Kritik der historischen Vernunft [Reprint 2019 ed.] 9783486816983, 9783486408010


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INHALT
VORWORT
I. GEIST UND GESETZ
II. ZEITALTER UND GEISTESWELTEN
III. MENSCHENWELT UND MENSCHENREICH
SCHLUSS
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Kritik der historischen Vernunft [Reprint 2019 ed.]
 9783486816983, 9783486408010

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ALOIS D E M P F • KRITIK D E R HISTORISCHEN VERNUNFT

ALOIS

DEMPF

KRITIK DER HISTORISCHEN V E R N U N F T

VERLAG R. O L D E N B O U R G M Ü N C H E N 1957

© 1957 Oldenbourg, München. Alle Rechte vorbehalten. R. Oldenbourg, Graphische Betriebe GmbH, München

INHALT VORWORT I. GEIST UND GESETZ

7—13 14

1. D i e h i s t o r i s c h e V e r n u n f t in d e n W e l t a l t e r n

14

2. V e r n u n f t f o r m e n u n d G e s e t z f o r m e n a) Theoretische Vernunft und Weltordnung b) Praktische Vernunft und ewiges Gesetz c) Poietische Vernunft und Weltbild d) Historische Vernunft und zeitliches Gesetz

33 35 50 58 64

3. N a t u r o r d n u n g u n d G e i s t e s w e l t a) Weltordnung und ewiges Gesetz b) Menschennatur und Naturrecht c) Zeitliches Gesetz und Geisteswelt

74 74 81 86

II. ZEITALTER UND GEISTESWELTEN

105

1. Zeitalter der philosophischen Vernunft a) Griechentum b) Hellenismus

105 105 128

2. Z e i t a l t e r d e r g l ä u b i g e n V e r n u n f t a) Väterzeit b) Mittelalter

149 149 • 173

3. Z e i t a l t e r d e s w i s s e n s c h a f t l i c h e n V e r s t a n d e s a) Humanismus b) Neuzeit

196 196 216

I I I . MENSCHENWELT UND MENSCHENREICH

244

1. M e n s c h e n g e i s t u n d M e n s c h e n w e l t

244

2. D i e O r g a n i s a t i o n d e s G e i s t e s

256

3. D i e M e t a p h y s i k d e r V e r n u n f t a) Weltidee. b) Menschenidee c) Gottesidee d) Gemeinschaftsidee

263 277 286 293 300

SCHLUSS: D I E KOMMENDE ZEIT

309

VORWORT Mit diesem Buch gerate ich in den Verdacht, die Romantik erneuern zu wollen. In ihr ist ja vor hundert Jahren der deutsche Idealismus ausgeklungen, und wer heute noch von Vernunft redet, stellt sich zu diesen „überholten" Leuten. Man kann den gewaltsamen und gewaltigen Versuch der Idealisten, sich dem aufsteigenden Rationalismus der ausschließlichen Forschung, der reinen Verstandeswissenschaft entgegenzuwerfen, nur wieder-her-holen, nicht wiederholen. Was seither die Natur- und Geisteswissenschaften vollbracht haben, das sind die zwei bedeutendsten geistesgeschichtlichen, ja weltgeschichtlichen Ereignisse des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts: die weltweite Verbreitung der mathematisch-physikalischen Gemeinsprache mit allen Folgen für die Technik und Industriegesellschaft und die Ausarbeitung der idealistischen Entdeckung des historischen Bewußtseins, die Erschließung der Vorgeschichte und aller alten Kulturen. Die Anbahnung dieser beiden Großtaten ist aber schon der Zeitstil der Renaissance und Neuzeit. Danach ist ihre Vollendung das „Ende" der Neuzeit als einer bloß verstandesmäßigen, nur wissenschaftlichen Kultur, aber selbstverständlich nicht das Ende der Zivilisation. Auch im Humanismus und in der Neuzeit ist wie immer seit 2500 Jahren mit Leidenschaft philosophiert worden, sind Theologie und Metaphysik in hoher Blüte gestanden, nur waren bald die Wissenschaft, Staat und Wirtschaft anders als sonst die führenden Lebensmächte. So hat man Theologie und Philosophie in stolzem Zeitbewußtsein totgesagt. In unserm Jahrhundert blüht aber die Metaphysik der theoretischen und praktischen Vernunft wieder auf, und wer das miterlebt, glaubt an eine neue Geisteskultur, an einen neuen Humanismus. Die Herholung der hohen Lehre von der theoretischen, praktischen und poietischen Vernunft, des im Historismus und Szientismus verlorengegangenen Vernunftsbegriffs ist streng von der Stunde geboten. Nicht nur weil reine und praktische Vernunftmetaphysik als Seinslehre und Existentialismus wieder leidenschaftlich getrieben wird! Unser historisches Bewußtsein zeigt uns, daß sie weltgeschichtlich Epoche gemacht haben. Das Weltalter der vorherrschenden sozialen Vernunft in der Vorgeschichte und der historischen Vernunft in den Hochkulturen wurde in der „Achsenzeit der Weltgeschichte" durch das dritte Welt-

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Vorwort

alter der selbstbewußten philosophischen Vernunft überhöht und dieses wieder durch das vierte Weltalter der vorherrschenden gläubigen Vernunft. So ist die Neuzeit, das fünfte Weltalter, das der wissenschaftlichen Verstandeskultur. Die alten Hochkulturen, die Vollkultur und religiöse Kultur ordnen sich in diese Geistesgeschichte der Menschheit je mit ihrem eigenen Kulturstil ein, der auch in den späteren Weltaltern noch Werk der historischen Vernunft ist. Nach der Hochblüte der idealistischen Geschichtsphilosophie, die ohne die Empirie des Jahrhunderts der ausgebreiteten Forschung den kommenden Humanismus schaffen wollte, den klassischen oder romantischen, den staatlichen oder ökonomischen, galten die Schöpfungen der Vernunftmetaphysik nur als Weltbilddichtungen, nur als Werk der poietischen Vernunft. Es gäbe nur Gottes- und Menschenbilder, Weltund Gemeinschaftsbilder, aber nicht strenge Ideen von Gott und Mensch, der Welt und Gemeinschaft. Der Geist der Zeiten war nur noch Zeitgeist! Die Geisteswelten und Zeitgesetze enthielten nicht mehr überzeitliche objektive Wahrheiten, Normen und Werte, wie wir sie nun aus der reinen Vernunft wieder erkennen. Das war aber nur die historistische Meinung der Sammelstufe des historischen Bewußtseins, als methodengemäß alle geschichtlichen Ereignisse, Erkenntnisse und Leistungen als einmalig und einzigartig galten. Es kam die entscheidende geistesgeschichtliche Großtat des frühen 20. Jahrhunderts, die Vergleichung der Kulturen und mit ihr die Wissenssoziologie und Typologie der Religionen und Philosophien, der Staats- und Wirtschaftsstile. Man sah: die sozialen und geistigen Notwendigkeiten allgemein menschlicher Art bestimmen immer den organisierenden Verstand und die Symbole schaffende Vernunft. Es gibt vor der Wissenschaft ein allgemeines Heils- und Bildungswissen, Herrschafts- und Leistungswissen mit bleibenden Gehalten, Normen und Werten, die reine Vernunft wirkt in der historischen, rationales Rechtsdenken und Gesetzgebung im organisierenden Verstand. Diese unsere Geisteslage stellt gebieterisch drei Aufgaben der Kritik der historischen Vernunft. Es ist zu zeigen, daß dem Menschengeist nach seiner allgemeingültigen Organisation eine artgemäße Menschenwelt entspricht, wie den Tierarten ihre spezifische Umwelt und dem Gottesgeist die Gotteswelt. Zur reinen Vernunft gehört die Weltordnung nach dem Naturgesetz, zur praktischen das Naturrecht und zur poietischen das Weltbild, die ganze Symbolik der Gottes-, Menschen- und Weltbilder. Das sind immer gültige soziale und geistige Notwendigkeiten, die sich aus der Menschennatur ergeben. Die historische Vernunft schafft die zeitlichen Geisteswelten und

Geistesgeschichte ohne Namen

9

das zeitliche Gesetz. Wie wirken sich in ihnen die genannten Notwendigkeiten aus, was ist das Allgemeine im Einmaligen ? Die Scheidung zwischen den Leistungen der historischen und reinen Vernunft ergibt den Ertrag der Zeitalter für die Geistesgeschichte und für das bleibende Reich der Wahrheit, den immer gültigen klassischen Gehalt des Humanismus. Eine neue Philosophie der Kunst wird den bleibenden menschlichen Gehalt der Weltliteratur und Weltkunst vergegenwärtigen. Die Durchführung der Kritik der historischen Vernunft ist ein paradoxes Unternehmen. Nicht die Geschichtlichkeit einzelner Ereignisse und Persönlichkeiten, nicht das schlechthin Einmalige ist zu zeigen, sondern gerade das zu seiner Zeit sozial Notwendige und geistig Mögliche. Die geschichtlichen Gestalten und Größen sind als Repräsentanten des Allgemeinen in der Zeit zu betrachten. Das Ideal einer solchen Kritik wäre eine Geistesgeschichte ohne Namen. Es dürften dabei die führenden Intelligenzgruppen nicht als solche geschichtssoziologisch dargestellt werden, sie müßten in der konkreten Kulturlage gezeigt werden, in der sie das Notwendige und Mögliche ersehen. Wir werden die großen Namen nicht verschweigen, denn der Dialog der feindlichen Brüder im Geist wird von den Häuptern der Schulen und Lebensmächte geführt. Auch so läßt sich die Dialektik des philosophischen und gläubigen Weltalters, des Altertums, der christlichen Welt der Väterzeit Und des Mittelalters, der Neuzeit aufweisen. Das sind drei von den fünf Weltaltern der ganzen Menschheitsgeschichte, in denen wir die schöpferischen Geister mit Namen kennen, eine sehr kurze Zeit gegenüber der kaum längeren der Königslisten der Hochkultur und der namen-losen Vorgeschichte von Jahrzehntausenden. In der Hochkultur kamen nur die Könige und ihre Sprecher und Künstler zum Wort, so gibt es kaum ein Streitgespräch. Erst in der freien griechischen Welt der kämpfenden Oligarchen, Ochlokraten und Tyrannen sprechen die Geistesaristokraten die sozialen Notwendigkeiten aus und begründen damit die Philosophie und die Wissenschaft von der Natur und Kultur. Noch sind sie kein Stand, nur Schulen mit ihren eigenen geistigen Gegensätzen, aber sobald das römische Weltreich aufsteigt, spüren sie ihre kosmopolitische Gemeinschaft und stellen ihm und den alten Kulturnationen mit ihren nationalistischen Intelligenzen die Geisteswelt des freien Geistesreichs gegenüber. Das soll den Sieg der reinen über die historische Vernunft bringen, der natürlichen Religion und Sittlichkeit und des natürlichen Rechts über die herrschenden Gewalten der politischen und mythologischen

10

Vorwort

Religion und Kultur. Es ist auch wirklich unvergänglich für die wenigen Wissenden eine neue weltgeschichtliche Macht da, die die neue Geistesstufe der Vollkultur erreicht. Die praktischen Wissenschaften des Rechts, der Medizin und Technik schaffen die bleibenden ökumenischen Zivilisationsgüter einer unverlierbaren wissenschaftlichen Überlieferung. Die volle Überwindung der politischen und mythologischen Religion konnte aber nur die jeden Menschen ergreifende Symbolik der Weltreligion bringen, das Wachstum des Gottesreichs im Weltreich und der Kampf und die Verbindung der gläubigen Vernunft mit dem Geistesreich. Nun sind die Vorkämpfer der Macht-, Geistes-und Heilsgeschichte die Repräsentanten eines dreifachen Reichsbewußtseins, nicht mehr nur Vertreter von Staatsformen. Der Sieg der Glaubensgemeinschaft vereinigt die juristische und philosophische Intelligenz mit der theologischen, aber das positive göttliche Gesetz, das positive Reichsrecht und das natürliche Recht des Geistes und der Wissenschaft bleiben doch nur nebeneinander bestehen. Die Kultursynthese gelingt nicht. Ihre sozialen Notwendigkeiten drängen sich auch auf dem neuen Boden des Westreichs auf. Die Vertreter des Glaubensreichs und des Heiligen Reichs versuchen je für sich die geistige Einheit zu erreichen nach historischer Vernunft. Das ruft wieder die Geistesaristokratie auf den Plan, die nun mit dem überlieferten Zivilisationsgut der Theologie, Philosophie und Wissenschaft die neue Lebensmacht des Studiums, die Standesbildung der Fakultäten zur Universität, zur Institution erhöht. Die Kultursynthese gelingt als Hierarchismus des göttlichen und natürlichen, des staatlichen und bürgerlichen Rechts nach der Idee des ewigen Gesetzes. Die historische Vernunft scheint endgültig überwunden. Jedoch die kämpfenden Geister des Sazerdotium, Imperium und Studium übersahen die sozialen Notwendigkeiten der aufsteigenden Stadtstaaten und Nationalstaaten. Nun erst griff die freie praktische Intelligenz ein und errichtete aus dem überlieferten Zivilisationsgut aller Wissenschaften und Künste eine Bildungswelt des Bücherwissens von umfassendem Reichtum. Die Universitätswissenschaft erschien als weltfremd und veraltet gegenüber der neuen Geisteswelt. Das Glaubensreich stand mit den neuen Mitteln der philologischen Wissenschaft gegen die alte und die neue Bildungswelt auf als streng historisches Heilswissen. Das ist geistesgeschichtlich die erste Stunde des historischen Bewußtseins, aber noch mit der ungebrochenen Verpflichtungskraft des alten oder des neuen Glaubens, des Reichsrechts und Nationalitätenrechts, der überlieferten Geistes- und Naturwissenschaft.

Was heißt Neuzeit ?

II

Im Geisterkampf der sich nun geschichtlich rechtfertigenden Lebens- und Bildungsmächte entscheidet praktisch die Staatsmacht und geistig die Forschung, Sachforschung statt Bücherwissen, Mathematik statt Philologie, Sachleistung des organisierenden Verstandes im Staat und der Wirtschaft. Das ist der dialektische Ursprung der rationalistischen Phase der Neuzeit nach der humanistischen. Die Rationalisierung von Staat und Wirtschaft ersetzt in hundertjährigen Kämpfen die historischen Autoritäten durch die reine Verstandeswissenschaft, es triumphiert nochmals die natürliche Religion, Sittlichkeit und Legalität über die Symbolik der geschichtlichen und gläubigen Vernunft. Aber die Idee und erste Wirklichkeit des reinen Rechtsstaates in England, das sich seither Revolutionen ersparen kann, sprengt noch nicht die soziale Wirklichkeit der Nationalstaaten im übrigen Abendland. Aus den geistigen Möglichkeiten der rationalen Forschung konstituiert sich eine radikale Forscherintelligenz in Frankreich mit dem revolutionären Ziel der Herrschaft der Wissenschaft und Technik in einer entgeistigten Welt, in Deutschland aber aus der Umbildung des Glaubensreichs in ein freies Geistesreich die Philosophie der reinen Vernunft. Von beiden wird die absolute Verpflichtungskraft der autoritären Lebensmächte durchbrochen, der volle Tag des historischen Bewußtseins bricht an, die Einsicht in die geschichtliche Gebundenheit aller vergangenen Gemeinschaften nach den zeitlichen Gegensätzen. Nun soll die Soziologie, die Lehre von den bleibenden Gesellschaftsgesetzlichkeiten, die Kultursynthese aus der reinen Vernunft ablösen. Aber die Soziologen spalten sich nach den sozialen Notwendigkeiten der Industriegesellschaft in Liberal- oder Sozialdemokraten oder Kommunisten. Die Kulturphilosophie bricht über der Einsicht zusammen, daß niemals die reine Vernunft geherrscht habe, nur die Symbolik zeitbedingter Weltanschauungen. Die Herrschaft der geschichtlichen Mächte ist bloße Autorität des Macht- und Herrschaftswissens, Unvernunft. Es bleibt nur der literarische Ästhetizismus. Danach ist heute noch das soziale Bewußtsein der Geistigen gespalten. Es hat wesentlich die furchtbaren sozialen Kämpfe der letzten hundertfünfzig Jahre verschärft, obwohl die soziale Wirklichkeit grundlegend durch die unübersehbar angewachsene Forschung des Leistungswissens und durch das Rechtswissen in der rationalen Verfassung und Verwaltung bestimmt bleibt. Nie war die Spannung zwischen sozialem Sein und Bewußtsein so ernst wie heute. Nur die Philosophie dankt der universal ausgebreiteten Geschichtsforschung das Verständnis der historischen Vernunft. Die Wissenssoziologie und vergleichende Kulturphilosophie spürt den vollen Ernst

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Vorwort

der poietischen Vernunft, weil von der Symbolik der Gottes- und Weltbilder alle Zeit das menschliche Herz lebt. Sie ist die bessere Hälfte der zeitlichen praktischen Vernunft, der goldene Hintergrund der Zeitgesetze und Stilgesetze in allen hohen Kulturen. Heute müßte die Philosophie der Kunst die ganze Menschheitsgeschichte geistesgeschichtlich lesen können. Weil es aber seit 50 Jahren wieder Metaphysik der reinen Vernunft gibt, sehen wir auch wieder ihren Einschlag in allen historischen Geisteswelten. Die eben umrissene Dialektik der reinen und historischen Vernunft seit der Entstehung der Philosophie ermöglicht es, uns die dritte oben genannte Aufgabe der heutigen Systematik zu erfüllen: den gereinigten Ertrag der abendländischen Geistzeitalter in der Philosophie und Wissenschaft einzubauen in das bleibende Reich der Wahrheit. Wollte man heute die Kritik der reinen Vernunft wiederholen, so wäre dies sehr viel leichter als zu Kants Zeit. Alle Züge der allgemeinmenschlichen sinnlichen und geistigen Organisation sind sorgfältig erforscht, vor allem aber wissen wir, daß jedem Lebewesen seine Umwelt und sein Lebensplan artgemäß entspricht, daß es nach der Formgesetzlichkeit eine natürliche Menschenwelt und Menschengemeinschaft gibt. Die apriorische Morphologie ergibt die Grundgesetze des organisationsbedingten transzendentalen Lebensplanes und den Grundgehalt der Menschenwelt. Wie ihre Erkenntnis- und Seinsprinzipien, wie die Gottes-, Menschen- und Weltidee in allen Epochen immer klarer aufleuchteten, das fügt sich zusammen mit der apriorischen Erkenntnis der Weltordnung und Wertordnung. Das naturgemäße Menschenreich ist die Rangordnung aller Lebensmächte aus dem ursprünglichen Heilsund Bildungswissen, Rechts- und Leistungswissen. Es ist erschaut, seit es Philosophie gibt und in allen Geistzeitaltern gegenwärtig gewesen als Humanismus. Er wird mit der stillen Gewalt der Wahrheit die kommende Zeit bestimmen. U m dem Leser, dem Verleger und meinem eigenen Interesse entgegenzukommen, habe ich lange nach einem vertrauteren Titel für dieses Buch gesucht, der auch nicht so prätentiös klingen sollte. Ich dachte an „Weltanschauungskritik", weil ja heute wohl die meisten Weltanschauung als ein zeitbedingt falsches Weltbild verstehen, aber ein richtiges überhaupt nicht für möglich halten; auch an „Kritik des Zeitgeistes", aber es geht nicht um den heutigen Zeitgeist, und der Plural wäre peinlich. „Die Weltordnungsidee in den wechselnden Zeitdeutungen" käme der Absicht näher, aber das würde doch nur das Weltbild in den wechselnden Zeitphilosophien treffen, wo es doch um mehr geht, um den ganzen Bilderkreis der symbolisierenden, schaffenden Vernunft. Denn diese Ikonologie, die Gesetzlichkeit der zeit- und gemeinschaftsbedingten Ver-

Menschenwelt und Menschenreich

13

n u n f t ist das Geheimnis der E n t s t e h u n g der Kulturen und ihrer Stileinheit, u n d aus ihr allein ist das Ringen u m die reine Vernunft, den kritischen Ideenkreis von Gott- und Menschenbild, Welt- und Gemeinschaftsbild zu erlernen. Der Bilderkreis der Kulturen ist das große Thema einer Philosophie der Kunst, die damit die lebendige Geistesgeschichte aus der bilderschaffenden Vernunft zu deuten u n d anschaulich zu machen vermag. Das fordert aber ein anderes Werk. Zunächst ist das Verhältnis der geschichtlichen u n d übergeschichtlichen Vernunft vergleichend in den uns vertrauteren europäischen Geistzeitaltern festzustellen, eine Kritik der historischen durch die reine V e r n u n f t zu leisten. K a n t h a t seine Kritik der reinen Vernunft aus der allgemeinen, f ü r alle'Menschen aller Zeiten geltenden Organisation des Menschengeistes gewonnen. E r k a n n t e noch nicht die großen Errungenschaften seiner Schüler, das historische Bewußtsein, die Distanz zu allen Zeiten und zur eigenen Zeit, in dessen Übersteigerung der Historismus auch die allgemeingültige Organisation des Geistes leugnen möchte. Die vergleichende Philosophiegeschichte h a t aber gezeigt, d a ß die Idealtypen der Weltbilder gleichbleiben und sich aus der Gesamtorganisation des Menschen nach Geist und Seele, Leib und Körper erklären lassen. Es gibt auch Typen der Gottes- und Menschenbilder; nur ihre Auswahl ist durch die Stileinheit der Kulturen, die Konstellation der Lebensmächte bestimmt, die eben das W e r k der historischen Vernunft ist. D a wir wieder den Mut haben, von einer allgemeingültigen Geist- und Leiborganisation des Menschen zu reden, da wir ihre Gestaltgesetze wieder sehen, k a n n m a n den Versuch wagen, von der wieder anerkannten reinen Vernunft aus die historische der Kritik zu unterwerfen, und so bleibe es bei dem a m genauesten die Absicht des Buches bezeichnenden Titel. München, im Dezember 1955

A. Dempf

I. GEIST UND GESETZ 1. Die h i s t o r i s c h e V e r n u n f t in den W e l t a l t e r n Zeitdeutung ist alt! Meistens hielt man die eigene Zeit für vollendete Sündhaftigkeit und um so heller strahlte Vergangenheit oder Zukunft. Immer fügt sich die eigene Zeit in den weiten Rahmen der unvordenklichen Vergangenheit und der drohenden oder leuchtenden Zukunft, die Zeitalter stehen unausweichlich in der Ordnung der menschlichen und übermenschlichen Welt. Der Mensch wagt die Idee „Welt", die Idee der Ordnung selbst, des Kosmos, des ewigen Gesetzes und Weltalter, Äonen sind nur ihr Symbol. Er wagt Kosmologie und Kosmogonie, und dem Kosmokrator erklingen die Hymnen in die Äonen der Äonen. Es gibt einen Zusammenhang zwischen Zeitdeutung und Weltbildern, zwischen dem Bild der sozialen und äußeren Welt, dem Naturrecht und dem Naturgesetz. Vor den geschriebenen Geschichtsphilosophien gibt es viel ältere, nur andeutende Geschichtsbilder der symbolisierenden Vernunft. Um dem Gleichklang von Zeitdeutung und Weltanschauung auf die Spur zu kommen, muß allerdings die alte gute Unterscheidung zwischen wissenschaftlichem Verstand und symbolisierender und philosophischer Vernunft getroffen werden, zwischen dem Vermögen der Begriffe und dem der Ideen. Es gibt eine geschichtliche Vernunft, die trotz ihrer Zeitgebundenheit faßbaren Regeln folgt. Damit ist nicht der organisierende Verstand gemeint, die Staatsschöpfung und Rechtsschöpfung, die sich gegen die menschlichen Leidenschaften, gegen Dummheit und Trägheit trotz aller Katastrophen leidlich durchsetzt, sondern sind gemeint jene scheinbar so überschwenglichen Weltbilder, die den wesentlichen Inhalt der Religion, Kunst und Philosophie ausmachen und das Zeitgesetz bestimmen. Die Geistesgeschichte ist ebenso wichtig wie die Macht- und Wirtschaftsgeschichte. Sie ist nur viel schwerer zu verfolgen als die Haupt- und Staatsaktionen und der wirtschaftliche Fortschritt. Sie ist keineswegs allein Wissenschaftsgeschichte der Anhäufung der Entdeckungen und Ergebnisse und deren Anwendung. Sie kennt recht genau zu unterscheidende Zeitalter nach dem ausgeprägten Stil der Kulturen. Die geistigen Mächte, die das Zeitgesetz und Bild der Welt-

Der Geist der Zeiten

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Ordnung bestimmen, bestimmen auch den Stil der Wissenschaftsgeschichte. Die geschichtliche Vernunft verteilt das Gewicht der Wissenschaften in den Zeitaltern. Man h ä t t e erwarten können, daß in unserer Zeit des Großbetriebs der Forschung und der Leugnung einer die Wirklichkeit treffenden metaphysischen und religiösen Weltanschauung zuerst die Soziologie der Wissenschaften entdeckt und durchgeführt worden wäre. Allein zuerst geschah das schwerere, die Entdeckung jener ursprünglichen Wissensformen, die der Wissenschaft vorausliegen, des Heils- und Bildungswissens, des Rechts- und Leistungswissens. Das ist dem Erbe des deutschen Idealismus zu danken, von dem sich immerhin nach dem Verzicht auf eine eigene Metaphysik die Weltanschauungskritik erhalten hatte, die Scheler in einer genialen Wendung zur Wissenssoziologie erweiterte. Statt der typischen Formen der monistischen Metaphysik sah er den viel weiteren Kreis der Weltbilder des Glaubens, die Geisteswelten der Kunst, Dichtung und Philosophie, die Gebilde des Rechts- und Herrschaftswissens und des praktischen Verstandes der Leistungsgemeinschaften aller Art. Aber er war kein Historiker, und so blieb er bei den typischen Wissensformen stehen, ohne ihre konkrete Verbindung mit der bestimmten Zeitlage zu untersuchen, die geschichtliche Vernunft und die zu ihr gehörenden Geisteswelten und Zeitgesetze. Versucht man es, so zeigt sich sofort, daß diese Geisteswelten der Geschichte und Soziologie der Wissenschaft vorgelagert sind, daß man zuerst den Stil der Kulturen sehen muß, um den von ihm abhängigen Stil der Wissenschaften nach der vorherrschenden Methode bestimmen zu können.

Der Geist der Zeiten ist aus jenen Geschichtsphilosophien abzulesen, die die kommende Zeit und das Zeitgesetz bestimmen wollen, also eigentlich Utopien, Zukunftsphilosophien sind. Ich habe vor 25 Jahren in meinem Buch „Sacrum Imperium" für eine einzelne Epoche, f ü r das Mittelalter die greifbaren Geschichts- und Staatsphilosophien in ihrer Abhängigkeit von den tragenden Gesellschaftsgruppen in der bestimmten Zeitlage untersucht, den Dialog der streitenden Geistesmächte. Die Untersuchung war zu erweitern auf die Typologie aller Geschichtsphilosophien jener dreizehn Philosophieperioden, die die unermüdliche Erforschung und Darstellung aller Philosophen des Westens und Ostens zugänglich gemacht hat. Überall spielt sich derselbe Dialog der Lebensmächte ab, überall sieht man die historische Vernunft am Werk in den Spannungen der Zeitnöte, so daß greifbar wird, wie weit sie zeit- und gruppenbedingt ist und wie weit reine Vernunft.

Die Vergleichung der Zeitdeutungen zeigt weiter, daß die Begründung der naturrechtlichen Gemeinschaftsordnungen zum Naturgesetz führt. Seine Fassung in den Kosmologien ist auf die klassischen Typen der Weltanschauung begrenzt. Diese Weltbilder vermag die historische Vernunft nicht so sehr zu variieren wie die Gemeinschaftsbilder, aber ihre Stilunterschiede, wie etwa die Antike die Welt verewigt, das Christentum sie verzeitlicht und die Neuzeit sie wieder verewigt, lassen sehr genau die Brechung der reinen Vernunft durch die historische erkennen.

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Die historische Vernunft in den Weltaltern

Das Nebeneinander der sich widersprechenden Kosmologien führt überall, meist durch eine skeptische Phase zur philosophischen Anthropologie. Wieder sind die Menschenbilder typisch durch die Formen der inneren Gewißheit, die sittliche, emotionale oder theoretische bestimmt, aber die Menschenanschauungen sind besonders empfindlich vom Kulturstil abhängig. Der griechische Mensch denkt und fühlt erheblich anders als der christliche und neuzeitliche. Dennoch kommt es überall zur Klärung der praktischen, emotionalen und theoretischen Vernunft 1 ). Jetzt ist der nächste Schritt zu tun, die emendatio intellectus historici zu vollziehen, die Reinigung der Vernunft von ihren geschichtlichen Bedingtheiten. Der Stolz des letzten Jahrhunderts war es, das geschichtliche Bewußtsein errungen zu haben, und darüber vergaß man die reine Vernunft, ja man leugnete ihre Möglichkeit. Nachdem sie sich zunächst wieder in der Typologie der bleibenden Richtungen der Kosmologie und Anthropologie verraten hat, sollten wir nicht in den andern Fehler verfallen, nun die historische Vernunft zu leugnen. Nicht in dem banalen Sinn, in der Geschichte herrsche überhaupt keine Vernunft, nur die Praxis, es gäbe nur zufällige Ereignisse oder Schnittpunkte einander widerstrebender Tendenzen nach der Meinung des Historismus! Er ist nicht die letzte Weisheit, aber es muß als große Errungenschaft anerkannt bleiben die Einsicht in die Macht der zeitlichen und gesellschaftlichen Bedingungen. Die Befreiung der Vernunft von den historischen Schranken ist ein dringliches Anliegen gegenüber der Relativierung aller Werte und Einsichten. Es gibt für die Philosophie des 20. Jahrhunderts bleibende Normen des Gemeinschaftslebens, ein ewiges Gesetz der bleibenden Menschennatur und den dazu gehörigen Gewissensglauben, die natürliche Religion und Sittlichkeit und das natürliche Recht, es gibt ein naturgemäßes Heilswissen und eine dem Menschen naturgemäße Geisteswelt, die wahre Menschenwelt und die wahre Gemeinschaft der Ordnung der Rechte und Berufe. Es ist der Weg von der reinen Vernunft und ihrer Weltidee, wie sie sich aus der allgemeingültigen Organisation des Menschengeistes nicht anders ergibt als die artgemäßen Umwelten der Tiere, zu ihrer Abwandlung durch den Zeitgeist zurückzulegen. Das muß für die praktische, theoretische und emotionale Vernunft im einzelnen durchgeführt werden. Der reinen theoretischen Vernunft gelingt die Idee der 1

) Zur Durchführung dieser langwierigen Forschungsaufgabe wurde mir die Muße der Enthebung von den Amtspflichten durch das vergangene Regime geschenkt, und so konnte ich 1947 das Ergebnis in dem Werk vorlegen „Selbstkritik der Philosophie, Vergleichende Philosophiegeschichte im Umriß".

Ideenkreis und Bilderkreis

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Weltordnung, der reinen praktischen die des ewigen Gesetzes u n d der reinen emotionalen die Idee des wesentlichen Menschen u n d seines ewigen Heils. D a s ist ein geschlossener Ideenkreis der Gottes- und Menschenidee, der Welt- und Gemeinschaftsidee. D a ß es in allen Weltaltern und Kulturen den entsprechenden zeitlichen Bilderkreis gibt, ist das Werk der geschichtlichen Vernunft als symbolisierender, als bilderschaffender Vernunft. Entdeckt hat sie Friedrich Schlegel, der Kants transzendentale Dialektik, die dem Menschen notwendige Ideenbildung zur transzendentalen Poietik fortbildete, zur Weltanschauungslehre des Mythos und der Kunst, der Religion und Philosophie. Schleiermacher schloß daran die transzendentale Glaubenslehre. Hegel die transzendentale Politik und Marx die den Menschen allererst konstituierende Ökonomik. Das ist die Wurzel des Historismus in der umfassenden Anthropologie Kants als Noologie, als Lehre von der produktiven Geistgesetzlichkeit. Die Idealisten wollten noch nicht den Historismus, sie wollten nur, um mit Schelling zu reden, die Entwicklungskonstruktionen der negativen Philosophie durch die positive Philosophie der Geschichtlichkeit, der Existenz und Wirklichkeit ergänzen. Und das ist genau auch wieder unsere Aufgabe: nachdem wir die bleibende Rangordnung der Lebensmächte sehen, auch ihre zeitliche Konkretisierung zu verstehen. Es ist viel leichter für uns, weil wir die unermeßliche Erweiterung des geschichtlichen Horizonts dank der Errungenschaft des geschichtlichen Bewußtseins erlebt haben. D i e Verbindung v o n Zeitgeist, Geisteswelt und Zeitgesetz m i t der Zeitlage, mit d e m Spannungszustand der bleibenden Lebensmächte, die die Kulturen tragen, ermöglicht eine kurze Geistesgeschichte. A u s der Fülle der Geistesströmungen u n d Geschichtsbewegungen sind jene wesentlichen Züge herauszugreifen, die d e n Stil der Kulturen bestimmen. D a s ist die Aufgabe einer kritischen Geschichtsphilosophie, die nicht selber wieder Utopien konstruiert. E s ist i m zweiten Teil dieses B u c h e s versucht. Leicht kann m a n die leuchtenden, charakteristischen Gestalten der Geschichte und d e n Verlauf der sozialen B e w e g u n g e n nachzeichnen, aber der Versuch, das Ineinandergreifen der geistigen Strömungen und Lebensnotwendigkeiten z u erfassen, m u ß genauer auf die Wechselwirkung v o n Geist u n d Leben, v o n Leben u n d Geist eingehen. Mir scheint die philosophische Selbstdarstellung der Zeiten in den streitenden Zeitdeutungen ein brauchbarer Ansatz hierzu zu sein. Das Wagnis, ein einziges Gesetz des Geschichtsverlaufs aufzustellen, geschieht j a immer in der bestimmten Absicht einer Denkergruppe, das Zeitgesetz nach der Idee des ewigen Gesetzes, der natürlichen Menschheitsordnung bleibend zu bestimmen. So wird die Erkenntnis des einen Naturgesetzes zur Lebensfrage der Geistigen, und damit beginnt das Geistesleben sich von den unmittelbaren Lebensnotwendigkeiten zu befreien. Es muß die unbedingte Gewißheit der sittlichen Lebensordnung errungen werden, die großen Ethiker werden die Gesetzgeber des inneren

i8

Die historische Vernunft in den Weltaltern

Lebens. Ihre Jünger erleiden die innere Not der eigenen UnVollkommenheit in der Verantwortung für das Heil des Einzelnen und der Gemeinschaft und darum muß zuletzt die theoretische Gewißheit der reinen Vernunft über der praktischen und emotionalen gewonnen werden. Diese dialektische Regel der Philosophieentwicklung folgt ihrem eigenen Gang, die Philosophie steht als eigenes Geistesleben in der allgemeinen Geisteswelt der Zeiten, und dies Wechselspiel bleibt der Kampf zwischen der reinen und historischen Vernunft.

Beschränkt man sich auf diese wesentlichen Züge der Geistesgeschichte, dann werden die Spiegelungen der Zeitnöte und vordringlichen Lebensnotwendigkeiten in bestimmten Gehalten der Geisteswelten greifbar. Es wird einsichtig, warum die Antike die Welt verewigt hat, warum die Christenheit die Zeitlichkeit der Welt aus der geforderten persönlichen Entscheidung für Zeit und Ewigkeit verstanden hat und warum die Neuzeit um dauernder politischer und sittlicher Ordnungsformen willen wieder zur Verewigung der Welt neigte. Dies für den ganzen Bilderkreis der Gottes- und Menschenbilder der Welt- und Gemeinschaftsbilder aufzuzeigen, ist die Aufgabe der konkreten Kritik der historischen Vernunft. Aber damit ist der Weg frei, den bleibenden Ertrag der immer zeitgebundenen Philosophien zu sammeln. Hier ist nicht die Mühe gescheut, die dauernde Möglichkeit des Menschengeistes zu untersuchen, nach seiner artgesetzlichen Geistorganisation seine wahre Menschenwelt aufzubauen, so wie heute die theoretische Biologie die artgemäßen Umwelten der Tiere aus ihrem Organisationsplan erschließt. Es muß die metaphysische Grundlage der richtigen Ideenbildung aufgedeckt werden, bevor man in Kenntnis der zeitgeschichtlichen Gründe ihrer Abwandlung den Versuch machen kann, die wahre Gottes- und Menschenidee, Welt- und Gemeinschaftsidee sicher zu bestimmen. Dann tritt doch klar die Kontinuität der Leistungen trotz der immer neuen zeithchen Ansätze zutage, die Einheit der abendländischen Geistesgeschichte trotz ihrer großen geistigen Revolutionen. Ja noch mehr, die Einheitlichkeit des Menschengeistes in der Vielfalt und Abfolge der Weltalter und die wirkliche Weltordnung selbst werden sichtbar. Es gibt eine bleibende Gemeinschaftsidee nach der bleibenden Menschennatur, und sie muß die Norm der künftigen Kultur werden. Die Philosophie des 20. Jahrhunderts steht im Übergang von der Zivilisation zu einer neuen Kulturepoche. Ihre Selbstbefreiung von der arbeitsteiligen Verstandespflege, der Spezialisierung, vollzieht sich unvermeidlich in ihren einzelnen Disziplinen. Dabei verbinden sich Erkenntnislehre, Logik und Ontologie, Physik, Biologie und

Geist- und Gesetzbegriff

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Menschenlehre, Ethik, Geschichtsphilosophie, Ökonomik, Politik und Jurisprudenz, Poetik und Glaubenslehre. Überall wendet sich das Wissen zur Seinslehre. Damit durchbricht die Philosophie ihre Zeitgebundenheit, ihre Verhaftung an die bloße Erkenntnislehre: Wir durchschauen unsere eigene historische Vernunft, die neuzeitliche, und kehren so zurück zur reinen theoretischen und praktischen Vernunft. Wir brauchen einen strengen Geist- und Gesetzbegriff. Noch leben viele Denker vom verstümmelten, letzten Geistbegriff der Neuzeit, dem Kierkegaards. Geist haben, heißt nach ihm, mit unendlichem Interesse um sein ewiges Heil besorgt sein; in religiöser Existenz leben. Er schließt den ästhetischen und ethischen Geistbegriff ein im Nacheinander der Lebensstadien. Über dem Willen zur Selbstverwirklichung vor Gott ist die Eigenbedeutung der Vernunft zu kurz gekommen, und ihr Erfolg, die Wirklichkeitserfassung, wird übersehen. Die wahrhaftige Verstandespflege hat uns aber von diesem Subjektivismus befreit und nun müssen wir wieder Geist und Geisteswelt als subjektive und objektive Einheit der theoretischen, praktischen und historischen Vernunft verstehen. Nur so trifft er die gesamte Wirklichkeit, die Weltordnung, die Wertordnung und das Gesetz. Geist haben ist also Selbstverwirklichung, aber nur im Kontakt mit der gesamten eigenen Wirklichkeit des Menschen und der Welt. Kant hatte die apriorische Naturerkenntnislehre in der allgemeingültigen Geistorganisation begründet, aber er postulierte nur die Gottesidee, Menschenidee und Freiheitsidee; er kannte nicht mehr die Weltidee. Damit überließ die Philosophie selber das Feld den Verstandeswissenschaften. Nach dem kurzen Rausch des Idealismus, nach übersteigerten Vernunftkonstruktionen, setzte notwendig die Spezialisierung der Wissenschaften einschließlich der philosophischen Disziplinen selber ein. Nun gab es nur mehr Weltanschauungen, die geschichtlich untersucht wurden, nur geschichtliche Weltbilder, nur Leistungen der poetischen Vernunft, den Mythos. Der Historismus verwarf die reine Vernunft einer allgemeingültigen Organisation des Menschengeists. Gleich nach Kant leitete Friedrich Schlegel die Konstruktion der verschiedenen Weltbilder aus der Konstitution des Menschen ab, und seither blieb Weltanschauungskritik ein großes Thema bis heute. In der Vielfalt der zeitgebundenen Weltanschauungen tauchte die Typologie der Weltbilder auf. Der Zusammenhang zwischen der Noologie und der Anthropologie, der Geistgesetzlichkeit und Seinsgesetzlichkeit wurde wieder deutlich. Nachdem man erkannt hatte, daß die Schichten im Aufbau der Menschennatur den Schichten der Weltwirklichkeit selber entsprechen, ist nach einer ausführlichen Erörterung der Ordnung der

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Die historische Vernunft in den Weltaltern

Seinsschichten der Gedanke der Weltordnung wieder greifbar geworden, die Weltidee. Auch die praktische Vernunft hat nach Kant zuerst nur noch ihre Autonomie in der Ethik, Politik und Ökonomik verkündigt. Es bedurfte auch hier der Geschichte des sittlichen Bewußtseins in allen Zeiten, bis man wieder auf die bleibenden Typen des sittlichen Verhaltens stieß, auf die Sittenlehre neben der Tugendlehre. Hier brachte die apriorische Wertlehre die Wende. Seit Scheler sieht man wieder die Rangordnung der Tugenden und Werte, der Wissensformen und Lebensmächte. So wäre nur noch ein Schritt zu tun, auch die Rangordnung der Rechte wieder in der Idee eines ewigen Gesetzes zu vereinigen. Es muß die Noologie ergänzt werden durch die Nomologie, die Geistgesetzlichkeit durch die Gemeinschaftsgesetzlichkeit. Was heißt nun nach dieser Rückkehr zur reinen Vernunft historische Vernunft? Gebrauch der theoretischen, praktischen und emotionalen Vernunft in nicht durchschauter Zeitbedingtheit, in einer bestimmten Zeitlage. Seit der Romantik war es unvermeidlich, daß der Zeiteinfluß auf die Ideenbildung — wirtschafts- und staatsgesetzlich, wissenschafts- und glaubensgesetzlich — je für sich als ausschließlich behauptet wurde, historisch! Dilthey hielt noch idealistisch am Gesamtlebensgefühl der Zeit und an der Gesamtstruktur der Zeitlage als Grund des Zeitgeistes fest, aber im Vordergrund standen doch die wirtschafts- und machtgeschichtlichen Deutungen der Zeit. Heute sehen wir wieder, daß er recht behalten hat mit seiner umfassenden Deutung des Zeitgeistes. Aber leider glaubte er nicht mehr an die allgemeingültige Geistorganisation. Muß nicht gerade aus ihr immer wieder die Verwirklichung aller artgemäßen Bedürfnisse des Menschen in jeder Zeit hervorgehen ? Gibt es nicht immer ein Nebeneinander aller Lebensmächte — wie sie schon Schleiermacher getauft hat — von Kirche und Schule, Staat und Wirtschaft ? Nur ihre Konstellation wechselt, ihr Vorrangstreben und Sendungsbewußtsein, und eben aus dieser Zeitunordnung sind alle Zeitdeutungen verständlich zu machen. Unsere arme Gegenwart, rückständig gegenüber der Forschung, ist ein grausiges Experimentierfeld einseitiger Gesellschaftsbilder. Gerade die tüchtige Einseitigkeit erzwingt totale Gesellschaftsbilder, um die übrigen Lebensmächte durch die ausschließliche Herrschaft und Sendung zu ersetzen. Planwirtschaft erzeugt den Zwangsstaat, die Propaganda als Glaubensersatz das Bild einer ewigen und unendlichen Welt. Auch die mittelständische Ideologie wird Machtstaat und Weltanschauungspartei. Das sieht nun jedermann, aber niemand sieht, daß die Zivilisation selbst ein totales Gesellschaftsbild des Forschungs- und

Weltgeschichte als Geistesgeschichte

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Leistungswissens besitzt, weil die Rationalisierung der Verwaltung und Verfassung, der Wirtschaft und Technik nur durch das fortschreitende Verstandeswissen geleistet werden kann, in Wahrheit also schon die praktisch auszuwertenden Wissenschaften die führende Lebensmacht der Neuzeit sind. Das Verstandeswissen ist wirklich die Macht geworden, wie Bacon prophezeite, aber sie herrscht nur faktisch und regiert nicht autoritativ. Weil sie nicht ständisch organisiert ist, muß sie der Staatsmacht die Rechtsöffentlichkeit überlassen. Weltgeschichte als Geistesgeschichte Das also ist unsere eigene Zeitgebundenheit. Nur wenn wir sie durchschauen, können wir auch unsere Gesellschaftskrisis lösen, die seit dem Kampf zwischen der rationalisierten Wirtschaft und der Verwaltung und besonders seit dem Vorstoß beider zum Imperialismus eine Dauerkrisis geworden ist. Aber schon die Drohung des Imperialismus vor und seit dem ersten Weltkrieg hat genügt, um den Absolutismus seit den Religionskriegen und das Industriesystem zu durchschauen als eine einzigartige Erscheinung der Weltgeschichte. Die Neuzeit ist als Rationalismus zu deuten, als Versuch, allein mit dem wissenschaftlichen Verstand ohne die Vernunft, ohne eine rechtsgültige Wertordnung und Weltordnung auszukommen. Zivilisation ist die Reduzierung der Kultur auf die drei Lebensmächte Wissenschaft, Staat und Wirtschaft und nur aus den hundertjährigen abendländischen Religionskriegen von 1562 bis 1660 zu verstehen. Daß das göttliche Recht konfessionell getrennt wurde, hat die Staatssouveränität heraufbeschworen. Die ganze neuzeitliche Philosophie ist seit diesem Ansatz eine politische. Die Juristen haben damit die Lebensführung statt der Theologen und Humanisten übernehmen wollen: silete theologi in munere alieno! Daß die Humanisten und Theologen trotzdem nicht geschwiegen haben, ja daß die Politiker selbst den Glaubensersatz erfunden haben, Idole unserer historischen Vernunft, das macht den zwiespältigen Charakter unserer Ära aus. Sobald wir aber so unsere eigene Ära verstehen, werden sofort auch zwei andere als Zusammenspiel der vier Lebensmächte, Religion und Geist, Staat und Wirtschaft verständlich: die weltkirchliche Ära seit Christus und das philosophische Weltalter seit der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends in Indien, Griechenland und China. Mit der Philosophie, dem Gebrauch der reinen theoretischen und praktischen Vernunft ist die Ära der Vollkultur angebrochen. Sie hat mit der Verkündigung der natürlichen Religion, der natürlichen Sittlichkeit und

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Die historische Vernunft in den Weltaltern

des natürlichen Rechts den Geist und das Geistesreich zu einer selbständigen Lebensmacht erhöht. Freilich konnte sie als Vertreterin des natürlichen Rechts und nicht eines positiven nur mittelbar geschichtsmächtig werden. Sie konnte nicht die Konstellation der Rechte mitbestimmen. So ist nur mehr der letzte Schritt zu tun, um die historische Vernunft weltgeschichtlich zu verstehen als die Schöpferin der Hochkulturen, der ersten Staaten und Reiche, des positiven Staatsrechts und des monarchischen Theismus, des Glaubens an den Reichsgott. Die historische Vernunft als Schöpferin des Zeitgesetzes kennzeichnet die ganze Reihe der Weltalter des Geistes seit dem Anfang der Geschichte nach der Vorgeschichte, die ihrerseits durch die soziale Vernunft der Familien und Stämme gekennzeichnet ist. Das ist nun die seit 30 Jahren sichtbar gewordene Stufenfolge der Weltgeschichte als Geistesgeschichte. Das ist die wichtigste Großtat der Wissenssoziologie in der Zusammenarbeit der entscheidenden, geistphilosophischen Denker des 20. Jahrhunderts: Troeltsch, Max Weber, Scheler und Peterson. Die historische Vernunft hat das bloße Stammesleben überwunden. Sie ist die wahre Meisterin der Staatengründung neben der Machteroberung und Wirtschaftsordnung, sie ist die Schöpferin der geschichtlichen Zeit. So hat sie zuerst Schelling gesehen in seiner Philosophie der Mythologie und Offenbarung. Er hat den Kampf gegen den Rationalismus aufgenommen und der natürlichen oder negativen Philosophie der Aufklärung seine positive Philosophie gegenübergestellt, die Philosophie der Existenz, der geschichtlichen Entscheidung und des Herrn der Geschichte. Er sah zuerst die „zeitlose" Vorgeschichte und erkannte Mythos und Offenbarung als Zeitbewußtsein, weil er nicht wie Hegel die Weltgeschichte „an den schwachen Nägeln der Regimentsformen" aufhängte. Aber als das riesige Spätwerk Schellings erschien, war die ökonomische Geschichtsauffassung schon in voller Entfaltung. Man vergaß über dem rationalen Organisationswillen gänzlich den Begriff der Vernunft. Und dann kamen die Ethnologen und Prähistoriker, die auch nur organisatorisch dachten und den Mythos als eine Wirtschaftsideologie mißverstanden. Erst seit sich das Machtproblem neuerlich zuspitzte, sehen wir das geistesgeschichtliche Problem der Geschichte als Stufe der Menschwerdung, wie Schelling sagte, und damit wieder die historische Vernunft als die eigentliche Schöpferin der Staatenwelt. Der Ursprung des Staates ist nicht bloß Machtereignis als Überschichtung von Bauernstämmen durch Nomadenstämme, nicht nur das

Kulturformen

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Wirtschaftsproblem „der Herausforderung" der Staatsorganisation für Kultivierungsaufgaben mit Massenaufgeboten, er ist wesentlich ein Rechts- und Glaubensproblem. Das positive Staatsrecht der Eroberer ist königliches Recht des Gesetzgebers mit der göttlichen Sanktion des Königsgottes und Reichsgottes. Der monarchische Theismus und das jus humanum als heiliges Recht gehören zusammen. Die Hochkultur ist das Werk der Gesetzgeber und Schöpfer von Gottesbildern, wie die Vollkultur das Werk der Gesetzesdenker ist, der Schöpfer der Gottesidee. Die Ständespannung des Königtums und Priestertums kennzeichnet die Staatskultur wie die der Denker und Politiker die geistige Kultur und die der Politiker, Ökonomen und Forscher die Zivilisation. Die Zeitlage ist ein Spannungszustand der Kultur, ein status culturae, der sich im status mundi spiegelt, in der zeitlich verstandenen Weltordnung. Wie die theoretische und praktische Vernunft den Ideenkreis der Gottes-, Menschen-, Welt- und Gemeinschaftsidee sieht, so erfaßt die historische Vernunft von der Zeitlage aus den Bilderkreis der Gottes-, Menschen-, Welt- und Gesellschaftsfo'Wer. Sie gewinnt aus der Zeitdeutung die Weltdeutung. Sie ist symbolisierende Vernunft, bilderschaffende Vernunft im Gegensatz zur strengen Ideenlehre und Urgrunderkenntnis der reinen Vernunft. Sie schafft die positive zeitliche Rechtsordnung, die lex temporalis im Konflikt des status mundi, in der Spannung der Lebensmächte der sozialen Welt durch die geschichtliche Entscheidung. So wie die positive Theologie zur Heilsgeschichte gehört, so gehört die positive Philosophie zur Geistesgeschichte. Sie bleibt Vernunft trotz der Zeitbindung, denn auch sie ist eine Deutung der Gesamtwirklichkeit, auch sie ringt um den ganzen Lebenssinn. Sie kennt noch nicht das ewige Gesetz als Rangordnung aller Rechte, den höchsten Aufschwung der reinen Vernunft zum artgemäßen Menschenreich. Aber sie schafft ständig ihre Bilderwelt, den Zusammenklang des Reichs- und Gottesbildes, des Welt- und Menschenbildes. In der frühen Hochkultur gab es nur diese Bilderwelt, nur die Entsprechung des Reichsbewußtseins mit der Geisteswelt. Erst seit wir die alten Hochkulturen Ägyptens und Babylons, Indiens und Chinas nach ihrer Geistesgeschichte kennen, vermögen wir den gewaltigen Reichtum der geistigen Entfaltung der historischen Vernunft zu würdigen. Ihre Darstellung wird bald eine Soziologie der Kunst, eine Kritik der bilderschaffenden Vernunft leisten können. Aber hier müssen wir uns mit einem bescheideneren, dafür aber viel genauer zu fassenden Thema zufrieden geben, nämlich die sechs Epochen der abendländischen Geistesgeschichte seit dem Griechentum in ihrer historischen Symbolik

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Die historische Vernunft in den Weltaltern

zu verstehen, ihre Zeitgebundenheit aufzudecken, und danach diese Geisteswelten zu vergleichen. Das ist die nächste Aufgabe einer Kritik der historischen Vernunft, wie sie sich noch innerhalb des reinen Vernunftgebrauches behauptet und auch noch die Vollkultur, religiöse Weltkultur und Zivilisation durch die Bestimmung des zeitlichen Gesetzes mitbestimmt. Nur so ist der bleibende Ertrag dieser Geisteswelten für das Reich der Wahrheit zu gewinnen. Die historische Vernunft und das zeitliche Gesetz gehören zusammen. Was heißt aber zeitliches Gesetz? Der Begriff ist geprägt worden nach dem des ewigen Gesetzes, der lex aeterna, erst als das Imperium Romanum heraufstieg. „Die Völker seufzten, weil sie die Freiheit verloren hatten", meint Hegel, der Etatist. Sie seufzten aber auch, weil sie ihren Gott, ihren Volksgott verloren hatten, und so spalteten sie sich unter der Fremdherrschaft und Unterdrückung in die Anhänger des natürlichen Gottes, die Philhellenen, in die Anhänger des Volksgottes, die Zeloten, und in die des Reichsgottes, die PhUoromanen. Wir sehen heute wieder diese dreifache Spaltung bei allen Kolonialvölkern, die unter die Hegemonie der Zivilisation geraten sind. Es ist täglich von ihr die Rede. Und so müssen wir auch wieder erkennen, daß damit zugleich die große Unterscheidung der poetischen und politischen Theologie von der natürlichen entstanden ist. Der Zusammenstoß des Hellenismus mit dem römischen Reich hat die Idee des ewigen Gesetzes herausgefordert, als Poseidonios den Philoromanen antwortete, daß die natürliche Religion, die natürliche Sittlichkeit, das natürliche Recht zusammen das ewige Gesetz seien — der societas hominum cum deo, der Gemeinschaft der Menschen mit dem metaphysisch erkannten einzigen Gott — gegenüber den Göttern der Völker und des Reichs. Das Geistesreich hat damit sein Gesetz gefunden und die unterdrückten Völker, die ihren Gott nicht verlieren wollten und damit ihr zeitliches Gesetz, mußten philhellenisch zeigen, daß ihr Gott der einzige und das Gesetz der Juden, Ägypter, Perser, Griechen, ja der Römer selbst nur poetische Theologie, volkstümliche Einkleidung der natürlichen Religion, Sittenordnung und Rechtsordnung sei. Das zeitliche Gesetz ist die gesamte Lebensordnung eines Volkes, die der Gesetzgeber stiftet, Menes oder Minos, Moses, Zoroaster oder Numa. Es wird abgelöst durch das zeitliche göttliche Gesetz für die ganze Menschheit, das Gesetz Christi, Buddhas oder Mohammeds. Aber vorher schon sind die Gesetze der Völker vor den Richterstuhl der reinen Vernunft gestellt worden, vor die Idee der Menschheitsordnung selbst, das ewige Gesetz. Immer im Zusammenstoß der zeitlichen Gesetze,

Idee der Weltordnung

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einst schon im römischen Weltreich und dann in den Kreuzzügen, wird das ewige Gesetz im Vergleich mit dem mohammedanischen, jüdischen und christlichen Gesetz eine unausweichliche Lebensfrage. Und so auch heute im Zusammenstoß der neuen Imperien! Der klare Begriff des ewigen Gesetzes ist freilich erst nach dem hellenistischrömischen Ciceros durch Augustin in der Abhebung vom zeitlichen Gesetz geschaffen worden. Der Schöpfer selbst ist jetzt als Gesetzgeber der Weltordnung erkannt, der wesensgesetzlichen lex universitatis zusammen mit dem inneren Gesetz des Menschengeistes in der Weltordnung. Die institutio universitatis, die Einrichtung der Welt ist Weisheit und Wille des Schöpfers, ist ars aeterna, ewige Gesetzgeberkunst des ordo naturalis und der Geistgesetzlichkeit des Menschen. Thomas hat das ewige Gesetz als Rangordnung aller Rechte nach dem Aufbau der Menschennatur gesehen, aber erst der Cusaner hat die Geistgesetzlichkeit so tief verstanden, daß er auch den allwissenden und allmächtigen Schöpfergeist bestimmen konnte durch den Gegensatz zum nachschöpferischen Geist.

Der Weg hierzu ist die Idee der Weltordnung, die Gott realiter setzt, und die der Mensch idealiter nachschaffend entwirft. Der wesentliche Mensch ist zuhöchst nachschaffender Geist als Ebenbild des Schöpfers und nach der vorgegebenen, gottgesetzten Weltordnung. Er ist vorbestimmt, sich nach der praktischen Vernunft selbst zu bestimmen und nach seiner vorgezeichneten Idee im Gewissen selbst zu bewerten. Die Paradoxien seines Nachschöpfertums sind gesehen, die in die Tiefe seiner Existenz und Wesenheit führen. Es wird sich bei der Erörterung der poetischen Vernunft zeigen, daß unsere beschränkte Einheit und Einheitserkenntnis, die Trennung des Personseins und Naturseins unsere Weise der Nachschöpferkraft verständlich macht. Erst die volle Auswirkung der Geistgesetzlichkeit im Aufbau unserer Welt, der Menschenwelt nach der gegebenen Ordnung der gesamten Wirklichkeit bestimmt auch unsere praktische und wertende Vernunft. Die Lebensordnung ist abhängig von der Weltordnung. Die Lebensordnung des Einzelnen steht aber in der Gemeinschaft, weil alle Menschen dieselbe Geistgesetzlichkeit auszuwirken haben. So gehört die Gemeinschaftsidee unlöslich zur Gottes-, Menschen- und Weltidee. Der intellectus archetypus, das Ideal des Lehrers (nachdem wir, wie Kant sagt, nur Lehrer im Ideal sein können), ist die ewige Kunst, das ewige Wort selbst, das urbildliche ewige Gesetz für die Menschheit und die ganze Wirklichkeit. Der vollkommene Lebenssinn ist gebunden an die Weltordnung, weil der Mensch selbst das Wort der Welt ist, weil er sich selbst verstehen soll als Ziel der Welt, als ihr lebendiger Sinn, der seinen und ihren Lobgesang vor Gott singt.

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Die historische Vernunft in den Weltaltern

Für die historische Vernunft ist das Gemeinschaftsbild das erste. Aber im Aufstieg zur nachschöpferischen Erkenntnis der gottgesetzten Weltordnung stößt sie auf die eigene Geistgesetzlichkeit, auf die Idee des wesentlichen Menschen und der wahren Welt. In der praktischen Auswirkung müßte also die Gemeinschaftsordnung sich nach der erkannten Weltordnung richten. Disciplina sequitur veritatem! Zuerst muß die Idee des wesentlichen Menschen in der Naturordnung erkannt werden, bevor nach dem Aufbaugesetz seiner Natur die Rangordnung der Werte und Wissensformen, der Lebensmächte und Rechte bestimmt werden kann. Daß nacheinander in der abendländischen Geistesgeschichte das Naturrecht der Polis, das ewige Gesetz der dauernden Menschengemeinschaft, das ewige Gesetz über den zeitlich-göttlichen und zuletzt das ewige Gesetz als Rangordnung aller Rechte erkannt wurden, daß vier Geisteswelten und die Weltgeschichte selbst notwendig waren, um zur vollen theoretischen Klarheit der Men schenidee und Gemeinschaftsidee zu kommen, zeigt die eminente Bedeutung der Zeitlage für die Geistesgeschichte und Geistphilosophie. Noch drastischer zeigt die vergleichende Philosophiegeschichte, daß immer wieder die Geschichts- und Gesellschaftsgesetzlichkeit zu kurzschlüssigen Kosmologien geführt hat. Das Gemeinschaftsgesetz ist der Weg zum Naturgesetz! Das Naturrecht hat keine eigene positive Autorität und so muß es gefestigt werden durch das unveränderliche Gesetz der Natur selbst. Die Urworte der Philosophie sind in diesem Fortschreiten von der sozialen Vernunft zur theoretischen geprägt worden: Nomos und Logos, Kosmos und Logos, Nous und Logos. Ehe der Geist innerhalb des Weltreichs sein eigenes Geistesreich erkannte, hat die Gemeinschaftsvernunft die Weltvernunft ertastet. Die vergleichende Philosophiegeschichte erhellt wünschenswert vollständig, daß die Gemeinschaftsgesetzlichkeit immer wieder zutiefst nach einem unausgesprochenen Menschenbild gedacht werden muß, daß die Vorstellung von der Gesetzlichkeit des Geistes, der Seele, des Leibes und des Körpers zugleich den Gesellschaftsverlauf und Weltverlauf erklären soll. Es wurde immer wieder zu einem latent anthropomorphen Weltgesetz ein passender Weltgrund hinzugedacht. Die Typen der monistischen Weltbilder, die die Weltanschauungskritik und Weltbildervergleichung erschlossen hat, sind im Osten und Westen notwendig anthropomorph entworfen worden. Es lassen sich Regeln des sozialen Vernunftsgebrauchs aufstellen, die die Abhängigkeit der Weltbilder von den Gesellschaftsbildern belegen. Ja, die historische Vernunft kann hier nur geringfügige Abwandlungen erzeugen, weil es immer wieder

Rechtsideale

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um die Verewigung der Welt geht, eben um die Ewigkeit des Naturrechts, des sozialen Weltlaufs zu begründen. Dabei verliert sich bald die zeitgebundene Erforschung des Weltlaufs in Kosmologien. Sie beschränkt sich selbst auf die bloße Naturordnung, ohne ihr Vorbild, die Menschennatur, bewußt im Auge zu behalten. Diese künstlichen Weltbildentwürfe nach dem Bild der sozialen Welt, die freilich ihre Vorläufer schon in der Vorgeschichte haben, lösen natürlich nicht die Zeitnot, sie sind nur der Durchgang zur offenen Menschenlehre und neuen Nomodizee, zur Rechtfertigung der neuen Gesellschaftsordnung. Die praktische Vernunft muß wieder vorstoßen, um in engster Zeitverbundenheit die streitenden Kosmologien durch eine offene Anthropologie zu ersetzen, weil die bleibende Zeitnot neuerdings die Utopie erzwingt. Die ursprüngliche Zeitlage, aus der die historische Vernunft aufgebrochen ist, ist im ganzen noch unverändert, aber jetzt greift der Geist der Gesetzdenker mit viel größerer Klarheit in die Geschichte selber ein. Es gibt eine sehr durchsichtige Regel der historischen Vernunft, nach der aus der Gesellschaftsschichtung die verschiedenen Richtungen der Geschichtsphilosophie hervorgehen und je den Primat einer bestimmten Schicht begründen sollen. Der Geist der Zeit ist das Nebeneinander und Gegeneinander der streitenden Gruppen, und das zeitliche Gesetz entsteht aus der geschichtlichen Entscheidung über ihren Vorrang. Es gibt einen status rei publicae, einen status culturae, ja einen status mundi! Der Spannung der Staatsstände und der Lebensmächte entspricht das zeitliche Weltbild. Die Umlagerung der Lebensmächte prägt die neue Form der Gesellschaft in der geschichtlichen Stunde. Durch den Geist der verschiedenen Gruppen wirken die Rechtsideale auf das zeitliche Gesetz ein, es wird nur niemals eine Utopie für sich allein verwirklicht. So bestimmt gerade der Streit der Naturrechte als Idealfaktor die geschichtliche Realität und die historische Geisteswelt. Das ist nicht immer ganz leicht sichtbar, weil die Naturgesetzvorstellungen, die monistischen Weltbilder, selten unmittelbar durch die Zeitlage allein herrschende Weltanschauungen werden. Nur ist es leider gerade in unserer Zeit dem Materialismus durch den Parlamentsbetrieb und den Imperialismus gelungen, in seinem Bereich und seinem Reich zur alleinigen Geltung zu kommen. In der Regel prägen die Menschenbilder den ganzen Bilderkreis der Geisteswelt, der für die Ära insgesamt charakteristisch bleibt. Daß der Zeitgeist, das zeitliche Gesetz und die zeitliche Geisteswelt je in sich selber zusammengesetzte Gebilde sind und sich mit der wechselnden Zeit-

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läge gegeneinander verschieben, aber trotzdem die großen Stile der Geschichte hervorbringen, das ist die Schwierigkeit der Kritik der historischen Vernunft. Man muß zuerst die Beziehungen der Zeitgeistes auf die Zeitlage in ihrer Differenzierung feststellen, dann die Entstehung und Umbildung der Geisteswelt und zuletzt ihren Einfluß auf das Zeitgesetz. Alle Rechnungen mit vier veränderlichen Größen entziehen sich der unmittelbaren Anschauung, aber sie könnten leicht und exakt mathematisch bewältigt werden. Die geistige Anschauung muß die unveränderlichen Größen in Zeitlage, Zeitgeist, Geisteswelt und zeitlichem Gesetz aufsuchen. Die Zeitlage ist der Ausgangspunkt der historischen Vernunft, gerade die Zeitunordnung einer bestimmten Konstellation der führenden Stände. Demos, Aristokratie und Tyrannis bleiben die Positionen der Denker und Streiter in der Polis. Römisches Weltreich, hellenistischer Geist und alte Nationen sind der status culturae seit 100 v. Chr., Heiden, Juden und Christen der status mundi seit 150 n. Chr. Unveränderlich bleiben in der Zeitlage die Berufe oder Stände, die Lebensgemeinschaften von der Familie bis zum Volk und das gesamte System der Bedürfnisse, wechselnd sind nur ihre Konstellationen. Nur das Herrschaftsgefüge wechselt revolutionär, das Berufsgefüge langsam in Evolution.

Der Zeitgeist ist der Konflikt der Führungsansprüche, der Autoritäten des alten Rechts und der neuen Rechtsideale. Es werden auch alte Autoritäten durch neue Gemeinschaftsbilder legitimiert, immer aber soll aus der Zeitunordnung eine neue Ordnung gewonnen werden. Der Zeitgeist schlägt sich besonders in den streitenden Geschichtsphilosophien nieder, die je einem bestimmten Stand die Führung und den Vorrang zuweisen wollen. Es ist die Grundregel der historischen Vernunft, daß die Gemeinschaftsbilder den gesamten Bilderkreis der Zeit, das Welt-, Menschenund Gottesbild bestimmen, die konkrete Geisteswelt. Diese wiederum bestimmt endlich in den geschichtlichen Entscheidungen das zeitliche Gesetz. Die Geisteswelt ist die Entsprechung der Gemeinschafts-, Gottes-, Menschen- und Weltbilder der Zeit. Die historische Vernunft ist echte Vernunft, nicht nur Verstand, weil sie die Totalität der Wirklichkeit nach der Zeitlage bestimmt. Ihre Kritik kann nur von den gesicherten Ideen der reinen Vernunft ausgehen, die Geisteswelten müssen mit dem Reich der Wahrheit verglichen werden. Es ist überzeitliche Philosophie, aus der Bindung der Geistgesetzlichkeit an die Weltordnung die reine Gottes-, Menschen-, Welt- und Gemeinschaftsidee des wesentlichen Menschen zu gewinnen, die wahre Menschenwelt und das wahre Menschenreich. Es ist Zeitphilosophie, aus der Zeitlage im Zeitgeist die geschichtliche Geisteswelt aufzubauen. Da aber auch der Zeitgeist Vernunft ist, eine Symbolik der gesamten Wirklichkeit entwirft, enthalten auch die Geisteswelten perspektivisch verschobene Wahrheitsgehalte,

Die fünf Weltalter

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die durch das zeitliche Gesetz geschichtsmächtig werden. Das sind die Umwege der Vernunft in der Geschichte. Der Geist ist also keineswegs ohnmächtig in der Geschichte; er braucht nur die Hilfe der autoritären Mächte, um das zeitliche Gesetz zu bestimmen. Die zeitlichen Gesetze der abendländischen Welt sind die der makedonischen, augusteischen und konstantinischen Monarchie, des karolingischen und salischen Reichs, der konfessionellen Nationalstaaten und der englischen Konstitution von 1689. Ihre Kodifikation muß nicht unmittelbar an die historische Entscheidung anschließen, sie kann mehr oder weniger vollständig sein, aber zuletzt ist sie der gefestigte Ausdruck des Zeitgeistes, der neuen Geisteswelt und der gewandelten Zeitlage. Die fünf Weltalter Der Vollbegriff des Gesetzes ist die notwendige Ergänzung des Geistbegriffs und Vernunftbegriffs in allen seinen Erscheinungen. Die Noologie, der Stolz der Neuzeit, muß durch die Nomologie, die Ordnung aller Gesetze, ergänzt werden, die das Palladium der neuen Zeit werden soll. Sobald das Gesetz als zeit- und sachbedingte Objektivierung des Geistes gesehen wird mitsamt seiner Geisteswelt, wird die Weltgeschichte von selber zur Geistesgeschichte der Menschheit. Es sind ja auch die Berufe und Stände, ja schon die Stämme und Völker, die Reiche und die Religionen durch ihre Rechtsordnung institutioneller Geist, Auswirkung der gemeinsamen Menschennatur in der Gemeinschaft durch ihre Einrichtungen. Zunächst erscheinen nur die Lebensgemeinschaften als Realfaktoren der Geschichte, weil sie letztlich das zeitliche Gesetz bestimmen, aber sie können es nicht ohne die Symbolik der Geisteswelten. Der unvermeidliche Vorrang der sozialen Vernunft in der ursprünglichen Wirtschaftsgliederung der Bedürfnisdeckung ist die Signatur der Frühgeschichte des bloßen Familien- und Stammeslebens. Sie ist durch Jahrzehntausende stationär, fast zeitlos, weil die historischen Entscheidungen, die Wanderungen der Stämme und ihre Überschichtungen noch nicht zu einem Gesetz im Vollsinn führen, nur Gewohnheit und Sittenordnung das Gemeinschaftsleben bestimmen. Erst die Volkwerdung ist wesentlich geschichtlich, ist Tat und Entscheidung, die der Gesetzgeber vollzieht, indem die Stämme zum Bund geeinigt werden oder durch Überschichtung zum Reich. Sie führt bald zur schriftlichen Verwaltungskunst, ja bald zu einem geschriebenen zeitlichen Gesetz. So hat die historische Vernunft die Vorherrschaft in der Hochkultur. Mit ihr beginnt das zweite Weltalter. Erst seit wir die

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bleibende Aufgabe der historischen Vernunft auch noch neben der praktischen und theoretischen in den Volkskulturen sehen, nämlich das zeitliche Gesetz zu bestimmen, ist uns der charismatische Charakter der Gesetzgeber, ihre auctoritas neben ihrer bloßen Macht und Verwaltungskunst klar geworden. Sie ist Urheberschaft, setzt einen zeitlichen Anfang der Rechtsordnung durch die richterliche Entscheidung über die Stämmebeziehungen. Erst mit ihr tritt die große Persönlichkeit in die Geschichte ein, wird umgekehrt die Geschichte selbst zur persönlichen Tat. So tritt auch damit ein neues Gottesbild auf, der oberste Herr der Geschichte, der Königsgott oder der Reichsgott des monarchischen Theismus. Gegensatz der auctoritas ist die ratio, die praktische und theoretische Vernunft des dritten Weltalters der übergeschichtlichen Ordnungsidee. Sie ist freilich nicht auctoritär, nicht unmittelbar geschichtsetzend, aber der entscheidende Schritt zum Selbstverständnis der Menschheit, zum Menschheitsbewußtsein statt des Reichsbewußtseins. Das dritte Weltalter ist wesentlich schon Weltkultur als Geisteskultur! Nach der Reichsgeschichte beginnt Geistesgeschichte im engeren Sinn. Im weiteren Sinn sind ja auch die Weltalter der sozialen und historischen Vernunft schon Stufen der Geistesgeschichte. Zur Geisteskultur gehört das überzeitliche Reich der Wahrheit und Gerechtigkeit. Mit der Philosophie, der Lebensmacht des dritten Weltalters ist unverlierbar die wahre Menschenwelt entdeckt, die reine Idee Gottes, des Menschen, der Welt und der Gemeinschaft. Der ewige Gott ist als Herr der Welt und Menschheit erkannt. Aber wenn wir noch schärfer zusehen, wenn wir den Anfang der Philosophie in Indien, Griechenland und China nach seiner merkwürdigen Gleichzeitigkeit in diesen drei Hochkulturen betrachten, so bleibt doch die Zeitlage für diese Entdeckung der Menschenwelt von beträchtlichem Einfluß. An ihrem Anfang steht immer noch die historische Vernunft und an ihrem Ende, in der Stiftung ihres zeitlichen Gesetzes, eines neuen Zeitgesetzes, herrschen immer noch die autoritären Lebensmächte. Da Philosophie nicht unmittelbar geschichtsmächtig ist, nur die geistige Ordnung des wesentlichen Menschen, die wahre Welt- und Rechtsordnung sichtet, kann lediglich eine neue höhere Autorität, die göttliche Autorität des Herrn der Welt selber, eine neue Weltreligion das vierte Weltalter begründen. Der Vergleich der zwei jetzt im Stufengang der Weltgeschichte auftretenden Weltreligionen im Osten und Westen, des höheren Buddhismus und des Christentums, bezeugt diese geistesgeschichtliche Notwendigkeit. Das Christentum ist Stifterreligion des neuen und höheren Bundes und Gesetzes. Und auch der

Die kommende Zeit

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höhere Buddhismus, entstanden aus dem Zusammenstoß der Geistesgeschichte und Reichsgeschichte, postuliert die göttliche Autorität seines Stifters, der vor 500 Jahren nur eine neue Sittenlehre verkündigt hatte. Die unmittelbare Geschichtsmächtigkeit dieser beiden Weltreligionen über die alten Kulturgrenzen hinweg, die Zusammenberufung eines Weltvolkes, wenn das Paradox gestattet ist, eines dritten Geschlechtes aus Juden und Heiden, aus Hindus und Barbaren bezeugt den Vorrang der göttlichen Autorität über die Ratio in der Weltgeschichte selbst. Und sie wird nochmals e contrario bewiesen durch die Entstehung des fünften Weltalters, der Zivilisation oder Verstandeskultur. Die hundertjährigen Religionskriege in Frankreich, Deutschland und England nach der Spaltung der Christenheit in Konfessionen, das Nebeneinander von drei Kirchen mit positivem, göttlichem Recht, fordern die Souveränität eines positiven Staatsrechts heraus. Die politische Philosophie wird das Gegenstück des Herrschaftswissens und der politischen Theologie des zweiten Weltalters, der Hochkultur. Diese neue politische Philosophie ist zwar durch die Verbindung mit dem neuzeitlichen souveränen Staat in je dreißigjährigem Abstand unmittelbar geschichtsmächtig geworden. Im Geiste aber ist sie schon seit dem dritten Weltalter überholt, genauso wie die politische Theologie durch die natürliche. So wird das kommende Weltalter in unausweichlicher Dialektik nicht ein Zeitalter der Zeitphilosophie sein, sondern der überzeitlichen, der Wiederkehr der Vernunft und des ewigen Gesetzes. Aus der Wissenschaft selbst erwächst in einem klar durchschaubaren Vorgang eine neue Gemeinschaftslehre und Gesetzeslehre der Wissenschaften und des Geistes. Seit 50 Jahren stehen wir geistig schon in diesem Weltalter, aber es wird geschichtsmächtig werden nur durch die Verbindung mit der Weltreligion, die das vierte Weltalter heraufgeführt hat; auch damals in der Verbindung der rationalen Theologie und des Gottesgesetzes. Die vorbereitende Erörterung über Geist und Gesetz und über die Weltgeschichte als Geistesgeschichte genügt schon, um unsere eigene Zeitlage, das Ende der Neuzeit, zu bestimmen. Die politische Philosophie der Zivilisation als Verstandeskultur ist in ihrer Zeitgebundenheit durchschaut. Als Antithese gegen das göttliche Gesetz in den Konfessionskriegen mußte sie Rationalisierung der absoluten Staatsautorität sein; der Absolutismus mußte gesellschaftsgesetzlich als notwendig erwiesen werden. Das bleibende Ergebnis dieses Versuchs ist die tatsächliche Rationalisierung der Verwaltung durch die Verstandes-

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politik, die technische Organisation des Staates, der jetzt erst eine unlösliche Verbindung mit der Rechtswissenschaft eingeht, nicht mehr bloß ursprüngliches Herrschaftswissen ist. Aber die nun als gleichwertig betrachteten Verwaltungsobjekte sind Subjekte, sind Persönlichkeiten mit dem Selbstbewußtsein des religiösen, geistigen, politischen und wirtschaftlichen Freiheitsanspruchs. So hat zuerst die religiöse Opposition die Volkssouveränität der Staatssouveränität entgegengestellt. Schon im ersten englischen Religionskrieg wird um sie gekämpft und in der zweiten glorreichen Revolution die Lösung der rationalen Verfassung nach der Gewaltenteilung von Exekutive, Legislative und Judicative gefunden. Die geistige Opposition der ökonomischen Freiheit hat der Planwirtschaft der Merkantilisten die automatische Gesetzlichkeit der Wirtschaft entgegengestellt. Schon die Physiokraten, die Lehrer der Naturrechtsgesellschaft, haben die Naturgesetzlichkeit der Atome in der Welt wie der Individuen in der Gesellschaft gelehrt. Dies ist der wahre geschichtslogische Ursprung der Soziologie ohne Nomologie! Zuerst hatten die Etatisten eine Nomologie ohne Soziologie versucht. Das bleibende Ergebnis ist die tatsächliche Rationalisierung des Wirtschaftslebens zum neuzeitlichen Industriesystem. Aber das geistesgeschichtliche Ergebnis ist die erschreckende Einseitigkeit der neuzeitlichen Kosmologie! Die bloße Automatik der Atome entspricht der Autonomie der Individuen in der Gesellschaft. Zuerst hatte die Staatsmacht gleichgesetzte Individuen äußerlich organisiert, dann hatte die Wirtschaftstheorie diese Individuen sich durch ihre Interessen automatisch vereinigen lassen. Erst hundert Jahre später ist durch den Parlamentarismus und die Parteizeitungen diese Ideologie in die Massen getragen worden. Daß die Rationalisierung nur durch die freien Wissenschaften möglich war, die Wissenschaften vom Recht und der Wirtschaft, das blieb lange vergessen. Gegen dieses blinde Weltschicksal der Zufallsverbindungen der Atome und der Individuen hat Kant die geistige Freiheit gestellt. Seiner Rettung der praktischen Vernunft opferte er die theoretische, deren Geistgesetzlichkeit gerade zu dem Zweck gesucht wurde, um das unausweichliche blinde Naturgesetz als bloßes Naturbild zu entlarven: Nur wir schreiben der Natur Gesetze vor, nur wir bringen sie regulativ in die Einheit der Weltidee, aber ob das wirkliche Naturgesetz unserem Gesetzlichkeitsbild entspricht, das wissen wir nicht. Dieser Rückzug auf die Geistgesetzlichkeit ohne echte Naturgesetzlichkeit ist neuzeitlich, ein Rückzug auf die Welt der Innerlichkeit und der sittlichen Freiheit trotz der notwendigen Atomverbindungen.

Naturgesetz und Naturbild

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Aber diese apriorische Geistgesetzlichkeit hat genügt, um in gewaltigen Ansätzen die historische Vernunft zu erschließen. Friedrich Schlegel hat die anthropomorphe Weltsymbolik durchschaut, die die halbe Philosophiegeschichte verunziert, Schelling hat die poetische Theologie, die Mythologie der Vorgeschichte konstruiert. Beide kamen zu spät, um die neue politische Philosophie von Hegel und Marx aufzuhalten. Der eine konstruierte die historische Vernunft durch die Dialektik der Staatsformenbildung, der andere durch die der Wirtschaftsformenbildung. So gehört auch Marx in Wahrheit noch dem deutschen Idealismus an. Wer die eminente Bedeutung der Symbolik der historischen Vernunft durchschaut hat, versteht leicht, weshalb Hegels Etatismus im evangelischen Kaiserreich historische Wirklichkeit werden konnte und ebenso Marx' Ökonomismus auf dem Umweg über den Parlamentarismus, Monopolkapitalismus und ökonomischen Imperialismus im neuen russischen „Zarentum". Die geistlos gewordene historische Vernunft wurde abgelöst durch den organisatorischen Verstand der Macht- und Wirtschaftsgeschichtsschreibung. Das ist der Historismus ohne Vernunft ! Ebenso wurden die Naturwissenschaften jetzt zunächst gänzlich ohne Vernunft Technologie. Die Spezialisierung der Geistes- und Naturwissenschaften ist die Signatur der nachidealistischen Zeit. 2. V e r n u n f t f o r m e n und G e s e t z e s f o r m e n Seit 1900 ist die Wende eingetreten. Die Spezialisierung der Wissenschaften geschieht nicht ohne strenge Logik. Auf die Sammlung der Tatsachen folgt ihre Vergleichung und damit wieder die Typologie und Morphologie, ja die theoretischen Naturwissenschaften sind bereits zur Axiomatik vorgestoßen. Sobald nämlich die Wesen und ihre Bereiche wieder gesehen werden, setzt der Umschlag von der induktiven zur deduktiven Ontologie ein. Es braucht nur noch die Geistesgesetzlichkeit durch die Seinsgesetzlichkeit ergänzt zu werden, um Anthropologie und Ontologie der gesamten Wirklichkeit wieder verbinden zu können. Das ist der Verlauf der Konvergenzlinien, deren Schnittpunkt schon abzusehen ist. Es ist mit einem Wort die Metaphysik wiederhergestellt. Theoretische Physik meint mathematisch-deduktive Physik. Denn wenn rund hundert Axiome und Definitionen des Weltbegriffs gewonnen sind, wenn etwa Hermann Weyl dialektisch die Substanz-, Agens- und Feldtheorie ins Spiel bringt, dann ist Physik bereits deduktiv und ein grundlegendes Seinsverständnis der Kontinuität der unbelebten Welt

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Vernunftformen und Gesetzesformen

in geistiger Anschauung gewonnen. Die Unanschaulichkeit dieser Grundverhältnisse gilt nur für den Verstand, nicht für die Vernunft, wenigstens nicht dann, wenn zwischen Axiomen als Grundsätzen und Prinzipien als realen Urgründen unterschieden wird. Diese Unterscheidung ist viel leichter zu sehen in der theoretischen Biologie, weil dort nicht mathematische Funktionen die Grundverhältnisse verdecken. Denn hier muß das Individuationsprinzip und das Spezifikations- oder Organisationsprinzip in den Wesen und ihre Konkretion unterschieden werden, die erste, zweite und dritte Substanz der aristotelischen Metaphysik. Diese drei Prinzipien gehören zudem noch dem Verstand an, aber auch der Fortschritt zur Metaphysik der höheren Stufe, der Einheit des Bereichs, ist unvermeidlich, weil ja der ideale, klassifikatorische Stammbaum der Entwicklung realistisch gedeutet werden muß aus einer wirklichen Einheit des Lebens, der natura naturans. Jetzt fehlt nur noch die theoretische Anthropologie, eine geistige Menschenanschauung. Es hat bisher noch keine axiomatische deduktive Menschenlehre gegeben, aber einer ihrer Grundsätze ist schon seit Plotin in Anwendung, der Grundsatz der Konnaturalität der Vermögen und der Umwelten. Die artgemäße Organisation bestimmt die Organe, und die Organe bestimmen die Tätigkeiten, aber auch den Austausch mit der Umwelt, die dadurch selber artgemäß zur Einheit zusammengeschlossen wird. Dann stehen auch die drei Grundsätze der Vernunft, die alles entscheiden, wieder vor der geistigen Anschauung. Das Menschenwesen leistet die Gestaltangleichung der bereichsfremden Bestandteile nach dem Grundsatz: Konformation der unteren Bereiche an den obersten. Jeder Bereich ist schichtgemäß einheitlich durch die Zusammensetzung der Wesen nach dem Grundsatz der Konregionalität der Komposition. Der Aufbau der Bereiche bis zur Menschennatur ist selber eine Sinneinheit nach dem Grundsatz der Kontinuität der Bereiche, und danach sehen wir wieder die Endvollendung, das Telos der Welt. Einzeln sind diese Prinzipien im Laufe der abendländischen Philosophieentwicklung immer wieder unwillkürlich angewandt und in vielfältiger Form ausgesprochen worden. Aber jetzt erst, wo wir gezwungen sind, die Einheiten der Bereiche wieder zu einer geschlossenen Weltidee und Menschenidee zu verbinden, sehen wir ihren Zusammenhang und können wir eine endgültige Formalisierung wagen.

Organisationsstufen

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a) Theoretische Vernunft und Weltordnung Es wirkt wie eine Wiederentdeckung der Vernunft, wenn es gelingt, geistige Anschauung und Weltordnung miteinander zu verbinden. Die Großtat Kants, die Bestimmung der allgemeingültigen sinnlichen, einbildenden und geistigen Organisation des Menschen, ist ja nur eine erste Fassung der apriorischen Geistgesetzlichkeit des Menschen mit ihren vorbereitenden Stufen. Kant wollte ja, wie wir zeigten, nicht wissen, ob die Weltordnung durch die Geistgesetzlichkeit wirklich getroffen wird, und so fragte er auch nicht nach den wesensgesetzlichen Verwurzelungen der Menschenvermögen in der einen Menschennatur. Für ihn war die allgemeingültige Geistorganisation ein sittliches Postulat, um dem mechanistischen Determinismus einer bloßen Weltgesetzlichkeit entgehen zu können. Für die theoretische Biologie aber ist die Verbindung der Organisation und der artgemäßen Umwelt ein unzerreißbarer Bezug. Heute muß die Menschenwelt neben die Menschenorganisation gestellt werden, um den Sinn des Menschenlebens buchstäblich natur-wissenschaftlich zu erfassen analog dem Lebensplan silier anderen Naturen. Die vergleichende Naturwissenschaft hat uns die Sinnesorganisation des Menschen mit bewundernswerter Genauigkeit erschlossen. Namentlich auch sein Gleichgewichtsorgan, das Organ und Vermögen des Dastehens mit dem Koordinatensystem der Räumlichkeit und der Raumzeitlichkeit der Bewegung und des Bewegten. Die Organisation der Einbildungskraft ist das Vermögen der Partnerschaft mit anderen Dastehenden und der Deutung ihrer Lebensbewegungen nach ihrem Lebenssinn. Die Organisation des Verstandes ist das Vermögen der Begriffe und damit der Bestimmung der Lebens- und Wesenseinheiten. Die Vernunft endlich ist das Vermögen der Ideen und Grundsätze und damit der Urgründe oder Bereichseinheiten nach ihrem Grundgesetz. Die regelmäßige Betätigung der Organisation, die für die Teilbetrachtung fast unermeßlich kompliziert ist, aber mit unglaublicher Schnelligkeit funktioniert, und ihren Gegenstand, ja die Sache selbst trifft, ist die durch die Erhaltung der Arten erwiesene Voraussetzung ihres dauernden Lebensvollzugs. Wenn die Erkenntnisorganisationen nicht die Sache selbst träfen, lebten ihre Träger ja nur in einer eingebildeten Welt, aber in Wirklichkeit sind sie einer Umwelt ein - gebildet. Die Auseinanderlegung der einzelnen Akte der menschlichen Sinnlichkeit, aufmerken, spüren, dastehen, orten, verbinden, kennen, zeigt ihren Bezug zu Erscheinungen, Wellen, Abständen, Stellen, Bezüglichkeiten und Sinnesgestalten und trifft die Merkbarkeit, Spürbarkeit, Herständigkeit, Räumlichkeit, Verbundenheit und gestalthafte Erscheinung. Der sinnliche Akt ist in der Regel sicher.

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Theoretische Vernunft und Weltordnung

Die Einbildungskraft sondert, schätzt, verfolgt, stellt vor, vergleicht und verähnelt Zustände, Veränderungen, Bleibendes durch Erinnerungs- und Vorstellungsbilder und trifft die Abbildlichkeit, Zuständlichkeit, Zeitlichkeit, Beständigkeit, Vergleichbarkeit und Ähnlichkeit. Sie ist in der Regel richtig. Der Verstand besondert, teilt zu, ergänzt, stellt hin, gestaltet und vereint nach Gegenständen, Eigenschaften, Ganzheiten, Besonderheiten durch Begriffe von Wesenheiten die Abgegrenztheit, Zuteilbarkeit, Ergänzbarkeit, Selbständigkeit, Wesentlichkeit und Vereinbarkeit der Dinge selbst. Er ist in der Regel wahr. Das heißt theoretisch, daß die transzendentale, organisationsbedingte Ästhetik, Phantastik und Noetik durch die symbolisierende Aisthematik, Phantasmatik und Noematik zur realen Phänomenologie, Pragmatologie und Usiologie, zur Erscheinungs- und Handlungs- und Wesensgesetzlichkeit selber vordringt. Daß die Kategorien, die Aussage- oder Bezeichnungsweisen des Erkennens von der allgemeingültigen Organisation der Vermögen abhängen, daß die Bezeichnungskunst, die Semantik, nach der Erscheinungsgesetzlichkeit der Wesen selbst zum Ziel kommt, das ist längst wieder unerschütterliche Gewißheit einer kritischen, realistischen Erkenntnislehre nach der lebensgesetzlichen Gebundenheit der Organe in der Organisation. Damit ist nur die Erkenntnislehre durch die Logik als Bezeichnungskunst und die Wesenslehre als Erkenntnisgrundlage ergänzt. Natürlich müssen auch die Kategorien des Bewirkens und Erlebens nach der Vermögensaufgliederung festgestellt und auf ihre Gegenstände und die Sachen oder Werte selbst bezogen werden. Die Geistgesetzlichkeit des Verstandes ist ausschließlich menschliche Artorganisation. Seine Akte führen durch die Logik, die Begriffskunst, zum Personifizieren als Verselbständigen und zum Naturifizieren als Verwesentlichen und treffen die konkreten Wesen. Kants transzendentale Organisationslehre hat nur einen Grundfehler, daß sie den Substanzbegriff zu sehr vereinfacht, nur die Selbständigkeit der Dinge, aber nicht den bleibenden Bestand der Wesen als Grundlage der Begriffsbildung sieht. Es müssen aber die drei Grundsätze des Verstandes nach seinen drei Akten der Individuation, Spezifikation und Komposition mit den ontologischen Prinzipien zur Deckung gebracht werden, dem realen Individuationsprinzip, dem Spezifikations- oder Organisationsprinzip und dem Kompositionsprinzip der Verbindung beider in allen endlichen Dingen.

Der Anfang der theoretischen Menschenlehre und der Theorie der Weltordnung war die Verbindung von Noologie und der Wesenslehre oder Usiologie bei Aristoteles. Die Axiome des Verstandes sind logische und usiologische Prinzipien. Die Verstandesgesetzlichkeit und Wesensgesetzlichkeit sind lebensgesetzlich verbunden und durch die Arterhaltung des Menschen als allgemeingültig bewiesen. Fassen wir sie zusammen nach ihren beiden Seiten, dann ist das morphologische Denken und die Metaphysik der Wesen zugleich wieder gewonnen. Das Individuationsprinzip betrifft die Selbständigkeit und heißt logisch: actiones sunt suppositi, die Handlungen fallen dem untergelegten Selbstand zu, gehören dem Täter. Danach hat Leibniz seinen ersten Substanzbegriff gebildet: être capable d'action, und danach hat Kant seine Substanzkategorie zu eng gefaßt: bei allem Wechsel der

Grundprinzipien

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Erscheinungen beharrt die (erste) Substanz, der Träger. Seinsgesetzlich aber lautet das Prinzip: actiones uniuntur actore, die Handlungen werden durch ihre Täter geeint. Nun ist aber das Individuationsprinzip ein korrelativer Begriff des Spezifikationsprinzips; das Individuierte ist ja eine Art. Es muß also genau heißen: Prinzip der Vereinzelung der Art. Wie naturifizieren wir, wie setzen wir Begriffe und Arten ? Wir ergänzen die Vermögen und Arteigenschaften zum Bestand, zur Konsistenz, zur zweiten Substanz. Der Grundsatz ist: alles Können ist artgemäß. Wenn ein Wesensmerkmal gegeben ist, ergänzen wir die anderen wegen der Ganzheit des Bestandes, es sind ja alle anderen auch da! Potentiae sunt consistentiae sive essentiae, die Vermögen gehören zum Artbestand. Der Satz ist grundlegend wichtig als Satz der subjektiven Konnaturalität der Vermögen in der theoretischen Biologie. Erst seit er wieder durch den Satz der objektiven Konnaturalität der Umwelt ergänzt wird, den Satz der artgemäßen, spezifischen Umwelt, ist auch wieder die Zusammengehörigkeit der Organisation und ihrer Umwelt selbstverständlich geworden. Er ist die Grundlage aller Klassifikation und Abstraktion, jeder Begriffsbildung, weil wir ja von der species sensibilis, von der sichtbaren Artgestalt, durch die Unterscheidung von leitenden und bloß begleitenden Merkmalen zum Bestand der Artganzheit vorstoßen. Wesensgesetzlich lautet er: cognoscere sequitur esse, agere, vivere sequitur esse, potentiae sequuntur essentiam sive naturam, die Vermögen folgen der Natur und Wesenheit. Er muß aber nochmals vertieft werden durch den Satz der Konsubstantialität der Vermögen, potentiae uniuntur consubstantialiter, die Vermögen werden geeint durch den Beisammenstand, die Mitbeständigkeit. Individuum und Art zusammen sind das Wesen. Jedes konkrete Urteil setzt ein abstraktes voraus. Wenn wir sagen, dieses Pferd ist nicht groß, so ist dies ohne weiteres deutlich; jede Unterscheidung von Wesensmerkmalen und zufälligen Eigenschaften trifft das Individuum und den Artbestand zusammen, das Kompositum, die dritte Substanz, das Konkretum, das zusammengewachsene Wesen. Logisch lautet der dritte Grundsatz: propria et accidentia sunt compositi, leitende und begleitende Eigenschaften gehören zum konkreten Wesen (Uexküll). Aber dürfen wir ein ontologisches Kompositionsprinzip annehmen ? Das ist die berechtigte und berüchtigte Streitfrage der Nominalisten und Realisten, die eine gedankliche oder eine sachliche Unterscheidung der Individuation und Spezifikation annehmen. Da wir die Einigung der Vermögen im Bestand der Wesenheit als Organisationsprinzip real setzen müssen, als einen Teilbestand des Ganzen betrachten müssen,

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Theoretische Vernunft und Weltordnung

muß er auch vom Existenzgrund, von der Individuation sachlich unterschieden werden. Die Einheit des Bestandes ist längst im Axiom formuliert: omne unum in multis opportet esse ab uno principio. Jedes Einssein in vielen Dingen muß einen zureichenden Grund haben. Dies ist der Satz der Gestaltursächlichkeit für alle endlichen Dinge und damit der realen Unterscheidung von Existenz und Essenz zugleich mit ihrer realen Verbindung. Jedes endliche Wesen ist zugleich individuell und universell. So brauchen wir den dritten usiologischen Grundsatz: individuum et species uniuntur compositione, Individuum und Art werden geeint durch Zusammensetzung, z. B. im Lebensbereich durch die Zeugung, die Verbindung des individuierenden Materials und des Organisationsprinzips. Für die Verstandeskritik sind die drei Axiome ontologische, erkenntnistheoretische und logische Voraussetzung der erfolgreichen Verstandestätigkeit, für die der Gegensatz der zwei Teilbestände des Wesens als Realitäten unauflöslich ist. Warum aber durchschaut nicht einmal die Vernunft den Einigungsgrund der Vermögen und der Teilbestände ? Was ist die Vernunft? Sie ist durch ihren Gegenstand vom Verstand unterschieden, weil sie Ideen zu bilden hat, nicht bloß Wesensbegriffe, die Bereiche der Wesen zur Einheit der Urgründe zusammenfassen muß. Wir wissen nach der Kritik der historischen Vernunft der Neuzeit, warum Kant sie nur als regulatives Vermögen auffaßte und leugnete, daß sie die Einheit der Bereiche wirklich trefle. Seitdem ist sehr viel geschehen zur Unterscheidung der Bereiche; es sind ihre notwendigen Seinsweisen sorgfältig induktiv in der Schichtenontologie untersucht worden, besonders von Eduard v. Hartmann und Nikolai Hartmann. Durch die Weltanschauungskritik wissen wir, daß die Erhöhung der Bereichseinheiten zum Absoluten nur ein dialektischer Durchgangspunkt der Philosophie von der Historiologie zur Anthropologie ist, naive Kosmologie. Aber jetzt gilt es, die Prinzipien der Bereichseinheiten zu finden, die Grundsätze der Vernunft bei ihrem Aufbau der gesamten Wirklichkeit aus Urgründen. Der Leitfaden ist seit Aristoteles das makroskopische Bild des Mineralreichs, Pflanzen- und Tierreichs und des Menschenreichs. Im Umgang mit den Wesen seiner Welt unterscheidet der Mensch die Dinge nach seiner Körperlichkeit, Leiblichkeit, Beseeltheit und Geistigkeit und nach den Gesetzlichkeitsformen der technischen Nebeneinanderstellung von ungleichen Stücken, von unbewußter Lebendigkeit, unbewußtem Erleben und bewußter und willkürlicher Tätigkeit. Der unwillkürliche Grund seiner Setzung von Natureinheiten als unbedingter Urgründe ist die Zurückführung der verschiedenen Gesetzlichkeitsformen auf eine einzige, die als die unabhängige erscheint und von der die anderen abhängig gemacht werden. Die gestufte Wesensgesetzlichkeit seiner eigenen Natur ist das Vorbild, das Analogon der Vereinheitlichung der sichtbar getrennten Bereiche. So wird die eigene Aufbaueinheit zur Frage und die Antwort kann nicht die Selbstbestim-

Die geistige Seele

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mung der eigenen allgemeingültigen Organisation durch den Geist sein, sondern nur die Selbstgliederung durch eine der Tierwelt analoge, aber geistig wirkende Seele. Daß wir nur unsere Persönlichkeit selbst bestimmen aus der vorher bestimmten Wesenheit, das ist freilich heute bestritten, aber es müßte jedem Biologen selbstverständlich sein. Nur Gott hat die absolute Freiheit der Selbstbestimmung und das ist der Kern der Gottesidee. Wenn die Existentialisten ihre Wesensbestimmtheit vergessen, dann müssen sie sich vergöttlichen, also vergötzen.

Die geistige Seele als einzige Form des Menschen ist nach dem Vorgang Alberts die Antwort des Aquinaten auf die Aufbaufrage des Menschenwesens. Schon Duns Scotus sah die Schwierigkeit, daß hier das Prinzip der Konnaturalität der Vermögen in Gefahr kommt, sofern geistige und sinnliche Vermögen in einer Organisation verbunden werden. Er behielt eine Mehrzahl der Formen bei, die durch die letzte, die forma ultima specificationis, geeint werden. Wir schlagen eine mittlere Lösung vor, die des vierten Prinzips der Konformation der unteren Vermögen. Logisch unterstehen die unteren Vermögen eines geschichteten Wesens der obersten Form: potentiae inferiores subsunt formae supremae. Sie unterstehen zunächst ihrer Bestandseinheit, aber diese gehorcht der artbildenden Form. Es gibt menschliches Eiweiß und einen menschlichen vegetativ-sensitiv-imaginativen Organisationsgrund, aber herrschend ist der geistige Organisationsgrund, der Körper und Leiblichkeit menschlich macht. Die geistige Information der unteren Vermögen ist für jeden Menschen täglich Erlebnis, ja verantwortliche Aufgabe, so sehr das unbewußte „ E s " und die unwillkürliche Leiborganisation ihre eigenen Wege zu gehen scheinen. Die Geist-Seele und ihre Leibverbindung in Wechselwirkung, das ist eine wesensgesetzliche Frage. Wie wirken die bleibenden Elemente und Hilfsentelechien mit dem Artlogos, dem obersten Organisationsgrund, zusammen ? Die Elemente werden nicht korrumpiert, Kohlenstoff und Eisen bleiben Formgründe im Eiweiß, aber sie werden dem Artgesetz konformiert.

Wir können den vierten Grundsatz ontologisch formulieren: potentiae inferiores perficiunter forma suprema, die unteren Vermögen werden von der obersten Wesensform dem Ziel zugeführt, dienstbar gemacht, ihm angepaßt. Ihre Organisationsgründe bleiben erhalten, weil das Sehen nicht vom Denken übernommen werden kann und erst recht nicht das Sehen in Vorstellen und dieses in Denken übergehen kann, wie immer noch die Entwicklungslehre heute glaubt. Der Bestand muß die Vermögen einen und tragen. Die Angestaltung an das Höhere betrifft ihre Verhaltungsweisen, ihre habitus, die Information wird Konformation der Schalen, nicht des Kerns, der Erfahrungs-, der Vorstellungs- und Gewohnheitsrichtung, nicht der Organisationen selbst. Die Verstandesantinomien der Wechselwirkung von Seele und Leib, Leben und Stoff sind hier beheimatet. Aber die Vernunft kann die Gegensätze durch

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Theoretische Vernunft und Weltordnung

ihr Plandenken vereinen. Auch ihr bleibt das Restproblem übrig, daß sie die nachschafiende Einheit der Geistesorganisation und die selbstgesteuerte Einheit der Lebensorganisation nicht durchschauen, sondern nur postulieren kann. Aber sie weiß, daß sie das Vorstellen leiten und den Arm sich heben und den Finger in die gewollte Richtung weisen lassen kann. Die Souveränität des Geistes in seinem eigenen Seelen- und Leibbereich ist beschränkt durch die eigenen und unteren Organisationen, aber sie ist sich doch ihrer beschränkten Freiheit bewußt, ihr Selbstbewußtsein bezeugt ihr die Herrschaft über die eigene kleine Welt.

Und damit die ausreichende Kenntnis der großen Welt! Der Geist kann die äußere Natur und die Welt der Lebewesen in seinen Dienst nehmen, weil ihm vom eigenen Aufbau her das Kräftespiel der übrigen Bereiche vertraut ist. Der Umgang mit den Seinsbereichen in der sichtbaren Welt ist eine angeborene Sicherheit der Unterscheidung von ungegliederten Stücken des Stoffes und gegliederten Wesen des Lebens und von neben ihm stehenden Persönlichkeiten der Mitmenschen. So läßt sich der fünfte Grundsatz logisch fassen: die Kräfte und Vermögen der Seinsbereiche sind den unseren gleich und ungleich zugleich: potentiae regionales sunt analogae. Die Kräfte des Stoffes sind gleich und ungleich unserem eigenen Leibstoff, gleich weil sie ihren eigenen Gestaltungsgründen folgen, ungleich sofern sie nicht wie der Leibstoff der seelischen und geistigen Organisation unterstellt sind, nicht magisch durch den Geist gestaltet werden können. Die Lebewesen sind unserer Leiborganisation gleichgestaltet, aber sie folgen nicht dem Geist, obwohl wir sie in Dienst nehmen können. Nur die Mitmenschen sind uns der Geistorganisation nach gleich, ungleich aber durch ihre Person. Die Bereiche stehen also auch übereinander in Entsprechung. Die Herrschaft des Menschen über die Natur beruht auf der Kenntnis der Bezogenheit des Mineralreiches auf die Lebenswelt, der Lebenswelt auf uns. E s hat sehr lange gedauert, bis die Metaphysik den Grund dieser Entsprechung sah, obwohl schon Aristoteles einen kühnen Versuch machte, die Entsprechung der Lebewesen zu den fünf Elementen zu einer Schichtenlehre auszubauen. Es scheint aber, daß erst dem Cusaner das fünfte Prinzip der ontologischen Konregionälität der Wesensverbindung klar geworden ist. Meister Eckhart hatte die volle menschliche Bedeutsamkeit der Schichtung des Unendlichen und der endlichen Wesen unter sich unermüdlich durchdacht und die Unterscheidung der Ungeschiedenheit des Unendlichen und der Geschiedenheit des Endlichen zum Kernpunkt seiner Prinzipienlehre gemacht, die analogia entis increati et creati et creatorum inter se. Die Bereiche werden förmlich geeinigt durch die Weise der Komposition der Wesen. Das ist zunächst die Einheitlichkeit der Bereiche und von hier aus wird ihre Einheit sichtbar. Die Menschheit wird nicht geeinigt durch einen einzigen Intellekt oder eine einzige Geist-Seele, sondern durch die allgemeingültige Organisation der Geist-Seelen. Nur die Personen sind andere, nicht die GeistSeelen etwas anderes. Nun ist freilich die Menschheit nur eine Art, das Tier-

Weitere Grundprinzipien

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reich aber ein Bereich, der auch in die Menschenart durch die Leiborganisation eingreift. Die Frage nach dem Urgrund und Einheitsgrund des Lebens ist also eine andere als die nach der Arteinheit des Menschen. Wir müssen von unserem Kompositionsprinzip einer Person und Natur aus und nach unserem Konformationsprinzip der unteren Vermögen die metaphysische Schichtung der Bereiche zu verstehen suchen. Es ist strenger, exakter, nicht aus der Entsprechung des unendlichen und endlichen Geistes die Prinzipienlehre aufzubauen wie Eckhart und der Cusaner es getan haben, weil sonst ein Zirkelschluß nicht vermieden werden kann. Wir sind je ein anderer der Person nach und doch nichts anderes der Natur nach. Dies ist die grundlegende Einsicht der ganzen Prinzipienlehre Eckharts. Bei uns ist die Unterscheidung von Existenz und Essenz eine personale, das eigentliche Individuationsprinzip ist die Person, der geistige Selbstand des Sonderseins gegenüber dem allgemeingültigen Bestand der menschlichen Wesenheit. Die Bestimmung der Person ist ja individueller Selbstand einer Geistnatur, naturae rationalis individua subsistentia (Boethius). Daß die gegenwärtige Zeitphilosophie diese alte Bestimmung der Existenz gar nicht versteht, ist klar, weil sie nicht mehr an die allgemeingültige Geistorganisation Kants glaubt und den immateriellen Naturbegrifi verloren hat. So muß etwa Jaspers wie die arabischen und lateinischen Monopsychiten wieder nach einem Bewußtsein überhaupt als einem „Umgreifenden" der Existenz suchen. Die reale Welt des Menschenlebens als Bereich ist aber ebenso vielfältig durch Personen differenziert wie das Tierreich durch Arten.

Jeder Mensch hat seine eigene Idee, hat außer der ferneren Individuation durch die Milliarden seiner Atome, seinen geprägten Leibstoff, eine persönliche Individuation. Die Zusammensetzung seines Sonderseins und seiner Wesenheit ist ein Schöpfungsakt, einmalig für jeden Geist im Augenblick, in dem diese nun persönliche Geist-Seele mit dem Material, mit dem Keim in der menschlichen Generationsreihe verbunden wird. Von da an ist dieses geistige Einzelwesen unzerstörbar, unsterblich. Nach der christlichen, paulinischen Menschenidee war sogar der ganze erste Mensch potentiell unsterblich, er besaß das posse non mori, das er allerdings in der Selbstbestimmung zum Geistleben statt zum Sinnenleben realisieren mußte. Inwiefern diese höchste Freiheitsbestimmung die ganze NATUR betraf, ja sogar schon die Geschichte der NATUR im voraus bestimmt hat, ist das letzte Geheimnis des ganzen Weltsinns, der Einheit der Schichten der gesamten Wirklichkeit. Unser doppeltes Individuationsprinzip macht uns allein die Konregionalität der Wesensverbindung in den anderen Bereichen verständlich. Das Leben unter uns, das nicht die personale selbstbewußte Individuation besitzt, nicht Menschenantlitz trägt, ist die Verbindung einer sterblichen Natur mit einem vergänglichen Leib. Sobald der immaterielle Seelenbegriff erfaßt ist, ist dies das schwerste Paradox der Philosophie in Indien und Griechenland. Man sah nur mehr ewige Seelen auch für die Tierarten oder gleich nur ewige Menschenseelen auch für die Tierarten. Das ergab zugleich eine großartige Kosmodicee nach der vollen Allgewalt der sittlichen Vergeltung. Für uns kommen und gehen die

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tierischen Artseelen mit den geologischen Weltaltem, wir kennen nur noch ihre Verkörperung in den Individuen. Ihr Individuationsprinzip ist das labile Gleichgewicht, das Fließgleichgewicht von Milliarden Atomen, das in sich die Tendenz der Verkrustung gegen die Baukraft der Leib-Seele trägt. Es gibt also ein nach Tagen, Jahren, Jahrzehnten zu bemessendes spezifisches Lebensalter der Individuen, ihre artgemäße Lebenszeit. Diese Kurzzeitlichkeit ist das Zeichen des ganzen Lebens, von den Eintagsfliegen bis zu hundertjährigen Bäumen. Dann freilich wird wieder die ganz andere viel längere Zeitlichkeit des vom Leben verlassenen Stoffes wirksam. I m Bereich des unbelebten Stoffes sind die Teilbestände, die Elementarteilchen, so alt wie die Welt selbst. Erscheint das Leben in seinen Einzelgestalten, wenn auch nicht in seinen Arten, die Jahrmillionen dauern können, nur wie ein vorübergehender Traum, so dauert der Stoff die ganze Weltzeit hindurch. Seine scheinbare Unvergänglichkeit gegenüber den Lebensgestalten ist von Demokrit bis heute die eigentliche Verführung zur Annahme einer ewigen Welt gewesen. Die Bauklötzchen ewiger Atome, die sich zu bleibenden Mineralien und Kristallen und gelegentlich zu vergänglichen Lebensgestalten fügen, das ist das Weltbild des technischen Verstandes, und sein oberstes Prinzip demnach: ex nihilo fit nihil. Sicher ist es eine höchst bedeutsame Nebenfrucht der neuen Physik, daß wir das Alter der Welt und damit das Alter und die Zeitlichkeit des Stoffes erkannt haben, daß uns zwar das Alter des Urans, und die jahrmillionenlange Halbwertzeit seines Zerfalls überrascht und noch mehr die Beständigkeit der nicht natürlich radioaktiven Elemente. Aber wir wissen nun, daß auch der Stoff zeitlich ist. Das physikalische Problem des Äquivalenzprinzips von Materie und Energie ist durch die erstaunliche Einsteinsche Formel gelöst, aber das metaphysische h a t man noch nicht gesehen! Seit wir besonders durch Gamow vermuten, daß die schwersten Elemente nur unter dem Druck der Gesamtmasse aller Protonen, also bei einer Temperatur von Milliarden von Graden gebildet werden können, können wir wenigstens Vermutungen über die Individuation der Elemente anstellen. Wie die Zelle als Urform des Lebens individuiert ist durch eine Vielzahl von Elementen, so ist das Element selber individuiert durch eine Mehrzahl stabiler und unstabiler Teilbestände, die Elementarteilchen. Ihre streng zahlenmäßige Konstitution macht hier den dauernden Bestand, die Wesenheit aus und die Individuation muß also durch das Fließgleichgewicht der Energiebilanz und die Beziehung zur Umwelt, und das ist hier die ganze Welt, gegeben sein. Vielleicht ist das Verbindungsprinzip das Feld, das Kontinuum der ganzen Welt. Die reale Umwelt des Lebens ist die Erdkugel mit den vier alten klassischen Elementen als Lebensmedien, Erde, Wasser, Luft und Licht. Die materielle Grundlage des Lebens ist die räumliche Einheit der vier Lebensmedien, die formelle die Zeugung. Langsam stellen sich Begriffe der Lebenseinheit ein, des zeitlichen Zusammenhangs von der Urzelle bis zur Keimzelle des Menschen im äußerlich verbindenden Lebensmedium. Die Verbindungsweise des Bereichs ist der Zusammenschluß der materiellen Keimzelle und der immateriellen ArtSeele des unräumlichen Spezifikationsprinzips. Nur so kann man vermuten, wie der höhere Bereich des Erlebens mit dem dienstbaren Elementenbereich als Stoff und Medium verbunden ist. Physis, Wachsung, lateinisch besser mit natio statt natura, mit Gebärung statt Geburt wiederzugeben, kann nur als Zeugung, als Verbindung der Keimzelle mit der lebendigen Form verstanden werden. Die natura naturans, die Einheit des Lebensbereichs, ist die Aus.

Die Lebensbereiche

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zeugung aller Lebewesen im Erdmedium, ihrer realen Umwelt. Sie erscheint als unbewußte Einheit der Zielstrebigkeit zu immer reicherem Erleben, die in der Keimzelle des Menschen gipfelt. Das Menschenreich steht auch im Weltfeld und im Erdmedium, aber nur durch die Leiborganisation, sofern das Tierreich zu ihrem dienstbaren Medium geworden ist, aus dem sie einmalig herausgezeugt ist durch die Verbindung der persönlichen Geistseele mit Tierzellen. Diese einmalige Verbindung mit dem unteren Bereich betrifft nur die zwei ersten Menschen. Die Lebensgemeinschaft aller Menschen aus Adam und Eva ist eine reale Einheit der Menschenart, aber die Wesenseinheit eines jeden Menschen ist die je neu geschaffene Verbindung von Person und Geistnatur.

Das Verbindungsprinzip des Mineralreichs ist der Zusammentritt von Energie und Materie im Welt-Feld zum Element, das des Tier- und Pflanzenreichs der Zusammentritt von Seele und Element im Erdmedium, das des Menschenreichs der von Person, Geistseele und Keimzelle im Lebensmedium. Daraus ergibt sich der sechste und letzte Grundsatz der theoretischen Vernunft, das Kontinuitätsprinzip. Logisch ist es dem „Herrn der Erde" einsichtig, daß die unteren Bereiche den höheren unterstehen, in Dienstbarkeit und Brauchbarkeit ihm zur Verfügung stehen. Das ist der diskontinuierliche und doch kontinuierliche Zusammenhang der Bereiche, die gesondert sind durch ihre regionale Verbindungsweise und geeint durch die Konfinalität, die Zielverbundenheit mit dem Menschenreich. Dieser Versuch einer vorläufigen Bestimmung der Einheitlichkeit und Einheit der Bereiche beruht auf der Eignung der unteren Bereiche für die oberen, der Elementarteilchen für die Elemente, der Elemente für die Lebewesen, der Lebewesen für die ersten Menschen. Durch seine Leiblichkeit steht der Mensch im Zusammenhang der Bereiche als Lebenseinheit, durch sie übt er die Herrschaft über sie aus. Seine wahre Macht, die Geistesmacht, rührt nur daher, daß das Leben in ihm zum Selbstbewußtsein erwacht ist, daß das Leben unter ihm durch ihn das Wort gefunden hat. Diese Eignung muß ihm als das Ziel der ganzen Natur erscheinen. So können wir wagen, das sechste Prinzip ontologisch zu fassen: regiones finaliter uniuntur suprema humana. Die Bereiche werden zielgesetzlich geeint vom höchsten, vom menschlichen; der Mensch hat nicht selbst den Bereichen ihre Eignung verliehen, er findet sie vor, wie er seine Eignung zum geistigen Leben vorfindet, seine eigene Geistnatur. Sobald er seine Eignung zum vollkommenen Leben, die sinnvolle persönliche Auswirkung seiner allgemeingültigen Geistnatur erlebt, sieht er den Hausverwalter der Welt, den oikonomos cosmou, den institutor

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Theoretische Vernunft und Weltordnung

universitatis, den Gesetzgeber der Lebensgemeinschaft und Menschengemeinschaft, der Weltordnung. E r sieht ihn schon als den wahren Vater in der Urfamilie! Aber erst Sokrates hat diesen Hausverwalter klar bewußt benannt, weil er zuerst den teleologischen Naturbegriff und die freie Menschennatur erfaßt hat und danach die Gottesidee, Gott als den Stifter der Weltordnung. Das Kontinuitätsprinzip der Regionen auf Grund des Eignungsgedankens der theoretischen Vernunft verbindet sich mit der praktischen Vernunft der Selbstvollendung und dem emotionalen Gewissen der Selbstbewertung dieser Selbstvollendung. Das ist das Erwachen des reinen Geistes. Apriorisch ist es nur von der personalen und wesentlichen Menschenidee aus zu erreichen in der Geburtsstunde des freien Geistes, in der Freiheit der Kinder Gottes. Die arteigene Natur, die arteigene Tüchtigkeit und Tugend und die arteigene Freude gehören zusammen, sind das Leben des persönlichen Geistes.

