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German Pages 256 [208] Year 2020
Michael Ziehl
KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ
Michael Ziehl
KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ Das Gängeviertel in Hamburg als Reallabor für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung mittels Kooperation von Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung
Abbildung 1: Das Gängeviertel in der Hamburger Innenstadt, 2019.
INHALTSVERZEICHNIS 1 1.1
Einleitung . . ................................................................................................. 8 Aufbau der Arbeit . . ............................................................................................. 13
2 Die Koproduktion Urbaner Resilienz als Teil einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung ........................................................... 16 Urbane Resilienz und nachhaltige Transformation von Städten ....................... 17 2.1 Beiträge von Bürger*innenorganisationen zur Resilienz von Städten .............. 27 2.2 2.2.1 Redunanz und Modularität ............................................................................... 29 2.2.2 Diversität ........................................................................................................... 31 2.2.3 Vernetzung ....................................................................................................... 32 2.2.4 Mehrfunktionalität ........................................................................................... 34 2.2.5 Innovation .. ....................................................................................................... 35 2.2.6 Selbstorganisation ............................................................................................ 37 Kooperationen zur Koproduktion Urbaner Resilienz im Rahmen 2.3 von Governance-Netzwerken ........................................................................... 39 2.3.1 Sechs-Ebenen-Transformation zur Stärkung der Koproduktion Urbaner Resilienz ....................................................................... 46 Koproduktion Urbaner Resilienz als kooperative Entwicklung 2.4 von Stadträumen . . ............................................................................................ 49 2.4.1 Raumtheoretische Analysegrundlagen .. ........................................................... 51 3 Transdisziplinäre Realexperimente und das Reallabor Gängeviertel ........ 56 Reallabore und Realexperimente zum Erforschen Urbaner Resilienz . . ............. 57 3.1 Das Gängeviertel als Reallabor ........................................................................ 62 3.2 3.2.1 Forschungsdesign . . .......................................................................................... 64 3.2.2 Erstes Realexperiment: Bausymposium .......................................................... 69 3.2.3 Zweites Realexperiment: Laborbericht ............................................................. 75 3.3 Reflexion der Realexperimente und künstlerischen Praktiken im Reallabor Gängeviertel ................................................................................ 82 3.3.1 Aktiver und Forschender – die eigenen Rollen im Reallabor ............................ 86 3.3.2 Beiträge und Potenziale der Forschungsmethode zur Koproduktion Urbaner Resilienz ....................................................................... 90 4 4.1 4.1.1
Koproduktion Urbaner Resilienz im Prozess der kooperativen Entwicklung des Gängeviertels ................................................................ 94 Vorgeschichte und Hintergrund ....................................................................... 95 Politische und räumliche Entwicklungen in Hamburg seit den 1980er Jahren .. ................................................................................... 100
4.1.2 4.2 4.2.1 4.2.2 4.3 4.3.1 4.3.2 4.4 4.4.1 4.4.2 4.5
Ursachen für die Kooperation zur Sanierung und Entwicklung des Gängeviertels .. .......................................................................................... 104 Erste Kooperationsphase: vom Rückkauf bis zur Kooperationsvereinbarung... 108 Akteur*innen des Governance-Netzwerks . . ..................................................... 113 Koproduktion Urbaner Resilienz durch die Aneignung des Gängeviertels ...... 120 Zweite Kooperationsphase: von der Kooperationsvereinbarung bis zum Planungsstopp ................................................................................... 130 Konflikte im Kooperationsprozess .................................................................. 133 Koproduktion Urbaner Resilienz während der Sanierung ................................ 139 Dritte Kooperationsphase: vom Planungsstopp bis zur Einigung .. .................. 145 Maßnahmen zur Anpassung der Kooperation und Ursachen der Einigung ...... 151 Koproduktion Urbaner Resilienz während des Planungsstopps .. .................... 159 Transformation in Sicht? Zur Koproduktion Urbaner Resilienz in Hamburg .... 162
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 5.7 5.8 5.9 5.10 5.11 5.12 5.13 5.14
Handlungsanregungen zur Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen . . ............................ 170 Vertrauen herstellen und bewahren . . .............................................................. 172 Entscheidungs- und Handlungsmacht ausgewogen aufteilen ....................... 173 Besitzrechte langfristig regeln ....................................................................... 174 Übergeordnete Koordinationsgremien schaffen . . ........................................... 175 Führungsstarke Vertreter*innen mandatieren ............................................... 176 Intermediäre und Expert*innen einbinden ...................................................... 177 Organisationsstrukturen anpassen .. ............................................................... 178 Mit Zeit und Geld Konflikten entgegenwirken ................................................. 179 Förderungen flexibel gestalten ....................................................................... 180 Ehrenamtlich Engagierte finanziell unterstützen ............................................ 181 Privilegien demokratisch legitimieren ............................................................ 182 Netzwerke nutzen und Öffentlichkeit einbeziehen ......................................... 183 Übergeordnete Ziele definieren . . ..................................................................... 184 Reallabore initiieren und Kooperationsmodelle entwickeln ........................... 186
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Handlungsanregungen als Beitrag zu einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung . . .................................................................................. 188
Quellenverzeichnis .......................................................................................... 194
1. 1.EINLEITUNG EINLEITUNG „Kooperation agierte während der gesamten Evolutionsgeschichte als die Architektin der Kreativität, die immer neue Geschöpfe hervorbrachte, von Einzellern über mehrzellige Organismen und Ameisenhügel bis hin zu den Menschen, die Dörfer und Städte errichteten.“ (Nowak/Highfield 2013: 15)
Die Entwicklung von Städten wird weltweit zunehmend durch ökologische, ökonomische und soziale Krisen beeinträchtigt. Dazu zählen neben den Folgen des Klimawandels auch Folgen von Finanzkrisen und wachsende soziale Disparitäten. Die Auswirkungen der jüngsten globalen Krise, die durch das Virus SARSCoV-2 ausgelöst wurde, sind bei Veröffentlichung dieses Buches noch nicht absehbar. Allerdings scheint die Krise eine zentrale These dieser Publikation zu bestätigen: Für eine nachhaltige Entwicklung ist eine grundlegende Transformation der Steuerung sozio-ökologischer Systeme notwendig (vgl. Leopoldina 2020: 4ff.). Das gilt auch in Bezug auf die Stadtentwicklung, wie ich in diesem Buch zeige. Dabei orientiere ich mich maßgeblich an Konzepten der Urbanen Resilienz, denn diese haben in internationalen Fachdebatten während der vergangenen Jahre stark an Bedeutung gewonnen, wenn es darum geht, Städte nachhaltig zu entwickeln und die Lebensqualität ihrer Bewohner*innen zu verbessern. Urbane Resilienz bedeutet, einfach ausgedrückt, dass Städte schnell und ohne allzu große Störungen an innere und äußere Krisen angepasst werden können. Um dies zu ermöglichen, sollten urbane Teilsysteme auf lange Sicht so anpassungs- und transformationsfähig gestaltet werden, dass sie notwendige Veränderungen weitgehend aus sich selbst heraus bewältigen können. Dass eine reine Anpassung an Krisen und ihre Folgen nicht ausreicht, sondern auch grundlegende Transformationen urbaner Teilsysteme notwendig sind, liegt daran, dass die Art und Weise, wie Städte heute entwickelt werden, selbst maßgeblich zu Störungen und Krisen beitragen kann. Insbesondere das rasante Wachstum vieler Städte zerstört lokale Ökosysteme, beschleunigt den globalen Klimawandel und verursacht soziale Verdrängungsprozesse (vgl. WBGU 2016: 73ff., vgl. Kegler 2014: 28ff.). Vor diesem Hintergrund erfordert eine zukunftsfähige Stadtentwicklung1, dass die Herstellung Urbaner Resilienz an nachhaltige Transformationsprozesse gekoppelt wird. Deren Ziel sollte es sein, dass die Entwicklung von Städten nicht länger Krisen vorantreibt, die eine nachhaltige Entwicklung stören und die Lebensqualität von Stadtbewohner*innen beeinträchtigen. Um dies zu erreichen, sind aus Sicht der Resilienz-Forschung unter anderem neue Akteur*innenkonstellationen notwendig, sowie neue Formen der Zusammenarbeit und Wissensproduktion (vgl. Folke 2016: 23, vgl. Beckmann 2013: 13). Aus meiner
1) Ich verwende die Bezeichnung zukunftsfähige Stadtentwicklung in Abgrenzung zum Leitbild einer nachhaltigen Stadtentwicklung, denn letztere wird in der Regel nicht damit verbunden, der Abhängigkeit urbaner Entwicklungen von wirtschaftlichem Wachstumszwang entgegenzuwirken. Im Gegenteil versuchen Politiker*innen parteiübergreifend Klima- und Umweltschutz unter dem Schlagwort „grünes Wachstum“ in wachstumsorientierte Politikprogramme zu integrieren, obwohl „der Wachstumszwang des ökonomischen Systems (…) als eine der Hauptursachen von Klimawandel, Umweltzerstörung und Ressourcenübernutzung gelten [muss]“ (Loske 2015: 35) (siehe dazu auch Eckardt/Brokow-Loga 2020).
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2) Den Begriff Bürger*innen beziehe ich nicht bloß auf die formale Staatsbürgerschaft von Menschen, sondern auch auf ihre aktive Rolle in der Stadtentwicklung (vgl. Holston/ Appadurai 1999: 4). Damit folge ich einem Verständnis von Bürgerschaft, das sich in den citizenship studies während der vergangenen Jahre durchgesetzt hat (vgl. Hess/Lebuhn 2014: 13). Aus dieser Perspektive betrachtet fällt auf, dass die Rechte und Möglichkeiten von Bürger*innen zur Teilhabe mitunter sehr stark divergieren und von sozialen Faktoren und gesellschaftlichen Machtverhältnissen abhängen. In Bezug auf das selbstorganisierte Engagement von Bürger*innen in der Stadtentwicklung muss konstatiert werden, dass sich in Deutschland vor allem gut ausgebildete Bürger*innen deutscher Herkunft einbringen (vgl. Franta 2020: 39, vgl. Montag Stiftung 2016: 6). 3) Die Formulierung „öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen“ bezieht sich auf eine in den Planungswissenschaften weit verbreitete Einteilung der Gesellschaft in Zivilgesellschaft, Staat und Markt (vgl. Selle 2013: 77ff.). Demnach ist die Zivilgesellschaft durch verschiedene Formen gesellschaftlicher Selbstorganisation gekennzeichnet. Sie besteht aus Personen und Organisationen, die in Vereinen, Netzwerken, informellen Zirkeln, sozialen Beziehungen und Nichtregierungsorganisationen etc. tätig sind (vgl. Wolf/Zimmer 2012: 16ff.). Davon abzugrenzen ist der Staat (öffentliche Akteur*innen wie Politiker*innen und Mitarbeiter*innen in Verwaltungen) und der Markt (privatwirtschaftliche Akteur*innen wie Investor*innen und Unternehmen). Dabei ist zu beachten, dass die drei Teilbereiche keine homogenen Felder bilden, sondern unterschiedliche Akteur*innen mit teilweise stark abweichenden Interessen umfassen und dass die Abgrenzung der Bereiche Unschärfen aufweist (vgl. Selle 2013: 96).
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Sicht sollte dafür insbesondere die Zusammenarbeit zwischen Bürger*innen2, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen intensiviert werden, um zivilgesellschaftliches Engagement stärker zu fördern, denn die darin liegenden Potenziale für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung werden im Vergleich zu technischen Maßnahmen noch stark vernachlässigt (vgl. Wehrspann/Schack 2013: 26f.). In diesem Buch fokussiere ich daher die Frage, wie öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen3 zusammenarbeiten können, um Urbane Resilienz gemeinsam herzustellen und die Entwicklung von Städten nachhaltiger zu gestalten. Dafür habe ich 14 Handlungsanregungen zur Koproduktion Urbaner Resilienz erarbeitet. Sie sollen die Beteiligten im Wortsinn zum Handeln anregen und ihnen helfen, Urbane Resilienz zu koproduzieren. Der Begriff „Koproduktion“ steht dabei für eine produktive Zusammenarbeit von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bei der Entwicklung von Städten (vgl. Selle 2010: 59). Sie ist aus meiner Sicht für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zentral, denn ohne aktive Bürger*innen fehlen konkrete Projekte, woran politische und planerische Maßnahmen ausgerichtet werden können. Andererseits sind Bürger*innen auf Unterstützung aus Politik und Verwaltung angewiesen, weil ihre Beiträge zu einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung noch zu vereinzelt erfolgen und in vielen Fällen nicht langfristig gesichert sind (vgl. Brand 2020: 35, vgl. Loske 2015: 25). Dabei geht es mir weniger um Partizipationsverfahren, bei denen Bürger*innen an hoheitlichen Planungen beteiligt werden. Vielmehr geht es um Kooperationen, im Rahmen derer öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen ihr Handeln koordinieren und zusammenarbeiten (müssen), um gemeinsame Ziele zu erreichen. Als Gegenstand solcher Kooperationen bietet sich in der Stadtentwicklung die gemeinsame Entwicklung von Stadträumen an, denn sowohl Bürger*innen als auch Akteur*innen in Verwaltung und Politik handeln und planen zumeist in Bezug auf Quartiere, Entwicklungsgebiete, Innenstädte, Brachflächen (vgl. Levin-Keitel et al. 2018: 8). Des Weiteren sind in den vergangenen Jahren in vielen Städten neue Bürger*innenorganisationen entstanden, die sich selbstbestimmt in Stadtentwicklungsprozesse einmischen und an der Entwicklung von Stadträumen teilhaben (Berger/Ziemer 2017: 12). Dadurch können sie aktiv zur Resilienz von Städten beitragen, indem sie selbstorganisiert Güter und Dienstleistungen mit lokalen Ressourcen produzieren.
Dazu zählen Wohngruppen, Sozialunternehmen, Energiegenossenschaften, Kulturprojekte und Urban-Gardening-Gruppen. Inwiefern durch ihre Aktivitäten Städte resilienter werden können, diskutiere ich im vorliegenden Buch.4 Dabei orientiere ich mich an Merkmalen wie Redundanz, Modularität, Diversität, Vernetzung, Mehrfunktionalität, Innovation und Selbstorganisation, die in der Resilienz-Forschung als Anzeichen für anpassungsfähige urbane Teilsysteme gelten (Sharifi et al. 2017: 17). Mit dem Ziel, Handlungsanregungen zu erarbeiten, wie öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zusammenarbeiten sollten, um Urbane Resilienz zu koproduzieren, habe ich die Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels in Hamburg (siehe Abbildung 1) untersucht. Sie geht zurück auf die Besetzung des historischen Quartiers im Jahr 2009 durch die Initiative „Komm in die Gänge“. Damit protestierten rund 200 Bürger*innen gegen die Stadtentwicklungspolitik des Hamburger Senats, für den Erhalt der leer stehenden Gebäude sowie deren kulturelle und künstlerische Nutzung. Im vorliegenden Buch begrenze ich mich auf diesen einen Fall, weil die Kooperation in ihrer Intensität und ihrem Umfang eine Besonderheit in der Stadtentwicklungsgeschichte Deutschlands ist (Breckner 2016: 187): Auf Grundlage eines gemeinsamen Entwicklungskonzepts sollen mitten in der Stadt öffentlich geförderte Sozialwohnungen, Ateliers und soziokulturelle Flächen mit rund 7500 Quadratmetern Nutzfläche entstehen (BSU 2010). Zur Umsetzung haben die Stadt Hamburg als Eigentümerin des Quartiers und die Aktiven des Gängeviertels eine Kooperationsvereinbarung geschlossen.5 Darin ist geregelt, wie sie während der Sanierung zusammenarbeiten wollen und wie die Selbstverwaltung durch die von den Aktiven gegründete Genossenschaft realisiert werden kann (vgl. FHH et al. 2011). Dennoch kam es im Verlauf der Kooperation zu erheblichen Konflikten zwischen den Akteur*innen. Im Mittelpunkt standen die baulichen Ergebnisse der Sanierung und die Selbstverwaltung der sanierten Gebäude durch die Aktiven. Um diese Konflikte zu bewältigen, einigten sich die Kooperationspartner*innen auf einen Planungsstopp. Dadurch sollte Zeit zur Problemlösung gewonnen werden, bevor weitere Sanierungsmaßnahmen umgesetzt würden. Nach mehrjährigen Verhandlungen vereinbarten die Beteiligten schließlich ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Anpassung des Kooperationsverfahrens an die Konflikte und ermöglichten so die Fortsetzung der Sanierung. Ich selbst war von
4) Ich danke den Architekt*innen und Stadtforscher*innen Constantin Petcou und Doina Petrescu für die Inspiration zu diesem Thema. Sie haben mit ihren Texten zu Koproduktion und resilienten Städten vor allem anhand ihres Projekts „R-Urban“ in Paris maßgeblich meine Themensetzung beeinflusst (vgl. Petrescu et al. 2016, vgl. Petcou/ Petrescu 2015) 5) Mit „Stadt Hamburg“ oder auch „FHH“ (Freie und Hansestadt Hamburg) als handelnde Einheit bezeichne ich die Gesamtheit der Regierungsorgane, Behörden, öffentlichen Einrichtungen etc. der Freien und Hansestadt Hamburg. Dementsprechend bezeichne ich mit „Gängeviertel“ als handelnde Einheit die Gesamtheit der formellen und informellen Organe im Gängeviertel wie die Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG, den Verein Gängeviertel e.V. etc. (siehe Abbildung 22). Wenn es für das genauere Verständnis relevant ist, benenne ich die jeweils beteiligten Institutionen und Organe. Unter „Aktiven“ verstehe ich Bürger*innen, die im Gängeviertel über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Laut einer Selbstdarstellung des Gängeviertels zählen dazu Menschen mit zahlreichen Professionen wie Künstler*innen, Stadtplaner*innen, Wissenschaftler*innen und viele weitere (vgl. VG 2010a).
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6) Die Doktorarbeit wurde im Januar 2020 an der HafenCity Universität Hamburg eingereicht und von Prof. Dr. Gesa Ziemer und Prof. Dr. Ingrid Breckner betreut. Die Arbeit entstand im Rahmen des künstlerisch-wissenschaftlichen Graduiertenkollegs „Performing Citizenship: Neue Artikulationen Urbaner Bürgerschaft in der Metropole des 21. Jahrhunderts“. Neben dem Fokus auf performative Ausdrucksformen einer selbstorganisierten Bürgerschaft befasste sich das Kolleg vor allem mit künstlerischen Forschungsmethoden und wurde von vier Institutionen getragen: Forschungstheater / Fundus Theater, K3 – Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, HafenCity Universität Hamburg, siehe: performingcitizenship.de (Aufruf: 12.05.2020).
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Beginn an in die Besetzung und Entwicklung des Gängeviertels involviert, unter anderem als Teil der Initiative, Vorsitzender im Aufsichtsrat der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG und zweiter Vorsitzender des Sanierungsbeirates. Dabei fragte ich mich zunehmend, was die Ursachen für die Probleme bei der Kooperation sind und wie das Kooperationsverfahren umgestaltet werden kann, um Konflikte zu lösen und in Zukunft zu vermeiden. Diese Fragen habe ich im Rahmen der Doktorarbeit6, die diesem Buch zugrunde liegt, mit meinem wissenschaftlichen Erkenntnisinteresse an der Koproduktion Urbaner Resilienz verbunden: Inwiefern tragen die Kooperationspartner*innen durch die Entwicklung des Gängeviertels zur Urbanen Resilienz in Hamburg bei? Und wie können zivilgesellschaftliche und öffentliche Akteur*innen zusammenarbeiten, um die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen voranzutreiben? Meine Doppelrolle als Aktiver und Forschender habe ich genutzt, um praxisorientiertes Wissen zu generieren, indem ich den Entwicklungsprozess des Gängeviertels seit der Besetzung bis zur Aufhebung des Planungsstopps als Reallabor verwendet habe. Reallabore bieten einen methodischen Rahmen, um durch experimentelle Eingriffe der Forschenden in einem abgegrenzten räumlichen Untersuchungsgebiet Transformationsprozesse zu beeinflussen und besser zu verstehen (vgl. Schneidewind/ Singer-Brodowski 2014: 127f.). Um meinen Erkenntnisinteressen nachzugehen und gleichzeitig praktische Beiträge zur Anpassung der Kooperation an die bestehenden Konflikte zu leisten, habe ich während des Untersuchungszeitraums zwei Realexperimente durchgeführt: Im April 2016 habe ich in Abstimmung mit den Kooperationspartner*innen ein Bausysmposium zum Kooperationsprozess im Gängeviertel umgesetzt. Darauf aufbauend habe ich im Mai 2017 einen Laborbericht veröffentlicht und präsentiert. Dabei habe ich durch künstlerische Praktiken wie das Arrangieren von Situationen (vgl. Siegmund 2015: 139) und das Publizieren im Eigenverlag (vgl. Gilbert 2016: 7ff.) Wissen über die Wertvorstellungen und Handlungsrationalitäten der Teilnehmenden generiert und versucht, zwischen ihnen zu vermitteln, um Handlungsblockaden zu lösen. Dieses Forschungsdesign verstehe ich als inter- und transdisziplinäre Stadtforschung. Interdisziplinär ist es, weil Theorien und Konzepte verschiedener Disziplinen (vor allem aus der Resilienz- und Nachhaltigkeitsforschung, materialistischer und relationaler Raumtheorien sowie Governance- und
Planungstheorien) angewendet wurden (vgl. Beecroft et al. 2018: 79), da kein theoretisches Konzept existiert, mit dem meine Forschungsfragen so beantwortet werden können, dass es meinem Erkenntnisinteresse gerecht wird. Transdisziplinär ist es, weil daran Akteur*innen aus Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft mitwirkten (vgl. Scholz 2011: 373ff.) und weil wissenschaftliche Forschung und künstlerische Praktiken kombiniert wurden, um gesellschaftlich relevantes Wissen über eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zu erzeugen (vgl. Wildner 2015: 182). Eine zentrale Aufgabe transdisziplinärer Stadtforschung besteht darin, die räumliche Entwicklung von Städten sowie unterschiedliche Sichtweisen und Interessen von Akteur*innen in Bezug auf den jeweiligen Untersuchungsgegenstand mit in den Blick zu nehmen (vgl. Eckardt 2014: 6ff.). Dieser Aufgabe komme ich nach, indem ich Wertvorstellungen, Handlungsrationalitäten und Machtverhältnisse der Kooperationsakteur*innen im Zusammenhang mit der Entwicklung des Gängeviertels analysiere und im Kontext der stadträumlichen und -politischen Entwicklung Hamburgs darstelle. Des Weiteren zeige ich auf, inwiefern die Aktiven und die Stadt Hamburg durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels zur Resilienz in Hamburg beitrugen, indem sie Konflikte erfolgreich aushandelten, die Bausubstanz für vielseitige und niederschwellige Nutzungen ertüchtigten und die Selbstverwaltung der Aktiven langfristig sicherten. Dabei verstehe ich sowohl die räumliche Entwicklung des Gängeviertels als auch den Kooperationsprozess als Bestandteile der Koproduktion Urbaner Resilienz.
1.1 AUFBAU DER ARBEIT Das vorliegende Buch umfasst sechs Kapitel. Im Anschluss an diese Einleitung (Kapitel 1) erläutere ich im zweiten Kapitel die konzeptionellen und theoretischen Grundlagen. Dabei stelle ich vor allem anhand von Literatur der Resilienz- und Nachhaltigkeitsforschung dar, inwiefern Urbane Resilienz als planerisches und politisches Handlungskonzept geeignet ist, um aktuellen Krisen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich zu begegnen. Darauf aufbauend erarbeite ich eine Definition von zukunftsfähiger Stadtentwicklung, die ich im Weiteren als argumentativen Bezugsrahmen nutze. Im Anschluss zeige ich auf,
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wie Bürger*innenorganisationen zur Urbanen Resilienz und zu einer nachhaltigen Transformation von Städten beitragen können, indem sie Alternativen zu Gütern und Dienstleistungen von renditeorientierten Unternehmen und staatlicher Vorsorgepolitik selbstorganisiert produzieren. Um darzulegen, dass meines Erachtens eine Transformation im Verhältnis zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen notwendig ist, um die Resilienz-Beiträge von Bürger*innen in die Stadtentwicklungspraxis zu integrieren, ziehe ich im Weiteren Texte zu Governance und Planung heran. Das Kapitel endet mit einer raumtheoretischen Auseinandersetzung mit Urbaner Resilienz in Bezug auf Stadtentwicklung. Auf dieser Grundlage analysiere ich im weiteren Verlauf Handlungsrationalitäten von zentralen Akteur*innen und Machtverhältnisse zwischen ihnen und stelle dar, inwiefern dadurch die Koproduktion Urbaner Resilienz als sozialer und physisch-materieller Prozess beeinflusst wurde. Das dritte Kapitel widmet sich der Forschungsmethode. Darin zeige ich mittels Literatur zu transformativer und experimenteller Forschung auf, welche Potenziale die Reallabor-Methode aus meiner Sicht aufweist, um das Handeln von Akteur*innen bei der Koproduktion Urbaner Resilienz zu untersuchen und Kooperationsprozesse aktiv zu unterstützen. Des Weiteren stelle ich dar, wie ich die Methode auf das Gängeviertel angewendet habe. Besonderes Augenmerk lege ich auf die von mir umgesetzten Realexperimente und die dabei angewendeten künstlerischen Praktiken sowie das im Reallabor Gängeviertel gewonnene System-, Ziel-/Orientierungs- und Transformationswissen über den Kooperations- und Sanierungsprozess. Außerdem reflektiere ich anhand meiner Beobachtungen und Erfahrungen im Reallabor meine eigene Rolle als Forschender und Aktiver des Gängeviertels und inwiefern ich den Kooperations- und Sanierungsprozess sowie das Handeln der Beteiligten mit beeinflussen konnte. Das vierte Kapitel behandelt die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels von der Besetzung 2009 bis zur Einigung 2019. Dafür betrachte ich auf Grundlage des von mir erhobenen Materials den Kooperationsprozess und die räumliche Entwicklung des Gängeviertels im Kontext der Stadtentwicklung Hamburgs und stelle dar, welche Beiträge sich daraus für die Resilienz in Hamburg ergeben. Dabei beleuchte ich den Verlauf, die Akteur*innenkonstellation und zentrale Konflikte des Kooperationsverfahrens. Besonderes Augenmerk
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liegt darauf, wie die Beteiligten Handlungsblockaden überwinden konnten, die eine Anpassung des Verfahrens an diese Konflikte zunächst verhinderten, und inwiefern dadurch die Koproduktion Urbaner Resilienz beeinflusst wurde. Abschließend diskutiere ich, inwiefern sich in Hamburg eine Transformation in der Stadtentwicklungspolitik und -planung hin zur strategischen Einbindung der Resilienz-Beiträge von Bürger*innen durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen abzeichnet. Im fünften Kapitel fließen die Ergebnisse meiner Forschung in Form von 14 Handlungsanregungen für öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zur Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen zusammen. Im sechsten und abschließenden Kapitel diskutiere ich, inwiefern die von mir erarbeiteten Handlungsanregungen zu einer nachhaltigen Transformation in der Stadtentwicklung beitragen könnten, wenn sie von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen aufgegriffen würden.
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2. 2. DIE DIE KOPRODUKTION KOPRODUKTION URBANER URBANER RESILIENZ RESILIENZ ALS ALS TEIL TEIL EINER EINER ZUKUNFTSFÄHIGEN ZUKUNFTSFÄHIGEN STADTENTWICKLUNG STADTENTWICKLUNG „Wenn die Veränderungsbereitschaft einer Stadt oder Region gering ist und das System inflexibel, kann die Krise ein Treiber auch für drastische Veränderungen sein, die zuvor nicht durchsetzbar gewesen wären.“ (Kopatz 2018: 285)
In diesem Kapitel lege ich die konzeptionellen und theoretischen Grundlagen für die Analyse der Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels und zur Interpretation der Untersuchungsergebnisse dar. Zunächst erläutere ich anhand von Literatur aus der Resilienz- und Nachhaltigkeitsforschung, inwiefern Urbane Resilienz als planerisches und politisches Handlungskonzept geeignet ist, um aktuellen Krisen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich zu begegnen. Ergänzt um wachstumskritische Texte vor allem aus der Humangeografie und Politikwissenschaft leite ich eine Definition von zukunftsfähiger Stadtentwicklung ab, die mir im Weiteren als argumentativer Bezugsrahmen dient. Im nächsten Teil des Kapitels führe ich aus, wie Bürger*innenorganisationen zur Urbanen Resilienz beitragen können und auf welchen gesellschaftlichen Ebenen meines Erachtens eine Transformation notwendig ist, um Resilienz-Beiträge von Bürger*innen angesichts aktueller Krisen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich angemessen in die Stadtentwicklungspraxis öffentlicher und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zu integrieren. Dafür erweitere ich das Literaturspektrum dieser Arbeit um Texte zu Governance und Planung. Am Ende des Kapitels erläutere ich die theoretischen Grundlagen, mit denen ich im weiteren Verlauf für den Fall des Gängeviertels darstelle, wie die Handlungsrationalitäten der Beteiligten und die Machtbeziehungen zwischen ihnen die Koproduktion Urbaner Resilienz als sozialen und physisch-materiellen Prozess beeinflussen.
2.1 URBANE RESILIENZ UND NACHHALTIGE TRANSFORMATION VON STÄDTEN Seit den 2000er Jahren gewinnt Resilienz als Begriff in vielen wissenschaftlichen Disziplinen stark an Bedeutung, wie unzählige Publikationen zeigen. Der ursprünglich aus der Psychologie stammende Begriff ist heute in den Natur- und Sozialwissenschaften vor allem im englischen Sprachraum weitverbreitet. Einen frühen Anstoß zu seiner Popularität hat der Ökologe Crawford S. Holling gegeben, indem er den Resilienz-Begriff auf Ökosysteme anwen-
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7) Unter Krisen verstehe ich Zustände von Systemen, bei denen die Zusammenhänge der Systemkomponenten durch innere und äußere Faktoren in einem Maße gefährdet sind, in dem seine Funktionsfähigkeit nicht länger gewährleistet ist. Solche Krisenzustände können zur Anpassung, Transformation oder zum Kollaps des jeweiligen Systems führen und weitere Systeme beeinflussen, mit denen sie verknüpft sind.
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det hat, um zu beschreiben, wie sie angesichts von Störungen und abrupt veränderten Umweltbedingungen zu ihrem Ausgangsstadium zurückkehren können (Holling 1973: 1ff.). Die interdisziplinäre Verbreitung des Begriffs hat sowohl zu seiner Weiterentwicklung wie auch zu unterschiedlichen Auslegungen geführt. Ein einheitliches Verständnis besteht heute weder innerhalb wissenschaftlicher Disziplinen noch disziplinübergreifend. Im aktuellen naturwissenschaftlichen Kontext ist Resilienz weitgehend positiv konnotiert als Konzept zur Anpassung und Transformation von sozio-ökologischen Systemen angesichts von Krisen.7 Sozio bezieht sich dabei auf Individuen, Gemeinschaften oder ganze Gesellschaften und ihre ökonomischen, politischen, kulturellen Teilbereiche; ökologisch bezieht sich auf die Biosphäre der Erde und ihre Teilbereiche, die die Grundlage für alle menschlichen Aktivitäten bilden. Ein solches System gilt als resilient, wenn es aus sich selbst heraus die Wechselwirkungen zwischen sozialen und ökologischen Komponenten in Krisensituationen stabilisieren kann (vgl. Folke et al. 2010: o.S.). Dabei spielen die Anpassungsund Transformationsfähigkeit von sozio-ökologischen Systemen in Reaktion auf und in Erwartung von Veränderungen eine zentrale Rolle. Unter Anpassungsfähigkeit werden Maßnahmen zusammengefasst, die die Weiterentwicklung entlang einer eingeschlagenen Richtung ermöglichen. Dafür müssen die Akteur*innen von sozio-ökologischen Systemen ihre Handlungen und Organisationsformen an die jeweiligen Veränderungsprozesse anpassen. Grundlage dieser Anpassung sind wechselseitige Lernprozesse unter den Beteiligten, ihre Innovationskraft und ihr Erfahrungswissen über die Veränderbarkeit des anzupassenden Systems. Bei der Transformationsfähigkeit geht es dagegen um neue Entwicklungsrichtungen, die eingeschlagen werden, um ein grundlegend neues System zu erschaffen, weil das bestehende unvertretbar geworden ist (Folke 2016: 9). Resilienz-Konzepte sind eng verbunden mit Konzepten zur nachhaltigen Entwicklung, wonach die Bedürfnisse der lebenden Generationen befriedigt werden sollen, ohne die Möglichkeiten folgender Generationen zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse einzuschränken. Dafür müssen laut den Vereinten Nationen ökonomisches Wachstum, soziale Inklusion und Umweltschutz in Einklang gebracht werden. Das schließt ausdrücklich mit ein, dass natürliche Ressourcen und Ökosysteme nachhaltig verwaltet werden und dass Armut und soziale Ungleichheit verringert
werden, um die Lebensbedingungen von Menschen zu verbessern (vgl. UN 2019a). Zahlreiche Kritiker*innen und Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen bezweifeln allerdings, dass eine solche nachhaltige Entwicklung angesichts des globalen Wirtschaftsystems möglich ist (vgl. Engel/Knieling 2018: 13ff, vgl. Kopatz 2018: 40ff., vgl. Jackson 2017: 58f., vgl. Paech 2014: 7, vgl. Sommer/Welzer 2014: 39ff.). Denn aufgrund seiner Wachstumsabhängigkeit verursacht das bestehende Wirtschaftssystem eine ganze Reihe von Konflikten und Krisen mit vielfältigen Folgen, die einer nachhaltigen Entwicklung entgegenstehen – etwa die Klimaerwärmung, Umweltverschmutzung, Finanz- und Wirtschaftskrisen, soziale Polarisierung, Kriege (vgl. Adloff/Leggewie 2014: 40f., vgl. Haderlapp/Trattnigg 2013: 68ff.). Diese „multiple Krise“ (Brand 2010: 1) ist „Ausdruck von tief in den Gesellschaften verankerten Produktions- und Lebensweisen, die sozial spaltend und Natur zerstörend sind“ (ebd.: 5, vgl. Brand/Wissen 2017: 25f.). Eine der wesentlichen Ursachen dafür ist die Tendenz des globalen Wirtschaftsystems zu Überproduktionen und Überakkumulation, weshalb eine tief greifende Transformation vorherrschender Produktions- und Lebensweisen notwendig ist, um eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen (Bader et al. 2011: 14). Andernfalls wird es meines Erachtens nicht möglich sein, auch solche Krisen zu überwinden, die durch den Wachstumszwang verursacht werden – etwa Finanzkrisen, die zunehmenden sozialen Polarisierungen und der vom Menschen gemachte Klimawandel (vgl. Lessenich 2018: 118ff.). Insofern sind Maßnahmen zu Erhöhung der Resilienz von sozio-ökologischen Teilsystemen auf globaler Maßstabsebene8 nur dann sinnvoll, wenn sie Teil einer nachhaltigen Transformation sind. Um diese voranzutreiben, müssen neue Wirtschaftssysteme etabliert werden, die wachsen können, um zu einer nachhaltigen Entwicklung beizutragen, die aber nicht wachsen müssen, um sich zu erhalten (vgl. Hahne 2018: 52, vgl. Kopatz 2018: 284, vgl. Rosa 2017: 727, vgl. Sachs 2015: 3ff., vgl. Schneider et al. 2010: 512). Gleichzeitig verlangt eine nachhaltige Transformation die „Schrumpfung oder Abschaffung nicht-zukunftsfähiger Teilbereiche der Gesellschaft, gerade mit dem Ziel, andere zu bewahren“ (Sommer/Welzer 2014: 51).9 Als wichtiges Handlungsfeld auf lokaler Maßstabsebene für eine nachhaltige Transformation gilt die Stadtentwicklung10, denn aufgrund des rasanten Städtewachstums der vergangenen Jahre lebt heute mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten
8) Mit lokaler, regionaler und globaler Maßstabsebene wird in der Resilienz-Theorie die geografische Ausdehnung von Systemen bezeichnet, einschließlich sozialer Praktiken zur Steuerung dieser Systeme (Meerow/ Newell 2016: 10ff.). 9) Diese Sichtweise, wonach Resilienz auch bedeutet, das im Kapitalismus dominante Wachstumsparadigma zu überwinden, unterscheidet sich von der allgemeinen Rezeption des Resilienz-Begriffs in den Sozial- und Politikwissenschaften. Viele Wissenschaftler*innen dieser Disziplinen sehen im Kapitalismus das resiliente System schlechthin, weil es in der Lage ist, sich durch Krisen immer wieder zu erneuern und dadurch die kapitalistische, wachstumsbasierte Produktionsweise aufrechtzuerhalten (vgl. Exner 2013: o.S., vgl. MacKinnon/ Derickson 2012: 254). 10) Unter Stadtentwicklung verstehe ich das Zusammenwirken unterschiedlicher Akteur*innen, die durch ihre Handlungen die räumliche Entwicklung einer Stadt mitbeeinflussen. Stadtplanung beziehe ich auf die hoheitliche Planung zur Entwicklung einer Stadt von Planer*innen. Unter Stadtentwicklungspolitik verstehe ich die Steuerung von Stadtplanung und -entwicklung durch Politiker*innen im Zusammenspiel mit der Stadtverwaltung. Insofern sind Stadtplanung und Stadtentwicklungspolitik Teilbereiche der Stadtentwicklung.
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11) „Urbane Resilienz bezieht sich auf die Fähigkeit eines urbanen Systems […], angesichts von Störungen gewünschte Funktionen aufrechtzuerhalten oder wiederzuerlangen, sich an Veränderungen anzupassen und Systeme schnell zu transformieren, die ihre gegenwärtige und zukünftige Kapazität zur Anpassung einschränken“ (eigene Übersetzung). Zum Aufstellen dieser Definition wurde Literatur aus verschiedenen Disziplinen der vergangenen 30 Jahre analysiert (Meerow et al. 2016). 12) Urbane Resilienz ist nicht zu verwechseln mit dem Wiederaufbau und der Wiederbesiedelung von Städten in Folge von Zerstörungen. Viele Städte existieren trotz Zerstörungen durch Kriege, Naturkatastrophen oder Seuchen auch heute noch, weil sie wiederaufgebaut und wiederbesiedelt wurden. Dabei handelt es sich allerdings eher um das Regenerieren einer Stadt als ihre Anpassung und Transformation angesichts von Krisen.
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bzw. Stadtregionen. Dort werden etwa 70 Prozent der weltweiten Energieproduktion verbraucht und wird ähnlich viel des globalen energiebedingten Ausstoßes von Kohlendioxid verursacht. Gleichzeitig sind Stadtbewohner*innen in besonderem Maße von Krisen und den damit verbundenen Auswirkungen betroffen, da Städte durch ihre höhere Bevölkerungsdichte krisenanfälliger sind als ländliche Siedlungsformen. Insofern gelten Städte und ihre Bewohner*innen in besonderem Maße als Verursachende wie auch als Betroffene von globalen Krisen. Städte sind aber auch Ausgangsorte von gesellschaftlichen Veränderungen. Ihre Bewohner*innen sind weltweit vernetzt und Treiber*innen globaler Trends (vgl. WBGU 2016: 2ff., vgl. UN 2019b). Vor diesem Hintergrund gilt die Implementierung des Resilienz-Gedankens in der Stadtentwicklung als ein vielversprechender Ansatz, um Städte angesichts der multiplen Krise und ihrer Folgen zukunftsfähig zu entwickeln und gleichzeitig einen Beitrag zu einer nachhaltigen globalen Entwicklung zu leisten (vgl. Beck 2017: 232f.). Unter dem Begriff Urbane Resilienz (teilweise auch „resiliente Stadt“) werden entsprechende Maßnahmen diskutiert, erforscht und getestet. Als einheitliche Handlungs- und Diskussionsgrundlage schlagen Meerow et al. folgende Definition vor: „Urban resilience refers to the ability of an urban system […] to maintain or rapidly return to desired functions in the face of a disturbance, to adapt to change, and to quickly transform systems that limit current or future adaptive capacity.“ (Meerow et al. 2016: 39)11 Demnach sind Städte als komplexe, dynamische und anpassungsfähige urbane Systeme zu verstehen, die aus verschiedenen Teilsystemen bestehen.12 Diese Teilsysteme sind miteinander verwoben und mit dem Umland, ländlichen Gebieten und weiteren Städten verknüpft. Sie sind stärker als sozio-ökologische Systeme von ihrer gebauten Umwelt in Form von Infrastrukturen und Gebäuden (Wohnungen, Straßen, Bahnschienen, Brücken, Kraftwerken etc.) geprägt (vgl. Sharifi et al. 2017: 15ff., vgl. Hassler/ Kohler 2014: 119ff.). Dadurch verschränken sich in Städten soziale und ökologische Komponenten auf vielfältige Weise mit technologischen Komponenten. Die Teilsysteme in einer Stadt sind daher laut dem Umweltwissenschaftler Timon McPhearson als „social-ecological-technical/built system“ (SETS) zu fassen, also als sozio-ökologisch-technische Teilsysteme (McPhearson et al. 2016: 207). Zum Beispiel ist die Wasserversorgung einer Stadt von sozialen Prozessen (Planung der Stadtverwaltung, Protest dage-
gen, Verhalten von Verbraucher*innen etc.), ökologischen Bedingungen (Niederschlagsmengen, Grundwasserqualität etc.) sowie technischen Infrastrukturen und Gebäuden (Leitungen, Wasserwerke etc.) abhängig. Ziel der Herstellung Urbaner Resilienz ist nach Meerow et al. die Steigerung der generellen Anpassungsfähigkeit von Städten an unvorhersehbare Krisen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich. Diese ist gegenüber einer spezifischen Angepasstheit zu bevorzugen, denn durch eine allzu eng gefasste Ausrichtung von Städten auf spezifische Krisen (zum Beispiel regelmäßige Überschwemmungen infolge von Starkregen) kann die Anpassungsfähigkeit von urbanen Systemen an unvorhersehbare Bedrohungen (zum Beispiel unerwartete Trockenheit) beeinträchtigt werden (vgl. Meerow et al. 2016: 46). Entsprechende „Resilienzanstrengungen setzen sinnvollerweise nicht erst ein, wenn die Krise eintritt und das Desaster Veränderungen erzwingt. Resilienzdividenden ergeben sich nur dann, wenn die Systeme rechtzeitig Veränderungen einleiten, ihre Widerstands- und Anpassungsfähigkeit erhöhen, um für die Folgen der multiplen Krisen (ökologisch, ökonomisch, politisch, sozial) gewappnet zu sein.“ (Hahne 2018: 59) Ausgehend von einem solchen Planungsverständnis weisen resiliente Städte mehrere Eigenschaften auf. Dazu zählen Redundanz, Diversität, Vernetzung, Modularität und Mehrfunktionalität ihrer urbanen Teilsysteme sowie deren Fähigkeit zur Innovation und Selbstorganisation (vgl. Sharifi et al. 2017: 17).13 Diese Merkmale lassen sich in gewissem Maße zwar in jeder Stadt finden, die Resilienz einer Stadt hängt jedoch davon ab, in welchem Maße ihre Teilsysteme diesen Merkmalen entsprechen. Daraus schließe ich, dass angesichts der multiplen Krise und ihrer vielfältigen Folgen Konzepte zur nachhaltigen Planung und Steuerung von Städten durch öffentliche Akteur*innen um Maßnahmen ergänzt werden müssen, die Städte bzw. ihre Teilsysteme entsprechend der genannten Merkmale resilienter machen, wenn Planer*innen und Politiker*innen Städte zukunftsfähig entwickeln möchten. Dabei ist die Umsetzung der Resilienz-Eigenschaften notwendig, um langfristig nachhaltige Wirkungen durch eine generelle Anpassungsfähigkeit urbaner Systeme zu erzielen. Nachhaltigkeit ist notwendig, um eine effiziente Ressourcennutzung anzustreben und die Bedürfnisse zukünftiger Generationen nicht aus dem Blick zu verlieren (vgl. Sharifi et al. 2017: 15, vgl. Hahne 2014: 12ff.).14
13) In der Literatur zu Stadt- und Raumplanung finden sich zwar abweichende Auflistungen von Merkmalen Urbaner Resilienz, sie weisen aber zumeist deutliche Parallelen auf. Zum Beispiel benennt Beckmann sechs Aspekte: Dezentralität, Vernetzung, Diversifizierung (von Leistungsangeboten, Strukturen und Verfahren), Fehlerfreundlichkeit/-toleranz, Sichern von Rückkopplungen, Gewährleisten von Pufferkapazitäten (vgl. Beckmann 2013: 13). Kegler zählt sechs Begriffspaare auf: Robustheit und Fragilität, Kompaktheit und Dezentralität, Autarkie und Austausch, Stabilität und Flexibilität, Redundanz und Vielfalt, Modularität und Komplexität (vgl. Kegler 2014: 49ff.). Auch Ahern benennt sechs Eigenschaften: multifunctionality, redundancy and modularization, (bio and social) diversity, multiscale networks and connectivity, and adaptive planning (vgl. Ahern 2011: 342f.). Dabei ist zu beachten, dass es keine pauschalen Maßnahmen zum Herstellen solcher Eigenschaften gibt. Um die Resilienz in einer Stadt zu erhöhen, müssen lokale Faktoren berücksichtigt werden, die sich von Stadt zu Stadt und innerhalb von Städten unterscheiden können. Geeignete Maßnahmen sind daher immer fallspezifisch und stehen in Relation zur jeweiligen gesamtstädtischen Entwicklung im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich (vgl. ebd.). 14) Mit Blick auf die Stadtplanungspraxis bestehen in einigen Fällen Widersprüche zwischen dem Nachhaltigkeitsleitbild und Resilienz-Merkmalen. Zum Beispiel gilt es in der aktuellen Stadtplanungspraxis als nachhaltig, wenn die Effizienz von städtischen Infrastrukturen erhöht wird. Dadurch soll in der Regel bei gleichem Ressourcenverbrauch mehr Leistung erreicht bzw. sollen bei gleicher Leistung weniger Ressourcen verbraucht werden. In der Praxis steht ein solches Verständnis von Effizienz jedoch im Widerspruch zum
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Resilienz-Merkmal der Redundanz, denn redundante Strukturen sind in der Regel weniger effizient als Einfachstrukturen, die für einen bestimmten Zweck optimiert wurden (vgl. Kagan 2016: 23, vgl. Meerow/ Newell 2016: 4). Der scheinbare Gegensatz zwischen Effizienz und Redundanz löst sich allerdings auf, wenn der Betrachtungszeitraum erweitert wird, denn wenn in einer Stadt trotz Krisen aufgrund von Redundanzen über einen längeren Zeitraum die Lebensqualität der Bewohner*innen aufrecht erhalten oder sogar gesteigert werden kann, dann ist sie langfristig betrachtet als nachhaltiger zu bewerten als in einer Stadt, die infolge von Krisen an Lebensqualität verliert.
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Bei der Verschränkung von Maßnahmen für eine nachhaltige Stadtentwicklung und den oben genannten Merkmalen Urbaner Resilienz spielen insbesondere Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Teilsystemen einer Stadt eine zentrale Rolle. Das zeigt sich zum Beispiel anhand von Maßnahmen zur Bewältigung hoher Niederschlagsmengen in New York: Da die Kapazität des bestehenden Entwässerungssystems bei starken Regenfällen nicht ausreichte, wurden immer wieder Flüsse und Bäche in der Umgebung New Yorks mit Abwasser kontaminiert und lokale Ökosysteme mit Schadstoffen belastet. Statt als Reaktion darauf ausschließlich die Kapazität des Entwässerungssystems zu erhöhen, wurde auch das Grünflächensystem der Stadt angepasst. Dächer und ungenutzte Flächen wurden begrünt, Gärten auf Parkplätzen angelegt und Straßenzüge mit Bäumen bepflanzt. Ergänzt wurden diese staatlichen Maßnahmen von zahlreichen Bürger*inneninitiativen und NGOs, die sich für den Schutz von Stadtbewohner*innen vor Überschwemmungen und die teilweise Renaturierung von Wasserwegen einsetzten. Insgesamt wurde so die Resilienz New Yorks durch die Herstellung von Redundanz, Diversität und Mehrfunktionalität im Entwässerungs- und Grünflächensystem erhöht. Darüber hinaus wurde eine nachhaltige Entwicklung vorangetrieben, indem Kapazitäten zur Bindung klimaschädlicher Abgase geschaffen und Aufenthalts- und Naherholungsqualität an vielen Stellen verbessert wurden (vgl. McPhearson et al. 2014: 506ff.). Die Umsetzung dieser Maßnahmen kann als Anpassung des Entwässerungs- und Grünflächensystems verstanden werden, einschließlich der mit ihrer Planung und Steuerung verbundenen Verwaltungsinstrumente – wie etwa das Einführen von Fördermaßnahmen zur Dachbegrünung oder Regelungen zur Umnutzung von freien Grundstücken durch die Stadtverwaltung. An dem Beispiel wird deutlich, dass durch eine Anpassung der Teilsysteme einer Stadt entsprechend den Resilienz-Merkmalen auch eine nachhaltige Entwicklung vorangetrieben werden kann. Des Weiteren verweist das Beispiel darauf, dass Bürger*innen bei der Herstellung von Urbaner Resilienz eine zentrale Rolle spielen können, indem sie sich selbst organisieren und in Eigeninitiative Maßnahmen ergreifen, die zur Urbanen Resilienz und einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Eine solche Entwicklung ist allerdings kein linearer Prozess. Als Ergebnis komplexer Aushandlungen und Wechselwirkungen unter den an der Stadtentwicklung Beteiligten in den Bereichen Ökologie, Ökonomie und Soziales folgt sie einem
wechselhaften und schwer vorhersehbaren Verlauf (vgl. McPhearson et al. 2017: 33ff.) (siehe Abbildung 2).
Krise
Krise
Krise
URBANE RESILIENZ
SETS 1 z.B. das Entwässerungssystem einer Stadt. Merkmale: Redundanz, Diversität, Vernetzung, Modularität, Mehrfunktionalität, Innovation, Selbstorganisation Möglichkeitsbereich für eine nachhaltige Stadtentwicklung nachhaltige Stadtentwicklung im sozialen, ökonomischen und ökologischen Bereich SETS 2 z.B. das Grünflächensystem einer Stadt. Merkmale: Redunanz, Diversität, Vernetzung, Modularität, Mehrfunktionalität, Innovation, Selbstorganisation Krise
Krise
ZEIT
Abbildung 2: Schematische Darstellung einer nachhaltigen Stadtentwicklung als resultierende Entwicklung aus einer Anpassung bzw. Transformation von sozio-ökologisch-technischen Teilystemen (SETS). Diese sind als Vektoren dargestellt, um sie als anpassungs- und transformationsfähig abzubilden.
Bevor ich näher auf die vielfältigen Beiträge von Bürger*innen zur Resilienz von Städten eingehe (siehe Kapitel 2.2), vertiefe ich zunächst die Zusammenhänge zwischen Urbaner Resilienz und nachhaltiger Stadtentwicklung, um darauf aufbauend mein Verständnis einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung darzustellen. Dabei stütze ich mich im Folgenden vor allem auf die Forschung des Humangeografen David Harvey, da er sich in seiner Arbeit kritisch und umfassend mit aktuellen Praktiken zur Stadtentwicklung auseinandergesetzt hat. Laut David Harvey haben öffentliche Akteur*innen seit den 1970er Jahren weltweit zunehmend neoliberale Politikprogramme15 umgesetzt, um das wirtschaftliche Wachstum von Städten voranzutreiben und Unternehmen für die Investition von ökonomischem Kapital zu gewinnen. Dementsprechend haben private
15) Neoliberale Politikprogramme gehen zurück auf verschiedene Gesellschafts- und Wirtschaftstheorien, deren Vertreter*innen zur Sicherung von sozialer Ordnung und wirtschaftlichem Wachstum unter anderem die Individualisierung von Verantwortung, Deregulierung von Märkten und Steigerung von Wettbewerb vorsehen (vgl. Ptak 2008: 11f., vgl. Peck/Tickell 2002: 381ff.).
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Investitionen in die gebaute Umwelt von Städten während der vergangenen Jahrzehnte stark zugenommen. Dadurch werden bis heute weltweit Bauaktivitäten sowie die globale Urbanisierung vorangetrieben. In der Folge kommt es vielerorts zur Versiegelung von Freiflächen im Umland von Städten sowie zu einem erhöhten Rohstoffverbrauch und Emissionsausstoß, was Krisen im ökologischen Bereich wie Überschwemmungen, Zerstörungen von Landschaften und den Klimawandel vorantreibt (vgl. Harvey 2013: 30f.). Unternehmen investieren Kapital vor allem an Standorten, wo sie es vermehren können – etwa durch steigende Immobilien- und Mietpreise. Dabei kommt es zur Akkumulation von ökonomischem Kapital in Städten, die sich im internationalen Wettbewerb um Investitionen durchsetzen konnten. Die Folge ist eine ungleiche Entwicklung, bei der das Wachstum in einer Stadt mit Schrumpfung und ökonomischen Krisen in anderen Stadtteilen und Städten einhergeht (vgl. ebd.: 88f.). Eine übermäßige Kapitalakkumulation kann aber auch in wachsenden Städten zu ökonomischen Krisen führen, vor allem indem sich Immobilienblasen bilden, so wie im Fall der globalen Finanzkrise ab 2007. Solche Finanzkrisen können nicht nur für Banken und Wirtschaftsunternehmen negative Auswirkungen haben, sondern betreffen oftmals auch Stadtbewohner*innen – etwa durch den Verlust von Eigentumswohnungen aufgrund von geplatzten Immobilienkrediten und Sparmaßnahmen infolge von Kapitalverlusten der öffentlichen Hand (vgl. ebd.: 65ff.). Dennoch betreiben viele Politiker*innen und Stadtverwaltungen eine investor*innenorientierte Politik und Planung. In diesem Zuge finanzieren sie in vielen Fällen Aufwertungsmaßnahmen, bauen investitionshemmende Vorschriften ab und umgehen demokratische Entscheidungsprozesse. Folgen sind vielerorts wachsende soziale Disparitäten, Verdrängungsprozesse (Gentrifizierung), eine zunehmend ungleiche Verteilung von Bevölkerungsgruppen (Segregation) und Unzufriedenheit von Bürger*innen mit Politik und Verwaltung (vgl. Mayer 2017: 173 f., vgl. Mayer 2013: 159f., vgl. Butterwegge 2008: 212ff.). Vor diesem Hintergrund muss meines Erachtens sowohl aus sozial- wie auch naturwissenschaftlicher Perspektive eine auf Wachstum ausgerichtete Stadtentwicklungspolitik als Treiberin einer Entwicklung verstanden werden, die die globale multiple Krise und ihre nicht nachhaltigen Folgen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich verschärft (vgl. Brondizio et al. 2016: 324). Auf Wachstum ausgerichtete Praktiken und Maßnah-
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men sollten daher durch solche ersetzt werden, die der multiplen Krise entgegenwirken und eine nachhaltige Entwicklung auf lokaler und globaler Maßstabsebene ermöglichen (vgl. Eraydin 2013: 3ff.).16 Für die Steuerung von Stadtentwicklungsprozessen durch öffentliche Akteur*innen ergibt sich daraus allerdings ein „persistent problem“17 (Loorbach et al. 2015: 49): Bürger*innen sind aufgrund ihrer ungleichen Verteilung innerhalb von Städten und ihrer divergierenden Lebenssituationen unterschiedlich stark von Krisen betroffen und können in unterschiedlichem Maße von Anpassungs- und Transformationsmaßnahmen profitieren (vgl. Meerow et al. 2016: 46, vgl. Eming 2013: 8ff.). Daher müssen Politiker*innen und Planer*innen Anpassungs- und Transformationsprozesse gemeinwohlorientiert steuern, wenn Maßnahmen zur Erhöhung Urbaner Resilienz auch im sozialen Bereich nachhaltig sein sollen.18 Um dementsprechend handeln zu können, sind sie allerdings vor allem auf die Gewerbesteuereinnahmen ansässiger Unternehmen angewiesen. Diese Einnahmen wiederum hängen vom wirtschaftlichen Wachstum in einer Stadt ab (vgl. Lamker / Schulze Dieckhoff 2020: 95, vgl. Selle 2005: 173). Außerdem könnte der Verlust von Arbeitsplätzen aufgrund einer Stagnation von wirtschaftlichen Wachstumsraten Unruhen auslösen und Krisen im sozialen Bereich wie Massenarbeitslosigkeit und Armut verschärfen (vgl. Kopatz 2018: 41f., vgl. Jackson 2017: 134f.). Die Abkehr von einer wachstumsorientierten Stadtentwicklungspolitik ist daher mit zahlreichen Ungewissheiten verbunden. Außerdem profitieren viele privatwirtschaftliche Akteur*innen von politischen Maßnahmen zur Förderung des Wirtschaftswachstums und nutzen ihren Einfluss auf Politiker*innen und die öffentliche Meinung, um solche Maßnahmen zu propagieren. Insgesamt dominieren „starke und veränderungsaverse Gegenwartsinteressen“ (Loske 2015: 30) den Politikbetrieb, die einer Abkehr vom Wachstumszwang entgegenstehen (vgl. Lamker / Schulze Dieckhoff 2020: 96, vgl. Brand/Wissen 2017: 172f.). Dennoch ist sie notwendig, wenn die globale multiple Krise und ihre nicht nachhaltigen Folgen im Sozialen, Ökonomischen und Ökologischen überwunden werden sollen (vgl. Schmelzer/Vetter 2020: 46ff, vgl. Loske 2015: 35.). Demnach erfordert eine zukunftsfähige Stadtentwicklung neue politische und planerische Strategien zur Überwindung des Wachstumszwangs bei gleichzeitiger gemeinwohlorientierter Steuerung von Anpassungs- und Transformationsprozessen im Sinne Urbaner Resilienz und einer nachhaltigen
16) Die dafür notwendigen Maßnahmen können nicht allein auf städtischer Ebene getroffen werden. Dazu müssen auch Staatsregierungen und internationale Organisationen entsprechende politische Entscheidungen auf nationaler und globaler Ebene treffen. Aber weil Städte eine Schlüsselfunktion in der globalen Entwicklung innehaben und treibende Kraft gesellschaftlicher Trends sind, müssen von ihnen die entscheidenden Impulse ausgehen (vgl. McPhearson et al. 2017: 1ff., vgl. Beck 2017: 215ff.). 17) „hartnäckiges Problem“ (eigene Übersetzung) 18) Unter Gemeinwohl verstehe ich das Wohlergehen der Bewohner*innen einer Stadt bei steigendem Ausgleich ihrer Lebensbedingungen in Bezug auf soziale, ökologische und ökonomische Aspekte. Welche Maßnahmen jeweils dem Gemeinwohl dienen, ist von Fall zu Fall von den Beteiligten und Betroffenen untereinander auszuhandeln (vgl. Selle 2016: 4, vgl. Beck 2009: 164). In jedem Fall ist es meines Erachtens die Aufgabe von Politiker*innen und Planer*innen, Stadtentwicklungsprozesse in enger Zusammenarbeit mit den daran Beteiligten dem Gemeinwohl entsprechend zu steuern (vgl. Burgdorff 2016: 16ff., vgl. Schuppert 2008: 189).
