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German Pages 356 Year 2015
Susanne Kirchhof[ Krieg mit Metaphern
Critical Media Studies Band 2
Editorial Die Reihe Critical Media Studies versammelt Arbeiten, die sich mit der Funktion und Bedeutung von Medien, Kommunikation und Öffentlichkeit in ihrer Relevanz für gesellschaftliche (Macht-)Verhältnisse, deren Produktion, Reproduktion und Veränderung beschäftigen_ Dies kann sowohl aus sozial- wie kulturwissenschaftlicher Perspektive erfolgen, wobei sich deren Verbindung als besonders inspirierend erweist. Das Spektrum der Reihe umfasst aktuelle wie historische Perspektiven, die theoretisch angelegt oder durch eine empirische Herangehensweise fundiert sind. Die Herausgeberinnen orientieren sich dabei an einer kritischen Gesellschaftsanalyse, die danach fragt, in welcher Weise symbolische und materielle Ressourcen zur Verfügung gestellt bzw. vorenthalten werden und wie soziale und kulturelle Einschluss- und Ausschlussprozesse gestaltet sind. So verstandene kritische Kommunikations- und Medienwissenschaft schließt die Analyse der sozialen Praktiken der Menschen, ihrer Kommunikations- und Alltagskulturen ein und fragt danach, wie gesellschaftliche Dominanzverhältnisse reproduziert, aber auch verschoben und unterlaufen werden können. Als relevante Dimensionen gesellschaftlicher Ungleichheit und sozialer Positionierung werden insbesondere Geschlecht, Ethnie, soziale und kulturelle Differenz sowie deren Intersektionalität in den Blick genommen. Die Reihe wird herausgegeben von Elisabeth Klaus, Margreth Lünenborg, Jutta Röser und Ulla Wischermann.
Susanne Kirchhoff (Dr. phil.) ist Postdoc-Mitarbeiterin am Fachbereich Kommunikationswissenschaft der Universität Salzburg.
SUSANNE KIRCHHOFF
Krieg mit Metaphern. Mediendiskurse über 9/11 und den »War on Terror«
[ transcript]
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©
2010
transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt Abbildungsverzeichnis ................... .....................................................
8
Danksagung .................. .......... ... ....... ......... .......... ..... ........................ ....
9
Vorwort.... ..............................................................................................
11
1 Einleitung ........................................................................................
13
Medien und Krieg nach dem 11. September 2001 .....................
19
2.1 Eine neue Weltordnung? .......................................................
19
2.2 Medien und Krieg ..................................................................
21
2.3 11. September, Afghanistankrieg und Irakkrieg in den Medien .....................................................................................
24
2
2.4 Alte/Neue Kriegsberichterstattung: Embedded Joumalism und Warblogs .......................................................................... 28
3
2.5 Nutzungsverhalten und Wirkungen der Berichterstattung ... ............. ......... .......... ......... .. .................. ....
30
2.6 Deutungen und Legitimierungen ........................................
32
2.7 Zusammenfassung .................................................................
36
Die Erzeugung von politischer Legitimität im öffentlichen Diskurs ........ .. ...................... ............. ....................
39
3.1 Legitimation im politischen Diskurs ............ ......... .......... ....
40
3.2 Politische Kognition als Grundlage des p olitischen Diskurses .............................................................
52
3.3 Politischer Diskurs als Zusammenspiel von Politik, Medien und Rezipientinnen .................................................
57
3.4 Techniken der Legitimierung und Delegitimierung im politischen Diskurs ...........................................................
60
3.5 Zusammenfassung .................................................................
64
4
Mediale Diskurse als Ort gesellschaftlicher Selbstverständigung ......................................................................
67
4.1 Grundlagen des Diskursbegriffs ......... ......... .. .................. ....
68
4.2 Die Struktur des Diskurses ........ .......... ................ ............. ....
82
4.3 Die diskursive Praxis der Medien ...... .. ..... ............. ......... .....
85
4.4 Die diskursive Konstruktion von Identitäten, Handlungen und Ereignissen ............. .................... ......... .....
92
4.5 Forschung über Mediendiskurse .........................................
96
4.6 Zusammenfassung ................................................................. 102 5
Metaphernanalyse und diskursive Praxis .................................. 105 5.1 Vergleichs- und Substitutionstheorie .................................. 106 5.2 Interaktionstheorie ................................................................. 107 5.3 Kognitive Metapherntheorie ................................................ 112 5.4 Über die Funktionen von Metaphern .................................. 130 5.5 Oe/Legitimierendes Framing durch Metaphern in der Politik .. ............ .......... ......... .......... ......... .. ........ .......... .... 134 5.6 Metaphernanalyse und Diskursanalyse .............................. 144 5.7 Zusammenfassun g ................................................................. 148
6 Methode .. ..... ............ .......... ..... .. ...................... ............ ....... .......... .... 153 6.1 Fragestellung und Datenmaterial ........................................ 153 6.2 Analyseschritte ........................................................................ 164 7
Ereignisse: Die "Zeitenwende" und der "War on Terror" ....... 177 7.1 Der 11. September 2001- die "Zeitenwende" .................... 178 7.2 Metaphern des Krieges: Natur, Spiel und der "War on Terror" ...................................................................... 182 7.3 Der "Kampf der Ku lturen" findet auf dem "Schlachtfeld von Armageddon" statt ................................. 187 7.4 Die "Lehren aus der Geschichte" - Vergleiche mit anderen Kriegen ..................................................................... 191 7.5 Zusammenfassung ................................................................. 200
8
Orte der Gegenwart, Orte der Vergangenheit ..... .................. .... 203 8.1 Die "Kathedrale des Kapitalismus" in der "exemplarischsten Stadt der westlichen Welt" .................. 203 8.2 Afghanistan, der "Friedhof für Invasoren", und die "Blackbox Bagdad" ................................................................ 207 8.3 Zusammenfassung ................................................................. 208
9 Akteure: Die USA, ihre Verbündeten und Gegner ................... 211 9.1 Deutschland- "56 Jahre nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht" ......................................................... 212 9.2 Die USA- von der "Pax Americana" zum "Zerfall des Römischen Reiches" ......................................... 218 9.3 Gerhard Sehröder und George W. Bush .............................. 223 9.4 Politische Beziehungen zwischen den USA und ihren Verbündeten ............................................................................ 229 9.5 Bin Laden, die Taliban und Al Qaida .................................. 250 9.6 Saddam Hussein ..................................................................... 261 9.7 Der Westen und der Islam .................................................... 265 9.8 Zusammenfassung ................................................................. 271 10 Zusammenfassung .................... ..................................................... 273 11 Fazit und Ausblick ......................................................................... 287 12 Literaturverzeichnis ....................................................................... 299 13 Primärquellen ................... ... .... ............. ...... ................ .... ................ 343 14 Anhang ............................................................................................ 349 14.1 Ereignisse, Akteure und Orte .. .. .......... ............ ...... .......... ..... 349 14.2 Historische Vergleiche ........................................................... 350 14.3 Metaphorische Konzepte nach Zielbereich (Gegenstand)............................................................................ 350 14.4 Metaphorische Konzepte nach Quellbereich (Bildfeld) ................................................................................... 352
Abbildungsverzeichnis Abb. 1:
Ebenen des politischen Diskurses......................................
