehlicher Bedeutung, daß dieses Stück jugendlichen Lebens, die Freude früherer Geschlechter, in der Gegenwart wieder aufblühe und der Zukunft erhalten bleibe. Öfter und in freierer Weise als es beim Schulturnen in geschlossenen Räumen möglich ist, muß der Jugend Gelegenheit gegeben werden, Kraft und Geschicklichkeit zu betätigen und sich des K a m p f e s zu freuen, der mit jedem rechten Spiel verbunden ist. E s gibt schwerlich ein Mittel, welches wie dieses so sehr imstande ist, die geistige E r m ü d u n g zu beheben, Leib und Seele zu erfrischen und zu neuer Arbeit freudig und frisch zu machen. Dazu kommt die Freude am Spiel, die alle Anstrengungen leicht macht, die Freude am Zusammensein mit den Genossen, die Freude am Gelingen des Spiels und an den Fortschritten der eigenen Gewandtheit und Sicherheit. Denn für die Gewandtheit und Geschicklichkeit bilden Spiele eine ebenso vorzügliche Schule wie für die Schärfung der Sinne, der Aufmerksamkeit und schneller Entschlußfähigkeit . . . Leider ist die Ansicht noch nicht allgemein geworden, daß mit der leiblichen Ertüchtigung und Erfrischung auch die Kraft und Freudigkeit zu geistiger Arbeit wächst. Manche Klage wegen Überbürdung und Überanstrengung der Jugend würde nicht laut werden, wenn diese Wahrheit mehr erlebt und erfahren würde. D a r u m müssen Schule und Haus und wer immer an der Jugendbildung
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1- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
mitzuarbeiten Beruf und Pflicht h a t , R a u m schaffen und R a u m lassen f ü r jene Übungen, in welchen Körper und Geist Kräftigung und Erholung finden. Der Gewinn d a v o n k o m m t nicht allein der J u g e n d zugute, sondern unserm ganzen Volk und V a t e r l a n d . " Es ist recht interessant, wie die „ T i m e s " die deutsche Rückständigkeit glossierte. Sie schrieb zu diesem E r l a ß : „ E s ist ergötzlich sich auszumalen, wie verblüfft die H ä u p t e r unserer öffentlichen Schulen sein würden, wenn sie eine solche zurechtweisende Mahnung erhielten. Dieser Erlaß würde wahrscheinlich die Schule bei Kricket oder Fußball antreffen und der Lehrer wäre mitten unter den S p i e l e r n . . . Scharen deutscher Schüler, die an Kurzsichtigkeit, blasser Gesichtsfarbe und eingefallenen Schultern leiden, verkünden nur zu laut die Folgen, welche die Vernachlässigung der körperlichen Erziehung mit sich b r i n g t . " Die goldenen W o r t e Goßlers k a m e n zur höchsten Zeit, um dem sonst unaufhaltsamen Niedergang der Volkskraft wenigstens in der Schule einzudämmen. Sie betonen mit scharfem Blick die beiden zu Eingang des Abschnittes bezeichneten Richtungen, die der Sport zu beeinflussen berufen ist. Sie veranlaßten nach und nach auch in den übrigen Bundesstaaten Erlasse in ähnlichem Sinne, allerdings zumeist reichlich später. » Erst muS der Körper, d a n n der Vers t a n d gebildet werden. Aristoteles.
Der engbrüstige, hochschulterige, ungelenke und bebrillte J u n g e war bis vor kurzem der T y p u s des Deutschen, der sich glücklich durch das Gymnasium durchgerungen h a t t e . Es war die notwendige Folge des unnatürlichen Übergewichtes der geistigen Arbeit, das die körperliche Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Schüler zu kurz kommen ließ. Durch den Goßlerschen Erlaß wurde die körperliche E r t ü c h t i g u n g in den Schulen eingeleitet; er gab zunächst Anregung zur G r ü n d u n g des Zentralausschusses f ü r Volks- und Jugendspiele, der eine äußerst segensreiche Tätigkeit entfaltete, die sich teilweise auch auf die Schule erstreckt. Es ist zweifellos, daß sich ein höchst erfreulicher Erfolg zeigte. Man kann seit einem J a h r z e h n t eine große Anzahl junger Leute und Männer in mittleren J a h r e n sehen, die es an