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Entwicklung auf lokaler und globaler Maßstabsebene. Um eine solche Entwicklung zu ermöglichen, ist eine nachhaltige Transformation wachstumsorientierter Stadtentwicklung notwendig – einschließlich der Planungs- und Steuerungsstrukturen öffentlicher Akteur*innen (vgl. McPhearson et al. 2017: 33ff., vgl. Kegler 2014: 59f.) (siehe Abbildung 3). Eine solche nachhaltige Transformation bedeutet einen tief gehenden Wandel urbaner Systeme und der Art und Weise, wie Städte derzeit entwickelt werden (vgl. Opielka 2017: 72f., vgl. McCormick et al. 2013: 4). Das schließt aus meiner Sicht mit ein, dass Politiker*innen und Planer*innen unabhängiger von renditeorientierten Unternehmen und dem Kapital von Investor*innen agieren können. Öffentliche Akteur*innen sind dafür auf eine deutlich engere Zusammenarbeit mit Bürger*innen angewiesen, als es derzeit üblich ist. Denn durch Kooperationen von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen können Städte unabhängiger von privatwirtschaftlichen Unternehmen und dem Kapital von Investor*innen entwickelt werden, wenn es gelingt, die Beiträge von Bürger*innen zur Resilienz und Nachhaltigkeit von Städten zu stärken (vgl. Loske 2015: 30f.). Wie Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gestaltet sein sollten, damit sie gemeinsam die Resilienz von Städten erhöhen können, steht im Mittelpunkt dieser Arbeit. Um diese Frage mit Aspekten der Nachhaltigkeit, der Wachstumsorientierung und des Gemeinwohls in der Stadtentwicklung zu kontextualisieren, nutze ich das zuvor dargestellte Verständnis einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung als Bezugsrahmen. Den darin enthaltenen Implikationen für die
WACHSTUMSORIENTIERTE STADTENTWICKLUNG
NACHHALTIGE TRANSFORMATION KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ
ZUKUNFTSFÄHIGE STADTENTWICKLUNG
NACHHALTIGE ENTWICKLUNG KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ
Abbildung 3: Schematische Darstellung einer nachhaltigen Transformation als Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung bei fortlaufender Koproduktion Urbaner Resilienz.
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Stadtplanung und Stadtentwicklungspolitik gehe ich allerdings nicht umfassend nach, denn die Beziehungen zwischen den Einzelaspekten Nachhaltigkeit, Resilienz, Gemeinwohlorientierung, Wachstumsüberwindung, Stadtplanung und -entwicklung sind zu vielfältig und zu komplex, um sie im Rahmen dieser Arbeit in vollem Umfang zu behandeln. Stattdessen habe ich die Fragestellung auf die Koproduktion Urbaner Resilienz durch öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen eingegrenzt. Bevor ich in Kapitel 2.3 genauer erläutere, was ich unter der Koproduktion Urbaner Resilienz verstehe, zeige ich zunächst auf, wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen zur Urbanen Resilienz beitragen können. Dabei nehme ich vor allem Bürger*innenorganisationen in den Blick, denn sie eignen sich aufgrund ihres Organisationsgrades im Vergleich zu losen Gruppen und Initiativen eher als strategische Partnerinnen für Politik und Verwaltung, um zusammen eine zukunftsfähige Stadtentwicklung umzusetzen.
2.2 BEITRÄGE VON BÜRGER*INNENORGANISATIONEN ZUR RESILIENZ VON STÄDTEN In den vergangenen Jahren sind in der westlichen Welt viele Bürger*innenorganisationen entstanden, deren Mitglieder durch ihre Tätigkeiten eine nachhaltige Transformation von Städten unterstützen und sie resilienter machen, indem sie die Anpassungsfähigkeit urbaner Teilsysteme an soziale, ökonomische und ökologische Krisen erhöhen (vgl. Frantzeskaki et al. 2016a: IV). Unter Bürger*innenorganisationen verstehe ich Organisationen, die von Stadtbewohner*innen gegründet wurden, um aktiv an der Entwicklung von Städten mitwirken zu können – oder genauer: um ihre Teilhabe an der Entwicklung von Städten selbst zu organisieren und Teilhaberechte einzufordern, wenn es dafür notwendig ist. Bürger*innenorganisationen im Bereich der Stadtentwicklung können etwa Wohngruppen, Sozialunternehmen, Kultur- und Bildungseinrichtungen, kleine Genossenschaften oder UrbanGardening-Vereine sein. Ihre Organisationsformen und Tätigkeitsbereiche sind vielfältig und überlappen sich mitunter. Auch die
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19) Stadträume verstehe ich als ein Produkt menschlichen Handelns. Gleichzeitig sind sie Grundlage für die (alltäglichen) Handlungen von Stadtbewohner*innen (siehe Kapitel 2.4). Auch Produkte (materielle Güter und nicht materielle Leistungen) werden von Menschen geschaffen. Um Produkte herstellen zu können, sind sie auf die Nutzung von Stadträumen angewiesen. Daher sind aus meiner Sicht die Produktion von Stadträumen und die Herstellung von Produkten eng aneinander geknüpft.
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Abgrenzung zu eher lose organisierten Gruppen wie stadtpolitischen Initiativen, Künstler*innenkollektiven und bereits etablierten Vereinen und Genossenschaften können unscharf sein. So sind im Falle des Gängeviertels aus der Besetzer*inneninitiative „Komm in die Gänge“ der Verein Gängeviertel e.V. und die Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG als Bürger*innenorganisationen hervorgegangen, die eng miteinander verwoben sind und gemeinsam an der Entwicklung des Gängeviertels mitwirken. Für Bürger*innenorganisationen ist es charakteristisch, dass die darin organisierten Stadtbewohner*innen eigene Ressourcen einbringen. Dazu zählen weniger finanzielle Mittel als kulturelles und soziales Kapital in Form von sozialen Beziehungen, Kreativität und Artikulationsstärke. Hinzu kommt ihre Arbeitskraft, die oft ehrenamtlich eingesetzt wird. Darauf aufbauend können Bürger*innen oft auch ökonomisches Kapital generieren, etwa durch Spendenaktionen, Crowdfunding oder Kredite (vgl. Patti/Polyak 2019: 312ff., vgl. Tonkiss 2014: 168ff.). Die Motive für das Engagement von Bürger*innen in solchen Organisationen sind vielfältig. Sie resultieren in der Regel aus einem starken individuellen Gestaltungswillen in Bezug auf das eigene Lebensumfeld und einem wahrgenommenen Mangel an Stadträumen (Quartiere, Plätze, Parks, Freiflächen etc.) und Produkten (materielle Güter und nicht materielle Leistungen), die dem von ihnen angestrebten Lebensstil gerecht werden (vgl. Jackson 2017: 210, vgl. Ring 2013: 15, vgl. Dahm/Scherhorn 2008: 108).19 Das Engagement von Bürger*innen kann mit einer Unzufriedenheit bezüglich der vorherrschenden Stadtentwicklung verbunden sein. Es beschränkt sich aber in den meisten Fällen nicht auf Protest dagegen. Im Vordergrund steht das Streben nach Selbstbestimmung und Selbstorganisation, um Stadträume nach den eigenen Vorstellungen zu gestalten und Produkte herzustellen, die im Rahmen des üblichen marktwirtschaftlichen Angebots nicht erworben werden können (vgl. Vollmer 2018: 127ff., vgl. Engel/Knieling 2018: 19ff.). Damit verbunden ist oftmals das Ziel, diese Stadträume und Produkte auch selbst zu nutzen. Hinzu kommt mitunter der Wunsch, sich durch solches Engagement eine ökonomische Lebensgrundlage aufzubauen. So leisten Bürger*innen Beiträge zur Stadtentwicklung, die durch renditeorientierte Projektentwicklungen und privatwirtschaftliche Unternehmen nicht geschaffen werden. Diese Beiträge sind zumeist durch partikulare Interessen motiviert. Sie können aber auch für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwick-
lung positive Effekte haben, indem dadurch die Lebensqualität in Städten für ein breites Spektrum an Bürger*innen erhöht wird (vgl. Willinger 2014: 149). Darüber hinaus können sie eine zukunftsfähige Stadtentwicklung unterstützen, indem sie auf vielfältige Weise zur Urbanen Resilienz und einer nachhaltigen Transformation von Städten beitragen. Im Folgenden zeige ich solche Beiträge von Bürger*innenorganisationen in Bezug auf verschiedene urbane Teilsysteme auf (Energieversorgung, Verkehrssystem, Gebäudebestand etc.). Dabei orientiere ich mich an den in Kapitel 2.1 genannten Merkmalen, die in der Stadt- und Raum- sowie Landschaftsplanung als Indikatoren für die Resilienz von urbanen Systemen benannt wurden. Diese ordne ich nach Redundanz und Modularität (1), Diversität (2), Vernetzung (3), Mehrfunktionalität (4), Innovation (5) und Selbstorganisation (6). Bei meiner Darstellung wird im Folgenden deutlich, dass die verschiedenen Resilienz-Merkmale zusammenhängen und dass die Beiträge zur Urbanen Resilienz durch eine Bürger*innenorganisation zumeist mehreren Merkmalen entsprechen. Da Resilienz immer fallspezifisch im Kontext der gesamtstädtischen Entwicklung betrachtet werden muss (vgl. McPhearson et al. 2016: 208), beschränke ich mich auf eine exemplarische Darstellung anhand verschiedener Beispiele. Außerdem nehme ich Bezug zum Untersuchungsgegenstand, um auf die Beiträge zur Urbanen Resilienz durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels zu verweisen. In Kapitel 4 erfolgt eine vertiefende Darstellung in Bezug auf das Gängeviertel und die Potenziale, die sich daraus für eine nachhaltige Transformation der Stadtentwicklung in Hamburg ergeben.
2.2.1 REDUNDANZ UND MODULARITÄT Die Merkmale Redundanz und Modularität sind eng verwoben und werden daher an dieser Stelle zusammen thematisiert. Redundante Systeme verfügen über mehr Komponenten, als für ihr Funktionieren im Normalfall notwendig sind. So können im Falle einer Störung Leistungsausfälle im System von anderen Komponenten gepuffert und funktionale Krisen vermieden werden.
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Dadurch sind redundante Systeme resilienter als solche, deren Komponenten auf das für die Funktionalität notwendige Minimum reduziert sind. Die einzelnen Komponenten müssen allerdings eigenständig funktionieren können, um Leistungsausfälle auszugleichen, wofür das Merkmal der Modularität steht. Urbane Infrastrukturen in der westlichen Welt sind zumeist nicht redundant und modular, sondern auf Effizienz ausgelegt und zentralisiert. Das kann im Falle einer Störung schnell zu einer Krisensituation führen (vgl. Ahern 2013: 1209, vgl. Kegler 2014: 51). Wenn zum Beispiel die Energieversorgung einer Stadt von einem einzigen Kraftwerk abhängt, kommt es im Falle einer Störung eher zu einer Krise der Energieversorgung, als wenn mehrere Kraftwerke zur Verfügung stehen. Dem gegenüber steht eine resiliente Energieversorgung mit vielen kleineren Kraftwerken, die in das Stromnetz einspeisen können, um ausgefallene Leistungen auszugleichen. Energiegenossenschaften tragen zu solchen Versorgungsstrukturen bei, denn ihre Kleinkraftwerke sind zumeist redundant zu kommunalen oder privatwirtschaftlichen Anlagen und sie funktionieren unabhängig voneinander, wodurch Redundanz und Modularität des Energiesystems steigen. Darüber hinaus setzen Energiegenossenschaften in vielen Fällen alternative Energieträger und Technologien ein und erhöhen so auch die Diversität des Energiesystems. Da die eingesetzten Technologien und Energieträger zumeist auch klima- und ressoucenschonender sind, können sie eine nachhaltige Transformation von Städten im Bereich der Energieversorgung unterstützen und so einen Beitrag zur Energiewende leisten (vgl. Klemisch 2014: 154f., vgl. Schröder/ Walk 2013: 110). Ähnliche Ziele verfolgt das Gängeviertel in Bezug auf die Energieversorgung der Gebäude. Die Aktiven möchten im Zuge der Sanierung ein Nahversorgungsnetz installieren, um den eigenen Wärme- und Strombedarf durch ein lokales Blockheizkraftwerk (BHKW) zu decken. Überschüssiger Strom soll in das stadtweite Netz eingespeist werden. Dahinter steckt das Bestreben, unabhängig vom Fernwärmenetz und der Energieproduktion durch Kohlekraftwerke in Hamburg zu sein, da diese laut den Aktiven nicht nachhaltig und umweltschädlicher sind als ein BHKW. An dem Beispiel zeigt sich, dass Bürger*innen Güter und Leistungen schaffen können, die redundant zu bestehenden Angeboten von staatlicher und wirtschaftlicher Seite sind, weil sie sich nicht primär nach hoheitlicher Versorgungsplanung und finanzieller Gewinnmaximierung richten (vgl. Dahm/Scherhorn 2008: 98).
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Des Weiteren schöpfen sie in vielen Fällen aus lokal eingebetteten Ressourcen wie sozialen Netzwerken in der Nachbarschaft und sie organisieren sich selbst, wodurch sie zur Modularität von urbanen Teilsystemen beitragen können (vgl. ebd.: 111ff., vgl. Wegner 2011: 190f.). Solch ein Beispiel für Redundanz und Modularität im Pflegesystem einer Stadt sind Senior*innengenossenschaften. Sie bieten durch lokal eingebettete solidarische Strukturen eine Alternative zu den Angeboten renditeorientierter Pflegeunternehmen und agieren unabhängiger von staatlicher Pflegepolitik. So können sie dazu beitragen, dass trotz der alternden Gesellschaft das Pflegesystem lebenswerter wird (vgl. Elsen 2014: 42ff.). Auch das Gängeviertel ist genossenschaftlich organisiert. Zwar ist Altenpflege in dem recht jungen Projekt (noch) kein Thema. Es ist aber eine lokale und selbstorganisierte Struktur vorhanden, die entsprechende Möglichkeiten bietet, denn laut ihrer Satzung kann die Genossenschaft Leistungen und Nutzflächen für soziale, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen und Dienstleistungen anbieten (vgl. GG 2011: o.S.).
2.2.2 DIVERSITÄT Die Diversität eines Systems ermöglicht es, verschiedenartig auf Krisen zu reagieren und es eher an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, weil mehrere Handlungsoptionen zur Verfügung stehen. Das gilt für so unterschiedliche Dinge wie Wirtschaftszweige, Institutionen, Informationsquellen, biologische Arten etc. (vgl. Kegler 2014: 51). Bürger*innenorganisationen können die Diversität von urbanen Teilsystemen erhöhen, etwa wenn ein soziales Unternehmen Leistungen und Güter anbietet, die für einen renditeorientierten Betrieb nicht attraktiv sind (vgl. Hackenberg/ Empter 2011: 11ff.). Zum Beispiel bietet das Künstler*innenkollektiv N55 Lastenräder an, die günstiger sind als vergleichbare Produkte. Dadurch werden Lastenräder für einen größeren Personenkreis erschwinglich (vgl. De Decker / van Bostraeten 2014) (siehe Abbildung 24). Ihr Einsatz im Straßenverkehr erhöht die Diversität des von Kraftfahrzeugen dominierten Verkehrssystems, wodurch es weniger störungsanfällig ist, etwa im Falle von Kraftstoffmangel. Dabei wird gleichzeitig ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet, da Lasten auf kurzen Distanzen ohne CO -Ausstoß und bei deutlich 2
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geringerem Verbrauch endlicher Ressourcen transportiert werden können. Die Räder werden in Werkstätten im Gängeviertel und in Kopenhagen gefertigt. Außerdem können die Bauanleitungen im Internet kostenlos heruntergeladen werden, damit Nutzer*innen die Räder im Selbstbau herstellen können. Dadurch kann auch die Redundanz und Modularität des Verkehrssystems erhöht werden, da Werkstätten entstehen können, in denen Lastenräder selbst produziert und repariert werden. Durch Unternehmen, die nicht primär renditeorientiert sind, wird auch das Wirtschaftssystem einer Stadt diverser. Sie bieten zum Beispiel soziale Dienstleistungen und kulturelle Angebote auch dann an, wenn sich dadurch kaum Gewinne erzielen lassen, etwa während ökonomischer Krisen und bei sinkender Kaufkraft der Stadtbevölkerung. Dadurch erhalten sie zumindest teilweise die Lebensqualität in einer Stadt (vgl. Ahern 2011: 342). In einigen Fällen basieren solche Unternehmen auf Sharing-Praktiken und solidarischen Wirtschaftsmodellen. Somit zeigen sie auf lokaler Maßstabsebene ökonomische Alternativen zu wachstumsabhängigen Wirtschaftsformen auf und tragen zu einer nachhaltigen Transformation urbaner Wirtschaftssysteme bei (vgl. Longhurst et al. 2016: 69). Das gilt auch für das Gängeviertel, denn es wird auf Basis eines solidarischen Wirtschaftsmodells betrieben: Flächen werden vom Verein und der Genossenschaft ausschließlich für Nutzungen vergeben, die nicht primär gewinnorientiert sind. Alle Nutzer*innen gehören mindestens einer der beiden Organisationen an und profitieren vom ehrenamtlichen Engagement der Aktiven, denn durch die entfallenden Löhne sind die Mietpreise geringer. Das trägt dazu bei, dass Nutzer*innen wie N55 geringere Fertigungskosten haben und ihre Produkte relativ günstig anbieten können.
2.2.3 VERNETZUNG Vernetzung gilt als wesentliche Voraussetzung dafür, dass Systeme Störungen kompensieren und infolge von Krisen angepasst werden können, denn erst durch die Vernetzung der Komponenten eines Systems können sie sich im Falle einer Störung unterstützen und so funktionale Krisen verhindern. Insbesondere durch die Vernetzung andersartiger Systemkomponenten können Systeme anpassungsfähiger werden, denn dadurch stehen im Falle
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einer Störung mehrere Handlungsoptionen zur Verfügung. Daher gilt Vernetzung in der Forschung zu Urbaner Resilienz als eine zentrale Voraussetzung für die Anpassungsfähigkeit von Städten und wird sowohl auf physisch-materielle Infrastrukturen bezogen wie auch auf soziale Netzwerke (vgl. Sharifi et al. 2017: 8ff., vgl. Ahern 2011: 342f.). Für Bürger*innenorganisationen ist Vernetzung vor allem im sozialen Bereich relevant, um sich produktiv in Stadtentwicklungsprozesse einbringen zu können. Denn durch ihre Vernetzung innerhalb von Stadtteilen und darüber hinaus sowie über Interessensgruppen hinweg können sie aus diversen Wissensbeständen neue Handlungsansätze entwickeln und unterschiedliche Ressourcen bündeln. Des Weiteren ist der Austausch mit öffentlichen Akteur*innen, die Genehmigungen erteilen oder politische Unterstützung leisten, zentral. Zum Beispiel kann die Zwischen- oder Umnutzung größerer Immobilien durch heterogene Nutzer*innenkollektive und mithilfe von Politiker*innen sowie Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen eher gelingen als durch Einzelpersonen ohne Kontakte zur Stadtverwaltung und Politik. Gemeinsam können so Teile des Gebäudebestands einer Stadt an Bedürfnisse und Nutzungsinteressen von Bürger*innen angepasst werden. In vielen Fällen intensivieren und erweitern sich soziale Netzwerke im Zuge solcher Aktivitäten, etwa indem sich Nutzungscluster in einem Stadtteil herausbilden (vgl. Oswalt et al. 2013: 55f.). Da die Zwischen- und Umnutzung von Gebäuden im Vergleich zu Abriss und Neubau in vielen Fällen ressourcenschonender ist, kann dadurch eine nachhaltige Transformation des Gebäudebestands vorangetrieben werden, indem leer stehende Immobilien ressourcenschonend reaktiviert werden und die soziale Diversität von Stadtteilen erhöht wird (vgl. Ziehl 2014: 65ff.). Des Weiteren kann es Bürger*innenorganisationen durch die Vernetzung mit Stadtteilinitiativen und Politiker*innen gelingen, auf hoheitliche Planungen und Neubauvorhaben Einfluss zu nehmen. Dadurch können auch Bauvorhaben von Bürger*innen mitgestaltet und an ihre Bedürfnisse angepasst werden, beispielsweise bei der Planbude in Hamburg (vgl. Ziemer 2016: 312ff.) und beim Haus der Statistik in Berlin (vgl. Schmidt et al. 2016: 19ff.). Auch bei der Sanierung des Gängeviertels ist seitens der Aktiven die Vernetzung mit Personen und Initiativen wichtig, die über diverses Wissen und Ressourcen verfügen – zum Beispiel um externe Berater*innen in den Kooperationsprozess einbinden zu können oder um öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen. Dazu zähl-
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te bereits die Besetzung des Gängeviertels. Durch die stadtweite Vernetzung der Aktiven mit Künstler*innen, Stadtplaner*innen, Anwält*innen etc. ist es gelungen, die rund 200 Besetzter*innen und rund 3.000 Besucher*innen am Besetzungswochenende zu mobilisieren und die Aktion so zu gestalten, dass sie bei einem breiten Spektrum der Hamburger Stadtgesellschaft Anklang fand. Des Weiteren hat der Wissensaustausch im Hamburger „Recht auf Stadt“-Netzwerk – zu dem auch das Gängeviertel zählt – maßgeblich dazu beigetragen, den Senat durch öffentlichkeitswirksame Aktionen unter Druck zu setzen und so den Rückkauf des Gängeviertels vom Investor durch die Stadt Hamburg zu befördern (vgl. Füllner/Templin 2011: 88ff.).
2.2.4 MEHRFUNKTIONALITÄT Mehrfunktionale Systeme sind nicht auf eine einzige Funktion spezialisiert, sondern vielfältig nutzbar. Wenn sie vernetzt sind, können mehrfunktionale Systeme Funktionen eines anderen Systems kompensieren, falls dieses aufgrund einer Störung beeinträchtigt wird, und dadurch Krisen entgegenwirken. Mit Blick auf die Resilienz von Städten ist insbesondere die Mehrfunktionalität von Stadträumen relevant, denn urbane Teilsysteme überlagern sich in den verschiedenen Räumen einer Stadt (siehe Kapitel 2.4). Durch die physische und soziale Vernetzung verschiedener urbaner Teilsysteme entstehen multifunktionale Stadträumen, die vielseitig genutzt werden können. Dadurch können sie Funktionen von anderen Stadträumen übernehmen, falls diese nicht mehr zugänglich bzw. nutzbar sind – etwa weil ein Stadtteil überflutet wurde oder weil eine öffentlich zugängliche Einrichtung schließen musste. Darüber hinaus trägt die Mehrfunktionalität von Stadträumen maßgeblich zu einer effektiven Flächennutzung bei, weil mehrere Funktionen auf derselben Fläche Platz finden können. Mehrfunktionalität fördert also eine kompakte und vielseitig nutzbare Stadtstruktur und unterstützt eine nachhaltige Transformation von Städten, indem dadurch der Flächenverbrauch verringert wird (vgl. Ahern 2011: 342). Bürger*innenorganisationen schaffen in vielen Fällen solche Räume, die nicht auf einen einzigen Zweck ausgerichtet sind, sondern mehrere Funktionen gleichzeitig oder in zeitlichem Wechsel übernehmen können. Zum Beispiel kann
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ein urbaner Garten sowohl der Nahrungsmittelversorgung, der Bildung, der Erholung und als sozialer Treffpunkt von Stadtbewohner*innen dienen (vgl. Müller 2012: 267ff.). So wird die Funktionalität des urbanen Freiflächensystems vervielfacht. Darüber hinaus erhöhen die Flora und Fauna von urbanen Gärten die Biodiversität in Städten und tragen so zu deren Nachhaltigkeit im ökologischen Bereich bei. Auch im Gängeviertel konzentrieren sich Nutzungen auf kleiner Fläche, indem diese flexibel und kompakt genutzt wird. So finden Treffen der Aktiven auch mal in Gemeinschaftsküchen statt, Diskussionsveranstaltungen in Galerien und Konzerte auf den Außenflächen. Im zentralen Gebäude des Gängeviertels – dem soziokulturellen Zentrum Fabrique – finden zahlreiche Nutzungen in fünf Stockwerken Platz: ein Fotostudio, ein Seminarraum, eine Probebühne, ein Bewegungsraum, eine Radiostation, eine Siebdruckwerkstatt, eine Küche, eine Galerie und ein multifunktionaler Veranstaltungsraum. Hinzu kommt, dass viele der Bewohner*innen des Gängeviertels dort oder in der Nähe arbeiten. Durch die Verbindung von Wohnen und Arbeiten können autofreie und damit ressourcenschonende Lebensstile unterstützt werden, die zu einer nachhaltigen Transformation der Stadt beitragen können, indem aufgrund relativ kurzer Wege Pendelverkehr reduziert und Fahrradfahren attraktiver wird (vgl. Uhlmann/Plank-Wiedenbeck 2020: 178f.).
2.2.5 INNOVATION Innovationen sind Grundvoraussetzungen für die Resilienz einer Stadt, denn damit die Anpassung oder Transformation eines urbanen Teilsystems an Störungen und Krisen gelingt, müssen in der Regel neue Produkte entwickelt und neue Maßnahmen umgesetzt werden (vgl. Ahern 2011: 343). Soziale und technische Aspekte können dabei eng verwoben sein und in beiden Bereichen tragen Bürger*innen durch innovative Produkte und Praktiken zur Resilienz von Städten bei. Zum Beispiel stellen sie in verschiedenen Formen offener Werkstätten neuartige Güter selbst her (Do It Yourself – DIY), fertigen aus gebrauchten Gegenständen etwas Neues (Upcycling) oder etablieren neue Formen des Teilens, um Maschinen oder Werkzeuge gemeinsam nutzen zu können (Sharing). Dabei entstehen in vielen Fällen lokale Gemeinschaften und
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neue Räume wie Co-Working-Spaces oder Fablabs. So etablieren Bürger*innen neuartige Arbeitsformen und gemeinschaftliche Produktionspraktiken, die sich von der dominierenden Güter- und Leistungsproduktion durch privatwirtschaftliche Unternehmen unterscheiden (vgl. Lange/Domann 2017: 23ff., vgl. Lange et al. 2016: 18ff.). Dabei schöpfen sie oft aus lokal eingebetteten Ressourcen wie sozialen Beziehungen in Nachbarschaften oder den Potenzialen eines bestimmten Ortes. Indem sie Räume untereinander vernetzen, entstehen dezentral organisierte Netzwerke zur Selbstversorgung. Dadurch können sich Stadtbewohner*innen im Krisenfall besser selbst versorgen, etwa indem sie Güter des alltäglichen Bedarfs wie Möbel und Kleidung im Falle einer Störung von Logistik- oder Versorgungsystemen selbst herstellen, reparieren und unter sich verteilen (vgl. Vaiou/Kalandides 2016: 63ff., vgl. Manzini 2013: 75). In Bezug auf eine nachhaltige Transformation von Städten ist des Weiteren relevant, dass in vielen offenen Werkstätten und Fablabs neue Produkte und Praktiken ausprobiert und entwickelt werden, um dadurch nachhaltigere Lebensstile und Produktionsweisen zu unterstützen (vgl. Wind 2016: 107). Dieses Anliegen verfolgen auch die Aktiven im Gängeviertel in Bezug auf die Gebäudesanierung. Sie setzen sich dafür ein, dass die Sanierung der Gebäude zum Testen von neuen Sanierungspraktiken und -techniken genutzt wird, die von einigen Expert*innen als substanz- und umweltschonender angesehen werden als Standardverfahren nach DIN. Demnach soll Schwamm in den Gebäuden durch eine Hitzebehandlung statt durch den Austausch von befallenen Bauteilen bekämpft werden. Statt der üblichen Fassadendämmung mit Platten aus Polystyrol-Hartschaum fordern sie den Einsatz von umweltschonenderen Materialien in Kombination mit Wandheizungen. Bisher wurden diese Maßnahmen allerdings nicht umgesetzt, da sie teurer sind als Standardverfahren oder von den für die Sanierung Hauptverantwortlichen (Sanierungsträgerin, Architekturbüro) abgelehnt wurden. Um eine nachhaltige Transformation voranzutreiben, ist in der Resilienz- und Nachhaltigkeitsforschung das Konzept der „sozialen Innovation“ zentral. Der Begriff bezeichnet Produkte, Prozesse und Programme, die zur Veränderung von Überzeugungen, Routinen und Machtverhältnissen innerhalb von sozialen Systemen beitragen. Solche Innovationen haben in vielen Fällen Veränderungen im sozialen Bereich zum Ziel, etwa neue Möglichkeiten zur Mitbestimmung in der Stadtentwicklung durch Bürger*innen
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(vgl. Westley et al. 2014: 235ff.). Bürger*innenorganisationen geben vielerorts den Anstoß für derartige soziale Innovationen. Zum Beispiel sind in Barcelona durch das Engagement von Bürger*innen in zwei leer stehenden Fabriken neue Kultureinrichtungen entstanden. Die Einrichtungen arbeiten mit der Stadtverwaltung zusammen und werden von dieser gefördert. Dadurch haben sich Netzwerke von Akteur*innen aus Politik, Stadtverwaltung, der Nachbarschaft und Aktivist*innen gebildet. Sozial innovativ ist daran, dass die neuen Netzwerke auch dazu genutzt werden, die Stadtteile, in denen die Einrichtungen liegen, kooperativ zu entwickeln und den Anwohner*innen mehr Mitbestimmung dabei zu ermöglichen (vgl. García et al. 2015: 93ff.). Die Kooperation zwischen der Stadt Hamburg und den Aktiven des Gängeviertels weist Parallelen dazu auf, denn auch im Fall des Gängeviertels hat sich aus der Initiative von Bürger*innen ein neues Netzwerk gebildet, an dem Akteur*innen aus Politik und Verwaltung maßgeblich beteiligt sind. Dessen Ziel ist es, das Gängeviertel als selbstverwaltetes Projekt für kulturelle und soziale Nutzungen in der Hamburger Innenstadt zu entwickeln. Dabei arbeitet die Stadt Hamburg deutlich intensiver mit dem Verein und der Genossenschaft des Gängeviertels zusammen, als es für Sanierungsverfahren im Eigentum der Stadt Hamburg üblich ist (vgl. FHH 2011).
2.2.6 SELBSTORGANISATION Selbstorganisation als Resilienz-Merkmal steht für weitgehend selbstständige, unabhängige Systeme und gilt als entscheidende Voraussetzung für dessen Anpassungs- und Transformationsfähigkeit. Demnach können sich selbstorganisierte Systeme umso besser aus sich selbst heraus anpassen oder transformieren, je weniger sie von äußeren Faktoren abhängig sind. In der Resilienz-Forschung wird Selbstorganisation vor allem auf soziale Netzwerke und Gemeinschaften (Community Resilience) bezogen. Demzufolge organisieren sich Menschen vor allem in Krisensituationen selbst, um für sie negative Auswirkungen gemeinschaftlich zu bewältigen (vgl. Sharifi et al. 2017: 2). Das geschieht häufig zur Selbsthilfe, wenn bestehende Versorgungs- und Verwaltungsstrukturen nicht mehr funktionieren – zum Beispiel nach Naturkatastrophen (vgl. John/Kagan 2014: 74) oder während der
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20) Viele Sozialwissenschaftler*innen kritisieren am Resilienz-Begriff, dass er aufgrund der positiven Konnotation gemeinschaftlicher Selbstorganisation von Politiker*innen genutzt wird, um im Zuge neoliberaler Politikprogramme den Rückzug des Staates aus sozialen Dienstleistungen zu rechtfertigen. Dabei wird der Resilienz-Begriff vielfach herangezogen, um die Verantwortung zur Bewältigung von Krisen und ihren Folgen verbal auf Bürger*innen zu übertragen, da diese in der Lage seien, sich selbst zu helfen (vgl. Pratt 2015: 62, vgl. Davoudi 2012: 305). Gleichzeitig wird der Begriff von Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen auf selbstorganisierte Gruppen angewendet, die sich gegen neoliberale Politikprogramme einsetzen, weil sie aus ihrer Sicht einer sozial gerechteren Gesellschaft entgegenstehen (vgl. Kagan 2016, vgl. Petrescu et al. 2016, vgl. Exner 2013: o.S., vgl. Hopkins 2011: 15). Daran zeigt sich die Unbestimmtheit des Resilienz-Begriffs in öffentlichen und fachlichen Diskursen über soziale Sicherungssysteme und die Selbstorganisation von Bürger*innen. 21) Commons sind Formen der selbstorganisierten und gemeinschaftlichen Produktion, Nutzung und Verteilung von Ressourcen, wobei keine marktwirtschaftlichen und staatlichen Regulierungsmechanismen angewendet werden. „In ihrer emanzipatorischen Idealform verwirklichen Commons die Überwindung von Privateigentum, Knappheit, Lohnarbeit, Wettbewerb und Markt.“ (Exner/Kratzwald 2012: 23)
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Finanzkrise ab 2007 (vgl. Kopatz 2018: 331, vgl. Vaiou/Kalandides 2016: 63ff.).20 Aber nicht nur bei akuten Störungen oder in Krisenzeiten kann die Selbstorganisation von Bürger*innen die Resilienz in einer Stadt erhöhen. Indem sie sich im Alltag selbst organisieren, schaffen Bürger*innen Alternativen zu staatlichen und privatwirtschaftlichen Organisationsstrukturen und können auf dieser Grundlage ihre Selbstversorgung mit Gütern und Leistungen weitgehend frei vom Markt und von staatlichen Institutionen selbst regeln, etwa in Form von Commons21 oder einer solidarischen Ökonomie (vgl. Exner/Kratzwald 2012: 23ff.). Zum Beispiel erzeugen selbstorganisierte Wohnprojekte in vielen Städten neuen Wohnraum, den sie gemeinsam verwalten. Dabei schaffen sie gemeinschaftliche Wohnformen, die sich vom bestehenden Wohnraumangebot unterscheiden, und erhöhen so die Diversität der Wohnraumversorgung in einer Stadt. Außerdem können sie zu einer nachhaltigen Transformation von Städten beitragen, etwa indem sie mit nachhaltigen Bauweisen experimentieren, Ressourcen einsparen und den Flächenverbrauch reduzieren, wenn sie Räume gemeinschaftlich nutzen (vgl. Görgen 2018: 131f., vgl. Id22 2012: 16). Auch im Gängeviertel haben sich die Nutzer*innen selbst organisiert. Die Aktiven betreiben das Gängeviertel weitgehend gemeinschaftlich, arbeiten größtenteils ehrenamtlich und organisieren sich in offenen und basisdemokratischen Strukturen (Verein, Genossenschaft, Vollversammlungen etc.). Des Weiteren ist die Selbstorganisation von Governance-Netzwerken ein relevanter Faktor, damit urbane Teilsysteme anpassungsfähig sind, wie ich im folgenden Kapitel ausführe. Darin erläutere ich, inwiefern die vielfältigen Beiträge von Bürger*innen zur Urbanen Resilienz und zu einer nachhaltigen Transformation von Städten durch Kooperationen von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Rahmen von Governance-Netzwerken gestärkt werden können. Dabei ziehe ich theoretische und praxisbezogene Texte zu Resilienz, Governance, Planung und Stadtentwicklungspolitik heran, um mit Blick auf eine zukunftsfähige Stadtentwicklung auch auf Chancen und Probleme solcher Netzwerke einzugehen.
2.3 KOOPERATIONEN ZUR KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ IM RAHMEN VON GOVERNANCE-NETZWERKEN Meines Erachtens erfordert eine zukunftsfähige Stadtentwicklung, dass die Beiträge von Bürger*innen zur Urbanen Resilienz und zu einer nachhaltigen Transformation von Städten, wie sie im vorherigen Kapitel exemplarisch dargestellt wurden, gestärkt werden. Demnach müssen Politikbetrieb und Verwaltungsapparate die Handlungsfähigkeit und Eigeninitiative von Bürger*innen fördern, damit diese Ressourcen und soziales Kapital besser in die Stadtentwicklung einbringen können (vgl. Hahne 2018: 50, vgl. Petrescu et al. 2016: 720, vgl. Bovaird/Loeffler 2016: 160ff.). Zentral ist dabei aus meiner Sicht die Koproduktion von Räumen und Produkten (einschließlich materieller Güter und nicht materieller Leistungen) durch öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen. Der Begriff Koproduktion wurde maßgeblich von der Wirtschaftswissenschaftlerin und Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom geprägt. Er steht für Prozesse, in deren Verlauf Güter und Leistungen durch Beiträge von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen unterschiedlicher Organisationen hergestellt werden. Dieses Zusammenwirken erfordert laut Ostrom nicht unbedingt, dass sich die Beteiligten auf gemeinsame Ziele verständigen und untereinander abstimmen, es kann auch indirekt und unkoordiniert erfolgen. In jedem Fall aber bringen die Beteiligten eigene Ressourcen ein und kontrollieren Teilbereiche des Koproduktionsprozesses weitgehend unabhängig voneinander (vgl. Ostrom 1996: 1073ff.). Dementsprechend verstehe ich unter der Koproduktion Urbaner Resilienz ein mehr oder weniger koordiniertes Zusammenwirken von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, wodurch Räume und Produkte entstehen, die die Resilienz von urbanen Teilsystemen erhöhen und zu einer nachhaltigen Transformation von Städten beitragen. Laut Klaus Selle, Planungstheoretiker und Professor für Raumund Stadtplanung, sind Bürger*innen per se Koproduzent*innen in der Stadtentwicklung, indem sie Räume in den Städten nutzen, Güter und Leistungen produzieren und so die Entwicklung
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von Städten mit beeinflussen (vgl. Selle 2010: 59). Zur Lösung konkreter Aufgaben kann es notwendig sein, dass mehrere Akteur*innen ihr Handeln aufeinander abstimmen und miteinander kooperieren. Dabei geht es ihnen um gemeinsame Ziele, die die Kooperationspartner*innen alleine nicht erreichen können, weshalb sie ihr Handeln koordinieren und zusammenarbeiten (müssen) (vgl. Werner 2012: 70f.). Im Vergleich zur Partizipation, wobei Bürger*innen an den Planungen öffentlicher Akteur*innen einseitig beteiligt werden, stehen Kooperationen für ein wechselseitiges Zusammenarbeiten und damit für ein deutlich intensiveres Zusammenwirken in der Stadtentwicklung. So gesehen sind sowohl Kooperation als auch Partizipation verschiedene Modi von Koproduktionsprozessen. Allerdings zeigt sich angesichts aktueller Herausforderungen in der Stadtentwicklung immer häufiger, „dass öffentliche Akteure allein die Aufgaben der Stadtentwicklung nicht bearbeiten können. Insofern wandelt sich die klassische Partizipation vielfach zur Kooperation – und bei dieser ist stets zu fragen, welchen Problemlösungsbeitrag alle Beteiligten beisteuern können.“ (Selle 2005: 519) In Bezug auf die Koproduktion Urbaner Resilienz gilt, dass Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Stadtverwaltungen auf die Beiträge von Bürger*innen angewiesen sind, denn ohne Bürger*innen, die aus eigener Motivation heraus Räume entwickeln und neue Produkte herstellen, fehlen konkrete Projekte, die unterstützt und woran politische und planerische Maßnahmen ausgerichtet werden können. Andererseits sind Bürger*innen auf Unterstützung aus der Politik und der Verwaltung angewiesen, denn ihre Beiträge zur Urbanen Resilienz erfolgen bloß vereinzelt und sind in vielen Fällen nicht langfristig gesichert, weshalb sie ohne unterstützende Maßnahmen seitens Politik und Verwaltung nur wenig bewirken können (vgl. Loske 2015: 25). Daher erfordert die Koproduktion Urbaner Resilienz angesichts der multiplen Krise und ihrer Folgen wie Klimawandel, Finanzkrisen und wachsender sozialer Disparitäten meines Erachtens Kooperationen von zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen in der Stadtentwicklung mit dem Ziel, Städte gemeinsam resilienter zu machen und nachhaltig zu transformieren. In vielen Fällen allerdings blockieren mangelnde Empathie und unterschiedliche Handlungsrationalitäten der Beteiligten solche Kooperationen, wie ich im Folgenden ausführe. Öffentliche Akteur*innen geben üblicherweise bürokratische Verfahren und Organisationsstrukturen vor, die vor allem auf die
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Logik staatlicher Institutionen und Organisationen zugeschnitten sind und nicht auf die von Bürger*innen (vgl. Graeber 2016: 101, vgl. Derlien et al. 2011: 212). Infolge dessen prägen oftmals ein Mangel an Empathie und Kommunikationsbarrieren die Zusammenarbeit zwischen den Beteiligten (vgl. Steinberg 2014: 45f., vgl. Gualini 2010: 3). Dadurch kann es zum Rückzug von Bürger*innen und zu Protest gegen die Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung kommen, wobei vor allem Konflikte im Mittelpunkt stehen und weniger der Wille, Städte gemeinsam zu entwickeln. Außerdem stehen viele Bürger*innen Kooperationen mit öffentlichen Akteur*innen misstrauisch gegenüber, weil sie die Erfahrung gemacht haben, dass Politiker*innen und Planer*innen ihren Forderungen und Vorschlägen nicht oder nur in sehr geringem Maße nachkommen, wenn diese nicht mit hoheitlichen Planungen konform sind. Mitunter befürchten sie auch eine Instrumentalisierung für eine Stadtentwicklungspolitik, die nicht ihren Zielen entspricht und scheuen Kooperationen, weil sie fürchten, dadurch von öffentlichen Akteur*innen vereinnahmt zu werden (vgl. Mayer 2020: 72ff., vgl. Hamedinger 2020: 6f., vgl. Misselwitz 2017: 24, vgl. Gualini 2010: 8).22 Wie eine Untersuchung zu Bürger*innenorganisationen zeigt, die sich in Europa für eine nachhaltige Transformation von Städten einsetzen, scheuen viele Bürger*innen daher die Kooperation mit Behörden. Hinzu kommt, dass sie oftmals mit ihrem Engagement und der Finanzierung ihrer Aktivitäten bereits voll ausgelastet sind. Daher möchten sie zusätzliche Verantwortung und mehr Arbeitsaufwand vermeiden, der durch die Zusammenarbeit mit Behörden entstehen kann (vgl. Frantzeskaki et al. 2016b: 45f.). Teilweise wollen sich Bürger*innen aber auch nicht auf die komplexen Handlungszusammenhänge einlassen, an die Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen gebunden sind. Dazu zählen gesetzliche Vorgaben, demokratische Verfahren sowie langwierige Entscheidungsprozesse innerhalb von Behörden (vgl. Berger/Ziemer 2017: 12). Dennoch kommt es in der Stadtentwicklung in zunehmenden Maße zur Kooperation von zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen in Form von Governance-Netzwerken. Der Begriff Governance umfasst Verfahren zur Steuerung, Prozesse zur Entscheidungsfindung und das Koordinieren von Handlungen von verschiedenen Akteur*innen durch die öffentliche Hand, um auf sozialräumliche Entwicklungen einzuwirken. Dabei kommt es oft zu einer hybriden Form des Regierens zwischen politischer und
22) Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist insbesondere zu kritisieren, dass es bei der Koproduktion von öffentlichen Leistungen zur Instrumentalisierung von Bürger*innenorganisationen kommen kann, wenn diese Folgen des staatlichen Rückzugs aus sozialen Versorgungssystemen durch ihre Kapazitäten zur Selbstorganisation kompensieren (vgl. Swyngedouw 2005: 1995ff., vgl. Rose 1996: 352). Ein Beispiel dafür sind die „Tafeln“, wo gespendete Nahrungsmittel an Menschen mit niedrigem Einkommen verteilt werden. Während die Bundesregierung seit Beginn der 2000er Jahre soziale Versorgungsleistungen zurückfährt (z.B. HarzIV-Gesetze), sind in Deutschland zahlreiche neue „Tafel“-Vereine entstanden. So gab es im Jahr 2000 rund 270 dieser Organisationen. 2009 waren es bereits ca. 900 Vereine, in denen rund 50.000 Ehrenamtliche organisiert waren (vgl. Selke 2009: 16).
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verwaltungstechnischer Steuerung mit dem Ziel, das Zusammenwirken der (formellen und informellen) Handlungen von Akteur*innen aus dem öffentlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Sektor so zu koordinieren, dass die Entwicklung und Gestaltung von Städten gezielt gesteuert werden kann (vgl. Sack 2014: 92ff.). Als Governance-Netzwerke bezeichne ich demnach spezifische Konstellationen, in denen öffentliche Akteur*innen mit privatwirtschaftlichen und/oder zivilgesellschaftlichen Akteur*innen direkt zusammenarbeiten, um Stadtentwicklungsprozesse zu steuern (vgl. Kegelmann et al. 2017: 713ff.). Mit Blick auf die stärkere Einbindung der Resilienz-Beiträge von Bürger*innen in die Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung sind Governance-Netzwerke meines Erachtens von zentraler Bedeutung, denn durch die engere Zusammenarbeit können die Beteiligten ihre Ressourcen bündeln, ihre jeweiligen Handlungsrationalitäten verstehen lernen, Wissen austauschen und neue Kooperationsverfahren testen (vgl. Friend et al. 2016: 68, vgl. Goldstein 2009: o.S.). In diesem Zuge können sich außerdem neue Allianzen aus zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen bilden, die gemeinsame Ziele verfolgen und die „Beharrungskräfte und den Wunsch nach dem Erhalt des Status Quo“ (Othengrafen et al. 2015: 369) im Politikbetrieb und Verwaltungsapparat zumindest teilweise überwinden. Derartige Allianzen sind aus meiner Sicht notwendig, um Alternativen zur Wachstumsorientierung in der Stadtentwicklung hervorbringen zu können – und damit zentral im Zusammenhang der Koproduktion Urbaner Resilienz (siehe Kapitel 2.1). In der Resilienz-Forschung gelten Governance-Netzwerke als geeignete Steuerungsinstrumente, um die Anpassungsfähigkeit urbaner Teilsysteme zu erhöhen, wenn die Governance-Netzwerke selbst anpassungsfähig gestaltet werden (adaptive governance). Aus dieser Perspektive betrachtet sind sie als integrale Bestandteile von sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen zu verstehen und ihrem sozialen Bereich zuzuordnen (vgl. Crowe et al. 2016: 113). Insbesondere die Einbindung von Bürger*innen in solche Netzwerke bietet demzufolge Chancen, urbane Teilsysteme anpassungsfähiger zu gestalten (adaptive co-management). Denn dadurch können Lernprozesse zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen über die Steuerbarkeit von urbanen Teilsystemen gefördert werden und ortsspezifisches Wissen von Bürger*innen kann mit Fachwissen von Verwaltungs-
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mitarbeiter*innen in Austausch gebracht werden (vgl. Hill 2012: 157). Damit Akteur*innen mit so unterschiedlichen Organisationsformen wie Bürger*innenorganisationen und Verwaltungen im Rahmen von Governance-Netzwerken produktiv kooperieren und Urbane Resilienz koproduzieren können, erscheinen auf Grundlage der von mir ausgewerteten Literatur vor allem drei Aspekte relevant: die Selbstorganisation der Netzwerke (1), die Führungskompetenz der Beteiligten (2) und Vertrauen unter ihnen (3) (vgl. Folke et al. 2005: 445ff.). Selbstorganisation (1): Damit Governance-Netzwerke anpassungsfähig sind und die Beteiligten urbane Teilsysteme an die Folgen von Krisen anpassen können, müssen sie sich weitgehend selbst organisieren, um Entscheidungen möglichst unabhängig von äußerer Einflussnahme aushandeln zu können. Bei zu großer Abhängigkeit von Akteur*innen, die nicht Teil der jeweiligen Governance-Netzwerke sind, kann dies deren Anpassung blockieren, wenn sie nicht Teil der Lern- und Aushandlungsprozesse in solchen Netzwerken sind und die Ergebnisse dieser Prozesse daher nicht mittragen (vgl. ebd.). Führungskompetenz (2): Darunter verstehe ich die Fähigkeit von bestimmten Personen, Angehörige von Organisationen so zu steuern, dass diese Organisationen als Ganzes bestimmte Handlungen vollziehen (vgl. Maier et al. 2018). Ohne Personen mit Führungskompetenz, die innerhalb von Organisationen Veränderungen vermitteln und gegebenenfalls durchsetzen, sind Organisationen kaum in der Lage, sich aktiv auf Veränderungen einzulassen und sich selbst anzupassen. Dadurch kann auch die Anpassungsfähigkeit von Governance-Netzwerken und urbanen Teilsystemen blockiert werden, denen diese Organisationen angehören. Dies betrifft sowohl Behörden, die hierarchisch organisiert sind, wie auch die zumeist horizontalen Strukturen vieler Bürger*innenorganisationen. Vertrauen (3): Unter Vertrauen verstehe ich die Annahme der Akteur*innen in Governance-Netzwerken, dass die Beteiligten zum gegenseitigen Wohlergehen handeln und nicht danach streben, sich gegenseitig zu übervorteilen (vgl. Fledderus 2015: 551, vgl. Offe 1999: 47). Vertrauen kann zwischenmenschliche Beziehungen stabilisieren und Gemeinschaftssinn zwischen den Beteiligten schaffen. Das ist insbesondere bei der Kooperation von heretogenen Akteur*innen relevant, die noch nicht zusammengearbeitet haben, denn sonst ist das Risiko besonders hoch, dass
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sie sich nicht auf gemeinsame Ziele und Maßnahmen verständigen können (vgl. Vangen/Huxham 2010: 168). Des Weiteren können sich Akteur*innen eher auf ungewöhnliche Lösungen einigen und innovative Maßnahmen ergreifen, wenn sie sich vertrauen (vgl. Agger/Sørensen 2018: 53ff., vgl. Ansell 2016: 46). So unterstützen sie auch die Anpassungsfähigkeit von urbanen Teilsystemen bzw. von Governance-Netzwerken zur Steuerung dieser Systeme. Trotz vieler Chancen, durch Governance-Netzwerke die Koproduktion Urbaner Resilienz zu stärken, ist damit in Bezug auf eine zukunftsfähige Stadtentwicklung aber auch eine Reihe von Problemen verbunden. So fördern Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen im Rahmen von Governance-Netzwerken nicht automatisch eine nachhaltige Transformation in der Stadtentwicklung. Das liegt unter anderem daran, dass sie zumeist recht kurzlebig sind (vgl. Einig et al. 2005: III). Verwaltungsmitarbeiter*innen und Politiker*innen verstehen Kooperationen mit Bürger*innen bisher eher als Ausnahmen oder Sonderfälle und streben vergleichsweise schnell zu routinierten Abläufen zurück (vgl. Ziemer 2016: 312). Ein weiteres Problem ist, dass die Ziele von öffentlichen Akteur*innen je nach Wahlergebnissen recht schnell wechseln können, weshalb laufende Kooperationen mitunter beendet werden, wenn sie nicht länger der kommunalpolitischen Agenda entsprechen. In den meisten Fällen ist die Situation von Bürger*innenorganisationen in solchen Netzwerken daher prekär und sie sind weitgehend vom Wohlwollen der Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen abhängig (vgl. Schneider 2015: 28ff.). Daran zeigt sich, das Bürger*innen im Rahmen von Governance-Netzwerken zwar für eine bestimmte Zeit entscheidenden Einfluss auf das Handeln öffentlicher Akteur*innen nehmen können, ihnen wird allerdings keine Entscheidungs- und Handlungsmacht übertragen (vgl. Becker 2015: 73). Aus der Sicht von Bürger*innen, die sich ehrenamtlich und selbstorganisiert in Städten engagieren, resultiert aus ihren Beiträgen zur Stadtentwicklung jedoch der Anspruch, als gleichberechtigte Partner*innen mitentscheiden zu können (vgl. Baier/Müller 2017: 52). Meines Erachtens führen aus diesem Grund unausgewogene Machtverhältnisse bei Kooperationen in vielen Fällen zu Konflikten, die in der Regel nicht produktiv sind, weil sie die Beteiligten zu viel Zeit und Energie kosten und dazu führen, dass keine gemeinsamen Maßnahmen zustande kommen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Bürger*innennorganisationen ihre
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Organisationsstrukturen und Ziele zu sehr an die Erfordernisse von Behörden und Politik anpassen (müssen), um im Konfliktfall Kooperationen nicht scheitern zu lassen, wodurch ihre Beiträge zu einer nachhaltigen Transformation und Koproduktion Urbaner Resilienz stark beeinträchtigt werden können (vgl. Frantzeskaki et al. 2016b: 45f., vgl. Hoffmann-Axthelm 2004: 11). Ausgewogene Machtverhältnisse dagegen führen bei Problemen im Rahmen von Kooperationen eher zu innovativen Lösungen und können so zur Anpassungsfähigkeit von Governance-Netzwerken beitragen, weil die Beteiligten ihre Eigeninteressen aushandeln müssen und Maßnahmen nicht einseitig durchgesetzt werden können (vgl. Ansell 2016: 41). Daher ist es aus meiner Sicht wichtig, dass die Beteiligten Entscheidungen auf Augenhöhe treffen und Bürger*innen eine gesicherte und langfristige Perspektive für ihr Handeln haben, wenn durch Governance-Netzwerke die Beträge von Bürger*innen zur Urbanen Resilienz gestärkt werden sollen. Jedoch ist es aus politischer und planerischer Perspektive betrachtet auch nachvollziehbar, dass die Entscheidungshoheit in Governance-Netzwerken üblicherweise bei öffentlichen Akteur*innen liegt, denn das Handeln von Bürger*innen ist nicht unbedingt gemeinwohlorientiert, sondern richtet sich in vielen Fällen nach Partikularinteressen (vgl. Hamedinger 2020: 9, vgl. Misselwitz 2017: 23, vgl. Willinger 2014: 149). Mitunter versuchen Bürger*innenorganisationen sogar, gemeinwohlorientierte Stadtentwicklungsmaßnahmen zu verhindern, die nicht ihrem Eigeninteresse entsprechen. Dadurch kann auch eine nachhaltige Transformation von Städten behindert werden – etwa indem Lobbyorganisationen von Autofahrer*innen ihren Einfluss nutzen, um einen Wechsel in der lokalen Verkehrspolitik zu blockieren (vgl. Khan 2013: 138). Insofern ist es im Rahmen einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung die Aufgabe von öffentlichen Akteur*innen, sicherzustellen, dass durch Kooperationen mit Bürger*innenorganisationen Maßnahmen umgesetzt werden, die dem Gemeinwohl dienen und die eine nachhaltige Transformation von Städten fördern (vgl. Opielka 2017: 82f.). Auch aus sozial- und politikwissenschaftlicher Sicht müssen öffentliche Akteur*innen sicherstellen, dass Bürger*innenorganisationen im Sinne des Gemeinwohls handeln und den sozialen Ausgleich unter Bürger*innen fördern, wenn Kooperationen mit ihnen legitim sein sollen. Allerdings – so wird kritisiert – nehmen Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltun-
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gen in vielen aktuellen Fällen wachsende soziale Disparitäten und damit auch die Illegitimität ihrer Steuerungspraktiken in Kauf, um eine wachstumsorientierte Stadtentwicklungspolitik umzusetzen (vgl. Franta 2020: 38). Hinzu kommt, dass mit der Zunahme von Kooperationen in Form von Governance-Netzwerken gesellschaftsrelevante Entscheidungen „entpolitisiert“ (Swyngedouw 2013: 141) werden, weil sie ohne öffentliche Debatten ausgehandelt und soziale Unterschiede unter Bürger*innen dadurch weniger thematisiert werden (ebd.: 143f.). Daraus schließe ich, dass die zunehmende Steuerung von Stadtentwicklungsprozessen durch Governance-Netzwerke mit Blick auf eine nachhaltigen Transformation von Städten und die Koproduktion Urbaner Resilienz durchaus problematisch ist. Das gilt insbesondere, weil dadurch Akteur*innen Interessen durchsetzen können, die an einer wachstumsorientierten Politik festhalten und dafür Bürger*innenorganisationen instrumentalisieren, wodurch Krisen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich verschärft werden können.
2.3.1 SECHS-EBENENTRANSFORMATION ZUR STÄRKUNG DER KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ Angesichts der oben dargestellten Chancen und Probleme und auf Grundlage der von mir ausgewerteten Literatur lassen sich sechs Ebenen ableiten, auf denen sich meines Erachtens ein Wandel vollziehen muss, damit die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die Kooperation von zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen gestärkt und eine nachhaltige Transformation der Stadtentwicklung vorangetrieben werden kann. Diese Ebenen sind miteinander verbunden und beeinflussen sich gegenseitig. Auf subjektiver Ebene (1) der Beteiligten muss ein Bewusstseinswandel stattfinden, in dessen Zuge öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen anerkennen, dass sie zusammenarbeiten müssen, wenn sie wirkungsvoll zu einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung beitragen möchten. Auf der Verfahrensebene (2) müssen Kooperationsverfahren etabliert werden, die
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eine koordinierte Koproduktion Urbaner Resilienz fördern. Auf der strukturellen Ebene (3) müssen sich Bürger*innenorganisationen und Verwaltungen so organisieren, dass die produktiv zusammenarbeiten können. Auf der Gesetzesebene (4) müssen entsprechende Rahmenbedingungen ermöglicht werden, indem Gesetze an die Erfordernisse von Bürger*innenorganisationen angepasst werden. Gesetzesänderungen sowie die Anpassung von Verfahren und Rahmenbedingungen müssen auf politischer Ebene (5) durchgesetzt und demokratisch legitimiert werden, um Partikularinteressen zu überwinden, die einer nachhaltigen Transformation der Stadtentwicklung entgegenstehen. Auf der diskursiven Ebene (6) müssen sich Diskurse durchsetzen, die das Wachstumsparadigma infrage stellen und mit der Koproduktion Urbaner Resilienz als Teil einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung kompatibel sind.23 Ein dementsprechender Wandel auf diesen Ebenen würde meinem Verständnis nach eine Transformation der aktuell üblichen Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung bedeuten im Sinne eines „rebalancing of rights and responsibilities between actors; the citizenry and state“24 (Pelling et al. 2015: 115). Aus meiner Sicht muss es dabei darum gehen, dass die Beiträge von Bürger*innen zur Resilienz und einer nachhaltigen Transformation von Städten langfristig gestärkt und strategisch in die Planung und Steuerung von Städten integriert werden. Anders lässt es sich so formulieren: Die Koproduktion Urbaner Resilienz ist eng verbunden mit einer Transformation in der Art und Weise, wie zivilgesellschaftliche und öffentliche Akteur*innen in der Stadtentwicklung zusammenwirken. Ergebnis dieser Transformation muss die strategische Einbindung kooperativer Verfahren in die Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung als Teil einer nachhaltigen Transformation der dominanten wachstumsorientierten Stadtentwicklung sein (siehe Kapitel 2.1.). In vielen Städten lassen sich erste Anzeichen einer solchen Transformation bereits beobachten. Dazu zählen die Zunahme von Beteiligungsangeboten für Bürger*innen, neue Formate wie Governance-Netzwerke zur Steuerung von Stadtentwicklungsprozessen, zivilgesellschaftliche und öffentliche Nachhaltigkeitsinitiativen sowie Bürger*innen, die ihr Mitwirken in Stadtentwicklungsprozessen selbstbestimmt organisieren und eine weitergehende Teilhabe an Entscheidungen einfordern. Dieser Prozess schreitet meines Erachtens aber zu langsam und zu unkoordiniert voran angesichts des akuten Handlungsbedarfs zur
23) Bei der Einteilung der sechs Ebenen orientiere ich mich an der in den Sozialwissenschaften etablierten Unterscheidung zwischen Mikro-, Meso- und Makro-Ebene: „Auf der Makroebene geht es um die Betrachtung von gesamtgesellschaftlichen Strukturen und Phänomenen, auf der Mikroebene dagegen um einzelne Akteure, um ihr Handeln und ihre Interaktion. Auf der Mesoebene geht es um soziale Strukturen, die dazwischen angesiedelt sind, also z.B. bestimmte Organisationsformen in bestimmten Gesellschaftsbereichen.“ (Bauknecht et al. 2015: 12) Demnach zählen die Gesetzesebene (4), die politische Ebene (5) und die Diskursebene (6) zur Makroebene, die strukturelle Ebene (2) zählt zur Mesoebene und die Verfahrensebene (3) zur Mikroebene. Hinzu kommt bei der hier vorgenommenen Einteilung die subjektive Ebene (1), auf der sich ein individueller Bewusstseinswandel vollziehen muss. 24) „Wiederausgleich von Rechten und Verantwortlichkeiten zwischen den Akteur*innen; den Bürger*innen und dem Staat“ (eigene Übersetzung).
