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German Pages [263] Year 2016
Analysen und Dokumente Band 46 Wissenschaftliche Reihe des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU)
Vandenhoeck & Ruprecht
Christian Domnitz
Kooperation und Kontrolle Die Arbeit der Stasi-Operativgruppen im sozialistischen Ausland Unter Mitarbeit von Monika Tantzscher
Vandenhoeck & Ruprecht
Umschlagabbildung: Flughafen Sofia, Oktober 1969, mit einem offenkundig gestellten Foto demonstriert das MfS die Möglichkeit, unbeobachtet auf das Rollfeld zu gelangen Archiv BStU, MfS, HA VI Nr. 4780, S. 11.
Mit 7 Tabellen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2197-1064 ISBN 978-3-666-35123-5 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de © 2016, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
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Zum Geleit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Fluchten über das sozialistische Ausland . . . . . . . . . . . . . . . 14 Genese und Bedeutung des Begriffs der »Operativgruppen« . . . . . 19 Fragestellung, Methode und Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . 22 1. Die Operativgruppen im sozialistischen Ausland . . . . . . . . . . 27 1.1 Entsendende Diensteinheiten und anleitende Referate . . . . 27 1.1.1 Hauptabteilung II – Spionageabwehr . . . . . . . . . . 29 1.1.2 Hauptabteilung XX – Bekämpfung von Opposition . . 33 1.1.3 Hauptabteilung VI – Reise- und Touristenverkehr . . . 34 1.1.4 Zentrale Koordinierungsgruppe – Bekämpfung von Flucht und Übersiedlung . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1.1.5 Hauptabteilung I – Überwachung des Militärs . . . . . 40 1.1.6 Hauptabteilung XVIII – Wirtschaft . . . . . . . . . . . 41 1.1.7 Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe . . . . 41 1.1.8 Hauptabteilung IX – Untersuchung . . . . . . . . . . . 42 1.1.9 Hauptverwaltung A – Auslandsaufklärung . . . . . . . 43 1.2 Hauptamtliche Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.3 Informationsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1.4 Infrastruktur und Zusammenarbeit mit den Geheimpolizeien der Gastgeberländer . . . . . . . . . . . . . 58 2. Die Operativgruppe in der Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . 61 2.1 Überwachung von DDR-Bürgern in der Sowjetunion . . . . 65 2.1.1 Linie II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2.1.2 Überwachung von Studenten aus der DDR . . . . . . . 68
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2.1.3 Überwachung der DDR-Botschaft . . . . . . . . . . . 71 2.1.4 Hauptverwaltung A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.1.5 Linie XVIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 2.1.6 Linie I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2.2 Zusammenarbeit mit dem KGB . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Die Operativgruppe in Bulgarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3.1 Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.1.1 Flüchtlingszahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3.2 Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3.3 Zusammenarbeit mit dem bulgarischen Innenministerium . . 106 3.3.1 Aufgabenteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.3.2 Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 3.3.3 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3.3.4 Gemeinsame operative Vorgänge . . . . . . . . . . . . 111 3.3.5 Charakter der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . 113 4. Die Operativgruppe in Ungarn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.1 Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.1.1 Flüchtlingszahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4.1.2 Überwachung von Ost-West-Kontakten . . . . . . . . . 125 4.2 Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 4.3 Zusammenarbeit mit dem ungarischen Innenministerium . . 131 4.3.1 Verträge und Aufgabenteilung . . . . . . . . . . . . . . 131 4.3.2 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4.3.3 Gemeinsame operative Vorgänge . . . . . . . . . . . . 135 4.3.4 Informationsaustausch und Charakter der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Die Operativgruppe in der ČSSR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 5.1 Entstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5.2 Bekämpfung von Flüchtenden, Flüchtlingszahlen . . . . . . 146
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5.3 Niederschlagung des »Prager Frühlings« . . . . . . . . . . . . 151 5.4 Die Zeit der »Normalisierung« . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 5.5 Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 5.6 Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen Föderalen Innenministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 5.6.1 Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 5.6.2 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5.6.3 Gemeinsame operative Vorgänge . . . . . . . . . . . . 175 5.6.4 Charakter der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . 178 6. Die Operativgruppe in Polen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.1 Vorgeschichte und Entwicklung der »Operativgruppe Warschau« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 6.2 Personal und Infrastruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 6.3 Schwerpunktaufgaben und Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . 193 6.3.1 Spionage gegen PVAP, polnischen Staat und Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 6.3.2 Überwachung der DDR-Auslandsvertretungen . . . . . 198 6.3.3 Linie XVIII . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 6.3.4 Linie XX . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 6.3.5 Linie I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 6.3.6 Linie VI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 6.4 Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 6.5 Zusammenarbeit mit dem polnischen Innenministerium . . . 205 6.5.1 Verträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 6.5.2 Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6.5.3 Gemeinsame operative Vorgänge . . . . . . . . . . . . 212 6.5.4 Charakter der Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . 215 7. Die Operativgruppen in der finalen Krise der staatssozialistischen Herrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7.1 Reformen in der Sowjetunion . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
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7.2 Urlaubsreisen und »Abstimmung mit den Füßen« . . . . . . 222 7.3 Umorientierung auf Spionageabwehr . . . . . . . . . . . . . 231 8. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Tabellenübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Angaben zu den Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
Zum Geleit Unter dem Titel »Kooperation und Kontrolle« zeigt Christian Domnitz mit dieser Arbeit, in welchem Umfang das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) auch im »befreundeten« Ausland die eigenen Bürger im Auge behielt – oft mit Unterstützung der »Bruderorgane«, bisweilen aber auch gegen sie arbeitend. Der Autor rekonstruiert Aspekte der »geheimpolizeilichen Außenpolitik« des MfS. Dabei beschränkt sich Christian Domnitz nicht darauf, die innere Handlungslogik geheimpolizeilicher Bürokratien nachzuzeichnen. Er blickt auch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse des späten Staatssozialismus in Ostmittelund Südosteuropa. Immer mehr DDR-Bürger waren in der Lage, Reisen außerhalb der Landesgrenzen zu unternehmen. Die Menschen wandten sich dem Teil Europas zu, der ihnen zugänglich war. Sie knüpften Kontakte in diese Länder oder trafen sich dort mit westdeutschen Verwandten und Freunden. Domnitz stellt fest, dass das MfS mit seinen Operativgruppen und anderen Formen der geheimpolizeilichen Kooperation letztlich vergeblich versuchte, mit den weitreichenden gesellschaftlichen Verflechtungen Schritt zu halten. Eine solche europäische Perspektive ist der für Christian Domnitz kennzeichnende Blick auf die Geschichte des Staatssozialismus. Die Beschäftigung mit den Gesellschaften Ostmitteleuropas führte ihn zu längeren Forschungsaufenthalten nach Prag und Warschau, er promovierte an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Der Titel seiner Dissertation, die 2015 erschien, lautet »Hinwendung nach Europa«. Domnitz analysiert darin, wie in Polen, der DDR und der Tschechoslowakei in den 1970er- und 1980er-Jahren über Europa diskutiert und nachgedacht wurde. Dabei kann er zeigen, dass in diesen drei Ländern europäisches Bewusstsein als Selbstverständlichkeit galt, wenngleich Parteidiktion und Untergrundliteratur in jedem Land die Europa-Idee mit unterschiedlichen Inhalten füllten. Das vorliegende Buch verfasste Christian Domnitz während seiner gut drei Jahre währenden Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Bildung und Forschung des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen. Dabei griff er auf Vorarbeiten Monika Tantzschers zurück. Nach Abschluss der vorliegenden Arbeit im Herbst 2015 begann er ein Forschungsprojekt am Deutschen Historischen Institut in Warschau. Dort ist er am 11. November 2015 überraschend verstorben. Dadurch konnte er die Drucklegung seines Werkes nicht mehr erleben.
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Zum Geleit
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung beim BStU werden Christian Domnitz als einen fachlich und menschlich bereichernden Kollegen in guter Erinnerung behalten. Dank gebührt Georg Herbstritt, der mit großem Einsatz und Einfühlungsvermögen das Manuskript für den Druck vorbereitete. Helge Heidemeyer Abteilungsleiter Bildung und Forschung beim BStU
Einleitung Der Aufbau der staatssozialistischen Diktaturen im östlichen Europa nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ging mit der Errichtung geheimpolizeilicher Überwachungs- und Repressionsstrukturen einher. Diese sollten gesellschaftlichen Widerstand gegen die oktroyierte Gesellschaftsordnung überwinden beziehungsweise ihn gar nicht erst entstehen lassen. Die Geheimpolizeien der verschiedenen Staaten kooperierten dazu miteinander – besonders, wenn ihre Aufgaben grenzübergreifende Dimensionen erhielten. Solche stellten sich mit der in den 1950er-Jahren beginnenden Verflechtung staatssozialistischer Herrschaft in bi- und multilateralen Organisationen, wie dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und dem Warschauer Pakt, ein. Hierfür delegierten die Staatsführungen administrative Eliten dauerhaft in befreundete Länder. Auch die wachsenden grenzübergreifenden gesellschaftlichen Verflechtungen in Europa ab den 1970er-Jahren berührten die staatssozialistischen Diktaturen. Im Vorfeld der Globalisierungswelle zum Ende des 20. Jahrhunderts bewirkten die Entspannungspolitik zwischen Ost und West, der Aufbau wohlfahrtsstaatlicher Systeme, das Aufkommen des Massentourismus sowie die Einführung konsumsozialistischer Gesellschaftskonzeptionen im Osten ein Zunehmen grenzübergreifenden Reisens und kosmopolitischer Lebensstile.1 Mit der Verflechtung der Staaten und Gesellschaften erweiterten die Geheimpolizeien im Ostblock ihre Zusammenarbeit. Das Dogma der Überwachung aller Gesellschaftsbereiche führte dazu, dass die Geheimpolizeien ihre Tätigkeit in das Ausland ausweiteten – vor allem in der Spionageabwehr und in der Überwachung des Tourismus. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unterhielt deshalb in den damaligen Ostblockländern – mit Ausnahme von Rumänien – und in einigen Entwicklungsländern eigene Diensteinheiten. Diese sogenannten Operativgruppen (OG) überwachten DDR-Bürger, die sich in dem betreffenden Land aufhielten – in erster Linie, um Fluchten über diese Drittstaaten zu vermeiden und um unkontrollierte Verbindungen zu westlichen Ausländern zu verhindern. Das MfS stationierte die Gruppen zunächst entsprechend einer zwischen den Geheimpolizeien des Ostblocks üblichen, informellen Praxis in den Gastgeberländern. Später schrieb es deren Tätigkeit in zwischenstaatlichen Vereinbarungen fest, die es mit den dortigen Innenministerien schloss. Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Entstehungsgeschichte, den Aufgabenbereichen und der Funktionsweise der Operativgruppen in anderen europäischen Ländern des Ostblocks. Eine Operativgruppe der Hauptab1 Siehe Kaelble: Europäer über Europa, bes. S. 239–241.
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teilung II (Spionageabwehr) in Moskau2 nahm ab 1959 vor allem Angestellte und Studierende aus der DDR in der Sowjetunion ins Visier. Da die Beziehungen zur Sowjetunion für die DDR einen hohen Stellenwert besaßen, war das MfS dazu angehalten, das Verhalten von DDR-Bürgern im »Bruderland« in Kooperation mit dem KGB (Komitet gosudarstvennoj bezopasnosti/Komitee für Staatssicherheit) zu überwachen. Nach dem Tod Stalins, der eine separate, nationalkommunistische Herrschaftsausübung in den sowjetischen Satellitenstaaten durchgesetzt hatte, forcierte die KPdSU unter Chruščev den Aufbau multilateraler Strukturen. Hierbei wuchsen auch die Verflechtungen zwischen der DDR und der Sowjetunion. Sie machten in den Augen des MfS eine grenzübergreifende Überwachung notwendig. Dieses betrachtete die beruflich oder zu Ausbildungszwecken in die Sowjetunion entsandten Ostdeutschen als Repräsentanten eines antifaschistischen deutschen Staates, die besonderen Verhaltensnormen zu folgen hatten. In den folgenden Jahrzehnten baute die Moskauer Operativgruppe Außenstellen in anderen sowjetischen Städten auf. Nachdem die Praxis etabliert war, dauerhaft mit der Erfüllung eng umgrenzter Aufgaben befasste Gruppen operativer Mitarbeiter in das befreundete Ausland zu senden, machten auch andere Diensteinheiten hiervon Gebrauch. In den Jahren nach dem Mauerbau entsandten die für die Überwachung von Reisenden zuständigen Diensteinheiten Operativgruppen in die für DDR-Touristen geöffneten Urlaubsländer Bulgarien, Ungarn und Tschechoslowakei. Deren Westgrenzen galten unter den Bewohnern der DDR als weniger intensiv bewacht als die innerdeutsche Grenze, weshalb viele DDR-Bürger, die der staatssozialistischen Diktatur entkommen wollten, den Weg über diese Drittländer wählten. Die dort stationierten Operativgruppen versuchten, Fluchten zu verhindern, indem sie potenzielle Flüchtlinge auf Hinweis der MfS-Zentrale gezielt observierten, von weiteren Fluchtplänen zu erfahren suchten und westliche Fluchthelfer in Zusammenarbeit mit den kooperierenden Geheimpolizeien vor Ort bekämpften. Im Jahr 1980 entsandte die Hauptabteilung II (Spionageabwehr) eine Operativgruppe nach Polen, deren Aufgabenstellung sich von denen der MfS-Gruppen in den anderen Ostblockländern deutlich unterschied: Sie sollte das MfS vor allem über die Lage in der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, im Staatsapparat und in der Opposition informieren. Mit dem wachsenden Einfluss der reformerischen Kräfte auf die politische und gesellschaftliche Entwicklung hatte sich Polen 1980/81 in den Augen des MfS vom zuverlässigen Partner in der »sozialistischen Staatengemeinschaft« zu einem Unsicherheitsfaktor entwickelt, der 2 Ortsnamen werden hier wie im deutschen Sprachgebrauch üblich bezeichnet, d. h. für im deutschen Sprachraum allgemein bekannte Orte (wie Hauptstädte und häufig bereiste Urlaubsorte) wird deren deutsche Bezeichnung verwendet. Gegebenenfalls folgt in Klammern die ortsübliche Variante.
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nicht nur eine Gefahr für die Geschlossenheit des Bündnisses und somit für das empfindliche Kräftegleichgewicht in Europa darstellte, sondern durch seine Beispielwirkung die innere Stabilität der anderen Ostblockstaaten bedrohte. In der Konsequenz spionierte die Operativgruppe in Polen die dortige innenpolitische Situation im Kontakt mit dem polnischen Sicherheitsdienst aus. Sie bearbeitete zudem Abwehraufgaben, da der ostdeutsche Parteistaat westliche Akteure in Polen der Einmischung verdächtigte. Die Überwachung von DDR-Bürgern im östlichen Nachbarland war nachrangig. Nicht zuletzt vermittelten alle Operativgruppen gemeinsame geheimdienstliche Aktivitäten und gegenseitige Unterstützungsmaßnahmen mit den ansässigen Sicherheitsdiensten. Dabei wurden sie auch selbst geheimpolizeilich aktiv, beispielsweise bei gemeinsam mit dem Sicherheitsdienst des Gastlands betriebenen Observationen. An der Arbeit der Operativgruppen waren – je nach ihrer Funktion – mehrere MfS-Diensteinheiten beteiligt. In den von der Abwehr angeleiteten Gruppen in der Sowjetunion und in Polen arbeiteten ebenso Spezialisten bzw. Sonderoffiziere aus den Hauptabteilungen XVIII (Wirtschaftsüberwachung) und I (Überwachung des Militärs). Die Gruppen in den Tourismusdestinationen wurden in den 1960er-Jahren von der Hauptabteilung XX (Bekämpfung von Opposition) und ab den 1970er-Jahren von der Hauptabteilung VI geleitet. Letztere war besonders für Zwecke der Überwachung von Tourismus und Reisenden sowie zur Passkontrolle und Einreisefahndung geschaffen worden.3 Häufig waren die MfS-Mitarbeiter hier nur in der Reisezeit zwischen März und Oktober eingesetzt. Ab 1986 entsandte auch die Hauptabteilung II Offiziere in die Operativgruppen in diesen Ländern. In Zusammenarbeit mit den ebenso vom MfS zum Zwecke der Bewachung und des Geheimschutzes entsandten Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten (HSB) in den DDR-Botschaften überwachten sie die Kontakte der Botschaftsmitarbeiter, ihr Freizeitverhalten und die Beachtung von Geheimhaltungsvorschriften. Die Operativgruppen erhielten sogenannte Kontrollersuchen4 der MfS-Zentrale zu Reisenden, die das MfS bereits in einer »Operativen Personenkontrolle« (OPK) oder in einem »Operativen Vorgang« (OV)5 bearbeitete. An den arbeitsintensiven Kontrollen waren gewöhnlich auch die Partnerdienste beteiligt. Um den Ersuchen nachzukommen, konnten die Gruppen die Reisedatenspei3 Zu den Tätigkeitsbereichen der hier genannten Diensteinheiten siehe die betreffenden, weiter unten im Text und im Literaturverzeichnis aufgeführten Bände des vom BStU herausgegebenen MfS-Handbuchs. 4 Hauptabteilung VI, Bereich Auslandstourismus: Hinweise für die Beratung der Dienst einheiten zur Einleitung von Kontrollersuchen im sozialistischen Ausland, Berlin, Juni 1983; BStU, MfS, HA I, Nr. 10097, Bl. 4–12. 5 Zu diesen und anderen MfS-spezifischen Begriffen siehe MfS-Lexikon«, hier S. 253, 255 f.
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cher der Partnerdienste nach Ein- und Ausreisezeitpunkten abfragen oder bei diesen Fahndungen einleiten. Gegebenenfalls wandten sie sich zusätzlich an die Grenz- bzw. Zollorgane des Partnerlandes, die sie mit Einverständnis der Partnerdienste zur zusätzlichen Informationsgewinnung heranzogen. Zahlreiche DDR-Bürger nutzten ihren Urlaub im sozialistischen Ausland, um sich dort mit Verwandten und Bekannten aus der Bundesrepublik zu treffen. Wenn die Operativgruppen solche Ost-West-Kontakte feststellten, recherchierten sie in vielen Fällen die Personalien und gaben diese an die MfS-Zentrale weiter. Um ihnen verdächtig vorkommende Bürger zu durchleuchten, konnten sie auch die Datenspeicher des MfS abfragen: die MfS-Abteilung XII (Zentrale Auskunft/Speicher), die Speicher der Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG), die Reisedatenspeicher der Hauptabteilung VI, die Speicher der Abteilung Zollabwehr der HA VI und die Speicher der Abteilung M (Postkontrolle).6
Fluchten über das sozialistische Ausland Auslandsreisen gewannen im Laufe des Bestehens der DDR rasant an Bedeutung. Noch im Jahr 1969 verzeichneten die DDR-Statistiken für lediglich 2,4 Prozent aller DDR-Haushalte einen Urlaub im sozialistischen Ausland. Den Impuls für intensivere Reisen von DDR-Bürgern ins sozialistische Ausland gab die Einführung des visafreien Reiseverkehrs nach Polen und in die ČSSR im Jahr 1972 – die Hälfte aller DDR-Auslandsreisen ging dorthin.7 Zum Ende der DDR betrug der Anteil der DDR-Bürger, die jährlich in den Auslandsurlaub starteten, etwa ein Drittel: Insgesamt verreisten zwei Drittel der DDR-Bürger im Jahr 1989 in ihrem Urlaub, wobei die Hälfte von ihnen ins sozialistische Ausland aufbrach.8 Auch das MfS hielt Urlauberzahlen fest, um eine Basisgröße für seine Überwachungstätigkeit zu fixieren. Diese Zahlen belegen den sprunghaften Anstieg der Urlaubsreisen zum Beginn der 1970er-Jahre auch für Bulgarien und Ungarn. Während von 1968 bis 1970 jährlich nur etwa 44 000 DDR-Urlauber nach Bulgarien reisten,9 waren es allein von Januar bis Oktober 1971 fast dreimal so viele – etwa 113 000. Nach Ungarn reisten in diesem Jahr rund 173 000 DDR-Tou-
6 Zur Aufgabenstellung der hier genannten Diensteinheiten siehe die betreffenden Bände des vom BStU herausgegebenen MfS-Handbuchs. 7 Irmscher: Alltägliche Fremde, S. 51–67, hier 53–55. 8 Großmann: »Boten der Völkerfreundschaft«?, S. 77–82, hier 77. 9 HA XX, Bericht über die Tätigkeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahr 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 9.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 16–36, hier 20.
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risten.10 Das MfS ordnete die Überwachung von Touristen im Inland und in sozialistischen Ländern der Hauptabteilung VI zu. Die HA VI übernahm von der thematisch bislang zuständigen HA XX die Operativgruppen in den Urlaubsländern und baute diese aus. Nach der Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki durch die Teilnehmer der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) im August 1975 hatte sich auch die DDR zur Wahrung der Menschenrechte, darunter des Rechts auf Freizügigkeit, verpflichtet, auf das sich nun eine wachsende Anzahl ihrer Bürger berief. Die staatssozialistische Realität blieb allerdings weit hinter den Hoffnungen von Helsinki zurück – nach wie vor blieb die Grenze zwischen Ost- und Westeuropa für gewöhnliche DDR-Bürger verschlossen. Viele versuchten deshalb, die scharf bewachte innerdeutsche Grenze oder die ebenso befestigten Westgrenzen anderer sozialistischer Länder ohne offizielle Genehmigung zu überwinden. Eine Basisgröße zur innerdeutschen Ost-West-Migration liefern die Wanderungs- und Notaufnahmestatistiken, welche in die statistischen Jahrbücher der Bundesrepublik eingingen. Allerdings lassen sie offen, wie viele der Aufgenommenen die Bundesrepublik über Drittländer erreichten.11 Differenzierte Zahlen stammen aus der Überlieferung des Bundesausgleichsamts, die heute beim Bundesverwaltungsamt liegt. Da sie zwischen Übersiedlern (mit Genehmigung der DDR-Behörden), Flüchtlingen (ohne Genehmigung) und »Sperrbrechern« unterscheiden, können sie als Grundlage dafür dienen, den Stellenwert von Fluchten aus der DDR über Drittländer abzuschätzen. Der Begriff der Sperrbrecher beschreibt Flüchtlinge, welche »die Grenzanlagen des kommunistischen Machtbereichs auf die eine oder andere Weise illegal überwanden«.12 Dies umfasste auch die befestigten Westgrenzen anderer Ostblockstaaten.13 Die Gruppe der Sperrbrecher ist somit von anderen Flüchtlingen abgrenzbar, die z. B. von genehmigten Kurzreisen nicht zurückkehrten. Die Zahlen wurden bereits 1991 veröf10 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien und in der Ungarischen Volksrepublik im Zeitraum von Mitte Mai bis Oktober 1971, Berlin, 26.11.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17027, Bl. 49–121, hier 54. Die Zahlen des MfS liegen deutlich höher als die Zahl der Urlauber, die – ausweislich der Statistischen Jahrbücher der DDR – im »organisierten Tourismus« (vermittelt über das DDR-Reisebüro) reisten. Zu den Differenzen zwischen der Zahl der Urlauber im »organisier ten Tourismus« und der Gesamtzahl der in und durch diese Länder reisenden DDR-Bürger vgl. die Zahlen in den Statistischen Jahrbüchern der DDR für 1972, S. 417, für 1975, S. 371, für 1979, S. 328. Von den 113 000 Bulgarien-Touristen waren 20 000 Individualreisende, unter den 173 000 Ungarn-Reisenden befanden sich hingegen 142 000 Individualreisende. 11 Sie sind zusammengefasst in: Effner; Heidemeyer: Die Flucht in Zahlen, S. 27–31. 12 Auerbach u. a.: Hauptabteilung XX, S. 111, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301343. 13 Auskunft von Heinz-Jürgen Schmitt, ehem. Leiter des Notaufnahmelagers in Gießen, 20.6.2014.
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fentlicht.14 Auch wurden sie zentralen MfS-Statistiken gegenübergestellt. Hierbei traten Differenzen zutage – beispielsweise bei den Flüchtlingszahlen, die in der bundesdeutschen Überlieferung höher ausfallen.15 Allerdings sind auch die MfS-Statistiken in sich höchst inkonsistent.16 Die erste Untersuchung zum Stellenwert von Fluchten über das sozialistische Ausland arbeitet mit Zahlenmaterial der ZKG und der Hauptabteilung IX (Untersuchung). Sie stellt heraus, dass die Zahl verhinderter Fluchten über Drittländer deutlich höher war als die der Rückführungen aus Drittländern. Die Differenz entstand dadurch, dass das MfS viele Fluchtpläne vorab ermittelte und die Beschuldigten bereits in der DDR bzw. an den Grenzübergängen zu anderen sozialistischen Ländern festnahm.17 Insbesondere die Statistiken der Operativgruppen erlauben es, Aussagen über den Stellenwert von Fluchten über Drittländer sowie auch über deren Erfolgschancen zu treffen. Das Spezifische dieser Zahlen besteht darin, dass sie in einer Mikro-Perspektive vor Ort entstanden. Es bestehen auch hier die für die statistischen MfS-Überlieferungen nicht ungewöhnlichen Inkonsistenzen: Die aggregierten Zahlen der ZKG und gelegentlich sogar auch die der Hauptabteilung VI befinden sich nicht immer im Einklang mit der Überlieferung, welche die Berichte der Operativgruppen geben. Während die Statistiken in den Unterkapiteln zu den einzelnen Operativgruppen präsentiert und gedeutet werden, wird im Folgenden übergreifend beschrieben, wie die befassten MfS-Diensteinheiten nach dem Mauerbau den Fluchten über Drittländer allmählich mehr Aufmerksamkeit widmeten. Bereits im Jahr 1964 wertete das MfS Reisebewegungen und Fluchtversuche über Drittländer systematisch aus. Es listete erfolgreiche und verhinderte Fluchten nach einzelnen Ländern auf – hierbei verzeichnete es die höchsten Zahlen für diejenigen Länder, in denen es recht bald Operativgruppen einsetzte – in Bulgarien, der ČSSR und Ungarn. Allerdings zählte es 1963 für sämtliche Drittstaaten insgesamt nur 69 geglückte und 156 verhinderte Fluchten.18 Im Jahr 1968 konstatierte Paul Kienberg, der Leiter der HA XX, dass Flucht14 Wendt: Die deutsch-deutschen Wanderungen, S. 386–395, hier 390. 15 Eisenfeld: Flucht und Ausreise, Macht und Ohnmacht, S. 381–419, hier 397–399. Die hier verwendeten Zahlen aus der MfS-Überlieferung basieren zum größten Teil auf einer Ausarbeitung der ZAIG für das Politbüro. 16 Dies zeigt ein Vergleich von ebenda mit Statistiken der ZKG. Vgl. Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe, S. 49, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301655. 17 Tantzscher: Die verlängerte Mauer, S. 76 f., http://www.nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0292-97839421304559 (Statistik der Rückführungen nicht in der elektronischen Ausgabe enthalten). 18 Wahrscheinlich HA XX/5: Statistik und Analyse über den Reiseverkehr in das sozia listische Ausland und die Ausnutzung desselben zur Republikflucht, Zeitraum 1.1.1963– 30.6.1964; BStU, MfS, HA VI, Nr. 16930, Bl. 1–112, hier 23, 53.
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hilfeorganisationen DDR-Flüchtlinge verstärkt über Drittstaaten in den Westen brächten.19 Eine Akte, welche in der Gründungszeit der Hauptabteilung VI entstand, stellte auf der Basis von Meldungen aus dem DDR-Innenministerium Fluchtzahlen zusammen. Ihr Aufbau lässt vermuten, dass die Verfasser der Flucht über Drittländer geringe Bedeutung zumaßen. Die für Bulgarien für 1969 hier angegebenen Fluchtzahlen blieben zurück hinter den Meldungen der Operativgruppe, welche zu dieser Zeit noch von der HA XX angeleitet wurde.20 Allerdings empfahlen die Autoren bereits zu diesem Zeitpunkt, mit den Partnerdiensten Gespräche darüber zu führen, welche konkreten Fluchtwege DDR-Bürger in Drittländern benutzten.21 Etwa zeitgleich erarbeitete die HA XX/5 eine Analyse, die auch die Flüchtlingszahlen über Drittstaaten aus erster Hand zusammenfasste. Im ersten Halbjahr 1970 war hierbei Ungarn der Schwerpunkt: Über die ungarische Westgrenze flüchteten 69 Menschen, während es in Bulgarien 46 und in der ČSSR 18 waren. Die Gesamtzahl erfolgreicher Fluchten über Drittländer lag bei 176.22 Dass im zweiten Halbjahr 1970 47 Prozent aller erfolgreichen Fluchten aus der DDR über sozialistische Drittländer verliefen, wie von einem MfS-Schulungsoffizier in einem »Zentralen Führungsseminar« behauptet, kann vor diesem Hintergrund als strategisch übertrieben betrachtet werden. Womöglich ging es ihm hierbei darum, das Problembewusstsein für Fluchten über Drittländer zu erhöhen.23 Zu Beginn der Reisezeit des Jahres 1971 wurde das Personal der Operativgruppen der Hauptabteilung XX des MfS in Bulgarien und in Ungarn durch Kräfte aus der für Passkontrolle und Tourismusüberwachung zuständigen Hauptabteilung VI des MfS abgelöst. Im Folgejahr leitete die HA VI auch die Operativgruppe in der ČSSR an.24 Für die Jahre 1972 und 1973 können in einer Stichprobe von den Operativgruppen gemeldete Flüchtlingszahlen für Bulgarien, Ungarn und die ČSSR gegenübergestellt werden. Für andere Zeitpunkte hingegen erwies sich dieses Vorhaben als problematisch. Aufgrund von Überlieferungslücken können für andere
19 Vortrag: Die Völkerrechtswidrigkeit des vom Gegner unter Missbrauch des Reise- und Transitverkehrs in das sozialistische Ausland organisierten Menschenhandels, ausgearbeitet für Oberst Kienberg, wahrscheinlich erste Jahreshälfte 1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 17548, Bl. 1–146, hier 27. 20 Siehe Anm. 327, 328 u. 342. 21 Siehe die Dokumente und Statistiken in: BStU, HA VI, Nr. 17112, bes. Bl. 26, 30, 64 f., 98. 22 HA XX/5/V: Analyse des organisierten Menschenhandels und der ungesetzlichen Grenzübertritte über das sozialistische Ausland und die Staatsgrenze Süd und Ost im I. Halbjahr 1970, Berlin, 7.8.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9869, Bl. 2–61, hier 58. 23 Zentrales Führungsseminar vom 1.3.1971, Bd. 5; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5670, Bl. 334. 24 Siehe S. 34.
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Jahre keine Zahlen verglichen werden, die auf exakt gleicher Basis erhoben wurden. Tabelle 1: Stichprobe zu Flüchtlingszahlen über Bulgarien, Ungarn und die ČSSR 1972 und 197325 Land, Jahr
erfolgreiche Fluchten
gescheiterte Fluchten
ohne Fluchthilfe
ohne Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
Bulgarien, 1972
85
141
Ungarn, 1972
65
274
ČSSR, 1972
48
gesamt
Bulgarien, 1973
gesamt
841
198
39
Ungarn, 1973 ČSSR, 1973
(wahrscheinlich 0)
1 261
6 38
63
18 164
5
79
20
132
16
681
14 942
Für 1972 – es handelte sich um einen Höhepunkt der Fluchten über Drittländer – meldeten die Operativgruppen in den drei von Flüchtlingen meistfrequentierten Ländern 198 erfolgreiche Fluchten. Im Folgejahr waren es 164. Mit den Flüchtlingszahlen des Bundesausgleichsamts in ein Verhältnis gesetzt bedeutet dies, dass nur 3,5 bzw. 2,5 Prozent aller Übersiedler »ohne Genehmigung« über diese drei Drittländer geflohen waren. Höher ist ihr Anteil im Verhältnis zur Zahl der »Sperrbrecher« in diesen Jahren – 16 bzw. 9 Prozent. Diese Relation ist jedoch nicht ganz passend, da viele Flüchtlinge über Drittländer Fluchthilfe in Anspruch nahmen, z. B. in Form von Autoverstecken oder falschen Pässen. Diese fallen nicht mehr in die Kategorie der »Sperrbrecher«.26 Als Beispiel für Inkonsistenzen in den MfS-Statistiken sei erwähnt, dass die Zahl der erfolgreichen Fluchten, welche die Operativgruppen im Jahr 1972 allein aus Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei meldeten (198), die Zahl erfolgreicher
25 Zur Datengrundlage siehe die entsprechenden Angaben zu den Tabellen 5–7. 26 Vgl. S. 14. Das Bundesausgleichsamt zählte 5 537 (1972) und 6 522 (1973) Übersiedler »ohne Genehmigung«, davon kategorisierte es 1 245 (1972) und 1 842 (1973) als »Sperrbrecher«. Siehe Wendt: Die deutsch-deutschen Wanderungen.
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Fluchten über sämtliche Drittländer übersteigt, mit der die MfS-Zentrale arbeitete (147).27 Auch im Jahr 1978 war die unmittelbar benachbarte ČSSR das Drittland mit den meisten Fluchtversuchen von DDR-Bürgern: Laut einer Statistik der MfS-Untersuchungsabteilung erfolgte hier über die Hälfte der Festnahmen von DDR-Flüchtlingen im Ausland, knapp über ein Viertel in Ungarn, etwa ein Zehntel in Bulgarien sowie je 2 Prozent in Polen und Rumänien.28 Diese Aufteilung der Flüchtlingsströme blieb bis in die 1980er-Jahre hinein ungefähr gleich, auch wenn die Gesamtzahl von Fluchtversuchen über Drittländer zurückging.29 Eine genauere Untersuchung von Verschiebungen in den Migrationsströmen aus der DDR und aus anderen Staaten des Ostblocks auf Basis der Überlieferungen des MfS und seiner Partnerdienste bleibt weiterer Forschung vorbehalten.
Genese und Bedeutung des Begriffs der »Operativgruppen« Die Begrifflichkeit der Operativgruppe nutzte das MfS pragmatisch ohne geographische oder inhaltliche Einschränkung. Zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Aufgaben unterhielt das MfS auch in kommunistischen oder kommunistisch orientierten Ländern außerhalb Europas Operativgruppen. Diesen Operativgruppen (OG/OPG) konnte eine Kontrolle von DDR-Bürgern in diesen Ländern ebenso obliegen wie ein Zusammenwirken mit örtlichen Sicherheitsdiensten. In Einzelfällen handelte es sich bei den Einsatzorten um Krisenregionen, sodass sogar DDR-Grenztruppen zum Einsatz kamen.30 Anders als in den Ostblockstaaten hatten solche MfS-Operativgruppen jedoch vornehmlich beratende und unterstützende Funktionen. Das betraf überwiegend den Aufbau von Polizeiapparaten als auch geheimdienstliche Aktivitäten. Die Führung derartiger Operativgruppen lag aufgrund der speziellen Anforderungen meist bei der Abteilung III der Hauptverwaltung Aufklärung. OPG waren z. B. im Südjemen, in Mosambik, Nicaragua und Äthiopien, aber auch in Kuba stationiert. Nicht zwingend zu Operativgruppen formiert, koordinierten in einigen Ländern als Botschaftsmitarbeiter getarnte MfS-Verbindungsoffiziere die Zusam27 Tantzscher: Die verlängerte Mauer, S. 77 (Anm. 17; in der elektronischen Fassung S. 80). 28 MfS, HA Untersuchung: Information über Untersuchungsergebnisse aus Ermittlungsverfahren, Berlin, 12.10.1978; BStU, MfS, HA IX, Nr. 1051, Bl. 99–109, hier 99. 29 Übersicht über die unter Mißbrauch der Territorien sozialistischer Staaten begangenen Straftaten gemäß § 213 StGB ab 1985. In: Grünert, Wolfgang; Jäschke, Andreas (HA VI/Abt. 1): Erste Erfahrungen beim Aufbau und Einsatz von IM-Netzen im sozialistischen Ausland zum recht zeitigen Erkennen und vorbeugenden Verhindern von Straftaten gemäß §§ 105 und 213 StGB; BStU, MfS, JHS, Nr. 21208, hier Bl. 76. 30 Döring: »Es geht um unsere Existenz«, bes. S. 225.
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menarbeit mit dem jeweiligen Sicherheitsdienst. Das traf z. B. auf Tansania, Ägypten, Afghanistan, Angola, Vietnam, Laos, Kambodscha und auch Nordkorea zu. Die Abdeckung solcher Verbindungsoffiziere war unterschiedlich, mitunter galten sie als hauptamtliche Sicherheitsbeauftragte der Botschaft.31 Eine Besonderheit stellten sicher die Operativgruppen der vormaligen Arbeitsgruppe des Ministers/S (AGM/S wie Stöcker oder Spezialkräfte oder Sonderaufgaben), zuletzt in der HA XXII organisiert, in einigen Entwicklungsländern dar. Die Mitarbeiter dieser tatsächlich so genannten Einsatzgruppen waren für Kampfund Terroreinsätze ausgebildet und leisteten vor Ort Unterstützung beim Ausbau von Polizeiapparaten.32 Die anderen Sicherheitsdienste des Ostblocks unterhielten ebenso Operativ gruppen im Ausland – so auch in der DDR. Nach dem KGB, der in BerlinKarlshorst eine Hunderte Mitarbeiter zählende Repräsentanz unterhielt, war die Geheimpolizei der Volksrepublik Polen in Ostberlin stark vertreten: In den 1980er-Jahren beschäftigte sie fünf bis sieben hauptamtliche Mitarbeiter und bis zu vier Offiziere der Militärabwehr. Die Operativgruppe der Tschechoslowakei in Berlin umfasste vier bis sechs ständige Angestellte, Ungarn hatte zwischen zwei und fünf und Bulgarien bis zu vier hauptamtliche Mitarbeiter. Hinzu kamen die Vertretungen der Geheimpolizeien Nordkoreas, Vietnams, der Mongolei und Kubas. Diese Residenturen waren vor allem in der Auslandsaufklärung tätig und nutzten hierfür die spezifische innerdeutsche Situation. Auch überwachten sie eigene Auslandsvertretungen und Landsleute, die sich in der DDR aufhielten.33 Der Begriff der »Operativgruppen« ist offenbar ein Sowjetismus. Nach 1945 gründete der NKVD (Narodnyj kommissariat vnutrennich děl/Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) in der sowjetischen Besatzungszone Operativgruppen (Operativnyje gruppy), die geheimpolizeilich agierten und Personen auffinden sollten, die in das NS-System verstrickt waren. Die Gruppen nahmen Festnahmen vor und überführten die Betroffenen in die »Speziallager« des NKVD, wobei die Begründung der Festnahmen oftmals fragwürdig war. Viele
31 Aufstellung der Leiter der Operativgruppen bzw. der Verbindungsoffiziere des MfS in befreundeten Staaten, Stand Dez. 1988; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1575, Bl. 6; HV A, Abt. III: Kaderübersicht zu den Operativgruppen des MfS im Operationsgebiet, Berlin, 17.2.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 129–132; (Mitarbeiter und Fuhrpark der Operativgruppen und Verbindungs offiziere, ca. 1985–1989); ebenda, Bl. 25–33. Siehe auch Ordnung zur Gestaltung der Zusammenarbeit des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR mit Sicherheitsorganen nichtsozialistischer Länder und nationaler Befreiungsbewegungen (Entwurf), 4.4.1989; ebenda, Bl. 89–101; Operativgruppe des MfS beim MdI Kubas; ebenda, Bl. 30; Operativgruppe des MfS beim MdI Nikaraguas; ebenda, Bl. 31; Kaderakte Achim Kopf; BStU, MfS, KS 28955/90, Bl. 110–112 sowie Marquardt: Die Kooperation des Ministeriums für Staatssicherheit, S. 1966–2007, bes. 1991–1994. 32 Auerbach: Einsatzkommandos an der unsichtbaren Front, hier S. 77–83. 33 (o. T., o. D.); BStU, MfS, Abt. X, Nr. 876, Bl. 40–44.
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Insassen dieser Lager kamen ums Leben.34 Im MfS wurde der Begriff auch in anderen Zusammenhängen verwendet, vor allem wenn zur Erfüllung spezifischer Aufgaben Mitarbeiter verschiedener Diensteinheiten auf der Arbeitsebene kooperierten. Oftmals verlief die Arbeit in Operativgruppen unter einer Tarnung und war zeitlich begrenzt. So arbeiteten MfS-Operativgruppen in der Kontrolle wichtiger Wirtschaftsbetriebe, von Universitäten und von Einheiten der DDR-Grenztruppen. Sie überwachten auch propagandistisch wichtige Projekte wie die Inbetriebnahme des Berliner Fernsehturms und die DDR-Teilnahme an Olympischen Spielen – nachgewiesen ist dies für Calgary, Seoul und München. Die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderte eine graduell höhere Eigenständigkeit der Gruppen, weshalb das MfS gelegentlich auch Arbeitsstäbe auf der Leitungsebene als Operativgruppen bezeichnete, beispielsweise in der Hauptabteilung XX.35 Innerhalb der DDR-Volkspolizei bestanden von 1959 bis 1964 als Operativgruppen bezeichnete Mischformen von Volkspolizei und MfS – diese mit geheimpolizeilichen Instrumenten agierenden Einheiten auf Bezirksebene wurden von MfS-Offizieren im besonderen Einsatz (OibE) angeleitet. Dabei handelte es sich um hauptamtliche Mitarbeiter des MfS, die unter einer Verschleierung ihres tatsächlichen Dienstverhältnisses (der sogenannten Legendierung als Volkspolizisten) in sicherheitspolitisch relevanten Bereichen eingesetzt wurden. Das MfS hatte die OibE in das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei entsandt, da es die Führung getarnter Zuträger bei der Polizei als mangelhaft empfand.36 Operativgruppen, die DDR-Großgefängnisse wie das in Brandenburg-Görden überwachten, setzten sich indes komplett aus MfS-Mitarbeitern zusammen, die ebenso als Angehörige der DDR-Volkspolizei legendiert auftraten.37 Auch eine Einheit, welche die sowjetische Sperrzone in Berlin-Karlshorst nach außen hin überwachte, bezeichnete das MfS als Operativgruppe.38 Die Hauptabteilung VI bzw. zuvor die Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung unterhielten Operativgruppen 34 Petrov: Die SMAD, S. 341–366, hier 345–353; Foitzik: Organisationseinheiten und Kompetenzstruktur, S. 117–131, hier 122, 130; Kilian: Die Häftlinge in den sowjetischen Speziallagern, S. 373–440, hier 392–395. 35 Haendcke-Hoppe-Arndt: Die Hauptabteilung XVIII: Volkswirtschaft, S. 23, 48 f., 100 f., http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301270; Auerbach u. a.: Hauptabteilung XX, S. 27, 47 f., 156–161; Wolf: Hauptabteilung I, S. 39, http://www.nbn-resolving.org/ urn:nbn:de:0292-97839421300423; Thoß: Gesichert in den Untergang, S. 28, 30, 73. Zur Überwachung von DDR-Sportlern durch Operativgruppen siehe die Dokumente in: BStU, MfS, HA XX, Nrn. 505, 18977 u. 19349. 36 Wunschik: Hauptabteilung VII: Ministerium des Innern, Deutsche Volkspolizei, S. 46–52, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421300805; Lindenberger: Volkspolizei. Herrschaftspraxis, S. 182; Richter/BStU: Das Arbeitsgebiet I der Kriminalpolizei, S. 11, 20. 37 Wunschik: Der DDR-Strafvollzug, S. 467–493, hier 470; ders.: »Überall wird der Stalinismus beseitigt …«, S. 321–342. 38 Wiedmann: Die Diensteinheiten des MfS 1950–1989, S. 295, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de: 0292-97839421302889.
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an den Grenzübergängen und auf der Leitungsebene – wohl weil hier Mitarbeiter verschiedener Diensteinheiten beteiligt waren wie auch in der »Arbeitsgruppe Reiseverkehr«.39 Weitere Operativgruppen der HA VI, die ab 1970 DDR-Touristen auf FDGB-Urlauberschiffen überwachten, hatten sogar ähnliche Funktionen wie diejenigen in den Urlaubsländern Bulgarien, Ungarn und Tschechoslowakei: Sie sollten die Flucht von DDR-Passagieren in den Westen verhindern, beispielsweise wenn die Schiffe der Küste eines westlichen Landes nahe waren.40 Der Begriff der »Operativgruppen« wurde also meist dann verwendet, wenn Sicherheitsinstitutionen Vor-Ort-Präsenz und schnelle Handlungsfähigkeit erzielen wollten. Ironischerweise bildeten auch DDR-Bürgerrechtler während der Auflösung des MfS eine »Operative Gruppe«, die sich der Aktenvernichtung entgegenstellte.41
Fragestellung, Methode und Quellenlage Die Studie rekonstruiert institutionelle Strukturen und Funktionsmechanismen des Ministeriums für Staatssicherheit. Hinsichtlich der bisher nur am Rand der MfS-Forschung thematisierten Operativgruppen analysiert sie deren Aufbau, Zielvorgaben, Funktionsweise und alltägliche Arbeitspraxis. Sie stellt die genannten Aspekte chronologisch dar, sofern die Überlieferung dies zuließ. Darüber hinaus gibt sie einen Überblick über die geheimpolizeiliche Tätigkeit des MfS in anderen sozialistischen Staaten. Der Untersuchungszeitraum beginnt mit der Institutionalisierung der Kooperation von MfS und KGB und reicht bis zum Zusammenbruch der staatssozialistischen Diktaturen. Untersuchungsgegenstand ist in erster Linie die grenzübergreifende Kooperation der staatssozialistischen Geheimpolizeien auf der Arbeitsebene. Dazu wurde die Kommunikation zwischen den Geheimpolizeien in gewöhnlichen und in krisenhaften Situationen analysiert. Untersucht wurde darüber hinaus, welchen Regeln die Überwachung von Bürgern jenseits der Grenzen ihres Heimatstaats folgte sowie das dazu zur Verfügung stehende Instrumentarium und dessen Reichweite. Weiterhin wurde erforscht, ob die Operativgruppen auf dem Territorium des Gastlands operativ tätig waren oder ob nur an die Zentrale berichtet wurde. Die Überlieferung der Gruppen ermöglichte es, die Mechanismen der Führung inoffizieller Mitarbeiter im Ausland (darunter auch mit anderer Staatsbürgerschaft) zu beleuchten. Schließlich konnte auch der Stellenwert der Operativgruppen in der geheimpolizeilichen Kooperation ergründet werden. 39 Tantzscher: Hauptabteilung VI. Grenzkontrollen, S. 17, 52, 54, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421300731. 40 Stirn: Traumschiffe des Sozialismus, S. 258–273. 41 Worst: Das Ende eines Geheimdienstes, S. 69–72.
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Punktuell konnte der sozialgeschichtliche Hintergrund der Akteure thematisiert werden – dies beinhaltete Kategorien wie Herkunft, Bildung und interkulturelle Kompetenz der in den Operativgruppen eingesetzten Mitarbeiter. Zwar thematisieren zahlreiche Sachakten die Art und Weise der Überwachung der ostdeutschen Gesellschaft, allerdings finden sich in der Überlieferung der MfS-Operativgruppen kaum Erwägungen über Legalität und Legitimität der eigenen Tätigkeit. Zudem ist keine Selbstreflexion der Akteure erkennbar. Der Fokus der Analyse liegt auf den Kontinuitäten und übergreifenden Mechanismen administrativen Handelns. Da vor allem die Praxis exterritorialer geheimpolizeilicher Arbeit dargestellt wird, tritt die Rekonstruktion der Lebenswelten der überwachten Menschen in den Hintergrund: Die Untersuchung der Tätigkeit von MfS-Operativgruppen im Ausland konnte allein einen Teilaspekt ostdeutscher Urlaubsreisen nach Ungarn oder eines Studiums in der Sowjetunion freilegen – den des Überwachungssystems. Die spezifische Perspektive der Überwacher, welche die schriftliche Überlieferung formte, differiert auf extreme Weise gegenüber dem zeitgenössischen Selbstverständnis gesellschaftlicher Akteure, die – egal ob als Betroffene oder Dritte – das Movens des MfS-Handelns weder verinnerlicht hatten, noch nachvollziehen mochten. Die Fragestellung erforderte ein Eindenken in das Handeln des MfS, ohne sich dessen Perspektive zu eigen zu machen – dementsprechend erfolgte dies aus einer wertgebundenen, auf individuellen Freiheitsrechten basierenden Sicht. Die eher an einer Strukturgeschichte des MfS ausgerichtete Untersuchungsrichtung der vorgelegten Arbeit kann kaum Aussagen zu den Auswirkungen der exterritorialen MfS-Überwachung auf die betroffenen Menschen und zur Interaktion des MfS mit gesellschaftlichen Akteuren treffen. Diese Fragen müssen einer gesonderten Forschung vorbehalten bleiben. Vergleichende Untersuchungen zur geheimpolizeilichen Tätigkeit im Staatssozialismus beleuchten deren Kooperation vor dem Hintergrund ihrer institutionellen Geschichte42 und anhand krisenhafter Ereignisse.43 Bestehende themenübergreifende Fallstudien analysieren zumeist bilaterale Kooperationsachsen und basieren auf den Überlieferungen der zwei untersuchten Geheimpolizeien.44 Einige Herausgeberbände und Aufsätze verfolgen einen multilateralen 42 Kamiński; Persak; Gieseke (Hg.): Handbuch der kommunistischen Geheimdienste. 43 Barath: Přijetí Pražského, S. 73–78; Blažek: Kauza Skupiny Revoluční akce, S. 199– 235; Majchrzak: Polská tajná služba a Pražské jaro, S. 79–100. 44 Jaskułowski: Przyjaźń, której nie było [einige wesentliche Aspekte der Monographie fasste ders. Autor in einem deutschsprachigen Aufsatz zusammen: Das Ministerium für Staatssicherheit und das Innenministerium der Volksrepublik Polen 1974–1990]; Borodziej; Kochanowski: Der DDR-Staatssicherheitsdienst und ein befreundetes Nachbarland, S. 9–36; Ehlert; Staadt; Voigt: Die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR; Herbstritt; Olaru: Stasi şi Securitatea; Horalíková: Počátky spolupráce bezpečnostních aparátů NDR a ČSR, S. 210– 235; Ivanji: Stasi und UDBA, S. 927–933; Kochanowski: Die Beziehungen zwischen ostdeutscher Stasi und polnischen Geheimdiensten, S. 341–348; Motyka (Hg.): Słuzby bezpieczeństwa Polski;
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Ansatz.45 Sie untersuchen die Grenzüberwachung,46 die geheimpolizeilich gesteuerte Friedenspropaganda im In- und Ausland47 sowie die Bekämpfung der Oppositionen.48 Als Vorarbeit zu dieser Studie erschien bereits eine Skizze zur Arbeit der MfS-Operativgruppen.49 Diese Arbeiten haben wertvolle Pionierarbeit geleistet, wobei eine grundlegende und systematische Erforschung der MfS-Tätigkeit im sozialistischen Ausland im institutionellen Rahmen der Operativgruppen bisher ausstand. Die vorliegende Analyse füllt diese Forschungslücke und nimmt hierbei auch grundlegende Schlussfolgerungen zur Zusammenarbeit der staatssozialistischen Geheimpolizeien vor. Ihr spezifischer Mehrwert besteht darin, die Kooperation auf der Arbeitsebene zu beleuchten – jenseits der Leitungsebene, deren zwischenstaatliche Kontakte ebenso Gegenstand aktueller Forschungen sind.50 Über die Tätigkeit des MfS im sozialistischen Ausland wurde ex post auch medial berichtet. Operativgruppen, Beobachtergruppen der HA VIII und Verhörer der HA IX werden gelegentlich im Zusammenhang mit Beschreibungen von Fluchten und Fluchtversuchen erwähnt. Diese Beiträge enthalten zahlreiche menschliche Tragödien.51 Die polnische Presse veröffentlichte Artikel, welche um eine systematische Bewertung von MfS-Aktivitäten in Polen bemüht sind. Sie erschienen bei Aktenfunden zur Tätigkeit von DDR-Spionen in Polen oder auch anlässlich des Auffindens alter Abhörtechnik in den Räumen des ehemaligen DDR-Konsulats in Kattowitz (Katowice). Diese Beiträge diskutieren zumeist auch die Tätigkeit der Operativgruppe in Warschau. Sie postulieren insgesamt eine hohe historische Wirkmächtigkeit der MfS-Tätigkeit in Polen.52 Hierbei wird die MfS-Kenntnis der Vorgänge in Polen als sehr hoch bewertet, ohne dass die Fähigkeit des MfS, die erhaltenen Informationen zu interpretieren, genügend berücksichtigt wird. Auch wird der Stellenwert der KontaktperTáborský (Hg.): Sborník k problematice zahraničních; Tantzscher: Die Stasi und die »KaffeehausTschekisten«, S. 48–59. 45 Grúňová (Hg.): NKVD/KGB activities; Ţârău (Hg.): Aktivity NKVD/KGB; Tantzscher: Die Stasi und ihre geheimen Brüder, S. 595–621. 46 Tantzscher: Die verlängerte Mauer; Wegmann; Tantzscher: SOUD – das geheimdienstliche Datennetz; Trutkowski: Der geteilte Ostblock. 47 Weinke: Der Kampf um die Akten, S. 564–577; Selvage: Operation »Synonym«, S. 81–95. 48 Dalos: Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR; Süß: Wandlungen der MfSRepressionstaktik, S. 111–134; Vilímek: Tschechoslowakische und DDR-Opposition, S. 327– 350; ders.: Mezi námi čekisty, S. 532–553; ders.: Solidarita napříč hranicemi, bes. S. 249–296. 49 Tantzscher: Grupy operacyjne Stasi, S. 43–61. 50 Siehe die aktuell unternommene Untersuchung von Emmanuel Droit. Eine Projekt skizze ist auf der Website des Centre Marc Bloch abrufbar: https://cmb.hu-berlin.de/team/profil/emmanuel-droit. 51 Kahlweit: An der Grenze des Lebens; Böttcher: Christian Staudinger. 52 Kochanowski: Czujne, bratnie ucho, S. 76–78; Pustułka: Pluskwy do podsłuchów w katowickiej siedzibie.
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sonen des MfS in Polen als sehr hoch eingeschätzt.53 Aktuelle wissenschaftliche Studien relativieren diese Aussagen.54 In der Erforschung der Geschichte der MfS-Operativgruppen konnte nur selten auf geschlossene Aktenbestände zugegriffen werden. Die in den Büros der Operativgruppen geführten Handakten wurden zumeist vernichtet, weshalb die Studie hauptsächlich auf der Grundlage von Materialien erstellt wurde, welche über die Basisreferate und die Abteilung X (zuständig für die Beziehungen des MfS zu den kooperierenden Sicherheitsdiensten) überliefert sind. Auch fanden sich viele Dokumente, die verstreut über weitere Diensteinheiten erhalten blieben. Aufgrund dieser Quellenlage ließ sich das chronologische Prinzip in der Entwicklungsgeschichte der MfS-Operativgruppen nicht immer vollständig einhalten. Die frühe Entwicklung der Operativgruppen in Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei konnte anhand überlieferter Arbeitsbilanzen und Rechenschaftsberichte nachgezeichnet werden. Während die späten 1970er-Jahre eher lückenhaft dokumentiert sind, ließen sich die Arbeitsgrundlagen und die Arbeitsweise aller MfS-Operativgruppen in den 1980er-Jahren ausführlich rekonstruieren. Zum Aufbau der Arbeit: Zuerst werden übergreifende strukturelle Gemeinsamkeiten der MfS-Operativgruppen im sozialistischen Ausland dargestellt. Anschließend wird die Geschichte der Operativgruppen in den vier relevanten Staaten jeweils einzelnen aufgefächert, bevor im Fazit zusammenfassende Thesen diskutiert werden. Der Dank des Autors geht vor allem an Monika Tantzscher, die in umfangreichen Vorrecherchen und ersten Manuskriptentwürfen eine breite Basis für die vorliegende Studie schuf und zudem das fertige Manuskript gegenlas. Weiterhin danke ich meinen Kollegen Walter Süß, Douglas Selvage, Henrik Bispinck, Georg Herbstritt und Christopher Nehring für die Unterstützung bei den Recherchen, für das Überlassen zahlreicher Dokumente und die sukzessive Diskussion der einzelnen Textabschnitte.
53 Besonders in: Krasnowska; Cywiński: Polskie uszy Honeckera. 54 Jaskułowski: Polen im Blick, S. 83–92.
1. Die Operativgruppen im sozialistischen Ausland
In den Operativgruppen im sozialistischen Ausland waren Mitarbeiter angesiedelt, die bestimmte Arbeitsaufgaben und Arbeitsinhalte des MfS vertraten. Solche Arbeitsaufgaben – fachliche Zuständigkeiten, die sich die MfS-Zentrale zumeist mit ihren Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen teilte – bezeichnete das MfS als Linien, als Linienprinzip. Linien bildeten beispielsweise die Spionageabwehr (Linie II) oder die Überwachung der Wirtschaft (Linie XVIII). In den Operativgruppen waren nur ausgewählte MfS-Linien vertreten – je nach Aufgabenstellung oder Interessenlage des MfS im jeweiligen Land. Das folgende Kapitel stellt diejenigen MfS-Abteilungen vor, welche die Arbeit der Operativgruppen steuerten, und es untersucht anschließend übergreifende Charakteristika und Entwicklungstendenzen der Gruppen. Hierzu behandelt es das Mitarbeiterprofil der Gruppen, stellt die Mechanismen der Informationsbeschaffung vor, skizziert Grundlagen der Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten und beleuchtet den Stellenwert der Operativgruppen innerhalb des MfS.
1.1 Entsendende Diensteinheiten und anleitende Referate Verschiedene MfS-Hauptabteilungen entsandten Mitarbeiter in die Operativgruppen. Sogenannte Basisreferate in den entsendenden Diensteinheiten leiteten die Gruppen an und führten deren Akten. Welches Referat für die Arbeit einzelner Mitarbeiter in den Operativgruppen jeweils zuständig war, richtete sich nach deren Tätigkeitsbereich. Die wichtigsten Basisreferate der Operativgruppen im sozialistischen Ausland befanden sich in der für Spionageabwehr zuständigen Hauptabteilung II und in der Hauptabteilung VI, welche den grenzüberschreitenden Reiseverkehr überwachte. Daneben waren in den Operativgruppen Moskau und Warschau Mitarbeiter der Hauptabteilung XVIII (Wirtschaft) eingesetzt, die beispielsweise DDR-Bürger in Institutionen des RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe), auf Großbaustellen in der Sowjetunion, in DDR-Außenhandelseinrichtungen oder während Messen überwachten. Weiterhin entsandte die Hauptabteilung I (Überwachung des Militärs) einen Verbindungsoffizier nach Moskau und Mitarbeiter in die Sowjetunion, um den DDR-Militärattaché-Apparat, DDR-Militärs im Vereinten Oberkommando des Warschauer Vertrages sowie DDR-Studenten an militärischen Bildungseinrichtungen zu überwachen. Parallel zu Umstrukturierungen in der MfS-Zen-
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trale wechselten die Zuständigkeiten im Laufe der Zeit: Die Mitarbeiter der Operativgruppen in den Urlaubsländern beispielsweise wurden zuerst von der Hauptabteilung II/5 angeleitet und im Jahr 1964 kurz von der HA V/5, welche noch im selben Jahr in HA XX/5 umbenannt wurde. Nach der Gründung der HA VI aus den wesentlichen Vorläuferinstitutionen »Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung« sowie »Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs« im Jahr 1970 übernahm diese die Zuständigkeit für die Operativgruppen-Mitarbeiter. Diese Referate waren allesamt jeweils für die Überwachung von Reisenden zuständig. Diese Aufgabe gewann während des Untersuchungszeitraums an Bedeutung, bis sie 1970 gesondert von der Hauptabteilung VI wahrgenommen wurde. Im Jahr 1989 plante das MfS schließlich, die Gruppen im Zuge einer Neuausrichtung auf Abwehraufgaben der Hauptabteilung II zu unterstellen. Eine Besonderheit stellt die Entsendung eines Mitarbeiters der Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG) im Jahr 1986 in die ČSSR dar. Die ZKG war eine Diensteinheit zur Koordinierung des Vorgehens des MfS gegen Flucht und Ausreisebegehren aus der DDR. Die meisten Fluchtversuche von DDR-Bürgern über ein Drittland wurden in der benachbarten ČSSR unternommen, was ausschlaggebend für die Entsendung gewesen sein mag. Die Hauptverwaltung A (HV A; Auslandsaufklärung) entsandte Mitarbeiter in eigener Regie. Diese zählten in der Regel nicht zum Personalbestand der Operativgruppen und können in der vorliegenden Studie nur wenig berücksichtigt werden, da einschlägiges MfS-Aktenmaterial kaum zur Verfügung steht. Als »Offiziere im besonderen Einsatz« (OibE) saßen sie in legalen Auslandsresidenturen und wurden von unterschiedlichen HVA-Abteilungen geführt. Anfang 1988 gab es je zwei OibE in der Sowjetunion und in Bulgarien; sie wurden von der Abteilung I (Staatsapparat Bundesrepublik)der HV A geführt. In die ČSSR hatte die HVA-Abteilung VI (Übersiedlung, operativer Reiseverkehr) drei OibE entsandt und nach Ungarn einen. In Polen führte die HVA-Abteilung IX/B (Sicherung von DDR-Botschaften) einen OibE.55 Die Operativgruppen arbeiteten weiterhin eng mit der Hauptabteilung IX (Untersuchung) zusammen. Oft entsandte diese zeitweilig Vernehmer in andere sozialistische Staaten, die dort festgesetzte DDR-Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit der Operativgruppe und dem lokalen Sicherheitsdienst verhörten. Wenn eine MfS-Hauptabteilung in einer bestimmten Operativgruppe nicht vertreten war, bedeutet dies nicht, dass es in ihrem Zuständigkeitsbereich keine bilaterale Vor-Ort-Zusammenarbeit mit dem Gastgeberland gab: Auch Hauptabteilungen, die keine Mitarbeiter in die Operativgruppen entsandten, konnten Ersuchen an die Gruppen richten.
55 HA KuSch/Abt. Kader 3: Untersuchung zur Arbeit mit Operativgruppen, Berlin, 17. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f.
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1.1.1 Hauptabteilung II – Spionageabwehr Die MfS-Hauptabteilung II war für die Abwehr von Aktivitäten westlicher Nachrichtendienste zuständig. Unter anderem kontrollierte sie, ob DDR-Bürger für fremde Dienste spionierten. Bereits bei einzelnen Kontakten zu westlichen Funktionsträgern schöpfte sie Verdacht. Da solche Kontakte auch außerhalb der DDR stattfinden konnten, agierte die Hauptabteilung II auch jenseits des DDR-Territoriums. Sie arbeitete mit den Partnerdiensten in anderen Ostblockländern zusammen, um dort Residenturen und Mitarbeiter westlicher Geheimdienste ausfindig zu machen.56 Im Laufe ihres Bestehens weitete die Hauptabteilung II ihre Aktivitäten sukzessive in verschiedene Ostblockländer aus. Ihre zu dieser Zeit höchstwahrscheinlich für Abwehrbelange in anderen sozialistischen Staaten zuständige Abteilung 557 sandte 1954 zwei Mitarbeiter nach Moskau und richtete 1959 die dortige Operativgruppe ein. Später wurde diese möglicherweise direkt aus einem Arbeitsbereich der stellvertretenden Leiter der Hauptabteilung heraus geführt. – Ihre Dokumente aus den 1970er-Jahren verzeichnen kein Basisreferat.58 Eine eigens hierfür gebildete »Arbeitsgruppe 4« der HA II unter Willy Brückner leitete die 1980 gegründete Operativgruppe in Polen an.59 Etwa ab 1984/85 war die mit der Arbeitsgruppe 4 fusionierte Abteilung 10 unter Brückners Leitung für die Operativgruppen in Moskau und Warschau zuständig. Sie sandte 1986 jeweils einen Abwehrmitarbeiter nach Bulgarien, Ungarn und in die Tschechoslowakei. Diese Mitarbeiter waren den dortigen Operativgruppen zugeordnet.60 Die Zusammenarbeit mit den Abwehrdiensten in anderen sozialistischen Ländern spielte eine große Rolle in der HA II, weshalb diese hierzu gesonderte Jahreseinschätzungen erstellte. Diese erwähnten oft die bilaterale Informationsübermittlung durch die Operativgruppen in Warschau und Moskau. Offenbar wollte die HA II die Bedeutung der Operativgruppen in der Zusammenarbeit ab 1987 stärken, obwohl es drei Jahre zuvor hierüber MfS-interne Kontroversen gegeben hatte.61 Eine im gleichen Jahr verabschiedete »Ordnung zur Organisierung der Zusammenarbeit« mit den Partnerdiensten sah vor, dass die Mitarbei56 Labrenz-Weiß: Die Hauptabteilung II: Spionageabwehr, S. 5–11, 64–69, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421300593. 57 Ebenda, S. 37 f. 58 Siehe S. 55, 67. 59 Siehe S. 185. 60 Siehe S. 25. 61 Jahreseinschätzung über die Ergebnisse der Zusammenarbeit mit den Bruderorganen auf der Linie Spionageabwehr, Berlin, 30.11.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 970, Bl. 1–6, hier 4 f.; Jahreseinschätzung über die Ergebnisse der Zusammenarbeit mit den Bruderorganen auf der Linie Spionageabwehr, Berlin, 5.12.1988; ebenda, Bl. 8–15, hier 10. Zur frühen Kontroverse über eine Umwandlung der Operativgruppe Moskau zu einer Außenvertretung des MfS vgl. S. 78.
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ter der HA II in allen Operativgruppen einen »eigenständigen Beitrag zur weiteren Entwicklung und Vertiefung der Zusammenarbeit« leisten sollten.62 Ab Mitte der 1980er-Jahre befanden sich die Abwehr-Basisreferate der Operativgruppen in der Abteilung 10. Diese war eine von zuletzt 20 Unterabteilungen in der HA II und unterhielt Arbeitskontakte zur Abteilung 14, die für die Abwehrarbeit unter den Mitarbeitern des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten (MfAA) einschließlich des Personals der DDR-Auslandsvertretungen zuständig war. Die HA II/10 arbeitete weiterhin mit der »Arbeitsgruppe Ausländer« der HA II zusammen. Über ihre Kernaufgaben (Überwachung von in der DDR lebenden Ausländern und von Exilorganisationen im Westen) hinausgehend, ließ diese aus dem sozialistischen Ausland gemeldete Ost-West-Kontakte von DDR-Bürgern in den verschiedenen MfS-Speichern prüfen und informierte die zuständigen regionalen MfS-Dienststellen.63 Zwischen 1984 bis 1989 bestand die Abteilung 10 aus sieben Referaten, die – zusammengenommen mit den Angehörigen der Linie II in den Operativgruppen – etwa 100 Mitarbeiter beschäftigten. Zum Personalbestand der HA II/10 zählten auch die Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten (HSB) der DDR-Botschaften in Prag, Budapest, Sofia, Warschau und Moskau sowie eine Reihe weiterer Sicherungskräfte, die dort als Offiziere im besonderen Einsatz fungierten.64 Die Hauptsicherheitsbeauftragten führten eigene inoffizielle Mitarbeiter. Das Referat 1 der Abteilung 10, zuständig für die OG Moskau, verfügte zuletzt über fünf operative Mitarbeiter, angeleitet von Wolfgang Krusch. Ein Mitarbeiter war für die DDR-Auslandsstudenten und einer für Kooperationsaufgaben mit dem »Komitee für Staatssicherheit« – so die direkte Übersetzung von »Komitet gosudarstvennoj bezopasnosti« (KGB) aus dem Russischen, die als DDR-offizielle Bezeichnung für den sowjetischen Geheimdienst diente – abgestellt. Die übrigen drei waren mit sonstigen Aufgaben einschließlich der Führung von inoffiziellen Mitarbeitern (IM) befasst. Das Referat 2 war für die Operativgruppe Warschau und die Überwachung der DDR-Auslandsvertretungen in der Volksrepublik Polen verantwortlich. Dem letzten Referatsleiter, Major Kästner, unterstanden ein Stellvertreter und zwei weitere Mitarbeiter.
62 HA II, Leiter: Ordnung Nr. II/1/87 zur Organisierung der Zusammenarbeit zwischen der HA II des MfS und den Diensteinheiten der Linie Spionageabwehr der Bruderorgane sozialis tischer Staaten; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 462–464. 63 HA II/AG Ausländer: o. T./o. D. [wahrscheinlich 1986]; BStU, MfS, HA II, Nr. 29870, Bl. 1–3. Zu den Aufgaben der »Arbeitsgruppe Ausländer« siehe HA II/AG Ausländer: Bericht, Berlin, 1.10.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 235a–239 und Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II, S. 13 f. 64 Struktur der HA II/10, Kaderbestand am 31.12.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 344, Bl. 66–72; HA II/10: Planstellenbesetzungsnachweis per 14.2.1989; ebenda, Bl. 36–62.
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Das Referat 3 befasste sich mit der »politisch-operativen Bearbeitung« von DDR-Auslandsvertretungen und DDR-Bürgern einschließlich Auslandsstudenten in Ungarn, der ČSSR, Bulgarien, der Mongolei, Vietnam, Laos und Kambodscha. Sein letzter Leiter war Heinz Gribat. Ihm unterstanden ein Stellvertreter und sieben IM-führende Mitarbeiter und Offiziere für Sonderaufgaben. Eine »Arbeitsgruppe materiell-technische und finanzielle Sicherstellung der Auslandskader« setzte sich aus zwei Mitarbeitern zusammen. Im Referat 4 wurden Unterstützungsersuchen der in den jeweiligen Ländern ansässigen Geheimdienste bearbeitet. Der letzte Leiter Hans-Peter Bühner und sein Stellvertreter leiteten zwei Mitarbeiter für Auslandsverbindungen und drei Offiziere für Auswertung und Information an. Das Referat 5 mit insgesamt fünf Mitarbeitern befasste sich mit der »politisch-operativen Bearbeitung« der Auslandsvertretungen Chinas, Vietnams, Kambodschas, Laos’ und der Mongolei. Das Referat 6 mit drei Mitarbeitern war für die Bearbeitung der Auslandsvertretungen von Jugoslawien, Rumänien, Albanien und Nordkorea zuständig. In erster Linie ging es dabei um die Aufklärung und Kontrolle »operativ relevanter« Handlungen und Verbindungen ihrer Geheimdienstmitarbeiter in der DDR. Das Referat 7 mit insgesamt sieben Mitarbeitern befasste sich mit Auswertung und Information. Dazu zählte die Nachweisführung über alle im Rahmen der Kooperation mit den befreundeten Sicherheitsorganen erhaltenen und übergebenen Informationen, Anfragen, Überprüfungs- und Unterstützungsersuchen und die Erarbeitung aussagekräftiger Einschätzungen über die Lageentwicklung in den anderen sozialistischen Ländern.65 Eine besondere Etappe in der Ausweitung der Funktionen der Operativgruppen war die Entscheidung der MfS-Zentrale, in alle Gruppen im europäischen sozialistischen Ausland Abwehrmitarbeiter zu entsenden. Zu Beginn der 1980erJahre waren solche nur in Moskau und Warschau stationiert. In der Folgezeit sah das MfS immer mehr die Notwendigkeit einer grenzübergreifend agierenden Spionageabwehr – vor allem, weil sich seiner Einschätzung nach Spionageattacken gegen die DDR über diese Länder häuften. Bereits im Jahr 1984 plante die Hauptabteilung II eine Entsendung von Abwehrmitarbeitern in die Operativgruppen der Urlaubsländer.66 Diese wurden zu dieser Zeit fast ausschließlich von der Hauptabteilung VI gelenkt – die Hauptabteilung II war nicht involviert. Die HA II erneuerte den Vorstoß im März 1985 und erweiterte ihn dabei inhaltlich, worauf Willi Damm, der Leiter der Abteilung X, auf einem ihm zu65 Ebenda, Bl. 36–62; HA II/Abt. 10: Stellenplan der Hauptabteilung II/10, Berlin, 3.7.1986; ebenda, Bl. 73–78. 66 HA II: Vorlage zum ständigen Einsatz von Mitarbeitern der Hauptabteilung II in der Volksrepublik Bulgarien, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Ungarischen Volksrepublik, Berlin, 30.10.1984; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 132 f.
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gesandten Entwurf Bedenken geltend machte. Diese betrafen vor allem Überschneidungen mit Aufgaben, welche die HA VI bereits wahrnahm. Die Internationale Abteilung kommentierte auch einen erneut überarbeiteten Entwurf vom Januar 1986,67 bevor ab September 1986 in den drei Operativgruppen jeweils ein Mitarbeiter der Spionageabwehr als Verbindungsoffizier zum Einsatz kam. Die HA II entsandte Herbert Heckerodt nach Budapest, Ewald Fleischmann nach Prag und Günter Fiedler nach Bulgarien.68 Bei ihnen handelte es sich um Abteilungsleiter bzw. stellvertretende Abteilungsleiter, die »im Rahmen der Operativgruppen eigenständig tätig« wurden. Ihre Entsendung bedeutete eine Aufwertung der betreffenden Gruppen.69 Die MfS-Zentrale stattete sie – anders als die ins Ausland entsandten Mitarbeiter der Hauptabteilung VI – mit weitreichenden Vollmachten aus. Eine eigene Arbeitsordnung definierte komplexe Aufgaben: Die Offiziere sollten in der offensiven Aufklärung tätig werden und »Feindverbindungen zu imperialistischen Geheimdiensten« entwickeln, d. h. Doppelagenten an diese anschleusen. Sie sollten im Ausland eigenständig IM führen und IM unter westlichen Staatsbürgern gewinnen. Zudem erhielten sie ein Weisungsrecht gegenüber dem MfS-Sicherungspersonal an den Botschaften.70 Ihre Entsendung fand im Kontext einer umfangreichen Diskussion in der MfS-Zentrale um eine Umgestaltung der Operativgruppen statt. Diese wird im Abschnitt »Umorientierung auf Spionageabwehr« weiter unten dargestellt.71 Die Hauptabteilung II war auch für die Absicherung sowie für Überwachungsaufgaben in den DDR-Botschaften im verbündeten sozialistischen Ausland zuständig. Sie verpflichtete hierfür nicht nur inoffizielle Mitarbeiter, sondern entsandte zusätzlich hauptamtlich beschäftigte »Offiziere im besonderen Einsatz« (OibE), die über ein legendiertes Beschäftigungsverhältnis mit dem Außenministerium formell eine botschaftsübliche Funktion ausfüllten. Auf diese Weise stellten OibE der Hauptabteilung II beispielsweise die Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten (HSB) in den DDR-Botschaften mehrere Warschauer-Pakt-Staaten und fungierten in Moskau und Warschau als Objektsicherungskräfte (OSK). Sie wurden von vielen verschiedenen Basisreferaten 67 HA II: Vorlage zum ständigen Einsatz von Mitarbeitern der Hauptabteilung II in der Volksrepublik Bulgarien, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Ungarischen Volksrepublik, Berlin, 1985; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 35–37; HA II: Vorlage zum ständigen Einsatz von Mitarbeitern der Hauptabteilung II in der Ungarischen Volksrepu blik, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, Januar 1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 76–78. 68 HA II: Vorlage zum Einsatz von Mitarbeitern der Hauptabteilung II in der Ungarischen Volksrepublik, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 4.7.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 43. 69 o. T. [ca. August 1986]; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 139. 70 HA II/Abt. 10: Arbeitsordnung für die Mitarbeiter der HA II in den Operativgruppen in Ungarn, ČSSR, Bulgarien, Berlin, 1.8.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 503–507. 71 Siehe S. 233.
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entsandt.72 Weil es sich um ein eigenes Aufgabengebiet jenseits der Gründungsmotivation der Operativgruppen handelt, wird es hier gesondert geschildert. In Moskau und Warschau, wo die Operativgruppen von der HA II angeleitet wurden, band das MfS diese OibE organisatorisch an die Gruppen an und fasste sie in einer »Abteilung Sicherheit« (OG Moskau) bzw. einer »Arbeitsgruppe Innere Sicherheit« (OG Warschau) zusammen. In den drei anderen Operativgruppen war die Anbindung weniger eng. Statistische Unterlagen der Operativgruppen – beispielsweise zur materiell-technischen Versorgung – führen die Objektsicherungskräfte gelegentlich auf,73 Dokumente zur operativen Arbeit indes eher selten. Zunächst leitete die HA II/14 sie an, die für die Absicherung diplomatischer Einrichtungen der DDR im verbündeten sozialistischen Ausland zuständig war. Mitte der 1980er-Jahre übernahm die HA II/10 diese Aufgaben und führte sie in Moskau und Warschau mit der Leitung der Operativgruppen zusammen.74 1.1.2 Hauptabteilung XX – Bekämpfung von Opposition Bis zur Gründung der für Passkontrolle, Überwachung von Reiseverkehr und Tourismus zuständigen Hauptabteilung VI des MfS im Jahr 1970 war die Hauptabteilung XX (Abwehrarbeit in Staatsapparat, Kunst, Kultur, politischer Untergrund) auch mit der Verhinderung von Flucht und Schleusungen von DDR-Bürgern beauftragt. Die dafür zuständige Abteilung XX/5 ermittelte Fluchtvorhaben und bekämpfte Fluchthelfer. Die Abteilung unterhielt zu diesem Zweck auch Operativgruppen in den Urlaubsländern Bulgarien, Ungarn und der ČSSR. Dabei arbeitete sie mit der Hauptabteilung II (Abwehr) sowie den Vorläufern der Hauptabteilung VI, der Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs (ASR) und der Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung (HPF), zusammen.75 Bereits die HA XX versuchte, Schlupflöcher an Grenzen von Drittstaaten ausfindig zu machen und auf deren Schließung hinzuwirken. Beispielsweise meldete ihr 1970 ein Zuträger der Bezirksverwaltung Karl-MarxStadt, dass er mit seinem auf die sozialistischen Länder eingeschränkten Pass 72 Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II, S. 19, 22 f., 50. Struktur der HA II/10, Kaderbestand am 31.12.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 344, Bl. 66–72. 73 Beispielsweise HA KuSch/Abt. Kader 12: Untersuchung zur weiteren Erhöhung der Effekti vität der pol.-op. bzw. fachlichen Arbeit, Berlin, 11.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 179 f. 74 Struktur der HA II/10, Kaderbestand am 31.12.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 344, Bl. 66–72. 75 Befehl Nr. 373/64 des Ministers vom 6.5.1964 (Überwachung des Tourismus im sozialistischen Ausland); BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 887; weiterführend zur HA XX siehe Auerbach u. a.: Hauptabteilung XX, bes. S. 108–111, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301343.
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sowohl in der Prager als auch in der Moskauer Botschaft Indiens problemlos ein Visum erhalten habe. Auch den sowjetischen und tschechoslowakischen Passkontrolleuren war die Einschränkung wohl nicht aufgefallen – dreimal sei er auf diese Weise nach Indien gereist.76 In ihrer Hauptaufgabe, der Bekämpfung von Oppositionsgruppen und der innenpolitischen Repression, trat die HA XX kaum an die Operativgruppen heran – bei der länderübergreifenden Bekämpfung von Opposition wurden die Operativgruppen selten hinzugezogen. Das MfS hatte zwar Überlegungen zur Frage der »effektivsten (…) Vorgangsbearbeitung mit den Bruderorganen« in der Bekämpfung der sich transnationalisierenden Opposition angestellt. Möglicherweise aber wollten die Sicherheitsdienste eine zwischenstaatliche Einigung darüber, was als »feindlich-negativ« anzusehen ist, nicht auf der Arbeitsebene treffen.77 Eine Ausnahme bildet die Tätigkeit der HA XX in der Operativgruppe Polen bei der Überwachung des ostdeutsch-polnischen Jugendaustauschs.78 1.1.3 Hauptabteilung VI – Reise- und Touristenverkehr Die Hauptabteilung VI des MfS überwachte ab 1970 sämtliche Reisende, welche die DDR besuchten, sowie DDR-Bürger, die ins Ausland reisten. Dazu nutzte die Linie VI auch Infrastruktur und Personal der DDR-Reiseunternehmen und warb dort zahlreiche IM an. Zu ihrer Zuständigkeit gehörte auch die Organisation des grenzüberschreitenden Verkehrs inklusive der Passkontrollen an den Grenzübergängen.79 Mit dem Befehl Nr. 4/70, der ihre Gründung anwies, übertrug ihr der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke auch die Überwachung von Reisenden aus der DDR im sozialistischen Ausland.80 Die HA VI übernahm die bis dahin der Hauptabteilung XX/5 unterstehenden Operativ gruppen in Bulgarien und Ungarn. Ab 1972, als der orthodox-dogmatische
76 BVfS Karl-Marx-Stadt/Abt. XX: Schleusungsmöglichkeiten über das sozialistische Ausland, Karl-Marx-Stadt, 8.8.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 4913, Bl. 82 f. 77 Siehe hierzu ein Dokument der Untersuchungsabteilung, HA IX: Möglichkeiten und Erfordernisse der Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen den Staatssicherheitsorganen der Bruderländer zur noch wirksameren Bekämpfung der politisch-ideologischen Diversion, Berlin, 28.2.1980; BStU, MfS, HA IX, Nr. 1019, Bl. 2–9. 78 Siehe S. 202. 79 Weiterführend siehe Tantzscher: Hauptabteilung VI. 80 Befehl des Ministers Nr. 4/70 zur »Bildung der Hauptabteilung VI im MfS, der Abteilungen/Referate VI in den BV/V und der Sachgebiete VI in den Kreisdienststellen«, Berlin, 15.1.1970; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1519. Die HA VI entstand als Diensteinheit durch ein Zusammenführen der Vorläuferinstitutionen Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung (HPF), der Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs (ASR) und einem Referat der HA VII zur Zollüberwachung.
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Staatssozialismus in der ČSSR wiederhergestellt war, leitete sie auch die Operativgruppe in Prag.81 Im Zentrum der Aufmerksamkeit der HA VI standen unentdeckte Fluchtwege und Fluchthilfeorganisationen. Aus deren Aufklärung erhoffte es sich neue Erkenntnisse und eine weiterreichende Kontrolle. Viele MfS-Funktionäre wollten die Bestrebungen zur Fluchtverhinderung hinsichtlich aller Urlaubsländer bündeln, die Grenzen zu westlichen Staaten hatten. Schon im Jahr 1968 bat Rudolf Dorfmeister (Leiter der Operativgruppe Prag) die Zentrale, in der ČSSR beobachtete Fluchthelfer und ihre Fahrzeuge auch hinsichtlich Bulgariens und Ungarns auf Einreisen zu prüfen.82 Die Hauptabteilung VI kam später diesem Ansinnen nach, indem sie ihre drei Operativgruppen untereinander vernetzte und aus einer Abteilung heraus steuerte – zuletzt aus der HA VI (Bereich Auslandstourismus)/Abteilung 2 im Anleitungsbereich des Stellvertreters Operativ der HA VI.83 Auch fasste sie deren Berichte jährlich in einem kumulierten Gesamtdokument zusammen. Sie stärkte die Operativgruppen, indem sie betonte, dass Fluchthelfer immer mehr in Drittländer agierten.84 Nicht nur die Operativgruppen, sondern auch die MfS-Bezirksverwaltungen der Linie VI in den Grenzbezirken arbeiteten mit den Staatssicherheitsdiensten Polens und der ČSSR zusammen – allerdings vornehmlich in der Grenzkontrolle.85 In unregelmäßigen Abständen berieten die Bereichsleiter der Hauptabteilung VI über die Überwachung des Auslandstourismus, über die Einsatzvorbereitung der Operativgruppen in den Urlaubsländern sowie über die Zusammenarbeit mit den kooperierenden Sicherheitsdiensten.86 Interessant ist, dass die Hauptabteilung VI einerseits versuchte, Ost-West-Begegnungen von Touristen in den Urlaubsländern zu erfassen und zu verhindern, andererseits aber die Kontaktzone nutzte, um IM an Bundesbürger, die ihr interessant erschienen, heranzuführen. Zum einen wurden die Verbindungen von DDR-Bürgern zu Bürgern der Bundesrepublik und anderer westlicher Staaten als ein Ausgangspunkt für Fluchtpläne und Fluchthilfe gesehen, zum anderen sollten Bürger westlicher Staaten zwecks Abschöpfung oder späterer Zusam81 Siehe S. 159. 82 Operativgruppe ČSSR: Schleuserbande Wagner, Prag, 16.4.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9639, Bl. 1–3. 83 MfS: Struktur- und Stellenplan der Hauptabteilung VI (Gliederung), Berlin, 15.3.1989; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4326, Bl. 213–270, hier 249, 251–253. 84 HA VI, Stellv. Operativ: Berichterstattung/Lageeinschätzung zur Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit zur Bekämpfung krimineller Menschenhändlerbanden, Berlin, 9.9.1983; BStU, MfS, HA VI, Nr. 6390, Bl. 1–10, hier 1 f. 85 Grundsätze für das Zusammenwirken der Bezirksverwaltungen des MfS mit Verwaltungen der Staatssicherheitsorgane Polens und der ČSSR, handschr.: 3.3.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4277, Bl. 96–105. 86 Diesbezügliche Protokolle von Leiterberatungen von 1983 bis 1987 enthält BStU, MfS, HA VI, Nr. 6390.
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menarbeit mit dem MfS ausgespäht werden. Zudem vermutete das MfS gegnerische Agenten in westlichen Reiseunternehmen. In der offensiven Abwehr lag auch ein Schwerpunkt der Zusammenarbeit mit den verbündeten Sicherheitsdiensten. Während die Anleitung der Operativgruppen in einem für die Überwachung des Auslandstourismus zuständigen Bereich lag, kümmerte sich der Stellvertreterbereich für Abwehr um die nachrichtendienstliche Ausnutzung von Ost-West-Kontakten in den Urlaubsländern. Im Jahr 1972 überwachte die HA VI über ihre Operativgruppen bundesdeutsche Touristikunternehmen, besonders in Bulgarien. Heinz Fiedler, der Leiter der Hauptabteilung, forcierte auch in bilateralen Beratungen mit dem dortigen Staatssicherheitsdienst eine verstärkte Überwachung der Reiseunternehmen.87 Ein weiteres Problem sahen die Mitarbeiter der Hauptabteilung VI in der Zunahme von Individualreisen. Sie konnten sie nur schwer überwachen, da es keine Reiseleiter und keine Reisebüro-Mitarbeiter vor Ort gab, die sie hätten zur Zuträgerschaft verpflichten können. Hier monierte Fiedler »die meisten staatsfeindlichen Vorkommnisse«.88 Wegen des hohen Anteils an individuell reisenden DDR-Urlaubern nach Ungarn erreichte die dortige Operativgruppe eine geringere Überwachungsdichte. Innerhalb der Hauptabteilung VI hatte der Bereich Auslandstourismus die Aufgabe, DDR-Bürger in anderen sozialistischen Staaten zu überwachen. Hierzu gehörten nicht nur Touristen, sondern auch die Mitarbeiter der DDR-Auslandsvertretungen sowie die Repräsentanten des DDR-Reisebüros und von Jugendtourist in der ČSSR, in Ungarn und in Bulgarien. Von 1976 bis Ende 1987 stand Werner Ott dem Bereich Auslandstourismus vor. Danach übernahm der promovierte Jurist Oberst Günter Herfurth als Stellvertreter Operativ die Anleitung dieses Bereichs. Der Bereich Auslandstourismus bestand aus den Abteilungen 2 (Tourismus nach ČSSR, Ungarn, Bulgarien) und 3 (Sicherung organisierter Reisen in andere sozialistische Länder) der Hauptabteilung VI. Spätestens seit 1973 ausgebildet, stellte die Abteilung 2 (anfangs als Abteilung 6 bzw. Abteilung Auslandstourismus bezeichnet) unter langjähriger Leitung von Horst Rückheim die Basisreferate der Operativgruppen in der ČSSR (zuletzt Referat 1) sowie in Ungarn und Bulgarien (zuletzt Referat 2).89 Die Struktur der Abteilung 2 blieb bis
87 HA VI, Leiter: Konzeption für die Beratungen, Berlin, 31.10.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15720, Bl. 61–67, hier 63 f. 88 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Zeitraum von Mai bis Oktober 1972, Berlin, den 22.11.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 76–128, hier 81; HA VI: Protokoll der Beratung der erweiterten Leitung der Hauptabteilung VI vom 28. März 1973, Berlin, 2.4.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 14290, Bl. 186–192, hier 188. 89 HA VI/Abt. Koordinierung, Planung und Kontrolle: Kontrollbericht, Berlin, 4.2.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 46, Bl. 181–345, hier 293.
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1989 im Wesentlichen gleich – im Jahr 1988 verfügte sie über 23 Planstellen. Zu ihren Aufgaben zählten: – die Zusammenarbeit mit anderen MfS-Diensteinheiten bei der Überwachung des Reiseverkehrs von DDR-Bürgern in die drei Länder, – personelle Planung und inhaltliche Schwerpunktsetzung der Arbeit von IM-Netzen in den Zielländern einschließlich der Anwerbung inoffizieller Mitarbeiter, – Steuern, Koordinieren der Operativgruppen und Ergebniskontrollen bei deren Bearbeitung von OV, OPK, operativen Ausgangsmaterialien und Kontrollersuchen in den Zielländern, – Vorbereiten und Auswerten bilateraler Arbeitsberatungen mit den Sicherheitsdiensten der Partnerländer zur Operativgruppenarbeit, – die Auswahl und das Qualifizieren des Personals der Operativgruppen, – die materiell-technische und finanzielle Ausstattung der Operativgruppen, einschließlich des Unterhaltens von Nachrichten- und Kurierverbindungen.90 Letztendlich konnte die Abteilung 2 der HA VI zum Durchsetzen eigener Interessen sogar Einfluss auf die Personalpolitik der DDR-Nationalitätengaststätten im sozialistischen Ausland nehmen, was es ihr erleichterte, in den dortigen Belegschaften IM zu platzieren. Darüber hinaus schrieb sie Sicherheitsüberprüfungen vor und nahm Einfluss auf die Personalabteilung der HOG (Handelsorganisation Gaststätten) in Berlin.91 Etwa seit 1973 arbeiteten zusätzlich in der Abteilung Koordinierung des Bereichs Auslandstourismus fünf Länderoffiziere in wechselnden Unterstellungsverhältnissen, die Anfragen der Operativgruppen und der Partnerdienste bearbeiteten. Sie hatten Übersichten über zeitweilig oder ständig in den jeweiligen Ländern lebende DDR-Bürger zu erarbeiten und diese in der zentralen Archiv abteilung des MfS zu überprüfen, um unter ihnen inoffizielle Kräfte anzuwerben. Ihnen oblag die Steuerung, Anleitung und Qualifizierung der IM und die Gewinnung neuer Informanten in Touristen- und Reisegruppen. Über auffällige Personen oder Sachverhalte legten diese Offiziere Informationskarten an. Außerdem erfassten sie fortlaufend die »politisch-operative Situation« in ihrem Verantwortungsbereich. Bei der Einbeziehung der Sicherheitsdienste der Partnerländer in operative Maßnahmen mussten Sachstandsberichte erarbeitet und die Verdachtsmomente der zu erwartenden »feindlichen Handlungen« ausführ90 Funktion und Arbeitsweise der Abteilung 2 der Hauptabteilung VI als Führungsabteilung für die Operativgruppen, Berlin [ca. März 1988]; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 68–70. 91 HA VI/Abt. 2: Aktenvermerk zur Absprache mit dem Fachdirektor Kader und Bildung der VEB HOG Berlin, Berlin, 29.10.1987; BStU, MfS, HA II, Nr. 38798, Bl. 183–186.
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lich begründet werden. Die operativen Maßnahmepläne waren mit dem Kooperationspartner abzustimmen.92 Eine gesondert für das sozialistische Ausland zuständige Auswertungs- und Informationsgruppe (AIG) speicherte die Informationen in Sachverhalts- und Personenkarteien (damals Kerblochkarteien). Dabei handelte es sich um eine Deliktekartei, eine Personenkartei DDR, eine Personenkartei West und um eine Indexkartei – eine alphabetische Kartei zur Überprüfung, ob über Personen Material vorhanden ist. Sie bildeten u. a. die Grundlage für Jahresanalysen, Problemanalysen und Einschätzungen operativer Schwerpunkte.93 Während die Länderoffiziere möglicherweise später in die ZKG wechselten,94 verblieb das Referat Auswertung und Information im Bereich Auslandstourismus und wurde der Abteilung 2 angegliedert. Zum Bereich Auslandstourismus gehörten außerdem das »Hauptsachgebiet Kurierwesen und materiell-technische Sicherstellung« sowie eine »Arbeitsgruppe Aufklärung«. Letztere sollte Fluchtwege über andere Ostblockländer, insbesondere die ČSSR, Ungarn und Bulgarien, auswerten und dabei vor allem mit der Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG) und der für juristisch relevante Ermittlungen zuständigen Hauptabteilung IX des MfS zusammenarbeiten. Die gewonnenen Erkenntnisse, die beispielsweise auch aus Vernehmungen bei gescheiterten Fluchtversuchen stammten, wurden den Leitern der Operativgruppen und über diese den Sicherheitsorganen und Grenzkontrolleuren der betreffenden Länder zugeleitet. Auf diese Weise sollten Schlupflöcher in den Grenzen der Drittländer nicht nur erfasst, sondern auch geschlossen werden. Dem Leiter der Arbeitsgruppe unterstanden ein Offizier für Sonderaufgaben und ein Hauptsachbearbeiter.95 Bei internationalen Sportereignissen und Großveranstaltungen erarbeitete der Bereich Auslandstourismus gesonderte Operationspläne, verstärkte die Operativgruppen mit hauptamtlichen Mitarbeitern und entsandte zusätzliche IM in 92 HA VI/Abt. Koordinierung, Planung und Kontrolle: Kontrollbericht über den Auslastungsgrad der Abteilung Koordinierung des Sicherungsbereiches Auslandstourismus, Berlin, 17.1.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4385, Bl. 36–46; HA VI/Abt. Koordinierung, Planung und Kontrolle: Kontrollbericht über die Aufgaben der Länderoffiziere der Abteilung 6, Berlin, 20.6.1973; ebenda, Bl. 31 f.; HA VI/Abt. 2: Aufgaben der Länderoffiziere, Berlin, 7.7.1973; ebenda, Bl. 33–35. 93 HA VI: Aufgabenstellung, funktionelle Pflichten und die sich daraus ergebende Struktur der Auswertungsgruppe, Berlin, 17.6.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 6056, Bl. 20–43. 94 Die Wechsel von Heinz Eichler und Rudolf Dorfmeister von der HA VI zur neu gegründeten ZKG deuten darauf hin, dass die ZKG u. U. auch Personal aus den Basisreferaten der Operativgruppen übernahm. 95 Funktion und Arbeitsweise der Abteilung 2 der Hauptabteilung VI als Führungsabteilung für die Operativgruppen, Berlin [ca. März 1988]; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 68– 70; HA VI/Abt. 2: Bericht über die Ergebnisse der politisch-operativen Arbeit der Operativgruppen und der Abteilung 2 im Jahre 1988, Berlin, 9.12.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 8, Bl. 13–22, hier 20. Vgl. auch Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 27.
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die Gastgeberländer. Es führte diese Praxis ein, nachdem 1971 ostdeutsche Fußballfans die bundesdeutsche Mannschaft bei einem Länderspiel in Polen unterstützt hatten. Zum Fußball-Länderspiel von Ungarn gegen die Bundesrepublik am 29. März 1972 in Budapest und zur Eishockey-Weltmeisterschaft vom 7. bis 22. April in Prag koordinierte nun der Zentrale Operativstab (ZOS)96 in Ostberlin die Tätigkeit der Operativgruppen vor Ort und die weiterer MfS-Dienstein heiten. Von nun an erarbeitete die Ministeriumsleitung jährlich eine Aufstellung der Großveranstaltungen, bei deren Überwachung der ZOS mit der HA VI kooperieren sollte.97 Im Jahr 1982 erarbeitete Heinz Fiedler, Leiter der HA VI, einen für das gesamte MfS konzipierten Maßnahmenplan zu Großveranstaltungen im sozialistischen Ausland, den er über das Sekretariat des stellvertretenden Ministers Gerhard Neiber an die MfS-Diensteinheiten verteilen ließ. Er stärkte dabei die Rolle der Operativgruppen, die vor Ort federführend agieren sollten. Die Diensteinheiten der MfS-Zentrale sollten diese weitreichend unterstützen: Im Jahr 1984 überstellte das MfS den Operativgruppen kurzzeitig 89 IM, 32 FDJ-Mitglieder der HA VI und MfS-Studenten sowie 33 »weitere operative Kräfte« zur Überwachung von Großveranstaltungen.98 1.1.4 Zentrale Koordinierungsgruppe – Bekämpfung von Flucht und Übersiedlung Zum Jahreswechsel 1975/76 gründete das MfS die Zentrale Koordinierungsgruppe (ZKG)99 mit Bezirkskoordinierungsgruppen (BKG) als Linienstruktur, um Republikfluchten zu verhindern und die Ausreisebewegung zu bekämpfen. Die ZKG übernahm einige der Aufgaben, die zuvor die HA VI bearbeitete. Der Gründungsbefehl der ZKG vom 15. Dezember 1975 beschrieb in einem Abschnitt die Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten. Demnach sollte die ZKG sämtliche Ersuchen des MfS und seiner Partnerdienste zu gemeinsamen Maßnahmen zur Verhinderung von Fluchten und Fluchthilfe bündeln. Formell wickelte die Abteilung X die Korrespondenz ab. Die Durchführungsinstruktion 96 Zum ZOS siehe MfS-Lexikon, S. 390. 97 Der Minister: Befehl Nr. 6/72, Berlin, 15.3.1972; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1652; Stellv. des Ministers: (o. T.), Berlin, 17.6.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 6944; Stellv. des Ministers: Politisch-operative Sicherung von bedeutsamen Sportveranstaltungen im Jahre 1982 in der DDR sowie im sozialistischen Ausland, Berlin, 21.1.1982; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 7534. 98 Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung feindlich-negativer und kriminell-provokatorischer Handlungen durch Bürger der DDR anläßlich ihrer Teilnahme an Großveranstaltungen im sozialistischen Ausland, Berlin, 24.5.1982; BStU, MfS, HA XX, Nr. 11406, Bl. 87– 99; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung – Leitungsberatung am 19.12.1984, Berlin, 5.12.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 18, Bl. 205–214, hier 210. 99 Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301655.