10. Bedeutung des Sports für die Schule.
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Elastizität und Jugendlichkeit in der Erscheinung m i t den s p o r t lich geübten Engländern wohl a u f n e h m e n können. Aber n u r ein kleiner Teil v e r d a n k t diese körperliche E r t ü c h t i g u n g der Schule. Der H a n g zum schulmäßigen a n s t a t t zum sportlichen T u r n b e t r i e b liegt noch immer einem großen Teil der Lehrer zu sehr in den Knochen. Es wird noch i m m e r zuviel gedrillt. Der Sport wird viel zuwenig ins Freie hinausgetragen, die persönliche Beteiligung der Lehrer d a r a n ist viel zu gering. In England beteiligen sich a n den Mittel- und Hochschulen durchwegs die Lehrer und Professoren an den sportlichen Übungen der Schüler; k a n n man sich a b e r einen deutschen Universitätsprofessor i n m i t t e n seiner Hörer als S p o r t s m a n n v o r s t e l l e n ? Auch die Kirche, wenigstens die katholische, greift h e m m e n d ein, indem sie z. B. in den Volks- und Mittelschulen den Besuch des s o n n t ä g lichen Gottesdienstes erzwingt u n d d a d u r c h die W a n d e r ü b u n g e n erschwert. W e n n auch Goßlers E r l a ß die körperliche E r t ü c h t i g u n g geb e s s e r t hat, so ist doch von Seite der Schule noch sehr viel zu tun. Nach einer von Professor Dr. F. A. Schmidt, dem ersten Turnphysiologen, im J a h r e 1906 aufgestellten S t a t i s t i k k a n n in keiner einzigen S t a d t D e u t s c h l a n d s auch nur die H ä l f t e der Kinder in den Volksschulen als ganz gesund bezeichnet werden. Die Zahl der an Kurzsichtigkeit Leidenden ist infolge der f o r t g e s e t z t e n N a h e a r b e i t ganz enorm. Dr. Cohen stellt in seiner „ H y g i e n e des A u g e s " fest, d a ß unter den Tübinger S t u d e n t e n 81 % , in Breslau 6 0 % , hingegen in Utrecht n u r 2 7 % , in Leyden 3 1 % , in Aberdeen 12—16%, in Philadelphia 10% Kurzsichtiger v o r h a n d e n sind. In Deutschland waren im J a h r e 1909 von der L a n d b e v ö l k e r u n g 6 0 % , aus der Industrie 5 0 % , v o m Handelsstand 4 0 % , von der S t u d e n t e n s c h a f t nur 3 0 % m i l i t ä r t a u g l i c h ! C. v. Seckendorff weist auf Grund dieser Zahlen darauf hin, ,,wie es gerade u m die J u g e n d , die dereinst die geistigen Führer des Volkes stellen soll, am schlimmsten bestellt ist, wie Hunger und Elend, schwere, h a r t e B a u e r n a r b e i t , F a b r i k a r b e i t und G r o ß s t a d t l u f t immer noch gesündere Körper züchten als die unserer studierenden J u g e n d " . An den höheren Lehranstalten P r e u ß e n s waren nach Professor 0 . Hesse im Schuljahr 1909/10 ca. der f ü n f t e Teil aller Schüler infolge ärztlicher A n o r d n u n g v o m T u r n u n t e r r i c h t befreit, also g e r a d e diejenigen, die es am nötigsten h a t t e n .
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I- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Alle Kenner des englischen Erziehungswesens bestätigen, d a ß dort die J u g e n d infolge des a u s g e d e h n t e n Spiel- und Sportbetriebs erheblich gesünder ist als in D e u t s c h l a n d . Es s t a r b e n von 1881—1890 im Alter von 5—25 J a h r e n in P r e u ß e n auf je 1000 Einwohner 115, in England nur 88, t r o t z d e m die Arbeiterschutzgesetzgebung bei uns besser ist. Alle Ärzte, die sich mit einschlägigen Studien b e f a ß t e n , sind d a r ü b e r einig, d a ß der derzeitige Z u s t a n d in Deutschland noch völlig u n b e f r i e d i g e n d ist, u n d zwar nicht n u r an und f ü r sich, sondern n a m e n t l i c h im Vergleich mit England und d a ß dieses Land n u r d e m F r e i l u f t b e t r i e b , d e m Spiel und Sport seine überlegene frische u n d k r ä f t i g e J u g e n d verdankt. *
Welches größere und bessere Geschenk können wir dem Staate darbringen, als wenn wir die Jugend unterrichten u n d erziehen. Cicero.
Unter der einseitigen Ausbildung des Intellekts m u ß notgedrungen die E r z i e h u n g leiden. Die erzieherische Tätigkeit des Mittelschullehrers b e s c h r ä n k t sich im allgemeinen d a r a u f , einen erbitterten, aber erfolglosen Kampf gegen geheimes Verbindungswesen mit seinen Trinksitten und Ausschweifungen zu f ü h r e n , durch Spionage der Pedelle usw. u n d durch B e s t r a f u n g e n , s t a t t durch Spiel und Sport, den F r e i h e i t s d r a n g der J u g e n d in ein anderes Bett zu leiten. Und gerade darin s t ü n d e der Schule ein vorzügliches Erziehungsmittel zur Verfügung, wenn es n u r richtig a u s g e n u t z t wird. Der ethische W e r t der im sportlichen Geiste betriebenen Leibesübungen, ihre hohe B e d e u t u n g f ü r die Bildung des Charakters ist schon f r ü h e r so eingehend dargelegt worden, d a ß sich hier jedes weitere Wort erübrigt. England kann auch hierfür als vorzügliches Vorbild dienen. R. Hessen schreibt d a r ü b e r : ,,Die Sünden der englischen Schule mögen sein wie sie wollen, sicher bestehen sie nicht in einer Verk e n n u n g der Bedürfnisse des Schülers wie des Lebens. Eltern und Lehrer sehen, d a ß Kinder einen Willen h a b e n , d a ß man ihn üben müsse, daß S e l b s t b e h a u p t u n g eine herrliche Sache sei, d a ß der Schüler infolgedessen ein großes Maß an Freiheit (vom Schulzwang) und Selbstüberlassensein bedürfe. Diese Erziehung f ü r s Leben gilt wichtiger als das Sammeln von Kenntnissen f ü r den