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DISKURSIVE EBENE DISKURSVERSCHIEBUNG
POLITISCHE EBENE STÄRKUNG VON BÜRGER*INNEN
GESETZESEBENE ANPASSUNG VON RAHMENBEDINGUNGEN
STRUKTURELLE EBENE ANPASSUNG VON ORGANISATIONEN
VERFAHRENSEBENE NEUE KOOPERATIONSVERFAHREN
SUBJEKTIVE EBENE BEWUSSTSEINSWANDEL Abbildung 4: Schematische Darstellung von Transformationsebenen zur Koproduktion Urbaner Resilienz mit der Verfahrensebene als zentraler Handlungsebene.
Bewältigung von Folgen der multiplen Krise wie Klimaerwärmung, Verknappung von Energieressourcen, sozialer Polarisierung, Finanzspekulationen. Daher muss er von Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen aktiver und in Zusammenarbeit vorangetrieben werden. Dafür fungiert die Verfahrensebene (2) aus meiner Sicht als eine zentrale Handlungsebene, denn sie hat ein hohes Potenzial, um auch auf den anderen Ebenen Wandlungsprozesse anzutreiben. Denn wenn es zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen gelingt, durch neue Kooperationsverfahren Lösungen für aktuelle Herausforderungen in der Stadtentwicklung zu finden, kann dies auf subjektiver Ebene (1) zum Bewusstseinswandel bei den Beteiligten beitragen, die notwendige Anpassung von Organisationen und Rahmenbedingungen (Ebenen 3 und 4) unterstützen, auf politischer Ebene (5) die Durchsetzung einer stärkeren Rolle von
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Bürger*innen in der Stadtentwicklung vorantreiben und Erfahrungswissen für eine weitere Diskursverschiebung liefern (Ebene 6) (siehe Abbildung 4). Eine zukunftsfähige Stadtentwicklung hängt demnach maßgeblich von geeigneten Kooperationsverfahren zur Koproduktion Urbaner Resilienz ab. Aus dieser Perspektive gilt es, neue Kooperationsverfahren zu entwickeln, die eine nachhaltige Transformation von Städten vorantreiben und die Koproduktion Urbaner Resilienz durch öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen unterstützen. Um solche Verfahren zu entwickeln, muss meines Erachtens untersucht werden, wie die sozialen Prozesse im Rahmen von Kooperationsverfahren mit der physischen Entwicklung von Städten zusammenhängen, denn Resilienz-Merkmale wie Redundanz, Diversität, Vernetzung von urbanen Teilsystemen – verstanden als sozio-ökologisch-technische Systeme – beziehen sich sowohl auf soziale wie physisch-materielle Eigenschaften von Städten bzw. Stadträumen (siehe Kapitel 2.2). Die Koproduktion Urbaner Resilienz und eine nachhaltige Transformation von Städten sind also als Prozesse zu verstehen, bei denen soziale wie auch physisch-materielle Aspekte eng verflochten sind. Daher befasse ich mich im Folgenden mit der Frage, wie diese Prozesse mithilfe von theoretischen Konzepten erfasst werden können, um eine Grundlage für die Analyse der kooperativen Entwicklung des Gängeviertels und die damit verbundenen Beiträge zur Resilienz in Hamburg herzuleiten (siehe Kapitel 4).
2.4 KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ ALS KOOPERATIVE ENTWICKLUNG VON STADTRÄUMEN In der Resilienz-Theorie existiert kein Konzept, mit der Städte als komplexe und anpassungsfähige Systeme ganzheitlich erfasst werden können (vgl. McPhearson et al. 2016: 204). Daher stütze ich mich in dieser Arbeit auf relationale und materialistische Raumkonzepte, um einen „gerichteten Blick auf die Komplexität von Städten und Räumen einnehmen zu können, der gut begründet, nachvollziehbar und plausibel ist […]“ (Oßenbrügge/Vogelpohl 2014: 10). Derartige Raumkonzepte wurden vor allem in den Sozialwissen-
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schaften entwickelt, um Wechselwirkungen von sozialen und physisch-materiellen Aspekten zu fassen. Einige davon beschäftigen sich explizit mit urbanen Prozessen und weisen deutliche Parallelen zum Verständnis von Städten in der Resilienz-Theorie auf, wonach Städte aus anpassungs- und transformationsfähigen Teilsystemen bestehen, die unter sozialen, ökologischen und technischen Aspekten zu betrachten sind (vgl. Davoudi 2012: 304). Solche Raumkonzepte eignen sich meines Erachtens in besonderem Maße, um Handlungsanregungen für öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zur Koproduktion Urbaner Resilienz zu erarbeiten, denn Stadtentwicklung wird maßgeblich über die Entwicklung von bestimmten Stadträumen organisiert, praktiziert und imaginiert: Sowohl Bürger*innen wie auch Akteur*innen in Verwaltung und Politik handeln und planen zumeist in Bezug auf Quartiere, Entwicklungsgebiete, Innenstädte, Brachflächen etc. (vgl. Levin-Keitel et al. 2018: 8). Aus dieser Sicht hängt die Koproduktion Urbaner Resilienz vor allem von der kooperativen Entwicklung von Räumen ab, die die Resilienz von Städten erhöhen. Dazu müssen Stadträume entsprechend der Resilienz-Merkmale so entwickelt werden, dass die Redundanz, Modularität, Diversität, Vernetzung, Mehrfunktionalität, Innovation und Selbstorganisation der sozio-ökologisch-technischen Teilsysteme von Städten erhöht werden. Dabei ist zu beachten, dass sich in konkreten Stadträumen bestimmte Teilsysteme überlagern oder verbinden können (siehe Abbildung 5). Zum Beispiel wirken in einem Stadtquartier das Verkehrssystem, der Gebäudebestand, die Energieversorgung sowie das Wohnungssystem direkt zusammen. Deren Wechselwirkungen können genutzt werden, um die Resilienz einer Stadt zu erhöhen – etwa indem die Mitglieder einer Wohnungsgenossenschaft beschließen (Selbstorganisation), ein BHKW zur Energie- und Wärmeversorgung zu bauen (Modularität), dessen überschüssiger Strom (Redundanz) zum Aufladen von Elektroautos angeboten wird – so, wie es seitens der Aktiven für das Gängeviertel angedacht ist. Abnehmer*in könnte im Fall des Gängeviertels neben den Aktiven selbst unter anderem ein benachbartes Schnellrestaurant sein, das mehrere Elektrofahrzeuge zur Essensauslieferung betreibt. Die Stadtverwaltung müsste die entsprechenden Genehmigungen erteilen sowie geeignete Stellplätze einrichten, wo Elektroautos aufgeladen werden können.
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STADTRAUM
SOZIO-ÖKOLOGISCHTECHNISCHE TEILSYSTEME
ÜBERLAGERUNGSPUNKTE VON SETS
Abbildung 5: Schematische Darstellung von sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen im Stadtraum.
2.4.1 RAUMTHEORETISCHE ANALYSEGRUNDLAGEN Angesichts der multiplen Krise und ihrer Folgen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich eignen sich meines Erachtens vor allem Raumkonzeptionen des historisch-geografischen Materialismus als theoretische Grundlage, um Handlungsanregungen zur Koproduktion Urbaner Resilienz im Rahmen einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung zu erarbeiten. Vertreter*innen des historisch-geografischen Materialismus widmen sich insbesondere der Analyse urbaner Entwicklungen im Kapitalismus und der damit verbundenen
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25) Die Soziologin und Raumtheoretikerin Martina Löw weist darauf hin, dass Raum im Singular immer eine Abstraktion ist. In der Praxis ist Raum immer nur in einzelnen Teilräumen gestalt- und wahrnehmbar. Da Räume durch unterschiedliche soziale Praktiken bzw. Handlungen produziert werden, „konstituieren sich Räume immer im Plural“ (Löw 2001: 271). Daher verwende ich die Begriffe Raum und Räume sowie Stadtraum und Stadträume synonym.
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Folgen im ökologischen, ökonomischen und sozialen Bereich. Diese Perspektive auf urbane Entwicklungen wurde von dem bereits erwähnten Humangeografen David Harvey (siehe Kapitel 2.1) mitgeprägt und basiert auf den Überlegungen des französischen Philosophen Henri Lefebvre. Dieser vertrat in Anlehnung an den Marx’schen Begriff der Produktion die Ansicht, dass Raum – und insbesondere der urbane Raum – per se ein soziales Produkt ist (vgl. Lefebvre 1991: 14ff.). Demnach ist der physisch-materielle Raum das Produkt menschlichen Handelns, gleichzeitig beeinflusst Raum die sozialen Praktiken zur Produktion von Räumen.25 In Städten werden diese Zusammenhänge besonders offensichtlich anhand der gebauten Umwelt in Form von physisch-materiellen Infrastrukturen und Gebäuden. Diese werden von Menschen geplant, finanziert, errichtet, genutzt etc. Gleichzeitig beeinflusst der physisch-materielle Raum menschliches Handeln. Zum Beispiel haben die physischen Strukturen von Gebäuden oder Verkehrsinfrastrukturen maßgeblichen Einfluss darauf, wie und wo Menschen wohnen, wann, wie und wohin sie sich fortbewegen (können) oder ob sie sich ein Fahrzeug zulegen (möchten). All diese sozialen Praktiken sind durch Rahmenbedingungen beeinflusst, die wiederum von Menschen gemacht werden. Dazu zählen unter anderem Gesetze, das soziale Umfeld oder ökonomische Verhältnisse. So ist zum Fahren eines Autos ein Führerschein notwendig. Welches Auto jemand fährt, kann vom Bekanntenkreis beeinflusst werden und von den persönlichen Einkommensverhältnissen abhängen. Aus der Perspektive des historisch-geografischen Materialismus betrachtet sind soziale Praktiken auch von Raumvorstellungen abhängig, die mehr oder weniger gesellschaftlich dominant sein können. Laut dem Humangeografen und Raumtheoretiker Bernd Belina zählt zu den vorherrschenden Raumvorstellungen im Kapitalismus die Annahme, dass die Entwicklung von (urbanen) Räumen vor allem der Gewinnung von finanziellem Mehrwert dienen müsse (vgl. Belina 2013: 57ff.). Diese Annahme stützt die gesellschaftliche Akzeptanz der Kapitalakkumulation als treibende Kraft wirtschaftlicher Entwicklung und das damit verbundene Wachstumsparadigma als vermeintliche Voraussetzung, um soziale, ökologische und ökonomische Entwicklungen steuern zu können (siehe Kapitel 2.1). Dabei wird Raum von vielen Menschen als „Containerraum“ (ebd. 65.) im Sinne eines absoluten „Behälter[s] aller Objekte und Artefakte aufgefasst und als eine
der Körperwelt übergeordnete Realität begriffen“ (Witthöft 2010: 67). Dadurch geraten allerdings die konkreten sozialen Praktiken aus dem Bewusstsein, mittels derer Räume aus Sicht relationaler Raumtheorien erst geschaffen werden und die sie für den Gewinn von finanziellem Mehrwert dienlich machen: Investieren, Vermieten, Spekulieren, Aufwerten, Verkaufen, Makeln etc. Gleichzeitig dominiert in weiten Teilen der Gesellschaft ein Gefühl der Handlungsunfähigkeit in Bezug auf die räumliche Entwicklung, weil Bürger*innen, die nicht direkt mit der Planung und Steuerung von (Stadt-)räumen befasst sind, sich selbst nicht als aktiven Teil der Stadtentwicklung bzw. der Entwicklung von Stadträumen begreifen. Aus dieser Perspektive, erfordert die Koproduktion Urbaner Resilienz auch eine veränderte Raumvorstellung, wonach der physisch-materielle Raum mittels sozialer Praktiken wie Engagieren, Kooperieren, Innovieren durch zivilgesellschaftliche und öffentliche Akteur*innen koproduziert wird. Als spezielle Ausprägung des historisch-geografischen Materialismus bietet meines Erachtens insbesondere das Konzept der Urban Political Ecology (UPE) eine vielsprechende Perspektive, um Handlungsmöglichkeiten in der Stadtentwicklung zur Koproduktion Urbaner Resilienz zu erarbeiten. Die UPE befasst sich mit den Austauschbeziehungen zwischen Städten und der Natur (Metabolismus) unter Beachtung von sozialen und physischen Aspekten ihrer räumlichen Entwicklung. Die Entwicklung von Städten und die Entwicklung von Natur werden als ineinander verwoben und von Menschen produziert angesehen. Beides – Städte und Natur – werden vor dem Hintergrund der zunehmenden globalen Urbanisierung als ein hybrider Raum gefasst (vgl. Köhler 2014: 59, vgl. Dietz/Engels 2014: 78ff.). Ähnlich wie in der Resilienz-Theorie Governance-Netzwerke als integrale Bestandteile urbaner Teilsysteme betrachtet werden, beziehen Vertreter*innen der UPE politische Steuerungsprozesse und ihren Einfluss auf die sozio-ökologische Entwicklung von Städten in ihre Analysen mit ein (vgl. Heynen et al. 2006: 2ff.). Dabei werden allerdings vor allem gesellschaftliche Machtverhältnisse untersucht, zum Beispiel die Entscheidungsmacht von Politiker*innen oder Eigentumsund Nutzungsrechte von bestimmten Akteur*innen an Grund und Boden. In der Forschung zu Resilienz dagegen wurde der Aspekt Macht bisher relativ wenig beachtet (vgl. Olsson et al. 2014: o.S.). Daher kann die UPE bestehende Resilienz-Konzepte ergänzen, um zu verstehen, inwieweit Machtbeziehungen die kooperative
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Entwicklung von Stadträumen zur Koproduktion Urbaner Resilienz und eine nachhaltige Transformation von Städten beeinflussen. Jedoch bezieht sich die UPE eher auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in denen Kooperationen stattfinden (vgl. Christmann et al. 2011: 20). Um auch die (Macht-)Beziehungen der Akteur*innen untereinander, ihre Organisationsstrukturen und die Auswirkungen ihrer Interaktionen mit in den Blick zu nehmen, haben in den Sozialwissenschaften seit den 2000er Jahren Governance-Konzepte maßgeblich an Bedeutung gewonnen. Das gilt insbesondere für Disziplinen, die sich mit der Entwicklung von Städten befassen, und für die Resilienz-Forschung, wie sich anhand von Konzepten der urban governance (vgl. Einig et al. 2005: I) und der bereits erwähnten adaptive governance zeigt (siehe Kapitel 2.3). Aus der Governance-Perspektive werden vor allem Abhängigkeiten und Wechselwirkungen zwischen Akteur*innen und deren Auswirkungen auf räumliche Entwicklungen in den Blick genommen. In Bezug auf die Kooperation zwischen Zivilgesellschaft, Verwaltung und Politik in der Stadtentwicklung geht es dabei um die „feinkörnige Abbildung von Akteuren, Relationen und den ,Modi‘ ihrer ,Interdependenzgestaltung‘“ (Selle 2013: 110). Eine fundierte Analyse dieser Interdependenz schließt dabei die Handlungsrationalitäten, Ressourcen und Vorgehensweisen der Akteur*innen mit ein (vgl. Sack 2014: 96). Dieser Arbeit liegt ein Theoriegerüst aus den zuvor dargestellten Resilienz-, Raum- und Governance-Theorien zugrunde. Darauf aufbauend erarbeite ich anhand der Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels Handlungsanregungen für öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zur Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen (siehe Kapitel 5). Wie ich dabei methodisch vorgegangen bin, erläutere ich im folgenden Kapitel.
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3. 3.TRANSDISZIPLINÄRE TRANSDISZIPLINÄRE REALEXPERIMENTE REALEXPERIMENTE UND UND DAS DAS REALLABOR REALLABOR GÄNGEVIERTEL GÄNGEVIERTEL „Verändern werden sich unsere Gesellschaften vor dem Hintergrund ihres nicht-nachhaltigen Stoffwechsels mit der außermenschlichen Natur auf jeden Fall; die Frage ist nur, ob by design or by disaster.“ (Sommer/Welzer 2014: 26)
In diesem Kapitel beschreibe und reflektiere ich das transdisziplinäre Forschungsdesign meiner Arbeit. Ich zeige auf, wie ich das Gängeviertel als Reallabor genutzt habe und welches Wissen ich dadurch gewinnen konnte. Dabei gehe ich auch darauf ein, inwiefern ich im Rahmen des Reallabors zur Anpassung der Kooperation an Konflikte bei der Zusammenarbeit beitragen konnte. Weil es sich bei Reallaboren um eine recht junge Forschungsmethode handelt, erläutere ich sie eingangs anhand von Fachliteratur zu transformativer und experimenteller Forschung in Bezug zur Koproduktion Urbaner Resilienz. Besonderes Augenmerk liegt auf den von mir umgesetzten transdisziplinären Realexperimenten einschließlich der dabei angewendeten künstlerischen Praktiken, denn diese sind von besonderer Bedeutung für das Forschungsdesign. Außerdem reflektiere ich meine Rollen als Forschender und Aktiver des Gängeviertels. Abschließend diskutiere ich, welche Beiträge durch meine Arbeit im Reallabor Gängeviertel zur Koproduktion Urbaner Resilienz geleistet werden konnten und welche Potenziale die Methode meines Erachtens dafür über den konkreten Fall des Gängeviertels hinaus bietet.
3.1 REALLABORE UND REALEXPERIMENTE ZUM ERFORSCHEN URBANER RESILIENZ Wie Kooperationen zwischen zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen in der Stadtentwicklung gestaltet werden müssen, um ihre Potenziale zur Koproduktion Urbaner Resilienz zu nutzen, ist derzeit noch eine Forschungslücke (vgl. Petrescu et al. 2016: 719). Zwar rücken soziale Aspekte und deren Einfluss auf das Handeln von Akteur*innen in der Stadtentwicklung zunehmend in den Fokus der Stadtforschung. Bei solchen Untersuchungen interessiert die Forschenden allerdings eher die Frage, welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Planungsund Governance-Prozessen zu Konflikten führen, etwa im Fall von des Protests gegen das Projekt „Stuttgart 21“ oder der „Recht auf Stadt“-Initiativen in Hamburg – wozu auch das Gängeviertel zählt (vgl. Othengrafen/Sondermann 2015: 7ff.). Wenig erforscht sind
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26) Wie ich im zweiten Kapitel ausgeführt habe, steht Anpassungsfähigkeit in der Resilienz-Theorie für die Fähigkeit von sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen, sich während Krisen oder bei Störungen so anzupassen, dass sie weiterhin funktionieren bzw. dass Krisen und Störungen von solchen Teilsystemen vorgebeugt werden, indem sie anpassungsfähig gestaltet werden. Bei der Transformationsfähigkeit geht es um neue Entwicklungsrichtungen, die eingeschlagen werden, um ein grundlegend neues System zu erschaffen, weil das bestehende unvertretbar geworden ist (vgl. Folke 2016: 9).
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dagegen Handlungsmöglichkeiten zur Überwindung dieser Konflikte und zur kooperativen Gestaltung von Stadtentwicklungsprozessen (vgl. Selle 2013: 203, vgl. Krüger 2007: 129f.). Das gilt auch für die Resilienz-Forschung. Sie widmet sich zwar seit Längerem der Untersuchung von Kooperationen zur Steuerung von sozio-ökologischen Systemen (adaptive co-management) (vgl. Folke et al. 2005: 441ff.). Allerdings gibt es bisher relativ wenige Untersuchungen, die sich mit der Steuerung und Entwicklung von sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen von Städten (SETS) befassen, die also explizit auch die gebaute Umwelt von Städten miteinbeziehen (siehe Kapitel 2.1). Daher ist auch nicht geklärt, wie Urbane Resilienz koproduziert und inwiefern dadurch die Anpassungs- und Transformationsfähigkeit26 von Städten gesteigert werden kann (vgl. Crowe et al. 2016: 112, vgl. Fratzeskaki et al. 2016a: VII). Auch was die Zusammenhänge zwischen der Koproduktion Urbaner Resilienz und einer nachhaltigen Transformation von Städten für die Stadtentwicklungspraxis bedeutet, ist bisher noch kaum geklärt (vgl. IFoU 2018: o.S.). Mit dieser Arbeit möchte ich dazu beitragen, diese Wissenslücke zu schließen, indem ich anhand der Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels Handlungsanregungen zur Koproduktion Urbaner Resilienz erarbeite und dabei auf Zusammenhänge zu einer nachhaltigen Transformation von Städten eingehe. In der Literatur zu Urbaner Resilienz weisen zahlreiche Autor*innen darauf hin, dass vor allem Experimente im Stadtraum vielversprechende Möglichkeiten bieten, um herauszufinden, wie die Resilienz von Städten erhöht werden kann (vgl. McCormick et al. 2013: 6, Ahern 2013: 1209, Jabukowski 2013: 376, Evans 2011: 223). Denn so können neue Handlungsansätze ausprobiert und praxisorientiertes Wissen über die Koproduktion Urbaner Resilienz und eine nachhaltige Transformation von Städten gewonnen werden (vgl. Reinermann/Behr 2017: 2, vgl. Kegler 2014: 25, vgl. Olsson et al. 2014: o.S.). Als Methoden für derartige Experimente werden in der Nachhaltigkeitforschung vor allem Realexperimente und Reallabore zunehmend diskutiert und umgesetzt (vgl. Schäpke et al. 2017: 1). Im Folgenden gehe ich näher auf die Methoden ein. Realexperimente werden nicht in wissenschaftlichen Laboratorien durchgeführt, sondern sind unmittelbar in gesellschaftliche Veränderungsprozesse eingebettet. Ihr methodisches Prinzip besteht im Wesentlichen darin, dass Forschende in Zusammenarbeit mit Akteur*innen von Transformationsprozessen Experimen-
te durchführen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse in ebendiese Prozesse einspeisen, um sie zu erforschen und gleichzeitig zu beeinflussen. Realexperimente „oszillieren zwischen den Modi ,Wissenserzeugung‘ und ,Wissensanwendung‘ sowie ,kontrollierten‘ und ,situationsspezifischen‘ Randbedingungen […]. Es kommt zu einem Experiment in einer Praxissituation, in die eine selektive Intervention erfolgt, um Transformationsprozesse auszulösen und besser zu verstehen.“ (Schneidewind/Singer-Brodowski 2014: 126) Realexperimente gehen mit zahlreichen Unsicherheiten einher, wobei aus Sicht der Beteiligten „Ausprobieren der effektivste Weg ist, sich selbst zu korrigieren und weiterzukommen“ (Groß et al. 2005: 12). In Bezug auf die Koproduktion Urbaner Resilienz bieten sich meines Erachtens insbesondere realexperimentelle Interventionen in Kooperationsprozesse an, etwa durch das Ausprobieren von neuen Instrumenten zur Zusammenarbeit in der Stadtentwicklung. Ebenfalls geeignet erscheinen mir physische Eingriffe im Stadtraum, etwa indem neue Technologien oder Infrastrukturen kooperativ erprobt werden. In beiden Fällen sind Realexperimente aus meiner Sicht geeignet, um Kooperationen als Teil von sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen einer Stadt zu untersuchen und zu beeinflussen. Realexperimente sind per definitionem eingebettet in „soziale, ökologische und technische Gestaltungsprozesse, die in der Regel von vielen Akteuren getragen werden“ (ebd.: 11) und sie sind darauf ausgerichtet, praxisorientiertes Wissen zu gewinnen, dass die Beteiligten anwenden können, um systemische Transformationen zu steuern. Reallabore werden von Wissenschaftler*innen genutzt, um zu erforschen, wie nachhaltige Transformationen in einem bestimmten Bereich angestoßen und umgesetzt werden können. Sie sind in der Regel räumlich eingegrenzt. In diesem Rahmen beobachten Forschende die Akteur*innen von Transformationsprozessen sowie relevante Einflüsse auf ihr Handeln. Außerdem setzen sie in Zusammenarbeit mit ihnen Realexperimente um (vgl. Schneidewind/Singer-Brodowski 2014: 127f.). Die Forschenden können so selbst Transformationen vorantreiben und zu Treiber*innen von sozialen Innovationen werden (vgl. Schäfer 2013: 184f., vgl. Krohn / van den Daele 1998: 191). Die Reallabor-Methode weist deutliche Verbindungen zur Resilienz-Theorie auf. Beide entstammen den angewandten Naturwissenschaften und ihre Vertreter*innen befassen sich mit der nachhaltigen Transformation gesellschaftlicher Teilbereiche. Meines Erachtens stellt die Verschränkung der
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27) Im Gegensatz zum in der Moderne verankerten Ideal objektiver Forscher*innen hat sich während der vergangenen Jahre vor allem in sozialwissenschaftlichen Disziplinen die Ansicht durchgesetzt, dass wissenschaftliche Arbeit immer auch subjektiv ist. Denn wie alle Tätigkeiten unterliegt sie sozialen Bedingungen – einschließlich der persönlichen Interessen von Forschenden – und kann daher nicht vollkommen objektiv sein (vgl. Bellinger/Krieger 2006: 18). Dennoch kritisiert Peter Strohschneider (langjähriger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft – DFG) Reallabore und Realexperimente als wissenschaftliche Methoden vehement, weil dabei „sachliches Wissen und moralische Handlungsleitung“ (Strohschneider 2014: 190) nicht unterschieden würden. Seines Erachtens werden dadurch Wissenschaft und Politik vermischt und die Forschenden zugleich überfordert und eingegrenzt, denn zum einen sollen sie „nicht nur neues Wissen produzieren, sondern sogleich selbst die Welt nachhaltiger und gerechter machen“ (ebd.: 186), zum anderen beschneidet die starke Fixierung auf Problemlösungen die Forschenden auf „gesellschaftlich vorgegebene Pfadabhängigkeiten“ (ebd.: 185). Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) dagegen fordert, dass Reallabore als Teil einer transformativen Forschung gestärkt werden, damit Forschende nachhaltige Transformationsprozesse umfassender vorantreiben können (vgl. WBGU 2016: 451ff.).
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Reallabor-Methode mit dem Resilienz-Konzept einen geeigneten Ansatz dar zur „Unterstützung realweltlicher Transformationsprozesse im lokalen Raum“ (Schäpke et al. 2017: 4). In Bezug auf die Koproduktion Urbaner Resilienz bieten sich dafür konkrete Stadträume an, die kooperativ und unter Einbindung von Forscher*innen entwickelt werden. Das können Stadtteile, Konversionsflächen, Stadtentwicklungsgebiete und Wohnblöcke sein. Im Zentrum der Forschung sollten die Transformationen dieser Stadträume und die mit ihnen verknüpften Kooperationsprozesse zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen stehen, also sowohl physisch-materielle wie auch soziale Aspekte der Koproduktion Urbaner Resilienz (vgl. ebd.: 11). Das Ziel der Forschenden sollte neben dem Wissensgewinn auch darin liegen, durch ihre Eingriffe urbane Teilsysteme resilienter zu machen und eine nachhaltige Transformation von Städten voranzutreiben. Das setzt voraus, dass die Forschenden über eine normative Handlungsgrundlage verfügen, an der sie sich orientieren, um Transformationsprozesse im Rahmen von Reallaboren zielgerichtet beeinflussen zu können. Diesbezüglich unterscheiden sich Reallabore und Realexperimente vom modernen Wissenschaftsideal werturteilsfreier Forscher*innen, die primär das Generieren von objektivem Wissen anstreben – worauf Reallabore und Realexperimente bewusst nicht begrenzt sind (vgl. Schneidewind/Singer-Brodowski 2014: 72).27 Das Generieren von Wissen orientiert sich im Rahmen von Reallaboren an den drei Wissensformen Systemwissen (1), Ziel- bzw. Orientierungswissen (2) und Transformationswissen (3). Auf Basis der Methodik nach Schneidewind und Singer-Brodowski lassen sich die Wissensformen in Bezug auf die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen wie folgt fassen (vgl. 2015: 15): 1. Systemwissen ist Wissen über die aktuelle Entwicklung eines konkreten Stadtraums einschließlich der sozio-ökologisch-technischen Teilsysteme, die sich dort überlagern. Dazu zählen die Kompetenzen von Kooperationsakteur*innen, die Verfügbarkeit von Ressourcen, politische und rechtliche Rahmenbedingungen, bestehende Machtverhältnisse, Funktionsweisen von Infrastrukturen, die Gestaltung der gebauten Umwelt, Einflüsse der natürlichen Umwelt etc. 2. Ziel-/Orientierungswissen ist Wissen darüber, welche Entwicklung ein Stadtraum in Zukunft nehmen soll und welche An-
passungen und Transformationen dafür notwendig sind. Ziel- bzw. Orientierungswissen soll Kooperationsakteur*innen von räumlichen Entwicklungen Orientierung geben und bezieht deshalb ihre Raumvorstellungen, Bedeutungszuschreibungen und Identitätskonstruktionen mit ein. 3. Transformationswissen ist Wissen über die kooperative Umsetzung von Anpassungen und Transformationen im Stadtraum. Es bezieht Wissen der Beteiligten über die Umsetzbarkeit des Zielund Orientierungswissens ein und knüpft an ihre Handlungsrationalitäten, Grundannahmen und Wertvorstellungen an. Neben dem Generieren von Wissen sollen diese drei Wissensformen auch zur Organisation von Lernprozessen unter den Beteiligten dienen, um Transformationen voranzutreiben und langfristig abzusichern. Solche Lernprozesse gliedern sich idealtypisch in vier Phasen: Problemanalyse (1) auf Basis des Systemwissens, Visionsentwicklung (2) auf Basis des Ziel-/Orientierungswissens, Realexperimente (3) sowie Diffusion und Lernen (4) auf Basis des Transformationswissens (siehe Abbildung 6) (vgl. Schäpke et al. 2017: 9, vgl. Schneidewind/Singer-Brodowski 2014: 71). Trotz der oben erläuterten methodischen Anforderungen sind Reallabore und Realexperimente in vielerlei Hinsicht wenig erprobt und befinden sich als Methoden selbst noch in der Entwicklung und Ausdifferenzierung. Offene Fragen bestehen unter anderem in Bezug auf die vielfältigen Rollen von Wissenschaftler*innen in Reallaboren sowie ihre Aufgabe, Realexperimente wirksam umzusetzen und deren Ergebnisse so aufzuarbeiten, dass sie übertragbar sind (vgl. Defila/Di Giulio 2018a: 44ff.). Außerdem ist unklar, auf welchen theoretischen Grundlagen die Ergebnisse von Reallaboren analysiert werden sollten, um Wissen über Transformationsprozesse zu generieren, das zur langfristigen Lösung von Problemen in ebendiesen Prozessen beitragen kann. Bisher werden je nach Disziplin und Untersuchungsgegenstand verschiedene Theorien herangezogen (vgl. Schäpke et al. 2017: 46). Im Folgenden stelle ich das Forschungsdesign dieser Arbeit dar und gehe auf diese Aspekte ein. Ich erläutere meine Forschungsfragen, auf welchen normativen Grundlagen mein Handeln im Reallabor Gängeviertel basierte und welche Wissensformen dadurch generiert werden konnten. Dabei orientiere ich mich vor allem an den zuvor dargestellten methodischen Grundlagen.
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ZIEL-/ORIENTIERUNGSWISSEN
SYSTEMWISSEN
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TRANSFORMATIONSWISSEN Abbildung 6: Schematische Darstellung der Analyse und Gestaltung von stadträumlichen Transformationen und Kooperationen im Rahmen von Reallaboren zur Koproduktion Urbaner Resilienz (Darstellung nach Schneidewind/Singer-Brodowski 2014: 72).
3.2 DAS GÄNGEVIERTEL ALS REALLABOR Im Rahmen dieser Arbeit nutze ich das Gängeviertel in der Hamburger Innenstadt als Reallabor. Seit 2010 arbeiten die Stadt Hamburg (FHH) und die Aktiven des Gängeviertels zusammen, um es als Quartier mit vielfältigen Nutzungen zu entwicklen und die historischen Gebäude zu sanieren. Die Kooperation geht zurück auf
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deren Besetzung im August 2009 durch rund 200 Bürger*innen, zu denen viele Künstler*innen und Kulturschaffende zählten. Mit der Besetzung protestierten sie gegen den geplanten Abriss großer Teile des Gängeviertels zugunsten einer gewinnorientierten Projektentwicklung. Sie forderten stattdessen den kompletten Erhalt und die Nutzung der stadteigenen Gebäude vor allem für kulturelle Zwecke. Nach intensiven Verhandlungen und begleitet von Debatten in Politik und Öffentlichkeit über die Zukunft des Quartiers ließ die Stadt Hamburg in Zusammenarbeit mit den Aktiven ein Integriertes Entwicklungskonzept (IEK) erarbeiten. Des Weiteren schloss sie mit den von ihnen gegründeten Organisationen – der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG und dem Verein Gängeviertel e.V. – eine Kooperationsvereinbarung zur Umsetzung des Konzepts (vgl. FHH et al. 2011). Im IEK wurden öffentlich geförderte Wohnungen, soziokulturelle Nutzungen, Ateliers und Gewerbeflächen auf rund 7500 Quadratmetern Nutzfläche vorgesehen (BSU 2010). Die Kosten für die Sanierung wurden auf ca. 19,4 Millionen Euro festgelegt und die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH (steg) als Sanierungsträgerin mit der Umsetzung beauftragt. Im Verlauf der Kooperation kam es jedoch zu Streit über die baulichen Ergebnisse der Sanierung und die Selbstverwaltung der sanierten Gebäude durch die Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG. Um Zeit für Konfliktlösungen zu gewinnen, vereinbarten die Kooperationspartner*innen im Jahr 2015 einen Planungsstopp, der rund viereinhalb Jahre andauerte, bis sie sich einigen konnten (siehe Kapitel 4). Bei der Kooperation zur Sanierung des Gängeviertels handelt es sich um die kooperative Entwicklung eines Stadtraums, der – so meine These – zur Resilienz Hamburgs beiträgt. Obwohl Urbane Resilienz für das Handeln der Akteur*innen kaum eine Rolle gespielt hat, tragen sie dazu bei, indem die heterogene Bausubstanz saniert wird und einer kleinteiligen Nutzungsmischung dient, die von den Aktiven weitgehend selbstorganisiert umgesetzt wird. Dadurch tragen sie unter anderem zur funktionalen Diversität, Redundanz und Modularität von mehreren sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen in der Hamburger Innenstadt bei (z.B. Kultur-, Verkehrs-, Gebäudesystem) und erhöhen so die Resilienz der Stadt (siehe Kapitel 4). Diese Beiträge können – so lautet meine These im Weiteren – langfristig gesichert und in ihren Wirkungen intensiviert werden, wenn es den Kooperationspartner*innen gelingt, das Kooperationsverfahren an die Konflikte
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28) Im Fall des Gängeviertels verstehe ich unter Selbstverwaltung formale Strukturen und Maßnahmen zur Selbstorganisation der Aktiven, die durch die Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG und den Verein Gängeviertel e.V. auf Grundlage rechtlicher Bestimmungen umgesetzt werden. Dabei ergeben sich durch die Verschränkung von formellen und informellen Strukturen viele Überschneidungen (siehe Kapitel 4.2.1).
bei der Zusammenarbeit anzupassen. Dabei gehe ich davon aus, dass die Beiträge der Aktiven und der FHH zur Resilienz in Hamburg maßgeblich davon abhängen, ob es ihnen gelingt, die Entwicklung des Viertels mit der Selbstorganisation bzw. Selbstverwaltung28 in Einklang zu bringen. Denn auf dieser Basis ist es den Aktiven gelungen, das vor der Besetzung lange Zeit leer stehende Quartier als vielfältig genutzten Stadtraum zu etablieren. Sie bieten im Gängeviertel zahlreiche soziale und kulturelle Leistungen an, die in der Hamburger Innenstadt aufgrund hoher Mietpreise immer weniger Platz finden und tragen so zur Resilienz der Stadt bei (vgl. Ziehl 2014: 68ff.). Die Sanierung und die Selbstverwaltung des Gängeviertels sind allerdings nur dann umsetzbar, wenn die Aktiven und die Stadt Hamburg zusammenarbeiten, da Letztere die Eigentümerin des Gängeviertels ist und maßgeblich mitentscheidet, wie es genutzt werden kann. Außerdem stellt die Stadt Hamburg erhebliche Finanzmittel für die Sanierung bereit und ist dafür verantwortlich, dass die Gebäude saniert werden. Insofern handelt es sich bei der Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels um einen koproduktiven Prozess.
3.2.1 FORSCHUNGSDESIGN Vor diesem Hintergrund erscheint der Kooperationsprozess als ein geeigneter Untersuchungsgegenstand, um Handlungsanregungen zu erarbeiten, wie öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen Urbane Resilienz koproduzieren können. Dabei stehen folgende Fragen im Fokus meiner Forschung: • Welche Probleme liegen den Konflikten des Kooperationsverfahrens zugrunde? Was sind die Ursachen dafür und wie lassen sich Konflikte in Zukunft vermeiden? • Inwiefern tragen die Kooperationspartner*innen mit der Entwicklung des Gängeviertels zur Urbanen Resilienz in Hamburg bei? • Wie sollten zivilgesellschaftliche und öffentliche Akteur*innen zusammenarbeiten, um die Koproduktion Urbaner Resilienz als Teil einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen voranzutreiben?
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Mit dem Erkenntnisgewinn verbunden ist das Anliegen, den Kooperationsprozess zur Entwicklung des Gängeviertels so zu beeinflussen, dass die Beteiligten produktiver zusammenarbeiten, um die Beiträge zur Resilienz in Hamburg langfristig zu sichern. Im Reallabor Gängeviertel stehen also zwei Prozesse im Mittelpunkt, die eng miteinander verwoben sind: Erstens der Kooperationsprozess zur Sanierung des Gängeviertels, wobei eine städtebauliche Transformation verhandelt, geplant und umgesetzt wird; und zweitens die Anpassung des Kooperationsverfahrens an die Probleme und Konflikte bei der Zusammenarbeit. Meine Forschung ist mit dem Gängeviertel als Reallabor auf eine „case study“ (Scholz/Tietje 2002: 11) eingegrenzt, weil die Kooperation in ihrer Intensität und ihrem Umfang bisher einmalig ist für die jüngere Stadtentwicklungsgeschichte in Deutschland (vgl. Breckner 2016: 187). Daher habe ich mich dafür entschieden, diesen besonderen Fall tief gehend zu analysieren – einschließlich der Handlungsrationalitäten und Interdependenzen der Beteiligten sowie den Kontext zur Stadtentwicklung Hamburgs –, um so die Probleme und Konflikte im Kooperationsprozess umfassend auswerten zu können. Zur Erhebung von Daten über den Kooperationsprozess habe ich Arbeits- und Kommunikationsdokumente (Protokolle, E-Mails etc.) ausgewertet sowie an Arbeitstreffen (Verhandlungsrunden, Workshops etc.) der Kooperationspartner*innen teilgenommen. Zu beidem hatte ich weitgehenden Zugang, weil ich mich nicht nur als Forschender, sondern von Beginn an auch als Aktiver am Kooperationsprozess beteiligt habe (siehe Kapitel 3.3.1). Des Weiteren hatte ich durch meine Tätigkeiten in verschiedenen Gremien des Gängeviertels umfassenden Einblick in technische Aspekte der Gebäudesanierung (Wärmedämmung, Energieversorgung etc.) sowie die Entscheidungs- und Organisationsstrukturen der Aktiven und das Alltagsleben. Die Ergebnisse dieser teilnehmende Beobachtung habe ich genutzt, um Daten über die Potenziale und Beiträge der kooperativen Entwicklung des Gängeviertels zur Resilienz und zu einer nachhaltigen Transformation in Hamburg zu sammeln. Parallel dazu habe ich ein Forschungstagebuch mit Gesprächs- und Ereignisprotokollen geführt, um den Verlauf des Kooperationsprozesses und meine eigenen Aktivitäten dabei festzuhalten und auswerten zu können. Das im Rahmen meiner Forschung gesammelte Datenmaterial habe ich chronologisch aufgearbeitet (siehe Kapitel 4). Die Analyse und Interpretation von Daten in Bezug auf Resilienz und eine
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29) Dazu zählen unter anderem folgende Tagungen und Veranstaltungen: „International Forum on Urbanism (IFoU) 2018: Reframing Urban Resilience Implementation. Aligning Sustainability and Resilience“, veranstaltet von der Universitat International da Catalunya, Urban Resilience Research Network, UN Habitat im Dezember 2018 / „Räumliche Transformation: Prozesse, Konzepte und Forschungsdesigns“, veranstaltet von der Leibniz Universität Hannover im Mai 2018 / „Lernlabor Rathausblock“, veranstaltet vom Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg im Februar 2018 / „Zusammenarbeit(en). Praktiken der Koordination, Kooperation und Repräsentation in kollaborativen Prozessen“, veranstaltet von der Universität Zürich im Oktober 2017 / „Offene Werkstatt Baukultur – Zivilgesellschaftliches Engagement für den Ort“, veranstaltet vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) im Oktober 2017.
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nachhaltige Transformation in Hamburg stützt sich vor allem auf Literatur aus der Resilienz- und Nachhaltigkeitsforschung. Um die Konflikte zwischen den Kooperationspartner*innen und die Potenziale der Kooperation für die zukünftige Entwicklung Hamburgs zu analysieren, orientiere ich mich an raumtheoretischen Konzepten des historisch-geografischen Materialismus und Governance-Konzepten (siehe Kapitel 2.4). Außerdem sind bei der Analyse und Interpretation Erkenntnisse aus wissenschaftlichen Tagungen und praxisbezogenen Veranstaltungen eingeflossen, bei denen ich meine Forschungsarbeit vorstellen konnte.29 Der Zeitraum der Analyse bezieht die Entwicklung Hamburgs seit den 1980er Jahren ein und endet bei der Einigung über die Wiederaufnahme der Planungen im Herbst 2019. Dieser historische Rückblick ist meines Erachtens notwendig, weil damals eine stadtpolitische Wende und stadträumliche Transformationen eingeleitet wurden, deren Auswirkungen zur Besetzung des Gängeviertels beigetragen und die späteren Konflikte im Kooperationsprozess mitgeprägt haben. Außerdem müssen Beiträge zur Resilienz Hamburgs, die sich aus der kooperativen Sanierung und Entwicklung des Gängeviertels ergeben, meiner Ansicht nach im Kontext der räumlichen und politischen Entwicklung der Stadt betrachtet werden, um sie nachvollziehen zu können (vgl. McPhearson et al. 2016: 208). Besondere Aufmerksamkeit widme ich dem Zeitraum ab dem Planungsstopp im Februar 2015, um die Forschung auf den Anpassungsprozess der Kooperation zu konzentrieren, der damit seinen Anfang nahm. In diesem Zeitraum habe ich zwei Realexperimente durchgeführt, um praxisorientiertes Wissen über den Handlungsbedarf zur Anpassung des Kooperationsverfahrens zu gewinnen. Deren Gestaltung, Anzahl und Zeitpunkte wurden durch die Einbettung meiner Arbeit in das Graduiertenkolleg „Performing Citizenship“ entscheidend mitgeprägt, denn seitens der Kollegsleitung war die Ausrichtung von zwei künstlerisch-praktischen Forschungsteilen unter Einbindung der Öffentlichkeit innerhalb festgelegter Präsentationszeiträume vorgegeben (vgl. Ziemer 2014a: 26f.). Verlauf und Ergebnisse der Realexperimente wurden fotografisch und schriftlich dokumentiert und anschließend aufgearbeitet. Auf dieser Basis habe ich Zwischenergebnisse in den Kooperationsprozess eingespeist, um so in Zusammenarbeit mit Vertreter*innen der Kooperationsparteien die Anpassung des Kooperationsverfahrens zu unterstützen und zur Koproduktion Urbaner Resilienz beizutragen (siehe Kapitel 3.2.2
und 3.2.3). Dabei hat sich gezeigt, dass die drei Wissensformen System-, Ziel-/Orientierungs- und Transformationswissen eng verwoben sind und in den verschiedenen Forschungsphasen teilweise gleichzeitig generiert wurden (siehe Abbildung 7). Die Handlungsanregungen, die ich auf Grundlage dieses Wissens erarbeitet habe, verstehe ich als Handlungswissen. Sie sollen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen Hinweise geben, wie die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen in der Praxis umgesetzt werden kann (siehe Kapitel 5). Insofern möchte ich mit dieser Publikation über die Kooperation zur Sanierung des Gängeviertels hinaus einen „weitergehenden Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation leisten“ (Schäpke et al. 2017: 25).
2015: PLANUNGSSTOPP FÜR DIE SANIERUNG Beteiligung am Kooperationsprozess und vorläufige Analyse des Gesamtprozesses
Systemwissen
1. Realexperiment: Bausymposium (2016)
Systemwissen, Ziel-/ Orientierungswissen
Ergebnisse des 1. Realexperiments aufgearbeitet und in den Kooperationsprozess eingespeist
Systemwissen
Beteiligung am Kooperationsprozess und weiterführende Analyse des Gesamtprozesses
2. Realexperiment: Laborbericht (2017)
Transformationswissen
Ergebnisse des 2. Realexperiments aufgearbeitet und in den Kooperationsprozess eingespeist
Ziel-/Orientierungswissen, Transformationswissen
Beteiligung am Kooperationsprozess und weiterführende Analyse des Gesamtprozesses
Handlungsanregungen erarbeitet
Handlungswissen
2019: WIEDERAUFNAHME DER SANIERUNGSPLANUNG Abbildung 7: Darstellung von Forschungsmethode und -zeitraum im Kooperationsprozess.
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UNTERSUCHUNGSGEGENSTAND Kooperationsprozess zur Entwicklung des Gängeviertels
HANDLUNGSGRUNDLAGE Koproduktion Urbaner Resilienz als Teil einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung
FORSCHUNGSMETHODE Reallabor und Realexperimente unter Anwendung künstlerischer Praktiken
ANALYSEGRUNDLAGEN Resilienz- und Nachhaltigkeitskonzepte, historisch-geografischer Materialismus, Governance-Theorie
Abbildung 8: Schematische Darstellung der vier zentralen Aspekte des inter- und transdisziplinären Forschungsdesigns.
Insgesamt umfasst das Forschungsdesign die vier Aspekte historisch-geografischer Materialismus, Resilienz- und Nachhaltigkeitskonzepte sowie Governance-Theorie als Grundlagen der Analyse (1), Reallabor und Realexperimente als Methode der Forschung (2), den Kooperationsprozess zur Sanierung des Gängeviertels als Gegenstand der Untersuchung (3) und die Koproduktion Urbaner Resilienz als Teil einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung als meine normative Handlungsgrundlage (4) (siehe Abbildung 8). Solche disziplinübergreifenden Forschungsdesigns sind im Rahmen von Reallaboren üblich, um sozial robustes und lösungsorientiertes Wissen zu generieren, das sowohl für Akteur*innen aus der Praxis wie auch der Wissenschaft anschlussfähig ist, und um Lern- und Transformationsprozesse zu unterstützen (vgl. Schäpke et al. 2017: 19). Das gilt auch für das Forschungsdesign der vorliegenden Arbeit. Es ist interdisziplinär, weil verschiedene Theorien und Konzepte kombiniert wurden (vgl. Beecroft et al. 2018: 79). Es ist zudem transdisziplinär, weil daran Akteur*innen aus Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wissenschaft mitwirkten, um Wissen über die Transformationsprozesse im Reallabor Gängeviertel zu generieren (vgl. Scholz 2011: 373ff.), und weil dabei verschiedene wissenschaftliche Forschungsinstrumente (Forschungstagebuch, Realexperimente, theoriebasierte Prozessanalyse etc.) und künstlerische Praktiken (Arrangieren, Inszenieren, Präsentieren etc.) kombiniert wurden (vgl. Wildner 2015: 182).
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Im Folgenden stelle ich dar, welche Erkenntnisse ich durch die Realexperimente jeweils generieren konnte, und beleuchte Hemmnisse, die bei der Umsetzung aufgetreten sind. Des Weiteren zeige ich auf, inwiefern Lernprozesse bei den Beteiligten stattgefunden haben, und stelle den Verlauf der Kooperation in Folge meiner Realexperimente dar. Ich gehe dabei auch auf die von mir angewendeten künstlerischen Praktiken ein. Damit möchte ich einen Beitrag zur methodischen Weiterentwicklung der Reallabor-Methode leisten, denn meines Erachtens ist vor allem der zielgerichtete Einsatz von künstlerischen Praktiken im Rahmen von Realexperimenten innovativ an meinem Forschungsdesign und kann für andere Forscher*innen im Bereich transdisziplinärer Forschung von Interesse sein (vgl. Jaeger-Erben et al. 2018: 117ff.).
30) Die Gängeviertel-Bausymposien finden begleitend zur Sanierung statt, um externe Expert*innen und Öffentlichkeiten in den Sanierungsprozess einzubinden. Die ersten drei Bausymposien wurden vom Gängeviertel in Zusammenarbeit mit weiteren Akteur*innen der Sanierung organisiert und behandelten vor allem bauliche und gestalterische Themen (Fenster, Türen, Oberflächen/Wärme und Energie/ Freiraumkonzept). Download der Dokumentationen unter: das-gaengeviertel.info/medien/ mediathek/dokumentationder-bausymposien.html (Aufruf: 12.05.2020)
3.2.2 ERSTES REALEXPERIMENT: BAUSYMPOSIUM Als erstes Realexperiment habe ich im April 2016 ein Bausymposium zum Kooperationsverfahren und der Sanierung im Gängeviertel organisiert und umgesetzt.30 Dabei kam es im Vorfeld zu Hemmnissen, die eingeladenen Vertreter*innen der Stadt Hamburg reagierten zunächst skeptisch und lehnten ihre Teilnahme ab. Unter anderem befürchteten sie, dass vertrauliche Inhalte aus den parallel laufenden Verhandlungen zwischen der Stadt Hamburg und dem Gängeviertel über die langfristige Selbstverwaltung durch die Genossenschaft öffentlich werden könnten, wodurch der Verhandlungsprozess aus ihrer Sicht torpediert würde. Teilweise wurde auch die Sorge geäußert, dass die Vertreter*innen der Stadt Hamburg als Blockierende dargestellt und öffentlich unter Druck gesetzt werden könnten (vgl. San.Beirat 2016: 3). Um die Vertreter*innen der Stadt Hamburg dennoch zur Teilnahme zu bewegen, habe ich das Konzept angepasst, indem der Großteil der Veranstaltung unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt und Workshopergebnisse nur in Abstimmung mit der Stadt Hamburg veröffentlicht wurden. Während des Bauysmposiums konnten sich die Teilnehmer*innen bei einem nicht öffentlichen Rundgang ein aktuelles Bild vom Gängeviertel machen und wurden von verschiedenen Expert*innen auf mehreren Stationen über Pro-
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31) Bereits vor dem Workshop fand eine Online-Befragung der Teilnehmenden statt. Moderiert wurde der Workshop von Christoph Hinske. Unter seiner Anleitung wurde gemeinsam ein Behavior over Time Graph (BoTG) erstellt. BoTGs dienen zur Darstellung von langfristigen Veränderungen und einzelnen Ereignissen mit Einfluss auf die Entwicklung eines sozialen Systems. Dabei sollen die Beteiligten erkennen, inwiefern ihre Handlungen in Bezug auf das Erreichen eines gemeinsamen Ziels voneinander abhängen (vgl. Spann/Ritchie-Dunham 2008). Die Ergebnisse der Befragung und des Workshops wurden vom Moderator ausgewertet und sind in meine Analyse des Kooperationsprozesses mit eingeflossen.
bleme und Potenziale in Bezug auf die Sanierungsmaßnahmen und die Bausubstanz informiert (siehe Abbildung 9). In der bereits sanierten Fabrique fand ein moderierter Workshop statt, bei dem die Teilnehmenden den bisherigen Kooperations- und Sanierungsverlauf sowie mögliche zukünftige Entwicklungen gemeinsam reflektierten („Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“) (siehe Abbildung 10).31 Zuletzt fand im selben Gebäude eine öffentliche Veranstaltung mit Vorträgen und einer Podiumsdiskussion statt (siehe Abbildung 11). Eine ausführlichere Prozessbeschreibung des Bausymposiums, der Workshop-Methode und ihrer Ergebnisse findet sich im anschließend veröffentlichten „Laborbericht“ (siehe Kapitel 3.2.3). Die drei Teile des Bausymposiums waren „inszeniert“ (Seel 2011: 353ff.) mit der Absicht, dass die Teilnehmer*innen einen unmittelbaren Eindruck von den Selbstverwaltungspraktiken der Nutzer*innen des Gängeviertels, der Ästhetik des Ortes und seiner Geschichte bekommen. Des Weiteren sollte die Empathie der Teilnehmenden und ihr Bezug zum Gängeviertel gefördert werden, um unterschiedliche Wertvorstellungen, die sie daran knüpfen, verhandeln zu können. So sollten gemeinsame Ziele für die
Abbildung 9: Rundgang im Rahmen des vierten Gängeviertel-Bausymposiums, 2016.
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Abbildung 10: „Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“ im Seminarraum des Gängeviertels, 2016.
Abbildung 11: Podiumsdiskussion zum Bausymposium im MOM Art Space im Gängeviertel, 2016.
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32) Mehrere Teilnehmer*innen trafen diese Aussage während und direkt nach der „Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“ am 18.04.2016 in persönlichen Gesprächen mit mir. 33) Dr. Stephanie Bock vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin (difu) referierte über „Neue Kooperationsformaten für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung“ und Prof. Dr. Frank Othengrafen von der Leibniz Universität Hannover hielt einen Vortrag über „Städtische Planungskulturen und urbane Bürgerinitiativen“. Zusammen mit Christoph Hinske, dem Moderator der „Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“, und dem Autor dieser Publikation bildeten sie das Podium der anschließenden Diskussion.
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Zukunft des Gängeviertels gefunden und Handlungsblockaden gelöst werden, die eine Kompromissfindung im Konflikt um die Selbstverwaltung behinderten. Um den Findungsprozess durch „ästhetische Erfahrungen“ (Bippus 2009: 12) unter den Teilnehmenden zu unterstützen, habe ich für die „Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“ ein Raumsetting „arrangiert“ (Siegmund 2015: 139), wodurch ein gemütliches und entspannendes Raumgefühl bei den Teilnehmenden entstehen sollte. Die von mir geschaffene „Atmosphäre“ (Böhme 2011: 239ff.) kontrastierte mit den eher kalten und streng geordneten Konferenzräumen in den Behörden, wo die Kooperationsakteur*innen üblicherweise die Zukunft des Gängeviertels verhandelten. Zentral dabei waren die Sessel der Teilnehmenden. Diese unterschieden sich allesamt in ihren Formen und sollten dazu beitragen, dass sich die Teilnehmenden während des Workshops nicht nur als Repräsentant*innen einer Organisation adressiert fühlten, sondern auch als Subjekte mit individuellen Werturteilen. Mehrere Teilnehmer*innen bezeichneten die Wirkung des Workshops im Anschluss als „therapeutisch“.32 Insofern kann davon ausgegangen werden, dass die von mir arrangierten „soziale[n] Situationen“ (Siegmund 2015: 139) zur zwischenmenschlichen Annäherung der Teilnehmer*innen beitrugen und sie sich ein Stück weit aus ihren repräsentativen Rollen lösten. Für die abendliche Diskussion hatte ich im Ausstellungsraum der Fabrique eine komplett andere Situation arrangiert, die sich an frontalen Vortragssettings orientierte. Im Mittelpunkt standen dabei die Referent*innen33, das Gängeviertel und die versammelte Öffentlichkeit (Aktive, Verwaltungsmitarbeiter*innen, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen etc.). Dabei übernahm ich selbst die Rolle des Moderators und steuerte den Diskussionsverlauf so, dass – anhand des Gängeviertels als Beispiel – Potenziale und Konflikte der Kooperation von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in der Stadtentwicklung diskutiert wurden (vgl. Peters 2017: 343ff.). Zum einen wurden so die wissenschaftliche Relevanz und das öffentliche Interesse der Kooperation in Szene gesetzt, um die Überwindung von Handlungsblockaden der an der Kooperation Beteiligten zu unterstützen. Zum anderen dienten die Vorträge, die Wortmeldungen des Publikums und die Diskussionen auf dem Podium dem Austausch der versammelten Akteur*innen und dem Ziel, Lernprozesse unter ihnen anzustoßen. Des Weiteren nutzte ich die von mir geschaffene Situation, um verschiedene Perspektiven auf den Kooperationsprozess zu
erfassen und bei der Aufarbeitung der Workshopergebnisse mit einfließen zu lassen (vgl. Peters 2014: 218ff.). Insgesamt konnte durch das Bausymposium Wissen über die Ursachen der bestehenden Konflikte (Systemwissen) und über Potenziale und Notwendigkeiten zu deren Überwindung (Ziel-/Orientierungswissen) generiert werden: Systemwissen: Die Teilnehmenden der „Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“ knüpften verschiedene Zielvorstellungen an die Sanierung und bewerteten die Ergebnisse entsprechend unterschiedlich. So zeigten sich die Vertreter*innen der Stadt Hamburg mit der Sanierung überwiegend zufrieden, da die Vorgaben des Integrierten Entwicklungskonzepts (IEK) bei den sanierten Gebäuden weitgehend erreicht wurden. Vertreter*innen des Gängeviertels empfanden die Sanierung dagegen als Bedrohung für das Fortbestehen des Projekts, vor allem weil die Selbstverwaltung durch die Genossenschaft nicht geklärt war und die Sanierungsergebnisse nicht ihren Vorstellungen einer denkmalgerechten Sanierung entsprachen. Aufgrund der abweichenden Zielvorstellungen und Bewertungsmaßstäbe hatten die Teilnehmer*innen wenig Verständnis für die Anforderungen der anderen Kooperationsparteien an die weitere Sanierung und empfanden wechselseitiges Misstrauen sowie einen Mangel an Kooperationswillen. Dadurch wurde die Kommunikation bei der Suche nach Lösungsmöglichkeiten für Konflikte erschwert und Handlungsblockaden konnten nicht ausreichend gelöst werden. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass die Öffentlichkeit eine sensible Rolle im Kooperationsverfahren spielt und die Stadt Hamburg Lösungen für Konflikte unter deren Ausschluss verhandeln möchte. Deutlich wurde außerdem, dass intensive ressortübergreifende und behördeninterne Abstimmungen notwendig sind, um ein geschlossenes Handeln seitens der Stadt Hamburg herzustellen. Denn während Vertreter*innen bestimmter Behörden (und des Sanierungsträgers) keine Vorbehalte äußerten, agierten andere zunächst ablehnend und mussten erst die Zustimmung ihrer Behördenleitung einholen. Außerdem befürchteten einige Vertreter*innen, während des Workshops in einen inneren Konflikt zu geraten, da sie als Repräsentant*innen der Stadt Hamburg und Privatpersonen eine Doppelrolle innehaben, die dazu führen kann, dass eine Person die Position von Vorgesetzten vertreten muss, obwohl diese nicht der persönlichen Überzeugung entspricht.34 Das wurde auch bei der abendlichen Diskussion deutlich, an der
34) Mehrere Vertreter*innen der Stadt Hamburg trafen diese Aussage mir gegenüber bei vorbereitenden Gesprächen zum Bausymposium.