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zum Befehl Nr. 1/75 vermerkte, dass ein IM-Einsatz, Observationen und andere Kontrollmaßnahmen gegenüber DDR-Bürgern in anderen sozialistischen Staaten mit den dortigen Sicherheitsorganen koordiniert werden sollten. Dadurch konnten Bürger der DDR jenseits des eigenen Landes unter operative Kontrolle genommen werden. Dies sei »in mehreren Staaten möglich (ČSSR, Ungarische Volksrepublik, Volksrepublik Bulgarien, Volksrepublik Polen u. a. [außer Rumänien])«.100 Als das MfS im Jahr 1986 die Tätigkeit der Operativgruppen auf den Prüfstand stellte und deren Aufgaben ausweitete, entsandte die ZKG einen Mitarbeiter in die Operativgruppe in der ČSSR – dem Drittland mit den meisten Fluchtversuchen von DDR-Bürgern.101 Dieser war der neu geschaffenen »Arbeitsgruppe sozialistisches Ausland« (später »AG Verbindung zu Bruderorganen«) der ZKG unterstellt, die Kontakte mit den Partnerdiensten koordinierte. Gründe für die Ausweitung der ZKG-Tätigkeit in das sozialistische Ausland werden in der steigenden Zahl von unerwünschten Treffen ehemaliger DDR-Bürger mit ihren noch in der DDR verbliebenen Familienmitgliedern und in den zunehmenden Fällen von Botschaftsbesetzungen vermutet.102 1.1.5 Hauptabteilung I – Überwachung des Militärs Eine Facette der Tätigkeit der Hauptabteilung I bestand im Überwachen von Berufssoldaten und Stabsoffizieren der DDR-Volksarmee, die an ausländischen Akademien studierten. Mitarbeiter der Linie I waren den Operativgruppen der HA II in Moskau und Warschau beigestellt. Zur Mitte der 1980er-Jahre leitete die Unterabteilung Internationale Verbindungen der Abteilung MfNV der Hauptabteilung I einen Verbindungsoffizier in Moskau an. Zuvor war der vermutlich bei der Unterabteilung Sonderaufgaben der AKG der HA I angesiedelt. Ab 1987 entsandte die Abteilung Äußere Abwehr der HA I zusätzlich zwei Sonderoffiziere in die Sowjetunion.103 Den Sonderoffizier in der Operativgruppe Warschau unterhielt die HA I ab 1982.104 Er wurde 1988 wohl mit Verweis auf 100 Der Minister: Befehl Nr. 1/75 vom 15.12.1975: Vorbeugung, Aufklärung und Verhinderung des ungesetzlichen Verlassens der DDR und Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels, Bildung der Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG) im MfS und der Bezirkskoordinierungsgruppen (BKG) in den BV/V; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 4806. 101 Siehe S. 146. 102 Eisenfeld: Zentrale Koordinierungsgruppe, S. 41 f.; ZKG, Leiter: (Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppen), Berlin, 23.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 148–168, hier 162. Zur zentral initiierten Umstrukturierung der Operativgruppen in den 1980er-Jahren siehe S. 219. 103 HA I/AKG, Sonderoffizier Moskau: Arbeitsbericht für die Zeit vom 1.9. bis 15.12.1985, Moskau, 2.1.1986; BStU, MfS, HA I, Nr. 18125, Bl. 16–21; HA I/Abt. Äußere Abwehr, Sonderoffizier Moskau: Arbeitsbericht für das Jahr 1986, Moskau, 19.1.1987; ebenda, Bl. 42–51. 104 Siehe S. 193.
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die Zuständigkeit der jeweiligen DDR-Militärattachés für die Überwachung von Militärhörern in Polen wieder abgeschafft.105 1.1.6 Hauptabteilung XVIII – Wirtschaft Auch die Hauptabteilung XVIII (Überwachung der DDR-Volkswirtschaft) entsandte Mitarbeiter in die Operativgruppen in Moskau und Warschau. Ab 1981 stellte die Abteilung 9 für Internationale Zusammenarbeit und Reisekader das Basisreferat für die Mitarbeiter der Linie XVIII in den Operativgruppen. Sie überwachten unter anderem das DDR-Personal in den Handelsvertretungen und in RGW-Institutionen und arbeitete mit den Geheimpolizeien der RGW-Staaten zusammen. Die Abteilung 9 der HA XVIII umfasste im Jahr 1989 planmäßig zwei Referate, 16 hauptamtliche Mitarbeiter und 6 Offiziere im besonderen Einsatz. In der Operativgruppe Moskau waren 1989 vier Mitarbeiter der Linie XVIII tätig, in der Operativgruppe Warschau war die Linie XVIII Mitte der 1980er-Jahre mit einem Mitarbeiter vertreten.106 1.1.7 Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) richtete 1986 eine Anfrage an die HA II/10, der zufolge die Mitarbeiter sämtlicher Operativgruppen die jeweiligen Gastgeberländer ausspionieren sollten. Der »Informationsbedarf« erstreckte sich über die Verhältnisse in Staat und Partei, über den wirtschaftlichen Sektor, das Verhalten der Opposition, deren Verbindungen in den Westen und die Kriminalität im Land. Die Partnerdienste sollten keinesfalls von der Informationssammlung erfahren.107 Das so gewonnene Material floss in die monatlichen Berichte der ZAIG über die ČSSR, Ungarn, Bulgarien und Rumänien bis 1989 ein.108 Für Polen lieferte sie bis 1987 gesondert wöchentliche, danach ebenfalls Monatsinformationen. 105 HA I/Abt. Äußere Abwehr/Unterabt. 2: Einschätzung zur politisch-operativen Lage und Berichterstattung über den Stand der Erfüllung des Jahresarbeitsplans 1988 bis 30.9.1989, Berlin, 27.9.1989; BStU, MfS, HA I, Nr. 3394, Bl. 43–74, hier 54. 106 Weiterführend siehe Haendcke-Hoppe-Arndt: Die Hauptabteilung XVIII: Volks wirtschaft, S. 8–11, 100 f., http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301270. Siehe auch S. 73 u. 201. 107 ZAIG: Informationsbedarf zu politisch-operativ bedeutsamen Aspekten der aktuellen Situation und der Lageentwicklung in europäischen sozialistischen Staaten, Berlin, 22.8.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 354–356. 108 ZAIG, Leiter: Monatsübersicht über aktuelle Probleme der Lageentwicklung in sozialistischen Staaten, Berlin, 22.2.1984; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5325, Bl. 1 f. Die Wochenberichte über Polen erstellte die ZAIG seit 1981, die Monatsberichte über die anderen genannten Län-
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1.1.8 Hauptabteilung IX – Untersuchung Die MfS-Operativgruppen dokumentierten Fluchten sowie Fluchtversuche akribisch, um die Aburteilung der Flüchtlinge vorzubereiten. In vielen Fällen arbeiteten sie mit der Hauptabteilung IX (Untersuchung) zusammen. Beide pflegten engste Beziehungen zu Dienststellen der kooperierenden Sicherheitsdienste, welche die Flüchtlinge festsetzten und in Untersuchungshaft nahmen.109 Zusammen mit der HA IX verhörten die Operativgruppen in Bulgarien, Ungarn und der ČSSR gescheiterte Flüchtlinge und leiteten deren Überführung in die DDR ein. In den 1970er-Jahren unterhielt die »AG Ausland« in der HA IX/9 Vernehmer, die in die Drittstaaten reisten und von dort – oft parallel zu den Operativgruppen – Einzelberichte zu den Fluchtvorhaben nach Berlin sandten. Obwohl eine längere Entsendung gelegentlich angedacht wurde, kommandierte die Hauptabteilung IX ihre Vernehmer zu den Verhören im Ausland nur kurzzeitig ab, wobei diese auch für mehrere Länder zuständig sein konnten.110 Aus diesem Grund waren die Vernehmer nicht den Operativgruppen angegliedert. Im Jahr 1981 baute die HA IX die »AG Ausland« zur eigenständigen Abteilung »Internationale Zusammenarbeit« (HA IX/10) um. Dieser Abteilung oblag es, neben verschiedenen anderen Aufgaben, in Kooperation mit den Operativgruppen festgenommene Flüchtlinge im Ausland zu vernehmen. Im Jahr 1988 führte sie über 65 derartige Verhöre. Allein für die Zeit von Februar bis August 1989 sind 288 Dienstreisen von zehn Mitarbeitern der HA IX/10 in die sozialistischen Länder überliefert. Auch die HA IX/10 meldete eine »mangelhafte Bewachung an den Staatsgrenzen« an befreundete Geheimdienste, wenn sie in den Verhören Schlupflöcher im Grenzregime ausfindig gemacht hatte. Die Abteilung arbeitete parallel zur HA IX/9, die weiterhin bei Fluchthilfe von Berlin aus ermittelte.111 der seit 1984. Die Monatsberichte der Jahre 1984 bis 1989 befinden sich in BStU, MfS, ZAIG, Nrn. 5326–5337. 109 Hier berichtet die HA VI von einem bulgarischen Vorschlag, festgenommene DDR-Bürger direkt aus Varna und Burgas auszufliegen: HA VI, Leiter: Bericht über die Verhandlungen mit Vertretern der II. Hauptverwaltung des Ministeriums des Innern der Volksrepublik Bulgarien in der Zeit vom 25. bis 27.3.1971 in Sofia, Berlin, 29.3.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 48–59, hier 54. 110 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Zeitraum von Mai bis Oktober 1972, Berlin, den 22.11.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 76–128, hier 126. 111 HA IX/10: Jahresbericht 1987, Berlin, 5.1.1988; BStU, MfS, HA IX, Nr. 4671, Bl. 83– 164, hier 95, 102, 106, 117, 128; HA IX/10, Leiter: Jahresbericht 1988, Berlin, 13.1.1989; BStU, MfS, HA IX, Nr. 2445, Bl. 17–82, hier 20; HA IX/8: Informationsbedarf zu vorbereiteten, versuchten und vollendeten ungesetzlichen Grenzübertritten über die Territorien anderer sozialistischer Länder, Berlin, 22.3.1982; BStU, MfS, HA IX, Nr. 17587, Bl. 152–155; Notiz, o. T., o. D. [1987]; BStU, MfS, HA IX, Nr. 17587, Bl. 129 f. Parallel verfasste Festnahmeberichte der Operativgruppen und der HA IX/9 von 1970 sind überliefert in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 4912, Bl. 203–208, 230 f. und in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 4913, Bl. 32–34, 147–176. Zu den Diensteisen der HA IX/10 siehe
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Im Jahr 1989 beschäftigte die Abteilung 10 der HA IX elf Mitarbeiter, darunter sieben »Offiziere für Koordinierung Untersuchungsverfahren sozialistisches Ausland«. Weiterhin verfügte sie über sechs Dolmetscher.112 Die Untersuchungsabteilung leitete faktisch das Ermittlungsverfahren, das die Flüchtlinge in der DDR erwartete.113 Die Überführungen erfolgten teils mit Flugzeugen des MfS. Dann stellten Mitarbeiter der Abteilung XIV (Untersuchungshaftanstalten des MfS) das erforderliche Begleitpersonal. Deren Mitarbeiter holten Flüchtlinge in Sofia und Budapest direkt von den Untersuchungsgefängnissen ab und bewachten sie auf dem Weg zum speziell gesicherten Umstieg auf dem Flughafen. In Prag hingegen brachten tschechoslowakische Gefängniswärter die Flüchtlinge zum Flugzeug. Hier befand sich ein Untersuchungsgefängnis relativ nah am Flughafen Ruzyně.114 Wenn bereits in den anderen Staaten ein Ermittlungsverfahren lief, drängte das MfS auf dessen Einstellung und um Aufhebung des Haftbefehls115 – vermutlich, um bei der weiteren Verfolgung und Aburteilung der Flüchtlinge freie Hand zu haben. 1.1.9 Hauptverwaltung A – Auslandsaufklärung Einzelne Mitarbeiter der HV A waren lose als OibE an die Operativgruppen im sozialistischen Ausland angebunden – vor allem in Moskau, denn die Aufklärung des MfS arbeitete eng mit der des KGB zusammen.116 Viele OibE der HV A waren Botschaftssekretäre. Sie wurden beispielsweise von der HVA/I (Aufklärung des Staatsapparats der Bundesrepublik), der HVA/IX/B (SicheBStU, MfS, HA IX, Nr. 2303, Bl. 20–26. Zur Struktur der HA IX siehe Wiedmann: Die Dienst einheiten des MfS, S. 301 f., http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421302889 und den Abschnitt »Die Beziehungen zu den Ostblock-Ermittlungsorganen« in: Engelmann; Joestel: Hauptabteilung IX. Untersuchungsorgan. 112 HA IX/Abt. 10: Planstellenbesetzungsnachweis, BStU, MfS, HA IX, Nr. 2303, Bl. 1–3. 113 Zur Vorgehensweise bei Überführungen vgl. allgemein Sélitrenny: Doppelte Überwachung, S. 280 f. und Beleites: Abteilung XIV: Haftvollzug, S. 23, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301106. 114 Das dokumentiert eine beim MfS entstandene Studienarbeit von Rast, Michael: Die Aufgaben bei der politisch-operativen Absicherung der Rückführungen und Überführungen von inhaf tierten Personen aus dem bzw. in das sozialistische Ausland mit einem Luftfahrzeug des MfS und die daraus resultierenden Verhaltensanforderungen an die Mitarbeiter der Abteilung XIV des MfS. Potsdam, 15.3.1982; BStU, MfS, Abt. XIV, Nr. 306, Bl. 1–41, hier 27 f. Eine Statistik zu Rückführungen bietet beispielsweise Tantzscher: Die verlängerte Mauer, S. 76. Die Daten betreffen nicht nur Flüchtlinge, sondern auch aus anderen Gründen festgenommene DDR-Bürger. 115 Lindheim: Verdeckte Ermittler, S. 66. 116 HA II/6: Mitarbeiter, die längere Zeit in der UdSSR tätig waren, Berlin, 26.1.1972; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 36; HVA/Abt. I, Leiter: Position Moskau, Berlin, 23.9.1986; ebenda, Bl. 105.
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rung von DDR-Botschaften) und der HVA/VI (»Regimeverhältnisse«) entsandt. Wegen der lückenhaften bzw. ganz fehlenden Überlieferung können diese Mitarbeiter hier nicht erschöpfend abgehandelt werden. Aus einer Aufstellung der Hauptabteilung Kader und Schulung vom März 1988 geht hervor, dass sich zu dieser Zeit zwei HVA-Mitarbeiter in der UdSSR, einer in Ungarn, drei in der ČSSR, zwei in Bulgarien und einer in Polen aufhielten, die in einem nicht näher spezifizierten Zusammenhang mit den Operativgruppen standen.117 In Krisensituationen wie bei der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 oder während der »polnischen Krise« 1980/81 entsandte die HV A eigene Mitarbeitergruppen in die betreffenden Länder. In der ČSSR standen sie nicht in Kontakt mit der Operativgruppe, während sie der Operativgruppe Warschau zunächst formell beigeordnet waren.118
1.2 Hauptamtliche Mitarbeiter Die hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter werden in der Forschung als »sozialistische Repressionselite« mit oft niedrigem Bildungsstand charakterisiert, die in »imitierender Identifikation« mit dem Leitungspersonal im stetig wachsenden Apparat schnell aufgestiegen waren. Das elitäre Selbstverständnis habe allein auf einem politischen Bekenntnis basiert. Die mangelnde Legitimation drücke sich in komplexhaftem, gewaltbereiten Handeln und in einer Überheblichkeit von Mitarbeitern des MfS selbst gegenüber SED-Mitgliedern aus.119 Mitarbeiter der Operativgruppen stellten in der Hinsicht keine Ausnahme dar. Die Tätigkeit im Ausland war meist nur eine kurze Episode in einer sonst gewöhnlichen MfS-Karriere. Ein Auslandseinsatz war auf etwa vier Jahre beschränkt, dann folgten Ablösung und Rückberufung in die Zentrale. Das Kapital der hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter insgesamt bestand vor allem in politischer Loyalität. Andere Qualifikationsmerkmale waren zweitrangig. Bei der Personalplanung für die Einsätze im Ausland scheinen selbst der sprachliche Zugang und die kulturelle Affinität zum Gastland nur eine geringe Rolle gespielt zu haben. Auch wenn sich die MfS-Hauptabteilungen recht genau überlegten, wen sie ins Ausland delegierten, lassen sich Auswahlkriterien für eine Tätigkeit in den Operativgruppen im Aktenstudium nicht immer nachvollziehen. Allein die vorherige Tätigkeit in der entsendenden Diensteinheit – beispielsweise der 117 Das Dokument verwendet die vage Formel »unter der Betrachtung Operativgruppen«. Siehe HA KuSch/Abt. Kader 3: Untersuchung zur Arbeit mit Operativgruppen, Berlin, 17. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f. 118 Siehe S. 152 u. 193. 119 Gieseke: Die hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit, bes. S. 539–549.
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Hauptabteilung II (Abwehr) oder der Hauptabteilung VI (Kontrolle des Reiseverkehrs) – hatte erwiesenermaßen eine Bedeutung. Wichtig war also, dass die Mitarbeiter der Basisreferate die Entsandten gut einschätzen konnten, offenbar um Konflikte und Kommunikationsschwierigkeiten zu vermeiden. Solche hätten sich aufgrund der spärlichen Nachrichtenverbindung über die große Distanz hinweg als hinderlich erweisen können. Wenn die Kriterien einmal expliziert wurden, standen landeskundliche Qualifikationsmerkmale am Ende der Prioritätenliste: Selbst im Anforderungsprofil für eine Tätigkeit in der Operativgruppe Warschau, deren Aufgabe im Eindringen in die polnische Innenpolitik bestand, erschienen Kenntnisse der polnischen Sprache allein als Zusatzqualifikation – nach Nennung zahlreicher verbindlicher Voraussetzungen wie »hohe Einsatzbereitschaft und Disziplin« oder »Fähigkeit zur schnellen Lagebeurteilung«.120 Auch das Protokoll einer Leiterberatung in der Hauptabteilung VI von 1984 gibt keine genaue Auskunft über hier vielfach debattierte »strenge Auswahlkriterien«. Offenbar meinten die Diskutanten Disziplin, Einsatzbereitschaft und damit wohl auch die Skrupellosigkeit, die ein Auslandseinsatz erforderte, bei dem die Entsandten gelegentlich auf sich gestellt waren. Der Bericht und die Diskussionen um Personalprobleme verdeutlichen, dass der Einsatz in Operativgruppen weder als attraktiv angesehen, noch von den entsendenden Diensteinheiten gut vorbereitet und begleitet wurde.121 Dies verwundert etwas, denn das MfS betrachtete seine Operativgruppen spätestens zum Ende der 1980er-Jahre als Aushängeschilder gegenüber den Sicherheitsdiensten der Gastgeberländer, die angesichts »komplizierter und umfangreicher gewordenen Aufgaben« auch »Gesamtinteressen des MfS« vertraten.122 Bereits im Jahr 1978 konstatierte der Bereich Auslandstourismus in der Hauptabteilung VI, dass die Stellen in den Operativgruppen nur unter »erheblichen Anstrengungen« zu besetzen seien. Beispielsweise hätte die Operativgruppe in Bulgarien nur unter »persönlichem Einsatz der Leiter im Bereich Auslandstourismus« besetzt werden können. In der Operativgruppe in der Tschechoslowakei drohten im selben Jahr Ausfälle: Wegen einer planmäßigen und einer familiär bedingten Rückkehr klaffte dort plötzlich eine Personallücke. Auch versetzte die HA VI drei Mitarbeiter, die für einen Auslandseinsatz vorbereitet waren, »aus
120 Anforderungsprofil für zur HA II zu kommandierende politisch-operative Mitarbeiter und technische Kräfte zur Bildung einer Arbeitsgruppe, o. D.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 121 f. 121 HA VI/AKG: Leiterberatung am 9.5.1984, Material zusammengestellt am 4.6.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 29, Bl. 191–225, hier 194, 198, 203. 122 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur Leiterberatung am 17.12.1986, Thema: Stand und Ergebnisse der politisch-operativen Sicherung des entsendenden Tourismus im Jahre 1986, Berlin, 3.12.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 45, Bl. 450–460, hier 451.
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Sicherheitsgründen« in ihre Diensteinheiten zurück.123 In der Leiterberatung am 12. Mai 1984 diskutierte der Stellvertreterbereich der HA VI einen »Bericht zur Vorbereitung der Operativgruppen in den Urlaubsländern auf den Sommer 1984«. Er verzeichnete die vorfristige Rückkehr einiger Operativgruppen-Mitarbeiter wegen Krankheiten, Disziplinverstößen sowie familiärer Schwierigkeiten und erwähnte, dass eine Planstelle in der ČSSR und eine in Bulgarien 1984 unbesetzt bleiben würden. Werner Ott, der Leiter des Bereichs Auslandstourismus, monierte, dass keine »kontinuierliche Zuführung neuer Kader für die Operativgruppen« erfolge, weshalb »Fehlstellen« entstanden seien. Dies sei ein »Gesamtproblem der Hauptabteilung«. Daraufhin machte ihn Heinz Fiedler, der Leiter der Hauptabteilung, selbst verantwortlich: »Wenn der Genosse Oberst Ott sagt, daß dies ein Problem der gesamten Hauptabteilung ist, dann stimmt das wohl auch, es ist aber in erster Linie ein Problem des Leiters des Bereiches Auslandstourismus.« Ein fehlender Mitarbeiter in den tschechischen Kurbädern sei ein »echter Mangel« und »nicht vereinbar mit unseren Sicherheitsinteressen«.124 Fiedlers Ausbruch blieb folgenlos. Im Dezember berichtete Ott in der Leiterberatung, dass »die Realisierung des Kaderbedarfs […] nach wie vor kompliziert« und eine »kontinuierliche Besetzung der Planstellen nicht gesichert« sei.125 Im März 1988 konstatierte Dietrich Krause, Leiter der Operativgruppe in Prag, »wir werden nie Mitarbeiter bekommen, wie wir sie gern hätten«.126 Zum Jahresende konstatierte der Leiter der Abteilung 2, Horst Rückheim, »unterschiedliche« Arbeitsergebnisse und gab eine drastische Negativwertung der Mitarbeiterqualifikation in den Operativgruppen und auch in seiner Abteilung.127 Die Qualifizierung der Operativgruppen-Mitarbeiter in den Urlaubsländern war ein sensibles Thema in der Leitungsetage der Hauptabteilung VI. Diese ließ sich über Schulungen der Mitarbeiter informieren, die für den Auslandseinsatz vorgesehen waren. Die Schulungen umfassten die Arbeit mit Zuträgern und deren Loyalitätsprüfung, die Bekämpfung von Fluchthelfern, Fragen der Konspiration, die Effizienz in der Beantwortung von Anfragen, die Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten sowie auch Abwehraufgaben. Wichtigster Bestandteil 123 HA VI, Bereich Auslandstourismus, Leiter: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242–251, hier 244 f. 124 HA VI/AKG: Leiterberatung am 9.5.1984, Material zusammengestellt am 4.6.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 29, Bl. 191–225, hier 194, 198, 203. 125 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung – Leitungsberatung am 19.12.1984, Berlin, 5.12.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 18, Bl. 205–214, hier 211. 126 HA VI: Protokoll der Leiterberatung am 23.3.1988, Berlin, 28.3.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9, Bl. 207–220, hier 215. 127 HA VI/Abt. 2: Bericht über die Ergebnisse der politisch-operativen Arbeit der Ope rativgruppen und der Abteilung 2 im Jahre 1988, Berlin, 9.12.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 8, Bl. 13–22, hier 16.
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dieser Schulungen waren Monologe der Vorgesetzten.128 Dennoch war Fiedler im Jahr 1986 unzufrieden mit der Qualifikation der Operativgruppen-Mitarbeiter.129 Bemerkenswert ist, dass diese den Sprachunterricht zunächst erst kurz vor ihrem Einsatz in Kompaktkursen erhielten. Diese erfolgten MfS-intern am Sprachinstitut der Hauptverwaltung A. Es war nördlich von Berlin im Schloss Dammsmühle untergebracht, das ab 1959 vom MfS genutzt wurde.130 Zu Beginn der 1980er-Jahre ging die Hauptabteilung VI offenbar dazu über, die Sprachausbildung ihres Auslandspersonals langfristig zu planen. Ein Dokument von 1983 erwähnt, dass Mitarbeiter der Operativgruppen, die für den Sommer entsandt werden sollten, bereits ab dem Herbst des Vorjahres Sprachunterricht in Dammsmühle erhielten. Allerdings bot die Fremdsprachenschule zu dieser Zeit keinen Unterricht in der ungarischen Sprache an.131 Die Sprachkenntnisse der Operativgruppen-Mitarbeiter blieben selbst aus der Perspektive des MfS unbefriedigend. Im Jahr 1988 sagte Dietrich Krause, der Leiter der Operativgruppe in der Tschechoslowakei, auf einer Leiterberatung: »In einer Gruppe von sechs Mann müssen wenigstens zwei die Sprache beherrschen«. Immerhin wiesen drei Mitarbeiter seiner Gruppe formell Tschechischkenntnisse vor – das Plansoll allerdings verlangte tschechische und russische Sprachkenntnisse bei allen sechsen. Noch anders sah es in der Operativgruppe Ungarn aus, in der zu dieser Zeit niemand Ungarisch sprach.132
128 HA VI/Abteilung 2: Zwischeneinschätzung der Vorbereitungsmaßnahmen der Siche rung des Reise- und Touristenverkehrs für die Saison 1971 in der VR Bulgarien und Ungarn, Berlin, 30.4.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13910, Bl. 166 f.; HA VI, Sicherungsaufgaben im Ausland, Abt. 6: Auswertungs- und Schulungsplan für die Mitarbeiter der Operativgruppen der Hauptabteilung VI, Berlin, 5.12.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4388, Bl. 19–26; HA VI, Stellv. Operativ: Einschätzung der Ergebnisse bei der Bekämpfung des staatsfeindlichen Menschenhandels und ungesetzlichen Verlassens der DDR, Berlin, 1.3.1976; BStU, MfS HA VI, Nr. 12291, Bl. 27–33, hier 28; HA VI/AKG: Leiterberatung am 9.5.1984, Material zusammengestellt am 4.6.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 29, Bl. 191–225, hier 204. 129 HA VI: Protokoll der Leiterberatung am 11. Juni 1986, Berlin, 13.6.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 44, Bl. 201–205, hier 203. 130 HA VI, Linie SRT, Abt. 2: Bericht über den Stand der Vorbereitung der Aufgaben zur Vervollkommnung der Teilsicherungssysteme in der VR Bulgarien, Ungarische VR und ČSSR, Berlin, 17.3.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 14290, Bl. 201–212, hier 211; HA VI, Bereich Auslandstourismus, Leiter: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242–251, hier 245. 131 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Bericht zur Beratung beim Leiter der Hauptabteilung am 11. Mai 1983, Thema: Die Vorbereitung der politisch-operativen Sicherung des entsendenden Tourismus, Berlin, 15.4.1983; BStU, MfS, HA VI, Nr. 18, Bl. 259–268, hier 262. 132 HA VI: Protokoll der Leiterberatung am 23.3.1988, Berlin, 28.3.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9, Bl. 207–220, hier 216; (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 71; (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe Ungarn), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 104–124, hier 104.
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Mangelnde Sprachkenntnisse waren nur ein Aspekt der in geheimpolizeilichen Kreisen typischen Isolation. Die Abschottung gegenüber allem, was den eigenen Kontrollanspruch relativiert hätte, zog auch weitere Hindernisse für eine Arbeit im Ausland nach sich. Einer dieser Aspekte ist die private Kontaktarmut, welche der Zwang zur Konspiration mit sich brachte. Die MfS-Mitarbeiter hatten diesen Zwang stark verinnerlicht, was ihnen die Fähigkeit nahm, das Problem als solches zu erkennen. Stattdessen fühlten sie eine Sehnsucht nach den Kollegen daheim, mit denen ein offenes Gespräch über die Probleme, die eine geheimpolizeiliche Tätigkeit mit sich bringt, eher möglich war. Hinzu kam, dass die Operativgruppen-Mitarbeiter im Ausland den materiellen Standard erwarteten, der ihnen aus der Tätigkeit beim MfS in der DDR garantiert war. Dies führte beispielsweise dazu, dass das MfS die Dienstwohnungen seiner Mitarbeiter im Ausland oftmals komplett mit DDR-Mobiliar einrichtete. Auch waren die MfS-Kurierflugzeuge häufig mit Konsumgütern unterwegs. Dennoch ließen sich nicht sämtliche Defizite materiell ausgleichen, weshalb die Tätigkeit in einem anderen sozialistischen Land unbeliebt blieb. Das Reizvolle an einer Arbeit im Ausland – das Kennenlernen anderer Kulturen und die Möglichkeit, den eigenen Erfahrungsraum zu erweitern – blieb ihnen weitgehend versperrt. Möglicherweise verspürten sie auch von vornherein kein Bedürfnis danach. Die Unlust an gesellschaftlichem Austausch bzw. die ihm vorgelagerte administrative Barriere offenbarten sich auf vielerlei Weise. Die Operativgruppe in Ungarn zum Beispiel verlieh den Mitarbeitern der DDR-Botschaft, die sie zu überwachen hatte, extrem abfällige Tarnnamen.133 Ein im Stil eines Tramper-Tagebuchs abgefasstes Protokoll schildert sogar eine kulturelle Kluft und einen Mentalitätsunterschied zwischen den MfS-Mitarbeitern in Moskau und KGB-Mitarbeitern auf der Regionalebene. Ein vom KGB festgenommener und von der Operativgruppe zurückgeführter Reisender gab an, dass die KGB-Mitarbeiter ihn mit »natürlicher Freundschaftlichkeit und Herzlichkeit« behandelt hätten, während die Offiziere der MfS-Operativgruppe ihn »wortlos und mit ausdruckslosem Gesicht« empfangen hätten. Ein MfS-Verhörer der BV Halle hatte ihm die Möglichkeit eingeräumt, das Protokoll selbst zu verfassen. Fokussiert auf die Kontrolle über Individuen, konnte das MfS den Reisenden nicht verstehen, der stattdessen für Menschenliebe plädierte und diese den KGB-Offizieren zuschrieb. Seinen Lebensstil grundsätzlich verurteilend, war das MfS bei der Bestimmung seiner Übertretung hilflos.134 133 Die Operativgruppe verlieh der Botschaft den internen Tarnnamen »Gärtnerei«; einzelne Mitarbeiter bezeichnete sie als »Fußbank«, »Besen«, »Handfeger« oder »Schrupper« [Rechtschreibfehler im Original]. Siehe Kontaktliste der OG Budapest (ca. 1987–1989); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 964, Bl. 1–6. 134 Persönliche Niederschrift (Abschrift) eines beschuldigten DDR-Bürgers wegen Grenzverletzungen auf seiner Reise durch die UdSSR, Halle, 17.10.1972; BStU, MfS, HA II, Nr. 38127, Bl. 20–37.
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In den Operativgruppen befanden sich kaum Mitarbeiter, die einen kulturellen Austausch aktiv lebten. Allein in der Moskauer Gruppe waren einige MfS-Hauptamtliche tätig, die Frauen aus der Sowjetunion geheiratet hatten und mit ihnen – zum Teil über längere Zeit hinweg – in der Sowjetunion lebten.135 Einer von ihnen berichtete einem befreundeten Mitarbeiter in der MfS-Zentrale von unüberwindbaren Anpassungsschwierigkeiten seiner Kollegen vor Ort. »Wir kommen auch mit den Lebensverhältnissen hier zurecht, leiden nicht an Heimweh, was für DDR-Bürger in Moskauer Vertretungen schon ein Problem sein kann. ‚Meine Frau hälts hier nicht aus. Lieber heute als morgen möchten wir wieder nach Hause‘, hört man hin und wieder mal inoffiziell verlauten.«136 Wie sehr die Verinnerlichung von Konspiration isolierend wirkte, zeigt eine Anfrage des Leiters der Operativgruppe Warschau, Karl-Heinz Herbrich, an sein Basisreferat, die AG 4 der Hauptabteilung II. Anlässlich seines Abschieds aus Warschau hatte ihm der Vizeminister des polnischen Innenministeriums Lucjan Czubiński seine persönliche Freundschaft und Kontaktpflege angeboten. Herbrich hielt es nun für notwendig, bei der MfS-Zentrale anzufragen, »ob und in welcher Form ich auf das Angebot des Genossen General eingehen soll bzw. inwiefern der Kontakt weiter ausgebaut werden soll«.137 Eine solche Vorsicht kam nicht von ungefähr. Abgesehen vom starken Konformitätsdruck wussten die MfS-Mitarbeiter, dass sie auch selbst Ziel von Observation und Loyalitätsüberprüfungen sein konnten. Die Mitarbeiter der Operativgruppe Moskau beispielsweise konnten in ihren Arbeitsräumen zumindest akustisch überwacht werden. Auch wurden ihre Telefone abgehört. Offiziell war dies nur dem Leiter der Operativgruppe, seinem Stellvertreter sowie den Operateuren der Anlagen bekannt.138
135 HA XVIII/AIG: Vorschläge zum Einsatz in der Operativgruppe des MfS in Moskau/ UdSSR auf Linie XVIII, Berlin, 16.5.1979; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2508, Bl. 23–26; Major Dr. Wünsch, Operativgruppe an HA XVIII/AIG: Antrag, Moskau, 23.7.1974; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2598, Bl. 4; siehe auch ebenda, Bl. 1. 136 Persönliches Schreiben OGM/AG XVIII, Major Dr. Wünsch an HA XVIII/AG 3, OSL Matthes, Moskau, 5.11.1980; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2598, Bl. 35–38. 137 HA II/AG 4: Bericht, Berlin, 13.2.1984; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 65. Zu Czubiński vgl. Piotrowski/IPN (Hg.): Aparat bezpieczeństwa w Polsce, S. 61, http://ipn.gov.pl/__data/assets/pdf_file/0019/62731/1-24925.pdf. 138 HA II/Abt. 10, Leiter: Operativ-technische Maßnahme A/B, Berlin, 9.4.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 65.
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1.3 Informationsquellen Die Operativgruppen pflegten eigene offizielle Kontakte und führten inoffizielle Mitarbeiter.139 Offizielle Kontakte pflegten sie vor allem mit den jeweiligen Partnerdiensten und Mitarbeitern der DDR-Botschaften vor Ort. Die inoffiziellen Mitarbeiter der Operativgruppen besaßen zumeist die Staatsbürgerschaft der DDR und berichteten in der Hauptsache über andere DDR-Bürger. Gelegentlich führten die Operativgruppen auch Bürger des Gastlandes als Informanten.140 Ebenso war eine zeitweilige Übergabe der Zuträger an die Partnerdienste möglich. Die Modalitäten regelten Verträge zwischen den Sicherheitsdiensten der betreffenden Staaten.141 Die Operativgruppen kooperierten in der Informationsbeschaffung sehr eng mit der MfS-Zentrale über ihre Basisreferate. Nur gelegentlich hatten sie die Federführung inne – beispielsweise wenn Observationen und Ermittlungen über eine längere Zeit hinweg vor Ort stattfanden. Sie führten auch inoffizielle Mitarbeiter, wenn diese sich dauerhaft, saisonal oder während eines Urlaubs im entsprechenden Land aufhielten. Viele IM des MfS, die dienstlich oder privat in die Gastgeberländer der Operativgruppen reisten, wurden allerdings weiterhin von der MfS-Zentrale geführt. Dies hatte pragmatische Gründe – die Arbeitskapazitäten der Operativgruppen waren gegenüber denen der MfS-Zentrale unverhältnismäßig geringer. Auch die Basisreferate der Operativgruppen führten IM, die ins sozialistische Ausland reisten – ihre Berichte flossen mit denen der Zuträger der Operativgruppen zusammen. Zur Anzahl der IM – auch der Operativgruppen – wurden bereits umfangreiche Statistiken veröffentlicht. An diesen lässt sich die zahlenmäßige Relation zwischen den IM der Operativgruppen und denen ihrer Basisreferate abschätzen.142 In den Urlaubsländern Bulgarien, Ungarn und der ČSSR berichteten dem MfS vor allem Reiseleiter, Reisebüro-Angestellte und zu Spitzeldiensten im Urlaub verpflichtete IM der Ostberliner Zentrale, die das MfS »überörtliche IM« nannte.143 Auch MfS-Hauptamtliche im Urlaub sollten Kontakt mit den Operativgruppen aufnehmen und Mitreisende bespitzeln. Weitere Zuträger der Operativgruppen befanden sich in den DDR-Botschaften, in Handelseinrichtungen und sogar in Nationalitätenrestaurants. IM unter DDR-Auslandsstudenten berichteten über ihre Kommilitonen. Viele Operativgruppen versuchten, 139 Siehe die Abschnitte zur Informationsbeschaffung in den Kapiteln zu den einzelnen Operativgruppen. 140 Siehe S. 100 u. 205. 141 Die Kapitel zu den einzelnen Operativgruppen gehen auf bilaterale Verträge auf ministerieller Ebene und auf die bilateralen Regelungen für die Arbeit der Operativgruppen ein, vgl. je weils dort. 142 Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter, Teil 3, S. 263–265, 285–288. 143 Siehe S. 54 u. 105.
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IM an westliche Nachrichtendienste heranzuführen, um mehr über deren Tätigkeit zu erfahren. In den Urlaubsländern schickten sie zudem Zuträger aus, welche die Aufgabe hatten, Bekanntschaften mit Bundesbürgern zu schließen, die das MfS als West-IM zu gewinnen trachtete.144 In sozialistischen Ländern, wo keine MfS-Operativgruppen zur Überwachung des Reise- und Touristenverkehrs eingesetzt waren, übernahmen IM bzw. Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS), Führungs-IM (FIM) und Hauptamtliche IM zur Sicherung (HIMS) diese Funktionen.145 Dies betraf Polen, die Sowjetunion und Jugoslawien. Führungs-IM gab es zeitweilig auch neben den Operativgruppen in der ČSSR, in Ungarn und Bulgarien. Als Hauptamtliche IM zur Sicherung wurden in den 1980er-Jahren zwei Reiseleiter von der Abteilung 3 geführt.146 Hinzu kamen »überörtlich« eingesetzte IM im organisierten Reiseverkehr und in den Touristenzentren, die als Reiseleiter, Dolmetscher oder auch als gewöhnliche Reiseteilnehmer Informationen sammelten. Für die MfS-Zuträger typische Berufsgruppen waren Angestellte bzw. Repräsentanten des DDR-Reisebüros und von Jugendtourist, Reiseleiter, Sprachmittler, Kraftfahrer, Angestellte im gastronomischen Bereich, Unterhaltungskünstler, freiberufliche Journalisten und Studenten. Um ihre Beobachtungstätigkeit zu steuern, übergab das MfS ihnen sogenannte Komplexaufträge. Diese verzeichneten, über welche Beobachtungen die Zuträger einer Kategorie jeweils berichten sollten. Neben Fluchtvorbereitungen und Ost-West-Kontakten zählten dazu bereits Banalitäten wie ein »Absondern von der Gruppe«, häufige Telefongespräche und sogar das Fotografieren »alter«, d. h. aus der Perspektive einer Fortschrittsideologie unerwünschter Motive.147 Besonders skurril waren die Maßnahmen, die das MfS einsetzte, um die eigenen hauptamtlichen und inoffiziellen Mitarbeiter während ihres Urlaubs zur Observation ihrer Mitreisenden zu bewegen. Im Jahr 1971 richtete die Hauptabtei144 Zur sogenannten »Blickfeldarbeit« der HA II gegenüber westlichen Nachrichtendiensten siehe S. 200. 145 GMS waren MfS-Zuträger mit offen staatsnaher Einstellung und zumeist in offiziellen DDR-Institutionen tätig, während Führungs-IM mit der Anleitung einiger weiterer IM beauftragt waren. Vgl. MfS-Lexikon, hier S. 96, 108. Zur Überwachung von Reisenden setzten Operativgruppen insbesondere auf GMS und FIM bei den ostdeutschen Reiseveranstaltern (»Reisebüro der DDR« und »Jugendtourist«). 146 Hauptamtliche IM, Stand: Januar 1989; BStU, MfS, HA VI, Nr. 7, Bl. 65. 147 Komplexauftrag 1) für Mitarbeiter des MfS und IM, die als Reiseleiter eingesetzt werden, 2) für Mitarbeiter des MfS und IM, die als Touristen in das sozialistische Ausland fahren (ca. 1966); BStU, MfS, HA XX, Nr. 15818, Bl. 1–3. Siehe auch ASR/Abt. 1: Touristenreisen ins soz. Ausland/Komplexauftrag für operative Mitarbeiter und IM, die als Touristen bzw. Reiseleiter in das sozialistische Ausland reisen, 27.6.1969; BStU, MfS, HA XX, Nr. 11993, Bl. 144– 147; Komplexauftrag zur Einweisung von Mitarbeitern des MfS und inoffiziellen Mitarbeitern, die am Reise- und Touristenverkehr in andere sozialistische Staaten teilnehmen, ca. 1977; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4442, Bl. 43 f.
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lung VI im Bereich Koordinierung ihrer 2. Abteilung einen Mechanismus ein, der dafür sorgen sollte, dass MfS-Mitarbeiter im Urlaub den Operativgruppen berichten konnten. Der weitreichende Vorstoß fiel in eine Zeit hoher Flüchtlingszahlen über Drittländer. Die HA VI veranlasste, dass die Abteilungen 2 und 3 der HA VI, welche Auslandsreisen aller DDR-Bürger erfassten, Anträge auf Reiseanlagen nach der Arbeitsstelle »MdI« (Ministerium des Innern – die Legendierung der MfS-Angehörigen) durchsuchten. Die Ergebnisse glich der Bereich Koordinierung mit der Hauptabteilung Kader und Schulung ab und ersuchte dann die jeweiligen MfS-Dienststellenleiter, die herausgefilterten Hauptamtlichen für eine Zusammenarbeit mit den Operativgruppen zu bestätigen. Auf diese Weise kamen knapp 500 Hauptamtliche des MfS zusammen, von denen die Dienststellenleiter etwa 300 für eine Mitarbeit in den Operativgruppen bestätigten. Die Koordinierungsstelle reichte die Daten anschließend an die Operativgruppen weiter. Der mit Abstand größte Nutznießer dieses Mechanismus war die Operativgruppe in Bulgarien. Die Koordinierungsstelle übermittelte ihr die Reisedaten von 224 MfS-Hauptamtlichen, die 1971 einen Urlaub in Bulgarien planten. Die Hauptabteilung VI ließ auch ermitteln, ob IM anderer Hauptabteilungen und Bezirksverwaltungen für die Operativgruppen abgestellt werden könnten. Die Koordinierungsstelle instruierte die Abteilung XII (Zentrale Speicher), alle IM und GMS, die eine Reise in die entsprechenden Länder planten, den Leitern der jeweiligen Diensteinheiten zu melden. Die Leiter hielt sie an, diese nach Einschätzung ihrer Zuverlässigkeit für eine Zusammenarbeit mit der Operativgruppe zu bestätigen. Die Abteilung XII machte 1971 auf diese Weise 1 625 IM und GMS aus, von denen die Dienststellenleiter 530 zur Zusammenarbeit mit den Operativgruppen bestätigten. Wiederum profitierte vor allem die Operativgruppe Bulgarien. Die Koordinierungsstelle meldete ihr die Namen von 325 IM bzw. GMS und zeigte sich hinsichtlich der Zusammenarbeit der Operativgruppen mit den Hauptamtlichen zufrieden, kritisierte aber eine mangelhafte Vorbereitung der IM, die zudem »unterschiedliche Qualität« aufgewiesen hätten.148 Um loyale IM zu rekrutieren, dachte die HA VI darüber nach, diesen als Anreiz Campinganhänger und Zeltausrüstungen zu stellen oder über die kooperierenden Sicherheitsdienste Ferienhäuser anzumieten.149 Wie lang der Bereich Koordinierung diese aufwändige Rekrutierung praktizierte, kann nach dem Stand der Überlieferung nicht beurteilt werden. Der Nutzen für die Operativgruppen dürfte vor allem darin bestanden haben, viele Ansprechpartner zu erhalten, die gegenüber dem MfS loyal waren. Jedoch hatten 148 HA VI, SRT/Abt. 2: Einschätzung über die Tätigkeit der Koordinierungsstelle im Jahre 1971, Berlin, 30.11.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13910, Bl. 47–56. 149 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien und in der Ungarischen Volksrepublik im Zeitraum von Mitte Mai bis Oktober 1971, Berlin, 26.11.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17027, Bl. 49–121, hier 79–90.
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sie nicht die Kapazität, alle gemeldeten Mitarbeiter tatsächlich vor Ort zu treffen und für sich berichten zu lassen. Nachgewiesen ist allein eine dauerhafte Zurückhaltung in den Bezirksverwaltungen, von sich aus hauptamtliche Mitarbeiter, IM und GMS vor deren Urlauben an die Koordinierungsstelle zu melden.150 Eine solche Meldung dürfte einer Abstrafung gleichgekommen sein. Widersprüchliche und geradezu unannehmbare Verhaltensmaßregeln für MfS-Urlauber im sozialistischen Ausland – überliefert sind diese für die 1980er-Jahre – versprachen spürbare Beeinträchtigungen: Die Hauptamtlichen sollten Kontakte zu Menschen aus westlichen Ländern vermeiden und »bei Unumgänglichkeit mit besonderer Vorsicht« handeln. Falls solche Kontakte doch entstünden, waren sie gehalten, »Möglichkeiten zur Erkundung der Kontaktperson konsequent zu nutzen« – hierzu zählten das Festhalten von Gesprächsinhalten, das Beobachten, heimliches Fotografieren und das Notieren der Autokennzeichen. Allerdings durften sie auf keinen Fall »Aufklärungs- und Ermittlungshandlungen auf eigene Faust« durchführen. Dabei sollten sie »nicht mehr über sich und die eigene Familie […] offenbaren als auf Grund der gegebenen Umstände unvermeidbar ist und sich nicht für den Feind interessant […] machen«. Vor der Reise hatten sie sich eine Legende zurechtzuzimmern, besonders was ihren Arbeitgeber anging. Diskussionen sollten sie »von einem klaren Standpunkt aus offensiv führen«, dabei allerdings nicht provozieren und sich nicht provozieren lassen. Einladungen, den Adressentausch, Geschenke, das gegenseitige Fotografieren oder Filmen sowie die Aufrechterhaltung des Kontakts sollen sie mit einer glaubwürdigen Begründung ablehnen, dabei jedoch »unnatürliches Verhalten wie übertriebene Vorsicht (und) auffälliges Ausweichen vor Begegnungen« vermeiden. Auch mitreisende Verwandte, »insbesondere die Kinder«, sollten sich an diese Prinzipien halten. Die Kontakte waren nach der Rückkehr zu melden. Auch Mitreisende sollten beobachtet werden: Die reisenden Hauptamtlichen sollten hierbei Ost-West-Kontakte melden; weiterhin DDR-Bürger, die Grenzanlagen erkundeten oder die westliche Botschaften aufsuchten. Die Meldungen sollten der Botschaft, den Konsulaten oder dem Reiseleiter erstattet werden.151 Auch generell ließen die MfS-Vorschriften für Privatreisen den Mitarbeitern keine Freiheiten. Sie waren angehalten, die »Politik von Partei und Regierung offensiv [zu] vertreten« und dennoch »tschekistische Umsichtigkeit« walten zu lassen. Beim Besuch von Verwandten und Bekannten hatten sie die Tätigkeit und politische Haltung ihrer Gastgeber zu melden. Eigenständig durften sie nur zehn Länder besuchen. Individualreisen nach Rumänien oder Reisen nach Jugo150 Vgl. z.B. HA VI, SRT/Abt. 2: Einschätzung über die Tätigkeit der Koordinierungsstelle im Jahre 1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13910, Bl. 47–56, hier 52. 151 MfS, HA KuSch, Bereich Schulung: Lehrmaterial für die zentrale politisch-fachliche Schulung, Thema: Zum Reise- und Touristenverkehr von Bürgern der DDR in das sozialistische Ausland und der Verhinderung seines Mißbrauchs, Berlin, August 1984; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9893, Bl. 355–374.
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slawien waren ihnen beispielsweise formell untersagt. Dies galt auch für Reisen, bei denen die Route oder die Unterkunft nicht vorab feststanden. Zudem waren sie verpflichtet, über staatliche Reisebüros zu buchen. Diese mit Sicherheitsbedenken begründeten Einschränkungen mögen zum mangelnden Interesse von MfS-Mitarbeitern an Auslandskontakten beigetragen haben.152 In der Praxis dürften die MfS-Mitarbeiter Möglichkeiten und Tricks genutzt haben, um einer Meldepflicht im Ausland zu entgehen. So hielt die HA VI bereits 1972 fest, dass »avisierte Mitarbeiter, die sich auf Campingplätzen und in Privatquartieren der UVR aufhielten, nur zeitaufwändig ermittelt werden konnten«. Möglicherweise war dies ein Grund für das erwähnte spätere Verbot, den Urlaub in Privatunterkünften zu verbringen. Belegt ist, dass die HA VI junge Hauptamtliche, die nach Ungarn fuhren, zu einer Spitzeltätigkeit auf Zeltplätzen verpflichtete.153 Bald bezeichnete die Hauptabteilung VI die inoffiziellen Mitarbeiter, welche während einer Reise für die Operativgruppen abgestellt wurden, als »überörtliche IM«. Einige Hauptamtliche der HA VI verfassten über deren Führung spezielle Ausarbeitungen und Analysen.154 Im Jahr 1976 forderten die Operativgruppen 68 solcher »überörtlichen IM« an, in den Jahren 1978 und 1983 planten sie den Einsatz von 70 bzw. 71. Für 1985 sind Zahlen von 99 und für 1986 von 105 solcher IM überliefert.155 152 Der Minister: Ordnung Nr. 13/85 über private Reisen von Angehörigen und Zivilbeschäf tigten des MfS in das sozialistische Ausland – Auslandsreiseordnung (Privatreisen), Berlin, 5.7.1985; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8428. 153 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der OperativGruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Zeitraum von Mai bis Oktober 1972, Berlin, den 22.11.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 76–128, hier 121. Siehe S. 129. 154 Rommel, Bernd: Die Suche, Auswahl, Gewinnung und Qualifizierung von inoffiziellen Mitarbeitern, die zum überörtlichen disponiblen Einsatz in der VRB, ČSSR, UVR gelangen sollen und die Gestaltung einer kameradschaftlichen Zusammenarbeit mit den Bezirksverwaltungen/ Abteilungen VI hinsichtlich der Bereitstellung von überörtlich einsetzbaren inoffiziellen Mitarbeitern, Potsdam, 30.9.1985; BStU, MfS, JHS, Nr. 20311; Mitschke, Peter: Organisatorische Vorbereitung und Auswertung des überörtlichen Einsatzes von IM anderer Diensteinheiten des MfS im Auftrage der Hauptabteilung VI in den anderen sozialistischen Staaten unter Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen und Anforderungen an diese IM, Potsdam, 15.12.1978; BStU, MfS, JHS, MF 0001-555/79; HA VI/Abt. 2: Analyse des befristeten überörtlichen Einsatzes von IM im sozialistischen Ausland, Berlin, 18.11.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9931, Bl. 38–46, hier 38. Bernd Rommel war während der Abfassung der Ausarbeitung als Leutnant im Bereich Auslandstourismus tätig und wechselte nach deren Einreichung als Oberleutnant in die Operativgruppe Ungarn. Siehe HA VI, Bereich Auslandstourismus: Besetzung der Operativgruppen des MfS in der ČSSR, VRB und UVR im Jahre 1986, Berlin, 7.5.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 98 f. Ob Mitschke zur Tätigkeit der Operativgruppen beitrug, ist unklar; allein seine Zugehörigkeit zum Bereich Auslandstourismus ist bekannt. 155 HA VI, Stellv. Operativ: Bericht über den Stand der Vorbereitung der Sicherung des Tourismus im sozialistischen Ausland, Berlin, 16.2.1976; BStU, MfS, HA VI, Nr. 12290, Bl. 140–143; HA VI, Bereich Auslandstourismus, Leiter: Berichterstattung zur erweiterten Lei-
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Zeitgleich zur Arbeit mit »überörtlichen IM« baute die HA VI ab 1970 zur Überwachung von DDR-Touristen in Bulgarien das sogenannte »Sicherungsmodell Nessebar« auf, bei dem Urlauber nicht nur über die mitreisenden Reiseleiter, sondern auch über dauerhaft vor Ort präsente Mitarbeiter des DDR-Reisebüros überwacht wurden. Diese leiteten als Führungs-IM weitere vor Ort arbeitende Zuträger an.156 Ab 1972 überwachte das MfS auch in Ungarn und der Tschechoslowakei DDR-Touristen über Reisebüro-Mitarbeiter, die als IM oder Führungs-IM verpflichtet wurden. Im Jahr 1973 verpflichtete es 20 Reisebüro-Mitarbeiter zur IM-Tätigkeit und weitete das »Modell« auf zusätzliche Länder aus. Im Jahr darauf bestanden im Verantwortungsbereich der Abteilung Auslandstourismus der HA VI sechs Zuträgernetze von Führungs-IM (FIM-Netze), weitere sechs befanden sich im Aufbau.157 Schließlich entstand ein Dualismus aus temporär am Urlaubsort anwesenden Reiseleitern und überörtlichen IM einerseits sowie dauerhaft dort positionierten Reisebüro-Vertretern andererseits. Die Operativgruppen griffen bei der Überwachung von Urlaubern auf beide Strukturen zurück. Das »Sicherungsmodell Nessebar« ist ein Beispiel dafür, wie die vom MfS als notwendig erachtete Überwachung gesellschaftliche Strukturen außerhalb der geheimpolizeilichen Sphäre determinierte. Auf Anforderung des MfS gestaltete das DDR-Reisebüro die Struktur seiner Urlauberbetreuung um, die schon zuvor eine Überwachung von Reisegruppen durch deren Leiter garantiert hatte. Hierzu gehörte auch, dass das Reisebüro MfS-Offiziere im besonderen Einsatz in seine Strukturen integrierte. Beispielsweise wählte ein OibE, der während der Urlaubszeit im Ausland das Reisebüro vertrat, außerhalb der Reisezeit Reiseleiter aus – und setzte dabei Informanten des MfS ein. Im Jahr 1986 hatte
tungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242–251, hier 247; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Bericht zur Beratung beim Leiter der Hauptabteilung am 11. Mai 1983, Thema: Die Vorbereitung der politisch-operativen Sicherung des entsendenden Tourismus, Berlin, 15.4.1983; BStU, MfS, HA VI, Nr. 18, Bl. 259–268, hier 264; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur Leiterberatung am 17.12.1986, Thema: Stand und Ergebnisse der politisch-operativen Sicherung des entsendenden Tourismus im Jahre 1986, Berlin, 3.12.1986, BStU, MfS, HA VI, Nr. 45, Bl. 450–460, hier 455. 156 Siehe S. 100. 157 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der OperativGruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Zeitraum von Mai bis Oktober 1972, Berlin, den 22.11.1972, HA VI, Nr. 4387, Bl. 76–128, hier 118; HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, den 28.11.1973, BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 129–170, hier 153; HA VI/Abt. Auslandstourismus: Bericht über den Stand der Vorbereitung der Aufgaben und Maßnahmen zur Sicherung des Tourismus der DDR in das sozialistische Ausland, Berlin, 18.2.1975; BStU, MfS, HA VI, Nr. 40, Bd. 1, Bl. 157–165.
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das MfS 8 OibE in den Bereichen des DDR-Reisebüros platziert, die den Auslandstourismus von DDR-Urlaubern steuerten.158 Weiterhin sollte eine besondere Kategorie von MfS-Zuträgern Grundlagen für die Westarbeit legen: Schon sehr früh nutzte das MfS die touristischen Berührungszonen zwischen Ost und West, um über IM legendiert die Anwerbung von Bundesbürgern vorzubereiten. Ab 1969 setzte es hierfür länderübergreifend besondere IM ein, die es als IME (Inoffizielle Mitarbeiter im besonderen Einsatz) bezeichnete. In diesem Jahr befassten sich 13 IME in Bulgarien mit der »Herstellung und Festigung von Kontakten zu operativ interessanten Personen« aus westlichen Ländern, vor allem der Bundesrepublik. Das MfS kategorisierte auch Mitarbeiter der DDR-Botschaft in Sofia als IME.159 Im Jahr 1973 identifizierte ein IME am Balaton einen bundesdeutschen Fluchthelfer, indem er vorgab, selbst flüchten zu wollen. Gleiches tat ein IME an der bulgarischen Schwarzmeerküste mit einem Fluchthelfer aus Österreich. Ein weiblicher IME täuschte in der ČSSR hierzu sogar eine Liebesbeziehung vor, sofern man in diesem skurril wirkenden Fall der schriftlichen Überlieferung Glauben schenkt. Die IME waren offenbar nicht loyaler als andere IM: 1972 versuchte beispielsweise ein IME, nach seinem Einsatz in Ungarn über Rumänien nach Westeuropa zu flüchten. Obwohl einzelne IME wohl auch Ermittlungsaufgaben erhielten, blieben konkrete Operationen dieser Art, die sich gegen vorab bestimmte Bundesbürger richteten, den sogenannten »Romeos« der Hauptverwaltung A vorbehalten.160 Das von den Operativgruppen der HA VI errichtete IM-System setzte sich 1977 folgendermaßen zusammen: 158 HA VI: Berichterstattung zum Thema »Wirksamkeit und Ergebnisse der Arbeit mit OibE«, Berlin, 20.2.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 44, Bl. 105–115, hier 105 f.; Arbeitsakte OibE »Thea«; BStU, MfS, AIM 15376/91, Bl. 10–13. 159 HA XX/5, Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien, Berlin, den 10.11.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 54–85, hier 67; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien im Jahre 1969, Berlin, den 20.11.1969; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 89– 132, hier 111–113, 128; HA XX: Bericht über die Tätigkeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahr 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 9.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 16–36, hier 27 f. Zu den diversen Einsatzgebieten von IME vgl. MfSLexikon, S. 174. 160 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, den 28.11.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 129–170, hier 156 f.; HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Zeitraum von Mai bis Oktober 1972, Berlin, 22.11.1972; ebenda, Bl. 76–128, hier 120. Zu den »Romeos« der HV A siehe Anm. 325.
Informationsquellen
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Tabelle 2: IM-System der Operativgruppen, 1977 Land
IM in DDRAuslandsvertretungen u. ä.
IM in Repräsentanzen des Reisebüros
IM unter Studierenden
erarbeitete Informationen
ČSSR
23
10
10
403
Ungarn
19
12
5
380
Bulgarien
19
22
–
483
Hinzu kamen 66 inoffizielle Mitarbeiter, die durch das Basisreferat der Operativgruppen im MfS, die Abteilung 2 der HA VI, geführt wurden, sowie die zeitweilig in diesen Ländern eingesetzten inoffiziellen Mitarbeiter aus Reisegruppen, deren Zahl sich zu diesem Zeitpunkt auf ca. 70 belief.161 Auch die verbündeten Sicherheitsorgane trugen zum Informationsaufkommen der Abteilung Auslandstourismus bei. Im Jahr 1977 übergaben sie die folgende Zahl von Informationen über DDR-Bürger:162 Tabelle 3: Informationsübernahmen der OPG aus dem jeweiligen Gastland, 1977 Land
Informationen insgesamt*
davon zu Ostdavon zu Westkontakten Ausreisewünschen
davon zu Fluchtplänen
ČSSR
784
400
3
318
Ungarn
514
216
3
295
Bulgarien
110
36
–
48
* Die drei ausgewählten Filterkriterien führen rechnerisch nicht zur Gesamtzahl.
Im Jahr 1978 bestand die IM-Basis in den drei Ländern aus 35 Repräsentanten der Reisebüro-Generaldirektion und 12 Betreuern von »Jugendtourist«. Von ihnen waren 7 Repräsentanten und 1 Betreuer in der ČSSR, 21 Repräsentanten (darunter ein Offizier im besonderen Einsatz) und 7 Betreuer in Bulgarien und 7 Repräsentanten und 4 Betreuer in Ungarn eingesetzt. Den Operativgruppen standen 31 IM/GMS unter den ständig im Ausland wohnenden DDR-Bürgern – vorwiegend aus den DDR-Auslandsvertretungen – bzw. Studenten zur Verfü161 HA VI/AG Koordinierung: Kontrollbericht, Berlin, den 16.1.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13543, Bl. 316–331, hier 316. 162 Ebenda, Bl. 312.
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gung. Weitere 70 IM wurden »überörtlich« vorwiegend in den grenznahen Räumen Ungarn/Jugoslawien und ČSSR/Österreich eingesetzt, wo besonders viele Fluchtversuche zu verzeichnen waren. Die Autoren des Berichts der Abteilung Auslandstourismus drängten darauf, in allen Jugendreisegruppen Zuträger unterzubringen.163 Im Jahr 1986 kamen laut einer Arbeitsbilanz in der ČSSR, Ungarn und Bulgarien 54 (im Vorjahr: 53) IM bzw. GMS der Operativgruppen neben 105 (im Vorjahr: 99) überörtlich eingesetzten IM und weiteren 58 (im Vorjahr: 60) hauptamtlichen Mitarbeitern – vorwiegend FDJ-Funktionäre und Studenten des MfS – zum Einsatz. Mit diesen Kräften erarbeitete die Abteilung Auslandstourismus 2 332 (2 119) »operative Informationen«.164 Auch bei den Zuträgern der Operativgruppen machte sich bemerkbar, dass der Wunsch des MfS, Ost-West-Kontakte bestmöglich zu überwachen, zu einer Verengung ihrer Arbeits- und Lebenswelten beitrug: Nachdem beispielsweise diverse westliche Einrichtungen den von der HA II zur Zuträgerschaft verpflichteten Handelsrat der DDR-Botschaft in Warschau zu Empfängen eingeladen hatten, untersagte ihm die Operativgruppe neue Kontakte und forderte eine »detaillierte Berichterstattung« über alle bestehenden.165
1.4 Infrastruktur und Zusammenarbeit mit den Geheimpolizeien der Gastgeberländer Institutionell waren die Operativgruppen an die jeweiligen Innenministerien in Prag, Sofia, Budapest und Warschau angebunden, die gleichzeitig Sitz der Staatssicherheit in diesen Ländern waren. In Moskau war der KGB direkt für die Belange der MfS-Vertretung zuständig. Die Operativgruppen verfügten über verschiedene Nachrichtenverbindungen zur Zentrale: Eine zeitnahe Kommunikation war über verschlüsselte Funk- und Telefonverbindungen möglich, während Dokumente in einem MfS-eigenen Kuriersystem per Dienstwagen oder Flugzeug befördert wurden. MfS-interne Grundlagen für den Einsatz der Operativgruppen waren Arbeitspläne und Dienstordnungen der Operativgruppen und ihrer Basisreferate, auf den Leiterberatungen der HA VI vorgelegte Tätigkeitsberichte, detaillierte
163 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242–251. 164 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur Leiterberatung am 17.12.1986, Berlin, 3.12.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 45, Bl. 450–460, hier 455. 165 OG Warschau: Konzeptionelle Vorstellungen zur politisch-operativen Absicherung der gegenüber »Martin 421« vorgetragenen Aktivitäten von Mitarbeitern diplomatischer Vertretungen aus NATO-Staaten in der VR Polen, 12.3.1985; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 17493, Bl. 50–53.
Zusammenarbeit mit den Geheimpolizeien der Gastgeberländer
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Aufstellungen der jeweils im Vorjahr erzielten Arbeitsergebnisse und vielfältige weitere MfS-Grundsatzdokumente. Auch die Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten erfolgte auf der Basis zahlreicher vertragsähnlicher Dokumente – besonders ab den 1970er-Jahren, in denen das MfS seine Außenbeziehungen stärker verrechtlichte. Neben bi- und multilateralen Vereinbarungen und Protokollen gehörten hierzu Pläne der bilateralen Zusammenarbeit, die oft Festlegungen über konkrete gemeinsame Maßnahmen enthielten. Diese entstanden auf regelmäßig stattfindenden bilateralen Konsultationen der befassten MfS-Hauptabteilungen mit ihren Funktionsäquivalenten in den Gastgeberländern der Operativgruppen. Die Kontakte zwischen den Operativgruppen und den Partnerdiensten des Gastlandes liefen in der Regel über Verbindungsoffiziere vor Ort oder über die Abteilungen für Internationale Verbindungen – im MfS war dies die Abteilung X.166 Der Informationsaustausch und die Informationsbeziehungen zu operativen Problemen fand grundsätzlich über diese Abteilungen statt. Das betraf beispielsweise: – Ersuchen und Informationen zu operativen Vorgängen (OV) beider Sicherheitsdienste mit zentraler Bedeutung, – Festnahmeersuchen zu Bürgern beider Staaten, die im jeweiligen Gastland straffällig geworden waren, – gemeinsame Fahndungen und kurzfristige Unterstützungsmaßnahmen (z. B. Kontrollaufträge zu verdächtigten Personen), die sich aus dem Reise- und Touristenverkehr ergaben und – Ersuchen um den Einsatz spezifischer operativer Mittel.167 Wenn dies vereinbart war, konnte sich die Operativgruppe in eiligen Sonderfällen auch direkt an operative Mitarbeiter des Staatssicherheitsdiensts des Gastlandes wenden. Daneben gab es den unmittelbaren Informationsaustausch zwischen den Operativgruppen und den Partnerdiensten, wenn etwa ein Verdacht auf »Republikflucht« bestand, wenn DDR-Bürger Kontakte zu Bürgern westlicher Länder oder Reiseunternehmen knüpften oder Hinweise auf »staatsfeindliches« Verhalten vorlagen. Die Partnerdienste unterstützten das MfS auch bei der Kontrolle von Post. Viele DDR-Bürger sandten aus einem anderen Ostblockland, in dem sie keine Postkontrollen vermuteten, Briefe an westliche Familienangehörige, Bekannte oder staatliche Stellen. Sie wandten sich an Institutionen wie das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, an den Präsidenten der Vereinigten Staaten oder den UN-Generalsekretär, um Übersiedlungen zu erreichen oder um 166 Vgl. Tantzscher: Die Stasi und ihre geheimen Brüder, S. 595–621. 167 Siehe z. B. Informationsbeziehungen zwischen der Operativgruppe des MfS und den Sicherheitsorganen der ČSSR, Berlin, 6.3.1973; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 71–74.
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Unterstützung in anderen Dingen zu erhalten. Auf Anforderung des MfS bauten die Partnerdienste darauf bezogene Filterkriterien in ihre Postkontrollen ein. Sie konfiszierten oder kopierten Post und übermittelten die Kontrollergebnisse über die Operativgruppen oder die internationalen Abteilungen an das MfS. Nachfolgende Tabelle enthält beispielsweise Angaben über die Anzahl der beschlagnahmten Briefe, die der Bereich Auslandstourismus der HA VI im Jahr 1977 von den verbündeten Sicherheitsorganen erhielt:168 Tabelle 4: Postkontrollergebnisse aus Gastländern an OPG, 1977 Partnerdienst
konfiszierte darunter zu darunter zu oder kopierte Ost-West-Kon- Fluchthilfe Post insgesamt* takten
darunter zu Fluchtplänen ohne Fluchthilfe
StB/ČSSR
1104
1070
26
–
DS/Bulgarien
870
7
5
8
BM/Ungarn – – – – * Die drei ausgewählten Filterkriterien führen rechnerisch nicht zur Gesamtzahl.
168 HA VI/AG Koordinierung, Planung und Kontrolle: Kontrollbericht, Berlin, 16.1.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13543, Bl. 304–340, hier 312.
2. Die Operativgruppe in der Sowjetunion Die Operativgruppe Moskau überwachte einerseits DDR-Bürger in der Sowjetunion und bearbeitete andererseits Bürger westlicher Staaten – meist der Bundesrepublik – in Zusammenarbeit mit dem KGB. Den groben Rahmen hierfür bildeten Pläne zur Zusammenarbeit von KGB und MfS, die jedoch selten konkret auf die Moskauer Operativgruppe verweisen.169 Bei der Anleitung der Operativgruppe war die Hauptabteilung II (Spionageabwehr) federführend, die auch den größten Teil der Mitarbeiter entsandte. Darüber hinaus waren Mitarbeiter der Linie XVIII (Überwachung der Volkswirtschaft), der Linie I (Überwachung von NVA und Grenztruppen) und der Hauptverwaltung A (Auslandsaufklärung) in der Operativgruppe tätig, wobei die Rolle der HV A aufgrund der lückenhaften Überlieferung hier nicht darstellbar ist. Das MfS hatte seine erste Auslands-Operativgruppe in der Sowjetunion eingerichtet, als in der Destalinisierungszeit die Kontakte zwischen Eliten der DDR und der UdSSR zunahmen. Nach dem Tod Josef Stalins, der multilateralen Institutionen skeptisch gegenüberstand, hatten die Ostblockländer den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) reaktiviert. Nach langer Pause hielten sie im Jahr 1954 gleich zwei Ratstagungen ab, in deren Ergebnis das ständige RGW-Sekretariat in Moskau unter Beteiligung von DDR-Vertretern ausgebaut wurde.170 Zwei Jahre später gründeten mehrere Ostblockstaaten das Kernforschungsinstitut in Dubna bei Moskau als gemeinsame Einrichtung. So stieg die Präsenz neuer DDR-Eliten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in Moskau an, noch während letzte deutsche Kriegsgefangene in sowjetischen Arbeitslagern festgehalten wurden. Bereits ab 1951 besuchten die ersten 175 DDR-Studenten sowjetische Universitäten und Hochschulen. Die meisten von ihnen waren an den »Arbeiter- und Bauernfakultäten« ausgebildet worden.171 Die zwischennationale Verschränkung administrativer Eliten erhöhte in den Augen der Geheimpolizeien die Anfälligkeit für »feindliche« Angriffe, weshalb sie ihren Wirkungskreis über die eigenen Staatsgrenzen hinaus zu vergrößern trachteten. Die Zusammenarbeit zwischen MfS und KGB wurde zu dieser Zeit neu justiert. Der KGB-Repräsentant in Ostberlin, Jevgenij Pitovranov, beabsichtigte nicht nur, seine eigene Macht in der DDR kurzfristig auszuweiten. Er wollte zu169 Siehe die Online-Dokumentenedition unter http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/ MfS-Dokumente/MfS-KGB/_node.html. 170 Vgl. Ahrens: Gegenseitige Wirtschaftshilfe?, S. 16, 34 f. 171 Kaiser: Arbeit hat bitt’re Wurzel aber süße Frucht, bes. S. 26; Zech: »… nicht nur ein Vorbereitungsinstitut«, S. 5, http://www.sachsen-anhalt.de/index.php?id=18270 (letzter Zugriff: 7.5.2012).
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dem mit dem Wiederaufbau des MfS als eigenständigem Ministerium mittelfristig einen Bündnispartner schaffen, der eng mit dem KGB zusammenzuarbeiten bereit war.172 In diesem Kontext fiel die Entscheidung, einen Mitarbeiter der MfS-Spionageabwehr dauerhaft in der Sowjetunion zu platzieren. Im Jahr 1954 entsandte die HA II/5 Stefan Janik als Verbindungsoffizier nach Moskau. Zuvor hatte er als Leiter des Referats 3 (»Haftanstalten«) der Abteilung VII gearbeitet.173 Die Abteilung VII hatte während der Niederschlagung der Erhebung vom 17. Juni 1953 nicht nur aufgabengemäß die Volkspolizei überwacht, sondern zudem Demonstranten in Eigenregie festgenommen. Aus diesem Grunde dürfte sie – und damit auch Janik – ein besonderes Vertrauen des KGB genossen haben.174 Bereits im Jahr darauf stellte die HA II/5 Janik einen Mitarbeiter zur Seite. Rolf Jäkel war in der Sowjetunion als Sohn eines deutschen Emigranten aufgewachsen und hatte beim MfS zuvor als Russisch-Dolmetscher gearbeitet. Er nahm die Berichte von IM unter den DDR-Vertretern beim RGW ab und überwachte das Kernforschungsinstitut in Dubna. Jäkel – und wahrscheinlich auch Janik – waren als Mitarbeiter der DDR-Botschaft getarnt.175 Mit der Entsendung zweier operativer Mitarbeiter hatte das MfS angesichts neuer staatenübergreifender Verflechtungen die Überwachung von DDR-Bürgern im Ausland getestet. Die MfS-Mitarbeiter kooperierten vor Ort mit dem KGB. Die vom KGB akzeptierte Emanzipierung des MfS offenbarte sich 1957 in der Ernennung von Erich Mielke zum Minister. Er galt als Gefolgsmann des auf Eigenständigkeit pochenden Walter Ulbricht. Im Jahr darauf bezeichnete das MfS die sowjetischen »Berater« nunmehr als Verbindungsoffiziere.176 Im Juni 1959 schickte das MfS vier weitere Mitarbeiter der Spionageabwehr dauerhaft nach Moskau. Im Oktober folgten noch einmal zwei und zudem ein Mitarbeiter der Militärüberwachung.177 Den Anlass hierzu bildete möglicherweise die Enttarnung einer DDR-Dolmetscherin beim RGW als Agentin. Sie 172 Bailey u. a.: Die unsichtbare Front, S. 379–383. Zur Vorgeschichte siehe auch Foitzik; Petrow: Die sowjetischen Geheimdienste. 173 Kaderbefehl Nr. 311/54 vom 9.11.1954; BStU, MfS, HA KuSch, Nr. 1361, Bl. 278; Ka derakte Stefan Janik; BStU, FFO, KS II 164/85, Bl. 5, 82, 84, 122, 124; HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbeiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142, hier 138. Janiks Kaderunterlagen verzeichnen eine Zugehörigkeit zur HA II/5 ab 1954. 174 Zur Abt. VII (später HA VII) siehe Wunschik: Hauptabteilung VII: Ministerium des Innern, Deutsche Volkspolizei, S. 38 f., http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421300805. 175 Kaderakte Rolf Jäkel; BStU, MfS, KS II 399/65, Bl. 5, 19, 21, 32, 34. 176 Bailey: Die unsichtbare Front, S. 386–390, 396; Marquardt: Die Kooperation des Ministeriums für Staatssicherheit, S. 1966–2007, hier 1971. 177 HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbeiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142; HA KuSch/Abt. Kader/Ref. 2: Angehörige des MfS, die sich zur Durchführung von dienstlichen Aufgaben über eine längere Periode in der Sowjetunion befanden, Berlin, 8.12.1965; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 31–35.
Die Operativgruppe in der Sowjetunion
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wurde im Juli 1959 verhaftet und gestand im Verhör, Protokolle der RGW-Ratssitzungen an einen amerikanischen Geheimdienst weitergegeben zu haben.178 Im Dezember versah Stefan Janik zum ersten Mal ein Schriftstück mit dem Titel »Operativ-Gruppe Moskau«. Es dokumentiert deren noch marginale Rolle: Sie hatte das vom KGB konfiszierte Eigentum der Verhafteten inventarisiert. Ein Verhörer, den die Hauptabteilung IX des MfS zeitweilig nach Moskau gesandt hatte, wurde indes nicht als Mitglied der Gruppe geführt.179 Die federführende Abteilung 5 der HA II war 1958 unter ihrem Leiter Rudi Strobel in der Spionageabwehr »in Richtung sozialistische Staaten« aktiv.180 Im Jahr 1962 löste der um zwei Dienstränge höhere Strobel – er wurde später Chef der MfS-Postkontrolle – Janik als Leiter der Operativgruppe Moskau ab. Strobel war zuvor ausgezeichnet worden, da seine Abteilung in Zusammenarbeit mit dem KGB mehrere amerikanische Agenten enttarnt hatte.181 Mit der Neubesetzung wertete das MfS die Operativgruppe deutlich auf. Nach der Ablösung Strobels 1965 leitete Ernst Hergt, der vor seinem Eintritt ins MfS als Russischlehrer gearbeitet hatte, bis 1969 die Operativgruppe.182 Ihm folgten Gerd Bräuer (1969–1971), Wolfgang Feustel (1971–1977) und Werner Rauch (1978– 1982).183 Der anschließend eingesetzte Leiter Gerhard Hempel (1982–1985) hatte zuvor an der MfS-Hochschule in Potsdam gelehrt.184 Es folgten Rudolf Wenzel (1985–1989) und Siegfried Schliebe (April 1989).185 Die Operativgruppe Moskau war über die meiste Zeit ihres Bestehens hinweg keine Kooperationsachse der Zentralen von KGB und MfS. Der KGB machte seinen Einfluss auf das MfS über seine Vertretung in Berlin und den Stab sowjetischer Berater im MfS (ab 1958 als KGB-Verbindungsgruppe bezeichnet)
178 HA IX: Tagesmeldung über eingeleitete Untersuchungsvorgänge, Berlin, 11.8.1959; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 497, Bl. 1a–10a, siehe auch die in dieser Akte folgenden Dokumente. 179 HA II/5, Operativ-Gruppe Moskau: Protokolle der sichergestellten Gegenstände und Sachen, Moskau, 9.12.1959; ebenda, Bl. 251 f.; Übersetzung aus dem Russischen: Vernehmungsprotokoll, 29.7.1959; ebenda, Bl. 15–22; vgl. HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbeiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142. 180 Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II, S. 38–39. 181 HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbeiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142, hier 138; Kaderakte Rudi Strobel; BStU, MfS, KS 19949/90, Bl. 93, 105. 182 Kaderakte Ernst Hergt; BStU, MfS, KS II 845/89, Bl. 19, 96, 106–108. 183 Kaderakte Gerd Bräuer; BStU, MfS, KS 23525/90, Bl. 92 f., 95; Kaderakte Wolfgang Feustel; BStU, MfS, KS 5477/90, Bl. 123, 128 f., 134; Kaderakte Werner Rauch; BStU, MfS, KS 25550/90, Bl. 84, 134, 150–152, 157. 184 Kaderakte Gerhard Hempel; BStU, MfS, KS 22814/90, Bl. 106, 108. 185 Schreiben Mielke an Krjučkov über die Ablösung von Wenzel durch Schliebe, Berlin, 1.4.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 260, Bl. 14 f.; HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbeiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 54, Bl. 138–142; Kaderakte Rudolf Wenzel; BStU, MfS, KS 9597/90, Bl. 153 f.
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Die Operativgruppe in der Sowjetunion
geltend.186 Dass das MfS eine Operativgruppe in Moskau gründete, verdeutlicht eher eine Ausweitung der Reichweite seiner Kontrolle: Es kooperierte mit dem KGB, um DDR-Bürger auf sowjetischem Hoheitsgebiet kontrollieren zu können. Im Jahr 1962 bestätigten Erich Mielke und der KGB-Vorsitzende Vladimir Semičastnyj die »sorgfältigere Überprüfung der in die Sowjetunion reisenden DDR-Bürger« als Aufgabe der explizit genannten MfS-Operativgruppe in Moskau.187 Im Jahr 1975 überwachte diese etwa 4 500 DDR-Bürger, die in rund 100 Institutionen in der Sowjetunion studierten oder arbeiteten.188 Zehn Jahre darauf zählte sie 7 505 zu überwachende DDR-Bürger, die sich zeitweilig in der Sowjetunion aufhielten (ohne Arbeiter auf Großbaustellen). Weitere 227 lebten ständig dort.189 Sowohl das MfS-Basisreferat als auch die DDR-Botschaft in Moskau übermittelten der Operativgruppe Angaben über DDR-Bürger, die zeitweilig oder dauerhaft in der Sowjetunion lebten.190 In der Ostberliner MfS-Zentrale war von 1984 bis 1989 das Referat 1 der HA II/10 für die Operativgruppe Moskau federführend.191 Strukturelle Bestandteile der OG Moskau waren, wenigstens in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre, die als Arbeitsgruppen bezeichneten Außenstellen Leningrad (St. Petersburg) und Kiew. Das MfS entsandte 1989 – neben Abwehr-Mitarbeitern (Linie II), Mitarbeiter der Linie XVIII (Wirtschaftsüberwachung), hier häufig als Arbeitsrichtung bezeichnet und Linienverantwortliche der Hauptabteilung I (Überwachung von NVA und Grenztruppen). Deren Anleitung erfolgte durch die entsendenden Hauptabteilungen im MfS, organisatorisch waren sie dem Leiter der Operativgruppe unterstellt. Ab 1982 wiesen vom KGB ausgestellte Ausweise die Mitarbeiter der Operativgruppe als KGB-Angehörige auf Dienstreise aus. Der Leiter der Operativgruppe besaß zudem einen »Propusk« (Passierschein) für KGB-Gebäude. Bei Bedarf stellte der KGB weitere Passierscheine aus, beispielsweise zum direkten Betreten von DDR-Flugzeugen auf dem Moskauer Flughafen Šeremetjevo. Er stellte den Mitarbeitern der Operativgruppe fünf Wohnungen in Moskau zur Verfügung. Sechs weitere Wohnungen dienten für Treffs mit IM. Zu den fünf Dienstwagen der Operativgruppe, die ebenso vom KGB gestellt wurden, gehör-
186 Engelmann: »Schild und Schwert« als Exportartikel, S. 248–259; Marquardt: Die Zusammenarbeit zwischen MfS und KGB, S. 297–361, hier 301 f. 187 Aufzeichnung über das Gespräch über die weitere Koordinierung der Aufklärungs- und der Abwehrarbeit der Staatssicherheitsorgane der DDR und der Sowjetunion (19.–23.6.1962, Moskau); BStU, MfS, SdM, Nr. 1432, Bl. 175–195. 188 HA II: Jahresanalyse 1975; BStU, MfS, HA II, Nr. 22871, Bl. 2–57, hier 43. 189 o. T.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 64. 190 Botschaft der DDR in der UdSSR: Statistischer Meldebogen, 30.9.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 466, Bl. 263–268. 191 Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II, S. 19, 56.
Überwachung von DDR-Bürgern in der Sowjetunion
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ten Spezialtalons, die Kontrollen der Fahrzeuginsassen ebenso wie Abstrafungen durch die Miliz untersagten.192 Bis 1984 arbeitete die Operativgruppe in einer KGB-Kreisdienststelle in der Malaja Gruzinskaja nahe dem Arbat, wo sie über sechs Räume und über einen abhörsicheren Hochfrequenz-Telefonanschluss verfügte.193 Danach zog sie in die geräumigere KGB-Kreisdienststelle des Moskauer Stadtbezirks Kunzewo. Der KGB gewährleistete die Kurierverbindungen zwischen der Operativgruppe und den Mitarbeitern in Leningrad, in Kiew, an den DDR-Baustellen für die Erdgasleitung »Sojuz« ab 1974 und an einer Großbaustelle in Kriwoi Rog.194 Zur Berliner Zentrale verkehrten Kuriere, die vermutlich auch Charter- und Linienflüge nutzten.195 Im Jahre 1986 hatte die Operativgruppe – ihre Außenposten eingeschlossen – 21 Mitarbeiter.196 Als im Jahr 1988 der Bau eines zusätzlichen Gebäudes für die DDR-Botschaft am Prospekt Vernadskogo geplant wurde, wandte sich Mielke an Außenminister Oskar Fischer mit der Bitte, in diesem Gebäude sieben Arbeitsräume für die OG Moskau zu reservieren.197 Zum Einzug ist es nach Aktenlage nicht mehr gekommen. Noch im Oktober 1989 beklagte die Operativgruppe gegenüber der II. KGB-Hauptverwaltung Mängel an den Diensträumen.198
2.1 Überwachung von DDR-Bürgern in der Sowjetunion Der erste überlieferte Kooperationsvertrag, in dem das MfS und der KGB auf Leitungsebene die Arbeit der MfS-Operativgruppe in Moskau regelten, stammt aus dem Monat Dezember 1973. Hier heißt es in Artikel X: Zur Lösung von Aufgaben zur abwehrmäßigen Sicherung der auf dem Territorium der UdSSR befindlichen Bürger der DDR sowie zur Durchführung entsprechender konkreter Maßnahmen haben beide Seiten vereinbart, daß in der UdSSR eine Operativgruppe des MfS in der DDR beim KfS der UdSSR tätig sein wird, deren Stationierung und zahlenmäßige Stärke entsprechend der operativen Notwendigkeit fest192 HA II/Abt. 14, OG M: Materiell-technische Sicherstellung der OGM durch das KfS, Moskau, 16.3.1984; BStU, MfS, HA II, Nr. 27756, Bl. 4–7. 193 Ebenda. 194 HA II, Leiter: Information über Leistungen des KfS für die Operativgruppe Moskau, Berlin, 22.12.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 51–57. 195 Operativgruppe Moskau: Postausgangs- und Posteingangsbuch 1967–1976; BStU, MfS, HA II, Nr. 43176, Bl. 1–456. 196 HA II/10: Übersicht über die Mitarbeiter der OG Moskau/Leningrad/Kiew/Trasse/ Kriwoi Rog, Moskau, 25.9.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 4–7. 197 Schreiben Erich Mielkes an Oskar Fischer, Berlin, 11.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 23 f. 198 HA II/10, OG Moskau, Zuarbeit zur Berichterstattung über die Erfüllung der Aufgaben der Kaderarbeit 1989, Moskau, 10.10.89; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 127–129.
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gelegt wird. Das KfS der UdSSR leistet der Operativgruppe des MfS zur Lösung ihrer Aufgaben operative Hilfe und Unterstützung.
Im darauf folgenden Artikel XI werden die Übernahme der Kosten für den Unterhalt der Mitarbeiter, die Versorgung mit Diensträumen und Wohnraum, die Bereitstellung von Dienstwagen, die medizinische Betreuung und kommunale Dienstleistungen geregelt.199 Eine 1986 von der HA II erstellte »Arbeitsordnung« beschreibt die Aufgaben der MfS-Linien, die Mitarbeiter in die Operativgruppe entsandten. Die »politisch-operative Zuständigkeit« der Operativgruppe erstreckte sich generell auf alle DDR-Bürger in der Sowjetunion. Sie umfasste die Überwachung aller politischen und wirtschaftlichen DDR-Auslandsvertretungen sowie der Generalkonsulate. Beschattet werden sollten ebenso DDR-Reiseunternehmen, Wissenschaftler, Studenten und Journalisten. Hierbei lag der Schwerpunkt auf »Personenkategorien, die zu den Angriffsschwerpunkten des Feindes zählen«. Zu den »grundsätzlichen politisch-operativen Aufgaben« zählte das MfS – die Abwehrarbeit gegen westliche Geheimdienste und andere »subversive Organisationen«, – die Bekämpfung der »politisch-ideologischen Diversion«, – den Schutz von Staatsgeheimnissen und – die »Unterbindung spekulativer und anderer schwerer krimineller Handlungen«.200 Neben den laufenden Aufgaben diente die Operativgruppe als Stützpunkt bei besonderen Einsätzen. So beabsichtigte das MfS, zu den XII. Weltfestspielen im Sommer 1985 eine »operative Einsatzgruppe« von 15 Mitarbeitern nach Moskau zu senden, für welche die Operativgruppe Räume und Technik bereitstellen sollte.201
199 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem KfS beim Ministerrat der UdSSR, 6.12.1973; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 13730, Bl. 1–15, hier 10 f. http:// www.bstu.bund.de/DE/Wissen/MfS-Dokumente/Downloads/KGB-Projekt/73_12_06_Vereinbarung_Zusammenarbeit_MfS_KGB.pdf. 200 HA II/Abt. 10: Arbeitsordnung der Operativgruppe der Hauptabteilung II in der UdSSR, Berlin, 1.7.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 140–147. 201 An die Operativgruppe der HA II in Moskau; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 245.
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2.1.1 Linie II Die Mitarbeiterzahl der Linie II (Spionageabwehr) in der Operativgruppe Moskau wuchs von acht (ab 1959) auf zwölf (ab 1981).202 Im Jahr 1986 verfügte die HA II schließlich über 13 Planstellen in der Sowjetunion, von denen acht auf Moskau, drei auf die Außenstelle in Leningrad und zwei auf die in Kiew entfielen. In Moskau arbeiteten neben dem Leiter und seinem Stellvertreter drei operative Mitarbeiter bzw. Offiziere für Sonderaufgaben, ein Auswerter, ein Offizier für Sicherstellung und eine Sekretärin.203 Im Jahr 1984 hatte die MfS-Leitung die Mitarbeiter der Linie II auf die Überwachung von Botschaftsmitarbeitern, Journalisten und Studenten aus der DDR eingeschworen. Sie sollten unter den DDR-Bürgern Personen zur IM-Werbung vorschlagen, monatliche Lageberichte liefern und zudem westliche Diplomaten und Studenten beschatten.204 Das MfS prüfte die Mitarbeiter der DDR-Vertretungen und die Studenten bereits vor ihrer Entsendung hinsichtlich »politischer Zuverlässigkeit«, Verwandtschaftsbeziehungen in die Bundesrepublik und »negativer Persönlichkeitseigenschaften«. Zum Start ihres Auslandsaufenthalts sandte es die Unterlagen an die Operativ gruppe. Allein der Abwehrzweig in der Operativgruppe Moskau verzeichnete 1985 insgesamt 84 IMS (Inoffizielle Mitarbeiter zur Sicherung), vier GMS, 23 Vorlauf-IM und drei hauptamtliche Mitarbeiter, die in der Sowjetunion studierten.205 Die Überwachung von Botschaftsmitarbeitern plante die Operativgruppe bis auf die Ebene der Botschaftsabteilungen herab. Nach dem Ende der Auslandsaufenthalte verfasste sie »Abschlusseinschätzungen« der einzelnen Mitarbeiter und sandte sie an die Ostberliner Zentrale.206 Im Jahr 1985 zählte sie 145 zu überwachende DDR-Mitarbeiter an der Botschaft in Moskau und weitere 59 an den Generalkonsulaten in Leningrad, Kiew und Minsk.207 Im Jahr 1989 verfügte die Linie II der Operativgruppe über 88 IMS, 20 Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) und 20 sogenannte V-IM, bei 202 HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbeiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142. 203 HA II/Abt. 10: Stellenplan der Hauptabteilung II/10, Berlin, 3.7.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 344, Bl. 73–78, hier 74. 204 HA II/14: Grundprobleme in der Zusammenarbeit mit der OG Moskau, Berlin, 27.6.1984, BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 216–219. Diese Verpflichtung limitierte den Wunsch der Operativgruppe nach repräsentativen Aufgaben in der Kooperation mit dem KGB. Sie ging aus einer Kontroverse hervor, die der Operativgruppenleiter Gerhard Hempel mit einer Äußerung gegenüber Erich Mielke ausgelöst hatte. Siehe S. 84. 205 Statistische Aufstellung IM/GMS/VL-IM/MA – OG Moskau; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 69–80. 206 HA II/10/Ref. 1: Arbeitsplan 1989, Berlin, 17.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 170–179, hier 175. 207 DDR-Bürger, die zeitweilig in der UdSSR leben; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 65–67.
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denen es sich vermutlich um Vorlauf-IM handelt. Die Mehrzahl der IMS wirkte bei der Bearbeitung »bedeutsamer operativer Materialien« mit, sieben von ihnen waren in die koordinierte Zusammenarbeit mit dem KGB einbezogen. Die von der OG Moskau in der DDR-Botschaft geführten 15 IM/V-IM saßen in allen vom MfS als wichtig erachteten Abteilungen. In den Handelsvertretungen, dem Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe und der Paritätischen Regierungskommission steuerte die Operativgruppe fünf inoffizielle Mitarbeiter der Linie II, die unabhängig von weiteren 29 IM der Linie XVIII arbeiteten. Unter den DDR-Korrespondenten waren für den Abwehrzweig im Jahr 1989 fünf IM aktiv. Angesichts der Reformpolitik unter Gorbačëv lieferten sie vor allem Informationen zur politischen Lage in der Sowjetunion – diese Aufgabe war neu, und die Operativgruppe plante eine »schnelle Erhöhung« der Zahl hierfür eingesetzter Zuträger.208 2.1.2 Überwachung von Studenten aus der DDR Dem MfS genügte nicht, dass es DDR-Jugendliche, welche zu einem Studium in die Sowjetunion reisen durften, vorab auswählen konnte. Es richtete zudem eine Vor-Ort-Überwachung in Kooperation mit dem KGB ein. MfS-Hauptamtliche konnten sich nun kurzfristig mit Zuträgern unter den Studenten treffen und mit regionalen Dienststellen des KGB zusammenarbeiten. Für 1975 ist nachgewiesen, dass die Operativgruppe Moskau über eine Studentenstatistik verfügte und die Studenten geplant überwachte – wahrscheinlich ist, dass sie dies bereits lange zuvor tat.209 Bereits im Jahr 1957 hatte die MfS-Leitung das Basisreferat der Operativgruppe, die HA II/5, für die Überwachung von Studierenden im sozialistischen Ausland für zuständig erklärt.210 Die MfS-Prinzipien der Überwachung von Studenten in der Sowjetunion erscheinen im Vergleich mit den Grundsätzen einer vernetzten, unideologischen und ausdifferenzierten Hochschul- und Studienlandschaft absurd. Bereits die Anwesenheit von bundesdeutschen, englischen und amerikanischen Studenten an der Moskauer Staatlichen Universität weckte beim Operativgruppenleiter die Befürchtung »unkontrollierbarer Kontakte«, die »operativ verdächtigen Charakter« trügen. Er verteufelte generell eine »Absonderung vom Kollektiv und vom gesellschaftlichen Leben der Gruppe« sowie »negative politisch-ideologische und moralische Auswirkungen« von »prinzipienlosen Drittländerkontakten«. Nicht nur Westkontakte verurteilte er, sondern auch Kontakte zu Stu208 HA II/10, OG Moskau: Analyse zur inoffiziellen Basis (Zuarbeit), Moskau, 16.10.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 156–161. 209 HA II: Jahresanalyse 1975, BStU, MfS, HA II, Nr. 22871, Bl. 2–57, hier 43. 210 Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II, S. 38.
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denten aus der arabischen Welt, womit er die vom MfS verfochtene nationale Abkapselung auch für die überwachten Studenten im Ausland für verbindlich erklärte.211 Die Operativgruppe konstruierte dementsprechend »politisch-negative Grundeinstellungen« von DDR-Studenten allein aus Kontakten zu Studierenden aus Drittländern oder aus Unterstellungen von »Individualismus« und »Einzelgängertum«. Sie kontrollierte zudem die Post von Studierenden, denen sie misstraute.212 Die Operativgruppe verwendete Statistiken der DDR-Botschaft, die hohe Studentenzahlen nannten. Zur Mitte der 1980er-Jahre lagen diese knapp über 3 000.213 Die meisten ihrer Zuträger – 1985 waren es etwa 60 – hielt die Gruppe unter DDR-Studierenden. Viele hatte das MfS bereits in der DDR angeworben: Die Abteilung II (Spionageabwehr) der MfS-Bezirksverwaltung Halle rekrutierte sie unter den Absolventen der »Arbeiter- und Bauernfakultät« (ABF) der Martin-Luther-Universität. Die hier Studierenden absolvierten ein- bis zweijährige Vorbereitungskurse auf ein Studium in anderen Ländern des Ostblocks.214 Die Operativgruppe war nicht immer mit den IM zufrieden, welche die Bezirksverwaltung Halle nach politischen Gesichtspunkten ausgewählt hatte. Im Jahr 1982 urteilte sie noch, »daß der erreichte Stand der inoffiziellen Durchdringung eine operative Kontrolle der DDR-Studentendelegation garantiert«.215 Im Jahr 1989 jedoch monierte sie, viele IM aus Halle seien gleichzeitig Funktionäre der FDJ und der SED, sodass ihre Informationen ohnehin offiziell zu beziehen wären. Sie forderte, die Auswahl selbst vornehmen zu können und wollte dabei auf Studenten zugreifen, die jenseits der parteinahen und politisierten ABF über Hochschulkooperationen in die Sowjetunion gelangten. Unter diesen, mehr nach fachlichen Gesichtspunkten qualifizierten Auslandsstudenten konstatierte sie »reifere Persönlichkeiten«.216 Sie bat deshalb die Berliner Zentrale, in den MfS-Bezirksverwaltungen nach Studenten-IM der HV A, der HA II und der 211 Operativgruppe Moskau: Einschätzung der politisch-operativen Lage, Moskau, 30. Oktober 1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 96–104, hier 99. 212 Siehe z. B. HA II/10, Operativgruppe Moskau, Leiter: Operatives Material »Karate«/ Minsk, Moskau, 25.1.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 43, Bl. 44–46. 213 Botschaft der DDR in der UdSSR: Statistischer Meldebogen, 30.9.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 466, Bl. 263–268; DDR-Bürger, die zeitweilig in der UdSSR leben; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 65–67. 214 HA II/10/Ref. 1: Arbeitsplan 1988, Berlin, 10.12.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 231–239, hier 236. Die ABF in Halle verblieb als letzte der in der unmittelbaren Nachkriegs zeit gegründeten und bald wieder geschlossenen »Arbeiter- und Bauernfakultäten«. Sie führte den Zusatz »Institut zur Vorbereitung auf das Auslandsstudium« (IVA). Vgl. Zech: »… nicht nur ein Vorbereitungsinstitut«, bes. S. 33–47. 215 Operativgruppe Moskau: Einschätzung der politisch-operativen Lage, Moskau, 30. Oktober 1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 96–104, hier 102. 216 HA II/10, OG Moskau: Analyse zur inoffiziellen Basis (Zuarbeit), Moskau, 16.10.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 156–161, hier 159.
