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German Pages 316 Year 2005
Schriften zum Internationalen Recht Band 149
Konzept und Funktion der sich entwickelnden Fusionskontrolle in Russland
Von
Stephan Rau
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
STEPHAN RAU
Konzept und Funktion der sich entwickelnden Fusionskontrolle in Russland
Schriften zum Internationalen Recht Band 149
Konzept und Funktion der sich entwickelnden Fusionskontrolle in Russland
Von
Stephan Rau
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin hat diese Arbeit im Jahre 2003 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 3-428-11526-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2003/2004 als Dissertation der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin angenommen. Meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski danke ich herzlich für die engagierte Betreuung der Arbeit, Herrn Prof. Dr. Artur-Axel Wandtke für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Zu einem nicht unerheblichen Teil beruht die Arbeit auf Informationen, die ich während eines längeren Aufenthaltes in Moskau im dortigen Antimonopolministerium, dem jetzigen sog. Bundesdienst für Antimonopolfragen, und in Gesprächen mit in Russland tätigen Rechtsanwälten gewinnen konnte. Organisatorisch und technisch half mir dabei die Kanzlei Cleary Gottlieb Steen & Hamilton, der ich hierfür noch einmal ganz besonders danken möchte. Für Gespräche im Antimonopolministerium danke ich insbesondere Frau Staatssekretärin Natascha Fonarjova, der Abteilungsleiterin für internationale Zusammenarbeit, Frau Natalia Yacheistova, und der Abteilungsleiterin für Unternehmenskonzentrationen, Frau Olga Kirjuškina. Dank gebührt auch insbesondere den Rechtsanwälten Dr. Ilja Rachkov, Dr. Andreas Knaul (inzwischen DG COMP der EU-Kommission), Michael Müller, Andreas Gravenhorst und Dr. Gerd Lenga. Für Anregungen danke ich ebenso Professor Dr. Alexander Blankenagel und Herrn Slava Anissimov, für Gespräche über die wettbewerbstheoretischen Aspekte der Arbeit Frau Dipl.-Volksw. Dr. Beate Jochimsen. Für die Unterstützung bei vielfältigen Schreibtätigkeiten in der Überarbeitung und Aktualisierung sowie der Formatierung für die Drucklegung der Arbeit danke ich Frau Ilona Stephan, für die Erstellung des Stichwortverzeichnisses Frau Stefanie McCool. Großzügig gefördert wurde die Arbeit durch ein Promotionsund Forschungsstipendium der Stiftung der Deutschen Wirtschaft, der ich hierfür ebenfalls Dank schulde. In vielfältiger Weise unterstützt wurde ich während der gesamten Dauer der Erstellung der Arbeit durch meine private Umgebung, insbesondere meine Frau Kerstin Bode-Rau, der ich hierfür sehr dankbar bin. Für die intensive Förderung und Unterstützung während meiner gesamten Ausbildung möchte ich an dieser Stelle ganz besonders meinen Eltern Dr. Eberhard und Dr. Renate Rau danken, denen ich diese Arbeit widme.
Berlin/München, im Oktober 2004
Stephan Rau
Inhaltsverzeichnis Erster Teil Grundlagen § 1 Fragestellungen.....................................................................................................15 § 2 Die Fusionskontrolle in Russland – Rechtstatsachen.........................................18 I. Überblick ........................................................................................................18 II. Die gesetzlichen Grundlagen ..........................................................................21 1. Das Wettbewerbsgesetz ..........................................................................21 2. Verordnung Nr. 276 des Antimonopolministeriums...............................22 3. Verordnung Nr. 800 des Antimonopolministeriums...............................22 4. Verordnung Nr. 169 des staatlichen Antimonopolkomitees ...................23 5. Die Entscheidung der russischen Regierung Nr. 191..............................23 III. Ein Beispielfall: Das Zusammenschlussvorhaben Glaverbel/Borskij stekol’nyj Zavod.............................................................................................23 Zweiter Teil Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle § 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit der Fusionskontrolle .....................26 I. Das Erfordernis einer Legitimation ................................................................26 1. Die Fragestellung....................................................................................26 2. Überblick ................................................................................................28 II. Konzept einer Fusionskontrolle – die Gründe ihrer Unentbehrlichkeit (Harvard) ........................................................................................................30 1. Konzentrations- bzw. Strukturkontrolle – Konzentration und Unternehmensgröße als Determinanten für die Funktionsfähigkeit von Wettbewerb......................................................................................30 2. Fusionskontrolle als Strukturkontrolle alleine bei externem Unternehmenswachstum.........................................................................32 3. Gefahren für den Wettbewerb aus horizontalen Zusammenschlüssen ....34 4. Vertikale Zusammenschlüsse und die von ihnen ausgehenden Wettbewerbsgefährdungen .....................................................................37 5. Konglomerale Zusammenschlüsse..........................................................39 6. Allgemeine „metaökonomische“ Gefahren.............................................41 III. Vorteile einer höheren Unternehmenskonzentration – Zielkonflikte zur Bekämpfung von Marktkonzentration ............................................................42 1. Economies of Scale (Betriebsgrößenvorteile).........................................42 2. Transaktionskosten- und Verbundvorteile ..............................................46 3. Konglomerale Vorteile (economies of scope).........................................47 4. Technischer Fortschritt ...........................................................................49 5. Internationale Wettbewerbsfähigkeit ......................................................52 6. Lösung der Zielkonflikte ........................................................................54
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Inhaltsverzeichnis IV. Kann Wettbewerbsgefahren durch eine Fusionskontrolle begegnet werden? .55 1. Überblick ................................................................................................55 2. Problem der ökonomischen ex ante-Analyse ..........................................56 3. Werden Martkungleichgewichte, die eine Konzentration mit sich bringt, nicht durch Selbstheilungskräfte des Marktes ohnehin behoben? (Über die Missachtung der Marktzutrittsschranken) ...............................58 4. Reicht eine Verhaltenskontrolle aus? ......................................................66 V. Zusammenfassung ..........................................................................................68
Dritter Teil Das Konzept der russischen Fusionskontrolle unter Vergleich mit dem europäischen und dem deutschen Sytem § 4 Konzept und Funktion der Fusionskontrolle in Europa und Deutschland ......71 I. Entstehungsgeschichte und Konzept...............................................................71 1. Entstehungsgeschichte – die europäische Fusionskontrolle zwischen Wettbewerbsschutz und Industriepolitik .................................................71 2. Entstehungsgeschichte und besondere Charakteristika der deutschen Fusionskontrolle......................................................................................73 II. Formelle Fusionskontrolle – der Begriff des „Zusammenschlusses“ ..............74 1. Überblick ................................................................................................74 2. Der Zusammenschluss ............................................................................75 a) Überblick ........................................................................................75 b) Fusion (Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO)..................................................76 c) Kontrollerwerb (Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO)....................................76 d) Zusammenschluss gemäß § 37 GWB..............................................80 (1) Überblick.................................................................................80 (2) Vermögenserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB) ..........................80 (3) Kontrollerwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB) ...............................80 (4) Anteilserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 und 2 GWB)................81 (5) Begründung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses......81 e) Die Problematik der Gemeinschaftsunternehmen (Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b FKVO sowie § 37 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 S. 3 GWB)..............................................................................................82 III. Materielle Zusammenschlusskontrolle – insbesondere der Begriff der Marktbeherrschung .........................................................................................87 1. Überblick ................................................................................................87 2. Marktabgrenzung ....................................................................................88 a) Sachlich relevanter Markt ...............................................................88 b) Geografisch relevanter Markt..........................................................90 3. Die Marktbeherrschung...........................................................................93 a) Überblick ........................................................................................93 b) Marktstellung – absolute und relative Marktanteile, ihre Volatilität und ihre Bedeutung ....................................................................94 c) Wirtschaftliche Macht und Finanzkraft...........................................97 d) Entwicklung von Angebot und Nachfrage – sich entwickelnde und reife Märkte – Marktabschottungsgefahren auf jungen Märkten...........................................................................................98
Inhaltsverzeichnis e)
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Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer – Kapazitätserweiterungen, Substitutionswettbewerb, Abschottung reiferer Märkte, Nachfragemacht ..................................................100 f) Zugang zu Absatz- und Beschaffungsmärkten – die Kehrseite zu den Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, vertikale Effekte und der Portfolioeffekt ......................................104 g) Marktzutrittsschranken (potenzieller Wettbewerb).......................107 h) Interessen der Zwischen- und Endverbraucher und Entwicklung technischen und wirtschaftlichen Fortschritts ...............................114 i) Die Marktbeherrschung nach deutschem Recht (§§ 36 Abs. 1, 19 Abs. 2 GWB) ...........................................................................118 j) Behinderungsklausel – eine leere Klausel mit Chancen, die Schwächen des Marktmachtkonzepts aufzufangen .......................121 k) Oligopolbeherrschung...................................................................125 l) Begründung oder Verstärkung ......................................................129 4. Die Freigabe unter Auflagen und Bedingungen....................................131 a) Auflagen und Bedingungen in der FKVO.....................................131 b) Freigabe unter Bedingung und Auflagen nach deutschem Recht (§ 40 Abs. 3 GWB) .......................................................................134 5. Die Abwägungsklausel nach deutschem Recht – der nicht erfolgte Gegenbeweis bezüglich zu erwartender verbesserter Wettbewerbsbedingungen (§ 36 Abs. 1 GWB) .........................................................135 6. Die sog. „Ministererlaubnis“ (§ 42 GWB)............................................136 § 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland ...............................................137 I. Das russische Konzept der Strukturkontrolle – ein weiter Begriff des „Zusammenschlusses“ ..................................................................................137 II. Formelle Fusionskontrolle – die Aufgreifkriterien der verschiedenen Fusionskontrollverfahren..............................................................................139 1. Einleitung .............................................................................................139 2. Die finanziellen Schwellenwerte – (niedrige) addierte Bilanzsummen als Aufgreifkriterium; die „Registereintragung“ als alternatives Aufgreifkriterium..................................................................................141 3. Verschmelzung (Art. 17 Abs. 1 und Abs. 5, 4. Alt. WG) und der Sonderfall der Verschmelzung mehrerer staatlicher Unternehmen.......143 4. Die Gründung von (Gemeinschafts-)unternehmen gemäß Art. 17 Abs. 5, 3. Alt. WG....................................................................145 5. Der Erwerb von Anteilen (Art. 18 Abs. 1, 1. Alt. WG) – das Problem der Bestimmung einer erwerbenden „Personengruppe“...............147 6. Der Erwerb von Anlagevermögen (Art. 18 Abs. 1, 2. Alt. WG)...........152 7. Sonstiger Erwerb von Rechten, die einen entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenspolitik einer Gesellschaft vermitteln (Art. 18 Abs. 1, 3. Alt. WG) .................................................................153 8. Die Gründung, Verschmelzung und Übernahme von Interessenverbänden im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 WG a.F. bzw. Art. 17 Abs. 5, 1. Alt. WG n.F. – die präventive Kartellaufsicht ......................153 9. Annahme von Organfunktionen in verschiedenen Unternehmen (Art. 18 Abs. 6 WG n.F.) ......................................................................155 10. Liquidierung und Entflechtung staatlicher Unternehmen (Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 WG a.F.) .............................................................156