10. Bedeutung des Sports für die Schule.
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Lehrer. Die englische Schulphilosophie gipfelt in d e m Apop h t h e g m a , bei dem freilich gar m a n c h e m deutschen Gymnasiald i r e k t o r die H a a r e zu Berg stehen d ü r f t e n : J e d e r H a n s n a r r k a n n Unterricht erteilen und Kenntnisse e i n t r i c h t e r n ; aber es e r f o r d e r t einen sehr gescheiten Mann, die Sports zu h a n d h a b e n ! " D a ß d a m i t nicht die technische, sondern die erzieherische Seite gemeint ist, liegt auf der H a n d ; der Ausspruch beweist gerade, wie hoch die letztere bewertet wird. Auf den englischen Erziehungsgrundsätzen b e r u h t auch die weit größere Achtung, mit der die Schüler behandelt werden, eine der H a u p t v o r b e d i n g u n g e n f ü r eine erfolgreiche E r z i e h u n g und E n t w i c k l u n g des Charakters. Schon Goethe h a t dies b e m e r k t ; er s a g t e d a r ü b e r zu E c k e r m a n n : „ D a s Glück der persönlichen Freiheit, das Bewußtsein des englischen Namens und welche Bed e u t u n g i h m bei anderen Nationen i n n e w o h n t , k o m m t schon den K i n d e r n zugute, so d a ß sie sowohl in der Familie als in den U n t e r r i c h t s a n s t a l t e n mit weit größerer A c h t u n g b e h a n d e l t werden u n d eine weit glücklichere E n t w i c k l u n g genießen als bei uns D e u t s c h e n . . . W e n n ich aber sagen sollte, d a ß ich an den persönlichen Erscheinungen, besonders junger deutscher Gelehrter aus einer gewissen nordöstlichen R i c h t u n g , große Freude h ä t t e , so m ü ß t e ich lügen . . . Von gesunden Sinnen u n d F r e u d e a m Sinnlichen ist bei ihnen keine Spur, alles J u g e n d g e f ü h l u n d alle J u g e n d lust ist bei ihnen ausgetrieben, und zwar unwiederbringlich, denn wenn einer in seinem zwanzigsten J a h r e nicht jung ist, wie soll er es in seinem vierzigsten s e i n ? " Und a. 0 . : „ E s geht bei uns alles dahin, die liebe J u g e n d frühzeitig zahm zu machen und alle N a t u r , alle Originalität, alle Wildheit auszutreiben, so d a ß am E n d e nichts übrig bleibt als der Philister." Seit unserer nationalen Einigung 1870/71 haben auch wir Deutsche das Bewußtsein von dem W e r t unseres d e u t s c h e n Namen gewonnen, aber auf dem Gebiete der J u g e n d e r z i e h u n g war von einem R e s u l t a t bisher recht wenig zu merken. Wo sind die Lehrer, die den Schülern das Recht auf „ A c h t u n g " z u e r k e n n e n ? Der schöne englische G r u n d s a t z : „If you w a n t to h a v e a g e n t l e m a n , t r e a t t h e boy as a g e n t l e m a n " ist, wenigstens in der Praxis, dem deutschen Erzieher in Familie, Schule und S t a a t u n b e k a n n t . Ich b e h a u p t e , d a ß ohne „ A c h t u n g " nur Zwang, der nie mehr als die u l t i m a ratio sein darf, aber keine w a h r h a f t e Erziehung
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)• Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
möglich ist. Diesen G r u n d s a t z habe ich als Vorgesetzter, sowie ich selbständig zu denken anfing, meinen Untergebenen gegenüber immer im Auge behalten und h a b e damit in meinem Berufe die besten Erfahrungen gemacht. Erziehung b e r u h t aber immer auf den gleichen Grundsätzen, ob in der Schule oder beim Militär, verschieden sind nur die Formen. In Spiel und Sport sind die besten Mittel an die H a n d gegeben, die J u g e n d zu selbständigen Charakteren zu erziehen, ihre Individualität nicht zu brechen, sondern sie in die richtige Bahn zu leiten. *
Der J u g e n d freiem Drang gehört die W e l t . O. RoquetU.
Es m u ß hier eine ganz merkwürdige Episode der J u g e n d bewegung erwähnt werden, die beweist, wie sehr die J u g e n d f ü h l t , d a ß die Schule ihr nicht das gibt, was sie zur E n t f a l t u n g ihrer Persönlichkeit braucht, sondern d a ß sie lediglich den Schüler zur Brauchbarkeit für den Staatsgedanken der jeweils Regierenden zurechtzukneten beabsichtigt. Die Schöpfung des Wandervogels ist hierfür ein schlagender Beweis: „sie war eine R o m a n t i k der E m p ö r u n g gegen die zu drückend gewordenen K e t t e n , denn die Jugend war irre geworden an der Generation ihrer Väter und Erzieher". Die Ziele des Wandervogelvereins sind Weckung des Sinnes f ü r die Natur, Bewegung in frischer L u f t , Belehrung über Natur und Landschaft, Weckung der Heimats- und Vaterlandsliebe, des Mutes, der Ausdauer, der Geistesgegenwart, Erziehung zur Selbstzucht, zum Gehorsam und zur Selbständigkeit, also alles Werte, die die s p o r t l i c h e E r z i e h u n g (im Sinne meiner Ausf ü h r u n g e n ) zu geben berufen ist. „ W a s die Jugend wünscht und b r a u c h t , das hat sie mit dieser Schöpfung klar genug empfunden und e r k a n n t . Sie ist vielleicht die größte R u h m e s t a t in der Geschichte der deutschen Jugend, denn sie ist der kühne und gelungene Versuch, sich freizumachen von den durch die A u t o r i t ä t von Kirche, S t a a t , Schule und Elternhaus erzwungenen Lebensformen und Gesinnungen, soweit sie von ihr als hemmend und niederdrückend e m p f u n d e n wurden. Dieser Akt der Selbstbefreiung und Selbstbindung vollzog sich nicht mit
11. Der Sport in der Armee.
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r e v o l u t i o n ä r e r T e n d e n z ; die J u g e n d wollte nicht eine Freiheit, die zu F r e c h h e i t u n d Zügellosigkeit a u s a r t e t , sondern sie wollte sich u n t e r selbstgewählte, strengere Gesetze stellen." (L. Gurlitt.) Auf diese m e r k w ü r d i g e J u g e n d b e w e g u n g n ä h e r einzugehen v e r b i e t e t der R a u m ; H. Blüher h a t ihre äußerst lehrreiche Ges c h i c h t e geschrieben, auf die verwiesen werden m u ß . Andere J u g e n d o r g a n i s a t i o n e n , die im zweiten Teil besprochen werden sollen, haben die E n t w i c k l u n g des Wandervogels g e h e m m t und sie erreichen das Ziel, an der E r t ü c h t i g u n g des Volkes mitzua r b e i t e n , gewiß besser. Aber als Beitrag zum V e r s t ä n d n i s des i n n e r e n Verhältnisses von E l t e r n - und Schulerziehung u n d J u g e n d , bildet diese Bewegung ein denkwürdiges und wertvolles D o k u m e n t .