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Mitarbeiter*innen der Verwaltung ausdrücklich in der Rolle von Bürger*innen teilnahmen und nicht als Vertreter*innen der Stadt Hamburg. Daran zeigt sich, dass Handlungsrationalitäten von Vertreter*innen der Stadt Hamburg neben persönlichen Wertvorstellungen maßgeblich auf behördlichen und politischen Vorgaben basieren. Kompromisse und Einigungen werden so erschwert und können blockiert werden, wenn Behördenleitung und Politik keinen ausreichenden Handlungsrahmen zugestehen. Ziel- und Orientierungswissen: Um Kooperation für die Beteiligten erfolgreich zu gestalten, war laut den Teilnehmenden unter anderem die Anpassung des Verfahrens notwendig. Dazu zählte, dass die Selbstverwaltung des Gängeviertels geklärt und das IEK in Bezug auf die Flächennutzung überarbeitet wird. Vor allem aber benannten Vertreter*innen beider Seiten soziale Aspekte wie Vertrauen, Wertschätzung, Augenhöhe und Kompromissbereitschaft. Diese Äußerungen deuten auf erhebliche soziale Potenziale zur Anpassung der Kooperation an Konflikte hin. Um sie zu nutzen, müssten die Kooperationspartner*innen allerdings ihre Zielvorstellungen und Wertmaßstäbe aufeinander abstimmen. Infolge des Bausymposiums veränderten die Stadt Hamburg und das Gängeviertel die Art und Weise, wie sie miteinander verhandelten. Unter Anleitung einer professionellen Moderatorin fanden an einem neutralen Ort (weder im Gängeviertel noch in einer Behörde) ein Workshop zur langfristigen Sicherung der Selbstverwaltung und weitere moderierte Arbeitstreffen statt. Dieses moderierte Verfahren sollte dazu dienen, die interne Kommunikation zu verbessern und das Vertrauen zwischen den Verhandelnden zu stärken. Daran zeigt sich, dass es mir gelungen war, einen Lernprozess unter den Akteur*innen der Kooperation über den Umgang miteinander anzustoßen. Allerdings führten diese Maßnahmen zunächst nicht zu einer Einigung in der Frage, wie die Selbstverwaltung des Gängeviertels durch die Genossenschaft langfristig gesichert werden könne, und somit auch nicht zur Aufhebung des Planungsstopps. Dies gelang erst nach einem Neustart der Verhandlungsgespräche (siehe Kapitel 4.4).
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3.2.3 ZWEITES REALEXPERIMENT: LABORBERICHT Als zweites Realexperiment habe ich im Mai 2017 eine Broschüre mit dem Titel Zukunftsfähigkeit durch Kooperation – ein Laborbericht aus dem Gängeviertel veröffentlicht und präsentiert (Ziehl 2017). Darin sind der Verlauf und die Ergebnisse der „Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“ in aufgearbeiteter Form dargestellt. Zudem finden sich darin 20 vorläufige Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Kooperation, die ich erarbeitet habe, und ein wissenschaftlicher Artikel zu Urbaner Resilienz sowie dem Kooperations- und Forschungsprozess. Die Broschüre beinhaltet außerdem Zitate, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Kooperation beleuchten, sowie Fotos, die die Sanierung der Gebäude zeigen. Ziel dieser Zusammenstellung von Theorie, Empirie, Text- und Bildmaterial in Form einer Broschüre war es, ein boundary object zu kreieren. Solche Grenzgegenstände können Ideen, Beispiele, Artefakte oder – wie in diesem Fall – Publikationen sein. Sie dienen dazu, zwischen unterschiedlichen Akteur*innen zu vermitteln und zum Austausch ihrer Wertvorstellungen und Handlungsrationalitäten anzuregen (vgl. Schäfer 2013: 181f.). Meine Broschüre sollte über die temporäre Workshopsituation hinaus als Bezugsobjekt für die Kooperationsakteur*innen dienen, zu Feedback anregen sowie auf gemeinsame Erfolge, Konflikte und Lösungsvorschläge verweisen. Indem Exemplare davon an die Beteiligten verteilt wurden, sollten so die Verhandlungen zur Anpassung des Kooperationsverfahrens unterstützt werden. Darüber hinaus wurde die gedruckte Broschüre auch an Expert*innen, Aktivist*innen und Interessierte verteilt, die nicht Teil der Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels sind, und es wurde eine Möglichkeit zum Download im Internet eingerichtet.35 Diese Akte des unabhängigen Selbstpublizierens (vgl. Gilbert 2016: 7ff.) meiner Forschung waren als Beiträge zur fachlichen Debatte über die Kooperation von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gedacht, um im Rahmen meiner Forschung auch auf diskursiver Ebene zur Koproduktion Urbaner Resilienz beizutragen. Die Präsentation des Laborberichts und der anschließende Workshop zu den darin enthaltenen Handlungsempfehlungen fanden in einem Seminarraum der HafenCity Universität Hamburg (HCU) statt (siehe Abbildung 12). Eingeladen waren insbesondere
35) Download als PDF unter: urban-upcycling.de/laborbericht (Aufruf 12.05.2020).
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Abbildung 12: Präsentation des Laborberichts in der HafenCity Universität Hamburg, 2017.
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Abbildung 13: Michael Ziehl bei der Präsentation des Laborberichts, 2017.
Beteiligte der Verhandlungen zwischen dem Gängeviertel und der Stadt Hamburg. Die Wahl einer Universität als Veranstaltungsort erfolgte in der Absicht, die Funktion der Veranstaltung als Experiment zur Wissensgewinnung zu unterstreichen und Vorbehalten von Vertreter*innen der Stadt Hamburg bezüglich ihrer Teilnahme im Vorfeld entgegenzuwirken. Um diesen Zweck auch ästhetisch erlebbar zu machen, wurde der Seminarraum durch die Wahl von abwaschbaren Materialien und einer strengen, reduzierten Anordnung von Mobiliar in Anlehnung an naturwissenschaftliche
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Laborräume inszeniert. Als Teil der Inszenierung trat ich in einer Kleidung auf, die Laborschutzanzügen nachempfunden war. Durch diese „Lecture-Performance“ (Peters 2011: 36) zur Wissensvermittung- und gewinnung stellte ich meine Doppelrolle als Aktivist und Forschender dar (siehe Abbildung 13). Damit wollte ich die Teilnehmer*innen zu einem offenen Feedback in Bezug auf die Handlungsempfehlungen anregen, das vor allem auf ihren persönlichen Überzeugungen basierte und nicht primär auf den Interessen der von ihnen repräsentierten Organisationen. Trotz der Ortswahl kam es auch beim zweiten Realexperiment zu Problemen bezüglich der Beteiligung der Stadt Hamburg. Zu dem Zeitpunkt hatte die FHH alle Verhandlungen ausgesetzt und die Kommunikation mit dem Gängeviertel weitgehend eingestellt. Begründet wurde dies damit, dass interne Beratungen und ressortübergreifende Abstimmung zwischen Verwaltung und Politik notwendig seien, bevor weiter verhandelt werden könne. Teil nahmen daher Aktive des Gängeviertels, Angehörige des Graduiertenkollegs, in dessen Rahmen die Veranstaltung stattfand, sowie der Architekt des bisherigen Sanierungsverfahrens. Das dabei gewonnene Wissen ist dementsprechend lückenhaft, da die Stadt Hamburg als eine der beiden Kooperationsparteien nicht vertreten war. Dennoch konnte mit der Auswertung der Ergebnisse des Workshops und der anschließenden Diskussion Transformationswissen über die Umsetzbarkeit der vorläufigen Handlungsempfehlungen generiert werden: Transformationswissen: Die Teilnehmenden sahen die vorläufigen Handlungsempfehlungen grundsätzlich als geeignet an, um das Kooperationsverfahren anzupassen, und befürworteten überwiegend deren Umsetzung. Mehrere Teilnehmer*innen problematisierten allerdings die Finanzierung der empfohlenen Maßnahmen, denn zum Zeitpunkt des zweiten Realexperiments war bereits absehbar, dass der festgelegte Finanzrahmen für die Sanierung nicht ausreichen würde und keine der vorgeschlagenen Maßnahmen aus dem vorhandenen Budget finanziert werden könnte. Als weiteres Problem wurde der zusätzliche Zeitaufwand benannt, der für die Umsetzung der Handlungsempfehlungen notwendig wäre. Sowohl die an der Kooperation Beteiligten seitens des Gängeviertels wie auch die Stadt Hamburg waren mit ihren Aufgaben im Rahmen der Entwicklung bereits voll ausgelastet. Dabei stellte sich insbesondere für die Akteur*innen des Gängeviertels das Problem, dass sie für ihren Einsatz bis auf we-
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nige Ausnahmen nicht bezahlt wurden, wodurch die meisten von ihnen in einer prekären finanzielle Lage agierten, wenn sie sich im Kooperationsprozess einbrachten. Des Weiteren forderten mehrere Teilnehmer*innen, dass höher gestellte Entscheidungsträger*innen aus Politik und Verwaltung direkt in das Kooperationsverfahren eingebunden werden sollten, um es anpassen zu können – etwa die Staatsrät*innen und Senator*innen der zuständigen Behörden. Sie begründeten dies damit, dass die Vertreter*innen der Stadt Hamburg in den Verhandlungstreffen keine ausreichenden Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten hätten, um einen Kompromiss mit dem Gängeviertel zu vereinbaren. Außerdem zeigten sich mehrere Teilnehmer*innen skeptisch in Bezug auf die Empfehlung, dass es für den Kooperationsprozess zielführend wäre, wenn die Beteiligten eine „gemeinsame Vision“ erarbeiten, da die Interessen der Akteur*innen in Bezug auf die Entwicklung des Gängeviertels als zu unterschiedlich angesehen wurden. Sie fanden es allerdings begrüßenswert, wenn die Beteiligten ihre jeweiligen Interessen transparent machen würden, damit darauf aufbauend gemeinsam nach Lösungen für Konflikte gesucht werden könne. Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass die Teilnehmer*innen nur wenige konkrete Vorschläge machten, wie die vorläufigen Handlungsempfehlungen umgesetzt werden könnten. Stattdessen wurden vor allem Probleme in Bezug auf die Umsetzbarkeit benannt. Daraus lässt sich schließen, dass konkrete Umsetzungsmöglichkeiten für die Handlungsempfehlungen von den Kooperationspartner*innen gemeinsam erarbeitet werden müssen. Das war im Rahmen des Realexperiments allerdings nicht möglich, da die Vertreter*innen der Stadt Hamburg nicht daran teilnahmen. Ich habe daher im Anschluss an das zweite Realexperiment die Broschüre an die mit der Kooperation befassten Personen bei der Stadt Hamburg und der steg verschickt und im Rahmen der wieder aufgenommenen Verhandlungen für ihre Umsetzung geworben. Auf diese Weise habe ich Zwischenergebnisse meiner Forschung in den Kooperationsprozess eingespeist. Mehrere meiner eingebrachten Anregungen wurden dann auch zwischen Vertreter*innen der Stadt Hamburg, den Aktiven des Gängeviertels und mir diskutiert und in angepasster Form im weiteren Prozess berücksichtigt. So hat der Laborbericht über seine Präsentation und den zugehörigen Workshop hinaus einen Bezugspunkt zur Auseinandersetzung über den Kooperationsprozess gebildet und
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konnte als Grundlage für weiteres Transformationswissen genutzt werden. Das gilt insbesondere für meinen Vorschlag zur Einführung eines dauerhaften Koordinierungskreises: Im Herbst 2019 einigten sich die Kooperationspartner*innen auf ein Maßnahmenpaket zur Anpassung des Kooperationsverfahrens und der Planungsstopp wurde einvernehmlich aufgehoben (siehe Kapitel 4.4.1). Unter anderem wurde in Anlehnung an meine Handlungsempfehlungen zur „Einführung eines Kooperationsmanagements“ ein Koordinierungskreis geschaffen, in dem Entscheidungsträger*innen seitens des Gängeviertels, der beteiligten Behörden und des Sanierungsträgers vertreten sind. Dieser soll die operative Ebene zur Planung und Ausführung von Sanierungsmaßnahmen mit der Entscheidungsebene in den beteiligten Behörden verknüpfen und Fragen zur Umsetzung der Kooperation erörtern und klären. Das Gremium soll zweimal im Jahr tagen und die Treffen sollen von einer externen Person professionell moderiert werden, wenn dies von Teilnehmenden gewünscht wird (vgl. Bezirk Mitte 2019a). Zwar hat der Koordinierungskreis selbst keine Entscheidungsmacht, aber unter den Beteiligten können Lösungen ausgehandelt werden, die in den darin vertretenen Organisationen vermittelbar und mehrheitsfähig sind. Er bildet somit einen organisatorischen Rahmen, der das wechselseitige Lernen unter den Beteiligten fördert und das Finden von gemeinsamen Lösungen für unerwartete Probleme ermöglicht. Insofern wurde das bestehende Verfahren mit seiner Einführung um ein anpassungsfähiges Ko-Management (siehe Kapitel 2.3) ergänzt. Ob der Koordinierungskreis entsprechend genutzt wird und langfristig zur Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels beiträgt, konnte ich im Rahmen des Forschungszeitraums nicht mehr untersuchen. Ebenso ist es mir nicht möglich, auf Grundlage der von mir erhobenen Daten nachzuweisen, wie genau die Realexperimente das Handeln der Beteiligten im Kooperationsprozess beeinflusst haben. Um den kausalen Zusammenhang zwischen den Realexperimenten, der Anpassung des Kooperationsprozesses und dessen Beitrag zur Resilienz in Hamburg zu verifizieren, wäre eine längere Prozessbeobachtung und weitere Forschung notwendig gewesen, etwa in Form von Interviews mit den Teilnehmenden der Realexperimente (vgl. Schäpke et al. 2017: 25, vgl. Selle 2013: 216). Daher sind meine voranstehenden Ausführungen beschränkt auf Beschreibungen der Realexperimente, des weiteren Prozessverlaufs und des da-
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durch generierten Wissens. Diese Umstände verweisen auf zentrale Herausforderungen bei der Arbeit mit der Reallabor-Methode, die ich im Folgenden anhand meiner Forschung diskutiere. Des Weiteren gehe ich auf den Einsatz von künstlerischen Praktiken im Rahmen von Realexperimenten ein und zeige Potenziale der Forschungsmethode zur Koproduktion Urbaner Resilienz auf.
3.3 REFLEXION DER REALEXPERIMENTE UND KÜNSTLERISCHEN PRAKTIKEN IM REALLABOR GÄNGEVIERTEL Von Beginn an war meine Forschung partizipativ angelegt. Das gilt vor allem für die beiden Realexperimente, wobei ich Aktive des Gängeviertels, Vertreter*innen der Stadt Hamburg und weitere Akteur*innen gezielt beteiligt habe. Die Realexperimente wurden von mir alleine konzeptioniert und basierten weitgehend auf meinen Vorannahmen bezüglich der Konflikte im Kooperationsprozess. Insofern unterscheiden sie sich von Realexperimenten, die von Anfang an unter Einbindung der Beteiligten erarbeitet werden (co-design) (vgl. Page et al. 2016: 87). Für die Durchführung der von mir konzipierten Realexperimente war ich allerdings auf die Zusammenarbeit mit den Kooperationsakteur*innen angewiesen. Das brachte für Partizipationsverfahren typische Probleme mit sich und warf Fragen in Bezug auf die Legitimität meines Handelns auf. So ähnelte die anfängliche Verweigerungshaltung der Stadt Hamburg in Bezug auf das Bausymposium der von Bürger*innen, die nicht an offiziellen Partizipationsverfahren zur Stadtentwicklung teilnehmen wollen, weil sie den Verantwortlichen nicht trauen und eine Instrumentalisierung befürchten (vgl. Selle 2013: 174, 269). Daran wird deutlich, dass Forschende weitere Beteiligte in Reallaboren unter Umständen nicht nur aktivieren, sondern auch überzeugen müssen, um sie für das Mitwirken an Realexperimenten zu gewinnen (vgl. Eckart et al. 2018: 123). Deshalb kann es notwendig sein, dass die Forschenden Realexperimente an die Bedenken der Beteiligten anpassen – so wie im Falle des Bausymposiums. Vor allem aber ist ein vertrauensvoller
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und offener Umgang mit allen Beteiligten von Bedeutung. Die Einführung des Koordinierungskreises als Teil der Einigung zwischen dem Gängeviertel und der Stadt Hamburg wäre ohne einen solchen Umgang miteinander nicht möglich gewesen. Ob der Koordinierungskreis und andere Maßnahmen zur Anpassung der Kooperation langfristig zu einem produktiveren Prozess verhelfen, konnten die Akteur*innen zum Zeitpunkt ihrer Einführung nicht wissen. Der produktive Umgang mit derartigem Nichtwissen und möglichen Überraschungen zählt zu den zentralen Herausforderungen sowohl bei der Herstellung Urbaner Resilienz wie auch bei der Arbeit in Reallaboren. Beides erfordert die Kompetenz der Beteiligten, aus unkontrollierbaren Situationen zu lernen und produktiv mit Nichtwissen umzugehen, um Transformationen in eine gewünschte Richtung zu steuern (vgl. Groß 2017: 21ff.). Das gilt insbesondere für die Forschenden bei der Umsetzung von Realexperimenten, da sie deren Bedingungen niemals vollständig kontrollieren können (vgl. Schneidewind/SingerBrodowski 2014: 126). Im Reallabor Gängeviertel überraschte vor allem die anfängliche Verweigerungshaltung der Stadt Hamburg gegenüber dem Bausymposium und dem Einbinden von Öffentlichkeiten. Daraus konnte ich allerdings Erkenntnisse über das Verwaltungshandeln in Bezug auf den Umgang mit Öffentlichkeit im Rahmen von Kooperationen generieren (siehe Kapitel 3.2.2). In solchen Überraschungen liegt aus soziologischer Sicht der eigentlich experimentelle Charakter von Realexperimenten: „Das Wort ,experimentell‘ soll in diesem Zusammenhang darauf verweisen, dass Unsicherheiten konstruktiv als Methode zur Generierung von neuen Erkenntnissen genutzt werden. Damit wird eine Offenheit gegenüber eventuellen überraschenden Ereignissen gefordert und von den beteiligten Akteuren ein Einstellen auf das Unerwartete erwartet.“ (Groß 2017: 23) Genau darum geht es bei der Herstellung Urbaner Resilienz. So beziehen vor allem Überlegungen zur generellen Anpassungsfähigkeit von Städten den produktiven Umgang mit Nichtwissen ausdrücklich mit ein (vgl. Meerow et al. 2016: 46). Reallabore und Realexperimente bilden aus meiner Sicht einen geeigneten methodischen Rahmen, um das dafür notwendige Wissen zu generieren, damit entsprechende Lernprozesse unter den Beteiligten angestoßen und urbane Teilsysteme anpassungsfähig gestaltet werden – etwa indem wie beim Reallabor Gängeviertel ein anpassungsfähiges Management zur Steuerung von Stadträumen implementiert wird (vgl. Krohn 2007: 346).36
36) Der Umweltsoziologe Matthias Groß argumentiert, dass sich Realexperimente und Resilienz-Konzepte weitgehend ausschließen weil das Resilienz-Konzept „zeitlich rückwärtsgewandt ist; das Gleichbleibende ist der Maßstab.“ (Groß 2014: 165) Daher lasse es „keine konkreten Visionen für den Umgang mit einer unsicheren Zukunft“ (ebd.) zu. Realexperimente implizieren dagegen „das Hinter-sich-lassen alter Strukturen und Funktionen, da diese Gründe für wahrgenommene Probleme beherbergen“ (ebd.: 167). Dieser von Groß benannte konzeptionelle Gegensatz gilt meines Erachtens nicht, wenn Resilienz-Konzepte mit einer nachhaltigen Transformation zusammen gedacht werden wie im Fall dieser Arbeit und dem aktuellen wissenschaftlichem Diskurs (siehe Kapitel 2.1).
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Allerdings sollten Reallabore methodisch erweitert werden, um die genauen Wirkungszusammenhänge zu erfassen und zu ergründen, wie mit Realexperimenten das Handeln der Beteiligten und der weitere Verlauf von Prozessen, in die sie eingebettet sind, beeinflusst werden kann. Dies ist notwendig, um ihre Wirksamkeit bewerten zu können und um sie so weiterzuentwickeln, dass Transformationen möglichst zielgerichtet gestaltet werden können (vgl. West 2018: 363ff., vgl. Schönwandt 2002: 101). Zwar konnte ich die genauen Wirkungszusammenhänge zwischen den Realexperimenten und dem weiteren Verlauf der Kooperation im Rahmen der mir zur Verfügung stehenden Zeit und Ressourcen nur beobachten und nicht vertiefend untersuchen, dennoch schließe ich aus meiner Forschungserfahrung im Reallabor Gängeviertel, dass Forschende Transformationsprozesse wirksam mitgestalten können, indem sie künstlerische Praktiken in Realexperimente einbinden. Das Ziel sollte dabei meines Erachtens sein, mithilfe von künstlerischen Praktiken wie Arrangieren, Inszenieren und Performen Transformationsprozesse entsprechend der normativen Handlungsgrundlagen der Forschenden zu unterstützen und gleichzeitig das dafür notwendige Wissen zu gewinnen, wobei auch überraschende Ergebnisse und Erkenntnisse generiert werden können (vgl. Malorny 2018: 75). Eine zentrale Herausforderung liegt dabei in einer „guten Gestaltung“ (Krohn 2012: 12) von Realexperimenten – verstanden als zielgerichtete Eingriffe in soziale Prozesse und gesellschaftliche Entwicklungen, bei denen die Forschenden künstlerische Praktiken anwenden und die so unternommenen Eingriffe in Bezug auf die damit verfolgten Ziele und den tatsächlichen Prozessverlauf methodisch reflektieren (ebd.). Folglich geht es um die Gestaltung eines Prozesses, bei dem die Forschenden Situationen, Arrangements, Atmosphären etc. kreieren, um weitere Akteur*innen als Koproduzent*innen von Wissen und als an Transformationsprozessen Beteiligte einzubinden. Dabei wird Realität nicht nur in Begriffen, Worten und Konzepten beschrieben und vermittelt, wie es in der Wissenschaft üblich ist, sondern für die Beteiligten auch erfahrbar gemacht (vgl. Hildebrandt 2014: 75). So können künstlerische Praktiken im Rahmen von Realexperimenten zu einer ganzheitlichen Betrachtung von nachhaltigen Transformationen beitragen, wobei insbesondere die subjektive Ebene der Beteiligten im Fokus steht – also ihre Handlungsrationalitäten, Grundannahmen und Wertvorstellungen etc. (vgl. Heinrichs 2018: 132). Zudem können Forschende mittels
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künstlerischen Praktiken ästhetische Erfahrungen und soziale Situationen kreieren, um die subjektive Wahrnehmung der Beteiligten zu beeinflussen. Dadurch können sie auch Transformationen von sozialen Strukturen unterstützen wie etwa Management- und Governancestrukturen, Kooperationsnetzwerke etc. Dazu ist in vielen Fällen ein Bewusstseinswandel bei den für Transformationsprozesse relevanten Akteur*innen erforderlich. Gemeinsame ästhetische Erfahrungen können dies unterstützen und auslösen, indem sie die Beteiligten zum Hinterfragen ihrer Wertvorstellungen und Grundannahmen anregen. Daran wird deutlich, dass sich die Forschenden beim Einsatz von künstlerischen Praktiken im Rahmen von Reallaboren und Realexperimenten nicht nach den Maßstäben einer Kunstproduktion richten können, bei der sie sich nicht um die Lösung von gesellschaftlichen Problemen kümmern müssten und ohne klar definierte Zielsetzungen agieren könnten (vgl. Holub 2015: 35ff.). Ebensowenig sind Reallabore und Realexperimente aufgrund der normativen Handlungsgrundlagen der Forschenden mit dem modernen Wissenschaftsideal einer objektiven Forschung vereinbar (vgl. Bellinger/Krieger 2006: 18). Stattdessen oszillieren solche transdisziplinären Realexperimente zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung und werden mithilfe von Praktiken aus beiden Bereichen als Teile einer pluralen und nachvollziehbaren Methodik umgesetzt (vgl. Haarmann 2019: 286ff.), um lösungsorientiertes Wissen zu generieren und nachhaltige Transformationen zu gestalten (siehe Abbildung 14). Ich verstehe dieses
KÜNSTLERISCHE PRAKTIKEN
WISSEN GENERIEREN
TRANSFORMATION GESTALTEN
WISSENSCHAFTLICHE PRAKTIKEN
Abbildung 14: Eigenschaften der transdisziplinären Realexperimente im Reallabor Gängeviertel.
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Vorgehen als eine wissenschaftsnahe Variante künstlerischer Forschung, die im Rahmen von transformativen Methoden wie Realexperimenten und Reallaboren operiert. In Bezug auf die Koproduktion Urbaner Resilienz bedeuten die vorangegangenen Schlussfolgerungen, dass mithilfe von künstlerischen Praktiken Empathie, Vertrauen und Lernbereitschaft bei zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen auf subjektiver Ebene hergestellt werden. Darauf aufbauend können Kooperationen zur Koproduktion Urbaner Resilienz umgesetzt und kann das dafür notwendige Wissen gewonnen werden. Im Reallabor Gängeviertel wurde die zwischenmenschliche Annäherung unter den Akteur*innen und die Reflexion dieses Prozesses allerdings erschwert, da die Vertreter*innen in den Verhandlungen auf beiden Seiten mehrfach wechselten und sie zumindest teilweise nicht an den Realexperimenten teilnahmen. Trotz solcher Probleme bietet eine Integration von künstlerischen Praktiken in Realexperimente und Reallabore meines Erachtens ein noch weitgehend ungenutztes Potenzial zur Erhöhung der Wirksamkeit dieser Methoden. Dabei geht es um „das kreative Experimentieren an den Grenzen bisheriger wissenschaftlicher Praxis“ (Jaeger-Erben et al. 2018: 118) mit dem Ziel, Handlungsrationalitäten, Grundannahmen und Wertvorstellungen der Beteiligten zu entschlüsseln und zum Bewusstseinswandel unter ihnen anzuregen. Das kann mit rein wissenschaftlichen Praktiken der Wissensvermittlung und -generierung kaum erzielt werden (vgl. Heinrichs 2019: 11ff.).
3.3.1 AKTIVER UND FORSCHENDER – DIE EIGENEN ROLLEN IM REALLABOR Zu den vielen Herausforderungen für die Forschenden bei der Arbeit in Reallaboren zählt neben dem üblicherweise hohen Zeitaufwand und dem transdisziplinären Methodenmix der Umgang mit verschiedenen Rollen, die durch die vielen Aufgabenbereiche entstehen. Diese Rollen umfassen neben dem Forschen das Initiieren, Moderieren, Analysieren und Reflektieren von Prozessen sowie die Beratung der Beteiligten (vgl. Beecroft et al. 2018: 90).
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Damit die Forschenden dadurch nicht überfordert werden, sollten sie nach Möglichkeit die für Reallabore charakteristischen Bereiche Wissensgenerierung, Transformation und Lernprozess so entkoppeln, dass ein Scheitern in einem Bereich nicht das Scheitern in den anderen Bereichen nach sich zieht (vgl. Defila / Di Giulio 2018b: 24f.). Dementsprechend konnte ich im Reallabor Gängeviertel Handlungswissen über die Koproduktion Urbaner Resilienz unabhängig davon gewinnen, ob sich die Kooperationspartner*innen auf eine Anpassung des Verfahrens verständigten. Dabei nahm ich vor allem die Rolle eines Ratgebers ein, der (ungefragt) Workshops durchführte und Handlungsempfehlungen gab, um den Kooperationsprozess gemäß der eigenen Wertvorstellungen zu beeinflussen und gleichzeitig Wissen zu gewinnen. Dieses Vorgehen hängt eng mit der Doppelrolle zusammen, die ich im Rahmen des Reallabors einnahm, denn neben meiner Rolle als Forschender war ich auch als Aktiver des Gängeviertels an der Kooperation beteiligt. Als Teil der Besetzer*inneninitiative, Vorsitzender im Aufsichtsrat der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG, zweiter Vorsitzender des Sanierungsbeirates Gängeviertel, Mitglied in der Baukommission und der Verhandlungs-AG des Gängeviertels habe ich den Prozess seit 2009 intensiv begleitet und mitgestaltet. Unter anderm habe ich zu Beginn des Forschungszeitraums im Februar 2015 den Planungsstopp mit der Stadt Hamburg ausgehandelt und publik gemacht.37 Eine solche Doppelrolle kann Vor- und Nachteile für den Forschungsprozess haben. Zu den Vorteilen zählte in meinem Fall, dass ich Zugang zu internen Dokumenten aus dem Kooperationsprozess und intensiven Kontakt zu den Beteiligten des Kooperationsverfahrens hatte. So konnte ich in Abstimmung mit der Verhandlungs-AG des Gängeviertels Ergebnisse meiner Forschung auf Arbeits- und Verhandlungstreffen mit der Stadt Hamburg und der Sanierungsträgerin (steg) einbringen. Dabei bin ich sowohl als Aktiver des Gängeviertels wie auch als Forschender aufgetreten. Das war mir möglich, weil mit meiner Doppelrolle für mich kein Interessenskonflikt verbunden war. In beiden Rollen habe ich mich dafür eingesetzt, dass es den Akteur*innen gelingt, die Selbstverwaltung des Gängeviertels mit der langfristigen Entwicklung in Einklang zu bringen und das Kooperationsverfahren dementsprechend anzupassen. Diese Motivation steht in engem Zusammenhang mit meinem Ziel, Handlungsanregungen zu erarbeiten und zu vermitteln, die öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*in-
37) Der Planungsstopp wurde zusammen mit dem Rücktritt der Vertreter*innen des Gängeviertels aus dem Vorstand des Sanierungsbeirates im Februar 2015 während einer Sitzung des Beirates öffentlich gemacht. Eine Videoaufnahme der Erklärung ist einzusehen unter: youtube.com/watch?v=fNdnNfuSSNQ (Aufruf: 12.05.2020). Eine Pressemitteilung dazu findet sich unter: das-gaengeviertel.info/neues/details/article/planungsstop-im-gaengeviertel.html (Aufruf: 12.05.2020).
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38) Mehrere Teilnehmer*innen trafen diese Aussage im Vorfeld der „Werkstatt für gemeinsame Zukünfte“ am 09.02.2016 und 09.03.2016 in persönlichen Gesprächen mit mir. In einer persönlichen E-Mail vom 05.07.2017 bekräftigte der damaliger Geschäftsführer der steg diese Sichtweise: „Ich finde Ihre Rolle als aktiver Teilnehmer/Unterstützer des GV [Gängeviertels, Anmerkung des Autors] und gleichzeitig Forscher im Rahmen einer Dissertation sehr schwierig. Zwar beschreiben Sie diese Tatsachen in aller Ausführlichkeit – aber die Rolle eines neutralen Analysten können Sie doch bei dieser Konstellation niemals einnehmen. Deshalb empfinde ich viele Ihrer Ausführungen – bei allem erkennbaren Bemühen um neutrale Darlegung – häufig als parteiisch und nicht wirklich ausgewogen. Stark vereinfacht ausgedrückt verfärben Ihre erkennbaren und nachvollziehbaren Sympathien für das Projekt GV viele Schlussfolgerungen: Dort das Neue, kreative und innovative GV – und auf der anderen Seite die unflexiblen und unwilligen Vertreter der FHH oder der steg. Ich empfinde die Wirklichkeit tatsächlich anders.“
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nen helfen, produktiv zusammenzuarbeiten. Die Aussichten zur Vermittlung und Anwendung dieses Handlungswissen steigen, wenn die Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Gängeviertels für alle Kooperationspartner*innen erfolgreich verläuft. Im Falle des Scheiterns gäbe es für weitere Akteur*innen deutlich weniger Anreiz, meine Handlungsanregungen aufzugreifen. Diese Beweggründe für mein Handeln habe ich gegenüber den Beteiligten wiederholt dargelegt, um ihnen gegenüber transparent und fair in Bezug auf meine Ziele und ihrer Funktion als Koproduzent*innen von Wissen beim Erreichen dieser Ziele zu sein (vgl. Schneidewind/Singer-Brodowski 2014: 72, vgl. Krohn 2007: 441). Zu den Nachteilen meiner Doppelrolle zählte, dass die persönliche Nähe zu den Akteur*innen eine emotionale Betroffenheit mit sich brachte, wodurch vor allem zu Beginn der Arbeit mein analytischer Blick als Forschender beeinträchtigt wurde. Dementsprechend gab es, wie bereits dargestellt, vor allem seitens der Stadt Hamburg Vorbehalte aufgrund meiner Doppelrolle. Neben der Sorge, dass ich vertrauliche Informationen öffentlich machen könnte, befürchteten Vertreter*innen der Stadt Hamburg, dass ich durch die Realexperimente verzerrtes Wissen publizieren würde, indem ich bei der Auswertung der Ergebnisse subjektive und aktivistisch motivierte Bewertungen vornehmen könnte.38 Ich habe jedoch Verschwiegenheit gewahrt, wenn dies zwischen den Teilnehmenden vereinbart war, indem ich keine Informationen zu Verhandlungsgesprächen veröffentlichte, die ich ausschließlich als Teilnehmender dieser Gespräche gewonnen habe. Außerdem habe ich mich umso mehr um eine ausgewogene und wissenschaftlich fundierte Analyse des Kooperationsprozesses bemüht – zum einen, um den Ansprüchen wissenschaftlicher Forschung gerecht zu werden, zum anderen, damit meine Anregungen zur Anpassung des Kooperationsverfahrens sowohl seitens des Gängeviertels wie auch der Stadt Hamburg ernst genommen und berücksichtigt werden. Dadurch hat sich mein Selbstverständnis allmählich von einem Aktiven des Gängeviertels hin zum Forschenden und Vermittelnden unter den Kooperationsakteur*innen gewandelt. In diesem Zuge habe ich schrittweise soziale Distanz zu vielen der Aktiven im Gängeviertel eingenommen, was einen kritischen Blick auf ihr Handeln für mich deutlich spürbar gefördert hat (vgl. Schäfer 2013: 177). Unterstützt wurde diese Entwicklung dadurch, dass ich das zwischenzeitliche Ziel des Gängeviertels nicht mittragen wollte, die Gebäude und Grund-
stücke von der Stadt Hamburg zu kaufen und in Eigenverantwortung zu sanieren, um die Selbstverwaltung langfristig zu sichern. Damit hatte sich das Gängeviertel vorübergehend von seinem Ziel abgewandt, die sanierten Gebäude auf Basis eines Erbbaurechtsvertrags zu übernehmen und in Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg zu sanieren. Der Kauf erschien mir aufgrund der von der Stadt Hamburg veranschlagten Grundstückspreise weder erreichbar noch erstrebenswert und hätte aus meiner Sicht eine starke Überlastung der Selbstverwaltungsstrukturen des Gängeviertels bedeutet. Aufgrund meiner Erfahrungen in verschiedenen Gremien im Gängeviertel mit früheren Instandsetzungsarbeiten befürchtete ich, dass eine alleinverantwortliche Sanierung der maroden Bausubstanz zur Überforderung der zeitlichen und finanziellen Ressourcen der Aktiven geführt hätte und die Gebäude weder denkmalgerecht saniert noch langfristig gesichert worden wären. Hinzu kam eine persönliche Ermüdung angesichts der zeitintensiven Abstimmungsprozesse zwischen den Gremien im Gängeviertel und meiner langjährigen Tätigkeit in ebendiesen Gremien. Diese unbezahlten Tätigkeiten konnte und wollte ich parallel zu meiner Forschung nicht mehr leisten. Deshalb habe ich mein Engagement im Gängeviertel mit Beginn der Forschung schrittweise reduziert. Auch wenn die Mehrfachrollen und die intensive Zusammenarbeit in Reallaboren im Vergleich zu anderen Forschungsformaten eine hohe persönliche Belastung für die Beteiligten bedeuten können, ist es aus meiner Sicht erforderlich, Reallabore und Realexperimente in der Stadtentwicklung zu etablieren, um die Koproduktion Urbaner Resilienz voranzutreiben, denn sie bieten dafür viele Potenziale (vgl. Beecroft et al. 2018: 91). Im Folgenden gehe ich auf solche Potenziale und konkrete Beiträge ein, die durch meine Forschung eröffnet und erbracht wurden. Dafür nutze ich die in Kapitel 2.3.1 dargestellten Ebenen einer Transformation in der Stadtentwicklung hin zur strategischen Einbindung der Resilienz-Beiträge von Bürger*innen: subjektive Ebene (1), Verfahrensebene (2), strukturelle Ebene (3), Gesetzesebene (4), politische Ebene (5) und diskursive Ebene (6).
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3.3.2 BEITRÄGE UND POTENZIALE DER FORSCHUNGSMETHODE ZUR KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ Indem ich die beiden Realexperimente durchgeführt und im Rahmen des Reallabors Zwischenergebnisse meiner Forschung in den Kooperations- bzw. Verhandlungsprozess eingespeist habe, wurde die Anpassung des Kooperationsverfahrens unterstützt. Durch diese Anpassung haben die Beteiligten auf der Verfahrensebene (2) eine Grundlage geschaffen, um die Resilienz-Beiträge des Gängeviertels zu sichern und auszuweiten. Dazu zählt der von mir angeregte Koordinierungskreis. Dieser erhöht das Potenzial des Kooperationsverfahrens zur Koproduktion Urbaner Resilienz, indem dadurch die Anpassung des Verfahrens an sich verändernde Rahmenbedingungen und Konflikte dauerhaft erleichtert wird. Dabei muss festgehalten werden, dass sich mehrere der Beteiligten während meiner Forschung zwar für Urbane Resilienz als Konzept zur Stadtentwicklung interessierten, es aber keine gemeinsame Grundlage für ihr Handeln darstellte. Es ging ihnen nicht darum, Hamburg resilienter zu machen. Dennoch stiegen aus meiner Sicht durch die Anpassung des Verfahrens die Chancen, dass es den Beteiligten gelingt, die Sanierung des Gängeviertels unter Federführung der Stadt Hamburg und der steg als Sanierungsträgerin bei gleichzeitiger Selbstverwaltung des Gängeviertels durch die Genossenschaft umzusetzen. Wie ich bereits dargestellt habe, ist dies aus meiner Sicht zentral, um die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die Stadt Hamburg und das Gängeviertels zu verstetigen und zu intensivieren (siehe Kapitel 3.2). Bei mir selbst hat im Zuge meiner Forschung auf subjektiver Ebene (1) ein Bewusstseinswandel stattgefunden, in dessen Folge ich mich von meiner Rolle als Aktivist des Gängeviertels gelöst und verstärkt als Vermittler im Verhandlungsprozess eingebracht habe. Vor allem aufseiten des Gängeviertels habe ich für das Fortführen der Kooperation geworben, wenn sie so angepasst wird, dass die Selbstverwaltung des Gängeviertels durch die Genossenschaft langfristig gesichert wird. Dementsprechend habe ich mich während des Forschungszeitraums auf struktureller Ebene (3) in den Gremien des Gängeviertels für eine Ausrichtung
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der Genossenschaft eingesetzt, die eine intensivere Kooperation mit der Stadt Hamburg und die professionelle Selbstverwaltung der sanierten Gebäude ermöglicht. Zu diesem Zweck wurde ein Vorstandsmitglied der Genossenschaft fortgebildet und als Prokuristin angestellt. Des Weiteren wurde eine externe Firma (P 99) mit der Mieter*innenverwaltung und Unterstützung bei der Buchführung beauftragt. Diese Maßnahmen waren zwar seitens der Genossenschaft schon vor dem Forschungszeitraum anvisiert worden, aber sie waren unter den Aktiven des Gängeviertels umstritten. Kritiker*innen sahen darin eine zu weitgehende Professionalisierung, wodurch laufende Mehrkosten entstehen, Wissenshierarchien gebildet und einzelne Personen besser gestellt würden. Dennoch wurden in den folgenden Jahren auch in anderen Bereichen bezahlte Stellen geschaffen. Das kann als eine Anpassung der Strukturen des Gängeviertels verstanden werden, mit der die Aktiven das Ziel verfolgen, ein höheres Maß an Verlässlichkeit zu gewährleisten – auch gegenüber der Stadt Hamburg und der steg. Die Stadt Hamburg dagegen setzte keine Anpassungen auf struktureller Ebene (3) oder der Gesetzesebene (4) in Bezug auf die Anforderungen des Gängeviertels um. Allerdings initiierten Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen mehrere Ausnahmeregelungen auf politischer Ebene (5), um das Kooperationsverfahren an die Konflikte anzupassen und eine Einigung mit dem Gängeviertel zu ermöglichen (siehe Kapitel 4.4.1). Dementsprechend verstand die Stadt Hamburg die Kooperation zur Sanierung des Gängeviertels insgesamt als ein Ausnahmeverfahren und zeigte kein Interesse daran, es als Grundlage für weitere Kooperationen mit Bürger*innenorganisationen heranzuziehen.39 Im Gegenteil fürchtete sie meines Erachtens, einen Präzedenzfall zu schaffen, auf den sich weitere Bürger*innenorganisationen beziehen könnten, um dieselben Regelungen einzufordern. Die Aktiven dagegen verstanden das Gängeviertel von Beginn an als ein Modellprojekt, um auch anderswo die Vielfalt von Städten im sozialen und kulturellen Bereich zu fördern und die Position von Bürger*innen in der Stadtentwicklung zu stärken (vgl. VG 2010a: o.S.). Nicht nur in Bezug auf das Gängeviertel liegt ein wesentliches Potenzial von Reallaboren zur Koproduktion Urbaner Resilienz meines Erachtens darin, dass Ausnahmeregelungen, die von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen ausgehandelt wurden, genutzt werden, um neue Kooperationsverfahren zu
39) Mehrere Vertreter*innen der Stadt Hamburg wiederholten diese Aussage mir gegenüber in verschiedenen Gesprächen. Der damals amtierende Bürgermeister Olaf Scholz machte seine ablehnende Haltung gegenüber dem Gängeviertel auch öffentlich deutlich (vgl. Scholz in Iken et al.: 2017).
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entwickeln. Auf diese Weise können Maßnahmen getestet werden, ohne einen Präzedenzfall zu schaffen, und einmalige Ausnahmen bleiben, falls sie sich für die Beteiligten eines Reallabors als nicht zielführend herausstellen sollten. Im Falle des Erfolgs für die Beteiligten können Reallabore so Anpassungen und Transformationen auf struktureller und politischer Ebene sowie auf Gesetzesebene begünstigen, wenn sie von Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen als Pilotprojekte wahrgenommen werden, und sie zum Handeln anregen (vgl. Nevens et al. 2013: 112). Unabhängig von Erfolg oder Misserfolg könnten Ausnahmeregelungen für bestimmte Bürger*innenorganisationen öffentlich legitimiert werden, wenn sie im Rahmen von Reallaboren zur Koproduktion Urbaner Resilienz umgesetzt werden. Denn selbst wenn sich einige solcher Reallabore als nicht zielführend erweisen sollten, dienen sie grundsätzlich der Koproduktion von Wissen über eine zukunftsfähige Stadtentwicklung und können dadurch auch dem Gemeinwohl nützen, wenn Wissen über einen gemeinwohlorientierten Umgang mit Krisen und ihren Folgen im sozialen, ökonomischen und ökologischen Bereich gewonnen wird (siehe Kapitel 2.1). Insofern sind sie aus meiner Sicht auch dann legitim, wenn einzelne Bürger*innenorganisationen als Kooperationspartner*innen im Rahmen von Reallaboren in besonderem Maße profitieren, zum Beispiel durch Fördermittel oder günstige Nutzungskonditionen für öffentliche Gebäude und Grundstücke. Entscheidend ist dabei, dass das daraus gewonnene Wissen genutzt wird, um neue Kooperationsverfahren zur Koproduktion Urbaner Resilienz zu entwickeln und eine nachhaltige Transformation in der Stadtentwicklung voranzutreiben. Die Bereitschaft dazu kann meines Erachtens erhöht werden, indem die Akteur*innen von Reallaboren das Forschungsdesign und die Forschungsfragen gemeinsam entwickeln. Durch solch ein co-design von Reallaboren können die Forschenden dafür sorgen, dass die Beteiligten verbindlicher mitwirken, die Forschungsergebnisse eher akzeptieren und weitergehend anwenden (vgl. Page et al. 2016: 86f.). Damit einher geht allerdings auch das Risiko, dass eine Forschung weniger transformativ ausfällt, wenn die Beteiligten am Status quo festhalten möchten – wie etwa am herrschenden Wachstumsparadigma in der Stadtentwicklung. Daher ist es für transformative Forschungen von zentraler Bedeutung, dass die Ergebnisse von Reallaboren wissenschaftlich nachvollziehbar aufgearbeitet werden und unabhängig von den
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Interessen der Beteiligten durch die Forschenden publiziert werden können. So kann das koproduzierte Wissen epistemologisch abgesichert und öffentlich zugänglich gemacht werden. Dadurch steigen die Chancen, dass die Forschenden auch auf diskursiver Ebene (6) zu einem Wandel beitragen können und die Koproduktion Urbaner Resilienz als Teil einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung von weiteren Akteur*innen vorangetrieben wird. Mit der vorliegenden Arbeit und deren Publikation möchte ich dazu einen Beitrag leisten, indem ich das im Reallabor Gängeviertel gewonnene Wissen in Form von Handlungsanregungen zur Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen zugänglich mache (siehe Kapitel 5). Im folgenden Kapitel zeige ich auf, inwiefern die kooperative Entwicklung des Gängeviertels über meine Forschung hinaus und unabhängig davon zur Koproduktion Urbaner Resilienz beigetragen hat und stelle Probleme, Konflikte und Interdependenzen zwischen den Akteur*innen der Kooperation dar, deren Analyse mir als Grundlage für die Handlungsanregungen diente.
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4. 4. KOPRODUKTION KOPRODUKTION URBANER URBANER RESILIENZ RESILIENZ IM IM PROZESS PROZESS DER DER KOOPERATIVEN KOOPERATIVEN ENTWICKLUNG ENTWICKLUNG DES DES GÄNGEVIERTELS GÄNGEVIERTELS „Kooperation ist kein hermetisches Objekt, das nicht repariert werden kann, wenn es beschädigt worden ist.“ (Sennett 2014: 294)
„Der Kern des Erreichens vorteilhafter Kooperationen liegt darin, dass ein Lernen über Versuch und Irrtum langsam und schmerzhaft abläuft.“ (Axelrod 2005: 172)
In diesem Kapitel stelle ich die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels chronologisch dar. Dabei beleuchte ich die Anpassung des Kooperationsverfahrens aufgrund von Konflikten unter den Beteiligten und zeige auf, wie sie Handlungsblockaden überwinden konnten, die eine Anpassung zunächst verhinderten. Denn zum Erarbeiten von Handlungsanregungen zur Koproduktion Urbaner Resilienz sind meines Erachtens nicht nur die Anpassungsmaßnahmen selbst relevant, sondern auch wie die Handlungsblockaden der Beteiligten zustande gekommen sind und wie sie überwunden werden konnten. Daher beginnt die chronologische Darstellung bei der Besetzung des Gängeviertels, denn die Konstellation der Akteur*innen und viele der Konflikte im Kooperationsverfahren sind daraus hervorgegangen. Des Weiteren stelle ich dar, inwiefern die kooperative Entwicklung des Gängeviertels zur Resilienz in Hamburg beiträgt. Dabei verstehe ich beides – die stadträumliche Entwicklung des Gängeviertels und den Kooperationsprozess – als Bestandteile der Koproduktion Urbaner Resilienz und betrachte sie im Kontext der Stadtentwicklung. Abschließend diskutiere ich, inwiefern sich in Hamburg eine Transformation in der Stadtentwicklung hin zur strategischen Einbindung von Bürger*innen und ihrer Beiträge zur Urbanen Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen abzeichnet.
4.1 VORGESCHICHTE UND HINTERGRUND Was heute allgemein als „das Gängeviertel“ bezeichnet wird, sind 13 Gebäude aus dem 17. bis 20. Jahrhundert in der Hamburger Innenstadt. Es ist das größte erhaltene Gebäudeensemble, das an die historischen Hamburger Gängeviertel erinnert (siehe Abbildung 15 bis 17). Diese Arbeiter*innenquartiere entstanden ab dem 17. Jahrhundert innerhalb der Stadtbefestigung und prägten das Stadtbild über Jahrhunderte (siehe Abbildung 18). Ihr Name leitet sich aus den teilweise sehr schmalen Gängen ab, die zur Erschließung dienten. Spätestens zum Ende des 19. Jahrhunderts wurden die beengten Arbeits- und Wohnverhältnisse sowie die sozialen und hygienischen Bedingungen durch den Ausbruch einer
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Abbildung 15: Gebäude im Gängeviertel an der Speckstraße mit der sanierten Fabrique (Bildmitte), 2018.
Abbildung 16: Die noch nicht sanierte Schierspassage im Gängeviertel, 2018.
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Choleraepidemie zum öffentlichen Problem. Der Hamburger Senat verfolgte daraufhin den allmählichen Abriss der Gängeviertel. Damit begann eine Entwicklung, in deren Zuge diese Quartiere über verschiedene Phasen des Stadtumbaus hinweg und durch Kriegszerstörungen bis Mitte der 1960er Jahre fast vollständig beseitigt wurden (vgl. Dahms/Rednak 2013: 201ff.). Die noch erhaltenen Gebäude des heute als Gängeviertel bekannten Ensembles wurden vom Ende der 1980er Jahre an schrittweise unter Denkmalschutz gestellt. Parallel dazu suchte die Freie und Hansestadt Hamburg (FHH) als Eigentümerin nach einem Weg, um sie zu sanieren. Zu diesem Zweck entmietete sie die seit dem Zweiten Weltkrieg stark vernachlässigten Gebäude. Dies führte zu jahrelangem Leerstand und weitgehendem Verfall, da Bemühungen zur Sanierung durch die FHH selbst wie auch durch einen Projektentwickler an Finanzierungsproblemen scheiterten. Schließlich verkaufte die Stadt Hamburg das Gängeviertel im Jahr 2008 an den meistbietenden Investor im Höchstgebotsverfahren: das niederländische Unternehmen Hanzevast. Dessen Plan sah vor, dass für rund 50 Millionen Euro Investitionsvolumen an selber Stelle Wohnungen, Büros und Gewerbeflächen entstehen
Abbildung 17: Sanierte Gebäude im Gängeviertel an der Caffamacherreihe, 2018.
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Abbildung 18: Rademachergang in der Hamburger Neustadt um 1930.
sollten. Dafür genehmigte die Stadt Hamburg den Abriss von weiten Teilen der denkmalgeschützten Bausubstanz. Infolge der seit 2007 um sich greifenden Finanzkrise zeichneten sich jedoch auch bei Hanzevast Finanzierungsprobleme ab (vgl. ebd., vgl. Donsbach 2012: 55ff.). In dieser Situation besetzen rund 200 Bürger*innen unter dem Namen „Komm in die Gänge“ das Gängeviertel im August 2009 (vgl. Stillich 2012: 45ff., vgl. Twickel 2010: 71ff.). Hervorgegangen war die Initiative aus zwei Künstler*innengruppen, die in den weit-
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gehend leer stehenden Gebäuden Ladenlokale als Ateliers und Galerieflächen nutzten. Mit der Besetzung setzten sie ein Zeichen gegen die Stadtentwicklungspolitik des Senats und forderten die denkmalgerechte Sanierung und kooperative Entwicklung des Gängeviertels als Quartier mit günstigen Wohnungen und Arbeitsräumen vor allem für Kunst- und Kulturschaffende. Die Besetzungsaktion wurde mit künstlerischen Mitteln öffentlichkeitswirksam inszeniert und erlangte hohe mediale Aufmerksamkeit.40 Auf die neue Entwicklung und den öffentlichen Druck reagierte der Senat, indem er nach intensiven Verhandlungen mit den Aktiven des Gängeviertels und mit Hanzevast das Quartier noch im selben Jahr zurückkaufte. Dafür zahlte die Stadt Hamburg rund 2,8 Millionen Euro an Hanzevast für Planungskosten sowie weitere Aufwendungen und eine bereits überwiesene Kaufpreisrate. Im selben Zuge wurden der Kaufvertrag und der städtebauliche Vertrag zum Gängeviertel rückabgewickelt (vgl. BKM 2009). Federführend waren dabei seitens des Senats die Finanzbehörde und die damalige Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) als Verhandlungspartner*innen für Hanzevast sowie die damalige Behörde für Kultur, Sport und Medien (BKSM) als Verhandlungspartner*in für die Aktiven. Des Weiteren war das Bezirksamt Hamburg-Mitte involviert, unter anderem weil es den städtebaulichen Vertrag mit Hanzevast geschlossen hatte (vgl. ebd.). Nach der Rückabwicklung kündigte die BSU an, das Gängeviertel in Zusammenarbeit mit den Aktiven entwickeln zu wollen, und nahm Verhandlungen mit ihnen über ein städtebauliches Konzept auf (vgl. Othengrafen 2014: 366ff.). Diese Verhandlungen verstehe ich als den Beginn der kooperativen Entwicklung des Gängeviertels durch die Stadt Hamburg und die Aktiven. Von diesem Zeitpunkt an bekannten sich beide Seiten öffentlich zur Zusammenarbeit, begannen gemeinsame Ziele in Bezug auf die Entwicklung des Viertels auszuhandeln und versuchten ihre Handlungen in einem geregelten Prozess zu koordinieren, woraus das Kooperationsverfahren zur Sanierung des Gängeviertels hervorgegangen ist. Bevor ich näher auf die Kooperation eingehe, stelle ich zunächst relevante Aspekte der Stadtentwicklung in Hamburg dar. Dabei beziehe ich mich vor allem auf die Entwicklung seit den 1980er Jahren, weil damals eine stadtpolitische Wende und stadträumliche Transformationen eingeleitet wurden, deren Auswirkungen entscheidend zur Besetzung des Gängeviertels beigetragen haben.
40) Eine Übersicht der Medienberichte zum Gängeviertel seit der Besetzung findet sich unter: https://das-gaengeviertel.info/ medien/pressespiegel.html (Aufruf: 12.05.2020).
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4.1.1 POLITISCHE UND RÄUMLICHE ENTWICKLUNGEN IN HAMBURG SEIT DEN 1980ER JAHREN Hamburg ist ein Stadtstaat und mit derzeit rund 1,8 Millionen Einwohner*innen die zweitgrößte Stadt Deutschlands. Sie liegt Nahe der Nordsee an der Elbe und verfügt über den größten Hafen des Landes. Seit dem Mittelalter ist die Entwicklung der Stadt eng mit der des Handels und des Hafens verbunden (vgl. Lieber 2017: 60ff). Der Senat der Stadt verfolgt daher parteiübergreifend eine Politik, die stark auf wirtschaftliches Wachstum in diesen Bereichen ausgerichtet ist (vgl. Rodenstein 2008: 286 ff.). In den 1980er Jahren beeinträchtigte eine globale Rezession das wirtschaftliche Wachstum der Stadt. Hinzu kam, dass durch die Umstellung auf die Containerschiffahrt, die abnehmende Konkurrenzfähigkeit mehrerer Industriezweige im internationalen Wettbewerb (insbesondere die Werftindustrie) sowie durch den Rückgang des Im- und Exporthandels zahlreiche Arbeitsplätze abgebaut wurden. Die Folge war eine tief greifende Krise der städtischen Entwicklung im sozialen und ökonomischen Bereich (vgl. Birke 2016: 204ff.). Als Reaktion auf diese Entwicklung stellte der Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) mit dem Konzept des „Unternehmens Hamburg“ im Jahr 1983 einen Ansatz zur Neuausrichtung der städtischen Entwicklung vor. Durch bessere Standortbedingungen für Unternehmen sollten privatwirtschaftliche Investitionen in neue Wirtschaftszweige (vor allem Medien, Kommunikationstechnologie, Dienstleistungsgewerbe und Tourismus) angestoßen werden, um so die Wirtschafts- und Beschäftigungsentwicklung zu stimulieren. Diese Maßnahmen trugen dazu bei, dass Hamburg Ende der 1990er Jahre wieder als eine international erfolgreiche Wirtschaftsmetropole galt (vgl. Ronneberger et al. 1999: 30ff., vgl. Gatzweiler/Irmen 1997: 40f.). Jedoch konnten die weggefallenen Arbeitsplätze durch die Zuwächse im Dienstleistungsbereich nicht ausgeglichen werden. Daher nahm die Zahl der Sozialhilfeempfänger*innen trotz der wachsenden Wirtschaft zu. Auch die Schulden der öffentlichen Hand stiegen, da die Investitionen zur Steigerung der Attraktivität Hamburgs als Standort für große Unternehmen enorme Steuermittel verbrauchten (vgl. Dangschat 1997: 190).
