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German Pages 478 Year 2014
Andrea Nachtigall Gendering 9/11
Kultur und soziale Praxis
Andrea Nachtigall (Dr. phil.), Gastdozentin an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin, lehrt und forscht im Bereich Soziale Arbeit, Schwerpunkt Gender und Queer Studies.
Andrea Nachtigall
Gendering 9/11 Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des »War on Terror«
D 188
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http:// dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld
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Inhalt
Einleitung: Der 11. September und Geschlecht in den Medien | 9 I. Theorie: Krieg – Geschlecht – Medien | 33 1. Krieg und Frieden – feministische und genderbezogene Perspektiven | 33 1.1 Die Anfänge: Frauenbewegung und feministische Friedensforschung – »Das Private ist politisch« | 36 1.2 Theoriekritik: Internationale Beziehungen, Staat und Krieg – »Das Private ist international« | 44 2. Medien als ›Technologie‹ von Krieg und Geschlecht | 66 II. Methode: Geschlechterkonstruktionen in medialen Kriegsdiskursen erforschen | 71 1. Diskursanalyse als Modus der Kritik | 72 2. Operationalisierung: Deutungsmuster und Kollektivsymbolik | 77 3. Analyseschritte | 80
III. Die Deutung der Ereignisse im zeitlichen Verlauf: Der 11. September und der Krieg in Afghanistan in Spiegel und FAZ | 87 1. Strukturanalyse des Nachrichtenmagazins Der Spiegel | 88 1.1 Auflagenstärke, Ausrichtung und Besonderheiten | 88 1.2 Die formale Struktur: Ressorts, Textsorten, erste Ausgabe nach 9/11 | 93 1.3 Inhalte, Themenschwerpunkte und Diskursverschränkungen im zeitlichen Verlauf | 95 2. Strukturanalyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung | 101 2.1 Auflagenstärke, Ausrichtung und Besonderheiten | 101 2.2 Die formale Struktur: Ressorts, Textsorten, erste Ausgabe nach 9/11 | 103 2.3 Inhalte, Themenschwerpunkte und Diskursverschränkungen im zeitlichen Verlauf | 106
IV. Die Hauptakteure im Spiegel der Medien | 113 1. George W. Bush – zwischen ›Staatsmann‹ und ›Cowboy‹ | 113 1.1 ›Reifeprüfung‹ – Bush als »Staatsmann« und »Kriegsherr« | 113 1.2 Die ersten Reaktionen in einer Grundschule in Florida – zu viel Gefühl | 120
1.3 ›Soziale Kompetenzen‹ – Nationaler Tröster, Therapeut und Beschützer | 123 1.4 ›Charismatischer Führer‹ – Patriotismus, Pathos und Führungskraft | 125 1.5 ›Cowboy Bush‹ – Biblische Rache und Vergeltung | 129 1.6 Der Krieg in Afghanistan – Bomben als »Macho-Gehabe« | 132 1.7 Analyse: Maskuline Rationalität versus hypermaskuline Irrationalität – Was einen (US-amerikanischen) Politiker auszeichnet | 137 2. Gerhard Schröder – »Zupack-Kanzler« und Wegbereiter | 145 2.1 »Schritt in die erste Reihe« – Schröder und Deutschland werden erwachsen | 146 2.2 Das Verhältnis Deutschland – USA: nationsübergreifende Solidarität, historisch gewachsene Freundschaft und Differenz | 152 2.3 Emotionalität, Verständnis und Überzeugungskraft – Anführer einer (kriegs-)verängstigten Nation | 157 2.4 »Risiko Ja, Abenteuer Nein« – Stratege der neuen deutschen Außenpolitik | 159 2.5 »Moral statt Machiavelli« – Moralische Überlegenheit und Wertegebundenheit deutscher Politik | 161 2.6 »Kampf um die Kultur« – gewissenhafter Zweifler und Verfechter von Diplomatie und Dialog | 162 2.7 Von der Außen- zur Innenpolitik: »Basta-Kanzler« oder ›gescheiterter Held‹? | 164 2.8 Analyse: Moralität und Rationalität – Was einen deutschen Politiker auszeichnet | 172 3. Joschka Fischer und Die Grünen – ›Helden‹ und ›Heulsusen‹ | 181 3.1 Der grüne ›Krieg‹ um die reine Lehre | 181 3.2 Joschka Fischer – ›Retter in der Not‹ | 183 3.3 Irrationalität, Realitätsflucht und Gutmenschentum – das grüne »Öko-Paradies« | 186 3.4 Pure Emotionalität – Angst, Unsicherheit und Nervosität | 188 3.5 Claudia Roth – »Mutter Beimer« und »Heulsuse« | 191 3.6 Nach der Vertrauensfrage: Lernprozess gescheitert – »Dinosaurier« und »Betonköpfe« an der Basis | 193 3.7 Post-Petersberg: Das Ende des humanitären Argumentationsmusters? | 195 3.8 Analyse: Maskulinisierung der Politik – Feminisierung der Kritik | 199 4. Der deutsche Soldat – vom ›Sozialarbeiter in Uniform‹ zum ›Anti-Terror-Spezialisten‹ | 211 4.1 Sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel – müssen deutsche Soldaten fortan kämpfen und schießen? | 212 4.2 Generationenwechsel: Abschied vom »guten alten Bundeswehrbeamten« – Willkommen KSK | 215 4.3 Das KSK – internationale Elite und »Deutschlands härteste Kampftruppe« | 221 4.4 Kontrollierte Gewalt und Just Warriors – »keine Rambos oder Selbstmörder« | 228 4.5 Neue und alte Aufgabenfelder: ›Hit and run‹, Polizist im Ausland und Geiselbefreier | 230
4.6 Soldatische Nebenrollen: Arzt, Therapeut und Feuerwehrmann | 234 4.7 Rechtliche und gesellschaftliche Bindung – der ›Staatsbürger in Uniform‹ | 235 4.8 Verheiratet, heterosexuell, christlich – die soldatische Kleinfamilie | 237 4.9 Altbewährte Rollen: Friedensstifter, humanitärer Helfer und Menschenrechtler | 238 4.10 Soldatinnen – nach dem 11. September eine Leerstelle | 241 4.11 Analyse: Der Bundeswehrsoldat – (k)ein Kämpfer? | 242 5. Feind-Bilder: Die Repräsentation des ›Terroristen‹ | 252 5.1 Mohammed Atta und die Attentäter aus Deutschland – ›Fremde Nachbarn‹ | 252 5.2 Osama Bin Laden – Mythos und ›Gesicht des Bösen‹ | 277 5.3 Die Taliban – ›Primitive Tyrannei‹ | 295 5.4 Analyse: Das neue Feindbild ›Terrorist‹ – Neo-Orientalismus und hybride Monstrosität | 311 6. Die ›afghanische Frau‹ – Opfer patriarchaler Gewalt und Leidtragende des Krieges | 334 6.1 Die ›afghanische Frau‹ als Opfer männlich-patriarchaler Gewalt | 335 6.2 Verschleiert und versklavt – die Burka als ›Gefängnis‹ | 338 6.3 Opfer von Kriegsgewalt – ›FrauenundKinder‹, Flüchtlingsfrau und Hungernde | 340 6.4 Eine andere Rahmung des Flüchtlingsthemas – ›failed states‹ und ›Flüchtlingsströme‹ als Gefahr für die internationale Politik (FAZ) | 344 6.5 Zeichen der ›Befreiung‹ – Entschleierung und Bartrasur | 347 6.6 Die ›afghanische Frau‹ als Symbol für Hoffnung, Frieden und Neuanfang | 352 6.7 Frauenrechte und Frauenförderung – Zweck und Ziel der (deutschen) politischen Bemühungen | 356 6.8 Politisch aktive Frauen – Petersberg-Delegierte, Ministerin und RAWA-Frauenrechtlerin | 358 6.9 Analyse: Die Repräsentation der ›afghanischen Frau‹ – Opfer, Symbol und Kriegsargument | 366
V. Schlussbetrachtungen: Konstruktionen von Geschlecht im ›Krieg gegen den Terror‹ | 389 1. Neue Kriege – neue Geschlechterkonstruktionen? | 390 2. Die Repräsentation der politischen Akteure in der Zusammenschau | 392 2.1 Konkurrenz der Männlichkeiten und Unterordnung des Weiblichen: Bush, Schröder, Fischer und die Grünen | 392 2.2 Traditionen und Brüche: der Terrorist als neuer Akteur auf der Bühne der internationalen Beziehungen | 398 2.3 Personalisierung als Reduktion von Komplexität | 403 3. Geschlecht als symbolische Ressource I: Die Konstruktionen kollektiver Identitäten – Freund- und Feindbilder | 404
3.1.Deutsche Identität I: Das Verhältnis zwischen Europa und den USA | 405 3.2 Deutsche Identität II: Neue ›Abendländischkeit‹ und die Wiederbelebung eines alten Feindbildes ›Islam‹ | 407 4. Geschlecht als symbolische Ressource II: Die Legitimierung staatlicher und militärischer Gewalt | 412 4.1 Neue ›Weltinnenpolitik‹ – innere und äußere Sicherheit fallen zusammen | 412 4.2 Innere Sicherheit: Verschärfung der Innen-, Ausländer- und Asylpolitik | 414 4.3 Remilitarisierung der Außenpolitik – »Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt« | 418 4.4 Die Rückkehr des soldatischen Kämpfers – ›postheroischer Heroismus‹ | 420 4.5 Kriegslegitimierende Deutungsmuster – Erwachsenwerden, Freundschaft und internationale Verantwortung | 429 4.6 Von der ›humanitären Intervention‹ zur ›Verteidigung der Sicherheit‹ – das Ende einer vertrauten Legitimationsfigur? | 433
Abbildungen | 441 Literatur | 443 Danksagung | 473
Einleitung: Der 11. September und Geschlecht in den Medien
»Die Geschichte Afghanistans zeigt: Reine Männerherrschaft deformiert eine Gesellschaft; Fundamentalismus lässt sich nur besiegen, wenn die Frauen gestärkt werden. […] Alles Ambivalente und Abweichende geriet zur Bedrohung einer wackeligen, unreifen Männlichkeit, die sich nur über Kampf und Krieg zu stabilisieren wusste. Männer, denen andere Männer Verstand und Gefühle verschleiert haben, die um Leben, Lust und Glück betrogen wurden, können zu Killern werden, Opfer und Täter zugleich. Bomben auf zwei Beinen, jederzeit zur Explosion bereit.« (taz 29.11.2001) »Männlicher Fanatismus, männlicher Frauenhass, männliche Destruktivität und männlicher Größenwahn, das ist das Fundament von Faschismus. […] Was mit Frauen in Afghanistan und in anderen islamistischen Ländern geschieht, ist ein Verbrechen gegen die Menschheit. Es ist zu befürchten, dass die westliche Welt trotzdem bereit ist, diese Verbrechen gegen Frauen weiterhin als kulturelle Eigenart der islamistischen Männergesellschaft zu tolerieren. Letztlich aber führt die Versklavung der Frau und ihre Vertreibung aus der Öffentlichkeit in gesellschaftliche Katastrophen, die männliche Größenphantasien hervorbringen. Eine davon war der 11. September.« (taz 10.10.2001) »Wer die Fernsehbilder von den feiernden Menschen in Kabul nach dem Abzug der Taliban gesehen hat – ich denke hier vor allen Dingen an die Bilder der Frauen, die sich endlich wieder frei auf den Straßen begegnen dürfen –, dem sollte es nicht schwer fallen, das Ergebnis der Militärschläge im Sinne der Menschen dort zu bewerten.« (Gerhard Schröder, zit.n. Frankfurter Rundschau 17.11.2001)
Fast elf Jahre ist es her, dass Selbstmordattentäter in New York und Washington verheerende Anschläge verübten. Die Attentäter hatten am 11. September 2001 mehrere voll besetzte Passagierflugzeuge entführt und zwei davon in das World Trade Center und eins in das Pentagon gelenkt Die Ereignisse, bei denen das World Trade Center zum Einsturz gebracht und knapp 3.000 Menschen getötet wurden, gingen als »11. September« oder »9/11« – ohne Jahreszahl – in die Geschichte ein. »Nichts wird mehr so sein, wie es war«, hieß es in den Tagen danach in Öffentlichkeit, Politik und Medien immer wieder. Diese lange Zeit dominante Interpreta-
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tion der Ereignisse proklamierte eine tiefgreifende historische Zäsur und zeigt, wie sehr die Vorfälle als Erschütterung der gesellschaftlichen und politischen Ordnung wahrgenommen wurden. Die (westlichen) Medien riefen einen kriegerischen Ausnahmezustand aus und beschworen eine Stimmung von Chaos, Angst und eskalierender Gefahr. »Großer Gott, steh uns bei. Tausende Tote in Amerika! Die Welt in Angst! Gibt es Krieg?«, fragte die Bild-Zeitung (12.9.2001), und auf dem Titelcover des Nachrichtenmagazins Der Spiegel las man die Schlagzeile: »Der Terror-Angriff: Krieg im 21. Jahrhundert« (15.9.2001). Die Zeitschrift Emma hingegen überschrieb die erste Seite des auf den 11. September folgenden Heftes mit den Worten: »Terror: Männer, Männer, Männer« (6/2001). Die Erinnerungen an die konkreten Geschehnisse sind mittlerweile in den Hintergrund getreten und werden höchstens zu den entsprechenden Jahrestagen in Medien und Politik, etwa durch Sondersendungen und Gedenkfeiern, wiederbelebt. Auch der ›Hauptfeind‹ Osama Bin Laden wurde im Mai 2011 gefasst und getötet. Das durch die Anschläge verursachte ›kollektive Trauma‹ der US-Nation und der verbündeten westlichen Länder scheint damit – fast genau 10 Jahre später – endgültig bewältigt. Die mit dem 11. September in Gang gesetzten Denk- und Handlungsmuster haben sich jedoch längst verselbständigt und hegemonialisiert. Die Wahrnehmung der Welt, die Logik der Politik und v.a. die Kategorien und das Selbstverständnis der internationalen, aber auch der deutschen Politik haben sich nachhaltig verschoben. Was unter Krieg und Frieden, unter Verteidigung und Sicherheit verstanden wird, hat sich ebenso verändert wie das individuelle, gesellschaftliche und staatliche Sicherheitsempfinden. Damit verbunden ist ein grundlegender Wandel der Einstellungsmuster in Bezug auf (sicherheits-)politisches Handeln, Kriegsführung und die Anwendung militärischer Gewalt. Innerhalb der deutschen Gesellschaft haben die Ereignisse des 11. September zu einer grundsätzlichen Akzeptanz militärischer Denk- und Handlungsmuster beigetragen. Der unmittelbar nach den Anschlägen ausgerufene ›Krieg gegen den Terror‹ hat sich zu einer dauerhaften rhetorischen und politischen Legitimationsfigur entwickelt, die bis heute an Funktionalität für die Begründung militärischer und staatlich-repressiver Maßnahmen im Inneren nichts verloren hat.1 Die konzeptionellen Veränderungen des Politischen sind jedoch nicht das Ergebnis der Anschläge selbst. Es sind vielmehr die politischen und militärischen Reaktionen auf die Ereignisse sowie deren Vermittlung in den und durch die Medien, die zu einem grundsätzlichen Wandel der Einstellungsmuster geführt haben. Die in den Medien nach dem 11. September angebotenen diskursiven Deutungen der Ereignisse haben dazu in entscheidender Weise beigetragen. Die vorliegende Arbeit geht diesen Deutungsmustern – aus einer Geschlechterperspektive – auf den Grund. Gegenstand der Analyse sind die diskursiven Konstruktionen von Geschlecht in der Berichterstattung von Spiegel und FAZ über den 11. September 2001 und den Afghanistankrieg. Was denn ›Geschlecht‹ mit den dramatischen Ereignissen des 11. September zu tun habe, wurde ich während meiner Untersuchung oft skeptisch gefragt. Die medialen Diskussionen über ›Terror‹ und ›Krieg‹ gehen explizit und implizit mit binären Zuschreibungen und Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit einher, war meine Antwort. Diese Bilder spielen wiederum für die Wahrnehmung, Erklärung und Bewertung der Ereignisse und der damit ver1 | In Deutschland setzte sich zeitweise die Bezeichnung »Kampf gegen den Terrorismus« oder »Anti-Terror-Kampf« bzw. »Anti-Terror-Krieg« durch.
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bundenen politischen (kriegerischen) Handlungsoptionen eine zentrale Rolle. Geschlechterbilder verfügen über eine enorme ›symbolische Kraft‹ und sind in die dichotomen Freund-Feind-Konstruktionen, wie sie unmittelbar mit dem 11. September einsetzten, ebenso wie in die Legitimationszusammenhänge militärischer Gewaltausübung und Krieg eingelassen. Diese Untersuchung unterscheidet sich damit von der mittlerweile kaum mehr zu überschauenden Menge an Publikationen zum 11. September in zweierlei grundlegender Hinsicht: Zum einen beschäftigt sie sich mit den medialen Artikulationen und Deutungen von ›Terror‹ und dem ›Krieg gegen den Terror‹ – nicht mit den Ereignissen und politischen Konsequenzen an sich. Zum anderen fragt sie nach den Geschlechterbildern, die mit den medialen Deutungen von ›Terror‹ und ›Krieg‹ einhergehen, also nach den geschlechtlichen Rollen- und Identitätszuschreibungen, Metaphern und Symboliken und ihrer Funktion. Wie die feministische Forschung gezeigt hat, beruhen Vorstellungen und Strukturen von Staat, Krieg und internationaler Politik traditionell auf binären Geschlechterkonstruktionen, die sich im Wesentlichen auf die Stereotype ›kämpfender/aktiver Mann‹ und ›friedfertige/passive Frau‹ konzentrieren. Diese dominanten Identitäten erweisen sich zudem für die Begründung politischen Handelns als funktional und werden seit dem 19. Jahrhundert zur Vorbereitung oder während eines Krieges immer wieder gezielt mobilisiert und verstärkt, um staatliche und militärische Gewalt zu legitimieren (vgl. z.B. Wenk 2005a). Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ist jedoch fraglich, ob die althergebrachten Stereotype noch zeitgemäß sind. Die Kategorie Geschlecht scheint als gesellschaftliches, hierarchisches Ordnungsprinzip vor dem Hintergrund rechtlicher Gleichstellung und der Öffnung (fast) aller gesellschaftlichen Bereiche für Frauen ihre Bedeutung zu verlieren. Seit dem 1. Januar 2001 haben Frauen auch in Deutschland uneingeschränkten Zugang zu einer der letzten ›männlichen Domänen‹, der Bundeswehr, und sind von Kampfeinsätzen (formal) nicht länger ausgeschlossen. Auf der anderen Seite ist das Bild des männlichen Kämpfers und Kriegers, der für sein Vaterland in die Schlacht zieht, in den westlichen Gesellschaften, insbesondere in Deutschland, mit Ende des Zweiten Weltkrieges in Verruf geraten. Der Typus des archaischen Kriegers wurde in das Modell einer modernen und rationalen Männlichkeit und Staatlichkeit überführt, die auf Kampf, Gewaltbereitschaft und Heldentod vermeintlich verzichten kann. Nicht zuletzt bekräftigen auch die Anrufungen ›westlicher Werte‹ nach dem 11. September, auf die es die Angreifer vermeintlich abgesehen hatten, die Errungenschaften westlicher Freiheit und (Geschlechter-)Demokratie und suggerieren, dass es ›Rassen‹-, Klassen- und Geschlechterhierarchien ›bei uns‹ nicht mehr gibt. Es stellt sich also die Frage, ob mit den so genannten Neuen Kriegen und asymmetrischen Konflikten des 21. Jahrhunderts (vgl. Exkurs unten), zu denen auch Phänomene wie ›Terrorismus‹ und ›nicht-staatliche Angriffe‹ wie die Selbstmordattentate des 11. September gezählt werden, nicht auch neue Geschlechterkonstruktionen jenseits der Dichotomie ›kämpfender Mann‹ und ›friedfertige Frau‹ einhergehen. Der funktionale Zusammenhang von Geschlecht, Krieg und Medien ist bislang von den (Politik-)Wissenschaften nur wenig beachtet und erforscht worden. So liegen zwar mittlerweile auch im deutschsprachigen Raum einige Arbeiten zum Zusammenhang von Geschlecht, Internationalen Beziehungen und Krieg vor, jedoch wird dieses Verhältnis nur selten in seiner medialen Vermittlung untersucht. An-
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dererseits zeigen sich Arbeiten, die sich mit dem Zusammenhang von Medien und Krieg bzw. der legitimierenden Rolle von Medien in politischen und kriegerischen Kontexten beschäftigen, häufig blind gegenüber der Kategorie Geschlecht. Wissenschaftliche, politische und mediale Diskurse der internationalen Politik, insbesondere Kriegsdiskurse, sind jedoch mit binären Bildern von Männlichkeit und Weiblichkeit untrennbar verknüpft. Ein Beispiel ist Robert Kagans Vergleich von Europa und USA mit Venus und Mars im Vorfeld des jüngsten Irakkrieges, mit dem die Differenzen zwischen USA und Europa begreiflich gemacht und politisches Handeln erklärt wurde (vgl. Kagan 2002).2 Eine Anti-Kriegs-Position wurde von ihm als ›weichlich‹ und ›weiblich‹ gekennzeichnet, eine Pro-Kriegs-Haltung hingegen als ›stark‹ und ›männlich‹. Auch ein Blick in die internationalen Medien nach dem 11. September zeigt, dass sich in den Nachrichten und Reportagen durchgängig stereotype Geschlechterbilder und -rollen identifizieren lassen. So wurden die Anschläge insbesondere in der US-amerikanischen Presse als eine ›männliche‹ Heldengeschichte über die tapferen New Yorker Feuerwehrmänner erzählt (vgl. Forster 2003; Lorber 2005). Frauen tauchten hingegen erst mit der Berichterstattung über den Afghanistankrieg auf: als ›unterdrückte Muslimin‹ unter der Burka und Opfer von Krieg und Männergewalt. Vergeschlechtlichte Bilder und Zuschreibungen prägen jedoch nicht nur die Darstellung der individuellen Akteure; sie fließen auch in die kollektiven Identitätskonstruktionen ein und strukturieren Feindbilder ebenso wie Vorstellungen und Definitionen von Gemeinschaft und Nation, Sicherheit und Schutz, Sieg und Niederlage – und nicht zuletzt von ›Terror‹ und ›Krieg‹ selbst.3 Während im angloamerikanischen Raum bereits zahlreiche Untersuchungen zum 11. September und dem ›War on Terror‹ in den Medien durchgeführt wurden, die Geschlecht explizit berücksichtigen oder zum Hauptfokus machen (z.B. Hunt/Rygiel 2006; Lorber 2005, Rodgers 2003, Drew 2003), stellt sich dies im deutschsprachigen Raum als auffällige Forschungslücke dar. Analysen, die die Berichterstattung über den 11. September und den ›Krieg gegen den Terror‹ in Deutschland in Bezug auf Geschlechterkonstruktionen untersuchen, liegen bislang nur vereinzelt vor, zudem beschränken sich die Arbeiten häufig auf Teilaspekte wie z.B. die Instrumentalisierung von Frauen und Frauenrechten zur Begründung des Afghanistankrieges (z.B. Kassel 2004; Maier/Stegmann 2003; Klaus/Kassel 2003). Größer angelegte und systematische Untersuchungen fehlen jedoch. Das verwundert umso mehr, wenn man sich die Fülle an Publikationen anschaut, die mittlerweile zum Thema ›11. September‹ und ›Krieg gegen den Terror‹ vorliegt; hauptsächlich werden darin die besondere Wiedergabe der Ereignisse in den Medien (à la Hollywood und in ›Echtzeit‹), sowie die politischen Folgen und Konsequenzen des Terrorismus diskutiert.4 2 | Bekannt geworden ist v.a. sein Ausspruch: »Americans are from Mars and Europeans are from Venus: They agree on little and understand one another less and less.« (Kagan 2002; o.S.) 3 | So wird ›Terror‹ mit (weiblich konnotierter) Irrationalität, ›Krieg‹ hingegen mit (männlich konnotierter) Rationalität assoziiert. Mit den geschlechterstereotypen Zuschreibungen geht eine Aufwertung männ lich kodierter Eigenschaften (Entschlossenheit, Mut, Tapferkeit, Rationalität, Vernunft, Stärke etc.) bei gleichzeitiger Abwertung der weiblich kodierten Eigenschaften (Irrationalität, Emotionalität, Unberechenbarkeit, Schwäche etc.) einher. 4 | Die Ereignisse des 11. September haben eine neue Grundsatzdebatte über die Rolle und Funktion von Medien und die Qualitätsstandards der journalistischen Informationsvermitt-
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Meine Untersuchung wird zeigen, dass Geschlechterbilder bei der Wahrnehmung und Deutung von ›Terror‹ und ›Krieg gegen den Terror‹ eine zentrale Rolle spielen, die wiederum für die Begründung und (De-)Legitimierung politischen Handelns funktional ist. Die Konstruktionen binärer Geschlechtsidentitäten wie die ›unterdrückte afghanische Frau‹ und der ›heldenhafte westliche Retter‹ machten den Afghanistankrieg als einen ›gerechten Krieg‹ bzw. als eine humanitäre und zivilisatorische Aktion erklärbar und verliehen ihm eine moralische Legitimation. Aber auch die Ausdifferenzierung und Gegenüberstellung verschiedener Männlichkeitsbilder (z.B. ›rationaler‹ versus ›irrationaler Politiker‹, ›soldatischer Krieger‹ versus ›Retter von Frauen und Kindern‹, ›fanatischer Moslem‹ versus ›aufgeklärter moderner Mann‹) erwies sich als funktional, um vermeintliche kulturelle Differenzen zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹, Europa und USA plausibel zu machen und das Handeln der jeweiligen Akteure zu begründen und zu bewerten.5 Darüber hinaus stellen Geschlechterbilder für die Selbstvergewisserungs- und Konstruktionsprozesse von Gemeinschaft und Nation sowie die damit einhergehenden Abgrenzungsprozesse gegenüber dem ›Anderen‹ eine zentrale Ressource dar.
Die mediale Verarbeitung des 11. September – ›Terror‹ und ›Krieg‹ ›Terror‹ ist kein politisches Faktum, das von sich aus schon eindeutig wäre, wie die unterschiedlichen Auslegungen des Geschehens und seiner Hintergründe zeigen. Gesellschaftliche und diskursive Großereignisse6 wie Kriege, Katastrophen und eben auch der 11. September bringen gesellschaftliche Gewissheiten durcheinander. Sie verstören und irritieren die soziale, politische und symbolische Ordnung einer Gesellschaft und müssen mittels kommunikativer Praxen und Rituale ›verarbeitet‹ werden, um die aus den Fugen geratene Ordnung wieder herzustellen. »Terror« bringt »die symbolische Ordnung einer Gesellschaft […] zum Einsturz« und »zerstört die […] Erfahrung alltäglicher Normalität«, halten Ronald Hitzler und Jo Reichertz (2003: 8) einleitend in ihrem Buch »Irritierte Ordnung«, das sich mit der gesellschaftlichen Verarbeitung des 11. September beschäftigt, fest: lung, insbesondere durch das Fernsehen, entzündet. Für viele Medienwissenschaftler_innen gilt der 11. September als Zäsur, der die Art und Weise der Berichterstattung nachhaltig verändert hat. Diskussionen und Kritik machen sich v.a. an der Dominanz und Macht des Bildlichen und der Manipulierbarkeit von Bildern und durch Bilder fest (vgl. Kap. I.2). 5 | In dieser Arbeit kommen vielfach einfache Anführungszeichen zum Einsatz, um spezifische (Geschlechter-)Konstruktionen und Deutungsmuster kenntlich zu machen. Auch schreibe ich z.B. der ›Westen‹ oder der ›Islam‹, um den Konstruktionscharakter der Aussagen deutlich zu machen, mit denen jeweils ein spezifisches Bild des Islams oder des Westens entworfen wird. Ich erhebe jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit, so wurde zu Gunsten einer besseren Lesbarkeit, an der einen oder anderen Stelle auf die Anführungsstriche verzichtet. 6 | Der 11. September stellt nicht nur ein gesellschaftliches, sondern auch ein ›diskursives (Groß-)Ereignis‹ dar, das die öffentliche und mediale Diskursproduktion stark anregt und eine Fülle von Aussagen und Deutungsmustern produziert. »Reale Ereignisse werden zu diskursiven Ereignissen, wo Ereignis- und Handlungszusammenhänge medial in Ereignisse transformiert und als ›außergewöhnlich‹ markiert werden. Sie binden öffentliche Aufmerksamkeit, weil sie als Ereignisse bestimmt und vom Fluss des sie umgebenden Geschehens abgegrenzt werden.« (Schwab-Trapp 2002: 63; Herv. i.O.; vgl. Kap. II.3)
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Deshalb muss nach dem Terror der Terror selbst gedeutet und in die symbolische Ordnung einer Gesellschaft eingearbeitet und eine neue Ordnung der Symbole errichtet werden. Zu diesem Zwecke stehen gesellschaftliche, meist medial gestützte Praktiken und Routinen zur Verfügung, die (historisch gewachsen) die Wiederherstellung einer neuen gesellschaftlichen Normalität ermöglichen.« (Ebd.)
Bereits die begriffliche Einordnung, die erste Benennung der Ereignisse, kann als ein erster Schritt verstanden werden, der schockierenden Ereignisse ›habhaft‹ zu werden, und sie in die symbolisch-diskursive Ordnung zu integrieren. »Terror« wird laut Hitzler und Reichertz zum »Masterframe« (ebd.), mit dem man sich die Geschehnisse verständlich macht. Die Anschläge werden in den westlichen Öffentlichkeiten als ›Kriegserklärung‹, ›Zusammenprall der Kulturen‹, ›Angriff feiger Islamisten‹, ›erster Krieg des 21. Jahrhunderts‹, ›Kampf der Zivilisation gegen die Barbarei‹ oder ›Stunde Null einer neuen politischen Weltordnung‹ gedeutet – wesentlich seltener als Folge von westlichem Imperialismus und Kapitalismus. Je nach Deutung fällt dabei auch die Legitimität, die der Ausübung von Gewalt zugestanden wird, unterschiedlich aus. So stellen bereits die Topoi ›Terror‹ und ›Krieg gegen den Terror‹ – als die von George W. Bush unmittelbar nach den Anschlägen ausgerufene Antwort auf den ›Terror‹ – selbst spezifische Deutungsmuster dar, die über die Legitimität von Gewalt Auskunft geben. Während ›Terror‹ und ›Terrorismus‹ prinzipiell einen Bereich ›illegitimer‹ Gewalt und die Bedrohung der staatlichen Ordnung und Sicherheit symbolisieren, ist es bei einem Krieg, als einem rechtsstaatlich und völkerrechtlich anerkannten und regulierten Mittel der bewaffneten Konfliktaustragung zwischen Staaten, nicht von vornherein ausgeschlossen, dass er als gerechtfertigt und notwendig oder gar ›gerecht‹ erachtet wird – und damit prinzipiell legitim ist.7 Völkerrechtlich ist der Begriff ›Terror‹ bzw. ›Terrorismus‹ bis heute nicht eindeutig definiert, seine Auslegung, und damit die Bestimmung, wer als ›Terrorist‹ gilt und welche ›Terrorbekämpfungsmaßnahmen‹ als notwendig erachtet werden, wird jeweils von Fall zu Fall von den einzelnen Regierungen konkretisiert. ›Terror‹ gilt spätestens seit der Französischen Revolution und Herrschaft der Jakobiner (Terreur) als die Verbreitung von Angst und Schrecken mittels (rücksichtsloser) Androhung und Anwendung von Gewalt; und war damit ursprünglich ein Instrument des Staates gegen die eigenen Bürger_innen (Steinmetz 2001: 5f; vgl. Daase 2001).8 Heute wird der Begriff ›Terrorismus‹ jedoch v.a. als das Gegenteil staatlich-legitimer Gewalt und Angriff auf die staatliche Ordnung verstanden. »Eine der historischen 7 | Das Völkerrecht unterscheidet bewaffnete zwischenstaatliche Kriege von anderen Formen gewaltsamer Konfliktaustragung wie etwa innerstaatlichen Konflikten. Die Differenzierungen zwischen Angriff und Verteidigung sowie zwischen Kombattant_innen und Nichtkombattant_innen, und die damit verbundene Begrenzung der zulässigen Gewalt, bilden wesentliche Kriterien, an denen die Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen Kriegshandlungen festgemacht wird. Als nicht legitim im Sinne des Völkerrechts gelten z.B. staatliche Angriffskriege und Gewalt gegen Zivilist_innen. 8 | In der Arbeit wird der Unterstrich verwendet, um eine ›geschlechtergerechte‹ Sprache zu erreichen. Der Unterstrich verweist auf Subjektpositionen jenseits der heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit, die durch die Lücke symbolisiert werden, z.B. Leser_innen, Journalist_innen.
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Leistungen des Staates war die Externalisierung des Terrors«, wie Christoph Steinmetz (2001: 6) resümiert. ›Terror‹ bezeichnet heute im öffentlichen und politischen Diskurs eine grundsätzliche Bedrohung der staatlichen Ordnung, wird fast ausschließlich mit den (gewalttätigen) Protestformen nicht-staatlicher, oppositioneller Gruppen verknüpft und kann im Sinne der Legitimierung staatlicher (Gegen-)Gewalt nutzbar gemacht werden. »Nach innen gerichtet dient die Bezeichnung der Gewalt als ›Terrorismus‹ der Identitätsstiftung und kollektiven Selbstvergewisserung, dass die Gewalt Unschuldige getroffen hat. […] Gleichzeitig erwächst daraus eine Bekräftigung des staatlichen Gewaltmonopols sowie die Legitimierung staatlicher (Gegen)Gewalt bzw. präventiver Gewalt und repressiver Maßnahmen.« (Ebd.)
Auch im internationalen Kontext präsentieren Regierungen ›Terrorismus‹ stets als nicht-staatliche Gewalt bzw. Bedrohung der staatlichen Ordnung. Regierungen erhalten selbst nur das ›Terror‹-Attribut, wenn ihre Legitimität ohnehin bestritten wird; ›Staatsterrorismus‹ wird angeblich nur von anderen ›Verbrecherregimen‹ gegen die dortigen Oppositionsbewegungen praktiziert (vgl. hier und im Folgenden ebd.: 6f). Letzten Endes ist der Begriff ›Terrorismus‹ ein Symbol des politischen Streits um die Legitimität von Gewaltanwendung. Er fungiert als Hilfsbegriff, um das politische Handeln der jeweils als ›Terroristen‹ Gekennzeichneten zu diskreditieren und das eigene Handeln als legitime Reaktion (und nicht Aktion) zu kennzeichnen. Damit wird zugleich der Anspruch bekräftigt, dass das staatliche Gewaltmonopol der Sicherheit der Bürger_innen diene und staatliche (Gegen-)Gewalt zu ihrem Schutz notwendig sei. Nach dem 11. September wurde mit dem Begriff ›Terror(ismus)‹ ein Deutungsmuster und zugleich ein neues Feindbild für einen weltweiten und beliebig definierbaren Feldzug geschaffen: den ›Krieg gegen den internationalen Terrorismus‹, der zugleich außenpolitische (militärische) mit innenpolitischen (polizeilichen) Sanktionen verbindet. Ein wesentliches Moment dieses Feindbildes ist die Verknüpfung mit dem ›Islam‹ (s.u.). Die mutmaßlichen Täter und ihre Motive wurden bereits kurze Zeit nach den Anschlägen im Islam bzw. einem fundamentalistischen Islamismus verortet, Osama bin Laden als Drahtzieher und Kopf des international agierenden ›islam(ist)ischen Terrorismus‹ benannt und somit eine kategorische Gegenüberstellung zwischen dem ›Westen‹ und dem ›islamischen Anderen‹ erzeugt bzw. enorm verstärkt.
Geschlechterbilder im Diskurs über ›Terror‹ und ›War on Terror‹ In dem öffentlich-medialen Ringen um (Be-)Deutung wird notwendigerweise an bereits vorhandenes, historisch gewachsenes Wissen einer Gesellschaft angeknüpft. Der Rückgriff auf vertraute Denkschablonen und kategoriale Ordnungsmuster, Normen und Werte verspricht angesichts der beunruhigenden Geschehnisse Sicherheit und Stabilität. Eine dieser offenbar unerschütterlichen und haltgebenden Konstanten, die sich durch die mediale Darstellung der Anschläge und des ›Kriegs gegen den Terror‹ zieht, ist die explizite, v.a. aber implizite Bezugnahme auf Geschlecht und Geschlechterverhältnisse. In einer aus den Fugen geratenen Welt fungieren Geschlechterbilder als ›Kitt‹, der sie zusammenhält. Häufig zu beobachten ist die Aktualisierung stereotyper Vorstellungen von ›friedfertiger Weiblichkeit‹ und ›gewaltbereiter Männlichkeit‹, wie sie z.B. mit dem
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Titelbild der feministischen Zeitschrift Emma (6/2001) am plakativsten zum Ausdruck kommt (vgl. Abb. 1). Abbildung 1: Emma, Heft 6, Nov./Dez. 2001
Das Bild zeigt den US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush, den damaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer und den vermeintlichen Drahtzieher hinter den Anschlägen Osama Bin Laden unter der Überschrift »Terror. Männer Männer Männer«. Damit wird ›Terror‹ als ›Männersache‹ bzw. ›patriarchales Wirkungsfeld‹ deklariert, während die im Hintergrund sichtbare, durch die Verschleierung als Frau assoziierte Gestalt mit der Dornenkrone pures – daraus resultierendes – Leid verkörpert. Innerhalb des Deutungsrahmens ›Patriarchat‹ sind Täter- und Opferrolle eindeutig nach Geschlecht verteilt (Männer = Täter und Terroristen, Frauen = Opfer und Leidtragende) und beanspruchen universale Gültigkeit. Diese Art der Problematisierung ist nicht auf die Emma beschränkt. Ähnliche Argumentationsmuster finden sich nicht nur in anderen explizit feministischen Stellungnahmen zum 11. September (vgl. dazu ausführlich Nachtigall/Dietrich 2003), sondern auch in den Massenmedien, wenn es um die Suche nach den Ursachen und Hintergründen des 11. September geht. ›Terror‹ und Krieg werden – wie in den zum Einstieg gewählten Beispielen – eindimensional auf Sexismus und Patriarchat zurückgeführt. Die Geschlechterverhältnisse werden damit zum gesellschaftlichen ›Hauptwiderspruch‹ erklärt und als Hauptursache komplexer gesellschaftlicher Macht- und Herrschaftsstrukturen begriffen. Männlicher Frauenhass, der wiederum kausal aus einer verunsicherten männlichen Psyche und/oder dem Islam abgeleitet wird, dient dabei nicht nur als Ausgangspunkt für die Erklärung gesellschaftlicher Missstände und Herrschaftsverhältnisse wie Faschismus und Frauenunterdrückung, sondern wird im konkreten Fall auch als Begründung für (männlichen) Terrorismus angeführt.9 9 | Diese Argumentationsweise birgt die Gefahr, Frauen pauschal als Opfer und Männer pauschal als Täter zu verorten, wobei Frauen qua Geschlecht von der Verantwortung für
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Im Vorfeld und Verlauf des Afghanistankrieges, als dem ersten im Namen des ›Kriegs gegen den Terror‹ geführten Krieges, war darüber hinaus plötzlich quer durch die deutschsprachige und internationale Medienlandschaft von den durch die Taliban unterdrückten afghanischen Frauen die Rede – direkt oder indirekt verbunden mit dem Appell, die Afghaninnen von ihrem Leid zu erlösen. Das Thema ›Frauenrechte‹ und die Situation der afghanischen Frauen waren auf einmal in aller Munde. Hauptfokus bildete die Burka, die afghanische Form der Verschleierung, die als die schlimmste Form der Frauenverachtung und -unterdrückung interpretiert wurde. Gleichzeitig wurden Frauenfeindlichkeit, Entrechtung der Frau und Gewalt gegen Frauen als spezifisches Merkmal der ›islamischen Kultur‹ herausgestellt, wodurch die ›Barbarei‹ des Gegners ebenso wie die vermeintliche Unterlegenheit des ›Islams‹ gegenüber der ›westlich-abendländischen Kultur‹ begründet werden konnten. Der Krieg gegen die Taliban wurde im Gegenzug als ein ›gerechter Krieg‹ für die ›Befreiung‹ der ›unterdrückten muslimischen Frau‹ und ›Kampf für Frauenrechte und Demokratie‹ lesbar gemacht – bei gleichzeitiger Ignoranz gegenüber den afghanischen Frauen selbst. So erhielt kaum eine der afghanischen Frauen eine eigene Stimme in den Medien oder wurde zu ihren politischen Forderungen befragt. Die symbolische Vereinnahmung der afghanischen Frau und des genuin feministischen Themas Frauenrechte spiegelt sich auch auf visueller Ebene wider. Nach dem Sturz des Talibanregimes zirkulierten zahlreiche Fotos von glücklich ›entschleierten‹ afghanischen Frauen in den Medien und verliehen dem Krieg rückwirkend einen besonderen humanitären Sinn und moralische Legitimität. Unmittelbar nach Ende des Krieges trat das Interesse an den Lebensbedingungen der afghanischen Frauen jedoch genauso schnell wieder in den Hintergrund, wie es aufgekommen war. Die Willensbekundung, Frauen in die politische Neugestaltung Afghanistans verstärkt einzubeziehen, entpuppte sich so als bloßes Lippenbekenntnis: Lediglich zwei der neuen Minister_innenposten wurden an Frauen vergeben; die vormals in den Medien für ihren ›tapferen Widerstand‹ gegen die Taliban gelobten Frauenorganisationen wie die Gruppe RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan) wurden zu den offiziellen Nachkriegs-Verhandlungen auf dem Petersberg noch nicht einmal eingeladen.
Konstruktionen des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹ Die mediale Verarbeitung des 11. September und des ›Kriegs gegen den Terror‹ ist untrennbar mit den Konstruktionsprozessen kollektiver (nationaler) Identitäten vergesellschaftliche Missstände und Herrschaftsverhältnisse wie Rassismus, Nationalismus, Militarismus/Bellizismus, Faschismus und nun auch Terrorismus und Fundamentalismus ausgenommen werden (vgl. Marx 2002; Nachtigall/Dietrich 2003). Eine solche dichotome und essentialistische Sicht auf Geschlechterverhältnisse verunmöglicht zudem eine (herrschafts-)kritische feministische Debatte über Differenzen und Machtverhältnisse zwischen Frauen, die Beteiligung von Frauen an der Aufrechterhaltung von Herrschaftsstrukturen und das Zusammenwirken verschiedener Macht- und Unterdrückungsverhältnisse entlang der Kategorien Geschlecht, ›Rasse‹, Klasse etc. Der Unmut über die eindimensionale Argumentation von feministischer Seite einerseits und die – weitestgehend unwidersprochene – Instrumentalisierung ›feministischer‹ Argumente durch Politik und Medien zum Zwecke der Kriegslegitimierung andererseits haben einen wichtigen Anstoß gegeben, diese Phänomene weiter zu untersuchen und diese Arbeit zu schreiben.
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bunden, wobei Vorstellungen des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹ (neu) entworfen, verhandelt und ausgelotet werden. Wie in kriegerischen Kontexten üblich, geht damit eine binäre Reduktion von Komplexität einher, in der es nur noch Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Freund und Feind gibt. Die Berichterstattung über die Anschläge geht unmittelbar mit dem Entwurf eines neuen und zugleich altbekannten Feindbildes einher, in dem ›der Islam‹ als das ›Andere‹, das Böse schlechthin, als der ewige Feind des ›Westens‹ aufgerufen wird. Dies geschieht unter Rückgriff auf tief verankerte orientalistische, rassistische und anti-islamische Ressentiments und Feindbilder, wie sie z.B. während des Zweiten Golfkriegs populär waren.10 »Ganz ohne Frage ruht die mediale, mentale und öffentliche Verarbeitung der terroristischen Anschläge auf einem historisch gewachsenen Sockel anti-islamischer Feindbilder in der westlichen Welt. Sie bilden quasi eine Folie, vor der die mediale Verarbeitung des Afghanistankrieges einzelne Bruchstücke eines sowieso schon fest gefügten Bildes über den Islam aktualisiert.« (Becker 2003a: 16)
Das Feindbild ›Islam‹ wird jedoch seit dem 11. September in einen größeren globalen Kontext eingebettet – ›internationaler Terrorismus‹ – und um die Subjektposition des ›islamistischen Terroristen‹ und ›Schläfers‹ ergänzt. Häufig wird dabei zwischen Islam und Islamismus bzw. zwischen Religion und einem politischen Islamismus nicht unterschieden. Mit der Gegenüberstellung von ›unserer Zivilisation‹ und ›deren Barbarei‹ wird zugleich ein kolonialistisches und orientalistisches Deutungsmuster reproduziert, das bereits für die Legitimierung der kolonialen Eroberungskriege zentral war. Die Konstruktion von Freund und Feind verläuft nach dem 11. September weniger entlang von Staaten, sondern entlang von ›Kulturen‹ bzw. ›Religionen‹. Zu den vorherrschenden Deutungsmustern, die Öffentlichkeit und Medien für die Wahrnehmung der Anschläge bzw. das Phänomen ›Terror‹ anbieten, gehört das eines religiös motivierten ›Kampfes der Kulturen‹ (vgl. Junge 2003). Dieser Lesart zufolge stehen sich in einer Weltordnung nach dem 11. September der ›zivilisierte, säkularisierte und moderne Westen‹ und der ›barbarische, ultra-religiöse und rückschrittliche Islam‹ als unvereinbare ›Kulturen‹ oder gar ›Welten‹ gegenüber, und werden wiederum mit spezifischen Wertvorstellungen wie ›Frauenemanzipation‹ versus ›Frauenfeindlichkeit‹ verknüpft. In diesem diskursiven Kontext wird der ›Krieg gegen den Terror‹ nicht nur als weltweiter Krieg zur ›Bekämpfung des internationalen Terrorismus‹, sondern auch als ›Krieg für westliche Werte‹ präsentiert. Tanja Maier und Hanno Balz definieren die Neuen Kriege deshalb als normativ aufgeladene »Identitätskriege«, in denen nicht nur das nationale Kollektiv konstruiert, sondern gleichzeitig eine kulturalistische Neuordnung der Welt entlang der Dichotomien ›Abendland‹/›Morgenland‹, Terrorismus/Demokratie, christlich/islamisch, säkular/fundamentalistisch, modern/rückständig etc. entworfen werde (Maier/Balz 10 | Fast alle Untersuchungen verorten den ›Aufschwung‹ des orientalistischen Feindbildes ›Islam‹ Anfang der 1990er Jahre, was v.a. auf die anti-islamische Berichterstattung im Zuge des Zweiten Golfkriegs 1990/91 zurückgeführt wird. Der 11. September wird dabei einhellig als Zäsur interpretiert, wodurch das Feindbild ›Islam‹ erneut deutlich an Bedeutung gewinne (vgl. Weyland 2004; Ate¸s 2006; Becker 2003a; Hafez 2002; Schiffer 2005; Hippler/Lueg 2002, für ältere Untersuchungen zum Feindbild ›Islam‹ vgl. Gerhard/Link 1992; Link 1993).
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2010: 81). Die alte bipolare und geografisch fixe Ordnung des Kalten Krieges wird damit in eine neuartige, kulturell-religiös begründete Weltordnung überführt (vgl. Junge 2003). Spezifisch für das Feindbild ›Islam‹ seit dem 11. September ist dabei, dass es die Grenzen zwischen einem ›sicheren Innen‹ und ›feindlichen Außen‹ ins Wanken bringt, denn der neue ›kulturelle Feind‹ kann sich hinter einem fremden Staat ebenso wie im Inneren der eigenen Gesellschaften verbergen. Feindbildkonstruktionen lassen sich, wie konstruktivistische Ansätze argumentieren, immer auch auf die Konstruktion des Selbst zurückbeziehen. Sie sind konstitutiv für den Entwurf des ›Eigenen‹, das sich durch Abgrenzung definiert und die eigene Überlegenheit durch die Abwertung des ›Anderen‹ sichert. Freundund Feindbildkonstruktionen lassen sich damit als wechselseitige, sich gegenseitig stützende und verstärkende Prozesse begreifen, in denen nicht nur das ›Andere‹, sondern auch das ›Eigene‹ explizit und implizit neu definiert und justiert werden. Berücksichtigt man Edward Saids Überlegungen zur westlichen Konstruktion des Orients (bekannt als Orientalismus), sowie das Konzept des Kritischen Okzidentalismus (vgl. Coronil 2002; Dietze 2006a) als (selbst-)kritische Erweiterung der Perspektive, muss v.a. nach den Funktionen der Repräsentationen von ›Andersheit‹, wie sie in den medialen Darstellungsweisen von ›Terror‹ und ›Terroristen‹ nach dem 11. September zum Tragen kommen, für das ›Eigene‹ gefragt werden. Vor diesem Hintergrund können die medialen Diskurse über den 11. September auch als »okzidentale Selbstvergewisserungen« (vgl. Brunner et al. 2009) und Neu-Auslotung und Bestimmung von »Abendländischkeit« (Dietze 2009: 24) begriffen werden.11 Dabei kommt es nicht nur zur Konstruktion einer spezifisch ›westlich-abendländischen Identität‹ in Abgrenzung von ›dem Islam‹ und ›dem Orient‹, sondern auch zur (Neu-)Konstituierung einer spezifisch ›deutsch-europäischen Identität‹, die wahlweise in Übereinkunft mit oder in Abgrenzung von den USA entworfen wird. Explizit manifestieren sich die okzidentalen Selbstvergewisserungen beispielsweise in der betonten Artikulation ›westlicher Werte‹, die demonstrativ gegen den ›Islam‹ ins Feld geführt werden. In Abgrenzung zu ›dem Islam‹ stellt sich ›der Westen‹ – insbesondere Europa und Deutschland, die im Vergleich mit den USA häufig als der ›bessere Westen‹ imaginiert werden – als aufgeklärt, säkular, rational, zivilisiert und emanzipiert dar. Neben dem symbolischen Distinktionsgewinn übernehmen Feindbildkonstruktionen häufig systemstabilisierende und herrschaftslegitimierende Funktionen: In den Diskursen über den 11. September suggeriert ›Islam‹ eine innere wie äußere ›Gefahr‹ und lässt den ›Schutz‹ seitens des Staates und ein ›hartes Durchgreifen‹ zwingend erforderlich erscheinen. Forschungsleitend für meine Untersuchung ist die These, dass Geschlechterbilder im Zusammenhang mit den kollektiven Identitätskonstruktionen eine zentrale symbolische Ressource darstellen, die die diskursiven hierarchisierenden Grenzziehungsprozesse zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹, Freund und Feind, noch 11 | Dietze konkretisiert das Okzidentalismus-Konzept entsprechend als eine »teils bewusste und teils im kollektiven Unbewussten stattfindende Referenz auf ›Abendländischkeit‹ der ›abstammungsdeutschen‹ Mehrheitsgesellschaft als ›überlegene‹ Kultur« (Dietze 2009: 24), die sich primär über eine Rhetorik der ›Emanzipation‹ und Aufklärung artikuliert. Dietze zufolge kommt es nach dem 11. September zu einer Wiederbelebung der Orient/OkzidentBinarität, wobei ›Okzidentalität‹ zur neuen »Leitdifferenz« der europäischen, insbesondere deutschen Einwanderungsgesellschaften geworden ist (ebd.).
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verschärfen und verstärken. So stellt beispielsweise die Skandalisierung der ›islamischen Geschlechterordnung‹ bzw. die vermeintliche Frauenfeindlichkeit des Islams eine besonders vordergründige Diskursfigur dar, auf die im Rahmen der Feindbildkonstruktion regelmäßig zurückgegriffen wird und anhand derer die vermeintliche Differenz zwischen ›Islam‹ und ›Westen‹ dramatisiert wird. Besonders die stereotypen Bilder des ›frauenfeindlichen Terroristen‹ und der ›verschleierten muslimischen Frau‹ werden in die Prozesse der symbolischen Selbstvergewisserung eingebunden. ›Westlich-abendländische Identität‹ konstituierte sich entlang der Bereiche Fortschritt, Säkularität und Modernität, die wiederum anhand der ›Emanzipation der Frau‹ und der ›Gewährleistung von Frauenrechten‹ konkretisiert wird. Gewalt gegen Frauen sowie die Verweigerung von Frauenrechten werden im Gegenzug ausschließlich auf Seiten des Feindes und orientalisierten ›Anderen‹ verortet.
Die Legitimierung staatlicher und militärischer Gewalt und die (Neu-)Konstruktion deutscher Identität nach 9/11 Die öffentliche und mediale Diskussion über die Terroranschläge ist Teil eines umfassenderen Diskurses über die Legitimität kollektiver (politischer) Gewaltausübung, wie er bereits in der Unterscheidung zwischen ›Terror‹ und ›Krieg‹ zum Ausdruck kommt. Insbesondere der am 7. Oktober 2001 begonnene Krieg in Afghanistan, in den der ›Krieg gegen den Terror‹ als erste (Re-)Aktion mündete, hat in der internationalen ebenso wie in der deutschen Öffentlichkeit eine Diskussion über die Legitimität militärischer Gewalteinsätze ausgelöst. Wie der vor einigen Jahren verstorbene Soziologe Michael Schwab-Trapp (2007) in einer Studie zur diskursiven Verarbeitung des 11. September in Deutschland zeigt, berührten die Anschläge und der daraufhin ausgerufene ›Krieg gegen den Terror‹ auch in Deutschland aufs Neue fundamentale Normen des Verständnisses von Krieg und Gewalt. Die Diskussion über die Legitimität militärischer Gewaltanwendung sei zwei Jahre nach dem Kosovokrieg, dem ersten militärischen Auslandseinsatz deutscher Truppen nach dem Zweiten Weltkrieg, in eine neue Runde gegangen und habe zugleich eine neue Qualität gewonnen: »Die Terroranschläge vom 11. September bergen enorme Legitimationspotenziale sowohl für innen- als auch für außenpolitische Weichenstellungen«, hält Schwab-Trapp einleitend in seiner Untersuchung fest (2007: 13). Bereits die ersten politischen Reaktionen auf die Terroranschläge und die darin entwickelten ›kriegerischen‹ Deutungsvorgaben, wie etwa dass es sich bei den Anschlägen um eine »Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt« gehandelt habe und man den USA mit »uneingeschränkter Solidarität«, notfalls auch »militärischem Beistand« zur Seite stehen müsse, wie es der damalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder formulierte, zeigen, dass die Diskussion über den 11. September nicht von Fragen nach der Legitimität staatlicher und militärischer Gewalt zu trennen ist. Im Rückgriff auf das im Zusammenhang mit internationalen Konflikten vertraute Deutungsmuster ›Krieg‹ und ›Ausnahmezustand‹, der Behauptung, dass nach dem 11. September ›nichts mehr so sein wird wie vorher‹, sowie der Rede von einer ›historischen Zäsur‹ und dem ›Beginn einer neuen Weltordnung‹ deutet sich das besondere Veränderungs- und Gestaltungspotenzial an, das den Terroranschlägen und ihren Deutungen innewohnt. Mit den auf Krieg und Chaos ausgelegten Deutungsrahmen gingen der Entwurf eines immensen Bedrohungsszenarios und eines neuen globalen Feindbildes einher. Die Anschläge des 11. September haben, begleitet und verstärkt von den politischen Stellungnahmen und medialen Deutungsvorga-
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ben, in erschreckendem Tempo eine Neukonzeptionalisierung der globalen Sicherheitspolitik ausgelöst, die sich zu einem regelrechten ›Sicherheitswahn‹ gesteigert hat. In diesem (von ihnen mit erzeugten) Klima der Angst forderten die meisten Medien ein radikales Umdenken in puncto staatlicher Sicherheitspolitik und einen Abschied von der bisherigen ›Zurückhaltung‹. Mit Schwab-Trapp vertrete ich die These, dass die Ereignisse und Deutungen des 11. September mehr noch als der Kosovokrieg einer Normalisierung und Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik Vorschub geleistet haben (Schwab-Trapp 2002 und 2007). Der 11. September fungiert damit neben der deutschen ›Wiedervereinigung‹ und dem Kosovokrieg als weiterer Meilenstein für die Neubestimmung der politischen Identität Deutschlands auf dem Weg zur vollen staatlichen Souveränität, die kriegerisch-militärische Politikformen mit zunehmender Selbstverständlichkeit einschließt. Wenngleich die deutsche Regierung sich 2003 gegen eine Beteiligung am Krieg gegen den Irak oder auch jüngst, zehn Jahre nach dem 11. September, gegen eine Beteiligung am NATO-Einsatz gegen Libyen entschieden hat, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gründe hierfür sich geändert haben – die Nicht-Beteiligung ist nun das Ergebnis einer »nüchterne[n] Interessenabwägung«, wie ein kritischer Beitrag in der Berliner Zeitung konstatiert: »Krieg ist zu einem gebräuchlichen Werkzeug der deutschen Außenpolitik geworden, das bei Bedarf angewendet wird oder eben auch nicht.« (30.12.2011: 3) Vor diesem Hintergrund begreife ich die medialen Diskurse über ›Terror‹ und Krieg als Plattform für die (Neu-) Konstruktion einer spezifisch deutsch-europäischen Identität, auf der das politische Selbstverständnis in Bezug auf die deutsche Außenpolitik, insbesondere im Hinblick auf den Einsatz militärischer Gewalt, verhandelt und neu ausgelotet wird. Der Diskursstrang ›11. September und die politischen Folgen‹ wird damit in den Kontext vergangener Kriegsdiskurse gestellt und vor dem Hintergrund vergangener Kriege unter deutscher Beteiligung diskutiert. Die Einordnung der Debatten über den 11. September als ›Kriegsdiskurs‹ ist dabei nicht ganz unproblematisch, da der 11. September an sich noch kein Krieg ist. Vielmehr hat die Deutung des 11. September als Krieg bzw. Kriegserklärung, wie sie sich in kurzer Zeit im öffentlichen Diskurs durchgesetzt hat, weitreichende Konsequenzen für die gesamte Debatte und den weiteren Diskursverlauf sowie die daraus abgeleiteten politischen Handlungsoptionen (vgl. dazu Daase 2001; Weller 2004). Schwab-Trapp wirft deshalb die Frage auf: »Ist der Diskurs über den 11. September also kein Kriegsdiskurs, weil das Phänomen, auf das sich dieser Diskurs bezieht, kein Krieg ist?«, die er wiederum wie folgt beantwortet: »Gegen eine solche Lesart ist zunächst einzuwenden, dass in diskursanalytischer Perspektive Krieg schlicht und einfach das ist, was die Diskursteilnehmer als Krieg bezeichnen. Und wenn die überwiegende Mehrheit der politischen Öffentlichkeit in ihren Reaktionen auf die Terroranschläge von einem Krieg spricht, dann ist der Kampf gegen den Terror ebenso ein Krieg wie der Diskurs über den 11. September ein Kriegsdiskurs ist.« (Schwab-Trapp 2007: 42)
Das Deutungsmuster ›Kriegserklärung‹, wie es insbesondere von den großen deutschen und internationalen Fernsehsendern im Verlauf des 11. Septembers verbreitet wurde (vgl. dazu die Studie von Weller 2004), ist v.a. im Hinblick auf die Bewertung und Legitimität politischen Handelns folgenreich, denn es legt eine militärischkriegerische Reaktion bereits nahe. Auf eine Kriegserklärung kann nur mit Krieg
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bzw. militärischer Vergeltung geantwortet werden: ›Krieg gegen den Terror‹. Auch in den deutschen Printmedien wurden die Anschläge mit kriegerischen Begriffen gerahmt und in den Kontext vergangener und zukünftiger Kriege (»Krieg im 21. Jahrhundert«, »zweites Pearl Harbor« etc.) eingereiht. Ein kursorischer Streifzug durch das Spektrum der deutschsprachigen überregionalen und regionalen Tageszeitungen am 12. September 2001 zeigt, dass die Begriffsfelder ›Terror‹ und ›Krieg‹ die Schlagzeilen dominieren: »Terror-Krieg gegen Amerika« (Süddeutsche Zeitung), »Krieg gegen die USA« (die tageszeitung), »Terrorangriff auf das Herz Amerikas« (Die Welt), »›Das ist ein zweites Pearl Harbor‹« (Financial Times Deutschland), »Kriegserklärung an die USA« (Junge Welt), »Angriff auf Amerika« (FAZ, genauso: Tagesspiegel, Berliner Morgenpost), »Krieg gegen Amerika« (Express), »Krieg gegen die Zivilisation« (Rheinische Post), »Die Welt unter Schock. Krieg gegen die USA« (Neue Ruhr Zeitung) und »Kriegserklärung gegen die Welt« (Thüringische Landeszeitung). Auch in den internationalen Printmedien ist am Tag nach den Anschlägen das Deutungsmuster einer ›Kriegserklärung‹ gegen die USA bzw. gegen die (zivilisierte) Welt vorherrschend.12 Am 12. September verurteilte der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder in einer Regierungserklärung die Anschläge aufs Schärfste und betonte gleichzeitig die »uneingeschränkte Solidarität« mit den USA, die, wie er wenig später explizit ergänzte, auch die Bereitschaft zu »militärischem Beistand« umfasse. Christoph Weller (2004) spricht in diesem Zusammenhang von der »Kriegserklärung des Gerhard Schröder«, der mit seinem Versprechen indirekt an die mediale Deutung der Terroranschläge als Kriegserklärung anknüpfte und sie dadurch bestätigte. Die deutsche Außenpolitik blieb fortan nicht nur an Schröders Solidaritätserklärung gebunden, wie Weller konstatiert (2004: 228ff), mit ihr ging zugleich ein folgenreiches Identifikationsangebot einher, entlang dessen sich die Aktualisierung der deutschen Identität im Folgenden orientieren sollte: »Im Krieg gibt es nur noch die Unterscheidung zwischen Freunden und Feinden; anhand dieser Kategorien, so die Botschaft des Kanzlers, sollten die Deutschen ihren Platz in der schlagartig neu konstruierten sozialen Welt der internationalen Politik bestimmen« (ebd.: 229). Nachdem die NATO am 12.9.2001 erstmalig in ihrer Geschichte den Bündnisfall ausgerufen hatte (der die Verpflichtung zum Beistand und das Recht auf kollektive Selbstverteidigung beinhaltet, wenn einer der Bündnispartner angegriffen wird), verfolgten zahlreiche Medien eine auf Eskalation ausgelegte Diskursstrategie.13 In »vorauseilendem Gehorsam« rüstete etwa die Bild-Zeitung (diskursiv) zum Kampf und stimmte ihre Leser_innen auf eine militärische Beteiligung Deutschlands ein, so das Ergebnis einer Analyse von Iris Bünger (2001: 618). Bereits am 13.9.2001 12 | Dies lässt sich z.B. anhand des vom Karl Müller Verlag zusammengestellten Buches »Die erste Seite: Internationale Schlagzeilen nach dem 11. September 2001« (Verlag Karl Müller 2002) sehr gut nachvollziehen, in dem jeweils die erste Seite vollständig abgedruckt wurde. 13 | Zum ersten und bisher einzigen Mal wurde der Bündnisfall vom NATO-Rat am 12. September 2001 als Reaktion auf die Anschläge des 11. September ausgerufen, unter der Prämisse dass die Terrorangriffe »von außen gegen die USA gerichtet waren«. Beschlossen wurde der Bündnisfall durch den NATO-Rat deshalb erst am 4. Oktober, nachdem die USA den Nachweis erbracht hatten, dass ein bewaffneter Angriff von außen, durch Bin Ladens Organisation Al-Qaida, erfolgt war.
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proklamierte Bild: »Deutschland ist dabei.« In den Wochen nach dem 11. September wurde diskursiv eine Zustimmungsbereitschaft geschaffen, die suggerierte, Deutschland »muss« sich aktiv an den Kriegshandlungen beteiligen und auch innenpolitisch die Sicherheit verstärken (ebd.: 622). Bislang umstrittene Maßnahmen wie Rasterfahndung, Aufhebung des Bankgeheimnisses und Lockerung des Datenschutzes wurden damit nicht nur allgemein durchsetzbar, sondern sogar »erwünscht« gemacht (ebd.). Die öffentlich und medial geschürte Angst vor dem ›internationalen Terrorismus‹ ließ sich in Deutschland v.a. auch dazu nutzen, eine massive Verschärfung der Inneren Sicherheit durchzusetzen, was mit rassistischen, anti-muslimischen und neo-orientalistischen Argumentationsmustern einherging. Der 11. September fungierte in diesem Sinne mit den Worten von Wolf-Dieter Narr als »Pauschallegitimator, nach innen und nach außen« (Narr 2001a: 5), der von politischer wie medialer Seite aufgegriffen und im Sinne der herrschaftlichen Politik instrumentalisiert wurde. Was nach außen mit dem Appell an eine wehrhafte Demokratie und dem Ausbau einer einsatzbereiten und schlagkräftigen militärischen Sicherheitspolitik einherging, führte im Inneren zu einer Modifizierung und Verschärfung zahlreicher Gesetze. Dazu gesellte sich ein Bündel repressiver Maßnahmen, die insbesondere für nicht-deutsche Migrant_innen und Flüchtlinge gravierende Einschränkungen mit sich brachten (vgl. ADB 2002). In beispielloser Eile und ohne größere Diskussion wurden zwei Gesetzespakete, die so genannten Anti-Terror-Pakete I und II, verabschiedet, die u.a. eine bundesweite Rasterfahndung nach weiteren Terrorverdächtigen zur Folge hatte. ›Präventive Maßnahmen‹ lautete die Zauberformel, mit dem die globale Sicherheit staatlicherseits erhöht werden sollte. Konkret bedeutet das mehr Überwachung und Kontrolle im Inneren ohne konkreten Anfangsverdacht und die Etablierung einer permanenten Option für staatliche ›Präventivkriege‹ nach außen, mit denen die ›Sicherheit‹ auch am Hindukusch verteidigt und der ›Zerfall‹ von Staaten sowie die Zunahme ›irregulärer‹ Gewalt verhindert werden sollen. Sonja Buckel und John Kannankulam sprechen in diesem Sinne von der Entstehung eines »neuen Präventionsstaates« nach dem 11. September (2002: 34). Für die Durchsetzbarkeit staatlicher und insbesondere militärischer Sicherheitskonzepte ist das subjektive, historisch gewachsene, gesellschaftlich verbreitete und medial und politisch verstärkte ›Sicherheitsgefühl‹ von zentraler Bedeutung. Mit dem 11. September wurde ein emotional aufgeladenes Klima, geprägt durch Chaos, Angst und Gefahr, geschaffen, das für viele Menschen einen Wendepunkt der Bedrohungslage und die Notwendigkeit eines radikalen Umdenkens in der Sicherheitspolitik suggerierte. Schwab-Trapp spricht von einem »Zwang zum Konsens« (2003), der durch die kollektive Erschütterung sowie das Ausmaß der Katastrophe entstanden sei. »In der Mischung aus Fassungs- und Hilflosigkeit, aus Angst, Betroffenheit und Trauer, aus Erschütterung und moralischer Entrüstung, die die ersten Reaktionen auf die Ereignisse vom 11. September charakterisiert, entsteht eine politische Atmosphäre, die erstens jede Stellungnahme einem enormen Angemessenheits- und Legitimationsdruck aussetzt, und zweitens ambivalente Stellungnahmen oder abweichende Interpretationsangebote nur sehr bedingt zulässt.« (Schwab-Trapp 2007: 14)
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Am 16. November 2001 stimmte der Bundestag schließlich nach einer Vorlage des Bundeskabinetts vom 7. November und unter dem Druck der Vertrauensfrage, die Schröder mit der Abstimmung verknüpft hatte, der Beteiligung der Bundeswehr am Anti-Terror-Kampf mit bis zu 3.900 Soldaten zu, die sodann im Januar 2002 zu ihrem Einsatz in Afghanistan aufbrachen. Die militärische Beteiligung Deutschlands an einem weiteren militärischen Auslandseinsatz (out of area) wurde in der deutschen Bevölkerung unmittelbar nach dem 11. September mit großer Zustimmung aufgenommen: Laut verschiedener Umfrageergebnisse sprachen sich Anfang Oktober 2001 etwa zwei Drittel bis drei Viertel der Bundesbürger für einen militärischen Einsatz Deutschlands im Rahmen der Anti-Terror-Koalition aus (vgl. z.B. Spiegel 41/2001).
Politischer Kontext: Die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik Besonders im Rückblick tritt der sicherheits- und verteidigungspolitische Paradigmenwechsel in Deutschland, der nicht erst mit dem 11. September begonnen hat, durch diesen aber deutlich verstärkt wurde, offen zutage. Mittlerweile ist die Bundeswehr zu einer weltweiten Interventionsarmee (»Armee im Einsatz«) geworden, der Einsatz militärischer Gewalt gehört heute (wieder) zur politischen Realität und gilt auch in der deutschen Bevölkerung zunehmend als selbstverständlich. Von heute aus betrachtet, ist die Normalisierung und Remilitarisierung Deutschlands in den letzten 20 Jahren äußerst zügig vorangeschritten, nachdem sich der deutsche Staat nach Ende des Zweiten Weltkrieges lange Zeit vergleichsweise ›unmilitärisch‹ dargestellt hatte. Öffentliche Auftritte der Bundeswehr erhielten noch in den 1980er Jahren wenig positive Aufmerksamkeit und zogen teilweise vehemente Proteste nach sich. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wiedervereinigung änderte sich dies jedoch Schlag auf Schlag. Im Anschluss an die Beteiligungen der Bundeswehrsoldaten an AWACS-Aufklärungsflügen im Zweiten Golfkrieg 1990/91 folgte 1995 die Stationierung deutscher Soldaten in Bosnien-Herzegowina. 1994 gab das Bundesverfassungsgericht den rechtlichen Weg für eine umfassende Beteiligung Deutschlands an militärischen Out-of-area-Einsätzen frei. Nach der symbolträchtigen und folgenreichen Zustimmung der Grünen zur militärischen Beteiligung an der NATO-Intervention in Rest-Jugoslawien, dem so genannten Kosovokrieg 1999, war der Weg für eine neue Etappe der deutschen Außenpolitik geebnet. Zwar war die Beteiligung am Kosovokrieg nicht der erste Einsatz der Bundeswehr im Ausland – Kambodscha und Somalia gingen diesem voran. Jedoch handelt es sich um den ersten militärischen Auslandseinsatz der Bundeswehr nach 1945. Bedeutsam für die Durchsetzung und Legitimierung der Militärinterventionen im ehemaligen Jugoslawien war der Rekurs auf das Thema Menschenrechte. Der Kosovokrieg war demnach kein Krieg, sondern eine ›humanitäre Intervention‹, die eine humanitäre Katastrophe verhindern und eine Durchsetzung der Menschenrechte weltweit befördern sollte. Für Deutschland war zudem der Bezug auf die deutsche Vergangenheit des Nationalsozialismus zentral. Die vermeintlich aus der Geschichte gezogenen ›Lehren‹ wurden zu einem Argument für die deutsche Kriegsbeteiligung umfunktioniert. Bekannt wurde der Ausspruch des damaligen grünen Außenministers Joschka Fischer: »Ich habe nicht nur gelernt ›Nie wieder Krieg‹, sondern auch ›Nie wieder Auschwitz‹« (zitiert n. Schwab-Trapp 2002: 184). Mit den Kriegen der 1990er Jahre ist auch ›Geschlecht‹ zu einer für die Legitimation militärischer Gewaltausübung nützlichen Kategorie geworden, die sogar Feminis-
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tinnen und erklärte Kriegsgegner_innen von der Notwendigkeit eines Krieges im Namen der Frauen(rechte) überzeugen konnte (Birckenbach 2005: 88). So wurde beispielsweise die Empörung über die Verletzung der Frauenrechte durch angebliche Massenvergewaltigungen und Vergewaltigungslager in Bosnien-Herzegowina zum Schüren nationalistischen Hasses und ethnisierter Feindbilder genutzt und als Argument und Rechtfertigung für ein militärisches Einschreiten von außen instrumentalisiert (vgl. auch Klaus/Kassel 2003; Nachtigall/Dietrich 2003). Die lange wertgeschätzte zivile, nicht-militärische Konfliktbearbeitung ist zunehmend – ganz besonders nach dem 11. September – ›robusteren‹ Methoden gewichen. An die Stelle einer (vermeintlich) menschen- und frauenrechtlichen Motivation ist heute ein explizit kämpferischer Auftrag getreten. Die Verteidigung der deutschen Sicherheit und Kampf gegen den Terrorismus lauten die Begründungsmuster, mit denen die Beteiligung an kriegerischen Aktivitäten seit dem 11. September erklärt und legitimiert wird. Kriege gehören heute zur Normalität – obwohl sie in der deutschen Bevölkerung nicht (mehr) mehrheitlich befürwortet werden; sie rufen jedoch auch in der Regeln keine besonderen Proteste oder Ablehnung hervor. Ex-Bundespräsident Horst Köhler bezeichnete dies 2005 als »freundliches Desinteresse« der deutschen Bevölkerung gegenüber der Bundeswehr, denn die ›Heimat‹ erscheine den meisten als friedlich und die Kriege weit weg. Deutsche Soldaten sind heute an vielen Orten der Welt im Einsatz u.a. im Libanon und vor den Küsten Afrikas. Seit Januar 2002 sind Kontingente der Bundeswehr in Afghanistan im Einsatz und wurden mit Billigung des Bundestags weiter aufgestockt. Nach Angaben der Bundeswehr beteiligt sich Deutschland derzeit mit insgesamt 7.375 Soldaten und Soldatinnen an Auslandseinsätzen in zahlreichen Ländern und Regionen, davon 4.792 in Afghanistan (Stand 8. Februar 2012).14 Ein Ende der deutschen Kriegsführung ist nicht in Sicht. Stattdessen nehmen die Forderungen nach einer politischen und gesellschaftlichen Aufwertung des Militärischen, verbunden mit Forderungen nach mehr Verantwortung gegenüber ›unseren Soldaten‹ und stärkerer Anerkennung ihre Leistungen im Kampf für ›unsere Sicherheit‹, stetig zu. Appelliert wird insbesondere an eine gebührende nationale Trauer und Ehrung der getöteten bzw. ›gefallenen‹ deutschen Soldaten, wie dies schließlich in anderen Ländern auch üblich sei. ›Kämpfen‹ und ›Soldatentod‹ sind heute im Zusammenhang mit der Bundeswehr längst keine Tabuthemen mehr. Auch von ›Krieg‹ darf neuerdings wieder gesprochen werden. Neue Tapferkeits- und Gefechtsmedaillen wurden eingeführt und ein »Ehrenmal« für gefallene Bundeswehrsoldaten gebaut. Das Militär und militärische Tugenden (Tapferkeit, Kampf- und Opferbereitschaft) sind in den Alltag zurückgekehrt und werden immer häufiger zum öffentlichen (Medien-)Ereignis, trotz – oder gerade aufgrund – der andauernden ablehnenden Haltung der deutschen Bevölkerung gegenüber Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Durch ein verstärktes Aufgreifen und die Popularisierung des Themas in den Medien dringt das Kriegerische und Heroische immer mehr in den Alltag ein. Öffentliche Ordensverleihungen, nationale Denkmäler und Talkshows aus dem Schützengraben tragen zu einer Gewöhnung an kämpfende und getötete Soldaten bei. Akzeptierende Denkweisen
14 | Die Zahlen zur Stärke der deutschen Einsatzkontingente im Ausland werden laufend aktualisiert; sie sind abrufbar unter: www.bundeswehr.de.
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werden dadurch nach und nach etabliert, und auch getötete Soldaten werden immer mehr zur ›Normalität‹ – ohne dass dies nennenswerte Empörung hervorruft.
Exkurs: Neue Kriege? Der 11. September hat auch in den Politikwissenschaften eine intensive Auseinandersetzung über die Folgen der Terroranschläge für die internationale wie nationale Politik ausgelöst. Die Ereignisse werden dabei vor dem Hintergrund eines strukturellen Wandels der Kriegs- und Bedrohungsformen im 21. Jahrhundert diskutiert, eine Debatte, die in Deutschland v.a. unter dem Schlagwort »Neue Kriege« bekannt geworden ist. Mary Kaldor (2000) hat den Begriff der ›Neuen Kriege‹ bereits vor dem 11. September verwendet, um die Veränderung der Kriegesformen zu beschreiben. Im Zuge des 11. September bekommt dieser Topos jedoch Hochkonjunktur und wird v.a. durch Herfried Münkler populär gemacht (vgl. Münkler 2002; allgemein zum Wandel des Kriegsbegriffs Daase 2003). Grundlegendes Merkmal der Neuen Kriege ist nach Münkler der oft zitierte Umstand, dass »die Staaten […] als die faktischen Monopolisten des Krieges abgedankt« hätten. Gleichzeitig steige die Zahl innerstaatlicher Konflikte rapide an. An die Stelle der Staaten seien neue para-staatliche oder privatwirtschaftlich organisierte Kriegsunternehmer getreten, wie »lokale Warlords und Guerillagruppen über weltweit operierende Söldnerfirmen bis zu internationalen Terrornetzwerken« (2002: 7). Das Neue an diesen Formen der Kriegsführung sei neben der Entstaatlichung und Privatisierung kriegerischer Gewalt v.a. ihre »Asymmetrisierung« (ebd.: 11). Damit ist der Umstand gemeint, dass in der Regel nicht gleichartige Gegner gegeneinander kämpfen. Es gebe keine Fronten mehr und es komme nur noch selten zu Gefechten oder großen Schlachten (ebd.). Stattdessen richte sich die Gewalt der Neuen Kriege v.a. gegen die Zivilbevölkerung (ebd.: 28ff). Weiter wird behauptet, dass sich bestimmte Formen der Gewaltanwendung, die sich in den klassischen Kriegen bisher dem Völkerrecht einer geordneten militärischen Strategie untergeordnet hätten, zunehmend verselbständigten und eine neue Dimension der Brutalität erlangten, was insbesondere für den Terrorismus gelte. Münkler spricht von einer »Autonomisierung« (ebd.: 11) der Gewalt, die auch mit einer »Resexualisierung« der Gewaltformen einhergehe; genannt werden z.B. »Vergewaltigungsorgien«, »Verstümmelungen« und »Trophäisierung« (ebd.: 30). Die Theorie der Neuen Kriege ist bereits ausführlich kritisiert worden (vgl. stellvertretend Gantzel 2002; Chojnacki 2004; Kahl/Teusch 2004). Als problematisch wird u.a. die Überbetonung des Neuen gewertet; zwar seien die ›alten‹ Staatenkriege in der Zahl rückläufig, was jedoch nicht heiße, dass diese empirisch wie theoretisch bedeutungslos geworden seien (Chojnacki 2004: 407). Kritisiert wird in diesem Zusammenhang das stark idealisierte Bild der ›alten‹ Staatenkriege. Auch in diesen waren – trotz völkerrechtlicher Regelungen – Zivilist_innen von jeher in hohem Maße und systematisch von (z.B. sexualisierter) Kriegsgewalt betroffen. Zudem werden die völkerrechtlichen Regelungen in jedem Krieg massiv übertreten. »Der entscheidende Schwachpunkt der Studien über die neuen Kriege besteht darin, dass sie die Entstehung eines neuen, unkontrollierten und womöglich unkontrollierbaren Phänomens suggerieren und dieses Phänomen negativ absetzen von den ›eingehegten‹ nach Regeln ausgetragenen zwischenstaatlichen Kriegen der europäischen Mächte des 19. Jahrhunderts.« (Kahl/Teusch 2004: 400)
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Des Weiteren wird kritisiert, dass durch die Beschwörung der neuen Gefahren und ihrer drastischen Zunahme neue »diffuse Bedrohungsgefühle« geweckt würden, die einer »sich in die Privatzonen hineinfressenden Sicherheitspolitik« Vorschub leisteten (Gantzel 2002: 88). »Solche Bedrohungsgefühle können aber auch dazu genutzt werden, einem bloßen Draufhauen Vorschub zu leisten, etwa auf eine erfundene ›Achse des Bösen‹.« (Ebd: 88f). Hauptansatzpunkt der Kritik bildet jedoch das Theorem des gescheiterten Staates (failed state), der als Hauptursache für das Entstehen der Neuen Kriege angeführt wird. Dieser Erklärungsansatz besagt, dass überall dort, wo es zu einer Erosion staatlicher Autorität und einem Wegfall »robuster Staatlichkeit« (Münkler 2002: 19) komme, neue Quellen der Gewalt entstünden. Diese hätten »schwer wiegende Folgen für die weltpolitische wie weltwirtschaftliche Ordnung« (ebd: 227) und könnten sich wie im Falle des 11. September in Form terroristischer Gewalt gegen den Westen richten. Das Erklärungsmodell des Staatszerfalls ist darauf ausgelegt, einem westlichen Überlegenheitsdenken und einer ›präventiven‹ Interventionspolitik das Wort zu reden (vgl. ausführlich Wagner 2006). Aus der Beschwörung des gefährlichen Staatenzerfalls wird in erster Linie ein sicherheitspolitischer Impetus abgeleitet, der unbedingten Handlungszwang suggeriert. Münkler etwa warnt vor mittelalterlichen Zuständen. So sei das »Konglomerat aus Raubzügen und Plünderungen, Massakern und Gewaltexzessen« nur ein »Menetekel dessen, was Europäer und Amerikaner ereilen wird, wenn es ihnen nicht gelingt, das aufgebrochene Gewaltmonopol der Staaten im globalen Maßstab wiederherzustellen« (2002: 63). Der Westen dürfe den zerfallenden Staaten und der sich daraus ergebenden »Eskalationsspirale« nicht tatenlos zusehen, sondern müsse ihr »möglichst frühzeitig und gegebenenfalls auch mit den Mitteln einer militärischen Intervention« (ebd.: 227) begegnen. Im Kontext dieser Debatten hat mit dem 11. September ein veränderter Sicherheitsdiskurs Geltung erlangt, der weltweit und präventiv agiert, um die ›gescheiterten Staaten‹ vor dem endgültigen Zerfall zu bewahren bzw. Staatlichkeit zu importieren und so ›Schlimmeres‹ zu verhindern. Die Frage, ob die Anschläge des 11. September als Terrorismus, Krieg oder Neuer Krieg zu bezeichnen sind, ist ebenso wie die Frage, ob die Situation in Afghanistan heute einem Krieg entspricht oder so benannt werden sollte, für diese Arbeit jedoch von untergeordnetem Interesse. Ich gehe davon aus, dass ›Geschlecht‹ als Analysekategorie für die Berichterstattung über einen Krieg ebenso wie über einen bewaffneten bzw. gewaltförmigen Konflikt gleichermaßen von zentraler Bedeutung ist.15 15 | Die Begriffe ›Krieg‹ und ›(bewaffneter) Konflikt‹ sind ohnehin nicht trennscharf. In der Friedens- und Konfliktforschung ist die Frage, was als Krieg zu gelten hat, bis heute umstritten. Während unter einem Krieg traditionell ein Krieg zwischen Staaten bzw. staatlichen Armeen verstanden wird, finden für innerstaatliche Kriegsformen Begriffe wie (bewaffneter, gewaltförmiger) Konflikt, Bürgerkrieg, Guerillakrieg, Unabhängigkeitskrieg etc. Verwendung. In den Sozialwissenschaften und der (feministischen) Friedens- und Konfliktforschung wird dagegen »Konflikt« bzw. »gewaltförmiger« oder »kriegerischer Konflikt« häufig als Oberbegriff verwendet (z.B. Seifert 2004a). In der völkerrechtlichen Praxis und Wissenschaft sei der Begriff des Krieges mittlerweile fast vollständig durch den Begriff des bewaffneten Konflikts abgelöst worden, heißt es in einem Papier des deutschen Bundestages: Unterschieden würden stattdessen »nicht-internationale bewaffnete Konflikte« im Inneren eines Landes
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Medien und ihre Funktion: Deutungskonstruktionen, politische Sinnstiftung und Kriegslegitimierung In demokratischen Gesellschaften sind politische Herrschaft und die damit verbundenen Maßnahmen begründungspflichtig und bedürfen der öffentlichen und gesellschaftlichen Zustimmung. Medien stellen dabei ein wichtiges Forum dar, in dem politische Entscheidungen diskutiert, Meinungen erzeugt und politische Legitimität verhandelt, bestätigt oder auch abgesprochen werden kann (vgl. Kirchhoff 2010: 14f). Medien, diskurstheoretisch (im Anschluss an Foucault) verstanden, liefern kein Abbild, sondern eine spezifische Deutung von Wirklichkeit und sind somit selbst an der Konstruktion von Wirklichkeit beteiligt. Sie nehmen dieser Auffassung zufolge bestimmte Deutungen vor und weisen Bedeutungen zu, mit denen ein Ereignis in einen spezifischen Erfahrungskontext eingeordnet, bewertet und erklärt werden kann; dieser Prozess wird auch Framing genannt (vgl. Eilders/Lüter 2000). Aus diesem Grund sind die spezifischen Rahmungen (Frames) dazu geeignet, politisches Handeln zu legitimieren oder zu delegitimieren (vgl. Schwab-Trapp 2002; Heins 2003; Jäger/Jäger 2007). Insbesondere den Massenmedien kommt als Träger des öffentlichen Diskurses eine zentrale Bedeutung der politischen Sinnstiftung zu. Sie stellen nicht nur eine Plattform für die widerstreitenden Meinungen und den Kampf um Deutungshoheit dar, sondern sie nehmen selbst spezifische Deutungen der Ereignisse vor, die aufgrund der großen Verbreitung und des hohen Wirkungsgrades von Massenmedien wiederum erheblichen Einfluss auf die öffentliche Meinung und den weiteren Verlauf des Diskurses nehmen können (vgl. weiterführend Kirchhoff 2010). Die in den Medien produzierten und eingeschliffenen Deutungsvorgaben sind insbesondere in Hinblick auf politische Entscheidungsprozesse von Bedeutung. Sie haben Auswirkungen auf die Legitimität, die der Politik, beim Einsatz militärischer Gewalt, beigemessen wird (für aktuelle Untersuchungen medialer Deutungsrahmen in Bezug auf die deutsche Militär- und Außenpolitik Scheufele/Gasteiger 2007; Fröhlich et al. 2007). Medien stellen selektive Interpretationsangebote bereit, weisen Bedeutungen zu und produzieren, befestigen und verstetigen Meinungen, die einen Krieg als legitim oder nicht-legitim erscheinen lassen können. Kriege erfordern zudem eine starke Identifikation mit der eigenen (nationalen, kulturellen, wertebezogenen) Gemeinschaft, die v.a. symbolisch (re-)produziert werden muss und die auf die überzeugende Konstruktion des ›Eigenen‹ im Gegensatz zum ›Anderen‹ angewiesen ist (Seifert 2001: 34). (Mediale) Kriegsdiskurse sind also wichtige Orte der Verhandlung und Konstituierung eigener und fremder Identität. Zusammengefasst: (Massen-) Medien fungieren nicht nur als zentrale Orte nationaler Selbstvergewisserungen, sie können ebenso das politische Handeln wie einen Krieg begründen und rechtfertigen. »The construction meaning and the symbolic struggles over the definition of reality predominantly take place in the mass media. Media thus are highly important agents in the construction or denial of legitimacy. Thus interpretive effort involved in the justification or delegitimation of war can be described as framing.« (Eilders/Lüter 2000: 416) und »internationale bewaffnete Konflikte« zwischen Staaten (vgl. Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag 2010). Die Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) hält hingegen an der Unterscheidung zwischen »Krieg« und »bewaffnetem Konflikt« fest.
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Das diskursanalytische Erkenntnisinteresse richtet sich dabei weniger auf die mutmaßlichen Intentionen einzelner Journalist_innen oder Medienorgane, z.B. auf bewusste Propaganda, Manipulationen und Falschaussagen, noch geht es darum, die Instrumentalisierung der Medien durch Staat oder Regierung zum Zwecke der Herrschaftslegitimierung zu skandalisieren. Ziel der diskursanalytischen Herangehensweise ist vielmehr die Rekonstruktion der in den Medien vermittelten überindividuellen Diskurse und Deutungsmuster, die eine kriegerische Intervention als plausibel und sinnvoll oder eben als abwegig und nicht sinnvoll erscheinen lassen können – möglicherweise sogar entgegen der eigentlichen Intention des Autors oder der Autorin. Im Anschluss an Foucault lassen sich Medien als eine regulatorische Instanz begreifen, die das Sagbarkeitsfeld begrenzen, indem sie den Bereich des gültigen Wissens abstecken und die Anzahl möglicher Aussagen und Subjektpositionen verknappen sowie den Zugang zum Diskurs regulieren. Die Sichtbarmachung dieser Wissensordnungen, der damit einhergehenden Ausschließungen sowie ihrer sprachlichen und visuellen Wirkungsmittel können wiederum indirekt als Interventionen in die herrschaftslegitimierende und -sichernde Funktion von Diskursen verstanden werden (Jäger/Jäger 2007: 18). Die in den Medien konstruierten sozialen Zugehörigkeiten und Identitäten sind zudem nicht losgelöst von Geschlecht denkbar (vgl. Lünenborg 2005b). Framing-Prozesse sind generell nicht geschlechtsneutral. So kann die Konstruktion geschlechtlicher Rollen und Identitäten, z.B. die Art und Weise, wie Frauen und Männer in Kriegskontexten dargestellt werden, für die Deutung der Ereignisse zentral sein (vgl. Christensen/Ferree 2008; Kassel 2005). Darüber wirken Medien generell an der Ausgestaltung und Aufrechterhaltung der Zweigeschlechtlichkeit mit, indem sie permanent Aussagen über Weiblichkeit und Männlichkeit aktualisieren.
Ziel und Vorgehensweise: Geschlechterkonstruktionen in Kriegsdiskursen erforschen Ziel dieser Arbeit ist es, die in der Berichterstattung von FAZ und Spiegel über die Ereignisse des 11. September und den ›Krieg gegen den Terror‹ im Zentrum stehenden individuellen und kollektiven Akteure und die entsprechenden Rollenvorstellungen, Identitätszuschreibungen, Metaphern und Symboliken systematisch zu erfassen und dabei insbesondere die ihnen eingeschriebenen Geschlechterbilder herauszuarbeiten. Dabei frage ich, wie Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit die Wahrnehmung, Erklärung und Bewertung von ›Terror‹ und ›Krieg gegen den Terror‹ strukturieren und zur Legitimierung oder Delegitimierung politischen Handelns beitragen. Die Untersuchung bewegt sich damit auf der Ebene der diskursiven Konstruktionen von Krieg und Geschlecht bzw. den symbolischen Geschlechterrepräsentationen im Kriegskontext. Dies setzt eine analytische Unterscheidung zwischen ›Männern‹ und ›Frauen‹ sowie Vorstellungen und Bildern von ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ voraus.16 16 | Im Anschluss an Johanna Dorer (2001) lässt sich analytisch zwischen den materiellen Verortungen bzw. Positionierungen von Geschlecht, also den Identitätskonstruktionen auf der Basis individueller geschlechtlicher Existenzweisen und Erfahrungen (die Ebene der ›Männer‹ und ›Frauen‹) und den symbolischen Verortungen bzw. Repräsentationen von Geschlecht, d.h. den Symboliken, Metaphern, Bildern, Rollen- und Identitätszuschreibungen (die Ebene von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹) unterscheiden. Beide Konstruktionsprozesse sind jedoch stets aufeinander bezogen und in ihrer Wechselwirkung für die Aufrecht-
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Mit einer diskursanalytisch, an Foucault orientierten Herangehensweise lassen sich die medial vermittelten Wirklichkeitsmodelle, Deutungsmuster und vermeintliche ›Wahrheiten‹ kritisch befragen, wobei die Analyse auf der Ebene der Sprache bzw. der Medien ansetzt. Der Zusammenhang zwischen Krieg und Geschlecht lässt sich mit Blick auf die feministische und gendersensible (Friedens- und Konflikt-)Forschung zunächst als ein Wechselverhältnis bestimmen: Kriege und gewaltförmige Konflikte sowie deren mediale Vermittlung haben Auswirkungen auf die Gesellschaft und die jeweils vorherrschende Geschlechterordnung. Sie können traditionelle Rollenaufteilungen ebenso wie die hegemonialen Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit verfestigen, andererseits aber auch potentiell zu einer Irritation und Veränderung der bestehenden Geschlechterordnung führen. Insbesondere Militär und Krieg werden als »extrem wichtige Institutionen und Zeiten für die Konstruktion von Geschlechterverhältnissen« (Dinges 1998: 347) begriffen. Wie Miriam Cooke und Angela Woollacott betonen, werden im ›Sprechen über Krieg‹ jedoch die binären stereotypen Geschlechterbilder nicht zwangsläufig reproduziert, verstärkt und perpetuiert, sondern können ebenso untergraben und verändert werden: »Language used to describe or discuss war becomes itself the vehicle of, als well als the potential challenge to, assumptions about appropriate gender roles in relation to war. Language transforms experience into consciousness.« (Cooke/Woollacott 1993b: xii) Laut Cooke (1993: 182) zeichnen sich insbesondere die aktuellen ›postmodernen Kriege‹ durch ein Aufweichen binärer Strukturen von gut/böse, Freund/Feind, Krieg/ Frieden, Kombattanten/Nichtkombattanten, Front/Heimatfront etc. aus, die noch für frühere Kriege kennzeichnend waren. Das Aufbrechen der Binaritäten führe zu semiotischen Transformationen, wodurch auch die binären Geschlechterbilder brüchig würden. Cooke bestimmt deshalb Krieg ebenso wie Gender als »highly fluid and negotiable structures within which meanings are constantly constructed and deconstructed« (ebd.). Die diskursiven wie gesellschaftlichen Veränderungen der Geschlechterordnung haben wiederum Auswirkungen auf die folgenden Kriege, die damit verbundenen (medialen) Geschlechterrepräsentationen sowie die tatsächlichen Geschlechterkonstellationen (Thiele et al. 2010b: 10). Politikwissenschaftliche feministische Ansätze verweisen zudem auf die Diskurse der internationalen Politik, insbesondere Kriegs- und außenpolitische Diskurse, als zentrale Felder, in denen nicht nur kollektive (nationale), sondern auch geschlechtliche Identitäten konstruiert werden, die wiederum für die Wahrnehmung der Politik und die Legitimierung (außen-)politischen Handelns insgesamt von Bedeutung sind. Medien, die Deutungs- und Bewertungsmuster anbieten, spielen in den Prozessen der Affirmation und Irritation sozialer (Geschlechter-)Ordnungen eine entscheidende Rolle (vgl. ebd.). Sie berichten nicht einfach ›neutral‹ über die am Krieg beteiligten individuellen und kollektiven Akteure, sondern sie positionieren die Akteure zueinander, weisen ihnen spezifische, geschlechtlich definierte Identitäten, erhaltung der binären und heteronormativen Geschlechterordnung verantwortlich. Ich verwende im Folgenden den Begriff ›Geschlechterbilder‹, womit sprachliche ebenso wie visuelle Bilder gemeint sind, als Oberbegriff für jene zweite Konstruktions-Ebene der Repräsentationen und Zuschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, die Gegenstand dieser Untersuchung sind.
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Rollen und Eigenschaften zu, die wiederum mit spezifischen Normen und Werten sowie entsprechenden Auf- und Abwertungen verbunden sind. Geschlechterbilder bzw. geschlechtliche Zuschreibungen fungieren in diesem Kontext als eine binärhierarchische Bewertungsstruktur, mit der politisches Handeln gerahmt, geordnet und beurteilt wird. Vor dem Hintergrund, dass in den Diskursen über den 11. September auch kollektive und nationale Identitäten entworfen werden und politische Legitimität erzeugt wird, lässt sich die Fragestellung weiter konkretisieren. So interessiert mich besonders, welchen Einfluss geschlechtliche Bilder und Zuschreibungen auf die Wahrnehmung und Einschätzung politischen Handelns insbesondere im Hinblick auf die Legitimierung einer deutschen Militärbeteiligung am ›Krieg gegen den Terror‹ haben und inwiefern sie in die medialen Aushandlungs- und Selbstvergewisserungsprozesse einer deutsch-europäischen Identität nach dem 11. September einfließen. Es stellt sich die Frage, ob und wenn ja auf welche Rollenvorstellungen und Repräsentationen von Geschlecht in den deutschen Medien zurückgegriffen wird, um militärisches Handeln zu begründen und zu legitimieren oder abzulehnen. Die Frage ist insofern brisant, da das Bild ›kämpferischer‹ bzw. ›militarisierter Männlichkeit‹ in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg, anders als beispielsweise in den USA, vor dem 11. September nicht zum nationalen Selbstbild und Verständnis der Außenpolitik gehörte oder in größerem Umfang öffentlich gepflegt wurde. Ausgehend von diesen Überlegungen lässt sich der mediale Diskurs über ›Terror‹, Krieg und die internationale Politik nach dem 11. September als diskursive ›Arena der Geschlechterkonstruktionen‹ bestimmen. Die Untersuchung setzt bei der medialen Repräsentation der individuellen und kollektiven Akteure an, mit dem Ziel, die ihnen jeweils zugeschriebene Geschlechtsidentität bzw. die geschlechtlichen Subjektpositionen, die der Kriegs- bzw. Terrordiskurs bereitstellt, sowie die Regeln ihrer Herstellung und Verknappung zu rekonstruieren. Im Fokus stehen die politischen Akteure, die in den Medien mit einer ›Hauptrolle‹ bedacht werden. Im Diskurs über den 11. September und den Afghanistankrieg sind dies neben dem US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush die deutschen Akteure Bundeskanzler Gerhard Schröder, Außenminister Joschka Fischer sowie die Partei Bündnis 90/Die Grünen sowie Bundeswehr- und US-Soldaten, Terroristen (Feindbilder) und afghanische Frauen. In der stark personalisierten Berichterstattung der untersuchten Medien sind die Darstellungen von Bush, Schröder, Fischer etc. nicht zu trennen von den Konstruktionen kollektiver und nationaler Identitäten. Die mediale Repräsentation der Akteure wird deshalb stets in ihrer Wechselwirkung zwischen Individuum und Kollektiv analysiert. Mit der Tageszeitung Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel werden zwei so genannte ›Meinungsführer‹ unter den Massenmedien ausgewählt, die jeweils über einen breiten Wirkungskreis verfügen. Spiegel und FAZ gelten in Deutschland als ›Leitmedien‹ mit weit reichender Meinungsbildungs- und Multiplikatorfunktion. Gerade wegen ihrer jeweils unterschiedlichen Ausrichtung, Aufmachung und Zielgruppe sind sie geeignet, um in der Analyse ein möglichst breites Spektrum der politischen Positionen des hegemonialen Diskurses abdecken zu können.
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Aufbau der Arbeit Das theoretische Instrumentarium für die Analyse liefern feministische und genderbezogene Ansätze aus dem Bereich der Politikwissenschaften sowie der Friedens- und Konfliktforschung zum Thema Krieg und Frieden, weshalb diese nachfolgend skizziert und im Hinblick auf ihren Nutzen für die vorliegende Untersuchung diskutiert werden. Ebenso gilt es zu klären, welche Rolle Medien in Zeiten von Krieg und gewaltförmigen Konflikten sowie im Hinblick auf die Konstruktion von Geschlecht zukommt (Kapitel I). In diesem Teil der Arbeit wird der Untersuchungsgegenstand im Kontext des aktuellen Forschungsstandes zum Thema ›Krieg – Geschlecht – Medien‹ verortet und die Forschungsperspektive präzisiert. In Kapitel II wird das methodische Vorgehen expliziert. Ich entnehme der Foucault’schen »Werkzeugkiste«17 die Konzepte ›Diskurs‹ und ›Macht‹ als die beiden wichtigsten Arbeitsgeräte. Im Anschluss an die theoretischen Weiterentwicklungen und Anwendungsbeispiele von Siegfried und Margarete Jäger, Jürgen Link, Reiner Keller und anderen schlage ich ein Vorgehen vor, mit dem die Geschlechterkonstruktionen im printmedialen Diskurs über Krieg und ›Terror‹ untersucht werden sollen. Die Materialauswahl und -eingrenzung werden ebenso erläutert. Der empirische Teil der Arbeit beginnt mit der Analyse von Verlauf und Struktur der jeweiligen Berichterstattung in Spiegel und FAZ (Kapitel III), an die sich die Analyse der Repräsentation der Akteure als Herzstück der Analyse anschließt (Kapitel IV). Im Schlussteil der Arbeit (Kapitel V) werden die Ergebnisse zusammengeführt und die Analyse der Akteursdarstellungen in der Zusammenschau betrachtet. Ich beantworte die Frage nach Bedeutung und Funktion von Geschlechterbildern in der Medienberichterstattung über 9/11 und den ›Krieg gegen den Terror‹, wobei ich auf Traditionen und Brüche der rekonstruierten Bilder eingehe. Sodann werden die Ergebnisse im Kontext der aktuellen politischen Entwicklungen seit dem 11. September verortet und Anschlussstellen für weitere Forschungsvorhaben aufgezeigt.
17 | Foucault selbst regte dazu an, seine Bücher als »kleine Werkzeugkisten« zu benutzen und sich daraus nach eigenem Ermessen zu bedienen, womit er einer dogmatischen Festlegung auf ein konsistentes, geschlossenes Theoriegebäude entgehen wollte (vgl. Foucault 1976: 53).
I. Theorie: Krieg — Geschlecht — Medien 1. K RIEG UND F RIEDEN —
FEMINISTISCHE UND GENDERBEZOGENE
P ERSPEK TIVEN
Während politikwissenschaftliche Arbeiten zum Thema Krieg und Frieden in der Regel ohne Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht auskommen, betonen feministische und gendersensible Ansätze gerade die Interdependenzen zwischen Krieg und Frieden und der jeweiligen Geschlechterordnung. Krieg und gewaltförmige Konflikte sind demnach »gendered« (vergeschlechtlicht)1, d.h. auf verschiedenen Ebenen mit Geschlechterkonstruktionen und Geschlechterverhältnissen verwoben, und können deshalb ohne Einbeziehung der Kategorie Geschlecht nicht umfassend analysiert werden (Seifert 2001: 26; vgl. zur Einführung Harders/Roß 2002; Neissl et al. 2003; Davy et al. 2005; Thiele et al. 2010a; Engels/Gayer 2011). Mit »gendered« sind einerseits die geschlechtsspezifischen Auswirkungen und Folgen von Krieg (z.B. von sexualisierter Gewalt, Hunger und Vertreibung) und die unterschiedliche Involviertheit und Teilhabe von Männern und Frauen innerhalb des kriegerischen Geschehens (z.B. deren Zugang zu militärischen und politischen Institutionen und Machtmitteln sowie die Berechtigung zur Gewaltausübung) gemeint. Andererseits ist damit auch die Ebene der symbolischen und diskursiven Repräsentationen und Zuschreibungen von Geschlecht angesprochen, die die Bilder und Vorstellungen von Krieg und Frieden sowie des Militärischen grundlegend formen (vgl. Hagemann 1998: 31f).2 Dabei bedingen und beeinflussen sich die verschiedenen Ebenen von Geschlecht (symbolische, strukturelle und individuelle) wechselseitig: Vorherrschende Bilder, Normen und Repräsentationsformen fließen in das kollektive und 1 | Zur Explikation der Herausbildung des so genannten Gender-Ansatzes in der feministischen Politikwissenschaft behalte ich in diesem Kapitel die englischsprachigen Begriffe Gender, (En)Gendering bzw. gendered bei. Die Übernahme des englischen Begriffs Gender verweist auf die im Laufe der 1990er Jahre vollzogene ›konstruktivistische Wende‹ innerhalb der feministischen Theorie. Im Restteil der Arbeit verwende ich die deutschsprachigen Begrifflichkeiten wie Geschlechterverhältnisse oder Geschlecht, verstehe diese jedoch im Sinne von Gender als soziale Konstruktionen. 2 | In der feministischen interdisziplinären Beschäftigung mit Krieg und Frieden wird häufig die in den Sozialwissenschaften gebräuchliche Mehrebenenanalyse angewandt, bei der die verschiedenen Dimensionen von Geschlecht im Kriegskontext auf der Mikro-, der Makro- und der diskursiven Ebene differenziert werden (z.B. Engels/Chojnacki 2007; Seifert 2001; Reimann 2004; vgl. allgemein zu dieser Einteilung Harding 1991; Scott 1994).
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individuelle Handeln ein, werden darin jedoch zugleich verarbeitet und möglicherweise variiert, was wiederum entsprechende Auswirkungen auf die hegemonialen Vorstellungen und Praktiken von Geschlecht hat. Wie die Sozialwissenschaftlerin und Militärforscherin Ruth Seifert (2001) zeigt, spielen Gender-Dynamiken zudem in allen Phasen gewaltförmiger, kriegerischer Konflikte – bei ihrer Entstehung, ihrem Verlauf sowie ihrer Überwindung – eine bedeutsame Rolle. Seifert plädiert dafür, Gender im Anschluss an Joan W. Scott (1994) als analytische Kategorie zu verwenden, was Geschlechterbilder, -symboliken und -diskurse ebenso umfasst wie die konkreten, historisch und kontextspezifischen Ausformungen der Geschlechterverhältnisse. Gender bezeichnet demnach einen mehrdimensionalen Prozess, der in Verknüpfung mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit (wie ›Rasse‹, Ethnizität, Klasse, Sexualität etc.) Differenzen produziert und gesellschaftliche Machtpositionen zuweist und organisiert. Der Zusammenhang zwischen Gender- und Kriegsdynamiken wird zudem als ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis verstanden: Gender-Prozesse fließen in die Entstehung, den Verlauf und die Beilegung von kriegerischen Konflikten ein. Umgekehrt haben Kriege Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse und -diskurse (Seifert 2001: 26). Feministische und gendersensible Forschungen verweist zudem auf die besondere Funktionalität der tradierten Geschlechterbilder, wie sie insbesondere in der Dichotomie ›friedfertige Frau‹ und ›kämpfender Mann‹ angelegt ist, im Hinblick auf die Erklärung und Legitimierung staatlichen und kriegerischen Handelns. Gemessen an der Vielzahl von Ansätzen und Studien in den USA und Großbritannien seit den 1980er Jahren (z.B. Elshtain 1987; Enloe 2000 [1989]; Tickner 1992; Yuval-Davis 2001) kann die deutschsprachige Forschung zum Thema Krieg und Geschlecht als Nachzüglerin gelten. Während sich in der Geschichtswissenschaft Schritt für Schritt eine Forschungsrichtung etabliert hat, die nach den historischen Zusammenhängen von Krieg, Militär, Nation und Geschlecht fragt (z.B. Frevert 1997; Hagemann/Pröve 1998; Hagemann/Schüler-Springorum 2002; vgl. für einen Überblick Hämmerle 2000; Kühne 2005), ist die Einbeziehung feministischer und genderbezogener Ansätze in die Politikwissenschaft sowie die interdisziplinäre Friedens- und Konfliktforschung erst vergleichsweise spät erfolgt. In den letzten Jahren lässt sich jedoch hier ein verstärktes Interesse beobachten.3
3 | Vgl. z.B. die Sammelbände Engels/Gayer (2011); Thiele et al. (2010a); Hentschel (2008); Davy et al. (2005); Apelt (2005); Neissl et al. (2003); Seifert/Eifler (2003); Harders/Roß (2002); Eifler/Seifert (1999); Ruppert (1998a) sowie die Themenhefte der Zeitschriften Femina Politica (1/2000; 2/2001; 1/2011), FrauenKunstWissenschaft (36/2003), Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (65/2004), Medien Journal (3/2005) oder der Österreichischen Zeitschrift für Politikwissenschaften (2/2008). Darüber hinaus fanden u.a. folgende Tagungen statt: »Neue Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung« (Schwerte/Villigst 2011), »›Das erste Opfer des Krieges ist die Emanzipation‹: Der Zusammenhang von Medien, Krieg und Geschlecht« (Salzburg 2008), »Bilderpolitik in Zeiten von Krieg und Terror: Medien, Macht und Geschlechterverhältnisse« (Berlin 2006), »PazifistInnen/Pazifismus. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung« (Berlin 2003) und »Womanoeuvres – Feministische Debatten zu Frieden und Sicherheit« (Zürich 2003). Die Heinrich-Böll-Stiftung richtete 2003 ein Graduiertenkolleg mit dem Titel »Genderdynamiken in gewaltförmigen Konflikten« ein, um Arbeiten zu diesem Thema zu fördern.
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Das Forschungsfeld ist dabei, ebenso wie die unterschiedlichen theoretischen und methodischen Zugänge, äußerst heterogen und wird in verschiedenen Disziplinen bearbeitet, so dass auch für diese Untersuchung eine interdisziplinäre Ausrichtung sinnvoll erscheint. Für die Schärfung des Ansatzes dieser Studie ist es zunächst notwendig, die politisch und erkenntnistheoretisch unterschiedlich ausgerichteten feministischen und Gender-Ansätze zum Thema Krieg und Frieden sowie ihre bewegungsgeschichtlichen Hintergründe zu umreißen, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie Entwicklungen herauszuarbeiten. Erst die Zusammenschau ergibt ein ganzheitliches Bild über den Nutzen, aber auch über die Probleme feministisch-politikwissenschaftlicher Perspektiven auf Krieg und Frieden. Ich strebe dabei keinen umfassenden Überblick über die feministische Bewegungs- und Theoriegeschichte seit den 1970er Jahren an, sondern konzentriere mich auf die Konzeptualisierungen von Krieg und Frieden bzw. die dichotomen Denkmuster von ›männlichem Krieg‹ und ›weiblichem Frieden‹. Mit der Politikwissenschaftlerin Cilja Harders (2004) lassen sich für die Politikund Sozialwissenschaften zunächst drei Richtungen der feministischen Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Krieg und Frieden unterscheiden, die zum Teil eine chronologische Abfolge bilden: Erstens Ansätze der Frauen- und Friedensbewegung und der daraus entstandenen Forschung, die auf eine patriarchatskritische Revision der Begriffe Krieg und Frieden sowie eine Kritik der traditionellen Friedens- und Konfliktforschung abzielen; zweitens Arbeiten, die sich auf eine grundlegende Kritik der theoretischen Konzepte insbesondere der politikwissenschaftlichen Teildisziplin der Internationalen Beziehungen (kurz: IB) konzentrieren; und drittens Untersuchungen, die sich mit dem praktischen Engendering4 des konkreten Kriegsund Friedensgeschehens und den damit verbundenen Identitätskonstruktionen beschäftigen.5 Für diese Arbeit sind v.a. Ansätze aus der zweiten und dritten Strömung relevant, die sich mit geschlechtlichen Repräsentationen, Identitäten, Symboliken und Diskursen im Kontext von Krieg und Frieden beschäftigen. Um die der Arbeit zugrunde liegende Perspektive als feministisch und dekonstruktivistisch nachvollziehbar zu machen, werde ich im Folgenden jedoch auch auf die bewegungs- und theoriegeschichtlichen Hintergründe, Entwicklungslinien und Kritikpunkte der 4 | Der Begriff Engendering lässt sich am ehesten mit ›Vergeschlechtlichung‹ übersetzten. Gemeint ist damit die Sichtbarma chung und systematische Einbeziehung der Geschlechterdimension in die Untersuchung und Analyse eines Gegenstandes oder die Theoriebildung (vgl. Harders 2005: 497; Rosenberger/Sauer 2004: 257f). 5 | Seifert (1999) unterscheidet für die deutschsprachige Forschung die beiden Richtungen »Feministische Friedensforschung« und »Dekonstruktivismus«, die in diese Einteilung integriert wurde. Gängig ist auch die aus dem US-amerikanischen Feminismus stammende Einteilung zwischen liberalem, radikalem und postmodernem/konstruktivistischem Feminismus, um die feministischen Ansätze im Bereich Krieg und Frieden zu differenzieren (vgl. Whitworth 1994; Sylvester 1994). Entsprechend wird im deutschsprachigen Raum häufig auch zwischen gleichheitsorientierten, differenztheoretischen und (de-)konstruktivistischen Ansätzen unterschieden (z.B. Hinterhuber 2003; Birckenbach 1991). Diese Einteilungen liegen damit quer zu den hier dargestellten Richtungen von Harders, in denen sich (besonders in der zweiten und dritten) differenztheoretische, gleichheitsorientierte und (de-)konstruktivistische Argumentationslinien finden lassen. Auch lassen sich nicht alle Autor_innen eindeutig nur einer dieser Ansätze zuordnen (vgl. Ruppert 1998c: 44; Krause 2003: 243).
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frühen FrauenFriedensbewegung eingehen, die schließlich zu einem erweiterten, konstruktivistischen Verständnis von Geschlecht beigetragen haben und im gegenwärtigen ›Gender-Ansatz‹ gemündet sind.
1.1 Die Anfänge: Frauenbewegung und feministische Friedensforschung — »Das Private ist politisch« Der erste Strang der gegenwärtigen feministischen und genderbezogenen Debatten um Krieg und Frieden wurzelt in der Frauen- und Friedensbewegung der 1970er und 1980er Jahre und der daraus hervorgegangenen feministischen (Friedens-) Forschung.6 Krieg und Frieden gehörten von Beginn an zu den zentralen Schwerpunktthemen der Zweiten Frauenbewegung, in der Patriarchat und Krieg als gleichursprünglich und zudem allgegenwärtig analysiert wurden. Einen wichtigen Anknüpfungspunkt lieferten darin auch die Debatten der Ersten Frauenbewegung, wie die Schriften Bertha von Suttners oder die Idee eines »weiblichen Pazifismus«, wie ihn Gustava Heymann oder auch Anita Augspurg Anfang des 20. Jahrhunderts vertraten (vgl. Schenk 1983). Zentral für die politische Herangehensweise war bereits damals die Verknüpfung von frauenpolitischen Anliegen mit einer gesamtgesellschaftlichen Kritik bzw. der Forderung nach Frieden und Gewaltfreiheit. Erst die Befreiung der Frau bzw. die Gleichheit zwischen den Geschlechtern führe zu einer Gesellschaft ohne Krieg und Gewalt, argumentierten auch Aktivistinnen der Zweiten Frauenbewegung, wobei Teile der Bewegung an das Heymann’sche Diktum anschlossen und die Annahme einer prinzipiell friedfertigen Weiblichkeit als ›Kampfmittel‹ für eine bessere Gesellschaft bzw. gegen eine als aggressiv und kriegsbereit gekennzeichnete ›destruktive Männlichkeit‹ (strategisch) in Anschlag brachten. Diese »Perspektive ›positiver Weiblichkeit‹« (Harders 2004: 241), wie sie insbesondere in der differenztheoretischen Strömung der Frauenbewegung zu finden war und ist, birgt jedoch die Gefahr essentialistischer Verallgemeinerungen. So war der gynozentrische Bezug auf Weiblichkeit, verbunden mit der Annahme einer spezifisch weiblichen Friedensnähe, von Beginn der Frauenbewegung an umstritten und löste heftige Kontroversen aus.7 Bevor ich jedoch auf die Kritik und Weiterentwicklungen dieser feministischen Richtung näher eingehe, sollen die zentralen Argumentationslinien der frühen Frauenbewegung und -forschung skizziert werden, da 6 | Ich beschränke mich bei der folgenden kursorischen Darstellung vornehmlich auf die deutschsprachige Bewegung und Forschung. ›Feministische Friedensforschung‹ stellte dabei zunächst keinen eigenständigen, institutionalisierten Forschungsbereich der feministischen Forschung oder der Friedensforschung dar. Gemeint ist vielmehr die frühe feministische Forschung zu dem Themenkomplex Krieg und Frieden, die sich erst allmählich in der politik- und sozialwissenschaftlichen Friedens- und Konfliktforschung als eigenständiger Forschungszweig etablierte. Frauenbewegung und Frauenforschung waren dabei ebenso wie die Friedensbewegung und Friedensforschung der 1970er Jahre eng aufeinander bezogen und stellten die Theoriebildung in den Dienst der politischen Bewegung. 7 | Vgl. für einen Überblick über Themen und Kontroversen der FrauenFriedensbewegung Maltry 1993; Schmölzer 1996; Schenk 1983; Randzio-Plath 1982; zur Kritik an gynozentrischen und differenzfeministischen Argumentationsmustern Thürmer-Rohr 1987; Yuval-Davis 1999; Seifert 1999; für einen kritischen Überblick über die englischsprachigen Debatten Segal 1987.
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sie eine neue und radikale Sicht auf die Phänomene Krieg und Frieden ermöglicht haben. Im Zentrum der frühen feministischen Analysen steht ein spezieller Gewaltbegriff, der eng gekoppelt ist an das in kritischer Absicht eingeführte Konzept ›Patriarchat‹ als ein globales, die gesamte Gesellschaft und alle Lebensbereiche strukturierendes System, welches das Weibliche dem Männlichen unterordnet bzw. die Unterdrückung der Frauen durch die Männer weltweit organisiert. Der strukturelle Zusammenhang zwischen Männlichkeit, Patriarchat und Krieg bildete dabei den Ausgangspunkt für eine radikale Herrschaftskritik. Krieg ist dieser Perspektive zufolge lediglich die extremste Form patriarchaler Gewalt, die sich tagtäglich als Alltagsgewalt von Männern gegenüber Frauen ausdrückt. Radikale Feministinnen legten damit ein sehr weit gefasstes Verständnis von Krieg zugrunde, in dessen Zentrum der Terminus der patriarchalen Gewalt stand, und stellten damit die übliche Trennung zwischen Krieg und Frieden in Frage, indem sie die Kontinuitäten der Gewalt (für Frauen) in Kriegs- und Friedenszeiten in den Blick nahmen (vgl. z.B. Schmölzer 1996). Patriarchale Gewalt umfasst demzufolge alle Lebensbereiche von Frauen, die geschlechtliche Arbeitsteilung, die Zuständigkeit der Frau für Haus und Familie, den Ausschluss von Frauen aus der als männlich definierten Sphäre der Öffentlichkeit und Politik, die Objektivierung der Frau als Sexualobjekt usw. (vgl. Ruppert 1998c: 28f; Tickner 1992: 4f). Besonders das Thema häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen, die häufig im vermeintlich ›privaten‹ Kontext von Ehe und Familie stattfindet und deshalb von der Öffentlichkeit lange Zeit als unbedeutend eingestuft und ignoriert wurde, bildete dabei einen wichtigen Bezugspunkt feministischer Interventionen. Die im Zuge der Moderne etablierte Unterscheidung zwischen ›privater‹ und ›öffentlicher Sphäre‹ kristallisierte sich deshalb unter dem Motto »Das Private ist politisch!« als ein zentraler Gegenstand feministischer Theoriebildung heraus.8 Wie feministische Studien zeigen, hängt die nur scheinbar private Gewalt in Friedenszeiten zudem eng mit den geschlechtsspezifischen Gewaltformen des Krieges zusammen, so dass zwischen sexualisierter Gewalt im Krieg wie im Frieden nur ein gradueller Unterschied besteht (vgl. Brownmiller 2000 [1975]). Sexistische Alltagsstrukturen und sexualisierte Kriegsgewalt scheinen sich dabei wechselseitig zu verstärken. So gehören Vergewaltigungen im Krieg zu den systematischen Mitteln der Kriegsführung, da sie eine (symbolische) Erniedrigung des Gegners ermöglichen (vgl. Seifert 1993; Zipfel 2001). Zudem finden sich Belege für einen Anstieg häuslicher Gewalt in Kriegszeiten, z.B. wenn die Soldaten aus dem Krieg zu ihren Familien zurückkehren (vgl. Zwingel 2002: 178). Andere Studien zeigen wiederum ein Ansteigen von Prostitution, Frauenhandel und sexueller Ausbeutung infolge der Stationierung militärischer Truppen im Einsatzgebiet – auch von so genannten Blauhelm-Friedenstruppen (vgl. Scheub 2010: 334).
8 | Die Trennung zwischen öffentlich und privat wurde dabei als Teil eines Systems von hierarchisch organisierten Gegensatzpaaren begriffen, die für die Aufrechterhaltung der patriarchalen Ordnung und das moderne dualistische Denken im Allgemeinen zentral sind. Innerhalb dieses Systems wird je ein Term ›männlich‹ und einer ›weiblich‹ kodiert, bei gleichzeitiger Abwertung des Letzteren: Vernunft/Gefühl, Ordnung/Chaos, Staat/Familie, Zentrum/Peripherie, hart/weich, stark/schwach, außen/innen, Kultur/Natur, Krieg/Frieden usw.; vgl. dazu auch Karin Hausens Konzept der »Geschlechtscharaktere« (Hausen 1976).
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Die frühen feministischen Arbeiten problematisieren jedoch nicht nur die geschlechtspezifischen Auswirkungen patriarchaler Gewalt, sondern auch die geschlechtliche Strukturierung der Gewaltzugänge. Die Friedens- und Konfliktforscherin Astrid Albrecht-Heide (1988: 301) spricht in diesem Zusammenhang analog zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung von einer »geschlechtsspezifischen Gewaltteilung«. Demnach verfügen Frauen in den meisten Gesellschaften nur über einen eingeschränkten Zugang zu Gewaltmitteln und sind in geringerem Maße als Männer in direkte Kämpfe involviert. So waren Frauen bis in die jüngste Zeit z.B. vom Dienst an der Waffe ausgeschlossen. Wie verschiedene Untersuchungen zeigen, wird weibliche Gewaltausübung bis heute eher als Ausnahme wahrgenommen (vgl. z.B. Nachtigall/Dietrich 2005; Kretzer 2002). Die daraus resultierende vermeintlich ›natürliche‹ Distanz von Frauen zu Krieg und Gewalt ist es, aus der sich feministische Utopien und politische Forderungen häufig speisen. Während Aggression, Gewalt und Kampf in dieser Perspektive als grundlegende Charakteristika des Männlichen gelten, werden Frauen als kriegsfern und friedfertig imaginiert. Entsprechend werden Frauen im Kontext von Patriarchat und Krieg in erster Linie als passive Opfer oder machtlose Gehilfinnen wahrgenommen und Männer als potentiell gewalttätig (vgl. z.B. Albrecht-Heide 1991).9 Spezifisch für differenzfeministische Argumentationen ist dabei die Umwertung der mit dem jeweiligen Geschlecht verbundenen Zuschreibungen. Weiblich konnotierte Eigenschaften wie Friedfertigkeit, Fürsorglichkeit und Empathie werden als grundsätzlich besser und moralisch überlegen gegenüber ›männlichen‹ Attributen wie Rationalität, Gewaltbereitschaft und Durchsetzungsvermögen präsentiert.10 Weibliches ›Anderssein‹, verbunden mit spezifischen Kompetenzen wie Beziehungs-, Dialog- und Kooperationsfähigkeit, fungiert aus dieser Sicht als Gegenpol zu einer als männlich verstandenen Zerstörungsmacht, die in letzter Konsequenz zur atomaren Vernichtung der Menschheit führt.11 In friedenspolitischer Absicht eingesetzt soll das ›Prinzip Weiblichkeit‹ zur heilenden Kraft werden, wodurch – so die Hoffnung – eine Trans9 | Einen Versuch, die weibliche Verstrickung in gesellschaftliche Verhältnisse kritisch zu fassen, stellt das Konzept der »Mittäterschaft« von Christina Thürmer-Rohr dar. Erstmals 1983 in die feministische Debatte eingebracht, stellt die Mittäterschaftsthese die »Antwort auf die Definition aller Frauen als kollektive Opfer« (Thürmer-Rohr 2004: 85; Herv. i.O.) dar. Thürmer-Rohr kritisiert den generalisierenden und entlastenden Opfer-Diskurs der Frauenbewegung und verweist stattdessen auf die alltägliche Beteiligung von Frauen an der Aufrechterhaltung der patriarchalen, zerstörerischen Gesellschaftsverhältnisse (vgl. ThürmerRohr 1983). Mit dem Konzept der Mittäterschaft hat Thürmer-Rohr dazu beigetragen, das homogenisierende Konzept von Weiblichkeit, das alle Frauen primär als Patriarchats-Opfer begreift, zu dekonstruieren und seine von gesamtgesellschaftlicher Verantwortung entlastende Funktion aufzudecken. Die Dichotomie von ›weiblichem Frieden‹ und ›männlichem Krieg‹ wurde damit ebenfalls in Ansätzen brüchig. 10 | Vgl. etwa Carol Gilligans »Moral der Frau« (1984) oder Margarete Mitscherlichs »Die friedfertige Frau« (1985), die zu den Klassikern der frühen Frauenbewegung und -forschung gehören. 11 | Die FrauenFriedensbewegung hatte ihre Hochzeit in den 1980er Jahren und beschäftige sich primär mit den möglichen Folgen des neuen ›Atomzeitalters‹, der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen, Aufrüstung und ›Abschreckung‹ in der Zeit des Kalten Krieges und dem enormen Zuwachs an Umweltzerstörung.
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formation des patriarchalen Kriegssystems erreicht werde (vgl. z.B. Reardon 1985; kritisch Thürmer-Rohr 1987).12 Vor dem Hintergrund der bewegungspolitischen Ansätze und mit dem Entstehen der Frauenforschung formulierten feministische Forscherinnen in den 1980er und 1990er Jahren eine grundlegende Kritik an der etablierten wie auch der kritischen Friedensforschung (später Friedens- und Konfliktforschung).13 Ziel ihrer Interventionen war das Aufdecken der Geschlechterblindheit des Mainstreams der Friedens- und Konfliktforschung, die (patriarchats-)kritische Revision ihrer zentralen Kategorien wie Frieden, Gewalt und Krieg sowie die Entwicklung feministischer Gegenentwürfe (vgl. z.B. Brock-Utne 1982; Senghaas-Knobloch 1988; Birckenbach 1991; für eine Zusammenfassung Wasmuht 1998). Obwohl das Ziel der Friedensforschung die Analyse (und Überwindung) struktureller gesellschaftlicher Gewaltverhältnisse ist, bleiben patriarchale Gewaltverhältnisse außen vor, lautet die Kritik (Wasmuht 1998: 56). Tordis Batscheider, deren Arbeiten neben denen von Ulrike Wasmuht, Hanne-Margret Birckenbach und Albrecht-Heide als wegweisend für die Begründung einer feministischen Friedensforschung gelten, konstatiert, dass nicht nur das patriarchale Geschlechterverhältnis als zentrale Konfliktdimension systematisch unberücksichtigt und somit der emanzipatorische Anspruch der kritischen Friedensforschung uneingelöst bleibe, sondern insgesamt die Bedeutung patriarchaler Gewalt für die Konstituierung und Aufrechterhaltung eines Systems der ›organisierten Friedlosigkeit‹14 verkannt werde (vgl. Batscheider 1993: 187).15
12 | Eine spezifische Ausprägung des differenztheoretischen Feminismus nimmt ihren Ausgangspunkt in der positiven Hervorhebung von Gebärfähigkeit und Mutterschaft, aus denen ein ›weiblicher Pazifismus‹ abgeleitet wurde, insofern Frauen bewahrende, schützende und pflegende Eigenschaften zugeschrieben wurden, die mit der Vernichtung von Leben durch Krieg nicht vereinbar schienen. Problematisch an diesem Konzept ist v.a. die Essentialisierung von Weiblichkeit: Es wird unterstellt, dass alle Frauen weltweit über eine ›bewahrende Mutterliebe‹ verfügen und infolgedessen die Welt aus spezifische Weise betrachten (YuvalDavis 1999: 37f). 13 | Der normative Anspruch, wie er mit dem Zusatz ›kritisch‹ zum Ausdruck kommt, ist in der gegenwärtigen Friedens- und Konfliktforschung keineswegs mehr selbstverständlich. Herrschaftskritische Perspektiven werden kaum noch explizit formuliert, der Zusatz ›kritische‹ Friedensforschung scheint heute obsolet (vgl. Wisotzki 2005: 115; Strutynski 2002). Zur Begründung einer kritischen Friedensforschung, die sich in den 1960er und 1970er Jahren explizit vom Mainstream der Forschung abgrenzte, vgl. Senghaas 1971. 14 | Diese Formulierung geht zurück auf Dieter Senghaas, dem zufolge die Übergänge zwischen Krieg und Frieden – hier bezogen auf das Zeitalter der atomaren Abschreckung und des Kalten Krieges – in einem System der »organisierten Friedlosigkeit« verwischen (vgl. Senghaas 1969). 15 | Dabei sind Ziele und Inhalte der kritischen Friedens- und Konfliktforschung durchaus mit denen der feministischen Forschung vergleichbar. Wasmuht (1991) identifiziert fünf Gemeinsamkeiten: 1. ein ähnlich gelagertes Erkenntnisinteresse, das sich auf gesellschaftliche Gewaltstrukturen richtet, 2. ein enges Verhältnis zwischen sozialer Bewegung, Politik und Wissenschaft, 3. eine Forschung abseits des disziplinären Mainstreams, 4. eine normative, emanzipatorische Handlungsorientierung der Forschung und 5. der Anspruch auf eine kritische Selbstreflexion.
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Mit dem weit gefassten Begriff von Krieg (als patriarchaler Alltagsgewalt) korreliert dabei ein ebenso breiter Friedensbegriff. In Abgrenzung von einem rein ›negativen‹ Begriff von Frieden als ›Abwesenheit von Krieg‹, wie ihn die traditionelle Friedens- und Konfliktforschung verwendet, folgen feministische Ansätze ebenso wie die kritische Friedensforschung dem Vorschlag des schwedischen Friedensforschers Johan Galtung, der Ende der 1960er Jahre einen ›positiven‹ Friedensbegriff zusammen mit dem Konzept der ›strukturellen Gewalt‹ entwickelt hat. Frieden zeichne sich demnach durch die Abwesenheit von direkter personeller und struktureller Gewalt aus (vgl. Galtung 1975).16 Frieden wird entsprechend feministisch redefiniert, nicht nur als Abwesenheit von Krieg und physischer Gewalt, sondern auch als Überwindung des Patriarchats und Utopie gerechter Geschlechterverhältnisse. Das besondere Interesse von FrauenFriedensbewegung und feministischer Friedensforschung richtet sich seit den 1980er Jahre auf das Militär als Schnittstelle zwischen Patriarchat und Krieg. Militarismus und Sexismus stehen laut dieser Auffassung in einem unmittelbaren Zusammenhang, je militaristischer eine Gesellschaft ist, desto sexistischer ist sie auch (Brock-Utne 1982: 58). Ausschlaggebend für den deutschen Kontext waren insbesondere die Arbeiten von Albrecht-Heide (z.B. 1991), die das Militär als eine zentrale gesellschaftliche Agentur zur Herstellung des hierarchischen Geschlechterdualismus und damit als »Inbegriff des Patriarchats« versteht (Albrecht-Heide 1991: 113). Die wesentliche Funktion des Militärs, das sich seit der Aufstellung stehender Heere und der Einführung der Wehrpflicht im Zuge der Entstehung moderner Nationalstaaten auf den rigiden Ausschluss von Frauen gründet, liegt dieser Konzeptualisierung folgend nicht nur in der Verteidigung des Staates, sondern v.a. in der Durchsetzung und Absicherung patriarchaler Herrschaft. Das rein männliche Geschlecht des Militärs habe für Frauen in doppelter Hinsicht gravierende Auswirkungen: Zum einen wird der ungleiche gesellschaftliche Status der Frau verschärft, zum anderen macht es Frauen verstärkt zu Objekten männlichen Handelns und männlicher Aggressivität (Albrecht-Heide/Bujewski 1982: 25). »Der kollektive Mann hat im Militär Gewalt und Vergewaltigung kollektiv geordnet« (Albrecht-Heide 1991: 115). Motor der männlichen Handlungslogik der Gewalt ist laut Albrecht-Heide eine »(uneingestandene) Schwäche und Unsicherheit« (ebd.). Diese labile Männlichkeit mündet in (männlichen) Institutionen wie dem Militär, das wiederum zu ihrer Kompensation beitragen und männliche Macht absichern soll. Kriege erfüllen damit eine wesentliche Platzanweiser- und Sicherungsfunktion für Männer – und damit auch für Frauen –, wobei Kriege bei der Wiederherstellung männlicher Stärke nur die »Spitze des Eisberges« darstellen (Albrecht-Heide 1991: 116). Die Institution des Militärs benötigt damit nicht (mehr) »den Mann«, sondern wird zu einer »Männlichkeitsmaschine«, in der »die unsichere und ungesicherte ›nationalstaatliche Männlichkeit‹ zugleich taylorisiert und hypostasiert wird« (ebd.: 123). Das Konglomerat von Militär und Patriarchat ebenso wie die Verschmelzung von Männlichkeit und Gewaltbereitschaft birgt jedoch theoretische und politische 16 | Die Definition von Galtung ist in der Friedens- und Konfliktforschung jedoch ebenso umstritten, kritisiert wird eine theoretisch, empirisch und historisch unspezifische sowie allumfassende Konzeptionalisierung struktureller Gewalt, die damit ein Erreichen von ›Frieden‹ letztendlich unmöglich mache; vgl. zur Diskussion um den Friedensbegriff Müller 2003; Wisotzki 2005.
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Inkonsistenzen und erweist sich v.a. in Hinblick auf die Konzeptionalisierung von Geschlecht als problematisch. Seifert (1999, 2004c) kritisiert die unscharfe Theoretisierung von Geschlecht und die Reduzierung komplexer sozialer und politischer Phänomene wie Krieg und Militarismus auf psychologische und psychoanalytische Erklärungsmuster, wie sie ihrer Meinung nach in den Ansätzen der feministischen Friedensforschung häufig Verwendung finden. Dadurch, dass Albrecht-Heide individuelles wie kollektives Gewalthandeln primär auf männliche Unsicherheit und Ich-Schwäche zurückführe, dabei aber die Entstehungsbedingungen dieser Subjektivierung außen vor lasse, wird laut Seifert (2004c: 301) wie auch bei biologistischen Erklärungsmustern ein essentialistischer Kern vorausgesetzt und festgeschrieben. Psychische Realitäten seien kein letzter Grund, von dem her sich soziale und politische Phänomene erklären ließen. Poststrukturalistischen Subjekttheorien folgend gibt Seifert zu bedenken, dass männliche Gewaltbereitschaft nicht nur als individualpsychologisches Phänomen verstanden werden könne, sondern ebenso als Effekt einer spezifischen institutionalisierten Machtkonstellation betrachtet werden müsse (ebd.). Damit wird der Erklärungszusammenhang genau umgekehrt: Nicht bestimmte psychische Dispositionen, in diesem Fall eine aggressive Männlichkeit, gehen dem Militär voraus, sondern die Institution Militär produziert bestimmte Bilder und Vorstellungen der männlichen Psyche bzw. einer militarisierten Männlichkeit, die dann vielmehr als Produkt und nicht als Ursache dieser Organisation analysiert werden müssen (vgl. ebd.). Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Es ist insbesondere das Verdienst der Zweiten Frauenbewegung und der daraus hervorgegangenen patriarchatskritischen Forschung, eine grundlegende Hinterfragung und Revision der Begriffe Krieg und Frieden angestoßen und durch das Insistieren auf der Geschlechterperspektive die Notwendigkeit einer fortwährenden Kontextualisierung dieser Begriffe aufgezeigt zu haben: Die frühen feministischen Ansätze haben damit eine neue, herrschaftskritische Perspektive auf die Phänomene Krieg und Frieden eröffnet, die nicht auf Staaten und deren (kriegerisches) Handeln und auch nicht auf die als öffentlich-politisch definierte Sphäre und ihre meist männlichen Akteure beschränkt ist. Vielmehr haben sie die wechselseitigen Zusammenhänge von (patriarchaler) Gewalt und Geschlecht und damit die vielgestaltigen, in der Politikwissenschaft und insbesondere der Teildisziplin Internationale Beziehungen oft ›übersehenen‹ Gewaltformen – in Kriegen wie im Frieden, im ›öffentlichen‹ wie im ›privaten‹ Raum – für die Analyse zugänglich gemacht. Die feministische Revision der Begriffe Krieg und Frieden bringt jedoch auch Probleme mit sich. Harders plädiert deshalb für eine »doppelte Perspektivierung der Definitionsfrage« (2004: 236): Zum einen erfordere die systematische Einbeziehung der Geschlechterverhältnisse erweiterte Begriffe von Krieg und Frieden, die auch die Mikroebene zu erfassen vermögen. Zum anderen sei es für die empirische Analyse spezifischer Gewaltverhältnisse unverzichtbar, ihre konkreten Formen und Kontexte zu erfassen und zwischen latenter Kriegskultur und tatsächlicher kriegerischer Gewalt zu differenzieren. Alltagsgewalt und militärisch-kriegerische Gewalt müssten analytisch unterscheidbar bleiben, da sonst die Gefahr bestehe, Krieg zu verabsolutieren und letztlich nichts mehr unterscheiden zu können (ebd.). Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich aus einem weiten Friedensbegriff, in dessen Mittelpunkt primär die Überwindung des Patriarchats steht: Wenn patriarchale Gewaltstrukturen wie in einigen der frühen Ansätze der feministischen Friedensforschung
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als ubiquitär, historisch konstant und damit als kaum veränderbar gedacht werden, wird Frieden letztlich zum unerreichbaren Ziel (vgl. Wisotzki 2005: 121). Der wesentliche Kritikpunkt richtet sich jedoch gegen die zu Essentialisierungen und Universalisierungen neigende Konzeptualisierung von Geschlecht, wie sie insbesondere in gynozentrischen und differenzfeministischen Positionen zu finden ist. Ein zu starres Patriarchatskonzept birgt die Gefahr, Frauen primär als Unterdrückte und Opfer des Patriarchats zu charakterisieren, eurozentrische Verallgemeinerungen vorzunehmen und Differenzen zwischen Frauen sowie ihre unterschiedliche Positionierung innerhalb vielfältiger Machtverhältnisse, wie sie z.B. aufgrund ethnischer, sexueller, regionaler und klassenspezifischer Zuschreibungen bestehen, auszuklammern. So macht Nira Yuval-Davis darauf aufmerksam, dass Frauen aus der so genannten Dritten Welt ›feministischen Pazifismus‹ und ›weibliche Friedfertigkeit‹ häufig als »westlichen Luxus« weißer Frauen betrachteten, den sie sich selbst gar nicht erlauben könnten, weil die nationale Befreiung unterdrückter ›Völker‹ nur mit Hilfe eines bewaffneten Kampfes durchgeführt werden könne (1999: 38f). Die starke Konzentration auf ›Frauen‹ kann zudem die Relationalität von Gender überdecken, also den Umstand, dass sich Weiblichkeit und Männlichkeit innerhalb des Systems der Zweigeschlechtlichkeit in einem permanenten Verweisungszusammenhang befinden. So verbleiben auch die in kritischer Absicht formulierten Bezüge auf die ›friedfertige Frau‹ innerhalb des als ›männlich‹ geprägt kritisierten modernen Denkens in Dualismen und bestärken »den ›friedlosen Mann‹ als soziales Konstrukt, als Regel, als Norm« (Wasmuht 2002: 93). So hat Herrad Schenk bereits 1983 kritisch darauf hingewiesen, dass ein ›weiblicher Pazifismus‹ auch als Affirmation der patriarchalen Rollenerwartungen verstanden werden kann: »Wenn Frauen an ihre eigene friedfertige Natur glauben, kraft derer sie weltverbesserisch wirken wollen, so akzeptieren sie den patriarchalen Entwurf von Weiblichkeit, und es ist die Frage, ob es ihnen gelingen kann, diesen als das die Welt verändernde Andere ins Spiel zu bringen, wenn es doch von vornherein als Ergänzung und Abstützung des Männlich-Kriegerischen angelegt war.« (Schenk 1983: 57)
Friedfertige Weiblichkeit erscheint damit zwar vordergründig als ›Antithese‹ des Kriegerischen, ist aber gleichzeitig eine zentrale Komponente in seiner Konstruktion. Zudem bleiben Frauen als Täterinnen oder Männer als Opfer von Krieg und Gewalt hinter den dominanten Identitäten ›kriegerischer Mann‹ und ›friedfertige Frau‹ unsichtbar. Wenn jedoch beide Identitäten zur Erhaltung von Krieg und Militär beitragen, stellt sich die Frage nach Alternativen. Wenn Männlichkeit und Weiblichkeit »das Produkt eines permanent sich reproduzierenden Prozesses der symbolischen Vergegenwärtigungen (sind) < durch den Geschlechtsidentität und Geschlechterdifferenz hergestellt werden« (Elisabeth List zit.n. Seifert 1999: 62) –, dann erscheint es geboten, in die Herstellung von Differenz selbst einzugreifen. Hiermit ist genau jenes Projekt der Dekonstruktion (im Anschluss an Judith Butler, Michel Foucault, Jacques Derrida u.a.) anvisiert, das nicht nur die Affirmation oder Umdeutung patriarchaler Weiblichkeitskonzepte kritisiert, sondern die Zweiteilung der Geschlechter selbst zur Schlüsselfrage erklärt. Demgemäß richtet sich das Erkenntnisinteresse auf das Aufdecken und Nachzeichnen der hierarchisierenden Konstruktionsprozesse von Geschlecht, mit dem langfristigen Ziel, die Geschlechterhierarchie zu über-
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winden. Diesem feministischen und dekonstruktivistischen Interesse folgt auch die vorliegende Arbeit. Auch wenn es um die (differenz-)feministische Strömung bei der Beschäftigung mit Krieg und Frieden – zumindest im akademischen Kontext – eher still geworden ist,17 finden sich bis heute friedenspolitische und/oder feministische Stimmen, die implizit oder explizit mit einer ›weiblichen Friedfertigkeit‹ argumentieren und damit gleichsam die Vorstellung einer ›destruktiven Männlichkeit‹ bestärken. An die Stelle biologistischer Begründungsmuster, nach denen Frauen über eine mütterliche Friedfertigkeit gleichsam ›von Natur aus‹ verfügen, sind jedoch überwiegend Argumentationsmuster getreten, die eine besondere Verantwortung oder Kompetenz von Frauen für die Herstellung von Frieden aus ihrer sozialen Position, die sich dadurch auszeichnet, dass Frauen zumeist nicht aktiv in bewaffnete Kämpfe involviert sind, und ihren spezifischen Erfahrungen als Leidtragende des Krieges ableiten (vgl. z.B. Mathis 2002). Auch wird weiterhin behauptet, dass »es im ganz besonderen Interesse der Frauen [liegt,] das gängige Kriegssystem aufzubrechen« (Wasmuht 2002: 100). Sibylle Mathis plädiert zudem für ein bewusstes Aufkündigen der Mittäterschaft: Frauen hätten zwar weniger Einfluss im Sinne von politischer, militärischer und ökonomischer Macht, als »Außenstehende« aber »den Vorteil kritischer Distanz« (Mathis 2002: 114). Aus dekonstruktivistischer Perspektive ist jedoch fragwürdig, ob solche Zuschreibungen, seien sie nun sozial oder biologisch begründet, einen sinnvollen Ansatzpunkt für friedenspolitische Überlegungen darstellen. Letztendlich suggerieren beide Argumentationsmuster eine essentielle Differenz zwischen Männern und Frauen und lassen das Konstrukt einer weiblichen Friedensaffinität unangetastet, indem sie (nur) Frauen eine besondere Verantwortung oder Eignung für die Herstellung friedlicher Verhältnisse zuweisen.18 Auch die mediale Verarbeitung des 11. September zeigt, wie ich bereits in der Einleitung exemplarisch ausgeführt habe, dass binäre Vorstellungen von ›weiblichem Frieden‹ und ›männlichem Krieg‹ nicht an Bedeutung verloren haben und in den Massenmedien virulent werden. Mit Argumenten wie »Die Geschichte Afghanistans zeigt: Reine Männerherrschaft deformiert eine Gesellschaft; Fundamentalismus lässt sich nur besiegen, wenn die Frauen gestärkt werden« (taz 29.11.2001) wird das Patriarchat zum ›Hauptwiderspruch‹ erklärt. Andere gesellschaftliche Machtverhältnisse bleiben ausgespart, die Komplexität der Ereignisse verschwindet in der Reduktion auf die Geschlechterperspektive. Krieg und nun auch Terrorismus werden als eine rein männliche Angelegenheit dargestellt und mit Frauenhass und Sexismus erklärt, die wiederum als spezifisches Merkmal des Islams gekennzeichnet werden. Auch das Bild einer ›verunsicherten Männlichkeit‹ bekommt mit dem 17 | So merkt Birckenbach (2005: 91) an, dass die Frage, ob Frauen das friedlichere Geschlecht seien, aus Sicht der Friedensforschung heute (negativ) beantwortet sei und dort keine Rolle mehr spiele. 18 | Für die politische Praxis feministischer und friedenspolitisch engagierter Gruppen ergibt sich aus der theoretischen Perspektivverschiebung ein besonderes Dilemma. Die Annahme einer ›weiblichen Friedfertigkeit‹ bildet bis heute einen wichtigen Hintergrund für das friedenspolitische Engagement vieler Frauen (vgl. Harders 2004: 242; Hentschel 2005; Cockburn/Hubic 2002). Von daher lässt sich mit Harders die Frage stellen, ob die Perspektive ›positiver Weiblichkeit‹ nicht im Sinne eines ›strategischen Essentialismus‹ verwendet werden könne, um das ›Empowerment‹ von Frauen zu stärken (Harders 2004: 242).
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11. September eine neue Konjunktur, wenn es darum geht, die Hintergründe des ›Terrors‹ zu erklären: »Alles Ambivalente und Abweichende geriet zur Bedrohung einer wackeligen, unreifen Männlichkeit, die sich nur über Kampf und Krieg zu stabilisieren wusste«, schrieb z.B. die taz (29.11.2001).19
1.2 Theoriekritik: Internationale Beziehungen, Staat und Krieg — »Das Private ist international« Anhand feministischer Analysen der internationalen Politik und der Einmischung in die politikwissenschaftliche Teildisziplin der Internationalen Beziehungen (IB) lässt sich die Weiterentwicklung feministischer Ansätze in Richtung eines kritischen20 Gender-Ansatzes verfolgen. Die feministische Kritik richtet sich dabei zuvorderst auf die traditionellen Schulen der IB, insbesondere den (Neo-)Realismus, zum anderen auf die verschiedenen Staatstheorien von der Antike bis zur Gegenwart, um die inhärenten, zumeist nicht thematisierten Geschlechterdimensionen aufzudecken (vgl. z.B. Roß 2002; Mordt 2001; Appelt 1999; Rumpf 1995; Peterson 1992a; Tickner 1991). Darüber hinaus liefert v.a. die konstruktivistische Erforschung von vergeschlechtlichten Identitäten im Kontext der internationalen Politik Anknüpfungspunkte für die vorliegende Untersuchung. Mitte der 1990er Jahre, etwas später als im englischsprachigen Raum, setzte die deutschsprachige feministische Auseinandersetzung mit der internationalen Politik und den Theorien der Internationalen Beziehungen ein.21 Die Aufsätze von Gert Krell (1996) und Birgit Locher (1996) in der Zeitschrift für Internationale Beziehungen sowie das PVS-Sonderheft »Geschlechterverhältnisse im Kontext politischer Transformation« (Kreisky/Sauer 1998) markieren den Auftakt und dokumentieren zugleich eine zaghafte Öffnung der IB gegenüber feministischen Ansätzen. Mittlerweile hat sich eine eigenständige feministische Theorierichtung innerhalb der IB-Forschung
19 | Ähnlich argumentiert auch Robin Morgan in der Emma: »Nicht selten greifen diese Helden zur Waffe, weil sie in ihrer ›Männlichkeit‹ verunsichert sind« (Emma 3/2002: 52). Frauen sind nach dieser Logik ausschließlich Opfer, »sie sind fast immer ›Alibifrauen‹ und ausnahmslos beteiligt wegen ihrer Liebe zu einem bestimmten Mann, ihrem persönlichen Demon-Lover, der sie mit hineinzieht« (ebd.). Vgl. auch Kap. IV.5.1.6. 20 | Ich verstehe ›kritisch‹ sowohl im Sinne von Whitworth (1994) als kontemporäre feministische Strömung, die die ›konstruktivistische Wende‹ vollzogen hat, aber ausdrücklich auch normativ im Sinne von ›emanzipatorisch-herrschaftskritisch‹ (wie z.B. Ruppert 1998c: 44), da die Leistung feministischer Ansätze in der Aufdeckung spezifischer Auslassungen und Fehlinterpretationen vermeintlich objektiver Wissenschaften besteht – und damit einen Beitrag zur Herrschaftskritik leistet – und darüber hinaus eine umfassende Gesellschaftskritik anstrebt. 21 | Stellvertretend für die angloamerikanische feministische IB-Debatte vgl. Elshtain 1987; Enloe 1988, 1993, 2000; das Themenheft »Women and International Relations« der Zeitschrift Millennium. Journal of Internationale Studies (1988); Sylvester 1994, Tickner 1992, 1996; Whitworth 1994; Peterson/Runyan 1999 u.a. Für eine Übersicht über die unterschiedlichen Themenbereiche und Forschugnsfelder vgl. auch die Sammelbände Zalewski/Parpart 1998; Lorentzen/Turpin 1998; Beckman/D’Amico 1994; Grant/Newland 1991.
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– wenn auch vom Mainstream der Disziplin oftmals ignoriert – etabliert.22 Vor allem in der deutschsprachigen Debatte ergeben sich zahlreiche inhaltliche Überschneidungen mit der feministischen Friedensforschung, die das Themenfeld internationale Politik, insbesondere die Bereiche Krieg und Militär, bereits seit Anfang der 1990er Jahre intensiv bearbeitet hat und damit einen wichtigen Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die feministische IB-Forschung bildet. Wie feministische Autor_innen betonen, zeichnet sich die politikwissenschaftliche Teildisziplin IB bis heute durch ein besonders hohes Maß an maskuliner Prägung, Androzentrismus und hartnäckiger Abschottung gegenüber feministischen Überlegungen aus. Innerhalb der Disziplin schien man sich lange Zeit darüber einig, dass Fragen nach dem Geschlechterverhältnis für eine Analyse internationaler Phänomene schlichtweg keine Relevanz besitzen. Das liegt zum einen daran, dass sich die IB qua ihres Gegenstandsbereiches als nicht nur geschlechtsneutral, sondern geradezu geschlechtsfrei präsentiert. Individuelle Akteure, und damit die vergeschlechtlichten Subjekte, waren innerhalb der traditionellen IB-Theorien, die ihren Fokus auf Staaten bzw. internationale Staatensysteme richten, von untergeordneter Bedeutung oder kamen erst gar nicht vor (vgl. Krause 2003: 242; Locher 2000: 332; Ruppert 2000: 27). Die über Jahrzehnte währende Dominanz der realistischen Schule bewirkte zudem eine Konzentration des Faches auf Fragen der high politics. Insbesondere die Bereiche nationale Sicherheit, Kriegsführung und Militär sowie Wirtschaft, die im Mittelpunkt der high politics stehen, gelten als ›männliche‹ Erfahrungsbereiche par excellence und werden mit ›männlich‹ konnotierten Eigenschaften und Werten assoziiert (vgl. Tickner 1992: 4f). Ihnen wird eine weitaus größere Wichtigkeit zugesprochen als z.B. sozialen oder ökologischen Problemen – wodurch das Themenspektrum stark eingegrenzt wird und Frauen als Akteurinnen internationaler Politik wiederum aus dem Blickfeld geraten (vgl. Ruppert 1998c). Entsprechend stellt sich die internationale Politik mit den daran beteiligten Institutionen und Funktionsträgern personell als männliche Domäne dar, in der Frauen nach wie vor als Ausnahme gelten: Staatsmänner, Diplomaten, Soldaten, Wirtschaftsbosse ebenso wie die jeweiligen ›Staatsfeinde‹ sind traditionell männlich konnotierte und auch überwiegend männlich besetzte Rollen (vgl. Krell 1996: 151; Locher 2000: 335). Hinzu tritt eine signifikante zahlenmäßige Unterlegenheit von Frauen in der universitären Forschungslandschaft der IB (Rosenberger 1998: 170f). Mit Blick auf die Ebene der politischen und wissenschaftlichen (männlichen) Akteure, die Ebene der Definition des Gegenstandsbereichs sowie die Ebene der vorherrschenden Theorien und Methoden des IB-Mainstream lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass »die Fokusse von IB und feministischer Forschung« auf den ersten Blick »eine größtmögliche Distanz« (Krause 2003: 243) aufweisen. 22 | Vgl. für eine Zusammenfassung der feministischen insbesondere der deutschsprachigen IB-Debatten Locher 2000; Locher-Dodge 1998; Ruppert 1998c; Brabandt et al. 2002; Krause 2003; Lemke 2000; für einen Überblick über die unterschiedlichen Forschungsfelder z.B. Harders/Roß 2002, Ruppert 1998a sowie die Themenhefte »Feministische Ansätze in den Internationalen Beziehungen« der Femina Politica 1/2000 und »Gender und internationale Politik« der Zeitschrift WeltTrends 2002. Auch in einigen neueren Einführungswerken in die Theorien der IB werden feministische Ansätze zunehmend gewürdigt, z.B. Lemke 2008; Schieder/Spindler 2006; Knapp/Krell 2004.
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Zugleich wären damit die Ansatzpunkte feministischer Kritik und Intervention grob umrissen: Aus der fortwährenden Exklusion und Marginalisierung von Frauen als Objekte ebenso wie als Subjekte der IB-Forschung sowie ihrer eklatanten Unterrepräsentation in den klassischen Positionen der internationalen Politik wie Militär und Staatsapparat folgt die (liberale) Forderung nach ›Sichtbarmachung‹ und verstärkter Einbeziehung von Frauen bzw. weiblichen Lebenszusammenhängen in die Theorie und Praxis der internationalen Beziehungen (vgl. Tickner 1992: 5f). Eine weitere Aufgabe feministischer Forschung besteht darin, Frauen als ›Betroffene‹ in den Fokus zu nehmen bzw. die geschlechtspezifischen Auswirkungen vermeintlich geschlechtsneutraler internationaler Prozesse wie der Globalisierung der Wirtschaft, transnationaler Migration oder Sextourismus herauszuarbeiten (vgl. Brabandt et al. 2002; Locher-Dodge 1998).23 Darüber hinaus vollzieht sich ein bedeutender feministischer Perspektivwechsel von ›Frauen‹ zu ›Gender‹, wie er sich beispielhaft anhand der Arbeiten von Cynthia Enloe nachvollziehen lässt. In ihrer Studie »Bananas, Beaches and Bases. Making Feminist Sense of International Politics« (2000 [1989]), die zu den Klassikern der feministischen IB-Literatur gehört, zeigt sie, wie die »Männerwelt der großen Politik und Wirtschaft« (Krell 2003: 294) von ›weiblicher Zuarbeit‹ abhängig ist. Enloe untersucht gleichsam ›von unten‹, aus der Sicht der Frauen und ihrer alltäglichen Lebensrealitäten, die Funktionsweisen der internationalen Politik. So zeigt sie beispielsweise, wie britische und US-amerikanische Militärbehörden die Prostitution rund um die Militärbasen organisieren und kontrollieren, welchen Nutzen Heimarbeit und billige weibliche Arbeitskräfte insbesondere in der so genannten Dritten Welt für multinationale Konzerne haben oder wie Diplomatengattinnen in ihren Privathäusern für ein informelles Klima sorgen, das als eine Art ›stille Diplomatie‹ die offizielle Politik begleitet und fördert. Aus einer solchen Perspektivierung geraten nicht nur die verschiedenen Frauen und ihre unterschiedlichen ›privaten‹ Lebenszusammenhänge in den Blick, sondern auch die Wechselwirkungen zwischen internationaler Politik und ›weiblichem Alltag‹ (vgl. Enloe 2000; für eine Zusammenfassung Locher 2000: 347ff). Eins der wichtigsten Postulate der frühen Frauenbewegung aufgreifend formuliert Enloe als Fazit ihrer Untersuchung: »The Personal is International«, das Private nicht nur politisch, sondern auch international – und umgekehrt (2000: 195ff). Mit dieser häufig zitierten Redewendung ist der Grundstein für weitere feministische Re-Visionen und Analysen der internationalen Politik sowie der IB-Theorien gelegt. Den Ausgangspunkt bildet die These, dass das internationale System maßgeblich vom Erhalt der ungleichen patriarchalen Geschlechterverhältnisse und der damit verbundenen Arbeitsteilung abhängt (vgl. ebd.: 196f). Internationales staatliches Handeln bedarf nicht nur des ›männlichen‹ Kämpfers und Politikers, sondern ebenso der ›weiblichen‹ Reproduktionsarbeit, die sich zumeist unsichtbar im ›Privaten‹ abspielt (ebd.) In den Blick geraten damit die Konstruktionen von Weiblichkeit und 23 | Die Unterscheidung zwischen einem liberalen, radikalfeministischen oder konstruktivistischen bzw. kritischen Zugang scheint für die deutschsprachige feministische IB-Debatte wenig sinnvoll und wird deshalb auch nicht weiter vertieft, da diese erst zu einem Zeitpunkt einsetzte, als die ›konstruktivistische Wende‹ in der Frauen- und Geschlechterforschung bereits vollzogen war (Krause 2003: 243f; vgl. ebenfalls kritisch zu dieser Einteilung Ruppert 1998c: 44).
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Männlichkeit, wie Enloe betont: »Making women invisible hides the workings of both femininity and masculinity in international politics« (ebd.: 11). Internationale Politik beruht nach Enloe auf spezifischen Vorstellungen von Mann und Frau, Männlichkeit und Weiblichkeit und den damit verbundenen Rollen, Eigenschaften, Tätigkeitsbereichen und Sphären und ist umgekehrt an der Produktion und Fortschreibung der binären Zuschreibungen fortlaufend beteiligt (ebd.: 4, 196ff). An dieser Stelle wird deutlich, dass die feministische Kritik der IB weit über das Ziel eines quantitativ und empirisch ausgerichteten »bringing women in« (Whitworth 1994: 12) hinausweist. Wie die Arbeiten von Enloe zeigen, geht mit dem Fokus auf ›Frauen‹ bzw. die Mikroperspektive weiblicher Lebenszusammenhänge ein qualitatives Umdenken einher, das die traditionellen disziplinären Grenzen nicht nur weitläufig überschreitet, sondern nachhaltig in Frage stellt. Grundlage dieser Frage- und Forschungsrichtung und zugleich das zentrale Instrumentarium der Analyse bildet die Kategorie ›Gender‹, die sich damit auch begrifflich von den früheren Ansätzen der Frauenforschung abhebt. Um Geschlechterverhältnisse in den Theorien der IB überhaupt berücksichtigen zu können, müssen die Trennungen zwischen privat und öffentlich, Staat und Gesellschaft, Innen- und Außenpolitik sowie high und low politics aufgelöst – oder zumindest deren fortwährende Interdependenz berücksichtigt werden (Locher 1996: 386). Gelingt die Einbeziehung der Geschlechterperspektive, eine Veränderung der theoretischen Vorannahmen der Disziplin vorausgesetzt, entsteht zugleich ein vollständigeres, weniger verzerrtes und akkurateres Bild der internationalen Beziehungen, so die feministische Vision. Dies ermöglicht zugleich eine Erweiterung der disziplinären Agenda um Themen wie FrauenMenschenrechte, sexualisierte Kriegsgewalt, Umwelt- und Bevölkerungspolitik, die Arbeit internationaler Organisationen, internationale Frauenpolitiken und Entwicklungspolitik (vgl. Krause 2003; Locher 2000). Der Perspektivwechsel von ›Frauen‹ zu ›Gender‹ markiert zugleich eine bedeutsame Weiterentwicklung feministischer Theoriebildung, die sich als ›konstruktivistische Wende‹ im Verlauf der 1990er Jahre vollzogen hat.24 Damit verbunden ist eine deutliche Ausdifferenzierung feministischer Forschungsperspektiven. Gender bezeichnet nicht nur Männer und Frauen, sondern wird als strukturelles und symbolisches Konzept bestimmt, das in alle Bereiche des gesellschaftlichen, politischen und damit auch internationalen Handelns hineinwirkt. Diese Konzeption von Geschlecht umfasst die Ebene der individuellen Existenzweisen bzw. Geschlechtsidentitäten, die strukturelle Ebene der gesellschaftlichen Organisation der Geschlechterverhältnisse z.B. durch Arbeitsteilung und Sphärentrennung, sowie die symbolische Ebene der Geschlechterrepräsentationen und Diskurse (vgl. Hark 2001). Damit fokussiert Gender als analytische Kategorie (vgl. Scott 1994) in einem sehr viel umfassenderen Sinne als eine frauenzentrierte Herangehensweisen die gesellschaftlichen Bedeutungszuschreibungen von Weiblichkeit und Männlichkeit in den unterschiedlichen sozialen Kontexten. »The world is pervasively shaped by gendered meanings«, fasst V. Spike Peterson (1992b: 9) zusammen. Mit dem Blick auf die konkreten Herstellungsmechanismen von Gender geraten ebenso die Brüche und Verfehlungen wie auch die Variations- und Veränderungs24 | In Deutschland vollzog sich diese Wende insbesondere mit der Rezeption der Arbeiten von Judith Butler (vgl. stellvertretend Butler 1991), die eine zunächst äußerst kontrovers geführte Debatte anstießen.
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möglichkeiten in den Blick. Gender-Ansätze heben zudem stärker auf die Relationalität von Geschlecht ab, d.h., sie beabsichtigen auch eine systematische Erforschung von ›Männern‹ und ›Männlichkeit‹ sowie der spezifischen Verhältnisse und Wechselwirkungen zwischen Frauen und Männern bzw. Weiblichkeit und Männlichkeit (vgl. ebd.: 8). Radikal ist diese Perspektive, insofern sie auch die eigenen Prämissen und zentralen Kategorie wie das feministische Subjekt ›Frau‹ einer gründlichen Kritik unterzieht und deutlicher als zuvor die Unterschiedlichkeit und Machtverhältnisse zwischen Frauen in den Fokus nimmt, anstatt von einem einheitlich gedachten Subjekt ›Frau‹ auszugehen. Wesentlich für die Bestimmung von Gender als Analysekategorie ist zudem eine (tendenzielle) Infragestellung der ›Dominanz‹ von Geschlecht zugunsten einer intersektionalen Perspektive, die Geschlecht stets im Zusammenhang mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit (›Rasse‹, Ethnizität, Klasse, sexuelle Orientierung etc.) denkt und analysiert. Überträgt man diese Konzeptualisierung von Gender auf eine Analyse der internationalen Politik, verschieben sich Frageperspektive und Zielsetzung: Im Fokus steht weniger die Forderung nach stärkerer Einbeziehungen von Frauen/Frauenperspektiven als das Aufdecken der historischen und kulturellen Normen und Ideen, auf denen die Geschlechterverhältnisse beruhen, und der gesellschaftlichen Praktiken und Diskurse, die diese Strukturen fortwährend (re-)produzieren. Dabei werden in der Regel zwei verschiedene analytische Perspektiven unterschieden, die jedoch in einem stetigen Wechselverhältnis zueinander begriffen sind: »Taking feminism seriously requires that we examine both how international relations has systemic gender-differentiated effects and how gender biased categories, identities, practices and frameworks affect the conduct and study of international relations.« (Peterson zit.n. Locher 2000: 344)
Mit dieser doppelten Perspektivierung wird es nun möglich, nicht nur wie bisher die ›realen‹ geschlechtspezifischen Auswirkungen internationaler Politik auf der Mikroebene individueller Frauen und Männer zu untersuchen. Feministische Analysen vornehmlich poststrukturalistischer bzw. diskurstheoretischer Provenienz konzentrieren sich vielmehr darauf, die Bedeutungszuschreibungen von männlich und weiblich kritisch zu beleuchten und »jene bislang missachteten Zusammenhänge und Funktionalitäten zwischen gender und internationaler Politik aufzuspüren« (Locher 2000: 345; siehe z.B. Mordt 2002; Peterson/Runyan 1999; Sylvester 1994; Cooke/Woollacott 1993a; Peterson 1992c; Elshtain 1987). Mit den Worten von Ruppert (2000: 48), geht es in feministisch-dekonstruktivistischen Arbeiten darum, die »Strukturierungskraft dichotomisch-hierarchischer Geschlechterannahmen« aufzudecken, wie sich beispielsweise in der gesellschaftlichen Zuordnung von Krieg und Kampf als männlich und Frieden und Friedfertigkeit als weiblich zeigt. »Eine gender-sensitive Betrachtungsweise holt daher viel weiter aus, indem sie jene Normen und Ideen, auf denen das Geschlechterverhältnis beruht, in ihr Zentrum zu rücken sucht, um sie in Zusammenhang mit den Handlungen gesellschaftlicher, politischer und internationaler Akteure zu bringen.« (Locher 2000: 345; Herv. A.N.) So ist es auch das Ziel der vorliegenden Arbeit, jene Zusammenhänge zwischen Geschlecht und internationaler Politik – in der Medialisierung – kritisch zu beleuchten bzw. die Rolle symbolischer Geschlechterrepräsentationen sowie ihre Funktion im Kriegskontext zu analysieren.
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1.2.1 Der Staat als ›männlicher Akteur‹ Im Mittelpunkt der feministischen Kritik steht das (neo-)realistische Paradigma, das nicht nur die klassischen Theorien der internationalen Politik, insbesondere Sicherheits- und Militärpolitik, sondern v.a. auch die Alltagstheorien der internationalen Politik nachhaltig und bis heute prägt. So lässt sich insbesondere infolge des 11. September eine Aktualisierung (neo-)realistischer Denkmuster in Politik(wissenschaft) und Medien beobachten. Der US-amerikanischen Politikwissenschaftlerin J. Ann Tickner zufolge, die neben Cynthia Enloe als eine der Ersten Geschlechterfragen innerhalb der IB thematisiert hat, stellen die zentralen Kategorien des Realismus – Macht, Souveränität, Autonomie, Sicherheit sowie der Anspruch auf Objektivität und Rationalität – bereits im Kern ›männliche‹ Konstrukte dar, die die historisch entstandenen Machtverhältnisse perpetuieren (Tickner 1992: 4f, 14, 42; Lemke 2008: 43). Die Verquickung von Maskulinität und einer ›realistischen‹ Politik- und Weltsicht zeigt sich z.B. darin, dass männlich konnotierte Eigenschaften auf staatliches Handeln projiziert und als überlebensnotwendig im internationalen System imaginiert werden. »Characteristics associated with ›manliness‹, such as toughness, courage, power, independence, and even physical strength, have, throughout history, been those most valued in the conduct of politics, particularly international politics. Frequently, manliness has also been associated with violence and the use of force, a type of behaviour that, when conducted in the international arena has been valorized and applauded in the name of defending one’s country.« (Tickner 1992: 6)
Staatliches Handeln ist, wie Tickner (1992) im Anschluss an Raewyn (ehemals Robert W.) Connell argumentiert, orientiert am Leitbild ›hegemonialer Männlichkeit‹ (vgl. Connell 2000), welches sich durch Stärke, Mut, Autonomie, Machtstreben, Gewaltbereitschaft, Entschlossenheit und Rationalität auszeichnet und zudem häufig militarisierte Züge aufweist. Die feministische Kritik fokussiert insbesondere das (neo-)realistische Verständnis von staatlicher Macht und Autonomie (vgl. Mordt 2001; Grant 1991; Tickner 1991; Sylvester 1992). Dieses Machtkonzept, demzufolge alles (staatliche) Handeln im internationalen System auf Machterhalt bzw. Machtzuwachs ausgerichtet ist, beruhe auf männlich konnotierten Attributen von Dominanz, Stärke, Kontrolle und Zwang (Ruppert 1998c: 33). Damit einher gehen männlich assoziierte Vorstellungen von rationalem strategischem Kalkül, Autonomie und Kampfbereitschaft, die aus realistischer Sicht den Erhalt und die Sicherheit des Staats am besten garantieren können. Dabei geht der Realismus prinzipiell davon aus, dass die internationale Politik objektiven Gesetzmäßigkeiten folgt, die sich aus der menschlichen ›Natur‹ herleiten.25 Aus einer vermeintlich überzeitlichen, kulturübergreifenden anthropologischen Konstante, der Lust über andere zu herrschen, leitet Morgenthau, der bedeutendste Vertreter des klassischen Realismus, die objektiven Gesetzte der Politik ab, die wiederum ein erfolgreicher Staatsmann beachten müsse (Mordt 2002: 64). Realistisch geprägte IB-Theorien beruhen damit auf der essentialistischen Grundannahme, dass das Handeln der Staaten durch Eigennutz 25 | So wird z.B. die Vorstellungen eines Kampfes aller gegen alle, den Thomas Hobbes als menschlichen ›Naturzustand‹ definiert hat, als Analogie für die Staatenwelt herangezogen (vgl. Finke 2006: 510f).
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und Machtstreben gekennzeichnet ist (vgl. weiterführend zum Realismus Krell 2003). Im Neoliberalismus wird das Streben nach Macht weniger als Selbstzweck staatlichen Handelns verstanden, sondern primär als Mittel zum Zweck. Oberstes Handlungsziel aller Staaten ist demnach, wie Mordt im Anschluss an Kenneth Waltz (Begründer des Neorealismus) resümiert, die Gewährleistung der eigenen Sicherheit, da alle anderen Ziele staatlichen Handelns nur unter der Voraussetzung staatlichen Überlebens realisiert werden können. Die internationale Staatenwelt wird dabei als ein System von Chaos und Anarchie konzipiert, in dem es keine regulierende oder übergeordnete Zentralmacht gibt. Innerhalb dieser Umgebung sind Staaten primär egoistisch und auf sich gestellte, primär auf die eigenen Vorteile und Interessen bedachte Akteure. In ihrem Kampf ums Überleben wird trotz Kooperationen und Bündnisse jeder andere Staat zum potentiellen Feind. Wie Rebecca Grant und Kathleen Newland (1991: 5) argumentieren, führt die Fixierung des (Neo-) Realismus auf ›Anarchie‹ und ›Konflikt‹ in der internationalen Politik zu einem Primat der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die wiederum auf übertriebenen Vorstellungen von Konkurrenz und Furcht basiert. In einer solchermaßen bedrohlichen Umwelt wird eigennütziges, aggressives Verhalten prämiert. So nehmen nicht von ungefähr militärische Sicherheitserwägungen in den IB-Theorien einen zentralen Stellenwert ein (Mordt 2001: 105). Hand in Hand geht damit die Aufwertung des in der Regel männlichen ›Kriegers‹, der bereit ist, sein Land mit der Waffe zu verteidigen – ein Männlichkeitsbild, welches nicht nur die Charakterisierung der individuellen Akteure, Soldaten ebenso wie Politikern, sondern auch das der kollektiven Akteure wie Staaten oder Staatengemeinschaften strukturiert. Internationale Politik, so die Kritik, wird konzipiert als das Geschäft autonomer »männlicher Staaten« (Tickner 1992: 41). Staatlichkeit wird dabei nicht nur mit Männlichkeit, sondern auch mit Wehrfähigkeit und Kampfbereitschaft identifiziert. So wie Männern kulturell eine höhere Gewaltsamkeit zugesprochen wird, werden auch dem Staat das Gewaltmonopol und das Recht auf militärische Außenverteidigung als Notwendigkeit zugestanden (Krause 2003: 289). Ideengeschichtlich bereits in der Hobbes’schen Vertragstheorie begründet, erhalten die Bürger für die Übertragung der Gewalt an den staatlichen Souverän Schutz, wobei »die Legitimität des Gewaltmonopols« eben auf diesem »Schutzversprechen« beruht (Harders 2004: 239). Dass dem staatlichen Schutzversprechen wiederum geschlechtspezifische Bilder und Rollenvorstellungen von männlichen Beschützern und weiblichen Schutzbedürftigen zugrunde liegen, kommt in der Rede vom »Schutz der Frauen und Kinder« deutlich zum Ausdruck – ein Topos, der für die Begründung und Rechtfertigung außenpolitischen und kriegerischen Handelns seit der Antike zentral ist (vgl. Stiehm 1982). Feministische Arbeiten wie die von Carol Pateman (1988) haben gezeigt, dass dem (fiktiven) Gesellschaftsvertrag zudem ein asymmetrischer Geschlechtervertrag vorausgeht. Mechthild Rumpf bezeichnet das staatliche Gewaltmonopol deshalb als »Mythos« (1995: 229), denn es wird eben nicht alle Gewalt auf den Souverän übertragen. Die männliche Verfügungsgewalt des ›pater familias‹ über Frau und Familie bildet vielmehr die unausgesprochene Grundlage des Staatlichen und der Sphärentrennung und die Exklusion der Frau aus der öffentlichen Sphäre ist integraler Bestandteil des ›Abkommens‹ zwischen dem modernen Nationalstaat und den (männlichen) Bürgern. Im Zuge der feministischen Debatten um die ›Maskulinität‹ des Staates geraten auch die daran gekoppelten Vorstellungen von Sicherheit in den Blick (vgl. Peterson 1992b; Tickner 1992). Kritisiert wird eine spezifisch militärische
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Definition von Sicherheit, die sich primär auf die Abwehr äußerer Gefahren konzentriert. Die Annahme, dass (allein) Staaten in der anarchischen Welt Sicherheit versprechen, greift aus feministischer Perspektive daher zu kurz, denn sie ignoriert die Gewalt innerhalb eines Staates und durch den Staat. Demgegenüber zielen feministische Sicherheitsüberlegungen auf eine Dekonstruktion des staatlichen Schutzversprechens und der damit verbundenen »Logik des männlichen Beschützers« (Young 2003; vgl. weiterführend Peterson 1992c; Hentschel 2005; Ulbert 2004). Wie aus dem Bisherigen zum Teil schon hervorgeht, vollzieht sich die Verbindung des Politischen mit Männlichkeit keineswegs nur und nicht einmal primär auf der Ebene der ›Besetzung‹ der politischen Institutionen und Apparate durch Männer, sondern auch und gerade auf der Ebene einer kulturellen und symbolischen Identifikation des Politischen und Staatlichen mit Männlichkeit. Zugleich ist zu unterstreichen, dass die politische Arena bis heute in hohem Maße ›bemannt‹ ist und Männer eine ›männliche Arbeitsgemeinschaft‹ mit spezifischen Denk- und Handlungsstrukturen etabliert haben, in der Frauen (sich) eher als ›Außenseiterinnen‹ und ›Fremde‹ vorkommen (vgl. Schöler-Macher 1994). Zur Analyse der modernen Funktionsweise von Staat und Politik hat Eva Kreisky das Theorem des »Männerbundes« unter Rückgriff auf das Konzept des männerbündischen Staates Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelt (vgl. Kreisky 1995; 1997; 2008).26 Kreisky geht dabei davon aus, dass der ›Männerbund‹ Staat seine Form bzw. Konsistenz verändert hat: Das heißt, die nicht an einzelne Personen gebundene, systemische Männlichkeit des Politischen und des Staates erwächst zu einem gewissen Grad aus diesen ›männerbündischen‹ Zusammenschlüssen. Als »Struktur- und Strukturierungsmerkmal institutionalisierter Politik« (Sauer 2001: 145) geht das der Politik eingeschriebene ›Männliche‹ aber zugleich über die konkreten ›Männerbünde‹ und die Charaktereigenschaften des einzelnen Politikers hinaus. Das Männerbündische besteht nunmehr in einem nicht an Einzelne oder Gruppen gebundenen »gemeinsamen Bezug auf hegemoniale Männlichkeit« (ebd.: 144; Herv. i.O.). Spezifische, männlich geprägte Normen, Werte, Regeln, Tugenden haben sich so zu einem Bündel an Denk- und Handlungsweisen verdichtet, und sind zum Modus politischen Handelns in der westlichen Moderne geworden. Kreisky spricht in diesem Zusammenhang auch von einer dem Staat historisch eingeschriebenen »Männlichkeit als System« oder »Maskulinismus« (1995: 215),27 wobei der Maskulinismus von Staat und Politik zumeist ›unsichtbar‹ bleibt und ›geschlechtsneutral‹ erscheint. Der Maskulinismus der Politik geht dabei mit dem Ausschluss 26 | Für eine Zusammenfassung vgl. Sauer 2001: 143ff; zur Kritik des Männerbund-Konzeptes und der Gefahr einer essentialistischen Reproduktion des Männlichen vgl. Krause 2003: 129f und Sauer 2001: 146f. 27 | Kreisky differenziert zwischen unterschiedlichen analytischen Ebenen von Männlichkeit, die sich erst in ihrer Synthese zu einer gesellschaftlichen Herrschaftsstruktur verdichten. Bei der Analyse des Männlichen ist demnach zu unterscheiden zwischen: »[A] einzelnen Männern oder Männern als soziale Gruppe, [B] sozialen und politischen Konstrukten multipler Männlichkeiten, [C] gesellschaftlichen Kreationen hegemonialer Männlichkeit, [D] Männerbündischem als struktureller Verdichtung von Männlichkeit und institutioneller Standardform von Politik, Staat, Wirtschaft und Krieg und [E] Maskulinismus als Ideologisierung übersteigerter Männlichkeitswerte, Symbolisierung des männlich-hegemonialen Geschlechts wie als männlich zentrierte Sicht gesellschaftlicher Verhältnisse« (2008: 138f).
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und/oder der Abwertung und Kontrolle des ›Weiblichen‹ bzw. allem, was mit ›Weiblichkeit‹ assoziiert werden kann, wie Emotionalität, Abhängigkeit, Irratonalität, Subjektivität etc., einher (vgl. Kreisky 1997; Ruppert 1998b). Ausschluss, Abwertung und Kontrolle von ›Weiblichkeit‹ können damit geradezu als konstitutiv für das Politische angesehen werden. Für feministische Analysen ergibt sich daraus zuvorderst das Ziel einer Sichtbarmachung (»Enttarnung«) der historisch in den Staat und das Politische eingewobenen Struktur und Idee der ›Männlichkeit‹, wie sie sich hinter abstrakt gehaltenen Fassaden politischer Idole, Ideale und Institutionen verbergen (vgl. Kreisky 1997: 163).
1.2.2 Das Geschlechterarrangement der klassischen Sicherheitspolitik Gabriele Mordt (2002) arbeitet im Anschluss an Jean Bethke Elshtain (1987) vier idealtypische Geschlechterrollen heraus, die den (neo-)realistischen IB-Theorien und dem klassischen Diskurs der Sicherheitspolitik strukturierend zugrunde liegen: kämpferischer Soldat und rationaler Staatsmann/Politiker stehen als ›männliche‹ Identitätskonstruktionen der friedfertigen Schönen Seele und patriotischen Kriegermutter auf ›weiblicher‹ Seite gegenüber.28 Anhand dieses »Geschlechterarrangement[s] der klassischen Sicherheitspolitik« macht sie deutlich, wie staatliches Handeln auf internationaler Ebene geschlechtsspezifisch organisiert und begründet bzw. die Aufgabenverteilung entlang geschlechtsspezifischer Rollen- und Identitätszuschreibungen geregelt wird. Mordts Geschlechtermodell lässt sich dabei auch für die Analyse medialer Diskurse im konkreten Kriegs- oder Konfliktfall nutzen. Wie bereits ausgeführt, ist staatliches Handeln auf internationaler Ebene aus der Perspektive des (Neo-)Realismus im Wesentlichen – gleich ob anthropologisch aus dem ›Wesen‹ des Menschen abgeleitet wie im klassischen Realismus oder strukturtheoretisch begründet wie im Neorealismus – ein Kampf um Macht. An diesen vermeintlich objektiven Gesetzen der Politik muss sich auch der erfolgreiche Politiker und Staatsmann orientieren: »In diesem Kampf erfolgreich bestehen können vor allem Staatsmänner, die der nüchternen, rationalen Interessenkalkulation fähig sind, die sich nicht durch legalistische oder moralische Argumente von dem eigentlichen Kern aller Politik, den machtpolitischen Fragen, ablenken lassen […].« (Mordt 2002: 64f). Nach Mordt zeichnet sich das (neo-)realistische Ideal des Staatsmannes – im weiteren Sinne: des effizienten Politikers – durch nüchternes Interessenkalkül, kontrollierte Machtausübung, Rationalität und Autonomie aus; moralische Erwägungen werden im Zweifelsfall den staatlichen Interessen untergeordnet. Denn um zu einer nüchternen und rationalen Interessenkalkulation fähig zu sein, darf sich der Staatsmann »von moralischen, juristischen oder emotionalen Appellen nicht einlullen lassen« (ebd.: 66). Aus (neo-)realistischer Perspektive müssen alle Entscheidungen rein zweckrational ausgerichtet sein, d.h. dem Primat der Gewährleistung der staatlichen Sicherheit bzw. des Überlebens im internationalen System dienen. Um eine erfolgreiche Außen- und Sicherheitspolitik zu garantieren, muss nach Mordt der Figur des nüchternen Staatsmannes und Politikers die des durch ein 28 | Elshtain (1987) nennt als Rollen bzw. Identitäten: »Armed civic virtue« (bewaffenente staatsbürgerliche Tugend), »Spartian Mother« (Kriegermutter), »Beautiful Soul« (Schöne Seele, im Anschluss an Hegel) und »Just Warrior« (Gerechter Krieger); für eine Zusammenfassung von Elshtains Werk vgl. auch Hedinger 2000.
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Gefühl der Hingabe motivierten Soldaten an die Seite gestellt werden, der bedingungslos bereit ist, für ›Vaterland‹ und Familie zu kämpfen und zu sterben (ebd.: 63). Während der Staatsmann/Politiker den leidenschaftslos-sachlichen Part dieser Politik repräsentiert, ist der Soldat durch Kampfkraft und leidenschaftliche Opferbereitschaft gekennzeichnet – und erscheint damit ungleich ›emotionaler‹.29 Der Soldat wird assoziiert mit Verbundenheit, Liebe zum Kämpfen und Kameradschaft. Seine Aufgabe ist die Wahl möglichst ›effizienter‹ Mittel zur Erreichung der durch den Politiker vorgegebenen Ziele (ebd.: 67). Zusammengenommen symbolisieren die beiden männlichen Figuren Politiker und Soldat die Gewährleistung einer wirkungsvollen Sicherheitspolitik. Das klassische Soldatenbild des leidenschaftlichen Kämpfers hat sich jedoch im Laufe der Zeit verändert. Elshtain entwirft die Figur des Just Warrior (Gerechter Krieger) als eine idealtypische Vorstellung des Soldaten, wie sie mit dem Diskurs des Idealismus, insbesondere der Doktrin des ›gerechten Krieges‹ (bellum iustum)30 entstanden ist und bis heute die Konstruktionen soldatischer Subjektivität prägt (vgl. Elshtain 1987). Der Just Warrior stellt ebenso wie der klassische Krieger eine spezifisch ›männliche‹ Identitätskonstruktion dar, da Kriegsführung und Waffengewalt mit Entstehung der modernen Nationalstaaten allein Männern vorbehalten waren. Mit dem Wandel des Kriegsbildes im Idealismus bzw. der aufkommenden Idee des ›gerechten Krieges‹ gehe jedoch folgende Transformation des Soldatenbildes einher: »The fighter is reborn in the image of a Just Warrior who takes up arms reluctantly and only if he must to prevent a greater wrong or to protect the innocent from certain harm. His tragic task is made necessary because the dream and hope of peace on earth has been indefinitely postponed.« (Ebd.: 127; Herv. i.O.)
Mit den klassischen Männlichkeitsbildern Soldat und Politiker korrespondieren zwei Weiblichkeitsbilder, die Mordt (2002) mit Elshtain als Schöne Seele und Kriegermutter bezeichnet. Das Bild der Schönen Seele etablierte sich im Zuge der modernen (Geschlechter-)Ordnung, nach der Frauen mit Haus und Familie identifiziert und als rein und unschuldig, kriegsfern und darum schutzbedürftig imaginiert wurden (vgl. Elshtain 1987: 140f). Die Schöne Seele steht für Genügsamkeit und Tugendhaftigkeit, Weltabgewandtheit und Zartheit, Aufopferungsbereitschaft und absolute Gewaltfreiheit (ebd.: 144). »Beautiful Souls are too good for the world yet absolutely necessary to it.« (Ebd.: 140) Elshtain stellt dabei der weiblichen Identität der Beautiful Soul die männliche Identität des Just Warrior unmittelbar gegenüber: Die 29 | Zugleich werden geschlechterübergreifende Gemeinsamkeiten deutlich: Hingabe und Opferbereitschaft gelten für die Schöne Seele ebenso wie für den Soldaten, der jedoch Opferbereitschaft mit Kampfkraft verbindet. Mordt (2002: 68) folgert daraus, dass die Konstruktionen von Geschlecht im Bereich des sicherheitspolitischen Handelns weniger entlang der Dichotomie Emotionalität/Rationalität als vielmehr entlang von Aktivität/Passivität verlaufen: Männer agieren Opferbereitschaft aktiv als Soldaten aus, während Frauen sie passiv ›erleiden‹. 30 | Die Doktrin des ›gerechten Krieges‹ versucht, Ziele, Mittel und Begründungen eines Krieges auf ethische Grundlagen zu stellen; kriegerische Mitteln sollen demnach möglichst vermieden bzw. erst dann zur Anwendung kommen, wenn alle anderen Mittel versagt haben (als äußerstes Mittel: ultima ratio).
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unschuldige Schöne Seele zu beschützen und drohende Gefahren von ihr abzuwehren, wird zur zentralen Aufgabe des Gerechten Kriegers – was auf die (funktionale) Reziprozität der beiden Identitäten verweist.31 Demgegenüber präsentiert die Kriegermutter ein alternatives, zum Teil entgegengesetztes Modell von Weiblichkeit. Wie schon bei den männlichen Figuren ergänzen sich jedoch auch die idealtypischen Vorstellungen von Weiblichkeit im Kontext der internationalen Politik zu einem ›sinnvollen Ganzen‹. Die Kriegermutter symbolisiert die zivile Patriotin, die ihre Söhne zu Soldaten erzieht und in den Krieg schickt, im Falle einer Bedrohung ihrer ›Heimat‹ alles tut, um die kämpfenden Männer zu unterstützen, und die hilft, den Patriotismus an der ›Heimatfront‹ aufrechtzuerhalten. Diese dominanten Figuren, Elshtain spricht auch von politisch-sozialen Identitäten, sind in besonderer Weise dazu angetan, politisches Handeln zu legitimieren. Wie Ellen Krause (2003: 254) ergänzt, können die kulturell verankerten Bilder wie z.B. der heldenhaft-kämpfende, die Nation verteidigende Soldat, die Schöne Seele, zu deren Schutz Kriege vermeintlich geführt werden (müssen), oder die Kriegermutter, die bereit ist, ihre Söhne im Krieg zu opfern, im Vorfeld oder Verlauf eines Krieges von »politischen Eliten« gezielt aktiviert werden, um Zustimmung zum Einsatz staatlicher bzw. militärischer Gewalt zu mobilisieren.
1.2.3 Militär und Männlichkeit Ein weiteres Themenfeld, das für diese Arbeit relevant ist, ist die spezifische Verknüpfung von Männlichkeit und der Institution des Militärs als wichtigstem Instrument des Staates zur Durchsetzung seiner Interessen. Wie der Staat beruht auch das Militär auf einem spezifischen Männlichkeitsbild, das durch Kampfbereitschaft, Siegeswille, Aggressivität und Stärke sowie Ausschluss und Abwertung alles Weiblichen gekennzeichnet ist (für eine frühe Analyse vgl. Theweleit 2000 [1977, 1978]). Zudem war das moderne Militär auch personell lange Zeit eine rein männliche Institution. So ging mit der Etablierung des bürgerlichen Nationalstaates die Einrichtung 31 | »Just Warrior« und »Beautiful Soul« sind nach Elshtain die zentralen vergeschlechtlichten Subjektpositionen bzw. Identitäten des idealistischen Diskurses, den sie deutlich vom Realismus abgrenzt (für die folgenden Ausführungen vgl. Elshtain 1987; Hedinger 2000). Für den Realismus unterscheidet Elshtain hingegen die ›männliche‹ Identität einer »armed civic virtue«, die ausschließlich Männern zugedachte staatsbürgerliche Tugend und Pflicht, für die Nation zu kämpfen und zu sterben, und die ›weibliche‹ Identität der »Spartan Mother«, der Patriotin und Kriegermutter, die ihre Söhne und Ehemänner in den Krieg schickt und ihre Söhne zu künftigen Soldaten erzieht. Elshtain plädiert insgesamt für eine Aufwertung des Idealismus, als dessen zwei Hauptströmung sie den (christlichen) Pazifismus und die Lehre des gerechten Krieges unterscheidet, kritisiert jedoch die erneute Festschreibung geschlechtlicher, dichotom verfasster Identitäten. Elshtain begreift die geschlechtlichen Identitäten als eine zentrale Ursache für die Fortdauer des Krieges, da diese zur Aufrechterhaltung der Kriegskultur beitragen, indem sie die Realitäten und Vorstellungen von Krieg und Frieden ebenso wie die vorherrschenden Begründungsmuster eines Krieges nachhaltig prägen (wie z.B. den Mythos vom Schutz der unschuldigen Frauen und Kinder). Umgekehrt könnte Elshtain zufolge ein Hinterfragen und Aufbrechen der geschlechtlichen Identitäten sowie der dazugehörigen Konzeptionen von Krieg und Frieden einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung des Krieges leisten.
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stehender Heere einher, wobei die Gewährung der vollen Bürgerrechte an das Tragen von Waffen bzw. die Pflicht zur Verteidigung des Staates gekoppelt wurde. Dies war ab dem 19. Jahrhundert mit der Einführung der Wehrpflicht nunmehr ausschließlich Männern vorbehalten, wodurch der Status von Frauen als mindergestellte Staatsbürgerinnen legitimiert werden konnte (vgl. ausführlich Seifert 1999; Klein 2001b). Wie bereits erwähnt, bildete die Kritik an der Institution Militär bereits in den frühen feministischen Debatten um Krieg und Frieden einen zentralen Aspekt. Mit der ›konstruktivistischen Wende‹ der feministischen Forschung haben sich jedoch auch in diesem Bereich die Analysen ausdifferenziert. Bezogen sich die Kontroversen vormals in erster Linie auf die Frage, ob Frauen ins Militär einbezogen werden sollten und welche Konsequenzen und Folgen dies möglicherweise hätte (für die Frauen im Militär wie für das Militär insgesamt), stehen in aktuellen Untersuchungen auch die dort vermittelten Identitäten und Ideale des Soldatischen oder die Funktion des Militärs für die Konstruktionen von Geschlecht im Vordergrund. Aktuelle Forschungsansätze befassen sich mit der Frage, wie sich die traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit vor dem Hintergrund von Globalisierung, ›Neuen Kriegen‹ und veränderten Sicherheitsdiskursen sowie neuen Zuständigkeiten und Aufgaben des Militärs und der Öffnung des Militärs für Frauen verändern (vgl. z.B. Eifler 2000; Seifert/Eifler 2003; Calließ 2003; Ahrens et al. 2005; Dittmer 2010). In fast allen Beiträgen wird konstatiert, dass die Integration von Frauen ins Militär in einer Vielzahl von Ländern auf erhebliche Widerstände stoße und neue Probleme aufwerfe. Die Soldatin stellt die traditionelle Rollen- und Gewaltenteilung in Frage, da sie sich nicht ohne Weiteres in das klassische dichotome Muster ›weibliche Friedfertigkeit‹ versus ›militärisch-kriegerische Männlichkeit‹ einordnen lässt (vgl. Schießer 2002). Der Anteil von Frauen und die von ihnen ausgeführten Tätigkeiten werden deshalb in allen Armeen mit großer Sorgfalt kontrolliert und organisiert, damit verbunden sind große Anstrengungen, eine geschlechtsspezifische Arbeits- und Aufgabenverteilung innerhalb des Militärs zu etablieren (vgl. Seifert 1999; Seifert/Eifler 2003). Die Definition des Soldaten als männlich kann z.B. gewahrt bleiben, wenn Frauen überwiegend in waffen- und tötungsfernen Bereichen eingesetzt werden, etwa in der Verwaltung, im Gesundheits-, Transport- oder Fernmeldewesen. Soldatinnen sind von genuinen Kampfeinheiten (z.B. Eliteeinheiten) und von Kampfeinsätzen mit direktem Feindkontakt und aktiver Tötungsbereitschaft nach wie vor weitgehend ausgeschlossen, obwohl in fast allen westlichen Ländern mittlerweile auch diese Kampfeinheiten formal Frauen offenstehen.
1.2.4 Identität, Nation und Geschlecht Im Verlauf der 1990er Jahre ist »Identität« zu einem zentralen Topos in den Sozialwissenschaften avanciert. Im Zuge der so genannten »Dritten Debatte« der Internationalen Beziehungen, in der sozialkonstruktivistische und poststrukturalistische Ansätze in den Kanon integriert wurden, hat Identität – vornehmlich verstanden als kollektive Identität – auch Einzug in die IB gehalten und wird dort kontrovers diskutiert (vgl. Walter Reese-Schäfer 1999a; Renwick/Krause 1996; Lapid/Kratochwil 1996; zur Systematisierung Weller 1999).32 Ausschlaggebend waren die internationalen politischen Veränderungen, die mit dem Ende des Kalten Krieges zu 32 | Zur Kritik am Identitätsbegriff vgl. Narr 1999 sowie zur Diskussion um Sinn und Unsinn desselben auch Reese-Schäfer 1999b.
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einem Wegbrechen vertrauter Ordnungskategorien und einem Überdenken alter Erklärungsmodelle führten. Das Identitätskonzept erschien in diesem Kontext trotz aller Unschärfe und Vielschichtigkeit gewinnbringend. Der Fokus der IB-Forschung richtet sich dabei primär auf Staaten als Träger von Identität sowie auf nationale Identitäten als politikwissenschaftlich präferierter Sonderfall kollektiver Identitäten (vgl. weiterführend Locher-Dodge 1999; Ulbert/Weller 2005). Ausgangspunkt der konstruktivistischen Ansätze, die sich mit »Identität« in der internationalen Politik beschäftigen, ist die Annahme, dass kollektive bzw. nationale Identitäten fortwährend in sozialen, kommunikativen und diskursiven Prozessen, wie z.B. in internationalen und außenpolitischen Diskursen, entworfen, verhandelt und (neu) konstituiert werden (vgl. stellvertretend Hülsse 2003; Weller 1999; Chilton/Lakoff 1995). Dabei werden zentrale Ergebnisse der Nationalismusforschung herangezogen: Hier war es insbesondere Benedict Anderson, der nachdrücklich den Konstruktionscharakter einer Nation betont und Nationen als »imagined communities« (1993 [1983]), also als Gemeinschaften, in denen sich Menschen mittels diskursiver, medialer Prozesse der Selbstverständigung erst zu einem vermeintlichen geschlossenen Kollektiv verbinden, definiert hatte. Träger kollektiver Identität sind in diesem Fall nicht Staaten, sondern die Individuen, die sich auf der Grundlage kulturell definierter Gemeinsamkeiten als ›natürliches‹ Kollektiv imaginieren und auf dessen Grundlage ein ›Wir-Bewusstsein‹ ausbilden, obwohl sie die meisten Angehörigen der Gemeinschaft niemals persönlich kennenlernen werden (vgl. ebd.: 15). Ein entsprechendes Repertoire an gemeinschaftlicher Symbolik, Geschichte, Traditionen und Mythen ist von daher für den Konstruktionsprozess und die Stabilisierung nationaler Identität unverzichtbar (vgl. Wodak et al. 1998; Albert 1999). Wie Albert (1999: 259f) ausführt, spielen essentialistische Vorstellungen dabei eine entscheidende Rolle: Sie unterstellen ein naturgegebenes bzw. angeborenes und damit unveränderliches Substrat von Identität, welches sich auf Referenzgrößen wie ›Rasse‹, Ethnizität, Verwandtschaft, Religion, Territorium, Kultur, Sprache etc. bezieht (ebd.: 269). Mit den kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Balkan und dem Völkermord in Ruanda, gefolgt von den Debatten um einen Formwandel des Krieges – hierzulande geführt unter dem in der Einleitung bereits behandelten Schlagwort der »Neuen Kriege« –, sind in den letzten Jahren insbesondere ›ethnische‹ Identitäten vermehrt in den Blick geraten (vgl. Wimmer et al. 2004; kritisch Gilley 2004; Schetter 2006). Faktoren wie ethnische, religiöse oder kulturelle Identität gewinnen in diesem Kontext an Erklärungskraft und werden als Hauptursachen für Kriege und innerstaatliche Konflikte angeführt. Gemäß einer solchen Perspektive stehen sich zwei oder mehrere grundlegend verschiedene, historisch persistente Identitäten unversöhnlich gegenüber, womit (gewaltförmige) Konflikte geradezu vorprogrammiert sind. Prominenter Vertreter eines solchen essentialistischen Identitätskonzepts ist Samuel P. Huntington, dessen Diktum vom »Clash of Civilisations« (1993) infolge des 11. September Hochkonjunktur erfuhr. Problematisch an solch reduktionistischen Analysen heutiger Konflikte ist, dass die politikwissenschaftliche Fixierung auf das staatliche Subjekt bloß ersetzt wird durch ähnlich fixe Entitäten, die häufig unterschwellig als ebenso natürlich, unveränderbar und stabil gedacht werden (Seifert 2004a: 11). Feministische und gendersensible Analysen fragen wiederum nach der konstitutiven Bedeutung der Kategorie Geschlecht für die Konstruktionen von Identität und Gemeinschaft im Kontext der internationalen Politik. Wie verschiedene Arbeiten zeigen, sind v.a. in Kriegskontexten sowohl die identitätsstiftenden Diskurse als
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auch die daraus resultierenden Subjektpositionen und Handlungsoptionen in hohem Maße vergeschlechtlicht. Insbesondere die Pionierarbeiten von Elshtain, Tickner und Enloe haben deutlich gemacht, dass staatliches Handeln im internationalen Raum erklärt werden kann »durch die Geschichte einer Nation, die sich in dominanten Identitäten äußert« (Krause 2003: 254). Diese Identitäten sind binär entlang der Kategorie Geschlecht strukturiert (›kämpfender Mann‹ – ›friedfertige Frau‹) und entfalten eine weitreichende normative und disziplinierende Wirkung. So dienen Bezüge auf ›friedfertige Weiblichkeit‹ und ›kriegerische Männlichkeit‹ nicht nur als Begründungszusammenhang für die Zuweisung unterschiedlicher Positionen und Rollen im Kriegskontext. Sie stellen darüber hinaus eine wichtige Legitimationsbasis für das außen- und sicherheitspolitische Handeln der Staaten sowie der individuellen Akteure dar und können im Kriegsfall oder im Vorfeld eines Krieges gezielt verstärkt und mobilisiert werden. Aktuelle, vornehmlich empirisch ausgerichtete Arbeiten aus dem Bereich der genderorientierten Friedens- und Konfliktforschung, deren Zahl in den letzten Jahren stark angewachsen ist, setzen hier an.33 Im Mittelpunkt der Untersuchungen stehen die Wechselwirkungen zwischen kollektiven und individuellen Identitätskonstruktionen, Gewaltbereitschaft und Geschlechterverhältnissen in verschiedenen Kriegs- und Konfliktszenarien (vgl. zur Systematisierung und Zusammenfassung Seifert 2003a; Harders 2005; Wisotzki 2005).34 Begreift man Identität weniger als psychologische Größe denn als diskursives und damit gesellschaftliches Konstrukt, das sich im Zusammenspiel mit institutionellen, ökonomischen und sozialen Prozessen entwickelt, können Kriege und die Bereitschaft zur kriegerischen Gewalt nicht mehr (primär) auf individual- oder sozialpsychologischer Ebene, z.B. als subjektives oder staatliches Interesse, zurückgeführt werden (vgl. Seifert 2003a). Im Anschluss an Foucault bringen Diskurse bestimmte Subjektpositionen erst hervor, die wiederum über die Identifikation mit einer Gruppe – also die Annahme bzw. Reproduktion einer kollektiven Identität – mit bestimmten Handlungsoptionen verknüpft sind. Eine entscheidende Frage bei der Analyse von Konflikten lautet deshalb: »Warum und wie formieren sich Diskurse, die Gewalt legitimieren, und warum werden sie für individuelle Akteure und Akteurinnen identitätslastig und handlungsleitend?« (Seifert 2004b: 15). Geschlechterkonstruktionen sind demnach für die Bildung kollektiver und individueller Identitäten zentral und haben einen 33 | Diese Ansätze entsprechen der oben genannten dritten Strömung bei Harders (2004). 34 | Dazu zählen Untersuchungen zu Geschlechterverhältnissen in der der zivilen und militärischen Konfliktbearbeitung wie z.B. in Friedensmissionen, Friedensverhandlungen oder Peacekeeping-Einsätzen, aber auch in der humanitären Hilfe oder der Arbeit internationaler Organisationen und NGOs (vgl. Böge/Fischer 2005; Hentschel 2005; Calließ 2004; Reimann 2000). Die vornehmlich sozialkonstruktivistisch ausgerichteten Arbeiten haben v.a. Frauen als wichtige Akteurinnen identifiziert und belegen, dass Frauen in Kriegssituationen nicht nur Opfer sind, sondern ihre Perspektiven und Erfahrungen für eine erfolgreiche Friedensarbeit unverzichtbar sind (Wisotzki 2005: 122). Arbeiten, die die Geschlechterdimensionen jeweils anhand konkreter Konflikt- und Post-Konfliktszenarien untersuchen, sind ebenfalls jener dritten Strömung zuzurechnen (vgl. z.B. Giles/Hyndman 2004; Seifert 2004a, Cockburn/Hubic 2002; Moghadam 1994). Ein weiteres zentrales Forschungsfeld stellt das Thema Gender und Militär dar (z.B. Ahrens et al. 2005; Eifler 2004a; Seifert/Eifler 2003; Calließ 2003; Dittmer 2010).
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zentralen Einfluss auf die Entstehung, den Verlauf und die Überwindung von Konflikten. Umgekehrt können sich die Geschlechterdiskurse und -verhältnisse im Verlauf von Konflikten verändern (vgl. Wisotzki 2005: 122). Poststrukturalistisch und diskursanalytisch orientierte feministische IB-Ansätze heben insbesondere auf die grundlegende Bedeutung von Sprache und Diskursen bei der Herstellung kollektiver Identitäten ab (vgl. z.B. Cooke/Woollacott 1993a; Cohn 1993; Elshtain 1987). Damit gerät zugleich eine weitere Dimension von Gender in den Blick: Geschlechterkonstruktionen sind konstitutiv für die symbolische Repräsentation von Nation und Gemeinschaft, und fließen in die Begründungsmuster staatlichen, z.B. außenpolitischen Handelns ein. So zeigt etwa Elshtain (1987) anhand der Figuren Just Warrior und Schöne Seele, wie sich staatliches Handeln im internationalen Raum anhand von spezifischen – vergeschlechtlichten – Identitäten äußert und erklären lässt (vgl. Kap. I.1.2.2). Die enge Verwobenheit von Geschlecht und nationaler Identität zeigt sich hier – wie bereits ausgeführt – in der Aufwertung des Öffentlichen und Militärischen, wodurch staatliche und internationale Politik primär als ›männliches‹ Terrain konstruiert werden (Feth 2007: 15; vgl. weiterführend zur feministischen Auseinandersetzung mit Identitätskonstruktionen in der internationalen Politik LocherDodge 1999; Hooper 1999; Peterson 1998; Krause 1996; Tickner 1996). Von Interesse sind insbesondere die kommunikativen, massenmedial vermittelten Prozesse, in denen kollektive Identität verhandelt und hergestellt wird. Wenn man versteht, wie die für einen Krieg notwendige Kollektivbildung vonstatten geht, wird zugleich deutlich, wie ganze Gesellschaften für Kriege mobilisiert werden können (Seifert 2003a: 6; vgl. auch Wasmuht 2002). Eine genderbewusste Perspektive erweist sich in diesem Zusammenhang als besonders ergiebig, da Bezüge auf gesellschaftlich verankerte Geschlechterrollen und -bilder für nationalistische und propagandistische Zwecke sowie die Rechtfertigung kriegerischer Gewalt funktionalisiert werden können. Wie schon Anderson (1993: 16) betont hat, ist für die soziale Konstruktion nationaler Identität die Grenzziehung zwischen Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit zentral. Damit verbunden ist immer auch – und hierin liegt gerade das Machtvolle dieses Prozesses – die Aufwertung des Eigenen und die Abwertung des vermeintlich Anderen. Besonders in Kriegskontexten kommt der Konstruktion kollektiver Identitäten eine gesteigerte Bedeutung zu, denn Kriege und gewaltförmige Konflikte sind in hohem Maße kollektive Unternehmungen (Seifert 2001: 34; Engels/Chojnacki 2007: 4). Die Unterscheidung zwischen »Wir« und den »Anderen« konstituiert, so Seifert, »in allen kriegerischen Auseinandersetzungen die jeweiligen kollektiven Identitäten bzw. Gemeinschaften und [ist] auch in individualisierten Gesellschaften und modernen oder post-modernen Kriegsszenarien unverzichtbar« (Seifert 2001: 34). Während in Friedenszeiten die Heterogenität der Bevölkerung oftmals positiv herausgestellt wird, kommt es in Kriegszeiten zu einer verstärkten Betonung von Homogenität und Einheit nach innen bei gleichzeitiger Abschottung nach außen (vgl. Seifert 2003a: 6). Dieser Gedanke legt nahe, dass kollektive Identitäten nicht unbedingt die Ursache für kriegerische Konflikte sind, sondern vielfach erst im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen mobilisiert und vormals durchlässige Grenzen verdichtet werden.35 Solche Vereinheitlichungstendenzen lassen sich auch nach dem 35 | So weisen z.B. Bettina Engels und Sven Chojnacki (2007: 2) darauf hin, dass in Ruanda, v.a. in den ländlichen Gebieten, viele Menschen vor Beginn des Konfliktes gar nicht wussten, ob sie Hutu oder Tutsi ›sind‹.
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11. September beobachten. So wurden die westlichen Medien nicht müde, ein möglichst widerspruchsfreies Bild des Westens zu entwerfen, welches auf von allen geteilten Wertvorstellungen wie Freiheit und Demokratie beruhte, während der Islam ebenso universalisierend als rückschrittlich und barbarisch gezeichnet wurde.
Nation-als-Frau und Frau-als-Nation Wie feministische Arbeiten deutlich gemacht haben, sind Geschlechterverhältnisse und -bilder zutiefst in die Konstruktion sozialer Gemeinschaften eingewoben und haben eine zentrale Bedeutung für die »Formierung und Markierung kollektiver Identitäten« (Kreile 2002: 37; vgl. weiterführend Seifert 2001; Yuval-Davis 2001; Locher-Dodge 1999; Cockburn 1998; Krause 1996; Tickner 1996). Die Rhetorik des Nationalismus ist von sexualisierenden und geschlechtlichen Metaphern durchzogen. So wird das ›Heimatland‹ häufig mit Treue, Liebe und Hingabe assoziiert und als weiblicher Körper ver(sinn)bildlicht. Traditionelle Vorstellungen von der Frau als selbstloser und fürsorglicher Mutter, zu der sich der Sohn in Liebe verbunden fühlt und zu deren Verteidigung er allzeit bereit ist, werden auf die Nation übertragen: »The association of women with the private domain reinforces the merging of the nation/ community with the selfless mother/devoting wife; the obvious response of coming to her defence and even dying for her is automatically triggered.« (Kandiyoti 1991: 434) 36
Frauen wird dabei ein besonderer symbolischer Status zuteil, der ihre »Bedeutung für die Reproduktion der Gemeinschaft betont und sie in der nationalistischen Propaganda zu Garantinnen des Überlebens der Nation macht« (Locher-Dodge 1999: 274). Frauen gelten demnach nicht nur als Mutter der Nation, sondern gleichfalls als ›Aufbewahrungsort‹ der Gruppenidentität bzw. Hüterinnen kultureller Werte und Traditionen und als Verantwortliche für die ›Reinheit‹ des ›Volkskörpers‹. Der individuelle und der Gemeinschaftskörper sind dabei eng aufeinander bezogen, denn der weibliche Körper symbolisiert zugleich den moralischen Zustand der Nation und wird dementsprechend kontrolliert und diszipliniert, z.B. durch Hygienevorschriften, Heirats- und Verwandtschaftsbestimmungen oder eine rigide Sexualmoral (vgl. Dietrich 2007: 75ff).37 »The regulation of gender is central to the articulation of cultural identity and difference«, so Kandiyoti (1991: 440). Zugleich weist der regulierende Zugriff auf den weiblichen Körper Frauen einen Objektstatus und damit eine untergeordnete gesellschaftliche Position zu, die ihnen ein Handeln als Subjekte erschwert (Yuval-Davis 2001: 81). Geschlechterverhältnisse und die damit verbundenen Rollenzuschreibungen sind darüber hinaus ein wesentlicher Bestandteil der Gründungserzählungen, Erinnerungen, Normen und Werte, durch die sich soziale Kollektive narrativieren und 36 | Ähnlich sagt Wenk über künstlerische Darstellungen der Nationalgeschichte: »Männer werden als Handelnde ins Bild gesetzt, Bilder von Frauen repräsentieren eher das, wofür die Männer zu kämpfen und auch notfalls zu sterben haben, den Sieg, die Freiheit oder die Nation« (Wenk 1999: 37; vgl. für weitere Beispiele Wenk 2005a). 37 | Auch männliche Körper spielen in der Symbolisierung der Nation als ›Volkskörper‹ bzw. Gemeinschaftskörper eine wichtige Rolle. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelt sich der gesunde, trainierte und sportliche männliche Körper zur Metapher für die Stärke und Ganzheit der nationalen Gemeinschaft (Dietrich 2007: 76).
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konstituieren. Es sind insbesondere Vorstellungen von Weiblichkeit und der Rolle der Frau in der Gesellschaft, die in diesem Zusammenhang signifikant werden (vgl. Seifert 2001; Kreile 2002; Locher-Dodge 1999). So hat beispielsweise jede Nation ihre Opferdiskurse, in denen die Gruppenidentität als gemeinsamer Leidensweg oder kollektives Trauma, insbesondere infolge von Kriegserfahrungen, imaginiert wird. In diesen viktimisierenden Erinnerungsdiskursen spielen geschlechtsbezogene Bilder, Symboliken oder Narrationen eine tragende Rolle (vgl. Eschebach et al. 2002; Wenk 2002; Dietrich/Nachtigall 2009; Jalušić 2004).38 Darüber hinaus sind, wie gezeigt, die kulturellen Vorstellungen von legitimer im Gegensatz zu illegitimer Gewaltanwendung unauflöslich mit Vorstellungen von Geschlecht verwoben. So ist der heroische Kämpfer und Beschützer, der die feminisierte und viktimisierte Nation vor Schaden bewahrt, eindeutig männlich konnotiert und prägt ebenso die Erinnerungen an vergangene Kriege (Engels/Chojnacki 2007: 6; vgl. Noakes 1998; Jeffords 1989). Weibliche Täterinnen oder auch Männer als Opfer von sexualisierter und kriegerischer Gewalt fallen hingegen oftmals dem kollektiven Vergessen anheim, da sie den vorherrschenden Identitätskonstruktionen widersprechen (vgl. Elshtain 1987; Kretzer 2002). In ihrer Untersuchung über das »neue große Spiel um Afghanistan« beschreibt die Politikwissenschaftlerin Renate Kreile im Anschluss an Anderson die Bedeutung von Gender wie folgt: »Die imaginierten nationalen, ethnischen, religiösen und kulturellen Gemeinschaften begreifen das Verhältnis der Geschlechter als konstitutives Element der jeweiligen inneren Ordnung, das im kollektiven Bewusstsein die spezifische Identität der eigenen Gemeinschaft ausmacht und diese gegenüber ›den anderen abgrenzt‹.« (Kreile 2002: 38)
Die kollektive Selbstdefinition einer Gruppe beinhaltet insbesondere »eine Klärung der Platz- und Rollenanweisung für Frauen« (ebd.), die u.a. mit Werte- und Moralkodizes sowie Kleiderordnungen eng verknüpft sind. Darüber hinaus werden Frauen und insbesondere der weibliche Körper selbst zu »Differenzmarkern«, zu Symbolen, die die Grenzen zwischen self und other markieren (Locher-Dodge 1999: 275). Dieser Zusammenhang wird besonders in Zeiten von Krieg und Konflikten relevant: »Wenn politische Gruppen miteinander in Konflikt treten, wird Gender/Weiblichkeit regelmäßig politisiert und in Beziehung zur politischen Identität der Gruppe gesetzt.« (Seifert 2001: 35) Dies tritt auch in den medialen Diskursen nach dem 11. September deutlich zutage. Es sind v.a. bestimmte Frauenbilder, die einander als Symbol für die jeweilige Gesellschaftsordnung gegenübergestellt werden: So wird ›der Westen‹ in der deutschen Berichterstattung oftmals durch die (sexuell) emanzipierte Frau verkörpert, ›der Islam‹ hingegen durch die verschleierte, ergo (sexuell) unterdrückte Frau. Die symbolische Verknüpfung des weiblichen Körpers mit Nation und Gemeinschaft hat insbesondere für die Gewalthandlungen im Kriegskontext gravierende Folgen: Sexualisierte Übergriffe auf die Frauen einer Gemeinschaft, Kultur oder Nation stellen demnach nicht nur einen Angriff auf die konkrete Person dar, sondern gelten zugleich als symbolische Vergewaltigung des Volkskörpers und ›Entehrung‹ 38 | Nationale Opferdiskurse wurden insbesondere im Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg untersucht. Geschlechterbilder können in diesem Zusammenhang eine entlastende Funktion der Schuldabwehr erfüllen.