11. Der Sport in der Armee. Neben dem Vorzügen, die überhaupt aus dem Sport für KOrper und Geist erwachsen, hat der Fußballsport noch den großen Vorzug, der gerade in militärischer Hinsicht sehr schätzenswert ist: er zeigt dem Manne die Notwendigkeit des Unterordnens und den Erfolg des Zusammenarbeltens. Admlral von Prittwitz und Qaffron.
In der d e u t s c h e n Armee k a n n von einem zielbewußten Sportbetrieb ü b e r h a u p t nicht gesprochen werden. W ä h r e n d in England sich R e g i m e n t s k l u b s z u m Zwecke a u ß e r d i e n s t l i c h e n Sportbetriebes gebildet haben, in dem gewöhnlich der Oberst E h r e n v o r s i t z e n d e r ist, denen das Offizierskorps meist geschlossen und Unteroffiziere und M a n n s c h a f t e n in ihrem H a u p t b e s t a n d angehören, ist es in Deutschland ganz im Belieben der Offiziere, ob sie ü b e r h a u p t einen Sport treiben wollen. D e m g e m ä ß haben sich a u c h Heer u n d Flotte, mit der Schule die wertvollsten Erziehungsinstitute der Nation, bis vor wenigen J a h r e n gänzlich ablehnend gegen den Sport gezeigt. Von den Offizieren der b e r i t t e n e n W a f f e n g a t t u n g e n wurde zwar R e n n s p o r t getrieben, aber aus den verschiedensten Gründen n u r von einer v e r h ä l t n i s m ä ß i g kleinen Anzahl. Die Armeereitkonkurrenzen sind überwiegend Mittel zur Steigerung der
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Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Reitausbildung. Auch das Reiten um den Kaiserpreis erscheint nur äußerlich als sportlicher W e t t k a m p f . Die Tätigkeit ist hier ebenso wenig Selbstzweck wie bei den Reitkonkurrenzen, sondern Mittel zur Ausbildung. Damit verliert sie von vornherein den Charakter des Sports. Sehr beliebt ist unter den Offizieren die J a g d . Das Tennisspiel fand in Offizierskreisen sofort nach seiner Einführung lebhafte Anteilnahme; das Radfahren hat, abgesehen von seiner dienstlichen Verwendung, nur als Beförderungsmittel Eingang gefunden; als Wandersport wurde es gerade in Offizierskreisen als nicht recht standesgemäß angesehen; der Kastengeist ließ es nicht zu, mit Angehörigen anderer, gesellschaftlich weniger angesehener Stände in diejenige Berührung zu kommen, die gerade dieser Sport mit sich bringt. Letzteres traf früher auch für den Alpinismus zu; ich war, als ich vor dreißig Jahren anfing, Hochtourist zu werden, der einzige der großen Garnison, in der ich damals stand und man fand es sehr auffallend, wenn ich am Antritt jeden Urlaubs in füll dress direkt in die Alpen fuhr. In den letzten beiden Jahrzehnten hat der Alpinismus auch unter den Offizieren, namentlich in Süddeutschland, viele und begeisterte Anhänger gefunden, ebenso der Skilauf, der sofort nach seiner Einführung im kontinentalen Europa auch in Offizierskreisen lebhaft betrieben wurde. Der Skilauf wurde auch in einigen Jägerbataillonen, freilich in sehr beschränktem Umfang, dienstlich geübt. Der Sport fördert die gleichen Eigenschaften, die die Felddienstordnung vom Offizier verlangt, er ist also auch für diesen ein wertvolles Erziehungsmittel. Er steigert vorzüglich diejenigen Eigenschaften, auf denen die Verantwortungsfreudigkeit b e r u h t ; ich habe beobachtet, daß wirkliche Sportsleute meist weitherziger nach unten sind und mehr Rückgrat nach oben zeigen. Neben den allgemeinen, schon vielfach besprochenen Vorteilen des Sports möchte ich den für viele Offiziere bekömmlichen Einfluß hervorheben, daß er die nicht mehr zeitgemäßen Schranken des Kastengeistes hinwegräumen hilft, ohne daß er deshalb das besondere, traditionell berechtigte Standesgefühl des deutschen Offiziers beeinträchtigt. Ein Sportbetrieb der Unteroffiziere und Mannschaften war gänzlich u n b e k a n n t ; ob man überhaupt daran dachte, weiß ich nicht; wenn schon, dann hielt man ihn als ein dem militärischen