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HA XX zu recherchieren, die bald für ein Teil- oder Zusatzstudium in die Sowjetunion reisen würden.217 Die Operativgruppe beteiligte sich auch an der Personalpolitik des Parteistaats. Studenten, zu denen IM in Moskau »positive Hinweise« auf eine hohe Loyalität erarbeitet hatten, meldete sie der MfS-Zentrale. Diese wurden dann in der Personalpolitik bevorzugt.218 Um Studierende aus größerer Nähe zu überwachen, gründete die Operativ gruppe Moskau eine Arbeitsgruppe (AG) in Leningrad (heute St. Petersburg) und eine weitere in Kiew. Die HA II entsandte von 1961 bis 1989 drei Mitarbeiter nach Leningrad.219 Die AG Leningrad überwachte DDR-Studenten an den dortigen Hochschulen und am Luftfahrtinstitut in Riga. Sie führte hierzu eine eigene Kartei über die DDR-Studenten vor Ort. Im Oktober 1988 erfasste sie insgesamt 433 Studenten an etwa 15 Lehreinrichtungen. Unter ihnen steuerte sie 24 IM/GMS und 6 Vorlauf-IM bzw. Kontaktpersonen. Fünf IM und ein Vorlauf-IM überwachten weitere DDR-Bürger und die Mitarbeiter des DDR-Generalkonsulats in Leningrad, mit dem die AG auch offiziell zusammenarbeitete. Je einen IM führte die AG in kirchennahen Friedensgruppen und in der alternativen Musikszene.220 Sie kooperierte mit der Leningrader KGB-Gebietsverwaltung bei gemeinsamen operativen Vorgängen. 1986 verfügte sie über zwei Arbeitsräume in einer KGB-Kreisdienststelle und über zwei Wohnungen für die hauptamtlichen Mitarbeiter. Zwei weitere Quartiere dienten konspirativen Treffs.221 Im Jahr 1986 gründete die HA II/10 die AG Kiew mit ähnlicher Aufgabenstellung. Sie bestand aus einem MfS-Mitarbeiter, der bereits zuvor in Leningrad gearbeitet hatte, und dessen Frau.222 In ihrem Überwachungsbereich befanden sich etwa 750 DDR-Auslandsstudenten in der Ukrainischen, der Belorussischen und der Moldauischen Sowjetrepublik sowie am Institut für Fremdsprachen im russischen Pjatigorsk. Hinzu kamen die Überwachung der DDR-Generalkon217 HA II/10, OG Moskau: Nutzung von IM, die auf der Basis von Direktbeziehungen zwischen Hochschuleinrichtungen der DDR und der UdSSR ein Teil- bzw. Zusatzstudium in der Sowjetunion realisieren, Moskau, 19.9.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38127, Bl. 4–19. 218 HA II/10, OG Moskau: Einsatzorte von MGU-Studenten, Moskau, 19.5.1989; ebenda, Bl. 1–3. 219 HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbei ter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142, hier 139. 220 HA II/10, AG Leningrad: Arbeitsplan der AG Leningrad für das Jahr 1989, Leningrad, 20.10.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 193–201. 221 HA II, Leiter: Information über Leistungen des KfS für die Operativgruppe Moskau, Berlin, 22.12.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 51–57. 222 HA II/10, AG Leningrad: Aufstellung IMS/VL-IM, Leningrad, 9.4.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 74 f.; HA II/10: Übersicht über die Mitarbeiter der OG Moskau/Leningrad/ Kiew/Trasse/Kriwoi Rog, Moskau, 25.9.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 95, Bl. 4–7; HA II/10, OG Moskau: Bericht, Moskau, 5.5.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 106–111; HA II/10, Operativgruppe Moskau, Leiter: Bericht über die durchgeführte Dienstreise des Unterzeichners nach Minsk, Moskau, 7.9.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 171–173.
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sulate in Kiew und Minsk sowie eine Kooperation mit dem KGB bei der Überwachung von Diplomaten aus den in den 1980er-Jahren neu eröffneten Kiewer Konsulaten der Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik und Chinas.223 Die AG kooperierte vor Ort mit der II. Verwaltung des KGB in der Ukrainischen Sowjetrepublik, beispielsweise bei der Prüfung eines KGB-IM auf Loyalität.224 Über ihre IM-Arbeit ist wenig überliefert. Auf einer Dienstreise traf sich der MfS-Mitarbeiter mit sechs Zuträgern unter den DDR-Studenten allein in Odessa.225 Die AG verfügte über eine Wohnung für konspirative Treffs in Kiew, über zwei Arbeitsräume in einer KGB-Kreisdienststelle und eine Dienstwohnung.226 2.1.3 Überwachung der DDR-Botschaft An der Moskauer DDR-Botschaft arbeiteten neben den Angehörigen der Operativgruppe auch zahlreiche MfS-Offiziere im besonderen Einsatz (OibE), die der Operativgruppe »zugeordnet« waren. Das bedeutete, die Operativgruppe bzw. deren Leiter sollte für ihre »Betreuung, Anleitung und Kontrolle« zuständig sein. Bei diesen OibE handelte es sich um den Leiter der Abteilung Sicherheit, die ihm zugeordneten Objektsicherungskräfte (OSK) sowie die Funker und Chiffreure der Botschaft.227 Die Botschafts-OibE entsandten die HA II (Spionageabwehr, 7–8 Mitarbeiter), die Abteilung XI (Chiffrierwesen, 1–2 Mitarbeiter), die Abteilung Nachrichten (2 Mitarbeiter) und die HV A (5 Mitarbeiter, alle Angaben zu Mitte der 1980er-Jahre).228
223 HA II/Abt. 10, Leiter: Quartalsbilanz III/86, Berlin, 10. Oktober 1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 164–177, hier 164; HA II, Leiter: Ständiger Einsatz eines Mitarbeiters der Operativgruppe Moskau der HA II in Kiew, Berlin, 13.5.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 113. 224 AG Kiew: Information über die Realisierung eines Treffens, Kiew, 29.5.1987, BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 207–209. 225 HA II/10, AG Kiew: Bericht über durchgeführte Dienstreise nach Odessa, 23.5.1988; ebenda, Bl. 105–108. 226 HA II, Leiter: Information über Leistungen des KfS für die Operativgruppe Moskau, Berlin, 22.12.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 51–57. 227 HA KuSch/Abt. Kader 12: Untersuchung zur weiteren Erhöhung der Effektivität der pol.-op. bzw. fachlichen Arbeit, Berlin, 11.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 179–180. Da das MfS das Chiffrier- und Funkwesen an den DDR-Botschaften in seiner Zuständigkeit abwickelte, gehörten Botschaftsfunker und Botschaftschiffreure zwangsläufig dem MfS an. 228 HA II/10, OG Moskau: Information über gegenwärtig bestehende Regelungen bei der Akkreditierung von Mitarbeitern der Operativgruppe der HA II/10 des MfS, Moskau, 10.12.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 52–57, hier 53; HA II/10, Operativgruppe Moskau: Übersicht OibE in Moskau, 7.5.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 68.
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2.1.4 Hauptverwaltung A Die HV A (Auslandsaufklärung) galt als der wichtigste Kooperationspartner des sowjetischen Sicherheitsdienstes. Aus den Plänen über die Arbeitstreffen in Moskau und in Berlin geht hervor, dass sich beide Seiten auf Leitungsebene regelmäßig zu Konsultationen und zur Abstimmung gemeinsamer Maßnahmen trafen – waren es 1979 noch sieben Arbeitsbesuche, so steigerte sich die Zahl auf zwölf im Jahr 1983, 18 im Jahr 1988 und schließlich auf 20 im Jahr 1989.229 Inwieweit die Operativgruppe an der Kooperation auf dieser Linie beteiligt war, ist auf der Grundlage der bislang ausgewerteten Unterlagen nicht klar zu bestimmen. Die HV A entsandte 1985 drei OibE nach Moskau, die legendiert an der DDR-Botschaft sowie am Institut für Weltwirtschaft arbeiteten und die von der Operativgruppe erfasst wurden. Im Jahr darauf waren es fünf.230 2.1.5 Linie XVIII In der Operativgruppe Moskau bestand eine Arbeitsgruppe der Linie XVIII (Wirtschaft), deren Tätigkeit gut überliefert ist. Die Operativgruppe überwachte Institutionen mit wirtschaftlicher und technologischer Bedeutung von Anfang an. Rudolf Steinwand hatte in seiner Rolle als Leiter der DDR-Vertretung beim RGW in Moskau 1960 von sich aus Kontakt zur Operativgruppe gesucht und regelmäßige Treffen vorgeschlagen.231 Seitdem überwachte diese die DDR-Repräsentanten beim RGW systematisch. Ab 1964 entsandte die gerade mit erweiterten Befugnissen ausgestattete HA XVIII232 einen eigenen Mitarbeiter nach Moskau, ab 1968 drei und von 1988 an vier. Sie kontrollierten
229 Plan der Arbeitsberatungen und Konsultationen zwischen dem MfS der DDR und dem KfS der UdSSR 1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 279, Bl. 2–26; Plan der Arbeitsberatungen und -konsultationen zwischen dem MfS der DDR und dem KfS der UdSSR 1988; ebenda, Bl. 149–170; Plan der Arbeitsberatungen, -konsultationen und anderweitigen dienstlichen Treffen zwischen dem MfS der DDR und dem KfS der UdSSR 1983; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 280, Bl. 87–112; Plan der dienst lichen Treffen für 1979 – KfS der UdSSR; ebenda, Bl. 443–461. 230 HA II/10, OG Moskau: Information über gegenwärtig bestehende Regelungen bei der Akkreditierung von Mitarbeitern der Operativgruppe der HA II/10 des MfS, Moskau, 10.12.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 52–57, hier 53; HA II/10, Operativgruppe Moskau: Übersicht OibE in Moskau, 7.5.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 68; MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f. 231 Operativgruppe Moskau, Mitarbeiter Jäkel: Bericht, Moskau, 28.6.1960; BStU, MfS, BV Potsdam, AIM 1340/66, Bl. 78–80; siehe auch ebenda, Bl. 75 f. 232 Vgl. Haendcke-Hoppe-Arndt: Die Hauptabteilung XVIII: Volkswirtschaft, S. 35. http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421301270.
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DDR-Mitarbeiter in Wirtschaftsinstitutionen – insbesondere DDR-Arbeiter in Betrieben mit hoher Bedeutung oder Öffentlichkeitswirksamkeit.233 In einem sowohl an die Leitung der HA II als auch an die der HA XVIII gerichteten Dokument vom November 1964 schlug die Operativgruppe vor, alle in der Sowjetunion in wirtschaftlich relevanten Bereichen arbeitenden DDR-Bürger vorab zu prüfen und die Akten zu ihnen in der Operativgruppe bereitzuhalten. IM unter ihnen sollten auf eine Zusammenarbeit vorbereitet werden. Ein Vorschlag, auch »IM mit bereits bestehender Feindverbindung eine gewisse Zeit hier arbeiten zu lassen«, wurde allerdings in der MfS-Zentrale – vermutlich vom Leiter der HA XVIII – in einer handschriftlichen Kommentierung abgelehnt.234 In der Folgezeit überwachte die Operativgruppe in Kooperation mit der HA XVIII DDR-Delegationen auf Wirtschaftskonferenzen in Moskau.235 Ein zum Jahresende 1967 entworfener Arbeitsplan der Linie XVIII in der Operativgruppe für 1968 beschreibt die IM-Arbeit und die Überwachung einzelner Personen. Auch listet er Ausstellungen mit DDR-Beteiligung in der Sowjetunion auf.236 Der Plan für 1969 dokumentiert erstmals eine eigene Arbeitsgruppe der Linie XVIII in der Operativgruppe.237 Die Aufgaben der AG blieben über die Zeit ihres Bestehens hinweg gleich. Die AG überwachte den DDR-Teil der Paritätischen Regierungskommission für wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit zwischen DDR und UdSSR, am RGW-Sekretariat, am Vereinigten Kernforschungsinstitut in Dubna sowie an Ausstellungen und Konferenzen in der Sowjetunion. Sie knüpfte ein IM-Netz in der DDR-Delegation im RGW, der DDR-Handelsvertretung sowie in Filialen von DDR-Betrieben in der Sowjetunion. Weiterhin überwachte sie Korrespondenten, Wissenschaftler, Montagearbeiter, Ingenieure und andere Dienstreisende aus der DDR. In Kooperation mit dem KGB kontrollierte sie auch deren Post.238 233 HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitar beiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142, hier 142; HA KuSch/Abt. Kader 7: Erfassung von Planstellen, Berlin, 14.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 178. 234 HA II/5, Operativgruppe: Vorschläge zur Organisierung der Zusammenarbeit zwischen Ihrer Hauptabteilung (XVIII) und der Operativgruppe Moskau, o. U., 2.11.1964; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2508, Bl. 4 f. 235 HA II, Operativgruppe: Information über Mitarbeiter der SPK, o. U., 23.10.1965; BStU, MfS, AKK 1456/77, Bd. 2, Bl. 179–185. 236 Operativgruppe Moskau: Jahresarbeitsplan 1968, Moskau, 11.12.1967; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2545, Bl. 1–14. 237 Operativgruppe, AG der Linie XVIII: Arbeitsplan für das Jahr 1969, Moskau, den 13.1.1969; ebenda, Bl. 24–34. 238 HA II, Operativgruppe: Plan des Einsatzes der Genossen der Operativgruppe Moskau der Linie XVIII, Moskau, 27.5.1968; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2508, Bl. 6–8; HA II, Operativgruppe Moskau: Arbeitspläne 1975, 1977, 1978 und 1979; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2546, Bl. 1–13, 33–47, 58–71, 79–90; HA II, Operativgruppe: Arbeitsplan 1976; BStU,
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Die Akten dokumentieren, wie die Arbeitsgruppe zusätzliche Aufgaben geltend machte. Im Jahr 1972 erwog die Operativgruppe erstmals die Überwachung von 200 DDR-Fernmeldemonteuren an verschiedenen Orten in der Sowjetunion. Es hieß, der KGB habe unter ihnen Kontakte zu Bundesbürgern festgestellt.239 Zwei Jahre darauf begann der Bau des DDR-Abschnitts an der Erdgasleitung »Sojuz«, wozu die AG der Linie XVIII 4 000 Bauarbeiter und Spezialisten erwartete. Sie hielt es für »unbedingt notwendig, einen hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten einzusetzen sowie einige GMS/IM mit zu delegieren«.240 Während eine Überwachung von DDR-Monteuren insgesamt nicht belegt ist, entschied sich das MfS zu einer Vor-Ort-Überwachung beim Bau der Erdgasleitung, einer Eisenerz-Aufbereitungsanlage und der jeweils dazu gehörenden Infrastrukturprojekte. Die SED propagierte die für die DDR-Wirtschaft bedeutsamen Vorhaben der deutsch-sowjetischen Zusammenarbeit intensiv und Erich Mielke erließ zu deren Sicherstellung eigens Befehle. In der ersten Bauphase der Erdgasleitung in den 1970er-Jahren koordinierte eine Arbeitsgruppe im Sekretariat des stellvertretenden Ministers Rudi Mittig deren Überwachung. Dieser Gruppe gehörte auch der Leiter der AG der Linie XVIII an.241 Akten der MfS-Zentrale weisen darauf hin, dass die Bauarbeiter zu dieser Zeit auch durch entsandte Volkspolizisten überwacht wurden.242 Die Bespitzelung westlicher Firmenvertreter wurde direkt aus Ostberlin in Kooperation mit den anderen Geheimpolizeien organisiert.243 Zur zweiten Bauphase in den 1980er-Jahren delegierte die MfS-Zentrale legendiert tätige »Offiziere im besonderen Einsatz« in die Bauleitungen.244 Die Arbeitsgruppe der Linie XVIII dirigierte deren Zusammenspiel mit ihren operativen
MfS, HA XVIII, Nr. 2928, Bl. 2–13; HA XVIII: Beantwortung des Fragespiegels, Berlin, 31.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 126–147, hier 139. 239 HA II, Operativgruppe: Erfüllungsbericht 1972, Moskau, 18.12.1972; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2545, Bl. 51–63, hier 56 f. 240 HA II, Operativgruppe: Arbeitsplan für das Jahr 1974, Moskau, 3.12.1973; ebenda, Bl. 92–110, hier 109. Von beteiligten DDR-Arbeitern an diesen Großvorhaben wurden zahlreich Erinnerungen publiziert, beispielsweise von Obuchoff; Wabnitz; Wagner: Die Trasse. 241 Befehl Nr. 33/74 des Ministers vom 19.11.1974 über die »Politisch-operative Sicher ung des Abschnittes der DDR beim Bau der Erdgasleitung Orenburg – Westgrenze UdSSR«; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1937. 242 HA XVIII/3/2: Übersicht über Vorkommnisse auf den Baustellen des zentralen Jugend objektes »Drushba-Trasse«, Berlin, 19. Oktober 1976; BStU, MfS, HA VII, Nr. 4259, Bl. 1–3; HA VII, Abt. 1/1: Vermerk, Berlin, 23.11.1976; ebenda, Bl. 4. 243 HA XVIII/3: Information über die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der UdSSR und der ČSSR, Berlin, 27.9.1976; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 19714, Bl. 40–47. 244 Befehl Nr. 7/82 des Ministers vom 8.4.1982 über die »Politisch-operative Sicherung des DDR-Anteils am Erdgasleitungsbau in der UdSSR im Zeitraum des Fünfjahrplanes 1981– 1985«; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 7476, Bl. 1–6, hier 2, 4.
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Mitarbeitern und den staatlichen Sicherheitsbeauftragten.245 Die Überwachung richtete sich allgemein auf einen »planmäßigen Ablauf der Montagearbeiten«, auf »gegen die UdSSR gerichtete Aktivitäten« und gegen »feindlich-negative Kräfte«.246 Zwei Mitarbeiter der Linie XVIII waren in den Städten Berjozowka und Tschaikowski (beide bei Perm) stationiert. Sie zeichneten verantwortlich für insgesamt elf Baustellen an der Erdgasleitung in der Westukraine, um Pervomajski bei Mitschurinsk, bei Perm und im nördlichen Kasachstan. Hier arbeiteten 6 000 bis 7 000 Monteure aus der DDR. Ein weiterer Mitarbeiter ließ im ukrainischen Kriwoi Rog zwischen 5 000 und 6 000 DDR-Arbeiter überwachen, die eine Eisenerz-Aufbereitungsanlage errichteten, von deren Produktion die DDR-Regierung zu profitieren gedachte.247 Hinzu kamen kleinere Kontroll operationen, beispielsweise die Überwachung des Ausbaus eines Autowerks in Minsk mit DDR-Anlagen. Auch gelegentliche Denunziationen von Kontakten zwischen Monteuren aus der DDR und der Bundesrepublik registrierte die Arbeitsgruppe.248 Erst ein dichtes IM-Netz und die enge Zusammenarbeit mit der Ostberliner Zentrale eröffneten ihr einen umfangreichen Kontrollhorizont. Anfängliche Probleme dabei belegt ein Dokument von 1968, in dem die Operativ gruppe um die Vorbereitung von IM in der DDR und die dichtere Zustellung operativer Hinweise bat.249 Die Arbeitsgruppe hielt die IM in der Folgezeit, »zu größerer Selbstständigkeit und Eigeninitiative« an. Sie suchte weitere IM »an Nahtstellen der zwei- und mehrseitigen Zusammenarbeit« zu gewinnen.250 Die früheste Statistik aus dem Jahr 1972 führt 55 IM und GMS der AG XVIII auf. Diese Zahl blieb bis in die 1980er-Jahre etwa konstant. Die AG überwachte mit diesen IM etwa 712 (im Jahr 1977) DDR-Bürger, die jenseits der Großbaustel-
245 Befehl des Ministers vom 9.10.1984 über die »Politisch-operative Sicherung des DDR-Anteils am Bau von Objekten der Gasindustrie in der UdSSR«; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8050. 246 HA XVIII: Beantwortung des Fragespiegels, Berlin, 31.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 126–147, hier 141. 247 Befehl Nr. 17/85 des Ministers vom 20.11.1985 über die »Politisch-operative Siche rung der Investitionsbeteiligung der DDR an der Errichtung des Bergbau- und Aufbereitungskombinates – BAK – in Kriwoi Rog/UdSSR im Zeitraum 1985 bis 1990«; BStU, MfS, BdL/ Dok. Nr. 5664; HA XVIII: Beantwortung des Fragespiegels, Berlin, 31.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 126–147; DDR-Bürger, die zeitweilig in der UdSSR leben; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 65–67. 248 HA XVIII/9/OGM: Baustelle Automobilwerk Minsk, Moskau, 15.7.1985; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2624, Bl. 6 f.; HA II, OG Moskau: Baustelle Soligorsk des VEB Textimaprojekt Karl-Marx-Stadt, Moskau, 22.1.1986; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2628, Bl. 1. 249 HA II, Operativgruppe: Plan des Einsatzes der Genossen der Operativgruppe Moskau der Linie XVIII, Moskau, 27.5.1968. 250 HA II, Operativgruppe: Arbeitsplan für das Jahr 1972, Moskau, 25.1.1972; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2545, Bl. 35–49; HA II, Operativgruppe: Arbeitsplan für das Jahr 1973, Moskau, 8.1.1973; ebenda, Bl. 64–77.
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len im wirtschaftlichen Bereich tätig waren.251 Auch auf den Großbaustellen unterhielt das MfS ein weitreichendes Netz aus IM, FIM und Kontaktpersonen.252 2.1.6 Linie I In der Sowjetunion befanden sich viele höhere Militärakademien für DDR-Berufssoldaten und Generalstabsoffiziere, weshalb die Hauptabteilung I (Überwachung des Militärs) ab 1959 einen Sonderoffizier nach Moskau und ab 1987 einen weiteren nach Leningrad sandte. Diese waren in die Operativgruppe Moskau integriert. Die Vertreter der Linie I kooperierten fallweise mit dem DDR-Militärattaché am Ort.253 Von 1987 an bezog der Militärattaché den Moskauer Sonderoffizier in seine Beratungen sowie in Treffen mit Funktionären und Militärhörern mit ein. Er erwartete im Gegenzug eine »koordinierte Zusammenarbeit mit dem Leiter der Operativgruppe zu Fragen der Aufklärung und Analysierung der Kontaktarbeit westlicher Militärdiplomaten«. Dies hinderte die zuständige Unterabteilung 2 der Äußeren Abwehr allerdings nicht, sich von einen IM über den Militärattaché und sogar den Operativgruppenleiter berichten zu lassen.254 Die Sonderoffiziere überwachten DDR-Militärs in der Sowjetunion, die bei den Moskauer Einrichtungen der »Vereinten Streitkräfte« des Warschauer Pakts und im DDR-Militärattachéapparat arbeiteten. Vor allem hatten sie jedoch Of251 HA II, Operativgruppe: Erfüllungsbericht 1972, Moskau, 18.12.1972; ebenda, Bl. 51– 63, hier 53; Operativgruppe Moskau: Sicherungsbereiche der Mitarbeiter der Operativgruppe, Linie XVIII, Moskau, 28.10.1977; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2508, Bl. 19 f.; HA II/10, Operativgruppe Moskau: Übersicht IMS/GMS/KP Linie XVIII, 29.4.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 85. 252 HA XVIII/3: Einschätzung der politisch-operativen Maßnahmen des Ministeriums für Staatssicherheit zur Sicherung des Vorhabens »Jugendbanner«, März 1979; BStU, MfS, HA VIII, Nr. 7036, Bl. 1–80, hier 26–50. 253 HA II/Abt. 10: Übersicht über die in der Operativgruppe Moskau tätigen MfS-Mitarbeiter, Berlin, 26.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 138–142; HA I/Abt. Äußere Abwehr: Planstellenbesetzungsnachweis; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 176; Schreiben Mielke an Čebrikov, Berlin, 25.11.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 313, Bl. 495 f.; Schreiben Čebrikov an Mielke, Moskau, 11.1.1987; ebenda, Bl. 494; HA I, Leiter: Einsatz eines zweiten operativen Mitarbeiters der Hauptabteilung I bei der Operativgruppe der Hauptabteilung II in Moskau, Berlin, 29.10.1986 ; BStU, MfS, HA I, Nr. 18125, Bl. 120 f.; HA I/Abt. Äußere Abwehr: Aktenvermerk über die Absprache mit dem Leiter der HA II/10 und dem Leiter der OPG Moskau, Berlin, 18.2.1987; ebenda, Bl. 77 f. Siehe auch Wolf: Hauptabteilung I: NVA und Grenztruppen, S. 16, 26. http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421300423. 254 HA II/Abt. 10, OG Moskau: Gesprächsvermerk, Moskau, 14.7.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 182 f.; HA I/Abt. Äußere Abwehr/UA 2: Treff bericht IMS »Max«, 13.6.1988; BStU, MfS, HA I, Nr. 18125, Bl. 239–246. Zu Aufgabenstellung und Zugehörigkeit des Militärattaché-Apparates zur Verwaltung Aufklärung des Mf NV der DDR siehe Richter: Der Militärische Nachrichtendienst, S. 232–238.
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fiziere und Offiziersanwärter im Blick, die in der Sowjetunion studierten.255 Diese besuchten acht Moskauer Militärakademien, fünf Militärakademien und drei Offiziershochschulen in Leningrad sowie eine Militärakademie, zwei Offiziershochschulen und eine Hochschule für Luftverteidigung in Kiew. Weitere DDR-Soldaten studierten an drei Militärhochschulen in Minsk sowie an militärischen Lehreinrichtungen in Twer (damals Kalinin), Monino, Lemberg (Lwiw), Pensa, Baku, Kasan, Tambov, Königsberg (Kaliningrad), Uľjanovsk und Frunze, dem heutigen Biškek.256 In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre wurden hier durchschnittlich knapp 1 000 DDR-Soldaten unterrichtet, unter denen das MfS rund 150 inoffizielle Mitarbeiter (IM) und gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS) führte. Allerdings hielt die Operativgruppe nur zu 40 von ihnen eine Verbindung.257 Im Jahr 1988 waren 146 von 917 Militärhörern aus der DDR für das MfS als IM bzw. als GMS erfasst. Die Sonderoffiziere griffen zu dieser Zeit auf etwa die Hälfte von ihnen zu.258 Die Sonderoffiziere fungierten als übergeordnete Führungsoffiziere. Sie begaben sich regelmäßig zu Treffs mit IM an Lehreinrichtungen auch außerhalb von Moskau und Leningrad. Ihre Auskunftsberichte zu Personen und Ereignissen leiteten sie nicht nur an die MfS-Zentrale, sondern auch an die Personalabteilung des Verteidigungsministeriums weiter.259 An größeren Lehreinrichtungen hatte das MfS mindestens einen, mitunter auch mehrere selbstständig arbeitende Führungs-IM (FIM) verpflichtet. An der Malinowski-Militärakademie in Moskau übernahm ein dort studierender operativer Mitarbeiter der HA I 1988 diese Funktion.260 Die Hauptabteilung I wies ihre IM in Komplexaufträgen an, Kontakte von Soldaten zu Menschen aus dem westlichen Ausland ebenso zu melden wie sozialismuskritische Äußerungen, »unbefugtes Fotografieren«, Schmuggel oder einen etwaigen »ausschweifenden Lebensstil«. Hinter einer den Informanten mitgeteilten Postfachadresse verbarg sich vermutlich der Moskauer Sonderoffizier.261 Das MfS warb IM der Linie I üblicherweise, bevor die Armee
255 HA I/Abt. Äußere Abwehr: Auskunftsbericht zum Arbeitsgebiet Sicherung Militärkader der NVA in der Sowjetunion, Berlin, 29.3.1988; ebenda, Bl. 194–202. 256 HA I/Abt. Äußere Abwehr, Sonderoffizier Moskau: Zuarbeit zur Analyse zum Arbeitsgebiet Militärkader, Moskau, 3.3.1988; BStU, MfS, HA I, Nr. 14456, Bl. 13–24. 257 Ebenda; HA II/10, Operativgruppe Moskau, Aufstellung der Militärhörer, 29.4.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 754, Bl. 86 f. 258 SO Moskau, SO Leningrad (Statistik o. T., Stand 31.12.1988); BStU, MfS, HA I, Nr. 14449, Bl. 22 f. 259 HA I/Abt. Äußere Abwehr, Sonderoffizier Moskau: Lageeinschätzung/Arbeitsbericht für das Jahr 1987 (unbestätigt), Berlin, 20.2.1988; BStU, MfS, HA I, Nr. 14462, Bl. 1–8. 260 HA I/Abt. Äußere Abwehr, Sonderoffizier Moskau: Zuarbeit zur Analyse zum Arbeitsgebiet Militärkader, Moskau, 3.3.1988; BStU, MfS, HA I, Nr. 14456, Bl. 13–24, hier 15. 261 HA I/AKG, Leiter: Aufträge für IM/GMS, die zum Studium in die UdSSR delegiert werden, Berlin, 26.3.1986; BStU, MfS, HA I, Nr. 14447, Bl. 2–29.
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sie zur Auslandsqualifikation delegierte. Auch insgesamt überprüfte das MfS die vorgesehenen Personen vorab.262 Die Sonderoffiziere besaßen KGB-Dienstausweise, verfügten zudem über diplomatische Vorrechte und waren als Personal der Botschaft der DDR in Moskau bzw. des Generalkonsulats der DDR in Leningrad integriert. Der Moskauer Sonderoffizier war beim Militärattaché in der DDR-Botschaft stationiert, jener in Leningrad an der dortigen Militärakademie für Rückwärtige Sicherstellung, welche der KGB unterhielt. Während der KGB dem Leningrader Offizier eine konspirative Wohnung für Treffen mit seinen Verbindungen bereitstellte, war der Moskauer Offizier auf die diesbezügliche Logistik der Operativgruppe angewiesen. Die Kontakte der Sonderoffiziere zum KGB liefen über eine Arbeitsgruppe der III. Hauptverwaltung (Militärabwehr), welche die internationale Zusammenarbeit koordinierte.263
2.2 Zusammenarbeit mit dem KGB Die Operativgruppe kooperierte mit dem KGB bei der Umsetzung operativer Maßnahmen zu DDR-Bürgern im Land und unterstützte diesen bei der Bearbeitung von Bürgern westlicher Staaten. Ihre Arbeitsordnung hielt hierbei folgende Aufgaben fest: – gemeinsame politisch-operative Maßnahmen und operative Kombinationen mit dem KfS auf der Grundlage der zweiseitigen Vereinbarungen, – Unterstützung des KfS durch Einsatz inoffizieller Mitarbeiter des MfS bei der Bearbeitung von Diplomaten u. a. Bürgern der NATO-Staaten und politisch-operativ interessierender Staaten zur Erkennung und Entlarvung von Mitarbeitern und Agenturen imperialistischer Geheimdienste bzw. der Spezialdienste und anderer feindlicher Organisationen, – Abstimmung und Koordinierung von operativen Maßnahmen mit dem KfS, die von Diensteinheit(en) des MfS, insbesondere der Hauptabteilung II, auf dem Territorium der UdSSR durchgeführt werden, sofern dazu eine Weisung des Leiters der Hauptabteilung II übermittelt wurde, – die Erfüllung von Aufträgen des Leiters der Abteilung X.264
In der Zusammenarbeit mit dem sowjetischen Partnerdienst ging es neben der Spionageabwehr auch um die Gewinnung von Quellen unter »operativ interes262 HA I/Abt. Äußere Abwehr: Prozeß der Bestätigung der Militärkader, Berlin, 8.3.1988; BStU, MfS, HA I, Nr. 14456, Bl. 25–32. 263 HA I/Abt. Äußere Abwehr: Auskunft zu einigen Problemen der Tätigkeit und der materiell-technischen Sicherstellung der Operativgruppen des MfS bei den Bruderorganen, Berlin, 17.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 15–27. 264 HA II/Abt. 10: Arbeitsordnung der Operativgruppe der Hauptabteilung II in der UdSSR, Berlin, 1.7.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 140–147.
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santen« Bürgern westlicher Staaten.265 Mitte der 1970er-Jahre studierten in der Sowjetunion ca. 40 000 ausländische Studenten, davon die Hälfte aus Entwicklungsländern und etwa 500 aus westlichen Staaten.266 Die Lehreinrichtungen bildeten einen Rekrutierungspool für den KGB, der inoffizielle Mitarbeiter für einen perspektivischen Einsatz in ihren Heimatländern zu gewinnen trachtete. Der Stellvertreter des Leiters der Verwaltung A (zuständig für Feindverbindungen, Analyse sowie Koordinierung innerhalb und außerhalb der UdSSR) in der II. Hauptverwaltung (Spionageabwehr) formulierte 1986 die aus KGB-Sicht wünschenswerten Schwerpunkte der Zusammenarbeit folgendermaßen: 1. Aufklärung aller geheimdienstlicher Aktivitäten und Störtätigkeit gegen das wissenschaftlich-technische Komplexprogramm der RGW-Mitgliedsländer bis zum Jahre 2000, 2. Aufklärung geheimdienstlicher Aktivitäten imperialistischer Geheimdienstresidenturen und Einzelaufklärer, die aus den legalen Basen (diplom. Vertretungen der imp. Hauptländer) heraus tätig werden, 3. Aufklärung von subversiven und geheimdienstlichen Handlungen von Spezialisten/ Monteuren imperialistischer Hauptländer auf Baustellen der UdSSR (analog Touris tenreiseverkehr), 4. Aufklärung aller Zusatzstudenten/Aspiranten aus NSW-Staaten, insbesondere aus den USA, Großbritannien, Frankreich, BRD sowie aus der VR China, 5. Durchführung gemeinsamer operativer Kombinationen und Maßnahmen bei der Bearbeitung konkreter operativer Vorgänge und Materialien (Einsatz von IM der OGM), 6. Unterstützung bei der Gewährleistung einer hohen Sicherheit bei der Durchführung des XXVII. Parteitages der KPdSU.
Rudolf Wenzel, der Leiter der Operativgruppe, stimmte den genannten Zielen zwar »allgemein« zu, wies jedoch gleichzeitig diplomatisch darauf hin, dass seine Hauptaufgabe sei, DDR-Bürger zu überwachen.267 Die Operativgruppe war institutionell und rechtlich an die II. Hauptverwaltung des KGB angebunden. Diese verfügte über geographisch determinierte Abteilungen, die sich mit der Abwehrarbeit unter Ausländern befassten und gleichzeitig versuchten, Journalisten, Studenten und Touristen anzuwerben.268 In der II. Hauptverwaltung war bis zu einer Umstrukturierung im Jahr 1986 die 6. Abteilung (Koordinierung) innerhalb der Verwaltung A Ansprechpartner der MfS-Vertretung. Verbindungsoffiziere kümmerten sich um operative und organisatorische Fragen der Operativgruppen der verbündeten Geheimdienste. Sie 265 HA II: Jahresanalyse 1975; BStU, MfS, HA II, Nr. 22871, Bl. 1–57, hier 43. 266 HA XX: Beratung mit sowjetischen Tschekisten, Berlin, 29.4.1976; BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 779, T. 1, Blatt 117–172, hier 166. 267 HA II/10, OG Moskau: Gesprächsvermerk, Moskau, 17.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 263–265. 268 Barron: KGB, S. 109–113.
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regelten die Kontaktaufnahme und die Einleitung von Unterstützungsersuchen in Diensteinheiten des KGB in Moskau, in den Gebietsverwaltungen und den Kreisdienststellen.269 Die Operativgruppen-Mitarbeiter in Leningrad und Kiew waren bei den Leitern des II. Dienstes der Leningrader Gebietsverwaltung bzw. dem KGB der Ukraine akkreditiert. Die AG Leningrad kommunizierte mit Mitarbeitern im II. Dienst (Spionageabwehr) und im V. Dienst (Bekämpfung von Opposition) der KGB-Gebietsverwaltung sowie mit zwei Kreisdienststellen. Sie führte mit dem KGB vor Ort gemeinsame Operationen durch. Dass sie dabei auch die Opposition, die Clubszene und religiöse Gruppen bekämpfte – sie führte hier zwei IM – war eine Besonderheit. Die AG Kiew verkehrte direkt mit der 2. Abteilung der II. Verwaltung des KGB der Ukrainischen Sowjetrepublik, mit der sie ebenso Vor-Ort-Operationen durchführte.270 Die gemeinsamen Operationen der MfS-Operativgruppe mit dem KGB richteten sich in erster Linie auf Residenturen und Einzelagenten in westlichen Auslandsvertretungen. Im Jahr 1975 hatte der KGB Interesse bekundet, das MfS und seine Operativgruppe stärker in die Überwachung amerikanischer Diplomaten einzubeziehen.271 Gemeinsame Abwehroperationen der 1980er-Jahre sind in den Arbeitsplänen und Bilanzen des Basisreferats 1 der HA II/10 aufgelistet.272 Sowohl die HA II als auch die II. KGB-Hauptverwaltung schlugen Operationen vor, die sie schließlich in Verzeichnissen »politisch-operativer Maßnahmen zu gegenseitig interessierenden Objekten« zusammenfassten.273 269 HA II/Abt. 14, OG Moskau: Organisatorische Formen der Zusammenarbeit mit dem KfS unter Berücksichtigung des Status der OGM, Moskau, 16.3.1984; BStU, MfS, HA II, Nr. 27756, Bl. 8–10; Operativgruppe Moskau: Wechsel des Abt.-Leiters der 6. Abteilung im KGB, Moskau, 6.12.1982; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 558, Bl. 213; HA II/10, OG Moskau: Gesprächsvermerk, Moskau, 17.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 263–265. Zur Struktur der II. Hauptverwaltung des KGB siehe Hilger: Sowjetunion (1945–1991), S. 43– 136, hier 59 f. 270 HA II/10, AG Leningrad: Arbeitsplan der AG Leningrad für das Jahr 1989, Leningrad, 20.10.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 193–201; AG Kiew: Information über die Realisierung eines Treffens, Kiew, 29.5.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 207–209. 271 HA II: Bericht über den Erfahrungsaustausch zwischen einer Delegation der Hauptabteilung II des MfS und der 2. Hauptverwaltung des KfS, Berlin, 24.6.1975; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 258, Bl. 123–132. 272 Siehe die Arbeitspläne des Referats 1 der HA II/10: BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 170–179 (1989), 231–239 (1988), 240–247 (1987). Siehe auch HA II/Abt. 10, Leiter: Quartals bilanz 1987, Berlin, 13. März 1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 126–138, hier 126–128. 273 Entwurf: Verzeichnis der politisch-operativen Maßnahmen, die in gegenseitiger Unterstützung (…) 1976–1977 durchgeführt werden sollen, o. D.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 258, Bl. 69–72; Übersetzung aus dem Russischen: Verzeichnis über operative Maßnahmen zu gegenseitig interessierenden Objekten der II. Hauptabteilung des MfS der DDR und der II. Hauptverwaltung des KfS der Sowjetunion für die Jahre 1981–1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 260, Bl. 238–249; Übersicht zu ausgewählten operativen Materialien, die durch die HA II/OG Moskau und die II. Hauptverwaltung bzw. anderen Diensteinheiten des KfS gemeinsam bear-
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Ansprechpartner war bis 1986 die 6. Abteilung, danach die 3. Abteilung (deutsche Linie) der II. KGB-Hauptverwaltung. Die hier tätigen sowjetischen Verbindungsoffiziere leiteten Anfragen oft lediglich weiter, da ihnen die Entscheidungsbefugnis fehlte. Die Operativgruppe selbst hatte keine direkten Arbeitskontakte zur Leitungsebene der verschiedenen Fachbereiche im KGB. Allerdings wurde ihr Leiter oft zu bilateralen Beratungen der HA II und der II. KGB-Hauptverwaltung hinzugeladen, wo auch die Vor-Ort-Zusammenarbeit der Operativgruppe erörtert wurde.274 Wie wenig ergiebig die Spionageabwehrbemühungen unter den westlichen Staatsbürgern waren, geht aus den Bilanzen hervor. Laut einer Bilanz zu 1982 vermochten weder die Operativgruppe noch die II. KGB-Hauptverwaltung Aktivitäten westlicher Einrichtungen und Institutionen gegen DDR-Auslandsvertretungen oder DDR-Bürger in der Sowjetunion festzustellen. Im Visier der Operativgruppe standen damals: – ein Lehrer der bundesdeutschen Botschaftsschule, der mit zwei DDR-Bürgern verkehrte, die IM des MfS waren, – ein Mitarbeiter des bundesdeutschen Generalkonsulats Leningrad, der ein auffälliges Interesse am stellvertretenden Generalkonsul der DDR bekundet hatte sowie – westliche Kontaktbestrebungen zu DDR-Journalisten in Moskau.275 Im Jahr 1988 überwachten die Operativgruppe und der KGB 12 Personen gemeinsam, die sie einer Zusammenarbeit mit dem BND verdächtigten. Dies waren ehemalige Sowjetbürger, die in die Bundesrepublik übergesiedelt waren, westliche Touristen, die angeblich Spionageaufträge in der Sowjetunion ausführten, und Bürger beider deutscher Staaten, die dienstlich in der Sowjetunion zu tun hatten oder in Auslandsvertretungen arbeiteten. Oft genügten den Geheimpolizeien wenige Anhaltspunkte, um zu Spionageverdächtigungen zu gelangen und diese zu verfolgen.276 Im Jahr 1985 trafen sich Mitarbeiter der beitet werden, Moskau 1982; ebenda, Bl. 229–235; Operativgruppe Moskau: Vorschläge der II. Hauptverwaltung für das gemeinsame Verzeichnis, Moskau, 11.8.1983; ebenda, Bl. 188– 190; Operativgruppe Moskau: Vorschläge der Operativgruppe Moskau zur eventuellen Aufnahme ins Verzeichnis gemeinsamer Maßnahmen, Moskau, 15.8.1983; ebenda, Bl. 200 f. Das Verzeichnis für 1984 bis 1986 ist erwähnt in: Hinweise für Gespräche zwischen Delegationen des KfS der UdSSR unter Leitung des Gen. Tschebrikow und des MfS in Berlin vom 22.– 26.5.1984; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5175, Bl. 1–206, hier 56. 274 Vgl. z. B. HA II/10, OG Moskau: Aktenvermerk, Moskau, 16.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 260, Bl. 45–49. 275 Operativgruppe Moskau: Einschätzung der politisch-operativen Lage im Verantwortungsbereich der Operativgruppe Moskau, 30. Oktober 1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 96–104. 276 Spravka po ob’ektam sovmestnoj s druz’jami raboty na 1988 god; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 90 f.
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Operativgruppe 25-mal mit Vertretern der II. KGB-Hauptverwaltung.277 Viele gemeinsame Vorgänge liefen über mehrere Jahre hinweg, so beispielsweise das operative Material »Brücke« zu einem amerikanischen Studienleiter an der Universität Voronež.278 Eine gemeinsame Überwachung englischer Austauschstudenten in Pjatigorsk wurde schon vor deren Eintreffen vereinbart.279 Des Weiteren tauschten die Operativgruppe und der KGB Informationen aus – im Jahr 1982 beispielsweise gab die Operativgruppe 178 Informationen an den KGB weiter. Umgekehrt übergab der KGB 67 Informationen über Kontakte seiner operativen Zielpersonen zu DDR-Bürgern sowie über Gesetzesverstöße von DDR-Bürgern.280 Der KGB wies die Operativgruppe auch auf DDR-Touristen hin, die mit einem Transitvisum heimlich die Sowjetunion bereisten. Einige von ihm festgenommene Touristen überstellte er der Operativgruppe.281 Die Sicherheitsdienste der RGW-Staaten kooperierten bei der Überwachung der Rüstungsproduktion, von Wissenschaft und Technik, der Energie- und Rohstoffgewinnung sowie des Außenhandels. Hierzu vereinbarte die II. Hauptverwaltung des KGB mit der Hauptabteilung XVIII des MfS gesonderte Protokolle zur Zusammenarbeit, die sowohl die Kontrolle von DDR-Wissenschaftlern und Monteuren als auch offensive Abwehrmaßnahmen durch Gegenspionage vorsahen.282 Im Oktober 1982 gründete der KGB eine selbstständige VI. Verwaltung zur »Bekämpfung subversiver Angriffe gegen die Volkswirtschaft« und 277 HA II/10, OGM: Zuarbeit der OG Moskau zur Jahresbilanz 1988, Moskau, 29.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 218–221, hier 219. 278 HA II/Abt. 10, OG Moskau: Sachstandsbericht zum operativen Material der OG Moskau – »Brücke«, Moskau, 10.6.1985; BStU, MfS, HA II, Nr. 29039, Bl. 160–166. 279 HA II/10, OG Moskau: Gesprächsvermerk, Moskau, 8.9.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 305 f. 280 HA II/Abt. 10, Leiter: Quartalsbilanz III/86, Berlin, 10. Oktober 1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 164–177; Operativgruppe Moskau: Einschätzung der politisch-operativen Lage, Moskau, 30. Oktober 1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 96–104, hier 103. 281 Persönliche Niederschrift des Beschuldigten, Halle, 17.10.1972; BStU, MfS, HA II, Nr. 38127, Bl. 20–37. Da es für Individualtourismus in die Sowjetunion kaum legale Möglichkeiten gab, nutzten vor allem einige junge DDR-Bürger die Möglichkeit, für vorgebliche Reisen nach Ungarn, Rumänien oder Bulgarien ein Transitvisum durch die Sowjetunion zu beantragen. Anstatt in das angegebene Zielland zu fahren, verließen sie jedoch in der Sowjetunion den vorgegebenen Transitweg und bereisten auf eigene Faust illegal die Sowjetunion. In der Arbeit der Operativgruppe Moskau scheinen die Transit-Touristen keine große Rolle gespielt zu haben. Vgl. zur Thematik beispielsweise Halbrock: Unterwegs im Land des »Bruderorgans«, S. 360–389, hier 373, 385 f. 282 Entwurf: Vereinbarung über die Entwicklung der Zusammenarbeit bei der Sicherung der Volkswirtschaft und der sozialistischen ökonomischen Integration in den Jahren 1976–1980, o. D.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 258, Bl. 89–99, hier 94, 98; Protokoll über die weitere Entwicklung der Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung XVIII des MfS der DDR und der II. Hauptverwaltung des KfS der UdSSR, 23.4.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1863, Bl. 1–8, hier 6, http:// www.bstu.bund.de/DE/Wissen/MfS-Dokumente/Downloads/KGB-Projekt/81_04_23_Protokoll_Zusammenarbeit_HAXVIII.pdf.
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setzte dort einen Verbindungsoffizier für die Moskauer Arbeitsgruppe der Linie XVIII ein. Für die Überwachung der Großbaustellen etablierte die AG Arbeitskontakte zu den zuständigen KGB-Gebietsverwaltungen und Kreisdienststellen. Diese unterstützten sie mit Informationen ihrer geheimen Zuträger sowie mit Observationen und Briefkontrollen.283 Auch für die Zusammenarbeit der Linie I mit dem sowjetischen Partnerdienst bestanden Arbeitspläne zwischen MfS und KGB.284 Die von der Hauptabteilung I nach Moskau delegierten Sonderoffiziere waren bei der III. KGB-Hauptverwaltung (Militärabwehr) akkreditiert. Der KGB gewährte Unterstützung bei der operativen Arbeit und bei der Organisation von Dienstreisen. Der KGB eröffnete beiden Sonderoffizieren Direktkontakte zu den Leitern der Militärabwehr an den Lehreinrichtungen. Beide Dienste tauschten auf der Arbeitsebene Informationen aus. Die Sonderoffiziere stimmten bedeutsame Informationen vor der Übergabe an den KGB mit dem Leiter der Operativgruppe bzw. dem Leiter des Basisreferats in der HA I ab.285 Das Verhältnis der MfS-Operativgruppe zur sowjetischen Geheimpolizei war asymmetrisch und vom Ringen des MfS um Anerkennung beim KGB geprägt. In den ersten Jahren ihres Bestehens hatte die Operativgruppe keinen direkten Kontakt mit dessen Leitungsebenen. Im Jahr 1969 ließ der Operativgruppenleiter Gerd Bräuer Ersuchen über die Berliner MfS-Zentrale fließen: Er bat den Leiter der Abteilung X, Willi Damm, beim KGB Informationen über geheim gehaltene sowjetische Forschungseinrichtungen anzufragen.286 Ab den späten 1970er-Jahren verdichten sich Anzeichen dafür, dass die Operativgruppe sich in eigener Initiative als Außenrepräsentanz des MfS anbot. KGB und MfS wehrten dies zunächst mit dem Verweis auf die KGB-Repräsentanz in Ostberlin ab. Für das Jahr 1978 ist überliefert, dass der Leiter der Koordinierungsgruppe der II. KGB-Hauptverwaltung den Leiter der Operativgruppe, Werner Rauch, ein283 HA XVIII: »Einschätzung zum Stand und zu wesentlichen politisch-operativen Arbeitsergebnissen in der Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung XVIII des MfS der DDR und der VI. Verwaltung des KfS der UdSSR«, o. D. [1984]; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5175, Bl. 182–190. 284 Vgl. den Verweis auf einen »Perspektivplan für das Zusammenwirken zwischen der 3. Hauptverwaltung des KfS der UdSSR und der Hauptabteilung I des MfS für die Jahre 1983 bis 1987« im Schriftstück Hinweise für Gespräche zwischen Delegationen des KfS der UdSSR unter Leitung des Gen. Tschebrikow und des MfS in Berlin vom 22. bis 26.5.1984; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5175, Bl. 1–206, hier 60. Der Plan selbst ist nicht überliefert. 285 HA I/Abt. Äußere Abwehr, Sonderoffizier Moskau: Zuarbeit zur Analyse zum Arbeitsgebiet Militärkader; BStU, MfS, HA I, Nr. 14456, Bl. 13–24; HA I/Abt. Äußere Abwehr, Sonderoffizier Moskau: Lageeinschätzung/Arbeitsbericht für das Jahr 1987 (unbestätigt), Berlin, 20.2.1988; BStU, MfS, HA I, Nr. 14462, Bl. 1–8, hier 7. 286 Ablauf des Besuchs der Delegation des MfS vom 10. bis 14.11.1969 in Moskau, 19.11.1969; BStU, MfS, SdM, Nr. 577, Bl. 64–74, hier 70, http://www.bstu.bund.de/DE/Wissen/MfS-Dokumente/Downloads/KGB-Projekt/69_11_19_Ablauf_Besuch.pdf.
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bestellte, um die Rolle der Operativgruppe in der Zusammenarbeit zwischen KGB und MfS zu klären. Nachdem der Leiter der Koordinierungsgruppe darauf hingewiesen hatte, dass die Operativgruppe nicht alle Linien des MfS vertrete und vor allem für DDR-Bürger in der Sowjetunion zuständig sei, legte er dar, dass prinzipielle Fragen der Zusammenarbeit mit der KGB-Vertretung in Berlin-Karlshorst zu klären seien. Dies betreffe Delegationsbesuche und Dienstreisen von MfS-Mitarbeitern, den Informationsaustausch (mit Ausnahme von Informationen zu DDR-Bürgern in der Sowjetunion) und auch Ersuchen um operative Maßnahmen gegen DDR-Bürger in der Sowjetunion.287 Dennoch verschaffte Rauch im Jahr darauf einer Delegation mit MfS-Beteiligung, die der KGB zunächst ignoriert hatte, im letzten Moment einen Empfang beim KGB. Ebenso überbrachte er Grußadressen Mielkes an KGB-Vertreter.288 Auch die für das MfS unübliche Anwesenheit mehrerer Linien in einer Einheit stärkte den Status des Operativgruppenleiters. In der Stellungnahme zu einem Befehlsentwurf hielt der Leiter der Hauptabteilung II, Günther Kratsch, 1982 fest: »Entsprechend bestehender Festlegungen und in Übereinstimmung mit dem KfS der UdSSR ist der Leiter der Operativgruppe Moskau für die Zusammenarbeit mit den Organen des KfS […] auf allen operativen Linien verantwortlich.«289 Im drei Tage später verabschiedeten Befehl Nr. 7/82 ist hinsichtlich der Überwachung von DDR-Bauarbeitern in der UdSSR davon die Rede, dass der Operativgruppenleiter im Auftrag der Hauptabteilung XVIII mit »zuständigen Organen« des KGB zusammenarbeiten solle.290 Etwa zwei Jahre später führte ein Vorstoß des neuen Operativgruppenleiters Gerhard Hempel zu einer MfS-internen Auseinandersetzung um den Status der Operativgruppe. Hempel beklagte eine Tendenz beim KGB, mit ihm auf »möglichst unterster Ebene« zusammenzuarbeiten und schlug vor, die Operativ gruppe zu einer Vertretung des MfS umzugestalten. Hierzu sollte die Operativgruppe in alle MfS-Delegationen nach Moskau einbezogen werden. Informationen zwischen MfS und KGB sollten fortan sowohl über die KGB-Vertretung in Berlin als auch über den Leiter der MfS-Vertretung laufen, denn »mangelnde Informiertheit führt objektiv zu einer Minderung des Ansehens der OGM«.291 287 Operativgruppe Moskau (o. T.), Moskau, 9.1.1978; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 310, Bl. 201–203. 288 HA XX/3: Bericht über die Dienstreise des Genossen Major Radeke nach Moskau, Berlin, 2.8.1979; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 311, Bl. 77–79; Operativgruppe Moskau, Leiter: Übergabe der Grußadresse, Moskau, 12.11.1979; ebenda, Bl. 178 f.; Sekretär des Kollegiums: Vermerk, Berlin, 26.11.1979; ebenda, Bl. 180. 289 HA II, Leiter: (o. T.), Berlin, 5.4.1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 223 f. 290 Befehl Nr. 7/82 des Ministers vom 8.4.1982 über die »Politisch-operative Sicherung des DDR-Anteils am Erdgasleitungsbau in der UdSSR im Zeitraum des Fünfjahrplanes 1981– 1985«; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 7476, Bl. 1–6, hier 2. 291 HA II/Abt. 14, OG M: Organisatorische Formen der Zusammenarbeit mit dem KfS unter Berücksichtigung des Status der OGM, Moskau, 16.3.1984; BStU, MfS, HA II,
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Nachdem Hempel sein Ansinnen Erich Mielke bei einem Besuch in Moskau vorgetragen hatte, ließ ihn Kratsch von Berlin aus zurechtweisen: Es gebe keine Veranlassung, die Beziehungen der Operativgruppe zum KGB neu zu regeln. »Der Leiter der OGM«, so Kratsch, »hat vernünftige Arbeitsbeziehungen zu den in der OGM tätigen Mitarbeitern der Linien I, II, XVIII und HV A herzustellen und kann auch Probleme dieser Genossen beim KfS abstimmen. Diesen Genossen ist unabhängig davon das Recht zuzugestehen, im Auftrag der Leiter ihrer Dienst einheiten selbstständige Arbeitskontakte zu den entsprechenden Linien des KfS zu pflegen.«292 Dessen ungeachtet zeichnete das MfS Hempel noch im gleichen Jahr turnusgemäß mit der Verdienstmedaille der DDR aus, wobei Kratsch über ihn vermerkte, »versucht, Pflichten als Leiter zu realisieren. Inneres Bedürfnis ist die enge und kameradschaftliche Zusammenarbeit mit den sowjetischen Tschekisten«. Das MfS berief Hempel im Jahr darauf nach einer kürzeren Dienstzeit als seine Vorgänger aus Moskau ab, ließ ihn allerdings seine Karriere ununterbrochen als Abteilungsleiter fortsetzen.293 Der Konflikt steht symbolhaft für Befindlichkeiten unter den Mitarbeitern der Operativgruppe, die sich vom KGB oft zurückgesetzt sahen und sich zudem nicht immer mit dem vom KGB vorgegebenen Arbeits- und Wohnumfeld anfreunden konnten. Sie schätzten die bereitgestellten Dienstwagen als teils verkehrsuntauglich ein und kritisierten mangelhafte sanitäre Anlagen. Wegen defekter Heizungen bezog die Operativgruppe im Winter 1987 Ausweicharbeitsplätze in der DDR-Botschaft.294 Sie kritisierte zudem, dass sich die vom KGB gestellten konspirativen Wohnungen an der Peripherie Moskaus befänden, sodass für Zusammenkünfte lange Wegezeiten anfielen.295 Ein Mitarbeiter der AG Kiew zitierte 1988 seinen Verbindungsoffizier damit, »daß die […] Linien und Diensteinheiten (des KGB, …) der Zusammenarbeit mit den befreundeten Sicherheitsorganen nicht die gebührende Aufmerksamkeit schenken würden«.296 Die Operativgruppe Moskau war in ihren Befugnissen und in ihrer Stellung nie mit der Vertretung des KGB in der DDR vergleichbar. Sie entsprach eher einer Agentur als einer Außenvertretung des MfS. Ihre Bedeutung in der Zusammenarbeit von KGB und MfS war jenseits ihrer Kernaufgabe, der ÜberwaNr. 27756, Bl. 8–10. 292 HA II/14: Absprache des Leiters der HA II zu Grundproblemen der Arbeit der Operativgruppe Moskau am 18.4.1984, Berlin, 23.4.1984; BStU, MfS, HA II, Nr. 20947, Bl. 31–34. 293 Kaderakte Gerhard Hempel; BStU, MfS, KS 22814/90, Bl. 6, 106. 294 HA II/10, OG Moskau: Gesprächsvermerk, Moskau, 4.5.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 178–180. 295 HA II/Abt. 14/OG M: Materiell-technische Sicherstellung der OGM durch das KfS, Moskau, 16.3.1984; BStU, MfS, HA II, Nr. 27756, Bl. 4–7. 296 HA II/10, AG Kiew: Vermerk, Kiew, 1.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 68–70.
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chung von DDR-Bürgern in der Sowjetunion, zweitrangig. Die Kritik aus der Operativgruppe an einer herablassenden Behandlung durch KGB-Mitarbeiter verdeckt allerdings, dass sich die Kommunikation der Operativgruppe mit dem KGB zusammen mit der Ausweitung ihrer Tätigkeit kontinuierlich verdichtete.
3. Die Operativgruppe in Bulgarien Die Operativgruppe Bulgarien entstand nach dem Mauerbau als erste von drei Operativgruppen, die Fluchtpläne von DDR-Bürgern über Drittländer vor Ort erkennen und verhindern sollten. Hierzu observierte sie DDR-Urlauber an der Schwarzmeerküste. Über einen etwa 100 Kilometer langen Küstenstreifen erstreckten sich die Touristenzentren Albena, der Goldstrand (Zlatni pjasăci), Varna und Nessebar (Nesebăr) mit dem benachbarten Sonnenstrand (Slănčev brjag), Burgas sowie Primorsko. Der bulgarische Staat hatte seit den 1960er-Jahren die Schwarzmeerküste zu einer Tourismusregion von internationaler Relevanz ausgebaut – vornehmlich mit dem Ziel, hohe Einnahmen in westlicher Währung zu erzielen. Da er die unzähligen Hotels, Bars und Campingplätze auch heimischen Gästen und Urlaubern aus den sozialistischen Ländern öffnete, hatte er eine einzigartige Kontaktzone zwischen Ost und West geschaffen. Er versuchte, die Effekte durch die Präsenz der Geheimpolizeien einzuhegen und für sich zu nutzen297 – er schickte nicht nur Mitarbeiter seiner eigenen Sicherheitsdienste unter die Touristen, sondern ließ auch die anderer sozialistischer Staaten hier agieren. Viele DDR-Bürger wollten über die Grenzen zur Türkei, zu Griechenland und zu Jugoslawien fliehen.298 Das MfS erhoffte sich, durch seine Operativgruppe bereits in den Urlaubszentren von Fluchtplänen zu erfahren und Kontakte zu Fluchthelfern zu beobachten. Auch ließ es Reisende beschatten, denen es bereits im Vorfeld Fluchtabsichten unterstellte. Die Überwachung von DDR-Urlaubern in Koordination mit der bulgarischen Geheimpolizei war laut einem Aufgabenkatalog von 1976 die Hauptbestimmung der zuerst von der Hauptabteilung XX und später von der Hauptabteilung VI gesteuerten Operativgruppe. Demnach war die Gruppe angehalten, Fluchtpläne aufzudecken, Fluchthelfer zu bekämpfen, Ost-West-Kontakte zu verhindern und die Lektüre westdeutscher Zeitschriften einzuhegen. Sie sollte auch vorbeugende Ermittlungen zu Schlupflöchern im Grenzregime führen, um den bulgarischen Sicherheitsdienst zu deren Schließung zu bewegen.299 Sogar weitere Aufgaben in der Kooperation des MfS mit dem bulgarischen Staatssicherheitsdienst waren – teils trotz anders lautender Legitimierung – dem Ziel untergeordnet, Fluchten aus 297 Siehe Ghodsee: The Red Riviera, bes. S. 91–96. 298 Siehe Tantzscher: Die verlängerte Mauer, S. 54 f. Vgl. auch Appelius: Bulgarien, S. 209–253. 299 HA VI/ Abt. Auslandstourismus: Aufgabenstellung der Operativgruppe der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 15.12.1976; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 831, Bl. 4–7.
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der DDR zu verhindern. Eine Zusammenarbeit in der Passkontrolle und beim »Schutz« des Flugverkehrs sollte Fluchten mit gefälschten beziehungsweise auf Transitflügen gegeneinander getauschten Reisepässen verhindern. In der DDR galt die bulgarische Grenze zu Griechenland als leicht zu überwinden, weshalb viele Ausreisewillige Reisen nach Bulgarien unternahmen, um dann – beispielsweise als Gebirgswanderer getarnt – zu flüchten.300 Tatsächlich jedoch war die Grenze streng bewacht, von weitläufigen Sperrzonen umschlossen und mit Drahtzäunen befestigt. Die bulgarischen Grenzpolizisten waren gehalten, auf Flüchtende zu schießen. Auch Ausflugsschiffe, die von Varna und Burgas nach Istanbul verkehrten, wurden stärker kontrolliert als es Gerüchte versprachen.301 An dieser Konstellation scheiterten viele Flüchtende, einige von ihnen kamen ums Leben. Etwas mehr Erfolg hatten Fluchtpläne mit westlicher Unterstützung. Bei der sogenannten »Opfer-Methode« gab ein Bundesbürger seinen Pass einem DDR-Flüchtling. Sie fiel zwangsläufig auf, wenn er um ein neues Dokument nachsuchen musste. Häufig übergaben Fluchthelfer DDR-Bürgern in der Bundesrepublik vorbereitete Pässe mit gefälschten Einreisestempeln. Als sicherer galt der Austausch von Pässen bei Flügen innerhalb des sozialistischen Lagers, wo die Kontrollen weniger intensiv waren. Eine solche Flucht bedurfte einer umfangreichen Vorbereitung von Westen aus und hatte mehrere Stationen. Der Identitätswechsel wurde häufig auf Flügen von Bulgarien nach Rumänien vorgenommen.302 Die Tätigkeit der Operativgruppe Bulgarien in den Jahren nach ihrer Gründung ist sehr gut überliefert, was den Aufbau und die Professionalisierung einer umfassenden Überwachungsstruktur gut nachvollziehbar macht. Der genaue Anteil der Operativgruppe an der Entdeckung von Fluchtplänen kann allerdings kaum aus den Quellen rekonstruiert werden. Die Urheber der Statistiken verschleierten ihn zumeist. Unzweifelhaft hatte die Arbeit der Operativgruppe eine imaginäre Dimension: Durch die Vor-Ort-Präsenz übte das MfS Druck auf die bulgarischen Sicherheitsorgane aus, DDR-Bürger verstärkt zu überwachen, potenzielle Flüchtlinge zu verfolgen und Fluchthelfer zu bestrafen. Da DDR-Bürger mit gefälschten oder getauschten Pässen über Bulgarien in westliche Länder flüchteten, drängte das MfS dem bulgarischen Sicherheitsdienst eine Zusam300 Zumindest das MfS beobachtete eine solche Wahrnehmung. Siehe Information über Untersuchungsergebnisse aus Ermittlungsverfahren, Berlin, 21.2.1980; BStU, MfS, HA IX, Nr. 1051, Bl. 31–37, hier 35. 301 Bericht – Versuchte Republikflucht, Nessebar, 17.5.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8900, Bl. 77 f.; HA VI: Bericht über die Dienstreise nach der VR Bulgarien, 12. Juli 1971; BStU, MfS, Abt.X, Nr. 1477, Bl. 78–89, hier 87; Sătrudničestvoto s Ministerstvoto za dăržavna sigurnost na GDR prez 1975 godina [Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR im Jahr 1975], 31.12.1975; COMDOS, M, f.1, op. 10, a.e. 1332/1139, Bl. 117–127, hier 123. 302 Welsch: Ich war Staatsfeind Nummer 1, S. 207.
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menarbeit in der Passkontrolle auf, an der die Operativgruppe am Rande beteiligt war. Die Hauptabteilung VI ließ westliche Touristikunternehmen in Bulgarien, denen unterstellt wurde, Fluchthelfern und Geheimdiensten als Stützpunkt zu dienen, von der Operativgruppe beobachten.303 Sie unterhielt deshalb ein Referat »Äußere Abwehr«, das die Unternehmen offensiv ausspionierte, auf Geheimdienstverbindungen abklopfte und eine etwaige Unterstützung von Fluchthilfe aufzudecken versuchte. Für 1972 ist belegt, wie das Referat einen Monat lang die Unternehmen NUR (Neckermann und Reisen) sowie TUI (Touristik Union International) in Nessebar auskundschaften ließ. Laut der Überlieferung gelang es den Informanten tatsächlich, zwei Angebote für westliche Pässe zu erhalten – allerdings nicht von den Touristikunternehmen. Nebenbei versuchte die HA VI, Bundesbürger im Bulgarienurlaub für eine Zusammenarbeit mit dem MfS zu gewinnen.304 Die Operativgruppe observierte im Auftrag der MfS-Zentrale Einzelpersonen und überwachte größere Veranstaltungen, an denen DDR-Touristen teilnahmen. Hierzu gehörte ein WM-Qualifikationsspiel der bulgarischen und der bundesdeutschen Fußballmannschaft im Jahr 1980, zu dem viele Fans aus der DDR anreisten. Die Operativgruppe war angehalten, eventuelle Regelverstöße von DDR-Bürgern in die MfS-Zentrale nach Berlin zu melden. Als 1984 DDR-Fans in Sofia Autogramme von Spielern des VfB Stuttgart und in Varna von der bundesdeutschen Nationalmannschaft erhielten, sandte die Operativgruppe deren Personalangaben an die MfS-Dienststellen in den Wohnorten. Die im Aufgabenprofil der Gruppe weiterhin festgehaltene Überwachung der DDR-Auslandsvertretung spielte faktisch kaum eine Rolle. Auch die an anderer Stelle überlieferte Überwachung von DDR-Studierenden war im Aufgabenspektrum marginal.305 Für die späten 1980er-Jahre ist überlie303 Bericht über die Tätigkeit der westdeutschen/Westberliner Reiseunternehmen in der Volksrepublik Bulgarien (1971); BStU, MfS, HA VI, Nr. 17027, Bl. 95–118; Bericht über die Tätigkeit der Reiseunternehmen der BRD und Westberlins in der VR Bulgarien (Ende 1974); BStU, MfS, HA VI, Nr. 4388, Bl. 135–168. 304 Bericht über den Einsatz im Kurortkomplex Nessebar, Berlin, 27.10.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4361, Bl. 79–83. Mit den zur Verfügung stehenden Quellen kann nicht abgeschätzt werden, inwiefern die Bedrohungsperzeption des MfS begründet war. Siehe auch Tantzscher: Hauptabteilung VI, S. 64–67. 305 HA VI/Abt. 2: Aufgabenstellung der Operativgruppe der HA VI in der VR Bulgarien, Berlin, 15.12.1976; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 831, Bl. 4–7; Zentraler Operativstab: Zusammenfassender Bericht zum (…) Qualifikationsspiel zur Fußball-WM 1982 zwischen der Volks republik Bulgarien – BRD am 3. Dezember 1980 in Sofia, Berlin, 10.12.1980; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15561, Bl. 12–15; HA VI/OLZ: Operative Information 582/84, Berlin, 20.9.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15561, Bl. 77; HA VI, Ber. Auslandstourismus/Abt. 2, OPG VRB: Information über (… das) Spiel der BRD-Fußball-Nationalmannschaft in Varna, Berlin, 16.2.1984; ebenda, Bl. 95–97; HA XX/5: Begründung für das Einstellen des IM-Vorgangs »Fritz«, Berlin, 21.7.1966; BStU, MfS, HA II, Nr. 9932, Bl. 112.
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Die Operativgruppe in Bulgarien
fert, dass die Operativgruppe die ostdeutschen Mitarbeiter eines DDR-Restaurants in Sofia überwachte.306 In den 1960er-Jahren brachte der bulgarische Sicherheitsdienst sowohl die Mitarbeiter der Operativ- als auch einer sie unterstützenden Beobachtergruppe in Hotels oder Dienstwohnungen unter. Er stellte Büros zur Verfügung und verschaffte ihnen Dokumente sowie landeseigene Autokennzeichen.307 In den 1970er-Jahren mietete das MfS Büros und Dienstwohnungen legendiert über die Reisebüros der DDR und Bulgariens an. Für die Treffen mit Zuträgern mietete es konspirative Wohnungen direkt über die bulgarische Geheimpolizei.308 In den 1980er-Jahren mietete es auch die Büros und Dienstwohnungen direkt.309 Die MfS-Operativgruppe war nicht der einzige Außenposten staatssozialistischer Geheimpolizeien an der Schwarzmeerküste, aber der bei Weitem größte: Das bulgarische Innenministerium wusste 1970 von 15 Mitarbeitern des MfS vor Ort sowie von jeweils zweien des tschechoslowakischen und des polnischen Innenministeriums.310
3.1 Entstehung und Entwicklung In gleich zwei Schreiben vom April und Juni 1962 machte der bulgarische Innenminister Diko Dikov das MfS darauf aufmerksam, dass DDR-Bürger während des Bulgarienurlaubs von westlichen Bürgern kontaktiert würden und daraufhin »Landesverrat« – gemeint sind wohl Fluchten – begingen. Er schlug dem MfS vor, während der Urlaubs- und Reisezeit operative Mitarbeiter nach Bulgarien zu entsenden, da die bulgarischen Sicherheitsorgane bei der Überwachung der DDR-Urlauber auf »ernsthafte Schwierigkeiten« stoßen würden.311 306 OPG VRB, Leiter: (o. T.), Berlin, 31.3.1988; BStU, MfS, HA II, Nr. 38798, Bl. 162; OPG VRB, Leiter: Abschlusseinschätzung, Berlin, 26.5.1988; ebenda, Bl. 174. 307 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien im Jahr 1967, Berlin, den 23.11.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 43–88, hier 74–76. 308 Protokoll der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Tourismus zwischen den Abteilungen des MfS der DDR und dem MdI der VR Bulgarien für das Jahr 1971, Sofia, den 26.3.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1631, Bl. 20–25. 309 HA VI/Abt. 2: Konzeption zur Sicherung der Dienst- und Wohnobjekte der Operativgruppe des MfS in der VR Bulgarien, Berlin, den 25.4.1984; BStU, MfS, HA II, Nr. 38291, Bl. 107–110. 310 Spravka otnosno sătrudničestvoto na Okrăžno upravlenie MVR Burgas [Bericht hinsichtlich der Zusammenarbeit der Regionaladministration des Innenministeriums in Burgas], 15.10.1970; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1562, Bl. 21–24. 311 Ministr vnutrennich del Narodnoj Respubliki Bolgarii: Ministru gosudarstvennoj bezopasnosti GDR, tov. Erichu Mielke, gor. Berlin [Innenminister der Volksrepublik Bulgarien: An den Minister für Staatssicherheit der DDR, Gen. Erich Mielke, Berlin], pismo no. 14/62, 9.4.1962; COMDOS, M, f. 2, op. 1, a.e. 1372, Bl. 17/101; Ministr vnutrennich
Entstehung und Entwicklung
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Ob dieser »Hilferuf«, der die nach dem Mauerbau einsetzende Fluchtwelle von DDR-Bürgern über Drittländer kryptisch umschrieb, vom MfS bestellt war, kann nach Aktenlage nicht beurteilt werden. Seitdem entsandte das MfS während der Urlaubszeit eine Operativgruppe hauptamtlicher Mitarbeiter nach Bulgarien. Als deren erster Leiter ist Horst Asbach überliefert, der zuvor Emigrantennetzwerke und Gaststudenten in sozialistischen Ländern überwacht hatte. Zum Juli oder August 1962 beorderte ihn die Hauptabteilung II/5 als Offizier im besonderen Einsatz (OibE) nach Sofia und deckte dessen Tätigkeit mit der Legende eines Botschaftssekretärs ab. Er leitete von dort zwei weitere Mitarbeiter der Operativgruppe an, die in Varna und wahrscheinlich in Nessebar stationiert waren. Das MfS berief Asbach zum Jahresende 1963 ab, da er seine Ansprechpartner im bulgarischen Sicherheitsdienst wohl nicht nachdrücklich genug auf die Verfolgung von DDR-Flüchtlingen eingeschworen und sich mehrmals gegenüber Verwandten und Bekannten dekonspiriert hatte. Zudem hatte ihn der DDR-Botschafter bei der MfS-Zentrale angeschwärzt, da er eine abgestrafte Genossin gegenüber der SED-Parteileitung in der DDR-Botschaft verteidigt hatte.312 Den bulgarischen Sicherheitsorganen waren die Existenz und die Aufgaben der Gruppe zu diesem Zeitpunkt wohl noch nicht durchweg bekannt: Im August 1962 schickten sie eine DDR-Gruppenreisende, die mit einem gefälschten Visum die Grenze nach Griechenland passieren wollte, offenbar ohne weitere Maßnahmen in ihre Reisegruppe zurück. Der Reiseleiter erstattete dem MfS erst in Berlin Bericht, nachdem er den Grund für die längere Abwesenheit der Urlauberin erfahren hatte.313 Die älteste überlieferte Sachakte, welche die Arbeit der Operativgruppe ausführlich darstellt, datiert zum Jahresbeginn 1964 und enthält ein Profil zur Identifikation von Fluchtvorhaben über Drittländer. Zu diesem Zeitpunkt stand die Hauptabteilung V, die noch im gleichen Jahr in HA XX umbenannt wurde, der Gruppe vor.314 In den Sommern 1964 und 1965 leitete Herbert Grunert die Gruppe. Mit zwei (1964) bzw. drei (1965) weiteren Mitarbeitern koordinierte er die Überwachung von Hotels in Nessebar und Varna sowie der Campingplätze Primorsko und Kavatsite (bei Sozopol), wohin das DDR-Reisebüro und die FDJ-Organisation »Jugendtourist« DDR-Urlauber vermittelten. Bereits zu dieser Zeit verfasste die Operativgruppe detaillierte Einzelberichte über Fluchtvor-
del Narodnoj Respubliki Bolgarii: Ministru gosudarstvennoj bezopasnosti GDR, tov. Erichu Mielke, gor. Berlin, pismo no. 26/62, 26.6.1962; ebenda, Bl. 43/127–44/128. 312 BStU, MfS, KS II 66/71, Bl. 9, 241, 243; Beiakte zu KS II 66/71, Bl. 12–19, 44–69. 313 HA V: Information betr. Reise Nr. 626 des DER vom 19.8. bis 4.9.1962 nach Varna/ Bulgarien, Berlin, den 12.9.1962; BStU, MfS, HA XX, Nr. 5082, Bl. 5 f. 314 HA V/5: Menschenhandel unter Ausnutzung des Reise- und Touristenverkehrs zwischen der DDR und der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 10.1.1964; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 2–14, hier 11 f.
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Die Operativgruppe in Bulgarien
haben.315 Ab 1966 leitete Werner Fleischhauer die Gruppe. Er und seine Mitarbeiter waren in Sonnenstrand (bei Nessebar) stationiert und agierten ebenso in Goldstrand (bei Varna). Seit diesem Jahr stellte ihr die Hauptabteilung VIII (Observationen, Ermittlungen, Festnahmen) eine »Beobachtergruppe« bei. Deren 12 (1967) bis 18 (1970) hauptamtliche Mitarbeiter observierten – zumeist im direkten Auftrag der MfS-Zentrale – DDR-Urlauber. Ab dem Jahr 1970 ging die auf sechs Mitarbeiter gewachsene Operativgruppe von der Hauptabteilung XX (die Fluchthilfe verhindern sollte) in die Zuständigkeit der Hauptabteilung VI (Überwachung des Tourismus) über. Fleischhauer und seine ebenso für die Gruppe tätige Frau agierten zu dieser Zeit ganzjährig von Sofia aus, die übrigen Mitarbeiter an der Schwarzmeerküste nur im Sommer.316 Für das Jahr 1971 ernannte das MfS Günter Herfurth, einen Spezialisten für die Passkontrolle, zum Leiter der Operativgruppe. Nach seinem Einsatz in Bulgarien stieg er in der Hauptabteilung VI zum Leiter des Bereichs »Abwehr« (u. a. Tourismusüberwachung und Bekämpfen von Schleuseraktivitäten) auf. 1983 wurde er schließlich stellvertretender Leiter der Hauptabteilung VI mit der Funktion »Stellvertreter Operativ«. In dieser Funktion leitete er unter anderem die Kontrolle des Auslandstourismus in die sozialistischen Länder an.317 In den drei Folgejahren unterstand die Gruppe Fred Beier.318 Über das gesamte Jahr 1975 hinweg leitete Michael Joachimsthal die Operativgruppe, wahrschein-
315 HA XX: Einschätzung über den Einsatz einer Operativgruppe zur Bekämpfung des Menschenhandels in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 24.9.1964; ebenda, Bl. 15–25, hier 17 f.; HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien, Berlin, den 10.11.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 54–85, hier 55; Bericht: Versuch der RF-Festnahme, Varna, 10.10.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 4905, Bl. 70. 316 HA XX/5: Abschlussbericht der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien 1966, Berlin, den 1.12.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 87–124, hier 89; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien im Jahr 1967, Berlin, den 23.11.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 43–88, hier 45, 72; Tätigkeit der Oper.-Gruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahre 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 28.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 37–52, hier 38, 50; HA VIII, Einsatzgruppe Nessebar: Beobachtungsbericht, Nessebar, 6.6.1966; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9314, Bl. 89–93. 317 HA VI: Bericht über die Dienstreise nach der VR Bulgarien vom 5. bis 7.7.1971, Berlin, den 12. Juli 1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 78–89, hier 79, 82. Die Kaderakte Herfurths verzeichnet seine Auslandstätigkeit nicht. Vgl. Kaderakte Günter Herfurth; BStU, MfS, KS 21288/90. 318 Kaderakte Fred Beier; BStU, MfS, KS II 416/78, Bd. 1, Bl. 82–88; Săstojala se srešta s nemski operativni rabotnici i naši ot Vtoro glavno upravlenie [Zum Treffen der deutschen operativen Mitarbeiter mit unseren Mitarbeitern der Zweiten Hauptverwaltung], 12.4.1972; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1791, Bl. 14–16.
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lich von Varna aus.319 Im Jahr 1977 stand der in Burgas stationierte Karl-Heinz Brichmann der Gruppe vor, von 1978 bis 1981 war es Wolfgang Lotter.320 Zum Ende der 1970er-Jahre verpflichtete die HA VI neun hauptamtliche Mitarbeiter für die Operativgruppe. Ihr Hauptsitz war nun Varna – hier waren der Leiter, drei operative Mitarbeiter und eine Sekretärin stationiert. Der Stellvertreter und zwei Mitarbeiter befanden sich in Burgas sowie ein weiterer Mitarbeiter in Sofia.321 Zum Jahr 1985 entsandte die Hauptabteilung VI den Leiter, der zwischendurch offenbar nur während der Reisezeit in Bulgarien war, erneut ganzjährig.322 Von 1982 bis zum November 1989 unterstand die Operativgruppe Lothar Stritzke. Seine sechs Mitarbeiter waren in Sofia, Varna, Burgas und Sonnenstrand eingesetzt. Ab September 1986 schickte die Hauptabteilung II (Spionageabwehr) den Abwehroffizier Günter Fiedler nach Sofia, der in der DDR-Botschaft als Erster Sekretär legendiert arbeitete und beim bulgarischen Innenministerium als Diplomat akkreditiert war. Er wurde der Operativgruppe angegliedert, berichtete jedoch der HA II gesondert über die bulgarische Innenund Außenpolitik. Im Jahr 1989 befand sich auch der Leiter wieder in der bulgarischen Hauptstadt.323 319 Kaderakte Michael Joachimsthal; BStU, MfS, KS 29692/90, Bl. 77; N-k otdel VIII, VGU DS: Provedena srešta s operativnata grupa na MDS-GDR [II. Hauptverwaltung der Staatssicherheit, Abt. VIII, Leiter: Durchgeführtes Treffen mit der Operativgruppe des MfS-DDR], 27.3.1975; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1332, Bl. 1 f.; Sătrudničestvoto s Ministerstvoto za dăržavna sigurnost na GDR prez 1975 godina [Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR im Jahr 1975], 31.12.1975; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1332/1139, Bl. 117–127, hier 123. 320 HA VI, Bereich Auslandstourismus, Leiter: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242– 251, hier 245; Abschlussbericht über die Ergebnisse der Operativgruppe der Hauptabteilung VI in der VR Bulgarien – Zeitraum 1.1. bis 30.9.1981, Varna, 26.9.1981; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9931, Bl. 310–325, hier 325; Sătrudničestvoto s Ministerstvoto na dăržavna sigurnost na GDR prez 1977 godina [Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR im Jahr 1977], 15.11.1977; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1322, Bl. 128–138. 321 HA VI, Leiter: Besetzung der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der ČSSR, VRB und UVR im Jahre 1979, Berlin, 4.4.1979; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 63 f.; HA VI/ Abt. 2: Aufstellung über Dienst- und Wohnobjekte sowie Verbindungsmöglichkeiten zur Operativgruppe VR Bulgarien, Berlin, 6.5.1979; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 832, Bl. 66 f. 322 Kaderakte Karl-Heinz Brichmann; BStU, MfS, KS II 643/89, Bl. 2, 125–128; HA VI/ AKG: Leiterberatung am 15.5.1985, Tagesordnung: Auswertung der Beratungen mit den Bru derorganen, Material zusammengestellt am 29.5.1985; BStU, MfS, HA VI, Nr. 42, Bl. 223– 252, hier 228, 234. 323 Abschlussbericht über die Ergebnisse des Einsatzes der Operativgruppe der Hauptabteilung VI in der VR Bulgarien – Zeitraum 1.1. bis 30.9.1982, Berlin, 11.11.1982; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9931, Bl. 290–309; Telefonverzeichnis und Anschriften der Mitarbeiter der OPG in der VR Bulgarien, Stand: 12.2.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 483, Bl. 35–38; HA VI, Stellv. Operativ: Besetzung der Operativgruppen des MfS in der ČSSR, VRB und UVR im Jahre 1989, Berlin, 6.6.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 132–134. Zum Mitarbeiter der Spionageabwehr siehe HA II, Leiter: Vorlage zum Einsatz von Mitarbeitern der Hauptabteilung II in der Ungarischen Volksrepublik, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der
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Die Operativgruppe in Bulgarien
Auch die Hauptverwaltung A sandte – weitgehend unabhängig von der Operativgruppe – Mitarbeiter an die Schwarzmeerküste. Sie setzte diese in mehrwöchigen Aktionen auf Bundesbürger und Bürger weiterer NATO-Mitgliedsländer an, die dort Urlaub machten. Laut einem Dokument der HA Kader und Schulung aus dem Jahr 1988 unterhielt die Abteilung I der HV A zwei OibE in Bulgarien, die in einem nicht näher spezifizierten »Zusammenhang« mit der Operativgruppe standen.324 Die Akten der Operativgruppe selbst verzeichnen sie nicht. Unter den HVA-Mitarbeitern in Bulgarien befanden sich sogenannte »Romeos«, die unter Vortäuschung von Liebe und Intimität Kontakte zu Bundesbürgerinnen anbahnten, die später zur Spionage gedrängt werden sollten. Es bestand keine operative Notwendigkeit für die »Romeos«, mit der Operativgruppe zu kommunizieren.325 Anders war dies auf dem Feld der Abwehr: Im Jahr 1981 setzte die Operativgruppe einen weiblichen IMB (Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung) auf einen bundesdeutschen Touristen an, den sie der Spionage für den BND verdächtigte.326 3.1.1 Flüchtlingszahlen Die dichte Überlieferung zu den 1960er-Jahren erlaubt es, die MfS-Daten zu erfolgreichen und gescheiterten Fluchtversuchen über Bulgarien bereits ab 1963 zusammenzufassen. Dass die Operativgruppe zumeist verschleierte, wie viele Fluchtvorhaben sie in Eigenregie aufdeckte, gibt zur Vermutung Anlass, dass ihre Observierungsergebnisse aus der Sicht der MfS-Zentrale nicht immer den Aufwand rechtfertigten. Für 1968 ist überliefert, dass der bulgarische Sicherheitsdienst insgesamt 32 Fluchtvorhaben aufgedeckt hatte, während die IM der Operativgruppe nur 13 meldeten. Zwei Jahre später stammten sogar 53 von 63 solchen Hinweisen vom bulgarischen Sicherheitsdienst. Wie viele Hinweise die
Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 4.7.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 43; Personaldaten der in den Operativgruppen der HA VI einzusetzenden Mitarbeiter der HA II, o. D.; ebenda, Bl. 52–55; Udostoverenije (Bescheinigung); BStU, MfS, HA II, Nr. 38270, Bl. 52 f.; (o. T.), ca. 1987/88; BStU, MfS, HA II, Nr. 38876, Bl. 61–67. 324 Schreiben des Leiters der HV A, Markus Wolf, an den Leiter der bulgarischen Aufklärung, Kozev, vom 1.2.1979; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2102, Bl. 234; Telegramm Nr. 355 (323/76), Sofia, 25.3.1976; ebenda, Bl. 144; HA KuSch/Abt. Kader 3: Untersuchung zur Arbeit mit Operativgruppen, Berlin, 17.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f. 325 Marxen; Werle (Hg.): Strafjustiz und DDR-Unrecht, S. 36, 256. Vgl. auch Pfister: Unternehmen Romeo, S. 66–68, 155–157; Quoirin: Agentinnen aus Liebe, S. 37–47, 61–65. 326 HA VI/Abt. 2/OPG VRB: Sachstandsbericht zum gemeinsam mit dem bulgarischen Sicherheitsorgan bearbeiteten Objekt »Bankier«, Berlin, 20.4.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 486, Bl. 137 f.
Entstehung und Entwicklung
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Operativgruppe von der MfS-Zentrale erhielt, erwähnte sie auch hier nicht.327 Die folgende Tabelle verzeichnet, wie viele Fluchten und Fluchtvorhaben die Operativgruppe der MfS-Zentrale meldete. Für einzelne Jahre wurden die Zahlen durch Angaben der Hauptabteilung IX ergänzt, welche die Ermittlungsverfahren gegen verhaftete und in die DDR zurückverbrachte Flüchtlinge führte. Tabelle 5: Fluchten von DDR-Bürgern über Bulgarien (Anzahl der Personen)328 Jahr
erfolgreiche Fluchten
gescheiterte Fluchten
ohne Fluchthilfe
ohne Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
1963
15
31
19641)
19
39
19652)
24
63
19662)
20
77
19673)
26
49
19682)
12*
19
8
19692)
28
36
10
1970
17
10
19
32
19712)
17
2
23
27
1972 1973 1974
85 39
141 6
34**
2)
79
20
41
6
19754)
68
1977
13
73
19785)
16
35
19796) 1980
33
9
43
6 81***
327 Tätigkeit der OPG der Hauptabteilung XX/5 im Jahre 1970 in der VR Bulgarien, Berlin, den 28.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 37–52, hier 44; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der OPG der HA XX/5 in der VR Bulgarien im Jahre 1968, Berlin, den 4.11.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 2–42, hier 6–14. 328 Eigenrecherche in Beständen der HA XX, VI (zumeist von der Operativgruppe erstellte Dokumente) und IX.
Die Operativgruppe in Bulgarien
96 Jahr
erfolgreiche Fluchten
gescheiterte Fluchten
ohne Fluchthilfe
ohne Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
19816)
19
9
72
6
19826)
17
5
46
4
1983
14
3
76
0
1984
6
4
44
0
19852)
9
34
19862)
7
16
1987
42***
1988
86***
1) bis Ende August, 2) bis Ende Oktober, 3) bis Mitte November, 4) bis Mitte September, 5) bis Mitte Oktober, 6) bis Ende September des jeweiligen Jahres * weitere 17 vermutet ** weitere 23 vermutet *** Nach dem Kriterium Ermittlungsverfahren der HA IX
Die in der Tabelle zusammengefassten Zahlen sollten nicht überinterpretiert werden, da sich die statistischen Kriterien immer wieder änderten. Auch sind die Zählungen der Operativgruppe gelegentlich inkonsistent. Die Gegenüberstellung von erfolgreichen und verhinderten Fluchten in der Tabelle zeigt, dass insgesamt etwas weniger als ein Drittel der vom MfS ermittelten ostdeutschen Fluchtvorhaben über Bulgarien erfolgreich waren. Die MfS-Operativgruppe registrierte hier nur relativ wenige geglückte Fluchten mit westlicher Unterstützung. Der hohe Stellenwert, den es Fluchthelfern zumaß, war vielmehr auf die höhere Erfolgsquote von Fluchthilfe zurückzuführen – eine Unterstützung von Westen aus führte häufiger zum Ziel als Pläne von Flüchtenden, die auf sich gestellt waren. Das MfS konnte nicht jeden Fall von Fluchthilfe feststellen – beispielsweise dann, wenn Fluchtwege unentdeckt blieben. Wenn die Operativgruppe diese nicht ermitteln konnte, spielte sie die betreffenden Fälle in ihren Abschlussberichten herunter. Die Flüchtlinge, die durch Schüsse der bulgarischen Grenzpolizei umkamen, erwähnte sie nur in den 1960er-Jahren.329 Der für 1972 überlieferte Höhepunkt der Fluchten über Bulgarien folgte zwei Jahre auf das Maximum von Zuwanderern aus der DDR in die Bundesrepub329 Eine namentliche Auflistung von 15 Todesfällen zwischen 1966 und 1989 recherchierte Appelius: Bulgarien, S. 252 f.
Entstehung und Entwicklung
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lik330 – möglicherweise antizipierten DDR-Bürger mit einer Flucht über Drittländer die Reaktion des MfS auf Konjunkturen innerdeutscher Fluchten. Von 1970 an hatte die DDR Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze installiert. Andere Forschungen konstatieren »mindestens 4 500« Fluchtversuche von DDR-Bürgern über Bulgarien. Sie stehen im Kontrast zu den knapp 2 000 Fluchtversuchen, welche die Operativgruppe dokumentierte. Der Unterschied ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass die Operativgruppe nicht von allen Fällen erfuhr. Möglicherweise ist die Schätzung auch zu hoch angesetzt.331 Die MfS-Zentrale registrierte die Berichterstattung der bundesdeutschen Presse zu Fluchten über Bulgarien und antwortete gelegentlich mit eigenen Kampagnen. Als sich im Jahr 1967 die DDR-Ärztin Gudrun Lehmann nach der Aufdeckung ihres Fluchtvorhabens das Leben nahm, stellte das MfS sie als von ihren Fluchthelfern verführt und bedrängt dar. Auf Informationen der Operativgruppe aufbauend, verfasste die ZAIG eine ideologisierende Meldung für die DDR-Nachrichtenagentur ADN, welche die DDR-Tageszeitungen unverändert abdruckten. Sie beschrieb die Ärztin als Opfer westlicher Agenten und suggerierte, dass sie gegen ihren Willen »verschleppt« werden sollte. Die Ärztin sei »durch Anwendung psychischen Drucks zur Verzweiflung getrieben worden«.332 Die Akten der Operativgruppe dokumentieren spektakuläre Fluchtfälle, wie beispielsweise den eines DDR-Bürgers, der es 1968 geschafft hatte, die Kontrollen zum Frachthafen von Burgas zu umgehen und auf ein griechisches Schiff zu steigen. Allerdings übergab dessen Kapitän ihn der Hafenpolizei. Er entkam dieser mit einem Sprung ins Wasser und kletterte unbemerkt auf einen weiteren griechischen Frachter, der bald darauf auslief. Außerhalb der bulgarischen Hoheitsgewässer entdeckte ihn die Besatzung. Der Kapitän ließ umkehren und lieferte den Flüchtling der bulgarischen Polizei aus, die ihn festnahm.333 Im Folgejahr berichtete die Operativgruppe von zwei Rostocker Medizinstudentinnen, die angaben, mit zwei chilenischen Freunden über Jugoslawien in die DDR 330 Vgl. die auf Basis der statistischen Jahrbücher der Bundesrepublik erarbeitete Aufnahmestatistik in: Effner; Heidemeyer: Die Flucht in Zahlen, S. 27–31. 331 Appelius: Opfer an der verlängerten Mauer, S. 110–130, hier 128. Appelius argumentiert auf den Seiten 123–126, dass das MfS die Aufklärung mehrerer Todesfälle behinderte bzw. verschleppte. Hinweise darauf können mit den für diese Studie gesichteten Sachakten weder bestätigt noch widerlegt werden. 332 Operativgruppe VR Bulgarien: Besonderes Vorkommnis am Kurort Sonnenstrand, Nessebar, 5.8.1967; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 9935, Bl. 105–107; HA IX: Mitteilung für »ND« und ADN, Berlin, 15.8.1967; ebenda, Bl. 95–103; Typoskript o. T. mit handschriftl. Veränderungen; ebenda, Bl. 12 f.; »Agenten unschädlich gemacht«. In: Neues Deutschland v. 17.8.1967, S. 2. Zur Dokumentation des Falls selbst siehe die gesamte Akte BStU, MfS, HA XX, Nr. 9291. Ausführlicher zu diesem und zu anderen Fluchtfällen: Appelius: Opfer an der verlängerten Mauer, bes. S. 121 f. 333 Operativgruppe VR Bulgarien: Versuch des illegalen Verlassens der DDR – Festnahme, Nessebar, 6.7.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 5105, Bl. 9–11.
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trampen zu wollen. Sie fragten an der jugoslawischen Grenze nach, ob sie ein Transitvisum erhalten könnten. Nach einer Absprache mit der Operativgruppe forderten die Grenzkontrolleure die Studentinnen auf, zurückzukehren und bei einem Mitarbeiter der Sofioter DDR-Konsularabteilung vorzusprechen. Dieser war IM des MfS. In seinem Bericht schlug er vor, die Studentinnen wegen »politischer Unreife« zu exmatrikulieren. Die Hauptabteilung XX erbat bei der Bezirksverwaltung Rostock eine »operative Auswertung des vorliegenden Materials«.334 Im Jahr 1967 glückte einer Industriekauffrau aus Thüringen eine Flucht über Bulgarien, obwohl das MfS von ihren Fluchtabsichten wusste. Eine beim Innenministerium erwirkte Ausreisesperre aus der DDR griff nicht, da dieses versäumte, die Namensliste der Reisegruppe mit den Sperren abzugleichen. Als das Versäumnis im Innenministerium kurz vor dem Reisetermin auffiel, nahm dieses mit der »Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs (ASR)« beim MfS Rücksprache, die ihre Unterabteilung in der Bezirksverwaltung Suhl informierte. Diese fragte bei der zuständigen Kreisdienststelle Bad Salzungen nach, die wiederum von der Hauptabteilung I (Überwachung der Nationalen Volksarmee) erfuhr, dass die Industriekauffrau sich bald in der DDR verloben wolle. Daraufhin befürwortete die Kreisdienststelle die Reise, und das Innenministerium setzte die Reisesperre aus. Die MfS-Abteilung XX/5 in der Bezirksverwaltung Suhl, welche die Sperre wegen der Fluchtabsichten verhängt hatte, war nicht konsultiert worden. Die Flüchtende geriet dennoch in Gefahr, da sie ihrem Freund und Fluchthelfer in der Bundesrepublik nur rudimentär – und eher von Witz als von Umsicht geprägte – konspirierte Briefe sandte: Sie hatte ihren Vornamen abgewandelt und sich den Nachnamen ihres Freundes gegeben. Die Post war dem MfS aufgefallen – es identifizierte die Reisegruppe und den Treffpunkt, eine Hotellobby. Nur knapp scheiterte es dabei, die Absenderin zu ermitteln: Es fand nicht heraus, dass die diskutierte Reisesperre und die abgefangene Post die gleiche Person betrafen. Schließlich übermittelte die ASR dem Reisegruppenleiter, einem MfS-Mitarbeiter, nur den konspirierten Namen der Flüchtenden, den es versehentlich selbst noch einmal verfälschte. Dieser konnte nicht erkennen, wen er überwachen sollte. Selbst nach der Flucht waren er und die eingeschaltete Operativgruppe ratlos: Der Fluchtweg blieb unentdeckt. Die Abteilung XX/5 in der BV Suhl schilderte später die vielen internen Kommunikationsfehler, die den – strukturell dazu fähigen – Apparat gehindert hatten, die Reisesperre mit der konspirierten Post zu verbinden.335 334 Oberleutnant Fleischhauer: Verdacht des ungesetzlichen Verlassens der DDR, Sofia, 16.7.1969; ebenda, Bl. 56–58; »Günther«: Bericht, Sofia, 17.7.1969; ebenda, Bl. 59 f.; HA XX, Ltr. an BV Rostock, Abt. XX, 8.8.1969; ebenda, Bl. 61. 335 Operativgruppe Bulgarien: Bericht – Illegales Verlassen der DDR, Nessebar, 20.8.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 4643, Bl. 67–69; Abt. XX/5: Bericht zum illegalen Verlassen der DDR über Bulgarien, Suhl, 14.10.1967; ebenda, Bl. 71–74.