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Spätere Regierungen versuchten sich aus diesem Dilemma zu befreien, indem sie eine „wachstumsorientierte Gesamtstrategie“ (Altrock/Schubert 2004: 13) entwickelten. Mit dem Leitbild „Metropole Hamburg – Wachsende Stadt“ setzte der CDU-geführte Senat im Jahr 2002 das Wachstum der Wirtschaft, des Arbeitsmarktes und der Einwohner*innenzahl als politische Maxime (vgl. FHH 2002). Des Weiteren wurden zahlreiche städtische Unternehmen und Grundstücke an Investor*innen veräußert und das Höchstgebotsverfahren wurde eingeführt, wonach bei Grundstücksverkäufen vor allem der Kaufpreis ausschlaggebend war und nicht das städtebauliche Konzept. Gleichzeitig zog sich die Stadt Hamburg zunehmend aus der Steuerung der Stadtentwicklung zurück und übertrug zentrale Aufgaben an eigens dafür gegründete Entwicklungsgesellschaften. So sollte das bestehende Haushaltsdefizit abgebaut und gleichzeitig das Stadtwachstum vorangetrieben werden (vgl. Birke 2016: 211ff., vgl. Brinkmann/Seeringer 2014: 324ff.). Im Jahr 2010 wurde das Leitbild von der neuen Koalition aus CDU und GRÜNEN unter dem Titel „Wachsen mit Weitsicht“ fortgeschrieben und stärker mit sozialen und ökologischen Aspekten verbunden (FHH 2010). Nachdem diese Koalition beendet wurde, bekannte sich der neu gewählte Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Jahr 2011 zur Ursprungsidee einer wachsenden Stadt als Grundlage für seine zukünftige Politik (vgl. Bleyer/Meyer 2011). Allerdings versuchte der neue Senat mehr als die vorherigen Regierungen, durch wohnungspolitische Maßnahmen (Wohnungsbauprogramm, soziale Erhaltensverordnung) Folgen des Wachstums im Sinne des Gemeinwohls zu steuern (vgl. Vogelpohl/ Buchholz 2017: 268ff.). Im Zuge der zuvor skizzierten politischen Entwicklung wurden seit den 1980er Jahren viele Stadträume in Hamburg transformiert. Darunter verstehe ich einen grundlegenden Wandel der physisch-materiellen und sozialen Strukturen, die der Entwicklung eines Stadtraums zugrunde liegen (siehe Kapitel 2.4.1). Zu den größten Projekten zählen die Umwandlung des früheren Freihafengebietes auf dem großen Grasbrook zur HafenCity41 mitsamt dem Bau der Elbphilharmonie als Leuchtturmprojekt für den neuen Stadtteil sowie die Entwicklung der Elbinsel Wilhelmsburg im Rahmen der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA)42. Begleitet von solchen städtebaulichen Großprojekten kam es in mehreren innerstädtischen Quartieren zu einer stadträumlichen Transformation durch Gentrifizierung. Auch wenn die Entwicklung in den
41) Mit der HafenCity entsteht seit 2001 auf 157 Hektar ein neuer Stadtteil für ca. 15.000 Bewohner*innen und ca. 45.000 Beschäftigte. Es handelt sich um eines der größten Stadtentwicklungsprojekte in Europa mit einem Investitionsvolumen von rund 13 Milliarden Euro (vgl. Hafencity 2019). 42) Von 2006 bis 2013 befasste sich die IBA Hamburg unter dem Motto „Sprung über die Elbe“ mit der Entwicklung der Stadtteile Wilhelmsburg, Veddel und Harburg. Insgesamt umfasst das Investitionsvolumen ca. 1 Milliarde Euro (vgl. IBA 2019).
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43) Künstler*innen und Kulturschaffende nahmen bei solchen Protesten oftmals eine ambivalente Rolle ein. Einerseits wurden sie selbst verdrängt und protestierten dagegen. Andererseits trieben sie die Gentrifizierung von Stadtteilen voran, indem sie als Kunst- und Kulturproduzent*innen deren Attraktivität für besserverdienende Zuzügler*innen erhöhten (vgl. Novy/ Colomb 2013: 1818ff.).
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Stadtteilen teilweise stark divergiert, lässt sich zusammenfassend feststellen, dass es dabei vielerorts zur Verdrängung von ansässigen Bewohner*innen und Gewerbetreibenden durch finanzstärkere Zuzügler*innen und Unternehmen kam (vgl. Vogelpohl 2013: 2ff., vgl. Breckner 2013: 199ff., vgl. Ronneberger et al. 1999: 30ff.). Mit Blick auf die Besetzung des Gängeviertels ist dabei insbesondere von Bedeutung, dass an verschiedenen Stellen der Stadt Gebäude abgerissen oder umgewandelt wurden, in denen Künstler*innen und Kulturschaffende günstige Atelier- und Arbeitsräume gefunden hatten. So musste etwa die Ateliergemeinschaft skam an der Reeperbahn in St. Pauli für den Neubau eines Bürohochhauses (Tanzende Türme) aufgegeben werden und Zwischennutzungen im Frappant-Gebäude in Hamburg-Altona einem neuen Möbelmarkt (IKEA) weichen (vgl. Twickel 2010: 65ff.). Zwar bemühte sich die Stadt Hamburg in vielen Fällen um Ersatzflächen und ließ eine Studie zur strategischen Entwicklung von Flächen für kulturelle und kreativwirtschaftliche Nutzungen erarbeiten (vgl. Overmeyer 2010), dies änderte aber zunächst kaum etwas daran, dass die Nutzer*innen solcher Nischenräume zunehmend unter Druck gerieten. In der Folge kam es mehrfach zu Protesten von Kunst- und Kulturschaffenden gegen die Stadtentwicklungspolitik des Senats, als deren vorläufiger Höhepunkt die Besetzung des Gängeviertels galt (vgl. Rinn 2016: 166f., vgl. Füllner/Templin 2011: 95f.).43 Auch viele der Besetzer*innen des Gängeviertels befürchteten, durch Gentrifizierung und die städtebauliche Entwicklung urbaner Nischen ihre Wohn- und Arbeitsräume zu verlieren, ohne adäquaten Ersatz zu finden, da vor allem in innerstädtischen Quartieren die Mieten stiegen. Das Gängeviertel selbst liegt im Nordwesten der Hamburger Innenstadt im Gebiet der Stadterweiterung aus dem 17. Jahrhundert (Neustadt) (siehe Abbildung 19). Der Bereich ist von einem teils verödeten Erscheinungsbild geprägt, da er nach flächendeckenden Kriegsstörungen vor allem autogerecht und mit einem hohen Anteil an Büroarbeitsplätzen und Einzelhandelsgeschäften wiederaufgebaut wurde. Seit den 1980er Jahren bemühte sich die Stadt Hamburg, mittels Förderung von Wohnungsneubau und einer kleinteiligeren Nutzungsmischung dieser „Verödung der Innenstadt nach Ende der Geschäfts- und Ladenöffnungszeiten“ (FHH 2014a: 43) entgegenzuwirken. Jedoch konterkarierten der Neubau zahlreicher Bürogebäude und eines großen Einkaufzentrums (Europapassage) diese Bestrebungen. Zunehmend dominie-
ren Filialen von Einzelhandelsketten sowie Büroflächen die Nutzungen in der Innenstadt (vgl. ebd.: 36). Im Jahr 2017 lebten in der Alt- und Neustadt mit rund 15.000 Menschen weniger als 1 Prozent der Hamburger Bevölkerung (vgl. Statistikamt 2018: 4).
Abbildung 19: Die Lage des Gängeviertels in der nordwestlichen Hamburger Innenstadt (Neustadt).
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4.1.2 URSACHEN FÜR DIE KOOPERATION ZUR SANIERUNG UND ENTWICKLUNG DES GÄNGEVIERTELS Dass die Stadt Hamburg nach der Besetzung das Gängeviertel zurückgekauft hat und eine Kooperation mit den Aktiven eingegangen ist, hängt im Wesentlichen von drei Aspekten ab, die mit der zuvor dargestellten politischen und räumlichen Entwicklung Hamburgs verbunden sind: die öffentliche Wirksamkeit der Besetzungsaktion (1), die Anschlussfähigkeit der damit verbundenen Forderungen an die Stadtentwicklungspolitik des Senats (2) und ein Handlungsdilemma der Stadt Hamburg, das durch die Besetzung hervorgerufen wurde (3). Öffentliche Wirksamkeit (1): Viele Bürger*innen waren unzufrieden wegen steigender Mieten, Verdrängungsprozessen und Veränderungen in ihrem Lebensumfeld, die durch die Stadtentwicklungspolitik des Senats vorangetrieben wurden. Gesteigert wurde diese Unzufriedenheit durch die globale Finanzkrise ab 2007. In deren Folge stagnierte die wirtschaftliche Entwicklung in Hamburg erneut und Immobilienspekulationen wurden als einer der Gründe für die Krise angeprangert (vgl. Heeg 2010: 11ff.). Der zuvor als Mittel zur Krisenbewältigung propagierte Rückzug von Politik und Verwaltung aus der Regulierung von Immobilienmärkten wurde öffentlich nun verstärkt als Krisenursache wahrgenommen (vgl. Brinkmann/Seeringer 2014: 326). So hatte die Finanzkrise nicht nur zu den Finanzierungsproblem bei Hanzevast geführt, sondern auch zur Unterstützung der Aktiven in der Öffentlichkeit beigetragen. Dadurch konnten diese den Senat stärker unter Druck setzen, denn ihre Forderungen nach Erhalt und kultureller Nutzung erschienen vielen Bürger*innen als eine erstrebenswerte Alternative zu den renditeorientierten Plänen von Hanzevast. Gleichzeitig demonstrierten die Aktiven Offenheit gegenüber großen Teilen der Stadtbevölkerung und stießen einen Diskurs um die Zukunft der Gebäude an, indem sie ihre Aktion als „,Hoffest‘ mit ,kultureller Bespielung‘“ (Ebeling in Twickel 2010: 96) inszenierten. Dieses Auftreten zog eine weitgehend positive Berichterstattung der Medien nach sich. Selbst konservative Zeitungen äußerten sich anerkennend und zeigten Verständnis für die Anliegen der In-
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itiative. So konnten die Aktiven teils prominente Fürsprecher*innen für sich gewinnen und einen ungewöhnlich großen Teil der Öffentlichkeit mobilisieren (vgl. Ziemer 2014b: 329). Unterstützt wurden sie dabei von Initiativen des „Recht auf Stadt“-Netzwerks in Hamburg, zu denen später auch das Gängeviertel zählte. Unter diesem Namen sorgten mehrere stadtpolitische Gruppen dafür, dass Gentrifizierung und spekulativer Neubau von Immobilien als Folgen der Politik des Senats in der Öffentlichkeit kritisch diskutiert wurden (vgl. Füllner/Templin 2011: 82ff.).44 Politische Anschlussfähigkeit (2): Der Senat aus CDU und GRÜNEN konnte die Forderungen der Aktiven zumindest teilweise in seine politische Agenda integrieren. Laut dem Leitbild „Wachsen mit Weitsicht“ waren Politik und Verwaltung bereit, „kreativen Menschen zum Nutzen der gesamten Stadt Räume zu öffnen und sie an Stadtentwicklungsprozessen zu beteiligen“ (FHH 2010: 3). Der Senat folgte damit dem Konzept der Kreativen Stadt45, wonach Künstler*innen und Kulturschaffenden eine zentrale Funktion als Attraktor*innen für talentierte Arbeitskräfte und Unternehmer*innen zugeschrieben wurde. Daher sollten sie stärker als bisher gefördert werden, um das Wachstum der Wirtschaft und der Einwohner*innenzahl in Hamburg zu unterstützen. Insbesondere die GRÜNEN als kleine Koalitionspartei und ihre Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Anja Hajduk, nutzten das Gängeviertel, um sich stadtpolitisch zu positionieren. Sie zeigten Verständnis für die Forderungen der Aktiven nach einer kooperativen Entwicklung des Gängeviertels als Kunst- und Kulturquartier. Hinzu kamen die Bestrebungen der Stadt Hamburg zur Belebung der Innenstadt sowie der Denkmalschutz für die Gebäude, zu denen die Forderungen der Aktiven passten. Durch diese Anschlussfähigkeit konnte der Senat gegenüber der Öffentlichkeit plausibel vertreten, dass er mit einer Initiative kooperierte, obwohl sie wiederholt dessen Stadtentwicklungspolitik attackierte (vgl. Fender 2012: 22ff.). Gleichzeitig boten sich die Aktiven der Stadt Hamburg als Partner*innen für eine gemeinsame Entwicklung des Gängeviertels an und suchten Kontakt zur Politik, um über die zukünftige Entwicklung des Gängeviertels zu verhandeln. Zwischenzeitlich räumten sie im Vorfeld des Rückkaufs sogar zwei der Gebäude freiwillig, um der Stadt Hamburg Schadensersatzzahlungen an Hanzevast zu ersparen (vgl. Gabriel et al. 2012: 100f.). Handlungsdilemma der Stadt Hamburg (3): Durch die Besetzung der Gebäude des Gängeviertels und ihre anschließende Nut-
44) Die Bezeichnung „Recht auf Stadt“ geht zurück auf den Philosopen Henri Lefebvre, dessen Überlegungen zur Produktion des Raums auch eine der raumtheoretischen Grundlagen dieser Arbeit bilden (siehe Kapitel 2.4.1). 1968 formulierte er im gleichnamigen Buch (im französischen Original: Le droit à la ville) eine Reihe von Forderungen (vgl. Lefebvre 2006: 194ff.). Im Kern ging es ihm dabei um den „Nichtausschluss von den Qualitäten der urbanisierten Gesellschaft“ (Gebhardt/Holm 2011: 7). Die Bezeichnung „Recht auf Stadt“ wurde weltweit zu einer Referenz zahlreicher stadtpolitischer Initiativen, die mehr Teilhaberechte marginalisierter Gruppen und eine sozialere Stadtentwicklungspolitik einfordern (vgl. ebd.: 7ff.). 45) Das Leitbild der Kreativen Stadt basiert zum großen Teil auf Überlegungen der Stadtforscher und Politikberater Charles Landry und Richard Florida. Demnach soll die Kreativität von Stadtbewohner*innen als zentrale Grundlage für die Stadtentwicklung genutzt werden. Das Leitbild ist eng verbunden mit Diskursen um die Kreativ- und Kulturwirtschaft und hat seit der Jahrtausendwende weltweit stark an Bedeutung gewonnen (vgl. Kirchberg 2010: 25ff.). Während es von Politiker*innen überwiegend positiv aufgegriffen wurde, kritisieren viele Stadtforscher*innen und Sozialwissenschaftler*innen, dass es für eine elitäre Stadtentwicklung stehe, die wachsende soziale Disparitäten in Kauf nehme, um wirtschaftliches Wachstum zu generieren. Demzufolge muss es meines Erachtens als ein Leitbild bewertet werden, wodurch überwiegend eine nicht nachhaltige Stadtentwicklung vor allem im sozialen Bereich vorangetrieben wird (vgl. Kirchberg/Kagan 2013: 137ff.).
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zung für kulturelle und künstlerische Zwecke (siehe Kapitel 4.2.2) führten die Aktiven die Stadt Hamburg in ein Handlungsdilemma. Eine Räumung der Gebäude durch die Polizei – wie sie seit den 1970er Jahren bei fast jeder Besetzung in Hamburg erfolgte (vgl. Prömmel 2013: 25) – hätte die Bestrebungen der FHH torpediert, Hamburg als tolerante und kreative Metropole medial zu vermarkten (vgl. Twickel 2010: 79, vgl. Birke 2010: 163ff.). Hinzu kamen prägende Erfahrungen der Stadt Hamburg mit Straßenkämpfen um den Erhalt von Gebäuden an der Hafenstraße in den 1980er Jahren. Zumindest einige Politiker*innen befürchteten eine ähnliche Eskalation (vgl. Breckner 2013: 204). Gleichzeitig versuchte Hanzevast, vor dem Oberlandesgericht die Räumung des Gängeviertels zu erwirken, und brachte die Stadt Hamburg ihrerseits unter Zugzwang (vgl. Gabriel et al. 2012: 100f.). Daher intensivierte diese ihre Bemühungen zum Rückkauf und einigte sich mit Hanzevast letztendlich auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages. Insgesamt zeigt sich, dass die Entstehung der Kooperation zur Sanierung des Gängeviertels eng mit der räumlichen und politischen Entwicklung Hamburgs verbunden war. Die Politik des Senats und die räumliche Entwicklung der Stadt hatten zum Leerstand und dem drohendem Abriss des Gängeviertels geführt, die Aktiven zur Besetzung des Gängeviertels motiviert und die öffentliche Unterstützung der Besetzung befördert. Insofern lässt sich die Besetzung aus planungstheoretischer Sicht als eine „vorhersehbare Krise“ (Othengrafen 2014: 369) der Stadtplanung in Hamburg fassen, die von der FHH auf lokaler Maßstabsebene mit verursacht wurde. Auf globaler Maßstabsebene hat, wie bereits dargestellt, die Finanzkrise zur Verschärfung dieser Krise beigetragen. So gesehen handelte es sich um eine spezifische Krisensituation, die durch lokale und globale Faktoren hervorgerufen wurde. Die Aktiven nutzten diese Situation, um eine zeitweise Verschiebung in der Machtbeziehung zwischen ihnen und der Stadt Hamburg zu erreichen, indem sie den Senat durch ihr Vorgehen unter Handlungsdruck setzten, was zum Rückkauf des Gängeviertels und zu dessen kooperativer Entwicklung führte. Insofern wurde der Stadt Hamburg die Kooperation gewissermaßen aufgezwungen. Sie musste ihr planerisches Handeln in Bezug auf das Gängeviertel anpassen (Rückkauf, Kooperation mit den Aktiven), um die Krisensituation zu überwinden. Ihr primäres Ziel war dabei die akute Befriedung der Situation. Gemeinsame Ziele zwischen der Stadt Hamburg und den Aktiven zur Entwicklung
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des Gängeviertels bestanden zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Allerdings zeichneten sich Schnittmengen ab wie der Erhalt der denkmalgeschützten Gebäude und die Schaffung von Flächen für kulturelle Nutzungen (vgl. Gabriel et al. 2012: 100f.). Konkretere Ziele und das Verfahren zur Umsetzung mussten jedoch erst noch ausgehandelt werden, wie ich im Folgenden darstelle. Diesen Aushandlungsprozess verstehe ich als die erste von insgesamt drei Phasen, die die Kooperation bis heute durchlaufen hat (siehe Abbildung 20). In dieser Zeit hat sich auch die Akteur*innenkonstellation herausgebildet, aus der das Governance-Netzwerk für die Sanierung und Entwicklung des Gängeviertels hervorgegangen ist. Dadurch wurden die wesentlichen Grundlagen geschaffen für die kooperative Entwicklung des Gängeviertels und damit auch für die Koproduktion Urbaner Resilienz.
08 /09 Besetzung des Gängeviertels 12 /09 Rückkauf des Gängeviertels ERSTE KOOPERATIONSPHASE 09 / 10 Integriertes Entwicklungskonzept wird fertiggestellt 11 /10 Gründung Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG 09 /11 Abschluss Kooperationsvereinbarung ZWEITE KOOPERATIONSPHASE 10 /11 Gängeviertel wird Sanierungsgebiet 05 / 12 Übertragung des Gängeviertels an steg, Beginn der Planung 03 / 13 Sanierungsbeirat wird eingerichtet 10 /13 Beginn der Sanierungsarbeiten 08 / 14 Beginn der Verhandlungen über Selbstverwaltung 01 /15 Bezug des ersten sanierten Gebäudes 02 / 15 Planungsstopp
FORSCHUNGSZEITRAUM
DRITTE KOOPERATIONSPHASE 10 /15 Generalmiet- und Verwaltungsvertrag, Bezug des zweiten sanierten Gebäudes 02 /16 Einigung über Betrieb des soziokulturellen Zentrums 03 /16 Eröffnung des soziokulturellen Zentrums 04 /16 erstes Realexperiment (Bausymposium) 02 /17 Verhandlungsabbruch 05 /17 zweites Realexperiment (Laborbericht) 11 /17 Wiederaufnahme der Verhandlungen 06 /19 Abschluss Erbbaurechtsvertrag, Aufhebung Planungsstopp WIEDERAUFNAHME DER SANIERUNGSPLANUNG Abbildung 20: Übersicht der Kooperationsphasen und des Forschungszeitraums.
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4.2 ERSTE KOOPERATIONSPHASE: VOM RÜCKKAUF BIS ZUR KOOPERATIONSVEREINBARUNG 46) Als einheitliche Bezeichnung für BSW und BSU verwende ich im Folgenden Stadtentwicklungsbehörde. Als Einheitliche Bezeichnung für BKSM und BKM verwende ich im Folgenden Kulturbehörde.
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Nachdem der Kaufvertrag mit Hanzevast Ende 2009 rückabgewickelt war, übernahm die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU, ab Juli 2015 Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen – BSW) die Verhandlungen mit den Aktiven von der bis dahin federführenden Behörde für Kultur, Sport und Medien (BKSM, ab Oktober 2010 Behörde für Kultur und Medien – BKM).46 Erstere beauftragte nach Gesprächen mit den Aktiven über die Zukunft des Gängeviertels die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg (steg) mit der Entwicklung eines integrierten Entwicklungskonzepts (IEK). Das Konzept wurde im September 2010 in Zusammenarbeit mit der FHH und den Aktiven fertiggestellt und bildet seitdem die Grundlage für die Sanierung. Es sieht vor, dass das Gängeviertel als Sanierungsgebiet nach Baugesetzbuch (BauGB) festgelegt wird, um Fördermittel des Bundes in Anspruch zu nehmen. Für ca. 19,4 Millionen Euro sollten die zwölf Gebäude bis 2019 saniert und rund 7500 Quadratmeter Fläche für verschiedene Nutzungen hergerichtet werden (siehe Abbildung 21). Dabei sollten folgende Ziele erreicht werden (BSU 2010: 95ff.): 1. „Erhalt der historischen Bausubstanz“ 2. „Schaffung von bezahlbarem Mietwohnraum“ 3. „Schaffung von günstigen Gewerbeflächen und gewerblicher Vielfalt im Viertel“ 4. „Schaffung von günstigen Atelier- und Werkstattflächen für Gängeviertel e.V. und andere“ 5. „Durchführung einer effizienten Sanierung“ 6. „Schaffung eines Zentrums für Kunst, Kultur und Soziales in der ‚Fabrik‘ [sic!]“ 7. „Übertragung eines Höchstmaßes an Eigenverantwortung und Autonomie an Gängeviertel e.V. bei der Nutzung der gewerblichen Flächen“ 8. „Gestalterische Aufwertung der vorhandenen Freiflächen und Erhöhung der Nutzbarkeit“ 9. „Ausschöpfung aller Finanzierungsmöglichkeiten“ 10. „Erhalt und langfristige Sicherung von preisgünstigen Wohnund Gewerbeflächen“
Obwohl die Aktiven in die Erarbeitung des IEK eingebunden waren und ihre Anliegen berücksichtigt wurden, blieb es im Gängeviertel umstritten, weil keine verbindlichen Regelungen zur Beteiligung im Sanierungsprozess und zur späteren Selbstverwaltung der sanierten Gebäude festgeschrieben wurden. Beides waren allerdings zentrale Anliegen der Aktiven. Dadurch wollten sie verhindern,
Valentinskamp
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Caffamacherreihe
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ÜBERWIEGEND WOHNEN ÜBERWIEGEND GEWERBE GEMEINBEDARF UMGEBENDE BEBAUUNG SANIERUNGSGEBIET GRUNDSTÜCKSGRENZEN IM SANIERUNGSGEBIET IV STOCKWERKE DER GEBÄUDE Abbildung 21: Sanierungsgebiet Gängeviertel (Darstellung nach Bezirk Mitte 2019a).
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dass die Stadt Hamburg das Gängeviertel nach der Sanierung gewinnbringend verkaufen oder anderweitig ökonomisch verwerten könnte – etwa indem die Mieten schrittweise auf das Niveau in der Innenstadt erhöht werden. Dies hätte in den Augen der Aktiven zu ihrer Verdrängung durch zahlungskräftigere Akteur*innen geführt. Stattdessen wollten sie das Gängeviertel als „Antagonist zur Ökonomisierung der Innenstädte und weiter Lebensbereiche“ (VG 2010a: 11) dauerhaft sichern, wobei nach ihren Vorstellungen die Nutzer*innen im Gängeviertel „miteinander entscheiden, wie sie ihr Leben und ihr Umfeld gestalten wollen – in sozialen, kulturellen und ökonomischen Fragen“ (ebd.: 10). Auch die steg als designierte Sanierungsträgerin war unter den Aktiven umstritten. Als privatwirtschaftliches Unternehmen stand sie bei vielen von ihnen im Verdacht, vor allem finanziellen Gewinn aus der Sanierung und Verwaltung der Gebäude ziehen zu wollen. Einige Aktive befürchteten, dass dies auch zu Lasten ihrer Ziele gehen könnte – etwa indem die steg versucht, sich selbst langfristig als Verwalterin der Gebäude zu positionieren, und Baumaßnahmen mehr am eigenen Gewinninteresse ausrichtet als an den Anforderungen der Aktiven. Ein weiteres Argument war, dass eine externe Verwaltung des Gängeviertels durch die steg dessen Charakter als künstlerischer Freiraum und die Entfaltungsmöglichkeiten der Aktiven zu sehr einschränken würde. Diese Befürchtungen wurden dadurch verstärkt, dass die steg als Sanierungsträgerin und Treuhänderin der Stadt Hamburg alle relevanten Funktionen und Aufgaben zunächst alleine übernehmen sollte (treuhändische Eigentümerin, Bauherrin, Planung und Bauleitung, Verwaltung der Gebäude und Grundstücke, Abrechnung der Kosten etc.). Außerdem galt sie unter Stadtteilaktivist*innen als „verlängerter Arm“ (Rinn 2016: 147) der FHH zur Aufwertung von Stadtteilen. So wurde ihr eine zentrale Rolle bei der Gentrifizierung mehrerer Quartiere zugeschrieben, obwohl sie bei vielen Sanierungen Maßnahmen zur Sicherung von günstigen Mieten umgesetzt hatte, um Verdrängungsprozessen entgegenzuwirken (vgl. ebd., vgl. Brinkmann/Seeringer 2014: 327). Die Auseinandersetzungen über die Rolle der steg und die Inhalte des IEK wurden zu einer Belastungsprobe für den Zusammenhalt unter den Aktiven. Letztendlich ließen sie sich aber auf beides ein. Zum einen, weil für die Stadtentwicklungssenatorin einzig die steg infrage kam, um das Gängeviertel im Treuhandeigentum zu übernehmen. So wollte sie eine schnelle und effektive Sanierung sicherstellen.
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Zum anderen war es den Aktiven nicht gelungen, schnell genug ein eigenes Sanierungskonzept mit einer verlässlichen Trägerschaft und Finanzierung zu erarbeiten. Viele Aktive blieben allerdings gegenüber der steg misstrauisch und verhielten sich ihr gegenüber teilweise provokant. Zum Beispiel wurde das Logo der steg auf Toilettenpapier gedruckt, um es monatelang in einem Schaufenster im Gängeviertel auszustellen. Bei einer Aktion, kurz nachdem das IEK fertiggestellt war, organisierten die Aktiven eine Barkassenfahrt und luden die Vertreter*innen der steg ein, ohne ihnen zu sagen, was sie vorhatten. Damit wollten sie sich öffentlichkeitswirksam als diejenigen inszenieren, die bei der anstehenden Zusammenarbeit „das Ruder in der Hand ha[ben]“ (VG 2010b), und ihre Forderung nach Selbstverwaltung unterstreichen. Um ihr Ziel der Selbstverwaltung weiterzuverfolgen, gründeten die Aktiven im November die Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG und machten eine vertragliche Vereinbarung mit der Stadt Hamburg zur Bedingung für ihr Mitwirken an der Umsetzung des IEK. Darin sollte geregelt werden, wie die Selbstverwaltung durch die Genossenschaft umgesetzt wird, wie die Aktiven an der Sanierung beteiligt werden und dass ein externes Architekturbüro die Planung übernimmt, um die Aufgabenhäufung bei der steg zu reduzieren. Die Verhandlungen darüber verliefen allerdings schleppend. Für die Stadt Hamburg war die neu gegründete Genossenschaft keine verlässliche Trägerin, weshalb sie keine rechtsverbindlichen Zusagen über eine spätere Selbstverwaltung geben wollte. Zusätzlich wurden die Verhandlungen verzögert, weil im selben Monat die CDU-GRÜNE-Koalition platzte und seitens der Stadt Hamburg keine offiziellen Verhandlungen stattfinden konnten, bis eine neue Regierung gewählt und eingesetzt war. Doch auch unter der neu eingesetzten Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Jutta Blankau, kam es zunächst zu keiner Einigung. Die Stadt Hamburg lenkte erst ein, nachdem das Gängeviertel anlässlich des zweiten Jubiläums der Besetzung im August 2011 erneut Medien und Teile der Öffentlichkeit mobilisiert hatte, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Auch der nahende Herbst sorgte für Handlungsdruck. Die steg sollte die Häuser winterfest sichern, um weitere Schäden an der Bausubstanz zu verhindern, wofür eine Einigung mit den Aktiven notwendig war. Zeitgleich erklärte sich ein in denkmalgerechter Sanierung und gemeinschaftlichen Wohnprojekten erfahrenes Architekturbüro auf Einladung des Gängeviertels bereit, die Sanierung zu planen
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und deren Ausführung zu überwachen, das auch von der Stadt Hamburg akzeptiert wurde (vgl. Gabriel et al. 2012: 102f.). Im September 2011 unterzeichneten daraufhin Vertreter*innen des Gängeviertels und der Stadt Hamburg eine Kooperationsvereinbarung. Zur Selbstverwaltung des Gängeviertels kamen demnach drei Modelle infrage: Generalmiete, Erbbaurecht oder Kauf durch die Genossenschaft. Die jeweiligen Konditionen sollten gegen Ende der Sanierung ausgehandelt werden. Zur Belegung der sanierten Flächen wurde in der Vereinbarung eine Kommission mit Vertreter*innen der Kooperationsparteien vorgesehen. Des Weiteren wurde vereinbart, ein unabhängiges Architekturbüro mit Planung und Bauleitung der Sanierung zu beauftragen. Außerdem wurde darin festgeschrieben, dass eine Baukommission eingeführt wird, um die Planungen und Baumaßnahmen zu koordinieren, in der die steg, die Genossenschaft und das beauftragte Architekturbüro vertreten sind (vgl. FHH et al. 2011). Vertreter*innen des Senats bewerteten die Vereinbarung als Vertrauensbeweis gegenüber der Genossenschaft, da der Senat mit den vereinbarten Regelungen viele Zuständigkeiten aus der Hand gab, die er bei einem städtischen Sanierungsverfahren üblicherweise bei sich behält (vgl. FHH 2011: 2). Insgesamt sei „das vorliegende Ergebnis […] bislang deutschlandweit einzigartig hinsichtlich seines Umfangs und der Intensität der Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen der Stadt und der Initiative.“ (Ebd.) Die Aktiven zeigten sich dagegen skeptischer und forderten in Bezug auf die weitere Zusammenarbeit in einer Erklärung, dass der Senat „den schönen Worten auch entsprechende Taten folgen lässt“ (GV 2011). Wie die bisherige chronologische Betrachtung zeigt, konnten Konflikte unter den Akteur*innen nur mühsam überbrückt werden, wofür ein spezifisches Governance-Netzwerk gebildet und ein recht komplexes Kooperationsverfahren vereinbart wurden. Darauf und auf die Akteur*innen des Governance-Netzwerks gehe ich im Folgenden näher ein, indem ich ihre Interdependenzen und Einzelinteressen aufzeige.
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4.2.1 AKTEUR*INNEN DES GOVERNANCE-NETZWERKS Mit der Kooperationsvereinbarung einigten sich die Verhandlungspartner*innen in Ergänzung zum Integrierten Entwicklungskonzept (IEK) auf das Kooperationsverfahren sowie die Zuständigkeiten der Akteur*innen. Daraus ergibt sich im Wesentlichen das Governance-Netzwerk zur Sanierung und Entwicklung des Gängeviertels – verstanden als die spezifische Konstellation von Akteur*innen und die Regeln ihrer Zusammenarbeit, um die Sanierung und Entwicklung des Gängeviertels zu steuern (siehe Kapitel 2.3). Dieses Governance-Netzwerk basiert auf den Organisationsstrukturen der Stadt Hamburg und des Gängeviertels sowie der Notwendigkeit, die für ein städtebauliches Sanierungs- und Entwicklungsvorhaben erforderlichen Entscheidungen zu treffen (Baumaßnahmen, Belegung der Gebäude etc.). Dafür haben die Akteur*innen spezielle Gremien geschaffen (siehe Abbildung 22). Im Folgenden stelle ich Akteur*innen dar, die zentrale Funktionen im Governance-Netzwerk übernommen haben, und gehe auf ihre primären Interessen im Rahmen der kooperativen Entwicklung des Gängeviertels ein. Bezirk Hamburg-Mitte: Im Stadtstaat Hamburg bilden die sieben Bezirke der Stadt die kommunale Verwaltungsebene. Das Bezirksamt Hamburg-Mitte ist hauptverantwortlich für die operative Umsetzung der Sanierung. Es hat das IEK in Auftrag gegeben und die steg mit der Sanierung beauftragt. In enger Zusammenarbeit mit der BSW ist das Bezirksamt für die Finanzierung der Sanierung zuständig und erteilt die Bau- und Betriebsgenehmigungen für Baumaßnahmen und die Nutzung der Gebäude. Es liegt im Interesse des Bezirksamts, dass die Kooperation mit den Aktiven ein Erfolg für beide Seiten darstellt und dass das Gängeviertel langfristig zur Belebung und Aufwertung der Hamburger Innenstadt gemäß der im IEK definierten Ziele beiträgt. Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW): Die BSW (vor Juli 2015 Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt – BSU) entspricht im Stadtstaat Hamburg einer Landesbehörde. Als solche ruft sie Bundesmittel für die Sanierung ab. Über das Rahmenprogramm Integrierte Stadtteilentwicklung (RISE) regelt sie die Zusammenarbeit mit den Bezirken und setzt Richtlinien zur Vergabe und Verwendung von Fördermitteln für die Sanierung fest
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FREIE UND HANSESTADT HAMBURG
GÄNGEVIERTEL
Senat: 11 Senator*innen und Erste*r Bürgermeister*in
Vollversammlung (VV)
Senator*in FB
Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt / Wohnen weist an
Behörde für Kultur (Sport) und Medien
Finanzbehörde
weist an
weist an
Investitionsund Förderbank (IFB)
Denkmalschutzamt (DA)
Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG)
BELEG.-KOMMISSION entscheidet über die Belegung von Wohnungen und Ateliers nach Vorschlägen des Gängeviertels
VERHANDLUNGS-AG verhandelt über Lösungen für Konflikte im Verfahren und das Verfahren selbst
beauftragt, erteilt Genemigungen Sanierungsträgerrahmenvertrag BAUUNTERNEHMEN
Arbeitsgruppe
Arbeitsgruppe
gibt Mandat Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG
SANIERUNGSBEIRAT (öffentlich) spricht ggü. Bezirk Empfehlungen aus, entscheidet über Sanierungsfonds
gibt Mandat Verein Gängeviertel e.V.
BAUKOMMISSION stimmt Sanierungsmaßnahmen ab, zieht ggf. Fachplaner*innen und Fachämter hinzu
STADTERNEUERUNGS- UND STADTENTWICKLUNGSGESELLSCHAFT MBH (steg) beauftragt
beauftragt
kontrolliert
ARCHITEKTURBÜRO
SANIERUNG DES GÄNGEVIERTELS
Abbildung 22: Interdependenzen der Akteur*innen während der ersten Kooperationsphase.
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Arbeitsgruppe
organisiert
Bezirksamt HamburgMitte
Senator*in BKSM/BKM
überträgt Treuhandvermögen
regeln Finanzierung
Senator*in BSW/BSU
(vgl. FHH 2018a: 2ff., vgl. FHH 2018b: 1ff.). Sie fungiert seitens der Stadt Hamburg als Verhandlungsführerin mit dem Gängeviertel im Kooperationsprozess. Für die Stadtentwicklungsbehörde ist vor allem von Interesse, dass die im IEK definierten Ziele erreicht werden und dass die Sanierung möglichst im Kostenrahmen bleibt. Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB): Die landeseigene Bank wird maßgeblich von der Stadtentwicklungsbehörde gesteuert und fördert die Sanierung durch die Vergabe von Krediten und Fördermitteln an die steg, etwa für energetische Sanierungsmaßnahmen. Die zweckgemäße Verwendung der Mittel ist mit der IFB abzustimmen. Insofern hat sie indirekten Einfluss auf die Sanierungsmaßnahmen. Der IFB ist vor allem daran gelegen, dass die Vorschriften der von ihr vergebenen Fördermittel im Rahmen der Sanierung eingehalten werden. Behörde für Kultur und Medien (BKM): Die BKM (vor Oktober 2010 Behörde für Kultur, Sport und Medien – BKSM) ist eine weitere Landesbehörde und seit der Besetzung mit der inhaltlichen Entwicklung des Gängeviertels befasst. Sie unterstützt durch verschiedene Förderungen kulturelle und künstlerische Nutzungen sowohl in sanierten wie auch in unsanierten Gebäuden des Gängeviertels. Die Kulturbehörde möchte vor allem, dass entsprechende Nutzungen einen wesentlichen Bestandteil der Entwicklung des Gängeviertels ausmachen und Galerien, Ateliers, Konzert- und Proberäume langfristig zur Verfügung stehen. Denkmalschutzamt (DA): Das DA untersteht der BKM und kontrolliert die denkmalgerechte Ausführung der Baumaßnahmen im Gängeviertel. Im Interesse des DA sind vor allem eine denkmalgerechte Sanierung und der Erhalt historischer Bausubstanz. Finanzbehörde (FB): Die Landesbehörde stellt die Haushaltsmittel zur Verfügung, die in die Sanierung fließen, und entscheidet maßgeblich über die Eigentums- und Besitzrechte im Gängeviertel. Sie ist vor allem daran interessiert, dass die eingesetzten Haushaltsmittel für die Sanierung nicht steigen und dass das Gängeviertel nicht unter seinem Wert (Verkehrswert) verkauft oder verpachtet wird. Landesbetrieb Immobilienmanagement und Grundvermögen (LIG): Der landeseigene Betrieb untersteht der FB und verwaltet Grundstücke im Eigentum der Stadt Hamburg. Daher ist er für die Übertragung von Besitzrechten zuständig wie die Vergabe der Gebäude und Grundstücke des Gängeviertels als Treuhandvermögen an die steg oder von Erbbaurechten an die Gängeviertel
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Genossenschaft. Außerdem legt die LIG die Zinssätze für Erbbaurechtsverträge fest. Ihr ist vor allem daran gelegen, dass das Gängeviertel nicht unter seinem Wert (Verkehrswert) verkauft oder verpachtet wird. Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG: Die Genossenschaft wurde von den Aktiven als Projektentwicklungsgenossenschaft gegründet. Sie baut parallel zur Sanierung Arbeits- und Verwaltungsstrukturen auf und wirbt Eigenkapital ein, um die Selbstverwaltung von sanierten Gebäuden nach und nach aufzunehmen. Zum Zweck der Kapitalbildung vergibt sie Genossenschaftsanteile (ein Anteil kostet 500 Euro), die von Mieter*innen anteilig in Bezug auf die gemieteten Flächen gezeichnet werden müssen (1 Anteil pro 10 m²). Um möglichst viele Genoss*innen aufzunehmen und entsprechend viel Eigenkapital zu bilden, können auch Bürger*innen Anteile erwerben, die keine Räume im Gängeviertel nutzen (vgl. Kowalski et al. 2012: 110). Die Genossenschaft möchte, dass das Gängeviertel denkmalgerecht saniert wird und sie möchte die Gebäude nach der Sanierung gemäß ihrer Satzung so verwalten, dass sie weiterhin kulturellen und sozialen Zwecken dienen. Verein Gängeviertel e.V.: Der Verein wurde von den Aktiven kurz nach der Besetzung gegründet, um über ihn als juristische Person Nutzungsverträge mit der Stadt Hamburg abzuschließen. Er ist für die Selbstverwaltung der noch nicht sanierten Flächen zuständig und organisiert das soziokulturelle Programm im Gängeviertel (vgl. ebd.: 109). Dafür mietet der Verein von der steg als Treuhänderin der Stadt Hamburg Flächen an, oder von der Genossenschaft, falls sie bereits saniert sind und von der Genossenschaft verwaltet werden. Im Interesse des Vereins liegt gemäß seiner Satzung vor allem die Nutzung des Gängeviertels für soziokulturelle und künstlerische Zwecke unter seiner Verwaltung. Vollversammlung (VV): Die VV wurde kurz nach der Besetzung erstmalig einberufen und findet wöchentlich bis zweiwöchentlich statt. Als informelles Gremium ist die VV grundsätzlich offen für alle Interessierten. Diskutiert und beschlossen werden vor allem alltägliche Themen und Entscheidungen, die die Nutzung des Gängeviertels betreffen, sowie Grundsatzfragen in Bezug auf die langfristige Entwicklung und Selbstverwaltung. Obwohl die VV ein informelles Gremium ist, sind ihre Beschlüsse für die offiziellen Vorstände der Genossenschaft und des Vereins weitgehend bindend, insofern die Umsetzung nicht im Konflikt mit rechtlichen Vorschriften steht. In Bezug auf Verhandlungen mit der Stadt
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Hamburg erteilt die VV den Delegierten des Gängeviertels ein Mandat (vgl. ebd.: 108). Im Interesse der VV liegt insbesondere, dass das Gängeviertel basisdemokratisch und selbstorganisiert verwaltet wird. Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg (steg): Die ehemals städtische Gesellschaft wurde 2003 von der Stadt Hamburg privatisiert und an die beiden amtierenden Geschäftsführer verkauft (vgl. Rinn 2016: 147, vgl. Brinkmann/ Seeringer 2014: 324). Sie agiert vor allem als Dienstleiterin für die Stadt Hamburg und übernimmt zahlreiche zentrale Aufgaben im Sanierungsprozess. Ihre Zuständigkeiten und deren Vergütung sind unter anderem durch einen Sanierungsträgerrahmenvertrag und Sanierungsträgervergütungsvertrag mit der BSW und dem Bezirksamt Hamburg-Mitte sowie durch einen Treuhandvertrag mit der FB bzw. dem LIG geregelt. Als treuhänderische Eigentümerin und Sanierungsträgerin der Stadt Hamburg beauftragt sie das Architekturbüro, Fachplaner*innen und Bauunternehmer*innen, sie koordiniert die Finanzierung der Planungen und Baumaßnahmen, verwaltet die Gebäude und Grundstücke bzw. überwacht deren Selbstverwaltung durch die Genossenschaft. Im Sanierungsprozess des Gängeviertels versucht sie, als privatwirtschaftliches Unternehmen den Auftrag der Stadt Hamburg umzusetzen, indem sie die Sanierung gemäß dem IEK durchführt und dafür den im Vergütungsvertrag festgelegten finanziellen Gewinn erzielt. Architekturbüro: Das Architekturbüro plant die Baumaßnahmen und kontrolliert deren Ausführung. Für die ersten beiden Bauabschnitte wurde das Büro Plan-R beauftragt. Darauf hatten sich das Gängeviertel und die Stadt Hamburg verständigt. Dem Architekturbüro ist vor allem an einer denkmalgerechten und vorschriftsgemäßen Bauausführung gelegen und der nach HOAI (Honorarordnung für Architekten und Ingenieure) kalkulierten finanziellen Vergütung. Die vorangehende Darstellung der Akteur*innen und ihrer Interessen macht deutlich, dass das Governance-Netzwerk sowohl auf zivilgesellschaftlicher wie auch auf öffentlicher Seite aus mehreren Organisationen besteht, die eigenen Interessen folgen. Die Abstimmung der daraus folgenden Handlungsrationalitäten erforderte nicht nur zwischen den Kooperationspartner*innen viel Zeit, sondern auch innerhalb ihrer jeweiligen Arbeitsstrukturen. So mussten Akteur*innen der Stadt Hamburg komplexe Verfahrensschritte unter sich koordinieren und Kompromisse zwischen
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ihren Einzelinteressen und Handlungsrationalitäten ressortübergreifend aushandeln. Das teils widerstreitende Handeln der Stadt Hamburg zeigte sich zum Beispiel an der Genehmigung zur Nutzung der unsanierten Gebäude: Während die Stadtentwicklungsbehörde bemüht war, deren weitgehende Nutzung für kulturelle Zwecke zu ermöglichen, sperrte die Bauprüfabteilung des Bezirksamts zwei der Gebäude aufgrund baulicher Mängel (vgl. Gabriel et al. 2012: 94). Außerdem kostete es Zeit, dass während der Regierungsbildung die Verwaltung aufgrund der hierarchischen Strukturen nur eingeschränkt handlungsfähig war. Seitens des Gängeviertels erforderten vor allem die weitgehend offenen und selbstorganisierten Strukturen langwierige Entscheidungsprozesse. Das galt insbesondere während der Anfangszeit der Kooperation für die VV. Darin versammelten sich Menschen mit sehr unterschiedlichen Meinungen, ohne dass klare Entscheidungsstrukturen bestanden. Dies führte vor allem zu Beginn der Kooperation zu weitgehend ungeregelten Aushandlungsprozessen, wodurch die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Aktiven gegenüber der Stadt Hamburg vermindert wurde. Darüber hinaus resultierte die Abstimmung von Beschlüssen der VV und den offiziell gewählten Vorständen des Vereins und der Genossenschaft wiederholt in Konflikten. Grund dafür waren vor allem ungeklärte Verantwortlichkeiten bei der Umsetzung dieser Beschlüsse, was die Zusammenarbeit innerhalb der Selbstorganisationsstrukturen erschwerten (vgl. Kowalski/Weiß 2012: 124ff.). Neben der Stadt Hamburg und dem Gängeviertel tragen im Governance-Netzwerk mit der steg und dem Architekturbüro auch privatwirtschaftliche Akteur*innen wichtige Funktionen. Der steg kommt dabei trotz des separaten Architekturbüros eine Schlüsselfunktion und zentrale Machtposition im Governance-Netzwerk zu, weil sie viele entscheidende Aufgaben und Rollen übernimmt (treuhändische Eigentümerin, Bauherrin, Verwaltung der Gebäude und Grundstücke, Abrechnung der Kosten). Mit Blick auf die Interdependenzen im Governance-Netzwerk wird allerdings deutlich, dass die vorrangige Machtposition von der Stadt Hamburg eingenommen wird. Sie beauftragt die steg, verfügt letztendlich über das Eigentum am Gängeviertel, finanziert die Sanierung, erteilt die Baugenehmigungen und gestaltet die Rahmenbedingungen auf Landesebene, etwa zur Vergabe von Fördermitteln. Zwar sind diese Aufgaben und Funktionen auf mehrere Behörden verteilt, insgesamt bilden die beteiligten Behörden in Form der Stadt
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Hamburg aber eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Deren Machtposition im Governance-Netzwerk wird durch die Kooperationsvereinbarung nicht eingegrenzt, obwohl darin vereinbart ist, dass die Aktiven bei Entscheidungen einbezogen werden und die Genossenschaft das Gängeviertel langfristig verwalten soll. Die Vereinbarung sichert den Aktiven aber keinen Rechtsanspruch zu und kann aufgekündigt werden. Insofern besteht auch keine Augenhöhe zwischen den Kooperationspartner*innen im Sinne eines ausgewogenen Machtverhältnisses. Zu dieser Analyse der Interdependenzen im Governance-Netzwerk passt es, dass laut einer internen Stellungsnahme der Stadt Hamburg die Umsetzung der Kooperationsvereinbarung zum Großteil vom „gegenseitigen Vertrauen“ (FHH 2011: 2) und dem „guten Willen“ (ebd.) der Beteiligten abhängt. Bevor ich auf den weiteren Verlauf der Kooperation eingehe, stelle ich zunächst dar, inwiefern während der ersten Kooperationsphase Urbane Resilienz von den Aktiven und der Stadt Hamburg koproduziert wurde. Dafür nutze ich – wie auch für die zweite und dritte Kooperationsphase (siehe Kapitel 4.3.2 und 4.4.2) – verschiedene stadtplanerische Merkmale für die Resilienz von sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen wie Diversität, Vernetzung, Selbstorganisation etc. (im Folgenden kursiv dargestellt). Dabei beleuchte ich gemäß meinem Verständnis von einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung auch Nachhaltigkeitsaspekte, denn Beiträge zur Nachhaltigkeit und zur Resilienz von Städten hängen eng zusammen, wie ich in Kapitel 2 erläutere. Demnach kann eine nachhaltige Transformation, bei der die derzeit dominierende Wachstumsorientierung in der Stadtentwicklung überwunden wird, maßgeblich dazu beitragen, dass Krisen und Störungen unwahrscheinlicher werden, die derzeit Maßnahmen zur Erhöhung der Resilienz von Städten erforderlich machen. Gleichzeitig lässt sich durch solche Resilienz-Maßnahmen auch eine nachhaltige Stadtentwicklung vorantreiben, wenn diese dementsprechend konzipiert und umgesetzt werden (siehe Kapitel 2.1). Aus Sicht der Resilienz-Theorie ist dabei vor allem der ökologische Bereich relevant, weshalb ich insbesondere darauf eingehe (vgl. Folke 2016: 1ff.).
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4.2.2 KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ DURCH DIE ANEIGNUNG DES GÄNGEVIERTELS 47) Graue Energie „umfasst die Energiemenge, die für Rohstoffgewinnung, Produktionsprozess, Verpackung und Transport bis zum Bau eines Gebäudes benötigt wird. Diese ist für die Sanierung von Bestandsgebäuden deutlich niedriger als für die Realisierung eines Neubaus.“ (BSBK 2018: 94). Bisher wird die graue Energie bei gesetzlichen Vorgaben zur Bewertung der Energiebilanz von Gebäuden (ENEV) nicht berücksichtigt, obwohl sie dabei mit ausschlaggebend ist. Zum Beispiel verursachen Zementanlagen weltweit den drittgrößten Anteil am Ausstoß von CO2 nach Energiekraftwerken und Fahrzeugen. Daher liegt ein relevanter Handlungsansatz zur Reduktion globaler Umweltschäden im Erhalt und der (energetischen) Sanierung einzelner Gebäude sowie der Wiederverwendung von Bauteilen (vgl. ebd., vgl. WBGU 2016: 421, vgl. Petzet/Heilmeyer 2012: 173).
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Zentral für die Beiträge zur Resilienz Hamburgs durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels sind die historischen Gebäude und deren Wiedernutzung. Versteht man die Hamburg im Sinne der Resilienz-Theorie als ein komplexes System aus verschiedenen sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen, dann sind die Gebäude des Gängeviertels ein Teil des städtischen Gebäudesystems (vgl. Feliciotti et al. 2018: 2f.). Dieses Teilsystem ist von sozialen Aspekten (Nutzung der Gebäude, Regelung der Nutzung etc.), ökologischen Aspekten (Ressourcenverbrauch für den Bau und Betrieb, Versiegelung von Boden etc.) sowie technischen Aspekten (verbaute Materialien, Konstruktion, Haustechnik etc.) abhängig. Gleichzeitig wirkt sich das Gebäudesystem in diesen Bereichen auf die Stadtentwicklung aus und ist eng mit anderen Teilsystemen verwoben (z.B. Verkehrssystem, Freiflächensystem etc.) (vgl. Sharifi et al. 2017: 15). Mit dem Rückkauf des Gängeviertels und dessen Nutzung haben die Kooperationspartner*innen die Diversität des Gebäudebestandes in der Hamburger Innenstadt und somit auf lokaler Maßstabsebene erhöht, denn die historischen Gebäude unterscheiden sich deutlich von den in der direkten Umgebung dominierenden Büro- und Verwaltungsgebäuden. In dieser Umgebung hätte der Bau weiterer Büros und hochpreisiger Wohnungen durch Hanzevast im Vergleich zur kooperativen Entwicklung des Areals zur Homogenisierung beigetragen. Die auf diese Weise erzielte Diversifizierung betrifft die historische Erscheinung, die verbauten Materialien sowie die relativ kleinteiligen Grundrisse und Volumina der Gebäude. Mit Blick auf eine nachhaltige Stadtentwicklung ist vor allem relevant, dass der Erhalt der Gebäude auch zum Klima- und Umweltschutz beiträgt, denn die darin enthaltene graue Energie47 wird weiter genutzt, wodurch weniger Ressourcen verbraucht werden und weniger Emissionen anfallen als bei Neubauten (vgl. WBGU 2016: 164, vgl. Petzet/Heilmeyer 2012: 173). Mit Blick auf die Beiträge zur Urbanen Resilienz durch die Nutzung der Gebäude ist die Kleinteiligkeit der Gebäudestruktur des Gängeviertels von besonderer Bedeutung, denn sie hat die
selbstorganisierte Instandsetzung und Innutzungnahme des Gängeviertels unterstützt. Dadurch konnten die Aktiven die Gebäude trotz des maroden Zustands mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen relativ schnell und einfach nutzbar machen, indem sie diese entrümpelten und renovierten, Dächer und Fenster flickten, tragende Bauteile abstützten und eine provisorische Strom- und Wasserversorgung herstellten. Dabei war nicht nur die materielle Gebäudestruktur eine wichtige Voraussetzung für diesen Aneignungsprozess48, sondern ebenso die von den Aktiven geschaffenen sozialen Strukturen zur Selbstverwaltung bzw. Selbstorganisation im Gängeviertel. Dadurch konnten sie weitgehend eigenständig entscheiden, wie und von wem Flächen genutzt werden sollten, und entsprechende Nutzungen selbst organisieren. So konnten sie ihr Nutzungsprogramm anpassen, wenn sich herausstellte, dass eine Nutzung nicht funktioniert, und Nutzungskonflikte selbst aushandeln, etwa um Lärm oder die Vergabe von Flächen an einzelne Personen und Gruppen. Hinzu kam, dass Außenstehende durch die offenen und basisdemokratischen Vollversammlungen und Arbeitsgruppen schneller Zugang zu den bereits Aktiven fanden, weil sie sich stärker einbringen konnten als bei hierarchischen und geschlossenen Verwaltungsstrukturen. Auch deshalb schlossen sich immer wieder Außenstehende den Aktiven an und brachten weitere Ressourcen ein wie Wissen, Arbeitskraft und Kontakte zu Unterstützer*innen. So gesehen fand eine fortwährende, selbstorganisierte Aneignung der physischen Gebäudestruktur einschließlich der dazwischen liegenden Höfe statt (vgl. Ziehl 2012: 171). Inhaltlich knüpften die Aktiven bei dieser Aneignung an die Bespielung des Gängeviertels zur Zeit der Besetzung an. Sie etablierten schrittweise kulturelle und künstlerische Nutzungen in den hergerichteten Räumen. Außerdem wurden Flächen zur Selbstversorgung (Küchen), Selbstverwaltung (Büro, Versammlungsräume) und zur Instandsetzung der Gebäude (Werkstätten, Lager für Baumaterial) eingerichtet. So bildeten sich nach und nach mehrfunktionale Raumkonzepte und eine Nutzungsmischung im Gängeviertel heraus. Bis heute werden die Gebäude für Ateliers, Arbeitsräume und Werkstätten vor allem von Künstler*innen und Kulturschaffenden genutzt. Dabei finden Vollversammlungen bisweilen auch in Veranstaltungsräumen statt (siehe Abbildung 23) und Kulturveranstaltungen auch mal in den Höfen und Gängen (siehe Abbildung 25). In den Erdgeschossen sind überwiegend
48) Unter Aneignung verstehe ich im Sinne Henri Lefebvres, das Bürger*innen Stadträume weitgehend selbstbestimmt und nach ihren Vorstellungen nutzen und gestalten (vgl. Haarmann/Ziehl 2015: 63f.). Dieses aktive Zu-eigen-Machen von Räumen bildet Lefebvre zufolge einen Gegensatz zur hoheitlichen Verwaltung durch staatliche Institutionen und ist eng mit der unabhängigen Selbstverwaltung („Autogestion“) von Ressourcen und Produktionsmitteln durch Menschen verbunden (vgl. Ronneberger 2010: 32ff.).
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Abbildung 23: Vollversammlung in der Jupi-Bar im Gängeviertel, 2010.
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Nutzungen untergebracht, die mehr oder weniger offen zugänglich sind, wie etwa Veranstaltungsräume, Cafés oder Galerien. Auf diesen Flächen finden fast täglich öffentliche Veranstaltungen wie Ausstellungen, Konzerte, Lesungen und Partys statt. Viele dieser Veranstaltungsformate und Nutzungen können anderswo in der Innenstadt aufgrund der dort üblichen hohen Mietpreise kaum umgesetzt werden (vgl. Buttenberg et al. 2014: 34f.). Insofern führen der Erhalt und die vielfältige Nutzung des Gängeviertels, neben der baulichen Struktur, zu einer Diversifizierung des Gebäudesystems. Dass viele Menschen von diesen Angeboten Gebrauch machen, liegt zum Großteil an der städtebaulichen und verkehrlichen Vernetzung des Gängeviertels mit der Umgebung. Die kleinteilige Baustruktur mit ihren Höfen öffnet sich an drei Seiten zu den angrenzenden Straßen (siehe Abbildung 21). Hinzu kommen die gute Anbindung des Quartiers an den ÖPNV sowie die zentrale Lage in der Hamburger Innenstadt. Insgesamt ist das Gängeviertel gut erreichbar und leicht zugänglich, wodurch es die Belebung der Innenstadt unterstützt. Mit Blick auf ökologische Nachhaltigkeitsaspekte ist vor allem relevant, dass die physische und soziale Raumstruktur des Gängeviertels so auch zum Klima- und Umweltschutz beiträgt, denn durch die Nutzungsvielfalt werden städtische Funktionen wie Wohnen, Arbeiten und Freizeit an zentraler Stelle verwoben. Dadurch können die Aktiven des Gängeviertels alltägliche Wegstrecken einsparen, genauso wie Anwohner*innen aus der Umgebung, die die Angebote des Gängeviertels nutzen. So werden für sie der Verzicht auf Autos und der Umstieg auf das Fahrrad attraktiver. Der Verbrauch von Ressourcen und die Emission von Schadstoffen durch individuellen Personennahverkehr können auf diese Weise verringert werden (vgl. Uhlmann/ Plank-Wiedenbeck 2020: 178f.). Neben dem Gebäudebestand tragen viele der im Gängeviertel etablierten Nutzungen zur Resilienz weiterer sozio-ökologisch-technischer Teilsysteme auf lokaler Maßstabsebene bei, indem die Aktiven dort verschiedene materielle Güter und immaterielle Leistungen produzieren. Zum Beispiel trägt das Kollektiv N55 mit Selbstbaulastenrädern zur Diversität sowie zur Redundanz und Modularität im Hamburger Verkehrssystem bei (siehe Kapitel 2.2.2, siehe Abbildung 24). Ähnliches gilt für die Food-Coop Jette in Bezug auf das Nahrungssystem in der Hamburger Innenstadt. Dadurch wird dessen Diversität erhöht, weil die Food-Coop
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Abbildung 24: Entwurfswerkstatt in sanierten Räumen des Gängeviertels, Sitz des Kollektivs N55 und Produktionsort der XYZ CARGO Lastenräder, 2016.
ausschließlich regionale Produkte anbietet, die in umliegenden Supermärkten in der Regel nicht erhältlich sind. Die Versorgung ihrer Mitglieder mit Lebensmitteln ist außerdem redundant zur dominierenden Nahrungsmittelversorgung durch Großkonzerne, weil sie zusätzliche Möglichkeit zum Einkaufen bietet. Gleichzeitig erweitert sie das bestehende Angebot von selbstorganisierten Versorgungseinrichtungen in Hamburg (solidarische Landwirtschaft, Lieferanten von Bio-Kisten, weitere Food-Coops etc.), wodurch die Modularität des Nahrungssystems erweitert wird. Von besonderer Bedeutung ist im Gängeviertel der Kunst- und Kulturbetrieb, denn dafür werden zahlreiche Flächen genutzt (siehe Abbildungen 25 bis 28). Viele der Leistungen des Gängeviertels im künstlerischen und kulturellen Bereich sind redundant zu Angeboten anderer Einrichtungen, da Hamburg bereits über ein vielfältiges Kunstund Kultursystem verfügt. Im direkten Umfeld des Gängeviertels finden sich allerdings kaum entsprechenden Angebote. Das gilt insbesondere für soziokulturelle Nutzungen. Insofern erhöht das
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Abbildung 25: Filmscreening in der Schierspassage im Rahmen des Kinokabarets, 2012.