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Inhaltsverzeichnis III. Materielle Fusionskontrolle – die Eingreifkriterien ......................................158 1. Marktbeherrschende Stellung................................................................158 a) Überblick ......................................................................................158 b) Marktabgrenzung ..........................................................................159 (1) Sachliche Marktabgrenzung – der Vergleich mit der europäischen und deutschen Anwendungspraxis sowie ein Plädoyer für mehr preis- und imageabhängige Marktabgrenzungen ...................................................................................159 (2) Räumliche Marktabgrenzung – Problem der Annahme von Weltmärkten..........................................................................162 c) Die Marktbeherrschung.................................................................166 (1) Überblick – der Marktanteil ..................................................166 (2) Bestimmung der Marktanteile ...............................................167 (3) Relative Marktanteile ............................................................168 (4) Volatilität der Marktanteile ...................................................169 (5) Marktzutrittsschranken/potenzieller Wettbewerb..................170 (6) Vertikale Aspekte..................................................................173 (7) Wirtschaftliche Macht, Finanzkraft und Portfolioeffekt........175 2. Wettbewerbsbehinderung......................................................................178 3. Positive sozioökonomische Effekte ......................................................180 a) Überblick ......................................................................................180 b) Konkurrenz als Träger des Schutzguts „Wettbewerb“ – Kantzenbach und die Gefahren seiner „Missdeutung“ in Russland im Rahmen sog. positiver sozioökonomischer Effekte .................180 c) Internationale Wettbewerbsfähigkeit ............................................182 d) Betriebsgrößen- und Verbundvorteile bzw. economies of scale oder „Innere Wettbewerbsfähigkeit“.............................................186 e) Sanierung von Unternehmen.........................................................188 f) Schutz von Arbeitsplätzen.............................................................189 g) Technischer Fortschritt..................................................................190 h) Konglomerale Vorteile – Bevorzugung finanzindustrieller Gruppen?.......................................................................................191 i) Die Bedeutung der sog. positiven sozioökönomischen Effekte – Zusammenfassung und Vergleich mit den Regelungen der FKVO und des GWB ....................................................................193 4. Ermessen? Widersprüchliche Regelungen infolge doppelter Ermessensermächtigungen nach Art. 17/18 WG a.F.? Ein neuer Begriff der „Marktbeherrschungsverstärkung“?................................................195 IV. Die Bedeutung von Auflagen und Bedingungen – die fehlende Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle.................................................199 1. Freigaben unter Auflagen, Bedingungen oder Zusagen ........................199 a) Die gebräuchlichsten Auflagen und ihre Rechtsgrundlage – Überblick ......................................................................................199 b) Informationsauflagen ....................................................................200 c) Investitionsauflagen – problematische Rechtsgrundlage...............201 2. Strukturbezogene Auflagen als Unbekannte in der russischen Auflagenpraxis (die fehlende Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle) – der Vergleich zur deutschen und europäischen Fusionskontrolle....................................................................................203
Inhaltsverzeichnis
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a) Die europäische und deutsche Praxis............................................203 b) Zusammenfassende Stellungnahme ..............................................207 V. Bußgelder / Strafen.......................................................................................211 VI. Behörden und Verfahren...............................................................................212 1. Behördenaufbau....................................................................................212 2. Verfahren..............................................................................................214 a) Die Unterscheidung zwischen Anmelde- und Notifizierungsverfahren – Überblick ...................................................................214 b) Das Anmeldeverfahren – Verfahrensablauf, Fristen und besondere Untersagungsgründe ....................................................214 c) Das Notifizierungsverfahren – Verfahrensablauf und Fristen.......217 d) Einzureichende Dokumente – besondere Anforderungen für ausländische Erwerber (insbesondere bzgl. der Zahlungsfähigkeit).......................................................................................219 e) Informelle Verfahren ....................................................................220 (1) Die russische Praxis ..............................................................220 (2) Vergleich mit der europäischen Praxis und Erörterung.........221 f) Wiederherstellung von Wettbewerbsbedingungen bei Verstoß gegen das Anmelde- oder Notifizierungserfordernis oder bei Nichterfüllung von Auflagen ........................................................223 (1) Wiederherstellungsanordnung (im Gegensatz zum Modell der „Nichtigkeitslösung“) .....................................................223 (2) Klage der Wettbewerbsbehörde auf gerichtliche Unwirksamkeitserklärung des Zusammenschlusses..............225 (3) Fehlende Befugnis, bei Nichterfüllung von Auflagen oder aufgrund falscher Sachverhaltsdarstellung durch die Anmeldenden eine Freigabeentscheidung zurückzunehmen......226 (4) Praxis des Antimonopolministeriums – die Beispiele EMK, Kirovfarmia und SP AREMKO .................................227 g) Der Rechtsweg (Klagebefugnis der Anmeldenden/Notifzierenden gemäß Art. 28 WG und ein Vergleich mit den europäischen und deutschen Regelungen) ..........................................................229 VII. Das Verhältnis zu Monopolen ......................................................................237 1. Überblick ..............................................................................................237 2. Entflechtungen im Sinne von Art. 19 WG ............................................237 3. Entflechtung durch Privatisierung ........................................................238 4. Ausnahmebereiche................................................................................240 a) Natürliche Monopole ....................................................................240 b) Ausnahmebereiche aus Gründen der „Staatssicherheit“ ...............243 c) Finanzdienstleistungen..................................................................243 5. Mangel aktiver Einflussmöglichkeiten auf Dekonzentrationen mittels Entflechtungen ..........................................................................244 Vierter Teil Die Funktion der russischen Fusionskontrolle § 6 Funktionen und Wirkweise der Fusionskontrolle in Russland .......................246 I. Überblick ......................................................................................................246 II. Konzentrationsentwicklung ..........................................................................247
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Inhaltsverzeichnis
III. Das Zusammenschlussvorhaben Assidomein AB / OAO Segiežabumprom als „Beispiel“? – Begründete Xenophobie ? .................................................250 1. Das Zusammenschlussvorhaben Assidomein AB/OAO Segiežabumprom...................................................................................250 2. Xenophobie als Leitmotiv der russischen Zusammenschlusskontrolle? ..............................................................................................251 IV. Praktische Durchsetzungsschwierigkeiten des Systems der russischen Zusammenschlusskontrolle...........................................................................254 1. Schwierigkeiten der Sachverhaltsermittlung und Probleme der „Kontrolldichte“ – insbesondere in den Regionen ................................254 2. Politische Entscheidungen? – Über die Bedeutung einer unabhängigen Wettbewerbsbehörde...................................................................257 V. Gesellschaftliche Wahrnehmung – mangelnde Veröffentlichung – fehlende Transparenz ....................................................................................261 1. Gesellschaftliche Wahrnehmung...........................................................261 2. Mangelnde Veröffentlichung – mangelnde Transparenz ......................261 VI. Ergebnis ........................................................................................................263 § 7 Die russische Zusammenschlusskontrolle als eigenes wettbewerbspolitisches Konzept? ...........................................................................................264 Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation (Auszüge)....................................271
Literaturverzeichnis ...................................................................................................288
Stichwortverzeichnis...................................................................................................310
Abkürzungsverzeichnis a.A. ABl. Abs. a.E. a.F. AktG Antitr. Bull. Art. BB Bd. BKartA BMWi BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. CDE CMLR DB d. h. Die AG ECLR ed. EG EG-Vertrag EuG EuGH EuZW EWS f./ff. FAZ FIW FKVO Fn. FS GmbHG GWB Hrsg. i.S.d. JRO
anderer Ansicht Amtsblatt (EG) Absatz am Ende alte Fassung Aktiengesetz The antitrust bulletin Artikel Betriebs Berater Band Bundeskartellamt Bundesministerium für Wirtschaft Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Cahier du droit européen Common Market Law Review Der Betrieb das heißt Die Aktiengesellschaft European Competition Law Review edition Europäische Gemeinschaften Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Europäisches Gericht erster Instanz Europäischer Gerichtshof Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Forschungsinstitut für Wirtschaftsverfassung und Wettbewerb e.V. Köln Fusionskontrollverordnung Fußnote Festschrift GmbH-Gesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Herausgeber im Sinne des/der Jahrbuch für Ostrecht
14 JZ KG M&A m.w.N. n.F. NJW Nr. NZG ORDO RIW ROW Rs. russ. Rz. S. Slg. s.o./s.u. sog. str. TKG Tz. UAbs. vgl. VO VwVfG WTO WuW WuW/E BGH WuW/E BKartA WuW/E DE-V WuW/E EV WuW/E EU-V WuW/E OLG z. B. ZHR ZIP
Abkürzungsverzeichnis Juristenzeitung Kammergericht Mergers & Acquisitions mit weiteren Nachweisen neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft Recht der Internationalen Wirtschaft Recht in Ost und West Rechtssache russischer, -e, -es Randziffer(n) Seite Sammlung der Rechtsprechung des EuGH siehe oben/unten sogenannt(e) streitig Telekommunikationsgesetz Teilziffer Unterabsatz vergleiche Verordnung (EG) Verwaltungsverfahrensgesetz World Trade Organization Wirtschaft und Wettbewerb Entscheidungssammlung Wirtschaft und Wettbewerb, Bundesgerichtshof Entscheidungssammlung Wirtschaft und Wettbewerb, Bundeskartellamt Entscheidungssammlung Wirtschaft und Wettbewerb, Deutschland - Verwaltung Entscheidungssammlung Wirtschaft und Wettbewerb, Europäische Verwaltung Entscheidungssammlung Wirtschaft und Wettbewerb, Europäische Union - Verwaltung Entscheidungssammlung Wirtschaft und Wettbewerb, Oberlandesgerichte zum Beispiel Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
Erster Teil
Grundlagen § 1 Fragestellungen Ist die Fusionskontrolle ein notwendiges wettbewerbspolitisches Instrument, ist sie überflüssig oder gar kontraproduktiv? Die Diskussion über Sinn und Nutzen einer Fusionskontrolle für die Wettbewerbswahrung wird seit den 60er Jahren vehement geführt. Umgekehrt versuchen Gegner des Wettbewerbsgedankens, Fusionskontrollen für wettbewerbsfremde Ziele einzusetzen. Gleichwohl oder vielleicht auch gerade deshalb werden Fusionskontrollen inzwischen in allen größeren Marktwirtschaften durchgeführt. Dies gilt seit 1995 auch für Russland.1 Die Regelungen der russischen Fusionskontrolle wurden insbesondere von europäischen Beratern mitentwickelt. Entsprechend enthalten sie teilweise deutliche Ähnlichkeiten mit den Regelungen der europäischen Fusionskontrollverordnung bzw. des deutschen GWB. Die russische Anwendungspraxis unterscheidet sich allerdings – nicht völlig überraschend – von der europäischen und deutschen teilweise gravierend. Ziel dieser Abhandlung soll es sein, die wirtschaftswissenschaftliche und wirtschaftspolitische Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern des Konzeptes einer Fusionskontrolle darzustellen, Stellung zu beziehen und zu entwickeln, welche Aufgabe eine Fusionskontrolle erfüllen kann, erfüllen darf bzw. keinesfalls erfüllen soll. Die Vorteile, die Gefahren und die Anforderungen an eine Fusionskontrolle sollen anhand des europäischen Konzepts und der europäischen Anwendungspraxis dargestellt werden. Soweit die deutsche Fusionskontrolle Unterschiede zum europäischen Modell enthält, sollen auch diese erörtert werden. Im Anschluss daran sollen die russischen Regeln dargestellt, erörtert und mit den europäischen und deutschen Regelungen verglichen werden. Über eine bloße Synopse hinaus soll jedoch insbesondere das wettbewerbspolitische Konzept und die wettbewerbspolitische Realität innerhalb der russischen Föderation dargestellt und analysiert werden. Hierdurch soll ein deutschsprachiger Leserkreis über die russische Fusionskontrolle und das Ausmaß des in ihr zum Ausdruck kommenden Bekenntnisses zu Wettbewerb in-
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Die gesetzliche Grundlage hierfür existiert sogar bereits seit 1991. Vgl. hierzu unten § 2.