Entstehung und Entwicklung
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Im Jahr 1970 flüchtete eine Familie über Bulgarien, die im Vorjahr unter Beobachtung der Operativgruppe stand.336 Drei Leipziger hatten indes keinen Erfolg – ein Fischer, der sie mit seinem Kutter in die Türkei bringen sollte, ließ sich zum Schein auf das Vorhaben ein und verriet es. Vermutlich hatten ihm die Dienste dieses Verhalten vorgegeben: Die Operativgruppe berichtete, die Flüchtlinge seien »im Ergebnis der durch die Operativgruppe eingeleiteten operativen Maßnahmen […] beim Versuch des illegalen Verlassens der DDR« am Hafen von Nessebar festgenommen worden.337 Dass DDR-Urlauber in Bulgarien unbehelligt mit Bundesbürgern zusammentreffen oder westdeutsche Zeitungen lesen konnten, war für den SED-Staat ein Ärgernis. Das MfS überwachte deutsch-deutsche Kontakte argwöhnisch und begründete dies mit dem Schreckgespenst »politisch-ideologischer Diversion« – einem Eindringen unzensierter, westlicher Vorstellungen in die DDR-Gesellschaft.338 Die Operativgruppe thematisierte ab 1964 in allen Berichten eine »ideologische Beeinflussung« und widmete dieser immer mehr Platz. Sie monierte, die gemeinsame Unterbringung ost- und westdeutscher Urlauber begünstige »illegale Zusammenkünfte und die Verbreitung von Westliteratur«.339 In deutsch-deutschen Urlauberkontakten, die »meist einen negativen Charakter« trügen, sah sie einen »Ausgangspunkt für Republikflucht-Versuche«.340 Die Niederschlagung des »Prager Frühlings« im August 1968 zog im Mikrokosmos der Bulgarien-Urlauber aus Ost und West besonders weite Kreise. Die Operativgruppe deutete die Diskussionen derart, dass »feindlich eingestellte« Touristen aus westlichen Ländern »verwirrte und unwissende« ČSSR-Bürger »um sich scharen« würden. Sie meldete die Daten eines DDR-Jugendlichen an die MfS-Zentrale, der sich an »Hetze gegen die sozialistischen Staaten« beteiligt habe und vom bulgarischen Sicherheitsdienst ausgewiesen wurde.341 Die Negativbeurteilung von Ost-West-Kontakten ging mit einer intensiven Überwachungs- und Denunziationstätigkeit einher. Im Jahr 1966 beobachtete die Operativgruppe 850 Begegnungen zwischen DDR-Bürgern und Bundesbür336 HA XX/5/V: Analyse des organisierten Menschenhandels und der ungesetzlichen Grenzübertritte über das sozialistische Ausland und die Staatsgrenze Süd und Ost im I. Halbjahr 1970, Berlin, 7.8.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9868, Bl. 2–61, hier 36. 337 HA XX/5, Operativgruppe VR Bulgarien: Bericht, Nessebar, 24.10.1966; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9314, Bl. 128–132. 338 Zum MfS-Begriff der »politisch-ideologischen Diversion« siehe MfS-Lexikon, S. 72. 339 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz einer Operativgruppe zur Bekämpfung des Menschenhandels in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 23.11.1964; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 26–53, hier 33. 340 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien, Berlin, den 10.11.1965; ebenda, Bl. 54–85, hier 64–67. 341 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der HA XX/5 in der Volksrepublik Bulgarien im Jahre 1968, Berlin, den 4.11.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 2–42, hier 18–20.
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gern, wobei sie die Namen der DDR-Bürger erfasste. In den Folgejahren registrierte sie 720 (1967), 1 160 (1968), 1 567 (1969) und 1 425 (1970) Kontakte.342 Es ist zu vermuten, dass sie die Namen der DDR-Bürger nach Berlin weitergab. Selbst die im Vergleich hierzu hohen Urlauberzahlen – das MfS schätzte sie für 1966 auf 60 000 und für 1970 auf knapp 45 000 – können die Kontrollanmaßung kaum relativieren.343
3.2 Informationsbeschaffung Das MfS verpflichtete Mitarbeiter der DDR-Tourismusbüros und ostdeutsche Reiseleiter in Bulgarien fast ausnahmslos zur inoffiziellen Mitarbeit. Neben diesen Informationsquellen hielt die Operativgruppe Kontakt zu offiziellen DDR-Vertretern in Bulgarien, wie beispielsweise dem Botschafter. Sie unterhielt einige IM dauerhaft vor Ort und griff auf sogenannte »überörtliche« IM zu, welche die MfS-Zentrale für bestimmte, kurzzeitige Observationen entsandte. Auch hielt das MfS seine Hauptamtlichen an, im Bulgarienurlaub die Miturlauber auszuspionieren.344 Anfangs waren nur relativ wenige inoffizielle Mitarbeiter der Operativgruppe über die ganze Reisezeit hinweg an der Schwarzmeerküste stationiert. Möglicherweise gestaltete es sich schwierig, ihre Anwesenheit über längere Zeit hinweg zu legendieren. Im Jahr 1965 waren 14 IM dauerhaft in Varna und Nessebar stationiert, 1968 sogar ein IM weniger.345 342 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien im Jahr 1967, Berlin, den 23.11.1967; ebenda, Bl. 43–88, hier 56; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien im Jahre 1969, Berlin, den 20.11.1969; ebenda, Bl. 89–132, hier 106; HA XX: Bericht über die Tätigkeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahr 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 9.12.1970; BStU, MfS, HA XX 231, Bl. 16–36, hier 41; HA XX/5: Abschlussbericht der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien 1966, Berlin, den 1.12.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 87–124, hier 104. 343 HA XX/5, Abschlussbericht der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien 1966, Berlin, den 1.12.1966; ebenda, Bl. 87–124, hier 87; HA XX: Bericht über die Tätigkeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahre 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 9.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 16–36, hier 20. 344 Komplexauftrag für operative Kräfte, die die VR Bulgarien bereisen, o. D.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 832, Bl. 4–7; HA VI/Abt. 2: Aufgabenstellung für Mitarbeiter des MfS sowie IMS und GMS, welche die VR Bulgarien bereisen, Berlin, 25.2.1981; BStU, MfS, HA II, Nr. 38291, Bl. 16–18. Zu »überörtlichen IM« siehe S. 50. 345 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien, Berlin, den 10.11.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 54–85, hier 67; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der HA XX/5 in der Volksrepublik Bulgarien im Jahre 1968, Berlin, den 4.11.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 2–42, hier 31.
Informationsbeschaffung
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Von den Leitern der DDR-Reisegruppen verlangte das MfS, an jedem Morgen beim Frühstück die Anwesenheit aller Urlauber zu prüfen. Unter dem Deckmantel der »berechtigten Sorge um das Wohlbefinden des Touristen« sollten sie Fluchtversuche zeitnah feststellen.346 Wie weit das Kontrolldenken des MfS in die Urlaubspraxis hineinreichte, verdeutlicht ein Bericht der Operativgruppe, wonach Touristen in einem Fall »unregelmäßig zu Mahlzeiten erschienen, sonst aber wenig Anlaß zu Beschwerden gaben«.347 Nicht alle Reiseleiter praktizierten die lebensfremde Kontrolle. Im Jahr 1964 urteilte die Operativgruppe, dass »ein großer Teil« der Reiseleiter »den Anforderungen nicht gewachsen« gewesen sei, was wohl bedeutet, dass die Reiseleiter trotz ihrer IM-Verpflichtungen den Vorschriften des MfS nicht immer und nur ungern Folge leisteten.348 Wenn Fluchtversuche aktenkundig wurden, übermittelte die Operativgruppe nicht nur die Personalien des Überführten, sondern auch die seines Reiseleiters an die Berliner Zentrale.349 Um dem Missstand fehlender Loyalität zu begegnen, schickte das MfS viele hauptamtliche Mitarbeiter als Reiseleiter oder Teilnehmer von Reisegruppen in den Bulgarienurlaub. Im Jahr 1968 stand die Operativgruppe laut ihrer Statistik mit 94 Hauptamtlichen in Verbindung, die während eines Urlaubs Touristen überwachten.350 Im Jahr 1971 erfasste die HA VI 129 Hauptamtliche als Reiseleiter und 224 als Mitreisende in Reisegruppen nach Bulgarien, wobei die Operativgruppe über die Hälfte von ihnen kontaktierte.351 Bis 1968 führte die Operativgruppe knapp zehn ostdeutsche IM anderer Hauptabteilungen, die in Restaurants oder als Animateure arbeiteten.352 Mit dem Aufkommen des Massentourismus – das MfS rechnete für die 1970er-Jahre mit kontinuierlich steigenden Zahlen von DDR-Urlaubern in Bul346 Hinweise für Mitarbeiter des MfS, IM und GMS in Reisegruppen des Reisebüros der DDR, die im Ausland zu beachten sind, o. D.; BStU, MfS, HA II, Nr. 38291, Bl. 19 f. 347 HA XX/5, Operativgruppe der VR Bulgarien: Bericht, Nessebar, 23.7.1966; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9314, Bl. 140–142. 348 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz einer Operativgruppe zur Bekämpfung des Menschenhandels in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 23.11.1964; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 26–53, hier 41. 349 Siehe zahlreiche Einzelberichte von 1966 in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 5104. 350 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der HA XX/5 in der Volksrepublik Bulgarien im Jahre 1968, Berlin, den 4.11.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 2–42, hier 31. 351 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien und in der Ungarischen Volksrepublik im Zeitraum von Mitte Mai bis Oktober 1971, Berlin, 26.11.1971; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 54–126, hier 61. 352 HA XX/5: Abschlussbericht der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien 1966, Berlin, den 1.12.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 87–124, hier 103; HA XX/5/ IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien im Jahre 1967, Berlin, den 23.11.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 43– 88, hier 66.
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garien – sah sich die Operativgruppe vor einem Koordinationsproblem. Es fiel ihr zunehmend schwer, den Kontakt zu den zahlreichen Reiseleitern, die überdies nur für wenige Wochen in Bulgarien waren, herzustellen und zu halten. Um das Problem zu lösen, stellte die Hauptabteilung VI in einem auf Nessebar, das benachbarte Sonnenstrand und den weiter entfernten Zeltplatz Primorsko begrenzten Pilotprojekt die Überwachungsstruktur um und unterhielt ab 1970 mehr IM dauerhaft vor Ort.353 In den 1960er-Jahren hatte die HA XX bereits durchgesetzt, dass nicht nur Mitarbeiter des DDR-Reisebüros, sondern auch die des Jugend-Reiseveranstalters »Jugendtourist« zu IM der Operativgruppe wurden.354 Sie hatte auch sichergestellt, dass das Reisebüro nur bereits registrierte IM als studentische »Helfer« engagierte.355 Nun griff die HA VI noch weiter in die DDR-Touristik ein: Um »im Interesse der Sicherung der Touristik ein Leitungsinstrument zu schaffen, […] ohne daß wir als MfS offiziell in Erscheinung treten«, wies sie das DDR-Reisebüro an, in seiner Generaldirektion eine gesonderte »Abteilung Auslandsvertretungen« einzurichten, der die Reisebüro-Repräsentanten im Ausland unterstellt waren. Seine sechs Mitarbeiter setzten sich aus vier MfS-IM, einer Ehefrau eines MfS-Mitarbeiters und einem GMS zusammen.356 Für Bulgarien entwarf die Hauptabteilung VI nun ein Überwachungsnetz, das die Operativgruppe mit Führungs-IM (FIM), Offizieren im besonderen Einsatz (OibE) und mit IM verband. All diese Zuträger arbeiteten meist über den ganzen Sommer hinweg in den DDR-Reiseagenturen der Urlaubsorte. Sie sollten enger als die Reiseleiter-IM mit der Operativgruppe kommunizieren, bessere Informationen als diese liefern und zudem Vertreter bundesrepublikanischer Reisebüros observieren, die das MfS der Geheimdiensttätigkeit verdächtigte. Um die Zuträger zu legendieren, wies die Hauptabteilung das Reisebüro an, Touristen nicht mehr von Reiseleitern, sondern von Vor-Ort-Kräften betreuen zu lassen. Die Betreuer suchte sie unter ihren IM und Hauptamtlichen selbst aus. Der Reisebüro-Vertreter in Nessebar, ein FIM, führte die Betreuer, die IM oder OibE waren. Die Hauptabteilung VI feierte dieses von ihr sogenannte »Sicherungsmodell Nessebar« als »neues Verfahren zur Betreuung von Touristengruppen«. Ihr kam dabei gelegen, dass bundesdeutsche Reisebüros 353 Tätigkeit der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahre 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 28.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 37–52, hier 37, 48. 354 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien im Jahre 1967, Berlin, den 23.11.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 43–88, hier 67–72. 355 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz einer Operativgruppe zur Bekämpfung des Menschenhandels in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 23.11.1964; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 26–53, hier 40 f. 356 HA VI/2: Einschätzung der Sicherung des Reise- und Touristenverkehrs der DDR in das soz. Ausland unter Ausnutzung der Möglichkeiten der GD des RB der DDR, Berlin, 20.7.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 13708, Bl. 167–169.
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schon seit Längerem Touristenbetreuer vor Ort unterhielten – es begründete das »Modell Nessebar« nach außen hin damit, dass DDR-Urlaubern in Bulgarien nun der gleiche umfassende Service geboten werden könne, den Bundesbürger erhielten. Mit der internen Formulierung, »daß es im sozialistischen Lager bisher noch kein solches oder ähnliches Beispiel auf dem Sektor der Touristenbetreuung gibt«, deutete sie indes an, dass das MfS mit seinem »Modell« ein Tabu berührte: Es führte auch sieben Touristenbetreuer des DDR-Reisebüros als IM, die bulgarischer Nationalität waren.357 Dies missfiel dem bulgarischen Sicherheitsdienst. Der stellvertretende Leiter der Dienststelle in Nessebar, Šelaskov, konfrontierte die Operativgruppe mit einer Beschwerde darüber, dass der Repräsentant des DDR-Reisebüros (der IM der Hauptabteilung VI war) bulgarische Bürger für die Beobachtung von Mitarbeitern westlicher Touristikunternehmen und zur gegenseitigen Überprüfung eingesetzt hatte. Wenige Monate später beklagte sich Šelaskov über das ähnliche Vorgehen eines Reisebüro-Mitarbeiters (dieser war OibE der HA VI). Die Hauptabteilung VI sah es als notwendig an, den zuständigen Mielke-Stellvertreter Bruno Beater über den Konflikt zu informieren.358 Der bulgarische Sicherheitsdienst brachte das Problem sogar auf die Tagesordnung eines bilateralen Treffens mit der Abteilung X, wo er dem MfS anbot, auf dessen Anfrage hin Observationen durchzuführen.359 In einer bilateralen Beratung im März 1971 einigten sich die Hauptabteilung VI und die bulgarische Staatssicherheit in diesem Sinne darauf, dass die bulgarische Seite westliche Bürger auf Anforderung des MfS observiere und bei Bedarf Kräfte der Linie VI hinzuzöge. Auch wollte die II. HV fortan die bulgarischen Mitarbeiter des DDR-Reisebüros auswählen und überprüfen.360 Die Hauptabteilung VI 357 HA VI, Linie SRT: Einschätzung über die gesammelten Erfahrungen bzw. gewonnenen Erkenntnisse bei der Erprobung des Sicherungsmodells »Nessebar«, Berlin, 4.12.1970; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 1–30, hier 3–10. Ob das Dokument, das die IM-Tätigkeit bulgarischer Staatsbürger erwähnt, an den bulgarischen Sicherheitsdienst weitergeleitet wurde, kann aufgrund der Überlieferung über die Abteilung X vermutet, aber nicht verifiziert werden. 358 HA XX, Bericht über die Tätigkeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahr 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 9.12.1970; BStU, MfS, HA XX 231, Bl. 16–36, hier 34 f. 359 N-k na otdel Meždunarodni vrăzki: Văprosite i našeto stănovište po koito šte provedem razgovori s dr. Damm [Leiter der Internationalen Abteilung: Fragen und Standpunkte für das Gespräch mit Gen. Damm], 8.1.1971; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1626, Bl. 10–18; Provedena srešta s dr. polkovnik Damm na otdel Meždunarodni vrăzki MDS-GDR [Durchgeführtes Treffen mit Gen. Damm von der Abt. für Internationale Beziehungen des MfS-DDR], 21.1.1971; ebenda, Bl. 19–24. 360 HA VI, Leiter: Bericht über die Verhandlungen mit Vertretern der II. Hauptverwaltung des Ministeriums des Innern der Volksrepublik Bulgarien in der Zeit vom 25. bis 27.3.1971 in Sofia, Berlin, 29.3.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 48–59, hier 50, 53, 55. Letzteres ist auch für die Folgezeit belegt in: Načalnik VIII otdel pri II glavno upravlenie DS: Razgovorite s delegatsijata na MDS ot GDR [II. Hauptverwaltung der Staatssicherheit, Abt. VIII, Leiter: Gespräche mit der Delegation des MfS der DDR], 15.4.1974; COMDOS, M, f .1, op. 10, a.e. 1059, Bl. 7–9.
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urteilte im Juli 1971 bei einer erneuten Beratung mit bulgarischen Geheimpolizisten, dass sich das »Sicherungsmodell Nessebar« bewährt habe – es sei bereits auf Varna (und damit wohl auch auf Goldstrand) ausgeweitet worden.361 Aus dem »Sicherungsmodell« erklärt sich ein Anstieg der von der Operativgruppe geführten, dauerhaft vor Ort stationierten IM auf 36 im Jahr 1973.362 Damit reagierte das MfS auf den in den 1970er-Jahren wachsenden Individualtourismus der Bürger, die westliche Lebensstile gegenüber einer sozialistisch organisierten Erholung in Gruppen oder Lagern favorisierten. Die Operativgruppe in Bulgarien betrachtete diesen Trend skeptisch, da er die Überwachung erschwerte.363 Auch in den 1980er-Jahren waren die Mitarbeiter des DDR-Reisebüros in Bulgarien die wichtigsten Zuträger der Operativgruppe. Allerdings kehrte diese zu einem kombinierten System der Informationsbeschaffung zurück, das dauerhaft vor Ort positionierte Zuträger mit hauptamtlichen Mitarbeitern und IM in Reisegruppen ergänzte. In den späten 1980er-Jahren arbeiteten ein Direktor (in Sofia) und drei »Chefrepräsentanten« (in Albena, Goldstrand und Sonnenstrand) des DDR-Reisebüros in Bulgarien. Die Operativgruppe listete sie gleich nach den Mitarbeitern der DDR-Botschaft als Ansprechpartner auf.364 Das MfS verfasste sogar in Eigenregie ein Anforderungsprofil für »Reisebüro-Repräsentanten«, das die IM-Tätigkeit als berufsspezifische Aufgabe definierte.365 Die Zahl dauerhaft oder über die gesamte Urlaubssaison hinweg auf Position gebrachter IM schwankte zwischen 18 (1980), 14 (1981), 16 (1986) und 25 (1987). Von den zuletzt genannten 25 arbeiteten fünf als Repräsentanten beim DDR-Reisebüro, drei beim Jugendreisebüro und neun in der Gastronomie. Schnell aufeinander folgende Umstrukturierungen zeugen von einer ständigen Unzufriedenheit der Operativgruppe mit den von den IM gelieferten Informationen – sie kritisierte einen Mangel an »bedeutsamen Ausgangsinformationen«.366 Erst ab 1987 blieb sie bei einem Bestand von rund 25 dauerhaft vor Ort 361 HA VI: Bericht über die Dienstreise nach der VR Bulgarien vom 5. bis 7.7.1971, Berlin, den 12. Juli 1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 78–89, hier 83 f. 362 HA VI/Abt. Koordinierung, Planung und Kontrolle: Kontrollbericht, Berlin, 4.2.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 46, Bl. 181–345, hier 297–303. 363 HA VI: Bericht über die Dienstreise nach der VR Bulgarien vom 5. bis 7.7.1971, Berlin, den 12. Juli 1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 78–89, hier 86. Zu den Schwierigkeiten des Familienurlaubs in DDR-Organisationsstrukturen vgl. Görlich: Urlaub vom Staat, S. 169–181. 364 HA VI: Telefonverzeichnis und Anschriften der Mitarbeiter der Operativgruppe des MfS in der VR Bulgarien [ca. 1987/88]; BStU, MfS, HA VI, Nr. 2449, Bl. 10–13, hier 13. 365 Funktionsmerkmale eines Repräsentanten des Reisebüros der DDR im sozialistischen Ausland, o. D.; BStU, MfS, HA II, Nr. 38291, Bl. 31–34. 366 Abschlussbericht über die Ergebnisse der Operativgruppe der Hauptabteilung VI in der VR Bulgarien – Zeitraum 1.1. bis 30.9.1981, Varna, 26.9.1981; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9931, Bl. 310–325, hier 313; OPG VRB: Bestandsaufnahme der IM der OPG, Berlin, Oktober 1986; ebenda, Bl. 59–68, hier 60; HA VI/AKG: Übersichtsblatt zum Bestand der IM/ GMS der Operativgruppe in der VR Bulgarien, Berlin, 27.8.1987; BStU, MfS, HA VI, Nr. 7, Bl. 207–210.
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positionierten IM, die hauptsächlich bei Reiseveranstaltern und in der Gastronomie für Touristen arbeiteten.367 »Überörtliche IM« – die MfS-Abkürzung lautete »IM (Ü)« – kamen als Individualreisende und auch als Leiter oder Mitreisende in Gruppen nach Bulgarien. Die Operativgruppe in Bulgarien setzte sie etwa ab 1975 unter dieser Bezeichnung ein. Wie auch bei den nicht weiter kategorisierten, während ihres Urlaubs eingesetzten IM bestanden ihre Aufgaben generell in der Ermittlung von Fluchtplänen, der Erfassung von Ost-West-Kontakten, der Spionageabwehr und dem Aufspüren sozialismuskritischer Positionen. Es gab allerdings auch »überörtlich« eingesetzte IM mit vorab individuell definierten Aufträgen – unter ihnen befanden sich auch IME und West-IM. Ihre Zahl schwankte bis 1986 zwischen 33 und 43. Die Operativgruppe setzte überörtliche IM für Aufgaben ein, welche sie mit ihren eigenen IM nicht erfüllen konnte. Während sich ihre Mitarbeiter im Frühjahr noch in Berlin befanden, bestimmten diese Aufträge für die einzelnen IM und ließen sie schulen, wenn sie Bedarf sahen. Die Hauptabteilung VI erwartete von den IM, dass sie während ihres Urlaubs etwa alle zwei bis drei Tage zu einem Treffgespräch bei der Operativgruppe erschienen, um über ihre Aufgaben und Beobachtungen zu sprechen. Zur Mitte der 1980er-Jahre zahlte das MfS den überörtlichen IM großzügige Reisekostenpauschalen. Einzelne IM genossen einen privilegierten Status: Ihnen zahlte das MfS zudem hohe Handgelder.368
367 Operativgruppe Bulgarien, Stand: 31.7.1989; BStU, MfS, HA VI, Nr. 7, Bl. 179–181. 368 HA VI/Abt. 2: Konzeption zur Einweisung von IM zum überörtlichen Einsatz in der VRB, Berlin, 23.1.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 10873, Bl. 41–53. Zur Anzahl überörtlicher IM in Bulgarien siehe HA VI, Bereich Koordinierung, Leiter: Die leitungsmäßige Sicherstellung (…) der Operativ-Gruppen im sozialistischen Ausland, Berlin, 10.6.1975; BStU, MfS, HA VI, Nr. 40 Bd. 3, Bl. 105–112, hier 109; Abschlussbericht über die Ergebnisse der Operativgruppe der Hauptabteilung VI in der VR Bulgarien – Zeitraum 1.1. bis 30.9.1981, Varna, 26.9.1981; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9931, Bl. 310–325, hier 313; HA VI/Abt. 2: Analyse des befristeteten überörtlichen Einsatzes von IM im sozialistischen Ausland, Berlin, 18.11.1986; ebenda, Bl. 38–46, hier 38. Zur Honorierung eines materiell privilegierten überörtlichen IM in Bulgarien siehe BStU, MfS, HA VI, Nr. 10874, Bl. 22.
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3.3 Zusammenarbeit mit dem bulgarischen Innenministerium 3.3.1 Aufgabenteilung Das ostdeutsche MfS kooperierte mit dem bulgarischen Staatssicherheitsdienst (Dăržavna sigurnost – DS) beim Innenministerium auf vielen Gebieten intensiv – die ideologische Nähe der beiden Staatsparteien erlaubte dies.369 In der Zusammenarbeit versuchte die MfS-Operativgruppe, das bulgarische Innenministerium so weit wie möglich in die Überwachung von DDR-Touristen einzubeziehen und es zur Zusammenarbeit zu motivieren. Das MfS regte zahlreiche bilaterale Treffen auf der Leitungs- und der Arbeitsebene an, und dies nicht nur hinsichtlich der Überwachung von Urlaubern.370 Das Gegenstück zur MfS-Hauptabteilung VI war die VIII. Abteilung der II. Hauptverwaltung des bulgarischen Innenministeriums, die ab den 1970er-Jahren innerhalb der Spionageabwehr für Aufgaben rund um den Tourismus zuständig war.371 Die Kooperationsfelder vor Ort spiegelten weitgehend die Aufgaben der Operativgruppe: Während die Ermittlung von Fluchtabsichten die höchste Priorität auf der Agenda der Dienste hatte, folgten das Beobachten west-östlicher Kontakte, die Einengung der Kontaktzonen sowie die Bekämpfung westlicher Geheimdienste. Bei Festnahmen sowie Grenzfahndungen war die Operativgruppe auf das bulgarische Innenministerium angewiesen. Umstritten war, ob das MfS ohne dessen Benachrichtigung Personen observieren durfte, die nicht aus der DDR stammten. Das bulgarische Innenministerium fahndete auf MfS-Ersuchen sowohl nach DDR-Bürgern als auch nach westlichen Touristen, durchsuchte Hotelzimmer und meldete informelle Ost-West-Kontakte.372 Beispielsweise stellte es im Jahr 1970 die Namen von 49 DDR-Bürgern zusammen, welche die Sofioter Botschaft der Vereinigten Staaten besucht hatten, und meldete der Operativgruppe 214 Begegnungen von DDR-Bürgern mit Bürgern westlicher Staaten. Spätestens ab diesem Jahr überwachte das Ministerium die Post von DDR-Urlaubern und übergab deren Briefe an westliche Empfänger
369 Zum Charakter der Kooperation von MfS und DS siehe Nehring: Die Zusammenarbeit der bulgarischen Staatssicherheit, http://www.kas.de/wf/doc/kas_33548-1522-1-30.pdf. Siehe auch die bald erscheinende Dissertation desselben Autors zu diesem Thema. 370 Siehe die Jahrespläne in: BStU, MfS, Abt. X, Nrn. 280 u. 281. 371 HA VI/Abt. Auslandstourismus: Funktions- und Qualifikationsmerkmale für die Dienst stellung Leiter des Referates 4 (OPG in der VR Bulgarien), Berlin, 15.12.1976; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 831, Bl. 9–13, hier 11. 372 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien im Jahr 1967, Berlin, den 23.11.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 43–88, hier 74–76.
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dem MfS. Bis 1977 hatte es der Operativgruppe 1 100 Sendungen übergeben.373 Ab 1985 sandte es diese direkt an die Abteilung X.374 Im Jahr darauf regelten das MfS und das bulgarische Innenministerium die Briefkontrolle sogar in einem gesonderten Kooperationsvertrag. Hierin vereinbarten sie allgemein, Postkontakte der Bürger des jeweils anderen Staats in »operativ bedeutsame« Staaten zu melden, ohne jedoch den Weg des Informationsflusses festzulegen.375 Die Operativgruppe war in vielerlei weitere Kooperationsmechanismen der beiden Geheimpolizeien eingebunden, beispielsweise in Fragen der Passkon trolle. Ihr Leiter nahm meistens teil, wenn die Hauptabteilung VI mit dem bulgarischen Innenministerium Modi der Passkontrolle und der Flugüberwachung beriet. Dieses bot 1978 an, seine Arbeitsgruppe zur Verhinderung von Fluchthilfe in die Zusammenarbeit mit dem MfS einzubeziehen.376 Auf einer weiteren Zusammenkunft erklärten beide Seiten im Jahr 1985, einen Katalog anzufertigen »über Hohlräume und konstruktionsbedingte Besonderheiten in Eisenbahnwaggons, Lkw und Wohnmobilien, in denen Personen [und] Materialien […] versteckt werden können«. Die Hauptabteilung VI beabsichtigte, bulgarischen Passkontrolleuren Lehrgänge zu geben und ihnen Lehrmaterial zu senden.377 Nach mehreren Lehrgängen und nachdem Mielke auf eine noch engere Zusammenarbeit gepocht hatte, ließ die Hauptabteilung VI gleich ein ganzes Ausbildungszentrum für Pass- und Zollkontrolleure am Sofioter Flughafen errichten.378 373 HA XX: Bericht über die Tätigkeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahre 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 9.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 16–36, hier 25–27; Načalnik na VIII otdel, VGU-DS: Sreštite meždu delegaciite na VGU-DS i VI glaven otdel pri MDS na GDR v Berlin [II. Hauptverwaltung der Staatssicherheit, Abt. VIII, Leiter: Treffen der Delegationen der Zweiten Hauptabteilung der Staatssicherheit und der Hauptabteilung VI des MfS der DDR in Berlin], 15.5.1977; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1322, Bl. 14– 19; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Bericht über die Arbeitsberatungen zwischen der Hauptabteilung VI des MfS und der II. Hauptverwaltung des MdI der VR Bulgarien in der Zeit vom 27.3. bis 31.3.1978 in Sofia, Berlin, 6.4.1978; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 100–109, hier 100, 102. 374 Vgl. einzelne Briefkopien in: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 20216, Bl. 134, 193–198, 199–208. 375 Plan der Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem Ministerium des Innern der VR Bulgarien auf dem Gebiet der Postkontrolle für den Zeitraum 1986–1990, Berlin, 22.5.1986; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1868. 376 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Bericht über die Arbeitsberatungen zwischen der Hauptabteilung VI des MfS der DDR und der II. Hauptverwaltung des MdI der VR Bulgarien vom 27. bis 31.3.1978, Berlin, 6.4.1978; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 100–109, hier 107. 377 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratung mit dem Stellvertreter des Ministers des Innern der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 15.4.1985, Anlage: Gemeinsame Aufgaben im Rahmen des Zusammenwirkens der Paßkontrollorgane der DDR und der VRB sowie von Ersuchen der II. Hauptverwaltung des MdI der VRB an das MfS; BStU, MfS, HA VI, Nr. 3580, Bl. 112–116. 378 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur Auswertung der Beratungen mit den Bruderorganen der ČSSR, VRB und UVR zur Sicherung des Touristenverkehrs von
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Ebenfalls am Rande beteiligt war die Operativgruppe an bi- und multilateralen Kooperationen der beiden Geheimpolizeien in der Terrorabwehr, die Mitte der 1980er-Jahre einsetzten.379 Am 30. August 1984 waren Bombenanschläge auf den Bahnhof von Plovdiv und den Flughafen von Varna verübt worden, bei denen mehrere Menschen umkamen. Am 9. März 1985 folgten zwei weitere Anschläge in einem Zug von Burgas nach Sofia und in einem Hotel in Sliven. Als Täter vermutete der bulgarische Sicherheitsdienst Angehörige der türkisch-muslimischen Minderheit im Land, die der Staat zu dieser Zeit zwang, bulgarische Namen anzunehmen. Er bezeichnete sie als »nationalistisch gesinnte Personen und religiöse Fanatiker«, die gegen die »politischen Parteimaßnahmen zur Namensänderung der in der Vergangenheit gewaltsam moslemisierten Bulgaren« kämpften. Die Täter würden von »imperialistischen Geheimdiensten« unterstützt.380 Nachdem die bulgarische Staatssicherheit am Strand von Varna einen nicht explodierten Sprengsatz entdeckt hatte, ließ sie die Operativgruppe DDR-Touristen vor Ort befragen. Sie bezog die Operativgruppe wohl auch bei der Terrorismusprävention in ihre Arbeit ein. Den Hauptteil übernahmen allerdings Spezialisten, welche die Hauptabteilungen XXII (Terrorabwehr), IX (Untersuchung) und der OTS (Operativ-technischer Sektor) nach Bulgarien sandten.381 3.3.2 Verträge Als das MfS begann, seine Zusammenarbeit mit anderen Geheimpolizeien in Verträgen zu regeln, arbeitete es auch mit dem bulgarischen Komitee für Staatssicherheit zahlreiche Dokumente zur Zusammenarbeit aus. Eine erste Vereinbarung von 1967 ermöglichte unter anderem den Austausch und die einvernehmBürgern der DDR in diese Länder, Berlin, 29.5.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 44, Bl. 206–215, hier 210; HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbeitern des MdI der VR Bulgarien; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 293–303, hier 301. 379 HA VI/AKG: Leiterberatung am 15.5.1985 – Auswertung der Beratungen mit den Bruderorganen, Material zusammengestellt am 29.5.1985; BStU, MfS, HA VI, Nr. 42, Bl. 223– 252, hier 228. 380 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratung mit dem Stellvertreter des Ministers des Innern der Volksrepublik Bulgarien und Leiter der II. Hauptverwaltung, Genossen Generalleutnant Anatschkow, vom 8. bis 11.4.1985 in Berlin, Berlin, 15.4.1985; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 433–444, hier 435–439. Zu den Attentaten vgl. Baev; Grozev: Bulgarien, S. 143– 197, hier 177. 381 Abt. X, Leiter: Dringendes Ersuchen der Sicherheitsorgane der VR Bulgarien, Berlin, 26.8.1986; BStU, MfS, HA IX, Nr. 3958, Bl. 1–3; HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbeitern des MdI der VR Bulgarien (…) vom 30.3. bis 2.4.1987 in Berlin, Berlin, 6.4.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 39–49, hier 46; MfS, Der Minister: Schrei ben an die Leiter der zuständigen Diensteinheiten, Berlin, 14.11.1988; BStU, MfS, HA XXII, Nr. 973, Bl. 118 f.
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liche Anwerbung von Informanten im jeweils anderen Land. Das bulgarische Innenministerium sagte dem MfS »allseitige Unterstützung« in der Bekämpfung von Fluchthilfe sowie »Unterstützung« von in Bulgarien stationierten MfS-Mitarbeitern zu.382 Das Dokument entstand auf einem bilateralen Treffen in Sofia. Die Teilnehmer – unter ihnen Mielke und der bulgarische Innenminister Angel Solakov – legitimierten es in gegenseitigen Beteuerungen der »unverbrüchlichen Freundschaft zur Sowjetunion«.383 Bereits zum Beginn des folgenden Jahres dankte der Mielke-Stellvertreter Bruno Beater dem bulgarischen Innenminister für die »allseitige Unterstützung« der Operativgruppe und sah die »politisch-operative« Zusammenarbeit damit »auf einer höheren Stufe«. Als Solakov 1970 Ostberlin besuchte, bedankte sich Mielke zwar erneut für die Zusammenarbeit bei der Festnahme von Flüchtlingen, wies jedoch darauf hin, dass mehr getan werden müsse, um Ost-West-Kontakte und die daraus entstehende »politisch-ideologische Diversion« zu verhindern.384 Mielke war die Zusammenarbeit an der Schwarzmeerküste so wichtig, dass er im Oktober 1970 bulgarische Geheimpolizisten der Dienststellen in Varna und Burgas persönlich in Ostberlin empfing.385 Bald regelte das MfS die Überwachung von DDR-Touristen in einem gesonderten Vertrag zur Zusammenarbeit, der auch Kooperationsmodi hinsichtlich des »Sicherungsmodells Nessebar« fixierte. Der Abschluss erfolgte am 26. März 1971 durch die Hauptabteilung VI mit der II. Hauptverwaltung des bulgarischen Innenministeriums. Kern des Vertrags waren die gegenseitige Information beim Erkennen von Fluchtplänen und die Beschattung westlicher Mitarbeiter von namentlich festgelegten Touristikunternehmen. Angehörige des bulgarischen Sicherheitsdienstes sollten im Auftrag des MfS Beobachtungen durchführen und Überwachungstechnik zur Verfügung stellen. Zudem vereinbarten die Dienste, dass die MfS-Operativgruppe als Gruppe von Reisebüro-Mitarbeitern legendiert entsandt würde.386 Eine Vereinbarung zur 382 Vereinbarung über die weitere Entwicklung der operativen Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem Komitee für Staatssicherheit der VR Bulgarien, Sofia, 9.6.1967; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1779, Bl. 1–14, hier 9, 10, 14; Parallelüberlieferung in: COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1291. 383 Kurzbericht über die Verhandlungen von Delegationen des MfS der DDR und des KfS der VR Bulgarien vom 5. bis 9.6.1967 in Sofia, Berlin, 12.6.1967; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 495–499. 384 MfS, der Minister: Schreiben an den Vorsitzenden des Komitees für Staatssicherheit der VR Bulgarien, Genossen Solakow, Berlin, 19.2.1968; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 541, Bl. 26 f.; Hinweise für ein Gespräch des Genossen Minister mit führenden Vertretern der bulgarischen Sicherheitsorgane am 26.1.1970; BStU, MfS, SdM, Nr. 1436, Bl. 35–71, hier bes. 54. 385 Nekoi momenti ot vzaimootnošenijata s organite na Ministerstvo na Dăržavna sigurnost na GDR [Einige Betrachtungen zu den gegenseitigen Beziehungen mit den Organen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR], Sofia, 25.1.1972; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1792, Bl. 1–4. 386 Protokoll der Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Tourismus zwischen den Abteilungen des MfS der DDR und dem MdI der VR Bulgarien für das Jahr 1971, Sofia, den 26.3.1971;
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Zusammenarbeit aus dem Jahr 1974 hielt weiterhin die »Sicherung« des Urlaubs tourismus und die Verhinderung von Fluchten über das jeweils andere Land als gemeinsame Aufgaben der beiden Geheimpolizeien fest. Sie kamen überein, Informanten und hauptamtliche Mitarbeiter im jeweils anderen Staat zu stationieren.387 Auch die Untersuchungsabteilungen hatten untereinander vereinbart, Informationen auszutauschen und Mitarbeiter der Gegenseite bei Ermittlungen einzubeziehen. Hinzu kam ein Rechtshilfevertrag, den zusätzlich die Generalstaatsanwälte bestätigten. Ab 1986 wurde sogar eine Kooperation in der Postkontrolle vertraglich geregelt, wobei sich hinter Willensbekundungen zum »Austausch von Erkenntnissen« sowie zu Beratungen auf Leiter- und Arbeitsebene der Wunsch des MfS nach Anleitung und Kontrolle des Partnerdiensts verbarg.388 Der Aufgabenverschiebung der beiden Ministerien zum Ende der 1980er-Jahre entsprechend schlossen auch deren Abwehrabteilungen im Jahr 1988 einen Vertrag miteinander ab.389 3.3.3 Kommunikation Die Operativgruppe an der Schwarzmeerküste kommunizierte über ungewöhnlich viele Instanzen mit dem bulgarischen Staatssicherheitsdienst, was auf enge Arbeitsbeziehungen und einen relativ hohen Grad gegenseitigen Vertrauens hinweist. Zudem erteilte das MfS – auch dies ist ein Unterschied gegenüber Operativgruppen in anderen Ländern – allen Mitarbeitern der Gruppe die Berechtigung, Verbindungsoffiziere des bulgarischen Innenministeriums in den
BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1631, Bl. 20–25; Parallelüberlieferung in: COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1297, o. Pag. 387 Vereinbarung über die weitere Entwicklung der operativen Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem Komitee für Staatssicherheit der VR Bulgarien, Sofia, 9.6.1967; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1779, Bl. 1–14, hier 9, 10, 14; Parallelüberlieferung in: COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1291. 388 Protokoll über das Zusammenwirken der HA Untersuchung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und der HV Untersuchung des Ministeriums des Innern der VR Bulgarien, Berlin, 29.2.1980; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 9052, Bl. 1–5; Vereinbarung (…) in Ausführung des Vertrages zwischen der DDR und der VR Bulgarien über den Rechtshilfeverkehr in Zivil-, Familien- und Strafsachen vom 12. Oktober 1978, Berlin, 29.2.1980; BStU, MfS, BdL/ Dok. Nr. 9053; Plan der Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem Ministerium des Innern der VR Bulgarien auf dem Gebiet der Postkontrolle für den Zeitraum 1986–1990, Berlin, 22.5.1986; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1868. 389 Vereinbarung über die Zusammenarbeit und Kooperation zwischen der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und der II. Hauptverwaltung des Ministeriums des Innern der VR Bulgarien für den Zeitraum 1988–1993, Berlin, 6.10.1988; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1866.
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Regionaldienststellen vor Ort zu kontaktieren.390 Dieser direkte Kommunikationsweg diente dazu, die bulgarische Seite schnell über DDR-Urlauber zu informieren, die Reiseleiter oder IM als abwesend gemeldet hatten. Die bulgarische Seite setzte daraufhin eine »Fahndung« bei der Grenzpolizei in Gang, wobei diese nicht nur die Namen an die Grenzübergänge übermittelte, sondern oft auch Suchaktionen startete.391 Das bulgarische Innenministerium hielt für die Operativgruppe hochrangige Kontaktleute in der VIII. Abteilung (Touristik) der II. Hauptverwaltung (Spionageabwehr) und in der Internationalen Abteilung bereit. Auch unterhielt die Abteilung X einen ständigen Vertreter in Varna.392 Darüber hinaus sandte die II. Hauptverwaltung ab 1971 stellvertretende Referatsleiter nach Varna und Burgas, welche dort die Arbeit aller Operativgruppen der Geheimpolizeien des sozialistischen Lagers untereinander koordinierten.393 Schließlich waren die Kontaktmöglichkeiten so vielfältig, dass der MfS-Operativgruppenleiter seine Mitarbeiter anwies, mit den Mitarbeitern des bulgarischen Innenministeriums individuell Absprachen darüber zu treffen, bei welchen Anlässen welcher Kommunikationsweg der beste sei.394 3.3.4 Gemeinsame operative Vorgänge Ab der Mitte der 1970er-Jahre sind Kataloge gemeinsamer operativer Vorgänge der MfS-HA VI und der II. HV des bulgarischen Dienstes überliefert. Zunächst hatte die bulgarische Staatssicherheit bei der HA VI angefragt, um Urlauber und Vertreter westlicher Reisebüros, die wegen Ost-West-Kontakten der Geheimdiensttätigkeit verdächtigt wurden, gemeinsam zu beobachten. Die Pläne sind von den Leitern der Regionaldienststellen der DS an der Schwarzmeerküste mit 390 HA VI, Sicherungsbereich Auslandstourismus: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, 31.1.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17110, Bl. 27–72, hier 67. 391 HA VI: Bericht über die Arbeitsberatungen mit Mitarbeitern der II. HV des MdI der VR Bulgarien, Berlin, 17.4.1972; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 56–62, hier 59. Siehe zudem den Zeitzeugenbericht von Priester: Fluchtweg Bulgarien, bes. S. 34 f. 392 HA VI/Abt. Auslandstourismus: Funktions- und Qualifikationsmerkmale für die Dienststellung Leiter des Referates 4 (OPG in der VR Bulgarien), Berlin, 15.12.1976; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 831, Bl. 9–13, hier 11; HA VI/Abt. 2: Verbindungen der Operativgruppe zu den Staatssicherheitsorganen der VR Bulgarien, Berlin, 8.5.1979; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 832, Bl. 70 f. 393 HA VI, Leiter: Bericht über die Verhandlungen mit Vertretern der II. Hauptverwaltung des Ministeriums des Innern der Volksrepublik Bulgarien in der Zeit vom 25. bis 27.3.1971 in Sofia, Berlin, 29.3.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 48–58, hier 49. 394 HA VI/Abt. 2: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativgruppe in der VR Bulgarien vom 1.1.1986 bis 30.10.1986, Berlin, 20.11.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9931, Bl. 79–102, hier 89, 97.
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abgezeichnet, was auf eine Mitwirkung der MfS-Operativgruppe hindeutet.395 Das MfS überprüfte zudem West-IM der bulgarischen Staatssicherheit auf Loyalität – aller Wahrscheinlichkeit nach mithilfe von IM der Operativgruppe.396 Für die 1980er-Jahre sind auch Vorschläge der MfS-Hauptabteilung VI überliefert. Die Zahl gemeinsam abgestimmter Beobachtungen wuchs kontinuierlich von jährlich zehn (1976) auf 12 (1982) und schließlich auf über 20 (1985, 1988).397 Eine Liste aus dem Jahr 1986 verdeutlicht, wie breit das Spektrum gemeinsamer Beobachtungen war. In Zusammenarbeit mit der Abteilung 8 der II. DS-Hauptverwaltung (zuständig für die Überwachung von Reisenden)398 sollte die Operativgruppe einen Westberliner Wissenschaftler überwachen, der Material für ein Buch über Persien sammelte, hierfür Reisen in die arabische Welt plante und zuvor in Bulgarien Urlaub machte. Sie sollte auch eine Mitarbeiterin eines bundesdeutschen Reisebüros beobachten, die sich mit Urlaubern aus der DDR und aus Bulgarien getroffen hatte, denen die Dienste eine »labile bzw. negative Einstellung zur sozialistischen Gesellschaft« bescheinigten. Eine TUI-Sekretärin, der angeblich die Qualifikation für den Tourismusbereich fehlte und die sich unter sowjetische Touristen mischte, geriet ebenso in ihr Blickfeld. Weiterhin nahm sie einen bundesdeutschen Firmenvertreter ins Visier, dessen gute Beziehungen in bulgarische Wirtschaftskreise den Diensten suspekt waren. Diese verdächtigten ihn der Industriespionage und der Korruption. Einen in Rumänien geborenen Franzosen wollte die HA VI wegen vermuteter Kontakte 395 Načalnik na VIII otdel, VGU-DS: Plan na săvmestnata rabota po kanala na turizma s MDS na GDR [II. Hauptverwaltung der Staatssicherheit, Abt. VIII, Leiter: Plan zur Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR auf der Linie Tourismus], 25.5.1976; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1217, Bl. 73–81; Načalnik na VIII otdel, VGU-DS: Plan na săvmestnata rabota po kanala na turizma s MDS na GDR [II. Hauptverwaltung der Staatssicherheit, Abt. VIII, Leiter: Plan zur Zusammenarbeit mit dem MfS der DDR auf der Linie Tourismus], 26.3.1977; COMDOS, M, f. 1, op. 10, a.e. 1322, Bl. 22–31; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Bericht über die Arbeitsberatungen zwischen der Hauptabteilung VI des MfS und der II. Hauptverwaltung des MdI der VR Bulgarien in der Zeit vom 27.3. bis 31.3.1978 in Sofia, Berlin, 6.4.1978; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 100–109, hier 107. 396 Aufstellung der bei den Verhandlungen am 30. März 1982 ausgewählten und festgelegten operativen Materialien, die im Jahre 1982 gemeinsam zu bearbeiten sind; BStU, MfS, HA VI, Nr. 3577, Bl. 8–16. 397 HA VI, Leiter: Direktive für die Beratung mit der II. Hauptverwaltung des Ministeriums des Innern der VR Bulgarien, Berlin, 11.2.1985; BStU, MfS, HA VI, Nr. 3580, Bl. 3–8; HA VI (wahrscheinlich Heinz Fiedler): Vortrag zur Beratung mit leitenden Mitarbeitern der II. Hauptverwaltung des MdI der VR Bulgarien in der Zeit vom 8.4. bis 11.4.1985, Berlin, 5.3.1985; ebenda, Bl. 9–68, hier 28, 41–66; HA VI, Leiter: Bericht über die Beratung mit dem Stellvertreter des Minister des Innern der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 15.4.1985; ebenda, Bl. 104–111, hier 106; HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbei tern des MdI der VR Bulgarien, Berlin, 14.4.1988; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 293–303. 398 Zur Struktur der II. Hauptverwaltung siehe Baev; Grozev: Bulgarien, S. 143–197, hier 145–149.
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zu Terroristen observieren und in den MfS-Karteien überprüfen lassen. Eine Liste bulgarischer Vorschläge für gemeinsame Observationen von 1989 umfasste einen ähnlichen Personenkreis.399 Im Juni 1989 plante die Operativgruppe, zusammen mit dem bulgarischen Staatssicherheitsdienst ein Schlupfloch in der Grenze nach Griechenland zu schließen: Anwohner der Umgebung von Smoljan hatten DDR-Flüchtlinge durch ein zerklüftetes Felsgebirge, in dem kein Grenzzaun errichtet werden konnte, nach Griechenland geleitet. Ein Zuträger der bulgarischen Staatssicherheit in Griechenland verriet die Fluchtroute. Dem Verwalter eines Campingplatzes bei Smoljan waren die Fluchthelfer bekannt – über diesen wollte die Operativgruppe die Helfer fassen. Im Vorgang »Tourist« sollte eine Begegnung vorgeblich fluchtwilliger ostdeutscher IM mit einem jugoslawischen IM auf dem Campingplatz arrangiert werden. Der IM aus Jugoslawien sollte vorgeben, Bote von Fluchthelfern zu sein, die im konkreten Fall unerwartet jedoch nicht helfen könnten. Eine von den ostdeutschen IM daraufhin zu spielende Verzweiflung sollte den Platzverwalter mitleidig verleiten, Fluchthilfe anzubieten.400 Ob diese Inszenierung noch zur Aufführung kam, ist nicht belegt – bereits drei Monate später öffnete sich für DDR-Touristen ein weitaus einfacherer Fluchtweg über Ungarn. 3.3.5 Charakter der Zusammenarbeit Die Operativgruppe bescheinigte den bulgarischen Sicherheitsorganen generell große Bereitwilligkeit bei ihrer Unterstützung. Das MfS forderte diese Unterstützung allerdings auch aktiv ein und versuchte auf vielerlei Ebenen, Einfluss auf den bulgarischen Staatssicherheitsdienst und sogar auf das bulgarische Rechtswesen zu nehmen. Die Entwicklung der Zusammenarbeit auf der Leitungsebene und vor Ort an der Schwarzmeerküste zeigt, dass das MfS hierbei erfolgreich war. Das war nicht von Anfang an so – in den 1960er-Jahren bestanden noch zahl reiche Konfliktpunkte. Weil DDR-Flüchtlinge in Bulgarien mit »nur geringfügigen Freiheitsstrafen« belegt wurden, pochte die MfS-Hauptabteilung XX
399 Vorschläge zur gemeinsamen Bearbeitung Operativer Vorgänge und operativer Materialien für das Jahr 1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 210–227; Vorschläge des bulgarischen Bruderorgans für die gemeinsame Bearbeitung von Personen und Sachverhalten, o. D.; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9932, Bl. 3–13. 400 Siehe Operativgruppe des MfS in der VR Bulgarien: Vorschlag zur gemeinsamen Bearbeitung des vom Bruderorgan geführten OV »Tourist«, Berlin, 19.6.1989; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4435, Bl. 45–48 und die in dieser Akte folgenden Dokumente.
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Die Operativgruppe in Bulgarien
im Jahr 1966 darauf, sie generell in der DDR zu verurteilen.401 Differenzen bestanden auch beim Umgang mit Fluchthelfern: Die bulgarische Regierung war bestrebt, das Land für Touristen attraktiv zu halten und Negativschlagzeilen in der westlichen Presse zu vermeiden. Aus diesem Grunde hatten die bulgarischen Institutionen westliche Fluchthelfer in einigen Fällen nicht einmal festgenommen. Inwieweit diese abgestraft werden sollten, war für die bulgarische Regierung eine Frage der Abwägung zwischen ökonomischen Interessen und Bündnistreue. Deshalb verfolgte sie zunächst einen Schlingerkurs, den die MfS-Operativgruppe aufmerksam wahrnahm und über den sie nach Berlin berichtete. Demnach hatte der bulgarische Staatssicherheitsdienst im Sommer 1964 auf einen Befehl des Innenministers hin keine bundesdeutschen Fluchthelfer mehr festgenommen. Im Folgejahr hob der Innenminister den Befehl wieder auf, ließ 40 Fluchthelfer festnehmen und die meisten von ihnen vor Gericht stellen. Für 1966 erfasste die Operativgruppe 39 westliche Fluchthelfer, die vom bulgarischen Sicherheitsdienst verhaftet wurden. In ihrem Bericht nach Berlin kritisierte sie jedoch, dass hierbei Verwandte von DDR-Bürgern ohne Gerichtsverhandlung ausgewiesen und andere Fluchthelfer zu »verhältnismäßig geringen« Bewährungsstrafen verurteilt wurden. Im Jahr darauf bemängelte sie, dass der bulgarische Staatssicherheitsdienst die 23 festgenommenen Fluchthelfer lediglich befragte und dann auswies.402 Im Jahr 1968 entdeckte das bulgarische KfS neun Fluchthelfer aus dem westlichen Ausland und nahm davon vier Personen fest. Ein Jahr später waren es 17 (bei acht Festnahmen). Zudem verhaftete das KfS zwei Bulgaren wegen Beihilfe zur Flucht einer DDR-Familie nach Jugoslawien. Die Operativgruppe hob dies in ihrem Bericht als »offiziellen Beweis für die Mitwirkung bulgarischer Bürger« hervor – ihr Ziel war es womöglich, den bulgarischen Sicherheitsdienst zu einer verstärkten Überwachung von Bulgaren hinsichtlich von Fluchthilfe zu bewegen.403 In einem Fall im Jahr 1970 informierte der bulgarische Dienst die Operativgruppe erst sehr kurz vor der Haftentlassung festgenommener Flüchtlinge. Deshalb versäumte diese, einen
401 HA XX: Probleme, die mit den Sicherheitsorganen der VR Bulgarien geklärt und besprochen werden müßten, Berlin, 6.1.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 18345, Bl. 9–11. 402 HA XX: Einschätzung über den Einsatz einer Operativgruppe zur Bekämpfung des Menschenhandels in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 24.9.1964; BStU, MfS, HA XX, Nr. 232, Bl. 15–25, hier 19 f., 25; HA XX/5, Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien, Berlin, den 10.11.1965; ebenda, Bl. 54–85, hier 59, 71; HA XX/5: Abschlussbericht der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien 1966, Berlin, den 1.12.1966; ebenda, Bl. 87–124, hier 93, 96 f.; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der VR Bulgarien im Jahr 1967, Berlin, den 23.11.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 229, Bl. 43–88, hier 49 f. 403 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der HA XX/5 in der VR Bulgarien im Jahre 1969, Berlin, den 20.11.1969; ebenda, Bl. 89–132, hier 95, 99.
Zusammenarbeit mit dem bulgarischen Innenministerium
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Flüchtling zur zwangsweisen Rückführung in die DDR zu übernehmen. Dieser startete einen erneuten und nun erfolgreichen Fluchtversuch.404 Mit der Umgestaltung des IM-Netzes der Operativgruppe zu Beginn der 1970er-Jahre zugunsten dauerhaft präsenter Zuträger provozierte das MfS seine bulgarischen Partner. Einige IM bulgarischer Staatsangehörigkeit waren ohne Kenntnis des bulgarischen Innenministeriums verpflichtet worden. Ein Protest der bulgarischen Seite führte offenbar dazu, dass die Kooperationsparteien gegenseitige Rechte und Verpflichtungen fortan in Verträgen und Protokollen genau regelten. Für die späten 1970er- und die 1980er-Jahre sind keine Unstimmigkeiten dieser Dimension überliefert. Die MfS-Vertreter gerierten sich nun gegenüber den bulgarischen Geheimpolizisten als professionelle, korrekt arbeitende und erstklassig ausgestattete Tschekisten mit kurzem Draht nach Moskau. Sie beschworen ein »besseres gegenseitiges Verstehen bei den gemeinsam zu lösenden Aufgaben« und eine »uneingeschränkte Unterstützung der Operativgruppe« durch die Bulgaren.405 Das MfS nahm für sich eine Vorbildrolle in Anspruch, welche der bulgarische Sicherheitsdienst offenbar akzeptierte. Er gab sich kooperativ, indem er auf vielen Ebenen Ansprechpartner für die Operativgruppe bereithielt. In der bilateralen Zusammenarbeit demonstrierte er Lernbereitschaft, indem er beispielsweise in Entwürfen für Jahrespläne zur Zusammenarbeit Formen der MfS-Aktenführung imitierte.406 Neben gemeinsamen Vorgängen, an denen die Operativgruppe beteiligt war, koordinierte die Hauptabteilung VI weitere Operationen mit der II. Hauptverwaltung des bulgarischen Innenministeriums über die Internationalen Abteilungen. Beide bearbeiteten zum Ende der 1980er-Jahre etwa 100 »interessante Sachverhalte« jährlich.407
404 HA XX: Bericht über die Tätigkeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 im Jahr 1970 in der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, den 9.12.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 231, Bl. 16–36, hier 35. 405 HA VI, Leiter: Konzeption für die Beratung mit dem Staatssicherheitsorgan der Volks republik Bulgarien, Berlin, 5.3.1979; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1477, Bl. 111–139, hier 126. 406 Leiter der Abt. VIII: Plan über die Zusammenarbeit mit MfS der DDR auf Linie Fremdenverkehr im 1985 (Entwurf, o. D.); BStU, MfS, HA VI, Nr. 3580, Bl. 69–87; Leiter der Abt. VIII der II. HV: Plan über die Zusammenarbeit auf Linie Fremdenverkehr für das Jahr 1986 (Entwurf, o. D.); BStU, MfS, HA VI, Nr. 3581, Bl. 60–71. 407 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbeitern des MdI der VR Bulgarien, Berlin, 6.4.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 39–49, hier 43; HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbeitern des MdI der VR Bulgarien, Berlin, 14.4.1988; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 293–303, hier 298.
4. Die Operativgruppe in Ungarn Das Urlaubsland Ungarn war für die Bewohner der DDR ein Fenster zum Westen. Der pragmatische Führungsstil der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP) unter János Kádár erlaubte eine westliche Konsumkultur – die Kinos zeigten Filme aus Hollywood, und die Diskotheken spielten Lieder aus den amerikanischen Charts. Hotels verkauften westdeutsche Zeitungen und zeigten österreichisches Fernsehen. Markthändler boten westliche Kleidung, Kassettenrekorder sowie Filmplakate an, und Markenwerbung prägte den öffentlichen Raum. Gerade in diesem Land musste die Präsenz der realsozialistischen Geheimpolizeien als anachronistisch erscheinen: Der Konflikt von liberalen – wenn nicht libertären – Lebensstilen mit auch in den 1960er-Jahren bereits belächelten Wertmodellen »sozialistischer Lebensführung« ließ sich kaum durch planwirtschaftliche Urlaubsregulierung und geheimpolizeiliche Überwachung einhegen. Diese Spannung ist Gegenstand einer literarischen Verarbeitung der Tätigkeit der MfS-Operativgruppe in Ungarn. Der Historiker und Schriftsteller György Dalos untersuchte nicht nur die Zusammenarbeit des MfS mit dem ungarischen Innenministerium, sondern porträtierte auch einen fiktiven Operativ gruppen-Mitarbeiter am Balaton als Verlierer des rasanten Wandels von 1989, welcher sich hier früh und in hedonistisch entpolitisierter Form abzeichnete.408 Eine demnächst erscheinende Dissertation untersucht die Tätigkeit der Operativgruppe im Kontext der Zusammenarbeit zwischen dem MfS und dem ungarischen Sicherheitsdienst.409 Auch ein populärwissenschaftlicher Band zur Alltagsgeschichte des Ungarn-Urlaubs befasst sich mit der Vor-Ort-Überwachung der Urlauber durch das MfS.410 Seit 1964 sandte das MfS jeweils im Sommer eine Operativgruppe nach Budapest und an den Balaton. Zwischen 1964 und 1966 verdoppelte sich die Zahl von DDR-Touristen in Ungarn fast. Sie stieg von 68 000 auf 125 000. Auch mehrten sich Fluchten von DDR-Bürgern über Ungarn, wobei das MfS häufig westliche Fluchthelfer ermittelte. Da dorthin viele Urlauber jenseits organisierter Reisegruppen privat reisten, fiel den Sicherheitsdiensten deren lückenlose 408 Dalos: Die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und der Staatssicherheit der Volksrepublik Ungarn; ders.: Balaton-Brigade. 409 Slachta: Megfigyelt szabadság. 410 Dunai: Die Balaton-Brigade. Feind hört mit, S. 109–123. Die Herausgeber publizierten einige Beispieldokumente des MfS unter http://www.balaton.hungaricum.de/index_stasi.html.
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Die Operativgruppe in Ungarn
Überwachung schwer.411 Auch in Ungarn sah die Operativgruppe ihre Schwerpunkte vor allem in einem Verhindern von Fluchten und einem Überwachen von Kontakten zwischen DDR-Urlaubern und Bürgern westlicher Staaten.412 Ihre Mitarbeiter traten legendiert als Vertreter des DDR-Reisebüros auf. Während sich ihr Hauptsitz 1970 noch in einer Zweizimmerwohnung befand, verfügte sie 1988 über fünf Arbeitsräume in einer Budapester Villa. Sie mietete über das DDR-Reisebüro Privatwohnungen für die Budapester Mitarbeiter und drei konspirative Wohnungen in Budapest und Pécs. Arbeitsquartiere in den Urlaubsregionen am Balaton mietete sie saisonal beim ungarischen Sicherheitsdienst an.413
4.1 Entstehung und Entwicklung Bereits im Jahr 1962 wertete die MfS-Hauptabteilung V, die Vorgängerin der HA XX, Fluchtversuche über Ungarn aus. Nachdem die HA IX die Ermittlungen hierzu abgeschlossen hatte, informierte sie zeitweilig sogar Erich Mielke und Bruno Beater darüber. Diese betrachteten den nach dem Mauerbau wachsenden Anteil von Fluchten über Drittländer als problematisch.414 Nach einem Mielke-Befehl vom Mai 1964415 sandte die Hauptabteilung XX im Sommer eine aus drei Mitarbeitern bestehende Operativgruppe nach Budapest. Sie versuchte, Fluchten von DDR-Bürgern und Fluchthilfe vor Ort zu verhindern: Über solche Fluchtversuche ließen sich die MfS-Mitarbeiter von den ungarischen Grenzorganen informieren und berichteten dann der MfS-Zentrale.416 Zugleich wurde 411 HA XX/5: Arbeit der Operativ-Gruppe in der VR Ungarn (unvollständig), Berlin, 20.4.1967; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 334–347. Die Zahlen des MfS liegen auch hier deutlich höher als die Zahl der Urlauber, die – ausweislich der Statistischen Jahrbücher der DDR – im »organisierten Tourismus« (vermittelt über das DDR-Reisebüro) reisten. 412 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien und in der Ungarischen Volksrepublik im Zeitraum von Mitte Mai bis Oktober 1971, Berlin, 26.11.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17027, Bl. 49–121, hier 52 f. 413 HA XX, Operativgruppe Ungarn: Abschlussbericht für 1970 (unvollständig, o. D.); BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 73–98, hier 98; HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe Ungarn, ohne Deckblatt, ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 104–124. 414 HA IX: Tagesmeldung Nr. 134/62 über eingeleitete Untersuchungsvorgänge, Berlin, 26.6.1962; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9406, Bl. 2–4; HA V/6: Reise des DER Nr. 451A, Berlin, 15.9.1962; ebenda, Bl. 6. Siehe auch die Berichte in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 9384. 415 Befehl Nr. 373/64 des Ministers vom 6.5.1964 (Überwachung des Tourismus im sozia listischen Ausland); BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 887. 416 Kaderakte Fritz Busch; BStU, MfS, KS 3664/90, Bl. 69, 192; Bericht, Budapest, 25.6.1964; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8832, Bl. 15–17; Bericht, Siofok, 9.9.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 5082, Bl. 56.
Entstehung und Entwicklung
119
das ungarische Innenministerium gedrängt, die erkannten Schlupflöcher im Grenzregime zu schließen. Die HV A sandte 1966 Informationen »über das Problem der legalen Flucht« an seine ungarischen Partner, während die Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung im Jahr darauf Schulungsmaterialien für Passkontrolleure und Grenzpolizisten übermittelte.417 Im Sommer 1966 war die Operativgruppe zunächst als »Arbeitsgruppe VR Ungarn« tätig, ehe nach einigen Wochen wieder die alte Bezeichnung eingeführt wurde.418 Die Operativgruppe übernahm Einzelfunktionen im Überwachungs- und Interventionsapparat des MfS, das zu dieser Zeit seine Präsenz in befreundeten Staaten in Absprache mit den jeweiligen Partnerdiensten ausbaute. Ihr Einsatz erlaubte ihm einen direkten Zugriff auf DDR-Bürger jenseits der Landesgrenzen sowie die Durchführung von Operationen. Ermittlungen gegen Fluchtverdächtige konnten schnell ausgeweitet werden. Ein gut dokumentierter Fluchtversuch im Jahre 1964 zeigt das Zusammenspiel der verschiedenen MfS-Diensteinheiten mit dem ungarischen Sicherheitsdienst zu dieser Zeit. Nachdem die ungarischen Sicherheitsorgane am Grenzübergang Letenye zu Jugoslawien einen DDR-Bürger mit falschem Pass sowie seinen österreichischen Begleiter festgenommen hatten, verfasste die Operativgruppe einen Bericht über die Verhöre in der Budapester Untersuchungshaft und sandte ihn an die Hauptabteilung XX. Einige Tage darauf erreichte die offizielle Information des ungarischen Innenministeriums die MfS-Abteilung X für Internationale Verbindungen. Es teilte hierin mit, dass es gegen den vermeintlichen Fluchthelfer ein Untersuchungsverfahren mit dem DDR-Flüchtling als Zeugen führen wolle. Die Abteilung X leitete die Information ihrerseits an die Hauptabteilung XX weiter. Schließlich informierte noch die DDR-Botschaft das MfS. Nachdem das ungarische Innenministerium der MfS-Abteilung X zwei Monate später mitgeteilt hatte, dass die Untersuchungen gegen den Flüchtling abgeschlossen seien, informierte diese die Hauptabteilung XX, die dessen Überführung in die DDR in Auftrag gab. In diesem Fall erfolgte sie mit einem Flugzeug der DDR-Regierung. Nach seiner Ankunft im DDR-Untersuchungsgefängnis fing nun auch die Hauptabteilung IX an, ihn zu verhören.419 Nachdem ein bundesdeutscher Geschäftsmann im Juni 1965 einen Informanten des ungarischen Innenministeriums überzeugen wollte, ihn bei einer Fluchthilfeaktion zu unterstützen, übermittelte das Ministerium die Daten der betreffenden DDR-Bürger an die Operativgruppe.420 Für 1968 ist zum ersten 417 Informationsaustausch UVR 1958–1973 (Übersichten); BStU, MfS, AS, Nr. 313/83, Bl. 1–282, hier 227, 233. 418 AG VR Ungarn: Information, Budapest, 30.6.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8900, Bl. 111; AG VR Ungarn: Information, Budapest, 1.6.1966; ebenda, Bl. 238; HA XX/5, Op.Gruppe VR Ungarn: Information, Budapest, 31.8.1966; ebenda, Bl. 277. 419 Bericht, Budapest, 13.10.1964; ebenda, Bl. 1 und die folgenden Dokumente. 420 Bericht, Budapest, 4.7.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8900, Bl. 1 f.
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Die Operativgruppe in Ungarn
Mal detailliert nachvollziehbar, wie die Operativgruppe zum Scheitern eines größeren Fluchthilfeprojekts beitrug. Nachdem die Hauptabteilung XX einen Hinweis auf eine Flucht über Jugoslawien nach Österreich erhielt, informierte diese das ungarische Innenministerium. Gleichzeitig gab sie offenbar der Operativgruppe Anweisung, die Flüchtenden in Ungarn zu observieren und deren Verhaftung durch die ungarische Miliz zu organisieren. Diese nahm dabei auch einen Fluchthelfer fest. Als dieser zugab, einen Partner auf der jugoslawischen Seite zu haben, informierte die ungarische Grenzpolizei die jugoslawische Polizei und bewirkte auch dessen Festnahme. Die Operativgruppe erfuhr von weiteren Fluchtplänen, da sie bei den Fluchthelfern Passbilder von DDR-Bürgern fand, die diese in bundesdeutsche Pässe einkleben wollten. Sie sandte hierüber ausführliche Berichte und Aktualisierungen nach Berlin.421 Nachdem das MfS die Operativgruppe ab 1970/71 der HA VI unterstellte, wuchs diese bis 1979 auf fünf Mitarbeiter an, von denen je einer in Siófok und einer in Balatonfüred (bei Veszprém, beide am Balaton) arbeiteten. Bis 1986 kamen vier weitere Mitarbeiter hinzu, davon zwei Mitarbeiter der HA VI in Budapest, einer in Hévíz (bei Keszthely) und ein Abwehroffizier in Budapest. Bis 1989 zog die HA VI wiederum zwei Mitarbeiter aus Budapest ab. Der Abwehroffizier Herbert Heckerodt arbeitete in »wesentlicher Selbständigkeit« und unterstand dem Operativgruppenleiter nur organisatorisch und disziplinarisch.422 Lange Zeit sandte das MfS die Gruppe nur während der Reisezeit nach Ungarn, zum Ende der 1980er-Jahre hingegen war sie zum größten Teil dauerhaft in Budapest stationiert, wobei die Mitarbeiter in Veszprém, Siófok und Hévíz sommers hinzukamen. Von 1964 bis 1968 leitete Fritz Busch die Gruppe, im Jahr 1969 Bodo Troschke. 1971 folgte Heinz Scholz, der im Herbst 1973 von Hans Deutscher abgelöst und 1976 erneut eingesetzt wurde.423 Im April 1983 löste ihn Hol421 Siehe HA XX/5, Operativgruppe Ungarn: Betr. »Schwarz«, Budapest, 9.8.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 3999, Bl. 6–10 und die weiteren Dokumente dieser Akte. 422 HA VI, Leiter: Besetzung der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der ČSSR, VRB und UVR im Jahre 1979, Berlin, 4.4.1979; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 63 f.; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Besetzung der Operativgruppen des MfS in der ČSSR, VRB und UVR im Jahre 1986, Berlin, 7.5.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 98 f.; HA II, Leiter: Vorlage zum Einsatz von Mitarbeitern der Hauptabteilung II in der Ungarischen Volksrepublik, der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und der Volksrepublik Bulgarien, Berlin, 4.7.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 43; Personaldaten der in den Operativgruppen der HA VI einzusetzenden Mitarbeiter der HA II, o. D.; ebenda, Bl. 52–55; Telegramm des MfS Berlin Nr. 657/89 an das MdI der UVR vom 7.6.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1, Bl. 26; (HA I: Beantwortung des Frage-spiegels hinsichtlich der Operativgruppe Ungarn, ohne Deckblatt), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 104–124, hier 124. 423 Kaderakte Fritz Busch; BStU, MfS, KS 3664/90, Bl. 63–73, 192; Kaderakte Bodo Troschke; BStU, MfS, KS 20604/90, Bl. 13, 53; Kaderakte Heinz Scholz; BStU, MfS, KS 8177/90, Bl. 114, 121, 145; Kaderakte Hans Deutscher; BStU, MfS, KS 7443/90, Bl. 97, 103, 124.
Entstehung und Entwicklung
121
ger Baldauf ab. Die HA VI hatte Baldauf im Sommer des Vorjahres bereits als Sonderoffizier am Südufer des Balaton eingesetzt. Unmittelbar danach reichte er eine Diplomarbeit über die Operativgruppe an der MfS-Hochschule ein.424 Zum März 1987 ernannte die HA VI Heinz Weller zum Leiter. Im Zuge der Umstrukturierung der Operativgruppen im Herbst 1989 war Wellers Ablösung durch einen Mitarbeiter der Hauptabteilung II vorgesehen, allerdings setzte das zerfallende MfS diese wohl nicht mehr um – seine Kaderakte vermerkt keine Abberufung.425 Über die gesamte Zeit hinweg befasste sich die Operativgruppe fast ausschließlich mit der Verhinderung von Fluchten und der Beobachtung von Ost-West-Kontakten. Gelegentlich kamen Abwehraufgaben hinzu. Im Jahr 1966 forderte die MfS-Spionageabwehr ihre Unterstützung bei der Kontaktaufnahme zu einem Bundesbürger in Ungarn an. Sie sollte diesen während seiner Reise beobachten.426 Die Operativgruppe hielt Kontakt zum Hauptamtlichen Sicherheitsbeauftragten (HSB) an der DDR-Botschaft. Offiziell wirkte dieser an der Rückführung festgenommener Flüchtlinge in die DDR mit. Auf inoffizieller Basis berichtete er über die Botschaftsmitarbeiter.427 Laut einer Akte der HA Kader und Schulung aus dem Jahr 1988 unterhielt auch die Hauptverwaltung A, Abteilung VI einen OibE als Botschaftsmitarbeiter in Budapest. Er lieferte der Hauptverwaltung A Informationen zur dortigen Innenpolitik und zum Grenzregime nach Berlin.428 Seine Anbindung an die Operativgruppe ist unklar – ihre Akten verzeichnen ihn nicht. Spätestens ab 1987 überwachte die Operativgruppe die ostdeutsche Mitarbeiterschaft des DDR-Nationalitätenrestaurants »Raabe-Diele« im Budapester »Haus Berlin«. Indem sie in die Kaderplanung der betreibenden HO eingriff, stellte sie sicher, dass sich zwei IM in der Belegschaft befanden.429 Insgesamt ist jedoch kaum dokumentiert, ob und wie die Opera424 Kaderakte Holger Baldauf; BStU, MfS, KS 23802/90, Bl. 6, 72–76; Baldauf, Holger: Ausgewählte Aufgaben und Bedingungen für die Qualifizierung und Intensivierung der Arbeit einer Operativgruppe der Hauptabteilung VI, dargestellt an der Operativgruppe in der UVR, Diplomarbeit, eingereicht am 15.1.1983 an der JHS Potsdam; BStU, MfS, JHS MF, Nr. 313/83. 425 Kaderakte Heinz Weller; BStU, MfS, KS 7690/90, Bl. 4, 149–155; HA II, Leiter: Neubesetzung der Leiter der Operativgruppen des MfS, Berlin, 7.11.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 85. 426 HA II/3: Dienstreise in die VR Ungarn, Berlin, 24.5.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8900, Bl. 105 f. 427 HA XX, Operativgruppe Ungarn: Abschlussbericht für 1970 (unvollständig, o. D.); BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 73–98, hier 94. 428 HA KuSch, Abt. Kader 3: Untersuchung zur Arbeit mit Operativgruppen, Berlin, 17.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f.; BStU, MfS, HVA/MD/4, SIRA-TDB 13, Reg. Nr. XV/5602/86. 429 Operativgruppe des MfS in der UVR: Einschätzung zur politisch-operativen Situation im Objekt »Raabe Diele« in Budapest, Budapest, 12.10.1987; BStU, MfS, HA II, Nr. 38798, Bl. 50– 53 sowie die in dieser Akte folgenden Dokumente.
Die Operativgruppe in Ungarn
122
tivgruppe Mitarbeiter von DDR-Institutionen in Ungarn und Studierende aus der DDR überwachte. 4.1.1 Flüchtlingszahlen Die MfS-Quellen aus dem Kontext der Operativgruppe erlauben eine nur grobe quantitative Abschätzung der Fluchtbewegungen über Ungarn. Die Überlieferung ist lückenhaft, und die Basis der zugrunde liegenden Statistiken oft unklar. Gelegentlich sind die Statistiken in sich widersprüchlich, was darauf hindeutet, dass das MfS bei der Erarbeitung seiner Daten nicht immer konsistent vorging. Die folgende Tabelle verzeichnet, wie viele Fluchten und Fluchtvorhaben die Operativgruppe der MfS-Zentrale meldete. Für einzelne Jahre wurden die Zahlen durch Angaben der Hauptabteilung IX ergänzt, welche die Ermittlungsverfahren gegen verhaftete und in die DDR zurückverbrachte Flüchtlinge führte. Zusätzliche Angaben flossen aus Dokumenten ein, welche in Beständen der Abteilung X überliefert sind. Tabelle 6: Fluchten von DDR-Bürgern über Ungarn (Anzahl der Personen)430 Jahr
erfolgreiche Fluchten
gescheiterte Fluchten
ohne Fluchthilfe
ohne Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
1963
18
44
1965
22
68
1966
45
116
1969
104*
1970
215
19711)
61
1
1972
65
1973
38
1974
25****
100
19 274
132 4
16 122
19771)
106**
1978
163**
2)
430 Eigenrecherche in Beständen der HA XX, VI (zumeist von der Operativgruppe erstellte Dokumente), der HA IX und der Abteilung X.
Entstehung und Entwicklung
Jahr
19792)
123
erfolgreiche Fluchten
gescheiterte Fluchten
ohne Fluchthilfe
ohne Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
167
31
1980
201**
1981
159**
1982
232**
1983
178**
1984
141
1985
103
1986
152
19871)
195
1988
317***
1) bis September, 2) bis Oktober des jeweiligen Jahres * Flüchtlinge, gegen die die Untersuchungsabteilung des ungarischen Innenministeriums ermittelte ** Flüchtlinge, gegen die die HA IX in der DDR ermittelte *** inkl. einiger Festnahmen wegen Delikten ohne Fluchtvorhalt **** weitere 16 vermutet
Die Überlieferung der Operativgruppe lassen keine fundierten Aussagen über die Erfolgsquote von Fluchten über Ungarn zu. Es kamen DDR-Bürger an den Westgrenzen Ungarns zu Tode, nur bieten die Akten der Operativgruppe jenseits überlieferter Einzelfälle dazu keinen systematischen Überblick.431 Wie schon an der bulgarischen Westgrenze ist auch in Ungarn im Jahr 1972 ein Höhepunkt von Fluchtversuchen zu verzeichnen. Der Flüchtlingsansturm richtete sich zu etwa gleichen Teilen auf die Grenzen Ungarns zu Österreich und Jugoslawien – viele DDR-Flüchtlinge überwanden zunächst die weniger stark bewachte Grenze zu Jugoslawien, um in einem weiteren Schritt nach Österreich zu gelangen. Im Jahr 1973 versuchten zwei von ihnen dies erfolglos mit polnischen
431 Vgl. HA VI, Leiter: Vortrag zur Beratung mit der II. HV des MdI der Ungarischen Volksrepublik vom 12.4. bis 15.4.1983 in Budapest, Berlin, 22.3.1983; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1631, Bl. 26–71, hier 43.
124
Die Operativgruppe in Ungarn
Pässen.432 Doch vor allem Flüchtlinge anderer Nationalitäten – ein MfS-Beratungsprotokoll nennt Polen, Rumänen, Tschechen und Slowaken – wollten über die ungarische Grenze zu Jugoslawien den Westen erreichen. Nur ein Fünftel der hier gefassten Flüchtenden stammte aus der DDR, während es an allen ungarischen Westgrenzen über ein Drittel war.433 Zeitweise beklagte die Operativgruppe einen zu laschen Umgang des ungarischen Sicherheitsdiensts mit den Flüchtlingen. Obwohl kurz vor der Grenze gefasste Flüchtlinge in einem Fall Heiratsurkunde und Lehrerdiplom sowie in einem weiteren Fall Taucheranzug, Bolzenschneider, Spannungsprüfer und Fernglas bei sich trugen, seien sie ausgewiesen statt inhaftiert worden.434 Die für die Operativgruppen in den Urlaubsländern zuständige Abteilung 2 des Bereichs Auslandstourismus sah eine hohe Erfolgsquote von Fluchten über Ungarn als besorgniserregend an. In einem Bericht an den Leiter der Hauptabteilung VI hielt sie fest, dass 1984 etwa jeder sechste Fluchtversuch über Ungarn gelungen sei, wobei sie zudem viele Fluchtwege nicht zu rekonstruieren vermochte. Ein handschriftlicher Kommentar – vermutlich von Heinz Fiedler, dem Leiter der Hauptabteilung – offenbart die Grenzen, auf welche das MfS in der Zusammenarbeit mit seinen Partnerdiensten stieß: »Wird auch in der Tendenz so bleiben«, war am Rande des Berichts vermerkt.435 Das gesteigerte Problembewusstsein des MfS hinsichtlich der Fluchten über Ungarn ist allerdings statistisch kaum zu begründen: Die Erfolgsquote von Fluchten über Bulgarien war nach den Daten der dort eingesetzten Operativgruppe vergleichbar hoch. Es dürfte sich indes aus einer Wahrnehmung mangelnder Kontrolle seitens der Ungarn gespeist haben: Das ungarische Innenministerium zeigte sich gegenüber den Forderungen des MfS weniger offen als das bulgarische. Eine stockende Kooperation bei der Verfolgung von Flüchtlingen zeigte dem MfS lange vor 1989 an, dass Un-
432 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, den 28.11.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 129–170, hier 152; HA VI, Stellv. Operativ: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1974, Berlin, 27.11.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 31–71, hier 50. 433 HA VI: Bericht über die Beratung mit leitenden Mitarbeitern der II. Verwaltung des MdI der Ungarischen Volksrepublik vom 25. bis 28.5.1987 in Budapest und Szeged, Berlin, 12.6.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 11–20, hier 14, 20. 434 Jahresbericht der Operativgruppe Ungarn 1970 (Fragment); BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 73–98, hier 74 f. 435 HA VI/Abt. 2: Berichterstattung zur Leiterberatung am 9.5.1984, Berlin, 23.4.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 29, Bl. 202–211.
Entstehung und Entwicklung
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garn ein Wackelkandidat in der staatenübergreifenden Schließung des »Eisernen Vorhangs« war.436 Ein weiterer Umstand verdeutlicht den begrenzten Handlungsspielraum des MfS in Ungarn. Seit der Mitte der 1980er-Jahre suchten zahlreiche DDR-Bürger die bundesdeutsche Botschaft in Budapest auf, um ihre Übersiedlung in die Bundesrepublik zu erreichen. Dort erhielten sie Hilfe, da der Chef der dortigen Konsularabteilung, Axel Hartmann, sich engagiert für ihre Belange einsetzte. Das MfS war dem gegenüber relativ machtlos. Die Operativgruppe konnte lediglich in Zusammenarbeit mit dem ungarischen Sicherheitsdienst versuchen, die Namen der Botschaftsbesucher konspirativ zu ermitteln. Vom Besuch abhalten konnten die Dienste sie allerdings kaum. Das MfS versuchte, das Pro blem diplomatisch zu lösen. Es übte Druck auf die ungarischen Behörden aus, damit diese auf ihrem Territorium keinen Wechsel der Staatsbürgerschaft von DDR-Bürgern anerkannten. So konnten diese das Land nicht als Bundesbürger verlassen. Um Erfolgsmeldungen über geglückte Fluchten über die Botschaft zu vermeiden, stellte sie den Botschaftsflüchtlingen die Übersiedlung erst nach einer Rückkehr in die DDR in Aussicht. Schenkt man den MfS-Berichten Glauben, so verringerte sich die Zahl der Botschaftsbesucher daraufhin. Nachdem im Jahr 1984 25 Familien aus der DDR mit mehrtägigen Botschaftsaufenthalten ihre Ausreise erreichen wollten, suchten 1986 nur noch 12 DDR-Bürger die Botschaft auf. Als Grund gab das MfS an, dass Botschaftsbesucher dort keine Aufenthaltsmöglichkeit mehr erhielten.437 4.1.2 Überwachung von Ost-West-Kontakten DDR-Urlauber trafen Bekannte aus der Bundesrepublik gern in Ungarn, da beide gleichermaßen das Land wegen seines westlich-legeren Urlaubsklimas schätzten. Sie buchten sich in Ferienhaussiedlungen und Zeltplätzen individuell für jeweils gleiche Zeiträume ein, was eine staatlich-administrative Kontrolle oder sogar Verhinderung der Treffen erschwerte. Die Operativgruppe vermochte informelle Ost-West-Treffen wegen ihrer hohen Zahl nicht übergreifend zu beobachten. Im Jahr 1969 ermittelte die Gruppe knapp 400, im Folgejahr fast 500
436 Siehe die betreffenden Abschnitte ab S. 94, 146 u. 204. 437 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratung mit der 10. Abteilung der II. Verwaltung des Ministeriums des Innern der Ungarischen VR vom 16. bis 19. April 1985 in Budapest, Berlin, 25.4.1985; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 421–431, hier 426; HA VI: Bericht über die Beratung mit leitenden Mitarbeitern der II. Verwaltung des MdI der UVR vom 25.5. bis 28.5.1987 in Budapest und Szeged, Berlin, 12.6.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 11–20, hier 15. Weiterführend siehe Mayer: Flucht und Ausreise, S. 377–384; Pragal: Oh Gott, das gibt Arbeit, S. 8.
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Die Operativgruppe in Ungarn
Kontakte. Die Namen der DDR-Bürger leitete sie an die regionalen Dienststellen an deren Wohnsitzen weiter.438 Am Balaton trafen sich nicht nur Verwandte und Bekannte – auch Jugendund Schülerorganisationen, Vereine und religiöse Gemeinschaften aus der Bundesrepublik zeigten sich offen zum Austausch mit ostdeutschen Reisenden, denen das Recht auf eine ähnliche Vielfalt freien Zusammenschlusses fehlte. Damit wurde der Ungarn-Urlaub zu einem kulturell politisierenden Vernetzungsforum zwischen Ost und West, das manchen Touristen aus der DDR unverhofft zu einem deutsch-deutschen Jugendlager oder einem Bildungsurlaub westlichen Typs verhalf. Die Operativgruppe griff bei diesen Treffen nur gelegentlich ein, sie erfasste sie allerdings und überließ nachfolgende Repressionen den MfS-Institutionen innerhalb der DDR. Nachdem eine Urlaubergemeinschaft der IG Druck und Papier 1970 »gesamtdeutsche Gespräche« mit einer Jugendgruppe aus der DDR in Balatonföldvar initiiert hatte, kritisierte die Operativgruppe, dass der Jugendleiter »weder seine Vorgesetzten, noch das MfS um eine Erlaubnis gebeten« habe. Sie schätzte ein, dass er die »politische Arbeit vernachlässigt« habe und bemängelte, dass er der Operativgruppe nicht als inoffizieller Mitarbeiter zur Verfügung stand. Im folgenden Jahr regten ein »Förderkreis für Ost-West-Informationen« und zwei evangelische Jugendgemeinschaften erneut solche Foren an, die nun allerdings ein Repräsentanten-IM verhinderte, der mit der Umstellung des IM-Netzes auf das »Sicherungsmodell Nessebar« eingesetzt worden war.439 Ganz gleich, welche politischen Ansichten und kulturellen Werte die bundesdeutschen Vereinigungen vertraten – die Operativgruppe verdächtigte sie durchweg der »politisch-ideologischen Diversion«. Im Hintergrund einer christlichen Jugendvereinigung vermutete sie die Einflussnahme von Vertriebenen. Hippies verteufelte sie, weil diese für eine klassenlose Gesellschaft einträten.440 Dass das MfS sowohl individuelle als auch gruppenweise Ost-West-Treffen als »Diversion« einstufte, zeugt von seiner Ignoranz gegenüber dem Bedürfnis der DDR-Urlauber, Neues kennenzulernen, besondere Erfahrungen zu sammeln 438 HA VI, Sicherungsbereich Auslandstourismus: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, 31.1.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17110, Bl. 27–72, hier 66; Jahresbericht der Operativgruppe Ungarn 1970 (Fragment); BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 73–98, hier 80. 439 Ebenda, Bl. 83, 92 f.; HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien und in der Ungarischen Volksrepublik im Zeitraum von Mitte Mai bis Oktober 1971, Berlin, 26.11.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17027, Bl. 49–121, hier 60–65. 440 HA VI, Sicherungsbereich Auslandstourismus: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, 31.1.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17110, Bl. 27–72, hier 37–41.
Informationsbeschaffung
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und räumlich-administrative Grenzen durch Menschlichkeit zu überwinden.441 Dies entsprach nicht den eingeengten Lebenswelten der MfS-Hauptamtlichen, die durch interne Anreiz- und Kontrollmechanismen weitgehend von der DDR-Gesellschaft isoliert waren. Dennoch bedeuten die Pauschalverteufelungen der Treffen sogar ein Versagen aus geheimdienstlicher Sicht. Denn die vom MfS kultivierte »operative Psychologie« verlangte eigentlich, die zu überwachenden Menschen zu verstehen, um Einfluss auf sie auszuüben. Stattdessen trat die geheimpolizeiliche Dimension des Abstrafens in den Vordergrund.
4.2 Informationsbeschaffung Das Informantennetz, welches die Operativgruppe und ihr Basisreferat in Ungarn aufbauten, ähnelte dem in Bulgarien. Es war hauptsächlich auf die Urlauberzentren fokussiert. Auch hier versuchte das MfS zunächst, Reisende gruppenweise durch Reiseleiter zu überwachen. Danach ging es dazu über, die Überwachung mit dauerhaft vor Ort präsenten Zuträgern zu organisieren. Meist waren dies Vertreter von DDR-Reiseagenturen. Allerdings stellten die vielen Individualtouristen in Ungarn die Operativgruppe vor Herausforderungen, mit denen sie zu keinem Zeitpunkt fertig wurde. Selbst ungewöhnliche Projekte wie die Überwachung von Campern durch Stasi-FDJler in einem aufgebauschten »Jugendobjekt« konnten vielfältige Ost-West-Begegnungen im Ungarn-Urlaub nicht wesentlich eindämmen. Im Jahr 1970 setzte die MfS-Operativgruppe acht inoffizielle Mitarbeiter in den Urlauberzentren am Balaton ein, die dort nur maximal einen Monat lang tätig waren. Sie überwachten nicht nur Urlauber, sondern bahnten auch als IME Kontakte zu Bundesbürgern an, von denen das MfS hoffte, sie nach weiterer Beschattung und Bearbeitung als West-IM zu gewinnen. Das Gros der Informationen über Fluchtabsichten und Ost-West-Begegnungen lieferten zu diesem Zeitpunkt Reiseleiter, die das MfS hier nicht immer als IM verpflichtete. Stattdessen instruierte sie ein zur inoffiziellen Mitarbeit verpflichteter Reisebüro-Vertreter im MfS-Auftrag. Einige Reiseleiter – in diesem Jahr waren es 23 am Balaton und 38 in Budapest – waren wiederum MfS-Hauptamtliche.442 Als die Hauptabteilung VI die Operativgruppe in Ungarn übernahm, strukturierte sie sie ähnlich wie die in Bulgarien. Wie im »Sicherungsmodell Nessebar« in Bul441 Zu Motiven von DDR-Bürgern zum Urlaub im Ausland siehe z. B. Spode: Tourismus in der Gesellschaft der DDR, S. 11–34, hier 23. Zum multipel grenzüberschreitenden Potenzial eines Fernurlaubs unter den Bedingungen des Staatssozialismus und dem entgegenwir kenden administrativen Einschränkungen siehe Wolter: DDR-Bürger auf Reisen, S. 425–443, bes. 426, 432. 442 Jahresbericht der Operativgruppe Ungarn 1970 (Fragment); BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 73–98, hier 86–93.
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Die Operativgruppe in Ungarn
garien wurde auch in Ungarn die Arbeit mit Vor-Ort-Informanten zulasten des Einsatzes von Reiseleitern ausgebaut. Allerdings hatte die Gruppe in Ungarn 1971 etwa nur halb so viele inoffizielle und hauptamtliche Mitarbeiter vor Ort wie die bulgarische, obwohl die Urlauberzahl mit insgesamt 172 000 in Ungarn erheblich höher war. Hiervon reisten 142 000 privat – dies waren 82 Prozent aller Urlauber, während es in Bulgarien nur 20 000 bzw. 17 Prozent waren.443 Deshalb fiel dem MfS die Überwachung der Urlauber hier deutlich schwerer – es war ihm kaum möglich, die individuell reisenden Ungarn-Urlauber über zentral platzierte Zuträger zu überwachen. Die Operativgruppe beklagte 1971 das völlige Fehlen von IM in Ungarns Jugendlagern, da die Bezirksverwaltungen niemanden gemeldet hätten. Immerhin hatte sie in diesem Jahr Zugriff auf 82 MfS-Hauptamtliche im Ungarn-Urlaub, von denen sie 52 nutzte. Die HA VI dachte an, dass die Bezirksverwaltungen individuell reisende IM zum Einsatz für die Operativgruppen verpflichten sollten.444 Die Hauptabteilung VI implementierte das »Sicherungsmodell Nessebar« nur allmählich in der Urlaubsregion am Balaton. In einem Konzeptdokument regte sie an, die Operativgruppe sehr eng mit ihrer Abdeckung, der Reisebüro-Vertretung, zu verschmelzen: Sie argumentierte, im »neuen Betreuungssystem« würden die am Balaton tätigen MfS-Mitarbeiter im Reisebüro »integriert«. Ein MfS-Hauptamtlicher in Siófok sollte beispielsweise im Sommer Individualtouristen beraten und eine Bibliothek des Reisebüros betreuen. Für solche Aufgaben waren eigentlich OibE des MfS zuständig, die eine Anstellung unter dem Dach ihrer Abdeckung erhielten. Der saisonale Einsatz verhinderte möglicherweise diese administrative Lösung. Darüber hinaus argumentierte die HA VI, die zivilen Mitarbeiter der Reisebüro-Vertretung sollten »entsprechend unserem Einfluß […] mit IME und IM« besetzt werden.445 Im Jahr 1973 basierte die Überwachung von Touristen schließlich zu einem großen Teil auf »Repräsentanten« und »Chefrepräsentanten« bei den DDR-Reiseveranstaltern, die als IM oder als hauptamtliche OibE dem MfS zugeordnet waren. Eine Arbeitsakte des OibE »Thea« belegt beispielsweise regelmäßige Treffen mit einem Mitarbeiter der Operativgruppe, der sich über den Urlaubsbetrieb berichten ließ und »Thea« beauftragte, DDR-Urlauber festzustellen, welche die Botschaft der Bundesre-
443 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien und in der Ungarischen Volksrepublik im Zeitraum von Mitte Mai bis Oktober 1971, Berlin, 26.11.1971; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17027, Bl. 49–121, hier 54–56. 444 Ebenda, hier Bl. 79–90. Zum Versuch, auf IM der Bezirksverwaltungen im Urlaub zuzugreifen, siehe S. 50. 445 HA VI, Linie SRT, Abt. 2: Teilsicherungssystem für die Sicherung des Tourismus der DDR in die Ungarische Volksrepublik, Berlin, 23.3.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 14291, Bl. 38–52.
Informationsbeschaffung
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publik besuchten.446 Für das Folgejahr konstatierte die HA VI die inzwischen »untergeordnete Bedeutung von IM in Reisegruppen« und regte an, in Ungarn und auch in der ČSSR rund um die Repräsentanten FIM-Netze anzulegen. Sie bescheinigte der Operativgruppe in Ungarn, nun über dauerhaft am Ort positionierte, »erfahrene und treue« IM mit »aktiver Verbindung« zu verfügen.447 Eine besonders skurrile Maßnahme war die Überwachung von DDR-Urlaubern auf Zeltplätzen durch MfS-Camper. Für die Zeit ab 1972 ist überliefert, wie beim MfS angestellte junge Camper ihre Zeltnachbarn denunzierten. Sie berichteten der Operativgruppe vor allem über Treffen mit Bundesbürgern. Obwohl das MfS auch einige Zeltplatz-Zuträger nach Bulgarien gesandt hatte, setzte es den Schwerpunkt bald auf das Camping in Ungarn.448 Im Jahr 1975 erklärte die FDJ-Grundorganisation der HA VI die Überwachung von DDR-Campern in Ungarn sogar zu einem »zentralen Jugendobjekt«. Derartige Prestigeprojekte sollten eigentlich mit hohem propagandistischem Aufwand einen Beitrag junger Menschen zum »Aufbau des Sozialismus« herbeiagitieren. Während junge Erwachsene aus der DDR unter dem Label der Jugendobjekte eine Erdgaspipeline in der ukrainischen Sowjetrepublik und eine Kassettenrekorder-Fabrik in Berlin-Marzahn bauten, wurde das Jugendobjekt der HA VI zum Zeugnis eines bis in die Jugend vorgedrungenen Überwachungswahns. Nun stellte das Ministerium nicht nur die zuvor angedachten Zeltausrüstungen, sondern auch – für DDR-Verhältnisse hochwertige – Autos der Marke »Lada« bereit: An diesen mochten geübte Augen die Stasi-Camper wohl unschwer erkannt haben. Im Jahr 1981 brachte die HA VI zwei junge MfS-Mitarbeiter auf einem anderen Campingplatz unter, nachdem sich zeigte, dass ihr vorgesehener »Einsatzort« so wenig ausgelastet war, dass es dort niemanden zu observieren gab. Für 1982 hielt sie die MfS-FDJler an, selbstständig die Campingplatzreservierungen vorzunehmen – möglicherweise waren sie sogar ohne Wissen des ungarischen Innenministeriums vor Ort. Im Jahr 1984 befanden sich jugendliche MfS-Camper auf Zeltplätzen in Balatonszemes, Balatonakali, Paloznak, Balatonfüred und Fonyód. Zum »Jugendobjekt« gehörte auch ein heikler Vorstoß: 446 Ebenda, Bl. 87; HA VI, Sicherungsbereich Auslandstourismus: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepu blik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, 31.1.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17110, Bl. 27–72, hier 55; Arbeitsakte OibE »Thea«; BStU, MfS, AIM 15376/91, Bl. 33–45. 447 HA VI, Stellv. Operativ: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepu blik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1974, Berlin, 27.11.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 31–71, hier 57, 68; HA VI/Abt. Koordinierung, Planung und Kontrolle: Kontrollbericht, Berlin, 4.2.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 46, Bl. 181–345, hier 304 f. 448 HA VI, Linie SRT, Abt. 2: Konzeption zur Sicherung der Individual- und Cam pingtouristik im soz. Ausland (Entwurf ), Berlin, 5.3.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 14291, Bl. 1–15, hier 10–12.