53
Abb. 2:
Framing durch metaphorische Konzepte ......................... 132
Abb. 3:
Verlauf der Berichterstattung in Spiegel und Focus 2001-2003............................................................................... 161
Abb. 4: Sammeln von Metaphern im Text..................... ................. 166 Abb. 5:
Zuordnung von Metaphern zu metaphorischen Konzepten......................... ..................................................... 168
Abb. 6:
Zusammenfassung in übergeordneten Kategorien......... 170
Abb. 7:
Verfassen von Memos.......................................................... 170
Abb. 8: Codienmgen nach Quellbereich der Metapher ............... 171 Abb. 9:
Strukturierung der Kategorien nach Akteuren, Ereignissen, Orten................................................................ 173
Danksagung Eine wissenschaftliche Arbeit verdankt ihre Entstehung immer mehreren Menschen. Mein besonderer Dank gilt daher Helge Kirchhoff, der mir in vielerlei Hinsicht eine große Hilfe war, und meinen Eltern, die mich in meinen Entscheidungen stets unterstützt haben. Prof. Dr. Elisabeth Klaus hat die Arbeit in allen Phasen ihres Entstehens mit Anregungen und konstruktiver Kritik in einem Maß begleitet, das über berufliches Engagement weit hinausgeht. Prof. Dr. Roman Hummel hat mir in der Abschlussphase neue Perspektiven erschlossen. Danken möchte ich außerdem Dr. Martina Thiele, Dr. Claudia Riesmeyer, Dr. Kerstin Goldbeck und Dr. Kai Donau für ihren Rat und ihre freundschaftliche Unterstützung sowie Ricarda Drüeke und Madeleine Rohrer für die kritische Durchsicht des Manuskripts. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Doktorandenkolloquien in Göttingen und Salzburg schließlich haben mir in zahlreichen Diskussionen wertvolle Hinweise geliefert.
Vorwort Fast täglich erreichen uns aus dem Irak und aus Afghanistan neue Horrormeldungen über Kriegsopfer, Bombenattentate, Zerstörungen. Ein Ende der Gewalt scheint nicht in Sicht. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg sterben und töten auch wieder deutsche Soldaten in einem fremden Land. Eine solche Kriegsführung bedarf in demokratischen Staaten immer einer besonderen Begründung, allemal in Deutschland, ist der Krieg doch per sealsMittel der Politik unzulässig. Wenn Militarisierbarkeit ein ,kann' und kein ,muss' ist, wie die Verfasserinder hier vorliegenden Arbeit zu Recht bemerkt, dann muss auch die Rechtfertigung für Kriege jeweils neu verhandelt werden. Deshalb lautet eine zentrale gesellschaftspolitische Frage, wie diese Kriege in den westlichen Ländern begründet wurden und werden. Genau das ist Thema der Arbeit, die untersucht, wie mediale Diskurse zur Legitimierung und Delegitimierung neuerer Kriege beigetragen haben, wie die öffentliche Zustimmung der Bevölkerung gewonnen werden konnte und wie dabei eigene und fremde Identitätengeschaffen wurden. "Wer hat die Macht zu sagen, was gilt?" steht am Beginn der Diskurstheorie Foucaults, an die die Verfasserin anknüpft. Erfolgreiche Legitimierungsstrategien beinhalten dann, "eine Handlung im Diskurs als Wahrheit zu interpretieren". Sprache und politische Kognition werden damit zu Grundlagen der politischen und medialen Debatten. "Politik existiert nicht nur durch Sprache, aber ohne Sprache kann sie nicht existieren." Gleiches gilt für die Medien. Das ist insofern bedeutend, als in der Kommunikationswissenschaft die sprachlich-linguistische Seite von Medientexten oft vernachlässigt wurde. Die Autorin leistet hier in mehrfacher Hinsicht methodologische Pionierarbeit Zunächst, indem sie in Anlehnung an die Arbeiten von Fairclough und Jäger u. a. ein Modell entwickelt, mit dem die Struktur des Diskurses empirisch zugänglich wird. Im Weiteren, indem sie umfassend begründet, warum metaphorische Konzepte ein geeignetes Mittel für die Untersuchung von Mediendiskursen über den Krieg darstellen. Unter Bezugnahme auf Black und Lakoff/Johnson wird die Bedeutung von Metaphern für die Strukturierung unseres Denkens und die Deutung von Objekten h ervorgehoben: "Die Metapher ist d aher nicht gering zu schätzen. Sie ermöglicht sowohl politische Reaktionen als auch die Einsicht in ihre Notwendigkeit." Der Begriff des metaphorischen Konzeptes weist nicht nur auf die Kulturspezifik in der Verwendung von Metaphern hin, sondern vermittelt zugleich jene Deutungskonzepte oder Frames, mit denen in der Folge politisches