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1. Teil: Grundlagen
formiert werden. Ihm soll gezeigt werden, dass die Rolle, die Markt und Wettbewerb in Russland bereits innehaben, im Westen gerne unterschätzt wird. Darüber hinaus ist eine Kenntnis der formellen und materiellen Anforderungen der russischen Fusionskontrolle aber auch von Bedeutung, da ihnen nahezu jede ausländische Direktinvestition in Russland unterliegt. Neben einer Beschreibung dieser Anforderungen unterzieht die Arbeit sowohl die europäische als auch die russische Fusionskontrolle einer kritischen Analyse. Für die russische Zusammenschlusskontrolle werden Änderungsvorschläge de lege ferenda unterbreitet. Eine Hauptschwierigkeit der Arbeit besteht darin, die Fusionskontrollentscheidungen der russischen Wettbewerbsbehörden, die üblicherweise nicht veröffentlicht werden, nachzuvollziehen. Lediglich allgemeine Berichte existieren, die einige Hauptentscheidungen kurz zusammenfassen. Diese waren über lange Zeit interner Natur und wurden nur im Ausnahmefall an Dritte vergeben. Neuere Berichte werden inzwischen allerdings auch teilweise im Internet veröffentlicht. Dank eines längeren Aufenthaltes in Russland – insbesondere in der obersten Wettbewerbsbehörde, dem Antimonopolministerium in Moskau – erhielt der Autor auch Zugriff zu internen Berichten. Selbst diese Berichte enthalten jedoch im Wesentlichen nur Sachverhaltsdarstellungen und kurze Hinweise auf die Entscheidungen der jeweiligen Wettbewerbsbehörde. Rechtliche Würdigungen fehlen nahezu völlig. Ein nicht unbedeutender Teil der Arbeit wird sich deshalb darauf konzentrieren, auf die geschilderten Sachverhalte eigenständig die Regelungen der russischen Fusionskontrolle anzuwenden und zu erörtern, inwieweit die von den russischen Behörden getroffenen Entscheidungen von dem möglichen Sinn des Wortlauts des russischen Gesetzes gedeckt sein können. Um dies sachgerecht zu untersuchen, muss vorher die ökonomische Bedeutung der einzelnen Tatbestandsmerkmale, d.h. der Auf- und Eingreifkriterien, analysiert werden. Dies soll anhand der der Fusionskontrolle zugrundeliegenden ökonomischen Konzepte und mit Hilfe einer ausführlichen Darstellung und Erörterung der europäischen Fusionskontrolle erfolgen. Ausgangspunkt der Abhandlung wird deshalb – nach einer kurzen Schilderung russischer Rechtstatsachen im ersten Teil – die wettbewerbstheoretische Auseinandersetzung mit dem Instrument Fusionskontrolle als zweiter Teil der Arbeit sein. Im Rahmen dessen werden die volkswirtschaftlichen Vor- und Nachteile von Unternehmenszusammenschlüssen und höheren Unternehmenskonzentrationen geschildert. Daran anknüpfend, werden die von verschiedenen wettbewerbstheoretischen Schulen vertretenen Auffassungen über Sinn und Unsinn einer Fusionskontrolle erörtert.2 Dabei soll beantwortet werden, ob eine
__________ 2 Vgl. Schwintowski, Konzept funktionaler Interdependenz zwischen Ökonomie und Recht, S. 43: „Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Ökonomie und Recht die Aufgabe haben, Regeln
§ 1 Fragestellungen
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Fusionskontrolle eine – im untechnischen Sinne – verhältnismäßige, d.h. insbesondere erforderliche Einschränkung unternehmerischer Freiheit ist bzw. unter welchen Voraussetzungen dies der Fall ist. Der dritte Teil beinhaltet zunächst eine Erörterung der wesentlichen Begriffe der europäischen und der deutschen Fusionskontrolle. Maßstab werden die im ersten Teil eingeführten ökonomischen Begriffe und Zusammenhänge sein. Anhand ihrer sollen die Hauptregelungen der FKVO und des GWB, d.h. insbesondere die Begriffe des „Zusammenschlusses“ und der Marktbeherrschung, analysiert und bewertet werden. Der Aufbau soll sich dabei eng an die Fusionskontrollverordnung und das GWB anlehnen. Aufgrund der größeren ökonomischen Bedeutung soll der Schwerpunkt der Diskussion auf den europäischen Regelungen und deren Anwendung in der Entscheidungspraxis der Kommission liegen. Kürzer werden die Regelungen der deutschen Fusionskontrolle behandelt. Die Diskussion wird sich hier jeweils auf Unterschiede zu den europäischen Regelungen konzentrieren. Hieran anschließend, werden die russischen Regelungen und ihre Anwendungspraxis dargestellt, erörtert und mit den entsprechenden europäischen und deutschen Regelungen verglichen. Dies erfolgt auf Grundlage der leider teilweise nur rudimentären Darstellungen des Antimonopolministeriums, einiger Informationen, die durch persönliche Gespräche im Antimonopolministerium gesammelt werden konnten, sowie der Veröffentlichungen insbesondere russischer, aber auch einiger westlicher Rechts- und Wirtschaftswissenschaftler. Die einzelnen Eingreif- und Aufgreifkriterien werden konzeptionell analysiert und ihre Bedeutung in der Entscheidungspraxis russischer Wettbewerbsbehörden untersucht. Einen Schwerpunkt der Betrachtung wird auch die Bedeutung wettbewerbsfremder Kriterien einnehmen. Bei der Analyse der Gemeinsamkeiten, Unterschiede, Vor- und Nachteile des russischen Kontrollsystems gegenüber dem europäischen und deutschen wird sich zeigen, dass das russische System zumindest in einer Hinsicht auch sinnvolle Unterschiede gegenüber dem europäischen und deutschen System aufweist. In einem vierten Teil werden besondere, vor allem tatsächliche Schwierigkeiten des russischen Fusionskontrollsystems erörtert. Hierbei sollen abschließend Durchsetzungskraft und Bedeutung der russischen Fusionskontrolle sowie die Bedeutung von Marktmacht und das Verständnis von Wettbewerb, das sich in der russischen Föderation inzwischen entwickelt hat, untersucht werden. Dabei soll jedoch nicht außer Acht gelassen werden, welche Funktion eine Strukturkontrolle auf gerade erst liberalisierten Märkten, auf denen die Gefahr besteht, __________ und Gesetzmäßigkeiten für menschliches Verhalten zu schaffen… In diesem Sinne sind Ökonomie und Recht Entscheidungssysteme, die funktional interdependent sind.“
1. Teil: Grundlagen
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dass alte staatliche Monopole als privatwirtschaftliche Monopole oder Oligopole weiterbestehen,3 überhaupt nur haben kann.
§ 2 Die Fusionskontrolle in Russland – Rechtstatsachen I. Überblick Gesetzlich vorgesehen ist eine Fusionskontrolle in Russland seit 1991. Bereits vor dem Zerfall der UdSSR – am 31. Dezember 1991 – trat am 1. Mai 1991 in der damaligen RSFSR ein Wettbewerbsgesetz in Kraft,4 das auch Bestimmungen über eine Fusionskontrolle enthielt. Von der Begründung der Unabhängigkeit der Russischen Föderation unberührt, gilt das WG als russisches Bundesrecht weiter. Die Durchführung der Fusionskontrolle wurde der bereits 1990 gegründeten5 Wettbewerbsbehörde, dem früheren Antimonopolkomitee und heutigen Antimonopolministerium (Ministerium für Antimonopolpolitik und Unterstützung des Unternehmertums), übertragen. Tatsächlich umfassend durchgeführt werden Fusionskontrollen allerdings erst seit 1995. Ein Jahr zuvor hatte sich Russland im Rahmen der auf dem EU-Gipfel von Korfu zwischen der EU und der Russischen Föderation vereinbarten Partnerschaft zur Anwendung eines wirksamen Wettbewerbsgesetzes verpflichtet. Hierdurch sollten wettbewerbsbeeinträchtigende Maßnahmen, die Auswirkungen auf den Handel zwischen der Russischen Föderation und der EU haben könnten, vereitelt werden.6 Obgleich der Wortlaut dieses völkerrechtlichen Vertrages ausdrücklich die Verhinderung von Wettbewerbsbehinderungen nennt, die durch die Einmischung des Staates oder das Verhalten von Unternehmen verursacht werden könnten,7 geht das russische Antimonopolministeri-
__________ 3 Eine Parallele bilden in Westeuropa erst kürzlich liberalisierte Märkte wie die Energiemärkte. Vgl. zu der Bedeutung, die die Zusammenschlusskontrolle auf diesen Märkten hat, Drauz/Zeise, Europäische Energiepolitik, S. 62. 4 Gesetz der Russischen Föderation über Wettbewerb und Begrenzung monopolistischer Tätigkeit auf Gütermärkten, RSFSR Gesetz Nr. 948-1 vom 22. März 1991, veröffentlicht in der Sammlung der Gesetze der RSFSR 1991, FS Nr. 948-1, im Folgenden WG genannt. 5 Antimonopolkomitee, Tätigkeitsbericht für die Jahre 1992-1994, S. 4. 6 Art. 53 des 6. Abschnitts der Partnerschaft zwischen der EU und der Russischen Föderation, EU-Gipfel vom 24. Juni 1994, ratifiziert durch das Bundesgesetz der Russischen Föderation vom 18. Oktober 1996, FS-Nr. 135; ausdrücklich ist hier vom „Verhalten der Unternehmen“ und „Einmischen des Staates in den Markt“ die Rede. 7 Vgl. hierzu Korneev/Dabynova, Sravnitelnyj analiz rossijskogo antimonopolnogo zakonodateĐstva i konkurentnogo prava Evropejskogo Soobšþestva, ograniþivajušþego antikonkurentnye dejstvija gosudarstva, S. 46 ff. Zu den in der vorliegenden Arbeit gewählten Transliterationsregeln vgl. Fn. 1 des Literaturverzeichnisses.