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bzw. ›Entmannung‹ der Männer, die den Schutz ›ihrer‹ Frauen nicht gewährleisten konnten (Seifert 2001: 35; Peterson 1998: 44; weiterführend Seifert 1993 und 2003b; Zipfel 2001).39 Kriegsvergewaltigungen müssen deshalb, so die zentrale Forderung feministischer Arbeiten, als strategische Waffe und systematisches Mittel der Kriegsführung begriffen werden. Wie Seifert betont, ist sexualisierte Gewalt in Kriegen stets auch ein Mittel der »symbolischen Kommunikation zwischen kämpfenden Gruppen […], mit dem Macht- und Identitätsunterschiede zwischen Kollektiven definiert und kommuniziert werden« (2001: 35). Dies setzt sich häufig auch in den öffentlichen und medialen Repräsentationen von Kriegsvergewaltigungen fort, in denen das individuelle Leid oftmals zugunsten einer nationalistischen Berichterstattung in den Hintergrund rückt.40 Dass Frauen insbesondere in Kriegen oftmals nur in der Rolle des wehrlosen und hilfsbedürftigen Opfers wahrgenommen werden, zeigt sich auch darin, dass sie beständig zusammen mit Kindern genannt oder abgebildet werden. Frauen und Kinder verschmelzen dann zu einem feminisierten und infantilisierten Kollektivsubjekt, einem Symbol für unschuldiges Leiden. Cynthia Enloe hat für dieses kriegstypische Darstellungsmuster die Wendung »womenandchildren« (1990) geprägt, jedoch nicht um den Verweis auf Frauen und Kinder als Kriegsopfer per se zu kritisieren. Vielmehr geht es ihr darum, auf die Funktionalität der vergeschlechtlichten Figuration ›FrauenundKinder‹ hinzuweisen – eine Figuration, die auch in der Berichterstattung zum Afghanistankrieg durchgängig verwendet wurde (vgl. Kap. IV.6). Resümierend ist festzuhalten, dass die Integration in das nationalistische Projekt der Moderne bei Frauen und Männer höchst unterschiedlich verläuft: Während sich männliche Teilhabe in staatsbürgerlichen Rechten und Handlungsfähigkeit manifestiert, kommt Frauen im nationalistischen Diskurs primär eine symbolische Funktion zu. »Thus, the motherland is female but the state and its citizen-warriors are male. […] Excluded intentionally from the public domain, women are not agents in their own right but instruments for the realization of male-defined agendas.« (Peterson 1998: 44)
In den Metaphorisierungen der »nation-as-woman« und »woman-as-nation« (ebd.) werden Nation und Weiblichkeit gleichermaßen als verletzlich, verwundbar und schwach konzeptualisiert. Diese prinzipielle Verletzungsoffenheit geht mit der Konstruktion einer allgegenwärtigen Bedrohung einher. Berichte über Vergewaltigungen der (eigenen) Frauen durch den Feind stellen ein wirkmächtiges Thema in den Erzählungen fast aller vergangenen Kriege dar und prägen in nachhaltiger 39 | Für eine der ersten feministischen Analysen vgl. Susan Brownmiller (1975), die den Körper der vergewaltigten Frau als »ceremonial batttlefield« (ebd.: 35) beschreibt: »The act that is played out upon her is a massage passed between men – vivid proof of victory for one and loss and defeat for the other« (ebd.). 40 | Die feministische Forschung hat sich der Instrumentalisierbarkeit von ›Frauen als Vergewaltigungsopfern‹ bereits ausgiebig gewidmet, für eine kritische Perspektive vgl. etwa Kappeler et al. 1993. Die Berichte über Vergewaltigungen, die primär einer bestimmen ethnisch-nationalen Gruppen, den Serben, zugerechnet wurden, dienten in erster Linie zur Dämonisierung des Feindes (vgl. für weitere Analysen der Berichterstattung über Kriegsvergewaltigungen im ehemaligen Jugoslawien auch Stanley/Feth 2007 und Klaus/Kassel 2003).
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Weise die kollektiven Erinnerungen an diese (vgl. Seifert 2003b; Krause 1996). Insbesondere die Figur des ›Feinds-als-Vergewaltiger‹ bildet ein altbekanntes und bewährtes Motiv der nationalistischen Propaganda, das auch in gegenwärtigen Konflikten häufig aufgegriffen wird (vgl. Stanley/Feth 2007; Wenk 2005a). Damit rücken die Geschlechterverhältnisse hinsichtlich ihrer Funktionalität für das politische Handeln in den Blick: »Der nationalistische Diskurs zielt darauf ab, eine dominante, hyperaktive Männlichkeit und eine domestizierte, passive und verwundbare Weiblichkeit ins Leben zu rufen. In Bezug auf das Gender-Regime sind sich Nationalismus und Militarismus ziemlich ähnlich.« (Cockburn/Hubic 2002: 215) Im Gegensatz zur weiblichen Verletzungsoffenheit wird das Männliche mit Verletzungsmacht, Stärke und Beschützertum verknüpft (vgl. Eifler 1999).
Vergeschlechtlichung des feindlichen ›Anderen‹ Die Verknüpfung von Nation und Gender wirkt nicht nur nach innen, sondern hat auch eine nach außen gerichtete Funktion. Sie ist stets verbunden mit Konstruktionen des »foreign other«, wie Locher-Dodge betont (1999: 275). Das heißt, die Konstruktion des ›Eigenen‹ als positiv und überlegen beruht auf der Ausgrenzung und Abwertung des ›Anderen‹. Laut Tickner stellt das »engendering of the external other« (1996: 157) eine wichtige Legitimierungsstrategie des westlichen Imperialismus dar. Neben der Kontrastierung einer vermeintlich »sicheren innerstaatlichen Sphäre« mit einem »gefährlichen internationalen Außen« (ebd.: 156) dient diese Strategie bereits seit den frühmodernen europäischen Expansionsbestrebungen dazu, eine Politik der Kolonialisierung und Eroberung mit dem Argument zu rechtfertigen, die unzivilisierten ›Anderen‹ bräuchten unseren Schutz (ebd.: 157; vgl. Pettman 1996: 25ff). Dabei werden nicht nur die ›Anarchie‹ oder der ›Naturzustand‹ des internationalen Systems – durch Zuschreibungen von naturhaft, chaotisch und ungezähmt – weiblich konnotiert, sondern auch die ›fremden Völker‹. Die Zuschreibungen weiblich konnotierter Eigenschaften, die ich im Folgenden ›symbolische Feminisierung‹ nenne, dient dabei nicht nur der Abwertung des ›Anderen‹, sondern auch der Aufwertung (und Maskulinisierung) des ›Eigenen‹ sowie der Legitimierung der damit verbundenen Handlungsoptionen. Untersuchungen der Feindbildkonstruktionen in gegenwärtigen Kriegsszenarien zeigen, dass die Figur des Feindes häufig zum Zwecke der Abwertung weiblich assoziiert wird, wie z.B. Saddam Hussein im Zweiten Golfkrieg (1990/91) als irrational und unberechenbar (vgl. Gerhard/Link 1992, Link 1991b; Niva 1998). Insbesondere im militärischen Kontext dient die symbolische Verweiblichung der Unterwerfung und Infragestellung militärischer Männlichkeit.41 Die ›Angst vor Ver41 | Generell sind strenge Disziplin, Drill, die Kontrolle von Emotionen, Gehorsam und die Unterwerfung des Rekruten unter die Truppenhierarchie zentrale Bestandteile der militärischen Ausbildung (vgl. Bröckling 1997; Euskirchen 2005). Der Soldat soll zum Teil einer Truppe werden, dessen individuelle Identität kaum noch von Bedeutung ist und dem Kollektiv untergeordnet wird – der Rekrut wird damit paradoxerweise in einen weiblich konnotierten Objektstatus versetzt (vgl. Scholz 2005). Dabei kommt es insbesondere zu Beginn der Ausbildung zu einer symbolischen ›Entmännlichung‹ bzw. ›Verweiblichung‹ des Rekruten: Einschüchterung, Demütigung und Unterordnung werden häufig ganz zentral über sexistische Äußerungen oder Handlungen erreicht, indem Männer aufgrund ihrer Sexualität oder vermeintlichen Un-Männlichkeit verspottet werden. Die ›Verweiblichung‹ des Soldaten wird
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weiblichung‹ stellt geradezu einen zentralen Motor des Militärischen dar (vgl. Albrecht-Heide 1997; Theweleit 2000).42 In Zeiten von Krieg und Konflikt kann insbesondere die Konstruktion des Feindes als ›barbarischem Frauenfeind‹ und ›Vergewaltiger‹ eine wichtige Appellfunktion einnehmen und moralischen Handlungsdruck erzeugen. Wie Wenk (2005a) anhand zahlreicher Bildbeispiele wie Karikaturen, Postkarten und Plakaten aus dem Deutsch-Französischen Krieg sowie dem Ersten und Zweiten Weltkrieg zeigt, wird die Figur des Feindes als potentiellem Vergewaltiger und Mörder von ›FrauenundKindern‹ spätestens seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts von allen Konfliktparteien zu Propagandazwecken skandalisiert. Wie Ruth Stanley und Anja Feth anhand einer vergleichenden Analyse der Repräsentationen von Gewalttaten gegenüber Frauen im Ersten Weltkrieg, dem Krieg in Bosnien-Herzegowina und dem Afghanistankrieg herausarbeiten, bildet die »diskursive Externalisierung von sexualisierter und Gender-Gewalt gegen Frauen« (2007: 138) eine der zentralen Konstanten in den Diskursen um das ›Eigene‹ und das ›Fremde‹. Das heißt, die Verletzung von Frauenrechten wird primär als illegitime Aktion des Feindes wahrgenommen, wodurch im Kriegskontext nicht nur seine moralische Unterlegenheit gegenüber der eigenen Nation behauptet, sondern auch ein militärisches Eingreifen zum ›Schutz der Frauen‹ legitimiert werden kann (Stanley/Feth 2007: 138; auch Tickner 1996: 157). Zu Recht weisen Stanley und Feth darauf hin, dass es dabei nicht darum gehe, »dass diese Gewalt thematisiert wird, sondern wie sie gerahmt wird« (2007: 138), so dass sie für die Rechtfertigung eines Kriegseinsatzes instrumentalisiert werden kann. Ein weiteres Beispiel bringen Marysia Zalewski und Cynthia Enloe (1995: 292f) für den Zweiten Golfkrieg unter Bezugnahme auf eine Untersuchung von Abouali Farmanfarmaian. So sei die Zustimmung und öffentliche Unterstützung des Golfkrieges durch die US-amerikanische Bevölkerung maßgeblich auf moralischer Ebene erreicht worden. Neben einer Darstellung des Iraks als ›Vergewaltiger der kuwaitschen Souveränität‹ standen hauptsächlich Berichte über (sexualisierte) Gräueltaten, Vergewaltigungen und Folter durch die Iraker im Fokus der Medien. Bekannt geworden ist in diesem Zusammenhang auch in Deutschland die so genannte ›Brutkastenstory‹, die zwar schnell als durch die USA lancierte Propagandalüge entlarvt wurde, jedoch dessen ungeachtet kaum an Wirkmächtigkeit eingebüßt hat. Dieser Geschichte zufolge nahmen irakische Soldaten in einem Krankenhaus in Kuwait über 300 Babys aus ihren Brutkästen, um sie dann auf dem Fußboden qualvoll sterben zu lassen (vgl. dazu Claßen 2004: 312). Letztendlich, so das Resümee, sei der Krieg vielmehr gegen ein bestimmtes Bild des Iraks – in diesem Falle das des noch dadurch verstärkt, dass er verstärkt weiblich kodierte Tätigkeiten wie Putzen, Aufräumen und Bettenmachen verrichten muss (Scholz 2005: 178). Im Laufe der Ausbildung ›gewinnt‹ der Rekrut an Männlichkeit, indem er lernt, die militärischen Aufgaben zu bewältigen – und sich durch Straffheit und Härte von allem ›Weiblichen‹ zu distanzieren und abzugrenzen. Die ›Angst vor der Verweiblichung‹ bleibt damit als zentraler Motor der soldatischen ›Mannwerdung‹ erhalten, da Weiblichkeit im Militärkontext mit Unfähigkeit und Versagen gleichgesetzt wird (vgl. Albrecht-Heide 1997). 42 | Zum Zusammenhang von Feindbildkonstruktion und Geschlecht bzw. der Strategie der Verweiblichung vgl. ebenso Barrett 1999; Hämmerle 2000; Kühne 2005; Cohn/Enloe 2003; Goldstein 2001.
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›barbarischen Mörders von Frauen und Kindern‹ – geführt worden als gegen den Irak selbst (Zalewski/Enloe 1995: 293). Statt um eine symbolische Feminisierung des ›Anderen‹ handelt es sich bei der Stilisierung des Feindes zum barbarischem Gewalttäter, der insbesondere ›schutzlose‹ Frauen (›FrauenundKinder‹) verletzt, vergewaltigt und tötet, um eine Form der symbolischen Hypermaskulinisierung, mit dem Dämonisierung und Abwertung des Feindes begründet werden. Wie aus der Forschung zu Feindbildkonstruktionen bekannt ist, schließen sich Strategien der Feminisierung und Hypermaskulinisierung trotz ihrer Gegensätzlichkeit keineswegs aus, sondern können auch gemeinsam auftreten bzw. einander ergänzen. So changierten die medialen Konstruktionen der Figur Saddam Hussein als Hauptfeind des Westens im Zweiten Golfkrieg zwischen Zuschreibungen weiblich konnotierter Irrationalität und männlich konnotierter (sexualisierter) Gewaltsamkeit (vgl. Gerhard/Link 1992; Link 1991b).
1.2.5 Orientalismus und Kritischer Okzidentalismus als Er weiterung feministisch-politikwissenschaftlicher Perspektiven Der anti-muslimische Diskurs nach dem 11. September greift zudem auf fest verankerte kolonialistische Stereotype über ›den Orient‹ zurück. Edward Said (1981 [1978]) hat die westlichen Phantasmen über den kolonialen Orient im Anschluss an Foucaults diskurstheoretische Überlegungen bekanntermaßen mit dem Konzept Orientalismus umrissen und damit den ›Orient‹ als eurozentrische Erfindung und Projektionsfläche des ›Okzidents‹ analysierbar gemacht.43 Orientalismus als relationale Denkweise beruhe auf der zentralen Prämisse »einer ontologischen und epistemologischen Unterscheidung […] zwischen ›dem Orient‹ und ›dem Okzident‹« (ebd.: 9), wobei der Orient als das negative Gegenbild des Okzidents entworfen und diesem untergeordnet wird. In den Blick geraten damit nicht nur die Prozesse des Othering, also die different-machenden und hierarchisierenden Beschreibungen des ›Anderen‹, sondern ebenso die Funktionen dieser Prozesse für die ›Absender_innen‹ und ›Konstrukteur_innen‹ dieses Wissens. Die okzidentalen Repräsentationen des Orients dienen primär der Schaffung und Vergewisserung einer europäischabendländischen Identität bei gleichzeitiger Absicherung kolonialer und imperialer Überlegenheit. Wie Said herausgearbeitet hat, wurden die orientalistischen Diskurse v.a. zum Auf- und Ausbau der europäischen Kolonialherrschaft instrumentalisiert und dienten insbesondere der Legitimierung von Gewalt gegenüber der kolonialisierten Bevölkerung (vgl. Castro Varela/Dhawan 2005: 29ff). Während dem Westen Weiterentwicklung und Geschichte zugeschrieben werden, die ihn als dynamisch und erwachsen ausweisen, wird der Orient aus westlicher Sicht als ein absolut statisches, monolithisches und zeitloses, zu Wandel und Fortschritt unfähiges Gebilde wahrgenommen, welches damit zugleich einen deutlichen Gegenpol zu westlicher Aufklärung, Humanisierung, Individualisierung und Modernität bildet (vgl. ebd.: 35f). Diese kolonialistischen Wahrnehmungsweisen kumulieren schließlich in der Vorstellung des Orients als unmündig, unterwürfig und stumm, zudem primitiv und barbarisch, angewiesen auf ›zivilisatorische‹ Einmischung und Hilfestellung durch den Westen.
43 | Für eine ausführliche Zusammenfassung und Kritik vgl. z.B. Castro Varela/Dhawan 2005 und 2007.
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Wenngleich Said selbst die Gender-Dimension außen vor lässt, sind die geschlechtlichen Konnotationen, welche die binären Konstruktionen von ›Orient‹ und ›Okzident‹ strukturieren und entsprechend der zweigeschlechtlich-heteronormativen Logik die (symbolische) Unterordnung eines feminisierten Orients unter einen maskulinisierten Okzident organisieren, unverkennbar. Wie insbesondere Arbeiten aus dem Bereich der feministischen postkolonialen Theorie gezeigt haben, sind die dichotomen Repräsentationen von Orient und Okzident eingebettet in ein geschlechtliches Stereotypenregime, »bei dem der Orient als feminin, irrrational und primitiv im Gegensatz zum maskulinen, rationalen und fortschrittlichen Westen entworfen wird« (ebd.: 33). Said unterscheidet dabei zwischen einem ›guten Orient‹, der exotisiert und durch erotische und märchenhafte Bilder von Tausendundeiner Nacht, Bauchtanz und fernöstlichen Gewürzen symbolisiert wird, und einem ›bösen Orient‹, der als bedrohlich und unberechenbar stigmatisiert wird und im Bild des gewalttätigen Paschas und despotischen Orientalen, dem man niemals trauen kann, mündet (vgl. Castro Varela/Dhawan 2007: 33). So wurde der Orient im frühen 19. Jahrhundert primär als Ort verbotener und ausschweifender sexueller Praktiken imaginiert, als exotisch-fremder Ort der Lust, wo Frauen die Rolle der unterwürfigen und willigen Gespielin und Männern die des wollüstigen und zugleich feminisierten Haremsvorstehers zukam (vgl. Lewis 1995; Pinn/Wehner 1995; Yegenoglu 1998). Die europäischen Phantasmen über die triebhaften ›Orientalen‹ hatten dabei primär die Funktion, selbstbeherrschte okzidentale Männlichkeit und züchtige abendländische Weiblichkeit herzustellen (Dietze 2006a: 232). Zugleich wurde, wie María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan (2005: 44) ergänzen, die koloniale Beziehung selbst als heterosexuelle gedacht, in der der Orient als Frau attribuiert wurde, die vom männlichen Westen beherrscht und ›penetriert‹ wird. Als kritische Ergänzung und Weiterentwicklung des Orientalismusbegriffs hat sich in den letzten Jahren das Konzept des Kritischen Okzidentalismus etabliert, verstanden als ein hegemonie(selbst)kritischer Ansatz, der die Perspektive umkehrt und die Konstruktionen des ›Eigenen‹ als Voraussetzung und stille Norm stärker in den Blick nimmt (vgl. Dietze 2006a und 2009, Brunner et al. 2009).44 So kritisiert Fernando Coronil (2002), auf dessen Konzeptionalisierung von Okzidentalismus die meisten gegenwärtigen Ansätze gründen, dass Orientalismus nur die ›Orientalen‹ benenne, nicht aber die ›Orientalisierer_innen‹ (vgl. Dietze 2006a: 232f). Er plädiert deshalb für eine Umkehrung der Blickrichtung: »Ich möchte […] westliche Repräsentationen von ›Andersheit‹ in Beziehung zu den impliziten Konstruktionen des ›Selbst‹ setzen, durch die sie gestützt werden. Dieses Vorgehen führt dazu, dass wir unsere Aufmerksamkeit verschieben und uns von der Problematik des ›Orientalismus‹, die sich auf die Mängel der vom Westen geschaffenen Repräsentation des Orients 44 | Okzidentalismus, wie er hier konzeptionalisiert wird, ist eng an die Perspektive der Critical Whiteness Studies angelehnt (vgl. Dietze 2006a) und lenkt den Blick auf die zumeist de-thematisierten, stillschweigend mitlaufenden Konstruktionen des Eigenen. Um der hegemonie(selbst)kritischen Perspektive, deren Ziel die Denaturalisierung und Dekonstruktion der bipolaren Differenz zwischen Orient und Okzident und der daraus abgeleiteten Überlegenheits- und Herrschaftsansprüche ist, Rechnung zu tragen, ist deshalb auch von »Kritischem Okzidentalismus« (Dietze 2006a) bzw. »Okzidentalismuskritik« (Dietze 2009) die Rede.
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « konzentrieren, abwenden; statt dessen sollten wir uns der Problematik des ›Okzidentalismus‹ zuwenden, die sich auf jene Konzeptionen des Westens bezieht, die diesen Repräsentationen zugrunde liegen.« (Coronil 2002: 184)
Orientalismus und Okzidentalismus stehen in einem permanenten Wechselbezug zueinander, denn die Aufrechterhaltung des eurozentrischen Dominanz- und Herrschaftsanspruchs stützt sich wesentlich auf eine fortlaufende Gegensatzbildung und Abwertung des orientalisierten ›Anderen‹. Sowohl in den Kolonial- als auch den aktuellen Diskursen – so etwa nach dem 11. September – kommt der Kategorie Geschlecht in den hierarchisierenden Grenzziehungsprozessen zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹ eine zentrale Rolle zu. »Geschlechterverhältnisse dienen als Katalysator, um die angenommene Differenz zwischen Angehörigen der so genannten islamischen und denjenigen der so genannten westlichen Kultur herzustellen und festzuschreiben« (Marx 2009: 102; vgl. Lutz/ Huth-Hildebrandt 1998). Im Vordergrund steht das orientalistische Deutungsmuster eines ›frauenfeindlichen Islams‹, verbunden mit den geschlechterstereotypen Bildern von der Muslimin als ›Opfer des islamischen Patriarchats‹ auf der einen Seite und dem muslimischen Mann als ›sexistischem Unterdrücker‹ und ›Patriarchen‹ auf der anderen (vgl. Pinn/Wehner 1995). Dieses Deutungsmuster und die damit verbundenen Zuschreibungen haben eine lange (kolonialistische) Tradition und wurden bereits ausgiebig, insbesondere hinsichtlich ihrer medialen Zirkulationsformen, erforscht – wobei sich die meisten Untersuchungen auf das Bild der islamischen Frau konzentrieren (vgl. z.B. Röben/Wilß 1996; Pinn/Wehner 1995; Rommelspacher 2002; Attia 2007a; Farrokhzad 2006). Saids Orientalismus-Konzept ist längst zu einem über das konkrete Thema und die historische und geografische Spezifik des Kolonialismus hinausweisenden generalisierten Konzept der Kritik geworden, das auch für politikwissenschaftliche Untersuchungen wie diese gewinnbringend ist. Mit ihr lassen sich rassistische und neo-rassistische Konstruktionen von ›Andersheit‹ ebenso wie Fragen nach deren Funktionen für die Produzent_innen der rassisierenden und orientalisierenden Diskurse analysieren. Berücksichtigt man zudem die Erweiterung der Perspektive, wie sie durch das Konzept des Kritischen Okzidentalismus erfolgt ist, lassen sich diese Diskurse mit Dietze (2006a; 2009) als Suchbewegungen und Artikulationsversuche einer westlichen sowie spezifisch europäisch-deutschen Identität bestimmen, deren zentrales Ziel die (Neu-)Bestimmung von ›Abendländischkeit‹ ist.
2. M EDIEN ALS ›T ECHNOLOGIE ‹ VON K RIEG UND G ESCHLECHT Feministische Ansätze haben die verschiedenen Dimensionen der Verschränkung von Gender, internationaler Politik und Krieg beleuchtet und die Funktionalität binärer Geschlechterstereotype für die Begründung politischen Handelns hinreichend belegt. Dabei blieb die Medialisierung dieses Verhältnisses jedoch meist unberücksichtigt, was in Anbetracht der Tatsache, dass sich gesellschaftliche Wirklichkeit heute zunehmend medial vermittelt darstellt, eine auffällige Forschungslücke darstellt. Bei der Frage, wie sich der Zusammenhang von Krieg und Geschlecht in den Medien darstellt, ist zunächst die besondere Rolle von Medien in Kriegskontexten zu berücksichtigen. Wenn Demokratien Kriege führen, ist nicht nur eine parlamenta-
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rische, sondern auch eine gesellschaftliche Zustimmung erforderlich (Kassel 2005: 35). Kriege erfordern eine starke Identifikation mit der eigenen (nationalen, kulturellen, wertebezogenen) Gemeinschaft, die v.a. symbolisch (re-)produziert werden muss und auf eine überzeugende Konstruktion des ›Eigenen‹ im Gegensatz zum ›Anderen‹ angewiesen ist – denn ohne Feindbild ist kein Krieg zu führen (Seifert 2001: 34ff.; vgl. Reljić 1998). Zur Kriegslogik gehört es demnach, die Nation zu einen und auf Krieg einzuschwören (Forster 2003: 31f). Die Vermittlung eines Krieges in und durch die Medien sowie die damit einhergehenden ›Deutungskämpfe‹ werden damit in besonderer Weise brisant. Medien bilden wie eingangs erwähnt nicht einfach eine vorgängige Realität ab, sondern sie stellen spezifische Interpretationsangebote bereit, weisen Bedeutungen zu, produzieren und verstetigen Meinungen und vermitteln emotionalisierende und polarisierende Bilder, die einen Krieg als legitim oder nicht-legitim erscheinen lassen können. Dies gilt auch für journalistische, also nicht-fiktionale Nachrichtenmedien, die in besonderem Maße für sich beanspruchen, die Realität ›wahrheitsgemäß‹ abzubilden (vgl. ausführlich Lünenborg 2005a). Insbesondere den Massenmedien kommt die entscheidende Funktion zu, gesellschaftliche »Denk-, Wahrnehmungsund Handlungsmuster auf breiter Ebene zu strukturieren« (Maier/Stegmann 2003: 48). Zeitungen sind dabei als eigenständige politische Akteure bezeichnet worden; sie gelten zudem als privilegierte Medien nationaler Selbstvergewisserung (vgl. Eilders 2004). Medien verhandeln und entwerfen soziale Zugehörigkeiten und (kollektive) Identitäten, die wiederum nicht losgelöst von Geschlecht denkbar sind (vgl. Lünenborg 2005b; Kassel 2005). Indem sie permanent Aussagen über Weiblichkeit und Männlichkeit aktualisieren, wirken Medien als eine Art »Technologie des Geschlechts« (de Lauretis 1996) an der Aufrechterhaltung und Gestaltung der Geschlechterordnung entscheidend mit. Vor diesem Hintergrund kann die mediale Kriegsberichterstattung nicht nur als symbolisch-diskursive Verständigung der Gesellschaft über das ›Eigene‹ und seine Grenzen, sondern auch als Spiegel gesellschaftlicher Geschlechterverhältnisse analysiert werden. Empirische Befunde zum Verhältnis von Medien und Krieg stammen v.a. aus der kommunikationswissenschaftlichen Forschung, die sich in den letzten Jahren, insbesondere nach dem Zweiten Golfkrieg Anfang der 1990er Jahre, verstärkt mit der Bedeutung und Funktion von (Massen-)Medien im Kriegskontext auseinandergesetzt hat (vgl. zum Forschungsstand Klaus 2005a; weiterführend Knieper/Müller 2005; Capurro/Grimm 2004; Büttner et al. 2004; Löffelholz 1993, 2004; Albrecht/ Becker 2002; Imhof/Schulz 1995; Calließ 1997). Als ernüchterndes Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Medien mehrheitlich einer dualistischen Kriegslogik folgen, in der es nur noch Freund und Feind gibt. Thomas Dominikowski konstatiert eine »strukturelle Militarisierbarkeit der Medien« (2004: 78) in technologischer, ökonomischer und politischer Hinsicht, die sich vom frühen 19. Jahrhundert bis zum jüngsten Irakkrieg fortsetzt. Stereotype Dichotomisierungen zwischen Freund und Feind, Gut und Böse etc., häufig verbunden mit einer stark personalisierten Berichterstattung, verhindern eine differenzierte Betrachtungsweise und führen zu einer Reduktion der Komplexität gesellschaftlicher Konflikte und ihrer Hintergründe (vgl. Kunczik 2001). Eine Analyse der Spiegel-Berichterstattung über den Kosovokrieg zeigt z.B., wie das ›Andere‹ gegenüber dem ›Eigenen‹ als rückständig, unzivilisiert und gewalttätig dargestellt wird (vgl. Klaus et al. 2002); die vermeintliche Brutalität des Feindes lässt ein militärisches Einschreiten notwendig erscheinen, um Schlim-
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meres zu verhindern. Moralisierungen und Emotionalisierungen sind dabei effektive Mittel, um Zustimmungsbereitschaft und Akzeptanz für einen Krieg zu schaffen (vgl. auch Schallenberger 1999). Der 11. September gilt vielen Kommunikationswissenschaftler_innen als Zäsur und bietet Anlass zu einer grundlegenden Reflexion medialer Informationsstrategien in Zeiten von Krieg und Krise. Nach Sascha Werthes et al. (2002) stehen die Massenmedien vor der normativ-demokratischen Herausforderung, in Kriegs- und Krisenzeiten den Anspruch einer wahrheitsorientierten, objektiven, mehrdimensionalen und der Information der Öffentlichkeit verpflichteten Berichterstattung einzulösen. In einer medienanalytischen Untersuchung der Berichterstattung über den 11. September kommen sie zu dem Ergebnis, dass diese Aufgaben nur sehr unzureichend erfüllt wurden. Stattdessen blieb die Berichterstattung »weitestgehend ereignisorientiert bzw. eindimensional lösungsorientiert und lieferte somit kaum weiterführende Hintergrundinformationen zu Ursachen und Zielen bzw. Motivationen der Terroristen oder auch zu alternativen Handlungsoptionen« (ebd.: 88). Weitere kommunikations- und kulturwissenschaftliche Analysen beschäftigen sich insbesondere mit der v.a. in den Fernsehnachrichten relativ gleichförmigen ›Echtzeitberichterstattung‹, verbunden mit dem Einsatz reißerischer und schockierender Live-Bilder, die den Einsturz der Twin Towers in einer Art Endlosschleife fortwährend wiederholten. Kritisch diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Dominanz und manipulative Macht des Visuellen gegenüber dem Text sowie ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Fiktion und Realität durch den ›Einbruch‹ Hollywood-ähnlicher, aus Katastrophenfilmen bekannten Bilderfluten in den Alltag (vgl. weiterführend Albrecht/Becker 2002; Schicha/Brosda 2002; Palm/Rötzer 2002; Beuthner et al. 2003). Dem Einsatz von besonders ›starken‹ und bewegenden Fotos (oft von Frauen und Kindern) kommt in der Kriegs- und Krisenberichterstattung in der Regel eine besondere Bedeutung zu (vgl. Kirchner et al. 2002; Wenk 2008). Etabliert haben sich Begriffe wie »visuelle Politik« und »Bilderpolitik«, um die Dimension des Visuellen und die damit verbundenen Machtwirkungen zu erfassen (Wenk 2005a und 2005b; Hentschel 2008; Maier/Balz 2010). Fotos und anderen Visualisierungen wird im Vergleich zum geschriebenen Wort eine stärker emotionalisierende Wirkung zugeschrieben. Darüber hinaus machen Fotos ein besonderes Authentizitätsversprechen und kreieren einen Realitätseffekt: Die Betrachter_innen wähnen sich als unmittelbare Augenzeug_innen des Geschehens – was ich ›gesehen‹ habe, glaube ich auch (vgl. Sontag 2005; Ateş 2006). Wie Susan Sontag (2005) in ihrem Essay »Das Leiden anderer betrachten« ausführt, sind Fotos jedoch keine mimetischen Abbilder der Realität. Sie geben vielmehr immer nur einen begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit wieder, wodurch sie eine bestimmte Lesart bzw. Interpretation derselben nahelegen können. Insbesondere Fotos von Tod und Leid transportieren häufig einen moralischen Appell, sie »können gegensätzliche Reaktionen hervorrufen. Den Ruf nach Frieden. Den Schrei nach Rache« (Sontag 2005: 20). Die Bilderpolitik der Kriegsberichterstattung erfolgt dabei nicht zwangsläufig intentional oder strategisch, sondern sie ergibt sich aus dem bewussten oder unbewussten Rückgriff auf die im »kollektiven Bildgedächtnis« gespeicherten Bilder und Muster (Wenk 2005a: 63f). Die Forschungsergebnisse zum Thema Medien und Krieg – so sie denn Geschlecht als Analysekategorie berücksichtigen – belegen, dass auch den medialen Re-
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präsentationen von Krieg und gewaltförmigen Konflikten stereotype Geschlechterkonstruktionen inhärent sind. Diese werden in Kriegskontexten häufig gezielt aufgegriffen und instrumentalisiert, um kriegerisches Handeln zu begründen und zu legitimieren. Als aktiv Handelnde, etwa Politiker und Soldaten, die ›Heimat‹ und Familie verteidigen und beschützen, aber auch Feinde und Aggressoren, sowie als Experten werden v.a. Männer ins Bild gerückt, wohingegen Frauen meist als passiv Leidende und Hauptbetroffene von Krieg und Gewalt die Rolle des »prototypischen Opfers« einnehmen (Klaus/Kassel 2003: 14f).45 Verschiedene Untersuchungen zeigen, wie konstant das Motiv der schutzbedürftigen und verletzbaren Frau, für deren Wohlergehen und Schutz oder aber Rettung und Befreiung die Männer kämpfen, von den Medien bedient wird. Der Rekurs auf bedrohte ›FrauenundKinder‹ im Krieg erfüllt häufig eine besonders emotionalisierende und mobilisierende Funktion und kann als Appell an die eigenen Soldaten eingesetzt werden (vgl. Pater 1993; Kirchner et al. 2002; Wenk 2008). In den letzten Jahren wurden Menschen- bzw. Frauenrechte bzw. deren Missachtung durch den Feind verstärkt zur Kriegsmobilisierung funktionalisiert, wie z.B. Massenvergewaltigungen in Jugoslawien Anfang der 1990er Jahre (vgl. z.B. Fischer 1993; Kappeler et al. 1993; Jaeger 1998). So konnte, oftmals neben den offiziellen Kriegsbegründungen, ein moralischer Handlungsdruck erzeugt werden, der militärische Interventionen im Interesse der Frauen unvermeidlich erscheinen ließ. Auch Feminist_innen und ehemals überzeugte Pazifist_innen ließen sich so vom Nutzen eines Krieges überzeugen und begrüßten in einigen Fällen schließlich die militärischen – bzw. die so genannten humanitären – Interventionen im Namen von Frauen- und Menschenrechten (vgl. dazu Nachtigall/Dietrich 2003; Klaus/Kassel 2003). Auch für die Repräsentationen von ›Terror‹ und ›Krieg gegen den Terror‹ lässt sich ein Gendering durchgängig in allen Medien identifizieren. Verschiedene Untersuchungen, die sich zumeist auf die englischsprachigen Medien konzentrieren, deuten darauf hin, dass auch im Kontext des 11. September die altbekannten binären Geschlechterstereotype von kämpfenden Männern und viktimisierten Frauen dominieren. »Wie auch die vorherigen Kriege ist ›America’s New War‹ bereits mit seiner Erklärung ein ›gendered war‹«, konstatiert Edgar Forster (2003: 33). Deutlich werde dies z.B. in den männlichen Heldengeschichten, die jeden Krieg begleiten, hier in Gestalt der todesmutigen Feuerwehrleute an Ground Zero. Männliche Helden werden in der Regel von Frauen »dekoriert«, fährt Forster (ebd.: 34) fort. Frauen seien dabei in den ersten Tagen nach den Terroranschlägen v.a. als unschuldige Opfer und Angehörige – im Spiegel z.B. auch als Verwundete und Brötchen schmierende Helferinnen an Ground Zero – in den Medien gezeigt worden. Auf metaphorischer Ebene zeigt sich das Gendering des Diskurses z.B. in der Deutung der Anschläge als ›Entmännlichung‹ und ›Kastration‹.46 Auf die erlittene Traumatisierung wurde sodann mit übertriebener und demonstrativ zur Schau gestellter männlicher Stärke und Heldenmut geantwortet, um die Demütigung zu tilgen und die (weiblich kon45 | Elvira Claßen (2004) zeigt über die Rolle des Opfers hinaus weiter »Images« von Weiblichkeit, die in der Kriegspropaganda relevant werden. Vgl. für die Analysen früherer Kriege z.B. Haug 1991; Pater 1993; Krenn 2003; Bewernitz 2010. 46 | Klaus Theweleit bezeichnete die Anschläge in einem Interview z.B. als »Tritt in die Eier«: »Der Anschlag auf diesen Doppelphallus war, banal gesagt, ein Tritt in die Eier, der auch auf den Kopf zielte« (taz 19.9.2001).
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notierte) ›Schwäche‹ durch ›Stärke‹ zu überschreiben (vgl. für weitere Analysen zu Gender, Krieg und ›Terror‹ in den Medien z.B. Maier/Balz 2010; Hentschel 2008; Hunt/Rygiel 2006; Lorber 2005; Rodgers 2003; Drew 2003).47 Auch der Rekurs auf bedrohte und zu beschützende ›FrauenundKinder‹ taucht an zentraler Stelle wieder auf: So stellt, wie in der Analyse noch gezeigt werden wird, die ›Rettung‹ und ›Befreiung der afghanischen Frau‹ eine wichtige Argumentationsfigur dar, mit der die kriegerische Intervention in Afghanistan moralisch begründet und die ›Barbarei‹ der Taliban als neuen Feinden belegt werden konnte (vgl. dazu auch Maier/Stegmann 2003; Klaus/Kassel 2003; Stanley/Feth 2008). Betrachtet man die Befunde zur Medialisierung des Verhältnisses von Krieg und Geschlecht, lassen sich also ähnliche Identitätskonstruktionen wie in den Diskursen der internationalen Politik beobachten. So deutet einiges darauf hin, dass das von Mordt (2002) im Anschluss an Elshtain herausarbeite »Geschlechterarrangement der klassischen Sicherheitspolitik« – die Figuren Staatsmann/Politiker, Soldat, Schöne Seele und Kriegermutter – auch auf medialer Ebene Gültigkeit erlangt. Während die ›weiblichen‹ Stereotypisierungen in den Medien (in Gestalt von ›FrauenundKindern‹) und ihre Funktion für die Legitimierung eines Krieges bereits mehrfach zum Gegenstand der Analyse wurden (z.B. Jaeger 1998; Fröhlich 2002; Kassel 2004), bleiben die ›männlichen‹ Identitätskonstruktionen häufig unterbelichtet – dies gilt ganz besonders für die Untersuchungen der deutschsprachigen Medien nach dem 11. September. Wie feministische Ansätze deutlich gemacht haben, sind (militarisierte) Männlichkeit und Weiblichkeit jedoch stets wechselseitig aufeinander bezogen und müssen von daher stets im Zusammenspiel untersucht werden. Von daher richte ich den Fokus meiner Untersuchung insbesondere auf die verschiedenen Männlichkeitskonstruktionen in der deutschen Berichterstattung über den 11. September und den Krieg gegen Afghanistan bzw. auf ihre Wechselwirkung mit den entsprechenden Konstruktionen von Weiblichkeit.
47 | Eine Analyse von Madeleine Buntig (2001) brachte außerdem zum Vorschein, dass der Anteil der von Frauen verfassten Artikel in den großen britischen Zeitungen nach dem 11. September deutlich abnahm. Frauen als Journalistinnen wurden aus dem öffentlichen Kriegs- und Krisendiskurs verdrängt, sie konnten in ihm offenbar keine Expertinnen sein.
II. Methode: Geschlechterkonstruktionen in medialen Kriegsdiskursen erforschen
Im Zentrum dieser Arbeit stehen massenmediale Prozesse der Deutung und Sinngebung im Kontext des 11. September 2001 und des unmittelbar darauf folgenden Kriegs gegen Afghanistan. Die Analyse setzt damit auf der Ebene der Sprache und Texte (Zeitungs- und Zeitschriftenartikel) an. Ausgewählt wurden zwei möglichst unterschiedliche überregionale deutsche Printmedien, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und das Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Spiegel), die aufgrund ihrer hohen Auflagenstärke bzw. ihres großen Bekanntheits- und Wirkungsgrades dazu angetan sind, den Diskursverlauf maßgeblich mitzubestimmen. Die verschiedenen medialen und politischen Deutungen des 11. September und des ›Kriegs gegen den Terror‹ sind bereits eingehend erforscht worden (vgl. z.B. Norris et al. 2003; Junge 2003; Schwab-Trapp 2007; Kirchhoff 2010). Diese Arbeit setzt jedoch einen besonderen Fokus, der in den anderen Analysen außen vor blieb. Sie fragt nach den Geschlechterkonstruktionen, die mit den medialen Deutungen einhergehen bzw. diesen zugrunde liegen, sowie nach deren Funktion für die Wahrnehmung politischen Handelns. Gegenstand sind geschlechtliche Bilder, Rollen- und Identitätszuschreibungen, Metaphern und Symboliken, die im Diskurs über ›Krieg‹ und ›Terror‹ relevant werden. Analytisch setzt dies eine Unterscheidung zwischen den symbolisch-diskursiven Repräsentationen von Geschlecht (die Ebene von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹) und den materiellen Positionierungen von Geschlecht, also den Identitätskonstruktionen auf der Basis individueller geschlechtlicher Existenzweisen und Erfahrungen (die Ebene der ›Männer‹ und ›Frauen‹) voraus (vgl. Dorer 2001; Hark 2001). Beide Ebenen bzw. die auf ihnen ablaufenden Konstruktionsprozesse sind in ihrer Wechselwirkung für die Produktion und Aufrechterhaltung der binären und heteronormativen Geschlechterordnung verantwortlich.1 Des Weiteren ist ›Funktion‹ von ›Intention‹ zu unterscheiden. Mit ›Funktion‹ ist die über-individuelle Machtwirkung des Diskurses gemeint, die z.B. staatliche oder militärische Gewalt als legitim oder nicht-legitim ausweisen kann. Die Wirkungsweise der Deutungen muss dabei nicht unbedingt mit der Absicht und dem Interesse des Autors oder der Autorin eines bestimmten Textes übereinstimmen. Einer 1 | Dorer merkt dazu an, dass die analytische Unterscheidung der beiden Ebenen jedoch eher »heuristischen denn forschungspraktischen Wert« habe, da beide Ordnungen diskursiv konstruiert werden und sich kaum voneinander trennen lassen (Dorer 2001: 248).
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diskursanalytisch ausgerichteten Untersuchung geht es vielmehr darum, die einzelnen Artikel und Aussagen in einem textübergreifenden Zusammenhang zu analysieren. Betrachtet werden nicht individuelle Äußerungen und Meinungen, sondern kollektive, übersituative und intertextuelle Zusammenhänge und Regelmäßigkeiten des Diskurses (bzw. eines bestimmten Diskursstranges; hier des Diskursstranges ›11. September/Krieg gegen den Terror‹), der nach innen durchaus widersprüchliche Aussagen beinhalten kann.2
1. D ISKURSANALYSE ALS M ODUS DER K RITIK Zunächst ein paar Vorbemerkungen zu einer diskursanalytischen Betrachtungsweise von politischen und medialen Großereignissen, zu denen auch der ›11. September‹ zweifellos gehört. Diskursanalyse, wie sie hier verstanden wird, orientiert sich an den Arbeiten von Michel Foucault.3 Für die vorliegende Arbeit sind insbesondere seine Konzeptionen von »Diskurs« und »Macht« von Interesse (vgl. Foucault 1981 [1969] und 1999 [1976]). Unter Diskurs verstehe ich mit Foucault ein gesellschaftlich geteiltes, verfestigtes und institutionalisiertes Wissen, das zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort Wahrheitscharakter erlangt. Diskurse sind sprachlich verfasste und regelgeleitete »Formationen von Aussagen« (Foucault 1981: 48ff), die stets mit spezifischen (machtvollen) Ein- und Ausschlüssen einhergehen und sich im Laufe der Zeit verändern. Foucault differenziert dabei regelmäßig wiederkehrende »Aussagen« von spontanen und flüchtigen »Äußerungen«, wobei letztere für eine diskursanalytische Untersuchung keine Rolle spielen (vgl. ebd.: 145ff). Aussagen verfügen im Unterschied zu zufälligen oder einmaligen Äußerungen über eine »wiederholbare Materialität« (1981: 153), d.h., nur bestimmte Äußerungen verdichten sich zu Aussagen mit relativ dauerhafter Geltung.4 Siegfried und Margarete Jäger definieren Diskurs deshalb in Anlehnung an Foucault als »Fluss von ›Wissen‹ bzw. sozialen Wissensvorräten durch die Zeit« (Jäger/Jäger 2007: 23). 2 | Jäger und Jäger (2007: 25ff) unterscheiden zwischen verschiedenen »Diskursebenen« (Medien, Politik, Wissenschaften etc.) als den Orten, von denen aus jeweils gesprochen oder geschrieben wird, thematisch einheitlichen »Diskurssträngen« (z.B. zum Thema Krieg, Migration etc.) und einzelnen »Diskursfragmenten« (z.B. ein Text oder Film zum Thema), die zusammengenommen einen Diskursstrang ausbilden. 3 | Ähnlich wie Reiner Keller et al. (2001) für die Sozialwissenschaften allgemein, unterscheidet Brigitte Kerchner (2006: 50) für die Politikwissenschaft drei verschiedene Diskursbegriffe und Verwendungstraditionen: einen normativ-kritischen Diskursbegriff nach Jürgen Habermas, einen genealogisch-kritischen nach Michel Foucault und einen analytisch-pragmatischen, wie ihn sprachwissenschaftliche und handlungstheoretische Ansätze verwenden. 4 | Eine Aussage klassifiziert sich dadurch, dass sie in dem Bereich ›des Wahren‹ liegt, d.h., dass sie einen Wahrheits- und Geltungsanspruch formuliert und als gültiges Wissen sanktioniert wird. Aussagen verfügen zudem über einen gewissen Grad an Institutionalisierung, da sie durch bestimmte Formen von (z.B. wissenschaftlicher) Autorität bekräftig werden. Ein weiteres Kriterium zur Bestimmung einer Aussage ist ihre Einbettung in einem Feld von Aussagen, d.h. sie befindet sich stets in Koexistenz mit anderen Aussagen (vgl. Foucault 1981: 116f).
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Sprache und Diskurs bilden dabei nicht einfach eine vorgängige Wirklichkeit ab, sie entwerfen vielmehr ein bestimmtes Bild der Wirklichkeit. Während die Sprache die Wörter zum Sprechen bereithält, ist der Diskurs die Regulierungsinstanz der Sprache, die ein bestimmtes Sagbarkeitsfeld absteckt, in dem sie aus der Fülle an möglichen Bedeutungen nur ganz bestimmte zulässt. Mit der im Anschluss an Foucaults Diskursbegriff entwickelten poststrukturalistischen Diskurstheorie von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe können Diskurse auch als kontingente und temporäre Fixierung von Bedeutung verstanden werden (vgl. Laclau/Mouffe 1995 [1985]). Darin liegt zugleich die Machtwirkung der Diskurse begründet. Macht ist überall dort am Werk, wo durch Verknappungs- und Ausschließungsmechanismen das Feld des Sagbaren eingeschränkt wird. (Vgl. weiterführend Landwehr 2006.) Diskurs und Macht hängen damit untrennbar zusammen. Macht operiert produktiv, indem sie ein spezifisches Wissen hervorbringt, dieses jedoch zugleich beschränkt und reguliert. Foucault regt deshalb an, die »Diskurse als Praktiken zu behandeln, die systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen« (1981: 74).5 Diskurse stecken ab, was in einem bestimmten Wissensfeld und zu einem spezifischen Zeitpunkt als wahr und falsch, als normal und unnormal gilt und organisieren damit in grundlegender Weise die Formen der Wahrnehmung. Diskurse sind jedoch nicht nur als sprachliche Wissensordnungen im Sinne von Denk- und Wahrnehmungsmustern zu verstehen, sondern ebenso als soziale Ordnungssysteme. Diskurse materialisieren sich als ›geronnenes Wissen‹ in entsprechenden Institutionen, Gesetzgebungen, politischen Handlungsmustern etc., die dann wiederum ihrerseits auf die Diskurse zurückwirken. Diskurse regeln ebenfalls, wer sich innerhalb eines Diskurses zu Wort melden kann und wessen Meinungen gehört werden; z.B. unterliegen wissenschaftliche Aussagen anderen Gültigkeitskriterien als solche aus dem Bereich des Alltagswissens.6 5 | In der Konzeptualisierung Foucaults von Diskursen als ›Praktiken‹ kommt der konstruktive Charakter bzw. der Prozess des ›Herstellens‹ sozialer Wirklichkeit deutlich zum Ausdruck, was zugleich die Möglichkeit der Veränderung impliziert. Foucaults strategisch-produktiver Machtbegriff stellt damit einen Gegenentwurf zu den gängigen Machtkonzepten dar, nach denen Macht zumeist als repressive Gewalt der Herrschenden gedacht wird und ausschließt, unterdrückt, zensiert, vernichtet und unterwirft – Macht kann man haben oder nicht haben, man befindet sich entweder auf der einen oder auf der anderen Seite. Foucault dagegen versteht unter Macht »die Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen, die ein Gebiet bevölkern und organisieren« (Foucault 1999 [1976]: 113). Das heißt, es findet ein permanentes Ringen um Bedeutungszuschreibungen und Deutungshoheit statt, durch das die Dinge diskursiv mit spezifischer Bedeutung und Bewertung ausgestattet werden, wodurch zugleich eine spezifische ›Wahrheit‹ erzeugt wird. 6 | In »Die Ordnung des Diskurses« beschreibt Foucault drei zentrale Prozeduren, durch die »in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird« (1974 [1971]: 7). Sowohl die Menge der Aussagen als auch die Menge möglicher Sprecher_innen sind unterschiedlichen Verknappungsregeln unterworfen, wobei Foucault zwischen externen Ausschließungsprozeduren, internen Kontrollmechanismen und der Verknappung der sprechenden Subjekte unterscheidet (vgl. ebd.). Diskurse unterscheiden, klassifizieren und hierarchisieren die Dinge, sie versehen sie mit bestimmten Begriffen, Bedeutungen und Eigenschaften, sie legen bestimmte Handlungsoptionen nahe und verunmöglichen im Gegenzug andere Möglichkeiten des Redens, Denkens
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Schließlich rücken Diskursanalysen die Prozesse der Subjektkonstitution in den Blick, also die Art und Weise, in der Subjekte [z.B. als geschlechtliche, A.N.] hervorgebracht und mit Eigenschaften ausgestattet werden« (Kerchner 2006: 24).
Die Subjekte werden bei Foucault nicht als den Diskursen vorgängig gedacht. Der Diskurs bringt vielmehr die Subjekte erst hervor, indem er die Bedingungen und Möglichkeiten ihrer Existenz bereitstellt und zugleich die Anzahlt der möglichen Subjektpositionen begrenzt. Dabei werden die Subjekte entsprechend der als intelligibel und damit als gültig anerkannten Daseinsformen (z.B. als geschlechtliche und sexuelle Wesen) diszipliniert und normalisiert. Eine von Foucault inspirierte Analyse fragt somit nach den Entstehungsbedingungen und dem Gewordensein vermeintlicher Evidenzen und Subjektformen und zielt darauf ab, diesen den Anschein der Gewissheit und Natürlichkeit zu entreißen und stattdessen die Herstellungsprozesse als solche sichtbar zu machen. Diskursanalytisch orientierte Arbeiten nehmen damit eine Umkehrung der Perspektive vor: Gesellschaftliche Wirklichkeit wird nicht als gegeben interpretiert und in ihrer subjektiven Gestaltbarkeit analysiert, sondern Wirklichkeit und Wahrheit werden selbst als historisch gewachsene Wissensordnungen begriffen und als soziale – und damit auch veränderbare – Prozesse analysiert.7 Ziel einer solchen Herangehensweise ist es, die diskursiven (medialen) Deutungen der Wirklichkeit kritisch zu hinterfragen, und die zugrunde liegenden Denk- und Wissensordnungen (z.B. in Bezug auf Geschlecht) sowie die damit verbundenen Machtwirkungen (z.B. Einschränkungen des Sagbarkeitsfeldes und der sprechenden Subjekte, Wertungen, Ausgrenzungen) aufzudecken. Die historische Dimension ist dabei zentral. So lässt sich mit Foucault kritisch nachfragen, welche tradierten Denk- und Wissensordnungen die Politik der Gegenwart strukturieren. Denn alle bereits gesagten Dinge haben »Spuren« hinterlassen und bestimmen zugleich darüber, »was man danach sagen kann« (Kerchner 2006: 49). Diskurs, so lässt sich zusammenfassend bestimmen, heißt das Zur-Sprache-Bringen eines Gegenstandes oder Themas entsprechend historischer Möglichkeitsbedingung; Diskursanalyse heißt dementsprechend, diesen Prozess transparent zu machen und nachzuzeichnen. Das Foucault’sche Diskurskonzept stellt jedoch weniger eine konkrete Analysemethode bereit, sondern fungiert vielmehr als eine grundlegende Haltung bzw. spezifischer »Modus von Kritik« (Schrage 1999: 73), mit dem sich vermeintliche Gewissheiten und gesellschaftliche Normalitäten – wie z.B. das zu einer rechtlich und institutionell abgesicherten zweigeschlechtlich-heteronormativen Ordnung ›geronnene‹ Geschlechter-Wissen – wieder ›verflüssigen‹ lassen. Die von Foucault aufgeworfene Frage: »Muss das, was selbstverständlich ist, wirklich selbstverständlich sein?«, mit der Margarete und Siegfried Jäger ihre Publikation zur Kritischen Diskursanalyse einleiten (2007: 7), bildet somit das Grundmotiv des Nachdenkens und Handelns. Mit dem Ausschluss bestimmter Aussagemöglichkeiten wird jeweils nur eine ganz bestimmte Version von Wirklichkeit zugelassen und ein spezifisches Sagbarkeitsfeld etabliert (vgl. auch Landwehr 2006: 109ff). 7 | Foucault bezeichnet die Richtung seiner Forschung auch als »Prinzip der Umkehrung« durch Kritik des Bestehenden, um die Formen der Ausschließung, der Einschränkung und der Aneignung zu erfassen und um zu zeigen, wie sie sich historisch gebildet haben (Foucault 1974 [1971]: 41).
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über soziale Wirklichkeit. Eine diskursanalytischer Blick auf die Medien beispielsweise ermöglicht, das Dargestellte nicht als ›Wahrheit‹ zu verstehen, sondern die spezifischen Deutungen und Bedeutungszuweisungen als spezifische Machteffekte sichtbar zu machen und die historischen Tiefenstrukturen und Bedingungen des Gesagten zu reflektieren.8 Indirekt wird dabei auch danach gefragt, was in dem Gesagten nicht enthalten ist bzw. was nicht gesagt wird, welche alternativen Deutungen sozialer Wirklichkeit nicht vorkommen. Die Sichtbarmachung jener spezifischen Wissensordnungen, der damit einhergehenden Ausschließungen sowie ihrer sprachlichen und visuellen Wirkungsmittel können damit als Interventionen in die herrschaftslegitimierende und -sichernde Funktion von Diskursen verstanden werden (Jäger/Jäger 2007: 18). Foucaults Anliegen – und das Anliegen einer gesellschaftskritischen Diskursanalyse – ist es, »wenn schon nicht diese Ordnung [zu] beseitigen, sie doch wenigstens [zu] analysieren und sichtbar [zu] machen, ihr die Maske der Evidenz ab[zu]reißen, hinter der sie sich verbirgt« (Eribon 1991 [1989]: 314). Zugleich wird durch den Fokus auf die spezifischen Herstellungsmechanismen von Wissen und Macht die Ordnung der Dinge ihrer Naturhaftigkeit beraubt – und damit die prinzipielle Veränderbarkeit vermeintlicher Evidenzen und Wahrheiten betont. »Die Wahrheit ist von dieser Welt«, schreibt Foucault (1978: 51) – gültiges Wissen und Wahrheit sind demnach stets historisch bedingt und kontingent. Damit wird die Foucault’sche Diskursanalyse zu einem (de-)konstruktivistischen Projekt: »Durch Rekonstruktion der historischen Produktions- und Entstehungsbedingungen von Wissensformen werden deren naturalisierende Wirkung und Wahrheitseffekte dekonstruiert« (Bublitz 2001: 234).9 Übertragen auf die vorliegende Arbeit bedeutet das: Der Diskursstrang ›11. September/Krieg gegen den Terror‹ steht im Kontext vergangener Kriege und außenpolitischer Debatten um deutsche Militäreinsätze und muss vor diesem Hintergrund analysiert werden. Auch die mit Kriegsdiskursen einhergehenden Geschlechterkonstruktionen aktualisieren und/oder variieren historische Wissensbestände in Bezug auf Geschlecht. So ließe sich z.B. fragen: Warum erscheint das Titelcover der Emma mit der Zuschreibung »Terror: Männer, Männer, Männer« einleuchtend? Auf welches historische Vorwissen in Bezug auf Geschlecht, Gewalt und Krieg wird rekurriert, damit diese Aussage überhaupt Sinn macht und verstehbar wird? Warum kann es nicht »Terror: Frauen, Frauen, Frauen« heißen? Wie feministische Analysen gezeigt haben, werden in Kriegsdiskursen regelmäßig (nur) bestimmte Subjektposi8 | Zentral bei der Differenzierung des Foucault’schen Machtverständnisses ist der Begriff der Wahrheit, denn »die Wahrheit selbst ist Macht« (Foucault 1978: 54). Wissen und Macht sind in dem Sinne untrennbar miteinander verbunden, als dass sie eine Unterscheidung etablieren, welches Wissen in einer Gesellschaft jeweils als wahr und welches als falsch angesehen wird. Wahrheit ist in diesem Sinne nicht etwa »das Ensemble der wahren Dinge«, sondern »das Ensemble der Regeln, nach denen das Wahre vom Falschen geschieden […] wird« (ebd.: 53). Jede Gesellschaft betreibt nach Foucault ihre eigene Politik der Wahrheit: »d.h. sie akzeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre Diskurse funktionieren läßt; […] es gibt bevorzugte Techniken und Verfahren zur Wahrheitsfindung; es gibt einen Status für jene, die darüber zu befinden haben, was wahr ist und was nicht.« (ebd.: 51). 9 | Die unumgängliche und permanente Reartikulation des Wissens entlang diskursiver Regeln eröffnet jedoch auch die Möglichkeit der Verfehlung, Irritation, letztendlich der diskursiven Verschiebung (vgl. Butler 1991).
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tionen bereitgestellt, die zumeist auf traditionellen binären Geschlechterkonstruktionen beruhen. Männer sind demnach die politisch Handelnden, Staatsoberhäupter, Soldaten, Feinde und Täter im Kriegsgeschehen; Frauen hingegen die Hauptbetroffenen, Leidenden und zu beschützenden (potentiellen) Opfer.10 Ziel politischer und politikwissenschaftlicher Diskursanalysen ist insbesondere die Rekonstruktion von Deutungsmustern, die das politische Handeln anleiten und rechtfertigen (vgl. stellvertretend Nullmeier 2001; Donati 2001; Schwab-Trapp 2002; für eine Zusammenfassung Kerchner 2006). Warum wurden militärische Aktionen als Maßnahmen gegen den ›Terror‹ in Folge des 11. Septembers als legitim erachtet, bestimmte andere Maßnahmen aber nicht? Anhand der öffentlichen Reaktionen auf den 11. September lässt sich die Wechselwirkung zwischen Diskurs und sozialer Ordnung, die z.B. in politischen Entscheidungen, Institutionen und Gesetzen konkrete Gestalt annimmt, beispielhaft nachvollziehen. So haben die spezifischen diskursiven Deutungen der Ereignisse neuartige ›kulturelle‹ Grenzlinien und Ausgrenzungsprozesse innerhalb der Gesellschaft etabliert und einen paradigmatischen Wandel der Außen- und Sicherheitspolitik angestoßen. Das Schüren von Ängsten vor einer neuen omnipotenten Bedrohung in Öffentlichkeit, Politik und Medien korrespondierte mit einem gesteigerten gesellschaftlichen und individuellen ›Sicherheitsbedürfnis‹. Dieses wurde wiederum herangezogen, um zahlreichen innen- und außenpolitischen Maßnahmen und Gesetzesverschärfungen zur Durchsetzung zu verhelfen. Auch die Gründung des Ministeriums für ›Heimatschutz‹ in den USA kann als unmittelbarer Effekt der mit dem 11. September verbundenen (politischen, medialen, öffentlichen, wissenschaftlichen) Diskurse verstanden werden. Das besondere Potential einer diskursanalytischen und feministischen Herangehensweise für die Politikwissenschaften besteht wiederum darin, den Zusammenhang zwischen Sprache/Diskurs, politischem Handeln und Geschlecht erfassen zu können. In den Blick gerät z.B. der funktionale Zusammenhang von Geschlechterbildern und der Konstruktion kollektiver/nationaler Identitäten, Freund- und Feindbildern sowie der Begründung und Legitimierung eines Krieges (vgl. z.B. die Analyse von Bundestagsdebatten zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr von Feth 2007).11 Die vorliegende Arbeit bewegt sich dabei auf der Ebene der Medien, die Jäger und Jäger als eine der zentralen Diskursebenen, von denen aus gesprochen und Wissen produziert wird, bestimmt haben (vgl. Jäger/Jäger 2007: 28). Gegenstand dieser Arbeit ist damit das Zusammenspiel von (Geschlechter-)Wissen und Macht in medialen Kriegsdiskursen, verbunden mit der Frage nach der regelgeleiteten (geschlechtlichen) Subjektkonstituierung im Kontext von Krieg.
10 | Emma reproduziert damit die altbekannten Stereotype, greift diese jedoch mit umgekehrten Vorzeichen bzw. in (patriarchats-)kritischer Absicht auf. Die damit verbundenen Verkürzungen und Problematiken habe ich bereits in Kap. I aufgezeigt. 11 | Die in Kap. I vorgestellten feministischen Ansätze und Forschungsergebnisse verweisen auf folgende Bereiche, die durch geschlechtliche Rollenvorstellungen sowie Metaphern und Bilder von Geschlecht strukturiert sind: nationale und staatliche Identitätskonstruktionen, Freund- und Feindbilder wie z.B. Okzident und Orient, politische und militärische Habitusformen, Handlungsweisen und Eigenschaften sowie auf staatliches und außenpolitisches Handeln bezogene Begründungsmuster wie z.B. den ›Schutz von Frauen und Kindern‹.
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2. O PER ATIONALISIERUNG : D EUTUNGSMUSTER UND K OLLEK TIVSYMBOLIK So weit die Theorie, doch wie lassen sich die diskurstheoretischen Überlegungen Foucaults analytisch anwenden? Im deutschsprachigen Raum haben v.a. Siegfried und Margarete Jäger mit ihrem Ansatz der »Kritischen Diskursanalyse« sowie Jürgen Link das Foucault’sche Diskursmodell für die empirische Analyse fruchtbar gemacht und zahlreiche Studien insbesondere zum Bereich der Medien vorgelegt (z.B. Jäger/Jäger 2003 und 2007; Jäger 2001; Link 2001b; Jäger/Link 1993).12 Die Kritische Diskursanalyse kombiniert dabei Foucaults Diskurstheorie mit linguistischen (Analyse-)Prinzipien und ideologiekritischen Überlegungen. Auch Arbeiten aus (wissens-)soziologischer Perspektive liefern weiterführende Hinweise zur methodischen Umsetzung (vgl. R. Keller et al. 2003; R. Keller 2004 und 2005). Insbesondere die Analyse von Deutungsrahmen (Frame Analysis) hat sich mittlerweile als eine pragmatische und beliebte Methode etabliert, mit der sich diskursive Deutungen und Konstruktionen von Wirklichkeit (politikwissenschaftlich) erforschen lassen (vgl. Donati 2001). Frames bezeichnen die standardisierten Muster, mit denen wir die Wirklichkeit wahrnehmen (Kerchner 2006: 53). So werden beispielsweise politische Ereignisse durch spezifische Deutungen gerahmt und interpretiert (Framing). In wissenssoziologischen Diskursanalysen ist häufig auch allgemeiner von Deutungsmustern die Rede: »Der Begriff des ›Musters‹ verweist auf den Aspekt des Typischen – es handelt sich um allgemeine Deutungsfiguren, die in konkreten Deutungsakten zum Einsatz kommen und dabei in unterschiedlicher sprachlich-materialer Gestalt manifest werden. […] Deutungsmuster werden in der wissenssoziologischen Tradition als kollektive Produkte begriffen, die im gesellschaftlichen Wissensvorrat vorhanden sind und sich in konkreten sprachlichen Äußerungen manifestieren. […] Deutungsmuster organisieren individuelle bzw. kollektive Erfahrungen und sie implizieren meist Vorstellungen (Modelle) angemessenen Handelns. Sie stiften dadurch Sinn. Eine Deutung ist die Verknüpfung eines allgemeinen Deutungsmusters mit einem konkreten Ereignis-Anlass.« (R. Keller 2005: 235)
Deutungsmuster und -rahmen spiegeln die politische Wirklichkeit nicht einfach wider ›wie sie ist‹, sondern erzeugen eine spezifische Perspektive, indem sie bestimmte Themen, Ereignisse und Akteure als bedeutsam herausstellen und dadurch eine bestimmte Blickrichtung und Bewertung der Geschehnisse nahelegen. Deutungsprozesse operieren immer selektiv; durch Fokussierung und Marginalisierung stecken sie den Bereich des Sagbaren ab. Deutungen heben bestimmte Dinge hervor und messen ihnen dadurch Wichtigkeit und Bedeutung bei und lassen dafür andere unter den Tisch fallen und geben sie dem Vergessen preis. Von besonderem Interesse sind dabei, mit dem Vokabular der Kritischen Diskursanalyse gesprochen, die »Diskursstrangverschränkungen«, durch die der untersuchte Diskursstrang (›11. September/Krieg gegen den Terror‹) mit anderen Diskurssträngen (Themen) 12 | Siehe hierzu insbesondere die verschiedenen Aufsätze und Analysen, die in der Zeitschrift kultuRRevolution erschienen sind, sowie die Arbeiten aus dem Umfeld des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS), das von Siegfried und Margarete Jäger geleitet wird.
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verknüpft wird, hier z.B. mit dem Diskursstrang ›Islam‹ oder ›Frauenrechte‹ (vgl. Jäger/Jäger 2007: 29). Das mediale Deuten und Bedeuten verleiht unvorhersehbaren und irritierenden Geschehnissen wie z.B. den Ereignissen des 11. September einen ›Sinn‹, stellt Interpretationshilfen bereit und schafft Orientierung, und dient damit insgesamt der (Neu-)Ordnung und (Wieder-)Herstellung einer vermeintlich aus den Fugen geratenen gesellschaftlichen ›Normalität‹. Wie bereits erläutert, erfüllt die diskursive und mediale Rahmung politischer Ereignisse eine sinnstiftende Funktion, die besonders in Kriegs- und Krisenzeiten handlungsanleitend wirken und z.B. für die Legitimation oder Delegitimation eines Krieges ausschlaggebend sein kann. Die Deutungen knüpfen dabei notwendigerweise an vorhandene Wissensbestände, z.B. ältere Kriegs- oder Geschlechterdiskurse an, um die Ereignisse einzuordnen und zu bewerten. Dabei wird jedoch das gesellschaftliche Wissen nicht einfach abgerufen und wiederholt, sondern der Rückgriff erfolgt selektiv. Nicht alle Deutungen vergangener Kriege werden aufgegriffen; bestimmte Frames entfallen (z.B. wurde der im Kosovokrieg äußerst wichtige Bezug auf ›Auschwitz‹ in den deutschen Medien nach dem 11. September nicht wieder aktualisiert), andere werden variiert oder kommen neu hinzu (vgl. dazu Heins 2003; Schwab-Trapp 2007). Auch reale Personen werden in den Medien nicht ›neutral‹ abgebildet, sondern ihr Erscheinungsbild, ihre Handlungsweisen und Eigenschaften werden in einer bestimmten Art und Weise interpretiert und mit Bedeutung versehen. Das mediale Framing weist den Akteuren bzw. den »Aktanten«13 unterschiedliche Rollen und Positionen und damit spezifische Eigenschaften und Handlungsoptionen zu, die die Akteure wiederum zueinander ins Verhältnis setzen. So ist es für die Darstellung und Bewertung entscheidend, wer als Freund und wer als Feind wahrgenommen wird, wem die Rolle des (unschuldigen) Opfers und des (schuldigen) Täters, des Guten und des Bösen usw. zukommt. Aus den unterschiedlichen Rollenzuschreibungen werden nicht nur individueller Status und Hierarchien abgeleitet. Häufig werden die verschiedenen Aktanten in übergeordnete Deutungsrahmen eingebettet, die auf aus dem Alltag entlehnte Interaktionsmuster wie das Eltern-Kind- oder Lehrer-Schüler-Verhältnis zurückgreifen, die Aktanten entsprechend miteinander verbinden und das jeweilige Handeln erklärbar machen (z.B. Kinder sind in ihrem Handeln eingeschränkt und von den Eltern abhängig, der Lehrer bringt dem Schüler etwas bei). Durch die insbesondere in den Medien häufig anzutreffende Form der Verknüpfung einzelner Deutungsrahmen zu übergeordneten Narrativen werden die einzelnen Ereignisse (z.B. die Anschläge des 11. September, das Versprechen uneingeschränkter Solidarität, der Krieg in Afghanistan, die Debatten um eine deutsche Beteiligung, Schröders Vertrauensfrage etc.) in »Episoden eines öffentlichen Dramas« (Heins 2003: 188) verwandelt (vgl. grundlegend zu Diskursen als Narrationen Viehöver 2001). In Narrationen wird beispielsweise kommuniziert, was die relevanten Probleme sind, wo die Ursachen liegen, wie Lösungen aussehen könnten etc. Damit geht der Entwurf spezifischer Subjektpositionen einher. So werden mit der jeweiligen Narration soziale Rollen und Positionierungen verteilt und es wird (temporär) festgelegt, wer die ›Problemverursacher‹ und wer die ›Problemlöser‹, 13 | Willy Viehöver (2001) unterscheidet zwischen »Akteuren« und »Aktanten« um den Unterschied zwischen den realen Personen (Akteure) und ihren jeweiligen Repräsentationen in den Medien, also dem Bild, das die Medien von einer Person entwerfen (Aktanten), in der Analyse kenntlich zu machen.
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wer die ›Helden‹ und die ›Bösewichte‹, die ›Pioniere‹ und die ›Bedenkenträger‹ etc. sind (Viehöver 2001: 191f). Die Analyse von Framing-Prozessen zielt auf die Identifizierung der verschiedenen Deutungsrahmen ab, die es einem Zielpublikum erlauben sollen, einer unvorhergesehenen und undefinierten Situation Sinn abzugewinnen und politische Entscheidungen zu legitimieren (Heins 2003: 188; vgl. z.B. die Analysen von Scheufele/Gasteiger 2007 und Fröhlich et al. 2007). Dabei gehe ich von der grundlegenden Annahme aus, dass diese Framing-Prozesse niemals geschlechtsneutral verlaufen. Wie Rodgers (2003) und andere (z.B. Kassel 2005; Christensen/Ferree 2008) gezeigt haben, ist die Darstellung von Geschlecht und Geschlechterverhältnissen bzw. von Männern und Frauen für die Deutung und Bewertung eines Ereignisses zentral. Umgekehrt beinhalten die unterschiedlichen Deutungsrahmen (wie Diskurse) eine spezifische Anzahl intelligibler Subjektpositionen, die wiederum mit (geschlechts-)spezifischen Handlungsoptionen verknüpft sind und (entsprechend der zweigeschlechtlichen Ordnung) nur in männlicher oder weiblicher Ausprägung vorkommen. So geht die weiter oben angesprochene Deutung des irakischen Einmarsch in Kuwait als ›Vergewaltigung‹ mit einer eindeutigen Positionierung der Täter- und der Opferrolle einher, die zudem (vermeintlich) eindeutig nach Geschlecht verteilt sind. Ähnliches gilt für die Rahmung der Anschläge als ›Kriegserklärung‹, die ein hartes, militärisches und entschlossenes – männlich konnotiertes – Handeln als angemessene Reaktion erscheinen lässt. Die Rahmung des 11. September als ›Naturkatastrophe‹ lässt das Ereignis wiederum eher als Schicksalsschlag erscheinen, das sich menschlicher Verantwortung entzieht. Diskursanalytische Untersuchungen aus dem Umfeld von Jürgen Link, Siegfried und Margarete Jäger und dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung legen zudem ein besonderes Augenmerk auf die Analyse von so genannten Kollektivsymbolen. Siegfried Jäger definiert im Anschluss an Link »Kollektivsymbolik« als die »Gesamtheit der so genannten ›Bildlichkeit‹ einer Kultur, die Gesamtheit ihrer am weitesten verbreiteten Allegorien und Embleme, Metaphern, Exempelfälle, anschaulichen Modelle und orientierenden Topiken, Vergleiche und Analogien. […] Kollektivsymbole sind ›kulturelle Stereotype‹ […], die kollektiv tradiert und benutzt werden. […] Sie bilden einen Zusammenhang, ein System […], das in allen Diskursen auftritt, und als solcher Zusammenhang liefern sie uns ein Bild, das wir uns von der gesellschaftlichen Wirklichkeit machen« (Jäger 2001: 133f).
Während Metaphern hier der Kollektivsymbolik untergeordnet sind, steht der Metaphernbegriff in den Politikwissenschaften häufig an oberster Stelle; Diskursanalysen werden häufig als Metaphernanalysen durchgeführt (z.B. Kirchhoff 2010; Hülsse 2003; Chilton 1996). Die Unterscheidung zwischen Kollektivsymbolen, sprachlichen Bildern, Symbolen und Metaphern ist nicht trennscharf – ihre exakte Differenzierung ist jedoch für diese Arbeit nebensächlich. Metaphern wie Kollektivsymbole können explizit wie implizit geschlechtliche Bedeutungen transportieren (z.B. die Metaphern ›Familie‹ oder ›Freundschaft‹ für die internationalen Beziehungen). Ich verwende ›Bilder‹ als Oberbegriff für (Kollektiv-)Symbole, sprachliche Bilder, Metaphern etc. (vgl. zur Unterscheidung zwischen Symbolen und Metaphern Kerchner 1999). Die tatsächlichen Deutungen und Narrationen eines Diskurses bzw. Diskursstranges und ihre geschlechtlichen Implikationen sind jedoch nicht unmittelbar aus
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dem Material ›ablesbar‹, sondern müssen sukzessive und interpretativ aus den Daten – und dort aussage- und textübergreifend – erschlossen werden (R. Keller 2005: 244). Einzelne Diskursfragmente, wie z.B. ein einzelner Zeitungsartikel, enthalten dazu in der Regel nur partielle Elemente. Insbesondere für die Rekonstruktion von Narrationen braucht man ein größeres Sample an Texten, da eine Narration niemals vollständig in einem Einzeltext enthalten ist (Viehöver 2003: 245). Die diskursanalytische Rekonstruktion der verschiedenen Deutungsmuster und Narrrationen orientiert sich dabei häufig an der Grounded Theory (Strauss/Corbin 1996) und verfährt explorativ und hypothesengenerierend, mit dem Ziel einer gegenstandsbegründeten Theoriebildung. Im Sprachgebrauch der Grounded Theory geht es dabei um die Entwicklung von ›Kodes‹, d.h., um die schrittweise, vom Material ausgehende Generierung abstrakter Kategorien zur Beschreibung und Interpretation einzelner Aussage- und Diskursbausteine (R. Keller 2004: 101). Die verschiedenen Strategien und Stufen der Kodierung zielen auf die begriffliche Verdichtung einzelner Textpassagen innerhalb von Dokumenten sowohl in analytisch-gliedernder wie auch in interpretativer Hinsicht, wobei die Richtung oder das Ziel dieser Verdichtung durch die spezifische Fragestellung vorgegeben wird (ebd.: 95). In einem ersten Schritt (dem offenen Kodieren) können z.B. diejenigen Dimensionen erfasst werden, die für die Fragestellung der Untersuchung als relevant zu betrachten sind (ebd.: 105). Für die vorliegende Arbeit sind dies z.B. die Kategorien der politischen Akteure, die damit verbundenen Eigenschafts- und Identitätszuschreibungen, Wertebezüge, Selbst- und Fremdpositionierung etc. Übergreifende Kodes dieser Untersuchung sind z.B. Freund- und Feindbilder, konkurrierende Männlichkeitsentwürfe und die Unterordnung des Weiblichen.
3. A NALYSESCHRIT TE Materialauswahl und Eingrenzung Mit FAZ und Spiegel wurden zwei Printmedien gewählt, die im deutschen Kontext als ›Meinungsführer‹ gelten. Ausschlaggebend für die Auswahl war neben Bekanntheitsgrad und Reichweite das Kriterium der Unterschiedlichkeit. Beide Medien unterscheiden sich in ihrer inhaltlichen und politischen Ausrichtung: Während die FAZ politisch eher rechts steht und als konservativ eingeordnet wird, galt der Spiegel lange Zeit als links-kritisch und umfasst mittlerweile ein breites Spektrum an politischen Positionen. Während die FAZ hauptsächlich auf Text setzt, ist für den Spiegel die Sprache des Bildlichen bzw. das Zusammenspiel von Text und zahlreichen Fotos charakteristisch. Während die FAZ täglich erscheint, erscheint der Spiegel wöchentlich, woraus sich ein anderer Modus der Nachrichtenaufbereitung, z.B. mehr Zeit für Hintergrundrecherchen, ergibt. Ingesamt strebt diese Arbeit jedoch keinen Vergleich zwischen Spiegel und FAZ an, vielmehr soll mit der Auswahl der beiden unterschiedlichen Medien das hegemoniale Sagbarkeitsfeld in Bezug auf den untersuchten Diskursstrang möglichst breit erfasst werden. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich auf den Zeitraum vom 12. September 2001, dem Tag nach den Anschlägen, bis zum 31. Dezember 2001, als die afghanische Übergangsregierung ihr Amt angetreten hat, der Bundestag der Beteiligung der Bundeswehr an der ›Schutztruppe‹ für Afghanistan zugestimmt hat und der Aufbruch der deutschen Soldaten zu ihrem Einsatz nach Afghanistan (im Januar 2002) kurz bevorsteht. In die Analyse flossen alle Artikel ein, die in ihrem Schwer-
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punkt auf die Ereignisse des 11. September und den Afghanistankrieg, insbesondere die deutsche Beteiligung am ›Krieg gegen den Terror‹, Bezug nehmen. Bei einer ersten Durchsicht der beiden ausgewählten Medien ergab sich zunächst ein sehr umfangreiches Textkorpus mit insgesamt 4.225 Artikeln. Auf den wöchentlich erscheinenden Spiegel entfielen dabei wesentlich weniger Artikel, insgesamt 369, wobei diese in der Regel wesentlich länger ausfielen als die FAZ-Artikel. In der FAZ beschäftigten sich im Untersuchungszeitraum 3.856 Artikel mit den Themen 11. September und Afghanistankrieg. Aufgrund der Fülle des Materials musste eine Eingrenzung vorgenommen werden. So wurden zunächst die Ressorts der FAZ auf die Bereiche Politik und Feuilleton beschränkt, wodurch das Textkorpus auf 2.583 FAZ-Artikel reduziert werden konnte. Weil Kommentare häufig explizit eine spezifische Meinung und Haltung – entweder des Kommentators bzw. der Kommentatorin oder der gesamten Zeitung – wiedergeben, ist diese Textgattung für die Analyse besonders interessant. Kommentare sind das klassische Ressort für argumentative Auseinandersetzungen mit einem Ereignis oder Thema, wobei auch widerstreitenden Meinungen und Deutungen in Abhängigkeit von den Verfasser_innen zutage treten. Wertungen werden hier explizit vorgenommen, wobei den Akteuren und ihren Handlungen Legitimität zugesprochen oder aber auch aberkannt werden kann. Für die Analyse wurde deshalb den so genannten meinungsbetonten Textsorten (Kommentar, Leitartikel etc.) Vorrang gegenüber den eher informationsbetonten Formanten (Meldung, Bericht etc.) eingeräumt (vgl. zur Bedeutung von Pressekommentaren Eilders et al. 2004). Darüber hinaus nehmen insbesondere die Spiegel-Titelgeschichte sowie der Leitartikel der FAZ aufgrund ihrer prominenten Platzierung auf der ersten Seite bzw. ihrer ausdrücklichen Bewertung der Geschehnisse eine besonders einflussreiche Position innerhalb des Diskurses ein. Diese Textsorten wurden deshalb ebenfalls bevorzugt berücksichtigt. Das Textkorpus wurde zunächst vollständig durchgearbeitet und mit Fokus auf die politischen Akteure sowie Aussagen und Implikationen in Bezug auf ›Geschlecht‹ Schritt für Schritt weiter reduziert. Darüber hinaus wurden ›typische‹ Artikel für eine Feinanalyse ausgewählt. Die Textanalysen wurden exemplarisch durch einzelne Bildanalysen des Spiegels ergänzt. Insgesamt orientiert sich die Vorgehensweise an dem von Margarete und Siegfried Jäger (vgl. Jäger/Jäger 2007 und 2003; Jäger 2001) vorgeschlagenen Zweischritt, bei dem erst eine allgemeine Strukturanalyse der Zeitung, dann eine vertiefende Feinanalyse einzelner Artikel – gemäß der zugrunde liegenden Fragestellung – erfolgt. Um den (geschlechtlichen) Subjektpositionen, die der Kriegsdiskurs bzw. der Diskursstrang ›11. September/Krieg gegen den Terror‹ bereitstellt, sowie den Regeln ihrer Herstellung und Verknappung auf die Spur zu kommen, setzt die Analyse bei der medialen Repräsentation der Akteure an. Im Verlauf der Analyse werden zunächst die dominierenden Repräsentationsund Deutungsmuster in Bezug auf den jeweiligen Akteur im chronologischen Verlauf herausgearbeitet. Danach werden die rekonstruierten Darstellungs- und Deutungsmuster auf ihre geschlechtlichen Implikationen hin untersucht.
Erster Analyseschritt: Strukturanalyse der ausgewählten Medien Die Strukturanalyse dient nach Jäger und Jäger dazu, Übersicht über den Inhalt und die Form der Berichterstattung zu erlangen (vgl. Jäger/Jäger 2003: 33). Ziel dieses Analyseschritts ist es, den allgemeinen Verlauf der Berichterstattung sowie ihre zentralen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen zu erfassen. Darüber hinaus sollen
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die zentralen Diskursstrangverschränkungen, Themen, Ereignisse und Akteure herausgearbeitet sowie die ungefähre Diskursposition – womit »ein spezifischer politischer Standort einer Person oder eines Mediums gemeint ist« (Jäger/Jäger 2007: 28) – (vorläufig) bestimmt werden. Die Strukturanalyse zielt somit darauf ab, wiederkehrende (Deutungs-)Muster, Regelmäßigkeiten, spezifische Themenverknüpfungen etc. im zeitlichen Verlauf zu erfassen, mit denen die Medien auf Terrorismus und Krieg reagieren und die Ereignisse beschreiben und verarbeiten. In diesem Teil der Analyse werden noch keine umfassenden Interpretationen vorgenommen; vielmehr wird das Material gesichtet, aufbereitet und zusammengefasst. Darüber hinaus soll die formale Struktur der Berichterstattung, wie z.B. die (zahlenmäßige) Verteilung der Artikel auf die noch zu bestimmenden »diskursiven (Unter-)Ereignisse«14 sowie auf die unterschiedlichen Ressorts einer Zeitung/ Zeitschrift, die Einordnung der Artikel anhand der Presse-Textsorten (Nachricht, Kommentar, Interview etc.), mögliche Auffälligkeiten wie sprachlich-rhetorische Stilmittel und (Kollektiv-)Symbolik etc. erfasst werden (vgl. ebd.: 37f). Die Strukturanalyse liefert damit wichtige Hinweise auf inhaltliche Gewichtungen und Bewertungen sowie die mediale ›Dramaturgie‹ der Ereignisse insgesamt; sie legt damit den Grundstein für die weitere (Fein-)Analyse. Ressorts und Textsorten beispielsweise vermitteln Übersichtlichkeit und strukturieren die Inhalte und Themen einer Zeitung/Zeitschrift. Während die Zuordnung zu einem bestimmten Ressort eine thematische Orientierung bietet und bestimmte Zusammenhänge herstellt – z.B. unterstreicht die Platzierung des Themas ›11. September‹ im Wirtschafts-Ressort dessen ökonomische Bedeutung –, wird über die verschiedenen Textsorten eine Lese- und Verstehensanleitung transportiert, d.h., die Textsorte gibt den Leser_innen Aufschluss darüber, wie der Inhalt zu verstehen ist, z.B. als persönliche Einschätzung oder bewertende Meinung, als ›neutrale‹ Wiedergabe eines Sachverhaltes oder Ereignisses, als mitfühlende Reportage, als ergänzender Hintergrundbericht, als unterhaltende Reportage usw. (vgl. ausführlich Straßner 2000; Lüger 1995). Weiterhin lassen sich durch die Strukturanalyse die wichtigsten Akteure, also die Personen, die in der Berichterstattung am häufigsten genannt und am ausführlichsten dargestellt werden, sowie die diskursiven Ereignisse, über die am häufigsten und intensivsten berichtet wird, bestimmen. Mit diesem Teil der Analyse lässt sich das (mediale) Sagbarkeitsfeld im Hinblick auf den Diskursstrang ›11. September/Krieg gegen den Terror‹ grob umreißen.
Zweiter Analyseschritt: Die Repräsentation der Akteure und ihre geschlechtlichen Implikationen Nach der gründlichen Durchsicht des Materials, der Reduzierung des Textkorpus auf die aussagekräftigen Artikel sowie der Strukturanalyse beginnt die eigentliche Analyse, die Antwort auf die Frage nach Bedeutung und Funktion von Geschlechter14 | Margarete und Siegfried Jäger versteht unter »diskursiven Ereignissen« Geschehnisse, »die im Diskurs breiten Raum einnehmen und daher dazu geeignet sind die Bewertungs- und Beurteilungskriterien des Diskurses neu zu ›mischen‹. Es handelt sich um Ereignisse, die den Diskursverlauf nachhaltig verändern können« (Jäger/Jäger 2003: 32). Diskursive Ereignisse bergen damit die Chance, alte Strukturen aufzubrechen, den Diskurs zu verschieben, neue Deutungsmuster in den Diskurs einzuspeisen oder alte zu variieren oder neu zu gewichten (vgl. auch Schwab-Trapp 2002 und 2007).
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konstruktionen im Kontext von Krieg und ›Terror‹ liefern soll. Bei der Rekonstruktion der geschlechtlichen Zuschreibungen und Bilder ergibt sich zunächst folgende Schwierigkeit: Im Themenkomplex Krieg, internationale Beziehungen und Politik wird ›Geschlecht‹ zumeist unsichtbar gemacht. Die Sphäre des Politischen ist durch einen »diskreten Maskulinismus« gekennzeichnet, wie Kreisky (1997) es ausdrückt, und gibt sich zumeist einen abstrakten und geschlechtsneutralen Anschein. Aufgrund dessen ist davon auszugehen, dass Aussagen über Männlichkeit und Weiblichkeit im Diskus über ›Terror‹, Krieg und Politik nach dem 11. September überwiegend implizit auftauchen (anders als z.B. in dem eingangs zitierten EmmaBeispiel) und der Berichterstattung gleichsam als Subtext unterlegt sind. Eine Analyse, die beim Offensichtlichen und Expliziten ansetzt, wie der direkten Benennung von Personen und Eigenschaften als männlich oder weiblich, greift deshalb zu kurz. Sie kann die geschlechtlichen Implikationen, die die Denk- und Handlungsmuster des Politischen trotz ihrer Nichterwähnung strukturieren, nicht erfassen. Es bedarf vielmehr einer hermeneutischen Interpretationsarbeit, um den Tiefenstrukturen des Diskurses, den geschlechtlichen Implikationen auf die Spur zu kommen (vgl. Bewernitz 2010: 35). Um die ›unsichtbare Maskulinität‹ des Politischen zu dechiffrieren und die geschlechtlichen Rahmungen von Politik und Krieg sichtbar zu machen, schlägt Mordt einen analytischen ›Umweg‹ vor: So gibt z.B. die Frage, wie ein erfolgreicher Politiker beschaffen sein muss, Auskunft über gefragte (geschlechtlich konnotierte) Eigenschaften und Handlungskompetenzen. »Sucht man in den Theorien Internationaler Beziehungen nach Hinweisen auf das Menschenbild, mit dem sie arbeiten, findet man noch am ehesten Hinweise darauf, welche Charakteristika ein erfolgreicher Politiker aufweisen muss.« (Mordt 2002: 64) Weitere Hinweise auf geschlechtliche Implikationen liefern die jeweiligen Attribuierungen und Kontextualisierungen der politischen Akteure, so z.B. spezifische Eigenschaftszuschreibungen wie Aktivität/Passivität, Stärke/Schwäche, Rationalität/Emotionalität, ihre Platzierung im öffentlichen oder privaten Raum, Bezüge auf Äußerlichkeiten wie Kleidung und Frisur, Verweise auf ›kulturelle‹ Herkunft, sexuelle Orientierung etc. Um die Reproduktion binärer Geschlechterstereotype durch die Analyse selbst zu vermeiden, ist es wichtig, auch Irritationen und Brüche bzw. widerständige Subjektpositionen zu erfassen. Eine feministische Analyse darf sich »nicht nur von der Dichotomie männlich-weiblich leiten lassen, sondern muss auch die Konflikte zwischen unterschiedlichen Männlichkeits- und Weiblichkeitsbildern in den Blick nehmen«, wie Mordt betont (2002: 77). Nur so können Brüche und Verschiebungen, welche die Geschlechtergrenzen irritieren und/oder unterlaufen, analytisch erfasst werden (ebd.). Das Konzept einer kulturübergreifenden, immergleichen militarisierten Männlichkeit beispielsweise greife zu kurz; vielmehr sei davon auszugehen, dass es unterschiedliche Männlichkeitsbilder gibt, die in Abhängigkeit von ihrem sozialen, kulturellen und historischen Kontext variieren (vgl. Mordt 2002). Das medial produzierte Bild der politischen Akteure ist nach dem 11. September – so meine These – von konkurrierenden Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit geprägt und wird zugleich von den kulturalistischen Konstruktionen von ›Freund‹ und ›Feind‹, wie sie mit dem 11. September ebenfalls zunahmen, überlagert. Folgerichtig erweist sich eine intersektionale Perspektiverweiterung, die Geschlecht nicht isoliert, sondern stets im Zusammenspiel mit anderen sozialen Kategorien wie Nationalität, kultureller Hintergrund, Ethnizität, sexuelle Orientierung etc. betrachtet, als unverzichtbar (vgl. zum Konzept der Intersektionalität z.B. Winker/Degele 2009; Lutz et al. 2010).
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Im Anschluss an diese Überlegungen lassen sich folgende Leitfragen formulieren, die bei der Auseinandersetzung mit dem empirischen Material als Orientierung dienen (vgl. ähnlich auch Feth 2007): • Welche (individuellen und kollektiven) Akteure werden benannt (Personen, Gruppen, Nationen, Kulturen, Religionen etc.)? Mit welchen Eigenschaften, Verhaltensweisen, Rollenvorstellungen und Identitäten werden sie in Verbindung gebracht? Welche Zuschreibungen werden dabei positiv, welche negativ bewertet? • Welches Wissen in Bezug auf Geschlecht liegt dem Gesagten zugrunde bzw. wird in den Rollen- und Identitätszuschreibungen (implizit/explizit) aktualisiert? Welche (geschlechtlichen) Metaphern und Symboliken kommen zum Einsatz? • Wie werden die Aktanten zueinander ins Verhältnis gesetzt? Woran machen sich Differenzen und Hierarchien fest? • Wo sind Brüche im dichotomen und heteronormativen Verständnis von Weiblichkeit und Männlichkeit erkennbar? Inwiefern entsteht Raum für neue Deutungsmuster und Rollen? • Wie sind die verschiedenen Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit wiederum in den Gesamtkontext von Krieg und ›Terror‹ eingelassen? Welche Funktion erfüllen sie? Ansatzpunkt der Analyse bilden zunächst die politischen Akteure bzw. Aktanten, die in FAZ und Spiegel als Hauptakteure benannt werden: George W. Bush, Gerhard Schröder, Joschka Fischer, die Grünen, Bundeswehr- und US-Soldaten, Terroristen und afghanische Frauen. Das Material wird nun zunächst bezüglich der Akteure bzw. Akteursgruppen offen kodiert. Die Artikel, teilweise auch nur Artikelabschnitte, werden aus ihrem ursprünglichen Kontext gelöst und im Hinblick auf die Akteure neu gruppiert und geordnet. Im Zuge der Strukturanalyse sind jedoch nicht nur individuelle, sondern auch kollektive und nationale Akteure wie die USA, Europa und Deutschland als wichtige Handlungsträger identifiziert worden. Zudem ist die Unterscheidung zwischen individuellen und kollektiven (nationalen) Akteursrepräsentationen nicht immer trennscharf, da die Berichterstattung in beiden Medien sehr personalisiert verfährt. Wenn beispielsweise von Präsident Bush die Rede ist, ist damit häufig die gesamte USA gemeint. Als wichtige kollektive Akteure haben sich darüber hinaus die Bundeswehr und die deutsche Bevölkerung herausgestellt. Über beide wird jedoch eher indirekt gesprochen, z.B. wenn es um die (Neu-)Ausrichtung der deutschen Politik nach dem 11. September geht. Die Darstellung des ausgewerteten Materials (Kap. IV.) gliedert sich grob in zwei Teile: Sie beginnt jeweils mit einer Präsentation der zentralen akteursbezogenen Darstellungs- und Deutungsmuster im zeitlichen Verlauf. Dabei bleibt sie nah am Text; die Diskursfragmente werden ausführlich zitiert und zusammenfassend beschrieben. In diesem Abschnitt arbeite ich typische Argumentationsmuster, wiederkehrende Deutungen und übergreifende Narrationen in Bezug auf die Akteure und das politische Handeln heraus. Dabei frage ich, welche Konstruktionen kollektiver (deutscher, US-amerikanischer, westlicher, islamischer usw.) Identitäten mit den individuellen Akteuren verknüpft sind, wie innen- und außenpolitisches Handeln argumentativ begründet und legitimiert wird und welche geschlechtlichen Implikationen, z.B. Äußerungen im Hinblick auf das Ideal eines erfolgreichen Politikers, dabei zum Tragen kommen. Um die Analyse nachvollziehbar zu machen und um einen
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Eindruck des jeweiligen Duktus und Stils der Berichterstattung zu ermöglichen, werden zum Teil längere Textpassagen wörtlich wiedergegeben. Alle Kursivsetzungen in den zitierten Textbeispielen sind, wenn nicht anders gekennzeichnet, von mir und machen den Kodierungs- und Analyseprozess für die Leser_innen transparent. Im jeweiligen Schlussteil, dem Abschnitt »Analyse«, erfolgt dann die vertiefende Interpretation und Diskussion der rekonstruierten Deutungsmuster in Bezug auf Geschlecht, d.h., die Repräsentation der Akteure wird in Hinblick auf die zugrunde liegenden Geschlechterbilder analysiert und – gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Ergebnisse zu den anderen Akteuren – in einen weiteren gesellschaftlichen, politischen und diskursiven Kontext gestellt. Dabei arbeite ich wiederkehrende und (Akteurs-)übergreifende Deutungsmuster, wie sie erst aus der Perspektive eines von den einzelnen Diskursfragmenten (Presseartikeln) abstrahierenden »Diskursbeobachters«, der den »analysierten Diskursbeitrag überschreitet und Verbindungslinien zu anderen Diskusbeiträgen und Diskursen zieht« (Schwab-Trapp 2002: 83) sichtbar werden, heraus. Es werden die Verknüpfungen zwischen individuellen und kollektiven Identitätskonstruktionen nachgezeichnet und die den Deutungsmustern innewohnenden Legitimationspotenziale in Bezug auf das politische Handeln, insbesondere den Einsatz militärischer Gewalt, expliziert. Am Ende wird jeweils die Diskursposition der beiden Medien, wie sie sich anhand der jeweils unterschiedlichen Repräsentation der Akteure rekonstruieren lässt, weiter konkretisiert. Diese Art der Darstellung, die die beschreibende von der interpretierenden Analyse abgrenzt, orientiert sich grob an der Vorgehensweise von Schwab-Trapp, der im Anschluss an Ralf Bohnsack eine »formulierende Interpretation« und eine »reflektierende Interpretation« unterscheidet (ebd.: 82). Um eine Interpretation handelt es sich jedoch in beiden Fällen, denn allein die Auswahl und Anordnung sowie die Untergliederung der Diskursbeiträge in spezifische Themenkomplexe sind bereits integraler Bestandteil eines Interpretationsprozesses (ebd.). Zudem orientiert sich auch die textnahe formulierende Interpretation – also die jeweils in der ersten Hälfte erfolgte Präsentation des empirischen Materials – bereits an der Frage nach den inhärenten Geschlechterkonstruktionen und ist deshalb in dieser Richtung ›voreingenommen‹.15
15 | Die skizzierte Trennung der Darstellung der Analyseergebnisse in einen beschreibenden und einen interpretierenden Teil konnte zudem nicht immer konsequent umgesetzt werden. So wird der erste beschreibende Teil bereits hier und da von interpretierenden Passagen durchbrochen; ebenso wie der interpretierenden Teil teilweise durch beschreibenden Textstellen ergänzt wird.
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III. Die Deutung der Ereignisse im zeitlichen Verlauf: Der 11. September und der Krieg in Afghanistan in Spiegel und FAZ
Im Folgenden werde ich die Berichterstattung in den beiden ausgewählten Medien Spiegel und FAZ in Hinblick auf ihre formale Struktur (z.B. Ressort- und Textsortenzuordnungen), thematischen Schwerpunktsetzungen und inhaltlichen Argumentationsmuster sowie ihre politisch-ideologische Verortung (Diskursposition) in Bezug auf die Anschläge des 11. September und den ›Krieg gegen den Terror‹ beleuchten. Die Strukturanalyse beginnt dabei jeweils mit einer allgemeinen Charakterisierung der Zeitung. Ziel dieses Analyseschrittes ist es, sich einen Überblick über das Sagbarkeitsfeld zu verschaffen, indem die zentralen Ereignisse, Akteure, Themen bzw. Diskursstrangverschränkungen, (Kollektiv-)Symboliken sowie die Diskursposition des jeweiligen Mediums in ihrer Tendenz (vorläufig) bestimmt werden. Es wird herausgearbeitet, welche textübergreifenden Deutungsmuster und Narrative im chronologischen Verlauf der Berichterstattung ausgemacht werden können und wie sich diese im Verlauf der Berichterstattung verändern. Bei der Analyse des inhaltlichen Verlaufs wird zudem ein besonderes Augenmerk auf die jeweils erste Ausgabe des Mediums nach dem 11. September gelegt, da in den ersten unmittelbaren Reaktionen auf die Ereignisse zum Teil bereits Interpretationen angestellt und Deutungsmuster angelegt werden, die sich nicht nur im weiteren Verlauf der Berichterstattung verfestigen, sondern die auch das Framing der weiteren Geschehnisse insgesamt beeinflussen. Von besonderem Interesse sind zudem diejenigen Deutungsmuster und Kollektivsymbole, die sich direkt auf die Ereignisse des 11. September beziehen (z.B. das Deutungsmuster ›Krieg‹), da sie bereits einen Rahmen aufspannen, in dem sich die nachfolgenden Deutungen bewegen und in den die Darstellung der Akteure eingebettet wird. Erst in der anschließenden Feinanalyse (Kap. IV.), die sich primär auf die Darstellung und Charakterisierung der Hauptakteure richtet, erfolgt eine vertiefende Analyse der Berichterstattung, in der es darum geht, die geschlechtlichen Implikationen des Gesagten herauszuarbeiten. Mit der Analyse der Akteure sowie der Kollektivsymbolik kommen hier zwei der wichtigsten Analyseinstrumente der »Kritischen Diskursanalyse« zum Einsatz (vgl. Kap. II.2). Insgesamt orientiert sich die Berichterstattung in Spiegel und FAZ stark an den politischen Ereignissen, wobei die Anschläge am 11. September und der Beginn der Luftangriffe auf Afghanistan die beiden Großereignisse bilden. Für FAZ und Spiegel
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lassen sich vier diskursive Ereignisse bestimmen, über die besonders häufig und intensiv berichtet wurde: 1. die Anschläge am 11. September 2001 und die internationalen politischen Reaktionen 2. der Beginn des Afghanistankrieges (7.10.2001) 3. Schröders Vertrauensfrage und Bundestagsbeschluss über die Beteiligung am Afghanistankrieg (16.11.2001) 4. die Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg (27.11. bis 5.12.2001) Da die Ereignisse zeitlich dicht beieinander liegen und alle in unmittelbarem Zusammenhang zu den Ereignissen des 11. September stehen, macht es wenig Sinn, eine Verteilung der Artikel entsprechend der diskursiven Ereignisse vorzunehmen. Insgesamt ist die Berichterstattung in den Monaten nach dem 11. September äußerst intensiv und bleibt bis Ende des Jahres 2001 nahezu konstant, erst danach ist eine deutliche Abnahme des medialen Interesses zu erkennen.
1. S TRUK TUR ANALYSE DES N ACHRICHTENMAGA ZINS D ER S PIEGEL 1.1 Auflagenstärke, Ausrichtung und Besonderheiten Ein wichtiger Grund für die Auswahl des Nachrichtenmagazins Der Spiegel als Untersuchungsgegenstand ist sein Status als ›Leitmedium‹. Das Nachrichtenmagazin erscheint seit 1947 einmal wöchentlich, immer montags, mit einer durchschnittlichen Auflage von knapp 1,1 Millionen.1 Dem Spiegel kommt damit die höchste Auflagenstärke unter den Wochenmagazinen zu, dicht dahinter folgen Stern und Focus. Der Spiegel wirbt daher mit dem Slogan »Deutschlands bedeutendstes und Europas auflagenstärkstes Nachrichten-Magazin«. So lesen jede Woche rund sechs Millionen Bundesbürger_innen den Spiegel, das entspricht etwa 9 Prozent der Gesamtbevölkerung über 14 Jahre.2 Der selbsterklärte Anspruch des Spiegels ist eine umfassende und objektive Information seiner Leser_innen über die Geschehnisse der zurückliegenden Woche, wobei journalistische Ideen mit »spannenden« und »atmosphärisch dichten« Geschichten verbunden werden.3 Das Themenspektrum ist breit gefasst und umfasst u.a. die Bereiche Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Unterhaltung, Medien und Sport. Indem der Spiegel bestimmte Themenschwerpunkte und Trends setzt, hat er zudem großen Einfluss auf die Themenagenden anderer Medien. So gewinnt der Spiegel seit Jahren das von Media Tenor erstellte »Zitate-Ranking« und gilt als »Agen-
1 | Diese Zahl und alle folgenden Zahlen und Zitate sind der Spiegel-Webseite entnommen, vgl. www.spiegelgruppe.de und www.spiegel-qc.de (letzter Zugriff 14.12.2011). 2 | Vgl. www.spiegel-qc.de/deutsch/partner__preise/der_spiegel/leser.php (letzter Zugriff 14.12.2011). 3 | Vgl. www.spiegel-qc.de/deutsch/media/dokumente/partner/specials/sp_broschuere_ faszination_2010.pdf (letzter Zugriff 14.12.2011).
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da-Setter« Nummer Eins in Deutschland.4 Die Spiegel-Themen werden vorab über die Nachrichtenagenturen verbreitet. In der journalistischen Praxis gehört der Spiegel zur wöchentlichen Pflichtlektüre der Redakteur_innen (Huhnke 1993: 219). Der Spiegel richte sich, so erfährt man auf der Webseite, an eine wirtschaftlich und gesellschaftlich aktive Zielgruppen bzw. Menschen, die Freude daran haben, sich mit politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Themen auseinander zu setzen. Spiegel-Leser_innen gehören dabei zu den höheren und besonders kaufkräftigen Einkommensschichten, verfügen über eine »hohe formale Bildung« und zählen zu den beruflichen »Entscheidern in Wirtschaft und Verwaltung der Bundesrepublik«.5 Spiegel-Leser_innen bilden damit die »Spitze der (gesellschaftlichen) Pyramide« der Bundesrepublik: »Es sind Menschen, die denken, bevor sie handeln.«6 Laut Selbstauskunft ist der Spiegel »politisch unabhängig« bzw. »niemandem – außer sich selbst und seinen Lesern – verpflichtet und steht keiner Partei oder wirtschaftlichen Gruppierung nahe.«7 Die Berichterstattung zeichne sich durch gründliche Recherche und verlässliche Qualität aus. So arbeiteten zumeist mehrere Redakteure und Korrespondenten an einer Story. Die Journalisten legten dabei das Hauptaugenmerk auf politische und gesellschaftliche Ereignisse und deckten bei ihren Recherchen Fakten und Daten auf. Bis auf den heutigen Tag habe der Spiegel »immer wieder Affären und Skandale publik gemacht – mit einschneidenden
4 | Für das »Zitate-Ranking« ermittelt das Bonner Medienforschungsinstitut Media Tenor jedes Jahr, wie oft Nachrichten und Interviews von anderen Medien aufgegriffen und als Quelle genutzt werden. Der Spiegel behauptet sich hier seit Jahren an der Spitze als das meistzitierte Medium in Deutschland und gilt deshalb als »Agenda-Setter« Nummer eins – dicht gefolgt von der Bild-Zeitung. Die Untersuchung für das Jahr 2005, bei der insgesamt 44.655 Zitate in 39 deutschen Meinungsführermedien ausgewertet wurden, ergab z.B., dass der Spiegel insgesamt 2.241 als Quelle ausgewiesen wurde, die Bild-Zeitung folgte mit einigem Abstand mit 1.556 Nennungen (vgl. www.mediatenor.de/newsletters.php?id_news=222; letzter Zugriff 13.12.2011). Auch im Jahr 2011 ist der Spiegel erneut Spitzenreiter, dicht gefolgt von der Bild-Zeitung, und gewinnt deshalb den »Media Tenor Award of the Decade«, der im Rahmen der 12. Agenda Setting Konferenz von Media Tenor International vergeben wird (vgl. http://agendasetting.biz/index.php/press-kit-2011/121-spiegel-gewinnt-agenda-setter-award-of-the-decade; letzter Zugriff 13.12.2011) 5 | Spiegel-Leser_innen seien »im richtigen Alter«, »gebildet«, »beruflich erfolgreich« und »kaufkräftig«, heißt es auf der Webseite (www.spiegel-qc.de/deutsch/partner__preise/ der_spiegel/leser.php; letzter Zugriff 14.12.2011). Die Struktur der Leser_innenschaft weist klare Schwerpunkte in der Altersgruppe 20 bis 49 Jahre (51 % der Leser_innen) auf. Von den insgesamt 6,53 Mio. Leser_innen pro Ausgabe sind 67 % männlich und 33 % weiblich. Zudem verfügen 54 % der Spiegel-Leser_innen über einen (Fach-)Hochschulabschluss; 40 % der Leser_innen sind »beruflich erfolgreich« und arbeiten als Selbstständige, Freiberufler, qualifizierte/leitende Angestellte oder Beamte im gehobenen/höheren Dienst, wobei 58 % über 2.500 Euro netto im Monat verdienen (Stand 2011; vgl. www.spiegel-qc.de/deutsch/ media/dokumente/partner/sozio/sp_soziodemografie.pdf; letzter Zugriff 14.12.2011). 6 | Vgl. www.spiegel-qc.de/deutsch/media/dokumente/partner/specials/sp_broschuere_ faszination_2010.pdf (letzter Zugriff 14.12.2011). 7 | Vgl. www.spiegelgruppe.de/spiegelgruppe/home.nsf/Navigation/440FBE98BAF7E2F8 C1256FD5004406DD?OpenDocument (letzter Zugriff 14.12.2011).
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politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen«.8 Dieser ›investigative Journalismus‹ und eine in entsprechenden Kontexten oftmals eingenommene regierungskritische Position gelten als typisch für den Spiegel und haben ihm bis heute eine Wahrnehmung als ›links‹ bzw. »als Flaggschiff des gesellschaftskritischen Journalismus« (z.B. Becker 2003a: 17) beschert. Parallel dazu wird der Spiegel jedoch seit Erscheinungsbeginn wie kaum eine andere Zeitschrift von Diskussionen und Kontroversen begleitet. Die Kritik bezieht sich zum einen auf die politische, vermeintlich links-kritische Ausrichtung des Magazins9 und zum anderen auf den nach Sensationen – und damit Verkaufszahlen – heischenden Stil des Enthüllungsjournalismus. Umstrittene Trendgeschichten über ›Homosexuelle‹ und ›Ausländer_innen‹ und eine stark an rassistischen und (hetero-)sexistischen Stereotypen orientierte Berichterstattung haben dem Spiegel den Ruf der »Minderheitenfeindlichkeit« (Huhnke 1996a: 107) eingebracht. Dennoch scheint sich der Spiegel einer eindeutigen politischen Zuordnung zu entziehen. Beruhend auf den Ergebnissen einer Reihe von Diskursanalysen umreißen Siegfried und Margarete Jäger (2003: 36) die allgemeine Diskursposition des Magazins wie folgt: Der Spiegel »dürfte die gesamte Bandbreite der politischen Positionen des hegemonialen Diskurses repräsentieren« (2003: 36). Auch wenn sich der Spiegel eindeutiger Standpunkte meist enthält, sei er ein klassisches Beispiel für »ein wesentlich auch auf die Verbreitung und Inszenierung von Meinungen bauendes Medium« (ebd.). Der Spiegel ist damit nicht nur ein ›Spiegel‹ verschiedener Meinungen, sondern zugleich ›Lenker‹ der (vor-)herrschenden gesellschaftlichen Diskurse.10 Durch die subtilen sprachlichen und rhetorischen Mittel, die an die Stelle einer expliziten Parteinahme oder Kritik treten, ist häufig nicht auf den ersten Blick zu erkennen, welche Haltung der Spiegel zu einem Thema einnimmt. Die konkrete Diskursposition des Spiegels lässt sich deshalb erst durch eine Analyse bestimmen (Jäger/Jäger 2007: 29). Erschwerend für die Einschätzung der Diskursposition kommt der für den Spiegel typische besondere Stil hinzu, der vordergründig Neutralität und Ausgewogenheit der verschiedenen Meinungen verspricht. In fast allen wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Spiegel werden die subtilen manipulativen Techniken der Meinungsbildung kritisiert (vgl. Farrokhzad 2006; Schiffer 2005; Ehmig 1991; Robling 1983; Straßner 1993; Huhnke 1993, 1996a und 1996b; Winter 2001). So schrieb Hans-Magnus Enzensberger bereits 1957 im Rückblick auf zehn Jahre Spiegel-Geschichte, dass kein publizistisches Organ die Technik der Suggestion so gut beherrsche wie der Spiegel (zit.n. Huhnke 1996a: 107; vgl. Brumm 1980). Brigitta Huhnke (1996a: 108) bilanziert, dass der Spiegel mit 8 | Vgl. www.spiegelgruppe.de/spiegelgruppe/home.nsf/Navigation/00725D93EF0ABA5B C1256FD600330072?OpenDocument (letzter Zugriff 14.12.2011). 9 | Dieter Brumm schreibt dazu bereits 1980: »Heute ist der Mythos des ›Spiegel‹ – ob ›Sturmgeschütz der Demokratie‹, ob angebliche Unabhängigkeit von den Interessen der Anzeigenkunden – verblasst. Was geblieben ist, ist ein schon nicht mehr ganz junges, kulinarisch gestaltetes Blatt mit recht erfolgreicher Zielgruppenstrategie, trotz umfangreicher Berichterstattung über Politik und mancher Phasen des Engagements in der eigenen Haltung eher unpolitisch – kurz: ein deutsches Magazin – und im Zweifelsfall gewiss kein linkes« (Brumm 1980: 200). 10 | Simon Möller vergleicht die Funktion des Spiegels auch mit einem »Ruder im Strom des politischen Diskurses der Bundesrepublik« (1999: 103).
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persuasiven Methoden der Meinungsmache arbeite und damit journalistische Standards verletze, die eine klare Trennung von Meinung und Nachricht voraussetzten. Den vom Spiegel vertretenen ›investigativen Journalismus‹ bezeichnet sie deshalb als »Mythos« und verweist auf die restaurativen und demagogischen Tendenzen in der Berichterstattung seit Ende der 1960er Jahre, etwa eine »Verteufelung der Linken« (ebd.: 106). Laut Simone Christine Ehmig (1991) sind für den Spiegel-Stil folgende Merkmale charakteristisch: die Konzentration auf besonders spektakuläre und konflikthaltige Themen und Ereignisse, eine hochgradige Personalisierung der Themen und eine spezielle Sprache, die abwechslungsreich, salopp im Ausdruck, z.B. durch originelle Wortschöpfungen, bildhaft und manieriert ist und sich dadurch alltags- und publikumsnah präsentiert (vgl. auch Robling 1983; Enzensberger 1957). Ein wichtiges und häufig eingesetztes Stilmittel ist die Verwendung von Zitaten, d.h., oftmals werden Informationen in Form von Äußerungen Dritter, z.B. Politiker_innen oder Wissenschaftler_innen, wiedergegeben. Dadurch werden Genauigkeit, Authentizität und der Eindruck, der Spiegel sei überall dabei gewesen, suggeriert – zugleich aber unterschwellig Wertungen und Meinungen transportiert (hierzu ausführlich Ehmig 1991). Dies geschieht u.a. durch die Auswahl von Zitaten, die nur eine bestimmte Meinung widerspiegeln, durch die spezifische Einbettung der Zitate im Text, durch das Herausreißen eines Zitats aus dem Kontext oder unvollständiges Zitieren, durch das Fehlen von Quellenangaben etc. Gerade Letzteres hat zur Folge, dass die Zitate kaum überprüfbar sind. Auch transportieren die Zitate häufig banale Aussagen, die von irgendjemandem stammen könnten, aber dadurch, dass sie als Zitat eines nicht näher benannten »Regierungssprechers«, »Insiders«, »Politik-Beraters« oder »Wehrexperten« – diese Angaben fanden sich in der Berichterstattung über den 11. September – präsentiert werden, erscheinen sie besonders fundiert und wahrhaftig (vgl. Ehmig 1991). Das Zitieren kann auch dazu dienen, eine rassistische Äußerung als Aussage eines Dritten wiederzugeben, ohne dass das Magazin bzw. der Autor oder die Autorin für die Inhalte direkt verantwortlich gemacht werden können. Gerade diese unkommentierte Wiedergabe von Zitaten stellt ein beliebtes Stilmittel des Spiegels dar (Farrokhzad 2005: 65). Franz-Hubert Robling (1983: 105f) hebt in einer inhaltsanalytischen Untersuchung der Personendarstellungen im Spiegel die Effekte der ironischen Verfremdung, Kontrastierung und affirmativen Metaphorisierung als charakteristische Stilmerkmale des Spiegels hervor. An der Personalisierung von Nachrichten handelt als einer für den Spiegel typischen Informationstechnik kritisiert Robling v.a. die Reduzierung von überindividuellen, gesellschaftlichen Vorgängen auf das Verhalten einzelner Personen, wodurch zwar Unterhaltsamkeit und Konkretion erreicht werden können – aber auch indirekt und subtil Meinungsmache durch die Ausblendung größerer Zusammenhänge betrieben wird (vgl. ebd: 3ff; weiterführend zur Problematik der Personalisierung und ›Boulevardisierung‹ der Politik in den Medien van Zoonen 2005; Lünenborg 2009; Dörner 2001). Dabei spiele besonders der »Witz« der Spiegel-Sprache eine große Rolle für diese indirekte Bewertung der Personen und die Artikulation von Kritik (ebd.: 105f). Der Spiegel zeichne sich weniger durch Argumente als durch eine prinzipielle Haltung, die man als »die Obrigkeit lächerlich machen« (ebd.) bezeichnen könne, aus. Auch jüngere Untersuchungen des Spiegels bestätigen die frühen Ergebnisse: Die Enthüllungsgeschichten des Spiegels sind geprägt von einer starker Skandalisie-
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rung, Inszenierung und Personalisierung, wohingegen die gesellschaftliche Bandbreite an Themen und Meinungen unausgeschöpft bleiben. So werden bestimmte Themengebiete wie z.B. soziale Bewegungen oder frauenpolitische Themen generell stark vernachlässigt (vgl. Huhnke 1996a). Insbesondere die sensationalisierenden Titel-Collagen geben immer wieder Anlass zur Kritik (vgl. für Beispiele Jäger/ Jäger 2007; Becker 2002). Der Spiegel gelte als seriöses und liberales Nachrichtenmagazin, weise aber »bezüglich des Themas Einwanderung einen ausgeprägten Kulturrassismus auf«, so das Ergebnis einer Untersuchung von Schahrzad Farrokhzad über die Konstruktion der ›fremden Frau‹ in deutschen Medien (2006: 63; vgl. auch Huhnke 1996b; Schiffer 2005). Speziell in Bezug auf die Darstellung von Geschlecht oder geschlechterpolitischen Themen im Spiegel liegen folgende Ergebnisse vor: Huhnke (1996a) bescheinigt dem Spiegel anhand einer Fallstudie zwischen 1980 und 1995 eine ausgeprägte »Frauenfeindlichkeit«, die sich in erster Linie überindividuell äußere: in der Ignoranz frauenpolitischer Themen, der starken Tendenz zur Personalisierung und dem damit verbundenen Namedropping, das sich vorrangig an den männlich dominierten Eliten orientiere (ebd.: 108). Über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg forme sich, so Huhnke, ein sexistischer Diskurs, der trotz des sich in den letzten 20 Jahren vollzogenen sozialen Wandels Frauen v.a. als »das Andere« und »das Minderwertige« ausgrenzt (ebd.: 242). Die Charakterisierung von Frauen bediene sich althergebrachter Stereotype und Klischees, die mithilfe von Anspielungen, Schlagworten und metaphorischen Konzepten transportiert werden (ebd.: 229). Häufig zu finden seien Anspielungen auf das äußere Erscheinungsbild, (sexuelle) Attraktivität oder andere vermeintlich weibliche Eigenschaften. »Feministinnen« werden dabei besonders negativ dargestellt, so das Ergebnis der Analyse. Die Zuschreibung »Feministin« oder »feministisch« werde fast ausschließlich in diskriminierender Absicht verwendet und fungiere als Stigma- und Schimpfwort für Frauen (ebd.: 186ff). Feministische Forderungen oder frauenpolitische Themen werden zudem häufig vehement und aggressiv zurückgewiesen, Feministinnen denunziert, lächerlich gemacht oder abqualifiziert, wobei eine Kampf- und Kriegsmetaphorik auffällig ist (ebd.: 190ff). Huhnke bezeichnet auf der Grundlage ihrer Analyseergebnisse »Misogynie als redaktionellen Grundwert« des Spiegels (ebd.: 249). Verifiziert werden diese Ergebnisse von Sabine Winters quantitativer Untersuchung »Sexismus in deutschen Nachrichtenmagazinen« (2001).11 Ihre Analyse der beiden Magazine Spiegel und Focus bestätigt die sexistischen Darstellungskonventionen von Weiblichkeit sowohl auf textlicher als auch auf bildlicher Ebene (für die folgenden Ausführungen vgl. ebd.). Dabei sind v.a. die Untersuchungen der bildlichen Darstellungsweisen von Geschlecht für die vorliegende Arbeit interessant. 11 | Dass über Frauen, Frauenbewegung oder frauenbezogene Anliegen und Themen nur selten berichtet wird, und wenn dann häufig in einer geschlechterstereotypen Art und Weise, gilt selbstverständlich nicht nur für den Spiegel, sondern für die Massenmedien generell (vgl. Journalistinnenbund 2005, Klaus 2005b; Schmerl 1985). Dabei gilt es ebenso zu bedenken, welche Themen in den Medien als ›Frauenthemen‹ definiert und damit abqualifiziert werden. Für feministische Untersuchungen stellt ›Androzentrismus‹ deshalb einen weiteren, häufig vernachlässigten Faktor dar, der den Nachrichtenwert bestimmt (vgl. zur patriarchalen Struktur von Massenmedien Prenner 1995, als Pionierarbeit gilt die Untersuchung von Tuchmann 1978).
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Frauen sind im Vergleich zu Männern als Politikerinnen unterrepräsentiert, als Anonyme hingegen überrepräsentiert. Sie werden seltener als Charaktere/Verstandesmenschen in Form eines Porträts oder als Trägerinnen statushöherer sozialer Positionen und sehr häufig als junge Frauen dargestellt. Dabei werden Frauen und Mädchen im Spiegel nur bis zu einem Alter von ca. 50 Jahren auf einem Titelbild oder allein abgebildet. Für die bildliche Darstellung des männlichen Geschlechts stellt Winter fest, dass diese in beiden Magazinen am häufigsten als Charaktere/ Verstandesmenschen, selten als Opfer, häufig als Täter, selten jung und am häufigsten in der Altersklasse von über 40 Jahren abgebildet werden (ebd.: 166). Während Frauenabbildungen v.a. Illustrations- und Demonstrationszwecke erfüllen, dienen Männerabbildungen hingegen Visualisierungs- und Dokumentationszwecken – so das Fazit (ebd.: 167). Auch auf der textlichen Ebene lassen sich sexistische Darstellungskonventionen beschreiben: Insgesamt kommen männliche Personen im Spiegel sechsmal häufiger als weibliche Personen vor, wobei die ›männliche‹ Sicht der Dinge häufig in Form von Expertenwissen vorgetragen wird. Es gibt neunmal so viele Experten wie Expertinnen (ebd. 166f). Handlungsträger werden ebenfalls überdurchschnittlich oft durch Männer repräsentiert. Im Spiegel kommen Handlungsträger durchschnittlich 6,5-mal so häufig vor wie Handlungsträgerinnen (ebd.: 157). Weibliche Personen kommen insgesamt wesentlich seltener und kürzer zu Wort als männliche. Zitate von Männern sind im Spiegel fünfmal so häufig und im Durchschnitt auch fünfmal so lang. Eine erste Durchsicht der Spiegel-Berichterstattung nach dem 11. September bestätigt die Ergebnisse: Frauen, insbesondere als politische Handlungsträgerinnen, kommen in der Berichterstattung kaum vor. Auch wenn Frauen auf den Fotos auftauchen, bedeutet das nicht, dass in den dazugehörigen Artikeln auf Frauen oder frauenpolitische Themen Bezug genommen würde. Häufig stehen die Fotos in keinem expliziten Zusammenhang zum Text. Insbesondere die Abbildungen von Frauen (und Kindern) erfüllen häufig eher eine symbolische Funktion. Nur ein einziger Artikel (40/2001: 167) im ausgewerteten Untersuchungszeitraum beschäftigt sich ausdrücklich mit den Belangen von (afghanischen) Frauen. Weitere Artikel greifen punktuell auf Schilderungen der Situation von Frauen, Mädchen und Kindern in Afghanistan zurück (z.B. 40/2001: 160, 42/2001: 178ff), z.B. wenn es um die Themen »Krieg«, »Hungerkatastrophe« oder »medizinische Versorgung« geht (vgl. dazu ausführlich Kapitel IV.6). Bezüge auf Not leidende Frauen (und Kinder), häufig vermittelt über Fotos, sind dabei besonders dazu angetan, bei den Betrachtenden Mitleid zu erwecken, und dienen auf diese Weise der Emotionalisierung (vgl. weiterführend Kirchner et al. 2002; Jäger/Jäger 2007; Scheufele/Gasteiger 2007).
1.2 Die formale Struktur: Ressorts, Textsorten, erste Ausgabe nach 9/11 Den Schwerpunkt einer jeden Spiegel-Ausgabe bildet die »Titelgeschichte«, die auf dem Cover angekündigt und ins Bild gesetzt wird. Ein oder mehrere Hauptartikel werden zumeist von einigen kürzeren Artikeln begleitet, die jeweils unterschiedliche Aspekte des Titelthemas behandeln. Dabei kommen unterschiedliche Textsorten wie Berichte, Reportagen, Nachrichten und Interviews zum Einsatz, die durch zahlreiche Fotos, Infokästen und Grafiken ergänzt und veranschaulicht werden. Abgerundet wird die Titelgeschichte häufig von einem Kommentar oder Essay namhafter Spiegel-Autor_innen oder Gäste aus Politik und Gesellschaft. In der Berichterstat-
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tung über den 11. September und den Krieg in Afghanistan kommen verschiedene prominente Gast-Autor_innen wie z.B. der Soziologe Ulrich Beck oder die Schriftstellerin Arundhati Roy zu Wort. Nach dem 11. September 2001 bilden die »Terror-Anschläge« und die Ereignisse und Themen, die damit explizit in Zusammenhang gebracht werden, wie der Afghanistankrieg, die Wirtschaftskrise oder das Thema »religiöser Wahn«, zwölf Mal in Folge die Titelgeschichte. Diese Serie wird Mitte Dezember von zwei anderen Titelthemen unterbrochen (Nr. 50 und 51), jedoch danach mit der letzten Spiegel-Ausgabe vor Jahresende (Nr. 52) sowie in der Jahreschronik (Nr. 53) wieder aufgenommen. Danach, mit Beginn des Jahres 2002, flaut das Interesse an der Thematik deutlich ab. Insgesamt bilden die Anschläge des 11. September also in 14 von 16 untersuchten Spiegel-Ausgaben den Titel oder den zentralen Referenzpunkt der Titelgeschichte, wodurch sich die Quantität und Intensität der Berichterstattung und damit die große öffentliche und mediale Bedeutung zeigt, die dem 11. September insgesamt beigemessen werden. Das Spiegel-Heft 38/2001 (Titel: »Der Terror-Angriff: Krieg im 21. Jahrhundert«) ist zudem mit über 1,4 Millionen Exemplaren bis heute das bestverkaufte in der Geschichte des Spiegels und beschäftigt sich primär mit den Ereignissen vom 11. September.12 Aufgrund der den Terroranschläge beigemessenen Dramatik und Dringlichkeit erscheint diese Spiegel-Ausgabe bereits zwei Tage früher als gewöhnlich, am Samstag den 15. September 2001. Insgesamt ist das Titelressort in dieser Ausgabe sehr umfangreich und macht mit seinen 152 Seiten über die Hälfte des Heftes aus. Dieses Heft als erste, zeitnahe Verarbeitung der Geschehnisse ist für die Analyse besonders aufschlussreich, da in den ersten ›spontanen‹ Reaktionen – wie bereits gesagt – Einschätzungen und Deutungen angelegt werden, die zugleich die Weichen für kommende Deutungen stellen. Die angesprochenen Themen können zudem als Indikator für die zentralen Diskursverknüpfungen angesehen werden, die die Berichterstattung des Spiegels in den folgenden Monaten prägen. Zentral ist v.a. die Verknüpfung des 11. September mit der ›Spurensuche‹ nach den Terroristen und weiteren Terrorverdächtigen in Deutschland und dem Themenkomplex Religion/Islam. Die am häufigsten und ausführlichsten behandelten Themen sind im Einzelnen: die genaue Rekonstruktion der Geschehnisse und des Tathergangs am 11. September, die unmittelbaren und zukünftig zu erwartenden Reaktionen der USA, die Ankündigung der »uneingeschränkten Solidarität mit den USA« durch Bundeskanzler Gerhard Schröder, die Suche nach den Tätern und Hintermännern in Deutschland, das globale Bedrohungspotential durch den ›islamistischen Terrorismus‹, die Folgen der Anschläge für die Weltwirtschaft, Spekulationen über Osama Bin Laden als Drahtzieher hinter den Anschlägen, Afghanistan und die Taliban als mögliche Ziele militärischer Vergeltungsschläge. Die Titelgeschichte endet mit einem Kommentar von Henryk M. Broder, in dem er die Verharmlosung des »islamischen Terrors« durch europäische Intellektuelle beklagt: »Samuel Huntington hatte recht: Es findet ein Kampf der Kulturen statt« (38/2001: 170). Hier wie an zahlreichen anderen Stellen wird zwischen ›islamisch‹ und ›islamistisch‹ nicht unterschieden.
12 | Vgl. www.spiegelgruppe.de/spiegelgruppe/home.nsf/Navigation/C226C5F6118D70E 0C12573F700562F49?OpenDocument (letzter Zugriff 14.12.2011).
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Der Diskursstrang ›11. September/Krieg gegen den Terror‹ wird über den gesamten Untersuchungszeitraum über das prominente Titelressort hinaus auch in fast allen anderen Ressorts des Spiegels aufgegriffen – allen voran im »Deutschland«-Ressort, gefolgt vom »Auslands«-Ressort. Darüber hinaus wird das Thema ebenfalls in den Ressorts »Gesellschaft«, »Wissenschaft und Technik«, »Wirtschaft«, »Medien« und »Kultur« ausgiebig diskutiert. Dadurch wird signalisiert, dass der 11. September nicht nur ein Ereignis von hoher politischer Relevanz ist, sondern so gut wie alle Bereiche des Lebens und der Gesellschaft durchdringt. Das Ressort »Serie« präsentiert zusätzlich eine 3-teilige Serie über die Entstehungsgeschichte der Taliban (Nr. 41-43) und eine weitere 4-teilige über die Hintergründe des 11. September (Nr. 48-51), wobei die ersten beiden Teile der letzten Serie zugleich die Titelgeschichte bilden (Nr. 48 und 49). Interessant ist die häufige Zuordnung des Themas zum »Deutschland«Ressort, wodurch die große Bedeutung der Ereignisse für den deutschen Kontext herausgestellt wird. Zudem zeigt sich bereits hier die innenpolitische Wendung des Themas ›11. September‹ im Spiegel.
1.3 Inhalte, Themenschwerpunkte und Diskursverschränkungen im zeitlichen Verlauf Der 11. September und die politischen Reaktionen: Krieg, Epochenzäsur und Katastrophe für die Menschheit Die Berichterstattung des Spiegels widmet sich in der ersten Ausgabe nach den Anschlägen und im weiteren Verlauf des Septembers ausführlich den Ereignissen in New York und Washington und den Folgen der Terror-Anschläge für Deutschland, Europa, die USA und die ganze Welt. Von besonderem Interesse sind die Reaktionen der USA bzw. des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush, der nach den Anschlägen einen weltweiten »Krieg gegen den Terror« ausrief, und die des deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder, der den USA am 11. September »uneingeschränkte Solidarität« zusicherte. Ferner werden die Reaktionen im Nahen Osten und Lateinamerika thematisiert. Bereits auf dem Titel der ersten Spiegel-Ausgabe nach dem 11. September werden die Anschläge als »Krieg« interpretiert, ein Deutungsmuster, welches auch in zahlreichen anderen Medien aufgegriffen wurde und sich nachhaltig etablierte (vgl. Weller 2002; Bünger 2001). Auch in der Berichterstattung werden die Begriffe »Krieg« und »Terror« wiederholt zur Beschreibung der Situation herangezogen und erzeugen eine Art Ausnahmezustand, was sich auch in Stil und Sprache der gesamten Ausgabe niederschlägt. Die Sprache ist äußerst bildgewaltig, es dominieren Extrembegriffe und Superlative, die ein tragisches Szenario von Tod und Leid, verbunden mit einer düsteren Weltuntergangsstimmung erzeugen. »[D]ieser sonnige Dienstag wird der dunkelste Tag in der Geschichte Amerikas. Es wird der Tag, an dem die riesige Stadt von einer epochalen, unvergleichlichen Katastrophe, von Tod, Elend und tiefster Verzweiflung heimgesucht wird. Es wird der Tag, an dem zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit eine Hand voll glühender Fanatiker ohne Vorwarnung eine stolze, reiche und waffenstarrende Supermacht angreift und so verheerend wütet, dass die Nation, ja, fast die ganze Welt in Angst und Depression versinkt.« (53/2001: 14)
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Die Rede ist vom »Ende der Welt« (38/2001: 152), dem »Krieg in Manhattan« (ebd.) und einem »dritten Weltkrieg« (ebd.: 147), vom »Horror in New York« (ebd.: 28 und 133) bzw. einer »Dramaturgie des Horrors« (ebd.: 126) sowie von der »größten Katastrophe in der Geschichte der Vereinigten Staaten« (ebd.: 21) und dem »unfassbarsten und ungeheuerlichsten Attentat in der Geschichte der Menschheit« (ebd.: 26). Insgesamt dominiert eine Kollektivsymbolik von Chaos, Zerstörung und Krieg. Die Anschläge werden mit einer »Atombombe« (ebd.: 146) verglichen und als ›Weltuntergang‹ metaphorisiert: »Sie liefen um ihr Leben, sie sprangen in den Tod – der Tag, an dem in Manhattan die Welt unterging« (ebd., Unterüberschrift). Religiöse Metaphern wie »das Böse« (ebd.: 147) und ein »Höllenfeuer mit offenbar Tausenden von Toten« (ebd.: 18) sind ebenfalls zu finden. All dies unterstreicht die Deutung der Anschläge als einmaliges, epochales Ereignis in der Geschichte der Menschheit: »Am 11. September wurden New York und die Welt von einem Attentat getroffen, wie es vorher keines gab«, lautet die Ankündigung zu der vierteiligen Serie über die »Hintergründe des Terrors« (50/2001: 94). Die Wortwahl hebt nicht nur das Ausmaß der Zerstörung hervor, sondern nimmt zugleich eine kulturalistische Grenzziehung zwischen ›uns‹ und den ›Angreifern‹ vor, wobei die vermeintliche Differenz über unterschiedliche Lebensformen, Wertvorstellungen und das Thema ›Verschleierung der Frau‹ begründet wird: »All diese Leute, die unendlich viel verloren haben oder auch nur gespürt haben, was sie verlieren könnten, wissen, dass an jenem 11. September weniger Amerika der Krieg erklärt wurde, sondern unserer Art zu leben. […] Wir werden unsere Art zu leben nicht ändern. Und erst recht nicht, wenn uns ein paar mittelalterliche Fundamentalisten, die ihre Frauen verschleiern und zu Hause einsperren, […] dazu zwingen wollen.« (Spiegel 38/2001: 147)
Der Spiegel lässt keinen Zweifel daran, dass auch Deutschland als Teil der westlichen Welt, wenn auch indirekt, von den Anschlägen getroffen ist. So lautet die Überschrift der Titelgeschichte: »Wir sind eine Welt« (38/2001: 32). Mehrfach wird Bundeskanzler Gerhard Schröder mit den Worten zitiert, die Anschläge seien ein »Angriff gegen die gesamte zivilisierte Welt«.
Das Verhältnis USA-Deutschland: Amerika zieht uns in einen Dritten Weltkrieg hinein! Die Darstellung der Ereignisse als nie da gewesene Katastrophe, die alles Bisherige in den Schatten stelle, wird von Begriffen wie Trauer, Mitgefühl, Entsetzen und Schock begleitet. Die emotionalisierenden Zustandsbeschreibungen finden v.a. für die Beschreibung der Situation in Deutschland Verwendung. ›Angst‹ wird als das vorherrschende kollektive Gefühl beschrieben – und mit einem weiteren Themenstrang verbunden, der zugleich einen Hinweis auf Schwerpunktsetzung und Diskursposition des Spiegels gibt. ›Angst‹ wird im Spiegel nicht nur mit der Angst vor weiteren Terroranschlägen verknüpft, sondern v.a. mit möglichen ›Racheaktionen‹ der USA. Der Spiegel befürchtet eine unverhältnismäßige »Vergeltungsaktion« (38/2001: 6) durch die USA. »Nach den Terroranschlägen […] schwören die USA Rache«, lautet die Unterüberschrift des ersten Artikels, der sich mit den Ereignissen des 11. September beschäftigt. Der Artikel selbst trägt die martialische Überschrift: »Wir werden zurückschlagen« (ebd.: 16) – ein Zitat von George W. Bush. In Abgrenzung dazu heißt es im selben Heft: »Die Europäer wollen den Terror lieber politisch bekämpfen« (ebd.: 6).
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In der folgenden Wochen werden die Differenzen zwischen Europa und den USA permanent herausgestellt, ein Thema, welches die Berichterstattung des Spiegels insgesamt prägt und auf eine Amerika-kritische Haltung hindeutet: Die Angst in Deutschland richtet sich immer mehr auf die politischen Reaktionen der USA: »Bestimmt war die Diskussion […] von der Angst, durch die Amerikaner in ein Kriegsabenteuer mit unabsehbaren Konsequenzen, ja in einen dritten Weltkrieg hineingezogen zu werden.« (Spiegel 39/2001: 156) Der Tenor lautet: Die USA schwören Rache und erwarten dafür auch noch Solidarität von den NATO-Bündnispartnern. Der negativen Wahrnehmung der USA entsprechend fällt auch die Darstellung des US-Präsidenten als Personifizierung der USA im Spiegel deutlich negativ aus: George W. Bush wird als unberechenbarer, nach Weltherrschaft strebender ›Cowboy‹ präsentiert (vgl. ausführlich Kap. IV.1).
Feindbildkonstruktionen und innere Sicherheit: ›Asylanten‹ und ›Schläfer‹ Der Spiegel fokussiert insgesamt sehr stark auf die Auswirkungen und Folgen der Ereignisse für Deutschland. Dies bezieht sich nicht nur auf die möglichen Folgen eines militärischen Gegenschlags durch die USA, sondern auch auf das vermeintlich gestiegene Gefahrenpotential durch den ›islam(ist)ischen Terrorismus‹, der als globale, weltumspannende Bedrohung beschrieben wird. Die Angst vor terroristischem Extremismus in Deutschland wird dabei im Spiegel ebenso dramatisiert wie die vor einem »Vergeltungsschlag« (38/2001: 33) durch die USA. Der Topos ›Sicherheit‹ avanciert zu einem der vorherrschenden Begriffe, der sich sowohl auf äußere wie innere Sicherheit bezieht. Ausführlich widmet sich der Spiegel nach dem 11. September dem Thema (Welt-)Religionen, insbesondere dem Islam (z.B. Heft 41, Titel: »Der religiöse Wahn«), wobei ›der Islam‹ einem ›christlich-säkularen Westen‹ als eine andere ›Welt‹ und ›Kultur‹ gegenübergestellt wird. Einer kulturalistischen Rahmung der Ereignisse folgend, spricht der Spiegel schließlich zu Beginn des Afghanistankriegs von einem »Krieg der Welten« (Heft 42, Titelbild). Einen weiteren Themenschwerpunkt legt der Spiegel auf die Vorgeschichte und Hintergründe der Attentäter aus Hamburg-Harburg sowie auf die Fahndung nach weiteren Terrorverdächtigen in Deutschland. Der Spiegel widmet sich ausführlich den Motiven der Täter, ihrem persönlichen Umfeld und ihrer Biografie, ihrem Leben in Deutschland sowie der Vorbereitung der Attentate. Vorherrschend ist in diesem Kontext ebenfalls das Thema ›Islam‹ bzw. die vermeintlich pathologisch-fanatische Geisteshaltung der Selbstmordattentäter. Parallel dazu wird das Versagen der deutschen Geheimdienste und Polizei skandalisiert und immer wieder die Frage nach der Notwendigkeit einer Verschärfung der Inneren Sicherheit diskutiert. Die von Innenminister Otto Schily vorgeschlagen Gesetzesänderungen zur Bekämpfung des Terrorismus – in den Medien auch als »Anti-Terror-Pakete« bezeichnet – bilden ein zentrales Thema in der Berichterstattung des Spiegels. Dabei werden die verschiedenen Maßnahmen mal ironisch-distanziert als übertrieben, dann wieder als längst überfällig bewertet. Das Thema Terroristenfahndung in Deutschland, insbesondere die Suche nach so genannten Schläfern, wird dabei wiederholt mit dem Diskursstrang ›Asylanten in Europa‹ oder ›Ausländer und Muslime in Deutschland‹ verknüpft, wobei der abwertende Begriff des ›Asylanten‹ neue Konjunktur erfährt.
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Afghanistankrieg: »Krieg der Welten«, Gewaltspirale und zweites Vietnam Ein wichtiges Thema im Spiegel ist die Frage, welche konkrete Form der von Bundeskanzler Schröder versprochene Beistand für die USA nach den Anschlägen annehmen soll, insbesondere als sich abzuzeichnen beginnt, dass die USA mit kriegerischen Mitteln gegen die afghanischen Taliban vorgehen könnten. Wenngleich das Magazin das Schröder’sche Solidaritätsversprechen mitträgt, verdichtet sich eine amerikakritische Position im Hinblick auf einen Krieg. Diese macht sich auch und gerade an Präsident Bush fest, dem irrationale Motive wie Rache, fehlgeleitete Religiosität und ein kriegslüsterner Machismo zugeschrieben werden. Unterfüttert wird die Spiegel-typisch eher indirekt zum Ausdruck gebrachte Skepsis gegenüber einem Krieg durch die Beschwörung einer in der deutschen Bevölkerung verbreiteten ›Kriegsangst‹. Pazifistische Positionen, insbesondere aus den Reihen der Grünen, werden jedoch gleichwohl kritisiert und zum Teil als realitätsfern ridikülisiert. Ab Anfang Oktober mit Beginn der Bombardierung von Stellungen der Taliban berichtet der Spiegel ausführlich über den Kriegsverlauf. Den Auftakt macht die schon erwähnte Titelgeschichte »Krieg der Welten«, deren Präsentation auf der Titelseite einen umfassenden ›Kulturkampf‹ als Rahmung vorgibt, gemäß der auch die deutsche Innenpolitik in einen Bezug zum Krieg gesetzt wird. Die Haltung des Spiegels gegenüber dem US-amerikanischen Vorgehen in Afghanistan wird im Verlauf des Novembers zunehmend kritisch und ist von einer grundlegenden Skepsis (gegenüber den USA) geprägt. Häufig wird der Krieg mit dem verlustreichen Krieg der USA in Vietnam oder dem Scheitern der Sowjet-Armee in Afghanistan in den 1980er Jahren verglichen. Dass auch der aktuelle US-Krieg aus der Sicht des Spiegels zum Scheitern verurteilt ist, zeigt sich z.B. in Formulierungen wie »Friedhof der Invasoren« (45/2001: 140). Die Kritik richtet sich v.a. gegen die Unverhältnismäßigkeit bzw. Einseitigkeit des US-amerikanischen Vorgehens, nicht aber auf den Militäreinsatz an sich. Begleitet von einer Kollektivsymbolik aus dem Bereich Naturkatastrophe und Chaos dominiert das Deutungsmuster einer ausufernden ›Gewaltspirale‹. Wiederholt wird betont, dass ein militärisches Vorgehen – das durch die USA verkörpert wird – alleine nicht ausreiche, um den Terrorismus zu bekämpfen. Als Ergänzung und Korrektiv sei zugleich ein genuin ›europäisches‹, auf Diplomatie, Moral und Dialog setzendes Politikverständnis erforderlich. Darüber hinaus beklagt der Spiegel, dass der Krieg nicht zu den erwünschten Zielen geführt habe, wobei dafür jedoch keine politischen Gründe, sondern v.a. die unterschätzte Zähigkeit der Taliban angeführt werden. Parallel dazu werden die brutale Herrschaft der Taliban und ihre zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, insbesondere die Situation der Frauen in Afghanistan, ausführlich beleuchtet, so z.B. in der dreiteiligen Hintergrundserie über die Geschichte der Taliban (Nr. 41-43). Die Vorstellung einer kulturell-religiösen ›Unvereinbarkeit‹ bzw. des ›Zusammenpralles‹ zweier ›Welten‹ und ihrer Lebensformen und Werte (›zivilisiert‹ versus ›barbarisch‹, ›modern‹ versus ›rückschrittlich‹, ›emanzipiert‹ versus ›frauenverachtend‹) wird dabei diskursiv bekräftigt, wobei altbekannte orientalistische und anti-muslimische Stereotype und Ressentiments bedient werden (vgl. ausführlich Kap. IV.5 und IV.6).
Koalitionskrise und Vertrauensfrage: der deutsche Krieg im Inneren Der Schwerpunkt der Berichterstattung verschiebt sich im Verlauf des Novembers weg von den Kriegshandlungen in Afghanistan hin zu innenpolitischen Themen.
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Der Blick richtet sich zuvorderst auf die Krise der rot-grünen Koalition, die aus der ablehnenden Haltung zahlreicher Grüner Landesverbände und Politiker_innen gegenüber einer möglichen deutschen Beteiligung am Krieg resultiert. Immer wieder stehen die Grünen und ihr Verhältnis zur Kriegsfrage sowie ihre diesbezüglichen Grundsatzkontroversen auf den verschiedenen Landesparteitagen im Mittelpunkt des Interesses. Ausführlich und bildgewaltig wird dabei ein endgültiges ›Zerbrechen‹ und damit der ›Untergang‹ der grünen Partei beschworen. Mit der von Schröder im Bundestag gestellten Vertrauensfrage am 16.11.2001 erreicht die Berichterstattung über die innenpolitische Krise ihren Höhepunkt. Die Diskussion über eine militärische Beteiligung am ›Anti-Terror-Krieg‹ wird im Spiegel als Geschichte eines ›inneren Krieges‹ innerhalb der rot-grünen Koalition erzählt, wobei es v.a. um den Führungsstil Gerhard Schröders (vgl. Kap. IV.2) sowie die innerparteilichen Auseinandersetzungen innerhalb der grünen ›Friedenspartei‹ (vgl. Kap. IV.3) geht. Kritisch bis spöttisch kommentiert der Spiegel dabei stellenweise das übertriebene ›Machtgebaren‹ des Kanzlers und den harschen ›Kriegskurs‹ der Regierung. Auf der anderen Seite werden jedoch auch die Regierungs- und Kriegskritiker_innen z.B. aus den Reihen der Grünen überwiegend in abwertender Form präsentiert und lächerlich gemacht. Auffällig ist eine Kollektivsymbolik von Krieg und Kampf, mit der eine Dramatisierung der innenpolitischen Lage erreicht wird. Die Entscheidung selbst, ob Deutschland in einen Krieg ziehen solle, und ihre politische Relevanz treten dadurch in den Hintergrund. Nach dem vom Spiegel positiv bewerteten Ausgang der Vertrauensfrage, bei der Schröder einen knappen ›Sieg‹ davongetragen hat, und dem Parteitag der Grünen Ende November in Rostock, bei der die Delegierten die Entscheidung zur Entsendung deutscher Soldaten und eine Fortführung der Koalition mit großer Mehrheit unterstützen, ebbt das Thema Koalitionskrise jäh ab. Im Inneren scheint wieder ›Frieden‹ eingekehrt.
Petersberg-Konferenz und Situation nach dem Krieg: ›Befreiung‹ hat stattgefunden, Deutschland als ›Friedensstifter‹ Mit dem als »Etappensieg« (47/2001: 7) gefeierten Einmarsch der Nordallianz in Kabul am 13.11.2001 und der Vertreibung der Taliban aus den afghanischen Städten Kandahar Anfang Dezember, weicht die kritische Berichterstattung über den USamerikanischen Krieg weitgehend einer Narration der ›Befreiung‹ Afghanistans. So wird ausführlich über die Freude in der afghanischen Bevölkerung berichtet, wobei insbesondere die ›Befreiung‹ der Frauen – symbolisiert durch das Ablegen der Burka – von der ›barbarischen Misogynie‹ der Taliban als Erfolg gefeiert wird, der dem Krieg im Nachhinein Legitimation verleiht. Zahlreiche Fotos von ›glücklich entschleierten‹ Frauen säumen dabei die Berichterstattung über das Ende des Krieges und belegen die erfolgreiche ›Befreiung‹ Afghanistans von den Taliban. In einer im Abenteuerstil gehaltenen 2-teiligen Reportage über die Einnahme Kabuls – betitelt als »Tagebuch der Befreiung« (Nr. 47 und Nr. 48) – werden die Soldaten der Nordallianz als ›Helden‹ gefeiert, »die ein die ein mittelalterliches Zwangssystem endlich verjagt hatten« (47/2001: 137). Mit dem sich abzeichnenden Kriegsende rückt im Dezember verstärkt die humanitäre und politische Situation in Afghanistan in den Blick. Sodann wird über den Einsatz und die Aufgaben der ›internationalen Schutztruppe für Afghanistan‹ (ISAF) diskutiert, die möglicherweise von Deutschland angeführt werden soll. Der
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Spiegel scheint diesem Vorhaben sehr positiv gegenüber zu stehen und betont wiederholt die besondere Beliebtheit der Deutschen in Afghanistan. Dabei werden insbesondere humanitäre und Aufbau-Hilfe sowie Frauenförderung als Ziele des deutschen Engagements in Afghanistan hervorgehoben. Ausführlich und anerkennend wird insbesondere über die von Deutschland ausgerichtete Afghanistan-Konferenz bei Bonn berichtet, bei der die politische Nachkriegssituation erörtert und eine Übergangsregierung installiert wurde. Während die USA aus Sicht des Spiegels v.a. an ›militärischer Front‹ aktiv sind, wird Deutschland an der ›diplomatischen Front‹ verortet. Im Stile eines Karl-May-Romans wird parallel zur Petersbergkonferenz Anfang Dezember über die finalen ›Schlachten‹ in der Berggegend Tora Bora berichtet, wo sich die letzten Taliban-Kämpfer, möglicherweise auch Bin Laden, in unterirdischen Höhlen versteckt halten sollen. Deutschlands neue Rolle in der Weltpolitik und ein möglicher Reformbedarf der Bundeswehr sind weitere zentrale Themen der Berichterstattung gegen Jahresende. In einer vierteiligen Serie werden die Geschehnisse des 11. September aus der Retrospektive betrachtet und noch einmal seine globale Bedeutung für die USA, Deutschland und die USA bekräftigt. Parallel dazu widmet sich der Spiegel in der letzten Ausgabe des Jahres 2001 ausführlich dem Thema »westliche Werte«, wobei es zu einer hierarchisierenden Gegenüberstellung von (säkularisiertem) Christentum und (fanatisch-religiösem) Islam kommt.
Diskursposition des Spiegels Die Diskursposition des Spiegels lässt sich nach der Analyse des allgemeinen Diskursverlaufs und der inhaltlichen und strukturellen Schwerpunktsetzung als Amerika-kritisch bis antiamerikanisch beschreiben. In Bezug auf die Kriegsfrage ist die Diskursposition des Spiegels nicht ohne weiteres eindeutig zu bestimmen. Vordergründig nimmt der Spiegel eine kritische Haltung zum Krieg in Afghanistan ein, jedoch werden Krieg und militärische Gewalt als politische Instrumente der TerrorBekämpfung nicht grundsätzlich abgelehnt. Die Kriegskritik richtet sich nicht gegen ein militärisches Vorgehen an sich, sondern gegen ein ›übermäßig hartes‹ oder ›übertriebenes‹ Vorgehen in Afghanistan, welches den USA zugeschrieben wird. Zweifel richten sich dementsprechend primär auf die Durchführbarkeit und Gewinnbarkeit des Krieges, was wiederum in erster Linie an der vermeintlichen Unterschätzung der kampferprobten Taliban und am Erreichen der angekündigten Ziele wie die Festnahme Bin Ladens festgemacht wird. Anti-militaristische oder pazifistische Positionen fehlen komplett oder werden, wie z.B. stellvertretend anhand der Parteibasis der Grünen, als nicht mehr zeitgemäß und ›weltfremdes Gutmenschentum‹ abgetan. Die Abgrenzung von militärischer Stärke und dem ›machohaften‹ Vorgehen der USA fungieren im Spiegel als Hintergrundfolie, vor der sich das Profil einer deutsch-europäischen Identität kontrastierend abzeichnet. So betont der Spiegel im Zusammenhang mit dem Afghanistankrieg v.a. die politischen Unterschiede zwischen Deutschland und den USA und spekuliert über die (neue) Rolle Deutschlands in der Welt nach dem 11. September. Dabei hebt der Spiegel gerade die Differenzen zwischen der deutschen und der US-amerikanischen Außen- und Sicherheitspolitik hervor. Die Deutschen, so der Tenor, würden ein besonnenes, multilaterales und rationaleres Vorgehen wählen und halten ein rein militärisches und unilaterales Vorgehen, wie es die USA favorisiert, für nicht ausreichend für die Terrorbekämpfung eher kontraproduktiv.
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Auch in Bezug auf das Thema innere Sicherheit ist die Haltung des Spiegels ambivalent: Manche Verschärfungen seien längst überfällig, andere jedoch absurd und übertrieben. Parallel dazu kommt es zu einer abwertenden und pauschalisierenden Berichterstattung über den Islam und in Deutschland und Europa lebende ›Muslim_innen‹ und ›Ausländer_innen‹. Durch die Verschränkung der Diskursstränge ›islamistische Terroristen‹ und ›Asylanten in Deutschland‹ wird das Phänomen ›Terror‹ an innenpolitische Diskurse wie Einwanderung und Migration angebunden. Ein fremdenfeindlicher bzw. rassistischer Tenor ist dabei unverkennbar, wie es bereits in der Verwendung des rassistisch gefärbten Begriffs ›Asylant‹ zum Ausdruck kommt. In der Berichterstattung über den 11. September deutet sich insgesamt eine Fortsetzung und Verstärkung der kulturrassistischen (vgl. Farrokhzad 2006) sowie islamfeindlichen (vgl. Schiffer 2005) Diskursposition des Spiegels an. Die spezifische Diskursposition des Spiegels in Bezug auf den ›Krieg gegen den Terror‹ wird im Verlauf der Analyse anhand der (vergeschlechtlichten) Darstellungen der Akteure weiter konkretisiert.
2. S TRUKTURANALYSE DER F RANKFURTER A LLGEMEINEN Z EITUNG 2.1 Auflagenstärke, Ausrichtung und Besonderheiten Die Frankfurter Allgemein Zeitung (FAZ) hatte in den 2000er Jahren eine Druckauflage von ca. 450.000 bis 530.000 Exemplaren und verfügte damit neben der Süddeutschen Zeitung über die höchste Auflagenstärke unter den überregionalen Tageszeitungen und den größten internationalen Verbreitungsgrad.13 Seit 1949 erscheint die FAZ täglich von Montag bis Samstag, seit 2001 ergänzt von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Dem Media Service der FAZ zufolge14 richtet sich die Zeitung v.a. an eine anspruchsvolle, politisch und wirtschaftlich interessierte Leser_innenschaft, die als »interessiert, gebildet und kaufkräftig« charakterisiert wird.15 Die größte Reichweite erzielt die FAZ laut eigenen Angaben bei den »Meinungsführern« und »Entscheidern« unserer Gesellschaft, insbesondere in Politik und Wirtschaft: Über die Hälfte der FAZ-Leser_innen seien »persönlichkeitsstarke Multiplikatoren« (ebd.) und »Entscheidungsträger« in den Bereichen Geschäftsführung, Verwaltung und Finanzen, weshalb sie sich selbst als »Die Zeitung der
13 | Das entspricht etwa 350.000 bis 420.000 verkauften Exemplaren. Für das Jahr 2001 wurde jeweils eine Verkaufszahl von durchschnittlich 405.617 Exemplaren (3. Quartal) bzw. 400.821 Exemplaren (4. Quartal) ermittelt. Siehe dazu im Einzelnen die Zahlen der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW), abrufbar unter: http://daten.ivw.eu/index.php?menuid=1&u=&p=&detail=true (letzter Zugriff 14.12.2011). 14 | Vgl. hier und für die folgende Selbstdarstellung die Internetpräsentation der FAZ, insbesondere die an Anzeigenkund_innen gerichtete und jährlich aktualisierte Broschüren »Wo Ihre Werbung wirkt«; z.B. www.faz.net/dynamic/download/aboutus/Wo_Werbung_wirkt_ 2008_2009.pdf und www.faz.net/dynamic/download/aboutus/WoIhreWerbungwirkt_2011. pdf (letzter Zugriff 15.12.2011). 15 | Vgl. www.faz.net/dynamic/wb/10gruende/ (letzter Zugriff 15.12.2011).
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Führungspersönlichkeiten« präsentiert.16 Seit einigen Jahren wirbt die FAZ mit dem Slogan »Dahinter steckt immer ein kluger Kopf«, womit Macher_innen und Leser_innen gleichermaßen gemeint sind. Insgesamt kann die FAZ immer noch als eine Zeitung primär »für Bürgertum und Business« gelten, wie Rolf Martin Korda es bereits 1980 formuliert hat (Korda 1980, Titel des Aufsatzes).17 Die FAZ steht nach eigenen Angaben für einen »Journalismus auf höchstem Niveau«, der das Zeitgeschehen kompetent und glaubwürdig mittels fundierter Analysen und einer ausführlichen, exklusiven Hintergrundberichterstattung dokumentiert und kommentiert. Die Zeitung wird dabei mit den Attributen »prägend«, »pluralistisch« und »unabhängig« umrissen und als eine der »besten Zeitungen der Welt« gelobt.18 Eine klare Trennung zwischen Nachricht und Kommentar werde dabei als journalistisches Grundprinzip vorausgesetzt. Wissenschaftliche Analysen beschreiben die Diskursposition der FAZ im Allgemeinen als konservativ, wobei sowohl radikal (rechts-)konservative wie auch etwas liberalere Positionen vertreten werden (Jäger/Jäger 2007: 142; vgl. auch Junge 2002; Korda 1980). Diese Einsschätzung bezieht sich v.a. auf den politischen Hauptteil der Zeitung, denn das Feuilleton der FAZ zeichnet sich bisweilen durch gesellschaftskritische und linksliberale Positionen aus, die – zudem häufig von namhaften Gastautor_innen verfasst – den Politikteil ergänzen.19 Somit dürfte für die FAZ dasselbe wie für den Spiegel gelten: Sie repräsentiert ein breites Spektrum der im hegemonialen Diskurs vertretenen Positionen, wobei sich die FAZ in ihrer Gesamtausrichtung v.a. an eher konservative Intellektuelle richtet und an den Bezugsgrößen Staat und Kapital orientiert. Zudem scheint die FAZ in ihrer Grundausrichtung einen ausgeprägten Kulturrassismus und Eurozentrismus aufzuweisen. So halten Jäger und 16 | Vgl. www.faz.net/dynamic/download/aboutus/Wo_Werbung_wirkt_2008_2009.pdf (letzter Zugriff 15.12.2011). 17 | Laut Statistik (vgl. www.faz.net/dynamic/download/aboutus/WoIhreWerbungwirkt_ 2011.pdf; letzter Zugriff 14.12.2011) weist die Leser_innenschaft der FAZ folgende Schwerpunkte auf (Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2010): 61,1 % der FAZ-Leser_innen sind männlich, 53,7 % verfügen über einen höheren Schul- bzw. Bildungsabschluss (Abitur, Studium), bei 32,8 % liegt das monatliche Haushaltsnettoeinkommen zwischen 3.000 und 5.000 Euro, bei 12,3 % sogar bei 6.000 Euro und mehr; die meisten sind als leitende Angestellte (10,4 %), Inhaber/Geschäftsführer/Selbständige/Freiberufler (11,0 %) oder sonstige Angestellte und Beamt_innen (24,8 %) tätig und werden der breiten Mittelschicht (42,6 %) und dem gehobenen Mittelstand (41,1 %) zugeordnet. Im Gegensatz zum Spiegel weist die FAZ einen deutlichen Schwerpunkt bei den älteren Leser_innen auf, v.a. in den Altersstufen 40-49 Jahre (19,5 %); 60-69 Jahre (18,8 %) und 70 Jahre oder älter (18,4 %). Die meisten FAZ-Leser_innen verfügen damit über einen hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Status, so wird der größte Teil der der Leser_innen (36,7 %) in der FAZ-Statistik der Statusgruppe »Stufe 1 – hoch« zugerechnet (Einordnungskriterien bzw. Grundlage der insgesamt 7 Status-Stufen werden hier nicht näher erläutert). 18 | Vgl. www.faz.net/dynamic/download/aboutus/Wo_Werbung_wirkt_2008_2009.pdf (letzter Zugriff 15.12.2011). 19 | Jedoch verweist die Separierung und Verortung kritischer Meinungen nahezu ausschließlich im Ressort Feuilleton auch darauf, dass es sich hier um eine bewusste Kontrastierung des Politikteils der Zeitung handelt, wodurch die politische Ausrichtung des Hauptteils umso klarer und ›unverfälschter‹ hervortritt.
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Jäger in Bezug auf die Diskursposition der FAZ in einer Untersuchung über den so genannten Karikaturenstreit in den deutschen Printmedien (Anfang 2006) fest, dass die FAZ zwar kaum einmal in Richtung eines offenen Rassismus entgleise, insgesamt aber eine »orientalistische« Position im Sinne von Edward S. Said vertrete, indem sie pauschalisierend einen Orient konstruiere, dessen Realität stark verzerrt sei (Jäger/Jäger 2007: 142). Frauenpolitische oder feministische Themen werden in der FAZ zudem nur äußerst selten (positiv) aufgegriffen (vgl. z.B. Möller 1999). Der Zusatz »Zeitung für Deutschland«, die den Schriftzug »Frankfurter Allgemeine« auf jeder Titelseite begleitet, bringt die Aufgabe der Zeitung nach eigenen Angaben in prägnanter Form auf den Punkt – und verweist auf eine überregionale und die Nation betonende Ausrichtung. Nicht nur im Inhalt, sondern auch im Stil und äußeren Erscheinungsbild spiegelt sich die konservative Ausrichtung wider. So präsentieren sich der Namenzug der Zeitung und die Überschriften des Leitartikels, der jeweils im rechten Drittel der Titelseite zu finden ist, in Frakturschrift. Das Layout wirkt insgesamt traditionell, z.B. werden nur in Ausnahmefällen – wie z.B. am 12.9.2001, dem Tag nach den Terroranschlägen – auf der ersten Seite Fotos platziert.
2.2 Die formale Struktur: Ressorts, Textsorten, erste Ausgabe nach 9/11 Dem Diskursstrang ›11. September/Krieg gegen den Terror‹ wird auch in der FAZ eine immense Aufmerksamkeit zu Teil und das Thema dominiert auch noch mehrere Wochen nach den Anschlägen die Berichterstattung. Die Berichterstattung über den 11. September und den Afghanistankrieg zieht sich durch sämtliche Ressorts der Zeitung und wird dort intensiv diskutiert. Dabei findet sich etwa die Hälfte der Artikel im Ressort Politik (wozu auch die Rubriken »Deutschland und die Welt«, »Die Gegenwart« und »Zeitgeschehen« gezählt werden), dahinter folgen der Wirtschaftsteil und das Feuilleton, und selbst in den Sportteil fließt das Thema ein. Damit zeigt sich die flächendeckende politische und gesellschaftliche Relevanz, die dem Thema beigemessen wird. Es dominieren v.a. die Textformen Nachricht/Meldung/Bericht und Kommentar bzw. Leitartikel und Leitglosse. In der FAZ wird dem traditionellen Konzept einer Tageszeitung folgend zwischen deskriptiv-sachbezogener Nachricht, entweder in Form einer kürzeren Meldung oder eines längeren Berichts, und interpretativem Kommentar/Leitartikel formal unterschieden, was z.B. durch die immergleiche Anordnung der Artikel auf der Titelseite und die Verwendung der Frakturschrift zur Kennzeichnung der Leitartikel in der Überschrift grafisch unterstrichen wird. Wertende und urteilende Reflexionen sind hauptsächlich in den Kommentaren und Leitartikeln zu finden, wobei besonders das Ressort Feuilleton, im Kontrast zur restlichen Berichterstattung der FAZ, durch kritische (Gast-)Kommentare und Hintergrundberichte zu den Themen Krieg und Terrorismus auffällt. Leitartikel und Leitglosse auf der Titelseite, die häufig von einem der FAZ-Herausgeber (z.B. Günter Nonnenmacher, Berthold Kohler, Frank Schirrmacher) oder einem leitenden Redakteur (Klaus-Dieter Frankenberger, Jasper von Altenbockum, Georg Paul Hefty) verfasst werden, geben die Position der gesamten Redaktion wieder. Trotz der selbsterklärten klaren Trennung zwischen Nachricht und Kommentar finden sich in der Berichterstattung über den 11. September und den Krieg in Afghanistan häufig Mischformen der beiden Textgattungen. Die ereignisbezogenen Meldungen werden zumeist ausführlich besprochen und durch Hintergrundinformationen, Stellung-
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nahmen von Betroffenen oder Zitaten von Expert_innen ergänzt, die Berichte erhalten ebenso wertende Meinungsanteile. Die FAZ zeichnet sich ebenso wie der Spiegel durch eine personalisierte Form der Berichterstattung aus, die sich v.a. an den führenden Politiker_innen orientiert. Berichte und Kommentare beinhalten viele direkte und indirekte Zitate, im Kontext des 11. September bringt die Zeitung z.B. längere Auszüge aus Regierungserklärungen sowohl der deutschen als auch der US-Regierung. Ausführliche Hintergrundberichte und Reportagen vor Ort begleiten den Ablauf der Ereignisse oder beleuchten Teilaspekte, die mit den Geschehnissen in Verbindung gesetzt werden. Dazu kommen weitere Erläuterungen und Einschätzungen der Ereignisse in Form von Gastkommentaren und Interviews, in denen verschiedene Expert_innen zu Wort kommen und die Berichte bestätigen oder kritisch reflektieren. In der Berichterstattung über den 11. September werden – fast ausschließlich im Feuilleton – zahlreiche prominente Gastkommentator_innen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zu Wort gebeten (z.B. der Militärtheoretiker Martin van Creveld, die Politikwissenschaftlerin Mary Kaldor, die Schriftstellerin Susan Sonntag, der politische Philosoph Georgio Agamben, der Philosoph Jacques Derrida, die Schriftstellerin Arundhati Roy, der Schriftsteller Günther Grass und viele andere mehr). Die Vielfalt der Textsorten sowie die große Anzahl an (Gast-)Kommentaren und Interviews lässt die Bedeutung, die den Ereignisses beigemessen wird, ebenso wie das Ringen um die ›richtige‹ Bedeutung zutage treten. Bei dem Ereignis ›11. September‹ handelt es sich offensichtlich um eines, dessen Bedeutung noch nicht eindeutig ausgemacht bzw. dessen Bewertung noch nicht abgeschlossen ist. Betrachtet man die erste Ausgabe der FAZ nach den Anschlägen, fällt sogleich ins Auge, dass die FAZ entgegen ihrer Tradition am 12. September gleich zwei großformatige Fotos auf ihrer Titelseite platziert, eines zeigt das World Trade Center nach dem Einschlag der Flugzeuge, das zweite den US-amerikanischen Präsidenten bei einer ›Rede an die Nation‹. Damit ist die Titelseite erstmals seit elf Jahren wieder bebildert, wodurch die enorme Bedeutung, die dem Ereignis beigemessen wird, auch visuell unterstrichen wird.20 Der radikale Bruch mit dem Standardlayout der FAZ unterstreicht darüber hinaus, welch große Aussagekraft dem Bild gegenüber dem geschriebenen Wort eingeräumt wird. Grund dafür ist möglicherweise ein gewisser Druck für die Presse, mit den Fernsehbildern mithalten zu müssen (vgl. Baum/ Fischer 2001: 12).21 Die Dominanz des Bildlichen – wie sie in den Tagen nach dem 11. September nicht nur in der FAZ sondern auch in allen anderen Tageszeitungen zu finden ist (vgl. Dörmann/Pätzold 2002) – kann jedoch auch als eine erste Sprachlosigkeit der Medien in Anbetracht der Ereignisse des 11. September interpretiert werden, ein Moment der Fassungslosigkeit, in dem die ›richtigen‹ Deutungsmuster
20 | Insgesamt 30-mal seit ihrem Bestehen zeigt die FAZ ein Foto auf der Titelseite, wobei diese Ausnahmen fast ausnahmslos in den Zeitraum von 1950 bis 1957 fallen. Das letzte Mal vor dem 11. September war dies der Fall am 4. Oktober 1990 anlässlich des Tages der Deutschen Einheit. 21 | Die Bilder der brennenden Türme gingen am Tag zuvor bereits in einer Art Endlosschleife über sämtliche Fernsehkanäle um die Welt und dürften den meisten FAZ-Leser_innen bereits bekannt sein. Das zerstörte World Trade Center ist dadurch innerhalb kürzester Zeit zu einem (Kollektiv-)Symbol geworden.
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noch fehlen und die Suche nach Begriffen, Vergleichsmöglichkeiten und Metaphern gerade erst begonnen hat (vgl. Junge 2002: 466ff). Der Aufmacher von Leo Wieland, dem FAZ-Korrespondenten in Washington, ist genau unter dem Foto des World Trade Centers platziert, der dazugehörige Kommentar (Leitartikel) »Ins Herz« befindet sich hingegen direkt unterhalb des Bildes von George W. Bush und schließt genau mit dessen Breite ab. Die Überschrift des Leitartikels ist nach Tradition der FAZ in Frakturschrift gehalten. Sie befindet sich direkt, ebenfalls zentriert, unter dem Foto von Bush, wodurch die Metapher »Herz« nicht nur auf die USA verweist, sondern auch mit dem Körper des Präsidenten verbunden wird. Bush wird zur Personalisierung der US-amerikanischen Nation, der ebenso wie diese ›ins Herz‹ getroffen worden ist. Der Gesichtsausdruck des Präsidenten ist ernst und drückt tiefe Betroffenheit aus. Die Fotos knüpfen an das kollektive Bildgedächtnis von Katastrophenszenarien und offiziellen Ansprachen an und unterstreichen damit die Botschaft des Textes: Eine unfassbare Katastrophe hat stattgefunden, die amerikanische Nation ist in ihren Grundfesten erschüttert. Der Leitartikel auf der Titelseite mit der Überschrift »Ins Herz«, verfasst vom verantwortlichen Redakteur für das Ressort Außenpolitik Klaus-Dieter Frankenberger, bildet die erste Stellungnahme der FAZ, die die Geschehnisse des 11. September ausführlich diskutiert, und kann als wegweisend für die weitere Auseinandersetzung in der FAZ angesehen werden. In dem Artikel finden sich bereits zentrale Deutungsmuster, Themen und Diskursstrangverschränkungen, die im weiteren Verlauf die Diskursposition der FAZ prägen: die Deutung der Ereignisse als Krieg bzw. »Zivilisationskrieg«, der 11. September als historische Zäsur (»nach diesem Dienstag wird nichts mehr sein wie zuvor«), die Verwundbarkeit der offenen Gesellschaft, religiöser Fanatismus als globale Gefahr des 21. Jahrhunderts, »HighTech-Terrorismus« als »Mittel des Kriegs im 21. Jahrhundert« und das unterschätzte Gefahrenpotential bzw. die Banalisierung des islamischen Terrorismus vor dem 11. September (alles 12.9.01: 1). Die Metaphorik eines verletzten und verwundeten Körpers zur Beschreibung der USA22 wird auch im Innenteil der Zeitung beibehalten, so lautet die Headline auf der ersten Seite des Wirtschaftsteils: »Terrorattacke trifft den Nerv der Weltfinanzmärkte« (12.9.01). Durch die aus dem Diskursfeld der Biologie und Medizin stammende Körpermetapher wird die Verletzung der USA mit der eines Menschen verglichen und plausibel gemacht. Das Bild ›Nerv‹ korrespondiert wiederum mit dem Symbol ›Herz‹ auf der Titelseite: Die Finanzmärkte sind die Nerven, das World Trade Center das Herz der USA. Nicht nur die USA, auch Berlin wird als menschliches Wesen, ausgestattet mit einem Körper, Gefühlen, Charaktereigenschaften und Gedanken, allegorisiert:
22 | Laut Kirchhoff (2010: 240) zählt die Körpermetapher zu den ältesten und etabliertesten Metaphern für Staat und Nation (vgl. Lüdemann 2004; Link 1991a; Chilton/Lakoff 1995; Jäger/Jäger 2007). Mit ihr verbunden ist eine Metaphorik von Gesundheit und Krankheit, die ebenfalls eine lange Tradition in der Konstruktion von Gemeinschaft und Nation hat. Ist die eigene Nation mithilfe einer Körpersymbolik kodiert, lassen sich alle anderen Nationen, die als ›feindlich‹ abgegrenzt werden sollen, als krank oder gar als Krankheitserreger darstellen (Gerhard/Link 1991: 29f).
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Die Bilder vom Angriff auf Amerika haben die Stadt gestern für ein, zwei Stunden in einen Zustand albtraumhaften Entsetzens fallen lassen. Amerika, das starke, das freundliche, das Berlin in seinen schlimmsten Stunden immer zur Seite stand, war ins Herz getroffen vom Terror. […] Berlin trauert mit Amerika« (12.9.01: Titelseite Berliner Seiten).
2.3 Inhalte, Themenschwerpunkte und Diskursverschränkungen im zeitlichen Verlauf Der 11. September und die politischen Reaktionen: ›Kriegserklärung‹ und Beginn einer neuen Zeitrechnung Wie im Spiegel setzt sich auch in der FAZ die Deutung der Terroranschläge als ›Kriegserklärung‹ (Schröder) bzw. ›erstem Krieg des 21. Jahrhunderts‹ (Bush) durch. So heißt es am Tag nach den Anschlägen im Leitartikel der FAZ: »Es handelt sich um einen Akt des Terrorismus von monströsen Ausmaßen. Aber es ist mehr als Terrorismus: Es ist ein Krieg gegen Amerika« (12.9.01: 1). Das Deutungsmuster ›Kriegserklärung‹ wird im weiteren Verlauf der Berichterstattung weitestgehend unhinterfragt beibehalten. Dementsprechend erscheint auch die Formel ›Krieg gegen den Terror‹ als logische Reaktion.23 Die Berichterstattung der FAZ ist wie die des Spiegels in den Tagen unmittelbar nach dem 11. September von Emotionalisierung und Dramatisierung geprägt. Der 11. September wird als politisches Extremereignis und globale Tragödie gedeutet. Es dominiert eine Kollektivsymbolik aus dem Bereich der Naturkatastrophe, die mit Begriffen wie Feuer, Explosion, Rauch und Beben arbeitet. »Nach dröhnenden Explosionen schießen riesige Feuerbälle aus den Zwillingstürmen des World Trade Center in New York, dichter schwarzer Rauch wallt über die Skyline von Manhattan hinweg« (12.9.01: 3). Eine Sprache der Extreme und Superlative, angereichert mit Metaphern aus dem Bereich der christlichen Theologie, erzeugen ein Klima von Chaos, Angst und Fassungslosigkeit. »Der 11. September des Jahres 2001 wird als jener Tag in die Weltgeschichte eingehen, an dem die westliche Zivilisation eine Ahnung davon bekommen hat, was die Vision vom Endkampf zwischen Gut und Böse vor dem Tag des Jüngsten Gerichts, was der biblische Ortsname ›Armageddon‹ bedeuten könnte« (13.9.01: 1). Weiter ist die Rede von »apokalyptische[n] Szenen« (12.9.01: 3) und »eskalierendem Grauen« (15.9.01: 48), »nackte Furcht« und »totales Chaos« (12.9.01: 3) seien ausgebrochen, überall herrsche »Panik« und »Entsetzen« (ebd.). Begriffe wie Katastrophe, Schock und Schrecken prägen die Kommentare, ebenso wird wiederholt die »Monstrosität« der Anschläge betont. Darüber hinaus werden die Geschehnisse als historische Zäsur und »Zeitenwende« (12.11.01: 14 und 14.11.01: 5) bzw. Beginn einer »neuen Zeitrechnung« (12.9.01: 3; 8.10.01: 1) für die internationale Politik wie auch Deutschland interpretiert. Damit teilt der 11. September das Weltgeschehen in ein Vorher und Nachher, was auch in dem viel zitierten Satz »Nichts wird mehr so sein, wie es war« (12.9. und 17.9.01: 1) zum Ausdruck kommt. Ernst, Trauer und Erschütterung sind die Schlüsselbegrif-
23 | Während anfangs zumeist vom ›Krieg gegen den Terrorismus‹ gesprochen wurde, setzt sich immer mehr die griffige Kurzfassung ›Krieg gegen den Terror‹ durch – im deutschen Kontext ist zudem häufiger vom ›Kampf gegen den Terror(ismus)‹ die Rede. Dies gilt für die Berichterstattung von FAZ und Spiegel gleichermaßen.
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fe, die die Kommentare durchziehen und schließlich in der Phrase vom »Ende der Spaßgesellschaft« (8.11.01: 1) gipfeln.
Das Verhältnis USA – Deutschland: »Schicksalsgemeinschaft« und »Dankesschuld« Die Berichterstattung der FAZ zeichnet sich insbesondere in den zeitnahen Reaktionen auf die Anschläge durch den Ausdruck tiefen Mitgefühls für das Leid und die traumatische Erfahrung der USA und einer grundsätzlichen Verbundenheit aus. Mitleid, Solidarität und eine ›gemeinsame Betroffenheit‹ prägen den Duktus. Konstruiert wird eine auf geteilten Werten und gemeinsamer Historie beruhende transatlantische »Schicksalsgemeinschaft« (14.9.01: 1), die sich durch eine besondere ›kulturelle‹ und politische Nähe und Verbundenheit auszeichne. So bringt es ein Kommentar empathisch auf den Punkt: »Auch die westlichen Gesellschaften, das zeigen einfache Verhaltensweisen, rücken auf schwer bestimmbare Weise zusammen. Es ist greifbar, auf schreckliche Weise erfahrbar geworden, daß wir nicht nur eine Gesellschaft miteinander konkurrierender Individuen, Unternehmen oder Staaten sein können, sondern daß, bei allem Wettbewerb und gerade wegen seiner Bedeutung, auch Solidarität und gegenseitige Hilfe nötig sind, mit einem altertümlichen Wort: Gemeinschaft.« (13.9.01:1)
Historisch untermauert wird die Gemeinschaft mit den USA insbesondere durch den Rekurs auf die deutsche Vergangenheit: Demzufolge bestehe eine deutsche »Dankesschuld« (12.11.01: 1) gegenüber den USA, die den Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg eine unermessliche Solidarität hätten zukommen lassen. Daraus wird in der FAZ eine besondere Verantwortung abgeleitet, den USA nach den Anschlägen des 11. September beizustehen und ihnen – gerade als Deutsche – »diese Solidarität zurückzugeben« (13.9.01: 1). Schröders Versprechen der ›uneingeschränkten Solidarität‹ wird in der FAZ dementsprechend grundsätzlich bejaht und kann als charakteristisch für die proamerikanische Haltung der FAZ insgesamt gelten. Anders als im Spiegel werden die USA durchweg positiv dargestellt, wodurch Unterschiede zwischen Europa und den USA sowie Kritik an der US-amerikanischen Politik in den Hintergrund treten. Stattdessen überwiegt eine wohlwollende Haltung größter Anerkennung und Wertschätzung: »Das ganze ›Konzept Amerika‹ mit den noblen Eigenschaften, der Widerstandskraft und der kämpferischen Großherzigkeit seiner Bewohner ist die Antithese zum Terrorismus. Sie ist auch das Rezept zu seiner Überwindung.« (13.9.01: 2) Die USA fungieren dabei als Pars pro toto für die ›freie Welt‹, für die gerade New York als Wahrzeichen steht. »Weil Amerika und New York Beispieloder Vorbildcharakter für die ganze westliche Welt haben, sind die Bewohner aller ihrer Metropolen getroffen.« (13.9.01: 1) Die grundsätzlich solidarische Haltung der FAZ mündet in der metaphorischen Gleichsetzung von USA und Deutschland bzw. in der Konstruktion eines westlichen ›Wir‹. So heißt es in einem Kommentar mit der Überschrift »Jeder ist ein Amerikaner« (14.9.01: 3): »Die Kampfansage der Terroristen richtete sich gegen die ganze zivilisierte Welt. In ihr ist nun jeder ein Amerikaner.« (Ebd.) Nach einer Logik des Dafür-oder-dagegen werden kritische Stimmen in der FAZ des ›Antiamerikanismus‹ bezichtigt und damit grundsätzlich diskreditiert.
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Feindbildkonstruktionen und innere Sicherheit: Unvereinbarkeit der Kulturen Die Konstruktion einer vereinten, in Zeiten der Krise zusammenrückenden ›zivilisierten Welt‹, die auf den gleichen kulturellen Grundwerten beruht, durchzieht als ein zentrales Deutungsmuster die Berichterstattung der FAZ und lässt damit deutlich eine kulturalistische Rahmung der Ereignisse ähnlich der Huntington’schen These vom ›Kampf der Kulturen‹ erkennen. Damit geht die Konstruktion eines ›Außen‹, einer ›unzivilisierten Gegenwelt‹ einher, die den kulturellen Werten des ›Westens‹ vermeintlich feindlich gegenübersteht. So ist von »Feinden der offenen Gesellschaft«24 (22.9.01: 41), »Feinden der Freiheit« (15.9.01: 47) oder »Feinden der Toleranz« (15.9.01: 48) die Rede. In der FAZ wird die feindliche Gegenwelt ebenso wie im Spiegel primär als inkompatible ›Kultur‹ imaginiert und mit dem ›Islam‹ assoziiert. Das in FAZ und Spiegel aufgerufene Feindbild heißt internationaler ›islamischer Terrorismus‹. Dabei wird häufig nicht zwischen religiösem Islam und islamistischem Extremismus unterschieden und werden die Begriffe islamisch und islamistisch oft deckungsgleich verwendet. Dieser ›neue Feind‹ wird in der FAZ als radikal fremde, in ihren Werten inkompatible und einer irrationalen Logik folgende (islamische) ›Kultur‹ oder ›Religion‹ identifiziert, die der ›westlichen Welt‹ den Krieg erklärt habe. Die diskursive Verortung des neuen Feindes als absolutes ›Außen‹ der ›Zivilisation‹ weist ihn in eine Welt von Fanatismus und Barbarei jenseits des rational Vorstell- und Verstehbaren. Der zunächst abstrakt entworfene neue Feind bedrohe die westlichen Gesellschaften nicht nur von außen, sondern, wie die FAZ unmissverständlich klarstellt, ebenso von innen. Es kommt wie schon im Spiegel zur Beschwörung eines neuen, apokalyptischen Bedrohungsszenarios (12.10.01: 1), gemäß dem sich zwei vermeintlich unvereinbare, transnationale Großkulturen in einem »Zivilisationskrieg« (12.9.01: 1) gegenüberstehen. Was aus der Sicht der FAZ aus der ›Kampfansage‹ an die Welt folgt, ist ein »Kräftemessen« (20.9.01: 1) der Kulturen, und zwar sowohl in internationaler wie innenpolitischer Hinsicht, in dem die ›westliche Welt‹ ihre Stärke beweisen und ihre ›Werte‹ verteidigen müsse. Die polarisierende Gegenüberstellung von ›Zivilisation‹ versus ›Barbarei‹ entspricht dabei einer im Zuge des Kolonialismus entwickelten eurozentrischen und orientalistischen Wahrnehmung des ›Eigenen‹ und ›Fremden‹ (Bergmann 2006: 122). Während der Spiegel über die Attentäter aus Hamburg-Harburg, allen voran Mohammed Atta, ebenso häufig und ausführlich wie über Bin Laden berichtet, spielen sie in der FAZ eine untergeordnete Rolle. Die Suche nach den möglichen Motiven der Täter beschränkt sich auf die Diagnostizierung eines (pseudo-)religiösen Fanatismus, der sich per se gegen alles ›Westliche‹ richte. Die FAZ informiert ihre Leser_ innen zwar regelmäßig über den Stand der Ermittlungen bezüglich der Attentäter aus Deutschland, die eher sachbezogenen Nachrichten werden jedoch nur selten so ausführlich diskutiert, wie dies im Spiegel der Fall ist. Gleichwohl werden die Terroranschläge und die Frage nach den Tätern wie im Spiegel auf das Thema innere Sicherheit übertragen. Ausgehend von der Konstruktion einer schwelenden Gefahr im Inneren plädiert die FAZ für ein hartes Durchgreifen und stellt z.B. konkrete Forderungen nach einer Ausweitung und Intensivierung der Terroristenfahndung, einer Stärkung von Polizei, Nachrichtendienst und 24 | Dieser in der FAZ häufig verwendete Begriff geht zurück auf Karl Popper und sein Buch »Die Offene Gesellschaft und ihre Feinde« von 1945.
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Bundeswehr und dem Ausbau ›präventiver‹ Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen. Innere und äußere Sicherheit werden dabei in der FAZ stets als Relation, als zwei Seiten eines umfassenden Konzepts der Sicherheit dargestellt, in dem das eine nicht ohne das andere auskomme. Auch die von Innenminister Otto Schily auf den Weg gebrachten so genannten Anti-Terror-Pakete werden als mutige und richtige Schritte begrüßt und einer »halbherzigen inneren Sicherheitspolitik« vergangener Jahre eine deutliche Absage erteilt (27.9.01: 1). Eine punktuelle Einschränkung individueller Bürger- und Freiheitsrechte wird dabei als unliebsame, aber notwendige Konsequenz in Kauf genommen (17.9.01: 1). Dabei teilt die FAZ spöttische Seitenhiebe gegen diejenigen aus, die die Gefährdungslage bislang bagatellisiert hätten und sich auch angesichts der Ereignisse des 11. September als ›unverbesserlich‹ zeigten. Die FAZ beschreibt die innenpolitische ähnlich wie die außenpolitische Lage Deutschlands als Ergebnis jahrzehntelanger Verdrängungen, Versäumnisse und ideologischer wie finanzieller Vernachlässigung. Grund dafür ist nach Auffassung der FAZ die Tatsache, dass Konfliktlösung hierzulande »nicht der Klugheitslehre, sondern gutgemeinter Integrations- und Sozialphilosophie überlassen wurde« (27.9.01: 1). Im Zusammenhang mit dem Thema innere Sicherheit und der Fahndung nach weiteren Terrorverdächtigen kommt es zu einer auffälligen Diskursstrangverschränkung mit den Themen ›Einwanderungsgesetze‹ und ›multikulturelle Gesellschaft‹. Deutlich wird, dass die FAZ einer liberalen Einwanderungspolitik grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, indirekt weist sie dieser sogar eine Teilschuld an der Ausbreitung des Terrorismus zu. Der Einfluss anderer Kulturen wird insbesondere als Gefahr für die eigene Kultur interpretiert, etwa wenn es heißt, das »Projekt einer Multikultur« diene einer »Verflüchtigung dessen, was einst ›Abendland‹ genannt wurde« (2.10.01: 1). Um die vermeintliche Unvereinbarkeit der Kulturen zu exemplifizieren, nimmt die FAZ regelmäßig Bezug auf das Thema Geschlechterordnung bzw. die gesellschaftliche Rolle der Frau.
Afghanistankrieg: Der Westen muss sich wehren! Insofern für die FAZ schon zwei Tage nach den Anschlägen »kein Zweifel [besteht], daß es [Amerika, A.N.] auf diese Kriegserklärung militärisch reagieren wird« (13.9.01: 1), rücken schon bald Fragen nach der konkreten Form dieser Reaktion zum einen und der ›uneingeschränkten Solidarität‹ mit den USA zum anderen in den Mittelpunkt. Anders als der Spiegel steht die FAZ einer militärischen Unterstützung der USA durch die Bundeswehr prinzipiell positiv gegenüber; der von Schröder am 6. November verlautbarte Entschluss, auf Anfrage der USA 3.900 Soldaten für den Kampf gegen den Terrorismus bereitstellen zu wollen, wird von ihr entsprechend positiv aufgenommen und als richtiger Schritt begrüßt. Kriegskritische und pazifistische Stimmen in der deutschen Innenpolitik werden in der FAZ als verantwortungslos und realitätsfern diskreditiert, denn wenn Deutschland (bzw. Europa) zu einem bedeutsamen Akteur in der Weltpolitik werden wolle, müsse das Solidaritätsversprechen auch mit militärischen Mitteln eingelöst werden. Die »Enttabuisierung« des Militärischen und der damit verbundene »Paradigmenwechsel« (beides 7.11.01: 1, auch 12.11.01: 1) in der Außen- und Sicherheitspolitik werden dementsprechend als längst überfällig begrüßt. Die neue globale Bedrohungslage erzwinge geradezu eine selbstbewusste, auch militärische Mittel umfassende Außenpolitik. Der von der FAZ gewünschte und propagierte Werte-
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wandel wird als Geschichte einer heilsamen »Desillusionierung« (27.9.01: 1) infolge der Geschehnisse des 11. September erzählt. Anfang Oktober, mit Beginn der Bombardierung Afghanistans, wird dem Kriegsverlauf auch in der FAZ eine große Aufmerksamkeit zuteil. Die militärischen Maßnahmen der USA und ihrer Verbündeten werden vor dem Hintergrund der Deutung des 11. September als gegen den gesamten Westen gerichtete Kriegserklärung als angemessen erachtet und durchweg gegenüber Kritik verteidigt. Die Zeitung berichtet ausführlich über die eingesetzten Waffensysteme und neues Waffengerät, die militärischen Handlungen, die bombardierten Ziele, Truppenbewegungen der Nordallianz sowie die Einnahme der Städte Mazar-i-Sharif, Kabul und Kandahar. Die Situation der Kriegsopfer und Flüchtlinge ist demgegenüber von untergeordnetem Interesse. Hintergrundberichte beschäftigen sich eher allgemein mit der Herrschaft der Taliban, Bin Laden und Al-Kaida. Kritische Fragen nach dem Sinn des Krieges, den eingesetzten Waffen, der Vorgehensweise, den Opfern und humanitären Folgen des Einsatzes werden in der FAZ kaum gestellt, allenfalls im Feuilleton. Im weiteren Verlauf des Krieges (Mitte bis Ende Oktober) wird die wachsende Kritik in der deutschen Öffentlichkeit am militärischen Vorgehen der USA und einer möglichen deutschen Beteiligung auch in der FAZ aufgegriffen, jedoch deutlich distanziert. Grundsätzlich bleibt die FAZ bei ihrer zustimmenden Haltung zum Krieg und streicht seine Legitimität weiterhin heraus: »Die Angriffe auf Manhattan und auf das Pentagon zielten auf die Psyche Amerikas und der westlichen Welt. Sie waren Gewaltakte, die nur mit einer Kriegserklärung beantwortet werden konnten, wollte der Westen nicht schiere Wehrlosigkeit eingestehen.« (31.10.01: 1) Im Kontrast zu den kriegskritischen Stimmen spricht sich die FAZ sogar für eine Verstärkung des militärischen Engagements aus und schlägt den Einsatz von Bodentruppen vor, damit der Krieg schneller zu den gewünschten ›Erfolgen‹ führe. Eine von der Grünen-Vorsitzenden Claudia Roth angeregte »Feuerpause« wird entsprechend militärstrategisch wie auch politisch klar abgelehnt, da er den Krieg nur in die Länge ziehe. »Doch wenn der afghanische Krieg nicht bald einen sichtbaren Erfolg zeigt, wenn er sich festfrißt und immer mehr Opfer unter der Bevölkerung fordert – Tote, Flüchtlinge, Verhungernde –, dann wird die perverse, Ursache und Wirkung verkehrende Interpretation, die Bin Ladin in seiner Video-Botschaft verkündete, in der islamischen Welt immer mehr Anhänger bekommen: Die Ungläubigen, also Amerika und der Westen, seien die Aggressoren und die Muslime ihre Opfer.« (31.10.01: 1)
Koalitionskrise und Vertrauensfrage: Niederlage und internationaler Ansehensverlust Parallel zum Diskursstrang ›Afghanistankrieg‹ bildet die Krise der Koalitionsparteien SPD und Grüne, die sich an der deutschen Haltung zum Krieg entzündet, einen weiteren Schwerpunkt in der Berichterstattung der FAZ. Obwohl der Bundestag dem Kanzler am 16.11.2001 mit knapper Mehrheit das Vertrauen ausspricht, wird das Geschehen in der FAZ unter außenpolitischen Gesichtspunkten als Niederlage gewertet. Aus Sicht der FAZ hat die Vertrauensfrage das Signal ausgesendet, dass auf Deutschland kein Verlass sei. Deutschlands Bild als ›verlässlicher Partner‹ habe demnach einen immensen Schaden erlitten, was die erhoffte Aussicht auf mehr Einfluss in der internationalen Politik drastisch schmälere. Dieser Deutung folgend richtet sich scharfe Kritik gegen all jene, die es an Zusammenhalt, ›rationaler Ein-
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sicht‹, Mut und Entschlossenheit hätten mangeln lassen und deshalb die ›Schuld‹ an dem beschädigten Ansehen Deutschlands in der Welt trügen. Stellvertretend für die Position der Pazifist_innen und Kriegskritiker_innen stehen in der FAZ die Grünen, die als realitätsfern und unbelehrbar dargestellt werden (vgl. Kap. IV.3). Kriegskritik wird bisweilen selbst in die Nähe des Terrorismus gerückt; so heißt es abschätzig über die »Freunde eines menschenfreundlichen Linksliberalismus«: »Verliebt in die Erinnerung an die schönen Tage der Windstille, welche die Blockkonfrontation bescherte, wollen die Freunde eines menschenfreundlichen Linksliberalismus nicht wahrhaben, daß Situationen denkbar und wahrscheinlich sind, in denen Demokratien gezwungen sein können, die Grenze des Zulässigen für einen Moment zu überschreiten. Sie wollen nicht wahrhaben, daß der gute Satz, nie dürfe die Freiheit mit Mitteln jenseits des Rechtsstaats verteidigt werden, zuzeiten einen schalen Beiklang haben kann. Im Namen ihrer Zivilreligion nehmen sie die Bedrohung der offenen Gesellschaft durch deren Feinde nicht ernst genug und werden im äußersten Fall zur fünften Kolonne der Attentäter, die sich wie Fische im Wasser der Toleranz bewegen können.« (17.9.01: 1)
Auch in Bezug auf die kriegskritische Haltung der deutschen Bevölkerung reagiert die FAZ mit Unverständnis. So wird beklagt, dass immer noch weite Teile der Gesellschaft den notwendigen sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel nicht bewusst vollzogen und verinnerlicht hätten. Spöttische Bemerkungen über jene, die den ›Wertewandel‹ noch nicht vollzogen und weiterhin sicherheitspolitischen ›Illusionen‹ anhängen würden, durchziehen die Berichterstattung.
Petersberg-Konferenz und Situation nach dem Krieg: ›Fauler Kompromiss‹ Anfang Dezember berichtet auch die FAZ ausführlich über die bevorstehende Afghanistan-Konferenz in der Nähe von Bonn. Anders als der Spiegel, der das friedenspolitische Engagement der deutschen Regierung und der Bundeswehr als ›Schutztruppe in Afghanistan‹ deutlich positiv herausstellt, scheint in der FAZ eher das Deutungsmuster eines ›faulen Kompromisses‹ auf. Deutschland habe die Ausrichtung der Konferenz auf dem Petersberg übernommen, so wird spekuliert, um der ›uneingeschränkten Solidarität‹ einen möglichst unmilitärischen Anstrich zu verleihen – aus Rücksicht auf die »aufgewühlte Seele der Grünen« (1.12.01: 1) und weite Teile der deutschen Bevölkerung. Die Geheimniskrämerei der Regierung über die bevorstehende Entsendung und die tatsächlichen Aufgaben der Bundeswehr in Afghanistan werden in der FAZ ebenso kritisch kommentiert wie Schröders ›Rückzieher‹ in Bezug auf die ›uneingeschränkte Solidarität‹. So wird Schröders nachträglicher Versuch, diese möglichst auf nicht-militärische Maßnahmen zu beschränken und stattdessen die begleitenden politischen und humanitären Maßnahmen in den Vordergrund zu stellen, primär als ›Schwäche‹ und ›Einknicken‹ vor dem kleinen Koalitionspartner interpretiert.
Diskursposition der FAZ Bei der Berichterstattung der FAZ handelt es sich um ein eindeutiges politisches Bekenntnis zu den USA (und der NATO). Die USA fungieren insbesondere in puncto militärischer Wehrfähigkeit als Vorbild, an dem die europäische und deutsche Politik gemessen werden. Der Rahmung der FAZ entsprechend, hat sich Deutschland in einer durch den 11. September schlagartig veränderten Weltordnung auf den Weg ge-
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macht, ein gleichwertiger und zuverlässiger Partner in der internationalen Gemeinschaft zu werden, den man politisch und militärisch ernst nimmt. Verantwortung, Sicherheit und Zukunftsfähigkeit bilden Schlüsselbegriffe der Kommentare. Zudem wird das Diktum der ›uneingeschränkten Solidarität‹ affirmativ übernommen und prägt die Berichterstattung der FAZ im gesamten Untersuchungszeitraum. Dabei verschmelzen die beiden für den Argumentationsverlauf der FAZ grundlegenden Interpretationen einer ›Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt‹ und einer ›deutsch-amerikanischen Schicksalsgemeinschaft‹ zu einem globalen Deutungskontext, der eine militärische Antwort auf die Anschläge durch die USA ebenso wie eine deutsche Beteiligung an diesen legitim erscheinen lässt. Deutlich ausgeprägt ist in der FAZ die kulturalistische Rahmung der Ereignisse. Aus dieser Sicht wird die Motivation der Attentäter v.a. darin gesehen, die westliche Welt zu provozieren und ihre ›Kultur‹ und ›Werte‹ zu zerstören. Andere Erklärungsfaktoren für Terrorismus, wie z.B. weltwirtschaftliche Strukturen, werden in der FAZ scharf zurückgewiesen oder als Versuch der Verharmlosung interpretiert. Globale und komplexere Zusammenhänge können dadurch ebenso wie eine Mitverantwortung der ›westlichen Welt‹ pauschal ausgeschlossen werden. Was aus der Sicht der FAZ aus der ›Kampfansage‹ an die Welt folgt, ist ein ›Kräftemessen‹ der Kulturen, bei dem es darum geht die ›eigenen Werte‹ in ideologischer, politischer und militärischer Hinsicht zu verteidigen. Insgesamt betrachtet entfaltet die FAZ einen Deutungshorizont der Ereignisse, der sich primär als Neu-Konstituierung deutscher Identität bzw. als Ausloten einer vermeintlich neuen Rolle Deutschland in der Welt nach dem 11. September beschreiben lässt. Das Abwägen der politischen Konsequenzen des 11. September für Deutschland durchzieht wie ein roter Faden die Berichterstattung und wird in den meisten Kommentaren grundsätzlich positiv als Chance zur Neugestaltung bewertet. Mit kaum verhohlener Genugtuung propagiert die FAZ ein Abschiednehmen von alten politischen Gewissheiten und außenpolitischen (militärischen) Beschränkungen, kurz der ›Sonderrolle‹ Deutschlands in der internationalen Politik. Dabei verfolgt die FAZ zwei Argumentationslinien: Im Fokus stehen erstens die innenpolitischen Verschärfungen und zweitens die Neujustierung der Außenpolitik, verbunden mit einer Diskussion über die zukünftige Rolle der Bundeswehr allgemein sowie eine konkrete Beteiligung am Krieg in Afghanistan im konkreten Fall. Der 11. September wird in beiden Blickrichtungen als Zäsur gedeutet, der die Prioritäten der Politik grundsätzlich verschoben habe. Dieser Einschätzung folgend ist überall, in Bezug auf außen- ebenso wie innenpolitische Fragen, von neuen Herausforderungen, Scheidewegen und Bewährungsproben für Deutschland die Rede. Im Verlauf der Berichterstattung kristallisiert sich die Auffassung heraus, dass eine ›offene Gesellschaft‹ in Anbetracht der neuen Bedrohung durch den ›internationalen Terrorismus‹ bereit sein müsse, ihre Werte wie Freiheit und Demokratie mit allen Mitteln zu verteidigen – auch militärisch und gegebenenfalls sogar unter Inkaufnahme von Maßnahmen, die möglicherweise die rechtsstaatlichen Befugnisse überschreiten. Die FAZ orientiert sich dabei an dem Ideal eines ›starken Staates‹ zu dessen zentralen Elementen militärische Schlagkraft ebenso wie eine konsequente (innere und äußere) Sicherheitspolitik gehören.
IV. Die Hauptakteure im Spiegel der Medien 1. G EORGE W. B USH — ZWISCHEN ›S TA ATSMANN ‹ UND ›C OWBOY‹ Wie Mordt (2002) in ihrer im Anschluss an Elshtain entwickelten Version des »Geschlechterarrangements der klassischen Sicherheitspolitik« herausgearbeitet hat, ist die Figur des (erfolgreichen) Politikers – neben der des Soldaten, der Kriegermutter und der Schönen Seele (vgl. Kap. I.1.2.2) – für die Theorien der Internationalen Beziehungen und damit für das Verständnis der internationalen Politik zentral. Dieses Modell ist hilfreich, um den Begründungsmustern staatlichen internationalen Handelns und ihren inhärenten Geschlechterbildern auf die Spur zu kommen. Dabei kann insbesondere die Figur des Politikers laut Mordt Aufschluss über das den Theorien der IB zugrunde liegende Menschen- bzw. Männlichkeitsbild geben – eine These, die im Folgenden im Hinblick auf den medialen Diskurs der internationalen Politik in einem konkreten Konflikt- bzw. Kriegsfall untersucht werden soll. Die beiden für den hier untersuchten Kriegsdiskurs bzw. den Diskursstrang ›11. September/ Krieg gegen den Terror‹ wichtigsten Politiker sind die jeweiligen Regierungschefs George W. Bush und Gerhard Schröder. Die Aufmerksamkeit von FAZ und Spiegel richten sich unmittelbar nach den Anschlägen zunächst auf den US-amerikanischen Präsidenten, weswegen ich mit der Analyse des Aktanten Bush bzw. des medialen Framing seiner Person beginne. Vor allem die FAZ verfolgt entsprechend ihrer bereits dargestellten pro-amerikanischen Haltung die öffentlichen Auftritte des Präsidenten mit besonderem Interesse. Große Beachtung finden in beiden untersuchten Medien Bushs erste Reaktionen auf die Anschläge des 11. September. Im weiteren Verlauf der Berichterstattung wird dann – bei unterschiedlicher Wertung – das mittel- und längerfristige politische Handeln der USA diskutiert, insbesondere die Vorbereitung militärischer Gegenschläge gegen die afghanischen Taliban. Auffällig ist in beiden Medien ein hoher Grad der Personalisierung, wobei die Figur George W. Bush gerade im Spiegel oftmals stellvertretend für die gesamte US-amerikanische Nation steht.