Was ist also theoretische Vernunft? Das Vermögen der Ideen, der drei Ideen: Gott, Mensch und Welt. Urgrunderkenntnis ist Einheitsstiftung auf Grund der sichtbaren und erschlossenen Einheitlichkeit der Bereiche. Der Verstand setzt mit seinen Begriffen die Einheit der Wesen aus Individuum und Art, die Vernunft setzt mit ihren Ideen die Einheit der Wesen in den Bereichen Welt und Natur, Mensch und Gott. Das Selbstbewußtsein der eigenen Geistnatur und ihr Aufbau nach allen Bereichen ist der Leitfaden für die Einheit, den Zusammenhang und die Geschichte der Wesen. Es kam die Stunde, in der Gesetzdenker aus dem Sinn ihrer Natur, der vorgegebenen Geistorganisation den Stifter der Weltordnung, die Idee des Guten und den Denker des Denkens erfaßten. Diese drei Schritte der Erfassung der Gottesidee zugleich mit der Selbsterkenntnis der theoretischen Vernunft durch Sokrates, Plato, Aristoteles sind im höchsten Sinne klassisch. Ihr Gedankengang hat sich in allen dreizehn Philosophieperioden unabhängig oder trotz der Abhängigkeit wieder selbständig wiederholt. Aus der sittlichen Selbstgewißheit der Freiheit hat Sokrates unmittelbar den göttlichen Gesetzgeber der Gemeinschaft, den Walter der Weltordnung und die Einrichtung des ganzen sinnvollen Lebens erschlossen. Das ist der Sinn des ethischen und physiko-teleologischen Gottesbeweises, zugleich die Ergänzung des monarchischen Theismus durch den ethischen und metaphysischen. Der Urgrund der Gutheit der Dinge ist die Gutheit selbst! Aber auch der Tod und das Leiden des Gerechten an der eigenen Unvollkommenheit in diesem leiblichen Leben bedarf der Rechtfertigung. Das Wunder, daß wir scheinbar Vergänglichen die unveränderliche Gutheit und Wahrheit sehen, beweist uns die Vollkommenheit

Urgrunderkenntnis

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des ewigen Geistes. Die Idee der Gutheit ist die Wahrheit und Wirklichkeit selbst, die alle Dinge im Wesen wahr, gut und schön macht, ist der die Dinge vernünftig machende Urgrund, der auch das geistige Auge einrichtet und erleuchtet. Das ist Theodicee und Anthropodicee in einem, vor allem weil danach die unsterbliche, ja vermeintlich ewige Seele nur durch eigene Schuld sich die Art und Strafe ihrer zeitlichen Unvollkommenheit zugezogen haben kann. Und weil die Leiblichkeit Anlaß und Zeugnis der Unvollkommenheit ist, ist der leiblose, nur sich selber denkende Geist über den leibverbundenen Naturen und abstrakten Ideen jene höhere dritte Natur, die reine Wirklichkeit ist, Denker und Denken des Denkens. Das ist der Kern des ontologischen Gottesbeweises und des Beweises der Vernünftigkeit aller Seinsgestalten zugleich. Aristoteles hat zwar den Gedanken der Vernünftigkeit der Welt, aber nicht Piatons Prinzipienlehre der Vernunft übernommen. Aus der Verbindung von Stoff und Wesenheit zum Wesen erschließt er das Individuations-, Spezifikations- und Kompositionsprinzip, eine erste, zweite und dritte Substanz. Schon der nächste abschließende Metaphysiker des Hellenismus, Marius Victorinus, hat die Prinzipienlehre der Vernunft aus der Konsubstanzialität von Sein, Leben und Geistsein nach ihrer Koinzidenz im Selbstbewußtsein gewonnen. Aber es bedurfte erst noch der klaren Bestimmung der Person im Verhältnis zur Geistnatur in der altchristlichen Welt, bevor die Einheit von Person und Natur, Natur und Leib in der persönlichen Union gesehen werden konnte. Das ist die Leistung der altchristlichen Philosophie, besonders des Leontios und Boethius. Die sich daraus ergebende allgemeine Prinzipienlehre hat erst die Scholastik erreicht. Thomas sah hauptsächlich die Koinzidenz von Wesen und Existenz im unendlichen Geist und bestimmte nach dem Satz der Konnaturalität der Erkenntnis mit der Komposition der Wesen die Idee Gottes. Meister Eckhart hat in Anknüpfung an Proklos, den Nachfolger Victorins, seine ganze Mystik nach einer Prinzipienlehre der theoretischen Vernunft aufgebaut. Die 14 Traktate des opus propositionum, des Werkes der Grundsätze, waren systematisch nach der Dialektik von Sein und Seiendem, von Einheit und Einem, Wahrheit und Wahrem, Gutheit und Gutem, Liebe und Selbstsucht, Vollkommenheit und Unvollkommenheit, von Ganzem und Teil, vom Ungeschiedenen und Geschiedenen, von Oben und Unten, vom Ersten und Letzten, von Idee und Stofi, von Sosein und Dasein, Gott und Nichts, Substanz und Akzidenz geordnet. E s ist der durchgehende Gegensatz von Prinzip und Prinzipiat, des schöpferischen, unendlichen Geistes und des endlichen, nachschaffenden, der nun erst eine geschlossene Lehre vom Geist und seinen Grundsätzen ermöglicht hat. Das Spezifikationsprinzip wird als ideale und eminente Immanenz des Begründeten, als Urwort und Urbild im Urgrund bestimmt, das Individuationsprinzip durch die persönliche Unterschiedenheit und Kindschaft des Begründeten, das Kompositionsprinzip als Verbindung des real durch die ewige Kunst gesetzten Urbildes mit dem Einzelsein. So ist hier Vernunft Urgrunderkenntnis im letzten Urgrund. Ihr Können ist Wirken durch die Entfaltung des Begründeten, bleibt Leben in sich selbst

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Theoretische Vernunft und Weltordnung

und ist das Licht für die Wesen, das in den Dingen leuchtet als die reale Vernehmbarkeit aller Wesen, sie ist ganz in ihnen und ganz außer ihnen, weil sie im ewigen Wort bleibt und in uns wieder Wort wird. Die ars aeterna ist verbum aeternum und alle verba aeterna! Der Mensch als sein eigenes Wort hat wesensmäßig teil am unendlichen Geist, er ist nicht Geist, er hat nur eine reale Geistseele-Organisation. Der Grund dieser Geistorganisation bleibt ihm „stille Wüste". So können wir genau wie bei Kant nur Lehrer im Ideal des Lehrers sein, nur Nachbild nach dem ewigen Urbild, zeitlich Wort nach dem ewigen Wort. D i e bisher letzte Stufe der geist- u n d seinsgesetzlichen Prinzipienlehre hat Nicolaus von Cues m i t seiner axiomatischen Metaphysik erreicht. E s ist i h m endlich die Versöhnung des Piatonismus und Aristotelismus geglückt, weil er die Lehre v o n den Verstandesprinzipien durch die Selbstbewußtseinstheorie zu einer Lehre v o n den Vernunftsprinzipien erhöhen konnte. Der Verstandes-, Vernunft- u n d Geistbegriff ist geklärt durch den Bezug zur Weltordnung. Die Stufen der Wirklichkeit sind b e s t i m m t durch die Art der Zusammensetzung, der Komposition des Konkreten. Alle Wesen einer Seinsregion sind durch ein Prinzip geordnet, konregional geprägt. D a s Kompositionsprinzip bestimmt die Schicht und die Konregionalität der Wesen. Der Geist erfaßt die absolute Koinzidenz der Gegensätze in Gott im Gegensatz zur bloßen complexio oppositorum im Endlichen. Einheit, Gleichheit und Verbundenheit koinzidieren in Gott, im Endlichen müssen sie erst verbunden werden. Die Vernunft erkennt Gegensatz und Verbindung von Einheit und Gleichheit im Selbstbewußtsein, die von Person und Geistnatur miteinander und mit dem Leib. Die ganze Schichtenbestimmtheit der Wesen erschließt sich aus der Paradoxie des endlichen Geistes, daß in ihm Selbstsein und Selbstgleichheit verbunden sind, in den vernunftlosen Dingen aber die Einheit, Ähnlichkeit und Verbindung und in den körperlichen die Einheit, Vielheit und Verbindung. Nicolaus hat die Stufenordnung der Geistvermögen und der parallelen Seinsbereiche dargestellt. Unser Geist kommt nur durch seine nachschöpferische Kraft und auf Grund der vorgegebenen Weltordnung zur Weltidee. Er braucht die Explikation der Wesen nach ihrer Ordnung, um ihre Komplikation im Urgrund vermuten zu können. Letzter Grund aller Theorie: die Scheidung und Verbindung von Person und Geist im Menschen. Hierauf beruht die Vergleichbarkeit des endlichen und unendlichen Geistes. Wir sind im Sein und im So-Sein abhängig vom Unabhängigen. Dennoch ist unser Geist dem Unendlichen ähnlich, weil er sich selber im Wesenswort faßt, als die eigene Gleichheit und Verbundenheit von Selbst und Wesen, und weil er sein eigenes Wesensbild nach dem Urbild hat, logoshaft ist. Unsere K u n s t der Welt- und Selbst- u n d Gotteserkenntnis ist ein Bild der ewigen Kunst, nach dem ewigen Wort vorbestimmte Selbstbestimmung zur Persönlichkeit in der Einsicht in die gesamte W e l t ordnung aller Bereiche. Sein und Einheit sind i m Unendlichen eins i m Können. D a s Schaffen, die Allmacht, die ewige K u n s t u n d unbeschränkte

Selbstbewußtseinstheorie

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Freiheit ist posse, das nicht anderes, non aliud ist als es selbst und darum possest, wirkliches Können in immer schon aktueller Allmacht. Wir aber können uns nur verwirklichen in unserem Können und Selbstsein mit dem empfangenen Bestand der Vermögen. Die wahre Einheit ist ursprüngliches Können, sie faßt sich selbst im Wort und entfaltet nach ihren Vollkommenheiten aus sich die Welt. Die Welt aber ist vollkommenes Werk nur in der Vielheit der Geister und Wesen. Verfaltung und Ausfaltung ist das Verhältnis des Urgrunds zum Begründeten. Die Nähe des Geistes zum Schöpfer ist seine Ebenbildlichkeit. Er kann sich aber nicht selber in voller Gleichheit aussprechen, weil er nicht seine Quasi-Unendlichkeit der nachschöpferischen Selbsterfüllung aus einer ursprünglichen Einheit und Gleichheit, aus sich selber hat, sie nur nach der vorgegebenen Wesenheit und im Blick auf die Weltordnung erreichen kann. Mit der Stufenordnung der Geister, der Lebewesen und unbelebten Dinge ist das fünfte Prinzip der Konregionalität der Wesen nach ihrer Kompositionsart erkannt und auch das sechste der Kontinuität der Bereiche: der Mensch faßt in sich die Seinsstufen zusammen. Der Geist ist Seele nur in der Belebung: mens anima functione. Der Mensch ist wesentlich Geist, eher mens als anima intellectiva, weil er „als höchstes Gleichnis Gottes an der Fruchtbarkeit der schöpferischen Natur teilnimmt soviel er vermag und aus sich selbst als Abbild der allmächtigen Form nach der Ähnlichkeit der wirklichen Dinge Begriffe bildet. Er ist die Form einer konjekturalen Welt, wie der göttliche die der realen" (De Conjecturis I. 3.). Diese kurze Darstellung der Prinzipien der theoretischen Vernunft nach ihrer apriorischen und geschichtlichen Ordnung reicht aus, um die Verbindung der Geistgesetzlichkeit und der Seinsgesetzlichkeit

zu durch-

leuchten. Der Mensch ist das Wort der Welt, einer konjekturalen Welt freilich, weil seine Geistgesetzlichkeit selber das reale Telos der Welt ist. Die Kompositionsprinzipien der Bereiche sind nur Konjektur, sofern uns die Bestandseinheit der Wesen nicht durchschaubar ist, sondern nur der Unterschied der Bereiche. Aber die Weltordnimg ist Erfahrung, ablesbar von der vorgegebenen Welt, die Möglichkeit der Erfahrung hinwiederum bestünde nicht, wenn nicht die geschaute Seinsgesetzlichkeit wirklich wäre, wenn sie nicht gleich dem Konformationsprinzip unserer eigenen Natur konfinal geschichtet wäre. Es ist idealistisches Vorurteil, daß die dem Menschen gegebene Welt nicht ihre Ordnimg in sich selber hätte. Aus der Geistgesetzlichkeit allein das Weltordnen abzuleiten, der Natur ihr Gesetz vorzuschreiben, war Kant gezwungen, weil er die theoretische Vernunft nur

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Theoretische Vernunft und Weltordnung

formschöpferisch, ohne Inhalt und vorgegebenen Anhalt sah, die bloße material-kausale Zufallsdetermination. der Enzyclopädisten nicht durchschaute. In Wirklichkeit gehört die reale Unterscheidung von Mineral-, Pflanzen-, Tier- und Menschenreich unerläßlich zu Sprache, Verstand und Vernunft. Der Mensch ist geistig der Herr der Welt, weil er sich die Stoffe, Pflanzen und Tiere Untertan machen kann, steigend die Wesensgesetzlichkeit und Bereichsgesetzlichkeit erkennt; vor allem aber ist er der Herr der Erde, weil er selbst nach seiner Wesensgesetzlichkeit als geschichtetes Wesen im Seinsbezug zu allen Bereichen steht. Daraus entstehen ja seine vorschnellen Weltbilder, die eine so bedeutende Rolle in allen Philosophieperioden spielen, die fast unvermeidliche Umwege zu seiner Selbsterkenntnis sind, sofern er seine Schichtgesetzlichkeiten im Weltsymbol sieht. Es ist eine alte peinliche Belastung für die Philosophie, daß sie die großartige Entdeckung des Logos von Kosmos, Nous und Nomos, den Gesetzbegriff in seinen Hauptverbindungen zunächst zu verkürzten Weltbildern mißbraucht. Der Rausch des eben erwachten Vernunftgebrauchs ist zu groß, als daß nicht sofort nach einem zeitlichen Gemeinschaftsgesetz, etwa der Wiederkehr des Gleichen in der Gesellschaft, auch die Wiederkehr des Gleichen in der ganzen Welt gedacht würde, dem Analogiezwang von Gemeinschafts- und Weltbild nicht stattgegeben würde. Der Übergang von der Geschichtsgesetzlichkeit zur Weltgesetzlichkeit ist drastisch in jedem Philosophie verlauf nachweisbar, und die Vergleichung dieser vorschnellen Weltbilder erhellt eindeutig ihren Anthropomorphismus. Friedrich Schlegel hat Kants formalistische Stiftung der Welteinheit konkretisiert für die verschiedenen Weltbilder nach der vorgegebenen Wesensgesetzlichkeit im Menschen selbst, die Weltanschauungskritik begründet. Man kann aber noch genauer mit Albert Mitterer aus der Weltbildvergleichung die zugrundeliegenden Kausalitätsvorstellungen ablesen, die logomorphe oder noomorphe, die psychomorphe oder biomorphe, die georgomorphe oder technomorphe. Die Beteilung der Dinge mit Begriffen, Ordnungsgefügen der unbewußten zielstrebigen Zweckkausalität, der Wachstums- und Züchtungskausalität, der Denk- und Stoffkausalität macht die alte Unterscheidung der causa formalis, finalis, seminalis, efficiens und materialis nach den Vorstellungsbildern des Werkmeisters und der Werkform, des Werkzeugs und Werkstoffs, der Züchtung und Landbearbeitung deutlich. Im übrigen sind sie j a schon in den Sprachformen des Substantivs, Verbums und Adjektivs und in den nomina agentis, actionis et rei actae vorgegeben. Wir müssen den Täter, die Vorgänge, Zustände, das Tun und das Werk in unserer eigenen Natur auf die so deutlich in Personen, Lebewesen und Stoff geschiedene Welt übertragen. Die Auswahl einer einzigen Grundgesetzlichkeit mit dem entsprechenden Grundstoff ist naiv und doch der kühne Versuch einer reduzierten Weltdeutung. Daß überhaupt

Weltordnungen

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diese Versuche der Deutung der Welt aus einer einzigen Gesetzlichkeit gemacht werden können, hängt ja an der Entsprechung unserer Schichten mit denen der Seinsgesetzlichkeit im ganzen. Wir fassen aber auch in uns real alle Schichten zusammen und wissen den Geist als ihr Endziel. So sehen wir die Kontinuität, so haben wir Gestaltungskraft in allen Schichten nach ihrer Bereichsgesetzlichkeit. Da in uns selber die Konformation der unteren Vermögen wirkt, erschließen wir endlich die Schichtbestimmtheit aller Wesen. Wir haben in unserer „Selbstkritik der Philosophie" die Weltdeutungen aller Perioden in erschöpfendem Vergleich durchgeführt und brauchen darum nicht näher auf diese Reduktionskünste einzugehen. Es wird zudem noch im dritten Teil Gelegenheit sein, der empirisch vorgehenden Schichtenontologie eine apriorische zur Seite zu stellen und schließlich könnten 150 Jahre Weltanschauungskritik genügen, um endlich diese Entwicklungsphase der Philosophie zu überwinden.

Die notwendig sich widersprechenden naiven Weltdeutungen haben immer zur Skepsis und Sophistik geführt. Die Philosophie lenkt nach dem Scheitern der Kosmologie wieder zur Gemeinschaftsgesetzlichkeit zurück, zur sittlichen Ordnung des Menschenlebens, zur praktischen Vernunft. Aber nun kann der Lebenssinn des Menschen nicht mehr ohne sein Lebensgesetz gedacht werden, nachdem einmal der Gesetzbegriff den Bezug zur Weltordnung hergestellt hat. Sokrates sah sich selbst an dieser Entwicklungsstelle der Philosophie stehen und hat gerade durch den schlichten Rückgang auf die praktische Vernunft die theoretische entdeckt. Der Mittelbegriff war die Aret6, die Tugend als natürliche, artgemäße Tüchtigkeit und Vollendung, Arete als Telos und Logos der Physis. Tugend ist Wissen um den Sinn des Menschenwesens, um die wesensentsprechende Auswirkung. Das Auge ist zum Sehen eingerichtet, die Vernunft zum Wissen und richtigen Tun, Tugend ist Wissen um das Gute als artgemäße Vollendung und damit um den Logos, den Sinn und das Gesetz des Menschenwesens. Die Selbsterkenntnis des Menschen nach seinem Sinn und seinem Guten ist Geist. Er ist eingeordnet in die Stufenform der je artentsprechend guten Wesen bis hinauf zur Gutheit selbst. Das Gute an sich, die Idee des Guten ist der Urgrund des Gutseins als wesensgesetzliche Ordnung in allen Dingen. Die gewaltsame Verewigung des einen Urgesetzes und Urstoffes ist gesprengt, an der entscheidenden Stelle in der Reihe der vollkommenen Wesen steht nun der Menschengeist. Auch er wird zu schnell verewigt, vor allem aber wird das Urgesetz vergeistigt, der Stifter der Ordnung, der Walter der Weltordnung ist die Gutheit selbst. Der eigene Lebenssinn ist eingereiht in die Ordnung der gesamten Wirklichkeit, Gottes-, Menschen-, und Weltidee sind verbunden durch den Gedanken der sinnvollen Auswirkung aller Lebensgesetze. Wenn jeder Art ihre Wesensvollendung zukommt, dann kann die theoretische

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Praktische Vernunft und ewiges Gesetz

Vernunft ihren eigenen Wesensbegriff und die praktische die Aufgabe ihrer Selbstvollendung sehen. Logik als Ausdruckslehre der Wesensgesetzlichkeit statt einer gewaltsamen Kosmologie ist nun im Gang und Ethik als Auswirkungslehre des Menschenwesens ist zugleich mit ihr begründet. Ja nun gibt es eine neue Kosmologie, in der die vielen Artgesetze der Naturen zusammen den Sinn der Welt ausmachen und eine natürliche Theologie des Walters der Weltordnung, der allen Wesen ihren Logos zuteilt, so daß wir von ihrem Wesen den Begriff ablesen können. Natürlich ist die Sprache, die Möglichkeit der Namengebung für die Arten und ihre verständlichen Auswirkungen der Leitgedanke dieser ersten und klassischen Weltordnungslehre. Aber entscheidend ist doch der Aufschwung über das menschliche Gute zum Guten an sich, zur Idee des Guten, zur Idee Gottes. Nun erst ist der Schichtenbau der gesamten Wirklichkeit nicht mehr verwischt. Gerade die Schichtung der Wesen in der Vielfalt ist gerettet und fordert zugleich die letzte Einheit der Sinngebung an die wirklichen Dinge. Die Geistgesetzlichkeit steht also selber in der Ordnung aller Wesen, denn nicht wir geben den Naturen ihren Sinn und Namen. Die Sinngebung ist eine übermenschliche Tat, das Denken des Demiurgen. Die Verbindung von Geistgesetzlichkeit und Seinsgesetzlichkeit in der Weltordnung fordert die Teilhabe an dem lebendigen Logos, an dem ewigen Geist, der unseren Geist vernünftig und die Dinge vernehmbar macht, wie es Piaton im unvergänglichen Gleichnis von der ewigen Sonne der Wahrheit und Gutheit verdeutlicht hat. Weil alles Wirkliche geistig vernehmbar ist, weil jedes Ding seine sichtbare und unsichtbare Artgestalt hat und seine gesetzliche Erscheinungsweise, so muß es eine Wesensgestalt besitzen, ein Nooumenon, ein Vorgedachtes, bevor es nachgedacht werden kann. Die Weltordnung ist Erfahrung, die Teleologie sogar Voraussetzung der Dysteleologien. Wäre nicht die Fülle der Naturen, so gäbe es nicht die dazugehörigen Namen. Die Wirklichkeit der Wissenschaften beweist ihre Möglichkeit, die Weltordnung gestattet unser Weltordnen und zeigt den Weltordner. b) Praktische Vernunft und ewiges Gesetz Die theoretische Vernunft kann nicht verstanden werden ohne ihren Gegenstand, die Weltordnung, ja deren letzte Entfaltung, das Selbstverständnis der eigenen Geistgesetzlichkeit im Sinnganzen der Wirklichkeit führt schon auf die praktische Vernunft der Selbstvollendung des vorgegebenen Sinns der Menschennatur.

Wertrangordnung

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Wir haben im 20. Jahrhundert die eigentliche Leistung der theoretischen Vernunft aus der Erscheinungsgesetzlichkeit in der Phänomenologie wieder entdeckt, die ausreicht, um von der bloßen Erkenntnistheorie wieder zur Logik, von der Noetik zur Noematik, vom Denken zur Gedankenlehre zu führen. Dann freilich schließt sich auch gleich der letzte Schritt an, der von den Gegenstandsbegriffen nach Wesenszügen zur Wesenslehre führt und zuletzt zur Ordnung der Wesen, zur Ontologie. Wir werden denselben Weg für die praktische Vernunft gehen müssen. Durch die Geschichte des sittlichen Bewußtseins hatten wir seine überzeitliche Geltung aus dem Auge verloren. Aber schon die bleibende Erscheinungsgesetzlichkeit von Weisheit und Klugheit, Treue und Fleiß ist ein weites Feld immer gültiger Bezüge der inhaltlichen Wertlehre, der Gegenstände des Sittenlebens. Auch hier müssen wir der Sprache folgen, die den Heiligen und die Heiligkeit, den Gerechten und die Gerechtigkeit, das Recht und die Rechtlichkeit, den Tüchtigen und die Tüchtigkeit unterscheidet und das Gute gewissermaßen als die zweite Natur des Menschen benennt, als die freie Entfaltung seines Wesens. Das ist ja die sokratische Frage, was die Einheit der Tugenden sei, nämlich das arteigene Gute des Menschen in der freien Verwirklichung eines sinnvollen Lebens. Die persönliche Verwirklichung der Weisheit in der Erkenntnis der Weltordnung und das Leben nach dieser Erkenntnis konstituiert ja die soziale Welt und die Geschichte, die Welt der Persönlichkeiten. Aber die Überfülle dieser zweiten Naturen darf den Blick nicht abziehen von der wesentlichen Geistgesetzlichkeit in der Entfaltung aller ihrer Wertbezüge und Personbezüge. Für das sittlich Gute ist Voraussetzung das menschlich Gute, der wesentliche Wert der Menschennatur. Schon in der Erscheinungsordnung der Werte leuchtet ja ihre Rangordnung auf. Heiligkeit muß mit unendlichem Interesse für ein unsterbliches Leben erstrebt werden und Weisheit als Höchstentfaltung des Geisteslebens für einen überzeitlichen Lebenssinn, Rechtlichkeit für die Lebensgemeinschaft und Tüchtigkeit für die äußeren Bedürfnisse. Die Rangordnung wird noch deutlicher sichtbar am „großen Menschen", der Gemeinschaft, in der die Frommen und Weisen, die Rechtlichen und Tüchtigen eigene Gemeinschaften bilden. Zuletzt aber beruht sie auf dem Aufbau der Menschennatur selbst, zuletzt muß die Wertlehre durch die Wesensgesetzlichkeit begründet werden. Der selbstbewußte Geist hat in der Weltordnung seinen Bezug zu ihrem Herrn, zum eigenen Selbst und zu den Mitmenschen. Sein anfangendes Geistesleben bezeugt ihm, daß die vorgefundene Weltord-

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nung nicht sein Werk ist. Echte Ordnungserkenntnis ist zugleich Gotteserkenntnis. Schon gesteht man dem Menschen wieder allgemein zu, daß er seine eigene Welt, nicht nur wie das Tier eine Umwelt hat. Aber diese seine Menschenwelt ist eine vorgeformte Welt, die er nach ihren eigenen Ordnungen für sich wieder aufbaut. Dieses sein nachschaffendes Weltordnen erschließt ihm den ursprünglichen Weltordner, den Herrn des Guten und des Sinns der Wesen. Es verpflichtet ihn zur geistigen Vollendung. Gotteserkenntnis und Gottesliebe sind Sorge um das ewige Heil in der halben, todbedrohten Freiheit der Selbstvollendung. Der Unsterblichkeitsglaube erwächst aus der Pflicht zur Selbstvollendung, aus der Gottesfurcht und Gottesliebe im Vertrauen auf die unverlierbar verliehene Geistigkeit. So haben die Werte des Heiles und der Heiligkeit den Akzent des Unendlichen in der Sorge um das ewige Geschick in der zeitlichen Selbstvollendung. Der Geist ist offen für sein höchstes Du, für den ewigen Herrn, der sich in der Ordnung der Dinge enthüllt. Die Selbstvollendung der Geistnatur geschieht nach den unbedingten Werten der Persönlichkeit. Die Pflicht der Wahrheitserkenntnis, angebahnt durch die Notwendigkeit, zwischen den Dingen durch die richtige Erkenntnis ihrer Naturen frei zu leben, wird zur Weisheit der Erkenntnis der gesamten Ordnung und vor allem der eigenen Geistigkeit in der Welt und Anerkennung der Pflicht, nach ihr zu leben, nicht nach den Trieben. Wir teilen unsere Geistnatur mit den Mitmenschen und sind ihnen verpflichtet in der Gerechtigkeit, auch sie als freie Persönlichkeiten anzuerkennen und zu lieben. Diese beiden Wertbereiche des Heils und der Persönlichkeitsvollendung müssen in ihrer überzeitlichen Gültigkeit gesehen werden, dann bezeugt ihre Unveränderlichkeit die Unvergänglichkeit der empfangenen Geistseele. Die praktische Vernunft ergänzt nach Piaton, Augustin und Kant die theoretische, aber es ist besser, zuerst umgekehrt die Unsterblichkeit metaphysisch zu begründen, besonders heute, wo schon die allgemeingültige Geistorganisation bestritten wird. Wir begnügen uns hier zunächst zur Bestimmung der praktischen Vernunft mit dem Welthaben und Weltordnungsdenken des Menschen und begründen die zwei anderen Wertbereiche aus seiner Lebensgemeinschaft mit den Mitmenschen. Die Verflochtenheit in das Lebensganze bedingt den Schichtenbau unserer Gesamtnatur. Familie, Stamm, Volk und Menschheit sind die naturgebundenen Lebensgemeinschaften. Sie bestehen aber aus freien Persönlichkeiten und so ist hier anders als in den Tiergemeinschaften die Erfüllung des Lebensplans der Art nicht instinkthafter Lebensvollzug. Die menschliche Selbst- und Arterhai-

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tung ist dem Geistleben konformiert. Die Arterhaltung wird zur Solidarität, zur Mitverantwortung für die Lebensgemeinschaften erhöht und Selbsterhaltung zu Produktivität, zu Herrschafts- und Leistungswissen. In den Wertbereichen der Rechtlichkeit und Tüchtigkeit entfaltet sich die soziale Vernunft, das Berufswissen und die Gemeinschaftsorganisation. Über der großen Vielfalt der Einrichtungen zur Deckung der äußeren Bedürfnisse übersieht man leicht den ursprünglichen Lebenssinn, die den Schichten der Menschennatur zugeordneten Bereiche der Rechtswerte und Güter. Weil beim Menschen auch die leibliche Bedarfsdeckung mit der steigenden Zivilisation immer mehr vom technischen Verstand geleistet wird, übersieht man die Grundlage der Rechtsverhältnisse und Güterproduktion, Selbst- und Arterhaltung. Die Wert- und Güterordnung ist bezogen auf die Bedürfnisse der ganzen Menschennatur nach ihren Schichten, sie dient seinem Lebensplan. Rechtswerte und Güter zusammen sind sein artgerechtes Gut, das von ihm wesentlich Erstrebte und Gesollte, die Gegenstände seiner praktischen Vernunft. Es ist notwendig, diese wesensgesetzliche Begründung der Wert- und Güterordnung zu vollziehen, weil sonst das Gemeinschaftsleben, unermeßlich viel formenreicher als das pflanzliche und tierische, in seiner Überlegenheit über das rein biologische Artleben gar nicht gesehen wird, und weil sonst die Einheit der Tugenden und Werte sich in der phänomenalen Vielfalt der Einrichtungen verliert. Es war aber der Kern des ganzen platonischen Systems der Ethik und Politik, der Ökonomik und Paideutik und damit der ganzen Geistphilosophie, eben diesen Aufbau der Menschennatur der Rangordnung der Tugenden und Stände zugrunde zu legen. Freilich geschah es in der eigentümlichen Form der Lehre von den drei Seelenteilen, dem logischen, der genau nach Verstand und Vernunft geschieden war, dem mutartig imaginativen und dem begehrenden sensitiven und vegetativen. Immerhin kommt durch diese Benennung der Tugenden und Stände nach den geschichteten Organisationsgründen besonders deutlich die lenkende Kraft des Geistes in allen Lebensäußerungen zutage, und ihr Ziel, das artgemäße Gut des ganzen Menschen. Noch eigentümlicher wirkt zunächst die Anordnung der naturrechtlichen Pflichten und Werte beim Aquinaten, die nur aus der Schwierigkeit zu verstehen ist, der ganzen Tradition gerecht zu werden. Die klassische Stelle lautet: „Dem Menschen wohnt zuerst eine Neigung zum Guten bei, gemäß der Natur, die er mit allen Substanzen teilt, wie jede Substanz ihre Selbsterhaltung nach ihrer Natur erstrebt; nach dieser Neigung gehören zum Naturrecht alle Dinge, durch die das Leben des Menschen erhalten und das Gegenteil verhindert wird. Zweitens wohnt dem Menschen bei die Neigung zu einigen spezielleren Dingen nach der Natur, die er mit den übrigen Lebewesen teilt, und danach sagt man, das sei Naturrecht, was die Natur alle Lebewesen lehrt wie den Verkehr von

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Mann und Frau und die Erziehung der Kinder und ähnliches. Drittens wohnt dem Menschen bei die Neigung zum Guten nach der vernünftigen Natur, die ihm eigentümlich ist, so wie der Mensch die natürliche Neigung hat, daß er die Wahrheit von Gott erkenne und daß er in der Gemeinschaft lebe und danach gehören zum Naturrecht die Dinge, die sich auf diese Neigung beziehen, sodaß der Mensch die Unwissenheit meide, daß er die anderen nicht beleidige, mit denen er zusammen leben muß und ähnliches." (S. Th. I. II. 94. 2.) Auch dies betrifft genau die vier Wertbereiche, nur sind leider Verstand und Vernunft nicht deutlich genug geschieden. Dafür aber ist die Pflicht der Selbst- und Arterhaltung deutlich, ja scheinbar naturalistisch ausgesprochen.

Wir kommen heute zur Rangordnung der Werte und Güter nach ihrer Erscheinungsgesetzlichkeit. Die objektiven Werte des Wollens und Fühlens sind ja besonders durch die zwischen dem Wollen und seinen Gegenständen liegenden Gemeinschaftsbildungen unmittelbar anschaulich, durch die Einrichtungen der sozialen Vernunft, so daß jedermann leicht die Entsprechung der Bedürfnisse, Einrichtungen, Werte und Rechte sehen könnte. Es bleibt das unvergängliche Verdienst Schelers, entgegen seiner eigenen stürmischen Natur, allerdings im Aufstand gegen den Historismus, phänomenologisch die Rangordnung der Werte wieder sichergestellt zu haben. Vielleicht sah er in der unsystematischen Fülle seiner Eingebungen gar nicht deutlich genug, daß seine Lehre von den ursprünglichen Wissensformen des Heils-, Bildungs-, Herrschafts- und Leistungswissens genau dieselbe Rangordnung einhält, wie die der Werte nach dem Aufbau der Menschennatur. Die praktische Vernunft wird notwendig zur sozialen Vernunft. Das ursprüngliche Berufswissen konstituiert die Großstände Kirche und Geistesreich, Staat und Wirtschaft ebenso wie alle Leistungsgemeinschaften. Damit wird die ganze soziale Wirklichkeit als Schöpfung der praktischen und sozialen Vernunft sichtbar. Es verbindet sich die Geistgesetzlichkeit mit der Wertordnung einer eigenen sozialen Welt genau so wie die theoretische mit der Weltordnung. Wieder ist es nur eine selbstgeschaffene ideale Welt, aber die grundlegende Semsgesetzlichkeit ist doch die reale gemeinsame Menschennatur. Wenn trotz der genauen Übereinstimmung der führenden Denker über die Jahrhunderte hinweg dieses ursprüngliche Verständnis der sittlichen und sozialen Welt aus der Menschennatur selbst nicht immer stark genug wirksam gewesen ist, so nur deswegen, weil das praktische Interesse an den konkreten Rechtsordnungen viel lebhafter ist als das an der theoretischen Grundlegung. Aus dieser anthropologischen Theorie der praktischen und sozialen Vernunft ergibt sich sofort die ganze Typologie ihrer Irrtümer, genau so wie sich aus den Schichten der Menschennatur die extremen Weltbilder der theoretischen Vernunft ergeben. Sie müssen sich also decken, weil ja die Weltbilder genau so dem

Gemeinschaftsbildungen

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verborgenen Leitgedanken der Schichtgesetzlichkeit folgen wie die extremen Gemeinschaftsbilder. Der Ökonomismus verselbständigt das Leistungswissen des homo faber und daher seine Neigung zum Sensualismus und Materialismus. Der Etatismus denkt aus dem Herrschaftswissen des homo domesticator und daher seine Neigung zum Pragmatismus, Biologismus und Rassismus. Der Rationalismus verselbständigt das Bildungswissen des bloßen Verstandes eines verkürzten homo sapiens und daher seine Neigung zum Szientismus und Psychologismus. Der Spiritualismus denkt wohl aus dem Heilswissen des homo religiosus, aber in der entsprechenden Weltflucht verfällt er leicht dem pantheistischen Idealismus. Wir nehmen diese Extreme lange nicht mehr so ernst wie das vorige Jahrhundert, das sie noch für Höhepunkte der Philosophie hielt, ja nur aus der Gläubigkeit an diese Idole der sozialen Welt mit den entsprechenden Weltbildern als das Jahrhundert ohne Gott zu verstehen ist. Vielleicht haben die Idole der politischen Philosophie noch nicht einmal eine so bedeutsame Rolle gespielt wie die verkürzten Weltbilder. Die höchst fatale Vorherrschaft des Ökonomismus und Etatismus in unserer eigenen sozialen Welt seit 1848 ist uns mittlerweile als unbewußte historische Vernunft der Neuzeit verständlich geworden, als der Versuch der Verkürzung der Kultur auf Staat, Wirtschaft und Wissenschaft. Sie ist allerdings eine logische Folge des Parlamentarismus und Imperialismus mit ihrer gespaltenen Publizistik, des dritten Spannungszustandes der Neuzeit, nach dem der Staats- und Volkssouveränität und des Republikanismus und der Restauration. Die eigene Zeitnot darf uns nicht den Blick verschleiern auf die dauernde Kraft der praktischen und sozialen Vernunft. Man müßte viel eher sich die dauernden typischen Irrtümer der Menschendeutung und Zeitdeutung klar machen, ihre Charakterbedingtheit und Zeitbedingtheit sehen, ihre Rolle in den Geistzeitaltern des Ostens und Westens abwägen. T r o t z des Vertrauens auf die eigene Freiheit, des Hochgefühls der eigenen sittlichen K r a f t , steht die praktische Vernunft ständig i m Wechselspiel mit der von ihr herausgeforderten emotionalen Vernunft, m i t der E n t t ä u s c h u n g , dem Scheitern und der Gnadenbereitschaft. Die sittliche Selbstgewißheit des willentlichen Charaktertyps und das E r leiden der menschlichen Unzulänglichkeit bei sich selber und bei den anderen durch den Gefühlstyp sind in den klassischen Gestalten der E t h i k und Mystik in allen Spätphasen verkörpert, in Sokrates und Piaton, Pelagius und Augustin, E r a s m u s und Luther, K a n t und Schleiermacher, j a im Gegensatz von Geist und Glauben selber. W e n n m i t der E n t d e c k u n g der praktischen Vernunft B u d d h a oder Sokrates eine Lebensform geprägt haben, ja einen förmlichen Orden oder die stoische Sekte, Diodor das christliche Mönchtum, ist mit der asketischen Selbstbeherrschung nur ein kleiner Kreis der Auserwählten ger e t t e t . F ü r ihn ist der Lebenssinn sichergestellt, wenn nur der Lebensdurst verworfen wird. Dann aber wird das Mitleid der K e r n des nächsten Menschenbildes, dann mündet die Philosophie wieder in die Religion. Diese innere Spannung des geistigen Lebens ist von so großer

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Praktische Vernunft und ewiges Gesetz

weltgeschichtlichen Kraft wie die ursprüngliche Familien- und Stammessittlichkeit. Schließlich aber müssen Geistgläubigkeit und Gnadengläubigkeit ihren Halt bei der theoretischen Vernunft suchen, in der kritischen Nüchternheit der Metaphysik. Wie die theoretische Vernunft ihre volle Wirksamkeit nur entfalten kann in der Bewältigung der ganzen Wirklichkeit, in der Feststellung des Lebenssinns nach der Weltordnung, so kommt auch die praktische Vernunft nur zum Sieg durch den Bezug auf die Wertordnung der ganzen sozialen Welt. Das ist sogar noch die eigentliche Anziehungskraft der Totalstaaten, obwohl sie nur für ihre Teilgewalt, die Exekutive, die ganze Autorität in Anspruch nehmen. Darin liegt ja auch der unselige Vorrang begründet, den Hegel über Kant gewinnen konnte, weil Ethik auch Sozialethik sein muß, ja Lehre von der ganzen sozialen Welt. Die persönliche Selbstbestimmung und Selbstvollendung für das ewige Heil ist die höchste Aufgabe des Menschen, aber sie ist nur zu erfüllen in der Mitverantwortung für die ganze Menschheit. Freilich ist das, „was in unserer Macht steht", die vorbestimmte Selbstvollendung, unsere Würde und Freiheit die einzig wahre Selbstherrlichkeit, aber sie ist nicht möglich ohne die Frömmigkeit der Einfügung in das Heilsleben, ohne die Pflichterfüllung in allen sozialen Beziehungen der Rechtsordnung und der Wirtschaftsleistung. Nur in der mitverantwortlichen Vorsorge für die Gestaltung der sozialen Welt ist der eigene Lebenssinn zu verwirklichen. Praktische Vernunft ist wesentlich soziale Vernunft, Aufbau aller Gemeinschaften des Berufswissens im ständigen Hinblick auf das Ganze der Bedürfnisse des Menschenlebens. Unter diesen Gemeinschaften haben die Lebensgemeinschaften, Familie und Volk, einen besonderen Vorrang der nächsten Verbundenheit, aber auch die Großstände oder Lebensmächte, die aus den ursprünglichen Wissensformen erwachsen. Sie besorgen ja die vordringlichen Pflichten und Werte in der Auswirkung des ganzen und wesentlichen Menschen nach ihrer Rangordnung. Das erst ist das explizierte Ganze des praktischen Menschenlebens und somit der eigentliche Gegenstand der praktischen Vernunft, die auch auf eine Idee, die der Menschengemeinschaft zielt. Damit erst tritt das Gesetz des Menschenlebens in das Blickfeld, das alle Rechte und Pflichten des Gemeinschaftslebens zusammenfaßt. Gesetz ist der Name für die Norm der Normen und diese Einheit ist die entscheidende Frage der praktischen Vernunft. Achtung vor dem Sittengesetz heißt noch bei Kant der oberste Grundsatz der Ethik. Er ist leider durch die Verfälschung zur Achtung vor dem Staatsgesetz bei Hegel allzu neuzeitlich verengt worden, weil schon eine ganze Epoche

Die Idee des ewigen Gesetzes

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lang das Staatsgesetz souverän erklärt und als einziges Gesetz hingestellt war. Das Staatsrecht ist nur eines der Rechte der Lebensmächte, die alle ihre eigene Nomologie, eigene Grundsätze ihres Bereichs im Kulturganzen haben. Eben diese Gesetzeslehre fehlt uns zur Gesellschaftslehre hinzu. Wir haben wohl die unwillkürliche Gesellschaftsgesetzlichkeit fleißig untersucht, aber die objektive Ordnungslehre der Sachbereiche in sich selbst genau so vergessen wie die vorgegebene Weltordnung über den bloßen Weltbildern. Die vernünftige, nicht bloß verständige Begründung des Gesetzes muß auf die Wesensgesetzlichkeit der Menschennatur zielen und damit ist die erhabene Idee des ewigen Gesetzes unausweichliche Aufgabe geworden. Man muß freilich erst den Menschen selber wieder als Geistwesen sehen! Aber wenn die Rangordnung seines Naturaufbaus wieder deutlich geworden ist, wenn schon Betrachtung der artgemäßen Lebenspläne der Tiere selbstverständliche Forschungsmethode geworden ist, kann auch das artgemäße Menschenleben und sein ewiges Gesetz nicht mehr übersehen werden. Noch klingt uns „ewig" für ein so kurz erst bestehendes und scheinbar kurzlebiges Wesen zu pathetisch. Wir haben ja auch die ewige Artkonstanz verworfen. Aber das sittliche Bewußtsein einer ewigen Verantwortung für die eigene Selbstbestimmung und die der Menschheit muß unsere Kleinmütigkeit überwinden. Die immer gültigen Werte des Menschenlebens sind sicher erkannt. Ihre Rangordnung steht wieder vor unserem geistigen Auge und so muß auch die Rangordnung der Lebensmächte und ihrer Rechte über, neben und unter dem Staatsrecht wieder zum ewigen Gesetz zusammengefaßt werden. Es gibt kein anderes Heil aus eigener Kraft für unsere Zeit als die Anerkennung des ewigen Gesetzes, das das göttliche Recht, das natürliche, staatliche und bürgerliche in sich begreift. Wenn wir nicht diese seine einfachste Bestimmung, die Entsprechung zwischen dem Aufbau der Menschennatur, der Wissensformen und Lebensmächte, der Werte und der Rechte anerkennen, fehlt uns sogar die Möglichkeit, das zeitliche Gesetz zu verstehen, weil es ja sonst in geschichtliche Beliebigkeit zerfließt, ohne den Halt echter Autorität an der Norm der Normen. Das ewige Gesetz ist der praktische Aspekt der Gemeinschaftsidee, also nur der Vernunft, nicht dem Verstand sichtbar. Es steht damit im Kreise aller anderen Ideen. Sofern der Mensch einen eigenen Lebensplan hat, kann sein Gemeinschaftsleben noch verstandesmäßig als artgemäß allgemeingültig betrachtet werden. Das ist die absolute Theorie seiner sittlichen und rechtlichen Lebensordnung, das Naturrecht. Aber der Lebensplan selbstbewußter freier Persönlichkeiten steht auch in bezug zu den unbedingten kategorischen Forderungen

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Poietische Vernunft und Weltbild

der Wahrheit und Gerechtigkeit vor dem absoluten Geist. Es gibt für ihn das Gute und das Böse und die unbedingte Entscheidung für seine ganze Existenz nach dem intelligiblen Charakter. Auf dieser höheren Ebene der Vernunft steht das ewige Gesetz der Gemeinschaftsidee, die aus dem Gefüge der anderen Ideen, des absoluten Geistes, der Unsterblichkeit und Freiheit und der Weltordnung nicht gelöst werden kann. In unserer heutigen Lage werden aber gerade alle diese Ideen bestritten und darum können alle Argumente für das ewige Gesetz wegen der mangelnden Voraussetzung gar nicht begriffen werden. Wir sind wertblind geworden für den ganzen Bereich des Unbedingten, der zwischen dem Unendlichen und dem Wesensgesetzlichen steht, also gerade der eigentlich menschliche Bereich ist. So führt man heute nach der vermeintlichen Relativität der Geistesgeschichte den Kampf gegen alle Voraussetzungen einer unbedingten Lebensordnung, gegen die allgemeingültige Geistorganisation und ihren Urgrund, die Geistseele als unsterbliches Wesen des Menschen, gegen die Freiheit durch das natürliche und ewige Gesetz, gegen überzeitliche Werte, eine überzeitliche Gemeinschaftsform und gegen den absoluten Geist. Die Anerkennung einer unbedingten Wahrheit und Gerechtigkeit fordert aber den Beweis für die gesamte Vernunftordnung. Er ist schon gegeben mit der Tatsache der Philosophie selbst, der Entdeckung der reinen Vernunft in allen zeitlichen Philosophieperioden. Aber in unserer Geisteslage kann vorläufig nur ein einziger pragmatischer Beweis des Verstandes schlüssig geführt werden, daß nämlich der Mensch dem Tier und der instinktiven Erfüllung seines Lebensplans gegenüber ein Mängelwesen wäre, gerade durch seine Freiheit und seine Wesen- und Welterkenntnis und gerade durch diese Krone seines Lebens schon zugrunde gegangen sein müßte. Tatsächlich ist der Mißbrauch seiner Vernunft und Freiheit, die Schuld die eigentliche Gefährdung seiner Art. Es ist das Symbol der Krise der Zivilisation, ihrer Krankheit zum Tode oder Leben, daß schon das Zeitbewußtsein einer möglichen und naherückenden Selbstzerstörung der Menschheit erwacht ist. Die Krankheitseinsicht ist aber der Beginn der geistigen Gesundung. Sie muß nur vertieft werden durch eine Krankheitsgeschichte, es muß der Grund des verlorenen Vernunftgebrauchs im ausschließlich technischen Verstandesgebrauch aufgedeckt werden und warum der Gegenbegriff des Rationalismus, der Begriff der historischen Vernunft und des zeitlichen Gesetzes, verloren gegangen ist. Erst dann kann eine genaue Bestimmung des ewigen Gesetzes gegeben werden.

c) Poietische Vernunft und Weltbild Der vovg noirjxixoq des Aristoteles und der intellectus agens der Scholastiker sind nur ein tätiger Geist im Gegensatz zum passiv aufnehmenden. Der schöpferische Geist dichterischer Weltbilder wird erst vom deutschen Idealismus poietische oder symbolisierende Vernunft benannt. Augustin redete schon von der göttüchen ewigen Kunst und die deutsche Mystik unterschied genau zwischen göttlicher und menschlicher schöpferischer Kunst.

Die ewige göttliche Kunst

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Erst mit dieser Fassung der ars aeterna, der ewigen göttlichen Kunst, ist eine Philosophie der menschlichen Kunst möglich geworden, der ars aeternificans, der Menschen- und der Weltbilder nach der Ewigkeitsbedeutung schaffenden Vernunft. Sie ist Vergleichung der urbildlichen und nachbildend ebenbildlichen Vernunft, die auch Kant noch im intellectus archetypus, dem Ideal des Lehrers und des Lehrers im Ideal festgehalten hat. Es mußte dann allerdings erst der Geschichtsverlauf der Auswirkung der dreifachen Geistgesetzlichkeit der anschauenden, tätigen und liebenden Vernunft im deutschen Idealismus kommen, bevor eine klare Lehre der bilderschaffenden Vernunft möglich wurde. Wir umschreiben sie mit dem Satz: es ist das Wesen der Kunst, daß sie mit ihrem zeitlichen Bilderkreis des Gemeinschafts-, Gottes-, Menschen- und Weltbildes dasselbe ausdrücken will wie die reine Vernunft nach dem entsprechenden Ideenkreis, zu dem auch die Gemeinschaftsidee nach ihrer ewigen Bedeutsamkeit als letzte gehört. Der Mensch ist zuerst Künstler, Schöpfer eines Gottes-, Menschenund Weltbildes, bevor er Denker ist, bevor er zu reinen Ideen kommt. Er ist zuerst Schöpfer eines Menschenbildes durch die Gestaltung seiner Persönlichkeit, bevor er zur Menschenidee vordringt. Eine Philosophie der Kunst ist nur möglich, wenn man den in Artnamen die Wesen symbolisierenden Verstand von der symbolisierenden Vernunft der Einheit der Bereiche unterscheidet. Das entsprechende Kapitel der Sprachphilosophie, daß die Kunst des Naturifizierens vor dem klassifizierenden Verstand kommt, ist allerdings noch nicht geschrieben. Die Kunst ist Vernunft, weil auch sie wie das Denken auf ein Bild der ganzen Welt zielt und auf das Bild des ganzen Menschen nach seinem Geist und Fleisch. Die Schöpfung ihrer geistigen Welt ist nur Nachschöpfung der vorgegebenen Welt. Gewiß kann die persönliche freie Kunst beliebige Welten schaffen, Zauberwelten der Phantasie, aber das ist nur formalistisches Spiel neben der zeit- und gemeinschaftsgebundenen Kunst, die eine gemeinsame geistige Welt für alle Zeitgenossen als Bildergläubige ihres Bilderkreises schafft. Die bilderschaffende Vernunft stiftet nicht bloß eine formale Einheit der Welt nach dem Aufbau der eigenen Natur. Sie ist nicht bloß Weltanschauung nach der Selbstanschauung, ihr Weltbild ist ein Ordnungsbild der vielen Dinge in ihrem sinngemäßen Zusammenhang, ist nachgezeichnete Weltordnung der Ordnungsreiche, des Mineralreichs, des Pflanzen- und Tierreichs, die im Menschenreich gipfeln, ist vorschnell vervollständigendes Denken. Die Entsprechung der kleinen und großen Welt ist unbewußt und bewußt bilderschaffend und das Leitbild der Welt- und Menschenanschauung. Ihr Ursprung ist das Selbstbewußtsein, das gegenüber den

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Poietische Vernunft und Weltbild

Mitmenschen und der Welt erwachte Ich, das sich von der eigenen Natur, der gemeinsamen Menschenart unterscheidet. Der Begriff der gemeinsamen Menschennatur gehört noch dem namengebenden Verstand an, der nach bleibenden und leitenden Tätigkeiten und Eigenschaften den Bestand der Naturen ergänzt und einen Grund ihrer Einheit und Ganzheit über die ganze Art hinweg annimmt. Das Ich aber weiß sich mit dem dunklen Grund der Geistnatur zu einem Selbst verbunden, so wie ihm auch seine Leiborganisation zugehört. Es hat die ganze Menschennatur mit Seele und Leib, und so ist der Ursprung des Selbstbewußtseins der Träger der Menschennatur, unter den bewußten Tätigkeiten des Ich ein an und für sich seiendes Selbst. Es dauert lange in der Menschenlehre, bis der Träger der Geistseele, die Person, klar von dem bei Allen gleichen Grund des Seelenlebens und auch von der bewußten Persönlichkeit unterschieden wird, aber immer schon ist das einzeln für sich bestehende Selbst in jedem anderen Menschen mit dem Eigennamen gemeint. Sein und Einheit der zwei in uns zusammenwirkenden und -gehörenden Urgründe sind unsere erste menschliche Seins- und Einheitsidee, die Idee der Ursprünglichkeit und des Wirkgrundes neben dem eigenen Tätigkeitsbewußtsein und dem gemeinsamen Können. Das Selbst oder intelligible Ich schiebt sich schließlich in der Neuzeit vor den Grund des Seelenlebens, aber seit wir wieder gestaltgesetzlich denken, wissen wir auch wieder um die allen zukommende Geistseele. Ihre arteigenen Wirkweisen, Merkweisen und Erlebnisweisen sind uns aus dem Unterschied gegen die Lebenspläne der Tiere klar geworden. Wie wir ihre Umwelt auf ihre Organisation zurückzuführen gelernt haben, führen wir auch unsere Menschwelt auf unsere arteigene, allgemeingültige geistige Organisation und ihren Grund, die Geistseele zurück. Die Konnaturalität der Wirkweisen und der Welt ist der Lehrsatz, nach dem die Entsprechung des Erkennenkönnens und seines Bereichs ursprünglich zu verstehen ist. Vorher aber wird sie längst von der bilderschaffenden Vernunft angeschaut, ja von der Sprache hingesagt. Unlebendige Dinge sind Neutra, belebte sind artgemäß männlich und weiblich, der Mitmensch aber hat ein Selbst, geistige, freie Spontaneität trotz seiner Geistnatur und Leiborganisation. Der Mensch hat Stoff mit seinem Leib, er hat pflanzliches, sinnliches und geistiges Leben, drei „Seelen" nacheinander, drei Seelenteile oder drei Schichten von Seelenvermögen, oder wie immer die Schichtung seines Aufbaues benannt werden mag.

Das Selbst als eigene und einzigartige Seinsursprünglichkeit ist eine andere höhere Individuation als der Leibstoff, seine bewußte Freiheit ist Urbild allen Wirkens und Könnens. Sie ist auch schon für die bilderschaffende Vernunft beschränkt nach der Geisteskraft, der zeugenden

Der Personbegriff

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und belebenden Seelenmacht und der Leibeskraft. Das Weltbild des Menschen ist bedingt durch die Sinneserkenntnis und ist danach ein Rundblick in der Ebene seines gleichgewichtigen Dastehens, egozentrisch, aber der Sehraum ist erfüllt mit bedeutungsvollen Dingen, Lebewesen und Mitmenschen. Es ist auch altrozentrisch und erweitert sich schließlich zur geozentrischen oder heliozentrischen, immer aber kosmozentrisch gedachten Ordnungseinheit aller Dinge für das Denken. Die Welt objektiviert sich, vergegenständlicht sich zum Lebensraum des Selbst, sie löst sich vom Selbst und das Selbst löst sich aus seiner sinnlichen Umwelt. Der geistige Merkraum ist freier Wirkraum und die in ihm vorhandenen Dinge, Lebewesen und Mitmenschen werden brauchbar, dienend und mitwirkend in der Menschengemeinschaft. Die Welt des Menschen ist zunächst eine Welt der einzelnen Bilder für sich, die er mit Art- und Eigennamen benennt, der Brauchbarkeit, der Dienstbarkeit und Mithilfe alles dessen, was er benutzt oder befürchtet und erbittet. Die Welt der Einzelwesen wird zur ganzen Welt schon für die Anschauung, weil die Grundordnungen der Bereiche in sich und übereinander eine Stufenordnung je nach dem eigenen Bestand bleiben, deren irdischer Herr der Mensch ist. Schon Benennung des Brauchbaren und Dienstbaren ist Herrschaft und noch in unserem Begriff des regnum animale dient ein politischer Ordnungsbegriff zur Kennzeichnung der Naturordnung an sich. Die bilderschaffende Vernunft bedient sich wie später auch noch die betrachtende der Gleichnisse aus der menschlichen Gemeinschaftsordnung für die Provinzen der Weltordnung. Die Ordnung des Ganzen ist schon in der Sprache nicht eine stiftende, sondern eine abgelesene Ordnung, der Mensch ist nur Herr der Erde, die er sich Untertan machen soll nach dem Befehl des Oberherrn, seine Menschenwelt ist durch die vorgegebene Ordnung Gotteswelt, Gott hat die Ordnung der Dinge gestiftet, der Mensch ist nur Herr der Erde unter dem Herrn der Welt. Hier liegt noch ein weites Feld der Forschung für die Soziologie der Kunst, die Erhebung der Weltordnungsbilder aus der Vorgeschichte, in der die Gemeinschaftsordnungen der Stämme die Gleichnisse für Himmel und Erde, den Himmelsherrn und Erdenherrn hergeben. In der Herrenhochkultur führt der monarchische Theismus, den Santayana erkannt und benannt hat, mitsamt dem göttlichen Gesetz als Sanktion des irdischen zu einem in sich geschlossenen Weltordnungsbild, schon zu einer Kosmologie als Vorstufe der monistischen Weltbilder der theoretischen Vernunft, mit denen die Philosophie sich festigt. Dann begnügt man sich mit dem Bild des Weltbaumeisters als Leitbild, obwohl der Schöpfergedanke viel älter ist als die Philosophie.

Poietische Vernunft und Weltbild

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Immer entsteht aus der Geistgesetzlichkeit ein Gottesbild, aus der selbstbewußten Menschennatur das Urbild des Ebenbildes und Lehensträgers Gottes. Die Menschenwelt ist die ganze Welt durch die Erfassung der gottgesetzten Weltordnung. Die Freiheit und Herrschaft des Menschen ist eine beschränkte und geschenkte, eine bloße Lehnsherrschaft, sein Menschenreich ein verliehenes. Der Herr der Welt ist der allmächtige Herr der Herren, der allwissende Meister der Meister, der alliebende Vater der Väter. Seine Freiheit und Macht, Weisheit und Liebe ist Entschränkung der menschlichen Vermögen. Unser Weltordnen folgt seiner Weltordnung. Wir bauen nachschöpferisch ein Bild der Welt nach seiner Ordnung. Er baut nach seiner Idee ohne Stoff die Gotteswelt. In ihm ruht die Idee des Menschen als Ziel und Krone der Gotteswelt, ja die Idee jedes einzelnen Menschen, weil jeder aus seiner Freiheit und Schaffenskraft den Allmächtigen erschließen soll. Gott ist artifex aeternus, der ewige Künstler, wir sind zeitliche Künstler, aber wir treffen nachschaffend den ewigen ordo rerum, und damit die lex aeterna, das ewige Gesetz der Wesen und ihrer Werte. Wir sind Künstler, bevor wir Denker sind, wir sind Gestalter unseres Wesens, aber nur Ausgestalter nach der verliehenen Wesenheit. Das Können und Bilden gewinnt erst spät in der Philosophie den Vorrang über Denken, Handeln und Lieben, erst beim Cusaner, weil die Rückdie nachzeichnende Weltanschauung geht, über den sich betrachtenden, sich gestaltenden und bewertenden Geist. Aber schließlich wird der Künstlermensch, der Schöpfer in der menschlichen Person in seinem Selbstkönnen, Selbstdenken, Sichselbstbestimmen und Bewerten erkannt. Das Selbstbewußtsein als Wissen um die ursprüngliche Kraft des Selbst führt erst zur klaren Idee des Geistseins, das „früher und reicher" ist als das Leben und bloße Sein, die allmächtige Einheit von Geistsein, Leben und Sein. Unsere beschränkte Freiheit des Geist- und Welthabens zeigt den Träger der Geistnatur, das Selbst wohl auch als ursprüngliches Selbstsein. Aber es ist niemals possest, reines Geistsein, es führt nur zu ihm. Unser inneres Wort, unsere Gleichheit mit unserem Selbst ist nicht ursprüngliche Selbstbestimmung, weil unsere Geistorganisation vorbestimmt ist wie die Leiborganisation, empfangene Geistnatur in dunkler Gesetzlichkeit wie alle Organisationsgründe der Wesen dunkel für uns bleiben nach ihrer Einheit und nur in ihrer Auswirkung zum Begriff und Namen werden können. Unser Selbstwirken ist unser Kraftbegriff, ja Seinsbegriff. Unser Geistbegriff ist nicht volle Gleichheit mit dem Selbst, nur Nachbild des Schöpfers, der den Naturen ihr 3.1 ^

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Zeitliches Künstlertum

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Wesenswort verliehen hat, den Bestand ihrer Kräfte, den Einheitsgrund ihres Wesens, Wahrseins und Gutseins im Stufengefüge der Stoffwesen, Lebewesen und Geistwesen, des Leuchtenkönnens, Zeugenkönnens und Denkenkönnens mit je verschiedener Individuation. Lebenkönnen mit einer feststehenden Organisation und Leuchtenkönnen mit bestimmten Farben nach einem festen Wesensbestand ist uns durch die Physiologie und die Physik nach der Verknüpfung der Kräfte und in bezug auf die Umwelt, ja auf die ganze Weltkontinuität klar geworden. So müssen wir auch unser Geistleben nach der inneren Verknüpfung der Geistvermögen und in bezug auf seine Welt, die eigentliche Menschenwelt, verstehen. Die Menschenidee ist Selbstsein mit einer Geistseele, dem Einheitsgrund der Geistvermögen, also metaphysische Dualität, sachlich geschiedene und doch persönliche Geeintheit von zwei Wirkgründen, wie alle Wesen aus Sondersein und Sosein bestehen. Unsere Geistwirklichkeit, der Grund der allgemeingültigen Geistorganisation, ist wesenhaftes und koexistentes, nicht bloß existenzielles Sosein und ruht in der persönlichen Existenz als ihrem Träger. Dieser Gespaltenheit in zwei Wirk- und Könnensgründe entstammt unsere Art der Kunst, unsere ars aeternificans, unsere nur verewigende, aber nicht ewige Kunst. Sie ist Sprache, symbolisierende Eigen- und Artnamengebung, Logik, Selbständigkeit und Bestand zum Wesen vereinendes Verstehen und Kunst des Ordnens der ganzen Welt nach der Reihe der Wesen zum Bereich und der Bereiche zur Menschenwelt. Sie ist geistige Herrschaft der Namengebung, Wesensbestimmung und Anordnung der Wesen zum Gebrauch, zur Dienstbarkeit und Mithilfe in der freien Gemeinschaft der Geister und Bewertung der Erfahrung dieses Lebenssinns. Wir verewigen die Weltordnung nach ihren Wesenheiten, nach der inneren Richtigkeit und nach ihrer Stellung in der Reihe der Bereiche zu einem Reich der Wahrheit, das wir als ein Werk der ewigen Kunst des Schöpfers der Gotteswelt anschauen. Wir rühren im Aufschwung zur Ganzheit der Welt an das ewige Gesetz der Wesen, an das Naturgesetz. Durch die vom Horizont der Gemeinschaften zeitlich begrenzte Ordnungssicht reiht sich die bilderschaffende Vernunft in die Entwicklung der historischen Vernunft ein als ihr dritter wesentlicher Bestandteil neben der Machtentscheidung und der Gesetzgebung. Nur in diesem Zusammenhang läßt sich der Bilderkreis der poetischen Vernunft durch eine historische Soziologie der Kunst in seiner Wandelbarkeit feststellen. Sein immer den Menschen am tiefsten bewegender gemeinmenschlicher Gefühlsgehalt, der Stil des Lebensgefühls im ganzen läßt

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sich aber nur erfassen durch den Vergleich mit den Schöpfungen der reinen Vernunft, die allein der Maßstab der historischen und poietischen sein kann. d) Historische Vernunft und zeitliches Gesetz Die Neuzeit ist entstanden durch den Kampf der Juristen gegen das positive göttliche Gesetz im hundertjährigen Religionskrieg. Souveränität des Staates statt Hoheit des Reiches: statt des göttlichen Rechts als oberstem positiven Gesetz der Christenheit gilt nur noch das Staatsrecht als absolute Norm. Man versteht diesen Absolutismus nur zu gut aus der Not einer Zeit, in der Religionsparteien Bürgerkriege führten, man versteht auch, daß damit ein neues fünftes Zeitalter angebrochen war, sofern nun nur noch die „Politiker" Krieg führen durften und Geschichte machen sollten, und man versteht erst danach unsere eigene Zeit der Totalstaaten: Bürgerkriege der Sozialreligionen. Die Geschichte bis daher war das Werk der historischen Vernunft, die 3000 Jahre v. Chr. der bloßen Stammesgeschichte ein Ende setzte und Völker gründete. Obwohl auch schon die Antike das politische Leben in Städten vom barbarischen Stammesleben unterschied, hat doch erst die neueste Forschung die Vorstellung vom Menschen als immer staatlichem, „politischem Wesen" gründlich durchbrochen. Das Staatsleben ist für uns eine sehr späte Erscheinung geworden. Erst die Überschichtung der Ackerbauer durch Nomaden, die Herrenhochkultur, brachte nach Jahrtausenden vorgeschichtlichen, ja fast ungeschichtlichen Lebens den Beginn der Geschichte im eigentlichen Sinn und gleich auch geschriebene, dokumentierte Historie. Drei konvergierende Wissenschaften, die Ethnologie, Sprachvergleichung und Prähistorie haben gezeigt, daß es auch in der Vorgeschichte zeitlich festzulegende geschichtliche Ereignisse gab. Aber Volksgeschichte beginnt erst mit der Entstehung des Staates, weil nur die herrscherliche Zusammenfassung von Stämmen allererst Völker gründete, weil der Gesetzgeber und das zeitliche Gesetz, das Volk und sein Gott zusammengehören. Schon einer der Entdecker der historischen Vernunft, Schelling, hat das fast ungeschichtliche, zeitlose Stammesleben von der Völkergeschichte mit seiner Zeitrechnung abgehoben. Er sah die ganze Mythologie als theogonischen Prozeß, als unbewußten Vorgang der Herausbildung von Götterdynastien entsprechend dem Dynastiewechsel. Eine genauere Kenntnis des Mythos in der Vorgeschichte und sehr reiche Zeugnisse der Herrenhochkulturen gestatten uns eine nüchterne Fassung der historischen Vernunft als zeitliche Gesetzgebung einer heiligen

Herrenhochkultur

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Staatsrechtsordnung mit monarchischem Theismus, mit dem Gottesbild des Königsgottes und Gottkönigs. Die Gliederung der Weltalter, das große Thema Schellings, haben wir schon nach der neuesten historischen Soziologie abgewandelt. Sie kann ausreichend nach der Vorherrschaft der sozialen, der historischen, der reinen Vernunft, des vernünftigen Glaubens und des wissenschaftlichen Verstandes gegeben werden, wonach die Weltgeschichte wesentlich Geistesgeschichte ist. Man muß nur sehen, daß der Geist des Menschen in allen Weltaltern immer der ganze mit allen seinen Kräften bleibt, mit Verstand und Vernunft, mit Wille und Herz. Aber mit der Vorherrschaft der historischen Vernunft ist eine bestimmte Form des Gesetzes als Einheit aller Rechte gegeben: Stammesrechte und Volksgesetz, göttliches Gesetz und Staatsrecht. Das zeitliche Volks- oder Reichsgesetz als oberste Norm aller Rechte wird gegeben aus charismatischer Autorität. Der Gesetzgeber hat eine geheiligte Entscheidungsgewalt über die ganze Volksordnung. Sie ist sanktioniert, weil der Gesetzgeber sie aus der Hand des göttlichen Rechtskönigs empfängt wie Hammurabi auf der Stele seines Gesetzes vom Sonnengott und Moses von Jahwe auf dem Sinai. Menes, Minos, Moses, Manu haben das zeitliche Gesetz als geheiligtes für alle Zeiten empfangen. Mit der Entscheidungsgewalt hängt die ganze Symbolik, der ganze Bilderkreis der historischen Vernunft zusammen, das Königsbild und Gottesbild, das Menschenbild, Gemeinschaftsbild und Weltbild. So kann man die historische Vernunft abheben vom juristischen Verstand der neuzeitlichen Staatssouveränität, für die der Staat im König hypostasiert ist, und seine Absolutsetzung und die des Staatsrechts ohne göttliche Autorität und ohne Gottesgnadentum wissenschaftlich, soziologisch begründet wird, z. B. durch die politische Begabung des französischen Volks zur europäischen Hegemonie bei Bodinus. Genauer kann die historische Vernunft bestimmt werden durch die dem dritten und den folgenden Weltaltern angehörenden Geschichtsphilosophien, die ein neues Gesetz begründen wollen und noch in unserer Zeit begründet haben. Ihre mächtige Rolle in der Weltgeschichte taucht eben erst für uns auf aus dem stürmischen Meer der historischen Unvernunft, seit wir selber so schwer für einige von ihnen bezahlen müssen. Geschichtsphilosophie ist das Werk freier, selbständiger Gesetzdenker gegen die überlieferten gesetzgeberischen Autoritäten. Geschichte ist für sie Entscheidung in der Zeit, die die Konstellation der Lebensmächte verändert und die bestehende Rechtsordnung umbildet. Diese Gesetzdenker glauben den richtigen Willen des Gesetzgebers zu vertreten, verbinden die Zeitpolitik mit der Ethik statt mit der Legiti-

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mation des Gesetzgebers durch eine göttliche Autorität, durch das Gottesgnadentum, die Offenbarung oder den Willen des Volkes als Gottesstimme. Die Geschichtsphilosophien suchen eine neue Norm für die Gesellschaft, die ethische Norm ihrer eigenen Autorität neben den bestehenden Autoritäten. Ihr Gesetzgebungswille wird meist zu wenig beachtet neben ihrer Gesellschaftsplanung, neben dem neuen Gesellschaftsideal, das zum neuen Gesetz gemacht werden soll. Dies kann versucht werden durch Beratung und Erziehung der Könige, durch eine geistes-aristokratische Elitebildung in Geheimbünden, durch demokratische Parteienbildung oder die Beeinflussung des Volkswillens durch Volkserziehung. Das betrifft aber nur die Ausübung der Autorität, nicht ihre innere Legitimation durch die praktische Vernunft nach der Einsicht in die wahren bewegenden Mächte der Geschichte, womöglich in ein einziges Verlaufsgesetz des Gesellschaftslebens. Die neue Autorität der Gesetzdenker hat wirklich eine neue Lebensmacht heraufgeführt im dritten Weltalter der theoretischen und praktischen Vernunft. Es ist nicht immer gleich eine unmittelbare Beeinflussung der bestehenden Autoritäten geglückt — das ist der Kern des Geredes von der Ohnmacht des Geistes —, aber die neue Lebensmacht, das Reich des Geistes mit seiner Gerechtigkeit hat doch die Weltgeschichte verändert und zwar gerade durch das, weswegen sie immer wieder verhöhnt wurde, ihre Zeitfremdheit und den Willen zur überzeitlichen Wahrheit und Gerechtigkeit. Geschichtsphilosophie ist naive Zeitphilosophie. Trotz ihrer unvermeidlichen Abhängigkeit von der Unordnung der Zeitlage, im Willen zur Veränderung der Dinge, mit ihrem Griff nach den nächsthegenden Mitteln der Umbildung der Rechtsordnung ist sie doch Vernunft in der Schau der gesamten Welt, ja der ganzen Weltzeit unter einem Verlaufsgesetz. Ihr Gemeinschaftsbild führt zu einem neuen Weltbild, zur Kosmologie, ihre Ethik zur Anthropologie, sie stellt unvermeidlich die Sinnfrage des ganzen Menschenlebens. Die historische Vernunft des zweiten Weltalters kannte noch nicht die selbständige Ethik, sie mußte den Sinn des Menschenlebens symbolisch fassen durch ihr Gottes-, Menschen- und Weltbild, ihre Geisteswelt : Theomachie, Kampf der Volksgötter und Dynastiengötter, und Theogonie, wechselnde Verbindungen der Götterdynastien nach dem geschichtlichen Dynastiewechsel. Alle geschichtlichen Umlagerungen müssen sich auch im wechselnden Bild des ewigen Rechtskönigs spiegeln, des Herrn des neuen Gesetzes. Pantheonbildungen und Göttergenealogien werden für uns zur historischen Quelle der noch halb-

Zeitphiloso phie

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geschichtlichen Zeit. Es ist die Überlegenheit der bilderschaffenden historischen Vernunft über die ethische Geschichtsphilosophie, daß sie die Phantasie der Völker aufruft und nicht nur den Geist der Denkergefolgschaft. Erst der vernünftige Glaube der Weltreligion, der wieder wesentlich vom Gottesbild bestimmt ist, vermag nach dem ethischen Zeitalter ein neues viertes Weltalter zu begründen. Unsere eigene Zeitgebundenheit an die Zivilisation des bloßen politischen Verstandes und Unverstandes läßt uns Geschichte nur als organisatorische Leistung oder als Macht- oder gar nur als Wirtschaftsgeschichte betrachten. Aber die Erfahrung der Weltgeschichte im ganzen nach den Weltaltern des Geistes zeigt uns wieder die erstaunliche Geschlossenheit der großen Epochen der Menschheitsentwicklung nach dem Stil ihrer Gesetze. Die Symbolik der historischen Vernunft, ihr Bilderkreis ist auch dort wirksam, wo sie nicht die Vorherrschaft hat, nämlich in jenen so unermeßlich reich gegliederten sechs Zeitgeistaltern des Abendlandes nach dem Erwachen der reinen praktischen und theoretischen Vernunft in Griechenland. Der Einbruch der Gesetzdenker und eines neuen geistigen Gesetzgebungswillens in das Reich der bloßen historischen Vernunft, der Anbruch der Vollkultur nach der Herrenhochkultur, ist am klarsten gegeben durch die beiden Werke des Schöpfers der abendländischen Geisteswelt, Piatons, die ethische Politeia und die religiösen Nomoi, den ersten vollständigen Entwurf einer Lebensordnung der reinen Vernunft und das erste vollständige Gesetzbuch eines Philosophen. Beide sind freilich nur als „Autoritäten" in die Geistesgeschichte eingegangen, aber zusammen sind die doch das Grundgesetz der dritten Lebensmacht neben Staat und Kirche, das des Geistesreichs. Erst wenn wir geschlossene Geschichtsphilosophien in der Hand haben oder wenigstens ihre Umrisse, können wir exakt sehen, wie neue Gesellschaftsbilder und neue Gesetze entworfen werden. Immer geht es dabei um Zeitdeutung. Freilich nicht mehr im prophetischen Sinn einer religiösen Erschütterung über die Zeitnot, der Drohung mit den Sündenfolgen und der Vorhersage der Katastrophe, wenn weiter das Gottesgesetz verletzt wird. Jetzt ist Zeitdeutung ethisch, weil die praktische Vernunft sittliche Rechtsforderungen aufstellt, nach denen die bestehende Rechtsordnung umgebildet werden muß. Der Zweifel an der Rechtlichkeit der bestehenden Autoritäten, etwa an der Rechtlichkeit des bürgerlichen Rechtsstaats durch den Arbeiterstand, deckt die Unordnung der Zeit auf und will sie erklären. Aber damit bindet sich die Zeitdeutung selber an die gespannte Gesamtlage, an die Dysnomie der Zeit, den status rei publicae. Wenn es gelingt, die verschiedenen Parteistellungen auf-

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zudecken, aus denen die vielfältigen Zeitdeutungen erwachsen, sind zwei Dinge gewonnen: die soziologische Grundlage, von der aus die „Zeit" oder die Zukunft als Ganzes gedeutet wird, und die bestimmte Zeitgesetzlichkeit, nach der der ganze Geschichtsverlauf gedacht wird. So beginnt z. B. die antike Zeitdeutung mit dem Gegensatz von Tyrannis, Oligarchie und Demokratie im griechischen Stadtstaat. Der Wechsel und Kreislauf der Verfassungen ist für die je unterlegene Partei Zukunftshoffnung, ja der status rei publicae und vor allem der motus rei publicae, wird zum status mundi, zum Weltlauf. Die soziale Wirklichkeit des Wechsels der Verfassungen gilt für die ganze Weltzeit und für das ganze Weltbild. Der Horizont wird weiter, wenn das römische Reich, die hellenistische Geisteswelt und die alten Nationen in der Oikumene zusammenleben oder wenn später die Zeitgenossenschaft von Heiden, Juden und Christen und ihr Kampf das gesamte Gemeinschaftsbild und Weltbild bestimmen. Immer ist die Lebensgemeinschaft der eigenen Gegenwart der unvermeidliche Ausgangspunkt der Geschichtsbetrachtung, wenigstens für die naiven Geschichtsanschauungen. Die Zeitlage ist durch die Verteilung der streitenden Gruppen und ihre gestufte Autorität bestimmt. Es gibt immer eine bestehende positive Rechtsordnung, das zeitliche Gesetz, lex temporalis, seit es Staat im Vollsinn gibt. Staat ist geradezu die Entscheidungsgewalt, auctoritas et potestas über das führende Gemeinschaftsgesetz, ja in diesem Sinn reicht er sogar in die Vorgeschichte der Urfamilie und des Stammeslebens zurück. Aber erst mit den großen Überschichtungsvorgängen um 3000 gibt es die vertikale Schichtung des Herrschaftsgefüges von Herrenstand, Volk und Sklaven. Herrschaftswissen übernimmt bewußt die Führung der untergeordneten und unterdrückten Gruppen und teilt ihnen gestufte Rechtsverhältnisse zu im Blick auf das gesamte Gruppengefüge des zeitlichen Gesetzes, auf eine Rechtsund Reichsordnung im ganzen. Weil die neuzeitlichen Juristen, die „Politiker" oder politischen Philosophen, wie sie sich selber nannten, mit der Souveränerklärung des Staates die Exekutive über gleichgesetzte Untertanen zu einer rationalen Verwaltung gemacht haben, auf die Symbolik des heiligen Rechts verzichten wollten, müssen wir uns diese ursprünglichen Rechtsschöpfungen erst mühsam wieder verdeutlichen. Aber es ist immerhin leicht zu sehen, daß Staat und Recht, Gemeinschaft und Geschichte komplementär sind, und darum nur wechselseitig bestimmt werden können. Staat ist die Entscheidungsgewalt über das zeitliche Gemeinschaftsgesetz, das zeitliche Gesetz ist staatliche Ordnung der Gemeinschaftsspannungen, die zeitliche Ge-

Das Herrschaftsgefüge

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meinschaft das Spannlingsverhältnis der Stände und Geschichte die entscheidende Veränderung der Gemeinschaftsspannungen. Die Zeitlage ist also der bestimmte Spannungszustand des Herrschaftsgefüges im Gegensatz zum natürlichen Gemeinschaftsgefüge aller Berufe. Sie ist staatliche Ordnung durch ein zeitliches Gesetz, während das Gemeinschaftsgefüge der Berufe zur ständigen Deckung aller Bedürfnisse überzeitliche Kultur ist. In die zeitliche Rechtsordnung und damit in das autoritäre Zeitbewußtsein gehen nur jene Gruppen ein, die durch die Abgrenzung ihrer Rechte einen status haben, einen Rechtsstand, Stand sind oder Nichtstand im Gegensatz zum Herrenstand. Die Unterdrückten langen aus nach der höchsten Autorität. Es erwacht ihr Standesbewußtsein und Gesetzgebungswille, sie wollen selber der Höchststand werden, um die Entscheidungsgewalt der neuen Rechtsordnung, ja der Geschichte, in die Hand zu bekommen. Der unterdrückte Stand macht sich ein Gesellschaftsbild der bestehenden Zeitlage im ganzen, das in unvermeidlicher Verkürzung nicht die Berufsgemeinschaften, sondern nur die bevorrechteten Stände und die unterdrückte Klasse im Blickfeld hat. Die Zeitdeutung faßt damit zunächst nur den status rei publicae, den Spannungszustand der Rechtsgemeinschaft, die Konjunktur der Stände und Mächte in der Zeitlage. Sie wünscht eine andere Konjunktur, ein anderes Herrschaftsgefüge, weil sich die Machtverhältnisse durch das wechselnde Gewicht der verschiedenen Stände verschoben haben. Weil ein unterdrückter und aufstiegswilliger Stand die neue Konjunktur entwirft, erscheint sie den anderen als Utopie, den Unterdrückten selber als Zukunftsstaat oder Zukunftsgesellschaft. Diese Bilder der kommenden Gemeinschaft einer bestimmten Gruppe sind nur Ideologien, obwohl sie die richtige ethische Zeitdeutung sein wollen. Die Umwälzung, die Revolution der bestehenden Rechts- oder Unrechtsordnung soll durch die Machtergreifung, die Gewinnung der Entscheidungsgewalt eine ideale dauernde Ordnung schaffen. Aber die Deutung der Zeitlage des Unrechts bestimmt auch die Zukunftsdeutung. Es geht ja nicht um die dauernde Ordnung der Berufsgemeinschaften, sondern nur um die Umwälzung der Ständeordnung. So ist auch das künftige Gesellschaftsbild wieder durch die Zeitlage bestimmt. Der verhängnisvolle Zirkel des Herrschaftsgefüges kann durch die historische Vernunft nicht gesprengt werden. Wohl treibt jeder aufsteigende Stand Kritik der Ideologie des herrschenden Standes und vermeint damit die Vorurteile des Vorrechtsbewußtseins zu entlarven, ohne zu sehen, daß er nur das Gegenbild des Herrschaftsgefüges errichtet. Wir selber haben es schmerzlich erlebt, wie die Machtergreifung

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nicht eine klassenlose Gesellschaft, sondern ein neues Herrschaftsgefüge von Herrenstand, Arbeiterstand und Sklavenstand gebracht hat. Es ist auch klar, daß aus dem Zirkel der Revolutionen des Herrschaftsgefüges auch eine allseitige Ideologiekritik nicht herausführen kann. Man muß einen anderen Weg finden und er ist schon gefunden durch jenes dritte Naturrecht, das Sokrates nach dem Naturrecht des Protagoras, des bloßen subjektiven Rechtsgefühls und dem des Kritias, des Faustrechts des herrschenden Standes gefunden hat. Dieses Naturrecht ist die rationale Ordnung der Leistungsgemeinschaften und Berufsgemeinschaften, die nicht aus dem Herrschaftswissen, sondern aus dem Leistimgswissen entspringen und in der sachlichen Leistung ihre Rechtsnorm finden. Die Zeitdeutung nach dem Berufswissen hat die Ethik und erste freie Geisteswelt, das dritte Weltalter geschaffen. Sie hat endgültig das Naturrecht aus dem Naturgesetz begründet, konnte aber noch nicht die positiven Rechte geistig fassen. Die Zeitdeutung aus dem Herrschaftswissen hatte gleich am Anfang der Philosophie nach der Zeitgesetzlichkeit als regelmäßiger Umwälzung des Herrschaftsgefüges getastet. Wer unten ist, wird wieder nach oben getragen werden, und dann allerdings wieder nach unten. Die Wandlung der Gesellschaft ist ein motus statuum und wird zu einem status mobilis gemacht, einer dauernden, ja ewigen Gesetzlichkeit des Weltlaufs als Wiederkehr des Gleichen. Erst Sokrates hat über der ständisch gebundenen Vorrechtsstellung der Demokraten oder Oligarchen die volle Naturrechtsidee gefunden und damit die Ethik und die praktische Vernunft entdeckt. Er erst ersetzte das naturalistische Gesellschafts- und Weltbild durch das Naturrecht des freien, weil sachgebundenen Berufswissens. Er vermochte abzusehen vom Herrschaftsgefüge und setzte an seine Stelle das Leistungsgefüge der arbeitsteiligen Berufe. Er verstand die Herausbildung der Berufe aus dem Berufswissen und forderte Berufskompetenz und Berufsbildung. Persönliche Gerechtigkeit ist Einhaltung der kompetenten Sachlichkeit, soziale Gerechtigkeit die gesamte Ordnung der Berufe, in der jeder das Seinige tun kann. Diese ideelle Ordnung ist Auswirkung der geistigen Menschennatur und darum entspricht ihr eine wesensgesetzliche, dauernde Ordnung der Tugenden und Güter, eine unbedingte Ordnung, ein ordo stabilis ordinum, nicht ein status mobilis statuum. Sokrates sah den bleibenden Sinn des Menschenlebens und die aus ihm sich ergebende soziale Welt. Er erfaßte die Gemeinschaftsidee und das Gemeinwohl. Er und Piaton haben den vollen Emst der unbedingten ethischen Forderung in der Kultur, nicht nur im Staat gesehen. Sie erst haben die neue

Naturrecht

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Schwurgemeinschaft der ständisch freien Geistigen begründet, der Gesetzdenker, die schließlich Gesetzgeber werden sollen, als eine strenge Forschergemeinschaft des Studiums der ewigen Wahrheiten und als Bund der Verwirklichung des vollen Lebenssinns. Man muß ihre Tat mit vielen Namen rühmen: sie ist als Entdeckung der praktischen Vernunft, Schau des ewigen Gesetzes, als Entdeckung der sozialen Vernunft Begründung der freien Gesellschaft und der richtigen Gesellschaftslehre, sie ist Entdeckung der freien Menschenwelt, Begründung des Geistesreichs und damit Überhöhung des Staates durch die Kultur. Durch den metaphysischen Theismus ist sie Begründung der ethischen Religion. Die Entdeckung der natürlichen Religion, der natürlichen Sittlichkeit und des natürlichen Rechtes ist Beginn und Sinn der Aufklärung. Die wahre Gemeinschaft ist die Ordnung aller Berufe zur Deckimg aller gerechten Bedürfnisse als Gemeinschaft freier Menschen. Die Menschennatur in ihrer Vollentfaltung zum großen Menschen, zur Politeia als Kulturverfassung ist die wesensgesetzliche Grundlage der Ordnung der Berufe, nicht nach ihrer bestehenden rechtlichen Bestimmtheit, sondern nach der aufgegebenen Vollendung des menschlichen Lebenssinns. Das System aller Bedürfnisse ist der ideale Entsprechungsgrund der Rangordnung der Berufe und der natürlichen Ordnung der Rechte, nicht aber der Rechtsansprüche nach dem bestehenden Herrschaftsgefüge. Jetzt erst gibt es eine Machtkritik, weil endlich ihr Maßstab gefunden ist, die Überparteilichkeit der Mitverantwortung für alle Rechte, die unbedingte rechtliche Vorsorge für das Gemeinwohl. Gewiß haben auch die Gesetzgeber immer an das Gemeinwohl gedacht, aber sie hatten nicht die rechtsschöpferische Einsicht, aus der reinen Sachlichkeit des Leistungswissens das freie Zusammenspiel aller Berufe entstehen zu lassen. Die unvermeidliche Schwierigkeit dieser neuen Einsicht, sich in der geschichtlichen Welt durchzusetzen, hat von Anfang an dieses neue Gesetz als Utopie erscheinen lassen und so hat es schon Isokrates», der erste Publizist des zeitnotwendigen Nationalismus, verhöhnt, aber viel tiefer und tragischer hat Piaton selbst die schwierige Verwirklichung gegen den Eigenwillen, das Eigeninteresse und die Laster gesehen. Mit der ethischen Gesellschaftsauffassung werden ja sofort die unrichtigen und ungerechten Herrschaftsformen als Formen der Herrschsucht und Habsucht, der Willkür und des Gleichheitsstrebens der Ungleichen und seiner Ausnutzer, die Tyrannen, sichtbar. Es ergibt sich eine ethische Verdoppelung der Herrschaftsformen, der Tyrannis

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Historische Vernunft und zeitliches Gesetz

neben dem Königtum, der Oligarchie neben der Aristokratie, der Ochlokratie neben der Demokratie. Das freie Ordnungsgefüge aller Leistungsgemeinschaften von den Philosophen angefangen, die die wahre, ethische und metaphysische Religion verkünden, über die Staatsbeamten zu den Wirtschaftsständen, ist die Idee der Gemeinschaft nach dem ewigen Gesetz der Auswirkung der ganzen Menschennatur. Geschichtliche Wirklichkeit aber sind die wechselnden Herrschaftsgefüge, die immer nur durch die Umlagerungen der Autoritäten ein neues zeitliches Gesetz verwirklichen. Nun ist freilich die neue sachliche Autorität der Geistigen als Philosophenstand gegeben, aber als neuer Stand hat er keine überlieferten Rechtsansprüche, ist sein Reich ein unsichtbares Reich in dieser Welt der geschichtlichen Wirklichkeit. Kann man auf dieser neuen Stufe erkennen, wieviel in der historischen Vernunft selber, im Gesetzgebungswillen der herrschenden Stände, reine Vernunft steckt ? Die reine Vernunft des vollen Lebenssinns der menschlichen Gemeinschaft entwirft die Gottes- und Menschenidee, die Weltidee und die Idee der Gemeinschaft selbst in einem einzigen Entsprechungssystem. Die historische Vernunft ist nicht nur Entscheidungsgewalt im Herrschaftsgefüge, auch sie hat eine Symbolik, einen Bilderkreis des Gottes- und Menschenbildes, des Welt- und Gemeinschaftsbildes. Diese Symbolik ist vom Zeitbewußtsein des Herrschaftsgefüges aus entworfen. Auch die Zeitdeutung begründet ihr Ordnungsideal, die kommende Rechtsordnung durch ein Weltordnungsbild. Es ist aber dem zeitlichen Gesetz angepaßt und nicht wie das ewige Gesetz der strengen Weltordnung. Die historische Vernunft hat eine Gottesanschauung, weil sie das Heil des bestehenden oder kommenden Herrschaftsgefüges von der Sanktion, der Heiligung des alten oder neuen Gesetzes abhängig macht. Sie ist die Schöpferin des monarchischen Theismus und der politischen Theologie, sie entwirft das Bild des göttlichen Gesetzgebers als Volksgott gegen andere Gottesbilder im eigenen neuen Staatsgefüge und gegen die Götter der Barbaren. Die Pantheonbildung der politischen Theologie der Herrenhochkulturen läßt die Schichtung des Herrschaftsgefüges ablesen. Auch noch die streitenden Gottesanschauungen in der Vollkultur entstammen der politischen Geschichtstheologie und lassen die Gruppen der Gläubigen des Weltreiches, des Geistesreiches oder der unterdrückten Nationen erkennen oder die der Judenchristen, Heidenchristen und Geistchristen in der Christenheit. Die Theomachie ist Symbol der politischen Kampfgruppe, des Kampfs zwischen der politischen Reichsreligion, der poetischen Volksreligion und der metaphysischen Geistreligion. Jetzt erst erfolgt der Einbruch der griechischen Geisteswelt in die

Monarchischer Theismus

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Weltgeschichte. J a auch die Trinitätsstreitigkeiten sind das symbolische Ringen um die Einheit des christlichen Glaubens in der Kulturgeschichte.

Die historische Vernunft ist Menschenanschauung im Herrschaftswissen des zur Führung berufenen Standes. Der geschichtliche Mensch steht jederzeit im Herrschaftsgefüge des zeitlichen Gesetzes, ist Herr des führenden Standes, Beamter oder Krieger, Vollfreier oder Sklave. Der israelitische Mensch des mosaischen Gesetzes ist vollfreier Volksgenosse über den Fremdlingen und Sklaven, der griechische Mensch ist Polites über Heloten und Sklaven, der hellenistische Mensch des römischen Weltreichs ist civis romanus, Philhellene oder Zelot des alten Nationalismus, der altchristliche Mensch ist immer noch Judenchrist, Heidenchrist oder Geistchrist in der christlichen Kultur neben der schlichten Glaubensgemeinschaft, der mittelalterliche Mensch ist Kleriker, Lehrer oder Dienstherr über Bürgern und Bauern, der humanistische Mensch ist Literat oder Künstler, Staatsmann oder Stadtbürger, der neuzeitliche Staatsbeamter oder Forscher, Unternehmer oder Arbeiter. Die historische Vernunft differenziert den Menschen nach der Zeitlage und entnimmt ihr hohes Menschenbild dem führenden Stand.

Die historische Vernunft ist Weltanschauung des Herrschaftswissens in der Umwelt der Stämme. Das Weltbild der Herrenhochkulturen ist regiozentrisch auf den Herrschaftsbereich der staatlichen Lebensordnung bezogen, ja von hier aus läßt sich das mythologische Weltbild des Stammeslebens verstehen als soziologischer Anthropomorphismus. Nach den Regelmäßigkeiten der Nilüberschwemmungen oder der jahreszeitlichen Wirtschaftsaufgaben wird eine politische Astronomie entworfen. Das sah schon Vico! Jetzt wird das regiozentrische Weltbild geozentrisch. Den sozialen Lebensrhythmen entspricht die gesetzliche Weltzeit, dem politischen Horizont der Weltraum. Der monarchische Theismus der Hochkultur unterstellt das Weltbild dem Weltordner. Der entscheidende Schritt zum geschlossenen Weltbild geschieht aber erst im Übergang vom symbolischen Weltlaufdenken zur Kosmologie einer einzigen Weltgesetzlichkeit mit der beginnenden Philosophie. Wie weit dabei eine verborgene anthropomorphe Gesetzesvorstellung wirksam ist, wurde schon gezeigt. E s ist aber auch leicht zu zeigen, daß die demokratische oder aristokratische Stellung im Herrschaftsgefüge der beginnenden jonischen Philosophie die Auswahl einer bestimmten Weltlaufsgesetzlichkeit nahelegt. Auch die Weltanschauung der Vollkulturen nach der Entdeckung der reinen Vernunft ist immer noch mitbestimmt durch die Gesellschaftsstellung, was freilich nur im einzelnen durch die Darstellung der sechs abendländischen Geisteswelten bewiesen werden kann. Nur wenn man die Bindung der Naturgesetzvorstellung an den sozialen Weltlauf ganz ernst nimmt, versteht man den immer wiederkehrenden Widersinn der verkürzten Weltbilder, auch noch in der Vollkultur, der religiösen Weltkultur und selbst in der wissenschaftlichen Zivilisation. Gerade durch den Widersinn der Abhängigkeit des Weltordnungsbildes von der zeithchen Gesellschaftsordnung wird die Grenze der historischen Vernunft

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Weltordnung und ewiges Gesetz

deutlich. So könnte Weltanschauungskritik das wirksamste Mittel der Ideologiekritik sein, weil sie ja die Phantasiewelt trifft, die vom eigenen Standes- oder Klassenbewußtsein bedingte Bindung an das bestehende oder zu begründende Herrschaftsgefüge.

Die historische Vernunft ist Gesetzgebungswille immer neuer zeitlicher Gesetze aus der Zeitdeutung, aber auch Weltdeutung nach dem neuen Gesellschaftsbild durch ein neues Menschen- und Gottesbild. Durch den geschichtlichen Zusammenhang der Autoritäten behauptet sie sich auch noch in den Weltaltern des Geistes, des Glaubens und der Wissenschaft. Ihre Entscheidungsgewalt treibt unmittelbar die Weltgeschichte voran, aber die zeitlich beschränkte Weltdeutung stürzt sie immer wieder in grobe Weltanschauungen, in eine durch die Kritik der historischen Vernunft zu durchleuchtende Zeitsymbolik. Ihre weltgeschichtliche Sendung ist die Begründung des Staates, die allerdings überholt wird durch die des Geistesreiches und die der Weltreligion und zuletzt durch die der wissenschaftlichen Zivilisation. Die erste Frucht einer genauen Bestimmung der historischen Vernunft gegenüber der reinen Vernunft ist eine klare Lehre von den fünf Weltaltern der vorherrschenden sozialen, historischen, reinen Vernunft, des vernünftigen Glaubens und wissenschaftlichen Verstandes. Dann aber gilt es, die sechs abendländischen Geistzeitalter und ihre Geisteswelten seit dem Griechentum abzugrenzen, weil ihre Zeit- und Weltdeutung sich auch noch in der Vollkultur behauptet durch ihre Entscheidungsgewalt. Sie ist immer noch vorherrschend in der Bestimmung des zeitlichen Gesetzes, aber durch die Einwirkung des Geistesreiches und der Weltreligion in der Kontinuität der Rechtsordnung werden ihre revolutionären Entwürfe und Zeitdeutungen Reformen des bestehenden Gesetzes, die bloße Machtgeschichte wird ergänzt durch die Geistesgeschichte, Heils- und Glaubensgeschichte. Die wichtigste Aufgabe der Kritik der historischen Vernunft ist die ihrer Weltdeutungen, ihrer ganzen zeithchen Symbolik, weil nur so der geschichtliche Einschlag der Geisteswelten vom reinen Ertrag der Geistesgeschichte gesondert werden kann, der Beitrag der historischen Geisteswelt zum Reich der Wahrheit. 3. N a t u r o r d n u n g und G e i s t e s w e l t a) Weltordnung und ewiges Gesetz Die reine Vernunft erfaßt die wirkliche Weltordnung nach ihren eigenen Ordnungszügen und die Zutat des Geistes dabei ist nur die Fügung dieser vorgegebenen Züge zum Ganzen. Die historische Vernunft

Die wesentliche Lebensordnung

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hat nur eine Weltdeutung, weil sie vom Herrschaftsgefüge aus ihr Gesellschaftsbild gewinnt und danach ihr Weltbild konstruiert. Das ist offensichtlich gegen die Vernunft, denn so wird viel zu schnell ein vermeintlich unbedingter Lebenssinn gewonnen. Er muß aber höchst besonnen, Schritt für Schritt nach den Sachen selbst gefunden werden. Die Gesellschaftsordnung ist abhängig von der Menschennatur, die wieder nur aus dem Gesamtgefüge des ordo rerum, der Weltordnung im ganzen bestimmt werden kann. Der Vorrang der Metaphysik über die Ethik und Nomologie und erst recht über die Politik und Wirtschaft ist evident. Damit ist ein sachgemäßer, reiner Vernunftgebrauch vorgezeichnet, der zuerst die Menschenidee in ihrer Stellung zwischen der Welt- und Gottesidee festzulegen hat und dann erst die wesensgerechte persönliche und soziale Auswirkung der Menschennatur. Freilich muß alledem eine Theorie der Erkenntnis vorhergehen, die Untersuchung der Geistgesetzlichkeit als Einheit der theoretischen, praktischen und emotionalen Vernunft, damit die Überschwenglichkeit oder Richtigkeit des Vernunftgebrauchs gesichert werden kann. Erst an die Lehre von der Weltordnung schließt sich die Lehre vom ewigen Gesetz an, an das Hochziel der theoretischen Vernunft das der praktischen. Der Mensch ist das nachschaffende, vorbestimmt sich selbst bestimmende und sich selbst bewertende Wesen und darum ist sein Lebenssinn Schau der Weltordnung und der Wertordnung und die Selbstvollendung nach beiden. Wir können erst im dritten Teil, nach der durchgeführten Kritik der historischen Vernunft, den festen Stand der kritischen Metaphysik darlegen, die gereinigte Weltordnungsidee, aber jetzt schon muß ihr Zusammenhang mit der Wertordnung gezeigt werden, damit die Rangordnung der Gesetze für die Kritik der historischen Vernunft herangezogen werden kann. Die Idee des ewigen Gesetzes ist zunächst die Auslegung der dem Menschen wesentlichen Lebensordnung im ganzen. Als nachschaffendes Geistwesen erfaßt er seine Stellung vor Gott und über der Welt und seine Erkenntnisse müssen seine Erstrebnisse, seine Werte und Güter bestimmen. Wir können das von allen Menschen Erstrebte, ihr Gut, das System der Erstrebnisse und Bedürfnisse nennen. Bonum est quod omnia appetunt. Die Güter- und Wertordnung ist die artgemäße Rangstellung der Erstrebnisse, der Heilswerte und Bildungswerte, der Rechtswerte und Leistungsgüter nach dem Aufbau unserer Natur. Die ethische Rangordnung dieser Werte ist phänomenologisch klargestellt, aber sie muß wesensgesetzlich in der Menschennatur selber verankert sein, damit diese Werte von Anfang an als volle Entfaltung der Menschennatur erkannt werden können.

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Weltordnung und ewiges Gesetz

Die Heilswerte des Heilswissens sind zur Lebensmacht der Religion zusammenzufassen. Das Heilswissen entfaltet sich ja im Gemeinschaftswerk der Gläubigen und alle religiösen Wahrheiten, Erstrebnisse und Bedürfnisse, Heilswerte und Heilsmittel sind eine übersubjektive Welt für sich, eine lebensbestimmende Macht. Ihr Bereich steht unter dem Gottesgesetz, den für heilig geachteten Anforderungen an den Menschen nach seinem Gottesbild. Der göttliche Gesetzgeber des Volks offenbart das heilige Recht und alle anderen Rechte werden unter seine Sanktion gestellt. Das göttliche Gesetz des alten Bundes, das auch heute noch jedem zugängliche heilige Recht einer alten Hochkultur, ist durch die 10 Gebote Sittengesetz, Volksgesetz durch die Strafbestimmungen und Zeremonialgesetz durch die Ordnung der Liturgie, des Gottesdienstes. Erst mit der Herausbildung des menschlichen Rechts, des natürlichen und geschriebenen, zerfällt diese ursprüngliche Einheit des heiligen Rechts und sondert sich das göttliche Recht als Regelung der Gottesverbindung aus. In einem engeren Sinn wird dann göttliches Gesetz als Gesetz der Offenbarung, als positives, in der Zeit gegebenes Gesetz gedacht. Für die Offenbarungsreligionen dient es zur Bezeichnung des ganzen zeitlichen Gesetzes als mosaisches, christliches, mohammedanisches, als das Gesetz des Stifters. Die Werte des Bildungswissens sind zusammengefaßt zur Lebensmacht des Geistesreichs„ Die Werte der Wahrheitserkenntnis der ganzen Weltordnung sind pflichtgemäß zu erstreben, praeceptum homini ut se cognoscat, Deum et mundum cognoscat. Alle Werte der Selbstvollendung sind dem Menschen vorbestimmt durch seine Natur und fordern die Verwirklichung durch den wesentlichen Menschen. Die Werte der Schönheit sind nicht sittliche Forderungen, sie erfassen aber das Gemüt des Menschen aus ihrer eigenen Mächtigkeit und bestimmen ihn zur Freude. Es rücken auch alle anderen Werte seines Gemeinschaftslebens, seine soziale Gerechtigkeit, Rechtlichkeit und Leistungspflicht in die Ebene der Persönlichkeitswerte ein, weil ja sein Gemeinschaftsleben ein geistgeleitetes, nicht naturhaftes ist. Seine ganze Lebensordnung zu verwirklichen, ist Aufgabe des Geistesreiches. Das ist der umfassende Bereich der natürlichen Rechte und natürlichen Pflichten in persönlicher und gemeinschaftlicher Verwirklichung des Lebenssinns. Zu ihm gehört auch die natürliche Gotteserkenntnis und die natürliche Pflicht der Gottesverehrung. Zu ihm gehört die Pflicht der richtigen Gestaltung der Rechts- und Wirtschaftsordnung, des zeitlichen Gesetzes, obwohl diese Aufgabe ebensowenig wie die Vertretung des Geistesreichs im ganzen bisher eine autoritative Institution eigenen Rechts gefunden hat, sowie das göttliche Gesetz im Kirchenrecht. Und doch wäre wenigstens die Judikative neben der Exekutive und Legislative zur autoritativen Gesetzgebung vorbestimmt,

Die Lebensmächte

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eine eigene ständische Institution, ein eigenes Recht der rechtschöpferischen Eliten auszugestalten. Und so fehlt auch schon der Name für diese zweite Lebensmacht. Schleiermacher hat sie die Schule genannt und mit Friedrich Schlegel den Begriff der Lebensmächte geprägt. Der antike Begriff der Paideia, Kultur, Bildung und Erziehung, wird nicht mehr in seinem Vollsinn verstanden. Wissenschaft ohne Philosophie ist zu wenig und unerläßlich muß die Kunst, ja auch die Publizistik in den gesamten Umfang des Geistesreiches mitaufgenommen werden. Wir legen an anderer Stelle einen Entwurf für das eigene Recht des Geistesreichs nach seinen Werten und ihrer Verwirklichungsordnung vor, nach der Einheit und Freiheit, dem Fortschritt und der Verbreitung des Geistesreichs. In der Krisis der wissenschaftlichen Zivilisation wird dieses eigene Recht täglich dringlicher, denn den Geistigen ist die neue Ordnung der Kultur aufgetragen, ganz besonders kommt ihnen die Vertretung des Naturrechts zu.

Die Werte des Herrschafts- und Rechtswissens bilden seit dem Beginn der historischen Vernunft die Lebensmacht des Staates. Sein Gesetz, das menschliche Gesetz, die lex humana, ist zunächst das geschriebene Recht, sind die Rechtskodifikationen von Hamurabi bis zum Corpus juris und den neuen und letzten Landesrechten. Aber weil eine zeitgemäße Rechts- und Staatsphilosophie fehlt, verdeckt das geschichtliche Recht den umfassenden Begriff des Staatsgesetzes, den Zusammenhang des Verfassungs- und Verwaltungsrechts mit dem zeitlichen Gesetz der historischen Vernunft. Wir sehen den Staat nicht dynamisch als Lebensmacht mit seiner eigenen Gesetzlichkeit als Stand, wir haben keine Staatssoziologie und keine normative Nomologie. Beide sind nur zu gewinnen aus dem Kulturgesetz, dem Rahmengesetz aller Eigenrechte, dem freien Zusammenwirken aller Berufe. Denn endlich sind in der Neuzeit die Werte des Leistungswissens zur Lebensmacht Wirtschaft zusammengefaßt worden. Ihre Gesetzlichkeit ist als die der Gesellschaft im ganzen zum ersten Thema der Soziologie geworden und bald zum einzigen, da man alle anderen Erstrebnisse und Bedürfnisse auf das Leistungswissen und seine Selbstgestaltung zurückführen wollte. Die von einem eigenen Stand der Geistigen, von der Intelligenz der Wirtschaftsparteien vertretene Lehre der Wirtschaftsgesetzlichkeit läßt erst das in das Staatsrecht eingegangene geschriebene bürgerliche Recht als einen eigenen Bereich des Wirtschaftsrechtes erkennen. Diese Lehre von den vier Lebensmächten, ihrer Gesetzlichkeit und ihren geschriebenen und ungeschriebenen eigenen Rechten, ist das unschätzbare Ergebnis der reif gewordenen Soziologie, der historischen Kultursoziologie. Ihre Teildisziplinen, die Religions-, Wissens-, Staats- und Wirtschaftssoziologie haben durch ihren gewaltigen Reichtum die Geistesgeschichte im 20. Jahrhundert zu einem hinlänglich hohen Stand erhoben, um den wechselnden Konstellationen

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Weltordnung und ewiges Gesetz

der Lebensmächte eine normative Kulturordnung, die Lehre von der richtigen Rangordnung der Lebensmächte, entgegenstellen zu können. Sie ist die dringlichste rechtsphilosophische Aufgabe unserer Zeit, wenn wir aus der hundertjährigen Krisis des naiv-etatistischen und ökonomischen Denkens herauskommen wollen. Schon ist von vielen diese Verkürzung der Kulturauffassung durchschaut, die ausschließliche Machtgeschichtsschreibung und Wirtschaftsgeschichtsschreibung als unzulänglich erkannt. Vor allem aber als unwürdig vor dem Richterstuhl der Ethik, seit die immer gültige Rangordnung der Werte wieder gesehen wird I Daß ihr die Rangordnung der Lebensmächte, die j a nur Einrichtungen zur Verwirklichung der Werte sind, und dann auch die Rangordnung der Rechte zu folgen hat, ergibt sich letztlich aus der neuen Menschenidee, die aus seinem Naturaufbau auch seine ursprünglichen Wissensformen versteht, die Geistseele mit Verstand- und Vernunftorganisation von der Vorstellungs- und Sinnesorganisation schichtgerecht zu unterscheiden vermag. Die rechtsphilosophische Bedeutung der Metaphysik der Menschennatur ist nicht geringer als ihre soziologische und ethische. Wissensformen und Werte, Lebensmächte und Eigenrecht der Stände folgen dem A u f b a u der Menschennatur. Die Idee des ewigen Gesetzes ist wohl zuerst von Poseidonios im Anschluß an Piaton geprägt worden und von ihm hat Cicero seine Lehre von der lex aeterna übernommen. Aber erst Augustin hat sie vollständig und gleich ein für allemal klassisch mit allen wesentlichen Argumenten, wenn auch nur nebenbei in den zwei ersten Büchern „ D e libero arbitrio" entwickelt. Die Idee des unendlichen schöpferischen Geistes zieht alle anderen hierher gehörigen Begriffe nach sich, den des Gesetzgebers und seiner ewigen Kunst, seines Gesetzgebungswillens und des ewigen Gesetzes, des ordo rerum, bonorum et legum, seinen unbewußten Vollzug in allen unfreien Naturen und seine Erkennbarkeit für die selbstbewußten Naturen. Die ewige Kunst des ewigen Baumeisters ist Schöpfung ohne vorgegebene Idee und vorhandenen Stoff, Setzung der Naturen selbst mitsamt ihrer Ordnung in ihnen und unter ihnen. E r ist der institutor ordinis universitatis, die Ordnung ist Kontinuität und Diskontinuität gleicher und ungleicher Dinge, in jedem geschaffenen Ding sein artgemäßes Gut, seine stufengerechte innere Harmonie und Selbstvollendungsmöglichkeit. So insinuiert sich jedem klugen Naturforscher, was die Ordnung vermag, daß jedem das Seine zugeteilt wird vom Niedersten bis zum Höchsten. Der Gesetzgebungswille ist darum Liebe zur wesensnotwendigen und schließlich freien Selbstentfaltung der Dinge. Das ewige Gesetz muß v o m zeitlichen abgehoben werden, das jeder populus bene moderatus et gravis fürchtet, solange er dem Gemeinwohl dient. E s ist das in die Herzen geschriebene und vor dem Geist stehende Naturgesetz, qua justum est, u t omnia sint ordinatissima, ut homo ipse sit in se ipse ordinatissimus. Im Menschen selbst ist die richtige Ordnung der Natur, daß die Geistseele Gott Untertan sei und das Fleisch der Geistseele. Das ewige Gesetz ist also wesentlich und grundlegend der ordo rerum selbst. Die unbewußten Naturen vollziehen notwendig ihren Lebensplan, die selbstbewußten sollen ihn in Freiheit vollenden. E s ist insbesondere der Aufbau der Menschennatur aus caro et anima, die sogar zwei Naturen genannt werden, wonach er wie alle Wesen seinshaft gut ist. Für die Erfüllung seiner Aufgaben ist dem Menschen erscheinungsgesetzlich die Vorzugsordnung des ordo bonorum gegeben, der Werte und Güter. Die zeitlichen Güter sind der Leib selbst, seine

Bestimmungen des ewigen Gesetzes

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Gesundheit, Vollsinnigkeit, Kraft und Schönheit und was notwendig ist für die freien und schönen Künste. Dann die bürgerliche Freiheit, Verwandtschaft, Freundschaft und Lebensgemeinschaft, die Bürgerschaft selbst, Ehre und Ruhm, und zuletzt noch das Geld zu Kauf und Verkauf. Die höheren Werte sind die des selbstbewußten Geisteslebens, die unveränderlichen Wahrheiten und die Gottesidee. Die Weisheit ist als Erkenntnis der ewigen Wahrheit das höchste Gut, aber unerläßlich ist auch die Erkenntnis der numeri rerum, der formenden Zahlenordnung der veränderlichen Dinge und der arthaften Vermögen, die dem Bestand konsubstantial sind. Aus der Verschiedenheit und Gleichheit der konkreten Formen ergibt sich, daß eine ewige, unveränderliche Form besteht, die nicht durch die Räume erfaßt und verstreut und durch die Zeiten verändert werden kann, durch die aber alle Dinge geformt werden können, daß sie nach ihrer Art die Zahlbestimmtheit der Räume und Zeiten erfüllen. So ist auch der Leib und der Geist durch eine unveränderliche immerwährende Form geprägt. Die Natur des Leibes ist niedrigeren Grades als die des Geistes und so ist der Geist ein höheres Gut als der Leib. Nur darnach kann ja die Vorzugsordnung der Werte befolgt werden. Die Gestalten der Körper, ohne die man nicht richtig leben kann, sind die niedrigeren Güter, die Geistkräfte, ohne die man nicht richtig denken kann, die mittleren, das selige Leben aber, die Ergriffenheit des Geistes, der dem unveränderlichen höchsten Gut anhängt, ist das eigentliche und erste Gut des Menschen. Die Wertrangordnung ist noch mal prachtvoll geschildert im 13. Kapitel des 19. Buches der Gottesstadt: „Der Friede des Leibes ist die geordnete Komplexion der Teile, der Friede der vernunftlosen Seele die geordnete Ruhe der Triebe, der Friede der vernünftigen Seele die geordnete Übereinstimmung von Erkenntnis und Tat, der Friede des Leibes und der Seele das geordnete Leben und das Heil des Lebens, der Friede des Menschen und Gottes der im Glauben geordnete Gehorsam unter dem ewigen Gesetz. Der Friede des Hauses ist die geordnete Einheit des Befehlens der Eltern und Gehorchens der Kinder, der Friede der Stadt die geordnete Eintracht des Befehlens und Gehorchens der Bürger, der Friede der himmlischen Stadt die geordnete und einstimmige Gemeinschaft, Gott zu genießen und sich in Gott. Der Friede aller ist die Ruhe der Ordnung." Es ist schade, daß Augustin nicht auch dem ordo institutionum et legum einen eigenen Traktat gewidmet hat, aber die gesamte „Gottesstadt*'ist ja nach diesem Ordo aufgebaut, sofern die religio civilis und lex humana sehr konkret dem Römerreich zugewiesen wird, die religio naturalis und lex naturalis dem Griechentum und die religio positiva und lex divina der Christenheit. Daß diese Ordnung von Staat, Geistesreich und Kirche wiederum unter dem ewigen Gesetz steht, ist nirgends ausdrücklich gesagt, aber es ergibt sich durch die Voranstellung des ordo rerum vor den ordo legum, aus der Harmonie des Carmen universitatis. Wir stellen auch die viel nüchterneren, klassischen Texte des Aquinaten hierher: „Das Gesetz ist nichts anderes als der Befehl der praktischen Vernunft im Fürsten, der eine vollkommene Gemeinschaft leitet. Offenbar ist aber, wenn die Welt durch die göttliche Vorsehung regiert wird, daß die ganze Gemeinschaft des Alls durch die göttliche Vernunft geleitet wird und darum ist die Idee (ipsa ratio) der Lenkung der Dinge in Gott als im Herrn des Alls Gesetzgebungsvernunft. Weil aber die göttliche Vernunft nichts aus der Zeit erfaßt, sondern eine ewige Idee hat, daher kommt es, daß man ein solches Gesetz ewig nennen muß." (1.11.91.1.) „ I n jedem Baumeister liegt eine Idee der Dinge voraus, die durch

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Weltordnung und ewiges Gesetz

die Kunst gebildet werden. So muß auch in jedem Lenker eine Idee der Ordnung der Dinge vorausliegen, die durch jene zu vollziehen sind, die der Lenkung unterstehen; und wie die Idee der durch die Kunst zu schaffenden Dinge Kunst genannt wird oder Urbild der Kunstwerke, so erhält die Vernunft des Lenkers der Tätigkeiten der Untergebenen den Namen des Gesetzes. Gott ist durch seine Wesenheit der Begründer aller Dinge. Er steht zu ihnen im Verhältnis des Meisters zu den Kunstwerken. Er ist auch der Lenker aller Tätigkeiten und Regungen, die in den einzelnen Geschöpfen vorkommen. Wie also die Vernunft der göttlichen Weisheit, sofern durch sie alle Dinge geschaffen sind, den Namen Kunst, Urbild oder Idee hat, so hat die Vernunft der göttlichen Weisheit, die alle Dinge zum gesollten Ziel bewegt, den Namen Gesetz und danach ist das ewige Gesetz nichts anderes als die Vernunft der göttlichen Weisheit, sofern sie die Lenkerin aller Tätigkeiten und Regungen ist." (93.1.) „Gesetz bedeutet Vernunft als Lenkerin der Tätigkeiten zum Ziel. In allen geordneten Regungen muß die Kraft des zweiten Bewegers von der des ersten abgeleitet werden. — Wie also die Ordnung der Dinge, die in der Stadt zu tun sind, vom König durch den Befehl an die unteren Verwalter gelangt, und in den Kunstwerken die Ordnung der künstlerischen Tätigkeiten vom Architekten zu den unteren Meistern gelangt, das ewige Gesetz aber die Ordnung der Lenkung im obersten Lenker ist, müssen alle Ideen der Verwaltung in den unteren Verwaltern vom ewigen Gesetz abgeleitet werden. Solche Ideen der unteren Verwalter sind aber alle anderen Gesetze außer dem ewigen und so werden alle Gesetze, sofern sie teilhaben an der richtigen Vernunft, abgeleitet vom ewigen Gesetz." (93. 3.) Thomas bleibt insofern hinter Augustin zurück, als er das Geistesreich, das ja zu seiner Zeit schon ein Jahrhundert lang in der Universität seine Institution gefunden hatte, nicht auch ausdrücklich einordnet zwischen Staat und Kirche. Das aber haben später Campanella und Vico humanistisch um so gründlicher besorgt. Es ist nach Augustin ein heiliges Recht des Menschen, das ewige Gesetz zu erkennen, allerdings Unrecht, es richten zu wollen. Daß Augustin eine doppelte Erkenntnis vorsieht, die erscheinungs- und wesensgesetzliche, entspricht genau unserer eigenen Lage, sofern auch für uns die unvergängliche Gültigkeit der Wahrheiten und Werte voransteht, allerdings aus der Wesensschau, nicht durch göttliche Erleuchtung. Die metaphysische Erkenntnis des ordo rerum ist für uns genau wie für den Schüler Plotins und Victorins eine naturwissenschaftliche Methode nach dem Konnaturalitätsprinzip der Vermögen. Die Voranstellung der metaphysischen Erkenntnis des ewigen Gesetzes beseitigt das Bedenken Max Schelers, daß eine apriorische Wertrangordnung nur innerhalb einer konservativen Ständeordnung, nur nach dem Herrschaftsgefüge gedacht werden könnte. Wir haben oben schon den Nachweis geführt, daß Sokrates gerade durch die Sprengung des Herrschaftswissens und aus der Ordnung der Berufe heraus die Ordnung der Wesen und der Werte erkannt hat. Die dauernde Rangordnung der Rechte zu sehen, ist eher revolutionär als konservativ, besonders heute, wo Rangordnungsfragen gänzlich unzeitgemäß sind. J a es ist wohl eine dauernde Opposition der Geistigen, die gegenüber den kleinen Revolutionen des Wechsels der Herrschaftsgefüge vom idealen Berufsgefüge aus das ewige Gesetz sichtet.