§ 2 Fusionskontrolle in Russland – Rechtstatsachen
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um davon aus, dass sich hieraus auch eine völkerrechtliche Verpflichtung Russlands ergebe, eine Zusammenschlusskontrolle durchzuführen.8 Die erste Fassung des WG von 1991 erschien in vielfältiger Hinsicht novellierungsbedürftig.9 Deshalb bat die russische Regierung unter anderem die OEZD, das U.S. Department of Justice, die EU-Kommission, Vertreter des Bundeskartellamts, amerikanische Wissenschaftler und eine internationale Anwaltssozietät10 um Empfehlungen für eine geplante Gesetzesänderung. Auf dieser Grundlage wurde das WG 1995 umfassend novelliert. Dies betraf insbesondere auch die Regelungen der Fusionskontrolle. Unbestimmte Rechtsbegriffe wurden definiert, ökonomische Gegebenheiten wurden wesentlich besser berücksichtigt.11 Neben dem Wettbewerbsgesetz bzw. auf seiner Grundlage ergingen in den letzten Jahren zahlreiche Ausführungsverordnungen und Richtlinien. Ziel der Fusionskontrolle ist die Wahrung der Wettbewerbsfreiheit, d.h. nach dem Wortlaut des Gesetzes (Artikel 17 Abs. 1 WG) die Vorbeugung des Missbrauches marktbeherrschender Stellungen oder der Einschränkung des Wettbewerbes. Mit dieser Zielsetzung bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass eine Strukturkontrolle auch der Vorbeugung von Verhaltensgefahren dienen soll, bzw. dass eine Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle nicht eindeutig vorgenommen wird. In der vorliegenden Arbeit soll gezeigt werden, dass dies zumindest in gewissem Rahmen – entgegen dem Beispiel der deutschen Regelungen – auch sachgerecht erscheint. Zuständig für die Durchführung der Fusionskontrolle sind die Zentralbehörde, das ehemalige Antimonopolkomitee und jetzige Antimonopolministerium, oder eine ihrer territorialen Untergliederungen.12 Die Abgrenzung erfolgt bei Unternehmenszusammenschlüssen oder Anteilserwerb nach dem Betrag der
__________ 8 So die Abteilungsleiterin für internationale Zusammenarbeit im Antimonopolministerium, Yacheistova, in einem Gespräch mit dem Autor im September 1999; damit wird bereits die auch dieser Arbeit zugrunde liegende Auffassung zum Ausdruck gebracht, dass eine sachgerechte Verhinderung von Wettbewerbsbeeinträchtigungen auch notwendigerweise die Durchführung einer Zusammenschlusskontrolle umfasst. Dies entspricht der in § 4 I. 1. erwähnten Argumentation der Kommission in Continental Can, die vom EuGH gestützt wurde. 9 Vgl. hierzu allgemein Bardina, Competition and monopolies in the Russian Federation, S. 292. Hinsichtlich der Unzulänglichkeiten der Fusionskontrolle in der ersten Gesetzesfassung vgl. unten § 5. 10 Cleary Gottlieb Steen & Hamilton; federführend waren Mario Siragusa und Romano Subiotto. 11 So wurde in das Gesetz (Art. 4) z.B. eine Formulierung eingefügt, demzufolge die geographischen Grenzen eines Marktes für ein bestimmtes Gut auch enger sein können als die politischen Grenzen eines Föderationssubjektes, d.h. des Zuständigkeitsbereiches einer territorialen Wettbewerbsbehörde. 12 Entscheidung der erweiterten Sitzung des Kollegiums des Antimonopolministeriums vom 26. Februar 2002, im russischen Original abrufbar unter http://www.maprf.ru oder http://www.minamp.rbc.ru/vu/zakon/collegia_solutions/55/print.html
1. Teil: Grundlagen
20
Vermögenswerte der beteiligten Unternehmen und bei Interessenverbänden nach dem jeweiligen Wirkungskreis. Zwischen 1996 und 1998 wurden insgesamt 15.412 Zusammenschlüsse im Sinne des russischen Fusionskontrollbegriffes angemeldet oder angezeigt.13 In den folgenden Jahren stieg die Zahl der Anmeldungen und Notifizierungen sprunghaft an. So betrug sie im Jahre 1999 alleine 10.251, im Jahre 2000 bereits 15.974 und 20.992 im Jahre 2001.14 Detaillierte Angaben darüber, in wie vielen Fällen keine Genehmigung erteilt wurde, gibt es nicht. Der Tätigkeitsbericht für die Jahre 1995 und 1996 gibt allerdings an, dass durchschnittlich jede 15. Zusammenschlussanmeldung abgelehnt werde.15 Eine andere Veröffentlichung erwähnt ebenfalls, dass etwa 7% der eingereichten Anmeldungen und Notifizierungen Untersagungen oder Wiederherstellungsanordnungen zur Folge hätten.16 Dies sind im Vergleich zur Praxis der EU-Kommission und des Bundeskartellamtes relativ hohe Zahlen.17 Darüber hinaus erlässt das Antimonopolministerium zahlreiche Freigabeentscheidungen nur unter Auflagen oder Bedingungen. Sie sind besonders verbreitet bei Vorhaben, an denen ausländische Investoren beteiligt sind. Trotz – oder unter Umständen aufgrund – der hohen Anzahl an Untersagungen geht das Antimonopolministerium auch von einer hohen Anzahl an Fällen aus, in denen die jeweilige Anmelde- oder Notifizierungspflicht nicht eingehalten wird. So stellte das Ministerium zwischen 1996 und 1998 in 1873 Fällen fest, dass gegen die Anmelde- oder Notifizierungspflicht verstoßen wurde.18 Im Hinblick auf Verstöße gegen die Anmeldepflicht, d.h. die Durchführung von Unternehmenszusammenschlüssen ohne Einholung der erforderlichen vorherigen Genehmigung, ist diese hohe Zahl besonders prekär. Die Vorlage eines
__________ 13
Kostjuk, Struktura narušenij zakona RSFSR „O konkurencii“, S. 30 ff. Antimonopolministerium, Doklad o konkurentnoj politike v Rossijskoj Federacii 1999-2001, S. 34. Vgl. auch die Zahlenentwicklung der angemeldeten Zusammenschlüsse für Nižnij Gorod in Gudkov, Antimonopolnyj kontrol’ za êkonomiþeskoj koncentraciej i voprosy investicionnogo klimata, S. 40 f.: 1993 15 1997 120 1994 28 1998 131 1995 46 1999 199 1996 84 Erste Hälfte 2000 147 14
15
Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 41. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umen`šenie antikonkurentnoj integracii, S. 9. 17 Seit Inkrafttreten der FKVO im Jahre 1990 erließ die Kommission 2119 Fusionskontrollentscheidungen. In lediglich 18 Fällen (davon 5 im Jahre 2001) handelte es sich um Untersagungen. Das BKartA erließ seit Inkrafttreten der deutschen Fusionskontrolle im Jahre 1973 insgesamt 139 Untersagungen (Stand jeweils 1. Januar 2003). Vgl. Pape/Hossenfelder/Töllner, Kartellrechtspraxis und Kartellrechtsprechung 2002/03, Rz. 151 und 709. 18 Kostjuk, S. 30 ff. 16
§ 2 Fusionskontrolle in Russland – Rechtstatsachen
21
Freigabebescheides des Antimonopolministeriums ist hier eigentlich Voraussetzung für die – für die Unternehmensgründung bzw. den Zusammenschluss konstitutive – Registrierung durch die staatliche Registrierungskammer. Diese Regel scheint jedoch nicht immer eingehalten zu werden. Die russische Fusionskontrolle ist bei größeren Zusammenschlüssen präventiv, d.h. diese müssen vor ihrem Vollzug angemeldet und von der zuständigen Wettbewerbsbehörde genehmigt worden sein. Kleinere Zusammenschlüsse unterliegen nur dem nachträglichen Notifizierungsverfahren, das dem früheren deutschen Anzeigeverfahren vergleichbar ist. Bei der Gründung von (Gemeinschafts-)unternehmen19 ist dagegen ausschließlich das Notifizierungsverfahren vorgesehen. Neben der Berücksichtigung der wettbewerblichen Aufgreifkriterien, d.h. der Gefahr des Entstehens oder der Verstärkung marktbeherrschender Stellungen oder der Wettbewerbsbehinderung, kann die Wettbewerbsbehörde sog. sozioökonomische20, d.h. überwiegend nicht-wettbewerbliche Aspekte, berücksichtigen. Hierbei können nicht-wettbewerbliche Zielkonflikte berücksichtigt werden, deren Grundlage in Teil 2 erörtert wird. II. Die gesetzlichen Grundlagen 1. Das Wettbewerbsgesetz Grundlage der Fusionskontrolle ist das Wettbewerbsgesetz vom 22. März 1991, das neben kartellrechtlichen Regelungen auch solche des unlauteren Wettbewerbs enthält. Das Gesetz wurde seit seinem ursprünglichen Inkrafttreten siebenmal geändert.21 Insbesondere durch die Revision von 1995 wurden maßgebliche Veränderungen eingefügt, denen eine lebendige Diskussion und Beiträge westlicher Berater vorausgegangen waren.22 Auch alle Veröffentlichungen des Antimonopolministeriums über die Fusionskontrolle beziehen sich ebenfalls nur auf die Zeit ab 1995. Nochmalige entscheidende Veränderungen der Vorschriften über die Fusionskontrolle erfolgten durch die 7. Revision vom 9. Oktober 2002. Einige überflüssige Aufgreifkriterien wurden gestrichen; die
__________ 19 Nach Auffassung des Antimonopolministeriums bezieht sich die Notifizierungspflicht auch auf die Gründung alleiniger Tochtergesellschaften einer Muttergesellschaft. Diese Rechtsauslegung wird in dieser Arbeit abgelehnt. Vgl. hierzu unten § 5 III. 4. 20 Art. 17 Abs. 4 und Art. 18 Abs. 5 WG. 21 Bundesgesetz der Russischen Föderation Nr. 948 vom 22. März 1991 „O konkurencii i ograniþenii monopolistiþeskoj dejatel’nosti na tovarnych rynkach“ (Über den Wettbewerb und Beschränkungen monopolistischer Tätigkeit auf den Gütermärkten), geändert am 24. Juni 1992, 25. Mai 1995, 6. Mai 1998, 2. Januar 2000, 30. Dezember 2001, 21. März 2002 und 9. Oktober 2002. 22 Vgl. beispielsweise Kolomyþenko/Narrison, Nekotorye narušenija principov antimonopolnovo prava, S. 3-17.
1. Teil: Grundlagen
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finanziellen Schwellenwerte der Aufgreifkriterien wurden – wenngleich nicht ausreichend – erhöht. Um die Funktion der russischen Fusionskontrolle darzustellen, wird in dieser Abhandlung mehrfach auf die bis zur 7. Revision geltenden Vorschriften Bezug genommen. Sie werden jeweils als alte Fassung („a.F.“) bezeichnet. Soweit auf noch ältere Fassungen verwiesen wird, wird dies eigens vermerkt. Die Fusionskontrolle wird durch Art. 17 und 18 WG geregelt. Maßgebliche Gesetzesdefinitionen enthält Art. 4. Während Art. 17 den Kontrollerwerb durch die Verschmelzung und Übernahme von Unternehmen, die Gründung von (Gemeinschafts-)unternehmen und die Gründung von Interessenverbänden regelt, betrifft Art. 18 den Erwerb von Gesellschaftsanteilen, wesentlicher Betriebsmittel („Assets“) sowie sonstiger Rechte, die eine bestimmende Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik vermitteln. Art. 19 sieht die Entflechtung von intern gewachsenen marktbeherrschenden Unternehmen als mögliche Sanktion der Verhaltenskontrolle vor. Art. 28 WG regelt das Rechtsbehelfsverfahren. 2. Verordnung Nr. 276 des Antimonopolministeriums VO Nr. 276 des Antimonopolministeriums vom 13. August 199923 regelt das Verfahren der Anmeldung der gem. Art. 17 und 18 des Wettbewerbsgesetzes genehmigungsbedürftigen oder anzeigepflichtigen Sachverhalte. In Ergänzung zu Art. 4 WG werden wesentliche Begriffe definiert. Des Weiteren werden genaue Fristen festgelegt, innerhalb derer einerseits die Anmeldungen oder Anzeigen einzureichen sind und andererseits die Behörde zu entscheiden hat. Detailliert wird in der Verordnung und ihrem Anhang bestimmt, welche Angaben in einer Anmeldung bzw. Anzeige enthalten sein müssen. Diese Liste ist allerdings derartig umfangreich, dass es sinnvoll ist – und der Praxis der Zusammenschlussanmeldung entspricht – vorher mit der Wettbewerbsbehörde abzustimmen, welche Aspekte wirklich relevant sind. 3. Verordnung Nr. 800 des Antimonopolministeriums VO Nr. 800 des Antimonopolministeriums vom 5. Dezember 2002 regelt die Abgrenzung der Aufgabenbereiche zwischen der nationalen Wettbewerbsbehörde, dem Antimonopolministerium, und 71 regionalen Wettbewerbsbehörden. Die Abgrenzung bestimmt sich insbesondere nach der Bilanzhöhe der beteiligten Unternehmen bzw. bei Verbänden danach, in wie viel verschiedenen Regionen die Mitgliedsunternehmen ihren Sitz haben.24
__________ 23 24
Die VO wurde am 31. Oktober 2000 geändert. Vergleiche hierzu im Einzelnen unten § 5 VI. 1.