1.1 ›Reifeprüfung‹ — Bush als »Staatsmann« und »Kriegsherr« In den Tagen nach dem 11. September werden Bushs Reaktionen bzw. die der US-Regierung auf die Anschläge in FAZ und Spiegel gründlich unter die Lupe genommen und zwischen den beiden Polen ›Entschlossenheit/Stärke‹ und ›Besonnenheit/Zurückhaltung‹ verortet. Die Analyse zeigt, dass die Zuordnung und Bewertung dabei
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in beiden Medien sehr unterschiedlich ausfällt, weswegen ich die Analyseergebnisse im Folgenden getrennt voneinander vorstellen werde. Ich beginne mit der Darstellung der FAZ. George W. Bush wird hier sehr deutlich die bei Mordt (2002) beschriebene idealtypische Rolle des erfolgreichen und effizienten Politikers zugewiesen, wobei v.a. seine persönliche Entwicklung und Karriere in Anbetracht der Ereignisse des 11. September fokussiert werden. Wiederholte Benennungen als »Staatsmann« (z.B. 15.11.01: 3), »Staatsoberhaupt« (z.B. 17.9.01: 3) oder »Krisenmanager« (z.B. 22.9.01: 2) unterstreichen seine Qualifikation als Präsident der Vereinigten Staaten, wobei die Benennung als »Oberbefehlshaber« (z.B. 22.9.01: 12) und »Oberkommandierender« (z.B. 18.9.01: 3) zugleich die Möglichkeit militärischer Reaktionen auf die Terroranschläge diskursiv vorwegnimmt. Prägend für die Darstellung des Präsidenten ist in den ersten Tagen und Wochen nach dem 11. September die Narration einer ›individuellen Reifeprüfung‹: Die durch die Anschläge verursachte Krise wird als »einzigartige[r] Moment der Bewährung und der Prüfung« (ebd.) und »entscheidender Test für seine Präsidentschaft« (14.9.01: 8) gedeutet, an dessen Bewältigung sich politische Professionalität und Größe eines Staatsmannes messen ließen. »In diesen Tagen stellt sich heraus, ob Bush […] den Anforderungen an der Spitze der Supermacht wirklich gewachsen ist – er, der belächelt und verspottet wurde, dessen Intelligenz in Zweifel gezogen und dessen natürliche Freundlichkeit ihm als provinziell ausgelegt worden ist.« (22.9.01: 12) »Die Amerikaner und das Ausland lernen Bush seit dem 11. September in einem so nicht erwarteten Crashkurs als Krisenmanager und Staatsmann, Diplomat und Oberkommandierenden, nationalen Trostsprecher und internationale Führungsgestalt kennen. […] Noch kann niemand ihm über einen verbalen Patzer hinaus einen Fehlentscheid oder auch nur Wankelmut oder Orientierungslosigkeit vorwerfen.« (Ebd.: 2)
Schon früh signalisiert die FAZ, dass sie dem US-Präsidenten die erforderliche ›Reifung‹ zutraut. So heißt es bereits zwei Tage nach dem 11. September anerkennend, dass Bush, der »immer etwas jung wirkte«, nun »unter der Last der Eindrücke und Entscheidungen zu altern und zu reifen schien« (13.9.01: 2). Auch in der Folge wird Bush insgesamt als entschlossener und handlungsstarker Präsident präsentiert, der – allen Fehlern und Unsicherheiten in seiner Vergangenheit zum Trotz – die politische und persönliche Herausforderung ohne Zaudern annehme. Der 11. September wird in dieser Lesart nicht nur als ›historische Zeitenwende‹ gedeutet, sondern auch als eine ›persönliche Zäsur‹. Bush, ehemals ein »Leichtgewicht« (22.9.01: 2), gewinne »von Auftritt zu Auftritt Statur und Sicherheit«, resümiert die FAZ und fährt fort: »Beides mag ihm zustatten kommen für die Bewährungsproben, die in dem erklärten ›Krieg gegen den Terrorismus‹ noch vor ihm liegen« (14.9.01: 3). Unter den zahlreichen ›Bewährungsproben‹, bei denen Bush wie schon sein Vater seine Fähigkeiten unter Beweis stellen muss, will er als ernst zu nehmender Politiker und Staatschef Anerkennung finden, gilt der Krieg als die härteste aller Proben – nicht nur für Bush, sondern für einen Präsidenten generell: »Der jüngere Bush, dem die auswärtige Expertise des älteren fehlt und der seine Statur, seinen Charakter und seine Führungskraft nun rascher und nachhaltiger beweisen muß, als er
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN selbst erwarten konnte, wächst seit dem vorigen Dienstag für alle Amerikaner sichtbar in eine Rolle hinein, die kaum einem seiner Vorgänger ganz erspart blieb. Die Erinnerung an die Prüfungen von Präsidenten der letzten Generationen reichen von Franklin Roosevelt (Pearl Harbor) bis zu Harry Truman (Hiroshima), von Dwight Eisenhower (Korea) bis zu John F. Kennedy (Kuba-Krise), von Lyndon Johnson bis Richard Nixon (Vietnam).« (17.9.01: 3)
Der Bezug auf die Traditionslinie der US-amerikanischen Präsidenten, insbesondere der Vergleich von George W. Bush mit seinem Vater und Amtsvorgänger George Bush Senior, bildet insgesamt eine wichtige Diskursfigur. So konstatiert die FAZ unter Verweis auf den früheren Präsidenten Bush Senior, dass auf dem Weg zu einem erfolgreichen Staatsmann insbesondere eine innere ›Abhärtung‹ und ein ›hartes‹ Auftreten nach außen vonnöten seien. ›Weich-sein‹ wird indes als Vorwurf gewertet, der die politische Kompetenz eines Präsidenten in Abrede stellt. In Krisenzeiten ist die Demonstration des ›starken Mannes‹ gefragt, der auch den Einsatz militärischer Mittel nicht scheut: »Der erste Präsident Bush war nicht von martialischem Naturell. Mehr Diplomat als Feldherr, brauchte er damals einige Zeit, bis er die ›Linie im Sand‹ zog. Auf dem Weg dorthin mußte ihn Großbritanniens ›Eiserne Lady‹ Margaret Thatcher sogar mahnen, jetzt bloß nicht ›weich zu werden‹. Als er sich innerlich gehärtet hatte, nutzte er seine lange internationale Erfahrung als Botschafter, CIA-Direktor und Vizepräsident, um mit Geschick und Umsicht jene multinationale Streitmacht aufzustellen, die Saddams Soldaten aus Kuweit zurückwarf und die brennenden Ölquellen löschen half.« (17.9.01: 3)
George W. Bush muss dementsprechend eine ähnliche Entwicklung durchlaufen, was ihm der FAZ zufolge auch gelingt, konstatiert sie doch schon am 22. September, dass »die beispiellose Krise« ihn »zum Kriegspräsidenten hat werden lassen« (22.9.01: 12). Dies umfasst, wie die folgenden Diskursfragmente zeigen, sowohl die Bereitschaft, in einen Krieg zu ziehen, als auch die Durchsetzungskraft, die Nation von dessen Notwendigkeit zu überzeugen: »Das ist die im Wortsinne historische Rede des George W. Bush gewesen, auf den Tag genau sieben Monate nach der Amtseinführung, in einem einzigartigen Moment der Bewährung und der Prüfung. Er hat das Land auf einen nach Dauer und Art ungewissen Kampf gegen den Terrorismus eingeschworen […].« (22.9.01: 12)
Der Aktant Bush hat damit also die notwendige ›innere Abhärtung‹ vollzogen – ein zentraler Aspekt der ›Reifung‹ zum ›echten Staatsmann‹. Offenbar umfasst dieser Prozess dabei auch die Überwindung eines als ›weichlich‹ und dabei ›unmännlich‹ wahrgenommenen Verhaltens. Entsprechend der sexistischen Bewertungslogik von Kriegs- und Sicherheitsdiskursen kann hier ein ›harter‹ militärischer Kurs auch als – von der FAZ empfohlene – Strategie des Staatsmanns verstanden werden, nicht in Gefahr zu geraten, als ›weich‹ und ›schwächlich‹, ergo ›weiblich‹ zu wirken. Krieg erhält somit die Funktion, eine durch die Anschläge in die Krise geratene Männlichkeit wiederherzustellen und die Remaskulinisierung der Politik zu gewährleisten. »Am Nachmittag wandte sich der Präsident dann vom Bundesstaat Louisiana aus ein zweites Mal über das Fernsehen an die Bevölkerung und sagte: ›Die Freiheit selbst wurde an diesem
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Ausschlaggebend für die positive Darstellung des US-Präsidenten in der FAZ ist jedoch die Gleichzeitigkeit von Entschlossenheit und Stärke auf der einen Seite sowie Besonnenheit und Maßhaltung auf der anderen Seite. Die FAZ wird nicht müde zu betonen, dass es in der aktuellen Lage an beidem nicht fehlen dürfe. »Auf das Geschehen des 11. September hat er sichtbar betroffen reagiert und mit einer Besonnenheit, welche so gar nicht den Klischees entspricht […]. Besonnenheit aber verträgt sich mit Entschiedenheit, und nichts deutet darauf hin, daß es [Bush] daran fehlen lassen könnte.« (22.9.01: 12)
Die Ausgewogenheit zwischen ›Stärke‹ und ›Augenmaß‹ immer wieder herzustellen, wird dabei als besondere Herausforderung für die Politik und einen erfolgreichen Politiker wahrgenommen. So vollziehe die amerikanische Außenpolitik momentan einen schwierigen »Balanceakt« (14.9.01: 1) zwischen dem – aus der Sicht der FAZ durchaus nachvollziehbaren – Wunsch nach Vergeltung einerseits und einem wohl überlegten und kontrollierten Vorgehen andererseits, das ›unschuldige Opfer‹ vermeidet. So heißt es in einem Kommentar, von Bush erwarte man »Vergeltung mit Augenmaß« (13.9.01: 1). »Die Solidarität der Nato hilft […] der amerikanischen Außenpolitik bei einer Gratwanderung: der Demonstration von Autorität und Handlungsfähigkeit einerseits und dem Festhalten an dem selbstgesteckten Ziel, nur die Schuldigen und jene Länder treffen zu wollen, die den Terroristen bei der Realisierung ihrer Untaten behilflich waren.« (14.9.01: 1)
Dass zum Ideal eines Staatsmannes jedoch auch Zähigkeit und Entschlossenheit gehören, ist in der FAZ unbestritten: »Das amerikanische Volk will spüren, daß der Präsident zäh und entschlossen ist, während das Militär wissen muß, daß er klug ist und sich selbst im Griff hat, und die anderen Länder erwarten, daß er mit Bedacht handelt. Mit seiner Rede am Donnerstag Abend vor dem Kongreß ist er diesem Ideal einen großen Schritt näher gekommen.« (22.9.01: 44)
Insgesamt dominiert der Deutungsrahmen einer ›staatsmännischen Rationalität‹, wenn es um die Entscheidungen und Handlungen des Präsidenten bzw. seiner Regierung geht. Bush habe »wie nach dem Lehrbuch des ›rational decision-making‹ gehandelt« (22.9.01: 1), schreibt die FAZ. Wiederholt werden rationale Problemanalyse und kühle Kalkulation betont:
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Sie [die Bush-Regierung, A.N.] hat das Problem identifiziert, verschiedene Strategien zu seiner Beseitigung erörtert und jene ausgewählt, die die größte Aussicht auf Erfolg hat: eine langfristige und auf vielen Ebenen ansetzende. Washington antwortet auf eine globale Gefahr mit einer globalen Politik.« (FAZ 22.9.01: 1)
Im Weißen Haus würden durchweg »kühle Köpfe« regieren, und Präsident Bush habe bislang jeder Versuchung, »aus der Hüfte zu schießen«, widerstanden (14.9.01: 3). Es ist v.a. die Frage nach der Angemessenheit einer militärischen Erwiderung auf die Anschläge, die, häufig nur implizit, ein zentrales Thema der Kommentare bildet. Ausdrücklich wird dann im November auch die Entscheidung für den Militäreinsatz in Afghanistan als ›angemessen‹ und ›rational‹ bewertet: Schon die lange Reaktionszeit »nach der Vernichtung des World Trade Centers und den Angriffen auf Washington zeigte, daß die Entscheidung, militärisch gegen Al Qaida und das Taliban-Regime vorzugehen, nicht reflexhaft getroffen wurde« (7.11.01: 1.). Die Kritik an einer möglichen ›reflexhaften Überreaktion‹ seitens der USA – in dieser Argumentationslogik das genaue Gegenteil eines rationalen Vorgehens – wird indes als spezifisch deutsches anti-amerikanisches Stereotypendenken zurückgewiesen: »Die wohlfeile Warnung, Washington möge doch bitte nicht überreagieren, gründete freilich meistens selbst auf jener klischeebehafteten Wahrnehmung der Welt, die man Amerika gerne unterstellt. Im politischen System Amerikas […] steckt mehr Rationalität, als manch ehemaliger Friedensaktivist und Imperialismustheoretiker glauben möchte.« (22.9.01: 1) »Das Vorurteil vom Revolverhelden sitzt bei den Deutschen aber noch zu tief, als daß man Amerika eine Reaktion zutraute, die der Tat angemessen ist und auch hilft, erfolgreich gegen den Terrorismus zu kämpfen. […] Was in Deutschland oft mißverstanden wird, ist die Tatsache, daß Bin Ladin nur ein Symbol des Bösen ist. Die Amerikaner wollen die Hintermänner der Täter zur Rechenschaft ziehen. Dabei ist es unerheblich, ob sie Bin Ladin heißen oder Saddam Hussein. Das ist weit rationaler als die Furcht, Afghanistan stehe ein amerikanisches Flächenbombardement bevor.« (15.10.01: 4)
Wie im Folgenden noch zu sehen sein wird, lässt sich insbesondere das letzte Zitat auch als Kritik an der Berichterstattung des Spiegels über Bush und die USA nach dem 11. September lesen. Oft macht die FAZ explizit, welche Eigenschaften sie von einem führenden Politiker in Zeiten von Krieg und Krise erwartet bzw. was aus ihrer Sicht einen Politiker in solchen Zeiten zum wahren Staatsmann macht: So werden Einfühlungsvermögen und Augenmaß, aber auch innere Härte und Abhärtung, Durchsetzungs- und Führungskraft positiv hervorgehoben. Die folgenden Textbeispiele offerieren die am häufigsten genannten Rollen und Eigenschaften: »Sein [Bush Seniors, A.N.] Sohn [ist] nach einem für manche Amerikaner unsicher anmutenden ersten Tag […] seitdem mit seinen Sonderaufgaben gewachsen: als Mutmacher, als Tröster, als Vorbild und sogar als Vorbeter.« (17.9.01: 3) »Ein amerikanischer Präsident braucht Mitgefühl, Eloquenz und einen kühlen Kopf für die ihm auferlegte dreifache Rolle als Staatsoberhaupt, Regierungschef und Oberkommandierender.« (17.9.01: 3)
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In der Rahmung der FAZ scheint der US-amerikanische Präsident die verschiedenen ihm zugewiesenen Rollen insgesamt mit Bravour zu meistern: Er ist Anführer der Nation, und das in jeder Hinsicht – psychologisch, religiös, rhetorisch, militärisch, politisch. Popularität, Führungskraft bzw. die Fähigkeit, die Nation hinter sich zu vereinen, sind zentrale Eigenschaften, die in der FAZ immer wieder positiv hervorgehoben werden. Zusammengenommen lassen die Zuschreibungen Bush als kompetenten und souveränen Staatsmann erscheinen, mit dem die USA die Krise des 11. September überstehen und mehr noch überwinden können. Auch im Spiegel wird – wenngleich seltener – das Deutungsmuster einer ›Reifung‹ aufgegriffen, jedoch nicht annähernd im selben Maß wie in der FAZ als tatsächliche und nachhaltige ›Wandlung‹ des US-Präsidenten affirmiert. Die Darstellung fällt insgesamt weit weniger positiv aus, ironisierende und distanzierende Zwischentöne sind die Regel. So wird der Präsident im Spiegel im Hinblick auf die Zeit vor dem 11. September nicht ohne Hohn als »Teilzeit-Präsident« (38/2001: 25) bezeichnet, der sein Amt kaum wahrgenommen habe. Stattdessen habe er sich »sooft es ging auf seine Ranch in Crawford zurückgezogen« (ebd.) und das Regieren lieber anderen überlassen. Die durch den 11. September ausgelöste Krise wird jedoch auch im Spiegel als individueller Wendepunkt gedeutet: »Schon jetzt ist kaum zu glauben, dass die Regierung Bush so behäbig weitermachen kann wie bisher, und es gibt Anzeichen, dass die Krise ihm Profil verleiht« (38/2001: 25). Das folgende Zitat gibt wieder, was aus der Sicht des Spiegels von einem US-amerikanischen Präsidenten erwartet wird. Die aufgezählten Eigenschaften und Rollen sind nahezu identisch mit denen der FAZ, jedoch werden sie nur vermittelt als Erwartungen der US-Bevölkerung benannt und durch den skeptischen Unterton des Artikels zugleich relativiert: »In Zeiten nationaler Krisen scharen sich die Amerikaner traditionell um ihren Präsidenten. […] Vom Präsidenten wird erwartet, dass er Trost spendet, die Tragödie mit angemessenem Pathos benennt und Maßnahmen trifft. Er soll führen, soll zeigen, dass er Nerven hat, soll Kontrolle über das herrschende Chaos gewinnen. […] Die Mehrzahl der Amerikaner – ob Republikaner oder Demokraten, Bush-Gegner wie Bush-Freunde – erwartet von ihm, dass er sein Versprechen einlöst: die Verantwortlichen für die Anschläge in New York und Washington zu jagen und zu bestrafen. Das freilich war das Mindeste, was die Nation von ihrem Präsidenten erhoffen durfte.« (38/2001: 25)
Wo das Deutungsmuster ›Reifung‹ im Spiegel dennoch Verwendung findet, ist es weniger auf die persönlich-politische Entwicklung des Präsidenten bezogen als vielmehr auf eine sich vermeintlich abzeichnende ›Internationalisierung‹ und gewachsene Kooperationsbereitschaft der amerikanischen Politik, die nicht nur auf militärischen, sondern ebenso auf politischen Rückhalt setze. So heißt es eine Woche nach Kriegsbeginn: »Seit jenem Terrortag im September hat sich auch die BushRegierung verändert, die zuvor wenig internationale Kooperationsbereitschaft übte« (42/2001: 143), und: »So multilateral war Amerika selten« (42/2001: 163). Der vermeintliche Wandel des US-amerikanischen Politikverständnisses wird jedoch von Skepsis und Verwunderung begleitet, im Spiegel-typischen Stil häufig in Äußerungen Dritter vorgetragen (vgl. Kap. III.1.1):
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Mit Erstaunen realisieren der Kanzler und sein Außenminister, wie die US-Regierung des konservativen Präsidenten George W. Bush in einem dramatischen Schwenk von ihrer bisherigen globalen Selbstherrlichkeit abzurücken beginnt. ›Sie nehmen auf einmal die Welt wahr, wie sie ist‹, registriert ein Fischer-Berater.« (41/2001: 23)
Die Berichterstattung des Spiegels über Bush und die US-Außenpolitik steht in einer Kontinuitätslinie zu älteren Darstellungskonventionen des Magazins, welche die USA zumeist in ein negatives Licht rücken. Die USA gilt als selbstherrliche Supermacht, deren vorrangiges Ziel aus Sicht des Spiegels bislang darin bestand, ihren Anspruch auf Weltherrschaft durchzusetzen – nun aber mit dieser Politik an ihre Grenzen gestoßen ist. Vor der Folie des vermeintlich Besonderen und Unerwarteten, Bushs ›spontaner‹ und ›überraschender‹ Veränderung nach dem 11. September, hebt sich das Allgemeine und ›Normale‹ umso deutlicher ab. Die punktuell zugestandenen positiven Veränderungen sind entsprechend von Misstrauen begleitet: »Auch früher schon hatten die Amerikaner zuerst geschossen und dann die Partner informiert«, ruft der Spiegel mahnend in Erinnerung (38/2001: 33). Vier Wochen später sieht er dieses Misstrauen dann auch bereits wieder gerechtfertigt: »So wenig wie in diesem ›ersten Krieg des 21. Jahrhunderts‹ (Bush) hatten sich die Amerikaner bei keinem Waffengang zuvor in die Karten schauen lassen. Niemand wusste so recht, für welche Ziele der oberste Kriegsherr im Weißen Haus die weltweite Solidarität nutzte, die Partner und Freunde ihm immer wieder anboten.« (42/2001: 160)
Während die Rahmung von Bushs politischem Handeln als ›Reifung‹ im weiteren Verlauf der Spiegel-Berichterstattung noch weiter an Bedeutung verliert, hat sie in der FAZ durchgängig Bestand. Um nun der spezifischen – geschlechtlichen – Verfasstheit der Figur des ›erfolgreichen Politikers‹ und ›Staatsmannes‹, wie sie hier in den Deutungsmustern bezüglich des US-amerikanischen Präsidenten Bush angelegt ist, auf die Spur zu kommen, erweist sich insbesondere der Aspekt der Rationalität als aufschlussreich. Während dem US-Präsidenten (bzw. den USA insgesamt) in der FAZ Rationalität in hohem Maße zugeschrieben und als oberste Maxime politischen Handelns herausgestellt wird, ist Rationalität im Spiegel zwar auch hoch veranschlagt – im Hinblick auf Bush bleibt der Spiegel diesbezüglich aber eher skeptisch (vgl. dazu Kap. IV.1.5). Dabei fallen gerade bei den (leichter zu fassenden, weil positiv artikulierten) Vorstellungen von Rationalität in der FAZ die Übereinstimmungen mit jenen der politikwissenschaftlichen Schule des (Neo-)Realismus auf, wie sie in Kapitel I erläutert wurden. ›Rationales‹ Handeln im internationalen Raum umfasst aus (neo-)realistischer Sicht alle Handlungsoptionen – auch oder gerade militärische – die dem staatlichen Interesse dienen und zuvorderst das Überleben des Staates in einer vermeintlich feindlichen Umgebung sichern. Wie feministische Kritiker_innen des (Neo-)Realismus herausgearbeitet haben, orientiert sich die vermeintlich objektive Rationalität staatlichen Handelns jedoch an einem spezifischen Ideal von Männlichkeit: »Die Politik von Staaten […] folgt in der (neo-)realistischen Perspektive einer instrumentellen Rationalität, die in kaum noch zu übertreffender Weise entlang der klassischen Konstruktionen von Männlichkeit definiert ist. Autonomie und Objektivität sind die wichtigsten Ingredienzen dieser Rationalität; Stärke, Zwang und Kontrolle über andere sind zentrale
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « Attribute staatlicher Macht; Kampfbereitschaft und Siegeswille sind (zumindest im klassischen Realismus) wesentliche Grundlagen der politischen Durchsetzung nationaler Interessen« (Ruppert 1998b: 33).
Die maskulinistische Rationalität des Staatsmannes zeigt sich bei Bush ganz besonders in der als notwendig erachteten Bereitschaft zum Krieg, welche eine Überwindung von vermeintlicher ›Weichlichkeit‹ und eine ›innere Härtung‹ vorauszusetzen scheint. Rationales Handeln umfasst in der FAZ aktive Entschlossenheit und militärische ›Härte‹ ebenso wie ruhige Besonnenheit – gemäß den geschlechterdichotomischen Zuschreibungen rein männlich kodierte ›Tugenden‹ –, während weiblich konnotierte ›Weichheit‹ als dem politischen Geschäft nicht zuträglich überwunden oder abgespalten werden muss.
1.2 Die ersten Reaktionen in einer Grundschule in Florida — zu viel Gefühl Während ein ›Zuviel‹ an Entschlossenheit und Stärke als Überreaktion und reflexhafter, unüberlegter Vergeltungsschlag wahrgenommen wird, kann ein ›Zuviel‹ an Besonnenheit und Zurückhaltung auch als Zeichen der Zögerlichkeit und Schwäche interpretiert werden – und ist dem Bild eines souveränen Staatsmannes ebenfalls abträglich. Ich möchte dies am Beispiel der Darstellung der allerersten Reaktion von George W. Bush verdeutlichen. Bush besuchte gerade eine Grundschule in Florida, als er von den Einschlägen der Flugzeuge in das World Trade Center in Kenntnis gesetzt wurde. Diese kurze, oberflächlich betrachtet unbedeutende Szene wird sowohl im Spiegel als auch in der FAZ mehrfach aufgegriffen, was zu der Frage führt, warum dieses Ereignis eine solche Beachtung erfährt bzw. welche (Be-) Deutung ihm medial beigemessen wird. Dabei erweist sich die mediale Vermittlung der Ereignisse in Florida auch im Hinblick auf die Frage, welche Rolle ›Geschlecht‹ innerhalb der Diskurse über Krieg und ›Terror‹ spielt, als aufschlussreich. Die verschiedenen Diskursfragmente aus FAZ und Spiegel stellen zunächst die menschliche, emotionale – traditionell weiblich konnotierte – Seite des Präsidenten in den Vordergrund, was durch die Schulszenerie, in der er als fürsorglich-väterlicher Kinderpräsident gezeigt wird, noch verstärkt wird. Bush zeige sich in Anbetracht der Ereignisse »sichtlich erschüttert« (FAZ 12.9.01: 1), »tief betroffen« (22.9.01: 12) und »entsetzt« (13.9.01: 2). Beim Empfang der Terrornachricht sei er »sichtlich blass« (Spiegel 51/2001: 110) geworden, »wirkte gehemmt und rang um Fassung« (38/2001: 25) und wendete sich daraufhin mit »bebender Stimme« an die Bevölkerung, um eine »nationale Tragödie« (FAZ 12.9.01: 1) zu beklagen. Gezeichnet wird das Bild eines sensiblen Präsidenten, der aus seiner Erschütterung keinen Hehl macht sowie Schock und Trauer ehrlich zum Ausdruck bringt. Zugleich wird durch den Fokus auf ›Emotionalität‹ die Nähe des Präsidenten zur US-amerikanischen Bevölkerung unterstrichen, die als ebenso fassungslos, trauernd und schockiert dargestellt wird. Konstruiert wird dabei ein Bild ›kollektiver Trauer‹ und ›nationaler Betroffenheit‹. Aber noch eine zweite Deutung geht mit dem Rekurs auf die Szene in Florida einher: Erschütterung und Trauer werden zwar als in Anbetracht der schrecklichen Ereignisse menschlich nachvollziehbare Reaktionen präsentiert – gelten als ›politische Reaktionen‹ aber nur bedingt als angemessen. So stellen Spiegel und FAZ die ersten Reaktionen von Bush auch als Zeichen der Unsicherheit und Schwäche
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bzw. fehlender politischer Entschlossenheit und Souveränität heraus. Beide Medien heben wiederholt hervor, dass Bush nicht sofort nach Washington zurück geflogen sei und stattdessen weitere Zeit in der Schule in Florida verbracht habe. Danach sei er erst quer durch die USA geflogen, bevor er dann schließlich am späten Abend ins Weiße Haus zurückgekehrt sei. Wie dieser Sachverhalt dann weiter interpretiert und bewertet wird, hängt von der in Spiegel und FAZ unterschiedlichen Kontextualisierung des Ereignisses ab. Die Handlungsunfähigkeit des Aktanten Bush wird durch die Kontrastierung mit seinen Ministern noch besonders hervorgehoben und dadurch implizit bewertet: Im Spiegel wird zunächst die »behäbige« Reaktion des Präsidenten mit den Reaktionen des US-Verteidigungs- und Außenministers verglichen: Während Donald Rumsfeld gleich »nach der Explosion zur Unfallstelle gelaufen war, um Verwundeten zu helfen«, und auch Colin Powell »sofort« von einem Besuch in Peru einflog (38/2001: 25), »irrte« Bush im Flugzeug »durch die USA« (50/2001: 146). Unterschwellig klingt hier der Vorwurf von Unentschlossenheit, Orientierungslosigkeit und Scheu vor den anstehenden Aufgaben an, der sich in der folgenden Berichterstattung verdichtet. So nimmt eine gegen Jahresende erscheinende Serie zu den Hintergründen des 11. September erneut die Szene in den Fokus, in der Bush inmitten der Grundschulkinder vom Einschlag des ersten Flugzeugs erfuhr: »Er beriet sich daraufhin mit seinem Stabschef Andrew H. Card Jr. und entschloss sich dann, mit seinem Programm fortzufahren. Also ging er ins Klassenzimmer und übte mit den Siebenjährigen Lesen – die Schüler […] freuten sich darauf, die Geschichte einer Ziege vorzutragen, die sie für diesen Tag einstudiert hatten. Während Bush im Klassenzimmer den Kindern zuhörte, erfuhren seine Berater draußen, dass auch der zweite Turm getroffen war. […] Stabschef Andy Card flüsterte Bush die Nachricht ins rechte Ohr, soeben sei ein zweites Flugzeug ins WTC geflogen: ›America’s under attack.‹ Bush wurde sichtlich blass. Dennoch setzte er für sechs weitere Minuten seinen Besuch fort, lobte und hörte zu. Dann erst stand er auf.« (51/2001: 110)
Ohne es direkt äußern zu müssen, stellt der Spiegel deutlich die Überforderung des Präsidenten heraus: Bush kehrt ins Klassenzimmer zurück, weiß offenbar nicht, was zu tun ist, und vertändelt seine Zeit mit einer Kindergeschichte, anstatt seine Aufgabe als Staatsoberhaupt eines angegriffenen Landes wahrzunehmen. Auch in der FAZ wird Bushs unmittelbare Reaktion auf die Ereignisse des 11. September als haltlos, nervös und sogar gefährlich bewertet, wie etwa in diesem, anderthalb Wochen nach den Anschlägen erschienenen Artikel: »Am Tag der Terroranschläge trat er dreimal vor die Kamera. Seine improvisierte Erklärung in der Schule und ein paar Sätze während eines Zwischenstopps auf seinem sicherheitsbedingten Irrflug waren noch gezeichnet vom Schock und dem Schrecken der Ereignisse. Bush suchte nach einem Halt für sich und das Land. Dann verschwand er vom Bildschirm. Sein erster großer Auftritt kam am Abend, als er wieder nach Washington zurückgekehrt war, in einer kurzen Fernsehrede an die Nation. Sie bekam keine guten Noten. Bush hatte zwar die gefährliche Nervosität des Vormittags abgelegt, aber seine versteinerte Präsentation, der er beim Lesen vom Teleprompter oft zum Opfer fällt, war nicht eben dazu angetan, einer beispiellos verunsicherten Nation Zuversicht und Mut einzuflößen.« (22.9.01: 44)
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Bedenklich erscheint hier insbesondere, dass Bush – auch als er genügend ›Halt‹ gefunden hat, um wieder zu handeln – noch zu schwach sei, um auch ›seinem Land‹ einen solchen ›Halt‹ zu geben. Das nachfolgende Handeln des Präsidenten wird in der FAZ jedoch nachdrücklich von dieser ersten Reaktion abgegrenzt. Nachdem er seine anfängliche Verunsicherung und Hemmnis abgeschüttelt habe, habe er sich als umsichtig und entschlossen erwiesen – ein Mann, der seine Emotionen unter Kontrolle zu bringen weiß. »Der Präsident, der […] ebenso resoluten wie bedächtigen Schritts ins Weise Haus zurückkehrt, muß Normalität demonstrieren und zugleich beweisen, daß er dem Ausnahmezustand gewachsen ist, ihn begreift und jederzeit die Kontrolle behält. Er muß Normalität zugleich verleugnen und bestätigen.« (13.9.01: 53)
Gerade die schnelle Überwindung des Schocks wird als Garant für die Wiedererlangung von Handlungsfähigkeit und die Rückkehr zur ›Normalität‹ präsentiert und bildet in dieser für die FAZ spezifischen Lesart den Grundstein für die weitere positive Darstellung als ›wahrer‹ Präsident und Anführer einer Nation, der in der Lage ist, die (weiterhin) von Angst und Schrecken beherrschte Bevölkerung zu beruhigen und zu trösten. Anhand der unterschiedlichen Darstellungen der unmittelbaren Reaktion Bushs auf die Anschläge des 11. September lässt sich die produktive (diskursive) Macht der Medien zeigen, die bestimmte Sachverhalte erst mit Bedeutung auflädt. Die gegensätzlichen Interpretationen machen deutlich, wie in Spiegel und FAZ um die ›richtige‹ Lesart der (gleichen) Situation gerungen wird: Während das Ereignis in der Darstellung der FAZ als eine erste richtungweisende Prüfung des US-Präsidenten auf dem Weg zum erfolgreichen Staatsmann gedeutet wird, bleibt Bush im Spiegel primär in einer emotionalen Befangenheit verhaftet bzw. auf seine Emotionalität zurückgeworfen; sein Verhalten ist, auch nachdem er sich vom ersten Schock erholt hat, von Unsicherheit, Planlosigkeit und Unberechenbarkeit geprägt. Insofern er in der Krise zu verharren scheint und die Chance zur ›Reifung‹ verfehlt, wirkt seine Eignung zum rationalen Staatsmann höchst ungewiss. Wenngleich auch der Spiegel – wie oben bereits gesehen – gewisse »Anzeichen« bei Bush sieht, »dass die Krise ihm Profil verleiht« (38/2001: 25), lässt er im Folgenden offen, ob Bush genügend Selbstbeherrschung aufbringt, um seine Gefühle zu kontrollieren, und ob er demgemäß die entscheidende Prüfung bestehen und sich als rational-handlungsfähiger Staatsmann erweisen kann. Insofern Bush im Spiegel keine ›Reifung‹ wie in der FAZ gelingt, bleibt er im ›Kindlichen‹ oder ›Weiblichen‹ befangen, kann er die maskulinistischen Höhen eines rationalen Staatsmanns nicht erreichen. Ungeachtet der unterschiedlichen Bewertungen werden Emotionen in beiden Medien nur als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge als menschlich angemessen, im Weiteren aber als Zeichen von Unsicherheit, Zögerlichkeit und Schwäche interpretiert; sie erscheinen als ›weichlich‹ und ›unmännlich‹, als einem politischen Anführer unangemessen und sogar potentiell gefährlich. So wird die Tatsache, dass Bush nicht sofort nach Washington zurückflog, als Furcht, Gehemmtheit und Unentschlossenheit gedeutet. Die Kompetenz – und Maskulinität – des Politikers wird sodann daran bemessen, wie schnell er seine (zu) ›weiblichen‹ Emotionen unter Kontrolle bringt, Unsicherheit abschüttelt und dadurch Handlungsfähigkeit (zurück-) erlangt. Für ein Innehalten und Nachdenken über Ursachen und Wirkung, die An-
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gemessenheit der eigenen Reaktionen sowie für Zweifel in Bezug auf vermeintlich eindeutige Antworten – ein Verhalten, das durchaus auch als ›besonnen‹ gedeutet werden könnte – bleibt offenbar keine Zeit. Das Zulassen und Zeigen von Irritation, Unschlüssigkeit und Schock wird ausschließlich als unsicheres und unprofessionelles, nicht rationales und letztlich auch ›unmännliches‹ Verhalten dargestellt. Im Folgenden wird gezeigt werden, dass bestimmte Formen von Emotionalität jedoch auch in die Politiker-Männlichkeit integriert werden können, eine ausschließliche Gegenüberstellung von Rationalität und Emotionalität in der geschlechtlichen Positionierung Bushs also zu kurz greift.
1.3 ›Soziale Kompetenzen‹ — Nationaler Tröster, Therapeut und Beschützer Die Analyse der medialen Inszenierung des amerikanischen Präsidenten zeigt, dass von ihm neben den als ›rational‹ gedeuteten Eigenschaften Entschlossenheit und Besonnenheit auch ›soziale‹ oder ›emotionale‹ Kompetenzen wie Fürsorglichkeit, Verständnis und Mitgefühl bzw. ›psychotherapeutisch-heilende‹ Fähigkeiten erwartet werden, wenn es um die innere Lage der Nation geht. So wird Bush von der FAZ als »nationaler Trostsprecher« (22.9.01: 2), »Tröster einer Nation«, die ein »zutiefst traumatisches Erlebnis zu verarbeiten hat« (ebd.: 12), »Mutmacher« (17.9.01: 3) und »hoffnungstiftender Landesvater« (22.9.01: 44) präsentiert, dessen aufopferungsvolles Engagement der US-Bevölkerung Trost und Beruhigung bringen kann. Die Aufgabe des Präsidenten sei es, »einer beispiellos verunsicherten Nation Zuversicht und Mut einzuflößen« (ebd.). In Anbetracht der immensen ›Traumatisierung‹ und ›Verwundung‹ der USA, die eine Beruhigung und Linderung des Leids so dringend zu erfordern scheint, ist die Rolle des »nationalen Trostsprechers« eindeutig positiv besetzt. Demgegenüber hegt der Spiegel auch auf diesem Gebiet seine Zweifel an Bushs Fähigkeiten. Der Spiegel zeichnet (am Beispiel New Yorks) ein düsteres Bild der USamerikanischen Nation, die sich, ausgelöst durch die Ereignisse des 11. September und in Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Krieges, in einem Zustand äußerster Verunsicherung befinde. So ist beispielsweise von den USA als einer »verstörten Nation« (46/2001: 140) die Rede, und auf dem Titelbild der Spiegel-Ausgabe Nr. 43 liest man die Schlagzeile »New York die verwundete Stadt« – in Verbindung mit einem Foto, das die Gerippe-ähnlichen Überreste eines der zerstörten Türme des World Trade Center zeigt. »Angst und Depression« (53/2001: 14) werden als die vorherrschenden Symptome der zutiefst traumatisierten US-Nation beschrieben, die metaphorisiert als physisch und psychisch kranke Patientin der dringenden Therapie und Heilung bedürfe: »Für Amerikaner ist ›Angst‹ eigentlich ein typisch deutsches Wort. Sie haben es in ihren Wortschatz übernommen und setzen es in Zeitungsartikeln beziehungsreich in Kursiv. Es bezeichnet einen Gemütszustand, in dem grundsätzliches Misstrauen gegenüber dem Leben, der Umwelt und der Zukunft mitschwingt. Angst heißt jetzt anxiety und beschreibt ein nervöses, zappeliges Land – ›a jittery nation‹. Das beklommene Grundgefühl passt so gar nicht zum Selbstbild der Amerikaner und auch nicht zum Bild, das sich die Welt von den Amerikanern macht.« (43/2001: 135f)
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Die Angst drohe, wie der Spiegel mehrfach betont, – auch angesichts möglicher weiterer Terroranschläge – in »Hysterie« oder »Panik« umzuschlagen und die Nation von innen zu zersetzen (44/2001: 134 und 140; 51/2001: 82). »Amerika am Rand der Panik«, heißt es in einer Überschrift (44/2001: 140). Die traditionell mit Weiblichkeit assoziierte Hysterie – eine vom Spiegel häufig verwendete Metapher (vgl. Kap. IV.3) – wird dabei von den ›angemessenen‹ Reaktionen ausgenommen und implizit der dem Männlichen zugeordneten Rationalität gegenübergestellt: So sei es für viele nicht einfach »zwischen Hysterie und angemessener Reaktion auf eine reale Bedrohung zu unterscheiden« (43/2001: 3). Die traumatisierte, depressive, (potentiell) hysterische Nation wird hier dementsprechend pathologisiert und feminisiert – die Feminisierung ihrerseits asssoziiert den Ruf nach einem ›männlichen‹ Therapeuten oder Heiler. Dieser spezifischen Rahmung folgend muss Bush also seine Fähigkeiten als ›Therapeut‹ und damit zugleich eine ruhige und rationale, aber dennoch nicht unemotionale Männlichkeit unter Beweis stellen. Denn auch aus der Sicht des Spiegels gehört es zu den Aufgaben des Präsidenten, Verständnis für die Emotionen in der Bevölkerung zu zeigen, in der Krise Trost zu spenden, die Bevölkerung zu beruhigen und vor weiterer Gefahr zu beschützen. Der Therapeut unterscheidet sich zwar von dem Männlichkeitsbild des Staatsmannes, jedoch stellt auch der Therapeut eine traditionell männlich besetzte Rolle dar; der Therapeut verkörpert nicht etwa ein ›weiblich-mütterliches‹ Ideal der Sorge und Pflege, sondern ein väterlich-paternalistisches und zugleich wissenschaftlich-rationales Männlichkeitskonzept, das ebenfalls über eine lange patriarchale Tradition verfügt. Im Verhältnis zum Staatsmann erscheint die Figur des Therapeuten als deutlich sozialer und emotionaler und weniger auf kühle Rationalität und Härte geeicht und markiert so auch die Grenze dieses Männlichkeitskonzepts – sie kann aber auch als (notwendige) Erweiterung gelesen werden, durch die der ›Politiker‹ einen Raum für (männliche) Emotionalität gewinnt. Allerdings erscheint Bushs Eignung dem Spiegel auch auf diesem Feld als zweifelhaft, wie schon in der Überschrift eines in diesem Kontext einschlägigen Artikels zum Ausdruck kommt: »[…] auch der Präsident versucht sich als Therapeut« (41/2001: 86) – ›sich an etwas versuchen‹ legt weniger Können als (allenfalls gut gemeinten) Dilettantismus nahe. Der Artikel selbst berichtet von einem Besuch des Präsidenten in einer Grundschule in Chinatown, Manhattan, Anfang Oktober. Während Bush dabei die Rolle des väterlich-fürsorglichen Präsidenten zugewiesen wird, wird dieses Bild durch einen ironischen Unterton unterlaufen, so dass Bush auch über die Nähe zu den Schulkindern selbst eine dümmlich-naive Kindlichkeit angehaftet wird (erneut erscheint Bush nicht als ›gereifter‹ Politiker). Die Darstellung des US-Präsidenten wird in der Folge zudem v.a. durch Attribute körperlicher Kraft und militärischer Stärke anstatt durch ›emotionale‹ oder ›soziale‹ Kompetenzen geprägt: Bush, seine »Muskelmänner« und die »kraftmeiernd[e]« Wagenkolonne hätten die Schule in eine »Festung« verwandelt (ebd.). Die folgende Äußerung stellt jedoch klar, dass physische Stärke, symbolisiert durch die Sicherheitskräfte, der ›kranken‹ Nation weder Schutz noch ›Heilung‹ bringen kann: »Bush rollt mit seinem Tross aus Chinatown. So viele Muskelmänner, so viele Autos. Wenn eine Panik ausbräche, würden sie sich gegenseitig behindern. Man kann New York nicht schützen. […] Bush und seine Sicherheitstruppen zeigen das, sie wollten beruhigen, aber sie beunruhigen.« (Spiegel 41/2001: 86)
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Auch die Soldaten, die, wie aus dem Text zu erfahren ist, zur Zeit überall in den USA vor wichtigen Gebäuden, Einrichtungen und Brücken postiert sind und für Sicherheit sorgen sollen, seien in der momentanen Situation ungeeignet, um die vorherrschenden Gefühle der Depression und Angst zu vertreiben und die Stadt und Nation zu ›beruhigen‹. So lieferten die Soldaten und mit ihnen der Präsident bzw. die Demonstration von physischer bzw. militärischer Stärke, die üblicherweise Sicherheit und Schutz einer Nation garantieren sollten, lediglich die Illusion von Schutz und Sicherheit. Bush ist damit in der angestrebten Rolle des ›Beschützers‹ und ›Therapeuten‹ der (verweiblichten) US-Nation ›gescheitert‹.
1.4 ›Charismatischer Führer‹ — Patriotismus, Pathos und Führungskraft Emotionalität, Empathie und Bevölkerungsnähe werden insbesondere in der FAZ auch noch in einem anderen Kontext regelmäßig in den Vordergrund gestellt – wenn es um die Darstellung des Präsidenten als ›Führungsfigur‹ und den wachsenden Patriotismus in den USA geht. Die genannten Eigenschaften werden nun weniger als ›psycho-soziale Kompetenzen‹ im Sinne von Fürsorglichkeit und Heilungskraft bewertet, sondern als besondere Fähigkeit, die Nation ›zusammenzuschweißen‹, wieder aufzurichten und sie zu ›führen‹. Die FAZ präsentiert Bush als einen beliebten und starken ›Anführer‹ und zugleich ›Hoffnungsträger‹ einer Nation. Wiederholt stellt sie den »Nähe suchende[n] Politikstil« des Präsidenten sowie seine daraus resultierende Popularität in den Vordergrund und betont, dass er in dieser Krisensituation »Zuspruch wie nie zuvor« erfahre (22.9.01: 12).1 So zeichnet sie ein Bild patriotischer Einheit zwischen Präsident und Bevölkerung. ›Emotionalität‹ im Sinne einer emotionalen Vergemeinschaftung der Nation wird dabei positiv bewertet. Bush selbst wird als emotional stark involviert und empathisch-mitfühlender Politiker charakterisiert, der es verstehe, die Gefühle der Nation zum Ausdruck zu bringen: »Die Amerikaner sehen und hören in Notlagen ganz gern, daß auch ein Präsident Gefühle hat und zugleich ihre eigenen – Trauer, Zorn, Zuversicht – mit ausdrückt.« (Ebd.: 2) »Bush traf den Nerv der Amerikaner, als er das Bild jener Fahndungsplakate bemühte, die einst im Wilden Westen benutzt wurden. Nicht nur er, alle Amerikaner wollen die Täter ›tot oder lebendig‹.« (15.10.01: 4)
Durch die wiederholte Herausstellung der ›Einheit‹ zwischen Bush und der US-Bevölkerung wird in der FAZ zudem seine Legitimität als ›Anführer‹ unterstrichen. Ein ›gesunder‹ Patriotismus wird dabei nicht nur als spezifischer Wesenszug der USA gekennzeichnet, sondern auch als eine mögliche Antwort und (Überlebens-) Strategie auf die Anschläge gedeutet: »In das Entsetzen und die Trauer mischen sich erleichternde Solidarität, Patriotismus und eine trotzig-stolze Entschlossenheit, den ›American Way of Life‹ zu verteidigen.« (14.9.01: 3)
1 | So rekurriert die FAZ regelmäßig auf aktuelle Umfragewerte, nach denen mehr als 90 Prozent der Amerikaner_innen hinter Bush und seiner Politik stünden (17.9.01: 3; vgl. auch 22.9.01: 1).
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Für die FAZ, die wie dargestellt von Anfang an einer militärischen Reaktion auf die Anschläge zustimmend gegenübersteht, scheint der wachsende Patriotismus in den USA nicht nur auf einer ›emotionalen‹ Ebene nachvollziehbar – als kollektivierter Gefühlsausdruck gemeinsamer Betroffenheit in Anbetracht der ›Katastrophe‹ –, sondern auch aus ›rationalen‹ Erwägungen unverzichtbar. Aus dieser Sicht hat die ›Heilung‹ des erlittenen Traumas nicht nur die Rückgewinnung des nationalen ›Selbstwertgefühls‹ und Glaubens an die eigene Stärke zum Ziel. Nationale Geschlossenheit und Stärke gelten in der FAZ zugleich als notwendige Voraussetzung für politische Handlungsfähigkeit und eine entschlossene Kriegspolitik. Die Fähigkeit, die Nation hinter sich zu vereinen, wird als eine zwingend erforderliche Eigenschaft eines Politikers herausgestellt, wenn es darum geht, eine Nation auf einen Krieg einzustimmen. So gehöre es zu den Aufgaben eines Präsidenten, der Nation in Kriegszeiten »Standfestigkeit« (22.9.01: 12) zu verleihen. Aus Sicht der FAZ kann Führungsstärke dabei auch durch eine starke Rhetorik bewiesen werden. So heißt es unter erneuter Bezugnahme auf Bushs Amtsvorgänger: »Nicht nur Historiker beschwören derzeit das durch die Jahrzehnte leuchtende Vorbild eines Roosevelt oder Churchill, deren bildkräftige Rhetorik eine Nation in Kriegszeiten zusammenschweißte und ihr Stehvermögen verlieh. Wer nun, wie Bush, sein Land von der Notwendigkeit kriegerischer Handlungen überzeugen will, wird das nicht ohne eine adäquate Darbietung schaffen.« (22.9.01: 44)
Die FAZ verfolgt Bushs rhetorische Auftritte von Beginn an mit einem besonderen Interesse. Seine öffentlichen Ansprachen an die Nation werden regelmäßig und ausführlich zitiert. In der Darstellung der FAZ nähert sich Bush dabei dem ›leuchtenden Vorbild‹ eines Roosevelt oder Churchill durchaus an: Bush wird insgesamt als redegewandter und führungsstarker Politiker präsentiert, der gleichsam in einem ›Schnellkurs‹ seit dem 11. September auch rhetorisch viel dazugelernt habe. Anerkennend heißt es: »Das Land sah vor allem einen Politiker, der, von manchen über einen langen Wahlkampf hinaus als Leichtgewicht charakterisiert, sich vor ihren Augen in ein beredtes Symbol nationaler Einheit verwandelte.« (Ebd.: 2)
Es sind insbesondere empathisch vorgetragene Emotionalität im Sinne tiefer Betroffenheit und Mitgefühl und ein gehöriges Maß an leidenschaftlichem Pathos, die die patriotische Rhetorik des Präsidenten aus Sicht der FAZ kennzeichnen und (positiv) hervorgehoben werden. Mehrfach werden beispielsweise besonders pathetische Ausschnitte aus Bushs Ansprachen zitiert, etwa der wortgewaltige Satz, »dass diese Anschläge Stahl zerbrechen können, aber nicht die amerikanische Grundfeste« (13.9.01: 2). Bushs Rede vor dem Kongress, zehn Tage nach dem 11. September, in der er die Welt vor die Wahl stellt: »Entweder ihr seid mit uns, oder ihr seid mit den Terroristen«, wird wegen »ihrer Wucht und weltpolitischen Bedeutung« in der FAZ ebenfalls gelobt und als »historische Rede« (22.9.01: 12) gefeiert: »Die Rede wäre schon gelungen, wenn sie die Demonstration von Einheit nicht gestört hätte. Sie ging indes darüber hinaus. Es war in der Tat unüberhörbar, daß Bush sich von seiner Spe-
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN zialität, dem einlullenden Singsang des Märchenerzählers, endlich aufschwang zu Passagen von echtem Pathos.« (Ebd.: 44)
Während die FAZ den ›Lernprozess‹ des Präsidenten in Sachen Rhetorik und Führungsstärke wiederum als erfolgreich bestandene Prüfung wertet, ist im Spiegel erneut das Deutungsmuster des ›Scheiterns‹ vorherrschend. So werden, wenn es um Redegewandtheit des Präsidenten geht, v.a. seine kernigen Sprüche, die simple Ausdrucksweise und die auf den Sprachschatz der Bibel rekurrierende Wortwahl in kritischer Absicht – häufig als Zitate Dritter – herausgestellt und ins Lächerliche gezogen. So heißt es in dem Gastkommentar einer amerikanischen Schriftstellerin: »In der Zwischenzeit warten wir auf die Worte unseres Führers. George W. Bush mit seinem affenartigen Grinsen hat seine Kiefer zusammengepresst, in der Hoffnung, ›präsidentenhaft‹ auszusehen. Er stolpert wie immer über seine eigenen Worte – bis auf das roboterhafte ›God Bless America‹.« (39/2001: 254)
Der Spiegel steht dem wachsenden religiös fundierten Patriotismus der USA und der zur Schau gestellten Religiosität des Präsidenten überwiegend mit Skepsis und spöttischer Ablehnung gegenüber. Patriotismus wird als ein genuin ›amerikanischer‹ Wesenszug interpretiert, der gleichsam wie von selbst einsetze. An einigen Stellen bleibt die Berichterstattung des Spiegels jedoch ambivalent und wertet trotz Skepsis gegenüber Patriotismus, Religiosität und Selbstherrlichkeit die Entschlossenheit, die Solidarität und den kollektiven Überlebenswillen als ›heilende‹ Reaktionen auf die traumatische Erfahrung des 11. September: »In den USA aber regt sich rasch neuer Lebensmut. Eine Welle von Solidarität, Patriotismus und gezieltem Optimismus strömt durch das Land. In den Stadien beten Christen, Juden und Muslime gemeinsam. Fast alle Stars der Film- und Popbranche sammeln Spenden und beteiligen sich an Solidaritätskonzerten. ›Zurück zur Normalität, heraus aus der Depression‹, ruft beschwörend New Yorks Bürgermeister Giuliani.« (53/2001: 32)
Die Führungskraft des Präsidenten beruht in der Darstellung des Spiegels weniger auf rhetorisch geschulter Überzeugungskraft sowie ›freiwilliger‹ Unterstützung und Akzeptanz durch die Bevölkerung, auf der Basis inhaltlicher Übereinstimmung zwischen ihr und der Regierung hinsichtlich der politischen Zielsetzungen, sondern vielmehr auf Manipulation und Autoritätsdenken. Die Legitimität des Führungsanspruches wird dadurch implizit in Frage gestellt. Deutlich schlägt sich das auch in den verwendeten Begrifflichkeiten nieder; so ist wiederholt von ›einhämmern‹ und ›einschwören‹ die Rede. Die bereits erwähnte Bush-Rede vor dem Kongress wird im Spiegel als »Einschwörungsrede« (39/2001: 159) bezeichnet, zudem erwarte Bush »treue Gefolgschaft« (53/2001: 36) von seinem Land: »›Wir werden die Schuldigen finden‹, Osama Bin Laden und seine Helfer von al-Qaida und den afghanischen Taliban: Das hämmert Präsident George W. Bush seiner Nation immer wieder ein. Und vor allem: ›Wir werden siegen.‹« (53/2001: 36) »Beinahe gebetsmühlenhaft, in einer Art trotzig-naiver Selbsthypnose, wurde seit dem 11. September die Beschwörung von Präsident George W. Bush wiederholt: ›Wir werden siegen‹.« (44/2001: 141)
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Das letzte Zitat beschreibt den inneren Zustand der USA als Ritual der ›Selbsthypnose‹, in dem die Bevölkerung die Worte ihres ›Anführers‹ unablässig zu wiederholen scheint – und offenbar dem ›schlechten Charisma‹ ihres ›Anführers‹ erlegen ist. In diesem Deutungsrahmen wird Bush zum autoritären Anführer und einer potentiellen Gefahr für die eigene Bevölkerung, die er in einen Krieg hineinzuziehen droht. Im Spiegel bildet die US-amerikanische Bevölkerung im Unterschied zur FAZ keinen positiven Referenzpunkt zur Charakterisierung des Präsidenten, stattdessen wird sie als passiv-naiv, autoritätsgläubig und in politischen Dingen völlig unbedarft dargestellt: »Die amerikanische Öffentlichkeit, die fast nie etwas über die imperialen US-Vorhaben im Ausland gehört hat, ist nicht in der Lage zu verstehen, warum gerade sie von dem Rückschlag dieser Projekte wie von einem Bumerang getroffen wird« (42/2001: 206). Die Inszenierung von Bush als – je nach Wertung – bevölkerungsnaher (FAZ) oder auch populistischer (Spiegel) Politiker erinnert in vielen Punkten an den ›charismatischen Führer‹ von Max Weber, der die charismatische Herrschaft als einen modernen Idealtypus legitimer Herrschaft (neben der legalen und der traditionalen Herrschaftsform) definiert hat (vgl. Weber 2005: 157ff). Ausgangspunkt der charismatischen Herrschaft ist nach Weber häufig eine Krisensituation, in der der charismatische Anführer einen vermeintlichen Ausweg aus der Krise verspricht. Der charismatische Führer bezieht seine Anerkennung und Legitimation von der Bevölkerung, die durch ihn ihre Wünsche und Hoffnungen verwirklicht sieht. Als »Charisma« bezeichnet Weber die »außeralltägliche« Qualität einer Persönlichkeit, die ihr aus der Sicht der ›charismatisch Beherrschten‹ zukommt (ebd.: 179). Charisma ist demnach also kein ›Wesenszug‹ eines Politikers, sondern vielmehr eine Zuschreibung, die durch seine ›Anhänger‹ innerhalb sozialer Interaktionsprozesse erfolgt. Emotionalität im Sinne von ›Hingabe‹ spielt dabei eine zentrale Rolle in doppelter Hinsicht: Die Beherrschten sind von »Erregung«, »Hoffnung« und »Hingabe« (ebd.) geprägt und identifizieren sich mit dem ›Anführer‹. Der ›charismatische Führer‹ wiederum gibt vor, die Wünsche und Hoffnungen der Bevölkerung zu teilen, zeigt sich verständnisvoll, mitfühlend und voll leidenschaftlicher Emphase. Damit wird deutlich, dass bestimmte Emotionen und fürsorgerische Kompetenzen nach dem 11. September durchaus als hochgeschätzte politische Qualitäten gelten. Besonders in den Diskursfragmenten, die auf die allerersten Reaktionen des US-Präsidenten Bezug nehmen, werden zunächst Eigenschaften hervorgehoben, die dem Bild des rationalen Staatsmannes partiell zu widersprechen scheinen: Betroffenheit, Mitgefühl und Fürsorglichkeit – Eigenschaften, die gemeinhin eher mit Weiblichkeit als mit Männlichkeit assoziiert werden. Die Analyse hat jedoch auch gezeigt, dass Emotionalität und Gefühl nur bis zu einem gewissen Grad bzw. in einer spezifischen – nämlich auch einem Politiker ›statthaften‹ – Ausprägung gefragt sind, nämlich als Trost und Halt gebende ›Liebe‹ zur Nation, welche ihn mehr oder weniger erfolgreich zum fürsorglichen ›Therapeuten‹ oder zum starken ›Anführer‹ der Nation werden lässt.
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1.5 ›Cowboy Bush‹ — Biblische Rache und Vergeltung Neben das (hauptsächlich in der FAZ entworfene) Bild des souveränen Staatsmannes, der im Kontext des 11. September einen Reifungsprozess vom politischen ›Leichtgewicht‹ zum besonnenen Oberbefehlshaber und charismatischen Anführer durchlaufen hat, tritt im Spiegel ein Deutungsmuster, welches diesem diametral entgegensteht: Anknüpfend an tradierte Wildwest-Mythen wird Bush als ›Cowboy‹ porträtiert. Während die Figur des Cowboys (nicht nur) in den USA bis heute einen Prototyp des charakterlich und körperlich starken, viril-heterosexuellen Mannes darstellt und hegemoniale Männlichkeitsvorstellungen mit prägt (vgl. Erhart 1997; Greenberg 2007), ist der Cowboy im politischen Diskurs der USA eine bemerkenswert ambivalente Gestalt, die gerne zur Charakterisierung des Präsidenten, aber auch der Nation bzw. des Staates insgesamt herangezogen wird, und zwar von verschiedenen Seiten. Hinsichtlich der kontroversen Debatte zum Irak-Krieg schreiben Wendy M. Christensen und Myra Marx Ferree: »For the anti-war speakers, being a ›cowboy‹ evokes connotations of lawlessness, crudeness, and isolation; for the pro-war speakers, it means being a plainspoken American, enforcing the law, and spreading civilization.« (Christensen/Ferree 2008: 298) Demgegenüber wird der ›Cowboy-Präsident‹ Bush im Spiegel als eindimensionale Figur gezeichnet und ausschließlich negativ beurteilt: ein schießwütiger, rachsüchtiger, unzivilisierter und »verrückt gewordener Cowboy« (49/2001: 8). Das Magazin charakterisiert Bush als unberechenbarer Anführer einer ›Supermacht‹, der am liebsten im Alleingang die ›verwundete‹ Nation rächen und die Täter hart und um jeden Preis bestrafen würde. Als kompromissloser Hardliner präsentiert, hat Bush in der Wahrnehmung des Spiegels sowohl die US-Regierung und -Bevölkerung als auch seine Bündnispartner fest im Griff und wird dadurch potentiell zu einer weltpolitischen Gefahr. Die fast durchgängig negative Darstellung des US-Präsidenten kumuliert in der Metapher des ›Cowboys‹ oder ›Welt-Sheriffs‹, der – gemäß der »Sheriff-Gesinnung, die in den USA nun einmal Trumpf ist« (45/2001: 142) – unkontrolliert losschlägt und gegen alle Widerstände das Recht in die eigene Hand nimmt.2 Cowboyund Wildwest-Metaphorik finden v.a. dann Verwendung, wenn es um die Frage nach der Legitimität einer militärischen Reaktion auf die Anschläge geht: »Amerika werde nicht ruhen, bis Osama Bin Laden ›tot oder lebendig‹ zur Strecke gebracht sei, sagte der Präsident, ganz Wilder Westen, vorvergangenen Sonntag, und es fehlte nur, dass er ein Lasso warf – er, der sich doch gerade von seinem Cowboy-Image lösen und als entschlossener, aber nicht aus der Hüfte schießender Schmied einer weltweiten Koalition gegen den Terror auftreten wollte.« (Spiegel 39/2001: 15)
Dem Deutungsmuster des Cowboys entspricht auch, dass zur Erklärung des Präsidenten nahezu ausschließlich auf Rache als politisches Handlungsmotiv zurückgegriffen wird. Als Reaktion auf die »Demütigung«, so der Spiegel, »forderte die zutiefst verwundete Nation Rache« (38/2001: 18) bzw. sei »Rache« das »Losungswort«
2 | Die Figur des Sheriffs als spezifische Spielart des Cowboys steht hier entsprechend für die US-amerikanische ›Anmaßung‹, der Welt ihre ›Zivilisation‹ gewaltsam aufzwingen zu wollen (vgl. Christensen/Ferree 2008: 303).
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der USA (45/2001: 142). Rache wird dabei geradezu als reflexartiges Bedürfnis der ›verwundeten‹ US-Nation dargestellt. Das Deutungsmuster Cowboy fortschreibend, fokussiert die Berichterstattung des Spiegels immer wieder die einfältige und markige Rhetorik des Präsidenten und ein damit verbundenes simplifizierendes Schwarz-Weiß-Denken des – wie Bush wiederholt apostrophiert wird – »Texaners« (45/2001: 142; 50/2001: 245).3 Martialische Attribute von Kraft und Stärke sowie einem Kampf auf Leben und Tod begleiten die Darstellung des Präsidenten, wobei sie mit einem abwertenden, teils spöttischem Gestus vorgetragen werden. Oft haftet ihnen der Beigeschmack des Übertriebenen und Anmaßenden sowie ein überkommenes Verständnis von Männlichkeit und Ehre an. So heißt es, Bush wolle die Terroristen »jagen und bestrafen« (38/2001: 25) oder gar »ausrotten« (42/2001: 159; 49/2001: 8) und »vernichten« (39/2001: 15) – nach Art eines Wildwest-Steckbriefes verlange Bush die Ergreifung Osama Bin Ladens »dead or alive« (39/2001: 96) und erteile der CIA die »Lizenz zum Töten« (45/2001: 143). Bereits in dem allerersten Diskursfragment, das sich mit den Ereignissen des 11. September beschäftigt, wird Bush in der Rolle des unnachgiebigen ›Terroristen-Jägers‹ und ›Rächers‹ eingeführt, der mit martialischen Sprüchen verkündet: »Wir werden sie jagen« (38/2001: 21). Bushs als Kampfansage gewerteter Ausspruch »Wir werden zurückschlagen« (ebd.: 16) bildet zugleich in fetten Lettern die Überschrift des zur Titelgeschichte gehörigen Hauptartikels. Überschriften wie »Amerika sinnt auf Rache« oder »Amerika jagt die Täter« (ebd.: 6), stellen ebenso archaisch anmutende Vorstellungen von zorniger Vergeltung und Zweikampf in den Vordergrund. Statt von Krieg ist im Spiegel auch häufig von einer »Schlacht gegen den Terrorismus« (z.B. 39/2001: 7; 43/2001: 150), einem »Rachefeldzug« (38/2001: 33; 40/2001: 219) oder »Strafaktionen« (39/2001: 151; 53/2001: 36) sowie einer »Bestrafung« (39/2001: 153) die Rede, was ebenfalls ungleich härter und martialischer klingt und den Geschehnissen eine spezifische, abwertende Rahmung verleiht. Im Zusammenhang damit wird ebenfalls in kritisch-distanzierender Absicht im Spiegel wiederholt Bushs konservativer bis fundamentalistischer christlicher Glaube betont und seine »alttestamentarische[] Strenge« (40/2001: 168) sowie seine apokalyptische oder manichäische Rhetorik von einem »Kreuzzug« gegen den Terror und dem Kampf gegen »das absolut Böse« scharf herausgestellt (39/2001: 15; vgl. auch ebd.: 35 und 150): »Es ging, behauptete Amerikas Oberbefehlshaber Bush unisono mit seinen wichtigsten Ratgebern, um die finale Auseinandersetzung zwischen ›Gut und Böse‹. Um einen Krieg, der den Terrorismus, das Böse schlechthin, ausrotten solle […].« (42/2001: 159)
Das Bild des Revolverhelden, der in erster Linie seine Waffen sprechen lässt, dient dem Spiegel dazu, die Politik des Präsidenten bzw. die US-Außenpolitik generell zu diskreditieren. Insbesondere wenn man sich das von der FAZ verbreitete Bild von Bush als entschlossen, aber besonnen auf die Anschläge vom 11. September reagierendem Staatsmann vor Augen hält, treten die konträren Diskurspositionen der bei3 | Die Betonung von Bushs texanischer Herkunft (etwa auch der »Öl-Mann aus Texas«, Spiegel 52/2001: 150) bzw. ›Texas‹ als Kollektivsymbol verweisen auf den US-amerikanischen Konservatismus und christlich-religiösen Fundamentalismus sowie die dazugehörigen traditionellen Wertevorstellungen in Bezug auf Familie, (Hetero-)Sexualität und männliche Ehre.
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den untersuchten Medien im Hinblick auf die internationale Politik, die Rolle der USA und Krieg als Handlungsoption deutlich zutage. Während die FAZ, wie ausgeführt, ein fast durchweg positives Bild des Präsidenten als Staatsmann entwirft und die Angemessenheit und Rationalität seines politischen wie militärischen Handelns herausstellt, wird im Spiegel vielmehr das vermeintlich irrationale, unkontrollierte und allein auf Krieg und das Ausspielen ihrer militärischen Überlegenheit ausgerichtete Handeln der amerikanischen Politik unter Präsident Busch betont. Allerdings greift auch die FAZ zur Darstellung des US-Präsidenten explizit auf das Bild des Cowboys zurück, sie bettet diese Metaphorik jedoch in einen völlig anderen diskursiven Kontext ein. Das Aufrufen der Figur des Cowboys wird in der FAZ als illegitimer Vergleich zurückgewiesen und stattdessen als Anzeichen eines antiamerikanischen Stereotypendenkens, als ›Antiamerikanismus‹ interpretiert: »Obwohl Bush und seine Berater mit ihrem bislang ausgesprochen besonnenen und methodischen Vorgehen bei der militärischen Planung für die Operation ›Grenzenlose Gerechtigkeit‹ jene rhetorischen Klischeeproduzenten Lügen straften, die den Präsidenten als ungezügelten ›Cowboy‹ oder tumben ›Revolverhelden‹ in ihren Betrachtungen unablässig ›aus der Hüfte schießen‹ lassen, ist eine Analyse der Semantik im Weißen Haus legitim.« (22.9.01: 2)
Die ›Wildwest-Rhetorik‹ des US-Präsidenten wird in der FAZ nur selten kritisch aufgegriffen, und wenn, dann in der Vergangenheit verortet. Stattdessen dominiert das Deutungsmuster eines ›rhetorischen Lernprozesses‹, demzufolge Bush sein Cowboy-Image mehr und mehr ablege oder nur noch strategisch einsetze. Die wenigen kritischen Kommentare fallen im Gesamt der positiven Darstellung kaum ins Gewicht und lassen die martialischen Ausdrücke des Präsidenten als Ausnahme und nicht als Regel erscheinen. Bushs Formulierung, die USA befänden sich in einem ›Kreuzzug‹ gegen den Terrorismus wird beispielsweise als »verbaler Patzer« (22.9.01: 2) abgetan. Während das Bild des Cowboys im Spiegel durchweg negativ besetzt wird, kann die FAZ der Figur des Cowboys zudem auch eine positive Seite abgewinnen. In einem Kommentar mit dem Titel »Cowboy in Zügeln« (22.9.2001: 44) wird der Wandlungsprozess und die Rollenvielfalt, in der Bush sich seit dem 11. September präsentiert, gleichermaßen anerkennend kommentiert. Der Cowboy ist in dieser Deutung eine von mehreren Rollen, zwischen denen Bush je nach Bedarf strategisch zu wechseln vermag: »Bush gab sich als markiger Sheriff aus dem Westen, als er Usama Bin Ladin gleichsam steckbrieflich zur Strecke bringen wollte […]. Er ließ sich von einer Überraschungsfrage im Oval Office bis zu Tränen rühren. Er nahm den Cowboyhut ab, wenn diplomatische Zurückhaltung nicht zu vermeiden war. Und er versuchte sich auch am hohen Ton, wie etwa bei der Trauerfeier in der National Cathedral. Alles Rollen, die er unterschiedlich gut beherrscht […].« (Ebd.)
Auch Bushs Religiosität, sein »stolz eingestandenes, amerikanisch extrovertiertes Gottvertrauen« wird in der FAZ – in der dieses Thema viel geringere Bedeutung als im Spiegel hat – nicht als Problem markiert, sondern vielmehr als nützliche Ressource für den Präsidenten herausgestellt, die dieser bei »den ihm bevorstehenden Entscheidungen über Leben und Tod […] noch brauchen« werde (17.9.01: 3).
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Die wenigen kritischen Töne in der FAZ werden auch insofern relativiert, als die Berichterstattung weniger auf die ›kraftmeiernde‹ Bibel-Rhetorik des Präsidenten eingeht, sondern diese stattdessen in ein Verhältnis zu Europa setzt, das für die ›starke‹ Sprache der USA einfach ›zu weich‹ sei: »Auch der Hinweis des Texaners auf alte Wildweststeckbriefe und darauf, daß er Usama Bin Ladin ›tot oder lebendig‹ haben wolle, war für manchen ausländischen Politiker und Kommentator zu starker Tobak. […] Das liegt auch daran, daß die Amerikaner an einem kräftigen Zungenschlag volkstümlicher Provenienz weniger Anstoß nehmen als scheinbar sensibler gebaute europäische Verbündete […].« (22.9.01: 2)
Anhand des Diskursstranges ›Wildwest-Rhetorik‹ wird erneut deutlich, wie sich die Repräsentation des Präsidenten mit den Konstruktionen US-amerikanischer – und europäischer – Identität vermengen.
1.6 Der Krieg in Afghanistan — Bomben als »Macho-Gehabe« Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf den Spiegel, da die hier vorgestellte Rahmung der Ereignisse in der FAZ nicht zu finden ist. Im Diskurs des Spiegels verbindet sich die Cowboy-Metaphorik mit dem Deutungsmuster einer ›eskalierenden Gewaltspirale‹, das sich mit Beginn des Afghanistankrieges zu einer strukturierenden Meta-Erzählung verdichtet. Die Angst, dass Europa und Deutschland vom US-Präsidenten »in einen Krieg hineingezogen werden« könnten (38/2001: 21), wird zum vorherrschenden Thema. Bereits in den ersten Reaktionen des Spiegels auf die Geschehnisse des 11. September dominiert die bereits angesprochene Angst vor einem militärisch-politischen Alleingang der USA zur Vergeltung der Anschläge in New York und Washington: »Sollte man George W. Bush auch bei einem gnadenlosen Rachefeldzug zur Seite stehen?« (Ebd.: 33) »Was, wenn die Amerikaner unverhältnismäßig zuschlagen? Was, wenn die USA alle Schurkenstaaten – Afghanistan, Irak, Sudan, Libyen – quasi flächendeckend abstrafen sollten?« (Ebd.: 32)
Die Angst vor einem Kreislauf der Gewalt und Gegengewalt – ›Terror‹ und Krieg – und einer geopolitischen Ausweitung des ›Kriegs gegen den Terror‹ auf weitere Staaten überlagern im Spiegel schon bald das Entsetzen über die Terroranschläge des 11. September. Wiederholt betont der Spiegel, dass der internationale Terrorismus nicht allein mit militärischen Mitteln bekämpft werden könne, und verweist auf die Gefahren, die mit der kriegerischen Konfliktaustragung der USA verbunden seien: Der Einsatz militärischer Gewalt würde den Terroristen vielmehr in die Hände spielen und für einen Zuwachs an terroristischen Aktivitäten sorgen. Ebenfalls wird befürchtet, dass bei einer Teilnahme der Bundeswehr an dem Krieg in Afghanistan auch Deutschland verstärkt ins Visier der Terroristen gerate und sich die Gefahr, selbst zur Zielscheibe von Anschlägen zu werden, potenziere. Der bevorstehende Angriff Afghanistans ist in dieser Lesart nur der Anfang einer verheerenden Gewaltspirale. Dabei wird dem US-Präsidenten – anders als in der FAZ, in der die Terroranschläge als Ursache und Ausgangspunkt für die nachfolgenden Reaktionen bestimmt werden – indirekt die
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Verantwortung für eine mögliche Eskalation der Gewalt zugewiesen. Mit anderen Worten: In der Darstellung des Spiegels gilt der US-amerikanische Präsident als ›Verursacher‹ der Gewalt und wird zur eigentlichen Gefahr für Deutschland und Europa: »Washingtons Verhalten ist bedrohlich: Es könnte mehr terroristische Attacken und mehr Vergeltungsaktionen nach sich ziehen, bis am Ende alle moderaten Kräfte und kompromissbereiten Politiker eliminiert sind.« (42/2001: 206)
Der Spiegel beschwört ein globales, außer Kontrolle geratenes Kriegsszenario hinauf, welches in den düstersten Farben ausgemalt wird. So heißt es, dass die Amerikaner »angesichts der Probleme mit Afghanistan […] nun doch weltweit zuschlagen« und »mit Bomben, Kommandoeinheiten und Raketen Terrorzentren rund um den Globus angreifen« wollen (41/2001: 132). Auch befürchtet der Spiegel einen »Krieg der Zivilisationen, in dem es keinen Gewinner mehr geben kann«, und fragt in einer fettgedruckten Zwischenüberschrift, die den Blick der Leser_innen besonders auf sich zieht: »Steht womöglich ein Flächenbrand bevor, den man später als Dritten Weltkrieg bezeichnen wird?« (46/2001: 24; vgl. 45/2001: 142). Die Kollektivsymbolik aus dem Bereich Naturkatastrophe, welcher sich der Spiegel immer wieder bedient, bewirkt eine zusätzliche Dramatisierung und bekräftigt den Eindruck einer Zuspitzung der Lage und eines unaufhaltsamen Unheils. Mit Beginn der ersten Luftangriffe auf Afghanistan am 5. Oktober 2001 erfährt die mediale Inszenierung des US-Präsidenten im Spiegel eine weitere Verengung. Die Darstellung von George W. Bush folgt nun fast ausschließlich dem Motiv der Kriegslüsternheit und Überheblichkeit. Mit Beginn der Bombardements wird der US-Präsident im Spiegel nicht nur »Oberbefehlshaber« (39/2001: 148; 40/2001: 172; 42/2001: 158) genannt, sondern auch abfällig als »Kriegsherr« (42/2001: 158; 43/2001: 151; 50/2001: 172) oder »Kriegstreiber« (42/2001: 206) betitelt. Bushs Kriegsführung wird dabei mit dem Vorwurf der Irrationalität belegt, indem sie als Ausdruck von wahnhaften, übertriebenen und kurzsichtigen Reflexen dargestellt werden, die fernab jeglicher politischen Maßhaltung und Rationalität lägen. »Wenig und schon gar nicht die Logik spricht für einen solchen Gewaltausbruch«, kommentiert der Spiegel (41/2001: 132). Zudem mischt sich ein weiteres Motiv in die Darstellung und Bewertung des US-Präsidenten und der US-amerikanischen Kriegsführung: Nicht nur Rachegelüste, sondern auch Selbstherrlichkeit und Arroganz gegenüber ›anderen Kulturen‹ werden als Beweggründe für das politische Handeln genannt und zugleich als grundlegende Charakteristika der USA gedeutet. So stellt der Spiegel die suggestive Frage: »Wer hat die USA in die afghanische Falle gelockt? Ihr Hochmut? Ihr Rachedurst?« (45/2001: 142). Dementsprechend wird auch das öffentliche Auftreten Bushs als ›Arroganz der Macht‹ und Ausdruck gefährlicher Selbstüberschätzung gerahmt und z.B. als unverhohlener »Triumphalismus« (49/2001: 176) bezeichnet. »Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 haben sich amerikanische Politiker in den Wahn hineingesteigert, auf niemanden mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Keine Regierung hat diesen Hochmut so vorexerziert wie die von George W. Bush.« (45/2001: 142)
Angelehnt an das Bild des zügellosen Cowboys wird das flächendeckende Bombardement einer der ärmsten Regionen der Welt im Spiegel auch als ›Macho-Gehabe‹
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und ›Rabaukentum‹ – und damit im Ansatz auch als Ausdruck eines unerwünschten politischen Maskulinismus – gekennzeichnet. »Im Kampf der großen Worte fällt Bush […] immer wieder in das Macho-Gehabe seiner texanischen Heimat. […] So gerierte sich der Präsident am Donnerstag wieder nachdrücklich als Weltsheriff, der den Taliban großmütig ›die zweite Chance‹ anbot.« (42/2001: 159) »Die USA müssen die Ursachen verstehen und auf Grund dieser neuen Einsichten handeln – und nicht einfach reagieren wie ein imperialistischer Rabauke.« (Ebd.: 206)
Anfang November 2001 nimmt die Kriegskritik, parallel zum wachsenden Kriegsunmut in der deutschen Öffentlichkeit, deutlich zu. Vier Wochen Bombardement hätten bislang zu keinen überzeugenden Erfolgen geführt, berichtet der Spiegel (45/2001: 140ff). Weder sei das Taliban-Regime zu Fall gebracht, noch Osama Bin Laden gefasst worden. Als Ursachen für ein mögliches Scheitern der USA in Afghanistan werden v.a. die unerwartete Zähigkeit der Taliban angeführt, die von den USA offensichtlich unterschätzt worden sei. Wiederholt wird eine Parallele zum Vietnamkrieg gezogen und die Wiederholung eines amerikanischen »Debakels« (ebd.) prophezeit. Auch das dazugehörige Titelbild greift den historischen Vergleich auf, die Headline lautet: »Falle Afghanistan: Amerikas heilloser Bombenkrieg und das Gespenst von Vietnam« (45/2001: 1). In dieser Phase der Berichterstattung überwiegt das Deutungsmuster eines außer Kontrolle geratenen Cowboys, welches für die US-amerikanische Politik insgesamt verwendet wird. Es überwiegen Zuschreibungen des Irrationalen und Übertriebenen. Bush und seine Politik werden zudem als dumm und kurzsichtig präsentiert: »Aber Einfluss auf die konfuse Militärstrategie der Amerikaner haben deren westliche Verbündete – von Britannien abgesehen – offenbar kaum. ›Es sieht nicht gut aus: Die werfen Bomben und warten, statt den Taliban ein intelligentes Angebot zu machen‹, stöhnt ein europäischer Botschafter in Islamabad, ›und durch diese Politik wachsen täglich 1000 kleine Osamas nach‹.« (Ebd.: 14)
Der Präsident selbst wird im Spiegel als dümmlich-naiver Rüpel dargestellt: Statt die Ursachen des Terrorismus verstehen zu wollen, widersetze er sich vermeintlich rationaler Erkenntnis und versuche es offenbar lieber auf die ›harte Tour‹. Die Kritik an Bush und der US-Außenpolitik wird dabei wie so oft mittels eines Zitats Dritter vorgetragen: »›Ihre Politik ist das Problem‹, meint die Journalistin [Name und Hintergrund der Person werden nicht genannt, nur dass sie die Ereignisse aus Lateinamerika verfolgt, A.N.], während Ex-Außenminister Lawrence Eagleburger verlangt, Afghanistan zu bombardieren: ›Bush ist ein Analphabet, und das macht ihn gefährlich.‹ […] ›Man kann nur beten, dass Bush keine allzu großen Fehler begeht.‹« (Spiegel 38/2001: 166) »Skeptiker fragen sich, ob militärische Macht das richtige Mittel ist, einen zu allem bereiten Hass, der sich aus Jahrhunderte dauernder Entrechtung und Erniedrigung durch andere Weltund Wirtschaftsordnungen nährt, zu besiegen.« (Spiegel 53/2001: 36)
Zur Bekräftigung der Vorbehalte gegenüber der amerikanischen Kriegsführung, die aus der Sicht des Spiegels ihr Hauptaugenmerk einzig auf militärische Stärke legt,
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wird verstärkt über die zivilen Kriegsopfer des Krieges berichtet. Ausführlich widmet sich die Titelgeschichte mit der Überschrift »Eine Region in Brand« (45/2001: 140ff) dem andauernden Krieg in Afghanistan. Der zugehörige Artikel beschreibt die Zerstörungskraft und Gefährlichkeit der neuen Waffentechnologien trotz angeblich höchster Zielgenauigkeit. Beklagt wird v.a. der Einsatz von Cluster- und Streubomben und die unkalkulierbare Menge an ›Blindgängern‹. Mit dem Verweis auf die große Anzahl von zivilen Opfern, die Rede ist von »bereits 15000 toten Zivilisten«, die in dem »Bombeninferno« (ebd.: 141) umgekommen seien, wird die Legitimität des Krieges zunehmend in Zweifel gezogen und stattdessen auf das Ausmaß der Verwüstung und das Leid der afghanischen Bevölkerung hingewiesen. Abbildung 2: Der Spiegel, Heft 45/2001, S. 140f
Der Einsatz der Bilder bekräftigt das Deutungsmuster einer eskalierenden Gewaltspirale und unterstreicht die Zweifel an der Legitimität des US-amerikanischen Vorgehens. Die abgebildete Doppelseite zeigt z.B. das Arrangement dreier Fotos: Über die gesamte Breite erstreckt sich das Foto einer Luftaufnahme von einer kahlen Hügellandschaft, aus der schwarze Staubwolken, die durch Bombendetonation verursacht werden, aufquellen. Die Überschrift des Artikels »Eine Region in Brand« ist inmitten des Fotos platziert. Auf der rechten Seite finden wir zwei weitere kleinere Fotos, die am unteren Rand des großen Bildes angeordnet sind und dieses nach unten überlappen. Das linke der beiden Fotos zeigt laut Bildunterschrift »Bombenopfer in Kabul« (ebd.: 141). Drei tote Kleinkinder liegen nebeneinander auf einer Liege, sie tragen bunte Kinderkleidung, ihre Beine sind zugedeckt. Das zweite Bild rechts daneben zeigt George W. Bush hinter einem Mikrophon. Mit erhobener Faust, im Hintergrund die US-Flagge, symbolisiert er Kampfesgeist und Entschlossenheit (vgl. Abb. 2). Die Auswahl und Anordnung der Fotos stellt Bush implizit als den ›Schuldigen‹ für den Tod der Kinder heraus. Die Bildunterschrift: »Dieser Krieg wird anders als jeder andere«, ein Zitat von Bush, das auch im Text verwendet wird, legt zweierlei Lesarten nahe. Zum einen kann sie als Zynismus verstanden werden, denn auch dieser Krieg fordert, wie die Fotos zu belegen scheinen, ein hohes Maß an zivilen Opfern. Die Aussage von Bush wird damit als ›Fehleinschätzung‹ oder auch bewusste ›Falschaussage‹ markiert. Man könnte die Aussage aber auch anstatt auf die zivi-
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len Opfer auf die militärische Vorgehensweise beziehen, die in dem dazugehörigen Artikel als besonders übertrieben und rücksichtslos gekennzeichnet wird. Auch in der zweiten Lesart wird durch das Zusammenspiel der Fotos – die Bombeneinschläge, Bush und daneben die getöteten Kinder – nicht nur die Möglichkeit einer ›sauberen Kriegsführung‹, gleich einem präzisen ›chirurgischen Eingriff‹, grundsätzlich in Frage gestellt, sondern auch das Bild von Bush als ›fürsorgendem Vater‹, dem das Wohl der Kinder besonders am Herzen liegt. Die Art der Darstellung macht überdeutlich, dass Bush in seiner Rolle als ›Beschützer‹ versagt hat bzw. dass sich das Schutzversprechen und die Sorge um das Wohlergehen offensichtlich nur auf die eigene Bevölkerung und Nation bezieht. Bush wird stattdessen als rücksichtsloser Kriegstreiber und Befehlshaber einer Armee präsentiert, die den Tod zahlreicher Menschen »achselzuckend« (49/2001: 172) als »unvermeidliche Kollateralschäden« (ebd.; auch 45/2001: 141) einstufe (vgl. Kap. IV.4.4). Das Bild eines ›sauberen Krieges‹ durch die zunehmende Technologisierung der Waffensysteme und den Einsatz so genannter ›Präzisionswaffen‹ und ›intelligenter Bomben‹, wie es im Zuge des Zweiten Golfkriegs 1990/91 aufkam, wird hier als Illusion entlarvt. Auch nach dem formalen Ende des Krieges behält der Spiegel die überwiegend argwöhnische und missbilligende Darstellung des US-Präsidenten bei. Die Sorge richtet sich nunmehr auf eine mögliche Ausweitung des ›Kriegs gegen den Terror‹ und einen prinzipiellen Paradigmenwechsel in der US-amerikanischen Außenpolitik, der wiederum in der Figur George W. Bush konkret wird. Aus der Sicht des Spiegels hat gerade der Afghanistankrieg die militärische Dominanz und weltpolitische Vormachtstellung der USA endgültig besiegelt und dem US-Präsidenten einen enormen Machtzuwachs verschafft (vgl. 1/2002: 116ff). »Bewiesen hat der Präsident vor allem eins: dass die einzig verbliebene Supermacht eine Realität ist, mit der sich Freund und Feind in den nächsten Jahrzehnten auseinanderzusetzen haben. Was nach dem Golfkrieg und dem Bombenfeldzug gegen Slobodan Milosevic meist unausgesprochen blieb, wird nach dem Afghanistankrieg zur Gewissheit. Die von Bush Senior geforderte ›Neue Weltordnung‹ formt sich zur Wirklichkeit, und Amerika bestimmt ihre Gesetze.« (Ebd.: 116)
Zugleich wird der Afghanistankrieg – trotz der ablehnenden Berichterstattung des Spiegels im Vorfeld – am Ende doch als ›Erfolg‹ gewertet und auch die Darstellung des US-Präsidenten fällt plötzlich freundlicher aus (vgl. auch schon 47/2001: 138). Laut Spiegel habe sich Bush zum »unantastbaren« und »erfolgreichen Kriegsherren« gemausert (1/2002: 116). Mehr noch: Im Rückblick wird die Darstellung des US-Präsidenten als verrückt gewordener Cowboy auffällig relativiert: »Er hatte Lernfähigkeit gezeigt und war, seiner weltweit gefürchteten Wildwest-Rhetorik zum Trotz, behutsam vorgegangen. Gemessen an den Blutopfern in 23 Jahren Krieg und Bürgerkrieg zuvor, führten die US-Streitkräfte einen eher begrenzten Krieg.« (Ebd.)
Der Verweis auf die zivilen Opfer des Afghanistankrieges dient in diesem Beispiel gerade als Beleg für eine Begrenzung der Kriegsgewalt – und nicht wie zuvor als Beweis für deren Entgrenzung. Darüber hinaus werden Bush und die USA nun als ›Erlöser‹ und ›Befreier‹ der afghanischen Bevölkerung dargestellt:
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Fast drei Monate nach ihrem Beginn hat die Operation ›Enduring Freedom‹ den Hauptverantwortlichen für die Anschläge von New York und Washington noch nicht gestellt; dafür aber hat sie immerhin erreicht, dass die von der Gottesknechtschaft der Taliban erlösten Afghanen eine anhaltende Freiheit genießen dürfen. Und dieser Erfolg hat Präsident George W. Bush anscheinend unangreifbar gemacht.« (Ebd.)
Der Krieg in Afghanistan erhält trotz der in den Wochen zuvor kritisierten übertriebenen Kriegsführung einen ›humanitären‹ Sinn. Gerade diese moralische Legitimität des Krieges wird für den Erfolg und Machtzuwachs des Präsidenten verantwortlich gemacht.
1.7 Analyse: Maskuline Rationalität versus hypermaskuline Irrationalität — Was einen (US-amerikanischen) Politiker auszeichnet Insgesamt bewegen sich die Charakterisierungen von Bush in einem Spannungsfeld zwischen Nüchternheit und Rationalität auf der einen Seite (Staatsmann) und irrationaler Rache, Aggression und Stärke (Cowboy) auf der anderen. Spiegel und FAZ zeichnen dabei sehr unterschiedliche Bilder des Präsidenten: Während die FAZ den US-Präsidenten als professionellen, zum Staatsmann ›gereiften‹ und ›gehärteten‹ Politiker präsentiert und das Bild des Cowboys lediglich ex negativo verwendet, rekurriert der Spiegel fast durchgängig auf das Bild des wild gewordenen Cowboys, bei dem Rache und Vergeltung als irrationale Handlungsmotive herausgestellt und weitgehend als unangemessen kritisiert werden. Angesichts des (antizipierten) Kriegs in Afghanistan richtet sich die Kritik des Spiegels jedoch nicht generell gegen ein militärisches Vorgehen. Moniert werden v.a. das ›unkontrollierte‹ Vorgehen der USA in Afghanistan, die fehlende Ergänzung militärischer Mittel durch politische Maßnahmen und der Verzicht auf multilaterale Kooperation. Die Darstellung des US-amerikanischen Präsidenten kreisen in Spiegel und FAZ gleichermaßen um die Schlüsselkategorien Besonnenheit, Entschlossenheit und Rationalität. Diese Kriterien dienen in beiden Medien als Maßstab zur Bewertung des Verhaltens und bestimmen somit maßgeblich darüber, ob der Präsident als kompetenter Staatsmann oder irrationaler Cowboy die mediale Bühne der internationalen Politik betritt. Während die FAZ Besonnenheit und Entschlossenheit gleichermaßen positiv hervorhebt und unter dem Begriff der Rationalität subsumiert, wird die Figur des Präsidenten im Spiegel ausschließlich auf der Seite von kämpferischer Entschlossenheit, Aggressivität und Stärke verortet. Diese Einseitigkeit wird zudem als übertrieben und irrational interpretiert. Rationalität und Besonnenheit gehören in der Darstellung des Spiegels nicht zu den Wesenszügen, mit denen der US-Präsidenten ausgestattet wird. Im Gegensatz dazu werden die Reaktionen des US-Präsidenten in der FAZ eindeutig positiv bewertet und sein mutiges und starkes Durchgreifen gelobt. Entscheidend ist: Sowohl das Bild des Cowboys als auch das des Staatsmannes knüpfen an tradierte Männlichkeitsbilder an. Der auf Kampf und Vergeltung sinnende Cowboy stellt dabei ein besonders augenfälliges Symbol für (Hyper-)Maskulinität dar, während die Maskulinität des Staatsmannes häufig hinter dem Anschein des Menschlich-Allgemeinen verschwindet und dadurch geschlechtlich ›neutral‹ daherkommt. Die Figur des Cowboys findet v.a. als Gegenmodell zu der des Staatsmanns
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Verwendung und dient in beiden Medien zur Abgrenzung. So wird Bush mal in die Nähe, mal entfernter zu dieser Figur ins Verhältnis gesetzt: metaphorisiert entweder als ›verrückt gewordener‹ (Spiegel) oder als ›gezügelter Cowboy‹ (FAZ). Darüber hinaus gilt das Deutungsmuster ›Wilder Westen‹ generell dazu, eine Position als militärisch und männlich überzogen zu kennzeichnen. Cowboy und Macho repräsentierten eine Hypermaskulinität, die dem modernen, zivilisierten Mann – hier in der Gestalt des Staatsmannes – kontradiktorisch gegenübergestellt wird. Es ist v.a. die Dichotomie Irrationalität versus Rationalität, an der sich die Konstruktion der beiden Männlichkeitsmodelle orientiert, die sich jedoch in eine ganze Kette von Binarismen – religiös/säkular, rückschrittlich/modern, stumpf/eloquent, unzivilisiert/zivilisiert, kurzsichtig/wohlüberlegt, impulsiv/vernünftig, dumm/schlau, Überheblichkeit/ Rücksichtnahme, unilateral/multilateral etc. – einfügt. Während das Modell des Cowboys dabei auf einem ›Zuviel‹ an Männlichkeit beruht, ist die Männlichkeit des Staatsmannes nahezu unsichtbar, verborgen hinter dem Anspruch der Rationalität. Auch der ›Therapeut‹ und der ›charismatische Führer‹ als spezifische Formen des Politikers – in der Darstellung Bushs jedoch nur als Nebenfiguren angelegt – sind traditionell männliche Figuren. Während der Therapeut (wie der Arzt) historisch betrachtet einer institutionalisierten männlichen Profession entspricht und ein rational-nüchternes Ideal von Männlichkeit verkörpert,4 kann der ›charismatische Führer‹ als eine Unterkategorie des männlichen Ideals des Berufspolitikers verstanden werden (s.u.). Der Therapeut verkörpert dabei im Vergleich zum Staatsmann ein weniger maskulinistisches Männlichkeitsbild, das nicht auf Muskelkraft und physische Stärke ausgelegt ist, sondern auch ›soziale‹ Kompetenzen wie Fürsorglichkeit, Trostspenden und Sorge umfasst; auch der ›charismatische Führer‹ erweitert die Tugenden des Berufspolitikers insbesondere durch Charisma, Leidenschaft und Emphase. Im Wechselspiel mit der männlich kodierten Figur des Therapeuten kommt es zu einer auffälligen Pathologisierung und Feminisierung der amerikanischen Nation, die als verwundet, depressiv und hysterisch beschrieben wird. Hysterie galt lange Zeit als eine spezifisch ›weibliche‹ Krankheit, deren Erforschung und ›Heilung‹ sich männliche Experten angenommen hatten (vgl. dazu auch Kapitel IV.3.8.1). Die symbolische Feminisierung der US-Nation verstärkt dabei die Maskulinisierung des Therapeuten, der der traumatisierten Nation helfen soll, und umgekehrt.
1.7.1 Die unsichtbare, rationale Männlichkeit des ›Staatsmannes‹ Um die spezifische ›Maskulinität‹ des ›Staatsmannes‹ zu dekodieren, soll an dieser Stelle ein genauerer Blick auf den häufig verwendeten Begriff der Rationalität geworfen werden. Rationalität wird in der FAZ und im Spiegel als oberste Maxime politischen Handelns herausgestellt – und dem US-Präsidenten (bzw. den USA ins4 | Wie feministisch-historische Arbeiten gezeigt haben, war es insbesondere die ›Biologie der Frau‹ bzw. der weibliche Körper, der mit der Entstehung der modernen Humanwissenschaften zu Beginn des 19. Jahrhunderts in den Blick geriet und zum Gegenstand klassifizierender und normierender Messungen wurde (vgl. Honegger 1991), wohingegen die Rolle des Wissenschaftlers und Mediziners ausschließlich Männern vorbehalten war. Die Kritik des ›patriarchalen Medizinsystems‹ gehörte deshalb zu den zentralen Themen der neuen Frauenbewegung, verbunden mit Forderungen nach körperlicher Selbstbestimmung und (Wieder-) Aneignung des von der (männlichen) Medizin vorenthaltenen Wissens um den weiblichen Körper (vgl. Duden 2004).
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gesamt) zugeschrieben oder aber abgesprochen. Von dem positiv besetzten Wert der Rationalität werden im Gegenzug solche Handlungsweisen abgegrenzt, die als emotionsgeladen, reflexhaft, naiv, unüberlegt und impulsiv interpretiert werden. Feministische Theoretiker_innen haben sich bereits in den 1970er und 1980er Jahre ausführlich mit den Begriffen Rationalität und Objektivität in den modernen Wissenschaften beschäftigt und gezeigt, dass das vorherrschende Verständnis von Rationalität ein spezifisch ›maskulines‹ ist und keineswegs einer neutral-objektiven, wertfreien und allgemeingültigen Sicht auf die Welt entspricht (vgl. z.B. Harding 1986, 2003; Mies 1978; Hausen/Nowotny 1986; Keller 1990; Klinger 1990; Nagl-Docekal 1999). Vermeintlich objektive Rationalität sei in Wirklichkeit, so die feministische Wissenschaftskritik, eine spezifisch androzentrische Sicht der Dinge und blende die ›weibliche‹ Perspektive durch Verabsolutierung der ›männlichen‹ aus. Die (philosophisch orientierte) feministische Rationalitätskritik richtete sich zunächst allgemein auf die maskuline Prägung des Vernunftbegriffs. So wurde im Zuge der Etablierung der modernen Geschlechterdifferenz dem Mann die Vernunft und der Frau das Gefühl zugeordnet (Nagl-Docekal 1999: 124). Abstraktes Denken, objektives Urteilen, ein distanziertes Verhalten und eine Orientierung an allgemeinen Prinzipien gelten demnach als ›männliche‹ Eigenarten, wohingegen Subjektivität, spontane Reaktionen, Naturverbundenheit und eine Orientierung am Konkreten als typisch ›weibliche‹ Wesenszüge konzipiert werden (ebd.). Vernunft und Gefühl bilden dabei nicht nur ein bipolares, sondern zudem ein hierarchisches Verhältnis, denn die dem Mann zugesprochenen Fähigkeiten werden als den ›weiblichen‹ überlegen eingestuft. Wie bereits im ersten Kapitel (vgl. Kap. I.1.2.1) ausgeführt, richtete sich die feministische Kritik insbesondere auf die Politikwissenschaften und die (neo-)realistische Schule der Internationalen Beziehungen, die ebenfalls davon ausgeht, internationale Zusammenhänge objektiv-wissenschaftlich und mittels struktureller und kausaler Beziehungen erklären zu können. Aus (neo-)realistischer Sicht folgt das internationale System objektiven, naturähnlichen Gesetzmäßigkeiten, die um zwischenstaatliche Anarchie und den Kampf um Macht – als die beiden zentralen Problemfelder – kreisen. Als ›rationales‹ bzw. ›vernünftiges‹ außenpolitisches Handeln gelten demzufolge alle Handlungen, die das Überleben des Staates in einer potentiell feindlichen und anarchistischen Umwelt gewährleisten. Dabei ist der Einsatz jeglicher Mittel erlaubt, solange ›rational‹ begründbar bleibt, dass dadurch das oberste Ziel der Politik, die Sicherung der Staatsinteressen, erreicht werden kann (vgl. Scherrer 2003: 91f). Wie J. Ann Tickner (1991; 1992) oder auch Uta Ruppert (1998b) herausgearbeitet haben, orientiert sich die vermeintlich objektive ›Rationalität‹ des (Neo-)Realismus jedoch an einem spezifisch ›männlichen‹ Ideal von Autonomie und Stärke, Kampfbereitschaft und Machtstreben – und ist demnach ebenso partikularistisch beschränkt. Die maskuline Rationalität des Staates zeigt sich ebenfalls in dem als notwendig erachteten Ausschluss bzw. der Kontrolle alles ›Weiblichen‹ bzw. aller weiblich konnotierten Eigenschaften, insbesondere von einer als ›Weichheit‹ und ›Unsicherheit‹ interpretierten Emotionalität sowie von Abhängigkeit und Irrationalität. Der Staatsmann soll losgelöst von moralischen und ›sentimentalen‹ Bindungen handeln können, denn nur so kann dieser aus realistischer Sicht in die Lage versetzt werden, Vernunft im Sinne des Staatsinteresses walten zu lassen (vgl. Birckenbach 1991: 960). Um effizient im Sinne des ›nationalen Interesses‹ handeln zu können, darf sich der Staatsmann weder innenpolitisch allzu sehr
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von den Wünschen, Stimmungen und Hoffnungen der Bevölkerung leiten lassen, noch darf er sich außenpolitisch durch moralische Appelle oder durch den Verweis auf internationale Rechtsvereinbarungen irritieren und beeinflussen lassen (vgl. Mordt 2002: 65). Die Durchsetzung einer von allen »irrational-weiblichen Elementen« befreiten Rationalität wird damit zur Zielvorgabe politischen Handelns (vgl. Birckenbach 1991: 960). Mordt (2002: 65) und Krell (2003: 146f) zufolge ähnelt Morgenthaus idealer ›Staatsmann‹ in vielen Punkten dem Weber’schen Ideal des Berufspolitikers. Max Weber bestimmte in seiner im Jahre 1919 gehaltenen Vorlesung »Politik als Beruf« (Weber 1992) für das Ideal eines professionellen Politikers drei Kernqualitäten: 1. Leidenschaftlichkeit bzw. Sachlichkeit für die Politik im Sinne einer strengen Orientierung an der Sache, 2. Verantwortungsgefühl im Umgang mit der Macht und den Mitteln ihrer Durchsetzung, d.h., einerseits muss der Politiker gewillt sein, Macht auszuüben, andererseits muss er der Gefahr widerstehen, Macht aus Eigennutz anzustreben, 3. Augenmaß im Sinne von Distanz zu den Dingen und Menschen bzw. dem politischen Geschäft ebenso wie gegenüber der eigenen Person, denn Eitelkeit ist die »Todfeindin aller sachlichen Hingabe« und damit die »Todsünde« eines jeden Politikers (1992: 62f; vgl. auch Schöler-Macher 1994: 23ff). Wie feministische Kritiker_innen herausgearbeitet haben, verkörpert auch der idealisierte Berufspolitiker bei Weber durch seine Unabhängigkeit, Distanz zu Persönlichem und Gefühlen sowie Entschlossenheit und Zweckrationalität im Handeln ein spezifisch ›männliches‹ Idealbild (vgl. Bologh 1990: 34; Sauer 2001: 136ff; Kreisky 1997: 197ff). Dieses Politikerideal konnte zudem, wie Weber betont, nur von Männern vertreten werden, da gerade die zentralen Eigenschaften wie Sachlichkeit und Distanziertheit als exklusiv männliche Wesenszüge galten (vgl. Scholz 2007b: 104). Der auf Kampf und Vergeltung sinnende Cowboy stellt damit eine Gegenfigur par excellence zu dem modernen Ideal des rationalen, gezügelten Politikers dar. Das im Diskurs der FAZ entworfene Bild des US-Präsidenten weist zahlreiche Parallelen zu dem hier beschriebenen (neo-)realistischen Ideal des Staatsmannes und Berufspolitikers auf. Rationales Handeln wird als politische Tugend definiert, die sich durch Autonomie, Entschlossenheit und Stärke auszeichnet, mit dem Ziel, für die Sicherheit und Verteidigung der Nation und ihrer Werte zu sorgen. Wie im klassischen Realismus gelten militärische und kriegerische Maßnahmen – solange sie ›rational‹ begründbar sind bzw. dem staatlichen Interesse dienen – als primäres und dabei legitimes Mittel der Politik. Dabei zeichnet sich das in der FAZ vertretene Rationalitätsideal nicht durch den Einsatz schrankenloser Gewalt aus, sondern durch nüchternes Kalkül und ein verantwortungsvolles, sachliches und maßvolles Vorgehen und Abwägen der Mittel – subsumiert unter dem Begriff der Besonnenheit. Gemeint ist damit eine distanzierte und reflektierte Haltung gegenüber den politischen Geschehnissen sowie der eigenen Person, die es versteht, die durch die Ereignisse ausgelösten Emotionen wie Fassungslosigkeit und Trauer, aber auch Wut und Demütigung bis hin zu Hass und Rachegefühlen in Zaum zu halten, ›angemessene‹ politische Maßnahmen entsprechend der rationalen Zielvorgaben zu treffen und die negativen ›Begleiterscheinungen‹ wie die zivilen Opfer eines Krieges so weit wie möglich zu begrenzen. Kurz: Rationales Handeln in der FAZ umfasst aktive Entschlossenheit und militärische Stärke ebenso wie kontrollierende, begrenzende Besonnenheit – und kommt sachlich-kühl, leidenschaftslos und ohne Eigennutz daher.
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Implizit folgt auch die Berichterstattung des Spiegels dem Ideal staatsmännischer Rationalität, denn die negative Darstellung des US-Präsidenten resultiert gerade aus der Verfehlung dieses Ideals und der Überbetonung von Entschlossenheit und Stärke bei gleichzeitigem Fehlen von sachlicher Maßhaltung und Besonnenheit. In dem permanenten an Bush und die USA gerichteten Vorwurf der Irrationalität ist die Forderung nach mehr Rationalität bereits implizit enthalten. Darüber hinaus greift der Spiegel das Männlichkeitsmodell des rationalen Staatsmannes explizit auf, wenn es um die Charakterisierung der deutschen Politiker, insbesondere der Figur Schröder, geht (vgl. Kap. IV.2). Eigenschaften wie impulsive Emotionalität (z.B. Rachedurst), Weichheit aber auch Orientierungslosigkeit, Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit müssen indes überwunden werden, damit Bush in seiner Rolle als rationaler Staatsmann erfolgreich sein kann. Die Interpretation eines bestimmten Handelns als angemessen und effizient orientiert sich jedoch nicht bloß an der einfachen, sich gegenseitig ausschließenden Gegenüberstellung von (weiblicher) Emotionalität und (männlicher) Rationalität. Denn wie insbesondere die Figuren des ›Therapeuten‹ und des ›charismatischen Führers‹ zeigen, gelten bestimmte Emotionen und fürsorgerische Kompetenzen nach dem 11. September ebenso als hochgeschätzte Eigenschaften und politische Qualitäten bei einem erfolgreichen Politiker. Die Analyse hat jedoch gezeigt, dass Emotionalität und Gefühl nur bis zu einem gewissen Grad bzw. in einer spezifischen – vergeschlechtlichten – Ausprägung gefragt sind: als (kurzer) Moment der persönlichen Betroffenheit in Anbetracht der ›Katastrophe‹, als tiefe Anteilnahme und Sorge um die Nation sowie als starker, patriotischer Tröstungsakt. Auch der leidenschaftliche Ruf nach Rache wird stellenweise als emotionales Movens politischen Handelns gebilligt oder zumindest als nachvollziehbar interpretiert. Sobald Emotionalität jedoch als Zeichen von Unsicherheit, Zögerlichkeit und Schwäche interpretiert wird, gilt sie als ›weichlich‹ und ›unmännlich‹ und wird als eine der Situation unangemessene Emotionalität und sogar als Gefahr für die Politik dargestellt. Wie anhand der Situation in der Grundschule in Florida deutlich wurde, trennt diese beiden Formen ›maskuliner‹ und ›femininer‹ Emotionalität nur ein schmaler Grad. Die Kompetenz des Politikers wird sodann daran bemessen, wie schnell die Emotionen unter Kontrolle gebracht, die Unsicherheit abgeschüttelt und dadurch Autonomie und Handlungsfähigkeit (zurück-)erlangt werden. Das Zulassen und Zeigen von Irritation, Unschlüssigkeit und Schock werden hingegen als unsicheres und unprofessionelles Verhalten – und damit als unangemessene Reaktionen – interpretiert. In der Lesart des Spiegels wird die Situation in Florida deshalb als Zeichen der politischen Inkompetenz gedeutet, während aus der Sicht der FAZ der US-Präsident diese erste (innere) Krise innerhalb kurzer Zeit gemeistert hat und dadurch an staatsmännischer Größe und Führungskraft gewonnen hat. Denn erst die Kontrolle des Gefühls ermöglicht aus Sicht der FAZ volle Souveränität und Handlungsfähigkeit. Aus Perspektive des Spiegels bleibt Bush jedoch, ähnlich einem ›Verharren in der Krise‹, auf sich selbst zurückgeworfen und hat die Chance auf einen Reifungsprozess verfehlt. Entsprechend dieses Deutungsmusters wird das Verhalten des US-Präsidenten im Spiegel generell als selbstbezogen und selbstherrlich interpretiert. Es orientiert sich nicht an übergeordneten (staatlichen) Interessen, sondern bleibt als Imponier- und Machogehabe stets auf die eigene Person fixiert. Resümierend lässt sich festhalten: Durch die Verknüpfung mit bestimmten geschlechtsbezogenen Assoziationen kann ein bestimmtes Verhalten entweder als
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starke ›maskuline‹ Emotionalität aufgewertet werden, die mit dem Ideal des Staatsmannes durchaus vereinbar ist, oder als ›weibliche‹ Irrationalität, Unreife und Schwäche verworfen werden.
1.7.2 Krieg als ›männliche Reifeprüfung‹ — Abhärtung und Kontrolle des Weiblichen Wie die Analyse gezeigt hat, ist das Deutungsmuster ›Reifeprüfung‹ in der Darstellung des US-Präsidenten zentral. War Bush in den Augen der FAZ vor den Anschlägen noch ein farbloser, unbeholfener Präsident, haben ihn die Ereignisse des 11. Septembers innerhalb kürzester Zeit in einen »Staatsmann und Krisenmanager«, ein »Symbol nationaler Einheit« und einen »aktiven Oberkommandierenden« (s.o.) verwandelt, der über das Weltgeschehen bestimmt. In der medialen Darstellung ist Staatsmann-Sein kein Status, der qua Amtseintritt verliehen wird, sondern den man sich erst verdienen muss. Aus Sicht der FAZ vollzieht sich die Staatsmann-Werdung als Prozess, als ein Vorgang der inneren und äußeren Abhärtung, der sich insbesondere anhand der Kriegsfrage manifestiert. Aus dieser Perspektive hat Bush, ausgelöst durch den 11. September, einen persönlichen und politischen Reifungsprozess durchschritten, ähnlich einem Prozess des Erwachsenwerdens, in dem ein (weiblich konnotiertes) kindlich-naives Stadium verlassen wird, um der harten Realität ins Auge zu blicken. Parallel zu diesem ›inneren Abhärtungsprozess‹ des Präsidenten, der sich auch als Sieg der Vernunft über das Gefühl beschreiben lässt, kommt es zu einem ›äußeren Abhärtungsprozess‹ in puncto Kriegsbereitschaft. Wie in der Analyse deutlich wurde, ist es gerade die Frage nach einem bevorstehenden Krieg, die als ›entscheidender Test‹ und ›Reifeprüfung‹ des US-Präsidenten inszeniert wird. Wie die FAZ unter Bezugnahme auf den früheren Präsidenten Bush Senior explizit herausstellt, geht es in diesem Reifungsprozess insbesondere darum, nicht nur ein ›weiches‹ Image zu vermeiden, sondern dem latenten Verdacht, als ›zu weich‹ zu gelten, etwas entgegenzusetzen. Formulierungen, dass Bush durch die Ereignisse mit »brachialer Gewalt« in die Rolle des Oberkommandierenden »gestoßen« (FAZ 14.9.01: 3) worden sei und einen unerwarteten »Crashkurs« (FAZ 22.9.01: 2) zum Krisenmanager und Staatsmann durchlaufen habe, erwecken zudem den Eindruck des Unausweichlichen. Die auf militärische Stärke und Krieg ausgerichtete Rolle des Oberbefehlshabers wird gleichsam als schicksalhaft und alternativlos präsentiert. Wie feministische Forscher_innen gezeigt haben, stellt ›Maskulinität‹ generell einen entscheidenden Faktor innerhalb der internationalen Politik dar, an dem bemessen wird, was als politische Kompetenz und professionelles Verhalten angesehen wird und was nicht (vgl. z.B. Cohn 1993; Kreisky 1995). Enloe (2002) weist für die US-amerikanische Außenpolitik nach, dass diese durch ein stark militarisiertes Männlichkeitsbild geprägt ist, das militärische Handlungsoptionen gegenüber nicht-militärischen deutlich privilegiert. So schreibt Mordt: »Jeder Politiker, der in den Kernbereichen staatlicher Verantwortung, also in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, kompetent erscheinen möchte, tut gut daran, seine Fähigkeiten als ›Krieger‹ unter Beweis zu stellen« (Mordt 2001: 105). Ein Mangel an außenpolitischer Stärke oder Wehrhaftigkeit wird im Gegenzug als Verweichlichung und Schwäche interpretiert und gilt als ›unmännlich‹, ›feige‹ und ›unehrenhaft‹. Entscheidend sind dabei jedoch weniger die individuellen Eigenschaften oder Biografien der einzelnen Politiker, sondern vielmehr der symbolisch-diskursive Deutungshorizont
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einer Gesellschaft, in dem bestimmte Handlungsweisen erst als ›unmännlich‹ bzw. ›weichlich‹ interpretiert und zudem weiblich konnotierte Eigenschaften geringer als männliche bewertet werden: »Hier geht es nicht um Hormone, sondern um die Angst des männlichen Politikers, nicht ›mannhaft‹ zu erscheinen« (Enloe 2002: 81). Zuschreibungen weiblich konnotierter Eigenschaften dienen indes dazu, bestimmte Sichtweisen und Politiken, wie z.B. pazifistische Perspektiven, in Verruf zu bringen und als unangemessen und unlauter zu diskreditieren – und damit aus dem Bereich des Möglichen zu verbannen. Insbesondere Attribuierungen von ›weichlich‹, ›ängstlich‹, ›unsicher‹ und ›schwächlich‹ sind deshalb dazu angetan, bestimmte politische Konzepte, ebenso wie das Verhalten Einzelner, unmittelbar zu diskreditieren und lächerlich zu machen und die Kompetenz und Professionalität eines Politikers generell in Abrede zu stellen. Aufgrund der in den Köpfen fest verankerten zweigeschlechtlichen Ordnung und Bewertungsmuster ist offenbar für jede_n unmittelbar einsichtig bzw. erscheint es geradezu evident, dass ein ›weichliches‹ oder ›schwächliches‹ Handeln insbesondere im außenpolitischen Bereich unbedingt zu vermeiden ist. »In national security discourse, ›acting like a wimp‹, being insufficiently masculine, is one of the most readily available interpretive codes« (Cohn 1993: 234). Die Furcht vor der Verweiblichung bzw. Strategien zur Vermeidung eines weichlich-weiblichen Images (›beat the wimp factor‹) lassen sich damit als eine zentrale Antriebsfeder des Politischen bestimmen – im politischen Handeln ebenso wie in der medialen Deutung dieses Handelns. Vor diesem Hintergrund kann ein ›harter‹ militärischer Kurs auch als ein Versuch interpretiert werden, den (potentiellen) Vorwurf, zu weich und schwächlich zu sein, (prophylaktisch) zu entkräften. Wie Kühne betont, sehen sich insbesondere Politiker, deren militärische Sozialisation nicht ›tough‹ genug erscheint, einem enormen Rechtsfertigungsdruck ausgesetzt, der eine Politik der militärischen Stärke erst recht herausfordert (2005: 64; vgl. auch Cohn/Enloe 2003). Der Krieg erhält damit die Funktion, eine gefährdete, in die Krise geratene Männlichkeit wiederherzustellen (Remaskulinisierung). Überträgt man diese Überlegungen auf die Argumentation der FAZ, hat Bush insbesondere durch seine harte und entschlossene Reaktion auf den 11. September und die Bereitschaft zu einem Krieg gegen den Terrorismus seine ›Männlichkeit‹ beweisen können und geht damit aus der Krise – wie sie z.B. in den anfänglichen Zweifeln an seiner Amtstauglichkeit zum Ausdruck kam – gestärkt hervor. Cohn und Enloe (2003: 1204) interpretieren Bushs Kampfankündigung »We strike back« als Reaktion auf die Terroranschläge als Strategie, die kollektive ›Verwundung‹ und ›Demütigung‹ der USA durch kriegerische, ›männliche‹ Worte zu kompensieren. Dass eine solche Strategie nicht unumstritten ist und gewissermaßen die Gefahr einer Überkompensation besteht, zeigt wiederum die Argumentation des Spiegels, dem starke Worte und ›militärisches Gehabe‹ nicht imponieren wollen und der darin ein nicht staatsmännisches Agieren, sondern das Großtun eines Cowboys oder Machos sieht. Im Folgenden wird sich zeigen, dass der ›wimp factor‹ in Folge des 11. September nicht nur für die US-amerikanische, sondern auch für die deutsch-europäische Politik als Deutungsfolie virulent wird. Der ›beat the wimp factor‹ stellt auch im deutschen Kontext ein wichtiges Motiv politischen Handelns dar. Denn auch wenn der Schwerpunkt der deutschen Außenpolitik seit 1945 auf Verteidigung, Abschreckung und Diplomatie und nicht auf offensiv militärischen Herangehensweise liegt – als ›Weichling‹ oder ›wimp‹ will trotzdem niemand gelten.
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1.7.3 Diskurspositionen: Die Bewertung der US-Politik in FAZ und Spiegel Anhand der medialen Inszenierung des US-Präsidenten lassen sich die Diskurspositionen von Spiegel und FAZ weiter konkretisieren: Die Analyse zeigt deutlich, dass Spiegel und FAZ gegensätzliche Auffassungen bezüglich internationaler Politik, militärischer Gewaltausübung und Krieg im Allgemeinen sowie der Politik der USA im Besonderen vertreten. Während die FAZ einem Politikverständnis der (neo-) realistischen Schule von staatlicher Wehrfähigkeit und militärischer Sicherheit und Stärke anhängt und die Politik der USA prinzipiell befürwortet, lassen sich im Spiegel deutlich antiamerikanische und kriegskritische Tendenzen ausmachen. Die unterschiedliche Diskursposition der beiden Medien spiegelt sich in den Darstellungsund Deutungsmustern in Bezug auf George W. Bush wider, der in beiden Medien stellvertretend für die US-amerikanische Politik steht. Während die Berichterstattung der FAZ von Anerkennung gegenüber des Aktanten Bush geprägt ist, dominieren im Spiegel Ablehnung und Spott. Anhand der beiden konträren Männlichkeitsbilder ›Cowboy‹ und ›Staatsmann‹ wird zugleich die Legitimität der US-Politik sowie militärischer und kriegerischer Gewaltausübung verhandelt. Geschlechtliche Zuschreibungen fungieren dabei als eine binär-hierarchische Bewertungsstruktur, mit der das politische Handeln des US-Präsidenten gerahmt, geordnet und beurteilt wird. Was jeweils als professionelles Handeln im Bereich der internationalen Politik angesehen wird bzw. welche idealtypischen Vorstellungen eines erfolgreichen (US-amerikanischen) Politikers zugrunde liegen, wird hier anhand einer einfachen Gegenüberstellung zweier Männlichkeitstypen plausibel gemacht. Die verschiedenen Männlichkeitsbilder transportieren spezifische Wertungen und bestimmen dadurch ganz entscheidend über Zustimmung oder Ablehnung gegenüber Bush und der US-amerikanischen Politik. So dient im Spiegel die Deutung des US-Präsidenten als irrationaler Cowboy dazu, die militärische Politik der USA als männlich und militärisch übertrieben – machohaft – zu diskreditieren. Die v.a. in der FAZ vorgefundene Rahmung des Präsidenten als Staatsmann, insbesondere das damit verbundene Deutungsmuster der ›Reifung‹ ist hingegen darauf angelegt, eine militärische Politik als ›erwachsen‹ und ›stark‹ zu legitimieren. Im Unterschied zur FAZ steht der Spiegel militärischer Gewaltausübung und Krieg skeptisch gegenüber und betrachtet einen Krieg nur als ›letztes Mittel‹ der Politik bei gleichzeitiger Betonung von diplomatischen und multilateralen Formen der internationalen Konfliktaustragung. Militärisch-kriegerische Gewalt wird jedoch auch im Spiegel nicht generell abgelehnt, sondern erscheint dann als potentiell sinnvoll und angemessen, wenn sie von diplomatischen und humanitären Maßnahmen begleitet wird. Die Kriegskritik des Spiegel richtet sich nicht gegen einen Krieg an sich, sondern in erster Linie gegen die USA und ihre konkrete Vorgehensweise in Afghanistan, die allein auf militärische Mittel setze und insgesamt als übertrieben, zu hart und irrational präsentiert wird. Die Zweifel machen sich zudem in erster Linie an der Durchführbarkeit bzw. der Gewinnbarkeit des Krieges fest. So wird wiederholt betont, dass die USA die Kampfkraft ihres Gegners unterschätzt hätten und eine ähnliche Niederlage wie im Vietnamkrieg drohe (vgl. Kap. IV.5.3.2). Pazifistische Alternativen zu einem militärischen Vorgehen oder ein Abzug der Truppen aus Afghanistan werden jedoch auch im Spiegel nicht gefordert oder überhaupt diskutiert. Die Analyse zeigt ebenfalls, dass die Diskurse, die das Feld des Sag- und Denkbaren umreißen und begrenzen, ständig in Bewegung sind, d.h., sie sind permanent
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umkämpft, bergen innere Widersprüche und gegenläufige Tendenzen und verändern sich im Laufe der Zeit. Besonders im Spiegel ist die diskursive Entwicklung interessant: Während die Darstellung des Präsidenten noch bis zum Ende des Afghanistankrieg eindeutig negativ ausfällt, kommt es Anfang Dezember im Zuge der in Deutschland stattfindenden Afghanistan-Konferenz zu einem auffälligen Wandel der Deutungsmuster. Im Rückblick wird dem Krieg ein positiver, humanitärer Sinn verliehen, wodurch auch das negative Image des Präsidenten nicht länger in seiner Eindeutigkeit aufrechterhalten werden kann. Hier verschiebt sich offenbar der Bereich des Sagbaren: Nach Petersberg ist eine kompromisslose Anti-Bush-Haltung, ebenso wie eine generelle Ablehnung des Afghanistankriegs, offensichtlich nicht mehr uneingeschränkt möglich. In der Analyse der Figur Bush deutet sich bereits an, dass mit der Repräsentation von Bush nicht nur die Konstruktion einer spezifisch US-amerikanischen Identität einhergeht, sondern dass parallel dazu auch ein spezifisches Bild einer europäischen Identität entworfen wird. In Abgrenzung zur ›Cowboy-Nation‹ USA konstituiert sich ein Bild von Europa als einer friedfertigen und weniger angriffslustigen Gemeinschaft, die Krieg allenfalls als letztes Mittel der Politik akzeptiert. Äußerungen wie, dass die »derbe Sprache des Texaners« »typisch für die USA«, für die Europäer jedoch »zu starker Tobak« sei, da die Europäer »sensibler gebaut« seien (FAZ) konstituieren eine grundsätzliche Differenz zwischen einem US-amerikanischen und einem deutsch-europäischen Politikverständnis. Während die FAZ jedoch die US-Politik und Bush als Vorbild und Maßstab für die Neuausrichtung der deutschen Politik nach dem 11. September positiv affirmiert, zeichnet sich im Spiegel eine gegenläufige Tendenz ab: Der auf Kampf und Vergeltung sinnende und zutiefst religiöse Cowboy fungiert als Gegenmodell des ›europäischen Politikers‹ bzw. als Negativfolie, von der sich die Konstruktion einer europäisch-deutschen Identität positiv abhebt. Die Konstitution von Deutschland als ›Zivilmacht‹ geht offenbar mit einem anderen Männlichkeitsbild einher, was im Folgenden durch die Analyse der medialen Darstellung des damaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder (SPD), des Außenministers Joschka Fischer und seiner Partei Bündnis 90/Die Grünen rekonstruiert werden soll.
2. G ERHARD S CHRÖDER — »Z UPACK-K ANZLER« UND W EGBEREITER Die Berichterstattung über die deutsche Politik und die politischen Akteure in Spiegel und FAZ ist wesentlich umfangreicher als die über Bush und die US-amerikanische Politik, die nur in den ersten beiden Wochen nach dem 11. September und während des Afghanistankriegs im Vordergrund stehen. Beide Medien stellen dabei v.a. Bundeskanzler Gerhard Schröder in den Mittelpunkt, dessen innen- wie außenpolitisches Handeln gemäß den jeweiligen Erwartungen an einen deutschen Regierungschef mit kritischem Blick bewertet wird. Die Analyse lässt zudem schnell deutlich werden, dass in den medialen Darstellungen Schröders (aber auch anderer deutscher Politiker_innen) verhandelt wird, was als spezifisch ›deutsches‹ Politikverständnis – im Unterschied zum US-amerikanischen – gelten kann. Im Zentrum steht dabei die Frage nach dem Verhältnis ›der Deutschen‹ zum Krieg bzw. die Diskussion um ein Für und Wider einer militärischen Beteiligung am ›Krieg gegen den Terror‹.
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2.1 »Schritt in die erste Reihe« — Schröder und Deutschland werden er wachsen Ähnlich wie bei der Darstellung des US-Präsidenten fokussiert die Berichterstattung von Spiegel und FAZ zunächst die unmittelbaren Reaktionen des Bundeskanzlers auf die Ereignisse des 11. September. Schröders Versprechen, in dem er »dem amerikanischen Präsidenten Bush die ›uneingeschränkte Solidarität‹ zugesichert [habe]« (FAZ 12.9.01: 1), bildet den Auftakt und zugleich den zentralen Aufhänger zahlreicher Debatten, die v.a. um den Zusatz ›uneingeschränkt‹ bzw. die Frage, ob damit auch militärische Unterstützung gemeint sei, kreisen. In den ersten Tagen nach dem 11. September wird Schröder in Spiegel und FAZ gleichermaßen als in Wort und Tat führender Politiker präsentiert, der mit seiner Solidaritätszusage Mut und Entschlossenheit, aber auch Besonnenheit und Taktgefühl bewiesen habe. Das Diktum der ›uneingeschränkten Solidarität‹ wird zunächst in beiden Medien von großer Zustimmung getragen, und zwar obwohl – oder auch weil – die Solidaritätserklärung als Alleingang, als Vorpreschen Schröders dargestellt wird. Insbesondere die FAZ stellt Schröders Solidaritätsversprechen als beherzte und starke Reaktion heraus und sieht in ihm einen Ausdruck persönlichpolitischer Einsicht und staatlicher Größe. Sein Auftreten wird in beiden Medien als kompetent, verantwortungsvoll und der Situation angemessen interpretiert. Insgesamt folgt die Rahmung der Berichterstattung in dieser frühen Phase dem Bild des männlich-rationalen Staatsmannes, der sich – wie im vorangegangenen Kapitel ausgeführt – durch entschlossenes und zugleich besonnenes Handeln auszeichnet. Wiederholt wird Schröder als »Krisenmanager« und »Staatsmann« bezeichnet (z.B. Spiegel 41/2001: 114; 44/2001: 77; FAZ 19.9.01: 3), der auf die Krise durchweg »souverän« und »staatsmännisch« (Spiegel 39/2001: 37f) reagiert habe. Aktivität, Initiative und Führungskraft sind die hervorstechenden Attribute, mit denen das Auftreten des Bundeskanzlers charakterisiert wird. Schröder tritt als tonangebender ›Macher‹ hervor, der weder abwartet noch zögert, sondern die Dinge zielstrebig und couragiert in die Hand nimmt: Schröder sei »diplomatisch aktiv« (39/2001: 35), habe bei der Koordination der Unterstützung durch die EU-Staaten »Initiative« ergriffen und »drängte« auf die politische Einbettung militärischer Maßnahmen (ebd.: 36). Wenn vermerkt wird, dass er von der Richtigkeit seiner Entscheidungen fest überzeugt sei und daher im Zweifel auch ohne Absprachen handle – wie beim Solidaritätsversprechen gegenüber Bush –, erscheint dies in der ersten Zeit nach dem 11. September als Stärke und Unabhängigkeit (auch gegenüber der eigenen Partei) und wird entsprechend positiv verbucht. Wie in Kap. IV.1.1 bereits erwähnt, gilt Autonomie als wichtige Komponente staatsmännischer Rationalität (vgl. Tickner 1991; 1992; Ruppert 1998b) und kann somit als maskulinistische ›Tugend‹ gekennzeichnet werden. Die in beiden Medien unterschwellig anklingenden Zweifel, ob die Unterstützung der Solidaritätserklärung wirklich aus politischer Überzeugung oder nicht vielmehr aus partei- und machtpolitischen Erwägungen erfolgte, ändert nichts an der Schröder zugeschriebenen Führungs- und Durchsetzungskraft, bekräftigt sie eher noch. »Ob der Bundeskanzler und die Nato amerikanischen Erwartungen oder eigenem Antrieb gefolgt sind, ist noch nicht abzuschätzen. Der zeitliche Ablauf und die Information der führenden Parlamentarier über den Beschluß offenbart nicht nur, daß Schröder hier eine harte
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Aus Sicht von FAZ und Spiegel besitzt Schröder zweifellos die Stärke und den Willen, alle Parteien ›auf Linie‹ zu bringen, seine politischen Gegner zu ›zähmen‹ und seine politischen Vorstellungen zur Not mit ›harter Hand‹ durchzusetzen – etwaiger Widerstände und Kritik zum Trotz. Ausdrücklich werden Eigenschaften wie »Festigkeit«, »Geradlinigkeit« und »Furchtlosigkeit« (alles FAZ 19.9.01: 3) herausgestellt. Das grundsätzliche Einverständnis mit Schröders Solidaritätserklärung in beiden Medien zeigt sich nicht nur in der insgesamt positiven und anerkennenden Darstellung Schröders in der Anfangszeit. Es manifestiert sich auch darin, dass zentrale Aussagen des Bundeskanzlers, z.B. dass es sich bei den Anschlägen um eine ›Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt‹ handle5 oder dass Deutschland ab sofort eine ›gewachsene Verantwortung‹6 trage, nicht nur wiedergegeben, sondern – zum Teil bis in die Wortwahl hinein – auch unkommentiert in die eigene Berichterstattung integriert werden. »Die Regierungen der Alten Welt reagieren umgehend auf die fundamentalistische Kriegserklärung.« (Spiegel 53/2001: 32) »Der Kanzler geht nicht so weit, daß er bedauerte, solche Verantwortung übernommen zu haben. […] Ob er sich vor dem Tag der Entscheidung fürchte, war Schröder jetzt im Fernsehen gefragt worden. Seine Antwort verband das Staatsmännische mit dem Persönlichen. ›Ich fürchte mich nicht davor, ich habe dieses Amt durch Wahlen bekommen, und ich habe die damit verbundenen Verantwortlichkeiten wahrzunehmen.‹« (FAZ 19.9.01: 3)
Insbesondere der Spiegel übernimmt in seiner Berichterstattung über weite Strecken affirmativ Positionen Schröders, der weitgehend als unumstrittenes Zentrum der deutschen Politik dargestellt wird. Schröder wird (wie auch Außenminister Fischer) als ›wissender‹, verantwortungsbewusster und vorausschauender Politiker präsentiert, der sofort verstanden hat, dass der 11. September auch für Deutschland eine historische Zäsur markiere, und der die Tragweite der Ereignisse für die deutsche Politik erkannt hat: »Schröder und Fischer war auf Anhieb klar, dass dieser monströse Angriff weit mehr war als ein Anschlag auf die USA. Mit den Türmen des World Trade Center in Manhattan krachte auch das vertraute Gefüge der internationalen Politik zusammen.« (Spiegel 38/2001: 33) »Die Regierenden in Berlin wissen, dass sich mit den Terroranschlägen von New York und Washington die Welt auch für sie nachhaltig verändert hat. […] Nach dem Angriff auf die USA müssen die politischen Verantwortlichen die äußere wie innere Sicherheit auch der 80 Millionen Deutschen neu durchdenken und definieren.« (Ebd.: 34) 5 | Diese Wendung stammt aus einer Regierungserklärung Schröders vom 12. September, die in Auszügen auf der Titelseite der FAZ abgedruckt wird: »Die niederträchtigen Anschläge am vergangenen Dienstag waren nicht allein Angriffe auf die USA, sondern auf uns alle. Sie sind eine Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt.« (FAZ 13.9.01: 1) 6 | »›Der Beitrag, den wir leisten wollen, ist auch Ausdruck unserer Bereitschaft, der gewachsenen deutschen Verantwortung Rechnung zu tragen‹, so Staatsmann Schröder in seiner Regierungserklärung am vergangenen Donnerstag.« (Spiegel 46/2001: 23)
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Die von Schröder (und Fischer) erfasste ›Evidenz‹ des Zeitenumbruchs wird hier unmittelbar auf die Notwendigkeit eines sicherheitspolitischen Umdenkens übertragen: Die vertraute internationale Ordnung sei zusammengebrochen, die Welt habe sich nachhaltig verändert, nichts sei mehr wie zuvor, woraus sich wie selbstverständlich ergibt, dass auch die deutsche Sicherheitspolitik neugestaltet werden müsse. Ebenso konstatiert die FAZ, dass die »[h]istorische[n] Ereignisse« des 11. September »historische Folgen« zeitigten (13.9.01: 1). Dieses Deutungsmuster erweist sich in der FAZ auch beim Entschluss für einen Militäreinsatz der Bundeswehr in Afghanistan zwei Monate später als gültig: »In diesem Jahr hat sich die sicherheitspolitische Lage der Bundesrepublik so rasch verändert wie selten zuvor. […] Nun hat die Bundesregierung sich entschlossen, Amerika im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen – in Afghanistan und andernorts. […] Diese Politik ist vernünftig, selbstverständlich ist sie nicht. Denn sie bricht ein für allemal mit selbstgesetzten Tabus, welche die deutsche Politik seit der Gründung der Bundesrepublik geprägt hatten.« (12.11.01: 1)
Die FAZ interpretiert die aktuelle Situation als längst überfälligen Anstoß für einen außen- und militärpolitischen Neuanfang. Die Tage, in denen andere für die Sicherheit Deutschlands einstanden, seien »unwiderruflich vorbei« (ebd.), heißt es im selben Kommentar weiter. Die aktuelle Bereitschaft der Bundesregierung, sich am Kampf Amerikas gegen den Terrorismus weit über die territorialen Außengrenzen Deutschlands hinaus zu beteiligen, wird als revolutionärer Schritt interpretiert, oder schlicht als Beginn einer »neue[n] Wirklichkeit« (ebd.), wie es die Überschrift des Kommentars verheißt. Beide Medien verhandeln den prognostizierten ›historischen Wandel‹ der deutschen Politik im Verlauf der Wochen und Monate nach dem 11. September stellvertretend anhand der Figur Schröder, wobei die Frage nach ›Erfolg‹ oder ›Scheitern‹ des Paradigmenwechsels mit der individuellen Laufbahn des Bundeskanzlers verknüpft wird. Ähnlich wie in der Darstellung des US-amerikanischen Präsidenten wird die durch den 11. September verursachte Krise als politische ›Reifeprüfung‹ gedeutet – für Schröder, der erfolgreich zum ›Staatsmann‹ avanciert, und für die deutsche Nation, die zu voller Souveränität und einem vollwertigen Akteur der Weltpolitik aufsteigt. »Zeiten wie diese, wie sie Politikern nur selten widerfahren – in Deutschland zuletzt Helmut Kohl 1989 mit dem Fall der Mauer –, verlangen nach Weichenstellung, Führung und Gestaltung. Und der Kanzler zeigt sich entschlossen, diese Erwartungen nicht zu enttäuschen.« (Spiegel 42/2001: 23)
Schröder kommt dabei in FAZ und Spiegel gleichermaßen die Rolle des ›Vorreiters‹ und ›Vordenkers‹ zu, dem es obliege, ein »neues Kapitel der Geschichte« (Spiegel 42/2001: 25) aufzuschlagen, sich »mit internationalen Krisenszenarien auseinanderzusetzen, die deutsche Militäreinsätze im Ausland […] möglicherweise in neuer Qualität noch erfordern werden« und die deutsche (Sicherheits-)Politik auf »völlig neue Grundlagen zu stellen« (FAZ 19.9.01: 3). Die Spiegel-Titelgeschichte »Abmarsch in die Realität« (46/2001: 22ff) aus dem November 2001, die sich mit den innenpolitischen Kontroversen um die Neuausrichtung der deutschen Politik beschäftigt und
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als typisch für die Berichterstattung des Spiegels gelten kann, präsentiert Schröder in der Rolle des ›Wegbereiters‹ einer neuen – kriegerischen – deutschen Außenpolitik, die explizit von der des nationalsozialistischen Deutschland abgegrenzt wird: »Ernstfall für Rot-Grün: 56 Jahre nach der Kapitulation der deutschen Wehrmacht soll die Bundeswehr in den Kampf ziehen. Schneller als erwartet wird ausgerechnet der Sozialdemokrat Gerhard Schröder zum Kriegskanzler.« (Spiegel 46/2001: 22f) »Ein halbes Jahrhundert später ist der heutige Amtsinhaber dabei, Adenauers Integrationswerk zu vollenden. Deutschland meldet sich endgültig auf der Weltbühne zurück – nicht als Furcht einflößender Aggressor, sondern als Teil der westlichen Anti-Terror-Allianz.« (Ebd.: 23)
Der Artikel, aus dem diese Zitate stammen, erzeugt insgesamt eine Stimmung des Umbruches, in dem alte Gewissheiten verlassen und neue Wege beschritten werden. Sie zeigen deutlich, wie der Diskursstrang ›11. September‹ im Spiegel als Impulsgeber für die deutsche Identitätsbildung fungiert. Mit dem 11. September habe eine neue politische Zeitrechnung begonnen, so der Grundtenor des Artikels. Einen zentralen Referenzpunkt bildet hier der Zweite Weltkrieg, der jedoch nicht länger – wie noch bis zum Ende der 1990er Jahre – den Grund für eine generelle Ablehnung von Militär und Krieg darstellt, sondern vielmehr zum positiven Bezugspunkt einer ›geläuterten Nation‹ wird, die aus der nationalsozialistischen Vergangenheit gelernt hat und nun dabei ist, ihre daraus resultierende Sonderrolle innerhalb der Staatengemeinschaft hinter sich zu lassen. »Deutschland, so scheint es, ist in der Nachkriegsrealität angekommen« (Spiegel 46/2001: 23). Die neuen Aufgaben würden zwar nicht unbedingt freudig bejubelt, jedoch ernsthaft in Angriff genommen. Positiv besetzte Schlüsselwörter des Artikels entstammen den Begriffsfeldern ›Realität‹ und ›Ernst‹. Begriffe wie ›Realitätsgewinn‹, ›Nachkriegsrealität‹, ›Ernstfall‹, ›Ernsthaftigkeit‹ etc. werden dabei ausschließlich im Zusammenhang mit der militärischen Neuausrichtung der deutschen Politik nach dem 11. September verwendet. Die Rede vom ›Ernstfall‹ spielt dabei auf den Einsatz der Bundeswehr an, der – wie suggeriert wird – unmittelbar bevorstehe. Gleich zu Beginn des Artikels heißt es, Schröder sei dabei, Adenauers Politik der Wiederbewaffnung mit dem Ziel, »die Bundesrepublik in die westliche Gemeinsaft zurückzuführen«, erfolgreich zu »vollenden« (ebd.). Die historische Analogie zur Politik Adenauers erfüllt dabei eine deutlich legitimierende Funktion, ähnlich wie auch der Verweis auf ›ausländische Stimmen‹, die den Wandel der deutschen Rolle in der Welt begrüßten: »Schon einen Tag vor der Kanzler-Erklärung hatte das Kabinett den Einsatz ›Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte‹ beschlossen. Und die Welt war nicht entsetzt, sondern reagierte erleichtert. ›Der Krieg hat Schröder geholfen, Deutschland wieder normal zu machen‹, lobte das ›Wall Street Journal‹.« (Ebd.: 24)
Die sich abzeichnende Vollendung der ›Normalisierung‹ der deutschen Außenpolitik wird dabei als Schröders Verdienst gedeutet und eindeutig positiv bewertet: als ein »Schritt in die erste Reihe« (Spiegel 42/2001: 22, Überschrift) der Weltpolitik. Die oft verwandte Metapher des Erwachsenwerdens als Überwindung eines infantilen Stadiums und Eintritt in den ›harten Ernst des Lebens‹, oft gekoppelt mit
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den Begrifflichkeiten ›(internationale) Verantwortung‹, ›Realität‹ und ›Reife‹, bezieht sich dabei nicht nur auf eine konkrete Beteiligung der Bundeswehr am Krieg in Afghanistan, sondern vielmehr generell auf eine (Re-)Militarisierung der deutschen Außenpolitik, verbunden mit einer Ausweitung der Einsatzbereiche und Aufgabenfelder der Bundeswehr. »Das neue Deutschland ist ein europäischer Staat, der für sich kaum noch Sonderrechte und Rücksichtnahmen reklamieren kann. ›Entscheidungsspielräume‹, sich aus internationalen Großkrisen herauszuhalten, gebe es nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr, erklärt ein Regierungs-Insider. Das sei der ›Preis des Erwachsenwerdens‹.« (Spiegel 46/2001: 24)
Verbunden mit dem Deutungsmuster ›Erwachsenwerden‹ ist von ›Rechten und Pflichten‹ die Rede, welche die Weltpolitik mit sich bringe, und insbesondere von der Übernahme von ›Verantwortung‹: »›Unwiederbringlich vorbei‹ sei die Phase der ›sekundären Hilfsleistungen‹, Geld und Infrastruktur, mit denen die Deutschen sich bei internationalen Krisen begnügten, erklärte Schröder im Parlament – und läutete damit eine neue Ära deutscher Geschichte ein: ›Nach der Wiederherstellung der staatlichen Einheit Deutschlands und der Wiedererlangung unserer vollen Souveränität haben wir uns in einer neuen Weise der internationalen Verantwortung zu stellen‹.« (Spiegel 42/2001: 23)
Die FAZ fordert nach der Solidaritätsbekundung Schröders, dass Deutschland »der internationalen Verantwortung, die es übernommen hat, gerecht werden« müsse (13.9.01: 16). Das Land könne nicht länger vor den ›Realitäten der Weltpolitik‹ die Augen verschließen und sich der Illusion eines ›schönen und einfachen Lebens‹ hingeben (s.u.). Der »Heimaturlaub von der Weltpolitik« (Spiegel 46/2001: 36) sei demnach endgültig beendet. Dem Deutungsmuster ›Erwachsenwerden‹ folgend, tritt Deutschland aus der kindlichen Phase der ›Unschuld‹ heraus und macht nun den »Schritt […] in die kalte Wirklichkeit des Weltgeschehens« (Spiegel 42/2001: 24) bzw. erfahre die »Härte der Weltpolitik« (FAZ 7.11.01: 1, Überschrift), die ihren unausweichlichen – militärischen – Tribut fordere. »Es kann nicht beides geben: das Deutschland, das Macht entwickelt, um mithandeln zu können, und das Deutschland, das auf Stärke verzichtet, um seine Unschuld pflegen zu können« (FAZ 27.9.01: 1). »Länder wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich, die sich der Kosten ihrer Freiheit und Sicherheit immer bewußt waren und die darüber hinaus ein ungebrochenes Verhältnis zu militärischen Mitteln haben, sind darauf besser vorbereitet als Deutschland, das immer noch ein wenig der Erinnerung nachhängt, wie schön und einfach doch das Leben war, als man sich noch nicht den unbarmherzigen Realitäten der Weltpolitik stellen mußte. Am Hindukusch wird sich zeigen, ob Deutschland schon ihre ganze Härte erträgt.« (FAZ 7.11.01: 1)
Das hier anklingende Deutungsmuster einer ›heilsamen Desillusionierung‹, wie es insbesondere für die FAZ zentral ist, erweckt den Eindruck, dass es sich bei diesem Prozess um einen Erkenntnisfortschritt handelt, der dazu befähigt die Welt wahrzunehmen, wie sie ›wirklich‹ ist. Die sicherheitspolitische Grundeinstellung, dass Deutschland von niemandem bedroht sei, gehört aus Sicht der FAZ zu jenen
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»deutsche[n] Illusionen« (27.9.01: 1, Überschrift), die mit dem 11. September obsolet geworden seien: »Zur Desillusionierung deutscher Politik gehört es derzeit, daß die Apologeten deutscher Entsagung merken, was es heißt, sich lange Zeit aus dem Alltag verantwortungsvoller Machtpolitik verabschiedet zu haben.« (Ebd.)
Analog zum ›Erwachsenwerden‹ der deutschen Politik wird auch Schröder als eine Figur gezeichnet, die als Folge der weltpolitischen Krise in die Rolle des ›erwachsenen‹, ergo Verantwortung übernehmenden Staatsmanns hineingewachsen ist. Das folgende Zitat verdeutlicht, wie die ›Reifung‹ Schröders mit einer Militarisierung der deutschen Außenpolitik verknüpft wird: »Als Neuling und Getriebener auf der Weltbühne begann Schröder zu verstehen, dass international nur der ernsthaft mitreden kann, der auch bereit ist, sich militärisch zu engagieren. Heute nennt der Kanzler diesen Erfahrungsgewinn einen Prozess des Erwachsenwerdens – persönlich und politisch.« (Spiegel 42/2001: 23)
Staatliche Wehrhaftigkeit und militärische Interventionsfähigkeit werden hier als notwendige Eigenschaften ›erwachsener‹ internationaler Akteure herausgestellt. Sie fungieren gleichsam als ›Eintrittskarte‹ in die internationale Politik, garantieren gleichberechtigte Teilhabe und Mitsprache. Zugleich wird aber eine prinzipielle Zurückhaltung gegenüber militärischen und kriegerischen Aktionen, d.h., eine Politik, die Krieg nur als letztes Mittel befürwortet, als typischer Wesenszug der deutschen Gesellschaft gekennzeichnet – ebenfalls begründet mit den aus der NS-Vergangenheit gezogenen ›Lehren‹ – und mit Seitenblick auf die USA als ›zivilisatorisch überlegen‹ markiert: »Die Abneigung der deutschen Gesellschaft gegenüber militärischen Aktionen nach der unheilvollen Vergangenheit begreife er ›als zivilisatorischen Fortschritt‹, sagte Schröder – noch den Golfkrieg hatte er ja ganz persönlich abgelehnt. Und auch wenn er heute dazugelernt habe, sei ihm diese Zurückhaltung allemal lieber als jede Form von Hurra-Patriotismus.« (Spiegel 42/2001: 25) »Schröder ließ keinen Zweifel daran, daß das Militär auch weiterhin nur das Mittel der letzten Wahl in einer Außenpolitik bleiben wird, deren Grundverständnis zutiefst ziviler Natur ist.« (FAZ 12.10.01: 1)
Ein verwandtes Deutungsangebot für Schröders Politik und den dadurch angestoßenen Wandel der Außen- und Sicherheitspolitik lautet ›Tabubruch‹ (vgl. FAZ 7.11.01: 1 und 12.11.01: 1), der wiederum als Konsequenz eines individuellen und politischen ›Lernprozesses‹ interpretiert wird. Das folgende Zitat zeigt pointiert die Verknüpfung der Deutungsmuster ›Tabubruch‹ und ›Lernprozess‹: »Die Auseinandersetzungen um die deutsche Rolle in Mazedonien benutzte er [Schröder, A.N.] als Vehikel, um diesen Lernprozess auf die Koalitionsparteien und auf die Deutschen zu übertragen. Schröder: ›Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt von der Tabuisierung des Militärischen in der Politik über das Kosovo, über Mazedonien I und II bis heute‹.« (Spiegel 42/2001: 23)
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Schröder avanciert insbesondere in der FAZ zum Vorreiter für die Nation, speziell aber auch für die von ihm geführte Koalition. So wird bezüglich der »Enttabuisierung« des Krieges mit Bedauern konstatiert, dass in den Koalitionsparteien »längst noch nicht alle den Paradigmenwechsel so verinnerlicht haben wie der Kanzler und sein Außenminister« (7.11.01: 1); wenngleich an anderer Stelle konstatiert wird, dass der »Lernprozess […] im rot-grünen Lager nicht nur beim Kanzler festzustellen ist« (12.10.01: 1). Die Deutungsmuster ›Erwachsenwerden‹, ›Tabubruch‹, ›Desillusionierung‹ und ›Lernprozess‹ sind allesamt positiv besetzt, d.h., ihnen haftet die Vorstellung einer begrüßenswerten Entwicklung im Sinne von Verbesserung, Erfahrungszugewinn bzw. rationaler Erkenntnis und Fortschritt an. Sie sind somit dazu angetan, eine Militarisierung der deutschen Politik zu befürworten bzw. als politisch sinnvoll und zugleich unausweichlich darzustellen.
2.2 Das Verhältnis Deutschland — USA: nationsübergreifende Solidarität, historisch gewachsene Freundschaft und Differenz Wenn Schröders Solidaritätsversprechen zunächst grundlegend in beiden Medien unterstützt wird, schlägt sich dies auch in einem diskursiven Prozess nieder, der als folgenreiche Grenzziehung zwischen ›innen‹ und ›außen‹ erfasst werden kann: Nach innen werden Deutsche wie Amerikaner_innen gleich (explizit in dem von der FAZ zitierten Satz des SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck »Heute sind wir alle Amerikaner«, 13.9.01: 1); ›außerhalb‹ stehen fortan diejenigen, die sich an die normalisierenden Vorgaben – Gebot der Solidarität, Verbot von Kritik – nicht halten. Auf diese Weise konstituiert sich eine vermeintlich homogene ›westliche Identität‹. So zeichnen FAZ und Spiegel in der unmittelbaren Nähe zu den Ereignissen des 11. September gleichermaßen ein Bild nationsübergreifender Einheit und kollektiver Erschütterung, in dem parteipolitische und sonstige Differenzen sowie kritische Stimmen gegenüber der ›uneingeschränkten Solidarität‹ offensichtlich fehl am Platze sind. Innehalten, Zweifel an der Notwendigkeit eines sicherheitspolitischen Kurswechsels oder Ablehnung militärischer Aktionen werden als ›Ängstlichkeit‹, ›Zögerlichkeit‹ oder ›Unsicherheit‹ aus dem Handlungsrepertoire der politischen Entscheidungsträger_innen ausgeschlossen und damit das ›Sagbarkeitsfeld‹ begrenzt. Der allererste Spiegel-Artikel nach den Anschlägen, der sich speziell mit den deutschen Reaktionen auf den 11. September beschäftigt, trägt die Überschrift »Wir sind eine Welt« (38/2001: 32). Der Artikel beschwört eingehend eine gemeinsame ›westliche‹ Identität von Deutschland und den USA und macht deutlich, dass Deutschland nicht nur aus der Ferne mitfühlt, sondern als Teil der ›zivilisierten‹ Wertegemeinschaft im übertragenen Sinne auch von den Anschlägen getroffen ist. Wiederholt wird Schröders Aussage, dass es sich bei den Anschlägen um eine »Kriegserklärung gegen uns alle« bzw. »gegen die gesamte zivilisierte Welt« (ebd.) handle, im Text aufgegriffen und als Deutungsvorgabe affirmativ übernommen. Ebenso wiederholt die FAZ unablässig die geteilte Erfahrung von Schock, Trauer und Fassungslosigkeit in Bezug auf die Anschläge, wodurch die ›kulturelle‹ Ähnlichkeit und freundschaftliche Verbundenheit der beiden Nationen, Deutschland und USA, unterstrichen wird und sich zum Bild einer homogenen ›westlichen freien Welt‹ verdichtet, in der nun alle (gefühlte) Amerikaner_innen sind: »Europa wusste in diesem Moment, dass es, als Teil der westlichen Wertegemeinschaft, selbst getroffen worden war.« (13.9.01: 16)
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Unterschiedlich sind jedoch die politischen Konsequenzen, die daraus abgeleitet werden. So hebt zwar auch der Spiegel die emotionale Nähe zwischen Deutschland/ Europa und den USA in Anbetracht der Ereignisse hervor, stellt aber im Weiteren v.a. die Differenzen zwischen der deutschen/europäischen und US-amerikanischen Politik in den Vordergrund: »Die Amerikaner, so lautete – einvernehmlich – die spontane Einschätzung, würden entsprechend ihrem Selbstverständnis als wehrhafter Weltmacht den Angriff auf ihre nationale Würde am liebsten mit einem harten militärischen Gegenschlag beantworten. […] Nach deutschem Verständnis wird massive militärische Vergeltung nur neue verbrannte Erde schaffen.« (38/2001: 33f)
Besorgnis äußert der Spiegel besonders dann, wenn ›Solidarität‹ nicht bloß auf emotionales Mitgefühl und ›kulturelle‹ Verbundenheit zielt, sondern auch eine praktische – militärische – Solidarisierung einschließt. Schröders Absichtserklärung wird dementsprechend als Auslöser einer politischen Zwangslage für Deutschland gedeutet, die – wie schon im Kosovokrieg – nur zwei Handlungsoptionen zulasse: »an der Seite der Amerikaner und des Nato-Bündnisses einen Krieg zu befürworten oder sich im Bündnis zu isolieren« (ebd.). Wenngleich der Spiegel resümiert, dass ein »Ausscheren aus der Allianz des Westens« einem »unverantwortlichen Ausstieg der Deutschen aus der Geschichte« (ebd.) gleichkomme, enthält er sich hier wie so oft einer klaren Positionierung, wodurch die ›uneingeschränkten Solidarität‹ letztlich alternativlos bleibt. »Das Dilemma der Europäer: Sie möchten nicht vom US-Präsidenten aus Texas in einen Krieg hineingezogen werden. Zugleich aber wollen sie nicht den Zusammenhalt und letztlich den Bestand des Nordatlantikpaktes gefährden.« (Ebd.: 21)
Anstelle einer expliziten Anti-Kriegs-Position ist im Spiegel auffallend häufig die Rede von einer spezifisch deutschen ›Kriegsangst‹ – ein wichtiger Diskursstrang, der v.a. im Zusammenhang mit der Figur Schröder und dem Diktum der ›uneingeschränkten Solidarität‹ aufgegriffen wird, in der FAZ hingegen kaum eine Rolle spielt (vgl. Kap. IV.2.3). ›Kriegsangst‹ wird im Spiegel häufig synonym für eine – als spezifisch deutsch markierte – kriegskritische Haltung verwendet, die in der Berichterstattung jedoch primär als Amerika-kritische Haltung ihren Ausdruck findet. Während die USA gemäß ihrem Selbstverständnis als stolze, wehrhafte Nation ein ungebrochenes Verhältnis zu Militär und Krieg hätten, sei das deutsche Selbstverständnis von Zurückhaltung und ›Kriegsangst‹ geprägt: Solidarität Ja, aber keine überzogene, brutale Rache, so der Tenor im Spiegel. »›Wir sind eine Welt‹ [Überschrift]. Der Kanzler malte sorgfältig und für die Kameras gut sichtbar seine Botschaft in das Kondolenzbuch vor der US-Botschaft in Berlin: In unendlicher Trauer. In Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Hinter Gerhard Schröder, der einen Tag nach den Terrorattacken auf New York ein Zeichen setzten wollte, hing zwischen zwei Laternenmasten ein zerschlissenes Transparent: ›No revenge please. No world war 3‹.« (38/2001: 32)
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Zur Begründung der ›Kriegsangst‹ bzw. der vermeintlich prinzipiell ablehnenden Einstellung der Deutschen zum Krieg dient im Spiegel auch der Verweis auf den Zweiten Weltkrieg: Die »Abneigung der deutschen Gesellschaft gegenüber militärischen Aktionen« resultiere aus der »unheilvollen Vergangenheit« (42/2001: 25). »Sie haben Angst. ›Es sind insbesondere jene älteren Menschen, die noch persönlich die Grauen des Zweiten Weltkrieges erlebt haben‹, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder im Berliner Parlament, ›aber auch die ganz jungen.‹« (39/2001: 35)
In der Berichterstattung der FAZ verhält es sich umgekehrt: Der Zweite Weltkrieg dient als historischer Bezugspunkt, aus dem eine tiefe Dankbarkeit und ›Bringschuld‹ für Deutschland als notwendige Konsequenz gegenüber den ehemaligen Alliierten abgeleitet werden. Der 11. September wird entsprechend als Möglichkeit gedeutet, den USA nun die ›volle‹ (= militärische) Solidarität zurückzugeben. Zudem wird in der FAZ durch zahlreiche Metaphern und Anspielungen, die Assoziationen an den Zweiten Weltkrieg wecken, unterschwellig eine besondere emotionale Verbundenheit zwischen Deutschland und den USA konstruiert, die aus einer vermeintlich gemeinsamen Erfahrung von Krieg und Leid resultiere. Explizit werden die Angriffe in New York und Washington beispielsweise mit den Bombennächten des Zweiten Weltkriegs verglichen. Vor allem die älteren Menschen in Deutschland fühlten sich beim Anblick der Bilder des zerstörten World Trade Centers an den Einsturz der Dresdner Frauenkirche erinnert (15.9.01: 52), »die zwei Tage über den rauchenden Trümmern Dresdens stand, ehe sie ›fast lautlos‹, wie Augenzeugen beteuerten, in einer riesigen Staubwolke in sich zusammensank« (13.9.01). Die Terroranschläge seien das »neueste Glied in einer langen Kette von Greueln und Massakern«, die »das Antlitz der Erde entstellt« hätten (14.9.01: 49), wozu die FAZ die Judenvernichtung, Hiroshima und Dresden zählt. Über eine Verallgemeinerung der Kriegserfahrung, mittels der die fundamentalen Unterschiede zwischen diesen Ereignissen verwischt und Deutsche wie Amerikaner_innen zu Leidtragenden von ›Krieg und Gewalt‹ werden, wird die Deutung einer tiefen historischen Verbundenheit zwischen Deutschland und den USA bekräftigt. Mit dem Begriff der »Schicksalsgemeinschaft« (14.9.01: 1) bringt die FAZ schließlich das Deutungsmuster einer untrennbaren, auf gemeinsamen ›kulturellen Wurzeln‹ beruhenden Bande zwischen Deutschland und Amerika auf den Punkt. Die unterschiedliche Bewertung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses in FAZ und Spiegel korrespondiert mit zwei unterschiedlichen Modellen von ›Freundschaft‹, die auf die transatlantischen Beziehungen übertragen werden. Die FAZ verfolgt das Ideal einer Freundschaft von ›gleichwertigen Partnern‹, das auf einem Gleichgewicht von Geben und Nehmen beruht und Solidarität auch als Verpflichtung versteht. In der Rahmung der FAZ ist Deutschland bislang immer als ›Nutznießer‹ und Empfänger von Solidarität aufgetreten und ist deshalb in der moralischen Pflicht, die empfangene Hilfe und Solidarität nun auch zurückzugeben: »Nun hat die Bundesregierung sich entschlossen, Amerika im Kampf gegen den Terrorismus zu unterstützen – in Afghanistan und andernorts. Das entspricht nicht nur der Dankesschuld für den Schutz, den Amerika Deutschland in den Jahrzehnten sowjetischer Bedrohung zuteil werden ließ, sondern ebenso dem deutschen Interesse, sich als ein verläßlicher Verbündeter
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN zu erweisen und – anders als im zweiten Golfkrieg vor zehn Jahren – selbst zu den Waffen zu greifen.« (12.11.01: 1)
Freundschaft, Bündnis und Zusammenhalt werden zudem als Ausweg und Lösung aus der Krise propagiert, wobei die beiden Partner in Bezug auf Kultur und Wertvorstellungen als prinzipiell ›wesensgleich‹ konzipiert werden: »Der tragende Grund dieser Gemeinschaft sind die gemeinsamen kulturellen Wurzeln und Prägungen, die weit wichtiger sind als alles, was Europa und Amerika unterscheidet. Wenn die Greueltaten der letzten Tage das Bewußtsein hierfür schärfen, wenn sie in Amerika und Europa die Wertschätzung für das transatlantische Bündnis steigern und zu der Erkenntnis beitragen, daß die Anrainer auf beiden Seiten des Nordatlantiks sich in einer rasch verändernden Welt nur dann behaupten können, wenn sie füreinander einstehen, dann ist dies ein Lichtschimmer in der Dunkelheit von Tod und Zerstörung.« (14.9.01: 1)
Das Deutungsmuster wechselseitiger Solidarität bzw. einer Freundschaft auf gleicher Augenhöhe stellt eine zentrale und wirkmächtige Legitimationsfigur dar: Es appelliert an eine soziale Grundnorm, das »Prinzip der Reziprozität« (Schwab-Trapp 2002: 117). Dem Prinzip des gegenseitigen ›Füreinander-da-Seins‹ kann sich niemand ohne weiteres entziehen. Denn ähnlich wie es sich auch mit dem Grundwert ›Sicherheit‹ verhält, sind gegenseitige Freundschaft, Solidarität und Hilfsbereitschaft etwas, das man nur schwerlich nicht wollen kann; das Nein zur ›uneingeschränkten Solidarität‹ wird in diesem diskursiven Kontext begründungspflichtig (vgl. zu einer ähnlichen Argumentationslogik im Kosovokrieg Schwab-Trapp 2002: 117ff), da es als ein ›Ausnutzen‹ des Partners bzw. ›Verrat‹ an der Freundschaft interpretiert werden kann. Entsprechend diesem Deutungsmuster befürchtet die FAZ, dass sich Deutschland der Freundschaft als ›unwürdig‹ erweisen könnte, wenn es sein Solidaritätsversprechen nicht einhält: »Mitten in diese spannungsgeladene Zeit hinein züngeln jenseits des Atlantiks Zweifel an der Verläßlichkeit Deutschlands, freilich nicht in dem Sinne, daß wir keine guten Freunde wären, sondern in dem nicht minder brisanten Sinne, daß wir nicht allzu fähige Freunde sein könnten.« (2.10.01: 1)
Auch im Spiegel findet sich das Ideal einer ausgewogenen Partnerschaft zwischen Europa/Deutschland und den USA, in der beide Seiten einander verpflichtet seien. »Präsident George W. Bush äußerte sich zufrieden über die Bereitschaft der Europäer zum militärischen Einsatz und bekräftigte: ›Ein Partner muss auch etwas leisten.‹« (42/2001: 24).
Partnerschaft und Zusammengehörigkeit wird dabei auch über die Nähe und Ähnlichkeit der Staatsmänner Schröder und Bush inszeniert, eindringlich etwa mit einem Foto, das die Übereinstimmung der (Männer-)Freunde bis hin zur identischen Gestik visualisiert (vgl. Abb. 3):
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Abbildung 3: Der Spiegel, Heft 42/2001, Seite 22
Im Wesentlichen wird das Deutungsmuster ›Freundschaft‹ jedoch anders konzipiert: Die unbedingte Treue, die in der FAZ gefordert wird, erscheint im Spiegel potentiell als ›blinder Kadavergehorsam‹. Propagiert wird stattdessen die ›Achtung vor den Unterschieden‹ sowie die Notwendigkeit gegenseitiger Kritik – die konkret allerdings stets als Kritik an den USA erscheint. So bedeute der NATO-Bündnisfall zwar eine »Verpflichtung«, aber Solidarität sei eben nicht das Gleiche wie eine »Gesinnungsgemeinschaft«, wie der Spiegel betont (46/2001: 24). »Uneingeschränkte Solidarität« bedeute nicht, »zu allem Ja und Amen« zu sagen, heißt es an anderer Stelle (40/2001: 24). Entworfen wird ein Bild von Europa als einem politisch-moralischen Gegengewicht zu den USA, das mit seiner Kritik an den USA nicht hinter dem Berg hält und das durch ein eigenes starkes Profil zu einer Eindämmung der US-Hegemonie beitragen soll. Nach diesem Modell verletzen die USA die Freundschaftsregeln, wenn sie von ihren Partnern ›blinden Gehorsam‹ und ›bedingungslose Solidarität‹ einfordern: »Vor der Uno macht Bush unmissverständlich klar, dass er nun v.a. eines erwartet: treue Gefolgschaft. ›Wer nicht für uns ist, der ist gegen uns‹« (53/2001: 36). Voll Anerkennung zeigt der Spiegel Schröder dementsprechend als mutigen Kritiker, der den USA und Bush bei aller Solidarität auch Paroli bietet – indem er der Beteiligung an ›Abenteuern‹ (vgl. Kap. IV.2.4) ebenso wie einem ›Hurra-Patriotismus‹ eine Absage erteilt. »Selbstbewusstsein gegenüber den USA« (46/2001: 31) wird als eine positive Eigenschaft hervorgehoben ebenso wie kritische Distanz und Eigenständigkeit: »Das Verhalten der USA soll nicht länger bloß abgenickt werden« (46/2001: 31), werden Schröders (und Fischers) Absichten wohlwollend wiedergegeben.
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2.3 Emotionalität, Verständnis und Überzeugungskraft — Anführer einer (kriegs-)verängstigten Nation In den ersten Tagen nach dem 11. September heben beide Medien auf die starke Emotionalität der Politik ab. Schröder wird dabei wie Bush von einer persönlichen, ›menschlichen‹ Seite gezeigt, als jemand, der wie Millionen anderer Menschen von den Ereignissen zutiefst bewegt und schockiert ist. Die wiederholt in Szene gesetzten individuellen und kollektiven Gefühlslagen besitzen offenbar überall und ungeteilt Gültigkeit, ungeachtet aller politischen Differenzen – und umreißen so das Spektrum der als angemessen erachteten Reaktionen: »Was im ganzen Land folgte, war eine Welle von Schock, Trauer und Mitgefühl, die Menschen über alle Parteien und Weltanschauungen hinweg zusammenrücken ließ. […] Im ganzen Land wehten Fahnen auf Halbmast, läuteten Kirchenglocken, legten Menschen Blumen nieder und fanden sich zu Gedenkgottesdiensten zusammen.« (Spiegel 38/2001: 33)
Schröder wird als mitfühlender Politiker charakterisiert, der »das Unfassbare nicht viel anders erfahren [hatte] als Millionen anderer Bürger« (ebd.) und entsprechend nicht anders fühle als sie. Schröder wird damit zum Teil der ›normalen‹ Bevölkerung, die durchweg als tief betroffen und entsetzt dargestellt wird. Anders als bei der medialen Inszenierung des US-Präsidenten tauchen Zögerlichkeit, Ratlosigkeit oder Unsicherheit in der Darstellung Schröders allerdings an keiner Stelle auf, vielmehr habe Schröder mit seiner Solidaritätserklärung »prompt« und »mit Nachdruck« (ebd.) reagiert. Während, wie der Spiegel betont, das »politische Alltagsgeschäft« ausgelöst durch die schockierenden Ereignisse zum »Stillstand« (ebd.) gekommen sei, wird Schröder als entschlossener ›Macher‹ präsentiert, der seine Gefühle zu beherrschen vermag, der den Überblick behält und weiß, was zu tun ist. Im Folgenden soll das bereits angesprochene Deutungsmuster der ›deutschen Kriegsangst‹ ins Auge gefasst werden, das sich zwar in der FAZ nicht findet, das aber im Spiegel eine wichtige argumentative Funktion erfüllt: Der Spiegel erweitert die Kette der Kollektiv-Emotionen – Trauer, Schock und Entsetzen – um das bedeutsame Glied der Angst vor Krieg und (US-amerikanischer) Rache. ›Kriegsangst‹ wird als ein typisch deutscher Wesenszug konstruiert, der sich fundamental von dem USamerikanischen Selbstverständnis unterscheidet – und der bisweilen die Erfahrung von Trauer und Schock bei weitem zu übersteigen scheint. Wiederholt beschwört der Spiegel die akute Gefahr, von den USA in einen »dritten Weltkrieg« (39/2001: 156) hineingezogen zu werden: »Trauer, Entsetzen und Angst vor Rache und Krieg lagen dicht beieinander an diesem Mittwoch [dem 12. September, A.N.] in Berlin. Die schweigend vor den Absperrungen stehenden Menschen schienen zu ahnen, dass die mörderischen Terroranschläge in den USA auch ihr eigenes Land mit in einen veritablen Krieg ziehen könnten.« (38/2001: 32)
Das Verhältnis zur vermeintlich zutiefst verunsicherten und von (Kriegs-)Angst geprägten deutschen Bevölkerung spielt eine wichtige Rolle bei der Charakterisierung Schröders und der Bewertung seiner Politik – wie von Bush werden auch vom Bundeskanzler in der Krise ›soziale‹ oder ›therapeutische Kompetenzen‹ erwartet (vgl. Kap. IV.1.3). Der Spiegel betont wiederholt die Popularität und das große Vertrauen,
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das der Kanzler in der deutschen Öffentlichkeit genieße, und rückt ihn damit in ein positives Licht. Schröder wird in der Rolle des väterlich-mitfühlenden ›Trösters‹ präsentiert, dem es überzeugend gelingt, zum Ausdruck zu bringen, was die Nation denke und fühle, und Sicherheit zu vermitteln:7 »Schröder ist immer schon ein Mann gewesen, der in Krisen wuchs. Jetzt trägt ihn ein Vertrauen, das selbst seinen engsten Gefolgsleuten ›fast unheimlich‹ ist, wie es ein SPD-Parlamentarier ausdrückt.« (39/2001: 36)
Schröders Anerkennung und Rückhalt in der Bevölkerung resultieren dabei nicht aus einem autoritären Führungsstil, sondern aus Überzeugungskraft und ›persönlichem‹ Verständnis für ihre Sorgen und Ängste. Besonders für die permanent beschworene ›Kriegsangst‹ der Deutschen zeige Schröder Offenheit und Mitgefühl: Laut Spiegel sei auch der deutsche Bundeskanzler überaus besorgt, dass die USA mit einem unverhältnismäßigen Rachefeldzug auf die Anschläge antworten könnten: »Auch Schröder verhehlte gegenüber Vertrauten seine Besorgnis nicht, ›dass der Bush jetzt irgendetwas in Gang setzt, was uns alle mit in den Schlamassel hineinzieht‹, berichtet ein Kanzler-Intimus.« (38/2001: 34) »In einer Mischung aus Entschlossenheit und Verständnis für die Zweifel bemüht sich der Kanzler, das Wahlvolk so breit wie möglich hinter sich zu versammeln.« (42/2001: 25)
Trotz allem Verständnis für die Ängste und Sorgen der Bevölkerung verliere Schröder (und mit ihm Fischer) seine politischen Ziele niemals aus den Augen. So fällt es der Berichterstattung des Spiegels zufolge ebenso in den erklärten Aufgabenbereich der Bundesregierung, die Bevölkerung von der ›uneingeschränkten Solidarität‹ mit den USA – und eventuellen Militärinterventionen – zu überzeugen. »Die Regierungskoalition versucht, den Deutschen die Angst vor Krieg zu nehmen« (39/2001: 35), heißt es in einer Überschrift. Bei aller Einfühlsamkeit weiß Schröder demnach besser als die ›einfache Bevölkerung‹, was richtig ist. Um die Bevölkerung von der Notwendigkeit eines Krieges zu überzeugen, setze Schröder insbesondere auf argumentative Überzeugungskraft: Schröder werde gerade »mit den Menschen, die sich einer solchen Entwicklung noch verweigern wollen, […] die Diskussion aufnehmen« (42/2001: 25). Insofern die hier gemeinte ›Entwicklung‹ – die Remilitarisierung der Außenpolitik – als bedeutende Lehre aus der Vergangenheit interpretiert wird, wird Kritik als ›Verweigerungshaltung‹ bezeichnet, wobei die Wortwahl eine verantwortungslose ›Sturheit‹ gegenüber rationalen Erwägungen und zivilisatorischen Einsichten suggeriert. Schröder wird hier als moralisch unabhängiger, unbeirrbarer Politiker charakterisiert, der dem Typus des ›charismatischen Führers‹ entspricht (vgl. Kap. IV.1.4). Der Spiegel stellt die ›Überzeugungsarbeit‹ von Schröder und Fischer zunächst als gelungen heraus, so seien Politik und Bevölkerung von der Notwendigkeit einer
7 | Diese wird durch den Rekurs auf Umfragewerte eindrucksvoll belegt: »Fast drei Viertel (71 Prozent) der Deutschen befürworten eine Politik der ›uneingeschränkten Solidarität‹ mit den USA. Nur 23 Prozent sind nach einer aktuellen SPIEGEL-Umfrage von Infratest dagegen.« (41/2001: 19)
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deutschen militärischen Beteiligung am ›Kampf gegen den Terrorismus‹ mehrheitlich überzeugt: »Einstweilen zahlt sich die Führungsarbeit der Staatsmänner Schröder und Fischer aus. Ihr persönliches Ansehen stieg im Verlauf des Septembers, so eine Umfrage vom vergangenen Freitag, deutlich. Noch überraschender wirkt der Anstieg der Zustimmung für die deutsche Beteiligung an weltweiten Militäreinsätzen. 65 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus. Selbst bei SPD- und Grünen-Anhängern gibt es nach dieser Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen klare Mehrheiten für ein deutsches militärisches Engagement.« (42/2001: 25)
Während die deutsche Bevölkerung in den beiden Wochen nach dem 11. September noch als prinzipiell kriegsfern und -ängstlich dargestellt wurde, rückt das Thema ›Kriegsangst‹ im Verlauf des Oktobers deutlich in den Hintergrund.
2.4 »Risiko Ja, Abenteuer Nein« — Stratege der neuen deutschen Außenpolitik Zur Konstituierung und Legitimierung einer neuen ›deutschen Identität‹ unter militärischen Vorzeichen in einer Welt nach dem 11. September greifen Spiegel und FAZ wiederholt auf die Unterscheidung zwischen ›Abenteuer‹ und ›Risiko‹ zurück, ohne dass diese Begriffe jemals näher definiert würden. »Risiko Ja – Abenteuer Nein« (Spiegel 39/2001: 37) wird als Maxime für die deutsche Außenpolitik etabliert, was insbesondere in der Darstellung des Spiegels eine deutliche Abgrenzung zu den USA impliziert. Der proklamierte Leitsatz geht zurück auf eine Äußerung Schröders im Bundestag: »Zu Risiken, auch im Militärischen, ist Deutschland bereit. Zu Abenteuern nicht« (FAZ 20.9.01: 4). Der Begriff Abenteuer findet in beiden Medien Verwendung, um ein militärisches Vorgehen als maßloses und unkontrollierbares Unterfangen mit hohen Opferzahlen und ungewissem Ausgang zu markieren und damit einen aus deutscher Sicht ›inakzeptablen‹ Handlungsrahmen abzustecken. Dabei wird im Spiegel eine ›abenteuerliche‹ Vorgehensweise – analog zum Bild des US-Präsidenten als ›Cowboy‹ – eindeutig und ausschließlich mit den USA identifiziert: »Angst vor einem Abenteuer [Überschrift]. Bestimmt war die Diskussion der Staatenlenker vielmehr wiederum, wie in der Woche zuvor, von der Angst, durch die Amerikaner in ein Kriegsabenteuer mit unabsehbaren Konsequenzen, ja in einen dritten Weltkrieg hineingezogen zu werden.« (39/2001: 156) »Ein brutaler Gegenschlag, vermutlich ein US-Angriff auf den Irak, den die Europäer ohnehin schon befürchten, wäre dann unausweichlich. […] Für Kanzler Schröder wäre dann die Grenze zwischen Risiko und Abenteuer überschritten.« (45/2001: 23) »Schröders Manöver: kühle Strategie, kein Abenteuer. Ein Abenteuer dagegen sind die Pläne der USA in Sachen ›Terrorismusbekämpfung‹.« (47/2001: 24)
Die positive Besetzung des Risikobegriffs resultiert aus der bipolaren Gegenüberstellung zum Abenteuerbegriff. Während ›Abenteuer‹ für Krieg, ausufernde Gewalt, Irrationalität und Unberechenbarkeit steht, steht ›Risiko‹ für Rationalität und Sachlichkeit, konkret für ein besonnenes, maßvolles bzw. auf Afghanistan beschränktes, in der Gewaltausübung kontrolliertes Handeln – und damit für einen vermeintlich
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unblutigen Krieg mit einem Minimum an Gewalteinsatz, Verwundeten und Todesopfern. Der Begriff des ›Risikos‹ steckt so den Rahmen der als ›legitim‹ und ›rational‹ erachteten deutschen Handlungsoptionen ab. Die Rede von (militärischer) ›Risikobereitschaft‹ kommt damit einem Euphemismus gleich, dethematisiert sie doch die realen Auswirkungen, Gewalt, Tod und Leid, eines jeden Krieges. Es entsteht der problematische Eindruck, es gäbe einen ›nicht-abenteuerlichen‹, begrenzten und damit ›guten‹ Krieg. Die FAZ verwendet den Begriff des Risikos sehr viel eindeutiger als der Spiegel in einem affirmativen Sinne und stellt unmissverständlich klar, dass zu einer neuen deutschen Politik der ›uneingeschränkten Solidarität‹ auch die aktive und bereitwillige Übernahme militärischer Risiken gehöre: Sich »im ruhigen Windschatten außerhalb der Risikozonen« aufzuhalten, stelle demnach für Deutschland keine Option mehr dar und habe etwas »Unanständiges, Taktloses an sich« (2.10.01: 1). Nur wer zu militärischen Risiken bereit ist – so der Tenor der FAZ –, kann auch gewinnen, nämlich internationale Anerkennung und Mitbestimmungsrecht: »Wer sich, ausgerechnet mit dem Anspruch auf Mitwirkung und Einflußmöglichkeit, in die Kontinuität der Verzichts- und Unschuldshaltung vergangener Jahrzehnte stellt, scheut nicht Abenteuer, sondern Risiken.« (27.9.01: 1)
Als Grund für die Unvermeidlichkeit ›militärischer Stärke‹ – hier verhandelt unter dem Schlagwort ›Risikobereitschaft‹ – wird wiederholt die aktuelle sicherheitspolitische Bedrohungslage durch den ›internationalen Terrorismus‹ angeführt. Aus den Ereignissen des 11. September resultiere die radikale Einsicht, dass man bestimmte Risiken eingehen müsse, um noch größere zu vermeiden (FAZ 20.9.01: 1). »Bundeskanzler Schröder hat […] die Bürger darauf vorbereitet, womit sie zu rechnen haben: ›Zu Risiken, auch im Militärischen, ist Deutschland bereit.‹ Der Nachsatz ›zu Abenteuern nicht‹ widerlegt die Risikobereitschaft nicht, sondern hebt die Entschlossenheit nur noch stärker hervor. Welch ein Wandel in der Sicherheits- und Militärdoktrin der Bundesrepublik Deutschland; bis vor wenigen Wochen war die Eigensicherung aller deutschen Truppen die Maxime bei Auslandseinsätzen. Jetzt nimmt der Bundeskanzler Risiken nicht nur in Kauf, sondern erklärt die Bereitschaft, diese bewußt einzugehen […]. Dafür gibt es nur eine Rechtfertigung: Er fürchtet noch größere Risiken und will sie rechtzeitig abwehren.« (Ebd.)
Im Spiegel wird ›militärische Risikobereitschaft‹ weit weniger offensiv propagiert als in der FAZ und eher als ein unliebsamer, aber nicht zu vermeidender Bestandteil der ›neuen deutschen Identität‹ dargestellt. Die Unterscheidung zwischen ›Risiko‹ und ›Abenteuer‹ erfüllt im Spiegel primär die Funktion, eine grundlegende Differenz zwischen der US-amerikanischen und der deutschen Außenpolitik zu zementieren. Im Kontrast zum irrationalen ›Cowboy-Präsidenten‹ Bush steht Schröder für sachliche Rationalität, Weitsicht und moralische wie intellektuelle Überlegenheit. Während militärische Stärke und aggressive Kriegsführung im Spiegel als besondere Wesenszüge der US-amerikanischen Politik präsentiert werden, gelten sie dem deutschen politischen Selbstverständnis als fremd; die aktuelle Bereitschaft zu militärischer ›Risikoübernahme‹ resultiere vielmehr aus nüchtern erfassten Notwendigkeiten – und nicht aus einer ›Abenteuerlust‹ am Krieg.
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2.5 »Moral statt Machiavelli« — Moralische Überlegenheit und Wertegebunden heit deutscher Politik Ein weiteres Repräsentationsmuster, das sich in Bezug auf die Charakterisierung des Aktanten Schröder sowie der deutschen Außenpolitik insgesamt beobachten lässt, ist die Verknüpfung mit dem Diskursstrang ›Moral‹ und ›Wertegebundenheit‹. Besonders im Spiegel wird wiederholt die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik an ethisch-moralischen Prinzipien betont. Im Unterschied zur ›Cowboy-Nation‹ USA wird Deutschland außer mit strategischer Risikokalkulation und Zurückhaltung v.a. mit humanistischen Werten assoziiert. Nicht ein militärisch verfochtener Weltmachtsanspruch (wie den USA unterstellt), sondern Werte wie Demokratie, Toleranz, freie Meinungsäußerung, Menschenrechte und freundschaftliche Solidarität seien es, die aus der Sicht des Spiegels die Grundlage für das deutsche außenpolitische Handeln bilden, wie es z.B. in der Überschrift »Moral statt Machiavelli« (40/2001: 164) zum Ausdruck kommt. Analog zu der Polarisierung von ›Risiko‹ und ›Abenteuer‹ steht Schröder in der Wahrnehmung des Spiegels für Intellekt und Moral – und nicht für Kampf und Krieg. Schröder wolle im globalen Kampf gegen den Terrorismus »Macht und Geist zusammenbringen« (47/2001: 224). Parallel dazu dominiert die Angst, eine zu starke Orientierung an der Politik der USA könne die deutschen politischen Grundwerte gefährden: »Der Ausgang des Afghanistan-Abenteuers: ungewiss. Die moralische Überlegenheit, basierend auf unserem Verständnis von Menschenrechten: dabei, verspielt zu werden.« (49/2001: 172)
Auch die FAZ stellt die vermeintliche Wertegebundenheit als typisch für die deutsch-europäischen Außenpolitik positiv heraus und zeigt Schröder als moralisch abwägenden Politiker, der für Demokratie, Toleranz und Gerechtigkeit eintritt. Sie hebt jedoch mehr darauf ab, dass sich die proklamierten Werte als zentraler Mobilisierungsfaktor erweisen und von Schröder strategisch instrumentalisiert werden: »Mit der Versicherung, die Bundesregierung sei bereit, Risiken zu tragen, nicht aber ›Abenteuer‹ einzugehen, gelang es Schröder, die eigenen Reihen zu festigen. ›Die Werte der Menschenwürde, der freiheitlichen Demokratie und der Toleranz sind unsere große Stärke im Kampf gegen den Terrorismus‹ war die Formel, mit der er Koalition und Opposition zusammenzubinden suchte.« (20.9.01: 14)
In Abgrenzung zu den USA konstituiert sich die politische Identität Deutschlands als defensiv und prinzipiell kriegsfern. Kennzeichnend für die ›zutiefst zivile‹ deutsche Politik sei die Einsicht, dass Krieg immer nur als ›letztes Mittel‹ fungieren dürfe: »Deutschland betrachtet den Krieg als letztes, aber legitimes Mittel der Politik« (FAZ 7.11.01: 1). Anstelle eines offensiven militärischen Engagements werden folgende deutschen »Sekundärtugenden« beworben: »Pflicht. Verlässlichkeit. Gemeinsames Handeln« (FAZ 20.9.01: 14). Nicht Kriegslüsternheit, Patriotismus und das Machtstreben einer Nation werden zum Movens des politischen Handelns erklärt, sondern die multilaterale, scheinbar selbstlose und an Machtinteressen nicht interessierte ›Hilfestellung‹ – eine Art ›Freundschaftsdienst‹ – der Europäischen Union im gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus.
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Das Ziel bzw. den politischen Gewinn einer solchermaßen strategisch kalkulierten ›militärischen Risikobereitschaft‹ Deutschlands sieht der Spiegel anders als die FAZ weniger in der Stärkung der ›Wehrfähigkeit‹ des deutschen Staates als darin, die Einflussmöglichkeiten auf die US-amerikanische Politik zu erhöhen. Ein ›erwachsenes Deutschland‹ wird im Spiegel primär als moralisches und politisches »europäisches Gegengewicht« (46/2001: 31) zu den USA imaginiert und die Eigenständigkeit und Besonderheit der deutschen bzw. europäischen Prinzipien betont. Dementsprechend weist der Spiegel im Unterschied zur FAZ unablässig darauf hin, dass Solidarität und Loyalität ihre Grenzen hätten und die USA – wie gezeigt – von Partnern bzw. Freunden keine bloße ›Gefolgschaft‹ erwarten dürften. Als Voraussetzung für die Umsetzung einer als spezifisch deutsch-europäisch deklarierten ›wertegebundenen Außenpolitik‹ wird jedoch auch im Spiegel eine Beteiligung an militärischen Aktionen zur Voraussetzung erhoben: »Wer mitschießt, so ihr [Schröders und Fischers, A.N.] hoffnungsvolles Kalkül, darf auch mitentscheiden« (Spiegel 46/2001: 31). Ungeachtet dessen wird Kritik am Einsatz militärischer Mittel allein an der US-amerikanischen Politik festgemacht.
2.6 »Kampf um die Kultur« — gewissenhafter Zweifler und Verfechter von Diplo matie und Dialog Das Deutungsmuster des aktiv handelnden Staatsmanns Schröder wird im Spiegel um eine entscheidende Facette ergänzt: Der Bundeskanzler tritt als überlegender und abwägender Zweifler auf. So demonstriere Schröder zwar ähnlich wie Bush Unbeirrbarkeit und Härte, um »alle Widerstände innerhalb von Parteien und Fraktionen zu überwinden« (Spiegel 46/2001: 24), doch die Entschlossenheit sei »mit gehörigen Zweifeln gepaart« (ebd.). Um das Deutungsmuster des ›gewissenhaften Zweiflers‹ zu bestärken, wird erneut auf die deutsche Bevölkerung rekurriert und die Einigkeit zwischen Schröder, der überwiegend kriegskritischen ›intellektuellen Elite‹ und dem von Skepsis geprägten ›kleinen Mann auf der Straße‹ betont. Das mediale Bild von Schröder fügt sich ein in die Konstitution der deutschen Nation als emotional bewegt und nachdenklich-kritisch, zudem in Kriegsfragen zurückhaltend und dementsprechend über die internationale Entwicklung und Militarisierung der Politik zutiefst besorgt: »Die Worte des Zupack-Kanzlers und seines Außenministers überdecken nur mühsam die Emotionen, die eigene Unsicherheit der Akteure, in welche Zukunft sie die Deutschen gerade abmarschieren lassen. Auch die, die der Wählerauftrag zum Antworten verpflichtet hat, haben dieselben Fragen wie die Skeptiker im Volk.« (Ebd.) »Doch nicht nur Politiker tun sich schwer mit der neuen Rolle der Bundesrepublik. Von der literarischen Elite bis zum Mann auf der Straße – so recht geheuer ist das militärische Engagement niemandem.« (Ebd.: 29)
Im Gegensatz zu Bush wird Schröder als genuin friedliebender Politiker präsentiert, der eigentlich »einer Generation angehört, der alles Militärische fremd ist« (42/2001: 23). Der Spiegel porträtiert den deutschen Bundeskanzler als jemanden, der die Entscheidung für eine deutsche Kriegsbeteiligung nach reiflicher Überlegung und nur schweren Herzens treffe – was auf ein Höchstmaß an ethischem Bewusstsein und Vernunft schließen lässt. Die Haltung der Bundesregierung zum Krieg wird weniger als politische Entscheidung, sondern als individuelle ›Gewis-
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sensfrage‹ gerahmt, die nur durch sorgfältiges Abwägen und aufgrund moralischer Urteilsfähigkeit entschieden werden könne. Auch in der FAZ ist das Deutungsmuster ›Gewissensprüfung‹ zu finden. Anders als der Spiegel betont die FAZ jedoch, dass die Entscheidung für oder gegen eine militärische Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den Terrorismus keineswegs nur aus dem individuellen Gerechtigkeitsempfinden einzelner Politiker_innen heraus getroffen werden dürfe, sondern vielmehr realpolitischen Erfordernissen folge. Das Handeln der politischen Akteure, so die Forderung der FAZ ganz im Einklang mit der (neo-)realistischen Theorie, müsse sich ›äußeren Zwängen‹ unterordnen und sich stets an den ›staatlichen Interessen‹ – und nicht individuellen Befindlichkeiten – orientieren. »Denn der Einsatz der Bundeswehr ist nicht eine Gewissensfrage der Art, wie sie sich in Sachen Abtreibung stellt, und es geht auch nicht um eine Angelegenheit geschichtspolitischer Natur wie etwa bei der Abstimmung über das Holocaust-Denkmal in Berlin. Die Frage einer militärischen Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den Terrorismus betrifft vielmehr den Kern von Politik und Staat: Wird das Land in einer Krise von einer handlungsfähigen Regierung geführt?« (10.11.01: 1)
FAZ und Spiegel präsentieren Schröder als kritisch-nachdenklichen Politiker, der den Dialog auch mit den Kritiker_innen nicht scheue, sondern ausdrücklich suche. Darüber hinaus sei er an den kulturellen Hintergründen des 11. September bzw. einem grundsätzlichen ›Verstehen‹ der islamischen ›Kultur‹ interessiert: »Viel zu wenig, so Schröders Befund, wisse der Westen über die kulturellen und geschichtlichen Hintergründe, warum sich verblendete junge Menschen freiwillig in Bomben verwandeln« (Spiegel 45/2001: 24). Dementsprechend bemühe man sich in Deutschland v.a. um diplomatische und politischen Lösungen – verbunden mit einer ›kritisch-solidarischen‹ Haltung gegenüber den USA. »Weg von den Waffen, zurück zur Politik«, heißt es programmatisch in einer Überschrift (Spiegel 46/2001: 28). Auch die FAZ geht auf die geforderte ›geistige‹ Auseinandersetzung mit dem Islam als Ergänzung des militärischen Anti-Terror-Kriegs ein, wertet diese jedoch eher als Zugeständnis Schröders an seine Kritiker_innen: Wenn dieser »eine ›geistig-philosophische Auseinandersetzung mit dem Islam‹« anstrebe, dann sei daran »deutlich zu erkennen, daß Schröder auf seine Kritiker aus der intellektuellen Welt […] sensibel einzugehen vermag« (8.11.01: 45). Schröder wird zudem als eigenständiger Denker präsentiert, der die aus dem US-Kontext übernommene Deutung vom ›Kampf der Kulturen‹ nicht einfach übernimmt, sondern in eine vermeintlich adäquatere, deutsch-europäische Lesart transformiert: »Doch das Politische hat im Vordergrund zu stehen. ›Es geht nicht um einen Kampf der Kulturen, sondern um einen Kampf um Kultur.‹« (FAZ 19.9.01: 3) »Der Bundeskanzler hat dem ›untauglichen‹ den seiner Überzeugung nach tauglichen Begriff gegenübergestellt: ›Es geht nicht um den Kampf der Kulturen, sondern um einen Kampf um die Kultur.‹ […] Seine Überzeugung, es gehe um ›die Kultur‹, schließt allerdings auch ein, daß es ein Ringen um die Deutungsherrschaft darüber gibt, was ›die Kultur‹ ist. Und es bleibt kein Zweifel daran, daß unsere, die westliche Deutung sich international durchsetzen soll, wonach Terrorangriffe eine Sünde wider die Kultur sind.« (FAZ 2.10.01: 1)
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Wie diese Beispiele zeigen, wird der als notwendigerweise gewaltförmig gedachte ›Kampf der Kulturen‹ in einen ›Definitionskampf‹ um ›die Kultur‹ umgedeutet. Parallel dazu wird jedoch nachdrücklich klargestellt, dass die ›westliche Kultur‹ die ›eigentliche‹ und ›überlegene‹ sei, von der die Deutungshoheit ausgehe und die es vor kulturellen wie terroristischen Angriffen zu schützen und zu verteidigen gelte – was, wenn man diese Deutungsmuster weiterdenkt, militärische Mittel zwar nicht an den Anfang stellt, aber als letzte Konsequenz auch nicht ausschließt.
2.7 Von der Außen- zur Innenpolitik: »Basta-Kanzler« oder ›gescheiterter Held‹? Die in beiden Medien prinzipiell positiv bewertete Solidaritätsbekundung inklusive der Bereitschaft zur Übernahme militärischer Risiken wird im weiteren Verlauf der Berichterstattung, etwa ab Mitte Oktober, jeweils in einen unterschiedlichen Deutungskontext eingebettet. Dabei lassen sowohl die FAZ als auch der Spiegel den deutschen Bundeskanzler in einem wechselnden Licht erscheinen. Während die FAZ skeptisch beäugt, wie lange das Versprechen währt und ob die ›Solidarität‹ auch wirklich im Sinne von ›uneingeschränkt‹ (militärisch) umgesetzt wird bzw. aufgrund der jahrelangen (finanziellen und politischen) ›Vernachlässigung‹ der deutschen Militär- und Außenpolitik überhaupt umgesetzt werden kann, dominiert im Spiegel die Narration einer ›Beistandsfalle‹, wonach sich das Versprechen der ›uneingeschränkten Solidarität‹ schließlich als Gefahr für Deutschland entpuppen könnte. »Mit dem Wort von der ›uneingeschränkten Solidarität‹ zu den Vereinigten Staaten hat sich Kanzler Schröder nach dem 11. September eine Falle gestellt. Wie gefährlich diese ist, zeigt sich jetzt, da in Washington schon Pläne für die ›Phase II‹ des Anti-Terror-Kriegs diskutiert werden.« (Spiegel 49/2001: 172) »Der Kanzler hat Washington uneingeschränkte Solidarität versprochen, ohne genau zu wissen, was George W. Bush wirklich plant. Später versuchte Schröder zwar einzuschränken, er mache ›Abenteuer‹ nicht mit, aber da war es schon zu spät.« (Spiegel 47/2001: 24)
Vor dem Hintergrund des bereits ausgeführten Deutungsmuster der ›Gewaltspirale‹ (vgl. Kap. IV.1.6.) wird Schröder im Spiegel entweder als unkritischer Vasall der USA dargestellt oder aber als opportunistischer Machtpolitiker. Die FAZ hingegen bewertet zwar das Solidaritätsbekenntnis und die Bereitschaft zur militärischen Unterstützung des Anti-Terror-Kampfes zweifelsfrei als politisch richtig, meldet jedoch Zweifel an der Nachhaltigkeit von Schröders Kurs sowie an seiner persönlichen ›Standfestigkeit‹ an. Beide Medien vollziehen im Verlauf des Novembers einen drastischen Schwenk in der Aufmerksamkeitsökonomie. Der Fokus verschiebt sich weg von außenpolitischen Fragen und dem fortdauernden Krieg in Afghanistan auf die deutsche Innenpolitik. Im Zentrum der Berichterstattung steht die sich nach Schröders Ankündigung der Entsendung von 3.900 Soldaten für den ›Kampf gegen den Terror‹ zuspitzende Krise der rot-grünen Koalition. Insbesondere im Spiegel steht das Thema ›Koalitionskrise‹ von Anfang bis Ende des Monats (Nr. 45-48) im Vordergrund. Die Debatte um Pro und Contra der deutschen Kriegsbeteiligung wird ab jetzt schwerpunktmäßig anhand der rot-grünen Koalitionskrise ausgetragen.
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Der Erzählverlauf folgt sodann der spannungsgeladenen Frage: Wird Schröder – der den Prozess des ›Erwachsenwerdens‹ ja bereits erfolgreich vollzogen hat – es schaffen, Deutschland zurück in den Kreis der ›normalen‹ Staaten zu führen und zu einem anerkannten Akteur in der internationalen Politik zu machen, oder wird er an der innenpolitischen Krise bzw. seinen politischen Widersacher_innen scheitern? Die weitere Darstellung und Bewertung des Bundeskanzlers bemisst sich jeweils daran, wie Schröder die Krise meistert bzw. wie er mit denjenigen verfährt, die dieser politischen Entwicklung kritisch und ablehnend gegenüberstehen. Höhepunkt der Narration bildet schließlich in beiden Medien die von Schröder gestellte Vertrauensfrage am 16.11.2001. Um die unterschiedlichen Narrationen besser erfassen zu können, werde ich die Berichterstattung von FAZ und Spiegel im Folgenden getrennt voneinander darstellen. Während die Darstellung des Bundeskanzlers im Spiegel in der ersten Zeit dem positiv besetzten Bild des zupackenden Staatsmannes folgt, vermehren sich in der Zeit von Anfang bis Mitte November – der Afghanistankrieg ist in vollem Gange und die Kritik an den USA erreicht ihren Höhepunkt – kritisch-ironische Untertöne und offene Skepsis. Der Spiegel präsentiert Schröder nunmehr als unnachgiebigen Kriegstreiber und begegnet insbesondere der ›treuen Gefolgschaft‹ des Kanzlers gegenüber den USA und seinem autoritären Führungsstil mit Ablehnung. Spöttisch ist die Rede vom »US-Kriegsvasall-Kanzler Schröder« (47/2001: 12), der die uneingeschränkte Solidarität »täglich aufs Neue beschwört« (45/2001: 22) bzw. »zelebriert« (46/2001: 23). Schröder wandelt sich zum starrköpfigen und egozentrischen Politiker, dessen Stärke zugleich als bloß inszeniert ›entlarvt‹ wird: »Der Kanzler tat, als habe er die Zügel fest im Griff. […] Scheinbar mit sich und der Welt zufrieden konzentrierte sich Schröder, selbst ernannter Vorstandschef der Deutschland AG, bei seinem Trip durch Fernost auf den Verkauf deutscher Wertarbeit. […] alles könnte in ein entspanntes Wahljahr münden. Wenn nur der Krieg nicht wäre. Denn während Schröder […] sich selbst und die große heile Welt inszenierte, wusste er sehr wohl um die dräuenden Gefahren, die sich als Folge des 11. September hinter den Kulissen auftürmen.« (45/2001: 22)
Zur Bekräftigung des negativen Images wird erneut auf die deutsche Bevölkerung rekurriert: Vor dem Hintergrund neuer Umfragewerte konstatiert der Spiegel einen »Meinungsumschwung« und allseits herrschende »Kriegsmüdigkeit« (46/2001: 22). Schröder habe an Vertrauenswürdigkeit und Überzeugungskraft deutlich verloren und erhalte im politischen Umfeld nur noch von wenigen »uneingeschränkte Rückendeckung« (45/2001: 24). Moniert wird dabei v.a. Schröders ›stures Beharren‹ auf dem Solidaritätsversprechen gegenüber den USA, auch wenn »zu Hause die Akzeptanz für seinen Kurs von Tag zu Tag schwindet« (ebd.).8 Während Schröder in der Wahrnehmung des Spiegels nach dem 11. September noch viel Verständnis für die Sorgen und (Kriegs-)Ängste der Bevölkerung zeigte, wird nun eine wachsende 8 | Dabei untermauern die vom Spiegel präsentierten Umfragezahlen diese Behauptung nur bedingt: So antworteten Anfang November auf die Frage »Befürworten Sie die uneingeschränkte Solidarität mit den USA, wie sie Bundeskanzler Gerhard Schröder ausgerufen hat?« zwar weniger Menschen mit Ja (46/2001: 22) als noch Anfang Oktober (41/2001: 19), aber die Ja-Stimmen bilden mit 51 % nach wie vor die Mehrheit (im Oktober 71 %).
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Diskrepanz zwischen dem eisern an seinem Kurs festhaltenden Kanzler und der den Krieg zunehmend ablehnenden Bevölkerung postuliert. Gründe für den Ansehensverlust und den schwindenden Rückhalt für Schröder sieht der Spiegel primär in seiner vermeintlich affirmativen und unkritischen Haltung gegenüber den USA: So wird die Politik der ›uneingeschränkten Solidarität‹ Anfang November als »blinder Kadavergehorsam« (ebd.) und »anbiedern« (ebd.: 143) interpretiert. Beklagt wird die »eilfertige Unterwürfigkeit, mit der deutsche Politiker darum betteln, mitbombardieren zu dürfen« (ebd.). Laut Spiegel liege das Problem darin, dass die ›uneingeschränkte Solidarität‹ den Handlungsspielraum der Bundesregierung massiv einschränke (vgl. ebd.: 22). Kritisiert werden ferner die ausbleibenden ›Erfolge‹ des nunmehr nur noch als »Bombenkrieg« bezeichneten Krieges in Afghanistan (z.B. auf dem Spiegel-Titel 45/2001: »Amerikas heilloser Bombenkrieg«). Die Unzufriedenheit mit dem Kanzler wird laut Spiegel noch dadurch verstärkt, dass er Bevölkerung und Parlament im Unklaren lasse, »welche konkreten Beiträge die Deutschen denn leisten könnten« (45/2001: 23). Er betreibe ein »Versteckspiel«, was »in Deutschland für neues Misstrauen« (46/2001: 27) sorge. Schröder wird als ›strategischer Trickser‹ präsentiert, der entscheidende Informationen zurückhalte und sich bewusst vage zu den Anfragen der USA sowie zur konkreten Form der geplanten Militärhilfe äußere. Die Frage, ob die USA wirklich um militärischen Beistand gebeten hätten – »Hatten die Amerikaner am Ende gar nicht nach Unterstützung verlangt?« (ebd.) – oder ob Schröder den deutschen Beitrag gar ungefragt »aufgedrängt« (ebd.: 29) habe, wird im Spiegel ausführlich diskutiert und rückt den Kanzler in ein deutlich negatives Licht. Nachdem Schröder am 6.11.2001 im Bundestag die Entsendung von 3.900 Bundeswehrsoldaten nach Afghanistan offiziell zugesichert hat, wird er im Spiegel als »Kriegskanzler« (ebd.: 22) bezeichnet. Im Fokus der Berichterstattung stehen fortan die innenpolitischen Kontroversen und die insbesondere von den Grünen geäußerte Kritik an Schröders »Kriegskurs« (ebd.: 29). Es kommt zu einer auffälligen Parallelisierung zwischen dem Krieg in Afghanistan und der sich zuspitzenden Koalitionskrise, die ebenfalls als ›Krieg‹ metaphorisiert wird. Die bildgewaltige Kollektivsymbolik aus dem Bereich Krieg und Gewalt wird auf die Innenpolitik übertragen: Die Rede ist von einem »Ausnahmezustand« (46/2001: 24) in den Regierungsfraktionen, der »unruhigen Berliner Heimatfront« (47/2001: 27), einem »Nervenkrieg in Deutschland« (ebd.: 23). Das mögliche Auseinanderbrechen der Koalition wird wiederholt als »Kollateralschaden« bezeichnet (z.B. 49/2001: 31). Der bevorstehende Bundeswehreinsatz sei der »Ernstfall für RotGrün« (ebd.) oder ein »Sprengsatz für Rot-Grün« (46/2001: 6). Die Kriegs- und Kampfsymbolik erzeugt insgesamt eine höchst dramatische Stimmung und lässt zudem nur zwei Lösungsmöglichkeiten zu: Sieg oder Niederlage. »Der Psychokrieg in Berlin, an dessen Ende ein mit Brachialgewalt erzwungener Abstimmungssieg stand, markiert womöglich den Anfang vom Ende der rot-grünen Koalition« (47/2001: 22, Überschrift)
Der Spiegel zeichnet insgesamt ein pessimistisches und bedrohliches Szenario vom Ende der rot-grünen Koalition (vgl. 46/2001: 22ff; 47/2001: 22ff). Der Ausgang der rot-grünen Koalitionskrise wird dabei wie schon der außenpolitische Paradigmen-
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wechsel in die Hände des Bundeskanzlers (und des Außenministers) gelegt. In der medialen Erzählung kommt es zu einer deutlichen Analogie zwischen dem »Schicksal Schröders« (47/2001: 29) und dem der rot-grünen Koalition. Die von Schröder am 13.11.2001 angekündigte Vertrauensfrage nennt der Spiegel »Schicksalsentscheidung« und »Schicksalsauseinandersetzung« (ebd.: 33) und die minutiöse Rekonstruktion der Tage vor dem Vertrauensvotum »Anatomie einer Schicksalswoche« (ebd.: 28). Der Aktant Schröder wird mehr und mehr zum ›autoritären Anführer‹, der sich mit gebieterischem Gestus über Kritiker_innen und Widersacher_innen hinwegsetzt, um die militärische Beteiligung Deutschlands um jeden Preis durchzusetzen. Auf die zunehmende Kritik und das Schwinden des politischen Rückhaltes selbst in seiner eigenen Partei reagiere er zornig und gereizt; Zweifler_innen in den eigenen Reihen trete er mit Drohungen und Einschüchterungsversuchen gegenüber (vgl. 46/2001: 24): »Noch zwingt Schröder seine Partei mit eiserner Hand zur Disziplin.« (45/2001: 25) »Mit grimmiger Härte demonstrieren Kanzler und Außenminister in diesen Tagen ihre Entschlossenheit, alle Widerstände innerhalb von Parteien und Fraktionen zu überwinden.« (46/2001: 24)
An die Stelle von Verständnis, Diskussionsbereitschaft und argumentativer Überzeugungskraft sind Härte, Disziplin und Zwang getreten. Die von Schröder demonstrierte Härte und Unnachgiebigkeit bringen ihm im Spiegel regelmäßig das Attribut »eisern« ein: »Immer mehr nähert sich der eiserne Schröder seinem heimlichen Vorbild, dem Ex-Kanzler Helmut Schmidt. Der hatte sich erfolgreich als ›Krisenmanager‹ stilisiert, der Sicherheit und Stärke suggeriert und sein Land mit straffer Hand durchs Weltgeschehen führt. […] In unsicheren Zeiten, das hat Schmidt seinem Erben persönlich nahe gelegt, darf ein Kanzler nicht wackeln.« (45/2001: 24)
Als Abgeordnete der Grünen, aber auch der SPD signalisieren, im Bundestag gegen die Entsendung deutscher Soldaten zu stimmen, wird Schröder zum »Basta-Kanzler« (53/2001: 274) und verknüpft die entsprechende Abstimmung mit der Vertrauensfrage. Die »Abweichler« werden daraufhin »bearbeitet«, »in die Zange genommen« und »gezähmt« (47/2001: 29). Schröder wird dabei konstant mit Attributen körperlicher Stärke und Gewaltausübung assoziiert, so ist wiederholt von der »Brachialgewalt« der Vertrauensfrage und dem »Zuchtmeister Schröder« die Rede (53/2001: 270). »Um das Regierungslager beisammenzuhalten, holt er den größten Knüppel aus dem Arsenal der Zuchtmittel, die einem deutschen Regierungschef zu Gebote stehen: Er stellt die Vertrauensfrage […].« (Ebd.: 273) »So zwingt der Basta-Kanzler widerborstige Genossen unter seine Knute.« (Ebd.: 274)
Wie diese Diskursfragmente exemplarisch zeigen, wird Kritik an Schröder oder dem Diktum der ›uneingeschränkten Solidarität‹ im Spiegel selten explizit geäußert oder argumentativ ausgeführt, aber sie findet indirekt Ausdruck in ironischen Überspitzungen und drastischen Zuschreibungen (vgl. Kap. III.1.1).
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Der Ausgang der Vertrauensfrage wird im Spiegel widersprüchlich diskutiert. Die Verknüpfung der ›Sachentscheidung‹ mit der Vertrauensfrage wird als ›kluger Schachzug‹ interpretiert, aber zugleich als übertriebene ›persönliche Machtdemonstration‹ dargestellt. Die Darstellung des Kanzlers fokussiert seine persönlichen Charaktereigenschaften und hebt Arroganz, Eitelkeit und Selbstbezogenheit – nach Max Weber eindeutig ›Sünden‹ eines Berufspolitikers (vgl. Kap. IV.1.7.1) – als zentrale Wesenszüge hervor: Schröders schroffer Umgang mit den Kriegsgegner_innen wird als »Großspurigkeit« und »roher Machtwille« (47/2001: 23) beschrieben. Dem selbstverliebten »Medienkanzler« (ebd.: 28), der sich (zusammen mit Fischer) an den »eigenen Worten berauscht« (ebd.: 23), gehe es hauptsächlich um sein öffentliches Erscheinungsbild und den eigenen Machterhalt. Er sorge sich v.a. darum, dass seine »glanzvolle Autorität im In- und Ausland« beschädigt werden könnte (45/2001: 25). Diese Charakterisierung Schröders, die sein Verantwortungsbewusstsein und seine Professionalität als Politiker in Frage stellt, schwingt mit, wenn der Spiegel im Hauptartikel zur Vertrauensabstimmung fragt: »War dieses Spektakel wirklich nötig, fragten sich nach der Abstimmung viele? Und wer hat da eigentlich agiert: Schröder der Staatsmann, oder doch eher Schröder der Spieler?« (47/2001: 23)
Der Spiegel hält zwar fest, dass Schröder als Gewinner aus der Vertrauensfrage hervorgegangen sei, doch habe er nur einen »wackeligen Sieg« (ebd.: 3) errungen und stehe nun »ramponiert« da, er habe »hoch gepokert – und an Ansehen verloren« (ebd.: 22). Wenngleich an diesen Stellen die Zweifel an Schröder greifbar sind, bleibt seine Darstellung im Spiegel insgesamt ambivalent. Die Frage ›Staatsmann oder Spieler‹ scheint sich letztlich sogar in Richtung Staatsmann aufzulösen. So wird in einem Kommentar das bereits etablierte Deutungsmuster ›Risiko Ja – Abenteuer Nein‹ auf die Vertrauensfrage übertragen, was dem geforderten Vertrauensbeweis implizit Legitimität verleiht: »Riskant war es wohl kaum, dass Gerhard Schröder im Parlament die Vertrauensfrage gestellt hat. Er wusste, was er tat, und hat für die Stimmen in seiner Koalition bis zuletzt redlich geackert. […] Schröders Manöver: kühle Strategie, kein Abenteuer.« (47/2001: 24)
Der Staatsmann wird – so das Fazit des Spiegels – zwar gelegentlich zum risikofreudigen ›Spieler‹. Dem Deutungsmuster ›Politik als Spiel‹ folgend, bleibt das Handeln der Spielbeteiligten jedoch kalkulierbar und folgt bestimmten (Spiel-)Regeln – und wird damit eben nicht zum unkontrollierbaren Abenteuer. Trotz des bisweilen überzogenen, machtbesessenen Auftretens Schröders betont der Spiegel letztlich die Rationalität und das Staatsmännische seines harten Auftretens und lässt ihn damit letztendlich als Sieger aus dem ›Macht-Poker‹ hervortreten. Deutlich wird dies insbesondere daran, dass innerhalb des Artikels zur Vertrauensfrage eine entscheidende Verschiebung stattfindet. Nicht mehr Schröder, sondern die Grünen werden nun als Hauptverantwortliche für die Koalitionskrise in den Blick genommen, wodurch Schröder als Staatsmann rehabilitiert wird, erscheint er im Vergleich mit den Grünen doch rational und geradlinig. Hingegen werden nun jene, die bei der Vertrauensfrage mit Nein gestimmt haben und eine deutsche Kriegsbeteiligung weiterhin ablehnen, als ernst zu nehmende Politiker_innen diskreditiert (vgl. Kap. IV.3.6).
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Betrachtet man den Artikel »Staatsmann oder Spieler?« in seinem Zusammenspiel mit den anderen Artikeln des gleichen Heftes, scheint sich die Vertrauensfrage letztlich auch in außenpolitischer Hinsicht ›gelohnt‹ zu haben. Der Spiegel verkündet einen »Etappensieg im Anti-Terror-Krieg« (47/2001: 7). Kabul sei »befreit« und die »Terrorherrschaft zu Ende« (ebd.: 146). Der Krieg hat demnach zu großen Erfolgen geführt, was ihn – und somit Schröders ›riskantes Spiel‹ – im Nachhinein rechtfertigt. Anfang Dezember 2001 scheint sich die Koalitionskrise zu beruhigen und findet im Spiegel keine besondere Aufmerksamkeit mehr. Innerhalb der Koalition sei man um ein neues »Wohlfühlklima« bemüht, wolle die »Balgereien« der letzten Wochen vergessen machen und probiere eine »neue Zärtlichkeit« (49/2001: 28). Statt von Koalitionskrieg ist von einem »frischen Koalitionsfrieden« die Rede (ebd.: 31). Was zuvor noch als innenpolitisches Kriegsszenario ausgemalt wurde, wird nun als harmlose Streiterei gekennzeichnet. Parallel dazu scheint auch die Debatte um die deutsche Kriegsbeteiligung und die Neudefinition der deutschen Außenpolitik beendet. Im Spiegel wird der Bundeswehreinsatz im Folgenden weniger als militärischer Einsatz, sondern v.a. als ›humanitäre Hilfsleistung‹ und Beteiligung an einer ›internationalen Friedenstruppe‹ präsentiert. Im Vordergrund der Berichterstattung stehen die Vorbereitungen der Petersberg-Konferenz, die katastrophale humanitäre Lage und die beginnenden Aufbauarbeiten in Afghanistan. Auch die FAZ widmet im November den innenpolitischen Debatten und der Koalitionskrise große Aufmerksamkeit. Mit kritischem Blick wird verfolgt, ob Schröder standfest bei seiner Politik der ›uneingeschränkten Solidarität‹ bleibt oder ob er sich in den kriegskritischen ›Sog‹ der Grünen hineinziehen lässt. Die Darstellung des Kanzlers ist dabei zusehends von Spott und Ablehnung geprägt. Schröders Erklärung, er wolle den militärischen Einsatz um politische und humanitäre Mittel ergänzt wissen, wird als fragwürdiges Zugeständnis an den grünen Koalitionspartner und erstes Zeichen der Unentschlossenheit gewertet: »Seine Mahnungen, parallel zum militärischen Vorgehen seien politische und humanitäre Schritte erforderlich, machen darüber hinaus kenntlich, daß er Sorgen hat, wie lange die Militärattacken innenpolitisch zu vermitteln sein werden. […] Er sagt, Deutschland werde sich auch militärisch beteiligen, wenn es die Vereinigten Staaten wünschen. Doch sagt er es wie ein Kaufmann, der schlechtem Geld nicht gutes hinterherwerfen will.« (5.11.01: 1)
Die auch im Spiegel geführte Diskussion, ob der von Schröder angekündigten Bereitstellung von 3.900 Bundeswehrsoldaten wirklich eine konkrete Anfrage von den USA vorausgegangen sei, wird von der FAZ als alberne ›Scheinfrage‹ zurückgewiesen und stattdessen eine freiwillige und großzügige Unterstützung der USA gefordert. Kritik richtet sich vielmehr auf das koalitionspolitische Abwiegeln und Taktieren des Kanzlers zugunsten des ›grünen Seelenheils‹, das wiederholt sarkastisch kommentiert wird: »Hat die amerikanische Regierung deutsche Soldaten angefordert, oder hat Schröder sie angeboten, gar aufgedrängt? Daß diese Scheinfrage zu einem Großthema werden konnte, zeigt, wie überhitzt das politische Klima in Berlin ist. Selbstverständlich hat Schröder Amerika Unterstützung durch die Bundeswehr angeboten – implizit in dem Versprechen ›uneingeschränkter Solidarität‹ (was sollte das Wort ›uneingeschränkt‹ sonst bedeuten?) und
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In der Darstellung der FAZ wird Schröders Versprechen der ›uneingeschränkten Solidarität‹ in zweierlei Hinsicht als ›Mogelpackung‹ gedeutet: Zum einen wird unablässig betont, dass die Bundeswehr aufgrund der fehlenden politischen Wertschätzung und Unterfinanzierung kaum in der Lage sei, ernst zu nehmende Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus zu leisten. Noch viel mehr empört sich die FAZ jedoch über die mangelnde Stärke und Durchsetzungskraft des Bundeskanzlers, der es nicht einmal schaffe, seine Politik gegenüber der eigenen Partei sowie dem Koalitionspartner durchzusetzen. »Der Kanzler muß abermals ›basta‹ gesagt haben, so ängstlich und leise freilich, daß es kaum zu hören war. […] Wie man es auch dreht und wendet: Entschlossenheit und Stärke sprechen nicht aus dem Verhalten Schröders, dem auch schon Sozialdemokraten von der Fahne zu gehen drohen. Ein Kanzler in dieser Lage aber darf der Entscheidung nicht ausweichen, er muß sie suchen. Wenn er dazu nicht fähig ist, dann braucht Deutschland nicht nur eine andere Regierungskoalition, sondern auch einen anderen Kanzler.« (12.11.01: 1)
Aus Sicht der FAZ bringt Schröder damit nicht nur die Handlungsfähigkeit der Regierung in Gefahr, sondern riskiert leichtfertig einen »außenpolitischen Totalschaden« (19.12.01: 1). Der Glanz des vormals als ›Held‹ einer neuen deutschen Sicherheitspolitik gefeierten Bundeskanzlers verblasst damit zusehends und Schröders Fähigkeiten als Regierungschef werden mehr und mehr in Abrede gestellt: »Bundeskanzler wird nicht, wer will, sondern wer es kann. Von persönlichen Fähigkeiten hängt das erst in zweiter Linie ab. Können muß ein Kanzler vor allem eines: die Mehrheit des Bundestags hinter sich bringen. Es mögen sich noch so viele andere für mindestens so fähig, telegen oder klug halten wie der Amtsinhaber – solange dem nicht die Mehrheit davonläuft, die nicht zufällig Kanzlermehrheit genannt wird, sind sie alle nur Möchtegernkanzler. Was aber, wenn der Kanzler die Mehrheit nicht mehr hat und trotzdem Kanzler bleiben will? Dann ist er der Möchtegernkanzler.« (16.11.01: 1)
In der Darstellung der FAZ wird Schröder den Erwartungen an ihn als Staatsmann und Wegbereiter trotz aller Bemühungen nicht gerecht. Stattdessen zeigt die FAZ ihn als abwiegelnden und tricksenden ›Hochstapler‹, dessen Versprechen der ›uneingeschränkten Solidarität‹ letztendlich nur ›hohle Worte‹ ohne Taten bleiben. Schröders Auftreten wird als unaufrichtig und mutlos gedeutet. Schröder betreibt aus Sicht der FAZ eine zahnlose Politik des »Sowohl-als-auch« (22.11.01: 1), die insbesondere, wenn es um einen Militäreinsatz im Kampf gegen den Terrorismus geht, fehl am Platze sei: »Wer in dieser Frage versucht, sowohl dafür als auch dagegen zu sein, steht nicht in der Mitte, sondern am Rande der Lächerlichkeit« (ebd.). Analog zur Lage der Regierungskoalition, die in der FAZ durchweg als schwach und totkrank metaphorisiert wird, wird auch Schröder als kraftloser Regierungschef präsentiert, der es nicht geschafft habe, sich rechtzeitig aus der grünen »Gefangen-
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schaft« (24.11.01: 1) oder der »Zwangsjacke« (15.11.01: 1), in der er mit den Grünen stecke, zu befreien. Schröder habe viel zu spät die ›Notbremse‹ gezogen – und damit das mögliche Scheitern seiner Politik der ›uneingeschränkten Solidarität‹ und den daraus erwachsenen außenpolitischen ›Schaden‹ für Deutschland billigend in Kauf genommen. Die Schuld dafür, dass nun »Schröders Stern so schnell« sinke und er »in atemberaubender Geschwindigkeit entzaubert« werde (15.11.01: 1), sieht die FAZ in erster Linie bei ihm selbst: Vor allem der aus ihrer Sicht allzu verständnisvollen Haltung Schröders gegenüber Regierungs- und Kriegskritiker_innen begegnet die FAZ mit Unverständnis; das Zugehen auf die Grünen wird als Führungsschwäche und Vermeidungsstrategie ausgelegt. »Seine Schwäche sind nicht allein die Grünen, es ist ebenso die Schwäche seiner Partei für die Grünen« (ebd.). Die FAZ präsentiert Schröder zunehmend als ›Versager‹, der vor dem kleinen Koalitionspartner ›eingeknickt‹ sei, statt das Risiko eines Koalitionswechsels einzugehen. »Was Schröder innenpolitisch vorläufig als Sieg feiern kann, wird er […] unter außenpolitischen Gesichtspunkten als Niederlage einordnen müssen: Seine parlamentarische Mehrheit steht nur formal, nicht aber inhaltlich hinter einer zentralen Entscheidung der von ihm geführten Regierung. […] Weil er den Grünen jetzt eine klare und ehrliche Antwort auf die Frage des Militäreinsatzes erspart hat, muß er sich bis auf weiteres mit ihnen arrangieren. Um des Koalitionsfriedens willen ist Deutschland damit aus der ersten Linie im Kampf gegen den Terrorismus ausgeschieden. Das wird den Einfluß der Bundesregierung drastisch schmälern. Das gilt im atlantischen Bündnis, es gilt für Europa, wo es bei der Sonderstellung von Paris und London bleibt, es gilt allgemein für das Zusammenspiel der Mächte.« (17.11.01: 1)
In der Wahrnehmung der FAZ hat Schröder die Sicherung der eigenen Machtinteressen und die damit verbundene Parteienpräferenz über die Staatsräson gestellt – und damit gleichsam ›Verrat‹ an »nationale[n] Interessen ersten Ranges« (8.11.01: 1) betrieben. Durch Abwiegeln, Taktieren und massive Zugeständnisse an die Grünen sei das vormals starke Versprechen der ›uneingeschränkten Solidarität‹ bis zur Unkenntlichkeit verwässert worden, so dass es »nun nicht mehr viel wert« (17.11.01: 1) sei. Schuld trage neben den Grünen, die den Kanzler zur Vertrauensfrage genötigt haben, der Kanzler selbst, der die Zustimmung zur Entsendung deutscher Soldaten letztlich durch eine »Selbstlüge« (17.11.01: 1) statt durch ein ungetrübtes Ja zum Einsatz militärischer Mittel erreicht habe. So hätten Schröder und Fischer »selbst in ihren eigenen Fraktionssälen Nebelkerzen« (1.12.01: 1) geworfen, wenn es um Kampftruppen und ihre konkreten Einsatzorte ging, und versucht, die »bittere Wahrheit« (6.12.01: 1) mit einer humanitären Botschaft zu ›versüßen‹. »Der Einsatzantrag der Regierung wurde von dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen schlicht und einfach umgedeutet. SPD und Grüne verneinen in ihrem Papier im Grunde die Notwendigkeit, den Terrorismus militärisch zu bekämpfen, gegen alle Evidenz der vergangenen Tage; zumindest scheinen sie militärische Mittel für weitgehend belanglos zu halten. Das Schwergewicht ihrer Argumentation liegt ganz auf dem Humanitären, auf ›ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention‹, auf Entwicklungshilfe, auf ›globaler Friedenspolitik‹ und auf dem Dialog der Kulturen.« (17.11.01:1)
Die FAZ zeichnet insgesamt ein pessimistisches Bild für die politische Zukunft Deutschlands und macht Schröder für die ›Schwächung‹ Deutschlands verantwort-
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lich. Nicht nur die Regierungskoalition sei langfristig geschwächt und handlungsunfähig, auch das Ansehen und der Einfluss Deutschlands in der neuen Weltordnung seien schwer beschädigt worden. Die FAZ lässt keinen Zweifel daran, wer neben dem Bundeskanzlers für das ›Scheitern‹ einer entschlossenen, militärischen Außenpolitik verantwortlich ist: Spott und Häme richten sich unverblümt gegen die Grünen, die in der FAZ durchweg als regierungsuntauglich, unberechenbar und unzuverlässig charakterisiert werden (vgl. Kap. IV.3). Die Darstellung der Regierungskoalition gleicht auch nach entschiedenem Vertrauensvotum einer ›Zeitbombe‹, die dem Kanzler jederzeit um die Ohren fliegen könne. Dem Kanzler bleibe aus Sicht der FAZ deshalb letztlich nichts anderes übrig, als seine abwiegelnde und taktierende ›Politik der Selbstlüge‹ fortzusetzen: »Die rot-grüne Regierung wiegelt freilich ab, und das nicht nur aus Bescheidenheit. Denn Schröder und Fischer können sich in der Außenpolitik nicht allein auf die Interessen Deutschlands konzentrieren: Sie müssen ständig danach schielen, was ihre Parteien mitmachen.« (1.12.01: 1)
Insgesamt ist das Porträt des Bundeskanzlers auch in der FAZ nicht ganz eindeutig. Zwar ist klar, dass der Kanzler das Richtige tat oder zumindest im Sinn hatte, als er den USA die ›uneingeschränkte Solidarität‹ zusicherte. Letztendlich hat er es jedoch nicht geschafft, sich aus der ›Umklammerung‹ der Grünen zu befreien und die nötige Autonomie herzustellen, um die Normalisierung der deutschen Außenpolitik im ›Interesse Deutschlands‹ zu vollenden. Dass er sie gleichwohl ein großes Stück vorangetrieben hat, daran besteht auch in der FAZ kein Zweifel: »Immerhin hat Schröder die deutsche Linke, die ihre heroischen Jahre in der Zeit des Vietnam-Kriegs erlebte, dazu gebracht, Amerika jene Solidarität zurückzugeben, die Deutschland so lange einseitig genossen hat – wenigstens zum Teil« (20.11.01: 1).