Der wesentlich geistige Mensch ist Nachschöpfer, vorbestimmt für die Selbstbestimmung seiner ganzen Naturvollendung und eigener

Naturaufbau und Naturrecht

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Richter über sich selbst. Nur darum kommt er zur Idee des Schöpfers der Welt und der Weltordnung, des ewigen Baumeisters der dauernden Lebenspläne aller Naturen und zur Frage nach der Sinnerfüllung der gesamten Wirklichkeit trotz der Unordnung der Zeiten, ja auch der Naturen. Der Gedanke des Lebensplans und Lebenssinns ist der Mittelbegriff einer gestaltgesetzlich bestimmten Welt und eines gestalteten Gemeinschaftslebens. Das äußere Naturgesetz, gipfelnd in der Menschennatur, ist abzulesen aus allen Gestaltgesetzen der Welt, das Naturrecht des Gemeinschaftslebens aus allen Gestaltungen der frei schaffenden Selbstverwirklichung der Menschheit in allen Berufen. Es gibt ein Gesetz der Herausbildung der Berufe aus den ursprünglichen Wissensformen nach dem idealen System der Bedürfnisse. So gibt es auch eine Norm der Gesetzgebung, eine Nomologie aller Rechte und Institutionen. So wie für die theoretische Vernunft ihre Erkenntnisform durch die Sachgesetzlichkeit ergänzt werden muß, so muß auch für die praktische Vernunft ihr Streben durch die Güter und Werte selbst ergänzt werden, beide aber müssen im Menschenwesen selber verankert werden. So muß das Naturrecht im engeren Sinn betrachtet werden nach dem menschlichen Naturaufbau. b) Menschennatur und Naturrecht Es ist eine Regel der historischen Vernunft, vom Geschichtsverlauf aus eine einzige Naturgesetzlichkeit zu konstruieren. Dieser immer wiederkehrende Irrtum der Weltanschauung spielt in unserer politischen Verfassung eine besonders verhängnisvolle Rolle. Um so dringlicher ist es, nun endlich den Vorgang dieser Weltanschauungskünste gründlich zu durchschauen, die parallele Konstruktion von Geschichtsund Weltgesetzlichkeit auf ihren latenten Anthropomorphismus zurückzuführen und umgekehrt den Naturaufbau zur Grundlage der Erkenntnis des Naturgesetzes und Naturrechts zu machen. Das ist eine Grundlegung des Naturrechts, die dieses Leitgesetz der Rechtsschöpfung erst praktisch anwendbar macht. Viele Juristen, die die Unzulänglichkeit des Rechtspositivismus eingesehen haben und wissen, daß die Legislative nicht der Verwaltung oder dem Parteiengetriebe überlassen werden darf, fragen besorgt, wie das Leitgesetz für Einzelbestimmungen ausgewertet werden könne. Die ganze soziale Auswirkung der Menschennatur soll die dauernde Grundlage der rechtsschöpferischen Praxis sein, und nach der richtigen Rangordnung aller Rechte müssen die geschichtlichen Entscheidungen gefällt werden. Das Naturrecht besteht nicht nur aus einzelnen allgemeinen Regeln, die auf den be-

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Menschennatur und Naturrecht

sonderen Fall in der bestimmten Lage anzuwenden sind, es ist vielmehr die Norm der Selbstgestaltung des ganzen Menschenlebens, sofern sich die Menschennatur nach allen ihren Aufbaustufen zum Berufsgefüge nach dem System der Bedürfnisse entfaltet. Um das sehen zu können, ist eine ausreichende Kritik der praktischen Vernunft nötig. Kant hat ja nur die formalen Allgemeinbegriffe des ethischen Bereichs entwikkelt, und letztlich nur die kategorische Forderung erhoben, ein wesentlicher Mensch zu sein, so daß jede einzelne Handlung Vorbild für jedermann sein kann. Scheler hat nur die Werte und ihre Rangordnung nach ihrer erscheinungsgesetzlichen Allgemeingültigkeit neu begründet und sehr wichtige Dinge über die persönliche Wertverwirklichung gesagt. Das ist so, wie wenn für die theoretische Vernunft neben der organisationsbedingten Noetik nur die Noematik, nur die Begriffsgesetzlichkeit untersucht würde und immer noch nicht die Sachen selbst und ihre Wesensgesetzlichkeit herangezogen würde. Was sind die Sachen selbst für die praktische Vernunft ? Das Ziel der Erstrebnisse sind die Bedürfnisse, sind Güter und Wertträger. Das ganze Systemgeheimnis ist in der Ethik wie in der Logik die dreifache Unterscheidung von Erfassung, Bezeichnungsweise und Sache selbst und ihre Anwendung auf alle vier vertikalen Stufen der Erkenntnisse und Bedürfnisse. Zuerst ist eine schickliche Benennung der Strebevermögen nach dem Naturaufbau zu geben. Wir schlagen vor: technischer Verstand und Leistungswissen, anwendender Verstand und Bedarfswissen, organisierender Verstand und Herrschaftswissen, organisierende Vernunft und Rechtswissen, sittliche Vernunft und Bildungswissen. Manuelles Können, Tun und Bewirken bedient sich der Hilfsmittel, besonders der Werkzeuge, um den Werkstoff nach seiner Brauchbarkeit zu verarbeiten. Leibliches Streben bedient sich der Bedarfsmittel, um Nahrungsstoffe und pflanzliche und tierische Erzeugnisse zu Lebensmitteln zu verwerten. Das Wollen ist überlegen, denken und vollenden von Zwecken, um Lebenswerte zu gewinnen, um schließlich in den Bezug zu den Werten der Wahrheit, Gutheit und Schönheit und der Wertträger zu kommen. Bedürfnisse sind also Hilfsmittel, Bedarfsmittel, Zwecke und dann erst Werte im eigentlichen Sinn. Das ist die einfache Schichtung der Handlungsbereiche des Menschen. Danach kann man ein komplementäres System der Erstrebnisse und Bedürfnisse nach allen Verstandes- und Vernunftformen umreißen. Der technische Verstand und Wille bedient sich der Hand, um Zwecke mit den Hilfsmitteln des unbelebten Bereichs zu verwirklichen. Die Hilfsmittel sind Werkzeuge und ihr Gebrauch. Die Ergologie ist

Verstandesformen

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zugleich die Geschichte des technischen Verstandes von der Vorgeschichte bis zur Zivilisation. Die Werkstoffe und die Kenntnis ihrer Brauchbarkeit und Verwertungsmöglichkeit sind die unterste Stufe der Güter. Der Umgang mit Werkstoffen und Werkzeugen für die Bedarfsdeckung der höheren Zwecke macht das Leistungswissen aus. Der anwendende Verstand und Wille wirkt schichtgemäß im Bereich des lebendigen Strebens nach den Bedarfsmitteln als Lebens-Mittel. Hierauf wird meist seit Hegel das System der Bedürfnisse beschränkt auf Nahrung, Kleidung und Wohnung. Vom sammeln, pflanzen, anbauen, jagen, züchten an zielt die gesamte Güterproduktion auf die leiblichen Bedürfnisse ab, aber sie ist nur technisches Leistungswissen, die Verwertung der Güter ist Bedarfswissen, das immer weit hinter der Differenzierung des Leistungswissens zurückbleibt. Der organisierende Verstand und Wille wirkt im Bereich der Zwecke des Artlebens, die ja beim Menschen nur in zwar natürlich erwachsenen, aber auch bewußt organisierten Lebensgemeinschaften erfüllt werden können, weil ja auch dieser Bereich letztlich der Vernunft untersteht, ein sehr wesentlicher Bestandteil des sittlichen Lebens ist, und darum auch in den Bereich der höheren Lebenswerte hineinreicht. Soll man hier noch von Bedürfnissen reden ? Es ist gerade die Bedürftigkeit der Hilfe der Familie, des Nächsten und aller Gemeinschaften, die das menschliche Artleben besonders kennzeichnet. Die Wirtschaftszwecke sind Sorge der Technik, aber die Lebensgemeinschaften als solche gehören bereits in den eigentlichen Wertbereich als Träger der Lebenswerte. Ehe und Familie, Eigentum und Berufsgemeinschaften sind das eigentliche Gebiet des praktischen Verstandes, sofern der konkrete Zweck des Zusammenlebens, der Kinderzeugung und -aufzucht, der Sicherung der Familie durch das Eigentum und die Organisation der wechselnden Gesellschaftszwecke durch Zweckgesellschaften zu verwirklichen ist. Man muß auch die Mittel der Organisationsform von den lebendigen Trägern der Lebenswerte unterscheiden, um Ehe- und Familienform, Eigentum- und Gesellschaftsform als Zwecke von den Sachen selbst abzuheben. Die Formen sind Bedürfnisse, denn der Zweck ist nur in bestimmten Formen zu verwirklichen. Damit wird die Aufgabe des Herrschaftswissens klar: es sucht die zweckmäßige Form des Zusammenlebens, die Ehe- und Eigentumsordnung, die Berufs- und HeiTSchaftsordnung zuallererst konstituiert und ihr reibungsloses Funktionieren sichern will. Die Wertträger müssen als Personen geachtet werden, nur die besonderen Zwecke und Formen des Zusammenlebens sind dem praktischen Verstand unterstellt. Er ruft

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Menschennatur und Naturrecht

allerdings die soziale Vernunft herbei, wenn es um die Begründung des Lebenssinns der natürlichen Lebensgemeinschaft geht. In der Verstandeszivilisation ist es besonders dringend nötig, auf den Unterschied von Verstand und Vernunft hinzuweisen, und die organisierende Vernunft innerhalb der praktischen für sich gesondert herauszuheben. Ihr Bereich sind die Rechtswerte: Einheit und Freiheit, Bewahrung und Fortschritt. Sie sind echte Vernunftideen, Entwürfe der ganzen Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt ihrer organisatorischen Verwirklichung. Erst nachdem in der Neuzeit die Staatseinheit oder Volksfreiheit zum Absolutum gemacht worden war, und der Notwendigkeit des Rechtsfortschritts die Sicherheit der überlieferten Rechtsordnung geopfert worden war, konnte im politischen Kampf dieser Staats- und Rechtsideologien seit der französischen Revolution ihre Dialektik gesehen werden, ihre Wechselwirkung aufeinander, die nacheinander die Extreme hervortreibt. Josef Görres ist der erste gewesen, der diese Dialektik sah, damit die Staatsund Rechtsideologien ihrer Absolutheit entkleidete und sie als Verwirklichungswerte erkannte, die alle zusammen echten Organisationsbedürfnissen entsprechen, wobei dem gerade vorherrschenden W e r t immer wieder der Gegenpol unbedingt entgegen gesetzt wird. E r erkannte den Kampf der Servilen und Liberalen, Konservativen und Progressisten als notwendige politische Ideenbildung, die nur fälschlich eine Gesetzlichkeit des Geschichtsverlaufs vordringlich betont. Sieht m a n parteimäßig nur eine Forderung, so wird die Idee zur Ideologie, durchschaut m a n ihre Komplementarität, so wird zuerst die notwendige Vertretung der Einzelwerte durch eigene Gruppen sichtbar, die aber nur Gegengewicht im sozialen Gleichgewicht sein dürfen. Man verfehlt oder übersieht diese ganze Schicht der Organisationsbedürfnisse und Rechtsverwirklichungswerte, wenn m a n nicht ihren dynamischen Charakter erkennt und die Lebenswerte der Lebensgemeinschaften vor ihnen u n d die Persönlichkeitswerte der sittlichen Vernunft über ihnen sieht. So dringt etwa die Hegeische Rechtsphilosophie nur bis zur Sphäre dieser W e r t e vor u n d erfaßt sie nur in der antikischen Verkleidung einer vertikalen Vorherrschaft eines Einzigen, Einiger oder Aller nacheinander. Es ist aber gerade das horizontale gleichzeitige Nebeneinander, das allein zum Verständnis der Gemeinschaftsidee durch die konjunkturale Vertretung aller Rechtswerte je nach dem Herrschaftsgefüge führt. Der Beweis f ü r diese Hegeische Kurzsichtigkeit ist sein Ideal des germanischen Reiches, das die W e r t e der Lebensgemeinschaften, E h e s t a t t Keuschheit, Arbeit u n d Eigentum s t a t t Armut, Freiheit s t a t t geistigem Gehorsam, aber d a f ü r als staatliche Disziplin zu Höchstwerten m a c h t . E s geht aber u m die Durchbrechung des Herrschaftsgefüges, hier allerdings nicht durch das Berufsgefüge, sondern durch die zeitliche Rechtsordnung, die Hierarchie der historischen Vernunft in den einzelnen Lebensmächten, die wechselnd dem gerade unterdrückten Lebenswert zu Hilfe kommen m u ß .

Es herrscht eine strenge Analogie der naturrechtlichen Konstellation der Rechtswerte in allen Lebensmächten. Immer finden Einheit

Rechtswerte

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und Freiheit, Bewahrung und Fortschritt ihre innerständische Vertretung. So repräsentieren im Geistesreich die Philosophen die Einheit, die Lehrer die Bewahrung, die Forscher den Fortschritt und die Dichter die Freiheit. Im Staat steht für die Exekutive der Einheitswert, für die Judikative der Sicherheitswert, für die Legislative der Fortschritt und für die Kontrolle der Freiheitswert oben an. In der Wirtschaft heißt heute der Einheitswert Planwirtschaft, der Freiheitswert persönliche Initiative, der Sicherheitswert Wohlfahrt und der Fortschrittswert Technik. Nach der Analogie der bereichsgemäß zu bemessenden dauernden Gewichtigkeit der einzelnen Rechtswerte gibt es eine normative Gesellschaftsordnung, die gerade heute im Chaos der feineren Irrtümer der Parteigruppierung in allen Lebensmächten sichtbar wird. Diese Irrtümer können danach leicht systematisch benannt und aufgereiht werden, genau so wie die groben Irrtümer des Ökonomismus, Etatismus, Rationalismus und Spiritualismus leicht anthropologisch zu durchschauen sind1). Nur von dieser Kritik der organisierenden Vernunft aus, ist die der historischen Vernunft zu erreichen, nur das Naturrecht kann nach dieser Ordnung der Rechtswerte Maßstab für die Kritik des zeitlichen Gesetzes sein. Aber erst sind noch die geistigen Bedürfnisse der sittlichen Vernunft zu zeigen. Das ganze Reich der persönlichen Werte ist ihr Bereich, das Reich der Wahrheit, Gutheit und Schönheit, vor allem aber die Wertträger dieser Werte. Zuletzt ist die Gottesidee und die persönliche Gottesbeziehung mit allen Werten des Heils und der Heiligkeit der Höchstwert des Menschen, sein höchstes Gut. Hier erst wird völlig klar das oberste Sittengesetz Kants verständlich, daß jeder Mensch jederzeit als Selbstzweck, niemals als Mittel betrachtet werden muß, oder besser gesagt, daß gerade die Selbstbestimmung zum vollkommenen geistigen und ewigen Leben jedes Menschen sein wesentliches, sein unendliches Interesse sein muß. Dieses natürliche System der Bedürfnisse ist das Gegenstück der Bestrebungen, die Güter und Werte sind die gegenständliche Seite der Entfaltung des Lebensplans. Es ist der menschliche Anteil am ewigen Gesetz, das ja die Ordnung aller Lebenspläne ist. Die gemeinschaftliche Erfüllung des Systems aller Bedürfnisse folgt der Rangordnung der Werte. Dadurch wird das ewige Gesetz zum Rahmengesetz aller Rechte, sofern auch das göttliche Gesetz mit in den Vollendungsplan der Menschheit einbezogen wird. *) Wir haben in der zweiten Auflage der „Christlichen Philosophie" einen Entwurf dieser richtigen Gesellschaftsordnung vorgelegt und auch die systematische Anordnung der groben und feineren Irrtümer.

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Zeitliches Gesetz und Geisteswelt

Das natürliche Recht ist danach die Norm der dauernden richtigen Beziehungen der Lebensmächte zu einander und die Forderung der Verwirklichung aller Rechtswerte in den einzelnen Lebensmächten. Es regelt den status culturae, den Spannungszustand der Lebensmächte unter sich und in sich, also nicht nur den status rei publicae, auch den status ecclesiae, rei literariae und den status oeconomiae. Es machen also nicht nur ein paar allgemeine Regeln das Naturrecht aus, sondern nur der Rückgang auf die nachschöpferische Entfaltung der Menschennatur macht die Gemeinschafts- und Rechtsidee in ihrem ganzen Reichtum verständlich. c) Zeitliches Gesetz und Geisteswelt Es ist eine doppelte Leistung der historischen Vernunft zu unterscheiden, ihre Zeitdeutung, die zum neuen zeitlichen Gesetz führt, und ihre Weltdeutung, die eine neue Geisteswelt schafft. Sie ist ständig auf dem Weg vom alten zum neuen Zeitgesetz. Sie trifft Entscheidungen über den status culturae. So sind die jeweils neuen Zeitgesetze epochemachend, immerhin für ein paar Jahrhunderte der Ruhe, in denen sich schließlich eine neue Geisteswelt bildet. Radikal historisches Denken sieht nur Einzelentscheidungen und einzelne Weltdeutungen, nur ständig wechselnde Gesellschaftsbilder und Weltbilder. Nun ist aber der Stil der antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Geisteswelt doch so sehr einheitlich, daß auch ein Grund dafür aufgesucht werden muß, ja noch viel mehr für den noch drastischer verschiedenen Stil der Gesetzesformen und Geisteswelten der fünf Weltalter von der Vorgeschichte bis zur Zivilisation. Die Stileinheit der Zeit- und Weltdeutungen wird offenbar gesellschaftsgesetzlich bestimmt und daraus lassen sich die historischen Fehler und Unzulänglichkeiten der Zeitgesetze und Geisteswelten eruieren. Man muß die Irrtümer der historischen Vernunft zugeben, wenn man nicht auf die wahre Gemeinschaftsidee und das Reich der Wahrheit verzichten will, also letztlich auf den Gebrauch der reinen Vernunft, auf Ethik und Metaphysik. Zuerst sind die geschriebenen Zeitgesetze und Zeitdeutungen zu untersuchen, sind die Historiologien, die Geschichts- und Gesellschaftsphilosophien der beginnenden Philosophieperioden in die Zeitlage hineinzustellen. Sie erwachsen ja aus dem Kampf der Lebensmächte um den Primat, um eine zeitliche Hierarchie der ständischen Rechte. Fassen wir diesen Kampf konkret als Streit der Vertreter der Heilsoder Geistesgeschichte, der Reichs- oder Wirtschaftsgeschichte! Nur wenn man eine wahre Rangordnung der Mächte und Rechte anerkennt, gibt es einen kritischen Maßstab der Zeitdeutungen und der konkreten

Zeitdeutungen

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Gestaltung des Zeitgesetzes aus der Zeitlage, des status culturae sive mundi. Das Herrschaftsgefüge der organisierenden und autoritären Vernunft ist durch den Vorrang des göttlichen, staatlichen oder wirtschaftlichen Gesetzes bestimmt. So wird in ihnen die Nomologie als historische Rechtsvernunft spürbar. Die extremen Versuche, nur Heils- oder Geistesgeschichte, Staatsoder Wirtschaftsgeschichte zu machen, müssen als Zeitgesetz doch eine Regelung der untergeordneten Standesrechte vornehmen und darum gerade geht der Kampf der zeitlichen Legislative. Das heilsgeschichtliche Denken muß neben seinem göttlichen Gesetz der Offenbarung, das die gottesdienstliche, sittliche und heilsrechtliche Lebensordnung der ganzen Gemeinschaft bestimmt, ein Standesrecht der Geistlichen, das Kirchenrecht im engeren Sinn aufbauen. Es muß in die Standesbildung der Priester und Theologen eine Rechtsordnung des Bildungswissens aufnehmen, es muß auch das staatliche Leben durch Weiheordnungen in sein theokratisches Recht einzubauen versuchen und endlich auch die Wirtschaftsethik und wirtschaftsrechtlichen Bestimmungen beeinflußen. Das geistesgeschichtliche Denken ist für den eigenen Stand am wenigsten rechtsschöpferisch, ist aber schließlich doch stellvertretend für alle anderen Großstände die Judikative geworden. Meist antiklerikal aus der Konkurrenz mit dem geistlichen Stand, denkt der Stand der Geistigen kaum an ein jus in et circa sacra, aber um so mehr an die richtige Verwaltungs- und Verfassungsordnung und schließlich hat er dem Wirtschaftsleben seine Selbständigkeit gezeigt und die Grundzüge eines eigenständigen Wirtschaftsrechts entworfen. Das reichsgeschichtliche Denken übernimmt in der alten Hochkultur selber die Gesetzgebung des heiligen Rechts. Seit dem Absolutismus, der Alleinherrschaft des Staatsrechts beansprucht es nach dem Grundsatz: cuius regio eius religio die Ordnung des öffentlichen religiösen Lebens. Dann muß man sich doch zur Toleranz gegen alle Religionsparteien entschließen, aber der totale Staat will ausschließlich die Weltanschauung bestimmen. Wegen der Beamtenbildung hat der neuzeitliche Staat die Unterrichtsverwaltung in seine Kompetenz genommen und die mittelalterliche Selbstverwaltung der Universitäten weitgehend eingeengt. Die Betreuung des Wirtschaftsrechts hat der Staat immer schon von den alten Marktordnungen an bis zur modernen Planwirtschaft als perenner Kriegswirtschaft beansprucht und ausgeübt. Das wirtschaftsgeschichtliche Denken beansprucht, wenn es total wird, die Uberzeugimg der herrschenden Wirtschaftspartei, will die

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Zeitliches Gesetz und Geisteswelt

Weltanschauung Aller bestimmen und wird Religionsersatz und Sozialreligion. Der Zentralismus der Planwirtschaft führt notwendig zur Staatswirtschaft, und dann übernimmt der Wirtschaftsstaat alle Rechte des neuzeitlichen Staates, der Unterrichtsverwaltung und Forschungslenkung. Das ist die typische Rechtspraxis der ständischen Monokulturen, jener Zeitgesetze, die durch die Vorherrschaft einer Lebensmacht charakterisiert sind. Wir haben den teuer bezahlten Vorteil, durch die totalitäre Rechtspraxis vom Absolutismus bis zum neuen Imperialismus das etatistische und ökonomistische Denken in Reinkultur am Werk zu sehen. So ist uns die Kritik der historischen Vernunft in diesen Extremfällen leicht gemacht. Ihre groben Irrtümer bezahlen wir immer noch mit unseren Steuern. Warum das ein großer Teil der Intelligenz immer noch nicht sieht, kann in einem anderen Zusammenhang erklärt werden.

Auf dem Weg vom alten zum neuen Zeitgesetz hegen die Zeitdeutungen, die ständischen Entwürfe des eigenen Standesvorrechts mit allen Standesvorurteilen. Schon der Übergang von der Stammessitte zum Zeitgesetz der Hochkultur enthält eine Zeitdeutung durch den organisierenden Verstand der Schichtung von Nomaden über Ackerbauern und dadurch ermöglichte Großunternehmungen der Flußregulierung und Staatsbauten zur Machtverherrlichung. Das Staatsgesetz siegt über die Wirtschaftsordnung der Stämme, es beginnt Reichsgeschichte mit der gesamten Symbolik einer geschlossenen Geisteswelt. Dann erhebt sich die Vollkultur durch die Verkündigung des Naturrechts und Naturgesetzes, es beginnt die Geistesgeschichte. In Griechenland wird das alte Gesetz der aristokratischen Vorherrschaft mit einem schwachen königlichen und priesterlichen Recht durch das Wirtschaftsrecht der Seefahrer, Handwerker und Bauern und das Zwischenspiel der Stadttyrannen in Unordnung gebracht. Wir kennen sogar den Begriff dafür, Dysnomie statt Eunomie. Der Ausgleich der demokratischen und aristokratischen Zeitdeutungen führt zur Idee der Verfassung, der Politeia, der rechtlichen Ordnung aller Berufe unter der Führung der Geistigen, der Gesetzdenker, der Weisen und Philosophen ohne politische Autorität. Die neuen „Gesetze" Piatons finden keine königliche oder geistesaristokratische Autorität, die sie unmittelbar zum Zeitgesetz erhoben hätte. Dennoch beginnt jetzt das dritte Weltalter, sofern die freie, selbständige Geisteswelt, die aus diesen Zeitdeutungen entstanden ist, durch die Philosophenschulen, die Forschungsakademie in Alexandrien, die Rhetorik und die wissenschaftliche Medizin das Rechtsdenken des Hellenismus beeinflußt. Mit und aus den Kämpfen der Diadochen-Staaten erwächst das römische Reichsrecht, das sich jetzt geistig legitimieren muß. Im Hellenismus selbst gibt es Philoromanen im Gegensatz zu den Philhellenen und den

Die Zeitgesetze

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Zeloten, den Nationalisten der alten unterdrückten Volkskulturen. Nun erfolgt von diesen drei Gruppen aus die neue Zeitdeutung, die zwar politisch bedeutsam ist, aber immer noch nicht autoritär geschichtsmäßig das neue Reichsgesetz bestimmen kann. Erst das neue Gesetz der Christenheit statt des alten Bundes der jüdischen Volksreligion, das positive göttliche Gesetz einer religiösen und kirchlichen Lebensgemeinschaft, einer Weltreligion sammelt so viel Anhänger um sich, daß es schließlich als eigenrechtliche Lebensmacht zum Konkordat mit der Staatsmacht kommt, daß im Konzil von Nizäa 325 das Neue Gesetz auch Reichsrecht wird. Das Naturrecht der Geistigen kann nur indirekt durch die rechtsschöpferischen Eliten, ja seit dem 4. und 5. Jahrhundert auch schon durch staatliche juristische Fakultäten in Konstantinopel, Beirut und Athen das Reichsrecht beeinflußen. Das positive göttliche Recht bestimmt zur Hälfte das neue Zeitgesetz des vierten Weltalters und den Aufbau einer neuen Geisteswelt. Das Wechselspiel von Heils- und Kirchengeschichte, von Reichsund Geistesgeschichte innerhalb der zur Kulturmacht aufsteigenden Christenheit ist das große Thema der zwei christlichen Geistzeitalter und ihrer Geisteswelten. Es hat schließlich durch den Kampf der Konfessionen im 16. Jahrhundert zum neuen Gesetz des fünften Weltalters der Zivilisation geführt, in dem Staatsrecht und Wirtschaftsrecht, beide geführt von der Wissenschaft des organisierenden Verstandes, ein neues Wechselspiel beginnen. Die Krise dieser ersten Weltzivilisation ist so schwer, daß unsere eigenen Zeitdeutungen meistens verzweifelt ihren Untergang prophezeien, aber die intakte Wissenschaft führt in ihrem ständigen Reifungsprozeß wieder zur theoretischen und praktischen Vernunft zurück. Mit der Wiederentdeckung der Vernunft wird auf dem Umweg über die Geisteswelt und die neue Anerkennung des Naturrechts, das jetzt wie immer die Verbindung mit dem göttlichen Gesetz eingehen kann, das kommende sechste Weltalter beginnen. Wir werden also den „Beruf zur Gesetzgebung", den Savigny, der Begründer der historischen Rechtsschule, der Neuzeit abgesprochen hat, wieder finden müssen, und das heißt vor allem den Begriff des zeitlichen Gesetzes selber.

Der Kampf der Lebensmächte ist ein Ringen um eine Kulturverfassung, nicht nur um eine Staatsverfassung. Dafür ist ein Kulturideal nötig, das nicht aus dem Herrschaftsgefüge gewonnen werden kann. Das Ideal der freien Zusammenarbeit aller Berufe, wie es Piaton gesichtet hat, ist die dauernde Gemeinschaftsidee, die aus der Entfaltung der bleibenden Menschennatur nach allen ihren Erstrebnissen und Bedürfnissen erwächst.

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Zeitliches Gesetz und Geisteswelt

Die Bestimmung der Weltalter nach ihrem zeitlichen Gesetz ergibt ihre Diskontinuität und Kontinuität zugleich. Für die entsprechenden Geisteswelten gilt das gleiche. Da die schöpferischen Vertreter der Lebensmächte die Geschichtsbilder entwerfen, aus der Zeitnot die Zeitdeutungen geben und ein neues Gesetzesideal aufzeigen, wird in concreto der innere Spannungszustand der einzelnen Lebensmächte, der status ecclesiae oder rei publicae für die jeweils vordringliche neue Gesetzgebung maßgeblich sein. Er ist ein Kampf um die Rechtswerte, um die Verwirklichung eines neuen Gesetzes unter dem Vorrang des Standes, der seine Autorität durchsetzen will. Rechtseinheit und Rechtsfreiheit, Rechtsbewahrung und Rechtsfortschritt sind die Werte der organisierenden Vernunft über den Einzelleistungen des organisierenden Verstandes, der nur die Rechtsstellung einzelner Berufsgruppen trifft. Diese Ideale betreffen das Ganze der Gemeinschaft vom Standpunkt des gerade führenden oder aufsteigenden Standes aus, sie sind die neuen Ideologien. Sie behaupten, das Gemeinwohl des natürlichen Rechts zu vertreten. Wenn es gelingt, diese konkreten Geschichtsentwürfe zu verstehen, so erfassen wir den Gang der Geistzeitalter innerhalb der Weltalter nach seiner historischen Vernunft, nach der autoritären Entscheidung des neuen Zeitgesetzes, die innere Geschichtsbewegung. Diese Komplizierung der Geschichtsbewegung durch die Spannungszustände der Lebensmächte in sich selber erlaubt allein den Einfluß der Zeitdeutungen auf die Weltdeutungen und umgekehrt zu erklären. Von der Idee der Rechtseinheit oder Rechtsfreiheit aus ist in allen Lebensmächten die Bilderwelt bestimmt, die gesamte Symbolik der Zeit entworfen und damit erst treffen wir auf die innere Einheit der historischen Vernunft, den Zusammenhang von Zeitdeutung und Weltdeutung. So sei hier ein Versuch gewagt, die zeitlichen Gesetze der sechs abendländischen Geistzeitalter aus dem Kampf der Rechtswerte zu verstehen. Der griechische Stadtstaat hat mit der Volksversammlung als Legislative die Institution der Rechtsfreiheit und des Rechtsfortschritts geschaffen, er hat aber gerade darum bis zum Ende keine Konstitution als Ordnung der Exekutive, Legislative und Judikative erreichen können. Die Lehre von den Staatsformen der Monarchie, Aristokratie oder Demokratie ist die abstrakte philosophische Fassung der gesetzgeberischen Faktoren, hinter der sich die Rechtswerte der Einheit, Bewahrung und des Fortschritts verbergen, aber gerade nicht die rechtsschöpferische Freiheit der Gesetzdenker selbst, die ein Juristenstand vertreten müßte. Es gab nur Rhetoren, Publizisten der Parteistand-

Rechtsfreiheit und Rechtseinheit

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punkte, ja seit Isokrates und Demosthenes des Nationalismus, und nur die kosmopolitischen Stoiker vertraten ein Völkerrecht der Stadtstaaten, das die Hegemonie Athens zu einem Reichsrecht hätte machen können. Der Stand der Geistigen, der sich nur in Schulen und in der Forschungsgemeinschaft von Alexandrien konstituieren konnte, sah die Dringlichkeit einer Publizistik und zwar in der reinsten Form der Wertethik, der natürlichen ethischen Religion und Naturrechtsordnung war aber ohnmächtig in der Volksversammlung ohne einen autoritativen Juristenstand. So hat die aufsteigende Staatsmacht Makedoniens die Zeitnot durch die Monarchie gelöst und damit indirekt der griechischen Geisteswelt zur Verbreitung über die Ökumene verholfen. Die Monarchie spaltete sich aber nach den Nationen der alten Kulturvölker in die Diadochenstaaten auf, unter denen das römische Reich zur Weltherrschaft aufsteigen konnte. Damit war die Rechtsordnung des Reichsrechts zur vollen Übermacht gelangt, sobald die patrizisch-plebejischen Kämpfe um Rechtswahrung und Rechtsfreiheit im römischen Stadtstaat durch den Prinzipat entschieden waren. Jetzt standen zwei Gruppen in allen Völkern zur Vertretung der Rechtsfreiheit auf, die Philhellenen für das Naturrecht des Geistesreichs und die Nationalisten für das alte Volksrecht. Aber es gab keine Institution, keine Reichsversammlung, in der sie als Judikative und Rechtsvertretung der Völker sich hätten zur Geltung bringen können. Nur die Rechtspraxis der Reichsverwaltung war zu großen Konzessionen gezwungen, die schließlich Juristenrecht und Völkerrecht in das Reichsrecht eingehen ließen. Mit der Wende von der Republik zum Kaisertum sind die Juristen ein beamteter Staatsstand geworden, und so konnten in der Kodifikation des Reichsrechts die responsa prudentum und das jus gentium Juristenrecht der staatlichen Rechtsfakultäten werden. Aber damit war gerade die Höchstleistung des antiken Rechtsdenkens, die lex aeterna und lex naturalis, samt der reinen Gottesidee nur sehr accessorisch in das die Antike und altchristliche Kultur verbindende Rechtsbuch aufgenommen. Es bedurfte des neuen göttlichen Gesetzes der Christenheit und seiner positiven Autorität, um auch diese philosophischen Höchstwerte der Antike für die geistesgeschichtliche Kontinuität zu retten. Es mußte — symbolisch gesprochen — der Stifter und Gesetzgeber des neuen Gesetzes zugleich der ewige Logos sein, wenn das Naturgesetz in das neue Rechtsbuch aufgenommen werden sollte. In dieser heilsgeschichtlichen Ebene des Rechtsdenkens haben sich dann auch die geistigen Kämpfe um ein neues Kulturrecht über das

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heilige Recht hinaus abgespielt. Die Streitigkeiten um die Dreifaltigkeit gehen um die Einheit Christi mit dem ewigen Logos, und die ersten Geschichtsphilosophen der Christenheit sind Kämpfer mit dem Weltreich und Geistesreich um Kompromißlösungen der zeitlichen Rangordnung der Lebensmächte. Die gnostische und geistkirchliche spiritualistische Lösung läßt geistesgeschichtlich das Göttliche im ewigen Gesetz aufgehen, und die staatskirchlich-monarchistische im zeitlichen Gesetz einer Reichseinheit, in der Christus nur als Prophet des einen Gottes, einen Glaubens und des einen Reichs erscheint. Umgekehrt strebt eine priesterkirchliche Lösung monarchianisch und modalistisch nach der Identifizierung Christi mit dem Vater zur Theokratie statt der Werthierarchie der Rangordnung der Rechte nach der weltkirchlichen Lösung. Diese ist zum neuen Kulturgesetz geworden gegen die politische Theologie der staatskirchlichen Lösung, gegen den Arianismus, weil jetzt um der Reichseinheit willen die Verfassungsform der Weltkirche, das Konzil der Bischöfe mit dem römischen Primat und der kaiserlichen Bestätigung zu einer gemeinsamen staatlich-kirchlichen Gesetzgebung führte. Damit war zwar die Verfolgungszeit beendigt, aber es begannen sofort die neuen Kämpfe zwischen Kaiser und Papst, der cäsaropapistischen Reichskirche im Osten und der freien Kirche im Westen. Aber diese heils- und weltgeschichtlichen Entscheidungen führten weiter zu einem innerkirchlichen Geisteskampf, in dem die Rechtseinheit von der Konzilsverfassung mit dem Primat, die Rechtsbewahrung von den lehrkirchlichen Theologen und die Rechtsfreiheit von den sittenkirchlichen Asketen und Mönchen vertreten wurde. Die altchristliche Konfessionenbildung muß als institutionelle Verselbständigung dieser Rechtswerte in eigenen Kirchen und letzlich aus den Kämpfen des heilsgeschichtlichen Denkens verstanden werden. Sie ist nicht aus politischen Zufallskonstellationen entstanden, so sehr auch nationalistische Interessen des syrischen, ägyptischen und griechischen Patriarchats und römischen Primats mitsprachen. Die kirchliche Rechtseinheit der Konzilsverfassung war so sehr bestimmend, daß die lehrkirchliche Orthodoxie, obwohl sie sich viel mehr auf die dogmatische auctoritas als die philosophische ratio stützte, zu keiner institutionellen Selbständigkeit gelangte. Die ethische sittenkirchliche Vertretung der Rechtsfreiheit konnte sich nur in den Mönchsorden der Asketen verselbständigen und hat schließlich über den „Pelagianismus" der Antiochener zur nestorianischen Konfession geführt. Das Konzil von Ephesus hat gegen das Vertrauen auf die eigene Freiheit, auf die Werkgerechtigkeit, sich für die Gnadenlehre ent-

Der Kampf der Lebensmächte

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schieden und auf der christologischen Ebene für den Gottmenschen und die Gottesgebärerin. Auch damals ist schon dem Freiheitsvertrauen und der Werkgerechtigkeit wie im Protestantismus die ausschließliche Gnadenlehre entgegengestellt worden und damit die ausschließliche Geltung des heiligen Rechts und die alleinige Betonung der Gottheit in Christus, der Monophysitismus. Wieder ist im Konzil von Chalzedon die großkirchliche Entscheidung gegen diese Abspaltung gefallen und damit die östliche und westliche Orthodoxie für Jahrhunderte begründet worden. Es stehen sich aber weiterhin die drei Rechtsordnungen von drei Konfessionen gegenüber, und nur im Westen ist nochmals dieselbe Rechtsproblematik wiederholt worden. Im Mittelalter sind zunächst die Kämpfe um die Rangordnung der Lebensmächte Kirche, Reich und Geistesreich der eigentliche Inhalt der Geschichtsphilosophie des Investiturstreites. Aus dem arianischen Landeskirchentum der Frühzeit und aus der karolingischen, Byzanz kopierenden Kirchenpolitik ist die Idee der Reichskircheneinheit erwachsen. Durch die besondere Lage Italiens seit der Verlegung des Reichs nach Byzanz stand aber das westliche freikirchliche Papsttum dem Kaisertum ganz anders gegenüber als das byzantinische und später russische Patriarchat. Hier gab es nun neben der Konzilsverfassung nur die Lösung durch ein Konkordat, das Kirchen- und Reichsgesetz zugleich ist und die konsequent durchgebildete Kodifikation des eigenständigen Kirchenrechts als Standesrecht der Geistlichen, das kanonische Recht neben dem göttlichen Gesetz. Vor allem aber hat sich die geistkirchliche Rechtsfreiheit durch die außerordentliche Bedeutung des Mönchtums durchgesetzt und schließlich hat auch die Universität als Vertreterin des geistesgeschichtlichen Rechtsfortschritts mitgesprochen. Bis zum Interregnum blieb die hierarchische Kirchenrechtseinheit vorherrschend. Trotz der Universitätsbildung der Theologen kam es nicht zu einer autoritären lehrkirchlichen Vertretung der Rechtsbewahrung. Die Vereinigung von auctoritas und ratio in der mittelalterlichen Theologie hat wiederum zur Idee des ewigen Gesetzes, nun als Rahmengesetz aller anderen Rechte geführt und zwar nach der bleibenden Hierarchie des göttlichen Gesetzes über dem natürlichen, staatlichen und bürgerlichen. Das war eine Versöhnung des Geistesreiches mit dem Gottesreich, jetzt aber nicht nur symbolisch durch die Einheit Christi und des Logos, sondern auch durch das rechtsschöpferische Denken einer metaphysischen und ethischen Theologie. Die rein ethische Vertretung der Rechtsfreiheit mußte in dieser Lage allerdings zur Sektenbildung abgedrängt werden, wo es nicht gelang, sie wie die franziskanische Bewegung als Orden in die Kirche

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Zeitliches Gesetz und Geisteswelt

einzugliedern. Aber schon der Franziskaner Duns Scotus hat aus der Ethik eine freikirchliche Stellung gewonnen, ja bald hat Ockham die reichsrechtliche und die freikirchliche Ordnung auf gleichen Fuß gestellt. Auch Dante hat als Humanist das Geistesreich gleichberechtigt neben die beiden autoritären Mächte gestellt. Auch das gnadengläubige heilige Recht ist jetzt in dieser hierarchischen Welt in die Sekte abgedrängt worden und hat nur durch Meister Eckhart, den Dominikaner, eine Heimstatt auch in der Kirche gefunden. Und schließlich hat die reife Anthropologie dieser Zeit wieder ein abschließendes rechtsphilosophisches System des gesamten Kulturrechts durch den Cusaner hervorgebracht. Es ist der jetzt von allen führenden Geistern vertretenen Idee des ewigen Gesetzes als Rangordnung der Rechte zu danken, daß es nicht zu einer Konfessionsbildung kam, also institutionell gesehen der Universität. Sie hat jetzt durch die Betonung des eigenen Rechts ihrer Fakultäten, der Magister und Studenten, zwar den Ansatz zu einem eigenständischen Recht der Geistigen gefunden, konnte aber noch nicht als autoritäre Lebensmacht in den Kreis der anderen Mächte treten. Das ist der tiefste Grund, warum das neue Geistzeitalter des Humanismus heraufkam. Das Herrschaftsgefüge der zeitlichen Rangordnung der Lebensmächte wurde zwar durchbrochen in der Krise des Reichs und des Papsttums, aber erst die aufsteigenden Stadtstaaten und Territorialstaaten forderten ein neues Zeitgesetz. Ähnlich wie im antiken Stadtstaat will eine bürgerliche Philosophie der weltlichen Berufsordnung aus den Kämpfen der Patrizier und Populanen, der reichspolitischen Ghibellinen und stadtpolitischen Guelfen herausführen. Die aristotelische Politik und Ethik ist jetzt das Lehrbuch des neuen Rechtsdenkens für alle Zeitdeutungen aus der Zeitlage des späten 13. und 14. Jahrhunderts. Sie soll aus dem Gegensatz der Freistädte, der aufsteigenden Nationen und eines neuen Landeskirchentums herausführen. Die im Hochmittelalter in die Sekten abgedrängten Volksbewegungen gewinnen jetzt durch die freien Städte die Idee der Rechtsfreiheit des bürgerlichen Rechts statt des Reichsund Landesrechts. Aber es ist nicht mehr wie in der Antike ein innerpolitischer, innerständischer Gegensatz, der die Zeitdeutungen bestimmt, sondern die Städtebündnisse der wirtschaftlich fortgeschrittenen Gebiete Italiens und Flanderns rufen zuerst in Frankreich den geschlossenen territorialen Staat mit einer Versammlung der Generalstände hervor, damit also die staatliche Rechtseinheit und wieder eine neue landeskirchliche Hoheit der Unterordnung des Papsttums unter des Staatsrecht.

Vom Mittelalter zum Absolutismus

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Es wird jetzt wieder für alle Rechtswerte gekämpft, für die Rechtsfreiheit der Städtebündnisse, für die Rechtseinheit des beginnenden Nationalstaats und auch noch für das konservative Reichsrecht, vor allem durch Dante. Durch die landeskirchlichen Schismen kommt es zur Spaltung der Kircheneinheit und zur Konziliarbewegung, die sie beheben soll. Nun tritt den national gebundenen Päpsten die autoritäre Vertretung des Rechtsfortschritts in der Kirche selbst durch die Kardinals- und Bischofsopposition entgegen, die eine Kirchenreform verlangt, aber ohne sie gegen den Primat durchsetzen zu können. Erst die neue Laienintelligenz findet mit der neuen geistpolitischen Utopie der Erasmus und Morus, der Campanella und Bacon wenigstens wieder die Theorie des eigenständischen und eigengesetzlichen Geistesreiches, aber kein institutionelles Eigenrecht, nur die naturrechtliche Ordnung aller Berufe, der geistlichen und geistigen, der staatlichen und bürgerlichen. Diese Renaissance der vorwiegend natürlichen Theologie, Ethik und Nomologie, führt aber durch den Gegenschlag der positiven Theologen zur Reformation und neuen Konfessionsbildung. Hier geht es im Kampf gegen das kanonische Recht der alten Kircheneinheit und gegen die kulturelle Rechtsfreiheit der Humanisten um die Rechtsbewahrung des göttlichen Gesetzes. Jetzt fällt eine heilsgeschichtliche Entscheidung, sofern das sünderkirchliche und gnadenkirchliche Denken der altchristlichen Welt sich in eigenen Konfessionen durchsetzt, allerdings ohne Folgen für die Christologie. Der lehrkirchliche Streit um die Rechtswerte, schon im Gang durch die Mystik und Konziliarbewegung, wird durch den geistgeschichtlichen Anstoß des Humanismus zu einer theologenkirchlichen Lehrbewegung der auctoritas biblica, der Schrift statt der Tradition der Konzilsentscheidungen. Nicht mehr die Bischöfe bestimmen jetzt die itio in partes, sondern die Theologen als Vertreter ihrer Konfessionen suchen und finden auf den Reichstagen die itio in partes ihrer Landesherren, so daß das neue zeitliche Gesetz der Konfessionen ein summepiskopales der Landesherren ist, der weltlichen Obrigkeit. Diese rechtsphilosophische Durchleuchtung der weltgeschichtlichen Entscheidungen der Reformation aus der Dialektik der Rechtswerte offenbart die Tragik der historischen Vernunft. Die verdrängten Rechtswerte setzen sich antithetisch und absolut durch, um durch den neuen Absolutismus ihres Rechts die Umlagerung des Herrschaftsgefüges heraufzubeschwören. Die heilsgeschichtlich gedachte Reformation ist politisch geworden durch das Landeskirchentum und so entsteht die Monstrosität des Rechtsstatus, freie Städte mit eigener Religionspolitik, Territorialherrschaften mit dem Reformationsrecht und Gegen-

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reformationsrecht, das Reich selber nur mehr ein Nationalstaat neben anderen, in dem die Religionsparteien mit verschiedenen Kirchenverfassungen die Zentralmacht für sich zu gewinnen suchen. Daher die Kompromißlosigkeit der nun beginnenden Verfassungskämpfe, die zu den hundertjährigen Religionskriegen von 1562 bis 1660 führen. In England, Spanien und Frankreich setzte sich die staatliche Rechtseinheit des Nationalstaates mit landeskirchlicher Hoheit durch. Cuis regio eius religio! Die Hoheit des Staatsrechts über das göttliche Gesetz der streitenden Konfessionen beansprucht auch alsbald die unbedingte Hoheit über alle noch bestehenden Zwischengewalten der Stände, die kleinen Territorialherrschaften des Adels und der Freistädte als mögliche Partner der bürgerkriegsgefährlichen Religionsparteien. Die doppelte Hoheit des Staates heißt nun Souveränität. Mit dem neuzeitlichen Staat beginnt das neue Weltalter der Zivilisation ohne eine rechtliche Rangordnung der Lebensmächte und freien Standesrechte, ohne Kulturrecht. Das neue Zeitgesetz ist ausschließlich Staatsrecht. Auch das jus reformandi und das jus in sacra ist Staatsrecht. Der unbedingten Rechtseinheit tritt aber sofort durch die dauernden Konfessionskämpfe eine ebenso unbedingte rechtsfreiheitliche Forderung entgegen, die Lehre von der Volkssouveränität. In der puritanischen Revolution ist sie noch konfessionell, nonconformistisch mit der anglikanischen Episkopalkirche und darum presbyterianisch. Erst die zweite engüsche Revolution von 1689 bringt die Toleranz, die Ausscheidung der Religionspolitik aus der Staatspolitik und zugleich den Ausgleich von Staats- und Volkssouveränität durch den Gedanken der Gewaltenteilung der Exekutive und Legislative und der Judikative als drittem Partner. Rechtseinheit, Rechtsfreiheit und Rechtsbewahrung im Staatsleben sind nun in ein Gleichgewichtssystem gebracht, das ist das neue Zeitgesetz der konstitutionellen Verfassung. Diese Synthese der Antithesen, einer rationalen Verfassung als Rahmengesetz der Gesetzgebungsfaktoren, bestimmt die angelsächsische Welt bis heute. Man muß sie ein neues Zeitgesetz nennen, obwohl sie eher das Werk des organisierenden Verstandes als der historischen Vernunft ist. Ihre geschichtsphilosophische Rechtfertigung durch John Locke entstammt der historischen Vernunft. Nach ihm gehört der Deismus, die Lehre vom Vorrang der natürlichen Religion und Sittlichkeit und des Naturrechts über das positive Recht wesentlich zum Verfassungsrecht, das tolerant ist gegenüber dem positiven göttlichen Gesetz der verschiedenen Religionsgemeinschaften. Als Zivilisationsgut der juristischen Wissenschaft ist die Konstitution religiös neutral. Der Deismus ist aber

Konstitutionelle Verfassung

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nur ein halbes Jahrhundert lang, nur in der frühen Aufklärung rationales Glaubensbekenntnis, um alsbald von einem radikalen wissenschaftlichen Glauben abgelöst zu werden, der nun den szientistischen Charakter der Neuzeit zum Ausdruck bringt. Schon das Zeitgesetz des Absolutismus war aus dem organisatorischen Verstand und Herrschaftswissen der Politiker, der großen Juristen des 16. Jahrhunderts als politischer Philosophen hervorgegangen. Sein Kern war die ratio status, Rationalisierung der Verwaltung, aber auch Rechtfertigung der nationalen Hegemonie durch die historische Vernunft und soziologische Überlegungen, namentlich beiBodinus. So wurde die Wissenschaft zum entscheidenden Faktor der Zivilisation neben dem Staat und hat sehr bald den dritten Faktor, die Wirtschaft, in die rationale Verwaltung aufgenommen als Merkantilismus, als staatliche Wirtschaftslenkung. Seit es ein Verfassungsrecht gibt, gibt es einen unablässigen Kampf um die Legislative. Die Ministerialbürokratie des Verwaltungsrechts kämpft mit den politischen Parteien und bald auch mit einer Judikative der wissenschaftlichen Wirtschaftslehre, die relevant für die Staatspolitik wird. Die Ausbildung der wissenschaftlichen Wirtschaftslehre ist das zweite große Ereignis der Zivilisation nach der Rationalisierung des Verwaltungs- und Verfassungsrechts. Wenn man die ökonomischen Ideologien auf einen Nenner bringt und die gehässigen Bezeichnungen durch den Gegner oder die zufälligen Selbstbezeichnungen systematisch aufhellt, so folgen sich logisch die Physiokraten mit dem rationalen Agrarsystem, das Freihandelssystem, das Industriesystem der wenigen Unternehmer, Techniker und Arbeiter und das Arbeitsrechtssystem. Das ist der geistesgeschichtliche Gang der Herausbildung eines auf der rationalisierenden Wirtschaft und rationalisierenden Naturwissenschaft und Technik beruhenden Industriesystems. Jetzt erst werden die Rechtswerte der Wirtschaftsstände sichtbar, der Einheitswert schon im alten verwaltungsrechtlichen Merkantilismus und zuletzt in der imperialistischen Planwirtschaft, der Freiheitswert im Freihandels- und Konkurrenzsystem, der Fortschrittswert in der technokratischen Ideologie und der Bewahrungswert im Arbeiterwohlfahrtssystem. Die verfassungsrechtliche Legislative erscheint als das Mittel, diese Wirtschaftsideale politisch durchzusetzen und so bestimmt seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, seit 1848, der Parlamentarismus mitsamt der Massenparteibildung und der Parteipresse das öffentliche Leben, die res publica. Er wird durch die fortbestehenden oder sich erst neu zentralisierenden Nationalstaaten in der Phase des Monopol-

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und Exportkapitalismus zum Imperialismus, der sich auch zu wirtschaftsparteilichen Totalstaaten umbilden kann. Das sind die Verlagerungen des Herrschaftsgefüges in der Neuzeit, an denen entscheidend die wissenschaftlichen und zeitphilosophischen Gesellschaftsbilder beteiligt sind. Nur die Wissenschaft selbst, die jetzt als Jurisprudenz und politische Wissenschaft, als National- und Sozialökonomik und als selbständige Soziologie, als Lehre von der Gesellschaftsgesetzlichkeit im ganzen in die machtpolitischen Kämpfe eingreift, hat noch keine eigene Soziologie. Aber es sind leicht die Rechtswerte ihrer Verwirklichungsordnung zu sehen. In der ganzen Neuzeit, in den drei mächtigen Rationalisierungsvorgängen der Politik, Ökonomik und Naturwissenschaft ist der Fortschrittswert der Forschung im Vordergrund gestanden. Von ihm aus sind die ersten Entwürfe einer eigenständigen Wissenschaftsorganisation, ja die Idee eines selbständigen Geisterreichs bei Bacon und Campanella in genialen Utopien entworfen und bald Wirklichkeit geworden in den Forschungsakademien neben den Universitäten. Mit der fortschreitenden Technik kamen die technischen Hochschulen und die Ausbreitung der Wissenschaft durch ihre Spezialisierung in zahlreichen Instituten. Der Bewahrungswert der Lehre wäre darüber fast gänzlich verlorengegangen, wenn nicht die Universitäten sich als bleibende Institutionen hätten erhalten können. Der Freiheitswert schien schon mit dem Fortschrittswert gegeben, aber er war niemals so eingeengt als in der Neuzeit, weil schon der merkantüistische Verwaltungsstaat Forschung und Lehre seiner Unterrichtsverwaltung unterstellte. Nur die aufsteigenden Stände des Bürgertums und der Arbeiterschaft fanden eine freie Intelligenz, die aber durch die Parteiorganisation und die Parteipresse und gar nach der Machtübernahme zu Funktionären herabsanken. Der Freiheitswert liegt wesentlich bei der Kontrolle, der Machtkritik und vor allem im emotionalen Bedürfnis der eigensten Persönlichkeitswerte, im reinen vernünftigen Ethos, in der Kunst und in der freien Publizistik der Verbreitung des wahren Standes des ganzen Geisteslebens. Gänzlich unbekannt ist der geistige Einheitswert, die Lebensbedeutung der Philosophie als wissenschaftliche Systematik der Welt- und Lebensordnung, als Frage nach dem Lebenssinn, weil auch die Philosophie selber in die Spezialforschung hineingerissen wurde. Wir können aber mit voller Zuversicht erwarten und vorhersehen, daß allein schon nach den Regeln der historischen Vernunft die drei unterdrückten Rechtswerte des Geisteslebens, der Einheitswert der Philosophie, der Bewahrungswert der Lehre und Schule und der Freiheitswert der Kunst bald sieghaft wieder aufsteigen werden, weil schon die Speziali-

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sierung der Wissenschaften von selber in ihre Konvergenz umgeschlagen ist. Dieser unaufhaltsame Vorgang im wissenschaftlichen Leben ist der Zeit noch kaum bewußt, aber er wird bald der Wissenschaftssoziologie als ihr größtes Thema zu einer beherrschenden Stellung verhelfen und der sich daraus ergebenden neuen Philosophie und Lehre ihre sachgemäße Stellung sichern. Da die Wissenschaften des organisiserenden Verstandes, die Politik, Ökonomik und Technik, von selber in die Philosophie der praktischen und theoretischen Vernunft münden, gelingt auch eine Kritik der historischen Vernunft. Mit der unausweichlichen Dialektik der Umlagerung der unwillkürlich geschichtlich wirksamen Rechtswerte, dem Geheinnis der Revolutionen, der neuen zeitlichen Gesetze und der Verschiebung der Herrschaftsgefüge, wird die Tragik der historischen Vernunft erschütternd deutlich. Jetzt steht wieder eine Umlagerung bevor, die der reinen Vernunft eine Chance bietet, die Legislative durch die schöpferische Jurisprudenz normativ zu beeinflussen und der richtigen Gesellschaftsordnung zum Sieg zu verhelfen. Die Kritik der historischen Vernunft hat eine höchst verantwortliche Lebensbedeutung! Die Zeitphilosophie muß immer wieder durch die überzeitliche überhöht werden. Die mächtigen Rationalisierungsvorgänge der Neuzeit sind nicht vergeblich gewesen. Sie haben selber gesellschaftsgesetzlich zur Konvergenz und Synthese des mächtigsten Zeitfaktors der Neuzeit geführt, der Wissenschaft, deren Spezialisierung nunmehr als notwendiger Umweg zur Synthese erscheint. Nachdem sie nur mehr wegen ihrer Brauchbarkeit geachtet worden war, war gerade ihre wahre Hochachtung verloren gegangen. Sie wird sie zusammen mit der Philosophie wieder erhalten. Die Kritik der Zeitdeutungen ist Befreiung von den zeitgebundenen Ideologien und Parteistellungen und muß ergänzt werden durch die Kritik der Weltdeutungen. Die Bilderwelt, die Symbolik der Zeitdeutungen, ist sogar ihre eigentliche Geschichtsmächtigkeit, weil das neue Zeitgesetz wirkliche Überzeugung erst wird durch die Sanktion, sein Gottes-, Menschen- und Weltbild. Fragen wir am Leitfaden der Weltalter, wie sich durch die vorherrschenden Vernunftformen das Zeitgesetz bestimmen läßt und die entsprechende Weltdeutung. Die soziale Vernunft der Stammeszeit verfestigt sich in der Stammessitte und wird gerechtfertigt durch die mythologische und magische Weltdeutung. Die Konvergenz der Ergebnisse der Frühgeschichte, der Ethnologie und Sprachwissenschaft hat in einer genialen Synthese auch noch die Geschichte dieser fast ungeschichtlichen Zeit erschlossen und

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die Entsprechung der Stammesverfassungen mit den Weltdeutungen klargelegt. Der Vorrang der gesellschaftlichen Vernunft in der Ausbildung der Gottes-, Menschen-, und Weltvorstellungen ist hier besonders eindeutig. Man kann kurz von einer familialen, patriarchalen, matriarchalen und männerbündlichen Mythologie reden, so eng ist hier die Verbimdung von Gesellschaftsbewußtsein und Weltdeutung. Die Staatsgründung ist wegen der Sanktion des zeitlichen Staatsgesetzes der Übergang von der Mythologie zum monarchischen Theismus. Ihm folgt das herrscherliche Menschenbild mit den anderen Rechtsstufen der Freien und Sklaven. Das Weltbild wird bald geozentrisch durch die Notwendigkeit der Gestirnbeobachtung für den Kalender, ja es gibt Ansätze zu einem Weltordnungsbild, sofern der Gesetzgeber-Gott auch Weltordner ist. Diese Einsicht in die Symbolik der historischen Vernunft ist ein Forschungsthema, dem zuerst Schelling die ganze Kraft seiner reifen Jahre gewidmet hat und das heute auf sehr viel reicherer empirischer Grundlage wieder aufgenommen werden muß durch eine Soziologie der Kunst. Das dritte Weltalter, die Vollkultur, beginnt mit der reinen, aber noch nicht kritischen Vernunft des Naturrechts und Naturgesetzes. Die extremen Weltbilder aus der tastenden Verbindung des sozialen Weltlaufs mit dem kosmischen sind noch anthropomorph, sofern die Kausalitäts- und Substantialitätsformen im Aufbau der Menschennatur Vorbild sind für die äußeren Bereichsgesetzlichkeiten und je eine von ihnen zum Weltgesetz im ganzen gemacht wird. Dieses Thema kann heute durch eine vergleichende Philosophiegeschichte schon fast vollständig bewältigt werden, wie wir es in unserer „Selbstkritik der Philosophie" versuchten. Immer wieder muß die Philosophie den Umweg über die naiven Weltdeutungen nach ihren Zeitdeutungen machen, um schließlich aus der inneren Gewißheit der Freiheit und der geistigen Überwindung des Leidens zur reinen Vernunft zu gelangen. Dann erst wird das Naturrecht offen auf die Menschennatur und ihren Lebensplan und Lebenssinn zurückgeführt und die Gottesidee der ethischen und metaphysischen Religion erreicht. Es gibt jetzt wenigstens in der griechischen Philosophie auch schon einen Ansatz zum heliozentrischen Weltbild, weil der Sinnenschein der Sternbewegungen durch die unsinnliche Gesetzlichkeit der Sternengeister nach ihrer ewigen Ordnung gedacht wird. Es ist ein Zeichen der Zeit der Konvergenz der Wissenschaften zur Philosophie, daß wir ihre epochemachende Geschichtsmächtigkeit wieder sehen, nachdem man hundert Jahre Theologie in Metaphysik und diese in positive Wissenschaft übergehen ließ. Darum sehen wir auch das Problem der Weltalter

Weltdeutungen

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wieder, das seit Schelling liegen geblieben ist, weil man nicht mehr grundsätzlich geistesgeschichtlich, sondern macht- oder wirtschaftsgeschichtlich dachte. Es ist das Verdienst Karl Jaspers im Zusammenhang der ganzen Heidelberger Schule der historischen Soziologie der Troeltsch, Max und Alfred Weber und Rüstow, daß er die „Axenzeit der Weltgeschichte" in seinem Werk „Ursprung und Ziel der Geschichte" gegen die irrationalistische Geschichtsschreibung getrennter Kulturzyklen festgestellt hat. Aber man darf über der Sorge, eine normative Gesellschaftslehre für die kommende Weltordnung auf einer verpflichtenden natürlichen Gotteslehre, Sittenlehre und Gemeinschaftslehre aufzubauen, nicht übersehen, daß dies damit metaphysisch und ethisch sanktionierte Naturrecht nach dem Naturgesetz bisher im Herrschaftsgefüge der gesetzgeberischen Autoritäten keine unmittelbare geschichtsbestimmende Autorität finden konnte außer durch rechtsschöpferische Eliten, eine freie Judikative. Die Entscheidungsfrage einer geschichtlichen Einflußnahme des „philosophischen Glaubens" ist ja gerade, wie das überzeitliche Naturrecht das Zeitgesetz bestimmen kann, wie es wirksame Norm der Gesetzgebung werden kann.

Die Weltdeutung der reinen Vernunft ist zunächst morphologische Wissenschaft geworden, Lehre von allen Lebensformen des Naturbereichs und Geisteslebens als Grundlage der ganzen abendländischen Wissenschaft. Aber die Forscher sind nur eine Gruppe der Geistigen, die im Herrschaftsgefüge nur indirekt geschichtlich wirksam werden kann. Im weltgeschichtlichen Zusammenhang ist diese Ohnmacht der Geistigen und ihre Weltflucht in das unverlierbare Geistesreich schon tief tragisch in der hellenistischen und römischen Geisteswelt sichtbar geworden. Das vierte Weltalter ist durch das göttliche Gesetz Christi begründet worden. Wie die gottmenschliche Autorität und Sanktion dieses geoffenbarten Gesetzes durch die Einheit Christi mit dem ewigen Logos auch Kulturrecht geworden ist, wurde schon gezeigt. Jetzt aber ist zu zeigen, daß die Weltdeutung des vernünftigen Glaubens den monarchischen Theismus des göttlichen Gesetzes mit dem metaphysischen Theismus des ewigen Gesetzes und mit dem strengen Weltgeschichtsbegriff verbindet. Es ist das Verdienst Santayanas, aus der rein poietischen Anthropologie das biblische Menschenbild des unsterblichen Geistes mit der Auferstehung des Fleisches als das Verbindungsglied zwischen dem Bild des Gesetzgebergottes und dem des Schöpfergottes erkannt zu haben. Der vernünftige Glaube ist Heilswissen für den ganzen Menschen und die ganze Menschheit, Sehnsucht des vollkommenen und ewigen Lebens, eines ewigen Lebenssinns unter einem ewigen Gesetzgeber und Weltordner zugleich. Die Setzung der sinnvollen Welt begründet auch den vollen menschlichen Lebenssinn. Das erkannte auch Sokrates. Aber erst durch die christliche Verkündigung ist die Geschichtlichkeit der Welt und des einzelnen Menschen

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grundsätzlich gegeben, Entscheidung Gottes über das Sein der Welt aus dem Nichtsein und über die Schöpfung der Einzelseele für ihr ewiges Heil, das aber jetzt vollgewichtig von der eigenen, persönlichen, freien und zeitlichen Entscheidung in Mitverantwortung für die ganze Menschheit abhängig gemacht wird. Erst diese grundsätzliche Geschichtlichkeit der Welt und des Menschen durchbricht die antike Ewigkeit der Welt und der Seele, die zur Weltdeutung aus dem Naturrecht und Naturgesetz gehört. Seit dem vierten Weltalter stehen sich antike kosmologische Statik und christliche theokratische Dynamik schroff gegenüber. Aber die Idee der ewigen Schöpferkunst und des ewigen Wortes als Urheber und Urbild der realen Vernünftigkeit der Welt führt wieder zur Verbindung des göttlichen und ewigen Gesetzes. In der altchristlichen, arabischen und mittelalterlichen Geisteswelt ist die Lehre von der ewigen Welt immer wieder aufgetaucht, aber immer als Häresie verworfen worden, und erst die Laienintelligenz des Humanismus hat mit der naturgegebenen Ordnung der Berufe wieder so radikal ernst gemacht, daß man das Naturrecht der Stadt wieder aus einem ewigen Naturgesetz erklären wollte und damit die heliozentrische Welt der ewigen Wiederkehr der gleichen Naturanlagen unter real einwirkenden Gestirnkonstellationen den Akzent eines unbedingten Urgrundes erhalten konnte. In der Neuzeit ist durch die Vorherrschaft des organisierenden Verstandes der Einzelne in seiner rechtlichen Gleichheit als Verwaltungsobjekt und Verfassungsträger zum Individuum, zum gesellschaftlichen Atom geworden. Nur die Zeitdeutung des fünften Weltalters erklärt die außerordentliche Gewalt, mit der sich nach dem Deismus der frühen Aufklärung der radikale Rationalismus des technischen Verstandes, eine rein materialistische Weltgesetzlichkeit der wechselnden Verbindungen ewiger Atome durchsetzen konnte. Es ist das Paradox der Zivilisation, daß sie wegen der Rechtsgleichheit der Menschen nur eine materielle Gleichheit der Massen sehen kann und damit wieder die äußere Weltgesetzlichkeit und die unendliche Welt verewigt. Das ist aber so offensichtlich historische Vernunft, daß das Gesetz dieser Geisteswelt, ihre Vergötzung der Welt aus ihrer Zeitdeutung mit Händen zu greifen ist. Die neue Wende der Naturwissenschaften zu einem erstmals exakt kosmozentrischen Denken der Expansion der Welt in einem kosmogonischen Prozeß erhält demnach geistespolitische Bedeutung ersten Ranges. Jetzt geht es nicht mehr um Weltdeutung, sondern um einen wissenschaftlichen Weltbegriff, zum ersten Mal um die empirisch im ganzen erfaßte Welt. Es gibt wieder eine echte Naturgeschichte mit dem Augenblick des Anfangs vor vier Jahrmilliarden,

Der Weltbegriff

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eine einzige reale Weltzeit. Damit ist der Hauptregel der historischen Vernunft, daß sie aus ihrer Zeitdeutung eine Weltdeutung entwickelt, der Boden entzogen. Die logische Folge, der gegebenen Weltordnung der Physik die Metaphysik und die Menschenlehre anzufügen und von ihr aus erst die Lebensordnung zu entwerfen, ist nun unausweichlich. Die Übergriffe des organisierenden und technischen Verstandes in die Weltanschauung verbieten sich von selber. Es ist eine Ironie der Weltgeschichte, daß die Radikalisierung der Geschichtlichkeit wieder zum Gedanken des ewigen Gesetzes geführt hat und die letzte falsche Determinierung der Welt wieder zu ihrer Geschichtlichkeit. Das sind uns nun schon vertraute Peripetien der Weltdeutungen mit den Weltaltern. Und so können wir das kommende Weltalter schon in seinen Grundzügen voraussagen: die Wiederkehr der theoretischen und praktischen Vernunft und ihre neue Vorherrschaft über den organisierenden und technischen Verstand ermöglicht eine normative Gemeinschaftsidee, die dem vollen Lebenssinn des zu seiner Geistigkeit zurückgekehrten Menschen entspricht. Mit der klaren Diskontinuität der Weltalter sehen wir auch ihre dialektische Kontinuität, genau so wie erst die präzisierte Diskontinuität der Bereiche ihre im Menschen gipfelnde Kontinuität zeigt, ihre reale Sinnbezogenheit auf den Menschen als Wort der Welt. Der Umschlag vom Mythos zum monarchischen Theismus fordert den metaphysischen heraus, aber erst der durch den Schöpfungsgedanken vom monarchischen zum ethischen und metaphysischen erweiterte Theismus wird geschichtsmächtig. Nur die Politisierung der Sozialreligion mit ihrer Leugnung des göttlichen Gesetzes könnte nochmals das Staatsgesetz zur Alleinherrschaft aufsteigen lassen und nochmals dem metaphysischen Theismus eine radikale Verewigung der Welt entgegensetzen. Da nun aber aus der inneren Logik der Wissenschaften selbst die natürliche Theologie, Ethik und Nomologie erwächst, wird sich auch die Anerkennung des ewigen Gesetzes der Rangordnung der Werte, Mächte und Rechte in den Geisteswissenschaften durchsetzen.

Es ist zu fragen, ob damit nicht das Herrschaftsgefüge der historischen Vernunft grundsätzlich gesprengt wird. Zwar ist längst ihr klassisches Zeitalter, das der Herrenhochkultur, vorüber, aber sie hat auch noch durch die gesetzgeberischen Autoritäten die Weltalter der reinen und gläubigen Vernunft mitbestimmt, und noch in der Verstandeszivilisation die extreme Weltdeutung eines Materialismus der ewigen Atome hervorgebracht. Gerade diese ihre Einlagerung in die späteren Weltalter ist ein wichtiges geistesgeschichtliches Problem. Die Anwesenheit der historischen Vernunft neben der reinen und gläubigen macht die Geisteswelt der Vollkultur, Weltkultur und Zivilisation geschichtlich in fatalem Sinn. Die Verewigung der Welt in der Antike, ihre Verzeitlichung in der christlichen Welt und ihre neue Verewigung

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in der Neuzeit, können nicht zugleich wahr sein. Zur Rettung der reinen Vernunft muß die geschichtliche Bedingtheit der Geistzeitalter und ihrer Geisteswelten aufgeklärt werden, müssen die Irrtümer der historischen Vernunft in concreto aufgedeckt werden. So wie die Weltalter durch die Gesetzesformen bestimmt sind, so ist auch ihre genauere Periodisierung nach Geistzeitaltern, die immer eine ganze Philosophieperiode hervorgebracht haben, durch die Überschneidung der Rechtswerte der verschiedenen Lebensmächte bestimmt. Wir haben schon die dialektische Verknüpfung der Zeitdeutungen, Zeitgesetze und Geisteswelten nach der Dringlichkeit der besonderen Wertverwirklichung geschildert, wie immer die Zeitnot gewendet werden sollte durch ein neues Gesetz. Wir können zwar die Geisteswelten nicht a priori deduzieren, aber wir können bleibende Regeln des historischen Vernunftgebrauchs beobachten und nach ihnen den Aufbau der Geisteswelten schildern.

II. ZEITALTER UND GEISTESWELTEN 1. Z e i t a l t e r der philosophischen Vernunft a) Griechentum Was alles gehort zur griechischen Geisteswelt und was macht ihre sich wandelnde und doch offensichtliche Einheit aus ? DaB Homer und Hesiod den Griechen ihre Gotter, ihre poetische Theologie geschaffen haben, haben zornig auch die Schopfer der natiirlichen Theologie anerkennen miissen. Mit dem Hohn liber die Gotterbilder der Dichter beginnt bei Xenophanes und Heraklit die Philosophie und Platon hat sie aus seiner Verfassung verweisen wollen. Es ist nicht gelungen. Aber dennoch hat sich das Wunder ereignet, daB die natiirliche Theologie, Sitten- und Rechtslehre sich neben die Poesie stellen konnte und schlieBlich als Kosmopolitik die Weltgeschichte durch ein neues Geistzeitalter bestimmt hat. Es blieb bei der Bestixnmung der griechischen Geisteswelt durch Homer, durch die Theologie der Polis, aber sie erweiterte sich unermeBhch durch die Philosophie Platons und die Wissenschaft des Aristoteles und verbreitete sich in den Stadten der hellenistischen Oikumene. Die Dichter und die Philosophen, die Rhetoren, Historiker und Forscher gehoren zusammen. Sie sind die verschiedenen Stande der Geistigen, ja noch der Bestand unserer t)berlieferung ist fast genau die Bibel der gesamten griechischen Geistesgeschichte. Man muB nur sehen, daB die Bestimmung der Offentlichkeit sich gleichlaufend mit der Geistesentwicklung gewandelt hat, daB der Nomos der Polis durch die Philosphen zum Nomos der Kosmopolis geworden ist. Homer ist poietischer Theologe, aber seine Theologie ist die der Polis, der ersten gemeinsamen Geisteswelt der Stadtebiindnisse in ihrer Glanzzeit, des ersten Zeitalters der politischen Freiheit. Wie aber kam es zum Stadtstaat der Aristoi und des Demos, zu diesem Kunstwerk einer freien Verfassung, das die Grundlage der ganzen griechischen Geisteswelt ist ? Man wird ein halbes Dutzend von Bedingungen aufzahlen miissen, durch die es sich fiigen koxmte. Voran steht die Seefahrt im ostlichen und westlichen Mittelmeer, die Beriihrung mit den vorderasiatischen und afrikanischen Hochkulturen. Kreta und Troja, Mykena und Argos ubernehmen das bereitliegende Zivili-

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Griechentum

sationsgut. Die Zersplitterung des Königtums der Eroberer in der ägäischen Insel- und Halbinselwelt und die entsprechende Zersplitterung der Orakelstätten und Städtebündnisse bedingt geographisch die Schwäche des Königtums und Priestertums. So hat der Adel als Stadtpatriziat freie Bahn zu seinen Unternehmungen des Seehandels und immer neuer Städtegründungen. Die Zivilisation wird zur herrschenden Lebensform im Mittelmeer inmitten einer Reichtum und Sklaven liefernden weit unterlegenen Umwelt. Die glanzvolle Ausbreitung der Polis ermöglicht ihre innere Neugestaltung und die freie Verfassung der Aristoi zusammen mit den Handwerkern und Bauern, auf die sie ebenso angewiesen sind wie auf die Sklaven aus ihrem Kolonisationsgebiet. Die Kämpfe um eine Verfassung der Berufsgruppen des Stadtstaats rufen die Aisymneten auf den Plan, die Stadtführer und Gesetzgeber in der Zeitunordnung, Solon und die sieben Weisen, aber auch die Tyrannen und Demagogen unter den zum ersten Male zu einer herrscherlichen, außenpolitischen Aufgabe gerufenen Stadtbürgern der Versammlung des Markts. In diesen Verfassungskämpfen ist die Sprache der politischen Freiheit und der Herrschaftsformen geschaffen worden, die Benennung der Monarchen, Despoten, Kyrioi, Tyrannen, Aristokraten, Oligarchen, Demokraten, Demagogen, Ochlokraten, die sich so leicht nach der Unterscheidung der guten und schlechten Herrschaft des Einen, Einzelner und Vieler systematisieren ließ und noch bis Hegel das Geheimnis der Regimentsformen blieb, nur ergänzt durch das Regimen mixtum und die Typen der Regierungsmischungen bei Aristoteles. Die Lehre von den Herrschaftsformen ist die erste Formenlehre überhaupt geworden. Wir können die Gesellschaftsordnung der Polis nicht besser als ein Ringen um das innerpolitische Gleichgewicht des Adels und Volks, des Alleinherrschers oder der Oligarchenbünde, um die Eingliederung der freien Berufsstände einschließlich der Bauern betrachten. Es gibt viele Freie und sie sind die Herrscher einer reichen Zivilisation als Politeia, Civilitas, als staatliche Bürgerschaft unter der Führung der auf das Gemeinwohl sinnenden Gesetzgeber und Gesetzdenker. Die Weisen sind jene Gesetzgeber, die an die Eunomie in der Dysnomie, an die richtige Verfassung in den Verfassungskämpfen denken. Politeia als Bürgerschaft, Verwaltung, Verfassung und Staatsform wird gleichbedeutend mit GESETZ, Nomos als Einheit der Nomoi. Einst schloß der König der Götter nach seinem Sieg über die Titanen die Ehe mit Themis, aus der Dike, Eirene und Eunomie entsprangen

Bedeutung der Polis

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(Hesiod, Theog. 901). Jetzt verändert Solon selbst kraft des Nomos Gewalt und Macht (fr. 24). Für Pindar wird der Nomos selbst zum König der Sterblichen und Unsterblichen; für Herodot zum Abbild des Kosmos, für Heraklit zu dem des Logos oder gemeinsamen Nous (fr. 114). Damit ist die Sprache der Philosophie gefunden. Die Entdeckung des Verfassungs- und Gesetzbegriffes und damit des Gesellschaftsbildes ist der eigentliche Ursprung der griechischen Philosophie aus der politischen Freiheit. Die Gesellschaft heißt Eunomie nach der Dysnomie kraft der Kenntnis der richtigen Gesetze aus eigenem Geist. Herodot sieht schon die Nomoi der Völker nach ihrem verschiedenen Geiste. Durch die Aufgabe, das richtige Gesetz zu schaffen, entsteht die Philosophie als politische und praktische Philosophie und damit der Stand der Weisen mit ihrem Ahnherrn Prometheus, dem „Sophisten". Freilich kann jeder nur aus eigenem Geist Autorität sein. Sie nennen sich selbst zuerst Aisymneten, aequitatis memores, buchstäblich Gesetzdenker, sind Kampfrichter und Schiedsrichter. Sie kämpfen gegen das alte Gesetz der Tyrannen, Oligarchen und Demagogen und leugnen, daß es das heilige Gesetz sei. Das neue Gesetz heißt Dike, Dikaiosyne ist der Gehorsam gegen das neue Polis-Gesetz. Themis ist der alte Gesetzesbegriff der Könige. Bei Solon ist das neue Gesetz die Einheit der Rechte seiner Verfassung und zugleich schon Notwendigkeit des Gesellschaftsverlaufs selber. Die Verletzung der Dike stört die ganze Gesellschaftsordnung: Aus der Wolke kommt Sturm und Hagel, nach dem Blitz folgt notwendig der Donner und durch zu mächtige Männer geht die Stadt zugrunde, der Demos kommt in die Hände eines Alleinherrschers (fr. 10). Die Naturnotwendigkeit im einzelnen ist Bild der gesellschaftlichen Notwendigkeit und bald wird umgekehrt die gesellschaftliche Notwendigkeit Bild für die Naturnotwendigkeit im ganzen, schon bei Anaximander. Die Moira ist nicht mehr ein undurchdringliches Schicksal, „das Unheil springt über die Hofmauer durch die Rechtsverletzung". Die Einsicht in die Notwendigkeit des Gesellschaftsverlaufs setzt das Spannungsbewußtsein der Gesellschaft durch die Ungleichheit der Stände und die Gleichgewichtsstörungen durch zu mächtige und ungerechte Adelsgeschlechter voraus. Dem Adel stehen die Handwerker und Bauern als Demos gegenüber, das alte Königstum ist schon abgelöst durch die Tyrannis, wenn ein Adelsgeschlecht sich mit Hilfe des Demos zum Herrn über beide erhebt. Die drei ungerechten Ständegruppen, Tyrannen und ihr Anhang, Oligarchen und Ochlokraten, sind die Träger der Dysnomie, des bloßen

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Herrschaftsgefüges, des labilen status rei publicae. Es bestimmt das Gesellschaftsbild, daß mit Ausnahme Spartas das Königstum jetzt schon ohnmächtig ist wie das Priestertum, daß statt der Autoritäten des herkömmlichen Rechts jetzt die neuen Gesetzdenker eine neue Verfassung, ein neues Gesetz schaffen können. Die solonische Verfassung mit der Schuldenabschüttlung ist die erste Entscheidung durch den Nomarchen, den gesetzlichen Herrscher, aber die Spannungen bleiben die gleichen, bis Piaton in unvergleichlicher Klarheit und Schärfe die soziologischen und psychologischen Notwendigkeiten des Gesellschaftsablaufs im 8. Buche seiner Politeia schildert: Geistherrschaft wird durch Adelsherrschaft, die Timokratie, die Herrschaft der Ehre und Macht durch Oligarchie als Geldherrschaft, die Demokratie mit der Scheinfreiheit durch die Tyrannis mit der Scheingleichheit abgelöst. Nun sind die typischen Lebensmächte in der Zeitbedingtheit der Polis erfaßt. Neben dem wahren Politikos sind die Ehrgeizigen und Geldgierigen, die Unbeherrschten und Usurpatoren in unvergänglichen Charakterbildern geschildert. Jetzt wird die Menschenlehre von den Seelenteilen des Logischen, des Ehrsüchtigen und Muthaften und des Begehrlichen zur wesensgesetzlichen Begründung der Charakterscheidung herangeholt, aber dazwischen hat sich erst die Begründung des natürlichen Rechts der Dike auf das Naturgesetz des Kosmos abgespielt. Zwei unvergängliche geistige und weltgeschichtliche Ereignisse sind mit dieser Bewußtmachung des Gesellschaftsbildes eingetreten: die Schöpfung der philosophischen Politik, der Gnomosyne, und der politischen Philosophie durch das Auftreten der Gesetzdenker. Die politische Freiheit hat zur Verantwortung für die Gesellschaftsordnung aus der Kenntnis des vorliegenden Gesellschaftsverlaufs geführt, neben die Dichter als Künder der ständischen Lebensordnung des Adels und der Bauern und neben die Staatsmänner des Stadtstaates sind die Weisen, ein neuer Stand der Geistigen, getreten, dem „sein eigener Geist gebietet, den Athenern das Rechte zu sagen". Die Entdeckung des regelmäßigen Gesellschaftsverlaufes und damit der Verantwortung für die politische Freiheit ist überschattet durch die ungebrochene Macht des Verhängnisses und der Verblendung; dennoch wandelt sich die Moira zur Dike als strenger Göttin der Notwendigkeit, weil das Ethos der Besten in der idealen Lebensordnung trotz der Zeitunordnung einen neuen Lebenssinn gefunden hat. Die Weisen als dritte Gruppe der Geistigen neben den Dichtern und Staatsmännern sprechen zum erstenmal eine Ethik für alle Stände aus, für das Zusammenleben aller Berufe. Der Mangel einer priesterlichen

Drei Theologien

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Religionslehre bleibt in der Zersplitterung der Stadtstaaten spürbar bis zu Homer und Hesiod, und das ist der tiefere Grund, warum Herodot sagen konnte, die Dichter hätten den Griechen ihre Götter geschaffen. Hier gibt es eine rein poietische Theologie durch diese ausgezeichnete Stellung der Dichter, nicht nur durch die Vermenschlichung der Götter und die Vergöttlichung der Heroen und Lebensmächte im Mythos; es gibt auch eine politische Theologie, seit es die Polis gibt, seit das Recht der Könige von dem der Stadtgötter und Stadtgöttinnen abgelöst wurde. Nun aber beginnt die ursprüngliche, vernünftige Theologie, zuerst durch die Ethik und dann durch die Naturgesetzlehre. Wenn die entscheidende Fassung der Odyssee um 650 und nicht erst um 550 anzusetzen ist, ist die ethische Idee der Selbstverblendung durch die Hybris neben der gottgesendeten Ate des unverschuldeten oder für das Geschlecht sühnenden Schicksals schon vorsolonisch. Wenn nun die menschliche Verantwortung für die ganze Stadtgemeinschaft durch die Einsicht in den Gesellschaftsverlauf so sehr gesteigert ist, wird die unermeßlich folgenreiche Begründung des ethischen Monotheismus durch Xenophanes (560 bis 470) erst verständlich. Nicht mehr Zurückspiegelung der Monarchie ins Göttliche, keine Göttergenealogien, keine Titanenkämpfe! Der Weise dient der Eunomie der Stadt, noch über Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit steigt die Weisheit auf, die geistige Bildung, die Geistestugend. „Selig, wer einen Schatz des göttlichen Geistes sich erworben, elend, wer noch im finsteren Wahn der Götter befangen." Gott ist ewig, ungeworden, unvergänglich, unwandelbar! „Ein Gott ist, ganz Aug, ganz Ohr, ganz Gedanke sein Wesen. Mühelos, ohne Bewegung, schwingt er das All mit seines Geistes Kraft. Nicht hat Gott einen menschlichen Leib, sondern heiliger Geist nur ist er." So hat ein Dichter die mythologische Theologie überwunden, weil er durch den Weisen das ewige sittliche Gesetz der ewigen Dike kennengelernt hat, das zugleich das Richtmaß des zeitlichen sein muß. Noch gibt es eine politische Ethik für die einzelnen Stände, aber schon ist die natürliche Ethik für Alle durch die Idee des ewigen Gottes und der ewigen Gerechtigkeit gefunden. Es dauert noch sehr lange, bis Sokrates neben die Adels- und Bauernethik die des Handwerkers aus seinem Leistungswissen entwickelt und auf die Staatsethik überträgt. Wenn er Gott zum Hauswalter und Werkmeister der Welt macht, hat ihn noch die alte Standesethik und auch schon die neue der Stadtstaatsgerechtigkeit bestimmt. Leider fehlt uns gerade die Fassung der demokratischen Ethik und Gesellschaftslehre neben drei charakteristisch aristokratischen

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Geschichtsphilosophien. Wir kennen nur ihr Schlagwort, Isonomie, die Rechtsgleichheit, und daraus müssen wir sie entwickeln und ergänzen. Nachdem durch Solon die im Gesellschaftsverlauf selber liegende Notwendigkeit des Übergangs von der Dysnomie zur Eunomie und damit die herrliche Freiheit der Verantwortung der Geistigen erkannt war, büeb noch die schwere Sorge, daß doch die ewige Ate mitwirken werde. So wird die Eunomie wieder in Dysnomie umgeschlagen. Mußten da nicht die Unteren, die Nichtzufriedenen, die Unterdrückten der Tyrannis, die Freiheit ohne eigene Tat, den natürlichen Umschwung erwarten ? Vielleicht ist es so, daß nach 546, nach der Niederlage der kleinasiatischen Griechen, die Unterworfenen von der notwendigen Schicksalswende wieder ihren Aufstieg erhofften (Rüstow). Jedenfalls ist die milesische Naturphilosophie von Unterdrückten entworfen. Die demokratische Opposition versucht, die Notwendigkeit des Geschichtsund Gesellschaftsverlaufs zu verstehen; die geheimnisvollen Worte des Anaximander bezeugen es: „Woraus den Seienden ihr Ursprung ist, dahin muß auch ihr Untergang sein nach der Schicksalsbestimmung, denn es muß eines dem anderen Strafe und Buße zahlen nach dem Richterspruch der Zeit". Statt einer Theogonie aus dem Chaos ist eine Kosmogonie aus dem Ungestalteten gedacht, Wiedergeburt der ewigen Dike im zeitlichen Gesellschaftsverlauf. „Wir sehen eine ionische Polis vor uns", sagt Werner Jäger zur Erklärung des Satzes, „auf dem Markte wird Recht gesprochen. Die Zeit, Chronos statt Kronos, sitzt auf dem Richterstuhl und niemand kann ihrem Arm entgehen. Die Aristokraten müssen den Demokraten Strafe und Buße bezahlen, das politische Ressentiment, die Schadenfreude der Unterdrückten ist nicht zu überhören." Auch die Welt ist eine Rechtsgemeinschaft von Dingen, der ordo rerum ist dem ordo legum nachgedacht. Das Naturrecht ist Vorbild des Naturgesetzes, der schwächere wird durch den Wandel der Zeit wieder obenaufkommen, das ist Isonomie. Wie aus dem Chaos einst die Geburt der Götter erfolgte, so folgt nun aus dem Apeiron, dem Unerschöpflichen, dem noch Unbegrenzten, die Geburt der Welt. Ist gar auch bei Thaies das Wasser nicht ariston, das Beste, sondern aoriston, das Unbegrenzte? Der ungeformte Urstoff formt sich bald zu den Elementen und die Elemente kehren in den Urstoff zurück. Unter der Vergänglichkeit der Herrschaftsformen leidet das Volk, die ungeformte Masse. Unter den Elementen Hegt der Urstoff, über der Vergänglichkeit der Herrschaftsformen steht die Unvergänglichkeit der Zeitordnung der ewigen Dike, über der Vergänglichkeit der Elementformen steht die Unvergänglichkeit der Weltzeit. Auch die Oppo-

Vorsokratiker

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sition erkennt das Bildungsgesetz der Polis an. Aus ihm stammt die Ewigkeit der Welt. Auch die Kosmologien, die solange der Anfang der Philosophie zu sein schienen, sind zunächst Soziologie. Anerkennung der Polis-Ordnung und Verzweiflung an der politischen Freiheit sind seltsam in dieser Begründung des Naturrechts der Schwächeren durch das kosmische Naturgesetz gemischt. Aber es gibt Denker, die nicht an der eigenen politischen Tat verzweifeln und nicht den Umschwung vom Wechselgesetz erwarten. Und so ist die erste Antwort auf die demokratische Soziologie und Kosmologie von dem Aristokraten Pythagoras gegeben worden. Er kennt das von den Milesiern aus ihrer Berührung mit der östlichen Zivilisation zum Gebrauch der Seefahrt übernommene mathematische, astronomische und geographische Wissen, das geozentrische Weltbild des Anaximander. Er flieht vor dem Tyrannen seiner Heimat, Polykrates, fühlt sich aber niemals in Unteritalien heimisch, ebensowenig wie Xenophanes und Empedokles. Er antwortet auf die die Seele zu Luft oder Pneuma machende Kosmologie der Milesier mit dem orphischen Satz: „Auch ich bin göttlichen Geschlechts", mit der Lehre von der Ewigkeit der Seele. So muß man jetzt schon sagen statt Unsterblichkeit! Nur durch kultische und sittliche Schuld des falschen Götterglaubens wird die Seele der irdischen Wanderung unterworfen, ihre wahre Heimat hat sie im Überirdischen. Pythagoras stellt dem Apeiron Apollon, das Nichtviele gegenüber, die Monas, die ewige Eins, den geistigen Gott, wie Xenophanes. Er faßt die Götter als die übrigen kosmologischen Mächte der zahlenbestimmten Weltgesetzlichkeit. Er stellt also dem Urstoff die Urform gegenüber, die so ewig gültig und mächtig ist wie ein Lehrsatz der Geometrie. Und wie die Milesier den revolutionären Kern ihrer Kosmologie verschwiegen haben, so weiht auch er nur seine Jüngerschaft in die Geheimlehre ein, um mit einer geistesaristokratischen Gefolgschaft die religiöse, geistige und politische Reform im Kampf gegen Tyrannen und Demos zum bleibenden Sieg zu führen. So wenig wir bei dieser Sachlage von seiner ursprünglichen Geheimlehre wissen können, so klar ist seine Lehre vom ewigen Formgesetz, dem ewigen Gott, der ewigen Seele und der ewigen Weltordnung in diesem Zusammenhang. Ihm und den Milesiern antwortet Heraklit: Bei ihm endlich finden wir trotz der fragmentarischen Überlieferung Antwort auf alle Fragen, wenn wir nur richtig fragen. Er ist ein schroffer Antidemokrat, er glaubt an die Geisteskraft, die nicht bloß Vielwisserei ist, er stürzt den Tyrannen seiner Stadt Ephesus, „weil ein Mann für Zehntausende stehen kann". Der muß nur wachen Geistes sein und nicht schlafend,

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wie die gewöhnlichen Menschen, die Herdentiere. Der Logos politicos des Heraklit, seine philosophische Politik, ist das Erste. Er bestimmt den Logos theologicos, die unerbittliche Religionskritik dieses Priesterkönigs, aber beide haben sich nach dem Logos physicos, der Naturlehre zu richten, nach dem einen göttlichen Gesetz, das ist aber nun das ewige Weltgesetz. Leider verbiegt der Zorn des Antithetikers seine „gemeinsame Vernunft" ins Historische. Nirgends so tragisch wie hier! Er sah schon die mögliche Herrschaft der Vernunft in der Gesellschaft, gerade sofern sie nicht seine Vernunft war, sondern die mit dem wahren Gesetz der Stadt und mit dem ewigen Weltgesetz übereinstimmende. Er sah den nach dem richtigen Nomos und ewigen Logos gereinigten menschlichen Logos. Aber er zog sich aus dem politischen Leben zurück, weil ihm die Erforschung seiner selbst und des eigenen Wesensgesetzes das Höchste war. Er war weniger geistesstark als Pythagoras, der trotz der Möglichkeit des Scheiterns in der Gewißheit ewigen Lebens stand. Wahrhaftig, „das Ethos ist des Menschen Daimon!" Aber schon der mögliche Vorrang des Geistes und der Geistigen in der Stadt stieß auch ihn auf die Seite des Urgesetzes statt des Urgrunds. Das ewige Eine ist Logos, Naturgesetz, über und in dem Urfeuer. „Eins, das allein Weise, will und will nicht Zeus genannt werden." Das Schwanken zwischen dem persönlichen und unpersönlichen Urgesetz wird entschieden durch den Gedanken des göttlichen Nomos, der zugleich der göttliche Logos ist. Die brennende Zeitfrage der Verewigimg der Notwendigkeit im Geschichts- und Weltlauf stellt die Dike über Zeus. Die Weltordnung des Werdens ist zwar gegen die Milesier nicht hylozoistisch als Formung und Entformung des Weltstoffs zu sehen, das schaffende Feuer ist nur der Name für die erste sichtbare Gestalt der Weltseele, in der das Weise, die Weisheit, das Gesetz der ewigen Wiederkehr des Gleichen wirkt. Denn in ihr sind die Spannungsgegensätze der Entfaltung und Einfaltung der Kosmosbildung, des Kosmosverfalls, verbunden. In ihr ist der Gegensatz von Gott und Welt, Leben und Tod, Tag und Nacht vereinigt. Der Krieg ist der Vater von allem, der König von allem, die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen, die einen macht er zum Sklaven, die anderen zu Freien. Die sichtbare Harmonie des Ausgleichs von Oben und Unten in der Stadt ist nicht so stark wie die unsichtbare Harmonie, die verborgene Ordnungskraft in der Seele im eingefalteten Zustand. Unsichtbar wohnt in der Seele der ewige Logos, wie das zeitliche Gesetz im ewigen Nomos ruht und sich von ihm nährt. Nur das Gesetz des Werdens ist ewig, das Entfaltete und Gestaltete ist schon der Tod und damit auf dem Weg nach unten zur neuen Einfaltung.

Heraklit und Parmenides

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Es ist wieder nur Symbol und Analogie, wenn nach dem ewigen Weg von oben nach unten Feuer, Luft, Wasser, Erde, die sich je Leben und Tod sind und sich Buße und Strafe bezahlen, der Weg der Seele zum Trockenen und Feuer als Leben und zum Feuchten und Wasser als Tod bezeichnet wird. „Der Seele Grenzen wirst du nicht ausfindig machen, soweit du gehen magst, so tiefen Logos", so tiefes Wesensgesetz hat sie. Letztlich entscheidet die Selbsterfahrung, die verborgene Menschengesetzlichkeit, die Hin- und Rückübertragung des verborgenen menschlichen Seelengesetzes auf die ewige Weltseele und ihren Leib, das schöpferische Feuer. Der Gegensatz zwischen dem wachen gemeinsamen und dem schlafenden unbewußten Vernunftgesetz der Seele ist auf den schaffenden Weltgrund übertragen, heißt auch dort Logos und Psyche. Wir wissen nicht immer, ob in den Fragmenten die Weltseele oder die Einzelseele gemeint ist, aber es ergibt sich aus dem System, daß der ewigen Weltseele auch eine ewige Menschenseele entspricht, für die Leben im Leibe Entfaltung ist und der Tod Eingang in den unentfalteten Zustand. Und jetzt erst, von dieser logopsychischen Gegensatzeinheit aus, die mit Feuer und Pneuma, Dunst, Blutwasser und Erde sich den Leib baut, wird das Werk der Weltseele im Sichtbaren, im Kosmos nach dem Entsprechungssystem klar. Der Geist-Seele-Gegensatz in der ewigen Weltseele wie in der ewigen Einzelseele entspricht der ewigen Polisordnung. So steht dieses System zwischen dem Hylozoismus der Milesier und dem Noopsychismus des Pythagoras als Logopsychismus.

Dem Heraklit antwortet Parmenides in der italischen Welt mit einem unbedingten Noologismus, mit der Einheitslehre des rein geistigen Seins. Streng aristokratisch steht er in der Polis, sein noch radikalerer Schüler Zenon wird dem Tyrannen statt zu gestehen die abgebissene Zunge ins Gesicht spucken! Aber größer noch als die politische Leidenschaft ist die denkerische. Die triumphierende Denknotwendigkeit ist Bestätigung der Moira, Dike und Ananke des ewigen, reinen Weltgeistes. Nur das Seiende ist, das Nichtseiende ist nicht. Das Seiende kann nicht nicht sein, das Nichtseiende kann nicht sein. Aus Nichts wird Nichts, so gibt es überhaupt kein Werden und nur das ruhende Geistsein ist ewig. Die Ewigkeit selbst als stehende Gegenwart ohne Vergangenheit und Zukunft ist die unwandelbare Einheit. Auch für Parmenides hat wie für Heraklit kein Gott und kein Mensch die ewige Welt geschaffen, denn „wer hätte das Sein nötigen können, aus dem Nichts zu entstehen ?" Bestehend ist es unbedingt oder gar nicht, es ist einig und einzig, es gibt nichts neben ihm. Vor allem nicht den milesischen Urstoff und kein heraklitisches, von der Dike in Fesseln geschlagenes Werden und Vergehen, kein Urgesetz des Wandelbaren. Das Seiende ist überall gleich, unteilbar, allgegenwärtig, unbedingt, unveränderlich und ohne Anfang und Ende ewig. Das Sein ist der Weltgeist selber, denn es ist des Gedankens Inhalt und Urgrund. Denken und Sichdenkenlassen sind dasselbe. Die

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Denkgesetzlichkeit selbst ist die Weltgesetzlichkeit, das Eine ist das All. Und der Einzelgeist ? Ist auch er nur Name, wie die vielen scheinbar werdenden und vergehenden Dinge, die die Sterblichen im Wahn, in der Illusion einer wandelbaren Welt ihnen geben ? Wir kennen solche Geist-Monismen sehr viel genauer aus Indien, mitsamt ihren Forderungen für die Befreiung des reinen Geistes aus dem Werden und Vergehen. Aber hier in der griechischen Geisteswelt ist noch kein Platz für Mystik, denn selbst Pythagoras und Empedokles bleiben Politiker und so kann Parmenides und seine Schule nur dialektisch, im Streitgespräch, die Unmöglichkeit des Werdens und Vergehens beweisen, er muß auf der einen Geistgesetzlichkeit nach der einen verborgenen Menschengesetzlichkeit, nämlich der Denkgesetzlichkeit, bestehen.

Ihm mußte der Arzt Diogenes von Apollonia eine andere einzige Menschen- und Weltgesetzlichkeit entgegenstellen, die Physiologie, die ewige Naturgesetzlichkeit des Lebensgrundes, dessen Träger das Pneuma als Lebenshauch und Luft-Medium zur äußeren Gestaltung des Menschen und der Welt ist. Und zuletzt muß dann durch Demokrit dem Stoff selbst seine eigene ewige Gestalthaftigkeit verliehen werden. Die unteilbaren Teilchen, die Atome der Dinge sind ewig gestalthaft und nur ihre mechanische Verbindung und Trennung durch Bewegung im Raum ergibt die Veränderungen des sichtbaren Kosmos. Damit ist der Weg der typischen Weltbilder nach den vier Lebensgesetzlichkeiten des Menschen selber vollendet. Was für sonderbare Dinge sind nun in die griechische Geisteswelt eingeführt mitsamt den dazugehörigen Namen! Wie viele Worte haben durch neu entworfene Sachen eine neue Bedeutung erhalten ! Die Sprache der Philosophen ist mit der neuen Geisteswelt geschaffen ! Der wichtigste Begriff ist das Gesetz selber mit vielen alten und neuen Namen, Nomos, Logos, Zeus, Dike, Themis, Moira, Ananke, die alle in Gebrauch bleiben, aber neu bestimmt werden. Seine Ewigkeit als Naturgesetz ist zudem je nach der vermeintlichen Gesetzlichkeit des Gesellschaftsverlaufs monarchisch, aristokratisch oder demokratisch verstanden. Es wird nach diesem heroischen Zeitalter der Schöpfung der griechischen Geisteswelt noch viel genauer als Naturrecht und Satzimg, als Gesetz aus Geist, Macht, Geld, Scheinfreiheit und Scheingleichheit bestimmt werden. Diese gegliederte Auffassung des Naturrechts und Gesellschaftsverlaufs steht in strenger Entsprechung zum Naturgrund, zur Arch6 als dem Gegenbegriff des Urgesetzes. Beide werden nun verewigt aus der Frage nach der Notwendigkeit hinter dem menschlichen Gesetz.

Der Gesetzesbegriff

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Archd ist auch der ewige Gott. Aber wie das Gesellschaftsgesetz verborgen in der Polis und ihrer Eunomie wirkt, so wirken auch die verschiedenen Naturgesetze im Kosmos, im ewigen Kosmos des ewigen Gesetzes. Die ewige Welt ist erdacht! Arch6 ist auch die Hyle, Holz und Stoff, Leben und Hauch, Feuer, Luft, Wasser, Erde, auch Weltseele und Weltgeist. Arch6 ist die Eins und das Eine, monas und hen, das Ganze und das Seiende, on. Weil man das Urgesetz und den Urgrund in ihrem Zusammenwirken verstehen muß, wird unwillkürlich die verborgene Menschengesetzlichkeit zum Vorbild für die Wirkung des Urgesetzes, des Weltgeistes oder der Weltseele im Weltleib, und darnach wiederum findet Pythagoras die ewige Geistseele, Heraklit die ewige Geistnatur, Diogenes die ewige Leibseele und Demokrit die ewigen Atome. Sicher bleibt vieles Vermutung in dieser Deutung des neuen Welt- und Menschenbildes der Griechen aus der ewigen Notwendigkeit des Gesellschaftsverlaufs. Aber gewiß ist das Leitmotiv, die Einwirkung des ewigen Naturrechts auf die Verewigung des Gottesbildes, Menschenbildes und Weltbildes. In das Gesellschaftsbild sind nun die Weisen, die Gesetzdenker, die geistigen Menschen eingegliedert, die Sophisten und Philosophen mit ihrer Aret6, mit ihrer Standespflicht, Gnomosyne und Sophia, Historia als Forschung und Wissen und mitsamt dem Selbstbewußtsein der Sendung, die Polis gerecht und vernünftig gestalten zu müssen. Noch sind die Formen dieser neuen freien Geisteswelt halb mythologisch, halb prosaisch und die neuen Dinge und Namen wirken neben den alten-Vergöttlichungen der Lebensmächte und Erscheinungen selber noch als halbgöttliche Mächte, die Philosophen stehen noch neben den Dichtern und Gesetzgebern. Diese heroische Geisteswelt bleibt von der solonischen Verfassung bis zum Ende des attischen Seereiches im wesentlichen unverändert. Von 600 bis 400 wächst zu diesen Schöpfertaten der Verewigung der Welt und Seele außer Ergänzungen der Grundsysteme durch Kombinationen wie bei Anaxagoras und Empedokles und der Einwirkung der Philosophie auf die entstehenden Wissenschaften der Astronomie, Geographie, Geschichte, Mathematik, Technik und vor allem der Medizin nichts Wesentliches hinzu. Allerdings hat jetzt die Ethik in der Poesie ein wunderbares Mittel der Reinigung der Herzen gefunden: die Tragödie. Die Philosophen sind noch eine Reihe von Einzelgängern; die Geistigen sind keine Schule, nur die Pythagoräer haben durch ihren Geheimbund die Lehre des Meisters wissenschaftlich fortbilden können. Erst mit der Höhe des attischen Seereiches, dem Athen des Perikles, tritt das eigene Wachstum des Geistesreichs der Philosophie in seine

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Krisis. Das Nebeneinander und Gegeneinander der Denker wird spürbar, die Skepsis mit ihren Widersprüchen beginnt und der praktische Verstand, gerüstet durch die neuen Wissenschaften, gründet die Paideia, das praktische Bildungswissen. Die Rhetoren als Machtkritiker denken noch einmal die Gesetze des menschlichen Zusammenlebens der Polis durch. Wir können noch sehr deutlich den Zusammenhang des neuen Naturrechts der Zeit mit der Gesellschaftsgliederung sehen. Die Demokraten entwickeln jetzt das Naturrecht des Rechtsgefühls und Schamgefühls einer fortschrittlichen Rechtsfindung gegenüber der alten Satzung, das, was der gemeinsamen, sittlich guten Menschennatur entspricht, nicht dem beruflichen Rechtsdenken. Die Oligarchen unter den dreißig Tyrannen stellen ihnen das Faust-Naturrecht der Stärkeren gegenüber, die die Schwächeren mit Gewalt und List und besonders durch die Erfindung der Religion zur Bindung der Gewissen in die Staatsordnung zwingen. Isonomie und Heteronomie sind wieder miteinander im Kampfe. Neu ist aber jetzt das Auftreten von Kosmopoliten des Naturrechts, die dem erweiterten Gesichtskreis entsprechend die Nomoi der Völker nach ihrer Sophia, die Gesetze nach ihrem Geist in der Vielfalt sehen und dahinter das eine Naturrecht für alle Völker in der Hegemonie des Seereiches suchen. „Wir haben in jeder Beziehung die gleichen Naturgesetze, Griechen und Barbaren. Alle haben die gleichen Bedürfnisse, wir atmen alle die gleiche Luft durch Mund und Nase. Wir essen alle mit den Händen." Die Legalität muß durch die Moralität ergänzt werden, die wahre Norm der Natur kann auch ohne Zeugen nicht ungestraft außer acht gelassen werden. Nacheinander hat die Staatsethik der Demokraten und der Oligarchen im Staatsstreich von 403 den Staat selber beeinflußt, leider aber hat das neue Völkerrecht des Antiphon nicht die Seereichspolitik bestimmt, und eben diese Staatskrisis nach dem peloponnesischen Krieg sollte nochmals durch die geistesaristokratische Politik des Sokrates, Piaton und Aristoteles gelöst werden. Das letzte Jahrhundert der griechischen Geisteswelt, bevor sie Alexander zum Hellenismus macht, ist zugleich die Höhe und vorläufige Ohnmacht der wahrhaft Geistigen neben den Politikern und Rhetoren. Die zweihundertjährige politische Freiheit, die sich gegen die Großreiche zu halten vermochte und beinahe ein Seereich des ganzen Mittelmeeres erreicht hätte, ist mitsamt ihrer Peripetie eine unvergleichliche Erfahrung geschichtlicher Wandlungen. Wenn jetzt die Gesetzesdenker nochmals ansetzen, um das wahre Gesellschaftsbild inmitten der gesellschaftlichen Spannungen und Störungen zu verkünden, dann sind sie nicht mehr naive Geschichts-

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philosophen, die nach einer Gesetzmäßigkeit die ganze Welt und Lebensordnung deuten, sie sind nicht mehr parteiische Naturrechtslehrer, sondern stehen schon durch ihre geschichtliche Erfahrung und menschliche Weite hoch über den streitenden Parteien. Ihre Menschlichkeit selber ist nun so entscheidend, daß ihre Menschenbilder sich nur noch nach dem persönlichen Charakter unterscheiden. Die bewußte Menschenlehre ist jetzt der Ausgangspunkt für das umfassende Gesellschaftsbild aller Berufe, die das Ganze tragen, und aller Gruppen, die mit ihren Interessen das Ganze stören. Die historische Vernunft der drei Heroen ist nicht mehr an einen Stand gebunden und darum hören die groben Gesellschafts- und Weltbild-Konstruktionen auf. Sie glauben aus der gereinigten Vernunft die volle Wahrheit über den Menschen und seine Gemeinschaft, über Gott und die Welt zu sehen. Der volle Reichtum der historischen Erfahrung und die vollkommene Menschlichkeit macht diese drei Heroen der reifen griechischen Geisteswelt zu bleibenden Lehrmeistern der ganzen Menschheit. Warum bleibt dennoch ihre theoretische und praktische Vernunft historisch gebunden? Das liegt an der schon vorliegenden Geisteswelt, obwohl ihre Gegensätze und Widersprüche nun durchschaut werden. Sokrates ist der nüchterne Handwerker, dem berufliche Sachverständigkeit Voraussetzung auch des staatsmännischen Handwerks ist, wofür ja das allgemeine Rechtsgefühl nicht genügt. Die Eunomie ist nur durch Eupraxie, das richtige Handeln, zu erreichen, die politische Freiheit nur durch die persönliche, willentliche Freiheit, die sittliche Beherrschung einer königlichen Seele. Nur die unbedingte Rechtlichkeit in allen Lagen kann dem Gemeinwohl dienen, wenn sie auf Schein, Selbstsucht und kindische Nahziele ironisch hinabsieht und sie mit den Mitteln der Komödie lächerlich macht. Sokrates ist Optimist aus der eigenen Seelenstärke, die der erkannten Wahrheit folgt, für die tatsächlich Wissen schon Tugend ist. Hieraus versteht er den Sinn der Natur, zuhöchst der Menschennatur. Nur wenn nach ihrem Sinn, dem sittlich-geistigen Leben gehandelt wird, ist in und aus allen Wirren doch der rechte Staat zu gewinnen. Der geistige Mensch muß auch den anderen helfen; Geburtshelfer ihrer eigenen sittlichen Freiheit sein, damit durch die Erziehung der Erwachsenen die Paideia, die richtige Politeia gewonnen wird. Das Gesellschaftsbild wandelt sich grundlegend, weil über den Spannungsgegensätzen die natürliche Einheit der Berufe nach der Gemeinsamkeit der Berufsaufgaben und des Leistungswissens gesehen ist. Wie die Bauhandwerker vom Architekten, die Rüstungshandwerker vom Feldherrn auf das eine Ziel ausgerichtet werden, so hat der oberste

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Werkmeister, der Demiurg, die Menschenseele als die „stärkste Seele" auf das Ziel der Gerechtigkeit hingeordnet, daß nämlich jeder das Seinige sachverständig tun kann. Die soziale Gerechtigkeit ist nicht Ausgleich der Güter, sondern Architektonik der Leistungen. Das Naturrecht ist nicht von der Gleichheit oder Ungleichheit aus zu denken, sondern von der Arbeitsteilung nach den Naturanlagen her. Das ungeschriebene Gesetz ist ewige Naturordnung der geistigen Seelen zum Guten, wie die Dienstbarkeit und Brauchbarkeit der Tiere und Pflanzen für den Menschen da ist und die der Organe im Menschen für sein geistiges Leben. Der rechtliche Mensch ist der Sinn des Staates, wie der natürliche Mensch der Gipfel der äußeren Natur ist. Das Heil der unsichtbaren und ewigen Seele, die früher und stärker ist als der Leib, wird dem alternden Menschen im Rückblick des Gewissens und im Vorblick auf die Vergeltung im Jenseits zum höchsten Anliegen. Es ist immer noch die politische Freiheit und soziale Gerechtigkeit, in der sich der sittliche Mensch hauptsächlich zu bewähren hat nach dem ungeschriebenen Gesetz, das die letzte Begründung durch den unsichtbaren Gott erhält. Von diesem neuen Gesellschafts- und Menschenbild aus ist auch das neue Gottesbild entworfen. Gott ist Gesetzgeber und Richter, der allwissend den wahren Seelenzustand kennt. Trotz der mythologischen Verhüllung zielt die Gewißheit des ewigen Seelenschicksals, mit der Sokrates in den Tod geht, auf den einen wahren Richter-Gott. Ihn hat er als neuen Gott eingeführt, nicht bloß das Daimonion, wenn er auch in seiner imbedingten Rechtlichkeit neben dem ungeschriebenen Gesetz die vaterländischen Satzungen gleichfalls samt den vaterländischen Göttern anerkennt. Nach Xenophon hat Sokrates offen den einen Gott der ganzen Natur gelehrt, den Oikonomos, den Hausvater und Hauswalter der Welt. Der moralische Gottesbegriff ist ergänzt durch den natürlichen. Gott setzt die Naturzwecke; er ist Architekt und Werkmeister der Weltordnung und aus dem Sinngefüge der Lebenspläne der Naturen zu erkennen. Wie die wunderbare Einrichtung des Auges dem Ziel des Sehens dient, so dient die Erkenntnis dem Ziel des guten und gerechten Lebens. Nur muß sich die stärkste Seele, die menschliche, selber in Freiheit zur königlichen Seele machen. Die Verbindung von Naturrecht und Naturpflicht der Auswirkung des sinnvollen Menschenlebens und des Naturgesetzes als Einrichtung aller Naturen zu diesem sinnvollen Ganzen führt nun auch über das Gottesbild des Hauswalters der Welt zu einem neuen Weltbild. Es beruht nicht mehr auf der Verständlichkeitsannahme der Weltordnung, wie bei den Vorsokratikern, sondern auf der Eupraxie, auf der Selbst-

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Verwirklichung der sinnvoll eingerichteten Natur durch die artgemäße Tauglichkeit, Tüchtigkeit und Tugend, die die allgemeine physische und ethische Sinngesetzlichkeit verrät. Natürlich bleibt die Welteinheit hier eine ewige, wie die Seelen und die Naturformen ewig sind. Piaton ist Dichter, zuerst Komödiendichter in den sokratischen Dialogen der Ironisierung der Unsachlichkeit im Staats- und Geistesleben, dann aber nach dem Tode des Sokrates Tragödiendichter des Schicksals der ewigen Seelen in diesem zeitlichen Leben. Der philosophische Glaube des Sokrates macht ihn, den Gemütsmenschen, zum Mystiker, der schließlich eher Pythagoräer als Sokratiker ist. Den Pythagoräern dankt Piaton seine gewaltige, streng geschlossene Systemkraft, die er freilich mit gedichteten Mythen, mit Gleichnissen des mythischen Aufstiegs der Seele in ihr verlorenes unsichtbares Reich und ihres Abstiegs in diese veränderliche Welt durch ganze Bücher hindurch festzuhalten vermag. Der Mensch als Höhlenbewohner im Aufstieg zum ewigen Licht, von den Schattenbildern über die Nachbilder zum Urbild, der Mensch als Künstler, Politiker und Philosoph in diesem Aufstieg, der Mensch als Wagenlenker mit zwei Rossen als Gleichnissen der zwei emotionalen Seelenteile unter dem führenden, der Mensch als Bild des Staates, dessen Verwirrungen die Vorherrschaft des führenden oder der anderen Seelenteile bestimmt, ja der Mensch als Bild des Kosmos selber durch seinen Geist, seine Seele und seinen Leib und nochmals der Mensch als Träger des abgleitenden Geschichtsverlaufs von der reinen Geistigkeit bis zum Getriebe der Triebe! Das sind die unvergänglichen Gleichnisse, mit denen Piaton sein Menschenbild umgibt. Er ist nicht mehr Optimist der natürlichen Sinngesetzlichkeit des Lebens und Staates. Die schöpferischen Berufsgemeinschaften der Sachlichkeit und Gerechtigkeit hat Sokrates neu gesehen, er sieht als heroischer Pessimist die Dysnomie der Gesellschaft und die Dysteleologie der Welt und glaubt doch an eine Theodicee. Der leidende Mensch bestimmt nun das ganze Denken. Die Eudämonie des Gemeinschaftslebens und die soziale Gerechtigkeit sind nur mehr das Hochziel dieses Lebens, der Höchstwert aber ist die Heimkehr der leidenden, ewigen Seele in ihre ewige Heimat. Das ist pythagoräisch. Das optimistische Gesellschaftsbild des Sokrates, die sinnvolle Einheit der Berufsgemeinschaften, wird ergänzt durch das mitleidende Verstehen ihrer Störungen durch Ehrgeiz und Erwerbsgier, durch falsche Freiheit und Scheingleichheit. Jetzt wird das ewige Urbild des wahren Staates so hoch erhoben, daß nicht mehr die Dichter und Politiker, nur mehr die Philosophen es schauen können. Nur im goldenen

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Zeitalter Urathens und unter den von Poseidon selber abstammenden Götterkönigen der Atlantis ist er einstens dagewesen. Sokrates sah das Gesellschaftsideal, für Piaton wird das dringlichste die Erklärung der Leiden der Zeit, der Absturz zur heillosen, verkehrten Bewegung im Staat und im All, die nur durch den heilenden Eingriff Gottes selber gewendet werden kann, wenn die Geistigen zur wahren Gerechtigkeit geschult sind. Die erlittene Erfahrung, daß man über den Philosophen als König lacht, daß man den einzig dazu berufenen Lehrer der wahren Gerechtigkeit und des wahren Gottes tötet, daß die Erziehimg begabter Könige zu ihrem wahren Beruf scheitert, hat Piaton schließlich zur Gründung einer pythagoräischen Schwurgemeinschaft der ergebenen Jünger gezwungen, die vereidigt wird auf das streng geistige Studium und den strengen Dienst an der Gerechtigkeit, vereidigt auf den allherrschenden Gott Kosmos und den Herrn und Meister dieses „Gottes in der Zeit", auf den ewigen Vater. Noch über die rechte Ständeordnung und Seelenordnung hinaus ist die Erkenntnis Gottes, soweit sie dem Menschen möglich ist, das eigentliche Ziel des Geheimbundes. Das mitleidende Verstehen der Störungen der wahren Gemeinschaft durch die Laster fordert neben der Architektonik der richtigen Rangordnung der Stände und Tugenden die Erklärung der sittlich-geistigen Ungleichheit der Menschen, der Verteilung von Gold, Silber und Kupfer in den sichtlich so verschiedenen Seelen. Nur die eigene Wahl des Lebensloses für dies zeitliche Leben rechtfertigt den guten Gott, den Vater. Viel zu leicht vergißt man über der durch Piatons Dichterkraft unvergänglich geschilderten Herrlichkeit des richtigen Staates sein eigentliches Anliegen, die Lehre vom Abfall der Geistigen und so verliert man den Zusammenhang seines Menschenbildes, Gottesbildes und Weltbildes. Die Welt ist nicht die wahre Heimat des Menschen! Die Aufstiege des Mystikers führen über diese Welt hinaus in das Reich der Urbilder zur ewigen Gutheit, Seinsheit, Wahrheit und Schönheit. Durch sie wird der wesentliche Mensch vollendet in der Einsicht in seine wahre Natur. Die Aufstiegsstufen der Erkenntnis über Sinnlichkeit, Vorstellung und Verstand zur reinen Vernunft und zur reinen Liebe über die sinnliche und erzieherische, zur philosophischen Existenz über der politischen und poetischen, vom Erwerbsleben über das politische zum geistigen führen alle zum Übersinnlichen. Den Erkenntnisstufen entsprechen die Wirklichkeitsstufen des Seins selbst, die schattenhaften Nachbilder der Vorstellung, die räumlich-zeitlichstofflichen Abbilder der ewigen Urbilder in der übersinnlichen Wirklichkeit. Es entsprechen ihr im Menschen selbst zuerst die Seelenteile,

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der begehrliche, muthafte und führend logische, dann aber auch Leib, Seele und Geist, die wieder den Wirklichkeitsstufen der Welt selber entsprechen, dem Weltleib und der Weltseele; freilich, Gott ist mehr als Weltgeist! Wenn man Piaton nur auslegt nach dem System des Staates, nicht nach seiner pythagoräischen Geheimlehre, könnte er als objektiver Idealist eines einwohnenden Weltgeistes über der Weltseele mißverstanden werden. Der offene Name seiner politischen Theologie für den Urgrund der Urgründe (Epinomis) ist „Idee des Guten" und der seiner poietischen „Idee des Schönen", die ewige Sonne der Gerechtigkeit und Liebe, die die Dinge verständlich macht und die Vernunft verstehend, wie die irdische Sonne sie sichtbar macht und das Auge sehend. So erscheint die Idee des Guten wie der Logos des Heraklit eher unpersönlich und nur als der alles logisch machende Urgrund der ganzen Wirklichkeit. Es ist aber schon die Freiheit des „jenseits der Seinsheit" liegenden Überseienden gefunden. Über der ewigen Menschenseele mit dem sterblichen Leib leuchtet das überirdische Reich der Urbilder und Urgründe auf, der unsichtbaren unsterblichen Götter mit unvergänglichen Ätherleibern und der Dämonen mit Luftleibern. Die Schule deutet uns diesen ordo rerum, sie zählt fünf Arten von Lebewesen, und der frühe Aristoteles stellt den Äther als fünftes Element über das Feuer und gewinnt so seinen Beweis für die sichtbaren Götter. Auch die Seele wird nach dem Tode wieder eingestaltig wie Gott sein, ohne Leib leidlos selig.