Abbildung 26: Buchvorstellung im Veranstaltungsraum der Fabrique kurz nach der Sanierung, 2016.
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Abbildung 27: Vernissage im MOM Art Space in der sanierten Fabrique, 2019.
Abbildung 28: Druckkurs in der Siebdruckwerkstatt der sanierten Fabrique, 2019.
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49) Im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft steht der Faktor Kreativität im Zentrum erwerbswirtschaftlicher Tätigkeiten. Nach diesem Verständnis gelten vor allem in der Wirtschaftsförderung in Deutschland elf Branchen als Teil der Kultur- und Kreativwirtschaft: Musikwirtschaft, Buchmarkt, Kunstmarkt, Filmwirtschaft, Rundfunkwirtschaft, Markt für darstellende Künste, Designwirtschaft, Architekturmarkt, Pressemarkt, Werbemarkt sowie Software/Gaming-Industrie (vgl. BMWi 2009: 3).
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Gängeviertel die Diversität des Kunst- und Kultursystems vor allem in der Hamburger Innenstadt. Da die Kunst- und Kulturproduktion im Gängeviertel weitgehend selbstorganisiert ist, trägt es darüber hinaus zur Modularität dieses Systems bei, denn es ist ein weiterer Stadtraum, wo Kunst und Kultur aus weitgehend lokalen Ressourcen heraus produziert werden. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Vernetzung mit anderen Gruppen und Einzelpersonen, die im Gängeviertel Veranstaltungen umsetzen oder Räume für diverse Aktivitäten nutzen. Ohne eine intensive Vernetzung mit weiteren Kunst- und Kulturproduzent*innen, stadtpolitischen Gruppen, Bildungseinrichtungen etc. wären die Räume nicht ausgelastet. Durch die vielfältigen Angebote im Gängeviertel tragen die Aktiven aus Sicht der Resilienz-Theorie außerdem zur Diversität des lokalen Wirtschaftssystems bei. Viele der im Gängeviertel produzierten Dienstleistungen und Güter dienen sowohl der Selbstversorgung wie auch zur Finanzierung des laufenden Betriebs – also zur Refinanzierung von Betriebskosten wie Mieten, Nebenkosten, Materialausgaben etc. Insofern ist das Gängeviertel von einem stetigen Zulauf an Besucher*innen abhängig und integraler Bestandteil des lokalen Wirtschaftssystems. Dabei sind viele Leistungen und Güter im Gängeviertel nach dem „pay what you want“-Prinzip gegen einen Geldbetrag erhältlich, der frei wählbar ist, solange er mindestens die Kosten deckt. Um dies zu ermöglichen, arbeiten die meisten Aktiven ehrenamtlich. Dadurch wollen sie Leistungen und Güter für einkommensschwache Bürger*innen zugänglicher machen. Diese solidarische Wirtschaftspraktik unterscheidet das Gängeviertel von primär gewinnorientierten Betrieben und kann zur Nachhaltigkeit der Stadt im sozialen Bereich beitragen. Gleichzeitig zeigen die Aktiven ressourcenschonende und ökologisch nachhaltige Möglichkeiten zum Wirtschaften auf (vgl. Sachs 2015: 3ff.). Darüber hinaus helfen die günstigen Mieten im Gängeviertel den Aktiven dabei, die von ihnen produzierten Dienstleistungen und Güter zu testen und marktfähig weiterzuentwickeln, falls sie sich damit selbstständig machen möchten. Dies ist im Gängeviertel bisher zwar eher selten der Fall, dennoch kann das verhältnismäßig geringe persönliche Risiko bei Existenzgründungen zur Diversifizierung der lokalen Kultur- und Kreativwirtschaft49 beitragen (vgl. Kunzmann 2009: 35ff.). Die Kulturund Kreativwirtschaft gilt im Vergleich zu stärker zentralisierten Wirtschaftszweigen (zum Beispiel der Hafenwirtschaft) generell als resilienter, denn sie weist ein hohes Maß an Vernetzung von
verschiedenen Akteur*innen in dezentralen Produktionsnetzwerken und kleinteiligen, lokal eingebetteten Produktionsweisen auf (vgl. Pratt 2015: 63ff.). Insofern trägt die Stärkung der Kultur- und Kreativwirtschaft durch weitere Produktionsräume im Gängeviertel auch zur Resilienz des Wirtschaftssystems der Stadt bei. Die vielfältigen, zuvor in diesem Kapitel beschriebenen Resilienz-Beiträge werden allerdings nicht von den Aktiven alleine eingebracht, sondern sie werden bis heute in entscheidendem Maße von der Stadt Hamburg koproduziert. Indem sie das Gängeviertel zurückgekauft und den Aktiven zur Nutzung überlassen hat, hat sie den Aneignungsprozess der Gebäude maßgeblich unterstützt, woraus viele der Resilienz-Beiträge der Aktiven hervorgegangen sind. Des Weiteren hat sie die Wiedernutzung der Gebäude aktiv gefördert, indem sie die Bausubstanz sichern (Abstützung von Fensterstürzen und tragenden Balken etc.) sowie Wasser- und Stromleitungen provisorisch erneuern ließ, um die Sicherheit in den Gebäuden zu erhöhen. Das Bezirksamt tolerierte sogar die Nutzung von Gebäuden, die von der Bauprüfabteilung gesperrt wurden, nachdem deren Geschossdecken von den Aktiven in Eigenleistung ausgesteift worden waren. Ein weiterer wesentlicher Beitrag der Stadt Hamburg besteht bis heute darin, dass sie für die unsanierten Gebäude nur die anfallenden Nebenkosten und keine Miete verlangt. Teilweise fördert die Kulturbehörde auch den Betrieb kulturell und künstlerisch genutzter Räume. Dadurch werden viele der Nutzungen im Gängeviertel ermöglicht und das „pay what you want“-Prinzip wird unterstützt, da die Mietfreiheit einen geringeren Kostendruck für die genutzten Flächen bedeutet. Die zuvor in diesem Kapitel beschriebenen Beiträge zur Erhöhung der Resilienz in Hamburg betreffen vor allem die lokale Maßstabsebene und mögen im regionalen und globalen Maßstab minimal erscheinen. So ist zum Beispiel der quantitativ messbare Anteil des Gängeviertels am Wirtschaftssystem unerheblich und entsprechend gering dessen Beitrag zur Diversifizierung der Hamburger Wirtschaft. Ähnlich verhält es sich mit den zuvor dargestellten Beiträgen des Gängeviertels zum Gebäude-, Verkehrs-, Nahrungsmittel- sowie dem Kunst- und Kultursystem. Vor diesem Hintergrund besteht der wesentliche Beitrag der kooperativen Entwicklung des Gängeviertels darin, dass die Beteiligten lernen können, wie durch die Kooperation von zivilgesellschaftlichen und öffentlichen Akteur*innen Urbane Resilienz koproduziert werden kann. Gleichzeitig veranschaulicht das Gängeviertel,
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dass Stadträume in Kooperation von Bürger*innen und Politiker*innen entwickelt werden können, und zeigt eine Alternative zur Stadtentwicklung durch Investor*innen auf. Dadurch kann es aus raumtheoretischer Perspektive auch zu einer veränderten Raumvorstellung beitragen, wonach Bürger*innen selbst aktiver Teil bei der Entwicklung von Stadträumen sein können, indem sie sich selbst organisieren, engagieren und mit öffentlichen Akteur*innen kooperieren (siehe Kapitel 2.4.1). So betrachtet haben die Stadt Hamburg und die Aktiven mit dem Gängeviertel während der ersten Kooperationsphase einen „Möglichkeitsraum“ (Kagan et al. 2019: 16, vgl. Kagan et al. 2018: 32, vgl. Kagan 2016: 24) geschaffen. Darunter verstehen Kagan et al. „physische, soziale und mentale Räume, in denen schon jetzt und durch imaginative, kreativ-experimentelle und gestalterische Prozesse mögliche nachhaltige Entwicklungen der Zukunft angelegt sind.“ (Kagan et al. 2019: 16) Das Gängeviertel zeichnet sich meines Erachtens als solch ein Möglichkeitsraum aus, weil dort Praktiken einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung erprobt, umgesetzt und erlebbar werden. Darunter verstehe ich eine nachhaltige Transformation, in deren Zuge die Koproduktion Urbaner Resilienz gestärkt und die dominante Wachstumsorientierung in der Stadtentwicklung überwunden wird (siehe Kapitel 2.1).
4.3 ZWEITE KOOPERATIONSPHASE: VON DER KOOPERATIONSVEREINBARUNG BIS ZUM PLANUNGSSTOPP Nachdem die Kooperationsvereinbarung abgeschlossen war, erklärte die Stadt Hamburg das Gängeviertel wie vorgesehen im Oktober 2011 zum Sanierungsgebiet und übertrug im Mai 2012 die Grundstücke in Treuhand an die steg, die das Architekturbüro Plan-R mit den Planungen für die ersten beiden Bauabschnitte beauftragte. Diese umfassten zwei Gebäude an der Caffamacherreihe, wo 16 öffentlich geförderte Wohneinheiten und Atelierwohnungen sowie fünf Gewerbeeinheiten entstehen sollten, und die Fabrique, wo elf Einheiten für soziokulturelle Nutzungen vorgesehen waren. In dieser Phase nahm auch
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die Baukommission ihre Arbeit auf, um die Planungen zur Sanierung abzustimmen (vgl. Gabriel et al. 2012: 103). Bereits sehr früh in der Zusammenarbeit kam es zu einem Konflikt über die Finanzierung der Fabrique-Sanierung. Um Fördermittel vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) in Höhe von 400.000 Euro zu beantragen, reichte die steg in Absprache mit der FHH gegen den ausdrücklichen Willen des Gängeviertels ein umstrittenes Betriebskonzept ein. Darin waren aus Sicht der Aktiven zu hohe Eintrittspreise und zu wenig bezahlte Stellen vorgesehen, um einen soziokulturellen Betrieb abzusichern. Sie fürchteten, dass die Stadt Hamburg und die steg auf diese Weise die soziokulturelle Nutzung der Fabrique gefährdeten (vgl. VG 2012). Im März 2013 richteten das Bezirksamt-Mitte und die steg einen Sanierungsbeirat ein, der als Schnittstelle zwischen Bezirkspolitik, den Aktiven und Anlieger*innen dienen sollte. Damit sollte die im BauGB vorgesehene Beteiligung von Bürger*innen und Anlieger*innen bei Sanierungsverfahren umgesetzt werden. Die Sanierungsarbeiten begannen im Oktober 2013. Zu diesem Zeitpunkt war das Verhältnis der Kooperationspartner*innen aufgrund mehrerer Konflikte im Kooperations- und Sanierungsprozess bereits sehr angespannt (siehe Kapitel 4.3.1). Das machten die Aktiven in einem Positionspapier anlässlich der Baustelleneröffnung deutlich. Darin bemängelten sie vor allem, dass bei der Sanierung zu viele Standardlösungen vorgesehen waren, die den Denkmalschutz zu wenig beachteten, und dass sie zu wenig an Entscheidungen über Baumaßnahmen beteiligt wurden (vgl. VG 2013a). Um ihren Anspruch auf mehr Mitbestimmung zu unterstreichen, wiesen sie mit einer öffentlichen Aktion parallel zur offiziellen Enthüllung des Bauschildes auf ihr Selbstverständnis als diejenigen hin, die das Gängeviertel „gerettet“ hatten (siehe Abbildung 29). Im August 2014 nahmen die Stadtentwicklungsbehörde und das Gängeviertel erneut Verhandlungen auf, dieses Mal um zu klären, wie die Genossenschaft die Gebäude der ersten beiden Sanierungsabschnitte nach ihrer Fertigstellung verwalten kann. Aufgrund rechtlicher Fragen über die Möglichkeiten zu einer entsprechenden Vereinbarung und mangelnder zeitlicher Ressourcen bei den Verhandelnden verliefen die Verhandlungen jedoch schleppend. Sie konnten nicht zu Ende geführt werden, bevor das erste Gebäude fertig saniert war. In dieser Situation schlossen die von der Belegungskommission vorgesehenen Mieter*innen im Januar 2015 Verträge direkt mit der steg ab. Als treuhänderische
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50) In einem Vermerk vom 02.02.2015 argumentierte das Referat für Rechtsfragen der Städtebauförderung in der Stadtentwicklungsbehörde, dass die Finanzierung der Sanierung bereits geregelt sei und daher kein Kapital der Genossenschaft benötigt werde. Demnach wäre es im Falle des Gängeviertels zu einer unzulässigen Koppelung der Vermietung öffentlich geförderter Wohnungen mit anderen von den Mieter*innen zu erbringenden Leistungen gekommen. Gemäß dieser Rechtsauslegung hatten die steg und die IfB bereits einen Modernisierungsvertrag über Fördermittel für die Sanierung des Gebäudes geschlossen, allerdings ohne die Inhalte mit dem Gängeviertel abzustimmen. Der Vertrag wurde als Begründung angeführt, um die von den Aktiven geforderte Genossenschaftsbindung abzulehnen, weshalb diese sich hintergangen fühlten.
Eigentümerin war die steg zum Vermieten und Verwalten der Wohnungen berechtigt und hatte sich aufgrund der schleppenden Verhandlungen über die Selbstverwaltung bereits darauf eingestellt. Die Unterzeichnung dieser Verträge war unter den Aktiven allerdings äußerst umstritten, denn zur Finanzierung der Selbstverwaltung war es für das Gängeviertel zentral, dass die Mieter*innen auch Mitglieder in der Genossenschaft wurden und zur Bildung von Eigenkapital beitrugen, indem sie anteilig pro Mietfläche Genossenschaftsanteile zeichneten (vgl. VG 2015a). Laut dem damaligen Standpunkt der Stadtentwicklungsbehörde war eine solche durchaus übliche „Genossenschaftsanbindung“ im speziellen Fall des Gängeviertels aufgrund von Förderrichtlinien der Stadt Hamburg rechtlich nicht zulässig.50 Bereits im Vorfeld waren Versuche der Aktiven gescheitert, die Behörde durch ein Gespräch mit den für das Gängeviertel zuständigen Senator*innen zum Einlenken zu bewegen, da insbesondere die Stadtentwicklungssenatorin zu einem solchen Gespräch nicht bereit war. Die Aktiven sperrten daher im Februar 2015 die Baustellen im Gängeviertel, um ein klärendes Gespräch mit politischen Vertreter*innen zu erwirken.
Abbildung 29: Protest der Aktiven anlässlich der Bauschildenthüllung des ersten Bauabschnitts, 2013.
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Darin drohten sie, die Kooperation aufzukündigen, und einigten sich mit der Stadt Hamburg auf einen vorläufigen Planungsstopp. Dadurch wollten die Kooperationspartner*innen Zeit gewinnen, um die aus Sicht der Aktiven drängendsten Probleme im Sanierungs- und Kooperationsprozess zu lösen, bevor die Planungen für weitere Bauabschnitte begannen. Um ihre Kritik am bisherigen Sanierungs- und Kooperationsverfahren öffentlichkeitswirksam zu unterstreichen, traten wenige Tage nach dem vereinbarten Planungsstopp die drei Vertreter*innen des Gängeviertels vom Vorstand des Sanierungsbeirats zurück (vgl. San.Beirat GV 2015: 2). Im Folgenden gehe ich genauer auf die Konflikte in der zweiten Kooperationsphase ein, denn wie sich aus der chronologischen Betrachtung ergibt, drohte die Kooperation daran zu scheitern, wodurch die damit verbundene Koproduktion Urbaner Resilienz erheblich beeinträchtigt worden wäre (siehe Kapitel 4.3.2).
4.3.1 KONFLIKTE IM KOOPERATIONSPROZESS Die zweite Kooperationsphase war von Konflikten geprägt, die sich zwei Problemkomplexen zuordnen lassen: die Sanierungsmaßnahmen einschließlich der Entscheidungsfindung darüber und die Selbstverwaltung der Gebäude durch das Gängeviertel einschließlich der Konditionen dafür. Bezüglich des ersten Problemkomplexes um die Sanierungsmaßnahmen führten vor allem Veränderungen der Wohnungsgrundrisse, der Abriss historischer Bauteile und die an den Gebäuden angebrachte Dämmung zu Konflikten zwischen der steg, dem beauftragten Architektenbüro (Plan-R) und dem Gängeviertel (siehe Abbildungen 30 bis 32). In diesem Zusammenhang kam es zu anhaltendem Streit über Baukosten, bauphysikalische Notwendigkeiten und Fördervorschriften zur energetischen Sanierung und für den öffentlich geförderten Wohnungsbau. Die Aktiven forderten wiederholt, dass Förderrichtlinien von der IfB so angepasst werden, dass sie ihren Vorstellungen einer denkmalgerechten Sanierung entsprachen, oder dass nach anderen Fördermöglichkeiten gesucht wird. Dagegen war der steg vor allem an einem effizienten Einsatz der vorhandenen Mittel und greifbaren Förderungen zur zügigen
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Abbildung 30: Gedämmte Gebäuderückseite kurz vor Fertigstellung der öffentlich geförderten Sanierungsarbeiten, 2015.
Umsetzung der Baumaßnahmen gelegen. Der leitende Architekt konnte zwar viele Positionen der Aktiven nachvollziehen, zeigte sich aber angesichts der bestehenden Fördervorschriften und des Kostenrahmens, in dem er agieren musste, in den meisten Fällen kompromissbereiter gegenüber der steg. In Bezug auf Maßnahmen zur energetischen Sanierung befürwortete er von vornherein die äußere Dämmung von Gebäudeteilen und vertrat damit eine andere Position als das Gängeviertel (vgl. VG 2013b: 51ff.). Die
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Abbildung 31: Leer geräumter Wohnraum kurz vor Beginn der Sanierung, 2013.
Abbildung 32: Öffentlich geförderter Wohnraum kurz nach Fertigstellung der Sanierungsarbeiten, 2015.
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Differenzen über Baumaßnahmen wurden zusätzlich verschärft, weil der festgelegte Finanzierungsrahmen aufgrund gestiegener Baukosten nicht mehr ausreichte. Infolge dessen wurden gegen den Willen der Aktiven Maßnahmen minderwertig ausgeführt oder ganz abgelehnt, zum Beispiel die Restaurierung von Holzböden oder eine für Graffitis geeignete Außendämmung. Des Weiteren führte der eng getaktete Bauablauf dazu, dass schnell über Baumaßnahmen entschieden werden musste und nur wenig Zeit zum Aushandeln von Kompromissen vorhanden war. Dadurch ließ die steg in vielen Fällen bauliche Maßnahmen nach den Standards des öffentlich-geförderten Wohnungsbaus umsetzen, weil die Aktiven und der Architekt in der kurzen Zeit keine Alternativen erarbeiten konnten. Bestrebungen der Aktiven, durch unentgeltliche Eigenleistungen die Kostensteigerung zumindest teilweise zu kompensieren bzw. Restaurierungsarbeiten auf eigene Kosten auszuführen, wurden von der steg und dem Architekten in vielen Fällen nicht zugelassen, da die fachgerechte Ausführung nicht rechtsverbindlich garantiert werden konnte und die Durchführung aus ihrer Sicht zu lange gedauert hätte. Trotz zahlreicher Sitzungen der Baukommission, worin die steg, das Architekturbüro und die Aktiven die Sanierungsmaßnahmen abstimmten, sahen sich Letztere nicht auf Augenhöhe an der Sanierung beteiligt. Dies wog für sie umso schwerer, weil sie ehrenamtlich arbeiteten und der Arbeitsumfang viel Zeit in Anspruch nahm: Alle zwei bis drei Wochen traf sich die Baukommission. Des Weiteren trafen sich die Vertreter*innen des Gängeviertels zur internen Abstimmung wöchentlich. Nach Beginn der Bauarbeiten nahmen sie zusätzlich an den wöchentlichen Baubesprechungen und -begehungen mit den Bauunternehmen teil. Darüber hinaus prüften sie die Planungen und die Auftragsvergabe für Bauleistungen, recherchierten Alternativen zu den Vorschlägen der steg und des Architekten, besprachen sich mit Fachplaner*innen und Behördenvertreter*innen, stimmten Baumaßnahmen mit den Gremien des Gängeviertels ab, vermittelten interne Konflikte unter den Aktiven über die Bauausführung, koordinierten Baumaßnahmen zwischen den Nutzer*innen des Gängeviertels und den ausführenden Firmen sowie die Eigenleistungen der Aktiven, sofern diese umgesetzt werden konnten. Hinzu kam, dass einige Mitglieder der Baukommission weitere Ämter besetzten (Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft, Vorstand des Vereins, Sanierungsbeirat, Verhandlungsgruppe
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etc.), denn aufgrund der hohen unentgeltlichen Arbeitsbelastung und der relativ formellen Arbeitsabläufe waren nur wenige Aktive dazu bereit, Ämter zu übernehmen, bei denen sie direkt mit Behördenvertreter*innen und der steg zusammenarbeiten mussten. Daher war das Gängeviertel nicht in der Lage, die vielen Kooperationsgremien zu besetzten, ohne dass es zu einer Häufung von Ämtern bei bestimmten Einzelpersonen kam. Deren unbezahlte Arbeitszeit in den Kooperationsgremien und für anhängende Aufgaben betrug üblicherweise 10 bis 20 Stunden pro Woche, teilweise deutlich mehr. Betroffen waren davon rund 20 bis 30 Personen, deren zumeist prekäre Lebenssituation sich dadurch weiter verschlechterte, worunter ihre Mitarbeit in den Kooperationsgremien litt. Das galt wegen der oben dargestellten vielen Aufgaben insbesondere für die Baukommission. Deren Mitglieder wechselten seitens des Gängeviertels mehrfach. Das kritisierte vor allem die steg, weil dadurch bereits getroffene Absprachen und Kompromisse wieder neu verhandelt werden mussten, was zusätzliche Zeit kostete. Damit verbunden war für die Sanierungsträgerin ein finanzielles Problem, denn der erhöhte Zeit- und Kommunikationsaufwand wurde ihr von der Stadt Hamburg nicht vergütet (vgl. Breckner 2016: 197). Auch die interne Entscheidungsfindung des Gängeviertels zur Ausführung von Baumaßnahmen war sehr zeitintensiv. Das kritisierte vor allem der Architekt, weil er Verzögerungen im Bauablauf und Mehraufwand bei den Planungen befürchtete. Zusätzlich wurden Konflikte um die Sanierungsmaßnahmen verschärft, weil Beschwerden der Aktiven über den Sanierungsverlauf und Forderungen zur Anpassung des Verfahrens von der Stadt Hamburg kaum aufgegriffen wurden. Das gilt sogar für Empfehlungen des Sanierungsbeirats zur Bezahlung der Vertreter*innen des Gängeviertels in der Baukommission sowie für ein klärendes Gespräch mit den zuständigen Senator*innen. Beide Empfehlungen wurden im zuständigen Fachausschuss der Stadt Hamburg zwar geprüft und diskutiert, aber nicht weiterverfolgt (vgl. San.Beirat GV 2014: 5f.). Bezüglich des zweiten Problemkomplexes um die Selbstverwaltung der Gebäude stießen die Forderungen der Aktiven auf weitgehende Ablehnung seitens der Stadt Hamburg. Zwar war die Verwaltung der Gebäude durch die Genossenschaft in der Kooperationsvereinbarung als ein Ziel benannt, es war aber nicht geregelt, auf welcher Grundlage (Generalmietvertrag, Kauf, Erbbaurecht) und zu welchem Zeitpunkt (nach Sanierung einzelner
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Gebäude oder nach Sanierung des gesamten Viertels) die Selbsterwaltung durch die Genossenschaft aufgenommen werden sollte. Ein von der Stadtentwicklungsbehörde angebotener Verwaltervertrag reichte den Aktiven nicht aus. Dadurch hätten sie kaum Einfluss auf die langfristige Entwicklung des Gängeviertels nehmen können, zum Beispiel hätten sie Mietverträge nicht mitgestalten und die Höhe der Mieten nicht beeinflussen können. Sie hätten auch keine erweiterte Mitsprache bei der Sanierung der Gebäude erreicht, was aufgrund der Konflikte über die Baumaßnahmen für sie zunehmend an Bedeutung gewonnen hatte. Daher forderten sie einen Erbbaurechtsvertrag, weil damit weitgehende Rechte in diesen Aspekten verbunden sind. Darauf wollte sich die Stadt Hamburg allerdings nicht einlassen, zumindest nicht vor Abschluss der Sanierungsarbeiten. Ein Grund dafür war, dass die FHH den Aktiven keine weiteren Mitspracherechte an der Sanierung zugestehen wollte, um die Sanierung möglichst im Zeit- und Kostenrahmen des Integrierten Entwicklungskonzepts (IEK) umzusetzen. Außerdem bezweifelte sie, dass die Genossenschaft des Gängeviertels bereits ausreichend organisiert war und genug Eigenkapital aufgebaut hatte, um die Gebäude eigenverantwortlich zu betreiben. Die Stadt Hamburg hätte den Aktiven zudem in der Höhe der Erbbauzinsen entgegenkommen müssen, denn die Genossenschaft verfügte nicht über genügend Einnahmen, um den marktüblichen Zins zu bedienen. Die Aktiven lehnten die Zahlung des marktüblichen Erbbauzinses aber auch grundsätzlich ab, weil sie aufgrund ihres ehrenamtlichen Engagements Sonderkonditionen als gerechtfertigt ansahen. Aus Sicht der Stadt Hamburg hätte ein reduzierter Erbbauzins allerdings gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, an den sie gesetzlich gebunden ist. Außerdem wären finanzielle Mindereinnahmen in Verbindung mit einem Kontrollverlust für die Stadt Hamburg gegenüber der Öffentlichkeit nur schwer vertretbar gewesen. Mit Blick auf die beiden Problemkomplexe zeigten sich das Bezirksamt Hamburg-Mitte und die Kulturbehörde samt Denkmalschutzamt zwar durchaus verständnisvoll für die Anliegen der Aktiven, sie verfügten aber nicht über die entscheidenden Handlungsoptionen, um ihren Forderungen nachzukommen. Diese lagen in vielen Fällen bei der BSW. Diese ignorierte die Forderungen der Aktiven in Bezug auf Baumaßnahmen und die Selbstverwaltung allerdings weitgehend. Ein Grund dafür war der Regierungswechsel 2011, denn die ab da allein regierende SPD und ihre Stadt-
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entwicklungssenatorin zählten das Gängeviertel nicht zu ihren politischen Prioritäten, wie es noch bei der Vorgängerregierung aus CDU und den GRÜNEN der Fall gewesen war. Insgesamt betrachtet sahen sich die Aktiven dadurch in ihren Befürchtungen bestätigt, dass sie unter Federführung der steg relativ wenig Einfluss auf die Sanierungsmaßnahmen ausüben können und nach erfolgter Sanierung verdrängt werden könnten, wenn sie das Gängeviertel nicht selbst verwalten. Das galt vor allem für diejenigen, die eine Zusammenarbeit mit der Sanierungsträgerin von Beginn an abgelehnt hatten, weil sie ihr misstrauten (siehe Kapitel 4.2). Die Stadt Hamburg und die steg kritisierten vor allem, dass die Aktiven im Kooperationsprozess immer mehr Mitbestimmungsmöglichkeiten einforderten, die über die Vereinbarungen im IEK und die Kooperationsvereinbarung hinausgingen. Außerdem bemängelten sie, dass die Aktiven sich nicht an Absprachen hielten und den Bau- und Planungsprozess verzögerten, was zu Kostensteigerungen führte. Allerdings maßen die Stadt Hamburg und die Sanierungsträgerin den Problemen weitaus weniger Bedeutung für den Kooperations- und Sanierungsprozess bei als die Aktiven des Gängeviertels und bewerteten den Sanierungsfortschritt trotz der Konflikte als Ergebnis einer insgesamt gelingenden Zusammenarbeit (siehe Kapitel 3.2.2). Wie ich im Folgenden aufzeige, blieben die Probleme in Bezug auf die Selbstverwaltung und die Sanierungsmaßnahmen im Kooperationsprozess nicht ohne Folgen für die Koproduktion Urbaner Resilienz.
4.3.2 KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ WÄHREND DER SANIERUNG Während der zweiten Kooperationsphase fielen die unmittelbaren Resilienz-Beiträge durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels geringer aus, denn zahlreiche Nutzungen mussten aufgrund der Sanierungsmaßnahmen verlegt oder vorübergehend eingestellt werden. Dadurch wurden im Gängeviertel weniger Güter und Dienstleistungen produziert als vor Beginn der
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51) Viele Nutzer*innen der Fabrique zogen kurz vor Beginn der Sanierung in das Gebäude der Alten Bahnmeisterei im Oberhafen – einem Teil der HafenCity, der als Kunst- und Kreativquartier entwickelt wird. In Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Hamburg-Mitte, der Hamburg Kreativ Gesellschaft und der HafenCity Hamburg GmbH wurde das Gebäude als Ausweichquartier vom Verein Gängeviertel e.V. angemietet (vgl. Läpple et al. 2015: 86). Die dabei koproduzierten Beiträge zur Resilienz in Hamburg werden hier nicht behandelt, da sie außerhalb des Gängeviertels erfolgen und nicht im Fokus dieser Arbeit liegen.
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Sanierungsmaßnahmen. Insofern trugen die Aktiven weniger zur Resilienz der sozio-ökologisch-technischen Teilsysteme in der Innenstadt bei. Das gilt vor allem für das Kunst- und Kultursystem, weil auch die Fabrique saniert wurde und die vielen soziokulturellen Flächen in dem Gebäude nicht mehr zur Verfügung standen.51 Es muss allerdings beachtet werden, dass im Zuge der Sanierung die marode Bausubstanz von drei Gebäuden im Auftrag der Stadt Hamburg dauerhaft nutzbar gemacht wurde. Somit wurde ihr Potenzial erhöht, um als physische Grundlage langfristig zur Koproduktion Urbaner Resilienz zu dienen (siehe Kapitel 4.2.2). Mit Blick auf die sozialen Beziehungen zwischen den Kooperationspartner*innen wurde das Potenzial zur Koproduktion Urbaner Resilienz jedoch eher verringert als erhöht. Aus Sicht der Aktiven war seit dem Scheitern der Verhandlungen um die Genossenschaftsanbindung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit kaum noch möglich. Weil sie davon ausgingen, dass die FHH versucht, sie im Kooperationsprozess zu übervorteilen, drohten die Aktiven damit, die Kooperation aufzukündigen, falls sie nicht mehr Mitspracherechte bekommen und die Selbstverwaltung des Gängeviertels langfristig gesichert wird. Ein Ende der Kooperation hätte zu diesem Zeitpunkt allerdings unabsehbare Folgen für die weitere Entwicklung des Gängeviertels und die damit verbundene Koproduktion Urbaner Resilienz gehabt, denn gegen den Willen der Aktiven wäre eine Sanierung durch die FHH kaum möglich gewesen. Ebenso wenig konnten sie auf die Unterstützung der FHH verzichten, um die Gebäude zu sanieren. Jedoch ist deren Sanierung aufgrund der maroden Bausubstanz notwendig, um die ResilienzBeiträge durch die selbstorganisierte Nutzung der Gebäude langfristig zu ermöglichen. Die zentrale Ursache für das drohende Scheitern der Kooperation besteht aus Sicht der Resilienz-Theorie in einer zu geringen Anpassungsfähigkeit des Kooperationsverfahrens an veränderte Rahmenbedingungen und interne Konflikte im Prozess der Zusammenarbeit. Wie im zweiten Kapitel ausgeführt wurde, steht Anpassungsfähigkeit in der Resilienz-Theorie für die Fähigkeit von sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen, sich während Krisen oder bei Störungen so anzupassen, dass sie weiterhin funktionieren, bzw. dafür, dass Krisen und Störungen vorgebeugt wird, indem Teilsysteme anpassungsfähig gestaltet werden. Das schließt aus meiner Sicht mit ein, dass die für die Steuerung dieser Systeme relevanten Akteur*innen ihre Handlungen, Verfahrensweisen
und Organisationsformen an Konflikte und veränderte Rahmenbedingungen so anpassen, dass sie die Funktion eines Systems möglichst wenig stören und es nicht zu einer Krise kommt (siehe Kapitel 2.1). So betrachtet waren die Akteur*innen im Rahmen des Kooperationsverfahrens offensichtlich nicht in der Lage oder nicht willens, die Kooperation ausreichend an die Konflikte anzupassen – etwa indem die Vertreter*innen des Gängeviertels in der Baukommission bezahlt, Förderrichtlinien flexibler ausgelegt, mehr Eigenleistungen durch die Aktiven erbracht oder ihnen weitere Besitzrechte übertragen werden. Dass diese Konflikte aufgetreten sind, hing eng mit veränderten Rahmenbedingungen der Kooperation zusammen. Dazu zählte vor allem, dass die steigenden Baukosten in Hamburg den ohnehin knapp bemessenen finanziellen Rahmen für die Sanierung verringerten und dass sich der Senat kaum noch für den Kooperationsprozess interessierte. Das Desinteresse des Senats blockierte die Anpassung der Kooperation, denn er verfügte über die dafür relevanten Steuerungsund Handlungsoptionen. Er war allerdings nicht bereit, davon Gebrauch zu machen und sich aktiv an einer Lösungsfindung zu beteiligen. Das gilt insbesondere für die damals amtierende Stadtentwicklungssenatorin. Sie hatte sich wiederholt Gesprächen mit den Aktiven verwehrt und stattdessen auf die Arbeitsebene zwischen steg, Architekt und Gängeviertel verwiesen. Diese konnten die vorhandenen Probleme allerdings nicht ohne Unterstützung des Senats lösen. Die mangelnde Anpassungsfähigkeit des Kooperationsverfahrens hing meines Erachtens eng mit einer mangelnden Anpassungsfähigkeit des Governance-Netzwerks zusammen. In Bezug auf die drei bereits benannten Aspekte zur Anpassungsfähigkeit solcher Netzwerke – Selbstorganisation, Führungskompetenz, Vertrauen (siehe Kapitel 2.3) – und mit Blick auf die Ergebnisse der Realexperimente im Reallabor (siehe Kapitel 3.2.2 und 3.2.3) kann festgestellt werden, dass das Governance-Netzwerk sich nicht ausreichend selbst organisieren konnte, weil die direkt von den Problemen betroffenen Akteur*innen die entscheidenden Anpassungen im Verfahren selbst nicht beschließen oder umsetzen konnten, sondern von den Vorgaben des Senats abhingen – also auch von Akteur*innen, die nicht unmittelbarer Teil des Governance-Netzwerkes waren. Außerdem mangelte es an Führungskompetenz, weil der Senat – als Akteur mit relevanten Steuerungs- und Handlungsoptionen zur Anpassung der Koopera-
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52) Aus Sicht materialistischer Raumtheorie entstehen Orte, indem bestimmten physisch-materiellen Stellen im Stadtraum Bedeutung zugeschrieben wird. Eine solche Bedeutungszuschreibung kann individuell oder kollektiv geschehen, zum Beispiel durch Erinnerungen an einen langjährigen Wohnort oder die öffentliche Wahrnehmung eines Ortes (vgl. Dietz/Engels 2014: 89f., vgl. Belina 2013: 108f.).
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tion – sich nicht mit den Problemen befassen wollte und die Vertreter*innen der FHH im Governance-Netzwerk nicht in der Lage waren, ihn dazu zu bewegen. Wie bereits erwähnt, vertrauten sich die Akteur*innen zu wenig, um mit den bestehenden Problemen dennoch produktiv umgehen zu können. Daher wurde die Kooperation trotz der sich zuspitzenden Konflikte und veränderten Rahmenbedingungen ohne Anpassungen des Verfahrens fortgeführt, bis die Konflikte im Governance-Netzwerk eskalierten. Während es auf der Verfahrensebene (siehe Kapitel 2.3.1) also keine Anpassung gab, kam es im Laufe der zweiten Kooperationsphase zu einer Anpassung der Selbstverwaltungsstrukturen des Gängeviertels. Indem bezahlte Stellen geschaffen und professionellere Verwaltungsstrukturen aufgebaut wurden, passte sich das Gängeviertel auf struktureller Ebene zumindest teilweise an die Erfordernisse der Stadt Hamburg an (siehe Kapitel 3.3.2). So professionalisierten die Aktiven den Verein und die Genossenschaft trotz der unklaren Perspektive zur Selbstverwaltung und schufen aus ihrer Sicht die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen, um einen Erbbaurechtsvertrag mit der Stadt Hamburg abschließen zu können. Diese Professionalisierung war im Gängeviertel allerdings umstritten. Viele Aktive sahen darin eine vorauseilende und zu weitgehende Anpassung der Selbstverwaltungsstrukturen an die Erfordernisse der FHH, was zum drohenden Scheitern der Kooperation beitrug, wie ich im Folgenden aufzeige. Weil sie die Professionalisierung der Selbstverwaltungsstrukturen ablehnten, stellten viele Aktive ihr ehrenamtliches Engagement in diesen Strukturen ein. Denn die Bereitschaft sich zu engagieren, ist bei vielen von ihnen bis heute eng an die Bedeutung des Gängeviertels als einen Ort52 geknüpft, der der wachstumsorientierten Stadtentwicklungspolitik des Senats entgegensteht. Dementsprechend verstehen sie ihr Engagement als eine widerständige Praxis gegen die Politik des Senats (vgl. Kowalski/Weiß 2012: 123). Aufgrund der Professionalisierung befürchteten sie jedoch, dass das Gängeviertel diese Bedeutung als widerständiger Ort verlieren könnte. Hinzu kam, dass es vielen Aktiven schwerfiel, sich in den zunehmend formalisierten Arbeitsstrukturen verlässlich einzubringen. Mit dem steigenden Stellenwert des Vereins und der Genossenschaft wurden zudem informelle Verfahren zur Mitbestimmung eingeschränkt. Zwar sind beide basisdemokratisch organisiert, sie ermöglichen allerdings nicht so viel direkte Mitbestimmung wie die Vollversammlung der Aktiven, weil sie in
der Regel nur einmal im Jahr eine Generalversammlung einberufen und aufgrund von Mitgliedsbeiträgen bzw. Genossenschaftsanteilen nicht ohne Weiteres zugänglich sind. Insgesamt wurden der Verein und vor allem die Genossenschaft daher nur zögerlich als geeignete Organisationen zur Selbstverwaltung akzeptiert. In der Folge hatte das Gängeviertel nicht nur Probleme, die Kooperationsgremien zu besetzen (siehe Kapitel 4.3.1), sondern auch Schwierigkeiten, die anfallenden Aufgaben bei der Selbstverwaltung sorgsam zu erledigen. Dies schränkte ihre Handlungsfähigkeit im Kooperationsprozess zunehmend ein: zum einen, weil ihre Entscheidungsgremien (Vereinsvorstand, Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaft, Vollversammlung) aufgrund der geringen Beteiligung teilweise kaum noch beschlussfähig waren; und zum anderen, weil deren Entscheidungen von vielen Aktiven immer weniger anerkannt wurden. Das hätte auch für die Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg zum Problem werden können, wenn die Kooperationsvereinbarung nicht mehr hätte umgesetzt werden können, weil das Gängeviertel in einzelne Gruppen zerfallen wäre. Dieses Szenario wurde unter den Aktiven immer wieder als Bedrohung für die Kooperation diskutiert, denn solche Einzelgruppen hätten sich kaum an die Vereinbarungen mit der Stadt gebunden gefühlt. Das rückläufige Engagement und die damit verbundenen Handlungsblockaden seitens der Aktiven wurden zusätzlich verschärft aufgrund einer materiellen Veränderung des Ortes im Zuge der Sanierung. Dieser Effekt trat ein, weil durch die Sanierung die Bausubstanz des Gängeviertels trotz der historischen Eigenarten der Gebäude immer mehr an die Ästhetik der Umgebung angenähert wurde. Dadurch sahen viele der Aktiven die ästhetische Eigenart des Gängeviertels bedroht. Diese basiert bis heute auf dem Zusammenspiel der historischen Erscheinung der Gebäude und Höfe mit Streetart, Installationen, provisorischen Anbauten und weiteren Spuren ihrer Aneignung und soziokulturellen Nutzung (siehe Abbildung 33). Die spezifische Ästhetik ist ausschlaggebend dafür, dass das Gängeviertel als Kontrast zur Umgebung und als selbstverwalteter Ort öffentlich wahrgenommen wird. Diese Wahrnehmung ist für viele der Aktiven eine wichtige Voraussetzung für ihr Engagement, weil sie dadurch aus ihrer Sicht einen Ort erhalten, der die Selbstorganisation von Bürger*innen veranschaulicht und eine Alternative zur wachstumsorientierten Stadtentwicklung der FHH auch ästhetisch erfahrbar macht.
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Abbildung 33: Die „Brache“ im Gängeviertel im Kontrast zur Nachbarbebauung (links), 2018.
Insgesamt betrachtet wurde während der zweiten Kooperationsphase durch die Professionalisierung und die damit verbundene Anpassung der Selbstverwaltungsstrukturen zwar einerseits eine wichtige Voraussetzung zur langfristigen Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung des Gängeviertels geschaffen, andererseits wurde die Umsetzung der Kooperation aufgrund des rückläufigen Engagements im Zuge der voranschreitenden Sanierung und Zusammenarbeit aber auch gefährdet. Eine solche Ambivalenz ist laut den Nachhaltigkeitsforscher*innen Frantzeskaki et al. ein generelles Problem bei der Kooperation von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Demnach sind Bürger*innenorganisationen generell flexibler als staatliche Institutionen, weshalb sie dazu tendieren, sich zu weit an Erfordernisse und Vorgaben von Behörden anzupassen. Infolge können ihre Beiträge zu einer nachhaltigen Transformation von Städten beeinträchtigt werden und sogar verloren gehen. Dieser Effekt kann eintreten, wenn sie sich so weit anpassen (müssen), dass sie nicht mehr als Alternativen zu etablierten Akteur*innen in der Stadtentwicklung wahrgenommen werden, dass sie zu sehr von
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staatlichen Institutionen abhängen und dass sie womöglich für eine wachstumsorientierte Stadtentwicklung instrumentalisiert werden (vgl. Frantzeskaki et al. 2016b: 45f.). Hinzu kommt, dass öffentliche Akteur*innen in Governance-Netzwerken zumeist über mehr Handlungs- und Entscheidungsmacht verfügen, wie ich bereits im zweiten Kapitel ausgeführt habe. Dadurch wird die Tendenz einer einseitigen und zu weitgehenden Anpassung von Bürger*innenorganisationen an staatliche Organisationen im Rahmen von Kooperationen erhöht (siehe Kapitel 2.3). Das zeigte sich auch im Falle der Professionalisierung des Gängeviertels während der zweiten Kooperationsphase. Mit Blick auf eine nachhaltige Transformation der Stadtentwicklung in Hamburg aus raumtheoretischer Sicht hängt die Relevanz des Gängeviertels außerdem davon ab, ob es als alternativer Stadtraum zur wachstumsorientierten Stadtentwicklungspolitik des Senats wahrgenommen wird und erlebbar ist – einschließlich der sozialen Selbstverwaltungsstrukturen und der physisch-materiellen Erscheinung (vgl. Ziehl 2019: 170f.). Wenn diese Eigenschaften verloren gehen, weil Bürger*innenorganisationen und die von ihnen koproduzierten Stadträume zu weit an die Erfordernisse von staatlichen Institutionen angepasst werden, können „Möglichkeitsräume“ (Kagan et al. 2019: 16) wie das Gängeviertel ihre Möglichkeiten einbüßen, eine nachhaltige Transformation in der Stadtentwicklung mit voranzutreiben – selbst wenn sich dadurch Konflikte mit öffentlichen Akteur*innen in Kooperationsprozessen lösen lassen sollten.
4.4 DRITTE KOOPERATIONSPHASE: VOM PLANUNGSSTOPP BIS ZUR EINIGUNG Nachdem der Planungsstopp vereinbart wurde, gründeten die Stadt Hamburg und das Gängeviertel drei Arbeitsgruppen, um die aus ihrer Sicht zentralen Konflikte im Kooperationsprozess zu lösen: die Genossenschaftsanbindung (AG 1), die Finanzierung des Betriebs der Fabrique als soziokulturelles Zentrum (AG 2) sowie die langfristige Selbstverwaltung und weitere Sanierung des Gängeviertels (AG 3). Bevor die drei Gruppen mit der Arbeit begannen,
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starteten die Aktiven eine weitere Öffentlichkeitskampagne, in deren Zuge zahlreiche Kulturschaffende ein Unterstützungsschreiben unterzeichneten und die Selbstverwaltung des Gängeviertels forderten (vgl. VG 2015b, siehe Abbildung 34). Parallel fand in Hamburg der Bürgerschaftswahlkampf statt. Nach der Wahl bildete sich eine neue Regierung aus SPD und GRÜNEN. Im Koalitionsvertrag bekannten sich die Regierungsparteien in Bezug auf das Gängeviertel dazu, das „genossenschaftliche Modell mit den rechtlichen Verpflichtungen der Stadt und den angestrebten Selbstverwaltungsstrukturen in Einklang zu bringen.“ (SPD/GRÜNE 2015: 60) Insofern war das Interesse im Senat an der Entwicklung des Gängeviertels wieder erstarkt. Außerdem wechselte abermals die Führung der Stadtentwicklungsbehörde, neue Senatorin wurde Dorothee Stapelfeldt (SPD). Auf Grundlage der Ergebnisse der AG 1 unterzeichneten im Oktober 2015 die FHH, die steg und die Genossenschaft des Gängeviertels einen Generalmiet- und Verwaltungsvertrag. Dadurch war es der Genossenschaft nun möglich, in Abstimmung mit der Stadt Hamburg und der steg Mietverträge für das zweite fertig sa-
Abbildung 34: Solidaritätskonzert der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen im Gängeviertel, 2015.
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nierte Gebäude direkt mit den Mieter*innen abzuschließen und sie zum Zeichnen von Genossenschaftsanteilen zu verpflichten (vgl. VG 2015c). Möglich wurde diese Einigung, weil die Stadtentwicklungsbehörde das Hamburgische Wohnungsbindungsgesetz anders auslegte als zuvor. Demnach war es nun zur Genossenschaftsanbindung ausreichend, dass die Genossenschaft verbindlich plant, die Gebäude zu einem späteren Zeitpunkt zu erwerben oder in Erbbaurecht zu übernehmen. Die Einbindung der steg in die Verträge bedeutete allerdings, dass diese Einigung nur so lange Bestand haben konnte, wie die steg treuhändische Eigentümerin blieb – also bis zum Ende der Sanierungsarbeiten. Insofern war es ein vorläufiger Kompromiss, aber keine Einigung bezüglich der langfristigen Selbstverwaltung des Gängeviertels. Im Januar 2016 erzielten die Kooperationspartner*innen auch eine Einigung in der AG 2 über den Betrieb des soziokulturellen Zentrums. Zentraler Konflikt war dabei das laut dem EFRE-Antrag vorgesehene Betriebskonzept (siehe Kapitel 4.3). Um einen soziokulturellen Betrieb mit günstigen Angeboten zu ermöglichen, verzichtete die Stadt Hamburg nach intensiven Verhandlungen auf die Einrechnung der Bodenwertverzinsung in den Mietpreis der Fabrique und trug so maßgeblich dazu bei, dass die Mieten für Nutzer*innen von ursprünglich 4,75 auf 2,54 Euro pro Quadratmeter gesenkt werden konnten. Außerdem stellte sie Fördermittel für den Betrieb und Innenausbau bereit. Dabei handelte es sich zwar um einmalige Zahlungen und keine dauerhaft garantierte Förderung, dennoch reichte dies dem Gängeviertel aus, um unter diesen Bedingungen den Betrieb der Fabrique aufzunehmen. Im März 2016 wurde das Gebäude schließlich in Anwesenheit der damaligen Kultursenatorin Barbara Kisseler eröffnet. Die noch im selben Jahr verstorbene Senatorin hatte sich sowohl öffentlich wie auch im Senat wiederholt für die Selbstverwaltung des Gängeviertels eingesetzt (vgl. VG 2016). Neuer Kultursenator wurde im Februar 2017 Carsten Brosda (SPD). Im Vergleich zur AG 1 und AG 2 waren die Gespräche in der dritten Arbeitsgruppe über die langfristige Selbstverwaltung und weitere Sanierung des Gängeviertels weitaus problematischer.53 Es dauerte mehr als vier Jahre, bis eine Einigung erzielt wurde, obwohl der Planungsstopp für beide Seiten finanzielle Probleme verursachte. Durch steigende Baupreise in Hamburg verengte sich der Finanzierungsrahmen für die Sanierung kontinuierlich. Außerdem war die Genossenschaft zur Refinanzierung ihrer lau-
53) Weshalb die Verhandlungen in der AG 3 weitgehend unproduktiv verliefen, beleuchte ich im dritten Kapitel auf Grundlage meines ersten Realexperiments (siehe Kapitel 3.2.2).
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fenden Kosten auf die Mieteinnahmen aus allen Gebäuden angewiesen, wofür diese allerdings zunächst saniert werden mussten. Zunächst wollten die Aktiven in der AG 3 den Kauf des Gängeviertels durchsetzen. So wollten sie zum einen die Selbstverwaltung langfristig sichern und darüber hinaus verhindern, dass das Gängeviertel nach der Sanierung von zukünftigen Stadtregierungen verkauft werden könnte. Aufgrund des gestiegenen Misstrauens gegenüber der Stadt Hamburg hatte diese Sorge an Gewicht bei den Aktiven gewonnen. Des Weiteren wollten sie durch den Kauf erreichen, dass die steg als Sanierungsträgerin ausscheidet oder zumindest dass ihre Befugnisse stark begrenzt werden, indem die Genossenschaft als Eigentümerin und damit auch als Bauherrin agiert. Dieses Ziel scheiterte jedoch, da die Genossenschaft den veranschlagten Kaufpreis nicht aufbringen konnte und der Senat grundsätzlich nicht mehr bereit war, das Gängeviertel zu veräußern. Angebote der Stadt Hamburg, mit dem Gängeviertel einen langfristigen Verwaltungsvertrag über bis zu 50 Jahre abzuschließen, wurden vom Gängeviertel abgelehnt, da es die Rechtsposition der Aktiven kaum verändert hätte und damit kaum weitere Befugnisse für sie verbunden gewesen wären. Im Januar 2017 machten die Aktiven ein Angebot, das Gängeviertel auf Basis eines Erbbaurechtsvertrages zu verwalten, das sie zusammen mit der Hamburger Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau Hamburg GmbH (Stattbau) erarbeitet hatten. Es basierte auf einem von der Stadt Hamburg in Auftrag gegebenen Verkehrswertgutachten für das Gängeviertel, kalkulierte allerdings mit einem verringerten Erbbauzins, denn die Vertreter*innen von Stattbau erwarteten, dass dieser bald deutlich gesenkt werden würde aufgrund der anhaltend niedrigen Zinsen im Finanzsektor. Im Februar 2017 senkte die LIG wie erwartet die Erbbauzinssätze in Hamburg für Wohngebäude von 5 auf 2,1 Prozent des Bodenwertes pro Jahr (vgl. LIG 2019). Damit wurde das Angebot des Gängeviertels zu einer realistischen Option, um einen Kompromiss in der AG 3 auszuhandeln, der den Möglichkeiten und Forderungen beider Seiten entsprach. Im Frühjahr 2017 brach die Stadt Hamburg jedoch alle offiziellen Gespräche mit dem Gängeviertel ab, weil sie sich zunächst intern über die weiteren Verhandlungen abstimmen musste. Hinzu kam, dass der Senat im Vorfeld des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg keine offiziellen Verhandlungen mit dem Gängeviertel führen wollte, um sich nicht öffentlich angreifbar zu machen, weil er befürchtete, dass es im Zuge der Proteste gegen
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den G20-Gipfel zu gewalttätigen Aktionen auch aus dem Gängeviertel kommen könnte.54 Im November 2017 wurden die Verhandlungen auf Einladung der Stadt Hamburg wieder aufgenommen. Die Leitung seitens der FHH übernahmen zwei Staatsrät*innen der Stadtentwicklungsund der Kulturbehörde. Die Gespräche waren damit auf höchster Verwaltungsebene angesiedelt. Sie verliefen deutlich konstruktiver als zuvor und ohne größere Unterbrechung. Christine Ebeling – langjährige Pressesprecherin und Teil der Verhandlungsgruppe des Gängeviertels – beschrieb das Verhandlungsklima im Nachhinein als „sehr zielführend und kooperativ“ (Uludag 2019). Es dauerte dennoch rund 1,5 Jahre, bis ein beschlussreifer Erbbaurechtsvertrag vorlag, denn die Komplexität und der Umfang der Vereinbarungen erforderten viel Zeit zur Bearbeitung innerhalb des Governance-Netzwerks. Anschließend begannen Entscheidungsprozesse auf beiden Seiten: Nachdem die Generalversammlung der Gängeviertel Genossenschaft und die Vollversammlung des Gängeviertels dem Vertragswerk bereits im Mai 2019 zugestimmt hatten, beschloss der Hamburger Senat am 25.06.2019 den ausgehandelten Erbbaurechtsvertrag. Zu diesem Anlass fand am selben Tag eine gemeinsame Pressekonferenz der FHH und des Gängeviertels in der Fabrique statt (siehe Abbildung 35). In der zugehörigen Pressemitteilung der FHH betonte die Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt, dass die Vertragspartner*innen mit dem Erbbaurechtsvertrag „klare Verantwortlichkeiten im Hinblick auf Vermietung, Verwaltung, Bewirtschaftung, Instandhaltung und Modernisierung der Gebäude auf Basis eines langfristig belastbaren Finanzierungsmodells“ (FHH 2019a) geschaffen haben (siehe Kapitel 4.4.1). In den folgenden Wochen wurde der Vertrag in seinen Details weiter ausformuliert, notariell beurkundet und schließlich am 09.08.2019 von vier Vorstandsmitgliedern der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG, der verhandelnden Staatsräte der Stadtentwicklungs- und der Kulturbehörde sowie einem der beiden Geschäftsführer der steg unterschrieben. Rechtskräftig wurde der Vertrag allerdings erst durch die Zustimmung der Hamburger Bürgerschaft bei ihrer Sitzung am 18.12.2019 (vgl. FHH 2019b). Parallel zu diesem Prozess verständigten sich die BSW, das Bezirksamt Hamburg-Mitte, die steg und das Gängeviertel auch auf überarbeitete Versionen des IEK von 2010 und der Kooperationsvereinbarung von 2011. Beide wurden fortgeschrieben bzw. aktualisiert,
54) Mir persönlich berichtete ein Vertreter der FHH davon am 12.06.2017 auf einer Veranstaltung in Hamburg. Meines Erachtens ist dieser Zusammenhang zwischen dem G20-Gipfel und dem Verhandlungsstopp plausibel, denn das Gängeviertel organisierte und unterstützte zahlreiche Protestaktionen dagegen (vgl. Bruns 2018: 58). Außerdem befürchtete der Hamburger Verfassungsschutz, dass das Gängeviertel auch von einer Gruppe als Rückzugsort genutzt werden könnte, die er als gewaltbereit einschätzte (vgl. Schirg 2017).
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Abbildung 35: Carsten Brosda (Senator für Kultur und Medien), Dorothee Stapelfeldt (Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen), Christine Ebeling (Pressesprecherin des Gängeviertels) und Till Haupt (Vorstand Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG) (v.l.n.r.) bei der Pressekonferenz in der Fabrique im Gängeviertel anlässlich des Senatsbeschlusses zum Erbbaurechtsvertrag, 2019.
55) Dementsprechend beauftragte die steg im November 2019 das Büro BWS (Bosse, Westphal, Schäffer). Es wurde von der Baukommission des Gängeviertels vorgeschlagen und von den Kooperationspartner*innen akzeptiert.
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weil die neu ausgehandelten Maßnahmen die ursprünglichen Vereinbarungen in diesen Dokumenten berührten oder erweiterten (siehe Kapitel 4.4.1). Im Zuge dieser Abstimmungsprozesse wurde auch der Planungsstopp einvernehmlich aufgehoben, sodass die steg in Zusammenarbeit mit dem Gängeviertel mit der Planung des nächsten Bauabschnittes beginnen konnte. Außerdem einigten sich das Gängeviertel und die steg in Absprache mit dem Bezirksamt Hamburg-Mitte darauf, dass ein anderes Architekturbüro mit der Planung und Leitung des nächsten Sanierungsabschnittes beauftragt werden sollte.55 Im Folgenden stelle ich dar, worauf sich die Kooperationspartner*innen im Wesentlichen verständigten und welche Faktoren zur Einigung beigetragen haben.