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I Krieg mit Metaphern
Handeln deilegitimiert werden kann. Um ein eingängiges Beispiel der Verfasserin zu verwenden: Je nachdem, ob Krieg als Naturkatastrophe oder als Wettkampf verstanden wird, ergeben sich daraus ganz unterschiedliche Begründungen, Bewertungen und Handlungsaufforderungen. Ohne Zweifel erweitert die Metaphernanalyse den kommunikationswissenschaftliehen Methodenkanon nachhaltig um eine wichtige Analysemöglichkeit Die hier vorgelegte Anwendung der Methode belegt den praktisch-empirischen Wert der Metaphernanalyse. Untersucht wird die Berichterstattung in Focus und Der Spiegel nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und über die nachfolgenden Kriege in Afghanistan und Irak. Die Analyse stützt sich dabei exemplarisch auf die Titelgeschichten, die in den beiden einflussreichen Nachrichtenmagazinen veröffentlicht wurden. Insgesamt zeigt sich, dass eine Fülle von metaphorischen Konzepten im Kriegsdiskurs der Medien zum Einsatz kommt. Das beginnt mit der Definition von 9/11 als "Zeitenwende", angesichts derer alte Erklärungsmuster für Terror und Gewalt notwendig scheitern müssen. Die als "Kriegserklärung" definierten Anschläge erfordern geradezu zwingend den Gegenangriff als "Verteidigungsmaßnahme" der USA. Die Berichterstattung über den Afghanistankrieg ist mit Licht- und Schattenmetaphern durchsetzt; New York steht als "exemplarischste" aller westlichen Städte dem "Friedhof" Afghanistan gegenüber - als Ort der Gegenwart und Zukunft jenem der Vergangenheit. Die Fülle der Metaphern, die die Studie gekonnt herausarbeitet, fasziniert ebenso wie die Tatsache, dass diese zugleich fremd und vertraut klingen. Vermutlich bleibt die diskursive Macht, die Metaphern in spezifischen Kontexten entfalten, uns gerade deshalb oft verborgen, weil sie uns als Wortspiele so bekannt sind. Am Ende dieses Buches sind wir schlauer. Wir wissen mehr über die gesellschaftspolitische Brisanz von Metaphern und ihre Bedeutung für Medienanalysen. Und wir sind klüger im Hinblick auf die gleichzeitige Subtilität und Komplexität der diskursiven Strategien und medialen Deutungsmuster, die die öffentliche Zustimmung zu den gewaltsamen Reaktionen auf den 11. September 2001 begleitet haben. Mündigkeit beginnt mit solchem Wissen.
Elisabeth Klaus
Wolf Haas: Sie kennen bestimmt den Satz: "Die Metapher ist klüger als ihr Verfasser." Literaturbeilage: Lichtenberg. Der Satz ist wirklich ziemlich klug. Wolf Haas: Er verrät aber erst die halbe Wahrheit. Die Metapher ist nämlich nicht nur klüger als der Verfasser. Sie ist auch klüger als der Leser. Wolf Haas: Das Wetter vor 15 Jahren
Einleitung Der 7 7. September 200 7 und seine Folgen
Als am 11. September 2001 zwei Passagierflugzeuge in die Türme des World Irade Centers in New York stürzten, schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin Focus: "Der 11. September wird künftig zu jenen Daten gehören, die den Gang der Geschichte teilen: in ein Davor und ein Danach." (Focus 38/2001)
Der Spiegel gedenkt des Ereignisses zum ersten Jahrestag mit einem Titelbild, auf dem der Anflug des zweiten Flugzeugs auf das bereits brennende Gebäude zu sehen ist. Darüber steht: "11. September 2001. Der Tag, der die Welt veränderte." Die dazugehörige Titelgeschichte (36/2002) beginnt mit den Worten: "Am Tag, der die Welt verändert, strahlt der Himmel tiefblau wie aus dem Malkasten von Franz Mare. Die Sonne taucht die Blätter in ein kräftiges Tizianrot. Selbst die Schatten sind in diesen frühen Stunden des 11. September 2001 an der Ostküste der Vereinigten Staaten weich und flirrend und wie freundlich dahingetupft, Cezanne-pastell. Es weht fast kein Wind. Die Welt ist ein Poesiealbum. Und wird innerhalb weniger Minuten zu einem Totenbuch. Ein paradiesischer Morgen sei es gewesen, sollten später die gerade noch Davongekommenen immer wieder sagen, unschuldig, göttlich - was man eben so sagt in seiner Hilflosigkeit angesichts des unvorstellbaren Grauens. Betäubt von dem Glück, einem Höllenschlund entronnen zu sein, der fast 3000 Menschen in den Tod gerissen hat. [... ] Der südliche Turm stürzt um 10.05 Uhr ein, der nördliche um 10.28 Uhr. Und mit den Twin Towers verschwindet die Welt, wie sie bis dahin war."