Mit dem Ende der Petersberg-Konferenz findet die Koalitionskrise auch in der FAZ keine besondere Beachtung mehr, stattdessen rücken der bevorstehende Einsatz der Bundeswehr und die Nachkriegssituation in Afghanistan in den Blick.
2.8 Analyse: Moralität und Rationalität — Was einen deutschen Politiker auszeichnet 2.8.1 Die (Re-)Maskulinisierung des Politischen nach dem 11. September Kein Zweifel, der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder tritt uns in den Medien als mächtiger Politiker, als starker Mann der deutschen Politik gegenüber. Die mediale Repräsentation und die damit einhergehenden Bewertungen orientieren sich dabei geradezu prototypisch am Ideal des männlich kodierten Staatsmannes und Berufspolitikers, wie ich es bereits am Beispiel der Darstellung von US-Präsident Bush ausgeführt habe. Insbesondere in der unmittelbaren Zeit nach den Anschlägen wird Schröder in Spiegel und FAZ als professioneller Staatsmann vorgeführt, der mit seiner beherzten Zusicherung ›uneingeschränkter Solidarität‹ Entschlossenheit und Courage – und damit Leidenschaft für die Sache (vgl. Weber 1992: 62) – bewiesen hat und dafür große Zustimmung aus Politik und Bevölkerung erntet. In Zeiten
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der Krise ist der zupackende Macher gefragt. Schröder steht hierbei für nüchternes Kalkül und Rationalität, Führungskraft und (moralische) Unabhängigkeit, aber auch für Besonnenheit und Maßhaltung sowie die Beherrschung des Emotionalen. In der stark personalisierten Berichterstattung von FAZ und Spiegel kommt Schröder zunächst die positiv besetzte Rolle des Helden und Wegbereiters zu, der die deutsche Außenpolitik auf ›völlig neue Grundlagen‹ stellt. In Anbetracht des vermeintlich neuen globalen Gefahrenpotentials durch den internationalen Terrorismus, beruht das Handeln Schröders in der Wahrnehmung der Medien überwiegend auf streng rationalen Erwägungen und politischen Notwendigkeiten – und nicht etwa auf persönlichen Präferenzen. Von Schröder wird erwartet, dass er seine Macht im Interesse Deutschlands einsetzt und für die Sicherheit der Bevölkerung einsteht. ›Verantwortung‹ und ›Verlässlichkeit‹ bilden positiv besetzte Schlüsselwörter und für die deutsche Politik hoch geschätzte Tugenden. Der Maskulinismus der Politik – verstanden mit Kreisky (2008) als eine politischsymbolisch-ideologische Übersteigerung von Männlichkeit (vgl. Kap. I.1.2.1) – bzw. die Remaskulinisierung der Politik nach dem 11. September zeigt sich insbesondere in der Aufwertung männlich kodierter Werte und Eigenschaften, die den verschiedenen Politikern, in diesem Fall dem deutschen Bundeskanzler, auf den Leib geschrieben werden. Nicht nur die US-amerikanische, auch die deutsche Regierung wird an männlich konnotierten Vorstellungen wie Härte, Standfestigkeit und Führungskraft gemessen. Zwar favorisieren Spiegel und FAZ unterschiedliche Männlichkeitsbilder, zweifelsohne orientieren sich die Politikerideale jedoch an bestimmten Vorstellungen von (hegemonialer) Männlichkeit – bei gleichzeitiger Abwertung weiblich kodierter Emotionalität, Unsicherheit und Weichlichkeit. So wird wiederholt betont, dass ein Kanzler in Zeiten der Krise Gradlinigkeit, Stärke und Entschlossenheit beweisen müsse, wohingegen ›Wackeln‹ und ›Zögern‹ fehl am Platze sei. Insbesondere das ›Einknicken‹ Schröders gegenüber dem kleinen Koalitionspartner wird als fehlende Standfestigkeit und persönliche Schwäche gedeutet. Sachlichkeit, Gestaltung, Pionierarbeit, Beharrlichkeit, Standfestigkeit, Unerschrockenheit, Unabhängigkeit, kalkulierte Risikobereitschaft, Lenkung und Führung sind hingegen männlich konnotierte Eigenschaften, die zur Charakterisierung des deutschen Bundeskanzlers herangezogen werden und allesamt positiv besetzt sind. Ergänzt werden diese Zuschreibungen von Attributen der moralischen Urteilsfähigkeit, Gewissenhaftigkeit und Orientierung des politischen Handelns an ethischen Maßstäben. Moralität ist zugleich der entscheidende Wesenszug, der die Darstellung des deutschen Politikers von der des amerikanischen unterscheidet. Moral und Gewissen werden als typisch deutsche Wesenszüge einer ›wertegebundenen‹ Außenpolitik behauptet, wobei der Spiegel dabei einen Unterschied zur ›gewissenlosen‹, allein auf militärische Stärke setzenden Politik der USA ausmacht. In Abgrenzung zum vermeintlich ungezügelten, bellizistischen US-Präsidenten generiert die Darstellung Schröders ein alternatives, kontrollierteres Männlichkeitsmodell, das jedoch gleichermaßen Stärke und Unnachgiebigkeit beweist. Betrachtet man das im Spiegel erzeugte Bild von Bush und Schröder im Vergleich, ist Schröder eindeutig der besonnenere, gewissenhaftere und dem amerikanischen Präsidenten moralisch wie intellektuell überlegene Politiker. Schröder steht für eine säkulare Politik der Menschenrechte und einen ›Dialog der Kulturen‹, während Bush mit Religiosität, biblischer Rache, Krieg und ›Kampf der Kulturen‹ assoziiert wird. Jedoch bleibt auch Schröders Verneinung eines ›Kampfes der Kulturen‹ bzw. seine eigene Abwandlung in einen ›Kampf um
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die Kultur‹ einer kulturalistischen Denkweise verhaftet, in der eine globale westliche ›Kultur der Zivilisation‹ gegenüber der ›islamischen Kultur‹ ausgespielt wird. Verhaltensweisen, die primär dem persönlichen Nutzen und Machterhalt wie z.B. der Inszenierung eines positiven Selbstbildes dienen, werden in FAZ und Spiegel gleichermaßen negativ bewertet, wie es besonders im Vorfeld der Vertrauensfrage deutlich wurde. Während in der Zeit unmittelbar nach dem 11. September Schröders vermeintlich nüchterne Sachorientierung an übergeordneten (staatlichen) Interessen im Vordergrund stand, wird er zunehmend als machtbesessener, zu sehr von sich überzeugter Regierungschef präsentiert, der primär aus Eigennutz und Liebe zur Macht agiert – und damit gemäß dem Weber’schen Diktum, dass Eitelkeit und fehlende Distanz zur eigenen Person politische ›Sünden‹ seien, vom Idealbild des (Berufs-)Politikers abfällt. Emotionalität ist wie bei Bush nur in einer spezifischen Ausprägung gefragt: als emotionale Anteilnahme und Ausdruck starker – ›uneingeschränkter‹ – Solidarität. Gefühlsausdrücke der Irritation, Schockiertheit und Zögerlichkeit hingegen zeigen Schröder zwar von einer menschlichen, ›privaten‹ Seite, haben aber in der großen Politik längerfristig nichts verloren. Sie sind nur in einem zeitlich begrenzten Kontext (z.B. als erste Reaktion auf die Anschläge) und kontrolliertem Umfang gefragt. Die Beherrschung des eigenen Gefühls wird vielmehr zur Voraussetzung für politische Kompetenz und Handlungsfähigkeit erklärt. Dabei geht es jedoch keineswegs darum, jegliche Emotionalität aus dem Bereich der Politik zu verbannen. Im Gegenteil, ein ›angemessenes Maß‹ an eigener Emotionalität, Wärme und Einfühlungsvermögen, gepaart mit dem richtigen Maß an Entschlossenheit und Durchsetzungswillen, sind für einen anerkannten und beliebten Politiker durchaus zuträglich und werden als Zeichen von Sensibilität, Bevölkerungsnähe, Moralität und politischer Kompetenz gewertet. Auch die Offenbarung persönlicher Unsicherheit und Zögerlichkeit aufgrund ›moralischer Zweifel‹ wird bei Schröder nicht etwa als Zeichen der Schwäche interpretiert, sondern gerade als charakterliche Stärke, wodurch die ihm zugeschriebene Besonnenheit und Vertrauenswürdigkeit als Staatsmann, der sich um die Zukunft Deutschlands sorgt, noch unterstrichen werden. In einer Krisensituation gelten Führungskompetenz und Überzeugungskraft in FAZ und Spiegel gleichermaßen als entscheidende Qualitäten eines professionellen Politikers. So fällt es in den Aufgabenbereich des Kanzlers und der Regierung, Bevölkerung und Parteien hinter sich zu vereinen und von der Notwendigkeit des Einsatzes militärischer Gewalt zu überzeugen. FAZ und Spiegel legen jedoch, wie bei der Diskursfigur Bush, jeweils ein unterschiedliches Ideal von Autonomie und Führung zugrunde und bewerten Schröders Umgang mit den Kriegskritiker_innen in Politik und Bevölkerung ebenso wie die Demonstration von Unabhängigkeit, Macht und Stärke unterschiedlich. Im Spiegel korrespondiert die Darstellung des Bundeskanzlers stark mit dem Bild der deutschen Bevölkerung, die besonders in der Anfangszeit als ›kriegsfern‹ und ›ängstlich‹ dargestellt wird und erst noch von einem Krieg überzeugt werden müsse. So vollzieht sich der Lernprozess des Erwachsenwerdens parallel bei Schröder, den Parteien, der Bevölkerung und der deutschen Nation. Der Spiegel folgt dabei dem Motto, welches auf eine Äußerung Adenauers zurückgeht: »Führen heißt Überzeugen, nicht Befehlen« (46/2001: 31), und betont zudem die ›ethischen Beweggründe‹ politischen Handelns wie z.B. mit der Überschrift »Moral statt Machiavelli« (vgl. Kap. IV.2.5). Führungskraft wird dann positiv bewertet, wenn sie auf Verständnis und inhaltliche Überzeugung zielt; dazu gehören Fähigkeiten
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wie Zuhören-Können, Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung und Stimmen der politischen Kritiker_innen, Empathie, Dialogbereitschaft, Kritik- und Lernfähigkeit. Auch Schröders Vermögen, sich als Mensch zu zeigen und Persönliches zu offenbaren, wird im Spiegel positiv herausgestellt und unterstreicht die Nähe zwischen Politik und Bevölkerung. Schröder nimmt v.a. in der Anfangszeit die Rolle des ›starken Führers‹ und ›Therapeuten‹ ein, der Sicherheit und Halt verspricht und die angstgebeutelte deutsche Bevölkerung verantwortungsvoll und sorgend durch die Krise geleitet; bisweilen ähnelt er einem ›Lehrer‹ der den deutschen ›Lernprozess‹ in Sachen Kriegsbereitschaft verständnisvoll-lenkend begleitet. Schröders Versuche, die Kriegskritiker_innen durch Druck und Zwang zur Anpassung zu bewegen, werden dementsprechend negativ kommentiert. Spöttisch fokussiert der Spiegel das selbstgerechte Machtgebaren, welches Schröder mit der aufkommenden Koalitionskrise an den Tag legt. Der Bundeskanzler wird in dieser Zeit verstärkt mit Attributen körperlicher Züchtigung und roher Gewalt in Zusammenhang gebracht, wodurch der harsche Umgang mit den Kriegskritiker_innen als herrisch und rücksichtslos diskreditiert wird. Mitgefühl und Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung, verbunden mit einer inhaltlich-argumentativen Überzeugungsarbeit, werden im Spiegel gegenüber einem autoritären, machtpolitischen Führungsstil eindeutig bevorzugt. Der Berichterstattung der FAZ liegt hingegen ein anderes Ideal politischer Führung zugrunde, welches eher einem (neo-)realistischen Politik(er)verständnis entspricht. Moralische Unabhängigkeit von Kritiker_innen und Bevölkerung werden hier als notwendige Eigenschaft betrachtet, damit der Staatsmann autonom und zweckrational – allein im Interesse des Staates – handeln kann. Der Staatsmann darf sich gerade nicht von moralischen Zweifeln und ethischen Bedenken, z.B. dem Verweis auf Menschenrechte, ›einlullen‹ und ablenken lassen. So werden in der FAZ das von Schröder gezeigte Verständnis für die Kriegsgegner_innen und die Kompromisse mit dem grünen Koalitionspartner negativ bewertet und als Führungsschwäche und ›Laschheit‹ interpretiert. Aus Sicht der FAZ hat Schröder gerade durch den Mangel an Härte und Unnachgiebigkeit den deutschen Interessen großen Schaden zugefügt. Autonomie, moralische Unabhängigkeit und ein starker, machiavellischer Führungsstil werden hier im Unterschied zum Spiegel positiv bewertet. Im Spiegel fällt die Darstellung und Bewertung von Macht und Stärke uneindeutig aus. Insbesondere im Vorfeld der Vertrauensfrage wird Schröder als roher Machtpolitiker präsentiert, der sich willensstark und autoritär durchzusetzen vermag und bestrebt ist, Widersacher_innen auszuschalten. Was jedoch phasenweise als blanker ›Machtwahn‹ diskreditiert wird, wird an anderer Stelle als notwendige Eigenschaft in der Krise begrüßt. Stärke und Unnachgiebigkeit werden im Spiegel v.a. dann gutgeheißen, wenn es um die Entwicklung eines eigenen deutschen Profils in Abgrenzung zu den USA geht. Direkte, offen geäußerte Kritik bezieht sich fast ausschließlich auf die US-amerikanische Politik und das kriegerische Vorgehen in Afghanistan – und nicht auf die bevorstehenden ›Umbauarbeiten‹ der deutschen Außenpolitik. Die Kritik an der amerikanischen Kriegsführung und der ›uneingeschränkten Solidarität‹ führt jedoch keineswegs zu einer grundsätzlichen Ablehnung einer militärischen Konfliktaustragung. Der Spiegel, so scheint es, erzürnt sich v.a. an der unterwürfigen Haltung Schröders gegenüber den USA. Im weiteren Verlauf der Berichterstattung, insbesondere nach Beginn des Afghanistankrieges und der sich zuspitzenden Koalitionskrise, wird die Darstellung
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Schröders zunehmend ambivalent. In Spiegel und FAZ konkurrieren unterschiedliche Charakterisierungen und Bewertungen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Darstellungen der einzelnen Politiker nicht nur im chronologischen Verlauf, sondern auch in der Gesamtschau zu betrachten. So sticht der deutsche Bundeskanzler Schröder v.a. im Spiegel – im Vergleich mit der Darstellung des US-Präsidenten – als der eindeutig ›bessere‹ Politiker hervor. Trotz der bisweilen kritisch-spöttischen Distanz in FAZ und Spiegel wird die Figur Schröder zu keiner Zeit in der Rolle als professioneller Politiker grundsätzlich in Frage gestellt, wie es phasenweise mit Bush oder auch den Grünen geschieht.
2.8.2 Personenbezogene Deutungsmuster in der internationalen Politik: Er wachsenwerden, Krisenbewältigung, Freundschaft Beide Medien deuten die Ereignisse des 11. September als ›Epochenzäsur‹ sowohl für die internationale wie auch die nationale Politik. Vor diesem Deutungshintergrund kommt Schröder in beiden Medien die heldenhafte Rolle des ›Vorreiters‹ und ›Pioniers‹ zu, der mit dem Herkömmlichen bricht und etwas Neues anstößt, nämlich eine grundlegende Veränderung der deutschen Sicherheits- und Außenpolitik. Der vermeintliche Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik wird dabei als Effekt eines unausweichlichen Prozesses des ›Erwachsenwerdens‹ und ›Reifens‹ metaphorisiert. Die Deutung des 11. September als persönliche und politische ›Reifeprüfung‹ lässt diese als eine spezifische Männlichkeitsinszenierung hervortreten, an deren Bewältigung sich das Format eines zum Manne gereiften Staatsmannes ebenso zeigt wie die vollständige staatliche Reife einer Nation. ›Erwachsenwerden‹ vollzieht sich als ›Mannwerdung‹ durch eine Militarisierung der Außenpolitik, d.h. eine Aufwertung staatlicher Gewaltbereitschaft und der Ausweitung des militärischen Aktionsradius. Das Verhältnis Deutschlands zu den USA wird dabei als eine ausgewogene Freundschaft bzw. Partnerschaft zwischen gleichwertigen Partnern metaphorisiert, die sich v.a. für die FAZ durch gemeinsame Kampfbereitschaft, Solidarität, Zusammenhalt und wechselseitige Verpflichtung, für den Spiegel hingegen auch durch die Möglichkeit von Differenz und Kritik auszeichnen. In beiden Medien ist von ›Rechten und Pflichten‹ die Rede, die das ›Erwachsenenleben‹ – in diesem Fall die Weltpolitik – nun mal mit sich bringe. Jedoch kann Deutschland erst durch eine Militarisierung der Außenpolitik zum gleichwertigen ›Freund‹ und ›Partner‹ auf dem Parkett der internationalen Politik werden. Krieg beziehungsweise Kriegsbereitschaft fungieren in diesem Sinne als ›Aufnahmeritus‹ in die internationale Politik. Das Deutungsmuster ›Erwachsenwerden‹ beinhaltet zudem die notwendige Abkoppelung von bisherigen Abhängigkeitsverhältnissen bzw. den ›Erziehungsberechtigten‹ und die Ausbildung einer eigenen ›Persönlichkeit‹. Folgt man der mit dem Deutungsmuster (insbesondere im Spiegel) verbundenen Narration, bedeutet das übertragen auf die deutsche Nation v.a. eine ›Emanzipation‹ von den USA, die zuvor für den ›Schutz‹ des ›kindlichen Partners‹ zuständig waren und zudem sein (politisches) Handeln bevormundet und begrenzt hatten. Alternativen sind damit verworfen, würden sie doch im Umkehrschluss ein bewusstes Verharren im kindlichen Stadium, Realitätsverlust bzw. die Fortschreibung politischer Illusionen und Tabus und die Verweigerung vermeintlich rationaler Einsichten – und damit insgesamt eine Gefährdung der deutschen Interessen – bedeuten. Im Verlauf des Novembers verlagert sich der Blick von der internationalen Politik auf die politischen Zustände im Inneren Deutschlands. Parallel zum Afghanis-
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tankrieg spielt sich der rot-grüne ›Koalitionskrieg‹ als ›innerer Krieg‹ ab und rückt den ›äußeren Krieg‹ in den Hintergrund. In der stark personalisierten Berichterstattung wird die innenpolitische Krise primär als individuelle Führungsschwäche und persönlich-politische Krise des Staatsmanns Schröder inszeniert und die Vertrauensfrage dementsprechend als entscheidender Versuch gedeutet, der Krise Herr zu werden und – gemäß der medialen Kriegsmetaphorik – den ›Sieg‹ über die Gegner_innen im ›Innern‹ davonzutragen. Der Narration einer ›individuellen Krise‹ folgend, muss sich Schröder in der FAZ v.a. gegen Kriegskritiker_innen aus den eigenen Reihen und gegen die Partei der Grünen behaupten – er ›versagt‹ schließlich aufgrund persönlicher (Führungs-)Schwäche und fehlenden Kampfesgeists. In der vom Spiegel verfolgten Narration muss Schröder sich hingegen eher gegenüber den USA profilieren. Er setzt sich schließlich innenpolitisch mit knapper Mehrheit durch und geht als Sieger aus der Vertrauensfrage hervor. Eine prinzipiell ablehnende Haltung gegenüber militärischer Gewaltanwendung scheint nun nicht länger denk- und sagbar, sie wird fortan als spezifisches ›Problem‹ der Grünen verhandelt (dazu im nächsten Kapitel). Im Gegenzug wird Deutschland als starkes Gegengewicht zu den USA konstruiert, als eine Nation, die sich zwar nicht vordergründig militärisch versteht, die aber in Afghanistan eine zentrale Rolle übernehmen will. Die gesellschaftspolitische Tragweite der Entscheidung über die Entsendung deutscher Soldaten nach Afghanistan tritt insbesondere im Spiegel hinter die stark dramatisierende Berichterstattung über den innenpolitischen ›Koalitionskrieg‹ zurück. Skepsis und Kritik richten sich weniger gegen den militärischen Einsatz, sondern v.a. gegen die Figur Schröder. Im Fokus stehen dessen individuelle Eigenschaften und sein öffentliches Auftreten, das insbesondere im Vorfeld der Vertrauensfrage als ›zu hart‹ und überzogen diskreditiert wird.
2.8.3 Diskurspositionen: Konstruktionen deutscher und US-amerikanischer Identität in FAZ und Spiegel Die Analyse zeigt, dass die Darstellung des deutschen Bundeskanzlers nicht zu trennen ist von Aussagen über Deutschland und Europa bzw. darüber, wie ›die Deutschen‹ bzw. ›die Europäer‹ oder ›die deutsche/europäische Politik‹ und ›Kultur‹ vermeintlich beschaffen sind. Solche Aussagen konstituieren ein spezifisches ›Wissen‹ über Deutschland/Europa und sind damit als Teil eines nationalen Identitätsdiskurses zu begreifen, der das Wissen über die deutsche Nation bündelt und reguliert. Die Debatten um eine neue deutsche Außenpolitik nach dem 11. September bzw. die neue Rolle Deutschlands in der Welt lassen sich dabei als Selbstvergewisserungsund Neubestimmungsprozesse einer politisch-nationalen Identität Deutschlands interpretieren. Im Spiegel vollzieht sich dieser Prozess v.a. über die Abgrenzung von den USA. Im Gegensatz zur ›Cowboy-Nation‹ USA konstituiert sich ein Bild von Deutschland/Europa als einer zurückhaltenden und defensiven, in ihrem Kern friedliebenden und auf Gewaltfreiheit ausgelegten »Zivilmacht« (Maull 2007) bzw. »Friedensmacht« (SPD)9, die einen Krieg nur schweren Herzens und allenfalls als letztes Mittel der Politik akzeptiert – die den Einsatz militärischer Mittel jenseits der territorialen Außengrenzen jedoch auch nicht länger grundsätzlich ausschließt. ›Lern9 | »Deutschland Friedensmacht« lautete ein Slogan, mit dem die SPD 2002 in den Wahlkampf zog.
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fähigkeit‹ – gemeint ist die grundsätzliche Bejahung militärischer Mittel nach 9/11 bei gleichzeitiger ›Zurückhaltung‹ bezüglich ihrer Anwendung – wird als positiver Wert in das nationale Selbstverständnis integriert (›zivilisatorischer Fortschritt‹) und von einem US-amerikanischen ›Hurra-Patriotismus‹ abgegrenzt. Moralität und Wertegebundenheit gehören zu den konstitutiven Bestandteilen der neuen deutschen politischen Identität als ›moralisch geläuterter Nation‹. Was für die USA – so v.a. der Spiegel – ›Hurra-Patriotismus‹, ›Abenteuer‹ und ›Kriegsbegeisterung‹ sind, sind für Deutschland die ›Lehren aus der Geschichte‹ und eine daraus resultierende prinzipielle ›Kriegsangst‹ sowie eine ›ethischen Werten‹ verpflichtete Außenpolitik. Eine Distanz zu Krieg und Patriotismus werden als spezifischer Wesenzug der deutschen Nation proklamiert. Nationalstolz, Kriegslust und Rachebedürfnisse werden im Gegenzug wiederum vom Spiegel ausschließlich den USA zugeordnet und konstituieren somit eine fundamentale Differenz zwischen Amerika und Deutschland: Anders als Deutschland hätten die USA »aus den Lehren der Geschichte wenig gelernt« (45/2001: 141f). Die für die Auswirkungen des 11. September speziell auf die deutsche Politik angebotenen Deutungsmuster ›Tabubruch‹ und ›Epochenzäsur‹ lassen dabei alle bisherigen Entwicklungen in den Hintergrund treten und Kontinuitäten unsichtbar werden. Die Militarisierung und Normalisierung der deutschen Außenpolitik ist jedoch ein Prozess, der nicht erst mit dem 11. September begonnen hat, liegt doch der erste Out-of-area-Einsatz der Bundeswehr 2001 bereits mehrere Jahre zurück (1993 in Somalia). Und auch der erste Militäreinsatz der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg fand bereits zwei Jahre vor dem 11. September statt (Kosovokrieg 1999). Die geschlechtlichen Implikationen in der Repräsentation der beiden Kollektive sind unverkennbar. Während Europa und insbesondere Deutschland mit ›Frieden‹ oder zumindest einer grundsätzlichen Friedensnähe und Friedfertigkeit assoziiert werden, werden die USA mit ›Kampf‹ und ›Krieg‹ gleichgesetzt. Auch Zuschreibungen wie ›zivil‹ und ›defensiv‹ folgen eher stereotypen Weiblichkeits- denn Männlichkeitsvorstellungen, genauso wie die Behauptung, die Europäer seien ›sensibler gebaut‹ als die Amerikaner (FAZ; vgl. Kap. IV.1.5). Während die USA auf der Täterseite verortet werden, werden Deutschland und Europa zu potentiellen ›Opfern‹ der USA, die – wie im Spiegel befürchtet – die Verbündeten in einen rücksichtslosen ›Rachefeldzug‹ und ›Dritten Weltkrieg‹ hineinziehen könnten. Im Vergleich mit der Konstruktion von Europa/Deutschland weist das Bild der USA im Spiegel sogar ein deutliches ›Zuviel‹ an Männlichkeit auf; die USA werden durchgängig als aggressiv, bellizistisch und machohaft dargestellt. Die Konstruktion einer deutsch-europäischen Identität vollzieht sich im Spiegel durchgängig durch Abgrenzung von den USA und die permanente Betonung der vermeintlichen Differenzen zwischen einem US-amerikanischen und einem deutschen Politikverständnis, wie es z.B. in der für die deutsche Politik propagierten Maxime ›Risiko Ja – Abenteuer Nein‹ zum Ausdruck kommt. Der Begriff ›Risiko‹ eröffnet jedoch zugleich ein neues Sagbarkeitsfeld für die deutsche Politik: Er beinhaltet ausdrücklich die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel unter Inkaufnahme vermeintlich kalkulierbarer ›Risiken‹. Andererseits werden jedoch in beiden Medien die Gemeinsamkeiten zwischen Bush und Schröder betont, wenn es um die Neujustierung der internationalen Ordnung und der deutschen Außenpolitik geht. Zentral ist die Konstruktion von Deutschland, Europa und den USA als Solidargemeinschaft oder »Schicksalsge-
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meinschaft« (FAZ). Überschriften wie »Wir sind eine Welt« (Spiegel) propagieren eine gemeinsame ›westliche‹ Identität und machen deutlich, dass Deutschland – wenn auch indirekt – selbst von den Anschlägen getroffen ist. Vor diesem Hintergrund werden Bush und Schröder als Verbündete im Kampf gegen einen äußeren Feind, den ›internationalen Terrorismus‹, herausgestellt, wobei das Bild einer gleichberechtigten Partnerschaft und (Männer-)Freundschaft dominiert. Die Darstellung Schröders weist insbesondere in der ersten Zeit deutliche Parallelen zu der von Bush auf: Aktivität, Stärke, Führungskraft und Einsatzbereitschaft werden als zentrale Kompetenzen herausgestellt. Während sich die FAZ prinzipiell auf der Seite Amerikas verortet und die Gemeinsamkeiten zwischen USA und Europa als einer ›Schicksals-‹ und ›Wertegemeinschaft‹ betont, ist im Spiegel fast durchgehend eine anti-amerikanische Haltung auszumachen. Dabei wird jedoch die Zugehörigkeit zur ›freien westlichen Welt‹ ebenso wenig in Frage gestellt wie die ›neue Rolle‹ Deutschlands in der Weltpolitik, die im Spiegel jedoch v.a. als politisches und moralisches Gegengewicht zu den USA verstanden wird. In der Konstruktion von Deutschland/Europa als ›positiver Gegenmacht‹ zu den USA wird militärische Stärke implizit gutgeheißen oder zumindest als unabwendbar hingenommen. Es kommt zu einer deutlichen Verschiebung des Sagbarkeitsfeldes: Militärische Stärke wird nicht länger ausgeschlossen, sondern als unvermeidliche Bedingung präsentiert, will Deutschland in der internationalen Politik als ›gleichwertiger Partner‹ anerkannt werden, die USA in ihrer unkontrollierten Machtausübung bremsen und die terroristische Gefahr bannen. Prinzipielle Zweifel und Kritik gegenüber dem Einsatz militärischer Mittel werden im Spiegel ausschließlich an den USA festgemacht, wohingegen die zunehmende Militarisierung der deutschen Politik von einer grundlegenden Kritik ausgespart bleibt. Wenn überhaupt Kritik geäußert wird, dann richtet sie sich gegen einzelne politische Akteure, wie z.B. gegen das autoritäre und selbstgefällige Auftreten des Kanzlers, aber kaum noch gegen die mit der Vertrauensfrage verbundene, eigentliche politische Entscheidung: die Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan. Die Kritik an Schröder und seinem ›Kriegskurs‹ richtet sich zudem nicht gegen den Einsatz militärischer Mittel generell, sondern v.a. gegen eine zu starke Bindung an die USA. Durch den Vergleich der Analysen der Figuren Bush und Schröder lässt sich erneut das Feld des Sagbaren umreißen, in dem sich die verschiedenen medial angebotenen Deutungs- und Handlungsoptionen bewegen. Mögliche Reaktionen auf den 11. September werden angesiedelt zwischen einem notwendigen, aber zurückhaltenden, auf Lernprozessen und Entwicklungen beruhenden, keinen patriotischen oder machtpolitischen Interessen folgenden Militäreinsatz auf der einen Seite und einem patriotischen, Macht und Stärke offen demonstrierenden, eigenen Interessen folgenden Militäreinsatz, für den die USA stehen, auf der anderen Seite. Die behaupteten Differenzen zwischen einem besonnenen, abwägenden Deutschland und einem wehrhaften und militärische Stärke offensiv begrüßenden Amerika zeigen sich am stärksten in der polarisierenden Gegenüberstellung von Schröder als ›gewissenhaftem und zupackendem Staatsmann‹ und Bush als ›irrationalem und gefährlichem Cowboy‹ im Spiegel. In der FAZ fungieren Bush und die US-Politik vielmehr als ›Vorbild‹ für die Neuausrichtung der deutschen Politik im Namen der Sicherheit und der ›deutschen Interessen‹: Im Unterschied zum Spiegel propagiert die FAZ ein offenes und unver-
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stelltes Ja zu einem militärisch starken Staat und plädiert gerade für ein Ablegen des zivilen Anstrichs der deutschen Politik und der damit einhergehenden moralischen Überhöhung politischen Handelns. Die Berufung auf spezifische Werte wie humanitäre Hilfe oder Menschenrechte erfüllt aus Sicht der FAZ primär eine innenpolitische Funktion: Demnach verklären sie den militärischen Einsatz, stellen aber nicht dessen eigentliches Ziel dar. Die Argumentation der FAZ orientiert sich dabei durchgängig am Leitbild eines starken, wehrhaften Staates, verbunden mit einer an ›realistischen‹ Erfordernissen orientierten Außen- und Sicherheitspolitik, die auch militärische Mittel als ›letztes Mittel‹ umfasst. Zudem folgt die FAZ der Einschätzung Schröders, dass es bei der Zustimmung der deutschen Regierung zum NATO-Bündnisfall weniger um die ›formale Erfüllung‹ einer übernommenen Bündnisverpflichtung gehe, sondern um eine ›moralische Verpflichtung‹, kurz eine ›Dankesschuld‹ gegenüber den USA, der sich Deutschland nicht entziehen dürfe. So ist es aus Sicht der FAZ längst an der Zeit, es nicht länger bei verbalen Solidaritätsbekundungen zu belassen. Den Worten müssen Taten folgen, so der Tenor der FAZ, wenn Deutschland zu einem ernstzunehmenden Partner in der Weltpolitik werden will. Die Ereignisse des 11. September und die angekündigte Bereitschaft zu einer militärischen Unterstützung der USA im Anti-Terror-Kampf werden indes als »Stunde der Wahrheit« (15.9.01: 4) gedeutet, die zeigen werde, wie stark der transatlantische Zusammenhalt tatsächlich sei. In Bezug auf militärische Gewaltausübung und den ›Kriegskurs‹ Schröders bleibt der Spiegel hingegen ambivalent: Die kriegsbefürwortende Politik der Regierung und das harte, machtpolitische Auftreten des Bundeskanzlers werden im Spiegel zwar häufig spöttisch-distanziert kommentiert. Eine ganz andere Form der Politik, die anti-militaristische oder pazifistische Optionen favorisiert, wird jedoch auch im Spiegel nicht thematisiert – sie scheint in Anbetracht des 11. September endgültig fehl am Platze. Zwar wird eine militärische Beteiligung Deutschlands nicht unbedingt begrüßt und die Entscheidung von Skepsis begleitet, gleichzeitig wird jedoch auch im Spiegel ein neues globales Bedrohungsszenario konstruiert, das Deutschland letztendlich keine andere Wahl lasse. So heißt es in Bezug auf einen militärischen Anti-Terror-Kampf, es sei eine »Illusion« zu glauben, dass Deutschland »dieser Gefahr durch Wegducken und Nachgeben entgehen könne« (45/2001: 24). Militärische Gewaltausübung wird nicht generell abgelehnt, es kommt vielmehr zu einer Unterscheidung zwischen ›guter‹ und ›schlechter‹ kriegerischer Gewalt. Militäreinsätze sollen demnach streng kalkuliert, von diplomatischen Interventionen begleitet, multilateral getragen und in ihren Auswirkungen auf die Bevölkerung begrenzt vonstatten gehen. Ein ›massives‹ Vorgehen, ein ›Abenteuer‹ wie es den USA zugeschrieben wird, das in seiner Gewalt unbegrenzt ist und viele unschuldige Opfer fordert, wird hingegen abgelehnt. Darüber hinaus wird ein diskursiver Kontext erzeugt, der besagt, wer auf der Bühne der internationalen Politik mitspielen will, wer also die USA stoppen will, muss sich den gültigen Standards und Regeln in Bezug auf militärische Gewaltanwendung fügen – wodurch diese als unhinterfragbar, quasi naturgegebene politische Handlungsformen manifestiert werden. Die Kritik an Schröders Kriegskurs wird damit gleichsam performativ unterlaufen, denn so stehen sein Handeln und damit die Regierungspolitik letztlich auch im Spiegel ohne Alternativen da. Parallel dazu werden Kritiker_innen der Regierungspolitik, die anti-militaristische oder kriegskritische Positionen vertreten, in einer bestimmten, abwertenden Art und Weise
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gerahmt, was ich anhand der Analyse der Repräsentation der grünen Parteibasis im Folgenden zeigen möchte.
3. J OSCHK A F ISCHER UND D IE G RÜNEN — ›H ELDEN ‹ UND ›H EULSUSEN ‹ Der Partei Bündnis 90/Die Grünen (Grüne) kommt in der Berichterstattung von FAZ und Spiegel eine besondere Bedeutung zu, auch wenn auf sie nicht ganz so häufig und ausführlich Bezug genommen wird wie auf die (Politiker-)Figuren Schröder und Bush. Die Partei tritt dabei zumeist als kollektiver Akteur auf. Als Einzelakteure stehen v.a. der grüne Außenminister Joschka Fischer und zeitweise auch die Parteivorsitzende Claudia Roth im Fokus. Wie bereits ausgeführt, richtet sich die Aufmerksamkeit von FAZ und Spiegel ab November 2001 v.a. auf die deutsche Innenpolitik und fokussiert neben der rot-grünen Koalitionskrise die parteiinterne Auseinandersetzung um die deutsche Kriegsbeteiligung. Den Grünen – v.a. der Parteibasis – kommt dabei im Verhältnis zu Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer die Rolle des ›Gegenspielers‹ zu, der durch einen potentiellen ›Boykott‹ die Politik der ›uneingeschränkten Solidarität‹ mit den USA zum Scheitern zu bringen droht. Über die Grünen wird primär im Zusammenhang mit den Diskurssträngen Pazifismus und Kriegskritik berichtet. Dabei kommt es zu einer deutlichen Parallelisierung zwischen den Grünen und der deutschen Gesellschaft, die in ihrer Haltung zur Kriegsfrage ebenfalls als zutiefst gespalten präsentiert wird. Die Debatte um eine deutsche Kriegsbeteiligung am Anti-Terror-Kampf und die damit verbundene Neujustierung der deutschen Außenpolitik werden etwa ab November 2001 nahezu ausschließlich vermittelt über die Grünen ausgetragen und dabei als deren ›Identitätskonflikt‹ und ›Sinnkrise‹ inszeniert. Die Grünen verkörpern damit eine vermeintlich kriegsferne ethische Grundhaltung und das ›Gewissen‹ der deutschen Nation. FAZ und Spiegel fokussieren im Verlauf der Berichterstattung den ›Spagat‹ der Grünen zwischen ihrem ›pazifistischen Erbe‹ und den ›neuen politischen Herausforderungen‹ nach dem 11. September.
3.1 Der grüne ›Krieg‹ um die reine Lehre In FAZ und Spiegel werden die Grünen von Beginn an als eine Partei gezeichnet, die in Folge des 11. September vor einer schweren Grundsatzentscheidung und zugleich einer Zerreißprobe stehe. Während die SPD und auch die bürgerlichen Oppositionsparteien geschlossen hinter Schröder stünden, ringe »der grüne Koalitionspartner […] schwer mit seinem pazifistischen Erbe« (Spiegel 53/2001: 32). Die Entscheidung über eine militärische Beteiligung der Bundeswehr berge für die Grünen »existenzbedrohende Sprengkraft« (FAZ 27.9.01: 3) und wird entsprechend als ›Existenzfrage‹ inszeniert, die – nicht zum ersten Mal – die Partei zu entzweien drohe: »Der alte Konflikt droht die Partei jetzt erneut zu zerreißen. Selbst wenn die Koalition auch die Vertrauensabstimmung in dieser Woche im Bundestag übersteht, so die Ahnung mancher Grüner – beim Parteitag übernächstes Wochenende in Rostock könnte sie endgültig zerbrechen. Diesmal wird es ernst.« (Spiegel 46/2001: 31)
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Die Beteiligung am Kosovo-Einsatz konnten die Grünen gerade noch mit den anhaltenden Massenmorden und den Menschenrechtsverletzungen auf dem Balkan begründen. Im aktuellen Konflikt stehen sie emotional und strukturell nicht auf seiten Schröders und nicht auf seiten der internationalen Koalition gegen den Terrorismus. Siebzig Prozent der Parteibasis, so lauten die Schätzungen, seien gegen diesen Kurs, das sie stützende Umfeld sowieso.« (FAZ 15.11.01: 1)
Parallel zu dem befürchteten Auseinanderbrechen der rot-grünen Koalition wird ein dramatisches Ende der Grünen beschworen. Formulierungen wie »Todesstoß für den kleinen Koalitionspartner« und »Grüne vor dem Abgrund« (Spiegel 47/2001: 25), »Anfang vom Ende« (Spiegel 39/2001: 36), »Grüne Zerreißproben« (Spiegel 41/2001: 6; 43/2001: 22f; FAZ 26.11.01: 1) und »Die grüne Angst vorm Untergang« (Spiegel 43/2001: 6) bekräftigen das Deutungsmuster einer existenziellen Krise bzw. einer Entscheidung über ›Leben und Tod‹. Die Debatte um eine deutsche Kriegsbeteiligung wird als ›innerer Kampf‹ oder gar ›Krieg‹ der Grünen metaphorisiert: Laut Spiegel tobe »der Grüne Krieg um die reine Lehre« (47/2001: 36) bzw. ein »innerparteiliche[r] Krieg um den Kurs der Partei« (43/2001: 23), während die FAZ von einem »Kampf ›Grüne gegen Grüne‹« spricht, bei dem sich die Frage stelle, ob sie sich nach dem 11. September »endgültig selbst außer Gefecht setzen« (26.11.01: 1). Nach erfolgter Vertrauensabstimmung stehe »die eigentliche Schlacht um den Fortbestand der Grünen« (Spiegel 47/2001: 36) bevor, in der die Gegenseite »bis aufs Blut« bekämpft (ebd.: 38) würde. Als zwei vermeintlich unvereinbare ›Fronten‹ stehen sich dabei die »inzwischen an das Regieren gewöhnten Grünen-Funktionäre« (FAZ 8.10.01: 1) auf der einen Seite und die noch immer an pazifistischen Werten festhaltende Parteibasis der »Friedensbewegten« (Spiegel 46/2001: 29; 47/2001: 26) auf der anderen gegenüber. Die Berichterstattung ist gekennzeichnet durch eine Polarisierung zwischen ›Macht‹ und ›Regierungsfähigkeit‹ sowie (pazifistischem) ›Gewissen‹ und ›Geist‹: »Die Grünen sind die Partei des Spagats zwischen Geist und Macht, zwischen Moral und Amt.« (Spiegel 47/2001: 224) »Die Bruchlinie […] verläuft jetzt zwischen Funktionsträgern auf der einen sowie unzufriedenen Wählern und alarmierten Mitgliedern auf der anderen Seite.« (Spiegel 40/2001: 23)
Während die kritischen Untertöne dem Gesamteindruck von Fischer als professionellem Regierungspolitiker nichts anhaben können, werden die außerparlamentarische Basis und Kriegskritiker_innen der Grünen im Verlauf der Berichterstattung mehr und mehr negativ bzw. als unzeitgemäß und nostalgisch dargestellt und ihre Regierungstauglichkeit grundlegend in Frage gestellt. Im Gegensatz zu den so genannten Realos der Partei werden die Basisgrünen als Gruppe präsentiert, die in erster Linie ihr ›gutes Gewissen‹ pflege und an längst überholten Werten wie Pazifismus und Weltfrieden festhalte. Dabei wird jedoch häufig nicht zwischen Basis und Gesamtpartei unterschieden, wodurch die Grünen insgesamt (mit Ausnahme von Fischer) in Misskredit geraten. Die (vornehmlich) grünen Kriegskritiker_innen werden in der FAZ mit kreativen Wortschöpfungen wie »verzärtelte Bedenkenträger« (27.10.01: 13), »Friedensrendite-Spekulanten« (12.10.01: 1) oder »grüne Bauchnabeldiplomaten« (26.11.01: 1) bespöttelt. Die Darstellung Fischers steht dazu in einem auffälligen Kontrast. Ihm wird durchweg kompetentes und erfolgreiches Politikerhandeln bescheinigt, das sich an den ›realen‹ Erfordernissen der Situation bemesse.
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3.2 Joschka Fischer — ›Retter in der Not‹ Betrachtet man das Porträt des Außenministers in FAZ und Spiegel, sind zunächst die Übereinstimmungen zur Darstellung Schröders auffällig. Der Spiegel wählt häufig identische Formulierungen, um die beiden Regierungspolitiker zu charakterisieren, und beide Politiker werden, wie bereits im Kapitel über Schröder ersichtlich wurde, regelmäßig in einem Atemzug genannt, so ist beispielsweise die Rede vom »souveränen Duo Schröder/Fischer« (40/2001: 26). Fischer wird wie auch Schröder als krisenfester Staatsmann und erfolgreiche Führungsfigur präsentiert; er und Schröder treten zudem als ›Wegbereiter‹ auf, denen es obliegt, die zukünftige Rolle Deutschlands in der Welt neu zu bestimmen und »[b]ei der Gestaltung einer neuen Weltordnung« mitzuwirken (Spiegel 42/2001: 22, Überschrift). Fischer wird zudem mit ähnlichen Attributen wie Schröder ausgestattet: professionell, rational, gewissenhaft abwägend und durch einen Lernprozess geläutert. Auch Entschlossenheit, Kampfgeist, Führungsstärke, Pionierarbeit, Besonnenheit und Moralität werden lobend hervorgehoben, zudem seine – wiederum durch Umfrageergebnisse veranschaulichte – Popularität betont.10 Zu den Eigenschaften, die eher negativ bewertet und bisweilen mit spöttischen Untertönen bedacht werden, gehören ähnlich wie bei der Figur Schröder ein autoritäres, selbstbezogenes Auftreten und ein übertriebenes machtpolitisches Kalkül: Fischer erscheint in der FAZ als »ins Regieren verliebter« Machtpolitiker (24.11.01: 1) und im Spiegel als grüner »Zampano[]« (39/2001: 36). Ironisch-kritisch hervorgehoben wird im Spiegel ebenfalls Fischers harscher Umgang mit parteiinterner Kritik, statt Erpressung und Druck sei Überzeugungskraft gefragt: »Die grüne Basis lässt sich nicht gern erpressen, sie will überzeugt werden« (40/2001: 25). Fischers und Schröders Ähnlichkeit im politischen Auftreten bzw. Habitus wird zusätzlich dadurch bekräftigt, dass ihnen eine freundschaftliche Nähe bescheinigt wird. Die Darstellung folgt hier, insbesondere im Spiegel, dem Motiv einer ›starken Männerfreundschaft‹. Wiederholt werden Schröder und Fischer als ›Partner‹ herausgestellt, die im Kampf gegen den Terrorismus an einem Strang ziehen, füreinander da sind und keine Gelegenheit auslassen, sich auch öffentlich ihrer Wertschätzung und Unterstützung zu versichern: »Da wurde es Außenminister Joschka Fischer zu viel. Demonstrativ stand er auf, klopfte dem Kanzler auf die Schulter und verließ die Regierungsbank. Die Botschaft war klar: Wir stehen das durch. Und: Wir stehen das zusammen durch.« (Spiegel 49/2001: 28)
Wiederholt wird es als Verdienst der beiden Politiker Fischer und Schröder gewertet, dass die Koalition noch nicht auseinandergebrochen sei. Das Berliner Bündnis be-
10 | Wie bei der medialen Präsentation des Bundeskanzlers rekurriert der Spiegel auch bei Fischer regelmäßig auf aktuelle Umfragewerte, die die wachsende Beliebtheit des Außenministers belegen. Laut einer Umfrage im September 2001 sagten 78 % der Befragten, dass sie es gerne sähen, wenn Fischer in Zukunft eine »wichtige Rolle in der Politik« spielte, gegenüber 77 % bei Schröder (39/2001: 64). Im Oktober liegen beide bei 78 % (43/2001: 52), und im November ist Fischer »einsame spitze« und führt mit 80 % vor Schröder mit 75 % die Umfragewerte an (47/2001: 18).
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ruhe vor allem »auf dem Vertrauen zwischen den Anführern Schröder und Fischer« (Spiegel 40/2001: 6). Auch die visuelle Darstellung im Spiegel greift häufig auf Fotos zurück, die die freundschaftliche und politische Verbundenheit der beiden Politiker betonen, wobei v.a. das ›Kumpelhafte‹ der Männerfreundschaft im Vordergrund steht: Schröder und Fischer händeschüttelnd, schulterklopfend oder feixend im Bundestag (vgl. Abb. 4). Abbildung 4: Der Spiegel, Jahreschronik Heft 53/2001, S. 270f und S. 275
Die stark aufeinander bezogene Gestik demonstriert Zusammengehörigkeit, Vertraulichkeit und politische Einigkeit zwischen den beiden führenden Regierungspolitikern und bestätigen das prototypische Bild männlicher Berufspolitiker, wie es auch Schöler-Macher (1994: 30) herausgearbeitet hat: Uniformiert in immer gleichen Anzügen, gewichtig, machtvoll, in männlich-militärischem Schulterschluss, sich ihre gegenseitige Achtung und persönliche Verbundenheit versichernd, verkörpern sie die ›männliche Arbeitsgemeinschaft‹ der politischen Arena, in der Frauen marginalisiert, wenn nicht ausgeschlossen werden (vgl. Kap. I.1.2.1). Beide Medien stellen Fischer als den populärsten und bedeutsamsten Politiker der Grünen heraus, der nicht nur in der Partei, sondern auch in der deutschen Bevölkerung über großes Vertrauen verfüge, wobei die Fischer zugeschriebene Glaubwürdigkeit insbesondere aus seiner politischen – von der Öffentlichkeit aufmerksam begleiteten – Wandlung zu resultieren scheint. Wiederholt wird der Entwicklungsprozess, den die Grünen von der Studenten- und Friedensbewegung über die Parteigründung und Oppositionsarbeit bis zur Regierungspartei durchlaufen hätten, in den Fokus genommen. Das vorherrschende Deutungsmuster, mit dem diese Veränderungen eingeordnet und interpretiert werden, ist das eines fortschreitenden Erkenntnis- und Reifungsprozesses, zusammengefasst als »grüner Lernprozess« (Spiegel 43/2001: 24). Als Vorbild und Vorreiter, der gleichsam vorgemacht hat wie es geht, fungiert dabei Fischer, der mit seiner 68er-Vergangenheit einen bemerkenswerten Werdegang vom jugendlichen ›Protestler‹, dessen politisches Forum »Bürgersteig« und »Straßenschlachten« waren (FAZ 26.11.01: 12), zum jetzigen Außenminister durchlaufen habe; ein Prozess, in dessen »Verlauf der Frankfurter Sponti seine Lederjacke an den Haken hängte und gegen den Dreiteiler des Staatsmannes eintauschte« (FAZ 12.11.01: 13). »Statt Straßenkampf der ›Marsch durch die Institutionen‹ […]. Aber der Wechsel des Handlungsparadigmas bedeutete noch mehr als das: In ihm manifestierte sich die Anerkennung
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN der parlamentarischen Demokratie durch die Linke, auch wenn dies durchaus noch ironisch gebrochen sein mochte, wie Fischers Amtsantritt als hessischer Minister in Turnschuhen zeigte. Zum anderen bezog die realpolitische Wende auch die Inhalte ein, das Machbare bestimmte zunehmend den politischen Horizont und verdrängte ideologiegetränkte Postulate.« (Ebd.)
Während Fischer und andere Regierungsgrüne aus Sicht der Medien dabei die ›ideologischen Wurzeln‹ wie z.B. eine pazifistische Grundhaltung längst gekappt und den realpolitischen ›Lernprozess‹ somit erfolgreich beendet haben, wird durchweg bezweifelt, »daß die Grünen sich gewandelt hätten von einer die Nato kritisierenden zu einer die Nato bejahenden Partei«; vielmehr hielten »viele« die NATO weiterhin für »nicht mehr als ein notwendiges Übel« (FAZ 8.10.01: 1). »Einst, 1983, waren sie als parlamentarischer Arm der Friedensbewegung, die gegen die Raketen-Nachrüstung der Nato protestierte, mit Sonnenblumen und Forsythien in den Bundestag eingerückt. […] Doch seit dem Golfkrieg 1991 und der Debatte um die Befriedungsfeldzüge auf dem Balkan machen die Grünen einen quälenden Lernprozess durch. […]. Die Erkenntnis greift um sich, dass der Leitsatz ›Frieden schaffen ohne Waffen‹ nicht mehr als Programm taugt.« (Spiegel 53/2001: 275)
Neben seiner Zuständigkeit für die deutsche Außenpolitik weisen FAZ und Spiegel dem Außenminister v.a. innerparteiliche Aufgaben zu: So obliege es Fischer, die Gesamtpartei zusammenzuhalten und vom (Kriegs-)Kurs der Regierung zu überzeugen. Aus Sicht der Medien gelingt ihm dies aufgrund seines mal integrierenden, mal autoritären Führungsstils – der »beliebten Mischung aus Schmeicheln und Drohen« (Spiegel 46/2001: 25). Fischer tritt als sensibler ›Moderator‹ auf, der »in der Afghanistan-Diskussion […] stets den richtigen Ton gegenüber der Partei [treffe]« (FAZ 12.11.01: 1), oder aber als ›Tröster‹ bzw. ›Therapeut‹, der »den Bauch der Partei [beschwichtigt]« (FAZ 8.10.01: 1) und sich um die »geschundene Seele der Ökopax-Partei« (Spiegel 48/2001: 32) kümmere; aber auch als strenger ›Lehrer‹, der den Grünen eine »Lektion in Regierungshandeln« (Spiegel 47/2001: 38) erteile, oder als politischer ›Zuchtmeister‹, der den Abweichlern »Klassenkeile« (ebd.) androhe; dann wiederum als kühl berechnender ›Anführer‹. »Stets versuchte Fischer durch Einbinden möglichst breiter Teile seiner Partei den insgesamt sturen politischen Kopf durchzusetzen. In den Jahren, da er sich den Ruf des heimlichen Parteivorsitzenden erwarb, stellte er fest, daß er mit Werben und Beharren in seiner Partei besser ankommt als mit aggressiven Vorstößen.« (FAZ 26.11.01: 12) »Die regierende Koalition ist zum Zerreißen gespannt. Außenminister Fischer hat zum letzten Mittel der innerparteilichen Disziplinierung gegriffen: Er droht mit seinem Rücktritt, unmißverständlich und klar konditioniert. […] Der Druck wird wachsen, solange der Krieg dauert. Fischer hat die Lage – auch seine persönliche – erkannt, sein Einsatz ist ihr angemessen.« (FAZ 9.11.01: 1)
Letztendlich gelinge es Fischer durch seine Unnachgiebigkeit jedoch, die Mehrheit in der Partei zur Zustimmung zu bewegen. Aus Sicht von Spiegel und FAZ muss Fischer jedoch zusätzlich zu allerhand ›Tricks‹ und rhetorischen ›Beruhigungsmitteln‹ greifen, um die Partei zu beschwichtigen und ihr die bittere Entscheidung für
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einen Militäreinsatz zu ›versüßen‹. Und auch, wenn bei den Grünen nicht immer klar ist, ob Fischer »Buhmann oder Heilsbringer« (Spiegel 47/2001: 38) ist – für die Medien wird er zum ›Retter in der Not‹, der die Grünen vor dem ›Untergang‹ bewahrt und den »Niedergang noch einmal abwenden« (ebd.) kann. Insgesamt betrachtet, entspricht Fischer aus Mediensicht einem engagierten ›Kämpfer‹, der unerschrocken für die richtige Sache eintritt: »Gekämpft hat auch Außenminister Fischer, nicht nur als er drohte, sein Amt niederzulegen, sondern auch in der Sitzung vom Dienstag. […] Gekämpft hat Fischer am Dienstag Nachmittag für die deutsche militärische Beteiligung, unter anderem mit dem besänftigenden Hinweis, Deutschland beteilige sich weder am Bodenkrieg noch an den Luftschlägen. Gekämpft hat Fischer auch gegen den Fraktionslinken Ströbele. Dem hielt er vor, er habe sich sowohl im Falle des Kosovo als auch Mazedoniens mit seiner radikalpazifistischen Haltung getäuscht.« (FAZ 12.11.01: 1)
Fischer geht eindeutig als ›Gewinner‹ und ›Held‹ aus der Koalitionskrise und dem innerparteilichen ›Krieg‹ hervor. Es wird als sein Verdienst interpretiert, die Grünen zu einer »wirklichen Regierungspartei« (Spiegel 53/2001: 275) gemacht zu haben: »Er [Fischer, A.N.] hat Heroisches erreicht: Er hat – mit der Abstimmung am 16. November über den Afghanistan-Einsatz – eine pazifistische Partei in eine Kriegspartei verwandelt, in eine Partei, die heute heftig verteidigt, was sie gestern heftig bekämpft hat.« (Spiegel 48/2001: 294)
3.3 Irrationalität, Realitätsflucht und Gutmenschentum — das grüne »Öko-Paradies« Gegenüber der überaus wohlwollenden Darstellung Fischers hebt sich die der grünen Rest-Partei deutlich ab. Mit Beginn des Oktobers 2001 werden insbesondere die Basisgrünen und jene Politiker_innen, die einem Krieg kritisch gegenüberstehen, mit abwertenden Etikettierungen versehen. Insbesondere in der FAZ wird die Darstellung der Grünen von Beginn an von Hohn und Spott begleitet, während sich der Spiegel wie gewohnt mit offener Kritik zurückhält. Gleichwohl findet sich in beiden Medien in Bezug auf die Grünen die deutliche Zuweisung von Irrationalität, indem ihnen oftmals der Realitätsbezug und eine ›rationale‹ politische Erkenntnis- und Entscheidungsfähigkeit abgesprochen werden. Die Beschreibungen rekurrieren häufig auf ein Wortfeld aus dem Bereich Fiktion und Utopie, wodurch die Grünen als wirklichkeitsferne Visionäre, Träumer und Weltverbesserer erscheinen, die sich in Wunschvorstellungen und Selbst-Täuschungen verlieren – unfähig und unwillig, der ›harten Wirklichkeit‹ ins Auge zu sehen: »Die Grünen sind das zur Partei gewordene Hadern mit der Realität«, konstatiert die FAZ (26.11.01: 13). In ihrem kleinen »Ökoparadies« (Spiegel 43/2001: 27) stellten sie »Forderungen nach einer heilen, wenigstens nach einer besseren Welt« und seien damit »Lichtjahre weg von der Realität des Außenministers« (Spiegel 47/2001: 25). Selbst nach dem »Epochenbruch vom 11. September« würden viele noch an die »Vision des Weltfriedens« (Spiegel 41/2001: 81) bzw. die »Illusion von einer friedlichen Welt« (FAZ 12.10.01: 1) glauben. Aus Sicht von Spiegel und FAZ sind die grünen Pazifist_innen zu einer angemessenen und objektiven Beurteilung der aktuellen politischen Situation kaum noch in der Lage:
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Phasenweise nahm die Debatte im grünen Milieu gespenstische Züge an, weil die Lücke zwischen den dort gehandelten Phantasie-Szenarien und den realen Vorbereitungen der Amerikaner von Tag zu Tag tiefer klaffte.« (Spiegel 40/2001: 25) »Das Schwergewicht ihrer Argumentation liegt ganz auf dem Humanitären, auf ›ziviler Konfliktbearbeitung und Krisenprävention‹, auf Entwicklungshilfe, auf ›globaler Friedenspolitik‹ und auf dem Dialog der Kulturen. Das sind lauter schöne und gutgemeinte Wünsche, die in einer akuten Krisensituation allerdings nicht weiterhelfen.« (FAZ 17.11.01: 1)
Pazifistische und kriegskritische Äußerungen aus den Reihen der Grünen werden in FAZ und Spiegel gleichermaßen als bloße ›Reflexe‹ gerahmt, unveränderliche und irrationale Reaktionen auf einen bestimmten Reiz, die einer rationalen Abwägung und einer kognitiven Überprüfung nicht zugänglich sind. So zeigten Grüne und die Linke generell »noch immer den Reflex des Antiamerikanismus« (FAZ 26.11.01: 1): »Wie hätte die Katastrophe aussehen müssen, die bei der deutschen Linken nicht das übliche Programm bedingter Reflexe ausgelöst hätte? Wie viele Menschen hätten sterben müssen […], damit ein paar Tage lang niemand vor ›Überreaktionen‹ auf das Ereignis gewarnt hätte?« (FAZ 20.9.2001: 2) »Charakteristisch für diese Gruppe von so genannten Pazifisten und Kriegsgegnern ist der anti-amerikanische Reflex und die Unfähigkeit, eigene Fehler und Versäumnisse einzugestehen.« (Spiegel 51/2001: 14)
In diesem Deutungsrahmen erscheint es im Weiteren unnötig, auf konkrete Argumente gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung einzugehen – entsprechend erfahren die Leser_innen hierüber kaum etwas. Forderungen nach ziviler Konfliktaustragung und Frieden werden zudem als »besserwisserische Gutmenschenideologie« (Spiegel 47/2001: 36) oder »pazifistische Mätzchen« (ebd.: 23) verpönt, nicht aber als ernst zu nehmende politische Aussagen wahrgenommen. Politik werde in der deutschen Linken und den Grünen vor allem im verständnisvollen »Sozialarbeiter-Modus« gemacht, beklagt die FAZ (20.9.01: 2). Durch die Abwertung einer pazifistischen Haltung als ›naives Gutmenschentum‹, ›belehrendes Sozialarbeitergehabe‹ oder ›unreife Mätzchen‹ werden Forderungen nach Frieden und Dialog als politischer Unfug diskreditiert und ihre Legitimität grundsätzlich in Zweifel gezogen. Stattdessen fungieren ›Frieden‹ und ›Pazifismus‹ als negativ besetzte Schlagworte, die eine vermeintlich unzeitgemäße Haltung, illusionäres Wunschdenken und starke Emotionalität zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus werden die Basis-Grünen in ihrer Rolle als realitätsferner und ängstlich-nervöser Koalitionspartner als ›Gefahr‹ für die deutsche Politik interpretiert, da sie nicht nur die Koalition, sondern die gesamte Regierungspolitik zum Scheitern bringen könnten. Politische Eintracht über Parteigrenzen hinweg wird positiv bewertet, wohingegen eine Kritik an der Regierungspolitik – der tadelnde Blick richtet sich primär auf die grünen ›Querulanten‹ und ›Wackelkandidaten‹, die bei der Vertrauensfrage Schröder die Unterstützung verweigern wollen – ausschließlich als Unsicherheitsfaktor und Gefahr für die Umsetzung der ›deutschen Interessen‹ dargestellt wird. Die FAZ propagiert ein geschlossenes und konsequentes Handeln als wichtigste Zielvorgabe für die deutsche Regierungspolitik; so gelte es vor allem anderen zu vermeiden, dass Deutschland nach außen als »wankelmütig« (5.11.01: 1) dastehe. Die Grünen stehen in FAZ und Spiegel jedoch für das
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komplette Gegenteil eines solchen Handelns, da sie »zaudern« und »herumeiern« (Spiegel 43/2001: 27); sie fingen »immer dann an zu wackeln, wenn es ernst wird« (FAZ 8.10.01: 1). Die Schuld an einem möglichen Scheitern der Regierung und dem damit verbundenen »außenpolitischen Totalschaden« (FAZ 19.12.01: 1) für Deutschland wird eindeutig ihnen zugeschrieben: »Die Verantwortung, die Deutschland gerade unter der Regierung Schröder im Konzert der Staaten übernommen hat, verlangt nach einer berechenbaren Außenpolitik. Mit den Grünen ist sie offenkundig nicht möglich, obwohl der Kanzler ihnen immer wieder wie im Proseminar die Staatsräson erklärt hat.« (FAZ 12.11.01: 1) »Politische Verlässlichkeit und ein Mindestmaß an Rationalität waren bisher die Geschäftsgrundlage für das Bündnis von Ökologen und Pazifisten mit den Sozialdemokraten. Die ist weitgehend entfallen.« (Spiegel 47/2001: 22f)
Wankelmütigkeit und Unzuverlässigkeit sind Schlüsselbegriffe, die ausschließlich mit den Grünen in Zusammenhang gebracht werden und als Indiz für deren vermeintliche ›Regierungsuntauglichkeit‹ gewertet werden. Die Grünen stehen in beiden Medien für Irrationalität, (emotionales) Chaos (vgl. Kap. IV.3.4) und politische Unberechenbarkeit. Die Polarisierung von überparteilicher Einheit und Geschlossenheit auf der einen Seite und dem irrationalen, reflexhaften ›Dagegen-Sein‹, für das die Grünen stehen, macht deutlich, welche Eigenschaften in der Krise als notwendig erachtet werden: Konsens und Einvernehmlichkeit statt Pluralität und Kontroverse. Erneut wird die deutsche Bevölkerung angeführt, um diese ›Notwendigkeit‹ zu autorisieren: Der Krieg gegen Afghanistan »drückt den Menschen aufs Gemüt«, berichtet der Spiegel, »da wächst der Wunsch nach breitem politischem Konsens, und dem scheint die rot-grüne Bundesregierung kaum zu entsprechen« (43/2001: 52).
3.4 Pure Emotionalität — Angst, Unsicherheit und Ner vosität Pazifistische Positionen und Kritik an einer Kriegsbeteiligung werden nicht nur als irrationale ›Spinnereien‹ abgetan, sondern zudem häufig auf bloße Angst zurückgeführt: Kriegskritiker_innen werden beispielsweise als »friedens- und angstbewegte Anhängerschaft« (Spiegel 40/2001: 23) der Grünen bezeichnet. Die FAZ warnt vor den »Ja-aber-Sagern« in Politik und Gesellschaft, die gerade überall ihre Stimme erheben würden: »Das Ja-aber ist weit verbreitet. Es hat viel mit Angst zu tun – nicht so viel mit Solidarität« (20.9.01: 2). Auf der begrifflichen Ebene spiegelt sich dies im Begriff der ›Kriegsangst‹ wider, der im Spiegel durchgängig anstelle von ›Kriegskritik‹ verwendet wird; eine Anti-Kriegs-Position wird dadurch als bloß emotionale Position der Schwäche und nicht als rational begründet markiert. Dabei lässt sich eine deutliche Verschiebung des Sagbarkeitsfeldes erkennen: Die vermeintliche ›Kriegsangst‹ der deutschen Gesellschaft (vgl. Kap. IV.2.3) tritt als Thema in den Hintergrund und wird auf die Grünen übertragen und als ihr zentrales ›Problem‹ – ähnlich einer psychischen Störung – verhandelt. So zählen Angst, Nervosität und Chaos zu den am häufigsten aufgerufenen Merkmalen bei der Beschreibung der Grünen. Die vormals verständnisvolle Haltung des Spiegels für die deutsche ›Kriegsangst‹ schwindet mehr und mehr: ›Kriegsangst‹ und Skepsis gegenüber den USA werden Mitte November distanziert als »diffuse Mischung«
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(46/2001: 49) interpretiert, die ›Angst‹ der Grünen wird als übertrieben und irrational dargestellt: »Fast zwei Wochen lang hatte nach den monströsen Attacken von New York und Washington bei den Grünen die nackte Angst geherrscht. […] Die Öko-Partei, die ihren Aufstieg während der Hochzeit der Friedensbewegung in den frühen achtziger Jahren erlebte, diskutierte die Modalitäten einer deutschen Beteiligung an dem erwarteten Gegenschlag der USA, als hätte die gedemütigte Weltmacht längst damit begonnen, islamische Länder großflächig in Schutt und Asche zu legen – und verlangte nun, dass die Deutschen dabei mittäten.« (Spiegel 40/2001: 25)
Die Grünen, nunmehr fast ausschließlich als Friedens- und Öko-Partei bezeichnet, werden durchgängig mit purer Emotionalität assoziiert; die Zuschreibungen grenzen an ›hysterische‹ Angstzustände: »Grüne in Panik« titelt die FAZ (16.11.01: 1), überall herrsche »Unruhe« und »Nervosität« (FAZ 8.10.01: 1). Seit dem 11. September »schrillten bei den Grünen von früh bis spät die Alarmglocken« (ebd.). Die Lage wird als »dramatisch«, »schrill« und »chaotisch« gekennzeichnet (Spiegel 47/2001: 25ff); die Grünen seien völlig konfus und aufgebracht wie »aufgescheuchte Friedenstauben« (ebd.). »Dramatisch geht es bei den Grünen zu. Ihre Basis ist mehr als nur erregt, Existenzängste stellen sich ein. Droht nach all den Kompromissen mit der harten Wirklichkeit der Marktwirtschaft jetzt auch die endgültige Aufgabe der pazifistischen Ideale?« (Spiegel 46/2001: 29) »Die Grünen folgen einfachen Gesetzmäßigkeiten. Fällt im Zusammenhang mit Deutschland das Wort ›Krieg‹, werden sofort alle nervös.« (FAZ 8.10.01: 1)
Als ein weiterer Beleg dafür, dass die Grünen für eine auf Rationalität und Entschlossenheit ausgerichtete Regierungspolitik vermeintlich nicht geeignet sind, werden fortwährende ›Gewissensqualen‹ und ›ermüdende Grundsatzdebatten‹ angeführt. »Die Qual der Grünen« lautet z.B. die Überschrift eines Leitartikels der FAZ (8.10.01: 1). Parallel dazu verweist insbesondere die FAZ immer wieder auf den ›Bauch‹ oder die ›Seelenqualen‹ der Partei, wodurch ihre starke Gefühlsbetontheit und Empfindlichkeit sowie der große Leidensdruck (negativ) betont werden. Die Grünen werden als infantile, nervöse und verängstigte (weiblich konnotierte) ›Patientin‹ präsentiert, die folgerichtig getröstet, beruhigt und gepflegt werden will und nach einer ›starken Schulter‹ verlangt. So reagierten Fischer und die Regierungsgrünen mit zahlreichen, auch als »Beschwichtigungstreffen« (FAZ 8.10.01: 1) titulierten Sondersitzungen, um die »aufgewühlte Seele der Grünen« (FAZ 11.12.01: 1) zu beruhigen. »Hegen, pflegen und die Parteiseele bedienen«, fasst die FAZ die Aufgaben der grünen Spitzenpolitiker_innen spöttisch in einer Überschrift zusammen (8.11.01: 3). Während Fischer und andere grüne Regierungsolitiker_innen in dieser Darstellung Stärke und Kampfgeist aufbrächten, verbringe die grüne Basis ihre Zeit mit »Jammern« (Spiegel 47/2001: 26) und »Wehklagen« (FAZ 24.11.01: 1). Die Grünen drehten sich nur um die eigene Achse und zelebrierten dabei in »nicht enden wollende[m] Reden« (FAZ 8.10.01: 1) ihre »Seelenqualen« (FAZ 19.11.01: 12): »Die Grünen haben immer geglaubt, sie könnten alle Probleme mit Betroffenheit und Dialog lösen.« (Spiegel 41/2001: 40)
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Die Grünen sorgen sich. Die Grünen sorgen sich immer, aber diesmal sind die Falten auf der Stirn noch tiefer als sonst. Seit dem Wochenende ist es ganz schlimm. […] Die Partei redet. Ständig.« (FAZ 27.9.01: 3) »Elf Stunden geißelten sich die Delegierten des Parteitages, bevor sie endlich beschlossen, sie wollten ihren Außenminister nicht über die Klinge ihrer Bedenken springen lassen.« (FAZ 26.11.01: 1)
Moralisches Abwägen und Zweifeln wird ebenso wie emotionale Betroffenheit und kritischer Dialog als reine Zeitverschwendung und Selbstzweck gedeutet: »Die Grünen nutzten diese Zeit wie keine der anderen Parteien im Bundestag zu zahllosen Debatten, Sitzungen und Sondersitzungen ihrer Gremien in Gemeinden, Ländern und im Bund. Sie quälten sich mit ihrer täglich aufs neue inszenierten Selbstfindung. […] Die Grünen brachten Tage und Nächte damit zu, den eigenen Bauchnabel zu bestaunen, und fanden sich dabei auch noch großartig. Sie sehe keine andere Partei als die Grünen, die ›sinnvoll die Zweifel pflegte‹, sagte die Vorsitzende Roth. Das ist nicht ›sinnvoll‹, sondern eine einzige Anmaßung, die eigene Unfähigkeit zur Entscheidung mit der Unterstellung zu bemänteln, die anderen Parteien durchdächten die Angelegenheit weniger gründlich.« (FAZ 26.11.2001: 1)
Wie die Beispiele zeigen, wird das politische Handeln der Grünen als stark selbstbezogen und nach innen gerichtet interpretiert und zugleich symbolisch feminisiert. Es wird zudem als äußerst weltfremd präsentiert, denn selbst die notwendigsten Außenbezüge und politischen Selbstverständlichkeiten (wie ein Bekenntnis zur NATO) würden bewusst negiert. Auch die Bezeichnung der Grünen als »vormalige wie noch immer praktizierende Pazifisten« (FAZ 9.11.01: 1) erinnert eher an eine um sich selbst kreisende Sekte als an eine Partei. Der Spiegel vergleicht die Politik der grünen Basis mit den »Riten einer Selbsterfahrungsgruppe« (47/2001: 36 und 38), was die vermeintliche Selbstbezogenheit unterstreicht und zugleich den Eindruck verstärkt, die Grünen litten an einer ›psychischen Störung‹. Der Begriff der Selbsterfahrungsgruppe ist zudem ebenfalls weiblich konnotiert: Selbsterfahrungsgruppen waren in den 1980er Jahren eine wichtige Form feministischer Politik und Subjektwerdung und dienten der Ausbildung und Stärkung einer individuellen und kollektiven Identität ›Frau‹. Dialog, Diskussion, moralische Bedenken in Bezug auf Kriegseinsätze – Eigenschaften, die bei Schröder als die einem Staatsmann durchaus angemessene Gewissenhaftigkeit interpretiert werden – werden nunmehr als nutzloses Lamentieren und qualvolles Leiden, als vermeintlich irrational und weiblich abgewertet. Dies korrespondiert insbesondere mit Fischers viriler Rolle des ›Trösters‹ und ›Therapeuten‹, der sich bemüht, die ›Seelenqualen‹ der Partei(basis) zu lindern, während diese als psychisch labile, therapiebedürftige ›Patientin‹ metaphorisiert wird, die in ihrer Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt ist, unfähig die harte Wirklichkeit zu ertragen. Das erste Handlungsmuster ist deutlich aktiv und nach außen gerichtet, mithin männlich konnotiert, das zweite hingegen auf sich selbst bezogen und nach innen gerichtet, mithin weiblich konnotiert.
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3.5 Claudia Roth — »Mutter Beimer« und »Heulsuse« Während Fischer in der Berichterstattung von FAZ und Spiegel für (männlich konnotierte) Rationalität und Stärke steht und die ihm äußerlich bleibenden Gefühle in der Partei ›bearbeitet‹, wird die Parteivorsitzende Claudia Roth geradezu zur Verkörperung der den Grünen zugeschriebenen Emotionalität. Die Repräsentation rekurriert dabei durchgängig auf stereotype Weiblichkeitsklischees. Die Aktantin Roth wird als emotionsgeladene und zugleich fürsorgliche ›Mutter‹ der Partei herausgestellt, die insbesondere für die Gefühlslage der Partei verantwortlich sei. »Ohne sie, so sagt es eine Linke, läge die Partei am Boden. Bei dieser Bewertung wird ausdrücklich auf die Emotionalität Roths hingewiesen, womit ihre Fähigkeit gemeint ist, das Gefühlsleben der Partei richtig zu bewerten und entsprechend zu handeln. Das tat sie offenbar auch, als sie – gänzlich unabgestimmt – schon kurz nach dem Beginn der amerikanischen Angriffe auf Ziele in Afghanistan deren Unterbrechung forderte.« (FAZ 23.11.01: 3)
Forderungen wie die nach einer ›Feuerpause‹ in Afghanistan werden nicht als politische Handlungen, sondern als spontaner Ausdruck dieser Emotionalität interpretiert. »Manchmal ist der Bauch ihr Problem«, fasst der Spiegel (47/2001: 100) zusammen und fährt fort: »Erst sieht sie was, dann fühlt sie was, dann protestiert sie was. Sie weint auch oft dabei. Sie war bei Christiansen und musste über den Krieg reden. Sie kann nicht nüchtern über diesen Krieg reden. Sie hat einen Ruf zu verteidigen. Sie ist die rote Sirene der Grünen. Viel zu hochtourig saß sie in ihrem Stuhl bei Christiansen und sprach von ›globaler Gerechtigkeit‹ und ›effizienter Rüstungskontrolle‹. Es war, als habe sich eine hysterische Kinderkrankenschwester in den Nato-Befehlsstab verlaufen.« (Ebd.)
Dieses Textbeispiel stammt aus einem Spiegel-Artikel, der ein zweiseitiges flapsigironisches Porträt der Grünen-Politikerin Claudia Roth entwirft und ihre politische Kompetenz teils unterschwellig, teils offen in Zweifel zieht. Bereits die Überschrift »Mutter Beimer in Not« offenbart die klischeebeladene Darstellungsweise entlang traditioneller Weiblichkeitsbilder, wie sie das obige Beispiel voller Spott bedient: Roth fühlt und weint, sie agiert nicht nüchtern, sondern emotional überdreht, schrill und exzentrisch; der Vergleich mit einer »hysterischen Kinderkrankenschwester« verweist auf einen ›typischen Frauenberuf‹ sowie auf Hysterie als (ehemals) ›typische Frauenkrankheit‹. Die Unterüberschrift »Die grüne Parteichefin Claudia Roth stimmte für den Krieg, obwohl sie ihn ablehnt. Jetzt fragt sie sich, wie sie das beim Parteirat der Basis erklären soll« (ebd.: 98) knüpft an das Deutungsmuster ›weiblicher‹ Unentschlossenheit und Wankelmütigkeit an (›wenn sie ja sagt, meint sie eigentlich nein‹), welches durchgängig zur Charakterisierung der Grünen Verwendung findet und sich auch hier durch den gesamten Artikel zieht. Zugleich wird das klassische Bild weiblicher Politikuntauglichkeit aufgrund von Emotionalität und Unsachlichkeit aufgerufen. Parallel dazu wird Roth fast ausschließlich im privaten Kontext von Freizeit und Familie verortet, während ihre politische Funktion völlig in den Hintergrund tritt:
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Claudia Roth trägt einen lila Schal und die rote Schleife der Aids-Solidarität an der Jacke, und wenn sie Zeit hat, fährt sie mit dem Solarmobil durch ihre Allgäuer Heimat. Sie hält krachende Reden gegen den Kosovo- Krieg und für die Menschenrechte, und sonntags guckt sie ›Lindenstraße‹. Würde Politik in der ›Lindenstraße‹ gemacht, dann wäre sie die Mutter Beimer der Grünen.« (Spiegel 47/2001: 100)
Roth wird in dem gesamten Artikel entgegen ihrer Spitzenposition nicht als professionelle Politikerin präsentiert. Ihre Forderungen und Entscheidungen scheinen nicht auf rationalen Erwägungen und politischem Sachverstand zu beruhen, sondern vielmehr auf einem diffusen ›Bauchgefühl‹, das sich auch spontan ›zwischen Bier und Currywurst‹ einstellen könne – mit rationalen Erwägungen scheint sie hingegen überfordert: »Am Dienstag letzter Woche stand Claudia Roth in einer Imbissbude am Berliner Ku’damm, sie trank Bier aus der Flasche und aß Currywurst vom Pappteller. […] Mit jedem Stück Wurst, das sie auf die Gabel lud, schoss ihr eine neue Katastrophe in den Kopf. Vertrauensfrage. Grüne am Abgrund. Deutschland im Krieg. Es sei so schwer, die Gedanken zu ordnen, sagte sie. Dann bestellte sie noch eine Currywurst.« (Spiegel 47/2001: 98)
Roths acht Tage nach Beginn des Afghanistankriegs aufgestellte Forderung, die Bombardements zu unterbrechen, damit die afghanische Bevölkerung humanitär versorgt werden könne, wird im Spiegel ebenfalls als ›spontane Eingebung‹ gedeutet. Der Vorschlag einer Feuerpause bringt Roth schließlich von Seiten Schröders die Beschimpfung als »Heulsuse« ein. ›Heulsuse‹ stellt dabei ein Schimpfwort dar, das eindeutig weiblich konnotiert ist (ähnlich wie das englische ›wimp‹, vgl. Kap. IV.1.7.2) und für übertriebene Weinerlichkeit und Schwächlichkeit steht – Eigenschaften, die in der Politik absolut unerwünscht sind und als ›Ärgernis‹ gedeutet werden. Aus Sicht von Spiegel und FAZ stellt die Forderung nach einem Aussetzen der Bombardements einen unlauteren Versuch dar, sich aus der Regierungsverantwortung zu stehlen und die »Linie der Regierung zu untergraben« (Spiegel 43/2001: 24). Die Möglichkeit einer Feuerpause wird nicht inhaltlich diskutiert, sondern als ein untrügliches Zeichen für die – von Anfang an befürchtete – ›Wankelmütigkeit‹ und ›Unzuverlässigkeit‹ der von Roth repräsentierten Grünen gedeutet. Grüne Politik wird als das komplette Gegenteil einer beständigen und rationalen Regierungspolitik präsentiert. Die FAZ stellt Roth in belehrendem Duktus als inkompetente Politikerin ohne Sachverstand dar, die aus innerer Not heraus agiere und die vermeintlich unhintergehbaren ›Zwänge‹ verantwortlichen politischen Handelns ignoriere: »In ihrer Not hat die Parteivorsitzende Roth eine Reise nach Pakistan auf sich genommen. Dort fand sie, was sie suchte: Argumentationshilfe für eine Absetzbewegung aus der ›uneingeschränkten Solidarität‹, die von den Grünen von Anfang an mit halblauten Einschränkungen versehen worden war. […] Wenn die UN-Menschenrechtskommissarin sich für eine Unterbrechung der Strafaktion gegen die Taliban ausspricht, so ist das ihres Amtes. Claudia Roth aber hat eine andere Funktion. Sie ist Vorsitzende einer Partei, die in der Regierungsverantwortung steht. Als solche darf sie zwar auch an die Not der Hungernden und Flüchtlinge denken, das enthebt sie und ihre Partei aber nicht der Zwänge, in denen die deutsche Außenpolitik steht.« (16.10.01: 1)
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Angesichts Roths ›verantwortungslosen‹ und ›gefühlsduseligen‹ Handelns hält die FAZ Schröders »Sorgen« um die Disziplin des kleinen Koalitionspartners entsprechend für »nicht unbegründet« (ebd.).
3.6 Nach der Vertrauensfrage: Lernprozess gescheitert — »Dinosaurier« und »Betonköpfe« an der Basis Nach der positiv entschiedenen Vertrauensfrage und dem Beschluss über die Entsendung deutscher Soldaten in den ›Anti-Terror-Krieg‹ erreicht die negative Darstellung der Grünen Ende November 2001 ihren Höhepunkt. Auch der Spiegel gibt die grünen »Neinsager« fortan noch eindeutiger als zuvor der Lächerlichkeit preis. Insbesondere das strategische Vorgehen der Grünen bei der Abstimmung – spöttisch kommentiert als ›Quotierung des Gewissens‹ (vgl. auch 53/2001: 274) – wird als Einknicken und Glaubwürdigkeitsverlust der gesamten Partei interpretiert:11 »Steffi Lemke von den Grünen darf begründen, warum die Neinsager vom Wochenende nun doch ja sagen. Sie meint voller Ernst, man habe keine Losentscheidung, sondern eine strategische Wahl getroffen. […] Die Grünen haben das Gewissen quotiert, um an der Regierung zu bleiben. Da muss auch der Kanzler grinsen.« (Spiegel 47/2001: 34)
Unmittelbar nach der Vertrauensfrage spitzt sich die Narration dramatisch zu: Spiegel und FAZ zweifeln auch weiterhin an dem langfristigen Fortbestand der rot-grünen Koalition, womit das ›Schicksal‹ bzw. der ›Untergang‹ der Grünen endgültig besiegelt scheint. Auch wenn Schröder durch die Vertrauensfrage an Ansehen verloren habe, sind es die Grünen, die in beiden Medien als die eigentlichen ›Verlierer‹ der Koalitionskrise herausgestellt werden. Es dominiert das Deutungsmuster eines ›gescheiterten Lernprozesses‹ bzw. einer ›erfolglosen Therapie‹ oder ›Heilung‹. Auch nach dem Parlamentsvotum drohe »eine Endlosfortsetzung des rot-grünen Psychodramas« (ebd.: 25), schreibt der Spiegel dem Deutungsmuster der psychischen Störung folgend. Die FAZ vergleicht den Zustand der Grünen mit einem im Sterben Liegenden: »Die Grünen entschieden sich am Freitag nicht für Schröder, sondern für langsames Siechtum. Eine Partei im Todeskampf aber ist unberechenbar. […] Mit den Grünen gibt es jene Verläßlichkeit der deutschen Politik nicht, die der Kanzler selbst fordert. Mit jeder ihrer letzten Zuckungen könnten sie ihm wieder in den außenpolitischen Arm fallen.« (17.11.01: 1)
Die FAZ sieht den politischen ›Lernprozess‹ der Grünen nach dem knappen Ausgang der Vertrauensfrage eindeutig als gescheitert an; als »nicht erwachsen werden wollende Partei« (18.9.01: 16) werden sie in einem infantilen, unreifen Zustand verortet. Als Regierungspartei hätten sich die Grünen endgültig blamiert, denn eine ›echte Einsicht‹ in realpolitische Notwendigkeiten und Zwänge sei bei ihnen nicht zu beobachten. Der Kommentar mit der Überschrift »Nicht aus Überzeugung« führt das ›Scheitern‹ des ›Reifungsprozesses‹ deutlich vor Augen:
11 | Im Vorfeld der Abstimmung wurde eine innerparteiliche Regelung getroffen, nach der von den insgesamt acht grünen Kriegskritiker_innen maximal vier mit Nein stimmen sollten.
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Als die Grünen im Frühjahr 1999, kaum auf die Regierungsbeine gekommen, über die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg zu entscheiden hatten, gelangten sie nach ungeheuren Verrenkungen zu dem Schluß, sich nicht grundsätzlich gegen den Krieg und den Bundeswehreinsatz zu stellen. […] Zu keinem Zeitpunkt der Kosovo-Debatte hatte die Mehrheit der Grünen den Einsatz verinnerlicht und als sinnvolles Instrument deutscher Außenpolitik unterstützt. […] Mit dieser Grundhaltung erlebten die meisten Grünen den 11. September. Von nun an rächte sich, daß die Erfahrung des Kosovo-Krieges nie zu einer echten Einsicht geführt hatte. Nicht aus sicherheits- und bündnispolitischer Überzeugung stimmten viele Grüne für die Inanspruchnahme von Artikel fünf des Nato-Vertrages, sondern vor allem, weil sie überrascht und einigermaßen beruhigt waren, daß die nach wie vor ungeliebten Amerikaner nicht sofort militärisch losschlugen. […] Nicht aus Überzeugung wurde gehandelt, sondern aus Not und unter Druck.« (FAZ 19.11.01: 12)
Die erzwungene Zustimmung der Grünen wird zudem als Zeichen eines fehlenden Rückgrats gedeutet. Die Grünen hätten demnach an ,Virilität‹ und Selbstbewusstsein deutlich eingebüßt, sie erscheinen völlig kraft- und machtlos, aus der »selbstbewussten Truppe« der 1980er Jahre sei eine »traurige Versammlung« geworden (Spiegel 47/2001: 22). ›Demütigung‹ und ›Entmachtung‹ sind die vorherrschenden Deutungsmuster, mit denen FAZ und Spiegel die Situation beschreiben. »Was bleibt, ist dies: Der Kanzler hat die Grünen gedemütigt.« (Spiegel 53/2001: 274) »Von dieser Woche an sind die Grünen keine Regierungspartei mehr. Sie mögen Minister stellen. […] Doch das ist nur noch Fassade. […] Schröder hat […] die Grünen-Führung und deren Bundestagsfraktion entmachtet.« (FAZ 15.11.01: 1)
›Entmachtung‹ könnte begrifflich ebenso durch ›Entmannung‹ ersetzt werden, denn die Darstellung der Grünen gleicht einer symbolischen Feminisierung, da ihnen sämtliche männlich konnotierten Eigenschaften – Macht, Vernunft, Autonomie, Geradlinigkeit, Stärke etc. – abgesprochen werden. Insbesondere im Wechselspiel mit der Darstellung Schröders und Fischers als stark und ›männlich‹ kommt den Grünen die Rolle des weiblich konnotierten kleinen, hilflosen, schwachen und ohnmächtigen Partners zu. Der Spiegel deutet die Entwicklung der Grünen insgesamt als einen »quälenden Lernprozess« (53/2001: 275), unterscheidet dabei jedoch zwischen einigen wenigen lernresistenten »Betonköpfen« und »Dinosauriern« (47/2001: 38) an der Basis, und der Partei der Grünen als ganzer. So steht am Ende der Narration nicht das Scheitern der Grünen, sondern das Wachsen zu einer ›wirklichen Regierungspartei‹. Diejenigen grünen Abgeordneten, die nach wie vor an einer pazifistischen Grundhaltung festhalten, werden indes als unbelehrbar porträtiert: »Wie ein Vertriebenenverband beharrte vergangene Woche eine Minderheit der Grünen-Abgeordneten auf Rechtsstandpunkten und Ritualen, die zwei Jahrzehnte nach Parteigründung merkwürdig überholt wirken. Eine ohne Rücksicht auf internationales Ansehen und gewandelte Erfordernisse geführte Nie-wieder-Krieg-Diskussion, die mit Urgewalt zurückgekehrten Reflexe der alten Protestpartei, das dem Kanzler nur unter Einsatz von ›Elektroschocks‹ (›Frankfurter Allgemeine‹) ausgesprochene Vertrauen haben die Grünen diskreditiert.« (Ebd.: 22)
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Kriegskritiker_innen und Pazifist_innen werden hier als ›Hinterwäldler‹ und ›Ewiggestrige‹ gezeigt, die stur auf längst überholten Ritualen und Traditionen pochten und sich vermeintlich rationalen Einsichten verweigerten. Die Rede von ›gewandelten Erfordernissen‹ macht zudem deutlich, dass die militärische Neuausrichtung der deutschen Politik als notwendig und unausweichlich interpretiert wird. Die Grünen aber reagierten weiterhin mit antiquierten ›Reflexen‹ anstatt mit Vernunft und Einsicht. Der Spiegel setzt die Grünen wiederholt ins Verhältnis zur deutschen Bevölkerung, die ähnlich wie jene als zutiefst zerrissen und in Veränderung begriffen charakterisiert wird. Die Rede ist von einem »historischen Lernprozess der Normalisierung« (47/2001: 26), den momentan nicht nur die Grünen, sondern die gesamte deutsche Gesellschaft durchmache. Vor dem Hintergrund dieser »historischen Umbauphase« (41/2001: 40) der deutschen Gesellschaft werden Frieden und Pazifismus als unzeitgemäße, nostalgisch anmutende Wertvorstellungen präsentiert: »So erinnern sich viele Führungskräfte der Ökopartei lieber an das, was war. Der Blick zurück bietet jene Gewissheit, die sie im Parteilalltag so schmerzhaft vermissen.« (47/2001: 27)
In einem Artikel mit der programmatischen Überschrift »Politik der Dinosaurier« (ebd.: 36ff), der sich mit dem nach der Vertrauensabstimmung einberufenen Parteitag der Grünen in Rostock beschäftigt, lässt der Spiegel zahlreiche Dritte zu Wort kommen (vgl. Kap. III.1.1), die die Grünen als rückschrittlich einstufen und ihnen eine politische Weiterentwicklung absprechen – wobei etwa im folgenden Textbeispiel dem Gesagten als ›Expertenmeinung‹ ein besonders hoher Wahrheitsgehalt zuzukommen scheint: »Die schwer auf Kurs zu haltende Basis sei das Hauptproblem der Grünen, so der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche. Sie hinke der Entwicklung der Spitzenleute ›10 bis 20 Jahre‹ hinterher. Bei den Grünen versuchten noch immer die ›Dinosaurier der 68er Politik zu machen‹, so Lösche, ›indem sie fortschrittlichere Kräfte bekämpfen bis aufs Blut‹.« (Ebd.: 38)
Der Vergleich von Pazifist_innen mit Dinosauriern stellt diese dabei als zum Aussterben verurteilt hin. Im Verlauf des Artikels wird die Differenz zwischen ›rückschrittlichen Basisgrünen‹ auf der einen Seite und ›fortschrittlichen Regierungsgrünen‹ auf der anderen endgültig zementiert. Insgesamt gibt der Artikel Aufschluss über eine entscheidende Verschiebung des im Spiegel entfalteten Sagbarkeitsfeldes: Eine pazifistische oder kriegskritische Haltung (zu Beginn noch verständnisvoll unter dem Begriff der ›Kriegsangst‹ subsumiert) scheint nach dem erfolgten Vertrauensvotum endgültig fehl am Platze und wird als sture, politisch überholte und zutiefst ›anti-fortschrittliche‹ Haltung gerahmt.
3.7 Post-Petersberg: Das Ende des humanitären Argumentationsmusters? Nach dem Parteitag der Grünen in Rostock am 24.11.2001 und der Petersberg-Konferenz vom 27.11. bis 5.12.2001, die im Spiegel primär als »Friedenskonferenz« bezeichnet wird (z.B. 48/2001: 32; 49/2001: 194; 51/2001: 22), scheint sich auch eine ›Befriedung‹ der innerparteilichen Krise der Grünen abzuzeichnen. Der Rostocker
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Parteitag, bei dem sich die Grünen mit großer Mehrheit für die Regierungspolitik aussprechen, markiert das vorläufige Ende der Erzählung über den grünen ›Identitätskonflikt‹. Die Berichterstattung von Spiegel und FAZ richtet sich von da an verstärkt auf die Situation in Afghanistan nach Ende des Krieges und die Konkretisierung des deutschen Aufgabenfeldes. Entgegen der Anfangserzählung wird der ›Lernprozess‹ der Grünen in der Retrospektive doch als erfolgreich interpretiert, zumindest der Spiegel diagnostiziert einen grundlegenden Kurswechsel der Partei und damit ein historisches Ende des grünen ›Selbstfindungsprozesses‹: »Für die Grünen bedeutet der Rostocker Parteitag eine historische Zäsur: Die Ökopaxe haben ihren Frieden mit dem Krieg gemacht. […] Parteienforscher Raschke, der die Grünen schon abgeschrieben hatte, glaubt nun wieder an deren Zukunft: Rostock sei der ›Beginn einer wirklichen Regierungspartei‹ gewesen.« (53/2001: 275)
Das ›Ja‹ zum Krieg wird als der entscheidende Wendepunkt gedeutet, der die Grünen als ernst zu nehmende Partei ausweist. Die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Gewalt fungiert in dieser Rahmung nicht nur als ›Eintrittskarte‹ in die internationale, sondern auch in die nationale Politik. Die Berichterstattung der FAZ folgt jedoch einer anderen Deutung. Zwar hätten sich die Grünen auf dem Rostocker Parteitag hinter die Regierungspolitik und damit die Entsendung deutscher Soldaten in einen Krieg gestellt, jedoch nur unter einer aus Sicht der FAZ unzulässigen ›rhetorischen Verkleisterung‹ und ›Verwässerung‹ des Bundestagsentschlusses an sich. Demnach wird dem Lernprozess der Grünen lediglich ein zweischneidiger Erfolg bescheinigt, was die FAZ z.B. in dem Artikel »Grüner Januskopf« (26.11.01: 13) veranschaulicht: »Allen Anstrengungen zum Trotz sind die Grünen nicht zu einem wirklich klaren Ergebnis gekommen […]. Der Beschluß sagt nicht mehr, als daß die Partei die ohnehin nur mit des Kanzlers Gewalt und um Haaresbreite hergestellte Entscheidung der Bundestagsfraktion zur Bereitstellung deutscher Streitkräfte ›akzeptiert‹. Der Antrag, der in Rostock beschlossen worden ist, lädt jeden Kritiker von Bundeswehreinsätzen geradezu ein, den zögernd eingeschlagenen Kurs der Mehrheit wieder in Frage zu stellen.« (FAZ 26.11.01: 1)
In der Narration der FAZ haben sich die Grünen zwar mehrheitlich »in die Realität einer veränderten Welt aufgemacht« (27.11.01: 2), sie sind jedoch keineswegs am Ende des Weges angelangt. Unter Bezugnahme auf den Kosovokrieg 1999 wird ein weiteres Argument für die vermeintliche Realitätsferne der Grünen angeführt: ihre Argumentationslogik der Menschenrechte. Humanitäre und anti-militaristische Argumente verstellen aus Sicht der FAZ weiterhin den Blick auf die ›harte Realität‹ und dienten damals wie heute allein dazu, die noch immer ›labile‹ und der Realität nicht gewachsene grüne Basis zu schonen und zu beruhigen: »Mit kraftvollem Mittragen deutscher Außenpolitik hatte das nichts zu tun«, empört sich die FAZ, aber »[i]mmerhin entstand damals bei dem einen oder anderen die Hoffnung, nun hätten die Grünen ihren Frieden mit dem Krieg gemacht […]. Weit gefehlt« (8.10.01: 1). Vor diesem (Deutungs-)Hintergrund wird auch die aktuelle Zustimmung der Parteibasis zum Bundestagsbeschluss und der Regierungspolitik als eine Art fortdauernder ›Selbstbetrug‹ gedeutet.
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Spätestens seit die Partei im Bund mitregiert, wird von oben nach unten so argumentiert: Leider müssen wir einen Krieg führen, etwa um die Menschenrechte auf dem Balkan zu verteidigen oder um dem internationalen Terrorismus zu wehren. Aber, liebe Pazifisten dort unten, wir hier oben werden dafür sorgen, daß es nicht zu schlimm wird. Regierungshandeln, das gerade im Militärischen größter Klarheit bedarf, wird anschließend rhetorisch so verkleistert, daß zumindest der Teil der Basis, der Außenminister Fischer weiter im Amt sehen will […] zustimmen kann.« (Ebd.) »Natürlich ist es für den Zusammenhalt der Koalition besser und für die Seelenlage der Grünen angenehmer, wenn man so tun kann, als sei man zur Bündnistreue qua Anforderung gezwungen worden. Daß man Bündnisverpflichtungen auch freiwillig ernst nehmen kann, empfinden vormalige wie noch immer praktizierende Pazifisten offenbar weiterhin als Zumutung.« (9.11.01: 1)
Hier findet eine eklatante Verschiebung des diskursiven Feldes statt: Was im Kosovokrieg noch breite politische Zustimmung fand und für die Legitimierung der deutschen Kriegsbeteiligung wesentlich war, hat sich aus Sicht der FAZ mit dem 11. September endgültig erledigt und wird als unzulässiges Begründungsmuster zurückgewiesen – eine an moralische Werte gebundene Haltung, die außenpolitisches Handeln mit humanitärer Hilfe oder der Durchsetzung von Demokratie legitimiert. Den Begriff der Menschenrechte bezeichnet die FAZ gar als »politisch unbrauchbar« (19.9.01: 49). Unverkennbar ist der spöttisch-ironische Tonfall gegenüber den ›naiven Pazifist_innen‹, die immer noch an Konzepten ziviler Konfliktlösung festhielten, während in Anbetracht der neuen Bedrohungslage eine moralisch unverstellte und entschlossen-wehrfähige Außenpolitik zur Bekämpfung des neuen Feindes notwendig sei: »Der Angriff auf das World Trade Center und das Pentagon hat die Politik der globalen Durchsetzung der Menschenrechte ins Reich der Utopien versetzt. […] War bisher die Durchsetzung der Menschenrechte das Argument des Westens für Interventionen, so ist nun das Argument der Bekämpfung des Terrorismus an deren Stelle getreten.« (Ebd.)
Argumentationsmuster, die vormals dem Diskurs der außerparlamentarischen Linken und antimilitaristischen Gruppen zuzurechnen waren, haben Einzug in den medialen Diskurs der FAZ gehalten: So wurde z.B. im Kosovokrieg von linker Seite argumentiert, dass humanitäre Kriegsbegründungen auf unzulässige Weise die grausame Wirklichkeit von Kriegen verschleiern und beschönigen würden und die Vokabel der ›humanitären Intervention‹ – ähnlich des im Zweiten Golfkrieg populären Begriff der ›chirurgischen Operation‹ – ein Euphemismus sei. Die Kritik an der ›moralischen Verklärung‹ eines Krieges wird nun in der FAZ gegen die Grünen selbst gewendet, die in der deutschen Politik lange Zeit die Forderung nach Gewaltfreiheit verkörperten. Aus dieser Perspektive sind es jetzt die Grünen, die unverbesserlich an der Illusion eines ›sauberen Krieges‹ und der Utopie von Frieden und Menschenrechten festhalten – und damit ein verzerrtes Weltbild fortschreiben. »Militärische Intervention ja – aber nur gezielt gegen Terroristen-Lager und ›eingebettet‹ in ein politisches Konzept. Das waren Beruhigungspillen, mit denen die Grünen noch einmal die Halluzination eines ›sauberen Kriegs‹ erzeugten.« (16.10.01: 1)
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Humanitäre und menschenrechtliche Begründungsmuster nach dem 11. September weiter zu verwenden, erfüllt in der FAZ höchstens noch einen innenpolitischen Sinn. So werden die Bemühungen von Fischer und Schröder, den deutschen Bundeswehreinsatz in Afghanistan einen ›humanitären Anstrich‹ zu verpassen, zwar als Augenwischerei und (Selbst-)Täuschung (vgl. Kap. IV.2.7) kritisiert: »Um einen ›Blauhelm‹-Einsatz in Afghanistan in ihren Parteien durchzusetzen, würden Schröder und Fischer vermutlich aber nicht einmal alle ihre semantischen Tricks anwenden müssen. Denn auch die Pazifisten in der rot-grünen Koalition dürften lieber in Afghanistan den ›Frieden sichern‹ wollen, als in Somalia (oder gar im Irak) Krieg zu führen.« (1.12.01: 1)
Diese Strategie sei jedoch bedauerlicherweise – so der Tenor der FAZ – unvermeidlich, um die ›wackeligen‹ Grünen zu beruhigen und um Kritiker_innen und Pazifist_innen die bittere Entscheidung für einen Kriegseinsatz zu ›versüßen‹: »Das kann allerdings keine große Überraschung für Schröder und Fischer sein, haben sie doch den Schritt von der früheren deutschen ›Verantwortungspolitik‹ zur interessengeleiteten Realpolitik immer damit zu legitimieren versucht, daß auch mit ihr nur die liebgewonnenen, aus historischer Verpflichtung abgeleiteten Ziele deutscher Außenpolitik verfolgt würden, insbesondere also die Wahrung der Menschenrechte. Das war im Kosovo-Krieg, der nicht nur geführt wurde, um Vertreibung und Massenmord zu beenden, sondern um eine Gefahr für Frieden und Sicherheit in ganz Südosteuropa – das Regime Milosevic – zu beseitigen, nicht anders als jetzt. Hauptsächlich war und ist diese Argumentation innenpolitischen Gründen geschuldet; Fischer hat damals sogar auf Auschwitz verweisen müssen, um die Grünen bei der Stange und in der Koalition zu halten. Weil aber im Krieg immer Menschenrechte verletzt werden, unterliegt eine vor allem auf die humanitären Folgen achtende Außenpolitik einem größeren Rechtfertigungsdruck als außenpolitische Ordnungsversuche, die von vornherein zugeben, daß es gerade im Krieg nur die Wahl zwischen großen und etwas kleineren Übeln gibt.« (7.11.01: 1) »Dieses Wort [Kampfeinsätze, A.N.] hat Schröder freilich gemieden, als er nun öffentlich bekannt gab, daß seine Regierung Soldaten für diese Truppe bereitstellen würde […]. Den Grünen, dem unzuverlässigen Koalitionspartner, verabreichte er die bittere Wahrheit gleichwohl wieder nur in einer homöopathischen Dosis, versüßt mit dem Hinweis, daß es ja nicht wirklich um eine deutsche, sondern um eine europäische Beteiligung an der Truppe gehe.« (6.12.01: 1)
Die Narration der ›Heilung‹ und ›Therapie‹ setzt sich hier weiter fort; die Grünen verbleiben in der Rolle der wahrnehmungsgestörten und labilen ›Patientin‹. Trotz der von Schröder und Fischer verabreichten ›Medizin‹ kann das ›Leiden‹ der Grünen nicht wirklich geheilt, sondern höchstens gelindert und die Patientin ruhiggestellt werden. Die stete Rücksichtnahme und Pflege des kleinen Koalitionspartners halte Fischer und Schröder aus Sicht der FAZ von den wichtigen Aufgaben ab und füge damit den ›deutschen Interessen‹ und dem Ansehen Deutschlands in der Welt großen Schaden zu. Auch der Spiegel greift auf die Narration der Heilung einer kranken Patientin zurück, warnt jedoch vor den ›Risiken und Nebenwirkungen‹ der durch Fischer verabreichten Medikation:
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Die Konferenz ausrichten zu dürfen, heftet sich Fischer gleichwohl als Erfolg an: Balsam für die geschundene Seele der Ökopax-Partei, die am vergangenen Wochenende ihre ›Probleme, Probleme, Probleme‹ (Fischer) mit dem Einsatz der Bundeswehr und dem brachial erzwungenen Vertrauensvotum für SPD-Kanzler Gerhard Schröder abarbeiten musste. Nur: Das Beruhigungsmittel hat seine Tücken. Gefährliche Nebenwirkungen sind nicht ausgeschlossen.« (48/2001: 32)
Darüber hinaus scheint sich auch im Spiegel eine ›moralische Ernüchterung‹ breitzumachen. Das Argument der Menschenrechte wird stellenweise als Beschwichtigungsversuch und Täuschungsmanöver präsentiert. Kritisch verweist der Spiegel auf die Instrumentalisierbarkeit dieser Argumentationsweise zum Zwecke der Kriegslegitimierung, die in Deutschland nicht erst seit dem 11. September Tradition habe: Das Stichwort humanitäre Hilfe sei »auch weiterhin der Schlüssel für die Tür zum Kampfeinsatz in fernen Winkeln der Welt« (46/2001: 38). »Außenminister Fischer und Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul warben bereits nach der Kabinettssitzung für ein intensives Engagement der Deutschen, um einer ›humanitären Katastrophe‹ (Fischer) zu begegnen. Der Begriff ist Kennern vertraut: Um eine ›humanitäre Katastrophe‹ abzuwenden, hatte der Bundestag auch mit rot-grünen Stimmen im Oktober 1998 ›Tornado‹-Kampfjets in den Kosovo-Krieg geschickt. Wohlweislich verschwiegen Fischer und Wieczorek-Zeul bei ihrem gemeinsamen Auftritt, dass der Nato-Rat in Brüssel die Militärstäbe bereits am Montag beauftragt hatte, eilig ›Optionen‹ für eine groß angelegte Aktion zur ›militärischen Unterstützung‹ ziviler Hilfsorganisationen vorzubereiten – Bodentruppen inklusive.« (47/2001: 26)
Der Spiegel bleibt jedoch in seiner Argumentation uneindeutig und inkonsequent. Zwar werden humanitäre Absichtserklärungen und der Verweis auf Menschenrechte als politisch instrumentalisierbare ›Strategie‹ kritisiert, durch die Zustimmung für einen Krieg erheischt werden könne. Zugleich wird der deutsche Einsatz in Afghanistan jedoch unkritisch als gerechte ›Friedensmission‹ und ›humanitäre Hilfsaktion‹ präsentiert. Der Artikel »Deutsche Führung?« (50/2001: 28ff) diskutiert die Modalitäten des deutschen Bundeswehreinsatzes in Afghanistan mit Schlagworten wie »deutsche Friedenstruppe«, »Bundeswehr-Friedensdienst«, »Frauenförderung«, »Aufbauhilfe« und Hilfe für »Menschen in Hunger und Not« – suggeriert also, dass es sich um einen friedlichen und ›humanitären‹ Einsatz handele, der mit Krieg, Kampf und Waffengewalt nichts zu tun habe.
3.8 Analyse: Maskulinisierung der Politik — Feminisierung der Kritik 3.8.1 Die ›Spielregeln‹ des politischen Feldes: Maskulinismus und hegemoniale Männlichkeit Der Maskulinismus bzw. die Remaskulinisierung der Politik nach dem 11. September lässt sich anhand der kontrastierenden Darstellung zwischen dem deutschen Außenminister Joschka Fischer und der Parteibasis der Grünen weiter konkretisieren. Während die mediale Inszenierung von Fischer wie die von Schröder (und Bush in der FAZ) dem Typus des maskulinistischen Staatsmannes und Berufspolitikers folgt und mit einer ausgesprochenen Wertschätzung einhergeht, kommt es im
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Gegenzug zu einer Abwertung und symbolischen Feminisierung regierungs- bzw. kriegskritischer und pazifistischer Positionen – wofür stellvertretend die Grünen (insbesondere die Parteibasis) stehen. Diese werden in deutlicher Abgrenzung zu Fischer als lernresistent und nicht erwachsen werden wollend präsentiert. Dabei werden sie vollständig auf der Seite des Emotionalen verortet, fernab jeglicher Vernunft und rationaler Einsicht. Eine kriegskritische bzw. pazifistische Haltung wird als naive, infantile Verweigerungshaltung, als wirklichkeitsfernes ›Gutmenschentum‹ oder starrsinnige ›Antiquiertheit‹ diskreditiert. Zudem werden die Grünen regelmäßig mit an Hysterie grenzenden Panikattacken in Zusammenhang gebracht, was den Eindruck einer psychischen (Angst-)Störung erweckt und zugleich nach einem starken Helfer und (Seelen-)Heiler verlangt. Emotionale Wankelmütigkeit, Unberechenbarkeit und ewiges, selbstquälerisches Lamentieren und Leiden sind Eigenschaften, die stereotyperweise mit Weiblichkeit assoziiert werden12 und bilden zudem einen deutlichen Kontrast zu den nach dem 11. September hoch geschätzten – männlich konnotierten – Werten wie Entschlossenheit, Geradlinigkeit, Festigkeit, Kampfgeist, Stärke, Führungskraft etc. Ein solchermaßen als ›weichlich‹, ›geschwätzig‹ und ›weibisch‹ gekennzeichnetes Politikverhalten wird mit fehlender Regierungsfähigkeit gleichgesetzt und zugleich als Gefahr für die ›männlich‹ markierte Politik imaginiert. Einmal mehr erweist sich hier der in der Politik vorherrschende Maskulinismus bzw. dessen mediale (Re-)Produktion. Wenn – wie in Kapitel I ausgeführt – die maskulinistischen oder auch männerbündischen Bande auf dem »gemeinsamen Bezug auf hegemoniale Männlichkeit« (Sauer 2001: 144 in Bezug auf Kreisky; Herv. i.O.; vgl. auch Kreisky 1995) beruhen und auf diese Weise politische Denk- und Handlungsweisen prägen, so zeigt die Analyse deutlich, dass auch FAZ und Spiegel Teil dieser vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichenden Struktur sind. Der Maskulinismus der Politik geht dabei stets mit der abwertenden Verweiblichung abgelehnter Positionen einher (vgl. Kreisky 1997; Ruppert 1998b). Wie die feministische Staatsforschung gezeigt und die vorliegende Analyse in weiten Teilen bestätigt hat, steht dabei die Dichotomie von Rationalität und Emotionalität im Zentrum dieses Prozesses, der Männlichkeit politisch aufwertet bzw. politisch erwünschtes Verhalten vermännlicht und im Gegenzug unerwünschtes Verhalten verweiblicht. Werte wie Sachlichkeit, Distanz zu den Dingen und Menschen (Weber), Effektivität und Leistungsfähigkeit werden als ›männlicher‹ Gegenpart zu ›weiblicher‹ Emotionalität, Irrationalität, Unsachlichkeit und fehlender Distanz konstituiert (vgl. Sauer 2001: 73f).13 So betont auch Weber: »Politik wird mit dem Kopf gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele« (1992: 62f). Sauer bilanziert im Anschluss an die feministische Weber-Kritik von Rosemary Pringle: »Sein Entwurf von instrumenteller Rationalität liest sich wie die Konstruktion von Männlichkeit – Distanz zu Persönlichem, zu Gefühlen, zu Empathie –, konzipiert gegen eine imaginier12 | Zur Verbindung von Leiden(sfähigkeit) und Weiblichkeit vgl. Wenk 2008. 13 | Schon Max Weber grenzte die Tugenden seines Berufspolitikers, die er auch als »männliche und herbe Haltung« und Ritterlichkeit beschreibt (Weber 1992: 66), entschieden von solchen Vorgehensweisen ab, die »nach alter Weiber Art« (ebd.) verfahren: wie z.B. nach Ende eines Krieges noch zu klagen und nach dem Schuldigen zu suchen. Frauen hielt er zudem für unfähig und unwürdig, den Beruf des Politikers zu ergreifen, wie Schöler-Macher (1994: 24) zusammenfasst.
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te Weiblichkeit, die der Welt des Chaos und der Unordnung zugeschlagen wird« (Sauer 2001: 136). Abweichungen von der Norm der Männlichkeit werden im Gegenzug mit sozialer oder politischer »Ent-Männlichung«14 geahndet (Kreisky 1997: 188), wie in der vorliegenden Untersuchung teilweise bereits bei der medialen Darstellung von George W. Bush, insbesondere aber nun bei der Darstellung der Grünen sichtbar wurde. Der Ausschluss und die Abwertung des ›Weiblichen‹ wird dabei stets aufs Neue organisiert und der Maskulinismus (in) der Politik als Norm fortgeschrieben. Um diese unausgesprochenen ›Spielregeln‹ des Politischen und die Funktionsweise des Politischen in Bezug auf Geschlecht noch genauer ergründen zu können, lohnt sich ein Blick auf Pierre Bourdieus Arbeiten zur »männlichen Herrschaft« (vgl. Bourdieu 1997 und 2005). Bourdieu überträgt dort sein Konzept des Habitus (verstanden als eine symbolisch vermittelte und somatisch einverleibte soziale Disposition, die oft wie angeboren wirkt) auf eine Analyse der Geschlechterverhältnisse, mit der Absicht die Wirkungsweisen und Bedingungen der Ausbildung des »vergeschlechtlichten und vergeschlechtlichendem Habitus« (1997: 167) herauszuarbeiten. Männlichkeit wird bei Bourdieu als »männlicher Habitus« (ebd.: 203) reformuliert, der sich in Folge gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse bzw. der Inkorporation der männlichen Herrschaft (z.B. durch Sozialisationsprozesse) ausbildet. Während der weibliche Habitus durch Herabsetzung und Verneinung (Bourdieu 2005: 90) gekennzeichnet sei, zeichne sich der männliche Habitus durch eine »libido dominandi« aus: den »Wunsch, die anderen Männer zu dominieren, und sekundär, als Instrument des symbolischen Kampfes, die Frauen« (Bourdieu 1997: 215; alle Herv. hier und folgend i.O.). Mit dem »Verlangen zu herrschen« (2005: 141) sei zugleich die Notwendigkeit verbunden, die für die soziale Existenz konstitutiven ›Spiele‹ der Politik, Wissenschaft, Ökonomie, des Krieges, »deren Einsatz irgendeine Form von Herrschaft ist« (2005: 133), anzuerkennen, sowie diese spielen – und gewinnen – zu wollen. Diese in der männlichen Sozialisation erworbene Disposition fasst Bourdieu als »Basis-illusio« zusammen, die bewirke, »dass die Männer (im Gegensatz zu den Frauen) gesellschaftlich so konstituiert und konditioniert sind, dass sie sich wie Kinder von allen ihnen gesellschaftlich zugewiesenen Spielen packen lassen, deren Form par excellence der Krieg ist« (ebd.: 132f). Männer seien demnach nicht nur dazu bestimmt, die »Machtspiele zu lieben« (ebd.: 140), sondern diese Spiele seien ihrerseits konstitutiv für die Ausbildung von Männlichkeit und die Absicherung männlicher Herrschaft: »Konstruiert und vollendet wird der männliche Habitus nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen« (Bourdieu 1997: 203). Frauen sind indes von den Herrschaft konstituierenden und als ›ernst‹ klassifizierten Spielen per se ausgeschlossen. Sie werden auf die ›Zuschauerbänke‹ verbannt und fungieren als »schmeichelnde Spiegel«, indem sie den spielenden Männern ihr eigenes Bild narzisstisch bestärkend zurückwerfen (ebd.).
14 | »Der Grat der Männlichkeit ist äußerst schmal, Abweichungen von der Norm der Männlichkeit werden daher in der Regel entweder mit sozialer Ent-Männlichung (d.h. soziales Stigmatisieren von Verhalten, Fähigkeiten oder Erscheinungsbildern als unmännlich) oder mit politischer Ent-Männlichung (d.h. politisches Vorenthalten formeller Rechte, die Männern qua Männlichkeit zustehen) geahndet.« (Kreisky 1997: 188, Herv. i.O.)
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Das Politische ist nach Bourdieu eines der zentralen Felder (neben Wirtschaft, Literatur, Religion usw.), auf denen die ›ernsten Spiele unter Männern‹, von denen hier die Rede ist, ausgetragen werden. Mit diesem Verständnis von Politik lässt sich der fortwährende Ausschluss bzw. die Abwertung von Frauen und Weiblichkeit in der Politik besser verstehen. Denn Politik ist ein exklusiv ›männliches Spiel‹ um Macht und Herrschaft, bei dem es immer auch um die Akkumulation männlicher Ehre und die Herstellung von Männlichkeit geht. Nach dem »Prinzip gleicher Ehre« sind Frauen von den ›ernsten Spielen‹ grundsätzlich ausgeschlossen. Bourdieu zufolge verfügen nur Männer über ›wahrhaftige‹ Ehre, die kumulierbar ist, während Frauen durch eine »essentiell negative Ehre« gekennzeichnet sind, die »nur verteidigt oder verloren werden kann« (2005: 93): »Anders gesagt, wirklich Ehre machen kann nur die Anerkennung, die von einem Mann (im Gegensatz zu einer Frau) gezollt wird, und zwar von einem Ehrenmann, d.h. von einem Mann, der als ein Rivale im Kampf um Ehre akzeptiert werden kann. Die Anerkennung, auf die die Männer in den Spielen Jagd machen, in denen das symbolische Kapital erworben und eingesetzt wird, hat desto größeren symbolischen Wert, je reicher derjenige, der sie zollt, selbst an symbolischem Kapital ist. So sind die Frauen buchstäblich aus dem Spiel« (Bourdieu 1997: 204)
Weil männliche Ehre darauf angewiesen ist, von anderen Männern anerkannt und bestätigt zu werden, kann auch die Zuschreibung weiblicher Attribute zu einem Verlust an Achtung oder Bewunderung führen. Die »Angst vor dem Weiblichen« – Bourdieu verweist beispielsweise auf die Gefahr der Einordnung in die »typisch weibliche Kategorie« der »Schwachen«, »Schwächlinge« und »Schwulen« (2005: 95f) – wird deshalb zu einem treibenden Motor männlichen Handelns, wie wiederum bereits im Kapitel zum US-Präsidenten erkennbar wurde. Die Diskreditierung kriegskritischer und pazifistischer Positionen bei den Grünen verläuft nun nach demselben Muster: Die Gegner_innen des Regierungskurses werden diskursiv aus den ›ernsten Spielen‹ ausgestoßen, indem sie feminisiert/entmännlicht werden. Bourdieus Konzeptionalisierung von Politik und Männlichkeit zufolge hätte eine Einbeziehung von Frauen in das politische Feld jedoch zugleich eine ›Aufweichung‹ des männlichen Ehrbegriffs insgesamt zur Folge, was die heftigen Abwehrmechanismen auf personaler wie symbolischer Ebene erklären könnte. Zugleich werden durch Bourdieus Überlegungen die ›Unmöglichkeit‹ von Frauen in der Politik und die widersprüchlichen Erwartungen, die an sie gerichtet sind, besser fassbar. Frauen haben das politische Spielfeld längst betreten und sind ganz offensichtlich der dort herrschenden ›Spielregeln‹ mächtig. Maskulinistische Herrschaftsformen ermöglichen also durchaus die Integration und Teilhabe von Frauen. Handeln sie jedoch nach den männlichen Regeln und stellen damit das ›Naturrecht‹ der Männer auf die Machtposition in Frage, wird ihnen schnell ein Mangel an ›Weiblichkeit‹ bescheinigt. Stellen sie wiederum ihre ›Weiblichkeit‹ in den Vordergrund und handeln ›wie Frauen‹, werden sie schnell als unfähig und für die Politik untauglich wahrgenommen (Bourdieu 2005: 120; vgl. auch Lünenborg et al. 2009). Bourdieu beschreibt zwar das politische Feld mit den Metaphern des Spiels und des Wettkampfs, interessiert sich jedoch nicht weiter für die Binnenstrukturen zwischen den männlichen Wettkämpfern, die sich als ›Konkurrenten‹ im Wettstreit um Männlichkeit und Ehre begegnen. Raewyn (ehemals Robert W.) Connell hat
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mit seinem Ansatz der ›hegemonialen Männlichkeit‹ ein Konzept entwickelt, mit dem die Bourdieu’schen Überlegungen sinnvoll ergänzt werden können (so auch Meuser 2006). Mit Connells Konzeption multipler Männlichkeiten ist es möglich, die unterschiedlichen Vorstellungen von Männlichkeit analytisch zu fassen und in ihrem hierarchischen Verhältnis zueinander zu beschreiben. Connell (2000: 97102) unterscheidet zwischen hegemonialer, komplizenhafter, untergeordneter und marginalisierter Männlichkeit, wobei die ›untergeordnete Männlichkeit‹ primär durch eine symbolische Nähe zum Weiblichen gekennzeichnet ist.15 ›Hegemoniale Männlichkeit‹ stellt in diesem Konzept keine feste Größe dar, sondern ein stets umkämpftes, zeit- und kontextabhängiges Ideal und Leitbild, an dem sich die konkreten Ausgestaltungen von Männlichkeit (auf individueller, struktureller und symbolischkultureller Ebene) orientieren und messen. Hegemoniale Männlichkeit konstituiert und definiert sich dabei stets in einer doppelten Abgrenzung: von Frauen bzw. Weiblichkeit16 und von Formen nicht-hegemonialer Männlichkeit. Mit diesem theoretischen Instrumentarium lässt sich die Berichterstattung über den 11. September und den Afghanistankrieg nun (auch) als Definitionskampf um ›hegemoniale Männlichkeit‹ begreifen: eine diskursive Arena konkurrierender ›Männlichkeiten‹, in denen verschiedene Männlichkeitsbilder (die Repräsentationsweisen von Bush, Schröder, Fischer etc.) um die Vorherrschaft ringen. Damit verbunden ist die Aufwertung eines spezifischen Männlichkeitstypus, der sich als stark und unabhängig zu erkennen gibt: der Staatsmann (hier in Gestalt von Schröder und Fischer, teilweise auch Bush). Insbesondere ›instrumentelle‹, männlich konnotierte Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit, Rationalität und Entschlossenheit werden als notwendig erachtet, um mit Krisen und kriegerischen Konflikten umzugehen. Die ›hegemoniale Männlichkeit‹ des Staatsmannes grenzt sich nach außen vom Typus ›Cowboy‹ ab und wird nach innen durch einen ›männerbündischen‹ Zusammenschluss – wie an den ›Paarungen‹ Schröder/Bush und Schröder/Fischer gezeigt – gestärkt. Mit der Analyse der Repräsentation der Grünen dürfte sodann klar geworden sein, dass sich der Maskulinismus des medialen Diskurses noch in einer zweiten Machtrelation ausdrückt: Die Aufwertung ›männlicher‹ Eigenschaften nach dem 11. September geht mit der Abwertung ›weiblich‹ konnotierter Verhaltensweisen und Meinungen einher. So werden pazifistische oder kriegskritische Positionen auch dadurch diskreditiert, dass sie mit ›weiblichen‹ Attributen versehen bzw. als ›weiblich‹ klassifiziert werden. Die (Basis-)Grünen verkörpern damit – mit dem Connell’schen Vokabular gesprochen – eine Form der untergeordneten Männlichkeit. Ein starkes, militärisches Verhalten wird damit unter der Hand als das politisch einzig richtige verklärt und verabsolutiert. Im Folgenden möchte ich die verschiedenen Machtstrategien, mit denen die ›symbolische Feminisierung‹ operiert, näher ausführen.
Politikerinnen und Politiker in den Medien Anhand der Darstellung der Grünen-Politikerin Claudia Roth lassen sich zunächst die Unterschiede zwischen der medialen Repräsentation von männlichen und weiblichen Politiker_innen exemplarisch erläutern. Das Phänomen der ›symbolischen 15 | Connell (2000: 100) zufolge stellt die ›homosexuelle Männlichkeit‹ die auffallendste Form der ›untergeordneten Männlichkeit‹ dar. 16 | Connell nennt dies die »patriarchale Dividende« (2000: 100).
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Verleugnung‹ von Frauen durch die Massenmedien wird aus feministischer Perspektive bereits seit den 1970er Jahren diskutiert und erforscht (z.B. Tuchmann 1978; Schmerl 1985). Auch aktuelle Untersuchungen kommen – trotz der steigenden Zahl von Frauen in Parteien, Parlamenten und Regierungen, zum Teil sogar bis in die höchsten Ämter, wie das Beispiel von Angela Merkel als erste deutsche Bundeskanzlerin zeigt – zu dem Schluss, dass Frauen in der Politik wie auch in der Medienberichterstattung über das Politische nach wie vor unterrepräsentiert sind (vgl. Journalistinnenbund 2005). Interessant ist jedoch v.a. der Befund, dass auch dann, wenn Politikerinnen im Fokus der Medien stehen, sie häufig gemäß stereotyper Weiblichkeitsvorstellung bzw. mehr als ›Frau‹ denn als ›Politikerin‹ wahrgenommen und dargestellt werden (vgl. z.B. die Beiträge in Holtz-Bacha/König-Reiling 2007; Scholz 2007a; Dorer et al. 2008; feminia politica 2008; Holtz-Bacha 2008; Lünenborg 2009). Diese beiden Befunde werden in der (feministischen) Medienund Kommunikationswissenschaften auch als ›Marginalisierung‹ und ›Trivialisierung‹ bezeichnet (vgl. Holtz-Bacha: 2007: 10). Während Marginalisierung heißt, Frauen kommen weniger häufig in der Berichterstattung vor, bedeutet Trivialisierung, dass über Frauen in der Politik anders als über Männer berichtet wird »und zwar tendenziell so, dass ihre politische Rolle und ihre Leistungen heruntergespielt und abgewertet werden« (ebd.). Offensichtlich ist das Feld des Politischen nach wie vor ein ›männliches‹ Geschäft, in dem Frauen mit starken Widerständen zu rechnen haben. Während Männer in der Politik die (geschlechtlich unmarkierte) Norm darstellen, gelten Frauen als ›Abweichung‹ und werden häufig als ›Andere‹ und ›Fremde‹ präsentiert (vgl. Schöler-Macher 1994). Kurzum: Wenn es um Frauen in der Politik geht, schwingt das ›Geschlecht‹ immer mit. Das bedeutet, für politische Akteurinnen wird unweigerlich die Folie ›Frau‹ angelegt und erst danach findet ihre Rolle als Politikerin Berücksichtigung, während männliche Politiker immer zuerst als Politiker behandelt werden (Holtz-Bach 2008: 86). Politikerinnen werden häufig stereotypisiert und entlang konventioneller geschlechtlicher Zuschreibungen und Attribute charakterisiert. In den Medien spiegelt sich dieser Effekt z.B. darin wider, dass bei Politikerinnen häufiger über ihr Aussehen – Frisur, Kleidung, Stil, Blick, Gesichtsausdruck etc. – berichtet wird als bei männlichen Politikern (vgl. Lünenborg et al. 2009; Pantti 2007). Ebenso werden Alter und Familienstand wesentlich häufiger betont als bei männlichen Politikern.17 Auch die in der FAZ fast durchgängig verwendete Anredeform ›Frau‹ für weibliche Politikerinnen (Frau Roth, Frau Merkel etc.), betont die Geschlechtlichkeit der Person und markiert ihre Besonderheit – so sucht man die Ansprache ›Herr Schröder‹ oder ›Herr Fischer‹ vergebens. Besonders für Spitzenpolitikerinnen stellt sich dies als klassische double-bindSituation heraus, denn nicht nur Weiblichkeit und Politik, sondern auch Weiblichkeit und Macht scheinen sich wechselseitig auszuschließen (vgl. Lünenborg et al. 2009: 73). So sind Politikerinnen einerseits stets gut beraten, wenn sie ihr ›Geschlecht‹ möglichst unsichtbar machen, um nicht als ›Frau‹ und damit als ›Andere‹ aufzufallen; andererseits werden sie permanent an ihrer Geschlechterrolle gemessen – auch in den Medien. Nadja Sennewald (2008) zeigt anhand einer Untersuchung der Bildberichterstattung über Angela Merkel während der Osloer Operneröffnung, die 17 | Eine Zusammenfassung der verschiedenen geschlechterorientierten Darstellungsweisen von Politikern und Politikerinnen in den Medien und einen Überblick über die jüngsten Forschungsergebnisse gibt Pantti (2007).
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sie mit freiem Dekolletee abbildet, dass mit der Wahrnehmung Merkels als ›(sexualisierter) Frau‹ ein Verlust der ihr zugeschriebenen Macht einhergeht. Sennewald kommt zu dem Ergebnis, dass mächtige Frauen, wenn sie auf ihre ›Feminität‹ hin geprüft werden, eigentlich nur verlieren können. Egal ob ihnen ein Mangel oder ein Überschuss an Weiblichkeit zugeschrieben wird, immer ist damit eine Abwertung ihres Status als Politikerin verbunden. »Die Untersuchung des Bildereignisses ›Angela Merkels Dekolletee‹ macht das Dilemma deutlich: Das ›Vorher‹ bei Aschenputtel Merkel beinhaltet ein Unterbedienen von ›Feminitäts-Markern‹, aber kaum werden sie – z.B. durch ein sichtbares Dekolletee und eine andere Frisur – bedient, wird dies als ein ›zu viel‹ und ebenfalls negativ bewertet« (ebd.: 85f).18 Zu den ›Feminitäts-Markern‹, wie Sennewald sie nennt, gehören jedoch nicht nur Aspekte, die auf das äußere Erscheinungsbild abzielen wie Frisur, Kleidung, Dekolletee, Sex-Appeal etc., sondern der gesamte Kontext, in dem die Person durch Text und Bild situiert wird. So weist Liesbet van Zoonen (2005) nach, dass die Thematisierung des vermeintlich Privaten, Familiären und Sozialen bei Politikerinnen und Politikern in der Medienberichterstattung in ganz unterschiedlicher Weise wirksam wird. Während Politikern spezifische soziale Kompetenz und damit Statuszugewinn zugesprochen werden, dient die Erwähnung des ›Privaten‹ bei Politikerinnen nach wie vor der Abwertung und Trivialisierung (van Zoonen 2005). Bei der Darstellung Claudia Roths in FAZ und Spiegel lässt sich dies in besonderer Weise nachvollziehen. So fällt der starke Bezug auf das ›private‹ und soziale Umfeld besonders ins Auge: Die beste Freundin, die Stammwirtin, der Imbissverkäufer, die Mutter, die Lieblingsband etc. werden herangezogen, um die Politikerin Roth zu charakterisieren. Die Metaphorisierungen als »Mutter Beimer« und »hysterischer Kinderkrankenschwester« greifen ebenso wie das Schimpfwort »Heulsuse« auf altbekannte weibliche Rollenklischees zurück. Zudem werden die Bereiche Familie (Mutter), Soziales und Freizeit deutlich überbetont und Roth dadurch in einem äußerst politikfernen Setting verortet. Als stärkste ›Feminitäts-Marker‹ fungieren bei Roth jedoch die permanente Betonung von Emotionalität und Mitgefühl. Die Darstellung folgt hier eindeutig dem Motiv eines ›Zuviels‹ an Weiblichkeit – mit doppeltem Effekt: Die politische Funktion Roths als Spitzenpolitikerin – sie ist sei Januar 2001 die Bundesvorsitzende der Grünen – tritt nahezu vollständig hinter die Beschreibung Roths als ›Frau‹ und ›Privatperson‹ zurück. Unterschwellig wird dadurch ihre ›Tauglichkeit‹ für die Politik in Zweifel gezogen. Die Befunde zeigen deutlich, dass für weibliche Spitzenpolitikerinnen offensichtlich (noch) keine gleichberechtigten Subjektpositionen (diskursiv) zur Verfügung stehen.
›Maskuline‹ und ›feminine‹ Emotionalisierung Wie Mervi Pantti (2007: 28ff) betont, gehört zu der gegenwärtigen mediatisierten und stark auf Personalisierung ausgerichteten Politik v.a. der Versuch, sich möglichst menschlich zu präsentierten, also z.B. Emotionen zu zeigen und die eigene Persönlichkeit zu offenbaren. Dementsprechend sei es heutzutage keine Ausnahme mehr oder werde als unpassend empfunden, wenn (männliche) Spitzenpolitiker in der Öffentlichkeit Gefühle zeigten. Emotionalität ist Pantti zufolge »eines der 18 | Vgl. zur Vergeschlechtlichung und Sexualisierung der Bundeskanzlerin in den Medien auch die Untersuchungen von Lünenborg et al. 2009; Kinnebrock/Knieper 2008; Holz-Bacha/Koch 2008.
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Hauptmerkmale für die unterschiedliche Konstruktion der Rollen der Geschlechter in der Politik und in der Gesellschaft generell« (2007: 31f). Dieser Befund spiegelt sich auch in der medialen Vermittlung des Politischen nach dem 11. September wider: Bush, Schröder und Fischer werden allesamt von ihrer menschlichen Seite präsentiert. In Anbetracht der Ereignisse des 11. September zeigen sie Gefühle der Trauer und des Mitgefühls, sie sind schockiert und bewegt, besorgt und sensibel. Jedoch wird Emotionalität im Fall von Bush, Schröder und Fischer grundsätzlich anders bewertet als bei Roth und der grünen Parteibasis. Zur Erklärung dieses Phänomens ist zunächst der von Pantti verwendete Begriff der »maskulinen Emotionalität« hilfreich: »Maskuline Emotionalität gilt als eine allgemeine menschliche Qualität, während die Emotionalität der Frauen und anderer untergeordneter Gruppen noch immer stigmatisiert wird. […] Das bedeutet, dass die öffentliche Wahrnehmung männlicher und weiblicher Emotionen nicht unbedingt denselben symbolischen Wert hat: Während die Tränen mächtiger Männer ein Zeichen von Sensibilität und Stärke darstellen, werde sie bei Frauen immer noch als Zeichen der Schwäche gedeutet.« (Ebd.: 31f)
Die vorliegenden Ergebnisse bestätigen diesen Befund: Die Betonung des Emotionalen bei Bush und Schröder lässt die beiden als besonders menschliche und sensible Politiker hervortreten. Emotionalität dient als ›Bereicherung‹ ihrer Professionalität als Politiker, während Roth und die Grünen durch die zugewiesene Emotionalität als weich, weinerlich, ängstlich und wankelmütig stigmatisiert werden und ihre Tauglichkeit für die Politik grundsätzlich in Frage steht. Jedoch – und das ist für meine Auffassung zentral – muss der Begriff der ›maskulinen Emotionalität‹ von dem Referenzsubjekt ›Mann‹ losgelöst betrachtet werden. Wie die Analyse der politischen Akteure nach dem 11. September deutlich zeigt, kann ›maskuline Emotionalität‹ nicht nur bei Männern identifiziert werden, sondern muss vielmehr als Effekt eines symbolischen Verweisungssystems begriffen werden, in dem ›Männlichkeit‹ und ›Weiblichkeit‹ permanent zugeschrieben und in (hierarchische) Relation zueinander gesetzt werden. So ist nicht unbedingt die ›biologische‹ Einordnung der Akteure oder Akteursgruppen ausschlaggebend für die Klassifizierung der wahrgenommenen Emotionalität als ›maskulin‹ oder ›feminin‹, sondern der gesamte mediale Vermittlungskontext, in dem die Akteure platziert werden. Statt Emotionalität ließe sich deshalb besser von Emotionalisierung sprechen, um den Prozess der Zuschreibung stärker zu gewichten. So zeigt die Analyse, dass nicht nur Claudia Roth als Frau, sondern auch die Männer der Parteibasis mit ›femininer Emotionalität‹ und weiblich konnotierten Attributen in Zusammenhang gebracht werden: Sie werden als schwächlich, labil und hilfsbedürftig präsentiert; sie sind voller Angst und Nervosität und bedürfen der permanenten Pflege und Fürsorge sowie einer ›starken Hand‹, die sie leitet und führt. Moralisches Abwägen und Zweifeln – Eigenschaften, die bei Schröder positiv hervorgehoben wurden – sind im Zusammenspiel mit weiblich konnotierten Zuschreibungen der Emotionalität eindeutig negativ besetzt, wie es besonders plakativ in dem Schimpfwort der ›Heulsuse‹ zum Ausdruck kam. Politische Inhalte, Fähigkeiten, Erfahrungen und Entwicklungen der Grünen werden generell unterbewertet und die von ihnen vertretene kriegskritische Haltung nur selten näher erläutert oder mit Belegen oder Argumenten unterstützt. Zahlreiche Verweise auf frühere (männ-
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liche) Spitzenpolitiker machen ebenfalls deutlich, dass sich das, was in Zeiten von Krieg und Krise als ›Qualifikationsmerkmal‹ für professionelles Handeln angesehen wird, an ›männlich‹ konnotierten Werten und Normen wie Rationalität, Entschlossenheit, Mut, Autonomie, Stehvermögen, Stärke etc. orientiert. Das Beispiel des US-Präsidenten hat darüber hinaus deutlich gemacht, dass die Zuschreibung ›maskuliner Emotionalität‹ nicht automatisch allen männlichen Politikern zuteil wird. Die zeitweilig von den Medien bei Bush wahrgenommene Unsicherheit und Nervosität wurden eher als Zeichen der Schwäche, Unentschlossenheit und Inkompetenz interpretiert – und damit ent-maskulinisiert. Als Reaktion auf die Geschehnisse des 11. September waren nur bestimmte, als ›maskulin‹ assoziierte Emotionen zulässig: Starke, patriotisch gefärbte Trauer und ein sich in bestimmten Grenzen haltender, kraftvoller Zorn. Solcher Art Gefühlsregungen sind mit der ›Männlichkeit‹ eines Spitzenpolitikers und Staatsmannes durchaus vereinbar und bringen sogar einen ›Statusgewinn‹ mit sich. Emotionen, Eigenschaften und Verhaltensweisen, die mit ›Feminität‹ in Verbindung gebracht werden (können), sind im Kontext von Krieg und Krise offensichtlich nicht gefragt.
Feminisierung durch Kontextualisierung Die diskursive Strategie der symbolischen Feminisierung operiert nicht nur mit direkten Benennungen oder vergeschlechtlichenden Eigenschafts- oder Emotionszuschreibungen, sondern auch mit spezifischen Analogien und Kontextualisierungen. So werden die grüne Parteibasis und einzelne grüne Politiker_innen mit bestimmten Berufsfeldern assoziiert, die traditionell dem weiblichen Geschlecht zugeordnet werden wie z.B. die Soziale Arbeit (›Politik im Sozialarbeitermodus‹) oder Pflegeberufe (›Kinderkrankenschwester‹), die zudem mit der Profession des Politikers kaum etwas zu tun haben. Auch die stete Betonung von persönlichen Hintergründen (Vorlieben, Gewohnheiten und Geschmäcker), äußerlichen Merkmalen (Kleidung, Frisur, Körperhaltung) von Familie und Freundeskreis (Beziehungsstrukturen, soziales Umfeld, Kosenamen) sowie von ›privaten‹ Aktivitäten (Freizeit, Urlaub, Hobbies) platzieren die Akteure oder Akteursgruppen in einem ›privaten‹ und damit per definitionem politikfernen Kontext. Auch der Rekurs auf das Krankheitsbild der Hysterie stellt implizit einen ›weiblichen‹ Bedeutungskontext her und ist Teil des Feminisierungsprozesses der Grünen (diese Strategie ließ sich ebenfalls bei der Darstellung der US-amerikanischen Bevölkerung beobachten; vgl. Kap. IV.1.3) Mit Entstehung der modernen Humanwissenschaften im 18. Jahrhundert, die durch ihr vorrangiges Interesse am weiblichen Körper eine »weibliche Sonderanthropologie« (Honegger 1991) etablierten, wurde Hysterie als spezifisch weibliche Krankheit definiert. Frauen galten von ihrem ›Wesen‹ her als hysterisch, während der Mann nur aufgrund unglücklicher Umstände hysterisch werden konnte (Bührmann 1998: 90).19 Kurzum: »Das Wort Hysterie klebt an der Frau« (Link-Heer 1988: 368). 19 | Foucault bestimmt die »Hysterisierung des weiblichen Körpers« (1999: 126) auch als eine zentrale Funktionsweise der Macht innerhalb des Sexualitäts-Dispositivs: In den neuen Lebenswissenschaften (Biologie, Medizin, Psychologie) wurde der Körper der Frau als ein gänzlich von Sexualität durchdrungener Körper aufgefasst, dem das Pathologische gleichsam von Natur aus innewohne. Denn so glaubte man, dass eigentlich jede Frau hysterisch sei oder zumindest eine natürliche Disposition zur Hysterie besitze (vgl. Bührmann 1998; von
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Heute ist die Krankheit der Hysterie von der »Histrionischen Persönlichkeitsstörung« abgelöst worden. Die medizinische Definition dieser Krankheit aus der Klasse der »Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen« lautet laut ICD-10 wie folgt: »F60.4 Histrionische Persönlichkeitsstörung: Eine Persönlichkeitsstörung, die durch oberflächliche und labile Affektivität, Dramatisierung, einen theatralischen, übertriebenen Ausdruck von Gefühlen, durch Suggestibilität, Egozentrik, Genusssucht, Mangel an Rücksichtnahme, erhöhte Kränkbarkeit und ein dauerndes Verlangen nach Anerkennung, äußeren Reizen und Aufmerksamkeit gekennzeichnet ist. Persönlichkeit(sstörung): hysterisch, infantil« (DIMDI). 20
Die Darstellung der grünen Parteibasis in FAZ und Spiegel weist erstaunlich große Übereinstimmung mit der hier beschriebenen ›Persönlichkeitsstörung‹ auf: Die Grünen werden insgesamt – explizit wie implizit – als ›hysterischer Patient‹ metaphorisiert, der sich durch ein infantiles Geltungsbedürfnis sowie Labilität, starke Emotionalität und Theatralik auszeichnet. Während in diesem Deutungsrahmen ein Teil der Grünen, in erster Linie die Regierungsgrünen, zur ›Vernunft‹ gekommen ist und einen erfolgreichen Lern- und Therapieprozess absolviert hat, bleibt die grüne Parteibasis in ihrer ›pathologischen‹ und zugleich feminisierten Stellung gefangen. FAZ und Spiegel zeigen die Grünen in einem Zustand des Leidens, unfähig die persönliche Krise und den Identitätskonflikt zu überwinden. Sie bleiben nach innen gerichtet und auf sich selbst zurückgeworfen, wie auch der Vergleich mit einer Selbsterfahrungsgruppe deutlich macht. Die Überwindung der ›Krise‹ wird dadurch zum ›männlichen‹ Privileg, eine Aufgabe, an deren Bewältigung sich die ›Reife‹ und ›Größe‹ des Staatsmannes bemisst. Abschließend kann festgehalten werden: Die Abwertung der Grünen vollzieht sich als symbolisch-diskursive ›Verweiblichung‹. Zugleich geht mit der Identifizierung bestimmter Merkmale als ›weiblich‹ der Ausschluss aus dem Politischen einher. Dabei ist Weiblichkeit in einer paradoxen Weise in den männlich kodierten Raum des Politischen eingeschlossen, da sich die ›echte Männlichkeit‹ des Staatsmannes erst über die Beherrschung und Kontrolle des Weiblich-Emotionalen konstituiert. Andererseits haben Aspekte wie Emotionalität und Fürsorge – die gemeinhin mit Weiblichkeit assoziiert werden – durchaus Einzug in den Bereich des Politischen gehalten und gehören nach dem 11. September zum Kanon der gefragten Braun 1990; Link-Heer 1988). Die Konzeptualisierung der Frau als potentiell hysterisches Gattungswesen diente zugleich als Beleg für die vermeintliche Untauglichkeit der Frauen für die Politik und legitimierte ihren Ausschluss aus der Öffentlichkeit. Zwar diagnostizierte man vereinzelt auch bei Männern ›hysterische Symptome‹, wie es mit der Loslösung von der weiblichen Gebärmutter als vermeintlichem Ursprungsort der Hysterie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts möglich wurde, doch blieb das Krankheitsbild insgesamt weiterhin weiblich konnotiert. Die Diagnostizierung ›hysterischer Eigenschaften‹ bei einem Mann bedeutete deshalb stets eine Feminisierung und damit Infragestellung seiner Männlichkeit (vgl. von Braun 1990: 329ff). So wurden z.B. im Ersten Weltkrieg kriegsuntaugliche Männer als ›Kriegshysteriker‹ und ›unmännliche‹ Drückeberger diffamiert (vgl. Nolte 2003: 141). 20 | Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), einsehbar unter: www.dimdi.de/dynamic/de/klassi/diagnosen/icd10/htmlamtl2006/fr-icd.htm (letzter Zugriff 20.12.2011).
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Kompetenzen (punktuell) dazu. Allerdings findet sich ein differenzierter Gebrauch, bei dem es ganz auf die graduelle Abstufung der Zuschreibung von Emotionen ankommt. Ein ›Zuviel‹ weiblich konnotierter Eigenschaften dient wie bei den Grünen nach wie vor primär der Abwertung und kommt einem politischen Statusverlust gleich.
3.8.2 Diskurspositionen: Remilitarisierung und Normalisierung der deutschen Außenpolitik in FAZ und Spiegel Die gesellschaftspolitisch höchst relevante Frage nach einer militärischen Beteiligung Deutschlands im ›Anti-Terror-Kampf‹ wird in FAZ und Spiegel in erster Linie als individuelles Problem verhandelt: als ›innere Sinnkrise‹ oder auch ›Identitätsstörung‹ der Grünen. Es scheint, als würden die Grünen an Stelle der deutschen Gesellschaft den in den Medien als notwendig und unvermeidbar dargestellten ›Reifungsprozess‹ (in Richtung Militarisierung und Normalisierung) durchlaufen – oder eben daran scheitern. In der personalisierten Berichterstattung beider Medien wird die Frage nach einer deutschen Kriegsbeteiligung in Afghanistan, verbunden mit der zukünftigen Ausrichtung der Außenpolitik, stellvertretend anhand der Repräsentation der grünen Parteibasis ausgetragen und dort entschieden. Alle verfolgen mit Spannung, wie die Grünen das Dilemma bzw. den ›Spagat‹ zwischen vermeintlich gewandelten ›realpolitischen Notwendigkeiten‹ und einer ›friedliebenden Geisteshaltung‹ und den ›pazifistischen Wurzeln‹ bewerkstelligen. Die Grünen symbolisieren ›Moral‹ und ›Geist‹, und damit das ›Gewissen‹ der deutschen Nation in Bezug auf die Kriegsfrage. Innerhalb des Narrativs des ›Erwachsenwerdens‹ der deutschen Nation haben Fischer und einige andere Bundestagsabgeordnete den verlangten ›Lernprozess‹ parallel zur deutschen Nation erfolgreich durchlaufen, an dessen Ende die ›Einsicht‹ in die Notwendigkeit einer militärisch wehrfähigen Nation und die Absage an pazifistische Denktraditionen steht. Diejenigen Grünen, die Schröder bei der Abstimmung ihr Vertrauen versagten, werden danach unverhohlen negativ dargestellt und lächerlich gemacht. Während Bush, Schröder und Fischer die verschiedenen Krisen erfolgreich gemeistert haben, scheinen die grünen Kriegskritiker_innen und Pazifist_innen für immer in der Krise zu verharren. Sie bleiben auf sich selbst zurückgeworfen, wie auch die spöttische Titulierung »Bauchnabeldiplomaten«, die in der FAZ zur Benennung der Grünen anzutreffen ist, suggeriert: Sie kreisen um ihren eigenen Bauchnabel; kritische Debatten und demokratische Entscheidungsfindungsprozesse werden als unnütze Zeitverschwendung und reiner Selbstzweck gedeutet. Was noch vor einigen Jahren unter dem Stichwort ›Militarismus‹ kritisiert wurde, ist weder in der FAZ noch im Spiegel ein Thema. Stattdessen kommt es zu einer negativen und spöttischen Darstellung von Pazifist_innen und Kriegskritiker_innen, die auf traditionelle Geschlechterklischees rekurriert. Die Diskreditierung einer bestimmten politischen Einstellung verläuft z.B. in personifizierter Form über die Abwertung und Feminisierung der Figur Roth. Im Gegenzug werden Festigkeit und Beharrlichkeit als diejenigen Eigenschaften proklamiert, die in der momentanen Situation gefragt sind – und der die ›Grünen‹ eindeutig nicht entsprechen. Die Zuschreibung weiblich konnotierter Eigenschaften wie Irrationalität, Chaos, Emotionalität, Unberechenbarkeit etc. – was ich mit den Begriffen ›symbolische Feminisierung‹ oder ›Kontextualisierung‹ benannt habe –, dient nicht nur der Abwertung einzelner politischer Akteure. Symbolische Feminisierungen tragen darüber hinaus zur Abwertung und Diskreditierung bestimmter politischer, in diesem Fall regie-
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rungskritischer oder pazifistischer, Haltungen und Meinungen bei. So wurde durch die spöttische Darstellung der Grünen, eine pazifistische oder anti-militaristische Position gleich mit entsorgt bzw. als ernst zu nehmende politische Handlungsoptionen verneint. Frieden bzw. Pazifismus sind in der Berichterstattung nach dem 11. September definitiv keine positiven Bezugsgrößen mehr, stattdessen fungieren sie als Chiffre für Irrationalität und Emotionalität und stehen für eine weltfremde und unzeitgemäße Haltung. Diskursiv fungieren Pazifismus und Frieden gleichsam als Antipode politischer Professionalität und rationaler Einsicht. Alternativen, in diesem Falle eine kritische oder ablehnende Haltung zum geplanten Militäreinsatz, werden dadurch verunglimpft und avancieren stattdessen zum Zeichen für Realitätsverlust und Regierungsuntauglichkeit. Das im Spiegel entfaltete Sagbarkeitsfeld scheint im chronologischen Verlauf der Berichterstattung selbst einen entscheidenden Wandlungsprozess zu vollziehen: Eine pazifistische oder kriegskritische Haltung (zu Beginn noch unter dem Begriff der ›Kriegsangst‹ subsumiert und in den ersten beiden Wochen nach dem 11. September überwiegend mit Verständnis bedacht) wird nach dem erfolgten Vertrauensvotum endgültig als fehl am Platze präsentiert. Dazu kommt eine zunehmend positive Bezugnahme auf den Krieg in Afghanistan, der retrospektiv doch noch als erfolgreich gewertet wird. In Anbetracht der freudigen Meldungen über die ›jubelnden Menschen‹ in Kabul erscheint die Entsendung von 3.900 Soldaten zumindest in moralischer Hinsicht gerechtfertigt. Der Krieg in Afghanistan erhält im Nachhinein Legitimität, denn aus der Sicht des Spiegels hat er zur ›Befreiung‹ der afghanischen Bevölkerung geführt. Die mit der Entscheidung über die Bereitstellung deutscher Soldaten verbundene Veränderung des deutschen Selbstverständnisses bezüglich militärischer Konfliktaustragung generell und die erfolgte Remilitarisierung der deutschen und internationalen Politik werden als ›Fortschritt‹ und Ergebnis eines historischen ›Lernprozesses der Normalisierung‹ gedeutet. In der FAZ wird die komplexe Debatte um die neue Rolle Deutschlands in der Welt auf die beiden konträren Pole ›deutsche Interessen‹ versus ›Pazifismus‹ reduziert und ebenfalls anhand der Partei der Grünen ausgetragen. Die Zustimmung der FAZ zu einer militärischen Beteiligung am Anti-Terror-Kampf an der Seite der USA, verstanden als Ausdruck einer neuen deutschen ›Verantwortung‹ im Rahmen außenpolitischer Zwänge und Notwendigkeiten, stellt sich hier relativ eindeutig dar, wobei die Grünen für die Gegenposition des Pazifismus und stellvertretend für alle Kritiker_innen in der Bevölkerung stehen. (Die Position der PDS, die viel eindeutiger als die Grünen einen militärischen Einsatz ablehnen, wird beispielsweise nicht aufgegriffen und diskutiert.) Die Grünen erscheinen in dieser Perspektive als unreif bzw. noch nicht in der Lage, gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, als weltfremd bzw. realitätsfern und tendenziell naiv. Das ›Erwachsenwerden‹ ist gescheitert. Die Repräsentation der Grünen und das Narrativ des ›Erwachsenwerdens‹ gehen mit einer weiteren Diskursverschiebung einher. Es deutet sich ein Wandel der argumentativen Begründungsmuster an, mit denen militärische Einsätze bislang begründet und legitimiert wurden. Der Bezug auf ›Menschenrechte‹ habe in Anbetracht des ›internationalen Terrorismus‹ ausgedient, konstatiert die FAZ. ›Humanitäre‹ Begründungen oder der Bezug auf ›Auschwitz‹ oder ›Menschenrechte‹ dienten lediglich der ›Versüßung‹ militärischer Einsätze für jene, die die Notwendigkeit einer wehrhaften Nation in Zeiten des Terrorismus noch immer nicht er-
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kannt hätten. Legitimatorische Bezüge auf Menschen- oder Frauenrechte werden (in der FAZ) als ›weichlich‹, weltfremd und in Anbetracht der neuen weltweiten Bedrohungslage als nicht mehr zeitgemäß zurückgewiesen. Sie erfüllten höchstens noch eine innenpolitische Funktion in Form einer ›Beruhigungspille‹. Die FAZ lehnt moralische und humanitäre Begründungen als Verschleierungstaktik (›semantische Tricks‹, ›Nebelkerzen‹; vgl. Kap. IV.2.7) ausdrücklich ab, da sie nichts mit einer entschlossenen, starken Außenpolitik, die auch militärische Einsätze umfasst, zu tun haben, und fordert stattdessen ein ›unverblümtes‹ und entschlossenes Ja zum Einsatz militärischer Mittel in Anbetracht der vermeintlich neuen Bedrohungslage und Neuordnung der Weltpolitik. Daraus folgt auch eine Absage an humanitäre und menschenrechtsbezogene Begründungsmuster, wie sie noch im Kosovokrieg en vogue waren. Die neue Bedrohungslage erfordert aus Sicht der FAZ neue sicherheitspolitische Antworten sowie die Einsicht und das Bekenntnis zu einem neuen politischen Realismus. Der Spiegel verhält sich diesbezüglich ambivalent. Einerseits wird vor den ›Nebenwirkungen‹ der ›Beruhigungsmittel‹ gewarnt, andererseits wird der Krieg doch als humanitäre Aktion zur Rettung der afghanischen Bevölkerung, insbesondere der Frauen präsentiert (vgl. Kap. IV.6): »Vorrangiges Ziel soll es dabei sein, die leidende afghanische Bevölkerung, insbesondere Frauen, von der Taliban-Diktatur zu erlösen« (39/2001: 158).
4. D ER DEUTSCHE S OLDAT — VOM ›S OZIAL ARBEITER IN U NIFORM ‹ ZUM ›A NTI -T ERROR -S PEZIALISTEN ‹ Der 11. September gilt nicht nur für die Politik als ›Zäsur‹ und ›Epochenbruch‹, auch für den Bereich des Militärischen ist diese Deutung vorherrschend. Daher soll nach dem Politiker nun der Soldat – nach Mordt (2002) die zweite klassische Figur auf dem Parkett der Internationalen Beziehungen – in den Fokus gerückt werden. Betrachtet man die Berichterstattung von Spiegel und FAZ nach dem 11. September, spielt der Soldat21 (bzw. die Bundeswehr als kollektiver Akteur) gemessen an Häufigkeit und Umfang der Diskursfragmente im Vergleich zum Politiker nur eine untergeordnete Rolle.22 Gleichwohl ist eine genauere Beleuchtung des medial ver21 | Die Repräsentation der Soldaten (zumeist nur als Kollektiv) erfolgt in beiden Medien eher indirekt. Sie werden in erster Linie als Gegenstand politischer Entscheidungen und weniger als eigenständige Akteure im Kriegsgeschehen wahrgenommen. Das kann zum einen daran liegen, dass deutsche Soldaten erst gegen Ende des Untersuchungszeitraums ihren Einsatz in Afghanistan begonnen haben (im Januar 2002), zum anderen daran, dass die unmittelbaren Kampfhandlungen zu diesem Zeitpunkt bereits beendet waren. Auf die Repräsentation von Soldatinnen werde ich gesondert eingehen. Um hervorzuheben, dass das Bild des Soldaten nach wie vor – und in noch deutlich höherem Maß als das des Politikers – männlich kodiert ist, werde ich in diesem Zusammenhang bewusst das generische Maskulinum verwenden. 22 | Im Spiegel finden sich sechs Artikel, die sich in ihrem Hauptfokus dem Thema »Bundeswehr« widmen (39/2001: 42ff; 40/2001: 73ff; 42/2001: 26ff; 51/2001: 22ff), zwei davon sind in der Ausgabe vom 12.11.2001 (46/2001: 34ff; 46/2001: 42ff) zu finden, die dem Thema Bundeswehreinsatz unter der Headline »Bundeswehr nach Afghanistan: Ernstfall für Rot-Grün« die Titelgeschichte widmet. In der FAZ wird insgesamt häufiger über die Bundes-
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mittelten Soldatenbilds aufschlussreich, da es Auskunft über die »politische Kultur« (vgl. Virchow 2007: 95; Schwab-Trapp 2002: 19ff) einer Gesellschaft geben kann, insbesondere darüber, wie die Gesellschaft zu Krieg und dem Einsatz militärischer Mittel im Allgemeinen steht. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass dieses Bild seinerseits Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wahrnehmung und Akzeptanz von Militär und Krieg hat.23
4.1 Sicherheitspolitischer Paradigmenwechsel — müssen deutsche Soldaten fortan kämpfen und schießen? Angesichts der Bedrohung durch den ›internationalen Terrorismus‹ nach dem 11. September, in dessen Folge »sich eine neue Wirklichkeit ab[zeichnet]« (FAZ 7.11.01: 3), fordern Spiegel und FAZ mit Blick auf die Bundeswehr das Überdenken alter Maximen und das Neuausloten der sicherheitspolitischen Aufgabenfelder. Dreh- und Angelpunkt der medialen Diskussion ist dabei (erneut) die Frage nach der Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegseinsätzen über die eigene Landesgrenze bzw. das NATO-Vertragsgebiet (out of area) und den unmittelbaren Verteidigungsfall hinaus: »Die Lage ist gespannt. Müssen Soldaten der Bundeswehr demnächst in Afghanistan und anderswo schießen?«, fragt der Spiegel (39/2001: 92). Die Wortwahl legt zugleich nahe, dass dies vorher nicht der Fall war.24 Für die FAZ geht es dabei um weit mehr als nur die Frage nach der konkreten militärischen Unterstützung der USA in Afghanistan, nämlich um eine »politisch fortwirkende Grundsatzentscheidung« (13.11.01: 1). Sie prognostiziert, wie schon in Kapitel IV.2 ausgeführt, einen militär- und sicherheitspolitischen »Wendepunkt« (7.11.01: 3) bzw. »Paradigmenwechsel« (12.11.01: 1) und wertet diesen ausdrücklich positiv: als politische Chance für Deutschland und einen weiteren bedeutsamen
wehr berichtet, jedoch nicht in Form separater Artikel. Aussagen über das Militär und seine Aufgaben sind hier vielmehr in die Gesamtberichterstattung eingeflochten. Daraus ergibt sich für das vorliegende Kapitel ein zum Teil deutliches Übergewicht an Spiegel-Zitaten, insbesondere in Bezug auf das Kommando Spezialkräfte (KSK), das im Fokus einiger Unterkapitel steht. 23 | Zur Erinnerung: Am 16. November 2001 beschloss der Deutsche Bundestag die Beteiligung der Bundeswehr an der »Operation Enduring Freedom« (OEF) im Rahmen des AntiTerror-Krieges und am 22. Dezember 2001 die Unterstützung der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe ISAF (International Security Assistance Force). Im Januar 2002 traten die ersten Soldaten offiziell ihren Dienst an. Dass deutsche KSK-Soldaten bereits im November 2001 im Rahmen des OEF-Mandats bei den Kampfhandlungen in Afghanistan beteiligt waren, wurde erst später bekannt. 24 | Der erste militärische Auslandseinsatz der Bundeswehr im so genannten Kosovokrieg liegt 2001 bereits zwei Jahre zurück. Deutsche Kampfflugzeuge (›Tornados‹) beteiligten sich damals an den Luftangriffen auf jugoslawische Flugabwehrstellungen, um den Abzug der jugoslawischen Truppen aus der mehrheitlich von Albaner_innen bewohnten Provinz Kosovo zu erzwingen. Deutsche Soldaten waren damit erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg aktiv an Kampfeinsätzen beteiligt. Allerdings wurde durch die vorherrschende Bezeichnung des Kosovokrieges als ›humanitäre Intervention‹ in Politik und Medien ebenfalls suggeriert, dass deutsche Soldaten hier nicht kämpfen und schießen würden.
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Schritt auf dem Weg der Normalisierung hin zu einem vollwertigen, d.h. souveränen und wehrfähigen Staat: »Diese Politik ist vernünftig, selbstverständlich ist sie nicht. Denn sie bricht ein für allemal mit selbstgesetzten Tabus, welche die deutsche Politik seit der Gründung der Bundesrepublik geprägt hatten. Das wichtigste Tabu war die Festlegung darauf, daß Deutschland Waffen nur zur Verteidigung gegen einen Angreifer einsetzen dürfe, der auf das eigene Territorium vorgedrungen war.« (FAZ 12.11.01: 1)
Um das geforderte Umdenken im Bereich der Sicherheitspolitik und des Militärischen zu begründen, verfolgt die FAZ eine doppelte Argumentationsstrategie. Das erste Argument ist die ›Bündnisverpflichtung‹ im Rahmen der NATO: Wehrhaftigkeit und Kriegsfähigkeit werden als zwingende Erfordernisse präsentiert, will Deutschland zu einem international anerkannten und gleichberechtigten ›Partner‹ aufsteigen. Zum Zweiten gilt militärische Stärke als unabdingbare Voraussetzung, um sich gegen die vermeintlich völlig neue Art der Bedrohung durch den ›internationalen Terrorismus‹ angemessen wappnen und die Sicherheit der Bevölkerung garantieren zu können. Und diese Art der »Vorwärtsverteidigung« erfordert aus Sicht der FAZ (12.11.01: 1) auch eine starke, d.h. kampfbereite und kampffähige, gut ausgerüstete und über die deutschen Außengrenzen hinaus, international einsatzfähige Armee, die zudem in der Gesellschaft und Politik geschätzt und gewürdigt wird. Im Kern gehe es darum, im ›deutschen Interesse‹ zu handeln und Deutschlands »Zukunftsfähigkeit« (G. Schröder, zit.n. FAZ 20.9.01: 1) zu sichern. Im Gegenzug wird das negative Bild eines feigen ›Drückebergertums‹ aufgerufen: In Deutschland hätten lange genug »Scheckbuchdiplomatie« (27.9.01: 6) – Geld statt Soldaten – und »Stillhalte-Pragmatismus« vorgeherrscht, während »andere die Kohlen aus dem Feuer holten« (ebd.: 1). Auch der Spiegel wertet die Ereignisse des 11. September als deutliches Zeichen dafür, dass sich die Bundeswehr nun, in Zeiten der globalen terroristischen Bedrohung, nicht länger vom ›eigentlichen‹ Kriegsgeschehen, also Kampf- und Tötungshandlungen, fernhalten könne, auch wenn diese Veränderung nicht unbedingt begrüßt wird. ›Ernstfall‹ und ›Kämpfen‹ bilden die Schlüsselworte, mit denen der qualitativ vermeintlich neue Einsatzbereich der Bundeswehr nach dem 11. September – weg von einer reinen Landes- oder Bündnisverteidigungsarmee hin zu einer flexiblen Unterstützungs- und Einsatz-Armee – umschrieben wird. Im Mittelpunkt der Spiegel-Berichterstattung steht jedoch, anders als in der FAZ, die potenzierte Gefahr für Leib und Leben der deutschen Soldaten, die mit dem prognostizierten Wandel einhergeht: Deutsche Soldaten müssen in Zukunft möglicherweise in einen Krieg fernab der ›Heimat‹ ziehen, sie müssen kämpfen und schießen – und laufen selbst Gefahr, verletzt oder getötet zu werden. Vor dem Hintergrund der antizipierten Kriegsbeteiligung beschäftigen FAZ und Spiegel sich mit den materiellen und ideellen Ressourcen der Bundeswehr und fragen, ob denn die »notleidend[e]« (FAZ 7.11.01:3) bzw. »marode Bundeswehr« (Spiegel 38/2001: 33) angesichts der vermeintlich neuen Bedrohungslage überhaupt angemessen ausgerüstet und in der Lage sei, das Land zu verteidigen und zu schützen. Und sie werfen die Frage auf, ob eine Berufsarmee nicht besser gegen die akute Bedrohungslage gewappnet sei als eine Wehrpflichtarmee (vgl. Spiegel 38/2001: 35; 51/2001: 22ff). Debattiert wird in diesem Kontext auch eine Aufstockung des Vertei-
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digungshaushalts. Entscheidender als die Frage nach der finanziellen Ausstattung scheint aber die Frage nach der Wertschätzung des Militärs in Politik und Gesellschaft. Die FAZ wird nicht müde, außer der jahrzehntelangen Unterfinanzierung auch das allgemeine Akzeptanzdefizit zu beklagen: »Von Akzeptanz zu sprechen wäre verfrüht, denn Akzeptanz setzt voraus, daß die Veränderung und ihre Tragweite erkannt werden. Diesen Erkenntnisschritt haben die Parteien und die Öffentlichkeit noch nicht vollzogen.« (FAZ 12.11.01: 1)
Spiegel und FAZ interpretieren den 11. September gleichermaßen als Einschnitt, der diesem Denken ein Ende bereiten und einen grundlegenden Bewusstseinswandel in der deutschen Bevölkerung und der Politik einläuten könnte. Die Bundeswehr erfahre durch den 11. September eine »neue Akzeptanz« und »neue Aufmerksamkeit«, konstatiert der Spiegel (39/2001: 92), und weiter: »Die deutschen Soldaten sind vom Rand der Gesellschaft ins Zentrum marschiert« (ebd.). In der Bewertung dieses Wandelns verhält er sich jedoch uneindeutig. Die Äußerung, dass aufgrund der akuten Gefährdungslage für die Bundeswehr »plötzlich neue Perspektiven« entstünden (38/2001: 35), ist keinesfalls frei von Skepsis. Mit Blick auf die zukünftigen militärischen Aufträge werden diese als ungleich gefährlicher als alles Vorherige in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland dargestellt. Die bisherigen Einsätze der Bundeswehr wie z.B. in Mazedonien seien im Gegensatz zu der neuen Situation »vergleichsweise harmlos« (ebd.: 25) gewesen. Und zwar nicht allein deshalb, weil »damit gerechnet werden muß, daß deutsche Soldaten ihr Leben verlieren«: »Schon im vergangenen Jahrzehnt haben Bundeswehreinheiten an Krisenintervention und Pazifizierung mitgewirkt. Doch das waren, bei allen Gefahren, kalkulier- und begrenzbare Einsätze. Jetzt geht es um ganz andere Stufen der Eskalation, und damit ist auch das Hinaustreten Deutschlands aus dem Windschatten internationaler Politik verknüpft.« (FAZ 13.11.01: 1)
Wiederum hebt die FAZ in diesem Zusammenhang das Neue an der weltpolitischen Lage und an der Rolle Deutschlands in dieser Lage hervor: »Deutschland soll sich, in dieser Dimension seit 1945 zum ersten Mal, an einem Krieg beteiligen« (ebd.: 1). Der zukünftige Auftrag der Bundeswehr wird im Spiegel anders als in der FAZ nur selten explizit als »Krieg« bezeichnet. Die vorherrschenden Begrifflichkeiten – die zugleich ein spezifisches Deutungsangebot unterbreiten – sind ›Krisenintervention‹ und ›Schutz vor Terrorismus‹. Der Spiegel geht dabei von einem grundlegenden Wandel des Kriegsbildes im 21. Jahrhundert aus, der als Ergebnis fortschreitender ›Professionalisierung‹ und ›Technisierung‹ nationalstaatlicher Armeen interpretiert wird. Klassische Vorstellungen vom Kriegsgeschehen seien längst überholt: »Heute gehe es [dem CDU-“Wehrexperten« Kossendey] […] nicht mehr um Panzerschlachten, sondern um Kriseninterventionen wie auf dem Balkan und um die professionelle Abwehr von Terroristen und anderen nichtstaatlichen Aggressoren.« (38/2001: 35)
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Die Abwehr und Bekämpfung des Terrorismus ist aus der Sicht des Spiegels in erster Linie die Sache von ›Profis‹ und ›Spezialisten‹, weniger von Kämpfern und Kriegern. Dennoch scheint der neue Soldatentypus des ›Spezialisten für die Terroristenbekämpfung‹ durchaus anschlussfähig an das klassische Soldatenbild, denn er trägt deutlich kämpferische Züge – im Gegensatz zum ›behäbigen Beamten‹ oder zum ›Sozialarbeiter‹ (vgl. Kap. IV.4.2 und 4.9). Es deutet sich hier bereits an, dass es sich bei ›Kampf‹ und ›Krieg‹ um zentrale und zudem äußerst umstrittene Schlüsselbegriffe handelt, die die Wahrnehmung der Ereignisse ebenso wie der als politisch sinnvoll erachteten (militärischen) Reaktionen sowie des zukünftigen Auftrags der Bundeswehr entscheidend prägen. Die folgenden Überlegungen sind insofern von der Frage geleitet, ob es zu einem ›Revival‹ des heroischen Kämpfertypus kommt oder ob sich andere Rollen im Hinblick auf das Bild des (zukünftigen) Bundeswehrsoldaten herauskristallisieren.
4.2 Generationenwechsel: Abschied vom »guten alten Bundeswehrbeamten« — Willkommen KSK In der Berichterstattung des Spiegels finden sich zwei verschiedene Typen von Bundeswehrsoldaten, die durch das Deutungsmusters eines Generationenwechsels zueinander positioniert werden. Das Bild des Generationenwechsels spiegelt dabei besonders prägnant die Umbruchsituation wider. Mit der zunehmenden Bürokratisierung und Professionalisierung der modernen Armee war die Vorbildfunktion des leidenschaftlichen, opferbereiten Kämpfers in den Hintergrund getreten (vgl. Mordt 2002: 73). Der Soldat aus der Ära des Kalten Krieges wird demgemäß vom Spiegel als ›Beamter‹ oder ›Manager‹ vorgestellt;25 die Rede ist vom »guten alten Bundeswehrbeamten« (39/2001: 92), der in Ermangelung kriegerischer Einsätze behäbig in seiner Kaserne sitze: »Wer jetzt beruhigt werden will, wer Angst vor Krieg oder Militarisierung hat, der sollte bei der Bundeswehr vorbeischauen. Die 3. Luftwaffendivision gibt sich an diesem Abend kein bisschen kriegslüstern oder draufgängerisch. Die Offiziere äußern sich vorsichtiger als mancher Politiker. Ihnen wäre nicht unlieb, die Bundeswehr könnte weiterhin ein bisschen Behörde sein, ein bisschen Spedition, ein bisschen Abschreckungsmacht, ein bisschen Abenteuerspielplatz.« (Ebd.)
Die ›alte‹ Bundeswehr wird zudem als »Schieß und Schleich GmbH« (ebd.) bezeichnet, und damit insgesamt als »bürokratische Großorganisation« (Mannitz 2007: 4) imaginiert, die sich in der Vergangenheit vorrangig an Werten wie Effizienz und Wirtschaftlichkeit, nicht aber an Kampftüchtigkeit orientiert habe. Auch der infantilisierende Vergleich mit einem Abenteuerspielplatz unterstreicht diese Lesart: Der bisherige Auftrag der Bundeswehr hatte mit dem Ernstfall Krieg wenig
25 | Generell entsprach der Soldat in dieser Zeit primär dem Typus des ›Technikers‹ bzw. ›Technokraten‹ und des ›Managers‹ (vgl. Kümmel 2004: 115; Apelt/Dittmer 2007: 74), der es verstand, den Einsatz von Waffengewalt zugunsten politischer Lösungen zurückzustellen. Auch im Kontext der US-Armee dominierte spätestens seit dem Vietnamkrieg der Typus des ›Technokraten‹ und ›Managers‹, wie Susan Faludi (1999) in einer Untersuchung über Männerbilder in den USA feststellt.
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gemein, glich er doch eher einem Spiel, bei dem in der Regel keine Toten zu beklagen sind und auch nicht mit scharfer Munition geschossen wird. Diesem ›kriegsfernen‹ Soldatentypus des ›Beamten‹ und ›Managers‹ wird ein bis dato relativ unbekannter Typus gegenübergestellt, der die Berichterstattung im Folgenden dominiert: der ›Kämpfer‹, der in erster Linie durch die Angehörigen des seit 1996 bestehenden »Kommandos Spezialkräfte« (KSK) verkörpert wird. Das KSK gehört zu den deutschen Truppenteilen, die von der Bundesregierung offiziell für den ›Kampf gegen den Terrorismus‹ bereitgestellt wurden, wobei die Soldaten ausdrücklich als »Kampftruppe« (FAZ 22.11.01: 6) bzw. »Kämpfer« (z.B. Spiegel 43/2001: 25) bezeichnet werden. Zwar werden neben den KSK-Soldaten auch »Kampfpiloten, die Tornados out of area steuern« (Spiegel 39/2001: 92), und Soldaten der im April 2001 gegründeten Spezialeinheit »Division Spezielle Operationen« (DSO) diesem neuen Kämpfertypus zugerechnet und explizit von dem ›guten alten Bundeswehrbeamten‹ abgegrenzt, aber in den untersuchten Medien sind es ganz überwiegend die Vertreter des KSK, die nach dem 11. September den neuen, kampfbereiten deutschen Soldaten repräsentieren und durch ihre vordergründige Präsenz in der Berichterstattung (insbesondere im Spiegel) alle anderen Soldatentypen in den Hintergrund drängen. Das entscheidende Kriterium der Unterscheidung zwischen ›altem‹ und ›neuem‹ Bundeswehr-Soldaten besteht im Auftrag zum Kämpfen und Töten – was neben der eigenen Kampf- und Tötungsbereitschaft auch das Risiko, selbst getötet zu werden, umfasst. Wiederholt wird darauf hingewiesen, dass deutsche KSK-Soldaten in Afghanistan ihr Leben aufs Spiel setzen. »Die Risiken für Leib und Leben sind dafür umso höher. Die ›Spezialkräfte‹ des Heeres laufen akut Gefahr, in Afghanistan selbst kämpfen zu müssen«, warnt der Spiegel (46/2001: 45). Illustriert wird der neue Ernst der Lage mit einem Titelbild des Spiegels (12.11.2001), das mit einem angedeuteten Soldatengrab jedoch weniger das Kämpfen und Töten als vielmehr das Sterben hervorhebt (vgl. Abb. 5). Abbildung 5: Der Spiegel, Heft 46/2001, Titel
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Auch nach dem 11. September findet der Typus des ›Bürokraten‹ oder ›Managers‹ zur Beschreibung des deutschen Soldaten noch Verwendung. Es wird jedoch als ein historisches Auslaufmodell und Produkt einer vergangenen Generation gekennzeichnet. Demgegenüber ruft der Bundeswehrsoldat als ›KSK-Kämpfer‹ ein bereits überholt geglaubtes Soldatenbild auf den Plan: das des heroischen Soldaten, der sich durch Kampfbereitschaft und Tapferkeit auszeichnet, stets bereit, sein eigenes Leben für die Gemeinschaft in die Waagschale zu werfen. Ein (geschlechter-) politisch wesentlicher Aspekt dieses neuen alten Soldaten, den ich näher ins Auge fassen werde, ist dabei seine Rolle als ›Retter‹ bzw. ›Beschützer‹ von Frauen als Kriegsopfern. Bevor dieses aktualisierte Bild des heroischen Soldaten oder Kämpfers bzw. seine Präsentation in FAZ und Spiegel genauer vorstellt wird, soll jedoch zunächst mittels eines historischen Exkurses der skizzierte Generationenwechsel in einen größeren Kontext gestellt werden. So wird deutlich, welche geschlechtlichen Rollenbilder des (deutschen) Soldaten nach dem 11. September in Konkurrenz zueinander stehen bzw. gegen welche Rollen der Kämpfer abgegrenzt wird.
Exkurs: Vom ›heroischen‹ zum ›postheroischen‹ Soldatenbild Die Kontroversen um das politisch-militärische Selbstverständnis einer Nation und das entsprechende Soldaten(selbst)bild berühren immer auch Fragen nach dem dazugehörigen Männlichkeitsbild. Wie bereits ausgeführt, ist das nationalstaatliche Militär historisch betrachtet eine durch und durch ›männlich‹ geprägte Institution. Auch wenn heute immer mehr Frauen in die letzten ›Männerbastionen‹ wie das Militär vordringen – die klassisch soldatische Identität ist untrennbar mit spezifischen Zuschreibungen von ›Männlichkeit‹ verknüpft (vgl. Scholz 2005: 187): Tapferkeit, Mut, Kampf- und Opferbereitschaft, körperliche Fitness und Stärke, Härte, Körperkontrolle, emotionale Distanz, Zähigkeit und Beschützerinstinkt (gegenüber ›Vaterland‹ und Familie). Das Militär fungiert dabei auch als Sozialisationsinstanz bzw. ›Schule der Männlichkeit‹: eine zentrale Institution der Produktion, Einübung und Kultivierung soldatisch-männlicher Identität (vgl. dazu ausführlich Seifert 1996; Klein 2001b; Frevert 1997 und 2001).26 Gleichsam der Prototyp männlich-militärischer Identität ist die Figur des Kämpfers: »Im Militär wird ein Männlichkeitsbild konstruiert, dessen Schlüsselsymbol der Kämpfer ist« (Klein 2001a: 3).27
26 | Umstritten ist dabei jedoch die Frage, ob das Militär als Institution einer ›hegemonialer Männlichkeit‹ im Sinne Connells gelten kann oder ob nicht vielmehr davon ausgegangen werden muss, dass sich auch innerhalb der Streitkräfte unterschiedliche Männlichkeitsentwürfe etablieren (vgl. z.B. Barrett 1999). Fraglich ist ebenfalls, inwieweit das Militär überhaupt auf gesellschaftliche Männlichkeitsentwürfe Einfluss nimmt, wenn ein Großteil der Männer keinen Wehrdienst mehr leistet, der Zivildienst an Wertschätzung gewinnt und das Militär generell an Aufmerksamkeit und Prestige in der Gesellschaft verliert (vgl. z.B. Frevert 2001; Bartjes 1996). Weithin ungeklärt ist auch die Frage, ob und wie sich die Männlichkeit des Militärs verändert, wenn immer mehr Frauen in die Streitkräfte integriert werden. 27 | Mordt (2002: 67) beschreibt das – glorifizierte – Ideal des klassischen Soldaten als leidenschaftlichen, opferbereiten Krieger, zu dessen Tugenden Kampfkraft, Hingabe, Zähigkeit, Kameradschaft und das bedingungslose Bestreben, seine Nation, seine Familie und seine Heimat zu verteidigen und vor Gefahren zu beschützen, gehören.
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Vom Kämpfer als einem ›Urbild‹ militarisierter Männlichkeit zu sprechen heißt jedoch nicht, dass das Bild des Kämpfers jeweils in ›Reinform‹ zu finden wäre. Im Gegenteil: Das Bild, das sich eine Gesellschaft von ›ihren‹ Soldaten macht, ist abhängig von den konkreten historisch-politischen Rahmenbedingungen. Die kämpferischen Aspekte treten mal mehr und mal weniger in Erscheinung oder können auch völlig ins Hintertreffen geraten zugunsten eines vordergründig ›zivilen‹ Soldatenbildes. Dies wird deutlich, wenn man sich den Wandel vor Augen führt, den das Bild des deutschen Soldaten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchlaufen hat. Das Ende des Zweiten Weltkriegs markierte in Bezug auf Militär und Soldatentum einen radikalen Bruch. Das vormals positiv besetzte, ja mythisch überhöhte Bild des heroischen Soldaten als Kämpfer für das Vaterland verlor nach 1945 deutlich an Ansehen. Der »Bruch mit der militärischen Vergangenheit« war politisch gewollt und äußerte sich besonders im westlichen Teil Deutschlands »radikal und tiefgreifend«, wie die Historikerin Ute Frevert (2001: 350f) betont. Mit dem Ideal des ›Staatsbürgers im Uniform‹ wurde in den 1950er Jahren ein Reformmodell geschaffen, das nicht an die in Misskredit geratenen Traditionslinien anknüpfen sollte, noch in erster Linie auf Krieg ab- und eingestellt war. Das neue Konzept unterstrich zudem die Nähe zwischen Gesellschaft und Militär und garantierte jedem Soldaten staatliche Grundrechte. Insbesondere in Anbetracht der Erfahrungen des Nationalsozialismus sollten die Soldaten fortan zur Eigenverantwortlichkeit angehalten werden, so dass sie niemals mehr blind Befehlen gehorchen. Mit dem Konzept der ›Inneren Führung‹ sollte dementsprechend innerhalb der Streitkräfte dafür Sorge getragen werden, dass die hierarchische Struktur der Armee mit den demokratischen Grundsätzen und Rechten des Bürgers in Einklang gebracht wird. Die neue Bundeswehr der 1950er und 60er Jahre verstand sich als reine Verteidigungsarmee, der Krieg blieb ideologisch und faktisch eine hypothetische Option. Trotz der anfänglichen und immer wieder aufflammenden Widerstände aus dem Militär selbst hatte das Ideal des ›Staatsbürgers in Uniform‹ fast vier Jahrzehnte lang Bestand und prägte nicht nur die innere Organisationskultur, sondern v.a. auch das öffentliche und politische Bild der Bundeswehr. Politik- und Sozialwissenschafler_innen sind sich weitestgehend einig in der Behauptung, dass der Westen (Europa und die USA) nach 1945 in die Ära des so genannten ›Postheroismus‹ eingetreten sei (vgl. als einen prominenten Vertreter Münkler 2006: 310-354; dazu kritisch Kümmel 2009). Münkler versteht unter dem Begriff ›Postheroismus‹ »das Verschwinden bzw. die schwindende Bedeutung eines Kämpfertyps, der durch gesteigerte Opferbereitschaft ein erhöhtes Maß an gesellschaftlicher Ehrerbietung zu erwerben hat« (Münkler 2006: 310). Das Ende des Zweiten Weltkrieges und der Rückblick auf Faschismus und Nationalsozialismus hätten, so die allgemeine Auffassung, nach dem gescheiterten Versuch des Nationalsozialismus, die Figur des heroischen und todesmutigen Kämpfers zu aktualisieren und ins Extreme zu steigern, für einen endgültigen Bruch mit dem heroischen Kriegerkult und dem stolzen Gestus von kämpfender Männlichkeit, Tod und Ehre gesorgt und das neue ›postheroische‹ Zeitalter eingeläutet. Seither gelten insbesondere die europäischen Gesellschaften als ›postheroisch‹ und skeptisch gegenüber Krieg und Militarismus28, 28 | Die Kritik an der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und Gründung einer neuen Armee nach dem Zweiten Weltkrieg wird üblicherweise unter dem Stichwort ›Militarismus‹ bzw.
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d.h., Kriegertum und Soldatenehre bringen vermeintlich keine besondere gesellschaftliche Anerkennung mehr ein. Auch die allgemeine Wehrpflicht, deren Zweck lange Zeit die Einübung und Sicherstellung der Kriegs- und Opferbereitschaft der (männlichen) Soldaten war, werde heute mehr und mehr zum Auslaufmodell und verliere ihre prägende Kraft als vormalige ›Schule der Männlichkeit‹ (vgl. für diese Sichtweise z.B. Frevert 2001). Mit dem Topos des ›Postheroischen‹ ist nicht nur das Selbstverständnis des (soldatischen) Kämpfers gemeint, also die schwindende individuelle Bereitschaft, sein Leben für die Nation aufs Spiel zu setzen und für ein kollektives Anliegen oder eine gute Sache in den Krieg zu ziehen, sondern auch die kollektive Haltung einer Gesellschaft gegenüber militärischen Auseinandersetzungen und Krieg generell. Moderne Gesellschaften reagierten zunehmend (über-)empfindlich auf tote Soldaten, die in Zinksärgen nach Hause zurückkehren und seien immer weniger dazu bereit, ›ihre‹ Soldaten in entlegenen Kriegen zu ›opfern‹, so der Militärforscher Gerhard Kümmel (vgl. Kümmel 2009: 92f). So stoßen Militäreinsätze in den westlichen Gesellschaften in der Regel auf innenpolitischen Widerspruch – v.a. dann, wenn mit eigenen Verlusten zu rechnen ist. Als Gründe für diesen vermeintlich tiefgreifenden Wandel der westlichen Gesellschaften werden allgemein Ausbau und Professionalisierung des modernen Militärs ›Militarisierung‹ oder ›Normalisierung‹ geführt und ist nahezu ebenso alt wie die Bundeswehr selbst. Seit ihrer Gründung im Jahr 1955 wird kontrovers über Kontinuitäten, Wandel und Brüche – in personeller Hinsicht ebenso wie in Bezug auf militärische Traditionen, Leitbilder und Werte – der neuen Bundeswehr, insbesondere im Hinblick auf die diskreditierte Wehrmacht, gestritten. (Zur Militarismus-Debatte vgl. z.B. Wette 2005 und 2008; V.R. Berghahn 1998; Kühne/Ziemann 2000; Virchow/Thomas 2006; kritisch zur Militarisierungsthese Heins/Warburg 2004; Frevert 2001). Militarismus bezeichnet in einem engen Sinne die »Überbewertung oder Verabsolutierung des Militärischen gegenüber dem Politischen« (Bertelsmann Lexikothek, zit.n. Virchow/Thomas 2006: 27). Militarisierung als Prozess verweist dabei in zwei unterschiedliche, aber zusammenhängende Richtungen: Erstens bezieht sich Militarisierung auf die favorisierte Politik eines Staates, also eine spezifische Ausrichtung der Außenpolitik, die dem Militärischen Vorrang gegenüber Diplomatie und Politik einräumt. Zweitens ist mit Militarisierung das Verhältnis zwischen Militär und Gesellschaft angesprochen: Militarisierung meint dann die Verbreitung und Verinnerlichung militärischer Werte, Normen, Einstellungen, Denkmuster, Habitusformen, kultureller Kodes etc. in der Gesellschaft. Heins/Warburg (2004: 125f) vertreten die These, dass es dabei in den westlichen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts zu einem paradoxen Spannungsverhältnis komme: Einerseits begünstigen die neuen Kriege eine Militarisierung der Außenpolitik, andererseits kämen sie jedoch ohne das Pendant einer durchgreifenden ›sozialen Militarisierung‹ aus. Die Militarisierung nach außen falle mit einer Entmilitarisierung militärischer Habitusformen im Inneren zusammen. Die westlichen Gesellschaften seien heute »offenkundig friedfertig und kriegerisch zugleich« (ebd.: 125). Ich behalte den Begriff der Militarisierung bzw. Remilitarisierung in einem weiteren Sinne bei, denn er scheint mir passend, um a) die seit den 1990er Jahren und insbesondere nach dem 11. September international zu beobachtende verstärkte politische Gewichtung und Bejahung militärisch-kriegerischen Formen der Konfliktaustragung und b) die verstärkte Akzeptanz der deutschen Gesellschaft (bei gleichzeitigem Desinteresse) gegenüber einer Beteiligung der Bundeswehr an internationalen Auslandseinsätzen zu beschreiben.
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gesehen. Aus den Massenarmeen der Revolutionskriege und der Napoleonischen Kriege wurden stehende Heere, die Wehrpflicht wurde eingeführt und die Kriegsführung immer weiter professionalisiert, technologisiert und durchorganisiert: »Gewalt war nun eine Verbindung mit Rationalität eingegangen, mit bürokratischen Organisationsmethoden und einem stetigen technischen Fortschritt hinsichtlich Waffentechnik und Transport« (Connell 2000: 212). Vor allem die fortschreitende Technologisierung des Militärischen wird als Grund dafür gesehen, dass klassische, auf Ehre und Kampf beruhende Vorstellungen von Männlichkeit mehr und mehr in den Hintergrund getreten seien. So wird von Militär-Theoretiker_innen die These vertreten, dass die fortschreitende Technisierung der Kriegsführung große Schlachten und Bodenkriege und damit den direkten Kampf ›Mann gegen Mann‹ zunehmend ersetzt habe und damit auch der Begriff der männlich-soldatischen Ehre obsolet geworden sei. Militärische Stärke basiere heute auf Waffentechnologie und deren Beherrschung (vgl. Heins/Warburg 2004: 82f). Der Beginn des Atomzeitalters verstärke den Rückgang des Heroischen noch: Die Dominanz von Massenvernichtungswaffen, insbesondere der Nuklearwaffen, lasse keinen Platz für heroische Opferbereitschaft, so Kümmel (2009: 96), denn die anvisierte rasche Eskalation des Krieges bis hin zum Einsatz von Nuklearwaffen, impliziere den »schnellen Tod für Kombattanten und Nicht-Kombattanten auf beiden Seiten, so dass es letzten Endes nichts und niemanden mehr zu retten gibt« (ebd.: 95). Erst mit Ende des Kalten Krieges erfährt das Verständnis von Militär und militärischem Auftrag eine deutliche Veränderung und Erweiterung. Die Kriege der 1990er Jahre, insbesondere am Golf und im ehemaligen Jugoslawien, und die Ausweitung des internationalen Einsatzspektrums der Bundeswehr haben einen umfassenden, bis heute nicht abgeschlossenen Transformationsprozess angestoßen (vgl. zum Wandel und den neuen Aufgaben der Bundeswehr Kümmel 2004; Heins/ Warburg 2004; Eifler 2000; Klein/Walz 2000; Biehl 1998). Nicht mehr nur die Landesverteidigung an den territorialen Außengrenzen, sondern auch Bündnisverteidigung über die Landesgrenze und das NATO-Vertragsgebiet hinaus sowie die Beteiligung an multilateralen ›Kriseninterventionen‹ überall auf der Welt29 sind zu den Betätigungsfeldern der Bundeswehr hinzugekommen und haben zu einer Ausdifferenzierung des militärischen Aufgabenspektrums sowie des dazugehörigen Soldatenbildes geführt. Politikwissenschaftler_innen, Militärforscher_innen und Soziolog_innen sind sich einig, dass das Militär Ende der 1990er Jahre auch in internationaler Hinsicht vor einem grundsätzlich veränderten Auftrag stehe: »Nicht mehr ›Kampf‹ und ›Sieg‹ stehen im Mittelpunkt, sondern Konfliktprävention, Kriegsbeendigung und Friedenserhaltung. Militärische Organisationen müssen in zunehmendem Maße mit zivilen Organisationen kooperieren« (Eifler 2000: 38). Im Gefolge der 29 | Deutsche Soldaten waren und sind bereits an vielen ›Krisenherden‹ überall auf der Welt präsent, so z.B. am persischen Golf, in der Adria, in Kambodscha, Somalia, Ruanda und auf dem Balkan. Allerdings wird damit nicht völliges Neuland beschritten, denn die Auslandseinsätze der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebiets haben bereits eine sehr viel längere Tradition: Seit 1960 hat die Bundeswehr an mehr als 120 humanitären Hilfsaktionen in über 50 Ländern teilgenommen (Meyer/Collmer 1997: 4). Seit 1990 sind die Einsätze jedoch nicht mehr ausschließlich auf ›humanitäre Hilfestellung‹ begrenzt, sondern umfassen zunehmend auch militärische Aufgabenfelder (ebd.).
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Globalisierung, insbesondere nach Ende des Ost-West-Konflikts, sind neben die klassisch-traditionellen Einsatzformen der Streitkräfte zunehmend solche Einsätze getreten, die vage als ›militärische Operationen jenseits von Krieg‹ bezeichnet werden. Sie umfassen unterschiedliche Operationen wie so genannte ›friedensschaffende Missionen‹ (›peacebuilding‹), ›friedensbewahrende Einsätze‹ (›peacekeeping‹) und ›humanitäre Interventionen‹ (vgl. ausführlich Kümmel 2004: 112ff; Collmer 2003). Die Kriege der 1990er Jahre brachten dementsprechend auch einen neuen Soldatentypus hervor, den Soldaten als ›Sozialarbeiter‹ und ›Freund und Helfer in aller Welt‹. Altbekannte Gewissheiten und Eindeutigkeiten wurden erneut in Frage gestellt und soldatische Leitbilder den neuen Rahmenbedingungen entsprechend revidiert. So wurde der ›Staatsbürger in Uniform‹ im Zuge der Internationalisierung der Bundeswehr zum ›Weltbürger in Uniform‹, wie Arenth und Westphal es mit der Gleichung »Staatsbürger in Uniform + Out of Area = Weltbürger in Uniform« (1993) auf den Punkt bringen. Der vorrangige Auftrag lautet nicht länger Abschreckung und Verteidigung, sondern ›peacekeeping‹ oder ›peacebuilding‹ sowie humanitäre Hilfe und Rettung der Zivilbevölkerung. Wie Heiko Biehl in einer Untersuchung zur Transformation der Bundeswehr konstatiert, hat sich auch hier der ›klassische Kämpfer‹ für die Erledigung der neuen Aufgabenfelder als eher ungeeignet erwiesen (1998: 63). Der Soldat der 1990er Jahre muss als Vermittler, Beschützer, Verteidiger und Kämpfer zugleich agieren können. »Diese Differenzierung des Auftrages verlangt eine Differenzierung des Könnens. Nicht-militärische Fähigkeiten müssen gleichberechtigt neben militärische treten« (ebd.: 61). Der Soldat muss zusätzliche – weiblich konnotierte – soft skills erwerben, damit er im Einsatz erfolgreich agieren kann (ebd.). Dies wirft nicht nur für das Selbstverständnis der militärischen Profession, sondern auch für jeden einzelnen Soldaten Fragen nach der ›Identität‹ von Streitkräften und Soldaten auf, die in einen Rollen- oder Identitätskonflikt münden können. So befinde sich das Militär laut Kümmel (2004: 114) insbesondere seit den 1990er Jahren in einem Dauerspagat zwischen militärischen und zivilen Rollen und Anforderungen. Im Folgenden werde ich zeigen, dass der 11. September diese Rollenaufteilung neu gewichten wird.
4.3 Das KSK — internationale Elite und »Deutschlands härteste Kampftruppe« Mit der Figur des ›KSK-Soldaten‹ betritt zunächst ein bislang in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommener Soldatentypus die mediale Bühne. Das »Kommando Spezialkräfte« (KSK) entstand 1996 als neuer Spezialverband der Bundeswehr mit Sitz im württembergischen Calw nach dem Vorbild britischer und US-amerikanischer Sondereinheiten. Seine ersten internationalen Einsätze führte das KSK in den Jahren 1998 bis 2000 in Bosnien und im Kosovo durch, wobei das Ziel jeweils die Festnahme (bosnisch-)serbischer Militärs war, denen Kriegsverbrechen während der Kriege auf dem Balkan angelastet wurden. Während der ›KSK-Soldat‹ jedoch in der Berichterstattung über den Kosovokrieg nicht vorkommt (vgl. z.B. die Untersuchung von Bewernitz 2010), wird dieser nach dem 11. September besonders häufig und voll der Anerkennung medial in Szene gesetzt. Nicht ohne Stolz wird in Spiegel und FAZ hervorgehoben, dass sich die Bundeswehr mit ihrem »rund 250 Kommandosoldaten« umfassenden KSK »für Spezial-
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operationen gerüstet« habe (39/2001: 42).30 Die FAZ spricht von »Helden auf Abruf«, die »immer dann zum Einsatz [kommen], wenn herkömmliche Kriegstaktiken nicht weiterhelfen« (19.10.01: 3). Als Aufgabenbereiche des KSK nennt der Spiegel die »professionelle Abwehr von Terroristen«, »Befreiung von Geiseln« und »Kriegsverbrecherjagd« (39/2001: 42). Die FAZ zählt explizit auch »Kampfeinsätze« dazu, die zudem out of area stattfinden können: »Zu den Aufgaben des KSK gehören: Rettung vor terroristischer Bedrohung und Hilfestellung bei der Ausreise außerhalb Deutschlands, Abwehr terroristischer Bedrohung und Kampf gegen subversive Kräfte, verdeckte Operationen im Aufgabenbereich der Streitkräfte, Kampfeinsätze auf gegnerischem Gebiet, Schutz eigener Kräfte auf Distanz und von Personen in besonderer Lage sowie Gewinnung von wichtigen Informationen in Krisengebieten. Die Abwehr terroristischer Bedrohung zählt damit zu den Kernaufgaben des KSK.« (19.9.01: 6)
FAZ wie Spiegel widmen der Frage, wie man zum KSK-Soldat wird und was diese Sondereinheit und ihre Mitglieder ausmacht, einige Aufmerksamkeit. So wird die Ausbildung als äußerster Härtetest beschrieben, in dem nicht nur körperliche, sondern auch psychische Stärke und Ausdauer unter Beweis gestellt werden müssten. Das KSK, so die FAZ, gelte als »Deutschlands härteste Kampftruppe« (22.11.01: 6). Nur 25 Prozent der Bewerber würden das harte, dreimonatige Auswahlverfahren erfolgreich absolvieren. In körperlichen und psychologischen Tests werde ermittelt, ob die Anwärter über den geforderten »Durchhaltewillen«, »Stressresistenz« und »die Fähigkeit, Emotionen unter Kontrolle zu halten«, verfügen (Spiegel 39/2001: 44). Neben »extremer Fitness« müssten die Kandidaten v.a. »psychische Stabilität« (ebd.) demonstrieren, deren Beurteilung einem KSK-eigenen Psychologen obliege.31 Ganz ähnlich hebt auch die FAZ hervor, es komme v.a. auf die »ausgewogene Mischung von geistiger und körperlicher Frische« an, um die »besonders hohen Anforderungen« bei »extremsten Bedingungen« bewältigen zu können: »Wer körperlich nicht fit ist, hat keine Chance; wer psychisch nicht belastbar ist, wird nicht genommen« (22.11.01: 6). KSK-Soldaten werden als »robuste und trotzdem intelligente Spezialisten« und »teamfähige Alleskönner« bezeichnet, die sich »im Nahkampf und beim Fallschirmspringen behaupten« können und denen »nicht bange wird« (ebd.), wenn sie sich über Klippen abseilen oder mit 30 Kilogramm schwerem Gepäck vorankommen müssen. »Seine Leute seien ›überdurchschnittlich intelligent, leistungsorientiert, körperbetont, physiologisch andersartig‹, sagt KSK-Psychologe Kreim.« (Spiegel 39/2001: 46)
Wer schließlich beim KSK aufgenommen werde, sei durch Prüfungen gegangen, die »das Härteste sind, was man Menschen in einer Demokratie abverlangen darf«, 30 | Die genannten Zahlen sind in Spiegel und FAZ uneinheitlich. Im Spiegel ist von »250 einsatzfähige[n] Kämpfer[n]« (43/2001: 25, vgl. auch 46/2001: 46) die Rede, die FAZ hingegen spricht von dreihundert Soldaten: »KSK (300 Mann einsatzbereit)« (19.10.01: 3). 31 | Der Spiegel berichtet, dass Psychologen in der ›Truppe‹ normalerweise als »Seelenklempner verspottet« würden. Beim KSK sei der Psychologe jedoch dafür da, die Kandidaten auf ihre »psychische Härte« zu testen, nicht etwa um psychische Beeinträchtigungen zu behandeln (39/2001: 46).
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wird der das KSK kommandierende Brigadegeneral Reinhard Günzel32 vom Spiegel zitiert (39/2001: 44), um kurz darauf auch einen KSK-Anwärter zu Wort kommen zu lassen: »Ein Bewerber beschreibt die ersten Testwochen so: ›Die reißen einem richtig den Arsch auf, legen einen bloß, um den Charakter herauszufordern. Verstellen ist zwecklos.‹ Von vier Kandidaten schafft es einer.« (Ebd.)
Und noch ein weiterer O-Ton bekräftigt Günzels Worte: »›Solche Leute wie hier triffst du sonst nirgendwo‹, sagt der Hauptfeldwebel Fritz, 33, Fallschirmjäger aus Bayreuth« (ebd.). Mit erfolgreich absolvierter Prüfung würden die Soldaten zum Teil einer verschworenen, elitären Gemeinschaft; ihren Eintritt in das KSK – vergleichbar mit einem Initiationsritus –empfänden die meisten »fast so wie den Eintritt in einen Orden« (ebd.: 46). Die Strapazen scheinen sich, wie die unkritische Wiedergabe der Aussagen von KSK-Angehörigen im Spiegel nahelegt, gelohnt zu haben. Unterschwellige Bewunderung ist deutlich zu erkennen. Mit eigenen Worten bilanziert der Spiegel, dass die rund 250 Männer, die den äußersten Härtetest bis dato überhaupt geschafft hätten, »der Glaube [eint], dass sie die besten Soldaten Deutschlands sind« (ebd.: 44).33 Während mit den mannigfaltigen Zuschreibungen von physischer und psychischer ›Härte‹ permanent die ›Männlichkeit‹ des KSK-Soldaten beschworen wird, bleibt eine Thematisierung oder gar Problematisierung des Umstands, dass das KSK trotz der Öffnung aller Bereiche der Bundeswehr auch für Frauen im Januar 2001 nur aus Männern besteht, in Spiegel und FAZ aus. Offenkundig ist es für beide Medien zu Beginn des 21. Jahrhunderts weiterhin selbstverständlich, dass ›echte Kämpfer‹ eben Männer sind und dass – dies wäre im Umkehrschluss zu folgern – Frauen den ›besonders hohen Anforderungen‹ letztlich nicht gewachsen und in
32 | Reinhard Günzel wurde 2003 von Verteidigungsminister Peter Struck aus der Bundeswehr entlassen, weil er in einem auf offiziellem KSK-Briefpapier verfassten Brief die antisemitische Rede des damaligen CDU-Abgeordneten Martin Hohmann zum Tag der Deutschen Einheit ausdrücklich gelobt hatte. Seine rechte und militaristische Gesinnung, die in der Folge publik wurde, etwa die Berufung auf eine militärische Traditionslinie, die auch Wehrmacht und SS umfasste, bekräftigte er auch in eigenen Äußerungen etwa in der Jungen Freiheit. 33 | An diesem Artikel lässt sich der typische Spiegel-Stil (vgl. Kap. III.1.1) exemplarisch nachvollziehen. Der Text enthält sich einer direkten Meinung der verfassenden Autorin oder der gesamten Redaktion und verfährt stattdessen wie eine Collage, indem verschiedene Positionen Dritter miteinander verflochten und gegenübergestellt werden. Der positive Gesamteindruck entsteht dadurch, dass ausschließlich KSK-Befürworter zu Wort kommen. So wird z.B. der ultrarechte General Reinhard Günzel ausführlich und umkommentiert zitiert. Seiner lobhudelnden Sicht auf die deutschen Elitesoldaten, die immer wieder die besonderen Leistungen und herausragenden Fähigkeiten in den Vordergrund stellt, werden ergänzt und bekräftigt durch die zahlreichen beipflichtenden Äußerungen von KSK-Soldaten und -Anwärtern oder dem Psychologen des KSK, bei denen der Stolz auf die Truppe ebenfalls deutlich auffällt. Kritische Stimmen z.B. bezüglich der Geheimhaltungspflicht und der fehlenden demokratischen Kontrollmöglichkeiten werden nicht zitiert oder zur Erläuterung herangezogen.
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diesem rein männlichen ›Orden‹ fehl am Platze wären (vgl. Kap. IV.4.10).34 In den folgenden Kapiteln wird dieser Aspekt im Hinblick auf eine funktionale Einordnung des Kämpfers in das sicherheitspolitische Geschlechterarrangement vertieft (vgl. Kap. I.1.2.2). Ist ein KSK-Soldat fertig ausgebildet, wird er als ungleich erfahrener und geschulter präsentiert als ein gewöhnlicher (Wehrpflicht-)Soldat, d.h. auch und gerade, dass er stets bereit und fähig ist, seine Waffe im Kampf auch einzusetzen: »In zahlreichen Manövern haben die Soldaten [des KSK, A.N.] gelernt, flexibel auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. Sie trainieren vor allem, so ein Offizier, die größtmögliche ›Automatisierung von Feindhandlungen‹ stets mit scharfer Munition.« (Spiegel 39/2001: 44)
Die euphemistische Formulierung »Automatisierung von Feindhandlungen« verschleiert, worum es eigentlich geht: den Einsatz scharfer Waffen und das (unvermeidliche) Töten gegnerischer Soldaten. Ein weiteres Merkmal, das den Elitesoldaten vom gewöhnlichen Bundeswehrsoldaten unterscheidet und das gesondert hervorgehoben wird, ist die strenge Geheimhaltungspflicht. Überschriften wie »Die geheimen Einsätze der deutschen Elitetruppe KSK« (ebd.: 6) evozieren das Bild einer klandestinen und darum umso wichtigeren Mission zum Wohle der Nation und zum Schutz ihrer Bürger_innen. Die anerkennende Erzählweise sowie die Betonung der Exklusivität ihres Auftrages üben eine deutliche Anziehungskraft aus, sie erzeugen Vorstellungen von Abenteuer und Action und spannen die KSK-Soldaten in eine Heldengeschichte in JamesBond-Manier ein. »Wer den Test besteht, wird zum Geheimnisträger. Die Kommandosoldaten müssen sich zum Stillschweigen verpflichten, dürfen selbst mit ihren Ehefrauen nicht über ihre Einsätze reden, ihre vollständigen Namen darf niemand wissen.« (Ebd.: 44)
Das Zitat macht deutlich, dass die Geheimhaltungspflicht für die KSK-Soldaten auch erhebliche Einschränkungen mit sich bringt (auf die Geschlechter-Dimension werde ich weiter unten zu sprechen kommen): So verzichteten die Soldaten für ihren Beruf u.a. auf ein vertrauliches (heterosexuelles) Eheleben. Die Geheimhaltungsverpflichtung stellt laut Spiegel daher auch ein Risiko für die privaten Beziehungen der Soldaten dar: »Privat lebt nur jeder dritte Kommandosoldat in einer festen Beziehung. Junge Verbindungen halten den Belastungen meist nicht stand: Die Männer sind mehr weg als da und dürfen nicht erzählen, was sie beschäftigt. Viele verlieren wie Hauptfeldwebel Thomas, 34, aus Göttingen auch den Bezug zu alten Freunden: ›Ich bin da am Wochenende ein Außenstehender, kann da zu vielem nix mehr sagen.‹ […] Weg will trotzdem keiner. Selbst die drei Männer, die am 12. Oktober vergangenen Jahres in Foˇca schwer verletzt wurden, möchten wenigstens als 34 | In der Einheit KSK sind auch heute im Jahr 2012 noch ausschließlich Männer anzutreffen, was in den Medien zumeist auf die hohen körperlichen Anforderungen zurückgeführt wird, aufgrund derer Frauen die harte Aufnahmeprozedur nicht bestehen würden. Meine Anfrage bei der Bundeswehr zu den Gründen, warum beim KSK keine Frauen vertreten sind und ob sich Frauen (und wenn ja wie viele) dort überhaupt beworben hätten, blieb unbeantwortet.
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN Ausbilder bleiben. ›Wenn im Einsatz etwas passiert, dann ist es im Kampf für die Sache geschehen‹, sagt Günzel, ›damit rechnen wir, damit können wir leben.‹« (39/2001: 46)
Durch die Art der Rahmung erfahren die von den KSK-Soldaten erlebten Einschränkungen eine positive Konnotation. Die Narration stellt den Entbehrungen im Privatleben den Verdienst der ›guten Sache‹ im Berufsleben gegenüber. Das individuelle Handeln der Soldaten wird damit in den Dienst einer überindividuellen und gerechten Mission gestellt: Die Soldaten sind bereit, ein ›persönliches Opfer‹ zugunsten des Gemeinwohls zu bringen. Trotz schwerer Verletzungen wolle niemand die Einheit verlassen, was eine starke Identifizierung mit der ›Truppe‹ und ihrem Auftrag impliziert. Sie ersetzt offensichtlich fehlende Beziehungen und Freundschaften. Der KSK-Soldat wird durch diese Art der Darstellung zum ›Helden‹, der nicht nur sein ›privates Glück‹, sondern auch sein Leben und Wohlergehen ›im Kampf um die Sache‹ breitwillig und selbstlos in die Waagschale wirft. Dagegen fällt es scheinbar nicht weiter ins Gewicht, dass mit der strengen Geheimhaltung eine fehlende demokratische Kontrolle der KSK-Einsätze durch Parlament und Öffentlichkeit einhergeht – diese Problematik wird zumindest an keiner Stelle zum Thema. Maßgeblich für das positive Image des KSK in den beiden untersuchten Medien ist auch deren professionelle Ausrüstung, die FAZ und Spiegel zufolge auf dem neuesten militärtechnologischen Stand ist: KSK-Soldaten verfügen »über modernstes Fernmelde- und Navigationsgerät, auch über teuerste Waffensysteme, etwa das Scharfschützengewehr G 22, das pro Stück rund 13 000 Dollar kostet« (Spiegel 39/2001: 44), bzw. sind ausgestattet »mit modernsten verschlüsselten Funkgeräten, Wärmebild- und Nachtsichtgeräten, digitalisierten Landkarten, Laptops und anderen Kommunikationseinrichtungen« (FAZ 19.9.01: 6). Wie die FAZ zusammenfasst: »Elitesoldaten sind Hightech-Soldaten« (19.10.01: 3). Die explizite Aufrufung des KSK als »Kampftruppe« (FAZ 22.11.01: 6) und ihrer Soldaten als »Kämpfer« (z.B. Spiegel 43/2001: 25; 46/2001: 6 und 46) sowie die Auflistung des technischen Equipments, aus der deutlich zu entnehmen ist, dass zu der hochmodernen Ausrüstung eben auch ›modernste‹ Waffensysteme gehören, lässt klar erkennen, dass KSK-Soldaten nicht nur gut ausgebildete ›Profis‹, versierte ›Hightech-Spezialisten‹ und durchtrainierte ›Hochleistungssportler‹ sind, sondern auch aufgerüstete ›Kämpfer‹. Während das KSK innerhalb Deutschlands eine absolute Elite darstellt, die sich vom Rest der Bundeswehr deutlich abhebt, steht der Aufbau einer solchen Sondereinheit im internationalen Rahmen dafür, dass Deutschland – wie FAZ und Spiegel übereinstimmend betonen – in militärischer Hinsicht Anschluss an die Spitze gefunden hat. Lange Zeit seien die »gefährlichen Operationen« im Bereich der ›Terrorabwehr‹ v.a. von Amerikanern, Israelis, Briten und Franzosen durchgeführt worden (Spiegel 46/2001: 45), doch mittlerweile stehe das KSK »in einer Reihe mit den Eliteeinheiten der westlichen Welt« und gehöre zu den »fünf effizientesten im Westen« (Spiegel 39/2001: 42). Auch die FAZ zählt das KSK zur »weltweiten Elite« (19.9.01: 6) und hält anerkennend fest: »Das in Calw ansässige KSK gilt als eine der besten Truppen seiner Art. Nach amerikanischer Auffassung könnte das KSK – neben französischen und britischen Kräften – amerikanischen Spezialeinheiten wie den ›Navy Seals‹ und ›Delta Force‹ bei einer Militäroperation in Afghanistan helfen.« (Ebd.: 1)
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Die Deutschen seien auch bei den gemeinsamen Übungen der internationalen Spezialkräfte dabei und trainierten heute »in feucht-heißen Dschungeln ebenso selbstverständlich wie am Polarkreis oder in der Wüste von New Mexico« (Spiegel 46/2001: 45). Unmissverständlich wird diese Entwicklung als erfolgreicher Aufstieg in die oberste Liga der großen westlichen Militärmächte gewertet. Deutsche Armee und deutsche Soldaten nehmen in diesem Kontext keine wie auch immer geartete Sonderrolle (mehr) ein, sondern stehen in einer Reihe mit der ›militärischen Elite‹ und den ›Spezialisten‹ der Welt.35 Für die FAZ ist das KSK möglicherweise sogar »Noch besser als die Delta Force« (19.9.01: 6) – so die verheißungsvolle Überschrift eines Artikels zum Thema militärische Eliteeinheiten. Das KSK wird in FAZ und Spiegel als das Modell der Zukunft präsentiert, das möglicherweise die alte deutsche Wehrpflicht-Armee ablösen könnte. Damit zusammenhängend wird auch das jahrzehntelang währende Leitbild des ›Staatsbürgers in Uniform‹ in Frage gestellt und das Modell der Wehrpflichtarmee als überholt bzw. für den Anti-Terror-Kampf potentiell untauglich dargestellt: »Ist das Konzept vom wehrpflichtigen ›Staatsbürger in Uniform‹, das von beiden großen Volksparteien mehrheitlich verteidigt wird, noch zeitgemäß – oder wird eine Profi-Armee benötigt, wie sie die Franzosen, Briten und Amerikaner haben?« (Spiegel 51/2001: 22f) »Für die Sicherheitsrisiken der Zukunft muss die Bundeswehr beinahe komplett umgekrempelt werden. Gefragt sind Transportflugzeuge statt Panzern, Satellitenschüsseln statt Feldhaubitzen – und Profi-Soldaten statt Wehrpflichtiger, die gerade mal ein Gewehr halten können.« (Ebd.: 22)
Hier wird besonders deutlich, dass der Bereich Kämpfen bzw. Schießen und Töten eines der zentralen Unterscheidungskriterien zwischen KSK-Soldat und gewöhnlichem Wehrpflicht-Soldaten darstellt: Während der Wehrpflichtige in der Darstellung des Spiegels ›gerade mal ein Gewehr halten‹, aber offensichtlich nicht wirklich damit umgehen kann (und bisher auch angeblich noch nicht musste), ist der KSKSoldat (auch) in dieser Hinsicht ›Profi‹. Abbildung 6: Der Spiegel, Heft 46/2001, S. 42
35 | Dass deutsche Soldaten vorher nicht ganz selbstverständlich bei out of area ›operierenden‹ Eliteeinheiten vertreten waren bzw. die historisch-politischen Hintergründe der deutschen Sonderrolle werden dabei nicht benannt, genauso wenig, wie erklärt wird, warum oder inwiefern sie ihre Bedeutung verloren haben.