§ 2 Fusionskontrolle in Russland – Rechtstatsachen
23
4. Verordnung Nr. 169 des staatlichen Antimonopolkomitees VO Nr. 169 des staatlichen Antimonopolkomitees vom 20. Dezember 1996 (in der Fassung vom 11. März 1999) beinhaltet Grundsätze für die Bestimmung von Gütermärkten und Wettbewerbsstrukturen. Damit werden die Kriterien der materiellen Fusionskontrolle, d. h. die Eingreifkriterien, näher definiert. Merkmale der sachlichen und geografischen Marktabgrenzungen werden erklärt; das Konzept der Austauschbarkeit von Gütern wird vom Standpunkt des Käufers und des Produzenten erörtert. Ebenso wird das Konzept der Marktzutrittsschranken erläutert. Auch die Bestimmung eines Marktkonzentrationsindex, des Hirschmann-Herfindahl-Index (HHI) wird dargestellt. 5. Die Entscheidung der russischen Regierung Nr. 191 Die Entscheidung der russischen Regierung Nr. 191 vom 9. März 1994 über das staatliche Programm der Demonopolisierung der Wirtschaft und der Entwicklung von Wettbewerb auf den Märkten der russischen Föderation (Haupttrends und vorrangige Maßnahmen) mit Änderungen vom 4. September 1995 und 15. Mai 1998 stellt ein Programm zur Entwicklung für den Wettbewerb in der russischen Föderation dar. Das russische Antimonopolministerium betrachtet das Demonopolisierungsprogramm als wichtiges Element der Zusammenschlusskontrolle. De facto handelt es sich hier aber um ein Programm, das keine staatlichen Kontrollmaßnahmen, sondern aktives Markteingreifen durch die Wettbewerbsbehörden beinhaltet. Es bringt den in der russischen Gesetzgebung noch verbreiteten Gedanken zum Ausdruck, dass Wettbewerbsstrukturen durch aktives Eingreifen staatlicher Behörden in den Markt gefördert werden könnten. Als eine Maßnahme wird beispielsweise die Förderung des Imports austauschbarer Güter aus ausländischen Nachbarregionen bezeichnet.25 In der Praxis hat das Programm keine große Bedeutung. Wichtige Maßnahmen, die der Antimonopolisierung, d. h. der Änderung wettbewerblicher Strukturen, dienen sollen und auf dieses Programm tatsächlich gestützt worden wären, sind nicht bekannt. Das Programm wird deshalb im weiteren Verlauf dieser Arbeit nicht weiter erörtert. III. Ein Beispielfall: Das Zusammenschlussvorhaben Glaverbel/Borskij stekol’nyj Zavod Aufgrund der restriktiven Informationspolitik des Antimonopolministeriums können in dieser Arbeit nur einige Entscheidungen zitiert und erörtert werden. Soweit das Antimonopolministerium in seinen Veröffentlichungen Entschei-
__________ 25
Anlage 4 Nr. 1 zur Entscheidung 191 der russischen Regierung vom 9. März 1994.
24
1. Teil: Grundlagen
dungen überhaupt erwähnt, betont es besondere, nicht-wettbewerbspolitische Aspekte. Ein Beispiel bildet das Zusammenschlussvorhaben Glaverbel/Borskij stekol’nyj Zavod. Der belgische Hersteller für Glaswaren Glaverbel wollte 80% der stimmberechtigten Aktien der OAO Borskij stekol’nyj Zavod (Bezirk von Nižnij Gorod) erwerben. Das russische Unternehmen hatte bereits eine marktbeherrschende Stellung auf den Märkten für Glaswaren inne. Nach Auffassung des Antimonopolministeriums drohte eine Verstärkung dieser Marktbeherrschung. Borskij stekol’nyj Zavod war allerdings wirtschaftlich kaum noch überlebensfähig. Im Übrigen versuchten nach Angaben des Antimonopolministeriums nicht näher beschriebene „kriminelle Strukturen“, die Mehrzahl der Aktien an dem russischen Unternehmen zu erwerben.26 Dies hatte „die Tötung des Generaldirektor des Unternehmens zur Folge“.27 Das Antimonopolministerium stand „deshalb“ (die Logik wird in dem Bericht nicht weiter ausgeführt) dem Erwerb der Aktien durch ein etabliertes ausländisches Unternehmen nach eigenen Angaben sehr positiv gegenüber. Es nahm deshalb wesentliche positive sozioökonomische Folgen des Zusammenschlusses im Sinne von Art. 18 Abs. 4 WG28 an. Um deren Eintreten zu sichern, wurde Glaverbel verpflichtet, ein Investitionsprogramm für Borskij stekol’nyj Zavod zu entwickeln und auszuführen, das zugleich von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und der Weltbank gefördert wurde. Des Weiteren wurden einige Informationsauflagen erlassen. Glaverbel musste sich verpflichten, das Antimonopolministerium regelmäßig über seine Absatz- und Preispolitik zu informieren. Darüber hinaus musste sich Glaverbel verpflichten, im Falle eines geplanten Imports von Glaswaren (selbst oder durch ein verbundenes Unternehmen) das Antimonopolministerium einen Monat vorher in Kenntnis zu setzen. Hintergrund bildete die Furcht, dass Glaverbel das russische Unternehmen schließen und sich so einen Markt für seine nichtrussischen Glaswaren öffnen würde. Der dargestellte Fall zeigt einige Hauptaspekte des russischen Fusionskontrollrechts und seiner Anwendung, die im Verlauf dieser Abhandlung detaillierter dargestellt und diskutiert werden: (1) Auch das russische Fusionskontrollrecht geht von dem Konzept der Marktbeherrschung aus. (2) Trotz Verstärkung einer Marktbeherrschung kann ein Zusammenschlussvorhaben aus sog. sozioökonomischen Gründen freigegeben werden.
__________ 26 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 30. 27 Die Darstellung des Antimonopolministeriums enthält keine näheren Erklärungen der Umstände. 28 Vgl. zu diesen insbesondere industriepolitischen Freigabegründen unten § 5 III. 3.
§ 2 Fusionskontrolle in Russland – Rechtstatsachen
25
(3) Ein solcher wird wohl in der Sanierungsbedürftigkeit des Unternehmens gesehen; im Beispielsfall nicht genannt, in der russischen Fusionskontrollpraxis aber ebenso bedeutsam ist das Argument vermeintlicher internationaler Wettbewerbsfähigkeit als sozioökonomischer Freigabegrund. (4) Rechtlich schwer einzuordnende Aspekte – im Beispielsfall das völlig unsubstantiviert dargestellte Interesse „krimineller Strukturen“ an einem Unternehmenserwerb – können bei der Entscheidung des Antimonopolministeriums ebenfalls von Bedeutung sein. (5) Dem ausländischen Erwerber werden Investitionsauflagen auferlegt. (6) Das Antimonopolministerium sieht die Gefahr, dass ein ausländischer Gesellschafter ein russisches Unternehmen erwirbt, um es danach zu schließen und sich so einen Markt für seine eigenen – nicht in Russland produzierten – Waren zu öffnen. (7) Die veröffentlichten Aspekte des Falls sind recht rudimentär, das Verfahren bleibt intransparent.
Zweiter Teil
Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle § 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit der Fusionskontrolle I. Das Erfordernis einer Legitimation 1. Die Fragestellung Staatliche Kontrollen des Zusammenschlusses von Unternehmen werden mittlerweile in allen großen Marktwirtschaften durchgeführt. Dennoch ist das Konzept einer Fusionskontrolle als Mittel des Wettbewerbsschutzes1 in der wettbewerbstheoretischen Diskussion umstritten.2 So besteht eine bereits Jahrzehnte dauernde Diskussion zwischen Vertretern der Harvard- und der Chicago-Schule, ob eine Fusionskontrolle ein sinnvolles, d.h. adäquates Instrument des Wettbewerbsschutzes sei.
__________ 1
Theoretische Ausführungen über die Gründe, aus denen heraus Wettbewerb ökonomisch erstrebenswert und verfassungsrechtlich geboten ist, erscheinen entbehrlich. Hauptargumente sind ökonomisch das Prinzip des persönlichen Anreizes und juristisch das des verfassungsrechtlichen Prinzips der persönlichen Freiheit, d.h. der allgemeinen Handlungsfreiheit und der auf dieser basierenden Freiheitsrechte des Eigentums und des Berufs (in Deutschland die Artikel 2 Abs. 1, 12 und 14 GG). Vgl. hierzu auch Schwintowski, Wettbewerb als Grundbaustein freier Gesellschaften, S. 159 ff. In Russland garantiert Art. 8 der Verfassung einen freien Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital. Art. 34 Abs. 2 der Verfassung verbietet jegliche auf Monopolisierung gerichtete Tätigkeit. In Deutschland hat die überkommene Diskussion über die „wirtschaftspolitische Neutralität des Grundgesetzes“, die sich auf Verstaatlichungsmöglichkeiten auf Grundlage von Art. 15 GG stützte, keinerlei Relevanz mehr. Spätestens seit Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in einen europäischen Binnenmarkt und die durch Art. 23 GG vorgenommene Unterordnung des Grundgesetzes unter die marktwirtschaftlichen Prinzipien des EG-Vertrages kann von einer wirtschaftspolitischen Neutralität des Grundgesetzes keine Rede mehr sein. Allgemein zweifelnd bezüglich der wirtschaftspolitischen Neutralität auch Vollmer, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik der EG nach „Maastricht“, S. 25. 2 Ebenso verzichtet werden soll auf eine Darstellung der Diskussion darüber, ob Wettbewerb strukturell als Prozess oder als Resultat zu verstehen ist. Vgl. hierzu Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 47, m. w. N. Die unterschiedlichen Konzepte für einen Wettbewerbstest werden aber notwendigerweise Einfluss auf die Diskussion über das Konzept einer Fusionskontrolle haben. Wettbewerb soll als „Arbeitsgrundlage“ im Sinne v. Hayeks verstanden werden, d.h. als konstanter Prozess der Verfolgung und Meinungsbildung, auf dem Auswahl beruht, und damit als „Entdeckungsverfahren“. Vgl. v. Hayek, Der Sinn des Wettbewerbs, S. 139 f.; ders., The Constitution of Liberty, S. 37.