4.4.1 MASSNAHMEN ZUR ANPASSUNG DER KOOPERATION UND URSACHEN DER EINIGUNG Die von den Kooperationspartner*innen vereinbarten Maßnahmen verstehe ich als eine Anpassung des Verfahrens an Konflikte im Kooperationsprozess und veränderte Rahmenbedingungen, denn sie haben damit Vereinbarungen über ihre Rechte und Pflichten in Bezug auf die kooperative Entwicklung aktualisiert (Kooperationsvereinbarung und IEK) sowie erweitert (Erbbaurechtsvertrag), um die Kooperation produktiver fortführen zu können. Dafür verständigten sie sich im Wesentlichen auf folgende Festlegungen im Erbbaurechtsvertrag (vgl. FHH/GG 2019): • Die FHH verpflichtet sich, weiterhin für die Kosten zur Sanierung der noch nicht sanierten Gebäude aufzukommen und diese von der steg sanieren zu lassen. • Die Gängeviertel Genossenschaft übernimmt die Grundstücke und Gebäude des Gängeviertels für 75 Jahre in Erbbaurecht. Dieses beginnt für die bereits sanierten Gebäude schnellstmöglich nach dem Vertragsabschluss. Noch zu sanierende Gebäude kommen nach Abnahme der Baumaßnahmen durch die steg und die Genossenschaft hinzu. Über eine Verlängerung des Erbbaurechts sollen bereits nach 35 Jahren erneut Gespräche geführt werden. • Der Erbbauzins beträgt 2 Prozent auf den Bodenwert der Grundstücke von rund 15,2 Millionen Euro laut Verkehrswertgutachten. Wenn die Genossenschaft alle Grundstücke und Gebäude übernommen hat, zahlt sie jährlich ca. 303.000 Euro an die FHH. Sollte sich die finanzielle Situation der Genossenschaft erheblich verbessern (z.B. durch Spenden oder zusätzliche Einnahmen), kann der Erbbauzins erhöht werden. • Die Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG muss für die mit dem Erbbaurecht verbundenen Steuern, Gebühren, Abgaben, Entsorgungs- und Versicherungskosten aufkommen. Sie übernimmt des Weiteren die Verkehrssicherungs- und die Instandhaltungspflicht unter Achtung der Denkmalschutzauflagen. Außerdem verpflichtet sie sich, die Gebäude rund 30 Jahre nach Fertigstellung der Sanierung erneut zu sanieren und dafür finanziell vorzusorgen.
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• Die Gängeviertel Genossenschaft übernimmt die Verwaltung der Gebäude und Grundstücke, einschließlich der Vermietung von Flächen. Sie ist verpflichtet, die Auflagen der in Anspruch genommenen Förderungen einzuhalten (u.a. Belegungs- und Mietpreisbindung der öffentlich geförderten Wohnungen). • Die Stadt Hamburg kann die Grundstücke und Gebäude vor dem Ablauf des Vertragszeitraums zurückverlangen (Heimfall), wenn die Gängeviertel Genossenschaft Grundstücke und Gebäude nicht wie vorgesehen nutzt (für Kunst, Kultur, Wohnen etc.), wenn sie gegen Denkmalschutzauflagen verstößt, oder wenn sie ihren Zahlungs- und Unterhaltungsverpflichtungen nicht nachkommt. Sollte es zum Heimfall kommen, muss die FHH eine Entschädigung an die Genossenschaft zahlen, die sich aus der verbleibenden Vertragslaufzeit errechnet. • Alle fünf Jahre evaluieren die Kooperationspartner*innen die Umsetzung des Vertrags und erörtern dessen Anpassung, falls ihnen dies erforderlich erscheint. In der Fortschreibung des IEK (vgl. Bezirk Mitte 2019a) und der überarbeiteten Kooperationsvereinbarung (vgl. FHH et al. 2019) wurde Folgendes neu festgelegt: • Dem Zeit-Maßnahme-Kosten-Plan zufolge wird der Finanzierungsrahmen für die Sanierung im Vergleich zum IEK von 2010 um rund 5 Millionen Euro erhöht und der Zeitraum um 10 Jahre verlängert. Demnach soll die Sanierung bis Ende 2029 abgeschlossen sein und insgesamt rund 24,4 Millionen Euro kosten. • Das Leitziel zur „Schaffung von günstigen Gewerbeflächen und gewerblicher Vielfalt“ wurde erweitert, wonach nun auch „Flächen für das Gemeinwohl“ entstehen sollen. • Erhöht wird der Anteil an Wohnungen (neu 2936 m²), Ateliers und Werkstätten (neu 596 m²) sowie an Gemeinbedarfs- bzw. Soziokulturflächen (neu 1954 m²). Hinzu kommen als neue Nutzungsform Residencies, Stipendiat*innenflächen und Gästewohnungen für Kulturschaffende, die zeitweise im Gängeviertel arbeiten möchten (242 m²). Der Anteil an Atelier- bzw. Arbeitsraumwohnungen (neu 1239 m²) sowie an Gewerbeflächen (neu 629 m²) wird dafür verringert (siehe Abbildung 36). • Alle zu sanierenden Wohnungen werden weiterhin öffentlich gefördert (Sozialwohnungen) mit einer Mietpreisbindung von 21 Jahren, wovon bis zu neun Wohneinheiten nun für vordringlich Wohnungssuchende vorgesehen sind, die über einen Dringlichkeitsschein verfügen.
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• Die steg und das Gängeviertel verständigten sich auf Grundlage ihrer Erfahrungen aus dem ersten Sanierungsabschnitt auf Eckpunkte für weitere Sanierungsmaßnahmen, die als „Grundsätze der Sanierung“ auch von der FHH anerkannt und im IEK aufgenommen wurden. Demnach verfolgen die Beteiligten eine ganzheitliche Abwägung zwischen möglichst weitgehendem Erhalt historischer Bausubstanz und dem Erscheinungsbild der Gebäude (etwa durch weniger Dämmung), Umweltschutz, geringen Instandhaltungs- und Betriebskosten sowie einem effizienten Einsatz von Steuergeldern und Fördermitteln, um eine denkmalgerechte und nachhaltige Sanierung umzusetzen. Präzisiert wurden in diesem Zuge Überlegungen zur Grundrissgestaltung, zur Ausstattung von Gewerberäumen, Küchen und Bädern sowie zur Oberflächenbearbeitung, zur Modernisierung von Fenstern und Türen, zur technischen Gebäudeausstattung, zum Energiekonzept und zur Außenraumgestaltung. • Eigenleistungen sind beim Abbruch von Belägen sowie beim Aus- und Einbau von Dielen und der Innenwandgestaltung vorgesehen. Zur Umsetzung durch die Aktiven werden im Bauablauf entsprechende Zeitpuffer eingeplant. Die qualitative Überwachung der Arbeiten erfolgt seitens der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG. Wenn mittels Eigenleistungen Sanierungsgelder eingespart werden können, wird der Betrag verrechnet, falls an anderer Stelle Mehrkosten entstehen sollten. • Die Stadt Hamburg zahlt für die Mitarbeit von drei Vertreter*innen des Gängeviertels in der Planungswerkstatt (zuvor Baukommission) eine Aufwandsentschädigung, um ihre kontinuierliche Teilnahme an den zwei- bis dreiwöchigen Sitzungen während des Planungsprozesses zu fördern.56 Als Grundlage für die Zusammenarbeit in der Planungswerkstatt erstellen die steg, der Architekt und Vertreter*innen des Gängeviertels auf einem gemeinsamen Auftaktworkshop ein Regelwerk. Außerdem sollen die steg und das Gängeviertel die Sitzungen abwechselnd protokollieren. • Die Kooperationspartner*innen richten einen Koordinierungskreis mit insgesamt sieben Vertreter*innen ein, und zwar aus der Stadtentwicklungs- und Kulturbehörde, dem Bezirksamt Hamburg-Mitte, der steg sowie dem Gängeviertel (siehe Kapitel 3.2.3). Dieser soll vor allem die operative Ebene der Planungswerkstatt mit den Entscheidungsebenen der direkt
56) Der genaue Betrag ist im IEK und in der Kooperationsvereinbarung nicht festgelegt. Die steg stellte in Gesprächen zur Überarbeitung des IEK, an denen ich teilgenommen habe, ein pauschales Sitzungsgeld für die drei Vertreter*innen des Gängeviertels pro Sitzung der Planungswerkstatt in Aussicht, womit auch die Vorund Nachbereitung abgedeckt werden soll. Daraus ergibt sich eine durchschnittliche Zahlung von 17.820 Euro pro Jahr aus Mitteln des Rahmenprogramms integrierte Stadtteilentwicklung (RISE). Dieser Betrag soll von der Gängeviertel Genossenschaft ergänzt werden, wenn es deren finanzielle Situation zulässt.
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Abbildung 36: Übersicht der überarbeiteten Nutzungsbelegung (Darstellung nach Bezirk Mitte 2019a und Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG).
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57) Zwar habe ich an den Verhandlungen teilweise teilgenommen, allerdings beziehe mich bei den Ausführungen dazu auf andere Quellen, da für die Gespräche Vertraulichkeit vereinbart wurde. 58) Aktive des Gängeviertels berichteten mir gegenüber mehrfach, dass sich die FHH und das Gängeviertel in vorangegangenen Verhandlungen auch deshalb nicht auf eine dauerhafte Lösung für die Selbstverwaltung einigen konnten, weil die Vertreter*innen der FHH kein ausreichendes Mandat vom Senat hatten, um den Forderungen des Gängeviertels nach einer langfristig gesicherten Selbstverwaltung nachkommen zu können. Die Ergebnisse des zweiten Realexperiments bestätigen dies (siehe Kapitel 3.2.3). 59) Auf der gemeinsamen Pressekonferenz zum Erbbaurechtsvertrag verlieh die Stadtentwicklungssenatorin Dorothee Stapelfeldt dem wiederhergestellten Vertrauen Ausdruck mit den Worten: „Dieser Vertrag ist im gemeinsamen Vertrauen aufeinander geschlossen.“ (Uludag 2019) 60) Die Aspekte der Führungskompetenz und der vertrauensvollen Zusammenarbeit sprach der Kultursenator Carsten Brosda auf der gemeinsamen Pressekonferenz zum Erbbaurechtsvertrag an mit den Worten: „[…] meinen ausdrücklichen Dank insbesondere an Jana Schiedek und Matthias Kock [die verhandelnden Staatsrät*innen, Anmerkung des Autors], die das Kunststück ja möglich gemacht haben, über einen durchaus langen Zeitraum gemeinsam mit dem Gängeviertel – auch ohne dass die Öffentlichkeit da sozusagen tägliche Wasserstandsmeldungen aus solch einem Prozess bekommen hat – hochvertrauensvoll zu den heute vorgelegten und vom Senat auf den Weg gebrachten Regelungen zu gelangen.“ (Uludag 2019)
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zuständigen Organisationen und Behörden verknüpfen. Aus diesem Grund gehören die Personen im Koordinierungskreis der jeweiligen Leitungsebene der darin vertretenen Akteur*innen an (Amtsleitung, Vorstand, Geschäftsführung). • Der Sanierungsbeirat wird ersetzt durch das Forum-Gängeviertel, zu dem das Bezirksamt Hamburg-Mitte zweimal im Jahr einlädt, um öffentlich über den Stand der Sanierung zu informieren. Außerdem soll auf dem Forum über die Vergabe der Mittel aus dem Verfügungsfonds entschieden werden. Dass sich die Stadt Hamburg und das Gängeviertel auf diese Anpassungsmaßnahmen nach Wiederaufnahme der Verhandlungen einigen konnten, wurde durch verschiedene Faktoren beeinflusst.57 Mit Blick auf die in Kapitel 2.3 herausgearbeiteten Aspekte für die Anpassungsfähigkeit von Kooperationsverfahren – Selbstorganisation, Vertrauen und Führungskompetenz – ermöglichte meines Erachtens ein erweitertes Mandat des Senats die bessere Selbstorganisation der Verhandelnden beider Seiten. Die verhandelnden Staatsrät*innen der FHH erlangten dadurch mehr Verhandlungsspielraum, um eine Einigung herbeizuführen, und konnten mit den Vertreter*innen des Gängeviertels unabhängiger von allzu engen Vorgaben der beteiligten Behörden agieren, um Lösungen auszuarbeiten.58 Des Weiteren war für die Anpassung des Kooperationsverfahrens offenkundig von zentraler Bedeutung, dass es den Kooperationspartner*innen gelang, wieder Vertrauen im Sinne einer vertrauensvollen Zusammenarbeit aufzubauen.59 Dazu trug vor allem bei, dass beide Seiten zuverlässig und konstruktiv an Lösungen für die Frage der Selbstverwaltung arbeiteten und nicht versuchten, zusätzlichen Handlungsdruck auszuüben. So verzichteten die Aktiven auf öffentliche Aktionen und hielten sich an den Wunsch der FHH, dass keine Informationen aus den Verhandlungen an Journalist*innen weitergegeben oder von ihnen selbst veröffentlicht wurden. Die Vertreter*innen der FHH signalisierten, dass sie eine einvernehmliche Einigung mit dem Gängeviertel anstrebten und handelten dementsprechend. Gleichzeitig trug die Führungskompetenz der verhandelnden Staatsrät*innen dazu bei, Ergebnisse der Verhandlungsgespräche gegenüber weniger kompromissbereiten Entscheidungsträger*innen in den zuständigen Behörden und im Senat überzeugend zu vermitteln.60 Wichtige Argumente dafür lieferte meines Erachtens insbesondere die Prüfung der Finanzierung des Erbbaurechtsvertrages durch die IFB (Hamburgische Investitions- und Förderbank) und die ver-
einbarten Heimfallregelungen. Auch weil diese Prüfung ergab, dass ein Erbbaurechtsvertrag zu den vereinbarten Konditionen von der Genossenschaft verlässlich finanziert werden kann und ein Heimfall als Instrument zur Sanktionierung vereinbart wurde, ließ sich der Senat zur Zustimmung bewegen (vgl. FHH 2019b: 2ff.).61 Führungskompetenz war aber auch seitens des Gängeviertels notwendig. Zwar sind dessen Entscheidungsstrukturen im Vergleich zu behördlichen Strukturen weniger hierarchisch, dennoch mussten die für das Gängeviertel Verhandelnden ihre Strategie und den Verhandlungsprozess sorgfältig in den verschiedenen Gremien kommunizieren, um die Zustimmung von Aktiven zu gewinnen, die die weitere Zusammenarbeit mit der FHH und der steg kritisch sahen. Dass dies gelang, zeigte sich unter anderem daran, dass sowohl die Generalversammlung der Genossenschaft wie auch die informelle Vollversammlung der Aktiven jeweils einstimmig dem Verhandlungsergebnis zustimmten. Zur Einigung haben aber auch äußere Ereignisse beigetragen, die nur bedingt von den Akteur*innen des Governance-Netzwerkes beeinflusst werden konnten. Dazu zählt die Bundestagswahl vom 24. September 2017. Diese führte dazu, dass der damalige Erste Bürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, als Finanzminister in die Bundesregierung wechselte. Er wurde von Peter Tschentscher (SPD), zuvor Hamburger Finanzsenator, abgelöst. Das erscheint für die Einigung im Gängeviertel relevant, denn mehrere Personen von verschiedenen Organisationen des Governance-Netzwerks geben an, dass insbesondere Olaf Scholz am bestehenden Kooperationsverfahren und Kostenrahmen festhalten wollte, was eine Einigung über lange Zeit erheblich erschwerte.62 Seine skeptische Haltung gegenüber dem Gängeviertel machte er kurz nach dem G20-Gipfel auch öffentlich deutlich, indem er klarstellte, dass er „keine weiteren solcher Einrichtungen“ (Scholz in Iken et al.: 2017) wollte und sie gegebenenfalls auch verhinderte, wie im Falle des Kollektiven Zentrums im Hamburger Münzviertel. Außerdem führte die Eskalation der Proteste während des G20-Gipfels im Juli desselben Jahres in Hamburg dazu, dass der Senat Konfliktsituationen mit linkspolitischen Gruppen dringlicher als bisher befrieden wollte. Dazu zählte er angesichts des anhaltenden Planungsstopps offensichtlich auch die Situation im Gängeviertel. Zwar verliefen die Proteste gegen das Gipfeltreffen im und um das Gängeviertel friedlich, allerdings kam es während des G20-Gipfels in anderen Stadtteilen zu zahlreichen gewalttätigen Auseinan-
61) Dass eine gesicherte Finanzierung durch die Genossenschaft für die Zustimmung des Senats ein wichtiger Aspekt war, erwähnte die Stadtentwicklungssenatorin auf der Pressekonferenz zum Erbbaurechtsvertrag. Außerdem war aus ihrer Sicht die vereinbarte Heimfallregelung besonders wichtig, falls das Gängeviertel seinen Verpflichtungen nicht nachkommen sollte (vgl. Uludag 2019). 62) Dies äußerte mir gegenüber eine zentrale Person im Kooperationsprozess unter anderem am 14.11.2016. Das persönliche Gespräch fand am Rand eines Workshops zur langfristigen Sicherung des Gängeviertels statt, woran Vertreter*innen des Gängeviertels, der FHH und der steg teilnahmen.
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63) Diese Forderung seitens der FHH und der Umgang damit wurde von den Aktiven des Gängeviertels auf einem Workshop am 23.02.2019 ausführlich besprochen. 64) Sie argumentierten mit Verweis auf das Agieren der AfD gegenüber Hamburger Kulturschaffenden, dass ein zukünftiger Senat unter Beteiligung der AfD aus politischen Gründen die Genossenschaft beschuldigen könnte, zu Gewalt aufzurufen, wenn sie Demonstrationen bewerben sollte, die zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen. Dabei bezogen sie sich auf eine Klage der AfD gegen die Intendantin der Hamburger Spielstätte Kampnagel, weil diese im Rahmen eines Kunstprojekts Geflüchteten Unterkunft bot (vgl. Grund 2015), und eine politische Debatte über Versuche der AfD, Kultureinrichtungen unter Druck zu setzen, weil diese rechtspopulistische Politik kritisierten (vgl. FHH 2018c).
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dersetzungen zwischen Polizei und Protestierenden, vor allem im nahe gelegenen St. Pauli. Unmittelbar danach erklärte sich das Gängeviertel solidarisch mit den Aktivist*innen des autonomen Zentrums Rote Flora, die von vielen Politiker*innen für die Gewalteskalation verantwortlich gemacht wurden (vgl. Bruns 2018: 64). Diese Ereignisse beeinflussten auch die Verhandlungen zwischen dem Gängeviertel und der FHH, wie sich daran zeigte, dass städtische Verhandlungspartner*innen einen Gewaltverzicht von den Aktiven als Bedingung für die langfristige Selbstverwaltung verlangten und im Erbbaurechtsvertrag festschreiben wollten. Laut einer entsprechenden Heimfallklausel sollte das Gängeviertel an die FHH zurückfallen, wenn von der Genossenschaft als Vertragspartner*in Gewalt ausgeht oder sie dazu aufruft.63 Allerdings befürchteten die Aktiven angesichts der steigenden Wähler*innenstimmen für die rechtspopulistische AfD in Deutschland (vgl. Decker 2018), dass spätere Regierungen diese Klausel missbrauchen könnten, um den Heimfall vor Gericht einzuklagen.64 Als Kompromiss sichert die Gängeviertel Genossenschaft in der Präambel des Erbbaurechtsvertrags zu, „den bisher verfolgten Weg eines aufgeklärten, friedvollen, solidarischen, sowie hierarchie- und gewaltfreien Umgangs und Handelns auch künftig fortzusetzen [Hervorhebung durch den Autor]“ (FHH/GG 2019: 5). Dem vorangestellt erkennt die FHH in der Präambel „die soziale, kollektive, basisdemokratische, kosmopolitische und emanzipatorische Grundeinstellung der Gängeviertel Genossenschaft 2010 eG an und begrüßt es, dass sich die Genossenschaft in die politischen und gesellschaftlichen Debatten in Hamburg in vielfältiger Form und auch kontrovers zur Politik des Senats einbringt.“ (Ebd.) Ein weiterer Grund für die Einigung war, dass die Aktiven in den Verhandlungen von mehreren Finanz- und Rechtsexpert*innen unterstützt wurden. Dafür bezahlten die Aktiven die Stadtentwicklungsgesellschaft Stattbau und einen Anwalt für Immobilienrecht. Diese Berater*innen hatten Erfahrung in der Zusammenarbeit mit selbstorganisierten Gruppen und konnten daher mit den teils emotionalen und nicht immer zuverlässigen Kommunikationsprozessen seitens des Gängeviertels produktiv umgehen. Des Weiteren verfügten sie über das notwendige Fachwissen, um mit den Aktiven fundierte Kompromissvorschläge zu erarbeiten, die von der FHH ernsthaft geprüft wurden. Dadurch trugen sie dazu bei, dass die Verhandlungsgespräche sachlich und lösungsorientiert verliefen. Beim Vermitteln zwischen den Kooperationspart-
ner*innen hatte außerdem der zuständige Geschäftsführer der steg, Hans-Joachim Rösner, geholfen, indem er zusammen mit Vertreter*innen des Gängeviertels Maßnahmen zur Anpassung des Kooperationsverfahrens ausarbeitete und sich gegenüber der Stadt Hamburg dafür einsetzte. Dazu zählten vor allem die Ausgestaltung des Koordinierungskreises und die Finanzierung der Arbeit in der Baukommission. All diese Akteur*innen vermittelten zwischen den Kooperationspartner*innen und übernahmen dadurch aus verschiedenen Positionen heraus intermediäre Funktionen, wodurch sie zur Einigung zwischen dem Gängeviertel und der FHH beitrugen. Im Folgenden gehe ich darauf ein, inwiefern auch während des Planungsstopps Urbane Resilienz durch die Nutzung der Gebäude koproduziert wurde und welche Bedeutung den Verhandlungsergebnissen zur Koproduktion Urbaner Resilienz zukommt.
4.4.2 KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ WÄHREND DES PLANUNGSSTOPPS Während des Planungsstopps konnten die Aktiven die drei ersten sanierten Gebäude in Nutzung nehmen. Seitdem produzieren sie im Vergleich zur zweiten Kooperationsphase wieder mehr Güter und Dienstleistungen, die zur Resilienz in Hamburg beitragen, weil dafür mehr geeignete Räume zur Verfügung stehen. Der Beitrag der Stadt Hamburg besteht dabei vor allem darin, dass sie die Sanierung der Gebäude finanzierte und die Wiedernutzung genehmigte. Die sanierte Bausubstanz ermöglicht außerdem eine langfristig gesicherte und intensivere Nutzung der Gebäude auch zu kalten Jahreszeiten. Aufgrund dieser Perspektive haben sich viele Nutzer*innengruppen professioneller organisiert, um ihre Konzepte für die soziokulturellen Flächen langfristig zu verstetigen. Die im Zuge der Sanierung eingeführten Mieten erfordern zudem eine professionellere Verwaltung zur Auslastung der Flächen. Insgesamt führt die effektivere Verwaltung und Nutzbarkeit der Flächen auf Grundlage der moderaten Mieten, auf die sich die Kooperationspartner*innen verständigt haben, zu einer deutlichen
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Mehrauslastung im Vergleich zur Zeit vor der Sanierung. Diese intensivere Nutzung befördert auch die Beiträge der Aktiven zur Resilienz verschiedener sozio-ökologisch-technischer Teilsysteme (siehe Kapitel 4.2.2). So wurde die Redundanz und Diversität im Kultur-, Verkehrs- und Nahrungssystem Hamburgs erhöht: In die Fabrique zogen insgesamt zehn soziokulturelle Nutzungen ein. Dazu zählen ein Seminarraum (siehe Abbildung 10), ein Mehrzweckraum für Veranstaltungen (siehe Abbildung 26), eine Galerie (siehe Abbildung 27), der Radiosender Freies Sender Kombinat, eine Probebühne, eine Siebdruckwerkstatt (siehe Abbildung 28) und ein Fotoatelier. In die Erdgeschosse der beiden Wohngebäude an der Caffamacherreihe zogen das Kollektiv N55 (siehe Kapitel 2.2.2 und Abbildung 24), ein inhaber*innengeführtes Café mit veganer Gastronomie sowie eine vom Gängeviertel e.V. betriebene Kneipe ein, die auch für Kulturveranstaltungen genutzt wird (Jupi-Bar). Die Nutzung der Obergeschosse in den Wohngebäuden unterstützt vor allem die Multifunktionalität und Diversität des Wohnungssystems: Zu deren 16 öffentlich geförderten Wohnungen zählen acht Mieteinheiten mit jeweils einem Raum zum künstlerischen Arbeiten. Diese Kombination von Wohnen und künstlerischer Arbeit wurde erstmalig von der IFB im Rahmen von Sozialwohnungen in Hamburg gefördert. Da alle drei Gebäude von der Gängeviertel Genossenschaft verwaltet werden, steigt auch die Modularität des Gebäudesystems in Hamburg an, weil diese Selbstverwaltungsstruktur auf das Gängeviertel begrenzt und zugeschnitten ist. Aufgrund der preisgünstigen Angebote leisten die FHH und das Gängeviertel außerdem einen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung Hamburgs im sozialen Bereich. Das gilt sowohl für die kulturellen Angebote, da es keine festen Eintrittspreise gibt und sie daher auch für Geringverdienende zugänglich sind, als auch für die Sozialwohnungen, denn diese sind aufgrund des lange vernachlässigten Baus solcher Wohnungen in Hamburg besonders knapp (vgl. Brinkmann/Seeringer 2014: 326). Neben der Koproduktion Urbaner Resilienz durch die Nutzung der sanierten Gebäude ist auch die Anpassung der Kooperation als ein Beitrag zur Resilienz zu verstehen (siehe Kapitel 2.1). Die Verhandlungen während des Planungsstopps können aus Sicht der Resilienz-Theorie als ein Lernprozess verstanden werden, in dem die Beteiligten gemeinsam Wissen über ihre Handlungsrationalitäten und Wertvorstellungen sowie den Umgang mit veränderten Rahmenbedingungen der Kooperation gewonnen haben.
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Aufbauend auf diesem Erfahrungswissen wurde das Kooperationsverfahren angepasst, um Konflikte zu lösen und um ihnen in Zukunft vorzubeugen. Die ergriffenen Maßnahmen sind daher eine geeignete Grundlage, um auch andere Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Entwicklung von Stadträumen umzusetzen. Wenn das angepasste Verfahren zur Entwicklung weiterer Stadträume herangezogen wird, kann es insofern dazu beitragen, dass Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Entwicklung von Stadträumen keine Ausnahmen bleiben, sondern zu Regelfällen in der Stadtentwicklung werden. Indem dadurch die Rolle von Bürger*innenorganisationen gestärkt wird, könnte es soziale Innovationen im Bereich der Stadtentwicklung begünstigen und eine Transformation in der Stadtentwicklungspraxis hin zur strategischen Einbindung kooperativer Verfahren sowie der Koproduktion Urbaner Resilienz unterstützen. Bevor ich im fünften Kapitel entsprechende Handlungsanregungen gebe, schildere ich zunächst, inwiefern sich eine solche Transformation für Hamburg abzeichnet. Dabei stütze ich mich auf die in Kapitel 2.3.1 dargestellten Aspekte einer Transformation hin zur strategischen Einbindung der Resilienz-Beiträge von Bürger*innen in die Stadtentwicklung auf Ebene der Subjekte (1), des Verfahrens (2), der Struktur (3), der Gesetze (4), der Politik (5) und des Diskurses (6). Aus Sicht der Resilienztheorie und mit Blick auf eine zukunftsfähige Stadtentwicklung erfordert eine solche Transformation meines Erachtens die Abkehr vom Wachstumsparadigma, wenn auch Krisen vorgebeugt werden soll, die durch primär auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtete Politik und Planung mit hervorgerufen werden (siehe Kapitel 2.1). Daher gehe ich im Folgenden auf Grundlage der eingangs in diesem Kapitel dargestellten räumlichen und politischen Entwicklung Hamburgs auch darauf ein, welche Aussichten meines Erachtens derzeit bestehen, dass sich in Hamburg eine zukunftsfähige Stadtentwicklung durchsetzt, die nicht länger primär von wirtschaftlichem Wachstum abhängt.
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4.5 TRANSFORMATION IN SICHT? ZUR KOPRODUKTION URBANER RESILIENZ IN HAMBURG 65) Die Gründung der Gesellschaft wurde 2009 vom Senat beschlossen, um Kreativschaffende in ihrer Arbeit zu unterstützen und Hamburg als Standort für Unternehmen der Kreativwirtschaft zu stärken (FHH 2009: 5).
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Die Stadt Hamburg bietet Bürger*innen eine zunehmende Vielfalt und Anzahl von Möglichkeiten, um sich an Stadtplanungsprozessen zu beteiligen. Bei vielen Bau- und Entwicklungsvorhaben können Bürger*innen an Informationsveranstaltungen und Workshops teilnehmen sowie digitale Beteiligungsinstrumente nutzen (vgl. FHH 2012: 1ff., vgl. FHH 2013: 4ff.). Die Stadt Hamburg reagiert damit auf den zunehmenden Wunsch vieler Bürger*innen, stadtentwicklungspolitische Entscheidungen zu beeinflussen und die Zukunft von Städten aktiv mitzugestalten (vgl. Bock et al. 2013: 7). Kooperationen mit Bürger*innen zur gemeinsamen Entwicklung von Stadträumen sind dabei zwar noch Einzelfälle, meiner Beobachtung nach nehmen sie aber ebenfalls zu. Das gilt vor allem für zwei Bereiche: Erstens mehren sich Kooperationen im Kultur- und Kreativbereich, seitdem die Stadt Hamburg im Jahr 2010 beschlossen hat, Kultur- und Kreativschaffende im Rahmen von Stadtentwicklungsmaßnahmen verstärkt zu fördern (siehe Kapitel 4.1.1). Dazu zählen neben dem Gängeviertel der Verkauf der Viktoria-Kaserne an die dafür gegründete fux eG im Jahr 2015, die sie als Produktionsort für Künstler*innen, Kulturschaffende und Gewerbetreibende entwickelte (vgl. Fux 2019). Auch die Entwicklung des Oberhafens in der HafenCity (vgl. Läpple et al. 2015: 12ff.) und des Areals am Hochwasserbassin in Hamburg-Hammerbrook unter Federführung der Hamburg Kreativ Gesellschaft zählen dazu.65 Im Falle des Hochwasserbassins haben sich Kultur- und Kreativschaffende aus verschiedenen Branchen in mehreren Vereinen und Gesellschaften organisiert, um das Areal in Zusammenarbeit mit der Hamburg Kreativ Gesellschaft zu nutzen. Seit dem Jahr 2016 mieten sie das Areal für bis zu 20 Jahre (vgl. HKG 2019). Im Oberhafen fördert die Hamburg Kreativ Gesellschaft die Selbstverwaltungsstruktur der Nutzer*innen („5+1“) finanziell, um ihren Einfluss bei der 2011 begonnenen Entwicklung des Areals als Kunst- und Kreativquartier zu stärken (vgl. HKG/5+1: 2018). Anders verhält es sich im Fall der Zinnwerke in Hamburg-Wilhelmsburg. Die dortigen Nutzer*innen fühlten sich von der Hamburg Kreativ Gesellschaft bevormundet und erreichten durch öffentlichen Pro-
test, dass mit dem zuständigen Bezirksamt eine Kooperationsvereinbarung geschlossen werden soll, um die zukünftige Sanierung des Areals gemeinsam durchzuführen (Bezirk Mitte 2019b). Neben diesen aktuellen Einzelfällen im Kultur- und Kreativbereich zeichnet sich derzeit vor allem beim Wohnungsbau eine Zunahme von Kooperationen mit Bürger*innenorganisationen ab. Die Stadt Hamburg hat angekündigt, bei der Entwicklung von neuen Wohnquartieren verstärkt mit Baugruppen und kleinen Genossenschaften zusammenzuarbeiten, um Stadtquartiere zu beleben und sozialer zu gestalten (vgl. FHH 2017a: 3, vgl. SPD/GRÜNE 2015: 95f.). Außerdem hat der Senat beschlossen, bestehende Wohnprojekte, deren Erbbaurechtsverträge mit der FHH auslaufen, in eine neue städtische Immobiliengesellschaft zu überführen. So soll die Selbstverwaltung derjenigen Projekte gesichert werden, die in den 1980er und 1990er Jahren von der Stadt Hamburg im Rahmen der Alternativen Baubetreuung (ABB-Programm) gefördert wurden. Die noch zu gründende Gesellschaft soll darüber hinaus offen für neue Wohnprojekte sein (FHH 2019c: 2). Die Gründung dieser städtischen Gesellschaften können meines Erachtens als strukturelle Anpassungen (3) der Stadt Hamburg verstanden werden, denn dadurch erweitert sie ihre Steuerungsmöglichkeiten, um in der Stadtentwicklung verstärkt mit Wohngruppen sowie mit Kunst- und Kulturorganisationen zusammenzuarbeiten. Zu Letzterem zählt auch, dass die Kulturbehörde verstärkt Personen anstellt, die der Kunst- und Kreativwirtschaft nahestehen, und so versucht, „festgefahrene Denk- und Handlungslogiken“ (Wellmann 2016: 126) in der Verwaltung aufzubrechen. In enger Verbindung mit der kooperativen Entwicklung von Stadträumen steht eine sich allmählich abzeichnende Veränderung beim Umgang mit Grundstücken im Eigentum der Stadt Hamburg. Dazu zählt die Senkung der Erbbauzinsen durch die LIG (siehe Kapitel 4.4). Des Weiteren haben die Regierungsfraktionen der Bürgerschaft beim Senat eine Neuausrichtung der Bodenpolitik beantragt, wonach Grundstücke der FHH primär über Erbbaurechtsverträge zu vergeben sind, statt sie wie bisher vor allem zu verkaufen (vgl. FHH 2019d). Außerdem ist die Stadt Hamburg im Juli 2019 dem Deutschen Erbbaurechtsverband beigetreten, um mit ihm zusammen eine nachhaltigere und sozialere Bodenpolitik voranzutreiben (vgl. FHH 2019e). Dadurch eröffnet sie sich auch neue Möglichkeiten zur kooperativen Entwicklung von Stadträumen zusammen mit Bürger*innen, denn viele Bürger*innenor-
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ganisationen verfügen so wie die Gängeviertel Genossenschaft nicht über ausreichend finanzielles Kapital, um Grundstücke zu erwerben. Durch Erbbaurechtsverträge können sie Grundstücke und Gebäude pachten und dadurch Besitz- und Mitbestimmungsrechte erlangen. Dabei behält die öffentliche Hand auf lange Sicht Steuerungsoptionen, die sie für eine gemeinwohlorientierte und nachhaltige Stadtentwicklung nutzen kann (vgl. Difu/vhw 2017: 7ff.). Ein vorläufiger Schritt hin zu einer solchen Bodenpolitik wurde 2010 durch die Besetzung des Gängeviertels ausgelöst. In diesem Zuge hatte die Stadt Hamburg neben dem Rückkauf des Gängeviertels auch beschlossen, statt des Höchstgebotsverfahrens das Bestgebotsverfahren einzuführen, wonach generell zu 70 Prozent das Entwicklungskonzept und zu 30 Prozent der Kaufpreis ausschlaggebend für den Verkauf sein sollen (vgl. Othengrafen 2014: 368). Insofern gibt es seitens der Stadt Hamburg Anzeichen für eine Verschiebung auf der Verfahrensebene (2) hin zur strategischen Kooperation mit Bürger*innenorganisationen. Ob sich daraus in Zukunft auch Veränderungen auf Gesetzesebene (4) ergeben werden, die zur kooperativen Entwicklung von Stadträumen beitragen, lässt sich auf Grundlage der Forschungsergebnisse nicht absehen. Allerdings verzeichneten die GRÜNEN bei den Bezirkswahlen 2019 und der Bürgerschaftswahl 2020 deutliche Zugewinne an Stimmen (vgl. Statistikamt 2020: 6, vgl. Statistikamt 2019: 3). Dadurch könnten Kooperationen mit Bürger*innen auf politischer Ebene (5) in Zukunft eine größere Rolle in Hamburg spielen und zu einer entsprechenden Anpassung von Landesgesetzen führen, denn Kooperationen mit Bürger*innenorganisationen wurden im Vergleich zu anderen Regierungsparteien bisher vor allem von den GRÜNEN unterstützt, wie auch der Kooperationsprozess zur Entwicklung des Gängeviertels zeigt. Mit Blick auf die Zivilgesellschaft kommen zahlreiche Bürger*innenorganisationen als Partner*innen für die FHH zur kooperativen Entwicklung von Stadträumen infrage. In Hamburg gibt es aktuell viele selbstorganisierte Gruppen, die an der Stadtentwicklung mitwirken möchten oder dies bereits seit Längerem tun – beispielsweise bestehende und neu gegründete selbstverwaltete Wohnprojekte, kleine Genossenschaften, Kunst- und Kulturvereine, Zwischennutzer*innengruppen und stadtpolitische Initiativen. Außerdem gründeten Bürger*innen im Zuge von stadtpolitischen Konflikten seit den 1980er Jahren mehrere Organisationen, die bis heute intermediäre Funktionen zwischen selbstorganisier-
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ten Bürger*innen und der Stadtverwaltung übernehmen können. Dazu zählen unter anderem der Mieter*innenverein Mieter helfen Mietern, die Gebäudeverwaltungsgesellschaft P99 und die Stattbau. Letztere wird von der Stadt Hamburg seit dem Jahr 1987 als Sanierungsträgerin institutionell sogar gefördert (vgl. Bura 1994: 42f.). Die FHH selbst gründete bereits im Jahr 1984 die Johann Daniel Lawaetz-Stiftung als stadteigene Sanierungsträgerin, um Aufgaben einer sozial ausgerichteten Stadterneuerung in Kooperation mit Bürger*innen umzusetzen, und führte das „Programm zur Alternativen Baubetreuung“ (ABB) ein (vgl. Schmalriede 1994: 54f.). Zahlreiche Wohnprojekte in Hamburg wurden auf Grundlage des ABB-Programms umgesetzt. Allerdings wurde es seit den 2000er Jahren nicht weiter verfolgt, da sich die Stadt Hamburg zu der Zeit aus der Förderung sozialer Maßnahmen in der Stadtentwicklung zurückzog (siehe Kapitel 4.1.1). Damit gab sie ein Steuerungsinstrument auf, das womöglich geeignet gewesen wäre, die Kooperation und Sanierung des Gängeviertels konfliktfreier umzusetzen, denn im ABB-Programm waren viele der Aspekte geregelt, die im Kooperationsverfahren zur Sanierung des Gängeviertels zu Konflikten führten. Das gilt vor allem die Forderungen der Aktiven nach Selbstverwaltung, mehr Eigenleistung und Bezahlung (vgl. BAGS et al. 1994: 15ff.). Die mit dem ABB-Programm verbundenen intermediären Organisationen bestehen allerdings bis heute fort und verfügen über viel Wissen zu rechtlichen, finanziellen, organisatorischen und technischen Fragen in Bezug auf Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Entwicklung von Stadträumen. Ihr Fachwissen wird in der Hamburger Verwaltung auch heute noch anerkannt und genutzt, um Probleme und Konflikte zu lösen, die dabei auftreten. Das zeigt auch der Kooperationsprozess zur Sanierung des Gängeviertels, einschließlich der Verhandlungen um die langfristige Selbstverwaltung der Aktiven. So wurde die Einigung zwischen dem Gängeviertel und der Stadt Hamburg auch durch Zuarbeit der Stattbau befördert (siehe Kapitel 4.4.1). Das Wissen dieser Intermediäre könnte in Zukunft von der FHH genutzt werden, um neue Modelle zur kooperativen Entwicklung von Stadträumen durch öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zu erarbeiten. So könnte auf der Verfahrensebene (2) die Einbindung von Kooperationen in die Stadtentwicklungspolitik und -planung vorangetrieben werden. Zwar haben Vertreter*innen der Stadt Hamburg immer wieder darauf verwiesen, dass das Gängeviertel in ihren Augen eine
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66) Mehrere Vertreter*innen der Stadt Hamburg trafen diese Aussage bei verschiedenen Gesprächen, an denen ich teilgenommen habe. 67) Aktuelle Veröffentlichungen der FHH zeigen, dass Resilienz-Konzepte bisher nur einen untergeordneten Bezugspunkt für ihr Handeln darstellen. Zum Beispiel kommt in der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen in Hamburg (FHH 2017b) der Begriff Resilienz nicht vor, obwohl er laut der UN dabei insbesondere im Bereich der Stadtentwicklung zentral ist. Zwar wird im Hamburger Klimaplan Resilienz als Konzept zur Anpassung der Stadt an Folgen des Klimas thematisiert, die Kooperation mit Bürger*innen spielt dabei allerdings keine wesentliche Rolle. Im Fokus stehen stattdessen Kooperationen mit privatwirtschaftlichen Akteur*innen und technische Maßnahmen (vgl. FHH 2019f, vgl. FHH 2015). Auch Bürger*innenorgansiationen thematisieren Urbane Resilienz bisher kaum, wenn es um die Kooperation mit der Stadt Hamburg geht, obwohl dies aus meiner Sicht ein zentrales Argument sein könnte, um mehr Unterstützung durch die öffentliche Hand bei der Selbstorganisation von Bürger*innen einzufordern.
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einmalige Ausnahme bleiben soll, da die Kosten und der Arbeitsaufwand für die öffentliche Hand sehr hoch seien.66 Aus meiner Sicht ließe sich der Arbeitsaufwand für weitere Kooperationen allerdings deutlich reduzieren und deren Kosten ließen sich besser kalkulieren, wenn die langwierig ausgehandelte Einigung im Falle des Gängeviertels als Grundlage genutzt wird. Viele Bürger*innenorganisationen in Hamburg und die genannten intermediären Organisationen haben während der vergangenen Jahre zu einer Verschiebung auf diskursiver Ebene (6) beigetragen, indem sie durch Öffentlichkeitsarbeit auf ihre Beiträge für die Stadtentwicklung hingewiesen und durch konkrete Projekte veranschaulicht haben, dass Bürger*innen Stadträume selbstorganisiert mitgestalten möchten und können. Das gilt insbesondere für mehrere Gruppen aus dem Hamburger „Recht auf Stadt“-Netzwerk, wozu auch das Gängeviertel zählt, sowie die von ihnen organisierten Proteste und Projekte (vgl. Rinn 2016: 257ff., vgl. Füllner/Templin 2011: 95f.). Parallel dazu sind mehrere Fachbücher und -artikel erschienen, die die Selbstorganisation von Bürger*innen und Kooperationen mit Politik und Verwaltung als treibende Kraft für eine nachhaltige Stadtentwicklung thematisieren (vgl. u.a. Ferguson/Make_Shift 2019, Gunßer 2018, Ferguson 2014, Rauterberg 2013a). Auch von mehreren, teilweise führenden Medien in Deutschland wurde das Thema aufgegriffen (vgl. u.a. Klöck 2018, Rauterberg 2013b). Ich werte dies als Anzeichen für eine allmähliche Diskursverschiebung, die dazu führen kann, dass Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen auch auf subjektiver Ebene (1) der kooperativen Entwicklung von Stadträumen eine zunehmende Bedeutung zumessen, um Städte zukunftsfähig zu entwickeln. Im Zuge dieser Verschiebungen auf den sechs Ebenen kann auch die Koproduktion Urbaner Resilienz vorangetrieben werden, denn in vielen Fällen wird Resilienz koproduziert, wenn öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen in der Stadtentwicklung kooperieren (siehe Kapitel 2.3). Allerdings wird der Zusammenhang zwischen solchen Kooperationen und Urbaner Resilienz bisher von Bürger*innenorganisationen und der Stadt Hamburg kaum thematisiert oder strategisch für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung genutzt.67 Seitens der Stadt Hamburg ist weiterhin das Leitbild der „wachsenden Stadt“ dominant. Gemäß der Geschichte Hamburgs zielen Politik und Planung primär auf „Wachstum und Beschäfti-
gung als Grundlage für wirtschaftlichen Wohlstand“ (FHH 2017b: 1). Eine nachhaltige Transformation in der Stadtentwicklung, die sie unabhängiger vom wirtschaftlichen Wachstum werden lässt, wird demnach nicht angestrebt. Das zeigen auch aktuelle Äußerungen führender Politiker*innen in Hamburg, die sich parteiübergreifend positiv auf das Wachstum der Stadt beziehen (vgl. Tschentscher in Drieschner/Widmann 2018, vgl. Kienscherf/Tjarks in Dey/Meyer 2018). Daher finden Instrumente und Konzepte einer nachhaltigen Stadtentwicklung nur dann Anwendung in der Hamburger Stadtpolitik und -planung, wenn sie in dieses Leitbild integriert werden können (vgl. Loske 2015: 32ff., vgl. Bauriedl 2014: 172f.). Die Integration von Kooperationen mit Bürger*innen in eine wachstumsorientierte Stadtentwicklung ist allerdings widersinnig, wenn Urbane Resilienz koproduziert werden soll, denn Folgen des Wachstums laufen in der Regel der Koproduktion Urbaner Resilienz zuwider. Dass zeigt sich am prägnantesten an der auf den Hafen ausgerichteten Wirtschaftspolitik und der Wohnungsbaupolitik in Hamburg: Die Hafenwirtschaft gilt immer noch als wichtigster Wirtschaftszweig und Wachstumsmotor für die Stadt, obwohl sie ihre zentrale Funktion für den Arbeitsmarkt längst verloren hat (vgl. Breckner 2013: 194). Dennoch lässt der Senat die Elbe vertiefen, damit größere Containerschiffe in den Hafen einlaufen können. So sollen der Warenumschlag und das Wachstum der Hafenwirtschaft gefördert werden. Um die Hinterlandanbindung für den Warentransport zu verbessern, lässt er des Weiteren neue Straßen und Brücken für den hafenbedingten Lkw-Verkehr bauen. Damit treibt der Senat eine Entwicklung voran, die zu Krisen in lokalem und globalem Maßstab beiträgt. Das gilt in erster Linie für den ökologischen Bereich, denn durch den Transport von Waren sowie den Ausbau entsprechender Infrastrukturen für Schiffe und Lkw werden große Mengen an CO2 ausgestoßen, fossile Ressourcen verbraucht und Grünflächen versiegelt. Hinzu kommt, dass durch die Elbvertiefung das Ökosystem des Flusses beeinträchtigt wird (vgl. BUND Hamburg et al. 2010: 214ff.). Gleichzeitig wird eine flächensparende Innenentwicklung der Stadt blockiert, da der Senat große Flächen für den Hafen und damit verbundene Wirtschaftsbetriebe vorbehält (vgl. Lieber 2017: 116ff.). Die auf wirtschaftliches Wachstum fokussierte Politik des Senats trägt außerdem zum Anstieg der Bevölkerung in Hamburg bei, mit der Folge, dass Wohnraum zunehmend nachgefragt wird, Mietpreise in vielen Quartieren steigen und Gentrifizierung in innerstädtischen Quartieren voran-
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68) Laut Prognose wächst die Einwohner*innenzahl Hamburgs bis 2035 um ca. 10 Prozent und wird die Marke von 2 Millionen Menschen überschreiten (vgl. Berlin-Institut 2019: 15).
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getrieben wird.68 Der Senat versucht seit 2011, dieser Entwicklung durch eine Wohnungsbauoffensive zu begegnen, wonach pro Jahr 6000 Wohnungen (2016 erhöht auf 10.000) errichtet werden sollen (vgl. Vogelpohl/Buchholz 2017: 268ff.). Durch die damit verbundenen Neubauaktivitäten werden allerdings weitere CO2-Emmissionen verursacht und zunehmend Ressourcen verbraucht. Außerdem werden laut dem Naturschutzbund (NABU) durch den Neubau von Wohnungen, Gewerbeflächen und Infrastrukturmaßnahmen pro Jahr rund 180 Hektar der Grünflächen Hamburgs bebaut (vgl. FHH 2019g: 2). Zwar schlossen verschiedenen Behörden, städtische Versorgungsträger*innen und stadteigene Projektentwickler*innen (IBA Hamburg GmbH und HafenCity Hamburg GmbH) im Jahr 2019 einen Vertrag zum Erhalt des Hamburger Stadtgrüns, um ein entsprechendes Bürger*innenbegehren des NABU abzuwenden (vgl. ebd.). Ob sich der Schutz der bestehenden Grünflächen allerdings mit dem Wohnungsprogramm vollumfänglich vereinbaren lässt, ist fraglich (vgl. Richter 2019). Außerdem wird die Mietpreissteigerung in bestehenden Wohnquartieren wahrscheinlich weiter angetrieben, wenn aufgrund der Vereinbarung nicht die veranschlagten Wohnungsneubauten umgesetzt werden (vgl. Eckardt/Brokow-Loga 2020: 18). Obwohl sich die FHH bemüht, das Wachstum Hamburgs nachhaltig zu gestalten, werden dadurch Gentrifizierungsprozesse und der globale Klimawandel mit seinen vielfältigen Folgen auch auf lokaler Ebene vorangetrieben. Dazu zählen der steigende Meeresspiegel, Starkregenereignisse und extrem heiße Sommer, wovon auch Hamburg zunehmend betroffen ist (vgl. FHH 2015: 2, vgl. FHH 2014b: 44f.). Daraus ergibt sich aber auch eine Chance für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung im Sinne der vorliegenden Arbeit, wonach die Koproduktion Urbaner Resilienz an die Überwindung der Wachstumsorientierung in der Stadtentwicklungspolitik und Stadtplanung gekoppelt wird, um eine nachhaltige Transformation von Städten voranzutreiben (siehe Kapitel 2.1). Denn falls bestehende Instrumente und Maßnahmen in Zukunft nicht mehr ausreichen, um negativen Folgen der globalen multiplen Krise einschließlich des Klimawandels auf lokaler Maßstabsebene ausreichend entgegenzuwirken, kann sich der Handlungsdruck auf Politik und Planung erhöhen, die kooperative Entwicklung von Stadträumen als strategisches Instrument für die Stadtentwicklung einzusetzen, um eine nachhaltige Transformation voranzutreiben (vgl. Othengrafen et al. 2015: 367ff.). Die Handlungsgrund-
lage ist dafür in Hamburg relativ gut, denn es gibt bereits viele Bürger*innenorganisationen, die als Kooperationspartner*innen infrage kommen, und intermediäre Organisationen, die die Kooperation unterstützen können. Außerdem ist die Stadt Hamburg im Vergleich zu anderen Kommunen gerade wegen ihrer wirtschaftlichen Stärke eher in der Lage, kostenintensive Kooperationen wie im Falle des Gängeviertels zu finanzieren (vgl. Breckner 2016: 197) und darauf aufbauend neue Kooperationsmodelle umzusetzen. Wie ich in diesem Kapitel anhand des Gängeviertels aufgezeigt habe, kann die kooperative Entwicklung von Stadträumen die Koproduktion Urbaner Resilienz unterstützen. Neben den Resilienz-Beiträgen zu verschiedenen sozio-ökologisch-technischen Teilsystemen befördert die kooperative Entwicklung des Gängeviertels meines Erachtens vor allem die Koproduktion Urbaner Resilienz, weil die Beteiligten daraus lernen können, produktiv zusammenzuarbeiten. Mit der Absicht, sie dabei zu unterstützen und weitere öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen zum Kooperieren anzuregen, habe ich aus meiner Forschung Handlungsanregungen abgeleitet, wie sie Stadträume gemeinsam entwickeln können. Diese Anregungen beschreibe ich im folgenden Kapitel.
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5. HANDLUNGSANREGUNGEN ZUR KOPRODUKTION
URBANER RESILIENZ DURCH DIE KOOPERATIVE ENTWICKLUNG VON STADTRÄUMEN „Alle Kriterien, Maßgaben oder Paradigmen für eine zukünftige Stadt- und Regionalentwicklung können nur Orientierung geben für die anstehenden Umformungen. Sie vermögen eines nur bedingt zu bewerkstelligen: deren Aufgreifen und Verarbeiten in konkreten kommunalen Planungsprozessen. Das hat entscheidend mit der Lernfähigkeit aller Akteure des Gemeinwesens zu tun und kann sich als eine existenzielle Frage erweisen.“ (Kegler 2014: 55)
Anhand meiner Erkenntnisse über den Kooperationsprozess zur Sanierung und Entwicklung des Gängeviertels habe ich 14 Handlungsanregungen erarbeitet. Sie basieren auf Wissen, das ich durch die Realexperimente im Reallabor Gängeviertel (siehe Kapitel 3), meine Analyse des Kooperationsprozesses sowie der stadträumlichen und -politischen Entwicklung in Hamburg gewinnen konnte (siehe Kapitel 4). Daraus können zwar keine allgemeingültigen Erkenntnisse generalisiert werden, denn dies erfordert ein deutlich breiteres Untersuchungsspektrum (vgl. Schäpke et al. 2017: 26). Aber es lassen sich Handlungsanregungen ableiten, die empirisch und theoretisch fundiert sind, wie ich in diesem
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Kapitel zeige. Damit möchte ich Bürger*innen, Entscheidungsträger*innen in Verwaltungen und Politiker*innen zum Handeln anregen, um Stadträume kooperativ zu entwickeln und dabei Urbane Resilienz zu koproduzieren. Gleichzeitig sollen die Handlungsanregungen ihnen helfen, ihre Potenziale zur Koproduktion Urbaner Resilienz besser zu nutzen. Die Handlungsanregungen sind in Unterkapitel geordnet. Die darin erläuterten Aspekte bedingen sich in vielen Fällen gegenseitig und können in der Praxis kaum voneinander getrennt werden. Allerdings können bereits einzelne Aspekte zum Gelingen von Kooperation und der Koproduktion Urbaner Resilienz beitragen, wenn sie aufgegriffen werden. Damit die
Handlungsanregungen besser nachvollzogen werden können, stelle ich zunächst eine Zusammenfassung ihrer empirischen und theoretischen Grundlagen voran. Wie ich im vorangegangenen Kapitel anhand der Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels aufgezeigt habe, können öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen Urbane Resilienz koproduzieren, wenn sie Stadträume gemeinsam entwickeln. Indem Bürger*innen Gebäude und Grundstücke nutzen, um Güter und Dienstleistungen selbstorganisiert mit lokalen Ressourcen zu produzieren, und indem Politiker*innen sowie Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung sie durch Genehmigungen, langfristige Besitzrechte und günstige Mieten darin unterstützen, können sie gemeinsam zur Resilienz von Städten beitragen. Diese Beiträge lassen sich anhand der Redundanz und Modularität, Diversität, Vernetzung, Mehrfunktionalität, Innovation und Selbstorganisation von urbanen Teilsystemen bewerten, wie ich in Kapitel 2.2 aufgezeigt habe. Urbane Teilsysteme sind aus Sicht der Resilienz-Theorie als sozio-ökologisch-technische Systeme zu verstehen, die in Städten bestimmte Funktionen übernehmen, zum Beispiel das Wohnungssystem oder das Energiesystem einer Stadt. In ihnen sind soziale, ökologische und technologische Komponenten eng miteinander verknüpft, zudem überlagern sich verschiedene Teilsysteme in Stadträumen. So können in einem Stadtteil Wohnungen und Blockheizkraftwerke zur Energieversorgung in unmittelbarer Nähe verortet sein und Wechselwirkungen eingehen (siehe Kapitel 2.4). Die Resilienz solcher Teilsysteme hängt unter anderem davon ab, wie anpassungsfähig sie sind.
Anpassungsfähigkeit steht dabei für die Fähigkeit von urbanen Teilsystemen, sich während Krisen oder angesichts von Störungen so anzupassen, dass sie dennoch funktionieren bzw. dass sie Krisen und Störungen vorbeugen, weil sie anpassungsfähig gestaltet sind (siehe Kapitel 2.1). Neben der physisch-materiellen Anpassungsfähigkeit von gebauten Strukturen betrifft das auch soziale Aspekte wie die Nutzung von Gebäuden. Mit Blick auf die Koproduktion Urbaner Resilienz ist insbesondere die Steuerung von Stadtentwicklungsprozessen durch Governance-Netzwerke relevant. So erfordert die Anpassungsfähigkeit von urbanen Teilsystemen auch die Fähigkeit der für ihre Steuerung relevanten Akteur*innen zur Anpassung von Handlungen, Verfahrensweisen und Organisationsformen. Bei der kooperativen Entwicklung von Stadträumen kann insbesondere die Anpassungsfähigkeit von Kooperationsverfahren an Konflikte zwischen den Beteiligten und veränderte Rahmenbedingungen zentral sein, wie die Analyse des Kooperationsprozesses zur Entwicklung und Sanierung des Gängeviertels ergeben hat. Denn bei allen Potenzialen, die solche Kooperationen für die Koproduktion Urbaner Resilienz bieten, sind sie auch sehr problem- und konfliktanfällig. Das liegt meines Erachtens daran, dass viele öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen noch nicht wissen, wie sie kooperieren können, um trotz unterschiedlicher Interessen, Handlungsrationalitäten und Wertvorstellungen gemeinsame Ziele in der Stadtentwicklung zu erreichen. Daher sind sie oftmals kaum in der Lage, Urbane Resilienz effizient zu koproduzieren (siehe Kapitel 2.3). Dies ist allerdings zunehmend von Bedeutung, um aktuellen
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Herausforderungen in der Stadtentwicklung wie den Folgen von Klimawandel, Finanzkrisen und demografischem Wandel begegnen zu können (siehe Kapitel 2.1). Daher erfordert eine zukunftsfähige Stadtentwicklung, dass öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen voneinander lernen, wie sie produktiv zusammenarbeiten und Urbane Resilienz effizient koproduzieren können. Die folgenden Handlungsempfehlungen sollen ihnen dabei in Bezug auf die kooperative Entwicklung von Stadträumen helfen.