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Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Bildpolitik des Spiegels. Denn viel eindeutiger noch als auf der textuellen Ebene wird der deutsche Soldat auf der visuellen Ebene als Kämpfer, zumeist mit schwerem Waffengerät im zukünftigen Anti-Terror-Kampf präsentiert (vgl. Abb. 6 und 7). Dadurch dass häufig gar kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Bild und Text hergestellt wird, erlangen die Bilder eine umso stärkere, suggestive Wirkung. So erzeugen alle Fotos deutscher Soldaten den Eindruck höchster Alarmbereitschaft, Einsatzfähigkeit, Professionalität und Entschlossenheit der Bundeswehr. Fotos von deutschen Soldaten als ›Sozialarbeitern‹ und ›Freunden und Helfern‹, wie sie z.B. in der Berichterstattung über den Kosovokrieg populär waren (vgl. Bewernitz 2010), sind hingegen nicht zu finden. Bemerkenswert ist außerdem, dass der Spiegel fast ausnahmslos Soldaten der KSK-Einheit abbildet, die jeweils ›in action‹ bei unterschiedlichen Übungen innerhalb eines simulierten Kriegskontextes dargestellt werden: beim Abseilen aus einem Helikopter, beim Fallschirmspringen, beim Erstürmen eines Gebäudes oder in einer halbkreisförmigen Angriffsstellung mit Maschinengewehren im Anschlag.36 Abbildung 7: Der Spiegel, Heft 46/2001, S. 6
Die Fotos suggerieren soldatisches Handeln auf höchstem technologischem und kämpferischem Niveau, was die internationale ›Wettbewerbsfähigkeit‹ des KSK unterstreicht. Die Fotos transportieren zudem die Vorstellung eines martialischen und zähen Kämpfers: KSK-Soldaten sind ausschließlich in voller Kampfmontur 36 | Dass es sich bei den Fotos lediglich um Trainingssituationen und nicht um reale Einsätze handelt, wird einzig aus den Bildunterschriften ersichtlich. Der ausdrückliche Verweis auf die Übungssituation könnte zum einen bedeuten, dass es aufgrund der strengen Geheimhaltungspflicht der KSK-Einsätze keine Aufnahmen von realen Einsätzen gibt. Zum anderen verweist die Betonung, dass es sich bei dem Gezeigten nur um eine Übung handelt, darauf, dass der viel beschworene ›Ernstfall‹ erst noch bevorsteht. Hier müsste eine weitere Untersuchung klären, ob und wie sich das Bild der Soldaten ändert, nachdem diese ihren Dienst in Afghanistan angetreten haben.
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und nur als Gruppe zu sehen. Individuelle Merkmale lassen sich nur erahnen, denn das äußere Erscheinungsbild macht die KSK-Soldaten ununterscheidbar: Alle tragen robuste, schwarze Uniformen, die Gesichter vollständig vermummt, sie sind ausgestattet mit Helmen, Schutzbrillen und Schutzwesten – und in den meisten Fällen mit schweren Waffen, hauptsächlich Maschinengewehren, die einsatzbereit vor dem Körper oder im Anschlag gehalten werden. Die Fotos vermitteln den Eindruck von grimmiger Härte, Entschlossenheit und Kampfgeist (vgl. Abb. 6). Indem der Spiegel in seiner Bildpolitik visuell einen deutschen Vorzeige- und Mustersoldaten in Gestalt des waffentragenden und damit schießbereiten Kämpfers inszeniert, flankiert er die diskursive Etablierung des KSK als unhinterfragbare Elitetruppe im Dienste der Bundesrepublik. Die zweite Abbildung (vgl. Abb. 7) zeigt deutlich, wie Politik und Militär ›Seite an Seite‹ im Kampf gegen den Terrorismus präsentiert werden. Im Folgenden soll geklärt werden, wie der KSK-Soldat als Kämpfer für die ›gute Sache‹ in einen moralischen Legitimationsdiskurs eingebettet wird.
4.4 Kontrollierte Gewalt und Just Warriors — »keine Rambos oder Selbstmörder« Der im Folgenden dargestellte Aspekt ist wesentlich für das medial vermittelte Bild des deutschen (KSK-)Soldaten: die Konstruktion eines gemäßigten und kontrollierten Soldaten, der die Gewalt eigentlich scheut und nur im äußersten Notfall anwendet. Auf den Punkt gebracht wird diese Verquickung von Gewaltbereitschaft und Gewaltbegrenzung in der Abgrenzung von der bekannten Hollywood-Figur Rambo. »Wir akzeptieren das hohe Risiko, aber wir sind keine Rambos oder Selbstmörder« (39/2001: 44), wird im Spiegel erneut der KSK-Kommandeur Günzel zitiert. Und ähnlich heißt es in der FAZ: »Polternde Rambos sind in der Truppe [dem KSK, A.N.] nicht erwünscht«, vielmehr sei der »stille Profi« gefragt (22.11.01: 6). Rambo, der von Sylvester Stallone verkörperte Vietnam-Veteran, der in den 1980er Jahren als nicht zuletzt in Afghanistan kämpfende One-Man-Army in die Filmgeschichte einging, steht dabei im Spiegel für eine – den USA zugeschriebene – unkontrollierbare, auf Rache und aufs Töten fixierte Hypermaskulinität. Ähnlich wie der Cowboy auf dem Feld der Politik repräsentiert Rambo ein ›Zuviel‹ an Männlichkeit, durch das das Männlich-Rationale in sein Gegenteil kippt. So ist die Wortwahl des Spiegels in Bezug auf US-Soldaten ungleich brutaler und blutrünstiger als jene zur Beschreibung deutscher Soldaten: Töten und Blut bilden zentrale Begriffsfelder. Die Rede ist von »Killertrupps« (43/2001: 152), »killing zones«, »Kampf bis zum letzten Blutstropfen« (49/2001: 171) und einem bevorstehenden »Blutbad« (48/2001: 156; 51/2001: 150). In diesem Deutungsrahmen wird der US-Soldat zur Personifizierung eines geradezu ›natürlichen Bedürfnisses‹ der Amerikaner nach einem militärischen Vergeltungsschlag in Reaktion auf den 11. September. Die Präsentation des US-Soldaten wird zudem kontinuierlich von Verweisen auf die vielen unschuldigen Opfer und Leidtragende des Kriegsgeschehens – zumeist symbolisiert durch ›FrauenundKinder‹ (Enloe) – begleitet. So betont der Spiegel ausdrücklich, dass es »selbst beim Einsatz von Präzisionswaffen [zu] unvermeidlichen ›Kollateralschäden‹ unter der Zivilbevölkerung« (45/2001: 141) komme, wodurch das Bild eines ›chirurgisch-sauberen‹ Krieges unterminiert wird, dass aber die US-Soldaten die »im Bombeninferno umgekommenen Zivilisten achselzuckend als unvermeidli-
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che Kollateralschäden« abbuchen (49/2001: 172). In diesem Deutungsrahmen gerät der US-amerikanische Soldat immer wieder in die Nähe eines amoralischen Killers, dem ethische Prinzipien wie Mitgefühl und Menschlichkeit fehlen. Genau davon setzt sich das Bild des kontrollierten, tötungsfernen deutschen Soldaten klar positiv ab. Zwar steht dieser in Sachen Tapferkeit keinesfalls hinter dem ›US-Soldaten‹ zurück; er sei ebenso mutig und bereit Leib und Leben im Kampf zu riskieren (»wir akzeptieren das hohe Risiko«). Aber er kalkuliert und begrenzt das Risiko zugleich. Er zeigt ein defensives statt aggressiv-lautstarkes Auftreten und ist zugleich professionell in seinem Handeln. Besonders markant wird das Bild des kontrolliert und professionell auftretenden KSK-Soldaten in der Vorstellung, dass deutsche Soldaten das Töten erst lernen müssten, welche die Berichterstattung durchzieht. So lässt sich der Spiegel vom Psychologen des KSK erläutern, dass die Soldaten zum einen zwar lernen, »die ›Tötungshemmung‹ […] zu überwinden«, zum anderen aber, die dadurch entfesselte »hohe Aggressivität« auch zu beherrschen (39/2001: 46). Der KSK-Soldat – so das Fazit – zeichnet sich durch eine »Balance zwischen Aggressivität und kontrolliertem Handeln« (ebd.) aus. Hierzu passt auch die eingangs zitierte Formulierung, die KSK-Soldaten seien »keine Selbstmörder«. Der Selbstmörder-Vergleich lässt sich als Anspielung auf die Selbstmordattentäter des 11. Septembers lesen, die – wie der Spiegel regelmäßig betont – von einer ›Todessehnsucht‹ getrieben seien (vgl. Kap. IV.5.1.2). In der Gegenüberstellung mit dem ›islamistischen Terroristen‹, der nach Selbstopfer und Märtyrertod strebe, erscheint der ›deutsche Soldat‹ als das Leben achtend und bejahend. Angeordnet durch die Erzählstruktur stehen sich somit im Spiegel unterschiedliche Soldatentypen gegenüber: auf der einen Seite der blutrünstige und kriegerische Soldat, der ausgestattet mit enormen Muskeln und wenig Hirn einzig und allein auf Kampf und Rache aus ist, auf der anderen Seite der professionelle, in seiner Gewaltausübung kontrollierte, starke und intelligente deutsche Soldat – ein Soldat, der nicht unnötig tötet und keine unnötigen Risiken für das eigene Leben eingeht. Die Darstellung des deutschen KSK-Soldaten entspricht damit Elshtains Figur des Just Warrior (Gerechter Krieger): Der Gerechte Krieger agiert nicht als aggressiver, blutrünstiger Krieger, sondern richtet sein Handeln nach ethischen Gesichtspunkten aus. Er kämpft im Sinne der Idee des gerechten Krieges für höhere Ziele wie Frieden und Gerechtigkeit und verfügt über moralische wie intellektuelle Fähigkeiten und ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein; dabei ist er stark genug, einem gewaltverherrlichenden und kriegsbegeisterten Enthusiasmus zu widerstehen, und macht nur im Notfall von seiner Waffe Gebrauch (vgl. Elshtain 1987: 152). Insgesamt betrachtet er den Krieg nicht länger als das primäre Mittel der Politik, sondern als zu vermeidendes Übel, das zudem einer rechtfertigenden Grundlage bedarf. Eine besondere Aufgabe des Gerechten Kriegers ist der Schutz der Schwachen und unschuldigen Nicht-Kombattant_innen – traditionell verkörpert durch ›FrauenundKinder‹ (vgl. Kap. I.1.2.2). Die Stilisierung des KSK-Soldaten als Frauen beschützender oder rettender Just Warrior lässt sich exemplarisch an einem Spiegel-Artikel zur Bundeswehr nachzeichnen, in dem im Stile eines Action-Abenteuers von den ›Heldentaten‹ des KSK bei einem früheren Einsatz in Bosnien erzählt wird. Der Artikel mit der pathetischen und zugleich programmatischen Überschrift »Gegen das Böse kämpfen« (39/2001: 42) berichtet gleich zu Beginn von der (missglückten) Festnahme von Janko Janjić, der »als Aufseher des berüchtigten Lagers Buk Bijelia junge muslimische Frauen
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vergewaltigt und gefoltert haben soll« (ebd.) und der entsprechend als Repräsentant dieses ›Bösen‹ inszeniert wird. Dabei greift die Darstellung der »Zielperson« (ebd.) als Vergewaltiger von Frauen und Kindern auf ein altbekanntes Motiv der Feinbildkonstruktion zurück, das in den Kriegen des 20. Jahrhunderts immer wieder zur Kriegsmobilisierung eingesetzt wurde (vgl. Kap. I.1.2.4). Die Elitesoldaten des KSK werden im Gegenzug als ›die Guten‹ dargestellt, die bei ihrem ›Kampf gegen das Böse‹ bzw. der ›Jagd‹ nach Kriegsverbrechern entschlossen und professionell vorgehen und dabei Leib und Leben riskieren.37 Markieren Tapferkeit und Aufopferungsbereitschaft die KSK-Soldaten in diesem Kontext als ›heroische Kämpfer‹, so weist ihr Einsatz auch und gerade für die vergewaltigten und gefolterten ›jungen muslimischen Frauen‹ sie als Kämpfer in einem ›gerechten Krieg‹ für Menschenund Frauenrechte aus.38 Während (nur) der Gegner Frauenrechte verletzt, wird der deutsche Soldat zum ›Retter‹ und ›Beschützer‹ der Frauen. Geschlecht bzw. das Wechselspiel von männlichen und weiblichen Identitäts- und Rollenzuschreibungen wird hier als Ressource für die Konstruktion der deutschen Soldaten als Just Warrior offenbar, die auch dafür stehen, dass Deutschland (nur) für die ›gerechte Sache‹ in den Krieg zieht.
4.5 Neue und alte Aufgabenfelder: ›Hit and run‹, Polizist im Ausland und Geiselbefreier Um das medial vermittelte Soldatenbild weiter zu konkretisierten und die Frage nach dem Stellenwert kämpferischer Eigenschaften und Fähigkeiten zu beantworten, sollen im Folgenden die beschriebenen Aufgabenbereiche des deutschen Militärs näher betrachtet werden. Der (zukünftige) Auftrag des deutschen KSK wird an mehreren Stellen mit nahezu identischem Wortlaut wie folgt umrissen: »Die Aufgaben: Befreiung von Geiseln, Kriegsverbrecherjagd und Terrorismusbekämpfung im Ausland« (Spiegel 39/2001: 42 und 37). »Hit and run‹ – zuschlagen und abhauen –, so hat der Kanzler den heiklen Job der Spezialkräfte umschrieben. Terroristen greifen, Kriegsverbrecher jagen und Geiseln befreien – das gehört zum Repertoire des KSK.« (Spiegel 46/2001: 45) »Im Zusammenhang mit dem Afghanistan-Krieg wird die Bundesregierung wahrscheinlich folgende Einheiten bereitstellen: Ambulanzflugzeuge mit einer Intensivstation, wie sie keine anderen Streitkräfte haben; den Spürpanzer ›Fuchs‹, der gegen atomare, biologische und chemische Waffen eingesetzt wird und das ›Kommando Spezialkräfte‹, das gemeinsam mit anderen Spezialisten der Bundeswehr sogenannte ›hit-and-run-Operationen‹ ausführen kann.« (FAZ 7.11.01: 3)
37 | Wie der Spiegel betont, wurden drei Soldaten bei dem betreffenden Einsatz »schwer verletzt«: »Einer hat heute ein steifes Knie, einem anderen zerriss es die linke Hand.« (39/2001: 42) 38 | Der Artikel verweist neben dieser noch an zwei weiteren Stellen auf »Massenvergewaltigungen« (39/2001: 44) und »Vergewaltigung und Folter« (ebd.: 46) im Zusammenhang mit der Festnahme international gesuchter Kriegsverbrecher aus Ex-Jugoslawien durch (deutsche) Spezialeinheiten.
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›Hit and run‹ bezeichnet im militärischen Kontext eine spezifische taktische Vorgehensweise, die auf direkte Konfrontation mit dem Gegner verzichtet und dafür auf zielgerichtete, zeitlich begrenzte und oftmals geheime Aktionen setzt, um den Gegner zu schwächen. Mit Betonung auf die bereits erfolgreich durchgeführten KSK-Einsätze in Bosnien und im Kosovo listet der Spiegel die folgenden Aufgaben und Tätigkeitsbereiche auf, die demnach längst zum »Alltagsgeschäft« (hier und im Folgenden Spiegel 39/2001: 42ff) des KSK gehören. Genannt werden »geheime Aufklärungsmissionen« (»in geheimem Auftrag«, »Suche nach Kriegsverbrechern«, »aufspüren«, »Jagd«), »Überwachungsmissionen« (»Telefonleitungen anzapfen«, »Beschattung«, »Fotodokumentationen«, »Risikoanalyse«) und schließlich der »Zugriff« (»Kriegsverbrecher festsetzen«, »mögliche Fluchtwege sichern«, »verhaften« und »der Uno-Mission übergeben«). Diese Aufgabengebiete und Tätigkeiten entsprechen mehr einem gewöhnlichen Polizeieinsatz zur Verbrechensbekämpfung als einem soldatischen Kampfeinsatz, der sich traditionell auf einem Schlachtfeld mit sich einander feindlich gegenüberstehenden Armeen unter schweren Gefechtshandlungen und mit hohen Verlusten an Menschenleben abspielte. Der KSK-Soldat wird hier in erster Linie als ›Polizist im Ausland‹ präsentiert, was auch in der Bezeichnung des KSK als »eine Art militärischer GSG-9« (Spiegel 46/2001: 45) zum Ausdruck kommt. In die Aufzählung der bisherigen ›Erfolgsgeschichte‹ des KSK wird der »weltweite Kampf gegen den internationalen Terrorismus« als »Aufgabe der Zukunft« (Spiegel 39/2001: 44) nahtlos eingereiht. Der neue Auftrag unterscheide sich »von den bisherigen Übungen und Einsätzen nur wenig« (ebd.), betont der Spiegel und bekräftigt die Einsatzbereitschaft des KSK: Die Truppe sei in Zukunft »zur Terrorismusbekämpfung durchaus zu gebrauchen« (ebd.). Die Parallelisierung zwischen ›Kriegsverbrecherjagd‹ und ›Terroristenjagd‹ lässt auch Letztere als gezielten polizeilichen Einsatz erscheinen, bei dem international gesuchte Terroristen aufgespürt, verhaftet und vor Gericht gestellt werden. Der Anti-Terror-Kampf wird im Spiegel an dieser Stelle weniger als Krieg denn als weltweiter ›Polizeieinsatz‹ unter Führung der USA wahrgenommen, in dem Deutschland eine helfende Rolle zukommt: »Die Deutschen sind auf ihre neue Rolle als Welthilfspolizei nicht vorbereitet« (50/2001: 6), heißt es. Auch die FAZ greift das Bild des Soldaten als ›Polizist im Ausland‹ auf – jedoch unter umgekehrten Vorzeichen: Kritisiert wird der Mangel an Wehrfähigkeit und Kampftüchtigkeit, die dem Bild des zivilen, im innenpolitischen Bereich tätigen Polizisten als ›Freund und Helfer‹ anhaftet: »Deutschland unterscheidet sich davon durch einen Stillhalte-Pragmatismus, der nationale Interessen leugnete, der selbstauferlegte Macht- und Mittellosigkeit im Inneren wie im Äußeren pflegte, der Sicherheit in Gesellschaftspolitik übersetzte, der Soldaten am liebsten durch Polizisten und Polizisten am liebsten durch Freunde und Helfer ersetzte. Wehrhaft war diese Demokratie nur, solange andere die Kohlen aus dem Feuer holten.« (27.9.01: 1)
Als ein besonderes Aufgabenfeld des KSK wird wiederholt die Befreiung und Rettung von Zivilist_innen – in erster Linie Angehörige der eigenen Nation – aus den jeweiligen Kriegsgebieten benannt. Hierbei handelt es sich ebenfalls nicht um einen militärischen Einsatz im engeren Sinne, sondern um eine ›Rettungsmission‹ zum Schutze einzelner Menschen. Ziele dieser ›Spezialoperation‹ seien, »aus dem Zugriffsgebiet verbliebene Ausländer retten« und »Geiseln befreien« (FAZ 19.9.01: 6).
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Dieser so oft betonte Spezialauftrag des KSK zeigt den Soldaten als ›Helden‹ und ›Retter‹ und stellt die edlen Ziele seines Handelns in den Vordergrund.39 Im Zusammenhang mit diesem besonderen militärischen Teilauftrag ist eine spezifische Diskursstrangverknüpfung interessant, die sowohl im Spiegel als auch in der FAZ zu finden ist: Im Zuge der Berichterstattung über die Vorbereitung und den Verlauf des Afghanistankrieges stehen wiederholt die entführten Mitarbeiter_innen der internationalen Hilfsorganisation »Shelter Now« – darunter auch vier Deutsche, drei Frauen und ein Mann –, die im August 2001 aufgrund angeblicher christlicher Missionarstätigkeit von den Taliban verhaftet worden waren, im Fokus. Nach dem 11. September seien die Gefangenen zu »Geiseln der Taliban« (FAZ 22.9.01: 4; Spiegel 38/2001: 159) geworden. Aufgrund der speziellen Fähigkeiten des KSK, die – wie immer wieder betont wird – ganz besonders im Bereich der Geiselbefreiung liegen, wird implizit (im Spiegel) oder auch ganz direkt (in der FAZ) ein Zusammenhang hergestellt zwischen den gefangenen Shelter-Now-Mitarbeiter_innen und einem möglichen ersten konkreten Einsatzbefehl des KSK im Anti-Terror-Krieg. So titelt die FAZ am 19.9.2001 mit dem Aufmacher »Deutsche Spezialkräfte ›sofort‹ zur Unterstützung der Amerikaner bereit. Einsatz zur Rettung von Ausländern aus Afghanistan?«. Im Text heißt es weiter: »300 Mann des KSK könnten nach Angaben deutscher Militärs ›sofort‹ zur Rettung der in Afghanistan von den Taliban festgehaltenen acht Ausländer, unter denen sich auch vier Deutsche befinden, eingesetzt werden. […] Der Präsident des Förderkreises Deutsches Heer, General a. D. Lanz, sagte dieser Zeitung: ›Das deutsche Heer verfügt mit der ›Division Spezielle Operationen‹ und dem KSK über die notwendigen Fähigkeiten, um deutsche Staatsbürger, etwa die vier in Kabul gefangenen Deutschen, zu befreien.‹ […] Ein hoher deutscher Offizier sagte: ›Wenn Deutschland nicht wenigstens zur Rettung der Deutschen in Afghanistan die Hilfe des KSK anbietet, wird das Ansehen Deutschlands im Bündnis nicht wiedergutzumachenden Schaden nehmen.‹« (19.9.01: 1)
Die Rettung der eigenen Landsleute durch eigene Soldaten wird als ›das Mindeste‹ verstanden, was Deutschland zum Anti-Terror-Krieg beitragen könne. Aus Sicht der FAZ scheint die Rettung der ›eigenen‹ Landsleute zugleich eine Frage von Tapferkeit und Ehre zu sein, die man nicht anderen Staaten überlassen dürfe:40 39 | In der FAZ fungiert die Narration des heldenhaften Auftrags des ›Rettens‹ und ›Helfens‹ als eine Art ›Gründungsmythos‹ des KSK: »Der Spezialverband wurde nach einem Vorfall gebildet, der sich 1994 in Ruanda ereignete. Dort waren während des überraschend ausgebrochenen blutigen Bürgerkriegs elf Mitarbeiter der Deutschen Welle in der Hauptstadt Kigali eingeschlossen. Die Bundesrepublik Deutschland konnte den Landsleuten nicht zu Hilfe kommen, weil die Bundeswehr damals noch kein Spezialkommando hatte. Das Nachbarland Belgien übernahm die Aufgabe und schickte Fallschirmjäger, die die Deutschen befreiten. So kam es zum Aufbau des Kommandos Spezialkräfte in Calw, dessen Hauptaufgabe darin besteht, militärische Sonderaufträge im Ausland zu erledigen. Dazu gehört das Retten von Menschen aus terroristischer oder kriegsbedingter Bedrohung sowie die Aufklärung und Überwachung wichtiger militärischer Ziele in Krisen- und Konfliktgebieten.« (22.11.01: 6) 40 | Explizit wird diese Lesart in einem Leserbrief, überschrieben mit dem Titel »Eine Frage der Ehre«, vertreten. Dass letztlich nicht das KSK, sondern US-Soldaten die Gefangenen befreiten, wird von dem Verfasser als besonders »beschämend« erlebt: »Wer bisher glaubte,
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Während die Bundesregierung nach Angaben europäischer Militärs und amerikanischer Diplomaten bislang wenig Bereitschaft zeigt, zumindest die in Kabul gefangengehaltenen Deutschen von eigenen Kräften retten zu lassen, bereiten sich amerikanische, britische und französische Kommandotruppen auf einen möglichen Einsatz vor, bei dem sie an vorderster Front stehen würden.« (19.9.01: 6)
Auch der Spiegel berichtet am 19.11.2001, nach der Einnahme Kabuls und der Verkündung eines ›Etappensieges‹ im Afghanistankrieg, über die erfolgreiche Befreiung der Shelter-Now-Mitarbeiter_innen. Der Artikel »Sie wollten uns töten« (47/2001: 158) beschreibt eine spektakuläre Action-Geschichte, in der der (US-amerikanische) Soldat die Rolle des heroischen Retters einnimmt. Die reißerische Wortwahl der Reportage erzeugt eine höchst dramatische Stimmung, in der die Gefangenen von »Todesangst« getrieben eine Odyssee durch verschiedene Gefängnisse durchleben – und schließlich erst »in letzter Sekunde« gerettet wurden (ebd.). Von »Schreien von ausgepeitschten Männern«, »krankmachenden Verliesen«, einem »ohnmächtigen Warten auf Rettung«, Angst diesen »Alptraum nicht [zu] überleben«, einer »Verschleppung« durch Kabul und der »Gewissheit, dass sie uns nun lynchen« wird berichtet (ebd.: 159). Die Shelter-Now-Mitarbeiter_innen seien in Containern gefangen gehalten worden, in denen sonst »Menschen ermordet« würden und in denen noch »Leichenteile« gelegen hätten (ebd.). Verstärkt durch die dramatisierende Erzählweise wird die Geiselbefreiung zur Heldengeschichte – und der Einsatz zum beispiellosen Erfolg. Ohne den mutigen Einsatz der Soldaten wären ›unschuldige‹ Zivilist_innen – Mitarbeiter_innen einer Hilfsorganisation – getötet worden. Dabei kommen geschlechterstereotype Darstellungsweisen vom ›männlichen Beschützer‹ und ›weiblichem Opfer‹ zum Tragen und v.a. durch die Bildauswahl des Spiegels erfährt die Geiselbefreiung als Frauen-Rettungsaktion eine zusätzliche moralische Legitimierung. Auf den beiden Fotos, die im Kontext der Geiselbefreiung verwendet werden, stehen allein die Mitarbeiterinnen der Hilfsorganisation im Bildfokus (vgl. 38/2001: 159; Bild erneut verwendet in 46/2001: 88 und 47/2001: 158). Durch die Korrespondenz zwischen Text und Bild entsteht der Eindruck, als hätte sich das Ziel der Geiselbefreiung v.a. auf die weiblichen Gefangenen gerichtet. Erneut werden hier die Bilder des Soldaten als Gerechter Krieger und der Geretteten als Schöne Seele aufgerufen, wodurch der Einsatz als (geschlechterpolitisch) notwendig, heroisch und legitim markiert wird. Dass die Rettungsaktion schließlich nicht von deutschen, sondern US-Soldaten durchgeführt wurde, ist dabei zweitrangig. Durch die stete Betonung der Gemeinsamkeit und Verbundenheit aller internationalen Spezialkräfte sowie der besonderen Eignung des KSK für ›Geiselrettungen‹ im Vorfeld, entsteht der Eindruck, diese Befreiungsaktion hätte auch ohne weiteres von deutschen KSK-Soldaten durchgeführt werden können – bzw. hätte eigentlich von diesen durchgeführt werden müssen. Zudem wird der als zukünftige Aufgabe des KSK propagierte Auftrag der Geiselbefreiung hier anhand eines konkreten Beispiels vorgeführt und somit plastisch nachvollziehbar, auch wenn er dieses Mal (noch) durch US-Soldaten erfolgte.
dieses Land könne nicht noch tiefer in die Ehrlosigkeit fallen, der irrte. Auf der nach unten offenen Bewertungsskala scheint es für die rot-grünen Regierungsdarsteller insoweit keine Grenze zu geben.« (FAZ 21.11.01: 9)
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Entscheidend ist: Der Soldat wird als opferbereiter Held in gefährlicher Mission präsentiert, dessen primäres Ziel der Schutz der eigenen Bevölkerung (im Ausland) ist.
4.6 Soldatische Nebenrollen: Arzt, Therapeut und Feuer wehrmann »Krieg als ›Spezialistenpraxis‹ wird symbolisch zum ›Polizeieinsatz‹, zum ›Feuerwehreinsatz‹ und zum bekannten ›chirurgischen Eingriff‹«, konstatieren Ute Gerhard und Ernst Schulte-Holtey (1991: 20) in Anbetracht der medialen Berichterstattung zum Zweiten Golfkrieg. Die Berichterstattung über den Krieg in Afghanistan und den bevorstehenden neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr bringt ähnliche Deutungsmuster hervor. Dem Bild des Soldaten als ›Polizist‹ werden weitere, ebenso alltagstaugliche und zivile Bilder wie das des ›Arztes‹ – genauer des ›Chirurgen‹ oder ›Akupunkteurs‹ –, des ›Therapeuten‹ sowie des ›Feuerwehrmannes‹ und ›Katastrophenhelfers‹ an die Seite gestellt. Nach dem 11. September stehen sie als Deutungsmuster jedoch weniger im Vordergrund als in den vergangenen Kriegen und können deshalb eher als ›Nebenrollen‹ des Soldaten gefasst werden. Die Konstruktion des Soldaten als ›Arzt‹ erfolgt durch den Rekurs auf Wissensvorräte, die dem medizinisch-psychologischen Diskurs entstammen und sich in einer entsprechenden Kollektivsymbolik manifestieren. So ist trotz der vielfach geäußerten Kritik an der euphemistischen Kriegssprache des Zweiten Golfkrieges, in der z.B. der Topoi vom ›klinisch sauberen Krieg‹ en vogue war, auch im Kontext des Afghanistankrieges in geradezu inflationärer Weise von »Operationen« die Rede. Dies zeigt sich bereits in der offiziellen Namensgebung – »Operation Enduring Freedom« – für den Krieg in Afghanistan. Aber auch Redewendungen wie »Hit-and-run-Operationen« (FAZ 7.11.01: 3), »Militäroperationen« (Spiegel 39/2001: 150; 41/2001: 131; 43/2001: 156; 46/2001: 162), »Operationsgebiet« (46/2001: 42), »kleine, chirurgische Schnitte« (ebd.: 46) und der Verweis darauf, dass dieser Krieg »nicht mit chirurgischen Schlägen« (39/2001: 148) geführt werde und »keineswegs immer chirurgisch-präzise« (44/2001: 143) sei, knüpfen an den Mythos vom ›sauberen Krieg‹ – metaphorisiert als ›chirurgischer Eingriff‹ – an. Die »behutsame« und auf eine langfristige Strategie hin angelegte Vorgehensweise im Afghanistankrieg wird dementsprechend auch als »terroristische Akupunktur« (Spiegel 41/2001: 131) bezeichnet. Im Gegenzug wird Afghanistan als menschlicher Körper metaphorisiert, der über physische wie psychische Empfindungen verfügt und ebenso verwundet oder verkrüppelt wie auch geheilt werden kann. Bereits der sowjetische Krieg habe sich zu einer »blutenden Wunde« (FAZ 15.9.01: 6) ausgeweitet und Afghanistan in ein »schrecklich zugerichtetes Land« (ebd.), verwandelt. In verschiedenen Variationen ist die Rede von »dem geschundenen Land am Hindukusch« (Spiegel 50/2001: 160) bzw. einem »der am meisten geschundenen Länder der Welt« (FAZ 2.10.01: 49). Die Körpermetaphorik ist dabei mit Symboliken und Bildern von Gesundheit und Krankheit eng verknüpft. Es geht um den »hoffnungslosen Zustand eines kranken Landes« (FAZ 30.11.01: 3), »traumatisiert« (FAZ 14.12.01: 13) von der Talibanherrschaft, die »das Leben verkrüppelt« (Spiegel 47/2001: 131) habe. Land und Leute verschmelzen in dieser Darstellung zu einem einzigen gepeinigten ›Körper‹, der einer dringenden ›Notoperation‹ und ›Heilung‹ bedarf. Vor diesem Deutungshintergrund wird der Soldat implizit zu demjenigen, der diese ›Operationen‹ ausführt, um das Land und seine Bevölkerung zu ›heilen‹ oder zumindest den langsamen Prozess
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der Traumaverarbeitung und Gesundung in Gang zu setzen. »Ohne einen internationalen Friedenseinsatz wird sich das Land nicht stabilisieren […] lassen«, schreibt der Spiegel (27.11.01: 10). »Afghanistan kann nicht genesen, wenn im Nachbarland der Kampf gegen den religiösen Extremismus misslingt« (FAZ 28.11.01: 1). Auch gegenüber den USA werden dem deutschen Soldaten helfende therapeutische Fähigkeiten zugeschrieben: Der Einsatz diene »eher der psychologischen Unterstützung der GIs als der Abwehr konkreter Gefahren«, schreibt der Spiegel (46/2001: 50). In Entsprechung zum Bild des Soldaten als ›Arzt‹ und ›Therapeut‹ und Afghanistan als ›krankem Patienten‹ wird der ›weltweite Terrorismus‹ als eine ansteckende Krankheit und Seuche metaphorisiert, die Afghanistan und die Welt befallen habe. So ist beispielsweise vom »islamistischen Virus« (FAZ 27.9.01: 1) die Rede, der sich weltweit auszubreiten drohe und bereits »ganze Regionen destabilisiert« (FAZ 12.11.01: 6). Es stelle sich die Frage, »Wird der Terrorismus […] die Krankheit des einundzwanzigsten Jahrhunderts sein – ohne Aussicht auf Heilung?« (FAZ 14.9.01: 51) Eingewoben in ein dichtes Netz aus Bildern und Metaphern konstituiert sich der Soldat zudem als ›Feuerwehrmann‹ und ›Katastrophenhelfer‹, der immer dann ausrückt, wenn’s ›brennt‹. So ruft die Kollektivsymbolik aus dem Bereich Feuer und Naturkatastrophe, wie sie insbesondere bei der Beschreibung der US-amerikanischen Kriegsführung in Afghanistan (»Eine Region in Brand«, Spiegel 45/2001: 140; »bedrohlicher Flächenbrand«, ebd.: 142) Verwendung findet, implizit nach jemandem, der das Feuer zu löschen vermag. Der US-amerikanische Soldat ist diesem Deutungsmuster folgend als Feuerwehrmann ganz offensichtlich ungeeignet, mehr noch, er scheint den ›Flächenbrand‹ nur noch mehr anzufachen. Hier kommt der deutsche Soldat zumindest hypothetisch als ›Feuerwehrmann‹ in Betracht, da dieser – so der Tenor der Spiegel-Berichterstattung – ungleich gemäßigter, unsoldatischer vorgehe und daher die Chance biete, »die unkontrollierte Logik militärischer Eskalation abzumildern« (39/2001: 36). »Es sind die Europäer, die sich darum [die verheerende humanitäre Lage im Kriegsgebiet, A.N.] vorrangig kümmern wollen – natürlich auch, um sich als Wohltäter von den beinharten amerikanischen Terroristenjägern abzuheben.« (48/2001: 160)
Auch in diesem Kontext wird der deutsche bzw. im letzten Zitat der europäische Soldat als Just Warrior dem US-Soldaten gegenübergestellt und als derjenige profiliert, der Afghanistan ›Heilung‹, also echten Frieden bringen könne.
4.7 Rechtliche und gesellschaftliche Bindung — der ›Staatsbürger in Uniform‹ Auch wenn Gültigkeit und Tauglichkeit des Ideals des ›Staatsbürgers in Uniform‹ im Verlauf der Berichterstattung immer wieder angezweifelt werden, so heißt das nicht, dass das Leitbild des gesellschaftlich und demokratisch fest verankerten ›Bürgers in Uniform‹ per se ausgedient hätte. In der medialen Repräsentation des Bundeswehrsoldaten ist dieses (Deutungs-)Muster auch nach dem 11. September insbesondere im Spiegel – wenn auch zumeist nicht explizit – präsent. Angelehnt an das Ideal des ›Staatsbürgers in Uniform‹ betont der Spiegel den engen Zusammenhang zwischen Gesellschaft, demokratischer Rechtsordnung und Militär: »Die Komman-
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dosoldaten verstehen sich als ›Instrument der Gesellschaft‹, das den politischen Willen exekutiere« (39/2001: 44). Auch auf der individuellen Ebene wird die enge Bindung der Bundeswehr an die Rechtsnormen deutlich gemacht und die große Bedeutung der rechtlichen Kontrolle für das Selbstbild der Soldaten herausgestellt. So heißt es unter Bezugnahme auf die ›Erfolgsquote‹ vergangener Einsätze des KSK auf dem Balkan und die Verurteilung der dort festgenommenen Kriegsverbrecher durch internationale Gerichtshöfe: »Die Bilanz, mehr aber noch die Legitimation durch die Gerichtsurteile bestärkten die Soldaten in ihrer Haltung, ›bei den Guten zu sein, um gegen das Böse zu kämpfen‹, sagt der KSK-Psychologe Günter Kreim.« (Ebd.: 46)
Immer wieder stehen die gründliche und langfristige Vorbereitung und die sorgfältige Durchführung der deutschen Militäreinsätze im Vordergrund. Die spezifische Rahmung suggeriert, dass es sich bei den Einsätzen des KSK nicht etwa um unkontrollierte und aggressive Gewaltakte, sondern um begrenzte, gezielte und v.a. staatlich und rechtlich legitimierte Aktionen handelt. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass »Eil-Einsätze« ohne ausreichende Vorbereitungszeit und ohne eindeutige Rechtsgrundlage (in dem angeführten Beispiel ohne internationalen Haftbefehl) in »doppelter Hinsicht untypisch« (ebd.: 46, auch folgende Zitate) seien. So sei ein »an sich erfolgreiche[r]« Einsatz im Kosovo im August 1999 aus diesem Grunde bis heute innerhalb der Truppe umstritten. Empört wird festgehalten, dass niemand je erfahren habe, was aus den feindlichen Personen nach ihrer Festnahme geworden sei, und ob sie »womöglich nicht längst wieder auf freiem Fuß« seien. Ziel dieser Art Militäreinsätze ist demnach nicht die Bekämpfung und Eliminierung des Feindes, sondern seine strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung. Im Spiegel wird nicht nur die parlamentarische und gerichtliche Absicherung der Einsätze hervorgehoben, sondern auch die gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz des Militärischen. Durch den Bezug auf aktuelle Umfragewerte, denen zufolge 58 Prozent der Bundesbürger_innen bereit seien, die Bundeswehr zur Bekämpfung des Terrorismus einzusetzen (36 Prozent dagegen, vgl. Spiegel 39/2001: 13), wird zusätzlich die Bedeutung eines gesellschaftlichen Auftrags unterstrichen: Der deutsche Soldat handelt nicht nur als Agent der Politik, sondern auch der Gesellschaft. Interessant ist jedoch die Einbettung der bereits weiter oben zitierten Aussage im Gesamtkontext: »Die Kommandosoldaten verstehen sich als ›Instrument der Gesellschaft‹, das den politischen Willen exekutiere. Ein Hauptfeldwebel: ›Im Moment der Gefahr kann ich nicht diskutieren: töten oder nicht töten, da zählen allein Millisekunden.« (Ebd.: 44)
In diesem Zitat wird nicht nur der Zusammenhang zwischen gesetzgebender und ausführender Gewalt und somit die Legitimität soldatischen Handelns im Sinne der Gewaltenteilung betont. Das Handeln des KSK wird zudem rückgekoppelt an die Gesellschaft bzw. einen »politischen Willen«, dessen Umsetzung Auftrag der militärischen Aktionen sei. Mit der Formulierung »Instrument der Gesellschaft«, wird die Gesellschaft zum eigentlichen Akteur und das Militär zum passiven Werkzeug. Auffällig ist hier jedoch v.a. etwas anderes: Soldatisches Handeln wird wie selbstverständlich mit ›töten‹ verknüpft – ein Bereich, der zwar zum Militärischen und Kriegeri-
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schen sui generis dazugehört, zur Beschreibung der Tätigkeitsfelder der Bundeswehr jedoch sonst tunlichst vermieden wird. In dieser kurzen Reihung wird die soldatische Handlung des Tötens unmittelbar mit dem im Satz zuvor erwähnten gesellschaftlichen Auftrag in Zusammenhang gebracht. Der politische bzw. gesellschaftliche Wille scheint das Töten wie selbstverständlich mit einzuschließen. Die staatliche Gewaltenteilung wird zudem auf einer ganz pragmatischen Ebene plausibel gemacht: Es erscheint unmittelbar einleuchtend, dass ein Soldat im Angesicht der Gefahr nicht lange diskutieren kann – dafür sind andere, z.B. die Politiker_innen, zuständig.
4.8 Verheiratet, heterosexuell, christlich — die soldatische Kleinfamilie Auch wenn aus den untersuchten Medien nur wenig über die Hintergründe einzelner Soldaten zu erfahren ist, wird der ›deutsche Soldat‹ ausschließlich männlich, verheiratet und heterosexuell gedacht. Das zeigt der bereits angeführte, ganz selbstverständliche Verweis auf die Ehefrauen der KSK-Soldaten, die aufgrund der Geheimhaltungspflicht »nicht einmal ihren Ehefrauen anvertrauen [dürfen], ob sie ins Manöver oder zum Einsatz aufbrechen« (Spiegel 46/2001: 45f). Wenn der Bundeswehrsoldat nicht gerade im Einsatz ist, führt er offenbar ein ›normales‹ heterosexuelles Ehe- und Familienleben. Über die in Afrika und auf dem Balkan eingesetzten Bundeswehr-Soldaten heißt es: »Getrennt von ihren Lieben, ihren Frauen und Kindern, setzen sie sich für das Recht Fremder ein, zu leben und zu lieben wie in Paderborn und anderswo.« (FAZ 28.9.01: 58) Und in einem Bericht über Militärseelsorger, die die deutschen Soldaten bei ihren Auslandseinsätzen begleiten, verweist die FAZ auf die »großen Belastungen für Ehefrauen und Familien«, die aus der langen Abwesenheitszeit entstünden (17.11.01: 4). Andere (nichteheliche, homosexuelle etc.) Beziehungsformen werden an keiner Stelle erwähnt, sie scheinen im Kontext soldatischer Männlichkeitsvorstellungen undenkbar zu sein. Der Soldat wird stattdessen als ›durchschnittlicher Ehemann‹ und ›Familienoberhaupt‹ präsentiert, der Vorstellungen einer bürgerlichen, patriarchal organisierten (Klein-)Familie evoziert: Der Mann geht seinem (soldatischen) Beruf nach, während die Frau offenbar zuhause bleibt und Haus und Kinder versorgt. Dass bei den Auslandseinsätzen der Bundeswehr längst auch Soldatinnen im Einsatz sind, gerät mit dem wiederholten Verweis auf die Ehefrauen der Soldaten sowie der Formulierung »getrennt von ihren Frauen und Kindern« aus dem Blickfeld. Die untersuchten Medien schreiben mit ihrer Berichterstattung eine Gleichsetzung von Militär und Männlichkeit weiter fort, anstatt sie zu problematisieren (vgl. Kap. IV.4.10). In den Verweisen auf die Ehefrauen der deutschen Soldaten deutet sich unterschwellig das klassische Bild einer ebenso opferbereiten Soldatenfrau an, die ihrem Mann die Treue hält und sein Tun tatkräftig und moralisch unterstützt, indem sie ihm keine Steine in den Weg legt. Die hier aufgerufenen »Ehefrauen« der KSK-Soldaten pochen zwar nicht auf Patriotismus und Kriegsbereitschaft wie Elshtains Spartan Mother bzw. Mordts Kriegermutter (vgl. Kap. I.1.2.2), nehmen jedoch die Gefährdung ihrer Männer, ihre Abwesenheit und die strenge Geheimhaltungspflicht – und damit gravierende Einschränkungen ihres Beziehungs- und Familienlebens – offenbar in Kauf.41 41 | Ein Leserinnenbrief verstärkt das assoziierte Bild der ›guten Soldaten-Ehefrau‹, die um ihre staatsbürgerliche Verantwortung und die zu erbringenden ›Opfer‹ weiß: »Als Partnerin
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Das Bild des heterosexuellen Soldaten mit einem ›normalen‹ Familienleben wird nochmals bekräftigt durch Bezüge auf das bevorstehende Weihnachtsfest, in denen deutschen Soldaten implizit ein christlich-säkularer Hintergrund zugeschrieben wird. Wiederholt wird betont, dass die Soldaten, die möglicherweise noch im Dezember nach Afghanistan entsandt werden sollten, Weihnachten nicht mehr ›im Kreise ihrer Lieben‹ erleben könnten, etwa in der Bildunterschrift »KSK-Soldaten im Training: Noch vor Weihnachten an die Front?« (Spiegel 46/2001: 23). Die Gegenüberstellung von Kriegsgeschehen und ›Weihnachten‹ stellt zudem einen besonderen Kontrast her, da Weihnachten für gewöhnlich mit Frieden, Familie und christlicher Nächstenliebe assoziiert wird. Die drohende Gefahr für die Soldaten tritt dadurch umso stärker hervor. Zugleich wird erneut die hohe Opferbereitschaft in den Vordergrund gerückt: Zum Wohle und Schutz der Nation bringen deutsche Soldaten – und ihre Ehefrauen – große persönliche Opfer.
4.9 Altbewährte Rollen: Friedensstifter, humanitärer Helfer und Menschenrechtler Nachdem Kabul von der Nordallianz eingenommen wurde und sich ein Ende des Krieges abzeichnete, rückt Ende November 2001 ein anderer Soldatentypus in den Mittelpunkt der Berichterstattung: War es bis dato der KSK-Soldat, der im Vordergrund stand, liegt der Fokus (im Spiegel) fortan auf dem deutschen Soldaten als ›humanitärem Helfer‹, wie er bereits in den Kriegen der 1990er Jahren konsensfähig wurde (vgl. Bewernitz/Nachtigall 2008; Schwab-Trapp 2002), und als Mitglied der neu ins Leben gerufenen internationalen »Friedenstruppe«: »Nach der Friedenskonferenz auf dem Petersberg verlagert sich das Gravitationszentrum der Außenpolitik jetzt in eine Stadt, die 4800 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt liegt: Kabul. Dort wird sich entscheiden, ob der Weltgemeinschaft gelingt, das von jahrzehntelangem Bürgerkrieg und dem Anti-Terror-Feldzug der USA weitgehend zerstörte Land wieder in den Kreis der zivilisierten Staaten zu befördern. Dort wird sich auch zeigen, welche Rolle die Deutschen in der Ära nach der Epochenzäsur des 11. September spielen. […] Deutschland hat sich ein Programm aufgebürdet, das bislang den Großmächten vorbehalten war. Es beteiligt sich an einer großen Militäraktion fern der Heimat, will die Rettung der hungernden Menschen sowie den Wiederaufbau eines zerstörten Landes mit gestalten und sein politisches Gewicht für eine stabile Ordnung in der Region einbringen.« (Spiegel 51/2001: 23)
Während zuvor Kriegsverbecher- bzw. Terroristenjagd und Geiselbefreiung als Aufgabenfelder deutscher Soldaten benannt wurden, erfährt das Aufgabenspektrum jetzt eine auffällige Verlagerung. Im Mittelpunkt stehen humanitäre, soziale, schützende und helfende Tätigkeiten wie die »Rettung der hungernden Menschen«, »Wiederaufbau« und »Frauenförderung« (Spiegel 50/2001: 28). Zu den Aufgaben der neuen »Friedenstruppe« gehören ferner der »Schutz ziviler Hilfsorganisationen«, die »Absicherung des zerbrechlichen Friedens«, die Herstellung von Recht und Ordnung und als übergeordnetes Ziel: die ›Resozialisierung‹ Afghanistans in den Kreis eines Soldaten der Bundeswehr habe ich furchtbare Angst bei der Vorstellung, dass er zu Bodentruppen gehören könnte, die dort ihr Leben riskieren. Als politisch interessierte Bürgerin kann ich keine Alternativen nennen.« (Spiegel 49/2001: 14)
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der ›zivilisierten Staaten‹. »Profitieren von der Entwicklungshilfe sollen besonders Frauen, Jugendliche und ehemalige Kämpfer«, betont der Spiegel (48/2001: 32). Der militärische Einsatz wird dabei in ein arbeitsteiliges Gesamtkonzept eingebettet: »Um Ordnung zu schaffen in vergessenen Weltgegenden, müssten Diplomaten, Entwicklungshelfer und Soldaten Hand in Hand arbeiten« (Spiegel 51/2001: 23). Das Bild des (möglicherweise) kämpfenden deutschen Soldaten verschwindet mehr und mehr hinter dem des ›Entwicklungshelfers‹ und ›Friedensdiplomaten‹. Parallel dazu vollzieht sich nach Ende der Petersberg-Konferenz, bei der über das weitere Vorgehen in Afghanistan beraten wurde, ein auffälliger Wandel in der Deutung des Krieges: Der militärische ›Spezialeinsatz zur Terroristenbekämpfung‹ wird zu einer ›zivilisatorischen‹ und ›humanitären Mission‹ – und der deutsche Soldat zum altbekannten ›Freund und Helfer‹ bzw. ›Sozialarbeiter in Uniform‹. Laut Spiegel waren deutsche Soldaten als »Sozialarbeiter an den Elendsfronten der Welt« bereits 1992 in Kambodscha konsensfähig – »auch im Rahmen einer Uno-Militärmission« (46/2001: 37). Gerade weil deutsche Soldaten an den Kampfhandlungen nicht direkt beteiligt waren, gelten sie laut Spiegel als »unverdächtig« (50/2001: 28) und bringen damit für friedensstiftende Aufgaben besonders gute Voraussetzungen mit. Zudem wird behauptet, dass die Deutschen, anders als die Amerikaner und Briten, nicht durch eine Kolonialgeschichte vorbelastet seien, und sich auch deshalb für die Aufbauund ›Friedensarbeit‹ im Post-Kriegs-Afghanistan, sogar in leitender Funktion, bestens eignen: »Die Deutschen […] schleppen keine kolonialen Erblasten mit sich herum. Sie haben keine eignen Interessen in Afghanistan und genießen zudem vor Ort traditionell hohes Ansehen« (ebd.). Krieg und Wiederaufbau werden damit zu einem international arbeitsteiligen Geschäft: Während der ›US-Soldat‹ in der Darstellung des Spiegels wie selbstverständlich in die Rolle des eigentlichen ›Soldaten‹ schlüpft und die militärische Front übernimmt, sei Deutschland primär – wie es mehrfach in Anspielung auf die Petersberg-Konferenz heißt – an der »diplomatischen Front« (48/2001: 157; 49/2001: 171) aktiv. Der Einsatz deutscher Soldaten wird wie im obigen Zitat zudem als ›selbstlos‹ und frei von Eigeninteressen präsentiert, als beruhe er auf rein moralischen und humanitären Beweggründen. Dass Deutschland in der Vergangenheit sehr wohl imperialistische und kolonialistische Politiken verfolgt hat, wird dethematisiert bzw. unsichtbar gemacht. Die Konstruktion des Soldaten als ›Sozialarbeiter‹ und ›Freund und (Aufbau-) Helfer‹ in Afghanistan im Spiegel wird von einer starken Symbolik aus den Bereichen Frieden und Fürsorge begleitet. Anrufungen als »Friedensstifter« (39/2001: 37; 48/2001: 32); »Bundeswehr-Friedensdienst«, »Friedenstruppe«, »Friedenseinsatz«, »Bundeswehr-Engagement« oder »Schutztruppe«42 (50/2001: 29) sind nur einige Beispiele von vielen: Sie vermitteln das Bild eines durch und durch friedlichen und sozial engagierten (deutschen) Soldaten und Beschützers. Dieser erweist sich in der Darstellung des Spiegels nicht nur als humanitärer Retter, sondern als Garant von 42 | Bergmann verweist auf den kolonialistischen Hintergrund des Begriffs »Schutztruppe«, der aus dem deutschen Kolonialismus in Afrika stamme. Die in den Kolonien (auch als »Schutzgebiete« bezeichnet) eingesetzten eigenen Truppen z.B. zur Niederschlagung des Widerstandes der einheimischen Bevölkerung wurden auch als »Schutztruppen« bezeichnet (Bergmann 2010: 149, Anm. 1).
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Frieden und Freiheit – und insbesondere von Menschen- und Frauenrechten. So ist nach dem Abzug der Taliban und der Einnahme Kabuls am 13.11.2001 geradezu inflationär von einer ›Befreiung‹ Afghanistans und der Wiederherstellung von Menschen- und Frauenrechten die Rede (vgl. Kap. IV.6).43 »Kabul grüßte die Eroberer wie lang erwartete Helden, die ein mittelalterliches Zwangssystem endlich verjagt hatten. Alles, was unter den überstrengen Gotteskriegern das Leben verkrüppelt hatte, galt auf einmal nicht mehr. […] Kein Zweifel: Hier war ein Großteil des Landes befreit worden.« (Spiegel 47/2001: 137)
Im gleichen Zug werden die Eroberer und Befreier zu ›Helden‹. Keine Rede ist mehr von den vielen Tausenden Kriegstoten und dem Leid, das der (US-amerikanische) Krieg verursacht hat, vielmehr erhält dieser nun durch die ›Befreiung‹ eine nachträgliche moralische und politische Legitimation. In diesen diskursiven Kontext fügt sich auch die mediale Konstruktion des deutschen Soldaten ein. Durch Verweise, dass die Bundeswehr sich zukünftig v.a. in der »Frauenförderung« stark engagieren wolle (Spiegel 50/2001: 28), verbunden mit den zahlreichen Rückbezügen auf die verheerende Situation der Frauen vor der Vertreibung der Taliban, konstituiert sich ein Bild des deutschen Soldaten als ›Frauen- und Menschenrechtler‹, der sich primär als Beschützer und Förderer der afghanischen Frau versteht. Soldatisches Handeln konkretisiert sich hier nicht nur als ›Menschenrechtsprofession‹, sondern gar als ›feministische Mission‹ (vgl. Kap. IV.6). Die Verknüpfung mit dem Thema Frauenrechte evoziert erneut das Bild des untadeligen und ritterlichen Soldaten und Just Warrior – der heldenhafte Kämpfer gegen das Böse. Die stereotype Konstruktion der ›afghanischen Frau‹ als Opfer der Taliban auf der einen und des ›soldatischen Befreiers‹ auf der anderen rekurriert zudem auf altbekannte Geschlechterklischees vom ›männlichen Beschützer‹ und ›weiblicher Schutzbedürftigen‹ und lässt den soldatischen Befreier zudem als spezifisch ›männlichen‹ Protagonisten hervortreten. Die Deutung des Einsatzes als ›zivilisatorische Mission‹ knüpft dabei an kolonialistische Muster an: Der ›weiße Mann‹, der die ›Wilden‹ retten und zivilisieren will, imaginiert sich als zivilisatorisch überlegen. Das Bild des Just Warrior wird dabei zusätzlich mit einer christlichen Symbolik aufgeladen, wodurch ›das Gute‹ zugleich religiös überhöht wird. So heißt es beispielsweise über das Treffen auf dem Petersberg, es sei »der Weg zur Erlösung« (Spiegel 50/2001: 164). Diese Formulierung bildet zugleich in großen Lettern die Überschrift des Artikels, der sich neben der Petersberg-Konferenz mit den letzten Kampfhandlungen in Afghanistan beschäftigt. Übertragen auf die Wahrnehmung des ›Soldaten‹ bieten Überschrift und Text die eines ›christlichen Heilsbringers‹ und ›Erlösers‹ der afghanischen Bevölkerung an.44 43 | So brachte der Spiegel z.B. eine zweiteilige Serie mit dem Titel »Tagebuch der Befreiung« (47 und 48/2001), in der man laut Huhnke (2003: o.S.) »im Tagebuchstil männlicher Abenteurer nachlesen [konnte], wer als erster wie nach Kabul gekommen war«. 44 | Auch hier wird dem Bild des Just Warriors das der Schönen Seele verstärkend zur Seite gestellt. So findet sich auf der Titelseite des Artikels »Der Weg zur Erlösung« ein Foto, welches fünf junge Mädchen mit Kopftüchern inmitten von bunten Blumen zeigt. Ein weißes gleißendes Licht fällt von oben links auf das Mädchen in der Mitte, der daraus resultierende Lichtkranz erinnert an christliche Bildtraditionen der Mariendarstellung. Die Bildunterschrift
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4.10 Soldatinnen — nach dem 11 . September eine Leerstelle Soldatinnen spielen in der Berichterstattung von Spiegel und FAZ eine extrem marginalisierte Rolle. Im Kontext des 11. September und des Krieges in Afghanistan sind sie so gut wie nicht existent – auch wenn die Öffnung der Bundeswehr für Frauen zu diesem Zeitpunkt bereits gesetzlich vollzogen war: Seit Januar 2001 haben Frauen auch in Deutschland (formal) uneingeschränkten Zugang zu allen Bereichen und Dienstposten der Bundeswehr, Kampfeinheiten eingeschlossen.45 Dass es bis heute kaum Frauen in diese Teilbereiche geschafft hat, verweist auf die Hartnäckigkeit der männlichen Strukturen dieser Einheiten. Aber auch in den Medien werden Frauen im Kontext von ›Terror‹ und Krieg als Soldatinnen unsichtbar gemacht. In den seltenen Fällen, wo sie Erwähnung finden, werden sie als Besonderheit präsentiert oder aber im Kontext spezifisch weiblich konnotierter Aufgabenfelder verortet. Eine explizite Nennung weiblicher Soldatinnen erfolgt z.B. dann, wenn es nicht um Krieg, sondern um ›Frieden‹ bzw. deutsche ›Friedensmissionen‹ im Ausland – »Mehr als 7000 Männer und Frauen sichern [auf dem Balkan, A.N.] den fragilen Frieden« (Spiegel 46/2001: 45) – oder um den Sanitätsdienst – »Sanitäter mit einem Airbus der Flugbereitschaft, der zum fliegenden Hospital umgerüstet ist (250 Männer und Frauen)« (ebd.: 42) geht. Fotos verstärken den Eindruck, dass Frauen in der Bundeswehr eine Ausnahme darstellen und ausschließlich in waffen- und kampffernen Bereichen tätig sind, obwohl vor dem 11. September beide Medien regelmäßig über die Öffnung der Bundeswehr, auch der Kampfeinheiten, für Frauen berichteten.46 Wurden zuvor auch deutsche Soldatinnen an der Waffe abgebildet, findet sich nach dem 11. September überhaupt nur ein einziges Foto, auf dem eine Soldatin zu sehen ist: es zeigt eine uniformierte Soldatin im Sanitätsdienst.47 Sie steht neben einem Krankenbett, in der Hand hält sie keine Waffe, sondern eine Patientenakte, in der sie gerade blättert. Die dazugehörige Bildunterschrift lautet: »Fliegendes Bundeswehrlazarett: Intensivstation für 56 Patienten« (ebd.: 46).
lautet: »Straßenkinder in Kabul: Hoffen auf Frieden am Hindukusch« (50/2001: 160). Das Foto mit seiner christlichen Symbolik korrespondiert mit der Überschrift: In ihrer madonnenhaften Inszenierung stehen die Mädchen für die »Erlösung« Afghanistans und symbolisieren das Ziel der politischen Bemühungen. Die auf dem zweiten Foto oberhalb der Überschrift gezeigten Soldaten symbolisieren hingegen diejenigen, die diese rettende Erlösung (militärisch) herbeiführen werden. 45 | Der Europäische Gerichtshof stellt in einem Grundsatzurteil am 11.1.2000 fest, dass die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie auch auf die Bundeswehr anzuwenden sei. Infolgedessen beschließt der Bundestag am 27.10.2000 eine Änderung des Grundgesetzes und eine Zulassung von Frauen zu allen Bereichen der Bundeswehr. 46 | Um Aussagen über einen Wandel des medial vermittelten Soldatinnen-Bildes vor und nach dem 11. September treffen zu können, wurde eine kleine Nacherhebung beider Zeitungen für den Zeitraum 1.1.2001-11.9.2001 durchgeführt, die bestätigte, dass vor dem 11. September zumindest häufiger über Frauen in der Bundeswehr berichtet wurde. 47 | Daneben findet sich ebenfalls nur ein einziges Foto einer US-amerikanischen Soldatin. Es zeigt Rumsfeld bei einem Truppenbesuch, wie er gerade einer Soldatin die Hand schüttelt (Spiegel 45/2001: 144).
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Das Foto ist Teil des Artikels »Zuschlagen und Abhauen?«, der sich mit den Möglichkeiten und (personellen wie technischen) Grenzen der von Schröder zugesicherten militärischen Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den Terrorismus beschäftigt, und darüber hinaus noch weitere Fotos beinhaltet. Das Foto der Sanitäterin korrespondiert dabei insbesondere mit dem bereits weiter oben zitierten großformatigen Foto, das mehrere schwer bewaffnete KSK-Soldaten in Kampfmontur und Keilformation zeigt, und das gleich unter der Überschrift platziert ist (vgl. Abb. 6; Kap. IV.4.3). Beide Fotos sind etwa gleich groß und jeweils an prominenter Stelle am oberen Bildrand platziert. Betrachtet man beide Fotos im Wechselspiel, fällt der Rekurs auf klassische Rollenstereotype besonders ins Auge: Die Bildmotive reproduzieren die Geschlechterdichotomie vom ›männlich-soldatischen Kämpfer‹ und der ›friedfertig-fürsorglichen Frau‹. Durch die arbeitsteilige Verortung von Soldat (KSK-Soldat, aggressiv-kämpferisches Auftreten) und Soldatin (Sanitäterin) wird der Bereich des Kämpfens bzw. des ›eigentlichen‹ soldatischen Handelns – offensichtlich ganz besonders im Anbetracht der neuen ›terroristischen Bedrohung‹ – als exklusiv männlicher Raum markiert und ungeachtet der Öffnung der Bundeswehr für Frauen weiter fortgeschrieben. Damit erweist sich neben dem Politischen auch das Militärische als ein Feld, auf dem die ›ernsten Spiele des Wettbewerbs‹ (Bourdieu) unter Ausschluss von Frauen und Weiblichkeit ausgetragen werden.
4.11 Analyse: Der Bundeswehrsoldat
— (k)ein Kämpfer?
Die Analyse des (medial vermittelten) Soldatenbildes in Spiegel und FAZ lässt auf dessen paradigmatischen Wandel schließen. In Anbetracht der neuen sicherheitspolitischen Bedrohungslage, wie sie mit dem 11. September ›greifbar‹ wurde, kommt es in beiden Medien zu einer vermehrten Akzeptanz und Bejahung des Militärischen und damit zu einer deutlichen Aufwertung kämpferischer Handlungsformen und Eigenschaften. Explizit und mehrfach werden deutsche Soldaten als Kämpfer bezeichnet – was besonders im Vergleich mit den sonst zur Benennung des deutschen Soldaten üblichen Begrifflichkeiten ein Novum darstellt. Zwar wird der deutsche Soldat nicht ausschließlich als Kämpfer dargestellt, jedoch kann konstatiert werden, dass das Bild des Soldaten um eben diese Facette des virilen Kämpfers und heroischen Retters erweitert wird und dass diese Facette in der Erwartung eines Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan in den Vordergrund tritt. Beim Auftauchen dieser Figur handelt es sich keineswegs um einen Bruch mit alten Gepflogenheiten oder ein neues Bild des Militärischen. Der 11. September kann vielmehr als ›diskursives Ereignis‹ verstanden werden, das Bekanntes neu mischt, neue Lesarten hervorbringt und zugleich verschütteten Bildern des Militärischen – so dem ›Soldaten-als-Kämpfer‹ – zu neuer Aktualität verhilft. Der 11. September und seine Deutung in den Medien begünstigen eine Militarisierung und Normalisierung der deutschen Außenpolitik und treiben diese voran. Schwab-Trapp (2007) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: Mit dem 11. September sei es zu einer Verstetigung und Verfestigung der »politischen Kultur des Krieges« gekommen, wie sie sich bereits mit den Kriegen der 1990er Jahre in der deutschen Gesellschaft herauskristallisiert hat (vgl. Schwab-Trapp 2002).
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4.11.1 Die Rückkehr des ›Kämpfers‹ nach dem 11. September In demokratischen Gesellschaften bedarf das Militär ebenso wie seine Aufträge, Funktionen und konkreten Einsätze der gesellschaftlichen Legitimierung. Das vorherrschende Soldatenbild ist hier von eminenter Bedeutung, es stellt gleichsam ein Bindeglied zwischen Gesellschaft, Politik/Staat und Militär dar. Über das öffentliche Bild des Soldaten werden spezifische Vorstellungen über das Militär und seine Aufgaben transportiert und eingeschliffen, was wiederum Auswirkungen darauf haben kann, welche Einstellungen eine Gesellschaft zu Krieg und Gewalt entwickelt. Um gesellschaftliche Zustimmung zu erreichen, sind bestimmte Deutungen der soldatischen Rolle besser geeignet als andere, z.B. sind die Rollen des ›Sozialarbeiters‹ oder ›Freunds und Helfers‹ an das konkrete Alltagsverständnis jedes Einzelnen anschlussfähig. Sie sind dazu angetan, einen Militäreinsatz plausibel zu machen und gutzuheißen, was daran liegen könnte, dass gerade die Definition militärischer Aufgabenfelder als ›zivil‹ und ›nicht-militärisch‹ das gebrochene deutsche Verhältnis zum Militärischen zu kitten vermag. Betrachten wir nun das medial konstruierte Soldatenbild nach dem 11. September genauer, ergibt sich insbesondere im Vergleich mit der Berichterstattung zum Kosovokrieg 1999 eine deutliche Verschiebung. Wie Torsten Bewernitz (2010) zeigt, ist die Darstellung des deutschen Soldaten in den Printmedien im Jahr 1999 nicht eine von Kämpfern und Kriegern, sondern eine von ›humanitären Helfern‹, der NATO-Einsatz dementsprechend eine ›humanitäre Intervention‹ im Namen der Menschenrechte (hier und für die folgenden Ausführungen Bewernitz 2010 und Bewernitz/Nachtigall 2008). Zugleich wurde der deutsche Soldat erstmalig nach dem Zweiten Weltkrieg als Soldat im (Auslands-)Einsatz gezeigt. Der Kosovokrieg wurde damit in Bezug auf das (medial vermittelte) deutsche Soldatenbild zu einem Ereignis unter paradigmatischen Vorzeichen. Der öffentlich-mediale Diskurs über den Kosovokrieg eröffnete eine neue Sagbarkeit: die des ›Friedenseinsatzes‹ und des deutschen Soldaten als ›Friedensstifters‹. So konstituierte sich über die Definition des deutschen Soldaten als friedfertig und demokratisch nicht nur ein differenzierteres Soldatenbild, sondern auch eine nationale Identität, die einer deutschen bzw. europäischen Identität nach Ende des Kalten Krieges angemessen erschien. Denn in einem deutschen Staat, der sich als ›geläuterte Gemeinschaft‹ konstituiert, waren – und sind bis heute – extrem nationalistische, aggressive und tötende Soldaten kontraproduktiv. Die hinsichtlich der Rolle des Soldaten angebotene Deutung als ›humanitärer Helfer‹ und ›Menschenrechtler‹ besitzt zudem eine nicht zu unterschätzenden Funktionalität und war für die Begründung und Akzeptanz des Kriegs entscheidend. Deutsche Soldaten als ›Freunde und Helfer‹ im Ausland, die zudem besonders häufig im Zusammenhang mit Kindern gezeigt wurden, waren nicht nur wieder vorstellbar, sondern auch gern gesehen. Jene in den Medien präsentierten sympathischen und freundlichen, geradezu unsoldatischen und ›harmlosen‹ Soldaten, boten sich offensichtlich zur Identifikation an. So herrschte 1999 in der deutschen Öffentlichkeit ein weitgehender Konsens darüber, dass der Auslandseinsatz legitim und notwendig war. Bereits während des Kosovokrieges deutete sich jedoch an, dass mit dem neuen Soldatenbild der traditionelle Typus des Kämpfers nicht vollständig verworfen wurde. Darauf verweisen Berichte, die eine ›Verweichlichung‹ deutscher Soldaten beklagen, ebenso wie das stetige Pochen auf europäischer Eigenständigkeit und Stärke in Sachen Wehrfähigkeit und Verteidigung. Auch der ›Sozialarbeiter in Uniform‹ stimmt noch in Teilen mit dem traditionellen Soldaten über-
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ein: Er engagiert sich aktiv, wenn auch nicht mit der Waffe, er beschützt, wenn auch nicht nur ›sein Volk‹, er opfert sich, wenn auch nicht für die Nation, sondern für die Menschheit und Menschenrechte, er agiert leidenschaftlich-emotional und nach wie vor kameradschaftlich. Nach dem 11. September erfährt der militärische Aufgabenkatalog eine erneute Erweiterung: Nicht mehr nur ›Menschenrechtsprofession‹ und ›peacekeeping‹, sondern auch Verteidigung der inneren und äußeren Sicherheit, Schutz der (eigenen und fremden) Bevölkerung, insbesondere von ›FrauenundKindern‹, Verteidigung von ›westlichen Werten‹ und Bekämpfung des internationalen Terrorismus treten hinzu. In Anbetracht einer dramatisch ausgemalten, vermeintlich neuen und globalen sicherheitspolitischen Bedrohungslage steht die Wehrfähigkeit der deutschen Nation erneut auf dem Prüfstand. Diese wird unmittelbar mit Militär, Technologie, Waffengewalt und – diesmal ganz explizit – mit der Fähigkeit des einzelnen Soldaten zu kämpfen verknüpft. Vor diesem Hintergrund kristallisiert sich im Vorfeld des Afghanistankriegs ein neuer Soldatentypus heraus. Der ›KSK-Soldat‹, der 1999 in der Berichterstattung über den Kosovokrieg noch keine Rolle spielte, betritt die Bühne der medialen Präsentation und markiert einen erneuten Paradigmenwechsel. Diskurstheoretisch gesprochen tritt der ›KSK-Soldat‹ als neue soldatische Subjektposition hervor. Dabei entspricht die mediale Konstruktion des KSK-Soldaten in vielen Punkten dem klassischen Soldatentypus des Kämpfers: heldenhaft, stark und mutig, bereit, sein Leben für die Gemeinschaft, ›FrauenundKinder‹ und den Schutz seines Landes zu opfern. Mit der Aktualisierung und Aufwertung des Kämpfers geht eine deutliche (Re-) Maskulinisierung des Soldaten (sowie der deutschen Außenpolitik generell) einher. Zugleich tritt mit der Rehabilitierung des traditionell männlich gedachten Kämpfers die heroische Attitüde dieses Soldaten wieder unverstellter zutage. Der permanente Verweis auf das hohe Risiko und den tapferen und selbstlosen Einsatz der Soldaten für die Sicherheit und den Schutz ihres Land deutet zudem einen Abschied von so genannten ›postheroischen‹ Denk- und Einstellungsmustern an, wie deutlich wird, wenn man sich Münklers Bestimmung des Heroischen ansieht: »Die Vorstellung, durch das eigene Opfer andere zu retten, sie aus einer großen Gefahr zu befreien oder ihnen die Möglichkeit zu verschaffen, sich in Sicherheit zu bringen, ist für die Imagination des Heroischen unverzichtbar« (Münkler 2006: 313). Dieser Definition folgend, verfügen besonders die Figuren des KSK-Spezialisten und Geiselbefreiers, als eine Unterform des ›KSK-Soldaten‹, sowie die des soldatischen ›Frauenretters‹ in Afghanistan über heroische Anteile. Auch die Militärforschung bestätigt, dass der 11. September die Gewichtung zwischen ›traditionalen‹ und ›nicht-traditionalen‹ Aufgabenfeldern erneut zugunsten klassisch militärischer Aufgabenfelder verschoben (vgl. Kümmel 2004) und damit für eine »Rückkehr des Soldatischen« (Hartmann et al. 2009) innerhalb der europäischen Gesellschaften und eine »Remilitarisierung ihrer Streitkräfte« (Haltiner 2004) gesorgt hat. Bereits mit Ende des Kalten Krieges hatte sich eine Ausweitung der militärischen Profession und des soldatischen Selbstverständnisses abgezeichnet, wie ich oben bereits ausgeführt habe. Wie der Militärforscher Gerhard Kümmel (2004: 114f) darlegt, haben sich in den 1990er Jahren neue Funktionen des Soldatischen herausgebildet: Nicht-traditionale Rollen des Soldaten als Streetworker, Polizist und Diplomat sind zum soldatischen Anforderungsprofil hinzugekommen und ergänzen fortan die traditionellen Rollen des Kämpfers, des Verteidigers und des Angreifers. Der Soldat von heute wird »Krieger, Diplomat und Sozialarbeiter sein
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müssen«, um mit den »Herausforderungen der Globalisierung« produktiv umgehen zu können (ebd.: 115; vgl. auch Mannitz 2007).48 Die internationalen politischen Veränderungen (›Globalisierung‹) und der proklamierte Wandel des militärischen Auftrags haben weitreichende Konsequenzen für das Selbstverständnis der Streitkräfte und das ›Berufsbild‹ des Soldaten. Sie erzwingen eine Korrektur und Anpassung der innerhalb des Militärs zu vermittelnden soldatischen Anforderungen und Rollen ebenso wie eine ›Verinnerlichung‹ der neuen soldatischen Identität auf individueller Ebene. Für Militär und Soldaten kristallisiert sich zudem ein Anforderungsprofil heraus, das eine Fülle unterschiedlicher, zum Teil widersprüchlicher Kompetenzen umfasst: Das Spektrum beinhaltet politische, diplomatische, soziale, ökonomische, interkulturelle, mediatorische, dialogische, pflegende, fürsorgende, sogar geschlechtersensible Fähigkeiten; daneben sind aber auch weiterhin die klassischen militärischen Kompetenzen wie die Beherrschung von Waffentechnologie, Verteidigungs- und Kampftechniken von Bedeutung (vgl. Apelt/Dittmer 2007: 74). Betrachtet man diese Überlegungen vor dem Hintergrund des im obigen Exkurs ausgeführten Zusammenhangs von Militär und Männlichkeit, wird eine weitere zentrale Problematik erkennbar, die mit der Neujustierung der Soldatenrolle verbunden ist: Wenn die militärische Mission, Gewaltausübung und Kampfkraft essentiell mit ›Männlichkeit‹ verknüpft sind, so bedeutet jede Infragestellung von Kampfkraft und kämpferischen Fähigkeiten im Gegenzug einen Angriff auf das ›männliche‹ Selbstverständnis. Mit anderen Worten: Eine Infragestellung militärischer Kampfkraft kommt einer Infragestellung eines virilen, kampftauglichen Männlichkeitsbildes gleich, was insbesondere im militärischen Kontext als ›Verweichlichung‹ und (männliches) ›Versagen‹ gilt. Erhebliche Abwehrreaktionen und Identitätskonflikte auf individueller wie auch kollektiver (institutioneller) Ebene können die Folge sein. Schon das zivile Leitbild des ›Staatsbürgers in Uniform‹ war innerhalb der Bundeswehr heftig umstritten. Bereits in den 1950er und 1960er Jahren wurde das neue Soldatenkonzept durch die Zuschreibung weiblich konnotierter Eigenschaften in Misskredit gebracht und als ›weiche Welle‹ und unsoldatische Verhaltensnorm abgetan (vgl. Molt 2007). Vor allem von Seiten der Kriegsgeneration und so genannten Traditionalisten wurde ein Verlust an ›Männlichkeit‹ und soldatisch-heroischen Tugenden beklagt und eine generelle ›Verweichlichung‹ des Soldatenberufs befürchtet, wodurch Kriegstauglichkeit und Effizienz des Militärs erhebliche Einbußen erleiden würden (vgl. ebd.; Frevert 2001; Scholz 2005; Seifert 1996). Auch das Bild des ›Sozialarbeiters‹ und ›Friedensstifters‹ erfordert einen Abschied vom heroischen Kämpfer. Die Betonung des zivilen und sozialen Anforderungsprofils verleiht dem Soldatenbild deutlich ›feminine‹ Züge. Insbesondere der Bereich der Sozialen Arbeit gilt traditionell als Frauenberuf, genauso wie pflegende, fürsorgende und vermittelnde Tätigkeiten weiblich kodiert sind. Peacekeeping, als veränderter Auftrag des Militärischen, scheint daher ohne die grundlegende Veränderung militärischer Männlichkeitskonzeptionen nicht realisierbar (vgl. weiterführend Eifler 2004b). 48 | Das Problematische an der Ausweitung und Neudefinition der soldatischen Aufgabenbereiche und Rollen ist, dass nicht selten die Grenze zwischen militärischen und zivilen Elementen, zwischen Friedens- und Kampfeinsatz verschwimmt; ebenso entfaltet die Umwidmung der militärischen Einsätze in ›zivile‹ oder ›humanitäre Missionen‹ ein besonderes legitimatorisches Potential und liefert gewichtige Argumente für Militär und Krieg.
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Die Neufassung des soldatischen Auftrags mit seinen komplexen, widersprüchlichen Anforderungen schafft Rollen- und Identitätskonflikte, die innerhalb der Armee auf unterschiedliche Weise, z.B. als subjektive Identitätskrise, erfahrbar werden (vgl. die Untersuchungen von Seifert 1996; Meyer/Collmer 1997). Soldatisch-militärische ›Identitätskrisen‹ sind immer auch ›Männlichkeitskrisen‹. So lassen sich z.B. die publik gewordenen Ereignisse soldatischen Fehlverhaltens, wie die Foltervorfälle in Coesfeld 200449 – oder auch die Leichenschändungen und das teils obszöne Posieren mit Totenkopfsschädeln 2006 in Afghanistan50 – als Ausdruck von Widersprüchen in der Militärkultur und einer starken Verunsicherung hinsichtlich der Definition und Ziele von Auslandseinsätzen bei gleichzeitiger Infragestellung klassisch männlich-militärischer Leitbilder interpretieren (vgl. Eifler 2004b: 2). Auch auf medialer Ebene lässt sich diese Pluralisierung und Ausdifferenzierung der angebotenen Soldatenrollen beobachten – dabei kommt es jedoch nach dem 11. September zu einer erneuten bedeutsamen Verschiebung: Der Typus des Soldaten als Krieger rückt wieder stärker in den Mittelpunkt und der Aspekt des Kämpfens, verbunden mit der Betonung heroischer Opferbereitschaft, wird explizit benannt und stärker als zuvor gewichtet. Der deutsche Soldat im Anti-Terror-Kampf trägt damit deutlich ›maskulinere‹ Züge als noch der Soldat im Kosovokrieg. Wenngleich – wie oben bereits gesagt – der Soldat nicht ausschließlich als Kämpfer präsentiert wird, so wird doch mit dem 11. September der Soldat als ›heroischer Kämpfer‹ zunehmend (wieder) salonfähig gemacht. Die Dominanz des ›heroischen Kämpfers‹ insbesondere während des Afghanistankriegs lässt dadurch andere Soldaten-Rollen wie den ›Sozialarbeiter in Uniform‹, wie er im Zuge der deutschen Auslandseinsätze in Bosnien und im Kosovo konsensfähig wurde, zumindest zeitweise in den Hintergrund treten. Dem Aspekt des ›heroischen Kämpfers‹ an die Seite gestellt ist zudem der des Just Warrior, der ebenfalls durch den KSK-Soldaten verkörpert wird, der in seiner Gewaltausübung kontrolliert und rational agiert (und sich somit v.a. in der Berichterstattung des Spiegels vom ›amoralischen US-Soldaten‹ unterscheidet) und nur um der ›guten Sache‹ willen überhaupt Gewalt ausübt bzw. in den Krieg zieht. Dass dieses gemäßigtere, weniger martialische Soldatenbild gleichwohl einer traditionellen und patriarchalen Geschlechterordnung entspricht, wird insbesondere in der Ausprägung des Just Warrior als ›Retter‹ und ›Beschützer‹ von ›FrauenundKindern‹ offenkundig. Männliche Heroisierung korrespondiert hier notwendigerweise mit weiblicher Passivisierung und Viktimisierung.
49 | Ein Soldat machte 2004 die folterähnlichen Methoden, die in der Bundeswehrkaserne in Coesfeld bei der Rekrutenausbildung zum Einsatz kamen bekannt. Die Ausbilder hatten die Rekruten physisch und psychisch misshandelt, angeblich um das Verhalten bei Geiselnahmen zu trainieren. Das für den Abbruch der ›Übung‹ ausgemachte Codewort ›Tiffy‹ verweist erneut auf die tief verwurzelte Gender-Dimension des Militärischen und deren sexistische Struktur. 50 | Die Vorfälle in Afghanistan können zugleich als Versuch der Remaskulinisierung interpretiert werden: Die 2006 u.a. in der Bild-Zeitung veröffentlichten Fotos zeigen deutsche Soldaten in Afghanistan, die vor der Kamera mit Totenkopfschädeln posieren. Ein Soldat präsentierte den Schädel deutlich neben seinem entblößten Genital, wodurch ein sehr direkter Zusammenhang zwischen ›Tod‹ bzw. dem soldatischen Auftrag des Tötens und ›Männlichkeit‹ hergestellt wird und männliche Allmachtsphantasien bedient werden.
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Die wiederholt in den Fokus gesetzte Bereitschaft des deutschen Soldaten, sein Leben zum Wohl und Schutz der ›FrauenundKinder‹ und der Nation im Kampf gegen den Terrorismus zu riskieren, offenbart jedoch nicht nur seinen ›Heldenmut‹, sondern auch die Kehrseite der Medaille: Sie impliziert, dass er permanent von Tod und Verletzung bedroht ist. Dieses Bild der Verletzlichkeit scheint auf den ersten Blick für die Konstruktion des Soldaten untypisch und widerspricht der klassischen Heldenfigur. Wie zahlreiche feministische und genderbezogene Untersuchungen herausgearbeitet haben, wird ›Verletzungsoffenheit‹ in erster Linie mit Weiblichkeit assoziiert, wohingegen ›Verletzungsmacht‹ als männlich gilt (vgl. z.B. Scarry 1992; Zipfel 2008). Diese Verknüpfung wird im Besonderen im Kriegskontext virulent, da der weibliche Körper zugleich als symbolischer Repräsentant des ›Volkskörpers‹ gilt (vgl. Eifler 1999). Krieger und Soldaten werden in der Regel mit Stärke, Beschützertum und Unbesiegbarkeit sowie – sollte es doch zur Verwundung oder Verletzung des eigenen Körpers kommen – einem heroischen Ertragen von Schmerz und Tod assoziiert. Als (potentielle) Opfer von Krieg und (sexualisierter) Gewalt sind Männer deshalb häufig ein Tabuthema (vgl. Seifert 2003b).51 Durch die stete Betonung der großen Gefahren für Leib und Leben der deutschen Soldaten in beiden Medien wird das Bild des Soldaten als Beschützer damit ansatzweise brüchig, denn der deutsche Soldat ist selbst gefährdet und schutzbedürftig.52 Insgesamt wird der Krieg als ein weltweites, arbeitsteiliges Geschehen verschiedenster ›Spezialisten‹ wahrgenommen, die sich die verschiedenen Aufgabenbereiche nicht nur zwischen den verschiedenen National-Armeen aufteilen, sondern auch innerhalb der jeweiligen Armee. Dabei kommt es zu einer paradoxen Bewegung: Der ›KSK-Kämpfer‹ wird als neue Subjektposition denkbar – und zugleich als Ausnahme konstituiert. Als ›Sonderfall‹ bestärkt der kämpfende KSK-Soldat wiederum das Bild der friedensstiftenden Bundeswehr: Während der KSK-Soldat für spezifische ›Spezialoperationen‹ der Terroristen-Bekämpfung und Geiselbefreiung zuständig ist, engagiert sich der ›normale‹ Bundeswehrsoldat weiterhin in den seit den 1990er Jahren bewährten Rollen als ›Aufbauhelfer‹, ›Friedensstifter‹ und ›Menschenrechtler‹ – soldatische Rollen, die insbesondere mit dem sich abzeichnenden Ende des Krieges und der bevorstehenden Entsendung der Bundeswehr nach Af51 | Erst in den letzten Jahren sind psychische Belastungen und Beeinträchtigungen wie Traumatisierungen in Folge von Auslandseinsätzen allmählich in den Fokus der (medialen) Öffentlichkeit gerückt. Sexualisierte Gewalterfahrungen von Soldaten werden jedoch weiterhin tabuisiert. 52 | Die starre dichotome Konstruktion vom männlich-robusten Beschützer und weiblicher Schutzbedürftigkeit scheint bereits mit den Kriegen der 1990er Jahre brüchig geworden zu sein. Die Folge ist ein facettenreicheres, mehrdimensionales Bild des Soldaten, das sich nicht mehr nur an der Figur des Kämpfers und Helden orientiert. Wie Steve Niva (1998) in einer Untersuchung des Zweiten Golfkrieges zeigt, trat der US-amerikanische Soldat dort nicht nur als ›Kämpfer‹ in Erscheinung, sondern auch als mitfühlender und verletzbarer Mann. Dieser neue hegemoniale Typus soldatischer Männlichkeit zeichnet sich Niva zufolge durch eine gewisse ›feminine‹ Seite aus, die mit dem eindimensionalen Bild des unverwüstlichen Hypermacho und ›Rambo‹ bricht. Wie Niva ausführt, äußerten sich die US-Politiker und Militärs damals sehr besorgt über die Sicherheit der eigenen Truppe am Golf und schufen damit ein neues Verständnis für ›männliche Verletzbarkeit‹ – anstelle der sonst üblichen Betonung von soldatischem Draufgängertum und Unbesiegbarkeit (ebd.: 118).
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ghanistan angeboten werden. Neu ist allerdings in diesem Zusammenhang der plakative Bezug auf die Sicherung und Wiederherstellung von ›Frauenrechten‹ bzw. die ›Befreiung‹ der lokalen (afghanischen) Frauen als Teil soldatischen Handelns (vgl. Kapitel IV.6), womit eine Verwandtschaft auch dieses Soldatentypus mit dem Just Warrior hergestellt und seine männliche ›Retterfunktion‹ betont wird.
4.11.2 Begrenzung der Gewalt: Der ›Krieg gegen den Terror‹ als Einsatz von ›Spezialisten‹ und ›Polizisten‹ Eine weitere zentrale Rolle ist die des Soldaten als ›Polizist‹, der in entlegenen Weltregionen für Recht und Ordnung sorgt, Geiseln befreit und Terroristen aufspürt und verhaftet. So wird der deutsche KSK-Soldat primär als ›Spezialist‹ für ein neues, anspruchsvolles und gefährliches Aufgabengebiet im ›Kampf gegen den Terror‹ vorgestellt, bei der der Einsatz von Gewalt lediglich Mittel zum Zweck ist und nur in Ausnahmefällen, gezielt, präzise und streng kontrolliert vonstatten geht: ›Hit and run‹. Die Figur des ›Polizisten im Ausland‹ und ›Spezialisten‹ im Anti-Terror-Kampf bekräftigt dabei die Konstruktion des deutschen Soldaten als militärischer, zugleich jedoch in seiner Gewaltausübung streng kontrollierter und gerechter Kämpfer. Die in Medien und Politik transportierte Deutung des kriegerischen Geschehens als arbeitsteiliger Ablauf, in dem verschiedene ›Spezialisten‹, die allesamt dem Bereich des Zivilen entstammen, Hand in Hand arbeiten, wurde bereits für frühere Kriege untersucht (vgl. für den Kosovokrieg Schulte-Holtey 2000; für den Zweiten Golfkrieg Gerhard/Schulte-Holtey 1991; Link 1991a). Die Deutung eines Krieges als Polizeieinsatz, chirurgische Operation oder Feuerwehreinsatz hat v.a. weitreichende Folgen für die Wahrnehmung der Ziele und der Legitimität des Krieges: »Sowohl symbolisch (Polizei, Feuerwehr, Chirurgie) als auch konzeptionell wird Kriegsführung als Spezialistenpraxis zu einem Element der Normalität einer komplexen diskursund arbeitsteiligen differenzierten Gesellschaft. […] Krieg fungiert dabei als ein Mittel regulierender Intervention zur Wiederherstellung eines angeblichen Normalzustandes« (Gerhard/Schulte-Holtey 1991: 20, Herv. i.O.). Den Medien kommt bei der Wahrnehmung des Krieges eine zentrale Funktion zu: Sie betreiben eine »normalisierende Berichterstattung über nicht-normale Ereignisse« (Link 1991a: 31), indem sie die »exterministische Logik des Krieges« (Link 1991b: 43), worunter Link die Bereitschaft zum Einsatz von Waffen mit unkontrollierbarer Zerstörungskraft sowie die Verfolgung einer Eskalationsstrategie mit unkontrollierbaren Risiken versteht, dem Blickfeld entziehen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass Kriege in aller Welt geräuschlos und effizient von ›Spezialisten‹ geführt werden und die eigene Lebenswirklichkeit und ›Normalität‹ in keinster Weise tangieren (vgl. Schulte-Holtey 2000: 135). Link zufolge sind es insbesondere die modernen Massenmedien, die »das Gefühl der Normalität produzieren, verwalten, erneuern und ständig lieferbar halten« (1991a: 31). Das geschieht beispielsweise durch die Übertragung einfacher »Interaktions-« bzw. »Basis-Schemata« (ebd.) wie Polizist und Verbrecher, Arzt und Patient etc. auf exterministische Kriege. Die Figuren Arzt und Polizist entstammen dem unmittelbaren Alltagsgeschehen, ihnen haftet nichts Bedrohliches an. Diese Alltagsfiguren sind keine Krieger, sie töten und foltern nicht, sondern sie helfen und retten Leben; ihre Entsendung in ferne Einsatzgebiete ist demnach nichts Problematisches. Die Aufgaben und Funktionen der Polizei als ›Gesetzeshüter‹ und ›Freund und Helfer‹ im Inneren des Staates sind allgemein anerkannt und akzep-
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tiert: überwachen und kontrollieren, aktiv regulierend, jedoch lokal begrenzt eingreifen, für Ordnung sorgen und Gesetzesbrecher_innen dingfest machen etc. Sie auf die zwischenstaatliche Ebene und das Kriegsgeschehen auszuweiten, bedeutet demnach nichts anderes, als eine Verstetigung und Ausweitung der ›Normalität‹ bzw. eine ›Normalisierung‹ des Krieges.53 Die Deutung als ›Polizeiaktion‹ verleiht dem Krieg zudem eine besondere rechtliche Legitimität: Entsprechend der Gewaltenteilung und Rechtsgebundenheit der Polizei im Inneren werden die kriegführenden Nationen wie die USA oder Europa als ›Ordnungshüter‹ und ›Gesetzesvollstrecker‹ vorstellbar, die lediglich als ausführende Organe einer übergeordneten Autorität wie z.B. der UNO oder NATO fungieren (zur Metaphorisierung der USA als ›world policeman‹ vgl. Chilton/Lakoff 1995: 42). Darüber hinaus suggeriert die Vorstellung eines Kriegs als einer weltweiten ›Polizeiaktion‹ Begrenztheit und Kontrollierbarkeit – sowohl was das Ausmaß von Gewalt, Tod und Zerstörung betrifft als auch die Art und Dauer des Einsatzes selbst. Die Bundeswehr wird in diesem Narrativ zu einer Art international operierenden Welt(hilfs)polizei; mit aggressiver Waffengewalt und einem ausufernden Kampfeinsatz haben diese ›Spezialoperationen‹ wenig gemein. Kriege stellen aus dieser Perspektive keinen beunruhigenden Ausnahmezustand mehr dar und lassen Bevölkerung und Alltagsleben weitgehend unberührt. Dies könnte dazu beigetragen haben, dass Auslandseinsätze der Bundeswehr, v.a. solche fernab der ›Heimat‹, in der Vergangenheit keine besondere Aufmerksamkeit oder Empörung in der Bevölkerung ausgelöst haben. Wie Schwab-Trapp (2002) in seiner Untersuchung über den Wandel der »politischen Kultur des Krieges« in Deutschland in den 1990er Jahren zeigt, setzte sich trotz der deutschen Beteiligung im Kosovokrieg die Überzeugung durch: »Wir führen keinen Krieg gegen die Serben«; der Kosovokrieg blieb in der öffentlichen Wahrnehmung, obwohl »nur eine Flugstunde« entfernt, merkwürdig abstrakt und unwirklich (ebd.: 390). In dieser Erfahrung, einen Krieg zu führen, ohne dass der Krieg auch nur die geringsten Auswirkungen auf den eigenen Alltag hat, liegt das ungeheure legitimatorische Potential dieser Deutungsmuster begründet (vgl. ebd.). Kriege, verstanden als ›Normalität‹ und ›normalisierende Interventionen‹, kommen ohne Massenmobilisierung aus, wenn die Gesellschaft gar nicht mitbekommen hat, dass sie sich überhaupt im Krieg befindet. Mit der Normalisierung des Krieges geht die Normalisierung des Soldatenberufes einher. Die Bundeswehr präsentiert sich zunehmend als gewöhnlicher Arbeitgeber und macht heute Werbung in U-Bahnen, Jobcentern und Schulen – insbesondere nachdem die Wehrpflicht im Jahre 2011 ausgesetzt wurde. Die spezifische 53 | Dass diese Konstruktion des Soldaten als ›Polizist im Ausland‹ in den Medien weitgehend unwidersprochen bleibt, ist insofern interessant, da zur gleichen Zeit eine kontroverse Debatte darüber geführt wird, ob die Bundeswehr nicht auch polizeiliche Aufgaben im Inneren übernehmen solle. »Soll die Bundeswehr als Hilfspolizei aktiv werden?« fragt der Spiegel in einer Überschrift (42/2001: 26). Die umgekehrte Konstruktion des Soldaten als ›Polizist im Inland‹ ist jedoch offenbar nicht so leicht möglich, denn die dazu notwendige Verfassungsänderung wurde nach dem 11. September zwar von Innenminister Schily sowie Teilen der CDU-Opposition vorgeschlagen, aber nicht umgesetzt. Folgt man der zivilen Polizei-Symbolik, würde mit dem ›Soldaten im Inneren‹ der Krieg in den Alltag einbrechen, wohingegen der ›Polizist im Ausland‹ den Alltag in eine ferne Weltregion bringt.
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Besonderheit des Soldatenberufs, die in der Erlaubnis des Tötens und Zerstörens besteht, droht zum Nicht-Thema zu werden. Denn gerade in diesem Punkt unterscheiden sich Polizist und Soldat: Während Polizei und Gesellschaft einem zivilen Tötungsverbot unterliegen, muss der Soldat lernen, sich vom Tötungsverbot zur militärischen Tötungserlaubnis (gegebenenfalls auch zum Tötungsgebot) zu bewegen (Albrecht-Heide 1997: 1). Zudem ist der Soldat ungleich größeren Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt.
4.11.3 Diskurspositionen: Die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik und das Bild der Bundeswehr in FAZ und Spiegel Die Konstruktion des deutschen Soldaten in FAZ und Spiegel unterscheidet sich v.a. hinsichtlich der Beurteilung und Bewertung der kämpferischen, explizit militärischen Aspekte des Soldatenbildes bzw. des zukünftigen Auftrages und lässt erneut die unterschiedliche Diskursposition beider Medien zutage treten. Eine militärische Antwort auf den internationalen Terrorismus wird dabei in beiden Medien nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern als letztes Mittel und Teil einer arbeitsteiligen Gesamtstrategie (Spiegel) oder aber, gemäß einem Selbstverständnis als wehrhafter Nation, als politische Notwendigkeit zur Gewährleistung der innen wie äußeren ›Sicherheit‹ (FAZ) favorisiert. Während sich die Konstruktion des deutschen Soldaten in der FAZ positiv an der US-amerikanischen sowie anderen renommierten westlichen Armeen orientiert und den US-Soldaten implizit als Vorbild affirmiert, dient das Bild des US-Soldaten im Spiegel einzig der Abgrenzung. Die mediale Konstruktion des deutschen Soldaten gewinnt insbesondere durch die Abgrenzung von der Figur des US-Soldaten an Profil, der wiederum stellvertretend für die gesamten USA wahrgenommen wird. Während die USA/der US-Soldat für ein ungezügeltes, machohaftes Losschlagen stehen, profiliert sich der deutsche Soldat ungleich ziviler, gemäßigter und intelligenter und repräsentiert damit im Unterschied zu dem nach Rache und blutrünstigen Kampf dürstenden US-Soldat ein modernes und fortschrittliches Soldatenbild. Es ist ausschließlich der US-amerikanische Soldat, der geradezu als Soldat und Kämpfer in Reinform präsentiert wird, wohingegen der deutsche Soldat den Krieg und Kampf eigentlich scheut und nur im Notfall tötet und von seiner Waffe Gebrauch macht. Während das Bild des US-Soldaten eindimensional auf ›Rambo‹ und ›Killermaschine‹ hin ausgelegt ist, zeigt sich der Bundeswehrsoldat mehrdimensional und facettenreich. Im Zusammenhang mit den deutschen Soldaten ist zudem durchgängig von ›(Anti-Terror-)Einsatz‹ oder ›(AntiTerror-)Kampf‹, nicht jedoch von ›Krieg‹ die Rede. Der Begriff Krieg taucht indes ausschließlich in Zusammenhang mit den US-amerikanischen Soldaten auf. Im Hinblick auf das deutsche Engagement in Afghanistan ist eher nebulös von einer »Afghanistan-Unterstützungsgruppe« (Spiegel 50/2001: 28) oder dem »fünften großen Auslandsauftritt« (Spiegel 51/2001: 22) die Rede. Die FAZ hingegen nimmt die internationalen Truppen einschließlich denen der USA eher als Vorbild wahr und macht stattdessen die tatsächlichen Fähigkeiten der Bundeswehr zum Problem. So kritisiert die FAZ unermüdlich die zögerliche und unentschiedene Haltung der Politik gegenüber einem eindeutigen Bekenntnis zu einer starken und einsatzbereiten Armee sowie die fehlende Schlagkraft und mangelhafte Ausrüstung der Bundeswehr. Dabei kommt es bisweilen zu einer Infantilisierung und Feminisierung der Bundeswehrsoldaten, insbesondere der bestehenden Wehrpflicht-Armee, die als marode und schwach, kriegsuntauglich und
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drückebergerisch, verantwortungslos und feige (›lassen andere die Kohlen aus dem Feuer holen‹) präsentiert wird. Diese Argumentation stärkt das von der FAZ propagierte Modell einer starken und ›wehrfähigen Nation‹, die sich durch ebensolche Soldaten auszeichnet; das Wehrpflicht-Modell hat dabei aus Sicht der FAZ ausgedient, favorisiert wird stattdessen eine schlagkräftige und weltweit einsatzbereite Berufsarmee. Der Spiegel zeigt sich demgegenüber in Bezug auf einen explizit militärischen Auftrag, der auch Kampf- und Bodeneinsätze beinhaltet, ambivalent. Dabei werden militärische Mittel jedoch auch im Spiegel nicht generell ausgeschlossen, sondern lediglich eine andere Art der Kriegsführung favorisiert: ein ›kontrollierter‹ und ›gezielter‹ militärischer Einsatz, der Kampf und Töten vermeintlich auf ein Minimum reduziert, der eher einem weltweiten Polizeieinsatz gleicht, eingebettet ist in ein Gesamtpaket militärischer, diplomatischer und humanitärer Maßnahmen und sich v.a. als Gegengewicht zu den USA versteht. Während die US-Soldaten in der Darstellung des Spiegels an vorderster Kriegsfront stehen und eine brutale und unkontrollierte Kriegsführung betreiben, könnten deutsche Soldaten möglicherweise – so die Hoffnung des Spiegels – deeskalierend auf die USA und damit das gesamte Kriegsgeschehen einwirken. Die Deutschen stünden an der ›diplomatischen Front‹, wie der Spiegel mehrfach betont, wodurch das Bild eines arbeitsteiligen Gesamtablaufs, an dem unterschiedliche ›Fronten‹ zu besetzten sind, bedient wird. Zudem entsteht der Eindruck, es gebe jenseits einer eskalierenden Kriegslogik eine begrenzte und gerechte und damit ›gute‹ Kriegsführung ohne Tod und Leid, die zugleich als wesentliches Charakteristikum einer deutschen Vorgehensweise spezifiziert wird. Damit einher geht die Zuweisung unterschiedlicher Motive der Kriegsführung: Deutsche Soldaten handeln vermeintlich nicht – oder zumindest nicht vordergründig – aus eigenen bzw. nationalen (Macht-)Interessen oder patriotischen Motiven heraus, sondern vielmehr aus ethischen und moralischen Beweggründen im Dienste einer guten und gerechten Sache (wie z.B. die Durchsetzung von Menschenrechten, Frauenförderung) oder aus Verbundenheit und Solidarität mit den USA, wodurch der Militäreinsatz zum Freundschaftsdienst (›eine Hand wäscht die andere‹) und partnerschaftlichem Hilfs- und Unterstützungsangebot wird. Am Beispiel der medialen Konstruktion des Soldaten lässt sich die Remilitarisierung der Außenpolitik nach dem 11. September exemplarisch verfolgen. Diese vollzieht sich in der FAZ u.a. als direkte Forderung nach einsatz- und kampfbereiten Soldaten sowie einer militärischen Beteiligung am Anti-Terror-Krieg; im Spiegel hingegen eher indirekt durch das Auftauchen eines neuen kämpferischen Soldatentypus: Eine vermeintlich neue Weltlage, in der sich die Bedrohung potenziert hat und veränderte Sicherheitsvorstellungen Gültigkeit erlangen, benötigt offenbar jenen vorschnell zum alten Eisen gerechneten Kämpfer. Der ›Kämpfer‹ ebenso wie der ›Beschützer von FrauenundKindern‹ sind jedoch klassisch männliche Figuren, gleichsam Urbilder militarisierter Männlichkeit. Ihre mediale Aktualisierung geht mit der Aufwertung männlich kodierter soldatischer Tugenden wie Kampf- und Opferbereitschaft, Härte und Kriegstüchtigkeit, Mut und Tapferkeit einher, so dass sich nach dem 11. September nicht nur in Bezug auf den Politiker, sondern auch in Bezug auf das medial vermittelte Soldaten-Bild von einer Remaskulinisierung sprechen lässt.
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5. F EIND -B ILDER : D IE R EPR ÄSENTATION DES ›T ERRORISTEN ‹ Die vorangegangene Analyse hat gezeigt, wie die Inszenierung der individuellen und kollektiven Akteure (Bush, Schröder, Fischer, die Grünen, deutsche Soldaten) untrennbar mit den Selbstverständigungs- und Konstitutionsprozessen nationaler (deutscher) Identität verwoben ist und Aufschluss über das gesellschaftliche Selbstverständnis in Bezug auf die Legitimität staatlicher und kriegerischer Gewaltausübung geben kann. Bisher standen jedoch nur solche Akteure im Fokus der Untersuchung, die weitgehend dem ›Eigenen‹ bzw. einer ›westlichen Identität‹ zugerechnet wurden. Dabei wurde die Grenze des ›Eigenen‹ einmal auf die USA ausgeweitet, wenn es um die Konstituierung einer gemeinsamen ›westlichen Welt‹ ging. Ein anderes Mal verlief die Grenze zwischen den USA und Europa, als es um die Definition einer von den USA unabhängigen Identität insbesondere in puncto Krieg und Außenpolitik ging. Egal, wo die Grenze jedoch gezogen wird, es sind die Figurationen des ›Terroristen‹, die ohne jeden Zweifel jenseits dieser Grenze platziert werden und für das absolute ›Außen‹ und ›ganz Andere‹ des ›Westens‹ stehen. Die mediale Konstruktion des ›Terroristen‹ fügt sich dabei in die kulturalistische und neo-orientalistische Meta-Rahmung der Ereignisse ein, der zufolge ›der Islam‹ als feindliche Gegen-Kultur zum ›Westen‹ entworfen wird. Die mediale Vermittlung und Deutung der aktuellen Bedrohungslage (›Terror‹) verläuft wie die gesamte Berichterstattung über die Ereignisse des 11. September und den ›Krieg gegen den Terror‹ in stark personalisierter Form, d.h., sie wird anhand einzelner ›Feinde‹ bzw. der ›Haupt-Terroristen‹ geführt.54 Bereits wenige Stunden und Tage nach den Anschlägen stehen die Verantwortlichen fest: Osama Bin Laden als geistiger Mentor und Drahtzieher der Anschläge und die Selbstmordattentäter um Mohammed Atta als Ausführende. Weitere ›Feinde‹ bilden die Gruppe Al-Qaida und später die afghanischen Taliban. Das neue Feindbild ›Terrorist‹ setzt sich somit aus drei Figuren zusammen: die Selbstmordattentäter, Osama Bin Laden und seine Organisation Al-Qaida sowie die Taliban. Das Bild des ›islamischen Terroristen‹ wird in FAZ und Spiegel primär als Gegenmodell des ›modernen Mannes‹, wie er in der Gestalt des westlichen Politikers und Soldaten zu finden ist, aufgebaut. Auch die gesellschaftliche Rolle der Frau bzw. das spezifische Geschlechterverhältnis der ›Feind-Kultur‹ bildet einen zentralen Eckpfeiler bei der Charakterisierung der Terroristen, insbesondere der Attentäter aus Hamburg-Harburg und der Taliban.
5.1 Mohammed Atta und die Attentäter aus Deutschland ›Fremde Nachbarn‹ 5.1.1 Gelungene Integration oder perfekte Täuschung? »Herr Mustermann«
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Die Selbstmordattentäter, die am Morgen des 11. September 2001 zwei Flugzeuge in das World Trade Center und eins in das Pentagon steuerten, hatten zuvor mehrere Jahre in Deutschland im Hamburger Stadtteil Harburg gelebt, und ihre Taten 54 | Die Klassifizierung und Bezeichnung der Täter und Hintermänner als ›Terroristen‹ ist selbst schon ein Deutungsmuster. Im Folgenden verzichte ich jedoch auf die Anführungszeichen, um den Lesefluss zu erleichtern.
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mutmaßlich von dort aus koordiniert und vorbereitet. Als Anführer der Hamburger ›Terrorzelle‹ wird von Polizei und Geheimdienst der aus Ägypten stammende Mohammed Atta ausgemacht. Dementsprechend richten auch FAZ und Spiegel ihr Interesse vorrangig auf Atta als mutmaßlichen Chef der ›Todespiloten‹ (neben Marwan al-Shehhi, Hani Hanjour und Ziad Jarrah), so dass die anderen Beteiligten im Verlauf der Berichterstattung mehr und mehr in den Hintergrund treten. Unmittelbar nach den Anschlägen fokussieren beide Medien auf das persönliche Umfeld und die Lebensumstände der Attentäter während ihrer Zeit in Deutschland. Unauffälligkeit, Angepasstheit und Normalität bilden dabei die vorherrschenden Eigenschaftszuschreibungen, was die Frage aufwirft, wie es sein könne, dass niemand die Terroristen als solche erkannt habe: »Der Terrorist als zorniger Unterprivilegierter aus den Slums, das kannte die Welt. Der Terrorist als Biedermann, das kam vor. Aber der Terrorist als Herr Mustermann, Angehöriger der Mittelklasse, Intellektueller aus guter Familie mit Durchschnittsgeschmack – das ist neu und charakteristisch nur für al-Quaida.« (Spiegel 39/2001: 18) »Wer wie Ziad Jarrah deutsche Autos liebte, am liebsten ›Hühnchen mit Reis‹ aß wie Marwan Al-Shehhi oder sich als Musterstudent hervortat, wer aus dem privaten Umfeld sollte da Verdacht schöpfen?« (FAZ 24.11.01: 46)
Das Deutungsmuster der Angepasstheit an ›westliche‹ bzw. deutsche Tugenden und Gepflogenheiten, die als Maßstab und stille Norm fungieren, bestimmt die Berichterstattung von FAZ und Spiegel gleichermaßen. Immer wieder wird hervorgehoben, dass die mutmaßlichen Attentäter sich unauffällig verhalten hätten und nie als radikale Islamisten in Erscheinung getreten seien. Sie führten ein »völlig unauffälliges Leben«, seien »nie polizeilich aufgefallen« und hätten »keine falschen Namen benutzt«, schreibt der Spiegel (38/2001: 28). Und die FAZ führt aus, sie hätten ein »ganz normales Leben« gelebt: »legaler Aufenthalt, ordnungsgemäße Immatrikulation, unauffällige Nachbarn« (15.9.01: 45). Es handle sich um Angehörige der Mittelschicht und »brave Studenten« (Spiegel 39/2001: 20) der Elektrotechnik an der Technischen Universität Hamburg-Harburg, die »perfekt Deutsch« (Spiegel 48/2001: 59) gesprochen hätten. »Die Motivsuche wird durch die Tatsache erschwert, daß zumindest einige der mutmaßlichen Attentäter über Jahre hinaus nicht nur in der westlichen Welt gelebt, sondern sich offenbar auch an ihren Errungenschaften erfreut haben.« (FAZ 24.9.01: 7) »Jarrah, im Libanon geboren, trank gern Alkohol, und genauso gern feierte er. […] Ein ›frischer, junger Mann sei das gewesen, völlig europäisch‹, sagt seine ehemalige Vermieterin.« (Spiegel 48/2001: 62) »Der Kerl war angekommen im Westen, so sah es aus. So sah es leider nur aus.« (Spiegel 40/2001: 36)
Die Repräsentation der Selbstmordattentäter entspricht insgesamt dem Bild einer ›gelungenen‹ Integration bzw. Anpassung an die deutsche ›Leitkultur‹: Sie seien ordentlich, pünktlich, zuverlässig, höflich, freundlich und gepflegt gewesen, wohnhaft in einer ›deutschen‹ Nachbarschaft, den »Mercedes […] in der Garage« (FAZ 24.11.01: 46). Unablässig wird betont, wie gebildet, fleißig und strebsam die jungen Männer gewesen seien. Sie besuchten »brav Seminare und Vorlesungen«, wissen
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die Nachbar_innen (hier und im Folgenden Spiegel 38/2001: 28). Sie seien das »Gegenteil von sprunghaft und unzuverlässig« und »ordentliche Menschen« gewesen, die »stets reinlich ihre Schuhe vor die Tür stellten«; sie zahlten »immer pünktlich ihre Miete« und waren »angenehme Mieter«. Im Kontrast zu den begangenen Taten werden Eigenschaften wie Höflichkeit, Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit im Umgang mit Nachbar_innen, Kommiliton_innen und Freund_innen herausgestellt. Sie waren »lieb, nett und niemals böse«, bringt es eine Spiegel-Überschrift auf den Punkt (39/2001: 20). Die FAZ titelt einfach nur »D« in Anführungszeichen – D für Deutschland – und darunter: »Die Summe der Teile ergibt kein Bild: ›Die Todespiloten‹« (24.11.01: 46). Trotz der vermeintlich geglückten Anpassung an den deutschen Durchschnittsbürger ist die mediale Konstruktion der Terroristen von der Annahme einer grundlegenden Andersartigkeit geprägt. So wird in den zahlreichen Artikeln, die sich mit den Selbstmordattentätern beschäftigen, immer wieder der Versuch unternommen, den ›westlichen‹ Lebensstil als nicht echt, sondern bloß äußerlich und als perfides Täuschungsmanöver zu entlarven. »Die Legenden waren nicht einfach nur gut – gut genug, um Ausländerbehörden und Nachrichtendienste, Professoren und Freunde zu täuschen. Die Legenden waren derart perfekt, dass sogar Brüder, Schwestern, Väter und Mütter daran glaubten.« (Spiegel 39/2001: 20) »Ihr Doppelleben tarnten Atta und seine Mittäter so perfekt, daß jeglicher Verdacht gegen sie als ausländische Mitbürger zwangsläufig als ungehöriger Angriff hätte verstanden werden müssen.« (FAZ 24.11.01: 46)
Diese Lesart macht jedoch nur Sinn, wenn man von einer grundlegenden Differenz zwischen denen, die dem Westen ›wirklich‹ angehören oder zumindest dort ›angekommen‹ sind, und denen, die nur so tun, als ob, ausgeht. Demgemäß wird das Auftreten der Terroristen als arglistige Strategie interpretiert, mit der sie ihr Umfeld und ganz Deutschland über ihre wahren Beweggründe getäuscht hätten. Die Empörung über die ›unrechtmäßige‹ Aneignung eines ›westlichen‹ Lebensstils macht sich auch daran fest, dass die Attentäter sich in der Flugschule in Florida als Deutsche ausgegeben hätten. Der Terrorist wird zum »Meister des doppelten Gesichts« (Spiegel 38/2001: 28) und zum »Hochverräter« (FAZ 15.9.01: 45). Wenn auch nicht explizit formuliert, entsteht im Gegenzug das Bild vom gemütlichen Hamburg-Harburg, von Nachbarschaft unter Gleichen, wo die ›echten‹ Deutschen leben und sich ihrer Zugehörigkeit für gewöhnlich (vermeintlich) sicher sein können. Pünktlichkeit, Sauberkeit, Ordnung und Höflichkeit gelten jedoch nicht länger als unverdächtige und erstrebenswerte (deutsche) Tugenden, sondern werden zur ›perfekten Tarnung‹ für Terroristen. Damit wird der Orientierung und Verlässlichkeit garantierende Bezugsrahmen der ›eigenen‹ Identität, der aus einer vermeintlich eindeutigen Unterscheidbarkeit zwischen Wir und Ihr, Inländer_innen und Ausländer_innen, Gut und Böse etc. resultiert, nachhaltig erschüttert. Als ›typisch deutsch‹ deklarierte Tugenden gelten nicht länger als Garanten für Verlässlichkeit und ›Normalität‹, sondern könnten bereits infiltriert und unterwandert sein. »Die Mörder waren unter uns« (FAZ 15.9.01: 47), lautet die Überschrift eines Kommentars, der sich mit den Attentätern aus Deutschland beschäftigt.55 Gerade die 55 | Diese Formulierung spielt auf den berühmten Film »Die Mörder sind unter uns« (1946)
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›Normalität‹ wird verdächtig, denn, wie die FAZ betont, hätten die Terroristen die »Normalität als Deckmantel« (ebd.: 45) benutzt. Der paranoiden Logik dieser Perspektive entsprechend weitet sich der Kreis der des Terrorismus Verdächtigen auf nahezu alle Menschen nicht-deutscher Herkunft aus, unter Verdacht geraten besonders die ›integrierten‹ und ›unauffälligen Ausländer‹. Damit werden zugleich die Integrationskonzepte der 1980er und 1990er Jahre infrage gestellt, deren Ziel es war, Menschen nicht-deutscher Herkunft in die deutsche Mehrheitskultur – durch verlangte Anpassung – zu integrieren. Denn aus einer Perspektive, die den Alltag unter Verdacht stellt, wird die »Mimikry an der Leitkultur« nunmehr zur »perfideste[n] Finte von allen« (ebd.). So notiert ein FAZFeuilletonist in kritischer Absicht: »Die Assimilation an die bundesrepublikanische Gesellschaft, in den letzten Jahren immer wieder zur obersten Forderung an die hier lebenden Ausländer erhoben – sie steht auf einmal als subtile Form der Unterwanderung da. Nicht die Randständigkeit ausländischer Bürger, sondern ihre Aufgehobenheit im deutschen Alltag scheint unüberschaubare Gefahren zu bergen.« (Ebd.)
Das angenommene besondere Gefahrenpotential resultiert dabei weniger aus der Möglichkeit der vorsätzlichen Täuschung, sondern aus der daraus erwachsenen Uneindeutigkeit, durch welche die vermeintlich eindeutige Grenzziehung zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremden‹ bzw. der Glaube daran, dass diese generell möglich sei, unterlaufen wird. Spiegel und FAZ verwenden zur Versinnbildlichung der neuen Gefahr die Metapher des Chamäleons, das sich mühelos an die Umgebung anpassen kann: »Das ist keine Terroristenorganisation im traditionellen Sinne. […] Es ist ein Chamäleon, eine Amöbe, die ständig Farbe und Form wechselt«, heißt es im Spiegel (38/2001: 143; ebenso 39/2001: 16; vgl. auch die Überschrift »Chamäleon & Co«, 39/2001: 14). Diese Konstruktion eines unsichtbaren, form- und konturlosen inneren Feindes, der von seiner Umgebung nicht mehr zu unterscheiden ist, kumuliert schließlich in der Figur des ›Schläfers‹.56 »Vom Partisanen hat man gesagt, dass er in seiner Umgebung wie ein Fisch im Wasser operiere, ununterscheidbar von den übrigen Mitgliedern seiner Gemeinschaft. Der neue Terrorist dagegen kann ebenso unerkannt in einer fremden Umgebung existieren, die ihm sogar besondere Möglichkeiten der Tarnung bietet. […] Wer sich einer wie immer gearteten Normalität perfekt anpasst, ist kaum zu enttarnen.« (FAZ 19.9.01: 49)
Der Schlüssel zum Verständnis dieser Bedrohung liegt also gerade in der ›Unsichtbarkeit‹ und ›Nicht-Identifizierbarkeit‹ des Feindes bzw. der Unmöglichkeit, von Wolfgang Staudte an. ›Mörder‹ bezieht sich hier auf einen Kriegsverbrecher, der nach 1945 zu einem beliebten Bürger und erfolgreichen Geschäftsmann aufsteigt und dessen Taten lange Zeit ungesühnt bleiben, bis er schließlich enttarnt wird. Implizit werden die Attentäter des 11. September in der FAZ also mit Nazi-Verbrechern gleichgesetzt. 56 | Ursprünglich versteht man unter dem Begriff ›Schläfer‹ einen meist für einen Nachrichtendienst arbeitenden Agenten oder V-Mann, der z.B. in einem anderen Land als verdeckter Ermittler lebt und erst bei Bedarf ›aktiviert‹ wird. Erst seit dem 11. September wird der Begriff im Zusammenhang mit Terrorismus gebraucht.
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ihn als ›Anderen‹ und ›Feind‹ überhaupt zu erkennen. Gerade das Verschwimmen der Grenze, die Diffusion der (unterstellten) Differenz erweist sich in dieser Logik als die extremste Gefahr. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen liest sich die Repräsentation der Hamburger Attentäter wie ein Versuch, die verborgene, aber doch grundlegende (unterstellte) Andersartigkeit dennoch ans Licht zu bringen. Die mediale Darstellung suggeriert, dass trotz aller Täuschungsmanöver die Polarität zwischen ›uns‹ und ›denen‹ untergründig immer fortbestand. Dass es sich bei den Männern, auch wenn sie hier lebten und einer von ihnen einen deutschen Pass besaß, keinesfalls um ›richtige‹ Deutsche handelte, wird in der Bezeichnung ›Gast‹ noch einmal unterstrichen:57 »Atta junior hat die Juden und ihre Schutzmacht Amerika gehasst wie sein Vater, und […] am Ende brachen die Hybris des Überzeugungstäters und die Grausamkeit des Massenmörders durch und ließen nichts übrig von dem freundlichen Gast in Hamburg-Harburg.« (Spiegel 39/2001: 23)
5.1.2 Muslimifizierung und Pathologisierung: Massenmörder und religiöse Fanatiker Zu den zentralen Diskursstrategien bei der Rahmung der Terroristen gehört neben der permanenten Betonung von Unauffälligkeit und Unerkennbarkeit eine durchgängige Muslimifizierung58 und Pathologisierung. Die Zugehörigkeit zum Islam, verbunden mit Vorstellungen strenger Gläubigkeit und religiösem Fanatismus, ist das vordergründige Thema der zahlreichen Artikel, die sich mit der Frage nach den persönlichen Hintergründen und Motiven von Atta und den anderen Selbstmordattentätern beschäftigen. Das daraus abgeleitete ›Terroristenprofil‹ ist mit dem kriminologischen Diskurs ebenso wie mit den Diskursen der Medizin und Psychologie, insbesondere mit Metaphern von ›gesund‹ und ›krank‹, eng verquickt. Die im Folgenden zitierten Beispiele verdeutlichen, dass bei der Suche nach den Motiven und Hintergründen zunächst um eine brauchbare Bezeichnung und Einordnung der Attentäter und ihrer Taten gerungen wird, und diese keineswegs von Anfang an ausgemacht sind. So orientiert sich das in den Medien entworfene Bild des Terroristen einerseits an einem gewöhnlichen – wenngleich extrem gefährlichen – Verbrecher, wie es beispielsweise in den Bezeichnungen »Massenmörder« (Spiegel 39/2001: 23), »Mörderbande« (49/2001: 142), »Killer« (48/2001: 43), »Killerkommandos« (41/2001: 36), »Hauptverdächtige« (38/2001: 26), »Mitwisser« und »Hintermänner« (41/2001: 36; 43/2001: 32) zum Ausdruck kommt. Passend dazu werden die Taten als »Verbrechen«, das einzig und allein »mörderischen Zwecken« 57 | Die Bezeichnung als ›Gast‹, wie sie auch in dem Begriff ›Gastarbeiter‹ zum Ausdruck kommt, kann als ein zentraler Begriff der rassistischen Diskurse im Deutschland der 1980er und 1990er Jahre gelten (vgl. Jäger/Jäger 2007). Zur Rhetorik der Gastfreundschaft vgl. auch Amir-Moazami 2009: 156; zum begrifflichen Wandel von ›Gastarbeiter‹ zu ›Migrant_in‹ vgl. auch Rommelspacher 2002 und Dietze 2006a. 58 | Ich verwende den Begriff ›Muslimifizierung‹ zur Kennzeichnung jener Zuschreibungsprozesse, in denen ›islamische Religiosität‹ zum bestimmenden Merkmal des ›Anderen‹ und zur monokausalen Erklärung seines Handelns wird. Anderswo ist auch von ›Muslimisierung‹ die Rede; Werner Schiffauer spricht z.B. von der »Muslimisierung des Einwanderers« (2007: 117).
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(FAZ 17.9.01: 1) dient, bezeichnet. Andererseits wird das Deutungsmuster ›Verbrechen‹ zurückgewiesen und die terroristische oder kriegerische Dimension der Anschläge in den Vordergrund gestellt. »Die terroristischen Anschläge von New York und Washington […] können als Kriegserklärung, als Kriegsprovokation verstanden werden und waren auch genau so geplant und gemeint. Wer sie zu verantworten hat, wollte einen Krieg beginnen.« (FAZ 27.9.01: 11)
Ob die Anschläge als kriminelle Handlung, terroristischer Akt oder Kriegserklärung eingestuft werden, ist maßgeblich dafür, was für eine Reaktion als angemessen bewertet wird: Während ein gewöhnliches Verbrechen mit den Mitteln der gesetzlichen Strafverfolgung zu ahnden ist, scheint bei einem kriegerischen Angriff von außen hingegen ein militärischer Gegenschlag sinnvoll, der auch den Einsatz tödlicher Waffen erlaubt. Gleichzeitig stärkt die Deutung des Täters als ›Verbrecher‹ die Rahmung des Anti-Terror-Krieges als weltweiter ›Polizeiaktion‹, wonach – wie bereits ausgeführt – dem Soldaten die Rolle des (Welt-)Polizisten zufällt (vgl. Kap. IV.4.5). Die Charakterisierung als ›Krimineller‹ scheint zudem im Hinblick auf die Erklärung der persönlichen Hintergründe und Motive unzureichend. Kennzeichnend für die Täter des 11. September sei gerade ein besonderes Mischungsverhältnis aus krimineller Energie und (religiösem) Fanatismus, wobei das Motiv des Fanatismus eindeutig stärker gewichtet wird. »Dieser Typ von Tätern, der Antrieb und Motive aus einer kruden Mischung von politischem Extremismus und religiösem Fundamentalismus schöpft, ist eine Gefahr in jeder Hinsicht, eine Gefahr für jede Gesellschaft.« (FAZ 12.9.01: 1)
Die Rolle des ›(politischen) Verbrechers‹ wird um die Facette des islamischen bzw. islamistischen ›Fanatikers‹ und ›Fundamentalisten‹ erweitert, wobei regelmäßig auf Versatzstücke des psychopathologischen Diskurses zurückgegriffen wird. Die folgenden Diskursbeiträge verdeutlichen, dass die religiöse Motivation der Attentäter dabei primär als Ausdruck einer krankhaften Persönlichkeitsstörung bzw. paranoiden Geisteshaltung wahrgenommen wird. Wiederholt ist von »religiösem Wahn« (Spiegel 40/2001: 34; 41/2001: 24), »religiösem Irrsinn« (53/2001: 124) oder »religiöser Paranoia« (41/2001: 160) die Rede. Die Attentäter seien »Söhne des terroristischen Wahnsinns« (52/2001: 52), »irre Fanatiker« (38/2001: 166) und »wahnsinnige Selbstmordattentäter (FAZ 15.9.01: 47). Sie verfügten darüber hinaus über ein »krankhaftes Gottvertrauen« (Spiegel 40/2001: 33) und seien von einem »irrwitzigen Vergeltungsdrang« getrieben (48/2001: 59). »Wer welcher islamistischen Organisation angehört, ist längst nicht mehr wichtig. Die Klammer ist nicht die Ideologie oder der Islam; die Klammer ist religiöser Wahn, verbunden mit dem Hass auf Amerika und Israel.« (Ebd.: 70)
Wiederholt versuchen Spiegel und FAZ unter Verweis auf nicht näher definierte psychologische Gutachten oder namentlich nicht genannte Fachleute, Berater_innen, Therapeut_innen oder Wissenschaftler_innen der individuellen Persönlichkeit sowie der psychischen Verfasstheit der Selbstmordattentäter auf die Spur zu kommen:
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Gern würde man Terroristen wie Atta und Co. krank nennen, geistesgestört, nicht normal eben. Allesamt Psychopathen. Es wäre bloß nicht richtig. Für einen Psychopathen, sagen die Wissenschaftler, die sich mit dem 11. September befassen, wäre es denkbar, Menschen zu quälen, zu foltern, zu töten. Das Gleiche mit sich selbst zu machen, wäre für einen Psychopathen allerdings ein grotesker Gedanke. Die meisten der 19 Mörder und ihre Helfer waren kluge Jungs, stabil und selbstbewusst. Was sie unterschied von Menschen, die nicht Dienstagmorgens um 9 Uhr ins World Trade Center fliegen, das war das, was Fachleute einen ›isolierten religiösideologischen Wahn‹ nennen, ein verzerrtes, meist indoktriniertes Wirklichkeitsbild.« (Spiegel 48/2001: 54) »Wer so hasse und so wenig davon zeige, sagen die Fachleute, der sei nicht geistesgestört, der verfüge über eine geradezu bizarre Verhaltenskontrolle.« (Ebd.: 48)
Wie die Diskursbeiträge zeigen, erschöpft sich das Bild des Terroristen weder in der Figur des skrupellosen Verbrechers noch in der eines unzurechnungsfähigen Geisteskranken. Es ist vielmehr eine als übertrieben und wahnhaft gekennzeichnete Religiosität, die zum alles bestimmenden Merkmal des neuen Feindes wird und den ›Terroristen‹ vom ›normalen Menschen‹ unterscheide. Dabei ist die Frage nach dem spezifisch ›islamischen‹ Hintergrund der Taten und Täter jedoch umstritten: »Auf die Frage, woher die psychische Energie stammt, die den Terror speist, kann die ideologische Analyse jedoch keine Antwort geben. Vorgaben wie links oder rechts, Nation oder Sekte, Religion oder Befreiung führen zu genau denselben Handlungsmustern. Der gemeinsame Nenner ist die Paranoia. Auch im Fall des New Yorker Massenmordes wird man sich fragen müssen, wie weit das islamistische Motiv trägt; jede beliebige andere Begründung hätte es auch getan.« (FAZ 18.9.01: 49)
An anderen Stellen wird zu bedenken gegeben, dass Ursprung und Hintergründe des Terrorismus nicht zwangsläufig in der islamischen Religion zu suchen seien, sondern dass es sich um eine politisch-ideologische Funktionalisierung des Islams und damit um ein »pseudoreligiöses Bekenntnis« gehandelt habe (FAZ 19.9.01: 49). FAZ und Spiegel betonen mehrfach, dass es sich um eine ›krankhafte‹ bzw. ›paranoide‹ Form der Gläubigkeit bzw. eine missbräuchliche Aneignung des Islams handele und der Islam nicht per se gewalttätig und gefährlich sei. Nicht der Islam sei zu kritisieren, sondern lediglich seine fundamentalistische Instrumentalisierung, entsprechend sei zwischen Islam und Islamismus zu unterscheiden. So heißt es in einem FAZ-Kommentar, der für eine Trennung von islamischer Religion und (paranoider) Ideologie plädiert: »Dieser paranoide Islam, der Außenseiter, ›Ungläubige‹ für alle Übel der muslimischen Gesellschaften verantwortlich macht und allein auf das Heilmittel vertraut, die muslimische Welt von der Modernisierung abzuschotten, ist zur Zeit die am schnellsten wachsende islamische Bewegung der Welt. Dies heißt allerdings nicht, daß Samuel Huntingtons These vom Kampf der Kulturen zutrifft. […] Dennoch müssen wir der Tatsache ins Gesicht sehen, daß der selbstgerechte, paranoide Islam eine Ideologie mit großer Anziehungskraft ist. […] Dieser Terrorismus kann nur besiegt werden, wenn die islamische Welt sich die säkularen und humanistischen Prinzipien zu eigen macht, die die Grundlage der modernen Welt bilden.« (5.11.01: 45)
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Andererseits werden jedoch – auch wenn ein ›Kampf der Kulturen‹ hier explizit zurückgewiesen wird – die vermeintlichen Differenzen zwischen den ›Kulturen‹ permanent in den Vordergrund gerückt und die angemahnte Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus dadurch wieder unterlaufen. So gerät der Islam doch unter Generalverdacht, gewaltbereite Fanatiker hervorzubringen. Pauschalisierende Darstellungsweisen, die ›den Islam‹ oder eine angeblich momentan vorherrschende Richtung des Islams als dogmatischen, aufklärungs- und veränderungsresistenten Block und zudem als Gegenmodell ›des Westens‹ präsentieren, verstärken diese Perspektive: »Die einstmals vorhandenen menschenfreundlichen, kosmopolitischen, rationalistischen Elemente des Islams, die von einer islamfreundlichen Auslegung immer wieder zitiert werden, sind längst der brutalen Unterdrückung durch eine heute beherrschende Form des Islams zum Opfer gefallen, die blind an ihre Dogmen glaubt, keinen Zweifel zuläßt und der vernünftigen Argumentation eine geistesterroristische Buchstabengläubigkeit entgegensetzt.« (FAZ 20.10.01: 8)
›Der Islam‹ und ›der Westen‹ werden häufig als gegensätzliche ›Welten‹ allegorisiert – die bekanntlich ›aufeinanderprallen‹. Die Dichotomie von ›westlicher‹ bzw. ›freier Welt‹ und ›islamischer Welt‹ wird dabei primär über die Entgegensetzung von (islamischer) Religiosität und Traditionalität und (westlicher) Säkularität und Aufklärung erzeugt. Im Gegenzug wird die Trennung zwischen Religion und Politik im Westen bis auf wenige Ausnahmen als trennscharf herausgestellt und ›Säkularität‹ zum zentralen Merkmal des ›Eigenen‹ erkoren.59 »Die Geschichte des Christentums ist über anderthalb Jahrtausende ebenfalls prall gefüllt mit Beispielen eines gewalttätigen Fanatismus – auch wenn dieser Radikalismus heute im Vergleich zum Islam und zum Judentum weit weniger virulent ist. […] Es war die Bewegung der Aufklärung, die dem mörderischen Treiben ein Ende machte. Deren Ideale – Vernunft, Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Toleranz – erfassten zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert die ganze westliche Welt, sie zerbrachen die indoktrinäre Macht der Kirchen.« (Spiegel 41/2001: 164; 170f)
Ein an die Frage von ›religiösem Wahn‹ und Gewalt anschließender Aspekt ist der Themenkomplex Tod und Sterben. So wird die Bereitschaft der Attentäter, sich und andere zu opfern, als Ausdruck einer sinnlosen und (selbst-)zerstörerischen ›Todessucht‹ gedeutet, die dem Tod nicht mit (Ehr-)Furcht, sondern Verachtung entgegentrete: Der Spiegel bezeichnet die Terroristen als »Horde von unauffälligen, intelligenten, todessüchtigen Islamisten« (47/2001: 224) und »einen todesverachtenden 59 | Der Islamwissenschaftler Navid Kermani (2002: 36-41) merkt hierzu an, dass das ›reine‹, wortlose und unbedingte Attentat des 11. September auch an Traditionslinien des christlichen Opfertodes und Märtyrerkultes sowie den Nihilismus des 20. Jahrhunderts anknüpfe (auf den sich beispielsweise die japanischen Kamikazeflieger oder auch Ernst Jünger und der Nationalsozialismus bezogen haben) und somit nicht spezifisch ›islamischen‹ Ursprunges sei. Hintergründe und Motive für die Taten des 11. September seien vielmehr in der Geschichte der Moderne selbst zu suchen: So mögen zwar die Bilder alt, archaisch und traditionell sein, der Rückgriff auf diese sei jedoch »dezidiert modern« (ebd.: 37f).
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Feind, der aus dem Hinterhalt zuschlägt« (38/2001: 21). Und die FAZ schreibt: »Ganz offensichtlich haben sie nichts als Verachtung für ein Menschenleben. Ebenso offensichtlich verachten sie den Tod.« (21.9.01: 53) Die übertriebene Todesbereitschaft bzw. das Streben nach dem Tod wird als eine Besonderheit des islamischen Fundamentalismus ausgewiesen, der den Sinn des Lebens nicht im Diesseits, sondern im Jenseits verorte. Verbunden sei dies mit dem Glauben, dass ein Tod im ›Kampf gegen die Ungläubigen‹ den Gläubigen zum Märtyrer mache und ihm damit Zugang zum Paradies verschaffe.60 So ist in der FAZ von einem islamistischen »Märtyrerkult« und »menschenverachtenden Opferund Selbstopferfanatismus« (20.10.01: 8) sowie dem »neuen Selbstmörder-Terrorismus« (18.9.01: 18) die Rede. Die ›Todessucht‹ der Terroristen stelle zudem einen Antagonismus bzw. einen »Angriff auf unser Denken« (Spiegel 47/2001: 224) dar, das wiederum – geprägt durch christliche Wertevorstellungen – das Leben ehrt und die ›Erfüllung‹ im Diesseits anstrebt. ›Todessehnsucht‹ und ›Märtyrerkult‹ werden zudem als Ausdruck eines archaischen und primitiven Verständnisses männlicher Ehre interpretiert (vgl. Kap. IV.5.3.4). Es lässt sich festhalten: Die Charakterisierung und Einordnung der Attentäter und ihrer persönlichen Motivation changiert zwischen dem Bild des religiös-fanatischen Terroristen und dem des skrupellosen Kriminellen, wobei bei Ersterem mehr die psychische Verfasstheit auf Seiten der Täter und bei Letzterem eher die verbrecherische Dimension der Tat im Vordergrund steht. Während dem ›Verbrecher‹ im weitesten Sinne ›rationale‹ Beweggründe zugeschrieben werden und er insofern noch irgendwie ›innerhalb‹ des ›Eigenen‹ verortbar ist, markiert die Figur des ›islamistischen Terroristen‹ das ›absolute Außen‹ westlicher Vorstellung. Dass die Attentate prinzipiell auch von einem Angehörigen ›westlicher‹ Gesellschaften hätten begangen werden können, wird mit der Vorstellung eines spezifisch ›islamischen‹ Ursprungs der Attentate an den Rand des Denk- und Sagbarkeitsfeldes gedrängt.61 Unabhängig davon, ob die verbrecherischen Aspekte oder die (pseudo-)religiöse Motivation der Attentäter mehr akzentuiert werden, gemeinsam ist beiden Deutungsmustern, dass sie von einer pathologischen Geistesverfassung und Persönlichkeitsstörung der Attentäter ausgehen, ohne die die Taten nicht möglich gewesen wären. Ursachen und Motive für Terrorismus werden hier aus einer spezifischen psychischen Disposition heraus erklärt und auf diese Weise im Individuum selbst verortet. Gesellschaftliche Faktoren, die Terrorismus begünstigen können, oder auch andere mögliche Tatmotive, wie politische Überzeugungen, geraten durch diese Rahmung aus dem Blickfeld. Die Zuschreibungen von religiösem Wahn und Todessehnsucht kennzeichnen die Tatmotive zudem als zutiefst irrational. Durch die vermeintliche Abwesenheit von Vernunft und Verstand als zentralem Charakteristikum moderner Männlichkeit 60 | Zur Erläuterung heißt es z.B.: »In den achtziger Jahren wuchs eine neue Generation von Islamisten heran, die den Dschihad als Heiligen Krieg verstehen zur Verbreitung des Glaubens und zur Unterwerfung der Ungläubigen. Für diese neue Generation, die Dschihadisten, besteht die Selbstbezwingung in der Selbstaufgabe, und zwar in Form des ›Märtyrertods‹ für die Sache.« (FAZ 20.9.01: 10, vgl. auch 24.9.01: 9) 61 | »Kein Mensch aus einer anderen Kultur wäre dazu bereit«, zitiert z.B. das Magazin Focus einen Londoner Scheich als authentischen Experten (15.9.2001: 36, zitiert nach SchulteHoltey 2001: 45).
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wird der ›islamische Terrorist‹ als Gegenmodell des ›modernen Mannes‹ ausgewiesen. Die Attentate werden in erster Linie auf paranoiden Wahn und Hass zurückgeführt, für die es keine vernünftige Erklärung gibt bzw. geben soll. Die FAZ wertet schon den Versuch, die Taten rational zu ergründen, als ein Zugeständnis, denn jedes Verstehen gehe bereits mit einem gewissen Verständnis für die Taten einher: »Enteignet, verzweifelt, von Elend oder Erniedrigung zum Äußersten getrieben – sollen das die superreichen Befehlshaber und die diplomierten Ausführenden dieser erbarmungslosen Apokalypse sein? Nein. Es ist unmöglich, ohne auf einen schändlichen Irrweg zu geraten, diesem Verbrechen im Namen des Urverbrechens, auf das es eine Antwort oder dessen Folge es wäre, die Absolution zu erteilen. Ein Ereignis hat stattgefunden, das keine Deutung aufzulösen vermag. Eine Wahnsinnstat hat sich ereignet, die auf ihre Ursachen zurückzuführen und dadurch zu verwässern, ein Skandal wäre.« (27.9.01: 47)
Mögliche politische Beweggründe und Hintergründe für die Terroranschläge werden damit in den Raum des Nicht-Sagbaren verbannt: Allein durch Irrationalität und Wahnsinn motiviert, verfolgt der Terrorist keine rational-politische Zielsetzungen, sondern verkörpert pure Destruktion. Folgerichtig ist dem Terroristen auch nicht mit ›vernünftigen‹ Argumenten, Diplomatie oder Friedensverhandlungen beizukommen, denn die einzige Sprache die der Terrorist versteht, ist gemäß diesem Deutungsmuster die Sprache der Gewalt. »Es war die Kriegserklärung eines unsichtbaren Feindes, der nur die Sprache der Zerstörung und Vernichtung – auch die seiner eigenen Akteure – sprach. […] Sein Ende wird nicht durch einen Friedensschluß besiegelt werden, denn er ist von seinen Wurzeln in einem politisch definierbaren Ziel abgeschnitten. Er will die Zerstörung der westlichen Welt, die Annullierung ihrer technisch-ökonomischen Überlegenheit, ihr völliges Verschwinden aus dem islamischen Raum, und keines dieser Ziele läßt sich durch einen regulären Friedensschluß in eine neue Normalität überführen.« (FAZ 19.9.01: 49)
Die Folgen einer solchen Rahmung liegen auf der Hand: Da zu rationaler Argumentation nicht fähig, scheint der Terrorist einzig durch militärische oder kriegerische Interventionen gestoppt werden zu können.
5.1.3 Amalgam der Gegensätze — Rationalität und Irrationalität, Intellekt und Wahnsinn, Modernität und Rückständigkeit In den beiden vorangegangen Abschnitten deutet sich bereits eine weitere Besonderheit an, die das Bild der Selbstmordattentäter kennzeichnet. Die zugeschriebenen Eigenschaften und Attribute sind geprägt von Gegensätzlichkeiten: Unkontrollierte Emotionalität, bodenloser Hass und krankhafter religiöser Wahn paaren sich mit Affektkontrolle, strategischer Planung und technischer Versiertheit. Die Aufzählung von kontrastreichen, zum Teil unvereinbaren Merkmalen ist lang: Courage und Hass, Selbstlosigkeit und Größenwahn, Rationalität und Irrationalität, eiskalter Wille und absolute Willenlosigkeit, religiöse Verblendung und politischer Extremismus, Selbstbeherrschung und Selbstzerstörung, Intelligenz und verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung sind nur einige der widersprüchlichen Eigenschaften, mit denen die Attentäter charakterisiert werden. Daraus ergeben sich paradoxe Formulierungen wie die einer »rational geplanten Wahnsinnstat« (FAZ 18.9.01: 55) oder
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einer »kalten Leidenschaft der Zerstörung« (FAZ 17.9.01: 1). Die folgenden Beispiele geben einen Einblick in das uneinheitliche Bild: »Welchen Namen soll man diesem unerhörten Amalgam von Massaker und seiner Verleugnung, von Feuer und Eis, von leistungsfähiger Rationalität und unversöhnlichstem Fundamentalismus geben? (FAZ 27.9.01) »Warum wohl hatten die Geheimdienste, die Militärs in Amerika und der ganzen westlichen Welt keine Ahnung von der drohenden Gefahr? Weil eine solche Verbindung zwischen perfekter Rationalität des Handelns und dem irrationalsten aller Ziele, wie sie sich am Dienstag offenbart hat, im westlichen Denken nicht vorgesehen ist.« (FAZ 14.9.01: 51)
Die Charakterisierung der Selbstmordattentäter scheint sich insgesamt einer eindeutigen Zuordnung zu widersetzen, wie sie für das moderne dualistische Denken kennzeichnend ist, vielmehr vermischen sich die verschieden Elemente miteinander (›Feuer und Eis‹, ›kalte Leidenschaft‹, ›Rationalität‹ und ›Irrationalität‹). Die Figur des Terroristen trägt atavistische und moderne Züge zugleich, er symbolisiert das ›Außen‹, kann sich jedoch perfekt an den ›Westen‹ anpassen, dessen (Kommunikations-)Techniken er zudem für seine Zwecke zu nutzen weiß. Das Bild des Terroristen entspricht äußerlich in vielerlei Hinsicht dem Ideal des ›normalen‹ westlichen Durchschnittsmannes, ist jedoch zugleich durch einen abgrundtiefen Hass auf alles Westliche sowie Irrationalität und Wahnsinn gekennzeichnet, wodurch die westlichmoderne Subjektvorstellung gerade ›verfehlt‹ wird. Diese paradoxe Positionierung weist dabei auch geschlechtliche Implikationen auf, erfüllt der Terrorist doch einerseits die Anforderungen hegemonialer (westlicher) Männlichkeit – etwa Rationalität und Kalkül, Diszipliniertheit, Affektkontrolle, technisches Know-how – und erweist sich andererseits in seiner Irrationalität als ›unmännlich‹. Diese (geschlechtliche) Ambivalenz, die hier in der Charakterisierung der Attentäter aufscheint, verdichtet sich, wie später gezeigt wird, v.a. in der Person Osama Bin Ladens.
5.1.4 Entwurzelung und Identitätskonflikt — der Terrorist als ›heimatloser Fremder‹ Bei der Suche nach den Ursachen und persönlichen Hintergründen für die Terroranschläge kristallisiert sich ein weiteres Deutungsmuster heraus: Die Konstruktion des Terroristen als wurzel- und heimatlos: ›Eine schizophrene Situation: Atta sprach perfekt Deutsch, er war angekommen, so wirkte es zumindest. […] Er schien dazuzugehören, ein moderner Wanderer zwischen den Welten, zwischenzeitlich am Ziel. Zum einen. In Wahrheit aber, zum anderen, muss er sich all die Jahre über fremd gefühlt haben.« (Spiegel 48/2001: 59) »Viel mehr noch als Atta war Jarrah der Grenzgänger, der zwischen den beiden Kulturen nach dem Sinn des Lebens suchte und ihn schließlich in der grandiosen Zerstörungsvision einer Gruppe fand, die sich wie eine Sekte motivierte und kontrollierte.« (Spiegel 51/2001: 128)
Die Attentäter aus Hamburg werden trotz ›gelungener Integration‹ als wurzellos, entfremdet und heimatlos herausgestellt, wobei allein der ›rechte Glaube‹ als verbindende Wurzel fungiere und einen Weg aus der vermeintlichen Haltlosigkeit verspreche. Das Deutungsmuster der ›Wurzellosigkeit‹ verstärkt die Konstruktion einer fundamentalen Differenz zwischen ›uns‹ und ›den Anderen‹ und unterstreicht die
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Vorstellung, dass die Attentäter zu keiner Zeit ›echte‹ Deutsche waren, auch wenn einer von ihnen einen deutschen Pass besaß.62 Sie waren lediglich ›Gäste‹ und ›Fremde‹, die jeglichen Bezug zu ihrer ›Kultur‹ und ›Heimat‹ verloren hatten und zugleich im Westen nie richtig angekommen waren: »Nomaden des Terrors«, nennt sie der Spiegel (41/2001: 36). Abstammung und nationale Identifizierung werden als zentrale Merkmale einer ›normalen‹ und ›gesunden‹ Identität herausgestellt, ein fehlendes Heimatgefühl wird hingegen pathologisiert: Es führe zu einer ›schizophrenen Situation‹, die in einen »irrwitzigen Vergeltungsdrang« (Spiegel 48/2001: 59) münden könne. Die mediale Ausdeutung des Terroristen-Profils greift dabei auf Wissenselemente des medizinischen und psychologischen Diskurses zurück. Ein »kulturelles Angstgefühl«, »die Furcht, an den Rand gedrängt zu werden«, sowie »Frustrations- und Hilflosigkeitsgefühle« (ebd.) hätten ein Ankommen in der neuen Gesellschaft verhindert und damit die Hinwendung zum Terrorismus begünstigt. In den obigen Zitaten konstituiert sich zugleich implizit die Subjektposition einer idealtypischen, vorbildhaften ›Globalisierungsidentität‹. ›Protagonisten der Globalisierung‹ sind demnach moderne Weltenbummler, Menschen, die »hier und dort glücklich werden« (Spiegel 48/2001: 60) können. Mohammed Atta und die übrigen Attentäter werden von dieser Gruppe der erfolgreichen Globalisierungssubjekte jedoch ausgenommen: »[E]r [Bahaji, A.N.] wirkte auf Fremde wie ein Protagonist der Globalisierung, […] in Wahrheit aber war er nirgendwo aufgehoben und nirgendwo zu Hause.« (Ebd.) Der Terrorist steht somit für die Verfehlung der ›guten‹ Globalisierungsidentität und verkörpert somit eine Art ›Negativ-Globalisierer«63, während eine kosmopolitische Globalisierungsidentität – geprägt durch Flexibilität, Offenheit, Toleranz und Gastfreundlichkeit – zum positiven Wert ›westlicher‹ Modernität und Selbstdefinition emporgehoben wird. In diesem Verständnis von Globalisierung und Migration, so wird suggeriert, bestehe zwar die Chance des Umherschweifens, des Wanderns zwischen den ›Welten‹, jedoch ebenfalls die Notwendigkeit einer nationalen und kulturellen Identifizierung, eines Ankommens, das Finden einer Rolle, eines Zuhauses. Eine fehlende Identifizierung führt offenbar zwangsläufig zu einem Gefühl der Heimatlosigkeit und Entwurzelung und mündet im schlimmsten Fall in einer krankhaften ›Identitätsstörung‹ und anti-westlichem ›Vergeltungsdrang‹. Dass dies zutreffen kann, aber keineswegs für alle migrierenden Menschen zutrifft und zudem von vielen Faktoren abhängig ist, bleibt unerwähnt.64 In Ab62 | Zum Topos der ›Wurzellosigkeit‹ als Gegenmodell zum bürgerlichen, gesetzten und geordneten Leben, der insbesondere in den antisemitischen Konstruktionen des ›ewigen Juden‹ eine zentrale Rolle spielt, vgl. Mosse 1997: 80. 63 | Ich meine hier nicht den ›Globalisierungsverlierer‹ in ökonomischer Hinsicht. Der ›Globalisierungsverlierer‹ ist eine Subjektposition, die v.a. in antikapitalistischen und globalisierungskritischen Diskursen relevant wird, um die Ungerechtigkeiten der Globalisierung zu benennen. Verschiedene Erklärungsmodelle begreifen die globale Ungleichverteilung ökonomischer Ressourcen zudem als eine Ursache für Terrorismus und interpretieren den Terroristen dementsprechend als ›Verlierer der Globalisierung‹ in einem (rein) ökonomischen Sinne. 64 | Insbesondere die Postkoloniale Theorie hat sich mit den normierenden, defizit-orientierten Konstruktionen migrantischer Subjektivität beschäftigt, die davon ausgehen, dass Migration und Wanderung quasi automatisch zu Zerrissenheitsgefühlen (›Zwischen-denWelten-Sein‹) und Identitätsstörungen führen. Postkoloniale Ansätze setzen diesem Denken
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grenzung zum ›Anderen‹ konstituiert sich das ›Eigene‹ als aufgehoben und sicher. Deutsche scheinen im Umkehrschluss zu so einer Tat nicht fähig, da sie in ihrem Land verwurzelt und beheimatet seien. Implizit entsteht das Bild innerer Einheit und Zufriedenheit. Eigene Zweifel, soziale Ängste und Unsicherheiten, die mit der Globalisierung einhergehen, können nach außen, auf die Figur des Fremden und Terroristen verlagert werden. Das Deutungsmuster ›Wurzellosigkeit‹ hat noch eine weitere Bedeutung. Es verweist zugleich auf die fehlende Lokalisierbarkeit und damit auf die Allgegenwärtigkeit und Absolutheit des neuen Feindes ›Terrorismus‹, der sich aus Sicht der FAZ aller nationalstaatlichen, territorialen und politischen Bindungen entledigt hat. So heißt es unter der Überschrift »Terror ohne Territorium«, der Terrorist sei ein »entwurzelter Partisan« (19.9.01: 49), ohne Heimat, ohne Gestalt und ohne Geschichte. Es sei v.a. »sein Operieren in einem Aktionsraum, der jede Verbindung zur territorialen Basis gelöst hat« (ebd.), das den neuen Feind kennzeichne: »Die Terroristen haben ihre Taten nicht mit einer bestimmten, um ihre Existenz kämpfenden Nation irgendwo auf dem Globus verknüpft, sondern mit einer radikalen Spielart des Islam, die in den Vereinigten Staaten und im Westen den ›Teufel‹ sieht, den es zu vernichten gilt. Die Unsichtbarkeit des konkreten Feindes und die Absolutheit der von ihm verkörperten Feindschaft sind ein Novum.« (Ebd.)
5.1.5 Islamismus und Frauenrechte — der Terrorist als ›patriarchaler Frauenfeind‹ Einen weiteren zentralen Diskursstrang, der im Zusammenhang mit der Fahndung und den Attentätern aus Hamburg-Harburg aufgegriffen wird, bildet das Thema ›Frauenfeindlichkeit‹ bzw. ›Frauenrechte im Islam‹. Wiederholt fokussieren FAZ und Spiegel den Umgang der Attentäter mit Frauen und ihre vermeintlich prinzipielle frauenfeindliche Einstellung. Darüber hinaus werden generelle Überlegungen zur Rolle der Frau innerhalb der ›islamischen Kultur‹ angestellt. Das Thema ›Frauenfeindlichkeit‹ ist dabei eng verwoben mit dem bereits ausgeführten Deutungsmuster ›religiöser Fanatismus‹. Für den Spiegel fällt zunächst auf, dass (islamische) Frauen immer dann erwähnt werden, wenn es um die Frage nach der ›Verwandlung‹ von vormals unauffälligen, freundlichen jungen Männern in gefährliche Terroristen geht. Die Rekonstruktion der biografischen Hintergründe sowie die Radikalisierung zum Terroristen werden stets von dem Verweis auf einen plötzlich veränderten Umgang mit Frauen begleitet. Die (Ehe-)Frauen aus dem persönlichen Umfeld der Selbstmordattentäter werden als Gradmesser für den Sinneswandel und religiösen Wahnsinn ihrer Partner präsentiert. Dabei gilt besonders die Forderung nach der Verschleierung der Frauen und Partnerinnen der Selbstmordattentäter als untrügliches Indiz für die Entwicklung zum religiösen Extremisten, wobei implizit vorausgesetzt wird, dass die Verschleierung unter (männlichem) Zwang erfolgt sein muss. Die Verschleierung der Frau wird somit neben dem Bart des Mannes zum sichtbaren Zeichen einer ansonsten unsichtbaren ›terroristischen Geisteshaltung‹ und inneren Wandlung: ein Verständnis ›hybrider Identitäten‹ entgegen, das gerade die ›Transnationalität‹, also das Überschreiten und Überwinden von (nationalen) Grenzen zum positiven Bezugspunkt macht (vgl. für einen Überblick Castro Varela/Dhawan 2005; Reuter/Wieser 2005).
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Plötzlich war Bahajis Frau wie verwandelt. Früher war sie ein lustiges, ganz normales Mädchen. Plötzlich trug sie Mäntel bis über die Knie und einen Schleier, der nur einen Schlitz für die Augen frei ließ.« (Spiegel 39/2001: 25) »Zuletzt habe es öfter Streit mit Aysel gegeben, erzählt eine Freundin: Dscharrah [= Jarrah, A.N.] habe von ihr verlangt, dass sie nicht nur Schleier trage, sondern auch ihre Hände mit Handschuhen bedecke, damit niemand ihre nackte Haut sehen könne.« (Ebd.: 22, vgl. auch 48/2001: 62) »Er [Atta, A.N.] ließ sich einen Bart wachsen und ›nahm orthodoxe Standpunkte ein‹, so sein Kommilitone Ralph B.; eine ›schöne Stadtplanerin, die er in Syrien kennen und ein wenig lieben gelernt hatte, stieß er am Ende doch wieder fort. ›Sie trägt keinen Schleier, sie ist zu aufreizend, das ist nicht kompatibel mit meinem Glauben‹, verkündet Atta, nun Prediger der einzig guten, der ganz und gar gerechten Sache.« (Spiegel 40/2001: 36)
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Spiegel-Artikel »Die deutsche Spur« (38/2001: 26ff), bei dem es sich um den ersten Artikel handelt, der sich nach dem 11. September mit den Hintergründen und der Rekonstruktion der Planung der Attentate in Deutschland befasst. Unter der Überschrift wird mittig ein postkartengroßes Foto zu sehen gegeben, welches eine von Kopf bis Fuß verschleierte Frau zeigt. Warum, ließe sich fragen, wählt der allererste Bericht über die Terroristen aus Deutschland ausgerechnet das Foto einer verschleierten Frau – »Frau aus dem Umfeld der mutmaßlichen Attentäter Atta und al-Schahi«, so die Bildunterschrift (ebd.) – als Aufhänger und Blickfang? Warum erscheint das Bild unmittelbar einleuchtend und passend, so dass es keinerlei Irritationen bei den Lesenden hervorruft? Das Foto zeigt die Ehefrau von Said Bahaji, einem der mutmaßlichen Unterstützer der Gruppe aus Hamburg-Harburg, nach dem seit dem 11. September international gefahndet wird. Aus dem Artikel erfahren wir, dass Neşe Bahaji von den Ermittlern zur Vernehmung aufs Polizeipräsidium gebeten wurde, womit der Bezug zum Foto hergestellt scheint. Das Foto zeigt die Frau mit einem Kind auf dem Arm, wie sie von deutschen Polizisten mit Bettlaken vermutlich vor Vertreter_innen der Medien abgeschirmt wird (vgl. Abb. 8). Abbildung 8: Der Spiegel, Heft 38/2001, S. 26
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Dasselbe Foto von Neşe Bahaji wird im weiteren Verlauf der Spiegel-Berichterstattung mehrere Male im Zusammenhang mit der Terroristenfahndung in Deutschland aufgegriffen (z.B. 48/2001: 40). Bereits eine Woche später taucht das Foto erneut im Kontext der Suche nach den Hintergründen und Motiven der Selbstmordattentäter auf: Der Artikel »Lieb, nett und niemals böse« (39/2001: 20f) stellt einen diskursiven Zusammenhang zwischen der aktuellen sicherheitspolitischen Bedrohungslage, dem Leben der Attentäter und ihrem Verhältnis zu Frauen her. Das Zusammenspiel von Text und Foto lässt das proklamierte terroristische Gefahrenpotential auch und gerade als Gefahr für die Frauen aus dem persönlichen Umfeld von Terroristen und Terrorverdächtigen hervortreten. In einem weiteren Artikel wird das Foto dann ganz ohne expliziten Bezug zum Text verwendet, was den symbolischen Gehalt des Bildmotivs ›verschleierte Frau‹ erneut belegt. Das Foto dient zur Bebilderung eines Artikels mit der Überschrift »Gefahr ohne Grenzen« (44/2001: 40), der sich mit der vermeintlich ausufernden Gefährdung der inneren Sicherheit befasst. Der Artikel beginnt mit der Frage »Sind wir im Krieg?«, die im weiteren Verlauf des Textes im Sinne eines ›inneren Krieges‹ kritisch diskutiert wird. Durch das Zusammenwirken von Titel, Text und Bild symbolisiert die verschleierte Frau nicht mehr nur die Gefährdung der Frauen (durch Terroristen), sondern wird generell mit ›Gefahr‹ bzw. einer kriegsähnlichen Bedrohung der deutschen Sicherheit assoziiert. Ein weiteres Beispiel für die Verknüpfung der Themenstränge Terroristen, Verschleierung und Gefahr im Spiegel bildet der Artikel »Moderne Sklaverei« (46/2001: 58f), der sich wiederum mit den Auswirkungen und Gefahren für die deutschen Frauen beschäftigt. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf jene Frauen, die mit muslimischen Männern verheiratet sind, bzw. auf Frauen als potentielle Ehefrauen für Terroristen allgemein – auch wenn keiner der mutmaßlichen Attentäter mit einer deutschen Frau verheiratet war. In diesem Zusammenhang wird auch das Motiv der arglistigen Täuschung erneut aufgegriffen: »Ermittler des Bundeskriminalamts und Verfassungsschützer glauben, ein richtiges Muster zu erkennen, nach dem sich mutmaßliche Unterstützer des Terrornetzes in Deutschland ein unauffälliges Leben schufen. Man gewinne den Eindruck, so ein Sicherheitsexperte, als würden die Jünger aus Bin Ladens Netzwerk mit dem Hinweis geschickt: ›Finde eine deutsche Frau.‹ […] Die Frauen freilich geraten dabei oft in moderne Sklaverei. […] Bayerns Innenminister Günther Beckstein ist inzwischen sicher, dass die deutschen Ehefrauen der perfekten Tarnung der Extremisten dienen.« (Ebd.: 58)
Der Artikel malt ein bedrohliches Szenario aus, das auf die Freiheit der ›westlichen‹ Frauen im Konkreten ebenso wie auf das westliche Ideal von Geschlechtergleichheit und Emanzipation im Allgemeinen abzielt. Dem stereotypen Bild des muslimischen Mannes als frauenverachtendem Patriarchen entsprechend sind nun nicht mehr nur die ›muslimischen‹, sondern auch die ›westlichen‹ Frauen potentielle Opfer der Unterdrückung. Die ›westliche Frau‹ – modern, emanzipiert und unabhängig – fungiert dabei implizit als Gegenbild der ›islamischen Frau‹: »›Warum lassen Sie sich das gefallen, Sie sind doch Deutsche, Sie haben Rechte‹, empörte sich einmal die Nachbarin, als sie Regine Borrmann auf dem Flur traf. Da habe die unter ihrem Schleier nur müde mit den Schultern gezuckt.« (Ebd.)
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Während die deutsche Frau ganz selbstverständlich staatsbürgerliche Rechte beanspruchen kann (»Sie sind doch Deutsche, Sie haben Rechte!«), wird die ›islamische Frau‹ primär als unterdrückte Ehefrau und rechtlose Sklavin ihres Mannes wahrgenommen. Besonders diejenigen deutschen Frauen, die einen muslimischen Mann heiraten und/oder zum Islam konvertieren, begeben sich laut Spiegel in Gefahr: »Auch Ursula R. trug bald lange dunkle Roben und Kopftuch. […] Beate R. aber verlor ihre Freiheit«, heißt es weiter (ebd.). Diese Frauen, obwohl deutscher Herkunft, scheinen durch den Akt der Eheschließung unmittelbar ihren Status als ›westliche Frau‹ einzubüßen. In dem Artikel werden sie allesamt zu ›modernen Sklavinnen‹, ohne eigenen Willen und Entscheidungsmöglichkeit. Symbolisch steht hierfür das Tragen eines Kopftuchs, das im Spiegel ausschließlich als Zwangsmaßnahme wahrgenommen wird. Die im Text präsentierten Fallbeispiele korrespondieren mit dem unmittelbar über der Überschrift platzierten Foto. Eine Frau mit geneigtem Kopf und Kopftuch hält sich die Hand vor das Gesicht, die zugehörige Bildunterschrift lautet: »Deutsche Muslimin Beate R.: ›Kein vollwertiger Mensch mehr‹« (ebd.). Im Text werden weitere Beispiele für die ›Entwürdigung‹ der Frau durch ihre islamischen Ehemänner angeführt: Einmal unter den Schleier gezwungen, würden die Ehefrauen häufig in die Heimatländer der muslimischen Ehemänner verschleppt und dort »ruhig gestellt« (ebd.: 61). Durch ein weiteres Foto wird zusätzlich ein Zusammenhang zwischen den Terroristen in Deutschland und der von ihnen ausgehenden Gefahr für die Frauen mit dem Krieg in Afghanistan hergestellt. Das Thema ›Schleier‹ und ›Frauenrechte‹ wird damit zum Bindeglied zwischen der inneren (in Deutschland) und äußeren (in Afghanistan) Bekämpfung des Terrorismus. So zeigt das zweite großformatige Foto des Artikels mehrere Frauen in der für Afghanistan typischen hellblauen Burka. Auch dieses Foto weist keinerlei explizite Verbindung zum Text auf, jedoch erfährt man aus der Bildunterschrift: »Verschleierte Frauen (in Afghanistan): Unter Bewachung des Clans« (ebd.). Das Bild der Burka, das nach dem 11. September zum Symbol patriarchaler Unterdrückung schlechthin geworden ist, wird hier auf den deutschen Kontext übertragen, um vor muslimischen Männern generell zu warnen. Das Bildmotiv ›Burka‹ deutet an, was mit den (deutschen) Frauen geschehen kann, die ›Extremisten heiraten‹, und fungiert als Zeichen der Warnung und Abschreckung. Zugleich legt die Narration ›Gefahr für deutsche Frauen‹ nahe, dass der andauernde Krieg in Afghanistan nicht nur der ›Befreiung‹ der afghanischen Frauen diene, sondern indirekt auch deutschen Frauen zugute komme, die, wie in dem Artikel dramatisch ausgemalt, in die Heimatländer ihrer Ehemänner verschleppt würden und dort ein unmenschliches Dasein fristeten. Das Bildmotiv der verschleierten Frau als Symbol für ›Gefahr‹ ist auch deshalb ohne weitere Erläuterungen verständlich, weil es auf im kollektiven Gedächtnis des ›Westens‹ fest verankerte Bestandteile des orientalistischen Islam-Diskurses zurückgreift: Die Wahrnehmung des islamischen Mannes als ›patriarchalem Despot‹ und ›Frauenfeind‹, der islamischen Frau als ›Opfer patriarchaler Unterdrückung‹ und des Kopftuchs bzw. des Schleiers als sichtbarstem Zeichen dieser ›Unterwerfung‹ (vgl. Kap. IV.6.9.2). Der verborgene Sinngehalt des Bildes als Zeichen für ›islamische Gefahr‹ im Allgemeinen und die Bedrohung ›westlicher Werte‹ nach dem 11. September im Besonderen erschließt sich durch die Aktualisierung dieses Wissens über ›den Islam‹ somit von selbst. Dieses Deutungsmuster, das ›Verschleierung‹ mit ›Gefahr‹ und nun auch ›Terrorismus‹ verknüpft, hat darüber hinaus
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weitreichende Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Kopftuch und Schleier generell: Es rückt kopftuchtragende Frauen in die Nähe von Terroristen und macht das Kopftuch pauschal verdächtig. Der ›Schleier‹ als Symbol für die ›Unterdrückung der islamischen Frau‹ wird zu einer generalisierten Metapher einer inneren Bedrohung.
5.1.6 ›Gestörte Sexualität‹ — Angst vor Frauen versus hyperpotente Wunschträume Der Bezug auf das ›islamische Geschlechterverhältnis‹ und das vermeintlich abschätzige Verhalten muslimischer Männer gegenüber Frauen spielt nicht nur bei der Konstruktion von terroristischer Bedrohung und innerer Gefahr eine wichtige Rolle, es ist zugleich wesentlich für die Charakterisierung der Hamburger Attentäter, insbesondere von Mohammed Atta. Der Rekurs auf das persönlich-private Verhältnis zu Frauen fungiert als weiterer Beleg für den vermeintlich krankhaften Geisteszustand der Selbstmordattentäter und ist somit Teil ihrer (diskursiven) Pathologisierung. Permanent wird der (sexualisierte) Umgang der Attentäter mit Frauen fokussiert und analysiert: »Sie seien schwierig, eigensinnig und gegenüber Frauen besonders unhöflich gewesen«, weiß die FAZ (21.9.01: 57). »Frauen gegenüber war Attas Verhalten schroff, er fühlte sich unbehaglich. Er gab ihnen nicht die Hand, wandte den Blick ab, antwortete mit Ja oder Nein« (Spiegel 48/2001: 50). Attas Verhältnis zu Frauen wird durchweg als zwanghaft und angstbesetzt herausgestellt und zudem als Indiz seines fundamentalistischen Glaubenseifers gewertet. Dabei fungiert insbesondere das von Atta hinterlassene Testament als Beleg für die ›Abnormalität‹ und ›Skurrilität‹ des Terroristen, die nun an seinem persönlichen und intimen bzw. sexuellen Umgang mit Frauen festgemacht werden: »Noch aufschlussreicher ist sein Testament, das der SPIEGEL schon vor Wochen abdruckte: dass keine Frau an seinem Begräbnis teilnehmen und bei der Waschung seiner Leiche Hand an ihn legen sollte. Solche Forderungen erhebt kein bis dahin psychisch intakter ›smarter Junge‹, sondern nur ein Mann, der in seinem Verhältnis zu Frauen beziehungsweise zur Sexualität zutiefst gestört ist. Nicht der Islam hat Attas Verhältnis zu Frauen geprägt, sondern weil sein Verhältnis zu Frauen ein derart gestörtes war, hat ihn der Islam in seiner Frauenfeindlichkeit derart fasziniert.« (Spiegel 50/2001: 246)
Es entsteht das Bild einer paranoiden, zutiefst verunsicherten und asexuellen Männlichkeit, die sich durch die Vermeidung jeglicher Kontakte zu Frauen auszeichnet – und sich damit von ›westlichen‹ Vorstellungen einer ›normalen‹ und ›gesunden‹ männlichen (Hetero-)Sexualität deutlich abhebt.65 Der vermeintlich gestörte (sexuelle) Umgang mit Frauen wird dabei nicht nur als Symptom einer übersteigerten Religiosität interpretiert, sondern gar als Ursache für die terroristischen Taten. Erneut werden komplexe Dynamiken wie die historischen, sozialen und politischen Hintergründe des Terrorismus auf eine Erklärung hin verkürzt: eine seelische und sexuelle Störung des Einzelnen.66 65 | Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Anspielungen auf eine unterdrückte Homosexualität von Mohammed Atta, wie sie insbesondere in den US-amerikanischen Medien zu finden sind (vgl. dazu Nader 2003). Diese Art der Inszenierung taucht jedoch in den von mir untersuchten Medien nicht explizit auf. 66 | Eine ähnlich psychologisierende Argumentation verfolgt z.B. Robin Morgen in dem von
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Auch die zahlreichen Verweise auf die große Anzahl von Jungfrauen – zumeist ist von 72 die Rede –, die den ›islamischen Selbstmordattentätern‹ angeblich »als Lohn für Massenmord versprochen werden« (Spiegel 49/2001: 136), geben die ›terroristische‹ Männlichkeit und Sexualität der Lächerlichkeit preis. Erzeugt wird das Bild männlich-sexueller Verklemmung und Frustration durch die Totalabstinenz gegenüber Frauen im Diesseits, die sich in einer himmlischen Phantasie von Sexorgien und Hyperpotenz im Jenseits entladen, »in der Hoffnung auf ein Paradies voller Jungfrauen« (FAZ 21.9.01: 49). Zugleich wird das orientalistische Stereotyp einer lüsternen und unersättlichen ›Hypermännlichkeit‹ bedient, wenn wiederholt von den schmachtenden Träumen des Märtyrers und den wartenden »willigen Jungfrauen« (Spiegel 41/2001: 178) die Rede ist: »Als himmlische Belohnung winkte ihnen, wie allen islamischen Märtyrern, der unverzügliche Einzug ins Paradies, wo liebliche Jungfrauen darauf warten, sie zu betreuen. Hunderte solcher erwartungsfrohen passiven Fundamentalisten […] leben weiterhin unerkannt in Europa.« (Spiegel 53/2001: 32)
Im Gegensatz zu der beständigen Diskursivierung der Männlichkeit und Sexualität der Selbstmordattentäter bleiben die ›westlichen‹ Geschlechtervorstellungen unthematisiert, schwingen jedoch als stille Norm und Maßstab stets mit. Wenn permanent die irrealen Wunschträume sowie die verhinderte und frustrierte Sexualität der Selbstmordattentäter verbunden mit einer generellen Frauenverachtung problematisiert werden, erzeugt dies im Gegenzug ein Idealbild des westlichen Mannes, dem solche überbordenden Phantasien und Einschränkungen fremd sind, der Frauen mit Wertschätzung begegnet, in seiner (Hetero-)Sexualität unverkrampft und offen ist, den (sexuellen) Kontakt zu Frauen nicht scheut und deshalb auch nicht sexuell frustriert ist.
5.1.7 Verführung und Ver wandlung — der Terrorist als ferngesteuerte ›Zeitbombe‹ Der Spiegel stellt die Selbstmordattentäter nicht nur als religiöse Fanatiker, Kriminelle und Psychopathen heraus, sondern zudem als Verführte und Indoktrinierte. Das Deutungsmuster der Verwandlung unterstreicht, dass die Selbstmordattentäter nicht von Anfang an ›böse‹ waren oder ›böse‹ Absichten verfolgten. Das Bild der Verführung verweist zudem auf einen größeren und mächtigeren Akteur im Hintergrund und leitet den Blick von den konkreten Attentätern hin zum ›eigentlichen‹ Drahtzieher der Attentate, einen großen ›Verführer‹ und ›Indoktrinierer‹, der derart mächtig ist, dass er vormals ›harmlose Studenten‹ jederzeit ›umpolen‹ und für seine Zwecke ›aktivieren‹ kann. Es ist Osama Bin Laden, dem die Rolle des Alice Schwarzer als Reaktion auf den 11. September publizierten Buch »Die Gotteskrieger und die falsche Toleranz« (Schwarzer 2002). Allein die Existenz von Frauen werde als Bedrohung dieser Art von Männlichkeit empfunden, die darauf mit zwei grundsätzlichen Möglichkeiten reagiere: »Die eine ist Ablehnung oder Auslöschung. [...] Die andere Reaktion ist Inbesitznahme« (ebd.: 189f). Die Ursachen für Terrorismus werden in dieser Argumentation auf einen ungelösten Vater-Sohn-Konflikt zurückgeführt und im Individuum und seiner Psyche verortet. Ähnlich argumentiert auch Ute Scheub (2010: 234f). Sie führt die Radikalisierung Attas in erster Linie auf eine »gekränkte Männlichkeit« zurück. Atta sei ein »Muttersöhnchen« gewesen, der seinem Vater die eigene Männlichkeit beweisen wollte.
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›Verführers‹ schließlich zugeschrieben wird. Der Selbstmordattentäter wird dabei als roboterähnliche Maschine wahrgenommen, der beliebig manipuliert und aus der Ferne gesteuert werden kann. In diesem Zusammenhang gewinnen Deutungskategorien wie »Gehirnwäsche« (z.B. Titelbild Spiegel 40/2001, auch 51/2001: 158), ›Zeitbombe‹ oder auch die bereits erwähnte Figur des ›Schläfers‹, der jederzeit geweckt werden kann, an Bedeutung. »Und so kam es, dass sich der kluge, höfliche Student in einen ›menschlichen Roboter verwandelte, der auf Knopfdruck explodierte‹, wie sein Professor Dittmar Machule sagt.« (Spiegel 39/2001: 24) »Man hat sie verführt (Überschrift). […] Die Täter sind Jungs zwischen Pubertät und Reife. Sie sind leicht beeinflussbar und wissen noch nicht zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.« (Spiegel 51/2001: 158f)
Insbesondere die in den Hinterlassenschaften von Mohammed Atta aufgefundene »Dienstanweisung zum Massenmord« (ebd.: 122) wird als gesichertes Indiz dafür gedeutet, dass jeder Schritt ihres Handelns bereits von dritter Seite genauestens vorgeplant war: »Die Attentäter von New York und Washington gingen exakt nach einer Dienstanweisung vor […]. Es lässt sich heute nicht mehr klären, wie genau Mohammed Atta […] den Anweisungen des spirituellen Leitfadens für Selbstmordattentäter gefolgt ist. Aber Atta war ein artiger Terrorist. Zu vermuten ist, dass er jedes Wort aufgesaugt und als Weisung Gottes verstanden hat. Wahrscheinlich also hat er gehorcht, Befehl für Befehl. Wäre er sonst zu dieser Tat fähig gewesen?« (Spiegel 40/2001: 31f)
Den verschiedenen Deutungsmustern (Gehirnwäsche, Verführung, Gehorsam) ist gemein, dass sie den Attentätern einen eigenen Willen und ein individuelles Tatmotiv absprechen. Es dominiert das Motiv der Passivität (›Befehlsempfänger‹), wobei es zudem zu einer deutlichen Infantilisierung (›pubertäre Jungs‹) kommt. Indem die Hauptschuld auf Osama Bin Laden übertragen wird, werden die Attentäter partiell entlastet. Sie scheinen sich an keiner Stelle zur Durchführung der Anschläge aktiv entschieden zu haben noch irgendwelche eigenen politischen Ziele verfolgt zu haben. Mit dem Fehlen eines freien Willens und eigener Entscheidungsfähigkeit werden erneut zentrale Aspekte ›männlicher‹ Subjektivität in Frage gestellt. Das Deutungsmuster ›Verführung‹ ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil Atta und seine Komplizen als Einzeltäter kein ausreichendes Feindbild abgeben, um einen Krieg begründen zu können, zumal sie die Anschläge nicht überlebt haben. Die eigentliche Gefahr muss also von einer größeren, territorial (von Deutschland) losgelösten Bedrohung ausgehen. Zugleich potenziert sich vor dieser Deutungsfolie die Gefahr, da der Kreis der Terror-Verdächtigen auf nahezu alle Männer muslimischen Glaubens ausgeweitet wird: Selbst das Kriterium ›Ausländer‹ bietet dabei keinen hinreichenden Bezugsrahmen zur Bestimmung des neuen Feindes. Dem Deutungsmuster ›Verführung‹ und ›Gehirnwäsche‹ folgend geraten sogar deutsche ›Inländer‹ in Gefahr, zum Terroristen ›umgepolt‹ zu werden.67 Das Kriterium ›islamische Religions67 | So berichtet der Spiegel beispielsweise im Zusammenhang mit der Terroristenfahn-
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zugehörigkeit‹ scheint in diesem Falle das verlässlichere Indiz für eine terroristische ›Anfälligkeit‹ oder Gesinnung zu sein. Kurz: Der neue Feind in Gestalt des ›Schläfers‹ ist in erster Linie ›Muslim‹ und erst in zweiter Linie ›Ausländer‹.
5.1.8 Dämonisierung: Terroristische ›Monster‹ im Auftrag des ›Bösen‹ Die Ereignisse des 11. September werden besonders in der Anfangszeit mit Extrembegriffen zu fassen versucht, die weniger auf die Identifizierung konkreter Personen und Täter abzielen, als dass sie die Ereignisse als eine übermenschliche, schicksalhafte Katastrophe deuten, die alle bisherigen Erfahrungen und Gewissheiten zerstört und gerade für das ›Nie-da-Gewesene‹ und ›Unfassbare‹ – und damit auch das ›Un-Bezeichenbare‹ – steht. Vorherrschend sind abstrakt-metaphysische Deutungsmuster, die die Terroranschläge als Ausdruck allmächtiger ›Monstrosität‹ und ›Einbruch des Bösen‹ interpretieren und eine ausgeprägten Dämonisierung des Feindes bewirken. Die Rede ist von »monströsen Terroranschlägen« (FAZ 17.8.01: 3; Spiegel 45/2001: 141), »monströsem Terror« (FAZ 2.10.01: 16; Spiegel 46/2001: 28), »monströsen Plänen der islamischen Eiferer« (Spiegel 39/2001: 115) oder einem »monströsen Anschlag auf die westliche Zivilisation« (FAZ 13.11.01: 14). Darüber hinaus finden sich Formulierungen wie »Monstrosität der Anschläge« (FAZ 25.10.01: 1) oder »Monstrosität des Terrors« (FAZ 2.10.01: 1). Die Selbstmordattentäter werden in diesem Deutungskontext zu Agenten des Monströsen bzw. zu den ausführenden ›Monstern‹. In der Charakterisierung der Attentäter klingen ebenso christlich-biblische Vorstellungen des ›Bösen‹ an, das sich hinter der ›scheinheiligen‹ Gestalt harmloser Studenten verberge. So ist die Rede von einer »teuflischen Genialität der Terroranschläge« (FAZ 13.9.01: 1). »Der Mann aus Deutschland, der Tausende ins Inferno schicken wollte, wusste, dass es für ihn kein Zurück aus der Hölle geben würde«, betont der Spiegel (38/2001: 26). Metaphern des Monströsen und Bösen beziehen sich bei der Darstellung der Hamburger Attentäter zunächst auf ihre Taten, verweisen aber darüber hinaus auf ein wesentlich mächtigeres ›Böses‹ dahinter, das vorerst abstrakt bleibt, die Attentäter aber möglicherweise aus der Ferne gelenkt und befohlen hat. Die Attentäter handeln dieser Rahmung entsprechend zwar im Auftrag des Bösen oder sind durch das Böse infiziert und verführt worden, aber sie sind nicht das Böse. Im weiteren Verlauf der Berichterstattung heften sich die dämonisierenden Deutungsmuster und christlich-biblischen Metaphorisierungen v.a. an die Figur Osama Bin Laden, auf die ich noch ausführlich eingehen werde.
5.1.9 Der deutsche Krieg im Inneren — »Die Krieger aus Pearl Harburg« Die Repräsentation des Selbstmordattentäters ist v.a. mit dem Diskursstrang ›innere Sicherheit‹ verknüpft. Das in den Medien konstruierte Bild fügt sich dabei in die Beschwörung eines eskalierenden sicherheitspolitischen Bedrohungsszenarios ein, das – wenn es um den deutschen Kontext geht – v.a. als innere Gefahr gedeutet wird. Die Berichterstattung dreht sich um die Frage, welche Versäumnisse in der Vergangenheit begangen wurden und durch welche Maßnahmen diese in Zukunft möglicherweise vermieden werden könnten. Die Ereignisse des 11. September erzwingen dung über die Festnahme eines zum Islam konvertierten 19-jährigen Deutschen. »Dennis J.« habe im Alter von 14 Jahren plötzlich »wie nach einer Gehirnwäsche« angefangen, streng islamisch zu leben und stehe im Verdacht, in einem afghanischen Terroristencamp ausgebildet worden zu sein (42/2001: 37).
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– so die vorherrschende Deutung der FAZ – auch und gerade für die innere Sicherheit ein epochales Umdenken und eine längst überfällige ›Desillusionierung‹, was nichts anderes heißt als der Abschied von einer bis dato vermeintlich allzu laschen Sicherheitspolitik (vgl. Kap. IV.2). Auch der Spiegel, der in Bezug auf die geplante Verschärfung der inneren Sicherheit eine ambivalente Position einnimmt, lässt keine Zweifel an dem vermeintlich extremen Anstieg des Gefahrenpotentials aufkommen. Die Zeiten, in denen Deutschland islamistischen Terroristen »allenfalls nur als Ruheraum« gedient hätte, seien nach dem 11. September vorbei, die Bundesrepublik »fungiert mittlerweile als Operationsbasis für die Vorbereitung von Anschlägen« (38/2001: 28). Mit Verweis auf unterschiedliche Experten und Behörden (BKA, BND, Bundesamt für Verfassungsschutz) wird das beschriebene Bedrohungsszenario zusätzlich authentifiziert: Die Gefahr durch islamistische ›Gotteskrieger‹ steige täglich: »Bis zu 1000 Gotteskrieger sind nach Einschätzung des Bundesnachrichtendienstes nach einer Terrorausbildung in afghanischen Lagern bislang in Europa eingesickert. Rund 150 bis 200 Anhänger soll Bin Laden in Deutschland haben.« (Ebd.: 26)
Für die Sicherheitspolitik sei die »Bedrohung durch militante Islamisten« mittlerweile zur »Herausforderung Nummer Eins« (ebd.: 35) geworden. Überschriften wie »Unsere Sicherheit ist bedroht« (41/2001: 40), »Auch in Deutschland leben Anhänger Ibn Ladins. Mehr als 30 000 Extremisten islamischer Vereinigungen/Bildung ›multinationaler Netzwerke‹« (FAZ 13.9.01: 6) oder »Erzwungene Wende in der inneren Sicherheit« (FAZ 15.9.01: 1) unterstreichen den Ernst der Lage für Deutschland. Dabei richtet sich der Blick nicht nur auf den engeren Kreis der konkreten Terrorverdächtigen, sondern auch auf die geistig-ideologischen Unterstützer des Terrorismus, deren Zahl beträchtlich höher eingestuft wird und die – so die Befürchtung – bereits überall ›unter uns‹ unerkannt leben könnten. »Wer die Spuren des Terrors von Nord nach Süd verfolgt, stößt überall in Deutschland auf diese Sympathisanten. Und manchmal auch auf mehr.« (Spiegel 42/2001: 32)
Eine fettgedruckte Zwischenüberschrift im Spiegel hebt zusätzlich hervor, dass die ›geistigen Sympathisanten‹ bereits unter ›uns‹ sind: »Euphorisch jubelten militante Islamisten in Deutschland über die Massaker« (38/2001: 30). »Freudig erregt« und »geradezu euphorisch« sei der Anschlag bei ihnen aufgenommen worden, heißt es im Text weiter (ebd.). Betrachtet man die Berichterstattung im zeitlichen Verlauf, fällt auf, dass die Ereignisse des 11. September insbesondere im Spiegel mehr und mehr zu einem nationalen Thema umgedeutet und als innenpolitisches Sicherheitsrisiko verhandelt werden. In Deutschland wird der ›Krieg gegen den Terror‹ v.a. innerhalb des eigenen Landes ausgetragen, wobei der ›Schläfer‹ zum deutschen »Staatsfeind« (FAZ 15.9.01: 45) wird, analog zu Bin Laden, der regelmäßig als ›Staatsfeind Nummer Eins der USA‹ betitelt wird. Es kommt zu einer Dramatisierung der Lage: Wie Wortwahl und Kollektivsymbolik aus den Bereichen Krieg und Chaos suggerieren, scheint die Bedrohung der inneren Sicherheit gleichfalls kriegsähnliche Zustände anzunehmen. »Sind denn die Religionskrieger nicht dabei, einen Krieg in die Städte Deutschlands zu tragen?«, fragt der Spiegel rhetorisch (44/2001: 40). Historische
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Analogien zum Zweiten Weltkrieges – häufig werden die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor verglichen – bekräftigen zudem die Interpretation, dass es sich bei den Anschlägen um eine ›Kriegserklärung‹ handele und sich die USA fortan im Krieg befänden. Doch nicht nur die USA, sondern auch Europa und Deutschland sind, bleiben wir auf der Ebene der Kollektivsymbole und Metaphern, in diesen Krieg involviert. So lautet etwa der Titel der vierteiligen Spiegel-Serie über die Hintergründe des 11. September: »Die Krieger aus Pearl Harburg« (48/2001: 40). Während die USA unerwartet von außen angegriffen worden sind, hat Deutschland nunmehr sein eigenes ›Pearl Harbor‹ – resultierend aus der traumatischen Erfahrung, von innen ›unterwandert‹ und damit zumindest indirekt angegriffen und getäuscht worden zu sein. So wird die Tatsache, dass die Terroristen lange Zeit in Deutschland unentdeckt leben konnten und die Attentate vermutlich von dort aus geplant haben, als »Schock für ganz Deutschland« deklariert – und eine deutliche Parallele zu der Schockerfahrung der USA, die aus dem direktem Angriff auf eigenem Territorium resultiert, hergestellt (vgl. Spiegel 38/2001: 26). Auch die FAZ spricht von einem »Schock«, der der deutschen Politik in die Glieder gefahren sei, »als klar wurde, dass entscheidende Fäden der Kriegserklärung an Amerika in Deutschland zusammenliefen« (27.9.01: 1). Die Rahmung als ›innerer Krieg‹ hat Konsequenzen für die Bewertung der politischen Reaktionen: Wenn die Gefährdung der deutsch-europäischen Sicherheit (vor-)kriegsähnliche Zustände annimmt, verlangt dies möglicherweise Mittel und Methoden zu ihrer Bekämpfung, die über polizeiliche Maßnahmen der Verbrechensbekämpfung hinausreichen. Parallel dazu kommt es zu einer deutlichen Kulturalisierung der Gefahr: Das übergreifende Deutungsmuster ›Kriegszustand‹ bezieht sich nicht auf einen Krieg zwischen zwei Staaten, sondern wird in einem generalisierten Sinne für einen ideologisch-kulturellen Krieg bzw. – in Anlehnung an die Huntington’sche These vom »Clash of Civilizations« – den ›Zusammenprall‹ zweier Kulturen verwendet. Vor diesem Hintergrund wird der Terrorist zum ›Krieger einer fremden Kultur‹, der eine Trennung zwischen äußerem und innerem Feind ebenso wie die Unterscheidung zwischen internationaler und nationaler Sicherheit obsolet werden lässt, denn der ›Krieg der Kulturen‹ findet geografisch losgelöst im innenpolitischen wie im internationalen Raum statt: »Im Krieg der Welten sind diese Männer schnell zu mobilisieren, als Kommandosoldaten der Steinzeit-Islamisten um Osama Bin Laden versetzten sie die reiche, technisierte und deshalb so anfällige Erste Welt in Angst. Ausgebildet am Hindukusch – und in Deutschland schwer zu orten. Die Internationale des Terrors […] ist auf dem Vormarsch.« (Spiegel 42/2001: 31)
Die plakative Formel vom »Krieg der Welten« prangt zugleich in großen Lettern auf dem dazugehörigen Titelbild des Spiegels (42/2001), wobei die Überschrift das Cover auch bildlich in zwei Welten teilt: oben die hochtechnisierte ›Erste Welt‹ mit Flugzeugträgern, unten die ›Dritte Welt‹ mit archaisch anmutenden ›Steinzeit-Kriegern‹ (vgl. Abb. 9).
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Abbildung 9: Der Spiegel, Heft 42/2001, Titel
Die Konstruktion einer omnipräsenten Bedrohung, die nicht mehr zwischen innen und außen unterscheidet, wird durch die Kollektivsymbolik bekräftigt. Zur Beschreibung und Deutung der terroristischen Strukturen ist die Metapher eines Netzes vorherrschend, das sich unsichtbar, flächendeckend und äußerst stabil über die ganze Welt lege (ausführlicher in Kap. IV.5.2.2). In eine ähnliche Richtung weist auch die ebenfalls geläufige Metaphorisierung der Hamburger Attentäter als deutsche »Terrorzelle« (Spiegel 39/2001: 21; 48/2001: 40), die entweder an bösartige, wuchernde Krebszellen erinnert oder auch an einen einzigen großen Organismus, der aus unendlich vielen Einzelzellen besteht. Metaphern aus dem Feld der Krankheiten und Epidemien (Pest, Bazillus, Virus, Fieber, Ungeziefer) sind ebenfalls geläufig und verlinken die personalisierten Feindbilder, wie sie in der Gestalt von Mohammed Atta und den anderen Attentätern zu finden sind, mit der diffusen und subjektlosen Gefahr ›Terror‹, die ähnlich einer ansteckenden Krankheit, Seuche oder einem Schädlingsbefall an ihrer Ausbreitung gehindert werden muss. Terroristen werden z.B. als »Pest des 21. Jahrhunderts« (Spiegel 38/2001: 21) oder auch »islamistischer Bazillus« (40/2001: 156) bezeichnet. »Dies ist das Ende: das Ende unserer Unverwundbarkeit. Sie hielt mehr als 200 Jahre. Nun sind wir nur noch wie ein Mensch, der in einem gepanzerten Fahrzeug sitzt und einem Virus erliegt; wir wurden von innen angegriffen.« (Spiegel 53/2001: 30)
Bilder von Ungeziefer assoziierend wird Deutschland wiederholt als »Terroristennest« (Spiegel 39/2001: 20) bezeichnet, in dem Terroristen sich »einnisten«
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(48/2001: 158), »überwintern« (FAZ 27.9.01: 1) und ihre finsteren Pläne »ausbrüten« (Spiegel 43/2001: 137) könnten. Darüber hinaus ist die Rede von »Horte[n]« des Terrorismus (Spiegel 47/2001: 138; 40/2001: 152), die aufgespürt werden, und von einem ideologischen »Nährboden« (42/2001: 166; 52/2001: 52), den es zu entziehen gelte. Gemäß dieser symbolischen Logik werden die Terror-Bekämpfer zu ›Kammerjägern‹ und ›Seuchenschutzexperten‹, die die Terroristen an ihrer Ausbreitung hindern, sie ›ausräuchern‹ oder ›vernichten‹ (müssen) (vgl. Kap. IV.5.3.5).
5.1.10 ›Innere Feinde‹ — Multikulturalismus, ›Asylanten‹ und ›Schläfer‹ Die Themen ›Asyl- und Ausländerpolitik‹ und ›multikulturelle Gesellschaft‹ bilden einen weiteren zentralen Diskursstrang, mit dem die Berichterstattung über die Terroristenfahndung in Deutschland verknüpft wird. ›Terroristen‹ tauchen dabei nicht nur als ›Muslime‹, sondern auch als ›Ausländer‹ und ›Asylbewerber‹ auf. »Für alarmierend halten die deutschen Behörden, dass Bin Ladens Krieger unter den in Deutschland lebenden Muslimen Unterstützer zu rekrutieren suchen. Auch auf Asylbewerber, die sich im kriminellen Milieu von Drogenhändlern oder Kreditkartenfälschern bewegen, gehen die Extremisten zu. Manch potenzieller Attentäter werde sogar mit dem Ziel nach Deutschland geschickt, hier zu Lande Asyl zu beantragen und unter dem Schutz des Flüchtlingsstatus Anschläge vorzubereiten, behauptet Bayerns Innenminister Günther Beckstein: ›Es gibt so genannte Schläfer, die als Kämpfer ausgebildet sind und bei Bedarf aktiviert werden.‹« (Spiegel 38/2001: 30)
Suggeriert wird hier eine prinzipielle Nähe zwischen ›Asylbewerbern‹ und dem Drogen- und Kriminellenmilieu. Zudem klingt der Vorwurf des ›Asylmissbrauchs‹ an, dessen unterstellte Möglichkeit in der Vergangenheit immer wieder zum Regelfall stilisiert wurde und dafür herhalten musste, das Recht auf Asyl in Deutschland immer weiter einzuschränken. So wird permanent skandalisiert, dass der Flüchtlingsstatus von den Terroristen zweckentfremdet und die deutschen »Ausländerbehörden« nachhaltig »getäuscht« (Spiegel 39/2001: 20) worden seien. Das Spiegel-typische Schriftband in der linken oberen Ecke des Titelbildes »Krieg der Welten« (Spiegel 42/2001) stellt mit den Worten »In Afghanistan trainiert – als Asylanten in Europa« einen deutlichen Zusammenhang zwischen ›Asylanten‹ und ›Schläfern‹ her. Dabei kommt es nicht nur zur Wiederbelebung des abfälligen Begriffs des ›Asylanten‹, sondern auch zu einer Aufladung mit neuer Bedeutung: Das an sich schon bedrohliche und negativ aufgeladene Bild der ›Asylanten‹, die die westlichen Länder zu ›überfluten‹ und ›überschwemmen‹ drohten – so eine wiederkehrende Diskursfigur in Öffentlichkeit und Medien seit den frühen 1980er Jahren –, wird um eine neue Gefahrendimension erweitert.68 ›Asylanten‹ können nunmehr auch ›getarnte Terroristen‹ sein, die den ›Asylanten‹-Status instrumentalisiert haben. Die grün abgesetzte Banderole korrespondiert zudem inhaltlich mit dem Gesamtcover: Der dort prophezeite ›Krieg der Welten‹ spielt sich offenbar auch in der Asylpolitik Europas ab. Wenn im Zuge der Terroristenfahndung über Terrorverdächtige und ›Schläfer‹ in 68 | Vgl. zum pejorativen Begriff des ›Asylanten‹ und seiner (rassistischen) Verwendung in den deutschen Medien z.B. die verschiedenen Untersuchungen, die im Umfeld des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung und der Zeitschrift kultuRRevolution entstanden sind (z.B. Jäger 2000 und 1992; Link 1983).
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Deutschland berichtet wird, fällt ein wiederkehrendes Bildmotiv ins Auge, das in diesem Kontext häufig gezeigt wird: muslimische Männer beim Beten, Reihe an Reihe kniend, die Stirn zu Boden geneigt. Zu sehen ist immer eine Masse von Menschen (ggf. als Ausschnitt), nie einzelne Personen oder Gesichter. Die Kameraperspektive nimmt dabei meist eine erhöhte Position von schräg hinten oder von oben ein – diese ›Vogelperspektive‹ vermittelt Überlegenheit und wertet die Gezeigten symbolisch ab. Das Bildmotiv ›betende Muslime‹ fungiert dabei ähnlich wie das Motiv ›verschleierte Frau‹ als Aussage im Sinne Foucaults und verdichtet sich zu einem Symbol für (innere) Gefahr. Anhand der Komposition einer Spiegel-Seite aus dem bereits erwähnten Artikel »Die deutsche Spur« (38/2001: 29), kann dies exemplarisch verdeutlicht werden. Die Seite zeichnet sich durch eine spezifische grafische Gestaltung aus, in der Text und Bild wirkungsvoll zusammenspielen. Zwei Fotos werden präsentiert: Das Foto in der rechten oberen Ecke zeigt laut Bildunterschrift »Betende Muslime in Deutschland«. Das etwas kleinere Foto in der unteren linken Ecke porträtiert BKAChef Kersten und Innenminister Schily vor einem Schild mit der Aufschrift »Pressekonferenz Bundeskriminalamt«. Der exakt in Mitte der Seite stehende und durch Fettdruck hervorgehobene Satz »Es gibt so genannte Schläfer, die als Kämpfer ausgebildet sind und bei Bedarf aktiviert werden« verbindet die beiden Fotos optisch, aber auch inhaltlich miteinander. Betrachtet man das obere Foto der betenden Muslime im Zusammenspiel mit dem Zwischentitel »Es gibt so genannte Schläfer, die […] bei Bedarf aktiviert werden«, kann der Eindruck entstehen, in den Reihen der betenden, in einer ruhenden, schlafähnlichen Stellung verharrenden Männer verstecke sich möglicherweise ein ›Schläfer‹, der auf seinen ›Weckruf‹ wartet. Diese Lesart wird auch durch die Warnung im Artikel selbst unterstützt, dass Bin Ladens Anhänger unter den Muslimen in Deutschland neue Unterstützer zu rekrutieren suchten. Die FAZ macht insbesondere das Konzept des ›Multikulturalismus‹ und die vermeintlich liberale ›Ausländerpolitik‹ vergangener Jahre dafür verantwortlich, dass sich potentielle Terroristen unbehelligt in der deutschen Gesellschaft ›einnisten‹ konnten. So habe der in Deutschland bisher übliche »lässige Umgang mit Fragen der inneren Sicherheit« dazu geführt, dass die Terroristen in Deutschland »schalten, walten und überwintern konnten (und können?), wie und wo sie wollten« (27.9.01: 1). »Die offenen Türen einer liberalen Gesellschaft erwiesen sich als Einfallstore des Bösen und der Glaube, die Feinde der Toleranz durch tolerantes Entgegenkommen besänftigen und kontrollieren zu können, erwies sich als verheerender Irrtum.« (15.9.01: 48)
Die multikulturelle Gesellschaft wird als unkontrollierbare Sicherheits-Schwachstelle gedeutet, die Terroristen perfekten ›Schutz‹ gewähre und »Chancen zur Tarnung« (19.9.01: 49) böte. Aus Sicht der FAZ ist das Projekt ›Multikulturalismus‹ lediglich ein gutgemeintes Konzept, das jedoch von der Realität meilenweit entfernt sei. So werden die Geschehnisse des 11. September als untrügliches Indiz dafür gewertet, dass das Projekt einer friedlichen, multikulturellen Koexistenz und die damit verbundene ›Toleranz‹ gegenüber ›Ausländern‹ – eine Eigenschaft, die im Übrigen einzig den ›westlichen‹ Gesellschaften zugeschrieben wird – eine ideologische Fehlkalkulation und somit gescheitert sei. Bereits wenige Tage nach den Anschlägen wird in der FAZ darüber spekuliert, ob die bevorstehende Abstimmung über das neue Zuwanderungsgesetz nicht aufgrund der aktuellen Ereignisse und der (nicht-westlichen) Herkunft der Attentäter verschoben werden müsse:
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Möglicherweise führen die Anschläge in den Vereinigten Staaten und deren Schockwellen zu einer Veränderung der innenpolitischen Prioritäten. In der Koalition gilt es als nicht ausgeschlossen, daß das Zuwanderungsgesetz wegen der Herkunft der Attentäter zurückgestellt werden muß.« (14.9.01: 16)
Im Sinne einer ›multikulturellen Ernüchterung‹ erteilt die FAZ der Idee einer multikulturellen Gesellschaft eine deutliche Absage – mehr noch: Das Projekt Multikulturalismus wird nunmehr selbst als ›Gefahr‹ präsentiert, durch das eine Unterwanderung und Verwässerung der ›eigenen‹ abendländischen Kultur drohe. Erneut wird die Vorstellung einer prinzipiellen Differenz und Unvereinbarkeit der verschiedenen ›Kulturen‹ und ihrer Wertvorstellungen zugrunde gelegt, wie es für neo-rassistische Denkmuster im Sinne des ›Ethnopluralismus‹ typisch ist. Zur Exemplifizierung der vermeintlichen Inkompatibilität der Kulturen bei gleichzeitiger ›Gefahr‹ für die ›eigene Kultur‹ und ihre Werte, bietet sich offensichtlich ein Thema besonders an: ›Frauenrechte‹ bzw. der gesellschaftliche Status der Frau: »Das mehr grüne als rote Projekt einer Multikultur diente defensiv der Verflüchtigung dessen, was einst ›Abendland‹ genannt wurde, und offensiv der Schaffung einer neuen Bevölkerung – durch freigebige Staatsbürgerschaft und Einwanderung. Eine veränderte Bevölkerung zieht jedoch unweigerlich eine Veränderung der Wertehierarchie im Land nach sich. Wie kann sich das ein Jahrhundert währende Streben nach weiblicher Emanzipation und der Gleichstellung der Frau mit der Idee vertragen, vermehrt Gebetshäuser zu bauen, von denen die weiblichen Gläubigen ausgeschlossen sind? Nur falls man derlei mit Schweigen übergeht.« (FAZ 2.10.01: 1)
5.2 Osama Bin Laden — Mythos und ›Gesicht des Bösen‹ 5.2.1 Dem Terror ein Gesicht verleihen: Osama Bin Laden In zeitlicher Nähe zum 11. September zeichnet sich die Berichterstattung von Spiegel und FAZ durch den Versuch aus, die zunächst als ›feige‹ und ›gesichtslos‹ gebrandmarkten ›Angreifer‹ zu identifizieren und damit dem Feind im wahrsten Wortsinne ein Gesicht zu verleihen. (George W. Bush hatte diese Deutung in seinem Verdikt: »Die Freiheit selbst wurde an diesem Morgen von einem gesichtslosen Feigling attackiert«, zit.n. FAZ 12.9.01: 1, vorgegeben.) Es kommt zu einer Diskurs- und Deutungsexplosion mit dem Ziel, ein schlüssiges Bild der neuen Bedrohungslage und des damit einhergehenden Feindbildes zu entwerfen. Dabei steht bereits kurze Zeit nach den Anschlägen der ›Hauptverdächtige‹ fest, auch wenn die Informations- und Beweislage vage ist: Osama Bin Laden – nicht die bereits identifizierten Flugzeugentführer und Attentäter aus Hamburg-Harburg – wird schließlich zum ›Haupttäter‹ und neuen ›Feind des Westens‹ erkoren: »Bin Ladin hat es geschafft. Selbst wenn die Attentäter nur zu seinen Bewunderern zählten und ohne direkten Auftrag von ihm handelten, gilt er nun doch als der für den Einsturz der babylonischen Türme Verantwortliche – den einen ein Held, den anderen ein Teufel.« (FAZ 20.9.01: 10)
Der diskursive Prozesse des ›Gesicht-Verleihens‹ findet auf dem folgenden Titelbild des Spiegels eine visuelle Entsprechung: Die Einzelteile des diffusen Mosaiks ›Terror‹, welche fast ausnahmslos die brennenden Türme des World Trade Centers zei-
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gen (auf einigen anderen sind Nachrichtensprecher_innen aus dem US-Fernsehen zu sehen), fügen sich zum Porträt Osama Bin Ladens zusammen, der damit zum ›Gesicht des Terrors‹ wird (vgl. Abb. 10). Abbildung 10: Der Spiegel, Heft 39/2001, Titel
Auch wenn die Berichterstattung anfangs noch mit vorsichtigen Formulierungen arbeitet – so heißt es »eventuell unter der Führung des saudischen Millionärs« (FAZ 13.9.01: 1), »der möglicherweise Hauptverdächtige« (ebd.: 16) oder »mutmaßlicher Chefterrorist« (Spiegel 38/2001: 132) – lässt sie insgesamt kaum Zweifel an der Schuld Bin Ladens aufkommen. Durch die mehrfache Hervorhebung seines internationalen, finanziellen und politischen Einflusses, seiner freundschaftlichen Beziehungen zu zahlreichen international gesuchten Terroristen (vgl. ebd.: 132f) und v.a. seiner eigenen »Terror-Karriere« (FAZ 13.9.01: 8) wird seine Verantwortlichkeit für die Anschläge vom 11. September als plausibel herausgestellt. Wie beide Medien darüber hinaus wiederholt berichten, gelte Bin Laden seit Jahren als der international meistgesuchte Terrorist und Urheber zahlreicher Bombenattentate u.a. auf USamerikanische Einrichtungen. Die Ungewissheit, ob er auch hinter den Anschlägen vom 11. September steckt, wird dabei nur selten transparent. Nur wenige Artikel weisen darauf hin, dass Bin Ladens Schuld bisher nicht zweifelsfrei bewiesen sei (z.B. Spiegel 38/2001: 133), und dieser Einwand verschwindet gleich wieder hinter »erdrückenden Indizien« (ebd.), die gegen ihn vorlägen. Ebenfalls wird in der Zeit unmittelbar nach dem 11. September noch kritisch darauf hingewiesen, dass der Westen maßgeblich an dem Aufstieg und Machtgewinn Bin Ladens beteiligt gewesen sei: »Er gilt als Amerikas Staatsfeind Nummer eins und als Hauptverdächtiger der Anschläge von New York und Washington. Doch der saudi-arabische Multimillionär Osama Bin Laden wurde vom Westen nicht immer als Feind betrachtet – die CIA hätschelte ihn lange als Verbündeten. […] Wenn der Saudi-Araber wirklich Drahtzieher des Horrors war, dann trägt die westliche
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN Welt ein gerütteltes Maß an Schuld – vor allem die USA müssen sich vorwerfen lassen, die terroristische Schlange genährt zu haben.« (Ebd.: 132; 134) »›Bin Ladin sei ein ›Monster‹ [so ein französischer Regierungsabgeordneter, A.N.], das von der amerikanischen Außenpolitik ›auf die Welt gebracht‹ worden ist.« (FAZ 18.9.01: 4)
Nachdem US-Präsident Bush am 15.9.2001 Osama bin Laden zum offiziellen »Hauptverdächtigen der Attentate« (FAZ 17.9.01: 1) erklärt hat, werden die einschränkenden Attribute, kritischen Einwände und Zweifel an der Urheberschaft Bin Ladens seltener, zudem werden sie von Begrifflichkeiten überlagert, die den Status als neuen globalen Feind bekräftigen. Als gängige Bezeichnungen für Bin Laden etablieren sich Formulierungen wie »Amerikas Staatsfeind Nummer Eins« (Spiegel 40/2001: 153), »Weltfeind Nummer eins« (39/2001: 14) und »Feind Nummer eins des Westens« (38/2001: 134). Wie ich im Folgenden ausführen werde, sind die ersten Deutungsprozesse v.a. durch die Suche nach ›passenden‹ Begrifflichkeiten zur Benennung und Charakterisierung des neuen Feindes gekennzeichnet. Die Deutungsmuster changieren zwischen einer positiv besetzten Heldenfigur und dem absolut Bösen, und lassen ein mehrdeutiges Bild entstehen. Im Folgenden konzentriere ich mich zunächst auf die Konstruktion Bin Ladens als einer schillernden, widersprüchlichen Figur und die damit einhergehende Mythos-Bildung in den ersten Wochen nach dem 11. September. Im Verlauf der Berichterstattung kommt es sowohl in der FAZ als auch im Spiegel zu einer verstärkten Vereindeutigung sowie zu einer Dämonisierung Bin Ladens als Verkörperung des Bösen und Gegenspieler von US-Präsident George W. Bush.
5.2.2 Multimillionär und Manager eines weltweiten Terrorunternehmens — »Terroristen de luxe« Als aussagekräftigstes Indiz, das den Tatverdacht gegenüber Bin Laden erhärtet, gilt beiden Medien der unermessliche Reichtum seiner Familie. Häufig finden sich Bezeichnungen wie »saudi-arabischer Multimillionär« (Spiegel 39/2001: 167; 44/2001: 126), »saudischer Millionärssohn« (Spiegel 40/2001: 154) oder »Terrormillionär« (Spiegel 40/2001: 154). Wiederholt werden die internationalen finanziellen Verflechtungen und wirtschaftlichen Beziehungen sowie der damit verbundene weltweite Handlungsradius und die enormen Einflussmöglichkeiten in den Vordergrund gestellt, über die Bin Laden und seine Familie verfügen sollen. Bin Laden wird mit diesem Deutungsrahmen weniger als geistiger und ideologischer Anführer herausgestellt, sondern v.a. als ›Finanzier‹ und ›Manager‹ des internationalen Terrorismus, als »Unternehmer der Gewalt« (FAZ 14.9.01: 52). Wiederholt ist von seiner weltweit verzweigter »TerrorGmbH« (Spiegel 38/2001: 132; 39/2001: 14) die Rede. »›Osama bin Laden ist eine Art internationaler Vorstandsvorsitzender einer Dschihad Inc. mit der Tochtergesellschaft Dschihad.com:‹ (Newsweek).« (Spiegel 38/2001: 143 und identisch 39/2001: 16) »Höchst fraglich, ob er beispielsweise den Terminplan von Aktionen seiner weltweit operierenden Filialen kennt oder auch nur deren Treffpunkte und genaue personelle Zusammensetzung. Er finanziert, und er lässt organisieren. Hauptsache, die Ausrichtung der Terror-GmbH stimmt.« (Spiegel 38/2001: 143)
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Der Deutungsrahmen ›Terror als globales Unternehmen‹, das Bin Laden als obersten Chef und Top-Manager ausweist, spiegelt sich auch in der für Bin Laden populären Bezeichnung »Chefterrorist« (FAZ 13.9.01: 8; Spiegel 38/2001: 132) wider. Die Deutungskategorie ›Multimillionär/Manager‹ orientiert sich dabei auffällig an westlich-hegemonialen Vorstellungen moderner Männlichkeit (vgl. Connell 2000), hier in Gestalt des erfolgreichen Unternehmers und wohlhabenden Geschäftsmannes: rational, berechnend, an politischem und ökonomischem Machtgewinn, Einfluss und Reichtum orientiert. »Terroristen de luxe« (39/2001: 16) nennt der Spiegel deshalb Bin Laden und seine Stellvertreter. Bin Ladens finanzielles und unternehmerisches Management des anti-westlichen ›Terrors‹ bzw. das Phänomen Terrorismus insgesamt wird im Spiegel häufig durch die Metapher des ›Netzes‹ veranschaulicht.69 Der Vergleich mit einem unsichtbaren, engmaschigen und ebenso weit verzweigten Geflecht unterstreicht die von Bin Laden ausgehende Gefahr, insbesondere für eine von ökonomischen Interessen geleitete, globalisierte Welt. Wiederholt ist die Rede von einem »internationalen Netz des Terrors« oder auch »Osama Bin Ladens globale[m] Terrornetz« (38/2001: 138). Die ›netzartigen‹ Beziehungen der mutmaßlichen Terroristen und Gruppen untereinander sowie ihre wirtschaftlichen Verflechtungen werden ausführlich erforscht (39/2001: 112). »Das Netz des Terrors spannt sich über immer mehr Städte, mit neuen Adressen, Namen, Kontonummern. Doch mit jeder Spur […] wächst auch die Sorge, dass es zu viele Gotteskrieger gibt, um das Netz schnell zu zerreißen.« (42/2001: 6)
Durch die Metapher des Netzes wird der einzelne Terrorist zum Teil eines größeren, weit verzweigten Zusammenhanges. Der Terrorist ist demnach kein Einzeltäter, sondern Produkt und Teil eines größeren Geflechts, einer um ein Vielfaches potenzierten Gefahr mit Namen ›Terror‹ – ein Feind, der sich »an vielen Orten auf[hält]« (39/2001: 152). Dabei wird immer wieder auf Bin Laden als eigentlichen Drahtzieher im Hintergrund verwiesen, der wie eine ›Spinne‹ »aus den Höhlen und Schluchten des Hindukusch-Gebirges die Fäden seines internationalen Terrornetzes spinnt« (53/2001: 28).