11. Der Sport in der Armee.
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Drill Entgegengesetztes und daher für eine, für den Soldaten überflüssige wenn nicht schädliche Betriebsart körperlicher Übung. Die sonst klassische Einleitung zur Felddienstordnung 1908 erwähnt nur, daß Turnen, Fechten und Schießen als besondere Übungszweige zu betreiben seien, ebenso auch außer Dienst das Jagdreiten und bemerkt noch, daß Schwimmübungen die körperliche K r a f t und Gewandtheit erhöhen. Das Wort „ S p o r t " ist absichtlich oder unabsichtlich vermieden. Erst der Entwurf zur neuen Turnvorschrift von 1910 erkennt die Ausübung einiger Sportarten als einen mit dem Turnen verbundenen Dienstzweig a n ; Wettlaufen und Ballspiele, Tauziehen und Barlauf sollen v e r s u c h s w e i s e die Frei- und Geräteübungen des Militärturnens ergänzen. Wenn auch die Hinweise der Turnvorschrift sehr knapp gehalten sind, so hat damit doch der Sport offiziell seinen Einzug in die Kaserne gehalten. Bei der Marine finden schon seit längerer Zeit Wettrudern statt, das Fußballspiel hat sich seit 1902 eingebürgert. Es muß zugegeben werden, daß für Heer und Marine die Bedeutung des Sports für körperliche Ausbildung, die ohnehin einen sehr breiten Raum einnimmt, weniger wichtig ist als f ü r die anderen Teile des Volkes. Immerhin ergänzt er dieselbe durch die größere Vielseitigkeit gegenüber den vorgeschriebenen Übungen. Von größerer Bedeutung ist er als Erziehungsmittel. Es genügt, hier auf die Ausführungen über die psychologische Bedeutung des Sports hinzuweisen. Zugleich bringt der Sport eine Entlastung von den Dienstzweigen, die vorwiegend drillmäßig betrieben werden müssen. Im übrigen weiß jeder Kompagnie- usw. Chef, oder sollte es wenigstens wissen, um wieviel bessere Resultate erzielt werden, wenn es dem jungen Offizier, in dessen Hand die unmittelbare gymnastische Ausbildung gelegt ist, gelingt, diejenigen Übungen, bei denen es überhaupt möglich ist (Reckübungen, Voltigieren, Springen) mit sportlichem Geist a n s t a t t drillmäßig zu betreiben. Eine sehr wohltätige Wirkung läßt sich vom Militärsport auf das Herumbummeln in Wirtshäusern, die Trunksucht und die hiermit verbundene Schädigung der Disziplin erhoffen. Wenn durch Sportspiele, Abhaltung von Konkurrenzen u. dgl. dem Soldaten in der Kaserne anregende Unterhaltung geboten wird, so kann er das Wirtshaus zum Teil entbehren. Zu einem
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I* Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
erfolgreichen Sportbetrieb gehört freilich, daß von Seiten der Vorgesetzten reges Interesse und Verständnis gezeigt wird; Die der jüngere Offizier muß sich zeitweise selbst beteiligen. Kompagnie- usw. Chefs müssen die erzieherischen Werte auszuschöpfen wissen. Die weitgehendste Bedeutung dürfte der Militärsport aber dadurch erfahren, daß das Erlernte nach der Dienstzeit mit nach Hause genommen wird und dort weiter gepflegt werden kann. Er kann dazu mitwirken, den Sport im Volke einzubürgern und zur V o l k s s i t t e zu machen. Die Armee würde damit ihren hervorragenden Wert als erzieherische Schule f ü r die Nation nicht unerheblich mehren. Selbst in den kurzen Ruhepausen des Krieges hat sich der Sport als das beste Mittel erwiesen, einerseits die Gedanken abzulenken, anderseits durch Konzentrierung auf ein anderes Gebiet eine Erholung für das Nervensystem und eine seelische Entlastung zu bewirken und endlich auch gegenüber dem ständigen Gebundensein an den Schützengraben, an den Kompagnieabschnitt eine gleichmäßige Durcharbeitung des Körpers zu erzielen. So schreibt z. B. ein Kompagnieführer einer im Westen liegenden GardeReserve-Division, daß Militärtummelplätze mit Hand- und Turngeräten, Laufbahnen, Kletterstangen, Gelegenheiten zum Handgranatenwurf und Schwimmgelegenheiten geschaffen wurden; dann wurden richtige Sportplätze eingerichtet; die Division stellte Mittel f ü r Geräte und Sportpreise zur Verfügung, Wettkämpfe wurden abgehalten und Sportfeste veranstaltet. Ein deutschbelgisches Blatt berichtet von einem großen Sportfest, das die Feldgrauen am 26. November 1915 in Namur abhielten; im Osten wurde mit Vorliebe Schlittschuhlaufen und Eishockey getrieben. Am 29. Juni 1915 fand bei Augustowo ein Sportfest eines Armeekorps unter großer Beteiligung der Mannschaften im Beisein des Generalfeldmarschalls von Hindenburg statt. Mit der Dauer deb Kriegs hat das sportliche Bedürfnis an der Front stark zugenommen. In den Gefangenenlagern ist der Sport das einzige Mittel, um sich die erforderliche Bewegung zu verschaffen; im Kriegsgefangenenlager in Knockaloe auf der Insel Man hat sich ein Turnverein gebildet, der schon im September 1915 siebenhundert Mitglieder zählte und ein großes Wett- und Schauturnen abhielt.
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12. Zur Wertung der verschiedenen Sporte.
12. Zur Wertung der verschiedenen Sporte. Auf, h i n a u s ins weite L a n d l . . . U n d wenn N a t u r dich unterweist, D a n n geht die Seelenkraft dir auf. Goethe.