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Die HA VI entsandte 1981 einige ihrer FDJler nach Rumänien, obwohl das MfS und die Securitate schon seit Langem nicht mehr zusammenarbeiteten. Auch für 1982 und 1983 plante die FDJ-Grundorganisation, Mitglieder dorthin zu schicken.449 Schon in den Jahren 1975 und 1978 hatte die HA VI beabsichtigt, sechs überörtliche IM nach Rumänien zu schicken.450 In den späten 1980er-Jahren verfügte die Operativgruppe sowohl über dauerhaft am Ort stationierte Zuträger als auch über Hauptamtliche und IM, die für einige Wochen Urlaub machten. Der Schwerpunkt lag auf der Arbeit mit den über die gesamte Saison hinweg präsenten Zuträgern, die zumeist in Reisebüros und Restaurants arbeiteten. Im Jahr 1988 waren es 15 (1989: 23), zu denen 43 Kurzzeit-Zuträger kamen. Einige IM in Ungarn wurden auch direkt von der Basisabteilung in Berlin geführt: Beispielsweise behielt der Operativgruppenleiter Holger Baldauf einen IM und einen GMS in Budapest, nachdem er 1987 in die Abteilung 2 der »Sicherung des Reise- und Tourismusverkehrs« in der HA VI aufgerückt war.451
449 Einschätzung über den Einsatz von FDJlern der HA VI zur Absicherung des Camp ingtourismus in der UVR, Berlin, 1.10.1981; BStU, MfS, HA VI, Nr. 16453, Bl. 11–13; FDJGrundorganisation VI »Fritz Schmenkel«: Konzeption zur Realisierung des zentralen Jugendobjektes unserer FDJ-Grundorganisation »Campingtourismus« 1983, Berlin, 24.8.1982; ebenda, Bl. 26–28; HA VI, Bereich Auslandstourismus, Abt. 3: Einschätzung der operativen Wirksamkeit des Einsatzes des Genossen Richter in der SR Rumänien (FDJ-Einsatz), Berlin, 9.12.1982; ebenda, Bl. 38 f.; (Einsatzliste zur Überwachung von Campingplätzen und Urlauberquartieren in der ČSSR und in Ungarn durch FDJ-Mitglieder der HA VI, 1984); ebenda, Bl. 55 f.; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Einschätzung über den Einsatz von FDJlern der HA VI zur Absicherung des Campingtourismus im sozialistischen Ausland, Berlin, 5.11.1981; BStU, MfS, HA VI, Nr. 20560, Bl. 61–65; Kampfprogramm der FDJ-Grundorganisation »Fritz Schmenkel« der Hauptabteilung VI zu Ehren des IX. Parteitages der SED, Berlin, 12.12.1975; ebenda, Bl. 143–151, hier 148. 450 HA VI, Bereich Koordinierung, Leiter: Die leitungsmäßige Sicherstellung (…) der Operativ-Gruppen im sozialistischen Ausland, Berlin, 10.6.1975; BStU, MfS, HA VI, Nr. 40, Bd. 3, Bl. 105–112, hier 109; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242–251, hier 250. 451 Übersichtsblatt zum Bestand der IM/GMS der Operativgruppe in der UVR, Stand: 31.7.1987, Berlin, 27.8.1987; BStU, MfS, HA VI, Nr. 7, Bl. 204–206; Operativgruppe UVR, Stand: 31.7.1989; ebenda, Bl. 177 f.; Abteilung 2, Stand: 31.7.1989; ebenda, Bl. 170–173; (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe Ungarn, ohne Deckblatt), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 104–124, hier 117.
Zusammenarbeit mit dem ungarischen Innenministerium
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4.3 Zusammenarbeit mit dem ungarischen Innenministerium 4.3.1 Verträge und Aufgabenteilung Das MfS kooperierte mit der III. Hauptverwaltung des ungarischen Innenministeriums – dem Zweig, der die nachrichtendienstlichen und geheimpolizeilichen Aufgaben verfolgte. Allerdings ordnete sich die III. Hauptverwaltung nicht immer den Vorstellungen des MfS zur Gestaltung zweiseitiger Verträge unter. So unterschied sich die rechtliche Situation in der bilateralen Zusammenarbeit von denjenigen, die das MfS mit den anderen DDR-Urlaubsländern schuf. Die Verträge gehen weniger konkret auf die Überwachung von Tourismus und Reisen sowie auf die Verhinderung von Fluchtvorhaben ein. Den ersten Kooperationsvertrag mit dem ungarischen Sicherheitsdienst schloss das MfS bereits im Jahr 1958. Der Ungarnaufstand, der gerade zwei Jahre zurücklag, bildete ein Hauptmotiv der hier fixierten nachrichtendienstlichen und geheimpolizeilichen Kooperation: Gleich im ersten Passus hielten die unterzeichnenden Minister Erich Mielke und Béla Biszku fest, »daß der Feind während der ungarischen Konterrevolution eine schwere Niederlage erlitten hat«. Während einer ungarischen Residentur in Ostberlin Kommunikationsaufgaben zwischen den Ministerien zugewiesen wurden, erwähnt der Vertrag kein ostdeutsches Äquivalent. Dass er hauptsächlich aus der Feder des MfS stammt, lässt sich nicht nur an der MfS-typischen Beschwörung eines abstrakten »Feinds« ablesen: Auch der Name des unterzeichnenden ungarischen Innenministers ist in der deutschen Fassung falsch geschrieben.452 Nach dem Mauerbau erweiterten das MfS und das ungarische Innenministerium ihre Kooperationsfelder. Sie vereinbarten einen Informationsaustausch in der Aufklärung, eine Zusammenarbeit in der Gegenspionage, regelten die Übergabe von Informanten und ermöglichten die Werbung von Zuträgern auf dem jeweils anderen Territorium nach vorheriger Absprache. Das MfS prüfte die Entsendung eines operativen Mitarbeiters während der Reisezeit nach Ungarn. Er sollte hier aktiv bei der Verhinderung von Fluchten von DDR-Urlaubern tätig werden.453 Dem Vertrag folgte ein Übereinkommen der Untersuchungsabteilungen, wonach die Ermittlungen zu Festgenommenen aus dem jeweils anderen Staat unverzüglich abzugeben seien. Spätestens mit deren Übergabe sollten auch alle Ermittlungsprotokolle übergeben werden. Das MfS sicherte sich so aktuelle Informationen über Fluchthilfe und Fluchtwege. Die lapidare Formulierung »in 452 Vereinbarung über die operative Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staats sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik und dem Ministerium des Innern der Volksrepublik Ungarn, Berlin, 22.5.1958; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1778, Bl. 1–12. 453 Vereinbarung über die weitere Entwicklung der operativen Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem Ministerium des Innern der UVR, Budapest, 11.5.1963, BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1780, Bl. 2–15.
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Übereinstimmung mit den Ministern der Justiz sowie den Generalstaatsanwälten beider Staaten« lässt vermuten, dass die Staatssicherheitsdienste diese Institutionen als ihnen untergeordnet betrachteten.454 Während sich die DDR-Generalstaatsanwaltschaft dem nicht widersetzte, lehnte die ungarische das MfS als Vertragspartner ab. Diese geriet gleich in mehreren Fluchthilfefällen in Konflikt mit der HA IX. Weil sie die MfS-Auslieferungsersuchen für problematisch hielt, monierte die HA IX ganz im Sinne geheimpolizeilichen Korpsgeists »politische und rechtliche Differenzen«, »die eine Zusammenarbeit beeinträchtigen«. Die HA IX lobte hingegen die ungarische Untersuchungsabteilung: Im Jahr 1969 habe diese dem MfS 104 DDR-Flüchtlinge übergeben.455 Die Differenzen zwischen dem MfS und der ungarischen Generalstaatsanwaltschaft hielten an, sodass Erich Mielke im Mai 1977 den Generalstaatswalt Károly Szíjártó zu sich einlud. Dieser zeigte sich wenig beeindruckt von Mielkes Ausführungen über die Notwendigkeit übereinstimmender Klassenpositionen. Er verabschiedete sich, indem er Mielke »künftig weniger Feinde« wünschte.456 Im Oktober desselben Jahres drängte das MfS die ungarische Untersuchungsabteilung, einen festgenommenen bundesdeutschen Fluchthelfer, ein ehedem geflüchteter DDR-Bürger, schlicht als DDR-Bürger zu behandeln und an das MfS auszuliefern. Doch die ungarische Untersuchungsabteilung ließ sich nicht von den Interessen des MfS vereinnahmen. Sie weigerte sich nicht nur, den Fluchthelfer auszuliefern, sondern blockierte auch den Abschluss einer Arbeitsvereinbarung nach den Vorgaben der MfS-Untersuchungsabteilung.457 Gelegentlich verletzte das MfS die Usancen geheimpolizeilicher Zusammenarbeit im Staatssozialismus, indem es ohne das Wissen des Partners ungarische Intellektuelle abschöpfte oder Oppositionelle ausspionierte. Auch informierte es ihn nicht, zu welchem Zweck es Mitarbeiter entsandte. Die ungarische Seite beklagte sich hierüber auf diplomatischem Wege.458 Ob und wie die Operativgruppe daran beteiligt war, lässt sich nicht belegen. Ebenso wie in Bulgarien be454 Zusammenarbeit beider Organe bei den sich aus dem Vertrag über den Rechtsverkehr in Zivil-, Familien- und Strafsachen zwischen der DDR und der UVR vom 30.10.1957 ergebenden Aufgaben, Budapest, 23.6.1963; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 9051. 455 HA IX: Zusammenarbeit mit der U-Abteilung für Staatssicherheit des MdI der Ungarischen Volksrepublik, Berlin, 12.5.1970; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 203 f. 456 HA IX, Leiter: Gesprächsvermerk über den Besuch des Generalstaatsanwaltes der ungarischen Volksrepublik Genossen Dr. Szijarto beim Genossen Minister, Berlin, 5.5.1977; BStU, MfS, HA IX, Nr. 3472, Bl. 231–234. 457 HA IX/9/AG Ausland: Probleme der Zusammenarbeit mit der Ungarischen Volksrepublik, Berlin, 11.10.1977; BStU, MfS, HA IX, Nr. 3472, Bl. 227 f.; Abt. X: Stellungnahme zur Information des Generalstaatsanwaltes der DDR vom 4.10.1977 zu Auslieferungsfragen, Berlin, 18.10.1977; BStU, MfS, HA IX, Nr. 2108, Bl. 26–29. 458 2. Europäische Abteilung: Vermerk über ein Gespräch mit dem Rat der ungarischen Botschaft, Genossen Balassa, am 10.2.1969, Berlin, 12.2.1969; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 477–479.
Zusammenarbeit mit dem ungarischen Innenministerium
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absichtigte das MfS im Jahr 1967, im Sommer eine »Beobachtungsbrigade« der Hauptabteilung VIII an den Balaton zu entsenden. Auch die Hauptabteilung IX wollte über den Sommer einen Vernehmer in Budapest stationieren.459 Tatsächlich lassen sich nach diesem Zeitpunkt vereinzelt in Budapest verfasste Berichte der Hauptabteilung IX auffinden.460 Für den August 1971 plante die Hauptabteilung VIII einen »Erfahrungsaustausch« mit ungarischen Observateuren und setzte Beobachtungen in Urlaubszentren sowie die Überwachung von Hotels auf die Agenda.461 Anders als im bulgarischen Fall erwies es sich für das MfS als schwierig, die eingeforderte Unterstützung vom ungarischen Innenministerium zu erhalten. Oft führte dieses Ressourcenprobleme an und erklärte, dass die Wünsche des MfS es vor große Herausforderungen stelle. Immerhin ließ es 1972 nach Bedenken des MfS den Auftrittsort der DDR-Band »Die Puhdys« am Balaton ändern und stellte zwei Jahre später eine Beobachterbrigade im 30 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernten Győr auf, die Autos nach versteckten Flüchtlingen durchsuchte. Auch während eines Fußball-Länderspiels zwischen Ungarn und der Bundesrepublik im Jahr 1983, zu dem nach MfS-Angaben etwa 400 Fans aus der DDR anreisten, kam es den Forderungen des MfS nach. Die hier involvierte Operativgruppe meldete, dass die Miliz drei Transparente mit verschriftlichten Grüßen aus der DDR beschlagnahmte.462 Die Operativgruppe arbeitete zuletzt auf der Grundlage eines Vertrags zwischen den beiden Ministerien von 1981. Er zählte die »abwehrmäßige Sicherung des internationalen Touristenverkehrs« zu den Kooperationsaufgaben und führte aus: Beide Seiten stationieren in Abstimmung mit der jeweils anderen Seite zur abwehrmäßigen Sicherung ihrer auf dem Territorium des jeweils anderen Staates befindli459 Hinweise zur politisch-operativen Lage (für Verhandlungen mit den Sicherheitsorganen der Ungarischen Volksrepublik), Mitte Mai 1967; ebenda, Bl. 242–295, hier 286; HA XX/5: Arbeit der Operativ-Gruppe in der VR Ungarn (unvollständig), Berlin, 20.4.1967; eben-da, Bl. 334–338; Fragment: Einschätzung der 1966 getroffenen Feststellungen über An griffe gegen die Staatsgrenze der Volksrepublik Ungarn; ebenda, Bl. 339–347. 460 HA IX/9: Bericht über geplante und durchgeführte Schleusungsaktionen über die ČSSR, Budapest, den 5.6.1970; BStU, MfS, HA XX, Nr. 4912, Bl. 206–208. 461 HA VIII, Leiter: Konzeption zur Durchführung eines Erfahrungsaustausches mit den Sicherheitsorganen der Volksrepublik Ungarn (Fragment), Berlin, 26.5.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2231, Bl. 3. 462 HA VI, Stellv. Operativ: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1974, Berlin, 27.11.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 31–71, hier 65; HA VI, Stellv. des Leiters und Leiter SRT: Bericht über die Beratung mit einer Delegation der Staatssicherheitsorgane des MdI der Ungarischen Volksrepublik, Berlin, 2.5.1972; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 63– 65; o. T., o. D.; BStU, MfS HA VI, Nr. 15561, Bl. 42.
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Die Operativgruppe in Ungarn
chen Staatsbürger sowie zur Durchführung entsprechender konkreter Maßnahmen die erforderliche Anzahl operativer Mitarbeiter auf dem Territorium des jeweils anderen Staates.463
Dem Abschluss dieses Vertrags waren offenbar lange Verhandlungen vorausgegangen, denn ein Entwurf mit ähnlicher Grundtextur ist in ungarischer Sprache bereits für 1974 überliefert.464 Im Jahr 1983 kam eine Vereinbarung der HA II mit der ungarischen Abwehr hinzu, die mit der Entsendung eines Mitarbeiters der HA II nach Budapest 1986 für die Operativgruppe relevant wurde.465 Ein Protokoll, das die Zusammenarbeit der MfS-Hauptabteilung VI mit der ihr als Kommunikationspartner zugeteilten 10. Abteilung in der Verwaltung III/ II des ungarischen Innenministeriums konkret beschreibt, ist nicht überliefert. 4.3.2 Kommunikation Bereits früh stellte das ungarische Innenministerium der Operativgruppe Informationen zu, die eine Verfolgung von DDR-Fluchtverdächtigen ermöglichten. Für die Belange der Operativgruppe waren bis 1969 zwei Verbindungsoffiziere, später nur noch einer zuständig. Zudem konnte die Operativgruppe die »Abteilung für Ausländer-Touristik«, die Unterabteilung Siófok der Verwaltung des Komitats Somogy (Kaposvár) und eine 1970 eingerichtete Abteilung in Balatonfüred, die zur Verwaltung des Komitats Veszprém gehörte, direkt kontaktieren. Sie informierte sich bei den Untersuchungsorganen über Vernehmungsergebnisse von festgenommenen DDR-Bürgern und wertete missglückte Fluchten aus. Informationen aus dem Stab der ungarischen Grenzpolizei vermittelte ein Verbindungsoffizier, darüber hinaus hielt die Operativgruppe direkten Kontakt zur Grenzpolizei am Flughafen Budapest-Ferihegy. Weitere Ansprechpartner stellten die Zentrale und die Dienststellen der ungarischen Fremdenpolizei in
463 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik und dem Ministerium des Innern der Volksrepublik Ungarn, Budapest, 12.11.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1852. 464 Megállapodás a Német Demokratikus Köztársaság Állambiztonsági Minisztériuma és a Magyar Népköztársaság Belügyminisztériuma közötti együttműködésről [Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem MdI der UVR], im September 1974 (in ungar. Sprache); ÁBTL, BM, NKO 1.11.12, Karton Nr. 541. Für diesen Hinweis danke ich Krisztina Slachta. 465 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der III./II. Verwaltung des Innenministeriums der Ungarischen Volksrepublik und der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR für den Zeitraum von 1983 bis 1988, 23.11.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 963, Bl. 1–9.
Zusammenarbeit mit dem ungarischen Innenministerium
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Siófok und Veszprém.466 Ein MfS-Dokument über Aufgaben und Zuständigkeiten der Operativgruppe von 1973 gibt Aufschluss über deren Befugnisse in der Kommunikation mit dem ungarischen Sicherheitsdienst – sie war berechtigt, dort Speicherüberprüfungen vorzunehmen, und sie diente als Zwischenglied im Informationsaustausch und in der Postkontrolle. Um die Abdeckung als Reisebüro-Vertretung nicht zu gefährden, sollte sie Kontakte zu regionalen Dienststellen des ungarischen Innenministeriums geheim halten. Treffen sollten möglichst nur in konspirativen Wohnungen erfolgen.467 Später zentralisierte das ungarische Innenministerium die Kommunikation mit der Operativgruppe in der für internationale Zusammenarbeit zuständigen 10. Abteilung der Verwaltung III/II. Weiterhin teilte sie ihr Verbindungsoffiziere in Budapest, Siófok, Veszprém, Keszthely und Pécs zu.468 4.3.3 Gemeinsame operative Vorgänge Da Fluchthelfer häufig nicht nur in Ungarn, sondern zusätzlich in weiteren Drittländern agierten, vernetzten sich die Sicherheitsdienste des sozialistischen Lagers untereinander und berieten sich – jeweils auf den Fall bezogen – auch multilateral. Die Operativgruppe in Ungarn – und auch die in der ČSSR und in Bulgarien – gewannen bei der bi- und multilateralen Bearbeitung von Vorgängen unter Zeitdruck eine hohe Bedeutung, da sie unter Umgehung der Internationalen Abteilungen relativ schnell mit den kooperierenden Sicherheitsdiensten kommunizieren konnten. Sie leiteten Überwachungen ein, fragten Reisedatenspeicher der Gastländer ab und schlugen sogar selbst operative Winkelzüge vor. Die Operativgruppe und der ungarische Sicherheitsdienst nahmen arbeitsteilig Beobachtungen vor und vertieften ihre Zusammenarbeit in einzelnen Fällen. Bald verfolgten die Sicherheitsdienste Fluchthelfer in aufwändigen operativen Vorgängen gemeinsam.469 Zwei Beispiele hierfür sind die Operativen Vorgänge »Emigrant« und »Katze«, mit denen das MfS über längere Zeit hinweg Netzwerke westlicher Fluchthelfer bekämpfte. Der OV »Emigrant« richtete sich ge466 Abschlussbericht der Operativgruppe Ungarn für 1970 (unvollständig); BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 73–98, hier 83–86, 94–97. 467 HA VI/ Abt. 2: Aufgabenstellung für den Leiter und die operativen Mitarbeiter der OPG der HA VI in der UVR, Berlin, 23.3.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 14291, Bl. 26–36. 468 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in Ungarn, ohne Deckblatt), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 104–124, hier 108; HA VI: Telefonverzeichnis und Anschriften der Mitarbeiter der Operativgruppe des MfS in der Ungarischen VR (1987/1988); BStU, MfS, HA VI, Nr. 2449, Bl. 8 f. Die II. Verwaltung gehörte zur III. Hauptverwaltung des ungarischen Innenministeriums – zu dessen Struktur siehe Ungváry; Tabajdi: Ungarn, S. 481–554, hier 493. 469 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Zuarbeit für den Leiter der Hauptabteilung VI, Berlin, 9.11.1981; BStU, MfS HA VI, Nr. 2505, Bl. 230–236.
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gen Exilanten, die rumänischen Staatsbürgern bei der Flucht über Ungarn halfen. Sie verwendeten hierzu präparierte Lkw einer holländischen Spedition.470 Im OV »Katze« überwachte das MfS ungarische Staatsbürger und Exilanten in der Bundesrepublik, die ihre Reisemöglichkeiten nutzten, um Ostdeutschen Fluchthilfe zu leisten.471 Auch die Spionageabwehr wollte mit dem ungarischen Innenministerium gemeinsame Vorgänge realisieren: Im Jahr 1983 vereinbarte sie – noch ohne Beteiligung der Operativgruppe – ein ganzes Bündel gemeinsamer Vorgänge. In einem Dokument zum »Stand der Erfüllung« konstatierte das MfS jedoch zwei Jahre später, dass nur ein Bruchteil davon umgesetzt wurde. Erst nachdem die Hauptabteilung II 1986 einen Mitarbeiter nach Budapest gesandt hatte, fand eine tatsächliche Vor-Ort-Zusammenarbeit der Spionageabwehr statt.472 Eine einfache und dennoch skurrile »operative Kombination Donau« zeigt, dass die Operativgruppe mit anderen MfS-Abteilungen und dem ungarischen Innenministerium konzertiert zusammenarbeitete: Im Jahr 1985 entwarf die Hauptabteilung I des MfS einen Plan, den DDR-Militärattaché in Budapest von inoffiziell bekannt gewordenen Kontakten zu seinem bundesdeutschen Amtskollegen abzubringen. Dazu sollte die ungarische Abwehr verwertbare Informationen erarbeiten, die dem Operativgruppenleiter einen Anlass böten, dem Militärattaché die Forderung begründet vorzutragen.473 4.3.4 Informationsaustausch und Charakter der Zusammenarbeit Da die Operativgruppe Vor-Ort-Kontakte zu vielen Dienststellen der ungarischen Administration unterhielt, war die Zusammenarbeit nur wenig formalisiert. Der ungarische Sicherheitsdienst kooperierte pragmatisch bei gleichzeitiger Beschränkung seiner Ressourcen. Im Ergebnis erhielt die Operativgruppe zwar Unterstützung, doch nicht immer im gewünschten Umfang. So kam es, 470 OV »Emigrant«; BStU, MfS, AOP 14806/89. Facetten dieser Kooperation beleuchtet auch die für 2016 zur Publikation vorgesehene Studie »Entzweite Freunde« von Georg Herbst ritt zur Zusammenarbeit von MfS und Securitate. 471 OV »Katze«; BStU, MfS, ZKG, Nr. 16654. 472 Anlage zur Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der III./II. Verwaltung des MdI der Ungarischen Volksrepublik und der Hauptabteilung II des MfS der DDR; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 963, Bl. 10–12; Stand der Erfüllung der gemeinsamen Vereinbarung zwischen der Hauptabteilung II und der III./II. Verwaltung des MdI der Ungarischen Volks republik für den Zeitraum 1983 bis 1988; ebenda, Bl. 23–26; HA VI: Bericht über die Beratung mit leitenden Mitarbeitern der II. Verwaltung des MdI der UVR vom 25.5. bis 28.5.1987 in Budapest und Szeged, Berlin, 12.6.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 11–20, hier 15. 473 HA I/Abt. Äußere Abwehr: Plan der operativen Kombination »Donau«; BStU, MfS, HA I, Nr. 1675, Bl. 103–111.
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dass die Hauptabteilung VI im Sammelbericht zur Arbeit ihrer Operativgruppen für 1973 die Zusammenarbeit mit dem bulgarischen und tschechoslowakischen Innenministerium lobte, das ungarische jedoch nicht erwähnte.474 Der Austausch von Auskunftsersuchen, Kooperationsaufträgen und operativen Informationen zwischen den beiden Diensten insgesamt deutet auf eine asymmetrische und oft schleppende Zusammenarbeit hin. Hierbei war der Kommunikationsfluss über die Internationalen Abteilungen schwerfälliger als der über die Operativgruppe. Ihr Austausch mit dem Partnerdienst war weniger umfänglich als derjenige der anderen Gruppen. Während das ungarische Innenministerium in der Postkontrolle festgestellte Briefe von DDR-Bürgern in den Westen überwiegend über die Internationalen Abteilungen weitergab, lieferte es Informationen über DDR-Flüchtlinge (1982: 77) und über Westkontakte von DDR-Urlaubern (85) an die Operativgruppe. Umgekehrt leitete die OPG Hinweise auf Fluchtverdachtsfälle (18) und Bitten um Umsetzung von Überwachungsaufträgen (8) direkt an das ungarische Innenministerium.475 Im Jahr 1981 erhielt die Operativgruppe insgesamt 158 solcher Informationen vom ungarischen Innenministerium, im Jahr 1980 waren es 136. In der Gegenrichtung gab die Gruppe 37 (1981) bzw. 21 (1980) Erkenntnisse ab.476 Das ungarische Innenministerium reagierte zunehmend gereizt auf die vielen Forderungen und Auskunftsersuchen des MfS. Um die Fehlausrichtung augenscheinlich zu machen, protokollierte es die Anzahl der Unterstützungsmaßnahmen genau und trug die Zahlen auf den bilateralen Treffen vor – in der Hoffnung, das MfS zur Zurückhaltung zu bewegen. Es flossen im Jahr 1984 der Internationalen Abteilung des MfS 200 Informationen über Ost-WestKontakte, 603 Briefkopien und 13 Originalbriefe aus der Postkontrolle zu. Im MfS-Auftrag führte Ungarn 129 Grenzfahndungen, 8 Beschattungen durch, leitete 12 Einreisesperren ein und stellte in 14 Fällen Überwachungstechnik zur Verfügung. Das Ausmaß der Beteiligung der OPG an solchen Unterstützungsleistungen ist nicht überliefert. Bei einer Beratung im April 1985 drängten die ungarischen Vertreter darauf, dass das MfS seine Ersuchen »einer ständigen 474 HA VI, Sicherungsbereich Auslandstourismus: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, 31.1.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17110, Bl. 27–72, hier 67–69. 475 HA VI, Stellv. Operativ: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1974, Berlin, 27.11.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 31–71, hier 67; HA VI, Leiter: Vortrag zur Beratung mit der II. HV des MdI der Ungarischen Volksrepublik vom 12.4. bis 15.4.1983 in Budapest, Berlin, 22.3.1983; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1631, Bl. 26–71, hier 55, 67. 476 HA VI: Vortrag zur Beratung mit der II. Hauptverwaltung des MdI der Ungarischen Volksrepublik, Berlin, 1.4.1982; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 2083, Bl. 36–65, hier 56 f.
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Die Operativgruppe in Ungarn
Kontrolle hinsichtlich ihrer Notwendigkeit unterziehen« solle. Die Hauptabteilung VI diskutierte dies umgehend auf einer Leiterberatung. Werner Ott, der Leiter des Bereichs Auslandstourismus, tat das Problem mit der Bemerkung ab, dass die »Frage jedes Jahr gestellt« würde, erwähnte jedoch andererseits, dass dies mit der Abteilung X »ausgewertet« wurde.477 Dessen ungeachtet weitete das MfS im gleichen Jahr seine Kontrollwünsche aus. Das ungarische Innenministerium beklagte, dass die Ersuchen um Ermittlungen, Überprüfungen, Postkontrolle und den Einsatz von Überwachungstechnik 1985 im Vergleich zum Vorjahr um 70 Prozent gestiegen seien. Das MfS hätte 85 Prozent aller Ersuchen der Sicherheitsdienste sozialistischer Länder gestellt. Zum Sommer des Folgejahres stieg dieser Anteil sogar auf 95 Prozent. Ein ungarischer Verbindungsoffizier erwähnte gegenüber dem Leiter der Operativgruppe, der stellvertretende Innenminister und Chef der Staatssicherheit habe in einer internen Beratung einen »unerträglichen Zustand« beklagt und gefordert, das MfS solle »seine Probleme zu Hause klären und die Verantwortung nicht auf Ungarn schieben«. Der Anlass sei gewesen, dass dieser in seiner Postmappe an nur einem Tag 26 Ersuchen des MfS gefunden habe, die er als nicht sicherheitsrelevant einstufte und die seiner Ansicht nach die Fremdenpolizei Ungarns bearbeiten sollte.478 Nun nahm sich das MfS etwas zurück und die 372 Ersuchen zu vermuteten Flüchtlingen und Fluchtvorhaben sanken zum Jahresende auf einen Anteil von »nur« 78 Prozent aller Anträge der sozialistischen Sicherheitsdienste. Der ungarische Verbindungsoffizier monierte dennoch 1987, dass die Kapazitäten der ungarischen Seite für die geforderten Beobachtungen und technischen Überwachungen – etwa in Hotels – nicht ausreichten.479 Im April 1988 versuchte die Operativgruppe, ihre Position sowohl gegenüber dem ungarischen Innenministerium als auch gegenüber der MfS-Zentrale zu stärken. Offenbar hatte sie sich gleich doppelt zurückgesetzt gesehen: Sie beklagte, dass die ungarische Partnerinstitution das von der Gruppe betriebene Aufspüren von Flüchtlingen als »Belastung ihrer politischen und politisch-operativen Interessen sowie ihrer personellen und materiellen Kapazitäten« kennzeichnete. Von der Berliner Zentrale forderte die Operativgruppe ein, »Kennt477 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratung mit der 10. Abteilung der II. Verwaltung des MdI der UVR vom 16. bis 19. April 1985 in Budapest, Berlin, 25. April, 1985; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 421–431, hier 427; HA VI: Protokoll der Leiterberatung vom 15. Mai 1985, Berlin, 21.5.1985; BStU, MfS, HA VI, Nr. 42, Bl. 224–243, hier 230. 478 HA VI, Leiter: Festlegungen und Maßnahmen, die in der Beratung vom 6. bis 9.5.1986 mit der Delegation der II. Verwaltung des MdI der Ungarischen VR vereinbart wurden, Berlin, 27.5.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 139 f.; Information des Leiters der Operativgruppe der HA VI in der UVR, Genossen Major Baldauf, über eine am 12.8.1986 erfolgte Rücksprache beim Leiter der 10. Abteilung der II. Verwaltung, o. D.; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 60 f. 479 HA VI: Bericht über die Beratung mit leitenden Mitarbeitern der II. Verwaltung des MdI der UVR vom 25.5. bis 28.5.1987 in Budapest und Szeged, Berlin, 12.6.1987; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 11–20, hier 16.
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nis von wichtigen operativen Problemen« in der Zusammenarbeit zu erhalten. Sie wollte ihre Autorität als »Vertretung des MfS« erhöht sehen.480 Zum Jahresbeginn 1989 resümierte das ungarische Innenministerium erneut seine Zuarbeiten für das MfS. Es zählte für 1987 240 und für 1988 263 MfS-Ersuchen, die allein über seine Abteilung für Internationale Verbindungen eingingen. Süffisant zählte es vor, dass die absoluten Zahlen gegenüber 1987 zwar gefallen seien, dennoch sei der Anteil des MfS an allen eingegangenen Gesuchen gestiegen, und zwar – über die beiden gemessenen Jahre hinweg – auf 83 Prozent. In dieser Zeit hätte das Innenministerium daraufhin 1 019 Personen überprüft. Hinzu kamen weitere 269 (1987) und 194 (1988) Anfragen der Operativgruppe, worauf es 1 612 Personen überprüft hätte, sowie 126 (1987) und 140 (1988) Ausreisefahndungen. In den beiden Jahren gab das ungarische Innenministerium jeweils etwa 1 200 Briefe und Postkarten von DDR-Bürgern an das MfS weiter. Im Vergleich dazu forderte es vom MfS verschwindend wenig: Es erbat 1987 und 1988 insgesamt nur 26-mal Auskünfte zu Personen.481 Die aus diesen Zahlen ablesbaren Befunde decken sich mit den Hauptthesen der Forschungsliteratur: Dem steigenden Interesse des MfS an einer Zusammenarbeit stand ein sinkendes beim ungarischen Innenministerium gegenüber.482 Die stockende Zusammenarbeit mit dem ungarischen Partner einerseits und der hohe Anteil individuell reisender Urlauber andererseits bewirkten, dass die MfS-Operativgruppe in Ungarn nur eine geringe Kontrolldichte erzielte. Zwar bemühte sie sich, die IM-Arbeit gegenüber der Zentrale als systematisch und flächendeckend darzustellen. Dennoch offenbart die Überlieferung, dass diese zwangsläufig Stückwerk sein musste: Urlauber, die auf Zeltplätzen und in privaten Unterkünften lebten sowie zahlreiche Kontaktzonen zwischen Touristen aus dem östlichen und westlichen Europa waren nicht das einzige Problem für sie. Auch ganz allgemein stellte die für eine staatssozialistische Diktatur vergleichsweise liberale Innenpolitik des kadaristischen Ungarn die ostdeutsche Geheimpolizei vor unlösbare Aufgaben: Ihre Macht beruhte auf der Zentralisierung und Normierung der zu überwachenden Gesellschaftsbereiche. Dies war in Ungarn nicht gegeben, denn die dortige Regierung richtete ihren Fremdenverkehr vor allem auf profitable Besucher aus westlichen Staaten aus, die ein freies Umfeld mit individuell wählbaren Freizeitangeboten erwarteten. Sie hielt zwar die Bündnisdisziplin aufrecht und bediente – so gut es ging – die sicherheits- und ordnungspolitischen Paradigmen der Integration im sowjetischen Block. Dennoch galt 480 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe Ungarn, ohne Deckblatt), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 104–124, hier 124. 481 Übersetzung aus dem Ungarischen: Material der Beratungen zwischen dem MdI der UVR und dem MfS der DDR im Zeitraum 18.–21.04.1989, o. D.; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 107–122. Die geringere Anzahl ungarischer Reisender in der DDR allein kann die unterschiedliche Relation sicherlich nicht begründen. 482 Vgl. Slachta: State Security, S. 47–64.
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ihre Priorität der Verwirklichung ökonomischer Erfolge im Tourismus – vor allem angesichts einer steigenden Auslandsverschuldung und der Notwendigkeit, eine sozialistische Mindest-Wohlfahrt zu finanzieren. Der Zielkonflikt zeigte der Operativgruppe in Ungarn sowie dem MfS insgesamt Grenzen der Handlungsfähigkeit außerhalb des DDR-Territoriums auf. Auch jenseits der politischen Realitäten war die Erosion ordnungsstaatlicher Prinzipien wahrnehmbar: Der Überwachungseifer der »arbeitenden« Stasi-Urlauber und dessen akribische Verwaltung durch eine extraterritoriale MfS-Diensteinheit bildeten einen grotesken Kontrast zum weltoffenen Urlaubsklima in Ungarn.
5. Die Operativgruppe in der ČSSR Die Beziehungen zwischen der DDR und der ČSSR und zwischen deren Staatsparteien unterlagen starken Schwankungen. Im Jahr 1968 reagierte die dogmatische SED-Führung mit heftiger Kritik und offenen Drohungen auf die Reformversuche der Kommunistischen Partei der ČSSR.483 Dies betraf auch das Verhältnis zwischen dem MfS und der tschechoslowakischen Staatssicherheit (Státní Bezpečnost – StB). Beide Geheimpolizeien verfolgten bereits seit den 1950er-Jahren Kooperationsabsichten.484 Im Jahr 1965 gelang es dem MfS, die dauerhafte Entsendung einer Operativgruppe nach Prag durchzusetzen, welche es mit der Verhinderung von Fluchten von DDR-Bürgern beauftragte. Das ab 1968 spannungsreiche Verhältnis des MfS zur KPČ und zum tschechoslowakischen Innenministerium, dem die StB untergeordnet war, wurde bereits punktuell untersucht. Hierbei standen die Beobachtung der tschechoslowakischen Innenpolitik durch das MfS sowie die Unterdrückung von Sympathiebekundungen zum »Prager Frühling« in der DDR im Mittelpunkt.485 Während der Restauration eines restriktiven und geschlossenen, orthodox-kommunistischen Sozialismusmodells in der ČSSR ab 1969 bezeichnete das MfS den Nachbarstaat als »Unterstützungsbereich«. Die Operativgruppe in Prag sammelte zu dieser Zeit belastendes Material über Reformkräfte in der KPČ und im tschechoslowakischen Innenministerium. Eine Ostberliner Operativ-Dienststelle koordinierte die Maßnahmen in Richtung ČSSR – sowohl zwischen verschiedenen beteiligten MfS-Diensteinheiten als auch mit dem KGB, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Einsätze der staatssozialistischen Geheimpolizeien bei der lange währenden Zurückdrängung des Reformkommunismus in der ČSSR orchestrierte.486 Die Beziehungen zwischen dem MfS und der StB verdichteten sich erneut zur Mitte der 1970er-Jahre, als die Operativgruppe wieder zu ihrer ursprünglichen Aufgabe zurückkehrte und gemeinsam mit der StB Fluchten von DDR-Bürgern verhinderte. Den entscheidenden Anstoß zur Wie483 Prieß; Kural; Wilke: Die SED und der »Prager Frühling« 1968. Die Beziehungen zwischen DDR und ČSSR schildert unter Einbeziehung einiger MfS-Quellen Zimmermann: Eine sozialistische Freundschaft im Wandel. 484 Horalíková: Počátky spolupráce bezpečnostních aparátů NDR a ČSR, S. 210–235. Die deutschsprachige Fassung dieses Beitrags der Autorin erschien, ohne Fußnoten, als: Die Anfänge der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsapparaten der DDR und der ČSSR. 485 Tantzscher: Maßnahme »Donau« und Einsatz »Genesung«, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-2012092402; Großbölting: Die Niederschlagung des »Prager Frühlings«, S. 807–820. 486 Tantzscher: Staatssicherheit mit »menschlichem Antlitz, S. 533–546.
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derherstellung enger Kooperationsbeziehungen mögen jedoch erst die erstarkenden und sich über die Landesgrenzen hinweg vernetzenden Oppositionen gegeben haben, die von beiden Geheimpolizeien ab den späten 1970er-Jahren in enger Zusammenarbeit bekämpft wurden.487 Hieran war die Operativgruppe am Rande beteiligt. Die erstmalig im Juli 1965 nach Prag entsandte MfS-Operativgruppe bestand aus zwei hauptamtlichen MfS-Mitarbeitern. Im Folgejahr kamen eine Schreibkraft und im Jahr darauf ein operativer Mitarbeiter in Karlsbad (Karlovy Vary) hinzu. Im Jahr 1979 hatte die Operativgruppe neun Mitarbeiter. Dann fielen zwei Kräfte weg, bis die Gruppe im Jahr 1986 durch die Integration eines Abwehrmitarbeiters und eines ZKG-Mitarbeiters wieder auf die alte Größe wuchs.488 Alle OPG-Mitarbeiter waren über die meiste Zeit hinweg als Botschaftsangehörige legendiert – allein der gastgebenden tschechoslowakischen Staatssicherheit waren ihre Aufgaben bekannt. Im Jahr 1976 verfügte die Gruppe über zwei Dienstsitze: Prag-Dejvice und Karlsbad. Der OPG standen in der ČSSR zu dieser Zeit über zehn Wohnungen als Dienstsitze, für Wohnzwecke oder als Treffquartiere zur Verfügung. Sieben Unterkünfte befanden sich in Prag und drei in Karlsbad. Ab 1980 arbeitete sie in zwei Prager Wohnungen. Einen zusätzlichen Arbeitsraum bot die DDR-Botschaft in der Prager Neustadt. Die Operativgruppe besaß zwei Fernschreiber, einen hatte das MfS installiert und den anderen der tschechoslowakische Staatssicherheitsdienst. Den MfS-Fernschreiber hielt sie vor dem Partnerdienst geheim. Bis zum Jahr 1988 hatte sie ihre Räumlichkeiten erneut erweitert. Sie verfügte nun – neben den Dienstsitzen und den Wohnungen der Mitarbeiter – über sechs Treffquartiere in Prag und jeweils eine konspirative Wohnung in Bratislava, Cheb und Karlsbad.489 Von 1965 bis
487 Vilímek: Solidarita napříč hranicemi, S. 249–296. 488 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR, Berlin, 27.11.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 1–23, hier 3; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR 1966, Berlin, 2.12.1966; ebenda, Bl. 24–46, hier 26; Operativgruppe ČSSR: Operativer Einsatz in Karlovy Vary, Prag, 22.10.1967; ebenda, Bl. 47–57, hier 47; HA VI, Stellv. Operativ: Zusammenarbeit mit dem Bruderorgan der ČSSR, Berlin, 14.2.1975; BStU, MfS, Abt. X, Bl. 21; HA VI, Leiter: Einsatz in der Operativgruppe der HA VI in der ČSSR, Berlin, 15.1.1977; ebenda, Bl. 3; HA VI, Leiter: Besetzung der Operativgruppen, Berlin, 4.4.1979; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 63 f.; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Besetzung der Operativgruppen, Berlin, 7.5.1986; ebenda, Bl. 98 f.; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Besetzung der Operativgruppen, Berlin, 19.3.1987; ebenda, Bl. 109–110. 489 HA VI/ Abt. Auslandstourismus: Übersicht über Wohnraum der Operativgruppe der HA VI in der ČSSR, Berlin, 21.5.1976; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 11 f.; (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 78–85; HA VI, Bereich Auslandstourismus: Zuarbeit für die Ausführungen des Gen. Minister in der ČSSR am 15./16.10.1981, Berlin, 1.10.1981; BStU, MfS, HA VI, Nr. 2505, Bl. 198 f., hier 199.
Entstehung und Entwicklung
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1971 leitete Rudolf Dorfmeister die Gruppe,490 im Jahr 1972 und von 1982 bis 1986 Klaus Oswald.491 Von 1973 bis 1978 kamen Helmut Göthel und von 1979 bis 1982 Klaus Heidenreich als Leiter zum Einsatz.492 Von 1987 bis 1989 stand Dietrich Krause der Gruppe vor.493 Noch zum 12. Oktober 1989 ernannte die Hauptabteilung II Hans Gottschling im Zuge der Neuorientierung der Operativgruppen auf die Spionageabwehr zum Leiter. Er hatte bereits die MfS-Operativgruppe in Warschau geleitet.494
5.1 Entstehung und Entwicklung Obwohl das MfS bereits 1958 in Gesprächen mit dem tschechoslowakischen Innenministerium die Möglichkeit aushandelte, zwei Mitarbeiter der Hauptabteilung II dauerhaft in der DDR-Botschaft zu stationieren,495 dürfte es erst nach dem Mauerbau zur saisonalen und später dauerhaften MfS-Präsenz in Prag gekommen sein. Im August 1961 hatten sich die Flüchtlingsströme an der Grenze zwischen der DDR und der ČSSR umgekehrt. Während bis dahin Tschechen und Slowaken über die DDR in die Bundesrepublik gelangen wollten, versuchten danach DDR-Bürger, über die Tschechoslowakei in den Westen zu fliehen.496 Das MfS, das diese Entwicklung registrierte, richtete im Februar 1962 eine »Anfrage bezüglich des Reiseverkehrs zwischen der ČSSR und dem kapitalistischen Ausland im Zusammenhang mit den Sicherungsmaßnahmen der DDR [vom] 13.8.1961« an die StB. Das zugehörige Eingangsbuch verzeichnet keine Antwort der StB darauf.497 Im Oktober 1962 ersuchte das MfS die StB um die Überwachung einzelner DDR-Bürger in der Tschechoslowakei. Hierzu sandte es Beobachtungsaufträge an deren Berliner Repräsentanz.498
490 Kaderakte Rudolf Dorfmeister; BStU, MfS, KS 26978/90, Bl. 74, 79. 491 Kaderakte Klaus Oswald; BStU, MfS, KS 8597/90, Bl. 89 f., 129, 139 f. 492 Kaderakte Helmut Göthel; BStU, MfS, KS II 438/89, Bl. 80, 82; Kaderakte Klaus Heidenreich; BStU, MfS, KS 7309/90, Bl. 99, 103. 493 Kaderakte Dietrich Krause; BStU, MfS, KS 8168/90, Bd. 1, Bl. 3, 130 f. 494 Kaderakte Hans Gottschling; BStU, MfS, KS 29836/90, Bl. 126. 495 Protokoll über Verhandlungen von Delegationen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und des Ministeriums des Innern der ČSR über die Vertiefung der operativen Zusammenarbeit, Prag, 21.3.1958, veröffentlicht auf http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace02de.pdf. 496 Siehe z. B. Bericht der Hauptabteilung I/Abt. Aufklärung (beim Kdo Grenze des Mf NV) zum Grenztreffen DDR – ČSSR am 4.7.1962 in Pirna, Pätz, 5.7.1962; BStU, MfS, HA I, Nr. 15850, Bl. 3–5. 497 Informationsaustausch mit den Bruderorganen, Ausgang; BStU, MfS, AS, Nr. 320/83, Bl. 17. 498 Z. B. zur Dauerüberwachung einer Gruppenreisenden, die im Prager Hotel »Moráň« untergebracht war, o. T., Berlin, 3.10.1962; ABS, f. 317-1-1, Bl. 3.
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Die Operativgruppe in der ČSSR
Im April des Folgejahrs erfasste die StB in ihrer Postkontrolle einen Brief eines ehemaligen DDR-Bürgers, der inzwischen in Westberlin lebte – er wollte Verwandte in der ČSSR besuchen, befürchtete jedoch eine Festnahme. Daraufhin telegrafierte der Innenminister Lubomír Štrougal direkt an Erich Mielke. Nachdem das MfS in seinen Datenspeichern festgestellt hatte, dass der ehemalige DDR-Bürger versuchte, Bekannten bei der Flucht in die Bundesrepublik behilflich zu sein, meldete es »operatives Interesse«: Es wies die StB an, den potenziellen Fluchthelfer einreisen zu lassen und ihn zu überwachen. Nachdem dieser Ansichtskarten mit konspirierten Nachrichten in die DDR geschickt hatte, entsandte das MfS zwei Mitarbeiter kurzzeitig nach Prag.499 Diese dürften dessen Festnahme eingeleitet und ihn vernommen haben. Im Mai 1963 wies die StB das MfS auf zahlreiche DDR-Urlauber hin, die eine Pragreise zum Besuch der amerikanischen Botschaft nutzten. Dies gab den Ausschlag dafür, dass die Hauptabteilung II zum September für drei Monate einen Mitarbeiter nach Prag sandte, der mit der Überwachung von Touristen und Botschaftsbesuchern, der Verhinderung von Fluchten und der »Vorbereitung einer Agenturbasis« beauftragt war. Bei Erfolg der dreimonatigen Mission sollte er an die DDR-Botschaft angeschlossen und von der HA V angeleitet werden.500 Dies war jedoch nicht der Fall – seine Kaderakte verzeichnet allein die dreimonatige Entsendung nach Prag.501 Die erste dauerhafte und regelmäßige Entsendung einer MfS-Operativgruppe nach Prag ist vom August bis zum November 1965 überliefert. Mit den ansässigen Sicherheitsorganen kommunizierte sie über die Abteilung für Internationale Verbindungen des Innenministeriums (Odbor pro mezinárodní styky, OMS) und in Ausnahmefällen auch im Direktkontakt zu Mitarbeitern der II. Verwaltung des StB (Abwehr). Ein IM-Netz existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Lediglich ein Vertreter des Reisebüros der DDR, der über den gesamten Sommer hinweg in Karlsbad arbeitete, berichtete der Gruppe.502 Das Reisebüro vermittelte bereits zu dieser Zeit Kurfahrten in das Westböhmische Bäderdreieck zwischen Karlsbad, Marienbad (Mariánské Lázně) und Franzensbad (Františkovy Lázně), wo auch Publikum aus westlichen Ländern verkehrte. Bis 1967 firmierte die Operativgruppe zeitgleich sowohl unter der Bezeichnung der Operativgruppe als auch unter dem Titel »Arbeitsgruppe ČSSR« (AG/ČSSR).503 499 Siehe die Korrespondenz in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1945, Bl. 34, 38–43. 500 Übersetzung aus dem Russischen, 15.5.1963; ebenda, Bl. 44–46; HA II, Leitung: Einsatz operativer Mitarbeiter des MfS in der Hauptstadt der ČSSR, Berlin, 10.7.1963; ebenda, Bl. 56–58; HA II/5: Aufgabenstellung, Berlin, 28.8.1963; ebenda, Bl. 62–67. 501 BStU, MfS, KS II 473/89, Bl. 18. 502 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR, Berlin, 27.11.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 1–23, hier 3, 13, 17. 503 AG/ČSSR: Festnahmemeldung, Prag, 10.4.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 1227, Bl. 22 f.; Operativgruppe ČSSR: Information, Prag, 17.12.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9405, Bl. 83 f.
Entstehung und Entwicklung
145
Ähnlich wie die Operativgruppen in Bulgarien und Ungarn versuchte die Gruppe in der ČSSR, Fluchten von DDR-Bürgern über das Gastland zu verhindern. Sie beobachtete Reisende, die bereits von der MfS-Zentrale verdächtigt wurden, und sie sammelte über ihre IM weitere Hinweise auf Fluchtvorhaben. Sie berichtete über Flüchtlinge, die an den Westgrenzen der ČSSR festgenommen wurden, und sie reklamierte beim Partnerdienst Schwachstellen im Grenzregime. Zusammen mit der StB beobachtete sie Ost-West-Kontakte und übermittelte die Personendaten nach Berlin. Im Jahr 1966 betraf dies 157 Einwohner der DDR. Von diesem Jahr an versuchte die Gruppe auch, über legendiert auftretende Mitarbeiter Kontakte zu Bundesbürgern in Schlüsselpositionen anzubahnen, von denen sich die MfS-Spionage wertvolle Informationen erhoffte. Im Jahr 1967 stellte das MfS der Operativgruppe hierzu einen Mitarbeiter in Karls bad zur Seite, der am Ort vier Zuträger führte, darunter auch den Vertreter des Reisebüros.504 Bis zum Fall der Mauer blieb die Überwachung von DDR-Touristen Arbeitsschwerpunkt der Operativgruppe. Sie beobachtete Urlauber nicht nur im Bäderdreieck, sondern auch in Brünn (Brno), am Lipno-Stausee, im Riesengebirge, in Erholungsorten um Bratislava sowie in der Niederen und Hohen Tatra.505 Im Jahr 1984 meldete die Operativgruppe die Personalien 15 ostdeutscher Fußballfans, die in Banská Bystrica um Autogramme von Borussia-Dortmund-Spielern gebeten hatten, in die DDR.506 Auch die Überwachung von dauerhaft in der ČSSR lebenden DDR-Bürgern gehörte bald zu ihren Aufgaben – im November 1989 belief sich deren Zahl auf etwa 1 000. Ein weiteres Augenmerk galt offiziell aus der DDR entsandten Personen: Im Jahr 1989 gehörten dazu 306 Mitarbeiter der DDR-Auslandsvertretungen mit ihren Familien, 343 Studenten, 28 Lehrkräfte an Studieneinrichtungen, 37 Spezialisten und 22 Gastronomieangestellte.507 Letztgenannte arbeiteten in den DDR-Restaurants »Alex« und »Raabe-Diele« in Prag. Da solche »Nationalitätengaststätten« die DDR kulturell repräsentieren sollten, achtete das MfS nicht nur auf das private Verhalten der Mitarbeiter, sondern auch auf die Betriebsabläufe und die Servicequalität.508 Bei der »Raabe-Diele« im Prager Hotel »Flora« sorgte die HA VI dafür, dass 504 HA XX/5: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR, Berlin, 27.11.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 1–23, hier 3, 13; HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR 1966, Berlin, 2.12.1966; ebenda, Bl. 24–46, hier 27, 34; Operativgruppe ČSSR: Operativer Einsatz in Karlovy Vary, Prag, 22.10.1967; ebenda, Bl. 47–57. 505 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 88. 506 HA VI/OLZ: Operative Information 582/84, Berlin, 20.9.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 15561, Bl. 77. 507 (handschriftlich, ca. November 1989): AV Prag; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 773, Bl. 103. 508 Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Information über Probleme und die Situation in der Nationalitätengaststätte der DDR in der ČSSR (Prag) »Raabe Diele«, Prag, 6.3.1987;
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Die Operativgruppe in der ČSSR
sich zwei IM in dessen Belegschaft gegenseitig bespitzelten. Die aufwändige Arbeit brachte kaum Ergebnisse. Kontakte zu westdeutschen Gästen waren wenig ergiebig, und Berichte eines IM über Betrügereien in der Küche führten der MfS-Überlieferung zufolge zwar zu personellen Veränderungen zugunsten des IM, jedoch nicht zum Ende der Unterschlagungen. Der IM verriet den Fluchtplan eines tschechischen Bekannten, worauf die Operativgruppe die Internationale Abteilung der StB informierte.509 Die MfS-Zentrale nutzte auch in praktischen Fragen die Unterstützung der Operativgruppe: Im Jahr 1987 beauftragte sie sie, Dokumentationen und Schlüsselrohlinge zu tschechoslowakischen Türschlössern zu beschaffen. Zum Ende ihres Bestehens gehörte auch die Bekämpfung von Opposition zum Aufgabenspektrum der Operativgruppe. Zuvor entsandte die hierfür zuständige Hauptabteilung XX, die sehr eng mit dem tschechoslowakischen Dienst kooperierte, gelegentlich eigene Mitarbeiter in die ČSSR. Beispielsweise schickte das für die Überwachung der Kirche zuständige Referat 4 der HA XX510 im Jahr 1978 drei Mitarbeiter während der »allchristlichen Friedensversammlung« nach Prag. Dort berichteten ihnen neun von insgesamt 20 IM, die im Auftrag des MfS Inhalt und Verlauf des internationalen Treffens zu beeinflussen versuchten. Obwohl die HA XX/4 ihre Mitarbeiter als »Operativgruppe« bezeichnete, ist kein Kontakt zur dauerhaft installierten Gruppe nachgewiesen, die zu dieser Zeit bereits der HA VI unterstellt war.511
5.2 Bekämpfung von Flüchtenden, Flüchtlingszahlen Die tschechoslowakischen Grenzen zur Bundesrepublik und zu Österreich waren stark befestigt und intensiv bewacht, was in der DDR nicht durchweg bekannt war – dies ist eine Parallele zur Situation in Bulgarien. Eine Aufstellung für die Zeit von Februar 1948 (der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei) und dem Herbst 1989 verzeichnet insgesamt 280 Tote an den Westgrenzen des Landes. Neben 192 Tschechen und Slowaken befanden sich unter ihnen 31 Polen, 14 Österreicher, zehn Bundesbürger und 13 DDR-Bürger. Bei weiteren sieben Deutschen, die hier vor 1949 umkamen, hanBStU, MfS, HA II, Nr. 38798, Bl. 100–102; Operativgruppe des MfS in der ČSSR: IMS-Bericht »Wolfgang/Virin«, Prag 27.4.1989; ebenda, Bl. 137. 509 Siehe den IM-Vorgang »Mandy«; BStU, MfS, AIM 5085/87, bes. Bd. II, Treffberichte Nr. 68–82 (alte Zählung). 510 Zur HA XX/4 siehe Auerbach u. a.: Hauptabteilung XX, S. 94–99. 511 HA II/16: Musterbeschaffung zu Schließtechnik aus ČSSR-Produktion, Berlin, 5.5.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 708, Bl. 292 f.; HA XX/4: Durchführung eines operativen Einsatzes zur »V. Allchristlichen Friedensversammlung« der »Christlichen Friedenskonferenz« in Prag, Berlin, 30.6.1978; BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 142, Bl. 64 f.
Bekämpfung von Flüchtenden, Flüchtlingszahlen
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delt es sich wahrscheinlich um Opfer der Zwangsaussiedlung aus Böhmen und Mähren.512 Bereits aus den ersten Jahren ihres Bestehens sind zahlreiche Einzelberichte der Operativgruppe überliefert, die dokumentieren, wie sie auf dem Territorium der ČSSR DDR-Bürger von der Flucht abzuhalten versuchte. Unter diesen befanden sich gelegentlich auch Überläufer aus den eigenen Reihen.513 Zumeist kommunizierte sie Festnahmen durch die tschechoslowakischen Grenzeinheiten nach Berlin und koordinierte die Rückführung der Flüchtlinge. Oftmals verhörte sie diese auch in der tschechoslowakischen Untersuchungshaft. Sie berichtete über gescheiterte Fluchten in Autoverstecken sowie mit getauschten Pässen per Zug oder Flugzeug.514 Sobald DDR-Urlauber nicht in die gebuchten Hotels zurückkehrten, nahm sie Rücksprache mit der Berliner Zentrale auf.515 Bald versuchte die Gruppe, die tschechoslowakischen Behörden eng in die Ermittlung von Fluchtwegen einzubeziehen. In einem Fall konsultierte die StB den Vater eines tschechischen Medizinstudenten, der in Rostock studierte. Zwei ostdeutsche Kommilitonen hatten ihn als Besuchsadresse angegeben, bevor sie über die ČSSR geflüchtet waren. Dass der Vater Kontakte seines Sohns mit den Rostockern erfolgreich abstreiten konnte, war möglicherweise allein dem Umstand geschuldet, dass er als Zuträger der StB registriert war.516 Im Jahr 1966 meldete die Operativgruppe die Festnahme zweier Flüchtlinge durch den tschechoslowakischen Sicherheitsdienst in Brünn. Diese hatten ihren Fluchtplan dort versehentlich einem seiner IM eröffnet.517 Im Jahr 1969 verfolgte eine tschechoslowakische Grenzstreife zwei DDR-Flüchtlinge 600 Meter tief in westdeutsches Gebiet, nahm sie dort unter extremer Gewaltanwendung fest und
512 Pulec: Organizace a činnost ozbrojených pohraničních složek, veröffentlicht unter http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/usmrceni-hranice/sesit13.pdf, hier S. 173. Die Studie enthält eine genaue Beschreibung des tschechoslowakischen Grenzregimes und der dort eingesetzten Truppen. Deutschsprachige Beschreibungen des Regimes an den tschechoslowakischen Westgrenzen geben Tantzscher: Die verlängerte Mauer, S. 48 f.; Karner: Halt! Tragödien am Eisernen Vorhang, S. 27–30, 102–106. 513 Operativgruppe ČSSR: Festnahmemeldung, Prag, 26.9.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 5330, Bl. 1–5. 514 AG/ČSSR: Information, Prag, 12.8.1965; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9200, Bl. 4; AG/ ČSSR: Festnahmemeldung, Prag, 27.10.1965; BStU, MfS, HA XX, Nr. 1227, Bl. 3; AG/ČSSR: Festnahmemeldung, Prag, 10.4.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 1227, Bl. 22 f.; Operativgruppe ČSSR: Bericht über die Vernehmungen, Prag, 16.1.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 5065, Bl. 23–26. 515 Operativgruppe ČSSR: Verdacht des illegalen Verlassens der DDR, Prag, 11.9.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 3995, Bl. 20 f. (2 Berichte). 516 Operativgruppe ČSSR: Auftrag der Hauptabteilung, Prag, 17.7.1967; ebenda, Bl. 18 f. 517 AG/ČSSR: Festnahme von zwei DDR-Bürgern auf dem Gebiet der ČSSR, Prag, 19.7.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 5082, Bl. 58 f.
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Die Operativgruppe in der ČSSR
führte sie auf tschechoslowakisches Territorium zurück.518 Die große Nähe zur StB erlaubte der Operativgruppe nicht nur einen schnellen Zugriff auf die Reisedaten ausländischer ČSSR-Besucher. Sie konnte auch Auskunft aus weiteren unter Verschluss gehaltenen Daten erhalten, wie beispielsweise der Flugsicherung. Hiervon machte sie bei Recherchen zu einer Flucht Gebrauch, bei der 1966 ein Hamburger Fluchthelfer eine ostdeutsche Familie nach Österreich ausflog. Er hatte die Familie auf einem stillgelegten Sportflughafen in Grenznähe bei Bratislava mit einem Kleinflugzeug aufgenommen.519 Die auf dem Austausch von Papiernachrichten mit Einzelinformationen basierende extraterritoriale Überwachung hatte allerdings zu dieser Zeit noch Lücken – die innerministeriellen Informationsflüsse waren zwangsläufig durch die Arbeitskapazitäten in den zentralen Speichern und denen der Regionaldienststellen limitiert. Zu Silvester 1966 flüchtete eine Magdeburgerin über die Tschechoslowakei, ohne dass das MfS den Fluchtweg ermitteln konnte. Es wusste von der Fluchtabsicht – noch zwei Monate zuvor hatte die Operativgruppe Bulgarien sie auf einem Urlaub in Nessebar überwacht. Allerdings hatte es die Absicht offenbar nicht mit der Pragreise in Verbindung gebracht, denn die dortige Operativgruppe war nicht informiert.520 Bald konzentrierte sich die Gruppe auch auf die Verfolgung von Fluchthelfern, da Fluchtversuche mit westlicher Unterstützung mehr Erfolg hatten. Gemeinsam mit tschechoslowakischen Geheimpolizisten beschattete sie Fluchthelfer auf Reisen durch die ČSSR, wobei sie die beteiligten Kreisverwaltungen der StB einmal kritisierte, die Aufgabe zu unterschätzen. Die anleitende Hauptabteilung XX erhielt sogar Informationen von West-IM, die über Fluchthelfer, Fluchtwege und Honorare berichteten. In einem Fall brachte sie diese mit einem DDR-Flüchtling in Zusammenhang, dessen Verschwinden aus einem Hotel in Brünn die Operativgruppe gemeldet hatte.521 Wenn die StB Fluchthelfer festnahm, erwartete diese eine härtere Behandlung als in Ungarn und auch in Bulgarien. Als im Jahr 1967 ein Münchener seine schwangere Verlobte in den Westen bringen wollte, eröffnete ein Fluchthelfer aus Angst den Plan bei der Einreise den tschechoslowakischen Grenzposten. Diese benachrichtigten die MfS-Operativgruppe, die Kontakt mit ihrer Berliner 518 HA IX: Bericht über den Stand der bisherigen Untersuchung, Berlin, 16.1.1969; BStU, MfS, SdM, Nr. 1439, Bl. 197–205. 519 AG/ČSSR: Information über neue Methoden beim illegalen Verlassen der DDR über die ČSSR, Prag, 3.8.1966; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9204, Bl. 101–103. 520 Operativgruppe ČSSR: Bericht über das illegale Verlassen der DDR über die ČSSR, Berlin, 9.2.1967; BStU, MfS, ZKG, Nr. 7628, Bl. 3 f. 521 Operativgruppe ČSSR: Information über die Schleusergruppe Fuchs, Prag, 23.10.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 3994, Bl. 52–54; Operativgruppe ČSSR: Mitteilung über illegales Verlassen der DDR, Prag, 1.11.1967; ebenda, Bl. 58; HA XX: Information, Berlin, 17.11.1967; ebend a, Bl. 60 f.
Bekämpfung von Flüchtenden, Flüchtlingszahlen
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Zentrale aufnahm. Da die Ausreisewillige – wohl aus einem anderen Grund – bereits vom KGB überwacht wurde, hielt die der Operativgruppe vorstehende HA XX/5 Rücksprache mit einem KGB-Residenten in Halle, der einer Verfolgung zustimmte. Das MfS nahm sie nach ihrer Rückkehr in die DDR am Heimatort fest, worauf sie im Verhör ihre Fluchtabsicht gestand. Die Fluchthelfer indes wurden in der ČSSR von der StB festgenommen. Die Akten der Hauptabteilung XX überliefern ihr weiteres Schicksal nicht.522 Ein anderer Fall illus triert, dass die StB dem MfS bei der Verfolgung von Fluchthelfern in puncto Erbarmungslosigkeit nicht nachstand. So wurde ein Niederländer festgenommen, der in der ČSSR seine Papiere einem DDR-Arzt übergeben hatte. Jener reiste damit in die Bundesrepublik aus. Die Operativgruppe übte auf die tschechoslowakischen Behörden Druck aus, den Niederländer nicht aus der Haft zu entlassen. Nach einer dreimonatigen Untersuchungshaft in der ČSSR gestand der Fluchthelfer seine Beteiligung.523 Die folgende Tabelle verzeichnet, wie viele Fluchten und Fluchtvorhaben die Operativgruppe der MfS-Zentrale meldete. Für einzelne Jahre wurden die Zahlen durch Angaben der Hauptabteilung IX ergänzt, welche die Ermittlungsverfahren gegen verhaftete und in die DDR zurückverbrachte Flüchtlinge führte. Zusätzliche Angaben flossen aus Dokumenten ein, welche in Beständen der Abteilung X überliefert sind. Tabelle 7: Fluchten von DDR-Bürgern über die ČSSR (Anzahl der Personen)524 Jahr
erfolgreiche Fluchten
gescheiterte Fluchten
ohne Fluchthilfe
ohne Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
19631)
11
29
1964
45
169
2)
1965
39
232
19663)
63
247
1967
65
372
19685)
178
638
19693)
27
309
4)
522 HA XX/5: Information, Berlin, 30.6.1967; BStU. MfS, HA XX, Nr. 2014, Bl. 1 f. und folgende Dokumente in: ebenda, Bl. 3–23. 523 Operativgruppe ČSSR: Information, Prag, 4.9.1967; ebenda, Bl. 28–30. 524 Eigenrecherche in Beständen der HA XX, VI (zumeist von der Operativgruppe erstellte Dokumente), der HA IX und der Abteilung X.
Die Operativgruppe in der ČSSR
150 Jahr
erfolgreiche Fluchten
gescheiterte Fluchten
ohne Fluchthilfe
ohne Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
mit Fluchthilfe
1972
48
? **
841
5
1973
63
18
681
14
1974
16*
? **
296
12
269***
25***
1975/766) 1977 1978
398*** 315***
24***
19797)
230***
1980
359***
1981
338***
1982
406***
1983
376***
1984
283***
1985
197***
1986
243***
1987
332***
1988
680
1) aggregierte Zahlen verschiedener MfS-Diensteinheiten, 2) bis 15.11., 3) bis Oktober, 4) wahrscheinlich bis Oktober, 5) bis Oktober, markantes Absinken erfolgreicher Fluchten im September, 6) von Juli bis Juni, 7) wahrscheinlich bis September des jeweiligen Jahres * davon 7 nur vermutlich über die ČSSR ** Überlieferung unklar, wahrscheinlich keine erfolgreiche Fluchthilfe *** nach dem Kriterium Ermittlungsverfahren der HA IX
Die Statistiken zu Fluchten über die ČSSR dokumentieren, dass das Nachbarland der beliebteste, der naheliegende Ausgangspunkt der Ostdeutschen für einen Fluchtversuch über ein Drittland war. Dies zeigt ein Vergleich derjenigen Jahre, für die Zahlen der HA XX/HA VI zu Fluchten aus Urlaubsländern mit Grenzen zu westlichen Staaten verfügbar sind. So versuchten in den Jahren 1965, 1966 sowie 1972 bis 1974 durchweg mehr DDR-Bürger, die DDR über die ČSSR zu verlassen als über Ungarn und Bulgarien zusammen. Im Jahr 1973
Niederschlagung des »Prager Frühlings«
151
waren es 776 Menschen – fünfmal so viele wie über Bulgarien und viermal mehr als über Ungarn. Solche Relationen dürften auch in den 1980er-Jahren fortbestanden haben. Allerdings sind für die späten 1970er-und die 1980er-Jahre keine Statistiken der Operativgruppe Prag überliefert, sodass ersatzweise Zahlen der Hauptabteilung IX in die Aufstellung eingingen. Ein Augenmerk soll auf das Jahr des »Prager Frühlings«, 1968, wegen der Datenausreißer gelenkt werden: Signifikant sind die Zuwächse sowohl in Fällen erfolgreicher als auch gescheiterter Fluchten. Prinzipiell hinderten auch 1968 die Operativgruppe und die tschechoslowakischen Grenzeinheiten DDR-Bürger an der Flucht, obwohl sie weniger intensiv kooperierten.
5.3 Niederschlagung des »Prager Frühlings« Mit dem »Prager Frühling« von 1968 setzte die Kommunistische Partei der ČSSR (KPČ) nach ihrem Januarplenum eine innere Liberalisierung »von oben« um. Die Reformversuche resultierten aus der aktiven Reue einiger führender Kommunisten, welche bereits in der Zeit eines »home made Stalinism« in der Politik aktiv waren, und der in der Tschechoslowakei zuvor weitgehend ausgebliebenen Destalinisierung.525 Von der Liberalisierung waren auch das Innenministerium und die Geheimpolizei betroffen, welchen der im April 1968 eingesetzte Innenminister Josef Pavel das Konspirieren gegen eigene Bürger weitgehend untersagte. Nicht nur die KPdSU, sondern auch die Staatsparteien der Satellitenstaaten setzten die KPČ unter Druck, die Liberalisierung zu stoppen. Verschiedene Treffen und Krisengipfel auf Partei-, Regierungs- und Ministerebene brachten allerdings keine Einigung.526 Schon jetzt bereiteten sich die Geheimpolizeien einiger sozialistischer Staaten auf eine Einflussnahme auf die tschechoslowakische Innenpolitik vor.527 Das MfS führte noch vor dem August 1968 eine interne Rasterfahndung unter seinen Mitarbeitern durch, die Kontakte in die ČSSR unterhielten oder die bereits einmal dort gelebt hatten. Die umfangreiche, zum 1. August vorgelegte Liste verzeichnete vor allem vertriebene Sudetendeutsche. Die Mitarbeiter der Operativgruppe Prag waren hierin nicht aufgeführt. Ziel der Recherche war nicht nur, Abweichler in den eigenen Reihen ausfindig zu machen, sondern auch, bestehende Kontakte zur Informationsbeschaffung und Einflussnahme zu funktionalisieren. Hierauf deutet ein nachträglich hinzugefügter Fragebogen 525 Abrams: The Struggle for the Soul of the Nation; Blaive: Une déstalinisation manquée. 526 Für die DDR siehe Prieß; Kural; Wilke: Die SED und der »Prager Frühling«, S. 72–225. 527 Belegt ist dies für den ostdeutschen und den polnischen Fall. Tantzscher: Maßnahme »Donau«; Majchrzak: Operacja »Podhale«, http://marzec1968.pl/download.php?s=7&id=12187, S. 107–116.
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Die Operativgruppe in der ČSSR
für ČSSR-Reisende unter den MfS-Mitarbeitern hin, der sie anwies, die Rück etablierung der dogmatisch-kommunistischen Herrschaft in der Partei, den Sicherheitsorganen und den Medien zu beobachten. Zudem ordnete Erich Mielke an, alle MfS-Mitarbeiter, die von einer Reise in die ČSSR zurückkehrten, nach ihrer Einschätzung zur dortigen Situation zu befragen.528 Wie das MfS reformkommunistische Verdachtsmomente im Innern bekämpfte, zeigt eine DDRweite Suche nach Sympathisanten des »Prager Frühlings« im Herbst 1968. Der für die HA XX zuständige stellvertretende Minister, Fritz Schröder, ließ bei den Bezirksverwaltungen biografische Auskunftsberichte über DDR-Bürger anfordern, welche die MfS-Zentrale irgendwie mit der Tschechoslowakei in Verbindung gebracht hatte.529 Die Hauptverwaltung A, die für die Aufklärung »feindlicher« Institutionen zuständig war, stellte im Juni 1968 eine Liste mit Maßnahmen zusammen, von denen sie sich eine »Zurückdrängung konterrevolutionärer Einflüsse« in der ČSSR erhoffte. Der Plan enthielt Aufklärungsmaßnahmen gegen westliche Akteure, denen eine negative Beeinflussung der tschechoslowakischen Politik und Gesellschaft unterstellt wurde. Er listete auch hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter des MfS auf, »die in Richtung ČSSR eingesetzt werden können«. Hierbei unterschied er zwischen »Verbindungen zu ČSSR-Bürgern mit progressiver Einstellung«, denen zu Bürgern mit »politisch negativer bzw. schwankender Einstellung« und Dienstkontakten zur Staatsadministration, vor allem zum Innenministerium.530 Anfang Juli 1968 besuchte eine hochrangige Delegation des MfS unter der Leitung des ersten Ministerstellvertreters, Bruno Beater, Prag. Deren Leiter traf sich – formal korrekt – nicht mit Innenminister Pavel, sondern mit dessen für die geheimpolizeiliche Arbeit zuständigen Stellvertreter Viliam Šalgovič, einem persönlichen Vertrauten Alexander Dubčeks, dem allerdings enge Beziehungen zum KGB nachgesagt wurden. Der MfS-Delegation, die mit verschiedenen Amtsträgern Gespräche zu Abwehrfragen führte, gehörten auch die drei Mitarbeiter der Prager Operativgruppe an. In einem Gespräch in engem Kreis erörterte Šalgovič gegenüber Beater innenpolitische Fragen. Er erwähnte, dass er entgegen Pavels Weisung weiterhin Operationen im Innern durchführe und dass er notfalls »mit äußersten Mitteln die ČSSR als sozialistischen Staat erhalten« 528 HA KuSch: Angehörige und Zivilbeschäftigte des Ministeriums für Staatssicherheit, die in der ČSSR gelebt, gearbeitet und Verwandte haben bzw. Verbindungen nach dort unterhalten, Berlin, 1.8.1968; BStU, MfS, AS, Nr. 371/83, Bl. 4–180; Probleme zur Instruierung für Reisen in die ČSSR; ebenda, Bl. 3; Der Minister: Reisen von Angehörigen des MfS in die ČSSR, Berlin, 12.7.1968; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 2948. 529 Siehe die Korrespondenzen in: BStU, MfS, HA XX, Nr. 18342, bes. Bl. 39. 530 Maßnahmeplan zur Zurückdrängung konterrevolutionärer Einflüsse und zur Stärkung progressiver Kräfte in der ČSSR, Berlin, 14.6.1968; BStU, MfS, SdM, Nr. 1437, Bl. 32–50, Nachdruck in: Tantzscher: Maßnahme »Donau«, S. 61–75.
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wolle. Es ist nicht klar, ob Mitarbeiter der MfS-Operativgruppe bei diesem Gespräch zugegen waren.531 Auch zwei Mitarbeiter der Hauptabteilung IX erstatteten Mielke nach einer Pragreise Bericht über die Lage im Innenministerium. Abgesehen von der Operativgruppe, die am 21. August 1968 in Prag gewesen sein dürfte, waren sie die letzten MfS-Delegierten in Prag vor der Invasion – sie beendeten ihre Dienstreise nur wenige Stunden vor dem Einmarsch. Ihr Bericht erwähnt das vorgebliche Ziel der Reise – die Koordination bei der Anklage eines nationalsozialistischen Kriegsverbrechers – nur am Rande und befasst sich hingegen ausführlich mit der Situation in der StB, deren Mitarbeiter über Versetzungen klagten und einen beruflichen Abstieg befürchteten. Nebenher monierten sie einen zu hohen Anteil von Hochschulabsolventen und Intellektuellen in KPČ-Parteitagen und Delegiertenkonferenzen. Der Bericht gibt deutlich die Prioritäten des MfS wieder – die geheimpolizeiliche Kooperation war zur Legende für die Informationsbeschaffung über das tschechoslowakische Innenministerium und auch über die KPČ geworden.532 Die MfS-Operativgruppe berichtete im April 1968 von Schwierigkeiten in der Kooperation mit dem liberalisierten Innenministerium. In einem Fall erfuhr die OPG über einen Informanten in Prag, dass eine Familie mit drei Kindern nach Österreich oder in die Bundesrepublik flüchten wolle. Sie ließ die Namen auf die tschechoslowakische Grenzfahndungsliste setzen. Allerdings fiel die Familie bereits vor der Grenze der tschechoslowakischen Polizei auf. Weil aber keine Straftat vorlag, argumentierte die StB, könne die Familie nicht belangt werden. Allerdings erreichte die Operativgruppe eine umgehende »Ausweisung« in die DDR.533 Die spärliche Überlieferung von Flucht- und Festnahmeberichten der Operativgruppe aus dieser Zeit deutet darauf hin, dass diese während des »Prager Frühlings« weniger Unterstützung durch den tschechoslowakischen Sicherheitsdienst erhielt als sonst.534 Dennoch überstellte die StB dem MfS auch zu dieser Zeit festgenommene DDR-Flüchtlinge. Womöglich aufgrund des höheren Andrangs auf die Grenzen nahm die StB im Juni und Juli 1968 beson-
531 Notiz über Gespräche zwischen dem 1. Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit der DDR, Genossen Generalleutnant Beater, und dem Stellvertreter des Ministers des Innern der ČSSR für die Linie Staatssicherheit, Genossen Salgovic, am 1. und 2.7.1968 in Prag, Berlin, den 4.7.1968; BStU, MfS, GH, Nr. 18/84, Bd. 16, Bl. 39–55. 532 HA IX/10: Bericht über die Dienstreise einer Arbeitsgruppe der Hauptabteilung IX vom 19. bis 20.8.1968 zur Untersuchungsverwaltung für Staatssicherheit Prag, Berlin, 21.8.1968; BStU, MfS, SdM, Nr. 1437, Bl. 128–134. 533 Operativgruppe ČSSR: Information, Prag, 19.4.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 5105, Bl. 1 f. 534 Operativgruppe ČSSR: Schleuserbande Wagner, Prag, 16.4.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 9639, Bl. 1–3; Operativgruppe ČSSR: (Festnahmemeldung), Prag, 11.12.1967; BStU, MfS, HA XX 9445, Bl. 152; Operativgruppe ČSSR: Information, Prag, 21.2.1968; ebenda, Bl. 161.
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ders viele Flüchtlinge fest – jeweils knapp über 100. Im August waren es sogar mehr als 200.535 Mit dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts am 21. August 1968 und der damit verbundenen Ausschaltung des tschechoslowakischen Regierungsapparats eröffneten sich für die Geheimpolizeien der sozialistischen Nachbarstaaten neue Einflussmöglichkeiten. Am 27. August wies Mielke alle MfS-Diensteinheiten an, fortan »feindliche Handlungen« von Tschechoslowaken zu dokumentieren – dies betraf explizit auch das Territorium der ČSSR.536 Die Hauptverwaltung A sandte kurzzeitig eigene Mitarbeiter nach Prag, die sie als »unsere Operativgruppe« bezeichnete. Die ihr angeschlossenen IM traten nach außen hin als Bundesbürger auf. Die Gruppe und ihre Zuträger hatten die Aufgabe, durch das Sammeln kompromittierender Informationen über Protagonisten des »Prager Frühlings« orthodoxe Kommunisten und Unterstützer des Einmarschs zu stärken. Die Gruppe agierte vermutlich glücklos – wohl auch deshalb, weil sie kaum Unterstützer hatte. Ihr einziger überlieferter Vorgang betrifft einen Tschechen, der sich zwei IM gegenüber als Mitarbeiter des Innenministeriums vorstellte und sich gleichzeitig einer Gestapo-Kollaboration während der nationalsozialistischen Okkupation rühmte. Womöglich beabsichtigte die HVA-Gruppe, den obskur wirkenden Fall propagandistisch auszuschlachten. Allgemeine Verweise auf das Straßenbild in Prag und auf »erste Erfahrungen« in den insgesamt nur drei Berichten deuten darauf hin, dass diese Gruppe in keiner Beziehung zur dauerhaft installierten Operativgruppe der HA XX stand.537 Nachdem die DDR-Regierung Anfang August zunächst plante, Reisen in die ČSSR mit vorgeschoben ökonomischer Begründung einzuschränken, setzte sie nach dem 21. August 1968 den visafreien Verkehr (bis 1972) aus. Die fehlenden Individualtouristen und die reduzierte Zahl von Gruppenreisen aus der DDR verringerten den Arbeitsanfall der Operativgruppe zur Überwachung potenzieller Flüchtlinge wohl deutlich. Sie sammelte nun belastende Informationen über die StB und versuchte, dortige interne Konflikte zu verstehen und für sich zu nutzen. Dabei griff sie auf Zuträger in der StB zurück.538 Auch zum Jahresbeginn 1969 befasste sich die Operativgruppe mit Intrigen in den tschechoslowakischen Sicherheitsorganen: Sie stellte heraus, dass eine an das MfS lancierte 535 HA XX/5: Einschätzung und Zahlen zu im Jahr 1968 versuchten Grenzdurchbrüchen und illegalem Verlassen der DDR über die ČSSR, Berlin, 13.11.1968; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 58–67, hier 61. 536 Einsatz »Genesung«, 27.8.1968; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 4260, Nachdruck in: Tantzscher: Maßnahme »Donau«, S. 103. 537 Siehe HV A, Stellv.: (Operativer Teil des ersten Berichtes unserer Operativgruppe), Berlin, 25.9.1968; BStU, MfS, GH, Nr. 18/84, Bd. 67, Bl. 10–13 und folgende Dokumente in: ebenda, Bl. 14–30. 538 Operativgruppe ČSSR: Information, Prag, 19.12.1968; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1945, Bl. 199–203.
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Information, wonach ein General in der Ostberliner tschechoslowakischen Militärmission Kämpfe gegen die sowjetischen Truppen in der ČSSR mit amerikanischer Unterstützung plane, vermutlich ein persönlicher Angriff gegen ebendiesen General sei.539 Die Komplexität der weitergetragenen Informationen zeigt, wie sich zwischen dem MfS und der StB recht bald ein gleichzeitig von Korpsgeist und Misstrauen, Zurückhaltung und Denunziation getriebenes Kommunikationsgeflecht ausbreitete, in dem das MfS einzelne Mitarbeiter seiner Partnerinstitution nach ihren politischen Einstellungen und Loyalitäten zu bewerten versuchte. Hierzu arrangierte es zahlreiche informelle Treffen auf mittlerer und unterer Ebene. Es knüpfte auch Kontakte in verschiedene Regionaldienststellen hinein, um die dortige Situation nach seinen Maßstäben zu beurteilen. Dies war für die Kooperation der sich zueinander zurückhaltend verhaltenden Geheimpolizisten verschiedener Ostblockländer wenig typisch. Mitarbeiter der BV Halle fotografierten bei einem dieser Treffen ihre tschechoslowakischen Kollegen, um sie anschließend zu kennzeichnen und zu bewerten: Sie schätzten ihre männlichen Kollegen fast durchweg positiv ein, die meist in niedrigeren Positionen arbeitenden Frauen indes neutral bis negativ.540 Die Aufgaben der MfS-Operativgruppe in Prag dürften zu dieser Zeit ähnlich ausgesehen haben. Während ihre Tätigkeit in den ersten Monaten nach dem Einmarsch kaum dokumentiert ist, zeigen spätere Dokumente, dass sie bald darauf belastende Informationen über Tschechen und Slowaken sammelte, die weiterhin für die Ziele des »Prager Frühlings« eintraten. Hierbei interessierte sie sich vor allem für die Situation in der Partei sowie der Staatsverwaltung. Obwohl die Operativgruppe bereits 1967 auf Anforderung des MfS Detailinformationen über die StB beschafft hatte,541 bildete erst die sogenannte Hockeykrise in der ČSSR im März und April 1969 den entscheidenden Anlass zum gezielten und systematischen Ausspionieren der Partnerinstitution. Die Krise hatte gezeigt, dass sich die tschechoslowakische Bevölkerung weiterhin mit dem »Prager Frühling« identifizierte. Bei der Eishockey-Weltmeisterschaft, die wegen des Einmarschs des Warschauer Pakts nicht in der ČSSR, sondern in Schweden stattfand, hatte die tschechoslowakische Mannschaft die sowjetische zwar zweimal in der direkten Konfrontation besiegt, dennoch gewann die sowjetische 539 Operativ-Gruppe ČSSR: Information, Berlin, 27.1.1969; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1969, Bl. 200–202. 540 MfS, BV Halle, Stellv. Operativ: Bericht über den Besuch tschechischer Tschekisten in der Bezirksverwaltung Halle am 29.11.1968, Halle, 3.12.1968; BStU, MfS, GH, Nr. 18/84, Bd. 10, Bl. 266–282. Siehe auch HVA/IV: Bericht über die durchgeführte Reise des Genossen Major Großmann in die ČSSR, Berlin, 9.12.1968; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 507–513. 541 Siehe z. B. Operativgruppe ČSSR: Ergänzung der Information vom 13.7.1967, Prag, den 22.8.1967; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9314, Bl. 25 f.; Operativgruppe ČSSR: Auftrag der BV Dresden, Prag, den 25.7.1967; ebenda, Bl. 27.
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den Titel. Die emotionalisierten Ereignisse riefen umfangreiche politische Proteste und einzelne Straßenkämpfe in der ČSSR hervor. Für das MfS stand weniger die Frage gesellschaftlicher Befindlichkeiten im Vordergrund, vielmehr interessierte es sich für die Verfasstheit von Staat und Partei. Ganz unbegründet war dies nicht: Ungeachtet der Präsenz sowjetischer Truppen im Land befanden sich weiterhin einige Reformer an wichtigen Schaltstellen des Apparats, die auf einen Kurs des Kompromisses hofften, wie er beispielsweise einige Jahre nach 1956 im Nachbarland Ungarn praktiziert wurde. Von der Vorstellung geleitet, dass allein ein hartes Durchgreifen die »Hockeykrise« beenden könne, befürchtete das MfS ein zu lasches Vorgehen des tschechoslowakischen Sicherheitsapparats.542 Es ließ sich von der Operativgruppe über die Reaktionen der KPČ nicht nur telefonisch Eilauskünfte geben, sondern hielt sie auch dazu an herauszufinden, wie das tschechoslowakische Innenministerium die Ereignisse auswertete und welche Strategien es verfolgte. Die Operativgruppe erarbeitete hierzu einen Bericht mit Hintergrundinformationen. Im Prager Innenministerium hatte sie an vielen Stellen Informanten rekrutiert, die den Konflikt zwischen Reform und Restauration auf diese Weise nach außen trugen. Dem Bericht zufolge monierte die tschechoslowakische Staatssicherheit beim Minister Jan Pelnář ein unzureichendes Vorgehen der mit dem Einsatz beauftragten Miliz gegen die Demonstranten. Beide Organe – Miliz und Staatssicherheit – gehörten dem Ministerium an.543 Die Nähe der Überlieferung, die formale Ähnlichkeit und die gemeinsame Ablage deuten darauf hin, dass in dieser Zeit zahlreiche Informationen aus der tschechoslowakischen Innenpolitik über die Operativgruppe an das MfS gelangten. »Inoffiziell erlangte« und aus dem Tschechischen übersetzte Dokumente beschreiben, mit welchen Maßnahmen der Innenminister die Initiatoren der zum Teil gewaltsamen Proteste zu ermitteln suchte und wie die Leiter der tschechoslowakischen Aufklärung die Ereignisse sowie eine scharfe Reaktion des sowjetischen Botschafters darauf diskutierten.544 Nach der »Hockeykrise« fixierte das MfS die Funktion der Operativgruppe der HA XX/5 als Überwachungsposten für das tschechoslowakische Innenministerium per Ministerbefehl. Es band die HA XX/5 in ein Netzwerk mehrerer Diensteinheiten ein – der HVA/III, der Abteilung X, der HA II sowie der Bezirksverwaltungen Karl-Marx-Stadt und Dresden, welche sich an der Grenze 542 Zur Hockeykrise vgl. Tantzscher: Das Finale in Stockholm und das Finale in Prag, S. 66–71. 543 Abt. X: Telefonische Mitteilung des Leiters der Operativ-Gruppe in Prag, Berlin, 2.4.1969; BStU, MfS, SdM, Nr. 1436, Bl. 146; Information (über eine Absprache zwischen dem Leiter der Prager Verwaltung für Staatssicherheit und den Mitarbeitern der Operativ-Gruppe), Prag, 1.4.1969; ebenda, Bl. 149 f. 544 Inoffiziell erlangt: (Befehl Nr. 11 des Ministers des Innern der ČSSR); ebenda, Bl. 148; Inoffiziell erlangt: Beratung beim Leiter der I. Verwaltung des MdI am 29.3.1969; ebenda, Bl. 151–155.
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zur ČSSR befanden. Eine eigens hierzu gebildete Operativ-Dienststelle unter Mielkes Stellvertreter Bruno Beater sollte deren Zusammenarbeit koordinieren. Obwohl die zugehörige Direktive die Operativgruppe nicht explizit erwähnte, macht der dort vorgenommene Aufgabenzuschnitt klar, dass es um sie ging: Das Dokument relativierte die Bekämpfung von Fluchthilfe sowie die Überwachung von DDR-Bürgern vor Ort zugunsten der geheimdienstlichen Rückendeckung für die Restauration orthodox-kommunistischer Machtverhältnisse – für die sogenannte »Normalisierung«. Sie regelte Konsultations- und Informationspflichten gegenüber dem KGB, der zu dieser Zeit vermutlich auch Residenturen anderer staatssozialistischer Geheimpolizeien in Prag orchestrierte. Befehl und Direktive definierten die ČSSR als »Unterstützungsbereich«.545 Die Funktionsneuzuweisung stand im Kontext des bereits seit längerer Zeit laufenden MfS-Einsatzes »Genesung«, der nun auf eine Veränderung der innenpolitischen Situation in der ČSSR zielte. In langfristig angelegter nachrichtendienstlicher und geheimpolizeilicher Arbeit wollte das MfS hier – unter Mithilfe seiner Operativgruppe in Prag – Informationen aus reformkommunistischen Kreisen sammeln und diese für eine Stärkung des dogmatisch-kommunistischen Flügels in der KPČ und im Staatsapparat einsetzen.546 Auch spätere »inoffiziell erlangte« Dokumente aus dem tschechoslowakischen Innenministerium weisen inhaltlich und formell die Signatur der Prager Operativgruppe auf, selbst wenn deren Beschaffungsweg nicht immer klar nachvollzogen werden kann. Sehr wahrscheinlich über die Operativgruppe setzte ein Zuträger aus dem tschecho slowakischen Innenministerium das MfS im August 1969 über Inhalte von Leiterberatungen in Kenntnis. Insbesondere informierte er darüber, dass der Minister »keinen Sinn« in zu dieser Zeit geplanten Verhandlungen mit Erich Mielke sehe, wenn Mielke – wie für das MfS in diesem Kontext üblich – als »Berater« und »Belehrer« auftrete.547 Weniger klar ist der Beschaffungsweg weiterer Dokumente aus der tschecho slowakischen Politik, beispielsweise der Zusammenfassung einer Präsidiumssitzung des ZK der KPČ oder eines Treffens des Leiters der tschechoslowakischen Aufklärung Čestmír Podzemný mit KGB-Chef Jurij Andropov. Weiterhin befinden sich Protokolle von Treffen tschechoslowakischer Auslandsaufklärer mit ihren polnischen Kollegen in der Überlieferung des MfS.548 Dennoch dürften 545 Der Minister: Befehl Nr. 11/69 zur Unterstützung des Kampfes gegen die subversiven Anschläge auf die Einheit und Geschlossenheit der Staaten des sozialistischen Lagers, Berlin, 7.4.1969; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1333, Bl. 1 f.; 1. Stellv. des Ministers: Direktive zum Befehl 11/69, Berlin, 7.4.1969; ebenda, Bl. 3–8, beide nachgedruckt in: Tantzscher: Maßnahme »Donau«, S. 130–135. 546 Tantzscher: Maßnahme »Donau«. 547 Abt. X: Information, Berlin, 6.8.1969; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 504 f. 548 Abt. X: Information, Berlin, 2.8.1969; ebenda, Bl. 192; Inoffiziell erlangt (Anschreiben zu einem Entwurf zur Umstrukturierung der tschechoslowakischen Aufklärung), Prag, 9.10.1969;
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viele der in der »Geheimen Hauptablage« vom MfS ohne Provenienznachweis archivierten Dokumente, die aus dem Kontext der Niederschlagung des »Prager Frühlings« stammen, über die Operativgruppe beschafft worden sein.549 Wie intensiv der Verkehr ostdeutscher Geheimpolizisten zwischen Berlin und Prag zu dieser Zeit war, zeigt ein Bestand ihrer telegrafischen Ankündigungen beim tschechoslowakischen Innenministerium. Willi Damm, der Chef der Internationalen Abteilung des MfS, fuhr zwischen Juni 1968 und April 1969 fast monatlich nach Prag und kündigte sich oft mit einem Verweis auf die Arbeit der Operativgruppe an.550 Weniger häufig, doch mit einer stattlichen Ausbeute an StB-Interna reiste Heinz Lerche (Hauptverwaltung A) nach Prag und traf sich mit verschiedenen zum MfS loyalen StB-Mitarbeitern. Eigentlich im für Abwehraufgaben zuständigen Sonderreferat der HVA/I tätig, leuchtete er unabhängig von der Operativgruppe die Situation im Innenministerium sehr genau aus. Als Legende diente ihm ein seit Längerem gemeinsam mit der tschecho slowakischen Abwehr geführter operativer Vorgang. Auch sein tschechoslowakischer Ansprechpartner in dieser Sache reiste gelegentlich nach Berlin.551 Vorgehen und Interessenlagen des MfS während der Niederschlagung des »Prager Frühlings« weisen Parallelen mit Aktivitäten des polnischen Sicherheitsdiensts auf. Auch Polen sandte nach dem Einmarsch eine temporäre Operativgruppe »Góral« in die ČSSR, um Kontakte zu Partei, Innenministerium und Militär herzustellen. Die Berichte zur innenpolitischen Situation wurden über eine Residentur in Ostrava nach Polen gesandt. Wie das MfS, versuchten auch polnische Geheimdienstler an den einzelnen Grenzübergängen ihre tschechischen Kollegen zu treffen.552 Während die Maßnahme »Donau« – der Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts – in den beteiligten Armeen unter ebendieser gemeinsamen Bezeichnung verlief, trugen die Maßnahmen der Sicherheitsdienste hinsichtlich der Niederschlagung des Prager Frühlings unterebenda, Bl. 500–503; Inoffiziell erlangt: Hauptpunkte der gültigen Vereinbarungen, die sich aus den Verhandlungen in den letzten Jahren auf der Ebene des Ministeriums des Innern der ČSSR und des Ministeriums des Innern der VRP ergeben haben (August 1969); BStU, MfS, SdM, Nr. 1437, Bl. 239–255; Inoffiziell erlangt: Bericht über die Verhandlungen zwischen der tschechoslowakischen und polnischen Aufklärung in der Zeit vom 15. bis 18. September 1969 in Warschau, 24.9.1969; ebenda, Bl. 256–276. 549 BStU, MfS, GH, Nr. 18/84, Bd. 1–102. 550 Siehe die Avisierungen in: BStU, MfS, AS 99/75, Bl. 177–224. 551 Ebenda, Bl. 175–246; Major Lerche: Gespräch am 17.4., Berlin, 18.4.1968; BStU, MfS, SdM, Nr. 1437, Bl. 136 f.; HVA/SR: Bericht über die Gespräche am 18. und 19. 9.1968, Berlin, 19.9.1968; BStU, MfS, GH, Nr. 18/84, Bd. 17, Bl. 3–9; HVA/SR: Bericht über die Dienstreise von Major Lerche nach Prag vom 25.–27.11.1968, Berlin, 29.11.1968; ebenda, Bd. 10, Bl. 250– 262; SR: Bericht über die Dienstreise von Major Lerche in die ČSSR vom 8.–11.4.1969, Berlin, 14.4.1969; ebenda, Bd. 11, Bl. 41–48. Zu Heinz Lerche siehe auch Müller-Enbergs: Hauptverwaltung A, S. 153. 552 Dies dokumentieren ausführlich Kamiński; Majchrzak (Hg.): Operacja »Podhale«, S. 40–42.
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schiedliche Codenamen. Das wenn auch nicht gemeinsame, aber doch parallele und deckungsgleiche Agieren des ostdeutschen und des polnischen Sicherheitsdiensts lässt vermuten, dass eine sowjetische Blaupause für ihr Vorgehen bestand.
5.4 Die Zeit der »Normalisierung« Nach der Restauration einer orthodox-kommunistischen Herrschaft um 1971/1972 sah die Operativgruppe Prag in der Überwachung von DDR-Bürgern auf dem Territorium des Gastlands wieder die Hauptaufgabe. Die Hauptabteilung VI plante 1971 die Operativgruppe zum 20. Mai auf DDR-Touristen anzusetzen. Verfrüht, die innenpolitischen Spannungen in der ČSSR waren noch groß und das Interesse an Spionage dürfte beim MfS noch erheblich gewesen sein. Ein Abschlussbericht zur Überwachung von Touristen und Reisenden ist erst für das Jahr 1972 - als das Reisen in die ČSSR wieder visafrei wurde überliefert. Der Bericht verweist darauf, dass die HA VI die OPG Prag – anders als die Operativgruppen in Bulgarien und Ungarn, die seit 1971 unter ihrer Regie standen, erst 1972 übernahm.553 Die HA VI weitete die Tätigkeit der Gruppe aus und vernetzte sie mit weiteren Diensteinheiten in der MfS-Zentrale. Hierzu zählte weniger die nach 1972 weitgehend abgezogene Auslandsaufklärung. Stattdessen kamen in den 1980er-Jahren enge Vor-Ort-Arbeitsbeziehungen in der Fluchtbekämpfung zur Untersuchungsabteilung sowie zur Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG) hinzu. Unmittelbar nach der Freigabe der ČSSR für den Gruppen- und Individualtourismus beklagte die Hauptabteilung VI wachsende Ost-West-Kontakte im Urlaubsland. Das bundesdeutsche »Kaufhof«-Reisebüro habe sogar gemeinsame Bustouren für west- und ostdeutsche Urlauber in Prag organisiert.554 Wegen der wieder steigenden Fluchtzahlen stockte die HA VI die Operativgruppe weiter auf: Sie plante 1975, einen weiteren Mitarbeiter über die Sommermonate nach Karlsbad zu senden und stationierte ab 1977 einen zusätzlichen Operativgruppenmitarbeiter in Bratislava. Um dem tschechoslowakischen Partnerdienst die Ausweitung der Überwachung zu vermitteln, lobte Erich Mielke die Arbeit der Operativgruppe bei seinen Treffen mit den tschechoslowakischen Geheimpoli553 HA VI, Leiter: Bericht über die Verhandlungen mit Vertretern der Staatssicher heitsorgane des MdI der ČSSR in der Zeit vom 3. bis 6. Mai 1971 in Prag; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 1–15, hier 3; HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der Operativ-Gruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Zeitraum von Mai bis Oktober 1972, Berlin, 22.11.1972; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 76–128, hier 118. 554 Ebenda, Bl. 86.