Die Theodizee des 10. Buches der „Gesetze" mit dem leidenschaftlichen Kampf Piatons für die ethische Religion verkündet neben der öffentlichen Verehrung der vaterländischen Götter den neuen wahren Gott des neuen Gesetzes. Sie ist ethischer und metaphysischer Monotheismus, der die Guten und Bösen scheidet und die geschichtliche Umkehr zum Guten allein durch das Eingreifen Gottes erwartet. Es geht um die Sanktion der Gesetze durch den bewiesenen Gottesglauben und Götterglauben, den Glauben an die Vorsehung und das unerbittliche Gesetz der allwissenden Vergeltung durch den strengen Gott der Gerechtigkeit. Feuer, Wasser, Erde und Luft entstehen nicht durch Natur und Zufall, sondern durch einen denkenden Geist, durch Kunst. Auch der Naturbegriff der Vorsokratiker ist falsch, weil nicht die Natur das Erste ist, der Entstehungsgrund von allem, sondern die göttliche Kunst. Die Seele ist das Erste der veränderlichen Dinge und nach ihr kommen Feuer und Luft, sie ist vorzugsweise eine Natur, älter als der Leib. Sie hat ihre Selbstbewegung in sich, ist die erste Bewegung alles dessen, was ist und was sein wird und aller Gegensätze der Dinge. Die geistigen Bewegungen sind früher und enthalten die wirksamen Bewegungen der Körperwelt in sich.

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Der jenseitige Gott ist die Vernunft selbst, der wie ein Hausvater um des Ganzen willen schafft, der die besonderen Zwecke der Arten in der Weltordnung einsetzt, aber auch der leibverbundenen Seele nach ihrer Gesinnung das zukommende Los und ihren Platz im Ganzen zuweist, zuletzt aber nach der Ordnung des ewigen Sittengesetzes, wenn sie sich der göttlichen Tugend ergibt, den hervorragenden Ort, der ganz heilig ist, oder aber in Unheil. Im ewigen Kampf zwischen Gut und Böse sind die höheren Geister unsere Helfer im Streit, aber auch in uns ist es das Fünkchen der Gerechtigkeit und Weisheit, das uns rettet. Niemand kann unzufrieden sein mit seinem Los, weil er es sich selbst im Vorleben gewählt hat. Gott ist gerechtfertigt als der Herr über Freie. Die Wertordnung ist zuhöchst Einordnung der Seelen in die ewige Sittenordnung, aus der erst die rechte Gesellschaftsordnung hervorgeht.

Der Entwicklungsgang der platonischen Philosophie führt von der Staatsethik über die ethische Metaphysik zum geistigen Menschenbild der mittleren Dialoge, das auch noch in die Naturordnung gehört. Dann aber beginnt mit der Einsicht in die Tragik des Staatsverfalls die mystische Seelenlehre und die Lehre von der vergänglichen Welt. Die Herrlichkeit der idealen Gesellschaftsordnung des geistigen und gerechten Menschen muß gerechtfertigt werden gegenüber der Wirklichkeit der Zeit. Es ist der andere Tag nach dem Dialog über den Staat, an dem der Verfall Urathens und die Ordnung der veränderlichen Welt und des zeitlichen Geschicks der Seele geschildert wird, der schließlich zum dritten Tag der Rechtfertigung Gottes in den „Gesetzen" führt. Dieser andere späte Lebenstag Piatons gibt nochmals ein vollkommenes System der Gesamtwirklichkeit. Das Verhältnis der historischen und reinen Vernunft wird hier besonders drastisch klar, weil der staatsphilosophische Ansatz die Begriffe liefert für eine Metaphysik der reinen Vernunft, in der doch noch die ganze Not der Zeitlage mit enthalten ist. Der Gegensatz des richtigen und des wirklichen Staates bestimmt auch das späte Weltbild. Der Timaios als das eine der letzten beiden Hauptwerke Piatons gibt in erzählender Darstellung doch ein strenges System der Gottes-, Welt-, Seele-, Lebens- und Körperlehre, in dem die Entsprechung der Wirklichkeitsschichten klar durchgeführt ist. Nur von diesem letzten System aus läßt sich die metaphysische Gottesidee Piatons fassen: Der Vater ist der lebendige Gott, reiner Geist, der in ewiger Ruhe doch die innere Bewegung des geistigen Lebens hat und die Urbilder als Gedanken der ewigen Weltordnung in sich trägt. Man muß endlich anerkennen, daß diese meist so sehr viel später angesetzte Wandlung der Urbilder zu Gedanken Gottes Piaton selber angehört. Denn nur so wird die Stiftung der Ordnung in der ewigen Welt durch den Urgrund der Urgründe verständlich. Nur so die Verbindung der stehenden Ewigkeit mit ihrem Abbild, der Zeit als ewiger Wiederkehr des Gleichen, als blinder Notwendigkeit. Auch die Ver-

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einigung des Wesens, des Urstoffs und des Werdens, desselben, des anderen und des gemischten. Es stehen sich gegenüber das eine Ungeteilte, sich gleiche und unveränderliche, das Andere, geteilte, ungleich-gleiche und veränderliche und ihre Verbindung, die reine Seinslehre ist verbunden mit der Werdenslehre. Die Welt ist die Verbindung der Weltseele mit dem Raum und Urstoff zum veränderlichen und doch ewig gleichen Kosmos, zum zweiten Gott. Die Weltseele kann die Urbilder in sich aufnehmen, wenn sie nach oben blickt; wenn sie aber nach unten zu blickt, wird sie vom Veränderlichen und der Unordnung betroffen. Daher die geheimnisvolle Rede von einer zweiten Weltseele. Die Menschenlehre ist durch die Verbindung der Seele mit den Elementen gegeben. Die drei führenden Seelenteile spalten sich später zur vernünftigen, unsterblichen Geistseele und zu der sinnlichen und pflanzlichen Leibseele auf, die in Haupt, Herz und Leib ihren Sitz haben. Das ist der Ursprung der Teilung des Menschen in Geist, Seele und Leib. Das parallele System der Geistphilosophie im anderen späten Hauptwerk, den „Gesetzen", ist nicht so vollkommen durchgestaltet. Seine Schwäche ist gerade die Energie, mit der das Geistesleben in den Staat eingebaut wird, um ihn zum Kulturstaat zu machen. Noch ist es ja Piaton gar nicht denkbar, daß seine Theokratie und das von ihm begründete Geistesreich freie irdische Wirklichkeit werden könnte. Wir werden auch sofort aus der Kritik des Aristoteles sehen, daß Piatons historische Bindung an den vaterländischen Staat und die vaterländischen Götter, seine Zugeständnisse an die politische Theologie, in seine Metaphysik des einen Gottesbegriffes eingegriffen hat und die Rede von den vielen Göttern und Dämonen, die sich dann noch Jahrhunderte hält, aus dieser historisch-politischen Bindung stammt. Nun ist seine reine Rechtsphilosophie ergänzt durch eine positive Rechtslehre. Das reine Gesetz muß die Verbindung eingehen mit dem zeitlichen Gesetz. Dem praktischen Zweck der Gründung eines echten Kulturstaates werden die Religions-, Rechts- und Bildungs-Philosophie eingeordnet. Die ganze Intelligenz ist verbeamtet, der Staatsrat besteht aus Philosophen, Priestern, Juristen und Pädagogen. Es ist tatsächlich schon die Idee der mittelalterlichen Fakultäten da, nur ist die Philosophie die höchste, und auch die medizinische fehlt nicht als Hygiene.

Das alles wird erst völlig deutlich durch die Anfänge des Aristoteles. Er ist der geborene und durch die Geisteslage gebildete reine Theoretiker. Der Fremdling, apoikos, der Heimatlose aus Stagira, kommt in die Kulturstadt und ist Zuschauer aller ihrer Vorgänge. Der Sohn des Arztes lernt erst in der Akademie die neue Medizin und der Schüler Piatons in der Zeit der werdenden Wissenschaften und ihres Einbaus in die Staatsphilosophie wird zum Leser, wie ihn Piaton nannte, und betrachtet die ganze Geistesentwicklung geschichtlich.

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So übernimmt er die reine metaphysische Theologie als strengen Monotheismus, ohne die lästige platonische Rede von den dann doch metaphysisch gedeuteten vaterländischen Göttern, ja ohne die positive Rechtsphilosophie des Ausgleichs mit dem reinen Gesetz. E r durchbricht die Bindung an die Polis durch eine rein theoretische Staatsphilosophie, ja auch schon durch die erste Theorie des Geistesreichs. Daß gerade der Arztsohn das Leben ohne Leib als Gesundheit und mit Leib als Krankheit faßt, das Vergessen des Vorlebens im Jenseits auf diese Krankheit nach ähnlichen Krankheitsfällen zurückführt, aber kein Vergessen der erworbenen Weisheit im persönlichen Nachleben zuläßt, das charakterisiert ihn und die erste Generation der Schüler Piatons. Er sieht nun die Geistesentfaltung von den Anfängen bis zu Piaton, „den nicht einmal zu loben den Schlechten erlaubt ist". Denn Piaton ist die letzte Sinnerfüllung des Menschenlebens in ewiger Wiederkehr. Das Geistesreich hat sein eigenes Entfaltungsgesetz, das der naturgegebenen Begabungen. Da der Mensch das Endziel des Naturreichs ist, muß das Naturentfaltungsgesetz auch auf die Fülle der menschlichen Charaktere und Begabungen angewendet werden und dann kann wieder vom vollkommenen Menschen aus die praktische Philosophie als Entfaltungsgesetz der persönlichen Naturanlage im Einzelnen, der Hausverwalter, der Politiker, der Poeten und Philosophen verstanden werden. Der einzige Gott und die Einzelseelen nach ihrer Naturentfaltung sind die Grundlage des Denkens für den Theoretiker aller Wissenschaften. Das System der Gesamtwirklichkeit ergibt sich aus der Erörterung der Einzelwesen nach ihren artlichen und zufälligen Eigenschaften, der ontologischen Grundlage der Logik und Sprache. Dann können die Naturwissenschaften in der Reihenfolge der Naturen von den Sternen über die Elemente, die Pflanzen, die Tiere bis zum Menschen und bis zu Gott aufgebaut werden. Dem folgt die praktische Philosophie der Ethik, Ökonomik, Politik und Poetik und zuletzt die theoretische der Geistphilosophie, die leider keinen Namen erhalten hat, aber viele Fragmente der Physiognomie, Charakterologie und Noologie bietet. Der Rückgriff auf die reine Teleologie des Sokrates, sogar ohne die von Piaton gesehenen Dysteleologien der Gesellschaftswelt, führt wieder zur Lehre von der artgemäßen Tüchtigkeit als Sinn der gesamten Naturordnung. Gerade die Abhebung von Piatons Spätsystem der Mischung der Teleologie und Dysteleologie macht die Klarheit des neuen Systems aus. Es offenbart sich zunächst in den von der Antike als Hauptdogmen des Aristoteles bezeichneten Lehren von der Ewigkeit der Welt und von dem Äther als fünfter Wesenheit. Piatons Lehre

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von den Göttern und Dämonen und der Weltseele wird ersetzt durch die Gestirngeister mit unveränderlichen Ätherleibern, durch Ätherwesen, so wie es Feuer-, Luft-, Wasser- und Erdwesen gibt. Dem einen Gott ohne Leib stehen die Naturen mit Leibern nach überwiegender Elementenmischung gegenüber. Man muß alles von den Naturen aus betrachten! Es gibt also nur mehr zwei Urgründe, den ewigen Gott und den ewigen Stoff als veränderliche Unterlage der Elemente. An die Stelle der Ideen treten die stoffversenkten, unteilbaren Artformen. Diese ewigen, zielstrebigen, in sich geschlossenen, leibbauenden und damit individuierten Naturformen haben die ewigen jenseitigen Ideen ersetzt. Der Naturforscher wehrt sich gegen den Idealisten! Aristoteles braucht keine Weltseele mehr, keine Einheit der Natur, weil er den kleinen Naturbegriff der lebendigen Form entdeckt hat, die Grundlage aller Naturwissenschaften, ja auch der Logik und sogar der Geisteswissenschaften, weil auch die Staatsformen, Dichtungsformen, Werkformen, Wirtschaftsformen samt den „zweiten Naturen", den Konstitutionen der Geisteshaltungen, der Charaktere, typologisch untersucht werden müssen. Das also ist die Grundlage der gesamten abendländischen Wissenschaften! Die theoretische Vernunft triumphiert in der Bewertung des gesamten Wesenaufbaues, an dessen Spitze das artgemäße Telos des Menschen, seine Wesensvollendung steht. Aber das erhabene Entsprechungssystem des Gottes-, Welt- und Gesellschaftsbildes beim späten Piaton ist zerstört. Es siegt, kantisch gesprochen, der theoretische Verstand über die theoretische Vernunft, weil die Trennung und Verbindung der Urgründe, der Ansatz zur Gottesidee, Menschenidee und Weltidee aufgegeben ist. Der Gewinn aber ist die Anwendung der Prinzipienlehre der Seinsheit und der andern Seinsgründe, Einheit, Gleichheit, Verbindung auf die konkreten Wesen, zu einer Wesenslehre, einer Usiologie statt der Ontologie, ja auch auf die Logik als Ausdruck der Formgesetzlichkeiten. Jedes Wesen hat seine Einzelgrundlage, hat seinen Formgrund und die Verbindung zum Ganzen. Ding, Wesenheit und Wesen sind erste, zweite und dritte Substanz. Der Wesenslehre folgt die Begriffslehre und die Satzlehre als Formenlehre aller Wissenschaften. Der Gewinn ist unermeßlich, reinster theoretischer Verstand durch die Entdeckung der drei Verstandesprinzipien, Individuation, Spezifikation und Konkretion. Zum Gewinn muß man den offenen theoretischen Monotheismus rechnen, obwohl es jetzt nur mehr um den Gottesbegriff geht, nicht mehr um die Gottesidee.

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Griechentum

Das völlig stoffgetrennte, geistige und immer tätige Wesen ist abzuheben von den stoffgebundenen Wesen und den Quasiwesenheiten der Mathematik. Dieser Gottesbegriff unterliegt allerdings der Gefahr des Deismus und des. Rückfalls in den Naturalismus, vor allem aber hat er bis zum nächsten „Aristoteles", Marius Victorinus, die eigentliche Ontologie vom Sein und den Naturgründen durch eine bloße Usiologie verdrängt.

Der verhängnisvollste Verlust aber ist der der platonischen Menschenidee. Schon beim späten Piaton waren ja die zwei Leibseelen und die Geistseele statt der frühen drei Seelenteile verkündet. Jetzt wird der Nus der Geistseele ein bloßes Vermögen, ja die sensitive Leibseele die eigentliche Menschenseele. Sie hat nur noch als Vermögen die schaffende Vernunft, die dann doch wieder als selbständiger Geist zur Tür hereinkommen soll. Der ungeheure Gewinn der Usiologie und logischen Naturerkenntnis ist erkauft durch den Verlust jener aus der inneren Gewißheit stammenden persönlichen Unsterblichkeitssicherheit Piatons, der der junge Aristoteles selber noch ein geniales Argument geliefert hatte. Im Ausbau der Naturlehre der Urväter des griechischen Ewigkeitsdenkens wird die Leibseele mitsamt allen Pflanzen und Tierseelen ewig gedacht. Um des ewigen Naturrechts willen sollte auch das Naturgesetz ewig sein; jetzt sind alle Träger von Naturgesetzen, das heißt alle Wesen mitsamt der Grundlage ihres durch sie wechselnd geprägten Materials ewig. Das erhabene Entsprechungssystem der griechischen historischen Vernunft gipfelte im Timaios. Piaton kannte die reine Geistnatur, freilich auch nur als ewige Seele neben der ewigen Weltseele, er kannte aber nicht die Existenz, das Selbstsein, das Ich als Träger der Geistnatur, noch bevor sie leibversenkt durch den geprägten Stoff individuiert wird. E r hat mit seinem Spätsystem der Dreiteilung des Menschen dem aristotelischen Seelenbegriff als erster Wirklichkeit eines belebungsfähigen, gegliederten Körpers schon vorgearbeitet. Aristoteles sah die drei Seelenformen auch draußen im Pflanzen-, Tier-und Menschenreich, und so machte er die Leibbindung zum Wesensmerkmal der Seele. Die Kritik dieses so unabsehbar folgenreichen Systems muß es als Explikationslehre vom Evolutionismus abheben. In der ewigen Welt sind Stoff und Form beides ewige Urgründe und die stoffversenkte Form erhält durch die vergängliche Bindung mit dem Material ihre Individuation. Es gibt also nur eine Entfaltungsordnung statt Entwicklung, eine unveränderliche Teleologie statt der Zufallsentwicklung. Die Reihenbildung: Elemente, Minerale, Pflanzen, Tiere, hält an bei der sinnlichen Leibseele, die Geistseele kann nicht in diese wesentlich stoffversenkten Formen eingereiht werden. Durch den Mittelbegriff der mathematischen Wesenheiten ohne Stoffgrundlage werden dann die Reihen im großen doch noch durch den Gottesbegriff geschlossen, durch das völlig stofffreie unsinnliche Wesen. Gott ist der König der Welt und ihn zu erkennen ist die höchste Entfaltung der Menschennatur. Wie er aber Verwalter der Welt sein soll, ist nicht mehr recht sichtbar, denn die ewigen lebendigen Formen sind ja

Aristoteles

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genauso gegeben wie der ewige Stoff und hängen an ihm, wie der Liebende am Geliebten hängt.

Wie sich die Naturen in ewiger Wiederkehr des Gleichen in der äußeren Welt entfalten, so entfalten sich auch die zweiten Naturen, die Naturbegabungen und Charaktere in der Kulturwelt. Auch hier gibt es eine Reihe der Begabungen für eine Reihe von Zwecken, die Familie, das Haus, die Stadt, die Völker und schließlich das Weltkönigtum. Das ist nun die naturphilosophische Grundlage des Kulturstaates. Es gibt eine Formenlehre der Wissenschaften, der Hauswirtschaft, des Staatslebens und der Dichtung, ja auch eine ewige Wiederkehr der Staatsformen im Kreislauf von der Monarchie über Aristokratie und Demokratie zur Tyrannis. In der Kulturwelt ist nun ein Begriff einzuführen, der von größter geschichtlicher Bedeutung geworden ist, der Hexisbegriff, modern gesprochen der Typusbegriff. Der Habitus als Verhaltungstyp ist gewissermaßen eine zweite Natur. Durch Gewöhnung ergeben sich Dauerhaltungen des Zuviel und des Zuwenig und der rechten Mitte und daraus können 39 Typen des sittlichen Verhaltens konstruiert werden und endlich können die 146 historischen Verfassungen auf etliche Dutzend Mischtypen zurückgeführt werden. Das ist ein Verfahren zur Bewältigung der Typen des Geisteslebens, das eigentlich erst im 20. Jahrhundert von der historischen Soziologie für die Wirtschaftsformen und Staatsformen durchgeführt worden ist. Aristoteles ist nicht so alt geworden, um eine Systemerweiterung noch in einem so grandiosen Alterssystem wie Piaton durchführen zu können. Aber die Organisation der Wissenschaften nach dem Natur- und Formbegriff mitsamt der Logik war die bleibende Leistung des griechischen Geistes, die den Vorrang Europas über Asien ein für allemal festlegte. Denn nun entstand aus dem griechischen Geist auch seine weltgeschichtliche wirksame Organisationsform, das Museion von Alexandrien, eine Forschungsakademie, die zwar von den Herrschern unterstützt wurde, aber im Kern eine freie Werkgemeinschaft der Forscher selbst war. Die andere Folge war die hellenistische Kulturstadt, in der die verschiedenen Gruppen der griechischen Intelligenz, die Philosophen als stoische und epikureische Ethiker, die Rhetoren als Juristen, die Mythologen als Philologen, die Ärzte und Techniker neben den Künstlern und Handwerkern die Verbreitung der griechischen Geisteswelt auf die ganze von Alexander zusammengeschlossene Oikumene besorgten. Der Schüler des Aristoteles, Alexander der Große, hat jenes Weltkönigtum geschaffen, aber die Verbreitung der griechischen Geisteswelt über die alten Kulturvölker ist das Werk der hellenistischen Kulturstadt.

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Der Hellenismus

Die Kritik der historischen Vernunft und dieser griechischen Geisteswelt hat festzustellen, daß die Verewigung aller Dinge, des Stoffs und der Formen, der Seelen und sogar der Typen des Gemeinschaftslebens konsequent den einheitlichen Stil dieser Geisteswelt ausmacht. Es wird sich bald zeigen, auf welche Dinge die Verewigung mit Unrecht angewendet worden ist. b) Der Hellenismus Die neue Geisteswelt der Oikumene beginnt mit dem Aufstieg des römischen Weltreichs. Die Diadochenstaaten faßten die Kulturstädte unter dem Königtum zusammen, mit Rom aber ist ein Stadtstaat nach dem Bild der Diadochenstaaten zur Weltherrschaft aufgestiegen, Imperium geworden. Die Unterworfenen aber fanden jetzt ihr Nationalbewußtsein und zwar gerade durch das Kulturbewußtsein der Graeculi, der hellenistischen Intelligenz. Die neue Zeitlage ist durch drei Mächte: das Großreich, die Nationen und die Intelligenz bestimmt. Das ist jetzt die vorherrschende Spannung, die zur entsprechenden Parteibildung in allen Nationen, auch der römischen, führt. Nach der heute noch bestehenden Spannung im jüdischen Volk kann man diese drei Parteien die Philhellenen, Philoromanen oder Herodianer nennen, also jene, die sich mit der Fremdherrschaft abfinden, und Zeloten oder Nationalisten, die für den alten Gott und das alte Gesetz des eigenen Volkes eifern. Die Parteiung nach den drei die Oikumene bestimmenden Mächten in jedem Volk läßt die politischen Parteiungen im Stadtstaat zurücktreten vor dem höheren Zeitbewußtsein, ja der Sieg des Geistes ist darin gelegen, daß nun alle drei sich eine geistige Rechtfertigung schaffen müssen, der Geist auf diesem Umweg geschichtsmächtig wird. Wir beginnen mit der neuen Spannung im Griechentum selbst. Die Philoromanen sind die ersten, die sich mit der aufsteigenden Macht Roms auseinandersetzen. Panaitios von Rhodos und Polybios der Historiker versuchen die Römer des Scipionenkreises für die griechische Geisteswelt zu gewinnen. Beide haben in der aristotelischen Lehre vom Kreislauf der Verfassungen eine Brücke, sich der neu aufsteigenden Macht zuzuwenden. Sie sagten nach den oligarchisch-demokratischen Parteikämpfen eine Tyrannis und dann die Monarchie voraus. Nationalist war der Skeptiker Karneades, der bei der berühmten athenischen Philosophengesandtschaft 156 nach Rom kam. Er versuchte, den Römern zwei Dinge gleichzeitig zu beweisen. Nach dem gemäßigten Naturrecht müßten sie vom Standpunkt dieser höheren

Poseidonios

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Gerechtigkeit aus ihre Eroberungen herausgeben, aber nach dem Standpunkt des Faust-Naturrechts könnten sie sich auf den Boden der Tatsachen stellen. Dann freilich müßten sie auch den Athenern die Vorherrschaft über ihre Unterworfenen nach der Lebenspraxis zugestehen. Nun könne man freilich das unvergängliche Naturrecht ebensowenig beweisen wie den persönlichen oder unpersönlichen Gott und die immer gültige Sittlichkeit, und so bleibe nichts als das Optieren für die bestehenden Nationalgötter. Diesen Verrat am griechischen Geist zum momentanen Nutzen der griechischen Politik, diese Rechtfertigung des nackten Machtstandpunktes hat der Syrer Poseidonios von Apameia (135 bis 50), Archont in Rhodos, angegriffen. Die unermeßliche Bedeutung dieses Mannes für die ganze hellenistisch-römische Periode ruht in der klaren Deutung der Zeitlage und ihrer Wertung aus dem vollen hellenistischen Kulturbewußtsein. Er hat das Wort der Zeit ausgesprochen, seine Zeit gedeutet und gerichtet vom ewigen Gesetz aus, dem das staatliche und völkische unterzuordnen ist. Er hat das Elend der Zeit erklärt durch den Verrat an der natürlichen Religion, dem Urmonotheismus, an dem ewigen Sittengesetz und ewigen Naturrecht, das die Dichter in Fabeln eingekleidet haben und die Staatsmänner durch die politische Theologie ersetzt haben. Das ist eine Geschichtsphilosophie des Niedergangs, die die Zeitunordnung deutet und nüchtern genug ist, keine politische Wende durch die Philosophie zu erhoffen. Man muß sich in das Geistesreich zurückziehen und durch die Weltflucht die Persönlichkeit retten. Wenn schon die politische Freiheit verloren ist, muß um so mehr die geistige Freiheit zum Höchstwert gemacht werden. So ist ihm zunächst die Rettung der griechischen Überlieferung zu danken, die Durchdenkung der Schulgegensätze und die Ergänzung der eigenen stoischen Schule durch den ganzen Piaton und Aristoteles. Sein Timaios-Kommentar hat den späten Piaton zum Meister der Zeit gemacht, seine Antriebsrede zur Philosophie nach der des Aristoteles und sein überreiches empirisches Wissen haben die überlieferte Geisteswelt modernisiert. Poseidonios ist historischer Pessimist. Die Welt steht unter dem Fatum der sittlichen Schuld, das Leiden ist in die geistige Selbstbefreiung mit aufzunehmen. Der philosophische Glaube wird heroisch und darum wird „dieser Welt" die persönliche Unsterblichkeit und die Vergeltung im Jenseits gegenübergestellt. Himmel und Erde sind nun das neue Weltbild — eine Unterwelt ist gar nicht nötig, weil die Erde selbst der Prüfungsort der Geister ist. Die Vorsehung als Weltgesetz kann die Verschlechterung nicht aufhalten, weil das andere

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Der Hellenismus

Weltgesetz Vollstreckung der Sühne im Niedergang ist. Über beiden aber steht das ewige Gesetz als die richtige Vernunft selbst. Poseidonios hat dem Vater und König der Welt, der regiert, aber nicht verwaltet, den Demiurgen und die übrigen Mächte der Weltverwaltung gegenübergestellt. Der Demiurg als Weltgeist hat bei ihm einen ewigen Pneumaleib. Nur Gott selber ist reiner Geist und reine Allmacht. Das ist ein Ansatz zur negativen Theologie, die übrigen Kräfte, Gewalten und Mächte gehören schon in die Weltgesetzlichkeit hinein. Die Götter, Dämonen und Heroen sind die nähere Gemeinschaft mit Gott, an der der Mensch nur durch seinen Daimon, seinen unsterblichen Geist mit einem untrennbaren Pneumaleib teilhat. So gibt es eine Dreiteilung der Menschen nach Pneuma, Psyche und Sorna, und das ist mm das dem neuen Gesetz entsprechende Menschenbild. Die Gnostiker und Pneumatiker stehen über den Dichtern, den Psychikern und den Somatikern, den Staatsmännern. Denn die Weisen der Urzeit als Göttersöhne, göttliche Wohltäter und Kulturheroen haben die Gemeinschaft der Menschen mit Gott begründet, durch Inspiration die wahre Religion und Sittlichkeit und das Naturrecht kennengelernt, ja sie kannten schon Gottes- und Unsterblichkeitsbeweise. Die Urweisheit ist in sieben Verfallsstufen verlorengegangen. Der Urzeit gilt jetzt das wesentliche Interesse, Poseidonios zieht sogar ethnologische Erfahrungen heran. Die Erfindung aller lebenswichtigen Dinge wird ihr zugewiesen. Als Weise der Urzeit und Gesetzgeber werden Minos und Moses, Teiresias, Orpheus und Musaios genannt. Ihnen folgen die Propheten und Magier, Chaldäer und Haruspices. Das ist ein Programm für die Intelligenz aller Kulturvölker des neuen orbis terrarum, eine Aufforderung, ihren Kulturheroen zum Ältesten zu machen und ihre Nationalreligion und ihr zeitliches Gesetz durch die natürliche Religion und das Naturgesetz zu erklären. Die Römer selbst waren die Ersten, die außerordentliche Bedeutung des Poseidinios zu erkennen und seine Kulturphilosophie für sich auszuwerten. Terentius Varro (116 bis 27) hat die Naturreligion zur Deutung der göttlichen und menschlichen Dinge des eigenen Volkes verwendet. Die Römer, „bisher Fremdlinge in ihrer eigenen Stadt", hat er heimgeführt, daß sie erkannten, qui et ubi essent, wie Cicero sagt. Er ist Philhellene trotz seines Nationalismus, der die politische Religion durch die natürliche erklären will, die Götter zu Naturmächten macht und damit echt konservativ in der neuen Lage zu sein glaubt. Der Senat war freilich noch konservativer, er ließ das Buch verbrennen. Gleichartig war der leider verlorene Versuch des Pontifex Maximus Nigidius Figulus (bis 45 vor Chr.), das aufsteigende römische Reich zu einem Kulturreich

Die römischen Denker zu machen. Es gab einen italischen Kulturheros, Pythagoras, den Gründer der italischen Philosophie und den Lehrer des Königs Numa, der die römische Religion einrichtete. Wieder also wurde die natürliche Religion zum wahren Gehalt der politischen gemacht und es hätte auch hier eine exegetische Methode des hl. Rechts, eine metaphysische Auslegung des Gesetzes entstehen können, wenn es nur Schriften des Pythagoras gegeben hätte. Zweifellos sind die Fälschungen von Schriften der pythagoräischen Schule in dieser Zeit im Zusammenhang mit dieser Kulturaufgabe entstanden. Aber es war ihnen kein Erfolg beschieden, weil die Spannung zwischen dem metaphysischen Theismus und der pantheistischen Weltgeistlehre ähnlich wie bei Varro keine feste Schule entstehen ließ.

So hat es Cicero offen philhellenisch mit der Übersetzung der griechischen Philosophie ins Römische versucht. Nachdem seine Politik gescheitert war, wollte er die Geisteswelt der Griechen den Römern erschließen nach den verschiedenen Richtungen der Zeit. Es fehlte nur die freie Intelligenz, die ja damit erst geschult werden sollte. Die Angst des Republikaners vor den neuen pythagoräischen Geheimlehren und Geheimbünden kam dazu, ja Cicero hatte nicht einmal den Mut, in seiner Schrift „De natura deorum" nach der Bekämpfung des epikureischen Atheismus die metaphysische Religion als die endgültige hinzustellen. Er ließ immer das letzte oder vorletzte Wort im dritten Buche dem Pontifex maximus zugunsten der Staatsreligion. Dennoch hat er Bedeutendes für die römische Geisteswelt geleistet. Er hat die Lehre vom ewigen Gesetz in der „Republik" und in den „Gesetzen" vorgetragen und im „Hortensius" die Antriebsreden zum philosophischen Leben zusammengefaßt. Im „Somnium Scipionis" stellte er das unsterbliche Geistesleben hoch über den Willen zur Weltherrschaft. Durch die Übersetzung der Pflichtenlehre des Panaitios hat er das Ethos der Kaiserzeit und noch durch Ambrosius den christlichen Klerus bestimmt. Aber gesiegt hat die politische Theologie des Reiches durch die poetische Theologie des Vergil. Es gab neben der Legende von Pythagoras und Numa die Sage von der Abstammung der Römer von den Trojanern. Man brauchte keine Vergeistigung der römischen Religion und des römischen Gesetzes, wenn man der Dynastie durch die göttliche Abstammung den Weg zum Gottkaisertum bereiten konnte und offenbar hat ihn schon Cäsar selbst gegen Pompeius und Nigidius beschritten. Auch das war in der Kulturphilosophie des Poseidonios vorgesehen, aber diese Entscheidung hat doch eine römische Philosophie unmöglich gemacht und der außerordentliche Glücksfall eines großen Dichters hat der Dynastie geholfen. Niemand glaubte in Rom an die Abstammung der Julier von Venus, aber die Äneis bestimmte

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Der Hellenismus

die römische Geisteswelt so vollständig, wie in einem sehr ähnlichen Fall das Mahabharatha die indische. Die Verbindung der politischen und poetischen Theologie durch ihre beamteten Ausleger und Rhetoren ist das Geheimnis der geschichtlichen Entscheidung, die hier gefallen ist. Nur vereint konnten sie die natürliche Religion und das natürliche Recht überbieten. Die Sendung Roms zur Weltherrschaft war nationalistisches Ethos nach dem Fatum, dem Spruch Jupiters: „Imperium sine fine dedi". Danach konnte nicht weiter die lex aeterna ausgelegt werden. Bei Actium fiel die Entscheidung für die politische Vormacht des Westens und durch Vergil für die religio fabulosa als Dichtung der religio civilis, aber bei den unterdrückten Völkern der östlichen Reichshälfte blieb das Geistesreich der natürlichen Religion und des Naturrechts in Geltung. Am leichtesten hatten es die Juden, ihren positiven monarchischen Theismus in den natürlichen metaphysischen umzudeuten. Philo Judaeus von Alexandrien (20 v. bis 50 n. Chr.) schwankte zwischen Philhellenismus und Nationalismus wie Varro und Nigidius. Er hat den einen Gott und Gesetzgeber seines Volkes mit dem einen Gott der natürlichen Religion gleichsetzen und sogar die jüdischen Völkerengel statt der Nationalgötter als Mächte und Gewalten unter dem ewigen Gott deuten können und den Logos als Erzengel. Durch die Eingliederung der gnostischen Auslegung des alten Testaments in die hellenistische Geisteswelt sind uns seine Schriften erhalten geblieben, während wir von den Zeloten, den reinen Nationalisten, keine Zeugnisse besitzen. Der Sache nach ist sein gemäßigter Nationalismus fast reiner Philhellenismus, Gnostizismus durch die völlige Identität von Glauben und Wissen, positiver und natürlicher Theologie, jüdischer Offenbarung und griechischer Weisheit. Die Verbindung wurde ihm sehr erleichtert durch die neue natürliche Theologie, die in der Zeitlage den Monotheismus und die Theodizee des späten Piaton für die Erklärung des Unheils und des Bösen in der Welt so gut brauchen konnte. Freilich ist ihm auch durch das Alte Testament vieles in der griechischen Metaphysik in besonderer Weise verständlich geworden, vor allem durch den Bericht über den Sündenfall, den er schon als kosmologischen Sündenfall in der geistigen Welt faßte. So konnte dieser mittelmäßige Philosoph von großer Bedeutung für die zweite kosmologische Phase der hellenistischen Philosophie werden. Seine Herkunft vom Judentum hat ihm außer der Idee des monarchischen Theismus und des Schöpfergotts vor allem eine Lehre vom

Philon

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verborgenen Gott nahegelegt, die negative Theologie. Daß Gott nur durch die Leugnung aller weltlichen Eigenschaften erkannt werden könne, hat erst seine reine Jenseitigkeit ohne Leiblichkeit, Zeitlichkeit und Räumlichkeit völlig klargestellt. Der göttliche unerforschliche Wille entspricht der Verzweiflung der verlorenen Freiheit, aber die neue natürliche Theologie führt doch zur Rechtfertigung des Vaters und Königs der Welt und darum geht für diese philhellenistischen Juden nicht ihr Nationalgott unter dem Reichsgott verloren. H i e r hilft die platonische Lehre, d a ß die Weltseele f r ü h e r u n d mächtiger ist als der Leib, d a ß ihre Erscheinungen, K r ä f t e u n d I d e e n h ö h e r e Wirklichkeit sind als die leiblichen Erscheinungen. N u n werden sie völlig zu kosmischen M ä c h t e n , lebendige Geister wie die j üdischen Engel, die P h i l o den Göttern, H e r o e n u n d D ä m o n e n gleichsetzt. Die B o t e n u n d Vollstrecker des Gotteswillens sind n u n kosmische Mächte, u n t e r d e n e n die S c h a f f e n s k r a f t Gottes selbst, seine H e r r s c h e r m a c h t , seine Vorsehung, seine Gesetzgeberschaft voranstehen, w o m i t bereits der W e g zur K a b b a l a beschritten ist. Aber wichtiger noch sind j e n e H i l f s k r ä f t e Gottes, deren er sich bei der W e l t s c h ö p f u n g bedient, d a er selber die unreine Materie n i c h t b e r ü h r e n darf. Diese metaphysischen Mächte sind die gegebenen Mittler zwischen G o t t u n d der W e l t . Voran stehen der Logos, die Weisheit u n d der Urmensch. Auch der Logos ist j e t z t persönlich, obwohl er als d a s göttliche u n d ewige Gesetz g e d a c h t ist, als Idee der Ideen, j a als die W e l t d e r Ideen. E r ist der Wagenlenker, d e m die übrigen Engel gehorchen müssen, wie er selber d e m höchsten G o t t als d e m H e r r n des Wagens.

Die Vereinigung der biblischen und spätplatonischen Schöpfungslehre ist nur zu verstehen aus dem Gesellschaftsbild der Zeit, aus dem Elend und dem Unrecht dieser Welt in der neuen Gemeinschaft oder Ungemeinschaft, in der die Unseligkeit, Vergänglichkeit und das Leiden der äußeren Welt aus der Unreinheit des Weltstoffs und des Chaos erklärt werden kann. Auch hier tritt das Menschenbild als Mittelglied ins volle Licht. Der Sündenfall im Paradies ist gänzlich aus dem inneren Leben des Menschen zu deuten, sofern der Mann Adam der Nous und das Weib Eva die Sinnlichkeit, die Wollust und Begierde ist. Die Schlange aber ist das Symbol der Sterblichkeit und des Todes. Über dem zeitlichen Adam ist ein ewiger Urmensch, der Adam Kadmon anzunehmen, der zuerst mannweiblich in der Anschauung des Logos steht, aber durch die Heranbildung des Sinnlichen, des ungestalteten Stoffs, sich in Mann und Weib spaltet, so daß die Eva anterior als Weltseele aus ihm entlassen wird. Durch sie erst wird der ewige Stoff zur vergänglichen Welt zugerichtet. Philon konnte noch nicht eine gefallene Sophia einsetzen, die dann in der weiteren Gnosis die Rolle der schlechten Weltgestaltung übernehmen mußte. Dieser vorzeitliche Sündenfall, diese später supralapsarisch genannte Erklärung der sichtbaren Welt ist eine völlige Umdeutung der

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gut geschaffenen Welt der Bibel. Aber es muß ja der zeitlich leidende Mensch mitsamt der Begierlichkeit, der Sünde und dem Tode erklärt werden. Der Geist in ihm steht über der Seele als Leibgestaltungsgrund und über dem Leib als Stoffgestaltungsgrund. Nur der Geist ist unsterblich, die Seele nur Pneuma im Blute und es kommt alles darauf an, sich von der Sinnlichkeit zu befreien, um als reiner Geist in die reine Geisterweit zurückkehren zu können. Statt der verlorenen politischen Freiheit muß die geistige Freiheit zum Höchstwert gemacht werden. Das wird symbolisiert durch das völlig jenseitige Gottesbild und die Dreiteilung der Welt und des Menschen nach dem Geist, der unter der Sinnlichkeit leidenden Seele und dem schlechten Stoff. Die großartige Rechtfertigung der nationalen mosaischen Weisheit und der ganzen jüdischen Volkskultur durch Philon als der ältesten und ehrwürdigsten wird noch ergänzt durch die Lehre von den Patriarchen als den Vorbildern des gesetzgeberischen, geistigen und politischen Lebens. Der gnostische Aufstieg zur Selbsterlösung schon in diesem Leben geschieht durch die Gotteserkenntnis und die Ekstase. Die Zeloten waren freilich mit diesem vergeistigten Nationalbewußtsein und dem Anschluß an die hellenistische Kulturwelt nicht zufrieden. Sie haben keine Monumente hinterlassen, sondern immer wieder neue Aufstände organisiert, und die Herodianer haben sich nur durch die politische Gleichschaltung mit den Römern zu behaupten gewußt.

In Ägypten kennen wir von entsprechenden Gruppen nur die Philhellenen, aber es gibt auch dort Nationalisten mit ständigen Aufstandsversuchen und Philoromanen seit Kleopatra. Die Geistigen haben genau in der gleichen Weise wie Philon die überlieferten heiligen Schriften nach der natürlichen Religion und dem Naturrecht ausgelegt. Es steht nur an der Stelle des Moses Hermes, Thot, der dreimalgroße zugleich als Logos, Gesetzgeber und Kulturheros. Da Philon schon ägyptische „pythagoräische" Geheimgesellschaften zu seiner Zeit erwähnt, ist wohl jetzt schon die Vergeistigung der ägyptischen Volksreligion vollzogen worden, wenn auch unsere Texte erst aus dem 2. und 3. Jahrhundert stammen. Hier ist dem Vatergeist der Urstoff als Natur gegenübergestellt, auch hier gibt es eine Spaltung des Logos zum Schöpferwort und Weltgeist und zum bösen Demiurgen Typhon, dem Herrn der sieben Planetengeister mit ihren sieben Lastern. E r ist der Urheber der andersläufigen Bewegung der Welt. Die Sehnsucht der Natur nach dem Licht und Leben hat den Logos zur Gestaltung der vier Elemente herabgezogen. Im Feuer findet Typhon seinen Sitz, um die verkehrte Bewegung der Welt zu regieren. Nach der Rückkehr des Logos zum Vater konnte die Natur nur mehr unvernünftige Lebewesen gebären. Aber nun wurde vom Vater der dritte Sohn, der Urmensch gezeugt, der im Vater die Ideen sah, aber in der Herabkunft zur Natur ihr nur Bilder zeigen konnte, die verdunkelt waren durch die Laster der sieben Planeten, und nur diese ver-

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dunkelten Urbilder konnte sie festhalten und die sieben Stammväter der sieben Völker gebären. Der Urmensch war mannweiblich, aber da er durch die Herabkunft unter die Notwendigkeit geraten war, löste der Vater zum Beginn unseres Äons das Band der Sympathie der Dinge; der zeitliche Mensch zerfiel wie die vernunftlosen Wesen in Mann und Weib, und die sechs Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer, Leben und Licht wurden je nach den verschiedenen Völkern verschieden übergewichtig in ihm. Hier also ist der Ursprung der Astrologie für die verschiedenen Völker der Unterdrückung im römischen Reich mit Händen zu greifen. Vor allem aber müssen die einzelnen Menschen selber nach den stoffbestimmten Hylikern und den geistbestimmten Gnostikern geschieden werden und es gilt auch hier, sich vom Zeugungswillen zu lösen und damit vom bösen Stoff, und den Aufstieg des Geistes durch den Tod zu gewinnen in der Befreiung von dieser Welt. Dann muß im Mond der Zeugungswille abgelegt werden, in der Sonne die böse Lust, in der Venus die Begierlichkeit, im Jupiter die Herrschsucht im Mars die Mordlust, im Merkur die Habgier und im Saturn die Verlogenheit, um als reiner Geist zu den reinen Geistern eingehen zu können. Der Schematismus des Gesellschaftsbildes, der Geistigen über den Völkern der Planetengötter und über den Hylikern der Mordlust, ist für das Gottesbild, Welt- und Menschenbild maßgeblich. Gott wird vom befreiten Geist über der Welt geschaut, aber der Weltgrund spaltet sich in Weltgeist, böse Weltseele und Weltstoff, und auch im Menschen stehen nebeneinander Nus, Psyche und Sorna.

Mit welcher Gewalt sich diese Regel der historischen Vernunft jetzt als das Wort der Zeit durchsetzt, bezeugt nichts so drastisch, als daß Plutarch, der Oberpriester von Delphi (50 bis 125), die ägyptische Mythologie als Symbol der natürlichen Theologie verwertet. Die Natur heißt Isis, die böse Weltseele Typhon, Ahriman oder Mars, die gute Osiris. So glaubt er, mit dieser Deutung der mythologischen Theologie nach dem späten Piaton die politische Theologie des Reiches, des Mars als der bösen Weltseele, bekämpfen und den Verfall der Frömmigkeit als das eigentliche Elend der Zeit durch den metaphysischen Monotheismus heilen zu können. Die Befreiung des göttlichen Daimonions im Menschen als seines Schutzgeists durch die rechte Erkenntnis, Sittlichkeit und Erziehung, die Scheidung der Noesis von der Doxa soll im zweifachen Tode der Trennung der Seele vom Leib und des Geistes von der begierlichen Seele die Rückkehr in die geistige Heimat vorbereiten. Immer ist es ein Miteinander von Vorsehung und Schicksal in dieser Welt, also ein doppeltes Weltgesetz, das dem Dualismus des Reiches der Macht und Begierlichkeit und des unsichtbaren Reiches des Geistes entspricht. Der Übergang zur Kosmologie ist also hier der Versuch, Weltordnung und blinde Notwendigkeit in einem Urgesetz zu vereinen. Es ist jetzt nicht mehr die große Stunde der Schöpfung der

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philosophischen Urworte und so wird dies Urgesetz nicht mehr als Logos und göttliches Gesetz bezeichnet. Bei Philon heißt es noch Dike, weü er die göttliche Monarchie über Freien als das eine Weltgesetz erkennt, in das die Notwendigkeit nur als Störung eingreifen kann. Jetzt aber soll die Unordnung der Welt trotz der Beibehaltung der Vorsehung wenigstens für die Geistigen durch ein Verschlechterungsgesetz erklärt werden, eine Emanation, die dem Abstiegsgesetz des Kulturverlaufs entspricht. Der Ausfluß des Chaos aus der Ordnung wird durch die doppelte Gesetzlichkeit dieser Welt und der jenseitigen Welt erklärt und das gelingt zunächst idealistisch nach der hier kaum latenten menschlichen Gesetzlichkeit der inneren Unordnung aus Begierlichkeit und dem damit verschuldeten Fall in die Notwendigkeit der Vergeltung. Man darf die heutige Tiefenpsychologie heranziehen, um die Süchtigkeit als das Urbild des Emanations- und Verschlechterungsgesetzes der Welt zu verstehen. Sicher gilt dies für die bedeutendste idealistische Weltanschauung, die des Valentinos, der bis 135 in Alexandrien und bis 160 in Rom lehrte. In dieser Kosmologie steht nicht mehr der jenseitige Gott der Welt gegenüber, sondern der verborgene Weltgeist ist die Tiefe, der Urgrund des oberen Reiches. Seine Entfaltung muß nach dem Selbstbewußtseinsvorgang verstanden werden. Wie bei Philon dem Logos das Aistheton, das Sinnliche gegenübersteht, so hier dem Urvater das Noeton, das Gedachte, der Gehalt des Schweigens. Das Unausgesprochene, das Schweigen ist der dunkle Urgrund, aus dem durch den Nus das Denkende zur Wahrheit aufsteigt. Aus bewußtem Geist und Wahrheit entsteht die Weltordnung des Logos und des Lebens und aus ihnen der Urmensch und die Geistergemeinschaft, Ecclesia. Zehn oder zwölf Äonen, geistige Mächte, entstehen aus diesen Paaren, zuerst die Grenze des Geisterreichs und zuletzt Sophia als geistig-ungeistige Gestaltungskraft, als Weltseele. Da sie allein schaffen will ohne den Nus, entsteht die gestaltlose Wesenheit, der Urstoff als Fehlgeburt. Sophia hat also den ersten Fall verschuldet, sie wird zur Jungfrau mit dem Schlangenleib des Strebens und Leidens, das sich von ihr als die mittlere psychische Welt löst. Die Äonen Christus und Heiliger Geist retten diese psychische Welt vor ihrem Herrn, dem Demiurgen, aber erst Jesus, Frucht aller Äonen, rettet die hylische Welt des Leidens, der Furcht und Trauer, der Not und des Fluches, die hier als das Wesen der körperlichen Elemente betrachtet sind. Damit ist eine Emanationslehre der Verschlechterung der Welt geglückt und auch die Erklärung der drei Arten von Menschen gegeben, der von Angst und Not unter der Fremdherrschaft bedrängten Hyliker, der an die Vorstellung

Die Gnosis

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von geistigen Mächten gebundenen Psychiker des Volksglaubens a n das Gesetz u n d die Propheten, und der Pneumatiker, die sich selber Gesetz sind und über die beiden äußeren Gesetze, das fremdstaatliche u n d völkische erheben. Wegen der mythischen Rede von Christus und Jesus als den beiden Erlösern der psychischen u n d hylischen Welt könnte m a n an einen Ausgleichsversuch des Gnostikers mit dem Christentum denken. Aber das gilt wohl nur f ü r die nicht völlig Eingeweihten; m a n würde so selber Psychiker bleiben und sich nicht zur reinen Geistgesetzlichkeit erheben können, zu dem Emanationsgesetz der Verschlechterung der Welt.

Es ist immer noch das Grundschema Weltgeist, gute und böse Weltseele und Weltstoff, der hier aus der niederen Weltseele erst emaniert ist, das dieser Kosmologie zugrunde liegt und durch die Befreiungslehre von dem äußeren fremdstaatlichen Gesetz und auch von dem inneren Volksgesetz der mythologischen Einkleidungen zum reinen Geistgesetz bestätigt wird. Auch der Vergleich mit den gleichzeitigen indischen Selbsterlösungslehren aus der Seelenwanderung und der Ständeordnung zeigt, daß es sich hier um einen typischen subjektiven Idealismus handelt. Am schwersten ist die syrische Gnosis zu verstehen, weil hier die Verdeutlichung der Kosmologie durch die verschiedenen religiösen und mythischen Vorstellungen einer vorletzten Einweihung die Texte gänzlich verdunkelt. Aber die drei Welten und die drei Arten von Menschen und die Befreiung von der Weltherrschaft im doppelten Sinne entspricht auch hier der ganzen hellenistischen Gnosis. F ü r den ersten Antiochener Satornil (bis 130) gibt es eine dreifache Welt Gottes: die des wahren Gottes, des Judengottes und die des Satans, des H e r r n des Urstoifes. Ein starker Affekt richtet sich hier gegen den jüdischen und christlichen Monotheismus, u n d die nunmehr doppelte Überlegenheit der zwei Heiligen Schriften. Der Monismus von Geist und N a t u r im Wechselspiel läßt den Judengott als Herrscher der psychischen Welt erscheinen, der alle anderen Völker seinem Volke unterwerfen will und d a r u m von allen anderen gehaßt wird. Das heißt doch, d a ß der Kampf gegen die römische Fremdherrschaft nicht mit einer mythologischen Theologie, sondern nur durch die reine Metaphysik selber gef ü h r t werden kann, wenn natürlich auch f ü r alle, die nicht selber Meister der Geheimlehre sind, doch nur in verschiedener mythologischer Einkleidung. Der Syrer Basilides, der von 120 bis 140 in Alexandrien lehrte, ist hier der noch a m ehesten deutbare Denker. E r ist objektiver Idealist durch sein E n t faltungsgesetz der Samenallheit, die die Wurzel des Bösen ist und aus der sich der Urwille erst zum Geist entfaltet, ja gleich zwei Weltgeister u n d zwei Weltseelen aus sich entläßt. Der Nus m i t dem heiligen P n e u m a ordnet die sieben Mächte der geistigen Welt, die großen Archonten, der jüdische Demiurg m i t der Äther- u n d Luftseele ist der Herr der Fixsterne u n d Planetenwelt. D a s irdische Reich u n t e r dem Mond ist voll Einzelgeistern u n d Einzelseelen, die der Reinigung u n d E r h e b u n g aus dem Naturleben der Begierlichkeit bedürfen. Der Sündenfall ist hier die Überheblichkeit des Weltherrschers durch sein Gesetz der sittlichen u n d politischen Knechtschaft. Der Wille zur Macht, der

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Furcht ist wegen, seiner Unwissenheit vom wahren Weltgesetz, muß erst zum Wissen der Einfügung in das Geistgesetz werden. Nur die Zurückführung auf das Wesentliche offenbart hier das verborgene Menschenbild, das hinter diesem rätselhaften Weltbild steht: Durch seinen befreiten Geist muß der Mensch der Vorsehung gegen die Naturnotwendigkeit zu Hilfe kommen, den niederen Zeugungs- und Machtwillen beherrschen, um nicht Schwein oder Hund zu sein und sich so aus dem Natur- zum Geistleben erheben und damit auch die äußere Natur zu befreien.

Nur aus der Deutung der verborgenen Menschenlehre hinter ihrem Weltbild wird auch die objektiv idealistische Kosmologie der griechischen Welt dieser Zeit verständlich: die Schriften einer großen Gruppe von mittleren Piatonikern wie Albinus und Celsus. Hier stehen wir auf dem festen Boden eines offen an den Timaios anschließenden Weltbildes. Der Selbstmächtigkeit der Geistigen entspricht hier überall eine Lehre vom ersten Gott. Philosophie ist zunächst Kenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge, Lehre der Lösimg der Seele vom Leib und Angleichung an Gott. Ja hier wird sogar ohne die mythologische Einkleidung des „Timaios" geredet, offen wird der überhimmliche Gott bekannt und ihm der Weltgeist als sein Werkzeug untergeordnet, der die Weltseele erst aus dem Schlaf wecken muß und nun mit den gewordenen Göttern des Fixsternhimmels zugleich das Vorsehungsgesetz und das Schicksalsgesetz bestimmt. Heftig wird die bloße Heimarmene bekämpft, der Glaube an die Vorsehung läßt die Notwendigkeit nur für die Folgen der freien Handlungen zu und letztlich muß das Böse aus der verkehrten Bewegung der zweiten Weltseele und der Materie abgeleitet werden. Selbst wenn die ewige Wiederkehr des Gleichen angenommen wird, wird die Vorsehung als Wille Gottes noch über das Schicksal gestellt. Auch die naturalistische Kosmologie fehlt nicht, denn jetzt erst wird der Aristotelismus in der Schule von Aphrodisias zum strengen Naturalismus umgebildet; bei Alexander, der von 198 bis 211 in Athen lehrte, sehen wir genau die Zusammenhänge dieser Kosmologie mit der Zeitlage. Nun übernimmt eine Weltseele statt des ersten Bewegers die ewige Ordnung der Welt, aber die Freiheit des Willens und der Vorsehung soll doch neben der Notwendigkeit erhalten bleiben. Ja die Individualität tritt jetzt so sehr in den Vordergrund, daß die Wesenheit in den Dingen geleugnet wird, nicht nur eine Idee oder Wesenheit vor den Dingen. Es gibt keinen Geist ohne Körperseele, aber die Geistvermögen, die zur Geisteshaltung, zum erworbenen Geist erhoben werden müssen, sind doch noch ein Zeugnis des Selbstbewußtseins der Geistigen in dieser Zeit. Der schaffende Geist muß freilich von außen eintreten. Er ist nicht der Urgrund selbst und nicht ein von oben

Die Kosmologen

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herabsteigender Schutzgeist. Seine erste Auswirkung wird in den Sterngeistern sichtbar und jetzt schon wird der unterste der Sterngeister zum schaffenden allgemeinen Geist für alle Menschen. Die Anpassung des Aristotelismus an die herrschende historische Vernunft ist in jedem dieser Denker zu greifen, aber noch viel drastischer ist dies bei dem großen Materialisten der Epoche zu sehen, Claudius Ptolemaios (um 200), dessen tausendjähriger Ruhm leider durch seinen Antipoden Kopernikus geschmälert wurde, der mit ihm als selbständiger Denker nicht zu vergleichen ist. Ptolemaios hat jetzt Demokrit in so geistvoller und treffender Weise durchgebildet, daß nun erst ein im ganzen, nicht bloß in einzelnen Zügen emst zu nehmendes mechanistisches Weltbild entstanden ist. Der Ausgangspunkt ist eine geniale erkenntnistheoretische Überlegung: Das Gehör nimmt durch die scheinbar qualitativen Töne verborgene quantitative Zahlenverhältnisse auf, wie auch das Gesicht mit den scheinbaren Faxben nur bestimmte quantitative Pneumasch.wingungen und Mischungen aufnimmt. Der den den Sinneswerkzeugen zufließenden Licht- und Luftteilchen einwohnende Logos als wahrnehmbare Ordnung und Verhältnismischung macht die Erscheinungen erkennbar und durchdringt die Sachen selbst, die nur aus bewegten Atomverbindungen bestehen. Die Aufnahmefähigkeit für solche geordnete Bewegungen wohnt allen Wesen mit den entsprechenden Organen ein. Aber die Sinneswerkzeuge haben auch selber einen Bewegungsgrund in sich, besonders die verständigen Seelen. Aufnahmeorgane für die sinnlichen Erscheinungen sind vor allem Auge und Ohr, die die verborgenen Zahlenverhältnisse, die Harmonien der Bewegungen erfassen. Aber es gibt auch harmonische Verbindungen unter den Vorstellungen aus den Gesichtseindrücken, Phantasmata für die Ordnungsverhältnisse der Lebensvorgänge. Von dieser Grundlage aus wird ein ganzes, klar in sich geschlossenes metaphysisches System gewonnen. Die ordnende kosmologische Kraft ist die besondere Bewegungsursache der Atomverbindungen, die ihnen auch die artgemäße Form verleiht. Die gleichbleibende harmonische Bewegung des Geschehens ist das immerwährende Gutsein der „göttlichen" Dinge, die veränderliche Bewegung das Gutsein der irdischen Dinge und die Atome selbst sind das einfache Sein, der Bestand der Naturen selbst. Die gleichen Verhältnisse in den komplexen Verbindungen der Charaktere machen den Bestand der Kulturen aus. Auch die Seelenlehre ist mechanistisch gedacht. Genauso, wie die unbelebten und belebten Dinge jetzt aus lauter kugelförmigen Atomen in besonderen Mischungsverhältnissen bestehen, ist auch sie ein Komplex von besonders feinen Pneumata, die ihre Selbstbewegung in sich haben und die Organe lenken. Der geistige Seelenteil hat sieben Erscheinungsformen und der sinnliche die fünf Sinne und das Hektikon, die zusammenhaltende Kraft des Wachsens und Vergehens. Mit den reinen Bewegungsverhältnissen erfaßt die Seele das Gute, eben diese vernehmbare Ordnung der Dinge und danach richtet sich ihre Techne, die Ausführung ihrer Werke und aus ihr wiederum entsteht die Gewöhnung in Anpassung an die Ordnungen. Die Bildung des Gesichtssinnes ist Poesie, die des Gehörsinns Musik.

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Die „Weltseele" ist die gleichmäßige, dauernde Selbstbewegung in ihrer Reinheit und Ungehemmtheit und die entsprechende Bewegung der Fixsternsphäre. Ebenso sind die Planeten mit Sonne und Mond als „beseelt" aus der einwohnenden Bewegungsgesetzlichkeit ihrer geordneten Bewegung statt der ungeordneten unter dem Mond zu verstehen. Das ptolemäische Weltsystem ist die geglückte Berechnung der Planetengesetzlichkeit in strenger Wissenschaft. Es stellt dem Weltbild der Gnostiker und übrigen Kosmologen der Zeit einen mathematischwissenschaftlichen Weltordnungsbegriff gegenüber, der der ganzen Komplikation der Erfahrung gerecht wird. Dem phantastischen Einfluß der Planetengeister auf die herabsteigenden Seelen bei den Gnostikern wird eine wissenschaftliche Astrologie gegenübergestellt, die materialistisch die Strahlung der Gestirnkonstellation auf die Entstehung der artgemäß geordneten Bewegung in der Bildung der Lebewesen und der Konstitution der Temperamente berechnen will. Das ist eine Konzeption von außerordentlicher Tragweite. Solch realistische Horoskope der Völker erklären jetzt sogar den Geist der Nationen. Die dreigegliederte Welt des Hellenismus hat hier ihre geistreichste Deutung gefunden. Die himmlisch-göttliche Welt ist die der vollkommen geordneten gleichmäßigen Bewegung der Fixsternsphäre, die scheinbar unregelmäßige Bewegung der Planeten ist die mittlere Welt mit ihrem gesetzlich bestimmenden Einfluß auch auf die untere Welt durch ihre zahlenmäßig wechselnden Bewegungsformen, und so erklärt sich die Regelmäßigkeit der Erscheinungen der Welt unter dem Mond mitsamt der verborgenen Harmonie des Lebens. Die Unterschiede der vier typischen Weltbilder sind trotz ihres erstaunlich einheitlichen Zeitstils so kraß, daß der Skeptizismus die Metaphysik radikal verwirft zugunsten einer fortschreitenden wissenschaftlichen Forschung und der herkömmlichen Ethik. Wieder entsteht ein geisteswissenschaftlicher Humanismus, der nobler als die alte Sophistik auf ein rein wissenschaftliches Ethos dringt. Und wieder kommt daraus die Wandlung zu einer grundsätzlichen Menschenlehre von der Ethik her. Auch der neue Sokrates, Antonios Sakkas von Alexandrien (bis 242), hat nichts geschrieben, und so müssen wir seine Lehre wiederherstellen und von der seines Schülers Plotin abheben, der leider kein Dichter und so großartiger Charakteristiker war wie Piaton. Es geht leidlich nach den ersten 21, im Geiste des Amonios geschriebenen Traktaten Plotins. Die bezeichnende Leistung des Amonios ist die Umbildung der politischen Tugenden zu reinigenden, wie es

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genau dem Wandel von der politischen zur geistigen Freiheit entspricht. Es kommt nun gänzlich auf das Leben im reinen Geiste an, das Vorbereitung auf das jenseitige leibfreie Leben in persönlicher Unsterblichkeit ist. Daß der Sackträger vom Christen zum Ethiker geworden sei, wäre erklärt durch seinen Kampf gegen die Gnostiker, die die christliche Religion zu einer poetischen Theologie gemacht hatten, nur zu einer Einkleidung der Metaphysik; da der Ethiker aber alle metaphysischen Versuche verwirft, muß er auch die vermeintliche christliche Metaphysik verwerfen.

Auch dem Amonios ist, wie Sokrates, eine große erkenntnis-theoretische Entdeckung gelungen, die weit über die begriffliche Bestimmung der Menschennatur und der Tugenden hinausführt. Ganz im Geiste des Ptolemaios wird die Einrichtung der Erkenntnisorganisation als Voraussetzung der Erkenntnisweise betrachtet. Auch Piaton hatte schließlich die Stufen der Erkenntnis des mystischen Aufstiegs entdeckt, aber der Rückgriff auf den Träger der Erkenntnis war bei ihm nicht systematisch durchgeführt. Jetzt, wo es um die geistige Freiheit als Höchstwert des Menschen geht, muß sie auch seinsgesetzlich und wesensgesetzlich begründet werden im menschlichen Wesen selbst. So wird der reine Geist das eigentliche Wesen des Menschen. Die großartige Entdeckung der Konnaturalität der Erkenntnis, der artgemäßen Organisationsbedingtheit der Erkenntnisweisen und die Zuweisung der Erkenntnisse zu den entsprechenden Gegenstandsbereichen ist uns heute durch die biologische Vergleichung der Organisation der Tiere und ihrer artgemäßen Umwelten vertraut. Daß geistiges Schauen nicht sinnliches Sehen sei, wußte auch Piaton, aber Amonios hat dies zum Systemprinzip der Entsprechung der Erkenntnisstufen, der Lebensstufen und Wirklichkeitsbereiche gemacht. Dies rechtfertigt zugleich die hellenistische Dreiteilung von Geist, Seele und Leib im Gegensatz zum platonischen Dualismus Seele und Leib. Wahrscheinlich hat Amonios nur diese Erweiterung des Piatonismus ganz nach der historischen Vernunft der Zeit vorgenommen. Für ihn ist der Menschengeist das wahre Selbst des Menschen. Gewiß hat auch er wie Sokrates teleologisch gedacht und in der Reinigung des Geistes durch die höheren Tugenden des inneren Lebens dessen Sinnerfüllung und die Vorbereitung seiner Befreiung im Tode zum ewigen Leben gesehen. Das kosmologische Menschen- und Weltbild des Plotin dürfte ihm noch nicht zuzuschreiben sein. Denn unverkennbar offenbart sich in der Lebensstimmung und im Werk des Plotin ein rein mystischer Typ. Plotin aus Lykopolis in Ägypten (204 bis 270) ist ein zarter, stiller und leidender Mensch. Er

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lächelt ironisch über die Rechthabereien der streitenden Kosmologen und über die Herrschaftspläne der königlichen Philosophen. Das alles ist sinnliche Verblendung mitsamt all ihren Leidfolgen für die blinden Menschen. Hoch darüber steht der innere Friede und die Stille, die nur möglich sind in der Vereinigung mit Gott, mit der er schon in diesem Leben viermal begnadet wurde. Im Mitleid mit der verblendeten Welt, das ergreifend in seinen letzten Schriften zum Ausdruck kommt, sucht auch er eine Rechtfertigimg Gottes gegen die allzumenschliche Unzufriedenheit mit den scheinbaren Dysteleologien des ohnehin traurigen Geschicks des Geistes in seiner Leibverbundenheit, die ihn so sehr herabzieht. Die Gewißheit des wahren Selbst ist in der wesentlichen Geistigkeit des Menschen gegeben. Darüber hinaus gibt es noch eine vierte, höchste Stufe des Verhaltens, das unbewußte, liebende Streben nach dem Guten und Schönen und schließlich die ekstatische Einigung mit dem Höchsten in unaussprechlicher Wonne. Entspricht diesem höchsten Erlebnis des Menschen über dem Empfinden, Vorstellen und Schauen auch ein eigenes Sein, so, wie das Leibempfinden zum Leib gehört, das Vorstellen und die Leidenschaften zur Seele und das Schauen zum Geist ? Plotin entdeckt neben dem empirischen Ich, der Persönlichkeit, das wahre Selbst als Geistgrund, der bei ihm leider nicht Person, Hypostase, heißt, aber doch als Arch6 des Geistes erkennbar ist. Das ist die entscheidende Frucht des Grundsatzes der Konnaturalität der Erkenntnis. Das Menschenbild des Plotin ist also völlig systematisch fast nach reiner Vernunft aufgebaut. Die Leibesempfindungen haben ihren Organisationsgrund in der Physis und ihren Stoff zur Gestaltung in den Elementen, wie sie ja auch nichts als körperliche Anregungen erfahren können. Vorstellungen, Strebungen und Leidenschaften haben ihren Einheitsgrund in der Seele und ihren Stoff in einem Pneumaleib, einem Astralleib. Sie können nichts als Bildgestalten aufnehmen. Schauen, Wollen und Lieben haben ihren Einheitsgrund im Geist ohne Leib, aber mit einer allgemeingültigen geistigen Organisation, die die eingeborenen Ideen schauen und lieben kann und eine eigene geistige Welt hat. Einigung und Wonne betreffen das wahre Selbst als Urgrund des Seligkeitsstrebens, die Tiefenperson, den Träger des ursprünglichen und unbewußten Geistes. Der innere Mensch ist entdeckt und der Ansatz zu einer Selbstbewußtseinslehre gefunden, die sich in Kürze auf das fruchtbarste entfalten wird.

Aber zunächst stehen die Folgen für das Gottesbild und Weltbild weit im Vordergrunde. So, wie das Selbst die erste Seinsheit und Wirksamkeit ist und erst in Trennung und Verbindung mit dem Gedachten zum Geist wird, muß auch vor dem Weltgeist das ungewordene Eine in negativer Theologie zum Urgrund des seienden Geistes erhöht werden. Es ist jenseits der Seinsheit und des Geistes höchstes Gut. So, wie

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die Seele im Traum die Traumwelt ausbreitet, kommt auch aus der schöpferischen Kraft der Kosmos noetos die geistig geschaute Welt, die aber selber Wirklichkeit ist als das empfundene Eine, wie auch das sinnlich Empfundene Wirklichkeit ist. Die Ausstrahlung der Ordnung aus dem Urquell und seiner unendlichen Kraft ergibt die einzelnen Schichten der Wirklichkeit bis herab zum Stoff. Es gibt eine Emanation der Ordnung, aber nicht der Dinge, keine Schöpfung, nur eine WeltOrdnung. Die Jenseitigkeit des Gottesgrundes über der sinnlichen und geistigen Welt entspricht der Ursprünglichkeit des Selbst und wird bald zur unendlichen Willenskraft werden, aber noch nicht bei Plotin. Und gerade auf dies Eine ist nun das Gottesbild beschränkt, Gott darf Vater genannt werden und ist das Ziel der seligen Liebe und Einigung. Denn der Weltgeist, diese erste Hypostase, gehört schon zum Weltbild. E r ist Sein und Geist und enthält die Ideen als die Lebenseinheit in sich. E r wirkt durch seine Urbilder auf die zweite Hypostase, die Weltseele, von der er unberührt bleibt wie Gott von ihm. Sie hat als ihren Stoff die Pneumaleiber der Gestirne, sichtbare Götter und Dämonen, die sie nach dem Gesetz der geordneten Bewegung bestimmt. Die Vorstellungsbilder von ihnen wirken auf die Sinnlichkeit der dritten Hypostase, die Weltnatur, die die Lebewesen informiert und zu ihrem Stoff die Materie hat, die Widerständigkeit des gänzlich Ungeformten und damit des Bösen, aber die Welt als Ordnung, als Kosmos ist gut.

Die ewige Seele Plotins lebt durch den ewigen Geist selbst und sein Haupt, das Eine. Über der Weltnatur, Weltseele und dem Weltgeist steht als König und Vater Gott als das Endziel der Liebe und Einigung. Da alles des Schauens teilhaftig wird, je nach seiner Naturanlage (III, 8., 1.), der Mensch aber alle Stufen der Seinsordnung in sich enthält, kann er die Ordnung der äußeren, der inneren und der geistigen Welt schauen, aber sein höchstes Ziel ist, zur liebenden Einigung mit dem Einen zu gelangen. Die Leiden der vergänglichen äußeren Welt erfahren wir nur durch den widerständigen Stoff. Die Seelen haben eine innere Welt der Leidenschaften, falschen Vorstellungen und Begierden, und nur wer aufsteigt und die geistige Schau erreicht, wird gereinigt werden und gewürdigt der seligen Wonne der Einigung mit dem Vater. Es ist mit Händen zu greifen, wie hier nach der verlorenen politischen Freiheit die geistige in letzter Lebenstiefe ihre Vollendung gefunden hat. Ein wichtiges Grundgesetz der reinen Vernunft, die Organisationsbedingtheit des Erkennens und Lebens, ist das Systemprinzip, aber dennoch bleibt eine böse ewige Materie bestehen, ein ewiges Leben des Geistes in einer Weltordnung, die nur Sinn hat für die Geistigen, aber nicht für die leidenden Wesen. Während der Geist der politischen Freiheit mit dem ewigen Naturgesetz auch die ewige Weltordnung entdeckt, wird jetzt der widerständige böse Stoff betont, aus dem in der

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Gesellschaft die Gegensätze und der Krieg, Krankheit und Tod erwachsen. Gott ist nur gerechtfertigt vor den Weisen, die die Herrlichkeit der Ordnung im ganzen schauen können, das Urgesetz der Bilderemanation bis zum Urstoff. Wir haben hier eine einzigartige Gelegenheit, den Einfluß der historischen Vernunft auf die reine theoretische zu beobachten, denn der neue „Aristoteles" dieser Epoche, Marius Victorinus, der Afrikaner und Rhetor von Rom (300 bis 370) gehört sowohl der hellenistischen wie der christlichen Welt an, da er etwa 360 zum Christentum übergetreten ist und schon seit 325 die christliche Metaphysik vor Augen gehabt hat. Er ist der Übersetzer des Plotin ins Lateinische und damit der Schöpfer der endgültigen lateinischen Philosophensprache. Dieser zweite große Meister der Metaphysik ist ein Fremdling in Rom, ein stiller Betrachter, ein großer Rhetor, der doch ein Schweiger ist und in der Stille die ungeheure sprachschöpferische Kraft sammelt, die dann plötzlich hervorbricht und der ebenbürtig erst die Schöpfung der deutschen Philosophensprache durch Meister Eckhart zur Seite steht. Er steigt rasch zum Lehrer des heidnischen Rom auf, in dem nicht mehr der Kaiser residiert, das darum die Stadt der Bildung neben Athen und Alexandrien werden soll. Der nüchterne Logiker der Präzision der Begriffe will die Römer nicht mehr mit der ganzen griechischen Geisteswelt bilden wie Cicero, sondern sie zur Strenge der aristotelischen Logik erziehen. Sein größter Schüler in der Rhetorik, der Kirchenlehrer Hieronymus, sollte die Analytica posteria des Aristoteles übertragen! Nun ist ja in Plotins Werk eine Ordnung der geistigen Welt sichtbar geworden, die eine Bewältigung der Geisteswelt vom Schöpferischen aus möglich macht, es muß nur die volle aristotelische Klarheit der Begriffe dazukommen. Dieser Vollendung der hellenistischen Geistigkeit lebt Viktorinus. In diese Zeit fällt der kirchenpolitische Streit um das Homousios von 325, der Streit um den Vorrang des Kaisertums über die Kirche. Aber da beide Parteien, die Arianer und die Katholiken, nicht die geistigen Mittel haben, um ihre Probleme zu bewältigen, sieht Viktorin in der Vollendung des Geistesreichs in Rom das Hochziel der Zeit. Nun stellt ihn aber seine größte Entdeckung, die Vertiefung des zweiten Grundsatzes der Metaphysik, der Konnaturalität der Vermögen mit der Art zu ihrer Konsubstanticüität im Bestände vor die eigene Entscheidung für die Arianer oder Katholiken. Die Konsubstantialität der Vermögen mit dem Wesen wird offenbar in ihrer Wirksamkeit, ja noch mehr in ihrer ersten Wirklichkeit. So sind auch, meint Viktorin, die drei Personen in Gott konsubstantial mit der Gottheit. Das führt ihn auf die Seite der Katholiken, und ihre Bekämpfung durch

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die arianischen Kaiser reißt ihn aus seiner vornehmen Zurückhaltung heraus zum öffentlichen Bekenntnis. Ein anderer großer, aber nicht mehr unmittelbarer Schüler, Augustin, hat dies Ereignis ergreifend in den Konfessionen (8. 2.) geschildert. Als Julian die hellenistische Philosophie zur Reichsideologie machen wollte und die christlichen Rhetoren absetzte, machte er für Viktorin eine Ausnahme, aber der große Meister verzichtete, sie anzunehmen. Dies ist das klare Charakterbild eines trotz seines ästhetischen Berufs rein theoretischen Menschen und nur ihm konnte in der Nachfolge Plotins die Vollendung der hellenistischen Philosophie gelingen, der klare kritische Realismus der Unterscheidung aller Seinsstufen in der Einheit der Weltordnung.

Das Gesetz der Konnaturalität der Erkenntnis und des Erkannten mit den Wesensarten hat den Mystiker Plotin zur Entdeckung des wahren Selbst geführt. Er war zufrieden mit dieser höchsten persönlichen Bestätigung der hellenistischen Geistigkeit. Der Theoretiker wendet den Grundsatz auf alle Aufbauschichten des Menschen an, vor allem aber auf das Selbstbewußtsein, und so entdeckt er die Vertiefung dieses Grundsatzes, die Konsubstantialität aller Kräfte mit der Geistnatur, die Mitwesenheit des Seins selbst, des Erkenntnislebens und des Geistseins. Aristoteles hatte die Unterscheidung der ersten, zweiten und dritten Substanz gefunden, des Unterliegenden, des allgemeinen Bestandes und des konkreten Wesens. Damit war die Erkenntnis der Lebenseinheit und Gesetzlichkeit der Arten nach den drei Verstandesprinzipien gesichtet und neben einer Substanz- und Kategorienlehre die Logik begründet. Er hat den Wesensbestand von den Erscheinungsweisen her, aus der Trennung der Wesensmerkmale von den bloß begleitenden Eigenschaften gewonnen. Viktorin erkannte das Selbstsein und fand eine Theorie des Selbstbewußtseins, um den Wesensbestand nach dem schöpferischen Vorgang des Selbstbewußtseins zu deuten.Das Eine des Plotin stand über den drei Urgründen Weltgeist, Weltseele und Weltnatur. Viktorin stellte diesen Weltgründen die drei Urgründe Sein, Leben und Geistsein voran und fand sie im Selbstbewußtseinsvorgang des unendlichen und endlichen Geistes. Wegen der eigentümlichen Doppelstellung Viktorins in der hellenistischen Tradition und in der Christenheit ist seine hochbedeutende Entdeckung nicht sofort zur vollen Auswirkung gekommen, aber durch Augustin ist sie dann doch die Grundlage der westchristlichen Metaphysik geworden.

Daß das Sein vom wahren Selbstsein aus verstanden werden kann, sieht man erst nach dem zweiten Grundsatz des reinen Verstandes in der Fassung der Mitwesentlichkeit der Vermögen mit der Natur. Das Selbstsein sinkt damit freilich zunächst zum bloßen Vermögen herab, aber im Kräftegrund findet es seine Konsistenz, seinen Bestand. Es ist schade, daß Viktorin „Person" noch zu deutlich als „Maske" hörte und

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Tertullians Personbegriff deswegen verwarf: Personam servi suscepit logos. Viktorin hat dafür den Begriff der Subsistenz als dialektischen Gegenbegriff der Wesenheit geprägt. Aus seinem Grundsatz der Konsubstantialität der Kräfte ergibt sich ja auch der logische Grundsatz der zweiten Substanz: Wenn ein Wesensmerkmal gegeben ist, sind alle anderen auch da, nämlich die Auszählung der Wechselwirkung der Kräfte im Bestand und ihre Rückverbindung zum Grund. Selbstsein ist das Seiende in der ersten Verwirklichung aus der Vollmächtigkeit des Wesensbestandes, mit-wesentlich mit ihm wie es gleich-wesentlich ist mit dem Selbstwort oder Selbstleben und dem Geistsein. Es ist esse ipsum, das Seinselbst in der actio aus der potentia des stillen Urgrundes. Es ist existentia — hier erst wird dieser dialektische Begriff geprägt —, Heraustretendes, praecendens aus der existentialitas, der vorausbestehenden Subsistenz ohne Aktualität. Das Selbstsein ist actio aus der potentia, erste Wirklichkeit aus der Vollmächtigkeit der Natur. Denn nun erst, in der Selbstbewußtseinslehre, gewinnt die Potenz dialektisch ihre volle Klarheit: Omnis potentia naturalis est voluntas, die vorausliegende Naturvollmächtigkeit, der Wesensbestand ist Wille, zuhöchst Gottes schöpferische Allmacht. Die erste Verwirklichung des Urwillens im Selbstsein, das erste Offenbare ist Subsistenz, Existenz oder Person. Das ganze Geistsein muß aus dem Konkretum der Kräfte verstanden werden, willentlich. Das zweite Kraftprinzip ist das Leben. Sein Synonym ist Wort, Logos, offenbares, ausgesprochenes Wort des Seelengrundes. Der Geist erzeugt das Wort, die Geister haben ihr Wort und ihre Selbsterkenntnis. Das mit sich redende Urwort wird Wort wie Gott der Vater durch den Sohn und mit dem Sohn Wort wird. Im Leben erscheint das, was das Sein ist, und darum muß allgemein für Wort Leben stehen. Auch hier ist Leben, Lebendes und Belebung unterschieden. Das dritte Kraftprinzip ist das Geistsein. Denn Geist ist als Erkennen dasselbe wie das Selbstsein, er ist mitwesentlich mit dem Sein und Leben. Der Erkennende und das Erkannte sind subjektiv und objektiv im Geiste dasselbe. Die intelligentitas, die Geistmächtigkeit, ruht im Urgrund, der Erkennende tritt hervor und die Intelligenz ist Geistsein und Geistleben in der Rückwendung auf das Selbstsein und seinen Wesensgrund. Der erste entscheidende Gewinn dieser vollständigen dialektischen Kategorienlehre der Kräfte aus dem Wesen ist die reine Menschenidee. Die anima intellectiva, die Geistseele, ist der Wesensgrund des Menschen, aus dem die Person oder Subsistenz, das Leben und das Geistsein hervorgeht. Das ist ein radikaler Bruch mit der hellenistischen

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Dreiteilung des Menschen aus einer Geistlehre, die nun nicht mehr den Geist hypostasiert. Die Entdeckung des Selbstseins hat zurückgeführt zur Geistseele, weil nun die Person eingeordnet ist in das Wesen des Menschen, noch nicht wie in der Christenheit Selbstsein an und für sich ist. Auch die dreigeteilte Welt ist damit um eine Region erleichtert. Der Mensch tritt in den Horizont der beiden Welten, der geistigen und sinnlichen, hat durch die Vergeistigung Teil an der oberen und durch die Belebung Teil an der unteren. Erst nach dem Gesetz der Konsubstantialität der Kräfte gibt es eine exakte Schichtenlehre der gesamten Wirklichkeit, eine kritisch-realistische, die alle Schichten streng unterscheidet und kontinuierlich vereint durch die Wirkung von oben nach unten. Die Schichtenlehre Viktorins unterscheidet das Vorsein, das wahrhaft Ewigsein, das Ewigsein und nicht eigentlich Veränderlichsein, das Veränderlichsein und das eigentliche Veränderlichsein. Wahrhaft ewig ist nur Gott, beginnend ewig, und nicht eigentlich veränderlich durch ihre Einkörperung sind die Weltseele und die Geistseele, veränderlich sind die Naturen, die Lebewesen und das eigentlich Veränderliche ist die geschaffene Materie. Vom Vorsein zum wahrhaft Ewigsein führt die geistige Zeugung aus sich selbst. Von Gott und den Ideen zu den Geistern führt die Inspiration, von den Geistern zu den Leibseelen führt die Belebung als Imagination, von der Weltseele zur Natur die Gestaltung der Körper als Information durch die Bestimmung der Materie.

Die Geistseele steht in der Mitte zwischen dem dreifaltigen Gott und der Welt. Die drei Ideen, die Gottesidee, Menschenidee und Weltidee, können analog aus dem Prinzip der Konsubstantialität aufgebaut werden. Wir kennen die Gottesidee Viktorins nur aus der Zeit seines Kampfes gegen die Arianer, als er schon katholisch geworden war, aber sie stammt nicht aus der christlichen Religion. Seine Selbstbewußtseinslehre legte ihm ein Verständnis der Trinität nahe, das wie alle Trinitätsdeutungen „theologisch schlecht" ist (Hieronymus). Sie brachte einen außerordentlichen Fortschritt in der Erkenntnis Gottes, aber sie scheiterte gerade an der Verbesserung der Urgrundlehre in historischer Antithese gegen Plotin, der die Urgründe dem verborgenen Einen untergeordnet hatte. Viktorin ergänzte die Lehre von der Weltseele und der Weltnatur durch die Nebenordnung von Sein, Leben und Geistsein, die aus der Gottheit, der Allmächtigkeit hervorgehen und verfehlt damit das Sein selbst. Es wird durch die Vorordnung der Wesenheit, des Vorseins in ewigem Hervorgang abstrakt abgeleitet aus der Unterscheidung zwischen der Allmächtigkeit und dem Allmächtigen, dem Vater, der nun als der Allmächtige das Sein selbst ist. So kann es gleichgeordnet werden mit dem Leben oder Wort, dem Sohn und mit dem Geistsein, dem heiligen Geist. Aber es fehlt die actualitas als Urgrund des Wirklichseins, die an Stelle der omnipotentialitas hätte treten müssen. So ist diese vermeintliche Trinitätslehre immer noch hellenistisch. Viktorins größte Leser sind Augustin und der Cusaner. Beide haben das Prinzip der Konsubstantialität der Kräfte in seiner Bedeutung erkannt. Augu-

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stin hat daraus in bezeichnender Umbildung seine Dreifaltigkeitsdeutung gewonnen, die nicht mehr das Können mit dem Selbstsein gleichsetzt, und der Cusaner hat sich damit geholfen, daß er vom possest sprach, von der Allmacht, die das Sein selbst ist. Erst Schelling hat der immer noch negativen Philosophie der Potenzen die positive des Herrn des Seins entgegengestellt.

Gleichwohl war es eine entscheidende Stunde des Geistes, als Viktorin seine Klärung der Gottesidee gewann. Denn nun erst war ja die Allmächtigkeit des schöpferischen Seins als wesentliches Gottesattribut erkannt und damit erst die Idee einer Schöpfung aus dem Nichts metaphysisch grundgelegt, um vor allem den ewigen Vorgang des innergöttlichen Lebens in herrlichen Hymnen preisen zu können. Viktorin hat nun auch die Schöpfung der Geistseele begründen können, nur leider noch nicht den Personbegriff gefunden, weil er die Substanz und Existenz aus der Geistseele hervorgehen ließ, wie den Vater aus der Gottheit, statt sie als den individuellen Seinsgrund dem universellen Wesensgrund zur Seite zu stellen und damit erst den letzten Einblick in den Satz der Komposition zu gewinnen, die Identität von Sein und Wesen in Gott und die Trennung von Person und Natur im Menschen. Dennoch ist durch seinen Grundsatz der Konsubstantialität das Gehäuse der ewigen Welt gesprengt, die Dreiteilung der Wirklichkeit in Gott, eine Götterwelt und eine veränderliche Welt aufgehoben. Mit der Gleichstellung von Selbstsein, Leben und Geistsein hat er für den ganzen weiteren Neuplatonismus eine Prinzipienlehre festgelegt, die ja dann auf dem Umweg über Proclus und Pseudodionysius die mittelalterliche Metaphysik tiefgehend beeinflußt hat. So ist Viktorin trotz dieser Schwächen einer der größten Anthropologen, der eigentliche Meister der hellenistischen Philosophieepoche und trotzdem ein Lehrer der christlichen Metaphysik, besonders durch seine Selbstbewußtseinstheorie. Gerade an dieser Stelle sieht man den Unterschied zwischen der historischen und reinen Vernunft außerordentlich deutlich. Der Kampf zwischen den Lehrern der Ewigkeit der Welt und den Lehrern ihrer Geschichtlichkeit wird bei Viktorin deutlich und damit der grundlegende Unterschied der antiken und der christlichen Geisteswelt. Es ist die Tragik der Geistigen von beiden antiken Geistzeitaltern, daß sie im Streben nach der politischen und geistigen Freiheit trotz der unverlierbaren Wahrheiten, die sie dabei gewonnen haben, keine öffentliche Autorität erreichen konnten. Im Kampf gegen das Römerreich und gegen die alten Nationen haben sie nur das Reich des Geistes gefördert, aber sie konnten niemals das neue Gesetz mitbestimmen. Diese tragische Ohnmacht des Geistes in der geschichtlichen Wirklich-

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keit ist zuletzt noch durch den philosphischen Kaiser Julian bestätigt worden, der die metaphysische Religion in mythologischer Einkleidung zur öffentlichen Reichsreligion machen wollte, aber dabei geistig und politisch gescheitert ist. So ist in Wirklichkeit die Bekehrung Viktorins das Ende der hellenistischen Epoche. 2. Z e i t a l t e r der gläubigen Vernunft a) Väterzeit Die neue Gemeinschaft, die in der alten Welt heraufkam, lag so gänzlich außerhalb der Vorstellungskraft der Antike, daß die Gnostiker sie völlig mißverstanden, die neue Religion nur als eine Mythologie betrachteten, die eine Metaphysik verhülle, die Kaiser aber die Nichtachtung ihrer eigenen göttlichen Autorität mit dem Tode bestraften. Daß sich eine neue Religion für alle Menschen gegen alle bestehenden Gemeinschaften, Vater und Mutter, das eigene Volk und die Reichsmacht als ein selbständiges Gemeinschaftsprinzip erwies, das konnte man sich trotz der Lehre von der natürlichen Religion nicht vorstellen. In ihrem Namen hatten die Geistigen den Kampf gegen Staats- und Volksreligion geführt. Die Gemeinschaft aller Menschen als Kinder des einen Vaters in der Nächstenliebe, das ist das Reich Gottes auf Erden, Theokratie nicht für ein Volk, sondern für alle, die guten Willens sind. Oft ist die Ausbreitung des Christentums gegen alle seine Feinde, und das waren ja alle anderen Gemeinschaften, für ein Wunder gehalten, seine Existenz als Paradoxie betrachtet worden. Aber die ersten christlichen Philosophen wußten genau, daß die neue Glaubensgemeinschaft für alle mehr und etwas ganz anderes war als das Geistesreich der wenigen Geistigen. Denn sie war ja gestiftet durch den „Gesandten", den Apostel Gottes, der im eminenten und einzigen Sinn sich als den Sohn Gottes wußte und für diese seine einzige Sohnschaft in den Tod ging. So hatte die neue Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe ein neues Gesetz der inneren Gerechtigkeit und des Friedens, auch einen neuen Hohenpriester, der selber das Opfer der Sühne für die Sünden der ganzen Menschheit, auch seiner Feinde war und einen Herrn und Gesetzgeber, der Gott und Mensch zugleich war. Seine Gesandten hinwiederum, die Apostel, waren die neuen hohen Priester der Gemeinden, die aus dem Gottesdienst und Opfermahl ein Gemeinschaftsleben in dieser Welt aufbauten und sich für seine zweite Ankunft und das ewige Leben bereiteten. Daß die Apostel ein Konzil, einen Rat

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bildeten, und ein Haupt dieses Rates hatten, heilsgeschichtliche Entscheidungen treffen konnten, das war die neue Institution des neuen Gesetzes in der neuen Volksversammlung, der neuen Ecclesia für die ganze Ökumene, in einer sichtbaren Gemeinschaft des unsichtbaren Gottesreiches. Es braucht hier nicht eine Religionssoziologie der Entstehung des Christentums versucht zu werden, die etwa die Ersetzung des jüdischen, politischen Messianismus der Zeloten durch den geistlichen einer einzigen Gottessohnschaft und der Kindschaft aller Menschen unter dem einen Vater zeigen könnte, also die Ersetzung der Volksreligion des alten Bundes durch die neue Menschheitsreligion des gottmenschlichen Stifters. Es handelt sich auch nicht um eine Unterdrücktenideologie wie im Hellenismus, sondern ganz schlicht um ursprüngliche Frömmigkeit des Heilswissens um den inneren Frieden durch die Gemeinschaft der Nächsten- und Feindesliebe. Die christliche Geisteswelt beginnt erst in der späteren Ausbreitung dieser Glaubensgemeinschaft, wenn sie sich mit der zeitgenössischen Umwelt auseinandersetzt. Die Lage war ähnlich wie im Hellenismus, sofern sich auch hier die Gläubigen wie dort die Geistigen in dieser Welt zurechtfinden mußten. Für die Gläubigen gibt es Heiden und Juden, aber wichtiger noch ist die Unterscheidung der eigenen Anhänger nach ihrer Herkunft aus dem Judentum oder Heidentum, also der Judenchristen und der Heidenchristen. Sie alle werden als neues drittes Geschlecht, als Gemeinschaft aus Juden und Heiden zusammengefaßt. Gerade der Unterschied zwischen Heidenchristen und Judenchristen hat das Gesellschaftsbild der altchristlichen Kultur bestimmt, freilich nicht das der Kirche selbst. Die Auseinandersetzung mit der ganzen Zeitordnung bestimmte die neue gesellschaftliche und geschichtliche Wirklichkeit. Die Zeitlage kennzeichnet die Verfolgung der Christenheit durch das Reich und durch die Geistigen, die Gnostiker, die das Christentum nur als eine neue Mythologie betrachten. Dagegen erhebt sich die christliche Geschichtsphilosophie, die wesentlich theologisch ist, weil ihr neues Gesetz ein geoffenbartes, positiv-göttliches Gesetz ist. Die Idee der Gottessohnschaft und des erschienenen Gottmenschen ist grundlegend für den Gesetzesbegriff und Gesellschaftsbegriff. Nun soll die ganze Menschheit in das neue Gesetz und in das kommende Zeitalter geführt werden. Die Zeitdeutung zielt auf die Einigung der Oikumene, der Juden und Heiden und des dritten neuen Geschlechts und ist darum grundsätzlich fortschrittlich im Gegensatz gegen die Abstiegslehre des Hellenismus.

Justin

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Entsprechend der Spannung zwischen Heiden, Juden und Christen unterscheidet die Aufstiegslehre als erste Stufe das Naturgesetz der natürlichen Religion und Ethik, als zweite Stufe das positive alte Gesetz des Judentums und als dritte Stufe das positiv göttliche Gesetz des Evangeliums, die Vollendung der Offenbarung. Das ist schon der endgültige Weg für alle christlichen Geschichtsphilosophien. Nur aus diesem ursprünglichen Selbstbewußtsein der Christenheit zwischen Heiden und Juden ist die altchristliche Dogmengeschichte zu verstehen. Sie ist wesentlich heilsgeschichtliches Denken im Gegensatz zum reichsgeschichtlichen und geistesgeschichtlichen. Die Antithese gegen die Staatsreligion und das Geistesreich soll freilich auch hier in verschiedenen Kompromissen ausgeglichen werden; aber alle diese Versuche erweisen sich als „Häresien" gegen die heilsgeschichtliche Grundlage des ganzen Denkens und werden durch die neue Institution des Konzils, die Entscheidung der Bischöfe, wieder ausgeschieden. Gerade solche heidenchristliche und judenchristliche Kompromißversuche machen aber den eigentlichen historischen Charakter dieser Kämpfe aus. Man muß heute die Dogmengeschichte als streitende Zeitdeutungen aus der Wissenssoziologie verstehen. Es wird um die Symbolik des Gottesbildes gekämpft, woraus man die gegnerischen Gruppen erschließen kann. Die Substanz der christlichen Lehre und des göttlichen Gesetzes wird durch sie gar nicht berührt, weil der christliche Glaube der christlichen Kultur weit vorausliegt. Die historische Vernunft der alten Christenheit ist menschliche Vernunft. Es ist ganz verfehlt, die Dogmenentwicklung erst als Herausbildung einer sich danach wandelnden Glaubenswelt aufzufassen, die doch schon in allen wesentlichen Zügen durch das Evangelium und den Kanon festgestellt ist. Es kann nur diese Glaubenswelt in festen Sätzen formuliert werden durch die heilsgeschichtliche Entscheidung der Konzilien.

Die Streitigkeiten um die Trinität gehen um die Autorität des Gottmenschen als des Herrn und Gesetzgebers der Christenheit und der ganzen Welt. Justin, der Märtyrer (bis 167) ist ein weltkirchlicher Denker. Christus ist für ihn der erschienene ewige Logos, schon im Heidentum der Gesetzgeber der natürlichen Religion und Sittlichkeit und des natürlichen Rechts. Diese natürliche Religion ist in der christlichen Lehre mit enthalten. Darum kann Justin versuchen, die, .philosophischen Kaiser" zu überzeugen, daß die Christen ihre besten Staatsbürger sein müssen. Den Juden kann andererseits Christus als der wahre geistige Messias erwiesen werden aus der Erfüllung der Weissagungen ihrer eigenen Schrift. Er ist der Sohn des Vaters und Schöpfers, der ihm die ewige Herrschaft übertragen hat, weil er das Heil für alle Gläubigen

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in diesem Leben und die Auferstehung der Toten bei seiner zweiten Ankunft zum tausendjährigen Reich bringen wird. Das Menschenbild ist nun grundsätzlich geschichtlich. Der zeitlichen Schöpfung der Welt entspricht die Schöpfung der einzelnen, persönlichen, unsterblichen Seelen. Die Unsterblichkeit kann schon die menschliche Vernunft beweisen, aber dem Christentum geht es um die Auferstehung des Fleisches, um das Heil und die Wiederherstellung des ganzen Menschen nach Leib und Seele. Es ist der eigentliche Sinn des Chiliasmus, daß mit der zweiten Ankunft Christi schon vor dem Endgericht der vollkommene, ursprüngliche Lebenssinn der Menschheit auf Erden verwirklicht wird. Justins Schüler, besonders Irenäus, haben dieses Menschheitsgesetz als Weltverwaltung, Oikonomia Gottes, als welthistorisches Gesetz der stufenweisen Erziehung der Menschheit nach ihrer Aufnahmebereitschaft für das natürliche, mosaische und evangelische Gesetz verstanden, bis endlich die Zusammenfassung aller Menschen unter dem neuen Gesetz und dem einen Haupt gekommen ist.

Gleichzeitig mit Justin hat Markion (um 144) betont heidenchristlich in schroffer Stellung gegen das Judenchristentum eine ganz andere Deutung der Zeit vertreten. Beeinflußt von der antijüdischen Gnosis hat er den Judengott und das alte Gesetz nicht als Vorbereitung des Christentums, sondern als Fehlbildung betrachtet. Der Gott der Gerechtigkeit entspricht nicht der neuen Offenbarung des barmherzigen Vatergottes, der Religion der Sündenvergebung statt der Werkgerechtigkeit. Der zu Hause gebliebene Sohn wird verworfen, „der verlorene Sohn" wird gerettet. Die Weltkirche wird zu einer Sünderkirche eingeengt, das Wesen des Christentums in der Demut, der Reue und der Nachlassung der Sünden gesehen. Diese Vatergläubigkeit zerbricht die Trinität und äußert sich in mehreren monarchianischen Häresien, verschiedenen Lehren von der Einherrschaft des Vaters ohne die Annahme eines Logos, vom Leiden des Vaters selbst, in der Lehre, daß Christus der Vater selber gewesen sei und nur einen Scheinleib gehabt habe und zuletzt in der bedeutendsten Form, im Modalismus, daß der eine Gott je nach den Erziehungsstufen der Menschheit ihr das Antlitz des schaffenden, des gerechten und des barmherzigen Gottes zugekehrt habe. Durch Montanus tritt um dieselbe Zeit (um 155) der vatergläubigen Christentumauffassung eine Sekte der Reinen, der enthousiastischen Geistgläubigen gegenüber, die den Heiligen Geist zum Herrn des kommenden dritten Zeitalters macht. Der Vater war für sie der Herr des Judentums und der Sohn der des Christentums. Hier tritt wieder die hellenistische Dreiteilung des Menschen nach Somatikern, Psychikern und Pneumatikern auf. Ein gemäßigter, aber großer Montanist war Tertullian von Carthago, dem es in der Verfolgungszeit von 200 auf ein existentielles Christentum ankam, auf die disciplina. Er durchschaute

Orígenes

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die philosophischen Hintergründe bei Markion und den anderen Vatergläubigen und hielt fest am Glauben an die eine göttliche Natur mit drei Personen. Aber auch ihm kam es wie den Montanisten auf die unbedingte Disziplin für das Martyrium an und so sah er die Weltverwaltung Gottes letztlich bestimmt durch die Einwohnung des Heiligen Geistes in der schon von Natur aus „christlichen Seele". Man darf nicht wie in der Weltkirche auf der Stufe der Psychiker beim äußerlichen Gottesdienst stehenbleiben, sondern muß zur entschiedenen „Geistlichkeit" fortschreiten. Jetzt erst ist die Zeit reif für eine große weltkirchliche Philosophie des Christentums, die Origenes von Alexandrien (bis 254) geschaffen hat. Für ihn ist die gesellschaftliche Wirklichkeit der Zeit das Zusammenleben der Heiden, der Namenschristen und der wahrhaften Christen, der Ecclesia der Polis, der Ecclesia der Kirchlichen und der unsichtbaren Gemeinschaft der „Geistlichen" schon in dieser Welt. Die Weltverwaltung Gottes über Freie und ursprünglich Gleiche kann nur gerechtfertigt werden durch eine Vorentscheidung der Seelen vor der Geburt, in ihrer Präexistenz, in der sie sich nach dem Grade ihrer Gottesliebe selber zu Engeln, Menschen oder Teufeln bestimmen und sich danach die entsprechende Leibkonstitution zuziehen. Die Welt wird damit zu einer großen Seelen- und Liebesgemeinschaft erweitert, aber das entscheidende ist, daß nun der Mensch gänzlich von der persönlichen Liebe zu Gott und dem Nächsten her verstanden wird. Mundus varietas animarum justissima et aequissima! Die historische Vernunft dieses grandiosen Entwurfes ist mit Händen zu greifen. Nun scheint der Hellenismus durch diesen Schüler auch des Heiden Ammonios Sakkas, nicht nur des Christen Klemens von Alexandrien, doch noch mit der Unterscheidung der Somatiker, Psychiker und Gnostiker wieder in die Christenheit einzubrechen. Aber nun sind die Gnostiker geistliche Menschen, deren Signatur die Demut und Selbsterniedrigung ist, wie der Gottmensch selber in Selbstdemütigung herabgestiegen ist und sich zum Tode am Kreuze erniedrigt hat. Origenes ist hundert Jahre vor dem Mönchtum der geistige Vater des asketischen und mystischen Lebens. Die Gegnerschaft des Origenes richtet sich gegen den heidnischen Philosophen Kelsos und seine Lehre von der politischen und poetischen Religion des Reiches und der Volksgesetze, die ein rein geistiges einheitliches Weltgesetz unmöglich mache. Origenes meint, dies eine Weltgesetz werde durch das Wunder der Herrschaft und Gnade Gottes erreicht. Sie richtet sich ebenso gegen den Chiliasmus Justins und seiner Schüler, weil sie zu großen Wert auf das tausendjährige Reich auf Erden legten. Es müssen alle Geister in die Herrlichkeit Gottes eingehen, wenn nötig nach einer neuen Verkörperung, so daß es schließlich keine

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Unseligen mehr geben wird. Mit dieser Lehre von der Präexistenz der Seelen und der Leugnung der ewigen Höllenstrafe hat sich aber Origenes um den vollen Personbegrifi gebracht, um die zeitliche Schöpfung der persönlichen Seelen, denen die Welt nur als Prüfungsort dient, womit erst die volle Geschichtlichkeit der Welt besiegelt ist. Christus als der ewige Logos und ewige Sohn des Vaters mit dem heiligen Geist ist nun nicht mehr als Weltgeist dem Vater untergeordnet, er ist Mitschöpfer der zeitlichen Welten und Herr der Geschichte durch die Offenbarung des natürlichen, mosaischen und evangelischen Gesetzes, das jetzt schon das ewige Gesetz ist für alle, die es erkennen. Die gewaltige Autorität des Origenes beruht weniger in diesen ausdrücklich nur als hypothetisch verkündeten moralischen und mystischen Auslegungen der ganzen Schrift und des Christentums, sondern in seiner Meisterschaft des geistlichen Lebens. Sie war ein mächtiger Ansatz zu einer Schulbildung, aber seine Schule konnte nicht öffentliche Institution werden, weil nur die Bischöfe als Konzilsväter die heilsgeschichtlichen Entscheidungen trafen.

Die nächste Geschichtsphilosophie ist ein Kompromißversuch mit der staatlichen Macht durch Paul von Samosata (bis 270), den Patriarchen von Antiochien und Staatskanzler der Kaiserin Zenobia, dessen Enkelschüler Artus ist. Durch seine politische Theologie kam er zum Adoptianismus, zur Leugnung der einzigen Gottessohnschaft Christi, der nur durch Adoption in der Taufe am Jordan zum vorbildlichen Gottessohn angenommen wurde, wie wir alle Gotteskinder werden sollen. Dieser Versuch, zu einem staatskirchlichen Christentum, das die Hoheit Christi als des Herrn des göttlichen Gesetzes der Christenheit beseitigt und es nur zu einem natürlichen Sittengesetz macht, will die Oberhoheit des Staates über die Kirche nicht angreifen und ist zunächst auf Provinzialkonzilien und dann in seinem Enkelschüler Arius auf dem Konzil von Nicäa verurteilt worden. Der Versuch, nach den schweren Verfolgungen von 250, die schon eine weit verbreitete Kirche trafen, mit dem Staat zu einem Kompromiß zu kommen, ist nicht auf den einen Mann, der zufällig Staatskanzler einer östlichen Kaiserin gewesen ist, beschränkt geblieben. Nach dem glänzenden zweiten Jahrhundert der Kaiserzeit ist das dritte durch eine dauernd schwere Reichskrisis mit wechselnden Soldatenkaisern gekennzeichnet. Die soziologischen Zusammenhänge der Kriegsereignisse, neuen Heeresverfassung und Sklavenwirtschaft, die zum Soldatenkaisertum führten, können hier nicht erörtert werden. Mit den wechselnden Kaisern und Usurpatoren sind nach dem Gesetz der historischen Vernunft auch neue Reichsgötter wie Mithras eingeführt worden und damit wurde auch die Erhebung Christi zum Reichsgott denkbar. Der Einfluß dieser Zeitlage auf die geistigen Strömungen innerhalb der Kirche wird in solchen geschichtsphilosophischen Kompromißversuchen deutlich.

Staatskirchliches Christentum

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Constantin betrachtete in seinem Kampf um das Reich nach der diokletianischen Christenverfolgung die Christen als die verläßlicheren Staatsbürger und wollte das Christentum zur einheitlichen Reichreligion machen durch das Toleranzedikt von 313 und durch die Entscheidung des Konzils von Nicäa gegen die Streitigkeiten innerhalb des Christentums selber. Die Berufung des allgemeinen Reichskonzils von 325 ist von weltgeschichtlicher Tragweite, weil jetzt eine neue Konstellation der Lebensmächte zum neuen Gesetz wird. Die Verlegung des Reichs nach dem Osten hat dem römischen Papst die freikirchliche Stellung gesichert, während im Osten bald die Versuche zum Staatskirchentum einsetzten, die schließlich zur Trennung der östlichen und westlichen Christenheit geführt haben. So sind die Kämpfe zwischen dem Arianismus und dem Katholizismus, dem staatskirchlichen Kompromiß und der Freiheit der Weltkirche die Vorbereitung eines neuen Gesetzes. Der Kampf hat sich geistesgeschichtlich abgespielt durch den Streit um das Homousios, die Konsubstantialität des Sohnes mit dem Vater, um seine Mitwesentlichkeit und seine gleiche Majestät. Homousios ist freilich ein philosophischer Begriff, aber schon Viktorin hat witzig bemerkt, daß auch epusios im Vaterunser vorkommt. Es geht auch nicht nur um Philosophie, sondern um die Entscheidung für die Freikirche durch das Bekenntnis zur göttlichen Autorität Christi und den Glauben an die volle Erlösung des Menschen mit Leib und Seele in der Auferstehung des Fleisches, es geht um das paulinische Christusbild und Menschenbild. Da der Tod durch die Sünde in die Welt gekommen ist, muß die Erlösung des Menschen eine verborgene gnadenhafte Wandlung der Seele zur Vorbereitung der künftigen Verklärung sein. Athanasius von Alexandrien hat mit diesen Formeln dem schlichten Glauben der Weltkirche zum Sieg verholfen. Aber nachdem die Freikirche staatlich anerkannt war, begann erst der schwere Kampf mit dem erneut auftretenden staatskirchlichen Arianismus, wie ihn besonders Eusebius von Caesarea, der Hofbischof, vertreten hat. Nochmals sollte die Lehre von Christus zu einer bloß mythischen Einkleidung des reinen Monotheismus gemacht werden. Gott, dem Weltkönig, entspricht der Kaiser als verkörpertes Gesetz und dem einen Gott und einen Kaiser das eine staatliche Gesetz und eine Reich. Eusebius verstand die Weltgeschichte als Reichsgeschichte, und seine Weltchronik stellt sichtbar die Reichsgeschichte und Heilsgeschichte nebeneinander. Christus hat mit der einen Religion die Reichseinheit vorbereitet, Constantin als der neue Moses hat sie mit dem einen

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Reichs- und Weltgesetz vollendet. Die Vita Constantins ist darum als neue Moses-Vita entworfen. Das mosaische Gesetz ist nur eine Bestätigung des natürlichen, es erfährt im christlichen seine innerliche Vollendung und durch Constantin seine politische Verwirklichung. Mit der Verweltlichung der Christenheit seit der Entscheidung von 325 beginnt die kosmologische Periode der staatskirchlichen Philosophie. Sie konnte freilich niemals offen ausgesprochen werden in einer Zeit der schwersten philosophischen und theologischen Kämpfe, die jetzt ja auch die Reichseinheit betrafen. Dem Kampfwort Homousios folgte Homoiusios bei den Semiarianern und dannAnomoios, die nur Wesengleichartigkeit oder Ungleichheit des Logos mit Gott meinen. Nur in dieser Lage konnte Kaiser Julian an die völlige Lösung des Reichs aus den kirchengeschichtlichen Kämpfen denken und versuchen, die natürliche Theologie wieder in dichterischer Einkleidung für die Massen zur Reichsreligion zu erhöhen. Für ihn war der Logos der Weltgeist und hieß König Helios, Sol invictus oder Mithras. Es ist ein außerordentliches Verdienst Adolf Harnacks, daß er in seiner Dogmengeschichte die ganze Fülle der reichs- und kirchenpolitischen Verflechtungen dieser Zeit mit ihrer doppelten Öffentlichkeit ausgebreitet hat, aber diese Fülle verdeckt die geistesgeschichtlichen Vorgänge, die hinter diesen Kämpfen stehen. Das geistige Haupt der radikalen Arianer ist Aetios (bis 367), der genaue Zeitgenosse des neuen „philosophischen Kaisers" Julian, ein großer Aristoteliker. Der Technik nach spricht er in Lehrsätzen, in Sentenzen seine objektiv idealistische Kosmologie von der Einteilung der Natur aus, von der Stufung der Wirklichkeit und ihrem ewigen Naturgesetz der Formgebung und Formzeugung. Der eine Gott ist Pantokrator, der Logos ist ihm ungleich, weil er nur Weltgeist ist und die Idee der Ideen. Die Zeugung des Logos ist der Weltschöpfungsvorgang selbst, aber der Weltkönig bleibt unberührt davon, steht über dem Weltgeist und der Weltseele. Das Gesellschaftsbild, das diesem Weltbild zugrunde liegt, ist das unsichtbare Gesetz, das im Kaiser inkamiert ist. Der Kaiser ist der Stellvertreter Gottes in der zeitlichen Welt, der Logos in der äußeren Welt. Das verborgen dahinterstehende Menschenbild ist bestimmt durch den Unterschied zwischen Willenssetzung und Zeugung. Das ist alles nicht offen gesagt, und als einige Parteigänger ihn richtig verstanden, haben sie ihn ausgestoßen. Die Einteilung der Natur verrät klar den Sachverhalt und ihre Formeln sind bis Scotus Eriugena das Symbol dieses Idealismus geblieben:

Kosmologen die die die die

die Natur, nicht geschaffen ist und schafft: geschaffen ist und schafft: geschaffen ist und nicht schafft : nicht geschaffen ist und nicht schafft:

157 der der die der

Weltkönig; Weltgeist; Weltseele; Weltstoff.

Der unveränderliche Weltkönig, das ewige Gesetz selbst, ist als solcher ungeworden, Urgrundsein ist sein Wesen, nicht ein bloßes Attribut, und so -wird er nicht durch Zeugung auseinandergerissen. Wenn er den Werdensvorgang setzt, geschieht es durch seinen Willenseinfluß auf den ewig geschaffenen Weltgeist, der die Ideen schafft und der Weltseele einhaucht, dem das Verändertwerden so wesentlich ist wie dem Urgrund das Verändern und Selber-unveränderlich-Sein. In der Weltseele ruht der Kosmos der Logoi als Samengründe, der Logos trägt sie im Geiste, die Weltseele sieht sie in ihm und setzt sie einbildend im ewigen Weltstoff, der nicht schaffen kann. Die Ungleichheit des Logos mit dem Vater ist also hier aus dem Gegensatz von Sein und Werden erkannt. Das Werden ist nur die Ausfaltung der Weltordnung im Leben, der Weltlauf folgt dem Urgesetz bis zum Ziel der neuen Einigung der Dinge im Urgesetz. Das gilt nun als Sinn der Erlösung. Die Betonung der Ungleichheit des Logos mit dem Vater ist bis zu einer pantheistischen Metaphysik vorgetragen. Das ist nur aus dem Primat des Reiches über der Kirche zu verstehen, so daß Aetios mit seiner Lehre von der Einteilung der Naturen Julian eine Ideologie des christlichen Mythos bieten konnte. Der Arianer Constantinus hat allerdings diesen allzu offenherzigen Ideologen des Kaisertums verbannt.

Jetzt tritt aber auch eine andere pantheistische Kosmologie auf, die in völlig anderem geschichtlichen Zusammenhang steht. Die große Bewegung des Mönchtums ist die Antwort auf das Einströmen der Massen in die befreite Kirche. Das Christentum war plötzlich zu leicht geworden und so traten „existentielle" Christen auf, die in der Einübung zum strengen Christentum, in der Askese ihre Aufgabe sahen. Antonius der Einsiedler (bis 350) ist nach der herrlichen Vita des Athanasius ihr Prototyp. Bald werden aus den Eremiten Koinobiten, gemeinsam Lebende. Damit tritt neben die Bischöfe und die Philosophen- und Theologenschulen eine wie in Indien unerschütterlich mächtige Intelligenzschicht, die bis zur Entstehung der Universität Hauptträger des geistigen Lebens bleibt. Bald wird auch die christliche Ethik im Mönchtum die gegebene Lebensform erkennen. Vorher aber ist durch Hierakas von Alexandrien (280 bis 350) in durchsichtigster Weise das Selbstbewußtsein dieser neuen geistigen Schicht der Vollkommenen eines höheren Lebens über den Gemeinden kosmologisch gefaßt worden. Das ist ein typischer Übergang von der Geschichtsphilosophie zu einer neuen Weltgesetzlichkeit. Das alte Testament konnte die Ehe noch dulden, das neue ist durch den Weltklerus gekennzeichnet, aber das Reich des heiligen Geistes ist wie später bei Joachim von Floris durch das Mönchtum bestimmt. Sein

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Symbol ist Melchisedek, der Priester in Ewigkeit ohne Vater. Die geistliche Auslegung der Schrift ist nun allein berechtigt. Alle Bilder der Bibel sind nur geistige Fabeln, es gibt kein irdisches Paradies und keine Auferstehung des Fleisches, selbst die Dreifaltigkeit ist nur die innere Ökonomie des Gotteslebens. Dem Vater als Weltkönig steht zur Rechten der Sohn als Weltgeist und zur Linken der Heilige Geist als Weltseele. Dasselbe sagt das Symbol des gekreuzigten Menschensohnes zwischen den beiden Schächern, den Vertretern des muthaften und des begierlichen Seelenteils. Das Leben muß durch die Überwindung des Zornes und der Begierlichkeit vergeistigt werden. Es ist ein Kampf der Selbstsucht und Gottesliebe, um die völlige geistige Freiheit zu erlangen. Sie ist Einsicht in die Einheit der Welt, in der sich ewig die Gottesgeburt in der Seele vollzieht, der Aufstieg in das ewige Paradies durch Selbstkreuzigung, Höllenfahrt und Himmelfahrt des Geistes. Man muß nur die Illusion der äußeren Welt und seines eigenen Ich durchschauen, um in das lebendige Urgesetz der geistigen Liebe zurückkehren zu können. Nun erst werden die radikalen Konsequenzen gezogen, die in der Geschichtsphilosophie des Origenes angelegt waren, ohne daß er die Ecclesiola, die höhere kleine Gemeinschaft der Geistigen, den Gemeindekirehen gegenübergestellt hätte. Hierakas gründet esoterische Mönchskreise und wir lesen seine pantheistische und monistische, adiaphoritische, nicht zwischen Gott und Geist, Christus und dem Einzelnen unterscheidende Lehre um 510 ausführlich bei Stefan Bar Sudhaili im „Buch der verborgenen Geheimnisse des Gotteshauses", das noch auf die arabische Mystik eingewirkt hat.

Leider kennen wir die naturalistische Weltlehre jetzt nicht in christlicher Form. Aber die sehr starke Wirksamkeit des naturalistischen Aristotelismus, wohl vor allem durch Themistios, ist uns durch den Polemiker gegen sie, Diodor greifbar. Auch hier gelten jetzt als Hauptdogmen die Ewigkeit der Welt und der Seele. Genauer kennen wir den Manichäismus, die Lehre Manis (bis 270), die allerdings schon weiter zurückliegt und ein eindeutiger Materialismus ist. Mani hat zweifellos von Ptolemaios die mechanistische Metaphysik der geordneten und ungeordneten Bewegung als Urgesetz der gesamten Wirklichkeit übernommen. Natürlich muß er seine radikale Lehre nach der üblichen Gliederung solcher Sekten in Lehrlinge, Gesellen und Meister nur diesen vorbehalten, weil nur die Eingeweihten das Geheimnis erfahren sollen. Die Einkleidung der esoterischen Lehre in persische, griechische und christliche Mythologie ist bei ihm und seinen Nachfolgern besonders deutlich zu verfolgen und selbst für die Adepten der Gesellenstufe dieser Freimaurerei, wie für Augustin, war das Geheimnis der Sekte nicht erkennbar.