Die Vorstellung einer "Zeitenwende", eines Zeitpunktes, nachdem nichts mehr so ist, wie es vorher war, hebt das Ereignis aus dem Alltagsgeschehen heraus. Es teilt die Welt in ein Vorher und Nachher. Das Bild impliziert darüber hinaus aber auch eine Idee von Zeit als einem gradlinigen Prozess, als einer kontinuierlichen Bewegung, die nun un-
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I Krieg mit Metaphern
terbrochen wurde. Es ist ein Ausdruck der Art und Weise, wie wir die Wirklichkeit verstehen, und es strukturiert unser Handeln. Die Aufbereitung des Geschehens als mediales Großereignis, die Zäsur für die Weltpolitik, und der Stellenwert in der kollektiven Wahrnehmung gehen hier Hand in Hand. Dennoch steht diese Wahrnehmung in einem Widerspruch zum Alltagserleben, in dem eben doch das Meiste so geblieben ist, wie es immer war. Die Formulierung der "Zeitenwende" ist also weniger Ausdruck eines unmittelbaren Erlebens als vielmehr das griffige Schlagwort für einen Deutungsrahmen, durch den komplexe gesellschaftliche und politische Prozesse eine kohärente Sinnstiftung erfahren können. Die Beschreibung des 11. September 2001 als "Zeitenwende" erzeugt ein Verständnis des Geschehenen, eine Bewertung und daraus abzuleitende Handlungsoptionen. Die Metapher ist daher nicht gering zu schätzen. Sie ermöglicht sowohl politische Reaktionen als auch die Einsicht in ihre Notwendigkeit. Zugleich ist das Bild der "Zeitenwende" nicht das einzig denkbare, und es ist auch nicht das einzige, das in der Beschreibung der Anschläge verwendet wird. Es konkurriert mit anderen Metaphern, die andere Bewertungen und andere Handlungsmöglichkeiten nahe legen. Anhand der Metaphern, die sich in der kollektiven Wahrnehmung durchsetzen, kann sichtbar werden, wie sich eine Gesellschaft zu einem Ereignis positioniert. Verschiedene Metaphern können verschiedene Reaktionen legitimieren und delegitimieren. Wer welche Metaphern benutzt, ist für die Legitimation von Politik daher von erheblicher Wichtigkeit. Die vorliegende Arbeit untersucht den Gebrauch von Metaphern in der Berichterstattung über die Anschläge vom 11. September 2001 und die nachfolgenden Kriege in Afghanistan und im Irak und fragt, wie diese metaphorischen Konstruktionen zur Legitimierung oder Delegitimierung des politischen Handeins beitragen.
Die mediale Legitimation von Kriegen
In einer demokratischen Gesellschaft ist politische Herrschaft begründungspflichtig. Dabei nimmt die Bewertung politischer Handlungen eine zentrale Rolle ein, und im Gefüge der einzelnen Nationalstaaten kommt hier wiederum der Sicherheitspolitik eine wichtige Funktion zu: "Jede Epoche verfügt über ihr eigenes komplexes Verhältnis zwischen Regierungsformen (die das Zusammenleben der Menschen regeln), Legitimität (auf der die Macht der Regierung gründet) und Sicherheitsmodellen (wie organisierte Gewalt kontrolliert wird). Auf der einen Seite gehört es zu den zentralen Aufgaben politischer Institutionen (von deren Erfüllung sie ihre Legitimität beziehen), die Ordnung aufrecht zu erhalten ... und das Territorium nach außen zu verteidigen. Ja, der Charakter dieser
Einleitung
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Institutionen rührt im Wesentlichen von der Art und Weise her, wie sie diese Aufgaben erfüllen und welchen Sicherheitsaspekten dabei Vorrang eingeräumt wird. Auf der anderen Seite ist es nicht möglich, Sicherheit im beschriebenen Sinne zu gewährleisten, ohne zuvor über eine gewisse Legitimität zu verfügen." (Kaldor 2000: 220 f.)
Inwiefern solche Fragen der nationalen Sicherheit in Zeiten der Globalisierung noch tragfähig sind, ist einstweilen vor allem eine demokratie- und konflikttheoretische Frage (z. B. Münkler 2002; Kaldor 2000). In der politischen Praxis sind sie nach wie vor von großer Handlungsrelevanz, wie unter anderem die intensive Diskussion um die ,,Innere Sicherheit" in Deutschland und die bereits durchgesetzten oder geforderten Gesetzesänderungen zeigen. Medien sind in modernen Gesellschaften das öffentliche Forum, in dem Legitimität erzeugt, bestätigt, in Frage gestellt und abgesprochen werden kann. Sie stellen jedoch nicht allein einen Raum zur Verfügung, in dem politische Akteure um die Deutungshoheit über die Politik ringen. Sie sind selbst Akteure, die den Prozess öffentlicher Meinungsbildung beeinflussen (vgl. Schulz 1997: 82 ff.) . Im komplexen Zusammenspiel zwischen kollektiven und individuellen politischen Akteuren, den Medien und den Bürgerlnnen/Medienrezipientlnnen wird der politische Diskurs erzeugt. Im Sinne Foucaults wird Diskurs nicht als normativer Anspruch verstanden, sondern als Ort, an dem sich die konkreten Aussagen der Akteure manifestieren (s. Kapitel 3.1). Der Diskurs ist Träger des Kampfes um Bedeutungen, d. h. um die Chance zu bestimmen, was als wahr und richtig zu gelten hat. Insofern ist der Diskurs Produzent und Spiegel von Machtverhältnissen. Medien sind dabei auf zweierlei Weise "Agenten der Macht" (vgl. Altschull1990): Sie regeln den Zugang zum Diskurs und rahmen die Aussagen anderer Akteure durch die Art der Berichterstattung. Die kommunikationswissenschaftliche Forschung hat in vielfältiger Weise gezeigt, dass Medien dabei tendenziell hegemonialen Positionen Vorschub leisten und diese so reproduzieren. Von einer einseitigen Determiniertheit der Medien durch hegemoniale Deutungsangebote der Politik auszugehen, greift dennoch zu kurz. Zum einen beeinflussen Medien und Politik einander wechselseitig, zum anderen sind sie aus Marktinteressen gezwungen, den Bedürfnissen ihres Publikums Rechnung zu tragen. Schließlich eröffnet auch das journalistische Selbstverständnis Möglichkeiten, oppositionelle Positionen zu berücksichtigen. Massenmedien sind damit ein Ort, an dem hegemoniale Diskurse und Gegendiskurse fortwährend miteinander verwoben werden. Allerdings sei hier vor einer zu optimistischen Sichtweise ebenfalls gewarnt. Die Zugangschancen zum Diskurs sind nicht für alle Akteure gleich, und die Medien, die sich vor allem an den gesellschaftlichen Eliten orientieren, haben daran einen erheblichen Anteil. Ob und wieweit sich das Feld des Sagbaren gerade in Kriegszeiten verengt, ist ein lohnender Gegenstand für künftige Forschung.