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zisten. Der Innenminister Jaromír Obzina akzeptierte die Pläne schließlich und beschwor eine »noch engere Zusammenarbeit zwischen unseren brüderlich verbundenen Ministerien«.555 Spätestens seit 1983 kooperierte die Operativgruppe eng mit der MfS-Untersuchungsabteilung – ab diesem Zeitpunkt verhörten temporär nach Prag entsandte Vertreter dieser Abteilung DDR-Flüchtlinge direkt nach ihrer Festnahme. Dies hatten das MfS und das tschechoslowakische Innenministerium per Protokollvermerk im Dezember 1982 festgehalten, wobei das MfS wohl die treibende Kraft beim Zustandekommen der Regelung war.556 Auch gab die Hauptabteilung IX zusammengefasste Informationen über die von ihr ermittelten Fluchtwege an die Operativgruppe. Dies geschah einerseits, um die Gruppe bei ihrer Einflussnahme auf die tschechoslowakische Grenzwache zu unterstützen. Andererseits sollte die Operativgruppe Kenntnis von Flüchtlingen erhalten, welche die tschechoslowakischen Organe ohne ihre Beteiligung festgenommen und an das MfS ausgeliefert hatten. Im Jahr 1986 übernahm ein dauerhaft in Prag stationierter Mitarbeiter der HA IX/10 festgenommene Flüchtlinge ohne weiteres Zutun der Operativgruppe direkt von der StB. Die HA IX kritisierte die Arbeit der Operativgruppenmitarbeiter der HA VI – diese hätte 1986 »keine für die Linie Untersuchung bedeutsame Information« übermittelt. Solche Informationen habe der Mitarbeiter der HA IX/10 allein von der Untersuchungsverwaltung der StB erhalten. Weil mit der Operativgruppe »keine inhaltlich problemgebundene koordinierte Zusammenarbeit zustande« kam, habe die HA IX/10 im Oktober 1986 den Kontakt abgebrochen. Im Folgejahr kooperierte die HA IX wieder mit der Operativgruppe. Im bereits hinsichtlich der MfS-Kooperation mit dem ungarischen Sicherheitsdienst erwähnten Operativen Vorgang »Katze« ermittelte das MfS auf diese Weise zwei fluchtbereite DDR-Bürger, noch bevor die für sie geplante Fluchthilfeaktion begann.557 Eine Besonderheit dieser Operativgruppe war, dass ihr ab 1986 ein Mitarbeiter der Zentralen Koordinierungsgruppe (ZKG) angeschlossen war. Gründe wa555 Hinweise für Gespräche des Gen. Minister mit führenden Vertretern der Sicherheitsorgane der ČSSR, (28.11.1973); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5419, Bl. 1–27, hier 25–27; Hinweise auf einige Probleme für das Gespräch mit Minister des Innern der ČSSR am 16.10.1975; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5421, Bl. 2–14, hier 12; HA VI, Stellv. Operativ: Zusammenarbeit mit dem Bruderorgan der ČSSR, Berlin, 5.8.1974; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 138, Bl. 22 f.; HA VI, Stellv. Operativ: Zusammenarbeit mit dem Bruderorgan der ČSSR, Berlin, 12.7.1975; ebenda, Bl. 15 f.; HA VI, Leiter: Einsatz in der Operativgruppe der HA VI in der ČSSR, Berlin, 5.1.1977; ebenda, Bl. 3; Telegramm Obzina-Mielke, Prag, 8.4.1976; ebenda, Bl. 5. 556 HA IX: Bericht über den Erfahrungsaustausch mit einer Delegation der Verwaltung Untersuchung der Staatssicherheit des FMdI der ČSSR, Berlin, 29.7.1985; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 212, Bl. 169–175, hier 174. 557 HA IX/10: Jahresbericht 1986, Berlin, 5.1.1987; BStU, MfS, HA IX, Nr. 17599, Bl. 152–211, hier 157, 164; HA IX/10: Jahresbericht 1987, Berlin, 5.1.[1988]; BStU, MfS, HA IX, Nr. 2445, Bl. 83–143, hier 91, 102.
Die Zeit der »Normalisierung«
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ren die besonders hohe Zahl von Transitflüchtlingen über die ČSSR sowie die sich in Prag häufenden Besetzungen der bundesdeutschen Botschaft. Aus ihrer »komplexen Verantwortung« in der Fluchtverhinderung leitete die ZKG in diesem Fall ein Mandat zur Vor-Ort-Tätigkeit ab.558 Für die Entscheidung, einen Mitarbeiter in das Ausland zu entsenden, mögen Erfahrungen ehemals in der HA VI tätigen Führungspersonals der ZKG eine Rolle gespielt haben. Sowohl der stellvertretende Leiter der ZKG, Heinz Eichler, als auch der Leiter der Abteilung 2 der ZKG, Rudolf Dorfmeister, verfügten über Arbeitserfahrungen mit Operativgruppen; so leitete Dorfmeister von 1965 bis 1971 die Operativgruppe Prag. Auch die Akten des »Operativen Leitzentrums« im Berliner MfS-Hauptquartier geben Auskunft über die Tätigkeit der Operativgruppe bei der Verhinderung von Fluchten in den 1980er-Jahren. Sie zeigen, dass letztlich der Kooperationswillen der tschechoslowakischen Sicherheitsorgane maßgeblich war: Viele DDR-Flüchtlinge wurden gänzlich ohne Beteiligung der Operativgruppe festgesetzt.559 Für die späten 1970er- und die 1980er-Jahre ist eine Beteiligung der Hauptverwaltung A an der Arbeit der Operativgruppe unklar. Im Jahr 1985 entwarf das MfS – angeblich auf tschechoslowakische Initiative – eine bilaterale Vereinbarung zur Zusammenarbeit in der Aufklärung. Hierin war vorgesehen, Verbindungsoffiziere im jeweils anderen Land zu stationieren. Ob sie je unterzeichnet und bestätigt wurde, ist ebenso wenig bekannt wie der Inhalt einer vorherigen Kooperationsvereinbarung des Jahres 1983. Laut einer Akte der HA Kader und Schulung aus dem Jahr 1988 unterhielt die HV A, Abt. VI im Zusammenhang mit der Operativgruppe drei OibE in der ČSSR.560 Akten der Operativgruppe selbst verzeichnen indes keine HVA-Mitarbeiter für diese Zeit. Indizien deuten darauf hin, dass das MfS konkrete Belange von Aufklärung und Abwehr in den Partnerländern nicht auf der Arbeits-, sondern mindestens auf der mittleren Leitungsebene koordinierte. Im Jahr 1989 informierte die Hauptabteilung II ihren der Prager Operativgruppe angegliederten Mitarbeiter über Signale aus der HV A, wonach ein dort beobachteter Bürger der Vereinigten Staaten möglicherweise gleichzeitig von der tschechoslowakischen Aufklärung bearbeitet werde.561 Für den November 1989 ist belegt, dass zwei Mitarbeiter 558 Eisenfeld: Die Zentrale Koordinierungsgruppe, bes. S. 41. Zu den Prager Botschaftsflüchtlingen siehe Mayer: Flucht und Ausreise, S. 317–335, 370–377. 559 Siehe die »Operativen Informationen« des Operativen Leitzentrums der HA VI sowie die »Rapporte« der dortigen ZKG: Fluchtversuche über die ČSSR sind dokumentiert in: BStU, MfS, HA VI, Nr. 17134, Bl. 1–182 und BStU, MfS, HA VI, Nr. 17135, Bl. 120–176. 560 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der HV A des MfS der DDR und der I. Verwaltung des Korps für Nationale Sicherheit der ČSSR, o. D. (nicht unterzeichneter Entwurf, nach 1985); BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 42–52 hier 51; HA KuSch/ Abt. Kader 3: Untersuchung zur Arbeit mit Operativgruppen, Berlin, 17.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f. 561 (Handschriftliches Schreiben an den Abwehrmitarbeiter der OG ČSSR), 22.4.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 708, Bl. 140–142.
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Die Operativgruppe in der ČSSR
der MfS-Funkaufklärung ihr Gehalt über die Operativgruppe bezogen.562 Die Funkaufklärung war zu dieser Zeit bereits seit Langem getrennt von der Operativgruppe auf dem Territorium der ČSSR tätig.
5.5 Informationsbeschaffung Der Operativgruppenleiter, sein Stellvertreter und der in Bratislava stationierte Mitarbeiter erhielten von zahlreichen DDR-Vertretungen in der ČSSR offiziell Informationen. In den 1980er-Jahren waren dies die Botschaft samt Konsular abteilung, das Generalkonsulat in Bratislava, die Vertretungen des Reisebüros und der Fluggesellschaft »Interflug« sowie die Kultur- und Informationszentren (KIZ) in Prag und Bratislava. Zudem hatte die Operativgruppe in diesen Einrichtungen sehr viele inoffizielle Mitarbeiter stationiert, die einen parallelen Strom von Informationen lieferten.563 Bald nach ihrer Einrichtung hatte die Operativgruppe ein dauerhaftes IM-Netz in den tschechoslowakischen Touristenzentren aufgebaut. Im Jahr 1966 berichteten der Direktor des DDR-Reisebüros in Prag, sein Stellvertreter und eine Reisebegleiterin für Kurzfahrten als inoffizielle Mitarbeiter der Operativgruppe. Für eine jeweils kürzere Zeit kamen die Reiseleiter von Touristengruppen und acht »überörtlich« in den Gruppen eingesetzte IM hinzu.564 Die Autoren einer MfS-Dokumentation zum Einsatz in der ČSSR hielten in den 1960er-Jahren als Aufgabe der Reiseleiter fest: »Besonders morgens ist zu prüfen, ob alle Touristen im Hotel übernachtet haben. Touristen, die nicht das Hotel aufsuchten, sind dem Ständigen Vertreter des Reisebüros der DDR zu melden und bei ihrem Auftauchen darauf hinzuweisen, daß sie sich beim Reiseleiter immer abzumelden haben mit der Begründung, daß ihnen etwas zustoßen kann«. Zu IM in den Gruppen bemerkten sie im MfS-typischen Tonfall, diese »können im Gegensatz zu den Reiseleitern viel aktiver und unauffälliger Kontakte und Verbindungen zu allen Touristen aufnehmen, wobei interessante Frauen am unauffälligsten sind. Sie können regelmäßig bestimmte, besonders von Westdeutschen bevorzugte Lokale aufsuchen und nach operativ interessanten Personen forschen.«565 562 Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Aufstellung über dienstliche Kontakte, Prag, November 1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 773, Bl. 20 f. 563 Ebenda; (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 79. 564 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR 1966, Berlin, 2.12.1966; BStU, MfS, HA XX 8452, Bl. 24–46, hier 34–37. 565 »Tschechoslowakische Sozialistische Republik« (Länderdokumentation, 1966/1967); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 829, Bl. 1–143, hier 140–142.
Informationsbeschaffung
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Nach der Übernahme der Operativgruppe durch die HA VI in den 1970er-Jahren verstetigte sich die Informationsbeschaffung, wobei die Gruppe auf eine relativ hohe Zahl dauerhaft stationierter Zuträger zurückgriff. Für 1973 verzeichnen die Dokumente knapp 35 IM. Eine zum Folgejahr vorgenommene Umkategorisierung dieser Zuträger von IME auf IMS und GMS deutet möglicherweise an, dass die Operativgruppe zu dieser Zeit den Arbeitsschwerpunkt ihrer ständigen IM graduell weg von der Kontaktanbahnung zu Bundesbürgern hin zur Überwachung von DDR-Touristen verschob. Hinzu kamen zeitweilig eingesetzte IME. In Prag waren dies 6 (1973) bzw. 3 (1974), weitere arbeiteten in den Kurbädern.566 Im Jahr 1974 weitete die Gruppe die IM-Präsenz in Hotels, Touristenunterkünften und Restaurants aus, die von DDR-Urlaubern besucht wurden. Dies waren unter anderem die Hotels »Solidarita«, »Olympik« und »Flora« in Prag sowie »Přátelství« (dt. »Freundschaft«) und »Moskva« in Karlsbad. Zu dieser Zeit plante die Gruppe, zahlreiche weitere Touristenunterkünfte im Riesengebirge und in Südböhmen zu überwachen. Auch in die Hohe und Niedere Tatra wollte sie mit eigenen Zuträgern vordringen, instruierte jedoch gleichzeitig die dortigen StB-Kreisverwaltungen Banská Bystrica und Košice, Informationen über DDR-Urlauber zu liefern. Ihre in der Urlauberüberwachung tätigen IM waren der StB in der Regel bekannt.567 Im Jahr darauf observierte ein Zuträger der Operativgruppe Vertreter der Sudetendeutschen Landsmannschaft, die sich in Cheb aufhielten.568 In den 1980er-Jahren erhöhte die Hauptabteilung VI die Zahl zeitweiliger Zuträger der Operativgruppe, während es die Zahl ständig in der ČSSR stationierter IM etwas reduzierte. Im Sommer 1987 griff die Gruppe auf 27 ständige IM zu. Im Jahr 1988 verfügte sie über nur 24 ständige, jedoch 62 zeitweilige Zuträger – unter letzteren befanden sich auch in der FDJ organisierte MfS-Hauptamtliche, die während ihres Urlaubs über Touristen berichteten. Sie bereisten Franzensbad, Cheb, Lipno, Bratislava, Brünn, Prag und das ostslowakische Mittelgebirge. Die IM-Aufstellungen aus den späten 1980er-Jahren zeigen, wie sich die zunächst auf die Überwachung von DDR-Touristen zur Verhinderung von Fluchten und Ost-West-Kontakten zugeschnittene Struktur des 566 HA VI, Linie SRT: Abschlussbericht über die Ergebnisse der Tätigkeit der OperativGruppen der Hauptabteilung VI in der Volksrepublik Bulgarien, der Ungarischen Volksrepublik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik im Jahre 1973, Berlin, den 28.11.1973; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4387, Bl. 129–170, hier 155; HA VI, Abt. 6: Zum gegenwärtigen Stand des IM-Netzes der Operativ-Gruppe ČSSR und Maßnahmen zu seiner qualitativen und quantitativen Erweiterung, Berlin, 25.4.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4388, Bl. 50–64. 567 HA VI: Einschätzung zur Entwicklung der Zusammenarbeit der Hauptabteilung VI mit den Sicherheitsorganen der ČSSR bei der Absicherung des Reise- und Touristenverkehrs, Berlin, 9.5.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 130–163, hier 144, 156. 568 HA VI, Bereich Koordinierung, Leiter: Die leitungsmäßige Sicherstellung (…) der Operativ-Gruppen im sozialistischen Ausland, Berlin, 10.6.1975; BStU, MfS, HA VI, Nr. 40, Bd. 3, Bl. 105–112, hier 109.
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Die Operativgruppe in der ČSSR
IM-Netzes leicht diversifizierte.569 Die Gründe hierfür sind unklar. Die graduelle Verschiebung der Tätigkeitsschwerpunkte auf die Spionageabwehr könnte insofern eine Rolle gespielt haben, dass die Mitarbeiter der Linie VI auch IM anwarben, die für die Abwehr nutzbar waren. Jedoch ist auch denkbar, dass die Operativgruppe Planvorgaben zur IM-Werbung ohne Rücksicht auf deren Nutzen formal zu erfüllen versuchte. Nach einer Aufstellung vom Oktober 1989 führten die Mitarbeiter der Linie VI der Operativgruppe 33 inoffizielle Mitarbeiter, darunter 31 inoffizielle Mitarbeiter für Sicherheit (IMS). Dazu zählten Vertreter des DDR-Reisebüros bzw. von »Jugendtourist« sowie Leiter von DDR-Delegationen. Weitere IM studierten in der ČSSR oder waren als wissenschaftliche Mitarbeiter, Ärzte, Redakteure, Pädagogen, Kraftfahrer und Kellner beschäftigt. Entsprechend wurden sie zur Überwachung des DDR-Reisebüros, des Kultur- und Informationszentrums, von DDR-Auslandsarbeitern, Studenten, Wissenschaftlern und Journalisten eingesetzt. In den Vertretungen des DDR-Reisebüros hatte die HA VI auch OibE positioniert. Unter den DDR-Auslandsstudenten verbargen sich 12 IMS an verschiedenen tschechoslowakischen Studienorten, doch nur vier von ihnen trafen regelmäßig ihren Führungsoffizier. Neben den IM und dem Informationsfluss aus der StB verfügte die Operativgruppe über quasi-offizielle Verbindungen aus geheimpolizeilicher Kooperation – etwa zu den Leitern der Operativgruppen anderer sozialistischer Staaten vor Ort oder zu ehemaligen Angehörigen der StB, die sich nach ihrer Pensionierung zu Observations- und Denunziationsaufgaben anboten.570
569 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 93; HA VI/AKG: Übersichts blatt zum Bestand der IM/GMS der Operativgruppe in der ČSSR, Berlin, 27.8.1987; BStU, MfS, HA VI/7, Bl. 200–203; HA VI/AKG: (Aufstellungen über in der Abteilung XII registrierte Materialien), Berlin, 28.8.1989; ebenda, Bl. 169–185, hier 174–176; (Einsatzliste zur Überwachung von Campingplätzen und Urlauberquartieren in der ČSSR und in Ungarn durch FDJ-Mitglieder der HA VI, 1984); BStU, MfS, HA VI, Nr. 16453, Bl. 55 f. 570 Aufstellung der IM der Mitarbeiter der Linie VI der OPG des MfS in der ČSSR, Oktober 1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 773, Bl. 12–17; Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Aufstellung über Verbindungen zu ČSSR-Bürgern und Ausländern, Prag, November 1989; ebenda, Bl. 18 f.; HA II/10: Einschätzung IM-Bestand Auslandsstudenten ČSSR, Berlin, 3.10.1989; ebenda, Bl. 36 f.; Arbeitsakte OibE »Thea«; BStU, MfS, AIM 15376/91, Bl. 49–86, 99–107.
Zusammenarbeit mit dem Innenministerium
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5.6 Zusammenarbeit mit dem tschechoslowakischen Föderalen Innenministerium Seit ihrer Einrichtung kooperierte die Operativgruppe eng mit dem tschecho slowakischen Staatssicherheitsdienst StB. Dieser war dem Innenministerium untergeordnet, das ab 1968 föderal strukturiert war.571 Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings erneuerten MfS und StB ihre Vor-Ort-Zusammenarbeit in der Fluchtverhinderung, bei der Registrierung von Ost-West-Kontakten von DDR-Bürgern und bei der Verfolgung von Fluchthelfern in gemeinsam geführten operativen Vorgängen.572 Im Jahr 1986 feierte die Hauptabteilung II die Entsendung des Abwehrmitarbeiters Ewald Fleischmann in die Prager Operativgruppe als »Beginn einer neuen Etappe des direkten Zusammenwirkens an konkreten Vorgängen«. Tatsächlich nahmen ab diesem Zeitpunkt die bilateralen Arbeitstreffen der Abwehr zu – bei der Mehrzahl war Fleischmann zugegen. In beschränktem Umfang fungierte er auch als Verbindungsoffizier. Er setzte beispielsweise die HA II/10 über die Abfragemöglichkeiten im tschechoslowakischen Reisedatenspeicher in Kenntnis. Das MfS durfte diesen für fünf Jahre rückwirkend abfragen, in Ausnahmefällen sogar ab 1972.573 Bereits in den 1960er-Jahren führte die StB Postkontrollen durch und gab daraus Teilergebnisse direkt an die Operativgruppe weiter. Das betraf überwiegend deutschsprachige Briefe in die und aus der Bundesrepublik. Zumeist handelte es sich um Fluchtabsprachen, da die Korrespondierenden glaubten, die Post über ein Drittland würde weniger stark kontrolliert.574 Ab 1978 leitete die StB die beschlagnahmten Briefe nicht mehr an die Operativgruppe weiter, sondern an
571 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR 1966, Berlin, 2.12.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 24–46, hier 26; AG ČSSR: Auftrag, Prag, 26.4.1966; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9314, Bl. 30 f. 572 HA VI: Einschätzung zur Entwicklung der Zusammenarbeit der Hauptabteilung VI mit den Sicherheitsorganen der ČSSR bei der Absicherung des Reise- und Touristenverkehrs, Berlin, 9.5.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 130–163, hier 143; HA VI, Bereich Auslandstourismus, Leiter: Bericht über die Beratungen zwischen der Hauptabteilung VI des MfS der DDR und der II. Hauptverwaltung des FMdI der ČSSR vom 5.12. bis 8.12.1977 in Berlin, Berlin, 9.12.1977; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 80–86, hier 82. 573 HA II/Abt. 10: Auswertung Arbeitsbesuch bei II. Verwaltung ČSSR-Sicherheitsorgan, Berlin, 24.11.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 150–152; HA II/15: Konzeption für die Arbeitsberatung mit den Sicherheitsorganen der ČSSR entsprechend der langfristigen Planung, Berlin, 20.3.1987; ebenda, Bl. 108–112; HA II/5: Vermerk über einen Erfahrungsaustausch mit Angehörigen der ČSSR-Sicherheitsorgane, Berlin, 30.6.1989; ebenda, Bl. 22–24; Telegramm OG Prag an HA II/10, Prag, 29.9.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 708, Bl. 104. 574 AG/ČSSR: Information, Prag, 30.8.1966; BStU, MfS, ZKG, Nr. 9201, Bl. 49 f.; AG/ ČSSR: Information, Prag, 8.4.1967; BStU, MfS, HA XX, Nr. 1227, Bl. 21.
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Die Operativgruppe in der ČSSR
die Abteilung X des MfS.575 Auch die bilateralen Absprachen zur Postkontrolle fanden nun ohne die Operativgruppe statt. Auf einem dieser Treffen, das sich in erster Linie mit der Spionageabwehr beschäftigte, legte die StB ihre Kontrollmethoden dar. Die gesamte internationale Post wurde über Prag abgewickelt, und die StB filterte sie nach Absender- und Empfängeradressen in der Bundesrepublik. Hierbei wurden nicht alle Bundesländer abgedeckt, sodass die Kontrolle lückenhaft gewesen sein muss.576 Im Jahr 1986 filterte die tschechoslowakische Postkontrolle 8 000 Briefe von DDR-Bürgern in westliche Länder heraus, die sie über die Internationale Abteilung an das MfS weiterleitete.577 5.6.1 Verträge Für die Zusammenarbeit der Operativgruppe mit der StB war eine Vielzahl von Verträgen relevant. Ihre hohe Dichte und ihre detaillierten Regelungen deuten darauf hin, dass die Zusammenarbeit eng und vielschichtig war. Die Mehrzahl der folgend besprochenen Verträge hat das für die Auswertung der StB-Unterlagen zuständige Prager Institut für das Studium totalitärer Regime online veröffentlicht.578 Die erste Kooperationsvereinbarung zwischen der ostdeutschen Staatssicherheit und der StB ist auf den 7.7.1955 datiert. Ihre Unterzeichner Ernst Wollweber und Rudolf Barák sahen eine Zusammenarbeit in der Gegenaufklärung und in der Abwehr vor. Das tschechoslowakische Innenministerium erhielt das Recht, DDR-Bürger zu »nutzen«, d. h. diese als Zuträger anzuwerben. Auch fixierte dieses Dokument die Anwesenheit der tschechoslowakischen Operativgruppe in Ostberlin, die auch zur Kommunikation der beiden Sicherheitsdienste untereinander bevollmächtigt wurde.579 Kurz nach der Entsendung der ostdeutschen Operativgruppe nach Prag unterzeichneten das MfS und das tschechoslowakische Innenministerium im No575 HA VI, Bereich Auslandstourismus, Leiter: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242–251. 576 Abt. M: Bericht über das Arbeitstreffen mit Vertretern des MdI der ČSSR vom 22. bis 23.9.1983, Berlin, 27.9.1983; BStU MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 240–246. 577 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratung mit leitenden Mitarbeitern der II. Verwaltung des FMdI der ČSSR vom 8. bis 11.4.1986 in Prag, Berlin, 18.4.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 236–251, hier 241. 578 Siehe http://www.ustrcr.cz/en/german-democratic-republic. 579 Protokoll über die Vereinbarungen, die in der Besprechung vom 6. bis 7. Juli 1955 in Berlin zwischen dem Ministerium des Innern der Tschechoslowakischen Republik (…) und dem Staatssekretariat für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik (…) getroffen wurden, Berlin, 7.7.1955; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1861, Bl. 1–8. Die tschechoslowakische Überlieferung ist veröffentlicht unter http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace01de.pdf.
Zusammenarbeit mit dem Innenministerium
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vember 1965 eine Kooperationsvereinbarung, in der sie sich neben zahlreichen Abmachungen zu Aufklärung und Abwehr auch gegenseitig das Recht zusprachen, Reisende der jeweils anderen Staatsangehörigkeit zu überwachen. Zudem erklärte sich das tschechoslowakische Innenministerium bereit, das MfS bei der Bekämpfung von Fluchthelfern zu unterstützen.580 Eine weitere Vereinbarung auf Ministerebene – wahrscheinlich wurde sie im Juni 1967 unterzeichnet – fixierte eine gegenseitige Unterstützung der Ermittlungsbehörden. Sie verpflichteten sich gegenseitig, sich nach Festnahmen von Bürgern des anderen Staats zu informieren, koordiniert zu ermitteln und die Ergebnisse der anderen Seite zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang erlaubte ein von den Justizministern am 30.6.1967 unterzeichnetes Protokoll den Staatssicherheitsdiensten, bei ihren Ermittlungen sämtliche Kommunikation mit den befassten Rechtsinstitutionen der anderen Seite an sich zu ziehen.581 Ein für den 30.6.1967 zur Unterzeichnung vorgesehenes Zusatzprotokoll mit MfS-Regelungen zur Übergabe festgenommener DDR-Flüchtlinge ist nicht überliefert.582 Nach dem »Prager Frühling« unterzeichneten die Regierungen der DDR und der ČSSR im Dezember 1970 einen Vertrag über den Reiseverkehr,583 worauf Delegationen des MfS und des ČSSR-Innenministeriums im Juli 1971 eine Vereinbarung über dessen Überwachung aushandelten. Sie sah gleich im ersten Punkt die Stationierung der MfS-Operativgruppe in Prag und an weiteren Reisezielen vor und traf für diese Zeit – die Politik des »Prager Frühlings« war noch am Abklingen – weitreichende Detailregelungen zur Unterstützung der Operativgruppe durch die StB. Diese sollte Treffquartiere stellen, vor Ort Verbindungsoffiziere bereithalten, Informationen zur Verfügung stellen sowie Überwachungsaufgaben übernehmen. Die vorgesehenen Bestätigungen durch die Minister sind nicht überliefert – allein der stellvertretende Minister Bruno Be580 Vereinbarung über die weitere Entwicklung der operativen Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik und dem Ministerium des Innern der ČSSR, Berlin, 26.11.1965; BStU, MfS, Abt. X, Nr.1796, Bl. 1–10. Ein weiteres Exemplar befindet sich in der tschechoslowakischen Überlieferung und ist veröffentlicht unter http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace03de.pdf. 581 Vereinbarung zwischen dem Minister für Staatssicherheit der DDR und dem Minister des Innern der ČSSR über das beiderseitige Zusammenwirken und die Zusammenarbeit der Untersuchungsorgane, o. O., o. D.; BStU, MfS, HA IX, Nr. 16548, Bl. 2–5; Protokoll, 30.6.1967; ebenda, Bl. 6. 582 Entwurf: Zusatzprotokoll zur (…) Vereinbarung vom 30.6.1967, Prag, o. D.; BStU, MfS, HA IX, Nr. 5606, Bl. 291–296. 583 Bekanntmachung über das Inkrafttreten des Vertrages vom 21. Dezember 1970 zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Tschechoslowakischen Sozialistischen Repu blik über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Verkehrswesens und über die Grenz-, Zoll- und sonstige Kontrolle beim Grenzübertritt. In: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil I, Nr. 7/71, Bl. 149–156.
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Die Operativgruppe in der ČSSR
ater bestätigte die in Ostberlin verbliebene Fassung. Es ist wahrscheinlich, dass die tschechoslowakische Seite die Bestätigung des sehr einseitig auf die Interessen des MfS hin formulierten – und in der tschechischen Übersetzung weder unterzeichneten, noch bestätigten – Dokuments zurückhielt.584 Dem wohl gescheiterten Versuch, eine MfS-Einflussnahme auf die tschecho slowakische Innenpolitik vertraglich zu fixieren, folgten Vereinbarungen zu Kur- und Urlauberaustauschen der Ministerien sowie zur Zusammenarbeit in der Funkaufklärung gegenüber der Bundesrepublik. Für die Operativgruppe relevant war eine Vereinbarung zwischen den Internationalen Abteilungen von 1973, welche die Abrechnungsmodalitäten für den Unterhalt konspirativer Wohnungen regelte. Die Leiter beider Internationaler Abteilungen vereinbarten nach dem Gegenseitigkeitsprinzip, die Betriebskosten der dem jeweiligen Partnerdienst in Prag bzw. Ostberlin zur Verfügung gestellten Wohnungen gegen einander aufzurechnen und allein den Differenzbetrag zwischen den Ministerien zu transferieren. Für den Zeitraum von September 1979 bis April 1983 hatte das MfS beispielsweise eine Differenz von 77 000 DDR-Mark zu überweisen.585 Im März 1977 gelang es dem MfS, mit dem tschechoslowakischen Innenministerium einen Vertrag zur Zusammenarbeit auf Ministerebene abzuschließen. Die umfangreichen Regelungen zur Zusammenarbeit in fast allen Tätigkeitsbereichen der Sicherheitsdienste umfassten auch die Stationierung operativer Mitarbeiter im jeweils anderen Land auf eigene Kosten. Allerdings fehlen hier die Detailregelungen zur Unterstützung der Operativgruppe, die das MfS 1971 festschreiben wollte. Im November unterzeichneten beide Ministerien eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit der Untersuchungsabteilungen und eine weitere über die Auslieferung von DDR-Flüchtlingen, die geradewegs als Straftäter bezeichnet wurden. Letztere Vereinbarung regelte die Modalitäten der sogenannten administrativen Ausweisung festgesetzter Flüchtlinge, gegen die bereits in der ČSSR ein Verfahren eröffnet wurde: Faktisch handelte es sich um eine Auslieferung, denn die »Ausgewiesenen« wurden durchweg bewacht und entweder per Flug in ihr Herkunftsland zurückgeführt oder an einem Grenzübergang der 584 Protokoll der Beratungen zwischen den Delegationen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR und dem Ministerium des Innern der ČSSR, Berlin, 3.7.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 37–47. Die tschechische Überlieferung wurde veröffentlicht unter http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace10de.pdf, deren Übersetzung ins Tschechische unter http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace10.pdf. 585 Übersetzung aus dem Tschechischen: Vereinbarung über die gegenseitige Behandlung von konspirativen Wohnungen, die von Vertretern des Föderalen Ministeriums des Innern der ČSSR in Berlin und von Vertretern des MfS der DDR in Prag genutzt werden, Prag, 19.10.1973; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8458; die tschechische Überlieferung wurde veröffentlicht unter http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace19.pdf (nur in tschechischer Sprache); Schreiben der Abt. X an das Kabinett des Ministers des FMdI der ČSSR, 19.11.1984; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1992, Bl. 25 f.
Zusammenarbeit mit dem Innenministerium
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jeweils anderen Geheimpolizei übergeben. Die Sicherheitsdienste regelten auch die gegenseitige Informierung bei Flucht und Fluchthilfe, wobei die Kommunikation über die Internationalen Abteilungen erfolgen sollte. Mit diesen Verträgen, die sich in ihrem Aufbau an die von 1967 anlehnten, hatte das MfS die Rechtslage in der bilateralen Kooperation aus der Zeit vor dem »Prager Frühling« wiederhergestellt. Die in komplizierter Sprache abgefassten Dokumente bezeugen die vom MfS vorangetriebene Verrechtlichung der zwischenstaatlichen Beziehungen der Ministerien.586 Auch mit dem nachrichtendienstlichen Teil des tschechoslowakischen Grenzschutzes schloss die Hauptabteilung VI einen direkten Vertrag ab. Er regelte die Kommunikation zwischen den Grenzbrigaden an der gemeinsamen Grenze, (jedoch auch das Vorgehen gegen Fluchthelfer, DDR-Flüchtlinge und gegen Reisende mit Ost-West-Kontakten). Der Text ermächtigte die Hauptabteilung VI, DDR-Bürger in der ČSSR »operativ zu überprüfen« – diese Regelung legitimierte auch die Arbeit der nicht explizit erwähnten Operativgruppe.587 Zur Mitte der 1980er-Jahre versuchte das MfS zudem, einen Vertrag mit der XIV. Verwaltung der StB abzuschließen. Sie existierte von 1981 bis 1985 und war für die Bekämpfung von Luftpiraterie, Terror, Sabotage und Drogenhandel zuständig. Auf ostdeutscher Seite sollten die HA VI, die ZKG und die Abt. XXII (Terrorabwehr) unterzeichnen. Indem das MfS die Terrorabwehr in die Zusammenarbeit der HA VI einbezog, versuchte es, Fluchthilfe weiter zu kriminalisieren und sie mit schärferen Mitteln zu bekämpfen. Eine Unterzeichnung des Vertrags ist nicht überliefert – dies hatte möglicherweise damit zu tun, dass die StB die XIV. Verwaltung kurz nach der Erarbeitung des MfS-Entwurfs auflöste.588 Die Abwehrabteilungen beider Ministerien schlossen zu Jahresbeginn 1983 einen Vertrag über Zusammenarbeit ohne Bezugnahmen auf Verhinderung von Fluchten oder Ost-West-Kontakten. Die Vertragsfrist war abgelaufen, als die HA II 1986 mit Einverständnis der StB einen Vertreter in die Operativgruppe 586 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem FMdI der ČSSR, 9.3.1977; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8453; Protokoll über das Zusammenwirken zwischen den Untersuchungsorganen des MfS der DDR und des FMdI der ČSSR, 24.11.1977; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8898; Protokoll über die Organisierung der Übergabe/Übernahme straffällig gewordener Bürger der DDR und der ČSSR in Zuständigkeit der Organe der Staatssicherheit, 24.11.1977; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8899. 587 Protokoll über das Zusammenwirken und die Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung VI des MfS der DDR und der Nachrichtendienstlichen Verwaltung der Hauptverwaltung Grenzwache und Schutz der Staatsgrenze des FMdI der ČSSR bei der politisch-ope rativen Sicherung des grenzüberschreitenden Verkehrs [...], o. O., November 1980; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1840, Bl. 2–10. 588 Entwurf: Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen der XIV. Verwaltung des Korps für Nationale Sicherheit der ČSSR und der Zentralen Koordinierungsgruppe, der Hauptabteilung VI und der Abteilung XXII des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR für die Jahre 1984 bis 1988, o. D.; BStU, MfS, ZKG, Nr. 14155, Bl. 98–104.
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entsandte. In bilateralen Verhandlungen präsentierte die tschechoslowakische Seite 1986 einen Neuentwurf, der neben der »operativen Kontrolle von Zielpersonen während ihres Aufenthaltes in der ČSSR und in der DDR« auch die gemeinsame Beobachtung westlicher Reisebüros und politischer Organisationen hinsichtlich möglicher nachrichtendienstlicher Aktivitäten oder von Fluchthilfe vorsah. Auch Lkw-Fahrer im internationalen Verkehr sollten überwacht werden. Bei ihnen kam der Verdacht des Schmuggels hinzu. Dass die HA II den Entwurf zurückwies, lag nicht an den Aufgabenstellungen an sich, sondern am Linienprinzip: Sie bestand darauf, ihre Aufgaben von denen der HA VI und der ZKG zu trennen. Die Minister stimmten deshalb im Juli 1987 über ihre Internationalen Abteilungen einer Verlängerung des ausgelaufenen Vertrags bis 1990 zu.589 Weiterhin schlossen beide Ministerien Verträge zur Bekämpfung der Oppositionen ab. Diese berührten die Arbeit der Operativgruppe in der ČSSR eher am Rande, denn die zuständige Hauptabteilung XX entsandte keine Mitarbeiter in die Gruppe. Einem Plan zur Zusammenarbeit von 1979 folgten ein Perspektivplan für 1982 bis 1985 und ein Plan des Zusammenwirkens für 1987 bis 1990. Die dem Perspektivplan beigefügte Liste verzeichnet zwölf gemeinsame operative Vorgänge. An einigen hiervon, die vorsahen, dass die Sicherheitsdienste Ostoder Westdeutsche in der ČSSR beobachteten, dürfte die Operativgruppe mitgewirkt haben.590
589 Plan der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Kooperation zwischen der Hauptabteilung II des MfS der DDR und der II. Verwaltung des Korps der Nationalen Sicherheit der ČSSR für den Zeitraum 1982–1985, Januar 1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 962, Bl. 2–14; Veröffentlichung der tschechischen Überlieferung unter http://www.ustrcr.cz/data/pdf/ projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace44de.pdf; Entwurf: Plan des Zusammenwirkens und der Zusammenarbeit zwischen der II. Verwaltung des Korps für Nationale Sicherheit der ČSSR und der Hauptabteilung II und Hauptabteilung VI des MfS der DDR für die Jahre 1987–1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 283–287; Notiz; ebenda, Bl. 282. Die Verlängerung des ausgelaufenen Vertrags ist in russischsprachigen Telegrammen im Prager Archiv der Sicherheitsakten überliefert: http://www.ustrcr.cz/data/pdf/projekty/mezinarodni-spoluprace/ndr/spoluprace44.pdf. 590 Plan der Zusammenarbeit, gegenseitigen Unterstützung und Koordinierung zwischen der Hauptabteilung XX des MfS der DDR und der X. Verwaltung des FMdI der ČSSR für den Zeitraum 1979 bis 1980, o. O., 14.2.1979; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1793, Bl. 2–12; Perspektivplan für die Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung XX des MfS der DDR und der X. Verwaltung des Korps der Nationalen Sicherheit der ČSSR für die Jahre 1982–1985, Berlin, 21.1.1982; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1818, Bl. 1–16; Plan des Zusammenwirkens und der Zusammenarbeit zwischen der HA XX des MfS der DDR und der X. Verwaltung des Korps für Nationale Sicherheit der ČSSR für die Jahre 1987–1990; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8456.
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5.6.2 Kommunikation Die Operativgruppe in Prag dürfte diejenige mit der größten Durchdringung ihrer Partnerinstitution gewesen sein. Dies war erstens auf ihr Ausspionieren der StB während und nach dem »Prager Frühling« zurückzuführen, das dem MfS nicht nur einen profunden Einblick in die Funktionsweise der StB, sondern auch Kenntnisse von Grundüberzeugungen, Motiven, Strategien und Handlungsmustern einzelner Mitarbeiter verschaffte. Zweitens eröffnete die sehr enge Zusammenarbeit mit der StB in den 1980er-Jahren der Operativgruppe eine Fülle von Arbeitskontakten. Eine im November 1989 angefertigte Aufstellung führt landesweit 87 Kontaktmöglichkeiten mit Personennamen und zumeist auch mit Direktdurchwahlen auf. Diese befanden sich im Föderalen Ministerium des Innern, in der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit in Prag, der Prager Miliz, der Prager Zentrale der Hauptverwaltung Grenzwache, im Prager Flughafen und in vielen StB-Regionaldienststellen.591 Die Arbeitskontakte zwischen der Operativgruppe und der StB waren so eng, dass sich einzelne tschechoslowakische Funktionäre auf der mittleren und der Leitungsebene gelegentlich gegen die uneingeschränkte informationelle Nutzung der StB durch das MfS stemmten. Während diese Versuche in den 1970er-Jahren noch erfolgreich waren, blieb es in den 1980ern bei gelegentlichen Aufforderungen, die MfS-Operativgruppe möge in allen Belangen der Kooperation zuerst die Abteilung für Internationale Verbindungen (OMS) des tschechoslowakischen Innenministeriums konsultieren. Die Aktenlage stützt die Annahme, dass sich die Operativgruppe auch nach dem Ende ihrer Spionageaktivitäten gegen die StB nicht immer an diese Regelung hielt. Stattdessen bestand eine Parallelität zwischen formellen Informationsströmen über die Internationale Abteilung einerseits und informellen Arbeitskontakten andererseits. Das MfS drängte auf eine möglichst direkte Kommunikation zur schnellen und verlustfreien Information, während die StB abwiegelte und die eigene Souveränität gefährdet sah. In Phasen enger Kooperation ließ die StB direkte Kommunikation eher zu als zu Zeiten gegenseitigen Misstrauens. Auch einzelne operative Erfahrungen oder personelle Veränderungen konnten Anlass für einen Wandel der Kommunikation sein. Der Abschlussbericht der Operativgruppe für 1966 vermerkte, dass die Gruppe Maßnahmen zu dieser Zeit direkt mit den operativen Mitarbeitern des tschechoslowakischen Innenministeriums durchführte.592 Der »Prager Früh591 Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Aufstellung über Verbindungen zum Bruderorgan, Prag, November 1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 773, Bl. 22–28. 592 HA XX/5/IV: Abschlussbericht über den Einsatz der Operativgruppe der Hauptabteilung XX/5 in der ČSSR 1966, Berlin, 2.12.1966; BStU, MfS, HA XX, Nr. 8452, Bl. 24– 46, hier 40.
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ling« unterbrach die enge Kooperation: Beispielsweise erfuhr die Operativgruppe im Jahre 1969 erst über die Abteilung X des MfS von einer verhinderten Flucht.593 Die Ministerien verhandelten in zahlreichen Anläufen den Konflikt zwischen der vom MfS gewollten, direkten Kommunikation auf Arbeitsebene sowie der von der StB favorisierten, formalisierten Kommunikation über die Leitungsebenen und die Internationalen Abteilungen. Die Abteilung X produzierte hierbei viele Dokumente, die sich mit der Gestaltung der Informationsflüsse zwischen MfS, seiner Operativgruppe in Prag und der StB befassten. Das erste entstand im März 1971.594 Als eine Delegation der Hauptabteilung VI knapp zwei Monate später in Prag Verhandlungen zur geplanten Überwachung von DDR-Touristen führte, argumentierte sie für einen »schnellen Informationsfluß« zwischen der Operativgruppe und der StB. Sie legte ihren Verhandlungspartnern hierzu ein umfangreiches Konzeptpapier vor, das im Stil eines vorgefertigten Vertrags abgefasst war. Darin setzte sie sogar ein Zieldatum für den Beginn einer »direkten Zusammenarbeit« zur Kontrolle über DDR-Touristen in der ČSSR fest – den »15.6.1971, 0.00 Uhr«. Die tschechoslowakischen Verhandlungspartner müssen dies als Ultimatum aufgefasst haben. Sie beharrten auf einem Befehl des Innenministers, sämtliche Informationen über die Internationale Abteilung zu leiten.595 Im Jahr 1973 – inzwischen war die Operativgruppe wieder mit der Überwachung von Touristen befasst – versuchte die HA VI erneut, die StB zu engeren Arbeitsbeziehungen zu bewegen. Eine von ihr ausgearbeitete Vereinbarung sah ein gestaffeltes Kommunikationssystem vor, in dem grundsätzlich über die Internationalen Abteilungen, in Sonderfällen jedoch direkt kommuniziert werden sollte. Auch sollte die Operativgruppe die Regionaldienststellen in den Urlaubsgegenden direkt kontaktieren dürfen. Es ist nicht überliefert, ob die tschecho slowakische Seite diese Vereinbarung annahm.596 Ein MfS-Bericht von 1977 belegt, dass der schriftliche Informationsaustausch der Operativgruppe mit der StB ausschließlich über deren Internationale Abteilung lief. Mündlich kommunizierte die OPG allein mit den für die Kurbäder zuständigen Regionalverwaltungen. An die II. Verwaltung der StB gab 593 Operativgruppe ČSSR: Information, Prag, den 26.6.1969; BStU. MfS, HA XX, Nr. 5082, Bl. 82. 594 Abt. X: Die Planung, Durchführung und finanzielle Regelung des Zusammenwirkens zwischen den zuständigen Diensteinheiten des MfS der DDR und des Ministeriums des Innern der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik, 10.3.1971; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8459. 595 HA VI, Leiter: Bericht über die Verhandlungen mit Vertretern der Staatssicherheitsorgane des MdI der ČSSR in der Zeit vom 3. bis 6. Mai 1971 in Prag; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 1–15, hier 6–9; (Konzeption für die Verhandlungen mit dem tschechoslowakischen Innenministerium), o. T., o. D.; ebenda, Bl. 16–28. 596 Informationsbeziehungen zwischen der Operativgruppe des MfS und den Sicherheitsorganen der ČSSR, Berlin, 6.3.1973; ebenda, Bl. 71–74.
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sie mündliche Informationen, doch diese antwortete ausschließlich auf schriftlichem Weg über die Internationale Abteilung.597 Auf einer Leitungssitzung im Jahr 1978 diskutierten die Spitzen der Hauptabteilung VI darüber, dass die StB keine Verbindungsoffiziere in den Urlauberzentren eingesetzt habe – dies hatte das MfS bereits im Juli 1971 verlangt. Sie habe sogar einen Verbindungsoffizier der II. Verwaltung abgeschafft, um den Informationsaustausch zentral über die Internationalen Abteilungen zu lenken.598 Im Jahr 1983 erbat die Hauptabteilung II die gemeinsame Beschattung eines bundesdeutschen Journalisten über die Internationalen Abteilungen.599 Zur allmählichen Verbesserung der Position der Operativgruppe gegenüber der StB mag beigetragen haben, dass die HA VI ihre Leiter in den 1980er-Jahren in bilaterale Beratungen einbezog. Auch wenn konkrete Aktionen zu besprechen waren, zog die HA VI die Operativgruppe hinzu. Sie stellte sie gegenüber der StB als Ansprechpartner bei gemeinsamen Maßnahmen heraus.600 Diese Strategie mag aufgegangen sein – zur Jahresmitte 1985 konstatierte die HA VI, dass der Austausch durch eine »engere Gestaltung des Zusammenwirkens, insbesondere zwischen der Operativgruppe und den verantwortlichen Genossen der Internationalen Abteilung, der II. Verwaltung sowie den Bezirksverwaltungen […] qualifiziert werden konnte«.601 Dennoch schwelte der Konflikt um die richtige Kommunikation fort. Im Jahr 1986 sprach sich die MfS-Hauptabteilung II dafür aus, sogenannte »Grenztreffen« mit den tschechoslowakischen Partnern in den Räumlichkeiten von Grenz übergängen durchzuführen. Ihr Nutzen bestehe darin, dass die »etwas schwierige« Internationale Abteilung (hier ist wohl die tschechoslowakische gemeint) »herausgehalten« werde. Ihren Prager Abgesandten präsentierte sie der StB als Verbindungsoffizier. Allerdings war er ein Verbindungsoffizier ohne Verbindung: Bei seinem Antrittsbesuch bei der II. Hauptverwaltung des tschecho slowakischen Innenministeriums wiesen ihn die ebenso anwesenden Leiter beider Internationaler Abteilungen darauf hin, dass er die II. Hauptverwaltung 597 HA VI: Einschätzung zur Entwicklung der Zusammenarbeit der Hauptabteilung VI mit den Sicherheitsorganen der ČSSR bei der Absicherung des Reise- und Touristenverkehrs, Berlin, 9.5.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 130–163, hier 145, 148. 598 HA VI, Bereich Auslandstourismus, Leiter: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242– 251, hier 243. 599 HA II, Leiter: Absprache eines operativen Materials mit Vertretern der Sicherheitsorgane der ČSSR, Berlin, 20.1.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 178 f. 600 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Thesen für die Ausführungen des Genossen Minister anläßlich des Besuches des Ministers des FMdI der ČSSR, Berlin, 27.1.1984; BStU, MfS, HA VI, Nr. 2505, Bl. 87. 601 HA VI/AKG: Leiterberatung am 15.5.85, Material zusammengestellt am 29.5.1985; BStU, MfS, HA VI, Nr. 42, Bl. 223–259, hierin Punkt 2: »Zusammenfassung zum Zusammenwirken mit den Bruderorganen«, ČSSR, Bl. 240 f.
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nur nach Rücksprache mit der tschechoslowakischen Internationalen Abteilung kontaktieren dürfe.602 Doch selbst in der zentralisierten Kommunikation traten zahlreiche Pannen auf, beispielsweise als der Abwehrmitarbeiter in der Operativgruppe über die tschechoslowakische Internationale Abteilung eilige Maßnahmen – wahrscheinlich handelte es sich um eine Observation – beantragte. Die MfS-Abteilung X war der korrekten Form wegen gehalten, eine Bestätigung der Hauptabteilung II an die tschechoslowakische Internationale Abteilung nachzusenden. Da diese die Form eines Auftrags trug, und da verschiedene Mitarbeiter die aus Ostberlin und von der Operativgruppe eintreffenden Anforderungen bearbeiteten, veranlasste die Internationale Abteilung die Observation doppelt.603 Die observierenden StB-Mitarbeiter dürften sich möglicherweise über die Anwesenheit weiterer Beobachter gewundert haben. In der Folgezeit trennten die kooperierenden Ministerien die Anfragen nach bestimmten Kriterien. Wollte die Operativgruppe eine Überprüfung von Personen, Fahrzeugen oder Telefonnummern in den StB-Speichern vornehmen oder zügig Fahndungsmaßnahmen an den tschechoslowakischen Grenzübergängen einleiten lassen, musste der Verbindungsoffizier bei der Internationalen Abteilung der StB beauftragt werden. Gleiches galt für Überprüfungen von Hotel- oder Campinganmeldungen von DDR-Bürgern. Maßnahmen wie Beobachtungen mit operativer Technik, langfristige Fahndungen oder ein Hinzuziehen inoffizieller Mitarbeiter musste das Ostberliner Basisreferat über die Internationalen Abteilungen beider Ministerien in Auftrag geben.604 Offenbar missachtete die Operativgruppe diese Abmachungen, worauf die Internationale Abteilung des tschechoslowakischen Innenministeriums sie abmahnte. Auch signalisierte sie der Operativgruppe, dass ein StB-Mitarbeiter entlassen wurde, der in der Zusammenarbeit mit »den Operativgruppen« nicht den offiziell vorgeschriebenen Kommunikationsweg einhielt.605
602 HA II/Abt. 10: Auswertung Arbeitsbesuch bei II. Verwaltung ČSSR-Sicherheitsorgan, Berlin, 24.11.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 150–152; Bericht über meine Vorstellung bei der II. Hauptverwaltung der Sicherheitsorgane der ČSSR, 10.9.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 708, Bl. 217 f. 603 Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Niederschrift über ein Arbeitsgespräch, Prag, 22.10.1987; ebenda, Bl. 265–267. 604 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 74–80, 98. 605 Fernschreiben Nr. 106/88, 28.10.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 264, Bl. 37.
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5.6.3 Gemeinsame operative Vorgänge Beide Geheimpolizeien starteten relativ früh größere und langfristige gemeinsame Beobachtungsmissionen. Möglicherweise wegen der gemeinsamen Bustouren für West- und Ostdeutsche, die das »Kaufhof«-Reisebüro Anfang der 1970er-Jahre organisiert hatte, beobachtete die Operativgruppe dieses Reiseunternehmen zusammen mit der StB. Die Gruppe beabsichtigte, auch andere Unternehmen auszuspionieren, um Kontakte zwischen Urlaubern beider deutscher Staaten zu verhindern. Zusammen mit der StB bekämpfte sie weiterhin westliche Fluchthelfer in gemeinsamen Aktionen. Im Oktober 1973 eröffneten die Geheimpolizeien zwei gemeinsame Vorgänge gegen Personen, die sie der Fluchthilfe und der Spionage verdächtigten.606 In den 1980er-Jahren wuchs die Zahl dieser gemeinsamen Maßnahmen. Die Operativgruppe und andere Diensteinheiten der HA VI bearbeiteten 1985 und 1986 neun operative Vorgänge und operative Materialien gemeinsam mit dem tschechoslowakischen Partnerdienst. Das MfS zählte weiterhin acht gemeinsame operative Aktionen. Diese richteten sich gegen Fluchthilfe und Schmuggel. Der Partnerdienst führte 1985 1 400 Überprüfungen für das MfS durch, davon 55 unter Einbeziehung oder auf Ersuchen der Operativgruppe. Zehnmal überprüften beide in »operativen Kontroll maßnahmen« DDR-Urlauber.607 Wenn die Operativgruppe an gemeinsamen operativen Vorgängen beteiligt war, wirkte sie gelegentlich federführend gegenüber der StB. Diese übernahm im MfS-Auftrag Fahndungs- und Überwachungsaufgaben. DDR-Bürger indes überwachte die Operativgruppe selbst.608 Das operative Material »Elbe« verdeutlicht, wie beide Geheimpolizeien eine solche gemeinsame Maßnahme aufbauschten. Das Ziel von HA VI, der Operativgruppe in Prag und der StB war ein kleineres Schmugglernetz mit einstigen Kontakten zu einer Fluchthilfeorganisation. Die Schmuggler waren der Vorbereitung erneuter Fluchthilfeaktionen verdächtig, ohne dass sich der Verdacht erhärtete. Stattdessen wurden Mutmaßungen konstruiert: Weil die Freundin eines Beteiligten die Tochter eines Mitarbeiters des ungarischen Innenministeriums war, stand in Rede, die Schmuggler könnten im Dienst der ungarischen Geheimpolizei stehen. Aus diesem Grund wurde das Material »Elbe« vor dem ungarischen Innenministerium ver-
606 HA VI: Einschätzung zur Entwicklung der Zusammenarbeit der Hauptabteilung VI mit den Sicherheitsorganen der ČSSR bei der Absicherung des Reise- und Touristenverkehrs, Berlin, 9.5.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 130–163, hier 143, 147. 607 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratung mit leitenden Mitarbeitern der II. Verwaltung des FMdI der ČSSR vom 8. bis 11.4.1986 in Prag, Berlin, 18.4.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 236–242, hier 239 f. 608 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 90–96.
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heimlicht und in Ungarn Recherchen unter Legende durchgeführt.609 Die OPK »Belgrad« der Jahre 1988 und 1989 dokumentiert, wie das MfS, seine Operativgruppe und die StB ein Netzwerk mutmaßlicher jugoslawischer Passfälscher überführen wollten. In diesem Fall war die Operativgruppe selbst federführend. Nachdem ein Mitarbeiter alle bekannten Daten und Sachverhalte zusammengefasst hatte, entwarf er einen Plan, der alle Maßnahmen sowie die zuständigen Diensteinheiten des MfS und der StB verzeichnete.610 Eine Übersicht, die 1988 im Rahmen der geplanten Übernahme der Operativgruppen durch die HA II angefertigt wurde, verzeichnet zwei operative Vorgänge, eine OPK sowie zwei Ausgangsmaterialien. Im Jahr 1989 besprach die HA VI insgesamt sieben operative Vorgänge, OPK und operative Materialien mit der StB. An vielen von ihnen wirkte die Operativgruppe mit.611 Eine 1986 von der tschechoslowakischen Seite angefertigte Auflistung zeigt, dass auch die ZKG mit der StB gemeinsame Vorgänge durchführte, die sich gegen Flüchtlinge und Fluchthelfer richteten.612 Für die Spionageabwehr sind keine genauen Statistiken darüber überliefert, an welchen operativen Vorgängen die Operativgruppe beteiligt war. Einen Einblick geben allein die Statistiken bilateral betriebener Vorgänge der Hauptabteilung II sowie die Protokolle bilateraler Treffen, an denen der ab 1986 in Prag tätige Abwehroffizier Ewald Fleischmann teilnahm. So ist anzunehmen, dass die Operativgruppe zumindest teilweise und auf der Arbeitsebene an vielen gemeinsamen Vorgängen mitwirkte. Auch vor 1986 kooperierten die Abwehrabteilungen in acht operativen Vorgängen. Deren Zusammenfassungen vermitteln allerdings den Eindruck, dass die StB und das MfS oft nur schleppend zusammenarbeiteten und die Vorgänge stattdessen in Eigenregie weiterverfolgten. In zwei Vorgängen kam die Kooperation sogar ganz zum Erliegen.613 Im Jahr 1986 beobachteten die Abwehrabteilungen des MfS und der StB zwei Mitarbeiter der 609 Dokumente zum Operativen (Ausgangs-)Material »Elbe«; BStU, MfS, HA VI, Nr. 5016. 610 Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Sachstandsbericht zur gemeinsam mit dem Bruderorgan der ČSSR (II. Verwaltung Prag und Kreisverwaltung Bratislava) bearbeiteten OPK »Belgrad«, Prag, 15.5.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 61, Bl. 117–126; Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Maßnahmeplan zur weiteren gemeinsamen Bearbeitung der OPK »Belgrad«, Prag, 16.5.1989; ebenda, Bl. 127–135. 611 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 93–95; HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbeitern der Nachrichtendienstlichen Verwaltung der HV Grenztruppen und Schutz der Staatsgrenze und der II. HV Abwehr des FMdI der ČSSR in der Zeit vom 24.5.–26.5.1989 in Berlin, Berlin, 29.5.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 2–18, hier 15. 612 Übersetzung aus dem Tschechischen: Übersicht über inoffiziell-operative Maßnahmen zu Zielobjekten (1986); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 288 f. 613 Stand der Erfüllung der gemeinsamen Vereinbarung zwischen der HA II und der II. Verwaltung des Korps der Nationalen Sicherheit der ČSSR für den Zeitraum 1982–1985 (1986); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 264, Bl. 18 f.
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Botschaft der Bundesrepublik sowie einen der Botschaft Österreichs. Weiterhin sammelten sie belastendes Material über einen bundesdeutschen Geschäftsmann, den sie verdächtigten, für einen Geheimdienst zu arbeiten. Hinzu kamen zwei weitere gemeinsame OV. Auch versuchten die Geheimpolizeien, zwei ostdeutsche Zuträger im Umfeld von Mitarbeitern westlicher Botschaften in Prag zu positionieren.614 Die Abwehreinheiten koordinierten ihren Stand zu gemeinsamen Vorgängen auf den »Grenztreffen«. Hier informierten sie sich auch gegenseitig über geheimpolizeiliche Arbeitsabläufe. Die ersten Treffen unter Beteiligung von Fleischmann fanden im Februar 1987 statt; seit dem Vorjahr waren bereits weitere gemeinsame OV hinzugekommen. Beide Geheimpolizeien wollten ihre Überwachung der britischen und französischen Botschaften in Prag in einem gemeinsamen Vorgang »Roger« verstärken. Zum Auftakt der Zusammenarbeit informierte die StB-Abwehr die Hauptabteilung II recht umfassend über ihre Kenntnisse, die das MfS intern als lückenhaft bewertete. Die StB übergab dem MfS Unterlagen über die Situation in den Botschaften sowie eine Liste dortig tätiger (vermutlich tschechoslowakischer) Mitarbeiterinnen. Die StB hatte laut MfS-Überlieferung erfolglos versucht, eigene geheime Mitarbeiter an diese heranzuführen – nun sollte es die MfS-Hauptabteilung II versuchen. Den Wunsch der StB-Abwehr, drei Tschechoslowaken bei Reisen in die Bundesrepublik zu observieren, beantworteten die MfS-Vertreter mit einem Verweis auf die Hauptverwaltung A, die über die tschechoslowakische Aufklärung zu kontaktieren sei.615 Ein Grenztreffen im Juni des gleichen Jahres trug sogar offiziellen Charakter – in der Kreisdienststelle Děčín trafen sich unweit der Grenze der Leiter der HA II, Günther Kratsch und sein tschechoslowakisches Gegenüber Karel Fiřt, der Leiter der II. Verwaltung. Sie trafen Vereinbarungen zu komplexen gemeinsamen Vorgängen, an denen der anwesende Abwehroffizier Ewald Fleischmann wohl am Rande beteiligt war oder in denen er als Verbindungsoffizier fungierte.616 Zwischen Weihnachten und Neujahr 1988 improvisierte der neu eingesetzte Abwehroffizier Hans Gottschling ein bilaterales Treffen in seiner Wohnung, bei dem ein angereister Mitarbeiter der HA II und zwei Mitarbeiter der 614 Übersetzung aus dem Tschechischen: Übersicht über inoffiziell-operative Maßnahmen zu Zielobjekten (1986); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 288 f. 615 HA II/2: Grenztreffen mit Mitarbeitern der II. Verwaltung des MdI der ČSSR am 17.2.1987 in Bad Schandau, Berlin, 19.2.1987; ebenda, Bl. 133–136; HA II/Abt. 9: Bericht zum Grenztreffen am 19.2.1987 (3. Abteilung der II. HV des Kf NS der ČSSR), Berlin, 21.2.1987; ebenda, Bl. 185–187. Eine Beteiligung der OPG am Vorgang »Roger« ist auch in der tschechoslowakischen Überlieferung aktenkundig. Siehe ABS, II. správa SNB, f. A 34/1, j. 990, Ordner »Akce Roger – NDR«, o. Pag. 616 HA II: Bericht über das Grenztreffen mit Genossen des Kf NS der ČSSR am 16. Juni 1987, Berlin, 18.6.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 97–102.
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StB-Abwehr Details zu zwei Bundesbürgern besprachen, die bei ČSSR-Besuchen – es handelte sich um Kuraufenthalte und Besuche von befreundeten Familien – in gesonderten Vorgängen überwacht werden sollten. Auch später lud Gottschling seine tschechoslowakischen Verbindungsleute zu Koordinationsgesprächen in seine Privatwohnung ein.617 Zu dieser Zeit waren die Abwehreinheiten immer noch mit dem Vorgang »Roger« befasst, worüber sie Gottschling und Fleischmann informierten. Die Akten überliefern keine nennenswerten Ergebnisse des Vorgangs.618 Auch Ambitionen beider Ministerien zu fünf größeren gemeinsamen Maßnahmen gegen die Oppositionen dürften in der Praxis der Zusammenarbeit weniger spektakulär ausgefallen sein. Ob und wie weit die Prager Operativgruppe an der geplanten Überwachung oppositioneller und religiöser Grenzgänger zwischen beiden Staaten sowie zwischen Ost und West beteiligt war, ist unklar.619 5.6.4 Charakter der Zusammenarbeit Nach der Niederschlagung des »Prager Frühlings« bestand zunächst eine deutliche Asymmetrie zwischen der sich neu organisierenden StB und dem MfS, das den Partnerdienst über einige Jahre hinweg ausspioniert hatte. Das MfS wollte seine Überlegenheit nutzen, um geheimpolizeiliche Abläufe in der ČSSR mitzugestalten. In zahlreichen bilateralen Treffen mit der StB, bei denen oftmals Vertreter der Prager Operativgruppe zugegen waren, inszenierte es sich als professionelles Vorbild. Allerdings dauerte es eine gewisse Zeit, bis die Geheimpolizeien erneut so intensiv wie vor dem »Prager Frühling« kooperierten. Möglicherweise liegt die nur zögerliche Kooperation in den frühen 1970er-Jahren gerade in der Asymme trie begründet. Selbst aus der MfS-Überlieferung lässt sich herauslesen, dass die StB-Vertreter in den Verhandlungen zwar Konflikten mit dem Mielke-Ministerium auswichen, jedoch nicht aktiv kooperierten und sogar juristische Verständigungen verschleppten. Dies wird in den Treffen deutlich, in denen die kooperierenden Geheimpolizeien das wahrscheinlich nie bestätigte Kooperationsprotokoll 617 HA II, Leiter: Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der ČSSR, Berlin, 7.9.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 264, Bl. 36; HA II/Abt. 10: Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der ČSSR – Gesprächsvermerk, Berlin, 2.1.1989; ebenda, Bl. 40–42; Außenstelle Prag: Information, Prag, 20.3.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 214, Bl. 30 f. 618 HA II/Abt. 9: Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der ČSSR, Berlin, 22.6.1988; ebenda, Bl. 40; HA II/9: Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der ČSSR, Berlin, 10.3.1989; ebenda, Bl. 34. 619 Plan des Zusammenwirkens und der Zusammenarbeit zwischen der HA XX des MfS der DDR und der X. Verwaltung des Kf NS der ČSSR für die Jahre 1987–1990, Anlage: Übersicht über inoffiziell-operative Maßnahmen zu interessierenden Personen für die Jahre 1987– 1990; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8456, Bl. 11–13.
Zusammenarbeit mit dem Innenministerium
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von 1971 erarbeiteten. Der Leiter der Hauptabteilung VI, Heinz Fiedler, schrieb den Vertretern des tschechoslowakischen Innenministeriums einen »unsicheren Eindruck« zu und führte dies auf mangelnde berufliche Erfahrung zurück. Diese rangen wohl um Anerkennung und mussten dabei vermeiden, das MfS zu düpieren. Sie vermittelten dem MfS mit strengen Formeln wie »den Reise- und Touristenverkehr straff in den Griff bekommen« einerseits die Illusion einer Übereinstimmung. Dass sie die MfS-Delegation bei ihrem Grenzübertritt empfingen und sie auf dem Rückweg zur Grenze begleiteten, war wohl ein Versuch, Souveränität zu demonstrieren.620 Nach weiteren Verhandlungen urteilte Heinz Fiedler, dass die im Kooperationsprotokoll fixierten »Aufgabenstellungen fast vollständig von der ČSSR-Delegation akzeptiert« worden seien, obwohl diese – wie sich später her ausstellte – allein offenen Widerspruch vermieden hatte.621 Nicht zuletzt dürften Versuche des MfS, in Fragen der Fluchtverhinderung Einfluss auf die StB auszuüben, dort Verwunderung ausgelöst haben. Eigens zur Überprüfung des Flughafens Ruzyně nach Prag gereiste MfS-Gutachter forderten die StB beispielsweise auf, dort einen Transitraum einzurichten, was die tschechoslowakische Seite zunächst als unrealistisch ablehnte.622 Nach der geheimpolizeilichen Machtlogik fühlten sich die MfS-Vertreter ermächtigt, gegenüber der StB bevormundend aufzutreten. Aus der asymmetrischen bilateralen Situation leiteten sie einen gewissen Führungsanspruch ab, dem die StB passiv entgegentrat. Möglicherweise steigerte die entstehende Oppositionsbewegung in der ČSSR ab 1976 die Kooperationsbereitschaft der StB mit dem MfS insgesamt und bei der Fluchtbekämpfung. Die Kooperation gestaltete sich nun einzigartig eng – enger als die mit dem ungarischen oder mit dem bulgarischen Innenministerium. Die StB sorgte für die Überwachung der Grenzen samt Binnenvorland und ließ sich von Informanten Fluchtpläne melden, die auch zum MfS gelangten. Nicht nur aus der Tschechoslowakei – sogar aus Budapest meldete ein StB-Informant ihm zu Ohren gekommene Fluchtabsichten.623 Ein weiteres Indiz für die enge Zusammenarbeit ist die dichtere Kommunikation: Im Jahr 1985 übergab die ČSSR-Seite 1 685 Informationen allein zu Westkontakten von DDR-Bürgern. Auf den Grenzübergängen und zwischen den Flughäfen in Berlin und Prag etablierten die Geheimpolizeien einen »operativen 620 HA VI, Leiter: Bericht über die Verhandlungen mit Vertretern der Staatssicherheits organe des MdI der ČSSR in der Zeit vom 3. bis 6. Mai 1971 in Prag, Berlin, 7.5.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 1–15. 621 HA VI, Leiter: Bericht über die Verhandlungen mit Vertretern der Staatssicherheitsorgane des Ministeriums des Innern der ČSSR in der Zeit vom 30.6. bis 3.7.1971 in Berlin, Berlin, 5.7.1971; ebenda, Bl. 35 f. 622 Übersetzung aus dem Tschechischen: Protokoll über die Verhandlungen einer Arbeitsgruppe des föderalen Ministeriums des Innern, Prag, 12.6.1971; ebenda, Bl. 29–34, hier 33. 623 Kreisdienststelle Döbeln: Zwischenbericht zum OV »Diplom«, Döbeln, 15.9.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 5016, Bl. 56–58.
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Informationsaustausch« auf kurzem Wege.624 In der zweiten Hälfte der 1980erJahre stellte allein die Operativgruppe der StB jährlich über 100 Überprüfungsersuchen zu Reisedaten oder Autokennzeichen. Die StB trat für eine MfS-Kontrolle bei Großveranstaltungen ein, wohl weil sie entgrenzt auftretende DDR-Urlauber befürchtete. Die Operativgruppe beklagte unzureichende Unterstützung durch die StB bei der Verfolgung von DDR-Flüchtlingen,625 obwohl die StB im Jahr 1988 insgesamt 2 843 Informationen und Antworten auf Überprüfungsersuchen zu Grenzübertritten und Fluchtplänen an das MfS richtete. Die Übermittlung erfolgte über die Internationale Abteilung, über die Operativgruppe und auf bilateralen Treffen.626 Die Strategie der MfS-Vertreter, ihre tschechoslowakischen Verhandlungspartner über längere Zeit hinweg mit schriftlichen Forderungen zu konfrontieren zeigte Ergebnisse – auch bei der Überwachung des Prager Flughafens. Die StB gab der Forderung des MfS nach und richtete einen Transitbereich ein. Die gescheiterte Fluchthilfe eines Westdeutschen für seine Ostberliner Freundin im Jahr 1983 dokumentiert eine genaue Abstimmung zwischen der Operativgruppe und der StB bei der Fluchtverhinderung im Flugverkehr. Weil sich das Paar bereits zur Ankunft im nunmehr überwachten Transitbereich des Prager Flughafens begrüßte, wurde der Kontakt der Operativgruppe gemeldet. Nachdem diese feststellte, dass die Ostberlinerin einen Ausreiseantrag gestellt hatte und ihr Freund erst ein halbes Jahr zuvor aus der DDR in die Bundesrepublik ausgereist war, observierte sie das Paar. Als der Westdeutsche seiner Freundin bei der Abreise – wiederum im Prager Flughafen – einen bundesdeutschen Pass gab, wurden beide verhaftet. Die Operativgruppe unterhielt bis 1989 direkte Arbeitskontakte zur Passkontrolle in Ruzyně.627 Auch die vertraglich fixierte direkte Zusammenarbeit des MfS mit der Hauptverwaltung Grenzwache des FMdI verdeutlicht die große Nähe beider Geheimpolizeien in den 1980er-Jahren. Aus den Gegebenheiten heraus war das Streben von MfS und Operativgruppe nach engen Kontakten zur StB nur folgerichtig – die meisten DDR-Bürger, die einen Fluchtversuch über ein Drittland unternahmen, wählten hierfür den Weg über die tschechoslowakische Westgrenze.628 624 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit Vertretern der Aufklärungsverwaltung der Hauptverwaltung Grenzwache und Schutz der Staatsgrenze des FMdI der ČSSR vom 8.4.– 11.4.1986 in Prag, Berlin, 18.4.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 213, Bl. 243–251, hier 245–247. 625 (HA VI: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in der ČSSR), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 71–103, hier 90–96. 626 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbeitern der Nachrichtendienstlichen Verwaltung der HV Grenztruppen und Schutz der Staatsgrenze und der II. HV Abwehr des FMdI der ČSSR in der Zeit vom 24.5.–26.5.1989 in Berlin, Berlin, 29.5.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 2–18, hier 6. 627 HA VI/OLZ: Operative Information 8/83, Berlin, 5.1.1983; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17136, Bl. 1 f. und die weiteren Dokumente dieser Akte; HA VI: Information, Berlin, 7.9.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 118, Bl. 226. 628 Siehe S. 146.
6. Die Operativgruppe in Polen Zum Ende der 1970er-Jahre hatte sich in Polen eine starke, dezentrale und gut vernetzte Opposition formiert. Auf umfangreiche Preiserhöhungen für Lebensmittel und Konsumgüter folgte im Jahre 1976 eine Streikbewegung, die sich schnell politisierte. Hinzu kam, dass dem Parteistaat nach der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte im Jahr 1975 weniger Möglichkeiten zur Verfügung standen, die Opposition zu unterdrücken. So konnten sich im polnischen Untergrund eine unabhängige Helsinki-Kommission beim »Komitee zur Verteidigung der Arbeiter« (Komitet Obrony Robotników, KOR, ab 1977 Komitet Samoobrony Społecznej »KOR« bzw. KSS »KOR«) und die »Bewegung zum Schutz der Menschen- und Bürgerrechte« (Ruch Obrony Praw Człowieka i Obywatela, ROPCiO) bilden.629 Schließlich entstand in einer erneuten Streikbewegung im Jahr 1980 die unabhängige Gewerkschaft »Solidarność« (Solidarität), die sich zu einer Massenbewegung mit zeitweise zehn Millionen Mitgliedern ausweitete.630 Zu Beginn der 1980er-Jahre experimentierte die Polnische Vereinigte Arbeiterpartei (PVAP) mit einer begrenzten Pluralisierung, was sogar Überlegungen einer Teilabtretung von Macht an institutionalisierte gesellschaftliche Akteure einschloss.631 Die Reformversuche waren Ausdruck innenpolitischer und wirtschaftlicher Bedrängnis. Die Verschuldungspolitik des langjährigen Ersten Sekretärs Edward Gierek hatte in den 1970er-Jahren weder die gewünschte wirtschaftliche Weiterentwicklung, noch eine Erhöhung des Wohlstands und der innenpolitischen Stabilität erbracht. Bei den ostdeutschen Nachbarn trafen allerdings weder das Vorhaben einer kreditfinanzierten Modernisierung, noch das einer eingehegten Pluralisierung auf Verständnis: Die Beziehungen zwischen SED und PVAP blieben ebenso spannungsreich, wie das Verhältnis zwischen der ostdeutschen und der polnischen Gesellschaft vorurteilsbeladen war.632 Allein in unabhängigen ostdeutschen intellektuellen Zirkeln erwuchs Interesse an den Vorgängen im Nachbarland. Das Ministerium für Staatssicherheit übermittelte der SED in regelmäßigen Berichten unter anderem seine Einschätzung der innenpolitischen Situation in Polen, wozu es die Informantentätigkeit in Polen forcierte. Kulminationspunkt der MfS-Aktivitäten im östlichen Nachbarland war die sogenannte «polnische 629 Lipski: KOR. A History of the Workers’ Defense Committee in Poland; Waligóra: ROPCiO; Friszke: Opozycja polityczna w PRL. 630 Kühn: Das Jahrzehnt der Solidarność. 631 Siehe Rakowski: Rzeczpospolita na progu lat osiemdziesiątych. 632 Olschowsky: Einvernehmen und Konflikt; Kubina; Wilke (Hg.): »Hart und kompro mißlos durchgreifen«.
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Krise» von 1980/81. Die innenpolitischen Machtkämpfe zwischen verschiedenen Flügeln der PVAP sowie das Auftreten einer gesellschaftlichen Gegenmacht in Form der »Solidarność« lösten bei DDR-Funktionären Befürchtungen aus, dass nicht nur die staatssozialistische Herrschaft im östlichen Nachbarland ins Wanken geraten, sondern auch in der DDR Folgen zeitigen könnte. Das MfS übersetzte die polnische Gemengelage ideologisch als ein Szenario drohenden Machtverlusts, dessen Eintreten mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern war. Minister Erich Mielke maß der innenpolitischen Situation in Polen einen hohen Stellenwert bei: Unverhältnismäßig viele seiner Befehle und Rundschreiben regelten die Spionage in Richtung Polen und die Beeinflussung der polnischen Innenpolitik. Weitere Festlegungen zielten auf die Minimierung von innenpolitischen und wirtschaftlichen Folgen der polnischen Proteste für die DDR-Gesellschaft. Der Ausrufung des Kriegszustands in Polen folgten ein zentraler Befehl unter dem Kryptonym «Besinnung» und zahlreiche damit verbundene Anweisungen Mielkes.633 Als das MfS im Jahr 1980 eine Operativgruppe in Warschau gründete, erwartete es sich Informationen über die polnische Innenpolitik sowie auch Möglichkeiten der Einflussnahme. Die Operativgruppe unterstand der MfS-Hauptabteilung II. Da auch die Hauptverwaltung A in den 1980er-Jahren in Richtung Polen arbeitete, war sie an der Tätigkeit der Operativgruppe stark beteiligt. Ein wesentlicher Anteil der Informationen, welche die Operativgruppe nach Berlin sandte, stammte aus offiziellen dienstlichen Kontakten. Sie übermittelte beispielsweise innenpolitische Situationsberichte und Bilanzen der polnischen Staatssicherheit über das Ausspionieren und Zerschlagen oppositioneller Netzwerke.
6.1 Vorgeschichte und Entwicklung der »Operativgruppe Warschau« Der Gründung der vom MfS sogenannten »Operativgruppe Warschau« ging eine längere Vorgeschichte zeitlich begrenzter MfS-Einsätze in Polen voraus. Die Einsätze dürften dem dortigen Sicherheitsdienst bekannt gewesen sein. Bereits zu den »V. Weltfestspielen der Jugend« im Jahr 1955 entsandte das Staatssekretariat für Staatssicherheit für einige Tage eine »Operativgruppe« seiner Hauptabteilungen II und V/3 nach Warschau. Diese sollte sich mit Informanten in der DDR-Delegation treffen. Erich Mielke – zu diesem Zeitpunkt stellvertretender Staatssekretär für Staatssicherheit – hatte festgelegt, dass die Bezirksverwaltungen vorab für je 30 Delegierte einen Informanten zu stellen hätten. Auch wies er an, sowohl die ost- als auch die westdeutsche Delegation auszuspionieren. In 633 Der Minister: Befehl Nr. 18/81, Berlin, 14.12.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5406.
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der westdeutschen Delegation sollte die Operativgruppe sogar potenzielle Zuträger werben.634 Zum Ende der 1950er-Jahre sandte das MfS zeitweilige Operativ gruppen nach Warschau, welche in einer »Aktion Familienzusammenführung« tätig waren. Über diese Maßnahme ist bisher wenig bekannt.635 Vermutlich handelte es sich um eine Kooperation der Abwehreinheiten, in der diese versuchten, Geheimnisträger unter in den Westen geflüchteten deutschstämmigen Polen ausfindig zu machen.636 Ab den 1950er-Jahren arbeitete eine Repräsentanz des polnischen Sicherheitsdienstes mit Wissen der ostdeutschen Staatssicherheit in Ostberlin. Die als »Grupa operacyjna Karpaty« (Operativgruppe Karpaten) oder auch »Grupa Berlińska A« (Berliner Gruppe A) bezeichnete Formation betrieb Spionage in Richtung der Bundesrepublik sowie des Westteils von Berlin und hatte daneben Abwehr- sowie Verbindungsaufgaben. Sie arbeitete legendiert unter dem Dach der polnischen Botschaft und bediente verschiedene Departements des polnischen Innenministeriums (Ministerium Spraw Wewnętrznych, MSW).637 Ab den 1960er-Jahren arbeiteten Mitarbeiter der MfS-Hauptabteilung IX über längere Zeit in polnischen Archiven. Sie kopierten in großem Umfang dort lagerndes Material über deutsche Kriegsverbrechen sowie zu Angehörigen von SS, SD, Gestapo, Sicherheitspolizei und NSDAP. In der Aneignung umfassender archivalischer Evidenz ging es dem MfS primär nicht um die strafrechtliche Verfolgung von Tätern – die hätten auch nicht konspirativ arbeitende Rechtsinstitutionen übernehmen können. Das MfS indes nutzte die vorgefundenen Materialien und Erkenntnisse vor allem für diffamierende Kampagnen – sogenannte »aktive Maßnahmen« – gegen bundesdeutsche Funktionsträger.638 Auch entsandte es bei Bedarf einen operativen Mitarbeiter nach Stettin (Szczecin), der dort DDR-Schiffsbesatzungen überprüfte, die auf der Oder und der Ostsee unterwegs waren. Wie der Spionage verdächtigte Mitarbeiter der DDR-Außenver-
634 1. Stellv. des Staatssekretärs: Dienstanweisung Nr. 15/55, Berlin, 28.6.1955; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 2104. 635 Protokoll der Kollegiumssitzung am 18. Januar 1958, Berlin, 30.1.1958; BStU, MfS, SdM, Nr. 1554, Bl. 1–32, hier 30. 636 (Abt. X an HA II): Aufstellung von Personen, die im Rahmen der Familienzusammenführung aus der VR Polen in die DDR gefahren sind, dann republikflüchtig wurden und vom englischen, amerikanischen und französischen Geheimdienst vernommen wurden, Berlin, 25.6.1957; BStU, MfS, AS, Nr. 165/61, Bl. 3–12. 637 Protokoll über die Vereinbarungen, die in der Besprechung vom 20.6. bis 22.6.1955 in Berlin zwischen dem Komitee für öffentliche Sicherheit der Volksrepublik Polen (…) und dem Staatssekretariat für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik getroffen wurden, Berlin, 22.6.1955; IPN BU 1583/161, Bl. 1–10; IPN BU 003175/503, Bl. 160–165. 638 Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 182–184. Zur Definition »aktiver Maßnahmen« siehe MfS-Lexikon, S. 228. Für »aktive Maßnahmen«, welche die osteuropäischen Geheimpolizeien in Zusammenarbeit durchführten, siehe Selvage: Operation »Synonym«, S. 81–95.
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tretungen beobachtet werden sollten, entschieden die Sicherheitsdienste in Einzelabsprachen.639 Mit dem Anwachsen des ostdeutschen Tourismus nach Polen entstand in der Hauptabteilung VI das Ansinnen, zumindest in der Reisezeit eine Operativgruppe dauerhaft nach Polen zu senden. Wegen der vorgesehenen Einführung des visafreien Reiseverkehrs befürchtete sie, dass DDR-Reisende in Polen die Gelegenheit nutzen würden, sich mit Bundesbürgern oder mit Fluchthelfern zu treffen. Die Operativgruppe sollte DDR-Touristen an der polnischen Ostseeküste, in den Masuren und in der Hohen Tatra/Zakopane überwachen.640 Zu ihrer Einrichtung kam es allerdings nicht. Trotz der oft praktizierten zeitweiligen Entsendung von MfS-Mitarbeitern sperrte sich das polnische Innenministerium offenbar gegen eine Dauerpräsenz der ostdeutschen Staatssicherheit im Land. Diese suchte deshalb andere Wege: Nach Einführung des visafreien Reiseverkehrs im Januar 1972 regte Mielke eine direkte Zusammenarbeit der Grenzbezirksverwaltungen des MfS mit den regionalen polnischen Sicherheitsorganen an. Dies betraf die Bezirksverwaltungen Dresden, Cottbus, Frankfurt (Oder), Neubrandenburg und später auch Rostock. Sie sollten vor allem »Personenkreise wie Künstler, Kulturschaffende, revisionistische Kräfte« ins Visier nehmen, da die neue Freizügigkeit »größere Möglichkeiten bietet, sich ›international‹ zu verbünden, das Vorgehen zu koordinieren und die Verbindungen zu derartigen Kräften im sozialistischen als auch nichtsozialistischen Ausland aufzubauen«.641 Obwohl mit einer derartigen Kooperation der Verkehr zwischen der DDR und Polen stärker überwacht werden konnte, blieb das Grundproblem des MfS ungelöst: Es hatte nach wie vor keine direkte Möglichkeit, DDR-Urlauber in Polen systematisch zu überwachen und an einer Flucht in westliche Länder zu hindern. Dennoch schätzte die Hauptabteilung VI am 6. Mai 1974 ein, dass Polen »keinen unmittelbaren Schwerpunkt« für Fluchten über Drittländer darstellte – zu dieser Zeit hatten die polnischen Sicherheitsorgane jährlich etwa 25 DDR-Bürger bei Fluchtversuchen festgesetzt.642 Der zehn Tage später unterzeichnete Kooperationsvertrag zwischen dem MfS und dem polnischen Innenministerium offenbart polnische Widerstände gegenüber einer Dauerpräsenz von MfS-Hauptamtlichen im Land. Zwar hielt er fest, dass beide Seiten 639 Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der VR Polen auf dem Gebiet der Aufklärung und der Abwehr, Warschau, 25.4.1958; IPN BU 1585/1989, Bl. 13–25, hier 21 f. 640 HA VI: Stand der Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung VI des MfS der DDR und der Verwaltung Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs des MdI der VR Polen, Berlin, 12.8.1971; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1632, Bl. 48–52. 641 Entwurf eines Referats für Minister Mielke auf einer Dienstkonferenz 1972; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7693b, Bl. 95–103, hier 102. 642 HA VI: Einschätzung über die Lage im grenzüberschreitenden Verkehr DDR/VR Polen, Berlin, 6.5.1974; BStU, MfS, HA VI, Nr. 17030, Bl. 165–186, hier 177.
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auf dem Territorium des jeweils anderen Staates Abwehrmitarbeiter stationieren dürften, allerdings bedürfe dies »der rechtzeitigen Avisierung und Zustimmung der empfangenden Seite«.643 In weniger wichtigen Fällen, die einen Einsatz in Polen nicht rechtfertigten, verblieb dem MfS nur die Kommunikation auf der Leitungsebene. Hierbei kontaktierte die MfS-Abteilung X direkt das Kabinett des Ministers auf polnischer Seite. Dessen Dokumente aus den 1970er-Jahren überliefern Fluchtfälle von DDR-Bürgern, in denen das polnische Innenministerium dem MfS Amtshilfe gewährte oder zumindest Informationen übermittelte. Das MfS richtete Überwachungsersuchen an das polnische Innenministerium, wenn es vorab von Fluchtabsichten und Fluchthilfeprojekten über Polen erfahren hatte. Das polnische Innenministerium antwortete hierauf knapp und präzise.644 Es berichtete zudem eigenständig über Fluchtversuche, beispielsweise per Flugzeug über Warschau. Die polnischen Sicherheitsorgane hielten auch DDR-Bürger fest, die mit Schlauchbooten oder als blinde Passagiere auf Frachtern von der polnischen Ostseeküste aus zu fliehen versuchten.645 Im September 1979 waren Fluchthelfer mit einer Motorjacht nach Polen gereist, um DDR-Bürger in die Bundesrepublik zu bringen. Nachdem die Sicherheitsorgane sie festgenommen hatten, delegierte das MfS zwei Mitarbeiter zu Verhandlungen nach Warschau und Danzig (Gdańsk). Ihr Ziel war es, nicht nur eine Auslieferung der Flüchtlinge, sondern auch der Fluchthelfer in die DDR zu erreichen.646 Bei der Bekämpfung von Fluchthelfern hatte das MfS erfolgreich eine engere Kooperation eingefordert: Das polnische Innenministerium verfolgte Fluchthelfer und fragte beim MfS Informationen über sie ab. Das MfS lieferte nicht nur die angefragten Informationen, sondern auch weitergehende Materialien, wie beispielsweise Einschätzungen zu den Fluchthilfemethoden.647 Die Amtshilfe des polnischen Innenministeriums allein genügte der Hauptabteilung VI allerdings nicht.648 Sie warb Informanten im DDR-Reisebüro und sandte weitere Zuträger in Urlauberschwerpunkte wie Warschau, Stettin, Zakopane, Karpacz und an die Ostseeküste.649 Es ist unklar, ob sie das polnische 643 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der Volksrepublik Polen, Warschau, 16.5.1974; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1850. 644 IPN BU 1585/2000, Bl. 272–275. 645 IPN BU 1585/1997, Bl. 84 f.; IPN BU 1585/1999, Bl. 69 f.; IPN BU 1585/2002, Bl. 7–22, 48–56; IPN BU 1585/2004, Bl. 528, 548 f., 568 f. 646 IPN BU 1585/2004, Bl. 690–718. 647 IPN BU 1585/2002, Bl. 367; IPN BU 1585/2003, Bl. 300–306. 648 Der Minister: Befehl Nr. 42/71 zur politisch-operativen Sicherung des Reise- und Touristenverkehrs nach der Volksrepublik Polen bzw. in andere sozialistische Staaten, Berlin, 23.12.1973; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1612; 1. Stellv. des Ministers: 1. Durchführungsbestimmung zum Befehl Nr. 42/71, Berlin, 23.12.1973; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1613. 649 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur erweiterten Leitungssitzung am 12.4.1978, Berlin, 21.3.1978; BStU, MfS, HA VI, Nr. 32, Bd. 1, Bl. 242–251, hier 249 f.
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Innenministerium hierüber informierte. Ein späterer Versuch der HA VI, eine Operativgruppe zu entsenden, scheiterte wohl an der ablehnenden Haltung der polnischen Seite.650 Schließlich nutzte das MfS die innenpolitische Krise in Polen als Gelegenheit, eine Dauerrepräsentanz in Warschau einzurichten. Nach Fraktionskämpfen innerhalb der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei sowie der Etablierung der unabhängigen Gewerkschaft »Solidarność« ging die SED im August 1980 von ihrer außenpolitischen Zurückhaltung gegenüber der PVAP ab und steuerte einen konfrontativen Kurs.651 In dieser Zeit beauftragte Erich Mielke die MfS-Hauptabteilung II sowie die Hauptverwaltung A damit, Einsätze in Polen vorzubereiten. Ausgehend von Bestrebungen, den Schutz der ostdeutschen Botschaft in Polen zu verbessern, aktivierte die HA II im August 1980 ihre bereits in Polen installierten Zuträger, ermittelte weitere IM sowie auch Hauptamtliche mit Kontakten nach Polen und plante sogar, eine Gruppe von Spionen mit vorgeblicher bundesdeutscher Herkunft zusammenzustellen. Etwa in der gleichen Zeit verfasst haben dürfte sie ein »Anforderungsprofil« für 15 Mitarbeiter einer »Arbeitsgruppe«. Diese »Ausschreibung« für die Tätigkeit in der Operativ gruppe Warschau verzeichnete bereits die Namen zweier Mitarbeiter.652 Am 8. September 1980 wies Erich Mielke – nun offenbar mit einem Einverständnis der polnischen Seite – endgültig die Einrichtung der Gruppe an. Er bestätigte eine Vorlage der Hauptabteilung II, welche zunächst die Entsendung von drei MfS-Hauptamtlichen nach Warschau vorsah – einem der HA II und zweien der HV A. Sie sollten den offiziellen Kontakt mit den polnischen Sicherheitsorganen halten, Berichte von Zuträgern in den DDR-Auslandsvertretungen in Polen entgegennehmen, Mitarbeiter westlicher Geheimdienste ausfindig machen und schließlich die innenpolitische Lage in Polen ausspionieren. Als Leiter wurde Karl-Heinz Herbrich von der HA II benannt.653 Die erste Quelle, welche die Präsenz der Operativgruppe in Warschau dokumentiert, stammt vom 27. Oktober. Auf einem bilateralen Treffen vereinbarten die Abwehrabteilungen des MfS und des MSW in Warschau »unmittelbare« Arbeitskontakte Herbrichs zur
650 Konzeption für Beratungen mit führenden Vertretern des Innenministeriums der VR Polen (12.–14.6.1978), Reserveposition; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5446, Bl. 8–116, hier 68. 651 Kubina; Wilke: Einleitung, S. 17–47, hier 17 f. 652 HA II, Leiter: Maßnahmeplan zur politisch-operativen Sicherung der Vertretungen der DDR in der VR Polen und Gewinnung politisch-operativ relevanter Informationen zur innenpolitischen Lage, Berlin, 19.8.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 117–119; Anforderungsprofil für zur HA II zu kommandierende politisch-operative Mitarbeiter und technische Kräfte zur Bildung einer Arbeitsgruppe, o. D.; ebenda, Bl. 121 f. 653 HA II, Leiter: Vorlage zum Einsatz von 3 Mitarbeitern des MfS in der VR Polen, Berlin, 8.9.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 466 f.
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II. Hauptverwaltung, wovon sich das MfS eine »stärkere Wirksamkeit der Operativgruppe« erhoffte.654 Mielke umriss am 2. Oktober auf einer Dienstbesprechung mit den Leitern verschiedener MfS-Diensteinheiten mehrere Komplexe der auf Polen auszurichtenden Arbeit. Deutlich wandte er sich gegen Präsenz und Einfluss westlicher Institutionen in Polen – darunter verstand er nicht nur Geheimdienste, sondern auch politische Verbände, Medien, Emigrantennetzwerke und kirchliche Organisationen. Geheimdienstliche Themen wies er der Hauptabteilung II und der Hauptverwaltung A verantwortlich zu. Zum anderen wollte das MfS die Rezeption der polnischen Ereignisse in der DDR kontrollieren: Hierzu sollten nicht allein oppositionelle Äußerungen verfolgt werden. Auch die Arbeits- und Lebensbedingungen von Arbeitern in der DDR – deren unzureichender Stand in Polen war Auslöser der Proteste – sollten unter die Lupe genommen werden. Mielke trug zu dieser »Besprechung« ein 112 Seiten zählendes Redemanuskript vor. Dessen gestrafften Inhalt ließ er als »Geheime Verschlußsache« an die Leiter aller Diensteinheiten versenden.655 Im November 1980 gab die MfS-Leitung interne Regelungen aus, die sämtlichen Informationen aus Polen eine hohe Priorität gaben und ihre Verarbeitung in der HA II und der HV A zentralisierten. Bei der Ausrufung dieser internen Alarmbereitschaft wies der Leiter der HA II die anderen Diensteinheiten in einem Nebensatz darauf hin, dass in Polen »politisch-operative Maßnahmen« bevorstünden. Ein Maßnahmekatalog der für Observationen zuständigen Hauptabteilung VIII verzeichnete die »Führung grenzüberschreitender operativer Beobachtungen«. Wenige Monate später wies Mielke die MfS-Diensteinheiten an, Entsendungen offizieller DDR-Delegationen nach Polen zu unterstützen und gleichzeitig Informanten darin zu platzieren.656 Im September 1981 zog das Basisreferat der Operativgruppe, die Arbeitsgruppe 4 der HA II, ein erstes Fazit seiner Tätigkeit. Aus der Operativgruppe und durch den Einsatz von Zuträgern aus der DDR mit Kontakten nach Polen erhielt es Informationen zur politischen Lage, zu Aktivitäten des Untergrunds und zu Organisationen westlicher Länder, die sich mit der polnischen Opposition solidarisierten. Die Arbeitsgruppe 4 griff auch auf Arbeitsergebnisse aus den 654 HA II: Bericht über den Arbeitsbesuch des stellv. Leiters der Hauptabteilung II des MfS bei der II. Hauptverwaltung des Sicherheitsorgans der VR Polen am 23. und 24.10.1980 in Warschau, Berlin, den 27.10.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 278–285. 655 Referat des Gen. Minister auf einer Dienstbesprechung mit Leitern ausgewählter op. HA/Abt. und der BV/V zu den Ereignissen in der VR Polen, 2.10.1980; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 8609, Bl. 1–118; Der Minister: (o. T.), Berlin, 9.10.1980; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 7298. 656 HA II, Leiter: Informationsbedarf gemäß der Weisung des Genossen Minister vom 28.10.1980, Berlin, 6.11.1980; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5411; HA VIII, Leiter: Maßnahmen zur Durchsetzung der Aufgabenstellungen (…) im Zusammenhang mit der Lage in Polen, Berlin, 14.11.1980; BStU, MfS, HA VIII, Nr. 379, Bl. 131–135; Der Minister (o. T.), Berlin, 5.2.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5395.