5.2.3 Höhlenmensch und Zornprophet — »Messias der afghanischen Berghöhlen« Der Repräsentation Bin Ladens als millionenschwerem ›Terroristen de luxe‹ wird das kontrastierende Deutungsmuster des vormodernen und primitiven ›SteinzeitIslamisten‹ an die Seite gestellt. Die Rede ist von einem »sanftmütig blickenden biblischen Höhlenmenschen« (FAZ 8.12.01: 8), der sich in der afghanischen Höhlenwelt verstecke, wie die Taliban in der rauen Natur in kärglichen Verhältnissen lebe und einen einfachen und archaischen Lebensstil pflege. Wiederholt verweisen beide Medien auf die Felsspalten und unterirdischen Tunnelsysteme, die Bin Laden und den Taliban als Unterschlupf und Behausung dienten. 69 | Des Weiteren finden sich Kollektivsymbole aus dem Bereich Fluten und Strömen — »Geldquellen und Finanzströme« (39/2001: 152), »Terror-Geldflüsse« (41/2001: 109), »Um das finanzielle Netzwerk der Terroristen auszutrocknen« (ebd. 106) —, die als Zeichen für Chaos und Gefahr bekannt sind (vgl. Link 2001b).
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Der Mann stand im Schutz der kargen Felswand, bei Gefahr könnte er in der Höhle im Hintergrund Schutz finden. Der Turban um seinen Kopf war aus grobem Stoff gewebt, die Öllampe spendete Licht.« (FAZ 12.10.01: 7) »Sieht sich Osama Bin Laden, irgendwo im afghanischen Gebirge versteckt, als Nachfolger des ›Alten vom Berge‹70, seine al-Qaida als Neuauflage eines mittelalterlichen Geheimbundes?« (Spiegel 41/2001: 178)
Auch die verwendeten Fotos zeigen Bin Laden zumeist im Freien, vor einer Höhle oder Felswand sitzend oder in spartanisch eingerichteten Unterkünften (z.B. Spiegel 42/2001: 218; 47/2001: 136; 48/2001: 168). Durch die beiden konträren Deutungsmuster ›Terrorist de luxe‹ und ›Höhlenmensch‹ erhält die Figur Bin Laden gegensätzliche Züge, denn sie vereint sowohl Zuschreibungen von Modernität und Fortschritt wie auch von Vormoderne und Rückständigkeit (vgl. IV.5.1.3), von der Affirmation eines amerikanischen way of life und einem Hass auf die USA und den Westen, von weltlichem Reichtum und Luxus ebenso wie von Armut und Einfachheit, von einer städtisch-zivilisierten wie von einer natürlich-wilden Lebensweise. Die Gleichzeitigkeit von Moderne und Vormoderne wird als Paradoxon interpretiert und zudem als ›scheinheilige‹ Inszenierung, die im Westen die Wut weiter schüre: »Und es ging, behauptete auf der Gegenseite ein mörderischer Prophet vor einer Felsenwand in der Wüste, grauhaarig, hager und mit großem Ernst – paradoxerweise aber auch in einer amerikanischen Kampfjacke und mit einer Timex-Uhr am Arm – um einen Krieg der ›Rechtgläubigen gegen die Ungläubigen‹.« (Spiegel 42/2001: 159) »Er wirkt nicht als unnahbarer, gewalttätige Macht ausstrahlender Herrscher wie Saddam Hussein, vielmehr wirkt er wie ein gütiger Priester. Ein solcher Gegensatz von friedfertiger äußerer Erscheinung und dem angeblich von seinen Gefolgsleuten verübten Terror bringt die Amerikaner in Rage. Sie sind nämlich im Umgang mit anderen Menschen Direktheit gewöhnt, man nennt Dinge so, wie sie sind, beim Namen und umgibt sich nicht mit einer falschen Aura.« (FAZ 17.9.01: 5)
Anders als bei der Inszenierung der Attentäter aus Deutschland, bei denen eine wahnhafte islamistische Überzeugung als elementarer Bestandteil ihrer Persönlichkeit und Motor ihres Handelns in den Vordergrund gerückt wird, ergibt sich für Bin Laden auch im Hinblick auf die religiöse Motivation seines Handelns ein unentschiedenes Bild. So wird Bin Laden zum einen als fanatisch-religiöser Anführer, ein anderes Mal jedoch als strategisch-planender, politischer Agitator präsentiert, bei dem in erster Linie kühle Berechnung, Machtinteressen und Weltherrschaftsanspruch, nicht aber religiöse Überzeugung im Vordergrund stünden. Der Islam werde instrumentalisiert, erfüllt aus dieser Perspektive also eine strategische, mobilisierende Funktion. So heißt es beispielsweise in der FAZ: »Auch seine äußere Erscheinung, ob er nun im arabischen Gewand oder in Militäruniform auftritt, soll der Welt von seinem doppelten Führungsanspruch künden: Oberbefehlshaber des Dschihad und mohammedanischer Gerechtigkeitsapostel. Der Bezug auf den Propheten 70 | Die Verortung in der Tradition des ›Alten vom Berge‹ verweist Bin Laden zudem ins Zeitalter der Kreuzzüge.
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « Muhammad ist Strategie. Der bärtige Glaubenskrieger mit dem sanften Blick, der nicht wie die Araber in seiner Heimat Saudi-Arabien eine zeitgenössische Keffiya trägt, sondern ein weißes Kopftuch, umgibt sich gern mit einer Aura von Ursprünglichkeit, als wäre er die Wiedergeburt eines Mitreiters Muhammads.« (9.10.01: 49)
Symbolisch für die politische und machtstrategische Motivation Bin Ladens stehen die ›militärische Kampfjacke‹ und ›Kalaschnikow‹, die ebenfalls regelmäßig in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Während die weißen und schlichten Gewänder die religiöse Seite symbolisieren, werden Militäruniform und Waffe als Ausdruck des ›weltlichen‹ Ansinnens und der Entschlossenheit zu Krieg und Kampf gegen den Westen interpretiert. »Ein wenig wirkte es wie eine Szene aus der Weihnachtsgeschichte. […] Seine Stimme wirkte weich, sein Gesicht asketisch. Und doch war die Szene nicht biblisch. Er war in eine olivgrünbraune Tarnuniform gekleidet, in der Hand hielt er ein Mikrofon, und neben ihm stand eine Kalaschnikow. Und vor allem sprach er nicht vom Frieden, sondern davon, daß die Menschen in den Vereinigten Staaten von Sicherheit nicht einmal mehr träumen würden. Dafür werde Allah sorgen, der den Himmel ohne Säulen errichtet habe. Und Usama Bin Ladin sieht sich als willfähriges Werkzeug dafür.« (FAZ 12.10.01: 7)
Die politische Motivation Bin Ladens wird jedoch nur punktuell angeführt. Die zutiefst (christlich-)religiös eingefärbte Rhetorik zieht sich hingegen durch die gesamte Berichterstattung und ist kennzeichnend für die Konstruktion der Figur Bin Laden. Das äußere Erscheinungsbild Bin Ladens wird wiederholt mit einem Heiligen oder dem Messias selbst verglichen: Bin Laden, der »Heiland« mit dem »wallenden Bart« und der »sanften Stimme«, wirke »prophetenhaft« (Spiegel 43/2001: 160) oder auch wie ein »gütiger Priester« (FAZ 17.9.01: 5), er habe »etwas von einem Heiligen an sich« (FAZ 21.9.01: 10), sei von einer »fast göttlichen Aura« (ebd.: 16) umgeben oder erinnere an »Jesus von Nazareth« (Spiegel 43/2001: 160). Für seine Anhänger_innen nehme er »Züge des Heiligen oder Erlösers an« (ebd.). Die Allegorisierungen als Prophet, Apostel oder auch Messias werden häufig mit ›irrationalen‹, einem fanatischen Islamismus zugeschriebenen Attributen gekoppelt. Daraus entstehen Wortschöpfungen wie »Dschihad-Apostel«, »der Heilige mit dem brennenden Blick« (ebd.) und »Messias der afghanischen Berghöhlen« (ebd.: 162), »Terroristenprediger«, »mohammedanischer Gerechtigkeitsapostel« und »islamischer Zornprophet« (FAZ 9.10.01: 49). Mit der Figur des religiösen Propheten und Heiligen und der des säkular konnotierten Managers stehen sich damit wiederum zwei Gegenpole gegenüber.
5.2.4 Mythos und Ikone — die »Aura eines Helden« Wie die Charakterisierung Bin Ladens ist auch die Darstellung seines äußeren Erscheinungsbildes von Ambivalenzen geprägt: Auf der einen Seite wird Bin Laden als eine eindrucksvolle Erscheinung – gut aussehend, elegant, stilvoll und erlesen gekleidet, von aufragender Gestalt, zudem gebildet, feinsinnig, charismatisch und sanftmütig – beschrieben. Die positiven – mit okzidentalen bzw. christlich-abendländischen Konnotationen versehenen – Beschreibungen seines Äußeren werden jedoch regelmäßig kontrastiert mit einer dunklen und verbrecherischen Seite, die sich vermeintlich hinter dem harmlosen Antlitz verbirgt.
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Der ›New Yorker‹-Autorin Mary Anne Weaver kam der elegante, großgewachsene Bin Laden in seinem feinem Zwirn gearbeiteten afghanischen Shalwar-Kameez-Mantel und den handgefertigten Beal-Brother-Boots vor wie ein Möchtegern-Samariter: Er verteilte Süßigkeiten bei den Verwundeten, munterte die erschöpften Kämpfer mit Geschenken auf. Bin Laden aber muss in Wahrheit noch ein zweites Gesicht besessen haben. Er ließ strategische Tunnel graben und Waffendepots anlegen.« (Spiegel 38/2001: 134)
Die wiederholten Hinweise auf das akkurate, gepflegte und gesittete Erscheinungsbild Bin Ladens muten zur Charakterisierung des neuen ›Hauptfeindes des Westens‹ zunächst ungewöhnlich an, werden Feindbilder doch zumeist mit möglichst verabscheuungswürdigen Aspekten versehen. FAZ und Spiegel heben jedoch wiederholt die vermeintlich sanfte und ruhige Ausstrahlung, die edlen und feinen Gesichtzüge und den milden und gütigen Blick Bin Ladens hervor. So ist die Rede von dem »mild dreinschauende[n] Multimillionär« (Spiegel 47/2001: 142) mit dem »sanften Blick« (FAZ 9.10.01: 49). Bin Laden habe ein »edles, weises Gesicht« (FAZ 19.12.01: 11), verfüge über eine »intellektuelle Ausstrahlung« (FAZ 17.9.01: 6) und »Redegewandtheit« (FAZ 21.9.01: 10). Allerdings wird dieses positive Bild dadurch ins Negative gewendet, dass es auf Bin Ladens Willen zur Selbstinszenierung zurückgeführt wird. Erneut scheint dabei der Vorwurf der besonderen Perfidie durch, versteckt Bin Laden doch hinter der ›schönen Maske‹ seine umso brutaler scheinende Grausamkeit. »Wenn er mit einer Kalaschnikow posiert, bei einer Hochzeit zugegen ist oder einen heiligen Text liest, vermittelt er mit jeder selbstverliebten Geste das Kamerabewußtsein eines Schauspielers. Er ist hochgewachsen, sieht gut aus, besitzt Gewandtheit, Intelligenz und Anziehungskraft – alles großartige Eigenschaften, sofern man nicht der meistgesuchte Verbrecher der Welt ist. […] Noch bemerkenswerter erscheint mir aber seine kaum gezügelte männliche Eitelkeit, sein Hang zur Selbstdarstellung und seine heimliche Sehnsucht, im Rampenlicht zu stehen.« (FAZ 17.10.01: 49)
Dieses Deutungsmuster ist auch im Spiegel zu finden: Bin Laden genieße es, sich selbst zu inszenieren, erfreue sich an den Legenden um seine Person und sei »voller Eitelkeit« (38/2001: 134). Die Darstellung der äußerlichen und charakterlichen Merkmale Bin Ladens, insbesondere sein Auftreten und seine Kleidung, weckt Assoziationen an spezifisch moderne Vorstellungen von (hegemonialer) Männlichkeit, die sich durch Attraktivität, Eleganz, Wohlstand, einen urbanen und exzellenten Lebens- und Kleidungsstil, Körperkontrolle sowie einen noblen Geist, Charme und Intelligenz, bisweilen aber auch durch Selbstverliebtheit, Arroganz und Eitelkeit auszeichnet. Die charismatische Ausstrahlung wird zugleich als Grund für die große Popularität Bin Ladens sowie für die allgemeine Faszination, die von seiner Person ausgehe, interpretiert. Die positiven Zuschreibungen verleihen der Figur Bin Laden zudem den Status eines Helden. Eigenschaften wie Großherzigkeit, Großzügigkeit und Sorge um die Kranken und Schwachen knüpfen an klassische männliche Heldenfiguren an: den ›Revolutionär‹, der für soziale Gerechtigkeit kämpft, den ›barmherzigen Samariter‹, der sich um die Verwundeten kümmert. So gelte Bin Laden für viele Muslime auf der ganzen Welt als »Vorkämpfer für die gerechte Sache« (FAZ 23.11.01: 8) und »Retter der Entrechteten« (Spiegel 44/2001: 126). Er sei der »›Robin Hood der arabisch-muslimischen Welt‹«, und »immer mehr Radikale der islamischen Szene schließen sich ihm an« (Spiegel 42/2001: 31). Dabei werde er als einer
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verehrt, der »nicht gekommen [sei], um zu stehlen, sondern um Wahres zu tun« (FAZ 12.10.2001: 7). Die Figur Bin Laden, wie sie insbesondere in der arabischen Presse entworfen werde, umgebe »die Aura eines Helden«, bringt die FAZ (23.11.01: 8) die Eigentümlichkeit des neuen Feindbildes auf den Punkt. »Die Jagd der USA und die Äußerung des amerikanischen Präsidenten Bush, er wolle Bin Laden ›tot oder lebendig‹, haben seine [Bin Ladens, A.N.] Popularität noch gesteigert. Als der Mann, der im Alleingang der Großmacht USA trotzt, ist er bereits jetzt eine Legende.« (vgl. Spiegel 42/2001: 204)
Die Heldengeschichten, die sich um Bin Laden ranken, kleiden die Figur Bin Laden zudem in eine mythologische Form, die über die ›reale‹ Person Bin Laden hinausweist und ›Bin Laden‹ zu einer Art Kult und (Medien-)Ikone werden lässt. FAZ und Spiegel lassen jedoch keine Zweifel daran aufkommen, dass es sich bei dem Deutungsmuster des ›Helden‹ um eine irrationale Glorifizierung und Heldenverehrung unter den Muslim_innen handle, die der Westen – wie der folgende FAZ-Kommentar nahelegt – allerdings durch das Fehlen einer integrativen Heldenfigur auch mit verschuldet habe. »Der Krieg gegen den Terrorismus ist kein Kampf um Land, sondern um Menschen. Und die Menschen, um die es geht, leben nicht im Westen, sondern in der islamischen Welt, zu der auch die Muslime im Westen gehören. Viele dieser Muslime sind junge Leute, erfüllt von dem romantischen Wunsch, sich einen Platz in der Welt zu erobern und Anerkennung zu finden. […] Versetzen wir uns einmal in diesen Jugendlichen und fragen uns, was ihn mitreißt. Auf der einen Seite sieht er Bin Ladin, der nicht hinter einem Schreibtisch sitzt, sondern in einer Höhle, gekleidet im schmucklosen Gewand des strenggläubigen Muslim, der so sanft aussieht und doch so stark ist – ein Mann, der seinen Weg geht. Dieser Jugendliche stellt sich vor, daß er später einmal wie Bin Ladin wird oder . . . wie wer? Wie sieht das andere Bild aus? Ist es Bush, der im blauen Anzug das Weiße Haus verläßt? Nein. Es gibt überhaupt keine romantische Heldenfigur auf der anderen Seite.« (FAZ 10.10.01: 60)
Zahlreiche weitere Artikel machen die Mythologisierung Bin Ladens zum Gegenstand kritischer Reflexion, wobei der betriebene Personenkult stets in den Ländern der ›Zweiten‹ und ›Dritten Welt‹ lokalisiert wird. Mehrfach wird über das ›Label‹ Bin Laden berichtet, das T-Shirts, Tassen, Handy-Displays, Schlüsselanhänger und allerhand andere Souvenirs schmücke und das innerhalb kürzester Zeit zum Platzhalter und Zeichen für eine antiwestliche, antiamerikanische und antikapitalistische Haltung geworden sei. So seien T-Shirts, auf denen Bin Laden zusammen mit einer Landkarte Afghanistans und einer Kalaschnikow abgebildet sei, »Reißer in der pakistanischen Stadt Peshawar an der afghanischen Grenzen«, und in der indonesischen Hauptstadt Jakarta hätten, seit Bin Laden als Hauptverdächtiger ausgerufen worden sei, »Händler ihre Umsätze mit Usama-T-Shirts mehr als verdoppelt« (FAZ 28.9.01: 62). Und der Spiegel befürchtet vor diesem Hintergrund, dass Bin Laden »eine internationale Kultfigur […], ein Ché Guevara des 21. Jahrhunderts« (43/2001: 160) werden könnte. Die Mythosbildung und Ikonisierung ist es, die die Figur Bin Laden ganz erheblich von den Selbstmordattentätern wie den Taliban unterscheidet. Seine Glorifizierung wird dabei stets als Ausdruck einer in der ›islamischen Welt‹ verbreiteten anti-westlichen Grundeinstellung präsentiert – wodurch er aus westlicher Sicht geradewegs zum ›Anti-Helden‹ wird.
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Darüber hinaus heben FAZ und Spiegel wiederholt den Eigenanteil hervor, den Bin Laden selbst an der Entstehung und Ausgestaltung des Heldenmythos habe. Regelmäßig werden dazu die von Bin Laden kursierenden Videobotschaften unter die Lupe genommen und sein Auftreten und Erscheinungsbild analysiert. Die friedfertige, sanftmütige und heldenhafte Aura wird dabei wiederum als Effekt einer gezielt strategischen Selbstinszenierung gedeutet: »Usama Bin Ladin hat sich erneut zum Führer der muslimischen Weltrevolution erklärt und auch die passende Drapierung dafür gefunden. Seit den Anschlägen blickt alle Welt auf diesen Mann, der sich in seiner Lieblingsrolle als islamischer Zornprophet so betont gelassen inszeniert.« (FAZ 9.10.01: 49)
Ein wesentlicher Bestandteil von Heldenkonstruktionen im Allgemeinen ist der Aspekt der ›Opferbereitschaft‹, also der Bereitschaft, sein Leben für den Kampf um die Sache zu opfern. Ein solcher Märtyrertod könnte somit im Umkehrschluss die Anziehungskraft des Helden bei seinen Anhänger_innen noch erhöhen. Daraus folgert der Spiegel, dass es für die USA und den Westen besser wäre, wenn Bin Laden keinen Märtyrertod sterben oder spurlos verschwinden würde. Wünschenswerter wäre vielmehr eine »gründliche Entzauberung« (Spiegel 43/2001: 162) des Mythos wie z.B. durch eine Festnahme und ein langwieriges Gerichtsverfahren.71 Sonst könne es passieren, dass Bin Laden gerade durch seinen Heldentod etliche seiner Anhänger_innen im Kampf gegen die USA ebenfalls zum »Opfergang« (ebd.) mobilisiere.72
5.2.5 Dämonisierung I: ›Gesicht des Bösen‹ und ›Teufel in weißem Gewand‹ Im Verlauf der Berichterstattung kommt es in Spiegel und FAZ zu einer Dämonisierung Bin Ladens, die wiederum auf christlich-religiöser Kollektivsymbolik und der manichäischen Unterscheidung zwischen gut und böse aufruht. Folgt man dem kollektivsymbolisch vermittelten Deutungsrahmen, scheint in Anbetracht der Katastrophe, des ungeheuren Ausmaßes der Zerstörung und der Plötzlichkeit ihres Eintretens ›das Böse‹ selbst über ›uns‹ hereingebrochen zu sein und markiert – jetzt konkretisiert in der Gestalt Bin Ladens – eine absolute Gefahr für die Menschheit. »Das Böse hat ein Gesicht bekommen«, schreibt die FAZ (9.10.01: 49).
71 | Erinnert sei an dieser Stelle an die Festnahme von Saddam Hussein 2005, die medienwirksam in Szene gesetzt wurde und als eine solche ›Entzauberung‹ — oder auch Geste der Demütigung — gelesen werden kann: Immer wieder wurde die Festnahme Husseins in seinem unterirdischen Versteck gezeigt, Großaufnahmen zeigten ihn danach bei der (erzwungenen) zahntechnischen Untersuchung und Bartrasur. Insgesamt sah man einen Mann in geschwächtem und verwahrlostem Zustand, dessen Gestalt kaum noch an den despotischen Herrscher erinnerte. 72 | Die Aufspürung und sofortige Eliminierung Bin Ladens zehn Jahre später, im Mai 2011, hatte nicht die befürchteten Folgen und keine massenhaften Solidaritätsbekundungen ausgelöst. Offenbar hat der ›Mythos Bin Laden‹ mittlerweile seine Wirkkraft verloren – oder aber, sich von seinem Referenzsubjekt gelöst. Auch wurde in der politischen und medialen Wiedergabe der Ereignisse, die zur Ergreifung und Tötung Bin Ladens geführt haben, alles vermieden, seinen Tod als ›Heldentod‹ dastehen zu lassen.
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Insbesondere in der FAZ ist die Verwendung christlich-religiöser Bilder und Metaphern auffällig, wiederholt ist von »apokalyptischen Anschlägen« (29.9.01: 12) oder »apokalyptischen Bedrohungen« (12.10.01: 1) die Rede. Insgesamt wird das Bild eines biblischen Weltuntergangsszenarios erzeugt, eines finalen Kampfes zwischen den Religionen bzw. jetzt der ›Kulturen‹. Häufig Verwendung finden Kollektivsymbole wie ›Apokalypse‹, ›Armageddon‹, ›Kreuzzug‹, ›Endkampf‹, ›Gut und Böse‹, z.B. in den Formulierungen »Reich des Bösen« (17.9.01: 1), »Kampf gegen das Böse« (24.9.01: 14), »Endkampf zwischen Gut und Böse« (13.9.01: 1) und »das Gute wird siegen« (ebd.). Die Terroranschläge seien das »neue Böse« (15.9.01: 4; 24.9.01: 51), »Teufelswerk« (18.9.01: 55), »das größte Zerstörungswerk Luzifers« (21.9.01: 49) und eine »Sünde wider die Kultur« (2.10.01: 1), geprägt von einer »diabolischen Phantasie« (13.9.01: 52) bzw. »teuflischen Logik« (14.9.01: 51). Dieser Rhetorik entspricht auch Bushs Formulierung, die »freie Welt« befände sich in einem »Kreuzzug gegen den Terrorismus« (18.9.01: 1) oder auch in einem »Kreuzzug gegen das ›absolut Böse‹« (Spiegel 39/2001: 15). Die Ereignisse des 11. September als ›Werk des Teufels‹ und Ausdruck des ›Bösen‹ in der Welt zu deuten, verleiht den Ereignissen eine metaphysische Notwendigkeit, womit politisch-gesellschaftliche Faktoren an Erklärungskraft verlieren, wie es der folgende Diskursbeitrag beispielhaft zeigt: »Daß es diese kalte Leidenschaft der Zerstörung gibt, ist weniger Folge verfehlter Politik als vielmehr Teil der conditio humana, christlich gesprochen: der Erbsünde. Das Böse ist in der Welt, mit und ohne Globalisierung.« (FAZ 17.9.01: 1)
Auch die Debatten um Schuld und Verantwortung, Versöhnung und Dialog sind von einer tief religiösen Symbolik geprägt. In Anbetracht des ›teuflischen Terrors‹ erscheinen christliche Feindesliebe und Vergebung unangebracht und kämen nach dieser Deutungslogik selbst einem Pakt mit dem Teufel gleich. So wird gegenüber (potentiellen) Terroristen Unversöhnlichkeit propagiert: »Und es bleibt kein Zweifel daran, daß unsere, die westliche Deutung sich international durchsetzen soll, wonach Terrorangriffe eine Sünde wider die Kultur sind. Hier ergeben sich die Gemeinsamkeiten mit all den Staaten – gleich welcher ideologischen oder religiösen Prägung –, die Terrorangriffe ausnahmslos ablehnen, sowie die Unversöhnlichkeit gegenüber all denen, seien sie Einzeltäter, Staaten oder bandenmäßig organisierte Gruppen, die im Terror ein gerechtfertigtes Mittel gegen Andersdenkende und Andersgläubige sehen.« (FAZ 2.10.01: 1)
Die christlich-religiöse Metaphorik und Rede vom Bösen lassen Bin Laden zur Verkörperung einer omnipotenten, satanischen Macht werden – einer »abstrakten metaphysischen Größe«, wie der Islamwissenschaftler Navid Kermani (2002: 32) es ausdrückt –, die sich von dem konkreten Ereignis ›11. September‹ zunehmend löst und gerade dadurch die Gefahr ins Absolute erhöht. Bin Laden steht nunmehr, ganz gleich ob er wirklich hinter den Anschlägen steckt, für eine enthobene und doch allgegenwärtige Bedrohung des Westens. Im Gegenzug werden die USA und mit ihr der Westen als Agenten des Guten in Szene gesetzt, sie stehen für ebenso übergeordnete, jedoch hehre Werte wie Freiheit, Zivilisation, Demokratie, Menschenrechte etc. und verdichten sich so ebenfalls zu einer ›abstrakt-metaphysischen Größe‹.
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Wie bereits gezeigt, wurde auch bei den Attentätern des 11. September eine metaphysische Rahmung als ›böse‹, ›teuflisch‹ und ›monströs‹ virulent (vgl. Kap. IV.5.1.8). Diese konnte aber keine so weitreichende Deutungsmacht entfalten wie es bei der Figur Bin Laden der Fall ist. Das Böse, das sich mit den Anschlägen offenbart habe, wird Schritt für Schritt vereindeutigt und in die Gestalt eines übermächtigen ›WeltFeindes‹ überführt: Die eigentlichen Täter eignen sich hierfür offensichtlich weniger gut als Bin Laden, der schließlich dem Bösen ein Gesicht verleiht. Die Deutung seiner Person als (maskierte) Verkörperung des Bösen und Handlanger des Teufels rekurriert dabei auf tief verankerte kollektive Ängste der christlich-abendländischen Kultur. Wie der französische Historiker Jean Delumeau (1989) ausgeführt hat, wurde die Angst vor dem Satan und seinen Helfershelfern mit dem Heraufziehen der Moderne ein fester Bestandteil der europäischen Mentalität. Der Satan wurde v.a. als übermenschlicher »Verführer« und »außergewöhnlicher Illusionist« (ebd.: 380) gefürchtet, der die Menschen durch diabolische Trugbilder und allmächtige Zaubereien täusche und sich der Körper und Sinne der Menschen sowie der sie umgebenden Außenwelt bemächtige (vgl. ebd.: 375). Versatzstücke dieser Kollektivangst fließen in die Konstruktion des neuen Feindbildes ein. Ähnlich wie bei den Attentätern aus Deutschland ist es die auch im vorigen Kapitel bereits thematisierte Diskrepanz zwischen einer harmlosen äußeren ›Erscheinung‹ und einem bösen inneren ›Wesen‹, die als besonders verabscheuungswürdig wahrgenommen wird und Ängste und Empörung speist: »Usama Bin Ladin hat ein edles, weises Gesicht. Und der 11. September in New York war ein prächtiger Spätsommertag. Ideales Flug- und Fotowetter. Von dieser Spannung zwischen vordergründiger Schönheit und abgründigem Schrecken leben viele unserer Bilder.« (FAZ 19.12.01: 11)
Die Uneindeutigkeit von Gut und Böse ist typisch für die symbolische Struktur des Feindbildes ›Terrorist‹, wie es sich nach dem 11. September herauskristallisiert. Während es bei Mohammed Atta und den anderen Attentätern die Angepasstheit an ein ›normales‹ westliches Leben war, die ihre ›wahren‹ Absichten verschleierten, wird bei Bin Laden die – christlich gerahmte – schöne, fast göttliche Ausstrahlung in den Vordergrund gerückt. Bin Laden wird zum ›Teufel in göttlichem Gewand‹. Eine Farbsymbolik von schwarz/weiß, hell/dunkel, Licht/Schatten unterstreicht den Dualismus zwischen Gut und Böse. So wird regelmäßig auf Bin Ladens weiße oder auch reine Gewänder und den weißen Turban verwiesen – die im krassen Gegensatz zu dem teuflischen, dunklen und hässlichen Charakter stehen (auf Fotos wird Letzterer oftmals dadurch ›sichtbar gemacht‹, dass der Bildausschnitt neben der edlen Erscheinung Bin Ladens auch eine Kalaschnikow zeigt, vgl. Abb. 11, Kap. 5.2.9). Die gütige, göttlich-heldenhafte Erscheinung des ›Heilands‹ und die diabolische Unsichtbarkeit des ›Teufels‹ verschmelzen in der Konstruktion Bin Ladens als neuem Hauptfeind des Westens. Auch in dem Deutungsmuster der ›Verführung‹, wie ich es bereits für die Konstruktion der Attentäter aus Hamburg-Harburg ausgeführt habe (Kap. IV.5.1.7), finden sich Spuren der Angst vor dem Teufel. Durch die dämonisierende Rahmung des Geschehens wird Bin Laden zu jenem teuflischen Verführer, der von den jungen Männern Besitz ergriffen und sie zu willenlosen Marionetten gemacht hat. Als ›Agent des Teufels‹ imaginiert, verfügt Bin Laden über eine geradezu übernatürliche Macht
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der Beeinflussung und Blendung und muss somit als der ›eigentliche‹ Schuldige für die Anschläge des 11. September gelten. Die konkreten Täter werden im Gegenzug zu ohnmächtig ausgelieferten, vom Teufel besessen Objekten.
5.2.6 Dämonisierung II: Bin Laden als neuer Hitler Neben der religiösen Form der Dämonisierung findet sich eine weitere Variante, die auf die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg anspielt. Diese Art der ›historischen Dämonisierung‹ ist der ersten quantitativ unterlegen, zudem entfaltet dieses Deutungsmuster weit weniger Durchsetzungskraft als die Deutung eines ›Kampfes zwischen Gut und Böse‹. Auch wenn in der Berichterstattung explizite Vergleiche mit ›Auschwitz‹ oder ›Hitler‹ weitaus weniger häufig zu finden sind als in der Berichterstattung über den Zweiten Golfkrieg (hier wurde Saddam Hussein als ›Hitlers Widergänger‹ präsentiert) oder den Kosovokrieg (den Joschka Fischer bekanntlich mit der Forderung ›Nie wieder Auschwitz‹ zu legitimieren versuchte), ist doch auch in der Berichterstattung über den ›Krieg gegen den Terror‹ ein impliziter und expliziter Bezug auf den Nationalsozialismus unverkennbar. Die terroristischen ›Angreifer‹ werden – in Anlehnung an eine Äußerung des US-Präsidenten – als »Erben von Faschismus und Nationalsozialismus« (FAZ 22.9.01: 1) bezeichnet und der Terrorismus als »neue Form faschistischer Tyrannei« (FAZ 14.11.01: 5). Auch in der deutschen Politik wird über eine faschistische Gesinnung der Attentäter diskutiert, Innenminister Schily spricht z.B. von einem »religiöse[n] Faschismus« (FAZ 14.11.01: 8). Im Rahmen dieser Deutungslogik, die Terrorismus als neuen ›Krieg‹ und ›Faschismus‹ des 21. Jahrhunderts interpretiert, wird Osama Bin Laden, auch wenn er nicht Oberhaupt eines Staates ist, in eine Reihe mit den Anführern vergangener ›Diktaturen‹ gestellt. Es ist insbesondere der Nationalsozialismus bzw. der Holocaust, der für einen historischen Vergleich herangezogen wird. Bin Laden wird dabei zum neuen Hitler. »Wenn Sie sich ein Bild von den Taliban machen wollen, denken Sie an die Nazis. Und wenn Sie sich ein Bild von Ibn Ladin machen wollen, denken Sie an Hitler. Und wenn Sie sich ein Bild von ›den Menschen in Afghanistan‹ machen wollen, dann denken Sie an die Juden in den Konzentrationslagern.« (FAZ 18.9.01: 49) 73 »Hitlers Schatten scheint seit dem Ende des Kalten Krieges verblaßt, die Rolle des Oberschurken vakant. Seit dem 11. September hat man einen würdigen Nachfolger gefunden. Und so lautet Winklers [gemeint ist der Historiker Heinrich August Winkler, A.N.] Folgerung: Der Krieg gegen Bin Ladin ist ebenso legitim wie der alliierte Kampf gegen Hitler.« (FAZ 8.11.01: 3)
Ein Beispiel für einen impliziten NS-Bezug findet sich im Spiegel: Mitte Dezember – in Afghanistan toben die letzten Gefechte um den Höhlenkomplex Tora Bora, in denen auch das Versteck Bin Ladens vermutet wird – taucht erneut eine Videobotschaft von Bin Laden auf, die weltweit ausgestrahlt wird. Sie wird in den westlichen Medien als Schuldeingeständnis Bin Ladens für die Anschläge des 11. September gewertet. In einem Artikel mit der Hauptüberschrift »Die Banalität des Bösen«
73 | Das Zitat stammt von dem aus Afghanistan kommenden Gastautor Tamim Ansary, der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung in den USA lebt.
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(51/2001: 142) beschäftigt sich der Spiegel ausgiebig mit dem »Video-Geständnis«. Im Text selbst heißt es dazu: »Die amerikanische Fernsehnation erlebte den ehemaligen saudischen Multimillionär als Terroristen in Turban und Tarnjacke, der beim Abendessen beiläufig über die Massenmorde witzelt – die Banalität des Bösen.« (Ebd.)
Die Formulierung ›Banalität des Bösen‹ geht zurück auf Hannah Arendts Überlegungen zum Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem 1961 (vgl. Arendt 2004 [1964]).74 Die impliziten oder expliziten Verweise auf Nationalsozialismus und Holocaust erzeugen einen besonderen moralischen Handlungsdruck, die dem ›Kampf gegen den Terrorismus‹ Nachdruck und zusätzliche Legitimität verleihen. Wie diese dämonisierende Deutung, die Bin Laden mit Hitler gleichsetzt, nahelegt, scheint ein Krieg nicht nur unvermeidlich, sondern sogar zwingend erforderlich, will man nicht erneut die ›Vernichtung‹ eines ganzen ›Volkes‹ in Kauf nehmen.
5.2.7 Diffuse Unbestimmtheit — das Phantom »mit dem ewigen rätselhaften Lächeln« Die Medienfigur Bin Laden ist von ambivalenten Zuschreibungen und Gegensätzen geprägt – des einen Held, des anderen Teufel. Die Figur ›Bin Laden‹ bleibt trotz aller Deutungsbemühungen rätselhaft und paradox und nicht in Gänze greif- und erklärbar. Diese Art der Inszenierung verleiht ihr eine geheimnisvolle Prägung und ›unwirkliche‹ Gestalt: eine legendäre Erscheinung, angesiedelt an der Schwelle zwischen Realität und Mythos. Denn anders als bei den Selbstmordattentätern werden die ambivalenten Zuschreibungen nicht nach einer Seite hin aufgelöst, indem z.B. das, was ›gut‹ erscheint, als bewusste Täuschung ›entlarvt‹ wird. Vielmehr kennzeichnet gerade die Uneindeutigkeit selbst diesen »unsichtbaren Feind« (FAZ 1.10.01: 2); ›Ungreifbarkeit‹ ist eines seiner wesentlichen Merkmale: »Nachdem inzwischen vermutlich jedes in den Archiven verfügbare Bewegungs- und Standbild von Usama Bin Ladin gesendet und gedruckt worden ist, bricht die Zeit der fehlenden Bilder an: die Jagd auf einen Unsichtbaren, dessen Spuren sich im afghanischen Bergland verlieren, in einem Labyrinth von Höhlen, aus denen nur Schwarz gähnte, wenn man sich überhaupt ein Bild von ihnen machen könnte; das undurchsichtige, rhizomartige Netzwerk der Al Qaida, des Gegners ohne Kontur, Gesicht und Frontlinie; der Krieg an weitgehend unsichtbaren Orten, den karge Nachbesichtigungen und grobkörniges Videomaterial der amerikanischen Streitkräfte dokumentieren; das Heer der Schläfer, die keiner erkennt, solange sie nicht ›geweckt‹ werden.« (FAZ 31.10.01: 58)
74 | Der kontrovers diskutierte Begriff der ›Banalität‹ bezieht sich dabei nicht, wie oft missverstanden, auf eine Banalisierung und damit Verniedlichung und Verharmlosung der Taten, sondern gerade auf die Diskrepanz zwischen der Ungeheuerlichkeit der Tat, dem unvorstellbaren Ausmaß der Verfolgung und Vernichtung der Juden und Jüdinnen, und der Unscheinbarkeit und Selbstverständlichkeit auf Seiten des Täters, der einem durchschnittlichen, unauffälligen, psychisch ›normalen‹ Deutschen entsprach und nicht einem glühenden Antisemiten oder ›menschlichen Ungeheuer‹.
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Metaphern von Dunkelheit, Schwärze und Schatten begleiten die Konstruktion Bin Ladens und seiner Organisation Al-Qaida als einer ›unsichtbaren‹ Gestalt, die schemenhaft und vage, und damit für die Fahnder ein Phantom bleibt. Die Rede ist beispielsweise von der »schattenhaften Organisation« Al-Qaida (Spiegel 38/2001: 143; 39/2001: 16), »einem Phantom namens Usama Bin Ladin« (FAZ 18.9.01: 55), »Bin Ladens Schattenarmeen« (FAZ 17.10.01: 49) oder auch einem »Krieg im Schatten« (Spiegel 40/2001: 152). Neben Unsichtbarkeit und Konturlosigkeit wird permanent das Fehlen einer staatlichen und geografischen Fixierung hervorgehoben, wodurch der neue Feind zu einer ortlosen und allgegenwärtigen Bedrohung wird: »Man bereite sich auf einen langwierigen Feldzug gegen den Feind vor. Doch welcher Feind? […] Dieser Gegner ist an keinen geographischen Ort gebunden. Er agiert aus dem Verborgenen heraus und folgt dem Prinzip der Vernetzung.« (FAZ 18.9.01: 55)
Das phantomhafte Bild wird unterstützt von der Tatsache, dass Bin Laden auch in der Realität ›unfassbar‹ bleibt (und erst nach fast zehn Jahren von den USA aufgespürt und getötet wurde). Bin Laden agiert zudem nicht als Vertreter eines Staates oder einer para- oder substaatlichen Gruppierung, was ihn ebenfalls von den vorangegangenen Hauptfeinden des Westens unterscheidet. Das Fehlen eines eindeutigen Bekenntnisses zu den Anschlägen des 11. Septembers, etwa in Form eines Bekennerschreibens, weist in eine ähnliche Richtung und lässt Raum für Spekulationen und Projektionen aller Art.75 Die wiederholte Hervorhebung des sanftmütig und friedfertig wirkenden äußeren Erscheinungsbildes Bin Ladens (als perfekter Maskierung des Bösen) ist nicht nur elementarer Bestandteil der Dämonisierung Bin Ladens, sondern auch seiner Mystifizierung. Einen besonderen Bezugspunkt bildet dabei das geheimnisvolle Lächeln des neuen Feindes. Wiederholt weisen beide Medien auf Bin Ladens »mildes Lächeln« (FAZ 17.9.01: 5) hin, welches einerseits Hinterhältigkeit und Zynismus der Selbstinszenierung zu belegen scheint und zugleich eine mystisch-verklärte Aura erzeugt: »Wer ist dieser Mann mit dem ewigen rätselhaften Lächeln und der stets griffbereiten Kalaschnikow?« (Spiegel 39/2001: 15)
Die Betonung des sanftmütigen Lächelns kann jedoch ebenso gut als Teil der religiösen Dämonisierung Bin Ladens verstanden werden, als ›diabolisches Lächeln‹, das die teuflische Seite nach außen kehrt.
5.2.8 Sexualitäts- und Männlichkeitsbilder: ›Queer Terrorist‹ und die Monstrosität des Uneindeutigen Betrachtet man die geschlechtliche Rahmung Bin Ladens, also Aussagen und Implikationen, die auf eine (unterstellte) geschlechtliche Identität und Sexualität anspielen, ergibt sich ebenfalls ein mehrdeutiges und widersprüchliches Bild. 75 | So gibt es zahlreiche Verschwörungstheorien, die die Existenz Bin Ladens grundsätzlich in Zweifel ziehen und ihn als Propagandainszenierung der USA begreifen. Solcherart verschwörungstheoretische Argumentationsmuster sind in FAZ und Spiegel jedoch nicht zu finden.
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN »Blütenweiß sind die Gewänder des hoch gewachsenen, selbstverliebten Heilands der Berghöhlen, weich und fließend die Gebärden seiner schönen Hände, sinnlich die Lippen, die den Hass verströmen. Prophetenhaft wirkt sein wallender Bart, sanft und melodisch klingt seine Stimme, und die Gebrechlichkeit seines Körpers gibt ihm eine eigentümliche Würde.« (Spiegel 43/2001: 160) »Seine Stimme wirkte weich, sein Gesicht asketisch.« (FAZ 12.10.01: 7)
Sinnlichkeit, Weichheit und Sanftheit gelten gemeinhin als stereotype ›weibliche‹ Attribute. Sie können deshalb auch als symbolische Demaskulinisierungs- oder auch Feminisierungsstrategien verstanden werden. Die christlich-religiöse Symbolik trägt zudem zu einer Entsexualisierung Bin Ladens bei. Mit der melodischen Stimme und dem wallenden Bart wirkt er – in einem christlichen Sinne – auf fast göttliche Art ›asexuell‹. ›Bin Laden‹ wird hier als spirituell-geistliche Lichtgestalt, frei von sexueller Begierde, präsentiert. Die Kennzeichnung als ›gebrechlich‹ und mit einer ›eigentümlichen Würde‹ versehen erinnert zudem mehr an einen alten, kranken Mann als an ›vitale‹ Männlichkeit. Das tendenziell feminisierte Äußere evoziert zudem Vorstellungen von weiblicher, diabolischer Verlockung und Verführung. Nicht zufällig galten insbesondere Frauen als besonders gefährliche Agentinnen des Teufels, wie die Hexenverfolgung im Mittelalter nachdrücklich belegt. Dabei war das Bild der Frau insbesondere innerhalb patriarchal strukturierter Gesellschaften stets ein zweischneidiges: gekennzeichnet durch eine Mischung aus Anziehung und Angst. Die Einstellung gegenüber Frauen changierte zwischen Verehrung und Abstoßung, Bewunderung und Feindseligkeit (vgl. Delumeau 1989, Kap. 10). Ein ähnliches Schwanken zwischen Faszination, Angst und Abscheu prägt auch die Beschreibung der Figur Bin Laden. Hinter der sanftmütigen und sinnlich-lockenden Fassade lauert das Böse, eine gewaltbereite und grausame, archaische Männlichkeit. Die ins absolut Negative und Böse verkehrten, hybriden Geschlechtszuschreibungen erscheinen zudem als unvollständig. Die Weiblichkeit ist verführerisch, aber nicht sorgend, die Männlichkeit ist aggressiv, aber nicht schützend. Suggerierten bereits die feminisierenden Darstellungsmuster, dass Bin Laden kein ›richtiger Mann‹ sei bzw. es sich um eine ›Verfehlung‹ hegemonialer (westlicher) Männlichkeit handele – was den Verdacht einer möglichen Homosexualität bereits impliziert –, wird diese Rahmung an anderer Stelle explizit: Die Videoaufnahmen von Bin Ladens ließen einen »homoerotischen Narziss« vermuten, ist in der FAZ (17.10.01: 49) zu lesen. In einem anderen Artikel, der sich mit den Gerüchten, Mythen und Verschwörungstheorien um Bin Laden befasst, heißt es, Psycholog_innen hätten bei Bin Laden eine »unterdrückte Homosexualität« (FAZ 13.10.01: 9) festgestellt. Ähnlich wie bei der medialen Repräsentation von Mohammed Atta ist es der Verweis auf eine vermeintlich deviante Sexualität, die den Terroristen als ›anders‹ und ›Anderen‹ ausweist.76 76 | Die Konstruktion Bin Ladens als ›homosexuell‹ stellt insbesondere in den visuellen Darstellungen ein zentrales Motiv dar, wie verschiedene Untersuchungen zeigen (z.B. Puar/ Rai 2002; Nader 2003; Engle 2007). Diese Arbeiten beziehen sich jedoch v.a. auf den USamerikanischen Kontext und die dort nach dem 11. September zirkulierenden Bilder und Fotos bzw. Fotomontagen. In den deutschen Printmedien waren diese oder ähnliche Bilder nicht zu finden, jedoch erlangten viele dieser Bilder und Fotos über das Internet globale
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Die Homosexualisierung stellt nur eine der diskursiven Strategie dar, mit denen Bin Laden eine ›abnorme‹ Sexualität unterstellt wird. Der vermeintlich gescheiterten Heterosexualität steht noch eine andere, ebenfalls ›pervertierte‹, dem westlichen Selbstverständnis zuwiderlaufende Sexualität, zur Seite: die Polygamie bzw. verfehlte Monogamie des islamischen Mannes. Regelmäßig werden die polygamen Beziehungsformen Bin Ladens und seiner Familie in den Fokus genommen, die das orientalistische Stereotyp des Anderen als unersättlichen, hyperpotenten ›Lüstlings‹, der sich einen ganzen ›Harem‹ hält, aufleben lassen. So weiß der Spiegel von »drei verschiedenen Ehefrauen, alle aus politisch wichtigen Familien«, mit denen Bin Laden »zehn Kinder« gezeugt haben soll, 1996 sei er gleich mit »4 Frauen und 13 Kindern […] in einem gecharterten Jet« unterwegs gewesen (38/2001: 137f). Insgesamt wechseln die Deutungen zwischen einer Hypermaskulinisierung, verstanden als die Übertreibung und Überbetonung von (heterosexueller, gewaltaffiner) Männlichkeit, auf der einen Seite, und einer Demaskulinisierung, als das Absprechen einer gültigen (heterosexuellen) Männlichkeit, und Feminisierung, als Zuschreibung weiblich konnotierter (homosexueller) Eigenschaften, auf der anderen. Durch die Kombination beider Deutungsmuster entsteht eine paradoxe Gleichzeitigkeit von heimlicher Homosexualität und polygamer Hyperheterosexualität. Die Figur Bin Laden wird zu einer ›queeren‹ und gleichzeitig ›hybriden Monstrosität‹, in der nicht nur die Kategorien weiblich und männlich, sondern auch homo- und heterosexuell verschwimmen. Neben Homosexualität und Polygamie gibt noch ein drittes Motiv, durch das die Sexualität des Terroristen als ›anders‹ (nicht-westlich und islamisch) und zugleich ›anormal‹ und ›minderwertig‹ markiert wird: eine extreme Frauenverachtung und -unterdrückung, die sich im persönlichen wie im gesellschaftlichen Umgang mit Frauen niederschlage. Das Deutungsmuster einer ›patriarchalen Frauenfeindlichkeit‹ ist dabei durchgängig bei allen drei Figurationen des neuen Feindbildes ›islamischer Terrorist‹ zu finden: bei Mohammed Atta und den Attentätern (vgl. Kap. IV.5.1.5), bei Bin Laden und am ausgeprägtesten bei den Taliban (vgl. Kap. IV.5.3.6). Bin Laden ist dabei aus Sicht des Spiegels politisch noch gefährlicher als die Taliban, denn er strebe eine weltweite Verbreitung des – als islamisch gekennzeichneten – Frauenhasses an. So ist beispielsweise von einem »frauenverachtenden Kreuzzug« (47/2001: 224) Bin Ladens die Rede. »Omars [der Anführer der Taliban, A.N.] Leute verfochten von Anfang an einen besonders rigiden Islam: keine Frauenarbeit, keine Schulausbildung für Mädchen, keine Unterhaltungsmusik. Aber sie hatten keinerlei panislamische Ideologie, und die Vorstellung, andere Länder zu ›talibanisieren‹, war ihnen fremd. Ihre neue aggressive Weltsicht stammt von Osama Bin Laden.« (38/2001: 138) Verbreitung und wurden auch im deutschen Kontext aufgegriffen, in verschiedenen Internet-Foren gepostet oder via E-Mail gestreut. Ein immer wiederkehrendes Foto-Motiv zeigt Osama Bin Laden, der von verschiedenen Gegenständen (z.B. einem verkleinerten Abbild des Empire State Building) oder Personen (vorzugsweise von George W. Bush) anal penetriert und somit als ›schwul‹ assoziiert wird. Puar und Rai (2002: 126) schreiben zu dieser Art der Darstellung: »American retaliation promises to emasculate bin Laden and turn him into a fag. This promise not only suggests that if you’re not for the war, you’re a fag, it also incites violence against queers and specifically queers of color.«
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Das heteronormative ›westliche‹ Geschlechterverhältnis fungiert insgesamt, wenngleich unausgesprochen, als Subtext, vor dem sich die Sexualität des Terroristen erst als ›anders‹ und ›anormal‹ abheben kann. Diese Wechselwirkung lässt sich insbesondere anhand der konträren Deutungsmuster ›Frauenfeinde‹ versus ›Frauenfreunde‹ aufzeigen. Betrachtet man die Berichterstattung im Ganzen, stehen sich der frauenfeindliche und in seiner Sexualität ›anormale‹ Terrorist und der männlich-starke, heterosexuelle, frauenfreundliche westliche Mann, der nicht nur seiner eigenen Frau mit Achtung und Wertschätzung gegenübertritt, sondern dem das Wohl aller Frauen am Herzen liegt, als Gegenbilder gegenüber (vgl. hierzu die Figur des Just Warrior in Kap. IV.4.).
5.2.9 Maskulinisierung: Bin Laden als männlicher Gegenspieler Neben den ausgeführten Strategien der Veruneindeutigung und der Delegitimierung von Geschlecht und Sexualität kommt es zu einer paradoxen Gegenbewegung, der ausgeprägten (Hyper-)Maskulinisierung Bin Ladens, indem dieser als (einziger) Gegenspieler und Erzfeind des US-Präsidenten präsentiert wird. Das Phänomen ›Terror‹, das sich binärer, geschlechtlich kodierter Zuordnungen zu widersetzen scheint, wird in Richtung ›männlicher Angreifer‹ vereindeutigt. Bipolare Gegenüberstellungen von Bush (als Vertreter der ›freien Welt‹) und Bin Laden (als deren Feind) durchziehen die Texte. In der Konstruktion als gewaltiger und hyperaggressiver Feind wird Bin Laden auf spezifische Weise als männlicher Feind sichtbar, der über die Macht und Potenz verfügt, der Welt den Krieg zu erklären. »Offenbar meint es dieser Mann ernst, er fordert Amerika zum Kampf heraus.« (FAZ 9.10.01: 7) »Dieser Mann will Amerika zerstören, wir sollten es nicht dahin kommen lassen.« (FAZ 8.10.01: 1)
›Terror‹ wird hier als Duellsituation gedeutet, in der sich US-Präsident Bush und Osama Bin Laden als männliche Gegenspieler bzw. Duellanten im Zweikampf gegenüberstehen. Folgt man dieser Lesart, hat der ›islamische Terrorismus‹, personalisiert in der Figur Bin Laden, Amerika und die ›zivilisierte westliche Welt‹ durch die Anschläge vom 11. September zutiefst gedemütigt, in ihrer Wehrfähigkeit und damit in ihrer ›männlichen Ehre‹ verletzt und damit herausgefordert. In diesem Zweikampf zwischen Gut und Böse verkörpert Bin Laden die Rolle des feigen Angreifers, wobei, einem heroischen Gestus folgend, der US-Präsident (stellvertretend für die westliche Welt) die ›Kampfansage‹ und ›Kriegserklärung‹ ohne Zögern annimmt, um die ›Demütigung‹ zu tilgen und die verletzte ›Ehre‹ zu retten. Es kommt zu einer Vermännlichung des Feindes, indem dieser als satisfaktionsfähiger Gegner gemäß den Regularien eines bürgerlichen Duells (Frevert 1995) bzw. der ernsten Spiele des Wettbewerbs (Bourdieu 1997 und 2005) anerkannt wird (vgl. Kap. IV.3.9). So lässt sich Bushs ›Kampfansage‹, er wolle »Bin Laden ›tot oder lebendig‹« (FAZ 15.10.01: 4) zur Strecke bringen, als Annahme der ›Herausforderung‹ interpretieren (vgl. Kap. IV.1.1). Der zuvor noch unsichtbare und gesichtslose Angreifer wird zunächst ›identifiziert‹ und damit in die Gestalt eines potentiell fassbaren Verbrechers überführt und zugleich als ernst zu nehmender, extrem gefährlicher Gegenspieler präsentiert. Denn durch die polarisierte Gegenüberstellung von Bin Laden und Bush, dem ›Vormann der letzten verbliebenen Supermacht‹ (vgl. Kap. IV.1.6), wird auch das
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Macht- und Gefahrenpotential Bin Ladens deutlich bekräftigt. Es kommt zu einer ›Aufwertung‹ des Feindes wie auch der als legitim erachteten Gegenreaktionen in dem Sinne, dass die Figur Bin Laden nicht nur als angreifende Einzelperson, sondern als quasi-staatlicher Anführer einer ganzen ›Kultur‹ (parallel zu Bush und ›dem Westen‹) fungiert, was eine kriegerische Sanktion, wie sie eigentlich nur gegenüber Staaten und deren Anführern erfolgen kann, überhaupt erst möglich macht. Andererseits ist jedoch gerade die Satisfaktionsfähigkeit des Gegners Voraussetzung für die Wiederherstellung der eigenen männlichen Ehre. Denn nur ein ebenbürtiger und damit satisfaktionsfähiger Gegner kann die eigene Männlichkeit und Ehre bestätigen, ansonsten würde das Duell seinen Sinn verfehlen und selbst wiederum zu einem Verlust an Ansehen und Ehre führen.77 Ein zweiter Punkt betrifft die Bewertung und Verknappung der möglichen Reaktionsformen auf den 11. September. Die Art der Deutung beeinflusst in entscheidender Weise die Wahrnehmung der als richtig erachteten Reaktionen und Gegenmaßnahmen. Folgt man dem Deutungsmuster des Duells bzw. eines ›Kampfes um männliche Ehre‹, erscheinen insbesondere männlich konnotierte Tugenden wie Mut und Entschlossenheit als Grundhaltung und Antwort auf die Geschehnisse plausibel und angemessen. Im Gegenzug gerät jedes Zaudern in Verdacht, der Duellforderung nicht mit der nötigen Tapferkeit und Entschlossenheit zu begegnen, ihr womöglich sogar aus dem Weg gehen zu wollen, was wiederum selbst als ›feige‹ und ›unmännlich‹ gilt und zu einem Ehrverlust führen würde (vgl. Kap. IV.1.7.2). Das Deutungsmuster ›Duell‹ könnte so mit erklären, warum eine militärische Antwort auf die Anschläge einleuchtend erscheint und wie in der FAZ relativ ungebrochen befürwortet wird – oder wie im Spiegel als zumindest nachvollziehbar interpretiert wird. Abbildung 11: Der Spiegel, Heft 38/2001, S. 132-133
77 | Diese Lesart spiegelt sich auch in dem Deutungsmuster eines Kampfes ›David gegen Goliath‹ wider, das im Spiegel zur Beschreibung des US-Krieges gegen die Taliban Verwendung findet. Die Betonung der klaren Asymmetrie der Gegner führt zu einem Ansehensverlust der USA und damit zu einer Diskreditierung des US-Kriegs insgesamt.
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Die Gegenüberstellung der Kontrahenten ›Bush‹ bzw. ›USA‹ und ›Bin Laden‹ wird nicht nur auf textlicher, sondern auch auf visueller Ebene vollzogen. Häufig zu finden sind Fotoarrangements, die z.B. Fotos von Bin Laden (oder den Taliban) unmittelbar neben Fotos platzieren, die Bush oder ein die USA repräsentierendes Motiv zeigen, insbesondere Bilder der von den Anschlägen verursachten Zerstörung. Die Abbildung zeigt ein solches typisches Bildmotiv: Bin Laden in Gegenüberstellung mit dem zerstörten World Trade Center (vgl. Abb. 11). Die Bilderpolitik arbeitet dabei mit den bekannten binären Gegensätzen: Sanftmütigkeit (in der ›harmlos‹ wirkenden Gestalt Bin Ladens) versus Hyperpotenz (bezogen auf das Ausmaß der Zerstörungskraft), Böse versus Gut, Feind versus Freund, Anti-Held versus Helden (in Gestalt der ›tapferen Feuerwehrleute‹ an Ground Zero). Die Gegenüberstellung Bin Ladens mit dem Ausmaß der Zerstörung verbildlicht zudem die besondere Gefahr, die sich hinter der unscheinbaren Fassade verbirgt und ›entlarvt‹ das sanftmütige Lächeln als hinterhältige Lüge.
5.3 Die Taliban — ›Primitive Tyrannei‹ Die mediale Konstruktion des neuen Feindbildes ›islamischer Terrorist‹ umfasst neben den Hamburger Selbstmordattentätern, Bin Laden und seiner Organisation Al-Qaida als dritten Bestandteil die afghanischen Taliban. Dabei geraten die Taliban jedoch erst später, im Verlauf des Oktober 2001 als eigenständiges Feindbild in den Fokus der Berichterstattung. Unmittelbar nach dem 11. September stehen die Taliban zwar im Verdacht, Bin Laden Unterschlupf zu gewähren (»mörderische Gastgeber«, FAZ 17.9.01: 3; »perfide Gastgeber«, Spiegel 39/2001: 15), und geraten damit bereits als Ziel potentieller Vergeltungsmaßnahmen in den Blick. Die Feindbildkonstruktionen konzentrieren sich in der Anfangszeit jedoch auf die Selbstmordattentäter und Bin Laden. Dies ändert sich im Vorfeld des Krieges und insbesondere mit dessen Beginn am 7. Oktober 2001: Die Berichterstattung über die Taliban nimmt deutlich zu und verdrängt jene über die Attentäter fast völlig. Dabei werden den Taliban nunmehr selbst terroristische Aktivitäten zugeschrieben, aus ›Gastgebern‹ werden ›Mittäter‹ und ›Terroristen‹. FAZ und Spiegel betonen gleichermaßen die Mitverantwortung der Taliban am internationalen Terrorismus sowie ihre (indirekte) Verwicklung in die Anschläge des 11. September. Wiederholt wird hervorgehoben, dass sich die Taliban schützend vor dem »bei ihnen residierenden Terroristen Usama Bin Ladin« (FAZ 12.9.01: 3) stellten und terroristische Organisationen generell protegierten. Dabei wird insbesondere die Weigerung der Taliban hervorgehoben, Bin Laden an die USA auszuliefern. Die Taliban würden zudem »Ausbildungsstätten für Terroristen von Bin Ladens Terrornetz Al Qaida« (FAZ 15.9.01: 6) betreiben und könnten daher als »Beschützer von Bin Ladens Terrornetzwerk al-Qaida« (Spiegel 42/2001: 160) gelten. Auch wenn keine gesicherten Erkenntnisse über den Aufenthaltsort Bin Ladens vorlägen, sei es doch »am wahrscheinlichsten, daß er sich im Schutz der Taliban, deren archaische Religiosität er teilt, am sichersten fühlt« und die Anschläge von Afghanistan aus geplant und koordiniert habe, mutmaßt die FAZ (13.9.01: 8). Darüber hinaus wird eine direkte Beteiligung der Taliban an der Planung und Vorbereitung der Terror-Anschläge suggeriert, wenn beispielsweise von »Bin Laden und seinen Taliban-Helfern« (Spiegel 39/2001: 157; 41/2001: 130), Bin Ladens »afghanischen
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Helfershelfern« (44/2001: 143) oder »Taliban-Helfershelfer[n]« (47/2001: 136; auch 42/2001: 7) gesprochen wird. Dabei geraten nicht nur die Taliban, sondern das gesamte Regime bzw. der afghanische Staat unter Terrorismus-Verdacht, woraus die Begründung und Legitimation einer kriegerischen Intervention abgeleitet wird. Die FAZ folgt dabei Bushs früher Ankündigung, dass man »nicht zwischen den Terroristen unterscheiden [werde], die diese Taten begangen haben, und jenen, die sie beherbergt haben« (Bush zit.n. FAZ 13.9.01: 1): Noch nicht einmal die »größten Idealisten« würden vermutlich verlangen, schreibt die FAZ, dass zwischen denjenigen, die »den Terroristen Unterschlupf, politischen und propagandistischen Rückhalt gewährten – und das immer noch tun –«, und den eigentlichen Tätern »fein säuberlich geschieden« werde (13.9.01: 16). Taliban und ›Terror‹ verschmelzen dabei bisweilen zu einer Einheit, die Rede ist beispielsweise von »Taliban-Terroristen« (FAZ 23.10.01: 55), dem »Taliban-Terror« (Spiegel 46/2001: 24) und »Kabuls Terror-Regime« (40/2001: 175). Darüber hinaus ist von einem »Regime, das den Terrorismus unterstützt« (FAZ 9.10.01: 6), oder auch von »terroristische[n] Unterdrücker[n]« (ebd.: 1) die Rede. Ganz Afghanistan wird als ›Operationsbasis‹ für Terroristen präsentiert, die nicht nur Bin Laden, sondern Terroristen generell als ›Niststätte‹ und ›Schutzzone‹ diene. Die Taliban hätten das Land zu einem »Unterschlupf für Terroristen« gemacht, schreibt der Spiegel (46/2001: 156), und die FAZ spricht von Afghanistan als einer »Brutstätte von Extremisten«, wo »einst gefeierte Mudschahedin Afghanistans […] zu Terroristen von Al Qaida [mutierten]« (23.11.01: 16). Im weiteren Verlauf des Krieges kommt es parallel zur Dämonisierung Bin Ladens auch in Bezug auf die Taliban zu einer ausgeprägten Dämonisierung, in deren Mittelpunkt das als menschenverachtend beschriebene Regime der Taliban sowie ein als besonders archaisch und brutal gekennzeichneter islamischer Fundamentalismus stehen. Die Taliban werden dabei fast ausschließlich als Kollektiv oder Masse präsentiert, als ent-individualisiert, rückständig und extrem gefährlich. Die einzige Ausnahme bildet der »Ober-Taliban« (Spiegel 39/2001: 167) Mullah Mohammed Omar, dessen Darstellung sich jedoch auf sein ›wildes‹ Äußeres und eine ›barbarische Brutalität‹ beschränkt. Ähnliche personalisierende und psychologisierende Darstellungsmuster wie bei den Selbstmordattentätern und Bin Laden sind hier nicht zu finden.
5.3.1 ›Blutrünstige Krieger‹ und ›primitive Barbaren‹ Die Taliban werden von Beginn an als extrem blutrünstig, erbarmungslos und kriegslüstern präsentiert. Begriffe wie ›abschlachten‹, ›vernichten‹, ›aufknüpfen‹, ›massakrieren‹ oder ›wegbomben‹ stellen immer wieder ihre vermeintliche Grausamkeit und unstillbare Lust an Kampf- und Gewaltexzessen in den Vordergrund. »Die Taliban können nichts als kämpfen«, titelt die FAZ (24.9.01: 3). Nicht immer wird dabei zwischen Taliban und Afghanen unterschieden. Im Rückblick auf vergangene Kriege und die gewaltförmigen Konflikte zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen erscheinen ›die Afghanen‹ generell als bestialische Kämpfer, als »wilde Bergkrieger« (Spiegel 40/2001: 152), die seit Jahrhunderten nichts anderes täten, als zu kämpfen und sich gegenseitig ›abzuschlachten‹, woran sie zudem Gefallen fänden. So sei für sie der Krieg ein »erregendes Erlebnis und Abwechslung von der monotonen Erwerbsarbeit« (Spiegel 39/2001: 169). Die Afghanen im Allgemeinen und die Taliban im Besonderen hätten sich zudem jeglicher rechtlichen Ordnung
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und anderer Reglements des Zusammenlebens entledigt und verfügten über keinerlei menschliches Mitgefühl oder Gnade. In diese nicht enden wollende Geschichte von Gewalt und Gesetzlosigkeit fügt sich die Taliban-Herrschaft lediglich als eine neue Eskalationsstufe ein. Begleitet wird die Berichterstattung über Afghanistan und die Taliban von einer auffälligen Kollektivsymbolik aus dem Bereich Tod, Gewalt und insbesondere ›Blut‹. So ist im Spiegel die Rede von »notorischen Blutsäufern« (49/2001: 171) und dem »blutrünstigen Regime« (47/2001: 155) der Taliban, Afghanistan sei »blutgetränkt« (ebd.: 156). So wie »der russische Bär am Hindukusch ausgeblutet« (45/2001: 140) sei, müssten auch die Amerikaner für einen Sieg in Afghanistan ein »Meer von Blut« (39/2001: 158) vergießen.78 Überhaupt würden Eindringlinge, Eroberer und unliebsame Herrscher regelmäßig und ohne Erbarmen ›vernichtet‹ und ›abgeschlachtet‹. »Herrscher in Afghanistan werden in der Regel gestürzt, und oft werden sie dabei auch gleich umgebracht. So ist es Sitte in Asiens Herzland, dessen Geschichte eine breite Blutspur gewaltsamer Umbrüche durchzieht. Allein im Bürgerkriegschaos der vergangenen 23 Jahre verloren am Hindukusch gut eine Million Afghanen ihr Leben, wurden vier der Präsidenten erschossen oder abgeschlachtet. […] Jeder Turbanträger kennt das Credo Omars: ›Wer sein böses Auge auf unser Land wirft, der wird vernichtet.‹« (Spiegel 39/2001: 166)
Allerdings mischt sich auch Bewunderung für die Unbeugsamkeit und den unbedingten Unabhängigkeitswillen der Afghanen bzw. der Taliban in die Berichterstattung. Die Taliban seien »Desperados«, sie »kämpfen bis zum Letzten«, seien »stärker als je zuvor« und »weit gefährlicher als die Sowjetarmee« (Spiegel 45/2001: 147f). Auch scheuten sie weder den Tod noch »ihren Untergang« (39/2001: 166). »Die Afghanen seien ›tapfer, zäh, freiheitsliebend‹. Das bekamen damals schon britische Kolonialabenteurer zu spüren bei ihrem vergeblichen Versuch, sich im Hindukusch festzusetzen. Im Winter 1842 vernichteten die wilden Afghanen ein ganzes Expeditionsheer des britischen Empire bei dessen Flucht aus Kabul.« (Ebd.: 169) »Die Afghanen, ein stolzes und kampferprobtes Volk, wollen sich nicht fremdbestimmen lassen.« (FAZ 26.10.01: 9)
Das kriegerisch-aggressive Vorgehen der Taliban richte sich, wie FAZ und Spiegel immer wieder betonen, nicht nur gegen politische Gegner, sondern auch gegen die eigene Bevölkerung, Nachbarn, Ehefrauen und Familie eingeschlossen. TalibanGegner würden sofort eliminiert und jedes nonkonforme Verhalten im Alltag, sei es noch so geringfügig, würde äußerst brutal geahndet und häufig mit dem Tode bestraft. »Täglich gab es neue Verkündungen: ›Dieben werden die Hände und Füße abgeschlagen, Ehebrecher werden zu Tode gesteinigt, und das Trinken von Alkohol wird mit Peitschenhieben geahndet‹, kündigte Radio Kabul am 28. September 1996 an. Fernseher, Videos, Sa78 | Wie der Spiegel wiederholt betont, sei nicht nur die Sowjetunion in die »afghanische Falle« (45/2001: 140) getappt – noch niemandem sei es gelungen, das Land einzunehmen. Mehrfach ist die Rede vom »Friedhof der Invasoren« (40/2001: 152; 43/2001: 150, Überschrift; 45/2001: 140).
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Das »afghanische Volk«, konstatiert die FAZ nach der ›Befreiung‹ Kabuls noch einmal, sei unter dem Taliban-Regime »unerträglich schikaniert« (17.11.01: 50) worden. Zur Bekräftigung der Argumentation zeigt der Spiegel zahlreiche Fotos von verstümmelten, gefolterten, erhängten oder gesteinigten Afghan_innen, zu denen angemerkt wird, dass die Hinrichtungen zumeist öffentlich vollzogen und die Leichen als Zeichen des Triumphs und zur Abschreckung öffentlich zur Schau gestellt würden (z.B. 38/2001: 138; 45/2001: 150; 47/2001: 154; 51/2001: 48f; 52/2001: 60). Erbarmungslosigkeit und Härte werden dabei als Selbstzweck, als pure Lust an der Gewalt fernab jeder ›vernünftigen‹ Überlegung präsentiert und als Ausdruck von Primitivität und Barbarei festgeschrieben. Die Rede ist von einer »archaischen Brutalität« (Spiegel 52/2001: 51), dem »barbarischen Regime« (39/2001: 189) oder einem »zivilisationsnegierende[n] Regime« (FAZ 18.12.01: 1) der Taliban sowie von der »primitive[n] Tyrannei der Taliban« (4.10.01: 1). Der historische Vergleich zwischen ›islamischen Terroristen‹ und Nationalsozialismus, der in Bezug auf Bin Laden bereits dargestellt wurde (vgl. Kap. IV.5.2.6) verstärkt auch die Dämonisierung der Taliban noch und fordert implizit zum Handeln auf: So schreibt der Spiegel, Afghanistan sei »wie ein großes Konzentrationslager«, in dem die Taliban »die Wächter« seien (40/2001: 167), und in der FAZ rät ein Gastautor, sich die Taliban wie »Nazis« und die »Menschen in Afghanistan« als »die Juden in den Konzentrationslagern« vorzustellen (18.9.01: 49). Die Dämonisierung der Taliban knüpft zudem an kolonialistische Darstellungskonventionen an, die die kolonisierten Bevölkerungen als ›unzivilisierte Wilde‹ beschreiben, die der ›Einmischung‹ und ›Zivilisierung‹ durch die westlichen Kolonialmächte bedürfen. Insbesondere die Behauptung, man müsse die ›primitiven Wilden‹ vor sich selbst schützen, damit sie sich nicht gegenseitig verstümmelten und massakrierten, gehört zum Repertoire kolonialer Legitimierungsdiskurse (ich werde am Ende dieses Kapitels darauf zurückkommen).
5.3.2 Höhlenkämpfer und Tunnelkrieg – das »Gespenst von Vietnam« Ausgehend von der vermeintlich entgrenzten und jeglicher rationalen (Kriegs-)Logik entbehrenden Kampflust der Taliban befürchtet und beschwört der Spiegel im Hinblick auf den sich abzeichnenden Krieg ein Debakel für den Westen. Als sich Anfang November 2001, knapp einen Monat nach Beginn des Krieges, keine sichtbaren ›Erfolge‹ abzeichnen und das Kriegsgeschehen zu stagnieren scheint, macht sich im Spiegel deutliche Skepsis bemerkbar, ob dieser Krieg zu gewinnen sei. Das US-amerikanische Vorgehen wird nun unverhohlen kritisch kommentiert. Die »Falle Afghanistan«, in welche »die Amerikaner offenbar sehenden Auges hineintapsen« (45/2001: 3), sei endgültig zugeschnappt. Zur Bekräftigung zieht der Spiegel eine historische Parallele und sieht das ›Schreckgespenst Vietnam‹ bedrohlich her-
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aufziehen.79 So heißt es auf dem Spiegel-Titel am 5.11.2001: »Falle Afghanistan: Amerikas heilloser Bombenkrieg und das Gespenst von Vietnam«. Der Verweis auf Vietnam fungiert dabei sowohl als (Kollektiv-)Symbol für eine besonders traumatische Kriegsniederlage der USA als auch für einen äußerst verlustreichen und blutigen Krieg.80 Dem Deutungsmuster ›zweites Vietnam‹ folgend kommt es zu einer Parallelisierung zwischen Taliban und Vietkong, wobei insbesondere die guerillaähnlichen Kampftechniken sowie die geografischen Unwägbarkeiten des Landes – die unterirdischen Höhlen- und Tunnelsysteme und die damit verbundene Möglichkeit eines Rückzugs in die ›Unterwelt‹ – permanent in den Fokus genommen und als besondere Kennzeichen des Gegners präsentiert werden. »Ihre Militärdoktrin ist der Hinterhalt, ihr strategischer Vorteil das zerklüftete und mit Zehntausenden Höhlen, Felsspalten und Erdlöchern gesegnete Land. […] Was in Vietnam der Regenwald war, sind für die Afghanen die staubigen Steppen und die schroffen Felswände entlang der schmalen Täler.« (FAZ 10.10.01: 16)
Einen weiteren historischen Vergleichspunkt bildet der verlorene Krieg der Sowjetunion gegen die afghanischen Mudschahidin-Gruppen. Diese hätten in einem »Tunnelkrieg« sowohl aus »Betonburgen, aber auch aus den vielen tausend Höhen und Spalten« der afghanischen Berge die Sowjets »wendig und schnell […] mal von der Flanke, mal im Rücken angegriffen« (48/2001: 170) und sie so schließlich zum Rückzug gezwungen. Die Taliban seien »widerwärtige, fanatische Gotteskrieger«, aber »auch hervorragende Guerillakämpfer« (Spiegel 47/2001: 27), und ihre ›effektive‹ Kriegstaktik könnte, wie der Spiegel – bekräftigt durch zahlreiche militärische Expertenmeinungen – betont, auch für eine Niederlage der USA sorgen: »›Die Taliban sind kriegserfahren. Die kennen jede Spalte, jede Klippe und Höhle.‹ Für ›schieren Wahnsinn‹ hält der Brite Tom Carew, einst Kombattant der Mudschahidin gegen die Sowjets als Mitglied einer SAS-Kommandotruppe, den Kampf in dieser ›natürlichen Bergfestung‹. Westliche Soldaten hätten hier ›kaum Chancen auf einen Sieg‹.« (39/2001: 169)
Ab Mitte November, mit Beginn des Einsatzes der Bodentruppen, bildet der unterirdische Krieg in den Höhlen Afghanistans einen zentralen Gegenstand der SpiegelBerichterstattung.81 Dabei steht als Schauplatz der letzten Gefechtshandlungen v.a. 79 | In der FAZ ist die Analogie zum Vietnamkrieg kaum zu finden, was v.a. darauf zurückzuführen ist, dass die FAZ den USA und dem von den USA angeführten ›Krieg gegen den Terror‹ generell positiv gegenübersteht. Auch im Hinblick auf den Krieg gegen die Taliban lässt die FAZ keine Zweifel daran aufkommen, dass dieser Krieg zu gewinnen ist. 80 | Als weitere historische Analogie für eine traumatische Kriegsniederlage fungiert der Verweis auf den US-Einsatz in Somalia (im Rahmen der UN-Mission UNOSOM II), der ebenfalls in einer »schrecklichen Demütigung für Washington« (39/2001: 158) mündete. Der Spiegel zeigt das Foto einer nackten Leiche eines US-Soldaten (ebd.), die im somalischen Mogadischu 1993 vor laufenden Fernsehkameras durch die Straßen geschleift wurde. Der Vergleich illustriert nicht nur die möglicherweise bevorstehende erneute Niederlage, sondern unterstreicht zudem, wozu ein skrupelloser und barbarischer (und islamischer) Feind in der Lage ist. 81 | Am 7. Dezember 2001 geben die Taliban Kandahar sowie die Provinzen Helmand und
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die Bergfestung Tora Bora im Mittelpunkt, wo außer Bin Laden tausend oder mehr Al-Qaida-Kämpfer vermutet werden. Der Spiegel befürchtet einen »Kampf buchstäblich bis aufs Messer« (43/2001: 150) und beschwört immer wieder ein ›Blutbad‹ herauf.
5.3.3 Ethnisierung der Gewalt — uralte Stammesfehden und ›genetischer‹ Zusammenhalt Als Gründe für das hohe Gewaltpotential und die ausgeprägte Kriegslust der ›afghanischen Kämpfer‹ führen FAZ und Spiegel v.a. ethnische Dispositionen ins Feld. Gewaltbereitschaft wird als spezifisches Merkmal einer bestimmten Ethnie oder ›Rasse‹ definiert und damit als biologische oder auch genetische Eigenart festgeschrieben. Dabei kommt es zu einer Gleichsetzung der Taliban mit dem ›Stamm‹ der Paschtunen, deren vermeintlich besonders große Gewaltaffinität, verbunden mit spezifischen Vorstellungen von männlicher Ehre, Stolz und Rache permanent betont werden: »Die Taliban sind Paschtunen. Paschtunen aber setzen sich nicht ab, sie tragen ihre Streitigkeiten aus – bis zum bitteren Ende.« (Spiegel 39/2001: 169) »Manche Beobachter, vor allem in Pakistan, haben von den Taliban mehr Härte erwartet, vor allem angesichts der Tatsache, daß sie Paschtunen sind und damit einer Ethnie angehören, bei der Mannesmut zu den großen Tugenden gehört.« (FAZ 7.12.01: 3)
Auch für den engen Zusammenhalt der Afghanen generell sowie den Rückhalt, den die Taliban innerhalb der (paschtunischen) Bevölkerung erfahren, werden ethnische Gründe angeführt: »Übersehen worden waren […] ein paar Binsenwahrheiten zum Selbstverständnis Afghanistans: der Vorrang der Paschtunen, die nahezu die Hälfte der Bevölkerung stellen; und der gleichsam genetisch gesteuerte Drang zum Zusammenhalt, marschiert am Hindukusch ein Feind von außen auf.« (Spiegel 45/2001: 154) »Der Zusammenhalt afghanischer Kriegerhorden wird vor allem von ethnischen und tribalen Loyalitäten bestimmt. Clans, die miteinander durch Blutrache verfeindet sind, werden niemals gemeinsam kämpfen, auch wenn sie theoretisch ideologische Ziele einen. Zum Verständnis sei ein afghanisches Sprichwort erwähnt: ›Ein Mann übte Rache nach einhundert Jahren. Und alle Afghanen sagten, er sei ungeduldig gewesen.‹« (FAZ 10.10.01: 16)
Innerafghanische Konflikte werden dementsprechend als Ausdruck tief verwurzelter ›ethnischer Spannungen‹ zwischen verfeindeten ›Stämmen‹ und ›Clans‹ gedeutet: »Zerklüftete Bergketten, verfeindete Stämme. Paschtunen, Tadschiken und Hazaras in einem Land der geographischen Extreme«, lautet die Überschrift eines FAZ-Artikels (24.9.01: 11), der sich mit der afghanischen Gesellschaft beschäftigt, und der Spiegel spricht von »jahrzehntelangem Krieg, mörderischen Machtkämpfen und uralten Stammesfehden« (45/2001: 160). Besonders die FAZ greift immer wieder auf die Deutungsfolie ›Ethnizität‹ zurück, um das Handeln der beteiligten Boldak auf. Damit gilt ihre Herrschaft in Afghanistan offiziell als beendet. Am 16. Dezember melden die Kämpfer der Nordallianz die Einnahme und den Fall der Bergfestung Tora Bora; Bin Laden konnte jedoch nicht gefasst werden.
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Kriegsakteure begreiflich zu machen: Während das Taliban-Regime »die ethnischen Minderheiten drangsaliert« (19.11.01: 3), wird die an der Seite der USA kämpfende Nordallianz als Zusammenschluss und Interessenvertretung eben dieser Minoritäten wahrgenommen (z.B. 28.9.01: 3).82 Wie die essentialisierende Rahmung insgesamt nahelegt, liegen Kampfbegeisterung und Grausamkeit nicht nur den Taliban, sondern offenbar allen Afghanen ›im Blut‹.83 FAZ und Spiegel beschreiben die kriegsgeprägte Geschichte Afghanistans als ein einziges Kontinuum der Gewalt ohne Brüche und Widersprüche. Rückständigkeit, Traditionalität und Barbarei sind die hervorstechenden Merkmale des präsentierten Bildes der afghanischen Gesellschaft, die wiederum als eine ›Kultur der Gewalt‹ imaginiert wird. Die in diesem Zusammenhang häufig verwendeten, kolonialgeschichtlich geprägten und problematischen Termini ›Stamm‹, ›Stammesführer‹, ›Stammesfehden‹ sowie ›Krieger‹, ›Kriegerhorden‹, ›Blutrache‹ etc. verstärken zudem den Eindruck von Vormoderne und Rückständigkeit und assoziieren eine traditional-feudalistische Ordnung.
5.3.4 Hypermaskulinisierung: Archaische Männlichkeit, Kriegerehre und Kampfmoral Um die ›unerschütterliche Kriegslust‹ der Taliban zu erklären, greifen Spiegel und FAZ auch auf die Kategorie Geschlecht zurück. ›Männlichkeit‹, d.h. hier eine den Taliban zugewiesene Vorstellung von Männlichkeit, und insbesondere ›männliche Ehre‹ werden im Rahmen der Feindbildkonstruktionen (anders als bei den Freundbildern) zum expliziten Bezugspunkt: Die Rede ist vom »atavistische[n] Verständnis der Paschtunen von Krieg und Mannesehre« (Spiegel 45/2001: 146) und den »archaischen Ehrengesetzen« paschtunischer Männer (FAZ 23.10.01: 9). »Ein zweites Hauptelement der paschtunischen Ehrengesetze lautet ›Badal‹ und kann mit ›Rache‹ übersetzt werden. Dieser Punkt erlaubt nicht nur, daß Ehrverletzungen und Morde an Clanangehörigen gerächt werden, sondern schreibt Blutrache nachgerade vor.« (Ebd.) »Hinzu kommt das atavistische Verständnis der Paschtunen von Krieg und Mannesehre. Ein Feind, der aus sicherer Distanz Bomben und Raketen schickt, statt sich dem direkten Kampf von Mann zu Mann zu stellen, gilt als feige.« (Spiegel 45/2001: 146f)
Ehrbare Männlichkeit bedeute in erster Linie einen unerschütterlichen Kampf- und Siegeswillen, insbesondere die Bereitschaft zum Nahkampf ›Mann gegen Mann‹, 82 | Wie Schetter (2006) in seiner Untersuchung der medialen Wahrnehmung des Afghanistankriegs herausarbeitet, werden die afghanischen politischen Akteure stets gemäß ihrer ›ethnischen Zugehörigkeit‹ verortet, so ist in der FAZ etwa die Rede von dem »Paschtunen Karzai«, dem »Tadschiken Rabbani« etc. (zit.n. ebd.: 172). 83 | Autor_innen wie Bergmann (2006), Kreile (2002; 2005) und Schetter (2006) betonen demgegenüber die sprachliche, ethnische und auch gerade religiöse Vielfalt der afghanischen Gesellschaft, die durch die selektive Wahrnehmung der Berichterstattung unsichtbar gemacht werde. Schetter arbeitet zudem die besondere Funktionalität einer ethnischen Etikettierung von Konflikten durch die Medien heraus, die er v.a. in der Möglichkeit der Vereinfachung komplexer Sachverhalte sieht. Eine alleinige Fokussierung auf ›Ethnizität‹ schreibe demnach nicht nur problematische Kategorisierungen fort, sondern überdecke die vielfältigen Konfliktlinien in der afghanischen Gesellschaft, die sich keineswegs allein auf ›Ethnizität‹ zurückführen ließen.
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aber auch zum (Märtyrer-)Tod. Dieses Verständnis von Ehre, Heldentod und Männlichkeit wird dabei nicht nur als ›traditionalistisch‹ oder ›atavistisch‹ herausgestellt, sondern zudem als spezifisch ›paschtunisch‹ und ›islamisch‹ gekennzeichnet und damit als ethnische bzw. kulturell-religiöse Eigenheit des Feindes essentialisiert. Der Rekurs auf die ›paschtunischen Ehrgesetze‹ lässt das Bild einer atavistischen und dabei besonders aggressiven Hypermaskulinität entstehen, die sich durch Kampfes- und Durchhaltewillen sowie Opfer- und Todesbereitschaft auszeichnet. Überschriften wie »Märtyrertod am Kunduz« (Spiegel 48/2001: 156), »Halte Tora Bora oder stirb« (49/2001: 170) oder »Wir kämpfen bis zum Tod« (51/2001: 150), die der Spiegel für die Berichterstattung über das Kriegsgeschehen in Afghanistan wählt, unterstreichen, dass die Taliban »bis zum letzten Blutstropfen kämpfen« (49/2001: 174). Ähnlich wie bei den Selbstmordattentätern wird hier das Deutungsmuster einer (islamischen) ›Todesverachtung‹ oder gar ›Todessehnsucht‹ virulent: »Ihr religiöses Oberhaupt Mullah Mohammed Omar […] rief seine Milizen zum Märtyrertod auf im Dschihad gegen die Supermacht der Ungläubigen […]. Allah werde die Taliban triumphieren lassen, versprach ihr Führer in Sätzen von manisch anmutender Todessehnsucht: ›Der Tod kommt am zugewiesenen Tag, es gibt nichts zu fürchten. Wir sollten als Muslime sterben.‹« (Spiegel 43/2001: 151)
Während dieser Deutung zufolge die ›Taliban‹ in ihrem Handeln allein von diesem spezifisch männlichen Ehrverständnis angetrieben werden, hat der ›moderne westliche Mann‹ und ›Soldat‹ im postheroischen Zeitalter das auf Kampf und Todesopfer ausgerichtete Ehrverständnis weitgehend überwunden (vgl. IV.4, Exkurs). Generell habe »innerhalb der arabischen Welt […] die Ehre eines Mannes einen anderen Stellenwert als in der christlich-abendländischen Welt«, betont die FAZ (13.10.01: 9). Mit der Hypermaskulinisierung des Feindes ist zudem eine deutliche ›Chaotisierung‹ der Kriegsführung verbunden – wie es auch in dem Begriff der ›Kriegerhorden‹ zum Ausdruck kommt –, die wiederum von einer geordneten, durch Rechtsnormen geprägten ›westlichen‹ Kriegskultur abgegrenzt wird. Dass sich ›die Taliban‹ nicht an Kriegs- und Völkerrecht halten, wird als selbstverständlich vorausgesetzt: »Die militärische Taktik der Taliban ist seit Jahrhunderten bewährt. Afghanen kämpfen nach westlichen Maßstäben nicht in einer Schlachtordnung. Ihre Militärdoktrin ist der Hinterhalt […].« (FAZ 10.10.01: 16) »Die Strategie der Taliban ist derzeit eine abwartende. Sie werden die Genfer Konvention ganz gewiß nicht beachten und warten offenkundig darauf, einige Kämpfer amerikanischer oder britischer Eliteeinheiten gefangennehmen zu können. Was diesen dann bevorstehen könnte, hat man in Tschetschenien, Bosnien, aber auch auf den Philippinen gesehen: Videoaufnahmen gequälter und bei lebendigem Leib verstümmelter Gegner, die heute auch im Internet abzurufen sind. Manchen wurde die Kehle durchtrennt, anderen der Kopf abgeschnitten. In der christlich-abendländischen Welt sollte man jedenfalls darauf vorbereitet sein, über den Fernsehsender Al Dschasirah auch solche grausamen Aufnahmen gezeigt zu bekommen.« (Ebd.)
In der medialen Rahmung der Geschehnisse rund um den Krieg in Afghanistan stehen sich damit zwei verschiedene Formen von (soldatischer) Männlichkeit diametral gegenüber: ein ›rückständiges‹, ›unzivilisiertes‹ Modell von hartem Zwei-
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kampf und Mannesehre und ein ›modernes‹, ›zivilisiertes‹ Männlichkeitsbild, das über militärische und völkerrechtliche Regeln, Disziplin sowie ein hochtechnisiertes Waffenarsenal verfügt, und damit auf den direkten Zweikampf und eine ›Verteidigung der Ehre‹ durch brutale (Waffen-)Gewalt oder Märtyrertod weitestgehend verzichten kann. Die Konstruktion einer fundamentalen Differenz, verbunden mit der Abwertung der Männlichkeit des Feindes, vollzieht sich dabei noch über einen weiteren Aspekt, nämlich das Thema Bewaffnung bzw. die Bedeutung von Waffen für die afghanischen Männer. So werden neben den ›martialischen‹ und ›undisziplinierten‹ Kampfmethoden der Taliban insbesondere deren unterentwickelte Ausrüstung, der veraltete Zustand ihrer Waffen sowie das ›ungeordnete‹ und ›unzivilisierte‹ äußere Erscheinungsbild hervorgehoben. Die Taliban-Kämpfer werden durchgängig als ›wilde Horden‹ präsentiert, die ohne militärische Ordnung in den Kampf ziehen, so z.B. bezeichnet als »Scharen wilder Männer« (FAZ 15.12.01: 46) oder »bärtige[] Krieger« (FAZ 8.10.01: 3). Weiter ist von »primitiv ausgerüsteten Truppen« (FAZ 6.11.01: 16) und »wenig beeindruckenden, völlig veralteten und zudem schlecht gewarteten Waffen« (FAZ 10.10.01: 16) die Rede.84 Die permanenten Verweise auf die ›primitiven‹ Waffensysteme und das Fehlen jeglicher militärischer Disziplin und Ordnung bekräftigen damit die ›Unterlegenheit‹ des Gegners auch auf militärischem wie technologischem Gebiet. Insgesamt steht das Bild der Taliban-Krieger in auffälligem Kontrast zu dem mit Technologie, Ordnung und Disziplin assoziierten Bild westlicher Armeen.85 Aber nicht nur der technologische Standard, sondern auch Sinn und Zweck des Waffentragens werden, wie die folgenden Diskursfragmente illustrieren, als grundverschieden dargestellt: »[…] vergessen wurde, daß Stinger in den Händen afghanischer Krieger vor allem Statussymbole sind. Weniger ihr militärischer Nutzen als vielmehr das Ansehen des sie tragenden Kämpfers steht im Vordergrund.« (FAZ 10.10.01: 16) »Ein Bewaffneter, der einen Hof betritt, ist ebensowenig ungewöhnlich wie ein halbwüchsiger Junge, der mit einer Maschinenpistole herumläuft. Eine Waffe zu tragen gehört in einem Land, das seit mehr als zwanzig Jahren im Krieg lebt, offenbar zum Mannsein.« (FAZ 16.10.01: 13)
84 | Es muss hier angemerkt werden, dass auch die Nordallianz auf diese Weise dargestellt wird: Auch die »berittenen Kämpfer der Nordallianz« würden »mehr an Karl May als an Hightech-Krieger erinnern«, schreibt der Spiegel (43/2001: 156). Und die Beschreibung einer Einheit der Nordallianz in der FAZ liest sich wie folgt: »Die Männer haben Kalaschnikows und ein einziges altes Maschinengewehr, sie leben in Erdlöchern und einer Schilfhütte in der staubigen Wüstenlandschaft. Ein Fahrzeug hat die Gruppe nicht […].« (8.10.01: 3) 85 | Dieser Gegenüberstellung von ›archaischen Horden‹ und einer ›modernen HightechArmee‹, die über modernste Waffen verfügt, welche über eine große räumliche und zeitliche Distanz nahezu subjektlos via Computer gesteuert werden können, entspricht auch die visuelle Aufbereitung des Krieges, wie z.B. auf dem bereits in Kapitel IV.5.1.9 diskutierten Titelbild »Krieg der Welten« (Spiegel 42/2001). Im Gegensatz zu der ›chaotisch‹ anmutenden Menschenansammlung unten sind in der oberen Bildhälfte keine Menschen mehr zu sehen; die ›Gegenseite‹ wird komplett als Hightech-Maschinerie bzw. Flugzeugträger repräsentiert.
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Die ›afghanischen Krieger‹ betrachten demnach Waffen in erster Linie als ›Statussymbole‹ und tragen sie, um ihr (männliches) Prestige zu mehren. Dem Deutungsmuster eines spezifischen Ehr- und Kriegsverständnisses des afghanischen Mannes folgend, wird nicht nur das Waffentragen, sondern auch die angestrebte Entwaffnung der Taliban nach Ende des Krieges als ein spezifisches ›Männlichkeitsproblem‹ gedeutet: »Man darf es als einen Beweis von Klugheit ansehen, daß die Resolution 1386 nirgends von Demilitarisierung und Entwaffnung spricht. Ein Land, in dem die Bewaffnung als ein Zeichen von Männlichkeit gilt, in dem zwölfjährige Jungen nur selten lesen und schreiben, bestimmt aber schießen können, läßt sich nicht entwaffnen.« (FAZ 31.12.01: 10)
Dass Erfahrungen von Kriegsniederlage und Entwaffnung auch etwas mit spezifischen Vorstellungen von Männlichkeit bzw. Ent-Männlichung zu tun haben, ist unbestritten. Dies als besonderes Merkmal des Gegners zu externalisieren, hält das Eigene frei von derlei Betrachtungen der Zusammenhänge von Krieg, Militär und Geschlecht und verschleiert, dass Waffen und ihr Gebrauch generell mit bestimmten Vorstellungen von (militarisierter) Männlichkeit und Macht verquickt sind, die sich nicht auf Afghanistan beschränken lassen.86 Parallel zu den Verweisen auf die altertümlichen Waffensysteme und die besondere Motivation des Waffentragens wird wiederholt das ›archaisch-primitive‹ Erscheinungsbild der afghanischen Kämpfer herausgestellt, wobei insbesondere das (kriegs-)versehrte, grimmige und wilde Aussehen oder der ›fremdartige‹ Kleidungsstil (Pluderhosen, Turbane) hervorgehoben werden. Sind die Taliban gemeint, ist von »bärtigen Gesellen« (FAZ 13.11.01: 54), teilweise auch nur von den »Bärtigen« (Spiegel 38/2001: 145) oder »Turbanträgern« (39/2001: 166) die Rede. Auch Verletzungen und Verstümmelungen gehören zu den vordergründigen Merkmalen, die die Repräsentation der Taliban-Krieger prägen: »Anstelle des verlorenen Beins trägt Hassan eine Holzprothese wie Pirat Long John Silver in Stevensons Schatzinsel. Es ist aber eher ein alter Holzstumpf. […] Auch eine Fingerkuppe fehlt ihm – verloren durch ein Schrapnell. Die Führerschaft der Taliban kann für sich den zweifelhaften Ruhm in Anspruch nehmen, die versehrteste der Welt zu sein […]. Mullah Omar verlor 1989 sein rechtes Auge, als in seiner Nähe eine Rakete explodierte. Der Justizminister Nuruddin Turabi und der frühere Außenminister Mohammed Ghaus gehören ebenfalls zu den Einäugigen. Abdul Madschid, dem Bürgermeister von Kabul, fehlen ein Bein und zwei Finger.« (Spiegel 41/2001: 180)
Die Fotos im Spiegel zeigen allesamt ›dunkle‹ und ›furchteinflößende‹ Gestalten, die wie die Schilderungen im Ganzen an ›wilde Kämpfer‹ und ›Bösewichte‹ aus KarlMay- und Seeräuber-Geschichten erinnern (z.B. 45/2001: 148; 47/2001: 162), und präsentieren grimmig dreinschauende ›Wilde‹ mit Bart und Turban, zu Fuß oder auf Eseln, zumeist chaotisch durcheinanderlaufend, ohne militärische Formation 86 | Weiterführende Überlegungen zum Zusammenhang von Waffengewalt und militarisierter Männlichkeit stellt z.B. Theweleit (2000) an, der insbesondere die libidinöse Besetzung von Waffen herausgearbeitet hat. Im Gegenzug bedeutet Ent-Waffnung eine symbolische Kastration (vgl. auch Scheub 2010).
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oder Uniformierung, ausgerüstet mit groben, schweren, altmodischen Waffen wie Kalaschnikows (40/2001: 153; 45/2001: 164), Panzerfäusten (41/2001: 181) und Panzern (45/2001: 148) oder einfach nur mit emporgestreckten Stöcken oder Fäusten (42/2001: 160). In der Betonung der äußerlichen Merkmale der Taliban zeigt sich indes ein deutlicher Unterschied zu den Feindbildkonstruktionen von Bin Laden und den Selbstmordattentätern aus Hamburg: Die Taliban werden auch in ihrem äußeren Erscheinungsbild durch und durch negativ präsentiert, wobei die Darstellungen auf die kolonialistischen Stereotype des ›primitiven Wilden‹ und ›fremden Orientalen‹ rekurrieren. Die böse und terroristische Gesinnung verschwindet anders als bei den anderen Feindbildern nicht hinter einer unauffällig-gefälligen oder sogar schönen äußeren Maske, sondern wird in eine ebenso böse und hässliche – ›verkrüppelte‹, dunkle und furchteinflößende – Gestalt überführt und der Feind damit im klassischen Sinne auch äußerlich als Feind ›sichtbar‹ gemacht.
5.3.5 Orient-Stereotype und Natur-Metaphern — Wildnis, Wüste, Höhlenwelt Die Konstruktion der Gegensätzlichkeit zwischen ›westlicher‹ und (›afghanischer‹, ›islamischer‹) Taliban-Männlichkeit wird kollektivsymbolisch entlang der Achse ›Natur‹ versus ›Kultur‹ bekräftigt. Die afghanischen Kämpfer werden entlang stereotyper Orient-Bilder nahezu vollständig auf der Seite von Natur und Ursprünglichkeit verortet, dagegen symbolisieren die USA und der Westen die Seite von Kultur, technischem Fortschritt und Zivilisation. Das medial erzeugte Bild der Taliban bzw. der Afghanen generell ist eng an die Beschreibung der afghanischen Landschaft gekoppelt. Mensch und Natur werden permanent aufeinander bezogen, unterliegen demselben ›Schicksal‹ und ähneln sich auffällig in ihren Charakterisierungen als wild, abenteuerlich und unzivilisiert. »Ein leidiges Hindernis für Eroberer, für Verteidiger eine kaum einnehmbare Trutzburg; die 320 Kilometer breite, bis über 7600 Meter aufragende Felsbarriere zwischen Nord- und Südasien, in sich tief und wild zerklüftet; die Gipfel schneebedeckt, alles andere zumeist kahles Gebirge mit nur wenigen grünen Tälern; besiedelt von Stämmen, deren Bezeichnungen für die Nachbarn meist grässliche Schimpfwörter sind – der Hindukusch, Afghanistans Schicksalsmassiv, hat die Geschichte des Landes und das Leiden seiner Bewohner geprägt.« (Spiegel 40/2001: 152) »In dem wilden, ungebärdigen Land am Hindukusch herrschen gewiß Verhältnisse, die alles andere als normal oder angenehm sind.« (FAZ 18.12.01: 1)
Insbesondere körperbezogene Kollektivsymboliken von Versehrtheit oder auch Verfall, wie ich sie bereits aufgezeigt habe, dienen der fortwährenden Parallelisierung von Land und Leuten: Wie das Land werden auch die Menschen, ihre Körper und Seelen als verkrüppelt, vernarbt und geschunden beschrieben (vgl. IV.4.9). Erzeugt wird das Bild eines Landes, dessen schroffe geografische Gegebenheiten wie Klüfte, Abgründe, Risse sich offensichtlich in gesellschaftlichen (ethnischen) Gegensätzen und Konflikten widerspiegeln. Auch die permanente Betonung der unterirdischen Landschaft mit ihren unzähligen labyrinthartigen Höhlen und Tunneln, in denen die Afghanen schon in früheren Kriegen »unversehens […] verschwanden« (Spiegel 48/2001: 170), bekräftigt die ›Schicksalsverbundenheit‹ von Mensch und Natur:
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Doch die wilden Berge Afghanistans sind nicht nur unwegsam. Wie Waben in einem Bienenstock finden sich unter den Gesteinsmassen weit verzweigte Karsthöhlen, schier endlose Bewässerungstunnel und tiefe Brunnenschächte — ideale Verstecke, in denen Afghanen seit Jahrtausenden Zuflucht suchen vor ihren Feinden. Behalten wollte – oder konnte – keine fremde Macht dieses Bergland. […] Drei Kriege […] verloren die Briten gegen die wilden Bergkrieger […].« (Ebd.: 168) »Britische Kämpfer […] zeigen sich auch heute noch verwundert darüber, wie leicht sich afghanische Kämpfer schnell in dieser Umgebung ›unsichtbar‹ machen können.« (FAZ 10.10.01: 16)
Während die FAZ eher nachrichtenbezogen-sachlich über die Kriegshandlungen in Afghanistan, insbesondere den Einsatz der Bodentruppen und die Suche nach Bin Laden berichtet, wählt der Spiegel einen spannungsreichen Erzählstil wie in einer Abenteuergeschichte, der klischeebeladene Vorstellung von ›Orient‹ und ›fremden Welten‹ reproduziert. Ein Großteil der Kriegsreportagen wählt die ›Schlacht‹ um die Höhlenfestung Tora Bora als Aufhänger; die Artikel tragen allesamt eposartige Überschriften wie »Tod aus dem Morgenrot« (50/2001: 166) oder »Finale in den Bergen« (51/2001: 7) – und wecken damit ebenfalls Assoziationen an Geschichten über den Wilden Westen und legendäre Kriegsschlachten. Die folgende Textpassage gibt einen Einblick in den Spiegel-typischen Erzählstil; so beginnt der Artikel »Tod aus dem Morgenrot« mit den Worten: »Morgens gegen sechs Uhr, wenn ringsum die schneebedeckten Berge aus der Nacht auftauchen und das Licht langsam ins Tal gleitet, ist Tora Bora der friedlichste Ort der Welt: terrassenförmig in den Hang getriebene Reisfelder, eine dösenden Kamelherde, lieblich ansteigende Hügel mit einem steinigen Flusstal und dahinter das Masisv der Spinghar-Berge […]. Kaum zu glauben, dass die Welt ausgerechnet in dieser gottverlassenen Gegend gegen das Böse kämpft. Es ist Freitag, der 22. Tag des Ramadan. Kaum sind unten im Dorf die letzten Gebetsteppiche eingerollt, bricht das Gewitter der Geschütze los. Zuerst zerplatzt eine einsame Granate, dann feuern von einer Anhöhe drei Panzer in die Berge hinein, und schließlich krähen auf dem Kommandopunkt die Walkie-Talkies – der Befehl zum letzten Vormarsch.« (50/2001: 166)
Die Form der Narration lässt die tatsächliche Gewalt und die vielen Toten des Krieges zugunsten einer spannungsreichen Erzählung in den Hintergrund rücken. Wie Ernst Schulte-Holtey anmerkt, realisieren die zahlreichen Verweise auf Höhle und Untergrund wesentliche Elemente des orientalistischen Symbolkomplexes, sie gelten »spätestens seit Karl May und Oswald Spengler« geradezu als »UrSymbole des Orients« (Schulte-Holtey 2001: 46) und symbolisieren gleichermaßen Gefahr (hier v.a. Hinterhältigkeit) wie Abenteuer. Neben Höhle und Unterwelt werden die Wüstenlandschaft und die Steppen Afghanistans vielfach hervorgehoben, die Rede ist von einem »schwer auszumachenden Frontverlauf in Staub und Dunst am Hindukusch« (Spiegel 43/2001: 156), den »staubigen Steppen Afghanistans« (FAZ 10.10.01: 16), wo die afghanischen Kämpfer in »Erdlöchern und Schilfhütten in der staubigen Wüstenlandschaft« (8.10.01: 3) lebten. Überschriften der FAZ wie »Wüstenplanet. Als Deutscher unter afghanischen Kriegern« (2.10.01: 49) oder »Als die Wüste noch eine Zukunft hatte« (1.10.01: 3) verwenden das Symbol ›Wüste‹ stellvertretend für das Land und seine Bewohner_innen. ›Wüste‹ fungiert hier, ähnlich
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wie ›Höhle‹ und ›Untergrund‹ auch, als Kollektivsymbol, das auf die ›Ursprünglichkeit‹ und ›Primitivität‹ sowie die ›Gefährlichkeit‹ des Gegners verweist; es erzeugt den Eindruck von karger, ewiger Wildnis und einer Vernebelung der Sicht (durch Staub und Dunst) und verweist damit auch auf die Gefahr eines drohenden Orientierungsverlusts. Passend zu den Bildern von Untergrund und Höhle greift die Darstellung der Taliban zudem auf Metaphoriken zurück, die die Taliban als Tiere oder Ungeziefer, die sich im Boden verkrochen und eingenistet haben, assoziieren. So wird Afghanistan zu den »Brutstätten des Terrors« (Spiegel 39/2001: 152; vgl. auch FAZ 23.11.01: 16) gezählt. Des Weiteren ist von »Widerstandsnestern« (Spiegel 51/2001: 148; FAZ 5.12.01: 6; 20.12.01: 2) und »eingenisteten« Taliban die Rede (Spiegel 48/2001: 158; 50/2001: 160), die – in Anlehnung an eine entsprechende Äußerung Bushs – »aus ihren Löchern getrieben« und »ausgeräuchert« werden sollen (vgl. Spiegel 48/2001: 170; FAZ 6.12.01: 1). Die FAZ gibt einen tadschikischen Journalisten mit den Worten wieder: »Afghanistan war für unser Land stets ein Gehege wilder Tiere« (21.12.01: 45). Und der Spiegel zitiert den US-Fernsehsender Fox News, ohne sich von dieser Äußerung zu distanzieren: »Die da oben sitzen, das sind alles Ratten. […] Die sind es nicht wert, dass auch nur einer unserer fabelhaften Jungs zu Schaden kommt. Wir müssen sie in Grund und Boden bomben – wie Ratten eben« (51/2001: 151).87 Zudem warnt der Spiegel: »Täglich wachsen tausend kleine Osamas nach« (45/2001: 154), und knüpft damit an die Vorstellung einer wild wuchernden Gefahr an, die entsprechend bekämpft werden muss. Den ›primitiven‹ Höhlen der Taliban stehen auf der anderen Seite ausführliche Erläuterungen über die Vorgehensweise des US-Militärs und die Funktionsweise modernster Hightech-Waffen gegenüber: »Hoch empfindliche Wärmefühler, die über Dutzende von Kilometern ein geparktes Auto finden oder aus vielen Kilometern Höhe die warme Abluft einer bewohnten Höhle ausmachen können, gehören ebenso dazu wie Sensoren, die an der Veränderung des örtlichen Magnetfeldes unterirdische Bauten erkennen. Elektronische Fühler spüren die Kraftfelder von Generatoren oder Kabelsträngen auf, die unterirdische Anlagen mit Energie versorgen. Radaraugen erspähen Hohlräume tief unter Felsschichten.« (Spiegel 48/2001: 172)
Die Betonung der technischen Möglichkeiten bekräftigt nicht nur den Gegensatz zwischen afghanischen ›Höhlenkämpfern‹ und modernen ›Hightech-Soldaten‹, sondern lässt zudem erneut den Mythos vom sauberen Krieg aufleben, der vermeintlich punktgenau und ohne (unschuldige) Tote und Verletzte zu riskieren, die feindlichen ›Störfaktoren‹ wie mit dem Skalpell aus dem ›kranken Körper Afghanistan‹ herausoperieren könnte. Zahlreiche Computergrafiken nehmen zudem eine ›Digitalisierung‹ der Höhle vor und ›übersetzen‹ damit die rückschrittliche Höhlenbehausung in eine moderne Lesart (z.B. Spiegel 43/2001: 153; 47/2001: 138f; 48/168). Häufig wird einer solchen Grafik das Foto einer realen Höhle (z.B. mit Bin Laden
87 | Die entmenschlichende Gleichsetzung des Gegners mit Ratten und Ungeziefer, der dementsprechend bekämpft und vernichtet gehöre, bildet ein altbekanntes Motiv der Feindbildkonstruktionen und fand insbesondere in der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten Verwendung.
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davor) an die Seite gestellt, was den Kontrast zwischen Natur und Technik noch verstärkt (vgl. Abb. 12, ähnlich auch 50/2001: 161). Abbildung 12: Der Spiegel, Heft 48/2001, S. 168
Die computergenerierten Grafiken visualisieren meist das ›Innenleben‹ einer Höhle, wie z.B. die verschiedenen Ebenen, Wegführungen und Nutzungsmöglichkeiten sowie die technischen Funktionsweisen wie Belüftungs- und Abwassersysteme, oder aber die geografisch genaue Lage der Höhlen innerhalb Afghanistans (Spiegel 49/2001: 171; 50/2001: 161; 51/2001: 152). Solche Visualisierungen vermitteln den Eindruck einer ›Transparenz‹ des Untergrunds – ›Durchleuchtung‹ der versteckten Höhlen sowie ihre ›Fixierung‹ auf der Landkarte –, womit nicht nur die technologische und militärische ›Überlegenheit‹ des Westens ins Bild gesetzt wird, sondern zugleich eine Beherrschbarkeit des Feindes (bzw. der Natur) mittels Technik suggeriert wird.
5.3.6 ›Steinzeit-Islam‹ und ›Frauenverachtung‹ Neben dem Verweis auf das vermeintlich archaische Verständnis der Taliban von männlicher Ehre und Kampf gewinnt ein zweites Deutungsmuster an Gewicht, das ebenfalls explizit auf spezifische Geschlechterbilder rekurriert. Damit wird ein Motiv fortgeschrieben und verstärkt, das auch in der Repräsentation der Selbstmordattentäter und von Bin Laden zentral ist: das Deutungsmuster einer patriarchalen Geschlechterordnung und Frauenfeindlichkeit, die bei den Taliban in besonders extremer und gewaltförmiger Ausprägung vorzuliegen scheint. So fungiert die vermeintlich äußerst rigide Geschlechterordnung der Taliban, insbesondere der brutale Umgang mit Frauen und ihr umfassender Ausschluss aus dem öffentlichen Leben, als untrüglicher ›Beleg‹ für die unterstellte ›Rückständigkeit‹ und ›Barbarei‹ und weist die Taliban als ›Gegenteil westlicher Zivilisation‹ aus. Die ›archaische Männerherrschaft‹ der Taliban bildet zudem in beiden Medien einen besonders häufig aufgegriffenen Diskursstrang. Die ›Frauenverachtung‹ stellt das vordergründigste Merkmal dar, das die Wahrnehmung der Taliban bis heute prägt. Mit Beginn des Krieges Anfang Oktober kommt es zu einer verstärkten Dämonisierung der Taliban, die v.a. anhand der Themen ›Arbeits- und Bildungsverbot‹ und ›Verschleierungszwang‹ für Frauen deutlich gemacht wird (vgl. auch IV.6). »Seit der Einnahme Kabuls waren noch keine 24 Stunden vergangen, und schon hatten die Taliban das strengste islamische System der Welt verhängt. Allen Frauen wurde untersagt zu arbeiten, obwohl ein Viertel von Kabuls Beamtenstellen, das gesamte Grundschulwesen und ein Großteil des Gesundheitswesens von Frauen besetzt war. Mädchenschulen wurden geschlossen, wovon über 70 000 Schülerinnen betroffen waren, und eine strenge Kleider-
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Die unmenschlichen Umgangsformen der Taliban insbesondere mit Frauen gelten als Zeugnis einer in höchstem Maße ›primitiven‹ und gewalttätigen Männlichkeit und werden zugleich als Ausdruck eines überstrengen islamischen Fundamentalismus interpretiert. Die religiöse Rahmung schlägt sich auch in den Begriffen »Gotteskrieger« (z.B. Spiegel 39/2001: 166; 45/2001: 144; 47/2001: 27) oder »Koranschüler« (als die wörtliche Übersetzung für ›Taliban‹, Spiegel 41/2001: 182; 44/2001: 141; 50/2001: 170) nieder, die häufig synonym für die Taliban Verwendung finden. Die Verweise auf Frauenunterdrückung und Religiosität der Taliban gehen zudem mit der zeitlichen Verortung in einer fernen Vergangenheit einher: Kaum zu zählen sind Wortzusammensetzungen wie »Steinzeit-Islamisten« (Spiegel 39/2001: 149) bzw. »Steinzeit-Islam« (FAZ 8.10.01: 6), »Steinzeit-Regime« (Spiegel 42/2001: 147) oder »Steinzeit-Eiferer« (FAZ 8.10.01: 1); ferner ist die Rede von »mittelalterlichen Zuständen« (28.11.01: 1) und einer »mittelalterliche[n] Rigidität der Taliban« (20.9.01: 7). Wiederholt werden ›Stillstand‹ und ›Geschichtslosigkeit‹ der Taliban bzw. die vermeintlich verfehlte Entwicklung in Richtung einer aufgeklärten Gesellschaft in den Vordergrund gestellt, wobei die ›westliche‹ Welt wiederum als stille Norm fungiert. Die Taliban verkörperten einen »barbarische[n] Anachronismus«, schreibt die FAZ, sie hätten einen »immensen Rückstand auf die Geschichte« (21.9.01: 52) und »das Land um hundert Jahre zurückgeworfen« (FAZ 13.12.01: 6). Wiederholt werden ›Atavismus‹ und ›Primitivität‹ betont, so ist von der »primitiven Tyrannei« (FAZ 4.10.01: 1) der Taliban, einer »archaischen Brutalität« (Spiegel 52/2001: 51), einem »archaischen Frömmigkeitswahn« (FAZ 22.11.01: 12) oder auch generell der »archaischen Welt Afghanistans« (FAZ 23.10.01: 9) die Rede. Das Afghanistan der 1950er Jahre hingegen, in denen »Mädchen und Frauen weitreichende Rechte erhielten«, zur Schule und teilweise auch zur Universität hätten gehen können, »hatte noch eine Zukunft« (FAZ 1.10.01: 13). Vermeintliche Frauenverachtung und Gewaltbereitschaft der ›Taliban‹ werden nahezu ausschließlich auf eine zutiefst ›anti-moderne‹ und ›überstrenge‹ islamische Religiosität zurückgeführt: »Die Frauenfeindlichkeit der Taliban erklärt sich durch die Überlagerung gewisser Stammestraditionen ihrer ländlichen Heimatgebiete mit dem Extremismus der wahhabitischen Lehren. […] Rurale Traditionen, Kriegsfolgen und Wahhabismus vermischten sich zu dem extrem antimodernen Islam der Taliban, der sein Heil in der Rückkehr zur Gesellschaft von Medina sucht und jeden Fortschrittsgedanken ablehnt.« (FAZ 2.12.01: 7)
Alle zitierten Diskursbeispiele haben gemein, dass sie die Taliban als homogene, absolut vormoderne Gemeinschaft, die an Rückschrittlichkeit kaum mehr zu übertreffen ist, in die westliche Vorstellungswelt einschreiben. Das Feindbild ›Taliban‹ verfügt im Gegensatz zu den Feindfigurationen ›Osama Bin Laden‹ und ›Mohammed Atta‹ über keinerlei moderne Anteile. Die Taliban scheinen jede Art von Entwicklung und Fortschritt abzulehnen. Sie treten uns als ahistorische, unverbesserliche und ganz und gar verabscheuungswürdige (männliche) Wesen gegenüber. »Moderate Taliban gibt es nicht«, zitiert der Spiegel kritiklos einen afghanischen Diplomaten (47/2001: 141; vgl. auch 43/2001: 158; 45/2001: 172). Angesiedelt auf der wichtigsten
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Achse des kollektivsymbolischen Systems nach Link, der symbolischen Achse des Fortschritts, die durch die räumliche Vorstellung von vorne und hinten bestimmt ist, werden die Taliban ganz hinten positioniert: im frühsten Mittelalter oder sogar der Steinzeit. Am anderen Ende der Achse stehen hingegen die westlichen Gesellschaften mit ihren technischen und militärischen Superlativen. Eine weniger auf islamischen Fundamentalismus abzielendes Erklärungsmodell für die ›barbarische Misogynie‹ der Taliban deutet sich in den folgenden Diskursbeiträgen an: Ähnlich wie bei der Zeichnung der Feindfigur Mohammed Atta kommt es zu einer Pathologisierung von Männlichkeit als einer gleichsam nach innen verlagerten psychischen Verunsicherung und Angst vor Frauen, die sich jedoch mit dem Deutungsmuster ›religiöser Wahn‹ vermengt. So wird ein Grund für die Kriegs- und Gewaltbereitschaft der Taliban auch in der Abwesenheit von Frauen im Leben von Jungen schon in frühester Kindheit gesehen, zum Teil auch in der sexuellen Nicht-Verfügbarkeit von Frauen im Erwachsenenalter. Die Taliban werden als eine »durchweg männliche Bruderschaft« bezeichnet, die »als Vollwaisen, aufgewachsen [sind] ohne jede Frau – ohne Mutter, Schwester oder Cousine« (Spiegel 41/2001: 184f). Viele Taliban hätten aufgrund der strengen Auflagen in den pakistanischen Flüchtlingslagern (entstanden während des Kriegs gegen die Sowjetunion) nie einen ›normalen‹ Kontakt mit Frauen gehabt, so dass die rein männliche Gemeinschaft und rigide Unterwerfung der Frauen ihnen »religiöses Ideal« und »umfassende[r] Lebensstil« (ebd.: 185) geworden sei: »Sie hatten einfach nie die Gesellschaft von Frauen kennen gelernt. Die Mullahs hatten ihnen erklärt, Frauen stellten eine Versuchung, eine unnötige Ablenkung vom Dienst an Allah dar. Als die Taliban nach Kandahar kamen und die Frauen in ihre Wohnungen verbannten, indem sie ihnen jede Arbeit und sogar den Schulbesuch verboten, fand die Mehrheit dieser Jungen an den Maßnahmen nichts Ungewöhnliches. Sie fühlten sich bedroht von dieser anderen Seite der Menschheit, von der sie überhaupt nichts wussten. Am einfachsten war, diese Hälfte wegzusperren […].« (Ebd.) »Die neuesten Waffen waren das einzig Moderne, das in diese im Innersten mittelalterliche Gesellschaft vordrang. Die kleinen Jungen – viele von ihnen verwaist –, die damals aufwuchsen, hatten Gewehre als Spielzeug und erlebten nie die Geborgenheit und den Trost einer Familie, nie die Gesellschaft von Frauen. Heute, als Erwachsene und Herrscher, da schlagen, steinigen, vergewaltigen und misshandeln die Taliban Frauen, sie scheinen nicht zu wissen, was sie sonst mit ihnen anfangen sollen.« (Spiegel 44/2001: 183) »Die kompromißlose Unterdrückung von Frauen gehörte zum Weltbild der Gotteskrieger. Zugleich diente die Aggression infolge der erzwungenen sexuellen Enthaltsamkeit dazu, die Kampfmoral der jungen Taliban-Krieger zu stärken.« (FAZ 2.12.01: 7)
Psychologisierende Deutungsmuster, wie sie in diesen Beispielen anklingen, die auf die Unkenntnis bzw. Entwöhnung eines ›normalen‹ (sexuellen) Kontakts mit Frauen anspielen und daraus eine fehlgeleitete oder verunsicherte und deshalb höchst aggressive Männlichkeit ableiten, bleiben bei der Darstellung der Taliban jedoch die Ausnahme. Es dominiert das Erklärungsmodell einer ›rückwärtsgerichteten und überstrengen islamischen Religiosität‹. Das Vorhandensein bzw. Fehlen von ›Frauenrechten‹ wird zugleich als das markanteste Zeichen einer vermeintlich unaufhebbaren kulturellen Differenz zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ interpretiert, wobei das Bild einer auf Fortschritt, Freiheit und
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Gleichheit beruhenden westlichen (Geschlechter-)Ordnung als ›zivilisatorisches Gegenmodell‹ zu der (islamischen) Männerherrschaft der Taliban vorgestellt wird. So wird die »Entrechtung von Frauen durch die afghanischen Taliban« in der FAZ beispielsweise als »groteske Form kultureller Differenz« (16.10.01: 6) bezeichnet. Daher besteht die FAZ auch darauf, dass das Bemühen um »Respekt« und »Dialog der Kulturen« »nicht so weit gehen [sollte], Trennendes wegzuretuschieren« (ebd.).
5.4 Analyse: Das neue Feindbild ›Terrorist‹— Neo-Orientalismus und hybride Monstrosität Eingelassen in die dichotome Konstruktion von Freund und Feind folgt die mediale Darstellung des Terroristen insgesamt dem Deutungsmuster eines religiös motivierten ›Kulturkampfes‹. ›Terror‹ wie auch ›Terrorist‹ symbolisieren in dieser Perspektive eine neue Dimension des Bösen und Monströsen sowie die Antithese westlichabendländischer ›Zivilisation‹ schlechthin. Die Darstellungs- und Deutungsmuster der Selbstmordattentäter aus Deutschland, des Hauptfeindes Osama Bin Laden und der afghanischen Taliban stehen im Rahmen der Feindbildkonstruktion jeweils für sich, weshalb sie getrennt voneinander untersucht worden sind. Doch erst im Zusammenspiel der drei Komponenten entfaltet das neue, neo-orientalistische Feindbild ›islamischer Terrorist‹ seine volle Wirkmächtigkeit. Während die Selbstmordattentäter aus Hamburg-Harburg v.a. das ›Fremde unter uns‹, verbunden mit einer vermeintlich chronisch lauernden inneren Gefahr (insbesondere für Deutschland), verkörpern, symbolisieren Bin Laden und Al-Qaida eine übergreifende, ort- und zeitlose, sich jedoch jederzeit und überall materialisierbare Bedrohung. Die afghanischen Taliban hingegen werden als eine Gefahr in der Ferne konstruiert, nicht nur in räumlicher, sondern auch in kultureller Hinsicht: weit zurück hinter der Moderne, fernab westlicher Zivilisation. In Gestalt des ›Schläfers‹ oder muslimischen Migranten kann der ›ferne Terrorist‹ jedoch in den Westen ›eindringen‹ und sich unbemerkt als einer von ›uns‹ ausgeben. Zwei zentrale Strategien der Feindbildkonstruktion möchte ich im Folgenden diskutieren, die meines Erachtens für die Repräsentationen von ›Andersheit‹ bzw. das neue Feindbild ›islamischer Terrorist‹ zentral sind: Erstens die Aktualisierung kolonialistischer und orientalistischer Wahrnehmungsmuster, die die Vorstellung einer fundamentalen Differenz zwischen ›Okzident‹ und ›Orient‹ perpetuieren, den ›orientalischen Anderen‹ als Gegenmodell des ›zivilisierten Westens‹ festschreiben und damit zugleich neue Wege für die Definition westlich-europäischer Identität ebnen. Zweitens die schillernde Unschärfe und Nicht-Identität, die das Feindbild prägen und für eine permanente Wechselbewegung zwischen Konkretion und Abstraktion, zwischen ›Terrorist‹ und ›Terror‹ sorgen und dadurch eine prinzipielle Übertragbarkeit des neuen Feindbildes auf weitere Personengruppen gewährleisten. In beiden Strategien spielen Geschlechterbilder eine tragende Rolle. Anders als bei den zuvor untersuchten Freundbildern wird Männlichkeit, wenn es um die Konstruktion des terroristischen und feindlichen ›Anderen‹ geht, explizit zum Thema – insbesondere in Bezug auf die Komplexe ›persönliches Verhältnis zu Frauen‹ und ›Frauenfeindlichkeit‹. Die mediale Repräsentation des ›Terroristen‹ identifiziert diesen nicht nur als das ›orientalische Andere‹ westlicher Zivilisation und Moderne, sondern weist ihn zugleich implizit als das Gegenmodell des ›modernen Mannes‹ aus. Dies geschieht z.B. durch das Absprechen jeglicher (aufkläre-
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rischer) Vernunft sowie die beständige Betonung von Irrationalität, pathologischer Religiosität und patriarchaler Despotie. Die Repräsentation des Terroristen geht zudem mit der Veruneindeutigung und Delegitimierung von Männlichkeit und Sexualität einher und mündete schließlich im Bild des ›(pathologisch) verunsicherten und sexuell frustrierten Terroristen‹ (Mohammed Atta), des ›heimlichen Homosexuellen‹ und ›orientalischen Polygamisten‹ (Osama Bin Laden) oder des ›asexuellen, primitiv-brutalen Misogyns‹ (Taliban). Betrachtet man die Darstellung der männlichen Akteure in der Gesamtschau, stehen sich der ›vernünftig handelnde westliche Politiker‹ (teilweise auch der ›moderne postheroische Soldat‹) und der ›irrationale fanatische Gotteskrieger‹ diametral gegenüber und offenbaren größtmögliche Distanz und Verschiedenheit. So können bestimmte Vorstellungen von (hegemonialer bzw. abweichender) Männlichkeit und Sexualität einerseits als Zeichen für westliche Aufklärung, Vernunft und Fortschritt und andererseits als Beleg für Rückschrittlichkeit, Wahn und Barbarei fungieren und als Erklärung für das jeweilige Handeln der Akteure herangezogen werden. Insbesondere die Taliban werden als ein Feind dargestellt, gegen den vorzugehen auch und gerade aufgrund der skandalisierten Brutalität gegenüber Frauen, und damit einer als ›barbarisch‹ markierten Männlichkeit, gerechtfertigt erscheint.
5.4.1 Die neo-orientalistische Konstruktion des ›terroristischen Anderen‹ und die Re-Formulierung westlich-abendländischer Identität Wie die Analyse der Repräsentationen von ›Terror‹ und ›Terroristen‹ gezeigt hat, ähneln sie stark den altbekannten, orientalistischen und kolonialistischen Stereotypen von Rückständigkeit, Primitivität und Barbarei (vgl. Kap. I.1.2.5) – und können deshalb als neo-orientalistisch bezeichnet werden –, wobei die untersuchten Medien die Zugehörigkeit zum Islam bzw. strenge Religiosität als Hauptmerkmal fixieren. Der Terrorist wird in erster Linie als ›fanatischer Muslim‹ dargestellt. Damit im engen Zusammenhang steht das nach dem 11. September ebenfalls verstärkt reproduzierte orientalistische Deutungsmuster eines ›frauenfeindlichen Islams‹, verbunden mit den geschlechterstereotypen Bildern von der Muslimin als ›Opfer des islamischen Patriarchats‹ auf der einen Seite und dem muslimischen Mann als ›sexistischem Unterdrücker‹ und ›Patriarchem‹ auf der anderen (vgl. Röben/Wilß 1996; Pinn/ Wehner 1995; Attia 2007a). Wie die Untersuchung von FAZ und Spiegel gezeigt hat, nimmt der Diskursstrang ›Frauenfeindlichkeit‹ und ›Geschlechterhierarchie‹ in der Repräsentation des neuen Feindes ›islamischer Terrorist‹ eine herausragende Position ein. Dabei gerät insbesondere das rigide, auf dem sozialen Ausschluss der Frau beruhende Geschlechterregime der Taliban ins Visier der Medien, anhand derer der vermeintliche Gegensatz von (eigener) ›Zivilisation‹ und (fremder) ›Barbarei‹ plakativ illustriert wird. Während sowohl den Attentätern aus Hamburg-Harburg als auch Osama Bin Laden eine gewisse (biografische, charakterliche etc.) Individualität zugeschrieben wird, sind die Taliban nur als homogene Masse präsent, in der die einzelnen Individuen kaum hervortreten. Ihr Handeln wird allein aus geschlechtlichen, ethnischen oder religiösen Dispositionen heraus erklärt und zudem in einem vormodernen, vor-rationalen Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung verortet. Dabei kommt es zu einer ausgeprägten Primitivierung des ›Anderen‹ gemäß kolonialistischen Wahrnehmungsmustern. Die mediale Darstellung der Taliban aktiviert im kollektiven
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Gedächtnis verankerte Bilder von der Eroberung fremder Territorien und der Unterwerfung und Zähmung der unzivilisierten ›Eingeborenen‹ und ›Wilden‹ durch die westlichen Kolonialmächte. Anna Bergmann (2006) weist darauf hin, dass es sich insbesondere bei den Schilderungen der grausamen Gewaltexzesse und bestialischer Verstümmelungslust um ein altbekanntes koloniales Wahrnehmungsschema handelt. Demgemäß werden die Kolonialisierten als unzivilisierte, blutrünstige und infantile ›Wilde‹ imaginiert, die der Hilfe und Bevormundung durch die ›zivilisierten Weißen‹ bedürfen – was das ›Eingreifen‹ des Westens entsprechend als zivilisatorische und humanitäre Mission begreifbar macht.88 Auch die steten Verweise auf die unterirdischen Höhlen und Tunnelsysteme, in denen die Taliban vermeintlich leben und sich versteckt halten, erneuern orientalistische Stereotype und entwerfen ein Feindbild, das durch Wildheit und Primitivität gekennzeichnet ist (vgl. Schulte-Holtey 2001). Die insbesondere im Spiegel anzutreffenden Schilderungen über das ›wilde Afghanistan‹ erzählen eine klischeebeladene Abenteuergeschichte im Stile Karl Mays89, die Land und Leute gleichermaßen als naturnah und ›unzivilisiert‹ beschreibt und damit zugleich die Überlegenheit des ›weißen Mannes‹ begründet und absichert (vgl. weiterführend Hall 1994; Melber 1992). Gerhard und Link (1992: 286f) verweisen zudem auf die Wüste als weiteres Kollektivsymbol für den ›Orient‹ – ein Bild, das auch im Zusammenhang mit Afghanistan und den Taliban häufig aufgerufen wird. Die Wüste symbolisiert den Verlust von Ordnung und Orientierung und kann so auch als Sinnbild für – im Fall der Taliban v.a. religiösen – Wahnsinn gelesen werden. Die stete Betonung der Rückständigkeit und Barbarei der ›Anderen‹ entzieht – bei aller notwendigen Kritik an den Taliban – die ›eigenen‹ Unzulänglichkeiten und die Gewaltförmigkeit westlicher Gesellschaften dem Blick. So ist Bergmann zuzustimmen, wenn sie schreibt: »Die gängige Gleichsetzung von Gewaltverhältnissen des europäischen Mittelalters mit denen der afghanischen Gesellschaft […] entspricht dem evolutionären Geschichtskonzept, das zum einen den kolonialen Blick auf nicht christliche Kulturen reproduziert und zum anderen das der Moderne eigene Gewaltpotential verschleiert. Nicht zuletzt diese historische Parallelisierung dient der Idealisierung unserer westlichen Zivilisation, die sich so zu einer gewaltfreien und einer durch geschlechtliche Gleichberechtigung sich auszeichnenden Zivilgesellschaft, kurzum zur Repräsentation der höchsten Kulturstufe stilisiert.« (Bergmann 2006: 124)
Trotz der bisweilen unterschiedlichen Darstellungen von Attentätern, Bin Laden und Taliban lassen sich folgende Übereinstimmungen festhalten: Erstens werden alle Akteure in einer vormodernen Zeit verortet, als Beleg fungiert entweder der vermeintlich archaisch-primitive Lebensstil und/oder die rückschrittliche, anti-zivilisatori88 | Die Praxis der Verstümmelung des Gegners, wie z.B. das Abschneiden von Ohren und Nasen, galt, so Bergmann, in den afrikanischen Kolonialdiskursen als »ureigene Manier des ›unzivilisierbaren Wilden‹« (2006: 123). 89 | Wie verschiedene Analysen zeigen, sind die Karl-May-Romane als populär-literarische Verarbeitungen stereotyper Orient-Bilder für die (mediale) Wahrnehmung und Darstellung des ›Orients‹ und der ›Oriental_innen‹ bis heute insbesondere im deutschen Kontext von großer Bedeutung (vgl. Gerhard/Link 1992; Berman 2007).
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sche Ideologie. Zweitens bildet eine als übertrieben und wahnhaft gekennzeichnete islamische Religiosität (bzw. eine missbräuchliche Instrumentalisierung der Religion) das zentrale Merkmal der Repräsentation der verschiedenen Terroristen, wobei die zugeschriebene Gläubigkeit zugleich pathologisiert und irrationalisiert wird. Drittens stellen die durchgängigen Verweise auf das persönliche wie ideologische Verhältnis der Akteure zu Frauen bzw. allgemeiner die ›islamische Geschlechterordnung‹ eine weitere Gemeinsamkeit in der Darstellung dar. Die beständige Betonung der ›Frauenfeindlichkeit‹ der Terroristen, die nicht nur als persönliche Einstellung des Einzelnen, sondern zudem als spezifischer Wesenszug des Islams dargestellt wird, bildet zugleich die Klammer, die die Repräsentation der unterschiedlichen Terroristen zusammenhält und darüber hinaus – durch den Fokus auf den Islam – eine Übertragbarkeit des Feindbildes auf weitere Personengruppen wie z.B. muslimische Migranten in Deutschland ermöglicht. ›Männlichkeit‹ und ›Sexualität‹ bilden dabei die Projektionsfläche, auf der die Konstruktion vermeintlicher ›Andersheit‹ ausgetragen wird, wobei die hegemonial-westliche, heterosexuelle Männlichkeit implizit als Norm gesetzt wird und damit keiner näheren Erläuterung bedarf. Der dritte Punkt soll nun im Folgenden ausgeführt werden.
5.4.2 Männlichkeit und Sexualität: Der Terrorist als Negativfolie okzidentaler Männlichkeit Hervorzuheben an der Konstruktion von ›Andersheit‹ ist die Art und Weise, wie sie plausibel gemacht wird. Im Vordergrund stehen vier Deutungsmuster, die den ›islamischen Terroristen‹ als ›orientalischen Anderen‹ kennzeichnen und dabei implizit oder explizit auf hegemoniale (heteronormative) Geschlechtervorstellungen Bezug nehmen: Erstens das Fehlen männlich konnotierter Rationalität und Vernunft, zweitens eine gestörte, abnorme Sexualität, drittens archaische Vorstellungen von Männlichkeit, Krieg und Ehre und viertens eine ausgeprägte Frauenfeindlichkeit. Alle Deutungen legen jeweils ein idealisiertes Bild moderner Männlichkeit und (Hetero-) Sexualität bzw. ein vermeintlich auf Gleichheit und Gewaltfreiheit beruhendes westliches Geschlechterverhältnis als stille Norm zugrunde. Dabei lassen sich zwei gegenläufige diskursive Strategien ausmachen: Einerseits kommt es zu einer Infragestellung und Delegitimierung der Männlichkeit des Terroristen (Demaskulinisierung), d.h., dem Terroristen wird ein ›Zuwenig‹ an Männlichkeit zugeschrieben, denn es fehlt ihm vermeintlich an Rationalität und Vernunft sowie an respektvollen, gewaltfreien und gleichberechtigten (heterosexuellen) Umgangsformen in Bezug auf Frauen. Andererseits kommt es zur Zuschreibung einer gewaltförmigen, ungebändigten Hypermaskulinität (Hypermaskulinisierung) – und damit einem ›Zuviel‹ an Männlichkeit –, die sich wie im Falle der Taliban in Gewalt gegenüber Frauen, deren völliger Entrechtung und zudem in einem übersteigerten männlichen Kriegs- und Ehrverständnis niederschlägt. Beide Strategien haben gemein, dass sie die Männlichkeit des Terroristen als abweichend und ungültig und ›westliche‹ Männlichkeit als überlegen markieren. Im Folgenden werde ich die vier oben genannten Deutungsmuster näher erläutern.
1. Fanatismus und Irrationalität Die Figuration des Terroristen wird insgesamt als Gegenbild des modernen Mannes entworfen, wie er wiederum in Gestalt des westlichen (respektive des europäischdeutschen) Politikers/Staatsmanns und Soldaten die Bühne der medialen Präsentatio-
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nen betritt. Während sich das Bild des westlichen Politikers und Soldaten v.a. durch aufgeklärtes Denken und rationales Handeln auszeichnet, wird dem Terroristen jegliche Vernunft und Säkularität, als wesentliche Elemente moderner Männlichkeit, abgesprochen. Zentral in der Darstellung der Attentäter ist stattdessen das Deutungsmuster einer krankhaften und irrationalen Persönlichkeit, wie es in den Figuren des religiösen Fanatikers und Paranoikers aufscheint. Diese Attribuierungen lassen sich zugleich als (symbolische) Feminisierung und damit Demaskulinisierung erfassen. Im Hinblick auf die Frage nach den geschlechtlichen Implikationen der Figur des Terroristen kann auch die Deutung der Terroranschläge bzw. der Täter und Hintermänner als ›feige‹ und ›gesichtslos‹ (im Anschluss an George W. Bush) betrachtet werden. Mut und Tapferkeit gelten ebenso wie Rationalität und Vernunft als moderne männlichbürgerliche Tugenden. Entsprechend verweist ›Feigheit‹ insbesondere im Kontext von Kampf und Krieg auf Un-Männlichkeit, Drückebergertum und Verweichlichung. Im Kontext des 11. September ist damit insbesondere das Fehlen einer offiziellen ›Kriegserklärung‹ (z.B. eine direkte Kampfansage, ein Bekennerschreiben o.Ä.), die Vermeidung eines direkten (Zwei-)Kampfes (stattdessen ein Angriff aus dem ›Hinterhalt‹) sowie die Nicht-Einhaltung völkerrechtlicher Regeln (die z.B. das Töten unschuldiger Zivilist_innen verbieten) gemeint. Die Verknüpfung mit dem Attribut ›feige‹ kann somit als eine weitere Strategie der symbolischen Demaskulinisierung interpretiert werden, die der Abwertung des Angreifers dient. Die Zuschreibung ›gesichtslos‹ spricht den Terroristen zudem Individualität und Persönlichkeit ab und stellt damit den – männlich konnotierten – Subjektstatus des Täters zusätzlich in Frage. Der bipolare Konstruktionsmodus von ›Terrorist‹ und ›moderner Mann‹ entspricht Georges Mosses Überlegungen zur Ausformung moderner Männlichkeit, die er in seiner Studie »Das Bild des Mannes« (1997) herausgearbeitet hat. Mit der Entstehung moderner Nationalstaaten im 18. Jahrhundert brauchte die neue bürgerliche Gesellschaft, so Mosse, ein Bild, gegen das sie sich abheben und definieren konnte. Die Ausbildung jenes »maskuline[n] Stereotyp[s], das in seiner ›stillen Größe‹ und Selbstkontrolle die Gesellschaft so wiedergab, wie sie sich gern selbst sah«, ging konstitutiv mit der Konstruktion eines »Anti-Typus« einher, der das »Umgekehrte der gesellschaftlichen Norm widerspiegelte« (ebd.: 79) und dadurch die Selbstvergewisserung des männlichen Idealtypus gewährleistete (vgl. ebd.: 101). Während sich dieser in seinem äußeren Erscheinungsbild und Benehmen sowie seiner inneren Geisteshaltung durch Schönheit, Gesundheit, Geordnetheit und Mäßigung auszeichnete, wurden gesellschaftlich marginalisierte Gruppen wie Geisteskranke, Verbrecher und so genannte Perverse (Homosexuelle) – neben ›Zigeunern‹, Landstreichern und Juden – zum Anti-Typus erkoren; sie symbolisierten dementsprechend sowohl körperliche Devianz wie geistig-moralische Unordnung (ebd.: 80 und 100). Die Repräsentation des Terroristen als pathologisch-wahnhaftem Fanatiker und mörderischem Verbrecher in einer Person, wie sie insbesondere in Gestalt der Hamburger Attentäter und Bin Ladens auftaucht, entspricht damit paradigmatisch dem Mosse’schen Anti-Typus. Auch die Zuschreibungen von Wurzel- und Heimatlosigkeit, wie sie in den Repräsentationen der Attentäter und des daraus abgeleiteten Bildes des ›Schläfers‹ zu finden sind, sowie von äußerer Hässlichkeit, wie sie in den Repräsentationen der Taliban virulent werden, gehören zu den bei Mosse beschriebenen Merkmalen des Anti-Typus (vgl. Mosse 1997: 79 und 82ff). Die immer wiederkehrenden Charakterisierungen der Terroristen als ›Fanatiker‹ und ›Fundamentalisten‹ können dabei als eine Unterform der Figur des ›Geis-
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teskranken‹ betrachtet werden; sie schreiben dem ›Anderen‹ ebenfalls ein zutiefst irrationales und pathologisch-wahnhaftes Wesen zu. Mit dem Bild des ›Fanatismus‹ oder ›Fanatikers‹ wird nach Gerhard und Link seit den 1980er Jahren »ein für unsere Kultur äußerst wirksames Feindbild realisiert« (1992: 279). Dieses ist deshalb so wirkungsvoll, weil es der Konzeption moderner Rationalität diametral entgegensteht und demnach die größtmögliche Gefährdung westlicher Vernunft und Ordnung signalisiert. So stehen Fanatismus und Wahnsinn gerade für den Verlust von (männlich kodierter) Selbstkontrolle, Autonomie und Orientierung – und symbolisieren damit (weiblich kodierte) Unberechenbarkeit und Chaos. Als äquivalentes Bild zu dem des Fanatikers hat sich im Mediendiskurs zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein weiteres verfestigt, das dominant mit dem Islam verknüpft wurde: das Bild des »Fundamentalisten« (ebd.: 280). Auch zum ›Fundamentalisten‹ gehört das Merkmal des krankhaften Irrsinns. Beide Diskursfiguren, ›Fanatiker‹ und ›Fundamentalist‹, stehen in der Tradition orientalistischer Denkmuster und der daraus resultierenden Islamdarstellungen; insbesondere der Begriff des Fundamentalismus erweist sich »mittlerweile als Synonym für die Dämonisierung des Islams und der Araber« (Castro Varela/Dhawan 2005: 31; vgl. auch Gerhard/Link 1992; Link 1991b und 1993).
2. Gestörte Sexualität: Sexuelle Frustration, Homosexualität, orientalische Polygamie und brutale Misogynie Wie in der Analyse deutlich wurde, verläuft die Konstruktion von ›Andersheit‹ und ›Gefahr‹ nicht nur über das Bild einer abweichenden, irrationalen und gewaltförmigen Männlichkeit, sondern wird insbesondere von Hinweisen auf eine krankhaft gestörte und anormale Sexualität begleitet. Dabei wirkt auch die Strategie der Sexualisierung durch unterschiedliche Zuschreibungsmodi und schreibt dem Terroristen einmal ein ›Zuviel‹ und einmal ein ›Zuwenig‹ an männlich-heterosexueller Potenz und Aktivität zu. Im Falle von Mohammed Atta wurde die Sexualität des Terroristen als zutiefst gestört und verunsichert herausgestellt, indem diesem eine pathologische Angst vor Frauen, verbunden mit einer sexuell-verklemmten Totalabstinenz, zugeschrieben wurde, die sich in einem übersteigerten Hass gegenüber Frauen ebenso wie dem Westen entlade. Parallel dazu kam es zu einer Übersteigerung und Überbetonung der (Hetero-)Sexualität des Terroristen in Form der ins Jenseits verlagerten Phantasie von 72 paradiesischen Jungfrauen. Auch der leise geäußerte Verdacht einer verborgenen Homosexualität, wie er v.a. in der Repräsentation Bin Ladens zu finden war, geht von der Verfehlung ›richtiger‹ heterosexueller Männlichkeit aus und lässt sich als weiteres Beispiel für die Demaskulinisierung bzw. Feminisierung des Terroristen interpretieren. Das hypersexualisierende Motiv von Triebhaftigkeit und Wollust, wie es nicht nur im Bild der 72 Jungfrauen sondern auch im Deutungsmuster einer spezifisch ›orientalischen‹ Polygamie zum Tragen kommt, knüpft zudem an altbekannte kolonialistische und orientalistische Wahrnehmungsmuster von Exotik und Harem an (vgl. Hodaie 2009; Pinn/Wehner 1995). Die Repräsentation der Taliban schließlich lässt diese als absolut entsexualisierte Wesen erscheinen, die offenbar weder im Alltag noch in sexueller Hinsicht den Umgang mit Frauen gewöhnt sind. Demnach sind die Taliban eine stumpfe und rückschrittliche Männergesellschaft, die mit Frauen nichts anfangen kann, außer sie brutal zu entrechten. Das psychologisierende Motiv einer männlichen Verunsicherung und Angst vor Frauen taucht hier ebenfalls am Rande auf (vgl. Kap. I.1.1).
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Die Gleichzeitigkeit hypermaskulinisierender/hypersexualisierender und demaskulinisierender/feminisierender Deutungsmuster ist jedoch kein Novum, sondern auch in anderen historischen Kontexten zu finden, wo es um die Konstruktion des ›anderen Mannes‹ in Abgrenzung zum ›Eigenen‹ (westlicher/deutscher, weißer Männlichkeit) geht. So finden sich z.B. Parallelen zur Konstruktion kolonisierter, Schwarzer Männlichkeit und Sexualität ebenso wie zur antisemitischen Konstruktion des (männlichen) Juden.90 Exkurs: Terroristische Monster und die Monstrosität des Terrors Das ›Monster‹ – und die damit verknüpften Vorstellungen von ›Monstrosität‹ – stellt eine historische, oft medial vermittelte (Diskurs-)Figur dar, die die Geschichte der Menschheit durchzieht. Monster sind in der mittelalterlichen Literatur und frühzeitlichen Flugblättern ebenso zu finden wie in den Vampir- und Horrorfilmen der Gegenwart und gehören insofern dem Reich des Imaginären und Artifiziellen an (vgl. weiterführend z.B. Gebhard et al. 2009). Als diskursive Figur kann das Monströse jedoch auch real existierende Personen oder politische Ereignisse wie den 11. September bezeichnen. Das Monströse wird als Projektionsfläche und (Zerr-) Spiegel des Menschen erschaffen, als eine Figur, auf die Furcht und Abscheu – aber auch Faszination und Neugier – projiziert werden können und mit der sich gesellschaftliche Ängste kanalisieren lassen (vgl. ebd.). »Die Bezeichnung ›Monster‹ trifft gerade das grundsätzlich Andere, dasjenige, was in die vorhandenen Kategorien nicht einzuordnen ist, oder eben aus diesen Kategorien ausgeschlossen werden soll. Monster ließen sich also als Imaginationen und Repräsentationen des Unverfügbaren fassen […]« (Gebhard et al. 2009: 10). Trotz der unterschiedlichen Gestalten, die die Figur des Monsters bzw. Monströsen im Laufe der Geschichte angenommen hat – das Monster ist immer ›das bestimmte Andere‹ des Menschlichen und Normalen. Für die Übertragung der Monsterfigur auf das Phänomen ›Terror‹ bzw. ›Terrorist‹ ist zunächst folgende Entwicklung interessant: Kulturwissenschaftliche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass sich die konkrete Bedeutung sowie die äußere Gestalt des Monsters zunehmend verflüssigt haben (vgl. hier und im Folgenden Gebhard et al. 2009). Während noch in der frühen Neuzeit das Monster etwas vergleichsweise Konkretes bezeichnete, z.B. körperliche Missbildungen und ›Missgeburten‹, löste sich die Monstrosität immer mehr vom Körperlichen ab und wurde zusehends unsichtbarer und ungreifbarer. So wurde die Figur des Monsters mit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zu einer Semantik, mit der auf unterschiedliche Formen von (moralischer) Devianz reagiert wurde und die aufgrund ihrer großen Fluidität nahezu beliebig auf gesellschaftliche ›Abweichler‹ übertragen werden konnte (ebd.: 12). Die zunehmende Fluidität ist zudem Voraussetzung für die beiden großen Entwicklungen, die der Monsterbegriff laut Gebhard et al. im 20. Jahrhun90 | Jan Jindy Pettman beschreibt die Repräsentationsmuster Schwarzer Männlichkeit folgendermaßen: »Colonised/black men’s sexuality was constructed as savage, violent, voracious […]. This complicates the previous notion of colonised men as feminised. A contradictory bundle of images could be activated simultaneously or in different situations. Colonised/ black men were seen to have too little of some masculine characteristics, such as responsibility and stability, and too much of others, especially in terms of a sexualized hypermasculinity, which was a threat to white women, and to black/colonised women too« (Pettman 1996: 33). Auf das antisemitische Stereotyp des männlichen Juden werde ich weiter unten eingehen.
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dert durchlaufen hat: die Medialisierung und Politisierung des Monsters (ebd.: 20). So bietet sich die Figur des Monsters als Strategie der (medialen) Skandalisierung abweichenden – ›monströsen‹ – Verhaltens, wie z.B. von Sexualstraftätern, Amokläufern, Serienmördern etc., ebenso an wie zur Dämonisierung politischer Gegner und Feinde. »Den Feind als Monster zu bezeichnen, markiert ihn nicht nur als etwas existenziell anderes«, wie Gebhard et al. zu bedenken geben, »sondern nimmt ihm auch seine menschlichen Qualitäten« (ebd.: 22). Als paradigmatische Figur des Ausschlusses fungiert das Monster darüber hinaus als ›Identitätsgenerator‹, der die Grenzziehung und Etablierung von Großgruppenidentitäten organisiert und das ›Eigene‹ zu stabilisieren vermag (ebd.). Im Anschluss an diese Überlegungen möchte ich vorschlagen, die Figur des Monsters, wie sie in den Mediendiskursen nach dem 11. September ganz explizit auftaucht, als eine kritische Reflexionsfigur politischen Handelns zu nutzen, mit der nicht nur die gesellschaftliche Stigmatisierung ›abweichenden‹ Verhaltens, sondern auch die (medialen) Konstitutions- und Grenzziehungsprozesse kollektiver Identitäten analysiert werden können. Demnach ließe sich sagen, dass auch das ›terroristische Monster‹ die Ängste der westlichen, heteronormativen Gesellschaften symbolisiert und kanalisiert. Mit Blick auf die mediale Verarbeitung des 11. September zeigt sich, dass die Figur des Monsters geschlechtlich und sexuell sowie rassisch bzw. kulturell kodiert ist. Wie die Figur des ›terroristischen Monsters‹ zeigt, tritt Monstrosität aber auch körper- und gestaltlos in Erscheinung und fungiert generell als Repräsentation des Uneindeutigen. Sie steht damit gerade für das Durchkreuzen bzw. den Zusammenbruch vertrauter Kategorien und Ordnungsmuster. Um der sexuellen Konnotation des Monsters bzw. der historischen Tradition sexualisierender Wahrnehmungsmuster auf die Spur zu kommen, lohnt sich ein Blick auf Foucaults Überlegungen zur Geschichte der Sexualität. Wie Foucault in »Der Wille zum Wissen« (1999 [1976]) herausgearbeitet hat, sind es insbesondere die Diskurse der Sexualität, die das Individuum seit dem 18. Jahrhundert definieren und formen bzw. die Subjekte entlang normalisierender Vorstellungen von ›guter‹ Sexualität und ›böser‹ Perversion hervorbringen. Das heißt, das Subjekt wird überhaupt erst als sexuelles Wesen intelligibel. In seiner Vorlesung »Die Anormalen« (Foucault 2007 [1999]) aus dem Jahr 1975 beschreibt Foucault drei Figuren, die den Bereich der Anomalie – zunächst als getrennte Figuren, dann ab Ende des 18. Jahrhunderts immer mehr im wechselseitigen Bezug und in ihren Profilen überlappend – abstecken und den Aufstieg der Psychiatrie im 18. Jahrhundert begleiten: das »Menschenmonster«, das »zu bessernde Individuum« und »das masturbierende Kind« (ebd.: 76). Foucault entwirft die Figur des Monsters in einem juridischen Sinne, wobei das Monster in einem doppelten Sinne gegen das Gesetz verstößt. Zunächst bricht das Monster mit dem Naturgesetz, denn der Begriff des Monsters bezeichnet »ein Mischgebilde aus zwei Arten« (ebd.: 86) – etwa eine Mischung aus Tier und Mensch oder aus Mann und Frau – und fällt dadurch aus der Ordnung der Natur. Zudem verstößt das Monster gegen bürgerliches, religiöses oder göttliches Recht bzw. kann Monstrosität die Gültigkeit bzw. Anwendbarkeit dieses Rechts ›aushebeln‹ (ebd.: 87). Wesentlich für die Figur des Monsters – und die Übertragung dieser Überlegungen auf die Figuration des Terroristen – ist seine zunehmende Sexualisierung: Das Monster bringt im Verlauf des 18. und. 19. Jahrhunderts »das monströse Individuum und den sexuellen Abweichler zusammen« (ebd.: 76) und wird primär zum sexuellen Monster, um das herum sich die disziplinierenden Diskurse der Medizin,
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Biologie und Psychiatrie entfalten. Anormalität bzw. Monstrosität sind fortan immer auch durch sexuelle Abweichung und Perversion gekennzeichnet. Doch was bedeuten Foucaults Überlegungen in Bezug auf die Repräsentationen des ›islamischen Terroristen‹ nach dem 11. September? Wie die Analyse gezeigt hat, wird die Monstrosität der Terroristen ähnlich der von Foucault beschriebenen Monster-Figuren des 18. und 19. Jahrhunderts entlang einer vermeintlich abweichenden Sexualität (Homosexualität, Polygamie, Asexualität, Angst vor Frauen, Misogynie) begründet und plausibel gemacht, die zudem mit einer ethnischen bzw. kulturellreligiösen Kennzeichnung versehen wird. Die Figur des ›terroristischen Monsters‹ ist aufs engste mit dem Diskurs der Heteronormativität verwoben. Jasbir Puar und Amit Rai bezeichnen die spezifische Konstruktion des orientalisierten Terroristen, wie sie als neues Feindbild im Rahmen des ›War on Terror‹ hervorgebracht wurde, deshalb auch überspitzt als »monster-terrorist-fag« (›Monster-Terrorist-Schwuchtel‹) (Puar/Rai 2002: 127). »What these representations show […] is that queerness as sexual deviancy is tied to the monstrous figure of the terrorist as a way to otherize and quarantine subjects classified as ›terrorists‹, but also to normalize and discipline a population through these very monstrous figures« (Puar/Rai 2002: 126).
Entscheidend ist also, dass das ›terroristische Monster‹ vom Westen selbst kreiert und als ›das Andere‹ westlicher Normalität entworfen wird Im Gegenzug wird über die monströse Figur sexueller Abweichung das Eigene bzw. die westlich-okzidentalen Vorstellungen von ›normaler‹ männlicher Sexualität normalisiert. So wird in den untersuchten deutschen Medien in Abgrenzung zur ›Monster-Terrorist-Schwuchtel‹ (weitgehend implizit) ein Bild des okzidentalen Mannes entworfen, der Frauen respektvoll behandelt, heterosexuelle Beziehungen unterhält und die Emanzipation und Gleichstellung der Frau gutheißt.91 Die Strategie der Sexualisierung hat darüber hinaus noch eine weitere Funktion, die insbesondere für den Umgang und die Bekämpfung von Terrorismus folgenreich ist: So werden mit der medialen Fokussierung auf die Sexualität des Terroristen, verbunden mit deren Psychologisierung und Pathologisierung, die komplexen, sozialen, historischen und politischen Hintergründe des Terrorismus auf eine in der Persönlichkeit des Terroristen begründeten Erklärung hin ›abgelenkt‹. Die Fokussierung auf eine vermeintlich krankhafte, degenerierte Psyche, die in den untersuchten Medien mit männlicher Verunsicherung bzw. der Angst vor Frauen, sexueller Frustration, verleugneter Homosexualität oder einer tragischen Kindheit, geprägt durch die Abwesenheit fürsorglicher Weiblichkeit, erklärt wird, lässt soziale oder politische Motivationen der Terroristen in den Hintergrund treten.
3. Männliche Ehre als Merkmal des ›islamischen Anderen‹ Ein weiteres, ebenfalls auf Geschlecht und spezifische Männlichkeitsvorstellungen rekurrierendes Erklärungsmuster für die Motivation und das Handeln der Terroris91 | Eine Definition westlicher Geschlechterverhältnisse, die durchaus erstaunt, wenn man sich die erheblichen Widerstände gegenüber feministischen/frauenpolitischen Forderungen, die fortwährende (Chancen-)Ungleichheit, Diskriminierung von und Gewalt gegen Frauen innerhalb der westlichen Gesellschaften vor Augen hält.
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ten verbirgt sich hinter dem Topos ›männliche Ehre‹. Der Verweis auf ein übersteigertes, nach Krieg und Märtyrertod strebendes Verständnis von Männlichkeit und Ehre, wie es v.a. in der Repräsentation der Taliban zum Ausdruck kommt, fungiert als Beleg für die vermeintliche Andersartigkeit und Rückständigkeit des Feindes. Eine hypermaskuline, aggressive und nach Ehre strebende Männlichkeit wird nicht nur als Spezifikum der Taliban, sondern generell als Wesenszug des ›islamischen Mannes‹ herausgestellt. Die permanente Fokussierung eines übertriebenen ›Heroismus‹ und ›Märtyrerkults‹ der Terroristen kennzeichnet ›männliche Ehre‹ dabei nicht nur als spezifischen Wesenszug des ›orientalisierten Anderen‹. Es stärkt im Gegenzug das (implizit zugrunde gelegte) Bild des modernen Mannes und Soldaten, der die heroische Mentalität – aufgrund von ›Fortschritt‹, ›rationaler Entwicklung‹ und mitunter durchaus schwierigen und konflikthaften ›Lernprozessen‹ – hinter sich gelassen hat und sich stattdessen durch eine ›zivilisierte‹ Kriegsführung und den weitestgehenden Verzicht auf Gewalt auszeichnet und daraus seine vermeintliche Überlegenheit ableitet (vgl. Kap. IV.4). Einen besonderen Bezugspunkt, an dem die Differenzen zwischen einem ›atavistischen‹ und einem ›postheroischen‹ Ehrverständnis festgemacht werden, bildet das Thema Opfer- bzw. Todesbereitschaft. Die als originär ›islamisch‹ bzw. ›islamistisch‹ gekennzeichnete ›Todesverachtung‹ des Feindes stellt ein Deutungsmuster bereit, das in der Repräsentation der Taliban sowie der Selbstmordattentäter relevant wird und das für das Feindbild ›islamischer Terrorist‹ insgesamt wesentlich ist. Während dieser Rahmung zufolge der Terrorist geradezu von einer Todessehnsucht (und deshalb ›falschem Heroismus‹) getrieben ist, liebt und schützt der westliche Mann und Soldat das Leben. Die Berichterstattung der FAZ und insbesondere des Spiegels folgt damit unterschwellig einer Diskursfigur, die seit geraumer Zeit in Forschung und Öffentlichkeit steigende Konjunktur vermelden kann und für die sich mittlerweile der Begriff der ›postheroischen Gesellschaft‹ eingebürgert hat. Denn eine Skandalisierung des ›pseudo-heroischen‹ Terroristen ist nur möglich, wenn ›Postheroismus‹ als kulturelle Norm und Wert des ›Eigenen‹ gesetzt wird. Aufschlussreich für die Analyse ist die polare Gegenüberstellung, die das ›postheroische‹ Ideal des Westens gleichfalls performativ vollendet und Widersprüche einebnet; so werden die nach dem 11. September gleichzeitig zu beobachtenden Tendenzen einer verstärkten ›Remaskulinisierung‹ und ›Re-Heroisierung‹ des Politischen dadurch dem Blick entzogen. Die Rückdrängung des Heroischen und Kriegerischen wird indes als ›zivilisatorischer Fortschritt‹ gefeiert und als weiterer Beleg für die Überlegenheit des westlichen ›Nicht-Kämpfers‹ gegenüber einem ›atavistischen‹ Männlichkeitsverständnis des ›Feindes‹ nutzbar gemacht. Die Gegenüberstellung von ›technischem Fortschritt‹ und ›zivilisatorischem Verzicht‹ auf Kampf, Märtyrertod und Ehre auf Seiten der westlichen Armeen und der ›rückschrittlichprimitive Heldenkult‹ der afghanischen ›Soldateska‹ wird dabei, wie gezeigt, insbesondere durch visuelle Strategien in Szene gesetzt. Das Postulat der ›postheroischen Gesellschaft‹ ist nicht nur auf den Bereich des Militärischen beschränkt. Allgemein wird davon ausgegangen, dass das Duell und andere Initiationsrituale, die die Aufnahme in eine eingeschworene Gemeinschaft sicherstellen sollen, in den westlichen Gesellschaften in den Hintergrund gerückt sind, so dass Werte wie männliche Ehre ›hierzulande‹ angeblich kaum mehr von
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Belang sind.92 Die okzidentalistische Konstruktion des ›Eigenen‹ verläuft dabei oft stillschweigend, denn im Mittelpunkt von Aufmerksamkeit und Wissensproduktion steht nahezu ausschließlich das vermeintlich besonders ausgeprägte ›Ehrverständnis‹ des ›orientalischen Anderen‹, das zudem dominant mit dem Islam verknüpft wird. Deutlich zeigt sich dies z.B. in den jüngsten, medial forcierten Debatten um so genannte ›Ehrenmorde‹, ausgeübt von arabischen/muslimische Männer an ›unehrenhaften‹ Frauen aus ihrem persönlich-familiären Umfeld. Aufgrund der Zuschreibung eines spezifisch ›islamischen‹ Tathintergrundes fungiert die berechtigte und notwendige Kritik an den Morden v.a. als Argument für die vermeintliche ›Unvereinbarkeit der Kulturen‹ und das ›Scheitern der multikulturellen Gesellschaft‹ – so die sich insbesondere nach dem 11. September herauskristallisierende Diskursfigur. Wie Dietze (2009: 37f) mit Blick auf die Kriminalberichterstattung insgesamt feststellt, könne man bei aufmerksamer Lektüre zahlreiche Hinweise auf Mordfälle finden, die von ›westlichen‹ Ehemännern und Beziehungspartnern, etwa aus Angst vor Scheidung oder Trennung, an ›ihren‹ Frauen verübt werden – für dieses statistisch durchaus häufige Tatmotiv habe man jedoch im Gegensatz zum ›Ehrenmord‹ keinen Namen.
4. Orientalisierung des Patriarchats – Frauenemanzipation und Anti-Sexismus als neue Werte des Westens Über die konstante Verknüpfung mit ›Frauenfeindlichkeit‹ und ›Geschlechterhierarchie‹ gewinnt das neue Feindbild ›islamistischer Terrorist‹ besondere Plausibilität. Es ist insbesondere das Stereotyp des ›orientalischen Patriarchen‹, wie es in zugespitzter, besonders aggressiver Form in der Repräsentation der Taliban zutage tritt, das sich zur Abgrenzung anbietet und durch das die ›Unterlegenheit‹ der orientalischen (Hyper-)Maskulinität gegenüber der westlichen Männlichkeit begründet wird. Der Diskursstrang ›Frauenfeindlichkeit‹, der zudem untrennbar mit dem ›Islam‹ verknüpft wird, zieht sich dabei wie ein roter Faden durch die Berichterstattung. Mit dem Beginn des Afghanistankrieges kommt es zu einer ausgeprägten Brutalisierung dieser Deutungsfigur: ›Archaische Männlichkeit‹ und eine ›übersteigerte, gewaltförmige Misogynie‹ gehören zu den vordergründigsten Merkmalen der Charakterisierung der Taliban und tragen wesentlich zur Dämonisierung des Feindbildes ›Terrorist‹ insgesamt bei. Indem die Verletzung von Frauenrechten und Gewalt gegen Frauen allein auf Seiten des Feindes lokalisiert werden, konstituiert sich das ›Eigene‹ implizit und explizit als Bewahrer und Garant von Frauenrechten. Über den Diskursstrang ›Geschlechterverhältnisse‹ wird dabei nicht nur die angenommene Differenz zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ plausibel gemacht, sondern auch die vermeintliche Gefährdung der abendländischen Werte durch den Islam begründet.
92 | So geht z.B. der ›Männerforscher‹ Holger Brandes davon aus, dass »dieses Ehrverständnis im heutigen Deutschland gründlich abhanden gekommen ist« (2002: 169). Der Bezug auf einen im frühen 20. Jahrhundert noch gängigen männlichen Ehrenkodex löse heutzutage bei deutschen Männern »als einzige Gefühlsregung die des Befremdens aus« (ebd.: 168). Eine Verknüpfung von Männlichkeitsbildern mit Ehre und Stolz kommt seiner Meinung nach heute nur noch bei den in Deutschland lebenden »ethnischen Gruppen« vor, insbesondere bei jenen, die aus einem türkischen, mediterranen oder islamischen Kulturkreis kommen (ebd.: 167).
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So befürchtet die FAZ etwa eine Verwässerung der abendländischen Kultur durch islamische Migrant_innen. Dietze nennt diesen Mechanismus die »Orientalisierung des Patriarchats« (»Orientalizing Patriarchy«, Dietze 2006b: 234; vgl. für die folgenden Ausführungen auch Dietze 2009: 33ff). Sexismus und patriarchale Herrschaftsstrukturen werden nach außen verlagert und ausschließlich als Merkmal des ›orientalischen‹ bzw. ›islamischen Anderen‹ fixiert. Die permanente Skandalisierung des ›islamischen Patriarchats‹ de-thematisiert die patriarchalen Strukturen des Westens und bringt die eigenen Defizite und Widersprüche zum Verschwinden. Im Gegenzug kann das Eigene von dem Verdacht des Sexismus freigesprochen als fortschrittlich, emanzipiert und post-patriarchal imaginiert werden – als eine Gesellschaft, die Sexismus und Patriarchat vermeintlich hinter sich gelassen hat und daraus ihre kulturelle ›Überlegenheit‹ ableitet.93 In Abgrenzung zum ›orientalischen Patriarchen‹ wird der ›westliche Mann‹ geradewegs als ›feministischer Verbündeter‹ und ›Anti-Sexist‹ illusioniert, der ›seinen‹ Frauen Emanzipation und Gleichberechtigung ermöglicht und für die Realisierung von Frauenrechten (weltweit) eintritt. In Gegensatz zu dem ›barbarischen (Frauen-)Feind‹, der seine Frauen diskriminiert, knechtet und misshandelt, ist der ›westliche Mann‹ – auch und gerade in seiner Rolle als Soldat (vgl. Kap. IV.4) – um Schutz und Wohlergehen der Frauen besorgt. Explizit wird das »ein Jahrhundert währende Streben nach weiblicher Emanzipation und der Gleichstellung der Frau« in der FAZ als besondere Eigenschaft des Abendlandes gepriesen (2.10.01: 1); und auch der Spiegel deutet die ›Emanzipation der Frau‹ als einen besonderen Wert der ›westlichen Welt‹, den es zu verteidigen lohnt: »Wir werden unsere Art zu leben nicht ändern. Und erst recht nicht, wenn uns ein paar mittelalterliche Fundamentalisten, die ihre Frauen verschleiern und zu Hause einsperren und die auf ihren Videorecordern zu viele Schwarzenegger-Filme gesehen haben, dazu zwingen wollen. Wir bleiben. Denn New York ist eine Idee, die sich zu verteidigen lohnt.« (38/2001: 148)
Während die Figuration des feindlichen ›Anderen‹ als ›barbarischem Frauenfeind‹ bereits in den Diskursen des Kolonialismus und in der Propaganda des Ersten und Zweiten Weltkriegs (hierzu Wenk 2005a) zu finden ist, deutet sich mit dem Verweis auf die ›Homophobie‹ des ›islamischen Anderen‹ eine neue Diskursfigur an. So gehörte neben einer ausgeprägten Misogynie auch Homophobie zu den Merkmalen, die (ausschließlich) dem ›Anderen‹ zugeschrieben werden. Diese Diskursstrangverschränkung tauchte jedoch in den von mir untersuchten Medien nur am Rande auf. So wurde z.B. mit einem gewissen ›Stolz‹ in beiden Medien plötzlich über die lesbische US-Moderatorin der anlässlich des 11. September mehrmals verschobenen Emmy-Verleihung berichtet. »Die, die anwesend waren, sahen eine angemessen komische Ellen DeGeneres als Gastgeberin, die den Sinn der Veranstaltung mit einem Witz auf den Punkt brachte. Sie, die offen lesbische Komikerin, fühle sich außerordentlich geehrt und auch persönlich froh, an diesem 93 | Siegfried und Margarete Jäger sprechen auch von einer »Ethnisierung von Sexismus« (Jäger/Jäger 2007: 110; vgl. auch M. Jäger 1996), verstanden als eine in machtpolitischer Hinsicht folgenreiche und funktionale Verschränkung zweier Diskursstränge.
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN Sonntagabend auf dieser Bühne zu stehen: eine Lesbierin im Anzug, umgeben von einer Menge Juden – das sei wohl der größte vorstellbare Graus für die Taliban.« (FAZ 6.11.01: 55; vgl. Spiegel 48/2001: 265)
Die vermeintliche Homophobie des ›islamischen Anderen‹ kann jedoch nur dann überhaupt skandalisiert werden, wenn gleichzeitig das ›Eigene‹ als ›schwulen- und lesbenfreundlich‹ und ›tolerant‹ begriffen wird. Die ›Hyper-Homophobie‹ des ›Anderen‹ ermöglicht die Imaginierung eines Selbst, das die Abneigung längst überwunden hat, mehr noch, die Tolerierung von Homosexualität fungiert als »ultimativer Beweis westlicher Überlegenheit« (Dietze 2009: 43f). Das medial produzierte Bild des homophoben (und wie oben ebenfalls anklingt: antisemitischen) Terroristen steht dabei in enger Wechselwirkung mit der Wahrnehmung des Islams im Allgemeinen und entfaltet über den unmittelbaren Kontext 11. September hinaus – bis heute – Wirkmächtigkeit (vgl. Yilmaz-Günay 2011). Der diskursive Mechanismus der Abspaltung und Übertragung und die damit verbundene Aufwertung des Eigenen verläuft immer ähnlich, so ließe sich analog zur ›Orientalisierung des Patriarchats‹ (Dietze) auch von einer ›Orientalisierung der Homophobie‹ sprechen (vgl. weiterführend Puar 2007; Attia 2007b). Einzelne Beispiele finden sich auch in den von mir untersuchten Medien. So heißt es z.B. in dem Spiegel-Artikel »Der verlogene Dialog« (51/2001: 44), der sich mit dem »jäh entflammten Interesse am Islam« in Folge des 11. September und der Frage nach Sinn und Unsinn eines »interreligiösen Dialogs zwischen Christen und Muslimen« (ebd.) beschäftigt: »Anfang Oktober in Rom regten muslimische Geistliche an, beide Religionen sollten gemeinsam den Kampf gegen Ungläubige aufnehmen, speziell gegen die ›Förderer der Pornografie‹ und der ›Homosexualität‹. Der ›peinliche Vorschlag‹, so notierten Zeitungskorrespondenten, habe bei den christlichen Gesprächspartnern ›Verlegenheit‹ ausgelöst. […] Zu den Aufgaben der Kirche gehöre es auch, fordert Koppe [Auslandsbischof der EKD, A.N.], ›den Muslimen Menschenrechte, Minderheitenschutz und den säkularen Staat als Errungenschaften der Moderne zu vermitteln‹.« (Ebd.: 52)
Dass der »Dialog« mit dem Islam zum jetzigen Zeitpunkt als wenig sinnvoll erachtet wird, lässt sich bereits aus der Überschrift ablesen. Der Artikel zeichnet insgesamt ein homogenes Bild eines länderübergreifenden frauenverachtenden und homophoben Islams, der dringend auf ›unsere‹ Nachhilfe in Sachen Menschenund Minderheitenrechte angewiesen ist. Homophobie wird als ›Peinlichkeit‹ der islamischen Religion zugeschoben, ungeachtet der Tatsache, dass Homosexualität auch Teilen der christlichen Kirche nach wie vor ein Dorn im Auge ist.
5.4.3 Vom ›Terroristen‹ zum ›Terror‹ als einer gestalt-, ort- und zeitlosen Gefahr Bisher habe ich die Konstruktion des Terroristen v.a. unter dem Aspekt des Orientalismus und Okzidentalismus betrachtet und als neo-orientalistisches Gegenmodell der westlichen Welt, insbesondere des westlichen Mannes diskutiert. Die mediale Figuration des Terroristen ist jedoch weniger eindeutig, als es zunächst scheint, und erschöpft sich keineswegs im Modell des ›orientalischen/muslimischen Anderen‹. Insbesondere die Repräsentation der Aktanten Mohammed Atta und Osama Bin
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Laden beinhaltet auch okzidentalistische Zuschreibungen wie technisches Knowhow, strategische Rationalität, unternehmerische Professionalität etc., so dass sich das Bild des Terroristen gerade durch die Gleichzeitigkeit von bzw. das Oszillieren zwischen ›Orient‹ und ›Okzident‹, Rück- und Fortschrittlichkeit, Wahnsinn und Vernunft etc. auszeichnet. So bleiben die Repräsentationen des neuen Feindes, allen Definitions- und Erklärungsversuchen zum Trotz, ambivalent und paradox. Daraus erwächst eine eigentümliche Unschärfe und Beweglichkeit, die für das Bild des Terroristen kennzeichnend ist. Diese disparaten Zuschreibungen halten, wie ich im Folgenden anhand der Repräsentation von Bin Laden und Al-Qaida sowie der Figuration des ›Schläfers‹ zeige, ein besonderes diskursives Potential bereit, aus der sich die unterstellte Gefahr des ›Terrors‹ wesentlich speist, und die zugleich die Generalisierbarkeit des Feindbildes und damit seine Übertragbarkeit auf weitere Personen oder Regionen gewährleistet. Bei dieser Art Feindbildkonstruktion sind zwei gegenläufige Hauptstrategien am Werke, die ich als Personalisierung (die zudem stets eine vergeschlechtlichte ist) einerseits und Depersonalisierung bzw. Dezentralisierung andererseits bezeichne. Das Phänomen ›Terror‹ wird in einer Art Wechselbewegung zum einen als Handlung von konkreten Personen – Selbstmordattentätern, Islamisten, Wahnsinnigen, Kriminellen, Frauenfeinden etc. – dargestellt (Personalisierung), zum anderen als globale und omnipräsente Gefahr, die an keinen Staat, kein Territorium und keine politische Gruppe, bisweilen nicht einmal mehr an eine Person gebunden ist (Depersonalisierung/Dezentralisierung). Diese Bewegung wechselt permanent zwischen Konkretion und Abstraktion, zwischen ›Terrorist‹ und ›Terror‹ hin und her. ›Terror‹ ist demnach nicht (nur) an einzelne ›Terroristen‹ gebunden, sondern wird darüber hinaus als unsichtbares Netzwerk interpretiert, mit dessen Zuschlagen stets und überall gerechnet werden muss und dem daher mit konventionellen polizeilichen und militärischen Maßnahmen (allein) nicht beizukommen ist. Diese Wechselbewegung zwischen einer konkret-greifbaren und einer abstrakt-ortlosen Gefahr zählt zu den wichtigsten Konstruktionsmodi des neuen Feindbildes ›islamistischer Terror(ist)‹, wie es in der Medienberichterstattung von FAZ und Spiegel nach dem 11. September zu finden ist. Sie kulminiert schließlich in der Figur des ›unsichtbaren Feindes‹ und ›Schläfers‹, in der die konkrete und abstrakte Seite ebenso wie innere und äußere Gefahr in eins fallen.
Feindbildstrategien: Personalisierung versus Massendynamik Gerhard und Link unterscheiden allgemein zwei unterschiedliche diskursive Strategien der Feindbildkonstruktion: Bei der ersten Strategie wird der Feind symbolisch einem »subjektlosen, außersystemischen Chaos« zugerechnet, bei der zweiten erhält der Feind »Subjekt-Status«, er wird als feindliches »Gegen-System« des ›Eigenen‹ kodiert – wie z.B. der ›Ostblock‹ als Gegenüber des ›freien Westens‹ – und zumeist durch Staaten bzw. deren Regierungschefs verkörpert (Gerhard/Link 1992: 281f; vgl. auch Link 1991b, 2001a und 2002; Jäger/Jäger 2007). Subjektlose Feinde, die dem außersystemischen Chaos zugeordnet werden, treten hingegen als ›zerstörerische Katastrophe‹ auf und werden beispielsweise als Krankheiten, Seuchen, Gifte, Ungezieferplagen, Überflutungen oder Brände symbolisiert, die das (häufig als Körper metaphorisierte) eigene System von außen bedrohen. Symbolisierungen des außersystemischen Chaos verweisen stets auf eine überindividuelle ›Masse‹ und gehen häufig mit Vorstellungen von Wahnsinn und Irratonalität einher (Gerhard/Link 1992: 281f).
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Die Unterschiedlichkeit der beiden Feindbildstrategien wird v.a. im Hinblick auf die anvisierten ›Lösungsmöglichkeiten‹ bedeutsam, denn während man mit Politikern und Staaten zumindest potentiell diplomatische Verhandlungen zur Beilegung eines Konflikts führen kann, kommt man Seuchen oder Naturkatastrophen mit Diplomatie nicht bei. »Das heißt aber, dass wiederum Einzelne oder Gruppen, die dem Chaos zugeordnet werden, symbolisch zum Objekt rein technischer Behandlung und nicht zum – zwar gegnerischen, aber eben doch letztlich möglichen – SpielPartner von Verhandlungen ›präfabriziert‹ werden« (ebd.). Folgt man dieser Logik, können diese eigentlich nur vernichtet oder durch militärisch-kriegerische Interventionen gestoppt werden. Wie Gerhard und Link anhand der medialen Repräsentation von Ajatollah Khomeini in den 1980er Jahren zeigen, spiegeln sich jene subjektlosen Feindbildmechanismen insbesondere in den (orientalisierten) Figuren ›Fundamentalist‹ und ›Fanatiker‹ wider, die symbolisch stets auf eine ›Masse‹ verweisen und zumeist in Zusammenhang mit dem Islam auftauchen. Dabei kann es in bestimmten Fällen durchaus zur Verknüpfung beider Strategien kommen, wie Link anhand des im Zuge des zweiten Golfkrieges 1990/91 entstandenen Feindbildes ›Saddam Hussein‹ erläutert: »Im Unterschied zu Chomeini und Gaddafi ist dieses Feindbild schillernd und ambivalent. Und zwar schwankt das Feindbild Saddam zwischen einem subjektlosen, ›irrsinnigen‹ und tödlichen Monstrum (mit ›orientalischen‹ Konnotationen) und einem verschlagenen, zynischen, höchst kalkulierenden Verbrecher (mit eigentlich ›okzidentalen‹ Konnotationen)« (Link 1991b: 42f; vgl. hierzu weiter Link 1993; Ohde 1994).
Übertragen auf die vorliegenden Untersuchungsergebnisse lässt sich auch für das Feindbild ›Terrorist‹ eine Mischung beider Strategien feststellen: Es kommt zu einer Verknüpfung von personalisierenden und depersonalisierenden – oder mit Link gesprochen ›subjektivierenden‹ und ›massendynamischen‹ – Symbolisierungen. Zur Personalisierung: Die Tatsache, dass Osama Bin Laden trotz fehlender Beweise und Tatbekenntnis innerhalb weniger Tage zum Hauptfeind erklärt wurde, verweist auf eine gesellschaftliche Notwendigkeit, dem ›Terror‹ eine menschliche Gestalt zu verleihen und ihn so im traditionellen Sinne als Feind verstehbar zu machen. So waren bereits wenige Stunden nach den Terroranschlägen Personalisierungsmechanismen zu beobachten, die das anonyme und ›gesichtslose‹ Phänomen ›Terror‹ in die vertraute Gestalt eines Feindes, wie sie in nahezu jedem Krieg zu finden ist, zu überführen trachteten. Der anfangs noch unidentifizierte Gegner wurde zügig vereindeutigt und erhielt Gesicht und Namen. ›Identifiziert‹ wurden dabei zunächst die Selbstmordattentäter um Mohammed Atta, sowie kurze Zeit später Osama Bin Laden als Drahtzieher im Hintergrund, der schließlich als neuer Hauptfeind des Westens den ›Terror‹ personifizierte. Diese Personalisierungsmechanismen können als Teil der symbolisch-diskursiven Verarbeitung der Ereignisse interpretiert werden, wie sie u.a. durch die Medien geleistet wurden. Durch das – unvermeidbare – Anknüpfen an bekannte Wissensvorräte und Deutungskategorien zur Interpretation und Einordnung des Geschehens wird das vermeintlich ›Unfassbare‹ in den Deutungsrahmen der Gesellschaft (symbolisch) integriert. Dieser Prozess knüpft an Vertrautes an – hier: an die tradierte Vorstellung eines männlichen Schurken und Feindes – und schafft dadurch Ordnung. Die ›Identifizierung‹ des Bösen und Monströsen mit einer konkreten
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Person – Osama Bin Laden – kann dabei als erster Schritt zur Bewältigung der traumatisierenden Geschehnisse und Bändigung des Schocks interpretiert werden. Personalisierung generiert sich hier als Maskulinisierung, indem das Phänomen ›Terror‹, das sich binärer, geschlechtlich kodierter Zuordnungen zu widersetzen scheint, in Richtung ›männlicher Angreifer‹ und ›Gegenspieler‹ des Westens konkretisiert wird. Diese Strategie verfestigt sich weiter durch die Annahme von Bin Ladens ›Herausforderung‹ des Westens durch Bush sowie Schröder und Fischer, welche den (politischen) Regeln der ernsten Spiele des Wettbewerbs folgt. Deutungsmuster, die das Bild des Terroristen mit einer individuellen Biografie, Kindheit und Familiengeschichte sowie mit einem eigenständigen Willen, politischen Absichten und Entschlossenheit ausstatten, bekräftigen ebenfalls den Subjektstatus des Feindes und sind somit Teil der Personalisierungsstrategien. Personalisierende Deutungsmuster können dabei auch entlastende Funktionen übernehmen, indem die Gründe für Terrorismus ausschließlich in die (kranke, gestörte) Psyche der Einzelnen hineinverlagert und gesellschaftlich-politische Einflussfaktoren geleugnet werden. Zur Massendynamik: Neben diesen personalisierenden Deutungsmustern sind gleichzeitig massendynamische Deutungsmuster zu beobachten, die die Terroristen als ›Fanatiker‹ und ›Wahnsinnige‹ kennzeichnen und ihnen dadurch die Fähigkeit zu rationalem Handeln – und damit den Subjektstatus – weitgehend absprechen. Die Feindbildkonstruktionen werden von einer ausgeprägten Kollektivsymbolik aus den Bereichen ›Chaos/Kontrollverlust‹, ›De-Normalisierung‹ und ›(Natur-)Katastrophe‹ begleitet und überformt. Es sind v.a. diese massendynamischen Symbolisierungen, die für die Spezifik des neuen Feindbildes ›Terrorist‹ verantwortlich sind. Dem Muster des subjektlosen außersystemischen Chaos zugehörig, stellen sie einen maximalen Kontrast zu der Vorstellung eines Feindes mit eindeutigem Subjektstatus dar. Wie bereits ausgeführt, scheint sich das mit dem 11. September entstandene Feindbild ›Terrorist‹ zunächst den üblichen Deutungsmustern zu entziehen. Die Ereignisse des 11. September werden als entpersonalisierte Schock-Erfahrung, bedrohlich und diffus wahrgenommen und insbesondere in den ersten Tagen als Tat eines gesichtslosen, abstrakten Monstrums oder Bösen gedeutet, das urplötzlich wie eine Naturkatastrophe über die USA und mit ihr über die gesamte westliche Welt hereingebrochen ist. Zur Benennung etablierte sich der subjekt- und nationslose Begriff ›Terror‹. Dieser subjektlose Feind wird als Krankheit, Seuche oder insbesondere als Netz metaphorisiert, das sich über die ganze Welt auszubreiten droht und den ›Terror‹ somit als materiell kaum greifbare, dabei aber proliferative und tendenziell katastrophische Gefahr intelligibel zu machen sucht. Die Charakterisierung Afghanistans und der afghanischen Bevölkerung symbolisiert zudem eine ganze Region als ›subjektloses Chaos‹ – als ›finsteres Mittelalter‹ und ›Brutstätte des Terrors‹, in dessen unterirdischen Höhlen die Terroristen ›nisten‹ und die zudem vom ›islamistischen Virus‹ befallen ist. Eine ›Behandlung‹ dieser ›Krankheitsherde‹ etwa in Form von militärischen Einsätzen oder einer ›zivilisatorischen Mission‹ zur Disziplinierung der afghanischen Männer sowie zur Rettung der einheimischen Frauen scheint dieser kollektivsymbolisch vermittelten Lesart zufolge zwingend notwendig. Die dehumanisierende Beschreibung des Feindes als ›Ungeziefer‹ oder ›Ratten‹ bringt zudem eine Entwertung von Menschenleben mit sich und hilft, Zweifel an der vermeintlich unausweichlichen ›Bekämpfung‹ und ›Ausrottung‹ der ›Schädlinge‹ auszuräumen. Während ›Terror‹ auf der Seite
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von Chaos, Irrationalität und Wahnsinn verortet wird, schreibt sich der ›Krieg‹ als Gegenreaktion auf ›Terror‹ als Teil westlicher Vernunft und Rationalität in die Berichterstattung ein. Der ›Krieg gegen den Terror‹ wird auf diese Weise ›vernünftig‹, zum letzten Ausweg, bevor eben die ›Vernunft‹ selbst Schaden nimmt, wenn sich der ›terroristische Wahnsinn‹ weiter ausbreitet. Beispielhaft zeigt sich das Zusammenwirken beider Strategien in der Repräsentation von Bin Laden und Al-Qaida. Es findet eine Personalisierung Bin Ladens als Verkörperung des Bösen und des ›Terrors‹ statt, wobei er als Hauptfeind und männlicher Kontrahent des US-Präsidenten inszeniert wird. Der Versuch, den Gegner performativ dingfest zu machen, wird zugleich von seiner beständigen Verfehlung begleitet: Die Personalisierung des ›Terrors‹ geht in der Figur Bin Ladens niemals ganz auf, sondern verweist stets auf ein massendynamisches ›Mehr‹ dahinter, d.h. auf eine über-individuelle, ort- und zeitlose Gefahr namens ›Terror‹, die zudem in ihrer äußeren Gestalt konturlos und unidentifizierbar daherkommt – und sich doch jederzeit und überall materialisieren kann. Auch an den anderen Figurationen des Feindbildes ›Terrorist‹ ist deutlich zu sehen, wie sich beide Strategien der Feindbildkonstruktion nach dem 11. September überlappen: So standen insbesondere die Selbstmordattentäter um Mohammed Atta als konkrete Täter im Zentrum der medialen Aufmerksamkeit, verbunden mit pathologisierenden Darstellungsmustern, die primär ihre Psyche und Männlichkeit/ Sexualität in den Fokus nahmen – sie erlangten jedoch insgesamt nicht den Status eines feindlichen ›Gegen-Systems‹. Die Repräsentation der Selbstmordattentäter mündete stattdessen in einer neuen, über die konkreten Täter hinausweisenden Figuration des terroristischen ›Schläfers‹. Auch durch die wiederholte Betonung von Irrationalität und (religiösem) Wahnsinn wurde der Subjektstatus des Feindbildes unterlaufen und in Frage gestellt. Zudem verweisen die Deutungsmuster ›Verführung‹ und ›Gehirnwäsche‹ auf eine weitaus größere Gefahr im Hintergrund, die den Blick von den Selbstmordattentätern weg hin zum ›eigentlichen‹ Hauptfeind Bin Laden lenken. Mit den Prozessen der Personalisierung und Dezentralisierung geht eine dritte Strategie einher: die Generalisierung des Feindbildes. Weder die Selbstmordattentäter noch die Figur Bin Laden reichen alleine als Feindbild aus, auch kann gegen sie kein kriegerischer Gegenschlag erfolgen. Es kommt zu einer Ausweitung und temporären Territorialisierung des Feindbildes, indem der Feind in Gestalt der Taliban in Afghanistan lokalisiert und schließlich ein ganzes Land dämonisiert bzw. dafür verantwortlich gemacht wird, Terroristen zu produzieren, zu beheimaten und zu schützen. Im Folgenden werde ich der Besonderheit des neuen Feindbildes als einer unidentifizierbaren, dezentralen und disklokalen, sich ständig in Gestalt und Form verändernden Gefahr anhand der Darstellung Bin Ladens sowie der Figur des ›Schläfers‹ weiter auf den Grund gehen, wobei insbesondere nach der Rolle und Funktion von geschlechtlichen Zuschreibungen gefragt wird.
Monströse Hybridität — das ›Phantom‹ Bin Laden Besonderes Kennzeichen des Feinbildes ›islamistischer Terrorist‹ ist das paradoxe Zusammentreffen gegensätzlicher Zuschreibungen. Dabei scheint gerade die Kumulation von bzw. das Schwanken zwischen okzidentalistischen und (neo-)orientalistischen Zuschreibungen das besondere Gefahrenpotential des neuen Feindes
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auszumachen. Auch im Hinblick auf die zugewiesene ›Geschlechtsidentität‹ ergibt sich ein disparates Bild: Die diskursive Repräsentation des Terroristen vereint sowohl stereotype Vorstellungen von Weiblichkeit bzw. Un-Männlichkeit (Irrationalität, Unberechenbarkeit, Naturhaftigkeit, Feigheit etc.) als auch von Männlichkeit (Rationalität, Willenskraft, Tapferkeit, technische Versiertheit, Todesmut etc.). Wie insbesondere die Repräsentation von Bin Laden gezeigt hat, erzeugen die gegensätzlichen Zuschreibungen von sanft/brutal, schön/hässlich, höflich/grausam, reich/ arm, intellektuell/fanatisch, modern/rückschrittlich, materialistisch/spirituell, mutig/feige, politisch/religiös, Held/Teufel, hetero-/homosexuell usw. ein eigenwilliges Feindbild, das durch eine oszillierende Unschärfe zwischen ›Vertrautem‹ und ›Fremdem‹ geprägt ist. Die permanente Gegensatzbildung verleiht der Figur Bin Laden zudem eine unidentifizierbare, nahezu mystische Gestalt, die sich jeder Fixierung entzieht, er erscheint weniger »als reale Person« denn als »Phantombild« (Kermani 2003: 32f). Die gegensätzlichen Zuschreibungen machen Bin Laden zu einer »Figur der Verkennung« (Schulte-Holtey 2001: 46). Hybride Geschlechterbilder und Versatzstücke stereotyper Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder verstärken den Eindruck des Mehrdeutigen und Ungreifbaren noch. Wie die Analyse gezeigt hat, vereint das Feindbild Bin Laden Zuschreibungen beider Geschlechter in positiver wie negativer Hinsicht (sinnliche versus diabolische Weiblichkeit, spirituelle versus aggressive Männlichkeit etc.) — und bleibt insgesamt doch unvollständig und unabgeschlossen. Symbolische Strategien der Feminisierung bzw. Demaskulinisierung und Hypermaskulinisierung wechseln sich ab, wobei die Sexualisierung des Terroristen ebenso uneindeutig bleibt und zwischen hetero-, homo- und asexuellen Zuschreibungen schwankt. Mit anderen Worten: Die Figur Bin Laden ist durch einen Diskurs der Uneindeutigkeit/Verfehlung von Identität bzw. ›Nicht-Identität‹ geprägt. Während die symbolische Strategie der Feminisierung, die primär auf die NichtAnerkennung und Abwertung von Männlichkeit zielt, insbesondere in kriegerischen Kontexten ein altbekanntes Motiv darstellt (vgl. Goldstein 2001; Hämmerle 2000), und auch die Hypermaskulinisierung des Feindes in Kriegskontexten regelmäßig zu finden ist, ist die Konstruktion des Feinbildes ›Terrorist‹ anders gelagert. Feminisierung und (Hyper-)Maskulinisierung fallen zusammen: Die besondere Gefährlichkeit des Feindes scheint gerade aus der Uneindeutigkeit und Hybridität geschlechtlich konnotierter Eigenschaften bzw. der Vermischung und gleichzeitigen Verfehlung von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ zu erwachsen. Wie oben gezeigt, lässt sich auch dieses Uneindeutige und kategorial Unfassbare, das die vertrauten – nicht nur geschlechtlichen und sexuellen – Ordnungsmuster durchkreuzt und daher als bedrohlich wahrgenommen und abgelehnt wird, mit dem Begriff des Monsters bzw. Monströsen erfassen. Das ›Monster des Terrorismus‹ tritt uns dabei in einer besonderen Form gegenüber: nicht als defizitärer männlicher ›Anti-Typus‹ oder ›sexueller Abweichler‹ (›Schwuchtel‹, Polygamist, Misogyn), sondern als hybrides, geschlechtlich und sexuell uneindeutiges Mischwesen. Monstrosität begründet sich in diesem Falle nicht bzw. nicht in erster Linie aus einer vermeintlich ›perversen‹ Sexualität und Männlichkeit des Terroristen, sondern gerade aus der Uneindeutigkeit und Gleichzeitigkeit ambivalenter Geschlechter- und Sexualitätsbilder. Diese Variante des terroristischen Monsters verkörpert damit nicht nur die Abweichung von der Norm, sondern den prinzipiellen Zusammenbruch eben jener vertrauten Kategorien bzw. jenes Ordnungsmusters, das die Unterscheidung zwischen Norm und Abweichung erst hervorbringen und reguliert.
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Doch nicht nur im Hinblick auf die Kategorien Geschlecht und Sexualität zielt der Topos des ›Monsters‹ bzw. ›Monströsen‹ auf das Verschwommene und Identitätslose, das in die vorhandenen Kategorien und Deutungsmuster nicht eingeordnet werden kann oder soll. Das Monster des Terrorismus hat mit den Anschlägen des 11. September nicht nur den Tod Tausender Menschen verursacht, sondern auch die gesellschaftliche Vorstellungswelt, die soziale, politische und symbolische Ordnung mit ihren vermeintlich stabilen Grenzziehungen zwischen Gut und Böse, Krieg und Frieden, Innen und Außen in Unruhe versetzte. Das Phänomen ›Terror‹ wird als etwas äußerst Bedrohliches und Irritierendes wahrgenommen, als etwas Nie-da-Gewesenes, das die Möglichkeiten des Vorstellbaren vermeintlich sprengt und deshalb ganz besondere ›Gegenmaßnahmen‹ erfordert. Eine Verweigerung der Einordnung entlang der ›normalen‹ Kategorien von Verbrechen und Krieg, polizeilicher Verbrechensbekämpfung und militärischen Mitteln, innerer und äußerer Sicherheit etc. kann deshalb für die Legitimierung ›besonderer‹ politischen Maßnahmen von Nutzen sein. Das ›terroristische Monster‹ wird auch im Hinblick auf den neuen Feind zum Mischwesen und ist innerer und äußerer Feind zugleich. Festzuhalten ist: Gerade die Uneindeutigkeit bzw. die unklaren und beweglichen Umrisse, die Zerstreuung und Ortlosigkeit sind wesentlich für das im Zuge des 11. September entstandenen Feindbildes. Dieser unidentifizierbare und unfixierbare ›Rest‹, das Diffuse und Phantomhafte, das dieses Feindbild umgibt, macht es offen für Projektionen und Zuschreibungen aller Art und ist zugleich Grund dafür, dass das Feindbild ›Terror(ist)‹ auf weitere Gruppen, Einzelpersonen, Nationen oder andere geografische Regionen übertragen werden kann. Dabei verschwimmt die Grenze zwischen Realität und Fiktion, zwischen einem menschlichen oder staatlichen ›realen‹ Feind und einem identitätslosen Phantom und Mythos. ›Terror‹ wird zu einer omnipotente Gefahr, die sich jederzeit und überall in verschiedenster Gestalt materialisieren kann und somit über die konkreten Akteure immer schon hinausweist. Diese geschilderte diskursive Strategie bildet zugleich einen zentralen Unterschied zu den Feindbildkonstruktionen vergangener Kriege und lässt sich nicht erschöpfend mit der ausgeführten Kombination aus personalisierenden und massendynamischen Feindbildmechanismen nach Jürgen Link erklären. Während z.B. Saddam Hussein einerseits als tyrannischer Despot, brutal und aggressiv und andererseits als irrationaler Fanatiker und damit unberechenbare, globale Gefahr dargestellt wird, umgibt ihn doch nichts Mystisches oder Geheimnisvolles, das über seine Person hinausweist. Demgegenüber bleibt die Konstruktion von Bin Laden als ›Gesicht des Terrors‹ notwendigerweise diffus und uneindeutig. Nur so kann der Topos vom ›Krieg gegen den Terror‹ nahezu universal eingesetzt werden. Unsichtbarkeit und Ortlosigkeit werden zur Voraussetzung, um das Phänomen ›Terror‹ auf der einen Seite abstrakt und generalisierbar und auf der anderen Seite überall auf der Welt als ›temporäre Fixierung‹ bekämpfbar werden zu lassen. Als unidentifizierbares Phantom wird der Feind letztlich austauschbar. Zum Deutungsmuster der Unidentifizierbarkeit und Nicht-Identität des neuen Feindes tritt die Tatsache verstärkend hinzu, dass anders als in anderen FreundFeind-Konstellationen kein eindeutiges Bekenntnis zur Tat vorlag. Bin Laden konnte (bis 2011) auch nicht in Afghanistan aufgespürt und dingfest gemacht werden, wie es das erklärte Ziel des Krieges war. Hieraus resultiert die paradoxe Situation, dass Bin Laden zwar einerseits als Kopf und ›Gesicht des Terrors‹ präsentiert wird, an-
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dererseits jedoch unsichtbar und un(be)greifbar bleibt, wodurch der phantomhafte Status verstärkt wird. Dieser Aspekt wird auch in den Medien selbst, wenngleich selten, aufgegriffen. So wird in kritischer Absicht gemunkelt, dass es äußerst praktisch sei, dass von Bin Laden auch nach Ende des Afghanistankrieges jede Spur fehle – denn nur so kann das Feindbild Bin Laden weiter funktionieren: »Jedenfalls besorgt der ›Krieg gegen den Terrorismus‹ der Welt das, was ihr bisher zu ihrer Einheit gefehlt hat: den gemeinsamen Feind. Die fantastischen Ufos, das Ozonloch, die Drogenmafia, nicht einmal die Atombombe haben diese Funktion bisher erfüllen können. Nun nimmt sie persönliche Konturen (Züge) an: In der Gestalt eines sanftmütig blickenden biblischen Höhlenmenschen, der — fast — alle Mächte der Welt gegen sich mobilisiert. So dient er, in einem höheren Sinn, dem Guten — zumindest, solange er, als ein Gejagter, in Freiheit lebt. Gott schenke ihm ein langes Leben. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld, dessen Realismus ans Mythische grenzt, hat es ausgesprochen: ›Vielleicht fangen wir Bin Ladin ja nie.‹ Da ist der Wunsch der Vater einer Ahnung.« (FAZ 8.12.01: 8)
Vor diesem Hintergrund resultiert das schillernd-diffuse Bild, das aus den gegensätzlichen Zuschreibungen entsteht, weniger aus den »Schwierigkeiten, Bin Ladens Auftreten einzuordnen«, wie Maren Kuntze in einer Analyse der Freund- und Feindbilder nach dem 11. September vermutet (2003: 247). Vielmehr gehören gerade die Diffusheit und Ambivalenz zu den wesentlichen Bestandteilen des neuen Feindbildes und machen seine besondere Funktionalität aus. Auch Hans J. Kleinsteuber (2003) führt in einem Vergleich der visuellen Feindbildkonstruktionen von Osama Bin Laden und Saddam Hussein die Uneindeutigkeit des Feindbildes ›Bin Laden‹ auf einen Mangel an (tauglichen) Bildern zurück. Zudem erscheine Bin Laden auf den wenigen, qualitativ schlechten Fotos wenig bedrohlich und eher wie ein ruhiger, fast meditativer Geistlicher oder Heiliger, was eine Stilisierung zum Hauptfeind erschwere (ebd.: 222). Grund für das »eigentümlich diffus[e] und unsichtbar[e]« (ebd.: 225) Feindbild ist nach Kleinsteuber v.a. die fehlende staatliche Verortung: »Anders als in allen bisherigen Feind-Konstellationen bekennt sich diese Organisation [AlQaida, A.N.] weder offen zu den Terrorschlägen noch zeigt sie ein klares Gesicht und verweigert damit die Lieferung von Bildern, wie sie zur Konstruktion von Feindbildern zwingend notwenig sind. […] Die neuen Angreifer sind keine Staaten mit den üblichen Visualisierungen, Symbolen und Ritualen, die dann als Ausgangsmaterial zur psychologischen Aufrüstung dienen können. Der Feind trat zum ersten Mal nicht mit ›offenem Visier‹ an […], sondern verbarg sich hinter völliger Anonymität. Er schlug aus den unzugänglichen Gebirgszügen des Hindukusch zu, er versteckte sich hinter den Wällen der schwer verständlichen arabischen Kultur« (ebd.: 218f).
Nach Kleinsteuber erweist sich Bin Laden für die Symbolisierung des neuen Feindbildes als eher ungeeignet, weshalb sich die Feindbildproduktion nach Ende des Afghanistankrieges auf Saddam Hussein und den Irak verlagert habe. Denn Saddam Hussein fungiere anders als Bin Laden als »idealer Lieferant von Bildern« (ebd.: 220) und eigne sich »wie kaum eine zweite Figur zur Inszenierung von Feindlichkeit«, da er immer wieder »an unsere alptraumartigen Archetypen von Feinden« erinnere (ebd.: 226). Kleinsteubers Analyse der Feindbilder des 21. Jahrhunderts geht jedoch nicht weit genug. Staatenlosigkeit, das fehlende Bekennerschreiben, der
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Mangel an ›alptraumartigen‹, martialisch-brutalen Fotos oder die ›schwer verständliche arabische Kultur‹ sind weniger als Ursachen für die Konturlosigkeit und Unbestimmtheit des Feindbildes zu verstehen. Vielmehr verhält es sich genau andersherum: Es ist gerade die massenmediale Konstruktion des Feindes als undeutlich/ nebulös, vordergründig harmlos, staatenlos und zudem orientalisch/arabisch (also ›nicht-westlich‹ und deshalb ›schwer verständlich‹), die für das Feindbild charakteristisch und für seine Generalisierung verantwortlich ist. Diese Art der Feindbildkonstruktion ermöglicht deshalb gerade die Übertragung des Feindstatus auf andere Gruppen oder Personen, und gerade deshalb konnte auch der Krieg gegen Saddam Hussein bzw. den Irak 2003 auch als ›Krieg gegen den Terror‹ legitimiert werden. Diese These lässt sich auch anhand der Auswahl der Fotos, die die Berichterstattung über Bin Laden im Spiegel begleitet, verifizieren. Wie Kleinsteuber ausführt, wurde der Mangel an brauchbaren Bildern entweder durch detaillierte Ausführungen auf textlicher Ebene kompensiert oder z.B. durch Gegenüberstellungen von Fotos Osama Bin Ladens und George W. Bushs, durch die sie visuell als Gegenspieler arrangiert wurden. Es ist jedoch nicht so, dass keine Fotos von Bin Laden existierten, die ihn als aggressiven Kämpfer zeigten. So druckte der Spiegel beispielsweise ein Foto von Bin Laden bei Schießübungen mit einer Kalaschnikow im Anschlag (41/2001: 81). Trotzdem war es nicht dieses Foto, das in der Berichterstattung häufig aufgegriffen wird, sondern das des gütig lächelnden Bin Ladens in weißen Gewändern mit den im Schoß zusammengelegten Händen. Dieses Foto wurde im Spiegel mehrfach verwendet u.a. neben einem Bild des zerstörten World Trade Center (vgl. Abb. 11, Kap. IV.5.2.9). Hintergrund dieser spezifischen Bilderpolitik ist also nicht der Mangel an Fotos, die Bin Laden als ›klassischen‹ Feind hätten erscheinen lassen. Vielmehr erweist sich gerade das harmlos-schöne Äußere für die Feindbildkonstruktion als besonders funktional. Der Eindruck besonderer Gefährlichkeit erwächst gerade aus der Diskrepanz zwischen vordergründiger Sanftheit und Schönheit und dem Bild von Zerstörung, Leid und Tod am 11. September.
Generalisierung der Gefahr – die Figur des ›Schläfers‹ Insbesondere die Ambivalenz der disparaten Zuschreibungen von ›Orient‹ und ›Okzident‹, die mit der Darstellung des Terroristen einhergeht, sowie die Kombination aus personalisierenden und dezentralisierenden Feindbildstrategien lassen das neue Feindbild besonders bedrohlich erscheinen. Der Feind entzieht sich dadurch nicht nur der eindeutigen Identifikation, sondern lässt ebenso die vermeintlich sichere Differenz zwischen ›uns‹ und ›den Anderen‹, zwischen Freund und Feind selbst fragwürdig werden. Gerade weil das Feindbild auch über moderne, ›okzidentale‹ Anteile verfügt, wird es anschlussfähig an das eigene Selbstbild. Wie es im Zusammenhang mit der Figur des Selbstmordattentäters hieß, bewege sich der neue Feind problemlos, ›wie ein Fisch im Wasser‹, in den westlichen Gesellschaften. Äußerlich ist er damit kaum mehr von einem ›westlichen Bürger‹ zu unterscheiden. In der Figur des ›Schläfers‹, wie sie in den Medien nach dem 11. September zur Kennzeichnung der Selbstmordattentäter sowie generell der des Terrorismus verdächtigten Personen (neu-)erfunden wurde, laufen diese Eigenschaften schließlich zusammen. Im Unterschied zu der Darstellung der Selbstmordattentäter bleibt die Figur des ›Schläfers‹ abstrakt, eine flexible Worthülse, die keine konkrete Person, wohl aber eine imaginierte Masse bezeichnet, die vermeintlich den – laut Rasterfahndung ausgerufenen – Kriterien ›männlich‹, ›muslimisch‹ und ›ausländisch‹ entspricht. Das
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Feindbild ›Schläfer‹ lässt sich damit auf symbolischer Ebene dem subjektlosen bzw. massendynamischen Komplex des ›außersystemischen Chaos‹ (Link) zuordnen. Dabei kommt die Gefahr jedoch, anders als bei den meisten anderen Feindbildkonstruktionen, nicht von außen, sondern von innen. Die Zuordnung zum Symbolkomplex des ›außersystemischen Chaos‹ ist deshalb unzulänglich, symbolisiert doch der ›Schläfer‹ vielmehr ein ›innersystemisches Chaos‹ bzw. den Zusammenbruch der Unterscheidung selbst. Die Figur des unsichtbaren ›Schläfers‹ greift jene Merkmale der diffusen Unbestimmtheit bzw. der Gestalt- und Formlosigkeit auf, die auch das Feindbild Bin Laden und Al-Qaida kennzeichnen – jedoch mit einem Unterschied: Die Selbstmordattentäter aus Hamburg-Harburg werden v.a. als innere Feinde gedeutet, als äußerlich unauffällige, bestens in die deutsche Gesellschaft ›integrierte‹, und doch ›fremde Nachbarn‹, die sich nur oberflächlich angepasst haben, tatsächlich aber die westliche Welt und ihre Werte heimtückisch von innen zu zerstören trachten.94 Vermeintliche Gewissheiten, die bislang ausschließlich das ›Eigene‹ kennzeichneten, werden porös, wodurch zugleich die alltägliche Ordnung und ›westliche‹ Normalität unter Verdacht geraten. Die Konzeption des ›Schläfers‹ lässt eine Trennung zwischen innerer und äußerer Gefahr, ebenso zwischen innenpolitischen und außenpolitischen Terrorbekämpfungsmaßnahmen obsolet werden. Zugleich wird die ›terroristische Gefahr‹ in FAZ und Spiegel als ›muslimische Gefahr‹ konkretisiert, was dem alten Feindbild ›Islam‹ zu neuer Aktualität verhilft. Die Zugehörigkeit zum Islam, verknüpft mit Vorstellungen tiefer Gläubigkeit und krankhaftem Fanatismus, wird von den Medien als das einzig verlässliche Merkmal wahrgenommen, das ›Schläfer‹ vermeintlich von ›echten‹ Angehörigen der westlichen Kultur unterscheidet. Der ›Schläfer‹ ist in der medialen Darstellung in erster Linie ›Muslim‹ bzw. ›Islamist‹, alle anderen Kategorien wie ›Ausländer‹ oder ›Krimineller‹ werden diesen nachgeordnet. Die Vielfalt und Komplexität der Hintergründe und Ursachen von Terrorismus wird hier auf eine eindimensionale und zugleich essentialisierende Perspektive enggeführt: Der Islam, dargestellt als einheitlicher monolithischer Block, der ›Religion‹ und ›Kultur‹ zugleich ist, wird als alles steuernde Kraft interpretiert, die das Handeln der Terroristen bestimmt. Die Figuration des ›islam(ist)ischen Schläfers‹ ermöglicht zudem eine Generalisierung des (orientalistischen) Feindbildes und seine Übertragung auf weitere Personengruppen auch im Inneren. Insbesondere in Deutschland lebende ›Ausländer‹ und (muslimische) ›Migranten‹ geraten ins Visier der Medien und werden noch mehr als bislang üblich – und sehr viel expliziter – als ›Sicherheitsrisiko‹ präsentiert. Die Konzeption des ›Schläfers‹ stellt einen folgenreichen Pauschalzusammenhang zwischen Islam, Muslimen und Terrorismus her. So werden nach dem 11. September auch die Muslim_innen (bzw. die als ›muslimisch‹ kategorisierten Menschen) der 94 | Undenkbar scheint zu sein, dass es sich bei dem ›westlichen‹ Lebensstil der Attentäter gar nicht um eine Maske oder Tarnung gehandelt hat, sondern dass dies ihr Leben war. Der Islamwissenschaftler Navid Kermani (2002: 30) gibt zu bedenken, dass es sich keineswegs um eine vorsätzliche Täuschung gehandelt haben müsse, sondern dass gerade die vermeintliche Widersprüchlichkeit als Teil der Lebensrealität begriffen werden könne. Die Attentäter hätten demnach gar nichts zu verbergen, weil das Leben, das sie führten, einfach voll und ganz ihr Leben war. In seiner Lesart ist der Terrorist eben nicht der ewig fremd gebliebene (muslimische) ›Ausländer‹ und ›Gast‹, sondern vielmehr längst Teil der ›westlichen Welt‹.