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Die Funktion von Metaphern in öffentlichen Diskursen
Wie bereits angedeutet wurde, sind Metaphern ein wichtiger Bestandteil der Oe-/Legitimierung von Kriegen. Sie können Argumentationen ersetzen, Bewertungen vornehmen und Handlungsoptionen bereitstellen (Bertau 1996). Diese Eigenschaften der Metapher machte sich bspw. Hans Magnus Enzensberger 1991 zunutze, als er in einem vielbeachteten Essay im Spiegel schrieb, dass Saddam Bussein "Hitlers Wiedergänger" sei (Enzensberger 1991; über den Vergleich und seine Herkunft: Wette 2004). Der Vergleich ersetzt eine ausführliche Argumentation, in der das Für und Wider abgewogen werden müsste. Stattdessen konnte durch seine Hilfe das Geschehen - der Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait- in Analogie zum Einmarsch des nationalsozialistischen Deutschlands in Polen 1939 und damit zum Beginn des Zweiten Weltkriegs verstanden werden. Durch diesen Vergleich konnten die Handlungen des Irak verurteilt und eine bestimmte politische Reaktion - Saddam Bussein muss wie Hitler mit militärischen Mitteln bekämpft werden, um eine weitere Ausweitung des Konfliktes zu verhindern - legitimiert werden. Als 2002 der britische Außenminister Jack Straw angesichts der Verhandlungen des UN-Sicherheitsrats über neue Waffenkontrollen im Irak behauptete, man könne gegenüber Saddam Bussein nicht wie seinerzeit gegenüber Hitler einen Appeasement-Kurs einschlagen, 1 knüpfte er an diese Logik der Metapher an: Der Zweite Weltkrieg hätte verhindert werden können, wenn die Weltgemeinschaft Hitler rechtzeitig gestoppt hätte. Mit der Bewertung, dem Argumentationsersatz und der Bereitstellung von Handlungsoptionen auf der sprachlichen Ebene sind die Funktionen von Metaphern jedoch nicht erschöpft. Sie sind darüber hinaus auch "Fähren ins Bewusstsein" der Menschen (Jäger 1999: 181). Aus der Perspektive einer kognitiven Metapherntheorie (Lakoff/Johnson 2003) strukturieren Metaphern das Denken, indem sie es ermöglichen, einen Gegenstand in den Begriffen eines anderen zu verstehen. Sie bilden damit eine Brücke zwischen der diskursiven Praxis in Texten und den gesellschaftlichen Prozessen, die diese Texte hervorbringen.
Neue Kriege und neue Weltordnung nach dem 7 7. September 200 7?
Die vorliegende Arbeit untersucht die Leistung, die die metaphorische Konstruktion von Ereignissen, Akteuren und Orten für die mediale Oe-/Legitimierung von Kriegen erbringen kann. Dabei wird davon
1 Z. B. "Opening Speech by the Foreign Secretary, Jack Straw, at the debate on Iraq, Hause of Commons, London, 24.09.2002", nachzulesen unter: http://britemb. org.ii/News/straw240902.html.
Einleitung
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ausgegangen, dass es Phasen der Berichterstattung gibt, die für den Legitimationsprozess besonders relevant sind. In diesen Phasen erfährt das neue Ereignis unter Rückgriff auf vergangene Erfahrungen seine erstmalige Bedeutungszuschreibung. Die Legitimierung des Krieges ist damit aber nicht abgeschlossen, sie kann in der Folge immer wieder aktualisiert oder verändert werden. Ein Beispiel für eine solche Aktualisierung könnte die Berichterstattung über den Gefängnisskandal von Abu Ghraib im Frühjahr 2004 sein, die jedoch nicht mehr Gegenstand dieser Untersuchung ist. Ein Beispiel für eine Veränderung ist die Umdeutung der Parole "Nie wieder Auschwitz!" von einem kriegsablehnenden in ein kriegsbefürwortendes Argument im Kontext der Kriege im ehemaligen Jugoslawien (vgl. Schwab-Irapp 2002). Die Frage der Konfliktforschung, was als Krieg zu gelten habe und inwiefern sich das Wesen der Kriege möglicherweise verändert, ist hier nicht von Interesse (dazu z. B. Münkler 2002; Kaldor 2000). Ob die Situation in Afghanistan und im Irak heute die Definition von Krieg erfüllt und was sich seit 2001 bzw. 2003 daran geändert hat, ist nicht Gegenstand dieser Arbeit, die jeweils nur die intensiven Legitimationsphasen vor und unmittelbar nach Beginn der Kriege in den Blick nimmt. Zudem kann hier der klassischen Definition des Krieges als militärischer Konflikt zwischen Staaten gefolgt werden, auch wenn diese angesichts des transnationalen Terrorismus, des zunehmenden Verlusts des staatlichen Gewaltmonopols und der bedeutend größeren Zahl innerstaatlicher Bürgerkriege längst kontrovers diskutiert wird: "In der spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs vorherrschenden völkerrechtlichen Definition wird unter Krieg eine mit Waffen gewalt geführte Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen verstanden, von denen wenigstens eine als reguläre Armee oder bewaffnete Streitkraft auftreten muss. Ferner sollen die Tätigkeiten dieser Gruppen organisiert und zentral gelenkt sein und sich über einen längeren Zeitraum erstrecken. Des weiteren sind diese Gruppen jeweils souveräne Vereinigungen mit meist staatlichem Charakter, die im Bewusstsein ihrer Gegnerschaft, ihre Grupp enidentität vor allem durch Abgrenzung zum Feind herstellen und dabei Fremdidentitäten zuschreiben, durch die die andere Gruppe als Feind wahrgenommen wird." (vgl. Bohnacker/Imbusch 2005: 111).