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MfS-Bezirksverwaltungen zu, die anteilig Überwachung und Spionage in Polen leisteten. Zudem nutzte es inoffizielle Mitarbeiter der HA II/14, welche für die »abwehrmäßige Sicherung« der Botschaft und der Konsulate der DDR in Polen eingesetzt waren. Die Informationsbilanz des MfS seit dem Einrichten der Operativgruppe verzeichnete: – 302 von polnischen Sicherheitsorganen übergebene Tageseinschätzungen, – 86 Informationen, die verbündete Sicherheitsdienste übergaben, – 608 Berichte aus Quellen der HV A in Polen, von inoffiziellen Mitarbeitern und anderen inoffiziellen Kontakten der Operativgruppe, – 153 aus Beobachtungen der Operativgruppe generierte Berichte, – 66 Informationen anderer MfS-Diensteinheiten und – 73 Informationen aus Originalmaterialien der »Solidarność«. Die Operativgruppe verfasste drei Analysen über die Ursachen und den Verlauf der innenpolitischen Krise in Polen. Über die Operativgruppe lieferte die HA II dem Partnerdienst Informationen zu angeblichen Aktivitäten bundesdeutscher Geheimdienste gegen polnische Bürger und polnische Einrichtungen in der Bundesrepublik. Sie meldete polnische Bürger, welche die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in der DDR aufsuchten, die »stabile Funk-, postalische und persönliche Kontakte« in westliche Länder unterhielten oder die »politisch-operativ und kriminell« in der DDR auffielen. Hinzu kamen Hinweise zu »revanchistischen und anderen feindlichen Organisationen«. Nach einem knappen Jahr Tätigkeit verwiesen die Arbeitsgruppe 4 und die Operativgruppe Warschau auf folgende Arbeitsergebnisse: rund 12 000 Personen wurden in sogenannten Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskarteien (VSH) erfasst, zu 2 600 polnischen Bürgern mit Westkontakten wurden Akten angelegt und 572 »politisch-operative Sachverhalte« wurden gespeichert.657 Im Herbst 1981 – die PVAP hatte den vom MfS als politisch schwach eingeschätzten Ersten Sekretär, Stanisław Kania, durch General Jaruzelski ersetzt – verschärfte Mielke die geheimdienstliche Polenpolitik. Wieder in einem Rundschreiben an die Diensteinheiten forderte er intensivierte Kontakte zu dogmatisch-kommunistischen Kräften in Polen sowie deren aktive Stärkung. Die Stärkungsabsicht mag einem Wunschdenken des MfS entsprungen sein. Die Art der vom MfS erhofften Informationen war dagegen konkret: Es wollte informiert sein über polnische Erwartungen zu »Unterstützungsmaßnahmen (…) von den Bruderparteien und Bruderorganen« sowie zu »Hilfeersuchen (…), ohne
657 HA II/AG 4: Jahresanalyse 1981, Berlin, 30.9.1981; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 394–411.
Vorgeschichte und Entwicklung der »Operativgruppe Warschau«
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solche zu suggerieren«. Auch wollte die MfS-Leitung von geplanten Maßnahmen »im Falle eines Ausnahmezustandes« vorab erfahren.658 Dennoch wurde die Ausrufung des Kriegszustands dem MfS recht spät bekannt – möglicherweise erst nachdem die PVAP die Information an die SED übermittelt hatte. Während Erich Honecker bereits am 10. Dezember von einer unmittelbar bevorstehenden Verhängung des Kriegsrechts Kenntnis hatte,659 floss die Information über die MfS-Kanäle langsamer. Die Operativgruppe Warschau erfuhr über ihren Mitarbeiter in Kattowitz (Katowice) zwar schon am 9. Dezember 1981 davon, dass »die Konfrontation mit den konterrevolutionären Kräften […] unmittelbar« bevorstünde – »sie könne jeden Tag beginnen, es könne aber auch sein, daß sie erst am Ende des Monats erfolge«. Funktionäre aus dem Sicherheitsapparat der Wojewodschaft Kattowitz hatten dem Mitarbeiter diese Information nach einem Gespräch mit dem dortigen Ersten Parteisekretär Andrzej Żabiński gegeben. Żabiński war im Rahmen einer Aufgabenteilung innerhalb der PVAP der Verbindungsmann zur SED – im September 1980, bei einem Besuch bei Erich Honecker und beim ZK-Sekretär für Internationales, Hermann Axen, versuchte er vorsichtig, die SED-Führung hinsichtlich der Lage in Polen zu beschwichtigen. Am 12. Dezember suchte der Operativgruppenleiter Karl-Heinz Herbrich gezielt die Direktoren des II. und III. Departements des polnischen Innenministeriums auf, um zu erfahren, »wann mit Maßnahmen gegen die Konterrevolution zu rechnen sei«. Die Antwort »möglicherweise bereits heute« telegrafierte Herbrich umgehend nach Berlin. Kurz nach der Ausrufung des Kriegszustands in der Nacht zum 13. Dezember 1981 berichtete die Operativgruppe der MfS-Zentrale über die Lage und stellte eigene Beobachtungen an. Die ZAIG reichte Details aus dem Lagebericht auch an die MfS-Dienst einheiten weiter.660 Am Folgetag gab Erich Mielke einen Befehl zur sogenannten Aktion »Besinnung«. Wie im Rundschreiben vom 9. Oktober 1980 formulierte er umfangreiche MfS-Maßnahmen – vor allem Aufgaben in der Westaufklärung, der Abwehr gegenüber Polen sowie der Bekämpfung von Opposition in Polen und der DDR. Unerwähnt blieb die Spionage in polnische Partei- und Administrationskreise hinein, die als Beobachtung von »Trägern konterrevolutionärer, re658 Der Minister: Politisch-operative Maßnahmen im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation in der VR Polen, Berlin, 24.10.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5405. 659 Kubina; Wilke: Einleitung, S. 17–47, hier 45 f. 660 OG Warschau, inoffiziell erarbeitete Informationen, Berlin, 11.12.1981; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 262, Bl. 291–293; OG Warschau, Information, Berlin, 12.12.1981; ebenda, Bl. 289 f.; Meldung des Leiters der OG Warschau, Berlin, 13.12.1981; ebenda, Bl. 280 f.; ZAIG, Leiter: (o. T.), Berlin, 13.12.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5010. Zum Besuch Żabińskis siehe Vermerk über die Gespräche des Genossen Andrzej Żabiński, Mitglied des PB und Sekretär des ZK der PVAP, am 12.9.1980 mit Genossen Hermann Axen sowie Vermerk über das Gespräch des Genossen Erich Honecker mit Genossen Andrzej Żabiński (…) am 13.9.1980, beide ediert in: Kubina; Wilke (Hg.): »Hart und kompromißlos durchgreifen«, S. 56–71.
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visionistischer und reformistischer Auffassungen« angedeutet wurde. Auch erwähnte er die Tätigkeit der Operativgruppe nicht. Dem Befehl schlossen sich Rundschreiben an, die in den Folgetagen die MfS-Strategien in Richtung Polen präzisierten.661 Die Operativgruppe fixierte ihre Aufgaben erstmals in einem Arbeitsplan für 1982. Obwohl sie diesen noch vor Ausrufung des Kriegszustands erarbeitete, gibt er eine Krisenwahrnehmung wieder und deutet auf besondere Einsatzbereitschaft hin. Er betont die Vorbereitung auf »den Fall einer äußerst zugespitzten Klassenkampfsituation« und verweist auf »politisch-operative Arbeit […] unter den Bedingungen größter konterrevolutionärer Bedrohungen«. Als Hauptaufgaben nennt der Plan die Informationsbeschaffung zur polnischen Innenpolitik und die Abfassung darauf aufbauender Lageeinschätzungen, die Kontaktpflege zur PVAP und zu den polnischen Sicherheitsorganen, die Spionageabwehr hinsichtlich der DDR-Außenvertretungen sowie auch die Gegenspionage.662 Diese Aufgaben blieben bis 1989 weitgehend gleich, wenn auch der alarmistische Grundton zugunsten der Formulierung umfassender Kontrollziele zurückging. Die vom Basisreferat der Operativgruppe in Ostberlin ausgearbeiteten Arbeitspläne halten ab 1986 die generelle Überwachung dauerhaft in Polen lebender DDR-Bürger sowie, ab 1987, eine Fokussierung auf die wirtschaftliche Sphäre und DDR-Studierende fest. Interessanterweise vermerkten die Arbeitspläne nicht die Unterminierung der Opposition in Polen. Möglicherweise weil trotz Bemühungen des MfS keine Vereinbarungen zur Zusammenarbeit mit dem polnischen Innenministerium hierzu zustande kamen. Allerdings sind in operativen Vorgängen konkrete Maßnahmen dieser Art erkennbar.663 Die Arbeitspläne des Basisreferats aus den frühen 1980er-Jahren enthalten den Begriff »Operationsgebiet VR Polen«664 – als »Operationsgebiet« bezeichnete das MfS üblicherweise nur westliche Staaten und Entwicklungsländer. Die Operativgruppe selbst verwendete den Begriff für Polen nicht.
661 Der Minister: Befehl Nr. 18/81, Berlin, 14.12.1981; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 5406. Weiterhin siehe BStU, MfS, BdL/Dok. Nrn. 5407, 5408, 5409. 662 OG Warschau: Arbeitsplan für das Jahr 1982, Warschau, 18.11.1981; BStU. MfS, HA II, Nr. 38325, Bl. 106–119. 663 Jahresarbeitspläne von 1983 bis 1988 des Referats 1 der AG 4 bzw. des (AG 4 ersetzenden) Referats 2 der Abteilung 10 der HA II; ebenda, Bl. 19–68, 97–104; HA II/Abt. 10/Ref. 2 und OG Warschau: Jahresarbeitsplan 1989, Berlin, 21.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 783, Bl. 1–11; HA II/Abt. 10: Arbeitsordnung der OG der HA II in der VR Polen, Berlin, 1.7.1986, BStU; MfS, HA II, Nr. 31875, Bl. 115–122. 664 HA II/AG 4/Ref. 1: Jahresarbeitsplan 1982, Berlin, 25.11.1981; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 215, Bl. 350–354; HA II/AG 4/Ref. 1 und OGW: Jahresarbeitsplan 1983, Berlin, 17.11.1982; BStU, MfS, HA II, Nr. 38325, Bl. 97–104, hier 98.
Personal und Infrastruktur
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6.2 Personal und Infrastruktur Bei der Ernennung des ersten Operativgruppenleiters Karl-Heinz Herbrich spielten dessen nachgewiesene Loyalität zur Sowjetunion sowie gute Beziehungen zu KGB-Mitarbeitern eine Rolle. Herbrich hatte von 1959 bis 1961 in der Operativgruppe Moskau gearbeitet und war später an der Bewachung der sowjetischen Militärsiedlung in Berlin-Karlshorst beteiligt. Von 1980 bis 1984 leitete er unter der Legende eines DDR-Botschaftssekretärs die Warschauer Operativ gruppe. Besonders zum innenpolitisch brisanten Anfang der 1980er-Jahre traf er häufig mit dem Leiter der KGB-Repräsentanz in Warschau, Vitalij Pavlov, zusammen. Von 1984 bis zum Februar 1987 leitete Hans Gottschling die Gruppe, vom März 1987 bis zum Oktober 1989 war Peter Wilkes Leiter.665 Bis 1986 hatte sich der Personalbestand der Operativgruppe Warschau auf sechs hauptamtliche Mitarbeiter der Linie II erhöht. Darüber hinaus waren ihr auch der hauptamtliche Sicherheitsbeauftragte der DDR-Botschaft und die Objektsicherungskräfte angegliedert. Auch der Verbindungsoffizier der Hauptverwaltung A, Günter Hasterok, gehörte dazu.666 Er arbeitete ebenso unter der Legende eines Botschaftssekretärs. Neben dem Operativgruppenleiter war er für die Kontaktpflege zum polnischen Innenministerium (insbesondere zum Bereich Aufklärung der polnischen Staatssicherheit) und zu den Repräsentanten der Sicherheitsdienste befreundeter Staaten zuständig.667 Ab 1983 waren der Gruppe saisonal Mitarbeiter der Linie XX, ab 1984 dauerhaft ein Mitarbeiter der Linie XVIII zugeordnet, im Jahr 1986 kam ein Mitarbeiter der Linie I hinzu. Hier galt – wie in MfS-Operativgruppen in den anderen sozialistischen Ländern, dass die Entsandten fachlich von ihren jeweiligen Diensteinheiten im MfS angeleitet wurden, dem Leiter der Operativgruppe jedoch unterstellt waren. 665 Kaderakte Karl-Heinz Herbrich; BStU, MfS, KS 21109/90, Bl. 10, 13 f., 62 f., 95, 100– 103, 107; Kaderakte Hans Gottschling; BStU, MfS, KS 29836/90, Bl. 121, 123; Kaderakte Peter Wilkes; BStU, MfS, KS 9899/90, Bl. 123. 666 Tantzscher: »Wir fangen an, neue gute Traditionen in der Zusammenarbeit zu schaffen.«, S. 89–122, bes. 106; Schreiben von GM Günther Kratsch an GO Markus Wolf vom 5.9.1980 sowie Vereinbarung zwischen der Hauptverwaltung A und der Hauptabteilung II über die Tätigkeit der Operativgruppe des MfS in der VR Polen [...] vom 16.9.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 494–497; HA II/Abt. 10: Stellenplan der Hauptabteilung II/10, Berlin, 3.7.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 344 Bl. 73–78, hier 75; (HA II/10: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in Polen), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 37–46. 667 OG Warschau: Arbeitsplan für das Jahr 1982, Warschau, 18.11.1981; BStU, MfS, HA II, Nr. 38325, Bl. 106–119, hier 108 f., 117; OG Warschau: Monatsbericht der OG Warschau für den Monat September 1984, Warschau, 12.10.1984; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 82–91, hier 88; Besoldungsstammkarte Günter Hasterok im Archiv des BStU; Mitarbeiter der OG Warschau (ca. 1987); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 936, Bl. 3–5; HA KuSch/Abt. Kader 3: Untersuchung zur Arbeit mit Operativgruppen, Berlin, 17.3.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 173 f.; VO in Warschau (o. D.); BStU, MfS, HV A, Nr. 1396, Bl. 1.
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Die Mitarbeiter der Operativgruppe waren nach außen als DDR-Botschaftsmitarbeiter getarnt. Die meisten von ihnen besaßen Hausausweise des polnischen Innenministeriums. Die Gruppe residierte in zehn Arbeitsräumen in der DDR-Botschaft und mietete im Namen der Botschaft sechs Mitarbeiterwohnungen sowie vier konspirative Wohnungen für Treffs mit Zuträgern an. Auch sonst bezog sie kaum materielle Leistungen des polnischen Innenministeriums. Dass dieses ihr Telefonanschlüsse zur Verfügung stellte, hielt sie nicht davon ab, MfS-eigene, in der DDR-Botschaft verankerte Telefon- und Funkverbindungen zu nutzen.668 Vier Außenstellen der Operativgruppe waren an den DDR-Konsulaten angesiedelt und konnten mit der Zentrale in Warschau konspirativ kommunizieren. Diese Horchposten befanden sich in Danzig, Stettin, Kattowitz und Breslau (Wrocław). Ihre Mitarbeiter, die als Sicherungspersonal der Konsulate auftraten, lieferten vor allem Informationen aus den Regionen und traten nur gelegentlich operativ in Erscheinung.669 Die Außenstellen wurden im Dezember 1983 aufgelöst.670 Die Operativgruppe wurde intensiv aus der MfS-Zentrale unterstützt. Ab der Mitte der 1980er-Jahre unterstützte das Referat 2 der HA II/10 sowohl die Operativgruppe als auch den polnischen Partnerdienst. Es stellte Dienstreisen von Angehörigen des MfS nach Polen sicher und koordinierte die Zusammenarbeit der verschiedenen Linien. Außerdem dokumentierte es Kontakte der Operativ gruppe zu polnischen Ansprechpartnern aus bedeutsamen gesellschaftlichen Bereichen. Es warb und führte inoffizielle Mitarbeiter und bearbeitete operative Vorgänge. Das Referat 7 für Auswertung und Information erarbeitete unter anderem Analysen und Einschätzungen zur Situation im polnischen Innenministerium und in der polnischen Armee. Auch führte es Dossiers zu Amtsträgern im Partei- und Staatsapparat. Die Arbeitspläne des für viele sozialistische Länder zuständigen Referats verzeichnen die Lageeinschätzung zu Polen stets an erster Stelle.671
668 (HA II/10: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in Polen), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 37–46. 669 HA II, Leiter: Einsatzbefehl, Berlin, 28.10.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 469 f.; HA II/AG 4: Vermerk zur Dienstreise nach Warschau vom 29.6.–1.7.1981, Berlin, 2.7.1981; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 268–271; OG Warschau, übermittelte Informationen, Berlin, 15.12.1981; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 262, Bl. 257–260. 670 HA II/Abt. 10: Beurteilung, Berlin, 31.3.1986; BStU, MfS, HA II, Nr. 31628, Bl. 57–59. 671 Jahresarbeitspläne des Referats Auswertung/Information der HA II/10 bzw. der HA II/AG 4 für die Jahre 1982 bis 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 61, Bl. 11–47.
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6.3 Schwerpunktaufgaben und Fallbeispiele 6.3.1 Spionage gegen PVAP, polnischen Staat und Opposition Das MfS sammelte nicht erst seit Einrichtung der Operativgruppe Warschau Informationen über die polnische Innenpolitik. Bereits zum Ende der 1960erJahre erstellte das MfS unter Hinzuziehung der Hauptverwaltung A einen Geheimbericht über das Zentralkomitee der PVAP. Vermerkt wurden dort nicht allein frühere Mitgliedschaften in der durch Zwangsvereinigung zur PVAP untergegangenen Partei PPS, die für ihre liberale und offene Diskussionskultur bekannt war, sondern auch eine »jüdische Herkunft« prominenter Mitglieder.672 Zur Begründung der Operativgruppe und zur Bekämpfung westlicher Einflussnahmen auf Polen schlossen HV A und HA II eine spezielle Vereinbarung ab. Die Hauptverwaltung A entsandte sowohl einen Verbindungsoffizier als auch Aufklärer nach Polen.673 Die MfS-Leitung definierte in diesem Zusammenhang einen umfangreichen Informationsbedarf.674 Die HV A übergab der HA II zum Teil sehr umfangreiche Dossiers »über gegnerische Aktivitäten im Zusammenhang mit Polen«, die vornehmlich auf ihrer Westarbeit basierten.675 Zumindest während der »polnischen Krise« unterhielt die Hauptverwaltung A auch eine eigene Formation operativer Mitarbeiter in Polen, die unabhängig von der gemeinsam mit der HA II betriebenen Operativgruppe handelte.676 Dieses Vorgehen des MfS ähnelt dem in der Niederschlagung des »Prager Frühlings«. Die Operativgruppe beabsichtigte, ihre Kommunikation mit dem polnischen Innenministerium darauf auszurichten, möglichst viel über dessen interne Abläufe und über die polnische Innenpolitik insgesamt zu erfahren. Sie baute direkte Kontakte in die verschiedenen Abteilungen des Innenministeriums aus.677 In der Folge trug sie maßgeblich zu umfangreichen Materialsammlungen der 672 HVA/Abt. I: Information VR Polen, 16.2.1969; BStU, MfS, SdM, Nr. 1435, Bl. 424– 474, bes. 444. 673 Vereinbarung zwischen der Hauptverwaltung A und der Hauptabteilung II über die Tätigkeit der Operativgruppe des MfS in der VR Polen auf der Grundlage der bestätigten Vorlage des Genossen Minister vom 8.9.1980, Berlin, 16.9.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 495–497. 674 Ministerrat der DDR, MfS, Stellv. des Ministers: Informationsbedarf zu feindlichen Aktivitäten gegen die VRP und andere sozialistische Staaten, Berlin, 17.11.1980; ebenda, Bl. 487–493. 675 HVA/Abt. IX: Zusammenfassung feindlicher Erkenntnisse und Einschätzungen zu Lage und Entwicklung in der VR Polen, Berlin, 2.10.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 85–91; HVA/Abt. III: Bericht über gegnerische Aktivitäten im Zusammenhang mit Bürgern, Einrichtungen und Institutionen der VR Polen sowie im Zusammenhang mit der gegenwärtigen Situation in der VR Polen, Berlin, 15.11.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 261, Bl. 2–415. 676 Bohnsack; Brehmer: Auftrag Irreführung, S. 124; OG Warschau: Arbeitsplan für das Jahr 1982, Warschau, 18.11.1981; BStU, MfS, HA II, Nr. 38325, Bl. 106–119, hier 116. 677 Ebenda, hier 108.
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Hauptabteilung II über die Situation in der PVAP bei. So führte die HA II ein Personendossier über Stanisław Kania. Es enthält offenbar vom polnischen Innenministerium übergebene Informationen, die im Kriegszustand internierte PVAP-Mitglieder preisgegeben hatten. Hinzu kamen Aussagen polnischer Politiker gegenüber Mitarbeitern der Operativgruppe und der DDR-Botschaft.678 Bei weiteren Informationen und Berichten zur polnischen Innenpolitik in der Überlieferung der HA II ist der Übermittlungsweg unklar.679 Von besonderem Interesse war für das MfS ein »Gesetz über das Amt des Ministers für Innere Angelegenheiten« vom Juli 1983, welches die Position der polnischen Geheimpolizei innerhalb der Sicherheitsorgane stärkte. Schließlich hatte die MfS-Leitung der PVAP stets unterstellt, es im Umgang mit gesellschaftlichen Kräften an der nötigen Härte fehlen zu lassen. Die Operativgruppe erstellte eine Einschätzung hierzu.680 Aus den gleichen Beweggründen heraus beobachtete die Operativgruppe den Gerichtsprozess zum Mord am Priester Jerzy Popieluszko. In einem für die Ostblockstaaten einmaligen Vorgang hatte die polnische Justiz in den Jahren 1984 und 1985 zwei Mitarbeiter der Geheimpolizei nicht nur der Tat angeklagt, sondern auch verurteilt. Die Operativgruppe übermittelte hierzu zahlreiche, von Zuträgern im polnischen Innenministerium übergebene Informationen an die Ostberliner Zentrale.681 Das im Februar 1984 vermutlich durch die Operativgruppe beschaffte Manuskript einer internen Rede des Geheimpolizeichefs Władysław Ciastoń vor den Leitern der Wojewodschaftsämter für Inneres trägt keinen MfS-Hinweis auf eine inoffizielle Herkunft. Das nährt die Vermutung, dass das polnische Innenministerium das MfS und die OG Warschau hinsichtlich der Situation im eigenen Apparat durch gezielte Dokumentenübergaben »fütterte«. Im Dokument ist die Rede von einer »fortschreitenden Normalisierung und Stabilisierung« im Land. Es vermittelt den Eindruck, dass der Sicherheitsapparat den »desorganisierten und zersplitterten Untergrund« unter Kontrolle habe.682 Noch im Jahr 1985 nahm die Operativgruppe Berichte auskunftswilliger Mitarbeiter
678 Zusammenfassung vorliegender Informationen zu Kania, Stanisław, ehemaliger 1. Sekretär des ZK der PVAP; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 193–208, hier 197, 200, 204. 679 Z. B. Informationen (o. O.), 9.6.1981; ebenda, Bl. 20–24. 680 Die Operativgruppe Warschau übermittelte …, Berlin, 20.7.1983; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 8, Bl. 32. 681 OGW: Aktivitäten der OGW bei der Zusammenarbeit mit dem MSW und den WUSW in der VRP, Warschau, 15.5.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 38–40. Eine Zusammenstellung vieler Informationen der Operativgruppe zum Fall Popiełuszko enthält BStU, MfS, AS, Nr. 66/88, Bl. 5–24. Zur Beobachtung des Prozesses durch das MfS insgesamt siehe Dąbrowski: Nota edytorska [Editorische Bemerkungen]. 682 Rede von Divisionsgeneral Wladyslaw Ciaston, Stellvertreter der Innenministers der VR Polen, auf der Beratung mit den Chefs der Wojewodschaftsämter für Innere Angelegenheiten am 10. Januar 1984, Warschau, 4.1.1984; BStU, MfS, HA II, Nr. 28356, Bl. 21–38.
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der polnischen Geheimpolizei über die Situation im Innenministerium, in der polnischen Regierung und in der PVAP entgegen.683 Weitaus spektakulärer als das Ausspionieren der Institutionen von Partei und Staat erscheint heute die Tätigkeit einiger ostdeutscher IM in Polen gegen die dortige Opposition. Zum Beispiel spionierte ein IMB »Henryk« seit 1980 den Führungskreis der »Solidarność« in Danzig aus. 684 Die MfS-Bezirksverwaltung Rostock erfasste schon im Jahre 1971 Detlef Ruser, einen Hydroakustik-Spezialisten in der Sektion Technische Elektronik der dortigen Universität, als »Henryk«. »Henryk« hatte sich die polnische Sprache angeeignet und fuhr regelmäßig zu Besuchen in die ehemalige Heimat seiner polnischen Frau. Im September 1980 unternahm er erstmals eine vom MfS arrangierte Dienstreise nach Danzig. Es folgten Dienst- und Urlaubsreisen im Oktober, November und Dezember sowie im Februar 1981. In Danzig führte ihn zunächst ein hauptamtlicher Mitarbeiter der Hauptverwaltung A. Ab Mai 1981 begann »Henryk« in Abstimmung mit dem MfS ein Zusatzstudium am Institut für Telekommunikation des Polytechnikums Danzig. Die »Zielstellung« seines Einsatzes bestand im Sammeln von Informationen unter Ausnutzung seiner Bekanntschaft mit einem ehemaligen Mitglied des Präsidiums der Gewerkschaft »Solidarność« von Danzig sowie über seine Verbindungen zu polnischen Wissenschaftlern. Laut seinem Spionageauftrag685 sollte er sowohl allgemein über die politische Lage in Polen und Differenzierungsprozesse innerhalb der Solidarność berichten als auch konkret über Freunde und Feinde der Reformbewegung einschließlich ihrer Kontakte in westliche Länder. Das MfS hielt »Henryk« an, seine Aktivitäten in Polen streng geheim zu halten, auch vor den polnischen Sicherheitsorganen. Es stattete ihn mit einem monatlichen Gehalt und einem »Bewegungsgeld« aus. Für den Transport von Druckerzeugnissen und Fotos, die er heimlich von Dokumenten der Solidarność aufnahm, überließ es ihm Spezialcontainer. Nach Beendigung seines Zusatzstudiums am Polytechnikum bewirkte das MfS »Henryks« weiteren Einsatz in Polen unter dem Deckmantel eines gemeinsamen Forschungsprojektes der Universität Rostock und des Polytechnikums Danzig. Es besorgte die dafür erforderlichen Genehmigungen von den zuständigen Dienststellen, einschließlich des Ministeriums für Hoch-
683 OG Warschau: Monatsbericht für Mai 1985, Warschau, 10.6.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 26–31. 684 System beseitigt. Ein Wissenschaftler aus Rostock hat für die Stasi die Arbeiterbewegung Solidarność ausgespäht. In: Der Spiegel v. 4.12.1995, S. 156 f.; Stankiewicz; Gańczak; Śmiłowicz: Na celowniku STASI [Im Visier der Stasi], S. 18. Aktenablage des IM »Henryk« unter BStU, MfS, AIM 12837/91 sowie BStU, MfS, BV Rostock, TA 4637 und TA 5796. 685 Auftrag für die Reise in die VR Polen in der Zeit vom 6.–22.2.1981, Rostock, 31.1.1981; BStU, MfS, AIM 12837/91, Bd. II, Bl. 194–197.
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und Fachschulwesen. Gleichzeitig veranlasste es »Henryks« Übergabe an die Operativgruppe Warschau.686 Das MfS war mit der Arbeit von »Henryk« höchst zufrieden. Im Juli 1984 urteilte es, ihm sei es »…durch kluges und umsichtiges Verhalten gelungen, in die Konspiration des konterrevolutionären Untergrundes im Raum Gdańsk einzudringen und in die unmittelbare Umgebung Wałęsas vorzustoßen.«687 Daher bemühte sich das MfS nach weiteren zwei Jahren wiederum um die Verlängerung seines dienstlichen Aufenthalts. Die Operativgruppe Warschau formulierte seine Einsatzrichtung im Jahr 1986 folgendermaßen: Er wird eingesetzt zur – Informationserarbeitung aus dem Personenkreis um Bogdan Borusewicz […] – Weiterhin unterhält »Henryk« Verbindung zu Personen, die im Untergrund illegale Druckereien betreiben und zur Familie Andrzej Gwiazda gehören. Die dort erarbeiteten Informationen werden ebenfalls dem MSW zur Verfügung gestellt und werden dort als operativ wertvoll eingestuft. – »Henryk« erarbeitet Informationen zur allgemeinen Lageeinschätzung Gdańsk/ Gdynia. – Am Politechnikum Gdańsk ist er der einzige DDR-Wissenschaftler und versucht den Einfluß der BRD-Universitäten Bremen und Karlsruhe zurückzudrängen […].688
Bodgan Borusewicz war KOR-Mitglied, Solidarność-Mitbegründer und Mitorganisator der Danziger Streiks im Jahr 1980. Andrzej Gwiazda redigierte Untergrundzeitschriften und war ebenfalls Mitbegründer der Solidarność in Danzig. »Henryks« Erkenntnisse leitete das MfS auch an den polnischen Sicherheitsdienst weiter, namentlich an das »Studienbüro« (Biuro Studiów). Dieses bestätigte die Glaubwürdigkeit der Informationen anhand eigener Beobachtungen.689 Daraufhin erarbeiteten die Operativgruppe und das »Studienbüro« gemeinsam ein Anforderungsprofil der Informationen, die »Henryk« liefern sollte.690 Die Solidarność-Vertreter betrauten »Henryk« mit Kurierdiensten zwischen Danzig, London und Westberlin, wobei sie ihn auch um die Besorgung von Mangelwaren wie Filmmaterial baten. Im Jahr 1988 entwickelte das MfS für »Hen686 HA II/AG 4: Vorschlag zur Weiterführung des operativen Einsatzes des IMB »Henryk« (BV Rostock/Abt. XX) im Operationsgebiet VR Polen, Gdansk, Berlin, 10.9.1982; ebenda, Bl. 290 f. 687 MfS, HA II, Leiter: Einsatz des IMS »Henryk« (BV Rostock/Abt. XX) in der VR Polen, Berlin, 30.7.1984; ebenda, Bl. 319. 688 Operativgruppe: Einschätzung der OGW zu Arbeitsergebnissen im 1. Halbjahr 1986, Warschau, 9.6.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 7 f. 689 (o. T.), Warschau, 30.8.1986, BStU, MfS, AIM 12837/91, Bd. II, Bl. 339. 690 HA II/Abt. 10, Leiter: Quartalsbilanz III/86; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 164– 177, hier 167.
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ryk« sogar einen Einsatzplan in der Bundesrepublik. 691 Unabhängig davon blieb »Henryk« weiter in Polen aktiv, wo ihn die Operativgruppe bis 1989 führte.692 Die Hauptabteilung VI schöpfte 1982 ohne Beteiligung der Operativgruppe und ohne die Stationierung eigener hauptamtlicher Mitarbeiter in Polen vier Solidarność-Organisatoren ab.693 Im Dezember des Jahres beschloss sie, auch weiterhin IM jenseits der von der HA II entsandten Operativgruppe nach Polen zu schicken.694 Dies zeigt, dass nur ein Teil der MfS-Spionage in Polen über die Operativgruppe Warschau organisiert war. Viele Kanäle, Zuträger und Berichte, die in der Berliner Zentrale aufliefen, dürften dieser nicht bekannt gewesen sein. Die Operativgruppe verfasste regelmäßig Monats-, Wochen- und Tagesinformationen aus Polen, die sie der MfS-Zentrale übersandte – und die hier insbesondere auch durch die ZAIG aufbereitet wurden. In einem Gliederungsentwurf hatte die Hauptabteilung II die Anforderungen formuliert: Die Berichte sollten nicht nur die Lage im Land abdecken, sondern auch spezifische Maßnahmen der Partei- und Staatsführung sowie der Sicherheitsorgane übermitteln. Auch bevorstehende Ereignisse, die Proteste in der Bevölkerung hervorrufen könnten, sollte die Operativgruppe melden. Die MfS-Berichtstätigkeit über die Staatspartei, die wirtschaftliche Lage sowie über Kirche und Opposition fiel im Vergleich zu der aus anderen sozialistischen Ländern außerordentlich umfangreich aus. Dies verdeutlicht die Krisenperzeption des MfS hinsichtlich Polens.695 Der Hunger des Ministeriums nach Informationen und seine nervöse Aufmerksamkeit hatten kaum Grenzen – selbst die relativ kleinen Außenstellen der Operativgruppe erstellten zeitweise eigene Berichte.696
691 HA II/10: Einsatz- und Entwicklungskonzeption zur Weiterführung der Feindverbindung des IMB »Henryk« zum Geheimdienst MAD entsprechend der Richtlinie 1/79, Berlin, 8.11.1988; BStU, MfS, AIM 12837/91, Bd. II, Bl. 465–467. 692 Übergabemitteilung, 20.7.1989; BStU, MfS, AIM 12837/91, Bd. 7, Bl. 252. 693 HA VI: Berichterstattung zum Stand der Durchsetzung der Maßnahmen gemäß Befehl 18/81, Berlin, 18.5.1982; BStU, MfS, HA VI, Nr. 34, Bd. 2, Bl. 68–80, hier 70. 694 HA VI, Leiter: Maßnahmeplan zur weiteren Durchsetzung des Befehls 18/81, Berlin, 27.12.1982; BStU, MfS, HA VI 61, Bl. 86–113, hier 87. 695 Gliederung für monatlichen Situationsbericht (ca. April 1983); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 374–376. Ein fast geschlossener Bestand von Wochenberichten vom Juni 1987 bis März 1989 ist überliefert in: BStU, MfS, ZAIG, Nrn. 13508–13528. Tagesinformationen aus der Zeit von 1987 bis 1989 enthalten BStU, MfS, ZAIG, Nrn. 13603–13613, 13631–13636 u. 13756–13761. Rund um diese Bestände gruppieren sich weitere Informationen und Fernschreiben der Operativgruppe. Siehe ebenso BStU, MfS, HA II, Nrn. 38084–38093 u. 38639–38642. 696 Siehe BStU, MfS, HA II, Nrn. 38641–38642.
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6.3.2 Überwachung der DDR-Auslandsvertretungen Gleich nach ihrer Einrichtung im Oktober 1980 übernahm die Operativgruppe die Aufgabe, die Angestellten der DDR-Botschaft, der Generalkonsulate und des Kultur- und Informationszentrums der DDR in Warschau zu überprüfen. Die Hauptabteilung II organisierte die Abwehrarbeit unter dem Botschaftspersonal arbeitsteilig je nach Fachbereich. So übernahm ein Mitarbeiter der Linie XVIII (Überwachung der Volkswirtschaft) die wirtschaftspolitische, handelspolitische und verkehrspolitische Abteilung, während ein Mitarbeiter der Linie I (Abwehr NVA und Grenztruppen) für das Militär verantwortlich war. Hinzu kamen ein Mitarbeiter der Linie II und der Hauptamtliche Sicherheitsbeauftragte. Zusammen bildeten sie die Arbeitsgruppe »Innere Sicherheit«, die dem Leiter der Operativgruppe Warschau unterstand.697 Sie sollte Verdachtsmomente hinsichtlich einer Tätigkeit für andere Nachrichtendienste und Hinweise zu offiziellen und informellen Kontakten zwischen DDR-Bürgern und Bürgern westlicher Staaten sammeln und darüber einmal im Monat einen schriftlichen Bericht an die Hauptabteilung II senden. Zudem erwartete die Hauptabteilung II Meldungen über Personalveränderungen sowie Einschätzungen zu den polnischen Angestellten der Außenvertretungen.698 Bis 1986 stellte diese Arbeitsgruppe eine Kartei über alle Mitarbeiter und deren Familienangehörige aus den DDR-Auslandsvertretungen in Polen und eine weitere Kartei über alle registrierten DDR-Bürger mit ständigem Wohnsitz in Polen zusammen. Teils um diese Personenkreise besser überwachen zu können und teils, um »operativ interessante« Berufe und Kontakte zu ermitteln. Diejenigen, die ihr interessant oder verdächtig schienen, unterzog sie einer Prüfung in den zentralen Speichern des MfS.699 Zudem betrieb die HA II unter Beteiligung der Operativgruppe »Blickfeldarbeit«. Dazu setzte sie loyale Zuträger über Polen ein und versuchte, ein Interesse westlicher Nachrichtendienste an diesen Personen zu wecken. Sprachen die westlichen Nachrichtendienste solche Personen an, konnten so beispielsweise aktuelle Interessenlagen, Personal, Aufgabenverteilung, Anbahnungstechniken usw. interessierender Dienste überprüft oder erkannt werden oder diesen Diensten gezielt Falschinformationen untergeschoben werden. Für den seltenen Fall, dass eine solche »An-
697 OGW: Abwehrkonzeption für die Botschaft der DDR in Warschau (unbestätigter Entwurf ), o. D.; BStU, MfS, HA II, Nr. 38325, Bl. 9–17; HA II, Leiter: Maßnahmeplan zur politisch-operativen Sicherung der Vertretungen der DDR in der VR Polen, Berlin, 19.8.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 117–119. 698 Gliederung für monatlichen Situationsbericht (ca. April 1983); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 374–376. 699 Operativgruppe: Einschätzung der OGW zu Arbeitsergebnissen im 1. Halbjahr 1986, Warschau, 9.6.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 1–11, hier 6; OGW: Tätigkeitsbericht der OGW für den Monat März 1986; ebenda, Bl. 12–19, hier 14.
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schleusung« dauerhaft gelang, plante die Operativgruppe sogenannte »operative Spiele« der beteiligten Geheimdienste.700 6.3.3 Linie XVIII Der von der Hauptabteilung XVIII entsandte Operativgruppen-Mitarbeiter war für die Überwachung der wirtschafts- und handelspolitischen Abteilungen der DDR-Botschaft, für 26 verschiedene Außenhandelseinrichtungen und zwei RGW-Einrichtungen in Polen zuständig. Zudem lieferte er aktuelle Lageeinschätzungen aus dem Land, beispielsweise zu Wirtschaftsreformen und Außenhandelsbeziehungen. Er koordinierte die Überwachung von Konferenzen und wirtschaftspolitischen Beratungen mit DDR-Beteiligung in Polen. Bei Bedarf ließ er ostdeutsche Dienstreisende observieren. Im Jahre 1984 standen ihm etwa 15 IM und elf Kontaktpersonen zur Verfügung.701 Für 1986 plante die Operativ gruppe einen Ausbau des IM-Netzes und dachte an, auf der Linie XVIII »offensive Abwehraufgaben« gegenüber Bürgern westlicher Staaten zu realisieren. Die IM sollten zudem nach Ineffizienzen in der Wirtschaft Polens suchen.702 Selbst die MfS-Operativgruppe in Moskau spionierte in den Jahren 1980 und 1981 polnische Wirtschaftsvertreter aus. Das Interesse richtete sich auf die Verwendung aufgenommener Auslandskredite, auf Personalien und private Interessen von Funktionären sowie deren Verhalten bei Reisen nach Moskau.703
700 HA II/AG 4: Jahresarbeitsplan 1984, Berlin, 25.11.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 240, Bl. 109–130, hier 125; Operativgruppe: Einschätzung der OGW zu Arbeitsergebnissen im 1. Halbjahr 1986, Warschau, 9.6.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 1–11, hier 7. 701 HA XVIII/9: Analyse der Effektivität der inoffiziellen Basis im Sicherungsbereich Linie XVIII der OG Warschau, Berlin, 29.3.1984; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 17493, Bl. 79–85; Übersicht über inoffizielle Kontakte, Stand: 31.3.1984; ebenda, Bl. 13; Übersicht über Kontakt personen, Stand: 31.3.1984; ebenda, Bl. 14. Handschriftliche Notizen hierzu befinden sich in: BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2848. 702 OG Warschau: Arbeitsplan 1986 für die Aufgabenstellung der Linie XVIII im Rahmen der OG Warschau, Warschau, den 30.11.1985; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 14212, Bl. 1–5; dazugehörige Notiz in: ebenda, Bl. 6 f. 703 Operativgruppe Moskau: Information, Moskau, 6.3.1980; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2849, Bl. 1 f.; weiterhin diverse Informationen zu einzelnen Wirtschaftsvertretern in: ebenda, Bl. 45–57.
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Die Operativgruppe in Polen
6.3.4 Linie XX Die Kooperation des MfS mit dem polnischen Innenministerium (MSW) bei der Bekämpfung der polnischen Opposition704 war hauptsächlich bei der Hauptabteilung II (Spionageabwehr) angesiedelt. Die Klassifizierung als Abwehraufgabe lag darin begründet, dass nach der MfS-Logik westliche Geheimdienste die Opposition in Polen steuerten. Bald verhandelte das MfS mit dem polnischen Innenministerium auch über eine Zusammenarbeit der Hauptabteilung XX mit dem III. Departement des MSW, das für die Überwachung der intellektuellen Sphäre und der inneren Opposition in Polen zuständig war. Ein Protokollentwurf, dessen Unterzeichnung nicht belegt ist, sah ab 1983 die Entsendung von Mitarbeitern in »außerordentlichen Situationen« nach gegenseitiger Abstimmung vor.705 Im Sommer 1983 hatten die Regierungen der DDR und Polens erstmals nach dem Kriegszustand in Polen wieder einen breiten Ferienaustausch von Jugendlichen und Studenten vereinbart. Das MfS beschränkte sich zunächst darauf, über seine Zuträger bei »Jugendtourist« auf die Zusammenstellung der Feriengruppen Einfluss zu nehmen, die Grenzpassage zu kontrollieren und Informationen über missliebiges Verhalten zu sammeln.706 Hierbei verfolgte es nicht nur antistaatliche Äußerungen und Verbrüderungen, sondern auch den Ausbruch antipolnischer Ressentiments unter DDR-Jugendlichen. Auch hoffte es darauf, in der Kooperation mit dem polnischen Innenministerium bei der Überwachung des Austauschs Informationen zu gewinnen und die Zusammenarbeit zu verbessern.707 Ab 1984 sandte die Hauptabteilung XX dauerhaft einen Verbindungsoffizier nach Warschau. Zu seinen Aufgaben zählte unter anderem die Überwachung jugendlicher Reisender. Er war lose an die Operativgruppe angebunden.708 Ab 1986 sollte zudem jede Bezirksverwaltung einen operativen Mitarbeiter in den Monaten Juli und August nach Polen schicken. Die Entsendung erfolgte abgedeckt. Außerdem wies die MfS-Leitung die Bezirksverwaltungen an, Betreuer und Dolmetscher im ostdeutsch-polnischen Jugendaustausch nach ideologischen Kriterien auszuwählen. Vor allem IM und GMS sollten zum Zuge kommen. Für das Folgejahr ist nachgewiesen, dass Hauptamtliche der Bezirks704 Allgemein hierzu Sawicki: Stasi a opozycja demokratyczna w Polsce, S. 131–142. 705 Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen dem III. Departement des Ministeriums des Innern der VR Polen und der Hauptabteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR für die Jahre 1983–1988 (nicht unterzeichneter Entwurf); BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5901, Bl. 4–10. 706 Aufnahme von Kindern und Jugendlichen aus der VR Polen zu Ferienaufenthalten in der DDR und Entsendung von Jugendlichen aus der DDR in die VR Polen, Berlin, 27.4.1983; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 7754. 707 Jaskułowski: Die Stasi macht Ferien, S. 119–132. 708 OG Warschau: Tätigkeitsbericht Monat August 1984, Warschau, 28.8.1984; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 93–99, hier 99.
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verwaltungen tatsächlich in einer »zeitweiligen Arbeitsgruppe« der HA XX in Polen tätig waren.709 Im Jahr 1988 zählte diese Arbeitsgruppe vier Mitarbeiter, die jeweils zu zweit für einen Monat in Warschau stationiert waren. Sie und eine etwa fünfköpfige MfS-Delegation, die das »Freundschaftstreffen der Jugend« in Breslau überwachte, standen mit der Operativgruppe in Kontakt. Die Entsendungen waren dem polnischen Innenministerium bekannt – die MfS-Mitarbeiter waren mit dessen III. Departement in Verbindung, das seinerseits Überwacher des Jugendaustauschs in die DDR schickte.710 Allem Anschein nach kooperierte die MfS-Hauptabteilung XX mit dem polnischen Innenministerium bei der Bekämpfung der Oppositionen nicht besonders eng. Die Geheimpolizisten trafen sich regelmäßig und auch kurzfristig zu bilateralen Treffen auf Leitungsebene, sie tauschten Informationen aus und observierten reisende Oppositionelle auf Anfrage der Gegenseite. Die Kommunikation lief hauptsächlich über die Internationale Abteilung des MfS und das »Kabinett des Ministers« auf polnischer Seite. Beispielsweise ist eine Ad-hoc-Konsultation beider Sicherheitsdienste aus dem Jahr 1977 überliefert, die sich mit dem Wie des Eindämmens zivilgesellschaftlicher Austauschprojekte des ostdeutschen Bürgerrechtlers Ludwig Mehlhorn befasste.711 Solche Konsultationen auf der Arbeitsebene waren allerdings rar; auch war die Operativgruppe nur punktuell in die Tätigkeit der Hauptabteilung XX eingebunden. 6.3.5 Linie I Die Tätigkeit der Hauptabteilung I in Warschau ist jenseits des Szenarios »Arbeitsgruppe Innere Sicherheit« nur durch zwei Quellen aus den Jahren 1982 und 1986 belegt. Im Mai 1982 entsandte die Hauptabteilung I einen ersten Verbindungsoffizier nach Warschau, nutzte diesen im ersten Einsatzjahr als Bindeglied zwischen MfS und der Militärabwehr im polnischen Verteidigungsministerium jedoch kaum.712 Im Jahr 1986 überwachte der Verbindungsoffizier bei709 Politisch-operative Sicherung des Kinder- und Jugendaustausches zwischen der DDR und der VR Polen, Berlin, 23.10.1985; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8054; Politisch-operative Sicherung des Kinder- und Jugendaustausches zwischen der DDR und der VR Polen im Jahre 1987, Berlin, 12.1.1987; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 6836. 710 Politisch-operative Sicherung des Kinder- und Jugendaustausches zwischen der DDR und der VR Polen im Jahre 1988, Berlin, 1.2.1988; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8529; Einsatz von Offizieren der Hauptabteilung XX in der VR Polen, Berlin, 10.7.1988; BStU, MfS, HA XX/4, Nr. 1257, Bl. 69–71; Hauptabteilung XX, o. T., Berlin, 5.4.1988; ebenda, Bl. 135– 149, hier 148 f. 711 HA XX: Probleme der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsorganen der VR Polen, Berlin, 15.6.1988; ebenda, Bl. 1–16; Telegram nr. 221, Berlin, 5.8.1977; IPN BU 1585/1999, Bl. 136. 712 HA II/AG 4: Probleme zur Beratung mit der Abteilung X, Berlin, 29.3.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 114–116.
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spielsweise DDR-Militärs, die an der Warschauer Technischen Militärakademie ausgebildet wurden. Außerdem kontrollierte er den Apparat des DDR-Militärattachés durch eigene Zuträger. Beispielsweise ließ er sich über dienstliche Westkontakte eines Gehilfen des DDR-Militärattachés berichten. Er wurde aktiv, als er erfuhr, dass ein DDR-Feldwebel umfängliche Geldmittel in westlichen Währungen besaß. Ferner überwachte er zivile DDR-Studenten an polnischen Universitäten und Hochschulen. Die Kommunikation mit dem polnischen Verteidigungsministerium schien sich verdichtet zu haben.713 6.3.6 Linie VI Obwohl die für die Überwachung von Reisenden zuständige Hauptabteilung VI schon 1971 hauptamtliche Mitarbeiter nach Polen senden wollte,714 blieb die Problematik fluchtwilliger DDR-Touristen in Polen im Aufgabenspektrum der Operativgruppe zweitrangig. Eine Entsendung von Personal der Hauptabteilung VI in die von der Hauptabteilung II geführte Operativgruppe ist nicht belegt, obwohl sie im Jahr 1980 ihren Stellenplan vorsorglich überarbeitet hatte.715 Die Hauptabteilung II verwarf mit Blick auf die Zuständigkeit der Hauptabteilung VI Überlegungen, fluchtverdächtige DDR-Bürger in Polen zu verfolgen.716 Auch nach der Einrichtung der Operativgruppe meldete das polnische Innenministerium dem MfS Fluchten von DDR-Bürgern über die formelle Korrespondenz. Beispielsweise gelang einem Ostdeutschen die Flucht auf einem Handelsschiff von Gdynia nach Schweden. Das Innenministerium berichtete dem MfS weiterhin über eine gelungene Fluchthilfeaktion mit einer Jacht von Swinemünde (Świnoujście) nach Lübeck.717 Auch die bis 1989 verhältnismäßig geringe Zahl von Botschaftsflüchtlingen gab keinen Anlass für eine Vor-Ort-Kooperation der Sicherheitsdienste. In den Jahren 1984 und 1985 besetzten insgesamt 22 DDR-Bürger erfolglos die bundesdeutsche Botschaft in
713 Operativgruppe Warschau, Verbindungsoffizier HA I: Arbeitsplan für das Jahr 1986, Warschau, 21.1.1986; BStU, MfS, HA I, Nr. 14448, Bl. 18–22. 714 Siehe S. 186. 715 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Zwischeneinschätzung der Erfüllung der Kampfaufgaben in Vorbereitung des X. Parteitages, Berlin, 10.12.1980; BStU, MfS, HA VI, Nr. 35, Bd. 3, Bl. 326–328. 716 Entwurf: Aufstellung operativer Maßnahmen zu Angelegenheiten des gegenseitigen Interesses des Departements II des MdI der VR Polen und der Hauptabteilung für Spionageabwehr des MfS der DDR für den Zeitraum 1982–1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 215, Bl. 330–338, hier 336. 717 Siehe die Korrespondenz in: IPN BU 1585/2007, Bl. 306–310 (August/September 1981) u. IPN BU 1585/2008, Bl. 38 (März 1982).
Informationsbeschaffung
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Warschau. Erst im Jahr 1989 erzwangen mehrere hundert DDR-Flüchtlingen auf diesem Wege ihre Übersiedlung.718
6.4 Informationsbeschaffung Bereits vor der Einrichtung der Operativgruppe führten die Hauptabteilung II und andere Diensteinheiten des MfS inoffizielle Mitarbeiter, die häufig nach Polen reisten, viele Kontakte zu polnischen Bürgern hatten oder sogar im Land lebten. All diese IM dürften zumeist die DDR-Staatsbürgerschaft besessen haben. Mit der sich verändernden innenpolitischen Situation in Polen stieg das Interesse des MfS an Informationen aus dem Nachbarland schnell an, worauf es unter Zeitdruck zusätzliche Zuträger zu rekrutieren versuchte. Eine kontroverse Frage hierbei war die Anwerbung polnischer Informanten ohne Wissen des polnischen Sicherheitsdiensts.719 Zwar vermerkte ein bilateraler Vertrag vom Mai 1974, dass »mit Zustimmung der anderen Seite Bürger bzw. Personen, die auf dem Territorium des jeweils anderen Staates wohnhaft sind, für operative Zwecke« genutzt werden könnten. Die MfS-Hauptabteilung II zögerte allerdings, solche Informanten als »Inoffizielle Mitarbeiter« zu kennzeichnen – wohl deshalb, da sie viele von ihnen ohne Wissen des polnischen Innenministeriums führte. Sie hielt fest, dass die »Schaffung operativer Kontakte zu polnischen Staatsbürgern auf dem Territorium der VR Polen« zu Verhältnissen geführt habe, »die denen zu IM ähneln«. Das Thema war so heikel, dass die Hauptabteilung II ihre Zuträger selbst vor der MfS-eigenen Abteilung X geheim zu halten versuchte. Sie forderte 1983, deren Registrierung in den MfS-Speichern ohne deren Zustimmung vornehmen zu dürfen, obwohl eine Richtlinie aus dem Jahr 1979 genau dies verlangte.720
718 Siehe Mayer: Flucht und Ausreise, bes. S. 385 f.; Olaszek: Die Flucht von DDRBürgern, S. 143–162. Zu den Warschauer Botschaftsflüchtlingen im Herbst 1989 siehe S. 220. 719 Vgl. Jaskułowski: Przyjaźń, S. 8, 392–394. 720 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der VR Polen, Warschau, 16.5.1974; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1850; HA II/AG 4: Probleme zur Beratung mit der Abteilung X, Berlin, 29. März 1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 114–116. Die IM-Richtlinie 1/79 vom 8.12.1979 enthielt u. a. folgende Bestimmung: »Bei vorgesehener Entwicklung und Bearbeitung von IM-Vorläufen zur Werbung von Bürgern befreundeter sozialistischer Staaten haben die Leiter der HA/selbst [ständigen] Abteilungen und BV/V Ersuchen um Zustimmung an den Leiter der Abteilung X zu richten.« Die Richtlinie ist ediert in Müller-Enbergs: Inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Richtlinien und Durchführungsbestimmungen, Zitat S. 341. Die Richtlinie sah ferner vor, dass der Leiter der Abt. X zum Zweck der Information an den Partnerdienst auch über die Beendigung der Zusammenarbeit mit IM aus den befreundeten sozialistischen Staaten in Kenntnis zu setzen war; ebenda, S. 339.
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So bestand das Informantennetz der Operativgruppe nicht allein aus inoffiziellen Mitarbeitern. Hinzu kamen sogenannte «Kontaktpartner» polnischer Nationalität, worunter sich auch Mitarbeiter der polnischen Sicherheitsorgane verbargen, die vom MfS genutzt wurden – einige von ihnen berichteten möglicherweise auch mehr, als ihnen von ihren Vorgesetzten aufgetragen war. Im Anforderungsprofil an ihre Berichterstattung bezeichnete die HA II sie sogar unverblümt als »inoffizielle Kräfte«.721 Eine Fachschulabschlussarbeit an der MfS-Hochschule beschrieb im Jahr 1986, wie mit den polnischen Zuträgern umzugehen sei. Ihr Autor war Mitarbeiter der in die Spionage in Richtung Polen involvierten Bezirksverwaltung Halle. Er argumentierte, «polnische Kontaktpartner [sind] darauf zu orientieren, daß diese inoffizielle Tätigkeit nicht gegen die VR Polen gerichtet ist, sondern der Unterstützung des Konsolidierungsprozesses in der VR Polen dient».722 Die Operativgruppe führte ihre Verbindungen unter verschlüsselten Bezeichnungen: Mit dem Decknamen »Fred« wurden die »Kontaktpartner« im polnischen Sicherheitsapparat benannt, mit dem Decknamen »Martin« die von der Operativgruppe Warschau geführten IM, mit dem Decknamen »Konrad« nicht formell angeworbene Kontaktpersonen und schließlich mit dem Decknamen »Rudolf« Personen, die in Verbindung zu den letzten zwei Kategorien (»Martin« oder »Konrad«) standen. Hinzu kam eine fortlaufende Nummer. Eine Aufstellung dieser Verbindungen vom Dezember 1986 zeigt, dass das Informantennetz der Gruppe vor allem in ostdeutsche Einrichtungen und das polnische Innenministerium hineinreichte, weiterhin auch in andere Ministerien, die Justiz, die Armee, die Kirchen und die Gewerkschaften. Die Liste ist regional und systematisch aufgegliedert, was auf einen breiten Überwachungsanspruch der Operativgruppe hinweist. Sie führte 127 polnische »Kontaktpartner«, die ausschließlich im polnischen Innenministerium arbeiteten. Diese waren auf vielen Hierarchieebenen und in vielen regionalen Gliederungen tätig. Noch brisantere Verbindungen zu polnischen Zuträgern führte das MfS wohl über seine Dienststellen auf DDR-Territorium, denn diese erscheinen nicht in den Übersichten der Operativgruppe. Bei den 50 als »Martin« aufgelisteten IM der Operativgruppe handelte es sich zumeist um DDR-Bürger, die dauerhaft in Polen lebten und von denen 14 in der Botschaft, 16 in der Wirtschaft, elf in Wissenschaft 721 Gliederung für monatlichen Situationsbericht (ca. April 1983); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 374–376. 722 Bulla, Egon: Erfahrungen und Erkenntnisse in der Zusammenarbeit mit IM zur Qualifizierung der politisch-operativen Prozesse im Zusammenhang mit der Lage in der Volksrepublik Polen, als Fachschulabschlussarbeit eingereicht am 27. Mai 1986 beim Ministerium für Staatssicherheit, Hochschule, Lehrgang 12; BStU, MfS, JHS, Nr. 20656, Bl. 1–51, hier 22. Die Juristische Hochschule des MfS verfügte über eine Abteilung Fachschule, die entsprechende Abschlüsse ermöglichte. Nahezu alle an der Hochschule verfassten Arbeiten waren als Verschlusssachen ausgewiesen und entsprechend geheim gehalten – das traf auch auf die Arbeit von Bulla zu.
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und Kultur und zwei als DDR-Auslandskorrespondenten arbeiteten. Weiterhin befanden sich vier zivile und militärische Studierende sowie ein Mitarbeiter des polnischen Sicherheitsapparats unter ihnen. Die Linie XVIII der Operativ gruppe führte noch zwei Jahre zuvor weitere, in der Liste nicht verzeichnete Zuträger – möglicherweise sind die Zusammenstellungen nicht vollständig.723 Zusätzlich konnte die Operativgruppe auf Zuträger zugreifen, die im Basisreferat, der Hauptabteilung II/10/Referat 2, oder durch andere MfS-Diensteinheiten geführt wurden. Allein das Referat 2 verzeichnete im Jahr 1985 knapp 150 Zuträger.724
6.5 Zusammenarbeit mit dem polnischen Innenministerium Die Zusammenarbeit des MfS mit dem polnischen Innenministerium war weniger eng als beispielsweise die mit dem tschechoslowakischen FMdI. Als die Operativgruppe eingerichtet wurde, endete eine längere Vorgeschichte, die als wechselnde Interessenkoalition mit distanzierter gegenseitiger Zugewandtheit charakterisiert werden könnte.725 Zum Ende der 1970er-Jahre erstreckten sich Kooperationsbeziehungen über verschiedene geheimpolizeiliche Tätigkeitsbereiche. Auf folgenden Linien fanden mehrmals im Jahr Arbeitstreffen statt: – In der Auslandsaufklärung gab es zwischen der HV A und der Hauptabteilung I des MSW Konsultationen und Erfahrungsaustausche zur äußeren Abwehr, dem Informationswesen, der wissenschaftlich-technischen Aufklärung und zur Aufklärung westlicher Geheimdienstresidenturen. – Die Hauptabteilung VI kooperierte vermutlich mit der Abt. XIV im II. Departement des MSW sowie den regionalen MSW-Dienststellen bei Kontrollen des grenzüberschreitenden Verkehrs und der Überwachung des Tourismus. – Die für die Überwachung der Wirtschaft zuständigen Abteilungen Hauptabteilung XVIII des MfS und V. Departement im MSW (bis 1979 Abteilung VI im III. Departement) kooperierten während internationaler Fachmessen in Polen und bei der Überwachung polnischer Arbeitskräfte in der DDR, wo723 Operativgruppe: Aufstellung von Kontaktpartnern/IM, zu welchen von der OGW Verbindung besteht, Stand 15.12.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 733, Bl. 30–82; HA XVIII/9: Analyse der Effektivität der inoffiziellen Basis im Sicherungsbereich Linie XVIII der OG Warschau, Berlin, 29.3.1984; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2847, Bl. 1–7. 724 (HA II/10: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in Polen), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 37–46, hier 44; (HA II/10): Übersicht Trefftätigkeit und Informationserarbeitung, 1. Quartal 1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 304. 725 Vgl. allgemein Jaskułowski: Przyjaźń; konkret zu den Tätigkeitsfeldern der späteren Operativgruppe siehe S. 186.
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für das polnische Innenministerium spezielle Mitarbeiter in der DDR stationierte. – Weiterhin tauschten sich beide Ministerien über die Beobachtung von Gesellschaftsbereichen wie Kultur, Kirche, Jugend und Intelligenz aus. – Auch zu Themen wie operativer Technik, Terrorabwehr, Strafverfolgung, Nachrichtenverbindungen, Personenschutz, Chiffrierwesen und Observationen konsultierte man einander.726 In der sogenannten polnischen Krise ab 1980 formierten sich die Beziehungen zwischen beiden Ministerien neu. Die Hauptverwaltung A plante für das Jahr 1981 erstmals ein Arbeitstreffen zur »politisch-ideologischen Diversion«, einem Betätigungsfeld, das in den Folgejahren vor allem die Hauptabteilungen XX und II mit ihren polnischen Partnern übernahmen. Die weiteren Jahrespläne über die Arbeitstreffen der Auslandsaufklärung in Warschau und Ostberlin weisen bis zu sieben Konsultationen jährlich aus, zum Beispiel hinsichtlich der Westarbeit. Dabei dürfte es um die Bekämpfung von Exilorganisationen der Polen in Westeuropa gegangen sein.727 Ein Novum stellten die offensiv vorgetragenen »Hilfs«-Angebote des MfS an das polnische Innenministerium dar, die die dortigen Machthaber angesichts wachsender politischer Unruhen im Land zunehmend akzeptierten. Die ostdeutsche Unterstützung für die Wiederherstellung der staatssozialistischen Macht in Polen beschränkte sich nicht auf Worte und symbolisches Handeln. Besonders bekannt wurde die Zusammenarbeit der Sicherheitsorgane bei der Unterdrückung der Protestbewegung durch die Lieferung ostdeutscher Tränengasgranaten, Gummiknüppel und Schützenpanzerwagen in den Jahren 1981 und 1982. Das MfS deklarierte sie als »Solidaritätslieferung« und stellte sie dennoch mit insgesamt sechs Millionen DDR-Mark in Rechnung. Einen Teil der Lieferungen bezahlte das polnische Innenministerium, indem es über seinen Kurierdienst im Juli 1981 ein Paket mit 750 000 DDR-Mark in bar sandte.728
726 Siehe Plan der dienstlichen Treffen für 1979 – Sicherheitsorgane der VR Polen; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 280, Bl. 474–483; Plan der Arbeitsberatungen zwischen dem MfS der DDR und dem MdI der VR Polen 1981; ebenda, Bl. 342–352, und die anderen Pläne in dieser Akte. 727 Plan der Arbeitsberatungen zwischen dem MfS der DDR und dem MdI der VR Polen 1981; ebenda, Bl. 342–352; weitere bilaterale Pläne im Material. Zur Überwachung polnischer Vertragsarbeiter durch MfS und polnisches MdI siehe Röhr: Angst vor »polnischen Zuständen«, S. 25–29; zum Einsatz einer polnischen Überwachergruppe siehe z. B. IPN By 081/1257. 728 Lieferungen des MfS und des MdI der DDR an die Sicherheitsorgane der Volksrepublik Polen, o. D.; BStU, Abt. X, Nr. 107, Bl. 156–158; o. T.; IPN BU 1585/2007/CD, Bl. 230. Siehe Tantzscher: »Die Feinde des Sozialismus haben alle auf einem Sofa Platz«, S. 218–234.
Zusammenarbeit mit dem polnischen Innenministerium
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6.5.1 Verträge Ein erstes Protokoll zwischen dem damaligen Staatssekretariat für Staatssicherheit und dem polnischen Innenministerium hielt 1955 unter anderem die Präsenz einer vornehmlich mit Aufklärungs- und Abwehraufgaben betrauten polnischen Residentur in Ostberlin fest. Drei Jahre später folgte ihm eine Vereinbarung, welche diese Regelungen präzisierte.729 Weitere Verträge folgten etwa im Zehn-Jahres-Rhythmus – das nächste Protokoll mit Vertragscharakter stammt aus dem Jahr 1965. Es betraf hauptsächlich Fragen der Aufklärung sowie der Abwehr, unterzeichnet wurde es von Erich Mielke und vom polnischen Innenminister Mieczysław Moczar.730 Im Mai 1974 schlossen beide Seiten erneut ein Abkommen, das die Entsendung operativer Mitarbeiter und das Anwerben von Informanten regelte. In beiden Fällen war formal die Zustimmung der Gegenseite erforderlich.731 Im Folgejahr vereinbarten die Ermittlungsabteilungen beider Sicherheitsdienste eine vertragliche Zusammenarbeit für die von ihnen geführten Strafverfahren. Die Vereinbarung erlaubte den Ministern, Festnahmen und Ausreisesperren auf den Territorien der anderen Seite in Auftrag zu geben, zudem schrieb sie gegenseitige Rechtshilfe und den Austausch von Prozessdokumenten fest. Auch die beiden Generalstaatsanwälte unterzeichneten sie.732 Der erste Vertrag nach der Einrichtung der Operativgruppe bezog sich auf Gespräche zwischen den Ministern, wurde jedoch auf der Ebene der Abwehrabteilungen ausgehandelt. Die 1982 getroffene Vereinbarung zur Zusammenarbeit nennt folgende Kooperationsaufgaben: 1. Gemeinsame Entlarvung der Pläne, aktuellen Interessensrichtungen, Mittel und Methoden der Tätigkeit des Gegners, darunter seiner Residenturen, die in den diplomatischen Vertretungen der USA, BRD und Großbritanniens auf dem Territorium der DDR und der VR Polen unter legaler Abdeckung untergebracht sind.
729 Protokoll über die Vereinbarungen, die in der Besprechung vom 20.–22.6.1955 in Berlin zwischen dem Komitee für öffentliche Sicherheit der VR Polen (…) und dem Staatssekretariat für Staatssicherheit der DDR getroffen wurden, Berlin, 22.6.1955; IPN BU 1583/161, Bl. 1–10; Vereinbarung über die weitere Zusammenarbeit zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR und dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der VR Polen auf dem Gebiet der Aufklärung und der Abwehr, Warschau, 25.4.1958; IPN BU 1585/1989, Bl. 13–25. 730 Beratungsprotokoll, Warschau, den 19.2.1965; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 105, Bl. 1–10. Eine polnische Fassung befindet sich in: ebenda, Bl. 11–18. 731 Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem Ministerium für Innere Angelegenheiten der Volksrepublik Polen, Warschau, 16.5.1974; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1850. Eine polnische Fassung ist überliefert in: IPN BU 1585/15279. Siehe S. 184. 732 Vereinbarung über die Zusammenarbeit der Untersuchungsorgane für Staatssicherheit der DDR und der Volksrepublik Polen, Berlin, 13.11.1975 (auch in polnischsprachiger Ausfertigung); BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 9054.
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2. Zielbewußtes Organisieren und Realisieren von konspirativen politisch-operativen Kombinationen unter Nutzung der beiderseits vorhandenen inoffiziellen Möglichkeiten zu Objekten des Gegners. 3. Dokumentierung von ermittelten verdächtigen Kontakten von Bürgern der DDR und der VR Polen mit Mitarbeitern von Vertretungen des Gegners und mit anderen Bürgern der NATO-Staaten, die auf dem Territorium der DDR oder der VR Polen tätig sind. 4. Gewährleistung einer beiderseitigen wirksamen politisch-operativen Kontrolle von ausgewählten Mitarbeitern der Vertretungen kapitalistischer Staaten, von akkreditierten und kurzfristig einreisenden Journalisten und weiterer Ausländer, die sich in der VR Polen bzw. der DDR aufhalten.
Über die Stationierung der Operativgruppe Warschau gibt sie allerdings keine Auskunft. Im März 1986 verlängerten beide Abwehrabteilungen die Vereinbarung bis zum Jahr 1989.733 Außerdem schlossen beide Ministerien Kooperationspläne zur Postkontrolle ab. Deren Ziel lag im Sicherstellen von Postsendungen der Bürger des jeweils anderen Landes in »operativ bedeutsame Staaten«. Relevante Sendungen sollten kopiert und über die zwischenministerielle Korrespondenz weitergeleitet werden.734 Für Vertragsentwürfe der Linie XX (Bekämpfung der Oppositionen) ist indes nicht gesichert, dass sie je unterschrieben und in Kraft gesetzt wurden.735 An dieser Stelle sei bemerkt, dass die geheimdienstliche Kooperation auf Linienebene unabhängig von den Aktivitäten der OG Warschau ablief und durch diese allenfalls logistisch unterstützt wurde.
733 Vereinbarung über die Zusammenarbeit und gemeinsame Kooperation zwischen dem Departement II des Ministeriums des Innern der Volksrepublik Polen und der Hauptabteilung II des Ministeriums für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik für den Zeitraum 1982–1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 775, Bl. 28–32; Ergänzung zur Vereinbarung, Berlin und Warschau, 10.1.1986; ebenda, Bl. 56. 734 Plan der Zusammenarbeit des MfS und des MdI auf dem Gebiet der Postkontrolle für den Zeitraum 1983 und 1984, 28.3.1983; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 79, Bl. 1–3; Plan der Zusammenarbeit zwischen dem MfS der DDR und dem Ministerium des Innern der VR Polen auf dem Gebiet der Postkontrolle für den Zeitraum 1986–1990, Berlin, 31.5.1985; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 1851. 735 Übersetzung aus dem Polnischen: Protokoll über die Zusammenarbeit zwischen dem III. Departement des Ministeriums des Innern der VR Polen und der Hauptabteilung XX des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (für den Zeitraum 1983–1988, o. D.); BStU, MfS, HA XX/AKG, Nr. 5901, Bl. 4–10; Entwurf: Perspektivplan für die Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung XX des MfS der DDR und dem III. Departement des MdI der VR Polen im Zeitraum von 1986 bis 1990, o. D.; ebenda, Bl. 11–17.
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6.5.2 Kommunikation Die besondere innenpolitische Situation in Polen verhalf der MfS-Operativ gruppe in Warschau rasch zu einem hohen Stellenwert in der bilateralen Kooperation von MfS und polnischem MdI. Mit Gründung der Operativgruppe bemühte sich das MfS um Herstellung direkter Arbeitsbeziehungen zum II. Departement des polnischen Sicherheitsdienstes, dem die Spionageabwehr oblag. Im Oktober 1980 besuchte eine Delegation der Hauptabteilung II unter Eingliederung des Operativgruppenleiters Karl-Heinz Herbrich das II. Departement. Herbrich absolvierte damit seinen Antrittsbesuch beim Direktor der polnischen Abwehr, Zdzisław Sarewicz. Der Bericht verzeichnet umfangreiche fachliche Absprachen und vermerkt, dass nun »Voraussetzungen für eine stärkere Wirksamkeit der Operativgruppe« geschaffen seien. Die Aufgaben von zwei Mitarbeitern der HV A in Warschau – ein Ausspionieren von Partei und Staat – erwähnt der Bericht nicht. Im Jahr darauf formulierte Sarewicz auf einem bilateralen Treffen Einschätzungen und politische Positionen, die den polnischen Sicherheitsdienst zum Partner des MfS im Kampf gegen die polnische Opposition und gegen innerparteiliche Reformkräfte qualifizieren sollten. Er schlug vor, in einer »neuen Etappe der Zusammenarbeit« die Arbeit an gemeinsamen operativen Vorgängen zu intensivieren. Einen Monat vor der Ausrufung des Kriegszustands lobte Sarewicz gegenüber Erich Mielke in Berlin die Arbeit der Operativgruppe. Mielke bot dem polnischen Sicherheitsdienst wie üblich größtmögliche Unterstützung in der Unterdrückung gesellschaftlicher Protestbewegungen an.736 Dessen 1982 eingerichtetes »Studienbüro«, das die Eliten der Solidarność zu unterwandern versuchte, griff daraufhin auf die Operativgruppe und ihre Zuträger zurück.737 In der Kommunikation zwischen beiden Geheimpolizeien erwuchs der Operativgruppe Warschau schnell die Rolle einer faktischen MfS-Repräsentanz in Polen. Wiederholt richteten hohe Funktionäre des polnischen Sicherheitsapparats über die Operativgruppe Anfragen an das MfS oder ließen Informationen über Abwehrfragen oder über Besprechungen im polnischen Apparat durchsickern. Ein Abteilungsleiter der polnischen Aufklärung – höchstwahrschein736 HA II: Bericht über den Arbeitsbesuch des stellv. Leiters der Hauptabteilung II des MfS bei der II. Hauptverwaltung des Sicherheitsorgans der VR Polen vom 23.–24.10.1980 in Warschau, Berlin, den 27.10.1980; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 278–285; HA II: Bericht über die Plenarsitzung vom 18.5.1981 zwischen dem Leiter der HA II des MfS und dem Direktor des 2. Dept. des MdI der VR Polen in Warschau, Berlin, 21.5.1981; BStU, MfS, HA II, Nr. 29039, Bl. 45–55; Notiz zum Gespräch des Gen. Minister Mielke mit dem Leiter der Delegation des Dept. II des MSW der VRP (…) am 18.11.1981 in Berlin, o. D.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 141–144. 737 Siehe exemplarisch S. 198 und die verschiedenen Dokumente in: BStU, MfS, HA II/10, Nr. 195, Bl. 265, 270, 279, 282, 296 f. u. 305.
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lich Czesław Jackowski – informierte beispielsweise im Juni 1982 die Operativ gruppe über eine Großkonferenz aller polnischen Sicherheitsorgane mit 600 Teilnehmern. Die polnischen Funktionäre dienten der Operativgruppe sogar diplomatisch-protokollarische Funktionen an: Im März 1982 bat Innenminister Czesław Kiszczak Herbrich, ein Treffen mit Mielke in die Wege zu leiten. Zwei Tage vor Heiligabend 1982 bedankte er sich bei Herbrich nicht nur für die MfS-»Solidaritätslieferung« an Tränengasgranaten und Gummiknüppeln, sondern auch für ein von Mielke geschenktes Jagdgewehr. Er gestattete Herbrich, die stellvertretenden Innenminister sowie den Direktor des Kabinetts des Ministers direkt zu kontaktieren.738 Stefan Szymczykiewicz, stellvertretender Direktor des Kabinetts des Innenministers, war einer der ranghöchsten Ansprechpartner der Operativgruppe Warschau. Nach seinen eigenen Worten war er von Innenminister Kiszczak angewiesen, »die sozialistischen Bruderorgane umfassend und objektiv über die Vorgänge in der VR Polen zu informieren.«739 Im Jahr 1985 hielt die Operativgruppe befriedigt fest, dass vier stellvertretende polnische Minister eine von der Gruppe ausgerichtete MfS-Jubiläumsfeier besucht hatten. Die Legendierung der MfS-Hauptamtlichen als Botschaftsmitarbeiter erlaubte ihnen den Besuch zahlreicher diplomatischer Empfänge, darunter auch die westlicher Botschaften. Sie machten davon intensiv Gebrauch.740 Dass die Operativgruppe zumeist direkt mit Mitarbeitern des polnischen Innenministeriums kommunizierte, verdeutlicht ihre zentrale Stellung in der Kommunikation zwischen MfS und MSW. Die polnische Seite hatte sich damit einverstanden erklärt, in der Kooperation auf Arbeitsebene das für die internationale Korrespondenz zuständige Kabinett des Ministers zu umgehen. Auf diese Weise konnte sich die Operativgruppe als Vermittler für Informationen der Auslandsaufklärung und der Spionageabwehr profilieren. Noch im Jahr 1989 bahnte sie direkte Arbeitskontakte zwischen spezialisierten Abwehreinheiten
738 HA II/10: Protokoll, Berlin, 29.6.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 21–24; Die Operativgruppe Warschau übermittelte folgende Information, Berlin, 9.6.1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 237 f.; Zur persönlichen Information, Berlin, 2.3.1982; ebenda, Bl. 227– 230; Streng geheim!, Berlin, 23.12.1982; ebenda, Bl. 225, 235 f. Letztgenannte Quelle nennt den zu diesem Zeitpunkt amtierenden stellvertretenden Innenminister sowie den Direktor des Kabinetts des Ministers nicht namentlich. Biografische Informationen zu Czesław Jackowski sind abrufbar unter http://katalog.bip.ipn.gov.pl. 739 Information des stellvertretenden Direktors des Kabinetts des Innenministers der VR Polen, Berlin, 13.3.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 59 f. Zu Szymczykiewicz vgl. Piotrowski/ IPN (Hg.): Aparat bezpieczeństwa w Polsce, S. 64, http://ipn.gov.pl/__data/assets/pdf_file/0019/62731/1-24925.pdf. 740 OG W: Aktivitäten der OGW bei der Zusammenarbeit mit dem MSW und den WUSW in der VRP, Warschau, 15.5.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 38–40; OG Warschau: Monatsbericht der Operativgruppe Warschau für den Monat März 1985, Warschau, 1.4.1985; ebenda, Bl. 48–55, hier 55.
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des MfS und des MSW an.741 So lief auch die Anfrage des stellvertretenden polnischen Innenministers Władysław Pożoga nach Peilgeräten zur Lokalisierung der Sender des oppositionellen »Radio Solidarność« über die Operativgruppe.742 Eine Besonderheit der Operativgruppe Warschau bestand in deren enger Verständigung mit dem KGB und anderen staatssozialistischen Geheimpolizeien. Diese Kompetenz erwuchs aus Absprachen auf Leitungsebene – die innenpolitische Situation in Polen war Gegenstand zahlreicher Beratungen des MfS mit dem KGB. Auch Erich Mielke plädierte 1981 für eine stärkere Abstimmung zwischen den Geheimpolizeien zum Vorgehen gegenüber Polen.743 Die KGB-Vertretung in Warschau – in Polen «Grupa Narew» genannt – lieferte der MfS-Operativgruppe Lageeinschätzungen, die deren Tätigkeit beeinflussten. Der stellvertretende Leiter der KGB-Gruppe, Viktor Ivanovič Demidov, erklärte im Juni 1981 dem gerade in Warschau weilenden MfS-Aufklärungschef Markus Wolf in Herbrichs Anwesenheit, in Polen herrsche eine «Übermacht der Konterrevolution». Zwei Jahre später urteilte der Leiter der KGB-Gruppe, Vitalij Pavlov, gegenüber Herbrich, in Polen sei eine allmähliche Stabilisierung erkennbar. Die Einschätzungen betrafen auch polnische Akteure: Den stellvertretenden Ministerpräsidenten Mieczysław Rakowski bezeichnete Pavlov als «großen Spieler und Demagogen» mit «revisionistischen Auffassungen». Als Premier sei er nicht zu akzeptieren.744 Die MfS-Operativgruppe kooperierte mit den Vertretungen der Sicherheitsdienste der ČSSR, Ungarns, Bulgariens, Kubas und Vietnams. Neben dem 741 HA II/AG 4: Probleme zur Beratung mit der Abteilung X, Berlin, 29. März 1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 114–116; (HA II/10: Beantwortung des Fragespiegels hinsichtlich der Operativgruppe in Polen), ca. März 1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 279, Bl. 37–46, hier 39; OGW: Gesprächsvermerk, Warschau, 6.6.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 25 f.; OGW: Gesprächsvermerk, Warschau, 17.1.1989; ebenda, Bl. 15; OGW: Gesprächsvermerk, Warschau, 23.1.1989; ebenda, Bl. 11 f. 742 Die Operativgruppe Warschau übermittelte folgende Information, Berlin, 15.4.1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 262, Bl. 77–79. Zum Kontext dieser Unterstützungsaktion siehe Labrenz-Weiß: Zwałczanie Solidarności przez Stasi, S. 249–259; Schmidt: Hauptabteilung III, S. 138–140, http://www.nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0292-97839421300667. 743 Hinweise für eine Beratung des Gen. Minister mit einem leitenden Mitarbeiter der Abt. Sicherheit des ZK der KPdSU (Polen), 1.12.1980; BStU, MfS, ZAIG, Nr. 4790, Bl. 1–9; Hinweise für Gespräche in Moskau (Juli 1981); BStU, MfS, ZAIG, Nr. 5169, Bl. 1–35, hier 16–19. 744 Gespräch des Gen. GO Wolf, HV A, mit dem stellv. Leiter der Gruppe des KfS in der VR Polen, Berlin, 4.6.1981; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 46–48; OG Warschau: Vermerk über ein Gespräch mit dem Leiter der OG des KGB, Gen. GL Pawlow, am 26.7.1983 in der Botschaft der UdSSR in Warschau, 29.7.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 254 f. Zu Tätigkeit und Zusammensetzung der KGB-Gruppe in Warschau siehe Rola i zadania Grupy Operacyjnej »Wisła« oraz jej funkcjonowanie w Moskwie w latach 1970–1990. Działalność Grupy KGB »Narew« w Warszawie [Rolle und Aufgaben der Operativgruppe »Weichsel« sowie ihre Funktionsweise in Moskau 1970–1990. Die Tätigkeit der KGB-Gruppe »Narew« in Warschau]. In: Nawrocki (Hg.): Współpraca SB MSW PRL z KGB ZSRR, S. 52–74, hier 68– 74; Pawłow: Byłem rezydentem KGB w Polsce.
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Informationsaustausch über die innenpolitische Lage bearbeiteten diese auch gemeinsame operative Vorgänge – etwa bei der Bekämpfung von Untergrundstrukturen mit Verbindungen in westliche Länder. Sie überwachten Einzelpersonen und identifizierten Besucher westlicher Botschaften.745 Die MfS-Operativgruppe nahm an Treffen teil, die das polnische Innenministerium zur Informierung aller in Warschau präsenten Vertreter der Partnerdienste ausrichtete.746 Im April 1985 unternahmen diese sogar einen gemeinsamen Ausflug ins sowjetische Brest unter Führung des KGB. Dieser veranstaltete auch in Warschau selbst Empfänge.747 Auf verschiedenen bilateralen Arbeitstreffen erarbeiteten die Warschauer Repräsentantengruppen gemeinsame Positionierungen zur Lage in Polen und besprachen anstehende Ereignisse – gegenseitige Konsultationen waren eine übliche Praxis. Die MfS-Gruppe gab Details über Angehörige der befreundeten Dienste mit der Bitte um Geheimhaltung an die Ostberliner Zentrale weiter.748 6.5.3 Gemeinsame operative Vorgänge Bei vielen bilateralen operativen Vorgängen des MfS und des MSW wirkte die Operativgruppe Warschau mit; bei manchen sogar federführend. Im Fokus standen Mitarbeiter von DDR-Außenvertretungen, die der nachrichtendienstlichen Tätigkeit verdächtigt wurden, aber auch die Botschaften der Bundesrepublik und der Vereinigten Staaten in Warschau und Ostberlin. Zum Teil handelte es sich auch um «offensive Abwehr», d. h. die Dienste agierten mit inoffiziellen Mitarbeitern, welche die Praktiken westlicher Nachrichtendienste bei der Anwerbung und Führung von Zuträgern ausspähen sollten. Solche Vor-
745 HA II/10, Leiter: Jahresbilanz 1988, Berlin, 6. Januar 1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 13–33, hier 15. Zur Kooperation des MfS mit dem tschechoslowakischen StB hinsichtlich der polnischen Krise siehe Vilímek: Solidarita napříč hranicemi, S. 262; HA II: Bericht über das Arbeits treffen des Leiters der HA II des MfS mit dem Leiter der 1. Verwaltung des Sicherheitsorgans der ČSSR am 29. Juni 1981, Berlin, 1.7.1981; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 125–131. 746 (wahrscheinlich Operativgruppe Warschau): Information durch Leiter Dept. V für Vertreter Bruderorgane am 20.7.1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 262, Bl. 26–30. 747 OG Warschau: Aktivitäten der OGW in der Zusammenarbeit mit MSW und WUSW in der VRP, Warschau, 15.5.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 38–40; OG Warschau: Monatsbericht für Mai 1985, Warschau, 10.6.1985; ebenda, Bl. 26–31, hier 28. 748 Siehe z. B. ebenda, Bl. 29; OG Warschau: Tätigkeitsbericht der OGW für den Monat März 1986; ebenda, Bl. 12–19, hier 15; OG Warschau: Monatsbericht der OGW für den Monat September 1984, Warschau, 12.10.1984; ebenda, Bl. 82–91, hier 89; Die Operativgruppe Warschau übermittelte folgende Information, Berlin, 13.3.1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 262, Bl. 97 f.; Die Operativgruppe Warschau übermittelte folgende inoffiziell erarbeitete Informationen, Berlin, 15.9.1981; ebenda, Bl. 411 f.
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gänge leitete zumeist die Hauptabteilung II von Berlin aus.749 Für das Jahr 1984 beauftragte die Hauptabteilung II die Operativgruppe damit, die «Arbeitskontakte» zur Abwehrabteilung des polnischen Innenministeriums zu «vertraulichen Informationskontakten» auszubauen, d. h. ausgewählte MSW-Mitarbeiter zu MfS-Informanten zu machen. Ob dies tatsächlich gelang, mag dahingestellt sein – nachgewiesen ist, dass die Gruppe in diesem Jahr besonders die Kontakte zur Abteilung 3 im II. Departement intensivierte, das für die Abwehr in Richtung Bundesrepublik zuständig war. Die Beteiligten sprachen in diesem Rahmen gemeinsame Vorgänge ab und tauschten Informationen aus. Bis 1986 verdichteten sich diese Beziehungen.750 Insgesamt kamen in der gemeinsamen Abwehrarbeit nur wenige Ergebnisse zustande. Im Jahr 1986 entdeckte das MfS im Rahmen eines gemeinsamen Vorgangs einen mutmaßlichen Zuträger eines westdeutschen Nachrichtendienstes und nahm ihn bei der Durchreise durch die DDR fest.751 Da sich das Engagement der polnischen Abwehrabteilungen nach ihrer jeweiligen Prioritätensetzung richtete, blieben viele Vorgänge liegen oder wurden verschleppt. Dies führte zu Beschwerden des MfS. Im Herbst 1986 klagte die Hauptabteilung II über eine «negative Situation auf dem Gebiet der gemeinsamen Bearbeitung von operativen Materialien». Sie bemängelte, dass «nicht in allen Fällen […] konkrete, praktische Maßnahmen» getroffen wurden und dass auf eine spezielle Absprache mit der Abteilung 15 im II. Departement «keinerlei konkrete, praxiswirksame Maßnahmen» folgten.752 Bei seinem Antrittsgespräch als neuer Operativgruppenleiter monierte Peter Wilkes im März 1987 gegenüber Janusz Sereda, dem Leiter der polnischen Abwehr, eine ungenügende Zusam-
749 Entwurf: Anlage zum Plan der Zusammenarbeit und der gemeinsamen Kooperation zwischen der Hauptabteilung II des MfS der DDR und dem Departement II des MdI der VR Polen (ca. 1982); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 215, Bl. 317–323; Entwurf: Aufstellung operativer Maßnahmen zu Angelegenheiten des gegenseitigen Interesses des Departements II des MdI der VR Polen und der Hauptabteilung für Spionageabwehr des MfS der DDR für den Zeitraum 1982–1983 (ca. 1982); ebenda, Bl. 330–338. 750 HA II/AG 4: Jahresarbeitsplan 1984, Berlin, 25. November 1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 240, Bl. 109–130, hier 123; HA II/AG 4: Ergebnisse der Arbeitsberatung mit dem Leiter des Departements II/3 (19.–21.9.1984 in Berlin) zu nachfolgenden operativen Materialien, Berlin, 2.10.1984; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 198–200; OGW: Beratungen zwischen HA II/AG 4 und Dept. II/3 19.–21.9.1984 in Berlin, Warschau, 12.9.1984; ebenda, Bl. 213 f.; Operativgruppe: Einschätzung der OG W über Arbeitsergebnisse im I. Halbjahr 1986, Warschau, 9.6.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 1–11, hier 4. 751 Rededisposition des Leiters der HA II, GL Kratsch, für die Arbeitsberatung mit dem Leiter des Departements II des MdI der VR Polen, Oberst Sereda, Januar 1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 240, Bl. 144–181, bes. 178. 752 HA II/Abt. 10, Leiter: Quartalsbilanz III/86, Berlin, 10.10.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 164–177, hier 167, 175 f.
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menarbeit und benannte Schwierigkeiten in einzelnen Vorgängen.753 Obwohl die Abwehrabteilungen im Jahr 1987 erneut eine Liste gemeinsamer Vorgänge aufstellten,754 dürfte sich die Diskrepanz zwischen den Planungen und der tatsächlichen Zusammenarbeit kaum verringert haben. In diesen Jahren verstärkten sich auch die Differenzen zwischen der SED und der PVAP. Neben der Einschleusung des MfS-IM «Henryk» in die polnische Opposition verfolgte das MfS bis in das Jahr 1989 hinein weitere Pläne zur Unterwanderung des Untergrunds. Im Vorgang »Sizilien« brachte die federführende MfS-Kreisdienststelle in Frankfurt an der Oder einen MfS-Zuträger in die Nähe einer Unterorganisation der »Kämpfenden Solidarność« in Posen (Poznań). Sie kooperierte hierbei wiederum mit dem »Studienbüro« des MSW. In der Operation »Kardinal« setzte die Bezirksverwaltung Magdeburg in Kooperation mit dem Departement IV des MSW zwei IM auf Danziger Solidarność-Mitglieder an. In beiden Vorgängen war die Operativgruppe Warschau involviert – sie hielt die Verbindung zu den beteiligten Abteilungen des polnischen Innenministeriums. Bezeichnend für diese »gemeinsamen« Vorgänge war, dass ein Dienst seinen Partner entsprechend dem Eigeninteresse selektiv informierte.755 Das MfS versuchte, seine Spionage auch auf westliche Unterstützer der polnischen Opposition zu richten. Zu diesem Zweck sollten sich die in Polen eingesetzten IM für Kurierdienste in westliche Länder anbieten.756 Im Jahr 1989 schlug das polnische Innenministerium der Operativgruppe vor, einen IM, der als polnischer Auslandskorrespondent arbeitete, in die DDR-Opposition einzuschleusen.757 Kooperationen unter Einbeziehung der Operativgruppe fanden auch zwischen der MfS-Hauptabteilung XVIII (Überwachung der Volkswirtschaft) und ihrem Äquivalent, dem Departement V (zuvor III) des polnischen Innenministeriums, statt. MfS und MSW führten operative Maßnahmen gegen Vertreter westlicher Firmen, die sie verdächtigten, geheime Informationen zu sammeln oder Mitarbeiter polnischer Außenhandelsunternehmen bestochen zu haben.
753 Operativgruppe Warschau: Antrittsgespräch beim Leiter des Departements II des MdI der VRP, Gen. Oberst Sereda, Warschau, 12.3.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 61–63. 754 Anlage zur Vereinbarung über die Zusammenarbeit zwischen der Hauptabteilung II des MfS der DDR und dem Departement II des MdI der VR Polen; IPN BU 655/8, Bl. 7–12. 755 HA II/Abt. 10/Referat 2 und OG Warschau: Jahresarbeitsplan 1989, Berlin, 21.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 783, Bl. 1–11, hier 3 f. Zum OV »Sizilien« siehe BStU, MfS, HA II/10, Nrn. 195 u. 196. 756 HA II/Abt. 10, Leiter: Quartalsbilanz III/86, Berlin, 10.10.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 164–177, hier 167; OG Warschau: Monatsbericht für Mai 1985, Warschau, 10.6.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 237, Bl. 26–31, hier 28; OG Warschau: Bericht zum Auftrag der Reise vom 7.–15. 3.1983 nach Köln (Tonbandabschrift), Warschau, 18.3.1983; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 238, Bl. 368–370. 757 OG Warschau: Gesprächsvermerk, Warschau, 7.2.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 710, Bl. 3–5.
Zusammenarbeit mit dem polnischen Innenministerium
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Im Visier der Sicherheitsdienste standen ferner Dienstreisende bundesdeutscher Firmen, die Literatur schmuggelten oder Oppositionelle unterstützten.758 6.5.4 Charakter der Zusammenarbeit Nach ihrer Einrichtung gelang es der Operativgruppe Warschau in relativ kurzer Zeit, Informanten aus vielen gesellschaftlichen Bereichen Polens anzuwerben und zu führen. Damit hatte sie das Ziel erreicht, angesichts der innenpolitischen Krisensituation in Polen schnell einen umfangreichen Strom von Dokumenten und Berichten nach Ostberlin zu lenken. Aus ihrer Zentrale in der DDR-Botschaft heraus nutzte die Gruppe alle inoffiziellen und offiziellen Möglichkeiten, Informationen zur inneren Lage Polens zu beschaffen. Zum einen gewährte ihr das polnische Innenministerium selektive Einblicke in die Strukturen von Partei und Staat. Zum anderen unterwanderte die Gruppe gemeinsam mit dem MSW oppositionelle Gruppen. Die Überwachung von DDR-Bürgern im Land spielte eine vergleichsweise untergeordnete Rolle.759 Hierbei kam es zu einer koordinierten Schein-Unterwerfung des polnischen Innenministeriums unter die Kontrollambitionen des MfS. Es informierte die Operativgruppe nicht nur vorab über die Ausrufung des Kriegszustandes sowie über bevorstehende Verhaftungen und gewaltsame Auflösungen von Streiks.760 Es lieferte ihr darüber hinaus über Verbindungsoffiziere und Vertrauensleute kontinuierlich Berichte über die eigene Arbeit. Zwar kennzeichnete die Operativ gruppe solche Informationen als »inoffiziell erlangt«. Dennoch legt der Charakter dieser Informationen nahe, dass sie im Auftrag oder zumindest mit Billigung der Leitungsebene übergeben wurden.761 Um das eigene Engagement in der Restauration der staatssozialistischen Macht zu unterstreichen, übergab das polnische Innenministerium der Operativgruppe im Jahr 1983 beispielsweise einen 758 OG Warschau: Konzeptionelle Vorstellungen für die operative Absicherung der IMP 1985, Warschau, 4.6.1985; BStU, HA II/10, Nr. 237, Bl. 35–37; Überblick über Objekte, Probleme und Personen, die sich im gegenseitigen Interesse der Zusammenarbeit zwischen dem Dept. V des MSW der VR Polen und der HA XVIII des MfS der DDR befinden, o. D.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 775, Bl. 1–9; HA XVIII: Bericht über die Arbeitsberatung zwischen der Hauptabteilung XVIII des MfS und dem VI. Departement des MdI der VR Polen vom 2.– 5.12.1987 in Warschau, Berlin, 7.12.1987; BStU, MfS, Abt. X 211, Bl. 35–39. 759 Vgl. übereinstimmend Borodziej; Kochanowski: Der DDR-Staatssicherheitsdienst und ein befreundetes Nachbarland, S. 9–36; Kochanowski: Die Beziehungen zwischen ostdeutscher Stasi und polnischen Geheimdiensten, S. 341–348. 760 Siehe S. 193. 761 Vgl. Operativgruppe Warschau: Inoffiziell erarbeitete Information, Berlin, 30.4.1982; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 262, Bl. 67–69; Der Leiter der OGW übermittelte um 9.10 Uhr folgende inoffiziell von einem leitenden Funktionär aus dem Kabinett des Innenministers erhaltene Information, Berlin, 15.12.1981; ebenda, Bl. 254.
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Die Operativgruppe in Polen
Bericht über die Arbeit und die Ziele der eigenen Spionageabwehr. Auch ein Redemanuskript des Chefs der polnischen Militäraufklärung von 1982 gelangte – obwohl es laut einer handschriftlichen Notiz durch einen IM beschafft wurde – möglicherweise nicht ohne polnische Absichten der MfS-Operativgruppe zur Kenntnis.762 Die Operativgruppe Warschau fungierte in diesem Spiel als Transmissionsriemen: Sie vermittelte die MfS-Kontrollambitionen in das MSW hinein und sandte die aus dem MSW angeblich »inoffiziell erlangten« Informationen zurück an das MfS. Insgesamt verdichteten sich die Beziehungen zwischen MfS und MSW nach den Waffenlieferungen und Unterstützungsmaßnahmen zu Beginn der 1980erJahre. Einerseits wurden die Arbeitskontakte zwischen beiden Ministerien enger. Andererseits trafen sich auch verschiedene Fachbereiche beider Ministerien immer häufiger zu bilateralen Beratungen in Warschau oder Ostberlin. Im Jahr 1987 fanden neun bilaterale Treffen allein zwischen den Abwehrabteilungen statt.763 Andererseits bedeutete die Annäherung an das MfS für das MSW eine stärkere Einbindung in die Vorgaben sozialistischer Geheimdienstkooperation. Besonders die MfS-Aktenrealität betont diesen Aspekt – Ziel des MfS war, das MSW im Reigen der staatssozialistischen Geheimpolizeien zu halten. Den MSW-Funktionären dürfte auch bekannt gewesen sein, dass das MfS viele Informationen mit Bezug zu Polen an den KGB weiterreichte. Dennoch wahrte das polnische Innenministerium in diesem vom »proletarischen Internationalismus« erzwungenen Beziehungskorsett eine Eigenständigkeit, indem es die in Geheimdiensten üblichen Methoden der Konspiration und der Parallelität differierender Strategien und Deutungsansätze nutzte.764
762 Übersetzung aus dem Polnischen: Aktivitäten der Abwehr auf dem Gebiet der Bekämpfung feindlicher Handlungen der Geheimdienste sowie des inneren Gegners (ca. Mai 1983); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 262, Bl. 2–22; Übersetzung aus dem Russischen: Diskussionsbeitrag des Chefs der Verwaltung Aufklärung des Generalstabes der Polnischen Armee auf der Sitzung der Chefs der Verwaltungen Aufklärung der General(Haupt-)stäbe der Armeen der Teilneh merstaaten des Warschauer Vertrages (Warschau, 19.–21.04.1982), o .D.; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 280, Bl. 281–300. Das Dokument nennt den Namen des Redners nicht. Wahrscheinlich handelte es sich um Roman Misztal. 763 Jahreseinschätzung über die Ergebnisse der Zusammenarbeit mit den Bruderorganen auf der Linie Spionageabwehr, Berlin, 30.11.1987; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 970, Bl. 1–6. 764 Dies beschreibt Jaskułowski: Przyjaźń, bes. S. 449–455.
7. Die Operativgruppen in der finalen Krise der staatssozialistischen Herrschaft
Verschiedene historiografische Großerzählungen beschreiben das Ende des Kommunismus in Europa als eine Zerfallskrise, die ihren Anfang in der Sowjet union nahm, als eine in Polen beginnende »Revolution von unten«, als Ergebnis individueller Freiheiten und einer höheren Lebensqualität im Westen oder als Konsequenz einer wirtschaftlichen und militärischen Unterlegenheit des Ostens.765 Auch das Verhalten der MfS-Operativgruppen im Jahr 1989 erscheint – je nach Perspektive – in einem leicht variierenden Licht. Im Folgenden werden deshalb sowohl die Wahrnehmung der sowjetischen Reformen durch die Operativgruppe Moskau als auch die Massenflucht über Drittländer aus der Sicht der dort stationierten Gruppen dargestellt.