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
27
Die Harvard-Schule3 ist im Wesentlichen der Auffassung, dass eine staatliche Kontrolle externen Wachstums erforderlich sei, um aus der Struktur eines Marktes für den Wettbewerb folgende Gefahren zu verhindern. Diese Auffassung stützt sich auf die empirisch erhobene Tatsache, dass hohe Marktanteile mit höheren Unternehmensgewinnspannen4 einhergehen. Die Chicago-Schule5 lehnt demgegenüber die Durchführung von Fusionskontrollen ab bzw. fordert eine äußerst restriktive Anwendung.6 Ihrer Auffassung zufolge sind höhere Gewinnspannen marktstarker Unternehmen bloße Folge höherer Effizienz.7 Im Rahmen der Fusionskontrolle erfolgende Untersagungsverfügungen könnten deshalb Effizienzsteigerungen verhindern. Nicht die Struktur eines Marktes sei wettbewerbsbedrohend, sondern von möglichen Kollisionen, d.h. wettbewerbsbeeinträchtigenden Verhaltensweisen, gingen Gefahren für den Wettbewerb aus. Die Fusionskontrolle ist für die betroffenen Unternehmen eine Beeinträchtigung ihrer unternehmerische Entscheidungsfreiheit. Deshalb ist ihre Existenz rechtlich und ökonomisch nur zu rechtfertigen, wenn sie ein adäquates Instrument des Wettbewerbsschutzes ist. Rechtlich ist die unternehmerische (Entscheidungs-)freiheit in Deutschland durch die Berufs- und Eigentumsfreiheit nach Artikel 12 und 14 GG und in Russland durch Artikel 35 der russischen Verfassung geschützt. Würde die Fusionskontrolle keinem legitimen Zweck dienen, wäre sie ein rechtswidriger Eingriff in diese geschützten Bereiche. Auch aus ökonomischen Gründen sind Eingriffe des Staates in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit grundsätzlich zu vermeiden. Grundlage des Postulats der Freiheit des einzelnen Unternehmens ist die Erkenntnis, dass Wettbewerb den größten Wohlstand in Volkswirtschaften zu schaffen vermag8 und Wettbewerb der Wettstreit einzelner freier unternehmerischer Entschei-
__________ 3 Wichtige Vertreter sind Joe Bain, Carl Kaysen, Dennis Mueller, David Ross, Frederic Scherer und William Shepherd. 4 Gewinnspanne bezeichnet den Quotienten aus Gewinn und Umsatz, vgl. hierzu Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesminister für Wirtschaft, Wettbewerbspolitisches Gutachten vom 6.12.1986, S. 297. 5 Ihre Hauptvertreter sind William Baumol, Harald Demsetz, John Panzar, Richard Posner und Robert Willig. 6 Vgl. hierzu insbesondere Baumol/Panzar/Willig, Contestable Markets and the Theory of Industry Structure, S. 5 ff. 7 Teilweise wird der Zusammenhang zwischen Marktanteilen und Gewinnspannen von Vertretern der Chicago-Schule auch als zumindest nicht allgemeingültig betrachtet. Letztlich spiele der Zusammenhang aber keine Rolle, da Argumente für die Durchführung von Fusionskontrollen sich aus diesem Zusammenhang nicht ziehen ließen. Vgl. hierzu Demsetz, Economies as a guide to antitrust regulation, S. 375. 8 Vgl. z.B. Gellhorn, Antitrust Law and Economics, S. 3: „Through competition consumer wants will be satisfied at the lowest price with the sacrifice of the fewest resources.“
28
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
dungen ist. Dem entspricht das Menschenbild des eigenverantwortlichen, freien Bürgers.9 Staatliche Eingriffe in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit finden dennoch statt und sind in manchen Fällen sogar geboten. Ökonomisch kann die Wettbewerbsfreiheit selbst sogar Eingriffe erfordern. Dies kann um so mehr der Fall sein, je ungleicher die Wirtschaftssubjekte sind, die sich gegenüberstehen. Staatliche Eingriffe können somit dem Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen Freiheit und Gleichheit dienen. Zu Beginn einer Arbeit über eine Fusionskontrolle muss deshalb – von der jeweiligen Rechtsordnung unabhängig – die Frage nach der ökonomischen Legitimität und der aus ihr folgenden rechtlichen Legitimation einer Fusionskontrolle gestellt werden. Unter Bezugnahme auf die diesbezügliche wettbewerbstheoretische Diskussion ist zu untersuchen, ob eine Fusionskontrolle ein adäquates Instrument des Wettbewerbsschutz sein kann. Auch wenn sich ergibt, dass dies der Fall ist, können dennoch ökonomische Gefahren einer Fusionskontrolle erkennbar werden, die sowohl bei der Formulierung der gesetzlichen Grundlagen einer Fusionskontrolle – de lege ferenda – als auch bei ihrer Durchführung im Einzelfall beachtet werden müssen. 2. Überblick Nach dem Ansatz der „ökonomischen Analyse des Rechts“10 und der auf ihr aufbauenden „neuen Institutionenökonomik“11 soll deshalb im Folgenden untersucht werden, inwieweit die Beschränkung unternehmerischer Freiheit durch die Fusionskontrolle (ökonomisch) sinnvoll ist. Die (gesamt-)ökonomischen Vorteile der staatlichen Kontrolle und ggf. einer Untersagung von Unternehmenszusammenschlüssen werden ihren Nachteilen gegenübergestellt. Die Debatte zwischen Chicago und Harvard bezieht sich auf verschiedene Einzelgesichtspunkte, die im Folgenden als Argumente für oder gegen die generelle Durchführung von Fusionskontrollen angesprochen werden sollen. Dabei werden zunächst die von der Harvard-Schule betonten Ziele einer Fusionskontrolle dargestellt (unter II.). Im Anschluss daran werden (unter III.) Ziel-
__________ 9 Vgl. Popper, „Brief an meine russischen Leser“, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Vorwort zur siebten deutschen Auflage, S. XI f. 10 Obgleich dieser Begriff im deutschen Sprachgebrauch mittlerweile verbreitet ist, ist er eigentlich eine irreführende Übersetzung des von Richard Posner geprägten Ausdrucks „Economic Analysis of Law“, die nicht etwa – wie der deutsche Begriff nahe legen könnte – im marxistischen Sinne versucht, das existierende Recht als Ergebnis wirtschaftlicher Verhältnisse zu begründen, sondern vielmehr bei der Auslegung des Rechts unbestimmten Rechtsbegriffen durch ökonomische Inhalte und Wertungen Bedeutung zu verleihen. Vgl. zum deutschen Begriff „Ökonomische Analyse des Rechts“ Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 20. 11 Vgl. hierzu Schwintowski, Ökonomische Theorie des Rechts, S. 583 m.w.N.
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
29
konflikte angesprochen, d.h. Gefahren, die ihrerseits von einer – zumindest zu expansiv angewendeten – Fusionskontrolle ausgehen können. Es handelt sich hierbei um Aspekte, die teilweise von der Chicago-Schule, paradoxerweise aber auch von Anhängern einer Industriepolitik, betont werden. Der sehr weite Begriff der Industriepolitik12 soll hierbei als Politik des staatlichen Eingreifens in den Marktmechanismus durch Subventionen oder regulatorische Mittel für wettbewerbswidrige Zwecke verstanden werden. Solche Zwecke sind der sog. technische Fortschritt,13 die sog. internationale Wettbewerbsfähigkeit u.a.14 Trotz völlig unterschiedlicher ideologischer Ausgangspunkte der ChicagoSchule und der „Industriepolitiker“ verwenden beide teilweise ähnliche Argumente oder betonen ähnliche Zielkonflikte.15 Unter IV. wird eine Auseinandersetzung mit den Argumenten der ChicagoSchule erfolgen, die nicht den Charakter von Zielkonflikten haben. Diese Argumente richten sich vielmehr auf das allgemeine wettbewerbspolitische Bedürfnis nach Zusammenschlusskontrollen und die Frage ihrer möglichen Erfolge. Diese ökonomischen Argumente werden im Rahmen einer untechnischen Verhältnismäßigkeitsprüfung aufgegriffen, um darzulegen, ob eine Zusammenschlusskontrolle eine für den Wettbewerbsschutz geeignete und erforderliche Freiheitseinschränkung in einem marktwirtschaftlich geprägten, demokratischen Rechtsstaat sein kann.
__________ 12 Immenga, Wettbewerbspolitik contra Industriepolitik nach Maastricht, S. 14, bezeichnet den Begriff der Industriepolitik als „äußerst schillernd“: „Ökonomen verstehen hierunter ein breites Spektrum staatlicher Wirtschaftspolitik. Juristen haben keine Definition entwickelt“. Vgl. auch Opgenhoff, Die europäische Fusionskontrolle zwischen Wettbewerbsrecht und Industriepolitik, S. 53, m.w.N.: „Industriepolitik wird in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur sehr unterschiedlich definiert. Einigkeit scheint aber darüber zu bestehen, dass Staatspolitik mit Staatsinterventionen zur Beschleunigung neuer oder Konservierung alter Strukturen verbunden ist, und dass es Ziel industriepolitischer Konzepte ist, aktiv in den Prozess der Ressourcenallokation einzugreifen.“ Ebenso I. Schmidt, Europäische Industriepolitik – ein Widerspruch zur Wettbewerbsordnung?, S. 972. 13 Vgl. hierzu auch Immenga, S. 14. 14 Vgl. hierzu im Einzelnen unten III. 15 Zu den diesbezüglichen Gemeinsamkeiten von Chicago-Schule und Industriepolitik vgl. Halverson, EC merger Control: competition policy or industrial policy?, S. 82 ff. und Steindorff, Internal Market and Industrial Policy, S. 49 ff. Eine sehr bissige Darstellung der beiden die Fusionskontrolle aufgrund ideologisch völlig entgegengesetzter Konzepte ablehnenden Meinungen bietet Mueller, Clinton’s bridge to new robber barons, S. 1 ff. Gemein ist beiden Ansätzen danach eine bestimmte Verteilungspräferenz.
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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II. Konzept einer Fusionskontrolle – die Gründe ihrer Unentbehrlichkeit (Harvard) 1. Konzentrations- bzw. Strukturkontrolle – Konzentration und Unternehmensgröße als Determinanten für die Funktionsfähigkeit von Wettbewerb Das Konzept einer Fusionskontrolle geht davon aus, dass das Maß an Wettbewerb, das auf einem Markt besteht, auch von der Struktur eines Marktes abhängen kann.16 Die Struktur eines Marktes bezeichnet dabei die Zahl der Anbieter und das Verhältnis ihrer Marktanteile zueinander. Hohe Marktanteile eines oder einiger weniger Unternehmen, d.h. eine hohe Marktkonzentration17, verursachen danach aus zwei Gründen Gefahren für den Wettbewerb: Bei einer hohen Marktkonzentration fehlt innovationsfördernder Wettbewerbsdruck. Außerdem besteht auf quasimonopolistischen Märkten die Gefahr von Marktmachtmissbrauch bzw. auf quasioligopolistischen Märkten die Gefahr von Kartellen oder zumindest parallelen Verhaltensweisen.18 Um diese Gefahren möglichst frühzeitig zu bannen, ist nach diesem Konzept eine möglichst präventive Fusionskontrolle zur Wahrung des Wettbewerbs unentbehrlich. Dem entgegnet die Chicago-Schule im Wesentlichen, dass Unternehmenszusammenschlüsse auch wettbewerbsfördernde Folgen haben können. Diese gründen sich u.a. auf effizientere Produktionsverfahren aufgrund von Betriebsgrößenvorteilen der zusammengeschlossenen Unternehmen.19 Ob ein beabsichtigter Zusammenschluss wettbewerbsfördernde oder wettbewerbsbeeinträchti-
__________ 16
Bestimmte Unternehmensgrößen zu verhindern, ist dagegen nicht Ziel der Fusionskontrolle. Entscheidend sind vielmehr die Verhältnisse auf den einzelnen betroffen Märkten. Die von Zachmann, Le contrôle communautaire des concentrations, S. 158, Rz. 3.012, erwähnte Untersagung bestimmter Unternehmensgrößen als ein mögliches Motiv von Wettbewerbspolitik ist demgegenüber nicht zielführend. Notwendige Voraussetzung einer Untersagung müssen nachgewiesene Wettbewerbsgefahren sein. Zusammenschlüsse besonders großer Unternehmen bieten lediglich häufiger Anhaltspunkte, solche Wettbewerbsgefahren zu suchen. 17 Eine Unterscheidung zwischen hohen Marktanteilen von Unternehmen und einer hohen Marktkonzentration wird von einigen Autoren der Harvard-Schule vorgenommen. Ihnen zufolge bestehe ein Zusammenhang zwischen hohen Gewinnspannen und Marktanteilen aufgrund der Diversifizierungsfähigkeit marktstarker Unternehmen. Die Gesamtkonzentration eines Marktes spiele dagegen keine Rolle, vgl. hierzu insbesondere Scherer, Stand und Perspektiven der Industrieökonomik, S. 6 m.w.N. 18 Schultze, Marktzutrittsschranken in der Fusionskontrolle, S. 18, definiert eine „wettbewerbsgefährdende Marktstruktur“ als eine Struktur, die „die Wahl von mutmaßlich wettbewerbsbeschränkenden Marktverhalten besonders begünstigt“. I. Schmidt, Wettbewerbsrecht und Kartellrecht, S. 138, zufolge ist eine Fusionskontrolle unentbehrlich, weil eine zunehmende Konzentration des Angebots tendenziell die „Entwicklung der für eine kollektive Marktkontrolle entscheidenden Interessensymmetrie und Gruppenbewusstsein fördert“. 19 Im Einzelnen hierzu Abschnitt III.