Die empirischen und normativen Probleme dieser Definition sollen hier nicht weiter verfolgt werden (dazu Bahnacker/Imbusch 2005: 111 f. ). Abschließend sei nur bemerkt, dass die Frage, ob eine Situation als Krieg zu gelten habe, auch deshalb umstritten ist, weil ein Krieg bestimmte politische Konsequenzen nach sich zieht. Das ist nicht zuletzt angesichts der Geschwindigkeit, mit der das Deutungsmuster " Krieg" bzw. "War on Terror" von den Medien und der Politik in Deutschland übernommen wurden, von Bedeutung (vgl. Weller 2004), denn durch Verwendung des Kriegsbegriffs werden bestimmte politische und vor allem militärische Gegenmaßnahmen legitimiert. Soros (2006: 103) argumentiert explizit mit der Logik der Metapher, wenn er
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ausführt, dass der Begriff zu Fehlern in der US-Politik geführt habe, weil man gegen den "abstrakten" Gegner Terrorismus keinen Krieg führen können. Jenseits dieser Diskussionen wird in der vorliegenden Arbeit die Berichterstattung über die Anschläge vom 11. September und die militärische Reaktion darauf (die Kriege der USA und ihrer Verbündeten gegen die Taliban-Regierung in Afghanistan und die Regierung Saddam Husseins im Irak) untersucht. Dafür wurden die beiden Nachrichtenmagazine Focus und Der Spiegel ausgewählt, weil diese als Meinungsführermedien im Mediendiskurs eine herausgehobene Position haben. In Kapitel 2 wird zunächst der Untersuchungsgegenstand im Kontext der aktuellen Forschung zu Medien und Krieg verortet Kapitel 3 erläutert die Funktionen medialer Öffentlichkeit für die Legitimation politischen Handelns. In den folgenden Kapiteln 4 bis 6 wird ein Forschungskonzept entwickelt, mit dem die Oe-/Legitimierung von Kriegen im Mediendiskurs analysiert werden kann. In einem Überblick werden zunächst die Grundlagen des Diskursbegriffs vorgestellt und sowie Struktur und Merkmale des medialen Diskurses beschrieben (Kapitel4). In KapitelS wird theoretisch begründet, warum die Analyse metaphorischer Konzepte ein geeignetes Mittel zur Untersuchung der diskursiven Praxis der Medien darstellt. Daran anschließend wird die Metaphernanalyse für die Untersuchung legitimatorischer Diskurse in der Kriegsberichterstattung operationalisiert (Kapitel6). Die Präsentation der Ergebnisse der Analyse metaphorischer Konzepte in den Titelgeschichten von Focus und Der Spiegel in zwei ausgewählten Zeiträumen vor und während der Kriege in Afghanistan und im Irak erfolgt dann anhand der relevanten Ereignisse, Orte und Akteure (Kapitel 7 bis 9). Kapitel 10 interpretiert die Ergebnisse mit Blick auf die Konstruktion von Identitäten, Handlungen und Ereignissen in Texten. In Kapitel 11 werden ein Fazit gezogen, eine abschließende Verortung des untersuchten Diskursstrangs in seinem gesellschaftlichen Kontext vorgenommen und das methodische Vorgehen sowie die Ergebnisse kritisch reflektiert. Im vorliegenden Text wird geschlechtergerechte Sprache verwendet. Wo dies nicht der Fall ist, beziehen sich die Aussagen auf kollektive Akteure, wie z. B. Parteien oder Medienorganisationen. Wo von "Westen", "Islam", "Orient" oder "Okzident" die Rede ist, müssten diese in Anführungszeichen gesetzt werden, um deutlich zu machen, dass es sich um Raumkonstruktionen und die damit verbundenen kulturellen, normativen, religiösen und politischen Zuschreibungen handelt. Aus Gründen der Lesbarkeit wird in den meisten Fällen darauf verzichtet.