7.1 Reformen in der Sowjetunion Mit Beginn der Reform- und Transparenzpolitik von Michail Gorbačëv in der Sowjetunion sahen sich die dortigen Exponenten des MfS vor eine Reihe von Schwierigkeiten gestellt. Auswirkungen von Glasnost und Perestrojka auf die eigenen Landsleute konnte die Operativgruppe noch mit ihren klassischen Überwachungsinstrumenten bearbeiten. Ihre Zuträger berichteten beispielsweise über öffentliche Wortmeldungen von DDR-Studenten, die sich mit der Reformpolitik identifizierten. Die Erfassung politisch missliebiger Äußerungen und ihre Weitergabe an die Berliner Zentrale gehörten seit Langem zu den Aufgaben der Operativgruppe. Dass diese nun im Sinne der sowjetischen Politik ausfielen, änderte am Überwachungsmechanismus wenig. Der Wandel des Verhältnisses zwischen den Staatsparteien und ihren Geheimpolizeien stellte die Gruppe allerdings vor bislang ungekannte Aufgaben. Das MfS nahm den sowjetischen Bündnispartner immer mehr als Sicherheitsrisiko wahr und veränderte die Einsatzrichtung seiner Operativgruppe auf ähnliche Weise, wie zwei Jahrzehnte zuvor in der ČSSR und ab 1980 in Polen. Auch wenn es die innenpolitische Aufklärung nicht ganz so drastisch intensivierte wie in den beiden anderen Fällen, war das Ausmaß konspirativer Arbeit gegenüber der KPdSU frappierend. Etwa ab 1986 ließ sich die Operativgruppe – zumeist 765 Vgl. Judt: Die Geschichte Europas, S. 671–728; Chilton: Making Sense of the Cold War’s Collapse, bes. S. 17.
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Die Operativgruppen in der finalen Krise
über die DDR-Botschaft in Moskau, jedoch auch über inoffizielle Zuträger – über Interna der »Bruderpartei« informieren. Mit geheimpolizeilicher Skepsis beobachtete sie fortan auch Politik, Wirtschaft und Zeitgeschehen in der Sowjetunion. Sie berichtete Berlin über innenpolitische Debatten, das Aufkommen von Nationalitätenkonflikten und die sowjetische Geschichtspolitik.766 Hierzu nahm sie zunehmend eigene Zuträger in Anspruch.767 Das MfS und seine Moskauer Operativgruppe schreckten nicht davor zurück, allerhöchste Parteifunktionäre auszuspionieren. Schon im Jahr 1986 beauftragte die Operativgruppe einen Zuträger, Inhalte eines Gesprächs zwischen Erich Honecker und Michail Gorbačëv weiterzugeben. Der IM – wahrscheinlich ostdeutscher Wirtschaftsfunktionär – berichtete, dass Gorbačëv Brežnev für dessen Außen- und Wirtschaftspolitik kritisiert habe.768 Auch beobachteten die Operativgruppe und ihr Basisreferat das Gipfeltreffen von Ronald Reagan und Michail Gorbačëv im Jahr 1988 in Moskau.769 Im Zentrum stand die Weitergabe relevanter Informationen, welche die Gruppe vom KGB erhielt. Hierzu gehörten Informationen über die amerikanische Verhandlungsstrategie, über Äußerungen von Spitzenpolitikern und westlichen Journalisten in internen Gesprächen.770 Gleich zwei verschiedene Zuträger beschafften der Operativgruppe das detaillierte Besuchsprogramm Reagans sowie das Gesprächsprotokoll und die Teilnehmerliste eines Treffens mit sowjetischen Oppositionellen, unter ihnen befand sich Sergej Kovalëv. Es handelte sich nicht um besonders geheime Dokumente – der Pressedienst des Weißen Hauses hatte sie verbreitet.771 Auch die Zusammenarbeit mit dem KGB änderte sich. War diese seit jeher von Asymmetrie und einem Minderengagement seitens des KGB geprägt, traten nun politische Interessenunterschiede und differierende Befindlichkeiten offen hinzu. Davon zeugt die Halbjahresbilanz von 1988 über die Zusammenarbeit mit dem KGB deutlich: In der konkreten vorgangsbezogenen Zusammenarbeit mit dem Bruderorgan konnte die sich 1987 abzeichnende positive Bilanz jedoch nicht fortgesetzt werden. Bis auf 766 Vgl. hierzu die Berichte in: BStU, MfS, HA II/10, Nr. 498, bes. Bl. 139, 458; HA II/10, OG Moskau: Information zur Lage in den SSR Aserbaidschan und Armenien, Moskau, 13.2.1989; BStU, Abt. X, Nr. 314, Bl. 143–149. Allgemein siehe die Lageberichte von 1987 bis 1989 in: BStU, MfS, HA II/10, Nrn. 460 u. 467. 767 Siehe z. B. zahlreiche Berichte aus den Jahren 1987 und 1988 in: BStU, MfS, HA II/10, Nr. 498, hier bes. Bl. 202, 299, 441. 768 Information des IMS »Hermann« vom 10.3.1986, Moskau, 10.3.1986; BStU, MfS, HA XVIII, Nr. 2829, Bl. 8 f. 769 HA II/10/Ref. 1: Einsatzplan zur Aktion »Gipfel IV«, Berlin, 27.5.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 493, Bl. 2 f. 770 Siehe die Informationen in: ebenda, Bl. 2 f., 55–63. 771 Siehe ebenda, Bl. S. 5, 47–54, 65 f.
Reformen in der Sowjetunion
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die Realisierung einzelner operativer Maßnahmen konzentrierte sich die Zusammenarbeit vor allem auf den Austausch von Einzelinformationen und der Übergabe [sic!] bzw. Beantwortung von Unterstützungsersuchen.772
Zum Jahresbeginn 1989 hatte die Operativgruppe dennoch weitreichende Ambitionen in der Zusammenarbeit mit dem KGB. Der Jahresplan der OG Moskau für 1989 führte unter anderem zwei operative Personenkontrollen (OPK) und acht operative Materialien (OM) auf. Bei einer OPK handelte es sich um die Aufklärung von zwei britischen Staatsbürgern, die sich in der Sowjetunion zu einem Zusatzstudium aufhielten und – formell gemeinsam mit dem KGB – wegen des Verdachts nachrichtendienstlicher Tätigkeit beobachtet wurden. Der Part des MfS sollte dabei im Einsatz eines inoffiziellen Mitarbeiters (IM »Springer«) in der DDR und in Bulgarien bestehen, wo sich die Verdächtigten zeitweilig aufhielten. In der zweiten OPK ging es um die Aufklärung einer Kontaktperson zu einem angeblichen Spion des BND, der durch das KGB bereits verhaftet worden war. »Operative Materialien« planten die beiden Geheimpolizeien zu zwei Angestellten der Botschaft der Bundesrepublik in Moskau und einem westdeutschen Kleinunternehmer, die sie der Zugehörigkeit zum BND verdächtigten. Gemeinsam mit dem KGB wollte die MfS-Operativgruppe Zusatzstudenten aus der Bundesrepublik einerseits auf Spionagetätigkeit und andererseits auf eine mögliche Anwerbung überprüfen. Zu den Bespitzelten gehörten ferner westdeutsche Korrespondenten und Firmenvertretungen in Moskau, zum Beispiel die der »Lufthansa«.773 Als im April 1989 der neue Operativgruppenleiter Siegfried Schliebe antrat, definierte der Leiter der II. Hauptverwaltung des KGB die »Prioritäten der Zusammenarbeit« mit der OGM wie folgt: – Aufklärung der Spionageaktivitäten und lagebezogenen Vorgehensweisen der USA-Geheimdienste, des BND, des britischen, französischen und italienischen Geheimdienstes sowie der Tätigkeit des chinesischen Spezialdienstes, – Fortsetzung der guten Zusammenarbeit zur Aufklärung und Kontrolle der Nachrichtenverbindungen der imperialistischen Geheimdienste, – Weitere Vertiefung der Zusammenarbeit bei der Aufklärung der Aktivitäten der Geheimdienst-Residenturen und Einzelaufklärer in den Botschaften und bei Aufdeckung und Kontrolle ihrer Kontaktpartner,
772 HA II/Abt. 10: Halbjahresbilanz (Stand 30.6.1988), Berlin, 4.7.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 62, Bl. 44–62, hier 45 (Fehler im Original). 773 HA II/10/Ref. 1: Arbeitsplan 1989, Berlin, 17.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 170–179.
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Die Operativgruppen in der finalen Krise
– Informations- und Erfahrungsaustausch zur weiteren Vervollkommnung der Wirksamkeit personeller und technischer Systeme für die Kontrolle/Überwachung des Besucherverkehrs in den Botschaften. 774
Gegen Ende 1989 erkannte die Operativgruppe jedoch, weitgehend auf sich selbst gestellt zu sein. Sie gab eine Bankrotterklärung der Zusammenarbeit nach Berlin weiter: Wegen »kadermäßiger Veränderungen sowie einiger Schwerpunktverlagerungen« beim KGB müsse nun »das Niveau der Bearbeitung gemeinsamer Vorgänge und Objekte durch Anstrengungen, die gegenwärtig von der OGM initiiert werden, gewährleistet werden«. Ihr Selbstverständnis beschrieb sie nun derart, dass sie die mit der Reformpolitik verbundenen »inneren Auseinandersetzungen« als »Impuls zur Erhöhung des Verantwortungsbewußtseins, der Wachsamkeit und der Einsatzbereitschaft« verstünde.775 Das vorrangige Aufgabengebiet der Operativgruppe, die Überwachung der eigenen Landsleute, gab Einblick in kontroverse Befindlichkeiten. Meinungsäußerungen von DDR-Bürgern in der UdSSR bewertete die Gruppe in ihren Schreiben nach Berlin nun nach neuen Maßstäben – auch ein allzu empathisches Bekenntnis zur sowjetischen Politik und die Kultivierung eines reformfreundlichen Duktus in der öffentlichen Kommunikation waren nun ein Negativmerkmal. Ausgehend von einer inoffiziellen Beurteilung von DDR-treuen Botschaftsmitarbeitern, welche »zunehmend Besorgnis« über die sowjetischen Reformen äußerten, führte die Operativgruppe auch an, dass ostdeutsche Eliten in Moskau das Verbot der sowjetischen Auslandszeitschrift »Sputnik« in der DDR als »politischen Fehler« bewerten würden. Die Kritik wurzelte allerdings nicht in einem Plädoyer für mehr Meinungs- und Publikationsfreiheit, sondern sie hatte pragmatische Gründe – das Verbot habe »zu mehr Problemen geführt als die Veröffentlichung der Artikel in ihm«. Allein unter den DDR-Studenten machte die Operativgruppe weiterreichende Kritik aus und formulierte: »Journalistik-Studenten kritisieren, daß die Journalisten in der DDR Art und Inhalt ihrer Meldungen in den Medien nur gering beeinflussen könnten.«776 Während sich das SED-treue Personal an den DDR-Auslandsvertretungen laut Aktenlage auch 1989 nicht mit der Reform- und Transparenzpolitik in der UdSSR solidarisierte, begann es unter den DDR-Studenten an den sowjetischen Hochschulen zu brodeln. Die Folgen des Dammbruchs in den sowjetischen Medien und in der Literatur nach Wegfall der Zensur lassen sich aus den IM-Berichten über eine Versammlung mit dem damaligen DDR-Botschafter, 774 HA II/10, OG Moskau: Gesprächsvermerk, Moskau, 18.4.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 259, Bl. 24–26. 775 HA II/10, OG Moskau: Zuarbeit zur Berichterstattung über die Erfüllung der Aufgaben der Kaderarbeit 1989, Moskau, 10.10.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 219, Bl. 127–129. 776 (o. T.), Berlin, 1.12.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 460, Bl. 36–38.
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Gert König, in Moskau Anfang Juni 1989 herauslesen. Ein Zuträger der Operativgruppe schrieb: Als erstes berichtete der Gen. König über die Lage unter den Studenten der DDR in der UdSSR. Folgendes wurde bekannt: Die Lage stellt sich als sehr besorgniserregend dar. Viele Mitarbeiter der Botschaft der DDR und der Botschafter selbst sind bemüht, mit unseren Studenten ins Gespräch zu kommen. Hier muß festgestellt werden, daß bei pol.-ideol. Auseinandersetzungen es große Diskrepanzen gibt. Es ist deutlich erkennbar, daß eine Vielzahl von Studenten sich mit der Umgestaltung in der UdSSR identifizieren. Folgende Forderungen bzw. Gedanken werden sichtbar: 1. Die DDR sollte sich zur Marktwirtschaft bekennen. 2. Sie fordern, die Planwirtschaft zu überdenken bzw. sie abzuschaffen. 3. Sie diskutieren gegen die Autorität der SED. 4. Es werden Überlegungen laut, ob das Programm der SED noch tragfähig ist. 5. Es existieren negative Stimmungen gegen die alte Autorität der Parteiführung. Diese Tendenzen werden in allen Hochschulen sichtbar: – an der Diplomatenakademie, – an der Militärakademie, – an der Parteihochschule, – an allen anderen Universitäten.
Ein weiterer Bericht vermerkt: »Bei Diskussionen wird der Botschafter der DDR in der UdSSR zum Teil nicht mehr akzeptiert. Eine Disziplinierung ist mit Autorität auch nicht mehr möglich.«777 Auch die Sonderoffiziere der Hauptabteilung I in der Sowjetunion sollten die MfS-Zentrale über »Aufweichungs- und Zersetzungserscheinungen« unter Offiziershörern und Offiziersschülern informieren. In einem entsprechenden Rapport vom Februar 1989 vermeldeten sie bereits einen »Abbau des Feindbilds«, »politische/gesellschaftliche Inaktivität« oder wussten um das »Konsumieren von Medien der SU (…) mit spektakulärem, anfechtbarem, zweifelhaftem Inhalt zu Aspekten der Geschichtsbetrachtung, der führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Parteien«. Noch im Jahr 1987 beschäftigten sie sich dagegen mit einer Bestrafung zweier Offiziershörer an der Militärakademie in Monino bei Moskau, die illegal Schnaps gebrannt hatten.778
777 Siehe handschriftliche Zusammenfassungen von IM-Berichten o. T, o.D. (Anfang Juni 1989); BStU, MfS, HA XX, Nr. 8948, Bl. 3 f. Die zeitliche Zuordnung wurde nach der Erwähnung eines bevorstehenden Besuchs Gorbačëvs in der Bundesrepublik (erfolgte vom 12.– 16.6.1989) in einem Bericht vorgenommen. 778 HA I/Abt. Äußere Abwehr: Informationsbedarf, Berlin, 3.2.1989; BStU, MfS, HA I, Nr. 14456, Bl. 57–59; HA I/Abt. Äußere Abwehr, SO Moskau: Aktenvermerk, Berlin, 20.2.1987; BStU, MfS, HA I, Nr. 14457, Bl. 36–40.
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Die Operativgruppen in der finalen Krise
7.2 Urlaubsreisen und »Abstimmung mit den Füßen« Interessanterweise wurde die Flucht über Drittländer – welche die MfS-Operativgruppen im Ausland verhindern sollten – spätestens im Jahr 1989 tatsächlich zu einem Schlüsselproblem für die DDR-Führung. Die staatssozialistische Diktatur war in dieser Hinsicht verwundbar, da sich für ihre Bürger jenseits der Landesgrenzen nicht nur freiere Lebensstile, sondern auch weitaus bessere Entwicklungsmöglichkeiten boten. Die Operativgruppen der Hauptabteilung VI konnten dem Anschwellen der Fluchtbewegung ab 1988 wenig entgegenstellen. Ohnehin hatten sie es nicht geschafft, ausschlaggebende eigene Beiträge zur Verhinderung von Fluchten zu leisten – die Hauptarbeit hatten die kooperierenden Geheimpolizeien erledigt. Diese waren immer weniger willens, das MfS zu unterstützen. Dies betraf vor allem den ungarischen Dienst, dem die Personenanfragen des MfS zu viel wurden.779 Selbst MfS-interne Auflösungserscheinungen fanden in den Urlaubsländern Widerhall. Die territorialen, weltanschaulichen und lebensstilbezogenen Grenz überschreitungen im Ungarn-Urlaub beispielsweise gaben nicht nur Aufschluss über das Auseinanderdriften von Offizialdoktrinen und Lebenswelten in der DDR, sondern auch über einen Ideologieverlust im MfS. Im Jahr 1988 beobachtete die Operativgruppe Ungarn im Auftrag der auch für Disziplinarmaßnahmen zuständigen Hauptabteilung Kader und Schulung des MfS einen hauptamtlichen MfS-Mitarbeiter aus dem Bezirk Gera während seines Familienurlaubs in Balatonboglar. Sie platzierte neben seinem Zelt einen IM, der ihm als Dank für eine Autoreparatur Kaffee, Bier und bundesdeutsche Zeitschriften gab. Der IM notierte, dass der bespitzelte MfS-Mann vor seinem Zelt sitzend eine dieser Zeitschriften gelesen habe. Auch habe er Bekannte aus der Bundesrepublik getroffen, unter denen sich ein hessischer CDU-Landtagsabgeordneter befand. Die Dokumente geben keine Auskunft darüber, ob dem MfS-Urlauber die Präsenz einer Operativgruppe seines Ministeriums in Ungarn bekannt war.780 Die bulgarische Geheimpolizei meldete im gleichen Jahr eine telefonische Kontaktaufnahme eines mutmaßlichen MfS-Überläufers mit der Botschaft der Bundesrepublik. Die Hauptabteilung II beauftragte daraufhin ihren Vertreter in Bulgarien, beim dortigen Sicherheitsdienst eine Fahndung anzufragen.781 DDR-Botschaften und Operativgruppen im sozialistischen Ausland unterrichteten die MfS-Zentrale über die Fluchtbewegung, der sie machtlos gegenüber standen. Überwiegend sind Telegramme der Linie-II-Mitarbeiter in den 779 Tantzscher: Die letzten Grenzopfer, S. 88 f. 780 HA KuSch/Disziplinar/Abt. 3: Ersuchen zur Einleitung politisch-operativer Maßnahmen in der UVR, Berlin, 25.5.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 4434, Bl. 317–319 und die folgend abgelegten Dokumente und Berichte in: ebenda, Bl. 320–339. 781 O. T., Berlin, 28.8.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 708, Bl. 106 f.
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Operativgruppen an die HA II überliefert, während Schreiben an die HA VI bislang nicht aufgefunden wurden. Damit bleibt unklar, wie sich die für die Verhinderung von Fluchten zuständige HA VI von den Operativgruppen informieren ließ. Die Vorgeschichte der Öffnung der ungarischen Westgrenzen spielte sich eher in der Diplomatie als zwischen den Sicherheitsdiensten ab. Bereits im Jahr 1987 diskutierte das ungarische Innenministerium, die Befestigungen der Westgrenzen zu demontieren.782 Die dortige MfS-Operativgruppe sah sich bald Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Partnerdienst ausgesetzt, die über eine Kritik an den ausufernden MfS-Personenanfragen hinausgingen. Im Jahr 1988 formulierte die Hauptabteilung VI in einem MfS-internen Bericht, der ungarische Partnerdienst habe nur »wenig Interesse an der gemeinsamen Bearbeitung operativer Materialien, insbesondere bei der Aufklärung von Personenschleusungen«.783 Im März 1989 plante das Innenministerium, das Befahren des Budapester Flughafens durch die Operativgruppe infrage zu stellen – mit dem Verweis darauf, dass die ungarische Residentur in Berlin dieses Recht nicht besaß. Ein Wegfall des Privilegs hätte die Rückführung festgenommener Flüchtlinge erschwert.784 Das MfS war darüber hinaus alarmiert, da ein Mitarbeiter (wahrscheinlich handelte es sich um einen Mitarbeiter der Operativgruppe) im gleichen Monat nach Berlin berichtete, dass in Ungarn lebende DDR-Bürger Pässe erlangen konnten, die ihnen Reisen in das westliche Ausland erlaubten. Den Kontext hierfür bildete Ungarns für den Juni 1989 anberaumter Beitritt zur UN-Flüchtlingskonvention.785 Aus Verhören zurückgeführter Flüchtlinge hatte das MfS ermittelt, dass Ungarn nach dem Beitritt zur Konvention beabsichtigte, Flüchtlinge nicht mehr auszuliefern. Im Juni und August wurde die Konvention zum Thema mindestens dreier bilateraler Verhandlungen zwischen MfS-Vertretern und dem stellvertretenden ungarischen Innenminister Ferenc Pallagi, denn das MfS sperrte sich dagegen, dass Ungarn erwog, den im Land weilenden DDR-Bürgern einen Flüchtlingsstatus nach der Konvention zu gewähren. Die erste Verhandlung fand am 12. Juni statt – genau am Tag, an dem die Konvention in Kraft trat. Eine MfS-Delegation unter Gerhard Niebling von der ZKG verhandelte mit Pallagi über die Deutung der Konvention und über die Ausliefe782 Eine wissenschaftliche Annäherung an die Thematik der Maueröffnung durch Ungarn, die auch Aktivitäten von MfS und Operativgruppe berücksichtigt, liefert beispielsweise Oplatka: Der erste Riß in der Mauer, bes. S. 23–27. 783 HA VI/Abt. 2: Bericht über die Ergebnisse der politisch-operativen Arbeit der Operativgruppen und der Abteilung 2 im Jahr 1988, Berlin, 9.12.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 8, Bl. 13– 22, hier 19. 784 OPG des MfS in der UVR: (o. T.), Budapest, 20.3.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 61, Bl. 29–31. 785 Vermerk (März 1989); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 891, Bl. 50. Vgl. Botschaft Budapest, Konsularabteilung: Erweiterung des Geltungsbereiches von Reisepässen, Budapest, 28.2.1989; ebenda, Bl. 53.
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rungsmodalitäten festgesetzter DDR-Flüchtlinge.786 An einer Verhandlung am 10. August nahmen Niebling und der Leiter der Operativgruppe Heinz Weller teil. Hierbei gestattete Pallagi Weller, ihn jederzeit direkt zu kontaktieren. Gleich eine Woche später verhandelten Niebling und Peter Pfütze von der HA IX/10 noch einmal mit Pallagi.787 Zwischenzeitlich erwog das MfS sogar, die Ermittlungen gegen Flüchtlinge auszusetzen, um deren Auslieferung zu gewährleisten.788 Die Operativgruppe informierte die MfS-Zentrale telegrafisch über DDR-Flüchtlinge in der bundesdeutschen Botschaft789 und erarbeitete zusammen mit dem ungarischen Innenministerium eine Namensliste derjenigen Mitarbeiter der Botschaft, die sich um die Flüchtlinge kümmerten.790 Während Diplomaten und Geheimpolizisten um die Auslegung der Flüchtlingskonvention stritten, entwickelte sich die Praxis der Grenzkontrollen in Ungarn eigendynamisch. Die ungarischen Grenzstreifen versahen die Pässe und Ausweise festgehaltener DDR-Flüchtlinge mit einem gesonderten Stempel, lieferten sie zumeist aber nicht mehr aus. Erst bei einer Rückkehr in die DDR aus freien Stücken drohten ihnen Festnahmen und Verhöre. So urteilte die MfS-Zentrale im August, dass »operative Maßnahmen« gegen Flucht und Fluchthilfe in Ungarn »nicht mehr möglich« seien. Das MfS rechnete also nicht mehr ernsthaft damit, eine Fluchtbewegung über Ungarn verhindern zu können. Eine erneut entsandte MfS-Delegation unter Niebling erzielte Anfang September keine Verhandlungsergebnisse mehr.791 Zu dieser Zeit informierte die Operativgruppe die MfS-Zentrale in regelmäßigen Telegrammen und Schreiben über Veränderungen im ungarischen Grenzregime.792 Sie ließ sich von inoffiziellen Mitarbeitern aus den Flüchtlingsunterkünften berichten und ließ 786 Oplatka: Der erste Riß, S. 98–101. 787 HA Konsularische Angelegenheiten: Bericht über die Gespräche im Außenministerium der Ungarischen Volksrepublik am 9. und 10. August 1989, Berlin, 14.8.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38059, Bl. 37–44; Information über das vereinbarte Arbeitsgespräch mit dem Stellvertreter des Ministers des Inneren der UVR, Genossen Generalmajor Palagi (Schreibfehler im Original), Berlin, 10.8.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 61, Bl. 10–12; Konzeption für die Fortsetzung der Gespräche mit dem MdI der UVR am 16. und 17.8.1989 auf der Ebene von Spezialisten beider Seiten, Berlin, 14.8.1989; ebenda, Bl. 2 f. 788 Süß: Staatssicherheit am Ende, S. 159–165. 789 Telegrafische Mitteilung der Operativgruppe Budapest o. T., T 128/89, Budapest, 14.8.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38059, Bl. 30. 790 Operativgruppe Budapest: Personen, die im Zusammenhang mit der Betreuung von DDRBürgern in der BRD-Botschaft in Budapest in Erscheinung traten (ca. August 1989); ebenda, Bl. 129 f. 791 Oplatka: Der erste Riß, S. 101 f., 119, 215. 792 Operativgruppe Budapest: Telegrafische Mitteilung, T 98/89, Budapest, 6.7.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38059, Bl. 8; HA II/Abt. 10, Leiter: Ungesetzliches Verlassen der DDR durch DDR-Bürger über die Ungarische VR, Berlin, 10.7.1989; ebenda, Bl. 9 f.; OG Budapest: Telegrafische Mitteilung, T 119/89, Budapest, 8.8.1989; ebenda, Bl. 21 f.; Telegramme T 128, 129, 130, 133, 134/89 des Botschafters, übermittelt über die OG Budapest, 14.–18.6.1989; ebenda, Bl. 30– 35, 52–54.
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über den ungarischen Partnerdienst die dortigen Telefone abhören.793 Auch verschaffte sich die Gruppe – wahrscheinlich über Informanten oder offizielle Kontaktpersonen – Namenslisten von in Ungarn verbliebenen DDR-Urlaubern, die in einem Erholungsheim und auf einem Zeltplatz untergebracht waren.794 Die Vorgehensweise der ungarischen Grenztruppen war zu dieser Zeit alles andere als einheitlich. Zur Unentschlossenheit über die Auslegung der Flüchtlingskonvention in der Leitung kam ein gewisser Schlendrian auf der Arbeitsebene. Dass zivilgesellschaftliche Akteure für den August ein Ost-West-Treffen in Grenznähe planten, war der ungarischen Staatssicherheit indes schon am 10. Juli bekannt geworden.795 Das »Paneuropäische Picknick« auf einer grenznahen Wiese bei Sopron am 19. August verdeutlichte, dass das MfS und seine Operativgruppe den Ereignissen in Ungarn weitgehend machtlos gegenüberstanden. Im Anschluss an das Treffen hatten mehrere Hundert DDR-Bürger erfolgreich die Grenze zu Österreich überschritten, indem sie ein speziell für das Treffen improvisiertes, kaum befestigtes Grenztor durchbrachen. Zwar lag der HA II eine von der Operativgruppe übermittelte Information des DDR-Botschafters, Gerd Vehres, zum Picknick vor, doch schien die Tragweite des geplanten Ereignisses unerkannt – eine Antwort des MfS an die Botschaft oder die Operativgruppe ist nicht überliefert. Noch nach der vollständigen Öffnung der ungarischen Westgrenze für DDR-Flüchtlinge am 11. September führte das MfS interne Nachermittlungen darüber, wie es zur Unterschätzung der Tragweite des Ost-West-Treffens kam – es verlangte eine Stellungnahme der Operativgruppe. Diese antwortete, ihr hätten keine Hinweise darüber vorgelegen, dass sich DDR-Bürger am Picknick beteiligen würden.796 Auf die Öffnung der ungarischen Westgrenze reagierte die MfS-Zentrale mit Ausreiserestriktionen – MfS-Angehörigen wurden Reisen nach Ungarn verboten. Vermutlich sollte ein Überlaufen von MfS-Mitarbeitern nach Westen verhindern werden. Die Regelung betraf die Operativgruppe nicht. Hier plante man noch Ende Oktober, einen neuen Zuträger vor Ort zu werben. Dessen 793 Information von Alicja über das Aufsuchen des Malteserlagers, Telegramm T 158/89, Budapest, wahrscheinlich 31.8.1989; ebenda, Bl. 98–103; Kontakt mit »Aal«, Telegramm T 159/89, Budapest, wahrscheinlich 2.9.1989; ebenda, Bl. 134–136; Telegramm T 173/89, Budapest, 9.9.1989; ebenda, Bl. 176; HA II/10: Notiz, Budapest, 28.8.1989; ebenda, Bl. 89–93; HA II/10: Auswertung von Originalmaterial einer »A«-Maßnahme, Budapest, 2.9.1989; ebenda, Bl. 125–128. 794 O. T., o. D.; ebenda, Bl. 203–222. 795 Gyarmati: Das Vorspiel für das Endspiel, hier S. 90 f. 796 Slachta: Die DDR-Staatssicherheit und das Paneuropäische Picknick: In: Gyarmati; Slachta (Hg.): Das Vorspiel für die Grenzöffnung, S. 167–177, hier 172–174. Das Telegramm des Botschafters leitete Herbert Heckerodt, Abwehroffizier in der OG Budapest, an die HA II weiter. Siehe Telegramm des Botschafters, T 124/89, 11.8.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38059, Bl. 29. Die Stellungnahme der OG war an ihr Basisreferat in der HA VI gerichtet. Überliefert ist allein ein Auszug, der zusätzlich an die HA II übermittelt wurde: Beantwortung FS Nr. 2319, T 183/89, Budapest, o. D., BStU, MfS, HA II, Nr. 38060, Bl. 56.
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Aufgabenspektrum sah vor: Spionageabwehr, Oppositionelle beobachten, Bürger westlicher Staaten auf ihre Nützlichkeit für das MfS hin einschätzen und Berichte zur politischen Lage in Ungarn. Obgleich in einem Touristenort lebend, spielte die Fluchtthematik keine Rolle – die Operativgruppe sah angesichts der offenen Westgrenze Ungarns wohl davon ab, Fluchten verhindern zu wollen.797 Mitte Oktober telegrafierte die Operativgruppe lange Listen mit Personalien in Ungarn neu angekommener Flüchtlinge nach Berlin und meldete eine Wehrdienstverweigerung. Auf dem Ausdruck des Telegramms befindet sich ein handschriftlicher Vermerk des Inhalts »keine Aktivitäten!«. Offenbar sollte die Operativgruppe angesichts der komplexen internationalen Lage keine Konflikte provozieren.798 Gegen Ende Oktober 1989 gab das ungarische Innenministerium den versammelten Vertretern anderer Sicherheitsdienste zu verstehen, dass seine Tätigkeit von nun an unter starker Beobachtung der Öffentlichkeit stehe und es deshalb neue Schwerpunkte setze – vor allem in der Spionageabwehr. Informiert wurden Geheimpolizisten aus der Sowjetunion, der Tschechoslowakei, aus Kuba, Vietnam, der Mongolei, aus Polen und der DDR.799 Zeitgleich verließ ein neuerlicher Flüchtlingstransport das Lager Csilleberc in Ungarn. Ein eingeschleuster Zuträger berichtete der Operativgruppe hiervon.800 Auch über Polen hatten inzwischen viele DDR-Bürger ihr Land verlassen. Viele von ihnen waren illegal über die ostdeutsch-polnische Grenze oder über Drittländer nach Warschau gelangt und hofften, dass aufgrund der Annäherung Volkspolens an den Westen eine Ausreise von hier aus schnell zu erreichen sei. Die Wartezeit verbrachten sie in der bundesdeutschen Botschaft und in Massenunterkünften, bis am 5. und 17. Oktober Flüchtlingszüge in die Bundesrepublik starteten.801 Zuvor hatten sich in schwierigen diplomatischen Verhandlungen der ehemals oppositionelle Premier Tadeusz Mazowiecki und der langjährige Innenminister Czesław Kiszczak gegenübergestanden. Einige Tausend Flüchtlinge verließen im Jahr 1989 die DDR über Polen.802 Es sind allerdings kaum Dokumente der Operativgruppe Warschau überliefert, die darüber Auskunft geben, wie sie sich in dieser Frage verhielt. Möglicherweise befasste sie sich nicht so sehr mit dem Problem, da ihre Aufgabenstellung auch 1989 vor allem in der Spionageabwehr bestand. So ist dokumentiert, 797 Der Minister: Maßnahmen zur vorbeugenden Verhinderung des Mißbrauchs von Reisen nach der bzw. durch die UVR, Berlin, 13.9.1989; BStU, MfS, BdL-Dok. Nr. 8982; Operativgruppe des MfS in der UVR: Werbungsvorschlag, Berlin, 28.9.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 1018, Bl. 2–4. 798 Telegramm der OPG in der UVR, T 248/89, 16.10.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38061, Bl. 148–151. 799 O. T. (wahrscheinlich 27.10.1989); BStU, MfS, HA II/10, Nr. 249, Bl. 158 f. 800 Auszug aus Telegramm der OPG an HA VI, T 269/89, 27.10.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38061, Bl. 185. 801 Einführend siehe Jaskułowski: Die Flucht aus der DDR über Polen, S. 11–13. 802 Olaszek: Die Flucht von DDR-Bürgern, bes. S. 148, 159.
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dass sie – neben kleineren Kooperationsaufträgen in der Westarbeit – aufmerksam die Bildung der ersten polnischen Regierung unter Einbeziehung der Opposition verfolgte. Sie beobachtete auch die Umstrukturierung des Innenministeriums, wobei sie gelegentlich auf von »Kontaktpartnern« im Innenministerium »inoffiziell erlangte« Dokumente zurückgriff.803 Auch hinsichtlich der Tschechoslowakei erkannte das MfS frühzeitig, dass globale Veränderungen bald Konsequenzen für das Regime an der Westgrenze haben könnten. Auf einer bilateralen Beratung in Prag im Mai 1989 informierte die tschechoslowakische Staatssicherheit StB die anwesenden Vertreter der MfS-Hauptabteilung VI, dass die tschechoslowakische KP die Ergebnisse der Wiener KSZE-Folgekonferenz in einer Art umzusetzen beabsichtige, die »Veränderungen für die Sicherung und den Schutz der Staatsgrenze« mit sich brächten. Mit der Einführung eines neuen Reisepasses ohne Einschränkungen würde es in der ČSSR bald keinen Straftatbestand des »ungesetzlichen Verlassens« mehr geben. Auch die »Sicherung der Staatsgrenze« zu Ungarn sei »unter den neuen Lagebedingungen ein Problem«.804 Im Sommer 1989 sandte die Prager Operativgruppe Lageberichte nach Berlin, die bis zur ZAIG und zur HV A gelangten. In ihnen berichtete sie unter anderem über Aktivitäten der Opposition.805 Obwohl die tschechoslowakische Seite im Jahr 1988 das vom MfS eingeführte, aufwändige System der gemeinsamen Erfassung von Flugreisenden aufgekündigt hatte, gelang es der Operativgruppe, die Verbindung zum Prager Flughafen aufrechtzuerhalten.806 Er galt als Drehkreuz für Fluchthilfe. Trotz der frühen Anzeichen einer Liberalisierung des tschechoslowakischen Grenzregimes offenbarte sich bald eine ganz andere Schwachstelle – die bundesdeutsche Botschaft in Prag wurde im Herbst 1989 zum Symbol des sprunghaft angewachsenen Ausreisedrucks aus der DDR.807 Nicht nur im sozialistischen Ausland suchten DDR-Bürger die Botschaften westlicher Staaten auf, um eine Ausreisemöglichkeit zu erlangen. In den letzten Jahren der DDR wa803 HA II/Abt. 10/Ref. 2 und OG Warschau: Jahresarbeitsplan 1989, Berlin, 21.11.1988; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 783, Bl. 1–11; Information zu den Grundaussagen des vom Ministerpräsidenten der VR Polen auf der Sejmtagung am 12.9.1989 vorgetragenen Regierungsprogramms und zur perso-nellen Zusammensetzung der neuen polnischen Regierung, o. D.; ebenda, Bl. 43– 48; Operativgruppe Warschau: Inoffiziell aus dem polnischen Bruderorgan erhaltene Informationen, o. D.; ebenda, Bl. 50. 804 HA VI, Leiter: Bericht über die Beratungen mit leitenden Mitarbeitern der Nachrichtendienstlichen Verwaltung der HV Grenztruppen und Schutz der Staatsgrenze und der II. HV Abwehr des FMdI der ČSSR in der Zeit vom 24.–26.5.1989 in Berlin, Berlin, 29.5.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 214, Bl. 2–18, hier 4, 8, 10. 805 Siehe die Dokumente in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 13021, Bl. 30–35. 806 Tantzscher: Die letzten Grenzopfer, hier 733–736; HA VI: Information über geplante Veränderungen der Arbeitsweise und Zuständigkeiten der Sicherheitsorgane der ČSSR am Flughafen Prag-Ruzyne, Berlin, 7.9.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 118, Bl. 226. 807 Einführend siehe Ullrich: Umweg Prag, hier S. 49.
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ren beispielsweise auch die Dänische Botschaft und die Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin Ziele solcher Versuche. In Prag eskalierte die Situation im Herbst 1989: Auf dem Botschaftsgelände der Bundesrepublik befanden sich vor der Abreise der ersten DDR-Flüchtlinge über achttausend Menschen.808 Nach der berühmten Rede des Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft starteten die ersten sechs Reisezüge in der Nacht zum ersten Oktober über Dresden in das bayerische Hof. Weitere sechs Züge verkehrten am 4. und 5. Oktober809; um weitere Fluchten über die Tschechoslowakei zu verhindern, hatte die DDR die Grenze zu diesem Zeitpunkt bereits geschlossen.810 Zuvor hatten die tschechoslowakische Diplomatie und der Sicherheitsapparat in Zusammenarbeit mit der DDR-Administration versucht, die DDR-Bürger zur Rückkehr zu bewegen. Die tschechoslowakische Seite schloss dabei intern eine Lösung »nach ungarischem Muster« aus.811 Wohl weil sie Gegenstand diplomatischer Verhandlungen waren, sind zu den Prager Botschaftsflüchtlingen vor allem Kommunikationsflüsse über die DDR-Botschaft überliefert. Die Operativgruppe tritt seltener in Erscheinung.812 Hans Gottschling, der Mitarbeiter der Linie II in der Prager Operativgruppe, traf sich am 13. September mit Vertretern der II. Verwaltung des tschechoslowakischen Innenministeriums. Diese informierten ihn, dass sie zwar den Zaun um den rückwärtigen Teil des Geländes der bundesdeutschen Botschaft bewachen könnten, jedoch nichts gegen das generell gültige Prinzip des freien Zugangs zur Botschaft über die deklarierten Eingänge unternehmen könnten.813 808 Mayer: Flucht und Ausreise, S. 450–458. 809 Ullrich: Umweg Prag, S 49, 81. 810 (Fernschreiben des Ministers Erich Mielke an alle Leiter der Bezirksverwaltungen zur zeitweiligen Aussetzung des paß- und visafreien Reiseverkehrs in die ČSSR), Berlin, 3.10.1989; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8985; (Maßnahmen im Zusammenhang mit der zeitweiligen Aussetzung des paß- und visafreien Reiseverkehrs in die ČSSR), Berlin, 5.10.1989; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 8986. 811 Náčelník 2. odboru II. správy SNB kpt. Novotný: Záznam o jednání s ředitelem 4. teritoriálního odoru FMZV ČSSR Kadnárem o řešení situace občanů NDR na velvyslanectví SRN v Praze, kteří chtějí odejít do Spolkové republiky [Leiter der 2. Abteilung der II. Verwaltung des Nationalen Sicherheitskorps, kpt. Novotný: Bericht über die Verhandlungen mit dem Leiter der 4. Territorialabteilung des Föderalen Innenministeriums der ČSSR, Kadnár, über die Lösung der Situation der DDR-Bürger in der Botschaft der BRD in Prag, welche in die Bundesrepublik ausreisen wollen], Praha, 11.9.1989. In: Prečan (Hg.): Ke svobodě, S. 45 f. und die anderen Dokumente in dieser Quellenedition. 812 Vgl. bspw. Bericht zu Ergebnissen der Gespräche von Rechtsanwalt Dr. Vogel in Prag, T 7/4-20/89 vom 14.9.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38060, Bl. 64–66. 813 Záznam o jednání pracovníků II. správy SNB s představitelem Ministerstva státní bezpečnosti NDR v Československu Gottschlingem ve věci pobytu občanů NDR na velvyslanectví SRN v Praze [Bericht über Verhandlungen von Mitarbeitern der II. Verwaltung des SNB mit dem Vertreter des MfS der DDR in der Tschechoslowakei, Gottschling, zum Aufent halt von DDR-Bürgern in der Botschaft der BRD in Prag], Praha, 13.9.1989. In: Prečan (Hg.): Ke svobodě , S. 48 f.
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Gottschling gab unmittelbar darauf Informationen der StB aus Abhörmaßnahmen an die MfS-Zentrale weiter: Demnach bereite sich die bundesdeutsche Botschaft auf die Aufnahme weiterer DDR-Flüchtlinge vor.814 Am 25. September übermittelte er einen Vorschlag der StB, einen ostdeutschen Informanten der Spionageabwehr in die Botschaft einzuschleusen.815 Schließlich informierte er über ein Gespräch zwischen dem Konsul und dem Vizekonsul der bundesdeutschen Botschaft, das von der StB aufgezeichnet wurde. Demnach sei die bundesdeutsche Botschaft nach der Abfahrt der ersten Züge in die Bundesrepublik bereit, wieder Flüchtlinge aufzunehmen. Die Spitzel des MfS unter bereits aufgenommenen Flüchtlingen würden dabei sehr auffällig agieren.816 Noch zum 19. Oktober 1989 ist eine enge Zusammenarbeit in der Spionageabwehr überliefert – vom direkten Informationsaustausch auf Arbeitsebene bis hin zu gemeinsamen Operationen.817 Auch in Warschau berichtete in erster Linie die DDR-Botschaft dem MfS über die Botschaftsflüchtlinge.818 Parallel meldete der Operativgruppenleiter Peter Wilkes, dass ein »Kontaktpartner« im polnischen Innenministerium aus einer Sitzung des Leiters der polnischen Aufklärung Zdzisław Sarewicz mit zwei Abteilungsleitern am 4. Oktober berichtete. Demnach würden manche Kräfte in der polnischen Regierung eine Lösung im Sinne der Bundesrepublik befürworten. Um die ostdeutsch-polnischen Beziehungen nicht zu belasten, solle die DDR-Administration zumindest den Zustrom neuer Flüchtlinge nach Warschau stoppen.819 Wenige Tage nach Zugang dieser Information arbeitete die MfS-Zentrale eine Strategie aus, wie die DDR-Außenpolitik und andere ostdeutsche Emissäre gegenüber Warschau zu agieren hätten. Die Ziele dabei waren, eine »ungarische Lösung« und »spektakuläre Massentransporte« zu vermeiden.820 Schließlich meldete die DDR-Botschaft am 16. Oktober die Übersiedlung der Warschauer Botschaftsflüchtlinge und anderer DDR-Bürger 814 Information, 13.9.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38060, Bl. 67. 815 Die 2. Abteilung schlägt vor, 25.9.1989; ebenda, Bl. 199. 816 O. T., o. D; BStU, MfS, HA II, Nr. 38061, Bl. 190. 817 Náčelník 2. odboru II. správy SNB kpt. Novotný odboru pro mezinárodní styky Vnítřní a organizační správy FMV ČSSR: Podklady pro jednání představitelů FMV ČSSR v Německé demokratické republice s informacemi o spolupráci Státní bezpečnosti s pracovníky operativní skupiny Ministerstva státní bezpečnosti NDR [Leiter der 2. Abteilung der II. Verwaltung des SNB, Kpt. Novotný, an die Abteilung für Internationale Verbindungen bei der Verwaltung für Inneres und Organisation des FMdI der ČSSR: Vorlage für die Verhandlungen von Vertretern des FMdI der ČSSR in der DDR mit Informationen über die Zusammenarbeit der Staatssicherheit mit Mitarbeitern der Operativgruppe des MfS der DDR], Praha, 19.10.1989. In: Prečan (Hg.): Ke svobodě, S. 139. 818 Zur Ausreiseproblematik, ct 563/89, 21.9.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38060, Bl. 178 f. 819 Information, T 163/89, 5.10.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38061, Bl. 130. 820 O. A., o. T., Berlin, 10.10.1989; BStU, MfS, Rechtsstelle, Nr. 100, Bl. 17 f.
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in Reisezügen in die Bundesrepublik. Das Fernschreiben ging an das DDR-Außenministerium, ein Doppel an das MfS.821 Während mehrere Hundert Menschen über die Botschaft in Warschau dem DDR-Staatssozialismus entkamen,822 waren es Mitte Oktober in der Sofioter Botschaft allein drei Personen. Sie drängten erfolgreich auf eine direkte Ausreise in die Bundesrepublik. Mit ihnen befasste sich – neben der DDR-Botschaft – auch der Mitarbeiter der Spionageabwehr in der dortigen Operativgruppe, Günter Fiedler.823 Der bulgarische Sicherheitsdienst meldete diesem auch Anrufer und Besucher aus der DDR, die in der Botschaft der Bundesrepublik nach einem bundesdeutschen Pass nachgefragt hatten.824 Insgesamt ist auffällig, dass für 1989 kaum besondere Aktivitäten der Operativgruppen überliefert sind. Insbesondere haben sie keinerlei Eingriffe in die Innenpolitik der Gastgeberländer vorgenommen, was angesichts der zu dieser Zeit rasant angewachsenen politischen Differenzen im Ostblock keinesfalls als selbstverständlich erscheint. Die Operativgruppen verhielten sich indes abwartend und beobachteten gleichzeitig die politischen Veränderungen mit hoher Aufmerksamkeit. Ihre Haupttätigkeit in der Krise bestand in der Lageberichterstattung nach Ostberlin; allerdings berichteten die Hauptverwaltung A und die DDR-Botschaften aktiver über den politischen Wandel in den anderen Ostblockländern.825 Weiterhin hielten die Gruppen die Kommunikation mit den Partnerdiensten aufrecht. Erkenntnisse aus solchen Gesprächen waren für das MfS im Hinblick auf Neuausrichtungen von Funktionen von Interesse. Es erlangte so auf schnellstem Wege Nachrichten über interne Umstrukturierungen der kooperierenden Dienste. Die weitgehende operative Zurückhaltung der Gruppen im Jahr 1989 hatte drei Ursachen. Zum Ersten befand sich das internationale Umfeld im Fluss, was Konfliktpotenzial und Unwägbarkeiten mit sich brachte. Die Priorität in der geheimpolizeilichen Zusammenarbeit bestand im Aufrechterhalten einer engen Kommunikation mit den Partnerdiensten – eine Informationsbeschaffung hatte Vorrang vor Einflussnahmen. Eine zweite Ursache lässt sich in verzögerten oder ausbleibenden Weisungen der Zentrale erkennen – beispielsweise unterblieben Reaktionen auf die Ankündigung des »Paneuropäischen Picknicks« an der ungarischen Westgrenze. Eine dritte Ursache wird 821 Information: 48 DDR-Bürger aus Staatsbürgerschaft entlassen, ct 438/89, 16.10.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38061, Bl. 163. 822 Olaszek: Die Flucht von DDR-Bürgern, S. 153. 823 Information: Botschafter teilte heute mit, T 123/89, 14.10.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38061, Bl. 154 f.; Information: Nach Gespräch mit BRD-Botschaftsrat, T 124/89, 16.10.1989; ebenda, Bl. 165; Information: Mitteilung MfAA der VRB, T 126/89, 18.10.1989; ebenda, Bl. 170. 824 In Zusammenarbeit mit dem BO, T 112/89, 28.9.1989; BStU, MfS, HA II, Nr. 38061, Bl. 37. 825 Siehe z. B. die telegraphischen Mitteilungen der HV A aus Budapest von 1989 in: BStU, MfS, ZAIG, Nr. 7166. In der Akte befindet sich auch eine Mitteilung der Operativgruppe. Siehe ebenda, Bl. 121.
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in einer Änderung des Tätigkeitsprofils der Gruppen ausgemacht, die sich bereits früh abzeichnete und nachfolgend beschrieben wird.
7.3 Umorientierung auf Spionageabwehr Die finale Krise des Staatssozialismus im Ostblock fiel zusammen mit einem MfS-internen Versuch, die drei Operativgruppen der Hauptabteilung VI umzustrukturieren. Bereits ab Mitte 1980er-Jahre hatte die MfS-Leitung wiederholt über die Aufgabenstellung und die Effektivität dieser Operativgruppen debattiert. Der Grund hierfür war offenbar eine gewisse Unzufriedenheit mit deren Tätigkeit. In den Diskussionen entstanden zahlreiche Konzeptpapiere zu Umprofilierungen und Neustrukturierungen. Von diesen setzte das MfS allerdings nur wenige um. Ein zentraler Punkt war, dass die Partnerdienste in Bulgarien, Ungarn und der ČSSR eher eine Zusammenarbeit im Bereich Abwehr interessierte, während im MfS die Verfolgung von DDR-Flüchtlingen Priorität hatte. Um eine engere Zusammenarbeit zu erreichen, prüfte das MfS nun Möglichkeiten, Abwehraufgaben in das Tätigkeitsspektrum der Operativgruppen der HA VI einzubauen. Im Dezember 1985 sprach der für die HA VI zuständige stellvertretende Minister Gerhard Neiber auf einer Beratung mit Vertretern der Hauptabteilung VI erstmals von einer »Notwendigkeit für neue Entscheidungen zur Qualifizierung der Arbeit der Operativgruppen«. Er referierte, dass es Überlegungen in der MfS-Leitung über eine direkte Unterstellung der Operativgruppen der HA VI unter die Abteilung X oder den Ministerialbereich gegeben habe. Im Ergebnis sollten diese zwar mit unveränderter Aufgabenstellung beim Bereich Auslandstourismus verbleiben, jedoch zusätzlich »Gesamtinteressen des MfS wahrnehmen«.826 Offenbar betraf die Diskussion am Rande auch die Operativgruppe der Hauptabteilung II in Moskau, denn für die betreffende Zeit ist auch ein Vorschlag für eine straffere Leitungstätigkeit in der Gruppe überliefert.827 Ein im Februar 1986 angefertigter Entwurf der Hauptabteilung VI befürwortete, die Operativgruppen in Bulgarien, Ungarn und der ČSSR »als Vertretung der Abwehrlinien« zu profilieren, indem unter anderem Mitarbeiter der HA II in jede Operativgruppe entsandt werden.828 Auch die Präsenz weiterer 826 HA VI: Niederschrift über eine Dienstberatung beim Stellvertreter des Ministers, Genossen Generalleutnant Neiber, am 11.12.1985, Berlin, 17.12.1985; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 283, Bl. 52–57. 827 HA II/Abt. 10, OG Moskau: Verantwortungsbereiche für Leiter und stellv. Leiter der OGM, Moskau, 21.3.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 496, Bl. 114–117. 828 HA VI: Konzeption zur Durchsetzung der zentralen Orientierung über die Veränderung des Status, der Arbeitsweise und der Zusammensetzung der Operativgruppen in der ČSSR, der UVR und der VRB, Berlin, Februar 1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 69–72.
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MfS-Diensteinheiten in diesen drei Operativgruppen sollte gestärkt werden: In einem Gespräch vereinbarte der Leiter der ZKG, Gerhard Niebling, mit Günter Herfurth von der HA VI, Mitarbeiter der ZKG in jede dieser Operativgruppen zu entsenden.829 Diese Übereinkunft fand in abgeschwächter Form Eingang in einen zum Ende März von der HA VI erarbeiteten und über Gerhard Neiber an alle beteiligten MfS-Diensteinheiten versandten Entwurf. Dieser argumentierte, dass durch den anwachsenden Tourismus die Territorien anderer sozialistischer Staaten zu Ausgangspunkten von Spionageangriffen gegen die DDR würden. Auch nehme das Sicherheitsbedürfnis dieser Staaten zu, womit insgesamt die Anforderungen an die MfS-Operativgruppen stiegen. Ein Entsenden von ZKG-Mitarbeitern in alle drei Operativgruppen war nun nicht mehr zwingend vorgesehen.830 Daraufhin meldete sich der Leiter der Hauptabteilung II, Günther Kratsch, mit Änderungsvorschlägen zurück. Auch eine recht drastische Wortmeldung dürfte in dieser Zeit entstanden sein. Das wahrscheinlich aus der Abteilung X stammende Dokument argumentierte barsch, es ginge nicht um eine Erweiterung der Aufgaben der Operativgruppen, sondern darum, die Zusammenarbeit mit den Partnerdiensten zu effektivieren. Diese »internationalistische« Kritik richtete sich gegen eine nationalisierende Praxis der Ausweitung von MfS-Aufgaben, welche manche Partnerdienste überforderte.831 Neiber versandte im Juni 1986 ein überarbeitetes Dokument an die Abteilung X,832 dem am 3. Juli 1986 ein nächster zusammenfassender Entwurf folgte. Er konstatierte »komplizierter und umfangreicher gewordene Aufgaben, die in der Zusammenarbeit mit den Bruderorganen zu lösen sind« und sah die Stationierung eines ZKG-Mitarbeiters nicht nur in der ČSSR (diese war bereits erfolgt), sondern auch in Ungarn vor.833 Ende Juli 1986 sandten die Leiter der HA VI, der HA II und der ZKG ihre Überarbeitungen an die Abteilung X, die nun
829 HA VI, Stellv. Operativ: Vermerk zur Absprache mit dem Leiter der ZKG, GL Nieb ling, zur vorgesehenen Umprofilierung der Operativgruppen (27.1.1986), Berlin, 28.1.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 74 f. 830 Vorschlag zur Erweiterung der Aufgabenstellung der Operativgruppen der Hauptabteilung VI in der ČSSR, Ungarischen VR und VR Bulgarien, Berlin, ca. 24.3.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 283, Bl. 63–73. 831 HA II, Leiter: Vorschlag zur Erweiterung der Aufgabenstellung der Operativgruppen der HA VI, Berlin, 3.4.1986; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 283, Bl. 74–76; (vermutl. Abt. X): Bemerkungen zum Vorschlag zur Problematik Operativgruppen, o. D.; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 19–21. 832 Stellv. des Ministers: Persönlich an Abteilung X, Leiter, Berlin, 17.6.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 35. Überliefert ist nur das Deckblatt, nicht der Konzeptentwurf. 833 Weitere Qualifizierung der Arbeit der Operativgruppen des MfS in der ČSSR, Ungarischen VR und VR Bulgarien, Berlin, (handschriftlich:) 3.7.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 44–51.
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die Federführung bei der kontroversen Erstellung des Dokuments an sich gezogen hatte. Auch Neiber richtete Korrekturen an die Abteilung X.834 Das Ergebnis bildete eine »Koordinierungsvereinbarung« zur Arbeit der Operativgruppen, die die Leiter der Hauptabteilung II, der Zentralen Koordinierungsgruppe, der Hauptabteilung VI und der Abteilung X unterzeichneten. Die Leiter sanktionierten eine seit langem geplante und in verschiedenen Dokumenten bereits festgeschriebene Integration je eines Abwehrmitarbeiters in allen drei Gruppen.835 Die Entsendung eines Mitarbeiters der ZKG in die Operativgruppe Prag war bereits erfolgt. Zudem hielt der Text die Möglichkeit offen, ZKG-Mitarbeiter in weitere Gruppen zu entsenden. Die im Dokument getroffenen Festlegungen unterschieden sich kaum von der Arbeitspraxis vor dessen Unterzeichnung. Allein die Abteilung X konnte auf eine Erhöhung ihres Einflusses auf die Arbeit der Gruppen hoffen: Formell war sie nun hinsichtlich der »Gesamtinteressen des MfS […] in Abstimmung mit dem Leiter der HA VI gegenüber den Leitern der Operativgruppen weisungsberechtigt«.836 In der Praxis allerdings änderte sich die Position der Abteilung X nach Verabschiedung des Dokuments nicht. Der langwierige und konfliktbehaftete Vorbereitungsprozess der Vereinbarung dokumentiert, wie sich Kontrollzwang und Regulierungsdrang in der MfS-Leitungsebene nicht nur auf die DDR-Gesellschaft, sondern auch auf die eigene Institution richteten. Die vermutlich von einem zähen Ringen begleiteten, aufwändigen Verhandlungen hatten ein zusätzliches Metadokument hervorgebracht. Im Nachgang der Verhandlungen löste die HA VI die Operativgruppen aus der Abteilung 2 heraus. Sie wurden damit zu selbstständigen Arbeitsgruppen ohne die enge Verbindung zu ihrer Basis, der Abteilung 2, aufzugeben. Als deren Leiter sollten fortan höher qualifizierte Mitarbeiter zum Einsatz kommen, die mindestens den Status eines stellvertretenden Abteilungsleiters vorweisen konnten.837 Nicht einmal zwei Jahre später entbrannte erneut eine Diskussion um die Operativgruppen – nun nicht mehr auf die OPG der Hauptabteilung VI, sondern auch auf die der Hauptabteilung II gerichtet. Die Initiative ging von den Leitern der ZAIG und der Hauptabteilung Kader und Schulung aus, die Erich Mielke davon überzeugen konnten, bei der Abteilung X eine Analyse in Auftrag zu geben. Der Leiter der Abteilung X, Willi Damm, lud daraufhin im Ja834 Siehe die Schreiben in: BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 36–42. 835 Ebenda. Vgl. Bl. 25. 836 Vereinbarung des Leiters der Hauptabteilung VI, des Leiters der Hauptabteilung II, des Leiters der Zentralen Koordinierungsgruppe (und) des Leiters der Abteilung X über die Koordinierung des Zusammenwirkens in der Tätigkeit der Operativgruppen des MfS in der ČSSR, der Ungarischen VR und der VR Bulgarien, Berlin, 8.8.1986; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1832, Bl. 1–13. 837 HA VI, Bereich Auslandstourismus: Berichterstattung zur Leiterberatung am 17.12.1986, Berlin, 3.12.1986; BStU, MfS, HA VI, Nr. 45, Bl. 450–460, hier 451.
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nuar 1988 Beauftragte aller beteiligten Dienststellen zu einem »Meinungsaustausch« ein,838 der wahrscheinlich die Idee einer großen Fragebogenaktion hervorbrachte. Mit einem zwölf Seiten langen Fragebogen wollte die Abteilung X höchst aufwändig alle Aspekte der Arbeit sämtlicher Operativgruppen erfassen.839 Sie versandte ihn etwa im März 1988 linienspezifisch an alle Operativgruppen. Parallel dazu glomm die neuerliche Diskussion in der HA VI weiter. Der Leiter der Operativgruppe in Prag, Dietrich Krause, erarbeitete für eine Leiterberatung im März 1988 ein umfangreiches Papier über die »Wirksamkeit der Operativgruppen«, mit dem er versuchte, den Vorwurf ineffizienter Tätigkeit zurückzuweisen. Allerdings kritisierte er das Basisreferat der Operativgruppen, die Abteilung 2. Diese habe »schneller und qualitätsgerechter die geforderten operativen Aufgaben zu realisieren und vor allem selbstständiger mit klugen tschekistischen Ideen zu arbeiten«. Er forderte personelle Konsequenzen.840 Auf der Beratung selbst monierte der Stellvertreter Operativ, Günter Herfurth, die Operativgruppen leisteten kaum einen eigenständigen Beitrag zur Verhinderung von Fluchten aus der DDR – er spitzte zu, dass 99 Prozent der verhinderten Fluchtfälle allein auf das Wirken der Partnerdienste zurückgingen. Diese seien allerdings wegen vermehrter Reisemöglichkeiten ihrer Bürger in den Westen mehr an der Arbeit der Abwehroffiziere interessiert als an der der Hauptabteilung VI. Die Diskussion vermittelt den Eindruck, dass die Operativgruppen in der internen Hierarchie des MfS recht niedrig angesiedelt waren, wenig Tuchfühlung mit der MfS-Zentrale hatten und sich deshalb dafür eigneten, zum Sündenbock für interne und gesellschaftliche Fehlentwicklungen erklärt zu werden. Eine gegenteilige, offenbar notwendige Beteuerung Fiedlers, dass »die Arbeit in den Operativgruppen (…) eine politisch schöne, internationalistische und von der Solidarität getragene ausgezeichnete Arbeit« sei, bestätigte dies ex negativo.841 Etwa im November 1988 hatte die Abteilung X die Antworten aus den Operativgruppen auf ihren Fragebogen aggregiert und hieraus Ideen zu ihrer Umstrukturierung entwickelt. Der wichtigste Punkt war, »unter Berücksichtigung der sich vollziehenden qualitativen Veränderungen der politisch-operativen Situation« alle Operativgruppen in europäischen sozialistischen Ländern 838 Abt. X, Leiter: Neubestimmung/Abgrenzung der Aufgaben der Operativgruppen in den Bruderländern, einschließlich ihres Zusammenwirkens mit den Bruderorganen und ihrer zweckmäßigen strukturellen Gliederung und Unterstellung, Berlin, 13.1.1988; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 38. 839 Fragespiegel zu einigen Problemen der Tätigkeit und der materiell-technischen Sicherstellung der Operativgruppen des MfS bei den Bruderorganen (o. D.); ebenda, Bl. 39–50. 840 Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Lageeinschätzung und Entwicklungsprobleme zur Erhöhung der Wirksamkeit der von der Hauptabteilung VI geführten Operativgruppen (OPG) im sozialistischen Ausland, Prag, 29.2.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9, Bl. 221–235. 841 HA VI: Protokoll der Leiterberatung am 23.3.1988, Berlin, 28.3.1988; BStU, MfS, HA VI, Nr. 9, Bl. 207–220.
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der MfS-Spionageabwehr zu unterstellen. Um die Aufgaben der Operativgruppen neu zu bestimmen, sollte eine MfS-interne Arbeitsgruppe aller beteiligten Diensteinheiten gebildet werden. Ob die Verhinderung von Fluchten weiterhin zu den Aufgaben gehören sollte, ließ das Papier offen.842 Bereits im Februar 1989 wies die HA II/10 die Operativgruppe in Prag an, sich konzeptuell auf eine Umstrukturierung vorzubereiten. Sie bat Hans Gottschling, den Vertreter der HA II in der Operativgruppe, um eine Einschätzung, welche Mitarbeiter der Gruppe die HA II übernehmen könnte.843 Im März entwarf die Operativgruppe anlässlich eines Treffens der Minister Leitlinien zur Verlagerung ihres Arbeitsschwerpunkts auf die Spionageabwehr.844 Im April 1989 erarbeitete die Abteilung X einen Entwurf für einen Ministerbefehl, der sämtliche Operativgruppen »im Interesse der weiteren Erhöhung der Effektivität« der Hauptabteilung II unterstellte. Die Verunsicherung war bereits in dieser Zeit so groß, dass in einer Anlage aufgeführt werden musste, welche Sicherheitsdienste als »befreundet« galten. Gemäß der althergebrachten Praxis im MfS zählte der KGB immer noch dazu, während die Securitate weiterhin fehlte. Der auf dieser Basis erarbeitete Befehl trat am 14. Juli 1989 in Kraft.845 In der Folge regelten zahlreiche Kaderdokumente und Strukturpläne einen allmählichen Übergang der Operativgruppen der HA VI zur HA II. Ein Rundschreiben der HA Kader und Schulung legte fest, dass Mitarbeiter anderer Diensteinheiten weiterhin in den Operativgruppen tätig sein könnten, für die Zeit ihrer Entsendung allerdings der HA II zu unterstellen waren.846 Im Oktober erarbeitete die Operativgruppe Prag eine Aufstellung von laufenden operativen Personenkontrollen (OPK) und operativen Materialien (OM), die eine konkrete Vorstellung ihrer Abwehrarbeit im Jahr 1989 vermittelt. Unter operativer Kontrolle stand beispielsweise ein emigrierter Tscheche, der der nachrichtendienstlichen Tätigkeit während seiner Aufenthalte in Brünn verdächtigt wurde und gemeinsam mit dem tschechischen Sicherheitsdienst obser842 Abt. X, Leiter: Vorschläge zur Überarbeitung der für den Einsatz und die Tätigkeit von Operativgruppen des Ministeriums für Staatssicherheit bei den Bruderorganen geltenden Richtlinien und Grundsätze, Berlin, (wahrscheinlich 28.11.1988); BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 102–114 (datiert nach einer Kopie des Dokuments mit handschriftlicher Datumsangabe in: BStU, MfS, HA I, Nr. 18125, Bl. 294–306). 843 Handschriftlicher Brief an Hans Gottschling, Berlin, 16.2.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 708, Bl. 88–90. 844 Operativgruppe des MfS in der ČSSR: Thesen als Zuarbeit für die Beratung des Genossen Minister mit dem Minister des Innern der ČSSR, Prag, 11.3.1989; BStU, MfS, HA VI, Nr. 2505, Bl. 8–11. 845 Der Minister: Grundsatzentscheidung zum Einsatz, zur Führung und Leitung der Operativgruppen (Entwurf ), Berlin, (ca. 6.4.1989); BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1416, Bl. 115–122; Der Minister: Befehl Nr. 13/89 zum Einsatz, zur Führung und Leitung der Operativgruppen, Berlin, 14.7.1989; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 7783. 846 HA KuSch, Leiter: (o. T.), Berlin, 21.7.1989; BStU, MfS, BdL/Dok. Nr. 7843.
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Die Operativgruppen in der finalen Krise
viert wurde. Fünf andere Bürger aus Jugoslawien und Österreich wurden wegen des Verdachts der Fluchthilfe und des Schmuggels bearbeitet. Neun aufgeführte operative Materialien betrafen Menschen unterschiedlicher Nationalität, die der Fluchthilfe, der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und der »feindlichen Untergrundtätigkeit« verdächtigt wurden. In vier weiteren Fällen beteiligte sich die Operativgruppe an Operativen Vorgängen, indem sie beim Partnerdienst Fahndungen zu Bundesbürgern initiierte. Die HA II/10 übernahm im Herbst 1989 auch Akten der HA VI zur Operativgruppe in Ungarn. Ende Oktober 1989 entwarf die Hauptabteilung II/10 einen Strukturplan für einen »Bereich Ausland«, der alle Operativgruppen unter annähernder Beibehaltung der Mitarbeiterzahl unter dem Dach der HA II integrierte. Er sah vor, die für die Arbeit der Operativgruppen relevanten Planstellen der HA VI und weiterer Diensteinheiten der HA II zu übertragen.847 Ein anderes, nach der Verabschiedung des Ministerbefehls in der HA II entstandenes Dokument schlug allerdings vor, den Operativgruppen allein Abwehraufgaben zuzuweisen, ihre Mitarbeiter durchweg wieder als Angehörige des DDR-Außenministeriums zu legendieren und die Diensträume in die DDR-Botschaften zu verlegen. Die Fluchtverhinderung war nicht mehr explizit als Aufgabe festgehalten.848 Diese radikale Reduktion der Aufgaben war der Auftakt zu einem mehr oder weniger geordneten Rückzug der Operativgruppen aus dem inzwischen von Protesten und Krisen geschüttelten sozialistischen Ausland. Ein am 7. November von der HA II erstelltes Dokument informierte die Abteilung X darüber, dass die bereits in Bulgarien, Ungarn und der ČSSR präsenten Mitarbeiter der HA II zum 15. November 1989 zu »Leitern« der Operativgruppen würden. Zum Aufenthaltsort der weiteren Mitarbeiter der HA VI und anderer Diensteinheiten machte es keine Aussagen.849 Die Umsetzung dieses Vorschlags ist allein für die Operativgruppe der HA VI in der ČSSR vollständig belegt. Mit einem bereits am 12. Oktober 1989 verabschiedeten Kaderbefehl machte die HA II Hans Gottschling, der bereits einmal die Operativgruppe in Warschau geleitet hatte, zum Abwickler der Prager Operativgruppe. Dessen Antrittsbesuch beim tschechoslowakischen Innenminister fand am 17. November statt – lange nach dem Fall der Berliner Mauer, und nur wenige Stunden vor der Großdemonstration, welche die staatssozialistische Herrschaft in der ČSSR beendete.850
847 HA II/10, Leiter: Vorschlag zur strukturellen Gliederung des »Bereiches Ausland«, Berlin, 30.10.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 344, Bl. 2 f., 147–154. 848 Übersicht zum Einsatz und zur Tätigkeit von Operativgruppen des MfS bei befreundeten ausländischen Sicherheitsorganen, (ca. Herbst 1989); BStU, MfS, HA II, Nr. 23535, Bl. 63–68. 849 HA II, Leiter: Neubesetzung der Leiter der Operativgruppen des MfS, Berlin, 7.11.1989; BStU, MfS, Abt. X, Nr. 1415, Bl. 85. 850 Kaderakte Hans Gottschling; BStU, MfS, KS 29836/90, Bl. 123, 126; Telegramm Nr. 135/89 vom 18.11., 9:15 Uhr; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 783, Bl. 28.
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Die sich über mehrere Jahre hinwegziehende, allmähliche Neuorientierung der Operativgruppen auf die Spionageabwehr verdeutlicht, dass selbst das MfS die grenzübergreifend administrierte Hatz auf DDR-Flüchtlinge als bei den Partnerinstitutionen nicht mehr durchsetzbar – und möglicherwiese auch nicht mehr als zeitgemäß – erachtete. Mit dem fortschreitenden KSZE-Prozess, den Reformen in der Sowjetunion und fallenden Reisebeschränkungen innerhalb des sozialistischen Lagers war klar, dass eine wesentliche Aufgabe des MfS – die Verhinderung von Emigrationen aus der DDR – nicht mehr jenseits des DDR-Territoriums mit geheimpolizeilichen Mitteln verfolgt werden konnte. Letztlich ließen die außen- und innenpolitischen Unstimmigkeiten im sozialistischen Lager dem MfS keinen anderen Weg, als schärfere Reglementierungen an den DDR-Grenzen zu implementieren. Vor dem Hintergrund absehbarer Verpflichtungen aus der KSZE änderten sich die Reiseregelungen in der DDR mit zunehmendem Tempo. Während das MfS häufig auf eine restriktive Genehmigungspraxis pochte, muss seinen informierten Eliten klar gewesen sein, dass die Westgrenzen des Ostblocks tendenziell durchlässiger wurden.851 Beim Wegfall der vom MfS exterritorial betriebenen Fluchtverhinderung blieben die Abwehraufgaben weiter bestehen. Die ersten Abwehrmitarbeiter waren zu einer Zeit in die Urlauberländer geschickt worden, in der die HA II eine starke Machtposition im MfS genoss.852 Nun, zum Ende der 1980er-Jahre, ließ die Aussicht auf einen intensiveren Reiseverkehr zwischen anderen sozialistischen und den westlichen Staaten dem MfS noch mehr Vor-Ort-Kooperation in der Abwehr notwendig erscheinen. Dass die Ergebnisse bisheriger MfS-Abwehrkooperationen vor Ort eher bescheiden ausfielen,853 tat den Plänen offenbar keinen Abbruch. Das letzte Zeugnis des Versuchs, die umstrukturierten Operativgruppen unter der Ägide der HA II zum zentralen Bestandteil einer zwischenstaatlich koordinierten Spionageabwehr zu machen, lässt sich auf den 12. Dezember 1989 datieren.854 Auch die letzte nachweisbare Gehaltszahlung an die Mitarbeiter der Operativgruppe in Prag erfolgte im Dezember. Sie weist die Gruppe noch als der Hauptabteilung VI zugehörig aus.855
851 Süß: Staatssicherheit am Ende, S. 163, 166–177, 743. Zur Bedeutung der KSZE für den DDR-Sicherheitsapparat siehe auch Selvage; Süß: Staatssicherheit und KSZE (im Er scheinen). 852 Labrenz-Weiß: Hauptabteilung II, S. 57. 853 Die Forschung schätzt die Ergebnisse der Vor-Ort-Kooperation in Polen als dürftig ein. Vgl. Jaskułowski: Przyjaźń, której nie było, bes. S. 454. Zur Schieflage der Vor-Ort-Kooperation der Operativgruppe Moskau siehe S. 78. 854 Vorschlag: Grobstruktur der Spionageabwehr, (angefügte handschriftliche Notiz: Stand 12.12.); BStU, MfS, HA II, Nr. 23535, Bl. 4–8, hier 7. 855 Operativgruppe der HA VI: Gehaltszahlung Monat Dezember 1989, Einsatzland ČSSR, Berlin, 29.11.1989; BStU, MfS, HA II/10, Nr. 987, Bl. 3.
8. Fazit Hauptauftrag der MfS-Operativgruppen in den anderen Ostblockländern war die Überwachung von DDR-Bürgern, die sich dort vorübergehend oder auf längere Zeit aufhielten. Als Versuchsballon für die dauerhafte Stationierung von Geheimpolizisten in befreundeten Staaten diente dem MfS die Entsendung einer größeren Gruppe hauptamtlicher Mitarbeiter in die Sowjetunion im Jahr 1959. Die von der Hauptabteilung II geführte Operativgruppe Moskau war in der Spionageabwehr und der Überwachung von Landsleuten tätig. In den Urlaubsländern des sozialistischen Lagers, die an westliche Staaten grenzten, zielte die nach dem Mauerbau eingeleitete Überwachung vor allem auf die Verhinderung von Fluchten. Die MfS-Operativgruppen in diesen Ländern wurden zunächst von der Hauptabteilung XX und anschließend von der Hauptabteilung VI angeleitet. Von eigener Kontrollanmaßung gesteuert, weitete das MfS die Aufgaben der Operativgruppen mit der Zeit – zumindest auf dem Papier – ins Unermessliche aus: Jährlich sollten tausende Touristen, Gaststudenten, Wissenschaftler, Botschaftsangestellte und DDR-Auslandsarbeiter unter Kontrolle gehalten werden. Ein ernsthaftes Bewältigen eines derart umfangreichen Pensums war mit den wenigen MfS-Vertretern im Ausland trotz deren verzweigten Systems inoffizieller Mitarbeiter kaum zu bewerkstelligen. Involviert waren in das grenzübergreifende Überwachungssystem viele MfS-Diensteinheiten der Ostberliner Zentrale, die ihre spezifischen Aufgaben teils mit dem Entsenden eigener Mitarbeiter, teils über linienspezifische Kontrollaufträge in die Operativgruppen einbrachten. Eine Beteiligung, DDR-Bürger auch im sozialistischen Ausland zu überwachen bzw. an der Flucht zu hindern, bewirkte das MfS in bilateralen Beratungen mit den kooperierenden Geheimpolizeien hinsichtlich der Grenzkontrolle, der Flughafensicherung und vieler weiterer Aufgabenfelder. Das MfS war stets bestrebt, die Beratungsergebnisse verbindlich in sogenannten Protokollen zur Zusammenarbeit bzw. als zwischenministerielle Verträge zu fixieren. Diese »geheimpolizeiliche Außenpolitik« war – neben der herausragenden Position des MfS in der Spionage im Westen – ein weiterer Faktor, der seine dominante Funktion als »Juniorpartner« des KGB im Ostblock begründete.856 Die politischen Beziehungen zwischen den Staatsparteien determinierten die Koopera856 Den Begriff des »Juniorpartners« verwendete der übergelaufene HVA-Mitarbeiter und Doppelagent Werner Stiller bereits 1986, um das Verhältnis von MfS und KGB zu charakterisieren. Siehe Stiller: Im Zentrum der Spionage, S. 168. Die Metapher ging später in die Forschung ein. Vgl. Gieseke: Mielke-Konzern, S. 220.
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tion der Geheimpolizeien. Folglich schlugen sich die unterschiedlichen Außenbeziehungen des DDR-Parteistaats zu den einzelnen Gastgeberländern auch in der Stellung der jeweiligen Operativgruppe nieder. Als Bestandteil der sozialistischen Führungsmacht ließ der sowjetische Geheimdienst keinen Zweifel an einer subalternen Stellung der MfS-Operativgruppe in Moskau. Deren Bedeutung, Kompetenzen und Personalausstattung hielt keinem Vergleich mit der KGB-Vertretung in Berlin stand. Während die Sicherheitsdienste in Bulgarien, Ungarn und der Tschechoslowakei die Entsendung von MfS-Operativgruppen unmittelbar nach dem Mauerbau akzeptierten, sich einer Kooperation mit dem MfS nicht verweigerten oder einer solchen aktiv dienten und die lokalen Operativgruppen unterstützten, stimmte das polnische Innenministerium erst im September 1980 einer Entsendung einer MfS-Operativgruppe nach Warschau zu. Die Operativgruppen der Hauptabteilung II – und hierbei besonders die in Warschau – besaßen neben ihren Arbeitsaufgaben eine gewisse Bedeutung in der geheimpolizeilichen Kooperation. Die Gruppen der Hauptabteilung VI hingegen funktionierten lange Zeit vorrangig als »verlängerte Mauer«; sie dienten allein der Fluchtverhinderung. Erst als die MfS-Spionageabwehr im Jahr 1986 Offiziere in diese Gruppen entsandte, erlangten auch sie politisches Gewicht in der geheimpolizeilichen Kooperation. Die Dichte und die Qualität der Zusammenarbeit von MfS und Operativgruppen mit den einzelnen Partnerdiensten variierte. Nahezu problemlos gestaltete sich aus der Sicht des MfS die Zusammenarbeit mit dem bulgarischen Partnerdienst. Der bulgarische Staat beugte sich beispielsweise hinsichtlich seines Regimes der Pass- und Grenzkontrollen den Vorschlägen des MfS. Das ging so weit, dass er seine Passkontrolleure von der MfS-Hauptabteilung VI zu Passformalien schulen ließ – in einem vom MfS am Sofioter Flughafen eigens eingerichteten Seminarzentrum. Der bulgarische Dienst profilierte sich als »gelehriger Schüler« des MfS – die geheimpolizeiliche Kooperation erhielt dem bulgarischen Staat den Spielraum, einen profitablen Tourismussektor sowohl für Urlauber aus östlichen als auch aus westlichen Staaten aufzubauen. Aus ostdeutschem Blickwinkel gestaltete sich die Zusammenarbeit mit dem ungarischen Partner ungleich problematischer – besonders ab den 1980er-Jahren reagierte das ungarische Innenministerium zunehmend unwirsch auf die vielen MfS-Unterstützungsersuchen und schützte Ressourcenknappheit vor, um die Flut der Wünsche einzudämmen. Ein solches Vorgehen erstreckte sich auch auf die Zusammenarbeit mit der Operativgruppe, die sich ihrerseits mit Ersuchen an den ungarischen Partner nicht zurückhielt. In der finalen Krise der Staatssozialismen offenbarten sich diametrale Politikansätze beider Regierungen – lange vor der Öffnung der ungarischen Westgrenze stand eine relative Westorientierung des Landes der Außenpolitik der dogmatischen DDR-Führung entgegen. Wenig bekannt ist, dass das MfS nicht nur im, sondern auch noch nach dem »Prager Frühling« Schwierigkeiten hatte, das tschechoslowakische Innenminis-
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terium zu einer engen Kooperation zu bewegen. Besonders interessant gestaltete sich die ostdeutsch-polnische Zusammenarbeit der Geheimpolizeien nach Entsendung der MfS-Gruppe nach Warschau. In einer inszenierten Zusammenarbeit versuchte das polnische Innenministerium das MfS davon zu überzeugen, dass es die innenpolitische Lage beherrschte und die Opposition unter Kontrolle hielt. Als Belege stellte es dem MfS, auch über die Operativgruppe in Warschau, selektiv interne Informationen zur Verfügung. Deshalb erscheinen die Interessenunterschiede zwischen dem polnischen Innenministerium und dem MfS weitaus geringer als die zwischen der PVAP und der SED zu jener Zeit. Die Ursprungsannahme dieser Untersuchung, dass die formal miteinander befreundeten staatssozialistischen Diktaturen untereinander eine weitgehende »Nichteinmischung in innere Angelegenheiten« pflegten und von diesem Prinzip auch ihre Geheimpolizeien nicht ausnahmen, bestätigte sich nur bedingt: In Zeiten weitgehender politischer Interessenübereinstimmung nahmen sie einerseits eine Durchdringung ihrer Kontrollsphären in Kauf, ließen andererseits aber Aktivitäten der Partnerdienste auf ihrem Territorium nur kontrolliert zu. Eine solche gegenseitige Durchdringung mag vielen zeitgenössischen Eliten als Indikator politischer Nähe vorgekommen sein; sie kann analytisch jedoch auch als »Spionage unter Freunden« gefasst werden.857 Diese Art von Spionage charakterisiert das Verhältnis des MfS zum tschechoslowakischen Staatssicherheitsdienst während des »Prager Frühlings« und nach dessen Niederschlagung sowie das zum polnischen Innenministerium in den frühen 1980er-Jahren. Um dem hohen Überwachungsaufwand jenseits des DDR-Territoriums beizukommen, versuchte das MfS, den dortigen IM-Einsatz immer weiter zu intensivieren. So konnte es zwar offizielle Ost-West-Kontakte kontrollieren und steuern, bei der Erfassung unerwünschter informeller Begegnungen von Ostdeutschen mit Bürgern westlicher Staaten und bei der Verhinderung von Fluchten jedoch war es auf eine enge Kooperation mit den Sicherheitsdiensten der entsprechenden Staaten angewiesen. In diesem Kontext kann der Einsatz der Operativgruppen als ein Vernetzungsversuch des MfS mit den kooperierenden Geheimpolizeien verstanden werden, der weiter reichte als ähnliche Versuche der Partnerdienste: Diese unterhielten zwar auch Repräsentanzen in anderen sozialistischen Ländern, die allerdings – nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung – kleiner waren als diejenigen des MfS. Deren Aufgaben lagen zudem viel eher in der Aufklärung – also in der Ausforschung westlicher Ziele – als in der Überwachung von Landsleuten.858 In der Vernetzung der staatssozialistischen Sicherheitsdienste bestanden Hürden, die im Charakter geheimpolizeilicher Arbeit begründet waren. Zum Ers857 Vgl. theoretische Überlegungen hierzu in: Alexander: Introduction: Knowing your friends, S. 1–17, hier 7 f. 858 Vgl. z. B. Blažek: The Residency of the Federal Ministry, S. 250–274, bes. 252 f.
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ten erschwerte ein nationalstaatlich gerahmtes Sicherheits- und Kontrolldenken die tatsächliche, über »internationalistische« Bekenntnisse hinausgehende Kooperation. Zweitens bestanden – in diversen Ausprägungen – unterschiedliche staatliche Interessen und divergierende Parteivorgaben, deren Konsequenzen bis zu einer vor den Partnerdiensten konspirierten geheimpolizeilichen Arbeit reichen konnten. Auf materieller Ebene waren die Staaten drittens in nur unterschiedlichem Maße bereit, Ressourcen für eine breite Überwachung der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. Viertens agierten die auf Loyalität zum eigenen Staat eingeschworenen Offiziere im interkulturellen Kontakt oft unsicher und unpassend. Hierzu kann auch ein zu sehr auf Eigeninteressen fokussiertes Handeln des MfS gerechnet werden, das allzu oft auf »Anleitungen« und »Belehrungen« der Kooperationspartner hinauslief. Die geheimpolizeiliche Vernetzung konnte so kaum eine Eigendynamik jenseits kurz- und mittelfristiger Interessen der Kooperationspartner entwickeln. Fünftens bestanden jenseits von bi- und multilateralen Treffen auf höchster Ebene keine handlungsstarken Kooperationsinstitutionen der Sicherheitsdienste auf Arbeitsebene. Die »Internationalen Abteilungen« der Geheimpolizeien waren zu schwerfällig. Die Operativgruppen indes waren in den Hierarchien zu niedrig angesiedelt, um hierfür Impulse zu geben. Der Vernetzungsversuch der Geheimpolizeien mittels der Operativgruppen mündete in ein Spannungsfeld, das allein in der Kooperation auf der Arbeitsebene nie aufgelöst werden konnte: Wie dargelegt sah das MfS einerseits eine operative Notwendigkeit des Einsatzes exterritorialer Operativgruppen aufgrund wachsender grenzübergreifender Kontakte. Andererseits hatten die Operativgruppen – wiederum in der Wahrnehmung des MfS – eine nur geringe Effizienz. Im Ergebnis erfolgte zwar ein kontinuierlicher Ausbau der Operativgruppen bis in die zweite Hälfte der 1980er-Jahre hinein. Allerdings folgte diesem keine neue Qualität grenzübergreifender geheimpolizeilicher Kooperation: Das Misstrauen der Geheimpolizeien untereinander blieb – und damit dessen Ausdruck in einer stark bürokratisierten und verlustbehafteten Zusammenarbeit. Da aus heutiger Perspektive ein »Erfolg« der geheimpolizeilichen Kooperation nicht definiert werden kann, muss die hypothetische Frage, inwiefern die Vor-Ort-Zusammenarbeit des MfS mit seinen Partnerdiensten gelungen sei, weitgehend unbeantwortet bleiben. Sie kann nur innerhalb der zeitgenössischen Logik nach zeitgenössischen Kriterien eingeschätzt werden. Hinsichtlich ihrer »Effizienz« erfüllten die Operativgruppen die Erwartungen der MfS-Leitung immer weniger. Deutlich wird dies an den MfS-internen Diskussionen der 1980er-Jahre. Auch als Versuch, mit der Verflechtung der Gesellschaften Schritt zu halten, ging die Entsendung der zahlenmäßig relativ kleinen Operativgruppen nicht sehr weit. Das Tempo grenzübergreifender geheimpolizeilicher Vernetzung blieb hinter dem der Gesellschaften zurück. Die Unfähigkeit der Geheimpolizeien, die in der Krise der staatssozialistischen Herrschaft auflebenden
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gesellschaftlichen Proteste einzudämmen, hatte viele Einflussgrößen. Die Trägheit geheimpolizeilicher Kooperation war eine hiervon. Eine größere Rolle spielten die Reformpolitik in der Sowjetunion und die zunehmende Zurückhaltung einiger Partnerdienste bei der Unterdrückung von Bürgern. Diese führten dazu, dass das MfS die Fluchtbewegung aus der DDR über Drittstaaten im Sommer und Herbst 1989 nicht mehr eindämmen konnte. Der Logik der Geheimpolizeien folgend, war die staatenübergreifende Überwachung eine Voraussetzung für eine graduelle Öffnung von Grenzen sowie für grenzübergreifenden Massentourismus unter den Bedingungen der staatssozialistischen Diktaturen. Besonders im Hinblick auf den zeitgenössischen Stand der Technik war das MfS für eine breit angelegte Kontrolle von DDR-Bürgern im transnationalen Kontakt eigentlich darauf angewiesen, den grenzübergreifenden Austausch zu kanalisieren. Die Geschichte der MfS-Operativgruppen im europäischen sozialistischen Ausland verdeutlicht indes, dass die Verflechtung der Gesellschaften in Zentraleuropa das MfS trotz seiner Größe an die Grenzen seiner Möglichkeiten brachte. Es war breiten grenzübergreifenden Überwachungsaufgaben strukturell, kognitiv und mental nicht gewachsen. Die Untersuchung der geheimpolizeilichen Kooperation auf der Arbeitsebene zeigte auch, dass sich die zwischenstaatlich kooperierenden Geheimpolizeien trotz gegenseitigen Misstrauens in ihrem Selbstverständnis und ihrer Deutung der Welt untereinander näher standen als den eigenen Gesellschaften. Die Kooperation in deren Überwachung engte über das gesamte sozialistische Lager hinweg die Freiheiten der Bürger ein, die zu Zielobjekten verschiedener Geheimpolizeien mit divergierenden Interessen wurden.
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Abkürzungsverzeichnis ABF Arbeiter- und Bauernfakultät ADN Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst AG Arbeitsgruppe AGM/S Arbeitsgruppe des Ministers/Spezialkräfte bzw. Stöcker AIG Auswertungs- und Informationsgruppe AIM archivierter IM-Vorgang AKG Auswertungs- und Kontrollgruppe AOP archivierter Operativvorgang ASR Arbeitsgruppe Sicherung des Reiseverkehrs BAK Bergbau- und Aufarbeitungskombinat Kriwoi Rog BdL Büro der Leitung BKG Bezirkskoordinierungsgruppe BV Bezirksverwaltung BV/V Bezirksverwaltungen/Verwaltungen BVfS Bezirksverwaltung für Staatssicherheit COMDOS/ KOMDOS ČSSR
Komisijata po Dosietata (Kommission zur Offenlegung der Dokumente und der Zugehörigkeit bulgarischer Bürger zur Staatssicherheit und zu den Nachrichtendiensten der Bulgarischen Volksarmee) Československá socialistická republika (Tschechoslowakische Sozialistische Republik)
DDR Deutsche Demokratische Republik DE Diensteinheit DER Deutsches Reisebüro (DDR) DS Drschawna Sigurnost (Staatssicherheit) FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FFO Frankfurt/Oder FIM Führungs-IM FMdI Föderales Ministerium des Innern der Tschechoslowakei FMV Federální ministerstvo vnitra (Föderales Ministerium des Innern) GD Generaldirektion GH Geheime Hauptablage GL Generalleutnant GMS Gesellschaftlicher Mitarbeiter für Sicherheit GO Generaloberst HA Hauptabteilung HIM Hauptamtlicher Inoffizieller Mitarbeiter HO Handelsorganisation HOG Handelsorganisation Gaststätten HPF Hauptabteilung Passkontrolle und Fahndung HSB Hauptamtlicher Sicherheitsbeauftragter
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HV Hauptverwaltung IM IM (Ü) IMB IME IMS IPN IVA
Inoffizieller Mitarbeiter Inoffizieller Mitarbeiter (überörtlich) Inoffizieller Mitarbeiter der Abwehr mit Feindverbindung Inoffizieller Mitarbeiter im besonderen Einsatz, Ermittler-IM Inoffizieller Mitarbeiter zur Sicherung Instytut Pamięci Narodowej (Institut für Nationales Gedenken) Institut zur Vorbereitung auf das Auslandsstudium
JHS
Juristische Hochschule des MfS
KD Kreisdienststelle Kdo Kommando Kf NS Korps für Nationale Sicherheit KfS Komitee für Staatssicherheit KGB Komitet gosudarstvennoj bezopasnosti (Komitee für Staatssicherheit) KIZ Kultur- und Informationszentrum KOR Komitet Obrony Robotników (Komitee zur Verteidigung der Arbeiter) KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KSS [»KOR«] Komitet Samoobrony Społecznej (Komitee zur Selbstverteidigung der Gesellschaft) KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa KPČ Kommunistische Partei der ČSSR KuSch Kader und Schulung MdI MfAA Mf NV MfS MININT MSW
Ministerium des Innern Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten Ministerium für Nationale Verteidigung Ministerium für Staatssicherheit Ministerio del Interior (Ministerium des Innern, Kuba) Ministerstwo Spraw Wewnętrznych (Ministerium für Inneres)
NATO ND NKVD
North Atlantic Treaty Organization Neues Deutschland Narodnyj kommissariat vnutrennich děl (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten) Neckermann und Reisen
NUR
OAM operatives Ausgangsmaterial OG Operativgruppe OGM Operativgruppe Moskau OGW Operativgruppe Warschau OibE Offizier im besonderen Einsatz OLZ Operatives Leitzentrum OM Operatives Material OMS Odbor pro mezinárodní styky (Abteilung für internationale Verbindungen) OPG Operativgruppe OPK Operative Personenkontrolle
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OSK Objektsicherungskräfte OSL Oberstleutnant OTS Operativ-technischer Sektor OV Operativer Vorgang RB Reisebüro Ref. Referat RGW Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe/COMECON SdM SIRA SMAD SNB SOUD
Sekretariat des Ministers System der Informationsrecherche der HV A Sowjetische Militäradministration in Deutschland Sbor národní bezpečnosti (Korps der Nationalen Sicherheit) Sistema Ob’edinnenogo Učëta dannych (o Protivnike) (System der vereinigten Erfassung von Daten über den Gegner) SR Sonderreferat/selbstständiges Referat SRT Sicherung des Reise- und Touristikverkehrs StB Státní bezpečnost (Staatssicherheit) SU Sowjetunion TDB Teildatenbank TUI Touristik Union International UA Unterabteilung UdSSR Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken UVR Ungarische Volksrepublik VfB Verein für Ballspiele VL-IM Vorlauf-IM VR Volksrepublik VRB Volksrepublik Bulgarien VRP Volksrepublik Polen VSH Vorverdichtungs-, Such- und Hinweiskarteien WM Weltmeisterschaft WUSW Wojewódzki Urząd Spraw Wewnętrznych (Wojewodschaftsamt für Inneres) [regionale Einheiten der Bürgermiliz in der VRP 1983–1990] ZAIG ZKG ZOS
Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe Zentrale Koordinierungsgruppe Zentraler Operativstab
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Personenverzeichnis Andropov, Jurij 157 Asbach, Horst 91 Baldauf, Holger 121, 130 Beater, Bruno 103, 109, 118, 152, 157, 167 Beier, Fred 92 Biszku, Béla 131 Borusewicz, Bogdan 196 Bräuer, Gerd 63, 83 Brichmann, Karl-Heinz 93 Brückner, Willy 29 Bühner, Hans-Peter 31 Busch, Fritz 120 Ciastoń, Władysław 194 Czubiński, Lucjan 49 Dalos, György 117 Damm, Willi 31, 83, 158, 233 Deutscher, Hans 120 Dikov, Diko 90 Dorfmeister, Rudolf 35, 38, 143, 161 Feustel, Wolfgang 63 Fiedler, Günter 32, 93, 230 Fiedler, Heinz 36, 39, 46 f., 124, 179 Fiřt, Karel 177 Fischer, Oskar 65 Fleischhauer, Werner 92 Fleischmann, Ewald 32, 165, 176–178 Genscher, Hans-Dietrich 228 Gierek, Edward 181 Gorbačëv, Michail 68, 217 f. Göthel, Helmut 143 Gottschling, Hans 143, 177 f., 228 f., 235 f. Gribat, Heinz 31 Grunert, Herbert 91 Gwiazda, Andrzej 196 Hasterok, Günter 191 Heckerodt, Herbert 32, 120 Heidenreich, Klaus 143 Hempel, Gerhard 63, 67, 84 f. Herbrich, Karl-Heinz 49, 186, 191 Herfurth, Günter 36, 92, 232, 234 Hergt, Ernst 63 Honecker, Erich 189 Jäkel, Rolf 62 Janik, Stefan 62 f. Jaruzelski, Wojciech 188 Joachimsthal, Michael 92 Kádár, János 117 Kania, Stanisław 188, 194
Kästner, Major 30 Kienberg, Paul 16 Kiszczak, Czesław 210, 226 König, Gert 221 Kovalëv, Sergej 218 Kratsch, Günther 84 f., 177, 232 Krause, Dietrich 46 f., 143, 234 Krusch, Wolfgang 30 Lehmann, Gudrun 97 Lerche, Heinz 158 Lotter, Wolfgang 93 Mazowiecki, Tadeusz 226 Mielke, Erich 34, 62, 64 f., 67, 84 f., 103, 107, 109, 118, 131 f., 144, 152–154, 157, 159, 178, 182, 184, 186 f., 207, 209 Mittig, Rudi 74 Moczar, Mieczysław 207 Neiber, Gerhard 39, 231–233 Niebling, Gerhard 223 f., 232 Obzina, Jaromír 160 Oswald, Klaus 143 Ott, Werner 36, 46, 138 Pallagi, Ferenc 223 f. Pavel, Josef 151, 152 Pavlov, Vitalij 191, 211 Pelnář, Jan 156 Pfütze, Peter 224 Podzemný, Čestmír 157 Popieluszko, Jerzy 194 Pożoga, Władysław 211 Rakowski, Mieczysław 211 Rauch, Werner 63, 83 Reagan, Ronald 218 Rückheim, Horst 36, 46 Ruser, Detlef 195 Šalgovič, Viliam 152 Sarewicz, Zdzisław 209, 229 Schliebe, Siegfried 63, 219 Scholz, Heinz 120 Schröder, Fritz 152 Šelaskov 103 Semičastnyj, Vladimir 64 Sereda, Janusz 213 Solakov, Angel 109 Stalin, Josef 12, 61 Steinwand, Rudolf 72 Stritzke, Lothar 93 Strobel, Rudi 63
258 Štrougal, Lubomír 144 Szíjártó, Károly 132 Szymczykiewicz, Stefan 210 Troschke, Bodo 120 Ulbricht, Walter 62 Wałęsa, Lech 196 Weller, Heinz 121, 224 Wenzel, Rudolf 63, 79 Wilkes, Peter 213, 229 Żabiński, Andrzej 189
Anhang
259
Tabellenübersicht
1
Stichprobe zu Flüchtlingszahlen über Bulgarien, Ungarn und die ČSSR 1972 und 1973
Seite 18
2
IM-System der Operativgruppen, 1977
Seite 57
3
Informationsübernahmen der OPG aus dem jeweiligen Gastland, 1977
Seite 57
4
Postkontrollergebnisse aus Gastländern an OPG, 1977
Seite 60
5
Fluchten von DDR-Bürgern über Bulgarien (Anzahl der Personen)
Seite 95
6
Fluchten von DDR-Bürgern über Ungarn (Anzahl der Personen)
Seite 122
7
Fluchten von DDR-Bürgern über die ČSSR (Anzahl der Personen)
Seite 149
Angaben zu den Autoren Christian Domnitz wurde 1975 in Berlin (Ost) geboren. Er studierte Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und an der Karlsuniversität Prag und absolvierte daneben eine publizistische Ausbildung. Über mehrere Jahre war er wissenschaftlich am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam und in der Forschungsabteilung der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) tätig. Die Geschichte Ostmitteleuropas bzw. Zentraleuropas nach 1945 bildete den thematischen Schwerpunkt seiner Arbeiten. Im Jahr 2011 promovierte er an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) über offizielle und dissidentische Europa-Konzepte und -Narrative in Polen, der Tschechoslowakei und der DDR zwischen 1975 und 1989. Christian Domnitz arbeitete zuletzt als Langzeit-Gastforscher am Deutschen Historischen Institut in Warschau. Er verstarb im November 2015 in Warschau. Monika Tanzscher, geb. 1942, studierte Slawistik in Leipzig und arbeitete von 1968 bis 1991 als Verlagslektorin, Übersetzerin und Herausgeberin für russische Literatur in Ostberlin. Von 1992 bis 2005 war sie Mitarbeiterin der Abteilung Bildung und Forschung beim BStU.