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westlichen Gesellschaften und damit zusammenhängend das Konzept des ›Multikulturalismus‹ unter dem Aspekt der ›Gefahr‹ betrachtet.95 Deutlich wird dies in der Rede vom ›Scheitern der multikulturellen Gesellschaft‹, ein Diskursstrang, der zudem den Verdacht der perfiden Täuschung und Unterwanderung aufgreift. So wird das Zusammenleben verschiedener ›Kulturen‹ und ›Religionen‹ in den westlichen Einwanderungsgesellschaften in Anbetracht der Ereignisse des 11. September unter dem Blickwinkel eines ›clash of civilisations‹ wahrgenommen, verbunden mit einer Angst vor der Verwässerung und dem Verlust ›westlicher Werte‹ wie der Emanzipation der Frau, Meinungsfreiheit und Toleranz. Dabei wird nicht nur die Gefahr für die ›muslimische Frau‹, sondern auch für die ›deutsche Frau‹, die von den ›muslimischen Frauenfeinden‹ vermeintlich ausgeht, skandalisiert. Der nicht-deutsche bzw. muslimische Hintergrund der Selbstmordattentäter, verbunden mit der nach außen vermeintlich perfekten ›Integration‹ in die deutsche Gesellschaft, fungiert nunmehr als Beleg für das ›Scheitern‹ der multikulturellen Gesellschaft und wird als Argument für neue Regelungen (und Gesetze) des Zusammenlebens sowie eine Restriktion der aus Sicht der FAZ allzu liberalen Einwanderungspolitik nutzbar gemacht. Diese Interpretation der Geschehnisse schreibt wiederum die neo-rassistische/ethnopluralistische Annahme einer Unvereinbarkeit der Kulturen fort. Der ›Schläfer‹ markiert außerdem eine spezifisch ›deutsche‹ Figur, über die die Ereignisse des 11. September auf die Innenpolitik bezogen werden und als ›deutsches Problem‹ ins Bewusstsein rücken. Was Bin Laden für die USA ist, ist der ›Schläfer‹ für Deutschland: der neue Staatsfeind. So wurden entsprechende ›Terrorbekämpfungsmaßnahmen‹ hierzulande zunächst und primär als innenpolitische Maßnahmen, in den so genannten ›Anti-Terror-Paketen‹ I und II, umgesetzt. Es kam zu zahlreichen Gesetzesnovellierungen und -verschärfungen hauptsächlich im Bereich der Ausländer- und Asylpolitik, die mit gravierenden Einschnitten in die Grundfreiheiten und Grundrechte aller in Deutschland lebenden Menschen – ganz besonders jedoch für Menschen mit nicht-deutschem und/oder muslimischem Hintergrund – einherging (vgl. Kapitel V.). Dabei erwies sich insbesondere die Konzeption des ›Schläfers‹ als funktional, um die ›Terrorbekämpfungsmaßnahmen‹ und weitreichende Verschärfungen der inneren Sicherheit durchzusetzen. Die Wiederbelebung und Neuakzentuierung des ›Feindbilds Islam‹ nach dem 11. September, verbunden mit den Gesetzesverschärfungen im Inneren, ziehen wiederum weitreichende politisch-gesellschaftliche Konsequenzen wie die Verstärkung rassistischer Ressentiments und sozialer Ausgrenzung und Abwertung von Migrant_innen, Nicht-Deutschen und Muslim_innen nach sich. Darüber hinaus ist die Feindfigur ›Terrorist‹ dazu angetan, das Militärische und Kriegerische zu rehabilitieren bzw. zu einer verstärkten Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft zu verhelfen. In Anbetracht eines solchermaßen übermächtigen, nicht sichtbaren und beweglichen Feindes, der an vielen Orten zugleich lauert, bedarf es einer ›wehrhaften Demokratie‹ bzw. eines nach außen und innen ›starken Staates‹, der auch ›harte‹ (polizeiliche und militärisch-kämpferische) Maßnahmen nicht scheut. 95 | Die im Kontext des 11. September noch ausschließlich männlich gedachte Figur des terroristischen ›Schläfers‹ wird dabei – verstärkt durch nachfolgende Selbstmordattentate wie z.B. 2002 in Tschetschenien, bei denen auch zahlreiche Frauen unter den Täter_innen waren – auf weibliche Personen ausgeweitet, so dass nunmehr auch ›Musliminnen‹ potentiell als Terroristinnen denkbar geworden sind.
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6. D IE ›AFGHANISCHE F RAU‹ — O PFER PATRIARCHALER G EWALT UND L EIDTR AGENDE DES K RIEGES Bisher habe ich mich mit verschiedenen Männlichkeitskonstruktionen befasst, die in den Medien nach dem 11. September zu finden waren. Im Fokus standen die Repräsentationen des westlichen Politikers und des Soldaten sowie die des ›islamischen Terroristen‹ als dem neuen Feind. Während dem Politiker und dem Soldaten überwiegend eine aufgeklärte, rationale und zivilisierte Männlichkeit zugeschrieben wurde, war der Terrorist als deren (neo-)orientalistisches Gegenüber gerade durch die Negation bzw. Verfehlung dieser Eigenschaften gekennzeichnet. Doch wie verhält es sich mit den weiblich markierten Subjektpositionen bzw. der Repräsentation von Frauen im Kontext von Krieg und ›Terror‹? Zunächst fällt auf, dass Frauen in der Berichterstattung von FAZ und Spiegel über 9/11 den ›Krieg gegen den Terror‹ so gut wie gar nicht auftauchen – und wenn doch, die Repräsentation häufig klassischen Weiblichkeitsbildern und -klischees folgt wie im Falle der Grünen-Politikerin Claudia Roth (vgl. Kap. IV.3.5).96 Diese Erkenntnis deckt sich mit den Forschungsergebnissen, die zum Thema Geschlecht und Krieg in den Medien vorliegen. »In war time, only men matter«, proklamierten die britischen Frauenrechtlerinnen Mary Sargent Florence und C.K. Ogden bereits während des Ersten Weltkrieges. Dieser Befund gilt auch für die untersuchten Medien: Frauen als Handlungsträgerinnen sind sowohl in der FAZ als auch im Spiegel nur selten zu finden.97 Die betreffenden Textstellen sind vergleichsweise kurz und oberflächlich. 96 | Neben Claudia Roth wird vereinzelt über Condoleezza Rice, zu dieser Zeit Sicherheitsberaterin im Weißen Haus, und Angela Merkel, damals Parteivorsitzende der CDU und Kanzlerkandidatin, berichtet. Während das einzige Foto von Condoleezza Rice im Spiegel diese in schulterfreiem, schwarzen Abendkleid vor einem schwarzen Flügel sitzend zeigt und damit gerade die ›Weiblichkeit‹ der hochrangigen Politikerin herausstellt – im Text wird Rice als »stählerne Magnolie« bezeichnet: Sie zeige den Taliban, »dass Frauen den Krieg gegen den Terror führen können und gleichzeitig unglaublich elegant sind« (Spiegel 45/2001: 257) –, werden Merkel und ihre Politik als zu »weich« und »flach« befunden (vgl. FAZ 8.10.01: 2). In der Berichterstattung beider Medien klingt immer wieder zwischen den Zeilen an, dass eine Frau als Bundeskanzlerin – wenn Krieg und Krise die internationale Politik dominieren – fehl am Platze wäre. 97 | Ein erster Analysedurchgang lieferte einen Überblick über die Rollen und Handlungsfelder, in denen Frauen im Kontext des 11. September und des Afghanistankriegs in FAZ und Spiegel zu finden waren: als deutsche und US-amerikanische Politikerin (z.B. Claudia Roth, Angela Merkel, Condoleeza Rice), Soldatin, Soldatenehefrau, Journalistin (überwiegend aus den USA), als Opfer der Anschläge, Angehörige, Trauernde, Anti-Kriegs-Demonstrantin oder brötchenschmierende Helferin an Ground Zero, als palästinensische Sympathisantin, afghanische Frau mit Burka, Leidtragende des Afghanistankriegs, afghanische Widerstandskämpferin, Teilnehmerin der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg, Ministerin der neuen afghanischen Regierung und schließlich als in Deutschland lebende Muslimin mit Kopftuch. Auf den ersten Blick erscheinen die weiblichen Rollen durchaus vielfältig - auch in bisher als Männerdomänen klassifizierte Bereiche wie die internationale Politik und das Militär haben Frauen Einzug gefunden. Wie die Analyse jedoch zeigt, werden (westliche) Politikerinnen oder Soldatinnen an den wenigen Stellen, wo sie überhaupt Erwähnung finden, häufig als Ausnahme marginalisiert oder aber gemäß weiblichen Stereotypen präsentiert. Besonders häufig
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Auch sind Frauen oder Frauenthemen nur selten an prominenter Stelle, z.B. in der Spiegel-Titelgeschichte oder dem FAZ-Leitartikel zu finden. Überhaupt gibt es keine durchgängigen Handlungsträgerinnen, anhand derer die ›Geschichte‹ des 11. September, des Afghanistankriegs oder der deutschen Kriegsbeteiligung erzählt würde, wie dies etwa bei den männlichen Aktanten Bush, Schröder oder Fischer der Fall ist. Vor diesem Hintergrund ist zu fragen, wie es dann dazu kommt, dass mit der Berichterstattung über den Afghanistankrieg plötzlich zahlreiche Fotos von (afghanischen) Frauen auftauchen und das – genuin feministische – Thema ›Frauenrechte‹ zum Gegenstand der Berichterstattung wird. Hinweise zur Beantwortung dieser Frage liefert das Framing, durch das die Lesarten des Gegenstandes ›Frauen‹ bzw. ›Frauenrechte‹ kanalisiert und begrenzt wird. Die ›afghanische Frau‹ taucht v.a. in Zusammenhang mit dem Diskursstrang ›islamisches Patriarchat‹ sowie der Missachtung der Frauenrechte in Afghanistan auf, begleitet von dem direkten oder indirekten Appell, diese Missstände zu beseitigen. Insgesamt ist die Repräsentation der ›afghanischen Frau‹ ebenso wie die der anderen Aktanten in die Konstruktion übergeordneter Freund- und Feindbilder eingebunden und spielt bei der Dämonisierung des Feindes eine zentrale Rolle. Im Folgenden geht es mir keineswegs darum, die öffentliche Thematisierung von Frauenrechten oder eine Parteinahme für die afghanische Frau zu kritisieren. Im Gegenteil soll, dem diskursanalytischen Erkenntnisinteresse der Arbeit entsprechend, die Frage gestellt werden, welche stillschweigenden Vorannahmen den Problematisierungsweisen der ›afghanischen Frau‹ zugrunde liegen. So gilt es herauszuarbeiten, wie diskursive Logiken von Geschlecht und Ethnizität/Kultur/Religion das Gesagte strukturieren, welche Funktion ihnen dabei – etwa im Hinblick auf die Legitimität von Gewalt – zukommt und welche Wirkungsmacht die Repräsentationsmuster möglicherweise über den konkreten Kontext ›Afghanistan‹ hinaus entfalten, indem sie stereotype Wahrnehmungs- und Denkmuster in Bezug auf die ›islamische Frau‹ wie auch die ›westliche Frau‹ verfestigen.98 Bevor ich mich nun den verschiedenen Repräsentationsmustern zuwende, möchte ich darauf hinweisen, dass die verheerende Situation für Frauen in Afghanistan bereits vor dem 11. September weithin bekannt war, jedoch in den Medien – mit Ausnahme einiger feministischer Publikationen nur höchst selten aufgegriffen wurde. Westliche Staaten sahen darin auch keinen Grund zu einer politischen oder gar militärischen Intervention. Das änderte sich erst mit dem 11. September und dem daraufhin ausgerufenen ›Krieg gegen den Terror‹.
6.1 Die ›afghanische Frau‹ als Opfer männlich-patriarchaler Gewalt Zahlreiche Diskursbeiträge beschäftigen sich mit der Situation der afghanischen Bevölkerung unter den Taliban, die – wie FAZ und Spiegel übereinstimmend berichten – infolge ihrer Machtübernahme 1996 unter Berufung auf den Islam ein rigides und menschenverachtendes Zwangssystem errichtet hätten. Neben der regelmäßigen und vordergründig tauchen Frauen im Kontext des Afghanistankrieges auf, und zwar als afghanische Burka-Trägerin und Kriegsflüchtling. 98 | Um den Lesefluss zu erleichtern, werden in diesem Kapitel die einfachen Anführungszeichen — zur Kennzeichnung bestimmter (Geschlechter-)Konstruktionen, z.B. der ›afghanischen Frau‹ — nicht durchgängig verwendet.
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Hervorhebung der Brutalität gegenüber der Bevölkerung insgesamt sowie der Missachtung jeglicher (Menschen-)Rechte durch die Taliban wird insbesondere das Thema ›Frauenrechte‹ fokussiert, primär verbunden mit den Aspekten Zwangsverschleierung und dem konsequenten Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Raum, von Bildungseinrichtungen, Arbeitsmöglichkeiten, politischen Ämtern, Gesundheitssystem etc. Afghanische Frauen werden dabei nahezu ausschließlich als rechtlose Opfer männlicher Willkür und patriarchaler Gewaltherrschaft präsentiert, wobei auch sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung eine Rolle spielen. Zahlreiche Textstellen wie die folgenden heben die entwürdigende Situation der afghanischen Frauen hervor. Die Unterscheidung zwischen ›Frauen‹ und ›Mädchen‹ bzw. die gezielte Hervorhebung von ›Mädchen‹ als Opfern der Taliban unterstreicht die Totalität der Unterdrückung, die sich den Medien zufolge universell gegen das weibliche Geschlecht richtet: »Doch die Taliban haben die afghanischen Frauen seit ihrer Machtergreifung im Jahre 1994 praktisch aus dem öffentlichen Leben verbannt. Es gab Erlasse, in denen ihnen das Auflegen von Make-up verboten wurde – und dies, obwohl die Frauen außer Haus ohnehin vollkommen verhüllt gehen müssen. Auch die Höhe der Schuhabsätze wurde ihnen vorgeschrieben sowie die Lautstärke, die diese Absätze beim Laufen über das Straßenpflaster nicht überschreiten dürfen.« (FAZ 6.11.01: 3) »Millionen von Frauen waren plötzlich arbeitslos, durften das Haus nur noch in ›männlicher Begleitung‹ (die ihr kleiner Sohn stellen konnte) verlassen. Tausende von Witwen, die keinerlei Unterstützung bekamen, mußten betteln, um ihre Kinder ernähren zu können. Für viele war der Selbstmord mit Haushaltschemikalien der letzte Ausweg.« (FAZ 11.12.01: 6) »Mädchen dürfen ab ihrer ersten Menstruation nicht mehr von Männern behandelt werden. Ärztinnen gibt es aber kaum noch. Die Folge: Patientinnen sterben an Krankheiten, die in anderen Ländern behandelt werden könnten.« (Spiegel 40/2001: 167)
Die Textbeispiele aus FAZ und Spiegel ließen sich endlos fortführen. Ihr Wortlaut ist teils sehr ähnlich und nimmt dadurch stellenweise floskelhafte Züge an. Die afghanische Frau wird durchgängig in einem häuslichen Kontext dargestellt bzw. als ›Gefangene‹ in ihrem eigenen Haus präsentiert. Auch die sich durchziehende Anrufung als ›Mutter‹ oder ›Witwe‹ verortet sie in einem privat-familiären Kontext. Kontrastierungen im Sinne eines Vorher/Nachher sind dabei ein beliebtes Mittel, um die den Taliban zugeschriebene ›barbarische Frauenfeindlichkeit‹ zu unterstreichen und die Diskrepanz zwischen dem als rückschrittlich gekennzeichneten islamischen Regime der Taliban und einer modernen, säkularisierten, fortschrittlichen Ordnung zu verstärken. So wird wiederholt auf eine Zeit vor den Taliban verwiesen, die als eine Epoche der Gleichberechtigung, Freiheit und Freizügigkeit beschrieben wird: »Vor den Straßencafés flanierten junge Frauen in Jeans und Miniröcken, die Restaurants schenkten Bier und Hochprozentiges aus, die Kinos zeigten Actionfilme aus Hollywood oder zuckersüße Erotik-Epen aus Bombay: Kabul, die Hauptstadt Afghanistans, war nicht nur die Traum-Destination Haschisch kiffender Hippies, sondern galt einst unter jungen Muslimen im benachbarten Pakistan wegen der freien Sitten als geschätzte Hochburg des Liberalismus. ›Längst sieht es dort aus wie nach der Schlacht von Stalingrad, und die Zeit der selbstbewussten Studentinnen, die einem offen ins Gesicht blickten, scheint unter der TalibanHerrschaft einem versunkenen Zeitalter anzugehören‹, sinniert Rahimullah Yusufzai, der den Namen eines der großen Paschtunen-Stämme von Pakistan und Afghanistan trägt. ›In
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN meiner Jugend aber war für aufgeklärte Muslime eine Kabul-Reise das höchste der Gefühle.‹« (Spiegel 40/2001: 166) »›Vor dreißig Jahren sind unsere Mütter mit dem Fahrrad durch die Stadt gefahren, sie trugen Jeans und gingen zur Universität, sie waren weiter als die Pakistanerinnen‹, erzählt eine Frau von der Rawa-Vertretung [Revolutionary Association of the Women of Afghanistan] in Islamabad.« (FAZ 11.12.01: 6)
Wie sich in den Beispielen bereits andeutet, bildet der ›Westen‹ implizit und explizit den Maßstab für Modernität. So knüpft die Beschreibung der afghanischen Gesellschaft vor der Machtübernahme der Taliban v.a. an westlich kodierte Errungenschaften und Lebensweisen an, wie es z.B. in der Aufzählung der verschiedenen Vergnügungsmöglichkeiten (Alkoholkonsum, Unterhaltungsmusik, Hollywood-Filme) oder dem Hinweis auf den (sexuell) freizügigen Lebensstil (Erotik, freie Sitten, Hippietum) aufscheint. Einen besonderen Bezugspunkt, an dem die Rückständigkeit des Taliban-Regimes durchgängig festgemacht wird, bildet jedoch der Status der Frau in der Gesellschaft. Neben der Verweigerung rechtlicher Teilhabe wird in diesem Zusammenhang v.a. auf das äußere Erscheinungsbild, insbesondere auf Kleidung, Schminke und Auftreten bzw. Habitus der afghanischen Frau Bezug genommen, die – wie die Verweise auf Jeans und Minirock sowie das Verbot von Make-up und Absatzschuhen nahelegen – ebenfalls an westlichen Vorstellungen von Weiblichkeit und Schönheit gemessen werden. Besonders fällt die permanente Verknüpfung mit dem Thema Verschleierung bzw. das beständige Betonen von Schleierzwang sowie der Burka als der für Afghanistan typischen Form der Verschleierung ins Auge (s.u.). Im Hinblick auf die gravierende Missachtung der Menschen- und Frauenrechte werden in FAZ und Spiegel durchgängig und nahezu ausschließlich die Taliban als Täter und Hauptverantwortliche ausgemacht. Nur wenige Textstellen verweisen auch auf die Nordallianz, in der sich nach der Machtübernahme der Taliban u.a. die früheren Machthaber und Mudschahedin zusammengeschlossen hatten und die nunmehr als Verbündete der USA gegen die Taliban kämpfen; deren Frauenverachtung und Gewalt gegen Frauen – darauf weisen insbesondere afghanische Frauen selbst hin – unterscheide sich von denen der Taliban nur graduell: »›Seit 25 Jahren werden unsere Söhne ermordet, unsere Töchter vergewaltigt, unsere Männer verhaftet, unser Land zerstört‹, sagt Mariam. ›Die Amerikaner haben ein kurzes Gedächtnis, wenn sie mit der Nordallianz kämpfen.‹ Für die afghanischen Frauen im Lager von Charat gibt es keine Hierarchie der Unterdrückung. Jede hat gelitten – und trägt die Spuren der Angst und der Verzweiflung. ›Bei den Taliban mussten wir die Burka aus religiösen Gründen anlegen, sonst wären wir eingesperrt oder gesteinigt worden‹, sagt Mariam, ›bei den Mudschahidin mussten hübsche Frauen die Burka aus Selbstschutz tragen, weil man sie sonst vergewaltigt hätte. Was macht das für einen Unterschied?‹ Ein befreites Afghanistan unter der Nordallianz wäre ein bekannter Alptraum.« (Spiegel 42/2001: 180) »Aber die Frauen von Rawa […] sind alles anders als glücklich über das Wiederauftauchen der Kriegsfürsten und Mudschahedin der Nordallianz, die bereits von 1992 bis 1996 regiert und schlimme Erinnerungen hinterlassen haben. Jene Frau aus Islamabad erinnert an die 50 000 Todesopfer in dieser Zeit, an Köpfe, die an Zäune genagelt wurden, an Väter und Brüder, die ihre Töchter und Schwestern umbrachten, um sie vor der Vergewaltigung zu bewahren. Tausende von Mädchen seien damals verschwunden und als Gefangene in Stahlcontainern festgehalten worden.« (FAZ 11.12.01: 6)
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Während die Taliban Frauen verschleierten, steinigten und töteten, werden die Mitglieder der Nordallianz in erster Linie mit sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung in Verbindung gebracht. Die ausdrückliche Warnung afghanischer Frauen vor der Nordallianz wird zwar vereinzelt aufgegriffen, im Gesamtkontext der Berichterstattung spielt sie jedoch keine Rolle. Zu einer grundlegenden Infragestellung des Kriegs, der ja auch mit dem Ziel der Frauenbefreiung geführt wurde, kommt es nicht. Im Gegenteil, die Kämpfer der Nordallianz werden nach der Einnahme Kabuls ohne Einschränkung als ›Helden‹ und ›Befreier‹ der afghanischen Bevölkerung gefeiert; kritische Diskursbeiträge werden mit der Narration der ›Befreiung‹ überschrieben und neutralisiert (vgl. Kap. 6.5).
6.2 Verschleiert und versklavt — die Burka als ›Gefängnis‹ Die Repräsentation der ›afghanischen Frau‹ ist von einem konstanten Rekurs auf ihr Äußeres geprägt. Die Ganzkörperverschleierung durch die afghanische Burka stellt dabei das vordergründigste Merkmal der Darstellung dar. Es gibt kaum einen Artikel im untersuchten Zeitraum, der nicht auf die Burka Bezug nimmt. Dabei wird die Burka als ein untrügliches Indiz für die behauptete Unmenschlichkeit und Frauenfeindlichkeit des islamistischen Taliban-Regimes wahrgenommen und immer wieder und ausführlich im Hinblick auf Elend und Leid ihrer Trägerinnen beschrieben. Bis auf wenige Ausnahmen wird die Afghanin als zutiefst gedemütigte und traumatisierte Frau dargestellt, die ihr Schicksal weitgehend passiv und leidend erduldet. Die Lesart der Burka wird dabei enggeführt und ausschließlich als Zwangsmaßnahme und Zeichen totaler Unterdrückung und Erniedrigung der ›afghanischen Frau‹ gedeutet. So ist von der »entmündigenden Burka« (Spiegel 48/2001: 180) oder auch – in Anspielung auf das Gewicht einer Burka – von »sieben Kilo Schmach« die Rede, die ihre Trägerinnen zwinge, »wie lebendig begraben durchs Leben zu gehen« (FAZ 19.9.01: 51). Wiederholt wird auf die körperlichen und seelischen Qualen der afghanischen Frauen verwiesen, die von den Taliban »geknechtet«, »unterjocht« und zu »Sklavinnen« gemacht worden seien (FAZ 29.10.01: 45; 19.9.01: 51; Spiegel 41/2001: 185).99 »Sina Karramsadeh ist so alt wie der Krieg in Afghanistan: 22 Jahre. Als sie 15 Jahre alt war, eroberten die Taliban Herat und machten sie zur Gefangenen im Haus ihrer Eltern. ›Sieben Jahre lang waren wir Kreaturen, die nur noch schlafen und essen durften.‹ Zuvor hatte sie im ersten Semester an der Schwesternschule studiert, die dann von den Taliban geschlossen wurde. […] ›Können Sie sich vorstellen, wie es sich im Sommer unter einer Burqa anfühlt?‹ fragt sie. Der hellblaue Stoff ist rein synthetisch. ›Es ist heiß darunter, alles klebt, man schwitzt und bekommt kaum Luft. Es ist schlecht für die Lungen, und man kann kaum etwas sehen.‹« (FAZ 29.12.01: 4) »Fernsehbilder aus Kabul haben Frauen in der Öffentlichkeit gezeigt, denen nur noch Handschellen und Fußfesseln fehlten, um sichtbar zu machen, wie in Afghanistan ein irregelei-
99 | Die Gleichsetzung von Verschleierung mit Versklavung von Körper und Geist ist bei westlichen Feministinnen weit verbreitet und hat z.B. in der Emma eine lang jährige Tradition, vgl. dazu Pinn/Wehner 1995: 165.
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN teter, den Islam mißbrauchender Fundamentalismus die Hälfte der Bevölkerung versklavt.« (FAZ 28.9.01: 11)
Im Zusammenhang mit dem Diskursstrang ›Verschleierung und Burka‹ lassen sich zwei wiederkehrende Motive beobachten. Zum einen wird die Burka als ›Gefängnis‹ metaphorisiert: Die Burka wird zur ›Einzelzelle‹, die Frau degradiert zu einer ›Kreatur‹, deren Bewegungsabläufe, Gesichtsfeld und Aktionsradius räumlich extrem eingeschränkt sind. So heißt es über die »allgegenwärtige Burka«, sie sei »das Gespenstergefängnis für Frauen, dessen Gitterstäbe aus Stoff sie vom Rest der Welt, vom Rest des Lebens trennen« (Spiegel 52/2001: 189). Die Rede von »der fließenden Ganzkörperrobe mit dem schmalen Gitterfenster« (48/2001: 180) ebenso wie die beständige Hervorhebung der von den Taliban »weggesperrten« Frauen (z.B. FAZ 9.11.01: 45; Spiegel 41/2001: 185) folgen der Metapher des Gefängnisses. Zum anderen wird immer wieder die ›Unsichtbarkeit‹ von Frauen betont, die eine Burka tragen und deren Gesicht und körperliche Statur den Betrachtenden dadurch entzogen bleiben: »In ihren Koranschulen hatten sie [die Taliban, A.N.] nie eine Frau gesehen, sie waren auf übelste Weise frauenfeindlich, ließen mehr als sechzig Prozent der Bevölkerung hinter dem Schleier, der zwangsweise vorgeschriebenen Burqa, verschwinden. ›Es war wie im Gefängnis, wir hatten kein Leben‹, erzählt eine. Zehn Millionen Frauen waren unsichtbar geworden, sie haben mehr gelitten als die Männer.« (FAZ 11.12.01: 6)
Die FAZ versinnbildlicht Burka tragende Frauen häufig als ›Gespenster‹, so in einer verheißungsvollen Überschrift: »Statt himmelblauer Gespenster sind wieder Gesichter zu sehen. Kabul nach dem Ende der Taliban-Herrschaft.« (26.11.01: 3) Auch im Text wird diese Metapher mehrfach aufgegriffen: »Im Raum ziehen sie ihre Burqas aus, und aus den zwei gesichts- und körperlosen Gespenstern werden zwei junge, nach westlicher Mode gekleidete Frauen. Eine trägt eine modische Jeansjacke, die andere einen schwarzen Ledermantel, beide Jeans. Als die beiden Bewerberinnen nach einem kurzen Gespräch mit einem Redakteur zu einem Einstellungstest an einem anderen Tag gebeten werden, machen sie sich wieder auf den Nachhauseweg und hüllen sich wieder in die Anonymität ihrer Burqas – aus den zwei jungen Frauen werden wieder zwei himmelblaue Gespenster, von denen man als Ausländer nichts hörte und nichts wußte im Reich der Taliban und die es auch in diesen Tagen oft noch nicht wagen, ihre Geisterexistenz hinter sich zu lassen.« (Ebd.)
Die Metaphorisierung der ›afghanischen Frau‹ als Gespenst oder Geist verweist auf einen körperlosen sowie einen nicht-menschlichen Zustand. Frauen unter der Burka sind aus dieser Perspektive vom Leben abgeschnitten und nicht nur ihrer Sichtbarkeit, sondern eines lebenswerten Daseins generell beraubt. Immer wieder wird die Existenz der afghanischen Frau als absolut menschenunwürdig dargestellt. Afghanische Frauen werden nicht nur mit körper- und gesichtslosen Sklavinnen verglichen, sondern auch in einem Zustand zwischen Leben und Tod verortet (›wie lebendig begraben‹) wie ein Geist oder Gespenst. Die beständige Skandalisierung des Verschleierungszwangs ist zudem stark durch ›westliche‹ Vorstellungen von Weiblichkeit geprägt, die der Bewertung (direkt
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oder indirekt) als Bezugspunkt dienen. Wie die Textbeispiele zeigen, werden den Beschreibungen der ›unterdrückenden Burka‹ häufig Kleidungssymboliken kontrastierend gegenübergestellt, die auf ›westliche‹ oder als ›westlich‹ markierte Vorstellungen von Weiblichkeit und Schönheit rekurrieren. So ist wie in dem weiter oben wiedergegebenen Zitat immer wieder von (jungen) Frauen die Rede, die unter ihrer Burka ›nach westlicher Mode‹ gekleidet sind. Am häufigsten wird dabei das Tragen von Jeans hervorgehoben, aber auch Miniröcke und hochhackige Schuhe sowie Make-up, Nagellack und Lippenstift werden häufig genannt – alles Symbole (auch) für einen modernen, freizügigen und sexualisierten Kleidungs- und Lebensstil. Dem Gesagten liegen spezifische normative Vorstellungen von (westlich kodierter) Weiblichkeit zugrunde: Weiblichkeit hat v.a. mit äußeren Attributen von Attraktivität und Schönheit sowie besonders Sichtbarkeit zu tun. Dabei entspricht insbesondere Unverhülltheit bzw. das Zur-Schau-Stellen des Körpers einem hegemonial-westlichen Verständnis von Weiblichkeit, das durch Figurbetontheit, Sexualisiertheit, Freizügigkeit und Enthüllung, d.h. die Nacktheit (von Teilen) des Körpers, geprägt ist (vgl. von Braun/Mathes 2007). Die Burka, die alle »Konturen [des] Körpers weithin unkenntlich« macht, wie die FAZ (12.12.01: 3) schreibt, symbolisiert damit den größtmöglichen Kontrast zu diesem Weiblichkeitsideal, da sie den weiblichen Körper nahezu komplett dem (männlichen) Blick entzieht. Entspricht wiederum die Frau nicht den normativen Vorstellungen von Weiblichkeit, wird ihr Status als (schöne, begehrenswerte) Frau in Frage gestellt – sie wird zu einem gestaltlosen und unsichtbaren, zudem asexuellen und unweiblichen (Geister-)Wesen.
6.3 Opfer von Kriegsgewalt — ›FrauenundKinder‹, Flüchtlingsfrau und Hungernde Ein zweites zentrales Muster in der Darstellung der ›afghanischen Frau‹ zeigt diese als Opfer und Hauptleidtragende des Kriegs, der am 7. Oktober 2001 unter dem Namen »Operation Enduring Freedom« beginnt. Während die afghanische Frau in den untersuchten Medien bis dahin v.a. als Opfer sexualisierter und patriarchaler Gewalt, Verschleierung und Islam dargestellt wurde, rückt nun die Gefährdung afghanischer Zivilist_innen durch Krieg und Kriegsfolgen in den Vordergrund. Die Repräsentation der afghanischen Frau wird dabei – insbesondere im Spiegel – durchgängig mit dem Schicksal der afghanischen Bevölkerung als Ganzes verknüpft und steht geradezu stellvertretend für die Zivilbevölkerung. Häufig werden die Einzelschicksale von Frauen, speziell von Müttern, Schwangeren und jungen Mädchen, in die Berichterstattung eingeflochten, um die fatalen Auswirkungen des Kriegs und das menschliche Leid zu verdeutlichen. Im Vordergrund stehen dabei die Themen Flucht bzw. Flüchtlinge und die humanitäre Lage, v.a. die mangelhafte medizinische Versorgung und die um sich greifende Hungersnot. Der Spiegel verweist dabei wiederholt darauf, dass US-amerikanische Bomben nicht nur Taliban, sondern auch zahlreiche »Unschuldige« töten würden (z.B. 39/2001: 142; 42/2001: 174; 46/2001: 28). Bei der Kontruktion der ›afghanischen Frau‹ im Kontext des Afghanistankriegs dominiert abermals die Opferperspektive. Die afghanische Frau kommt fast ausschließlich in der Rolle der Flüchtenden, Notleidenden und Hilfsbedürftigen (angewiesen auf humanitäre Versorgung und Hilfsgüter) sowie als Hinterbliebene vor, wobei sie beständig als Witwe, Mutter, Schwangere oder um Angehörige Trauernde in einem familiären Setting platziert wird. Des Weiteren ist im Spiegel häufig von »Flücht-
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lingsfrau(en)« die Rede, insbesondere in den Bildunterschriften (z.B. 45/2001: 24; 46/2001: 157). In der FAZ wird hingegen zumeist geschlechtsunspezifisch von afghanischen Flüchtlingen gesprochen. Der ansonsten konstante Verweis auf männlichpatriarchale Unterdrückung und Schleierzwang sowie die Verknüpfung mit einem ›fundamentalistischen Islam‹ ist in dem Deutungsmuster ›Flüchtlingsfrau‹ weniger vordergründig, und auch auf den Pressefotos tritt die hellblaue Burka als Symbol der totalen Entrechtung der afghanischen Frau durch die Taliban häufig in den Hintergrund. Neben den Frauen werden auch Kinder, insbesondere Mädchen, Verwundete und alte Menschen als Kriegsopfer und Notleidende herausgestellt: »Zu viel Leid für eine Seele« (Überschrift) »Das afghanische Flüchtlingselend konzentriert sich in Lagern jenseits der Grenze. Die älteren Insassen wurden von drei verschiedenen Regimen verfolgt und unterdrückt. Am ärgsten traf es die Frauen […].« (Spiegel 42/2001: 178) »Afghanen versuchen, nach Pakistan zu rennen, Frauen, Kinder, ein Mann auf Krücken. Soldaten schlagen sie mit Stöcken, ein Panzerwagen rollt herbei. Die Flüchtlinge fliehen zurück.« (Spiegel 44/2001: 150)
Am häufigsten sind es jedoch Frauen und Kinder, die als zivile Opfer in einem Atemzug hervorgehoben, und so rhetorisch zu ›FrauenundKindern‹ (Enloe) amalgamiert werden (vgl. Kap. I.1.2.4 und IV.4.4). So betont die FAZ, dass die Flüchtlinge »in der Hauptsache […] Frauen und Kinder« (22.9.01: 4) seien und »die Bomben […] vor allem Frauen und Kinder [treffen]« (29.10.01: 45); irreguläre Kriege seien »charakteristischerweise brutal, besonders gegenüber Nichtkombattanten, vor allem für Frauen und Kinder« (11.10.01: 11).100 Zusammengenommen verkörpern die afghanischen ›FrauenundKinder‹ eine kollektive Opfer-Figur, die nicht nur von direkter männlicher Gewalt, sondern auch von Kriegsgewalt bedroht oder betroffen ist. In beiden Fällen dominieren Zuschreibungen reiner Emotionalität, Passivität und Leiden. Mit der Generalisierung der Opferperspektive erweitert sich auch der Blick auf die Täter. So stehen in der Berichterstattung über den Kriegsverlauf in Afghanistan (insbesondere im Spiegel) nicht mehr ausschließlich die Taliban, sondern auch die USA als Verantwortliche für das Leiden der afghanischen Frauen (und Kinder) im Fokus. »Vorn sind die Frauen. Ihre Männer sind tot, oder sie stehen abseits. Die Frauen schreien ›Kabul‹ oder ›Kandahar‹, und die vielen Geschichten von den Bombern, von den Toten, von der Flucht werden zu einer einzigen, einer großen Geschichte vom Leid des Krieges. Die Frauen kommen immer noch näher, jetzt werden sie zornig. Sie schreien ›Amrekaye‹, ihr Wort für Amerika, und sie verdammen den ganzen Westen und die Taliban. Auch eine Frau mit weißer Haut ist dabei, ein Albino. Ihr Mann starb unter den Bomben, jetzt ist sie hier mit ihren sechs Kindern, hat alles verloren, weiß überhaupt nicht, wohin, und was sie tun soll und wer ihr helfen kann. Ihre Lippen zittern, während sie spricht. Die reine Verzweiflung, gewickelt in ein langes Tuch und einen Schal.« (Spiegel 44/2001: 152f)
100 | Auch in einer für die FAZ ungewöhnlichen Kritik an der US-amerikanischen Kriegsführung heißt es: »Wer seine militärischen Vergeltungsschläge statt gegen den saudiarabischen Terroristen Bin Laden gegen afghanische Städte richtet, tötet Menschen wie Abdul, und er tötet unschuldige Frauen und Kinder, denen wir jahrelang geholfen haben, trotz sowjetischer Besetzung und trotz Bürgerkrieg zu überleben.« (2.10.01: 49)
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In der Spiegel-Berichterstattung über den Krieg in Afghanistan kommt eine ausgeprägte Bilderpolitik zum Einsatz, die Flüchtlinge und andere zivile Opfer über die gesamte Kriegsdauer prominent herausstellt. Auch sie verleiht den Kriegsopfern und Betroffenen ein weibliches Gesicht. Fast immer, wenn über den Krieg, die Flüchtlingsbewegungen und das Leid und Elend der Zivilist_innen infolge der Luftangriffe berichtet wird, begleiten den Text ein oder mehrere Fotos, die – in der Regel anonym bleibende – Frauen und/oder Kinder zeigen. Obwohl unter den Kriegsopfern ebenso Männer sind, wird auch ihr Leid zumeist vermittelt über Frauen visualisiert. Wie in vergangenen Kriegen präsentiert die Bilderpolitik also zuvorderst ›FrauenundKinder‹ als Opfer des Krieges (vgl. Kirchner et al. 2002; Bewernitz 2010) und greift somit auf etablierte Darstellungsmuster bzw. das kollektive Bildgedächtnis zurück. Auf den Fotos im Spiegel halten die Frauen zumeist kleine Kinder auf dem Arm oder führen Kinder an der Hand, werden also vorrangig als Mütter präsentiert. Oft tragen sie bunte Tücher oder haben die Burka nach hinten geschlagen und lose um die Schultern gelegt, zum Teil sind sie auch ohne Verschleierung zu sehen. Die Fotos sind häufig in den Flüchtlingslagern nahe der pakistanischen Grenze aufgenommen und zeigen die notdürftigen Zeltunterkünfte (z.B. 42/2001: 178) oder Menschen, die hinter einem Stacheldrahtzaun stehen – ein Motiv, das wiederum den Status des Eingesperrt-Seins der afghanischen Frau bekräftigt (z.B. 43/2001: 23; 44/2001: 150). Auf einigen Fotos sind auch Panzer und schwer bewaffnete Soldaten im Hintergrund zu sehen, die einen scharfen Kontrast zu den Frauen und Kindern bilden (z.B. 46/2001: 166; 49/2001: 20). Sie symbolisieren die männlich konnotierte Zerstörungskraft des Kriegs und verstärken im Gegenzug das komplementäre Bild des feminisierten unschuldigen Opfers. Häufig stehen die Fotos ohne direkten Bezug zum Text, was auf ihren illustrativen und symbolischen Charakter verweist. Wie das Foto zu ›lesen‹ ist, wird jedoch häufig durch die Bildunterschrift nahegelegt oder erschließt sich aus dem Gesamtkontext des Artikels, in den es eingebettet ist. Abbildung 13: Der Spiegel, Heft 44/2001, S. 152
Diese Text-Bild-Korrelation kann als typisch für die Spiegel-Berichterstattung gelten, in der das Leid des Krieges fast ausschließlich durch Frauen oder ›FrauenundKinder‹ visualisiert wird. Eingebettet in eine Reportage über den Kriegsverlauf in Afghanistan ist ein Foto zu sehen, welches eine Frau mit Burka aus einer distanzierten,
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unpersönlichen Vogelperspektive neben einem am Boden liegenden verletzten Kind zeigt. Die Bildunterschrift betont erneut die Emotionalität der afghanischen Frau: »Afghanische Flüchtlingsfrau, Kind in Peschawar: Reine Verzweiflung, gewickelt in ein langes Tuch« (44/2001: 152) (vgl. Abb. 13). Aber nicht nur wenn von afghanischen Flüchtlingen die Rede ist, sondern auch wenn es um die aktuelle humanitäre Lage und das Thema Hungersnot geht, säumen die Berichterstattung zahlreiche Fotos, auf denen primär Frauen und Mädchen als ›Hungernde‹ und ›Notleidende‹ zu sehen sind. So zeigt beispielsweise ein anderes Foto eine Gruppe von Frauen, die sich vor einem LKW versammelt haben, der offenbar mit Hilfsgütern beladen ist. Dass es sich bei der Menschenmenge, die auf die Verteilung der Lebensmittel zu warten scheint, um Frauen handelt, ist anhand der vielen Kopftücher und Burkas zu erkennen. Die Kameraperspektive von halb oben lässt die einzelnen Frauen zu einer anonymen Masse zusammenwachsen, in der, abgesehen von den verschiedenfarbigen Burkas, keine Unterschiede, etwa in Statur, Größe oder Alter, zu erkennen sind. Die Bildunterschrift erklärt: »Hungernde in Nordafghanistan: Überall Chaos« (46/2001: 162). Vereinzelt finden sich zwar auch Fotos, die vornehmlich männliche Flüchtlinge zeigen (z.B. Spiegel 44/2001: 150; 46/2001: 158). Doch werden diese meistens in einer Menschenmenge gezeigt, in der keine Einzelpersonen auffallen. Bilder von Frauen und Kindern werden hingegen meist in einem größeren Format, einem kleineren Bildausschnitt und/oder an prominenterer Stelle präsentiert.101 Die Personen werden entweder aus nächster Nähe gezeigt oder die Kamera fokussiert einzelne Gesichter, die frontal in die Kamera blicken, wodurch die Betrachter_innen der Fotos näher an das Geschehen heranrücken. Auffällig ist, dass auf vielen Fotos verletzte, blutende und bandagierte sowie getötete Kinder zu sehen sind (z.B. 46/2001: 16; 45/2001: 141), jedoch kein einziges Foto eine verletzte oder getötete afghanische Frau zeigt. Offenbar tritt der Wahnsinn des Krieges besonders deutlich zutage, je jünger, wehrloser und schutzbedürftiger die Opfer sind. So scheinen die Kinder in besonderer Weise die unschuldigen Opfer des Krieges zu verkörpern und die Unrechtmäßigkeit des Krieges – bzw. der USamerikanischen Kriegsführung – zu belegen.102 Dies könnte auch daran liegen, dass Kinder eindeutiger den US-amerikanischen Angriffen zugeordnet werden können (wie es beispielsweise häufig in den Bildunterschriften geschieht; z.B. 44/2001: 183; 45/2001: 141; 47/2001: 24), da das Bild der afghanischen Frau bereits mit der Zuschreibung ›Opfer der Taliban‹ verknüpft ist und damit in erster Linie auf diese als ›Täter‹ verweist. Den beschriebenen Darstellungsmustern ist gemeinsam, dass sie die ›afghanische Frau‹ als kriegsfern und unschuldig, leidend, hilfsbedürftig und weitestgehend 101 | Dazu zählen z.B. Fotos im Inhaltsverzeichnis zur Ankündigung einer Story, auf der ersten Seite eines Artikels, eine Platzierung in der Mitte der Seite oder laut Schiffer auch die Platzierung auf der rechten Hälfte einer Doppelseite, da der Blick der Leser_innen zuerst dorthin fällt (vgl. Schiffer 2005). 102 | Der Spiegel weist allerdings auch darauf hin, dass die Fotos der getöteten oder verletzten Kinder von den Taliban selbst als antiamerikanische Propagandabilder in Umlauf gebracht würden (46/2001: 152). Dabei wird jedoch nur der Gegner für die Instrumentalisierung der Bilder kritisiert, nicht aber die eigene Berichterstattung, die auf die gleichen Bilder zurückgreift, um z.B. den Krieg der USA als illegitim zu brandmarken (vgl. Kap. IV.1.6).
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ihrem Schicksal ergeben zeigen, womit sie an bekannte Stereotype von Weiblichkeit anknüpfen. Der Krieg bedeutet für Frauen ›zu viel Leid für eine Seele‹ und ›reine Verzweiflung‹, zusammengenommen werden die Frauenschicksale zu einer ›einzigen, großen Geschichte vom Leid des Krieges‹ (s.o.). Von impulsiven Gefühlsregungen abgesehen, wie sie der Spiegel bei den protestierenden Frauen hervorhebt, bleibt die ›afghanische Frau‹ in ihrem Leid weitestgehend passiv und stumm. Die einzige Aktivität, die immer wieder mit Frauen (und Kindern) in Verbindung gebracht wird, ist die Flucht.
6.4 Eine andere Rahmung des Flüchtlingsthemas — ›failed states‹ und ›Flüchtlingsströme‹ als Gefahr für die internationale Politik (FAZ) In der FAZ wird die ›afghanische Frau‹, so sie überhaupt dezidiert benannt wird, ebenfalls als Opfer von patriarchaler Unterdrückung und der brutalen Gewaltherrschaft der Taliban dargestellt – jedoch nur selten als Flüchtlingsfrau oder Hauptleidtragende des Krieges. Zwar berichtet auch die FAZ regelmäßig und ausführlich über die Situation der afghanischen Bevölkerung infolge des Krieges, insbesondere über die zahllosen Flüchtlinge, jedoch werden die Berichte fast immer mit der Situation der afghanischen Bevölkerung vor dem Krieg bzw. dem generellen Elend der afghanischen Bevölkerung verknüpft. Zahlreiche Artikel widmen sich – im Oktober fast täglich den afghanischen Flüchtlingen und der Organisation der internationalen Flüchtlingshilfe. Interessanterweise steht das Motiv der afghanischen Frau bzw. der ›FrauenundKinder‹ als unschuldigen Opfern und Hauptleidtragenden des Kriegs dabei weniger im Vordergrund. Meistens ist in allgemeiner und geschlechtlich unmarkierter Form von Flüchtlingen oder Menschen auf der Flucht die Rede. Wenn doch Einzelschicksale fokussiert werden, so hält sich die Nennung von Männern und Frauen zahlenmäßig die Waage (z.B. 1.10.01: 11; 16.10.01: 13). In einigen wenigen Fällen wird eigens das Leiden der Kinder an Unterversorgung, Krankheit und Hunger in den Vordergrund gerückt und, ähnlich wie im Spiegel, Kinder als die ersten Opfer des Krieges insbesondere als Flüchtlinge herausgestellt: »Aber die dauerhafte Mangelernährung hat ihre Abwehrkräfte so geschwächt, daß schon eine Erkältung tödlich sein kann. Die Jüngsten – schätzungsweise zwanzig Prozent der Flüchtlinge sind Kinder unter fünf Jahren – sterben als erste.« (18.12.01: 3)
Dass die FAZ die afghanische Frau nur selten als ›Flüchtlingsfrau‹, verbunden mit der Fokussierung von Leid und Schmerz, darstellt (schon der Begriff wird anders als im Spiegel gar nicht verwendet), könnte damit zusammenhängen, dass sie dem Krieg gegen die Taliban insgesamt positiv gegenübersteht und als notwendiges Übel betrachtet103 – im Gegensatz zum Spiegel, in dem der Verweis auf ›FrauenundKinder‹ primär einer Delegitimierung der US-amerikanischen Kriegsführung dient.104 103 | Insgesamt wird der Krieg in der FAZ weit weniger brutal und entgrenzt als im Spiegel dargestellt. Die FAZ betont, die Strategie der USA sei richtig gewesen, die Luftschläge waren »erstaunlich erfolgreich« und »die meisten Bomben und Raketen haben haargenau ins Ziel getroffen«, lediglich »ein paar brachten einigen hundert Zivilisten den Tod« (alles 28.11.01: 1). 104 | Das war auch deshalb zu erwarten, weil frauenspezifische Themen und Belange für
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Für diese These spricht ebenfalls, dass die afghanischen Flüchtlinge in der FAZ nicht primär als Opfer der US-amerikanischen Angriffe darstellt werden, sondern der aktuelle Krieg vielmehr als ein ›zusätzlicher Schicksalsschlag‹ für die Menschen in Afghanistan interpretiert wird, die als die Ärmsten der Armen beschrieben werden. Der von den USA angeführte Krieg gilt demnach weniger als Ursache der miserablen humanitären Situation der afghanischen Bevölkerung. Vielmehr zählt die FAZ Afghanistan zu einem so genannten failing state und macht entsprechend den Zusammenbruch staatlicher Strukturen für die gewaltförmigen inneren Konflikte, die Verletzung der Menschenrechte und das Leid der Bevölkerung verantwortlich. Infolgedessen komme es zu »riesigen Flüchtlingsströmen« und einer »humanitären Katastrophe« (2.10.01: 16, vgl. auch 29.9.01: 12). Regelmäßig wird betont, dass Afghanistan bereits lange vor dem 11. September das Land mit den größten Flüchtlingsbewegungen gewesen sei (19.9.01: 7) und es viele Hunderttausende von »internen Flüchtlingen« oder »internen Vertriebenen« gegeben habe (22.11.01: 3). Mit Blick auf die in jeglicher Hinsicht eklatante Unterversorgung der afghanischen Bevölkerung lautet die dazugehörige Überschrift eines Artikels zum Thema Flüchtlinge: »Zum Tode verurteilt schon vor dem 11. September« (ebd.). In der FAZ werden die USA nicht als ›Täter‹ bzw. Verursacher des Flüchtlingselends, sondern vielmehr als ›Helfer‹ dargestellt, die gerade zur Überwindung der katastrophalen Situation beitragen wollten. Das langfristige Ziel der aktuellen MilitärInterventionen sei gerade die Wiederherstellung der (staatlichen) Ordnung in Afghanistan (2.10.01: 16). Darüber hinaus werden afghanische Flüchtlinge weit weniger eindeutig als passive und ›unschuldige‹ Opfer dargestellt als in der Berichterstattung des Spiegels. Auch deshalb scheint sich eine Illustration primär durch Frauen weniger anzubieten. So wird beispielsweise darauf verwiesen, dass unter den Flüchtlingen auch »Sympathisanten der Taliban« (14.11.01: 4) seien: »Die Taliban werden sich unter die Flüchtlingsströme und die paschtunischen Stämme mischen. Wer soll sie erkennen?« (29.10.01: 45). Zwei Männer, die seit 15 Jahren in einem Flüchtlingslager in Pakistan leben, werden von der FAZ interviewt und als Anhänger der Taliban ›vorgeführt‹: »›Wenn Mullah Omar, der starke Mann des afghanischen Taliban-Regimes, an uns appelliert, dann werden wir seinem Ruf folgen und die Waffen ergreifen‹, sagt er mit fester Stimme. Ein jüngerer Lehrer pflichtet ihm bei. Auch er werde keinen Moment zögern, in seine Heimat zurückzukehren, wenn sich Afghanistan gegen die Amerikaner verteidigen müsse« (19.9.01: 7).
Wie die Beispiele zeigen, erfährt das Thema Afghanistan-Flüchtlinge in der FAZ eine grundsätzlich andere Rahmung, insofern – verstärkt durch die (Natur-)Katastrophen-Symbolik von riesigen Flüchtlingsmassen, Fluchtwellen und Flüchtlingsströmen – das Thema Flüchtlinge primär mit Gefahr für den Westen assoziiert wird; anders als im Spiegel, wo eher eine Rhetorik des Mitleids vorherrscht. So bringt die FAZ die Berichterstattung über das Elend der afghanischen Flüchtlinge immer wieder in Verbindung mit der Frage, was passiert, wenn die ›Flüchtlingsströme‹ die die eher konservative FAZ generell nur von geringem Interesse sind und die Situation der afghanischen Frau insgesamt nur selten zum Thema gemacht wird — und auch weniger vordergründig für die Legitimation des Krieges herhalten muss.
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Landesgrenzen überschreiten. Die ›Millionen Flüchtlinge‹ könnten sich nicht nur in die angrenzenden Länder, sondern auch in Richtung der westlichen Industrienationen bewegen, warnt die FAZ und erwähnt in diesem Zusammenhang ausdrücklich die steigende Anzahl afghanischer Asylbewerber_innen in Europa bzw. Deutschland (19.9.01: 7). Ein zusätzliches Anwachsen der Asylanträge infolge des Krieges wird als bedrohliche Entwicklung ausgemalt. Bereits in der Überschrift wird vor einer neuen »Fluchtwelle aus Afghanistan« gewarnt; »Weitere 1,5 Millionen Afghanen könnten das Land verlassen«, heißt es in der Unterüberschrift weiter (ebd.). Stets assoziiert mit großen Menschenmengen und Flüchtlingsmassen – »Millionen Flüchtlinge« (2.10.01: 16), »Fluchtwelle« (19.9.01: 7), »Flüchtlingsströme« (31.10.01: 4) etc. – werden die afghanischen Flüchtlinge in erster Linie als globales Sicherheitsrisiko interpretiert, die bereits jetzt in Pakistan den »inneren Frieden gefährden« (31.10.01: 4) und in absehbarer Zeit auch die internationale Ordnung zu destabilisieren drohten: »Die internationalen Konsequenzen des Staatenzusammenbruchs, von Bürgerkriegen und Institutionenzerfall, von Vertreibung und Flucht machen sich rasch bemerkbar. Einmal wächst der Bedarf an äußerer Hilfe im Inland wie im Ausland dramatisch an. Zum anderen werden diese Staaten, die im Innern von Gesetzlosigkeit, Willkür oder der – territorial begrenzten – (Terror-)Herrschaft einer Gruppe heimgesucht werden, zu einer Gefahr für ihre Nachbarn. Die werden, quasi über Nacht, mit der von ihnen in der Regel nicht zu bewältigenden Aufgabe konfrontiert, Hunderttausende oder gar Millionen Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Wenn diese Staaten zu einer Gefahr für die regionale Sicherheit werden, weil sie Instabilität ›exportieren‹, weil sich die Flecken ethisch oder religiös grundierter Unruhe wie Metastasen ausbreiten – Stichwort Talibanisierung – oder auch weil sie expansionistische Gelüste anderer wecken, spätestens dann werden sie als ein größeres Problem der internationalen Politik wahrgenommen.« (2.10.01: 16)
Wiederholt werden Kollektivsymboliken vom Strömen und Fluten oder von Krankheit (›Metastasen‹) und Chaos bemüht, die insbesondere im Kontext der Diskursstränge Einwanderung und Flucht für Gefahr und Bedrohung stehen (vgl. Jäger/ Jäger 2007; Link 2001b). Diese Symbolik beschwört zudem einen besonderen Handlungsbedarf. Die FAZ legt folgende Lesart nahe: Die humanitäre Lage in Afghanistan ist katastrophal, deshalb wird es höchste Zeit, von außen zu helfen – und damit auch die ›Flüchtlingsströme‹ in Richtung Westen zu stoppen und die ›Gefahr‹ für die internationale (westliche) Gemeinschaft abzuwenden.
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6.5 Zeichen der ›Befreiung‹ – Entschleierung und Bartrasur Am 19.11.2001, nachdem die Nordallianz die afghanische Hauptstadt Kabul eingenommen und die Taliban aus der Stadt vertrieben hat, präsentiert der Spiegel erstmals das Foto einer Afghanin, die ihre Burka augenscheinlich ›abgeworfen‹ hat und stattdessen ein weißes Kopftuch trägt. Das unverschleierte Gesicht der Frau, das weiße Tuch und ihre rosafarbene Jacke heben sich deutlich von der sie umgebenen Menge Frauen ab, deren Gesichter und Körper weiterhin unter hellblauen Burkas verborgen bleiben. Die dazugehörige Bildunterschrift lautet: »Afghanische Frauen nach dem Fall von Kabul: Lippenstift wiederentdeckt (47/2001: 137) (vgl. Abb. 14). Abbildung 14: Der Spiegel, Heft 47/2001, S. 137
Während noch vor und während des Krieges das Thema Verschleierung der afghanischen Frau bzw. die Zwangsverschleierung durch die Burka im Vordergrund der Berichterstattung standen, rückt mit dem ›Etappensieg‹ in Kabul und dem sich abzeichnenden Ende des Krieges das Motiv der Entschleierung in den Mittelpunkt. In der Darstellung des Spiegels scheint es geradezu zu einer Massenentschleierung zu kommen, bei der sich die afghanischen Frauen enthusiastisch der verhassten Burka entledigen und damit ihr ›wahres Gesicht‹ als modebewusste und geschminkte Frauen offenbaren. Der in Wort und Bild vollzogene Prozess der Entschleierung der afghanischen Frau wird dabei kontinuierlich mit einer Befreiungsrhetorik verknüpft. So heißt es beim ersten Auftauchen des Fotos im Text auf der gleichen Seite: »Kabul grüßte die Eroberer wie lang erwartete Helden, die ein mittelalterliches Zwangssystem endlich verjagt hatten. Alles, was unter den überstrengen Gotteskriegern das Leben verkrüppelt hatte, galt auf einmal nicht mehr: Auf überfüllten Lastwagen bewegten sich heimkehrende Flüchtlinge im Takt einer Musik, die aus schnell aufgehängten Lautsprechern ertönte. Auf den Basaren fanden die Frauen, die zögerlich ihre Burkas abzuwerfen begannen, wieder Lippenstift und modische Kleidung. Kein Zweifel: Hier war ein Großteil des Landes befreit worden.« (47/2001: 137)
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Auch die folgenden Textbeiträge zeigen exemplarisch, wie das Ende des Krieges durchgängig als ›Befreiung‹ Afghanistans von den Taliban interpretiert und – begleitet von durchweg positiven Emotionen und Werten wie Freiheit, Freude, Glück und Vergnügen – durch die Entschleierung der afghanischen Frauen vermittelt wird: »Am Tag eins nach der Regierungsübergabe atmet die Stadt sichtbar auf. Viele Frauen, vor allem die jungen, laufen nun mit aufgeknöpfter Burqa. Bis zur Brust weht der blaue Stoff wie ein offener Mantel nach hinten, darunter tragen sie schwarze Jeans und bunte Blusen. In Bussen schlagen manche sogar schon den Gesichtsschleier über den Kopf nach hinten, so daß ihr sieben Jahre lang vergitterndes Gewand wie ein alter Zopf am Körper hängt.« (FAZ 24.12.01: 3) »Die Händler holten ihre Ware aus den Kellern, Frauen warfen die Burka ab und schminkten sich. Kinder spielten auf der Straße, Radios lärmten, und die Männer gingen, frisch rasiert, zum Fußballspiel ins Stadion. Hat also der Satan Amerika gesiegt, die verderbte, imperialistische Konsumkultur des Westens? Oder handelte es sich vielleicht eher um die Befreiung von einer brutalen Diktatur, die es den Menschen verbot, einigermaßen normal zu leben und glücklich zu sein?« (Spiegel 52/2001: 50)
Während der Spiegel in einer zweiteiligen, im Abenteuerstil gehaltenen Reportage über die Einnahme Kabuls – betitelt als »Tagebuch der Befreiung« (47/2001: 6 und 48/2001: 6) – die Soldaten der Nordallianz wie erwähnt unkritisch als ›Helden‹ feiert, äußert sich die FAZ verhaltener. In der FAZ steht das Narrativ der Entschleierung der Frau insgesamt weniger im Vordergrund, zudem wird weit weniger enthusiastisch über die vermeintlich kollektive Entschleierung berichtet, stattdessen stehen eher einzelne Frauen im Fokus, die die Burka nur zögerlich ablegen. Zwar herrscht auch in der FAZ ein optimistischer Ton vor, wenn sie über die feiernden Menschen in Kabul nach dem Abzug der Taliban berichtet, gleichwohl finden sich auch unterschwellige Warnungen vor der Nordallianz – etwa wenn die Vergewaltigungen durch die Mudschahidin thematisiert werden – oder leise Skepsis in Bezug auf die Frage, wie ›befreit‹ Afghanistan nun sei. »Bei ihrem Einmarsch in Kabul sind die Soldaten der Nordallianz mit Freudenrufen, aber auch mit düsteren Erinnerungen an die Vergangenheit begrüßt worden. Wie in Mazar-i-Sharif schlüpften Männer und Frauen in Jeans; Musikkassetten und Fotos […] fanden einen reißenden Absatz.« (14.11.01: 1) »Der Schleierzwang, der in Afghanistan schon 1959 aufgehoben worden war und dann von den Taliban wieder eingeführt wurde, gilt nicht mehr. Einige mutige Kabulerinnen gehen wieder ohne Burqa auf die Straße. […] Doch die meisten Kabulerinnen halten es weiterhin für geraten, sich in das anonymisierende Kleidungsstück zu hüllen – weil sie die Situation noch immer als nicht stabil einschätzen oder weil sie auch ohne die Anordnungen der Taliban nie ohne Burqa aus dem Haus gegangen wären.« (12.12.01: 3)
Das Bildmotiv einer einzelnen unverschleierten Frau inmitten von zahlreichen verschleierten Frauen taucht im weiteren Verlauf der Berichterstattung über die letzte Kriegsphase mehrfach auf. Die verschiedenen Fotos sind auffallend ähnlich aufgebaut, so dass Connie Uschtrin (2002: 16) zu Recht ihre Künstlichkeit und ihren Inszenierungscharakter hervorhebt: Zu sehen ist stets eine Frau mit einer über den Kopf hochgeschlagenen Burka oder einem Kopftuch in einer Menge von Frauen, die nach wie vor mit einer Burka verhüllt sind (vgl. Abb. 15 und 16). Doch auch wenn die
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Fotos ebenso wie ihre textliche Entsprechung – die fortwährenden Schilderungen von der Entschleierung der afghanischen Frau – teilweise inszeniert und übertrieben wirken (›Burkas abwerfen‹, ›Lippenstift wiederentdeckt‹ etc.), prägen sich die sprachlichen und fotografischen Bilder durch die fortwährende Wiederholung ein und entfalten nachhaltige Wirkmächtigkeit über die Berichterstattung über die Endphase des Afghanistankrieges hinaus. Wie Elke Grittmann argumentiert, fungiert das Foto der vereinzelten Frau ohne Schleier in einer Menge verschleierter Frauen als »Bildikone« und hat sich mit dem Afghanistankrieg zu einem generalisierbaren »Bildtypus« entwickelt, der fortan in unterschiedlichen Kontexten zum Einsatz kommen kann (Grittmann 2003: 275). Während die Artikel die Situation der Frauen in Afghanistan nicht weiter behandeln, erschließt sich die Bedeutung der Fotos über den Kontext, insbesondere aus den Bildunterschriften: »Befreite afghanische Frauen: Über Jahre gequält« (Spiegel 48/2001: 8) oder »Frauen in Kabul nach dem Auszug der Taliban« (53/2001: 43). Abbildung 15: Der Spiegel, Heft 48/2001, S. 8
Abbildung 16: Der Spiegel, Jahreschronik, Heft 53/2001, S. 42-43
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Wie Dietze (2006b: 228) treffend schreibt, erzeugen die Fotos der ›entschleierten Afghanin‹ eine spezifische Erwartungshaltung: Eine Frau ist bereits entschleiert, die anderen werden bald folgen. Mehr noch als die textlichen Ausführungen vermitteln die Fotos Authentizität, sie scheinen unmittelbar und unmissverständlich zu belegen, dass der Krieg (doch) etwas Gutes bewirkt hat: die Entschleierung (= ›Befreiung‹) der afghanischen Frau, die wiederum stellvertretend für die ›Befreiung‹ der afghanischen Nation und den ›Sieg‹ über die Taliban steht. Wir sehen die Frauen, wir blicken ihnen direkt ins Gesicht, sie lächeln fröhlich zurück und tragen keine Burkas, sondern Lippenstift. Das unter der Burka zum Vorschein kommende ›wahre Ich‹ der afghanischen Frau scheint dabei mit einem modernen, westlichen Weiblichkeitsideal kompatibel. Wie bereits in dem Bild, das von der afghanischen Frau vor der Taliban-Herrschaft gezeichnet wurde, werden erneut westlich kodierte Kleidungs- und Weiblichkeitsnormen wie das Tragen von Lippenstift und modischer Kleidung hervorgehoben, was den Eindruck erweckt, dass dies die Dinge sind, die die afghanische Frau unter der Burka am sehnlichsten vermisst hat – oder ohnehin schon heimlich unter der Burka praktiziert hat. Auch wenn die Fotos nunmehr unverhüllte Personen und individuelle Gesichter zeigen, wird jedoch die Anonymität der Darstellung nicht durchbrochen; keine der ›entschleierten‹ Frauen kommt selbst zu Wort oder wird namentlich benannt. Das Bild der entschleierten afghanischen Frau erfüllt vielmehr eine über den konkreten Kontext hinausweisende symbolische Funktion: Als verkörperte Allegorie für die afghanische Nation bzw. die nunmehr ›befreite Zivilbevölkerung‹ verleiht die ›entschleierte afghanische Frau‹ dem Krieg in der Rückschau einen moralischen und humanistischen Sinn und damit Legitimität. Wie um die Narration der ›Befreiung‹ Afghanistans zu bekräftigen, wird das Bild der Entschleierung der Frau mit weiteren Beispielen verknüpft, die ebenfalls als Zeichen wiedererlangter Freiheit interpretiert werden. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem männlichen Bart bzw. dem Bartabschneiden zu. Zahlreiche Textstellen in Spiegel und FAZ heben das Tragen eines Bartes bzw. dessen Rasur nach der Kapitulation der Taliban hervor: »Wie der Ansturm auf die Friseure im befreiten Kabul dieser Tage zeigte, wollen viele durchaus fromme Muslime, die weiß Allah nichts gegen den Propheten haben, sich das Tragen eines Bartes aber ebensowenig vorschreiben lassen wie die genaue Länge ihrer Barttracht. Das hatten die Taliban in ihrem archaischen Frömmigkeitswahn angeordnet, als sie die Macht über das an sich wenig fanatische Volk der Afghanen errungen hatten. Jetzt fallen die Bärte!« (FAZ 22.11.01: 12)
Auch die Bilderpolitik greift das Motiv der männlichen Bartrasur auf und stellt es wie z.B. in der Spiegel-Jahreschronik dem Foto einer Frau ohne Schleier an die Seite (vgl. Abb. 16). Ein weiteres Foto zeigt gleich mehrere Männer bei der kollektiven Rasur: Die Männer sitzen nebeneinander in einer Reihe und lassen sich jeweils von einem Barbier den Bart abnehmen (Spiegel 47/2001: 153). Die Thematisierung des Bartes des afghanischen Mannes bzw. der Rasur verläuft nach einem ähnlichen Muster wie die Deutung von Verschleierung/Entschleierung der afghanischen Frau und fungiert damit als deren ›männliches‹ Pendant. Erzählt wird ebenfalls die Geschichte eines Vorher und Nachher. Wurde das Tragen eines langen Bartes bzw. das Verbot der Rasur zuvor noch als religiöse Pflicht gläubiger Muslime oder aber als Zwangs-
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verpflichtung durch die Taliban interpretiert – und damit als spezifisches Zeichen männlicher Unterdrückung lesbar gemacht –, überwiegt nach der Eroberung Kabuls und dem Abzug der Taliban das Deutungsmuster eines männlichen ›Befreiungsschlags‹ in Form der freiwilligen und lang ersehnten Bartrasur. Dieses Bild harmoniert zudem mit der oben für die Burka gewählten Haarsymbolik: Als Zeichen für Neuanfang und das Brechen mit überkommenen Traditionen werden ›alte Zöpfe‹ – und Bärte abgeschnitten. Interessant ist zudem die Parallelität zwischen Schleier und Bart bezüglich des Aspekts der Sichtbarkeit bzw. des Sichtbar-Machens: Wie Burka und Schleier, fallen nun auch die Bärte und lassen ein unverhülltes, offenes und lächelndes Gesicht zum Vorschein kommen. Die Beschreibung des Bartabschneidens beim Mann steht jedoch in der Berichterstattung über das Kriegsende weit weniger im Vordergrund als das Bild der Entschleierung der Frau. Vor allem im Hinblick auf die Bilderpolitik lassen sich deutliche Unterschiede ausmachen: Es gibt nur wenige ›Beweisfotos‹, die ›offengelegte‹ und glücklich strahlende Gesichter von Männern, die frontal in die Kamera blicken, präsentieren. Auch in den Texten wird das Motiv der Bartrasur seltener aufgegriffen; sie scheint insgesamt als Allegorie für ›Befreiung‹ weniger tauglich zu sein. Auf der bildlichen Ebene spielt sich dies z.B. in der grafischen Gestaltung der beiden Seiten der Spiegel-Jahreschronik (s.o.) wider: Vordergründig und zentral ist das Bild der entschleierten Frau und nicht das der Bartrasur, das zudem wesentlich kleiner ist. Ein Grund dafür könnte die Anschlussfähigkeit der Burka-Symbolik an kolonialistische und neo-orientalistische Denktraditionen sein (ich werde am Ende des Kapitels näher darauf eingehen). Wie bereits ausgeführt ist der Schleier als Zeichen der Unterdrückung der islamischen Frau fest in die Wahrnehmungsmuster des orientalisierten ›Anderen‹ und die Konstruktion einer fundamentalen Differenz zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ eingelassen und setzt sich auch im Sprechen über die Burka fort. Neben Entschleierung und Bartrasur werden – in Spiegel und FAZ gleichermaßen – weitere Errungenschaften als Zeichen der ›Freiheit‹ angeführt, die zudem explizit nach Geschlecht differenziert werden: modische Kleidung, Schmuck, Jeans und Minirock, Make-up und Lippenstift für Frauen; Popmusik, Filme, Kino, Satellitenschüsseln und Fußball für Männer. Am häufigsten werden dabei die Themen Kinobesuch und Fußballspielen aufgegriffen – nicht nur im Text, sondern auch auf den Fotos. Berichtet wird, dass sich die Männer endlich wieder, »frisch rasiert, zum Fußballspiel ins Stadion« begeben (Spiegel 52/2001: 50) und dass die wiedereröffneten Kabuler Kinos dem großen Ansturm »der Taliban-geschädigten männlichen Besucher« kaum standhalten könnten (48/2001: 180). Dabei bildet die Gegenüberstellung von ›Mittelalterlichkeit‹ und ›technischem Rückstand‹ der Taliban und ›westlich-modernem Lebensstil‹ einen zentralen, wenngleich zumeist implizit operierenden Modus der Darstellung. Eine Orientierung an ›westlichen‹ Vorstellungen und ihre eurozentristische Universalisierung sind unverkennbar. Westlich konnotierte Unterhaltungsmedien sowie Kleidung, die unter den Taliban verboten war, werden als lang ersehnte Werte präsentiert – und damit als erstrebenswerte (Konsum-)Güter für alle Menschen auf der Welt propagiert. Dabei fällt auf, dass über die konkrete rechtliche und gesellschaftspolitische Situation der afghanischen Bevölkerung ebenso wenig zu erfahren ist wie über ihre alltäglichen Bedürfnisse oder politischen Forderungen. Es bleibt bei plakativen Verweisen auf Schminke, Mode, Bartrasur, Popmusik oder Kinobesuche, die offenbar als Indizien der ›Befreiung‹ genügen.
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Auch im Rahmen der Bilderpolitik wird häufig mit Kontrasten zwischen Vorher und Nachher bzw. zwischen Rückständigkeit und Moderne gearbeitet. So bildet z.B. das Thema Kleidung/Mode den Aufhänger für die Gegenüberstellung zweier Fotos, welche eine Frau mit hellblauer Burka in einer Ruinenlandschaft direkt neben dem Foto eines Schaufensters zeigt, in dem – ausdrücklich als westlich markierte – Brautmode ausgestellt ist. »Verschleierte Frau im zerbombten Kabul, Laden mit westlicher Hochzeitsmode: Diesmal wurde die Metropole nicht zum Schlachtfeld«, lautet die Bildunterschrift (Spiegel 47/2001: 150).
6.6 Die ›afghanische Frau‹ als Symbol für Hoffnung, Frieden und Neuanfang Ein weiteres Motiv in der Darstellung der ›afghanischen Frau‹, das sich besonders im Vorfeld der Afghanistan-Konferenz Ende November 2001 abzeichnet, ist das der afghanischen Frau als ›Friedensstifterin‹ und ›Hoffnungsträgerin‹ des gesellschaftlichen und politischen Neuanfangs. So findet die Tatsache, dass auch Frauen und Frauenorganisationen zur Petersberg-Konferenz sowie zu der parallel dazu stattfindenden Tagung ziviler Gruppen erwartet werden, explizit Erwähnung und stößt auf besonderes Interesse (z.B. FAZ 24.11.01: 5; 27.11.01: 1). Es fällt auf, dass die FAZ – entgegen den Erwartungen an eine eher konservativ ausgerichtete und frauenpolitisch kaum interessierte Zeitung – wesentlich häufiger und ausführlicher als der Spiegel auf die an der Konferenz beteiligten Frauen Bezug nimmt. Zwei Artikel widmen sich dezidiert den weiblichen Konferenz-Teilnehmerinnen (24.11.01: 5 »Mehr als nur Wunden heilen« und 30.11.01: 6 »Hoffnung unter den Frauen«), und auch über die beiden Ministerinnen der neuen Übergangsregierung, die am 5.12.2001 formal beschlossen wurde, wird anders als im Spiegel mehrmals berichtet.105 Dabei wird den afghanischen Frauen bei der Friedensschaffung und -sicherung in Afghanistan – insbesondere vor Beginn der Konferenz – besondere Bedeutung beigemessen und ihre aktive Beteiligung an der politischen Neugestaltung und Regierung des Landes ausdrücklich begrüßt: »Den Herren, die in der kommenden Woche in Bonn über die Zukunft Afghanistans beraten werden, hat die Weltgemeinschaft in den vergangenen Tagen bedeutet, daß sie zu diesem Anlaß tunlichst ein paar Damen mitbringen sollten, um das Gruppenbild aufzulockern.« (FAZ 24.11.01: 5) »Die Resolution 1325 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen fordert die stärkere Einbindung von afghanischen Frauen in ›friedenschaffende und friedenerhaltende Prozesse‹. Was im fernen New York bürokratisch formuliert wurde und sehr vernünftig klingt, braucht zur Umsetzung in Afghanistan dringend Wegbereiter.« (FAZ 28.12.01: 6)
Am 24.11.2001 titelt die FAZ: »Mehr als nur Wunden heilen. Zur Afghanistan-Konferenz kommen auch Frauen« (24.11.01: 5). Der Überschrift und dem Artikel liegen spezifische Annahmen über die ›afghanische Frau‹ zugrunde: Diese scheint über besondere soziale, pflegerische und medizinische Kompetenzen zu verfügen (›Wun105 | Da der FAZ-Artikel »Hoffnung unter den Frauen« insbesondere im Hinblick auf die verschiedenen Konstruktionen von Weiblichkeit aufschlussreich ist, wird er als Schlüsseltext ausführlich analysiert (vgl. dazu 6.8. in diesem Kapitel).
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den heilen‹). Die ›heilenden Kräfte‹ werden sodann auf den öffentlichen Bereich der Politik übertragen, wobei der Eindruck erweckt wird, dass es speziell den Frauen obliege, die afghanische Nation als Ganzes zu ›heilen‹. Dass insbesondere den afghanischen Frauen eine wichtige Bedeutung und Verantwortung für die Beendigung der Gewalt, Demokratisierung und Neuanfang zugeschrieben wird, wird erst vor dem Hintergrund klassischer Weiblichkeitsstereotype verständlich, nach denen (nur) Frauen mit Fürsorglichkeit und Friedfertigkeit assoziiert werden. Der vormals als ohnmächtig und passiv dargestellten afghanischen Frau wird nun plötzlich eine gewisse Handlungsfähigkeit und -macht zugeschrieben, insofern sie als unverzichtbar für den Wiederaufbau und die Neuordnung des Landes präsentiert wird. Nichtsdestotrotz verbleibt das Interesse an der afghanischen Frau an der Oberfläche. Wie ich im Folgenden argumentiere, bedeutet das Sprechen über die afghanische Frau – auch im Kontext von Friedensverhandlungen und Regierungsbildung – keineswegs, dass die Interessen von Frauen bei der Neugestaltung Afghanistans auch tatsächlich Berücksichtigung finden würden. Diese These möchte ich im Folgenden anhand einiger Textbeispiele, v.a. jedoch anhand der Bilderpolitik des Spiegels ausführen. Wurde bereits die ›Befreiung‹ Afghanistans anhand der symbolträchtigen Inszenierung der Entschleierung der afghanischen Frau (textlich und visuell) plausibel gemacht, ist es nun der gesellschaftspolitische Neuanfang und die Demokratisierung Afghanistans, die anhand von Frauen dargestellt werden. Insbesondere wenn es um die Themen Wiederauf bau, Freiheit und die Gewährleistung demokratischer Grundrechte (wie z.B. das Recht auf Arbeit und Bildung, freie Meinungsäußerung oder Konsum) geht, sind es Beispiele von Frauen bzw. der Verweis auf die neue rechtliche, politische und gesellschaftliche Stellung der Frau, die als Beleg für den eingekehrten Frieden und den Anbruch einer neuen Zeit herangezogen werden: »Klappt diesmal der viel beschworene Neuanfang, zumal unter dem Schutz von 3000 UnoSoldaten? Die Kabuler scheinen es zu glauben. Sie wirken gelöst wie lange nicht. Die Geld-, Silber- und Teppichbasare am lehmfarbenen Kabul-Fluss brummen wie in guten alten Zeiten. Die Frauen fahren wieder vorne im Bus, kaufen sich Schmuck und drängeln vor den Mittelschulen, um erneut als Lehrerinnen eingestellt zu werden.« (Spiegel 52/2001: 134) »Frei und offen soll Afghanistan wieder werden, aus der Taliban-Steinzeit in die Neuzeit zurückkehren. Die Frauen würden umgehend von Verhüllungszwang und Prügelstrafen befreit, dürften lernen und arbeiten.« (Spiegel 41/2001: 153)
Während in diesen Diskursfragmenten allgemein von ›den‹ Frauen und wiedererlangten Frauenrechten die Rede ist, stellt der Spiegel in seiner Reportage »Tagebuch der Befreiung«, die aus Kabul über die Situation nach dem Abzug der Taliban berichtet, zusätzlich das Beispiel einer einzelnen Frau prominent heraus. Entgegen den bisherigen Darstellungskonventionen wird diese mit (Nach-)Namen, beruflichem Hintergrund und politischen Ansichten vorgestellt: »Nur wenige Tage nach dem Sturz des Taliban-Regimes hat Frau Soraya die erste Demonstration von fast 1000 unverschleierten Afghaninnen in Kabul organisiert. […] Ein Wortführer der Mudschahidin drohte einer Demonstrantin gar, sie würde ›Ärger bekommen‹, doch die selbstbewusste Frauenrechtlerin Soraya lässt sich von den alten Partriarchen nicht einschüchtern: ›In einer Woche machen wir wieder eine Demo, dann kommen noch mehr Frauen.‹ […]
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Der Text erzeugt den Eindruck, dass die Wiederherstellung von Frauenrechten und damit die Demokratisierung Afghanistans binnen kürzester Zeit verwirklicht wurde: Gleich nach dem Abzug der Taliban aus Kabul fangen die (entschleierten) afghanischen Frauen an, sich zu organisieren, veranstalten Demos, kandidieren für politische Ämter und fordern selbstbewusst Mitspracherecht bei den politischen Verhandlungen ein.107 Die Aufzählung demokratischer Errungenschaften, wie freie Wahlen, Demonstrationen und die Emanzipation der Frau, knüpft dabei an ›westliche‹ Vorstellungen von Freiheit und Frieden an. Ebenfalls häufig zu finden sind kurze Statements einzelner Frauen, die in die Nachkriegs-Berichterstattung eingeflochten werden. Porträtaufnahmen lenken die Aufmerksamkeit auf die Gesichter einzelner (unverschleierter) Frauen. Verknüpft mit Bildunterschriften wie »Flüchtlingsfrau Sheima Younisi ›Mein Traum vom Leben ist Frieden in Afghanistan‹« (46/2001: 157) oder »Rawa-Gründerin Meena: Für eine bessere Zukunft« (42/2001: 180) scheinen die Fotos eine weibliche ›Zuständigkeit‹ für Frieden und Zukunft zu bezeugen und machen speziell Frauen zu den ›Hoffnungsträgerinnen‹ einer neuen friedlichen und demokratischen Gesellschaft. Frieden wird dabei jedoch als symbolisch-abstrakter Wert verhandelt, der pauschal für eine bessere, aber nicht näher definierte Zukunft der afghanischen Nation steht. Die Wortwahl des ›Träumens‹ befördert die ›Flüchtlingsfrau Younisi‹ zugleich in einer Phantasie- und Wunschwelt – und knüpft damit an stereotype Vorstellungen von weiblicher Politikferne und Friedfertigkeit an. Die Frauen träumen zwar vom Frieden, aber über ihre konkreten Interessen, individuellen Einschätzungen und politischen Forderungen erfahren die Leser_innen nichts. Zwar zeugt auch das explizite Nachfragen, ob Frauen bei den Verhandlungen auf dem Petersberg zugegen sein werden, von einem gewissen Interesse an den politischen Einschätzungen der Frauen sowie an ihrer stärkeren Einbindung in politische Entscheidungsprozesse, jedoch ist das Interesse nicht von Dauer. Ein nachhaltiges Engagement für die Einbeziehung von Frauen in die politische Gestaltung Afghanistans resultiert daraus nicht. So wird zwar punktuell über einzelne Frauen wie die ›Frauenrechtlerin Soraya‹ und ihr Vorhaben, bei den Parlamentswahlen zu kandidieren, berichtet. Auch die allgemeine Absichtserklärung, man wolle Frauen in die Regierungsbildung und die politische Nachkriegsordnung Afghanistans gezielt 106 | Die Darstellung Sorayas ähnelt jener der Vertreterinnen der Frauenrechtsorganisation RAWA, auf die ich in Kap. IV.6.8 noch genauer eingehen werde, und zugleich dem Bild einer westlichen feministischen Aktivistin: So wird ihr Mut und Engagement bescheinigt sowie ihre akademische Ausbildung als promovierte Ökonomin benannt. »Dr. Soraya ist eine mutige Frau. Ihr kleines Büro in einer Plattenbauwohnung liegt in einer nach sowjetischem Muster errichteten Siedlung, einem ›Mikrorajon‹. Binnen einer Woche ist es zum Zentrum der neuen afghanischen Frauenbewegung avanciert.« (Spiegel 48/2001: 180) 107 | Das zugehörige Foto zeigt Frau Soraya und sieben ihrer »Mitstreiterinnen« (48/2001: 178, Bildunterschrift) – allesamt ohne Burka. Einige der Frauen auf dem Bild tragen ein Kopftuch.
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einbeziehen, wird mehrmals wiederholt. Die tatsächliche Umsetzung dieser Forderungen wird jedoch in beiden untersuchten Medien nicht weiter verfolgt. Auch die Bilderpolitik in der Berichterstattung über die Nachkriegsituation in Afghanistan zeigt den symbolischen Charakter der Repräsentation der afghanischen Frau. Im Kontrast zu dem textlichen Schweigen über die konkreten Interessen und Meinungen der afghanischen Frauen werden die weiblichen Vertreterinnen Afghanistans auf den Fotos überproportional häufig in den Fokus genommen. So weckt in einem Spiegel-Artikel, der primär die Konferenz auf dem Petersberg zum Gegenstand hat, gleich auf der ersten Seite das Foto einer an der Konferenz beteiligten Frau die Aufmerksamkeit der Betrachtenden (vgl. Abb. 17). Abbildung 17: Der Spiegel, Heft 49/2001, S. 194
Die Frau spricht in ein ihr vorgehaltenes Mikrofon und richtet soeben mit beiden Händen den dünnen Seidenschal, der locker über ihren Kopf fällt. Auf dem Foto links daneben ist ebenfalls eine Frau mit einem grünen Kopftuch zu erkennen, die offenbar als einzige weibliche Person an einer der Sitzungen auf dem Petersberg teilnimmt; sie ist jedoch nur von hinten zu sehen. Unklar bleibt, um wen es sich bei den beiden abgebildeten Frauen handelt (oder ob es sich möglicherweise sogar um dieselbe Person handelt). Auch im Text wird mit keinem Wort ein Zusammenhang zu den Frauen auf den Fotos hergestellt. Wir erfahren weder Namen, Beruf, politischen Hintergrund oder die konkrete Funktion, die sie auf der Konferenz innehaben, noch ihre persönlichen Einschätzungen in Bezug auf die Konferenz oder ihre Forderungen bezüglich der politischen Neugestaltung des Landes. Nur aus der Bildunterschrift wird ersichtlich, dass es sich um eine oder möglicherweise auch zwei der weiblichen Delegierten handelt: »Eröffnungssitzung am vergangenen Dienstag, Delegierte der Rom-Gruppe: Geld gegen Frieden« (49/2001: 194). Dennoch sind die Fotos unmittelbar ›lesbar‹. Die Intelligibilität ergibt sich aus dem bereits im Vorfeld etablierten Bedeutungskontext. Insbesondere das Bild einer Frau ohne Burka in Zusammenhang mit der Afghanistan-Konferenz erbringt den ›Beweis‹ für eine erfolgreiche ›Befreiung‹ und Demokratisierung des Landes – ungeachtet der tatsächlichen Beteiligung von Frauen an der neuen Regierung, ihren konkreten Aufgaben, Ämtern oder Zuständigkeiten sowie den realen gesellschaftlichen Veränderungen für Frauen. »Die westlich-hegemoniale Strategie der symbolischen Befreiung von der Burka, […] durch das Anheben des Schleiers noch einmal erzählt, gibt die Bedingungen an, die die westliche Vorstellung von
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Frieden und Freiheit möglich macht«, kommentieren Tanja Maier und Stefanie Stegmann (2003: 55) eben jenes Foto von der Delegierten beim Interview. Auf dem Foto ist deutlich zu erkennen, dass die Frau anstelle einer Burka westlich konnotierte Accessoires wie Lippenstift, Schmuck und eine schwarze Damenhandtasche trägt. Gemäß dem etablierten Deutungsmuster von ›Entschleierung = Befreiung‹ ist der lose um den Kopf geschlungene Seidenschal als Zeichen wiedererlangter ›Freiheit‹ ebenso wie als erfolgreiche ›Annäherung‹ an westliche Vorstellungen von Weiblichkeit und den entsprechenden Kleidungsnormen (chic, modern und unverschleiert) lesbar. Abgesehen von diesem Foto nimmt der Spiegel in der Berichterstattung über die Afghanistan-Konferenz und die Neuordnung Afghanistans im Unterschied zur FAZ kein weiteres Mal auf die weiblichen Teilnehmerinnen an der AfghanistanKonferenz Bezug.108 Hingegen werden mehrere männliche Teilnehmer entweder namentlich, mit Lebenslauf und politischem Hintergrund vorgestellt (z.B. 48/2001: 162) oder einzeln interviewt und nach ihren politischen Absichten und Meinungen befragt (z.B. ebd.: 166; 52/2001: 137). FAZ und Spiegel verzichten schließlich ebenso darauf, eine Umsetzung der Interessen- und Absichtsbekundungen nachdrücklich einzufordern wie auch die tatsächliche politische Beteiligung von Frauen weiter kritisch zu beobachten und zu thematisieren. So bleibt die Tatsache, dass sehr viel weniger Frauen als Männer bei der Konferenz zugegen waren, unkommentiert. Auch dass Vertreterinnen der Organisation RAWA – über die noch im Vorfeld häufig als positives Beispiel für frauenpolitisches Engagement berichtet wurde (zu RAWA vgl. Kap. IV.6.8) – gar nicht eingeladen waren und die Stimmen der wenigen Frauen bei den Verhandlungen und Besetzungen der politischen Ämter wenig Gewicht hatten, findet kaum Erwähnung. Auch was aus der ›Frauenrechtlerin Soraya‹ und ihren politischen Vorhaben und Forderungen geworden ist, wird nicht weiter verfolgt. Offenbar reicht allein der Hinweis, Frauen seien bei den Friedensverhandlungen zugegen und sollen in die Regierungsbildung einbezogen werden, oder aber das prominent platzierte Foto einer namenlosen weiblichen Delegierten, um zu belegen: Die Befreiung hat stattgefunden, in Afghanistan sind Frieden und Freiheit eingekehrt, Frauen können wieder (politisch) mitreden und der demokratische und geschlechterpolitische Neustart ist geglückt.
6.7 Frauenrechte und Frauenförderung — Zweck und Ziel der (deutschen) politischen Bemühungen Noch ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung: Während nahezu ausschließlich Männer als politische Handlungsträger inszeniert werden, wird die Durchsetzung von Frauenrechten als Ziel und Zweck dieses Handelns präsentiert. Die Frauen werden somit zum Gegenstand, auf die sich die politischen Bemühungen richten und die im Umkehrschluss diesem Handeln einen Sinn verleihen. In Text und Bild wird zum Ausdruck gebracht, dass sich Wiederaufbau und humanitäre Hilfe – die als spezifisch deutsche Aufgabenbereiche deklariert werden 108 | Die meisten Spiegel-Artikel, die auf die Zukunft und Neugestaltung Afghanistans Bezug nehmen, erwähnen Frauen und ihre spezifische Situation überhaupt nicht (z.B. 48/2001: 156ff; 49/2001: 170ff; 50/2001: 160ff).
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– in erster Linie an Frauen, Mädchen und Kinder richten. Die Gewährleistung von Frauenrechten wird zum dezidierten Bestandteil der außenpolitischen Bemühungen und somit der politischen Identität Deutschlands: »Die Einigung für Afghanistan auf dem Petersberg kommt vor allem den Frauen zugute. Darauf lässt sich bauen.« (Joschka Fischer, zit.n. FAZ 12.12.01: BS3) »[Vor] allen anderen Nationen hat Deutschland in dieser Woche damit begonnen, die Rechte der afghanischen Frauen zu stärken und den Aufbau des Bildungssystems vorzubereiten. […] Vorerst für sechs Monate ist Müller Deutschlands Beauftragte für die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft Afghanistans, insbesondere mit Organisationen für Frauenrechte und humanitäre Hilfe.« (FAZ 28.12.01: 6)
Die geschlechterstereotype Polarisierung geht mit einer entsprechenden Bildersprache einher. So stellt beispielsweise der doppelseitige Spiegel-Artikel mit dem Titel »Deutsche Führung?« (50/2001: 28f) zwei Fotos gegenüber, deren geschlechtliche Implikationen eindeutig sind: Während Männer als aktiv handelnde Subjekte dargestellt werden, kommt Frauen ein passiver, objektivierter Status zu. Zudem werden die Themen Wiederaufbau und Neuanfang mit einem Foto teil-entschleierter afghanischer Frauen verkoppelt (vgl. Abb. 18). Abbildung 18: Der Spiegel, Heft 50/2001, S. 28-29
Das wesentlich kleinere Foto auf der linken Doppelseite, zeigt Bundeskanzler Schröder im diplomatisch-freundschaftlichen Miteinander mit einem nicht identifizierten Delegierten auf der Afghanistan-Konferenz, auf der – wie der Text berichtet – die »feierliche Unterzeichnung des Petersberger Abkommens« (ebd.) vonstatten ging. Rechts darüber erstreckt sich über beide Seiten ein wesentlich größeres Foto, das eine Gruppe afghanischer Frauen in Burkas zeigt. Diese sitzen an einem Abhang, die meisten sind nur von hinten zu sehen, sie blicken auf die Häuser-
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zeilen der gegenüberliegenden Bergseite. Eine Frau scheint soeben aufzustehen und wendet sich den Betrachtenden zu, ihre Burka ist zurückgeschlagen, das Gesicht deutlich erkennbar. Die Bildunterschrift – »Afghanische Frauen in Kabul: rund 260 Millionen Mark deutsche Auf bauhilfe in diesem und im nächsten Jahr« (ebd.) – sowie das Wechselspiel zwischen Fotos und Text stellen erneut Rechte und Wohlergehen von Frauen als Ziel der (deutschen) politischen Bemühungen heraus. Deutschland wird als Helfer und Förderer der afghanischen Frauen und Mädchen imaginiert.
6.8 Politisch aktive Frauen — Petersberg-Delegierte, Ministerin und R AWA-Frauenrechtlerin Wie bislang gezeigt wird die ›afghanische Frau‹ in hohem Maße als Namenlose in der Masse wahrgenommen, wobei Passivität, Emotionalität und Schutzbedürftigkeit zu ihren vordergründigsten Merkmalen gehörten. Es dominiert die Opferrolle; die afghanische Frau wird entweder als Opfer der Taliban oder als Leidtragende des (USamerikanischen) Kriegs herausstellt. Auch in der Rolle als Friedensstifterin und Hoffnungsträgerin einer neuen Gesellschaftsordnung bleibt die afghanische Frau zumeist stumm und anonym, wobei das Sprechen über bzw. das Zeigen (von Fotos) der afghanischen Frau in erster Linie eine übergeordnete, symbolische Funktion erfüllt. Die Repräsentation der Afghanin als offizielle Delegierte bei den Verhandlungen auf dem Petersberg oder als selbstbewusste Ministerin und Frauenrechtlerin stellt daher einen Bruch mit den genannten Darstellungskonventionen dar, insofern die afghanische Frau nunmehr als aktiv Handelnde gezeigt wird, die eine politische und öffentliche Funktion bekleidet und somit das Konstruktionsschema der Passivität durchbricht. Zudem wird die Afghanin nicht länger in einem familiären und häuslichen Kontext verortet und auf die Rolle des Opfers von Männer- und Kriegsgewalt reduziert. Im Folgenden werde ich anhand der FAZ-Artikel, die sich dezidiert den weiblichen Konferenz-Teilnehmerinnen und neuen Ministerinnen widmen, der Repräsentation der afghanischen Frau als politischer Akteurin auf den Grund gehen.109 Im Anschluss daran werde ich die Figur der Widerstandskämpferin und Frauenrechtsaktivistin der Gruppe RAWA (Revolutionary Association of the Women of Afghanistan) beleuchten, die ebenfalls von dem stereotypen Konstruktionsschema der passiven, ohnmächtigen und emotionalen Afghanin abweicht. Ich werde anhand dieser Beispiele zeigen, wie einerseits das viktimisierende Konstruktionsmuster durchbrochen wird, andererseits jedoch der Bruch aufgefangen und neutralisiert werden kann, indem die ›politisch aktive Afghanin‹ als Ausnahme konzeptualisiert wird, die mehr dem Ideal der ›westlichen Frau‹ als dem Bild der 109 | Insbesondere der bereits an früherer Stelle genannte FAZ-Artikel »Hoffnung unter den Frauen« (30.11.01: 6) erwies sich dabei als aufschlussreich und wurde einer Feinanalyse unterzogen. Anders als die FAZ geht der Spiegel wiederum, mit Ausnahme des weiter oben bereits diskutierten Fotobeispiels, nicht näher auf die weiblichen Petersberg-Delegierten ein, und auch die beiden Ministerinnen der neuen afghanischen Regierung finden im Spiegel keinerlei Erwähnung. Als politisch aktive Frau taucht die Afghanin im Spiegel vor allem in der Zeit vor der Petersberg-Konferenz auf, z.B. als die bereits erwähnte ›Frauenrechtlerin Frau Soraya‹ sowie eine frauenpolitische Aktivistin der Gruppe RAWA, auf die ich weiter unten zu sprechen kommen werde.
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›afghanischen Frau‹ entspricht. Dabei kommen Deutungsmuster zum Tragen, die an (neo-)orientalistische Weiblichkeitskonstruktionen bzw. das Stereotyp der islamischen Frau als unterdrückt und rückständig anknüpfen. Das vordergründigste Merkmal der Unterscheidung beruht auch hier auf dem Symbolkomplex Kleidung bzw. Verschleierung.
Petersberg-Delegierte Der FAZ-Artikel »Hoffnung unter den Frauen«, der sich mit den »Afghaninnen auf dem Petersberg« (30.11.01: 6) beschäftigt, hebt sich zunächst positiv von den übrigen Repräsentationsweisen ab, insofern er sich den weiblichen Konferenz-Teilnehmerinnen anders als der Spiegel explizit und ausführlich widmet. Zudem werden einige der Frauen als eigenständige Akteurinnen präsentiert und mit Namen, teils auch mit persönlichem und politischem Hintergrund vorgestellt, was mit der sonst üblichen anonymisierenden Darstellungsweise der afghanischen Frau bricht. Interessant ist jedoch, dass die Individualität der Konferenz-Teilnehmerinnen primär über Äußerlichkeiten vermittelt wird und nicht etwa über widerstreitende politische Ansichten oder Forderungen. Obwohl die weiblichen Delegierten der Überschrift zufolge den eigentlichen Gegenstand des Artikels bilden, bleiben ihre konkreten Interessen und politischen Forderungen unterbelichtet. So bleibt unklar, auf wen oder was sich die in der Überschrift angesprochene »Hoffnung unter den Frauen« überhaupt bezieht. Erklärt werden kann dies damit, dass die Konferenz-Teilnehmerinnen in erster Linie nicht als Politikerinnen bzw. offizielle Vertreterinnen Afghanistans wahrgenommen werden, sondern eben als Frauen. Gemäß gängigen Darstellungsmustern von westlichen Frauen und Politikerinnen in den Medien (vgl. Kap. IV.3.8.1) werden auch die afghanischen Delegierten primär über ihr Äußeres und nicht in ihrer Funktion als Politikerinnen charakterisiert: »Besonders beliebt bei den Medienvertretern sind einige Delegationsteilnehmerinnen, deren lose drapierte Kopftücher eher an die eleganten Römerinnen aus Fellini-Filmen erinnern als an Frauen aus einem islamischen Land.« (Ebd.)
Dabei steht erneut die Frage der Verschleierung im Vordergrund, wenn bei der Vorstellung einer Delegierten stets erwähnt wird, ob diese ein Kopftuch trägt oder nicht bzw. wie sie es trägt: So wird ein fest geknotetes Kopftuch als Verharren in alten Traditionen, ein locker getragenes hingegen als Annäherung an den Westen gedeutet. Das Bild der modernen und emanzipierten westlichen Frau ohne Verschleierung bzw. Kopftuch bildet dabei die ›stille Norm‹. So wird das äußere Erscheinungsbild der Petersberg-Delegierten jeweils entsprechend ihrer ›Modernität‹, ihrer Orientierung an westlichen Kleidungsnormen eingeordnet, so dass sich, wie ich im Folgenden zeigen werde, die Frage nach Annäherung oder Differenz gegenüber einem westlichen Lebensstil als das eigentliche Thema des Artikels herausschälen lässt. Insgesamt stellt der Artikel drei unterschiedliche ›Typen‹ von Frauen vor, die sich jeweils in ihrem Grad der ›Modernität‹ unterscheiden. Die Erste wird folgendermaßen vorgestellt: »Oft zu sehen ist die schöne Fatima Gailani, Tochter des Paschtunenführers Pir Gailani und Frau des Universitätsdozenten Ahadi. Sie ist eine hochgewachsene Frau mit aristokratisch geschwungener Nase. Wo sie erscheint, bildet sich sofort eine Menschenmenge. […] Frauen
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « wie Fatima Gailani werden wohl auch in Zukunft eine kleine, wenn auch einflussreiche Minderheit in Afghanistan bleiben.« (Ebd.)
Die Repräsentation von Fatima Gailani entspricht dem Bild einer modernen, gut situierten und gebildeten Frau. Hervorgehoben werden ein imposantes Aussehen, Schönheit, ein eleganter Stil und moderne Kleidung. Sie wird als attraktiv, wohlhabend und einflussreich beschrieben, ist dem Text zufolge mit einem Universitätsprofessor verheiratet und hat selbst einen Hochschulabschluss. Sie erscheint selbstbewusst in ihrem Auftreten, bringt ihre eigene politische Meinung ein und ist beliebt bei den Journalist_innen – offensichtlich v.a. aufgrund ihres Aussehens. Sie ist ebenfalls die einzige der insgesamt drei präsentierten Frauen, deren Meinung (wenn auch nur in einem Satz) wörtlich wiedergegeben wird: »›Da machen wir keine Kompromisse‹, sagt Fatima Gailani, die am Muslimischen College in London islamisches Recht studiert hat. Eine islamische Verfassung, die von allen Delegationen befürwortet wird, schließe Frauenrechte nicht aus, sagt sie.« (Ebd.)
Die Art der Darstellung konstruiert jedoch eine grundlegende Differenz zwischen Gailani und dem Rest der afghanischen Frauen, denn wie im Text betont wird, stellten ›Frauen wie Gailani‹ in Afghanistan jetzt und auch in Zukunft eine ›Minderheit‹ dar. Wie der Vergleich mit den eleganten Römerinnen des modernen europäischen Films zum Ausdruck bringt, wird die Aktantin Gailani stattdessen einem westlicheuropäischen Weiblichkeitsbild zugerechnet, das wie das erste Zitat ebenfalls deutlich macht, von der allgemeinen Vorstellung von ›Frauen aus einem islamischen Land‹ grundsätzlich abweicht. Während sich die Darstellung Gailanis am Ideal der westlichen, modernen Frau orientiert, wird Amena Afzely, die Vertreterin der Nordallianz, als ›typische Afghanin‹ – und Gegenpart zu Gailani präsentiert: »›Vielleicht ist es gut eine Amena dabeizuhaben‹, sagt Rina Amiri, Dozentin an der HarvardUniversität. ›Amena Afzely repräsentiert eine bestimmte Art zu sein. Wenn man aus allen afghanischen Frauen eine Fatima Gailani machen wollte, müsste man mit einer Gegenreaktion der Fundamentalisten rechnen.« (Ebd.)
Die polare Gegenüberstellung von ›westlich-moderner‹ und ›afghanischer Frau‹ wird dabei weniger über die möglicherweise verschiedenen politischen Ansichten der Frauen vollzogen, sondern wird primär über Verweise auf ein unterschiedliches Äußeres (Kopftuch versus Make-up) erzeugt. Der Verweis auf Schminke und Glamour (Gailani) assoziiert dabei das Bild der modernen, westlichen Frau als unverschleiert, freizügig und sexuell attraktiv (das wiederum von den ›Fundamentalisten‹ abgelehnt wird), wohingegen die verschleierte afghanische Frau (Afzely) als zurückhaltend sowie als eher unattraktiv und asexuell präsentiert wird: »Die offizielle Konferenzteilnehmerin der Nordallianz, Amena Afzely, hat ihr Kopftuch fest unter dem Kinn verknotet. Sie wolle sich für Frauenrechte einsetzen, sagt sie, viel mehr nicht. Die Männer aus der Nordallianz-Delegation haben offenbar beschlossen, daß dieser Eindruck nicht vorteilhaft sei. Sie solle sich jetzt auch öfter in der Hotellobby zeigen, sagt ein in Deutschland lebender Cousin des Innenministers Qanuni. ›Da kommt diese Frau mit dickem Make-up und macht sich wichtig‹, sagt er und meint die glamourös wirkende Fatima Gailani.
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN Diese Frauen wüßten doch gar nichts über die Zustände in Afghanistan und über die Wünsche der Frauen dort. […] Fatima Gailani war das letzte Mal 1992 zu einem Kurzbesuch in ihrer Heimat.« (Ebd.)
Afzely – und nicht Gailani – wird zudem als ›authentische‹ Stimme und damit legitime Vertreterin der afghanischen Frauen wahrgenommen. Wie die Berichterstattung nahelegt, ist sie jedoch offenbar nicht in der Lage, ihre politischen Einschätzungen selbst zu äußern, und lässt es an Selbstbewusstsein und unabhängigem Auftreten mangeln. Zudem scheint sich die Aktantin Afzely den westlich kodierten Vorstellungen von weiblicher Sichtbarkeit/Präsenz und Schönheit zu entziehen – was insgesamt (von einem in Deutschland lebenden Mann) als ›nicht vorteilhaft‹ beurteilt wird. Die Darstellung rekurriert hier indirekt auf das Stereotyp der ›islamischen Frau‹ als patriarchal unterdrückt und unemanzipiert, was sich bereits in der Erwähnung des traditionell getragenen Kopftuches im ersten Satz andeutet. Auffällig an der Darstellung ist zudem, dass nicht die Frauen selbst, sondern Männer entscheiden, welche politische Meinung jene wann vertreten sollen und welches Auftreten oder welche Strategien dafür sinnvoll erscheint. Die Darstellung der afghanischen Männer als der eigentlichen Handlungsträger, die auf dem Petersberg nicht nur über politische Fragen, sondern insbesondere über ›ihre‹ Frauen entscheiden, knüpft damit ebenfalls an das Bild des ›islamischen Patriarchats‹ an. Die dritte in dem Artikel porträtierte Teilnehmerin der Afghanistan-Konferenz bewegt sich zwischen den beiden anderen Frauentypen: »In einer Ecke des Foyers steht auch eine kleine Frau mit Kopftuch, das sie zu einem steif wirkenden westlichen Kostüm trägt. Sie ist von einer Gruppe mongolisch aussehender Männer umgeben und erweckt den Eindruck eines Menschen, dem man sich besser vorsichtig nähert. ›Ich bin die Vertreterin der Hazara-Frauen‹, sagt sie und wendet den Blick zur Seite, während ein Landsmann übersetzt. Damit ist sie die ideale Teilnehmerin, da sie gleich mehreren Minderheiten angehört: zur kleinen Gruppe der Frauen, der in Afghanistan am meisten diskriminierten Volksgruppe der Hazara und den Schiiten. […] Erst auf Nachfrage sagt Anisa Ahmadi, daß sie der Delegation der Nordallianz als Beraterin des Abgeordneten Natiqi zugeordnet sei. […] Obwohl die Ärztin schon 1992 mit ihrem Schwager und drei Neffen nach Hannover kam, spricht sie weder Deutsch noch Englisch – die umstehenden Männer müssen übersetzen, was sie über die Hazara sagt. […] Am Abend nach ihrem zaghaften Auftritt saß Anisa Ahmadi auf einer Couch in der Nähe der Hotelbar. Die Männer neben ihr unterhielten sich und schienen sie dabei schon wieder vergessen zu haben.« (Ebd.)
Die Darstellung ihres Kleidungsstils greift sowohl ›islamische‹ als auch ›westliche‹ Kleiderordnungen auf: Ahmadi kombiniert ein »Kopftuch« mit einem »westlichen Kostüm«. Die Erwähnung, dass dieses »steif« wirke, lässt jedoch den Eindruck entstehen, dass sie sich in ihrer Rolle als politische Akteurin unsicher fühlt und sich in der Welt westlicher Kleidungsstile oder aber der großen Politik (noch) nicht zurechtfindet. Die hier beschriebene Frau wirkt im Vergleich mit Gailani weniger modern und westlich. Sie ist klein und zaghaft, steht in einer Ecke – nicht im Mittelpunkt des Interesses wie Gailani –, kann sich offenbar kaum durchsetzen und erscheint wenig selbstbewusst, denn sie wird von den Männern, die sie begleiten, ignoriert und scheint zugleich von ihnen abhängig. Sie spricht nur das Nötigste und nur, wenn sie gefragt wird. Obwohl sie Ärztin ist und schon seit neun Jahren in Hannover lebt, hat
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sie weder Deutsch noch Englisch gelernt, wird mit leicht vorwurfsvollem Unterton bemerkt. Hier wird das Bild der ›nicht-integrationswilligen Ausländer_innen‹, das den deutschen Diskurs über Migration durchzieht, angedeutet. Es klingt das bekannte Klischee zweier Welten an, zwischen denen sich Migrant_innen angeblich häufig bewegen, wobei diese Frau in der ›westlichen Welt‹ offenbar nicht richtig angekommen ist bzw. nicht ankommen möchte. Auch der Hinweis, die von ›mongolisch aussehenden Männern‹ umringte Ahmadi sei ein Mensch, dem man sich besser vorsichtig nähere, knüpft an ein Wissen über die ›Anderen‹ als fremd und gefährlich an.
Ministerin der neuen Regierung Wenden wir uns nun der Repräsentation der beiden Ministerinnen der neuen afghanischen Übergangsregierung zu, die auf dem Petersberg installiert wurde. Während sie im Spiegel gar keine Erwähnung finden, stellt die FAZ sie folgendermaßen vor: »Zwei Frauen sind in der neuen Regierung, zwei Ärztinnen. Suhaila Sediqqi wurde Gesundheitsministerin, Sima Samar übernahm das Frauenministerium und ist eine von fünf Stellvertretern Karzais. Beide kämpften sie gegen die Entrechtung der Frauen, die eine vom pakistanischen Exil aus, die andere sogar in Kabul, wo sie bis zum Schluß im Militärkrankenhaus die einzige zugelassene Ärztin des Landes war.« (FAZ 24.12.01: 3)
Insbesondere die Nennung der Namen ist von Bedeutung: Sie durchbricht die Anonymität, die bislang für die Konstruktion der ›afghanischen Frau‹ kennzeichnend war, und verleiht ihr Individualität und Subjektstatus. Auch die Hervorhebung des Berufsstands (Ärztinnen) und die Besetzung öffentlicher Führungspositionen, die in einem früheren Artikel erwähnt werden – Samar etwa ist Gründerin eines Krankenhauses und Vorsitzende einer NGO (FAZ 6.12.01: 2) – unterscheidet die Darstellung der Ministerinnen von den bisher aufgezeigten Bildern bezüglich der afghanischen Frau. Bemerkenswert ist, dass sogar auf den sonst üblichen Bezug auf Kleidung und Verschleierung verzichtet wird. Das Bild der entrechteten und unterdrückten, durch Passivität und Emotionalität gekennzeichneten Afghanin wird dadurch brüchig – jedoch nicht obsolet, denn auch die beiden Ministerinnen werden als ehemalige Opfer der Taliban beschrieben: Während die eine ins Exil gehen musste, war die andere als letzte amtierende Ärztin Afghanistans permanent gefährdet, entlassen oder mit härteren Sanktionen belegt zu werden. Die beiden Ministerinnen werden durchgängig als tatkräftige, mutige und (frauen-)politische Aktivistinnen präsentiert, die unter Einsatz ihres Lebens bis zum Schluss gegen die Entrechtung der Frauen durch die Taliban kämpften. Damit stimmt die mediale Konstruktion der beiden Ministerinnen wie auch die der Petersberg-Delegierten Fatima Gailani in vielen Zügen mit westlichen (idealisierten) Vorstellungen von Weiblichkeit überein: Präsentiert werden zwei emanzipierte Frauen, die wissen, was sie wollen, die in Beruf und Karriere erfolgreich sind und mit Engagement und Entschlossenheit ihre Ziele verfolgen. Privater Kontext, Familie oder die Rolle als Mutter finden keine Erwähnung, sondern die Politikerinnen werden mehr noch als die weiblichen Delegierten in ihrer öffentlichen Funktion gezeigt. Die zugeschriebenen Eigenschaften und Tätigkeitsbereiche – die Ressorts Frauen und Gesundheit sind (in Deutschland) traditionell von Frauen besetzt und entsprechend auch weiblich konnotiert – rücken die Figur der afghanischen Ministerin deutlich in die Nähe der ›westlichen Politikerin‹.
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Insgesamt bleibt es jedoch auch in der FAZ bei den zitierten kurzen Erwähnungen. Weiterführende Informationen zu ihnen als Person, ihren politischen Zielsetzungen oder dem Beginn ihrer Amtszeit bleiben aus. So wird die ›Ministerin‹ zwar im öffentlichen Raum der Politik angesiedelt und stellt somit eine Ausnahme vom stereotypen Bild der viktimisierten passiven Afghanin dar. Als politisches Subjekt, welches spricht, handelt und Entscheidungen trifft, tritt auch sie jedoch nur eingeschränkt in Erscheinung und bleibt schon in quantitativer Hinsicht innerhalb der Berichterstattung marginal und zudem nur temporär interessant.
RAWA-Widerstandskämpferin Neben der Petersberg-Delegierten und Ministerin gibt es noch eine weitere Figur, die dem Bild der passiv-machtlosen Afghanin zuwiderläuft: die Widerstandskämpferin und Aktivistin von der 1977 gegründeten Frauenrechtsorganisation RAWA, die aus dem Untergrund und dem pakistanischen Exil auch unter der Taliban-Herrschaft heimlich medizinische Versorgung, Ausbildung und Unterricht für Frauen und Mädchen in Afghanistan organisierte (vgl. www.rawa.org). Diese Figur bleibt innerhalb der Gesamtberichterstattung jedoch eine Randerscheinung. In der FAZ findet sich im gesamten Untersuchungszeitraum lediglich ein Artikel, der auf die RAWA und ihre politische Arbeit Bezug nimmt (11.12.01: 6), an drei weiteren Stellen wird darüber hinaus kurz auf ihre Existenz hingewiesen (24.11.01: 5; 27.11.01: 2; 29.11.01: 4). Im Spiegel ist es im gleichen Zeitraum ebenfalls ein einziger Artikel, der über die Tätigkeiten der RAWA und einzelner Aktivistinnen, die auch selbst zu Wort kommen, berichtet – jedoch eingebettet in eine Reportage, die sich primär mit der Situation in den pakistanischen Flüchtlingslagern beschäftigt (42/2001: 178ff). In den wenigen Diskursfragmenten werden die Mitglieder von RAWA durchgängig als mutige Aktivistinnen präsentiert, die unter Einsatz ihres Lebens den Widerstand gegen die Taliban und ihre Sympathisanten organisierten und organisieren: »Frauen wie die 22-jährige Refa, politische Sprecherin der Rawa, kennen zwar nur die jüngste Schreckenszeit unter den Taliban. Aber sie sind bereit, für eine bessere Zukunft ihr Leben zu riskieren.« (Spiegel 42/2001: 180) »Ein Gegenpol zu einer Frau wie Amena Afzely dürften die Kämpferinnen der ›Revolutionary Association of the Women in Afghanistan‹ (Rawa) sein, der im Ausland wohl bekanntesten, weil militantesten afghanischen Frauenbewegung. Die Vereinigung hat sogar eine Märtyrerin – eine Frau namens Meena, die 1987 in Quetta ermordet wurde, manche sagen vom KGB, manche sagen, von den Anhängern des fundamentalistischen Mudschahedinführers Hekmatyar.« (FAZ 24.11.01: 5)
Wie die Textstellen zeigen, wird die ›RAWA-Frau‹ nicht nur als aktiv Handelnde, sondern als explizit kämpferisch, tapfer und gewaltbereit dargestellt. Als ›militant‹, ›revolutionär‹ oder gar ›kommunistisch‹ charakterisiert wird die ›RAWA-Aktivistin‹ dem vorherrschenden Bild der passiven und friedfertigen Afghanin, die ihr Schicksal demütig und leidend erträgt, kaum noch gerecht. Dass die ›Kämpferinnen‹ sogar bereit seien, ihr Leben für das Gemeinwohl und eine bessere Zukunft aufs Spiel zu setzen und zudem bereits eine ›Märtyrerin‹ im Kampf verloren hätten, evoziert das Bild weiblicher Heldinnen. Dabei werden die RAWA-Frauen als ernst zu nehmende und gefährliche Gegner der Taliban eingeschätzt: »Die Taliban zählten Rawa zu ihren schlimmsten Feinden« (FAZ 11.12.01: 6). Die Darstellung knüpft zudem an die im
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westlichen Diskurs zumeist positiv besetzte Figur der weiblichen Freiheits- und Widerstandskämpferin an, wie sie z.B. durch Jeanne d’Arc prominent verkörpert wird. Wenngleich die Figur der Kämpferin dem vorherrschenden Deutungsmuster der afghanischen Frau als Opfer diametral entgegensteht, wird es nicht völlig verworfen. Auch die ›RAWA-Kämpferin‹ wird als permanent gefährdet und potentielles Opfer religiöser Fanatiker präsentiert. Der in beiden untersuchten Medien zu findende Hinweis, dass die Gründerin der RAWA von ihren politischen Gegnern erschossen wurde, bekräftigt, dass die Frauen unter ständiger Lebensgefahr agieren. Auch nach dem Ende der Taliban-Herrschaft würden die Angehörigen der RAWA als »Prostituierte« diskriminiert und als »Ungläubige« verfolgt, denen man unterstellt, die islamische Gesellschaft moralisch korrumpieren zu wollen (Spiegel 42/2001: 180 und FAZ 11.12.01: 6). Funktionsträgerinnen der RAWA würden deshalb zum eigenen Schutz weiterhin nur unter Pseudonym auftreten und es vermeiden, fotografiert zu werden (FAZ 11.12.01: 6). Während die FAZ die kämpferische Seite der RAWA betont, werden im Spiegel mehr die fürsorgenden und emotionalen Eigenschaften (Betreuung der Flüchtlinge in den Lagern, Sorge um das Gemeinwohl, erlittenes Leid) herausgestellt (z.B. 42/2001: 178ff), so dass die ›RAWA-Aktivistin‹ den klassischen Weiblichkeitsvorstellungen von Friedfertigkeit und Emotionalität eher verbunden bleibt, als dass sie mit ihnen bricht. Auch werden die Tätigkeiten der RAWA insgesamt mehr als soziales Engagement denn als politisches dargestellt. Die Verknüpfung mit dem Diskursstrang ›Menschenrechte und Demokratie‹ sowie der Rekurs auf Kleidung bzw. Verschleierung knüpfen zudem an die gängigen Darstellungskonventionen bezüglich der ›afghanischen Frau‹ an: »Abida Mansur, 40, ist alt genug für das ganze Leid. Sie steht, mit einem weißen Kopftuch, im Hof der kleinen Schule von Charat. 450 Schüler betreut sie – ›und Schülerinnen‹, wie sie stolz betont, denn das ist keine Selbstverständlichkeit. […] Abida Mansur ist den Widerstand gewohnt. Schon zu Zeiten der Sowjets hat sie für den 1977 von der Afghanin Meena gegründeten ›Revolutionären Frauenbund Afghanistans‹ (Rawa) im Untergrund gearbeitet – für Menschenrechte und Demokratie. Später, als die sowjetische Unterdrückung durch den religiösen Gesinnungsterror der Taliban ersetzt wurde, wollte sie nur noch, dass Frauen auch als Menschen anerkannt werden. Rhythmischer Singsang dringt aus den kahlen Klassenzimmern auf den Hof; im Chor konjugieren Schülerinnen Verben. Für Abida klingt das wie ein Sieg.« (Ebd.: 178)
Außerdem wird die kämpferische ›RAWA-Frau‹ durch die übergeordnete Rahmung erneut als Ausnahme konzipiert, die sich vom Gros der afghanischen Frauen unterscheide. So grenzt die FAZ die Kämpferinnen der RAWA explizit von der PetersbergDelegierten der Nordallianz, Amena Afzely, ab, zu der sie einen ›Gegenpol‹ bilden würde. Es kommt zur Konstruktion einer grundlegenden Differenz zwischen der ›RAWA-Frau‹ und der ›normalen Afghanin‹: »Am Freitag kursierten unter den Exilafghanen aufgeregte Gerüchte, nach denen eine Vertreterin dieser kommunistischen Gruppierung nach Bonn kommen sollte. Allerdings stellte sich später heraus, daß die Rawa-Vertreterin, die unter dem Namen Shahla bekannt ist, erst an der Anschlußkonferenz für die zivilen Gruppen ab Mitte nächster Woche teilnehmen wird, nicht jedoch an den vorangehenden Verhandlungen der Kriegsparteien. Für eine größere Zahl von Afghaninnen dürften die weniger revolutionären, aber ebenfalls verdienten Frauen-
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN vertreterinnen sprechen, die der Delegation des Exilkönigs Zahir Schah bei der offiziellen Konferenz angehören werden.« (24.11.01: 5)
Obwohl das politische Engagement der RAWA zuvor ausgiebig gewürdigt wurde, werden die RAWA-Frauen im Rahmen der politischen Entscheidungsprozesse nicht als adäquate Repräsentantinnen der afghanischen Frauen wahrgenommen. Dass letztendlich keine Vertreterin der RAWA an den Verhandlungen auf dem Petersberg teilnimmt, scheint keinerlei Irritationen auszulösen und wird außer an dieser Stelle nirgends thematisiert oder gar hinterfragt. Wie es sich mit der erwähnten Tagung der zivilen Gruppen verhält, bleibt ebenso unklar – auch dieses Thema wird nicht wieder aufgegriffen. Auch in der Darstellung des Spiegels wird die in den Flüchtlingslagern sozial engagierte ›RAWA-Frau‹ eher als Ausnahme präsentiert, denn nur ein kleiner Teil der Frauen würden sich sozial und politisch engagieren: »Das afghanische Flüchtlingselend konzentriert sich in Lagern jenseits der Grenze. […] Am ärgsten traf es die Frauen – manche organisieren und wehren sich nun.« (42/2001: 178)
Neben der Gruppe RAWA gibt es im gesamten Untersuchungszeitraum lediglich zwei weitere Textstellen, an denen politisch engagierte Afghaninnen zu Wort kommen: die bereits oben erwähnte »mutige« und »selbstbewusste Frauenrechtlerin Soraya« (48/2001: 180), die im Spiegel als eine Anführerin der neuen – aus westlicher Sicht ›verspäteten‹ – afghanischen Frauenbewegung präsentiert wird, sowie »Sina Karramsadeh« und die »Frauen aus Herat« in der FAZ (29.12.01: 4), auf die ich nun noch eingehen werde. Der Artikel »Die Gedanken konnten sie nicht bezwingen. In Herat trotzten viele Frauen den Taliban« (ebd.) erzählt die Geschichte weiblichen Widerstandes unter den Taliban: »Die Frauen von Herat ließen sich ihre Rechte nicht kampflos nehmen. Im Oktober 1996 protestierten mehr als 100 Frauen vor dem Gouverneurspalast gegen die Schließung der Badehäuser. Die Religionspolizei der Taliban ging erbarmungslos vor, schlug und verhaftete die Demonstrantinnen. Dem Schulverbot für Mädchen leisteten die gebildeten Frauen von Herat heimlich Widerstand und organisierten in Privathäusern Unterricht.« (Ebd.)
Als Beispiel für das fortwährende politische Engagement der ›Frauen von Herat‹, insbesondere in der nun angebrochenen Post-Taliban-Ära, wählt der Artikel die 22-jährige Sina Karramsadeh. Der Artikel beginnt mit den Worten: »Sie ist klein und trägt ein helles Kopftuch, das ihren wachen, dunklen Augen noch mehr Ausdruck verleiht. Beim Sprechen reden ihre zarten Hände energisch mit. Sie sitzt aufrecht, bisweilen rutscht sie bis auf die Stuhlkante vor. Sie redet so schnell, daß kaum die Zeit bleibt, Fragen zu stellen. ›Wir haben so lange geschwiegen, daß uns das Herz überquillt‹, sagt sie. Sina Karramsadeh ist so alt wie der Krieg in Afghanistan: 22 Jahre.« (Ebd.)
Der Artikel lässt ›Sina‹, die nach ihrer Vorstellung nur noch mit Vornamen genannt wird, jung, naiv und unsicher erscheinen und infantilisiert sie auf diese Weise. Auch der Bezug auf ihr Äußeres unterstreicht das Bild jugendlicher Schönheit und Zart-
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heit, wobei der obligatorische Verweis auf den Schleier – gleich im ersten Satz – nicht fehlen darf. Dass sie auf ihrem Stuhl herumrutscht, das schnelle Reden, die gestikulierenden Hände sowie die Formulierung, dass ihr ›das Herz überquillt‹, zielen auf ihre Gemütslage und weisen sie als sehr emotional aus. Wiederholte Hinweise auf Vater, Schwestern sowie Heiratsabsichten siedeln ›Sina‹ zudem in einem familiären und privaten Kontext an: »Sina hat als einzige von neun Geschwistern noch keine Familie gegründet. Sogar ihre jüngere Schwester ist schon verheiratet. Aber Sina möchte nicht heiraten, solange sie sich ihren Ehemann nicht selbst aussuchen darf.« (Ebd.)
Zwar wird auch Karramsadeh einige Male wörtlich zitiert, die meiste Zeit wird jedoch über sie gesprochen, d.h., grammatikalisch überwiegt die indirekte Rede: »Sina würde sich selbst nicht als Feministin bezeichnen, das ist ein westlicher Begriff, der in islamischen Ländern einen negativen, geradezu unsittlichen Beigeschmack hat. Aber sie setzt sich offen dafür ein, daß jetzt, nach der Vertreibung der Taliban, alles anders werden muß. In einer Versammlung mit Ismail Khan, dem neuen Gouverneur von Herat, stand sie als einzige Frau auf, ergriff das Wort und forderte, daß Männer und Frauen künftig gleiche Rechte haben sollten.« (Ebd.)
Ingesamt lässt die Darstellung hier eine selbstbewusste, politisch engagierte Frau erkennen, die zugleich als sehr jung und unerfahren präsentiert wird. Die Repräsentation rückt die ›afghanische Frau‹ zwar in die Nähe der ›westlichen Feministin‹, jedoch scheint die FAZ betonen zu wollen, dass die afghanische Frauenbewegung noch ›in den Kinderschuhen‹ steckt.
6.9 Analyse: Die Repräsentation der ›afghanischen Frau‹ — Opfer, Symbol und Kriegsargument Anhand der Analyse des empirischen Materials konnte gezeigt werden, dass die ›afghanische Frau‹ entlang tradierter Weiblichkeitsstereotype dargestellt wird. Zuschreibungen von Passivität, Leidensfähigkeit/Duldsamkeit, Unterdrückung, Schutzbedürftigkeit und Emotionalität dominieren. Zudem wird sie überwiegend in einem häuslich-privaten und familiären Kontext gesehen (als Kriegswitwe, Flüchtlingsmutter, im Haus oder unter der Burka Gefangene). Am vordergründigsten ist jedoch die durchgängige Viktimisierung der ›afghanischen Frau‹, die sie primär auf die Rolle des Opfers – von Kriegsgewalt ebenso wie von männlicher, teils sexualisierter Gewalt – festschreibt. Problematisch ist dabei nicht, dass über Gewalt gegen Frauen bzw. Frauen als Opfer von Gewalt berichtet wird, sondern wie und mit welcher Funktion. Kathrin Franke (2007), die das Narrativ der ›Massenvergewaltigungen‹ im Jugoslawienkrieg untersucht hat, beschreibt das Dilemma, das sich daraus für die Kriegsberichterstattung und die Thematisierung des Leidens von Frauen generell ergibt, folgendermaßen: »Die Rede vom Opfer wird immer dann problematisch, wenn mit der Verwendung des Begriffs impliziert wird, dass Frauen ihrer Natur nach hilflos sind und deshalb Opfer von Gewalt werden. Letztlich ist nicht die konkrete Benennung eines Opfers von Gewalt problematisch,
IV. D IE H AUPTAK TEURE IM S PIEGEL DER M EDIEN sondern die verallgemeinerte Verwendung des Opferbegriffs, der allen Frauen eine Opferidentität unterstellt« (ebd.: 111).
Die Konstruktion der ›afghanischen Frau‹ folgt damit zunächst den klassischen Vorstellungen von Weiblichkeit, wie sie im abendländischen Diskurs zentral waren und zum Teil nach wie vor sind: leidend, machtlos, unpolitisch, passiv, verletzungsoffen; darüber hinaus über äußere Attribute wie Schönheit und sexuelle Attraktivität definiert und mit der Sphäre des Privaten assoziiert. Die Repräsentation der afghanischen Frauen entspricht damit in weiten Teilen der Schönen Seele, die Mordt (2002) im Anschluss an Elshtain als eine zentrale weibliche Subjektposition bestimmt hat, die im Kontext von Krieg und Sicherheitspolitik traditionell zur Verfügung stehen. Die Schöne Seele steht paradigmatisch für Frieden und Friedfertigkeit und symbolisiert weibliche Unschuld, Kriegsferne und Leidensfähigkeit (vgl. Kap. I.1.2.2.). Darüber hinaus ist die Repräsentation der afghanischen Frau jedoch konstant mit dem Diskursstrang ›Islam‹ bzw. dem ›islamistischen‹ und frauenfeindlichen Regime der Taliban verknüpft, so dass die ›Afghanin‹ als spezifisch ›islamische Frau‹ und damit als ›Andere‹ des Westens sichtbar gemacht wird. Diese Perspektive wirkt zugleich hierarchisierend, insbesondere wenn orientalistische Stereotype in die Opferkonstruktionen eingebunden werden. Effekt dieser Darstellungsmuster ist die Konstituierung einer grundlegenden Differenz zwischen ›islamischer‹ und ›westlicher Frau‹, auf die ich weiter unten zu sprechen komme. Durch den permanenten Verweis auf den fundamentalistischen Islam der Taliban wird die ›afghanische Frau‹ wie auch die Figur des Terroristen in die neoorientalistischen Freund-Feind-Konstruktionen eingebettet, in der ›der Islam‹ ›dem Westen‹ als fremde und bedrohliche Welt gegenübersteht. Wie ich bereits ausgeführt habe, stellt ›Frauenfeindlichkeit‹ ein zentrales Merkmal des neuen Feindbildes ›Islam‹ dar, das zudem wesentlich zur Dämonisierung des Feindes, insbesondere der Taliban, beiträgt. Im Gegensatz zum ›Terroristen‹ rückt die ›afghanische Frau‹ jedoch näher an das Freundbild heran, da sie über weite Strecken selbst als Opfer des Feindes präsentiert wird. Zudem weist das Bild der afghanischen Frau keine (direkten) feindlichen oder gefährlichen Zuschreibungen auf, statt Furcht und Abscheu überwiegt in den untersuchten Medien ein paternalistischer Mitleidsgestus. Die Analyse zeigt, dass die visuelle und textliche Repräsentation von Frauen in den Medien nicht zwangsläufig eine Berichterstattung über Frauen und ihre Interessen bedeutet. Die afghanische Frau wird nicht als Individuum wahrgenommen, sondern vielmehr als Symbol. Wie ich argumentiert habe, setzt auch die Thematisierung von Gewalt gegen Frauen bzw. die medial herausgestellte Empörung über die Missachtung von Frauenrechten durch die Taliban sowie die zum Beweis einer neuen Ordnung gezeigten ›befreiten‹ und ›entschleierten‹ Frauen nicht unbedingt ein wirkliches Interesse an den Belangen der afghanischen Frauen, ihrer Lebensrealität und ihren Handlungsoptionen sowie an der nachhaltigen Umsetzung der Forderung nach Frauenrechten voraus. Dafür spricht schon das selektive Auftauchen des Themas: Die ›afghanische Frau‹ und der Verweis auf ›Frauenrechte‹ stehen dann auf der Agenda, wenn es um die vermeintliche Brutalität und Frauenfeindlichkeit des Gegners bzw. des Islams im Allgemeinen, das Ende der Talibanherrschaft sowie die Motive und Gründe der deutschen Außenpolitik geht. Die ›afghanische Frau‹ verkörpert dabei als Allegorie die Nation und symbolisiert die Unterjochung der afghanischen Zivilbevölkerung
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durch die Taliban, später dann die ›Befreiung‹ Afghanistans und den Beginn einer neuen, demokratischen Ordnung. Des Weiteren fällt die weitgehende Ignoranz gegenüber afghanischen Frauen als aktiv und politisch Handelnde und damit als Akteurinnen und Subjekte des Geschehens ins Auge. Als eigenständig denkende und agierende Person scheinen diese nicht gefragt zu sein, stattdessen überwiegt eine homogenisierende Perspektive, die die ›afghanische Frau‹ primär auf die Rolle des hilflos ausgelieferten Opfers – der Taliban, des Islams oder des Krieges – reduziert. Afghanische Frauen treten zumeist als anonyme Masse in Erscheinung, womit ihnen ein Subjektstatus versagt bleibt. Dass eine afghanische Frau als Individuum, mit (vollem) Namen, Beruf und eigenen Ansichten vorgestellt wird, bleibt im Kontext der gesamten Berichterstattung eine Randerscheinung. Häufig wird gar kein Name, oder aber nur der Vorname genannt. Wo afghanische Frauen überhaupt als politische Subjekte zur Kenntnis genommen werden, werden sie häufig als – wenn auch vorbildliche – Ausnahme kontextualisiert, wodurch wiederum die Konstruktion der Mehrheit der Afghaninnen als passive und hilflose Opfer unangetastet bleibt bzw. noch verstärkt wird. Zudem erhalten afghanische Frauen in den Medien nur selten eine eigene Stimme bzw. können sich selbst z.B. als Interviewpartnerinnen und Expertinnen äußern. Sie werden nur selten zu ihren politischen Ansichten direkt befragt, auch werden ihre spezifischen Interessen, Erfahrungen und Einschätzung in der Berichterstattung kaum berücksichtigt. So wurden z.B. die Warnungen vor den in der Nordallianz zusammengeschlossenen früheren Machthabern weitestgehend ignoriert und diese stattdessen (im Spiegel) als Helden und Befreier gefeiert. Auch wird zwar mehrfach herausgestellt, dass sich afghanische Frauen ›für mehr Frauenrechte‹ einsetzen wollten, aber was sie darunter genau verstehen, wie sie sich die Umsetzung vorstellen, was ihre zentralen Ziele sind etc., ist für die Medien nicht von Bedeutung. Es bleibt bei der pauschalen Aussage, dass sie Frauenrechte wollen. Obwohl in FAZ und Spiegel häufig von der notwendigen Implementierung von Frauenrechten in Afghanistan zu lesen ist, wird der afghanischen Frau die Möglichkeit zur Selbstdefinition der Frauenrechte genommen. Die patriarchale Verbannung der Frau aus der afghanischen Öffentlichkeit wiederholt sich somit im medialen Sprechen über die afghanische Frau, in der ihr abermals Handlungsmacht und eigene Stimme abgesprochen werden. An den wenigen Stellen, wo die ›afghanische Frau‹ überhaupt als (zukünftige) Handlungsträgerin und politisches Subjekt wahrgenommen wird, wird sie zudem in spezifische, traditionell weiblich konnotierte Bereiche und Tätigkeitsfeldern gedrängt. So wird ihr eine besondere Verantwortung bei der Friedensschaffung und Neuordnung des Landes zugesprochen und mit – ebenfalls traditionell weiblich konnotierten – Werten und Prinzipien wie Frieden und Demokratie assoziiert. Die selektive Thematisierung bzw. die Unsichtbarmachung der ›afghanischen Frau‹ als politische Handlungsträgerin steht wiederum in einem auffälligen Missverhältnis zu der visuellen Darstellung, die Frauen gezielt herausstellt. Dabei werden die Fotos zum Argumentationsersatz, da sie häufig ohne direkten Bezug zum Text stehen – ein weiterer Beleg für den symbolischen Charakter der Darstellung. So wurde z.B. nicht nur die ›Befreiung‹ Afghanistans, sondern auch das Thema ›Widerstand‹ gegen die Taliban-Herrschaft primär anhand von Frauen wie z.B. der Figur der RAWAKämpferin vorgeführt, was suggeriert, dass es auf männlicher Seite kein widerständiges Denken und Handeln gegeben hätte. Dass das mediale Interesse an der Situation der afghanischen Frau genauso schnell wieder abebbte, wie es aufgekommen war,
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kann als weiterer Beleg für die Oberflächlichkeit und Doppelmoral der Darstellung interpretiert werden. Kaum jemand scheint sich nach Ende des Afghanistankrieges noch für die Umsetzung der zuvor proklamierten Frauenrechte zu interessieren. In diesem Maße an der Oberfläche verbleibend, kann der Verweis auf das (weiblich gedachte) Opfer im Sinne der Kriegsmobilisierung und -legitimierung funktionalisiert werden. So wurde die dominierende Repräsentation der afghanischen Frau als Opfer ›barbarischer‹ Frauenfeinde eben auch und gerade als Indiz für die Brutalität und zivilisatorische Rückständigkeit des Feindes wahrgenommen und als Kriegsargument bedeutsam gemacht. Der stete Verweis auf das (feminisierte) Opfer evoziert nicht nur das Bild des männlichen Täters, sondern verlangt implizit nach einem – traditionell ebenfalls männlich gedachten – heldenhaften ›Retter‹ und ›Beschützer‹, einem Just Warrior, der für das Wohlergehen der Frauen Sorge trägt und für ihren Schutz eintritt. Wahlweise wurden damit die Soldaten der Internationalen Gemeinschaft oder die deutsche Diplomatie als ›Retter‹ und ›Befreier‹ der afghanischen Frau auf den Plan gerufen. In diesem Sinne konnte das Sprechen über die ›afghanische Frau‹ bzw. die Skandalisierung patriarchaler Gewalt gegen Frauen zur Rechtfertigung und Begründung des eigenen Vorgehens nutzbar gemacht werden. Im Folgenden werde ich die wesentlichen Konstruktionsmodi der ›afghanischen Frau‹ zusammenfassen und im Hinblick auf ihre Funktionalität bzw. Instrumentalisierbarkeit diskutieren: Erstens folgt die Viktimisierung der ›afghanischen Frau‹ tradierten abendländischen Vorstellungen leidender und bedrohter Weiblichkeit, die wiederum in einer Allegorisierung der Nation münden. Zweitens gehorcht die viktimisierende Repräsentation der Afghanin ebenso den neo-orientalistischen Konstruktionsregeln von ›Andersheit‹ und (re-)produziert das stereotype Bild der muslimischen Frau als Opfer des Patriarchats. Drittens kommen in der Konzentration auf die ›entschleierte Afghanin‹ – als Allegorie des ›befreiten Afghanistans‹ – (neo-) kolonialistische Logiken zum Tragen und wird eine vermeintlich grundlegende Differenz zwischen ›islamischer‹ und ›westlicher Frau‹ zementiert.
6.9.1 Viktimisierung I: Opfer von Männer-Gewalt und Krieg — Leidende Weiblichkeit und ›FrauenundMädchen‹ Visuelle Repräsentationen von Frauen (und Kindern) als Bedrohte und Opfer von Gewalt und Krieg verfügen über eine lange Tradition und sind spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts im westlichen Bildgedächtnis fest verankert (vgl. dazu ausführlich Wenk 2005a; 2008). Sie gehören zu den bekannten und bewährten Bildmustern, auf die in der Kriegsberichterstattung – geradezu reflexartig – zurückgegriffen wird. Zahlreiche Untersuchungen belegen, dass die Rolle des Opfers in der Kriegsberichterstattung auch in aktuellen Kriegs- und Konfliktszenarien zumeist weiblich besetzt ist und dass dies nicht nur für visuelle Bilder wie z.B. Pressefotos, sondern auch für die in den Texten gezeichneten sprachlichen Bilder gilt (vgl. z.B. Nachtigall 2011; Bewernitz 2010; Kassel 2002; Kirchner et al. 2002; Pater 1993; Fröhlich 2002): Frauen, häufig in Verbindung mit kleinen Kindern, verkörpern demnach geradezu prototypisch die ›unschuldigen‹ und zivilen Opfer eines Krieges und werden besonders häufig und zudem sehr eindringlich und an prominenter Stelle genannt und/ oder visuell in Szene gesetzt. Es verwundert deshalb nicht, dass auch in der Berichterstattung über den Afghanistankrieg ›FrauenundKinder‹ in ihrer ›Paraderolle‹ als Kriegsopfer im Vordergrund stehen.
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›FrauenundKinder‹ stehen traditionell für die Zivilbevölkerung des (eigenen) Landes und symbolisieren eine prinzipielle »Verletzungsoffenheit«, wobei (gegnerische) Männer im Gegenzug als potentielle Täter, also mit »Verletzungsmächtigkeit« assoziiert werden (zu dieser Unterscheidung und der geschlechtlichen Kodierung von Verletzbarkeit in Kriegskontexten vgl. Zipfel 2008; Scarry 1992). Aus dem Blick gerät dadurch, dass sich die ›Zivilbevölkerung‹ keineswegs nur aus Frauen und Kindern zusammensetzt und es in jedem Krieg auch zahlreiche zivile männliche Opfer (Jugendliche, Kranke, Alte, Nicht-Wehrfähige etc.) zu beklagen gibt. Woran liegt es, dass die Darstellungen des Leidens und der Opferrolle in der Regel Frauen vorbehalten ist? Wie Arbeiten aus dem Bereich der Kunst- und Kulturwissenschaften gezeigt haben, steht die Feminisierung der Opferbilder in der Tradition der politischen Ikonografie der Moderne, in der die Nation zumeist weiblich repräsentiert wird, so z.B. in der Denkmalskulptur (vgl. dazu Wenk 1996). Daran anknüpfend setzte sich, so Wenk, der Bildtypus der bedrohten und zu verteidigenden ›weiblichen‹ Nation durch, wie er sich bis in die Gegenwart beobachten lasse: »Darstellungen leidender Weiblichkeit sind im westlichen Bildgedächtnis als Gegenpol zu kämpferischer Männlichkeit ebenso fest verankert wie auch als Repräsentationen von Nation als imaginierter Gemeinschaft, zu der man sich zugehörig fühlen konnte.« (Wenk 2008: 35) Während die eigene Nation durch ›FrauenundKinder‹ repräsentiert wird, wird der Feind häufig als ›Vergewaltiger‹ und ›Mörder‹ derselben imaginiert und dargestellt (vgl. Wenk 2005a). Damit einher geht der implizite oder explizite Appell an die Männlichkeit und Kampfkraft der eigenen Männer. Denn während die bedrohte Nation weiblich gedacht wird, sind es primär Männer, die traditionell zu ihrem Schutz berufen sind und von denen verlangt wird, dass sie zum Wohle der Nation bzw. der ›FrauenundKinder‹ ihr Leben im Kampf riskieren. Die Konstruktion weiblicher (und kindlicher) Schutzbedürftigkeit geht also mit dem komplementären Bild des männlichen Feindes ebenso wie mit dem Bild des männlichen ›Beschützers‹ und ›Helden‹ einher (vgl. Kap. IV.4.4). Ähnliche Deutungsmuster lassen sich auch in der Berichterstattung über den Afghanistankrieg beobachten: Die ›afghanische Frau‹ bzw. ›FrauenundKinder‹ symbolisieren stellvertretend für die afghanische Zivilbevölkerung zum einen die erlittene Gewalt und das Leid unter der Taliban-Herrschaft und zum anderen das Leiden infolge des am 7. Oktober 2001 begonnenen Krieges. Auch das Repräsentationsmuster der ›Flüchtlingsfrau‹ und ›Mutter‹, die auf dem Arm ein Baby hält oder ein Kleinkind an der Hand führt, gehört zu den eingeschliffenen Bildikonen der modernen Kriegsberichterstattung.110 Fotografischen Präsentationen kommt im Rahmen der Kriegsberichterstattung besondere Bedeutung zu, da sie dazu angetan sind, bei den Betrachtenden Emotionen wie Fassungslosigkeit, Abscheu oder Mitgefühl auszulösen (vgl. Sontag 2005; Kirchner et al. 2002; Ateş 2006). Dabei transportieren gerade die Fotos von zivilen und ›unschuldigen‹ Opfern einen moralischen Appell. Kirchner et at. (2002) sprechen von »Bildern, die zum Handeln auffordern«, wobei sich Fotos von vertriebenen 110 | Wie Kirchner et al. (2002) in ihrer Analyse der medialen Bildpolitik im NATO-Krieg gegen Jugoslawien herausgearbeitet haben, greift diese Art der visuellen Inszenierung zugleich Versatzstücke des christlich-religiösen Diskurses auf. Die abgebildeten Flüchtlingsfrauen erweckten demnach Erinnerungen an das Bild der Mutter Maria, »da auch sie mit ihrem Kind auf dem Arm geduldig die ihnen zugefügten Schmerzen erdulden« (ebd.: 37).
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und flüchtenden Frauen und Müttern mit Kindern, insofern diese als hilflos gelten, besonders eignen, »beim Betrachter Mitleid zu erwecken« (vgl. ebd.: 32). Dabei ist auch die Art und Weise der visuellen Darstellung entscheidend: »Mitleid und Mitgefühl stellen sich bei Fotos ein, auf denen identifizierbare Einzelpersonen dargestellt werden. Vor allem Frauen und kleine Kinder werden gezeigt, wobei daran appelliert wird, dass Kinder als besonders schutzbedürftig gelten« (ebd.: 36). Diese Logik lässt sich auch in der Afghanistankrieg-Berichterstattung erkennen. So wurden flüchtende Männer eher als Teil einer großen Masse gezeigt, während die Ikonisierung des Leidens den Frauen (und Kindern) vorbehalten blieb. Die Wirkungsweise feminisierter Opferbilder ist jedoch keineswegs so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Zu welchem Handeln fordern sie konkret auf? Wie soll der »Ruf nach Abhilfe« (Klaus Naumann zit.n. Kirchner et al. 2002: 32) umgesetzt werden? Die Antwort kann völlig unterschiedlich ausfallen, je nachdem, wem die Opfer-, Täter- und Beschützerrolle jeweils zugeschrieben wird. Der diskursive Bezug auf ›FrauenundKinder‹ kann somit auf gegensätzliche Weise gelesen oder instrumentalisiert werden: als pazifistische Delegitimierung eines (jeden) Krieges oder aber gerade als Begründung und Legitimierung kriegerischer Handlungen. Susan Sontag spricht in ihrem Essay »Das Leiden anderer betrachten« von einem »Ruf nach Frieden« und »Schrei nach Rache« (Sontag 2005: 20). Wie Sontag ausführt, können Bilder des Leidens, die z.B. verletzte, verstümmelte, getötete oder verzweifelte Menschen im Krieg zeigen, die Betrachtenden aufrütteln und schockieren und müssten eigentlich – so ihre Ausgangsüberlegung – zu einer prinzipiellen Ablehnung von Krieg und Gewalt führen. Das Zeigen des Leidens würde dann einen grundsätzlich pazifistischen Impetus beinhalten, weil es den Wahnsinn und die Ungeheuerlichkeit des Krieges im Allgemeinen bezeugt. Andererseits können Bilder des Leidens in genau gegensätzlicher Richtung eingesetzt bzw. gelesen werden: als ein Appell an soldatische Männlichkeit und damit gerade als Argument für den Krieg (vgl. dazu auch Wenk 2005a) und dafür, dass dem Feind Einhalt geboten werden muss, um ›FrauenundKinder‹ vor weiteren Gewalttaten zu bewahren. Wenn die Kontextualisierung entsprechend anders erfolgt, die Gewalttaten beispielsweise als Wesenszug einer bestimmten Nation, Ethnie oder Gruppe gekennzeichnet werden – hier ist z.B. die zugewiesene Bildunterschrift entscheidend (vgl. Sontag 2005: 17) –, können Bilder von Kriegsopfern wie in der traditionellen Kriegspropaganda als sichtbarer ›Beweis‹ für die Gräueltaten des Feindes fungieren.111 In der Berichterstattung über den Afghanistankrieg sind beide Perspektiven zu finden: Insbesondere die Fotos von erschossenen, gesteinigten oder verstümmelten Frauen erbringen auf der einen Seite den ›Beweis‹ für die Unmenschlichkeit und Grausamkeit der Taliban. Sie schüren zugleich den ›Hass auf den Feind‹ bzw. den ›Ruf nach Abhilfe‹, der ein militärisches Einschreiten des ›Westens‹ zur Rettung und Befreiung der afghanischen Frauen notwendig erscheinen lässt. Der unterschwelli111 | Besondere Aufmerksamkeit bringen die Medien — wie Untersuchungen zu früheren Kriegen gezeigt haben — dabei dem Thema ›sexualisierte Kriegsgewalt‹ entgegen, so z.B. dem Topos der ›(Massen-)Vergewaltigung‹ in den Jugoslawienkriegen (vgl. Klaus/Kassel 2003; Stanley/Feth 2007). Im Kontext des Afghanistankriegs ist das Thema Vergewaltigung jedoch weniger vordergründig, und es ließe sich sagen, dass an seine Stelle das Thema Zwangsverschleierung tritt.
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ge Ruf nach dem Retter ergeht dabei in zwei unterschiedliche Richtungen. Einerseits wird an den Heldenmut der westlichen Armeen appelliert, für die Befreiung der afghanischen Frau ihr Leben zu riskieren. Der Ruf nach Frauenrechten und einem Ende der patriarchalen Gewalt in Afghanistan konnte somit zu einer zentralen moralischen Säule der Begründung und Legitimierung des Afghanistankrieges werden. Andererseits wird v.a. im Spiegel indirekt an die deutsche Politik appelliert, sie möge der Kriegspolitik der USA etwas entgegensetzen, um das Kriegsleid zu beenden. Entsprechend wurden afghanische ›FrauenundKinder‹ nicht nur als Opfer der Taliban, sondern auch als Opfer der US-amerikanischen Bombardements gezeigt und damit der Fokus kritisch auf die verheerenden Folgen des Krieges gelenkt. So waren im Spiegel eindeutig mehr kriegskritische Töne zu vernehmen, die sich jedoch nicht gegen einen Krieg im Allgemeinen, sondern primär gegen die konkrete Kriegsführung durch die USA richteten. In der FAZ wurde hingegen eher nach mehr Härte und Entschlossenheit verlangt, um den Krieg schneller ›erfolgreich‹ beenden zu können. Wie im Spiegel zu sehen war, konnten Bilder von ›FrauenundKindern‹, in denen sie als Opfer des US-amerikanischen Krieges gezeigt wurden, auch dafür genutzt werden, die deutsche Politik als die gegenüber jener der USA ›bessere‹ und die deutschen Soldaten als die ›wirklichen‹ Retter und Helfer der Frauen dastehen zu lassen. Die Skandalisierung des Leidens von ›FrauenundKindern‹ kann darüber hinaus bei entsprechender Rahmung auch Gefühle der Bedrohung auslösen, wenn z.B. wie in der FAZ vor gefährlichen ›Flüchtlingsströmen‹ gewarnt wird, und ein entschlossenes militärisches Eingreifen plausibel werden lassen. In der Berichterstattung zum Afghanistankrieg fällt zudem eine sprachliche Verschiebung ins Auge. Nicht nur ›FrauenundKinder‹, sondern ganz spezifisch Mädchen werden als Opfer von (Männer-)Gewalt und Krieg herausgestellt, insbesondere wenn es um die von den Taliban verhängten Zwangsmaßnahmen, die Missachtung von Frauenrechten sowie das Thema Flucht und Vertreibung infolge des Krieges geht. Der beständige Verweis auf das Leiden der Frauen und Mädchen stellt damit gleichsam einen Sonderfall des Topos ›FrauenundKinder‹ dar. Ähnlich wie Kinder werden Mädchen häufig in einem Atemzug mit Frauen genannt, wenn es um das Leiden der Bevölkerung unter den Taliban, die Auswirkungen der US-amerikanischen Kriegsführung sowie die Ziel der deutschen Politik geht. In Anlehnung an Enloes Wortschöpfung könnte deshalb auch von ›FrauenundMädchen‹ gesprochen werden. Die sprachliche Verschiebung weg von geschlechtlich unmarkierten ›Kindern‹ hin zu einer expliziten Differenzierung in Jungen und Mädchen ermöglicht zudem eine konsequente Opfer-Täter-Zuordnung aller Menschen, selbst der jüngsten, qua Geschlecht. Während alle weiblichen Menschen, selbst junge Mädchen, auf der Opferseite verortet werden, werden afghanische Männer von der Position des Opfers grundsätzlich ausgenommen. Innerhalb des als totalitär beschriebenen Unterdrückungsverhältnisses der Taliban-Herrschaft werden bereits kleine Jungen tendenziell auf der Täterseite eingeordnet, beispielsweise wenn es heißt: »Millionen von Frauen waren plötzlich arbeitslos, durften das Haus nur noch in ›männlicher Begleitung‹ (die ihr kleiner Sohn stellen konnte) verlassen« (FAZ 12.11.01: 6). Die Repräsentation von ›FrauenundMädchen‹ bleibt damit insgesamt dem Geschlechterdualismus verhaftet, wie sie insbesondere in Kriegskontexten typisch ist: Die Feminisierung der Opferrolle geht mit einer Maskulinisierung des Täterbildes einher und umgekehrt. Während ›FrauenundMädchen‹ stereotyp mit Gewalt- und
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Kriegsferne bzw. Unbeteiligt-Sein, Verletzbarkeit und Schutzbedürftigkeit assoziiert werden, sind Männer primär als ›Täter‹ (oder ›Beschützer‹) präsent. Eine Folge davon ist, dass davon abweichende Identitäten wie z.B. die Existenz männlicher Opfer von (sexualisierter) Kriegsgewalt weitgehend dethematisiert und in die Sphäre des Nicht-Denkbaren abgedrängt bzw. tabuisiert werden. Wenngleich Männer auch als Opfer der Taliban sowie des Kriegs auftauchen, ist die Viktimisierung des ›afghanischen Mannes‹ doch weit weniger vordergründig und ausschließlich als die der ›afghanischen Frau‹. Die politisch aktive, widerständige und kämpfende Afghanin wurde dementsprechend als Ausnahme von der Regel wahrgenommen.
6.9.2 Viktimisierung II: Opfer des ›islamischen Patriarchats‹ — die Burka als (neo-)orientalistische ›Meistermetapher‹ Die Auswertung des Materials hat deutlich gemacht, wie (neo-)orientalistische Stereotype in die Strategie der Viktimisierung eingebunden sind. Die mediale Konstruktion der ›afghanischen Frau‹ nach dem 11. September entspricht geradezu paradigmatisch dem in der westlichen Öffentlichkeit vorherrschenden orientalistischen Stereotyp der ›unterdrückten Muslimin‹. Irmgard Pinn und Marlies Wehner (1995: 53) beschreiben dieses Bild folgendermaßen: Die ›islamische Frau‹ gelte durchweg als passiv, machtlos und eingesperrt und werde fast ausschließlich im Kontext der Familie oder der Religion dargestellt. Die ›Orientalin‹ werde vorrangig auf ihr Aussehen und ihren Körper reduziert, wohingegen Geist und Vernunft keine Rolle spielten. Im Vordergrund der homogenisierenden Wahrnehmungsmuster, die Musliminnen von Afghanistan bis Marokko eine Kontinente übergreifende ›islamische Identität‹ zuschreibe, stehe dabei stets ihre Verhüllung. Verschleierung werde zumeist einseitig mit einer »Versklavung des Körpers und des Geistes« (ebd.: 165) gleichgesetzt. Pinn und Wehner beschreiben zudem einen Wandel des westlichen Blicks auf die ›Muslimin‹: Während früher das exotistische Bild der verführerischen Orientalin hinter den Haremsmauern vorherrschend gewesen sei, stünden heute einerseits das schicksalsergebene, teils aufbegehrende ›Opfer des islamischen Patriarchats‹ und andererseits die schwarz verschleierte ›Fanatikerin‹ als Inbegriff des ›Fremden‹ im Vordergrund (ebd: 9f).112 Wie die Analyse von FAZ und Spiegel gezeigt hat, überwiegt in der Berichterstattung über den ›Krieg gegen den Terror‹ in Afghanistan das erste Muster: Die ›afghanische Frau‹ wird primär als ›Opfer des islamischen Patriarchats‹ wahrgenommen und konstruiert, das bei den Taliban in besonders ausgeprägter, ›barbarischer‹ Form vorzuliegen scheint. Es kommt zur Reproduktion und Verschärfung der im kollektiven Gedächtnis fest verankerten sexistischen und eurozentrischen Stereotype und Darstellungsmuster. Die Repräsentation der Afghanin erfolgt fast ausnahmslos unter Rückbezug auf ihr Äußeres bzw. das Thema Verschleierung, während intellektuelle Tätigkeiten oder politische Einstellungen kaum eine Rolle spielen. Der afghanischen Ganzkörperverschleierung, der Burka, kommt in diesem Kontext eine zentrale, symbolisch aufgeladene Bedeutung zu: Sie gilt als untrügliches Zeichen patriarchaler Unterdrückung und eines fundamentalistischen Islams schlechthin. So werden der afghanischen Frau unter der Burka jegliche Freiheiten, Entscheidungs- oder Handlungsoptionen abgesprochen; kaum mehr vorstellbar ist 112 | Zum westlichen Bild der Muslimin vgl. auch Lutz/Huth-Hildebrandt 1998; Röben/Wilß 1996; Paulus 2007; Rommelspacher 2002; Attia 2007a; Schiffer 2005; Farrokhzad 2006; Marx 2009.
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(aus westlich-okzidentaler Perspektive), dass diese Frauen überhaupt noch ein lebenswertes Leben führten. Die starke Fokussierung auf die Burka bzw. das Thema Verschleierung ist nicht zufällig. Sie steht im Kontext einer Jahrhunderte währenden Tradition westlich-okzidentaler Imaginationen in Bezug auf den Schleier, der die unterstellte Differenz zwischen Islam und Westen ›bebildert‹ und den Islam gegenüber dem Westen als fremd, unzivilisiert und vormodern und deshalb unterlegen ausweist (vgl. Kassel 2005: 175). Zahlreiche Autor_innen aus dem Bereich feministischer und postkolonialer Theorie haben die herausgehobene Bedeutung des Schleiers – für den deutschen Kontext: des Kopftuchs – innerhalb der Konstruktion der ›orientalischen Anderen‹ herausgearbeitet und auf die damit verbundenen Konstitutionslogiken des ›Eigenen‹ verwiesen. Gabriele Dietze bringt diese auf den Punkt: »[D]ie angenommene Unterdrückung einer Kopftuch tragenden Frau ist die Folie, auf der man sich einer ›Wertegemeinschaft‹ versichert, die auf einer Ablehnung ›orientalischer Sitten‹ basiert, oder anders ausgedrückt, einen ›Okzident‹ konstruiert« (Dietze 2009: 24; vgl. ähnlich auch Pinn/Wehner 1995: 164-171; Maier/ Stegmann 2003; Wenk 2008; Marx 2009). Dass dabei gerade die »bedeckte Frau« zum »zentralen Signifikanten von Andersheit« wird (Dietze 2009: 34), habe mit spezifischen Sichtbarkeits-Regimen zu tun, nach denen Sichtbarkeit als ein zentrales Merkmal des Westens gilt und weibliche Unbedecktheit als kulturelle Norm funktioniert. Dietze spricht in diesem Zusammenhang von einem »offenen« okzidentalen und einem »bedeckten« orientalischen Gender-System (ebd.). Erst vor diesem Hintergrund sei es überhaupt möglich, Verhüllung bzw. Un-Sichtbarkeit zu skandalisieren: »Für den aufgeregten okzidentalistischen Blick ist allerdings nur die Bedeckung sichtbar. Kopftücher werden damit zur Meistermetapher. Im Kontrast zu ihnen wird die ›Freiheit‹ der okzidentalen Frau in der Nichtbedeckung, gegebenenfalls auch der Nacktheit, inszeniert« (ebd.; zur Entschleierung der westlichen Frau vgl. von Braun/Mathes 2007). Ähnlich wie das Kopftuch im Diskurs über muslimische Migrantinnen fungiert die Burka im Diskurs über den 11. September als Meistermetapher. Sie erscheint als untrügliches ›Indiz‹ für die Frauenfeindlichkeit des Gegners und wird zum Zeichen des Fremden, des Irrationalen und des Islams schlechthin (Klaus/Kassel 2003: 25). Die ›Burka-Frau‹ wird dabei geradewegs zum Sinnbild der verfehlten Aufklärung und Emanzipation, sie stellt gleichsam das »verkörperte Emanzipationsdefizit« (so Dietze 2009: 35 über die ›Kopftuch-Frau‹) in Reinform dar. Ich möchte betonen, dass es mir in keiner Weise darum geht, die Gewaltförmigkeit einer erzwungenen Verschleierung oder allgemein die menschenunwürdigen Lebensbedingungen und das Leid der afghanischen Frauen unter den Taliban in Abrede zu stellen oder zu relativieren. Mein Interesse richtet sich vielmehr auf die symbolträchtige Inszenierung und die spezifische Bedeutung, die der Burka und dem Thema Verschleierung im Kriegsdiskurs bzw. in der westlichen Sicht auf den Afghanistankrieg zugesprochen wird. So ist zu fragen, was durch die spezifische Bedeutungszuschreibung jeweils sichtbar wird – und was dem Blick entzogen wird. Ebenso ist zu fragen, welche (außen-)politischen Handlungsoptionen aus den Zuschreibungen abgeleitet werden (können). Es geht mir auch nicht darum, der vorherrschenden Interpretation der Burka als Zeichen der Unterdrückung eine andere, ›richtigere‹ Lesart entgegenzuhalten. An der auf eine einzige Lesart hin reduzierten Deutung sind jedoch mehrere Aspekte problematisch: Erstens verkennt die Fixierung auf Schleier und Burka und die einsei-
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tige Fokussierung auf die ›afghanische Frau‹ als ›Opfer der Taliban‹ die Komplexität gesellschaftlicher Strukturen und lässt die vielschichtigen Hintergründe und Ursachen für Geschlechtertrennung und Verschleierung in Afghanistan aus dem Blick geraten; kolonialgeschichtliche Hintergründe und Machtstrukturen werden ebenso wie traditionale Gründe für die Verschleierung meist ausgeklammert.113 Hintergrundberichte über die soziostrukturelle und politische Entwicklung Afghanistans, die, wie z.B. Renate Kreile (2002 und 2005) kenntnisreich darlegt, von jeher im komplexen Wechselverhältnis zur Ausformung der Geschlechterverhältnisse steht, fehlen in der Berichterstattung fast vollständig oder fallen sehr allgemein aus. Häufig beschränken sich die Artikel auf den Verweis auf einen ›fundamentalistischen Islam‹ als Erklärung für den ›Burka-Zwang‹.114 Dabei wird ausgeblendet, dass die rigide Geschlechtertrennung und der weitgehende Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Raum nicht erst mit der Machtübernahme der Taliban begonnen haben und deshalb auch nicht einfach mit dem Sturz der Taliban beendet sind. So erfahren die Leser_innen nichts darüber, dass die Burka bereits im Jahre 1992 als obligatorisches Kleidungsstück von den Mudschahidin eingeführt wurde, die zuvor von den USA im Kampf gegen die Sowjetunion unterstützt worden waren.115 Die indirekte Beteiligung des Westens an der Entwicklung der spezifischen afghanischen Gesellschafts -und Geschlechterordnung wird ebenso dethematisiert wie gesamtgesellschaftliche und ökonomische Faktoren, die diese Entwicklung bedingt haben. Mit der Verabsolutierung der Opferperspektive geraten zudem die beträchtlichen Unterschiede in Auswirkung, Art der Durchsetzung, Reichweite und Akzeptanz der geschlechterpolitischen Reglementierungen der Taliban aus dem Blick, die stark von sozialen, regionalen, lokalen und personalen Gegebenheiten abhängig sind und entsprechende Inkonsistenzen aufweisen. Laut Kreile waren z.B. die Frauen in den ländlichen Gebieten relativ wenig von den geschlechterpolitischen Erlassen der Taliban betroffen; Hauptleidtragende waren die gebildeten Frauen aus den städtischen Mittelschichten wie Ärztinnen, Lehrerinnen, Richterinnen etc. (Kreile 2005: 111). Zweitens droht die Gefahr einer Universalisierung der Opferrolle, die alle afghanischen Frauen gleichermaßen zu passiven und machtlosen Opfern macht. Dadurch wird es unmöglich, sie in ihren tatsächlichen Handlungsmöglichkeiten wahrzunehmen und als eigenständige Akteurinnen bzw. politische Subjekte anzu-
113 | Als Ausnahme können zwei Artikel gelten, die sich, wenngleich sehr knapp, mit den Hintergründen der ›Frauenfeindlichkeit‹ der Taliban beschäftigen (vgl. Spiegel: 41/2001: 186; FAZ: 3.12.01: 7), wobei u.a. kulturelle Traditionen sowie die Abwesenheit von Frauen in der frühkindlichen Sozialisation der Taliban-Kämpfer genannt werden. 114 | Kassel und Klaus verweisen im Anschluss an den Roman »Fantasia« der algerischfranzösischen Schriftstellerin Assia Djerba auf die vielschichtige Funktion der Burka. So diente diese in Algerien nicht ausschließlich der Verbannung der Frau aus dem öffentlichen Raum, sondern fungierte auch als Mittel der Bewahrung kultureller Identität angesichts der Kolonisatoren und des Schutzes der kolonisierten Frauen vor Vergewaltigung (Klaus/Kassel 2003: 25). 115 | Lediglich an einer Stelle wird in der FAZ darauf hingewiesen, dass die Burka »keine Erfindung der Taliban« sei (12.12.01:3) und dass afghanische Frauen auch ohne die Anordnung der Taliban niemals auf die Straße gegangen wären, ohne ihr Gesicht zu verhüllen, die konkreten Gründe hierfür bleiben jedoch unklar.
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erkennen. Dass es auch in Afghanistan widerständiges Denken und Handeln gegeben hat, zeigt nicht zuletzt das Engagement der Gruppe RAWA. Die konstante Verknüpfung mit dem Thema Islam macht das Bild der afghanischen Frau zudem bedeutsam für die Wahrnehmung von Musliminnen und muslimischen Migrantinnen innerhalb der westlichen Gesellschaften und entfaltet somit über den konkreten Kontext Afghanistan hinaus Wirkmächtigkeit. Die eindimensionale Deutung der Burka als schlimmste Form der (islamischen) Frauenunterdrückung und die Vermischung von Burka und Schleier – die Begriffe werden dabei z.T. synonym verwendet – verstärken eine Wahrnehmung, die jede Art von Schleier mit Islam und Unterdrückung gleichsetzt. Die Wahrnehmung und Anerkennung anderer Bedeutungen und Motivationen für das Tragen eines Kopftuchs, wie z.B. als Strategie der ›Selbstethnisierung‹ in Korrelation mit dem Rassismus der Mehrheitsgesellschaften, werden dadurch erschwert. Die Selbstverständlichkeit, mit der von einem erzwungenen Kopftuchtragen ausgegangen wird, bedeutet laut Pinn und Wehner eine »Bevormundung all jener Mädchen, die sich aus freien Stücken – womöglich gegen den Willen der Eltern – an islamische Kleidungsvorschriften halten« (1995: 168). Verschiedene Untersuchungen zum (medialen) Bild der muslimischen Migrantin bestätigen, dass Musliminnen insbesondere mit Kopftuch häufig zugunsten eines einheitlichen Bildes von Traditionalität und patriarchaler Unterdrückung homogenisiert werden, was die tatsächliche Vielfalt der Lebensentwürfe negiert (vgl. Farrokhzdad 2006; Paulus 2007). Gerade nach dem 11. September wurde die »Kopftuchtürkin« als stereotype Darstellung der fremden, muslimischen Frau Schahrzad Fahrrokhzad zufolge zunehmend an das Bild der »Fundamentalistin« angeglichen, Musliminnen wurden als potentielle Terroristinnen imaginiert und ›muslimisch aussehende‹ Frauen, d.h. oftmals Frauen mit Kopftuch, auf offener Straße verbal und auch körperlich attackiert (Fahrrokhzad 2006: 63 und 55).116 So steht die Burka nicht nur für die konkrete Unterdrückung der ›afghanischen Frau‹, sondern zugleich für eine generelle vom ›Islam‹ ausgehende Bedrohung ›unserer‹ Wertegemeinschaft und Normen (die wiederum durch unverschleierte Frauen und Frauenrechte symbolisiert wird).
6.9.3 Krieg für Frauen(rechte) — Paternalistische Rettungsszenarien und Dämonisierung des Feindes Die Viktimisierung der afghanischen Frau und die Dämonisierung sowie Hypermaskulinisierung des Feindes sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Gewalt gegen Frauen und eine extreme Frauenfeindlichkeit werden dabei ausschließlich als Merkmal des orientalisierten ›Anderen‹ (der Taliban, der Terroristen oder des Islams allgemein) dargestellt und fungieren damit als definitiver ›Beweis‹ einer zivilisatorischen Rückständigkeit und der kulturellen Unterlegenheit gegenüber einem als ›frauenfreundlich‹ imaginierten Westen. Diese Rahmung hat Auswirkungen auf die Wahrnehmung und Beurteilung (außen-)politischen Handelns, insbesondere im Hinblick auf die Legitimität des militärischen Vorgehens. So lässt gerade die wiederholt herausgestellte ›barbarische Frauenfeindlichkeit‹ der Taliban ein militärisches 116 | Farrokhzad arbeitet in ihrer Untersuchung der Konstruktionsmodi der ›fremden Frau‹ in den deutschen Medien vier stereotype Darstellungsweisen heraus: ›Exotische Orientalin‹, ›Kopftuchtürkin‹, ›Fundamentalistin‹ und ›moderne Türkin‹. Wie sie schreibt, war das erste Darstellungsmuster etwa bis zu Beginn der Arbeitsmigration in den 1950er Jahren dominant und ist heute kaum noch von Bedeutung.
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Einschreiten – parallel zu den offiziellen Begründungsmustern des Krieges – moralisch plausibel und geradezu unausweichlich erscheinen, um die ›afghanische Frau‹ von ihren Peinigern zu befreien. Zugleich wird der Krieg als ›zivilisatorische Mission‹ und ›Maßnahme zur Verteidigung westlicher Werte‹ lesbar gemacht. Die Beendigung der Gewalt gegen Frauen und die Implementierung von Frauenrechten wurden dabei explizit als Ziele der militärischen und diplomatischen Bemühungen genannt oder aber durch die Art und Weise der medialen Inszenierung implizit mit dem Ziel und Zweck der Kriegsführung in Zusammenhang gebracht. So erzeugt die permanente Betonung der Unterdrückung der ›afghanischen Frau‹ einen besonderen Handlungsdruck und verlangt nach ihrer ›Rettung‹ durch Beschützer bzw. Helden (vgl. auch Stanley/Feth 2007). Im Falle des Afghanistankrieges sind es jedoch nicht die ›eigenen‹ Frauen, sondern die der gegnerischen Seite, die von der brutalen Gewaltausübung durch den Feind betroffen bzw. gefährdet sind, so dass es zu einer Generalisierung der Beschützerfigur kommt. Der durch die fortwährende Dämonisierung und Hypermaskulinisierung des Feindes auf den Plan gerufene ›Retter‹ tritt nunmehr nicht allein zum Schutz der eigenen Frauen (›FrauenundKinder‹) an, sondern auch zur Rettung der ›anderen‹ Frauen (›FrauenundKinder‹). Diese Rahmung rekurriert zudem auf ein (neo-)kolonialistisches Wahrnehmungsmuster, demzufolge der als zivilisatorisch überlegen imaginierte ›weiße Mann‹ die ›Wilden‹ von der ›Barbarei‹ befreien müsse. Dem vermeintlichen Schutz bzw. der Befreiung der ›einheimischen Frauen‹ kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, die Gayatri Chakravorty Spivak mit dem Satz »white men saving brown women from brown men« auf den Punkt bringt (Spivak 1988: 297; vgl. weiterführend Abu-Lughod 2002). Die Analyse hat gezeigt, dass vormals dezidiert feministische Zielsetzungen – Forderungen nach Frauenrechten, Emanzipation und der Abschaffung patriarchaler Gewalt gegen Frauen – Einzug in die internationale Politik gehalten haben und als Begründungs- und Legitimierungsmuster politischen Handelns nutzbar gemacht werden. Wiederholt wurde z.B. darauf hingewiesen, dass sich das außenpolitische Engagement, insbesondere das deutsche, in erster Linie an die afghanischen Frauen und Mädchen richte bzw. ganz besonders den Frauen und Mädchen zugute komme. Neu ist dabei nicht die Rahmung außenpolitischen Handelns zum vermeintlichen Wohle von Frauen (›FrauenundKindern‹), sondern die Verknüpfung dieses Handelns mit dem Thema ›Frauenrechte‹. Krista Hunt spricht in Anlehnung an die in Militär und Kampfgeschehen ›eingebetteten‹ Journalist_innen von einem »embedded feminism«, mit dem der Afghanistankrieg moralisch begründet und eine breite Zustimmung innerhalb der Bevölkerung erreicht werden konnte – gerade auch unter Feminist_innen und Frauenrechtler_innen, die von ihrem Selbstverständnis meist eher kriegskritisch eingestellt sind (vgl. dazu auch Dietrich/ Nachtigall 2003 und Dietze 2006b). Hunt definiert ›embedded feminism‹ als »the incorporation of feminist discourse and feminist activists into political projects that claim to serve the interests of women but ultimately subordinate and/or subvert that goal« (Hunt 2006: 53). Gemeint ist die Indienstnahme feministischer Forderungen nach Emanzipation der Frau und geschlechtlicher Gleichstellung sowie Abschaffung patriarchaler und sexualisierter Gewalt gegen Frauen für die Begründungsund Legitimierungsdiskurse staatlicher und militärischer Gewalt. Die Diskursfigur des ›embedded feminism‹ kann dabei als eine spezifische Variation des bewährten diskursiven Bezuges auf ›FrauenundKinder‹ begriffen werden. ›FrauenundKinder‹ und ›embedded feminism‹ sind im Hinblick auf ihre Funktionalität sowie den zu-
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grunde liegenden geschlechtlichen Implikationen ähnlich. In beiden Fällen wird eine essentialistische und geschlechterstereotype Sicht auf weibliche Schutzbedürftigkeit und männlichen Beschützerinstinkt zugrunde gelegt und reproduziert. Beide Diskursfiguren machen zudem den Bezug auf Frauen (und Kinder/Mädchen) sowie auf Menschen- und Frauenrechte zum Zwecke der Kriegslegitimierung nutzbar. Insbesondere das Anfang November in Spiegel und FAZ auftauchende Narrativ der freiwilligen Entschleierung der afghanischen Frau, begleitet von den entsprechenden Fotos im Spiegel, fungieren als augenscheinlicher Beweis dafür, dass der Krieg zur angestrebten ›Frauenbefreiung‹ geführt hat. Das Bild der entschleierten afghanischen Frau verleiht dem Krieg im Nachhinein moralische Legitimität und macht ihn als geglückte ›Frauen-Rettungsaktion‹ plausibel. Maier und Stegmann verweisen in ihrer kunstwissenschaftlich orientierten Analyse der Bilderpolitik des Afghanistankrieges auf den spezifisch christlichen Symbolgehalt der Bilder von Verschleierung und Entschleierung: »Die Drapierung des Schleiers, sowie Gestus, Licht und Kopfhaltung der afghanischen Frau können in christliche Bildtraditionen der Marienverehrung gestellt werden« (2003: 53). Ähnlich wie der Marienmythos im christlichen Abendland über Jahrhunderte zur Legitimation weltlicher Herrschaft instrumentalisiert wurde, habe die madonnenhafte Repräsentation der afghanischen Frau dazu beitragen, politisches Handeln zu legitimieren, indem sie dem Krieg gleichsam einen ›höheren Sinn‹ verliehen habe. Wie die vorliegende Untersuchung zeigt, ist die christliche Symbolik auch in der Berichterstattung über die deutsche Politik und ihre Zielsetzung zu beobachten (vgl. Kap. IV.4.9) – auch die Deutschen können sich so als Retter und Erlöser der Leidenden in Afghanistan, insbesondere der ›FrauenundMädchen‹, begreifen.
6.9.4 Bannung des Schreckens — die ›entschleierte Afghanin‹ als positives Gegen-Bild Die Bilder (teil-)entschleierter Weiblichkeit fungieren nicht nur als nachträgliches Kriegsargument. Sie können zudem eine besänftigende und kompensatorische Funktion übernehmen, insofern sie die irritierte Ordnung und das angekratzte westliche Selbstverständnis infolge des 11. September beruhigen. Damit ist eine weitere Dimension des Symbolischen angesprochen, wie es in der medialen Repräsentation der afghanischen Frau angelegt ist. So bedurfte es infolge der schockierenden Ereignisse des 11. September besonderer Narrationen und Bilder, die das traumatische Wissen um den Einsturz der Twin Towers, die Tausenden Tote und das damit verbundene Gefühl kollektiver ›Demütigung‹ und ›Schwäche‹ zu vertreiben oder zu überschreiben vermochten. Die ›befreite‹ und ›entschleierte Afghanin‹ kann in diesem Sinne als positives Gegen-Bild zu den Bildern von Zerstörung, Tod und Chaos, den Bildern des ›Terrors‹ gelesen werden. Wie Maier und Stegmann argumentieren, wird mit der ›entschleierten Afghanin‹ ein Bild universeller Weiblichkeit »als das ›Andere‹ der patriarchalen, fundamentalistischen islamischen Ordnung« entworfen (2003: 52). »Aus dieser symbolischen Position heraus repräsentieren die entschleierten Frauen ein neues, fortschrittliches und demokratisches Afghanistan, womit gleichzeitig an westliche Vorstellungen von Freiheit, Toleranz und Gerechtigkeit angeknüpft werden kann« (ebd.). Darüber hinaus scheint mit dem Anheben der Burka und dem Sichtbarwerden der glücklich strahlenden Frauen darunter die mit der Burka symbolisch verknüpfte Gefahr für die westliche Werteordnung gebannt. Die Bilder entschleierter, auffallend junger und attraktiver, mit westlichen Weiblichkeitsvorstellungen vergleichba-
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rer Frauen, wie sie uns auf den Fotos entgegenlächeln, symbolisieren dabei nicht nur den ›Sieg‹ über die fundamentalistischen Taliban, sondern zugleich einen Teilsieg des Westens im ›Krieg gegen den Terror‹. Wie ich gezeigt habe, tritt die ›(teil-)entschleierte afghanische Frau‹ insbesondere nach Ende des Krieges als symbolische Trägerin von Freiheit, Frieden und demokratischem Neuanfang in Erscheinung. Diese Art der symbolischen Darstellung steht in der Tradition vergeschlechtlichter Repräsentationen des Politischen, werden doch seit der Französischen Revolution nicht nur Nation und Republik, sondern auch die damit verknüpften allgemeinen Werte, Prinzipien und Ideale wie Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden primär durch Allegorien des Weiblichen verkörpert, z.B. in den Figuren der Justitia oder Liberté (vgl. Maier/Stegmann 2003; Wenk 1996 und 1999). Infolgedessen kommt es zu einer folgenreichen Rollenteilung, wie sie sich auch in der Berichterstattung über den Afghanistankrieg beobachten lässt. Während Männern in den Vorstellungen und Repräsentationen von Nation und internationaler Politik die Rolle des politisch Handelnden zukommt, verkörpern Frauen(-figuren) traditionell das, worauf das männliche Handeln gerichtet ist, wofür es sich zu kämpfen lohnt: Frieden, Freiheit – und neuerdings auch Frauenrechte und Geschlechterdemokratie. Während die ›entschleierte afghanische Frau‹ also westliche Werte bzw. den Sieg des Westens symbolisieren soll, wird ihr eine politische Handlungsmacht weitgehend abgesprochen – als politisch handelndes Subjekt bleibt die ›afghanische Frau‹ für die Medien uninteressant. Ein letzter Punkt scheint mir in diesem Zusammenhang bedeutsam: Beide Medien appellieren – wenngleich auch nur oberflächlich – an eine verstärkte Einbeziehung der afghanischen Frauen in den politischen und gesellschaftlichen Neuaufbau des Landes. Das Repräsentationsmuster ist jedoch insofern problematisch, dass die Aufgaben der Friedensstiftung und Demokratisierung in erster Linie Frauen überantwortet werden. Die implizite Annahme, durch die Beteiligung von Frauen an den Friedensverhandlungen erhöhe sich gleichsam automatisch deren Erfolg, greift auf Geschlechterstereotype von weiblicher Friedfertigkeit zurück. So besteht die Gefahr, Frauen auf die Rolle der Friedensbringerinnen festzuschreiben, die von Natur aus die Fähigkeiten zur Überwindung der Gewaltdynamiken mitbringen, wohingegen die ›afghanischen Männer‹ weiterhin als potentiell gewalttätig, kriegerisch und geradezu unfähig zum Frieden imaginiert werden. Zudem ist auch in der feministischen Literatur umstritten, ob allein ein erhöhter Anteil von Frauen in politischen Führungspositionen zu besseren, gerechteren Verhältnissen führen würde oder ob das »bringing women in« nicht oftmals bloß die bestehende Geschlechterungleichheit verschleiere (Reimann 2006: 28).117 Insgesamt dürfte nun auch deutlich geworden sein, warum die männliche Bartrasur in weit geringerem Maße als die weibliche Entschleierung als Symbol für ›Befreiung‹ und ›Neuanfang‹ herangezogen wurde. Es sind traditionell Frauen- und nicht Männerfiguren, die als Allegorien der Nation fungieren. Eine weitere Erklärung ergibt sich aus der Macht dualistischer Opfer-Täter-Bilder und ihrer inhärenten Geschlechterlogik, nach der die Opferseite traditionell weiblich und die Täterseite männlich konnotiert ist. Infolge der dichotomen Geschlechterlogik ist die Subjektposition des Mannes als Opfer des Krieges, das es zu befreien oder zu retten gilt, na117 | Zu den Defiziten und Problematiken der Debatte um eine verstärkte Einbindung von Frauen in die internationale Friedensarbeit vgl. auch Böge/Fischer 2005.
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hezu undenkbar. Ebenso verlangt die männlich konnotierte Figur des Beschützers und Helden traditionell ein weibliches Pendant, auf das ihr Handeln gerichtet ist. Zudem ist der Schleier innerhalb orientalistischer und (neo-)kolonialistischer Denkmuster als Symbol der (islamisch-patriarchalen) Unterdrückung fest etabliert. Der Bart des Mannes fungiert zwar ebenfalls als Zeichen für Islam und Religiosität,118 in den orientalistischen Konstruktionen von ›Andersheit‹ ist er jedoch weniger vordergründig als die Verschleierung. In der medialen Darstellung von in westlichen Gesellschaften lebenden Muslimen spielt der Bart als äußeres Zeichen z.B. nur eine untergeordnete Rolle. Das Tragen eines Bartes ist kaum als Symbol der Unterdrückung etabliert und wird entsprechend auch selten skandalisiert. Des Weiteren ist das Tragen eines Bartes im abendländischen Kontext durchaus positiv besetzt: Ein wallender Bart gilt als Zeichen von Würde und Weisheit, Männlichkeit und Stärke. Als ›Beleg‹ für die ›Barbarei‹ sind Bilder von bärtigen Männern somit weniger geeignet als die von Frauen in Burkas, sie lösen weniger Befremden und kaum Mitleid oder gar Rettungsphantasien aus. Jörg Becker arbeitet zudem die kolonialistischen und antisemitischen Traditionen heraus, die sich hinter der Geste des Bartabschneidens verbergen und macht damit eine diametrale Lesart der Bartrasur zu der der ›Befreiung‹ deutlich. In einem eindrucksvollen Aufsatz, in dem er sich mit der »männlichen Geschlechterlogik in der Afghanistan-Berichterstattung« (2003b: 77) befasst, weist er auf die Geschichte des (erzwungenen) Bartabschneidens hin, die im kulturellen Vergleich als eine »fortlaufende Geschichte von Gewalt, Entwürdigung und Entrechtlichung« (ebd.: 79) erscheine. Für den deutschen Kontext benennt er v.a. die Zeit des Nationalsozialismus, in der Juden zum Zeichen der Demütigung ihre Bärte öffentlich abgeschnitten oder abgebrannt wurden (ebd.: 81f). Das Bartabschneiden fungiere, so Becker, als ein Zeichen der Demütigung und symbolischen Kastration des Mannes, insbesondere wenn es nicht freiwillig geschehe. Auch im Kontext der Berichterstattung über den Afghanistankrieg komme dieses alte Muster zum Tragen: »Mögen sich auch Form und zeitliches Kolorit einer Aussage verändern, ihr Inhalt bleibt quasi ahistorisch gültig. Der Bart muss ab. Sprich: Egal, ob Jude oder Muslim, religiöse Bärte sind Ausdruck des Ewiggestrigen und des Andersseins, sie müssen runter, notfalls mit Gewalt.« (Ebd.)
Es ist diese auf kolonialen Traditionen beruhende Deutung des Bartabschneidens als Geste der Erniedrigung, die ebenfalls dagegen spricht, dass die Bartrasur größere symbolische Bedeutung gewann, denn es hätte auch als eine selbstgerechte ›Siegerpose‹ verstanden werden können. Eine direkte Zurschaustellung von Sieg und Genugtuung, bei der der Westen über die Niederlage des Feindes bzw. die Taliban unverhohlen triumphiert, war im Zuge des Afghanistankrieges – anders als im späteren Irakkrieg – offenbar unangemessen.119
118 | Im islamischen Kontext steht das Tragen eines Bartes traditionell für eine Hinwendung zum Glauben und die Weisheit der Älteren, wobei die symbolische Bedeutung auf den Bart des Propheten Mohammed zurückgeht (vgl. Becker 2003b). 119 | Erinnert sei z.B. an die medial zur Schau gestellte Rasur Saddam Husseins nach seiner Gefangennahme im Dezember 2003. Wenk kommentiert: »Der ehemalige Diktator wurde als alter, verwahrloster und gebrochener Mann regelrecht vorgeführt, seine Haare abgeschnit-
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6.9.5 Unter werfung und Kontrolle des ›Fremden‹ — die (neo-)kolonialistische Logik der Entschleierung Auch die Entschleierung der ›afghanischen Frau‹ sollte nicht nur hinsichtlich der Rhetorik von Befreiung und friedlichem Neuanfang betrachtet werden. Im Kontext (neo-)kolonialistischer Denk- und Wahrnehmungsmuster kommt dem Akt der Entschleierung bzw. dem Lüften des Schleiers ebenso eine repressive, unterwerfende und kontrollierende Funktion zu. Das Sichtbarwerden bzw. das mediale Sichtbarmachen der afghanischen Frau, wie es sich im Bild des Anhebens bzw. Ablegens des Schleiers vollzieht, kann mithin als (neo-)koloniale und zugleich patriarchale Kontroll- und Unterwerfungsstrategie analysiert werden (vgl. Maier/Stegmann 2003: 53). Wenk (2008) etwa diskutiert die Entschleierungsbilder des Afghanistankrieges im Anschluss an Frantz Fanons Überlegungen zum Kampf um den Schleier in Algerien: »Die Geschichte des Kolonialismus lehrt uns, dass Sichtbarkeitstechnologien immer auch als Kontrolltechnologien dienen und auf mehrfache Weise dem Begehren nach maximaler Sichtbarkeit entgegenkommen konnten. Der Europäer ›will sehen. Er reagiert aggressiv vor dieser Einschränkung seiner Wahrnehmung‹« (ebd.: 38, Zitat im Zitat Fanon).
Wie Wenk weiter ausführt, war die Entschleierung der kolonialisierten Frauen ein wesentlicher Bestandteil der algerischen Kolonialpolitik, mit der die Gegenwehr gegen die Eroberer gebrochen und das Land unterworfen werden sollte; dies führte jedoch erst recht zu einem Festhalten an den tradierten Verhaltensweisen bzw. dem Schleiertragen als einer Form des kulturellen Widerstandes (ebd.: 38ff). Die algerische Frau stand symbolisch für das Land, das erobert werden sollte; im Gegenzug repräsentierte schließlich die entschleierte Frau, die ihr Gesicht der Identifizierung freigeben musste, dessen vollständige Unterwerfung: »Die Entblößung stellt sich hier zunächst und vor allem als Akt der Unterwerfung unter die westliche Ordnung der Sichtbarkeit dar« (ebd.: 42). Der Wunsch, der ›fremden Frau‹ den Schleier zu entreißen und ›dahinterzublicken‹, gehört, so Wenk, zu den tief verwurzelten orientalistischen Imaginationen, in denen sich koloniale Eroberungspolitik und sexualisierte Haremsphantasien kreuzen. Fanon spricht von einer »doppelten Deflorierung« (zit.n. ebd.: 38): So gehe im Traum des weißen Mannes der Vergewaltigung der algerischen Frau stets das Zerreißen des Schleiers voraus. Dem Schleier als Symbol haftet von jeher eine doppelte Bedrohlichkeit an: Er steht zum einen für die ›Unsichtbarkeit‹ und ›Unverfügbarkeit‹ der Frau, die sich durch den Schleier dem männlichen (weißen) Blick und Zugriff verweigert; zum anderen ist er bis heute als Zeichen für ›den Islam‹ bzw. ›den Orient‹ präsent und steht für Verführung, Täuschung und Verschleierung im übertragenen Wortsinn (ebd.). Die medialen Narrationen und Visualisierungen der ›Entschleierung‹ der afghanischen Frau können vor dem Hintergrund dieser Überlegungen als Rückgriff auf bekannte kolonialistische Denkmuster verstanden werden. Der (›männliche‹) westliche Wunsch nach Kontrolle des ›weiblichen Körpers‹, der nun als ›sichtbarer Körper‹ entsprechend westlichen Weiblichkeitsvorstellungen bewertet und normiert werden kann, steht stellvertretend für den westlichen Wunsch nach einer Unterwerfung der Taliban und einer Herstellung ›zivilisierter‹ und ›geordneter‹ Verhältnisse in Afghanistan. ten, sein Bart abrasiert. Diese Geste, die zunächst nur dazu diente, seine Identität sichtbar zu machen, war jedoch zugleich eine der Erniedrigung« (2005a: 89).
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Darüber hinaus kann das Bild der Entschleierung bzw. das Sichtbarmachen der ›afghanischen Frau‹ auch als symbolische Demütigung der Taliban interpretiert werden, deren Männlichkeit – verstanden als Kontroll- und Verfügungsmacht über das Weibliche – dadurch in Frage gestellt wird. So war die Einführung der Burka in Afghanistan ein Instrument, um die Geschlechtertrennung räumlich zu manifestieren: eine Art Grenzziehung aus Textil. Männlichkeit definierte sich v.a. über patriarchale Vormachtsstellung und den rigiden Ausschluss von Frauen aus dem öffentlichen Raum, den Frauen wenn überhaupt nur noch unter der Burka betreten durften (vgl. Kreile 2002). Im Gegenzug kann die – medial zur Schau gestellte – Sichtbarkeit der afghanischen Frau infolge der Entschleierung als ein symbolischer Angriff auf die tradierte afghanische Geschlechterordnung und das patriarchale Selbstverständnis der Taliban verstanden werden. Die ›entschleierte afghanische Frau‹ symbolisiert damit nicht nur das eingenommene Territorium (z.B. die Eroberung der Stadt Kabul) und den ›Sieg‹ über die Taliban, sondern in einem übertragenen Sinne auch die eingenommene (islamische) Kultur des Feindes (vgl. Maier/Balz 2010: 87).
6.9.6 Ethnisierung und Disziplinierung von Weiblichkeit — die ›afghanische Frau‹ als Negativ-Folie ›okzidentaler Weiblichkeit‹ Unterschwellig wird die Repräsentation der afghanischen Frau auf Schritt und Tritt von Vorstellungen westlich-hegemonialer Weiblichkeit begleitet, die zugleich den Maßstab der Bewertung bilden. Damit tritt eine weitere Symbolfunktion zutage, die der ›afghanischen Frau‹ im Rahmen der Berichterstattung über den ›Krieg gegen den Terror‹ zukommt: Die Figur der afghanischen Frau fungiert als ethnisierter und orientalisierter Gegenentwurf ›westlicher‹ Weiblichkeitsvorstellungen und wird diesen zugleich untergeordnet. Die Konstruktion der ›anderen Frau‹ dient dabei der Aufwertung und Selbstvergewisserung des zumeist unmarkierten ›Eigenen‹ und verstärkt ethnisierte und rassistische Hierarchien. Wie Helma Lutz bereits 1992 konstatiert hat, definiert und konstituiert sich das (Selbst-)Bild der ›westlichen Frau‹ als emanzipiert, aufgeklärt und fortschrittlich ganz wesentlich über die Abgrenzung und Abwertung der patriarchal unterdrückten ›islamischen Frau‹ (vgl. Lutz 1992; Rommelspacher 2002; Lutz/Huth-Hildebrandt 1998). So wird mit der fortwährenden und ausschließlichen Fokussierung auf die ›afghanische Frau‹ als Opfer des ›islamischen Patriarchats‹ immer auch ein Wissen darüber (re-)produziert, dass der Kampf um Frauenrechte und Geschlechtergleichheit in den westlichen Gesellschaften vermeintlich erfolgreich war und die ›westliche Frau‹ als Angehörige der ›westlichen Kultur‹ gleichsam automatisch emanzipiert ist. Eine kritische Reflexion der eigenen Gesellschaft, ihrer Herrschaftsverhältnisse, Macht- und Ausschlussformen scheint sich damit zu erübrigen. Mit dieser »Ethnisierung von Geschlecht« (Margret Jäger 1996; vgl. Jäger/Jäger 2007: 110), d.h. der Verschränkung von Geschlecht mit ethnisierenden (kulturalisierenden, religionisierenden) Diskursen, geht die Normalisierung und Disziplinierung von Weiblichkeit entlang westlich-hegemonialer Vorstellungen einher. Zentral darin eingelassen ist die Konstruktion einer fundamentalen Differenz zwischen ›islamischer‹ und ›westlicher Frau‹, die wiederum im Wesentlichen an einem äußeren Erscheinungsbild bzw. der Frage der Verschleierung festgemacht wird. Bei der medialen Repräsentation von Weiblichkeit, nun verstanden als Disziplinierungstechnologie, lassen sich sexualisierende und ent-sexualisierende Strategien parallel beobachten: Die Repräsentation der Burka tragenden ›afghanischen Frau‹ wird
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von allen sexualisierten Weiblichkeitsattributen befreit und als ›asexuelles‹ Wesen wahrgenommen. Im Gegenzug wird ein Bild der ›westlichen Frau‹ assoziiert und bestärkt, das sich über äußere Werte wie Schönheit, sexuelle Attraktivität und Freizügigkeit, v.a. aber durch Unverhülltheit auszeichnet. Implizit wie explizit kommt es dabei zu einer Polarisierung und Hierarchisierung zwischen der ›asexuellen afghanischen Frau unter der Burka‹, die strengen Kleidungsvorschriften unterliegt und sich dem Blick des (männlich konnotierten) Betrachters entzieht, und der ›westlichen Frau als Sex- und Freiheitssymbol‹, die sich dem ›männlichen Blick‹ vermeintlich breitwillig und unverstellt zeigt und von der Vorstellung begleitet wird, »im ›freien Westen‹ gebe es hinsichtlich der Bekleidung keinerlei Zwänge« (Pinn/Wehner 1995: 170). Die zahlreichen Hinweise auf die rigide Kontrolle und Regulierung des weiblichen Körpers wie das Verbot von Absatzschuhen, Schminke, Miniröcken etc. unter den Taliban bekräftigen den Gegensatz zwischen zwei angeblich unvereinbaren Formen von Weiblichkeit. Abbildung 19: Der Spiegel, Heft 52/2001, S. 52
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Besonders plakativ bringt dieses Repräsentationsmuster die Gegenüberstellungen zweier Fotos zum Ausdruck: auf der einen Seite die ›Queen of Pop‹ Madonna als Symbol für westliche Freiheit und weibliche Attraktivität – »bunte, weltoffene Vitalität«, lautet die Bildunterschrift –, und auf der anderen Seite eine kniende Frau mit Burka. »Schwierigkeiten mit der Moderne«, heißt in diesem Fall die ebenfalls deutlich wertende Bildunterschrift. Beide Fotos stammen aus dem Spiegel-Artikel »Die unverschleierte Würde des Westens« (Spiegel 52/2001: 50ff), der sich mit den ›Werten des Westens‹ beschäftigt; die thematische Koppelung von ›kulturellen Werten‹ mit Weiblichkeit und (Un-)Verhülltheit spiegelt sich in Auswahl und Arrangement der Fotos wider (vgl. Abb. 19 und 20). Diese polarisierende Gegenüberstellung ist typisch für die Bilderpolitik des Spiegels; so wird der Artikel auch im Inhaltsverzeichnis mit der Koppelung zweier Fotos von Frauen angekündigt: »Deutsche Studentinnen, afghanische Frauen« (52/2001: 6, Bildunterschrift). Sexualisierte und erotische Aspekte spielen in der Darstellung der afghanischen Frau erst dann eine Rolle, wenn die Burka angehoben oder abgelegt wird. So wird wiederholt herausgestellt, dass die ›afghanische Frau‹ nach ihrer ›Befreiung‹ wieder modische Kleidung, Jeans und Make-up trage bzw. dies auch schon zuvor ›heimlich‹ unter der Burka getan habe. Durch diese Deutung wird die ›entschleierte afghanische Frau‹ in die Nähe ›westlicher‹ Weiblichkeitskonstruktionen gerückt bzw. diesen angeglichen. Gleichzeitig knüpft die Repräsentation der entschleierten Afghanin an orientalistische Vorstellungen von geheimnisvoller exotischer Weiblichkeit hinter dem Schleier an. Die Fotos, die ›befreite‹ Frauen mit gelüfteten Burkas zeigen, scheinen diesen Phantasien Recht zu geben: Unter der Burka ist eine ›orientalische Schönheit‹ verborgen. Der Schleier bzw. die Burka bleibt jedoch als Symbol des Islams und des Fremden im Bild, so dass die Differenz zwischen ›islamischer‹ und ›westlicher Frau‹ nach wie vor präsent ist. So sieht man auf den Fotos zumeist nur eine Frau, die die Burka abgelegt oder zurückgeschlagen hat, inmitten weiterhin verschleierter Frauen. Mit dem Prozess der Entschleierung und den zum Vorschein kommenden glücklich lachenden Gesichtern wird die ›afghanische Frau‹ jedoch zumindest als ›weniger fremd‹ charakterisiert (vgl. Maier/Balz 2010: 88). Die ›entschleierte Afghanin‹ bewegt sich zwar in die Richtung des westlichen Weiblichkeitsideals, aber die fortwährende Betonung bzw. Visualisierung des Schleiers macht deutlich: Sie bleibt ›anders‹. Die Darstellung der ›politisch aktiven Afghanin‹, insbesondere die Figur der Petersberg-Delegierten und Ministerin, sind weitere Beispiele für die mediale Disziplinierung von Weiblichkeit entlang der Achse ›westliche‹ versus ›islamische Frau‹. Auch in diesem Fall bestimmt ein eurozentrischer Blickwinkel die Wahrnehmung: Die ›politisch aktive Afghanin‹ wird implizit am Bild der westlich-emanzipierten Frau gemessen und, insofern sie den Schleier abgelegt oder zumindest gelockert hat, als erfolgreiche Annährung bzw. Anpassung an diese interpretiert. Dies scheint auch die Bedingung dafür zu sein, dass die ›afghanische Frau‹ in den Medien als Individuum interessant und tendenziell als politisches Subjekt wahrgenommen wird. Erst dann wird sie wie im Fall der Aktantin Fatima Gailani namentlich benannt, nach ihrer politischen Meinung gefragt und als handlungsfähige Akteurin beschrieben (in der FAZ). Gailani sowie die beiden Ministerinnen werden einem westlichen Weiblichkeitsverständnis entsprechend als elegant, chic und gebildet präsentiert, womit die Darstellung an das Bild einer westlichen Politikerin anknüpft.
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Durch die Konstruktion einiger (weniger) afghanischer Politikerinnen wie z.B. Fatima Gailani als ›westlich orientierte‹ bzw. ›moderne Frau‹ bleibt die unterstellte Gegensätzlichkeit zwischen der ›westlichen Frau‹ und der ›islamischen Frau‹ jedoch unangetastet – und wird insgesamt bekräftigt. Es kommt lediglich zu einer diskursiven Grenzverschiebung, innerhalb derer ›die andere Frau‹ – wenn sie den Schleier ablegt – in die Nähe des ›Eigenen‹ rückt. Verlief vorher der Gegensatz v.a. zwischen ›westlicher‹ und ›afghanischer Frau‹, so wird nun zwischen der ›westlich-orientierten‹ und der ›traditionellen afghanischen Frau‹ unterschieden. So entspricht die Darstellung der anderen Petersberg-Delegierten Amena Afzely, die den Schleier nicht abgelegt hat, weiterhin dem Bild der unterdrückten und unemanzipierten ›afghanischen Frau‹. Damit einher geht die homogenisierende und universalisierende Vorstellung, die kopftuchtragenden Afghaninnen auf dem Petersberg seien extrem religiös und fundamentalistisch, die anderen, ohne Kopftuch, hingegen liberal und modern.
6.9.7 Bild-Brüche? — Die ›Kämpferin‹ als geschlechtliche Ausnahme und ›Kronzeugin‹ im Kampf gegen die Taliban Betrachtet man die Darstellung der ›politisch aktiven Afghanin‹ im Kontext der gesamten Berichterstattung, treten die ›Petersberg-Delegierte‹ und ›Ministerin‹ ebenso wie die ›RAWA-Aktivistin‹ fast automatisch als Ausnahmen hervor. Sie unterscheiden sich deutlich von der Mehrheit der afghanischen Frauen, wodurch im Umkehrschluss das Bild der an sich passiven, ihr Leid erduldenden Afghanin bestärkt und fortgeschrieben wird. Die Figur der politischen (Widerstands-)Kämpferin in Gestalt der ›RAWA-Aktivistin‹ stellt eine weitere Besonderheit dar, insofern sie exemplarisch zeigt, wie durch geschlechtliche Rahmungen eine Verknappung möglicher Subjektpositionen in Kriegskontexten vonstatten geht. Des Weiteren wird mit der ›Frauenrechtlerin‹ eine Figur herausgestellt, die zwar für die Kriegsbegründung willkommen ist, nicht jedoch als ernsthafte politische Ansprechpartnerin. So wurden z.B. die Warnungen der afghanischen Frauen vor der Nordallianz ignoriert und auch andere Positionen nur sehr selektiv wiedergegeben. Für die Beurteilung des Krieges waren sie kaum von Gewicht. Zunächst irritiert, dass das Engagement der frauenpolitischen Gruppe RAWA erst im Zuge des Afghanistankriegs überhaupt öffentlich zur Kenntnis genommen wurde, hatte diese doch schon seit vielen Jahren auf die Situation der afghanischen Frauen hingewiesen und sich international um politische Unterstützung sowie finanzielle Hilfe bemüht (vgl. weiterführend zu RAWA Moghadam 2006). Doch auch im Kontext des Afghanistankriegs war die Organisation RAWA nur temporär für die Medien interessant. Nach seinem Ende ebbte die Berichterstattung sehr plötzlich und fast vollständig wieder ab. Zudem wurden Vertreterinnen der RAWA bereits im Zuge der Berichterstattung über die Afghanistankonferenz nicht als legitime Vertreterinnen Afghanistans und ernst zu nehmende politische Verhandlungspartnerinnen wahrgenommen, obwohl ihr politisches Engagement vorher überaus lobend erwähnt wurde. Folgt man den Überlegungen von Elshtain (vgl. hier und im Folgenden Elshtain 1987: 173ff), stellt die weibliche Kämpferin eine »identity in extremis« (ebd.: 173; Herv. i.O.) dar, die den hegemonialen Geschlechterbildern zuwiderläuft. Die Figur der Kämpferin fordert das vorherrschende Frauenbild heraus, denn sie widerspricht den sonst üblichen Zuschreibungen der Opferrolle sowie weiblicher Friedfertigkeit und Schutzbedürftigkeit und wird deshalb in der Regel gesellschaftlich stark sanktioniert: »The reversals of Joan of Arc or Calamity Jane are semiotic surprises
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– unexpected, doing violence to normal anticipations, inviting angry or awed reactions« (ebd.: 174). In gesellschaftlichen Krisen- und Extremsituationen, z.B. während eines Krieges, kommt es jedoch oftmals zu einer Ausweitung und Pluralisierung der den Frauen zugedachten Rollen, so dass im Krieg ein (zeitlich eingegrenztes) Überschreiten der identitären Grenzen möglich wird. Sobald die Extremsituation gebannt und die Normalität zurückgekehrt ist, müssen diese Extrem-Rollen wieder getilgt werden. In Friedenszeiten ist die Rolle der Frau als Kämpferin unerwünscht. Als ›semiotic surprise‹ kann sich die Kämpferin gegenüber den dominanten Bildern nicht durchsetzen und fällt nach Ende des Krieges dem Vergessen anheim bzw. hält zumeist keinen Einzug in das kollektive Gedächtnis. So auch im Fall der ›RAWAFrau‹: Nach Ende des Afghanistankriegs ist sie in den Medien kaum noch präsent. Zurück bleibt das Bild der afghanischen Frau als Opfer der Taliban, passiv, unterdrückt und schutzbedürftig, zudem friedfertig und leidensfähig – und nicht aufrührerisch und kämpferisch. Dabei dürfte auch die Rahmung als revolutionär, militant, linksradikal und kommunistisch – die FAZ spricht von einer »weit links stehenden Frauenrechtsgruppe« (27.11.01: 2) – mit dafür verantwortlich sein, dass die Organisation heute in der Öffentlichkeit kaum mehr präsent ist oder eher negativ dargestellt wird.120 Zudem widerspricht die Figur der ›afghanischen Kämpferin‹ dem dominanten Narrativ, die ›afghanische Frau‹ könne sich nicht selbst befreien, sondern benötigte (militärische) Hilfe von außen. Auf der anderen Seite bezeugt die ›politisch aktive Afghanin‹, insbesondere wenn sie selbst zu Wort kommt, die menschen- und frauenrechtlichen Missstände in Afghanistan und verleiht der Berichterstattung so Authentizität. Sie fungiert als ›Kronzeugin‹ für die vermeintliche Rückständigkeit der Taliban und damit indirekt als Beleg für die Notwendigkeit des Krieges. Die Botschaft, die mit ihrer Repräsentation verknüpft ist, lautet: Die Bekämpfung der Taliban ist notwendig, das wird durch die afghanischen Frauen selbst bestätigt und gewünscht. In diesem Sinne kann die Figur der afghanischen Frauenrechtlerin und RAWA-Kämpferin zur Kriegsmobilisierung genutzt werden, denn ihr Kampf gegen die Taliban legitimiert zugleich die Unterstützung dieses Kampfes durch den Westen (ungeachtet dessen, dass RAWA laut Selbstauskunft einem militärischen Einschreiten von außen grundsätzlich ablehnend gegenüberstand). Implizit kommt es zu einer Parallelisierung des Kampfes der RAWA mit dem der westlichen Politik: »Diese Organisation […] hat sich aber vor allem den Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus auf ihre Fahnen geschrieben«, hebt die FAZ hervor (11.12.01: 6). Die politischen Positionen und Forderungen der RAWA werden in beiden Medien jedoch nur selektiv aufgegriffen: Berichte über die Grausamkeit der Taliban werden zwar wiederholt zitiert, nicht jedoch ihre grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber dem Krieg. Lediglich an einer Stelle wird betont, dass die RAWA von Anfang an, trotz des erlittenen Unrechts, »sowohl die UN-Sanktionen gegen die Taliban als auch den amerikanischen Luftkrieg verurteilt habe« (ebd.). Dass die Narration von ›Befreiung‹ und ›Neuanfang‹ nur wenig mit der Realität der afghanischen Bevölkerung und insbesondere der Frauen zu tun hatte, wurde 120 | Noch vor dem 11. September lehnte die englische Botschaft, so die RAWA-Sprecherin Refa, Gesuche nach finanzieller Unterstützung mit der Begründung ab, dass solange RAWA das Wort »revolutionär« im Namen führe, keine Unterstützung aus England zu erwarten sei (Spiegel 42/2001: 180).
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bereits unmittelbar nach dem Ende des Krieges deutlich. Wie die Berichte von Menschenrechtsorganisationen belegen, hat sich die Situation der afghanischen Frau nach dem Krieg bis heute nicht wesentlich verbessert. Die patriarchale Geschlechterordnung und die Sorge um die eigene Sicherheit lässt viele Frauen davor zurückschrecken, die Burka abzulegen. Dieser Sachverhalt wird jedoch zumeist gar nicht kommentiert, noch löst er größere Empörung aus oder führt zu einer Revision des Deutungsmusters ›Befreiung‹. Im öffentlichen Bereich sind afghanische Frauen nach wie vor unterrepräsentiert und ihre eigenen Sichtweisen werden nach wie vor (auch in der westlichen Öffentlichkeit) kaum wahrgenommen. In der politischen Gestaltung des neuen Afghanistans sind Frauen bis heute marginalisiert geblieben und zum Teil erheblichen Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt. Die Organisation RAWA agiert deshalb nach wie vor aus dem Untergrund heraus (vgl. Exo 2010).121
121 | Zur Lage der Frauen in Afghanistan nach dem Krieg vgl. Fleschenberg 2009; Human Rights Watch 2002a, 2002b, 2002c, 2004, 2005, 2009; Kreile 2002 und 2005; kritisch zum Umgang der westlichen und wissenschaftlichen Öffentlichkeit mit den Stimmen der afghanischen Frauen, insbesondere der RAWA, Exo 2010.
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V. Schlussbetrachtungen: Konstruktionen von Geschlecht im ›Krieg gegen den Terror‹
Die Untersuchung der Berichterstattung über den 11. September und den ›Krieg gegen den Terror‹ anhand der beiden deutschen ›Leitmedien‹ FAZ und Spiegel hat gezeigt, dass geschlechtliche Zuschreibungen, Rollen- und Identitätskonstruktionen im medialen Diskurs von eminenter Bedeutung sind. Die symbolisch-diskursiven Geschlechterkonstruktionen sind für die Legitimierung politischen Handelns, insbesondere militärischer Gewaltausübung, sowie für die Konstruktion kollektiver Identitäten in der internationalen Politik funktional. Durch die Analyse wurde deutlich, dass insbesondere die Reproduktion binärer zweigeschlechtlicher Subjektpositionen von ›aktiven, kämpfenden Männern‹ (westliche Politiker und Soldaten, angreifende Terroristen, kriegerische Taliban) und ›passiven, viktimisierten Frauen‹ (afghanische Frauen) sowie die Hierarchisierung unterschiedlicher Modelle von Männlichkeit (rationaler versus irrationaler Politiker, Frauenfreund und -helfer versus Kämpfer, säkular-moderner Mann versus fanatisch-gläubiger Moslem etc.) mit dazu beigetragen haben, eine deutsche Kriegsbeteiligung in politischer wie moralischer Hinsicht zu rechtfertigen. Zentrales Ergebnis der Analyse ist zudem der Nachweis, dass geschlechtliche Repräsentationen und Zuschreibungen zutiefst in die kollektiven Identitätskonstruktionen und diskursiven Grenzziehungen zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ eingewoben sind, womit eine der zentralen Funktionen von Geschlechterbildern in Krisen- und Kriegszeiten angesprochen ist. Kurzum: Ohne Berücksichtigung der Kategorie Geschlecht lässt sich die mediale Verarbeitung von Krieg und ›Terror‹, v.a. aber die für einen Krieg notwendige Mobilisierung bzw. Herstellung von Akzeptanz und Zustimmung in der Bevölkerung, nur unvollständig begreifen. Im Folgenden fasse ich die Analyseergebnisse wie folgt zusammen: Nach einer kurzen Rekapitulation der zugrunde gelegten Prämissen und der Vorgehensweise (Kap. V.1) lasse ich die Ergebnisse, die die Analyse der verschiedenen Aktanten ergeben hat, in der Zusammenschau Revue passieren (Kap. V.2). Ich formuliere Thesen zur Bedeutung von Geschlechterkonstruktionen in der Berichterstattung über Krieg und ›Terror‹, wobei ich auf Traditionen und Brüche sowie die Tauglichkeit des Konzepts der hegemonialen Männlichkeit (Connell) eingehe. Im Anschluss diskutiere ich die rekonstruierten Geschlechterbilder hinsichtlich ihrer Funktionalität – im
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Sinne einer symbolischen Ressource – für die Konstruktionen kollektiver Identitäten (Kap. V.3) und die Legitimierung von staatlicher Gewalt und Krieg (Kap. V.4). Die Ergebnisse werden dabei im Kontext aktueller politischer Entwicklungen verortet und Möglichkeiten für anschließende Forschungsprojekte aufgezeigt.