5.1 VERTRAUEN HERSTELLEN UND BEWAHREN Bei Kooperation von so heterogenen Akteur*innen wie Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen ist Vertrauen unter ihnen eine zentrale Voraussetzung, damit sie langfristig produktiv zusammenarbeiten können, wie verschiedene Forschungen zeigen (siehe Kapitel 2.3). Wenn Kooperationspartner*innen sich vertrauen –, wenn sie also davon ausgehen, dass ihr Gegenüber nicht versucht, sie zu übervorteilen – gehen sie eher Kompromisse ein und können Konflikte schneller lösen. Bei einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sind sie daher in einer besseren Ausgangslage, um Kooperationsverfahren an Konflikte untereinander und veränderte Rahmenbedingungen anzupassen, denn dazu kann es erforderlich sein, dass die Art und Weise der Zusammenarbeit
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sowie die verfolgten Ziele zumindest teilweise neu ausgehandelt werden. Das ist bei einer höheren Bereitschaft zu Kompromissen und einvernehmlicher Konfliktlösung deutlich einfacher. Neben der Anpassung einzelner Kooperationsverfahren können sie darüber hinaus auch soziale Innovationen anstoßen, wenn sie dabei zu neuartigen Lösungen für Probleme gelangen, die sich in der Stadtentwicklungspraxis etablieren (siehe Kapitel 2.2.5). Was für komplexe Konflikte dagegen entstehen können, wenn sich Kooperationspartner*innen nicht ausreichend vertrauen, hat die Kooperation zur Sanierung des Gängeviertels gezeigt: Weil sie nicht in der Lage waren, Probleme in Bezug auf die Sanierungsmaßnahmen und die Selbstverwaltung der Aktiven des Gängeviertels einvernehmlich zu lösen, eskalierten Konflikte zwischen den Beteiligten. Das führte zu einem mehr als vier Jahre andauernden Planungsstopp und bedrohte die von den Kooperationspartner*innen koproduzierten Beiträge zur Resilienz in Hamburg, da diese weitgehend von ihrer Zusammenarbeit bei der Sanierung und Nutzung des Gängeviertels abhingen (siehe Kapitel 4.3.2). Die Konflikte und der Planungsstopp konnten erst überwunden werden, nachdem sie mehrere Maßnahmen vereinbart hatten, um das Kooperationsverfahren so anzupassen, dass die weitere Sanierung und langfristige Selbstverwaltung gesichert waren (siehe Kapitel 4.4.1). Daraus schließe ich, dass Kooperationspartner*innen solchen Eskalationen und Blockaden entgegenwirken können, wenn sie vertrauensbildende Maßnahmen ergreifen, sobald Konflikte eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zu belasten drohen. Hilf-
reich dabei ist es, wenn sie ihre jeweiligen Interessen, Handlungsrationalitäten und Wertvorstellungen in Bezug auf die ursächlichen Probleme und mögliche Lösungen offen und ehrlich darlegen. Dadurch können sie Verständnis füreinander entwickeln und ein belastbares Vertrauensverhältnis aufrecht erhalten – oder gegebenenfalls aufbauen, wie sich aus meinen Realexperimenten ergeben hat (siehe Kapitel 3.2.2 und 3.2.3). Zentral ist außerdem der transparente Umgang mit Informationen, die für die Zusammenarbeit relevant sind. Diese sollten unter den Kooperationspartner*innen bereitwillig ausgetauscht werden, auch wenn es sich um interne Dokumente einer der beteiligten Organisationen handelt. Solche vertrauensbildenden Maßnahmen bieten Kooperationspartner*innen eine erfolgversprechende Grundlage, um Interessenskonflikte besser zu bewältigen und auch unter problematischen und sich verändernden Rahmenbedingungen kooperativ zu handeln.
5.2 ENTSCHEIDUNGSUND HANDLUNGSMACHT AUSGEWOGEN AUFTEILEN Wenn Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung kooperieren, um Stadträume zu entwickeln, sind die öffentlichen Akteur*innen oft in einer mächtigeren Position. Sie verfügen in der Regel über mehr Entscheidungs- und Handlungsmacht, denn sie
haben die kommunale Planungshoheit inne und entscheiden in vielen Fällen auch über die Bereitstellung von Ressourcen – etwa in Form von Geld, Gebäuden und Grundstücken. Aus dieser Position heraus handeln Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen mitunter paternalistisch und beachten die Belange ihrer Kooperationspartner*innen nicht in dem Maße, wie diese es einfordern (siehe Kapitel 2.3). Bürger*innen können dagegen eher vorübergehend ihre Machtposition ausbauen, insbesondere durch öffentlichkeitswirksame Handlungen, die Politiker*innen unter Druck setzen. Im Fall des Gängeviertels erreichten die Aktiven durch die Besetzung und öffentlichkeitswirksame Aktionen, dass die Stadt Hamburg das Gängeviertel vom Investor zurückkaufte, dem sie bereits den weitgehenden Abriss genehmigt hatte, und dass sie stattdessen in Kooperation mit den Aktiven die Gebäude sanieren ließ (siehe Kapitel 4.1). Jedoch können unausgewogenen Machtverhältnisse für die kooperative Entwicklung von Stadträumen langfristig zum Problem werden, wie sich am Kooperationsprozess und besonders am Planungsstopp gezeigt hat (siehe Kapitel 4.4.1). Denn falls Kooperationspartner*innen in Konfliktsituationen ihre Machtpositionen nutzen, um Druck aufzubauen und Zugeständnisse zu erwirken, schadet das dem gegenseitigen Vertrauen und damit auch der Koproduktion Urbaner Resilienz, wenn in Folge wie im Fall des Planungsstopps Maßnahmen blockiert werden, die zur Resilienz einer Stadt beitragen würden. Im Gängeviertel gelang es, den Planungsstopp und damit die Blockade der operativen Maßnahmen zu beheben, indem
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die Stadt Hamburg Entscheidungs- und Handlungsmacht an die Aktiven übertrug. Damit einher ging eine Verschiebung der Interdependenzen zwischen den Akteur*innen im Governance-Netzwerk, was zu mehr Augenhöhe zwischen der Stadt Hamburg, der steg und dem Gängeviertel führte. Eine entscheidende Rolle spielte dabei der Erbbaurechtsvertrag, weil er die Rechtsposition der Aktiven zur Mitbestimmung im Kooperationsverfahren und zur Verwaltung der Gebäude gegenüber der Stadt Hamburg und der Sanierungsträgerin ausbaute und ihre Mitbestimmung und Selbstverwaltung langfristig sichert (siehe Kapitel 5.3). Dieses Verhandlungsergebnis konnte auch deshalb erzielt werden, weil die Stadt Hamburg und das Gängeviertel aufeinander eingingen und nicht länger versuchen, ihre jeweiligen Interessen gegeneinander durchzusetzen. Daraus schließe ich, dass Kooperationspartner*innen Lösungen für Probleme rücksichtsvoll aushandeln sollten, bis sie einvernehmliche Kompromisse erzielen. Um dies strukturell zu fördern, sollten sie frühzeitig Entscheidungs- und Handlungsmacht möglichst ausgewogen unter sich verteilen. Gleich zu Beginn einer Kooperation könnten sie Rechte und Pflichten so aufteilen, dass sie gemeinsame Entscheidungen auf Augenhöhe verhandeln und sich Konflikte gar nicht erst verhärten. Dadurch können sie meines Erachtens auch die Anpassungsfähigkeit von Kooperationsverfahren unterstützen, denn wenn Lösungen einvernehmlich ausgehandelt werden, kann dies das Vertrauen unter den Kooperationspartner*innen fördern und der Blockade von Anpassungsmaßnahmen vorbeugen (siehe Kapitel 5.1).
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5.3 BESITZRECHTE LANGFRISTIG REGELN Im Mittelpunkt der Verhandlungen zwischen der Stadt Hamburg und den Aktiven stand die Selbstverwaltung der sanierten Gebäude des Gängeviertels durch die von den Aktiven gegründete Genossenschaft. Durch eine Einigung über die langfristige Selbstverwaltung sollten die bestehenden Konflikte gelöst und zukünftige Probleme in der Zusammenarbeit vorgebeugt werden. Dabei zeigte sich, dass bei der kooperativen Entwicklung von Stadträumen die langfristige Vergabe von Besitzrechten an Gebäuden und Grundstücken zentral sein kann, und dass insbesondere Erbbaurechtsverträge geeignet sind, um ein ausgewogenes Verhältnis von Handlungs- und Entscheidungsmacht zwischen Kooperationspartner*innen herzustellen (siehe Kapitel 4.4.2). Dafür sprechen aus meiner Sicht zum einen organisatorische Gründe, denn Erbbaurechtsverträge sind seit Langem in der Stadtentwicklung etabliert, weshalb viele öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen über Erfahrungen verfügen, wie die Verteilung von Besitzrechten und damit einhergehende Pflichten zur Bewirtschaftung und Instandhaltung zwischen den Vertragspartner*innen geregelt werden können. Zum anderen eignen sie sich aus rechtlichen Gründen, denn durch Erbbaurechtsverträge können Besitzrechte langfristig an Bürger*innen übertragen werden, während die öffentliche Hand Kontroll- und Steuerungsoptionen behält. Im Falle des Gängeviertels wurde der Erbbaurechtsvertrag über 75 Jahre geschlossen. Laut Vertrag sollen die Gebäude
an die Stadt Hamburg zurückfallen, wenn sie von der Genossenschaft nicht dem Entwicklungskonzept entsprechend betrieben und genutzt werden. Das ist auch für die Koproduktion Urbaner Resilienz relevant, denn durch solche Heimfallregelungen können öffentliche Akteur*innen das Erbbaurecht an Bedingungen koppeln und so bewirken, dass Bürger*innenorganisationen zur Resilienz einer Stadt beitragen, indem Gebäude und Grundstücke entsprechend genutzt werden. Außerdem können öffentliche Akteur*innen nach dem regulären Ende der Erbbaurechtszeit erneut über die Vergabe entscheiden und haben so die Möglichkeit, deren Nutzung langfristig im Sinne der Resilienz von Städten zu steuern. Ein weiterer relevanter Aspekt zur Koproduktion Urbaner Resilienz ist, dass durch langfristige Erbbaurechtsverträge die Professionalisierung von Bürger*innen gefördert werden kann, denn eine langfristige und gesicherte Nutzungsperspektive kann sie motivieren, sich selbst professionell zu organisieren. Dies ist eine zentrale Voraussetzung zur produktiven Kooperation mit Politik und Verwaltung und somit wichtig zur Koproduktion Urbaner Resilienz, wie ich anhand des Gängeviertels aufgezeigt habe (siehe Kapitel 5.7). Außerdem können Bürger*innen Güter und Leistungen eher zuverlässig produzieren, wenn sie sich professionell (selbst) organisieren. Dadurch können sie marktwirtschaftliche und staatliche Versorgungsangebote ergänzen und so zur Resilienz von Städten beitragen (siehe Kapitel 2.3.6). Unter prekären Rahmenbedingungen oder bei zu kurzen Nutzungszeiträumen sind Bürger*innen dagegen kaum bereit oder in der Lage, langfristig tragfähige Selbstverwaltungs-
strukturen aufzubauen und die dafür notwendigen Ressourcen aufzubringen (Zeit, Geld, soziales Kapital etc.). Öffentliche Akteur*innen sollten daher die Rechtsposition von Bürger*innenorganisationen zur Nutzung von Gebäuden und Grundstücken in öffentlichem Eigentum langfristig sichern und so ihre Professionalisierung fördern. Dabei besteht eine zentrale Herausforderung darin, Kooperationsverfahren trotz langfristiger Regelung der Besitzrechte so zu gestalten, dass sie an Konflikte oder veränderten Rahmenbedingungen angepasst werden können. Im Fall des Gängeviertels gelang dies, weil die Zusammenarbeit in einer separaten Kooperationsvereinbarung geregelt wurde – mit dem Vorteil, dass diese verändert werden kann, ohne die Regelung der Besitzrechte zu berühren.
5.4 ÜBERGEORDNETE KOORDINATIONS- GREMIEN SCHAFFEN Koordinationsgremien können über die Steuerung und Abstimmung von operativen Maßnahmen hinaus einen geeigneten Rahmen bilden, damit die Beteiligten ihre Handlungsrationalitäten, Wertvorstellungen und Eigeninteressen verstehen lernen und persönliches Vertrauen aufbauen. Für die Koproduktion Urbaner Resilienz ist das relevant, da Verständnis und Vertrauen zentrale Voraussetzungen sind, um Kooperationsverfahren an Konflikte und veränderte Rahmenbedingungen anpassen
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zu können (siehe Kapitel 5.1). Tagen diese Gremien an Orten, um deren Entwicklung es geht, kann dadurch auch das Verständnis der Beteiligten für lokale Besonderheiten unterstützt werden, indem diese sinnlich erfahrbar werden. Dadurch können sie ortsspezifische Probleme besser nachvollziehen und entsprechende Lösungsansätze eher unterstützen (siehe Kapitel 3.2.2). Wie der Kooperationsprozess zur Sanierung des Gängeviertels zeigt, kann es außerdem wichtig sein, dass die Mitglieder von Koordinationsgremien die Rahmenbedingungen ihrer Zusammenarbeit beeinflussen können. Daher sollten dafür relevante Entscheidungsträger*innen beider Seiten teilnehmen. Des Weiteren sollten solche Gremien dauerhaft bestehen. Werden sie erst einberufen, wenn Konflikte ausbrechen, können sie diesen nicht vorbeugen. Im Gängeviertel fehlte bis zur Anpassung des Kooperationsverfahrens ein solches Gremium. Dies trug maßgeblich dazu bei, dass Probleme in Bezug auf die Selbstverwaltung und die Baumaßnahmen nicht gelöst werden konnten und dass sich die Aktiven aufgrund von Kommunikationsdefiziten hintergangen fühlten, was den Planungsstopp auslöste (siehe Kapitel 4.3.2). Um solchen Entwicklungen vorzubeugen, führten die Kooperationspartner*innen im Rahmen der Verfahrensanpassung einen Koordinierungskreis als übergeordnetes Gremium ein, in dem Personen der jeweiligen Leitungsebenen vertreten sind (siehe Kapitel 3.2.3). Darin können die Vertreter*innen zwar nicht alleine über Lösungen und weitere Anpassungsmaßnahmen entscheiden. Aber sie können diese aushandeln, vorbereiten und mit weiteren Beteiligten ihre Umsetzung koordinieren.
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5.5 FÜHRUNGSSTARKE VERTRETER*INNEN MANDATIEREN Ob es Kooperationspartner*innen gelingt, Lösungen für Probleme und gegebenenfalls Anpassungsmaßnahmen für laufende Kooperationsverfahren auszuhandeln, hängt weitgehend vom Mandat ihrer Vertreter*innen ab, wie sich anhand der Verhandlungen über die Selbstverwaltung der Aktiven im Gängeviertel gezeigt hat. Erst auf Grundlage des erweiterten Verhandlungsmandats der zuständigen Senator*innen, das den Abschluss eines Erbbaurechtsvertrages zuließ, konnten die verhandelnden Staatsrät*innen mit den Aktiven eine Einigung erzielen (siehe Kapitel 4.4.1). Bei zu engen Vorgaben können dagegen kaum Anpassungsmaßnahmen für Kooperationsverfahren erarbeitet werden, weil sie womöglich gar nicht erst diskutiert werden dürfen. Wie das erste Realexperiment ergeben hat, können Entscheidungsträger*innen dadurch sogar in einen inneren Konflikt geraten, da sie nicht verhandeln und kommunizieren dürfen, was sie gegebenenfalls selbst als eine geeignete Maßnahmen ansehen (siehe Kapitel 3.2.2). Wenn Kooperationspartner*innen ihre Vertreter*innen jedoch ausreichend mandatieren, können diese Lösungen und Anpassungsmaßnahmen aushandeln, die von beiden Seiten getragen werden. Meines Erachtens kann eine weitergehende Mandatierung als höhere Selbstorganisation von Governance-Netzwerken verstanden werden, weil dadurch zumindest der verhandelnde Personenkreis un-
abhängiger von den Organisationen agieren kann, die sie vertreten. Hier kommt es für beide Seiten darauf an, sich von Personen vertreten zu lassen, die die entsprechende Führungskompetenz mitbringen (siehe Kapitel 2.3). Sie müssen in der Lage sein, gemeinsam erarbeitete Kompromisse innerhalb der Organisationen, die sie vertreten, zu vermitteln und gegebenenfalls auch gegen Widerstand durchzusetzen, um den Weg für tragfähige Lösungen zu ebnen. Das gilt seitens der Stadtverwaltung insbesondere für die Abstimmung zwischen Ressorts und mit Vorgesetzten. Aber auch innerhalb von Bürger*innenorganisationen muss unter Umständen erst noch Akzeptanz für ausgehandelte Kompromisse hergestellt und müssen Mehrheiten dafür geschaffen werden. Dies erfordert meines Erachtens ebenfalls die Führungskompetenz derjenigen, die Kompromisse mit ausgehandelt und zu vertreten haben. Sollten die jeweiligen Akteur*innen nicht ohnehin über ausreichend kompetente Vertreter*innen verfügen, kann es eine Lösung sein, Personal entsprechend fortzubilden oder neu einzustellen.
5.6 INTERMEDIÄRE UND EXPERT*INNEN EINBINDEN Trotz ihrer zentralen Position im Governance-Netzwerk war die Sanierungsträgerin des Gängeviertels während der Planungsund Sanierungsphase kaum in der Lage, zwischen den Kooperationspartner*innen zu vermitteln und zur einvernehmlichen
Lösung von Konflikten beizutragen. Sie war zu eng an die Stadt Hamburg gebunden, um von den Aktiven als Vermittler*in akzeptiert zu werden. Außerdem hatte sie dazu keinen Auftrag, weshalb sie für solche Vermittlungsleistungen nicht vergütet worden wäre. Daher sollten Entwicklungsoder Sanierungsträger*innen eine möglichst neutrale Rolle in Governance-Netzwerken einnehmen, wenn sie zugleich eine intermediäre Funktion zwischen den Kooperationspartner*innen übernehmen sollen. Das schließt mit ein, dass sie von beiden Kooperationspartner*innen als Intermediäre beauftragt und nach Möglichkeit auch von beiden bezahlt werden. Weil im Fall des Gängeviertels ein zentraler Intermediär fehlte, fanden die Aktiven eine andere Lösung: Sie beauftragten verschiedene Jurist*innen und eine weitere Stadtentwicklungsgesellschaft, die sie bei rechtlichen und finanziellen Probleme im Kooperationsprozess berieten. Außerdem unterstützten diese Fachleute die Kooperationspartner*innen beim Ausarbeiten von entsprechenden Verträgen. Das war vor allem in Bezug auf den Erbbaurechtsvertrag hilfreich, denn es kostete die zuständige Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen viel Mühe und Zeit, die Details des Vertrags so auszuarbeiten, dass die Eigentümer*innenkonstellation und der unterschiedliche Sanierungsstand der Gebäude berücksichtigt und die Verhandlungsergebnisse für beide Seiten zufriedenstellend gesichert wurden. Des Weiteren konnten die externen Fachleute konstruktiv zwischen den Aktiven und der Stadt Hamburg vermitteln, weil sie Erfahrung in der Arbeit mit selbstorganisierten Gruppen hatten und die Wertvor-
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stellungen der Aktiven in Bezug auf die Entwicklung des Gängeviertels nachvollziehen konnten. Dadurch waren sie in der Lage, Verhandlungsgespräche zu versachlichen, die vor allem von den Aktiven teils emotional geführt wurden (siehe Kapitel 4.4.1). Dieses Beispiel einer erfolgreichen Vermittlung zeigt, dass öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen profitieren können, wenn sie geeignete Berater*innen hinzuziehen, die intermediäre Funktionen in Governance-Netzwerken übernehmen, um tragfähige Kompromisse zu erarbeiten.
5.7 ORGANISATIONSSTRUKTUREN ANPASSEN Bürger*innen können die Effizienz von Kooperationen fördern, indem sie formale Selbstverwaltungs- und Entscheidungsstrukturen aufbauen, zuverlässige Ansprechpartner*innen bereitstellen und Eigenkapital zur Umsetzung von Projektentwicklungen einbringen. Allerdings ist der Aufbau von solchen Selbstverwaltungsstrukturen sehr arbeits- und zeitintensiv, was Bürger*innen überfordern kann, wenn sie dabei auf sich alleine gestellt sind. Um sie zu unterstützen, können öffentliche Akteur*innen beim Aufbau von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie Vereinen und Genossenschaften beraten, Personalfortbildungen anbieten, Arbeitsstellen fördern und ihnen langfristige Nutzungsperspektiven zusichern (siehe Kapitel 5.3). Zur Umsetzung dieser Aufgaben
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könnten Stadtverwaltungen spezielle Gesellschaften gründen, die durch die Politik gesteuert werden und eng mit der Verwaltung zusammenarbeiten – ähnlich wie die Hamburg Kreativ Gesellschaft im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft (siehe Kapitel 4.5). Die Professionalisierung von Bürger*innen zur Kooperation mit Politik und Verwaltung einerseits und die Gründung von städtischen Gesellschaften zur Förderung von bürgerschaftlichem Engagement andererseits würde meines Erachtens eine praktikable strukturelle Anpassung von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen bedeuten. Dadurch ließe sich eine produktive Zusammenarbeit maßgeblich unterstützen. Im konkreten Fall des Gängeviertels zog die Professionalisierung der Aktiven in Form des Vereins und der Genossenschaft jedoch auch Reaktionen nach sich, die die Koproduktion Urbaner Resilienz beeinträchtigten: Viele Aktive waren nicht damit einverstanden, dass das Gängeviertel seine Selbstverwaltungsstrukturen im Zuge der Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg fortwährend professionalisieren musste. Sie befürchteten außerdem einen Identitätsverlust, weil das Gängeviertel durch die Professionalisierung aus ihrer Sicht seine Bedeutung als ein widerständiger Ort gegen die Stadtentwicklungspolitik des Senats zu verlieren drohte. Daher reduzierten viele von ihnen ihr Engagement, weshalb Aufgaben bei der Selbstorganisation und der Zusammenarbeit mit der Sanierungsträgerin kaum noch sorgsam erledigt werden konnten (siehe Kapitel 4.3.2). Daraus lässt sich ableiten, dass Bürger*innenorganisationen sich nicht so weit anpassen sollten, dass dadurch ihre Beiträge zur
Resilienz von Städten beeinträchtigt werden. Öffentliche Akteur*innen können sie dabei unterstützen, indem sie ihnen neben der Hilfe zur Professionalisierung weitgehende Freiheiten in Bezug auf ihre Selbstorganisation zugestehen und bei der Verwaltung von Ressourcen im Rahmen des rechtlich Erlaubten freie Hand lassen. Beim Gängeviertel betrifft das vor allem die Selbstverwaltung der Gebäude.
5.8 MIT ZEIT UND GELD KONFLIKTEN ENTGEGENWIRKEN Um Konflikte auszuhandeln, benötigen Kooperationspartner*innen Zeit, in der sie ihre Handlungsrationalitäten, Wertvorstellungen und Eigeninteressen darlegen und darauf aufbauend Kompromisse erarbeiten können. Dadurch entstehen in der Regel Personalkosten, wenn ihre Arbeitszeit bezahlt wird. Wie die Teilnehmer*innen des zweiten Realexperiments betonten, kann das für Kooperationspartner*innen ein Problem sein, wenn sie mit einem knappen Kostenrahmen auskommen und mit komplexen Problemen umgehen müssen, wie dies beim Gängeviertel der Fall war. Hier unterschätzten die Akteur*innen den notwendigen Zeit- und Geldaufwand immer wieder. Verhandlungsgespräche über die Selbstverwaltung und Mitbestimmung im Bauprozess dauerten aufgrund ihrer Komplexität deutlich länger, als zu Beginn angenommen wurde. Dadurch entstanden unerwartete personelle Belastungen und
zunehmender Handlungsdruck. Das galt insbesondere für die Sanierungsphase, denn die voranschreitenden Baumaßnahmen erforderten, dass die Aktiven und die Stadt Hamburg möglichst zeitnah eine Einigung zur Verwaltung der sanierten Gebäude fanden. Auch aufgrund dieses Zeitdrucks verhandelten sie rein sachbezogen, was jedoch nicht zu einer Einigung führte. Daran zeigt sich, dass sich die Chancen auf eine gelungene Kooperation steigern lassen, wenn Kooperationspartner*innen realistische Zeiträume einplanen und eine finanzielle Reserve vorhalten. So können sie besser einvernehmliche Lösungen erarbeiten. Als ein erster Schritt in der Zusammenarbeit kann es außerdem hilfreich sein, dass sich öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen Zeit einräumen, um sich auf eine effiziente Zusammenarbeit verbindlich vorzubereiten. So mussten die Aktiven im Gängeviertel zunächst Strukturen zur Selbstverwaltung in Form eines Vereins und einer Genossenschaft aufbauen, bevor sie mit der Stadt Hamburg verlässlich zusammenarbeiten konnten (siehe Kapitel 5.7). Im Falle des Gängeviertels fehlten allerdings nicht nur Zeit und Geld, um das Kooperationsverfahren anzupassen, sondern auch, um Probleme und Konflikte in Bezug auf die Baumaßnahmen einvernehmlich zu lösen. Diese waren eng getaktet, um den Kostenrahmen einzuhalten, weshalb Bauabläufe nicht unterbrochen werden konnten, ohne ungedeckte Mehrkosten zu verursachen. Dadurch verschärften sich die Konflikte über bauliche Aspekte zwischen den Aktiven, der Sanierungsträgerin und dem Architekten, weil keine Zeit blieb, um einvernehmliche Lösungen zu erarbeiten
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(siehe Kapitel 4.3.1). Eine Chance, solche Eskalationen zu vermeiden, besteht darin, dass Kooperationspartner*innen operative Maßnahmen in kurzzeitigen und kleinmaßstäblichen Entwicklungsschritten planen. So bieten sich eher Gelegenheiten, um Probleme und Konflikte zwischen den einzelnen Schritten auszuhandeln, ohne allzu hohe Mehrkosten zu verursachen. Eine professionelle Evaluation solcher Schritte kann dabei helfen, Lernprozesse über eine produktive Zusammenarbeit zu fördern und abzusichern. Meines Erachtens können kurze und kleine Entwicklungsschritte außerdem die Bereitschaft der Beteiligen erhöhen, neue Maßnahmen auszuprobieren; etwa indem sie zeitlich begrenzt neue Methoden zur Mitbestimmung von Bürger*innen erproben oder indem sie bei kleineren Bauabschnitten neue Techniken testen, wodurch Kostenrisiken geringer ausfallen. Sollten solche Tests für die Beteiligten erfolgreich verlaufen, steigen die Chancen, dass sie über einzelne Projekte hinaus Anwendung finden. Falls sie sich in der Stadtentwicklungspraxis etablieren, können daraus sogar soziale und technische Innovationen entstehen (siehe Kapitel 2.2.5).
5.9 FÖRDERUNGEN FLEXIBEL GESTALTEN Im Falle des Gängeviertels trägt die Stadt Hamburg mit der von ihr finanzierten Sanierung der Gebäude, einem geringen Erbbauzins, moderaten Mietpreisen und verschiedenen Fördermaßnahmen für Wohnungen
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und Soziokultur zur Koproduktion Urbaner Resilienz bei. Auf dieser Grundlage können die Aktiven in einem hochpreisigen Umfeld günstige Güter und Dienstleistungen produzieren. Dazu zählen vor allem ihre vielseitigen Angebote an kulturellen Veranstaltungen und die öffentlich geförderten und selbstverwalteten Genossenschaftswohnungen (siehe Kapitel 4.2.2). Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung können solche Beiträge von Bürger*innen meines Erachtens noch effektiver unterstützen, wenn sie sich bei der Vergabe von öffentlichen Grundstücken und Gebäuden nicht primär am ortsüblichen Verkehrswert orientieren, sondern an der Finanzkraft der beteiligten Bürger*innenorganisationen. Gegenüber einer finanziellen Förderung durch städtische Haushaltsgelder, die erst bereitgestellt werden müssen, um damit Mietkosten zu reduzieren, hätten Nachlässe bei Mietpreisen den Vorteil, dass Kommunen Bürger*innen fördern können, indem sie geringere Einnahmen akzeptieren. Bürger*innenorganisationen würden auch deshalb davon profitieren, weil sie neben geringeren Kosten an weniger enge Nutzungskriterien gebunden wären, denn mit Fördermitteln sind in der Regel strikte Vorgaben verbunden. So wurde im Gängeviertel für alle Nutzungseinheiten genau festgelegt, wie sie hergerichtet werden müssen, wo sie verortet sind und wofür sie zu nutzen sind (siehe Abbildung 36). Mit solchen Vorgaben wird jedoch eine Anpassung der Nutzung von Gebäuden an sich verändernde Rahmenbedingungen erschwert, zum Beispiel an Veränderungen im räumlichen Umfeld oder neue Anforderungen von Stadtbewohner*innen.
Wenn Politik und Verwaltung Förderrichtlinien und -gesetze entsprechend ändern, können sie Gebäude und Grundstücke im Besitz der öffentlichen Hand flexibler und zu günstigeren Konditionen für die Koproduktion Urbaner Resilienz zur Verfügung zu stellen. Dafür könnten die Kooperationspartner*innen qualitative Vorgaben vereinbaren und vertraglich festschreiben, die sich an Resilienz-Merkmalen wie Redundanz, Diversität, Multifunktionalität orientieren (siehe Kapitel 2.2). Als Ergänzung könnten öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen angesichts knapper Budgets der öffentlichen Hand gemeinsam nach neuen Wegen suchen, wie sie die kooperative Entwicklung von Stadträumen mit zusätzlichen Mitteln finanzieren können. Denkbar sind zum Beispiel gemeinsame Drittmittelakquise, Crowdfunding-Kampagnen oder Bürgschaften der Stadtverwaltung für Bankkredite, um investive Mittel sowie Personal- und Sachkosten gemeinsam zu finanzieren.
5.10 EHRENAMTLICH ENGAGIERTE FINANZIELL UNTERSTÜTZEN Ein zentraler Aspekt bei der Koproduktion Urbaner Resilienz ist, dass ehrenamtliches Engagement als Ressource zur kooperativen Entwicklung von Stadträumen genutzt wird. Viele Beiträge von Bürger*innen zur Resilienz von Städten erfolgen unentgeltlich aus einer intrinsischen Motivation heraus (siehe Kapitel 2.2). Im Falle des
Gängeviertels wurden die Kapazitäten der Aktiven zum ehrenamtlichen Engagement allerdings teilweise überstrapaziert. Zum Problem für die Kooperation wurde das vor allem bei der Zusammenarbeit im Gremium zur Abstimmung von Baumaßnahmen (Baukommission). Weil die damit verbundenen Aufgaben komplex und umfangreich waren, konnten die Aktiven darin nicht dauerhaft ohne Bezahlung zuarbeiten. Infolge dessen geriet die Zusammenarbeit zwischen den Aktiven, der steg sowie dem Architekten immer mehr ins Stocken. Außerdem hatten die Aktiven kaum Zeit, um eigene Lösungsvorschläge für Probleme im Kooperationsprozess auszuarbeiten, und waren im Vergleich zu anderen Teilnehmer*innen benachteiligt, da sich ihre mitunter prekäre Lebenssituation durch den unbezahlten Zeitaufwand zusätzlich verschlechterte. Das verhärtete die ohnehin ungleichen Machtstrukturen (siehe Kapitel 5.3) und verschärfte Konflikte, denn die anderen Vertreter*innen wurden für ihre Arbeit bezahlt und konnten sich daher mit mehr Sorgfalt für ihre Interessen einsetzen. Eine Möglichkeit, um intrinsisch motiviertes Engagement zu stärken, besteht in der Vergütung dieses Engagements: Vertreter*innen von Bürger*innenorganisationen sollten für ihre Arbeit in gemeinsamen Kooperationsgremien so bezahlt werden, dass sie durch den anfallenden Zeitaufwand keine finanziellen Nachteile haben. Wenn dafür keine ausreichenden Gelder zur Verfügung stehen, könnten sie zumindest eine Aufwandsentschädigung erhalten, die es ihnen ermöglicht, verlässlich mitzuarbeiten, Prozesse seitens der Bürger*innenorganisationen zu koordinieren und Problemlösungen mit zu erarbeiten.
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Mittels einer auskömmliche Bezahlung können Bürger*innen Wissen und Lösungsvorschläge zuverlässiger einbringen. Außerdem hilft sie dabei, Konflikten in der Zusammenarbeit frühzeitig vorzubeugen, denn umstrittene Maßnahmen werden von Bürger*innen eher mitgetragen, wenn sie gemeinsam erarbeitet wurden. Im Fall des Gängeviertels haben die Kooperationsparter*innen aus diesen Gründen vereinbart, dass die Aktiven für ihre Arbeit im Kooperationsgremium zur Abstimmung von Baumaßnahmen ein Sitzungsgeld erhalten sollen (siehe Kapitel 4.4.1). Diese Bezahlung wollten die Kooperationspartner*innen ursprünglich unter sich aufteilen, was jedoch aufgrund der finanziellen Situation der Genossenschaft nicht möglich war. Deshalb kommt zunächst allein die Stadt Hamburg dafür auf und die Bezahlung fällt geringer aus, als es von den Aktiven angestrebt wurde. Dennoch wird die Abstimmung von Bauplanungen und -maßnahmen für die weiteren Sanierungsphasen voraussichtlich verlässlicher. Wenn so effizientere Arbeitsabläufe zustande kommen, kann es sich für öffentliche Akteur*innen durchaus lohnen, die Kosten zur finanziellen Unterstützung von Bürger*innen alleine zu tragen.
5.11 PRIVILEGIEN DEMOKRATISCH LEGITIMIEREN Bei der kooperativen Entwicklung von Stadträumen werden mitunter öffentliche Mittel und öffentliches Eigentum von be-
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stimmten Bürger*innenorganisationen in Anspruch genommen, zum Beispiel indem sie Fördermittel erhalten oder Gebäude kostengünstig nutzen (siehe Kapitel 5.9). Um solche Privilegien demokratisch zu legitimieren, sollten Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen die zuständigen Parlamente über die Vergabe dieser Mittel abstimmen lassen. So wurde im Falle des Gängeviertels der unter den Kooperationspartner*innen ausgehandelte Erbbaurechtsvertrag erst durch die Zustimmung der Hamburger Bürgerschaft rechtswirksam (siehe Kapitel 4.4). Dadurch kann die Akzeptanz von Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand bei weniger privilegierten Bürger*innen erhöht und Verteilungskonflikten unter Bürger*innenorganisationen entgegengewirkt werden. Das gilt insbesondere, wenn die Verwendung öffentlicher Mittel durch Governance-Netzwerke gesteuert wird, denen die begünstigten Bürger*innenorganisationen selbst angehören. Ohne Legitimation durch die gewählte Vertreter*innen in den zuständigen Parlamenten könnte der Verdacht aufkommen, dass sich die beteiligten Bürger*innenorganisationen ungerechtfertigt bereichern wollen. Des Weiteren sind meines Erachtens die Gemeinwohlorientierung der begünstigten Bürger*innenorganisationen und ihre Organisationsformen wichtige Aspekte, damit die Vergabe von öffentlichen Mitteln auch von anderen Bürger*innen gebilligt wird. So ermöglichen offene und basisdemokratische Selbstverwaltungsstrukturen wie im Gängeviertel, dass auch Außenstehende Teil dieser Bürger*innenorganisationen werden und über den Umgang mit öffentlichen Mitteln mitentscheiden können.
Beim Gängeviertel unterstützten außerdem viele Bürger*innen die Forderungen der Aktiven wie Denkmalschutz, Soziokultur und Kunstproduktion, weil diese Zwecke weitgehend als gemeinwohlorientiert anerkannt sind. Das ist auch mit Blick auf die Koproduktion Urbaner Resilienz relevant, denn Resilienz-Beiträge von Bürger*innenorganisationen dienen nicht automatisch dem Gemeinwohl, sondern sind in vielen Fällen durch partikulare Interessen motiviert (siehe Kapitel 2.3). Daher sollten sich Bürger*innenorganisationen, die öffentliche Mittel in Anspruch nehmen möchten, möglichst offen und basisdemokratisch organisieren und ihr Handeln verbindlich am Gemeinwohl ausrichten – zum Beispiel in Form von Vereinen oder Genossenschaften mit leicht zugänglichen Entscheidungsstrukturen und gesetzlich anerkannter Gemeinnützigkeit.
5.12 NETZWERKE NUTZEN UND ÖFFENTLICHKEIT EINBEZIEHEN Soziale Netzwerke, die unterschiedliche Akteur*innen einer Stadt verbinden, können für die Koproduktion Urbaner Resilienz eine wichtige Grundlage sein. Solche Netzwerke sorgen dafür, dass Kooperationspartner*innen Ressourcen wie soziales und kulturelles Kapital zur kooperativen Entwicklung von Stadträumen bündeln (siehe Kapitel 2.2) und Wissen von Bürger*innen über bestimmte Orte, Nachbarschaften,
Stadtteile etc. heranziehen können (siehe Kapitel 2.2.3). Mit Blick auf das Gängeviertel nutzten die Aktiven vor allem Wissen und Ressourcen von Kulturschaffenden und stadtpolitischen Aktivist*innen aus Hamburg, um die Gebäude zu besetzen und öffentliches Interesse herzustellen – mit dem Ergebnis, dass ein breites Spektrum an Bürger*innen die Forderungen unterstützte (siehe Kapitel 4.1). Außerdem dienten die sozialen Netzwerke der Aktiven dazu, sich die Gebäude weiter anzueignen und ihre Kontakte in die Politik auszubauen. Ohne ihre vielen Verbindungen zu Menschen mit unterschiedlichen Professionen (Kunst, Handwerk, Öffentlichkeitsarbeit etc.) und stadtgesellschaftlichen Positionen (Politik, Verwaltung, Medien etc.) wäre die Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels zwischen der Stadt Hamburg und den Aktiven kaum zustande gekommen (siehe Kapitel 4.2.2). Grundsätzlich lohnt es sich für Kooperationspartner*innen, lokale soziale Netzwerke frühzeitig zu nutzen und langfristig zu stärken, um Ressourcen und Wissen von heterogenen Akteur*innen bei der kooperativen Entwicklung von Stadträumen dauerhaft herziehen zu können. Neben eher losen Netzwerken aus einer Vielzahl von einzelnen Kontakten, sind zur Koproduktion Urbaner Resilienz auch GovernanceNetzwerke relevant. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass öffentliche, zivilgesellschaftliche und auch privatwirtschaftliche Akteur*innen zur Steuerung von Stadtentwicklungsprozessen eng zusammenarbeiten – so wie beim Gängeviertel seit dem Beginn der Kooperation (siehe Kapitel 4.2.1). Dabei können die Beteiligten nicht nur Ressourcen und Wissen bündeln, sondern
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auch tieferes Verständnis für die Beweggründe ihres Handelns entwickeln. Darin steckt ein Potenzial, von dem sie dauerhaft profitieren können: Lernen die Beteiligten in Governance-Netzwerken voneinander, wie sie trotz unterschiedlicher Ressourcen, Eigeninteressen, Organisationsformen etc. effizient kooperieren und wie sie Stadträume gemeinsam entwickeln können, schaffen sie eine wichtige Grundlage zur besseren Zusammenarbeit von öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, die über die Realisierung einzelner Kooperationen hinausreichen kann (siehe Kapitel 2.3). Um Aufgaben für ein GovernanceNetzwerk zu definieren, sind transparente Verfahren hilfreich. Zum Beispiel können Stadtbewohner*innen auf öffentlichen Veranstaltungen miterarbeiten und diskutieren, welche lokalen Maßnahmen die Resilienz eines Stadtteils steigern könnten. So können die Akteur*innen von GovernanceNetzwerken weiteres Wissen heranziehen und sie können bestehende Netzwerke erweitern, indem sie neue Kontakte knüpfen. Wie sich an der Kooperation zur Entwicklung des Gängeviertels gezeigt hat, ist es allerdings eine anspruchsvolle Aufgabe, öffentliche Veranstaltungen mit Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung zu organisieren, die anwendbares Wissen hervorbringen und Netzwerke langfristig stärken. Die von mir organisierten Realexperimente haben sich diesbezüglich als problematisch erwiesen, weil die eingeladenen Politiker*innen und Vertreter*innen der Verwaltung meine Rolle als parteiisch wahrnahmen und in dem von mir geschaffenen Rahmen nicht öffentlich auftreten wollten (siehe Kapitel 3.3). Auch der vom Bezirksamt Hamburg-Mitte
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initiierte Sanierungsbeirat hat sich im Falle des Gängeviertels als weitgehend ungeeignet erwiesen: Die eingeladenen Bürger*innen und Politiker*innen zeigten nur wenig Interesse an dem Gremium, zudem wurden die Empfehlungen des Beirats im zuständigen Fachausschuss des Bezirks nicht weiter verfolgt. Daraus schließe ich, dass geeignete Formate erst noch entwickelt werden müssen, die es erlauben, interessierte Öffentlichkeiten bei der Arbeit von Governance-Netzwerken miteinzubeziehen. Indem Kooperationspartner*innen entsprechende Workshopund Vernetzungsformate erproben, können sie einen wertvollen Beitrag dazu leisten.
5.13 ÜBERGEORDNETE ZIELE DEFINIEREN Wie das erste Realexperiment gezeigt hat, verbanden die Kooperationspartner*innen abweichende Zielvorstellungen mit der Entwicklung des Gängeviertels. Die Vertreter*innen der Stadt Hamburg orientierten sich stark an den Zielen des Integrierten Entwicklungskonzepts (IEK). Dazu zählen vor allem der Erhalt der Bausubstanz und die Schaffung von günstigen Flächen für Gewerbe, Soziokultur und Wohnraum (siehe Kapitel 4.2). Außerdem war es ihnen wichtig, dass trotz der zeitraubenden Konflikte um die Selbstverwaltung und die Sanierung der Zeit- und Kostenplan eingehalten wird. Für die Aktiven war dagegen vor allem wichtig, dass die Genossenschaft möglichst bald die Verwaltung der sanierten Gebäude übernimmt und dass historische Bauteile
möglichst komplett erhalten bleiben (siehe Kapitel 4.3.1). Diese Anforderungen waren so im IEK allerdings nicht vorgesehen und gingen deutlich über die Ziele der Stadt Hamburg hinaus, was zu Konflikten führte. Statt bei der Suche nach Lösungen grundsätzlich zu klären, was die Kooperationspartner*innen unter Selbstverwaltung und Denkmalschutz verstehen, und sich über die Bedeutung von günstigen Gewerbe- und Wohnräumen für die Stadtentwicklung auszutauschen, diskutierten sie vor allem Sachzwänge wie Förderrichtlinien und Kosten. Dadurch gelang es den Beteiligten nicht, in einen konstruktiven Austausch über ihre Zielvorstellungen zu treten und ihre damit verbundenen Wertvorstellungen und Handlungsrationalitäten zu verstehen. Das wäre aus meiner Sicht allerdings hilfreich gewesen, um Lösungen zu erarbeiten, denn gegenseitiges Verständnis hätte trotz der Sachzwänge dazu beitragen können, dass die Handlungsblockaden der Verhandelnden gelöst werden, sie aufeinander zugehen und praktikable Kompromisse ausarbeiten, die den Anforderungen beider Seiten gerecht werden (siehe Kapitel 3.2.2). Um Handlungsblockaden vorzubeugen, die durch mangelndes Verständnis zwischen den Kooperationspartner*innen für ihre Absichten entstehen, können sie sich gleich zu Beginn ihrer Zusammenarbeit auf übergeordnete Ziele verständigen, an denen sie operative Maßnahmen ausrichten. In diesem Zuge können sich die Beteiligten auch über die Bedeutung von zentralen Begriffen verständigen, die sie zur Beschreibung dieser Ziele verwenden. Wie sich gezeigt hat, legten die Kooperationspartner*innen zur Sanierung des Gängeviertels vor allem den für sie zentra-
len Begriff Nachhaltigkeit unterschiedlich aus, was zu Kontroversen bei die Bewertung bestimmter Maßnahmen führte. Um zu einem gemeinsamen Verständnis von Nachhaltigkeit in Bezug auf die Sanierungsmaßnahmen zu gelangen, einigten sich die Stadt Hamburg, die Sanierungsträgerin und die Aktiven im Rahmen der Anpassung des Kooperationsverfahrens auf mehrere Kriterien, die sie im IEK ergänzten. Dadurch wollen sie eine ganzheitliche und produktive Abwägung zwischen ihren Interessen in Bezug auf Denkmal- und Umweltschutz, Sanierungskosten und Steuergelder fördern (siehe Kapitel 4.4.1). Meines Erachtens können Kooperationspartner*innen zur Anpassungsfähigkeit von Kooperationsverfahren beitragen, indem sie gemeinsam Begriffe klären und indem sie sich übergeordnete Ziele setzen. Auf diesen Grundlagen gelingt es ihnen eher, Lösungen und Anpassungsmaßnahmen zu vereinbaren, falls dies aufgrund von Konflikten und veränderten Rahmenbedingungen notwendig werden sollte. Wenn sie mit ihrer Kooperation auch das Ziel verbinden, zur Resilienz einer Stadt beizutragen, ist es außerdem ratsam, dass sie dies gemeinsam ausformulieren und operative Maßnahmen festlegen, wie sie dieses Ziel im jeweiligen stadträumlichen Kontext erreichen möchten. Im zweiten Kapitel beschriebene Resilienz-Merkmale wie Redundanz, Diversität, Innovation und Selbstorganisation können ihnen dabei Orientierung geben (siehe Kapitel 2.2).
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5.14 REALLABORE INITIIEREN UND KOOPERATIONSMODELLE ENTWICKELN Bisher sind Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Entwicklung von Stadträumen noch eine Ausnahme. Wenn sie dennoch zustande kommen, funktionieren sie oftmals nicht gut, weil den Beteiligten die Erfahrung fehlt, wie sie gemeinsame Ziele erreichen und produktiv kooperieren können (siehe Kapitel 2.3). Die Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen bietet ihnen die Chance, darüber geeignetes Praxiswissen zu erhalten. Wie ich im dritten Kapitel dargestellt habe, eignen sich dafür insbesondere Reallabore. Bei dieser Methode untersuchen die Forschenden Kooperationsprozesse nicht nur, sondern versuchen sie zusammen mit den Beteiligten voranzutreiben und förderliche Lernprozesse zu organisieren (siehe Kapitel 3.1). Auf diese Weise gewonnenes Praxiswissen bietet über Einzelfälle wie das Gängeviertel hinaus die Möglichkeit, übertragbare Kooperationsmodelle zu entwickeln. Solche Modelle sind aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt, damit sich Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Koproduktion Urbaner Resilienz in der Stadtentwicklung etablieren. Sie erleichtern es Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in den Verwaltungen, produktiv zusammenzuarbeiten,
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indem sie Lösungen anbieten, die bei abgeschlossenen oder laufenden Kooperationen bereits zielführend angewendet wurden – zum Beispiel für finanzielle, rechtliche und organisatorische Probleme. Wichtig beim Erarbeiten von übertragbaren Modellen ist aus Sicht der Resilienz-Theorie allerdings, dass sie ausreichend flexibel angelegt sind, damit andere Akteur*innen sie an ihre Anforderungen und den jeweiligen stadträumlichen Kontext anpassen können. Wie ich anhand des Gängeviertels aufgezeigt habe, sollten solche Modelle außerdem Verfahrensweisen vorsehen, die selbst dauerhaft anpassungsfähig sind, damit die Beteiligten auf Probleme in der Zusammenarbeit und veränderte Rahmenbedingungen reagieren können (siehe Kapitel 4.3.2). Die in diesem Kapitel dargestellten Handlungsanregungen können aus meiner Sicht beim Erstellen solcher Modelle helfen, denn sie gehen auf diese Aspekte ein und zeigen bereits ein Stück weit auf, wie öffentliche und zivilgesellschaftliche Akteur*innen effizienter zusammenarbeiten können, um Urbane Resilienz zu koproduzieren. Im folgenden und abschließenden Kapitel erläutere ich, welche Chancen sich für Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung in Bezug auf eine nachhaltige Transformation in der Stadtentwicklung eröffnen, wenn sie diese Handlungsanregungen aufgreifen.
6. 6. HANDLUNGSHANDLUNGSANREGUNGEN ANREGUNGEN ALS ALS BEITRAG BEITRAG ZU ZU EINER EINER ZUKUNFTSFÄHIGEN ZUKUNFTSFÄHIGEN STADTENTWICKLUNG STADTENTWICKLUNG „Was Kommunen also brauchen, um zukunftsfähig zu sein, wäre eine andere, eine für die Entfaltung der in ihren Bürgern angelegten Potenziale und der in der Kommune vorhandenen Möglichkeiten günstigere Beziehungskultur.” (Hüther 2013: 9)
Im Folgenden beziehe ich die Handlungsanregungen des fünften Kapitels auf den argumentativen Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit: eine zukunftsfähige Stadtentwicklung. Diese setzt meines Erachtens voraus, dass die Art und Weise, wie Städte üblicherweise entwickelt werden, nachhaltig transformiert wird. Transformation steht dabei gemäß der Resilienz-Theorie für eine neue Entwicklungsrichtung, die eingeschlagen wird, weil die heutige Stadtentwicklung aus ökologischen, ökonomischen und sozialen Gründen nicht länger vertretbar ist (siehe Kapitel 2.1). Dazu muss aus meiner Sicht der aktuell dominante Wachstumszwang in der Stadtentwicklung überwunden werden, weil das rasante Wachstum vieler Städte Krisen verursacht, die ihrer Resilienz zuwiderlaufen. Dazu zählen die Zerstörung lokaler Ökosysteme, die Beschleunigung des globalen Klimawandels, Finanzkrisen und soziale Verdrängungsprozesse. Die von mir erarbeiteten Handlungsanregungen können für Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung eine Hilfe sein, um solchen Krisen durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen entgegenzuwirken und durch produktive Zusammenarbeit die Resilienz ihrer Städte zu stärken. In vielen Fällen tragen Koproduzent*innen Urbaner Resilienz dabei auch zu einer nachhaltigen Transformation bei (siehe Kapitel 2.2). Insofern sind die von mir vorgeschlagenen Anpassungen ihrer Handlungen, Verfahrensweisen und Organisationsformen an veränderte Rahmenbedingungen und Konflikte (siehe Kapitel 5) integraler Bestandteil einer nachhaltigen Transformation in der Stadtentwicklung. Mit Blick auf die sechs Ebenen zur strategischen Einbindung der Resilienz-Beiträge von Bürger*innen – Subjekte (1), Verfahren (2), Strukturen (3), Gesetze (4), Politik (5) und Diskurse (6) (siehe Kapitel 2.3.1) – wird deutlich, dass sich die meisten der von mir erarbeiteten Handlungsanregungen auf die Verfahrensebene (2) beziehen. Sie betreffen also die Gestaltung von Kooperationsverfahren und die Art und Weise, wie Kooperationspartner*innen dabei miteinander umgehen sollten (siehe Kapitel 5.1 bis 5.6, 5.8 bis 5.10, 5.12 bis 5.14). Eng verbunden ist damit die subjektive Ebene (1), also die Gefühls- und Gedankenwelt der beteiligten Personen. Das zeigt sich vor allem an der Bedeutung des gegenseitigen Vertrauens sowie der jeweiligen Eigeninteressen, Handlungsrationalitäten und Wertvorstellungen für effiziente Kooperationsverfahren (siehe Kapitel 5.1, 5.2, 5.4 bis 5.8, 5.12 bis 5.14). Ohne vertrauensvolle Nahbeziehungen zwischen Kooperationspartner*innen und
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dem Willen, dass sie trotz ihrer Unterschiede zusammenarbeiten, kann eine zielgerichtete Koproduktion Urbaner Resilienz demnach nicht gelingen. Weitere Handlungsanregungen beziehen sich auf die strukturelle Ebene (3) der kooperierenden Organisationen (siehe Kapitel 5.3 und 5.7) und die gesetzliche Ebene (4) von Förderungen (siehe Kapitel 5.9). Auf die politische Ebene (5) bezieht sich eine Handlungsanregung zur Legitimierung von Kooperationen (siehe Kapitel 5.11). Auf die diskursive Ebene (6) dagegen zielt keine meiner Handlungsanregungen. Meines Erachtens ist in Bezug auf alle sechs Ebenen weiteres praxisorientiertes Wissen notwendig, um eine zukunftsfähige Stadtentwicklung effizient vorantreiben zu können. Untersucht werden sollte vor allem, welche Kooperationmodelle eine produktive Zusammenarbeit unterstützen können und welche gesetzlichen Rahmenbedingungen und Verwaltungsstrukturen die Umsetzung solcher Modelle begünstigen. Außerdem sollte erforscht werden, wie Kooperationspartner*innen von Fall zu Fall herausfinden können, welche Maßnahmen sie im jeweiligen stadträumlichen Kontext umsetzen müssen, um die Resilienz einer Stadt zu erhöhen. Des Weiteren sollten Forscher*innen klären, wie eine Diskursverschiebung stattfinden kann, die eine Abkehr vom Wachstumsparadigma in der Stadtentwicklung für die Mehrheit der Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung erstrebenswert macht. Im Fokus dieser Arbeit liegt die Verfahrensebene, weil sie aus meiner Sicht die primäre Handlungsebene für Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung darstellt, um ihr soziales Verhältnis so zu transformieren, dass sie die Koproduktion Urbaner Resilienz als strategisches Ziel in der Stadtentwicklung etablieren und eine nachhaltige Transformation in der Stadtentwicklung vorantreiben können. Wenn die Beteiligten die Erfahrung machen, dass sie durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen zum nachhaltigen Wandel von Städten beitragen können, und wenn sie Ergebnisse erzielen, die für sie persönlich einen Erfolg darstellen, kann das Veränderungen auf den anderen Ebenen befördern (siehe Kapitel 2.3.1). Ebenso können geeignete Kooperationsverfahren zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen über ihre sozialen Nahbeziehungen hinausreichen, denn wenn Kooperationen effizienter verlaufen, kann dadurch die Anzahl und Qualität von kooperativen Maßnahmen in Stadträumen erhöht werden. Dadurch lassen
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sich die materiellen und physischen Eigenschaften der gebauten und ökologischen Umwelt von Städten nachhaltiger gestalten. Auch kann so auf globaler Ebene eine nachhaltige Entwicklung unterstützt werden, da diese maßgeblich davon abhängt, wie sich Städte in Zukunft entwickeln (siehe Kapitel 2.1). Neben Anregungen zur Koproduktion Urbaner Resilienz hat diese Arbeit auch ein fallbezogenes Ziel: Mit meiner Forschung möchte ich den Kooperationsprozess zur Entwicklung des Gängeviertels unterstützen. Aus diesem Grund habe ich mich für ein transdisziplinäres Forschungsdesign entschieden, in dessen Rahmen ich das Gängeviertel als Reallabor genutzt und zwei Realexperimente durchgeführt habe. Dabei habe ich künstlerische Praktiken angewendet, um Wissen über Handlungsrationalitäten und Wertvorstellungen der Beteiligten zu gewinnen und unter anderem aus diesem Wissen Handlungsanregungen zu generieren. Zudem habe ich vorläufige Ergebnisse meiner Forschung in den Kooperationsprozess eingebracht. Von der Stadt Hamburg und dem Gängeviertel vereinbarte Maßnahmen zur Anpassung des Kooperationsverfahrens gehen insofern zumindest teilweise auf mein Handeln als Aktiver und Forschender im Kooperationsprozess zurück (siehe Kapitel 3.2). Auch aufgrund dieser Doppelrolle konnte ich im speziellen Fall des Gängeviertels eine konkrete stadträumliche Transformation mit beeinflussen. Damit folge ich der Maxime transformativer (Stadt-)Forschung, neues Wissen für eine nachhaltige Transformation nicht nur zu gewinnen und anwendbar aufzuarbeiten, sondern in konkreten Projekten zu erproben, mit dem Ziel, auf diese Weise Transformationsprozesse voranzutreiben. Inwiefern dieses Buch dazu beitragen kann, hängt nicht zuletzt davon ab, ob Leser*innen meine Handlungsanregungen aufgreifen und in Bezug auf das Gängeviertel sowie darüber hinaus anwenden. Mit den Handlungsanregungen möchte ich allerdings nicht den Eindruck erwecken, dass eine zukunftsfähige Stadtentwicklung alleine durch Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen erreicht werden kann. Dafür müssen zahlreiche Änderungen und Neuerungen vom lokalen bis zum globalen Maßstab in verschiedenen Bereichen umgesetzt werden, die nicht im Fokus der vorliegenden Arbeit stehen. Dazu zählen zum Beispiel ein ressourcenschonenderes Konsumverhalten von Stadtbewohner*innen und technische Innovationen im Verkehrs-, Energie- und Baubereich sowie politische Reformen,
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die dazu beitragen, dass Politiker*innen verstärkt im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung entscheiden und handeln (können). Zwar steht die Koproduktion Urbaner Resilienz durch die kooperative Entwicklung von Stadträumen im Zusammenhang mit diesen notwendigen Veränderungen und kann sie teilweise auch unterstützen (siehe Kapitel 2.2). Aber Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen können weder das alleinige Steuerungsinstrument einer nachhaltigen Transformation sein, noch sind sie ein Allheilmittel für die Herausforderungen einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung wie etwa die Bewältigung der Folgen des Klimawandels, von Finanzkrisen und des demografischen Wandels. Neben Bürger*innenorganiationen ist die Rolle von privatwirtschaftlichen Unternehmen für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zentral. Auch wenn öffentliche Akteur*innen aus meiner Sicht unabhängiger von renditeorientierten Unternehmen und dem Kapital von Investor*innen werden müssen, um den Wachstumszwang in der Stadtentwicklung überwinden zu können, ist eine nachhaltige Transformation ohne die Zusammenarbeit mit privatwirtschaftlichen Akteur*innen kaum zu erreichen. Sie investieren hohe Summen in Städte, um finanzielle Gewinne zu erzielen, und prägen so deren Entwicklung maßgeblich mit. Außerdem können lokal ansässige Unternehmen wichtige Steuerzahler*innen sein und viele Arbeitsplätze stellen, weshalb sie in der Regel großen Einfluss auf das Handeln von Politiker*innen haben. Hinzu kommt, dass Produkte, die Bürger*innen ohne unternehmerische Gewinnabsicht herstellen, wahrscheinlich in keiner größeren Stadt alle Bewohner*innen ausreichend versorgen könnten. Versorgungssicherheit mit nachhaltig produzierten Gütern und Dienstleistungen ist aber für resiliente Städte und für eine nachhaltige Transformation unabdingbar, ebenso wie technische Innovationen, die in vielen Fällen von Unternehmen vorangetrieben werden. Privatwirtschaftliche Unternehmer*innen leisten aber auch deshalb wichtige Beiträge für nachhaltige Wandlungsprozesse, weil gerade in Städten mit hoher Wirtschaftsleistung und entsprechenden Steuereinnahmen die öffentliche Hand über Geld verfügt, um nach Wegen zu suchen, wie sie eine zukunftsfähige Stadtentwicklung umsetzen kann – etwa durch die Finanzierung von neuen Lösungsansätzen und Steuerungsinstrumenten. Kooperationen zwischen öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zur Entwicklung von Stadträumen sind dabei
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ein wichtiges Handlungsfeld, wie ich in diesem Buch aufgezeigt habe. Zwar erscheint es vielen Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung noch als risikoreich, sich darauf einzulassen, unter anderem weil Erfahrungen fehlen und Kooperationen viel Zeit und Geld kosten können. Doch mancherorts zeichnet sich bereits ein Wandel ab. Aktive Bürger*innen sind zunehmend bereit, sich bei der Entwicklung von Städten einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Gleichzeitig bieten öffentliche Akteur*innen eine wachsende Zahl von Beteiligungsangeboten. Zwar führt das nicht unbedingt zu produktiven Kooperation und einer Koproduktion Urbaner Resilienz, aber meines Erachtens steigt in diesem Zuge dennoch die Bereitschaft auf beiden Seiten, miteinander zu kooperieren. Angesichts ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Krisen vollzieht sich diese Annäherung jedoch noch zu langsam und zu unkoordiniert. Damit sie schneller und zielgerichteter verläuft, müssen sich Bürger*innen, Politiker*innen und Entscheidungsträger*innen in der Verwaltung als Kooperationspartner*innen für eine zukunftsfähige Stadtentwicklung begreifen und entsprechend handeln. Dazu möchte ich mit diesem Buch anregen.
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