Humanismus

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Natürlich haben jetzt die Geheimgesellschaften keine große Rolle im christlichen Geistesleben gespielt, aber sie waren doch wesentlich für den nächsten Schritt zur christlichen Menschenlehre, zu einem Humanismus der großen Briefschreiber wie Hieronymus, Augustinus, Basilius und der großen Prediger wie Chrysostomos. Sie bestimmen jetzt das Geistesleben. Schöpferisch getragen aber wird es durch das Mönchtum, das auch die öffentlichen kirchlichen Entscheidungen durch die Bischöfe mitbestimmt. Nun treten mit der Schöpfung der engeren christlichen Ethik die Ordensstifter auf, Basilius der Große von 330 bis 379 für den Osten und Cassian und Benedict der Große für den Westen (480 bis 543). Basilius ist schließlich Bischof geworden, aber seine staatsmännische Weisheit zielte von Anfang an auf die Gründung eines Ordens des gemeinsamen Lebens der strengen Vollkommenheit in der Einsamkeit Kapadokiens. Er war an der Universität in Athen heidnisch gebildet worden und christlich durch die Werke des Origenes. Im Kampf gegen die Kosmologen Aetios und Eunomios, für die Gott das am klarsten erkennbare war, aber nur Weltkönig und Vater des Weltgeists, hat er seine Lehre gefestigt. Seine Gewißheit ist die innere des Gewissens. Darum lehrt er die docta ignorantia, die wissend-unwissende Erkenntnis der Unbegreiflichkeit Gottes, der nicht an sich, sondern nur aus seinen Werken und ihrer Ordnung erkannt werden kann wie bei Sokrates. Seine Reden über das Sechstagewerk sind die christliche Ausführung des natürlichen und ethischen Lebenssinnes. Nun erst wird die unendliche Macht des Schöpfers der Kern der Gottesidee und gleichzeitig auch die sich selbstbestimmende Person des Menschen der Kern der Menschenidee. Das zielt wieder gegen Aetios und Eunomios, die den Menschen nur als veränderliches Naturwesen verstehen wollten, nicht als Person durch den Gotteswillen gesetzt und teilnehmend an der Selbstbestimmung, die Gott kennzeichnet. So wird nun erst der Personbegriff auch in der Dreifaltigkeit scharf abgehoben von der göttlichen Geistnatur. Aber den großen Kampf um den Personbegriff als philosophische Aufgabe der Zeit eröffnet erst Diodor von Antiochien (bis 380), der eigentliche, aber vergessene Meister der christlichen Ethik in ihrer „pelagianischen" Einseitigkeit. Auch er ist der Stifter eines Mönchvereins in Antiochien, seine größten Schüler Theodor und Chrysostomos haben seine Ethik im Osten verbreitet und noch Nachzügler in Pelagius und in Nestorius von Konstantinopel gefunden, der den ersten Ethizismus in der Kirchengeschichte durch die Abspaltung einer Konfession durchsetzte.

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Wie Sokrates ist auch Diodor vor allem ein großer Logiker, der die quaestio disputata, die durchgesprochene Frage erfunden hat statt des sokratischen Dialogs. Seine Auseinandersetzung mit der Kosmologie ist in strenge Syllogismen einer festen Katechismuslehre gefaßt. Die Antithese zum heidnischen Schicksalsglauben der Zeit hat ihn zu einer Philosophie der Freiheit geführt, in der allerdings die christliche Gnadenlehre zu kurz kam. Diodor hat aufs scharfsinnigste die reine Gottesidee des Schöpfergeistes und damit der Geschichtlichkeit der Welt durchgeführt. Jetzt erst wird die Antwort auf die antike Lehre von der Ewigkeit der Welt erteilt. Wenn Gott schafft, weil er ist, nicht weil er will, also nur einfache Form ist, woher stammen dann die vielen Formen? Die Antwort ist: „In Gott sind Sein und Willen dasselbe". Wenn Gott nach den Arianern Schöpfer ist, aber nicht zeitlicher Schöpfer sein kann, da die Welt ungeworden ist, er aber niemals müßig sein kann, so gäbe es nur eine Welt-Ordnung, aber nicht eine Welt-Setzung, er wäre nicht Schöpfer aus dem Nichts. Die kosmologischen Antinomien der Ewigkeit und Zeitlichkeit der Welt sind genauso zu lösen wie die der Geistigkeit und Sinnlichkeit im Menschen und die ethischen der Freiheit und Notwendigkeit. Die Welt ist eine Berufsgemeinschaft der freien Geister. Darum ist zu fragen, warum sind nicht alle Götter oder Geister, ebenso sinnlos, wie zu fragen, warum sind die Finger nicht Augen! Es gibt keinen irdischen Ausgleich von Glück und Würdigkeit. Also ist die Welt nur ein Prüfungs- und Bewährungsort und die Leiden sind Hoffnung der künftigen Herrlichkeit der kommenden Welt. Das größte Übel ist die Unwissenheit über das Gute und Böse. Die Sicherheit der Erkenntnis und die Freiheit des Willens sind das höchste Gut. Das Leiden ist als Prüfung mit in die Weltordnung einzurechnen, damit wir die Welt nicht vergötzen. In der Solidarität der Buße und Hilfe ist die Mönchsgemeinde die wahre Menschengemeinschaft. Der Mensch ist der höchste Zweck der Natur. Durch seine unkörperliche Natur hat er teil an der Unvergänglichkeit, durch seine zweite körperliche Natur an der Vergänglichkeit. Der Gehorsam im Geiste ist Unsterblichkeit, Ungehorsam der geistige Tod. Die sittliche Vergeltung fordert den unsterblichen Träger. Die Person ist der eigentliche Kern des Menschen, weil der Einzelne die Entscheidung in der Zeitlichkeit für die ewige künftige Welt treffen muß. Der leibliche Tod ist nicht durch die Sünde in die Welt gekommen, nur der geistliche Tod. Der Leib gehört der natürlichen Vergänglichkeit an, steht aber unter der Signatur der geistigen Welt. Seit Christus wirkt schon der Anfang der künftigen Welt durch die Sicherheit der ethischen Gottesidee, der Lehre vom ungeschaffenen, unveränderlichen, übersinnlichen.

Ethiker und Mystiker

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in der Vollkommenheit des Selbstseins stehenden Gott. Diese Sicherheit ist selber schon die Gnade! In ihr gewinnt der Mensch seine freie Form, die Persönlichkeit, und mit dieser Freiheit erringt er das Wohlgefallen des Vaters, wie es Christus in der Taufe bestätigt wurde, die besondere Einwohnung Gottes im Tempel des Herzens, nicht nur so wie er allgegenwärtig in der Welt ist. So sind nun die christlichen Tugenden Reue und Gottesfurcht, Hoffnung und Gottesliebe, der Glaube aber ist die sittliche Gewißheit. Diese betont ethische Auffassung des Christentums ist im Westen durch Pelagius verbreitet worden und von Augustin bekämpft, im Osten hat sie zur konfessionellen Abspaltung der nestorianischen Kirche geführt. Die christliche Mystik der anthropologischen Phase beginnt mit dem jüngeren Bruder des Basilius, Gregor von Nyssa (335 bis 394). Er ist ein großer Dichter, steht noch über Piaton in der Erfindung von Gleichnissen für das geistige Leben. Er hat zuerst aus der neuen Ethik den Schritt zur Mystik getan. Aber so fern er der Gesellschaft zu stehen scheint, leidet er doch wie Augustin schwer unter den Spannungen der Zeit, an ihrer geistigen Not. Ihre falschen Gottesbilder sind das Zeichen dafür. Wenn man den einen überragenden Mystiker des Westens, Augustin, mit den sechs Großen des Ostens zum Siebengestirn der altchristlichen Mystik vereinigt, Gregor und Cyrill, Evagrios und „Makarios" (oder vielmehr Simeon), „Dionysios" und Maximos, sieht man gleich, daß sie alle wesentlich von der geistigen Not ihrer Zeit bestimmt sind. Nur Augustin hat die Unzulänglichkeit des römischen Reiches und seiner poütischen Theologie und des griechischen Geistes mit seiner natürlichen Theologie in einer breit strömenden Geschichtsphilosophie ausführlich zum Thema gemacht, um die Notwendigkeit der Gnade und der positiven christlichen Theologie zu beweisen. Aber genau das tun alle anderen sechs, jeweils von ihrem Gesichtspunkt aus, und der Gewinn ist die Entdeckimg des wahren Selbst, des verborgenen Ich, der lebendigen Person. Gregor sah das Geheimnis des dreifaltigen Gottes und der Person des Logos als die Lösung des Widerspruchs zwischen dem jüdischen und arianischen Monotheismus und dem neuplatonischen Polytheismus. Die scharfe Antithese ist seine Zeitbedingtheit neben dem Charaktertyp des Mystikers, der trotz höchster Geistigkeit doch wesentlich vom Emotionalen ausgeht. Daher die Überbetonung der docta ignorantia, die allerdings docta bleibt, weil Gregor nicht zur reinen Gnadenlehre und Betonung der bloßen Gottnatur Christi fortschreitet. Dem Monismus der Zeit wird das Diastema, der unendliche Abstand

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zwischen Gott und Mensch entgegengestellt. Gott ist nicht bloß der ganz Andere, er ist auch das Dunkel. Der Unzugängliche ist das Ziel unendlicher Sehnsucht des Herzens nach der ewigen Schönheit trotz der Hoffnungslosigkeit, sie je zu erreichen. Er ist der überfließende Quell der Gnade, aber auch das verborgene Ich, der Seelengrund — was für ein Paradox, da die Seele selber schon Urgrund ist! — ist ein versiegelter Quellgrund emporsteigender Bilder der Sehnsucht und Liebe. Das Geheimnis der Person ist zugleich mit dem Geheimnis des Schöpfers entdeckt! Auch im Menschen selbst gibt es ein Diastema, einen Sachunterschied zwischen der einzigartigen, geschaffenen Person und der einen, mit dem irdischen Adam geschaffenen menschlichen Geistseele. Unser Wesen ist zusammengesetzt, ja auch noch mit der Zumischung des Leibes belastet. Es bereitet sich die Menschenlehre von einer Person mit zwei Naturen vor. Die Wesenheit Gottes wird nun scharf abgehoben von den göttlichen Personen. Der Logos ist Person, weil in Gott nicht wie bei uns die Vermögen nur Kräfte und Eigenschaften des Wesens sind, sondern Gott selbst. Die unendliche Macht, die unendliche Vernunft und der unendliche Wille sind Vater, Sohn und Geist. Christus, der Logos, der Schöpfer der Welt und des Menschen, ist eine Person mit zwei Naturen, weil er die unveränderliche eine Menschennatur angenommen hat.

Die eine Artnatur des Menschen ist mit Adam geschaffen in ursprünglicher Unsterblichkeit des ganzen Menschen mit Seele und Leib. Gregor hat das urchristliche Menschenbild mit großer Kraft der geistigen Anschauung klarzumachen vermocht. Jetzt erst kommt es zu einem Seelenbegriff, der dieser Zeit entspricht. Die Seele ist eine einfache, nicht zusammengesetzte, aber im Gegensatz zu Gott nicht immer körperlose Wesenheit, geschaffen und so nur abhängig seiend, lebend, denkend, und wenn sie mit Sinnesorganen begabt ist, auch wahrnehmend. Die Sinnesorgane sind noch nicht zu einer Organisation zusammengefaßt, es gibt also hier noch nicht eine zweite Leibnatur zur Geistnatur hinzu. Gott hat den Sündenfall Adams voraussehend den irdischen Menschen nicht mehr wie den himmlischen mann-weiblich geschaffen, sondern in Mann und Weib getrennt. Die Spaltung ist Symbol der inneren Spaltung der Seele in Geistigkeit und Sinnlichkeit, so daß nun die Seele ihr Eigentum, die Elemente, nicht mehr durchgeistigen kann, der Tod als Sündenstrafe eintritt. Aber die Seele bleibt auch nach dem Tode Wächterin über ihr Eigentum, die individuellen Elemente, und nimmt sie in der Auferstehung des Fleisches wieder an sich.

Mystiker

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Die Bedeutung dieser philosophischen Durchleuchtung der urchristlichen Menschenlehre liegt in der Vorbereitung der metaphysischen Menschenidee durch die Abhebung von der Gottesidee. Die Mystik des Mönchstums ist uns erst vor kurzem wieder zugänglich geworden durch die Kenntnis der gnostischen Hundertsätze des Evagrios Ponticos (bis 395), der von den Kapadokiern gebildet wurde und sich dann in die ägyptische Wüste zurückzog, wo er unmittelbar auf Origenes, ja wohl auch auf Hierakas zurückgriff. Er hat wieder ein typisches Aufstiegssystem wie Piaton: Über der empirischen und praktischen Vernunft des äußeren Lebens und über der theoretischen Vernunft des geistigen Lebens steht die Gnosis des geistlichen. Sie ist docta ignorantia der Dreifaltigkeit, des geheimnisvollen Gotteslebens, zielt nicht auf die körperlichen oder unsichtbaren Dinge, sondern auf das Unendliche und das Ineinanderfallen der Gegensätze. Über der Entsagung, Enthaltsamkeit und Demut des Geistes steht die Liebe, die nach dem Fall und der Wiederherstellung zur Verklärung führt und nur durch die Gnade gegeben werden kann. Der Stand der Vollkommenen wird über die Weltlichen und Kirchlichen gestellt. Der Patriarch Cyrill von Alexandrien (bis 444) hat neben diese mönchische Mystik eine kirchliche gestellt. Dieser streitbare Kirchenfürst ist ein bedeutender Philosoph, der eine hervorragende Menschenlehre geschaffen hat, die sehr genau die bleibende Geistnatur des Menschen mit ihren Kräften der theoretischen und praktischen Vernunft zur natürlichen Selbstbestimmung der Persönlichkeit von der übernatürlichen Gnadenvollendung durch die Angleichung an Christus und durch die sakramentale, kirchlich vermittelte Vollendungskraft unterscheidet. Diese Gnadenlehre steht als liturgisch-sakramental im scharfen Gegensatz zur logozentrischen Mystik des Mönchtums. Das ist gerade die Vereinigung der beiden Völker, der Heiden und der Juden im dritten Geschlecht, daß nach Naturgesetz und mosaischem Gesetz das Evangelium als Reformation, als Wiederherstellung der natürlichen Vollendungskraft eine dritte neue Persönlichkeit schafft, daß nach der Naturanlage und sittlichen Vollendung erst die Gnade die höchste Persönlichkeitsreife vermittelt.

Erst nach dieser Klärung der geistigen Entwicklung kann man die inneren Zusammenhänge der Kulturpolitik dieser Zeit verstehen. Die große ethische Bewegung, die wesentlich von Antiochien und Syrien herkommt, mußte in der Lehre von Christus besonders betonen, daß der Mensch in ihm das Vorbild unseres freien Fortschritts zu unserer Adoption als Kinder Gottes ist. Theodor von Antiochien (bis 428), der Schüler Diodors, hat eine neue verfeinerte adoptianische Christologie aufgestellt, deren philosophischer Kern der Satz war, daß eine Natur nicht ohne Substrat, also eine Geistnatur nicht ohne Person sein kann.

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Da es für den Ethiker um die menschliche Person in Christus ging, hätte er eigentlich zwei Personen und zwei Naturen annehmen müssen, aber irgendwie kam er doch nur zu einer menschlichen Person. Sein Schüler Nestorius wurde nach Chrysostomos Patriarch von Konstantinopel und durch seine Lehre, daß Maria nur Christus-Gebärerin, nicht Gottes Gebärerin sei, wurde die ursprünglich ethische Christentumsauffassung Streitpunkt der Konzilien. Durch die Einmischung der östlichen staatskirchlichen Kaiserpolitik, die zunächst die ihr gelegene Lehre des Nestorius gefördert hatte, dann aber sich doch der von Cyrill geführten Mehrheit des Konzils von Ephesus (430) fügte, kam es zur konfessionellen Trennung der Nestorianer von den Orthodoxen. Die Konzilsentscheidung brachte aber auch sehr rasch die entgegengesetzte Abspaltung der aus der mystischen Menschenauffassung erwachsenen Christologie, die nur die Gottheit in Christus betonte, den Monophysitismus. Dem Mönch Eutyches in Konstantinopel kam der Patriarch von Alexandrien zu Hilfe. Die Entscheidung fiel auf dem Konzil von Calcedon (451) durch das Eingreifen des Papstes Leo I.: die eine göttliche Person Christi hat zwei unvermischte Naturen. Wegen der wechselnden Stellung der Kaiser gingen nach mehreren Einigungsformeln die politischen und geistigen Kämpfe weiter. Aus ihnen sind zwei geistesgeschichtliche und geisteswissenschaftliche Errungenschaften erster Ordnung erwachsen, die positive Theologie und die positive Jurisprudenz. In den kirchenpolitischen Kämpfen konnte nicht die persönliche Autorität der Philosophen oder Theologen entscheiden, kein System, sondern nur die Schriftautorität oder die Autorität der alten Kirchenlehre. Die Sammlung und Bewertung der für eine Richtung sprechenden Sätze und die Frage, was zitiert werden könne oder gar, was echt oder gefälscht sei, wird zur zeitgemäßen theologischen Methode, die genau dem historischen und heilsgeschichtlichen Charakter der christlichen Geisteswelt entspricht. Weil die ethischen und mystischen Schulen freie Mönchsschulen waren, ist keine theologische Fakultät entstanden, wie im 5. Jahrhundert schon die staatlichen, juristischen Fakultäten von Konstantinopel, Beirut und Athen. Sie ergaben sich aus derselben Methode der Sammlung und Bewertung der Gesetze, die Frage, was „zitiert" werden kann, als alte juristische Autorität in das corpus iuris aufzunehmen ist. Ja in diesen juristischen Fakultäten ist jetzt schon die quaestio disputata, die logische Bearbeitung der einzelnen juristischen Entscheidungen, der dogmata oder sententiae üblich, wie die spätere scholastische Methode eine bestimmte Form des Schulbetriebes. Die Kodifikation des römischen Rechts wurde vollendet mit dem Codex Justinianeus,

Dionysios

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aber die positive Theologie konnte nicht eine ähnliche Zusammenfassung des göttlichen Rechts schaffen, nur Dogmen der positiven Theologie aufstellen. Erst in diesem Zusammenhang ist der nächste Schritt der Mystik verständlich, die pseudepigraphische, fiktive Zuweisung eines geschlossenen Systems an Dionysios, den Areofagiten, den Paulusschüler und ersten Bischof von Athen als an eine quasi-apostolische Autorität. Einer der Führer der nun sich notwendig mehrenden, von Justinian verfolgten monophysitischen Parteien, wohl Julian von Halicarnass, hat ein Versöhnungssystem dieser gnadentheologischen Richtungen den ersten Bischof von Athen verkünden lassen, diesen Decknamen für seine in den Parteikämpfen dringend gebotene Anonymität gefunden. Die prinzipielle Bedeutung dieser Schriften ist durch ihre enorme geistesgeschichtliche Wirksamkeit erwiesen. Pseudodionysios will alle mystischen Richtungen versöhnen, ja sein System ist Ausdruck der historischen Vernunft der drei mystischen Richtungen, der mönchischen des Evagrios, der philosophischen des Gregor und der hierarchischen des Cyrill. Die drei Stufen des Aufstiegs sind die mönchische der Reinigung aus der Zerrissenheit und Zerstreuung des sinnlichen Lebens, die philosophische Erleuchtung durch die negative Theologie und der Einigung und Vollendung durch die docta ignorantia der mystischen Theologie, der Verklärung zum engelgleichen Leben. Die irdische Hierarchie, der die Mönche zugezählt werden können, führt zur sakramentalen Reinigung in Taufe und Buße und zur gnadenhaften Einigung mit dem Opfertod Christi in der Eucharistie. Die himmlische Hierarchie der Engel ist die kosmische Liturgie des lebendigen Gotteslobs, Christus aber, der Gottmensch mit der einen gott-menschlichen Natur, ist derHierarch undHierurgdes Kosmos, der hinführt zur docta ignorantia, der Einigung mit dem unzugänglichen überseienden Gott. Der philosophische Ertrag ist nicht leicht zu sehen. Der Anonymus läßt seinen Dionysios „athenisch" reden, er hat sicher in Athen, vielleicht noch bei Proklos studiert, übersetzt die Bilder Gregors von Nyssa in eine gesucht metaphysische Sprache. Er stellt neben Gregors negative Theologie des Absprechens der endlichen Attribute, eine zusprechende, positive Theologie in dem eben entwickelten Sinn. Der Vater als Urquell der Gottwesenheit, Sohn und Geist als Sprossen, ist die Übereinheit und Dreieinigkeit, über der Geistwesenheit noch das Schöpferische als Seinsgrund, Lebensgrund und Geistgrund. Der Gottmensch wird durch die Verbindung der ewigen, überwesentlichen Natur und der einen, unverweslichen Menschennatur zu einem Wesen. Das ist

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genau der besondere Monophysitismus eines Aphtartodoketen, also Julians. Der Hierarch Julian, nicht ein syrischer Mönch, lehrt, daß der Hierarch Christus den menschlichen Geist mit den vergöttlichenden Gnadenkräften erfüllt. Er verkündet die Gleichordnung der himmlischen und der irdischen Hierarchie. Es ist nun ernst gemacht mit der negativen Theologie, und zwar indem das Übereine, Übersein, Übergute zum Urgrund des Seins selbst gemacht wird, das unendliche Schöpfertum ganz rein durch die „namenlose Benennung" symbolisiert wird. Die unendliche Schöpferkraft setzt das Gutsein und Einssein, Sein und Heiligkeit sind Gabe und Gnade. Die Ontologie wird gnadenphilosophisch gedacht, genau wie später bei Meister Eckhart, der ja soviel von „Dionysios" gelernt hat. Der verborgene Schöpfergott und Erlösergott ist das Ziel der mystischen Erhebung. Neben der schöpferischen Seinsverleihung und Gnadenverleihung steht die Formverleihung, die die Seienden, Lebenden und Geistigen immer höher und reicher begabt, bis sie mit der Vergöttlichung die Angleichung an den Gottmenschen verleiht.

Die Schöpfungslehre als Seinsverleihung und Wesensverleihung ist hier nach der Gnadenlehre verstanden. Das sind die zeitbedingten Grenzen dieser mystischen Metaphysik. So mußte in diesen Streitigkeiten die rein kritische Metaphysik entscheiden und die ganze altchristliche Philosophie abschließen. Leontios von Byzanz (475 bis 543) hat sie aus diesen christologischen Kämpfen gewonnen und nur diese Grenze seiner historischen Vernunft ist der Grund, warum dieser neue „Aristoteles" noch nicht in seiner ganzen philosophischen Bedeutung gewürdigt wird. Er ist ein äußerst strenger Dialektiker von unerschütterlicher Nüchternheit, der nur in der Quaestionenform der meisterlichen Entscheidung ohne jedes überflüssige Wort philosophiert. Er setzt sich mit den Nestorianern, die nur eine menschliche Natur im Gottmenschen und den Monophysiten, die nur eine göttliche annehmen, in gleicher Weise Satz für Satz auseinander. Beide kennen nur das Axiom, daß eine Person nur eine Natur haben könne, Natur persönlich und Person nur in- und ein-natürlich, enousios, sein könne. Zunächst ist das Axiom aufzustellen, daß Person und Natur sachlich getrennt sind, die Unterscheidung aber zugleich mit der Einigung besteht. Die Natur ist enhypostatisch und die Person enousios, nur in der Natur beständig und bestehend. Das ist die anthropologische Fassung der aristotelischen Substanzlehre, die Selbststand und Wesenheit im konkreten Wesen einigt, aus dem die Vermögen artgemäß hervorgehen und aus den Vermögen wiederum die Handlungen. Schon in der künstlichen Einigung wird der Stoff mit der Form zum Werkzeug, aber erst in der natürlichen Einigung gibt es eine zusammenstimmende Angleichung der verschiedenen Elemente als Substrat an das Wesen. Die hypostatische Union, die persönliche menschliche Wesenseinigung ist eine Angleichung verschiedener Naturen, zweier Naturen in einer Person

Leontios

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als ihrer Subsistenz. Damit sind die ersten vier Sätze unserer oben entwickelten Prinzipienlehre errungen. Die Geistseele ist Natur in der Person, die Leibseele ist eine zweite Natur in derselben Person, aber mit einem sinnlichen elementaren Individuationsprinzip nebenbei. Das ist anthropologischer Dyophysitismus, der genau dem theologischen entspricht. In Christus sind in der einen göttlichen Person die göttliche und die menschliche Natur als zwei Naturen geeint. Die dialektische altchristliche Menschenlehre ist nun vollständig durchgeführt, Scheidung und Einung von Person und Natur, Scheidung und Einung von Geistseele und Leibnatur. Auch der Begriff der Leibnatur ist genauso wie der strenge Personbegriff der intelligiblen Existenz einer Geistseele durch die Mystik gewonnen. Man hat jetzt die Schriften Makarios des Großen Simeon von Mesopotamien zuweisen können, einem asketischen Mystiker, der die unbewußten Seelenvorgänge und besonders die Traumvorgänge bis zur neurotischen Besessenheit nicht aus dem persönlichen Willenszentrum erklären will, sondern aus dem „Es", der Leibnatur, als einem eigenen Zentrum der sinnlichen Organisation. Der Kampf zwischen Geist und Fleisch wird verstanden als ein Kampf des untergeordneten Organisationszentrums naturhafter Selbständigkeit mit der allgemeingültigen menschlichen Geistorganisation.

Das führt aber bei Leontios heran an den fünften metaphysischen Grundsatz der Unterscheidung der Bereiche. Das große Weltplangesetz eines teleologischen Weltbildes wird verständlich. Von der Schichtung im Menschen her wird die Schichtung der äußeren Natur verstanden. Die mystische Stufenlehre führt zum Verständnis der ontologischen Stufenlehre. Die Selbständigkeit und Dienstbarkeit des Unteren zugleich erklärt den Stufenbau der Welt, nur durch die Gnadenkraft aber gibt es eine Befreiung von der Selbständigkeit unserer unteren Natur zu ihrer neuen Dienstbarkeit für die höhere, genauso wie schließlich die Selbständigkeit des Geistes durch die Gehorsamsbereitschaft die Erhöhung der Vergöttlichung erfahren kann. All das ist nichts anderes als eine metaphysische Deutung der christlichen Gnadenlehre und Auferstehung des Fleisches. Aus der realen Scheidimg und Einung von Person und Natur beim Menschen wird die metaphysische Gottesidee gewonnen, sofern der Stufenunterschied des unendlichen ungeschaffenen und des endlichen geschaffenen Seins nochmals eine reale Unterscheidung von oben und unten bringt. Gott allein ist vollkommene Wesensganzheit, nicht durch die Vollständigkeit von Teilen, nur durch die Einfachheit seines Wesens, die nicht erst aus Existenz und Konsistenz zusammengetreten ist. Der Begriff der intensiven, nicht räumlichen Unendlichkeit ist gefunden, die unendliche Kraft des Schöpfers, seine Willensmacht, die gleichmächtig ist mit seiner Natur. Er schafft nicht aus der Natur, sondern der Willens-

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kraft. Er allein ist Schöpfer, dem es zukommt, Ellies zugleich ohne Stoff und vorausliegende Zeit zu setzen. Er steht wie der König über dem Gesetz, wie der Erfinder über dem Werk, und seine Weltordnung ist die Einigung und die Erhöhung der Wesen. Die Menschenidee ist Gegensatz zu Gott trotz einer ungleichen Gleichheit. Alle endlichen Dinge sind geeint aus geeinten Dingen, nicht das rein Einfache, das mit keinem anderen gleich ist. Die Person ist das entstandene Fürsichselbstsein, die Natur begrenzt durch den Wesensbegriff des So-Seins; die Sondereigenschaften müssen von den Wesenseigenschaften unterschieden werden. Die in die Person geschaffene Geistseele ist eine unkörperliche, sich selbst bewegende Wesenheit und die eigentliche Natur des Menschen. Die Geschichtlichkeit und Geschöpflichkeit der persönlichen Geistseele ist nun offen ausgesprochen. Die Einigung der Geistseele mit der Person ist ein Schöpfungsakt. Es gibt einen Mißklang der Geistseele mit der sich fortpflanzenden Leibnatur, der durch die Erbsünde gesteigert wird bis zum Tode. In Gott sind Wille und Natur gleich mächtig, in uns aber, die wir bloß Einung, nicht Einheit sind, ist immer ein Unterschied zwischen den Auswirkungen der beiden Naturen, ein Widerstreit. Durch den Tod Christi freilich ist der Tod getötet worden, weil sonst der Weltplan nicht erfüllt werden könnte und so Todsein und Heilung des Todseins durch die Teilnahme an der Furcht des Lebensbaumes, der Eucharistie, nur durch die Gnadenwirkung und Vorbereitung der künftigen Auferstehung des Fleisches möglich sind.

Erst von der Menschenidee aus ist auch die Weltidee verständlich, der Weltplan der Erlösung der Wesen zur Freude. Die Symphonie der Naturen löst ihre Diaphonie, die Heilsgeschichte vollendet die Weltgeschichte. Wie der Stoff in den Elementen geeint ist, sind die Elemente in den Pflanzen und Tieren geeint und die Lebensformen im Menschen. Immer sind die niederen Naturen in die höheren dienend aufgenommen und damit aufgehoben und befreit, und auch der Mensch wird zum Höheren erhoben durch die Vergöttlichung der Gnade, die ihm die Symphonie seiner diaphonen Natur schenkt. Der Gottmensch ist durch die Annahme einer besonderen menschlichen Natur Überwinder des Todes und der Weg zum unendlichen Schöpfer. Noch einmal hat ein großer Mystiker im Osten dieses Weltbild der Erhöhung der Naturen zur Freiheit und Freude des Gotteslobs in der symphonischen kosmischen Liturgie weitergedacht, Maximus Confessor (580 bis 662). Er hat Dionysios wie Origenes, Gregor wie Evagrios in ein einziges orthodoxes System durch die neue Metaphysik des Leontios fügen können. Er hat die Geschichtlichkeit der Welt im tiefsten leidend erfahren, den Gegensatz zwischen dem unendlichen Einen und dem Geschiedenen, dem Tragenden und dem Ge-

Augustinus

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tragenen, die von der Entstehung an durch die Bewegung in der Zeitlichkeit erst zur Ruhe kommt. Schon Adam hat die ganze Natur dem Tode zum Fräße ausgeliefert, durch die Selbstsucht erst kam es zur Zweigeschlechtlichkeit und Zeugung, durch den Fall ist die physische Sünde im Schoß der Natur selbst eingewurzelt und diese dem Tode ausgeliefert. Aber der frei hingenommene Tod führt kraft der Gnade zur Verklärung des ganzen Menschen und mit ihm der ganzen Natur.

Das metaphysische System des Leontios war mit der Hagia Sophia und dem Corpus iuris Abschluß und Höhepunkt der altchristlichen Geisteswelt, aber es konnte gerade wegen des traditionalistischen Rechts kein neues Gemeinschaftsbild entworfen werden. Die Einheit der Kultur wird im Osten geführt vom Kaiser ohne die Idee einer staatsfreien Rangordnung der Berufe und Rechte, die Kultur stabilisiert sich durch die staatskirchliche Öffentlichkeit. Der Westen besaß längst einen großen, faßt einzigen Lehrer, Aurelius Augustinus (354 bis 430). Wir hätten ihn schon unter den Mystikern zum Wort kommen lassen müssen, allein seit 400 war der Westen durch seine freikirchliche Selbstbehauptung vom staatskirchlichen Osten schon soweit getrennt, daß selbst diese seine mächtigste Gestalt nicht in den Osten wirkte. Wenn einer war Augustin Autodidakt, er mußte in seiner Selbstbiographie seinen Weg darlegen und so können wir seinen Charaktertyp authentisch feststellen. Der Ehrgeiz seiner Mutter für ihn hat ihn zu einer glanzvollen staatlichen Stellung als Rhetor in Mailand geführt, aber der Gefühlsmensch war damit nicht befriedigt. Er mußte im geistigen Leben zur Klarheit kommen, die kosmologische Krise des 4. Jahrhunderts existenziell durchmachen, den manichäischen Materialismus und Determinismus und den akademischen Skeptizismus hinter sich bringen, um in einer doppelten persönlichen Krise zu sich selber heimzufinden. Nachdem er die Staatsstellung aufgegeben, wollte er mit seinen Freunden einen Philosophenorden gründen, aber der Plan einer vita communis der Geistigen scheiterte an der Familienbindung. Die Lösung der inneren und äußeren Krise war die unbedingte Wendung zur Gottesliebe, die Augustin selbst als reine Gnade betrachten mußte. Jetzt erst verstand er Gott als den christlichen Vatergott der Liebe und Christus als den ewigen Logos, als den Erlöser des durch die Erbsünde immer kranken Menschen, des immer zwischen Selbstsucht und Liebe, Sinnlichkeit und Geistigkeit gespaltenen Menschen. Aus der eigenen innem Geschichte verstand er neu die Gesellschaftskrisis seiner Zeit, das Nebeneinander von Römertum, Griechentum und christlicher Welt. Durch alle hindurch geht der Riß, die Zugehörigkeit zum unsichtbaren Reich der Selbstsucht oder

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dem der Liebe. Die drei Geisteswelten können gedeutet werden als Vorherrschaft der politischen Theologie, der natürlichen und der positiven Offenbarungstheologie. Aber es kommt entscheidend auf die existentielle Wandlung des Herzens durch Gott an und die Aufnahme in das unsichtbare Reich der Gnade. Dem irdischen Staat tritt das unsichtbare Reich der Verdammten, in ihrer Selbstsucht Verschlossenen gegenüber und der Kirche die unsichtbare Gemeinschaft der Heiligen, der zur Gottesliebe und Seligkeit Begnadeten. Zwei unsichtbare Bürgerschaften! Der Parallelismus der Weltreiche und der Heilsgeschichte bei Eusebius erfährt eine höchst dramatische Vertiefung zum Kampf zwischen dem Gott der Liebe und Satan, ein Kampf, der in jedem Herzen ausgetragen werden muß. Wie Augustin diese seine Heils- und Unheilsgeschichte durch die Weltchronik des Eusebius belegt, ist ein Meisterstück der Komposition, das er selbst als Carmen universitatis empfindet. Der ewige Gegensatz der Liebe und Selbstsucht wird der Gnadenentscheidung und der Gnadenführung Gottes untergeordnet. Die ganze Welt ist ein einziges Geschichtsdrama, der Logos ist schon der Herr der Vorgeschichte und leitet über das Zeitalter der Gottesfurcht zu dem der unverdienten Gnade und Beseligung. Kernpunkt dieser Zeit- und Weltdeutung ist der kranke Mensch, die Durchleuchtung der geheimnisvollen Tiefe des Menschenherzens in seiner Zwiespältigkeit von Geist und Fleisch. Die Gefahr einer ontologischen Spaltung des Menschen in zwei Naturen wird gerade noch vermieden, weil die freie Entscheidung der Persönlichkeit trotz der Gnadenführung die einzige Erklärung des ganzen Weltdramas ist. Das Gottesbild ist jetzt völlig emotional, Gott ist ewig selig zu leben sein Wesen, er ist die Seligkeit, die Liebe, die Wahrheit, wir aber können nur Seligkeit, das Ziel unserer Sehnsucht haben durch die Freiheit der Selbstbestimmung als Voraussetzung der Gnade und in der Zustimmung. Das Weltdrama erklärt sich aus dem Aufstand der Selbstherrlichkeit gegen den Vater, gegen die ursprüngliche Gnadenvorgabe, nicht sündigen und nicht sterben zu müssen. Der Aufstand des Geistes zieht den Aufstand des Fleisches nach sich, die libido wird selbstherrlich beinah eine zweite Natur. Die Unwillkürlichkeit des Leiblebens ist aber doch nur Persönlichkeitsspaltung, keine Wesensspaltung. Die Seele ist und bleibt Geistseele, sie ist mehr dort wo sie liebt als wo sie belebt. Auch wenn sie die ursprüngliche Belebungskraft des Leibes zur Unsterblichkeit verloren hat, bleibt sie ihr doch potentiell, bis sie in der Auferstehung des Leibes wirklich wird. Leider stößt Augustin wegen der so tief empfundenen Erbkrankheit des Todes und der Begierlichkeit nicht entschlossen zur Schöpfung jeder persönlichen

Ostkirchliche Orthodoxie

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Geistseele vor, ja es fehlt ihm der strenge Personbegriff des Ostens, so sehr er den Persönlichkeitsbegriff vertieft hat. Er bleibt im letzten Humanist und Mystiker, und die Keime der großen abendländischen Metaphysik, die er gelegt hat, sind erst Jahrhunderte später zur Entwicklung gekommen. Das Ergebnis der ersten weltgeschichtlichen Aneignung des Christentums durch den menschlichen Geist ist der edelste Humanismus, der bisher dagewesen ist. Aber er ist in drei Formen aufgetreten und so kam es nicht zur formalen Einheit dieser Geisteswelt. Die eine Form war das Mönchtum, der lebenslange asketische Kampf um die freie Verwirklichung des Christentums in sich selbst, die durch Basilius und Benedikt auch institutionelle und liturgische Lebensform geworden ist. Dies Ringen um die Werkgerechtigkeit hat sich alsbald auch symbolisch als nestorianische Konfession von der Weltkirche abgespalten. Hier sah man nur den Menschen Christus als Vorbild der eigenen Vollkommenheit. Die zweite Form war die Mystik, die in docta ignorantia vom Charisma oder der Eucharistie die Liebe und Erlösung für Seele und Leib, die volle Verklärung des ganzen Menschen und der ganzen Welt erhoffte. Auch sie hat in ihrer unbedingten Gnadenbereitschaft, in fide sola gratiae solae sich auch alsbald symbolisch in der monophysitischen Konfession verfestigt, nur Gott in Christus als den Herrn der unverdienten Vollendung gesehen. Die dritte Form dieses Humanismus war die ostkirchliche Orthodoxie, die aus ihrer anthropologischen Metaphysik die Einheit der zwei Naturen in der einen Person Christi verstand, aber nicht wie die beiden extremen Konfessionen die Kraft zu einer institutionellen Form ihrer Lehre fand, die eine freie Universität hätte sein müssen. Justinian, der in der Hagia Sophia mit dem Gottesbild des Pantokrators das höchste Symbol dieser Orthodoxie errichtete, konnte wohl die letzte heidnische Universität in Athen schließen, aber nicht eine christliche an ihrer Stelle setzen. Es gab zwar die drei juristischen Fakultäten von Athen, Beirut und Konstantinopel, die das vierte große Werk dieses Humanismus schufen, das Corpus iuris, das aber kein neues christliches Zeitgesetz brachte. Die beiden Methoden der ostkirchlichen Orthodoxie und des byzantinischen Rechts stimmten überein als positive Theologie und positive Jurisprudenz, aber ihr Verhältnis zur rationalen Theologie und rationalen Jurisprudenz blieb schwankend. Die historische Vernunft dieser Geisteswelt ist die zeitliche auctoritas der Bischöfe und der Jurisprudenten. Sie können gemeinsam auf den Konzilien das geistlichweltliche Zeitgesetz bestimmen, aber als nun das weltliche Gesetz in einem traditionalistischen Corpus zusammengefaßt war, stand der Bei-

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Der Islam

trag des Konzilsrechts nur in der Präambel. Es dauerte ein halbes Jahrtausend, bis ihm in der Westkirche eine collectio canonum entgegengestellt wurde und auch dann gelang die Verbindung des ius humanum und der lex divina nur theoretisch, aber noch nicht institutionell. Schon dafür mußte der altchristliche und später ostchristliche Eschatologismus, die totale Historisierung der Welt und des Weltlaufs zum Hierarchismus abgemindert werden mittels der Lehre von der lex aeterna et naturalis, die Augustin und Boethius mit ihrer Metaphysik des verbum aeternum angebahnt hatten, aber auch nicht zur bleibenden Schule machen konnten. Immerhin sind die wenigen westlichen Kirchenväter und Lehrer zu größerer Bedeutung gekommen als die vielen östlichen, weil hier dem Cäsaropapismus durch die geschichtlichen Umstände eine freie Weltkirche entgegentreten konnte, aber erst nach gewaltigen Katastrophen im Osten und Westen.

Die geistesgeschichtliche Stellung des Islam Der Traditionalismus der altchristlichen Geisteswelt, der die Ostkirchen bis heute bestimmt, t r ä g t durch seinen Konfessionalismus und Nationalismus eine schwere Schuld an der Überflutung der blühenden altchristlichen Länder Asiens u n d Afrikas und schließlich Südosteuropas. Die Kirchen Ägyptens und Syriens k ä m p f t e n nationalistisch gegen die Melchiten, die Kaiserlichen, und konnten mit Recht geltend machen, daß die kaiserliche Politik u n d das kaiserliche Recht von Byzanz nicht christlich, sondern neurömisch waren. Der Islam war von Anfang an traditionalistische Religionsherrschaft im Stil der alten Hochkulturen, er k a n n t e n u r die historische Vernunft des Heiligen Rechts bis zum Heiligen Krieg. Man zählt fälschlich den Islam zu den Weltreligionen. E r war nur eine verspätete, aber typische Nationalreligion, sofern der Gott eines Stammes durch den S t ä m m e b u n d zum Gott des Eroberervolks wurde. Nur sehr langsam sind die Unterworfenen in diese neue Religion aufgenommen worden. D a s Kalifat war als Vereinigung der geistlichen u n d weltlichen Gewalt in der Nachfolge des Propheten eine Gegenbildung gegen den k a u m verhüllten Cäsaropapismus von Byzanz, genauso wie sich später Karl der Große rector et doctor ecclesiae nennen ließ. Schon d a m i t war das Geschick der islamischen Geisteswelt besiegelt. Als neue politische Religion brachte es der Islam rascher als d a s unpolitische Christentum zu einer Kultursynthese, weil das Heilige R e c h t und das positive menschliche Gesetz ein geschlossenes zeitliches Gesetz waren. Die vier kanonistischen Rechtsschulen sind die geistesgeschichtliche A n b a h n u n g dieser Synthese und haben sich bis heute erhalten, aber d a r u m auch den Islam auf der Entwicklungsstufe seiner ersten J a h r h u n d e r t e festgehalten. D a m i t entfiel hier der dreihundertjährige Kampf des Christentums u m seine Symbolik u n d t r a t u m so rascher die Rezeption des hellenistischen Zivilisationsguts in K r a f t . Die a k u t e u n d latente Hellenisierung des Christentums ist eine Legende u n d der Beweis dafür ist eben das Fehlen eines ausgebreiteten Christ-

Der Islam

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liehen Zivilisationsguts um 700. E l islam hellenizado könnte der Haupttitel der arabischen Geistesgeschichte lauten, hinter dem el islam christianizado, wie der große Arabist Asin y Palacios die spätere arabische und persische Mystik genannt hat, weit zurücksteht. In der islamischen Geisteswelt haben die Ärzte, Astronomen und Geographen jene entscheidende Rolle gespielt, die in der altchristlichen den Bischöfen und Theologen zufiel. Die arabischen Geschichtsphilosophen sind alle traditionalistisch und kanonistisch, und die Kosmologie beginnt darum sofort radikal aufklärerisch. Dort hat Abälard, nicht Bernhard gesiegt. Unter diesem mächtigen Impuls wurden jene Rezeptionen und Erneuerungen der antiken Naturwissenschaften durchgeführt, die das Christentum vernachlässigt hat. Da sich die Aufklärung unter diesen Umständen tarnen mußte, sind die Kosmologien alle mit dem Schlagwort von der doppelten Wahrheit gedeckt, das dann auch mit der Aristotelesrenaissance im Abendland üblich wurde. So ist der Islam trotz der Schöpfung der Medrese, der kanonistischen und theologischen Fakultätsinstitution um die viel wichtigere Universität mit allen vier Fakultäten gebracht worden, die ihm durch den energisch aufgenommenen Hellenismus hätte zufallen müssen. Es ist vor allem dem westlichen Halbkalifen Friedrich I I . zu danken, daß fast alle Schätze dieser Seite der arabischen Geisteswelt in die abendländische Universität übertragen wurden. Die philosophische Menschenlehre konnte in dieser traditionalistischen Geisteswelt keine autonome Ethik und kein Naturrecht entwickeln, und auch die christianisierte Mystik mußte sich als poetische Theologie verhüllen. Dies bezeugt ein großartiges Symbol, das Fehlen des Menschenbilds in der islamischen Kunst. Die Metaphysik der beiden Ärzte Avicenna und Averroes ist zugleich mit ihren Aristoteleskommentaren und medizinischen uns astronomischen Summen in die abendländische Universitätswissenschaft eingegangen, aber für den Islam selber bald erloschen. Die ganze islamische Geisteswelt ist ein tragisches Beispiel der Vorherrschaft der historischen über die reine Vernunft. Beginnend mit dem ungeheuren Anachronismus einer nachgeholten Herrenhochkultur noch in der hellenistischen Vollkultur und der christlichen Weltreligion, hat die herrliche Entfaltung der Wissenschaften unter dem Druck der Ketzerverfolgung doch unschätzbare Beiträge zur Zivilisation erbracht. Aber um die Vollkultur ist sie durch das zeitliche Gesetz betrogen worden, unter dem sie angetreten.

b) Mittelalter Wir sehen die Anfänge der westchristlichen Kultur immer noch zu sehr mit den Augen der Romantik, die vor allem eine nachträgliche germanistische Selbstlegitimation des deutschen Reiches war, in akademischem Nationalismus für das junge Blut der Völkerwanderungsstämme schwärmte, die als Herrenvölker die romanischen überschichtet hätten. Die vielen Herrenvölker waren weniger schlagkräftig als das eine arabische, das mit seiner Nationalreligion die südliche Oikumene überflutete und rasch sich kultivierte, schon nach einem halben Jahrtausend seinen Höhepunkt überschritt, um traditionalistisch zu erstarren und dann von den sich viel langsamer entwickelnden nordi-

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Mittelalter

sehen Eroberervölkern überholt zu werden. Weil ihnen die einheitliche Religion, Politik und Zivilisation des Islam fehlte, wurden die nordischen Eroberer in jenen Gebieten romanisiert, in denen sie sich als Herrenschicht eingelagert hatten. Erst die doppelte Gegnerschaft des Islam vom Westen und von Byzanz im Osten hat sie zur karolingischen Reichseinheit zusammengezwungen. Damit erst beginnt ihre politische Theologie, die zwar weniger schlagkräftig ist als eine politische Religion, aber ein günstigerer Ansatz zu einem freien Geistesleben. Sie fordert ja schließlich eine eigenständige rationale Theologie heraus. Zudem hatten im Westen ohnehin seit der Völkerwanderung die Bischöfe in den Städten und der Papst in Rom politische Funktionen übernehmen müssen und damit eine erhebliche Eigenständigkeit gewonnen. Der geistige Aufstieg der dritten neuen Weltmacht neben Byzanz und dem Islam ist bedeutsamer als die germanische Völkerwanderung. Wir besitzen erst seit 30 Jahren die kultursoziologischen Grundbegriffe, um diese wahre und eigentliche Begründung unserer Kultur verstehen zu können. Sie ist vorzüglich das Werk der symbolisierenden Vernunft, Reichsbewußtsein, Selbstlegitimation der weltlichen und geistlichen Macht. Wenn das Westreich sich dem Ostreich ebenbürtig fühlen wollte, mußte es auch seinen Kaiser nach dem östlichen Vorbild zum rector und doctor ecclesiae erhöhen und nach der römischen Tradition, nach Vergil sich die trojanische Abstammung zusprechen. Auch die Franken müssen von Priamus abstammen. Man sagt nicht ausdrücklich von der Göttin Venus, weil es ja nur um die Ebenbürtigkeit des Herrenvolks mit den Römern geht. Die sakramentale Kaiserkrönung genügt als Sanktion des zeitlichen Gesetzes. Umgekehrt wird die römische Kirche in der Legende der konstantinischen Schenkung zum Westreich erhöht und gleichzeitig beanspruchen die Patriarchate der führenden Völker im 9. Jahrhundert apostolische Dignität, Spanien aus seiner Missionierung durch den Apostel Jakobus, Frankreich durch die Vordatierung des Bischofs Dionysius von Paris zum Areopagiten, Deutschland durch die Identifizierung des ersten Bischofs von Trier und Köln mit dem Jüngling von Naim, der ein zweitesmal durch den Petrusstab von den Toten auferweckt wird. Noch heute ist dieser Petrusstab zur Hälfte in Köln und Trier Symbol des deutschen Primas. Mit dieser doppelten Selbstlegitimation beginnt die Spannung zwischen Kaiser und Papst, die unter den Ottonen zur Vorherrschaft des Kaisertums über die römische Kirche führt, aber unter den Saliern zum schweren Investiturstreit. Denn nun war eine neue Macht aufgetreten, die kluniazensische Reform, die statt der politischen Recht-

Studium

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fertigung der Freiheit der Kirche eine geistliche fand. Die Folge dieser Geisteskämpfe sind die Kreuzzüge und die Erhöhung Karls des Großen und seiner Paladine zu Kreuzfahrern und Spanienkämpfern im abendländischen Epos. Der kirchliche Krönungsritus wird die liturgische Legitimation für Kirche und Reich zugleich. Die geistigen Kämpfe des Investiturstreits sind der Anfang der abendländischen Geschichtsphilosophie und der Übergang vom Frühmittelalter zum Hochmittelalter. Das Außerordentliche, das sich nun ereignete, ist gleichsam nochmals ein Aufstieg von der Hochkultur zur Vollkultur, weil sich nun die dritte frühmittelalterliche Gewalt, das Mönchtum, in einer Institution der Geistigen verfestigte, als Studium zwischen sacerdotium und imperium trat. Das ist das entscheidend Neue gegenüber der alten Christenheit und gegenüber der Ostkirche, die endgültige Begründung des abendländischen Vorrangs über alle traditionalistischen Hochkulturen. Die zwei Männer, denen dies zu danken ist, sind ein radikaler Denker und ein genialer Heiliger, Abälard und Bernhard. Abälard (bis 1142) hat den Traditionalismus rationalistisch durchbrochen und ist insofern der erste Sprecher des Stadtbürgertums, wie denn auch sein Schüler Arnold von Brescia die erste stadtbürgerliche Revolution entfesselt statt der bloßen Revolten der Stadtbürger gegen ihre Stadtbischöfe. Die Aufklärung, die Abälard als „Neuzeit" nach dem Altertum und Mittelalter verkündigte, war noch allzusehr Utopie gegen die beiden autoritativen Mächte von Kirche und Staat. Die ratio allein konnte noch nicht Schulmethode werden, nur das Nebeneinander von auctoritas und ratio wurde die Methode der historisch-kritischen Bearbeitung der Überlieferung an allen nun sich bildenden Fakultäten der abendländischen Universität. Es galt aus den einander widersprechenden Lehrsätzen der Überlieferung die Summen der theologischen, juristischen, medizinischen und philosophischen Doktrin zu gewinnen, die für ein halbes Jahrtausend die Grundlagen des Geisteslebens blieben. Abälard brachte das Studium in Gang, aber sein wahrer Inspirator ist Bernhard von Clairveaux (bis 1153). E r hat die geistige Durchdringung der ganzen Überlieferung zum Hochziel der Zeit erhoben und damit den geistigen Menschen ihre Selbständigkeit und ihr Standesbewußtsein geschenkt. Abälards Rationalismus wollte die Überlieferung in eine philosophische Enzyklopädie auflösen, Bernhard gab der Kirche seiner Zeit viel mehr als nur die politische Freiheit, die Freiheit der Kinder Gottes. Das Frühmittelalter dachte so sehr hierokratisch, daß es Papst und Kaiser, Patriarchen und Könige, Erzbischöfe und Herzöge, Bischöfe und Grafen gleichstellte unter dem König Christus,

Mittelalter

sozusagen nach rein historischer Vernunft. Bernhard machte umgekehrt die reine Vernunft zur historischen. E r entdeckte den Hierarchismus als Rangordnung der geistigen Stände, über der sensitiven Volksfrömmigkeit und liturgischen Frömmigkeit der Kleriker die freie geistige Persönlichkeit des Mönchtums. Das alte Mönchtum forderte die ethische Verwirklichung der christlichen Lehre wie jetzt Abälard. Dafür genügte rationaler Theismus und die nominalistische Logik. Bernhard forderte das geistige Verständnis des Christentums und damit eine Metaphysik, nach der jede Geistseele als Bild des ewigen Worts geschaffen ist, das in jedem geboren werden soll, wie es zuerst in Maria geistig geboren wurde vor der leiblichen Geburt. Nur so beginnt die deiformitas, die Vorbereitung zur Aufnahme in den Himmel mit Geist und Leib. Die Erneuerung des logoshaften Menschenbildes überhöht das hierokratische Christusbild des Pantokrators, durch die Gottesidee des ewigen Worts. Das ist der Ursprung des hochmittelalterlichen Geistes, der sich in zwei Jahrhunderten zu einer reinen Gemeinschaftsidee gestaltet.] Das zeitliche Gesetz wird jetzt durch das Konkordat der führenden Stände bestimmt, das den Investiturstreit beendet. Dies setzt voraus, daß die Kirche sich der Feudalisierung durch ein eigenes Wahlkollegium entzogen hat mit der Institution des Kardinalats. Man hat dies aus dem germanischen Genossenschaftsrecht erklärt gegenüber dem romanischen Korporationsrecht. Das mag mitgesprochen haben, aber entscheidend war die Wahlordnung der regula Benedicti, die durch die Kluniazenser auf das Papsttum übertragen wurde. Das Patrimonium Petri, ein feudales Sachenrecht des Kirchenguts, wird überhöht durch die freie Standesgemeinschaft des Priestertums mit der eigenrechtlichen Wahl ihres Hauptes und einer eigenen Legislative. Das altchristliche charismatische Kirchenrecht wird im 12. Jahrhundert durch das kanonische Recht und die entsprechende kanonistische Fakultät in Bologna abgelöst. Das ist ein neues Kulturrecht, nicht Staatsrecht, das die politische Einmischung des römischen Adels und des Kaisertums in das kirchliche Leben verhindern soll. Das Konkordat zwischen Kirche und Reich von 1122 war nur möglich in der Bedrängnis des Kaisertums durch den Feudalismus, der die Institution der nichterblichen Reichsbischöfe erzwang. Aber darüber hinaus war auch eine Erneuerung des alten kaiserlichen Rechtes gefordert, der die juristische Fakultät von Bologna zur Auslegung des Corpus iuris dienen sollte. Damit war wohl der Traditionalismus der frühmittelalterlichen symbolischen Selbstlegitimation durchbrochen, aber es wurde noch nicht ein eigenes Wahlkollegium der Kurfürsten

Die Fakultäten

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geschaffen mit der entsprechenden Rationalisierung der Verfassung und Verwaltung. Dagegen hat das Studium jetzt mit den Wahlkollegien der Fakultäten und der Studentennationen seine bleibende Institution gefunden, eine eigenständische und eigenrechtliche Verfassung trotz der Stiftungsbriefe der Päpste und Kaiser. Die Entstehung der freien Universitäten ist ein weltgeschichtliches Ereignis, wenn sie auch der •philosophischen Fakultät als Vertreterin des Naturrechts keine selbständige Stellung in der ganzen Kulturverfassung und ein Mitbestimmungsrecht des zeitlichen Gesetzes brachte. Noch fehlte der Laienstand der Literaten, der sich erst im 14. Jahrhundert in den neuen Stadtstaaten konstituierte. Philosophie war und blieb Vorbereitung für die Standesbildung der Theologen, Kanonisten und Juristen. Darum mußte die rationalistische Geschichtsphilosophie Abälards als Erneuerung der antiken Ethik und Politik nach dem „finstern Frühmittelalter" scheitern. Statt dessen siegte Bernhards Idee der geistigen Rangordnung der Stände und Rechte, weil er die causa spiritualium, causa episcoporum et devotio carnalis populi konkret verstand. Er sah die lex aeterna, weil er die conformatio an das Verbum aeternum als menschliches Hochziel forderte, den geistlichen Menschen so hoch stellte, daß auch der geistige noch über den politischen zu stehen kam. Sein Jünger Joachim hat diese Rangordnung historisch verstanden, wie Abälards Schüler Arnold von Brescia die causa philosophorum zur Stadtstaatsrevolution politisierte. Bernhards Papstspiegel hat bereits das Papsttum auf die potestas indirecta der charismatischen Autorität beschränkt, und wenn ihm die Zeit hierin gefolgt wäre, hätte man einen vierhundertjährigen Kulturkampf ersparen können. Er konnte nur die hohe Theorie bestimmen, aber die historische Vernunft hat die causa clericorum, das kanonische Recht verfestigt. Sie hat damit zwar ein neues Zeitgesetz geschaffen, das Papsttum zum eigenrechtlichen Partner des Kaisers gemacht und so den Cäsaropapismus im Westreich verhindert, aber keinen Ansatz für die causa magistrorum geboten. Gerade deswegen blieb das Studium reine Theorie in idealer Ausgestaltung und sank es nicht ab zur politischen Philosophie. Seine Sendimg ist die Vertretung des ewigen Gottes- und Menschenrechts und hat die Geisteswelt für zwei Jahrhunderte bestimmt, ja erst die Träger dieser Geisteswelt als freien Stand in der Universität gebildet. Der zeitgesetzliche Anlaß der Fakultäten ist schon genannt, die Herausbildung des Eigenrechts der führenden Lebensmächte, aber bleibend bedeutsam ist die Methode der rationalen Bearbeitung der

Überlieferung geworden. Mit der Überlieferung ist die Doktrin gegeben.

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die in Lehrbüchern verfestigt werden muß, im dogmatischen Lehrbuch des Lombarden, im kanonistischen des Dekretum Gratiani, im Corpus iuris, im Kanon Avicennas, ja bald auch im Corpus Aristotelicum. Die rationale Bearbeitung des Lehrbuches macht das Kulturgut zur lebendigen Standesbildung, die kritische Aneignimg der Überlieferung Satz für Satz ist das innere Leben dieser universitas magistrorum. Aus der weltgeschichtlichen Überlieferung entwickelt sich das Ideal der freien Menschengemeinschaft, das der Idee der Weltordnung und Rechtsordnung näher kommt als der erhabene theologische Humanismus der altchristlichen Welt. Das Frühmittelalter hat sich in einem großartigen gemeinsamen Symbol der drei Lebensmächte naiv selber legitimiert durch die Idee der örtlichen Übertragung dieser Lebensmächte in das aufsteigende Kulturgebiet. Das war ein gründliches Mißverständnis der paulinischen inneren Umbildung des Gesetzes mit der Übertragung des alttestamentarischen Priestertums auf den königlichen Priester Christus. Wie das neue Priestertum von Jerusalem nach Rom übertragen wurde, ist auch das Reich von Troja nach Rom und schließlich zu den Franken übertragen worden, ja schon Cäsar hat das Studium von Alexandrien nach. Rom übertragen und Karl der Große von Rom nach Paris.

Die Loslösung von diesem Symbolismus hat die kluniazensische Reform gebracht, obwohl sie als führende Lebensmacht des 10. und 11. Jahrhunderts noch der alten Zeit verhaftet blieb in der Organisation der Pilgerwege und mit dem Aufruf zu den Kreuzzügen. Aber zugleich ist sie im Anschluß an Gregor den Großen zu innerlichem geistigen Leben über die liturgische Reform hinausgeschritten. Sie hat mit Gregor VII. politisch und mit Kardinal Humbert theoretisch den Kampf um die Freiheit der Kirche mit den deutschen Reichsbischöfen aufgenommen, die ihrerseits die Einheit der Kirche, eine staatlich geführte Gesamtkultur proklamierten. Es ging um den Primat der Kirche oder des Reiches, ja bald auch um den Primat des Studiums im aufsteigenden Stadtbürgertum. Die vier entsprechenden Zeitdeutungen überwinden die traditionalistische Übertragungssymbolik von Priestertum, Reich und Studium. Sie sind miteinder und gegeneinander die schöpferischen Entwürfe der engeren Abendlandsidee. Man sollte dies neue Gemeinschaftsbild Sacra universitas, heilige Weltgemeinschaft nennen statt Sacrum imperium, weil dies nur das Symbol einer Zeitdeutung ist, der der Legitimisten, die die Gesamtkultur vertreten wollen, aber keineswegs das volle Zeitbewußtsein aussprechen. Denn dies ist zum ersten Mal Kulturbewußtsein! Man will sich der Überlieferung, des Amts und der Sendung würdig machen. Der Kampf um den Primat ist eine Rangfrage des eigenen Amts in der Christenheit

Geschichtsphilo sophie

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oder Kircheneinheit. Die alte notitia dignitatum, die Amtsordnung wird abgelöst durch die Hierarchie der Geistgestalten. Wenn nun die Kirche um den Primat über den Staat kämpft, geht es nicht mehr um den geistlichen Primat des römischen Bischofs über die apostolischen Kirchen und Patriarchate, der die altchristliche Welt kennzeichnet. Jetzt geht es um den Kulturprimat, aber im zeitlichen Gesetz bleibt es noch bei der Machtfrage einer potestas directa in temporalibus, ja bei einer Lebensherrschaft des Papstes über die Könige. Die eigenrechtliche Verfassung der Freikirche ist schon mit dem eigenen Wahlkollegium des Kardinalats gesichert und darüber hinaus beginnt die erste staatsfreie Rechtsschöpfung einer Lebensmacht mit einem eigenen priesterlichen Standesrecht, das auch hinüberwirkt in die eigene Institution der Geistigen, in die Universität und ihr Verfassungsleben. Aber hoch über dieser Neuordnung der Institutionen steht der Kampf um die Kultureinheit, der freilich in einseitigen Geschichtsphilosophien von den einzelnen Lebensmächten aus geführt wird und der wahre Anfang der mittelalterlichen Philosophie und Geisteswelt ist. Die Geschichtsphilosophie der Freiheit der Kirche innerhalb dieser Kultureinheit hat Kardinal Humbert im Kampf gegen die Investitur und Simonie geschaffen. Er denkt insofern noch symbolisch, als er den Hl. Geist zum Herrn der Kirche macht, der die Geistmenschen zum geistigen Verständnis der Schrift inspiriert. Nur wer im Hl. Geiste lebt, kann würdiger Spender der Sakramente sein. Das ist gegen die Vertreter der Amtskirche gesagt, die allein mit dem Amt die wirksame Sakramentsspendung verbanden. Das liegt in der Linie der unsichtbaren Geistkirche des Montanus und Tertullian und weist auf Joachims Reich des Hl. Geistes voraus. Aber Joachim deutet die bemhardinische Rangordnung der Laien, Kleriker und Mönche in eine auch politisch gemeinte Abfolge der Zeitalter um. Humberts Antithese richtet sich gegen die Simonisten in der Kirche, die zur antichristlichen Civitas gezählt werden und darum auch gegen die kaiserliche Investitur in der Reichskirche, aber nicht gegen das Reich, in dem gleichfalls der Hl. Geist die Ordnung der Ämter und Gaben bestimmt. Unter den vielen Versuchen, vom kaiserlichen oder landeskirchlichen Standpunkt aus die Einheit der Kirche als eine staatliche Rechtsordnung zu rechtfertigen, ragen weit hervor die Tractatus Eboracenses, die doch wohl von Gerhard von York (bis 1109), dem Hofbischof der normannischen Erobererkönige stammen. Sie sind echte Geschichtsphilosophie mit allen Zügen einer grundsätzlichen Gemeinschaftslehre. Die Rangordnungsfrage ist mit der Überordnung des ewigen Gesetzes der natürlichen Welt- und Lebensordnung über das göttliche Gesetz des Priestertums und das bürgerliche Gesetz entschieden. Das ewige Gesetz ist ontologisch zu verstehen als praeordinatio, als grundlegende Vorherbestimmung aller Dinge und Wesen und zuhöchst des Menschen nach der Berufsordnung. Der souveräne Gotteswille ist selber das ewige Gesetz. Christus ist hier Weltkönig, sein Priestertum dauert nur bis zum Anbruch des jenseitigen Lebens und jetzt schon läuft die Vorbereitungszeit der künftigen Herrlichkeit ohne Priestertum, das dritte Reich des christlichen Königtums. Der König ist der eigentliche Stellvertreter Christi nach dem zweiten Reich des allgemeinen

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königlichen Priestertums aller Gläubigen und nach, dem ersten Reich des besonderen Priestertums im alten Bund. Erst nach und neben dieser politischen Theologie eines monarchischen Theismus ist die natürliche Theologie des antitrinitarischen Monotheismus Peter Abälards (1080—1142) zu verstehen. Sie ist reine Aufklärung gegenüber der traditionalistischen Welt und schon inspiriert vom aufsteigenden Stadtbütgertum, vor allem aber ist den Geistigen ihre volle Selbständigkeit zugesprochen. Abälard ersieht im Kampf zwischen Kaiser und Papst die Möglichkeit eines Schiedsrichtertums der Geistigen aus dem reinen Verstand und der neuen Wissenschaft, er ist machtkritisch gegen die beiden autoritäten Mächte zugunsten des geistigen Fortschritts. Dies gelingt ihm technisch durch die Gegenüberstellung der sich widersprechenden Lehrsätze und Rechtssätze, über die der freie Geist richterlich entscheidet. E s bleibt nichts als die natürliche Theologie, die die drei göttlichen Personen als bloße Vermögen Gottes, als Macht, als Weisheit und Güte auffaßt, als eine Dreifaltigkeit, die auch schon die Heiden kannten. Die natürliche Sittlichkeit beruht auf dem Vorrang des Gewissens über die Sittengebote, in der innerlichen freien Entscheidung über das für recht Erkannte ohne Rücksicht auf Lohn und Strafe. Das natürliche Recht begründet den Vorrang der Philosophen und Geistigen über das zeitliche und christliche Gesetz. Dies wird versteckt im Dialog eines Philosophen, Juden und Christen ausgesprochen. Abälards Hymnen feiern den Anbruch des Reichs der Wahrheit, die Enthüllung der dunklen Geheimnisse der positiven Gesetze, das dritte Reich des freien Geistes nach dem Judentum und Christentum. Bernhard hat sofort die Tarnungen dieses neue Pelagius und Arius aufgedeckt, aber aus seiner neuen Rangordnung der Geistigen und der neuen Blüte des reformierten Mönchtums entwickelte sein Jünger Joachim von Floris (1130 bis 1202) eine neue Zeitalterlehre. Die mönchische Geistigkeit wird als die zukunftsbestimmende Macht über den Weltklerus gestellt, wie dieser selbst die Herrschaft der Laien des alten Bundes ablöste. So folgt auch hier dem Reich des Vaters im Alten und dem des Sohnes im Neuen Bund der dritte Bund des Heiligen Geistes. Wie immer schon die geistliche Schriftdeutung die Vorbilder des Alten Testaments für das Leben Christi aufgesucht hatte, so werden nun diese Vorbilder auf das Leben Christi und seine Kirche angewendet, und daraus ergibt sich eine sehr bedeutende Gliederung der Kirchengeschichte. Aber das die Zeit so mächtig erregende Moment dieser Geschichtsphilosophie war die Berechnung des Beginns des dritten Reiches nach den 42 Generationen des Alten Bundes, also eigentlich auf 1260. Joachim wußte geistvoll dieses Datum um zwei Generationen zu verkürzen, um selber noch den Beginn der neuen Zeit erleben zu können und die Befreiung seiner Heimat Calabrien von der staufischen Herrschaft. Der Einfluß dieser für uns nach ihrer Technik so leicht zu durchschauenden Prophezeiung auf die Franziskaner war außerordentlich, sie hielten ihren Meister und seine zwölf ersten Jünger für den von Joachim prophezeiten neuen Orden, ja noch Dante glaubte an den „mit prophetischem Geist begabten Abt".

Bernhards nüchterner Einspruch gegen die Geschichtskonstruktion Abälards und auch schon im voraus gegen die Joachims hat zunächst den Rationalismus und Gnostizismus aufgehalten. Wie durch die Nebenordnung von auctoritas und ratio die geistige Aneignung der Uberlieferung in den vier Fakultäten der jungen Universität gelang.

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ist schon ausgeführt worden. Die neue Wissenschaft führte zu einer Standesbildung der neuen Intelligenz mit hohen Aufstiegsmöglichkeiten in Kirche und Staat. Universitätstheologen wurden Bischöfe und Päpste und Juristen von Bologna und Orleans Berater der Kaiser und Könige. Nur für die Philosophen gab es keine andere Aufstiegsmöglichkeit als in der Theologie. Die Philosophie blieb Propädeutik für die positiven Wissenschaften der Standesbildung. Trotzdem war die Universitas magistrorum ein Abbild der sacra universitas der mittelalterlichen Kultureinheit. Das Wormser Konkordat von 1122 war nur ein Kompromiß der streitenden Mächte. Es blieb bei der halben Investitur der Reichsbischöfe mit dem Schwert durch die Kaiser. Sie förderten noch anderthalb Jahrhunderte lang staats- und kulturpolitisch durch die Kreuzzüge und das Karlsepos die Idee der unitas ecclesiae, der imperialen Politik. Aber gerade die Kreuzzüge brachten die Bekanntschaft mit der überlegenen wissenschaftlichen Zivilisation des Islams, und so strömten im ganzen 12. Jahrhundert die Schätze der arabischen Philosophie und Wissenschaft ins Abendland. Die scholastisch gebildeten Päpste suchten im Kampf mit den Kaisern das Bündnis mit den aufsteigenden Stadtstaaten, die allerdings noch selber keine freie Intelligenz in diesem Kampf der Geister stellen konnten. Dafür übernahmen nun die Philosophen der Universität die Führung der stadtbürgerlichen Kultur und die Vermittlung der fortschrittlichen Wissenschaft des Islams. Diese Aufklärungsbewegung konnte allerdings nicht offen hervortreten. Der Zwang zur Tarnung und die Unterdrückung aller heterodoxen Strömungen hat bis zur historischen Erforschung der Scholastik in den zwei letzten Generationen die Kosmologie dieser Zeit der Vergessenheit anheimfallen lassen. Auch jetzt ist die Forschung erst soweit, daß die Darstellung der typischen monistischen Weltbilder nur als Forschungshypothese gegeben werden kann. Es ist nicht schwer, die radikalen Geschichtsphilosophien den entsprechenden Gesellschaftsgruppen zuzuordnen. Aber die sozialen Bewegungen des Bürgertums und der städtischen Unterschichten, die die unzulänglich bekannten und sorgfältig getarnten Kosmologien getragen haben, sind nicht so leicht festzustellen. Die stärkste Unterschichtsbewegung war die südfranzösische der Albigenser, weil sich ihr der Adel anschloß und sich ihrer im Kampf gegen das nordfranzösische Königtum bediente. Sie steht im Zusammenhang mit dem gnostischen Mamchäismus über die Paulikianer und Bogomilen. Es geht ihr um die Befreiung des Geistes von dem Herrn dieser Welt und der Materie. Von den perfecti und electi wird Eigentumslosigkeit und Ehelosigkeit gefordert, und als letzte Flucht bleibt

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das consolamentum des freiwilligen Todes. Sicher steht mit ihnen auch die nordfranzösische Stadtintelligenz in Verbindung und hier können wir den Zusammenhang der subjektiv-idealistischen Weltanschauung mit der Geschichtsphilosphie des Joachitismus gerade noch greifen. Auch hier geht es um das Urgesetz der geistigen Befreiung aus dem kirchlichen und staatlichen Gesetz. Amalrich von Bena (bis 1204) und David von Dinant (bis 1210) sind Lehrer an der Pariser Universität, die Häupter der Brüder und Schwestern des freien Geistes. 1210 und 1212 erfolgen die ersten Verurteilungen dieser freigeistigen Bewegung. Alles was ist, ist Eins und dies Eine ist Gott, reiner Geist, der Mensch aber ist nur eine vorübergehende Individuierung des Weltgeistes durch die Illusion der Materialität. Dies ist der Grund alles Leidens, das durch die Bewußtmachung der Einheit mit Gott aufgehoben werden kann. Die Erscheinung Gottes in Abraham brachte das staatlich-kirchliche Zeremonialgesetz des Alten Bundes, seine Erscheinung in Jesus hob dies auf und brachte das kirchliche Gesetz, die Erkenntnis des Heiligen Geistes als Gott und Weltgeist hebt auch das göttliche Gesetz des Neuen Bundes auf. Freilich nicht zur Gesetzlosigkeit, wie die Gegner meinten, sondern zur Alleinherrschaft des natürlichen Rechts, das mit dem Naturgesetz zusammenfällt. Leben, Leiden, Tod und Auferstehung Christi sind nur das Symbol des Geistmenschen. Das Bewußtsein der Verbundenheit mit Gott bringt die Befreiung aus dem Staatsrecht und Priesterrecht, ja aus allen Leiden der Zeitlichkeit als Selbstillusion.

Es sind vor allem die Engländer gewesen, die die Übernahme der arabischen Medizin, Naturwissenschaft und Kosmologie entscheidend gefördert haben. Sie reisten nach Salemo und Toledo und lernten arabisch, zunächst um eine wissenschaftliche Medizin durch die Kenntnis der ganzen Überlieferung zu gewinnen. Schon 1217 hat Alfred von Shareshel eine großartige Synthese der galenischen und arabischen Medizin geschaffen, die naturphilosophisch die Formenbildung der menschlichen Organe als Bildübertragung von der Geistseele auf die Leibseele durch die Lebensgeister erklärte. Aber der bedeutendste Schöpfer der mittelalterlichen Naturphilosophie ist Robert Grosseteste (bis 1254), als Bischof von Lincoln Kanzler der Oxforder Universität, der Freund und Protektor der ersten englischen Franziskaner, der ihnen ein eigenes Studium generale in Oxford ermöglichte. E r ist Mathematiker, Physiker und Philologe. Auch für ihn wie für Alfred ist die geistige Bildgesetzlichkeit Lösung der naturphilosophischen Probleme. Die Ideen als ewige Gedanken Gottes und Urbilder aller Dinge werden aus dem menschlichen Geiste durch die Seele auf den Leib übertragen. Die imaginative Seele prägt die rationes seminales in den Arten, aber der Stoff selber muß schon vorgeformt sein, bevor er zum Lebewesen geprägt werden kann. Und hier setzt Roberts geniale Licht-

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theorie an. Sie stammt aus der großen astrologischen Tradition seit Ptolemaios, die zuletzt von Ibn al Haitham, AI Hazen systematisch gefaßt worden war. Neben der Lichtphysiologie steht die physikalische Lichttheorie. Lichtgestalten sind die Formgeber der Elemente, aber zuerst muß erklärt werden, wie die Elemente selber aus der Licht- und Ätherbewegung durch Sternkonstellationen entstanden sind. AI Hazen kennt schon die plötzliche wellenförmige Ausbreitung des Lichts von jedem leuchtenden Punkte aus. Robert überträgt dies Modell auf die Weltentstehung: die Ausbreitung des Lichts von einem Mittelpunkte aus führt die Ätherteile mit sich bis zum Erlöschen des Anfangsimpulses und von dieser Peripherie her fallen dann die sich immer mehr verdichtenden Stoffe zum Erdmittelpunkt zurück. Einen zweiten Impuls für die verdichteten Stoffe erzeugt die Kreisbewegung der Gestirne und ihre Konstellationen beeinflussen die Gestaltbildungen auf der Erdoberfläche. Robert h a t nicht die weltanschaulichen Folgerungen aus seinem neuen Weltbegriff gezogen, aber im Oxforder Franziskanerkreis fand sich bald ein kühner Denker, der diese Lichttheorie mit der neuplatonischen Metaphysik des „Liber de causis" oder schon der um 1260 von Wilhelm von Mörbeke übersetzten Elementatio theologica des Proklos verband. Clemens Baeumker hat seine Schrift, den Liber de intelligentiis, zunächst fälschlich dem etwas jüngeren Witelo zugewiesen, aber der wirkliche Autor ist aus leicht begreiflichen Gründen immer noch nicht gefunden. Sein Grundgedanke ist wie der des Anonymus von York die Praeordinatio der sichtbaren Weltordnung der Wesen durch den ewig wirkenden Weltgeist. Im Anklang an Spinoza könnte man ihn übersetzen: Deus sive intellectus agens format per lucem agentem materiam primam. Gott heißt der unendliche Geist, der ohne vorgegebene Wesen und Bilder in ständigem Selbstbewußtsein seines Seins und Erkennens die Urbilder aller Wesen entwerfend schaut und in dieser vollkommenen Erkenntnis selig ist. Er ist die geistige Einheit, die sich in den Geistern vervielfältigt, wie das Licht sich mit und im Urstoff vervielfältigt. Das Erste der geschaffenen, der zusammengesetzten Dinge ist das Sein der reinen Geister, die nach dem Grundsatz der Konnaturalität der Erkenntnis als Zwischenstufe zwischen dem ungeteilten Geist und der zweifach geteilten Menschenseele angesetzt werden müssen, um das Ganze der Weltordnung erschließen zu können. Das latente Menschenbild, das diesem kühnen Entwurf eines objektiven Idealismus zugrunde liegt, ist die anima intellectiva, die eine seelische, geistige und göttliche Tätigkeit hat, von den göttlichen Urbildern die Ideen empfängt, sie durch die Phantasie der sinnlichen Seele mitteilt und durch diese auf die Leibgestaltung wirkt. Das Urgesetz der Weltordnung ist die Formenvermittlung, die in diesem Geistnatursystem als geistige und lichthafte unterschieden wird. Das erste aus Akt und Potenz zusammengesetzte Wesen ist das Licht, das den ungewordenen Stoff zu gestalteten Wesen erhöht. Das Licht ist sichtbare Strahlung und Lebensprinzip durch seine unsichtbare Wirkform, die Wärme. Die Seele ist mit dem Leibe nur als willentlicher Beweger geeint, nicht als actus, als Wirklichmacher, weil schon die Lichtform die sinnlichen Wesen gestaltet.

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Es gibt in diesem Monismus doch eine Stufenreihe der Wesen, deren Ordnung nach ihrer Art erkannt werden kann. Die Hierarchisierung der Welt setzt sich auch hier nach den Stufen der Erkenntnis des Wirkens und der Freude durch. Gott ist eigene Selbsterkenntnis, Erkenntnis aller Dinge, urbildliche und willentliche Setzung der Weltordnung und ewige Seligkeit. Der reine Geist erkennt Immer sich selbst, aber nur im Blick nach oben auf die Urbilder, die Leibseele erkennt nicht immer sich selbst, aber doch auch die Urbilder, um so zur vollendeten ewigen Freude zu gelangen. Sie vermag die Urbilder durch die Phantasie auch dem Leibe einzuflößen, der vorher schon durch die Wärme zu den Elementformen aufgebaut ist.

Zweifellos hat Roger Bacon (bis 1292) diese kühne Metaphysik gekannt, denn seine eigene ist genau dieselbe, nur ohne die geistige Formenbildung. Daß der Franziskaner ein konsequenter Materialist ist, ist kaum glaublich, solange man am romantischen Mittelalterbild hängt, nachdem in diesen Zeiten eine geschlossene Gläubigkeit geherrscht habe und solange man die gewaltigen gesellschaftlichen Spannungen bis zum Bürgerkrieg wie im Albigenser„kreuzzug" übersieht. Roger hat allerdings eine ganz andere Stellung zu diesen Unterschichten. Einer radikal entschlossenen Intelligenz ist es leicht, die Massen zu domestizieren. Der grobianische Ironiker will die Volkspredigt durch Wundertaten unterstützen, der Menge mit Autos und Flugzeugen, mit Gold- und Pulvermachen imponieren. Er hofft, daß er sehr bald aus Steinen Brot machen und mit Pulver die staatliche Macht erringen kann. Wie der Großinquisitor Dostojewskis will er mit dem Verzicht auf die eigene Seligkeit, ja ohne den Glauben an die Unsterblichkeit die Menge in ein illusionäres Glück führen. Verwunderlich ist nicht diese Idee zu seiner Zeit, sondern nur, wie offen er zu reden wagte und sogar Papst Clemens IV. als Protektor gewinnen konnte, bis ihn nach dessen Tod sein Orden zur Klosterhaft verurteilte. Sein Grundgedanke ist, daß die Gestaltungskraft des Lichts zusammen mit dem Urstoff genügt, um die rein quantitativen Verbindungen der nur relativ konstanten Wesen zu erklären. Die verschiedenen Sternkonstellationen genügen, um durch den direkten physikalischen Einfluß der Lichtstrahlen die Gestaltenbildung in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit hervorzubringen. Es hängt ja auch noch die Inspiration der Patriarchen, Religionsstifter und Philosophen allein von den Sternkonstellationen ab. Das ist eine natürliche Offenbarung ohne die gnadenhafte eines persönlichen Gottes. Da die Patriarchen in dieser Reihe genannt sind, ist der Zusammenhang mit Amalrich verraten. Gott ist offen zum intellectus agens gemacht, d. h. er ist nur mehr die ordnende Lichtkraft eines konsequenten Dynamismus. Wie bei den arabischen Aufklärern sind die opiniones, leges et religiones als zeitbedingte Einkleidungen der natürlichen Sittlichkeit ohne Lohn- und Strafgesetzlichkeit zu verstehen. Aber dies steht schon im Zusammenhang mit der obersten Gewißheit, der mathematisch berechenbaren Gesetzlichkeit der sichtbaren Weltordnung. Der Determinismus der astronomischen Gesetzlichkeit ergibt sich aus der automa-

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tischen Entfaltung der Lichtkraft, durch deren reale Strahleneinflüsse die konkreten Wesen bis zur Zeugung der Lebewesen gestaltet werden. Die Planetenkonstellationen erklären die Formverbindungen. Die erste Wissenschaft ist die Mathematik, die auch unentbehrlich ist für die zweite, die Erkenntnislehre, die somatische, physiologische und logische. Auch hier kommt es auf die Zurückführung der Qualitäten, ja der Substanzen auf die Quantitäten an. Die mechanistische Methode ist überall anwendbar und allein berechtigt. Die dritte Wissenschaft ist die theoretische Astronomie, die die äußere Weltgesetzlichkeit nach dem übergreifenden Strahleneinfluß auf alles Werden untersucht und auszuwerten ist durch die astrologia operativa, die Anwendung des Horoskops zur Wahl der richtigen Zeugungs- und Züchtungsstunde. Bacon verwirft aufs schärfste die Magie als Aberglauben an suggestive Seelenkräfte, aber die Astrologie ist für ihn echte theoretische und praktische Wissenschaft. Die vierte Wissenschaft ist die theoretische Chemie, die allgemeine Lehre von den Elementen und ihrer Zusammensetzung aus dem Schweren und Leichten in verschiedenen Mischungen, der als fünfte die empirische Chemie, die Alchemie folgt, die sich mit 154 denkbaren Verbindungen der irdischen Stoffe beschäftigt und zum Goldmachen und Pulvermachen führen muß. Die sechste Wissenschaft ist Botanik und Zoologie mit der praktischen Anwendung in der Agrikultur, die siebte die Physiologie mit der Eugenik und Medizin und die achte die scientia experimentalis, die Technik, die nun die wahre Herrin der untergeordneten Wissenschaften wird statt der Theologie.

Wenn man die Kühnheit Bacons im 13. Jahrhundert nicht anerkennen will, bringt man sich um einen großen geistesgeschichtlichen Zusammenhang. Er steht ragend in der Entwicklungslinie der exakten Naturwissenschaft von Ptolemaios über die Araber zu Leonardo da Vinci, zu Francis Bacon und zu den Enzyklopädisten, ja noch bis Comte und heute. Vor allem aber ist er einer der ersten, der aus der exakten Naturwissenschaft die radikale soziologische Konsequenz zieht, die Bildung einer revolutionären Intelligenz. Völlig klar ist der Zusammenhang der naturalistischen Kosmologie mit dem aufgeklärten Despotismus. Kaiser Friedrich II. hat von seinem Kronland Sizilien aus, in dem die arabische und die neue wissenschaftliche Zivilisation zusammenstießen, die Verbreitung der arabischen Naturphilosophie und Naturwissenschaft an die abendländischen Universitäten gefördert und selber die Universität Neapel gegründet. Die arabischen Ärzte, Philosophen und Astronomen wirkten ja alle als Berater ihrer Herrscher und betrachteten die Dichter, Theologen und schöpfungsgläubigen Philosophen als die unterste Stufe der Geistigen. In der ewigen Wiederkehr der gleichen Konstellationen des astrologischen Determinismus müssen immer wieder auch die gleichen opiniones, leges et religiones zur bestimmten Stunde auftauchen. Aber die göttlichen Gesetze, das jüdische, islamische und christliche sind nur die Primitivstufe der Geistesentwicklung. Sie gelten nur für die naturhaften Menschen der vita delectativa und auch das menschliche Gesetz

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der Politiker als vita activa untersteht dem ewigen Naturrecht der theoretischen Menschen, den Philosophen als Lehrern der Fürsten. Der kontemplative Mensch hat freilich keinen Platz unter den Parteien der Bürgerschaft, der Pöbel verfolgt ihn von Stadt zu Stadt. Wie der Vogel Phönix taucht alle 500 Jahre der vollkommene Mensch auf, aber sein Glück und seine Freiheit ist nur die Erkenntnis der Weltordnung selber, die Metaphysik als scientia liberrima. Trotz dieser pathetischen Resignation erstreben die lateinischen Anhänger dieses arabischen Naturalismus doch den Primat der Universitätsphilosophen über die ganze Kultur. Die exakte Auslegung des Corpus aristotelicum und seiner Kommentatoren konstituiert die neue Intelligenz. Die Auslegung des Meisters als der wahren Schrift ersetzt die Heilige Schrift des Islams und der Christenheit. Die Maxime ist: du sollst forschen und lehren, denn ein Leben ohne Wissenschaft ist der Tod und das Grab eines ruhmlosen Menschen. Schon kurz nach dem Tode des Meisters dieser naturalistischen Aristotelesauslegung, Averroes (1198), erzwingen die Studenten der Pariser Universität 1210 und wieder 1230 das Studium des ganzen Aristoteles und bald bildet sich der lateinische Averroismus der Universitätsphilosophen. Es ist erstaunlich, wie weit sie sich an die Öffentlichkeit wagen, bis mit der Katastrophe ihres Führers, Sigers von Brabant, eine energische Reaktion erfolgt. Siger wird nach der Verurteilung seiner Sätze in Paris 1277 vor das geistliche Gericht der Kurie zitiert und 1282 in Orvieto von seinem Sekretär ermordet. Aber Dante hat seine Lehre von der doppelten Wahrheit, der philosophischen und der christlichen, ernst genommen und Siger unter die Dominikanerlehrer in den Himmel versetzt. Die Naturalisten stellen zweifellos in ethischer Absicht die natürliche Sittlichkeit über die übernatürliche positive, weil die artgemäße Auswirkung der theoretischen Vernunft ohne den Bück auf Lohn und Strafe das eigentliche Ziel des Menschen ist. Sie verwerfen die Erfindung des jenseitigen Lebens durch Poeten, Theologen und Politiker, und damit verrät sich ihr latentes Menschenbild: der bloß sensitive Mensch hat nur eine passive, nicht eine schöpferische Vernunft, nur eine erworbene Geistigkeit. Die menschliche Leibseele gehört wie die Tierseele in den Kreis der ewig konstanten Lebensformen. Die Lebensgesetzlichkeit, die Biologie fordert die ewige Weltgesetzlichkeit. Das Ei ist nicht früher als die Henne, es gibt keinen ersten Menschen. Eiusdem speciei, quae fiunt, circulariter revertuntur. Die Konkretisierung der für sich existierenden Lebensformen mit der ewigen Materie erfolgt durch die Artseele unter den differenzierenden Sternkonstellationen.

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Die unveränderlichen Arten sind die Grundlage der Wesenserkenntnis. Die Kreislaufgesetzlichkeit des Lebens ist auf die der Welt zu übertragen, auf die Wiederkehr der gleichen Konstellationen. Die Ewigkeit der Welt und des Lebens sind die beiden Hauptdogmen. Das primum mobile immotum ist nicht mehr als der Lenkergeist der äußeren Sphäre, und die Planeten der übrigen Sphären besitzen gleichfalls ihren Sterngeist mit dem unvergänglichen Ätherleib. Sie allein sind schöpferische Geister und ihr unterster ist stellvertretend der schöpferische Geist für die Menschheit, zu dem sich der vollkommene Mensch nur geistig aufschwingt, doch nur eine sterbliche Seele bleibt. Der Widerspruch dieser vier typischen Kosmologien ist nicht allzu deutlich zutage getreten, so daß ein breiterer Skeptizismus jetzt noch nicht aufkam, sondern erst mit dem späten Nominalismus sich an die Auseinandersetzungen der Gegner dieser Monisten anschloß. Thomas von Aquin (1226 bis 1274) gilt als der Hauptrepräsentant der perennen Philosophie, aber selten ist so genau wie bei ihm festzustellen, wie die Zeitphilosophie ein großes System der reinen Vernunft herausgefordert hat. Er hat seinen Gegnern die gewaltigen Blöcke dreier riesiger Werke gegenübergestellt, seine Antithese durch eine selbständige Synthese gerechtfertigt. Sein Kampf gegen die Zeit verrät seinen im Werk verhüllten Charaktertyp und die bestimmte Reihe der Axiome, aus denen er ein System der reinen Vernunft aufbaut. Sein Lehrer Albert der Große (bis 1280) hatte mit derriesigenStofffülle der erneuerten antiken und arabischen Wissenschaft auch Augustins Lehren zu verbinden versucht, aber nur stellenweise mit Hilfe der Metaphysik des Boethius, der Unterscheidung von Person und Natur und von Existenz und Essenz Klarheit erreicht. Thomas beginnt mit einem kurzen Traktat der Prinzipienlehre, deren Grundsatz ist: esse receptumrecipitursecundummodum (regionalem) recipientis essentiae, oder kürzer: existentia sequitur essentiam. Die Wesen haben Wirklichkeit vor der Wirksamkeit, sie nehmen Wirklichkeit auf je nach ihrer Schicht. Dies führt zur Unterscheidung des actus primus et secundus, actus primus est esse, secundus operatio. Der Formgrund heißt Wesen als principium essendi, er heißt Natur als principium operandi. Die Existenz ist konsubstantial oder koessentiell, die Wirkweisen sind konnatural. Die große metaphysische Entdeckung des Aquinaten liegt in der Erkenntnis, daß die Aufnahme der Existenz zwar zunächst der Art entspricht, aber auch nach den Seinsschichten verschieden ist und insofern in jeder Schicht gleich. Daraus ergibt sich die Stufenordnung der Wirklichkeit: körperliche Wesen, leibseelische Wesen, geistseelische, reine Geister und Gott. Gegenüber der Erniedrigung des Men-

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sehen zum Tier durch die Averroisten rettet er die leibverbundene Geistnatur zwischen den reinen Geistern und den Tieren. Mit Leidenschaft verwirft er irgendeine Körperlichkeit der reinen Geister, die genügend durch den Unterschied von Existenz und Essenz von Gott unterschieden sind, in dem beide koinzidieren. Damit werden endlich die Sterngeister beseitigt, die ja noch bei den Averroisten einen entscheidenden Systempunkt bedeuteten. Die Stufenordnung der gesamten Wirklichkeit läßt sich nun nach zwei Prinzipien aufbauen, dem der Konnaturalität der Erkenntnis und dem der entsprechenden Konsubstantialität der Existenz. Wir schließen von der Formgesetzlichkeit der Erscheinungen auf die Wesensart, von der Wesensart auf die Existenzart. Genau wie die heutige theoretische Biologie von den spezifischen Wirkweisen auf den Organismus schließt, müßte sie auch weiter neben dem Organisator nach der schichtgemäßen Existenzweise fragen. Auf diesen zwei Grundsätzen beruht das erste große Hauptwerk, die Quaestiones disputatae de veritate, eine Erkenntnismetaphysik, die man die Summa de cognoscentibus nennen könnte. 110 Artikel erläutern das Wissen Gottes, 24 das der Engel und 120 das des Menschen aus der Stufung der Wesen und nach der Konkretion mit der Existenz. Erst auf dieser Basis kann der große Angriff gegen die Heidnischen erfolgen, mit der Summa contra gentiles als dem großen Entwurf einer wesentlich ethischen Synthese. Erst die Einreihung des Menschen in die Reihe der Geister statt in das Tierreich offenbart sein wahres sittliches Ziel. Über den Höchstwert des Wissens hinaus ist die ganze Menschenentfaltung zu betrachten bis zur übernatürlichen Vollendung in der jenseitigen seligmachenden Schau Gottes. Die Endvollendung des Menschen beruht nicht in der umfassenden Wissensbildung, die ihn nur zum Abbild der Welt macht, seine höchste Pflicht ist die Selbstund Gotteserkenntnis, die allerdings unterstützt werden muß durch das göttliche Gesetz der Vorsehung. Das ist die Antwort des existentiellen Ethikers auf die Kosmotheoretiker. Sie fordert die Entscheidung zwischen dem Schöpfergott und der Weltgeistlehre, der Zeitlichkeit oder Ewigkeit der Welt und der Geistigkeit oder Sinnlichkeit des Menschen. Das sind die drei großen Antinomien aller Ethiker. Thomas löst sie durch die metaphysische Stufenordnung. Das dritte Hauptwerk, die Summa theologica bietet darüber hinaus nur eine ausführliche allgemeine Ethik und eine umfassende spezielle der Tugenden. Für das Verständnis der inneren Form dieses Systems hilft der Vergleich mit Kant. Hier steht die Kritik der Urteilskraft, des teleologischen Denkens voran.

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das in der Erkenntnis der Wesensstufen zum Ziel kommt, ihre lückenlose Konstruktion vom Menschen aus erreicht. Nur darum kommt auch die theoretische Vernunft zum Ziel, weil sie aus der Erkenntnisform auf die Wesensform schließt und weiterhin morphologisch die Seinsschichten bestimmt. Zuletzt erst entfaltet die praktische Vernunft aus der wesensgesetzlichen Grundlage der Menschennatur seine gesamte Werkordnung, die Stufenordnung der Naturrechte und Naturpflichten als Tugendlehre: Vermögen: spek. Vernunft Tugenden: Weisheit Klugheit prakt. Verstand Gerechtigkeit Wille Starkmut Zornmut Mäßigkeit Begierlichkeit Arterhaltung Zeugungskräfte Selbsterhaltung. Wachstumskräfte Diese Ethik ruht also gänzlich auf der Menschenidee der personalen Geistseele als einziger Wesensform. Dieser zweite Hauptpunkt der Metaphysik nach dem der Unterscheidung und Einung von Existenz und Essenz ist der entscheidende Schritt über die altchristliche der zwei Naturen in einer Person hinaus. Daß die Geistseele außer ihren eigenen schichtentsprechenden Kräften auch noch imaginative, sensitive und vegetative Kräfte hat und eine einheitliche Gestaltungskraft bis zur materia prima ausübt, hat allerdings Schwierigkeiten, die Duns Scotus zu beseitigen suchte. Aber durch diese Lehre sind auch die leiblichen Kräfte in die Vollendungsaufgabe des Menschen aufgenommen; ja sie macht erst die Auferstehung des Fleisches theoretisch verständlich. Die christliche Ergänzung der so erneuerten antiken Ethik beginnt mit der Lehre von den theologischen Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, die wiederum aus der Weisheit und der Gerechtigkeit als Verhältnis zu Gott und zum Mitmenschen entwickelt werden und die Offenheit für das Heilswissen und die Empfangsbereitschaft für die Gnade voraussetzen.

Das Heilswissen des Aquinaten ist aus dem ethischen Rechtswissen entwickelt. Das ist die letzte Bestätigung, daß er von seiner Ethik aus verstanden werden muß. Der Höhepunkt des dritten Hauptwerkes ist der Tractatus de legibus als Abschluß der allgemeinen Ethik, noch gewichtiger als der riesige Traktat von der sozialen Gerechtigkeit in der speziellen. Die Lehre vom ewigen Gesetz enthüllt das erhabenste Gottesbild des Mittelalters, dessen Symbolik nur deswegen nicht eindringlicher auch auf die Kunst wirkte, weil sie als wissenschaftliche Klärung der Gottesidee gegeben ist. Der Vergleich mit dem „Logosbild und Marienbild", der Regina coeli als Domina nostra Bernhards macht dies deutlich, das eher emotional ist wie auch das nur eine Generation jüngere Gottesbild Dantes. Nur Meister Eckhart konnte die thomasische Gottesidee weiter entfalten. Es ist die letzte Verklärung des monarchischen Theismus, weil alles Zeitliche entfällt, gerade durch die Verbindung des Weltkönigs mit dem Gott der zeitlichen Schöpfung. Gott als Urheber des ewigen Gesetzes ist nicht nur der Richter, der die

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zwei Bürgerschaften der Guten und Bösen scheidet — dies augustinische Bild ist auch da, aber nur akzessorisch —, er ist Weltkönig als gubernator universitatis, der der Menschheit den hohen Sinn ihrer Vollendung nach seinem Bilde bestimmt. Die Lehre vom Schöpfergott konnte nach Augustin nur mehr in reicherer Fülle ausgestaltet werden, weitergeführt werden aber nur die Lehre vom ewigen Gesetz. Bei Augustin ist es nicht viel mehr als das natürliche Gesetz gegenüber dem zeitlichen, bei Thomas aber das innere Gesetz aller Naturen, das mit ihrer Schöpfung nach den ewigen Vollkommenheiten Gottes in alle versenkt wird, das ontologische Naturgesetz selbst ist. Gottes Einheit und Seinsheit, Wahrheit, Güte und Seligkeit ist das innerste Grundgesetz aller Wesenheiten. Diese Prinzipienverleihung hat Eckhart als das zu ihrer Verherrlichung auszuwirkende Lebensgesetz der Geister weitergebildet. Das göttliche Gesetz kann nur in dieser Welt- und Naturordnung geoffenbart werden. Über Augustins Leidens- und Erlösungsgeschichte der Welt, die gewiß nicht fehlt, greift Thomas zurück auf die ursprüngliche christliche Geschichtsphilosophie der stufenweisen Vollendung der Offenbarung. Das Naturgesetz steht am Anfang, das positive göttliche Gesetz des alten Bundes ist seine erste Verdeutlichung. Als Gottesgesetz war es so vollkommen, als es zeitentsprechend sein konnte. Thomas gibt hierbei das Ideal einer Kulturordnung in einer sehr ausführlichen Kulturphilosophie. Das göttliche Gesetz des neuen Bundes ist seine Vollendung durch den erschienenen Gottmenschen selbst, das Gesetz der vollkommenen Freiheit, unbedingten Liebe und der übernatürlichen Gnadenvollendung in der Erlösung. Das ewige Gesetz ist dem wesentlichen Menschen verständlich als Rahmengesetz der Welt- und Lebensordnung in einem, der sinnvollen Einrichtung der Menschennatur auf das richtige Leben für jeden Menschen nach den Sonderbegabungen im Ganzen der Berufe, die jedem trotz der architektonischen Stufung der Berufe die vollkommene Weisheit und Liebe ermöglichen soll. Der Höchstwert des Heils ist durch die Heilsordnung des neuen Bundes bestimmt. Sie zielt auf die übernatürliche Vollendung des wesentlichen Menschen, seiner Heiligung kommt das Heil entgegen bis zur jenseitigen Verklärung im Glorienlicht. Nun müßte die Universität als zweite Lebensmacht und Institution des Bildungswissens in die Rangordnung der Rechte und Pflichten, der Tugenden und Werte eingesetzt werden, weil Weisheit, Klugheit und Gerechtigkeit der persönlichen Selbstvollendung nur in der Berufsgestaltung eines Standes der Geistigen sich konstituieren kann. Es ist

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schon öfter betont worden, daß Thomas etwa im Gegensatz zu Bonaventura keine ausführliche Kirchenlehre bringt, ja schon im Gegensatz zu den Kanonisten nur eine potestastas indirecta in temporalibus kennt. Vielleicht hat ihn der Primatsanspruch der Universitätsphilosophen hier zurückgehalten. Die Sendung der Geistigen als Vertreter des Naturrechts ist durch die Idee des regimen mixtum festgelegt. Sie sind als die Aristokraten zwischen die Fürsten und das Volk gestellt. Der Monarch ist bei ihm nicht Weltkaiser wie bei Dante, der Staufensprößling Thomas ist nicht Imperialist, weil ihm die vollkommene Volksordnung nach dem Bild des alten Bundes vorschwebt. Nach der lex aeterna ergibt sich der ordo legum aus dem ordo rerum, die Gemeinschaftsidee aus der Aufbauordnung der Menschennatur. Die Hierarchisierung der Welt, des Menschen und der Gemeinschaft tritt neben ihre radikale Historisierung in der altchristlichen Welt. Der wesentliche Mensch wird über die geschichtliche Persönlichkeit gestellt, der Ethiker behält das letzte Wort als Nomologe über dem Historiologen. Das wird besonders deutlich durch den letzten Vorstoß der Idee der Mönchskirche, des Joachitismus um 1260, dem kritischen Jahr des prophezeiten Reichs des Heiligen Geistes. Der Franziskanismus war ursprünglich eine soziale Laienbewegung, die durch die Geschichtsphilosophie Joachims zur Kirchenreformation vorangetrieben wurde, aber mit ihrem enthusiastischen Armutsideal zur Sekte abgleiten mußte. Die Universitätstheologen des Ordens in Oxford und Paris haben diesen Enthusiasmus in die gemäßigte Bahn der inneren Reform gelenkt und Bonaventura (1227 bis 1274) hat sie praktisch und theoretisch als Ordensgeneral seit 1260 und als Universitätslehrer vollendet. Er hat das Stichwort der Hierarchisierung der Seele und Welt geprägt, ja er war anfangs noch Hierarchist im alten Sinn des päpstlichen Kulturprimats. Aber in der Vertiefung in das Franziskusleben, dessen kanonische Legende er schrieb, und als emotionaler Denker hat er die persönliche Mystik zum Höchstwert erhoben und dem entspricht seine ganze Wertrangordnung. Über den weltlichen und geistlichen Herrschern stehen die magistri und über ihnen die mystici, über den politischen und kanonischen Gesetz steht das monastische, über dem aktiven, dem aktiv-kontemplativen Leben das rein kontemplative. Über dem Volk stehen die die Juristen als Ratgeber der Fürsten, über den Weltgeistlichen die Magistri als Ratgeber der Päpste und über den Arbeitsorden und Predigerorden steht der seraphische Orden der Zukunft, der Orden der reinen Gottesliebe. Der bunte Reichtum der freien Innungen des Mittelalters ist hier großartig erfaßt und geordnet, kühner als bei Thomas, die Universität als Institution anerkannt und eingeordnet. Gegen die Übersteigerung der Sendung des hl. Franz zu einem zweiten Christus wird Christus als höchster und endgültiger Hierarch und Herr der Kirchengeschichte verkündet. Die Kirche wiederholt sein irdisches Leben. Auf die Verfolgungszeit folgt die Befreiung, auf die Lehrentwicklung die dreifache Kulturgesetzgebung durch Justinian, Gregor

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den Großen und Benedikt. Die neue Klarheit der Lehre und das kommende Leiden wird zum künftigen Frieden führen, der hier das Reich des Heiligen Geistes ersetzt. Als Mystiker des innern Aufstiegs lehrt Bonaventura das praktische Herrschaftswissen, das theoretische Bildungswissen und zuhöchst das Heilswissen der Gnade und Erleuchtung von oben, die Hierarchisierung der Seele. Als Metaphysiker führt er die in seinem Orden so mißbrauchte Lichtlehre auf die augustinische Höhe der konsequenten Gnadenphilosophie zurück. Er kommt fast der alten Dreiteilung des Menschen in Leib, Seele und Geist nahe unter den andern Namen sensualitas, spiritus, mens, die dann sein größter Schüler Olivi streng durchführt. Nur die grundsätzliche Passivität des Gnadenerlebnisses läßt es nicht zu diesem Gnostizismus kommen. Über dem vermöglichen und schöpferischen Geist steht das wahre geistige Licht. Auch schon die lebendigen Dinge werden durch Lebenswärme, die Lebensgeister und das Lebenslicht gebildet. Auch die natürlichen unveränderlichen Wahrheiten müssen durch göttliche Erleuchtung mit den Urbildern der Wesen und Werte eingestrahlt werden, nicht nur die übernatürliche Schriftbildung und die Vollendung der Heiligung durch die einwohnende Gnade. Dennoch ist die Höhe der Gotteserkenntnis eher neuplatonisch als augustinisch eine trinitarische Prinzipienerkenntnis. Die sich geschichtlich offenbarende Dreifaltigkeit bleibt Geheimnis, aber der geistige Hierarchismus der Zeit setzt sich doch durch in einer über der Wesenserkenntnis stehenden Urgrunderkenntnis. Einheit, Wahrheit und Gutheit als die diffusio lucis verae plenissima bestimmen die hierarchische Weltordnung schon als Spur in den Elementen, als Abbild im natürlichen Geistesleben und als Ebenbild im übernatürlichen. Die Symbolik bestimmt das ganze Bildungssystem.

Die franziskanische Schule ist dem großen Mystiker nicht nachgefolgt. Sein italienischer Schüler Olivi hat die trinitarische Symbolik zu einer trichotomischen Metaphysik umgebildet und sein englischer Schüler Johannes Peckham hat schon in die naturwissenschaftlichen Bahnen Roger Bacons eingelenkt. Johannes Duns Scotus wird zum größten Meister der differenzierten Metaphysik, aber mit Wilhelm von Ockham beginnt dann ihre Auflösung und dafür die großartige Entfaltung der spätscholastischen Naturwissenschaften. So ist die Pflege der Mystik dem Dominikanerorden zugefallen. Thomas hatte mit seiner Geistmetaphysik und seiner Lehre vom Gnadenlicht die Grundlage geschaffen, aus der eine neue Lehre von der Person gewonnen werden konnte. Das mystische Anliegen ist nicht die normative Vollendung des wesentlichen Menschen, sondern das persönliche Heil und die gnadenhafte Erhöhung. Damit löst die platonische Urgrunderkenntnis und der Aufstieg zur reinen Vernunft die aristotelische Verstandesmetaphysik ab. Durch die von Thomas veranlaßte Übersetzung der „Elementatio theologica" des Proklos durch Wilhelm von Mörbeke um 1268 hat der mystische Zweig seiner Schule das klassische Lehrbuch der Prinzipienphilosophie in die Hand bekom-

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men. So treten nun neben der mittleren Lehre des Aquinaten, die sich langsam als Universitätsphilosophie und Theologie durchsetzt, zwei sehr verschiedene andere Richtungen der Spätscholastik auf, die Verstandeswissenschaft und die Vernunftmetaphysik. Die Prinzipienlehre hat ihren ersten großen Vertreter in Meister Eckhart (1260 bis 1327) gefunden. Er ist vor Luther der Schöpfer der deutschen Kultursprache, seiner Sprachgewalt ist die Prägung unserer meisten philosophischen Begriffe zu danken. Er wollte sein mystisches Erlebnis auch in der Volkspredigt verkündigen, aber mit dem Versuch, seine Prinzipienlehre auch dem Ungeschulten verständlich zu machen, ist er gescheitert bis heute. Sein metaphysisches Anliegen war, die Gotteskindschaft, ja Gottessohnschaft nach dem Bild des eingeborenen Sohnes durch die distinctio personalis trotz der wesentlichen Gleichheit mit dem Vater und mit dem Sohn klarzulegen. Zuerst versuchte er dies mit der Teilhabe des Gerechten an der Gerechtigkeit Christi, des ewigen Worts für die übernatürliche Gottebenbildlichkeit und hat damit entscheidend auch Luther bestimmt. Dann aber ging es um die natürliche Gottebenbildlichkeit durch die Teilhabe an den konsubstantialen und koinzidierenden Prinzipien in Gott, an der Einheit und Seinsheit, der Wahrheit, Gutheit und Liebe. Wie der Gerechte und die Gerechtigkeit einig und gleich sind, sind auch der Seiende und die Seinsheit einig und gleich. Dies hielt und hält man für Pantheismus. Aber Eckhart ging es um das ewige Heil der Person, die nichts anderes ist, aber ein anderer als der Vater und Sohn, non aliud, sed alius. Er hat viele Namen für die Person: Selbst und Selbstsein, obere Vernunft und Geist, essentia animae, Seinsheit der Seele, Seelengrund und Fünklein, vor allem aber Haupt und Mann der Seele. Diesem geistlich toten Jüngling in uns wird zugerufen: stehe auf, wie dem Jüngling von Naim. Immer ist gemeint die ewige Einzelidee dieses Menschen in Gottes Geist, die zeitlich geschaffen und schlechthinig abhängig zu diesem einzelnen Selbstsein wird und dauernd zehrt von der schaffenden und erhaltenden Anwesenheit des Schöpfers. Von Anfang an ist der Hinblick und Aufblick zum persönlichen Gott des ewigen seligen Lebens, das Aug-in-Auge-Stehen mit der Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe persönliches Erkennen, cognoscere in principio. Erkennen im Urgrund. Die Teilhabe an der göttlichen Natur ermöglicht das cognoscere ex principiis, das Erkennen der Urgründe der Geistseele. Die gleichzeitige Scheidung und Verbindung der Geistseele mit Gott ist die ganze Dialektik Eckharts, der Grund aller seiner Paradoxe. Das ist eine sehr folgenreiche Anwendung der thomistischen Scheidung von Person und Natur, Existenz und Essenz. Das menschliche Wechselspiel zwischen der Subsistenz und Wesenheit, die ausfließend-innebleibende Selbstgestaltung des Selbstseins mit dem eigenen Wesen und eigenen

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Wort ist das Nachbild der ausfiießend-innebleibenden göttlichen Personen mit und im ewigen Wort. So für uns, aber an sich ist das innebleibende Ausfließen Gottes in den Menschen und die Welt die allein der unendlichen Kraft zukommende zeitliche Setzung der Dinge nach dem Bild Gottes, Seinsverleihung und Wesensverleihung. Die Gottesidee kann paradox ausgesprochen werden als das Nichts von allem Gesetzten und zugleich als das virtuelle All der Wesenheiten, die urbildlich geistig wesende Weltordnung selbst. Gott ist über allen Dingen und in allen Dingen wirkend, das Allergeschiedenste durch die Seins- und Erkenntnisunabhängigkeit, das Allerinnigste in den Dingen durch ihre Erhaltung. Die Weltidee ist ewig in Gott und die Welt zeitlich nichts im Vergleich zu seiner Unendlichkeit und doch die entfaltete Fülle seiner Vollkommenheiten.

Diese zur Heiligkeit aufrufenden Paradoxe betreffen die natürliche Abbildlichkeit der Seele, weil die Seinsimmanenz des Transzendenten durch seine Vollkommenheit Voraussetzung der übernatürlichen Erhöhung ist. Das ist eine logozentrische Mystik genau wie die Bernhards. Die aus der Gottheit hervorgehende gleiche Natur des Logos, procedens natura aequalis ist weiter innebleibend-ausfließende Formung auch unserer geistigen Wesenheit. Das gilt auch für die anderen Seinsschichten und ist die Grundlage für die vielfältigen Unterscheidungen der Schöpfungsordnungen. Aber nur mit dem Aug-in-Auge-Sehen der Gerechtigkeit Christi erfolgt die Gottesgeburt im Seelengrund und die seinsmäßige Umwandlung des natürlichen Ebenbildes zum übernatürlichen Gleichbild des ewigen Worts. Die verborgene Erhöhung durch die wesensmäßige Einwohnung der göttlichen Natur ist die Begnadung, die erlitten wird in der Empfangsbereitschaft der jungfräulichen Seele. Die Welt ist nur der Schauplatz des Einbruchs der geistlichen Vollendung in den Menschen, aber er ist schon in der Vergänglichkeit und Zeitlichkeit überstrahlt vom natürlichen Licht und dem Gnadenlicht bis zur Rückkehr in das jenseitige selige Leben des Glorienlichts. Die engeren Schüler Eckharts: Tauler, Seuse, Ruysbroeck und der Frankfurter haben seine Gnadenlehre als eine neue Frömmigkeit, devotio moderna, verbreitet. Die Fortsetzer seiner Prinzipienlehre an der Kölner Universität treten eben erst ins Licht der Forschung. Der wichtigste dürfte Berthold von Mosburg gewesen sein, der durch seinen Prokloskommentar Eckharts Lehre gleichsam neutralisierte. Heimerick von Camp gehört bereits mit seiner sehr präzisen Prinzipienlehre den Albertisten in der Kölner Universität an, die gegen die Verstandesmetaphysik der Thomisten kämpften.