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
31
gende Wirkungen habe, kann nach Auffassung der Chicago-Schule jedoch nicht ex ante (geschweige denn durch die in der Sache oft entscheidenden Juristen…20) beurteilt werden.21 Wesentlich sinnvoller sei es deshalb, die Wettbewerbswirkungen erfolgter Zusammenschlüsse im Wege der Verhaltenskontrolle (d.h. Missbrauchs- und Kartellaufsicht) zu untersuchen. Im Übrigen sei auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu vertrauen. Auf diese Kritik der Chicago-Schule wird später im Einzelnen einzugehen sein.22 Sie sollte jedoch bei der zunächst folgenden Schilderung und Diskussion der nach Ansicht der Harvard-Schule aus Unternehmenszusammenschlüssen folgenden Gefahren für den Wettbewerb nicht völlig aus dem Blickfeld geraten. Die von Unternehmenszusammenschlüssen ausgehenden Gefahren unterscheiden sich danach, ob es sich um horizontale, vertikale oder konglomerale Zusammenschlüsse handelt. Während bei horizontalen Zusammenschlüssen die entstehende Marktkonzentration und damit der fehlende Wettbewerbsdruck im Vordergrund steht, legen vertikale und konglomerale Zusammenschlüsse eher die Gefahr von Marktmachtmissbrauch bzw. die Abschreckungswirkung auf tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber nahe. Dies begründet, warum auch die Vertreter der Chicago-Schule eine Kontrolle horizontaler Unternehmenszusammenschlüssen bei sehr hohen Schwellenwerten als Aufgreifkriterien befürworten, während sie Kontrollen vertikaler und konglomeraler Zusammenschlüsse ablehnen.23
__________ 20 Vgl. z.B. die Zweifel des Ökonomen Kaufer an der Fähigkeit von Juristen, einer relevanten Markt abzugrenzen (Die Bestimmung von Marktmacht, S. 4): „Die Definition des relevanten Marktes steht am Ende eines sehr komplizierten Prozesses der Faktensammlung. Es werden oft viele zehntausend Seiten Fakten gesammelt, Hunderte von Zeugen verhört. Die Prozesse ziehen sich manchmal über Jahre hin. An seinem Ende besitzt der Richter eine ziemlich deutliche, im Einzelnen noch unbegründete, Gesamtvorstellung seines Urteils. Der relevante Markt wird dem Fall und dem Gesamturteil entsprechend zurechtgeschneidert.“ Selbst der ehemalige Präsident des Bundeskartellamtes Günther schreibt in einem Rückblick (Zehn Jahre Bundeskartellamt: Rückblick und Ausblick, in: Zehn Jahre Bundeskartellamt, Köln 1968, S. 34 f.): „… wie viele Wochen, ja unter Umständen Monate eine volkswirtschaftliche Marktanalyse nur für ein einziges Produkt in Anspruch nimmt, woran sich dann ebenfalls wieder wochen- und monatelang rechtliche Überlegungen, weitere Erhebungen und Verhandlungen mit anschließen…“. 21 Vgl. im Einzelnen hierzu Abschnitt IV. 22 Vgl. hierzu Abschnitt III. und IV. 23 Unter dem Einfluss der Chicago-Schule war dies auch der Maßstab der Antitrust-Politik der USA der 80er Jahre gemäß der Merger Guidelines von 1982 und 1984. Vgl. hierzu Monopolkommission, Hauptgutachten VI, S. 14, Rz. 25 und Möschel, Divergierende Entwicklungen im amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 604.
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
32
2. Fusionskontrolle als Strukturkontrolle alleine bei externem Unternehmenswachstum Marktkonzentration und Wachstum von Marktanteilen können sowohl extern, d.h. durch Unternehmenszusammenschlüsse, als auch unternehmensintern, d.h. durch eigenes Wachstum, verursacht sein. Das Konzept der Fusionskontrolle geht allerdings davon aus, dass nur externes Wachstum der Kontrolle bedarf.24 Kontrolle internen Wachstums wird dagegen weitgehend als nicht mit einer Marktwirtschaft vereinbar und auch technisch kaum durchführbar betrachtet.25 Sie würde eine nicht abgrenzbare und in ihren Auswirkungen nicht absehbare Vielzahl unternehmerischer Entscheidungen der behördlichen Prüfung unterstellen.26 Hieraus würde sich eine Lähmung unternehmerischer Initiative ergeben, die auf die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs in erheblichem Maße kontraproduktive Auswirkungen hätte. Kritiker der Fusionskontrolle sehen bzw. sahen hierin eine wettbewerbspolitische Inkonformität.27 Wenn – entgegen ihrer Auffassung – angenommen werde, dass Gefahren für den Wettbewerb aus reiner Marktkonzentration folgen könnten, dann müsste eine universelle Strukturkontrolle vorgenommen werden.28 In den 70er und frühen 80er Jahren ergaben verschiedene empirische Studien in den USA und in Deutschland, dass internes Wachstum wesentlich seltener als externes Wachstum das Entstehen von Marktmacht zur Folge hat. So haben Weston und Stigler empirisch erhoben, dass externes Wachstum rein quantitativ keine große Bedeutung für das Entstehen von Marktmacht besitzt.29 Dem Bericht des US-Justizministers über konglomerale Zusammenschlüsse aus dem Jahre 1979 zufolge waren in den 50er und 60er Jahren bis zu 73% der Konzentrationssteigerung beim Vermögensbesitz der 200 größten verarbeitenden Un-
__________ 24
Vgl. z.B. (den Verfechter einer Fusionskontrolle) Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 141: „Sehr viel geringer sind dagegen die Möglichkeiten, eine durch internes Unternehmenswachstum bewirkte Konzentration zu beeinflussen. Auch wenn die betreffenden Unternehmen den Größenbereich degressiver Kosten bei weitem überschritten haben, sollte das interne Wachstum weder behindert noch durch die Möglichkeit der Unternehmensteilung bedroht werden ... besteht sonst die Gefahr, dass die im Wesentlichen am Wachstumsziel orientierte Unternehmerinitiative beschränkt und damit die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs reduziert wird.“ 25 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rz. 710. 26 Vgl. hierzu auch Paschke, GWB, Vorbem. §§ 23-24c, Rz. 2. 27 Vgl. z.B. Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 31, 39. 28 Diese lehnt Hoppmann, S. 52 f., aber als dirigistisch und willkürlich ab, da aus der reinen Marktstruktur gar nichts gefolgert werden könne. 29 Zitiert nach I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 146.
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
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ternehmen unmittelbar auf Fusionen zurückzuführen.30 Auch die Monopolkommission führte in ihrem 4. Hauptgutachten aus, dass Marktkonzentration regelmäßig durch externes und nur in Ausnahmefällen durch internes Wachstum entstehe.31 Wenige Jahre erklärte sie in ihrem Sondergutachten zum Lebensmittelhandel allerdings, dass Konzentration in der Bundesrepublik auf diesem Markt sowohl durch internes als auch durch externes Wachstum zugenommen habe.32 Dennoch wird internes Wachstum weiterhin als für den Wettbewerb wesentlich ungefährlicher betrachtet als externes Wachstum. Die Selbststeuerungskräfte des Wettbewerbs sind gegenüber Strukturveränderungen durch internes Wachstum sehr viel wirksamer als gegenüber Veränderungen, die auf externem Wachstum beruhen.33 Internes Wachstum setzt voraus, dass sich ein Unternehmen im Wettbewerb durchgesetzt hat. Oft beruht internes Wachstum auch insbesondere auf einer geografischen Vergrößerung der Märkte. Diese schafft größere Absatzmöglichkeiten, aufgrund derer wiederum eine Suche nach der Ausnutzung von economies of scale sich lohnt.34 Darüber hinaus geht internes Wachstum aber regelmäßig nicht nur aus Wettbewerb hervor, sondern schafft auch neue Kapazitäten und löst damit einen Impuls zu verstärktem Wettbewerb aus. Bei externem Wachstum wird dagegen alleine die Verfügungsmacht über verbleibende Kapazitäten zusammengefasst. Es muss zunächst nur den Anforderungen der „Wirtschaftlichkeitsprüfung“35 genügen, die – zumindest kurzund mittelfristig – wesentlich geringer sind als die der Durchsetzung im Wettbewerb. Den aus internem Wachstum folgenden Wettbewerbsgefahren muss und kann deshalb nicht durch eine Strukturkontrolle begegnet werden. Eine Inkonsistenz des Konzepts der Fusionskontrolle ist hierin nicht zu sehen.
__________ 30
Vgl. Conglomerate Mergers, Small Business and the Scope of Existing Anti-Merger Statutes, Report of the Attorney General pursuant to Sect. 10 (c) of the Small Business Act as Amended, 1979, übersetzt in: WuW 30 (1980), S. 171 ff. 31 Monopolkommission, Hauptgutachten IV, Tz. 730 f. 32 Monopolkommission, Sondergutachten 14, Tz. 2018 ff. 33 Paschke, Vorbem. §§ 23-24c, Rz.2. Vgl. hierzu auch Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 402; ders., Die Beurteilung von Unternehmenszusammenschlüssen nach Artikel 86 des Vertrages über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, S. 322, 325, und eingehend: Willeke, Wettbewerbspolitik, S. 210-246. 34 Auf diesen Gesichtspunkt macht der Vorsitzende der Monopolkommission, v. Weizsäcker, sehr anschaulich aufmerksam (Weltweiter Wettbewerb und das Problem der Unternehmensgröße, S. 53 f.). Die Betonung dieses Zusammenhangs ist jedoch nicht als Plädoyer gegen eine Fusionskontrolle zur Ermöglichung von economies of scale zu verstehen, vgl. hierzu unten III. 1. 35 Vgl. Möschel, § 11 Rz. 710.