Die folgenden E r w ä g u n g e n sind n o t w e n d i g als Unterlagen f ü r die im letzten Teile des Buches aufgestellten Forderungen. Einen o b j e k t i v e n M a ß s t a b f ü r die W e r t u n g bildet die W i r k u n g auf die Gesundheit, die erzieherischen F a k t o r e n und die R ü c k w i r k u n g auf das seelische E m p f i n d e n . Die erzieherischen W e r t e b e s t i m men sich durch den Grad der moralischen Eigenschaften, die wir schon bei der B e g r i f f s b e s t i m m u n g als i m m a n e n t e n F a k t o r k e n n e n gelernt haben und die im 1. A b s c h n i t t eingehend erörtert w u r d e n . W e i t e r ist zu berücksichtigen die E i g n u n g f ü r die verschiedenen Altersstufen u n d die soziale B e d e u t u n g , wobei maßgebend ist, d a ß der b e t r e f f e n d e S p o r t möglichst weiteren Kreisen zugänglich sei, also sein Betrieb möglichst wenig k o s t e t . Auf die Jugendspiele f ü r Kinder b r a u c h t nicht näher eingegangen zu werden, die verschiedenen Lauf- und Vergnügungsspiele sind im großen ganzen als gleichwertig anzusehen. Der W e r t der g y m n a s t i s c h e n S p o r t e , des T u r n e n s u n d der L e i c h t a t h l e t i k , liegt z u n ä c h s t in der hygienischen B e d e u t u n g , indem sie den K ö r p e r gleichmäßig ausbilden und k r ä f t i g e n . Durch die Väter des d e u t schen T u r n e n s , Guts M u t h s und J a h n w u r d e als Endziel des T u r n e n s nicht nur die körperliche E r t ü c h t i g u n g , sondern auch die sittliche E r z i e h u n g b e t r a c h t e t . Diese A n s c h a u u n g ist in den deutschen T u r n v e r b ä n d e n T r a d i t i o n geworden. Auf die erzieherischen F a k toren wird ebensoviel Gewicht gelegt als auf die körperliche Ausbildung. Das T u r n e n eignet sich f ü r beide Geschlechter u n d in entsprechender A n p a s s u n g f ü r jedes Alter. Seine A u s b r e i t u n g infolge des billigen Betriebs und die vaterländische Gesinnung, die traditionell von der T u r n e r s c h a f t gepflegt wird, geben ihm eine hohe soziale B e d e u t u n g . Das F e c h t e n ist als Körperü b u n g u n d seinem erzieherischen W e r t nach einseitiger und deshalb dem T u r n e n n a c h g e o r d n e t . Die F e c h t k u n s t hat als Mittel zur S e l b s t e r h a l t u n g ihren f r ü h e r e n W e r t eingebüßt, da die Notwendigkeit, f ü r die moralische oder physische Existenz mit der W a f f e einzutreten, durch W a n d l u n g unserer A n s c h a u u n g e n Steinitzer,
Körperliche E r t ü c h t i g u n g .
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I- Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
über das Duell und vor allem durch die Mitwirkung der Ehrengerichte bei den Ständen, in denen das Duell üblich ist, sehr eingeschränkt wurde. Zu den gymnastischen Spielen kann man im weiteren Sinne auch die R a s e n - S p i e l e und S p o r t e rechnen. Allen diesen ist in erzieherischer Richtung gemeinsam, daß sie „fair play", also strengste Unterordnung unter die Spielregeln fordern und zur Ritterlichkeit und Achtung des Gegners erziehen. Das T e n n i s s p i e l , das Spiel der „Gesellschaft" kat'exochen, verlangt Geschicklichkeit, Geistesgegenwart und rasche Auffassung; Kraft und Mut kommen nicht in Betracht. Das gleiche gilt für Golf und H o c k e y ; ersteres benötigt sehr ausgedehnte Spielplätze, daß nur geldkräftige Klubs daran denken können; letzteres ist etwa gleich mit Tennis zu bewerten, jedoch steht es in seinem erzieherischen Werte höher, indem es von den Mitspielern ganz besonders strenge Disziplin verlangt. P o l o , das eigentlich zu Pferd, d. h. auf Ponys, dann auch auf dem Rad gespielt wird, kommt schon allein wegen seiner Kostspieligkeit nicht in Betracht; K r i c k e t , das in England sehr populär ist, hat den Nachteil, daß es einer fast unaufhörlichen Übung bedarf, sodaß sich sogar in dem sportstrengen England ein Berufsspielertum ausgebildet hat. Im übrigen wäre es etwa wie Tennis und Golf zu bewerten. Das höchststehende Rasenspiel ist insofern F u ß b a l l , als es alle sportlichen Eigenschaften, auch Mut und Entschlossenheit, am meisten fördert. Es gestattet der Jugend das ihr so nötige Austoben, bietet durch das sich mannigfaltig gestaltende Spiel einen spannenden und gesunden Nervenreiz, lehrt Überwindung von Strapazen und Schmerzen und stählt das Gefühl der Verantwortlichkeit und Gemeinsamkeit. Jeder Spieler setzt seine beste Kraft ein, um seiner Partei zum Siege zu verhelfen und weiß, daß dies nur durch zielbewußte Mitarbeit aller erreicht werden kann. Fußball eignet sich für die Jugend der Mittelschulen wie für erwachsene Männer, ist billig und verdiente, in jeder Hinsicht, ein Volksspiel im vollsten Sinne des Wortes zu werden. Der Einwand, daß Fußball gefährlich sei, ist durch die Statistik widerlegt. Im Jahre 1913 kamen auf 1000 Wettspiele 3 Unfälle, auf 10000 Spieler 1,2 Unfälle. *
12. Zur Wertung der verschiedenen Sporte.
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Das W a n d e r n wurde von den Begründern des deutschen Turnwesens, Guts Muths und J a h n , als wesentlicher Bestandteil des Turnwesens angesehen. Der Begriff des Wandersports ist sehr dehnbar. Das gemeinsame Wandern der Jugend fördert Geselligkeit, Kameradschaftlichkeit, erzieht zur Selbsthilfe und Selbständigkeit, zum Ertragen von Strapazen, wenn auch in geringem Umfange, zur einfachen Lebensführung und Sparsamkeit. Es bringt mit der Natur in die engste Berührung und wirkt dadurch sehr wohltätig auf das seelische Empfinden, die Nerven und auf die ästhetische Bildung. Die physischen und intellektuellen Anforderungen wachsen mit den Schwierigkeiten des Wandergebietes; sie erreichen ihre höchste Stufe im A l p i n i s m u s . Im Kampfe mit der Natur des Hochgebirges werden die Fähigkeiten, die den Menschen zum Herrn der Schöpfung machen, in weiterem Umfang als bei allen anderen Sporten in Tätigkeit gesetzt; kein anderer Sport stellt derartige Anforderungen an körperliche Leistung und charakterbildende Eigenschaften wie die Hochtouristik, keine bringt den Menschen in so intime Fühlung mit der Natur, wo sie sich am gewaltigsten und abwechslungsreichsten offenbart. Keine körperliche Betätigung ist auch nur annähernd so vielseitig und stärkend, physisch, psychisch und ethisch wie der Alpinismus. Für jeden sind die Alpen ein großes Sanatorium für Körper und Geist, auch wenn man durchaus nicht Sportsalpinist ist. Der Alpinismus muß deshalb besonders hoch gewertet werden. Zum Wandersport gehört auch das R a d f a h r e n . Sein Wert liegt in hygienischer Beziehung in der Übung der Muskulatur der Beine und des Unterleibs, der Stärkung des Herzens und in der Ausdauer und dem Kraftaufwand, den längere Touren erfordern. Der Hauptwert besteht aber darin, daß er den Menschen in die Natur hinausführt, das Radfahren hat die Poesie der Landstraße neubelebt, die freilich durch das staubaufwirbelnde Auto wieder sehr beschränkt wurde. Als Wettsport auf der Rennbahn und auf der Straße (Fernfahrten) wird das Radfahren nur mehr von Professionals im Dienste der Radfabriken betrieben. Selbst nur als Verkehrsmittel betrachtet, ist das Radfahren eine gute körperliche Übung; es hat gerade in den unteren Volksklassen insoferne erzieherisch gewirkt, als unter seinem Einfluß die schädigende Wirkung des Alkohols auf körperliche Leistungen am eigenen Leibe zum Bewußtsein kam.