So kam es erst spät zum theoretischen Abschluß der thomistischen Ethik und eckhartischen Mystik. Erst Nikolaus von Cues (1400 bis 1464) hat in der Zeit der Reformkonzilien nach kirchenpolitischen und reichspolitischen Reformplänen und Versuchen die eminente Bedeutung der Prinzipienlehre für das ganze Geistesleben erkannt. Schon war der

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Kampf zwischen der mathematischen Naturwissenschaft und der thomistischen Metaphysik ein Jahrhundert lang im Gang. So hat er zunächst die Metaphysik der unendlichen Einheit mit mathematischen Symbolen wie der Koinzidenz der Gegensätze des unendlichen Kreises und der Geraden zu verdeutlichen gesucht. Aber entscheidend wurde über dem Streit der mechanistischen oder morphologischen Erklärung der Wesensheiten der Rückgriff auf die Urgrunderkenntnis zu einer analogischen Konstruktion der Seinsschichten der Elemente, der Lebewesen, der Seele, des Geistes und Gottes. Der Cusaner hat den Satz der Konnaturalitätder Erkenntnis kombiniert mit dem der Konsubstantialität der Prinzipien und ihre Transformation nach den Wesensschichten untersucht. Sinnlichkeit, Vorstellung, Verstand, Vernunft und schließlich die docta ignorantia, die Vermutung über die göttliche Natur, sind die fünf Erkenntnisweisen nach den fünf Wesensschichten. Die Verbundenheit der Einheit und Gleichheit in Gott wird als Verbindung der Individuation und Spezifikation in allen Schichten abgewandelt. Es handelt sich ganz nüchtern um eine aristotelische Verstandesmetaphysik der ersten, zweiten und dritten Substanz, die nun in die Prinzipienlehre eingebaut wird. Von der Menschenidee aus tritt die ontologische Hierarchie der Schichten beherrschend in den Vordergrund. Die Einheit und Seinsheit in Gott wird aus dem Selbstbewußtseinsprozeß verdeutlicht, posse und esse werden zum possest und die Gleichheit wird als non aliud bestimmt. Der Kern der Konzeption ist eine Analogie des göttlichen und menschlichen Schöpfertums, Gott setzt die reale Welt und der Mensch die ideale. Das Weltbewußtsein wird in das Selbstbewußtsein mit aufgenommen und so gelingt eine echte Weltidee und Menschenidee. Die Hierarchie ist nun nicht mehr Gott, Geister und Menschen, sondern Gott, Mensch und Welt. Die Einheit Gottes ist absolut ohne Scheidung von Sein und Wesen, von Sein und Andersheit die Verbundenheit von Einheit und Gleichheit. Die Einheit des Menschen ist die Verbindung von Einheit und Ähnlichkeit, Erfassung des Personseins in der Trennung von der Wesenheit, in die zudem die Andersheit der vielen Dinge eingeht. In der Welt überwiegt die Andersheit und Vielheit über die Einheit, sie kann nur durch eine unbewußte Einerin, die Weltseele zusammengehalten werden. Der Cusaner war kein Schulmann, nur ein großer Schriftsteller. So ist er erst langsam und spät zur vollen Wirkung gekommen, eigentlich erst in der Prinzipienlehre des deutschen Idealismus. Die Darstellung der spätmittelalterlichen Mystik und Metaphysik ist der Zeit weit vorausgeeilt. Sie zeigt deutlich den Unterschied der zwei ersten christlichen Geisteswelten, einen erhabenen Humanismus

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der Geistigen und eine volle, allerdings wieder nur theoretisch in sich geschlossene Geisteskultur. Das Studium charakterisiert sie im ganzen mit einer mächtigen Ausstrahlung auf die Kunst der Kathedralen und damit auf die Volkskultur. Aber es ist fast unwirksam geblieben für die Neugestaltung des zeitlichen Gesetzes, weil der Reifungsprozeß des Geisteslebens noch umfänglicher war als die Synthese des Bildungswissens. Die neuen Lebensmächte, die schon im Hochmittelalter aufstiegen, sind das Stadtbürgertum und der Nationalstaat. Beiden hat das Bildungswissen um 1300 die Theorie zu bieten versucht, dem Stadtbürgertum in Italien, womit dort die Frührenaissance beginnt, und dem Nationalstaat in Frankreich, wo es durch den Sieg der Dynastie über die Städte noch nicht zu einer Renaissance kommt, ebensowenig wie in Deutschland mit der exzentrischen Territorialmacht in Böhmen. Die Tragik des Mittelalters ist es, daß das hohe Kulturrecht der Geistigen die historische Enge des Kaisertums und Papsttums nicht durchbrechen konnte und das eine im Interregnum und das andere in der babylonischen Gefangenschaft der Päpste in Avignon seine universale Autorität der zeitlichen Gesetzgebung verlor. Diese rechtsphilosophische Betrachtung der Krisis des Hochmittelalters dürfte der einzige Weg sein, den sehr komplexen Reifungsvorgang zu erfassen, den daneben Frührenaissance und Spätmittelalter darstellen. Der Sturz des Kaisertums ist herbeigeführt worden durch Friedrich II., der im sizilisch-italienischen Nationalstaat die damals schon exzentrisch gewordene Universalmacht befestigen wollte. Der Versuch scheiterte an der vereinten Macht des Papsttums und der Stadtstaaten. Friedrich I. konnte Mailand zerstören, die juristische Fakultät von Bologna gründen. Friedrich II. wurde von und vor Bologna besiegt. Das Reich ist für 200 Jahre ohnmächtig, bis es sich mit dem Kurfürstenkollegium eine neue Verfassung schafft. Das Papsttum ist gestürzt durch das Beharren auf der potestas directa in temporalibus, die geistig schon durch Thomas, ja schon durch Bernhard überwunden war, nach dem Sturz des Reiches unter die Oberhoheit des französischen Nationalstaates geraten und aus dem Schisma der Konziliarbewegung nur durch eine neue Verfassung als Territorialmacht hervorgetreten, um gerade damit in die neue Krisis der Reformation zu stürzen. 3. Zeitalter des wissenschaftlichen Verstandes a) Humanismus Die neuen Lebensmächte, Stadtstaat und Nationalstaat, haben zwar schwer unter dem Fehlen einer universalen Zeitgesetzgebung gelitten,

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verdanken aber gerade der Schwäche der Zentralmacht ihre Aufstiegsmöglichkeit. Der italienische Stadtstaat ist genau wie der der Antike ein Opfer der innerpolitischen Kämpfe zwischen Patriziern und Plebejern und genauso unfähig, auch nur im nationalen Kreis einen bleibenden Bund zu schließen, wie es vorübergehend der Hansa im Norden gelang. Der französische Nationalstaat festigt sich zuerst durch die dynastische Idee Ludwigs I X . des Heiligen symbolisch mit den vierzehn Grabmälern seiner königlichen Vorfahren in St. Denis, als gleichzeitig noch die königlichen Vorfahren Christi an den großen Kathedralen standen. Nach dem Sieg über die flandrischen Stadtstaaten erhält Frankreich eine juristische Verfassung gegen die päpstliche Universalmacht, muß sich dann aber noch 100 Jahre lang gegen die dynastische Ideologie bei den Engländern und den burgundischen Herzögen verteidigen, bis es gefestigt als erster Nationalstaat dasteht. Es ist die unvergleichlich hohe Sendung Dantes, daß er die ganze Verflochtenheit dieser schweren Wachstumskrise durchschaute, alle ihre Züge diagnostizierte und für jede Not die Heilung wußte. Er ist die inkarnierte historische Vernunft dieses weltgeschichtlichen Übergangs. Für das dringlichste hielt er die Spiritualisierung und Entpolitisierung des Papsttums, seine Beschränkung auf die geistliche Autorität. Er hat sie apokalyptisch in poetischer Theologie verkündet, im Bilde des Triumphzugs der jungfräulichen Ecclesia, in der Hoffnung auf den papa angelicus und im Preis der wegen ihrer Demut gekrönten Regina coeli. Er erlitt als Gerechter die furchtbaren Kämpfe des eigenen Stadtstaates in eigener Person und wollte darum das römische Kaisertum zur übernationalen Autorität erhöhen. Wieder begründete er in poetischer Theologie seine historische Autorität mit der Herkunft von Troja und seine rationale mit der aristotelischen Politik. Für das Studium ist Aristoteles selber historische Autorität und rationale. Dante ist der erste, der die Philosophen den Theologen und Juristen nicht über- oder unterordnet, sondern gleichstellt. Nach der poetischen Theologie steht neben dem Papst, dem Kaiser, dem Philosophen, der poeta vates, einst Vergil und jetzt er selbst, der Visionär der rechten Kulturordnung, der Laie, der die poetische Summa der Zeit in der Volkssprache schafft und damit der italienischen Nation als erster ihre Legitimation durch eine geschlossene Geisteswelt gibt. Die stadtstaatliche Gleichstellung der Berufe als Antwort auf die Zeitlage ist nicht mehr positive Hierarchie oder rationaler Hierarchismus, sie ist die geistige Renaissance der Berufsgemeinschaft der Polis, die der gottgewollten Verteilung der Begabungen entspricht, Verkündi-

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gung des freien Spiels der Kräfte unter dem kategorischen Imperativ der Erfüllung aller Berufspflichten mit der Drohung des ewigen Todes, der mühseligen Läuterung und der Verheißung des Ruhms. Die Größe Dantes wird erst voll sichtbar, wenn man die einseitigen Lösungen der Zeitkrise danebenstellt, wie etwa Marsilius von der Stadtstaatspolitik zur Fürstenpolitik abschwenkt, die französischen Legisten von Anfang an Nationalstaatspolitik betreiben. Alle legen die aristotelische Politik zugrunde, sogar die Kurialisten. Aber damit wird der gewaltige Unterschied dieser neuen bürgerlichen Welt gegenüber der antiken sichtbar: sie muß mit dem aufsteigenden Nationalstaat und der absteigenden politischen Gewalt des Papsttums rechnen. Das ist ein Spiel zu dreien und offenbart die gesellschaftliche Bedingtheit des humanistischen Denkens bis zum Absolutismus, bis zum Sieg der nationalen Hegemonie über das Bürgertum und den Konfessionalismus, der sich aus den inneren Spannungen der Kirche seit den Konzilsbewegungen mit der Reformation verfestigt hatte. Dante nahm visionär die vierte Gewalt, den freien Geist des Laientums in sein Kulturrecht ohne Kulturverfassung auf und zwar ausdrücklich neben dem Studium, der Universitätswissenschaft. Aber zuerst setzten sich die politischen Philosophen durch, das republikanische Ethos der Stadtkanzler und der politische Technizismus Machiavells. Erst die standesbewußte Verselbständigung einer freien Literatenintelligenz brachte auch eine freie Publizistik, unterstützt durch den Buchdruck. Ihr erst gelang, was der poetische Publizist Dante nicht erreicht hatte, der unmittelbare Einfluß auf die Zeitgesetzgebung, die Mitbestimmung der Öffentlichkeit. Es wirkt wie eine Ironie der Geschichte, daß erst durch das Bücherwissen der Hochrenaissance erreicht wurde, was der Standesbildung mit den Lehrbüchern der Universität nicht gelang. Wenn alle Bücher der verschiedenen Fächer beherrscht werden sollen, die nun der Buchdruck in gereinigter Form vorlegen muß, dann wird die philologische Methode zur führenden bis hinauf zum Schriftprinzip des Protestantismus, das Editorenkollegium wird bedeutsamer als die Universität und zuletzt wird die Liberalität der florentinischen Platoniker und des Erasmus humanistisches Glaubensbekenntnis. Da holt Deutschland mit einem Schlag den italienischen, französischen und niederländischen Vorsprung ein. Luther, ein leidenschaftlicher homo religiosus, ein sprachgewaltiger Publizist, erreicht mit der neuen philologischen und positiven Theologie, was die rationale Theologie der Universitäten nicht erreicht hatte, den unmittelbaren Einfluß auf die Zeitspannungen und die Zeitgesetzgebung auf den Reichstagen, ja indirekt im tridentinischen Konzil. Der Kampf zwischen freiem

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Wissen und Glauben, zwischen Humanismus und Fideismus bestimmt die Weltgeschichte. Auch er spielt sich nicht im freien Raum der Heilsgeschichte und Geistesgeschichte ab, ebensowenig wie die politische Renaissance des Stadtbürgertums. Die alte Kirche hatte sich zu wehren gegen die Versuche des aufsteigenden Territorialstaats, gallikanische und anglikanische Landeskirchen zu errichten, mußte sich demgegenüber selber territorialstaatlich verfestigen, die entsprechende Finanzpolitik aufbauen und geriet darum in die schweren inneren Verfassungskämpfe der Konziliarbewegung. Es war nicht gelungen, den wissenschaftlichen Theologen mehr als eine beratende Stellung auf den Konzilien zu gewähren, eine eigenständige Mitbestimmung im Kirchenrecht, und so traten der alten Kirche reine Theologenkirchen statt der Priesterkirche entgegen. Aber auch sie konnten sich nur in der allgemeinen Öffentlichkeit konstituieren, wurden darum in das Spannungsfeld des status culturae hineingerissen und gezwungen, einen politischen Summepiskopat aufzustellen, ausschließliche Landeskirchen zu werden. Der Konfessionalismus und Nationalismus verschlingen sich, das schaurige Prinzip, cuius regio eius religio beendet den freien Humanismus und Religionskriege als Bürgerkriege fordern unvermeidlich den souveränen Staat heraus. Das Zeitbewußtsein zwischen dem Hochmittelalter und der Reformation ist außerordentlich mannigfaltig. Unser Renaissancebild ist nach der Entdeckung Guizots, der wohl zuerst die Bedeutung der Stadtstaaten erkannte, durch Burkhardt zu sehr nach der künstlerischen und literarischen Seite verschoben worden. Aber das Bewußtsein der Zeit selber von ihrer Lage ist doch wesentlich von der aufsteigenden Stadtwirtschaft bestimmt. Die Wirtschaftsströmungen und Klassenkämpfe im Stadtstaat spiegeln sich freilich nur politisch im Kampf um die Herrschaftsform, in ständig wechselnden Verfassungen. Es zeigt sich wie in der Antike dieselbe Unfähigkeit zu dauernden Städtebündnissen, der ständige Wechsel zwischen Demokratie und Oligarchie drängt auch hier zur Tyrannis. Man begrüßt sogar die Fremdherrschaft statt der dauernden Unruhen. Wie der Podesta von auswärts geholt wird, so soll der Weltkaiser schon bei Dante der einzig wahrhaft überparteiliche sein. Schließlich wird Machiavelli unter dem ausschließlichen Gesichtspunkt der Technik der sichern Herrschaft vom Repubükanismus zum Prinzipat übergehen. Das Zeitbewußtsein des Stadtstaats ist gespalten in die Republikaner und die großbürgerlichen Intellektuellen. Die Stadtkanzler sind bildungsaristokratisch bemüht, von der römischen Geschichte und Verfassung ihre eigene Praxis zu erlernen, aber ihre Stellung ist über-

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schattet von dem dauernden Ringen mit den Tenitorialstaaten und dem Einfluß der Kurie als Territorialstaat. Im sich bildenden Nationalstaat gibt es drei geistige Parteien, die der Laizisten, die für den aufgeklärten Despotismus eintreten, die konstitutionellen Monarchisten und die nationalkirchlich interessierten Kanonisten. Dem entspricht im Kampf um die Kirchenverfassung die Parteistellung der Kurialisten, die Verfassungspartei der Kardinäle und der Konzilsvertreter und eine Partei der spiritualistischen Kirchenauffassung. Aber für alle Parteien ist das einzige Lehrbuch die aristotelische Politik. Der erste Vorstoß zu einer Neuordnung der humana civilitas ging von den französischen Legisten aus, die Bonifaz V I I I . gefangensetzten und seine Nachfolger in Avignon festhielten. Sie beriefen die Nationalversammlung von 1302, in der der Adel, der Klerus mit den Universitätslehrern und die Communitates, die Städtevertreter, dem Papst die Geldausfuhr seiner Annaten verweigerten. Sie kämpften mit dem positiven Recht des Königtums gegen das neue kirchenstaatliche Recht als Usurpation, aber schließlich gelang auch hier Pierre Dubois eine Zeitdeutung von universeller Weite. Die respublica christicolarum muß erst geschaffen werden. An Stelle von Kirche und Reich soll ein konstituierendes Generalkonzil der souveränen Könige einen europäischen Staatenbund gründen und ein übernationales Schiedsgericht einsetzen. Die Bildungsaristokratie der sechs Schiedsrichter ist die Judikative dieses Welttribunals zur Sicherung eines ungestörten Wirtschaftslebens und einer rationalen Hochschulpolitik. Der Klerus wird Staatspensionär. Der geistige Vorrang Frankreichs wird sich auch als politische Hegemonie durchsetzen. Aber dazu muß die Universitätsbildung erweitert und vereinfacht werden, besonders in der Jurisprudenz und Medizin. Überall soll die Arbeitsteilung den Fortschritt bringen. Die Ordnung des Bildungswesens wird zu einer Hauptaufgabe des Staates. Er ist der irdische Garant des Friedens, wie Gott rex et actor pacis ist. Die Weltordnung wird durch das primum movens zugleich mit den astrologischen Einflüssen auf die Berufseignungen bestimmt, sie ist deistisch zu verstehen. Der König regiert, aber die Juristen haben die Exekutive wie die Sterngeister unter Gott. Die laizistische Staatsdeutung mit dem Ziel eines aufgeklärten Despotismus wird von den Naturalisten Johann von Jandun und Marsilius von Padua verfochten, die von der Pariser Universität nach Padua gehen und schließlich zu Kaiser Ludwig dem Bayern. Johann, dem sicher der anonyme Traktat: Rex paciflcus Salomon gehört, ist Philosoph von Rang und Marsilius der Publizist. Der Staat, der Dominium heißt statt Imperium, wird in Analogie mit dem Organismus und der

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Weltordnung verstanden. Es geht aber nicht um eine naive Vergleichung der Körpergliederung mit der Staatsgliederung. Es ist ein Höchstwert gesetzt, das Organisationsprinzip des sozialen Lebens ist die Naturmacht der Verteilung der Lebensgüter selbst, der Vermögenssubstanz von Besitz und Geld als des materialen Substrats des Gesellschaftslebens. Der Vergleich zielt auf das Herz im Organismus, die Zeugungs- und Kraftquelle der Lebenssubstanzen. Ausdrücklich ist statt der abstrakten Justitia das reale Naturgesetz selbst als sensus agens, als aufbauende Sinnenkraft erklärt. Ihr Repräsentant ist der absolute souveräne Herr, Dominus supremus in temporalibus quasi fundamentum rei publicae. Dieser Höchstwert der Gesellschaftsgestaltung wird verdeutlicht durch die Unterordnung des Hauptes als Ausgang des Nervensystems unter das Herz. Die Merkorganisation steht im Dienst der Lebens- und Werkorganisation. Die antiklerikale Spitze dieser Staatslehre ist, daß Christus wohl das geistige Haupt der Kirche sei, von dem wie vom intellectus agens die geistige Konstitution und Lehre ausgeht, damit alle Glieder die arteigene Tätigkeit entfalten können, aber nicht das Höchste, das Herz. Der Publizist Marsilius hat offen die Wahrheit gesagt: die Priester haben die Stellung der Philosophen und Ethiker im Staat usurpiert, die Legislative, die über der Exekutive und Judikative steht. Verwunderlich ist zunächst nur die Unterordnung der Philosophen, der Führer der Fürsten, unter den souveränen Herrn. Aber das geistige Leben ist hier nicht der Höchstwert, sondern die volle Naturentfaltung zur Werkordnung. Unter günstigen Sternkonstellationen werden immer wieder die Kulturheroen erzeugt, die das beste Dominium civitatis einsetzen, das dann allerdings dem Kreislauf der Verfassungen verfällt. Die erste Theorie der Nationalkirche hat Johannes Quidort von Paris (bis 1306) gegeben, der Sprecher der 132 Dominikaner von Paris auf der Nationalversammlung von 1302. Sein Ausgangspunkt ist der entschiedene Individualismus der Bürger von Besitz und Bildung, von Besitz aus eigener Arbeit und mit eigenem Verfügungsrecht. Anders als der Tierstaat ist das menschliche Staatsleben nicht durch die Artinstinkte geordnet, die Einzelnen müssen durch Überlegung zur Unterordnung unter das positive Gesetz bestimmt werden. Hier ist die Volkssouveränität ernst gemeint. Die arbeitsteilige Berufsgliederung der Leistungsgemeinschaften schließt auch das Rechtswissen der Ratgeber und das Herrschaftswissen des Fürsten ein. Ideal ist die gemischte Verfassung einer Wahlmonarchie der Zukunft mit dem Recht der Absetzung tyrannischer Fürsten. Der ganze Reichtum der Berufsgliederung in Abhängigkeit von den landschaftlichen und klimatischen Bedingungen ist gesehen und darum wird das Kaisertum zugunsten des nationalen Königtums abgelehnt. Die Idee der Nationalkirche ist nicht direkt ausgesprochen, aber das Budgetrecht der gallikanischen Kirche gefordert.

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Auch die Kirche ist von unten her rechtlich aufgebaut. Der Eigenbesitz der Einzelkirchen ist genau so natürliches und positives Recht wie das der Einzelnen. Der Papst ist nur Verwalter, nicht Herr des KirchenVermögens. Er kann durch ein Generalkonzil abgesetzt werden, genauso wie ungerechte Verwalter des Nationaleigentums. Damit hat die Berufs- und Beamtenidee in Kirche und Staat eine völlig konsequente Darstellung gefunden.

Die tragische Gestalt der nun beginnenden Revolution ist Bonifaz VIII., ein großer Politiker und Jurist. Er hat seinen weltlichen Suprematsanspruch aus der Entwicklung des Kirchenrechts seit dem Interregnum abgeleitet. Er machte sich zum Herrscher der ganzen Christenheit, nachdem das übernationale Amt des Kaisertums gescheitert war. Die weltliche Seite des positiven Kirchenrechts erscheint als die einzig übrige Organisationsgewalt der Völker. Das wird klar durch seinen hervorragenden Publizisten, Ägidius von Rom (bis 1316), den General der Augustinereremiten, der seinem Ordensgenossen Luther die Lehre vom weltlichen Obrigkeitsstaat überliefert hat und zugleich Luthers Haß gegen den geistlichen Obrigkeitsstaat herausforderte. Ägidius konnte zugleich Prinzenerzieher Philipps IV. und Sprecher Bonifaz' VIII. sein, weil er die beiden Verfassungen als Obrigkeitsstaaten aus derselben Menschenanschauung konstruierte. Die Einzelnen sind selbstsüchtige Besitzer, bestehen auf ihrer Reichtumsmacht und so muß ihnen der Machtreichtum der staatlichen und kirchlichen Obrigkeit entgegengestellt werden. Die Macht, das Dominium ist hier für sich gesehen und damit das positive Staats- und Kirchenrecht über das Naturrecht gestellt. Der Ordnungsgewalt steht der einzelne Untertan gegenüber, der zur Erfüllung der Steuerpflicht gezwungen werden muß. Die Freiheit wird der Rechtssicherheit geopfert. Der natürliche Weg zur weltlichen Gewalt ist die Usurpation, die nur durch die geistliche Jurisdiktion zu einer gerechtfertigten Macht erhöht werden kann. Damit steigt die weltliche Seite der Kirchengewalt innerhalb der sacra universitas auf, die Christenheit soll herrschaftsrechtlich verfaßt werden. Der Papst kann selber Kirche genannt werden, sein Amt ist das bestimmende und die ganze Welt sein Amtsbezirk. Diesem päpstlichen Absolutismus stellt Wilhelm von Ockham (1290 bis 1349) eine spiritualistische Kirchenauffassung gegenüber. Hier hat Gott allein die potestas absoluta, aber auch der Kaiser eine voluntaristische Vollgewalt. Die beiden Meister Luthers haben also den Obrigkeitsstaat gelehrt, aber der Franziskaner Ockham hat die rein geistliche Sendimg der Kirche aufs schärfste von der weltlichen Macht abgehoben. Die Kirche ist bei ihm allerdings nicht wie bei Joachim Mönchskirche, aber das Armutsideal der Franziskaner ist Vorbild für die ganze Kirchenverfassung. Christus ist nicht König im weltlichen Bereich, er

Wilhelm von Ockham

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ist der Lehrer des Glaubens und der Liebe, der mit seiner Wundermacht die Herzen zum Glauben wider die Vernunft bestimmt. Der Fideismus, der nicht auf die Unterstützung der menschlichen Vernunft rechnen kann, stellt der normativen Wesenserkenntnis der Aristoteliker die Individualität gegenüber. Das ist der politische Sinn des neuen Nominalismus, der mit der Verwerfung der Wesenserkenntnis zur mechanistischen Naturauffassung führt, zweifellos im Anschluß an Roger Bacon. Der radikale voluntaristische Individualismus bestimmt hier die Kirchenlehre. Wie der Mensch durch die eingegossene Gnade übernatürlich und durch das Zeugnis der Wundertäter zeitlich zum Glauben bestimmt werden muß, so muß auch in der Welt, die in der Regel nach der potestas ordinaria Gottes verläuft, Raum sein für die Wundertaten Gottes nach seiner absoluten Willensmacht. Damit entfallen die Ethik und das Naturrecht, es bleibt nur die positive Theologie. Der Verzicht auf Philosophie in der Glaubenslehre verweist auf die empirische Naturforschung, genauso wie die Jurisprudenz auf die empirische Geschichtsforschung verwiesen wird. Das riesige gesellschaftskritische Werk Ockhams ist auch schon kritische Geschichtsforschung, die die apostolische Urkirche nach dem franziskanischen Armutsideal versteht und darnach die kirchliche Friedensordnung verkündet, der die ,,unerlöste Welt" der erbsündigen Menschheit gegenübergestellt wird. Das bedeutet eine volle Autonomie der Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, aber während der Obrigkeitsstaat zur wirksamen Unterdrückung der Bösen zur Weltmonarchie gesteigert wird — nur gegen die Tyrannen gibt es eine außerordentliche Gewalt des Volks —, bleibt es in der Kirche bei der Volkssouveränität, dem entscheidenden Generalkonzil durch Delegierte aller Gemeinden. Die Freiheit der Gläubigen muß hier geschützt werden, und dies geschieht am besten durch die Universitätstheologen als die berufenen Leiter des Generalkonzils. Auch die reformatorische Theologenkirche ist hier vorweggenommen! Der Papst ist strengstens auf die geistliche Richtergewalt beschränkt und an das göttliche und staatliche Gesetz gebunden. Der Irrglaube an die weltliche Machtvollkommenheit des Papstes ist das eigentliche Unglück der Zeit. Ockham ist auf allen Gebieten der Universitätswissenschaft mit Ausnahme der deutschen Prinzipienlehre der große Meister des 14. Jahrhunderts geworden, aber trotzdem hat sich die dritte mittlere konstitutionelle Kirchenauffassung durchgesetzt. Besonders auf dem Konzil von Konstanz war die Idee des regimen mixtum maßgebend, die der päpstlichen Monarchie mit der Aristokratie des Kardinalats und der Demokratie der Theologen der nationes. Die Goldene Bulle hat dies

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auf die Reichsverfassung übertragen wollen. Aber die politische Entscheidung fiel durch das Schisma, den Versuch einer italienischen Nationalkirche statt der französischen, und schließlich setzte sich auf dem Konzil von Basel der Vorrang des Papstes über das Generalkonzil wieder durch. Den großen Theoretiker der konstitutionellen Verfassung in der Kirche und im Reich, Nikolaus von Cues, haben wir an anderer Stelle schon dargestellt. Mit der Festigung der italienischen Territorialmacht des Papsttums und dem Aufstieg der Medizäer in Florenz beginnt die unpolitische Renaissance der großbürgerlichen Intelligenz. Zuerst bildet sich der esoterische Kreis der feinsten Kenner, aber dazu braucht man Bücher und wieder Bücher, und mit dem gedruckten Buch tritt der uns vertraute Typ der Intelligenz auf, der Literat, der vom Bücherschreiben leidlich leben kann und als Schriftsteller die öffentliche Meinung beeinflußt. Jetzt gibt es die große Aufgabe, die angehäuften Bücherschätze herauszugeben. Außerhalb der Universität entsteht die neue wissenschaftliche Methode der Philologie. Schon: Petrarka hat über die Cathedratici gespottet, die vermeintlichen Aristoteleskenner und die Ärzte mit ihrer Buchwissenschaft. Die philologische Zusammenarbeit und Schulung spielt sich ab im Kollegium der Herausgeber, der ersten freien Forschergemeinschaft nach dem alexandrinischen Museion. Die Kollegien bieten den gereinigten Aristoteles, die gereinigte Bibel, die Kirchenväterausgaben, das Corpus iuris, den Galen und schließlich die ganze antike Literatur. Die Universität Wittenberg wird 1502 als die erste Universität ausschließlich von Philologen gegründet und auch von daher versteht sich das Schriftprinzip als neue Methode der positiven Theologie. Neben dieser neuen Wissenschaft erwächst die neue Kosmologie. Sie will zunächst nur den wahren Piaton gewinnen statt des arabisch verfälschten Neuplatonismus, aber mit der Ubersiedlung der Platoniker Konstantinopels nach 1453 wird auch die geheime Deutung Piatons in Florenz bekannt. Das ist die alte Geheimlehre der Gnostikerkreise. Die pantheistische Piatonauffassung ist Kosmologie nach dem Timäus. Jetzt bedarf es einer Einweihung in die wahre Weisheit und so bilden sich jene Esoterikerkreise wie die platonische Akademie von Careggi, deren Auswirkung bis zur heutigen Theosophie reicht. Ihr Meister unter dem Schutz der Medici ist Marsilio Ficino. Seine platonische Theologie führt zurück zur UrÜberlieferung der natürlichen Religion, die in den orphischen, hermetischen, zoroastrischen und pythagoräischen Mythen verkleidet ist. Alle Religionen müssen entmythologisiert werden und es bleibt fraglich, ob der letzte Einweihungsgrad an Gott

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oder den Weltgeist glaubt. Der Verdacht eines radikalen subjektiven Idealismus liegt nahe, wenn sich auch ein Teil der weiteren Theosophen wieder zu einem freien Christentum bekannt hat. Ihr erster nordischer Meister ist der Arzt und Laientheologe Paracelsus, der, auf seine unvergleichliche Selbständigkeit pochend, theistische, anthropologische und astrologische Motive genial miteinander verbindet und über Sebastian Franck, Weigel und Böhme bis auf St. Martin weiterwirkt. Für die florentinischen Idealisten ist aber jetzt die Würde des geistigen Menschen das entscheidende. Anstelle der alten Dreiteilung des Menschen in Geist, Seele und Leib führen sie eine neue ein, in der die Seele durch die Lebensgeister ersetzt ist. Sie bestimmt auch die Menschenlehre von Theologen wie Melanchthon und Vives bis zu Descartes. Die Urbilder im Geist werden durch die Imagination auf die Lebensgeister übertragen, die dann den Leib gestalten. Nur so ist die ungeheuerliche Rolle zu erklären, die auch hier die Sterneinflüsse für die Differenzierung der Charaktere durch ihre Einwirkung auf die Lebensgeister spielen. Hierin sind sich alle diese Kosmologien einig im Versuch, die Berufsdifferenzierung der Stadtordnung zu erklären. Die neue naturalistische Kosmologie beginnt mit Pietro Pomponazzi (1462 bis 1524). Auch er will zunächst den korrekten Aristoteles und folgt also nicht mehr den mittelalterlichen Averroisten, sondern den antiken Alexandristen. Er hat den Idealismus und Unsterblichkeitsglauben Ficinos und des Aquinaten verspottet, den Geist und die Stemgeister gestrichen, die Seele zur vergänglichen Natur als lebendige Form ihres Körpers gemacht. Die Würde des Menschen zu erhöhen und seine Sehnsucht nach Unsterblichkeit zu fördern ist Illusion und Anmaßung. Es widerspricht dem nüchternen Selbstbewußtsein des Menschen von seinem Seelenleben. Daß wir Wesenserkenntnisse haben, verrät nicht eine höhere geistige Substanz im Menschen. Dafür genügt die Teilnahme am objektiven Geist der Wissenschaft, die die einzig wahre Unsterblichkeit des Ruhms bringt. Es gibt allerdings noch ein anderes Formprinzip in der Entfaltung der sinnlichen Seele mit ihrem Leib, den realen Einfluß der Gestirne auf die Komplexion und Konstitution der Charaktere. Damit können auch jene außergewöhnlichen und auffallenden Erscheinungen erklärt werden, die die Menge für Wunder hält. So ist auch der Genius ein „Wunder", und alle okkulten Dinge können parapsychologisch, natürlich erklärt werden. Der so verbreitete Jenseitsglaube und die Verschiedenheit der Religionen ist durch die unter verschiedenen Konstellationen erzeugten Seher und andere Genien bestimmt. Die bisherige Irrtumsgeschichte wird ein Ende nehmen mit der Erkenntnis, daß die ganze Berufsdifferenzierung, ob einer Seher, Dichter, Philosoph oder Arzt ist, Konstitutionssache ist und mit der nüchternen Erfüllung der Berufspflicht ohne Lohnverheißung und Strafdrohung. Die artgemäße Tüchtigkeit ist die wahre

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Seligkeit. Naturae fatum sive ordo universi causat ingeniorum diversitatem. Das ist die natürliche Erklärung der ewigen Wiederkehr der Weltanschauungen und Religionen.

Auch Niccolo Machiavelli (1467 bis 1527) schöpft aus Polybius den ewigen Kreislauf der Verfassungen und die Lehre von der ewigen Wiederkehr der Staatsformen. Er verhält sich zu Pomponazzi wie Nietzsche zu Schopenhauer, nur daß er statt des weltverändernden Willens zur Macht die Schaffung einer regulären Infanterie für Italien vorschlägt. Der naturalistische Pessimismus wird kompensiert durch die virtu des Künstlers und Technikers, der in schneller Anpassung an die Konstellationen des status rei publicae statt der regna et dominia ,,lo stato" schafft, falls Fortuna günstig ist. Damit wird der Begriff der Konstellation von den Stemkonjunkturen auf die Gesellschaftsordnung übertragen. Höchstwert ist nun die Herrscherkunst. Ihre Voraussetzung ist die pessimistische Beurteilung der Masse, die durch ihre Habsucht, Begierlichkeit und Dummheit als Herrschaftsobjekt geeignet ist. Das ist verhüllt in einer Philologie der Historikerauslegung, des Livius, Tacitus und Polybius, die schon den Umlauf der Verfassungen gelehrt haben von der Tüchtigkeit der Anfänge an, die zur Ruhe, zur Mäßigung und Unterordnung führen, dann aber über die Üppigkeit zur Zerrüttung. Jetzt muß ein neuer Anfang gemacht werden. Die Demokratie kann mit ihrer Kritik der Regierungsmaßnahmen nicht zur Eintracht führen, so kann nur ein Diktator helfen, der die arcana imperii kennt und die Konstellation rasch ausnützt. Sicher kannte Leonardo da Vinci (1457 bis 1519) Machiavelli genau. Aber er vertraute nicht auf die Technik der Politik, sondern auf die Technik der Künste und Wissenschaften und auf ihren sicheren Sieg ohne politische Machinationen. Wie alle seine Zeitgenossen ist er ein unermüdlicher Leser, aber entsprechend seinem Beruf vor allem der naturwissenschaftlichen Literatur des Spätmittelalters, die er trotz seiner aphoristischen Äußerung zu einem streng materialistischen System fortbildet. Da seine Notizen nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind, kann er ihn offen darlegen. Er brauchte für seine Perspektive und wissenschaftliche Anatomie die englischen Kalkulatoren und die Pariser Naturwissenschaft und war selber ein großer Rechner und Mechaniker. Er hat die Anwendung der mechanischen Vorstellungsform für alle Vorgänge des Lebens und der Welt durchgeführt. Die vier Grundbegriffe Kraft und Bewegung, Gewicht und Stoß genügen ihm zusammen mit den vier Elementen, um die Anatomie und Physiologie des Menschen und parallel dazu die Astronomie und Geologie der Welt aufzubauen. Die Körpermechanik ist nach der Hebelwirkung der

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Knochen durch die Muskelkonzentration daxzustellen. Die Lebenskraft kommt aus dem Verbrennungsvorgang der Verdauung, so wie die Flamme von der umgebenden Luft ernährt wird. Die Lebensgeister steigen aus dem Blut auf wie Dunst aus dem Wasser und setzen mit ihrer Expansion und Kontraktion Herz und Blut in Bewegung. Das vegetative Leben ist lebendige Kraft im Gegensatz zum Impetus, der übertragenen Kraft, ein kurzes schnell zum Tode eilendes Leben. Die Lebensgeister sind aber auch Träger der Bilder der wellenförmigen Licht- und Luftbewegungen und ihrer Wirkung auf die Sinnesorgane nach den Gesetzen der Perspektive. Das äußere Weltbild des Menschen entsteht durch die Strahlenpyramide in der camera obscura des Auges. Es ist lächerlich, wenn die Alten, die Mönche und Humanisten, die die strengen Naturwissenschaften nicht kennen, das Leben und die Seele definieren wollen. Es gibt keine Geister, weil aus Luft keine Organismen gebildet werden können, Gott ist nur die wunderbare Notwendigkeit und Gesetzlichkeit, die in der Welt der Bewegung herrscht. Aus der Körpermechanik ist die Weltmechanik zu verstehen. Die Sonne bewegt sich, nicht die Erde, (nach der Heliozentrik des Oresmius). Sie liefert die Wärme für das organische Leben auf der Erde. Auch das eigene innere Leben der Erde ist Feuer, das das Wasser auf die Berge treibt. Die Auswaschung der Höhen ergibt eine neptunische Geologie mit sehr langen Zeiten in der Veränderung der Erdrinde und Erdgeschichte. Durch Konstellationswechsel sind Verlagerungen des Erdmittelpunktes zu erklären und damit ein größerer Wechsel von Land und Meer. Auch er ist periodisch, sodaß die ewige Wiederkehr des gleichen und damit die Ewigkeit der Welt empirisch aus den Sedimenten auf den Berghöhen bewiesen werden kann. Hier ist wie kaum sonstwo die Macht einer ausschließlichen Vorstellungsform zu verfolgen. Der Künstler und Techniker reduziert das ganze Menschenund Weltbild auf quantitative Verhältnisse und Veränderungen. Der Mensch ist nur als homo faber vom Tier unterschieden, schafft sich Werkzeuge und eine Werkwelt und gelangt so in langsamen Fortschritt zu einer glücklichen Herrschaft über die Natur. Die Notizen Leonardos sind nicht veröffentlicht worden, aber sicher hat sie Cardano gekannt und weiter an Galiläi übermittelt. Inzwischen kam es durch Kopernikus zum leidenschaftlichen Kampf um die beiden Weltsysteme in den mechanischen Naturwissenschaften. Auch der alexandristische Naturalismus Paduas, den Cäsalpin noch geheim hielt, wurde durch Giordano Bruno vor die Öffentlichkeit gebracht, aber bald durch die neue mechanistische Weltlehre überholt.

Diese Entwicklung der Natur- und Geisteswissenschaften hat nur sehr langsam auf die anderen Nationen übergegriffen, am ehesten noch auf Burgund und die Niederlande mit ihren blühenden Stadtstaaten. Für sie spricht Desiderius Erasmus (1467 bis 1536). Er ist der erste europäische Publizist hohen Stils, der Großmeister der neuen philo-

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logischen Wissenschaft, der typische Klassizist der Antike, aber auch des frühen Christentums. Als freie schriftstellerische Existenz ist er der Künstler der indirekten Mitteilung und anschaulichen Darstellung seiner Ideen im Dienst eines freien Geistesreichs. Er ist ein kritischer Ethiker, weil er die italienische Kosmologie nicht ernst nimmt, ihren existenziellen Ernst nicht versteht. Er sieht den Verfall der Zeit als die ewige Vorherrschaft der Leidenschaften über die Vernunft, verschärft durch die Veräußerlichung des Christentums in tausend Formen der Gewohnheit. Er verbindet die Wiedergeburt der Wissenschaften mit der des Urchristentums der Bergpredigt zur philosophia christiana, zu einer pelagianischen Christenlehre der Freiheit des Einzelnen gegenüber der verknöcherten Kirchenmacht und ihren Kultbetrieb. Aber wie soll „diese Welt" ihn hören ? Der Fürst der Geistigen will zunächst auf die neuen Humanisten wirken, aber dann auch auf die bunte Welt der in tausend Berufe und Innungen zersplitterten Stadt. Er ist Kulturkritiker der schlechten Gewohnheiten und verfestigten Sitten statt der freien Sittlichkeit. Wie Rousseau kritisiert er die Zivilisation, schon Kain ist der Erfinder von Krieg, Reichtum und Habsucht. Rechthaberei, Standesdünkel und Streitsucht herrschen selbst noch in den geistlichen und weltlichen Wissenschaften. Das „Lob der Torheit" entlarvt ironisch alle Berufe und Stände und kleidet auch noch die schlichte Frömmigkeit als höhere Torheit des Kreuzes ins Symbol. Sein Freund Thomas Morus (1483—1535) bildet seine Ethik zur Utopie der rechten Gesellschaftsordnung fort, auch wieder in indirekter Mitteilung. Die verfahrene soziale Lage ist nur die Auswirkung der seelischen Unordnung und kann nur durch innere Erneuerung geheilt werden. Der „Umweg" der Bildung ist die Darstellung der gesunden Ordnung auf einer fernen Insel. Die reine Religion ist Voraussetzung des echten Staatsethos und der Toleranz. Dann erst können die politischen und sozialen Reformen in Angriff genommen werden, die Beschränkung des Eigentumsrechts und der Geldwirtschaft, die Umstellung der Landwirtschaft, die Milderung des Gerichtsverfahrens gegen die Arbeitslosen und die Beschränkung des Kriegs auf Erwerbung von Siedlungsland.

Dieser neue Pelagianismus hat die schroffe Reaktion Martin Luthers herausgefordert. Das unmittelbare Heilswissen bricht in diese Bildungswelt ein, aber weil es noch keinen „Germanikanismus" neben dem Gallikanismus und Anglikanismus gab, wird die religiöse Reformation nur allzu bald politisch. Luther hat im persönlichen Ringen um das Heil die Unzulänglichkeit aller asketischen Bemühungen um die volle Gerechtigkeit vor Gott erkannt und sich gänzlich dem gnädigen Gott anheimgegeben. Das ist genau das Augustinuserlebnis der gnadenhaften Christusauffassung. Aber es hat hier nicht zu einer philosophischen Mystik geführt, gerade weil Luther die deutsche spekulative Mystik kannte und in ihr die Formel für sein Erlebnis fand: die ethische Gerechtigkeit, die

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iustitia civilis ist nichts vor Gott, die wirkliche Erlösung, Heiligung und Rechtfertigung erfolgt im verborgenen Herzensgrund durch die iustitia Christi. Luther formuliert radikaler: der Mensch kann zugleich Sünder und gerechtfertigt sein, simul justus i. e. iustificatus et peccator. Der strengere Denker Eckhart hatte den Gegensatz des bewußten Heilsstrebens und der ontologischen Heiligung in die Formel simul iustus et iustificatus gefaßt und sie auf die lebendige iustitia verbi bezogen. Diese metaphysisch gedachte Heiligung und Begnadung hat Luther durch die heilsgeschichtliche Rechtfertigung durch den historischen Christus ersetzt. Das positive göttliche Gesetz ist wichtiger als das eckhartische ewige Gesetz, jetzt im Kampf gegen das pelagianische Bildungswissen. Voraussetzung der Gnade ist nicht die Gelassenheit, sondern fides sola, Kriterium der öffentlichen Heilssicherheit ist das Schriftprinzip, die Geltung der göttlichen Offenbarung allein ohne die Überlieferung oder gar das Kirchengesetz und die priesterliche Heilsvermittlung. Mittler ist Christus allein. Die philologische Methode sichert die Echtheit der urchristlichen Verkündigung. Aus seiner Ordensschule und von Ockham hatte Luther die Souveränität der weltlichen Macht kennengelernt. Sie konnte nun nicht mehr durch die geistliche legitimiert werden, weil mit der Priestervermittlung auch die Priesterweihe als Sakrament gefallen war. Mit der Beseitigung des ganzen Priesterstandes fiel auch das gemäßigte konstitutionelle Kirchenregiment aus Papst, Kardinalat und Generalkonzil, das sich aus der Konziliarbewegung ergeben hatte. Es wandelte sich ungewollt der status culturae. Obwohl man die eine souveräne Spitze nicht mehr anerkannte, mußte doch zum Schutze gegen das weiterbestehende Rom die neue Theologenkirche statt der alten Priesterkirche dem Obrigkeitsstaate unterstellt werden. So ergibt sich die neue staatskirchliche Idee des Summepiskopats. Diese Chance hat im Gedränge der Territorialstaaten und Stadtstaaten der aufsteigende Nationalstaat ergriffen und ist so zum Absolutismus fortgeschritten durch eine Heterogonie der Zwecke: der Kampf gegen das kirchliche Eigenrecht zugunsten der religiösen Selbständigkeit brachte das alleinige Staatsrecht. Dies wurde noch gefördert durch die Philosophiefeindschaft des reinen Heilswissens. Luther stellte der erasmianischen Ethik das servum arbitrium des Gnadengehorsams entgegen. Darnach ist das Naturrecht nicht mehr eine staatsüberlegene ethische Ordnung, sondern im Stand der erbsündigen Verderbtheit sind alle weltlichen Berufe positive iustitia civilis. Von den führenden Nationalstaaten hat zuerst England durch Heinrich VIII. die Chance des Absolutismus ergriffen, weil dort der

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Anglikanismus mit Landesbischöfen sich schon durchgesetzt hatte und der König sich nur durch den Suprematsakt von 1534 zum Summepiskopus zu erklären brauchte. Kaiser Karl V. hat sie nicht ergriffen, denn seine durch Spanien übernationale Macht konnte durch die Steigerung des französischen und englischen Nationalstaats und einen eventuellen italienischen Nationalstaat nur verlieren. Er hat auf dem Reichstag von Augsburg 1530 sich nach einem vergeblichen Verständigungsversuch mit den Protestanten für die alte Kirche entschieden. Auch Franz I. entschied sich für sie, solange er auf die Gewinnung des Kaisertums rechnen konnte, das nun plötzlich durch die Kulturlage und Kulturspannungen zu neuer Geltung kam. Aber Jean Calvin hat seinem König 1535 die Nationalkirche nach dem Vorbild Englands in seiner Institutio christianae religionis insinuiert, mit seiner Einführung in das christliche Gesetz, wie man wohl übersetzen muß. Der große Jurist ist anders als Luther nicht ein genuin religiöser Mensch, ein poütischer Theologe, der durch das Versagen Franz I. gezwungen wurde, sein neues Gesetz in Genf selber einzuführen. Hier wird eine Grundregel der historischen Vernunft im vollen Licht der Geschichte besonders drastisch sichtbar: die politische Theologie folgt der Disziplin. Man muß sich an die Konfessionsbildung in der altchristlichen Welt erinnern, um den Vorgang zu durchschauen. Dort erwuchs aus dem ethischen Christentum der Nestorianismus und aus der mystischen Gnadenlehre der Monophysitismus. Jetzt führt weder die Gnadenlehre Luthers noch die Calvins zur ausschließlichen Betonung der Gottheit Christi, weil nicht mehr die symbolische Rechtsauffassung der göttlichen Autorität maßgeblich ist, sondern der unmittelbare Kampf um das positive Kirchenrecht oder das allein schriftgemäße göttliche Gesetz. Die Konfessionsbildung in den deutschen Territorialstaaten und in England erfolgt arianisch-staatskirchlich, nur in Genf erfolgt sie freikirchlich, weil der Reformator selber Stadtoberhaupt des Stadtstaates wird. Der erste Entwurf der neuen Kultureinheit Calvins zielt auf den Obrigkeitsstaat mit dem weltlichen Recht als höchstem zur Beseitigung des Kirchenrechts. Der Staat hat den Schutz der Rechtgläubigen gegen die Gottlosen zu übernehmen. Im eigenen Stadtstaat konnte Calvin ein geistliches Sittengericht einführen. Die politische Theologie Calvins ist persönlich zu verstehen: er ist der durch das gute Gewissen der zu verurteilenden Altgläubigen beleidigte Richter. Die neuen Gläubigen sind in Frankreich die Verfolgten, und wie die altchristlichen Apologeten den verfolgenden Kaisern will

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er dem französischen König klar machen, daß sie die besten Staatsbürger sind. Die Altgläubigen haben durch ihr eigenständisches Priesterrecht einen Teil der Staatsgewalt usurpiert, durch ihre Mittlerstellung zwischen Gott und dem Einzelnen sich zwischen den König als Stellvertreter Gottes auf Erden und seine Untertanen gestellt. Das göttliche Gesetz heißt oft bezeichnenderweise ewiges Gesetz, denn es soll trotz der Prädestination als das vernünftige gezeigt werden. Daraus erklärt sich die Paradoxie, daß trotz der nun völlig individualistisch verstandenen Glaubensgemeinde und trotz der Ablehnung des alten Kirchenrechts ein staatskirchliches Gesetz entsteht und erst durch die Abdrängung der Calviner in die Opposition ein freikirchliches, das große historische Wirksamkeit erlangt hat. Der Form nach ist die „Institutio" ein Katechismus, Lehre von den zehn Geboten mit Einschärfung der alttestamentlichen Bilderfeindlichkeit, Lehre vom Glaubensbekenntnis mit dem Paradox der Prädestination des strengen Gottes trotz der Barmherzigkeitshoffnung für die völlige Sündhaftigkeit, Lehre vom Vater Unser und den zweierlei Sakramenten, den zwei rechten der Taufe und symbolischen Eucharistie und den fünf falschen der Priesterweihe und Ehe, der Buße, Firmung und Ölung, zuletzt Lehre von der weltlichen Obrigkeit als Stellvertretung Gottes, die unbedingten Gehorsam fordern kann. Die so eindringliche Lehre vom völlig ungewissen Heil wegen der ewigen Vorherbestimmung der Gerechten und Verdammten hat jene eigentümliche Intensität des Heilsstrebens durch die sittliche Bewährung in der Welt hervorgerufen, die innerweltliche Askese der Berufstüchtigkeit, in der Max Weber den verborgenen religiösen Impuls der westeuropäischen Wirtschaftsentwicklung sah. Die Voraussetzung dafür war die Umbildung des staatskirchlichen Entwurfs zur freikirchlichen Wirklichkeit. Der revolutionäre Elan dieser militanten Frömmigkeit machte die Calviner zu den wichtigsten Trägern der Demokratie unter dem Absolutismus, die reformierten Stadtstaaten der Schweiz und Hollands, die puritanischen Mittelständler Englands und Amerikas und zuletzt den Genfer Sozialdemokraten Rousseau. So überwinterte das demokratische Element der civilitas humana unter dem Obrigkeitsstaat und brachte schließlich den Absolutismus zum Sturz. Die Entscheidung über die Teilung der Reichsstände in Deutschland ist auf den Reichstagen gefallen, die jetzt auf einmal häufig werden und sich vor allem mit Religionspolitik zu beschäftigen haben. Das Generalkonzil von Trient aber mußte ohne die Teilnahme der schon vorher konstituierten Konfessionen tagen. Damit beginnt die Gegenreformation, weil trotz der inneren Erneuerung der Kirchenstaat nicht

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seinen territorialstaatlichen Charakter verliert und für Italien den Nationalstaat repräsentiert. Der großartige anthropologische Abschluß der humanistischen Philosophie wird in dieser Lage zu einer einzigen Tragödie. Die Mystik kann unter der auf beiden Seiten durch die Kampfsituation gesteigerten Orthodoxie keine öffentliche Bedeutsamkeit erlangen. Die spanische Mystik des Johann vom Kreuz ist eine echt humanistische Fortbildung Meister Eckharts, bleibt aber nur Ordensangelegenheit der Karmeliter, und die französische führt durch Berulle nur zur Umbildung des Oratoriums in einen Gelehrtenorden. Die protestantische Mystik besteht wegen ihres universalen Theismus und pantheistischer Zweideutigkeit bei Weigel und Böhme unter noch schwererem Druck und muß sich in die Sektenfrömmigkeit zurückziehen, bis sie in den Pietismus mündet. Dennoch sollten die drei großen letzten Meister des Humanismus nicht vergessen werden. Der altchristliche Humanismus blieb wesentlich persönliche Frömmigkeit, der scholastische erhielt seine Institution in der Universität und der der Renaissance entdeckte das selbständige Geistesreich. Sein großer Ethiker war Thomas Campanella (1568 bis 1639). Die spanische Fremdherrschaft in Neapel machte ihn zum Revolutionär einer Theokratie des Papstes und für 27 Jahre zum Staatsgefangenen, bis ihn Richelieu zu spät befreite. Man hat in Italien hundert Jahre um die Deutung Campanellas gekämpft, genau wie um die Dantes. Aber jetzt ist klar, daß er nicht zu den liberalen Utopisten gehört, daß sein Sonnenstaat zwischen die Monarchie des Papstes und die spanische Monarchie zu stellen ist. Jetzt ist die Rangordnung der Rechte durch die Vorrangstellung der Bildungswelt über dem Staate streng durchgeführt. Campanella gibt wie Thomas eine ethisch bestimmte Gesamtordnung der Gesellschaft einschließlich einer merkantilistischen Wirtschaftstheorie. Das Naturrecht ist jetzt allerdings auf einer anderen Dreiteilung der Menschenkräfte aufgebaut, auf dem Können, Erkennen und Wollen, die konsubstantial aus dem Sein entspringen. Macht, Weisheit und Liebe sind die Prinzipien, die sich in allen Schichten analog durchsetzen. Danach heißt jetzt die Rangordnung: göttliches Gesetz und positive Theologie, natürliches Gesetz und Metaphysik und Ethik und positiv menschliches Gesetz und Politik und Ökonomik. Die Bildungswelt steht unter dem Großmetaphysikus und den Ministern des Machtwissens, des Bildungswissens und der Erziehung. Das Reich des Geistes erhält seine Verfassung, es stellt dem Gottesreich die Prediger und dem Weltreich die Propagandisten und Juristen der ratio-

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nalen Verwaltung. Die Geisteswissenschaften dienen der Rationalisierung des Staats, des Rechts und der Wirtschaft und die Naturwissenschaften der aller Leistungsgemeinschaften. Die Werkordnung steht in dieser Ethik vor der Wertordnung. Es ist schade, daß Cämpanella durch, sein Eifererschicksal verhindert wurde, der führende Metaphysiker und Ethiker auf katholischer Seite zu werden. E r hat gerade in dem Augenblick, in dem Bellarmin und Suarez die potestas directa des Papstes endgültig fallen ließen, dem Papst die Theokratie sicher auch im Hinblick auf die Einigung Italiens zugesprochen. So wurde nicht er, sondern Franz Suarez mit seiner referierenden, nicht schöpferischen Metaphysik, ihr Meister für das 17. Jahrhundert in den katholischen und protestantischen Schulen.

Auch Francis Bacon (1561 bis 1626) hat sich allerdings aus einem andern Grund selber um die volle Wirkung gebracht. Seine eigentliche Leistung liegt nicht in den Naturwissenschaften, sondern in der Geistphilosophie. Man kennt nur seinen Satz tantum possumus quantum scimus, aber nicht seine Begründung des Geistesreichs als selbständiger Lebensmacht. Das liegt auch daran, daß er nirgends seine Anthropologie genetisch entwickelt, weil er sie von dem Spanier Juan de Huarte übernommen hat, der die Eignung der Geister für die verschiedenen wissenschaftlichen Berufe entdeckte. Der spanische Arzt war ein großer Humanist und Kenner aller antiken und zeitgenössischen Charakterologien, fand aber eine neue Aufgabe, die Prüfung der Ingenien und die Zuweisung der Gedächtnistypen zu den empirischen Wissenschaften und zur Geschichte, der Phantasietypen zu den rhetorischen und der Verstandestypen zu den rationalen Wissenschaften. Danach hat Bacon seine Enzyklopädie der instauratio magna, des Globus intellectualis der bestehenden und noch zu entdeckenden Wissenschaften aufgebaut, die dann die französischen Enzyklopädisten nur schematisch übernommen haben. Jetzt endlich wird die Geschichte in die Ordnung der Wissenschaften eingereiht und zwar gleich als Literatur- und Philosophengeschichte, dann die Poesie als Epos und Drama und besonders als Didaktik der Naturwissenschaft in Parabeln und Symbolen. Neben der positiven Theologie steht die natürliche und die Metaphysik als Anthropologie und Kosmologie.

Der Metaphysiker Bacon hat dank seiner weltmännischen Überlegenheit über den Streit der Kosmologen die Idole der Systemmacher durchschaut. Die Aufdeckung des Vorurteils, die Gesetzlichkeit des ganzen Kosmos auf ein einziges Grundgesetz zurückführen zu müssen, hat ihn zum Gegenteil verleitet: schon in der Formgesetzlichkeit der Mineralien müssen sich ein paar Dutzend Gesetzlichkeiten überschneiden. Ihre sorgfältige experimentell festzustellende Unterscheidung muß den Schematismus latens, die verborgene Strukturgesetzlichkeit der Naturen offenbaren. Mit der bloßen Naturgesetzlichkeit ist der

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Humanismus

metaphysische Naturbegriff scheinbar überflüssig geworden und Robert Boyle, der Entdecker der wissenschaftlichen Chemie im Gefolge Bacons, hat ihn ausdrücklich verworfen. In der Menschenlehre begnügt sich Bacon mit der geistigen Charakterologie, um die geschichtlichen Gestalten des Menschenlebens zu verstehen, vor allem das höhere Reich der Wissenschaften und Künste, hominis in universum imperium. Er stellte die Poesie an den Anfang der Geistesgeschichte als Einkleidung der Naturkenntnisse in Symbole, Götternamen und Göttergeschichten. Dann beginnt die eigentliche Geistesgeschichte mit der Philosophie, und die nicht mehr verhüllte Naturphilosophie bringt die erste Blüte der Wissenschaften. Bacon hat kein inneres Verhältnis zur geschichtlichen Religion und so sieht er nicht die Entfaltung der christlichen Geisteswissenschaften. Er hielt schon 100 Jahre vor den Historikern das „Mittelalter" für eine Lücke in der Geistesentwicklung. Mit der Wiedergeburt der Wissenschaften, der Renaissance setzte leider wieder eine falsche Naturphilosophie ein. Da Bacon selber revolutionär die induktive und experimentelle Wissenschaft anbahnen wollte, verstand er das Geistesreich als eine Geschichte der Revolutionen. Auf die Poesie, das Zeitalter der symbolischen Theologie, folgt das Zeitalter der offenen Naturphilosophie und zuletzt das der Technik und Naturwissenschaften, sobald die Idole, die Vorurteile der vorschnellen Weltanschauung durchschaut sind. Damit hatte er bereits das Dreistadiengesetz des geistigen Fortschritts in der Hand. Die analogia hominis in der Weltanschauung muß durch die analogia universi, die Gleichung von Weltordnung und Wissenschaftsordnung ersetzt werden, nur dann kann Wissen praktisch ausgewertet werden. Die philosophia humana ist Physiologie zum Zweck der Medizin, Hygiene und Gymnastik, Theologie und Ethik zum Zweck der philosophia civilis. Deren wichtigster Teil ist aber nicht das Herrschaftswissen, von dem man besser nicht redet, sondern das Leistungswissen, die Ausbreitung des technischen Geistesreichs. Seine Utopie, die Nuova Atlantis, nennt die Sozietät seines Salomonhauses zwar noch Kollegium, aber sie ist schon eine Forschungsakademie mit physikalischen und chemischen, physiologischen, botanischen, zoologischen und medizinischen Instituten samt mineralogischen Sammlungen und botanischen und zoologischen Gärten. Neben den Instituten für Mathematik, Optik und Astronomie und ihren Forschungslaboratorien steht ein technisches Museum. Mit Ausnahme der nach Kopernikus erledigten Astrologie entspricht diese naturwissenschaftliche Enzyklopädie genau der Roger Bacons und Auguste Comtes. Der beginnende Merkantilismus verkündigt dies nüchterne Forschungsprogramm feierlich

Vico

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als die Urweisheit und den Kernpunkt des Zukunftsstaates. Die Royal Society beginnt sofort mit der Arbeit und hundert Jahre später setzt Leibniz das Programm in drei anderen Staaten an. Der glorreiche Vollender des Humanismus ist Giambattista Vico (1668 bis 1744). Er faßt Campanella und Bacon zusammen, und da er Leibniz überlebt, ist er der letzte uomo universale als Philologe, Jurist und Philosoph. Nur durch diese Personalunion ist er zur Synthese der führenden Geisteswissenschaften und einer wahrlich überzeitlichen Sendung berufen, die wir eben erst würdigen können. Weil der Mensch anders als Gott nicht unendliche Allmacht, Weisheit und Liebe selber ist, nur abhängiges und anfangendes Können, Erkennen und Wollen besitzt, muß er in einem gemeinsamen und persönlichen Reifungsprozeß in allen Völkern sich von der Phantasiekunst und symbolischen Politik über das positive Recht erst zum philosophischen Naturrecht und zum verum aeternum der Vernunft erheben. Das gleiche Entwicklungsgesetz gilt für alle Kulturen nach der gemeinsamen Natur der Völker, und damit ist die vergleichende Kulturphilosophie entdeckt. Es geht von den Ursprüngen bis zur natürlichen Vollendung und zur übernatürlichen durch die Offenbarung des göttlichen Gesetzes Christi. Als Philologe entdeckte Vico die poetische Theologie der Vorgeschichte als Selbstanschauung der Gesellschaftsordnung durch die Hypostasierung der Gemeinschaftsbegriffe im universale phantasticum. Die Götternamen sind Phantasiebilder der ursprünglichen Gemeinschaftswerte, aus ihnen erwächst eine poetische Logik und Grammatik, Politik und Ökonomik, Kosmographie und Biographie. Der Jurist entdeckte als zweites Entwicklungsstadium das Zeitalter der Autorität, den wahren Homer als poetischen Charakter, er vergleicht die homerischen Epen, die römische Königszeit und das mittelalterliche Epos. Überall herrscht das geheime aristokratische Recht der Rechtsformalien zur Sicherung der Vorrechte des herrschenden Standes. Die Größe Roms beruht in der Rechtspraxis und der Bewahrung der Standesherrschaft, die Athens in der Ausbildung des Rechts der Billigkeit, des philosophischen Naturrechts. Mit der Demokratie und Rhetorik wird die rationale Legislative maßgeblich, beginnt die Beweglichkeit der fortschrittlichen Erfassung neuer Lebensaufgaben. Dies dritte Stadium wirkt schließlich auch auf die römischen Kaiser, die den Frieden bringen und die Milderung des Rechts zu Freiheit und Gleichheit aller Menschen und damit die Vorbereitung für das göttliche Recht des Christentums und die Gemeinschaft aller Völker.

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Neuzeit

Die letzte Reifestufe des Geistes ist die Entfaltung der bleibenden Natur- und Gemeinschaftsgesetzlichkeit des Menschen, das Ziel die Erkenntnis der ewigen Wahrheit und des ewigen Gesetzes. Die ewige Wahrheit ist zu erschließen aus dem Wesen des unendlichen Geistes, dasewige Gesetzist die wahre Rangordnung der Wissensformen, Rechte und Werte. Das göttliche Gesetz bringt die übernatürliche Vollendung nach der natürlichen des philosophischen Rechtswissens und Bildungswissens. Dann erst kommt das staatliche Recht und das bürgerliche Recht der wirtschaftlichen Lebensnotwendigkeiten. Dieser hohe überzeitliche Abschluß des Humanismus konnte freilich nicht unmittelbar auf die Kulturgestaltung wirken, aber er ist mit Umkehrung seiner Wertordnung der andere Pfeiler des Szientismus der Enzyklopädisten neben Bacons Vorwegnahme des Dreistadiengesetzes der Geistesentwicklung. Wir wissen heute, daß der Positivismus nicht die höchste und letzte Geistesstufe ist und so wird uns wieder der Reichtum dieser tieferen Geistphilosophie lebendig. b) Neuzeit Die Spätrenaissance ist überschattet von den Bürgerkriegen der beginnenden Neuzeit und der Verfestigung des dritten Nationalismus nach dem hellenistischen und altchristlichen. Seine Anfänge im Spätmittelalter, in den italienischen Stadtstaaten und bei den französischen Legisten waren humanistisch. In der Konziliarbewegung traten die „nationes", die Gruppen der landesherrlichen Theologen noch innerhalb des ökumenischen Konzils auf und erst in den Religionskriegen von 1562 bis 1660 wurden die Konfessionen nationalisiert. Dem göttlichen Gesetz der verschiedenen Kirchen wurde der souveräne Nationalstaat entgegengestellt, der nun selber das ius in sacra beanspruchte. Der nationale Staat wird jetzt zur höchsten Kulturmacht erklärt, und hundert Jahre sind die führenden Philosophen Staatsmänner und Juristen! Sie nennen sich selber Politiker, um damit ihren Machiavellismus zu verdecken. Es ist die historische Schuld vieler neuzeitlichen Philosophen, daß sie von Anfang an bis heute den Nationalstaat zum Hegemonieanspruch verführt haben. Sie konnten ihn paradoxerweise nicht legitimieren, ohne ihn zum Reich zu übersteigern. Die Nationalisierung der Konfessionen führt zum nationalistischen Imperialismus. Bodinus begründet die französische Hegemonie staatssoziologisch, Hobbes die englische anthropologisch, Spinoza die der niederländischen Freistaaten religionssoziologisch, Leibniz die deutsche kulturphilo-

Nationalstaaten

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sophisch, und noch im 19. Jahrhundert erhöhen Hegel, Gioberti und Dostojewski ihre verspätet sich zusammenschließenden Nationen zu weltgeschichtlichen Reichen. Der Unterschied der humanistischen Kulturpolitik und der neuzeitlichen Staatspolitik wird sofort deutlich, wenn man dem technischen Absolutismus der rationalen Verwaltung bei Philipp II. und Antonio Perez den italienischen Kulturprimat Campanellas und Bacons Utopie der Forscherakademie gegenüberstellt. Die politische Philosophie verbirgt machiavellistisch ihre Pläne zur Vorherrschaft der eigenen Nation, aber es ist leicht, ein Dutzend hegemoniale Ideologien in den vier Jahrhunderten festzustellen, die seit Bodinus abgelaufen sind. Nach seiner Prophezeiung steht nun das Ende des Nationalstaats bevor, weil extreme Staatsideologien nie länger als vierhundert Jahre sich zu halten vermöchten. Seit dreißig Jahren nähern wir uns dem Verständnis der Neuzeit als Zivilisation, als Rationalisierung des Herrschafts-, Leistungs- und Naturwissens. Aber das ist erst der zweite Akt dieses Dramas, nachdem die politischen Philosophen die Ideologie des Nationalstaats geschaffen haben, zuerst den Begriff des souveränen Staates selber, den sie dann doch wieder zum Reich erhöhen mußten, obwohl sie dem Reich der traditionellen Legitimität durch die Souveränität der eigenen Nationen ein Ende setzen wollten. Der Nationalismus ist die Signatur der Neuzeit. Das Staatsgesetz wird nicht mehr göttlich sanktioniert, sondern durch eine rationale Legitimation, durch eine politische Philosophie-, nicht eine politische Theologie. Statt des Gottesbildes soll ein unbedingtes Staatsethos die Gemeinschaft verpflichten, die Staatsräson, und erst hundertfünfzig Jahre später wird nach der ursprünglich religiösen Idee der Volkssouveränität an das Nationalgefühl appelliert, das aber erst erweckt werden muß. Dieser Prozeß hat sich in den verschiedenen Nationen je anders abgespielt: das ist die Reihe der Aristien der Völker in der Neuzeit und die Abfolge ihrer geistigen Hegemonie. Spanien hat durch seinen Kampf gegen die Mauren zuerst ein breiteres Nationalbewußtsein errungen und ist unter den Habsburgern Karl V. und Philipp II. durch seine Kolonialpolitik zur Weltmacht aufgestiegen. In der Reformationszeit wandte sich sein Sendungsbewußtsein gegen die protestantischen Staaten und im vergeblichen Ringen gegen die Niederlande und England erschöpfte sich seine Militärmacht trotz der amerikanischen Gold- und Silberflotten schon am Ende des 16. Jahrhunderts. Die Bürokraten Philipp II. und sein Kanzler Perez haben zusammen die rationale Verwaltung und den Merkantilismus

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Neuzeit

geschaffen, in dessen Schatten sich die Geistesblüte des erasmianischen und mystischen Siglo de oro über Europa verbreiten konnte. Frankreich hatte zuerst die Religionskriege im eigenen Land auszutragen und erhielt darum durch die Souveränitätslehre Bodins die erste vorbildliche Ideologie des Nationalstaats samt seiner Berufung zur Hegemonie über Europa durch das politische Ingenium Frankreichs zwischen dem religionspolitischen Spanien und dem immer noch stadtstaatlichen und territorialstaatlichen deutschen Norden. Der Kulturprimat fiel ihm im 17. Jahrhundert zu, aber an seinem Ende war es genau wie Spanien durch seine R^unionskriege erschöpft. Erst die große Revolution weckte das bürgerliche Nationalbewußtsein, dank dem Napoleon die europäische Hegemonie erringen konnte, aber auch endgültig die Kraft Frankreichs erschöpfte. England erhielt sein Nationalbewußtsein durch die königliche Reformation. Die doppelte Souveränität des Herrschers als König und Summepiskopus hat hier den Kampf zwischen der Staatskirche und den Nonkonformisten entfacht und aus dem religiösen Freiheitsstreben die Volkssouveränität entwickelt. Zur Beendigung des Religionskriegs hat sein absolutistischer Ideologe Thomas Hobbes die doppelte Staatssouveränität gefordert mit dem unbedingten Primat der Exekutive, aber bald hat die staatspolitische Revolution von 1689 auch der Legislative ihr Recht verschafft. Die Lösung war die von John Locke vorbereitete Rationalisierung der Verfassung, die Gewaltenteilung in der Konstitution. England war nicht durch auswärtige Kriege erschöpft und so beginnt nun sein glorreiches Jahrhundert. Mit der Konstitution gelang zugleich die Ausscheidung der Religionspolitik aus der Staatsräson, die Toleranz. Die entsprechende Ideologie der natürlichen Religion kam zwar nicht zu unmittelbarer praktischer Bedeutung, es blieb beim praktischen Christentum. Ganz anders aber wirkte die englische Aufklärung in Frankreich, wo sie in der Opposition zum Atheismus radikalisiert wurde. In Deutschland hat lange das alte Reich stellvertretend das Nationalbewußtsein getragen, aber in den Religionskämpfen des 16. und 17. Jahrhunderts ging es so völlig verloren, daß heute noch Gustav Adolf, der ausländische Interventionist, von einer Religionspartei als nationaler Heros gefeiert werden kann. Die Verlegung des Reichs nach Spanien und die des Welthandels nach dem Westen haben Deutschland verarmt. Erst die Türkenkriege weckten ein bescheidenes Nationalbewußtsein und nun wollte Leibniz auch eine deutsche Nationalstaatsideologie schaffen, die Union der Konfessionen auf geistiger Basis erreichen, die Reichseinheit auf föderativer, die Welteinheit aber

Nationalstaaten

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auf christlicher durch die Verweisung Frankreichs auf Indien und Rußlands auf Sibirien und China. Dieser Plan war kulturphilosophisch, nicht primär staatspolitisch, und so scheiterte er auf allen drei Ebenen. Siegreich blieb nur seine Idee der Forschungsakademie und eben mit dem Rückzug auf die geistige Basis errang Deutschland langsam den Kulturprimat durch die Klassik und Romantik in seinem großen Jahrhundert der Philosophie, Kunst und Wissenschaft. Aber es blieben die konfessionellen Spannungen und Hegel hat der katholischen Romantik die germanische Reichsidee in staatssoziologischer Legitimation der Exekutive gegenübergestellt, den alten lutherischen Obrigkeitsstaat und das unbedingte Staatsethos proklamiert. Durch die Ausschließung des Nationalitätenstaates Österreich aus Kleindeutschland kam es zu einem vorläufigen, viel zu engen Nationalstaat, zum zweiten evangelischen Kaiserreich. Es war nur scheinkonstitutionell, wie die Bedriikkung der Katholiken im Kulturkampf und der Sozialisten durch die Sozialistengesetze verrät, wurde auf die Bahn der nachzuholenden Kolonialpolitik gedrängt und in die Auseinandersetzung Deutschösterreichs mit den zur Nationalstaatlichkeit strebenden Völkern hineingezogen. Der erste Weltkrieg ging gegen die alten Kolonialländer und Amerika verloren. Nun gab das um die Nachfolgestaaten verkürzte Klein-Österreich die Parole des Nationalismus für alle Deutschen, und der „preußische Sozialismus" eines expansiven Imperialismus führte mit phantastischen auswärtigen Kriegsunternehmungen zum Zusammenbruch des „Dritten Reiches". Ähnlich kam es in Italien durch den nachzuholenden Nationalstaat zu einer liberalen Ideologie des dritten Rom und durch die nachzuholende Kolonialpolitik zu einer imperialistischen Ideologie mit der üblichen Folge der Selbstentmachtung. Auch Rußland holte im 19. Jahrhundert die Nationalstaatsideologie schon im Kampf zwischen Liberalismus und Konservativismus nach, aber erst der verlorene Weltkrieg brachte ihm die kommunistische Revolution. Notwendig wurde sie im Spannungsfeld der Imperialismen zum „Sozialismus eines Landes", und erst der Sieg im zweiten Weltkrieg mit Hilfe seiner liberalen Partner brachte ihm die Hegemonie über die mitteleuropäischen Satellitenstaaten. Diese politische Entwicklung der europäischen Nationalstaaten ist bereits seit dem Merkantilismus nacheinander mitbestimmt durch die Wirtschaftssysteme, den Liberalismus, den Syndikalismus, denKolonialimperialismus und den Staatskommunismus. Erst seit 1848 wird der Wirtschaftsfaktor unmittelbar politisch wirksam durch den Gegensatz der drei Parteien der Konservativen, Liberalen und Sozialisten. Erst

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Neuzeit

seit 1918 gibt es Staaten mit sozialistischer Vorherrschaft, aber längst vorher beeinflußte die Wirtschaft entscheidend das Staatsleben. Der Merkantilismus ist anfänglich bescheidene Staatswirtschaftsplanung des Absolutismus, ein erster Ansatz zur staatlichen Beeinflußung der Nationalwirtschaft. Es mußte erst in England die rationale Verwaltung und Verfassung erreicht sein, bevor die freie Eigenbewegung der Wirtschaft auffällig wurde und gesichtet werden konnte, bevor die Entdeckung der Nationalökonomie nach Gesetzlichkeiten der freien Marktwirtschaft gelang. Das rationale Wirtschaften selber ist ein heterogenes Ergebnis der rationalen calvinischen Lebensführung, sofern die innerweltliche Bewährung im sparsamen und erfolgreichen Wirtschaften als Zeugnis der Auserwählung mißverstanden wurde. Das war das urpsrünglich kategorische Ethos, die innerweltliche Askese war unentbehrlich für die Anfangsgeschwindigkeit und Intensität der wirtschaftlichen Energie. Sobald sie Lebensform war, trat an die Stelle des religiösen Ethos seine ökonomisierung, das Erfolgsethos und der Utilismus. Leider ist noch nicht ausreichend untersucht, wie gleichzeitig in Frankreich das Verständnis der agrarwirtschaftlichen Eigengesetzlichkeit, der Physiokratismus, diesen Determinismus der Gesellschaftsauffassung erweitert hat und die Gesellschaftsbewegung auf die Weltbewegung übertragen wurde. Das ist der neuzeitliche Übergang vom Naturrecht zum Naturgesetz. Der wahre Entdecker der Soziologie ist nicht St. Simon oder Marx, sondern Turgot, der die Bewertung von Vicos Dreistadiengesetz auf den Kopf stellte. Nachdem die französische Revolution die Befreiung des Bürgertums gebracht hatte, begann die Dialektik der liberalen und restaurativen Parteipolitik und Wirtschaftsideologie. Sie war schon begleitet von den syndikalistischen Tendenzen der sogenannten utopischen Sozialisten, der Denker im Gefolge St. Simons, der die Wirtschaftsgruppe der zu vereinigenden Unternehmer, Techniker und Arbeiter entdeckt hatte als Gegner der Geldgeber, der Kapitalisten. Das war jenseits der politischen Dialektik der englischen Konservativen und Liberalen Einsicht in die Bedeutung der Naturwissenschaft und Technik für das Industriesystem. Das war nicht eine utopische Konstruktion, sondern die Forderung konkreter genossenschaftlicher und gewerkschaftlicher Institutionen der produktiven Gesellschaftsgruppe. Hierher gehört auch die geistesgeschichtlich so wichtige Einrichtung des Polytechnikums durch Napoleon, der ersten technischen Hochschule. Das neue Zeitbewußtsein erwacht durch den Gegensatz der drei politischen Parteien der Konservativen, der Liberalen und der klassen-

Wirtschaftssysteme

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bewußten Arbeiterschaft. 1848 beginnt der Parlamentarismus der Massenparteien, die durch die Massenpresse die öffentliche Meinung bestimmen. Sein Ideologe ist Karl Marx, der gut deutsch-idealistisch als transzendentaler Ökonomist begann und als Theoretiker der quantitativen Massendemokratie seine erste Konzeption verdarb. Der Zeitphilosoph der automatischen Änderung der Lage, der Utopist der Entwicklungskonstruktionen der Akkumulation des Kapitals, der Verelendung der Massen und des absterbenden Staates wollte als Politiker das Klassenbewußtsein der Proletarier wecken und der geschichtlichen Notwendigkeit der quantitativen Änderung der politischen Mehrheiten im Industriestaat durch die Diktatur des Proletariats zuvorkommen. Mit ökonomischer Vernunft sah er die vermeintlichen Notwendigkeiten der Wirtschaftsentwicklung, aber mit seinem praktischen, organisatorischen Verstand wollte er die Entwicklung beschleunigen. Der frühe Marx korrigierte Hegels Entwicklung der staatlichen Vernunft durch die der wirtschaftlichen Produktionsgesetzlichkeit, der späte Marx wollte die Uberbauten des bürgerlichen Rechtsstaats und der bürgerlichen Weltanschauung ideologiekritisch entlarven und politisch beseitigen. Die Wirtschaftsstufen des Urkommunismus, der Sklavenwirtschaft, der Manufaktur und der Fabrikarbeit waren für ihn der dialektisch notwendige Gang der Weltgeschichte. Es ist schade, daß dieser von Fichte ausgehende transzendentale Ökonomismus, ein wichtiges Thema der differenzierten Anthropologie im Zusammenhang des transzendentalen Idealismus, bis heute noch nicht sachgerecht durchdacht worden ist. Die Dreiparteienpolitik des Klassenkampfes verdarb nicht nur die Theorie, sie führte auch zum verengten Syndikalismus der Arbeitergewerkschaften, der das Klassenbewußtsein der anderen Berufsgenossenschaften weckte. Der Nationalliberalismus mußte in die Kolonialpolitik ausweichen, der Imperialismus der Nationalstaaten führte zu den beiden Weltkriegen. Die sozialistischen Revolutionen der Arbeitermassenparteien im Zeitalter der Kolonialpolitik haben eine neue Situation geschaffen, die eine sehr aufschlußreiche historische Parallele hat, den Hellenismus und Nationalismus im Römerreich. Man darf sie nur nicht wie Spengler machtpolitisch verstehen, man muß sie kulturpolitisch sehen. Dem Hellenismus entspricht die westeuropäische Zivilisationstechnik mit dem rationalen Konstitutionalismus, dem Nationalismus der damaligen alten Hochkulturen der heutige der zurückgebliebenen Kolonialstaaten und dem Römerreich der geistig überholte Imperialismus. Der Industriestaat mit kommunistischer oder sozialistischer Majorität

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Neuzeit

verläßt notwendig die internationalistische Ideologie, die nur in den Anfängen der Stärkung des Klassenbewußtseins diente, weil er totalstaatlich oder parlamentarisch nur in der Nationalwirtschaft sein Verteilungsprogramm des Sozialprodukts durchsetzen kann, das in der Nachkriegszeit zur einzigen Staatsräson geworden ist. Sein Sieg im kaum industrialisierten Rußland trieb ihn notwendig auf die Bahn der forcierten Planwirtschaft, der durch den Sieg im zweiten Weltkrieg die Ausbeutungsmöglichkeit der Satellitenstaaten zufiel. Gleichzeitig ziehen sich die alten Industriestaaten aus der Kolonialpolitik zurück, weil die Ausbeutung der aufrührerisch gewordenen zurückgebliebenen Kolonialstaaten kostspieliger ist als ihre wirtschaftliche Förderung. Nur Rußland bleibt beim alten Ausbeutungsimperialismus, dessen letzte Beispiele Rom, der Islam und die expansiven abendländischen Nationalstaaten bis zum ersten Weltkrieg waren. Der erste Nationalismus in der Römerzeit ist durch das Christentum überwunden worden, der zweite der altchristlichen Konfessionen durch den Islam, der dritte der expansiven Nationalstaaten durch die Verkehrsdichte der Weltwirtschaft. Jetzt h a t die Krisis des vierten Nationalismus, des sozialistischen begonnen. Mit Ausnahme Rußlands, wo die entsprechenden Faktoren durch den Totalstaat vergewaltigt werden, gibt es in allen Staaten unserer Zeit drei entscheidende Gesellschaftsmächte, die rationale Verwaltung und Verfassung, die nur gradweise verschiedene Industriewirtschaft und die rationale Wissenschaft. Wider allen Anschein ist also der „Philhellenismus" heute schon die maßgebliche Gesellschaftsmacht, die mit der freien Wissenschaft unlöslich verbundene Weltzivilisation und Weltwirtschaft ohne Weltpolitik, weil die durch die fortschreitende Produktionsgesetzlichkeit erzwungene Stützung der zurückgebliebenen Gebiete der Ausbeutung der kolonialen Satellitenstaaten ein Ende macht.

So wie die staatliche und wirtschaftliche Dialektik der Neuzeit nur aus der Verflechtung von Politik und Wissenschaft zu verstehen ist, so auch die Entwicklung der Wissenschaft selbst. Sie ist in der Folge der Nationalisierung der Konfessionen der dritte entscheidende Faktor der Neuzeit geworden. Wir haben aber noch keine Soziologie der Wissenschaft, weil die enge Parteibindung der frühen Soziologen mit den Wirtschaftsgruppen erst gesprengt werden konnte durch die Erfassung der eigenständischen Soziologie der Religion, des Bildungswissens, des Staates und der Wirtschaft. Erst mußte auch die wechselnde Verbindung der Lebensmächte in den normalen Kulturen vergleichend typologisch festgestellt werden, bevor wir unsern Sonderfall der Zivilisation verstehen konnten, in dem die Wissenschaft zum ersten Mal eine entscheidende Rolle spielt. Scheler hat neben seiner genialen Soziologie der Wissensformen auch einen kräftigen Ansatz zu einer Soziologie der Wissenschaft gemacht in seinem

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Traktat: „Erkenntnis und Arbeit". Allein er dachte noch neomarxistisch; das Leistungswissen soll praktisch die Naturwissenschaft herausfordern. Damit war nur eine einzige Abhängigkeit gesehen, aber nicht der kategorische Impuls der neuzeitlichen Wissenschaftsintensität, und noch weniger war die total mechanistische Weltanschauung erklärt. Die richtige Methode ist die Feststellung der Abhängigkeit der Wissenschaft vom ganzen zeitlichen Kulturstatus in der Anfangssituation eines neuen Kulturstils, dann erst kommt der eigengesetzliche Verlauf der Wissenschaftsentwicklung nach ihrer inneren Logik und die Prägung des führenden Standes der Intelligenz.

Der entscheidende Ansatz des neuzeitlichen Denkens ist die Rationalisierung der politischen Wissenschaften und die mathematische Sicherung der Erkenntnis in den Religionskriegen. Es geht um die unbedingte Rechtssicherheit und um die unbedingte Erkenntnisgewißheit statt der Glaubensgewißheit. Gerade wird der Übergang von der philologischen zur mechanistischen Methode um 1600 empirisch erforscht. Dabei ist die Astronomie und Physik der Spätrenaissance noch lange, noch bis zu Kepler philologisch bestimmt und gehört insofern noch zur Differenzierungsphase des Humanismus, die von der Wortphilologie zur Sachphilologie fortschritt. Die Nationalisierung der Konfessionen fordert die Rationalisierung des Staats- und Rechtslebens und die stilechte Verbindung von politischer Philosophie und rationaler Jurisprudenz. Es gilt zu verstehen, wie die Rationalisierung der Naturwissenschaft von absolutem Interesse wird. Das hat mit der Wirtschaft nichts zu tun, viel mehr mit dem politischen Interesse der Sicherheit des souveränen Staatsrechts in den Religionskriegen und der Sicherheit der Erkenntnis zwischen den widerstreitenden Glaubensgewißheiten, wofür sich nur die mathematische Methode bietet. Die rationale Verwaltung fordert gleiche Individuen, die rationale Berechnung der Naturvorgänge gleiche Atome. Zunächst halten die Schöpfer der neuen Astronomie, Mechanik und Optik lim Galilei, der neuen Akustik um Mersenne und des neuen Atomismus um Gassendi streng die Enthaltung von metaphysischen Konstruktionen ein, genauso wie heute die Schöpfer der nachklassischen Physik und Biologie. Erst Descartes versucht trotz der Warnung Mersennes ein dualistisches System der res cogitantes und der res extensae, nachdem die Vorentscheidung für die individuellen Geistwesen und die atomistischen Körper schon in den entsprechenden Wissenschaften der Jurisprudenz und Physik gefallen ist. Das macht scheinbar die Leibseele überflüssig, die sich nicht mathematisch berechnen läßt und vorläufig durch eine Affektenlehre ersetzt wird. Daraus ergibt sich für ein Jahrhundert die crux philosophorum der Barockmetaphysik, den Einfluß der Körper auf den Geist ohne Seele

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Neuzeit

zu verstehen. Descartes sucht noch nach Melanchthons Dreiteilung des Menschen in mens, spiritus und corpus zum letztenmal physikalisch die Einwirkung der Körper durch die spiritus corporales auf das Ich in der Zirbeldrüse zu erklären, Malebranche, die Okkasionalisten und Berkeley denken an ein Eingreifen Gottes bei jeder Gelegenheit, Spinoza macht Gott zum Urgrund einer parallelen Entfaltung der Ideen und der Dinge, Leibniz spiritualisiert die Atome zu Monaden und stellt sie alle in bezug zur göttlichen Weltordnung. Die einzig zureichende Erklärung dieser großen Systeme ist die Dialektik von Philosophie und Wissenschaft! Die politische Philosophie überläßt den freien und gleichen Geistern die rationale Gestaltung des Staatslebens, die mathematische Naturwissenschaft rechnet mit der Selbstregulierung der gleichen Atome nach ihren gesetzlichen Bewegungen zur rationalen Gestaltung der Welt. Das Gottesbild der frühen Neuzeit ist der ferne Gott als Mathematiker, der den freien Geistern die Gestaltung der Gemeinschaft nach der Staatsräson und den sich selber regulierenden Atomen die Gestaltung der Welt überlassen kann. Das Menschenbild ist dualistisch, der Mensch bestimmt sich selbst aus dem freien Geist ohne Geistseele oder Leibseele und der Geist steht sozusagen neben dem völlig in sich geschlossenen und sich selber regulierenden Körper. Die Welt wiederum besteht dualistisch aus freien Geistern und sich notwendig verbindenden Atomen. Alle drei Bilder ergeben sich aus der historischen Vernunft der Rationalisierung des Staatslebens gegenüber der Unsicherheit der kämpfenden Konfessionen. Schon Pascal, der positive Christ, sah das genau und stellte dem rationalen Theismus, dem Gott der Philosophen und der rationalen Politik der Staatsräson den lebendigen Gott der positiven Theologie gegenüber, den Gott der Wundermacht und Selbstbezeugung mit der Forderung der selbstverantwortlichen Entscheidung des Menschen für die Ewigkeit. Zur frühen Neuzeit gehört auch noch der englische Deismus, der sich mit dem Triumph der rationalen Verfassung vom Absolutismus und der Konfessionspolitik löst und unter Toleranz die Reduzierung des Christentums auf die natürliche Religion und Sittlichkeit und das Naturrecht versteht. Damit beraubt er das zeitliche Gesetz jeder anderen Sanktion und Legitimation außer der rationalen Legislative, der quantitativen Majorität. Der Übergang zur Kosmologie der Neuzeit erfolgt erst in der französischen Spätaufklärung um 1750. Die radikale Opposition gegen den absolutistischen Staat und die gallikanische Staatskirche muß das sou-

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veräne Naturrecht durch das Naturgesetz selber legitimieren. Aus der Rationalisierung aller Dinge wird Rationalismus, die Zersetzung der dualistischen Systeme ergibt den radikalen Szientismus, die positivistischen Naturwissenschaften von den Weltdingen und die deterministischen Geisteswissenschaften der Wirtschaft und Gesellschaft. Den Atheisten erscheint die Theologie, ja auch die rationale Philosophie als überwundene Geistesepoche. Das absolute Naturgesetz wird notwendig reine Kosmologie, atheistischer Monismus statt des deistischen Pluralismus. Es wird jenes mechanistische tote Weltgebäude entworfen, das von den entsetzten Zeitgenossen Nihilismus benannt wurde, als Nichtigkeitserklärung von Gott und Geist, Seele und Freiheit. Der radikale Revolutionswille gegen die privilegierten Stände nivelliert den Menschen und macht ihn zur Maschine, die genau wie die übrigen Körper ein rein mechaniches Selbstregulierungssystem ist. Wie weit es neben dem Materialismus Naturalismus gab, ist schwer zu sagen, weil die Enzyklopädisten allen Grund hatten, ihre Weltanschauung zu tarnen. Die anderen monistischen Weltanschauungen können keine sehr große Rolle gespielt haben, weil der radikale Szientismus der mathematisch-mechanistischen Methode zu ausschließlich vorherrschte. Das ist in der anthropologischen Phase gründlich nachgeholt worden. Diese Kosmologie hat außer dem kategorischen Ethos der Staatsräson und dem liberalen Wirtschaftsethos selber keine stilechte Ethik, weil sie die natürliche Sittlichkeit mitsamt ihren Voraussetzungen des Freiheits-, Unsterblichkeits- und Gottesglaubens vom Standpunkt der reinen Triebmechanik verhöhnt und an ihre Stelle den Ästhetizismus setzt, allerdings auch gleich mit der Einsicht in seine unvermeidliche Tragik schon bei Diderot. Deutschland gewann in dieser Lage seine Aristie, den Kulturprimat in Europa für das 19. Jahrhundert vor allem durch Kants Philosophie der reinen Vernunft. Ein geschichtsphilosophischer Zeuge dieses Vorgangs, Hegel, hat ihn nur halb begriffen und den Kulturprimat zur Hegemonie des germanischen Reiches machen wollen. Er erkannte genau, daß das, was man bald den liberalen Protestantismus nannte, die Voraussetzung dieses Primats war, ließ ihn aber fälschlich schon mit Luther statt mit Kant beginnen, was erst Troeltsch feststellte. In Wirklichkeit war gerade das Nebeneinander von Protestantismus und Katholizismus seit 1648 und damit eine hier länger dauernde Anerkennung des göttlichen Gesetzes durch beide Konfessionen der Grund, warum bei uns nicht wie in England der Konstitutionalismus und das Wirtschaftsethos und wie in Frankreich der Szientismus und Atheismus damals schon weithin das positive Christentum erschütterte, was

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bei uns um so gründlicher im späten 19. Jahrhundert nachgeholt wurde. Der liberale Protestantismus hatte schon eine längere Vorgeschichte, als er durch die anthropologische Philosophie Kants die führende Kulturmacht in Europa wurde. Die Lockerung der Orthodoxie begann mit den Ironikern und führte über den Pietismus und die Sektengeschichte Gottfried Arnolds bei Leibniz zu jener Ergänzung des positiven Glaubens durch eine realistische Metaphysik, die ihn erst — wie einst die Universität den mittelalterlichen Katholizismus — zu einem unmittelbaren Kulturfaktor machte. Das war eine Annäherung der Konfessionen, die über die geplante und gescheiterte Union hinaus ein gemeinsames Geistesleben ermöglichte. Die deutsche Aufklärung ist weder deistisch noch atheistisch politische Philosophie, sondern Kulturprotestantismus. Erst die Auseinandersetzung mit der atheistischen Spätaufklärung und die Anzweiflung der positiven Offenbarung bei Lessing und anderen hat zum europäischen Gegenschlag des liberalen oder besser nestorianischen Protestantismus gegen die radikale westliche Aufklärung geführt, die philosophische Aufklärung in sich aufgenommen und vertieft. Nur die reine Persönlichkeitsethik des geistigen Menschen konnte das absolutistische Staatsethos und liberale Gesellschaftsethos überwinden. Sie brauchte allerdings über die sittlichen Postulate der Freiheit, der Unsterblichkeit und des Richtergotts hinaus auch eine ontologische Grundlage, die die Errungenschaften der neuzeitlichen Philosophie mitumfaßte, sie mußte realistische Anthropologie werden.

Kant hat nur als Ethiker sein Ziel erreicht, weil er die geistige Menschenidee des intelligiblen Ich mit dem jenseitigen Ziel der unbedingten Verantwortung vor Gott aus der inneren Gewißheit neu begründete. Als kritischer Idealist hat er es nur halb erreicht, sofern er die Noologie, die Lehre von der Geistgesetzlichkeit in der allgemeingültigen Organisation entdeckte. Er konnte sie aber nicht zu einer kritisch realistischen Metaphysik fortbilden, weil er den kartesianischen Dualismus zwischen Geist und Körper nicht durch eine Lehre von der Geistseele als noumenalem Träger der allgemeingültigen geistigen Organisation zu überbrücken vermochte. Er durchschaute noch nicht das Protonpseudos der neuzeitlichen Kosmologie, die absolute und notwendige Mechanik der Körperwelt und glaubte ihre Unversöhnlichkeit mit der freien geistigen Menschenidee nur durch die Einschränkung der theoretischen Vernunft beheben zu können. Die Durchbrechung dieser Schranken, die Überschreitung des Meisterverbotes ist die Wurzel der großartigen metaphysischen Systeme des deutschen Idealismus. Weil auch ihm noch der Begriff der Geistseele als Organisationsgrund der Geistgesetzlichkeit fehlte, mußte er ihn durch den Begriff der großen Natur ersetzen. Nach dem Vorbild des genialischen Selbstbewußtseinsvorgangs wurde eine Dialektik des Weltgeists und der unbewußten Weltseele entworfen. Das war objektiv-

Der deutsche Idealismus

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idealistischer Monismus, der in der kosmologischen Phase nur andeutungsweise aufgetreten war, aber nun in der anthropologischen eine faszinierende Weltdeutung ermöglichte. Er brachte den unverlierbaren Gewinn, aus der schöpferischen Natur die aufsteigende organische Weltordnung erklären zu können. Bald glitt man allerdings von der Noologie zur transzendentalen Psychologie ab, ja von Schopenhauer an bei Nietzsche und Hartmann zur transzendentalen Physiologie des blinden Triebs und Drangs. Nun tauchte das ausschließlich neuzeitliche Gottesbild des werdenden Gottes auf, das dann durch die absolute Weltentwicklungsidee abgelöst wurde. Sein Schöpfer Schelling hat selber mit seiner Philosophie der Freiheit dies Notwendigkeitssystem wieder überwunden, ja die Idee der positiven Philosophie erreicht, Gott wieder als Herrn erkannt und die konkrete Existenz des Geistes. Aber ganz konnte er die negative Philosophie des notwendigen Selbstbewußtseinsschematismus nicht aufgeben, sie war ja die jetzt herrschende dialektische Methode. E r gewann mit ihr eine trinitarische Gotteslehre des ersten Weltalters der Vergangenheit vor dem zweiten Weltalter der gegenwärtigen Welt, in der sich nach dem Schematismus die Natur, die Mythologie und selbst die Offenbarung dialektisch entwickelt, bis im dritten Weltalter der künftigen Welt die volle Einheit Gottes, der Geister und der Natur erreicht wird. Die Entwicklung des Christentums vom petrinisch-katholischen über das paulinisch-protestantische zum j ohanneischen Christentum faßte schon einen nachprotestantischen religiösen Liberalismus ins Auge und wirkte stark auf die russische Religionsphilosophie. Der Weg Schellings ist deswegen repräsentativ, weil er die innere Bewegung der deutschen Klassik und Romantik als geistesgeschichtlichen, nicht politischen Vorgang theoretisch belegt. Die geistige Freiheit hat sich auch bei Schiller unter der unmittelbaren Einwirkung Kants und bei Goethe durch den Reichtum und die Breite der Persönlichkeit gegen die Versuchungen zum Etatismus und Naturalismus behauptet. Unmittelbar hat der frühe Schelling durch seine genialische Noologie und Psychologie auf die Romantik gewirkt, sofern er wohl als erster neben Schlegel und Schleiermacher die poetische, symbolisierende Vernunft verstand und damit die historische Vernunft dem anhistorischen Rationalismus gegenüberstellen konnte. Friedrich Schlegels Geschichtsphilosophie der naiven Antike, des sentimentalischen Mittelalters und der konservativen, nicht liberalen Moderne führte bald zur Wiederentdeckung der Seele, zuerst zur Vorrangstellung der emotionalen Vernunft und dann zu einer anthropologischen Metaphysik. Schlegel hat Kants transzendentale Dialektik zur Weltanschauungs-

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Neuzeit

kritik fortgebildet, das subjektive und objektiv-idealistische, naturalistische und materialistische Weltbild auf die Analogie mit Geist, Seele und Leib des Menschen zurückgeführt. Das politische Ingenium der Romantik, Josef Görres, hat die entsprechende Ideologiekritik begründet und die dauernde Parteienbildung aus den Grundkräften der Menschennatur verstanden. Damit waren Monismus und Pantheismus überwunden und die kritisch realistische Metaphysik wiedergewonnen, die Gottesidee des Schöpfergotts, die volle Noologie der poetischen und reinen Vernunft, ja bei Görres auch schon eine transzendentale Psychologie der automatischen und plastischen leibgestaltenden Seele. Der größte Theoretiker der Romantik, Anton Günther, hat diese anthropologische Metaphysik mit einer spekulativen Theologie der Erlösung verbunden. Da er aber die Noologie und die Physiologie durch zwei Naturen im Menschen begründete, fand er nicht den Anschluß an die neuaufsteigende traditionelle katholische Metaphysik. Die katholische Romantik in Deutschland hat wohl dem liberalen Protestantismus einen Kulturkatholizismus zur Seite stellen können, aber trotz Görres nicht eine zeitgerechte katholische Politik, weil sie die Universität nicht durch ihre Kulturpolitik erneuern und eine eigene Publizistik der Geistigen in Übereinstimmung mit der traditionellen Theologie ausbilden konnte. Es blieb bei einer symptomatischen Sozialreform. Gerade mit der geistigen Erneuerung des Katholizismus in Deutschland verschärfte sich die Spannung zum liberalen Prostestantismus, obwohl dort die spekulativen Theisten den Katholiken so nahestanden. Die Spannung unter den Konfessionen wurde zum tragischen Geschick des deutschen Kulturprimats. Der Repräsentant dieser Tragik ist Hegel, der durch seine extrem politische Philosophie die romantische Volksgeistlehre zum liberalprotestantischen Nationalismus eines reaktionären Obrigkeitsstaates vergröberte. Die Erhöhung des kollektiven, substantiellen Volksgeists zum Weltgeist bedeutet Überordnung des historischen organisierenden Verstandes über die praktische und theoretische Vernunft. Die politische Entscheidung liegt bei den Führern der zur Vorherrschaft berufenen Völker. Statt der konstitutionellen Monarchie wird eine pseudocharismatische Legitimität nach der etatistischen Entwicklungslehre konstruiert, die rationale Legislative der Exekutive untergeordnet. Das ist der theoretische Ursprung des Faschismus aus dem kollektivistischen Disziplinbegriff. Das Staatsethos wird über die persönliche Sittlichkeit gestellt. Rousseaus Begriff der volonté générale in der überpersönlichen Entwicklung der Volksgeister ist der weitere Hilfsbegriff, um die freie Philosophie und Ethik,

Hegel

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die Kunst und Religion unter dem Titel der disziplinierten Freiheit Aller dem politischen Prozeß einzufügen. Man kann die Tragik dieses Urhebers des den deutschen Kulturprimat stüzenden Hegemonialismus des zweiten und des dritten germanischen Reiches nicht genug überdenken. Sie steht am Scheideweg unseres Schicksals im 19. Jahrhundert. Die schaurige Verschiebung der unbedingten Achtung vor dem Sittengesetz in die vor dem Staatsgesetz stellt den historischen Verstand über die praktische Vernunft. Das allgemeinmenschliche ewige Sittengesetz wird dem volksallgemeinen zeitlichen Gesetz untergeordnet und von da aus ist Hegels theoretische Weltidee zu verstehen. Die Historisierung der Vernunft zu einer notwendigen Weltgeistentwicklung trifft nicht die historische Vernunft, nur den organisierenden Verstand des kollektiven Herrschaftswissens. Hegel sucht eine positive Rechtsphilosophie, aber er bleibt im negativen Entwicklungsprozeß des Staatsbewußtseins stecken, er bleibt selber ein Opfer der historischen Vernunft der Neuzeit. Reaktionär gegen den westlichen Konstitutionalismus will er den Nationalismus der Staatsräson durch die Umdeutung des positiven Protestantismus in den liberalen legitimieren. Das verlangt die Säkularisierung des trinitarischen Prozesses zur Evolution des Heiligen Geistes als objektiven Volksgeists in der allgemeinen Vernunftsentwicklung. Seine Dialektik ist Verstandes-, nicht Vernunftsdialektik, er konkretisiert das Allgemeine und Besondere im Ding, die Idee und ihre Selbstentfremdung in die vielheitliche Welt im Menschengeist. So rückt die Logik als Synthese von Sein und Nichts im Werden an den Anfang des Systems, die Metaphysik des Absoluten, der Welt und des Menschen wird Phänomenologie des Geistes, die Staats-, Rechts- und Geschichtsphilosophie Evolutionismus ohne persönliche, echt geschichtliche Entscheidung. Die Umkehrung der kantischen Forderung, daß der Staatsmann bei jedem Entschluß sein Gewissen zu befragen habe, daß die Moralität unverbrüchlich über der Legalität stehe, in die Unterordnung des persönlichen Gewissens unter das Staatsethos ist schließlich auch aus seiner Charakterschwäche zu erklären. E r hat zuerst Napoleons Diktatur und nach dessen Sturz die preußische Monarchie für die Zukunftskraft gehalten; den „Avanzierriesen Weltgeist im Auge zu behalten", war seine Maxime.

Die Kämpfe der Nachfolger um die richtige Auslegung dieses Systems mußten wegen seiner Hegel selber verborgenen Zweideutigkeit ohne Ergebnis bleiben. Die Hegeische Rechte mußte ihn wegen der Legitimierung des preußischen Staates durch den liberalen Protestantismus mit den antikatholischen Idealen der Arbeit statt der Armut, der Ehe

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statt der Keuschheit und der Staatsdisziplin als Freiheit statt des geistlichen Gehorsams theistisch deuten. Die oppositionelle Linke hat den Evolutionismus atheistisch verstanden, ja die Religionskritik zur unbedingten sittlichen Forderung erhoben. Das sind bei uns die politischen und weltanschaulichen Hintergründe des seit 1848 in die Breite gehenden Positivismus oder Szientismus. Er hätte an sich trotz der Vorherrschaft der mechanistischen Forschung nicht in einen radikalen historischen und metaphysischen Materialismus übergehen müssen, wo gerade bei uns schon seit Kant und Schlegel die Weltanschauungskritik vorlag. Aber die Nachholung des zentralistischen Nationalismus unter monarchistischer preußischer Führung radikalisierte die oppositionelle Intelligenz, wie einst der überfällige französische Absolutismus die Enzyklopädisten. Auch die Nachwirkungen der idealistischen und romantischen Kulturphilosophie verschärften eher die Lage. Aber die radikalen Geisteshaltungen sanken sehr bald zu bloßen Parteibewegungen ab, die für die Wissenschaftsentwicklung keinen wesentlichen Beitrag mehr lieferten. Die Forschung wird in allen Industriestaaten eine fast völlig selbständige Organisation. Die Akademien waren schon seit 1750 trotz der staatlichen Förderung eine europäische Werkgemeinschaft. Wenn nun in steigendem Maße auch die Industrie technische Hochschulen förderte und eigene Forschungsinstitute errichtete, so hatte dies bis in die allerjüngste Zeit keinen wesentlichen Einfluß auf die innere Entwicklung der Forschung, die ihrer eigenen Logik folgt. Es ist leicht, die Stufen des Arbeitsvorgangs zu sehen, die Sammelstufe der Tatsachenfeststellung in den Natur- und Geisteswissenschaften, die Stufe der Vergleichung der Ergebnisse, die überall zur Typologie und zur Feststellung von Entwicklungsreihen führt und endlich die Konvergenz der Ergebnisse, die eine völlig neue Lage schafft, die Differenzierung durch die Integrierung ablöst oder vielmehr überhöht. Schwerer allerdings ist zu sehen, wie diese Forschungsstile die Weltbilder unserer Zeit als unsere historische Vernunft bestimmen, aber sie erklären allein den vagen Historismus in der Geistesgeschichte und den unter dem Titel Determinismus versteckten Indeterminismus der zufälligen Naturentwicklung, auf der zweiten Stufe die Typologien ohne strenge Norm, auf der dritten den Ansatz zu einer phänomenologischen Wertlehre. Erst auf der dritten Stufe wird das geheime Gesetz der Differenzierung sichtbar, nach dem die so unübersichtlich ausgebreitete Forschung doch noch ein Ganzes des menschlichen Wissens bleibt. Es kommt zu dem weltgeschichtlichen Paradox, das die oft zur Leugnung einer

Spezialisierung der Wissenschaft

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sinnvollen Weltordnung übernommene Riesenarbeit der Forschung ungewollt zu ihrer sachlichen Feststellung führt. Man wollte Lücken des Wissens ausfüllen, aber schließlich wurde der Zaun wieder sichtbar, in dem es Lücken gab. Das verborgene Gesetz der Differenzierung ist die Dialektik von Forschung und Philosophie, die fast völlig die ältere zwischen Glauben und Wissen abgelöst hat. Fast kein Forscher wagte mehr an die Einheit des Wissens zu denken, die man den Weltanschauungsmachern Überheß. Der Sturz der kantischen Ethik durch das nationalistische Staatsethos und das sozialistische Wirtschaftsethos wurde wieder gut gemacht durch die Systematik der kantischen Erkenntniskritik, obwohl Kant selber an der theoretischen Erkennbarkeit einer sinnvollen Weltordnung gezweifelt hatte. Dabei ist nicht an den Neukantianismus zu denken, der eher in den Historismus gehört, sondern an den Aufriß der Menschenlehre, der der transzendentalen Ästhetik und Noetik zugrunde liegt. Die transzendentale Ästhetik als organisationsbedingte Raumanschauung ist von Helmholtz zu einer transzendentalen Optik, Statik und Physiologie aller Sinnesorganisationen ausgebaut worden. Das setzte gereifte mechanistische Naturwissenschaften voraus und führte über den Transzendentalismus hinaus zur Berechnung der Ubereinstimmung der Empfangsapparaturen und der Sender, zur objektiven Feststellung des Verhältnisses von Lichtwellenlängen und Farbempfindungen, Schallwellen und Tonhöhen. Das befestigte zunächst so sehr die mechanistische Forschungsmethode, daß man auch eine experimentelle Psychologie versuchte, allerdings nur mit wenig greifbaren Ergebnissen. Man dachte sich dabei die Vorgänge des inneren Sinns, Vorstellung und Strebung als imbewußte Auswertung der äußeren Sinnesdaten. Das führte weiter zur Tiefenpsychologie der Trieb- und Drangvorgänge als Grundlage nur vermeintlich geistiger Akte. Besonders Nietzsche zeichnete sich in dieser Entlarvungspsychologie des Geist- und Seelenglaubens aus. Allein schließlich gelangte man auf einigen Umwegen zur Ausdruckspsychologie, die die der inneren Sinnesorganisation korrespondierende Welt der Lebensbedeutungen erschloß. Von da war nur noch ein Schritt zur phänomenologischen Noematik, zu Begriffen an sich, Sätzen an sich, zu den Noemata, Mathemata, kurz allen Semata als Ausdrucksmittel des Verstandes. Das ist die wahre Stellung der phänomenologischen Schule in der Geheimgeschichte der Entwicklung der theoretischen Anthropologie. Nun beginnt der Siegeszug der erneuerten Logik über die Erkenntnistheorie hinaus. Die Verbindung der strukturgesetzlichen Organisationsbedingtheit der Erkenntnis mit den vorfindlichen Ausdrucksgestalten, Gedanken, Werten, Werken, ruft unvermeidlich die weitere

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Verbindung der Erscheinungsgestalten, der species sensibiles mit den species intelligibiles, mit den noumena, mit den Sachen selber herbei. Das ist aber wieder der alte kritische Realismus. Erscheinungsgestalten werden in der Physiologie rechnungsmäßig festgestellt, etwa wenn Spektra auf die innere Struktur der Elemente zurückgeführt werden. Diese Morphologie der Welt des Unbelebten, besonders deutlich der Kristalle, bezweifelt und befehdet heute niemand, weil man sich hier die Verbindungen unter allgemeinen Gesetzen vorstellen kann und die philosophische Folgerung von Gestaltungsgründen nicht zu befürchten ist. Die Physik ging ohne viel Weltanschauungskämpfe ruhig ihren Weg von der Sammelstufe über die Typologie des periodischen Systems der Elemente zur Theorie, zum mathematischen Aufbau der Kernphysik. Auch in die Astronomie griff die Mathematik ein, sofern sie das Beziehungsgefüge aller Sterne und Elemente in Formeln zu fassen vermochte und damit einen rechnerischen Weltbegriff erreichte, das Kontinuum aller Diskreta. Die Konvergenz der Ergebnisse führt durch die Verbindung der Kernphysik und der Weltmodelle zur Astrophysik, man kann ein genetisches Verständnis der Reihe der Elemente erstreben. Die geniale Antizipation Francis Bacons, der Schematismus latens als physikalische Struktur ohne Gestaltungsgrund ist erreicht. Der Ansatz der empiristischen Biologie ist schon erörtert. Die lebensbedeutsame Erscheinungsgesetzlichkeit der lebendigen Gestalten ist immer, seit es Philosophie und Wissenschaft gibt, die Grundlage der Metaphysik, der Logik und der Sprachphilosophie gewesen. Als mit der experimentellen Physik, Chemie und Physiologie die Möglichkeit auftauchte, die absolute Konstanz der Artgestalten zu leugnen und die relative mechanistisch zu erklären, ist sie mit weltanschaulicher Leidenschaft aufgegriffen worden, weil man so die Entbehrlichkeit von Gestaltungsgründen, von Seelen und damit der Metaphysik beweisen zu können glaubte. Hier geht der Fortschritt nur unter schweren Kämpfen zwischen Mechanisten und Vitalisten vonstatten. Dennoch führt der Gang der Forschung selbst. Die Feststellung des Bestandes der Pflanzen- und Tierwelt ist durch die Paläontologie enorm erweitert worden, und gerade die Fülle hat den Übergang zur Typologie erleichtert. Die Genetik der experimentellen Biologie und Biochemie nähert sich dem Ziel, die Fortsetzung der anorganischen Reihe der Verbindungen in der organischen Reihe entsprechend dem Stammbaum der Arten mathematisch-mechanistisch verstehen zu können. Allein mittlerweile ist auch die Physiologie herangereift und mit der Feststellung der Funktionskreise, der gegenseitigen Abhängigkeit der

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Organisation und der Umwelt und der sich selber regulierenden Innenwelt nähert man sich der alten klassischen Morphologie mit der Forderung von Organisatoren, Entelechien, kurz dem Eilten kleinen Physisbegriff unter verschiedenen Namen. Die die Konvergenz vollendende dritte Wissenschaft ist die Tierpsychologie, eine Schwesterwissenschaft der Ausdruckspsychologie. Auch hier verdecken noch zwei Dutzend Namen für das unbewußte „ E s " den eigentlichen Gegenstand der Untersuchung, den alten Gemeinsinn, aber es ist schon klar zu sehen, daß von hier aus der Abschluß der theoretischen Biologie zu erwarten ist. Es nähern sich also unaufhaltsam nach der Logik der Sache selbst transzendentale Physiologie, empirische und typologische Kern- und Astrophysik und theoretische Kosmologie und ebenso transzendentale Psychologie, empirische und typologische Biochemie und theoretische Biologie. Wie aber steht es mit der Vereinigung der transzendentalen Noologie, empirischen und theoretischen Anthropologie ? Die Geschichte der philosophischen und naturwissenschaftlichen Anthropologie im 19. und 20. Jahrhundert ist die große Tragödie der nachkantischen Spezialisierung der Wissenschaften. Sie beginnt mit dem Entdecker der transzendentalen Anthropologie selbst, mit Kant, der nach seinem Primat der praktischen Vernunft nur eine geistphilosophische Menschenlehre gelten lassen konnte und die Tragweite seiner epochemachenden Erkenntnis der allgemeingültigen geistigen Organisation und ihrer Gesetzlichkeit, der Noologie, selber nicht voll erkannte. Sie setzt nämlich eine Naturphilosophie im realistischen Sinn voraus, den metaphysischen Bestand einer Geistnatur. Heute sehen wir dies klar dank der theoretischen Biologie, die für die Konnaturalitätsbestimmung aller Funktionen der Organisation zugleich mit ihrer konnaturalen Umwelt und der zentralisierenden Apperzeption einen einzigen Funktionskreis setzt nach den Axiomen: agere sequitur naturam, specificas functiones sequitur mundus specificus, cognoscere et cognitum uniuntur in apperceptione. Organisation, spezifische Welt und Apperzeption setzen alle drei die zweite Substanz, den Organisationsgrund voraus, den die neuzeitliche Philosophie seit Descartes verworfen hatte. Es kam trotz des Verbots des Meisters, transzendentale Dialektik konstitutiv zu treiben, zu den idealistischen monistischen Konstruktionen, die schließlich das Absolute, die Welt und den Menschen zu einer All-Einheit zusammengeschlossen und damit die reine Anthropologie aus dem Auge verloren haben. Erst die Besinnung der spekulativen Theisten auf die Scheidung von Gott, Mensch und Welt brachte

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auch die realistische Menschenlehre wieder in das Blickfeld. Aber die großen unschätzbaren Entwürfe der Spätromantik, der Schlegel, Günther, Görres, Baader und Deutinger auf katholischer Seite und der J. H. Fichte, Ulrici, Weisse, Kierkegaard und Lotze auf protestantischer, versanken in der Zeit der naturwissenschaftlichen, empiristischen Anthropologie seit dem Darwinismus und nur ihre großartige Geschichte wurde von Karl Werner in seiner „Spekulativen Anthropologie", München 1870, festgehalten. Der Darwinismus suchte den Menschen in das Tierreich einzubeziehen, die Anthropologie zum abschließenden Thema der Zoologie zu machen. Die weltanschaulichen Voraussetzungen dieses Versuchs gehören in die Geschichte der Religionskritik bis zur Gottlosenbewegung, die naturwissenschaftlichen betreffen nur die Biochemie der Keimbahn, die durch das Auftreten der menschlichen Geistnatur sprunghaft zu einem menschlich spezifischen Individuationsmaterial gewandelt wird. Die heutige theoretische Biologie stellt in allen Einzelheiten diese plötzliche Wandlung der ganzen Konstitution des Keimmaterials im Sinn des menschlichen Lebensplanes fest, aber vorerst nur auf der typologischen Ebene der vergleichenden Konstitutionsforschung. Die Aufgabe der naturphilosophischen Anthropologie ist also die Feststellung der Konkretion einer Person und Geistnatur mit dem Leib, zunächst nur Verstandesmetaphysik, aus der die drei Axiome des Verstandes und die drei der Vernunft abgeleitet werden können, wie es hier versucht wird. Aber das ist nur die eine Hälfte der Wissenschaft vom Menschen und die klare Scheidung der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Menschenlehre ist mit jenen weiteren sechs Wissenschaften vom Menschen gegeben, die völlig über dem tierischen Instinktleben liegende Erscheinungen untersuchen, die Noetik, Noematik und Noumenologie zusammen als Kritik der theoretischen Vernunft, die Ethik, Ökonomik und Politik als die der praktischen und die Poetik und Doxastik als die der emotionalen. Auch hier gehört überall die Lehre von der entsprechenden Zeichenwelt hinzu und die Lehre von den Berufsgemeinschaften, die sich aus den Wissensformen entwickeln. So muß die Entwicklung dieser sechs Geisteswissenschaften je für sich unter der Vorherrschaft der transzendentalistischen, der empiristischen und typologischen, der morphologischen und theoretischen Methode untersucht werden. (1.) Die Metaphysik wurde nach Kant transzendentalistisch betrieben und mußte so beim subjektiven oder objektiven Idealismus oder Naturalismus stehenbleiben, bei Monismen, die sofort durch die inhalt-

Die Menschenlehre

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liehe Bestimmung der transzendentalen Einheitsstiftung als latente Anthropomorphismen durchschaut werden konnten, womit Schlegel schon die typologische Weltanschauungskritik fand. Das war aber auch der Weg zu einer kritisch realistischen Menschenlehre, sofern nun der Aufbau der Menschennatur diesen Projektionen zugrunde gelegt wurde, und zugleich zur transzendentalen Poetik, sofern die nur organisationsbedingten Weltbilder gut kantisch, ja schon von Kant selber nur als regulative, nicht konstitutive Schöpfungen aufgefaßt wurden in Vertiefung der transzendentalen Dialektik. Damit wird die Metaphysikgeschichte zu einer bloßen Geschichte der Weltbilddichtungen. Dilthey hat in der empiristischen Phase der ausgebreiteten Philosophiegeschichtsschreibung die Verbindung dieser Weltbilder mit dem Lebensgefühl aus der Zeitstruktur, wie er sagte, durchgeführt, die historischen Geisteswelten allerdings auch schon typologisch nach der bleibenden Problematik der Synthese beschrieben, und ihm ist eine große Schule der Erforschung der typischen Denkformen, Wissensformen und Lebensformen gefolgt. Die Erneuerung der strengen Metaphysik ging von der theoretischen Biologie aus, von der Wiederentdeckung der kleinen Natur und damit der Verstandesmetaphysik, die jetzt durch die Prinzipienlehre der Vernunftmetaphysik zu ergänzen ist, um die ganze abendländische und morgenländische Metaphysik nach Eliminierang der Zeitfaktoren und gesellschaftlichen Bedingtheiten als eine geschlossene Einheit der menschenmöglichen Erkenntnis der reinen Gottesidee, Menschen- und Weltidee zu verstehen. (2.) Die transzendentale Ethik hat Schleiermacher parallel zu Schlegels Weltanschauungskritik als eine Kritik der Sittenlehre gegeben, aber nicht den Übergang zur realistischen Rückbeziehung der ethischen Normen auf die allgemeine Menschennatur gefunden. Die Empiristen untersuchten hier die Soziologie der sittlichen Verhaltungsweisen und machten sie gänzlich von den gesellschaftlichen Lebensformen abhängig. Diese besonders fatale Form des Historismus und Relativismus ist durch Troeltsch beseitigt worden, der die unbedingte Gültigkeit der kantischen apriorischen Ethik festhielt und insofern der bedeutendste Neukantianer ist. D a er das Wesen des Christentums liberal-protestantisch in der absoluten Ethik der Bergpredigt sah und die Sozialethik schon i m antiken Naturrecht endgültig formuliert fand, konnte er auch den Soziologismus überwinden. Er machte umgekehrt die typologische Kirchen-, Sekten- und Gruppenbildung aus der Hineinnahme der Soziallehren in die ursprünglich religiösen Gemeinschaften verständlich. Das war die nicht genug zu preisende entscheidende Revolution der Gesellschaftslehre.

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Gleichzeitig begründete Scheler die apriorische Phänomenologie der ethischen Werte. Der Vorgang ist völlig parallel der Husserlschen Verbindung der Noetik mit der Noematik als Lehre von den gültigen Ausdrucksformen, den wesentlichen Gedanken und Begriffen. Die ethische Phänomenologie ist eine differenzierte Schule für sich, aber noch nicht eine realistische Theorie des sittlichen Bewußtseins. Dazu muß erst die Rangordnung der Werte als System der geistigen Bedürfnisse der ganzen Menschennatur erkannt sein. Dann erst trifft sie wieder zusammen mit der Rangordnung der Rechte, Pflichten und Tugenden, die immer schon teleologisch als die Werkordnung aus der Menschennatur abgeleitet wurden. Dann erst zeigt sich, daß die parallelen Wissensformen als Grundlage jenes natürlichen Berufsgefüges zu betrachten sind, dem die reine Gemeinschaftsidee entstammt. (3.) Die Begründung der transzendentalen Politik durch Hegel ist eben geschildert worden. Sie war so ausgesprochen Zeitphilosophie, daß sie als Ideologie des evangelischen Kaiserreichs wirksam wurde und den Übergang von der kulturpolitischen Historischen Schule zur kleindeutschen Machtgeschichtsschreibung, vom Rechtspositivismus zum Machtpositivismus wesentlich förderte. Aber nun kam in der empiristischen Phase die immense Ausweitung des Horizonts durch die Ausgrabungen und die Deutung der Dokumente der Hochkulturen, ja bald auch der Vorgeschichte. Das forderte notwendig die Kulturvergleichung und so entstand die neue kulturgeschichtliche Schule, allerdings unter vorwiegend politischem Aspekt. Sie ist durch die Namen Lamprecht, Breysig, Eduard Meyer gekennzeichnet. Spengler hat durch die Vergleichung von acht Kulturen großen Widerhall gefunden und Toynbee hat diese acht auf 21 erweitert. Damit war die Möglichkeit einer historischen Typologie des Staatslebens gegeben. Leider blieb m a n zunächst nicht bei ihrer kritischen Darstellung stehen wie Delbrück in seiner „Kriegsgeschichte i m Rahmen der politischen Geschichte". Spengler preßte in Nachwirkung des deutschen Naturalismus und Mythologismus die Staatsentwicklung in ein starres Kulturschema. Toynbee lockerte es pragmatistisch auf und erklärte die Kulturen durch die Herausforderung der Landschaft und Lage, die von Eliten und ihrer Gefolgschaft beantwortet werde. Dann aber bilde sich durch die Erstarrung der Eliten ein internes Proletariat, das das externe der Barbaren herbeiruft und damit den Untergang der Kulturen besiegelt. Auch das ist ein noch zu grobmaschiges Begriffsnetz für die recht komplexen Vorgänge des Staatslebens, es betrifft hauptsächlich den Wechsel von Zentralisation und Dezentralisation und beachtet nur den Einfluß der Weltanschauungen, aber noch nicht den v o n Recht und Gesetz, und gerade das wäre das wichtigste für die so dringend geforderte politische Bildung.