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3.) Zuordnung der Metaphern zu metaphorischen Konzepten
Im zweiten Arbeitsschritt werden die Metaphern in Konzepte gegliedert. In einem Satz wie "Bagdad ist das Herz des Irak" werden die Metaphern zunächst anhand des inhaltlichen Fokus bzw. des Zielbereichs ("Staat") einer thematischen Gruppe ("Staat ist Körper") zugeteilt. Als Auswertungsstrategie bietet sich dazu eine Modifizierung des Verfahrens der "Grounded Theory" an (vgl. Keller 2004: 98 ff.; Schwab-Irapp 2007: 30 f. und 2003a: 171 ff.; Goldbeck 2004: 181 f.), dem die nachfolgenden Schritte entlehnt sind. Der interpretative Prozess des "Textverstehens" soll möglichst detailliert nachvollzogen werden können, was zum einen einer sorgfältigen Dokumentation, zum anderen zumindest einer teilweisen Systematisierung der Arbeitsschritte bedarf. Die "Grounded Theory" von Glaser und Strauss (2005 [1967];) versucht, beides zu gewährleisten: Ihre Grundlage ist das "theoretische Codieren", das zum Ziel hat, auf der Basis eines sorgfältigen Vergleichs von Aussagen Strukturen und Beziehungsmuster zu entdecken und so
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die Formulierung einer Theorie zu ermöglichen. Aus diesem Grund scheint das Verfahren besonders geeignet, die Analyse legitimatorischer Diskurse in der Kriegsberichterstattung zu ergänzen: Zum einen lassen sich durch das Nachvollziehen der Logik von Argumenten und ihren Beziehungen untereinander Legitimationsmuster gut herausarbeiten. Zum anderen ist das theoretische Codieren ein offenes Verfahren, in dem nicht vorab Kategorien festgelegt werden und das deshalb flexibel auf Veränderungen reagieren kann. Schließlich hat die netzähnliche Struktur der durch den Teilschritt des axialen Codierens entstandenen Kategorien eine Ähnlichkeit mit der Funktionsweise kognitiver Metaphern, die die durch metaphorische Strukturierung Beziehungsgeflechte zwischen verschiedenen Gegenständen aufbauen. Das theoretische Codieren teilt sich in drei Analyseschritte: offenes, axiales und selektives Codieren. Ihr Ziel ist es, "in einem bestimmten Gegenstandsbereich eine dafür geltende Theorie zu formulieren, die aus vernetzten Konzepten besteht und geeignet ist, eine Beschreibung und Erklärung der untersuchten sozialen Phänomene zu liefern." (Böhm 2000: 476) Um dies zu ermöglichen, verlangt die Grounded Theory eine detaillierte und systematische Interpretation von Daten, die die im Analyseprozess entwickelten Hypothesen ständig an das Datenmaterial rückbindet Dies soll durch mehrere Codierverfahren - insbesondere das offene und das axiale Codieren - gewährleistet werden. Kern der Analysetätigkeit sind der ständige Vergleich von Daten, um Unterschiede und Ähnlichkeiten zu entdecken, und die fortschreitende Systematisierung von im Material benannten Konzepten (Flick 2002: 259). Unter "Konzepten" werden "Bezeichnungen oder Etiketten, die einzelnen ... Phänomene[n] zugeordnet werden", verstanden (Strauss/Corbin 1996: 43). Im Folgenden werden Konzepte um sie von metaphorischen Konzepten deutlich zu unterscheiden als Codes bezeichnet. Mehrere Codes können in übergeordneten Kategorien zusammengefasst werden. Diese Codes zu entwickeln, ist vor allem die Aufgabe des offenen Codierens. Hierbei werden zunächst Sinnabschnitte des Textes mit Begriffen versehen. Als Sinnabschnitte eignen sich Wörter, Phrasen, Sätze, Absätze oder größere Einheiten, je nach dem, welches Ziel beim Codieren verfolgt werden soll. Das Codieren erfüllt die Funktion, den Text "aufzubrechen" und seine wesentlichen Merkmale herauszuarbeiten: "Mit Aufbrechen und Konzeptionalisieren meinen wir das Herausgreifen einer Beobachtung, eines Satzes, Abschnitts und das Vergeben von Namen für jeden einzelnen darin enthaltenen Vorfall, jede Idee oder jedes Ereignis -für etwas, das für ein Phänomen steht oder es repräsentiert." (Strauss/ Corbin 1996: 45)
Die Entwicklung von übergeordneten Kategorien ist das Ziel des Codierprozesses, da aus den Kategorien und ihren Beziehungen zu einander später die Theorie entwickelt werden soll. Durch das offene Codieren entsteht zunächst eine Fülle von Codes, die es nun zu ordnen gilt. Um dies sinnvoll gestalten zu können, ist in der Namensge-
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bung für die Codes bereits eine Abstraktion vom tatsächlichen Text notwendig. Eine weitere Abstraktion wird erreicht, indem die Codes anhand von Eigenschaften in (zunächst provisorischen) Kategorien zusammengefasst werden. Diese Beschreibung des offenen Codierens bildet recht gut den Arbeitsschritt ab, mit dem die Sammlung von Metaphern in Texten in eine Liste metaphorischer Konzepte überführt wird: Zunächst wurden alle markierten Textstellen Codes zugeordnet und dabei zur besseren Orientierung mit einer farbliehen Markierung versehen. Davon unterschieden wurden allerdings die historischen Vergleiche, die eine andere Farbmarkierung erhielten. Obwohl historische Vergleiche in ihrer Struktur anderen metaphorischen Konzepten ähneln, erschien eine solche Differenzierung sinnvoll. Vergleiche stellen insofern eine besondere Form der bildliehen Sprache dar, als sie einen komplexen, abstrakten Quellbereich haben. Darüber hinaus ist der Bezug auf vergangenes Geschehen im politischen Diskurs von großer Relevanz: Die "Lehren aus der Vergangenheit" geben nicht nur eine Handlungsanleitung für die Gegenwart, sondern stiften auch eine gemeinsame Identität (Assmann/Assmann 1994: 124 ff.). Abb. 5: Zuordnung von Metaphern zu metaphorischen Konzepten
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6.) Duplizieren der Liste der metaphorischen Konzepte