1. N EUE K RIEGE — NEUE G ESCHLECHTERKONSTRUKTIONEN ? In der vorliegenden Untersuchung wurde die mediale Vermittlung der Terroranschläge des 11. September 2001 und des daraufhin ausgerufenen ›Kriegs gegen den Terror‹ als ein diskursives ›Verarbeiten‹ der schockierenden Ereignisse und zugleich als ein Ringen um Bedeutung und Deutungshoheit begriffen, in dem gültiges Wissen produziert und der Bereich des Sagbaren abgesteckt wird. Grundlegend für meine Arbeit waren konstruktivistische und feministische (politikwissenschaftliche) Überlegungen, denen zufolge in den Diskursen und Prozessen der internationalen Politik nicht nur nationale, sondern auch geschlechtliche Identitäten entworfen, verhandelt und (neu) konstruiert werden. Ausgegangen wurde dabei von der Annahme, dass Geschlecht im medialen Diskurs über ›Terror‹, Krieg und internationale Politik eine maßgebliche Bedeutung bzw. eine politische Funktion zukommt. So ist aus der feministischen Forschung bekannt, dass in Kriegs- und Konfliktzeiten oftmals binäre Vorstellungen von ›kämpfenden Männern‹ und ›friedfertigen Frauen‹ Konjunktur haben, die sich zudem für die Begründung und Legitimierung staatlichen und außenpolitischen Handelns als funktional erweisen (z.B. der ›Schutz von Frauen und Kindern‹). Meine Untersuchung sollte daher danach fragen, inwieweit solche (oder andere) Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit bzw. der Geschlechterverhältnisse der Konstruktion von eigener und fremder Identität und damit auch und gerade der Konstitution von Feindbildern eingelagert sind – und inwieweit sie dadurch an der Legitimation des Einsatzes kriegerischer Gewalt Anteil haben (oder aber dieser entgegenstehen). Weiterhin wurde angenommen, dass die Rede über den ›islamistischen Terror‹ – eingebettet in den umfassenden Diskurs über einen ›Kampf der Kulturen‹ zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ – von (neo-)orientalistischen Konzepten durchzogen sei. Dass hier wiederum Zusammenhänge zum Geschlechterdiskurs bestünden, ließ sich schon daraus ableiten, dass die ›islamistischen Terroristen‹ auch von Spiegel und FAZ, also zwei des Feminismus unverdächtigen Medien, in hohem Maße aufgrund ihrer ›barbarischen Frauenfeindlichkeit‹ als absolut ›Anderes‹ der eigenen westlichen Identität dargestellt wurden und der (vorläufige) Sieg über die afghanischen Taliban im Dezember 2001 als ›Befreiung‹ der Frauen gefeiert wurde. Eine weitere Prämisse, die es zu überprüfen galt, war die Annahme, dass sich die Normalisierung bzw. (Re-)Militarisierung der deutschen Außenpolitik im Zuge des Kosovokriegs von 1999 auch im Diskurs um den 11. September und insbesondere den Afghanistankrieg niederschlagen und verstetigen würde. Es war also zu fragen, wie im Kontext des ›Kriegs gegen den Terror‹ das deutsche politische Selbstverständnis in puncto staatlicher Souveränität, militärischer Gewaltausübung und der Verortung im Gefüge der internationalen Beziehungen dargestellt würden. Um nun der Bedeutung und Funktion von Geschlechterkonstruktionen in der medialen Darstellung von Krieg, internationaler Politik und ›Terror‹ auf die Spur zu kommen, setzte die Untersuchung bei der medialen Repräsentation der politischen
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Akteure an, mit dem Ziel, die ihnen jeweils zugeschriebene Geschlechtsidentität bzw. die geschlechtlichen Subjektpositionen, die der Kriegs- bzw. Terrordiskurs bereitstellt, sowie die Regeln ihrer Herstellung und Verknappung zu rekonstruieren. Dies beinhaltete auch die Suche nach Irritationen und tendenziellen Brüchen der zweigeschlechtlichen Muster sowie das Aufdecken der Vielfalt innerhalb der einzelnen Kategorien, also der verschiedenen Männlichkeits- und Weiblichkeitsentwürfe, die der Mediendiskurs bereitstellt. Im Fokus standen die in der Berichterstattung von FAZ und Spiegel zentralen Akteure bzw. Aktanten: Bush, Schröder, Fischer, die Grünen, Soldaten, Terroristen und afghanische Frauen. Insofern davon ausgegangen wurde, dass die Repräsentation auch der individuellen Akteure stets mit der Konstruktion kollektiver bzw. nationaler Identität verwoben sei, wurde gerade die Wechselwirkung zwischen Individuum und Kollektiv (im medialen Diskurs) ins Auge gefasst. Anhand der akteursbezogenen Deutungsmuster wurde daher herausgearbeitet, welche Konstruktionen deutscher, europäischer, US-amerikanischer, westlicher, islamischer Identität usw. mit den Aktanten verknüpft waren, was z.B. als ›nationale‹ oder ›kulturelle‹ Besonderheit genannt wurde, welche Eigenschaften jeweils positiv und negativ herausgestellt wurden – und inwieweit die Repräsentationen geschlechtliche Konnotationen aufwiesen. Um dem »diskreten Maskulinismus« (Kreisky 1995) des Politischen bzw. den zumeist implizit und geschlechtsneutral auftretenden Männlichkeitsbildern auf die Spur kommen zu können, musste dabei ein ›Umweg‹ beschritten werden. So wurde anhand der Repräsentation des Politikers (Bush, Schröder, Fischer, die Grünen) herausgearbeitet, welche Aussagen über politische Professionalität getroffen werden bzw. welche Eigenschaften, Habitusformen, Handlungsmuster im Kontext von Krieg und Krise gefragt sind, kurzum, welches Ideal eines erfolgreichen Politikers der Berichterstattung zugrunde liegt. Die Analyse der deutschen Medienberichterstattung über den 11. September und den Afghanistankrieg hat gezeigt, wie Bilder und Vorstellungen von Geschlecht das Sprechen über Krieg und ›Terror‹ strukturieren: Erstens zeigen die unterschiedlichen Geschlechterbilder in FAZ und Spiegel und die damit jeweils verbundenen Bewertungen, dass Geschlecht keine fixe Eigenschaft der (männlichen und weiblichen) Akteure ist, sondern eine dynamische Zuschreibung, die permanent aktualisiert und variiert und von diskursiven Anfechtungen, Kämpfen und Aushandlungsprozessen begleitet wird. Zweitens fließen Bilder und Zuschreibungen von Männlichkeit und Weiblichkeit nicht nur in die Darstellung der individuellen, sondern auch in die der kollektiven Akteure wie Staaten, Armeen oder Parteien ein, wodurch Geschlecht als überindividuelles, binär-symbolisches Ordnungs- und Bewertungsmuster sichtbar wird. Geschlechterbilder sind drittens zutiefst in die identitären Grenzziehungsprozesse zwischen Eigenem und Fremden, zwischen Freund und Feind eingewoben und mit Zuschreibungen von Kultur, Nationalität, Sexualität, Ethnizität, Religionszugehörigkeit etc. verquickt. Erst im Verbund sind dann die verschiedenen Attribuierungen für die Positionierung der Subjekte ausschlaggebend. Dies führte zu der Erkenntnis, dass Geschlecht nicht isoliert betrachtet werden kann. Eine theoretische und empirische Perspektiverweiterung, die die Überschneidung von Geschlecht mit anderen Kategorien sozialer Ungleichheit in den Blick nimmt, war von daher unerlässlich. In der Geschlechterforschung wird dies aktuell unter dem Stichwort »Intersektionalität« diskutiert (vgl. Winker/Degele 2009; Lutz et al. 2010; Castro Varela/Dhawan 2011). Nicht nur nach innen, auch nach außen erwies sich eine Ausweitung der Perspektive als sinnvoll. Für die Interpretation und Einord-
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nung der Ergebnisse war es unverzichtbar, über den Tellerrand der Politikwissenschaften hinauszusehen und Befunde der Kommunikations- und Medien- sowie der Kunst- und Kulturwissenschaften einzubeziehen. Viertens nehmen Spiegel und FAZ über die Repräsentation der individuellen und kollektiven Akteure ihre eigene Positionierung im Diskurs vor. Insgesamt scheint es im Kriegsdiskurs nach 9/11 zu einer Re-Traditionalisierung geschlechtlicher Vorstellungen und Identitäten zu kommen. So konnten nur wenige Geschlechterbilder rekonstruiert werden, die auf einen Bruch mit der zweigeschlechtlichen Ordnung hindeuteten (so z.B. die Figur des Terroristen).
2. D IE R EPR ÄSENTATION DER POLITISCHEN A K TEURE IN DER Z USAMMENSCHAU 2.1 Konkurrenz der Männlichkeiten und Unterordnung des Weiblichen: Bush, Schröder, Fischer und die Grünen Die Analyse hat gezeigt, dass trotz ›Terror‹ und Neuer Kriege – zumindest in Bezug auf Geschlecht – alles bleibt, wie es war: Männer handeln als Staatsmänner, Soldaten, Feinde oder Terroristen, Frauen sind Opfer männlichen Handelns oder werden zu dessen Rechtfertigung herangezogen, etwa wenn ihr ›Schutz‹ oder ihre ›Befreiung‹ zum politischen Ziel erklärt werden. In der Berichterstattung über ›Terror‹ und Krieg wird Geschlecht solchermaßen zu einer zentralen symbolischen Ressource im Kampf um politische Entscheidungsprozesse. Dabei kommt Vergeschlechtlichung am unmittelbarsten durch die Personalisierung des Politischen zum Tragen: So wird militärischen, politischen und gesellschaftlichen Akteuren ein soziales Geschlecht zugeschrieben, das individuelles und kollektives Verhalten erklärbar und verständlich macht. Zentral für die Legitimierung politischen Handelns ist jedoch nicht allein der Rekurs auf die klassische Dichotomie von ›passiver, friedfertiger, schutzbedürftiger Frau‹ und ›aktivem, kämpfendem, beschützendem (oder bedrohendem) Mann‹, sondern insbesondere die Ausdifferenzierung und Hierarchisierung verschiedener Männlichkeiten. Die Untersuchung der politischen Aktanten hat deutlich werden lassen, dass nicht ein Modell von Männlichkeit dominiert, sondern vielmehr unterschiedliche Männlichkeitsentwürfe um die Vormachtstellung ringen, wobei Relationen von Unter- und Überordnung hergestellt werden. Mit anderen Worten: Über Männlichkeitsbilder werden in den Medien politische Akteure und damit auch politische Handlungsoptionen auf- oder abgewertet. So stehen sich auf der internationalen Bühne der US-amerikanische Präsident George W. Bush und der ›neue Feind des Westens‹ Osama Bin Laden in einem Zweikampf zwischen Gut und Böse, ›Westen‹ und ›Islam‹ gegenüber. Die mediale Repräsentation des US-Präsidenten ist uneinheitlich, sowohl im zeitlichen Verlauf als auch im Vergleich zwischen FAZ und Spiegel. Mit dem Aktanten Bush werden einerseits Eigenschaften wie Nüchternheit und Rationalität (v.a. FAZ), andererseits unkontrollierte Rache und Vergeltung (v.a. Spiegel) assoziiert. Die durch die Anschläge verursachte Krise, insbesondere deren kriegerische Zuspitzung, wird in der zentralen Narration als individuelle Reifeprüfung gedeutet, die der Präsident mehr oder weniger erfolgreich meistert. Die erfolgreiche Reifung zum
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Staatsmannes wird dabei insbesondere (in der FAZ) an der als notwendig erachteten Bereitschaft zum Krieg festgemacht, welche eine Überwindung von vermeintlicher ›Weichlichkeit‹ und eine ›innere Härtung‹ voraussetzt. Während Bush der FAZ zufolge in der von den Anschlägen ausgelösten Krise und nachdem er die erste Unsicherheit überwunden hat, ein staatsmännisches Profil entwickelt, haften im Spiegel die Merkmale von Schwäche und Inkompetenz, die das Magazin v.a. in der von Ratlosigkeit geprägten unmittelbaren Reaktion auf die Anschläge in der Grundschule in Florida zu erkennen meint, am Präsidenten. Je nach Diskursposition wird dem Präsidenten mithin entweder bescheinigt, dass er mit der Krise zum Staatsmann gereift sei, der selbstbeherrscht und rational auf den Schock des 11. September reagiere, oder ihm werden die männlich kodierten positiven Werte von Entschlossenheit, Handlungsfähigkeit und Rationalität zumindest so weit abgesprochen, dass Zweifel an seiner politischen ›Potenz‹ im ›Kampf der Kulturen‹ bestehen bleiben. Dem entspricht auch, dass die beiden Medien Bushs Erfolg im Hinblick auf andere Rollenerwartungen unterschiedlich bewerten: Die FAZ schreibt ihm – in Ergänzung zur staatsmännischen Rationalität – auch die sozialen und emotionalen Kompetenzen eines Therapeuten und die Fähigkeit eines charismatischen Führers, die Nation zu einen und zu führen, zu. Demgegenüber fehlt Bush aus Sicht des Spiegels die menschliche und politische Reife, um die eigenen (kindlich oder weiblich konnotierten) Emotionen der Unsicherheit und Selbstbezogenheit überwinden und den USA Sicherheit und Souveränität vermitteln zu können. Mit den Vorbereitungen zum Krieg gegen die Taliban nimmt im Spiegel eine weitere Deutung des US-Präsidenten Gestalt an: das Bild des Cowboys, der irrational, selbstherrlich und (männlich) überzogen agiert und ohne Rücksicht auf ›andere Kulturen‹ oder internationale Bündnispartner seine Vergeltungs- und Weltherrschaftspläne verfolgt. Anknüpfend an tradierte Wildwest-Mythen von Abenteuer und Männlichkeit wird Bush – und mit ihm die gesamte US-amerikanische Nation – als ein auf Rache und Vergeltung sinnender Cowboy inszeniert, wobei das (an sich facettenreichere) Bild des Cowboys auf den ›tumben Revolverhelden‹, der unkontrolliert aus der Hüfte schießt, reduziert und ausschließlich negativ verwendet wird. In der FAZ herrscht währenddessen weiterhin das Deutungsmuster des rationalen Staatsmannes vor. Während das Deutungsmuster ›Staatsmann‹ prinzipiell auf eine Legitimierung politischen Handelns angelegt ist, geht die Figur des Cowboys mit einer Delegitimierung der (US-amerikanischen) Politik einher. So wurde die Bombardierung Afghanistans im Spiegel als Ausdruck einer US-amerikanischen Sheriff-Gesinnung, imperialistisches Rabaukentum und Macho-Gehabe kritisiert. Das Deutungsmuster ›Cowboy‹ fungiert im Spiegel als Negativfolie und dient vorrangig der Konstituierung einer deutsch-europäischen Identität in Abgrenzung zur USA. Die FAZ bewertet die US-amerikanische Politik und die Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel hingegen als tatkräftig, unerschrocken und notwendig im Sinne realistischer Erfordernisse. Die US-Politik fungiert damit implizit als Vorbild für die Neuausrichtung der deutsch-europäischen Politik. Während FAZ und Spiegel in der Beurteilung von Bushs Befähigung zum Staatsmann uneins sind, erfährt der zweite untersuchte Hauptakteur, Bundeskanzler Gerhard Schröder, diesbezüglich bis zur Koalitionskrise im Kontext des Afghanistankriegs von beiden Medien weitreichende Anerkennung und Zustimmung. So
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werden ihm für seine direkte Reaktion auf den 11. September, das zeitnah und entschlossen vorgetragene Solidaritätsversprechen, sowohl Mut und Führungskraft als auch Besonnenheit bescheinigt. Auch wird Schröder als ›Wegbereiter‹ einer souveränen deutschen Außenpolitik unterstützt, die auch den Einsatz des Militärs out of area einschließt – das Staatsmann-Werden Schröders korrespondiert dabei mit einem ›Erwachsenwerden‹ Deutschlands auf der internationalen Bühne. Die Repräsentation Schröders folgt über weite Strecken dem Weber’schen Ideal des (maskulinistischen) Berufspolitikers, der verantwortungsvoll, sachlich und zweckrational im Interesse des Staates handelt. Darüber hinaus werden Schröder im politischen Handeln Gewissenhaftigkeit und die Orientierung an ethischen Prinzipien zugeschrieben, was in den beiden untersuchten Medien aber unterschiedlich bewertet wird: Gemäß ihrer deutlich (neo-)realistischen Ausrichtung sieht die FAZ diese ›Moralität‹ tendenziell als Problem an, da sie das Primat des Staatsinteresses relativiert. Demgegenüber hält der Spiegel sie dem Kanzler zugute und stellt eine als typisch deutsch verstandene ›wertegebundene‹ Außenpolitik, insbesondere eine säkulare Politik der Menschenrechte und des ›Dialogs der Kulturen‹, der ›rücksichtslosen‹ und ›militaristischen‹ US-amerikanischen Politik entgegen. Dementsprechend erscheint der Bundeskanzler im Vergleich mit Bush als der nicht nur besonnenere, sondern auch moralisch und intellektuell überlegene Politiker, kurz: als Staatsmann statt als Cowboy. Der Aktant Schröder verkörpert damit in Abgrenzung zu dem ungezügelten, bellizistischen und hypermaskulinen US-Präsidenten ein kontrollierteres Männlichkeitsmodell, dem es gleichwohl aber an Stärke und Unnachgiebigkeit nicht mangelt. Denn auch im deutschen Kontext ist nach dem 11. September der tatkräftige Macher (»Zupack-Kanzler«) gefragt. Die unterschiedliche Einschätzung der deutschen Außenpolitik in Spiegel und FAZ schlägt sich in der Ausgestaltung der Figur Schröder, insbesondere in der unterschiedlichen Bewertung von Stärke, Macht und Autonomie (gegenüber regierungskritischen Stimmen aus Parteien und Bevölkerung) des Kanzlers nieder. Macht und Stärke beziehen sich in der FAZ v.a. auf militärische Stärke und die Macht, eine (Re-)Militarisierung der Politik auch gegenüber möglichen Widerständen durchzusetzen. Die FAZ begrüßt den von Schröder eingeschlagenen Kurs der Regierungspolitik und sieht mit dem 11. September den ›Beweis‹ für die Notwendigkeit eines längst überfälligen Paradigmenwechsel in der deutschen Sicherheitspolitik gekommen, deren Grundlage ein starker, wehrhafter Staat nach innen wie nach außen bildet. Das ›Einknicken‹ Schröders gegenüber den Grünen wird dementsprechend als fehlende Standfestigkeit und persönliche Schwäche gedeutet. Demgegenüber zeigt sich der Spiegel gegenüber einer auf militärische Gewalt und Krieg setzenden Politik ebenso wie der Figur Schröder ambivalent. Im Zuge der sich zuspitzenden Koalitionskrise im November wird Schröder teilweise als rücksichtsloser Machtpolitiker kritisiert, der seine Autorität dazu missbraucht, innenpolitische Widersacher auszuschalten. Stärke und Unnachgiebigkeit werden im Spiegel hingegen ausdrücklich gutgeheißen, wenn sie gegenüber den USA zum Einsatz kommen, bzw. eingefordert, wenn eine zu große ›Unterwürfigkeit‹ gegenüber dem transatlantischen Partner ausgemacht wird. Dies entspricht einem Wunsch nach der Ausbildung eines starken ›deutschen Profils‹ in Abgrenzung und als politisches Gegengewicht zur US-amerikanischen Politik. Aus dem Argumentationsverlauf der Kriegsreportagen und der fortschreitenden Dämonisierung des Gegners wird dabei ersichtlich, dass sich die kriegskritische Haltung des Spiegels in erster
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Linie auf das vermeintlich übertriebene Vorgehen der USA richtet, nicht gegen den Krieg generell – und auch nicht gegen die bevorstehenden (militaristischen) Umbauarbeiten der deutschen Außenpolitik. Die Remaskulinisierung der Politik nach dem 11. September zeigt sich insbesondere in der Aufwertung männlich kodierter Werte und Eigenschaften, die den verschiedenen Politikern zugeschrieben werden. Nicht nur die US-amerikanische, auch die deutsche Regierung wird an männlich konnotierten Tugenden wie Aktionismus, Härte, Standfestigkeit und Durchsetzungskraft gemessen. Zwar favorisieren Spiegel und FAZ jeweils ein anderes Männlichkeitsbild. Zweifelsohne orientieren sich die verfolgten Politikerideale jedoch an bestimmten Vorstellungen von Männlichkeit – bei gleichzeitiger Abwertung und Unterordnung des Weiblichen bzw. weiblich kodierter Zuschreibungen wie Emotionalität, Unsicherheit und Weichlichkeit. So wird wiederholt betont, dass ein Kanzler in Zeiten der Krise, Gradlinigkeit und Stärke beweisen müsse, und die Bevölkerung von ihm erwarte, dass er Trost und Halt verspreche. Die Zuschreibungen ›Wankelmütigkeit‹, ›Angst‹ und ›Gutmenschentum‹ sind im Zusammenhang mit dem politischen Geschehen in Deutschland besonders negativ besetzt. Deutlich wird dies, wenn man die Darstellung der Parteibasis der Grünen hinzuzieht und mit der von Bush, Schröder und Fischer vergleicht. Während der grüne Außenminister Joschka Fischer im Wesentlichen der Darstellung Schröders als ›erwachsen gewordener‹ Staatsmann entspricht, der die ›Härte der Realität‹ in der Weltpolitik nicht länger herunterzuspielen oder zu leugnen gewillt ist, werden regierungs- und kriegskritische Einwände, wie z.B. die Forderung von Claudia Roth nach einer Feuerpause, symbolisch feminisiert und als schwächliches ›Heulsusen‹-Gehabe abgetan. Diese Feminisierung wird flankiert von bzw. überschneidet sich mit deutlich abwertenden Formen der Infantilisierung, der gemäß die Grünen sich dem ›Erwachsenwerden‹ verweigern, der Pathologisierung, der gemäß sie angesichts militärischer ›Notwendigkeiten‹ Angststörungen entwickeln, sowie der Emotionalisierung, der gemäß sie über die ›Härte der Realität‹ bloß lamentieren und unfähig zu rationalen Entscheidungen sind. Die Emotionalisierung der Parteibasis geht dabei mit einer starken Irrationalisierung einher. So werden kriegskritische und pazifistische Ansichten und Forderungen als ›reflexhaft‹, ›starrköpfig‹ und ›verzerrt-weltfremd‹ gerahmt. Ein sorgfältiges Abwägen politischer Handlungsoptionen, verbunden mit Sorge und Zweifel über die Angemessenheit der getroffenen Entscheidungen, werden damit ebenso wie Betroffenheit und Dialog als reine Zeitverschwendung und Selbstzweck gedeutet. Auffällig ist die Verbannung der politischen Entscheidungsdebatten in einen Raum des – weiblich konnotierten – Privaten (Selbsthilfegruppe, Selbstgeißelung, Seelenqualen, Leiden, Bauchgefühl etc.). Diejenigen, die Schröder in der Abstimmung ihr Vertrauen versagten und bei ihrer pazifistischen bzw. antimilitaristischen Haltung blieben, werden letztlich als absolut ›weltfremde Gutmenschen‹, ›politische Dinosaurier‹ und ›ewiggestrige Sturköpfe‹ verspottet und der Lächerlichkeit preisgegeben. Der diskursiven Rahmung zufolge bleiben die grünen Pazifist_innen und Kriegsgegner_ innen in der Krise gefangen und auf sich selbst zurückgeworfen. Sie haben den Reifungsprozess hin zu einer ›erwachsenen Partei‹, die auch zu militärischen Mitteln bereit ist, verfehlt. Zwar beurteilt insbesondere der Spiegel die Entwicklung der Grünen nach der Petersberg-Konferenz und der zunehmenden Konzentration auf den erhofften (zivilen) Wiederaufbau in Afghanistan wieder positiver, der Deutungs-
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prozess einer abwertenden Feminisierung politisch unerwünschter Positionen ist davon jedoch nicht tangiert. Die Konkurrenz der verschiedenen Männlichkeitsmodelle lässt den Maskulinismus des politischen Feldes deutlich zutage treten, denn Weiblichkeit spielt in den ›ernsten Spielen des Wettbewerbs‹ (Bourdieu), als dessen ernstestes Spiel der Krieg gilt, nach wie vor eine untergeordnete Rolle und fungiert in erster Linie als ›symbolischer Einsatz‹ im männlichen Spiel. Während Männer die eigentlich Handelnden und Subjekte des Geschehens sind, dient die Repräsentation von Frauen der Illustration der verschiedenen Männlichkeiten – sowohl im Rahmen der Feind- als auch der Freundbildkonstruktionen. Ein Bezug auf Frauen oder Weiblichkeit wird dann hergestellt, wenn es darum geht, die verschiedenen Männlichkeiten zu differenzieren und als gültig oder ungültig, gut oder schlecht zu markieren. So werden entlang des Themas ›Frauenrechte‹ bzw. ›Emanzipation der Frau‹ unterschiedliche Männlichkeitsmodelle entworfen und hierarchisiert und eine ›islamistisch-frauenfeindliche‹ von einer ›westlich-frauenfreundlichen Männlichkeit‹ negativ abgegrenzt. Der Status der Frau in der Gesellschaft bildet generell einen festen Bezugspunkt der Argumentationen und wird zum zentralen Bestandteil der Konstruktion kollektiver Identitäten: Die behauptete ›Stellung der Frau‹ fungiert auf der einen Seite als Marker für ›westlichen‹ Fortschritt, Freiheit und Emanzipation, auf der anderen Seite für ›islamische‹ Rückständigkeit und patriarchale Herrschaft und organisiert (symbolisch) die Unterordnung des ›Islams‹ unter den ›Westen‹. Als eigenständige Akteurinnen tauchen Frauen hingegen auf beiden Seiten nur selten auf. Die Subjektposition des politisch denkenden und handelnden Subjekts bleibt Frauen im medialen Diskurs über ›Terror‹ und Krieg bis auf wenige Ausnahmen verwehrt. Zwar stehen auch westliche Politikerinnen hin und wieder im Fokus der Medien, die Darstellung orientiert sich jedoch häufig an weiblichen Klischees oder erfolgt in (die politische Kompetenz) abwertender Form. Als Expert_innen in Sachen ›Terror‹ und ›Sicherheitspolitik‹ werden ebenso meistens Männer befragt und interviewt. Im Gegensatz dazu wird die ›afghanische Frau‹ überproportional häufig in der Berichterstattung erwähnt. Wie die Analyse gezeigt hat, erfolgt die Thematisierung von (afghanischen) Frauen und Frauenrechten jedoch äußerst selektiv, zumeist in Verbindung mit den Diskurssträngen Taliban-Herrschaft, Afghanistankrieg und Verschleierung. Die Figur der Afghanin fungiert in erster Linie als Allegorie für die afghanische Nation und symbolisiert Sinn und Zweck ›männlichen‹ (kriegerischen) Handelns, bei gleichzeitiger Missachtung ihrer eigenen politischen Meinungen oder Forderungen. Die vermeintliche ›Rettung‹ und ›Befreiung‹ der afghanischen Frau von den ›barbarischen Taliban‹ kann somit zu einer tragenden Säule der Kriegslegitimierung werden – und bekräftigt im Gegenzug die ›Zweckmäßigkeit‹ und ›Ritterlichkeit‹ des eigenen (militärischen) Handelns. Dominierend ist eine Narration, die zugleich an (neo-)kolonialistische Wahrnehmungs- und Unterwerfungsstrategien anknüpft: Das Ablegen des Schleiers bzw. die ›Entschleierung der afghanischen Frau‹ symbolisiert die vermeintliche ›Befreiung‹ Afghanistans von den Taliban und damit einen Teilsieg des ›Westens‹ im Anti-Terror-Kampf. In der abendländischen Tradition weiblicher Allegorisierungen der Nation stehend, verkörpert die ›afghanische Frau‹ – wenn sie die Burka gelüftet oder abgelegt hat – ›westliche‹ Prinzipien und Ideale wie Frieden, Freiheit und Demokratie. Wie ich gezeigt habe, wird die ›afghanische Frau‹ jedoch nicht nur entlang weiblicher Stereotype dargestellt und durchgängig viktimisiert, sondern
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es kommen ebenso orientalistische und kulturalistische Deutungen zum Tragen, wodurch die ›afghanische Frau‹ den Konstruktionen westlicher Weiblichkeit untergeordnet wird. Mit dem von Bourdieu und Connell bereitgestellten theoretischen Instrumentarium lässt sich die Berichterstattung über den 11. September und den Afghanistankrieg als Definitionskampf um ›hegemoniale Männlichkeit‹ begreifen: als eine Arena konkurrierender Männlichkeiten, in der verschiedene Männlichkeitstypen (Bush, Schröder, Fischer) um die Vorherrschaft ringen. Wie die Analyse der verschiedenen Figuren des westlichen Politikers deutlich gemacht hat, orientieren sich diese allesamt an verschiedenen Aspekten und Modellen ›hegemonialer Männlichkeit‹ (Connell): der sorgend-führende Vater der Nation, der für Sicherheit sorgende soldatische Oberbefehlshaber, der allwissende, moralisch wie kognitiv überlegene Politiker, der Arzt und Therapeut, der für das Seelenheil der verängstigten Bevölkerung und Parteien zuständig ist, zugleich aber das Maß der ›richtigen‹ Gefühle zu kontrollieren bestrebt ist, der charismatische Anführer, der durch Patriotismus und Pathos die Nation (emotional) zusammenschweißt, und schließlich der raue und unabhängige Cowboy, der auf Abenteuer und Rache aus ist. Zwischen all diesen Männlichkeitstypen wird jedoch einer spezifisch herausgehoben und aufgewertet: der rationale Staatsmann, der selbstlos im Interesse des Staates handelt. Insbesondere ›instrumentelle‹, männlich konnotierte Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit, Rationalität und (militärische) Entschlossenheit, zugleich aber auch Besonnenheit und Augenmaß werden als notwendig erachtet, um der Krise Herr zu werden. Die hegemoniale Männlichkeit des Staatsmannes grenzt sich nach außen vom Typus ›Cowboy‹ ab und wird nach innen durch einen ›männerbündischen‹ Zusammenschluss abgestützt. Mit der Analyse der Grünen ist klar geworden, dass sich der Maskulinismus des medialen Diskurses noch in einer zweiten Machtrelation ausdrückt: Die Aufwertung ›männlicher‹ Zuschreibungen nach dem 11. September geht mit der Abwertung ›weiblicher‹ Eigenschaften, Habitusformen, Identitäten, Handlungsmuster und Meinungen einher. Die Folge der geschlechtlichen Attribuierungen ist eine Verknappung der als gültig erachteten Handlungsoptionen und Sprecher_innenpositionen – und damit eine Einschränkung des gesamten Sagbarkeitsfeldes. So werden pazifistische oder kriegskritische Positionen dadurch diskreditiert, dass sie als ›weiblich‹ klassifiziert werden. Interessant ist, dass bestimmte traditionell weiblich kodierte Eigenschaften wie Emotionalität, Sensibilität/Mitgefühl und Fürsorglichkeit punktuell in die verschiedenen Männlichkeitsmodelle einbezogen werden. Positiv bewertet und mit dem Ideal eines ›erfolgreichen Politikers‹ in Einklang gebracht werden jedoch nur solche Eigenschaften, die ›maskulinen‹ Vorstellungen starker, pathetisch-würdevoller Emotionalität und Moralität entsprechen. Gefühlszustände und Eigenschaften, die mit ›weiblichen‹ Attribuierungen versehen werden, wie Zögerlichkeit und Unsicherheit in Bezug auf die ›richtigen‹ politischen Reaktionen, Angst vor einer möglichen Gewaltspirale oder Mitgefühl für die Not leidende afghanische Bevölkerung, sind nicht gefragt. Sie werden vielmehr als Zeichen von Schwäche und Wankelmütigkeit interpretiert und für eine politische Reaktion als unbrauchbar verworfen. Moralische Bedenken und Zögerlichkeit – Eigenschaften, die bei Schröder positiv hervorgehoben und als Gewissenhaftigkeit interpretiert wurden – sind im Zusammenspiel mit Zuschreibungen von Weiblichkeit und Irrationalität eindeutig negativ konnotiert.
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In Bezug auf die gestellte Anfangsfrage, welche Funktion Geschlechterbildern im medialen Diskurs über ›Terror‹ und Krieg zukommt, lässt sich als Ergebnis festhalten: Der Diskurs über Krieg und ›Terror‹ fungiert als ›Polarisierungsverstärker‹ von Geschlecht. Es kommt zur Reproduktion binärer Geschlechtsidentitäten und einer Verstärkung zweigeschlechtlicher Stereotype, die sich in erster Linie entlang der klassischen Dichotomien Aktivität versus Passivität sowie Rationalität versus Emotionalität/Irrationalität vollzieht. Gleichzeitig kommt es zu einer Ausdifferenzierung innerhalb der Kategorien: Verschiedene Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder werden – gekoppelt mit kulturellen, religiösen, ethnischen Zuschreibungen – zueinander ins Verhältnis gesetzt. So werden z.B. ›US-amerikanische‹, ›deutsche‹ und ›islamische‹ Männlichkeiten und Weiblichkeiten differenziert und hierarchisiert. Die Überlegungen Kreiskys, dass sich Kriege heute »nicht nur als Kriege der Männlichkeit [inszenieren, A.N.], sondern auch als Kriege zwischen Männlichkeiten (archaisch vs. modern, soldatisch vs. weiblich, patriotisch vs. verräterisch usw.)« (Kreisky 2008: 141), kann damit empirisch bestätigt werden.
2.2 Traditionen und Brüche: der Terrorist als neuer Akteur auf der Bühne der internationalen Beziehungen Den konkurrierenden Männlichkeitsmodellen des westlichen Politikers wird zur gleichen Zeit die Figur des Terroristen als das absolute ›Außen‹ und ›Andere‹ gegenübergestellt. Das von Mordt (2002) umrissene »Geschlechterarrangement der klassischen Sicherheitspolitik« (vgl. Kap. I.1.2.2) muss deshalb zunächst um die Figur des Feindes ergänzt werden. Der Terrorist markiert eine Verstetigung der zweigeschlechtlichen Darstellungsmuster im Krieg. Zugleich lässt sich anhand dieser Figur jedoch eine punktuelle Irritation tradierter Geschlechterrollen und -zuschreibungen im Krieg beobachten. Eingelassen in die dichotome Konstruktion von Freund und Feind folgt die mediale Darstellung des Terroristen insgesamt dem Deutungsmuster eines religiös motivierten ›Kulturkampfes‹. Wie die argumentative Struktur der Artikel und die konträren Eigenschaftszuschreibungen zeigen, wird der Terrorist v.a. als Gegenfigur des westlichen Politikers und Soldaten entworfen: Während sich der ideale westliche Politiker und der Soldat durch Säkularität1 und Rationalität auszeichnen, ist der Terrorist durch (fanatische) Religiosität und Irrationalität geprägt. Auffallend ist, dass Geschlecht bzw. Männlichkeit, wenn es um die Konstruktion des Terroristen geht, explizit zum Thema wird. Während der Politiker vermeintlich geschlechtlich neutral und völlig entsexualisiert auftritt, wobei seine Heterosexualität stillschweigend vorausgesetzt wird, wird der Terrorist von einer auffälligen Diskursivierung seiner Männlichkeit und Sexualität begleitet. Der Terrorist erscheint so in Bezug auf den ›Westen‹ und insbesondere den ›westlichen, modernen Mann‹ als das ›orientalische Andere‹, dem Vernunft und Aufgeklärtheit abgesprochen und stattdessen Irrationalität und pathologische Religiosität zugeschrieben wird. Zudem verkörpert er in hohem Maße eine ›islamische‹ patriarchale Despotie, während der ›moderne 1 | Auch eine säkularisierte oder gesellschaftlich eingebettete Religiosität ist im Rahmen dieses Konstrukts möglich. An der unterschiedlichen Darstellung von US-Präsident Bush in FAZ und Spiegel lässt sich jedoch ablesen, dass das Einbringen seines Glaubens ins Politische Gefahr läuft, wie im Spiegel als Problem und Abweichung vom Ideal markiert zu werden.
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Mann‹ für ein vermeintlich gleichberechtigtes und gewaltfreies Geschlechterverhältnis steht. Es zeigt sich hier eine besondere symbolische Funktion von Geschlechterkonstruktionen: Vorstellungen von ›Normalität‹ und ›Andersheit‹ werden über spezifische Männlichkeitsbilder verhandelt und machen die vermeintliche Differenz zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ plausibel. Dabei kommt es zu einer Kulturalisierung und Ethnisierung von Geschlecht: Spezifische Zuschreibungen von Männlichkeit und Sexualität fungieren als Zeichen für ›westliche‹ Aufklärung, (sexuelle) Freiheit und Fortschrittlichkeit oder aber als Beleg für ›islamischen‹ Traditionalismus, Barbarei und Rückschrittlichkeit und werden als Erklärung für das Handeln der Akteure herangezogen. Es wurden insgesamt vier diskursive Muster identifiziert, die den Terroristen als orientalisierten ›Anderen‹ kennzeichnen: 1. das Absprechen männlich konnotierter Rationalität und Vernunft, 2. die Zuschreibung einer gestörten, abnormen Sexualität und 3. einer archaischen Vorstellung von Männlichkeit, Krieg und Ehre und 4. die Zuweisung einer ausgeprägten Frauenfeindlichkeit. Auffallend sind insbesondere die diskursive Delegitimierung und die Pathologisierung der Männlichkeit und Sexualität des Terroristen. Infolgedessen kristallisieren sich drei verwandte, aber je spezifische Bilder des Terroristen heraus: das des ›verunsicherten, infantilen und sexuell frustrierten Terroristen‹ (Mohammed Atta), des ›heimlichen Homosexuellen‹ und ›orientalischen Polygamisten‹ (Osama Bin Laden) und des ›asexuellen, primitiv-brutalen Misogyns‹ (Taliban), wobei das Diskurselement ›Frauenfeindlichkeit‹ alle drei Feindfiguren kennzeichnet. Insgesamt sind zwei gegenläufige Strategien am Werk: Einerseits kommt es zu einer Demaskulinisierung des Terroristen, insofern dieser eine – gemäß der stillen Norm westlicher Idealmännlichkeit – verfehlte, minderwertige und damit ein ›Zuwenig‹ an Männlichkeit verkörpert. Auf der anderen Seite kommt es zu einer Hypermaskulinisierung, wobei brutales Machtgebaren, die gewaltsame Unterdrückung von Frauen und übersteigertes Kriegs- und Ehrverständnis als ›Zuviel‹ an Männlichkeit bzw. als Rückfall in (vom ›Westen‹) überwundene patriarchale Verhältnisse präsentiert werden. Beide Strategien haben gemein, dass sie die Männlichkeit des Terroristen als abweichend und ungültig und ›westliche‹ Männlichkeit als überlegen markieren. Durch die permanente Diskursivierung der Sexualität und Männlichkeit des ›Anderen‹, wird die ›eigene‹ (heterosexuelle, monogame, säkulare, auf Gleichheit beruhende etc.) Geschlechterordnung zudem idealisiert und als disziplinierende Norm festgeschrieben. Betrachtet man die rekonstruierten Deutungsmuster im Ganzen, ergibt sich jedoch ein mehrschichtiges Bild, das sich nicht allein mit einem binären männlichen Gegenmodell erklären lässt. Ein besonderes Merkmal des Feinbildes ist das paradoxe Zusammentreffen gegensätzlicher und implizit geschlechtlicher Zuschreibungen: Irrationalität und Wahnsinn – feminisierende Zuschreibungen wie sie stereotyperweise für den ›Orient‹ Verwendung finden – werden mit ›okzidentalen‹ Merkmalen ›männlicher‹ Rationalität oder technischer Versiertheit gekoppelt. Gerade diese Gleichzeitigkeit und Ambivalenz von okzidentalistischen und (neo-)orientalistischen Zuschreibungen sorgen auf symbolischer Ebene für das dem ›neuen Feind‹ zugeschriebene besondere Gefahrenpotential. Dieser Effekt wird auch durch die geschlechtliche Uneindeutigkeit, die Vermischung von weiblichen und männlichen Attributen erzeugt und verstärkt. Die Widersprüchlichkeit des Feindbildes kulminiert v.a. in der Repräsentation Bin Ladens, der mit ambivalenten Zuschrei-
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bungen von sanft/brutal, schön/hässlich, intellektuell/fanatisch sowie materialistisch/spirituell etc. ausgestattet wird und damit insgesamt als phantomartige, hybride und ›unfassbare‹ Figur erscheint. Die Sexualisierung Bin Ladens bleibt ebenso uneindeutig und schwankt zwischen hetero- und homo- und (christlich-)asexuellen Zuschreibungen. Während die symbolische Strategie der Feminisierung/Demaskulinisierung, die primär auf die Nicht-Anerkennung und Abwertung von Männlichkeit zielt, bereits ein altbekanntes Motiv insbesondere in militärischen und kriegerischen Kontexten darstellt (vgl. Goldstein 2001) und auch die Hypermaskulinisierung des Feindes in Kriegskontexten regelmäßig zu finden ist, so z.B. in der medialen Repräsentation von Saddam Hussein als despotisch-brutalem Irren und Hypermacho im Zweiten Golfkrieg (vgl. Niva 1998), ist die Konstruktion des Feinbildes ›Terrorist‹ hier anders gelagert. Feminisierung und (Hyper-)Maskulinisierung fallen zusammen. Die besondere Gefährlichkeit des Feindes scheint gerade aus der Uneindeutigkeit und Hybridität geschlechtlich konnotierter Eigenschaften von ›Weiblichkeit‹ und ›Männlichkeit‹ zu erwachsen. Ich habe die Figur des ›Monsters‹ aus dem kulturwissenschaftlichen Diskurs entliehen, um die spezifische Symbolstruktur und Funktionsweise des Feindbildes zu ergründen bzw. die unterstellte besondere Gefährlichkeit und Ablehnung des ›neuen Feindes‹ zu erfassen. Das Monster tritt uns nach dem 11. September in einer doppelten Form gegenüber: Mit Bezug auf Foucaults Figur des Monsters lässt sich verdeutlichen, dass das Monster bzw. das Monströse, von dem im medialen Diskurs über ›Terror‹ und ›Krieg gegen Terror‹ so oft die Rede ist, ein regulatorisches Konstrukt darstellt, das den Bereich ›normaler‹ Sexualität (eingebettet in die ethnisierenden und kulturalisierenden Grenzziehungsprozesse nach dem 11. September) absteckt. Die Figur des Monsters oder Monströsen markiert jedoch nicht nur das ›sexuell Perverse‹ und ›Abweichende‹, sondern den Zusammenbruch vertrauter Ordnungsmuster und vermeintlich eindeutiger (zweigeschlechtlicher, heteronormativer) Identitätskategorien insgesamt. Zu den oben beschriebenen defizitären sexuellen ›Abweichlern‹ – ›Schwuchtel‹ bzw. »Monster-Terrorist-Fag« (Puar/Rai 2002: 127), Polygamist, Misogyn – tritt die Monstrosität des Hybriden bzw. das geschlechtlich und sexuell uneindeutige Mischwesen. Monstrosität begründet sich in diesem zweiten Fall gerade aus der Uneindeutigkeit und Ambivalenz der Geschlechter- und Sexualitätsbilder. Das Monster, wie es sich hier zeigt, hat sich von einer körperlich und geschlechtlich-sexuell eindeutigen Gestalt gelöst. Monstrosität bezeichnet hier somit das Uneindeutige und kategorial Unfassbare, das sich herkömmlichen Identitätskategorien und Deutungsmustern entzieht. Das Furchteinflößende des Feindes wird damit durch eine geschlechtliche und sexuelle Verfehlung in doppelter Hinsicht symbolisiert: erstens durch eine vermeintlich abweichende und anormale (Homo-)Sexualität, zweitens durch die Uneindeutigkeit von Geschlecht und Sexualität und damit die Durchkreuzung des heteronormativen Ordnungsmusters als solchem. Während die Figur Bin Laden in diesem doppelten Sinne ›anders‹ ist (homosexuell bzw. uneindeutig/nicht-identitär), ist bei dem Selbstmordattentäter Atta das Deutungsmuster einer psychopathologischen, sexuellen Anomalie vorherrschend. Connells dynamisches Konzept hegemonialer Männlichkeit (vgl. Connell 2000) erwies sich bislang als brauchbar, um die konkurrierenden Männlichkeitsentwürfe zu beschreiben. Demnach wird hegemoniale Männlichkeit in Abgrenzung von an-
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deren Männlichkeiten und in der Abgrenzung von Weiblichkeit erzeugt. Trotz der unterschiedlichen Nuancierung orientiert sich z.B. sowohl das Bild des Cowboys als auch das des Staatsmannes am Leitbild hegemonialer, starker Männlichkeit. Mal mehr mit der einen, mal mehr mit der anderen Figur identifiziert begegnen uns v.a. Bush und Schröder als (willens-)starke Politiker, wobei je nach Kontext und Medium die Gemeinsamkeiten oder die Differenzen stärker herausgestellt werden. Die Maskulinität der Politik wurde dabei gegen eine imaginierte Weiblichkeit – personalisiert und symbolisiert durch die Parteibasis der Grünen – in Stellung gebracht, die indes der Welt des Chaos und der Irrationalität zugeordnet wurde. Die Identifizierung eines bestimmten Verhaltens als ›unmännlich‹ oder ›weiblich‹ dient dazu, die Teilhabe an etablierter Politik zu versagen. Hier finden wir das Modell der Unterordnung. Auch die Darstellung des US-Präsidenten im Spiegel entspricht stellenweise – z.B. durch die Zuweisung weiblich konnotierter Irrationalität – dem Modell der untergeordneten Männlichkeit. All diesen Konzepten von Männlichkeit, der hegemonialen wie der untergeordneten, wird die Konstruktion des Terroristen antagonistisch gegenübergestellt. Dessen vermeintlich ›andere‹, abweichende Männlichkeit ist mit kulturalisierenden und ethnisierenden Diskursen untrennbar verknüpft, wohingegen der ›westliche Politiker‹ in Bezug auf Männlichkeit ebenso wie auf seine okzidental-weiße Verortung die unmarkierte, stille Norm bildet. Folgt man dem Connell’schen Schema, verweist die Konstruktion des Terroristen zunächst auf die Kategorie der marginalisierten Männlichkeit. Das Spezifische jenes neuen Feindbildes ›Terrorist‹ ist jedoch die Kombination aus männlichen und weiblichen Zuschreibungen. Gerade die Uneindeutigkeit weckt Ängste und begründet eine nicht lokalisierbare und deshalb omnipotente Gefahr. Es entsteht ein ›monströses Mischwesen‹, das nicht einfach als Abweichung von der männlichen Norm, sondern vielmehr als deren Subversion entworfen wird. Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Erklärung der Figur des Terroristen über das Modell Männlichkeiten nicht zu kurz greift und ob man nicht eher von einer Hybridisierung von Geschlecht sprechen müsste. Connells Kategorienschema erscheint an dieser Stelle unzureichend, da der Terrorist weder einer marginalisierten (aufgrund der ethnisierenden und kulturalisierenden Zuschreibungen) noch einer untergeordneten (aufgrund der feminisierenden, homosexualisierenden Zuschreibungen) Männlichkeit eindeutig zugeordnet werden kann. Er stellt gleichsam das ›absolute Außen‹ dar, was mit Mosse als »Anti-Typus« zum Ideal der hegemonialen Männlichkeit verstanden werden kann. Diese Konstruktion spiegelt sich ebenfalls in der Darstellung des ›Kriegs gegen den Terror‹ als Kampf zweier ›Welten‹ beziehungsweise als Antagonismus von Gut und Böse wider. Auch das besondere Zusammenwirken von Weiblichkeit und Männlichkeit, welches gerade die potenzierte Gefahr zu begründen scheint, kann mit dem Connell’schen Modell nicht erfasst werden, in dem Weiblichkeit in Relation zu Männlichkeit nur als Unterordnung und symbolische Verweiblichung, demzufolge nur als Abwertung gedacht wird. Die Figur des Terroristen lässt sich nicht ohne Weiteres in die zweigeschlechtliche Ordnung integrieren und verdeutlicht zugleich die Notwendigkeit, Geschlecht als analytische Kategorie zu öffnen und in ihrer Interdependenz mit anderen Kategorien sozialer Differenzierung wie Ethnizität oder Religion zu betrachten. Es zeigt sich der Nutzen einer (de-)konstruktivistischen Perspektive, die nicht bei der Unterscheidung männlich/weiblich stehen bleibt, sondern auch die Binnenrelationen, wie es Connell für Männlichkeit gezeigt hat, in den Blick nimmt; mehr noch, die
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gerade bei den Irritationen und Brüchen ansetzt. So lassen sich die Markierungen von Männlichkeit im ›Krieg gegen den Terror‹ angestoßen durch die Figur des Terroristen auch als eine neue ›Unordnung‹ der Geschlechter interpretieren, die von zahlreichen diskursiven Anstrengungen begleitet wird, den Status quo ante wiederherzustellen und das Uneindeutige zu vereindeutigen – wodurch jedoch gerade die Fragilität und Brüchigkeit vermeintlich kohärenter Kategorien offenbar wird. Geschlecht gerät umso mehr als hergestellte und kontextabhängige Größe in den Blick. Im Hinblick auf die Begründung und Legitimierung politischen Handelns erweist sich die spezifische Symbolstruktur des Feindbildes in besonderer Weise als funktional. Symbolische Merkmale wie Form- und Gestaltlosigkeit, Unfixiertheit, Nicht-Identität, Unidentifizierbarkeit bzw. Unsichtbarkeit, die wie gezeigt für die Konstruktion des neuen Feindes wesentlich sind, bilden die Grundlage für die Konstruktion einer allgegenwärtigen, gestalt-, ort- und zeitlosen Gefahr ›Terror‹. Diese Diskursstrategien müssen in einem größeren politischen Kontext betrachtet werden, in dem ›Terrorismus‹ nicht nur als eine Tat einer bestimmten Person, Gruppe oder eines Staates, sondern darüber hinaus als globale, entterritorialisierte und omnipotente Gefahr wahrgenommen wird. Insofern das Feindbild ›Terror(ist)‹ gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass es einen nicht zu identifizierenden, nicht zu fixierenden ›Rest‹ in sich trägt, der den neuen Feind diffus und phantomhaft erscheinen lässt, provoziert es geradezu immer weitere Projektionen und Zuschreibungen. Und dementsprechend kann dieses Feindbild auch schnell auf weitere Einzelpersonen, Gruppen, Nationen oder geografische Regionen übertragen werden. ›Terror‹ wird zum Synonym permanenter und ortloser Bedrohung, die sich jederzeit und überall in unterschiedlichster Gestalt materialisieren kann, und somit über die konkreten Akteure immer schon hinaus weist. Nur so kann die Diskursfigur ›Krieg gegen den Terror‹ nahezu universal eingesetzt werden, im Inneren wie im Äußeren, in Afghanistan wie im Irak und – die Zukunft wird es zeigen – darüber hinaus, um staatliche Gewalt in außen- wie innenpolitischer Hinsicht zu begründen. Bereits mit dem zweiten, im Namen des ›War on Terror‹ geführten Krieges gegen den Irak 2003 setzt eine weitere Generalisierung des Feindbildes ein, und so tritt die besondere Funktionalität eines solchermaßen fluiden und beweglichen Feindbildes, das wie ein Vexierbild mal ›Terrorist‹ und mal ›Terror‹ bezeichnet, zutage. Die Figuration des ›Schläfers‹ stellt darüber hinaus eine weitere – nach innen gerichtete – Generalisierung des Feindbildes dar. Die spezifische Symbolstruktur und Eigendynamik des Feindbildes ist auch der Grund, warum Bin Laden als ›Hauptfeind‹ und Symbol des internationalen Terrorismus schließlich ›ausgedient‹ hat. Das Feindbild hat sich längst verselbständigt und von der konkreten Figur Bin Laden gelöst. Die Aufspürung und sofortige Eliminierung Bin Ladens im März 2011 erfüllt deshalb v.a. symbolische Zwecke. Sie fungiert als Pose des späten Sieges der USA über ihre Angreifer und markiert – fast genau 10 Jahre nach dem 11. September – das endgültige Ende einer Ära ›nationaler Demütigung‹. Zugleich aber ruft die medial ausgeschlachtete Tötung Bin Ladens den ›Krieg gegen den Terror‹ erneut in Erinnerung und bekräftigt seine Aktualität.2
2 | Die in der Medienberichterstattung über Bin Ladens Ergreifung und Erschießung sowie über die Reaktionen auf diese im Weißen Haus transportierten Geschlechterbilder wären eigens einer Analyse wert. Man denke nur an ›Hillarys Hand‹ als die einzige ›sichtbare‹ emo-
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2.3 Personalisierung als Reduktion von Komplexität Die starke Personalisierung der Berichterstattung, die sich v.a. im Spiegel, aber auch in der FAZ findet, hat zur Folge, dass das individuelle Auftreten und die spezifischen Fähigkeiten und Meinungen einzelner Aktanten in den Vordergrund treten – auf Kosten von Inhalten und Kontroversen über politische Themen. Eine personalisierte Berichterstattung birgt damit stets die Gefahr der Komplexitätsreduktion: Gesellschaftspolitisch brisante Fragen, wie der mit dem 11. September angestoßene militaristische Kurswechsel in der deutschen Außenpolitik, werden vom Standpunkt einzelner Personen her erzählt und gedeutet, wodurch komplexe Sachverhalte individualisierend verkürzt werden. Die Übertragung alltäglicher zwischenmenschlicher Interaktionsmuster auf komplexe politische Zusammenhänge, wie z.B. die Metaphorisierung der internationalen Beziehungen als ›Freundschaft‹, macht es darüber hinaus möglich, komplizierte Sachverhalte vereinfacht und einleuchtend zu vermitteln. Wie die Analyse gezeigt hat, wird das Pro und Contra einer deutschen Kriegsbeteiligung weniger argumentativ und durch das Hinzuziehen verschiedenster Hintergrundinformationen ausgeleuchtet, sondern als ›persönliches Schicksal‹ einzelner Akteure erzählt. So wird z.B. der Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik als Effekt eines unausweichlichen Prozesses des ›Erwachsenwerdens‹ und ›Reifens‹ metaphorisiert und zugleich mittels der Fokussierung auf Schröder und Fischer sowie auf der anderen Seite insbesondere Roth und die Grünen verdeutlicht. Die Deutung des 11. September als persönliche und politische ›Reifeprüfung‹ lässt diese dabei zugleich als eine spezifische Männlichkeitsinszenierung hervortreten, an deren Bewältigung sich das Format eines zum Staatsmann gereiften ›einfachen‹ Politikers ebenso zeigt wie das einer durch Militarisierung außenpolitisch souverän gewordenen Nation. Der Strategie der Personalisierung gemäß stehen auch während der Koalitionskrise im November 2001, die sich an der Frage der militärischen Beteiligung am Afghanistankrieg entzündet, oftmals Schröders individuelle Eigenschaften und sein öffentliches Auftreten im Vordergrund. Dieses wird insbesondere im Vorfeld der Vertrauensfrage als ›zu hart‹ und überzogen (Spiegel) oder aber als ›zu schwach‹ gegenüber den Grünen (FAZ) diskreditiert. Die Koalitionskrise wird als eine personalisierte Geschichte des persönlichen Sieges oder der Niederlage von Schröder erzählt, aus der dieser entweder als erfolgreicher Wegbereiter hervorgeht, der Deutschland wieder ›normal‹ gemacht hat – oder als Verlierer, dessen Schuld es ist, den ›außenpolitischen Mehrwert‹ Deutschlands verspielt zu haben. Parallel dazu wird die Debatte um eine deutsche Kriegsbeteiligung am Anti-Terror-Kampf und die damit verbundenen Neujustierungen der deutschen Außenpolitik anhand der grünen Partei ausgetragen und als ›Identitätskonflikt‹ und ›Sinnkrise‹ der Grünen inszeniert. FAZ und Spiegel fokussieren sodann das ›moralische Dilemma‹ der Grünen zwischen ihrem ›pazifistischen Gewissen‹ und den ›neuen politischen Herausforderungen‹ nach dem 11. September. Dabei wird insgesamt durch die Fokusverschiebung auf den innenpolitischen Bereich nicht der bevorstehende Eintritt
tionale Reaktion – gezeigt von der einzigen anwesenden Frau, der US-Außenministerin Hillary Clinton.
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Deutschlands in einen außereuropäischen Krieg zum eigentlichen Skandalon, sondern das mögliche Ende der rot-grünen Koalition. Auch die Einschätzung der internationalen Politik wird anhand unterschiedlicher Politiker-Figuren bewertet. Angeboten werden jedoch letztlich nur zwei Alternativen: die Schröder/Fischer- und die Bush-Variante. In diesem Sinne wird eine mit Europa assoziierte, diplomatisch orientierte Staatsmann-Männlichkeit nach außen gegenüber der Cowboy-Männlichkeit der USA, nach innen gegenüber Pazifist_innen und Kriegskritiker_innen in Anschlag gebracht. Eine grundsätzliche, antimilitaristische oder pazifistische Kritik am Krieg findet in FAZ und Spiegel keinerlei Unterstützung mehr; so fehlt es an positiv besetzten ›Identifikationsfiguren‹. Vermittelt über die Figur Schröder scheint auch der Spiegel um eine Positionierung zu ringen. So liest sich der Wechsel zwischen Lob und Kritik an Schröder auch als ein Verhandeln und Ausloten des deutschen Selbstverständnisses in einer nach dem 11. September vermeintlich aus den Fugen geratenen Welt. Hinter dem diskursiven ›Abarbeiten‹ an der Figur Schröder verbirgt sich der Versuch einer diskursiven Neubestimmung Deutschlands, nicht als Abbild von Amerika – sondern vielmehr als moralisches Gegengewicht und Gegenmacht. Entsprechend werden mal die Differenzen und mal die Gemeinsamkeiten zwischen Bush und Schröder stärker betont.
3. G ESCHLECHT ALS SYMBOLISCHE R ESSOURCE I: D IE K ONSTRUK TIONEN KOLLEKTIVER I DENTITÄTEN — F REUND - UND F EINDBILDER Wie die Untersuchung gezeigt hat, werden über die Repräsentation der verschiedenen Akteure nicht nur eine spezifische Geschlechterordnung, sondern ebenso Vorstellungen ›eigener‹ und ›fremder‹ Identität (neu) entworfen und verhandelt. Die Repräsentation der politischen Akteure ist von der Konstruktion kollektiver Identitäten, die sich nach dem 11. September in erster Linie als nationale und kulturelle Identitätskollektive zeigen, und der kriegsnotwendigen Unterscheidung zwischen Freund und Feind nicht zu trennen. Ich habe herausgearbeitet, dass die Kategorie Geschlecht in den diskursiven Abgrenzungs- und Ausgestaltungsprozessen des ›Eigenen‹ und ›Fremden‹ bzw. den damit verbundenen Ein- und Ausschlüssen, Neudefinitionen und Selbstvergewisserungen von Identität eine herausragende Rolle spielt. Dabei wird ersichtlich, dass die rekonstruierten Männlichkeits- und Weiblichkeitsbilder mit ethnisierenden/kulturalisierenden Diskursen auf das Engste verzahnt sind. Mindestens drei große Abgrenzungsbewegungen lassen sich ausmachen: Die Aushandlung und Neuauslotung europäisch-deutscher Identität vollzieht sich erstens bezogen auf den größeren Verbund einer ›westlichen Zivilisation‹, die von den Terroranschlägen indirekt mit getroffen ist und in neuer transatlantischer Verbrüderung mit den USA gegen einen gemeinsamen neuen Feind ›islamischer Terrorismus‹ agiert. Zweitens konstituiert sich die deutsch-europäische Identität gegen die USA unter positiver Bezugnahme auf ein ›altes Europa‹. Diese Rahmung ist besonders im Spiegel, der sich insgesamt durch eine starke anti-amerikanische Haltung auszeichnet, vordergründig. Drittens grenzt sich deutsche Identität nach innen von Pazifist_innen und Kriegskritiker_innen einerseits und von ›inneren Feinden‹ und
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›Schläfern‹ sowie ›islamischen‹ Wertvorstellungen im Allgemeinen andererseits ab.
3.1 Deutsche Identität I: Das Verhältnis zwischen Europa und den USA Die Konstruktionen deutscher Identität, wie sie sich in der Berichterstattung von FAZ und Spiegel zeigen, lassen sich als zwei zum Teil gegenläufige Prozesse bestimmen: Auf der einen Seite formieren sich innerhalb des Diskurses um eine neue deutsche Identität Aussagen über die Ausrichtung zukünftiger deutscher Außenpolitik, die auf Abgrenzung zur US-Politik beruhen und die Differenzen zwischen Europa und USA in den Vordergrund stellen (so geschehen v.a. im Spiegel). Auf der anderen Seite finden sich Aussagen, die Deutschland als Teil der westlichen Welt konstituieren und damit die Gemeinsamkeit zwischen Deutschland, Europa und den USA als Verbündete im Kampf gegen den Terror betonen, die als ›zivilisierte Welt‹ mit gemeinsamen Wertvorstellungen dem neuen Feind ›islamischer Terrorismus‹ vereint gegenüberstehen. Dabei kommt es in beiden Medien zur Konstruktion und Aufwertung eines ›zivilisierten westlichen Eigenen‹, bei gleichzeitiger Abgrenzung und Abwertung eines ›barbarischen islamischen Anderen‹. Überschriften wie »Wir sind eine Welt« (Spiegel) und »Jeder ist ein Amerikaner« (FAZ) propagieren eine gemeinsame ›westliche‹ Identität und machen deutlich, dass Deutschland und Europa selbst – wenn auch indirekt – von den Anschlägen betroffen sind. Vor diesem Hintergrund werden Bush und Schröder als Verbündete im Kampf gegen einen äußeren Feind herausgestellt, wobei das Bild einer gleichberechtigten Partnerschaft und (Männer-)Freundschaft dominiert. Die Darstellung Schröders weist in diesem Kontext deutliche Parallelen zu der von Bush auf: Stärke, Führungskraft und Aktionismus werden als zentrale (›männliche‹) Kompetenzen positiv hervorgehoben; auch die Bilderpolitik des Spiegels suggeriert Gleichheit der Politiker und Gleichförmigkeit der Interessen. In der Berichterstattung des Spiegels wird das ›Eigene‹ zugleich weiter ausdifferenziert, indem sich eine ›deutsche Identität‹ in Abgrenzung zu den USA konstituiert. So wird im Spiegel eine moderne, rational-verantwortungsvolle Männlichkeit à la Schröder/Fischer gegenüber einer altmodischen, aggressiv-rachsüchtigen von George W. Bush eindeutig bevorzugt. In Abgrenzung zur ›Cowboy-Nation‹ USA konstituiert sich so ein Bild von Europa als einer prinzipiell friedfertigen und weniger angriffslustigen Gemeinschaft – eine Art ›Zivilmacht‹ oder ›Friedensmacht‹, die Krieg notgedrungen und allenfalls als letztes Mittel der Politik akzeptiert. Zur Konstituierung einer ›deutschen Identität‹ in Abgrenzung zu den USA wird im Spiegel auf die Unterscheidung zwischen ›Abenteuer‹ und ›Risiko‹ zurückgegriffen. Auch die dortige Unterscheidung zwischen ›Moral‹ und ›Machiavelli‹ verweist auf eine zentrale Unterscheidung in der Konstruktion der beiden Kollektive: Während Deutschland und das ›alte Europa‹ einen politischen Idealismus verkörpern, stehen die USA für politischen Realismus und Imperialismus in Reinform. In der FAZ werden anders als im Spiegel generell und durchgehend eher die Gemeinsamkeiten und eine prinzipielle Ähnlichkeit zwischen Europa und den USA betont. Zentral ist die Darstellung von Deutschland, Europa und den USA als Solidar- und Wertegemeinschaft im Sinne einer historisch gewachsenen »Schicksalsgemeinschaft«. Unablässig wird die geteilte Erfahrung von Schock und Trauer im Hinblick auf die Anschläge des 11. September betont, wodurch die ›kulturelle‹
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Ähnlichkeit und freundschaftliche Verbundenheit der beiden Nationen, Deutschland und USA, unterstrichen wird und sich zum Bild einer homogenen ›westlichen freien Welt‹ verdichtet, in der nun alle (symbolisch) Amerikaner_innen sind. Wo Differenzen zur Sprache kommen, etwa wenn es um die politische und gesellschaftliche Akzeptanz militärischer Mittel geht, werden diese eher von einem Gestus des Bedauerns oder auch des Spotts begleitet; so werden in der FAZ die USA v.a. als Exempel einer entschlossenen und wehrfähigen Nation präsentiert, an der sich Europa und Deutschland orientieren sollten. Die Repräsentation von Europa und den USA weist dabei zahlreiche geschlechtliche Implikationen auf. Als Beispiel können die weiblich konnotierten Assoziationen von Europa und Deutschland als passiv, friedlich, sensibel, zivil und potentiellen ›Opfern‹ der USA genannt werden, die wiederum, wie der Spiegel befürchtet, Europa und Deutschland in einen ›gnadenlosen Rachefeldzug‹ oder gar einen ›dritten Weltkrieg‹ hineinziehen könnten. Im Vergleich mit der Konstruktion Europas wird die USA ungleich ›männlicher‹ dargestellt: aktiv, aggressiv, bellizistisch und machohaft. Die Konstitution von Deutschland als ›Zivilmacht‹ benötigt offenbar ein anderes Geschlechterbild. Die (Neu-)Auslotung deutscher Identität folgt einem weniger hypermaskulinen Bild von Männlichkeit, jedoch folgt sie ohne Zweifel einem Männlichkeitsbild. Das wird besonders deutlich, wenn man die abwertende und feminisierende Repräsentation der Grünen, aber auch die argumentative Struktur in Bezug auf die deutsche Außen- und Innenpolitik insgesamt betrachtet. Wie aus der Analyse ersichtlich, kommt es in beiden Medien sowohl in Hinblick auf die internationale wie auch die deutsche Politik zu einer deutlichen Remaskulinisierung des Politischen. In Zeiten von ›Terror‹ und Krieg ist der ›starke Mann‹ gefragt, der die Bevölkerung durch die Krise leitet und ihre ›Sicherheit‹ nach außen wie im Inneren verteidigt. Die Konstituierung einer neuen deutschen Identität in Abgrenzung zur USA kann dann nur erfolgreich sein, wenn sie ein anderes, ›besseres‹ Modell von Männlichkeit vertritt. Positive Bezüge auf Weichheit, Passivität oder Unsicherheit sind – wie z.B. der Vorwurf der ›Heulsuse‹ an Claudia Roth deutlich zeigt – auch innerhalb der deutschen Politik undenkbar. Die Grenzziehungsprozesse zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ gehen insgesamt mit einer verstärkten Schließung und Homogenisierung nach innen einher. Das relationale Verhältnis zum ›Außen‹, das für jede soziale Gruppe konstitutiv ist, absorbiert alle inneren Differenzen und Widersprüche, wie Philipp Sarasin betont: Gegenüber dem »ganz Anderen« (Sarasin 2003: 49) erscheinen sie nebensächlich. Diese Logik verschärft sich im Kriegszustand noch: Der neue gemeinsame Feind ›islamischer Terrorismus‹ lässt die westlichen Länder über alle Differenzen hinweg zur ›westlichen Wertegemeinschaft‹ verschmelzen. So kommt es, dass beispielsweise die christlich-fundamentalistischen Bewegungen, die in den USA, aber auch in Europa um die Jahrtausendwende verstärkt Zulauf erhalten haben,3 nicht als Widerspruch zum Bild des ›aufgeklärten Europa‹ wahrgenommen werden, sondern eher als Ausdruck seiner inneren Pluralität. Auch die Differenzen zwischen den 3 | Kermani (2002) verweist auf die generelle Zunahme von Religiosität und christlichem Fundamentalismus in den USA, aber auch in Deutschland, vor dem Hintergrund einer zunehmenden Verunsicherung in einer globalisierten Welt. Fundamentalismus wird jedoch in den untersuchten Medien fast ausschließlich im Zusammenhang mit dem Islam genannt.
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unterschiedlichen Politik- und Männlichkeitsvorstellungen, wie sie in den Repräsentationen von Bush und Schröder zum Ausdruck kommen, werden lediglich als unterschiedliche Ausprägungen der ›freien Welt‹ interpretiert. Wie gezeigt verkörpern die Repräsentationen von Bush und Schröder jeweils unterschiedliche Modelle hegemonialer Männlichkeit. Im Zuge stereotyper Freund-/Feindkonstruktionen treten die internen Differenzierungen jedoch zugunsten eines einheitlichen Bildes ›moderner Männlichkeit‹, welches auf der Abgrenzung vom Bild ›islamischer Männlichkeit‹ beruht, in den Hintergrund. In der Berichterstattung von FAZ und Spiegel wird ›Säkularität‹ zum positiv besetzten Merkmal des ›Eigenen‹ und bildet einen elementaren Bezugspunkt bei der (Neu-)Bestimmung deutsch-europäischer Identität. Dabei dient der Bezug auf Säkularität (im Spiegel) nicht nur der prinzipiellen Abgrenzung von der ›islamischen Welt‹, sondern kann ebenso zur Abgrenzung von den ›alttestamentarischen‹, ›kreuzzüglerischen‹ USA nutzbar gemacht werden – bei gleichzeitiger Aufwertung und Privilegierung eines vermeintlich rationaleren und post-kriegerischen Europas bzw. Deutschlands. Ungeachtet dessen wird die Figur des orientalisierten Terroristen jedoch stets als das ›ganz Andere‹ des ›Westens‹ imaginiert.
3.2 Deutsche Identität II: Neue ›Abendländischkeit‹ und die Wiederbelebung eines alten Feindbildes ›Islam‹ Die diskursiven Versuche, die Anschläge des 11. September und das Phänomen ›Terror‹ zu deuten und begreiflich zu machen, haben einem neuen und zugleich alten Feindbild zum Durchbruch verholfen. Zahlreiche Studien belegen, dass heute, verstärkt durch den 11. September, in weiten Teilen der westlichen Öffentlichkeiten ein deutlich ausgeprägtes Feindbild ›Islam‹ existiert. Im medialen Diskurs über den 11. September und den ›Krieg gegen den Terror‹ wird das alte orientalistische Feindbild ›Islam‹ zum ›kulturellen Gegenmodell‹ des ›Westens‹ ausgebaut und als neue diffuse, omnipotente Gefahr imaginiert, die die westlichen Gesellschaften nicht nur von außen, sondern auch von innen in ihren Grundwerten bedroht. In Spiegel und FAZ wird der Islam stereotyp mit Religiosität, Frauenfeindlichkeit bzw. der Unvereinbarkeit mit universalen Menschenrechten, Rückständigkeit/Entwicklungsstillstand und vorzugsweise kriegerischer, männlicher Aggressivität assoziiert. Die Zuschreibungen verdichten sich im Symbol des Schleiers der muslimischen Frau bzw. der afghanischen Burka. Die mit der Differenzierung zwischen ›Westen‹ und ›Islam‹ einhergehende binäre Einteilung der Welt in ›Freund‹ und ›Feind‹ führt zu einer gefährlichen Reduktion von Komplexität. Die vielschichtigen politischen, sozialen und historischen Zusammenhänge, die das Phänomen ›Terror‹ hervorgebracht haben, werden bedenkenlos vereinfacht, indem sie auf das Stereotyp ›Islam‹ oder ›Orient‹ reduziert werden. Vor dem Hintergrund der bipolaren Bewertungsfolie eines Entweder-oder lassen sich Graustufen und Ambivalenzen nicht erkennen. Ebenso wenig kann auf die Unzulänglichkeiten, Gewaltförmigkeiten und Legitimationsdefizite der eigenen Gesellschaft hingewiesen werden. Wie Jürgen Link im Anschluss an den Friedensforscher Johan Galtung betont, stellt die »binäre Reduktion« von Komplexität die »gefährlichste Eskalationsmaschine in den Köpfen« dar (Link 2001a: 13) und legt eine gewaltförmige, kriegerische ›Lösung‹ bereits nahe. Diese diskursive »Eskalationslogik« (ebd.), die für Kriegsdiskurse generell typisch ist, spiegelt sich
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z.B. in Titelbildern wie »Krieg der Welten« (Spiegel 42/2001) wider. Die plakative Dichotomisierung, in der es keine Mehrdeutigkeiten oder alternative (nicht-kriegerische) Handlungsoptionen gibt, durchzieht die gesamte Berichterstattung im untersuchten Zeitraum. Kritik an der eskalierenden Freund-Feind-Logik des Krieges wird dadurch verunmöglicht, dass sie als Indiz für Sympathie und Verständnis gegenüber dem Feind gewertet und damit selbst in die Nähe von ›Terrorismus‹ gerückt wird.
Der ›Schläfer‹ als ›innerer Feind‹ Wesentlich für das Feindbild ›islamischer Terrorismus‹ ist das Zusammenfallen einer äußeren und inneren Gefahr, wie sie sich insbesondere in der Figur des unsichtbaren ›Schläfers‹ verdichtet. Kennzeichnend für diese Figur sind die Merkmale des Diffusen, Phantomhaften, die auch die Repräsentation von Bin Laden und Al-Qaida prägen. Aber anders als der ›Terrorchef‹ und seine Organisation ist der ›Schläfer‹ keine von außen drohende Gefahr, sondern ein Feind, der im Inneren lauert. Dabei erscheint dieser innere Feind als besonders perfide, insofern er mitten unter ›uns‹ lebt, sich in die (deutsche) Gesellschaft ›integriert‹ und sein eigentliches Fremd- und Feindsein, zwar nur oberflächlich, aber doch äußerst effektiv kaschiert. »Der Topos des zur absoluten Unkenntlichkeit maskierten Bösen kulminiert mit maximaler Verunsicherung der Normalität in der Figur des ›Schläfers‹« (SchulteHoltey 2001: 48). Der ›islamische Terrorist‹ in Gestalt des ›Schläfers‹ kann so nicht mehr in räumlicher Ferne verortet werden, sondern rückt als perfekt getarntes ›Anderes im Inneren‹ in unmittelbare Nähe. Dabei unterläuft dieser innere Feind, der bis zum letzten Moment den guten Nachbarn mimt und daher von einem ›westlichen Bürger‹ nicht zu unterscheiden ist, vermeintlich vertraute Gewissheiten und die ›Normalität‹ des Alltags. Der Feind entzieht sich damit nicht nur den Versuchen, ihn rechtzeitig zu identifizieren, sondern unterläuft die Differenz zwischen ›uns‹ und ›den Anderen‹, Freund und Feind überhaupt. Eine Folge sind diskursive, kulturell-ideologische Abgrenzungsbestrebungen gegenüber dem im Inneren vermuteten ›Anderen‹ und ›Fremden‹ bei gleichzeitiger Aufwertung der ›eigenen Kultur‹. Es kommt zu einer (Über-)Betonung vermeintlicher Unterschiede und einer deutlichen Abschottung gegenüber dem ›islamischen Anderen‹, wobei die unterstellte Differenz primär auf eine abweichende, dem ›Eigenen‹ unterlegene ›Religion‹ bzw. ›Kultur‹ zurückgeführt wird. Das einzige verlässliche Merkmal, das den ›Schläfer‹ von ›uns‹ unterscheidet und als ewig Fremden und (potentiellen) Feind ausweist, ist dem Mediendiskurs zufolge seine (fanatische) islamische Religiosität. Damit wird jede weitere Analyse der Ursachen von Terrorismus scheinbar überflüssig, denn die Ursache ist der Islam, verstanden als hermetischer Block, der ›Religion‹ und ›Kultur‹ vereint. Dementsprechend ist der ›Schläfer‹ in der medialen Darstellung in erster Linie ›Muslim‹ und erst in zweiter Linie ›Ausländer‹ oder etwas anderes. Die Figuration des ›Schläfers‹ mit ihrem Hauptfokus auf den Islam ermöglicht zudem eine Generalisierung des Feindbildes und seine Übertragung auf weitere Personengruppen. Flüchtlinge sowie in Deutschland und Europa lebende Migrant_ innen geraten ins Visier der Medien und werden als potentielle ›Terroristen‹ denkbar gemacht. Expliziter als zuvor – Rassismus und ›Ausländerfeindlichkeit‹ haben in Deutschland ja nicht erst seit dem 11. September Tradition – kommt es zu einer Verknüpfung von äußerer und innerer ›Gefahr‹. So werden ›Ausländer_innen‹, ins-
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besondere mit muslimischem oder arabischem Hintergrund, seit dem 11. September verstärkt als ›Sicherheitsrisiko‹ wahrgenommen und präsentiert. Die Figur des muslimischen ›Schläfers‹ fungiert als Katalysator ohnehin vorhandener rassistischer Ressentiments und Vorurteile gegenüber ›Ausländern‹ und wird zugleich als Argument gegen Einwanderung nutzbar gemacht. ›Multikulturalismus‹ wird zum ›Einfallstor‹ für Terroristen umgedeutet. So wird im Zusammenhang mit der Terroristenfahndung der diffamierende Begriff ›Asylanten‹ (Spiegel) reaktiviert und wiederholt auf Flüchtlinge verwiesen, die die ›Liberalität‹ der deutschen Ausländergesetzgebung vermeintlich ausnutzen. Aufgrund des nichtdeutschen Hintergrunds der Selbstmordattentäter und ihrer ›fehlgeschlagenen Integration‹ wertet die FAZ das Konzept des Multikulturalismus als gescheitert und plädiert für ein rasches Ende der ›laschen‹ Einwanderungspolitik, um einer befürchteten ›Verwässerung‹ abendländischer Werte entgegenzusteuern. Feindbilder haben zudem eine politisch-juridische Dimension und können politisches Handeln legitimieren, indem sie z.B. bestimmte Maßnahmen zur ›Bekämpfung‹ des Feindes als notwendig und richtig erscheinen lassen. Feindbildkonstruktionen gehen mit dem Entwurf spezifischer Lösungsvorschläge einher und ziehen konkrete Bekämpfungsmaßnahmen nach sich – und umgekehrt können politische und rechtliche Sanktionen ein Feindbild verstärken. Wie ich gezeigt habe, erweist sich insbesondere die Konzeption des ›Schläfers‹ als dienlich, um innenpolitische ›Terrorbekämpfungsmaßnahmen‹ und weitreichende Verschärfungen der inneren Sicherheit zu legitimieren.
›Islamophobie‹ – symbolische und soziale Funktionen des Feindbildes Wie zahlreiche Untersuchungen zur Konstruktion des ›Eigenen‹ und des ›Fremden‹ zeigen, entfalten die im Zuge des 11. September eingeschliffenen Deutungsmuster weit über den konkreten Kontext hinaus Wirkmächtigkeit. Durch die diskursive Verknüpfung von ›Islam‹ mit ›Fundamentalismus‹ und ›Terrorismus‹ geraten potentiell alle Muslim_innen bzw. ›Ausländer_innen‹, denen ein islamischer Hintergrund zugeschrieben wird, unter Generalverdacht. Verstärkte rassistische Ressentiments sowie gesellschaftliche, politische und rechtliche Ausgrenzung von Nicht-Deutschen und Muslim_innen sind die Folge. Migrant_innen mit realem oder zugeschriebenem muslimischen und/oder arabischen Hintergrund sind seit dem 11. September verstärkten Anfeindungen, Diskriminierungen und handfesten Übergriffen ausgesetzt. In Europa werden heute Kopftücher, Burkas und Minarette verboten und lösen heftige öffentliche Dispute aus (vgl. weiterführend Berghahn/Rostock 2009). Diese Entwicklungen werden aktuell unter den Stichworten Islamophobie, anti-muslimischer Rassismus oder Islamfeindlichkeit diskutiert.4 Wie aktuelle Untersuchungen zeigen, werden Muslim_innen im öffentlichen und medialen Diskurs häufig pauschal mit Gläubigkeit, Aggressivität (v.a. männliche Jugendliche), Rückständigkeit und Unterdrückung (symbolisch steht hierfür das Kopftuch) assoziiert und als Gefahr für ›unsere‹ Kultur und Wertvorstellungen 4 | Zur aktuellen Debatte um Existenz und Funktion eines antimuslimischen Rassismus, insbesondere zur Kritik des Begriff ›Islamophobie‹ vgl. z.B. die Beträge der antirassistischen Zeitschrift »ZAG« mit dem Schwerpunktthema »Islambilder« (Heft 56/2010) sowie Küpeli (2010).
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imaginiert (vgl. stellvertretend Farrokhzad 2006; Paulus 2007). Die tatsächliche Heterogenität der Menschen gerät zugunsten einer vordergründigen, vermeintlich homogenen und aufklärungsresistenten Religiosität ins Hintertreffen; säkulare und nicht-gläubige Muslim_innen sind offensichtlich undenkbar. Aktuelle Arbeiten, die sich mit dem ›westlichen‹ Bild der Migrant_innen beschäftigen, kommen zu dem Ergebnis, dass die Wahrnehmungs- und Darstellungsmuster des ›Anderen‹ seit dem 11. September eine grundsätzliche diskursive Verschiebung erfahren haben, die sich als ›Muslimifizierung‹ bezeichnen lässt: Die Zuschreibungen bewegen sich weg von der bislang gebräuchlichen ethnisierenden Kategorisierung ›Ausländer‹ (›Türke‹, ›Gastarbeiter‹ etc.) hin zu einer auf Religionszugehörigkeit abzielenden Kennzeichnung als ›Muslime‹, die den Islam und nicht mehr primär Ethnizität zum zentralen Kriterium von ›Andersheit‹ erklärt (vgl. dazu Spielhaus 2006; Amir-Moazami 2009; Yildiz 2009). In Auseinandersetzung mit Saids Orientalismus-Konzept sowie der kritischen Okzidentalismus-Forschung lassen sich die Konstruktionsregeln des ›Fremden‹ auf die des ›Eigenen‹ zurückbeziehen. Freund- und Feindbildkonstruktionen können damit als wechselseitige, sich gegenseitig stützende und verstärkende Prozesse analysiert werden, in denen nicht nur das ›Fremde‹, sondern auch das ›Eigene‹ neu ausgelotet wird. Die Neuverhandlung einer europäischen und deutschen Identität hat nicht erst mit dem 11. September begonnen, wurde jedoch durch die spezifische Diskursivierung der Ereignisse in neue Bahnen gelenkt und erhielt neue ideologische Unterfütterung. Übereinstimmend mit Brunner et al. (2009) gehe ich davon aus, dass sich insbesondere mit Ende des Kalten Krieges und der deutschen Wiedervereinigung eine Verschiebung und Neukonstituierung (west-)europäischer Identität herausbildet, die bis heute anhält. Wie die Autor_innen konstatieren, bedürfe diese mit dem Zusammenbruch der bipolaren Ordnung »eines neuen Gegenübers, um sich selbst in dem sich neu ordnenden Machtgefüge der Internationalen Gemeinschaft wiederzuerkennen, und bestehende Dominanzansprüche zu sichern oder auszubauen. Wenngleich es sich keinesfalls um ein völlig neues Phänomen handelt und sich zahlreiche historische Kontinuitäten […] zeigen lassen, spitzen sich diese Selbstvergewisserungsprozesse insbesondere seit ›9/11‹ in ihren Projektionen auf einen bedrohlichen ›Orient‹ zu« (ebd.: 11).
Dietze und andere feministisch-postkoloniale Theoretiker_innen gehen von der Entstehung eines neuen postkolonialen »neo-orientalistischen Paradigmas« (Dietze 2006a: 234) nach Ende des Kalten Krieges – beschleunigt und verstärkt insbesondere durch den 11. September – aus. Anders als der klassische koloniale Orientalismus bezieht sich der Neo-Orientialismus nicht mehr nur auf die Bevölkerungsgruppen des fernen ›Orients‹, sondern fokussiert nunmehr ›Oriental_innen‹ als muslimische Migrant_innen oder potentielle Terrorist_innen im Inneren des ›Eigenen‹. Explizit manifestieren sich die okzidentalen Selbstvergewisserungen beispielsweise in der betonten Artikulation ›westlicher Werte‹, die demonstrativ gegen den ›Islam‹ ins Feld geführt werden. In Abgrenzung zu ›dem Islam‹ und ›dem Orient‹ stellt sich ›der Westen‹ – insbesondere Europa und Deutschland, die im Vergleich mit den USA häufig als der ›bessere Westen‹ imaginiert werden – als aufgeklärt, säkular, rational, zivilisiert und emanzipiert dar. Häufiger sind die Bilder des ›Eigenen‹ jedoch nur implizit als Subtext enthalten und mussten durch die Analyse sichtbar ge-
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macht werden. Mit der Negativfixierung auf die Identität des ›Anderen‹, wie die permanente Skandalisierung vermeintlicher Religiosität, Rückständigkeit, Frauenfeindlichkeit des ›Orientalen‹, wird das ›Eigene‹ implizit positiv besetzt und aufgewertet. Der antimuslimische Diskurs erfüllt dabei symbolische und soziale Funktionen. In Abgrenzung zu den vermeintlich ›Anderen‹ dient er zur Selbstvergewisserung des normativ Gültigen und bringt einen symbolischen Distinktionsgewinn mit sich, bei gleichzeitiger Herabsetzung des ›Anderen‹ (Rommelspacher 2002: 14). Das nationale bzw. ›kulturelle‹ Kollektiv wird nach innen gestärkt, zugleich werden aus der vermeintlichen ›Andersheit‹ soziale Ungleichheit und Ausgrenzung abgeleitet und begründet. Darüber hinaus übernimmt der antimuslimische Diskurs ordnungsstiftende, systemerhaltende und herrschaftslegitimierende Funktionen (vgl. Wagner 2010): Verschiedenste soziale und politische Problemlagen werden kulturalisiert bzw. mit kultureller und/oder religiöser Verschiedenheit erklärt. Die Folge ist eine Stabilisierung der sozialen Ordnung, die auf einer Grenzziehung nicht zwischen arm und reich, oben und unten, Frauen und Männern, sondern zwischen ›uns‹ und ›denen‹ beruht (vgl. ZAG 2010a).
Frauen- und Menschenrechte und als Werte des ›Eigenen‹ Ein Weiteres hat meine Analyse gezeigt: Geschlechterbilder stellen eine zentrale symbolische Ressource dar, die die Grenzziehungsprozesse zwischen ›Eigenem‹ und ›Fremdem‹ noch verschärfen. Die Problematisierung der Geschlechterordnung, insbesondere das Thema Frauenrechte, stellt eine besonders vordergründige Diskursfigur dar, auf die im Rahmen der Feind- wie auch der Freundbildkonstruktion regelmäßig zurückgegriffen und mithilfe derer die vermeintliche Differenz dramatisiert wird. Besonders die stereotypen Bilder des ›frauenfeindlichen Terroristen‹ und der ›verschleierten Muslimin‹ werden in die Prozesse der symbolischen (nationalen) Selbstvergewisserung eingebunden. So konstituiert sich westlich-abendländische Identität gemäß den Vorstellungen von Fortschritt, Säkularität und Modernität, die wiederum anhand der ›Emanzipation der Frau‹ und der ›Gewährleistung von Frauenrechten‹ konkretisiert wird. Gewalt gegen Frauen sowie die Verweigerung von Frauenrechten werden im Gegenzug ausschließlich auf Seiten des Feindes und orientalisierten ›Anderen‹ verortet. Die okzidentalen Identitätskonstruktionen gehen mit neuen Grenzziehungsprozessen einher. So werden neue Elemente in den Diskurs eingespeist oder bereits vorhandene verstärkt, andere wiederum vernachlässigt. Vormals feministische Forderungen wie Gleichberichtigung und Emanzipation der Frau werden als neue Werte des Eigenen affirmiert und gleichsam performativ vollendet. Auch ›Toleranz‹ gegenüber Homosexuellen und Minderheiten wird als Qualitätsmerkmal westlicher Identität konstruiert, wobei dieser Diskursstrang jedoch nur eine untergeordnete Rolle spielt. Indem die Unterdrückung der Frau und die Verweigerung von Frauenund Menschenrechten allein auf den Feind projiziert werden, kann das ›Eigene‹ fast automatisch als frauenfreundlich (und ›tolerant‹ gegenüber Schwulen und Lesben) imaginiert werden. Der asymmetrische Konstruktionsprozess von ›orientalischem Patriarch‹ und ›unterdrückter Muslimin‹ auf der einen Seite und ›westlichem ProFeministen‹ und ›emanzipierter westlicher Frau‹ auf der anderen hat erhebliche Konsequenzen für die Selbstwahrnehmung und Neu-Bewertung des ›Eigenen‹, was Dietze mit dem Begriff »okzidentalistischer Geschlechterpakt« (2009: 36) treffend umschreibt:
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Mit anderen Worten: Durch die diskursive Externalisation von Sexismus und Patriarchat wird die patriarchale Prägung der westlichen Gesellschaften und die längst nicht vollendete Emanzipation der Frau dem Blick entzogen. Darüber hinaus wird der Eindruck erweckt, das Projekt der ›Geschlechtdemokratie‹ sei längst verwirklicht und abgeschlossen – und feministische Forderungen damit hinfällig. So kann durch die Übertragung des ›Emanzipationsdefizits‹ auf die ›islamische Kultur‹ die Frauenfrage ›zu Hause‹ gleich mit entsorgt werden (ebd.: 35f). Wie Rommelspacher ausführt, übernimmt insbesondere die Kontroverse um das Kopftuch eine wichtige Funktion für die ›westliche Frau‹. Sie diene v.a. dazu, »sie in ihrem Selbstverständnis als moderne Frauen zu stärken und ihre Privilegierung den nichtdeutschen Frauen gegenüber zu legitimieren. Denn Tatsache ist, dass der soziale Aufstieg der einheimischen deutschen Frauen in den letzten Jahren zu einem Großteil auf die soziale Unterschichtung durch Migrantinnen zurückzuführen ist.« (Rommelspacher 2002: 128)
Die diskursive Strategie der Ver-Äußerung von Sexismus und Patriarchat erweist sich nicht nur für die (Neu-)Definition von ›Abendländischkeit‹ nach innen bedeutsam. Wie auch im Zuge der Begründung und Bewertung des Kriegs in Afghanistan kommt ihr auch eine nach außen gerichtete Funktion zu. Patriarchat und Sexismus können – müssen geradezu – nunmehr dort, bei ›den Anderen‹ bekämpft werden. Die permanente Herausstellung der Entrechtung und Unterdrückung der muslimischen/afghanischen Frau durch den ›orientalischen Patriarchen‹ enthält einen besonderen moralischen Impetus und verlangt implizit nach einem ›Retter‹, der den Frauen zu Hilfe eilt.
4. G ESCHLECHT ALS SYMBOLISCHE R ESSOURCE II: D IE L EGI TIMIERUNG STA ATLICHER UND MILITÄRISCHER G EWALT 4.1 Neue ›Weltinnenpolitik‹ — innere und äußere Sicherheit fallen zusammen Die Anschläge des 11. September haben – begleitet und bestärkt von den politischen Stellungnahmen und medialen Deutungsvorgaben – einen regelrechten ›Sicherheitswahn‹ ausgelöst: Überall scheinen ›Terroristen‹ zu lauern, die innen und außen, sichtbar und unsichtbar, nur darauf warten, ›erweckt‹ zu werden und weitere Angriffe gegen den ›Westen‹ auszuführen, wobei auch Deutschland als potentielles Ziel ins Visier gerät. Als Antwort scheint nur eins denkbar: Stärkung der staatlichen Macht- und Gewaltbefugnisse – und zwar schnell. In Politik und Medien wurden sofortiges Handeln, Stärke und v.a. Tempo gefordert, als bliebe keine Zeit für Hinterfragen und sorgfältige Ursachenanalyse. Gleich so, als würden mit jeder Minute des
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Zögerns und Nachdenkens weitere Unschuldige sterben. Wie Wolf-Dieter Narr konstatiert, waren auch die deutschen (Re-)Aktionen auf den 11. September »voll der Entgrenzungen zugunsten eines extensiven Gewalteinsatzes staatlicher Gewaltorgane und Gewaltmittel« (Narr 2001b: 114). Was nach außen mit dem Appell an eine ›wehrhafte Demokratie‹ und den Ausbau einer einsatzbereiten und schlagkräftigen militärischen Sicherheitspolitik einherging, führte im Inneren zu einer Modifizierung und Verschärfung zahlreicher Gesetze und einem Bündel repressiver Maßnahmen, insbesondere auf Kosten von Flüchtlingen und Migrant_innen, bei gleichzeitiger Einschränkung der Bürger- und Freiheitsrechte. Neben dem Versprechen ›uneingeschränkter, militärischer Solidarität‹ und dem Beschluss über eine Beteiligung der Bundeswehr am ›Anti-Terror-Krieg‹ in Afghanistan wurden eiligst zwei so genannte Anti-Terror-Pakete geschnürt, denen gleich zahlreiche Gesetzesvorlagen beigepackt wurden, die seit Längerem in den Schubladen der Sicherheitsbehörden schlummerten, sich bislang aber nicht durchsetzen ließen. Zügig eingesetzt und in Hinblick auf Ursachen und Hintergründe grob vereinfacht, konnte der argumentative Bezug auf den 11. September einer außenpolitischen wie innenpolitischen Militarisierung Vorschub leisten und zu einer verstärkten Akzeptanz gegenüber kriegerischen Mitteln und der Einschränkung von Bürger_innenrechten in der Öffentlichkeit beitragen. Wie die Analyse von FAZ und Spiegel gezeigt hat, sind die rekonstruierten Deutungsmuster dazu angetan, eine Sicherheitspolitik des Präventivkrieges und der Präventivüberwachung zu befördern und zu legitimieren. Mit dem Topos ›11. September‹ wird der Eintritt in einen global erklärten, permanenten und gleichzeitig diffusen Kriegszustand markiert – was zugleich bestimmte Handlungsoptionen favorisiert. Der Ruf nach ›Sicherheit‹ und einem ›starken Staat‹, der diese durchsetzen soll, durchzieht die Berichterstattung von FAZ und Spiegel gleichermaßen, wenngleich auch im Spiegel eher indirekt und in abgeschwächter Form. Allseits gefragt sind starke, durchgreifende und Widerständen trotzende Staatsmänner, die die Bevölkerung schützen und die Feinde bekämpfen. Die mediale Diskussion über die Terroranschläge geht zudem mit der Konstruktion neuartiger Sicherheitsvorstellungen einher, in der innere und äußere Sicherheit in eins fallen. Die Terroranschläge werden als historische Zäsur interpretiert, die ein Überdenken und eine Neubewertung der gültigen Sicherheitskonzepte sowie deren innen- wie außenpolitischen Instrumentarien zwingend erfordere. Ein Umdenken in der Sicherheitspolitik wird insbesondere in der FAZ als längst überfällig erachtet, wobei sich außenpolitisch-militärische und innenpolitisch-polizeiliche Erwägungen vermischen. Selbstmordattentate werden als ein Phänomen gedeutet, dem mit herkömmlichen Repressionsinstrumenten nicht beizukommen sei und das deshalb neuartige Lösungskonzepte erfordere. Dazu gehöre auch die Bereitschaft, alte ›Denkverbote‹ außer Kraft zu setzen. In der FAZ wird die (neo-)realistische Neukonzeption der Sicherheitspolitik eindeutig begrüßt und als heilsame ›Desillusionierung‹ und Ende der ›freiwilligen Selbstbeschränkung‹ gepriesen. Vermeintliche ›Tabus‹ fallen dabei jedoch nicht im Hinblick auf die Hintergrundanalysen des Terrorismus, sondern im Hinblick auf die anvisierten ›Bekämpfungsmaßnahmen‹, die mit der Militarisierung der Außen- und Innenpolitik5 bei gleichzeitiger Beschrän5 | Wenn ich von einer Militarisierung der Innenpolitik spreche, dann im übertragenen Sinne einer Veralltäglichung militärischer Denk- und Handlungsmuster und der Beschwörung eines kriegerischen Szenarios im Inneren. Im engeren Sinne militaristisch sind demgegenüber die
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kung der bürgerlichen Freiheiten und Rechte einhergehen. Das Zusammenwachsen eines inneren und äußeren Sicherheitsdenkens spiegelt sich paradigmatisch im Topos ›Weltinnenpolitik‹ wider, der seit dem 11. September Konjunktur erfährt. Der Spiegel fordert ebenfalls, dass Deutschland außenpolitisch ›erwachsen‹ werden müsse, verfolgt aber weniger explizit die (neo-)realistische Forderung nach einem nach innen und außen wehrhaften Staat. Insbesondere im Hinblick auf einige der anvisierten innenpolitischen Verschärfungen zeigt sich der Spiegel ambivalent. Andererseits strickt der Spiegel jedoch mit gleicher Intensität an der Konstruktion eines feindlichen Ausländer- und Islambildes mit, wie die FAZ das Bekenntnis zum Umdenken in der Sicherheitspolitik einfordert. Beide Medien beteiligen sich am Aufbau eines neuen globalen Feindbildes ›Terrorismus‹, das wiederum mit der Stigmatisierung des Islams und dem Schüren sicherheitspolitischer Paranoia einhergeht. Wie im nächsten Abschnitt ausgeführt wird, führen die eilig durchgeboxten Sicherheitsgesetze jedoch weder zu mehr ›Sicherheit‹, noch hätten sie die Anschläge des 11. September verhindern können. Sie befördern vielmehr Maßnahmen, die ein Klima gegenseitigen Misstrauens sowie vorhandene rassistische Strukturen und Denkmuster noch verstärken. Der eklatante Mangel an öffentlicher Kritik zeigt, wie sehr im Zuge der ›traumatischen‹ Erfahrung des 11. September, begleitet und möglicherweise verstärkt durch die öffentlich-mediale Verarbeitung der Ereignisse und die darin entwickelten Deutungsmuster, ein Klima der Angst und omnipotenten Bedrohung entstanden ist. Die Akzeptanz für maskulinistische, aktionistische und kriegerische ›Hau-Drauf‹Politiken ist durch den 11. September offenbar deutlich gestiegen. Wie die im Spiegel publizierten Umfragewerte nahelegten, wurde eine Politik der ›uneingeschränkten Solidarität‹, verbunden mit einer Beteiligung an militärischen (Re-)Aktionen, in der deutschen Bevölkerung mehrheitlich befürwortet, und auch gegen die Verschärfung der inneren Sicherheit regte sich kaum öffentlicher Widerstand. Die Remaskulinisierung und Remilitarisierung des Politischen infolge des 11. September, wie sie sich in der medialen Vermittlung der Ereignisse und politischen Akteure zeigen, lassen sich zudem als ein diskursiver Versuch interpretieren, die starke symbolische Viktimisierung und Ent-Männlichung, als welche die Anschläge wahrgenommen werden konnten, durch starke und heroische Bilder zu überschreiben und somit den ›Schock‹ zu kompensieren.
4.2 Innere Sicherheit: Verschärfung der Innen-, Ausländer- und Asylpolitik Parallel zur militärischen Konkretisierung des ›Kriegs gegen den Terror‹, der als Erstes in den Krieg gegen Afghanistan mündet, kommt es zum Ausbau eines innenpolitischen Szenarios, das ebenso kriegsähnliche Zustände verheißt. Gezeichnet wird ein eskalierendes Bedrohungsszenario im Inneren, das ein bipolares Freund-Feind-Muster bedient und nach einem kriegerischen Instrumentarium zur ›Bekämpfung‹ des inneren Feindes verlangt. Was Bin Laden für die USA, ist der ›Schläfer‹ für Deutschland: der neue Staatsfeind – allerdings einer, der im InneForderungen, wie sie nach dem 11. September ebenso zu hören waren, nach einer Ausweitung der militärischen Befugnisse, die z.B. einen größeren Einsatzbereich der Bundeswehr im Inneren ermöglichen.
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ren vermutet wird. Der ›Schläfer‹ markiert damit eine spezifisch deutsche Figur im Mediendiskurs, über die das Ereignis ›11. September‹ als ›deutsches Problem‹ ins Bewusstsein rückt und zudem eine innenpolitische Wendung erfährt. ›Terrorbekämpfungsmaßnahmen‹ wurden in Deutschland mit den ›Sicherheitspaketen‹ I und II zunächst und primär als innenpolitische Maßnahmen umgesetzt. Die von Innenminister Otto Schily eingebrachten Vorschläge zur Terrorbekämpfung sahen einen ganzen Katalog an Maßnahmen und Gesetzesnovellierungen vor, die die Kontroll- und Überwachungsbefugnisse durch staatliche Organe und Institutionen insgesamt stark ausdehnen: die Stärkung und Erweiterung der Kompetenzen des Bundesamt für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirmdienstes, des Bundesnachrichtendienstes und des Bundeskriminalamtes über die Erweiterung der Aufgaben des Bundesgrenzschutzes bis hin zu Änderungen des Pass- und Personalsausweisgesetzes, der Verschärfung des Vereinsgesetzes oder Änderungen des Ausländer- und Asylrechts. Es kam zu zahlreichen Gesetzesverschärfungen und repressiven Maßnahmen wie z.B. der Abschaffung des Religionsprivilegs im Vereinsrecht, Ausweitung der Paragrafen 129 und 129a StGB auch auf Vereinigungen im Ausland (§ 129b StGB), der Einführung bewaffneten Personals (›Sky-Marshalls‹) in Flugzeugen. Staatliche Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten wurden ausgebaut, wie z.B. die Regelanfragen beim Verfassungsschutz bei Zuwander_innen, die Fingerabdrucknahme auf Visa-Anträgen sowie die Überprüfung von Mitarbeiter_innen des Flughafen- und Bodenpersonals. Darüber hinaus kam es zu einer finanziellen und personellen Aufstockung von Geheimdiensten und Polizei sowie einer engeren Verzahnung von Polizei und Militär (für eine Kritik der Maßnahmen im Einzelnen vgl. Narr 2001b). Diskutiert wurde und wird bis heute, die Bundeswehr auch im Inneren zur ›Anti-Terror-Abwehr‹ einzusetzen.6 Des Weiteren kam es zu einer groß angelegten Rasterfahndung7 nach terrorverdächtigen ›Schläfern‹, wobei als zentrale Suchkriterien die Kategorien ›Ausländer‹ und ›Moslem‹ eingesetzt wurden. Die Rasterfahndung stellt damit ein rassistisches Klassifizierungssystem dar, mit dem alle (männlichen) ›Ausländer‹ und ›Muslime‹ als potentiell verdächtig erklärt werden. Durchleuchtet und überprüft wurden Menschen zwischen 18 und 41 Jahren, insbesondere (ehemalige) männliche Studenten (mutmaßlich) muslimischen Glaubens, die aus arabischen bzw. islamischen Ländern stammten und über einen legalen Aufenthaltsstatus in Deutschland verfügten. Bei der bundesweiten Aktion leiteten Einwohnermeldeämter, Universitäten und das Ausländerzentralre-
6 | So forderte z.B. 2006 Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble anlässlich der Festnahme eines mutmaßlichen Unterstützers der Selbstmordattentäter vom 11. September erneut, die Bundeswehr als eine »zusätzliche Reserve zur Terrorabwehr« im Inneren einzusetzen, wenn nicht genügend Polizist_innen zur Verfügung stünden (Berliner Zeitung 10.7.2006). 7 | Die Rasterfahndung ist eine besondere polizeiliche Fahndungsmethode unter Nutzung der elektronischen Datenverarbeitung, bei der große Mengen personenbezogener Daten aus öffentlichen und privaten Datensammlungen miteinander abgeglichen werden. In Deutschland hat die Rasterfahndung Tradition, sie wurde zunächst in den 1970er Jahren für den Bereich der Terrorismusbekämpfung entwickelt und im Zuge der RAF-Fahndung angewendet. Die Idee der Rasterfahndung geht auf den damaligen BKA-Chef Horst Herold zurück, ebenso wie die Beobachtende Fahndung und der Datenabgleich. 1985 wurden diese Methoden in die Strafprozessordnung aufgenommen.
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gister mehr als acht Millionen Datensätze – 5,2 Millionen allein in Nordrhein-Westfalen – an die Polizei weiter (vgl. BVerfG 2006).8 Betrachtet man die Gesetzesnovellierungen und -verschärfungen im Einzelnen, wird deutlich, dass sie insbesondere für Flüchtlinge (insbesondere aus Nicht-EUStaaten) sowie in Deutschland lebende Migrant_innen eklatante Einschränkungen mit sich bringen. Grundlegende Veränderungen wurden v.a. im Ausländer- und Asylrecht vorgenommen (vgl. für die folgenden Ausführungen Brunnett/Gräfe 2003: 52f): Ausweitung der so genannten Versagensgründe bei der Visumserteilung, Verschlechterung des Rechtsschutzes gegen Ausweisungen, Aufnahme biometrischer Merkmale in die Aufenthaltsgenehmigung und den Ausweisersatz sowie die regelmäßige Anfertigung von Sprachaufzeichnungen im Asylverfahren. Daneben werden die im so genannten Ausländerzentralregister gesammelten Daten von insgesamt mehr als 10 Millionen Menschen online für Geheimdienste, Polizei, Bundesgrenzschutz, Zoll, Arbeitsämter, Sozialbehörden, Staatsanwaltschaften etc. zugänglich gemacht. Neu eingeführt wurde auch die Verpflichtung der Ausländerbehörden und des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, alle ihnen bekannten personenbezogenen Daten und Informationen über »verfassungsfeindliche Bestrebungen« dem Verfassungsschutz mitzuteilen: »Damit werden die Asyl- und Ausländerbehörden quasi zum verlängerten Arm des Geheimdienstes« (ebd.: 53). Mit den Maßnahmen, die insgesamt von einem tiefen Misstrauen gegenüber ›Flüchtlingen‹ und ›Ausländer_innen‹ geprägt sind, wird eine europäische Abschottungs- und Festungsmentalität fortgesetzt und ausgebaut, die u.a. durch die Verschärfung der Visabestimmungen, Verschlechterung asylrechtlichen Flüchtlingsschutzes, den Ausbau des Ausländerzentralregisters und die europäische Vernetzung der gesammelten Datenmassen erreichen soll, dass nur ›erwünschte‹, im Sinne der kapitalistischen Interessen ›nützliche‹ ›Ausländer‹ und ›Ausländerinnen‹ ins Land kommen. Zudem wird das Verhältnis von Verdacht und Ermittlung umgekehrt. Am Anfang der Überwachung und Ermittlung steht nicht der Verdacht, sondern die Ermittlung, die wiederum – wenn überhaupt – in ihrem Ergebnis zu einem Verdacht führt. Die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung, dass jemand solange als unschuldig gilt, bis seine/ihre Schuld bewiesen ist, wird damit sang und klanglos entsorgt. Die Rasterfahndung muss deshalb vielmehr als eine Methode der Verdachtsschöp8 | Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 4.4.2006 war die Rasterfahndung nach dem 11. September verfassungswidrig, weil ohne konkreten Verdacht ermittelt wurde. Nach einem Beschluss ist eine solche massenhafte Datenermittlung nur bei einer »konkreten Gefahr« für »hochrangige Rechtsgüter« erlaubt. Eine »allgemeine Bedrohungslage«, wie sie nach den Terroranschlägen in den USA bestanden habe, reiche dagegen nicht aus. Die Rasterfahndung wurde zudem als erheblicher Eingriff in das ›DatenschutzGrundrecht‹ gewertet, denn von der Rasterung und Erfassung seien auch persönliche und vertrauliche Informationen wie die Glaubensüberzeugung betroffen. Außerdem lasse sich aus der Vielzahl von Daten womöglich ein vollständiges Persönlichkeitsbild zusammenfügen. Erschwerend für die Betroffenen kommt laut Gericht das Risiko hinzu, mit polizeilichen Ermittlungen überzogen und als Ausländer muslimischen Glaubens stigmatisiert zu werden. ›Islamistische Terroristen‹ seien zudem durch die Rasterfahndung, soweit ersichtlich, nicht enttarnt worden, heißt es in dem Beschluss (vgl. BVerfG 2006).
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fung gelten, die eine Atmosphäre der rassistischen Vorurteile und Verdächtigungen produziert und verstärkt. So werden im Falle der Anti-Terror-Gesetze und der damit einhergehenden repressiven Maßnahmen ›gefährliche Ausländer‹ erst konstruiert, die dann der sicherheitspolitischen Logik entsprechend, überwacht, aufgespürt und ausgewiesen werden können (vgl. ebd.: 62). Legitimiert wird dadurch eine Politik rassistischer Vor-Verdächtigung und Kriminalisierung, die einem zukünftigen Ausbau weiterer Kontroll- und Überwachungstechnologien im Namen der Sicherheit den Weg bereitet. Die Ausweitung staatlicher Eingriffsrechte, der Befugnisse von Polizei und Geheimdienst und die Zentralisierung von Organen und Informationen, lassen die Zuständigkeitsbereiche zwischen den einzelnen Organen sowie die Trennung zwischen innerer, gemäß der Gewaltenteilung mit polizeilichen Mitteln zu gewährleistende Sicherheit, und äußerer Sicherheit, die wiederum in der Regel auf militärische Mittel setzt, tendenziell verschwimmen. Mit den Anti-Terror-Gesetzen kommt es zu einer weitreichenden Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte, die insbesondere für Flüchtlinge und Migrant_innen gravierend sind. Für Flüchtlinge bedeutet die weitere Einschränkung des Asyl- und Ausländerrechts eine signifikante Beschneidung grundlegender Menschenrechte bis hin zu einer de-facto-Abschaffung des Grundrechts auf Asyl (vgl. Brunnett/Gräfe 2003: 52). Narr spricht in diesem Sinne von einer »Umfunktionierung der Grund- und Menschenrechte zu staatlichen Eingriffsrechten« (2001a: 7), denn in Bezug auf ›Ausländer_innen‹ haben menschenrechtliche Argumente offenkundig ausgedient, was zählt ist allein die ›Sicherung‹ westlicher Interessen. Mit der Zuspitzung der ›Sicherheitsgesetze‹ auf Flüchtlinge und Migrant_innen, werde »Ausländerfeindlichkeit geradezu produziert« (ebd.). Eine Untersuchung des AntiDiskriminierungsbüro Berlin (ADB 2002) ein Jahr nach dem 11. September bestätigt diese Befürchtung; die in Folge des 11. September veränderte Innen-, Ausländer- und Asylpolitik führt zu einer Verstärkung rassistischer Denkmuster und Einstellungen: »[D]er Bundesregierung (wie auch Teilen der Medien) [ist] primär eins gelungen: Vorurteile und Ressentiments gegenüber BürgerInnen nichtdeutscher Herkunft, speziell gegenüber BürgerInnen islamischen Glaubens bzw. arabischer Herkunft, mittels neuen Gesetzen und den von ihnen ausgehenden politischen wie gesellschaftlichen Signalen zu bestärken und zu fördern. Die Signale waren nur zu deutlich erkennbar, insbesondere für all diejenigen Personen, die von ihnen in erster Linie betroffen sind: ›Ausländer sind ein Sicherheitsrisiko, unsere Sicherheit ist von ihnen bedroht‹, tönte es aus Parlament und einem Teil der Medien.« (ADB 2002: 47)
Ein größeres Ausmaß an Sicherheit konnte jedoch noch niemals durch den Abbau von genuinen Bürger- und Menschenrechten und Demokratie erzielt werden (Narr 2001b: 122) – dass vielmehr das Gegenteil der Fall ist, zeigt nicht nur die deutsche Geschichte sehr eindrücklich. Dass die ›Anti-Terror‹-Pakete und die damit verbundenen zusätzlichen Diskriminierungen und Einschränkungen nicht zu einer Steigerung der Sicherheit aller Menschen führen, wird offensichtlich, wenn man nicht nur diejenigen Menschen mit einem deutschen oder europäischen Pass im Blick hat. Die neue Sicherheitsgesetzgebung dürfte auch längerfristig der viel gepriesenen inneren Sicherheit eher abträglich als zuträglich sein, da sie die Gesellschaft entlang der Trennungslinie ›(kulturelle) Herkunft‹ und/oder ›Religionszugehörig-
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keit‹ spaltet und Rassismus und Islamfeindlichkeit fördert. Ohnehin scheint fraglich, ob die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen, für die zukünftige Aufklärung von Verbrechen dieser Art überhaupt sinnvoll sind; jedenfalls hat die Rasterfahndung für die Terroristenfahndung keine relevanten ›Treffer‹ ergeben. Um weiteren Entgrenzungen staatlicher Gewalt und der Zunahme rassistischer Einstellungsmuster entgegenzuwirken, sollte sich jeder und jede stets aufs Neue »die sokratischen Fragen stellen: wessen Sicherheit; mit welchen mutmaßlichen Effekten; mit welchen Kosten und Nutzen für die Grund- und Menschenrechte aller in der BRD Lebender?« (Narr 2001b: 117).
4.3 Remilitarisierung der Außenpolitik – »Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt« Die Hypothese, dass die Ereignisse des 11. September und die darüber geführten Debatten in den Medien kriegslegitimierende Deutungsmuster bereitstellen, die einer weiteren Normalisierung und Militarisierung der deutschen Außenpolitik Vorschub leisten, kann durch diese Untersuchung bestätigt werden. Der 11. September fungiert neben der deutschen ›Wiedervereinigung‹ und dem Kosovokrieg – als dem ersten militärischen Auslandseinsatz der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg – als ein weiterer Meilenstein für die Neubestimmung der politischen Identität Deutschlands auf dem Weg zur vollen politischen Souveränität, die kriegerisch-militärische Politikformen mit zunehmender Selbstverständlichkeit einschließt. Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet scheint der 11. September, mehr noch als der Kosovokrieg, die ›militärische Sonderrolle‹ Deutschlands aufgehoben zu haben. Militärische Politik im Namen der ›Sicherheit‹ gehört zur Staatsräson. Wie die Analyse von FAZ und Spiegel gezeigt hat, werden in der Berichterstattung über den 11. September und den darauf folgenden Krieg in Afghanistan Deutungsmuster etabliert, die dieser politischen Normalisierung Auftrieb verschaffen. Im Deutungsmuster der ›erwachsen gewordenen Nation‹ findet diese Normalisierung ihren deutlichsten Ausdruck. Beobachtet werden konnte nicht nur eine entscheidende Ausweitung des Sagbarkeitsfeldes, in dem Militärgewalt und Krieg nicht länger ›tabu‹ sind, sondern auch ein Wandel der Begründungsmuster, mit denen militärisches Handeln erklärt und legitimiert wird. Der Kampf gegen den Terrorismus, internationale Verantwortung, ›uneingeschränkte Solidarität‹ sowie die Verteidigung der zivilisierten Welt und ihrer Werte sind neue Begründungen für militärische Aktionen. Darüber hinaus seien militärische Einsatz notwendig für die Emanzipation der Mädchen und Frauen in Afghanistan, so dass diese wieder zur Schule, zur Arbeit und v.a. ohne Burka auf die Straße gehen können (vgl. ZAG 2010b). Die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik, die sich im Verlauf der 1990er Jahre im Vergleich zu vorher äußerst zügig entwickelt hat und mit der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg eine erste Konkretisierung erfuhr, scheint mit dem 11. September nahezu vollendet. Forderungen nach einer militärischen Zurückhaltung Deutschlands, die geschichtspolitisch aus dem vom nationalsozialitischen Deutschland begonnenen Zweiten Weltkrieg begründet war, sowie nach zivilen Konfliktlösungsstrategien und pazifistischen Politikmodellen haben sich mit den infolge des 11. September etablierten Deutungsmustern grundsätzlich erledigt. Was noch vor einigen Jahren unter dem Stichwort ›Militarismus‹ kritisiert wurde, stellt in den untersuchten Medien nach dem 11. September kein Problem mehr dar. Durch die
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Art der diskursiven Rahmung wurden pazifistische oder anti-militaristische Positionen als ernst zu nehmende politische Handlungsoptionen endgültig entsorgt und als weltfremde, in Anbetracht des ›Terrorismus‹ völlig unangemessene Haltung verworfen, welche die Realität der neuen Bedrohung verkenne und den ›deutschen Interessen‹ nachhaltig schade. Kriegskritik wurde als antiamerikanisch oder naiv gebrandmarkt und oftmals mittels einer symbolischen Feminisierung als weichlich, weibisch und irrational – und damit insgesamt als politisch unbrauchbar und gefährlich – diskreditiert. Heute im Jahr 2012 ist Deutschland wie selbstverständlich an ›Kriseninterventionen‹, ›Friedensmissionen‹, ›Stabilisierungseinsätzen‹ und ›humanitären Interventionen‹ überall auf der Welt beteiligt. Militärische Auslandseinsätze bzw. ›Krieg‹ im Namen der Sicherheit stellen eine permanente Option dar. Diese kann umgesetzt oder aber, wie im zweiten im Namen des ›Kriegs gegen den Terror‹ geführten ›Präventivkrieges‹ gegen den Irak, auch abgelehnt werden. Die Bundeswehr präsentiert sich in diesem Kontext als Speerspitze der wehrhaften Demokratie, die weltweit ›Verantwortung‹ übernimmt und die ›Sicherheit Deutschlands‹ auch am Hindukusch ›verteidigt‹. Die Normalisierung und Remilitarisierung Deutschlands unter dem Vorzeichen sicherheitspolitischer Interessenwahrung (Krieg ist die ›Wahrung von Sicherheit‹) wird durch die Neufassung der Verteidigungspolitischen Richtlinien, die am 21. Mai 2003 vom damaligen Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) im Kabinett vorgestellt wurden, rückwirkend legitimiert (vgl. BMVg 2003). Die militärischen Aufgaben seien an die vermeintlich gewandelten sicherheitspolitischen Erfordernisse angepasst worden, wobei die Bundeswehr zu einem »Instrument einer umfassend angelegten, vorausschauenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik« (ebd.: 27; Art. 71), mit anderen Worten: einer weltweit einsatzbereiten Armee umgebaut werde. Die im Dezember 2002 von Struck getroffene Aussage: »Die Sicherheit Deutschlands muss auch am Hindukusch verteidigt werden«, hat sich dabei längst als neue Maxime der deutschen Außenpolitik etabliert. Kurz: Angriff wird zur Verteidigung, und Verteidigung wird zur ›Wahrung der Sicherheit‹ umdefiniert und geografisch dezentralisiert; so heißt es in Artikel 5 der Verteidigungspolitischen Richtlinien: »Verteidigung heute umfasst allerdings mehr als die herkömmliche Verteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein. Dementsprechend lässt sich Verteidigung geografisch nicht mehr eingrenzen, sondern trägt zur Wahrung unserer Sicherheit bei, wo immer diese gefährdet ist.« (Ebd.: 18)
Im Jahr 2006 habe sich die Bundeswehr schließlich erfolgreich zu einer »Armee im Einsatz« gewandelt, wie Strucks Nachfolger im Amt des Verteidigungsministers, Franz Josef Jung (CDU), im Vorwort des Weißbuchs der Bundeswehr zufrieden konstatiert (BMVg 2006: 4). Zugleich pflegt die Bundeswehr auch weiterhin das Image einer sympathischen und friedlich gesinnten Entwicklungshilfeorganisation ohne ›koloniale Erblasten‹ oder imperialistische Interessen, die wie eine Unterabteilung des Technischen Hilfswerks am ›Hindukusch‹ und anderswo beim Wiederaufbau hilft, Straßen anlegt, Brunnen aushebt und (Mädchen-)Schulen baut und damit einen Beitrag für die ›Zivilisierung‹ Afghanistans und den ›Weltfrieden‹ insgesamt leistet.
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Strittig scheint heute v.a. die korrekte Bezeichnung der Einsätze, nicht aber die Einsätze an sich zu sein. So ist die in Politik und Medien geführte Debatte darüber, ob es sich beim Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan um einen ›Kriegseinsatz‹, eine ›Friedensmission‹ oder eine ›Intervention‹ im Rahmen eines ›bewaffneten Konflikts‹ handelt, bis heute unentschieden. Erst im April 2010 sprach Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) nach dem Tod dreier Soldaten erstmals davon, dass sich Deutschland in Afghanistan im »Krieg« befände.9 Bundeskanzlerin Angela Merkel zog am 18. Dezember 2010 nach: Die Realität der Soldaten im Gebiet Kundus sei so, »dass sie in wirklichen Gefechten stehen – so wie Soldaten das in einem Krieg tun. Ich finde, das sollte man beim Namen nennen.«10 Zur Frage der ›richtigen Benennung‹ gehört auch der 2009 in Politik und Medien vollzogene Begriffswandel, mit dem ›getötete‹ Soldaten nunmehr als ›gefallen‹ bezeichnet werden.11 Meines Erachtens lässt sich aktuell ein deutlicher Trend erkennen, deutsche Soldaten wieder stärker als Kämpfer und Krieger wahrzunehmen und darzustellen, deren Einsatzgebiet traditionell der Krieg ist. Dieser Wandel wird von immer lauter werdenden Forderungen nach einem ›würdigen‹ militärischen Heldengedenken in der Öffentlichkeit begleitet. Offensiv und unverstellt werden von Seiten der Bundeswehr und Teilen der Politik eine fehlende Anerkennung der Bundeswehr und ein ›veraltetes Denken‹ in Bezug auf heutige Kriegssituationen innerhalb der deutschen Gesellschaft beklagt (ich komme darauf im Folgenden noch ausführlicher zu sprechen). Gleichzeitig zeigt sich von Seiten der deutschen Bevölkerung ein deutliches Desinteresse an den politischen Veränderungen. Auch wenn sich in Umfragen regelmäßig etwa zwei Drittel der Deutschen für einen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan aussprechen, insbesondere dann, wenn es wieder Todesopfer in der eigenen Truppe zu beklagen gilt, gehen die jährlichen Mandatsverlängerungen ohne nennenswerten Protest vonstatten. Ebenso wenig schlägt sich die ablehnende Kriegshaltung in Wahlergebnissen, Großdemonstrationen oder anderen Formen des Widerstands nieder. Dass Deutschland heute wieder Krieg führt, an Kampfeinsätzen direkt beteiligt ist oder indirekte Unterstützungsleistungen erbringt, scheint den meisten Menschen hierzulande egal zu sein.
9 | Der Spiegel spricht von einem »Tabu-Bruch«, vgl. Spiegel-online vom 4.4.2010; abrufbar unter: www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,687235,00.html (letzter Zugriff 10.2.2012). 10 | Zit.n. sueddeutsche.de vom 18.12.2010; abrufbar unter: www.sueddeutsche.de/politik /blitzbesuch-bei-den-deutschen-truppen-kanzlerin-merkel-in-afghanistan-eingetroffen1.1037831 (letzter Zugriff 10.2.2012). 11 | Anlässlich des Todes von drei Bundeswehrsoldaten in Afghanistan hatte Jung verkündet: »Drei Soldaten sind in Afghanistan im Einsatz für den Frieden gefallen« (zit.n. tagesspiegel.de, 24.6.2009; abrufbar unter: www.tagesspiegel.de/politik/international/afghanistandrei-deutsche-soldaten-gefallen/1543506.html; letzter Zugriff 8.2.2012). Mit Schlagzeilen wie »Drei deutsche Soldaten in Afghanistan gefallen« (so oder so ähnlich titelten z.B. FAZ, ZEIT, Tagesspiegel, Süddeutsche Zeitung) wurde der Begriff »gefallen« von fast allen Massenmedien weitertransportiert, ohne dass »gefallen« als Zitat kenntlich gemacht wurde. Zum etymologischen Hintergrund des Begriffs ›fallen‹, der im militärischen Kontext den Tod des Soldaten im Kampf bezeichnet, vgl. Bergmann 2010: 169.
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4.4 Die Rückkehr des soldatischen Kämpfers — ›postheroischer Heroismus‹ Vor dem Hintergrund des außen- und sicherheitspolitischen Paradigmenwechsels infolge des 11. September wurde die Entwicklung der Bundeswehr hin zu einer weltweit einsatzbereiten Armee anhand der Repräsentation des ›deutschen Soldaten‹ nachgezeichnet. Wie diese Untersuchung gezeigt hat, ist mit der Remilitarisierung der deutschen Politik (und der deutschen Identität) der Soldat – der als ›Bürger in Uniform‹ in der BRD über Jahrzehnte eine eher unsoldatisches Image hatte – als ›Kämpfer‹ und ›Held‹ (wieder) salonfähig geworden. Die Figur des Soldaten ist – wie die anderen Aktanten auch – von diskursiven Aushandlungsprozessen begleitet, in denen spezifische Vorstellungen von Männlichkeit (und Weiblichkeit) zum Tragen kommen. Welche Eigenschaften jeweils positiv hervorgehoben werden, ist dabei generell nicht nur abhängig von der jeweiligen Geschlechterordnung, sondern auch von den jeweils gültigen Vorstellungen von Staat und Krieg und deren notwendiger gesellschaftlicher Legitimierung. Wie ich argumentiert habe, hat sich das Bild des Soldaten als ›Sozialarbeiter‹ und ›Freund und Helfer‹, das auch weiblich konnotierte soft skills umfasst, im Kosovokrieg als funktional erwiesen, um den ersten militärischen Auslandseinsatz der Bundeswehr nach dem Zweiten Weltkrieg als ›humanitäre Aktion‹ zu begründen. Die mediale Repräsentation des deutschen Soldaten als ›humanitärer Helfer‹ und ›Überbringer von Demokratie und Menschenrechten‹ etablierte Ende der 1990er Jahre nicht nur ein neues Soldatenbild. Es wurde darüber hinaus zum wesentlichen Bestandteil der Konstruktion einer nationalen Identität als wiedervereinigter ›geläuterter Gemeinschaft‹, die ihre Lehren aus der NS-Vergangenheit gezogen hat und gerade deshalb eine besondere Verantwortung trägt, sich für eine weltweite Durchsetzung der Menschenrechte – notfalls auch militärisch – zu engagieren (vgl. ausführlich Bewernitz 2010; Schwab-Trapp 2002). Der 11. September und seine medialen Deutungen haben der (Ur-)Figur des soldatisch-heroischen Kämpfers wieder zum Durchbruch verholfen und somit einer deutlichen Remaskulinisierung des Soldatenbildes Vorschub geleistet, die offenkundig mit der Remaskulinisierung der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik korrespondiert. Angesichts des globalen Gefahrenszenarios, das Politik und Medien entworfen haben, wird die Neubegründung der gegen innere und äußere Feinde ›wehrhaften Nation‹ unmittelbar mit der Fähigkeit der Soldaten zum Kämpfen und Töten verknüpft. Der auch out of area stattfindende Kampf gegen den internationalen Terrorismus erfordert eben auch jenen klassischen Kämpfertypus, der den Schutz der (eigenen und gegebenenfalls auch fremden) Bevölkerung und insbesondere der ›FrauenundKinder‹ im Zweifelsfall auch mit Waffengewalt besorgt. Diesen neuen (alten) Typus, der sich durch physische und psychische Härte und Kampfbereitschaft auszeichnet, verkörpern die Elitesoldaten des so genannten Kommandos Spezialkräfte (KSK), das während des Kosovokriegs medial noch keine größere Beachtung gefunden hatte. Gegenüber dem ›Sozialarbeiter in Uniform‹ erscheint der ›KSK-Soldat‹ als – im deutschen Kontext – neue soldatische Subjektposition: ein Kämpfer und Held, bereit sein Leben für die Sicherheit seiner Nation und der ›FrauenundKinder‹ zu opfern, dabei hochprofessionell und auf Augenhöhe mit den Elitesoldaten der westlichen Bündnispartner – ein würdiger Vertreter eines außenpolitisch ›erwachsenen Deutschlands‹. Im Spiegel wird die Figur des deutschen Soldaten dabei
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in Abgrenzung zum US-Soldaten entworfen: Während dieser als der eigentliche Krieger porträtiert wird, versucht der deutsche Soldat Kampf und Heldentod möglichst zu vermeiden. In Abgrenzung zu einer mit ungezügeltem Abenteuer und machohaftem Losschlagen assoziierten US-Armee, profiliert sich der deutsche Soldat als in der Gewaltausübung gemäßigter, kontrollierter und somit auch gerechter. Wie aus der Analyse hervorgeht, wird der alte und bewährte Soldatentypus des ›Sozialarbeiters in Uniform‹ jedoch nicht vollkommen verworfen, ihm wird lediglich eine bis dato deutlich gemiedene Figur an die Seite gestellt. Begleitet von einer ausgeprägten Friedenssymbolik werden insbesondere gegen Ende des Krieges Deutungen wie ›Aufbauhelfer‹, ›Friedensstifter‹ und ›Menschenrechtler‹ angeboten. Auch der in der Berichterstattung hofierten Alltagsfigur des ›Polizisten‹ haftet nichts Bedrohliches an. Eine Entsendung in ferne Einsatzgebiete erscheint deshalb unproblematisch, denn Polizisten helfen, retten Menschenleben und führen die Verbrecher ihrer gerechten Strafe zu. Mit Gewalteinsatz und dem Töten von Menschen hat diese Figur in der Regel wenig gemein. Korrespondierend mit dem Deutungsmuster des Soldaten als ›Polizist im Ausland‹ wird der Anti-Terror-Kampf in den Medien zu einem weltweiten, arbeitsteiligen, aber durchaus militärisch geprägten ›Polizeieinsatz‹ im Namen globaler Demokratie und Sicherheit umgedeutet (›Weltinnenpolitik‹). Wie in der Rekonstruktion der medialen Soldatenbilder gezeigt, geht es bei der »Rückkehr des Soldatischen« (Hartmann et al. 2009) nicht um eine Verdrängung der anderen Rollen des Soldaten, sondern um eine Ausdifferenzierung des Soldatenberufs, der diplomatische, sozialarbeiterische, humanitäre, polizeiliche und nun auch wieder kämpferische Aufgaben umfassen muss. Allerdings tritt mit der Reaktivierung des ›Kämpfers‹ der vermeintlich entsorgte militaristische Heroismus wieder unverstellter zutage. Auf medialer Ebene zeigt sich die Aufwertung des Heroischen z.B. in der wiederholten Hervorhebung des hohen Risikos bzw. des tapferen, selbstlosen Einsatzes der deutschen (KSK-)Soldaten, die für die Sicherheit und den Schutz ihres Landes kämpfen, um dabei möglicherweise zu sterben – wobei diese Opferbereitschaft für andere, z.B. Frauen und Kinder, gerade den Heroismus ausmacht.12 Dabei kommt es jedoch offensichtlich genau auf das richtige Maß an Heldenmut an. So hat die Analyse ebenso deutlich gemacht, dass auch ein ›Zuviel‹ an männlichem Heldentum und Kampfbereitschaft der Diskreditierung bestimmter Personen dienen kann. Insbesondere bei der Repräsentation der Taliban, wird von einem rückständig-barbarischen Ehr- und Heldenverständnis berichtet, das als Ausdruck einer übersteigerten und rückständigen (islamischen) Hypermaskulinität interpretiert wird. Auch der US-Soldat wird bisweilen als übertrieben männlich und draufgängerisch beschrieben. In Abgrenzung dazu etabliert sich eine positiv besetzte, europäisch-deutsche Identität, die weder ›feige‹ ist und den (direkten) Kampf scheut, noch übertrieben kämpferisch und heroisch auftritt, sondern stattdessen Kampf und Krieg als zu vermeidendes, aber unter Umständen (wieder) notwendiges Übel begreift. Die mit dem 11. September erfolgte Rückkehr des Soldatischen und Heroischen bei gleichzeitiger Selbst-Definition als ›postheroisch‹ lässt sich mit Ute Scheub als »postheroischer Heroismus« bezeichnen (Scheub 2010: 217). 12 | In den US-amerikanischen Medien sind es zudem die ›US-Feuerwehrmänner‹, von denen mehrere Hundert bei ihrem Einsatz am 11. September ums Leben kamen und die als männlich-militarisierte Helden gefeiert werden (dazu Wenk 2005a; Drew 2003).
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Der aktuelle Internetauftritt der Bundeswehr zeigt, dass »Kämpfen« mittlerweile zum elementaren Bestandteil ihres Selbstverständnisses als »Armee im Einsatz« geworden ist (vgl. hier und im Folgenden www.bundeswehr.de und www.bmvg.de). Ausführlich wird dort erläutert, dass sich das Aufgabenprofil des deutschen Soldaten aus vier Bausteinen zusammensetzt: Schützen, Helfen, Vermitteln und Kämpfen (vgl. auch BMVg 2009a: 25).13 Dementsprechend wird eine enge Verzahnung von zivilen und militärischen Mitteln proklamiert: »Deutsche Sicherheitspolitik bekämpft heute Bedrohungen dort, wo sie entstehen. Grundlage hierfür ist das Konzept der Vernetzten Sicherheit. Militärische und zivile Mittel sollen Hand in Hand für Frieden und Stabilität sorgen.«14 Insbesondere der Auftrag des KSK bezieht kämpferische Aktivitäten explizit mit ein; so gehören u.a. »Retten und Befreien«, »Spezialaufklärung« sowie ausdrücklich auch »Kampfeinsätze« zum Aufgabenprofil dazu.15 Trotz der ausdrücklichen Aufnahme von ›Kampf‹ und ›Kämpfen‹ in das Aufgabenprofil der Bundeswehr, sucht man den Begriff »Krieg‹ zur Beschreibung des soldatischen Einsatzfeldes weiterhin vergebens. Vielmehr ist, wo eigentlich ›Krieg‹ stehen müsste, von ›Frieden‹ die Rede: Alle Tätigkeitsfelder werden subsumiert unter dem ›Hauptauftrag‹: »Im Einsatz für den Frieden«. In einem auf der Webseite präsentierten Videoclip zum Thema »Kämpfen«16 wird klargestellt: »Wir kämpfen, wenn es erforderlich ist«. Im Verlauf des kurzen Films wird jedoch ausdrücklich betont, dass dies nichts mit ›Krieg‹ zu tun habe:
13 | Dieses vierteilige Aufgabenprofil wurde zudem als Grafik verbildlicht, die bis 2011 als offizielles Logo der Bundeswehr fungierte (siehe z.B. BMVg 2009a: 25). Im Mittelpunkt der Grafik befinden sich der Satz: »Bundeswehr. Im Auftrag für den Frieden«, um den dann die vier Teile des Aufgabenprofils — Schützen, Helfen, Vermitteln, Kämpfen — symmetrisch angeordnet sind. Mittlerweile wurde das Logo jedoch durch eine andere Grafik mit neuem Slogan ersetzt: Mit »Wir. Dienen. Deutschland« proklamiert die Bundeswehr seit 2011 ein neues militärisches Selbstverständnis und wirbt für die neue Freiwilligenarmee nach Aussetzung der Wehrpflicht. 14 | Vgl. www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/Fcw5DoAgFEXRHfF7O1eh2BCGD77IFEBN XL 2aW5zu0k Zf W V8IeqBkHWklaTGZ W5h0BdFhd247 Y_RaIg YOwchdj0f5k5tynJVv4E9a_ lcMJB1TTWl-AR69NnQ!/ (letzter Zugriff 10.2.1012). 15 | Vgl. www.deutschesheer.de/portal/a/dso/!ut/p/c4/04_SB8K8xLLM9MSSzPy8xBz9C P3I5EyrpHK9jNTUoviU4ny9lMzUvOKS4pLUnJzUPL3s4my9xNK0kqLEdP2CbEdFAEh042c!/ (letzter Zugriff 10.2.2012). 16 | Zur Beschreibung des ›vernetzten‹ Aufgabenprofils können sich Interessierte auf der Webseite der Bundeswehr das vierteilige Video »Afghanistan – Schützen, Helfen, Vermitteln, Kämpfen« ansehen, die jeweils einen der genannten Bausteine näher erläutern. Jeder der im Stile eines »You-Tube«-Videos gehaltenen Spots fängt mit den gleichen Worten an: »An die Bundeswehr werden heute Anforderungen gestellt, die über das militärische Handwerk weit hinausgehen. Nur im Zusammenspiel als Beschützer, Helfer, Vermittler und Kämpfer können die Einsätze für Frieden und Sicherheit bewältigt werden. Das gilt besonders für Afghanistan, wo die Bundeswehr diesem Vierklang seit Jahren verpflichtet ist«. Die Videos sind seit 2010 online abrufbar unter: www.bundeswehr.de/portal/a/bwde/!ut/p/c4/NYzBCsIwEET_K JuIYPCmlY IXPWq9yL Z Z6kK TlHXbgvjxpgdn4F0eM_CA0oQz96icEw5wh6bjfbuYdglk4jQoRwqMZuZ A GaV78WyI0x t JP2RaYhWknp4b6yzc1r-y63IiXamUlAt7Qc1ixiw6rGYSKcZwgMa609Ht7D_ u67eVryvr7flSX2GM8fADqXu8uQ!!/(letzter Zugriff 10.2.2012).
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G ENDERING 9/11 — M EDIEN , M ACHT UND G ESCHLECHT IM K ONTEXT DES »W AR ON T ERROR « »Die Bundeswehr führt in Afghanistan keinen Krieg. Sondern sie wird von Kriminellen fortwährend angegriffen, es handelt sich um Terroristen die vor Massenmord nicht zurück schrecken. Aktiver Krieg oder Verteidigung gegen brutale Glaubensfanatiker, das macht einen großen Unterschied.«
Während der ›Kämpfer‹ bislang laut Öffentlichkeitsarbeit des Verteidigungsministeriums ›nur‹ ein Viertel des Bundeswehr-Soldaten ausmacht, tritt mit dem Umbau der Bundeswehr zu einer weltweiten Interventionsarmee ein heroischer Kämpferkult in der Öffentlichkeit umso deutlicher zutage. Sehr viel expliziter als zuvor kommt es in den letzten Jahren zu einer gründlichen ›Enttabuisierung‹ des Militärischen, verbunden mit einem Hohelied auf den soldatischen Kämpfer und die Soldatenehre. Mal zögerlich, mal offensiv kehren die Begriffe Kämpfen und Töten – und neuerdings auch das Getötet-Werden im Kampf und das Thema Soldatenehre – in den öffentlichen Diskurs zurück, wenn es um die deutschen Soldaten geht.17 Denn auch das ›Töten‹ wird heute explizit zum Aufgabenprofil des deutschen Soldaten gezählt; »Töten gehört zum Auftrag«, ließ Hans-Christoph Ammon, gegenwärtiger Kommandeur des KSK, in einem Interview mit der Rheinischen Post im Mai 2010 vernehmen.18 Und der Spiegel schreibt 2006 auf dem Titel eines Hefts zum Thema Bundeswehr in Afghanistan: »Die Deutschen müssen das Töten lernen« (47/2006), darunter: »Wie Afghanistan zum Ernstfall wird«. Der Ruf nach ›neuen Helden‹, flankiert von Forderungen nach einem angemessenen ›Heldengedenken‹, tritt dabei immer unverblümter zu Tage. Diese Entwicklung lässt sich auch als Re-Heroisierung oder Neo-Heroismus bezeichnen. Der ›Soldat als Kämpfer‹ wird nicht nur als eine Rolle von Vielen gepriesen, sondern wieder als der ›eigentliche Kern‹ des Soldat-Seins definiert So forderte z.B. Ex-Verteidigungsminister Jung bei einem Militärhistorikerkongress in Potsdam, die Traditionspflege der Bundeswehr stärker auf die Rolle des ›Soldaten als Kämpfer‹ auszurichten. Denn der moderne Soldat sei, wie er sagte, »trotz aller Ausweitung seiner Rolle als Helfer, Vermittler und Retter im Kern immer noch Kämpfer« (zit.n. FAZ 22.8.2006). Zahlreiche Akteure, v.a. aus Politik und Militär, beklagen insbesondere eine vermeintlich fehlende politische und gesellschaftliche Anerkennung der Bundeswehr und ihrer Leistungen. So beschwerte sich etwa Heeresinspekteur Gerd Gudera anlässlich seiner Verabschiedung im Januar 2004 darüber, dass »nirgendwo außerhalb Deutschlands […] Soldaten in ähnlicher Art und Weise verunglimpft und in ihrer Ehre beschnitten« würden – wobei er auf das Verfassungsgerichtsurteil anspielte, nach dem Soldaten in Deutschland als »Mörder« bezeichnet werden dürfen.19 Die Einführung neuer soldatischer ›Orden‹ (offizielle Bezeichnung: Ehrenzei17 | Bereits 2004 forderte der Oberkommandierende des Heeres Hans-Otto Budde für den Einsatz in Afghanistan: »Wir brauchen den archaischen Kämpfer und den, der den HighTech-Krieg führen kann« (zit.n. Welt-online vom 29.2.2004, abrufbar unter: www.welt.de/ print-wams/article107173/Bundeswehr_braucht_archaische_Kaempfer.html, letzter Zugriff 8.2.2012). 18 | Ein Nachdruck findet sich ebenfalls auf der Seite der Bundeswehr, vgl. www.deutschesheer.de/portal/a/dso/aktuelles/nachrichten/jahr2010/mai2010?yw_content (letzter Zugriff 8.2.2012). 19 | Zit.n. Welt-online vom 5.3.2004, abrufbar unter: www.welt.de/print-welt/article297988/ Mit_einem_politischen_Paukenschlag_in_den_Ruhestand.html (letzter Zugriff 8.2.2012).
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chen und Medaillen) in 2008 und 2010 sowie die Errichtung des »Ehrenmals der Bundeswehr« im Jahr 2009 auf dem Berliner Dienstsitz des Verteidigungsministeriums lassen sich als entsprechende politische Antworten auf das eingeforderte Helden-Credo lesen. Zugleich dokumentieren sie das Fortschreiten der gesellschaftlichen Remilitarisierung und Re-Heroisierung nach dem 11. September, in der klassisch soldatische Tugenden wie Tapferkeit, Einsatz im Kampf, Treue und Hingabe für die Nation und die Bereitschaft, dabei das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, wieder sagbar geworden sind und zunehmend politische Anerkennung und nationale Ehrung, z.B. durch militärische Auszeichnungen und Denkmäler, erfahren. In den letzten Jahren lässt sich hier eine neue Diskursverschiebung beobachten: Nicht mehr nur Kämpfen und Töten, sondern auch das Sterben bzw. Getötet-Werden der Bundeswehrsoldaten im Einsatz rückt in den Mittelpunkt, verbunden mit Forderungen nach einem ›würdigen‹ und ›ehrenden‹ kollektiven Gedenken an die getöteten Soldaten. Die diskursiven Verschiebungen äußern und materialisieren sich in politischen Handlungen, Institutionen, Ritualen, Bauten etc. »Den Toten unserer Bundeswehr – Für Frieden, Recht und Freiheit«, lautet die erhabene Widmung des zügig gebauten und in der Öffentlichkeit von vergleichsweise wenig Diskussion und Einspruch begleiteten »Ehrenmals der Bundeswehr«, das am 8. September 2009 feierlich eingeweiht wurde. In einer das »Ehrenmal« erläuternden Broschüre des Verteidigungsministeriums (BMVg 2009b) sind Ziele und Entstehungsgeschichte nachzulesen. Entstanden sei erstmals in der Geschichte der Bundeswehr ein Platz, an dem das »ehrende Gedenken« (ebd.: 35) an »unsere Soldaten […], die im Einsatz für den Frieden gefallen sind« (ebd.: 5), in »würdiger Form« stattfinden könne (ebd.: 31). Wie man anhand der Broschüre sehen kann, hat der Topos des ›gefallenen‹ Soldaten innerhalb kürzester Zeit Einzug in das offizielle Vokabular staatlich-militärischer Gedenkpolitik gehalten. Auch von Kämpfen und Töten (in letzter Konsequenz) ist explizit die Rede. Der Begriff ›Krieg‹ taucht jedoch im Zusammenhang mit der Bundeswehr kein einziges Mal auf. Dafür werden Tapferkeit, Pflichterfüllung und Opferbereitschaft als vorrangige soldatische Tugenden wiederholt herausgestellt. So ist der Broschüre ein einzelnes Zitat wie ein Leitsatz vorangestellt: »Die Forderung nach Tapferkeit schließt die Bereitschaft ein, wenn es sein muss, auch das Äußerste einzusetzen: das eigene Leben« (ebd: 2). Die in der Inschrift vollzogene Gegenüberstellung des Soldatentodes mit allgemeinen demokratischen Prinzipien und Werten suggeriert, der Tod sei unmittelbar im Einsatz für eben jene hehren Ziel erfolgt, was dem individuellen Sterben einen höheren Sinn und Zweck verleiht und zugleich die Legitimität des militärischen Einsatzes auf moralischer Ebene unterstreicht.20 Die Verklärung des soldatischen Todes als tapferer Heldentod für die gerechte Sache lässt dabei die Tatsache, dass Soldaten selbst töten und Gewalt ausüben, in den Hintergrund treten.21 20 | Die goldfarbene Inschrift selbst verzichtet auf jegliche Interpunktion zwischen den beiden Satzteilen, zudem sind alle Wörter in Großbuchstaben gesetzt, wodurch die Zusammengehörigkeit beider Teile noch bekräftigt wird bzw. eine innere Geschlossenheit entsteht: DEN TOTEN UNSERER BUNDESWEHR FÜR FRIEDEN RECHT UND FREIHEIT. 21 | Zur Kritik des »Ehrenmals« vgl. auch Fuhrmeister 2009 und Bergmann 2010. Fuhrmeister kritisiert das Ausbleiben einer breiten öffentlichen Auseinandersetzunge über Zielsetzung und Formensprache des »Ehrenmals«. Insbesondere im Vergleich mit anderen öffentlichen Auseinandersetzung um den Bau neuer Denkmäler und Gedenkstätten, wie z.B. die
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»Tapferkeit« zählt laut Bergmann zu den Hauptattributen jenes Soldatenleitbildes des 19. Jahrhunderts, »das jenen Soldaten heroisierte, der sowohl sein eigenes Leben riskierte als auch tötungsbereit für sein Vaterland kämpfte« (2010: 161). Anlässlich der Einführung der Tapferkeitsmedaille und des Baus des Ehrenmals für ›gefallene Soldaten‹ spricht Bergmann deshalb von einer Rehabilitierung wesentlicher Elemente des »traditionellen Gefallenenkultes« (ebd.: 164), der sich durch spezifische soldatische Tugendkodexe und symbolische Handlungen wie Gefallenenehrung und Ordensverleihungen auszeichnet. Der aktuelle ›Gefallenenkult‹ rekurriert dabei auch auf den Topos des ›gefallenen Soldaten‹, der für ein höheres Ziel gestorben ist. Heute ist dies jedoch nicht mehr das ›Vaterland‹, für das der Soldat in den Krieg oder die Schlacht zieht, sondern hehre Werte wie ›Frieden, Recht und Freiheit‹ oder die ›Sicherheit Deutschlands‹, für die die Soldaten kämpfen – und wofür sie ›unsere‹ Anerkennung und Ehrung verdienen (so argumentierte beispielsweise von Guttenberg bei der Verleihung der ersten Gefechtsmedaille22). Die gesellschaftliche Aufwertung eines spezifischen, kämpfenden und (›post‹-) heroischen Soldaten-Typus, der sich in selbstloser Hingabe dem Schutz seiner Nation sowie höheren Zielen wie Freiheit und Frieden verschreibt und dabei furchtlos sein eigenes Leben in die Waagschale wirft, spiegelt sich auch in der aktuellen Ordens-Politik der Bundesregierung wider. Hatte Verteidigungsminister Jung erst 2008 die Ehrenzeichen der Bundeswehr um eine fünfte und höchste Stufe erweitert – das »Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit« –,23 ging sein Nachfolger zu Guttenberg noch einen Schritt weiter und fügte im November 2010 einen besonderen Orden für dezidierte Kämpfer, die »Einsatzmedaille Gefecht« hinzu. Während das »Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit« bereits für »außergewöhnlich tapfere Taten […], die weit über die im Soldatengesetz geforderte Tapferkeit hinausgehen« (BMVg 2011: 3), verliehen wird, betont die neue Medaille noch mehr den aktiven Kampfeinsatz.24 Die Gefechtsmedaille – in den Medien auch »Kämpfer-Orden« intensive Debatte um das »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« oder die »Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft« in der Neuen Wache in Berlin, herrsche in Bezug auf das Ehrenmal der Bundeswehr eine »skandalöse Stille« (Fuhrmeister 2009: 151). Bergmann (2010) hebt mit ihrer Kritik auf die problematische Heroisierung und Glorifizierung des Soldatentodes und die Reaktivierung eines »traditionellen Gefallenenkultes« ab. 22 | Die Soldaten setzen täglich ihr Leben »für uns, für unsere Sicherheit ein«. »Dafür haben unsere Soldaten Anerkennung verdient, noch mehr, als sie sie bislang erfahren haben: von der Gesellschaft, von den Menschen unseres Landes, von der Politik – eigentlich von jedem Einzelnen von uns«, so zu Guttenberg in seiner Rede, die auf der Internetseite der Bundeswehr dokumentiert wird; vgl. www.bmvg.de/portal/a/bmvg/!ut/p/c4/NYzNCsIwEIS fpS-QTURUvFmK4MXequktbUJYyE9Zt-3Fhzc5OAPf5RsGRihNZkNvGHMyAd6g Z7xOu5ji5k XEhB92hGuEV91aJ-acHFeyS4yFng xnEksmDtWsRMUItKCl6lqp5D_qex6H9tidDur xvPf1MH jQ1sES42W_Nc0PzTFF7w!!/ (letzter Zugriff 28.2.2012). 23 | Für eine Übersicht über die verschiedenen Ehrenzeichen und Einsatzmedaillen der Bundeswehr siehe die vom BMVg herausgegebene Broschüre »Ehrenzeichen und Einsatzmedaillen der Bundeswehr« (BMVg 2011). 24 | Das »Ehrenkreuz für Tapferkeit« knüpft wie auch die anderen »Ehrenkreuze« der Bundeswehr in Formgebung und Symbolik an den Kriegsorden des Eisernen Kreuzes an und steht (nicht nur äußerlich) in der Tradition eines soldatisch-heroischen Tugendkodexes, wie er vor
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(Spiegel 46/2010: 20)25genannt – ist eine Auszeichnung, die ausdrücklich für jene vorbehalten ist, die »mindestens einmal aktiv an Gefechtshandlungen teilgenommen oder unter hoher persönlicher Gefährdung terroristische oder militärische Gewalt erlitten« (BMVg 2011: 19) haben. Die »Einsatzmedaille Gefecht« kann dabei wie das »Ehrenkreuz für Tapferkeit« auch posthum verliehen werden, wie das Verteidigungsministerium ausdrücklich betont. Bekräftigt wird dies durch die Praxis der Ordensverleihung: Noch im November 2010 wurden mehrere in Afghanistan getötete Soldaten mit der Gefechtsmedaille geehrt.26 Stärker noch als die Tapferkeitsmedaille rückt damit die Gefechtsmedaille das Kriegerische und Heroische des Militärs – Kampf und Heldentod – in den Mittelpunkt und trägt dazu bei, kriegerische Gewalt weiter zu enttabuisieren. Ein Verwundetenabzeichen gibt es in Deutschland demgegenüber nach wie vor nicht. Die neue Ordenspolitik der Bundesregierung trägt zudem zu einer Vermännlichung des Soldatenbildes bei. So wurden Tapferkeits- und Gefechtsmedaillen bislang ausschließlich an Männer verliehen (Stand Dez. 2011). Der Einführung und öffentlichen Verleihung neuer Tapferkeits- und KämpferOrden ebenso wie dem Bau des ›Ehrenmals‹ kommt neben der politischen Aufwertung von Militär und Soldatenehre v.a. eine ›pädagogische‹ Funktion zu: Sie machen Soldatentod und -ehre (wieder) zu einem öffentlichen Thema und rücken die Bereiche Kämpfen, Töten und Sterben als neue Realitäten der Bundeswehr und der deutschen Außenpolitik stärker als zuvor in den Blickpunkt. Sie tragen damit zu einer Gewöhnung an kämpfende und getötete Soldaten bei, die gehüllt in die deutsche Nationalflagge öffentlich geehrt und zu Grabe getragen werden, und bereiten zugleich die Öffentlichkeit auf den Tod weiterer Soldaten vor. In Anbetracht der zunehmend selbstverständlichen Beteiligung der Bundeswehr an kriegerischen Einsätzen dürfte sich die Anzahl der Todesopfer zukünftig nicht mehr nur auf einzelne ›Unfälle‹ und ›Pannen‹ beschränken, sondern könnte zahlreichere Ausprägungen annehmen. Was für den Soldaten angeblich schon selbstverständlich geworden ist, muss sich in der Gesellschaft erst noch durchsetzen: Die Deutschen müssen nicht nur »das Töten lernen«, wie der Spiegel titelte (47/2006), sondern vielmehr das Geallem für das 19. Jahrhundert zentral war (vgl. dazu ausführlich die kritische Analyse von Bergmann 2010). 25 | Zu finden sind Überschriften wie »Ein neuer Orden für die Kämpfer« (Berliner Zeitung vom 15.11.2010; abrufbar unter: www.berliner-zeitung.de/archiv/der-bundesverteidigungsminister-will-soldaten-ehren--die-mindestens-einmal-im-gefecht-gestanden-haben-einneuer-orden-fuer-die-kaempfer,10810590,10754720.html, letzter Zugriff 10.2.2012) oder »Guttenberg verleiht neuen Kämpfer-Orden« (Focus vom 25.11.2010, abrufbar unter: www. focus.de/politik/ausland/afghanistan/afghanistan-einsat z-guttenberg-verleiht-neuenkaempfer-orden_aid_575853.html; letzter Zugriff 10.2.2012). 26 | In den deutschen Medien wurde eher am Rande berichtet, wobei das magere Echo von Kritik geprägt war. So sagte etwa der Militärhistoriker Detlef Bald am 29.11.2010 in einem Interview mit tagesschau.de: »Es ist symptomatisch, dass der Begriff ›Gefechtsmedaille‹ gewählt wurde — ein kleines Zeichen dafür, wohin die Bundeswehr marschieren soll. Man kann daran eine neue Etappe der schleichenden Militarisierung der Außenpolitik der Bundesrepublik erkennen. [...] Mit der Gefechtsmedaille werden in der Tat das kriegerische Element und der alte Kriegerkult im Militär hofiert — und das ist zu bedauern.« (Das Interview wurde mittlerweile von der Internetseite der Tagesschau gelöscht.)
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tötet-Werden bzw. die Bereitschaft zur Inkaufnahme von hohen Opferzahlen. Damit eine militarisierte Außenpolitik auch in Zukunft innenpolitisch durchsetzbar und gesellschaftlich akzeptiert bleibt, muss die deutsche Bevölkerung lernen, mit getöteten Soldaten zu leben bzw. diese als ›notwendige Opfer‹ im ›Kampf‹ für die ›gute Sache‹ zu tolerieren. Als nützlich erweist sich dabei die besondere diskursive Einfassung des soldatischen Kampfes und seiner Ziele als ein Projekt für Frieden und Freiheit, auf das man selbstredend (wieder) stolz sein kann. Zusammenfassend lassen sich die hier nur kursorisch skizzierten Veränderungen in Politik, Medien und Öffentlichkeit der letzten Jahre und Monate als eine paradoxe Entwicklung beschreiben: Die Ereignisse des 11. September sowie die damit einhergehenden, medial vermittelten Deutungsfiguren in Bezug auf den Soldaten und das Militärische haben den ›Soldat als Kämpfer‹ wie auch heroisches Denken wieder möglich gemacht – bei gleichzeitiger Selbstdefinition der eigenen Nation als ›postheroisch‹. In den medialen Debatten in den Wochen nach dem 11. September wurden Heroismus und Ehre v.a. mit den Taliban oder muslimischen Männern generell in Zusammenhang gebracht. Die Zuweisung von Heroismus an den orientalisierten ›Anderen‹ ließ jedoch die Re-Heroisierung des ›Eigenen‹, wie sie mit dem 11. September ebenso einsetzte (oder zumindest deutlich verstärkt wurde), aus dem Blickwinkel verschwinden. Auch die Umdefinition des militärischen Auftrags zu einem Kampf für die Frauen(rechte) in Afghanistan kam vordergründig mehr einer ›Entmilitarisierung‹ der außenpolitischen Begründungsmuster und des soldatischen Auftrags gleich (Helfen, Retten, Vermitteln). Gleichzeitig deutete sich jedoch bereits mit dem Auftauchen der Figur des KSK-Kämpfers ein Abschied von dem bislang gültigen ›postheroischen‹ Soldatenbild des helfenden Staatsbürgers in Uniform an. Die diskursive ›Externalisierung‹ und ›Orientalisierung‹ des Heroischen bekräftigte jedoch das Bild des ›Eigenen‹ als ›postheroischer Gesellschaft‹ und brachte innere Widersprüche zum Verschwinden. Mehr noch, unter der Hand ermöglichen sie genau jene postheroische Heroisierung die ich hier exemplarisch anhand der jüngsten Entwicklungen um Kämpfer-Orden und Bundeswehr-Ehrenmal nachgezeichnet habe. Für die Öffentlichkeit lässt sich gegenwärtig eine paradoxe Gleichzeitigkeit konstatieren: Weitläufiges Schweigen und Desinteresse gegenüber Militär und Soldaten stehen immer unverstellter vorgetragenen Forderungen nach gesellschaftlicher Anerkennung, nationaler Trauer und ritualisierter Ehrung gegenüber. Für die meisten Menschen scheint es keinen Widerspruch darzustellen, dass auf der einen Seite Orden verliehen werden, die den Ausgezeichneten ganz ausdrücklich für ›Tapferkeit‹, ›Dienen‹ und ›Gefechtseinsatz‹ ehren27 – und damit unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass ihre Träger sehr wohl in Afghanistan gekämpft und im Gefecht gestanden haben –, zugleich aber auf der anderen Seite immer wieder versichert wird, die Bundeswehr führe keinen Krieg in Afghanistan, sie kämpfe nur im äußersten Notfall und sei v.a. als Friedensstifter vor Ort. Für die Zukunft zeichnet sich eine 27 | Besonders in den Auslandseinsätzen, insbesondere in Afghanistan, seien »Dienen« und »Tapfer verteidigen« für die Soldaten keine abstrakten Begriffe, »sondern eine täglich abverlangte, gefahrvolle und doch so wichtige Pflicht«, hob zu Guttenberg bei der Verleihung der Gefechtsmedaillen am 29.11.2010 hervor (vgl. Fußnote 21). Auch der neue Bundeswehrslogan »Wir. Dienen. Deutschland« betont die traditionelle soldatische Tugend des (freiwilligen) Dienens.
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Tendenz weiterer Normalisierung militärisch-heroischen Denkens und dessen Eindringen in den Alltag ab, ohne dass dies nennenswerte Empörung hervorruft. Dies geschieht z.B. durch ein verstärktes Aufgreifen und Popularisierung des Themas in den Medien. So reiste etwa im Dezember 2010 der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg samt seiner Ehefrau nach Afghanistan, um den Bundeswehrsoldaten kurz vor Weihnachten für ihren Einsatz zu danken, wobei er nach eigenen Angaben auch Soldaten in einem Schützengraben besucht hat. Mit dabei: Der deutsche Fernsehmoderator Johannes B. Kerner, der seine beliebte Talkshow diesmal direkt von der Front überträgt, als Stargast: der Verteidigungsminister sowie einige der in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten (davon überproportional viele weibliche Soldatinnen). All dies sind Zeichen dafür, dass die Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik mit einer verstärkten Normalisierung militärisch-heroischer Denk- und Einstellungsmuster in der Gesellschaft einhergeht, trotz mehrheitlicher Ablehnung der Auslandseinsätze in der Bevölkerung.28 Das politische und öffentliche Bild der Bundeswehr ändert sich schnell und macht weitere Forschungen notwendig. Insbesondere die Aussetzung der Wehrpflicht im Juli 2011 und der Aufbau einer Berufsarmee werden vermutlich weitere Veränderungen des Bundeswehrbildes nach sich ziehen. Ein interessantes Vorhaben wäre es, den begrifflichen Wandel weiter zu untersuchen. Da Kämpfen, Töten, Sterben und das Ehren der Toten wieder im Bereich des Sagbaren liegen, wird auch der Begriff des Krieges nicht mehr lange auf sich warten lassen. Erste Anzeichen für eine Rückkehr in den Diskurs liegen bereits vor. Des Weiteren wäre es aufschlussreich, nicht nur das in den Nachrichtenmedien vermittelte Soldatenbild weiter zu verfolgen, sondern auch fiktive Medien im Hinblick auf Wandel und (Neu-)Konstruktion des Soldatenbildes – im Zusammenhang mit der Konstruktion von Nation und dem Erstarken eines neuen Nationalismus – zu analysieren. Gerade in den letzten Jahren sind zahlreiche Spielfilme und so genannte Doku-Soaps über die deutsche Bundeswehr im Auslandseinsatz entstanden, die den militärischen Auftrag der Bundeswehr z.B. im Kongo szenisch aufarbeiten und an ein Massenpublikum vermitteln.
4.5 Kriegslegitimierende Deutungsmuster — Er wachsenwerden, Freundschaft und internationale Verantwortung Wie die Analyse der individuellen und kollektiven Akteursdarstellungen gezeigt hat, werden die verschiedenen (nationalen) Aktanten stets zueinander ins Verhältnis gesetzt. Nationen werden dabei häufig als Personen metaphorisiert und das Handeln der internationalen Staatengemeinschaft mit interpersonellen Aktionsmustern verglichen und erklärt. In der Analyse wurden insbesondere jene Deutungsmuster und Metaphern herausgearbeitet, die einer Legitimierung staatlich-militärischen Handelns dienlich sind. Allen voran stellen der Topos der ›erwachsenen Nation‹ und die Deutung der internationalen Beziehungen als ›Freundschaft‹, verbunden mit der Versicherung, man wolle international ›Verantwortung übernehmen‹, Diskursfiguren dar, die auf eine Legitimierung staatlichen und militärischen Handelns aus28 | Laut einer Umfrage von SAT 1, die anlässlich der Kerner-Talkshow in Afghanistan in Auftrag gegeben wurde, sprachen sich 71 Prozent der Befragten für einen Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan aus, 24 Prozent waren für eine Fortsetzung des Einsatzes.
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gelegt sind. Damit verknüpft sind Argumentationsmuster wie ›uneingeschränkte Solidarität‹, ›Bündnistreue‹ und ›kollektive (Selbst-)Verteidigung‹.
Militärische Beteiligung heißt Erwachsensein, Verantwortung übernehmen und aus der Vergangenheit die richtigen Lehren gezogen zu haben Die zunehmende politische Bereitschaft zum Einsatz militärischer Gewalt als Mittel der deutschen Außenpolitik wurde in FAZ und Spiegel als Prozess des ›Erwachsenwerdens‹ metaphorisiert. Die Metapher des ›Erwachsenwerdens‹ erzeugt den Anschein von Linearität und Zwangsläufigkeit und beschreibt die Militarisierung der deutschen Außenpolitik als einen Prozess des Fortschritts, Realitätszugewinns und der Reife. Menschliche Entwicklungsprozesse und Verhaltensweisen werden dabei auf politische Zusammenhänge übertragen: So wie das ›Erwachsenwerden‹ eines Menschen anthropologisch gesehen unaufhaltsam ist, wird auch der Prozess der Militarisierung als ›normaler‹ und unausweichlicher Lern- und Reifungsprozess einer Nation interpretiert, an dessen Ende die Absage an pazifistische oder zivile bzw. nicht-militärische Politikformen steht. Das Deutungsmuster ›Erwachsensein‹ beinhaltet zugleich das Ende eines früheren Stadiums von unbeschwerter Kindheit und Jugend, was mit der Übernahme von besonderer ›Verantwortung‹ einhergeht. Vom »Ende der Schonzeit« und der »Unschuldshaltung vergangener Jahrzehnte« (FAZ) war die Rede. Gemäß dem Deutungsmuster der ›erwachsenen Nation‹ muss Deutschland nun auch (welt-)politische ›Pflichten‹ übernehmen, wenn es dieselben ›Rechte‹ wie seine Verbündeten in Anspruch nehmen will. Im Spiegel beinhaltet das Deutungsmuster zudem die notwendige Abkoppelung von bisherigen Abhängigkeitsverhältnissen (v.a. Abhängigkeit von den USA) als Voraussetzung für die Entwicklung einer eigenständigen (europäisch-deutschen) Identität. ›Erwachsenwerden‹ kann zudem als ein männlich konnotierter Prozess verstanden werden, bei dem ein kindlich-naives und (politisch) unreifes Stadium verlassen wird und Rationalität und Realitätssinn dazugewonnen werden. Während das Männliche in der Geschichte mit dem rationalen (erwachsenen) Subjekt in eins gesetzt wird, wird Weiblichkeit als einem kindlich-gefühlsbetonten-naturhaften Zustand verhaftet und daher als für die Politik nicht oder wenig geeignet gedacht. Mit dem Bild des Erwachsenwerdens wird zudem an einen Diskursstrang angeknüpft, der bereits für die Begründung der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg zentral war: Der Diskurs über die »Westintegration« Deutschlands nach 1945 (vgl. Schwab-Trapp 2007: 51), der insbesondere mit der Bereitschaft zur Übernahme der ›vollen‹ Bündnispflichten nach der deutschen Wiedervereinigung und der militärischen Beteiligung am Kosovokrieg entscheidende Etappen zurückgelegt hat. Der 11. September wird in dem aufgespannten Deutungsrahmen als einmalige Chance interpretiert, die begonnene Integration Deutschlands in die westliche Staatenwelt zu vollenden. Die Bereitschaft zur ›uneingeschränkten Solidarität‹ und der militärischen Mitwirkung bei der ›Verteidigung der zivilisierten Welt‹ gegenüber ihren Feinden fungiert als untrüglicher Beleg dafür, dass Deutschland nunmehr als vollwertiges Mitglied des ›Westens‹ gelten kann. Wie gezeigt, geht mit dem Narrativ des Erwachsenwerdens das Deutungsmuster eines historischen Lern- und Reifungsprozess einher, der sich an der Bereitschaft zum Einsatz militärischer Mittel festmacht. Am Ende des Lernprozesses steht sodann die ›Einsicht‹, dass ein ›normaler‹ Staat in letzter Konsequenz auch militärische Mittel einsetzen müsse, und damit die Abwicklung der deutschen ›Sonderrolle‹ in Folge des Zweiten Weltkrieges. Während
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in den Begründungsmustern des Kosovokriegs die deutsche Vergangenheit des Nationalsozialismus noch einen wichtigen Bezugspunkt darstellte, insofern gerade die ›erfolgreiche Bewältigung‹ der NS-Geschichte als Argument für eine Beteiligung am Kosovokrieg herhalten musste, kommt dieses Motiv in den Diskursen über den 11. September nur noch am Rande vor. Bundeskanzler Schröder etwa führte die deutsche Vergangenheit als Begründung für eine vermeintlich prinzipiell ablehnende Haltung der Deutschen gegenüber militärischen Einsätzen an. Deutschland hat aus der Vergangenheit offenbar nicht nur die ›richtigen Lehren‹, sondern auch die ›besseren‹ gezogen. So bezeichnete Schröder die deutsche Zurückhaltung als »zivilisatorischen Fortschritt« in Abgrenzung von einem US-amerikanischen »HurraPatriotismus«. Aus der behaupteten deutschen Distanz zu Militär und Krieg werden zugleich ein besonderes Urteilsvermögen und Gewissenhaftigkeit in Kriegsfragen abgeleitet, was sich indirekt auch als ein Argument für die Legitimität des Afghanistankriegs und die deutsche Beteiligung an diesem nutzen lässt. Der Argumentationsverlauf lautet etwa folgendermaßen: Wenn eine anti-bellizistische und kriegsferne Nation wie Deutschland, die aufgrund ihrer Geschichte niemals leichtfertig einen Krieg befürworten oder führen würde (wie etwa die USA), jetzt sogar zu einer militärischen Beteiligung am ›Krieg gegen den Terror‹ bereit ist, dann kann dieser Krieg nicht grundsätzlich falsch sein. Außerdem ist Deutschland aufgrund seiner Erfahrungen und Lehren aus der Geschichte in besonderem Maße daran gelegen, die Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan zu stoppen. Historisch begründete Argumente gegen eine deutsche Beteiligung werden hingegen nicht mehr angeführt. Darüber hinaus ist die Metapher des Erwachsenwerdens in die Zukunft gerichtet. Der Erwachsenen-Status beinhaltet gemeinhin, dass man für die eigene Zukunft selbst Sorge zu tragen hat und gewisse Absicherungen vornehmen muss. Übertragen auf den Kontext 11. September heißt das: Erst ein ›militärfähiges‹ Deutschland ist ein ›zukunftsfähiges‹ Deutschland, das im Kontext der internationalen Politik handlungsfähig ist, und im Verbund mit der internationalen Staatengemeinschaft für seine ›Sicherheit‹ (vor-)sorgen kann. Der von Schröder in die Debatte gebrachte und insbesondere von der FAZ aufgegriffene Begriff der ›Zukunftsfähigkeit‹ unterstreicht den Ernst der Lage und die Tragweite der bevorstehenden politischen Beschlüsse, die gleichsam über Leben und Zukunft der deutschen Nation entscheiden.
Internationale Beziehungen sind eine ›Freundschaft‹ Mit dem Bild der erwachsenen Nation ist ein weiteres Deutungsmuster eng verwoben: Die internationale Staatengemeinschaft wird als eine ausgewogene (Männer-) Freundschaft zwischen gleichwertigen, ›erwachsenen‹ Partnern metaphorisiert, die sich – Vorstellungen militarisierter Männlichkeit entsprechend – durch Stärke und Kampfbereitschaft, aber auch durch solidarischen Zusammenhalt (transatlantische Beziehungen, NATO) und Verantwortung füreinander auszeichnen. Aus ›Freundschaft‹ und ›Solidarität‹ werden spezifische (Bündnis-)Verpflichtungen für alle Beteiligten abgeleitet, in dem Sinne, wie es US-Präsident Bush formulierte: »Ein Partner muss auch etwas leisten«. Das hier zugrunde gelegte Freundschaftsideal beruht auf einem sozialen Gleichgewicht des Gebens und Nehmens, in dem die Partner füreinander Verantwortung übernehmen, sich gegenseitig helfen und tatkräftig unterstützen und sich verbindlich zeigen, ihre Zusagen auch einzuhalten. Diesem Ideal zuwiderzuhandeln, kommt einem Vertrauensbruch und Verrat an der Freundschaft gleich. Insbesondere in der FAZ ist das Narrativ einer tiefen, historisch verbürgten,
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freundschaftlichen Verbundenheit vordergründig, die mit einer moralischen und politischen ›Bringschuld‹ verknüpft wird. Diese spezifische Rahmung wird z.B. in der Rede von einer deutsch-amerikanischen ›Schicksalsgemeinschaft‹ und ›Dankesschuld‹, in der sich Deutschland gegenüber den USA befände, zum Ausdruck gebracht. Bezugspunkt dieser ›Dankesschuld‹ bilden die ›Befreiung‹ Deutschlands vom Nationalsozialismus durch die Alliierten und die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, in der die USA sich stets solidarisch gegenüber Deutschland gezeigt hätten. Die Bereitschaft einer militärischen Unterstützung der USA im ›Krieg gegen den Terror‹ wird von der FAZ dementsprechend als Chance interpretiert, die empfangene Solidarität nun endlich – mit gleicher Münze – zurückzahlen zu können und damit das Prinzip der Reziprozität nicht zu verletzen. Der Topos ›Dankesschuld‹ fungiert dabei geradezu als Gegenmodell zum Begriff des ›Antiamerikanismus‹, der in der FAZ eine Zuschreibung darstellt, mit der Kriegskritik pauschal diskreditiert wird, und bringt die pro-amerikanische Haltung der FAZ zum Ausdruck. Weil ›Freunde‹ zusammenhalten müssen, ist die gewissenhafte Einhaltung der Bündnissolidarität (›Bündnistreue‹) aus Sicht der FAZ selbstverständlich und unabdingbar. Dass aus den Terroranschlägen (›Kriegserklärung‹) das Recht auf kollektive (Selbst-)Verteidigung abgeleitet wird, ist für die FAZ ebenso unstrittig.29 Dementsprechend wird auch der Krieg in Afghanistan nicht als kriegerische Aktion oder Angriff, sondern als legitime Reaktion auf einen feindlichen Angriff gewertet, der zudem als eine Art ›Präventionskrieg‹ weitere Angriffe verhindern soll. Ein Rütteln an der Einbindung Deutschlands innerhalb des NATO-Bündnisses wäre aus Sicht der FAZ fatal und würde den ›deutschen Interessen‹ nachhaltig schaden, auch wenn die neue ›Realität‹ eben eine gewisse ›Härte‹ mit sich bringe. Im Spiegel ist hingegen das Modell einer ›kritischen Solidarität‹ vorherrschend. Während die FAZ von einem Modell zweier in ihren Grundwerten und ihrem Wesen ähnlichen Partner, die an einem Strang ziehen, ausgeht, findet sich im Spiegel das Modell einer ›kritischen Freundschaft‹. Im Vordergrund stehen die behaupteten Unterschiede der Partner, verbunden mit Forderungen nach Anerkennung der Differenz bei gegenseitigem Respekt. Nicht zu verkennen ist jedoch die tendenziell anti-amerikanische Haltung des Spiegels, dem es v.a. um eine Kritik an den USA durch Europa, und nicht um einen wechselseitigen Prozess, geht. 29 | Das Recht auf (kollektive) militärische Selbstverteidigung nach Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen bezieht sich ursprünglich auf einen von außen kommenden, »bewaffneten Angriff« (»armed attack«) durch einen anderen Staat bzw. dessen Streitkräfte. Auch Aktionen militärisch organisierter, nichtstaatlicher Verbände können als ›bewaffneter Angriff‹ im Sinne von Artikel 51 gewertet werden, wenn diese von einem fremden Staat entsendet werden oder in dessen Auftrag oder unter dessen wesentlicher Beteiligung tätig werden. Der UN-Gerichtshof hat jedoch ausdrücklich entschieden, dass eine bloße Unterstützung solcher nichtstaatlichen Angreifer durch Waffenlieferungen oder durch logistische Hilfen eines fremden Staats für die Annahme eines ›bewaffneten Angriffs‹ nicht ausreicht. Nach dem 11. September 2001 ist jedoch genau dieser Punkt strittig: Die Frage ist, ob sich die staatliche ›Selbstverteidigung‹ auch gegen einen Staat (in diesem Falle Afghanistan) richten darf, wenn dieser den bewaffneten Angriff nicht unmittelbar befohlen hat, sondern den (nichtstaatlichen) Angreifern vielmehr Unterschlupf gewährt und diese logistisch oder ideologisch unterstützt. Zur Diskussion, ob und inwieweit das Recht auf Selbstverteidigung auch die militärische Bekämpfung des Terrorismus im Ausland trägt, vgl. stellvertretend Dederer 2004.
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Wer mitreden will, muss auch mit schießen Folgt man dem Narrativ ›die internationalen Beziehungen sind eine Freundschaft‹, gibt es spezifische Bedingungen, an die die Freundschaft geknüpft ist. Voraussetzung für die Anerkennung als ›Freund‹ und ›Partner‹ auf gleicher Augenhöhe ist hier die Bereitschaft und Fähigkeit zum Einsatz militärischer Gewalt. Erst durch eine Militarisierung der Außenpolitik kann Deutschland zum gleichwertigen Partner auf dem Parkett der internationalen Politik aufsteigen, der überhaupt mitdiskutieren darf und ernst genommen wird, nach dem Motto: Nur wer mitschießt, darf auch mitentscheiden. Kriegsbeteiligung bzw. die ›Einsicht‹ in die Notwendigkeit einer starken und realistischen Außen- und Sicherheitspolitik fungieren in diesem Sinne als ›Aufnahmeritus‹ in die internationale Politik. Der ›Gewinn‹ dieses Aufstiegs in die »Erste Reihe« (Spiegel) der Politik wird jedoch in FAZ und Spiegel unterschiedlich gewertet. Die Beteiligung Deutschlands am ›Krieg gegen den Terror‹ wird in der FAZ v.a. als Chance für eine Erneuerung und Vertiefung der transatlantischen ›Freundschaft‹, verbunden mit der längst überfälligen Einlösung der ›Dankesschuld‹ und dem Aufbau einer gemeinsamen transatlantischen ›Weltinnenpolitik‹, interpretiert. Die Bereitschaft zur Beteiligung am Anti-Terror-Kampf und deren konkrete (militärische) Ausgestaltung werden als lohnenswerte Investition in die Freundschaft oder »internationale Beziehungsarbeit« (Schwab-Trapp 2007: 64) gedeutet, die sich auf die Tiefe und Stabilität der Freundschaft positiv auswirken werde. Entsprechend macht sich in der FAZ die Sorge breit, ob Deutschland der verbalen Solidaritätsbekundung Taten folgen lasse und sich so als ein ›würdiger Partner‹ bewähren werde, der seine Zusagen auch einhält und damit der freundschaftlichen ›Verantwortung‹ gerecht wird, oder sich als ›Hochstapler‹ und Pseudo-Freund selbst diskreditieren werde. Die Militärbeteiligung Deutschlands wird zum ultimativen ›Vertrauensbeweis‹, der die Qualität der deutsch-amerikanischen Freundschaft absichert. Kommt Deutschland seiner ›internationalen Verantwortung‹ jedoch nicht nach, resultiere daraus ein weitreichender Ansehensverlust, eine Isolierung im Bündnis und eine Gefährdung der deutschen Interessen. Für den Spiegel steht hingegen die Hoffnung auf den Erwerb des Mitspracherechts und die Erweiterung von Einflussmöglichkeiten auf die internationale, durch die USA dominierte Politik im Vordergrund, wobei die Stärkung einer unabhängigen deutsch-europäischen Politik als Gegengewicht zur Hegemonie der USA angestrebt wird. Das Deutungsmuster hier lautet vielmehr ›Abnabelung‹ vom einstigen Freund und Gewinnung nationaler ›Eigenständigkeit‹. Auffällig ist die entscheidende Verschiebung des Sagbarkeitsfeldes, denn militärische Stärke und Wehrhaftigkeit werden auch im Spiegel nicht grundsätzlich ausgeschlossen. In dem Entwurf einer Identität Deutschlands als ›positiver Gegenmacht‹ zu den USA wird militärische Stärke implizit gutgeheißen oder zumindest als unvermeidlich präsentiert.
4.6 Von der ›humanitären Inter vention‹ zur ›Verteidigung der Sicherheit‹ — das Ende einer vertrauten Legitimationsfigur? Parallel zur Veränderung des deutschen Militär- und Soldatenbildes vollzieht sich mit dem 11. September ein Wandel der politischen und medialen Begründungsmuster, mit denen der Einsatz militärischer Gewalt bzw. die Beteiligung Deutschlands am Krieg in Afghanistan gerechtfertigt wird. Die rekonstruierten Argumentations-
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und Deutungsmuster greifen zum Teil Diskursstränge wieder auf, die bereits für die Begründung und Legitimierung der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg zentral waren. Die Diskursstränge werden jedoch zugleich variiert, indem neue Akzente gesetzt und Gewichtungen verschoben werden, so dass bestimmte Elemente stärker hervor-, andere wiederum in den Hintergrund treten.30 Mit dem 11. September und den im Namen des ›Kriegs gegen den Terror‹ geführten Kriegen scheint v.a. ein bestimmter Argumentationsstrang – der Diskurs der Menschenrechte –, mit dem noch in den Kriegen der 1990er Jahren der Einsatz militärischer Gewalt begründete wurde, zu verblassen.31 Der 11. September hat somit das Sagbarkeitsfeld erneut verschoben: Im Vordergrund der medialen Debatten um eine deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg stehen nicht mehr (allein) die Verhinderung einer ›humanitären Katastrophe‹ und die ›Durchsetzung der Menschenrechte‹. Stattdessen ist von ›Terrorbekämpfung‹ sowie der ›Verteidigung‹ und ›Wahrung‹ der deutschen ›Sicherheit‹ und ›Zukunftsfähigkeit‹ die Rede. Humanitäre und menschenrechtliche ›weiche‹ Begründungsmuster werden ergänzt durch ›harte‹ und ›realistische‹ Argumentationen, die die alten Erzählungen mehr und mehr in den Hintergrund drängen. Besonders in der FAZ ist der Ruf nach einem starken Staat, der seine Bevölkerung zu schützen hat, laut und beharrlich zu vernehmen. Wurde noch im Kosovokrieg die Bezeichnung ›humanitäre Intervention‹ von linker Seite als euphemistische Verschleierung und Verharmlosung des Krieges kritisiert, wird sie nun auch von konservativer Seite – mit gegenteiliger Intention – abgelehnt: Humanitäre und sonstige moralische Begründungen dienten lediglich als ›Beruhigungspille‹ für diejenigen, die die Notwendigkeit einer wehrhaften Nation in Zeiten des Terrorismus noch immer nicht erkannt hätten. Legitimatorische Bezüge auf Menschen- oder Frauenrechte werden in der FAZ als ›weichlich‹, weltfremd und in Anbetracht der neuen weltweiten Bedrohungslage als nicht mehr zeitgemäß zurückgewiesen. Gefordert wird stattdessen ein eindeutiges und unverstelltes ›Bekenntnis‹ zu Militär 30 | Zu den Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Kriegsbegründungsmuster von der deutschen Beteiligung am Kosovokrieg, über der Mitwirkung am Afghanistankrieg, bis hin zu der deutschen Ablehnung einer Beteiligung am Irakkrieg vgl. ausführlich Schwab-Trapp 2007. 31 | Der Bezug auf ›Menschenrechte‹ war dabei insbesondere für Deutschland von zentraler Bedeutung. Wie Schwab-Trapp argumentiert, »transformiert der Diskurs über die Menschrechte die normative Bedeutung der deutschen Vergangenheit« (2007: 380): »Er übersetzt das seit 1945 institutionalisierte Gebot militärischer Selbstbeschränkung in ein Gebot zur humanitären Intervention. [...] Das in der deutschen Basiserzählung institutionalisierte und die politische Praxis militärischer Selbstbeschränkung begründende Gebot ›Nie wieder Krieg‹ [...] ist dem Imperativ gewichen, gegen massive Menschenrechtsverletzungen auch mit militärischen Mitteln vorzugehen. Die nationalsozialistische Vergangenheit hat damit ihre normative Bedeutung für den Diskurs über Krieg und Gewalt verändert. Ihr moralisches Erbe gebietet nicht länger Zurückhaltung, sondern fordert zum Handeln auf.« (Ebd.: 380 und 388f) Nützliche Folgen dieser ›Transformation der Vergangenheit‹ sind nicht nur eine gründliche Enttabuisierung des Krieges und die Normalisierung militärischer Gewalt in Deutschland, sondern auch eine positive Umdeutung der NS-Vergangenheit. Der ›unheilvollen Erfahrung‹ wird nunmehr ein positiver Lerneffekt zugesprochen, wodurch wiederum eine ›Versöhnung‹ der Deutschen mit ihrer Vergangenheit und die Konstruktion einer deutschen Identität als Nation, die aus ihrer Geschichte die ›richtigen Lehren‹ gezogen hat, ermöglicht wird.
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und wehrfähiger Außenpolitik sowie ein ›illusionsloser‹ Umgang mit dem Einsatz militärischer Gewalt. Der Begriff der Menschenrechte sei mit dem 11. September »politisch unbrauchbar« geworden (FAZ). Schwab-Trapp bezeichnet den mit dem 11. September auf diskursiver Ebene einsetzenden Wandel der Kriegsbegründungsmuster als einen Prozess der »Säkularisierung militärischer Gewalt«, der sich durch die »Abwesenheit menschenrechtlicher Begründungen« auszeichne (2007: 245). Auch wenn zwar gelegentlich das menschenverachtende Regime der Taliban thematisiert werde, spiele diese Dimension im Diskurs über den Afghanistankrieg eher »eine untergeordnete Rolle«: »An die Stelle moralischer Rechtfertigung ist ein politischer Realismus getreten, der die deutsche Beteiligung am Krieg gegen Afghanistan vor allem machtpolitisch begründet« (ebd.). Diese Diskursverschiebung lässt sich wie gezeigt v.a. in der FAZ beobachten. In der Berichterstattung des Spiegels verhält es sich jedoch anders. Die deutsche Beteiligung am Afghanistankrieg wird weniger als entschlossener Beitrag zur Terrorismusbekämpfung, sondern vorrangig als ein Kampf für Demokratie und Frauenrechte in Afghanistan präsentiert. Der Einsatz der Bundeswehr am Hindukusch wird als ›Rettungs-‹ und ›Befreiungsprojekt‹ dargestellt, das v.a. der afghanischen Bevölkerung, allen voran den ›FrauenundKindern‹, zugute komme. Gerahmt als ›zivilisatorische Mission‹ erfülle der militärische Einsatz zudem die Funktion, das Taliban-Regime zu zerstören und eine moderne, auf westlichen Vorstellungen beruhende Gesellschaftsform zu implementieren. Die Berichterstattung des Spiegels steht damit durchaus noch in der Tradition des menschenrechtsbezogenen Diskursstranges. Wie im Kosovokrieg wird demzufolge auch in Afghanistan kein ›Krieg‹ geführt, sondern eine ›humanitäre Katastrophe‹ verhindert und den Menschen bzw. den Frauen zu ihren Rechten verholfen. Der Krieg gegen Afghanistan ist kein ›Krieg‹, sondern vielmehr eine Intervention in einen Krieg, den die Taliban gegen die eigene Bevölkerung führe. Die militärische Beteiligung Deutschlands wird zu einer ›Friedensmission‹, mit dem Ziel, endlich Frieden zu schaffen und die afghanische Bevölkerung von den Taliban zu befreien. Diese Art der Rahmung erzeugt auf besondere Weise Zustimmungsbereitschaft, indem sie an das im Kosovokrieg etablierte menschenrechtliche Deutungsmuster anschließt und den militärischen Einsatz in ein humanitäres ›Gesamtkonzept‹, das der Herstellung von Frieden, Demokratie und Freiheit weltweit dienen soll, integriert. Was für den Kosovokrieg galt, gilt damit auch für den Afghanistankrieg: »Gegen eine globale Durchsetzung der Menschenrechte lässt sich nicht argumentieren« (Schwab-Trapp 2007: 97). In der Berichterstattung über den Afghanistankrieg kommt es zudem zu einer besonderen diskursiven Verschiebung von ›Menschenrechten‹ zu ›Frauenrechten‹. Wie die vorliegende Analyse zeigt, schließt der permanente Verweis auf die ›Unterdrückung der Frau‹, die als Wesenszug der ›islamischen Kultur‹ gekennzeichnet wird, an tradierte orientalistische und kolonialistische Feindbildkonstruktionen an und trägt wesentlich zu einer Dämonisierung des neuen Feindes ›Islam‹ im Allgemeinen sowie der Taliban im Besonderen bei. Zugleich wird mittels Abgrenzung ein Bild der eigenen Nation als aufgeklärt, geschlechtergerecht und frauenfreundlich entworfen und als überlegen begründet. Die Rahmung des Krieges als ›Befreiung‹ und ›Entschleierung‹ der afghanischen Frau verleiht dem Krieg zudem eine besondere moralische Unterfütterung.
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Wie bereits ausgeführt, ist jedoch auch die Berichterstattung des Spiegels von einer pazifistischen und anti-militaristischen Haltung weit entfernt. Realistische Argumentationsmuster werden zwar weniger offensiv als in der FAZ vertreten, letztendlich bleibt eine entschlossene Sicherheitspolitik jedoch auch im Spiegel alternativlos. Ein sicherheitspolitisches Umdenken wird zwar nicht freudig begrüßt (wie in der FAZ), sondern eher ›schweren Herzens‹ hingenommen. Letztendlich erscheint eine ›Desillusionierung‹ jedoch in Anbetracht der dramatisch ausgemalten Bedrohungslage auch im Spiegel als unausweichlich. Die Anwendung militärischer Gewalt wird nicht länger grundsätzlich ausgeschlossen, sondern als letztes Mittel im Rahmen einer arbeitsteiligen Gesamtstrategie akzeptiert. Wie insbesondere anhand der abschätzigen Darstellung der grünen Kriegskritiker_innen deutlich wurde, wird allein einem ›realistischen Pazifismus‹, der die Anwendung militärischer Gewalt als ultima ratio akzeptiert, ›Politikfähigkeit‹ bescheinigt. Im Spiegel kommt es also zu einer Verquickung ›realistischer‹ und ›idealistischer‹ Argumentationsmuster, wodurch sich das legitimatorische Potential der Argumente für eine deutsche Kriegsbeteiligung meines Erachtens noch steigert. Der ›Kampf gegen Terror‹ wird in einen größeren Rahmen eingebettet und als Teil eines weltweiten Demokratisierungs- und Frauenbefreiungsprogramms präsentiert, in dem militärische und zivile Mittel notwendigerweise ineinandergreifen. Während die rekonstruierten medialen Deutungsmuster in Bezug den 11. September und der deutschen Beteiligung am Afghanistankrieg insgesamt zu einer weiteren Normalisierung militärischer Gewalt in Deutschland beigetragen haben, scheint das deutsche ›Nein‹ zum Irakkrieg 2003, als dem zweiten im Namen des ›Kriegs gegen den Terror‹ geführten Krieg, zunächst einen Bruch mit den politischen und diskursiven Kontinuitäten darzustellen. Wie Schwab-Trapp in einer Analyse des öffentlichen Diskurses über den Irakkrieg herausgearbeitet hat, ist die Normalisierung deutscher Militäreinsätze jedoch auch in den Diskursen über den bevorstehenden Irakkrieg deutlich bemerkbar und schreitet unaufhaltsam voran – obwohl dieser von der deutschen Regierung abgelehnt wurde (vgl. hier und im Folgenden SchwabTrapp 2007: 248ff). Der Weg von der ›uneingeschränkten Solidarität‹ nach dem 11. September, der Beteiligung am Afghanistankrieg und der Ablehnung des Irakkriegs weise weniger Brüche auf, als es auf den ersten Blick scheint. Gründe dafür sieht Schwab-Trapp v.a. in der Fortdauer von mit dem 11. September etablierten Deutungen wie der »Säkularisierung militärischer Gewalt« (ebd.: 249) und der generellen Ablehnung pazifistischer Positionen. So zeige sich auch in den Debatten über den bevorstehenden Irakkrieg deutlich eine Dominanz realistischer Argumentationsmuster, mit denen die Ablehnung der deutschen Beteiligung begründet wird. Im Zentrum stehe nicht etwa das alte Gebot ›Nie wieder Krieg‹, sondern die Abwägung möglicher Kriegsgründe, z.B. die Frage, ob die deutsche Beteiligung am Irakkrieg in deutschem oder europäischem Interesse liege, ob ein solcher Krieg zielführend sei usw. »Der Grundsatzkonflikt ›Darf Deutschland sich an Kriegen bzw. militärischen Interventionen beteiligen?‹ ist entschieden« (ebd.). »So entsteht und entwickelt sich auch in der Kritik am Einsatz militärischer Gewalt im Diskurs über den Irakkrieg eine Säkularisierung der Gewalt, die die Entscheidung zur militärischen Intervention an nationalstaatliche Interessen und pragmatische Erfüllungsbedingungen bindet. Der Weg zurück zu einer politischen Kultur der militärischen Enthaltsamkeit ist nach den Beteiligungen an Kosovo- und Afghanistankrieg […] ohnehin versperrt. Damit ist die deut-
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Die Ablehnung der deutschen Beteiligung am Irakkrieg ist zudem Ausdruck eines neuen deutschen Selbstbewusstseins und einer wiedergewonnenen staatlichen Souveränität, die durch die Beteiligung am Kosovokrieg, ganz besonders aber durch das Diktum der ›uneingeschränkten Solidarität‹ und die Beteiligung am Afghanistankrieg erst möglich wurde. Das von Schröder lautstark vorgetragene ›Nein‹ zum Irakkrieg setzt die Möglichkeit, dass die Antwort auch ›Ja‹ hätte lauten können, voraus. Es bedarf weiterer Untersuchungen nachfolgender Kriegsdiskurse in Deutschland – egal ob mit deutscher Beteiligung oder ohne –, um die Kontinuitäten und Diskontinuitäten der normalisierenden Deutungsmuster weiter zu verfolgen. Folgt man Schwab-Trapp, wurden im Diskurs über den 11. September grundlegende Bedeutungsverschiebungen und Neuakzentuierungen der tradierten Deutungsvorgaben für den Umgang mit militärischer Gewalt etabliert, die sich auch für zukünftig Kriege dieser Art als bedeutsam erweisen werden. Ein endgültiger Abschied von der Legitimationsfigur ›Krieg für Menschenrechte‹ ist damit angedeutet. Bis dies soweit ist, funktioniert das Deutungsmuster einer menschen- oder auch frauenrechtlichen Motivation des Krieges meines Erachtens als hilfreiches Übergangsmotiv. Es schlägt eine nützliche Brücke zwischen den ›Heulsusen-Idealisten‹ und jenen, die die ›realistische Wende‹ bereits vollzogen haben. Schwab-Trapp unterschätzt meiner Meinung nach das immense legitimatorische Potential, dass der Menschenrechtsdiskurs – gerade auch neben den offiziellen und politischen Begründungsmustern für einen Krieg – entfaltet, so z.B. auf der Ebene der Medien. Für die notwendige Schaffung von Akzeptanz für einen Krieg bzw. einen militärischen Einsatzes in der Bevölkerung sind humanitäre und menschenrechtliche – ganz besonders auch frauenrechtliche – Argumentationsmuster besonders funktional. Sie werden es vermutlich auch in Zukunft bleiben, solange Kriege demokratischer Staaten nicht mehr (offiziell) im Namen heroischer Vaterlandsverteidigung oder imperialistischen Großmachtsstrebens, sondern für vermeintlich höhere Ziele wie Frieden, Recht und Freiheit geführt werden. Auch hier böten sich weitere Untersuchungen an, um den weiteren Verlauf sowie mögliche Variationen und Veränderungen der Diskursfigur ›Krieg für Frauen(rechte)‹ zu untersuchen. Mit einigen Beobachtungen hierzu aus den letzten Jahren möchte ich abschließen (vgl. weiterführend Nachtigall 2011). Es scheint, dass der Verweis auf die Situation der Frauen in Kriegsgebieten und der Appell an Frauenrechte zur Kriegslegitimierung, trotz deren oben geschilderten besonderen Legitimierungskraft, immer weiter in den Hintergrund getreten sind. Der Irakkrieg wurde nicht mit Frauenrechten, sondern mit dem angeblichen Besitz von Massenvernichtungswaffen begründet. In der deutschen Berichterstattung über den Kriegsverlauf stellt der Bezug auf bedrohte oder leidende irakische Frauen und Kinder zwar eine wiederkehrende Diskursfigur dar, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen: Vorherrschend war die Darstellung von Frauen und Mädchen als Opfer der USA bzw. des von den USA angeführten Kriegs, der in den deutschsprachigen Diskussionen überwiegend abgelehnt wurde. Der Bezug auf Frauen als Opfern von Kriegsgewalt, Flucht und Vertreibung erfüllte damit in diesem Kontext eine den Krieg (der USA) delegitimierende Funktion. Auf der anderen Seite fungierte der Verweis auf Frauenunterdrückung und Missachtung der Frauenrechte innerhalb
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der Berichterstattung zum Irakkrieg als ›Beleg‹ für den krankhaften Geisteszustand und die Grausamkeit der politischen Machthaber, allen voran Saddam Husseins und seiner Söhne. Die Legitimationsfigur des ›embedded feminism‹ entfaltete ihre Wirkmächtigkeit indirekt: So wurde die ›Abscheulichkeit‹ des Feindes, ähnlich wie bei der Dämonisierung der Taliban, v.a. mit der Entrechtung von Frauen und (sexualisierter) Gewalt gegen Frauen und Mädchen begründet. Trotz der zumeist ablehnenden Haltung der deutschen Medien zum Irakkrieg erschien der Krieg durch die permanente Fokussierung auf die Situation der irakischen Frauen doch zumindest moralisch gerechtfertigt und für die Frauen einen positiven ›Nebeneffekt‹ mit sich zu bringen. Betrachtet man die Nachkriegs-Berichterstattung über Afghanistan, spielen die ›afghanische Frau‹ und das Thema Frauenrechte allerdings keine Rolle mehr. Wenn über die Bundeswehr und ihre Aufgaben in Afghanistan ebenso wie über bevorstehende Mandatsverlängerungen in den Medien berichtet wird, stehen militärische Aufgaben wie die Verteidigung der Sicherheit, Terrorbekämpfung oder Stabilisierung des Landes im Vordergrund. Dies war zu erwarten, nachdem die Situation der afghanischen Frauen bereits nach dem formalen Kriegsende für die Öffentlichkeit kaum noch von Interesse war. Auch der Verweis auf die Burka, die vormals so oft als die schlimmste Form der Frauenunterdrückung skandalisiert wurde, taucht in den Medien kaum noch auf, obwohl die afghanischen Frauen auf den Pressefotos nach wie vor eine Burka tragen. Niemand scheint verwundert, dass die afghanische Frau die Burka gar nicht abgelegt hat, wie es noch im November 2001 in allen Medien freudig prophezeit und gefeiert wurde. Dieser Sachverhalt ist zumindest keine Erwähnung oder Empörung (mehr) wert. Das Symbol ›Burka‹ ist jedoch aus den Medien nicht völlig verschwunden – sie bleibt vielmehr als ›stille Warnung‹ präsent. So fällt auf, dass auf nahezu jedem Spiegel-Foto, das deutsche Bundeswehrsoldaten in Afghanistan zeigt, auch eine ›Burka-Frau‹ zu sehen ist – sei sie auch noch so klein und in weiter Ferne (z.B. 52/2003; 39/2005; 8/2010). Die Burka-Symbolik hat sich offensichtlich etabliert und bedarf keiner expliziten textlichen Begleitung mehr. Die hartnäckige Präsenz der ›Burka-Frau‹ auf den Fotos fungiert wie eine beständige Wiederholung der etablierten Legitimierungsfigur ›Krieg für Frauenrechte‹ bzw. als stumme Mahnung, dass der Militäreinsatz (vermeintlich) auch für die afghanischen Frauen geführt wird. Dass das fast in Vergessenheit geratene Narrativ jederzeit wieder an die Oberfläche treten kann, zeigt die Debatte um den ›Fall Aisha‹, die angestoßen durch das Titelbild des US-Magazins Time Anfang August 2010, auch in den deutschen Medien hohe Wellen schlug. Auf dem Time-Cover ist das Porträtfoto einer verstümmelten jungen Frau ohne Nase zu sehen, die ruhig und eindringlich in die Kamera blickt, dazu die Schlagzeile »What Happens if We Leave Afghanistan«. Das Foto wirkt aufrüttelnd und schockierend, zugleich ist es ein emotionalisierendes Plädoyer für die Fortsetzung des Krieges. Im Heft erfährt man die dazugehörige Geschichte. Sie erzählt das Martyrium der Afghanin Bibi Aisha, die im Alter von zwölf Jahren mit einem Taliban verheiratet wurde und deren Mann ihr, wie Time ergänzt, zur ›Strafe‹, weil sie davon gelaufen war, Ohren und Nase abschnitt. Anders als noch im Afghanistankrieg 2001 wird die Kritik an der Instrumentalisierung von Frauenschicksalen wie dem von ›Aisha‹ zum Zwecke der Kriegslegitimierung selbst zum Teil der medialen Debatten. Kritiker_innen sprechen von »Kriegspropaganda der übelsten Sorte« (taz 7.8.2010), »Sensationsgier« und
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»Kriegspornografie« (Spiegel 32/2010). »Mit einem Bild das direkt ins Herz des Betrachters zielt, wird die Botschaft insinuiert: Wir müssen die militärische Besetzung aufrechterhalten – sonst lassen wir zu, dass Schreckliches passiert. Es ist, kurzum, auf schlimme Weise manipulativ«, schreibt die taz (7.8.2010). Parallel zur Empörung über die unzulässige, stark emotionalisierende Instrumentalisierung des Schicksals der jungen Afghanin, kommt es zu einer Reaktivierung des bekannten Frauenrechtsbellizismus. Dabei wird die Verantwortung für die Missstände in Afghanistan allein den Taliban zugeschrieben. Der Fall ›Aisha‹ wird v.a. dazu genutzt, der Dämonisierung der Taliban Nachdruck zu verleihen: »Dass die Geschichte, die Aisha erleiden musste, stellvertretend steht für das Leid vieler Frauen unter den Taliban, darüber besteht kein Zweifel« (Spiegel 32/2010). Indem die Schuld an der Verstümmelung den Taliban zugeschrieben wird, wird die Geschichte ›Aishas‹ als böse Vorahnung für das gedeutet, was allen Frauen droht, wenn die Taliban wieder an die Macht kämen. Allgemeine gesellschaftliche Missstände in Afghanistan, wie z.B. die fundamentalistischen Bestrebungen der Regierung unter Präsident Hamid Karzai, geraten dadurch aus dem Blick. Die Einschränkung der Bewegungsfreiheit und der Rechte von Frauen hat sich trotz der internationalen Truppenpräsenz in den letzten Jahren stetig verschärft, so Ann Jones in The Nation (30.8.2010; vgl. Exo 2010). Das »Mädchen ohne Nase« (taz 7.8.2010, Überschrift) übernimmt damit die Rolle der ›Burka-Frau‹ aus dem Afghanistankrieg. Sie fungiert als moralischer Appell für eine Verlängerung der militärischen Intervention im Namen der Frauen(rechte). Anders als bei der ›Burka-Frau‹ im Afghanistankrieg bleibt die Botschaft im Fall ›Aisha‹ jedoch ambivalent: Ihre Geschichte kann als ein Plädoyer für die Verlängerung des Kriegs bzw. der Militärpräsenz genutzt werden – genauso aber auch als Argument dagegen. Immerhin passierte die Verstümmelung während des militärischen Einsatzes, zu einem Zeitpunkt, an dem die Soldaten der internationalen Gemeinschaft bereits seit neun Jahren in Afghanistan stationiert sind und angeblich für ›Frieden‹ und ›Frauenrechte‹ sorgen. So gesehen erfüllt das Beispiel ›Aisha‹ auch eine den Einsatz delegitimierende Funktion und kann als Zeichen für den Misserfolg des Kriegs (für Frauenrechte) und die bisherige Nutzlosigkeit der internationalen Truppen gelesen werden. Insgesamt ist deutlich geworden, dass Krieg und internationale Politik nicht allein deshalb ›Männersache‹ sind, weil die politischen Akteure mehrheitlich Männer sind. Nicht die personelle ›Bemanntheit‹, sondern v.a. die Strukturen und Verfahrensweisen von Staat und Herrschaft, die allesamt auf spezifischen geschlechtlichen Vorstellungen beruhen, bewirken, dass Krieg und internationale Politik nach wie vor als ›männliches‹ Terrain gelten und Frauen ebenso wie weiblich konnotierten Denkund Handlungsmustern der Zugang erschwert wird. Gleiches gilt für die rekonstruierten diskursiven Strategien der Medien, die männlich konnotierte Eigenschaften hervorheben und aufwerten, weiblich konnotierte jedoch außen vor lassen, abwerten oder aber als symbolische Ressource wie etwa im Fall des ›embedded feminism‹ nutzbar machen. Solange die binär-geschlechtliche Bewertungsschablone in dieser Art und Weise funktioniert und in alltäglicher medialer Routine reproduziert wird, ist es zweitrangig, ob die herrschende Politik von Männern oder Frauen gemacht wird. Die Funktion und das Funktionieren von Staat, Herrschaft, Krieg etc. als zentralen gesellschaftlichen (und geschlechtlichen) Formierungsmaschinen ändern sich
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nicht, nur weil immer mehr Frauen Zugang zu ihnen erhalten. Für das Ausfüllen oder die Aufrechterhaltung staatlicher und herrschaftlicher Machtstrukturen sind alle Geschlechter geeignet. Auf der anderen Seite müssen sich Feminist_innen die Frage stellen, wie einer herrschaftlichen Vereinnahmung feministischer Kritik an patriarchalen Strukturen und der Forderung nach Frauen- und Menschenrechten entgangen werden kann bzw. was dieser entgegenzusetzen wäre. Mit einer eindimensionalen, primär auf Sexismus und Patriarchatskritik zielenden Perspektive à la Emma, die das binäre Denken bloß mit umgekehrten Vorzeichen fortschreibt und zudem Sexismus und Patriarchat kulturalisiert, kann dies nicht gelingen. Ähnliche ›feministische‹ Argumentationsmuster waren nach dem 11. September auch in den untersuchten Massenmedien zu finden und wurden z.B. zum Zwecke der Feindbildkonstruktion und Kriegslegitimierung instrumentalisiert. Um dem feministisch und herrschaftskritisch zu begegnen, ist ein Zusammendenken der verschiedenen Machtachsen und Herrschaftsstrukturen unerlässlich. Es bedarf einer umfassenderen Analyse, die gerade das Zusammenspiel der verschiedenen Unterdrückungsverhältnisse, wie z.B. von Sexismus und (antimuslimischem) Rassismus, kritisch in den Blick nimmt sowie ihre sozialen, politischen und ökonomischen Ursachen und (systemstabilisierenden) Funktionen erfasst. Zugleich gilt es, die Herstellungsprozesse von Geschlecht, Kultur, Religion, Ethnizität etc. (z.B. in den Medien) und ihre alltäglichen Zuschreibungspraxen, auf denen die einzelnen Herrschaftsverhältnisse aufbauen, stets aufs Neue als solche sichtbar und damit kritisierbar und veränderbar zu machen.
Abbildungen
1) Emma, Heft 6/2001, © Emma 2) Der Spiegel, Heft 45/2001, S. 140f, © links: Yannis Behrakis/REUTERS, Mitte: Sayed Salahuddin/REUTERS, rechts: J. Scott Applewhite/AP/ddp images 3) Der Spiegel, Heft 42/2001, Seite 22, © Tim Sloan/DPA 4) Der Spiegel, Sonderheft Jahreschronik, Heft 53/2001, S. 270-271, © Marco Urban; S. 275, © links oben: Michael Urban/DDP/ddp images, links unten: AP/ddp images, rechts oben: T. Koehler/Phalanx, rechts unten: DPA 5) Der Spiegel, Heft 46/2001, Titel, © Der Spiegel 6) Der Spiegel, Heft 46/2001, S. 42 7) Der Spiegel, Heft 46/2001, S. 6, © oben: Marco Urban, unten: Action Press 8) Der Spiegel, Heft 38/2001, S. 26, © Rüdiger Gärtner 9) Der Spiegel, Heft 42/2001, Titel, © Der Spiegel 10) Der Spiegel, Heft 39/2001, Titel, © Der Spiegel 11) Der Spiegel, Heft 38/2001, S. 132-133, © links: DPA, rechts: Shawn Baldwin/AP/ddp images 12) Der Spiegel, Heft 48/2001, S. 168, © links: AP/ddp images; rechts: Der Spiegel 13) Der Spiegel, Heft 44/2001, S. 152, © Jewel Samad/AFP/DPA 14) Der Spiegel, Heft 47/2001, S. 137, © Yannis Behrakis/REUTERS 15) Der Spiegel, Heft 48/2001, S. 8, © Emmanuel Dunand/AFP/DPA 16) Der Spiegel, Jahreschronik, Heft 53/2001, S. 42, © oben links: AFP, oben rechts: REUTERS, links unten: DPA, rechts Mitte: AFP/DPA, rechts unten: Corbis Sygma; S. 43, © großes Foto: AP/ddp images 17) Der Spiegel, Heft 49/2001, S. 194, © links: Thomas Imo/Phalanx, rechts: Gero Breloer/AFP/DPA 18) Der Spiegel, Heft 50/2001, S. 28-29, © oben: Damir Sagolj/REUTERS, unten: Oliver Mulhaupt/AFP/DPA 19) Der Spiegel, Heft 52/2001, S. 52, © Kamran Jebreili/AP/ddp images 20) Der Spiegel, Heft 52/2001, S. 58, © Mario Tama/Getty Images
Literatur
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Danksagung
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die ich im Januar 2011 am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin eingereicht habe. Diese Arbeit wäre ohne die tatkräftige Unterstützung meiner Freunde und Freundinnen sowie meiner Familie nicht möglich gewesen. Ich möchte Euch dafür von Herzen danken! Besonders bedanken möchte ich mich bei meinem Betreuer Wolf-Dieter Narr, der diese Arbeit von unserem ersten Treffen an mit Rat und Tat unterstützt, mit wertvollen Anregungen und Ideen bereichert hat, und der mir durch seine konstruktive Kritik und motivierende Betreuung in jeder Arbeitsphase weiterhalf. Auch meiner Betreuerin Sabine Berghahn danke ich ganz herzlich für Ihre Unterstützung sowie Christina Thürmer-Rohr für viele produktive Diskussionen und ihre wissenschaftliche Begleitung v.a. in der Anfangsphase der Arbeit. Cilja Harders danke ich für ihr bestärkendes Feedback von Anfang an und die Möglichkeiten zum wissenschaftlichen Austausch und der Vernetzung. Stanislawa Paulus, Julia Wirxel, Torsten Bewernitz, Marc Gärtner, Dag Schölper und viele andere haben mich über weite Strecken der Arbeit wissenschaftlich und freundschaftlich begleitet und mir mit scharfsinnigen Anmerkungen und hilfreichen Diskussionen zur Seite gestanden, auch ihnen gilt mein Dank. Für zahlreiche Tipps und anregende Auseinandersetzungen danke ich ganz besonders Stefan Thomas, mit dem mich eine langjährige Freundschaft verbindet. Anette Dietrich danke ich für ihre kritischen, hilfreichen Kommentare bei der Durchsicht großer Teile dieser Arbeit. Unsere Jahre währende Zusammenarbeit und der wissenschaftliche, besonders aber der freundschaftliche Austausch sind eine große Bereicherung für mich. Bedanken möchte ich mich auch bei meinen Eltern, Annegret und Dieter Nachtigall, die mich in meinen Entscheidungen stets unterstützt haben, in finanzieller wie emotionaler Hinsicht. Für gründliche Textlektüre und Korrigieren des Manuskripts danke ich ganz besonders meinem Vater Dieter Nachtigall, meinem Bruder Frank Nachtigall, meiner Freundin Margrit Hille sowie meiner Freundin Alexandra Oppelt. Für das unermüdliche Lesen und Überarbeiten, die Zerkleinerung der Schachtelsätze, die sich v.a. mein Vater auf die Fahne geschrieben hat, die Überprüfung der Interpunktion sowie kreative Wortneuschöpfungen kann ich mich gar nicht oft genug bedanken. Auch Anja Haase, Torsten Bewernitz und Stefan Thomas waren sorgfältige Korrekturleser_innen, vielen Dank! Für die professionelle Überarbeitung des Ma-
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nuskripts danke ich ganz herzlich Ulf Heidel (Lektorat), für die Bildbearbeitung Leo Chaba. Ein großes Dankeschön auch an Björn Goldenbogen für die jahrelange freundschaftliche Unterstützung und Ermutigung, diese Arbeit zu schreiben. Mein ganz besonderer Dank gilt Margrit Hille für ihre unermessliche Geduld und Hilfsbereitschaft, die umwerfende Unterstützung und liebevollen Ermutigungen v.a. in der Endphase der Arbeit. Die vielen Anregungen und Gespräche und die Begleitung durch den oftmals anstrengenden Alltag waren mir eine große Stütze. Diese Arbeit wurde von einem Stipendium der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert, auch hierfür vielen Dank.
Kultur und soziale Praxis Isolde Charim, Gertraud Auer Borea (Hg.) Lebensmodell Diaspora Über moderne Nomaden März 2012, 280 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1872-3
Monica Rüthers Juden und Zigeuner im europäischen Geschichtstheater »Jewish Spaces«/»Gypsy Spaces« – Kazimierz und Saintes-Maries-de-la-Mer in der neuen Folklore Europas August 2012, ca. 270 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2062-7
Burkhard Schnepel, Felix Girke, Eva-Maria Knoll (Hg.) Kultur all inclusive Identität, Tradition und Kulturerbe im Zeitalter des Massentourismus Dezember 2012, ca. 310 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2089-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Adelheid Schumann (Hg.) Interkulturelle Kommunikation in der Hochschule Zur Integration internationaler Studierender und Förderung Interkultureller Kompetenz Juli 2012, 262 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1925-6
Stefan Wellgraf Hauptschüler Zur gesellschaftlichen Produktion von Verachtung April 2012, 334 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2053-5
Erol Yildiz Die weltoffene Stadt Wie Migration Globalisierung zum urbanen Alltag macht Dezember 2012, ca. 200 Seiten, kart., ca. 19,80 €, ISBN 978-3-8376-1674-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Anıl Al-Rebholz Das Ringen um die Zivilgesellschaft in der Türkei Intellektuelle Diskurse, oppositionelle Gruppen und Soziale Bewegungen seit 1980 September 2012, ca. 408 Seiten, kart., ca. 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1770-2
Sylke Bartmann, Oliver Immel (Hg.) Das Vertraute und das Fremde Differenzerfahrung und Fremdverstehen im Interkulturalitätsdiskurs 2011, 272 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1292-9
Bettina Fredrich verorten – verkörpern – verunsichern Eine Geschlechtergeografie der Schweizer Sicherheitsund Friedenspolitik Juni 2012, 302 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2063-4
Daniel Gaxie, Nicolas Hubé, Marine de Lassalle, Jay Rowell (Hg.) Das Europa der Europäer Über die Wahrnehmungen eines politischen Raums 2011, 344 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1626-2
Eran Gündüz Multikulturalismus auf Türkisch? Debatten um Staatsbürgerschaft, Nation und Minderheiten im Europäisierungsprozess Oktober 2012, ca. 285 Seiten, kart., ca. 31,80 €, ISBN 978-3-8376-2109-9
Sabine Hess, Nikola Langreiter, Elisabeth Timm (Hg.) Intersektionalität revisited Empirische, theoretische und methodische Erkundungen
Silja Klepp Europa zwischen Grenzkontrolle und Flüchtlingsschutz Eine Ethnographie der Seegrenze auf dem Mittelmeer 2011, 428 Seiten, kart., 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1722-1
Matthias Lahr-Kurten Deutsch sprechen in Frankreich Praktiken der Förderung der deutschen Sprache im französischen Bildungssystem August 2012, ca. 290 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-2017-7
Minna-Kristiina Ruokonen-Engler »Unsichtbare« Migration? Transnationale Positionierungen finnischer Migrantinnen. Eine biographieanalytische Studie Juni 2012, 408 Seiten, kart., 36,80 €, ISBN 978-3-8376-1876-1
Ariane Sadjed »Shopping for Freedom« in der Islamischen Republik Widerstand und Konformismus im Konsumverhalten der iranischen Mittelschicht Juli 2012, 230 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1982-9
Irini Siouti Transnationale Biographien Eine biographieanalytische Studie über Transmigrationsprozesse bei der Nachfolgegeneration griechischer Arbeitsmigranten September 2012, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2006-1
2011, 280 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1437-4
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Kultur und soziale Praxis Anne C. Uhlig Ethnographie der Gehörlosen Kultur – Kommunikation – Gemeinschaft Januar 2012, 388 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1793-1
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de