Transzendentale Politik

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Von höchster geistiger Warte hat endlich Max Weber die Typologie des Staatslebens durchgeführt. Er erkannte, daß auch hier die Geistigen maßgeblich sind, aber nicht unmittelbar durch die Weltanschauung, die sie vertreten oder auferlegen, sondern durch den geistigen Horizont, aus dem sie die geschichtlichen und rechtlichen Entscheidungen beeinflussen, und damit den Aufbau der Verfassungen, das zeitliche Gesetz. Die Juristen als Stand, als geistige Elite sind rechtsschöpferisch und staatsschöpferisch, Herrschaftswissen ist unlöslich mit Rechtswissen verbunden. Weber tat auch den zweiten Schritt mit der apriorischen Typologie der Herrschaftsformen: charismatische Selbstlegitimation, traditionalistische Legitimität und rationalisierte Legislative. Hierher gehört Voegelins „Neue Wissenschaft von der Politik" und mein Buch „Sacrum Imperium". So bleibt hier nur noch der letzte Schritt zu tun und die Lehre von den apriorischen Rechtswerten aufzubauen, die die geistige Dialektik des Staatslebens bestimmen. Es sind vor allem die Werte der Rechtseinheit und Rechtsgleichheit, der Rechtssicherheit und des Rechtsfortschritts, also Verwirklichungswerte, die schon Görres gesehen hat und in der gleichbleibenden Menschennatur verankerte. Sie bestimmen die wahre Gemeinschaftsidee und ihre Einflußnahme auf Legislative und Judikative wäre eine normative, kulturbewußte Politik. (4.) Die Wissenschaft von der Wirtschaft hat sich schon früher als die Staatssoziologie von der politischen Philosophie gelöst, ist aber noch länger parteigebundene Wirtschaftsideologie geblieben. Den Ansatz zu einer transzendentalen Ökonomik der Produktionsgesetzlichkeit des Leistungswissens haben St. Simon und Marx gemacht. Es bedurfte aber erst der empirisch gewonnenen Fülle der Einsichten in die Wirtschaftsgeschichte von der Vorgeschichte bis zur Zivilisation, bevor die historische Typologie in Gang kam und dafür war nochmals die Zeitlage maßgeblich. Der einseitige Liberalismus und Syndikalismus haben den Imperialismus herausgefordert, und nach dem ersten Weltkrieg kamen sozialistische und kommunistische Parteien zur Herrschaft. Wieder hat Max Weber den entscheidenden Schritt getan. Er erkannte jenseits von allen parteipolitischen Wertungen die Eigenart unseres Industriesystems als Folge eines rationalisierten religiösen Ethos und der daran anschließenden Rationalisierung der Verwaltung und Verfassung, Wissenschaft und Wirtschaft der Neuzeit. Er machte also den Wirtschaftsfaktor von allen anderen Kulturfaktoren abhängig, während Marx ihn zum maßgeblichen Unterbau unter den kulturellen Überbauten gemacht hatte. Das wäre allerdings in unserer Zeit mit dem Übergewicht der

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organisierten Wirtschaft paradox geblieben, wenn man nicht das Sonderphänomen dieser Industriegesellschaft durch den Vergleich mit den andern Kulturen, wo es nirgends zum Kapitalismus kam, hätte verifizieren können. Die Sonderstellung unserer Zivilisation unter den Kulturen eröffnet den Blick auf die Weltalter, sofern Familien- und Stammeswirtschaft, Stadtwirtschaft und Staatswirtschaft die ersten Weltalter einheitlich bestimmen. Erst die Entdeckung des freien Berufsgefüges im Gegensatz zum Gewaltengefüge durch die stadtbürgerliche Philosophie der Antike brachte das Verständnis der sachlichen Wirtschaftsgliederung . Heute steht die historische Typologie wieder wie die Antike vor der Aufgabe einer apriorischen, anthropologischen Formenlehre des Leistungswissens. Auch hier sind wie in der Politik die Verwirklichungswerte der Einheit und Freiheit, der Sicherheit und des Fortschritts, der Wohlfahrt und Gleichheit von besonderem Gewicht. Schon die Ausschließung des Primatsanspruchs einer Organisationsform, der zentralistischen Staatsplanwirtschaft oder freien Marktwirtschaft, des technokratischen Progressismus oder der egalitären Wohlfahrtsideologie könnte zu einer normativen Wirtschaftspolitik im Kulturganzen führen. Die Voraussetzung dafür ist, daß man der Wirtschaft ihre Stellung in der Rangordnung der Werte zuweisen kann. An sich genügt schon die klassische Sozialethik dafür, aber noch gründlicher kann es geschehen durch Schelers Entdeckung der ursprünglichen Wissensformen, des Heils- und Bildungswissens, des Rechts- und Leistungswissens, die ja erst die entsprechenden Berufe und Stände konstituieren und anthropologisch fundiert werden können. Dann wird auch die Entsprechung der Wertlehre mit der Werkordnung sichtbar, der sich die Rangordnung der Rechte anschließt. (5.) Die Differenzierung der Disziplinen der emotionalen Vernunft begann mit der Entdeckung der transzendentalen Poietik, die fast gleichzeitig Schlegel, Schelling und Görres gelang und für die Schleiermacher den Begriff der symbolisierenden Vernunft prägte, der den Bilderkreis des Gottes- und Menschenbildes, Welt- und Gemeinschaftsbildes entwerfenden Vernunft. Durch den engen Anschluß an Kants transzendentale Dialektik und die monistischen Konstruktionen des deutschen Idealismus blieb es zunächst bei einer bloßen Weltanschauungskritik ohne Untersuchung der typischen Gottes- und Menschenbilder. Die Abhängigkeit der bilderschaffenden Vernunft von der Zeitlage wurde in der Form entdeckt, daß man den Volksgeist als irrationales Kollektiv des naiven Kulturschaffens betrachtete. Auch Hegel versuchte von da aus, ein transzendentales Verständnis der Poesie und

Transzendentale Poietik

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Kunst in seiner Ästhetik und der Glaubenslehre in seiner Religionsphilosophie, faßte sie dann aber in seiner transzendentalen Politik zusammen. Der Empirismus der Kunstgeschichte und Philologie fand hier ein fast unermeßliches Forschungsfeld durch die Ausgrabung und Sammlung der Kunstwerke aller Zeiten und Zonen, und heute besitzen wir ein fast vollständiges „imaginäres Museum" mit den drei klassischen Handbüchern der Kunstwissenschaft, Literaturwissenschaft und Musikwissenschaft. Der Titel Kunstwissenschaft verspricht allerdings noch zuviel, weil hier eine Typologie nur erreichbar ist durch die Heranziehung der Geisteswissenschaft, die den Stil der Geisteswelten allein aus ihrer unsichtbaren Bilderwelt erschließen kann. Die Erforschung der formalen ästhetischen Werte genügt ja keineswegs zur Bestimmung der Zeitstile. Der museale Historismus des bürgerlichen und arbeiterlichen Zeitalters verhindert durch seinen Formalismus echte Stilbildung, ja volles Stilverständnis. Hier fehlt noch ein Max Weber, der zuerst die geistigen Horizonte der Künstler und noch mehr ihrer Auftraggeber erschließen müßte, es fehlt die klare Einsicht in die symbolisierende Vernunft, die Schöpfung der zeitbestimmenden, unsichtbaren Bilderwelt. Kunst ist Liturgie, Verherrlichung Gottes und des heroischen Menschen, Selbstanschauung der Zeiten in den Bildern des hohen Lebens. Eine ästhetische Wertlehre hat die formalen Werte in allen Kunstgattungen nur als akzessorisches Thema, als Lehre von den Ausdrucksmitteln, von der künstlerischen Zeichenwelt. Zuerst ist zu fragen, was ausgedrückt werden soll, und das ist die hohe menschliche Existenz nach ihrer Selbstanschauung im Bilderkreis des Unbedingten. (6.) Für die transzendentale Glaubenslehre fehlt der antike Name, weil mit der Philosophie die natürliche Theologie die politische und poetische ersetzt hatte. Schleiermachers geniale Schöpfung einer noologischen Glaubenslehre trägt zu Unrecht den Titel Dogmatik, weil Dogma in den Bereich der Zeichenwelt gehört, wie Noema und Sema. Man könnte für diese Disziplin der emotionalen Vernunft den Namen Doxastik gebrauchen, der zugleich auch die positive Religionsphilosophie seines nach hundert Jahren siegreichen Gegners Kierkegaard kennzeichnet. Während Schleieimacher die Gemeinde als Träger des Heilswissens zu erkennen glaubte, hat Kierkegaard dem Einzelnen in der Grenzsituation das Heilswissen zugesprochen, wonach für den nichtheroischen Menschen die Dogmata als Paradoxe erscheinen. Der Titel trifft zugleich auch die verhängnisvolle Popularisierung der Schleiermacherischen Glaubenslehre durch Feuerbach, der alle Reli-

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gionen zu fabulosen machen wollte, zu bloßen Mythen der menschlichen Selbstanschauung. Mit ihm können wir einen Schuldigen des Übergangs vom geistgesetzlichen Heilswissen zum totalen Historismus greifen, der sich alsbald zu einer riesigen empiristischen Religionsgeschichte auswuchs. Das fiel in die Zeit der antiklerikalen Parteiideologien und einer rein physiologischen Auffassung des Menschen ohne Geist und Herz. So erhielt die Religionskritik ihre Breitenwirkung, ja ein unbedingtes Ethos der Forschungsintensität. Die neue Ethnologie und Vorgeschichte führte zu den Anfängen der Religion und so glaubte man sie als primitive Mentalität entlarven zu können. Allein gerade in der Ur- und Frühkultur mit ihren einfachen Verhältnissen ist die vergleichende Typologie zuerst zu klaren Einsichten gekommen. Das Gottes-, Menschen- und Weltbild der Urfamilie erweist sich als reiner Gewissensglaube, der erst durch die komplizierteren der patriarchalischen, matriarchalischen und totemistischen Stämme in deutlichem Zusammenhang mit den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen getrübt wird. Für die Religionssoziologie der drei Hochkulturen Indiens, Chinas und des Judentums besitzen wir das Meisterwerk Max Webers. Das ist in mehrfacher Hinsicht wohl das wichtigste philosophische Ereignis des frühen 20. Jahrhunderts. Es hat die historische Typologie des Heilswissens in der konkreten Zeitlage und nach der Horizontweite der Geistigen zur höchsten Vollendung gebracht und die apriorische vorbereitet. So läge auch schon die Methode für die Dogmengeschichte der christlichen Welt bereit. Aber hier ist immer noch das religionskritische Werk Harnacks maßgebend, der die Dogmen auf die politische Geschichte relativiert, auf den Einfluß der antiken Philosophie zurückführt und die Eigenentwicklung des religiösen Lebens kaum sieht. In der apriorischen Typologie geht es vor allem um die Gestalt des Religionsstifters selbst, die über der Entwicklungsgeschichte der Religionen fast vergessen wurde, dann um die Heilandsfrömmigkeit und den Messianismus. Die Gestalt des Propheten, Eschatologen und Apokalyptikers muß mit der des Ethikers und Geschichtsphilosophen konfrontiert werden und die des Mystikers und Theologen mit der des Metaphysikers. Primäre und sekundäre Formen des Heilswissens müssen getrennt werden, die Offenbarung und Predigt von der Exegese, natürlichen Religion und Gnosis. Nicht zuletzt sind die Formen des heiligen Rechts und der Liturgie, des ewigen und göttlichen Gesetzes von den übrigen Rechtsformen abzuheben. Dann erst kann die Zeichenwelt des Heüswissens untersucht werden, die Dogmatik. Auch hier ist die Formulierung der Lehrsätze und der

Neue Synthesen

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Formalismus der Theologie zwar ein höchst erregendes Thema der Geistesgeschichte und Rechtsgeschichte, aber nur sekundär gegenüber der inhaltlichen Wertdogmatik, der Ordnung aller unbedingten Werte des Heils, ihrer persönlichen Verwirklichung in der Heiligkeit und der gemeinschaftlichen Verwirklichungswerte des Heilswissens, der Glaubenseinheit und Gewissensfreiheit, der Glaubenstreue und des theologischen Fortschritts. So bahnen sich überall Teilsynthesen in der Wissenschaftsentwicklung selber an. Die Eigenentwicklung aller Lebensmächte gehört dem bleibenden Berufsgefüge an und wird nur durch das stilbildende Herrschaftsgefüge alteriert. Die Neuzeit selbst ist das frappanteste Beispiel dafür. Sie ist durch die Abhebung von der Religionspolitik des ausgehenden Humanismus von Anfang an wesentlich staatspolitisch, aber bald ist die immanente Staatsdialektik ihren eigenen Weg gegangen. Er war so notwendig in sich, daß immer schon 30 Jahre vor den entscheidenden Ereignissen die politischen Philosophen die Wende vorweggenommen und die Ideologie der aufsteigenden politischen Gruppe vorbereitet haben. Nur so ist auch der unmittelbare ideologische Einfluß der Wirtschaftstheorie auf die Öffentlichkeit verständlich, der die Wirtschaft zur zweiten autoritären Macht im Gewaltengefüge der Neuzeit gemacht hat. Die Zivilisation überlagert die alten Kulturen und bringt dort dieselbe Parteienbildung hervor, wie einst im römischen Weltreich in den unterworfenen Völkern. Aber die Kolonialpolitik wird bereits durch die Weltmarktpolitik abgelöst. Anfänglich führten die liberalen Parteien des freien Weltmarkts und die des internationalen Sozialismus wohl zu einer Versteifung des wirtschaftlichen Nationalismus bis zum Imperialismus und den Weltkriegen, aber auch das ist schon durch die weitere Steigerung der Wirtschaftsintensität im Prinzip überholt. Inmitten dieses Gewaltengefüges der Neuzeit ist die Wissenschaß selber zuerst durch die Staats- und Wirtschaftswissenschaft zu unmittelbarem Einfluß auf die Öffentlichkeit gelangt, der allerdings durch die Ideologien in seinem ruhigen Fortgang gestört wurde. Aber paradoxerweise konnte auch diese Verflechtung in die Praxis die freie Eigenentwicklung der Wissenschaft nicht brechen, ja sie hat langsam die klare Trennung von Ideologie und Wissenschaft herbeigeführt. Damit wird die Erkenntnis des Anfangs der neuzeitlichen Wissenschaft zum wichtigsten Anliegen unserer Humanität, ja unserer Zukunft. Die Gründerheroen waren Mathematiker, nicht Ökonomen oder Techniker, weil sie unbedingte Sicherheit in den Religionskriegen suchten. Sie haben den dadurch entstandenen Dualismus der geistigen und

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Neuzeit

materiellen Welt in gewaltigen Systemen zu überbrücken versucht, bis die radikale Aufklärung die rein materialistische Kosmologie entwarf, die wieder die anthropologische und noologische Philosophie hervorrief. Kants tiefere Menschenlehre hat die weitere Differenzierung der Forschung bestimmt, die trotz der Zeiteinflüsse durch die Politik und Wirtschaft den Sachaufgaben der Sammlung, Vergleichung und neuen Theorie gefolgt ist und die unermeßlich reiche und breite Geisteswelt der letzten hundert Jahre geschaffen hat. Aber diese Geisteswelt ist nur vorhanden für einen kleinen Kreis der Intelligenz, der noch dazu durch die Spezialisierung nur je einen Ausschnitt daraus kennt. Für die Allerwenigsten ist die Bewältigung des Standes der Wissenschaft brennend, das Desiderat einer echten Bildung und Lehre und eines Studium universale für die geistige Elite. Neben den Forschern stehen die Vertreter des organisatorischen Verstandes, die Funktionäre der rationalisierten Verfassung, Verwaltung, Technik und Volks- und Weltwirtschaft, die eigentlichen Träger der Zivilisation. Wieder ein anderer Kreis sind die Funktionäre der politischen und ökonomischen Ideologien, durch die verschiedenen Weltanschauungen als Religionsersatz parteimäßig gespalten. Zuletzt kommt der Bildungskreis der nichtengagierten Intelligenz der Kunst und Literatur, der ästhetizistisch die emotionale Seite der Geisteswelt bestimmt. Das unbedingte Ethos der Zeit wird beansprucht für die veralteten Ideologien der Staats- und Wirtschaftsparteien, die die normative Berufsethik der höchst realen Notwendigkeiten der Massenorganisation und Massenproduktion nicht aufkommen lassen möchten. Inmitten dieser hohen Spannungen der Welt der Geistigen behauptet sich noch am besten das unbedingte Ethos der freien Forscher. Die subjektive Wahrhaftigkeit versteht sich von selbst, weil schließlich alle Resultate kontrolliert werden, aber sie reicht nicht aus für den Dienst an der erreichbaren Wahrheit, die immer mehr für die Kultur im ganzen bestimmend wird. Die Forderung, dem einzelnen Forschungsgebiet in unbedingter Treue zu dienen und so nur einen Ausschnitt der Geisteswelt zu kennen, sollte aber nicht zu einer Antinomie mit dem Dienst am ganzen Stand der Wissenschaft übersteigert werden. Helfen kann nur der kategorische Imperativ der Einigung aller Geistigen als der Höchstverantwortlichen für die Zukunft. Der mit der notwendigen Differenzierung der Forschung gegebene Vorrang der Forscher unter den Geistigen läßt die anderen Verwirklichungswerte des Geisteslebens, die Einheit der Lehre, die Verbreitung des Fortschritts in der Wahrheit und die persönliche geistige und künstlerische Bildung allzuweit zu-

Forscherethos

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rücktreten. Das Ethos der Wahrhaftigkeit der freien Forschung steht nicht im Gegensatz zur einen Wahrheit und die ungeplant sinnvolle Forschungsgliederung und die konvergierende Übereinstimmung ihrer Ergebnisse ist der schönste Beweis für die dauernde Wirksamkeit des natürlichen Berufsgefüges. Der sachbedingte Gang der Forschung führt wieder heran an die Einheit der Lehre. Die strenge Philosophie hat es mit ihrer apriorischen Methode leichter, ihre Einheit über ihren Disziplinen im Auge zu behalten, so fremd die Schulen der aposteriorischen Forschung einander gegenüberstehen mögen. Aber immer deutlicher wird die philosophische Anthropologie als Grundlage aller methodischen Synthesen sichtbar. Die Einheit des Menschen macht die Einheit der Welt verständlich, die Ordnung seines Wesensaufbaus die Ordnung der Wesen, der ordo rerum den ordo legum. So ist wieder eine Stunde der Metaphysik und Ethik, der reinen Vernunft gekommen. Die Gottesidee, die Menschen- und Weltidee kann wiedererkannt werden, weil wir die historische Vernunft in ihrer Abhängigkeit vom Gewaltengefüge der Zeiten durchschauen und die reine Ethik des Berufsgefüges durch die Rationalisierung des Gesellschaftslebens vorbereitet ist. Erst ihre Befolgung macht nach dem alten Wahrspruch das Reich der Wahrheit zugänglich.

III. MENSCHENWELT UND MENSCHENREICH 1. Menschengeist und Menschenwelt Die historische Vernunft ist die Menschenvernunft in der Zeit und ihr Reich sind die geschichtlichen Geisteswelten. Das Reich der überzeitlichen Vernunft ist das Reich der Wahrhheit, die naturgemäße Menschenwelt. Nur wenn es ein beständiges Menschenwesen gibt, gibt es für den Menschen eine beständige Wahrheit und nur der wesentliche Mensch sieht sie. Die Gotteswelt ist die ewige Wahrheit selbst, die Umwelten der Lebewesen sind die beständige Wirklichkeit ihrer Naturbetätigungen. Die Menschenwelt ist Nachschöpfung der Gotteswelt. Daß der Menschengeist nur nach seiner allgemeingültigen Organisation, nach der allen Menschen gemeinsamen Vernunft, dem koinos logos seine Welt, die Menschenwelt schauen kann, ist jene Einsicht Kants, auf der seine Kritik der reinen Vernunft ungewollt wesensgesetzlich und bewußt geistgesetzlich beruht. Sie ist das entscheidende Ereignis der neuzeitlichen Philosophie, das durch Schlegel auch zum Verständnis der geschichtlichen Geisteswelten und der typischen Weltbilder geführt hat. Jetzt haben Tierphysiologen und Tierpsychologen auch das Verständnis der organisationsbedingten, transzendentalen und transitiven Umwelt der Tiere erbracht, und so muß die beständige Menschenwelt zwischen die zeitlichen und typischen Weltbilder und die tierischen, artgemäßen Umwelten gestellt werden. Kant sah auch das Ideal des intellectus archetypus, der urbildlichen Vernunft als Ideal des Lehrers, er sah die dem absoluten Geist entsprechende Gotteswelt aus der geistgesetzlichen Schöpferkraft, die reine Vernunft als das Vermögen der Ideen hoch über dem Verstand, dem Vermögen der Begriffe. So ging seine Schule den Weg der begeisterten Konstruktion der Welt aus der menschlichen Geistgesetzlichkeit. Sie war nicht so nüchtern wie er, zu sehen, daß man nur Lehrer im Ideal sein könne, nicht der Natur in Wirklichkeit die Gesetze vorschreibe, daß der Mensch nur ein nachschöpferischer Geist sei. Kant hatte endlich die Organisationsbedingtheit des Verstandes im ganzen gesehen, die die Gegebenheiten des Sinnenscheins übersteigende Ordnungskraft der Begriffsbildung, die transzendentale Logik mitsamt den Aussageweisen des Verstandes und den Anschauungsformen der Sinn-

Der Begriff der Menschenwelt

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lichkeit. Er glaubte, nicht zur Seinsweise der Dinge an sich selbst, zu gestalthaften Wesen vordringen zu können. So sah er auch die Ordnungskräfte der Vernunft nur als regulative Geistgesetzlichkeit, die nur eine Gottes-, Menschen- und Weltidee hervorbringen könne, aber nicht zur wirklichen Einheit des Alls und seiner Glieder, zu den Urgründen vordringe. Damit schien die theoretische Vernunft ein für allemal in ihre Grenzen verwiesen, der Irrtum einer jeden konstruierenden Metaphysik, einer jeden Allgrundlehre aufgedeckt. Zu spät erst machte er den Versuch, zwar nicht eine vollständige Prinzipienlehre zu entwerfen und zu den Seinsweisen des Alls nach der Abwandlung der Schichten vorzustoßen, nur den einer ontologischen Kategorienlehre, auf der Hegels Logik und Naturphilosophie beruht. Friedrich Schlegel hat ihn sehr bald dahin ergänzt, daß die „Einheit der Welt" nach den Seinsschichten des Menschen gedacht wird, daß die verschiedenen Weltanschauungen durch die wechselnde sachliche Bestimmung der Welteinheit nach einem Bestandteil des Menschen sich aufklären lassen. Diese Weltanschauungskritik hat eine glorreiche Geschichte von 150 Jahren bis heute, die leider noch nicht einmal bis zu allen Philosophen vorgedrungen ist. Aber wie in unserem Jahrhundert die artbestimmte Seinsweise der Wesen an sich selbst ergänzt wurde durch eine artgemäße Umweltslehre, so muß auch der Menschenart ihre Menschenwelt zugewiesen werden. Es müssen die schichtbestimmten Seinsweisen im ganzen zu einer neuen realistischen Lehre von den verschiedenen Urgründen zusammengefaßt werden. Es ist schon viel gewonnen, wenn wir die je nach einem Bestandteil der Menschennatur konstruierten Welteinheiten durchschauen. Wir müssen nur noch dem Aufbau des Menschen den der Welt oder des Alls, der gesamten Wirklichkeit aller Schichten entgegenstellen, den Aufbau der Stoffeinheit, der Lebenseinheit und des Menschenreichs. Sind sie wirkliche Urgründe unter dem einen Allgrund Gott oder muß es bei bloßen Weltbildern bleiben, gibt es eine höhere Metaphysik der Urgründe über den bloßen Wesensgründen ? Wir sehen heute, daß neben der Absicht, die Freiheit der praktischen Vernunft zu retten, der sachliche Grund Kants zur Beschränkung der kritischen Verstandeslehre auf die Erscheinungsweisen des unzugänglichen Dings an sich im verfehlten Substanzbegriff liegt. Bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt gar nicht immer die erste Substanz, der Selbstand — die Atome eines Lebewesens können wechseln —, aber immer der Bestand, die zweite Substanz. Dieser Bestand ist die Wesenheit, die artgesetzliche Einheit der Vermögen und Erscheinungen, der Organisationsgrund oder die kleine Natur.

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Menschengeist und Menschenwelt

Naturen erkennen und benennen, Wesenserkenntnis, ist ein Hauptmerkmal des Menschen. Seine Welt ist eine Welt der Wesen um ihn, ja, es ist einsichtig zu machen, warum dies zu seiner Idee gehört. Seine Geistnatur entfaltet sich nach ihrer beständigen Geistgesetzlichkeit in der Erkenntnis anderer Naturen, der individuierten wie der personifizierten. Er sieht sichtbare Artgestalten und fragt nach ihrem Artgrund, er erschließt als Einheit der Organisation den Organisationsgrund, die verborgene Einheit der lebendigen Wesen, den Wesensgrund als Ursprung und Bestand der Vermögen und Wirkweisen. Die Erkenntnis des Wesensgrundes oder der Naturen ist das inhaltliche Orientierungsmittel des Menschen und nur dadurch findet er sich in seiner Welt unter den Dingen und Lebewesen zurecht, ja seine Welt besteht aus ihnen, so wie er sich durch seine Raum- und Zeitanschauung in der Welt der Bewegung der Wesen zurechtfindet. Dieses Wesensgrunddenken oder Naturen-setzen seines allgemeingültigen Verstandes ist schon Einübung im Vernunftgebrauch, im Suchen nach den Urgründen. Arché, principium, Urgrund ist das erste Urwort des Vernunftgebrauchs, der Anfang, die Wurzel, der Grund sind Symbole für die verborgene Einheit der Wesen, der Bereiche und der Welt. Das zweite Urwort aber ist eidos, species, Gestalt, die sichtbar gewordene Ordnung aus der verborgenen Einheit. Auf die Gestalt und ihren Grund zielt die Idee, die visio, die Gestaltanschauung. Die sichtbaren Gestillten sind im kleinen die Erscheinungen der Wesenheit, Erscheinungen des Ganzen in Entsprechung zur ganzmachenden, nur geistig anzuschauenden Gestaltungskraft. Die Organisation ist eins im Organismus, wenn man Organisation richtig als nomen actionis versteht, oder in der Natur, wobei sich leider das nomen rei actae, der „Geburt" eingebürgert hat anstelle des nomen actionis, der natio — so richtig Viktorin —, der Gebärung oder gleich des nomen agentis, der genitrix.

Es ist die Geburtsstunde der Philosophie im Osten wie im Westen, wenn die Frage nach einem Urgrund, einem Samen oder einer Wurzel jeder einzelnen Natur auf die Welt übertragen wird, auf das sichtbare Ganze der Wirklichkeit, auf das All. Dann erst treten jene vier Urworte in Kraft, die seither das ganze geistige Leben bestimmen. Kosmos Saeculum Welt

Nomos Lex Gesetz

Logos Verbum Wort

Theos Deus Gott

Kosmos heißt Weltordnung, sein Synonym ist Aion, die Lebenszeit, die für jede Natur das Symbol ihres Gesamtgeschicks ist. Saeculum von sa, ist die Saat, die Generation, die Zeugung, dann das Zeitalter, das Jahrhundert und schließlich die Welt. Unser „Welt" ist Übersetzung von saeculum, wer — eld, Mannesalter, Menschenalter, wie Ehe, ewe die Übersetzung von aion.

Grundbegriffe

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Der Zusammenhang, ja die gegenseitige Vertretung der Urworte wird von der Weltanschauungskritik aus verständlich. Die Weltgestalt ist das sichtbare Gesetz, das eine Urgesetz, das im Gestaltungsgrund, der Physis, der Natur ruht. Die Welt ist der ruhende Alleib, das Gesetz der tätige Allgrund. Der Logos kommt als unsichtbares Geistgesetz, als theios nomos, aus der Weltseele, wie das wesentliche Wort aus dem unerfaßlichen Grund des Seelenlebens kommt. Die vier Namen des Urgrunds bei Heraklit sind in ihrem Zusammenhang tiefer als die Wahl je eines Namens für den Urgrund und das Urgesetz und die entsprechenden einseitigen Weltbilder, die bald Stoff oder Leben, bald Seele oder Geist betonen. Die typische Wiederkehr dieser anthropomorphen Urgrunddeutungen in allen Kosmologien bezeugt, daß der Aufbau der Menschennatur nach seinen vier Schichten das Leitbild für diese Weltdeutungen abgibt. Werkgestaltung und Zeugungsordnung, Seelensetzlichkeit und Geistgesetzlichkeit werden nacheinander Urgesetz und damit werden auch die Urworte verständlich. Die menschliche Vernunft benennt mit ihnen das Gesamtsystem der sichtbaren und unsichtbaren Ordnung, wenn erst einmal der Gesetzesbegriff selbst in der sozialen Menschenwelt erfaßt ist. Denn Welt heißt ja als soziale Welt auch die Generation dieser Zeit, das Ganze der Menschheit nach ihrem Gemeinschaftsleben. Damit wird der Gang der Philosophie nach ihren drei Phasen klar, Nomologie, Kosmologie und Anthropologie. Dieser Gang aller Perioden ergibt sich aus dem Gesetzesdenken in der Gemeinschaftswelt, in der ganzen Welt für den Menschen und endlich über den Menschen selbst und seine ganze Welt. In der zeitbedingten Vernunft ist die reine Vernunft des Gesetzdenkens in der Zeitlage wirksam, die Zeitdeutung muß sich auf die allgemeine Ordnungsgesetzlichkeit der sozialen und äußeren Welt stützen, letztlich aber auf die Sinndeutung des Menschen selbst, nach charaktertypischen unmittelbaren Gewißheiten der sittlichen Freiheit, der Leidensüberwindung und der geistigen Anschauung seiner selbst. Die Philosophie ist Auslegung des ganzen Menschenlebens und der ganzen Menschenwelt. Sie ist die immer neue Entfaltung des vollen Vernunftgebrauchs, freilich je in der Zeitgebundenheit der Ausgangslage, aber immer nur nach den typischen Möglichkeiten der Urgrunderkenntnis. Vorher hat sich längst das Menschenreich als soziale Menschenwelt entfaltet. Aus dem Leistungswissen sind Berufsorganisationen entstanden und aus den andern ursprünglichen Wissensformen des Heilswissens, der Weltanschauung und des Rechtswissens Religion, Mythos und Staat. Die Lebensmächte spiegeln die Schichten der Menschennatur

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Menschengeist und Menschenwelt

in der Berufsgliederung, sind Entfaltung der tätigen Vernunft nach ihren wesentlichen Erstrebnissen und Bedürfnissen. Sie sind die sichtbare Entfaltung der artgemäßen Wirksamkeit des Menschen. Damit ist ihre Rangordnung gegeben. Und wenn die Philosophie als neue Lebensmacht zu Religion, Staat und Wirtschaft tritt, so wird das Gesetzdenken selber nach der vorliegenden Ordnungsgesetzlichkeit der Gemeinschaft zur vierten Lebensmacht. Aus dem Konflikt der Gemeinschaftsbilder ergeben sich die vorschnellen Weltbilder. Den verschiedenen Vorstellungen von der Gemeinschaftsgesetzlichkeit folgen die Vorstellungen von der Naturgesetzlichkeit und beide sind auf die Entfaltung der Menschennatur bezogen. Im Konflikt der Weltbilder wird der Mensch zurückgeworfen auf seine innere Welt. Er hat ja auch für sich allein alle seine Bedürfnisse zu erfüllen und der Rangordnung der äußeren Lebensmächte entspricht die Rangordnung der Tugenden Heiligkeit und Weisheit, Gerechtigkeit und Leistung. So werden Seelenteile oder Seelenvermögen als die Grundlage seiner artgemäßen Selbstentfaltung und Selbstbestimmung erkannt und die Selbstvollendung soll sich nun nach der Erfüllung seiner wesentlichen Aufgaben richten. Wenn das Menschenleben sinnvoll sein soll, muß es auch die gesamte soziale und äußere Wirklichkeit sein, die Teleologie, die Zielgesetzlichkeit der ganzen Wirklichkeit wird eine berechtigte Vermutung. Das ist der Schritt von der engeren Menschenwelt zurück zur allgemeinen Selbstvollendungsidee. Die naive Analogie der Weltbilder und Gemeinschaftsbilder genügt nicht mehr, sie muß zur Allerkenntnis erweitert werden. Das ist der klassische Weg des wesentlichen Menschengeists von Solon und Heraklit zu Sokrates, Piaton und Aristoteles. Die Möglichkeiten der reinen Vernunft sind trotz der Zeitgebundenheit des Denkens an die Polis ausgeschöpft. Der Anfang der Philosophie gehört der historischen Vernunft, ihr Ende der reinen Vernunft an. Dieses Ende ist Metaphysik in der griechischen und in allen anderen Philosophien. So ist zu fragen, wie sich die Metaphysik zur Menschenlehre verhält und ob ihre weiteren historischen Ausgestaltungen von der Ausgangslage der historischen Vernunft ablösbar sind und zu bleibenden Einsichten und Axiomen führen. Denkt man radikal, wurzelhaft vom nachschöpferischen Menschen aus, so werden die Begriffe und Ideen aller Bereiche der Gemeinschaft und des Alls als artgemäße Auswirkungen der Menschennatur verständlich, einschließlich der wirklichen Ordnungen der Lebensmächte und Seinsgründe, die durch die richtige, sachliche Erkenntnis getroffen werden. Das Wesenerkennen und Urgrunderkennen, Verstand und Vernunft sind zuletzt in der eigenstän-

Wesenslehre

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digen Person und in der allgemeinen Geistseele des Menschen verankert und außerdem in seiner Leiblichkeit. Die schon erörterten Fortschritte der historischen Metaphysik müssen also immer wieder zur Klärung der wahren und richtigen Grundbegriffe führen. Aristoteles hat die Wesenslehre nur analytisch gewonnen und ihren dritten Grundsatz, die Komposition der Individuation und Spezifikation, suvXov eiSog, ständig in seiner Logik und Substanzlehre angewendet. Er unterscheidet erste, zweite und dritte Substanz, was wir mit Selbstand, Bestand und Wesen oder mit Sondersein als Unterlage, Wesenheit als Bestand der Vermögen und Eigenschaften und konkretem Wesen wiedergeben. E r dachte biologisch, die Natur war für ihn der Organisationsgrund des Organismus, die sichtbare Artgestalt das Zeichen der erschlossenen Gestaltungseinheit, des Gestaltungsgrundes. Nach dieser Morphologie konnte er alle Wissenschaften begründen. Für seine Logik genügte die Unterscheidung zwischen Wesenseigenschaften und zufallenden Eigenschaften. Sie beruhte wie seine Metaphysik auf dem Axiom der Konnaturalität der Vermögen und danach sind seine Seinsweisen und Aussageweisen nach Vermögensweisen, Eigenschaftsweisen und Bezogenheiten einzuteilen. Arteigen sind Zufällig sind

Handeln — Leiden — Sich verhalten Vielsein — Gelagertsein — Sosein Bezogensein — Wo-Sein — Wann-Sein

Das alles bezog sich wesentlich auf den Verstandesgebrauch und seine Axiome. Wie er im Gefolge Piatons zur Vernunftidee des einen und einzigen Gottes vorstieß, gehört nicht in diesen Zusammenhang. Der „zweite Aristoteles" ist der Plotinübersetzer Marius Victorinus (bis 363), dessen weltgeschichtlichen Ruhm Proklos, der Diadoche geerntet hat, der die euklidischen, aristotelischen und viktorinischen Erkenntnisse axiomatisierte. Viktorin gab die abschließende hellenistisch-römische Metaphysik und war der Schöpfer der lateinischen Philosophensprache. In den arianischen Streitigkeiten deutete er das Homousios nach der Konsubstantialität von Sein, Leben und Geistsein, also trotz seiner Herkunft von Plotin, der die Hypostasen einander unterordnete, als Gleichordnung der göttlichen Personen. E r kam damit auch zur Wirkfolge von Täter, Können und Tun, substantia, virtus und operatio und traf so das Grundprinzip der Menschensprache, Subjekt und Prädikat als Verbum oder Adjektiv, das ja auch durch die copula „ist" mit dem Subjekt als Eigenschaftsweise oder Bezogenheit verbunden wird. Das Subjekt kann Pronomen, Eigenname oder Artname sein, weil es das konkrete Wesen, den Täter nach seinem Sondersein oder Artsein vertritt. Das Verbum als Tätigkeitswort vertritt das individuelle Wirken oder artgemäße Können. Natürlich sind wieder dauerndes Können und bleibende und leitende Eigenschaften von den begleitenden zu unterscheiden. Leider ist in der Neuzeit wegen des staatlichen Individualismus und quantitativen Atomismus der Begriff des Könnens und damit der Natur und der Naturvermögen verlorengegangen. Wir denken aktualistisch und unterscheiden nicht die artgemäße Potenz als dauernde Handlungsmöglichkeit von dem Akt. Aber die Sprache überführt uns! Die Grundstrukturen der Hauptworte und die entsprechenden Suffixe sind:

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Menschengeist und Menschenwelt nomen agentis — nomen actionis — nomen rei actae actor actio actus praetor pragma praxis

Entsprechend sind die Strukturen des Tätigkeitswortes activum, transitivum und passivum und die des Eigenschaftswortes intellectivum, intelligere, intelligibile und intellectum. Die Unterscheidung von Können und Handeln zielt auf den Bestand der Vermögen, weil der Täter nie für sich allein nur Individuum, sondern zugleich auch Art ist, immer ein konkretes Wesen. Die Handlungen gehören zum Täter als Individuum, als erster Substanz: actiones sunt suppositi. Das Können gehört zur zweiten Substanz, zum Bestand als Einheit der Vermögen: cognoscere e t agere sequitur naturam specificam, alles Können ist artgemäß. Die Elemente leuchten, die Lebewesen zeugen und der Mensch denkt nach seiner Art. Diese Anordnung der konnaturalen Tätigkeiten ergibt aber auch bereits die Stufenordnung der Bereiche.

Jetzt schon hätte sich der Satz der zweiten Substanz kantisch ausdrücken lassen: bei allem Wechsel der konkreten Individuen beharrt die Art-Einheit der Vermögen. So offenbart der Satz die entscheidende Paradoxie des Endlichen, daß jedes endliche Wesen individuell und universell zugleich ist. Nicht das Unendliche ist paradox, nur das Endliche, weil in ihm neben dem Selbstand der Bestand der Vermögen eine zweite Wirklichkeit ist, das Wesen in Sondersein und Sosein geschieden ist. Das ist die Paradoxie der Ganzheit, der Begründung des Gliedergefüges, des Organismus durch das Organisationsprinzip. Das Ganze ist nicht vor und nicht nach, sondern mit den Gliedern. Da wir nur nachschöpferisch die Ganzheit aus der Ordnung der Bestandteile verstehen, erfassen wir sie nur in docta ignorantia, in Einheitsvermutung ohne Einheitserkenntnis. Die Einheitsvermutung trägt aber alle unsere Wesenserkenntnisse, unsere Logik und Sprache. F ü r die Logik genügt es, daß ein Wesensmerkmal gegeben ist, weil ja durch die Ganzheit alle anderen auch da sind. Darauf beruht alle Klassifikation und Satzbildung. E s genügt das Leuchten der Elemente, u m ihren Gesamtbestand berechnen zu können. E s genügt die sichtbare Gestalt, ja das spezifische Lautgeben der Lebewesen, u m ihre Art zu bestimmen, weil das Gliedergefüge die Gliederfügung voraussetzt; es genügt ein Wort, u m den Menschen und seine Geistorganisation zu erkennen. Wir schließen von der sichtbaren Artgestalt auf den Gestaltungsgrund, wir müssen f ü r die Einheitlichkeit in vielen Individuen den Einheitsgrund erfragen. Viktorin h a t nach dem Ausgangspunkt seines Denkens, der Selbstbewußtseinstheorie, die aristotelische erste Substanz als bloße stoffliche Unterlage ersetzt durch den von ihm geprägten Begriff der Existenz als geistigen Selbstands, so wie er wohl auch den Begriff der Essenz in der Beschränkung auf die zweite Substanz geprägt h a t .

Aber es bedurfte erst der weiteren Entwicklung der altchristlichen Philosophie über die trinitarischen Streitigkeiten zu den christologi-

Person und Natur

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sehen, bevor auch hier die abschließende Metaphysik zu überzeitlichen Einsichten gelangte. Erst in der Christenheit konnte die doppelte Scheidung des Menschen nach Geist und Fleisch und nach Person und Natur eine lebenswichtige Frage werden, die das ewige Heil betraf. Jetzt ging es nicht mehr um die Unsterblichkeit der Seele, sondern um die persönliche Unsterblichkeit der Existenz, ja mit der Frage nach der Möglichkeit der Auferstehung des Fleisches tun die Frage ihrer letzten ontologischen Verwurzelung im ganzen Menschenreich. Der Streit um die Personeinheit einer göttlichen und menschlichen Natur im Gottmenschen sollte durch die Metaphysik der Personeinheit einer geistigen und leiblichen Natur im Menschen erläutert werden. Der vermeintliche Parallelismus der gottmenschlichen und geist- und leibseelischen Zweinaturenlehre führte weit über die Zeitfrage hinaus zu einer grundsätzlichen Lehre derWesenseinung in der Person, die über die Zusammensetzung der Lebewesen aus Stoff und Form nach Aristoteles hinausgreift. Man erkannte, daß jede Natur einen entsprechenden Selbstand haben müsse, die Geistnatur eine geistige, die Leibnatur eine sensitive und vegetative und die Elementnatur eine elementare. Es bleibt das Verdienst der monophysitischen Metaphysiker, daß sie die schichtgerechte Unterscheidung der Iniividuationsfirinzipien erkannt haben und die strenge Zuordnung des Selbstandes zur schichtentsprechenden Wesenheit. Aber die entscheidende Frage war ja die nach der persönlichen Existenz mehrerer Naturen verschiedener Schicht in einem konkreten Wesen und das führte über die Wesenslehre wieder zur Urgrundlehre. Wenn im Menschen Geistseele und Person, Sinnenseele und Elemente geeint sind, dann kann auch das All als ein Zusammenhang der Schichten des Menschenreichs, Tier- und Pflanzenreichs und des Stoffbereichs gedacht werden. Der Mensch ist dann genauso das Telos der Welt, wie die Person das Telos der gesamten Menschennatur oder der zwei Menschennaturen. Person wird nun definiert als Selbstand einer Geistnatur, naturae rationalis individua subsistentia sive existentia. Wenn die Sinnenseele eine eigene Individualität hätte, würde ihr Vorstellungsleben, das „Fleisch" einen eigenen Selbstand haben. Der Dualismus von Geist und Fleisch, ja der Trialismus von Geist, Fleisch und Stoff wäre unausweichlich. Nur die geprägte Materie bleibt ein tragbarer, weil nicht tragender, sondern nur anhängender zweiter Sonderseinsgrund. Der „dritte Aristoteles", Leontios von Byzanz, und sein Zeitgenosse Boethius sahen die Lösung und die Rettung der Einheit des Menschen in der Enhypostasie, der „Ver-selbständigung", nicht der Selbständigkeit der zweiten sinnlichen Natur im ersten persönlichen Selbstand, in der Personalunion der Naturen. Die höchste Individua-

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Menschengeist und Menschenwelt

tionsweise bestimmt die Selbständigkeit. Das ist das Axiom der Metaphysik des Leontios. Aber damit ist die Frage der vertikalen Wesenseinung der aus Leib und Seele zusammengesetzten Natur noch nicht gelöst. Wie verbinden sich Geistseele und Sinnenseele zu gemeinsamer Wirksamkeit ? Das ist ein Problem, das nicht nur in den Streitigkeiten um den einen Willen in Christus brennend war, sondern noch heute brennt. Wie spielen Ich, Überich und Es, Geistleben und Instinktleben zusammen? Erst die Ausdruckspsychologie hat uns Wege in dieses geheimnisvolle Zusammenspiel gezeigt, aber grundsätzlich ist es schon von den Metaphysikern der vierten abendländischen Geisteswelt „aristotelisch" erörtert worden, und zwar in einem Geisteskampf, der unserer Zeitlage genau entspricht, in der Auseinandersetzung zwischen einer spirituellen und einer vitalistischen Menschenauffassung im Kampf gegen die Averroisten, die mittelalterlichen Leugner der Geistseele. Das Axiom, das hier gefunden wurde, kann man fassen: die höchste Wesensformung bestimmt den Gesamtbestand. Das ist gänzlich unzeitgemäß! Wir sind seit langem daran gewöhnt worden, den Gesamtaufbau der Wirklichkeit von unten her entstanden zu denken, den Stoff sich zu Pflanze und Tier und schließlich zum Menschen erheben und fügen zu lassen und so fehlt uns gänzlich der Zugang zu den Fragen, um die es hier geht, die aber von größter Bedeutung vor allem für die Medizin sind. Das Paradox dieses Axioms scheint im Widerspruch zu stehen mit dem Axiom der Artgemäßheit allen Könnens: das eigentliche Leben des Menschen ist ein geistiges nach seiner allgemeingültigen Geistorganisation! Auch sein Vorstellungsleben ist zwar ein menschliches durch die Hereinnahme der Vergangenheit und Zukunft in die Gegenwart, aber hat es nicht auch eine schichtgerechte Selbständigkeit, verselbständigt es sich nicht geradezu zu einem unbewußten „Es", wirkt nicht auch in uns das „Fleisch" und das andere Gesetz in unseren Gliedern und hat nicht auch unsere Leiblichkeit trotz der arthaften Menschennatur ihre eigenen physikalischen und chemischen Gesetze ? Es ist nur eine falsche Vermutung der neuzeitlichen historischen Vernunft, aber nicht eine Beobachtung des klassifizierenden Verstandes, daß der Stoff von selber zum Merken aufsteigt und die Vorstellung zum Denken, daß Mineralien von selber Pflanzen und Tiere werden, und das Tier zum Menschen. Nur von oben kann man das Denken, das Vorstellen und Spüren erkennen, und auch dann nur in ihrer Erscheinungsgesetzlichkeit, nicht in ihrem Organisationsgrund, weil wir auch den eigenen nicht durchschauen. So kann die menschliche Geistigkeit wohl den menschlichen Charakter des Vorstellens und Strebens, des Spürens, Handelns und Zeugens und damit auch die Art des Stoffgefüges, des menschlichen Eiweißes, bestimmen, aber nicht die untergeordneten Wirkgründe oder

Grundsätze und Prinzipien

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Entelechien bis hinab zur Zelle verstehen. Die Wesungsform verleiht das arthafte Sosein den untergeordneten Hilfsentelechien nur dem Artcharakter nach, nicht als Seinssetzung.

Die oberste Form ist also die einzige artbildende Form des Gesamtbestandes, forma unica der Artbestimmung, aber es brauchen deswegen nicht die übrigen Formen des Gesamtbestandes geleugnet oder mit dem Eintritt der geistigen Form zerstört werden. Sie werden vermenschlicht, aber nicht durch die einzige Form ersetzt. Die hiermit vorgeschlagene Lösung der Paradoxie des vierten Axioms der Konformation liegt in der Mitte zwischen einem radikalen Durchgreifen der obersten Form bis zur Formgebung für die materia prima selbst, wie es Thomas lehrt, und der Erhaltung der unteren Formen unter der die Art und das Individuum bestimmenden letzten Form, forma ultima, bei Duns Scotus. Sie liegt in der Richtung auf die zwei letzten Axiome der Metaphysik, die Nikolaus von Cues als der „vierte Aristoteles" des Abendlandes gesehen hat. Thomas sah nur die vertikale Wesenseinung im Menschen, aber es muß auch die vertikale Schichtung der Individuationsprinzipien in ihrer Verbindung mit den Formen gesehen werden. So entdeckte der Cusaner die bereichsgemäße Wesensscheidung in Selbstand und Bestand und ihre schichtgemäße Einung, das fünfte Axiom der Metaphysik: die Wesensscheidung und Einung ist konregional, die Bereiche werden durch die Weise der Wesensscheidung und Einung bestimmt. Daß der Satz erkannt werden konnte, verlangte den geistesgeschichtlichen Weg von Thomas über Eckhart zum Cusaner. Eckhart hatte nach der thomasischen Analogie des unendlichen und endlichen Seins die ewige Kunst der geistigen Existenz, der unendlichen Schöpferkraft unablässig hymnisch gefeiert. Gott ist schaffende Schau ohne Gegenstand, Gott allein ist im Allkönnen seinssetzend, sein Wort ist das einzige wesensgleiche und zugleich das Urbild aller Wahrheit und Wirklichkeit. Daß der Mensch in seiner Geistexistenz erhöht werden kann zur geistlichen Gottesgeburt der ewigen Wahrheit, das ist das unvergängliche Reich der Wahrheit in uns. Der Schritt von dieser metaphyischen Mystik zur entsprechenden dialektischen Metaphysik konnte nur von einem kühlen und genialen Systematiker getan werden.

Der Cusaner hat die zwei Seiten des Axiomes bestimmt, seine Erkenntnisweise nach den Stufen der Vermögen und seinem Inhalt nach, der Bindung der Gegensätze in den Bereichen. Es folgen sich Sinneserkenntnis, Vorstellung, Verstand, Vernunft und docta ignorantia, die Einheitsvermutung ohne Urgrundeinsicht je nach dem elementaren, lebendigen, seelischen, geistigen und göttlichen Bereich. Der Coincidentia oppositorum von Einheit, Gleichheit und Verbundenheit

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Menschengeist und Menschenwelt

folgt die Complexio oppositorum von Einheit, Ähnlichkeit und Verbindung, Vielheit, Andersheit und Verbindung. Die Bedeutung des Axiomes beruht in einer apriorischen Bestimmung der Bereiche des Unendlichen, Geistigen, Seelischen, Lebendigen und Stofflichen. Damit ist eine Lehre von den unendlichen und den endlichen Urgründen nach der allen Arten der Bereiche gemeinsamen Einheit gewonnen. Wie der Satz der Konsistenz die Einheit der Vermögen in der Wesenheit lehrt, so lehrt der Satz der Konregionalität die Einheit der Arten in ihren Urgründen. Die Seinsweisen müssen schichtgerecht unterschieden werden, es genügt nicht eine allgemeine ontologische Ordnung der Kategorien. Die Abwandlung der Wesensverbindung nach den Bereichen führt zu deren Einheitsgesetz. Hier allein ist das apriorische Gegenstück zu der breiten aposteriorischen Erörterung der verschiedenen Seinsweisen in der Schichtenlehre des 20. Jahrhunderts zu finden. Mit der Verbindungsweise wandelt sich auch die Bedeutung der Zeit in den Bereichen nach Ewigkeit, anfangender Ewigkeit, Lebenszeit und Weltzeit. Wie beim Satz der Konformität ist der Mensch selber unvermeidlich der Ausgangspunkt der Lehre von der Kontinuität und Diskontinuität der Bereiche. Sein Selbstbewußtsein hebt ihn unverwechselbar ab vom Bereich des Erlebens und Weiterzeugens, sowie sich das Leben durch diese seine Hauptmerkmale vom elementaren Bereich des Sichgestaltens abhebt. Das Selbstbewußtsein ist beschränkt durch das menschengemäße Können, durch die Vernunft, die nicht reiner Geist ist und eine vernehmbare Welt braucht, ja sich in ihrem eigenen Gestaltungsgrund undurchsichtig bleibt, ihre für das ganze Geschlecht allgemeingültige Organisation nicht durchschaut. Nur daß sie nachschöpferisch sein kann, die Weltordnung sehen und geistig aufbauen und sich selber nach ihrem wahren Wesen als Charakter, aber nicht dieses Wesen selber bestimmen kann, eröffnet ihr den allmächtigen Geist und die unbedingte Freiheit, die sich selbst weltunabhängig zur unbeschränkten Vollkommenheit bestimmt, ihre eigene Natur, ihr ewiges Wort vollkommen ausspricht. Der Mensch ist das nachschöpferische Wort der Welt, er ist das Haupt der Welt, weil er sie nach-denken und aussprechen kann und zu seinem Dienst gestalten. E r braucht freilich die Konformität mit allen Regionen, um aus der eigenen höchsten Wesungsform und ihrer doppelten Einheit trotz der Geschiedenheit seiner Bestandteile die Konregionalität der anderen Wesenseinungen zu verstehen mitsamt der Vermutung ihrer Einheit. Der selbstbewußte endliche Geist weiß aus dem eigenen Seelenleben um das Erleben ohne Selbstbewußtsein, um das Leibleben des Weiterzeugens

Urgründe

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und um die Stofflichkeit der Stücke, die nicht zeugen können. Das Mineralreich, das Pflanzen- und Tierreich und das Menschenreich sind dem begreifenden Verstand nach der Übertragung seiner eigenen Stofflichkeit, Lebendigkeit und Geistigkeit verständlich, nach dem Organisationsgrund, den er in die Bereiche einträgt nach der sichtbaren Gestalt. Das ist die gestufte Welt seiner Sprache, seiner Namengebung und Begriffsbestimmung, aber die Welt seiner Vernunft ist die Vermutung des Einheitsgrundes dieser Bereiche als Ganzheit. Wir können keinen Organisationsgrund in die Welt der Sterne eintragen, es wurden nur lange geistige Beweger mit unveränderlichem Ätherstoff angenommen und darum die äußere Welt für ewig gehalten. Heute verstehen wir sie als zeitliche Bewegungseinheit. Wir müssen einen Zeugegrund, eine einzige Keimentfaltungskraft in den ganzen Bereich des Lebens eintragen und die Einheit der Arten aus einer großen Natur oder einer Weltseele, besser einer zeitlichen Lebensseele entsprungen denken. Mit dem Satz der Konregionalität der Wesenseinung sind wir hinausgeschritten über die Verewigung der endlichen Urgründe, weil die Vielheit der Arten zugleich mit ihrer Einheit gedacht werden muß, wie die Vielheit der Vermögen mit der Einheit des Bestandes und für beide die zeitliche Zusammensetzung. Weil der Mensch über ihnen steht und die Herrschaft seines Geistes die Konformität seiner Bestandteile bezeugt, vermuten wir auch die Kontinuität der Bereiche trotz ihrer sichtlichen Diskontinuität. So kann der sechste und letzte Grundsatz der Metaphysik lauten: die Seinsschichten sind in sich und übereinander kontinuierlich und diskontinuierlich zugleich, sie sind zielgerichtet auf den Menschen. Der geschichtliche Verlauf der Selbsterfassung der reinen Vernunft hat mit dem Cusaner sein Ziel erreicht. Sie ist auch in Schellings analoger, oft wiederholter Potenzenlehre nicht überboten worden. In einigen Stücken ist Schelling hinter ihr zurückgeblieben, besonders in der klaren Unterscheidung der schöpferischen und der nachschöpferischen Vernunft, in der klaren Erkenntnis der analogia entis increati et creati, der artunterschiedenen Gleichsinnigkeit des Schöpfergeistes und des geistigen Geschöpfes. Der Kern der cusanischen Einsicht ist, daß im Schöpfergeist das Können und Wirken koinzidieren, während im geistigen Geschöpf Wirken und Können nur konkretisiert sind, konkreiert sind. Er hat die aristotelische Lehre vom actus purus, von der göttlichen, nicht mit Vermöglichkeit vermischten, also ewig vollendeten Wirksamkeit und Wirklichkeit durch die Lehre von der potentia pura ergänzt, vom wesentlichen, reinen göttlichen Können, das auch immer schon Wirklichkeit ist, possest.

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Die Organisation des Geistes

2. Die Organisation des Geistes Auf dem heutigen Stand der Philosophie und Wissenschaft eine Kritik der artgemäßen, in jedem Menschen wirkenden Menschenvernunft zu untersuchen, ist sehr viel leichter als zur Zeit Kants. Alle vier Kapitel der Kritik der reinen Vernunft haben seither eine sehr weitgehende, spezialisierte Ausarbeitung erfahren. Das scheint die Sache zu erschweren, bringt sie aber in Wirklichkeit dem Abschluß nahe, sofern die meisten Lücken der Forschungsaufgabe bereits ausgefüllt sind. So muß man sich eher wundern, daß seit Eduard von Hartmanns Kategorienlehre, seit 1897, kein Versuch einer Synthese der Forschungsergebnisse gemacht wurde. Hartmann kam allerdings aus heute leicht einzusehenden Gründen nicht zu einem klaren Ergebnis, vor allem weil er selber noch naiv Weltanschauung trieb, die Weltanschauungskritik nicht wahrhaben wollte, oder anders gesagt, den Begriff der bilderschaffenden Vernunft noch nicht kannte.

Die Aufgabe ist von Kant völlig klar und richtig gestellt. Man muß nur seine vier Kapitel, transzendentale Ästhetik, vom Schematismus der produktiven Einbildungskraft, transzendentale Analytik und Dialektik, auf einen gemeinsamen Nenner bringen, um seinen Plan zu verstehen: die Organisationsgesetzlichkeit der Sinneserkenntnis und Vorstellung, des Verstandes und der Vernunft aufzuhellen. Weil er die diesen Erkenntnisvermögen entsprechende Lehre von ihren Ausdrucksmitteln, die Aisthematik, Phantasmatik, Noematik und Ideenlehre nicht neben der transzendentalen Ästhetik, Phantastik, Noetik und Eidetik ausgebildet hat, konnte er auch ihre Zulänglichkeit, die Sache selbst, das Ding an sich zu treffen, nicht feststellen. Wie weit das Sinne, Vorstellung und Verstand tun, war ihm nicht wichtig, und daß die Vernunft es nicht könne, war die vorgefaßte falsche Meinung des Ethikers, der nur der praktischen Vernunft vertraute. Die Theorie der Sinneserkenntnisse ist von der Physiologie übernommen worden. Die transzendentale Optik hat durch die Bestimmungsmöglichkeit der Farben nach Wellenlängen des Lichtes und durch Uexkülls Lehre vom „Nachspuren" der species sensibilis und ihrer Aufbewahrung in der „Melodie" der species sensa die richtige Wiedergabe der Erscheinungsgesetzlichkeit bewiesen. Friedmann hat die Haptik gefordert, nur die für die Physik, Mathematik und besonders auch für die Vorstellungsgesetzlichkeit entscheidend wichtige transzendentale Statik steht noch aus, ist aber leicht Uexkülls theoretischer Biologie zu entnehmen. Die Theorie der Vorstellung ist allerdings ohne Einordnung in den transzendentalen Schematismus durchgeführt worden von der Aus-

Theorie der Vermögen

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druckspsychologie. Es fehlt nur noch fast völlig die Erkenntnis ihrer Bedeutung für die Grundlagenforschung der Sprache als personifizierender Dramatik. Aber die Treffsicherheit der Vorstellung für die Deutung der Handlungen im Lebensraum ist gesichert. Die Theorie des Verstandes ist durch induktive Ontotogie, die Differenzierung der Kategorien nach den Seinsschichten sehr erweitert worden und die Noetik könnte durch Husserls Noematik wieder den Anschluß an die Metaphysik der Wesenheiten finden. Das Entscheidende ist hier, daß man seine dreifache eigentliche Leistung sieht, das Personifizieren, Naturifizieren und Konkretisieren, womit er die erste, zweite und dritte Substanz trifft. Die Theorie der Vernunft ist nach ihrem, entgegen der resignierenden Absicht Kants, konstruktionsfreudigen Mißbrauch im deutschen Idealismus abgesunken zur bloßen Weltanschauungskritik. Aber damit ist die wichtigste Leistimg des transzendentalen Idealismus unterschlagen, die reine Vernunft zu einer bloß bilderschaffenden Vernunft erniedrigt und die Noologie, die strenge Geistgesetzlichkeit vergessen. Nun zeigt aber die Typologie der Weltanschauungen, daß selbst die exzentrischen monistischen Weltbilder streng anthropologisch in allen Zeiten und Kulturen auftreten. Trotzdem wagt nach dem Historismus niemand zu fragen, ob die Ideen nicht doch die Urgründe treffen, die tatsächliche Einheit der Bereiche. Die Theorie der praktischen Vernunft ist gleichzeitig mit der Erneuerung der Logik durch die Wertlehre objektiv gefaßt worden, es fehlt ihr nur noch der Anschluß an die Metaphysik der Menschennatur. Die Theorie der poetischen Vernunft ist nach Kants doppelsinniger Bestimmung der Urteilskraft ohne Bezug auf den Transzendentalismus von der Philologie vertreten worden. Eine Typologie der bilderschaffenden Vernunft ist erst durch Santayana angebahnt. Die vier eben philosophisch geforderten SpezialWissenschaften sind schon durch ihren ursprünglich griechischen oder dem Griechischen nachgebildeten Namen als Teilwissenschaften der Lehre vom Menschen nach seinen Hauptvermögen ausgewiesen, Ästhetik, Phantastik, Noetik, Eidetik, oder Physiologie, Physiognomik und Noologie des Verstandes und der Vernunft. Ist die heutige Anthropologie schon so weit, daß sie diese Teildisziplinen wieder zur Einheit zusammenfassen kann ? Es scheint nicht, weil die Naturwissenschaft vom Menschen nur Physiologie, höchstens Physiognomik sein will, aber nicht Noologie und vor allem nicht deren Vermögensgrund, die Leibseele und Geistseele gelten lassen will.

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Die Organisation des Geistes

Die Bezeichnung des Menschen als Mängelwesen, weil er nicht eingepaßt sei in seine Umwelt mit automatischen Akten wie die Tiere, verrät ihre Herkunft aus der Zoologie. Er ist aber wirklich mit seinen automatischen physiologischen und instinktiven Akten so gut in seine Umwelt eingepaßt, daß er sich sogar allen Zonen anpassen kann — nur für ihn paßt dieses Wort —, und zwar durch seine freien höheren Akte des Verstandes und der bilderschaffenden Vernunft. Die eigentlich freien Akte sind überlegt, aber meistens handelt der Mensch frei nur nach den Überlegungen der anderen, also nach den Leitbildern der Gemeinschaft und ihrer bilderschaflenden Vernunft.

Da die Tierpsychologie mit der Umweltlehre den Anschluß an die reale Weltordnung gefunden hat, reicht die theoretische Biologie aus, um auch die zwei anderen Welten des Menschen nach demselben Grundsatz der Konnaturalität der Handlungen und Erlebnisse mit der arteigenen Organisation in ihrer Treffsicherheit festzustellen. Wir verstehen den Menschen wieder wie schon Sokrates aus seinem Lebensplan. Aber der Reichtum unserer Kenntnisse über seine dreifache Organisation und den äußeren Organismus verhindert fast den Blick auf seine Wesenseinheit und Personeinheit. Die stoffliche Assimilation der Lebensmedien der Umwelt ist nur möglich, wenn ein immaterielles Befinden das Zusammenspiel von Organismus und Umwelt regelt. Das erfordert eine doppelte, stoffliche und unstoffliche Zentralisation der Energiebilanz und des Lebensspiels als Vorstufe des Erlebens, die Innerung des Gesamtvollzugs. Thure v. Uexküll nennt in seinem Buch „Der Mensch in der Natur" schon dies Befinden der Zelle als Lebensautonom Stimmung. Wir möchten aber diesen Begriff für das eigentliche Erleben im Sensitivum reservieren. Die Zelle ist nicht, auch nicht als Einzeller, ein geschlossenes System wie ein Element. Sie steht in doppelter Abhängigkeit, stofflich von der Keimbahn und damit von dem gesamten Lebensstammbaum, immateriell von der Artseele, aus der ihre instinktive Erbmotorik und die Impulsfolge der Aufbauregeln ihrer Selbstverwirklichung, Selbst- und Arterhaltung stammt. So machen drei Einheiten das Drama des Lebens aus, die Funktionseinheit im gegenwärtigen Raum und der augenblicklichen Zeit, die Arteinheit in der Lebenszeit der ganzen Art und der Lebensvollzug im augenblicklichen Befinden. Der Zusammenklang von Merkzeugen, Werkzeugen und Lebzeugen, das ganze Organgefüge verrät das dreifache Ausgreifen des Lebens in seine artgemäße Umwelt. Das Merken des Brauchbaren und Werken des Dienlichen für sich und die Art ist Voraussetzung der Assimilation der Lebensmedien für den Selbstaufbau. Diese vegetatio charakteri-

Umweltlehre

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siert das ganze Leibleben, Sinneserkenntnis und Motoriuxn dienen ihm nur. Der Begriff der spezifischen Sinnesenergie, ja der aller Organenergien zieht den der spezifischen Umwelt nach sich. Cognoscere, agere, vivere sequuntur essentiam specificam, ja der alte Satz muß ergänzt werden: etiam cogniscibile et cognitum, agibile et actum, assimilabile et assimilatum. Auf diesem Sachverhalt ruhen die Grundkategorien der ganzen Logik und Sprache auf, Täter, tun und Tat, das nomen agentis, actionis et rei actae, das ganze System der personifizierenden Suffixe: actor, actio, actum, agens, activum, agere und agibile. Die Dramatik der Lebenseinheit ist die Grundlage der Dramatik des Denkens und der Sprache. Der Artbegriii bezieht sich auf die Einheit der Natur, auf den allgemeingültigen Organisationsgrund als immaterielle Einheit der Vermögen und Organe. Die Natur ist organisatrix, genitrix, Auszeugungseinheit. Im Leib als organisatum wird die Natureinheit sichtbar. Die parallele Organisation der äußeren und inneren Sinne, von Sinneserfassung und Gedächtnis, Vorstellungs- und Urteilskraft, von Handeln und Streben, von Leben und Begehren ist nötig für das Erleben im eigentlichen Sinn. Schon die Zentralisation des vegetativen Lebens ist nicht nur materielle Reflexverbindung, ist Verspüren des Spürbaren, Erfassen des Erscheinenden und Befinden nach der ganzen Bezugseinheit. Aber erst die Erlebniseinheit des Erfahrens, Erstrebens und Begehrens in der Stimmung ist auch für unser geistiges Erleben einigermaßen nachvollziehbare Apperzeption, Hernähme der erfahrbaren und vorstellbaren Welt zum Ich, Beziehung auf den Gemeinsinn. Wir benennen mit diesem seinem ersten und besten Namen jenen eigentlichen Gegenstand der Psychologie, das unbewußte Es, das heute so viele Namen hat. Jedes seiner Vermögen ist zum Hauptwort erhöht, Einbildungskraft, Trieb- und Drangphantasie, Urtrieb, Wille zum Leben, Wüle zur Macht und Geltung, libido oder Fleisch. Er wird als Dasein der Existenz gegenübergestellt und ist heute für die Tiefenpsychologie das eigentliche Kernstück des Menschen. Mit dem Gemeinsinn des Aristoteles und noch mit der inneren Sinnlichkeit Kants ist jene Einheit der unbewußten, unwillkürlichen und begehrlichen inneren immateriellen Organisation gemeint, die lange vor allem Begierlichkeit genannt wurde. Widerständig gegen den Geist verfestigt sie sich in den drei Lastern der avaritia, superbia und concupiscentia, in der cupido habendi, dominandi et fruendi. Die Steigerungsmöglichkeit des Untermenschlichen zu niederen Charakteren verrät gerade seine Abhängigkeit von der Geistorganisation des Menschen.

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Die Organisation des Geistes

Der Gemeinsinn ist das arthafte Gefüge der inneren Sinnesvermögen mit der animatio, der Belebungs-, Auszeugungs- und Beseelungskraft der äußeren Organe, die in ihm wiederum zum Erleben kommen. Er ist der Gegenstand der physiologischen Psychologie als die Aufbaukraft des Leibes von oben, die Auszeugekraft aller Sinnesorgane als seiner materiellen Werkzeuge. Seine Funktionseinheit ist der Parallelverlauf von Erfahrung und Vorstellung, Bewegung und Strebung, Empfindung und Begehren. Er erfaßt den Lebensbedarf und die Güter für den Selbstgenuß. Sein Bereich ist die Vorstellungswelt der lebensbedeutsamen Güter als Reize im Zusammenspiel mit der Stimmung. Gerade diese Spannungseinheit des Gemeinsinns und der Lebenswelt ist die unbewußte Apperzeption. Das ist jener „Schatten der Selbsterkenntnis", der das Individuum der Erscheinungswelt und Vorstellungswelt gegenüberstellt. Es ist sehr schwer für uns, sich diese Individualität des Tiers nach der leibgebundenen Umwelt allein ohne ein bewußtes Selbst zu verdeutlichen. Es ist kein für sich abgehobener Täter da, die Tierseele handelt allein als Artseele mit dem Leib nach ihrer Erbmotorik und Erbinnerung in einer reizüberfluteten Bilderwelt. So ist unsere Tiefenpsychologie negative Psychologie, wie unsere Theologie des unabhängigen Geistes negativ ist. Sie handelt vom nicht-selbstbewußten, nicht-willentlichen, nicht-erfühlenden Seelischen als reiner Natur an sich, nicht für sich. Genau das ist die Grenze unseres NaturbegriSs überhaupt. W i r können die reale Einheit der Vermögen und Organe im arthaften Urgrund erschließen, aber sie nicht durchschauen. Das gilt auch für unsere Selbsterkenntnis, für das Verstehen des Gemeinsinns und der Geistnatur. Sie sind gleichsam zwei Naturen und die altchristliche Philosophie nahm auch zwei Naturen im Menschen an wie im Gottmenschen, weil sie das Fleisch nicht als bloßen Charakter verstand, sondern hypostasierte, genauer naturiflzierte. Erst Albert und Thomas erkannten die Geistseele als forma unica, als einziges Spezifikationsprinzip des Menschen. Descartes verwarf den magischen, animistischen Naturbegriff der Renaissance völlig, und erst Kant nahm wieder eine allgemeingültige sinnliche Organisation an, aber ohne echte Substantialität. Heute soll die niedere Natur, das Dasein, das eigentliche Wesen des Menschen ausmachen im Gegensatz zur persönlichen Existenz.

Erst die genaue Unterscheidung der drei Einheiten jeder Lebensschicht, der Natur-, der Funktions- und Erlebniseinheit zwingt uns, auch für die Sinnesorganisation wieder einen Organisator, einen immateriellen Einheitsgrund anzunehmen. Der Gemeinsinn ist über sein eigenes Erleben hinaus die Zusammenfassung der Sinneserlebnisse und Auszeugegrund der Sinnesorganisation, ihre radix, wie ihn Thomas in seinem glänzenden Artikel über den Gemeinsinn nennt (S. th. I, 74.4). Er ist aber auch als Organisator im Sinn der heutigen Genetik keine zweite Natur, kein selbständiger Organisationsgrund. Daß die Geistseele das einzige

Der Gemeinsinn

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Spezifikationsprinzip des Menschen ist, hat uns erst die aller jüngste Verhaltensforschung klargemacht. Auch rein biologisch ist der Lebensplan des Menschen nur aus seiner Geistesorganisation zu verstehen, die auch die innersinnliche und leibliche bestimmt. Der Fuß zum aufrechten Stehen und zum Gehen, die Hand zu überreichen Handlungsmöglichkeiten und der Mund zum Reden sind nicht Zufallstreffer einer Mutation des Keimgefüges. Das Stehen wird nach Portmann im zweiten Embryonalmonat vorbereitet, für die Einübung der Erbmotorik des Stehens, dem das Gehen von selber folgt, ist in ganzes Jahr vorgesehen wie das folgende für das Redenlernen. Der Mensch ist gegenüber dem Tier nicht ein Mängelwesen, sondern überreich ausgestattet. Der ganze Lebensplan kann nur von oben und nicht von unten her gelesen werden, er ist auch von oben her ausgezeugt, wie die Tierorganisation das Vegetativum sich artgemäß angleicht.

So hängt das Menschenverständnis wieder wie schon immer in der Philosophie vom ganzen Lebensplan des Geistwesens ab. Nach dem Dreiklang der Organisation sind auch Denken, Wollen und Fühlen Merkzeug, Werkzeug und Lebzeug. Sie haben ihre spezifische Energie für die artgemäße Menschenwelt der Wesen, Werke und Werte. Die Gesetzlichkeit des Leibes und Gemeinsinns ist dienend für die Geistgesetzlichkeit und so macht nur die Noologie die Psychologie und Physiologie verständlich. Die Denkformen, Willensformen und Fühlensformen können nur deswegen nach ihrer Gesetzlichkeit untersucht werden, weil sie genauso gut strukturierte Vermögen sind wie die inneren und äußeren Sinnesorgane. Das Geistleben ist für sich ein Gefüge der Selbstgestaltung ohne Stoff, nicht unmittelbar Selbstaufbau seiner Organe nach der Zeugung im überlieferten Stoff der Keimbahn. Ihr dient der Gemeinsinn als viertes Vermögen der Geistseele. Als die Einheit der inneren immateriellen Sinnlichkeit enthält er ja auch das imaginierende Reproduktivum in sich, das erst das äußere stoffliche Reproduktorium auszeugt. Die Funktionseinheit der freien Selbstentfaltung auf Grund der bleibenden Geistorganisation zielt auf Selbst- und Welterkenntnis, Selbst- und Weltgestaltung, Selbst- und Weltbewertung und setzt erst die natürliche Menschenwelt. Die lebensbedeutsamen Vorstellungsbilder des tierischen Gemeinsinns sind nur Schatten der Erkenntnis, erst das bewußte Denken löst sich aus der reiz- und stimmungsbestimmten Phantasiewelt und stellt sich die reizunabhängige Welt der Wesen gegenüber. Das Ich steht als Mensch unter Menschen da in der Reihe der unbelebten, pflanzlichen und tierischen Wesen und damit in der Weltordnung des Verstandes. Welthaben, Wesenserkenntnis und Ichbewußtsein sind die unlösliche Funktionseinheit des Menschen. Ebenso untrennbar sind aber auch Wesenserkenntnis und freies Handeln in einer Werkwelt, deren überlieferte Ordnung der Werkzeuge und ihres Gebrauchs in der Lebensgemeinschaft der Mitmenschen erlernt

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Die Organisation des Geistes

werden muß mit der Benennung der Wesen und Werkzeuge. Über der Erbmotorik steht nun das Lernen als Eingliederung in die Lebensordnung der Gemeinschaft. Erst die gelernte Persönlichkeit bewertet die Vollendung ihrer Selbstgestaltung, sie erlebt sie als ihr eigenes höchstes Werk in der Selbstliebe und in der Liebe zum Nächsten. Das persönliche Selbsterleben ist die höchste Stufe der Zentralisation nach dem Erleben und Befinden. Es ist aber auch schon Voraussetzung der Funktionseinheit der geistigen Selbstentfaltung des Menschen in seiner Welt. Der erwachte Mensch ist selber immer mitgegenwärtig in allen seinen geistigen Akten, das ist das Geheimnis der transzendentalen Apperzeption. Man kann ihm nur metaphysisch nahe kommen, aber zunächst sei noch die Weltordnung, Werkordnung und Wertordnung des Verstandes betrachtet, die natürliche Menschenwelt noch ohne die Ideen. Das sebstbewußte Denken hat nur darum Wesenserkenntnis und eine Welt der Wesen, weil ihm an sich selbst und bei den Mitmenschen die allgemeine Geistnatur vorgegeben vor der Persönlichkeitsgestaltung gegenwärtig ist. Der Naturbegriff ist uns eingeboren: cogito, volo, amo, ergo sum homo. Weil der Naturbegriff unlöslich verbunden ist mit dem Existenzbegriff, dem Begriff des Selbsttäters, heißt es auch: cogito, ergo sum hic. Nur deswegen können wir Menschen, Tiere, Pflanzen und Steine, freie Mitmenschen, dienende Lebewesen und brauchbare Stoffe unterscheiden. Wesenserkenntnis treiben wir schon mit der Sprache, mit der Unterscheidung der Eigennamen und Gattungsnamen, mit der Trennimg der Schichten der persönlichen Geistseelen, der individuellen Tierseelen und der stückhaften Stoffe. Der Aufbau der Schichten ergibt die äußere Weltordnung, wir erfassen sie aber nur, weil sie in uns selbst in den Organisationsstufen gegenwärtig ist. Der Mensch ist das geeinte Bild der Welt, Mikrokosmos. Die Werkwelt des Menschen ist „der große Mensch" Piatons. Seine Werke und Werkzeuge sollen die Bedürfnisse aller seiner Schichten decken, aber dies kann nur in der Werkgemeinschaft aller Berufe, in der architektonischen Werkordnung geschehen. Das Handwerk ist die Basis, aber auf der Ökonomik, Politik und Paideutik ruht die Ethik auf. Wir reden von Leistungswissen, Rechtswissen und Bildungswissen, die das System der Bedürfnisse befriedigen. In der freien Werkwelt des Menschen zerlegt sich arbeitsteilig sein Lebensplan, ein sich immer mehrendes Reich der Künste und Wissenschaften steht dem instinktiven Lebensvollzug der Tierwelt gegenüber. Die Selbst- und Weltbewertung des Menschen folgt seinerWerkgerechtigkeit und Selbgestaltung. Heute sehen wir das Reich und die Rang-

Geistnatur und Persönlichkeit

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Ordnung der sittlichen Werte wieder phänomenologisch, aber wir müssen sie genauer noologisch, noematisch und usiologisch sehen. Die Weltordnung und Werkordnung nach dem menschlichen Wfesensaufbau sind die Grundlage der Wertordnung. Ethik als Selbstbewertung kommt erst nach der Werkleistung, die Sittenordnung liegt vor der Sittlichkeit, sie bleibt immer Sorge um Erfüllung oder Nichterfüllung der Pflichten. Zuletzt ist das Gewissen die tiefste Wissensform des Menschen, das Urteil über die eigene Vollkommenheit oder Unvollkommenheit. Blicken wir noch einmal auf das Modell der Organisationen zurück. Werkzeuge und Vermögen sind dem Geistvermögen unterstellt, nicht das Sehen erzeugt das Vorstellen und dies das Denken, sondern die Geistorganisation bestimmt Vorstellen und Auge sinngemäß nach sich. Die Zuordnung der realen Umwelt, der irrealen Vorstellung und des idealen Weltbildes zu den Vermögenstufen schließt den unmittelbaren Wirklichkeitskontakt ein, aber sie erweitert ihn zu einem vorgestellten Lebensbereich und schließlich unermeßlich zum Überblick über die ganze Wirklichkeit. Das Selbsterleben steht so hoch über dem Erleben und Befinden, daß es auch die körperliche Assimilation und die Lebensbezüge sich angleichen kann, daß es die ganze äußere Welt zum Reichtum der Persönlichkeit macht und eine zweite soziale Welt der Werke und Berufe aufbauen kann. Dann erst öffnet sich der Blick für die Herkunft der Ordnungen im Menschen und in der Welt. 3. Die Metaphysik der Vernunft Der Grundbegriff der Verstandesmetaphysik ist die Natur oder Art, Wesenheit oder Form. Wir stoßen von der sinnlichen Artgestalt zur geistigen Form als wesentlich bestehender Natur vor. Wir klassifizieren die Artgestalten und naturifizieren sie mit der Frage nach dem wesentlichen Bestand der Vermögen und Organe. Wir individuieren Lebewesen und personifizieren Mitmenschen nach der Schichthöhe des Individuationsprinzips und verbinden Individuum und Wesenheit im konkreten Wesen. Diese Grundakte des Verstandes beziehen sich in jedem Urteil und Satz auf das metaphysische Compositum der Individuation und Spezifikation, wenn es sich nicht um reine Existenzsätze handelt. Umgekehrt ist der Verstand und ist schon die Sprache das Zeugnis unserer persönlichen Geistnatur mit dem Leib, weil er in jedes Concretum unsere eigene Concretion analog nach den Schichten überträgt, personifiziert, individuiert und vereinzelt, weil er wieder nach den

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Die Metaphysik der Vernunft

Schichten Naturen setzt und Sondersein und Sosein je nach der Schicht verbindet. Dies läßt sich in den Grundsatz zusammenfassen: existentia recipitur secundum modum recipientis essentiae, essentia determinat existentiam. Das Sondersein wird nach der Weise des Soseins aufgenommen, die Wesenheit bestimmt auch die Existenzart. Unsere Naturerfassung folgt dem Bild des Gemeinsinns als Wurzel der Vermögen und Organe, dem Bild der unwillkürlich-unbewußten Auszeugung der Vermögen, Organe, Wirkweisen, Eigenschaften. Darum ist bei den Indern „Wurzel" zum Substanzbegriff geworden, bei uns Arch6 und principium, Anfang und Urgrund. Aber wir reden auch von der Konstitution, dem Bestand des Gefüges der Vermögen und Organe. Die Ordnung der Arten ist unser Orientierungsmittel in der Welt der Dinge und des Lebens. Die theoretische Biologie hat die Entelechie, den dauernden Besitz des Lebensplanes zum Mittelpunkt ihrer Gestaltforschung gemacht und ist damit, ohne das Wort zu gebrauchen, wieder zum klassischen Gebrauch von Physis als Artnatur zurückgekehrt. Die Schwierigkeit, den Naturbegriff zu verstehen liegt darin, daß die Geistseele, die Einheit des Denkens, Wollens und Fühlens, auch als Wurzel des Gemeinsinns betrachtet werden muß, wie dieser selbst die Wurzel des leiblichen Organgefüges ist. Unser neuzeitliches Denken in Seinsschichten wehrt sich dagegen, weil es den Geist für sich als stofffreies Wesen denken möchte und ihm keine Leibgestaltung mehr zutraut. Seit Descartes ist dies ein fast unüberwindliches Vorurteil geworden. Er wollte ja bewußt den animistischen Naturbegriff der Renaissance beseitigen. Aber darum mußte man dann zwei Jahrhunderte lang die res cogitans und res extensa mit allen möglichen Hilfshypothesen wieder miteinander in Verbindung bringen. Der griechische Geist entdeckte zuerst den großen Naturbegriff für das All. Heraklit stellte die Weltseele und den Weltleib einander gegenüber und sah in der Entfaltung des Weltleibes aus der Weltseele und seiner Zurücknahme in sie die ewige Wiederkehr des Gleichen. Sokrates sah die Stufenordnung der einzelnen Artnaturen, ihren sinnvollen Aufbau bis hinauf zum Menschen, der diesen Aufbau dann nochmals in sich selber wiederholt. Hier war umgekehrt wie bei Descartes die Schwierigkeit, neben der Seele die Person als individuellen Täter zu denken. Die Geistseele war das allein wichtige, Piaton hat sie für ewig erklärt und Aristoteles nach ihr alle lebendigen Formen. Die altchristliche Philosophie hat zwei Jahrhunderte lang um den Personbegriff mit einer anfangenden unsterblichen Geistseele, ja oft

Spezifikation und Individuation

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auch mit einer zweiten Leibnatur als Träger der fleischlichen Gesinnung gerungen. Es bedurfte nochmals eines hundertjährigen Kampfes mit der naturalistischen Erneuerung der Lehre von den ewigen Leibseelen, bis Thomas die Geistseele als subsistente forma unica des Menschen definierte und mit einer methodischen Erörterung des Gemeinsinns ergänzte. Er bewies den Grundsatz der schichtgerechten Rezeption der Existenz nach der Weise der rezipierenden Essenz durch die Konnaturalität der Akte des Kompositums. Nur wenn eine Natur im entsprechenden Täter individuiert ist, kann sie naturgerecht handeln. Die oberste Form bestimmt als einzige die ganze Art, sie verwirklicht das Konkretum von Person, Geistseele und Leib. Die Schwierigkeit dieser Einheitslehre beruht in der geforderten Doppelleistung der Geistseele nach dem Geistvermögen und nach der animatio. Duns Scotus hat sie erkannt und durch eine Mehrheit unselbständiger Formen unter der obersten Form korrigiert. Die heutige theoretische Biologie und Genetik nimmt eher zuviel als zuwenig Organisatoren an, aber auch wir sehen den Artlogos als oberstes Organisationsprinzip und Grund der Einheit des ganzen Lebensplans. Die Geistseele ist Geist durch ihre Offenheit für die Welt und die Überwelt, sie ist Seele durch ihre animatio, die Auszeugekraft des Reproduktivum. Augustin mag seinen ihm von Eckhart zugeschriebenen Satz: anima plus est ubi amat, quam ubi animat eher geistlich als ontologisch gedacht haben, aber er erfaßt genau Sinn und Wesen der Geistseele. Nur wenn der allgemeine Naturbegriff aller Lebewesen, ihre Auszeugekraft, auch der persönlichen Geistorganisation neben ihren geistigen Vermögen zugeschrieben wird, wird die Wechselwirkung der Organisationen verständlich. Die Aporien, die scheinbar ausweglosen Schwierigkeiten des zweitausend] ährigen Streitgesprächs um die Einheit des Menschen können als Ringen zwischen Aristoteles und Piaton verstanden werden. Aber es ist besser, sie als Konflikt der Verstandesmetaphysik und Vernunftmetaphysik grundsätzlich zu erörtern. Das Streitgespräch muß auch in der gegenwärtigen Stunde wiederholt werden. Piaton sah die Offenheit des Geistes für die Überwelt, seine Fähigkeit für die Ideen der Seinsheit, Wahrheit, Gutheit und ihre Einheit. Er machte die Seele zum Geist und mußte ihre Leibverbindung aus einer Wahl oder Schuld im Vorleben erklären. Der junge Aristoteles hat den Dualismus zwischen Geistseele und Leib noch übersteigert, den Leib als lebenden Leichnam bezeichnet, aber schließlich faßte er die Geistseele nur mehr als Formgrund des belebbaren Leibes und stellte den Ideen und Urgründen nurmehr die Verstandesmetaphysik des enhylon eidos, der stoffversenkten

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Die Metapysik der Vernunft

Form gegenüber. E r wurde damit der Begründer aller abendländischen Wissenschaften, aber die Einheit des Menschen blieb fraglich. Die christliche Philosophie beruht auf der paulinischen Menschenlehre, daß ursprünglich auch der Leib zur Unsterblichkeit bestimmt war, erst durch den Tod der Sterblichkeit unterworfen wurde, aber mit der Auferstehung seine Verklärung erhoffen kann. Nun hängt das ganze Geschick des Menschen an der persönlichen Verantwortung für das ewige Leben. Es muß in hartem Ringen der Begriff der Person gewonnen werden, die als individualis subsistentia mit der Geistnatur verbunden ist. Der Kampf zwischen Geist und Fleisch legt eine selbständige zweite Natur, eine Leibnatur neben der Geistseele nahe, und auch sie wird enhypostatisch betrachtet, in die Einheit der Person verlegt. Aber damit ist der Stufenbau der Organisation verfehlt. Thomas hat die Vereinigung von Person und Natur als unmittelbare Schöpfung Gottes im Augenblick der Zeugung zum eigentlichen Wesen des Menschen gemacht. Er hat der Geistseele die Kraft der animatio gelassen, ja ihre Wirkung bis auf den Urstoff erstreckt. Die Angst Augustins, daß mit der unmittelbaren Schöpfung einer jeden persönlichen Geistseele die Erbsünde nicht mehr ontologisch erklärt werden könne, war überwunden, ja auch die Sorge der Augustinisten, daß ohne eine ätherische Leiblichkeit auch noch der Geister kein Unterschied mehr gegen Gott bestünde. Die tiefste Spaltung des endlichen Geistes gegenüber dem Einzig-Einen, die von Person und Natur, von Existenz und Essenz, sichert ohne die hybride Konstruktion eines Astralleibes den Unterschied zwischen Gott und Mensch. Thomas hat sicher hierbei die Leistung der Geistseele überfordert, auch noch die materia prima zu informieren, aber Duns Scotus hat die Möglichkeit gezeigt, durch einen gemäßigten Hylomorphismus dem Schichtaufbau des Menschen eher gerecht zu werden. Nun erst war der Weg für Eckhart frei, der nachschöpferischen Person, dem Haupt der Seele, dieser ewigen Idee eines jeden Menschen in Gott wieder den ganzen Reichtum der Vernunft als Vermögen der Ideen und Prinzipien zuzusprechen. Er sah die unbewußte Schöpferkraft der Person mit der Geistseele, die als Ebenbild des eingeborenen Worts des Vaters ihr Selbstbildnis und ihr Weltbild schafft. Ihm ging es wie Piaton um das Leben im Ewigen, jetzt aber um das persönliche in der seligmachenden Schau des persönlichen unendlichen Schöpfergeists. Der nüchterne Metaphysiker Nikolaus von Cues konnte Eckharts Prinzipienlehre aus dem Selbstbewußtsein verdeutlichen, sofern darin die Einheit des Selbst mit der Gleichheit der Natur verbunden ist.

Die nachschöpferische Person

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Das Zusammenspiel von Einssein in der nachschöpferischen Existenz und von Gleichsein mit dem ewigen Wesenswort und ihre Verbundenheit ist nun die Koinzidenz der obersten Prinzipien, die sich analog in allen Schichten wiederholt. Es ist schon gezeigt, wie er hieraus die drei Prinzipien der Vernunft gewonnen hat, die erst Schelling in seiner Potenzenlehre wieder aufgenommen, aber nicht so glücklich durchgeführt hat. Das Menschenbild des Humanismus bedeutet einen schweren Einbruch der historischen Vernunft in die Vernunftmetaphysik vom Menschen. In der neuen Situation des Stadtstaates wird nach den naturgegebenen Begabungen für die notwendige Berufsordnung gefragt. In dieser engen Gemeinschaft muß die notwendige Fülle der Anlagen für alle Aufgaben der Stadt gesichert sein und so nimmt man die Zuflucht zur Astrologie. Die Sternkonstellationen sollen die leibliche Konstitution bestimmen. Die Persönlichkeit ist damit zur naturalistischen Individualität herabgedrückt. Nur aus dem Kampf gegen diesen Animismus ist die radikale Verwerfung der Leibseele durch Descartes und damit der schroffste Dualismus von Geist und Körper zu erklären. Der persönliche Geist ist durch die unmittelbare Daseinserfahrung gesichert. Unverbunden steht daneben die res extensa und unzulängliche Gottesidee, vor allem aber gibt es keine apriorische Weltidee mehr. Es muß der Versuch gemacht werden, einen rechnerisch zu bestimmenden Weltbegriff lediglich aus der Bewegung des toten Stoffs zu gewinnen. Der vergebliche Versuch, Geist und Körper doch noch aufeinander wirken zu lassen oder anderweitig ihr Zusammenspiel zu erklären, mußte schließlich das Weltbild des toten Weltgebäudes, die materialistische Kosmologie, herausfordern. Die Antwort Kants hierauf erfolgte fast ohne Kenntnis der reichen Problematik der mittelalterlichen Menschenlehre. In der heroischen Verteidigung der sittlichen Freiheit gegen den kosmologischen Determinismus fand er jenes transzendentale apriori der Geistgesetzlichkeit, das den Determinismus als bloßes Weltbild erweisen sollte. Das rein subjektive apriori der Begriffe und Ideen als bloßer Formgebung forderte die allgemeingültige Organisation des Geistes und der Sinnlichkeit. Damit war aber wieder gegen die Absicht Kants die Konstanz der Geistseele als metaphysischer Grund der geistigen Organisation gefordert, das Noumenon zu den Phaenomena hinzu. Er schrieb die überlieferte psychologia rationalis, die metaphysische Seelenlehre in eine transzendentale um und wollte aus dem Begriff des Ich allein ihre Topik ableiten. Obwohl seit Descartes und Robert Boyle

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Die Metaphysik der Vernunft

die Möglichkeit einer Seele geleugnet war, mußte er dennoch sagen: „ich als denkend bin ein Gegenstand des innern Sinns und heiße Seele". Diese Seele, mit der nicht eine allgemeingültige Geistnatur, sondern nur das intelligible Ich gemeint ist, soll Substanz, qualitativ einfach, unveränderlich identisch in der Zeit sein und zu möglichen Gegenständen im Raum in Verhältnis stehen. Aus diesen vier Formelementen soll lediglich durch Zusammensetzung bewiesen werden: diese Substanz als Gegenstand des innern Sinns hat Immaterialität, die Einfachheit ist Inkorruptibilität, die Identität der intellektuellen Substanz ist Personalität, diese drei zusammen sind Spiritualität, das Prinzip des Lebens im Raum ist Animalität und diese eingeschränkt durch die Spiritualität ergibt die Immortalität. Wenn diese Konstruktion das einzige Verfahren, die Einheit des Menschen zu gewinnen wäre, hätten wir es freilich mit mehreren Fehlschlüssen zu tun. Aber der Grundfehler liegt darin, daß Kant nur den Begriff der ersten Substanz kennt, nicht den der zweiten und nicht das Konkretum, nicht die volle Verstandesmetaphysik. Es ist dringend nötig, diesen vom Neukantianismus und den Philosophiehistorikern sehr im Gegensatz gegen die ausführliche Behandlung der Kritik der Gottes- und Weltidee vernachlässigten Sachverhalt gründlich aufzuklären. Es geht um die Rettung der genialen Entdekkung Kants, die der Noologie als Grundlage der ganzen nachkantischen Entwicklung der Philosophie und Wissenschaft. Letztlich beruht die Abweisung einer theoretischen Menschenidee auf der ethischen Forderung Kants, das intelligible Ich, die Geistigkeit, Freiheit, Würde und Unsterblichkeit des Menschen auch ohne Metaphysik zu sichern, allein aus dem kategorischen Imperativ und der unbedingten Achtung vor dem Gesetz, weil eine 'metaphysische Gewißheit in dieser entscheidenden Frage das Verdienst des freien Willens schwäche. Seine ganze Lehre beruht auf der merkwürdigen These, daß wir keine Anschauung vom Menschengeist hätten, keine Erfahrung vom fremden Seelenleben. Jedes Menschenantlitz und jedes Menschenwort beweist die ganze Geistnatur des Menschen! Es braucht ja nur ein einziges Wesensmerkmal gegeben zu sein, um die Gewißheit vom ganzen Menschen zu geben nach dem Grundsatz der zweiten Substanz: wenn ein Wesensmerkmal gegeben ist, sind alle anderen auch da. Die Menschennatur ist uns genauso wie jedes andere Wesen zuerst in der äußeren Anschauung des Nächsten und in der eigenen inneren Anschauung gegeben. Sie wird intelligibel, wenn das Miteinander der Vermögen nach dem Lebensplan als Urgrund verstanden ist. Die zeitliche Identität des Selbsterlebens bezeugt nur akzidentell die Person-

Die Menschennatur

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lichkeit, aber die geformten Akte bezeugen substantiell die gleichbleibende Natur der Art. Die immaterielle Geistseele ist nicht Gegenstand des innern Sinns, sondern nach der gegenseitigen Abhängigkeit der geistigen Akte und Vermögen Gegenstand des Verstandes und Selbstbewußtseins. Wie jedes Wesen wird auch der Mensch in der Anschauung, Vorstellung und im Verstand zuerst individuell erfahren. Aber hier ist das Selbstsein, die intelligible Existenz, zugleich mit der verborgenen Partnerin, der Menschennatur selbstbewußte Person und allgemeine Natur in Geschiedenheit und Einung. Die Einfachheit des Konkretums beweist nicht ohne weiteres die Inkorruptibilität, denn sie ist ja auch verbunden mit der Animalität, der animatio des Leibes. Nur mit dieser selbstbewußten Einheit des ganzen Menschen als Selbst und Geistseele, Gemeinsinn und Leib, sind die wahren vier Formelemente seiner Selbsterfassung gegeben. Damit taucht sofort der alte Universalienstreit auf, ob man die Allgemeinbegriffe zugrundeliegender Sachverhalte nur nominalistisch als Namengebung, oder mit Kant nur noologisch als Formgebung, mit Husserls noematisch als Wesensschau oder mit der ganzen Verstandesmetaphysik als Noumena, als reale Einheiten der Merkmale auffassen muß. Tiefer gesehen ist der Universalienstreit nur eine Wiederholung des Streits um die Einheit des Menschen. Die Antike hat dank ihres Physisbegriffs und dank der genialen Morphologie des Aristoteles die Frage gar nicht erst erhoben, sie hat hyperrealistisch ewige Formen angenommen. Das ganze Mittelalter und die zweite Scholastik von Suarez bis Wolf hat mit schulmäßigem Scharfsinn die Frage von der Gegenstandsbetrachtung aus statt nach der Organisation der Erkenntnis erörtert, nur Thomas und Scotus haben eine exakte noologische und ontologische Lösung zugleich erreicht. Die Neuzeit hat die Frage seit dem Kampf gegen den humanistischen Animismus nicht mehr sehen wollen. Seit Bacon und Boyle gilt sie durch die chemischen Verbindungen der Atome für gelöst. So hat sie auch Kant, der durch seine Entdeckung der allgemeingültigen Organisation des Geistes auf den Naturbegriff hätte stoßen müssen, gerade an der entscheidenden Stelle, beim Aufbau des Menschenbegriffs gar nicht gesehen. Die Noologie der Vermögen der Geistorganisation fordert den Schluß auf eine zweite Substanz, nicht bloß auf die geistige Existenz. Das Noema folgt nur der realen Erfahrung des konkreten Mitmenschen. Das intelligible Ich ist wirkendes Selbst mit der einheitlichen Geistorganisation in der ganzen Art. Es handelt sich nicht um ein Bewußtsein überhaupt, um einen objektiven übermenschlichen Geist, um ein Umgreifendes, sondern um den das Selbst beglei-

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Die Metaphysik der Vernunft

tenden realen Auszeugegrund der Geistvermögen und der animatio, der Anbildung des Leibes. Das Selbst setzt nicht seine Geistorganisation, es gestaltet nur mit ihr die Persönlichkeit. Es sieht nicht intuitiv die Naturgesetzlichkeit, es erschließt aus der Geisttätigkeit und Geistgesetzlichkeit im konkreten Menschen den einheitlichen Ganzheitsgrund. Nur so gibt es ja ein Sinnverständnis der Lebewesen nach ihrem Lebensplan und ist Klassifikation möglich. Sokrates sah zugleich mit der Pflicht der Selbstvollendung den Sinn des Menschenwesens wie aller Lebewesen und schloß physiko-teleologisch auf den Ordner und Walter der Weltordnung. Noch jüngst hat Nikolai Hartmann erklärt, daß mit der realen Teleologie auch schon die natürliche Theologie gegeben sei! Sinngesetzlichkeit kann fälschlich in die Naturen hineingelesen werden für unsere Zwecke, es muß aber richtig unsere Stellung am Ende der Wesensreihe abgelesen werden von der spezifischen Selbstvollendung der Wesen. Die metaphysische Unterscheidimg und Einimg von Person und Natur zugleich ist der Ursprung der Vernunft. Sie ist als symbolisierendes Vermögen der Einheitsstiftimg längst am Werke mit den Gottes-, Menschen- und Weltbildern, bevor sie sich zur theoretischen Erfassung der Welteinheit aufschwingt. Eins der vier äußeren Elemente wird dabei zum einen Grundstoff. Der den Kreislauf der Elemente regulierende Weltgeist oder die Weltseele, die Natur oder die Bewegung wird zum einen Grundgesetz. Auch hier sind die vier Organisationsstufen der Menschennatur das Leitmotiv eines latenten Anthropomorphismus. Nachdem Protagoras den Menschen als Maß der Dinge, eben nur dieser Bilder des Weltverlaufs geschaut hat, wirddurch die ethisch verstandene Weltordnung der Ordnungsstifter, Gesetzgeber und Richter zum Maß der Dinge, zuletzt des Menschen, seiner Freiheit, seiner unsterblichen Geistseele und sein höchstes Gut. Die Schau der Einheit, Gutheit und Wahrheit beweist dann auch die ewige Einheit des Menschen durch seine ewige Seele. Zuletzt wurde noch in der Antike das Selbstbewußtsein Ebenbild des konsubstantialen Selbstseins, Lebens- und Geistseins, aber es bedurfte doch erst der christlichen Scheidung von Person und Natur, Existenz und Essenz, bis die theoretische Vernunft klar die analoge Einheit des unendlichen Geistseins und des endlichen Selbstseins und Greistiebens erkannte. Der Ursprung des höheren Geistlebens aus der Geistnatur erzwingt unausweichlich zur Frage nach der unbedingten Einheit über der bloßen Konkretion von Selbst und Geistnatur. Die Paradoxie unserer unzulänglichen Einheit leuchtet auf, zwar selbstschöpferisch ein Welt-

Der Ursprung der Ideen

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bild entwerfen zu können, aber nur auf Grund einer undurchsichtigen empfangenen Geistnatur, die zudem Lebensprinzip eines sterblichen Leibes ist. Der Tod wird zu einer metaphysischen Frage nach dem Zusammenhang von Geist und Leib im Menschen, der im Tode gelöst werden kann. Es bleibt das Bewußtsein, daß der persönliche Geist in seiner Sehnsucht nach dem Ewigen anderer Art ist als die Leibseelen, die aus der vergänglichen Natur stammen. Die Unsterblichkeit ruht nicht schon in der Immaterialität und in der Einfachheit der persönlichen Identität, insofern hat Kant richtig hier einen Fehlschluß festgestellt. Selbst und Geistnatur zusammen sind nicht ursprüngliche Einheit, sonst müßte die Geistnatur im eigenen Urgrund geschaut werden, sie sind nur die erste Einung mit der zweiten von Geist und Leib. Die Idee der Unsterblichkeit entspringt aus dem Gewissen, der Verantwortung für die eigene Selbstvollendung in einem beginnend ewigen Leben, aus dem unendlichen Interesse am ewigen Heil. In der Offenheit für das Unendliche der sittlichen Aufgaben weiß das freie Selbst-sich als anfangende und empfangene Geistnatur, um die eigene ewige Idee im Angesicht Gottes und in seiner schaffenden Schau. Vor seinem Angesicht stehen zu müssen ist Gottesfurcht, vor seinem Vaterblick stehen zu dürfen ist Gottesliebe. Genau dies sprach Kant mit seinen sittlichen Postulaten der Freiheit, der Unsterblichkeit und des Richtergottes aus. Aber das Selbstbewußtsein einer ewigen Berufung zielt unvermeidlich ins Metaphysische. Die ewige Einzelidee Gottes von jedem Menschen ist mit der Schöpfung in der Zeit die beginnende Einigung von Selbst und Geistnatur, höher als die Einung von Geistseele und Leib. Diese doppelte Konkretion des Menschen ist der Ursprung seiner Gottesidee zuerst in der emotionalen, dann in der praktischen und zuletzt in der theoretischen Vernunft. Sie ist der Ursprung der Unterscheidung von Gott, Mensch und Natur und jener Prinzipien der Vernunft, nach der sie die Einheit der Bereiche und den Aufbau der Weltordnung versteht. Die Fähigkeit des Menschen, Ideen bilden zu können, liegt allein in dieser zusammengesetzten Einheit von Selbst und Geistnatur. Nur darum kann er Gott über sich und die Natur unter sich erfassen. Verstand und Vernunft sind ein einziges Vermögen, das Vermögen der Begriffe für die Konkreta aus Individuation und Spezifikation, Vermögen der Ideen für die Einheiten der Bereiche. Kant hat seine Ideenlehre nur als notwendigen Schein der Einheitsstiftung in abstracto entwickelt, weil er die konkrete Selbstanschauung des Menschen als Selbst und Geistseele verfehlte. Diese doppelte Selbsterkenntnis vom

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Die Metaphysik der Vernunft

intelligiblen Selbst und der uns verborgenen Vermögenseinheit verlangt nach der wahren Einheit des freiesten Geistes, verlangt den von Angesicht zu Angesicht zu schauen, dessen ungleich-gleiches Ebenbild wir sind. Sie bringt uns aber auch vor jene unbewußte Einheit der unfreien Natur, deren Ganzheit wir ebenso wenig durchschauen können wie die Einheit Gottes. Der Mensch steht in der Mitte von Gott und Welt, offen für beide im Geist, ja offen für beide im Wesen. Die theoretische Vernunft ist Einheitsstiftung nach den Schichten der eigenen Organisation, unbewußt anthropomorph in den monistischen Weltbildern, bewußt anthropologisch in der Unterscheidung von Gott, Mensch und Natur. Die Analogie der unbedingten Einheit mit der Einheit des durch sein Wesen beschränkten Geistes, ja die weitere Analogie unserer beginnenden und unvergänglichen Einheit mit der dienstbaren Schicht der Lebewesen und der brauchbaren der Stoffe, ergibt die apriorische Unterscheidung der Gotteseinheit von der parallelen Aufbauordnung des Menschen selber und der der äußeren Wirklichkeit. Die Entsprechung des ungeschaffenen und geschaffenen Seins und der Schichten des endlichen Seins ist Voraussetzung der schichtgerechten Einheitsstiftung, ja schon der Verstandestätigkeit der Reihung der Wesen in ihren Bereichen. Die Weltordnimg der Bereiche ist freilich zuerst Projektion der Selbst-, Natur- und Leiberkenntnis, aber dieser Entwurf wird ausgefüllt durch die Anschauung der Wesen nach ihren gesetzlichen Erscheinungsweisen. Heute ist das Verständnis der mathematisch faßbaren untersten Stoffe nach ihren Bestandteilen ein unwiderleglicher Beweis für die reale Weltordnung, weil wohl ihre Begriffe von uns stammen, aber nicht die sinnlichen Daten, nach denen sie gemessen sind. Die Ideen vom Menschen, der Natureinheit und Welteinheit führen zu einer echten Urgrunderkenntnis in ähnlichem Sinn wie die Erschließung des Organisationsgrundes unter den gleichbleibenden Gestalten. Auch hier gilt das Prinzip: omne unum in multis oportet esse ab uno principio. Das Einheitliche in Vielen begründet die Gleichheit der Wesen. Wir meinen mit dem Gattungswort den Artbegriff, den Logos der Phänomene und fragen nach seinem Grund. Die Erscheinungsgesetzlichkeit beruht auf der Organisationsgesetzlichkeit und diese auf dem Wesensgrund, der Art an sich, dem Noumenon der zweiten Substanz neben dem Ding an sich, dem individuellen Seinsgrund. Die Art an sich ist der Einheitsgrund der Vermögen und ihrer Organisation als Ganzheit, ist die Konsubstantialität der konnaturalen Vermögen, der Bestand.

Einheitlichkeit und Einheit

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So wie der Abstraktionsprozeß des Verstandes den einheitlichen Logos als Sinn der Ganzheit aus dem angeschauten Konkretum heraushebt, so hebt der analoge der Vernunft den Sinn der Einheitlichkeit aus den angeschauten drei Bereichen heraus. Man hat sich viel Mühe gegeben mit der Ontologie der Schichten, aber selten die schlicht natürliche Vernunfttätigkeit im Aufbau der Bereiche beachtet. Sie beruht auf der schon sinnlichen Unterscheidung, ob die Wesen nur tote Stücke sind, belebt oder geistbeseelt. Diese naive Analogie der endlichen Wesen muß metaphysisch vertieft werden nach der Entsprechung von Art an sich und Ding an sich. Die Ganzheit der Elemente ist merogen, die der Lebewesen hologen und die des Menschen merogen und hologen. Die schichtentsprechenden Ganzheitskategorien sind nicht mit der logischen Faustregel abgetan: bei allem Wechsel der Erscheinungen beharrt die Substanz, sie betreffen die Zusammensetzimg von Art und Individuum. Bei allem Wechsel der Elementarbestandteile beharrt das Element, bei dem der Elemente beharrt das Lebewesen. In der Energieeinheit des Unbelebten gibt es keinen Wechsel der Quantität des Substrats. Im Lebensreich herrscht schon während der Lebenszeit Wechsel der Quantität im Substrat, ja im Artleben sogar ein Wechsel des Substrats selbst. Damit dürfte der Streit, ob es im Tierleben Einzelseelen oder nur Artseelen gibt, entschieden sein. Im Menschenleib gibt es Stoffwechsel während der Lebenszeit, also nur in seinem leiblichen Individuationsprinzip, aber seine subsistente persönliche Geistseele ist Einzelseele, nicht eine einzige für die ganze Art und gründet darum nicht in der Natur. Es gibt keinen Wechsel der Urbestandteile, Selbst und Geistseele, das ist der ontologische Grund der Unsterblichkeit. Die persönliche Geistseele ist nach ihrer ewigen Einzelidee zeitlich geschaffen und leibverbunden. Die apriorische Unterscheidung der Bereiche nach ihrer Ganzheitsart ergibt die zwei Einheiten Welt und Natur. Die Menschenidee setzt die Stoffwelt und Natur nach der ontologischen Reihenordnung voraus, weil das höchst entwickelte Keimmaterial nur hologen durch den Gemeinsinn zu beseelen ist, und über ihm die Idee der einmaligen Person steht. Die Phänomenologie der Schichten hat zunächst die einheitliche Wirkweise der Bereiche festzustellen. Das Unbelebte ist gekennzeichnet durch die spezifische Strahlung nach der Lagerung der Elementarbestandteile. Das spezifische Gewicht, die merogene Entstehung der Energiebilanz aus den Elementarteilchen bei bestimmter Temperatur. Bei einigen natürlich radioaktiven hohen Elementen tritt ein scheinbares Altern auf, ein Teilzerfall, der aber nur einige Atome betrifft mit

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Die Metaphysik der Vernunft

sofortiger Neubildung anderer Energiebilanzen. Das Atomgewicht schließt als Umwelt den ganzen Weltraum ein, das wahre Alter die ganze Weltzeit. Hier herrscht strenge Kausalität in der Wechselwirkung aller Elementarbestandteile der ganzen Welt. Das Lebensreich ist gekennzeichnet durch die Funktionseinheit von Organisation und begrenzter Umwelt zum Ziel der Erlebniseinheit. Er herrscht unbewußte und unwillkürliche Finalität nach dem Lebensalter und dem unräumlichen Zusammenhang der Artseelen. Die Lebenszeit der Individuen ist kurz und auch die der Arten erreicht nicht die ganze Weltzeit. Das Menschenreich ist gekennzeichnet durch die selbstbewußt freie Selbstgestaltung und Selbstbewertung, hier allein gibt es die Freiheit der Zurechnung des Willens und Selbsterlebens, aber in der Abhängigkeit von der Geist- und Leiborganisation und durch diese auch von der materiellen Welt. Aus der Phänomenologie ist in erster Tiefenstufe die Organisation zu erschließen, die Konfiguration der einheitlichen Vermöglichkeit im Verhältnis zum Träger oder Substrat. Die spezifische materielle Energieeinheit ist verbunden mit der für die ersten 92 Elemente schon berechneten und wohl für alle berechenbaren ganzzahligen Bestimmtheit der Elementarteilchen. Sie setzt ihre räumliche Konstellation in bezug zur ganzen Welt voraus, es scheint, daß man schon formulieren darf: partes materiales primae quantitate signätae sunt individuatio formarum energeticarum. Hier herrscht enorme Stabilität. Die spezifische unstoffliche Einheit der Lebewesen ist verbunden mit individuierenden wechselnden Elementverbindungen in hoher Konstellation. Der Verlust des individuierenden Materials bedeutet den Tod des Individuums. Ihrer Labilität steht die hohe Konstanz der Arten gegenüber. Die Einheit des Selbst und der Geistseele ist eine rein immaterielle Verbindung von Individuation und Spezifikation, sie ist nach zeitlichem Beginn unsterblich, steht aber durch den Gemeinsinn mit den leiblich individuierenden Elementen in Verbindung und mit dem Aufhören der Beseelung kommt es auch hier zum Tod. Aus der Organisation ist in zweiter Tiefenstufe die Gesetzlichkeit der Wesen und Einheitsgründe zu erschließen. Heute verdeckt noch die Erforschung des verborgenen Schematismus der Elemente, den Bacon inauguriert hat, durch ihre erstaunlichen Ergebnisse die Frage nach dem Wesen. Die Wissenschaft steht der Metaphysik im Wege. Die Physik hat die Konstitution der Elementarteilchen mathematisch exakt genug erkannt, aber über die Einheit und Gleichheit und Erhal-

Bereiche und Urgründe

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tung der Energiebilanzen nachzudenken, erfordert genau so ein Denken in unkörperlichen Beziehungsgefügen wie bei der sinnlichen und geistigen Organisation. Die Biologie hat die Konstitution der Elemente im Lebensstoff schon so sicher erkannt, daß die Versuchung, auch hier nur ein materielles energetisches Beziehungsgefüge anzunehmen, verzeihlich ist; aber dies Beziehungsgefüge führt zum immateriellen Erleben, zu seelenähnlichen Ganzheiten, Psychoiden, die schon durch die Instinkte der Erbmotorik greifbar werden. Die theoretische Anthropologie zielt über die Leibkonstitution hinaus auf jene wahre und eigentliche Einheit des Menschen, die im Selbstbewußtsein und Gewissen greifbar wird. Danach erst beginnt die Vernunftmetaphysik der Bereiche. Kant hat den notwendigen Schein aufdecken wollen, der durch die formale Einheitsstiftung von Urgründen entsteht und dem die inhaltliche Grundlage fehlen soll. Nach ihm ist zuerst der Anthropomorphismus der inhaltlichen Bestimmung des Urgesetzes und Urstoffes nach den vier möglichen Kosmologien erkannt worden, aber heute fordern wir nach der empirischen Einheitlichkeit der Schichten auch ihre metaphysische Einheit. Die Entgegensetzung und Verbindung der Schichten macht die Analogie der endlichen Wesen aus. Es betrifft unsere geistige Existenz, ob wir den empirischen Weltbegriff zu einer strengen Weltidee erhöhen dürfen. Das ist nur möglich, wenn die Weltgrundeinheit mit der Lebensgrundeinheit und der wahren Einheit des Menschen in bezug gesetzt wird, ihr Gegensatz und ihre Verbindung zugleich erkannt wird. Es gibt ein sehr beachtenswertes Wort Heisenbergs, daß wir in der Natur heute nur uns selbst begegnen. Das heißt doch in einer erheblichen Erweiterung des Kantianismus, daß wir bloß ein Weltbild haben, zwar nicht mehr der Natur ihr Gesetz vorschreiben, aber aus den sinnlichen Daten der Erfahrung ein mathematisches Gefüge der Weltgesetzlichkeit gewinnen, das uns als das Menschenwerk der Wissenschaft gegenübersteht. Durch die Befragung der Natur sind wir sogar verflochten in dieses Formelwerk, das gar kein Material mehr zu haben scheint, aber doch nur aus gemessenen Sinnesdaten aufgebaut ist. Nur das Bild der Weltordnung stammt von uns, aber nicht die realen Daten. Die geschlossene gegenseitige Abhängigkeit aller Weltelemente und das Beziehungsgefüge aller Weltgesetze kann vielleicht bald in eine einzige Formel gefaßt werden. Damit ist aber die Endlichkeit der Welt nach Raum und Zeit, nach Zahl und Gewicht gemessen. Nur die Anordnung dieser Daten stammt vom endlichen Menschengeist, ihre Vorordnungkann nurvon einem unendlichen Geist gesetzt seinundgleich

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Die Metaphysik der Vernunft

mit der ganzen Welt. Wir werden in der Natur wieder Gott begegnen. Wie wir von der Reihe der Elemente zum Weltganzen vorgestoßen sind, stoßen wir mit der Reihe der Lebewesen zum Lebensganzen vor. Bis hinauf zum Menschenleib ist die Reihe der Lebewesen begleitet von der der biochemischen Elemente, die im materiellen Beziehungsgefüge der Keimbahnen verbunden sind. Aber das dient nur der Individuation der Lebewesen, und ihre Spezifikation zu steigendem Erleben erfolgt durch das Beziehungsgefüge der Artseelen. Dacqu6 hat hier Heisenbergs Wort vorweggenommen: in der Natur begegnen wir uns selbst, der Stammbaum der Lebewesen ist die Explikation des Menschen, der Mensch ist seine Komplikation. Der ideale Stammbaum ist freilich unser Werk, aber nur die wirkliche Ordnung der Lebensentfaltung ermöglicht die Klassifikation durch die empirische Feststellung. Nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung könnten die Milliarden Sonnen gerade ausreichen, um einen Planeten als Grundlage für die zahllosen Bedingungen des Lebens durch Zufall hervorzubringen. Aber dabei sind mehrere Dinge vergessen. Das Begriffsgefüge der Artseelen steht im Gegensatz zu dem der Welt, die Lebensentwicklung setzt die Lebenseinheit voraus, aus der die Arten stammen und in die sie nach dem Tod des Individuums zurückkehren. Der Stoff dient also lediglich der Individuation. Auch die Artenentwicklung dient dem Menschen lediglich zur Individuation, die Natur kommt ihm entgegen. Sieht man nur seine Leibindividuation, so ist man freilich versucht, ihn als Spätling der Natur biochemisch zu mißdeuten. Aber die Geistorganisation ist ein Beziehungsgefüge rein geistiger Vermögen, das als solches unabhängig ist von der Leiborganisation, und so bedarf es einer höheren angemessenen Individuation in der Person. Der Gegensatz der Bereichseinheiten ist Weltordnung, Lebensordnung und Menschenreich. Alle ihre Wesen sind unter sich und durch das einheitliche Bildungsgesetz der Bereiche verschieden. Die Elemente entstehen aus Energieeinheit und Elementarteilchen, die Artseelen verbinden sich mit dem individuierenden Stoff und darum sind die Elemente und Lebewesen wesengesetzlich vergänglich. Der Mensch als Vereinigung von Person und Geistseele ist nicht vergänglich, weil beide einfach und nur miteinander möglich sind. Nur seine Verbindung mit dem Leib kann gelöst werden. Der Zusammenhang der Bereiche ist die Brauchbarkeit und Dienstbarkeit der unteren für die Individuation der oberen. Schon Sokrates sah dies, als er den Sinn der Bereichsordnung für die freie Selbstvollendung des Menschen erkannte und wegen dieser Physikoteleologie den Weltordner forderte.