Zur weiteren Übersicht wurde anschließend die bisher nach Zielbereichen der Metaphern gegliederte Kategorienliste in einer Sortierung nach Quellbereichen der Metaphern dupliziert. Sämtliche Textstellen sind damit doppelt codiert. Ein Satz wie "Bagdad ist das Herz des Irak." wäre demnach dem Zielbereich/Themenfeld "Staat" als "Staat ist ein Körper" zugeordnet und unter dem Quellbereich/Metapher "Körper" als "Staat" klassifiziert. Auf diese Weise werden zwei Listen erstellt, die den Kern der Auswertung bilden: Die nach dem Zielbereich der Metaphern geordnete Liste ermöglicht einen Zugriff auf die Daten je nach genannten Gegenständen. Die nach dem Quellbereich geordnete Liste ermöglicht eine Übersicht über die Anwendungsmöglichkeiten von Metaphern. So können z. B. unter dem Gegenstand "Staat" metaphorische Konzepte wie "Körper", "Gebäude", "Maschine" zusammengebracht werden. Unter dem metaphorischen Konzept "Körper" finden sich dagegen die Gegenstände "Staat", "Wirtschaft", "Religion" usw. Dieser Schritt erleichtert zum einen bei der Interpretation das Auffinden von Daten, weil metaphorische Konzepte sowohl nach dem Themenfeld, das sie beschreiben, als auch nach dem Bereich, aus dem sie entstammen, betrachtet werden können. Zum anderen wird dadurch ein weiteres Mal vom Ausgangsmaterial abstrahiert, weil Textstellen in unterschiedlichen Kombinationen zusammengesetzt werden, was neue Einsichten erlaubt (z. B. können einmal alle Textstellen zum Thema "Staat", einmal alle Textstellen mit einer Körper-Metaphorik zusammen betrachtet werden). Abb. 8: Codierungen nach Quellbereich der Metapher ~....."...,..'CMI'tt-II'Tf'"""""r.....,.~~·~
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7.) Vorstrukturierung der metaphorischen Konzepte für die anschließende Interpretation
Am Ende dieses Verfahrens stehen zwei lange Listen von Kategorien mit metaphorischen Konzepten und den Gegenständen, denen sie zugeordnet sind. Dabei sind allerdings nicht alle zur Beantwortung der Fragestellung gleich hilfreich. Um die große Menge an Datenmaterial für die Interpretation sinnvoll strukturieren zu können, empfiehlt es sich daher, eine weitere Untergliederung vorzunehmen. Dafür wird hier von der Annahme ausgegangen, dass die Darstellung von Ereignissen, Akteuren und Orten ein wichtiger Indikator für die Positionierung gegenüber dem jeweiligen Krieg ist. 94 Durch die Art ihrer Berichterstattung schreiben Medien den Ereignissen, Orten und Akteuren (sowie deren Handlungen) spezifische Bedeutungen zu und positionieren sich dadurch selbst im Verhältnis zu anderen und zum Geschehen. Mit ihrer Darstellung lassen sich die Spuren der diskursiven Praxis in Texten beschreiben, weil
• Akteure Träger von Identitäten und Handlungen sind, • die Beschreibung von Orten als Mittel der Charakterisierung von Akteuren und Ereignissen dienen kann, • Ereignisse durch die Handlungen von Akteuren verursacht werden Diese Annahme erleichtert die Analyse, weil sich daraus drei "VorabKategorien" ableiten lassen, anhand derer die Betrachtung des Materials strukturiert werden kann:
"Kategorie" Akteure
-+
Orte
-+
Ereignisse
-+
diskursive Praxis Konstruktion von Identitäten und Handlungen (und damit mittelbar von Ereignissen) Charakterisierung von Ereignissen und Akteuren (damit mittelbar wiederum von Identitäten und Handlungen) Konstruktion von Ereignissen (und damit mittelbar von involvierten Akteuren)
Eine solche Vorab-Perspektive gliedert das vorliegende Datenmaterial und erhöht so die Transparenz des Verfahrens. Damit verliert die Analyse zwar ein Stück weit ihre prinzipielle Offenheit, dies scheint aber gerechtfertigt, da mit "Akteuren", " Ereignissen" und "Orten" Kategorien gewählt wurden, die so weit gefasst sind, dass sich möglichst viele Aspekte darunter fassen lassen. Außerdem wurden in den vorangegangenen Schritten auch alle weiteren metaphorischen Konzepte erfasst, auf die in der Interpretation ggf. zurückgegriffen werden kann. Eine Alternative zu diesem zunächst offenen, dann auf Akteure, Orte und Ereignisse fokussierten Vorgehen wäre die Festlegung eines 94 Zur legitimatorischen Funktion von Rollenzuschreibungen vgl. Klaus/Goldbeck/Kassel2002 und Scheufeie 2005.
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Zielbereichs im ersten Arbeitsschritt gewesen. In Anbetracht der Frage nach der Oe-/Legitimation von Kriegen wurde dies aber verworfen, um die Interpretation nicht vorab zu stark in eine Richtung zu lenken. Die ausgewählten Kategorien wurden nach Durchsicht des codierten Materials gebildet, da sie sich für die Beantwortung der Fragestellung als besonders hilfreich erwiesen haben. Die metaphorischen Konzepte wurden also je nachdem, ob sie sich auf einen Ort (z. B. Bagdad, Afghanistan, World Trade Center), ein Ereignis (z. B. Einsturz der Türme des WTC, Vertrauensfrage im deutschen Bundestag, Suche nach Massenvernichtungswaffen) oder einen individuellen bzw. kollektiven Akteur (z. B. US-Präsident, deutsche Bevölkerung oder Kriegsflüchtlinge) beziehen, noch einmal sortiert. Die Listen der Zielbereiche metaphorischer Konzepte und historischer Vergleiche wurden je nach inhaltlichemFokusden betreffenden Akteuren, Ereignissen oder Orten zugeordnet. Für die Liste der Quellbereiche metaphorischer Konzepte konnte darauf verzichtet werden, weil dies zum einen lediglich zu einer Doppelung der Zitate geführt hätte und zum anderen in Bezug auf Quellbereiche vor allem interessiert, auf welche Gegenstände Metaphern insgesamt angewendet werden. Abb. 9: Strukturierung der Kategorien nach Akteuren, Ereignissen, Orten !NIIIII~-r.-a--'t-~...,_~!
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