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I. Spiel und Sport als Mittel der körperlichen Ertüchtigung.
Den W i n t e r s p o r t e n kommt von vornherein dadurch eine besondere Bedeutung zu, daß sie uns im Winter, wo wir in Nebel gehüllte, rußige Städte eingesperrt sind, in die Natur hinausführen. Das S c h l i t t s c h u h l a u f e n ist zudem eine gute gymnastische Übung. Der R o d e l s p o r t , namentlich im Gebirge betrieben, erfordert Geschicklichkeit, technisches Können, Mut und Geistesgegenwart. Dies gilt in noch viel höherem Maße von B o b s l e i g h , das jedoch wegen der Kostspieligkeit der Bahnanlage und des Fahrzeugs nur für wenige in Betracht kommen kann. Der S k i l a u f bildet nicht nur den ganzen Körper harmonisch aus, er erfordert, vorzugsweise im Hochgebirge alle sportlichen Eigenschaften im höchsten Maße. Der h o c h a l p i n e S k i l a u f ist durch seine Höchstwirkung auf Lebenslust, Gemüt und Nerven, die die Bezwingung der ehedem verschlossenen Winterpracht der Gipfelwelt erzeugt, noch als eine Steigerung des sommerlichen Alpinismus a n z u s e h e n d e r verdient von allen Sporten die Krone. *
Das S c h w i m m e n ist nicht nur ein hervorragendes Abhärtungsmittel — zum Wasser tritt im Freibad noch Luft und Sonne — und deshalb hygienisch wertvoll, sondern auch eine vorzügliche gymnastische Übung. Sportlich betrieben verlangt es Ausdauer und Zähigkeit. *
Das R u d e r n als Sport im Boot mit Geleitsitz, nur als Turnen betrieben, ist von allen körperlichen Übungen diejenige, die alle Muskeln des Körpers am gleichmäßigsten und systematischesten beansprucht. Es ist ein Stahlbad für Ausdauer und Zähigkeit. Durch den Regattensport werden diese Eigenschaften in sehr hohem Maße beansprucht. Das W a n d e r r u d e r n mit seinem abenteuerlichen Zeltlagern, Abkochen usw. ist für den Bewohner des seen- und flußreichen nördlichen Deutschlands in seiner Gesamtwirkung etwa mit dem Alpinismus des gebirgsnahen Süden zu vergleichen, wenn es auch diesem insofern nachsteht, als die Beherrschung der Elemente wesentlich leichter ist und die Anforderungen an die moralischen Eigenschaften demgemäß geringer sind. Noch näher kommt dem Alpinismus der Segelsport, denn die Beherrschung und Führung einer modern getakelten Jacht setzt
12. Zur Wertung der verschiedenen Sporte.
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ein hohes Maß von Geschicklichkeit, Entschlossenheit, Geistesgegenwart und Mut im Kampfe mit dem schwankenden Elemente voraus. Die rein körperlichen Anforderungen sind allerdings wesentlich geringer. *
Die Bedeutung des R e i t s p o r t s kommt in Deutschland, wo Geländereiten und Parforcejagden wenig gepflegt werden, fast ausschließlich als militärisches Ausbildungsmittel in Betracht. Der R e n n s p o r t wird häufig auch von Amateuren des Gewinnes halber getrieben und man könnte deshalb die Frage aufwerfen, ob der Herrenreiter überhaupt als Sportsmann bezeichnet werden kann. Im übrigen dient der Rennsport vor allem der Pferdezucht. *
Die J a g d genießt noch den historischen Nimbus, aber abgesehen von der Hochgebirgsjagd und der Jagd in fremden Ländern und Tropen ist heutzutage keine Gelegenheit mehr, w a h r h a f t sportliche Eigenschaften zu zeigen. Ihr Wert liegt in der wohltätigen seelischen Rückwirkung, die die eingehende Beschäftigung mit der Natur und der Tierwelt mit sich bringt. Das gleiche gilt von der F i s c h e r e i ; das Fischen in den Seen und Flüssen Mitteleuropas verlangt noch weniger sportliche Eigenschaften als die Jagd. Beide sind mehr Passion als Sport. *
Der K r a f t w a g e n ist in erster Linie Verkehrsmittel, als Sportsmittel ist er nur in sehr beschränktem Maße anzusehen. Körperliche Anstrengung und Übung sowie alle sozialen Werte des Sports (Selbstzucht, Kameradschaftlichkeit) sind ausgeschaltet, hingegen stellt er an technische Geschicklichkeit, Mut, Geistesgegenwart und Entschlossenheit hohe Anforderungen. Die W e t t fahrten dienen fast ausschließlich der Prüfung und Verbesserung des Materials und dem wirtschaftlichen Interesse der Industrie. Der jüngste Sport, der F l u g s p o r t im Flugzeug, h a t t e vor dem Kriege noch nicht Zeit, sich zu entwickeln. Es ist anzunehmen, daß für Sportzwecke leichte und verhältnismäßig billige Apparate gebaut werden und er dann eine große Verbreitung finden wird. Auch bei ihm tritt an die Stelle der körperlichen Übung technische Geschicklichkeit; moralische Eigenschaften verlangt er
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I. Spiel u n d S p o r t als Mittel der körperlichen
Ertüchtigung.