Der Zusammenhang der Bereiche

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Die durchgehende, heute bemeßbare Zeitlichkeit der Bereiche samt dem beginnenden Menschenreich stellt den entstehenden Wesen den Unentstandenen gegenüber, allen endlichen den Unendlichen, den Einen Ewigen. Das ist der äußerste Gegensatz der Bereiche. Alles Endliche entsteht aus Art an sich und ist geworden. Vor dem Werden aber ist das Nichts. Daß aus dem Nichts nichts wird, ist ein gültiges Axiom. Darum versucht die Vernunft das Ewige mit dem Werdenden zu verbinden, den ewigen Urstoff mit dem ewigen Urgesetz als dem Bleibenden in den bloßen Veränderungen, und damit soll dann echtes Werden ausgeschaltet sein. Es ist aber nur der Gegensatz der Bereiche verleugnet, nur ihre Verbindung gesehen und verewigt. Er ist auf eine einzige Bereichseinheit reduziert. Das kann Monismus oder Pantheismus heißen, immer aber geht es um die Alternative einer verkürzten Einheitslehre oder die genaue Scheidung der Welt- und Naturidee, der Menschen- und Gottesidee. a) Die Weltidee Die Frage nach der Weltidee wird heute nicht gestellt, weil die Forscher sich scheuen, zu früh eine Synthese zu versuchen. Ja Hermann Weyl nennt die Philosophen ungeduldige Leute, weil sie den Astronomen, Mathematikern und Kernphysikern für deren eigene Synthese nicht Zeit lassen wollen. Das so entstandene Vakuum eines geschlossenen Weltbildes ist in der östlichen Welthälfte immer noch mit jenem genau historisch festzulegenden Bild der räumlich und zeitlich unendlichen Welt ausgefüllt, das von Bruno bis Einstein galt, von 1580 bis 1905. Das ganz andere Weltmodell des 20. Jahrhunderts steht schon in seinen Grundzügen fest: die Welt ist bemeßbar endlich, überwältigend groß, aber nicht räumlich, zeitlich und stofflich unendlich. Man könnte gern den Astronomen Zeit lassen, unter den verschiedenen Weltmodellen das richtige zu verifizieren, aber die Weltidee betrifft unsere geistige Existenz, weil sie mit der Gottesidee und Menschenidee unlöslich zusammenhängt. Die Frage ist nicht, ob der Weltbegriff der heutigen Wissenschaft schon ausreicht, um nach ihm die apriorische Weltidee zu begründen oder zu verifizieren, sondern ob die verschiedenen Weltideen geistesgeschichtlich geklärt werden können und müssen. Können wir zeigen, warum in bestimmten Zeitlagen bestimmte Entscheidungen über die Weltidee getroffen werden ? Das hängt davon ab, ob man den Aufbau der Weltbilder nach der Art der unbedingten Einheitstiftung verstehen kann. Welches der vier Formelemente der Weltidee wird unbedingt gesetzt, verewigt und damit vergötzt ? Kant war nahe daran, die vier Formelemente der Menschenidee zu treffen, nur

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Die Weltidee

der fehlende Wesensbegriff verhinderte die reine Lösung. Die Formelemente der Weltidee sah er nicht, weil er die sinnliche Raumanschauung nicht vom leeren unbegrenzten Vorstellungsraum und dem Sinnesdaten berechnenden Denkraum unterschied. Die heutigen Weltmodelle zeigen, daß es keinen absoluten Raum geben kann, weil eine extensio in infinitum nie zu Ende kommt. Aber die absolute Zeit ist auch heute noch die einzig anerkannte Göttin, immer noch wird eine ewige Kreislaufbewegung mit den dazugehörigen ewigen Atomen gedacht, als Formelement der Verewigung gilt immer noch eine natürliche Bewegungs- oder Veränderungsform. Heraklit verewigte den Kreislauf der Elemente Feuer, Luft, Wasser, Erde, Wasser, Luft, Feuer und gewann so die Verwandlungseinheit nach dem einen Weltgesetz der ewigen Wiederkehr, der Weltexplikation und Komplikation. Aristoteles verewigte den Kreislauf der Gestirne mit dem unveränderlichen fünften Stoff, der quinta essentia, aber auch den der vier anderen Stoffarten aus der Verwandlung des ewigen Urstoffs mit zwei weiteren natürlichen Bewegungsformen, von Wasser und Erde nach unten und von Luft und Feuer nach oben. Daneben aber gab es noch die ewigen Lebensformen mit wechselndem Stoff. Heute verstehen wir die ungeheuren Anstrengungen der Galilei, Kepler und Descartes, um dieses so streng wissenschaftlich begründete Weltgehäuse zu sprengen. Plotin verewigte in der erhabenen Gewißheit eines freien Geistesreiches im Weltreich den Kreislauf der ewigen Geister und der ewigen Seelen durch die Schichten der Wirklichkeit und ihre Rückkehr zum Einen. Seit kurzem erst sehen wir ein mittelalterliches Weltmodell nach der arabischen Astronomie des Alhazen und Alpetragius, wonach ein einziger zeitlicher Bewegungsvorgang des Lichts mit dem Urstoff die Ausdehnung des Alls bis zu einer bestimmten Peripherie bewirkt und von dort her der Stoff zum Erdmittelpunkt zurückfällt. Die Erforschung der humanistischen astrologischen Weltmodelle steht erst in den Anfängen. Sie erneuern den ptolemäischen Materialismus der Artenbildung durch Stemkonstellationen nach dem Bild der astrologischen Charakterdifferenzierung. Die beginnende Neuzeit sucht nach einem einheitlichen Bewegungsvorgang, der die bleibende Form der Welt erklärt, ohne die dreierlei natürlichen Bewegungen des Aristoteles und seine zweierlei Stoffe. Für Galilei ist es der Fall, für Kepler der magnetische Zug der Sonnenstrahlung und für Descartes der Stoß von außen, der zu Wirbel-

Verewigung der Welt

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bewegungen des Stoffs, zur Sonderang seiner drei Elementarten und zur Konzentration der Gestirne führt. Der Stoß war zeitlich gedacht und auch die Schöpfung des Stoffs. Aber Newton bestätigte das Galileimodell des Falls und nach ihm erst zogen die ewigen, verschieden schweren Atome den unendlichen Raum nach sich und die unendliche Zeit. Das war das Weltmodell des Aufklärungsmechanismus, das bis vor wenigen Jahrzehnten galt. Erst die nachklassische Physik hat den absoluten Raum und die absolute Zeit, die ewigen Massen und ewigen Energien beseitigt und statt dessen die Einheit von Masse und Energie, Raum und Zeit wieder erkannt. Die philosophische Deutung dieser Weltmodelle steht erst in den Anfängen. Die Weltanschauungskritik hat längst den Anthropomorphismus der monistischen Weltbilder entlarvt, aber die Weltbildvergleichung der an die Zeitphysik sich anschließenden Weltbilder ist sehr viel schwieriger. Immerhin sind die technomorphen Vorstellungen der sichtbaren Raumvorgänge nicht mehr die einzige Deutungsmöglichkeit. Die gegenseitige Abhängigkeit aller Vorgänge ist auf eine tiefere Ebene verlegt. Die vier Formelemente der Welteinheit müssen wieder nach den vier alten Kausalformen betrachtet werden, die Stoffursächlichkeit zugleich mit den Energieformen, die Zielursächlichkeit als Zeitrichtung und die innersystematische Wirkursächlichkeit als einsinnige Ausdehnung. Raum- und Zeitmessung sind auf die realen Kategorien von situs und relatio, der Lagerung und ihrer Veränderung zurückgeführt. Der Raum des Sinnenscheins ist durch den Denkraum des Beziehungsgefüges ersetzt, die technomorphen Modelle der Massenbewegung sind ergänzt durch die inneratomaren Verwandlungsvorgänge. Die Ausdehnungsgesetzlichkeit im einzelnen und im ganzen wird nach der Zeitrichtung berechnet. Damit ist eine sehr große Annäherung der antiken theoretischen Physik und der neuesten erreicht. Wir sehen schon, daß die von Proklos in der „physikalischen Axiomatik" zusammengefaßten Axiome des Aristoteles auch heute noch gültig sind. Sein Weltbild ist allerdings in doppeltem Sinn überwunden. Die dreierlei Bewegungsformen sind beseitigt und durch die Gesamtveränderung der Energieformen ersetzt, die zweierlei Materien durch die gegenseitige Verwandlungsmöglichkeit von Masse und Energie nach dem Äquivalentprinzip. An Stelle seines Grundsatzes von der Ewigkeit der Welt muß unser Grundsatz der Kosmologie lauten: Trotz der höchsten Stabilität der Elemente und der Erhaltung von Masse und Energie vergeht die Energieform der Welt. Seine Umkehrung besagt: Es gibt nur einen simultanen Beginn — d. h. aber noch nicht eine Simultanschöpfung — der höchsten

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Die Weltidee

Energieformen mit der Gesamtmasse und mit dem Weltraum und der Weltzeit. Wenn wir so nach dem Überblick über die Weltideen den heutigen Stand der Forschung formulieren, enthält er freilich die historische Vernunft unserer eigenen Zeit, sofern die Ergebnisse der differenzierten Naturwissenschaften, und zwar schon in hoher Konvergenz, in ihm enthalten sind. Nochmals behält Aristoteles recht, die Metaphysik kommt erst nach der Physik, induktive Metaphysik ist neben der deduktiven unerläßlich. Von ihr aus wird zunächst eine veraltete Parteirichtung der historischen Vernunft unserer Zeit durchsichtig. Der historische Materialismus vergötzt nach wie vor den ewigen Stoff in der unendlichen Raumzeit, er hält den metaphysischen Materialismus aufrecht, um nicht die Dogmatik seiner Ursprungssituation nach dem Schulhaupt Marx aufgeben zu müssen, das Hauptdogma der Produktionsgesetzlichkeit von unten in der sozialen Welt und in der äußeren. Es ist aber auch schon die Entscheidung gefallen gegen eine weitere Parteiung unserer Zeit, die pseudokonservative seit der französischen Spätaufklärung und Revolution, die von der romantischen Metaphysik des All-Lebens bis zur banalen Blutsvergötzung des Rassismus reicht. Wir dürfen uns nicht scheuen, diese folgenschwere Unterströmung des deutschen Idealismus aufzuklären. Die romantische Mythenbildung ist zudem eine unschätzbare Gelegenheit, noch mitten in unserer Gegenwart die falsche Einheitsstiftung des Lebensbereichs am Werk zu sehen. Auch bei uns noch entstehen und vergehen Götter, so sonderbar ihre Namen sind, Wille zum Leben oder Wille zur Macht, Elan vital oder Trieb- und Drangphantasie. Die Romantik richtete ihren Angriff auf das tote Weltgebäude der materialistischen Spätaufklärung und stellte ihm den Eigenbereich der absoluten Natur entgegen. Sie wollte nicht sehen, daß es sich um zwei Bereiche handelt mit einer gegensätzlichen Einheitlichkeit, die Stabilität der Elementenwelt mit dem Verfall der Energieform und den Eigenbereich des Lebens mit der Formsteigerung bis zum Menschenleib. Auch hier müssen die vier Formelemente, die immer schon der Ansatzpunkt für die Verewigung des Lebens gewesen sind, unterschieden werden. Einst war es die Konstanz der Arten und die Einwirkung der Umwelt, jetzt sind es die innere und äußere Formensteigerung, die zum Absoluten gemacht werden. Die beiden alten Axiome waren eigentümlich verschränkt: omne vivum ex vivo sui generis, und: homo hominem generat et sol (et stellae). Neben dem konstanten Kosmos der Artseelen stand die konstante Ordnung der Sternkonstellationen, die für die Verbindung von Form

Der Lebensbereich

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und Stoff notwendig war. Die beiden Axiome haben zuletzt noch in der Renaissancephilosophie eine außergewöhnliche Rolle gespielt. Noch Johannes Kepler hat sie genial kombiniert, aber zugleich mit seiner Entdeckung der Planetengesetze endgültig die Astrologie beseitigt. Die mechanistisch denkende Neuzeit glaubte das Lebensproblem durch steigende Atomverbindungen lösen zu können. Aber mit der Romantik ist die totgesagte Natur wieder lebendig geworden. Seit Schelling ist die Möglichkeit der Verewigung der ideellen Formsteigerung entdeckt. Sie war allein noch möglich nach der kantischen Noologie und deren Übersteigerung zum subjektiven Idealismus durch Fichte. Nach ihm soll das Ich in bewußter Produktion seine Welt hervorbringen und sie dann erst bewußt anschauen. Schelling hat die unbewußte Produktionsgesetzlichkeit nicht aus dem Selbstbewußtseinsprozeß, sondern aus der künstlerischen Genialität verstanden, den Philosophen zum Bruder des Dichters in der poetischen Vernunft gemacht. Die große Natur ist in Verbindung mit dem Weltgeist Weltseele, ewige Erzeugerin der Fülle der Lebensformen und zuletzt auch der des Menschen, in dem als Synthese von Gott und Natur der Geist erst zu sich selber erwacht. Um die Mythenbildung des Idealismus und der Romantik ganz zu übersehen, muß auch ihre eigene Theorie der Mythenbildung miteinbezogen werden. Der Mythos ist nur die fortgesetzte Produktionsgesetzlichkeit der Geistnatur, meist von drei Göttergenerationen wie Uranos, Kronos und Zeus, die nur Symbole der drei obersten göttlichen Potenzen sind, von Urmacht, Urleben und Urgeist. Diese transzendentale Poietik zielt auf den Kulturheros wie Prometheus, und auf die Religionsstifter nicht als Gesetzgeber, sondern als Schöpfer von Weltanschauungen. Hegel hat zu dieser Entdeckung der unbewußten Produktionsgesetzlichkeit nichts hinzutun können als das Kollektivum des Volksgeists. Der Volksgeist ist Repräsentant des Weltgeistes und muß wieder repräsentiert werden durch den großen Mann, jetzt aber als Gesetzgeber und Meister der transzendentalen Politik, nachdem schon Kunst und Religion die Welt-Anschauung und die Welt-Vorstellung geleistet haben. Marx brauchte bloß dies politische Kollektiv der Produktionsgesetzlichkeit ins ökonomische zu übersetzen, er hat aber nicht die Kraft gehabt, die Berufsordnung der Leistungsgemeinschaften und den Erfindergenius in seine Vision einzubauen und schon gar nicht die entsprechende Naturidee, die dann nicht materialistisch sein konnte. E r dachte nur an die wechselnde Situation der herrschenden und unterdrückten Klasse. Das alles war Anwendung der genialischen Produktionsgesetzlichkeit auf die Geschichte, aber schon Schopenhauer hatte aus der halben

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Die Weltidee

Entthronung des ewigen Gottes die radikale Konsequenz gezogen. Die unbewußte Produktionsgesetzlichkeit ist blinder WillezumLeben. Wenn er nicht ursprünglich Geist ist, wird er es auch nie. Das meinte anfangs auch Nietzsche, bis er die Romantisierung des Altertums statt des Mittelalters wiederaufnahm und den politischen Heroismus der Renaissance und damit seine zwei Dogmen fand, die ewige Wiederkehr des Gleichen und den Übermenschen. Er war freilich kein Philosoph, aber Tiefenpsychologe der Superbia, des Willens zur Macht und zum gesteigerten Leben. So stand für ihn nicht mehr wie für die Antike der philosophische Genius am Ende der Naturentwicklung, sondern der große Politiker als Gesetzgeber der Werttafeln des starken Lebens für den Einzelnen, dies im Gegensatz zum verwirklichten germanischen Reich Hegels, dessen Werte Arbeit, Kinderzeugung und Disziplin waren. Spengler erneuerte den kollektivistischen Mythos der Gemeinschaftsbildung aus den Kulturseelen, die am Beginn der disparaten Kulturen stehen. Da aber mit dem Zerfall des Mythos sich auch die Gemeinschaft zersetzt, sah er für die Zeit des Klassenkampfs und des nachdrängenden farbigen Proletariats keine andere Hilfe als den Cäsarismus und Imperialismus. Wie schaurig dann in der Wirklichkeit diese Kulturauffassung mißbraucht wurde, braucht nicht gesagt zu werden. Nach der Selbstausschaltung des deutschen Naturalismus blieb nur mehr das vierte Element der materiellen Formsteigerung für sich allein als Mythos übrig. Die ewigen Atome verbinden sich zuerst zur periodischen Reihe der Elemente und dann zu scheinbar organischen Verbindungen und zuletzt zum Zellenkomplex Mensch. Der homo faber lernt brauchbaren Stoff zu Werkzeugen zu bilden, Pflanzen zu sammeln und zu züchten, Tiere zu jagen und zu domestizieren, Mitmenschen zu versklaven, die Unterdrückten zu vereinigen und nach Ausrottung der Unterdrücker der reinen Produktionsgesetzlichkeit zu folgen. Es kann sogar die künstliche Artensteigerung der Nutzpflanzen und Nutztiere geplant werden und schließlich braucht man auch die differenzierte Leistungseignung nicht mehr der Astrologie zu überlassen. Der dialektische Materialismus des Umschlags der Quantität der Unterdrückten in die Qualität der Unterdrücker verbindet sich mit dem metaphysischen Materialismus des Umschlags der Quantität in Qualität zur Beseitigung der Grenzen der Wirklichkeitsschichten. Das Gegenstück des westlichen Positivismus seit Comte und Spencer folgt dem östlichen Evolutionismus bis zur Vereinigung der Unterdrückten. Hier setzt der ökonomische Verstand der Unrentabilität Kriege und Staatsinterventionen ein, die durch Erziehung und Propa-

Die Lebenseinheit

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ganda überflüssig gemacht werden können. So kann man auch hier der reinen Produktionsgesetzlichkeit mit freier Wissenschaft und freier Wirtschaft folgen. Trotz der Leugnung der Metaphysik bleibt es aber auch hier bei einer physikalischen Ontologie der chemischen Verbindungen als letzter Wirklichkeit. Es ist eine sehr ernste Sache, daß in dem Weltkonflikt dieser feindlichen Brüder die christliche Philosophie keine Idee der Lebenseinheit kennt. Die letzten Theoretiker der Natur, Günther und Görres, sind durch die thomistische Metaphysik in Vergessenheit geraten, die keine Theorie der biblischen Creatura hat. Im Kampf der politisch bedingten Weltideen geht es aber auch um die Menschenidee, wie dies besonders kraß bei der romantischen und nachromantischen deutschen Naturidee sichtbar wird. In dieser Lage kann nur die strengste Methodik der Urgrunderkenntnis helfen. Die Idee der Lebenseinheit muß genauso wie die der Welteinheit aus allen vier Formelementen gewonnen werden. Auch sie zielt auf die apriorische gegenseitige Durchdringung ab, stellt aber dem Verfall der Energieformen den Aufstieg der Formen des Lebens gegenüber. So muß hier die innere unbewußte Formsteigerung vorangestellt werden als das Urphänomen, um die relative Konstanz der Artseelen in ihrer spezifischen Umwelt mitsamt der materiellen Formsteigerung zu erklären. Wir geben die zwei Grundsätze lateinisch, um die geistige Einheit des Abendlandes in dieser Frage zu verdeutlichen: Omne vivum individuale ex vivo speciali cum materia individuante in serie seminali specificata et explicite bpecificanda. Omne vivum speciale ex vita specificante cum materia specificata et altius specificabili. Jedes einzelne Lebewesen stammt aus einem Lebewesen der gleichen Art mit individuierendem Stoff aus der Keimbahn, der artgemäß entfaltet wird. Jede Artseele stammt aus dem artenbildenden Leben und erhebt vorliegenden artgemäßen Stoff zu dem einer höheren Art. Der erste Hauptsatz für sich allein ist der erste Grundsatz der aristotelischen Verstandesmetaphysik des Lebens, die die Konstanz der Arten verewigt und darum keine Weltseele für die Hylomorfhose der materia prima braucht. Der zweite ist der Hauptsatz der platonischen Vernunftmetaphysik des Lebens. Er macht die Formungskraft der Weltseele auf dem Umweg über die Zersplitterung des Menschenleibs in die Tierwelt zum artenbildenden Urgrund, die Physiomorphose geschieht durch die Psyche. Die Größe der naturwissenschaftlichen Vision des Aristoteles wird durch den heutigen Stand der Forschung insofern bestätigt, als das

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Die Weltidee

immaterielle Beziehungsgefüge die Biochemie der Arten bestimmt. Freilich ist ihre ewige Konstanz gefallen. Die Größe Piatons liegt im Aufschwung der Vernunft, die Lebenseinheit als gestaltende Weltseele zu schauen und zwar in bezug auf den Menschen. Nach dem Timaios erfolgt die Artenbildung der Tierwelt parapsychologisch durch die lasterhafte Neigung des Menschen zu seinen niedern Seelentätigkeiten. Diese Umkehrung des Darwinismus ist längst aufgefallen, heute muß man ihren Kern ernst nehmen, um die innere Formsteigerung zu erklären. Eine prachtvolle Stelle Viktorins, schildert die Kaskade der Formenbildung durch die Weltseele an den Klippen des Weltstoffs. Die paulinische Creatura ist die zeitlich geschaffene Lebenseinheit, die die Verherrlichung und Verklärung des Menschen erwartet, durch dessen Schuld sie leidend geworden ist, um mit ihm wieder in den Verklärungszustand erhoben zu werden. Sie hat in der christlichen Philosophie eine so geringe Rolle gespielt, daß ihre Geschichte noch gar nicht erforscht ist. Augustin kennt nur ähnlich wie Aristoteles die mit der ganzen Welt zugleich geschaffenen, also zeitlichen Einzelkreaturen und ihre res publica amplissima et immensa, weil er gegen die ewige anima mundi der Neuplatoniker kämpfen muß, wie Thomas gegen die ewigen Artseelen der Averroisten. Erst der Cusaner wagte wieder an eine zeitliche anima mundi zu denken, die dann Bruno schnell wieder verewigte. Gegen diesen Animismus richtet sich die Verwerfung der kleinen und großen Natur seit Descartes und seinen Nachfolgern, bis Schelling aus der Noologie Kants die neue, schon geschilderte Möglichkeit ihrer Verewigung ersah. Er wurde bald korrigiert von zwei christlichen Denkern, von Günther und Görres, die die zeitliche Kreatur als Grund der aufsteigenden Artenbildung bis zum Menschen erkannten und noch jüngst dachte der einsame Paläontologe Dacque ebenso. Wir beobachten heute die Spezifizierung des Stoffs durch die Artseele und müssen darum fragen, wer oder was die Artseelen selber auszeugt, besonders wenn sie in ganzen Reihen eines neuen Typus plötzlich auftauchen. W o bleiben sie, wenn ihre individuelle Wirklichkeit zerfällt? Sie können nicht aus dem Nichts und nicht aus dem Stoff stammen. Nur weil man immaterielle Formgründe nicht mikroskopisch erfassen kann, fragt man nicht nach ihrer Beständigkeit. Man stellt sich Zeugung als Zellteilung oder Zellvereinigung vor, aber vergißt, daß auch die Artseelen wie die Keimbahnen einen kontinuierlichen Bestand haben müssen, ein universale ante rem, bevor sie sich im Stoff konkretisieren können. Die konkrete Wirklichkeit des Lebewesens ist die Vereinigung des Stoffs mit der Artseele und vereinigt können nur Wirklichkeiten werden. Wenn die Wirklichkeit der Artseele nicht in einem

Die große Natur

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Selbst ruht, muß sie in der Natur ihren Grund haben. Der Lebensgrund ist ante rem, dasjenige, von dem die Artseelen ausgehen, ohne von ihm gelöst zu werden, wie das Sehen vom Gemeinsinn zur Augengestaltung innebleibend ausgeht. Es gibt die Anwesenheit des Lebensgrundes in der Artseele und ihre Teilnahme am Lebensgrund, woraus Uexküll überzeugend die Instinkte erklärt. Das ist der Grund ihres allgemeingültigen Wissens und der der allgemeingültigen Organisationskraft ist ihre universale Wesenheit. Wir können uns nur schwer das Eigenleben der Natur in ihrer Einheit denken, weil es nur erschlossen, nicht geschaut werden kann. Da sie zeitlich ist, vor einer Milliarde Jahren hier auf Erden begonnen hat, muß sie selber wieder getragen sein von einem ewigen Grund. Unsere allgemeingültige Geistnatur, die in der Person subsistiert, gibt uns nur ein Analogon der großen Natur. Wir haben nur eine negative Physiologie in dialektischem Vernunftgebrauch. Nur sofern die Geistnatur Auszeugegrund der Vermögen, in sich geschlossenes Organisationszentrum für die Wirksamkeiten ist, ist sie ein Bild des letzten obersten Organisationsgrundes, der zuerst die Artseelen auszeugt, das Kompositum aufbaut und dann die Organisationszentren der Vermögen und die Wirksamkeiten. Die Reihe ist principium finitum, essentia, virtus et operatio. Ein anderes Analogon ahnte schon Piaton. Es gibt parapsychologische Fehlbildungen neben der normalen Bildungskraft der Artseele, und so können wir Neubildungen in potentiell neubelebbaren Keimen vermuten. In der Reihe der kontinuierlichen Keimbahnen kann nur das Hinzutreten der höheren Artseele die äußere Form steigern, weil sie sprunghaft nach dem geschlossenen neuen Lebensplan einer höheren Erbmotorik erfolgen muß, nicht durch einzelne Entwicklungschritte geschehen kann. Das kann nur durch eine imaginative Einpassung der gesamten Erbmotorik in eine neue artgemäße Umwelt erfolgen. Es geht ja um eine neue Funktionseinheit der ganzen Organisation mit der neuen Umwelt. Auch dafür haben wir ein Analogon, die persönliche Einpassung in einen neuen sozialen Kreis, der die instinktive Eingepaßtheit in die Überlieferung sprengen muß. Das Bild der Lebenseinheit ist immer die Magna Mater gewesen, die animarum genetrix, die nicht weiß, was sie in der Geburt tut, wie die Mutter instinkthaft dem Keim die Impulsfolgen der Beseelung erteilt. Der Stammbaum der expliziten Lebenseinheit ist Physiomorphose, Artseelengestaltung, wie die Leibgestaltung Hylomorphose ist, unbewußte Explikation des Keimes. Die letzte Analogie ist die personifizierende Leibgestaltung durch den unbewußten Gemeinsinn, die Prägung der „zweiten Natur" über der allgemeinen, die die Physiognomik abüest.

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Die Weltidee

Die Einheit der Welt kommt in den geologischen Epochen auf dem ungeheuren Hintergrund der Planeten-, Sonnen- und Milchstraßenbildung der Lebenseinheit entgegen mit den sich entsprechenden Epochen der Flora und Fauna. Nur darum können Geologen, Paläonto 7 logen und Biologen zusammenwirken, nur darum ergibt sich aus der Konvergenz ihrer Ergebnisse der Stammbaum des Lebens. Sonnen-, Planeten-, Erdepochen dienen mit belebbaren Stoff der vita unica, aber sie dient mit allen ihren Artformen zuletzt dem menschlich neubelebbaren Keim, dem extractum mundi contractissimum. Nur so gehört auch der Mensch zur materiellen und lebendigen Welt als ihr Ziel. Damit werden nochmals die drei Prinzipien der reinen Vernunft verständlich, die immer im Osten und Westen zum Verständnis der Weltordnung angewendet worden sind. Die Welteinheit und Lebenseinheit sind ausgerichtet auf den Menschen, die unteren Urgründe sind konfinal mit seinem Lebensplan, nur darum kann seine forma unica die Lebensform und Leibform sich konformieren. Wie sich Elementarteilchen und Energieformen im Weltganzen einen, so einen sich Elemente und immaterielle Lebensformen im Erdganzen und die höchste Lebensform kann erhöht werden zum Menschenkeim. Immer erfolgt die Individuation und Spezifikation zum Konkretum schichtgerecht, das ergibt das dritte Vernunftprinzip. All das ist das Reich der Vergänglichkeit. Unvergänglich aber ist die Einung einer Person und einer Geistseele, weil zwar immaterielle Wirklichkeiten sich wohl auch mit dem höchsten Extrakt der Welt verbinden können, aber der konkrete Geist hoch über dem zeitlichen Leben nicht dem unbewußten Leben entstammt, Selbstand mit dem Bestand der Geistvermögen ist. b) Die Menschenidee Der Mensch steht in selbstbewußtem Bezug zur doppelten Einheit dieser Welt aus Stoff und Leben und weiß sich darum als Krone und Herr der Welt. Er hängt auch als ihre Krone leiblich von ihr ab und sieht im Menschenreich sein Selbst artgleich, aber nicht persongleich vervielfältigt. Wie Selbst und Geistseele eins sind, müßte eine Grundfrage seines Selbsterlebens sein, kann es aber nur sein für den, der Metaphysik versteht. Das sind wenige, aber alle haben das Gewissen. Die Selbstverantwortung vor sich selbst, vor der Gemeinschaft und dem ewigen Richter ist das erste tiefere Selbsterlebnis. Der Mensch erwacht nur langsam zu sich selbst in seinen konkreten Gemeinschaften, in der Familie, in der Berufsgemeinschaft, im Volk und in der einzigen schon bestehenden Menschengemeinschaft des Glaubens und wieder-

Das Gewissen

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holt so bildungsgeschichtlich die ganze Weltgeschichte, wie er ontogenetisch die ganze Naturgeschichte wiederholt. Die innere Geschichte als wesensbedingte Selbstgestaltung macht jeden zu einer geschichtlichen Persönlichkeit und jeder bewertet sich selbst im Hinblick auf seinen Tod. Die unverlierbare sittliche Freiheit ruht in der Person und weiß sich zugleich durch die allgemeine menschliche Natur beschränkt. Dies besagt eine Priorität, aber nicht einen Primat der praktischen Vernunft vor der theoretischen und ist doch eine Rechtfertigung der höchsten Menschenanschauung Kants. Die persönliche Ethik der unbedingten Selbstverantwortung fordert ja sofort für die Freiheit den Träger, die unsterbliche „intelligible Existenz" vor dem ewigen Gesetzgeber und Richter. Hegel betont mit Recht, daß diese innere Geschichtlichkeit abhängig ist von den geschichtlichen Gemeinschaften, in denen man zu sich selbst erwacht, nur sah er bloß die politische Lebensmacht wie Marx die ökonomische und Schleiermacher die religiöse. Die leidenschaftliche Antithese Kierkegaards zur Wiederherstellung der persönlichen Ethik und Frömmigkeit machte wohl wieder die persönliche Geschichtlichkeit der Selbstvollendung nach den Erziehungsstadien zum unbedingten Ziel, stieß aber nicht zu einer echten Verbindung von Persönlichkeit und Gemeinschaft in der Geschichte vor. Die Überbetonung der sozialen und persönlichen Geschichtlichkeit hat den Historismus herausgefordert und auf der Sammelstufe der historischen Fakten ist über der Streitgeschichte der Menschheit die Stilgeschichte verlorengegangen, die verborgene Einheit der Epochen. Die vergleichende Geschichtsforschung hat bald die Typologie der einzelnen Lebensmächte wieder dargestellt, aber noch nicht die Einheit der historischen Vernunft in den Weltaltern. Die Klärung des Geschichts- und Gemeinschaftslebens, aber ebenso gewichtig die der typischen Wissens- und Berufsformen, der Werk- und Wertformen zeigt, was Geschichtlichkeit ist. Der Einzelne wiederholt in seinem Bildungsgang in den Lebensgemeinschaften der Familie, der Berufsgemeinschaft und Lehre, des Volks und der Menschheitsreligion die Weltalter der Früh- und Vorgeschichte, der Staatskultur und Heilsgemeinschaft, zwischen die sich die freie Geistigkeit der philosophischen Weltkultur als Schule, Studium und Forschung eingliedert, allerdings nur als esoterische Kultur ohne das Gesetz einer Lebensgemeinschaft. In allen Weltaltern ist eine besondere Gesamtform der historischen Vernunft maßgeblich, eine zeitliche Rangordnung der Lebensmächte. Schon in der Frühgeschickte des Familienlebens wirkt die praktische Vernunft der natürlichen Sittlichkeit vor dem Vatergott und die sym-

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Die Menschenidee

bolisierende Vernunft im unsterblichen Menschenbild. Wir kennen sie heute genau genug, um die uns ohnehin wieder verständliche allgemeingültige Organisation des Menschengeistes auch dort schon am Werk zu sehen. In weltweiter Verbreitung und Tiefe wird die natürliche Religion und Sittlichkeit als erstes Weltalter der Familiengemeinschaft sichtbar. Das ist die denkbar höchste Bestätigung des „philosophischen Glaubens", der kühnen These der antiken, christlichen und deistischen Aufklärungsphilosophie. In der Vorgeschichte des Stammeslebens steigt das praktische Leistungswissen über die natürliche Lebensform auf und differenziert die Stammesgemeinschaft zu Berufsgenossenschaften der Viehzucht, des Hackbaus und Handwerks mit entsprechend bedingten Mythen. Der Mensch, erscheint nun als homo domesticator, arator et faber. In der Herrenhochkultur beginnt die Vorherrschaft der historischen Vernunft im strengen Sinn. Der homo dominator faßt die differenzierten Menschentypen in der staatlichen Rechtsordnung zusammen. Das Herrschaftswissen der Organisation der Stämme zum Volk ist unlöslich verbunden mit der Forderung der unbedingten Achtung vor dem menschlichen Gesetz als göttlichem Gesetz des Reichsgotts. Wir kennen heute Dynastie für Dynastie im alten Ägypten, in der symbolischen Hülle des Gottesbildes die wechselnde politische Repräsentation des Volkstums. Ja bald löst das ethische Menschenbild das repräsentativheroische ab. Wir lesen heute die erste Ethik des Ptahotep, wie der Weisheitslehrer des alten Testaments die zweite des Amenope las. Das dritte Weltalter beginnt in Indien, China und Griechenland in greifbarer Abhängigkeit von der politischen Ordnung seit dem Ringen um die reine Vernunft. Die unbedingte sittliche Verantwortung fordert überall die Verewigung der Seele oder des Geistes als Träger des Karma. Wenn auch für Heraklit nur der heroische Weise zugleich der wahre Staatsmann ist, gilt doch für jeden, daß seine sittliche Selbstgestaltung, sein Ethos, seine innere Geschichte sein Geschick, sein Daimon, sein Genius ist. Wie die ewige Weltseele in ständiger Wiederkehr das gleiche Geschick erfährt, so auch die ewige Einzelseele. Aber erst seit Sokrates ist f ü r jeden sein eigenes menschliches W e r k , die S e l b s t Vollendung und

unbedingte Rechtlichkeit als wesentliche Auswirkung der Natur das Ziel der Welt. Die symbolisierende Vernunft sieht das ewige Leben in einem neuverstandenen Jenseits mit entgegengesetztem Geschick der Guten und Bösen. Der Mensch ist als wesentlich geistig erkannt und daß er die ewige Einheit, Seinsheit, Wahrheit und Gutheit schaut, beweist die Ewigkeit der Geistseele. Das ist die Geburtsstunde der reinen praktischen und theoretischen Vernunft zugleich, weil sich diese Polis-

Die Menschenbilder

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Philosophie von der zeitlichen Stadt löst und die ewige Stadt für die ganze Menschheit schaut. Aristoteles entnimmt der Wiederkehr der kosmischen Konstellationen zur stofflichen Verwirklichung aller ewigen Lebensformen und Berufsbegabungen des Menschen die Idee des ewigen Kulturprozesses. Naturordnung und Kulturordnung sind ein einziger Kosmos unter dem ewigen Gott der Selbsterkenntnis des reinen Geistseins. Er plante mit Alexander die ökumenische Verbreitung der Kulturstadt, er plante auch die der ganzen Weltordnung und Kulturordnung entsprechende Ordnung der Wissenschaften, aber die unbedingte platonische Verpflichtung auf die ewige Schau der Ideen aus ganzem Herzen und mit allen Vernunftkräften für alle Menschen trat zurück. Der Verstandesmensch zersplitterte sich in den homo contemplativus, ethicus, oeconomicus, politicus, orator und poeta nach dem Naturrecht. Diese divisio philosophiae ist das Studium enzyclopaedicum für das ganze Abendland, aber diese weltgeschichtliche Großtat ist erkauft mit dem Verlust der imbedingten Verpflichtung eines jeden auf das eine ewige Gottesgesetz der Gerechtigkeit, nicht bloß auf das Naturrecht. Dieser Gegensatz von Wissenschaft und Weisheit, der in dem des Menschenbegriffs und der Menschenidee greifbar wird, durchzieht die ganze abendländische Geschichte. Mit ganzem Herzen erlebte Piaton von seiner Begegnung mit Sokrates bis zur Verkündigimg seiner persönlichen Gottesidee der Vorsehung in den „Gesetzen" die ewige Geistseele und die Pflicht ihrer Wesensvollendung. Aber er stieß noch nicht vor bis zum Begriff der Person, weil die Forderung des ewigen Naturrechts für die Polis die Verewigung der Weltnatur und -seele nach sich zog und so scheinbar die Unsterblichkeit der Einzelseele leicht bewiesen werden konnte. Aber die Geschichtlichkeit war damit verloren. Dafür gelang Aristoteles die Verewigung des Geschichtsverlaufs zu naturgebundenen Zyklen. Die Menschenbilder der beiden großen Meister machen es anschaulich. Die ewige Einzelseele kommt herab aus dem jenseitigen Reich der Ideen und Seelen, ist nur der Fuhrmann im Wagen des Leibes mit zwei störrigen Pferden und kann nur in taumelnder Wiedererinnerung an die ewige Wahrheit den Sturz in tierische Wiederverkörperung nach dem Spruch der Totenrichter vermeiden. Für Aristoteles hat die Leibseele nur noch ein Geistvermögen des Aufstieges in die ewige Welt der Wahrheit. Sie ist so eng mit dem Leib verbunden, ja allein durch ihn individuiert wie alle andern Seelen im Naturreich, daß sie, ständig um ihren Tod wissend, den eigenen Leib als lebenden Leichnam zeitlebens auf dem Rücken trägt. Von der pythagoräischen Seelenwanderung an

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Die Menschenidee

bis zur Gnosis wird immer wieder der Absturz der Seelen und Geister in die niedere Welt durch eine Schuld im Vorleben gedacht. Strenge Geschichtlichkeit gibt es erst in der Christenheit. Geschichte machen nicht die gesellschaftsbedingten wechselnden Entwürfe der Ordnungsstiftung des praktischen Verstandes. Sie ist die Reihe der endgültigen Entscheidungen im einmaligen eigenen Lebenslauf angesichts des Todes und vor dem göttlich sanktionierten Gesetz der höchsten Gemeinschaft. Die unbedingte Entscheidung liegt in der Verantwortung für sich selbst und für alle, wobei jeder der Nächste sein kann, in der unbedingten Achtimg vor dem göttlichen Gesetz und der Achtung der Freiheit des Nächsten. Geschichtlichkeit gibt es nur durch das Gewissen und die Solidarität mit dem Nächsten in der Menschengemeinschaft. Jeder Nächste ist Person nicht nur als Selbstzweck, sondern als gleicherweise für sein ewiges Geschick Verantwortlicher. Die selbstverantwortliche Person, die ganze Menschengemeinschaft und der göttliche Gesetzgeber sind die paradoxe Einheit jeder echten Geschichtlichkeit, der innern und der äußeren. Ebenso paradox ist der Umschlag der strengen Vollkommenheitsforderung der Gottesfurcht zum gläubigen Vertrauen auf die Nächstenliebe und die Liebe Gottes. Das schlichte Menschenkind des vernünftigen Glaubens, des homo adorator et amator Dei erlebt den Richtergott als Erlösergott. Die Idee der Person ergibt sich aus der Forderung des gewissenhaften kindlichen Herzens in der Gemeinschaft. Die in der Familie der Gotteskindschaft aller Menschen beginnende Persönlichkeit führt zum Vatergott, der sich selbst offenbarenden Güte und Erlösung und dann zum Schöpfergott. Die Zeitlichkeit der Entscheidung für ein ewiges Leben macht das ganze Menschheitsleben und die Welt selber zu einem einzigen Zeitvorgang mit dem Ziel einer zukünftigen, neuen und zeitlosen Welt. Die grundsätzliche Zeitlichkeit der Person und der Welt führt erst in langem Ringen zur Metaphysik der Person. Wieder steht das sittlich religiöse Selbsterlebnis der Freiheit und Verantwortimg am Anfang der christlichen Ethik der Asketen, der die Mystik der reinen Liebe, Erlösungssehnsucht und Gnadengläubigkeit folgt, bevor aus dem durchdachten Gegensatz von Geist und Fleisch die christliche Metaphysik der Person und Geistseele entstehen kann. Zunächst geschieht dies nach dem Bilde des menschgewordenen Logos und seiner zwei Naturen in einer Person, dem das Menschenbild mit den zwei Naturen der Geistseele und Leibseele nachgebildet wird. Damit erst ist die Unterscheidung von Existenz und Essenz lebenswichtig geworden. In der mittelalterlichen Geisteswelt der freien Aneignung der Überlieferung tritt das ewige Gesetz des Weltplanes des Schöpfergotts für

Die Metaphysik der Person

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alle Naturen und ihre Vollendung zuerst religiös ins Zeitbewußtsein. Die Erhöhung des natürlichen Ebenbildes in das übernatürliche der Begnadung führt in die ewige jenseitige Welt. Die freie persönliche Existenz wird trotzdem wichtiger als das Geistwesen, denn die Person ist bestimmt für die gloria visionis und vorausgesehen als dieser Einzelne in einer ewigen einzigen Idee des Schöpfers. Die Vereinigung der ewig geschauten Person mit der allgemeinen Geistseele ist Einzelschöpfung in der Generationenfolge. Die Generationen der äußeren Geschichte dienen nur der Abfolge der reformatio zum ursprünglichen Stand der potentiellen Unsterblichkeit des Leibes. Die höchste Selbstgestaltungsaufgabe eines ewigen Urbilds, des wahren Selbst erhöht die Persönlichkeit zum Nachbild des Schöpfers, sie stellt neben die ars aetema die ars aeternificans eines freien Geisterreichs, die Kunst der Selbstvollendung des Menschen, den künstlerischen Menschen. Es ist nochmals das Ethos der freien Stadt, das diese geistige Menschenidee auf die Ebene der schlichten Menschlichkeit herabholt. In den schweren Kämpfen der Stadtbürger wird der homo faber et artifex den Herrschaftsständen des Sacerdotiums, Studiums und Imperiums als homo activus gleichgestellt. Gleichen Ranges stehen Papst und Kaiser, Philosoph und Dichter, Künstler und Handwerker in der Berufsordnung der Stadt schon bei Dante. Nun erst kann die aristotelische Stadtordnung mit der naturbedingten Ordnung der Begabungen für das Zusammenspiel aller Berufe wieder verstanden werden, ja noch im Kopernikanismus und trotz der Reformation sind es die Sternkonstellationen, die diese neue Verewigung der Berufsordnung durch die Kosmologie verständlich machen. Nur als schroffe Antithese gegen diesen astrologischen Animismus ist der neuzeitliche Dualismus des geistigen Ich und der materiellen Leibgesetzlichkeit zu verstehen. Der städtischen Berufsgliederung tritt die politische Gleichheit der Einzelnen vor dem Staatsgesetz entgegen, der die Gleichheit der Atome in der Weltbewegung nachgebildet wird. Der Mensch als res cogitans, als denkendes Ding an sich unter ausgedehnten Dingen an sich, das ist eine unerträgliche Spannung, die auch durch zahlreiche Rettungsversuche einer doch irgendwie möglichen Erkenntnis nicht ausgeglichen werden kann! Der politische Rationalismus zieht den naturwissenschaftlichen nach sich. So wie die politische Welt rational nur geordnet werden kann unter der Voraussetzung der Gleichheit aller Untertanen, wird nun auch die gesamte Welt verstanden aus der gesetzlichen Verbindung gleicher und ewiger Atome. In dieser Lage kann wieder nur die sittliche Menschenidee der selbstverantwortlichen Freiheit und der Achtung vor dem unbedingten

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Die Menschenidee

Sittengesetz die unsterbliche Menschenwürde retten. Dafür fordert Kant allerdings einen unendlichen Fortschritt der inneren Freiheit, um langsam die äußere geschichtliche Weltordnung unter der Freiheitsidee gewinnen zu können. Freilich muß dafür das Weltbild der strengen Determination aller Vorgänge nur durch gesetzliche Atomverbindungen beseitigt werden. Diese ja eben erst geforderte unausweichliche Naturgesetzlichkeit ist nur ein Naturbild; es ist zu erklären aus dem geistigen Apriorismus der Naturgesetzgebung. Die Ordnung der Dinge an sich ist demnach unverkennbar, nur die Ordnung der Erscheinungen ist rationalisierende und ideeierende Tat. Ihre Allgemeingültigkeit für alle Menschen kann nur in einer allgemeingültigen übersinnlichen Geistorganisation ruhen. Es ist schon ausführlich geschildert, wie der Ausgangspunkt von der sittlichen Freiheit zur Rettung der intellektuellen Existenz und des intelligiblen Ich nicht einmal die nüchterne Verstandesmetaphysik der Menschennatur erreichen konnte. Erst der Rückblick auf die abendländische Menschenlehre zeigt uns die vier Formelemente der Menschenidee in ihrer Reinheit. Die selbstbewußte Person mit dem Gewissen ist nachschöpferisches Selbst, Träger der Wesens- und Urgrunderkenntnis, aber nur in Verbindung mit der vorgegebenen Geist- und Leiborganisation. Die Geistseele ist mit der Person und für sie Urgrund und Einheit der Geistorganisation, aber zugleich durch den Gemeinsinn Belebungsgrund des Leibes, der Leib ist als geprägter Stoff zweiter Individuationsgrund. Das Selbst bleibt identisch mit der Geistseele für immer verbunden, auch mit dem in der Geistseele verwurzelten Gemeinsinn. Der Satz beruht auf dem mehrmals erläuterten Axiom der Konkretion von Individuation und Spezifikation je nach der Schicht, auf dem dritten Verstandesprinzip. In der Form: esse existens receptum recipitur secundum modum recipientis essentiae, das empfangene existentielle Sein wird aufgenommen nach der Weise der aufnehmenden Wesenheit ist er die Grundlage der ganzen Prinzipienphilosophie von Albert dem Großen über Thomas und Eckhart bis zum Cusaner. Er stammt aus der Vergleichung der Bereiche, der Analogie der Schichten. Die existente Wirklichkeit der selbstbewußten Person ist allein schichtgerechte Individuation eines Geistwesens. Dies kann darum nicht Artseele im biologischen Sinn sein, sondern nur Einzelseele und Animationsprinzip des Organismus. Obwohl das Selbst sich in seiner konkreten Wirklichkeit als zweifach organisationsbedingt erkennt, weiß es sich zugleich in seiner nachschöpferischen Kraft als solcher unabhängig von der vorgegebenen Leiborganisation und der Welt. Der konkrete anfangende

Die Einheit der Menschen

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Geist als intelligibles Ich der praktischen Vernunft und als Herz, als religiöses Gewissen weiß sich selbstverantwortlich für ein unendliches Leben und heilsbedürftig. Durch die Selbstgestaltung und Selbstbewertung wird er zur Metaphysik des Selbstbewußtseins geführt und auf die Abhängigkeit vom absoluten Geist. Die geschaffene Einheit des Menschen weist auf die ursprüngliche Einheit des Geistseins, auf die Gottesidee. Dies ist das Menschenbild, das jeder Religion und jeder Ethik zugrunde liegt, dort Herz und hier wahres Selbst heißt, intelligibles Ich und intelligibler Charakter. Die Aufnahmefähigkeit des Geistes für absolute Ideen und die Prinzipien der Einheit und Seinsheit, Wahrheit und Gutheit führt zur theoretischen Vernunft der kritischen Urgrunderkenntnis. Das dritte Formelement, die Animalität bei Kant, die animatio, ist artgemäße Leibgestaltung aus der Geistseele. Sie kann deswegen nicht aus der allgemeinen Natur stammen, weil der Auszeugungsgrund der Artseelen nur ein biologischer Urgrund ist, nicht ein noologischer. Die selbstbewußte Geistseele konstituiert eine höhere Schicht über dem Naturleben. Dennoch ist sie Seele durch ihre Leibgestaltung nach der der inneren Sinnesorganisation, durch einen vom Geist abhängigen Organisator, den Gemeinsinn. Nur das vierte Formelement, der menschlich umzuprägende Leibstoff stammt aus der Natur, aus dem Lebensstammbaum, der mit ihm sein ihm verborgenes und von ihm selber nicht erreichbares Ziel erreicht. Omnis homo secundum personam et animam de Deo creante, omnis homo de homine secundum materiam individuantem. Diese Menschenidee ist nach der Gewißheit des Herzens und Gewissens exoterisch, aber leider heute völlig esoterisch in der Geisteswelt des bloßen Verstandesgebrauchs, wenn nicht erst der Unterschied zwischen Verstand und Vernunft wieder grundsätzlich gesichert ist. c) Die Gottesidee Das Gottesbild ist Gewissens- und Herzenserkenntnis in der Lebensgemeinschaft und darum keineswegs beliebig, sondern streng den Weltaltern und Geisteswelten zugeordnet. Selbst die Gottesidee der theoretischen Vernunft ist zeitlich später als die der praktischen und emotionalen, weil sie erst am Ende der anthropologischen Philosophie exakt gestaltetwerden kann. Die Gottesidee steht zunächst in Zusammenhang mit der kategorischen Ethik, der unbedingten Selbstverantwortung für

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Die Gotteside©

die eigene und gemeinmenschliche Gerechtigkeit, mit der Gemeinschaftsidee des natürlichen Rechts und der natürlichen Sittlichkeit. Es muß zuerst die unbedingte Selbstverpflichtung auf Recht und Gerechtigkeit erreicht sein, ohne die Rücksicht auf Nutzen und Erfolg und damit die Idee der ewigen Verantwortung der unsterblichen Seele, damit die des Richters und Gesetzgebers erfaßt werden kann, der im Jenseits Würde und Glückseligkeit ausgleicht. Dann erst eröffnet sich der Sinn der Weltordnung als Werk Gottes, die Zielstrebigkeit, die Brauchbarkeit der Dinge, die Dienstbarkeit des Auges und der Lebewesen und die Möglichkeit der geistigen Selbstvollendimg. Das ist der Sinn des sokratischen, ethischen und physikoteleologischen Gottesbeweises. Es muß zuerst die emotionale Herzensgewißheit der unendlichen Eudämonie gegeben sein gerade im Erlebnis des Todes des Gerechten, bevor Piaton die ewige Schau der Gutheit, Wahrheit und Schönheit und ihrer Einheit im Seienden an und für sich auch ontologisch begründen kann. Diese Gewißheit der persönlich erlebten Vorsehung ist der spätere mystische Gottesbeweis aus dem unendlichen Seligkeitsstreben des Menschen. Die Theorie des Seins aus sich, der ewig erfüllten Wirklichkeit des Denkens ist die aristotelische Form der Analogie des endlichen und unendlichen Seins. Ihr liegt eine Ontologie der Schichten voraus, der stoffversenkten Formen, der unveränderlichen stofffreien Formen und der reinen Form an und für sich. Damit wird aber die geistige Anschauung Gottes selbst zum höchsten Ziel des Menschen, die Weisheit steht über der Gerechtigkeit und der Liebe zur ewigen Schönheit. Die Schwäche dieser klassischen Gottesbeweise liegt nicht in der Gottesidee selbst, sondern im Weltbezug dieses jenseitigen Gottes. Die Lebensgemeinschaft der Polis hatte schon im Ansatz der Begründung eines ewigen Naturrechts das Naturgesetz für sich verewigt und damit die Welt als einen zweiten Gott. Dabei blieb es auch im Hellenismus, weil mit dem Reich der freien Geister im Weltreich auch der Menschengeist verewigt wurde und die negative Theologie, das einzig Eine noch über dem ewigen Weltgeist und der Weltseele wieder nicht den einzig Ewigen und die vielen Ewigen scheiden konnte. Es ist keineswegs so, daß die Verewigimg der Welt das selbstverständliche wäre, die Schöpfungsidee nur Offenbarung. Sie ist im Gegenteil ältestes Denken schon in der Urkultur und wird eindringlich auch in der Hochkultur überdacht. Die verständliche Grenze des griechischen Denkens, das Welt und Seele verewigt, brachte es um die echte Geschichtlichkeit und damit um den Personbegriff. Nur darum konnte so leicht nach den drei großen Meistern schon in der Stoa wieder das unpersönliche Absolutum

Geschichte der Gottesidee

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Heraklits auftauchen und der Vorsehungsglaube Piatons durch den Schicksalsglauben verdrängt werden, der auch noch den Neuplatonismus trotz seines hohen Geistbegriffs bedrückte. Das wird besonders klar durch Viktorins Gotteslehre. Er wurde erst durch die arianischen Streitigkeiten erweckt, den seienden, lebendigen und geistigen Gott und die konsubstantiale Einheit der drei Prinzipien Könnensein, Lebensein und Geistsein zu verstehen. Aber diese dreieinige Gottesidee blieb esoterisch und es bedurfte trotz des jüdischen und christlichen Schöpferglaubens erst wieder einer kategorischen Ethik und emotionalen Mystik, um die Strenge der der persönlichen Geschichtlichkeit entsprechenden Gottesidee zu erringen. Für die großen asketischen Vorläufer des Pelagius im Osten wie Diodor war die unbedingt verpflichtende und sichere Ethik der Freiheit selber schon die höchste Gnade Gottes, in steigender Klarheit im natürlichen, mosaischen und evangelischen Gesetz geoffenbart. Die Vorsehung Gottes hat mit der Welt die sittliche Ordnung gesetzt, in der sich mit dem sittlichen Fortschritt die neue und ewige Ordnung der kommenden Welt schon vorbereitet. Augustin hat aus seiner Herzenserkenntnis dieser pelagianischen Gottesidee des Herrn der Freien den Erlösergott der Liebe und Seligkeit für den kranken Menschen gegenübergestellt. Der gefallene Mensch ist nicht mehr vollkommener Freiheit fähig, der geschaffene Geist ist nicht existendo lux, er wird nur intuendo illuminantem lucem selber Licht in ewiger Weisheit, Liebe und Seligkeit. Für ihn, der zwar über den bloß seienden, körperlichen Kreaturen schon Leben ist, ist Leben noch nicht dasselbe wie weise leben, weil er sonst unveränderlich dächte, wollte und liebte. Es ist zwar das höchste naturale desiderium des Menschen, unvergänglich selig zu sein, aber er kann es nicht aus eigener Kraft, er erschließt nur dialektisch das ontische Gegenteil, den existent Seligen: quod Tu solus es, qui solus simpliciter es, cui non est aliud beate vivere, quia Tua beatitudo es, daß Er allein ist, der allein einfach ist, dem nichts anderes leben und selig leben ist, weil er seine Seligkeit ist. Mit diesem Argument aus dem natürlichen Seligkeitsstreben und der Gottesidee der Liebe und Seligkeit verbindet sich das argumentum ex gradibus als Analogie der geschaffenen Wesen und des ungeschaffenen Seins. Schon Victorin hatte eigens den Existenzbegriff geprägt, um Piatons Einheit der Prinzipien zum personalen Geistsein zu klären. Der Stoff ist nur schön durch die Form, die zugleich mit ihm geschaffen wird, das Leben der geistigen Kreaturen und des Menschen ist nur schön und selig mit der Erhöhung zum unveränderlichen Lichthaben

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Die Gottesidee

durch das ewige Licht. Es ist hier das Herz, die liebende Persönlichkeit, die über ihre Ebenbildlichkeit hinaus zur gnadenhaften übernatürlichen Nachbildlichkeit Gottes erhöht wird. So ist noch nicht offen der ontische Gegensatz zwischen dem bloßen Selbstsein und Geisthaben und dem reinen Geistsein ausgesprochen. Aber die Lehre von der schaffenden Schau des einzigen Geistseins, das nicht erst bestehende Dinge zu sehen braucht, sondern sie schauend setzt, hat für das nächste Jahrtausend die Gottesidee bestimmt. Die existierende Liebe ist die existierende Wahrheit und das ist der eigentüche Kern des von Anselm formulierten ontologischen Gottesbeweises, daß das ens verissimum nicht nur realissimum, sondern existentielles Geistsein ist. Auch in der altchristlichen Geisteswelt bedurfte es erst einer existentiellen Metaphysik, um die dialektische Fassung der Gottesidee aus dem Gegensatz der Menscheneinheit und der Einheit Gottes zu gewinnen. Die bloße Einuiig von Person und Natur ist noch nicht Einheit, sie muß vertieft werden zur Scheidung von Essenz und Existenz, von quo est und quod est, um die Unterscheidung des Einzig Einen auch noch von den reinen Geistern zu ermöglichen. Das mittelalterliche Verfahren, die Gottesidee zu bestimmen, folgt nicht einfach dem der alten Meister von Sokrates bis Augustin und Boethius. Augustin hat noch scharf die höhere Vernunft vom Verstand geschieden, sie wie Mann und Weib gegeneinandergestellt. Thomas geht nicht mehr von der Prinzipienlehre aus, sondern von der Konnaturalität der Erkenntnisweisen, also vom Rückschluß von der Erscheinung auf das Wesen und die Schicht. Das verrät, daß es ihm im letzten um die kategorische Ethik geht, um die naturgemäße Pflicht der persönlichen und sozialen Gerechtigkeit und darüber um die Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis als der höchsten artentsprechenden Pflicht des Menschen. Die Entsprechung der Vermögen und der Pflichten im Menschen zielt auf die letzte natürliche Vollendung in der Gottesschau und auf die übernatürliche im ewigen Licht. Schon das natürliche Lichtsein seiner Geistseele muß nun betont werden, um die ihm entsprechende Selbsterkenntnis und Selbstvollendung begründen zu können. Dann erst kann die Selbst- und Gotteserkenntnis der leibfreien Geister erschlossen werden, auf die genau die augustinische Illuminationslehre zutrifft, und endlich die Erkenntnisweise Gottes selbst, die schaffende Schau mit dem seinssetzenden Willen. Aus dem Unterschied des endlichen, nur potentiell unendlichen menschlichen Denkens und des wesenhaft unendlichen Denkens Gottes wird die Entsprechung des endlichen und unendlichen Seins erschlossen, das wieder Koinzidenz von Selbstsein und Geistsein ist.

Die Schöpferidee

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Nochmals mußte von der Herzenserkenntnis aus dies neue Bild des geistigen Menschen neben dem geistlichen Augustins durchgedacht werden. Schon Bernhard hatte die Passivität des Augustinismus gesprengt durch die Betonung der unverlierbaren Freiheit des natürlichen Ebenbildes und der freien Selbstbereitung in reiner Liebe für die Gottesgeburt, aber erst Meister Eckhart sah die ewige persönliche Idee jedes Menschen in Gott, und so sah er auch das schaffende Geistsein mit seiner unendlichen Kraft, die jeder Schöpfungsakt als Seinsverleihung aus dem Nichts fordert. Der Bezug der Schöpferidee auf jede einzelne Person macht auch die Person selber zum nachschöpferischen Selbst. Es ist eine verewigende Kraft im Herzensgrund, die sich frei machen kann von allem Endlichen für das Einströmen des ganzen Gottesbildes in den Seelengrund, für die wesentliche deificatio. Eckharts Prinzipienlehre wird über die Einheit und Wahrheit hinaus bereichert um die Gerechtigkeit und Liebe, wie es dem Mystiker ziemt. So wird die platonische Prinzipienlehre für den letzten mittelalterlichen Metaphysiker wieder entscheidend. Für den Cusaner ist die höchste Einheit: könnensein, sich gleichsein und Verbundenheit, die volle Koinzidenz von Allmacht, Allwissenheit und All-Liebe. Auf den übrigen Seinsstufen aber gilt je schichtgerecht eine andere Einung von Individuation und Spezifikation und damit ist das letzte Prinzip der Weltordnung gefunden, die Konregionalität der Konkretion. Die Klärung und Vervollkommnung der Gottesideen in der Überlieferung ist ebenso deutlich greifbar wie ihr dialektischer Wechsel nach der kategorischen Ethik, der Unsterblichkeitssehnsucht und der Analogie der Seinsstufen. Die Geisteswelten stehen sich dialektisch gegenüber. Die Verewigung der Welt und Seele im Griechentum wird eliminiert durch die innere Geschichtlichkeit der Person mit der Vollkommenheitsforderung der zeitlichen Entscheidung für die Ewigkeit. Aber auch noch die passivische Erlösungsfrömmigkeit der altchristlichen Welt wird ergänzt durch die aktive Geistigkeit des Mittelalters, die den schöpferischen Menschen voranstellt. Mit dieser ethischen, mystischen und ontologischen Erhöhung des Menschen scheint die christliche Erlösungslehre gefährdet und so kommt neuerdings der Augustinismus in der Gottesidee zur Geltung. Augustin hatte mit der Übertonung der Gnade gegenüber der pelagianischen Freiheit den geistlichen Menschen zum bloßen Empfänger des gütigen Gotteswülens gemacht, der nicht Gott Zugekehrte aber mußte der Gottesfurcht erliegen, der Prädestination der massa damnata anheimzufallen. Der reformatorische Kampf gegen die priesterliche und sakramentale Gnadenvermittlung stellt den Einzelnen unmittelbar

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Die Gottesidee

dem gnädigen oder zürnenden Gott gegenüber, fide sola der gratia sola. Zugleich erfolgte die Entwertung der praktischen und theoretischen Vernunft im Hinblick auf die Gefahr der bloßen Werkgerechtigkeit, ja schon des Vernunftgebrauchs für die Gotteserkenntnis statt der Furcht vor dem Deus absconditus und seinem unerforschlichen Willen. Die Überforderung der Gottesfurcht durch die Prädestination verlegt das kategorische Ethos auf die weltliche Selbstbewährung in unbedingter Arbeitsaskese und Diensttreue. Das neue Absolutum wird die Notwendigkeit der ratio status. Längst vor Troeltsch und Webers Erkenntnis der Ersetzung der überweltlichen durch die innerweltliche Askese mit diesem Wechsel der Gottesidee hat Görres auf den geschichtsdialektischen Umschlag des Prädestinationismus in den Pantheismus aufmerksam gemacht. Schon Bodin hat gegen Calvins absolutistisches Kirchenregiment die Staatssouveränität ausgespielt und zugleich die einzige Sicherheit der natürlichen Gottesidee über den streitenden Religionsparteien. Der Gegenschlag der Volkssouveränität ist zunächst noch konfessionell bestimmt und darum bleibt es hier beim Deus absconditus und erst mit der rationalen Konstitution kommt auch wieder die natürliche Religion und Ethik und das natürliche Recht der frühen Aufklärung zur Geltung, der klassische Theismus. Die spätere französische Aufklärung sah aber in der Opposition wieder die Notwendigkeit der ratio status, aber nun nach dem status rationis, dem Herrschaftswillen der Geistigen. Dieser greifbar politische Zweckrationalismus verwarf Theologie und Metaphysik und mußte so den vernunftlosen Weltprozeß der notwendigen Atomverbindungen atheistisch verstehen. Das ist die politische Theologie, die sich dialektisch aus der Lehre vom Deus absconditus ergibt. Der Atheismus der Enzyklopädisten erhebt den Anspruch, die Wissenschaft und nur Wissenschaft zu sein, ist aber trotzdem politische Philosophie statt der bisherigen politischen Theologie und theistischen Metaphysik. Dies außerordentliche Phänomen der neuzeitlichen Zivilisation meint Nietzsche, wenn er sagt: die Kunde, Gott ist tot, wird die Menschheit erst in Jahrhunderten erreichen. Er zog daraus die Folgerung eines ewigen Faustrechts, gerade am Anfang jenes „Jahrhunderts ohne Gott" von 1850 bis 1950, in dem der Atheismus öffentlich verkündet werden konnte. Dieser Atheismus macht geschichtsphilosophisch die positivistische Wissenschaft, d. h. die Theologie und Metaphysik leugnende zur höchsten und einzigen Autorität der öffentlichen Meinung neben der Staatsmacht als einziger Quelle des damit ebenfalls positivistischen Rechts. Das bedeutet die Ausschaltung der selbständigen Judikative aus der Konstitution und die Reduzierung der Legislative auf den Mehrheits-

Pantheismus und Atheismus

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entscheid und die Diktatur. Nur so ist der ganz andere Charakter der französischen Revolution zu erklären, nachdem die soziologisch ähnliche englische von 1689 kaum mehr als ein Dynastiewechsel gewesen war. Sie ist mit dem üblichen Abstand von 30 Jahren die Auswirkung dieser politischen Nicht-Philosophie des Nihilismus (ohne natürliche Sittlichkeit und natürliches Recht) als Leugnung der Überwelt. Geistesgeschichtlich ist sie mit der Leugnung der Seele und des Geistes der Ursprung des Ästhetizismus, der privaten Pflege des Lebensgefühls ohne persönliche, soziale und politische Ethik außer der Erfolgslehre. So mußte Kant, der wahre Heros des Widerstands gegen die atheistische Aufklärung, vor allem die kategorische Ethik der unbedingten Achtung vor dem Sittengesetz und dem Naturrecht wiederherstellen und damit die intellektuelle unsterbliche Existenz und die natürliche Theologie der praktischen Vernunft wieder verkünden. Das war keine neue, nur eine einseitig ethizistische Gottesidee, zu der er zudem auch durch das Unvermögen gezwungen war, die in der positivistischen Wissenschaft enthaltene materialistische Metaphysik anders zu widerlegen als mit der Behauptung, die Einheitsstiftimg der Welt sei nur dialektischer Schein. Damit aber war die ganze theoretische Vernunft als ohmnächtig erklärt. Es ist hier schon mehrmals gezeigt worden, was für Folgen seine Entdeckung der transzendentalen Noologie hauptsächlich im deutschen Idealismus und im deutschen Naturalismus für die Gottesidee hatte. Jetzt erst wurde der Pantheismus konstruierbar und bald durch den Pandämonismus des werdenden Gottes oder vielmehr des blinden, sich zur Welt entfaltenden Lebenswillens ersetzt. Die Versuche christlicher Philosophen, aus der Noologie einen kritisch realistischen, spekulativen Theismus zu gewinnen, waren an sich sehr bedeutsam, gingen aber in der nun einsetzenden Breitenentfaltung der positivistischen Wissenschaft unter und ebenso jene beiden heroischen Versuche Schellings und Kierkegaards, der negativen Philosophie des rein logischen Konstruierens die positive Religionsphilosophie der Geschichtlichkeit entgegenzustellen von Gott als Herrn der Geschichte und vom zeitlich erschienenen Gottmenschen. Im 20. Jahrhundert ist zuerst durch die Religionssoziologie die absolute Ethik und Naturrechtslehre und damit auch die kantische Gottesidee wieder gewonnen worden, dann durch die phänomenologische Methode die überzeitliche Gültigkeit der logischen, ethischen und rechtlichen Werte mit der Idee der geistigen Persönlichkeit. Gleichzeitig hat die theoretische Biologie und Anthropologie den metaphysischen Wesensbegriff und damit auch den ontologischen Personbegriff

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Die Gemeinschaftsidee

wieder erreicht, so daß nun die strenge Prinzipienphilosophie der reinen Gottes-, Menschen- und Weltidee die höchste Aufgabe ist. Und danach erst kann auch die reine Gemeinschaftsidee wiedergewonnen werden. d) Die Gemeinschaftsidee Vor 50 Jahren hat Ferdinand Tönnies die Unterscheidung zwischen Gesellschaft und Gemeinschaft durchgeführt, der Organisation zu rational bestimmten Zwecken die Lebensgemeinschaften von der Familie bis zum Volk, nur noch nicht die der Menschheit entgegengestellt. Die so verstandene Gemeinschaft ist zunächst ein Verstandesbegriff der naturhaften Artgemeinschaft und Rassegemeinschaft und hat als solcher eine verhängnisvolle Rolle gespielt. Aber die Einheit der Gemeinschaft ist eine Vernunftidee. Tönnies steht genau an der Übergangsstelle von der Sammelstufe der Geisteswissenschaften zur vergleichenden Typologie. Wenn wir heute die geistige Gemeinschaftsidee nach der apriorischen und normativen Einheit des Menschenreichs untersuchen, so ist dies der Übergang von der typologischen Stufe zur Integrationsstufe der nachkantischen Wissenschaftsentwicklung. Die Gemeinschaftsidee steht insofern über den rationalen Organisationen, als die geistige Einheit des Menschengeschlechts Sichtbarwerden soll. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war der Kulturkreis nach der Kulturenvergleichung die umfassendste Gemeinschaft noch über den Nationen, nun muß die Menschheitsidee nach all ihren Seiten ins Auge gefaßt werden. Dabei geht es keineswegs um eine mögliche Organisation der Völker oder Staaten, nicht um den Weltstaat oder Weltstaatenbund, sondern um jene Einheitsideen der Menschheitsgeschichte, die als Werk der symbolisierenden oder reinen Vernunft die verschiedenen Geisteswelten bestimmt haben. Das höchste Gemeinschaftsbild der Zeiten tritt damit in den Bilderkreis der Gottes-, Menschen- und Weltbilder ein, in das zeitliche Korrelat des überzeitlichen Indeenkreises der reinen Vernunft. Nur so läßt sich ein halbes Dutzend von Begleitbegriffen dieser Einheitsidee bestimmen, das ewige göttliche Gesetz als unveränderliche Norm des Menschenreichs, das zeitliche göttliche Gesetz als unbedingte Verpflichtung der geschichtlichen Geisteswelten, der Hierarchismus der sittlichen Rangordnung der Berufe, Werke und Werte und die zeitliche Vorrangsordnung der Lebensmächte als Leitbild der neuen Gesetze, der Begriff der Sanktion als Gewissensbindung auch für das menschliche Gesetz und der der charismatischen Autorität der positiven Lebensmächte.

Die Kulturen und die Weltalter

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Das erzeugt die letzte, an die Typologie gebundene Anschauung der Weltgeschichte als Abfolge oder Nebeneinander vergleichbarer, aber trotzdem einmaliger Kulturen. Wir sehen die Abfolge der Weltalter nach ihrer innern Einheit aus der sozialen und symbolisierenden, reinen oder gläubigen Vernunft. In der typologischen Phase wurde den romantischen Geschichtsbildern und parteisoziologischen Ideologien höchst nüchtern die reinliche Scheidung der historischen Wirtschaftsstile, der Formen der Herrschaft und des Rechtswissens, der Formen der Bildung und des Überlieferungswissens, der Formen der Heilsgemeinschaften und des Heilsglaubens und -Wissens gegenübergestellt. Das war wertfreie historische Soziologie, die nur transzendentale, zeitliche Kultursynthesen annehmen konnte. Jetzt ist gerade die Einheitsidee der Kultur nach der zeitlichen Rangordnung der Lebensmächte zu untersuchen als Grundlage der neuen Gesetze und Verfassungen, also die historische Vernunft, aber auch die überzeitliche Rangordnung der Lebensmächte nach der reinen Vernunft. Das Verfahren ist übrigens recht einfach. Die Gesellschaftsbewegung ist nicht von der Summierung der Lebensmächte oder gar nur von ihrer Reduzierung auf eine einzige nach dem Schema UnterbauÜberbau abzulesen. Die Zivilisationsbewegung des organisierenden Verstandes nach dem Leistungswissen der Wirtschaft und Technik, der gesellschaftlichen Organisation, der staatlichen Verwaltung und Verfassung und des fortschreitenden Überlieferungswissens ist kumulativ, erfolgt Schritt für Schritt mit der Mehrung des Wissens und der Leistungsgüter. Die Kulturbewegung ist dialektisch, weil das Eingreifen der autoritativen Mächte in die schrittweisen Wandlungen des Gesellschaftslebens plötzliche Umlagerungen der Kulturverfassung mit sich bringt. Die Zeitphilosophie entwirft neue Gesamtordnungen, neue Kulturideen, die wir besonders in den naiven utopistischen Geschichtsphilosophien greifen können. Aber das gilt erst für die Geisteswelten der Vollkultur, die Betrachtung muß sich auch auf die vorausliegenden Weltalter erstrecken. Wir können nicht mehr in dem verführerisch großartigen Sinn der Romantik mit Schelling von Weltaltern reden, wonach die unvordenkliche innere Geschichte des werdenden Gottes sich zuerst zur Naturgeschichte, dann zur zeitlosen Mythengeschichte und zuletzt zur Offenbarungsgeschichte entfaltet. Hegel zog daraus die politische Idee der germanischen Reiches als des zweiten abendländischen nach dem römischen. Der Mißbrauch dieser Idee im Dritten Reich darf uns nicht abhalten, Gehalt und Wert der Gemeinschaftsideen, vor allem Bund, Reich und Kirche den rationalen Gesellschaftsbegriffen wie Staat und Wirtschaft gegenüberzustellen, zumal die

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Die Gemeinschaftsidee

totale Staatswirtschaft selber wieder eine Gemeinschaftsidee sein will. In einer eigentümlichen Ironie der Weltgeschichte hat die vorletzte Gemeinschaftsidee, die Fortschrittsidee mit ihrem absolutistischen Impuls den fast industriellen Betrieb der prähistorischen und historischen Forschimg in Gang gehalten, der durch die immense Erweiterung unseres geschichtlichen Horizonts zu einer neuen Weltalterlehre, zu einem nüchternen und doch großartigen Bild der Gesamtüberlieferung geführt hat. Die geschichtliche Weltreligion des Abendlandes bezeichnet sich selber täglich vieltausendfach als Neuen und Ewigen Bund, nimmt also die Überlieferung des Alten Bundes in ihr Zeitbewußtsein auf, das mit der Patriarchen- und Urväterzeit bis zu den Stammeltern der ganzen Menschheit zurückreicht. Wir können heute die Chronologie der drei vorchristlichen Jahrtausende präzis auf Jahrhunderte, oft Jahrzehnte festlegen, ja unsere neugewonnene Überlieferungsgeschichte reicht zurück bis zu den ersten Menschen. Die Urväterzeit ist uns durch die Konvergenz der Prähistorie und der Ethnologie der überlebenden Urfamilien der Wildbeuter so nahe und vertraut, daß auch wir wieder die natürliche Theologie und Sittenlehre an den Anfang der Menschheitsgeschichte stellen können. Die Patriarchenzeit ist uns soziologisch nach den Stämmen der Viehzüchter, Bauern und Handwerker verständlich und die Herrenhochkultur besonders Ägyptens mit seinen unvergleichlichen Kunstwerken und den ersten Denkmälern der Schrift und Weisheit tritt zwischen die Patriarchenzeit und das Alte Testament. Seit kurzem erst, seit wir das fünfte Weltalter, unsere eigene Zivilisation im Zusammenhang verstehen, ist uns auch das dritte philosophische Weltälter seit der Mitte des ersten vorchristlichen Jahrtausends als weltgeschichtliche Epoche klargeworden. In diesem Zusammenhang sehen wir auch das vierte Weltalter der Weltreligionen neu, vor allem unter dem Gesichtspunkt, warum sich die christliche Weltreligion gegenüber den beiden andern, der höherbuddhistischen und islamischen bis heute lebendig erhalten konnte, weil sie nicht selber wieder, trotz unablässiger Versuche dazu auch in der Christenheit, in die Nationalreligion zurückgefallen ist. So, wie die Naturgeschichte durch den Eifer des Fortschrittsglaubens zunächst ins Ungemessene erweitert wurde, aber heute auf die vier Milliarden Jahre der Welt und Erde, auf die eine Milliarde des Lebens auf der Erde und die halbe Million des Menschheitslebens festgelegt werden kann, ist auch die bekannte Menschheitsgeschichte der letzten Minuten und Sekunden dieser Naturgeschichte streng nach ihren zeithchen unageistigen Abgrenzungen abgesteckt. Von 2800 bis 500 dauert

Geschichte der Gemeinschaftsidee

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die Herrenhochkultur und nochmals zweieinhalb Jahrtausende die Vollkultur. So umfaßt unser Zeitbewußtsein wie das altchristliche wieder 50 Jahrhunderte, allerdings mit 500 Jahrtausenden Frühgeschichte, die aber keinen andern geistigen Gehalt hat als die Urväterund Patriarchenzeit. Die reine Idee der Gemeinschaft ist überzeitlicher Dienst an der Menschenidee, der den Gottesdienst als höchste Pflicht der Gottes- und Selbsterkenntnis mitumfaßt. Durch das Gottesbild des Gesetzgebers, Richters und Vaters ist diese Gemeinschaftsidee schon den Urvätern bekannt und heute als die natürliche Gemeinschaftsidee in der ganzen Menschheitsgeschichte nachzuweisen. Aber jetzt erst sehen wir deutlich die theoretische Verknüpfung der Menschenidee mit der Gemeinschaftsidee, sofern die allgemeine Menschennatur die Gliederung der Berufsgenossenschaften fordert. Das zeigt freilich nicht das verkürzte Menschenbild des organisatorischen Verstandes. Das eminent praktische Interesse an der Idee der wahren Einheit des Menschen verrät sich erst mit der kategorischen Forderung der wahren überzeitlichen Gemeinschaft. Man kann sie wie Kant mit den sittlichen Postulaten der Freiheit, der Unsterblichkeit und des Richtergotts begründen, aber dann hängt alles am Gewissen und nicht am ontischen Logos des Menschen. Erst die Aufbaugliederung seiner selbstbewußten Geistnatur mit dem Leib ist eine ausreichende Grundlage der Rangordnung seiner Wissensformen, seiner Werk- und Wertordnung. Die Menschenidee zielt allerdings nur je auf den Einzelnen, im strengen Sinn ist sie nur gültig für die Einheit vom wahren Selbst und Geistnatur. Aber durch die Einheit seiner Geistvermögen ist jeder hingewiesen auf die wesentliche Selbstverwirklichung für sich und die der Gemeinschaft der ganzen Art. Geisthaben ist arthaft und artbestimmt ist unsere Menschenwelt in der Gotteswelt, die nur jeder für sich und nur mit Hilfe der andern in der Überlieferung anschauen kann. Die volle Selbstverwirklichung ist nicht ohne die Gottesidee und Weltidee noch über der Menschenidee möglich in der wesentlichen Gerechtigkeit und in der allgemeinen Werk- und Wertewelt. Die platonische Iclee des „großen Menschen" ist der Schlüssel der theoretischen Gemeinschaftslehre. Das Menschenwesen entfaltet sich in der Polis, in den natürlichen Werkgemeinschaften zur Deckung aller menschlichen Bedürfnisse von der Nahrung, Kleidung und Wohnung an über die Rechtsordnung bis zur Selbst- und Gotteserkenntnis. Darnach kann dem autoritären Gewaltengefüge die richtige Politeia, die beste Verfassimg gegenübergestellt werden. Nun ist die Stufung der Formen des Wissens und des Handelns erkannt nach der Ordnung

3°4

Die Gemeinschaftsidee

der Seelenteile. Vom Leistungswissen geht es über das Herrschaftsund Rechtswissen zum Bildungswissen, die Wissensformen gestalten sich in den Berufsgemeinschaften des sachlichen Handelns zur Architektonik der vollständigen Werkordnung. Die Entfaltung des arthaften Lebensplanes nach der differenzierten Tüchtigkeit ergibt die Sittenordnung der Tugenden und damit ist die wissenschaftliche Ethik auf die Bahn gebracht. Sie gipfelt in der Anschauung des höchsten Guts, und im Eros zur höchsten Schönheit, in der ewigen Vollendung der Geistseele. Die menschliche Werkordnimg ist nun einzuordnen in die physisch-teleologische Weltordnung durch das Gottesgesetz, das alle Naturen und zuhöchst die Menschennatur logisch macht, wonach auch die Logik und Metaphysik zu begründen ist. Das göttliche Gesetz Heraklits als ewiges Naturgesetz wird zum ewigen Menschengesetz abgewandelt. So sind miteinander Ethik, Logik und Metaphysik begründet, sie alle stehen im Dienst des natürlichen Rechts, mit dem zugleich die natürliche Gottes- und Sittenlehre aufleuchtet. Diese natürliche Lebensordnung schon am Anfang der Menschheitsgeschichte sollte man nicht mit Jaspers den philosophischen Glauben nennen, sondern Gewissensglaube und Gewissenswelt. Die Hellenisten erlebten das Geistesreich im römischen Weltreich mit der tragischen Einsicht, daß unvermeidlich die natürliche Theologie der Weisen der Urzeit gegenüber der politischen und poetischen Theologie ohnmächtig bleibt. Damit war bereits die historische Vernunft und die autoritäre Macht des Gewaltengefüges erkannt. Die Verbindung der antiken und christlichen Kultur ist mehr als durch den Logosbegriff mit der Idee des Naturrechts gegeben, Die christliche Philosophie verstand von Anfang an das Alte Gesetz als Wiederholung des Naturgesetzes und das Neue Gesetz als Vervollkommnung der reinen Sittlichkeit und des reinen Glaubens. Jetzt aber kommt es mit der Vollkommenheitsforderung an jeden zur inneren persönlichen Entscheidung in der Zeit für die Ewigkeit und damit zur Einmaligkeit der Persönlichkeitsgeschichte und der Menschheitsgeschichte von der Schöpfimg bis zum Jüngsten Gericht. Die Tragik des Menschenlebens wird in das Gewissen des Einzelnen verlegt mit der Scheidung der Guten und Bösen in alle Ewigkeit. Dem höchsten Ernst der Freiheitsforderung antwortet der Glaube an die Gnade und Erlösung und damit beginnt die neue unablässige Problematik von Freiheit und Gnade, Ethik und Mystik, Vorsehung und Prädestination. Erst auf Grund dieser Klärung der Gemeinschaftsidee wird die erstaunliche Einheit der weiteren geschichtlichen Gemeinschaftsbilder ver-

Gemeinschaftsbilder

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ständlich. Das erste Reich ist uns heute schon in den Symbolen der ersten und zweiten Dynastie Ägyptens greifbar und seit der dritten und vierten ist uns sein ganzer Bilderkreis mitsamt dem Reichsbewußtsein und Reichsethos in schriftlichen Zeugnissen überliefert. Die Reichseinheit der zwei Kronen und sämtlichen Gaue steht unter dem einen Reichsgott, wenn auch sein Bild mit den Dynastien und entsprechenden Göttergenealogien wechselt. Sein Geist, sein Charisma, sein Ka ruht auf dem König und seine Justitia, Maat ist die Sanktion des menschlichen Reichsgesetzes. Der Königsgott wird repräsentiert vom Gottkönig, dessen Unsterblichkeit die Pyramide verherrlicht. Das Weltbild hängt vom Reichsbild ab, der verstorbene König fährt mit dem Sonnengott in der Sonnenbarke über den Tag- und Nachthimmel und besteht mit dem Bild der Justitia auf den Händen das Totengericht. Auch im Babylonischen Reich sanktioniert der Sonnengott das menschliche Reichsgesetz. Der erste Bund wird um 1250 von Moses gestiftet und das alte göttliche Gesetz vom Bundesgott selber verkündigt. Der Bund der zwölf Stämme ist Hochkulturgründung zwischen den beiden ersten Reichen, zunächst ohne Königtum. Der charismatische Gesandte ist nicht Repräsentant des unsichtbaren Gottes, der selber inmitten seines neuen Volkes unsichtbar thront und immer wieder sein Volk nach seiner Gesetzestreue aus der Bedrückung rettet. In dieser Hilfe offenbart sich der Gott der Urväter genau nach seinem Gesetz der Gerechtigkeit. Ihm errichtet das spätere Königtum um 960 den einzigen Bundestempel, aber immer wieder müssen die Propheten gegen das irdische Königtum sein himmlisches der Gerechtigkeit verkünden, bis im abhängigen Volk das Priestertum die Bundeseinheit repräsentiert. Das erste unsichtbare Reich der Gerechtigkeit und Wahrheit erwächst aus den innerpolitischen Kämpfen Athens seit 430. Jetzt wird dem historischen Gewaltengefüge die normative Ordnung der sozialen Gerechtigkeit entgegengestellt, das bleibende Berufsgefüge des Dienstes für alle aus der Menschennatur erwachsenden Bedürfnisse von den Gütern über die Rechte bis zur Bildung und Frömmigkeit. Mit der Entdeckung der bleibenden geistigen Menschennatur und überzeitlichen Menschenidee ist die Paideia gefordert, die Vollkultur der natürlichen Gottes-, Sitten- und Rechtslehre. Sie überhöht die politischen und poietischen Autoritäten des Völkerlebens und ist über die Oikumene zu verbreiten. Aber als natürliches Recht ist sie nicht selber geschichtliche Autorität, sie kann nur durch die Erziehung der Begabten indirekt geschichtsgestaltend werden. Das unsichtbare Reich bleibt esoterisch und dieser sein Charakter tritt kraß hervor im neuen römischen

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Die Gemeinschaftsidee

Weltreich, ohne daß eine neue Lösung gefunden werden könnte außer dem Kosmopolitismus der Wissenden gegenüber der Kosmokratie der Herrschenden. Das christliche Gemeinschaftsbild ist der neue und ewige Bund als Mysterium fidei, als geoffenbartes Geheimnis und Heilsmittel des Glaubens, aber nun nicht nur für die Wissenden, sondern für alle, die reinen Herzens sind. Er ist wieder ein unsichtbares Reich der Gerechtigkeit, Wahrheit und Liebe mit der unbedingten Forderung der Vollkommenheit, Glaube an die Gnade für die Sünder und Schwachen. Der neue Bund ist eine mystische Gemeinschaft nicht der natürlichen Begabungen, sondern der Begnadungen und fordert so eine sichtbare Weltkirche der Berufenen, der Herausgerufenen aus Juden und Heiden. Er ist eine Gemeinschaft der höchsten Spannung zwischen Freiheit und Gnade, Bekenntnis und Innerlichkeit, Sakrament und Glaube. Gegen den alten Bund des auserwählten Volkes und seinen politischen Messianismus in der Unterdrückung durch alle vier Weltreiche der Reihe nach, gegen das heidnische Gottkaisertum und das gnostische Heroentum ist er königliches Priestertum aller Erwählten. Mit der Umbildung des alten Priestertums muß auch eine Umbildung des alten Gesetzes erfolgen: translato sacerdotio necesse est und legis translatio fiat. Auch dies neue Gesetz der Gerechtigkeit, der Liebe und des Selbstopfers sprengt das autoritäre Gewaltengefüge der Zeit, es kann aber nicht durch Erziehung, nur durch die Umbesinnung eines jeden Einzelnen verwirklicht werden. In der furchtbaren Krise des Weltreichs am Ende des 3. Jahrhunderts wird zwar die neue brauchbare Staatsgesinnung der Christen erkannt, aber nach ihrer Anerkennung sollte doch sofort das christliche Gemeinschaftsbild wieder zu einer autoritären politischen Theologie umgebogen werden, zum Byzantinismus der Einheit von Gott, Kaiser und Reich. Nur in der reichsfreien Westkirche gelang seine Bewahrung nach wechselvollen Kämpfen durch die vereinigte Kraft des Studiums und der Mystik im 12. Jahrhundert. Das ewige Gesetz heißt nun Einheit des positiv göttlichen und natürlichen Gesetzes, denen das öffentliche und bürgerliche Recht untergeordnet sind. Wieder wird aus der Entfaltung aller Pflichten der Menschennatur die wahre Einheit der Gemeinschaft gewonnen. Die überzeitliche Größe dieser Gemeinschaftslehre ist wieder wie in der Antike das eigentliche Hemmnis, sie zu einem neuen zeitlichen Gesetz zu machen. Der normative status mundi wäre die volle Kultursynthese, aber man kennt schon aus den Kämpfen zwischen sacerdotium imperium und Studium den status ecclesiae, studii, rei publicae et

Der Gesellschaftsbegriff

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civitatis. Auf allen diesen Spannungsfeldem kämpfen die Geistigen gegen die Autoritären. Über die Konziliarbewegung der rationalen Theologen gegen die Kanonisten kommt es in der Reformation zu einem neu verstandenen Primat der positiven Theologie und der Schrift und damit des göttlichen Gesetzes. Durch den Kampf von Reformation und Gegenreformation erwächst der Primat der politischen Philosophie im souveränen Nationalstaat der Neuzeit. Das neue Gesetz des Absolutismus bestimmt allein die Exekutive, bis gegen die Legislative der Volkssouveränität die rationale Konstitution gefunden wird, aber nicht mehr als Kultursynthese, nur als politische Gewaltenteilung. Wie einst in der Antike die Eigenbewegimg des Reichs der Wissenschaft den großen Impuls des Geistesreichs weitergetragen hat, so sind seit der Gründung der Universitäten die Geistigen in allen Lebensmächten am Werk. Sie können aber nur organisatorisch die einzelnen Lebensmächte rationalisieren, es kommt zur bloßen Gesellschaftsbewegung der Zivilisation. Der Statusbegriff überholt überall die Reichsidee und den Ordnungsbegriff. Im status ecclesiae der Theologenkirchen führt der Weg vom Summepiscopat zum Laizismus, zur Gemeinde der Frommen, zum religiösen Subjektivismus. In der Gelehrtenrepublik löst der bewegliche Stand der Wissenschaft die Einheit der Philosophie und Lehre ab, die Wahrhaftigkeit der Forschergesellschaft ersetzt die normative Wahrheit. Daß nun die Reiche nurmehr Staaten heißen, ändert nichts an ihrem Autoritätsanspruch. Im großen Zeitalter der Juristen von 1600 bis 1750 kann nur in der Idee der Hegemonialismus zum europäischen Gleichgewichtssystem ausgewogen werden und die Konstitution regelt nur das Verhältnis der innerpolitischen Gewalten. Schließlich steht der Einzelne für sich allein der Staatsmacht gegenüber. Zuletzt wird der Gesellschaftsbegriff selber entdeckt, der status oeconomiae, auf den Wirtschaftsverstand des Einzelnen abgestellt, der sich dann allerdings in Interessengruppen verbünden muß. Der Gesellschaftsbegriff steht gegen den Staatsbegriff und macht für das Jahrhundert von 1750 bis 1850 Epoche, weil sich seiner sofort die historische Vernunft bemächtigt, ihn paradox zu einer „Gemeinschaftsidee" erhöht. In England wird durch die frühe Aufklärung mit der gottgewollten Harmonie der Einzelinteressen die liberale Gemeinschaftsideologie begründet, in Frankreich aber von der oppositionellen Intelligenz die Eigengesetzlichkeit der Wirtschaft durch das kosmologische Naturgesetz der Atomverbindungen unterbaut. Dieser atheistische Rationalismus ist der radikale Antrieb zur Französischen Revolution, die zuletzt doch wieder in den Konstitutionalismus aus-

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Die Gemeinschaftsidee

mündet. Die Prägung des Begriffs Soziologie, Lehre von der Gesellschaftsgesetzliehkeit, fordert Entpolitisierung, die bei Comte und bei Spencer soweit geht, daß der Staat gänzlich aufgehoben werden soll. Auch Marx glaubte zuerst an den wissenschaftlichen Sozialismus, d. h. daß die Eigenbewegung der Produktionsgesetzlichkeit bald die staatlichen Überbauten über der Wirtschaftsbewegung auflösen werde, daß der Staat absterben müsse. Dann aber führte doch die Übersteigerung des Klassenbewußtseins zur Gemeinschaftsideologie des Proletariats, zur Politisierung der Arbeiterklasse. Der Internationalismus der vereinigten Proletarier forderte die Gegenbewegung des Nationalliberalismus und Kolonialimperialismus heraus, und der erste Weltkrieg brachte allenthalben den nationalen Sozialismus. Die Verbindung von Klassen- und Staatsethos ergab den Totalstaat, Ökonomik und Politik sollten in der Staatsplanwirtschaft zur Deckung gebracht werden, Ethik und Metaphysik im dialektischen Materialismus. Dieser verkürzten Kultursynthese ohne Geist und Glaube ist der Nationalsozialismus nachgebildet mit Erweiterung der Arbeiterklasse auf die Mittelstandsklasse unter dem naturalistischen Dogma des Rassismus. Mittlerweile sind aber der Imperialismus und nationale Sozialismus im Absterben durch die Eigengesetzlichkeit der Weltwirtschaft, die selbst durch die Weltkriege nicht völlig aufgehalten werden konnte, ja durch sie im entscheidenden Punkt der Atomkraftgewinnung gefördert wurde. Heute steht sie unter dem Druck der immensen Produktionssteigerung der Marktwirtschaft. Dieser praktische Rationalisierungsvorgang kennt keine geplante Kultursynthese, er kann nur unter die Idee der Verteidigung der reibungsloseren und ertragsreicheren Gesellschaftsverfassung gestellt werden. Ihr widerspricht aber leidenschaftlich das längst überholte gesellschaftliche Bewußtsein politisierter Intelligenzschichten. Unsere Zeitlage ist also immer noch durch die kämpfenden Klassenideologien bestimmt, ein falsches gesellschaftliches Bewußtsein gegenüber der den Meisten verborgenen sozialen Wirklichkeit. Das soziale Sein wird aber nur in Übergangssituationen durch das gesellschaftliche Bewußtsein bestimmt, der wahre Unterbau der sozialen Welt ist das bleibende Berufsgefüge, nicht das wechselnde Gewaltengefüge.

Die Wissenschaftsentwicklung

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SCHLUSS Die k o m m e n d e Z e i t Die Integration der konvergierenden Forschungsergebnisse ist streng gefordert. Damit wird zunächst das Gemeinschaftsbild und Geschichtsbild unabhängig von der außerwissenschaftlichen geschichtlichen Situation, in die es erst nach seiner Vollendung wieder eingreifen kann. Integration heißt nun, daß man zwar im einzelnen die historische Typologie der Wissenschaft und Wirtschaft, des Staates, der Religion und Philosophie, die relative Eigengesetzlichkeit aller dieser Geseüschaftsbewe^ungen feststellt, aber trotzdem ihren unlöslichen Zusammenhang mit dem Primatanspruch der autoritären Mächte, und zwar schon im Hinblick auf die normative Rangordnung der Mächte und Rechte, sieht. Wir können dem jeweils neuen Zeitgesetz der historischen Rangordnung die Idee der bleibenden Werkordnung und Wertordnung gegenüberstellen. Der historische Materialismus als Primatanspruch der Wirtschaft und ebenso der historische Etatismus sind schon zweifach überholt durch den faktensammelnden Historismus und die vergleichende Kulturwissenschaft. Die Wissenschaftsentwicklung für sich selber wird epochemachend, weil jetzt die Eigengesetzlichkeit der Wissenschaftsbewegung über die bloße Forschung hinauswächst und wie von selber zur neuen Kultursynthese vom Geistesreich aus drängt. Die Wissenschaft war immer abhängig von den führenden Lebensmächten, aber seit mit der abendländischen Universität eine feste Wissenschaftsinstitution gegeben war, konnte doch eine relativ selbständige Eigenbewegung einsetzen. Von 1150 bis 1300 ist unter dem Primat des philosophischen Hierarchismus neben der geistlichen Hierarchie und im Kampf mit dem Reich schon die seither ununterbrochene institutionelle Wissenschaftsentwicklung im Gang. Sie sucht die Konkordanz der gesamten Überlieferung der Theologie und Philosophie, der Jurisprudenz und Medizin nach derselben scholastischen, historisch-kritischen Methode. Nebenher entfaltet sich bereits die Stadtwirtschaft und von 1300 bis 1450 kommt es zur politischen Renaissance der bündischen Stadtstaatenwirtschaft im Kampf mit dem aufsteigenden Territorialstaat und der entsprechenden Konziliarbewegung. Neben die in den vier Fakultäten gebildete ständische Intelligenz tritt die freie Intelligenz der Politik und Philosophie, der Wissenschaft und Kunst. Von 1450 bis 1600, seit der Eroberung von Konstantinopel, der Vollendung der Reconquista in Spanien und der Entdeckung Amerikas verfestigt sich unter dem Primat der expansiven Territorialwirtschaft der Nationalstaat und bald mit ihm die Reformation. Die philologische Renaissance des Bücherwissens und der Interpretation erzwingt den Buchdruck, die Philosophie verliert ihre öffentliche Bedeutung. Die drei Phasen des Hochmittelalters, des Spätmittelalters und Humanismus zeigen besonders deutlich die kontinuierliche Kummulation der zivilisatorischen

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Die kommende Zeit

Mächte der Wissenschaft und Wirtschaft trotz des wechselnden Primats der religiösen Philosophie, des Stadtstaates und Nationalstaates. In der neuen Zeit herrscht von 1600 bis 1750 der Absolutismus. Damit ist nicht nur das nationalstaatliche Hegemoniestreben gemeint, auch das Zusammenspiel der Faktoren unter der Vorherrschaft des Staates. Er ist nicht nur eine Erfindung Spaniens, das unter Philipp II. schon wesentlich die rationale Verwaltung gefördert hat, aber noch im gegenreformatorischen Geist. Der neu aus den Religionskriegen erwachsende Geist ist politischer und bald mathematischer Rationalismus, der die Staatssouveränität und Volkssouveränität schließlich im englischen Konstitutionalismus ausgleicht und damit die rationale Verfassung gewinnt. Er bestimmt auch die neue Religionspolitik des Regionalismus um der Staatseinheit willen. Er unterwirft sich die Philosophie der großen Barocksystematiker, die die politische Einheitskultur nationalistisch erstreben. Schon wird Staatsplanwirtschaft, der Merkantilismus versucht. Das mathematische Denken gilt als einzig sicheres. Von 1750 bis 1864 herrscht der Industrialismus, weil die englische Verfassung die Bestimmung der Staatsräson durch die Wirtschaftsräson erlaubt. So wird aus einem absoluten Impuls die Wirtschaftsgesetzlichkeit selber eine grundsätzliche Frage. Die Soziologie tritt auf zuerst in den zwei Formen des englischen Industriesystems und des französischen Physiokratismus, ja sie ersetzt hier die theistische Frühaufklärung durch ihren historischen und metaphysischen Materialismus. Der mathematische und physikalische Positivismus kennt nur noch Kosmologie, aber der damit notwendig gegebene Atheismus kann noch nicht öffentlich vertreten werden. Es macht die weltgeschichtliche Größe Kants aus, daß er diesen beiden Zeitbewegungen, der bürgerlichen Erfolgsethik die reine Ethik und den reinen Rechtsstaat und dem Atheismus die reine natürliche Religion entgegengestellt hat. In der Folge der französischen Revolution setzte sich allenthalben der bürgerliche Rechtsstaat als Entsprechung des Industriesystems durch. Aber dabei blieb dessen breiteste Trägerschicht noch unberücksichtigt, die Arbeiterschaft, und für sie wurden die Utopien einer neuen Gesellschaftsverfassung entworfen. Mit der Durchsetzung des Parlamentarismus 1848 konnte man erwarten, daß ihr nach dem Gang der wirtschaftlichen Produktionsgesetzlichkeit, der Konzentration der Betriebe und der Akkumulation des Kapitals schließlich die Mehrheit von selber zufiele und eben das nannte Marx wissenschaftlichen Sozialismus. Allein epochemachend ist immer die autoritative Vorausberechnung der Staatsräson und so wurde der heraufkommenden Arbeiterschaft und ihrer Zusammenfassung in den Gewerkschaften die koloniale Expansionspolitik entgegengestellt. Das ist der Beginn des kolonialen Imperialismus von 1864 bis 1918, der sich schon im Nordamerikanischen Krieg gegen die Südstaaten und mit Japans Eintritt in die westliche Zivilisation ankündet und besonders drastisch in der nachgeholten nationalistischen kleindeutschen und italienischen Zentralisation hervortritt. Noch ist nicht offen von Planwirtschaft die Rede, aber in der Machtgeschichtsschreibung und im entsprechenden Historismus verrät sich indirekt der neue Zeitstil. E s ist freilich immer das schwerste, die eigene Zeit im nötigen Abstand der interesselosen Objektivität zu sehen, aber man muß es wagen. Das Ende des Imperialismus ist schon nach dem ersten Welt-

Die Zeitsignatar

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krieg eingetreten. Das ist noch verdeckt, weil im Vordergrund der Weltpolitik der letzten Jahrzehnte die drei Totalstaaten standen, die den ersten Weltkrieg verloren hatten und den kolonialen Imperialismus nachzuholen versuchten. Aber in der Breitenwirkung ist aus den Kriegsfolgen in Fortsetzung der Kriegswirtschaft der nationale Verteilungssozialismus bei Siegern und Besiegten unsere Zeitsignatur. Die Einbeziehung der Arbeiterschaft in das Staatsleben brachte nicht den sozialistischen Wohlfahrtsstaat, aber den Notstandsstaat und Versorgungsstaat der nationalen Solidarität. Das ist die völlige Ernüchterung des Etatismus. Das nationale Sozialprodukt bestimmt in dieser Phase das politische Denken. Aber in Wirklichkeit ist die Intensität der Weltwirtschaft so groß, daß statt der kolonialen Ausbeutung der zurückgebliebenen Gebiete ihre Förderung durch die hochindustrialisierten Staaten höchste Staats- und Wirtschaftsräson ist. Dazu kommt, daß genau entsprechend der tragischen Weltkenntnis Kants in der Schrift vom ewigen Frieden die Stärkung des Kriegspotentials mit dem schrankenlosen Aufgebot aller Mittel die Auswertung der Atomkraft erzwingt und damit endlich auch ihre friedliche Anwendung auf diesem Umweg herbeiführen wird. Das schafft aber eine ganz neue Lage der Wissenschaftsentwicklung. Die Grundlagenforschung rückt in den Mittelpunkt der staatsnotwendigen Förderung der Wissenschaften und höchst paradoxerweise wird damit die Freiheit der Wissenschaft unerbittliche Forderung der Staatsräson. Endlich wird die Eigenbewegung der Wissenschaft das Hochziel, unsere Gesamtlage zu verstehen. Gewiß steht in dieser Zeitbindung der praktische Zweck, ihre Brauchbarkeit in der gefährdeten Situation allein vor dem Zeitbewußtsein mitsamt der dazugehörenden Katastrophenangst, aber das hat keinen Einfluß auf die Soziologie der Wissenschaft, die den gewaltigen Differenzierungsprozeß des Großbetriebs der Forschung zu untersuchen hat und den rein innerwissenschaftlichen Gang der Entwicklung. Es ist nicht zu leugnen, daß der Forscher die führende Geistesgestalt der ganzen Neuzeit gewesen ist und daß sich dabei der Gesichtskreis der Intelligenz immer mehr eingeengt hat. Die juristischen Schöpfer des Absolutismus waren politische Philosophen hohen Ranges und noch die Enzyklopädisten erstrebten eine totale Veränderung des politischen Lebens. Schon mit der Gründung der Akademien um 1750 trat der unpolitische Akademiker auf; der reine Spezialist des Forschungsbetriebs kennt nur noch sein Fach. Im Anfang des 20. Jahrhunderts hat die gegenläufige Bewegimg eingesetzt. Durch die immense Erweiterung und Bereicherung des geschichtlichen Horizonts ist die

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Die kommende Zeit

Soziologie der Religion, der Bildung, des Staats- und Rechtslebens und der Wirtschaft zur wertungsfreien Kultursoziologie herangereift. Wir sehen sowohl die Eigengesetzlichkeit der einzelnen Lebensmächte wie die Kultursynthese, die mit dem neuen positiven Gesetz und der neuen Geisteswelt gegeben ist. Die neue Geistphilosophie hat zunächst ganz unpolitisch die Rangordnung der Werte nach der geistigen Menschenidee wieder entdeckt. Es ist sehr charakteristisch, daß dabei trotz des vorherrschenden Leistimgswissens nicht die Rangordnung der Werke und der Berufe vorangestellt wurde, und die Schlußfolgerung der Rangordnimg der Gesetze noch kaum gezogen wurde. Die alte Universität war in der Zusammenfassung der vier Fakultäten Bildungsinstitution der Einheit aller Lebensmächte. Sie war selber schon eine Gemeinschaft der Geistigen, in der die Gemeinschaftsidee als ewiges Gesetz der Rangordnung der Rechte erkannt werden konnte. Dieser Hierarchismus der bleibenden Geistgestalten ist die wahre soziale Voraussetzung für die Wesensschau der Werkordnung und Wertordnung und nicht wie Scheler glaubte, eine hierarchische Ständeordnung. Ständeordnung in juristischem Sinn ist ja gerade zeitliches Gesetz, die Hauptleistung der historischen Vernunft als Entwurf jener neuen Gesetze, die epochemachend in den Gang der kumulativen Zivilisationsbewegung eingreifen. Wir verstehen geschichtssoziologisch die Eigengesetzlichkeit der Zivilisation, den seit der institutionellen Verfestigung der Wissenschaft dauernd ansteigenden Rationalisierungsprozeß der Verwaltung und Verfassung, der Technik und Produktion und vor allem der Wissenschaft selber. Aber es liegen wie immer im Streit das rationale Leistungswissen und die autoritäre Wirtschaftsplanung, Rechtswissen und Herrschaftswissen, Bildungswissen und autoritäre Zeitphilosophie. Die Soziologie der Wissensformen ist längst über ihre aktuelle Zeitbedingtheit hinaus zu ihrer Typologie und zuletzt zu ihrer Verwurzelung in der philosophischen Menschenlehre vorgestoßen. Wir sehen wieder wie die Antike und das Mittelalter die ideale ewige Rangordnung der Werte und Pflichten, ihrer sachgemäßen Institutionen und Eigenrechte. Nur die alle andern tragende Gesellschaftsbewegung der Neuzeit, die sich steigend rationalisierende Wissenschaft hat zwar längst feste Institutionen, aber noch keine Soziologie, kein staatsfreies Eigenrecht und keine Repräsentation. Es ist wahrscheinlich, daß die Zeitlage ihre Sendung bald weithin sichtbar macht. Aber hier muß zunächst ihr idealer Stand an sich gezeigt werden, bevor die Forscher und Lehrer zum juristischen Stand werden können. Gewiß wird auch der Stand der heutigen ökonomischen, politischen und reinen Wissenschaft durch die historische Vernunft beeinflußt, sofern die Zeitlage, die sich in

Die Kultursynthese

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Zeitphilosophien mit Unheilsprophetien niederschlägt, richtungsändernd eine einzige Methode zur herrschenden machen will. Dafür muß man allerdings das dauernde Streitgespräch der rationalen Wissenschaft und der Zeitphilosophie im Auge behalten, um davon die streng wissenschaftliche Philosophie abheben zu können, die selber noch in der Wahl einer bestimmten Methode von diesem Dialog abhängt. Die politische Philosophie des Absolutismus von 1600 bis 1750 strebt zum rationalen Theismus und fördert die mathematische Methode womöglich in allen Wissenschaften aus innerem Sicherheitsbedürfnis im Zeitalter der Religionskriege. Erst die Enzyklopädisten sind als ökonomistische Soziologen Atheisten und begründen zugleich den historischen und metaphysischen Materialismus mit der ausschließe lieh verwendeten mechanistischen Methode. Selbst Kants Philosophie der reinen Vernunft ist noch im Ansatz der transzendentalen Methode durch die Gegnerschaft gegen diese Zeitphilosophie bestimmt. Die Übersteigerung der transzendentalen Methode zum Transzendentalismus ist wieder Zeitphilosophie, nicht einer politisch oppositionellen Intelligenz, sondern einer unpolitisch ästhetisierenden, die allerdings mit Hegel zur reaktionären Politik vorstößt, bis Marx wieder den Anschluß an den historischen Materialismus der Enzyklopädisten findet. Nun erst werden die positivistischen Wissenschaften Zeitstil. Die unermeßlichen Sachaufgaben der Forschung in der Sammlung und Sichtung der Fakten bestimmen das späte 19. Jahrhundert, und zwar noch lange im oppositionellen Geist des Nihilismus, bis die enorme institutionelle Breitenentfaltung der Forschung sie neutralisiert. Und nun erst folgt die Wissenschaftsentwicklung fast gänzlich ihrer eigenen innern Gesetzlichkeit. Die Vergleichung der natur- und geisteswissenschaftlichen Fakten führt zur Typologie und diese notwendig zur Integration und Synthese. Der Stand der typologischen Naturwissenschaften erzwingt die neue morphologische Methode. Nach ihr aber ist der Mensch wieder als über der Natur stehendes personales Geistwesen erkennbar. DerStand der typologischen Geistes- und Sozialwissenschaften erfaßt die natürlichen Berufsgemeinschaften des sozialen Seins und ihre sachbestimmte Entwicklung, die dem nun veralteten gesellschaftlichen Bewußtsein verborgene soziale Wirklichkeit. Zunächst sah man die sich immer mehr institutionell verfestigenden Lebensmächte nebeneinander, aber gerade damit wird die Kultursynthese ein unausweichliches Problem. Die apriorische Anthropologie kann das Nebeneinander der Lebensmächte im Blick auf den Ursprung der Wissensformen und der Berufsgemeinschaften der Werkordnung aus dem wesensgesetzlichen Aufbau der

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Die kommende Zeit

personalen Geistnatur überwinden. Ihre Gemeinschaftsidee ist in der hundertfach durch die neutrale Wahrhaftigkeit der Forschung vorbereiteten Stunde der Versöhnung von Wissenschaft und reiner Philosophie kaum noch zeitbedingt zu nennen. Ihre Übereinstimmung mit der antiken und christlichen Gemeinschaftsidee des ewigen Gesetzes ist ein glorreiches Zeugnis der Einheit des weiteren und engeren Abendlandes und der überzeitlichen reinen Vernunft. Sie schließt ein die metaphysische Wirklichkeit der reinen Gottesidee, den kategorischen Imperativ der solidarischen Liebe, die persönliche, politische und wissenschaftliche Freiheit. Gewiß ist die Menschenidee esoterisch, nur dem in Metaphysik Geschulten verständlich, aber sie ist nichts anderes als das Menschenbild des Herzens und Gewissens in der ganzen Menschengemeinschaft, also jedem nahe. Die reine Philosophie kann warten, bis der verläßliche Gang der Wissenschaft ihr immer näher entgegenkommt und langsam die Geistigen, die Beweger der Geschichte, zu ihrem wahren Stand im Reich der Wahrheit erweckt.

PERSONEN VERZEICHNIS

A A b a e l a r d 175, 180 A e g i d i u s v . R o m . 202 A é t i o s 156 A l b e r t d. Gr. 39, 187, 292 A l b i n n s 138 A l e x a n d e r Apkrodisias 138 A m a l r i c h 182 Anaxagoras 115 Anaximander 110 Aristoteles 36, 40, 44, 45, 123, 247, 249, 265, 278, 283, 289, 294 A t h a n a s i o s 155 A u g u s t i n u s 25, 52, 55, 78, 79, 265, 295 A v e r r o e s 173, 186

B B a c o n Francis 21, 95, 98, 213 B a c o n R o g e r 184 Basilides 138 Basilios 159 B e r n h a r d 175, 177 B o d i n 65, 218, 298 B o e t h i u s 41, 4 5 , 1 7 2 , 251 B o n a v e n t u r a 191 B o y l e R o b e i t 214 B r u n o 277, 284 C C a l v i n 2x0 C am p an e l l a 95, 98, 212 Celsus 138 Cicero 25, 78, 131 C o m t e 282, 308

D D a n t e 95, 197, 291 D a q u é 276, 284 D a v i d v . Dinant 182 Demokrit 114 D e s c a r t e s 223, 264, 267, 278

Diderot 225 D i l t h e y 20, 235 Diodor 55, 159, 295 Diogenes v. Apollonia 114, 165 D u b o i s 200 D u n s Scotus 39, 94, 192, 265

E E c k h a r t 40, 41, 45, 266, 292, 297 Einstein 277 Empedokles 115 E r a s m u s 55, 95, 207 Eusebios 155 E v a g r i o s 163

94, 193, 253, 265,

F F i c h t e 221, 281 Friedmann 256

G Galilei 223, 278 Gerhard v. Y o r k 179 Gregor v. N y s s a 161 Görres 89, 228, 238, 284 G ü n t h e r 228, 238, 284, 298

H H a r n a c k 156 H a r t m a n n Eduard v . 38 H a r t m a n n Nikolai 38, 270 Hegel 17, 22, 24, 33, 56, 84, 219, 225, 228, 245, 281, 287 Heisenberg 275 Helmholtz 231 H e r a k l i t 105, I i i , 248, 264, 278, 288 H e r m e s Trismegistos 134 H e r o d o t 107 Hesiod 105, 109 Hierakas 157 H o b b e s 218 H o m e r 105, 109

Personenverzeichnis

3i6 Humbert 179 Husserl 269

P

I, J Isokrates 71, 91 Jäger n o Jaspers 41, 101 Joachim 180, 191 Johann v. Jandun 200 Johannes Quidort 201 Justin 151 K Kant 17, 20, 32, 35, 38, 48, 52, 55, 58, 85, 225. 235. 244. 256, 267, 271, 293, 299, 310. 313 Karneades 128 Kepler 223, 278 Kierkegaard 234, 287, 299 Kritias 70

Panaitios 128 Parmenides 113 Pascal 224 Paulv.Samos. 154 Pelagius 55 Peterson 22 Philo Judaeus 132 Platon 44, 50, 52, 53, 55, 67, 70, 88, 105, 108, 119, 248, 262, 284, 289, 294, 303 Plotin 34, 80, 141, 244 Plutarch 135 Polybios 128 Pomponazzi 205 Poseidonios 78, 129 Proklos 249, 279 Protagoras 70 Ptolemaios 139, 183 Pythagoras n i

L Leibniz 36, 218 Leonardo 206 Leontios 45, 166, 251 Lessing 226 Locke 96, 218 Luther 55, 198, 208

Robert Grosseteste 182 Riistow 101, n o

M Mani 158 Machiavelli 206 Markion 152 Marsilio Ficino 204 Marsilius v. Padna 198, 200 Marx 17, 33, 221, 281, 287, 308, 313 Máximos 168 Mitterer 48 Montanus 152 Morus 95, 208

Santayana 61, 101, 257 Satornil 137 Savigny 89 Scheler 20, 22, 54, 80, 222, 236 Schelling 17, 22, 33, 65, 227, 238, 255, 281, 301 Schleiermacher 17, 20, 55, 77, 235 Schlegel 17, 33, 48, 77, 227, 235, 238 Siger v. Brabant 186 Sokrates 44, 49, 55, 70, 101, 116, 248, 294 Solon 106, 107, 248 Spengler 221, 236 Suarez 269

N Nestorios 164 Newton 279 Nietzsche 282, 298 Nigidius 130 Nikolaus v. Cues 25, 41, 46, 61, 194, 253, 255, 266, 292, 296 O Ockham 94, 202, 209 Orígenes 153

R

S

T Thales 100 Themistios 158 Theodor v. Antiochien 163 Thomas v.Aquin 25, 39, 45, 53, 79, 187, 253, 260, 264, 292 Tònnies 300 Toynbee 236 Troeltsch 22, 101, 225 Turgot 220

Perso nenverzeichnis U Uexkiill Jakob v. 37, 256, 285 Uexküll Thure v. 258 Valentinos 136 Varrò 130 Vergil 1 3 1 Vico 215

Victorinus 45, 80, 144, 246, 249, 295 Voegelin 237 W Weber Max 22, 101, 237, 240 Werner 234 Weyl 33, 277 X Xenophanes 105, 109, 1 1 0

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SACHREGISTER A Ästhetizismus 225 Anthropologie 16, 27, 233 Autorität 225 Axiome 34, 249 B Bereiche der Wirklichkeit 273 Bilderkreis 17, 33, 59 D Dogmengeschichte 141 E Epochen der Geistesgeschichte 23 Ertrag der Geistesgeschichte 18 Etatismus 55 Ethik 117, 140, 159, 188, 208, 212, 226, 235 Existenz 146, 251 G Geistbegriff 19, 49 Geistesgeschichte 9, 17, 21 Geistesreich 67, 76 Geisteswelt 28, 86 Geschichtsphilosophien 27, 65, 129, 150, 178 Gemeinschaftsgefüge 69 Gemeinschaftsidee 25, 300 Gemeinsinn 259 Gesetz, ewiges 23, 50, 57, 74, 78, 190 Gesetz, zeitliches 24, 64 Gottesbilder 117, 118, 142, 227 Gottesidee 167, 293 Griechentum 105 Grundsätze 34, 249 H Heilsgeschichte 87 Hellenismus 128

Herrschaftsgeffige 68 Humanismus 8, 171, 196 I Ideenkreis 17, 23, 59 Ideologien 69 Individuationsprinzip 36, 41 Islam 172 K Kompositionsprinzip 37 Kontinuitätsprinzip 43 Kosmologien 23, i n , 136, 156, 181, 204, 224 Kulturstile 17, 23, 64, 67 Kunstphilosophie 46, 54 Lebenseinheit 283 Lebensmächte 76 Lebenssinn 49

L

M Machtkritik 71 Menschenidee 63, 286 Menschenlehre 36, 123, 140, 163, 234, 286 Menschennatur 81, 268 Menschenreich 12, 247 Menschenwelt 8, 12, 62, 244, 261 Metaphysik 33, 234, 263 Mittelalter 173 Mystik 161, 192 N Nationalismus 128, 216 Naturbegriff 41, 264 Naturgesetz 15, 26, 225 Naturrecht 70, 81, 116, 225, 304 Neuzeit 31, 216 Normenlehre 66 Normologie 29 O Ökonomismus 55, 87 Organisation des Geistes 256

Sachverzeichnis

Person 60, 145, 251, 266, 290 Protestantismus 225

Rationalismus 21, 31, 55 Reformation 208 Rechtsideale 27 Rechtskönig 66 Rechtswerte 84 Reichsbewußtsein 87 Reichsgeschichte 87 Seele 39, 147 Seinsgesetzlichkeit 47 Selbstbewußtsein 46, 145 Soziologie 301 Soziologie der Kunst 23 Spezifikationsprinzip 37 Studium 175 System der Bedürfnisse 71

Theismus, monarchischer 72 Theismus, natürlicher 118, 121, 125, 129 Theologieformen 109, 131, 164, 205 Theorie der Seelenvermögen 256 Typologie 238 U Umweltlehre 258 Universität 177, 190 Urgründe 38, 145, 246 Utopie 69, 71

Väterzeit 149 Vernunft, emotionale 55 historische 8, 20, 64 poietische 58 praktische 50 reine 72 soziale 29 theoretische 35, 40 Verstandesformen 83 W Weltalter 21, 29 Weltanschauungskritik 15, 19, 245 Weltbegriff 275 Weltbilder 48, 118, 279 Weltdeutungen 74, 99 Weltgeschichte 21 Weltidee 168, 275 Weltordnung 20, 25, 61, 74 Weltreligion 30 Werte 52 Wesenslehre 249 Wirtschaftssysteme 218, 237 Wissensformen 15 Wissenschaft 127, 214, 222, 241, 309 Wissenssoziologie 15

Zeittendenz 14 Zeitgeist 15, 28 Zeitgesetz 17, 86 Zeitlage 28, 68 Zeitphilosophie 66 Zivilisation 20, 31, 217

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