hingegen in höchstem Grad. Durch die Überwindung von Raum und Zeit in einem bisher noch nicht geahnten Maßstab, dürfte er, was die Rückwirkung auf das seelische Empfinden durch die Steigerung eines sieghaften Lebensgefühls anlangt, vielleicht alle andern Sporte übertreffen. Das S c h i e ß e
n muß im Rahmen der vorliegenden Betrachtungen gleichfalls als Sport bezeichnet werden. Major Kurz vom k. b. Kriegsministerium, Referent für die militärische Jugenderziehung, tritt energisch für die Schießausbildung ein und betont, daß man sich von der bürokratenhaften Anschauung losreißen müsse, als ob der Umgang mit Schießwaffen und die Vorliebe für das Schießen etwas Polizeiwidriges seien. Im Gegenteil ist sie ein Zeichen von gesunder, selbstbewußter Männlichkeit und damit Wehrhaftigkeit. Das Schießen ist nicht nur eine Waffenübung, es hat auch sonst körperlich erzieherische Werte. Es ist eine ausgezeichnete Muskelübung, fördert die Haltung, schärft das Auge und stählt die Nerven. Darauf hat schon der alte J a h n hingewiesen, der zu jedem Turnplatz eine „Schießbahn" forderte.
13. Gegner und Einwände. Verständige Leute kannst du irren sehen, In Sachen nämlich, wo sie nichts verstehen. Goethe.
Die Gegner des Sports lassen ihre Stimme ertönen, daß der Sport jetzt schon im Übermaß betrieben wird, namentlich daß es scheinen will, als ob unsere Zeit wie auf manchen anderen Gebieten auch auf dem der körperlichen Ausbildung in Extreme zu verfallen drohe. Sie behaupten triumphierend, daß die gegenwärtige Entwicklung nach einer Richtung gehe, die einen Rückschlag in sichere Aussicht stelle und daß sich Zeichen der Ernüchterung in allen Kreisen bemerkbar machten. Vor allem weisen sie darauf hin, daß der Sport in den Ländern, wo er am meisten gepflegt wird, in England und Amerika, die Interessen an geistigen Dingen, an Wissenschaft, Literatur, Kunst und Musik unterdrückt habe, daß er krankhafte Eitelkeit und ungesundes Rekordfieber zeitige, daß er ausschließlich kulturhemmend und deshalb schädlich wirke.
13. Gegner und Einwände.
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Auch der Sport teilt mit allen menschlichen Einrichtungen die Eigenschaft, nichts Vollkommenes zu sein. Der Einwand, er steigere die E i t e l k e i t , ist richtig, aber das liegt durchaus nicht in seinem Wesen begründet, sondern ist ein Auswuchs, der von allen wahrhaften Sportsleuten bekämpft wird. Im übrigen findet man diese Eitelkeit, dieses Streben nach persönlicher Auszeichnung überall, und zwar am meisten gerade in staatlichen Berufen, wo es sachlich weitaus schädlicher wirkt. Dem Sport selbst schadet diese Eigenschaft nicht, sie wirkt nur geschmacklos und lächerlich. Als eine besondere Begleiterscheinung des Sports wird die V e r r o h u n g der S i t t e n bezeichnet, die mit manchen Sporten verbunden sein soll. Namentlich wird behauptet, daß der gemeinsame Sportbetrieb beider Geschlechter eine verrohende Wirkung auf die bessere Hälfte ausübe. Ich habe zwar bemerkt, daß nach Berg-, Skitouren usw. gleichsam in einem Rausch von Lebenslust, Luft- und Naturgenuß, ein gewisses Naturburschen tum zum Ausdruck kommt, das die Grenzen der Rücksichtnahme auf andere manchmal unangenehm überschreitet. Aber deshalb von einer Verrohung zu sprechen, ist völlig unzutreffend. Der Sport selbst f ü h r t , richtig und sinngemäß betrieben, nie dazu. Was aber etwa im Charakter einzelner Ausübender liegt, kann man nicht der Sache vorwerfen. Wenn im übrigen eine altmodisch erzogene Zimperliesel sich einmal an irgend etwas stößt, was man vielleicht im Salon unterlassen würde, liegt nichts daran. Es ist vor allem Sache der Frauen, hierüber zu richten und deshalb möchte ich ein Wort aus Frauenmund zitieren. Helene Stöcker sagte einmal: „Nur die kläglichste Philistrosität und Banalität kann vor einer Entwicklung warnen wollen, weil Konflikte und Schmerzen, weil auch .Gefahren'aus ihr hervorgehen könnten." Es ist überflüssig, dem noch ein Wort hinzuzufügen. Auch wird als Nachteil des gemeinsamen Sportbetriebs mit Vorliebe betont, daß er den F l i r t befördere. Die Jugend flirtet ab und zu mit und ohne Sport, jedenfalls wird der Flirt gerade durch den Sport in eine kameradschaftliche Richtung umgebogen und ernstlich betriebener Sport verträgt sich mit Flirt ohnedem nicht. Es mag noch einige ähnliche kleinliche Einwendungen geben, es lohnt sich aber wirklich nicht der Mühe, darauf einzugehen.
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