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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3. Gefahren für den Wettbewerb aus horizontalen Zusammenschlüssen Unter einem horizontalen Zusammenschluss wird der Zusammenschluss zwei auf demselben Markt miteinander konkurrierender Unternehmen bezeichnet. Ein solcher Zusammenschluss kann aufgrund verschiedener Effizienzsteigerungen des zusammengeschlossenen Unternehmens gegenüber den beiden vorher voneinander unabhängigen Unternehmen hervorrufen. Diese können insbesondere technischer Natur sein (economies of scale, d.h. Betriebsgrößenvorteile). Sie können darauf beruhen, dass ein größeres Unternehmen kostspieligere und damit möglicherweise effizientere Forschungstätigkeit entfalten kann. Die Effizienzsteigerungen können aber auch durch Synergieeffekte allgemeiner Natur (Lerneffekte des Managements, gemeinsame Werbung, größere Finanzkraft) verursacht sein. In einem solchen Fall unterscheiden sich horizontale Zusammenschlüsse allerdings nicht von den unten zu erörternden vertikalen oder konglomeralen Zusammenschlüssen.36 Alle Formen von Effizienzsteigerungen, die durch einen Zusammenschluss hervorgerufen werden können, werden als Zielkonflikte einer Fusionskontrolle näher zu diskutieren sein.37 Im Hinblick auf Wettbewerbsgefahren, die von einem horizontalen Zusammenschluss ausgehen, muss zunächst konstatiert werden, dass Wettbewerbsdruck sich alleine dadurch reduziert, dass auf einem Markt ein Anbieter weniger existiert. Signifikant kann dies insbesondere dann der Fall sein, wenn die Anzahl der verbleibenden Anbieter relativ niedrig ist bzw. der vom Markt verschwindende Anbieter einen relativ hohen Marktanteil hatte. Der ungenaue Ausdruck „relativ“ kennzeichnet dabei allerdings schon das Hauptproblem der Wettbewerbstheorie im Allgemeinen und der Fusionskontrolle im Besonderen: Auf welchen Märkten ab welcher Marktkonzentration der Wettbewerbsdruck tatsächlich beträchtlich abnimmt, konnte bislang nicht nur nicht hinreichend geklärt werden;38 es ist auch zu bezweifeln, ob zufrieden stellend genaue Aussagen diesbezüglich überhaupt möglich sind.39
__________ 36
Vgl unten 4. und 5. Vgl. unten III. 38 Vgl. hierzu Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 12 f. 39 Vgl. Mantzavinos, Wettbewerbstheorie – Eine kritische Auseinandersetzung, S. 108: „Die Frage, welche Marktstruktur eine optimale Wettbewerbsintensität hervorbringen kann, hat aus heutiger Sicht keine bestimmte Antwort ..., weil die Marktstrukturen so vielzählig und komplex sind, dass sie keine sicheren Aussagen über die Wettbewerbsintensität erlauben.“ Vgl. auch Krugman, Is Free Trade Passé?, S. 139: „Economists do not have reliable models of how oligopolists behave.“ 37
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
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Alle ökonometrischen Modelle erscheinen in ihren Annahmen zu ungenau, um exakte Angaben über den Einfluss der Marktkonzentration auf Wettbewerbsdruck und Wettbewerbsintensität zu machen.40 Eine Untersuchung z. B. darüber, wie schnell sich auf hochkonzentrierten inländischen Märkten tätige Unternehmen im Vergleich zu auf niedrigkonzentrierten inländischen Märkten tätige Unternehmen auf im Ausland verursachte plötzliche Preiserhöhungen von benötigten Rohstoffen einstellen können, hat nur eine beschränkte Aussagekraft. Mittels einer solchen Untersuchung versuchte die Monopolkommission festzustellen, ob auf hochkonzentrierten Märkten weniger Wettbewerbsintensität festzustellen ist als auf niedrigkonzentrierten Märkten. Die Wettbewerbsintensität sollte durch die Reaktionsgeschwindigkeit auf die Preisveränderungen zum Ausdruck gebracht werden. Die Studie resultierte in der Ermittlung etwa gleich hoher Reaktionsgeschwindigkeiten der beiden verglichenen Unternehmenszweige.41 Der Schwachpunkt der Studie lag allerdings darin, dass sie als Untersuchung über die Reaktionsgeschwindigkeit der Unternehmen auf veränderte Rohstoffpreise nichts über die Reaktionsgeschwindigkeit auf veränderte Nachfragepräferenzen der Abnehmer auszusagen vermag. Vermutlich deshalb zog die Monopolkommission aus dieser Studie auch keine weiteren Konsequenzen. Vielmehr sprach sie sich im selben Hauptgutachten, in dem die Untersuchung erwähnt wurde, explizit gegen die die Fusionskontrolle ablehnenden Thesen der Chicago-Schule aus.42 Erwiesen und letztlich bereits unmittelbar einleuchtend ist allerdings, dass die Wettbewerbsfolgen bestimmter Konzentrationsgrade bei verschiedenen Industriezweigen sehr unterschiedlich sind. Hierauf wird im Rahmen der economies of scale als Zielkonflikt einer Fusionskontrolle näher einzugehen sein. Soweit der Wettbewerbsdruck sinkt, entstehen allokative Ineffizienzen im Sinne der Wohlfahrtstheorie.43 Eine allokative Effizienz einer Volkswirtschaft liegt in einer Situation vor, in der eine marginale Veränderung der Produktion einen gesamtwirtschaftlichen Wohlfahrtsverlust zur Folge hat, d.h. wenn die Verluste einer Seite nicht in gleicher Weise durch Gewinne einer anderen Seite ausgeglichen werden. Der Verlust bzw. Gewinn wird dabei anhand der persön-
__________ 40 Die Monopolkommission, Hauptgutachten VI, Tz. 443, gibt dies auch zu, indem sie sich für eine Fusionskontrolle ausspricht, dabei aber konstatiert: „Zwar haben empirische Untersuchungen den marktergebnisverschlechternden Einfluss einzelner Marktstrukturelemente aufgezeigt, dennoch wird das Verhalten von Marktteilnehmern durch die Marktstruktur nicht im strengen Sinne determiniert. Die Fusionskontrolle kann deshalb bei der Beurteilung von Marktstrukturkonstellationen immer nur auf Wahrscheinlichkeitsaussagen zurückgreifen.“ 41 Zur Untersuchung und den gezogenen Schlussfolgerungen vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten VI, S. 12 f., Rz. 17 f. 42 Monopolkommission, Rz. 17 f. 43 Vgl. Bork, The Antitrust Paradox, S. 91.
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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lichen Präferenzenskala jedes einzelnen Wirtschaftssubjektes gemessen.44 Bestehen zwischen verschiedenen, auf demselben Markt tätigen Unternehmen Effizienzunterschiede (insbesondere in Form überhöhter Preise oder qualitativer Unterschiede),45 wird das schwächere Unternehmen seine gegenüber dem stärkeren Unternehmen bestehenden Schwächen anhand sinkender Umsatzoder Gewinnzahlen bemerken. Es wird versuchen, seine Schwächen bzw. individuellen Ineffizienzen zu lokalisieren und aufzuheben, um für seine Kunden attraktiver zu werden. Besteht jedoch kein funktionsfähiger Wettbewerb,46 kann das jeweils marktstarke Unternehmen seine Ineffizienzen, d.h. sein Abweichen von dem technisch möglichen Zustand, der den Nachfragepräferenzen seiner Kunden am besten entspricht, nicht erkennen und nicht entsprechend seine Produktionsweise ändern. Selbst wenn es das Abweichen von den Präferenzen der Kunden erkennen sollte, wird ein marktbeherrschendes Unternehmen seine Produktionsweise oder Absatzpolitik dann nicht verändern, wenn es weiß, dass dies mit Kosten verbunden wäre, die durch höhere Gewinne nicht kompensiert werden können, das Unternehmen aber auch bei Fortführung der bestehenden Politik mangels wichtiger Wettbewerber keinen signifikanten Kundenverlust befürchten muss. Je unabhängiger von anderen Marktteilnehmern ein Anbieter agieren kann, desto mehr wächst die Gefahr des Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung. Im Falle oligopolistischer Marktstrukturen, d.h. des Verbleibens weniger starker Anbieter auf einem Markt, steigt die Möglichkeit und die Neigung zu mutmaßlich wettbewerbsbeschränkendem Marktverhalten in Form von kollektivem Marktverhalten.47 Dies können Marktbeschränkungen in Form von Verständigungen wie Preisabsprachen, Marktaufteilungen oder dem Aufbau von Marktzutrittsbarrieren für Newcomer sein.48 Auch ohne konkrete ausdrückliche Absprachen wächst bei hoher absoluter Konzentration die Gefahr parallelen Marktverhaltens. Dies ergibt sich alleine daraus, dass das Verhalten der jeweiligen Konkurrenten dann eher überschaubar ist als bei einer großen Konkurrentenanzahl.
__________ 44
Vgl. Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 11. Die Effizienz eines einzelnen Unternehmens wird produktive Effizienz genannt – im Gegensatz zur allokativen Effizienz einer Volkswirtschaft, vgl. hierzu Bork, S. 91. 46 Vgl. dagegen zu dem Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs im Sinne von workable competition Schwintowski, Deutsches und europäisches Wettbewerbsrecht, S. 51 f. 47 Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 79. 48 Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, S. 370. 45
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4. Vertikale Zusammenschlüsse und die von ihnen ausgehenden Wettbewerbsgefährdungen Vertikale Zusammenschlüsse sind Zusammenschlüsse vormals selbständiger Wirtschaftssubjekte, die auf verschiedenen Wirtschaftsstufen tätig sind und in einer Käufer-Verkäufer-Beziehung zueinander stehen. Das Ziel derartiger Fusionen ist die Sicherung der Bezugs- und Absatzwege. Negative Auswirkungen auf den Wettbewerb können sich durch die Behinderung der nichtintegrierten Konkurrenten aufgrund des Markterschließungseffektes ergeben. So kann ein integriertes Unternehmen, das auf dem Rohstoffmarkt eine starke Stellung hat, auch den Markt für Endprodukte weitgehend kontrollieren, da die nichtintegrierten Konkurrenten in ihrer Rohstoffversorgung von ihm abhängig sind.49 Für potenzielle Newcomer ergeben sich beträchtliche Marktzutrittsschranken,50 wenn der Eintritt in einen Markt eine Abhängigkeit von einem potenziellen Wettbewerber auf dem vorgelagerten Markt mit sich bringt.51 Derartige Wettbewerbsgefahren aus vertikaler Integration können allerdings nur auftreten, wenn ein Unternehmen auf zumindest einem Markt tatsächlich eine beherrschende Stellung einnimmt. Wenn ein Unternehmen sogar alle oder nahezu alle Unternehmen einer gesamten Produktionsvorstufe erwirbt, ergibt sich ein „bottleneck“ und für die tatsächlichen und potenziellen Wettbewerber die Pflicht, eigene Unternehmensteile, die dieser Marktvorstufe entsprechen, zu entwickeln. Hiermit können erhebliche Kosten verbunden sein, die einen signifikanten Wettbewerbsnachteil bzw. eine signifikante Marktzutrittsschranke darstellen. Derartige Fälle sind der Problematik der Durchleitung bei sog. natürlichen Monopolen,52 d.h. insbesondere im Telekommunikations- und Energiebereich, vergleichbar. Auf diesen Märkten werden in Anlehnung an die sog. essential facility doctrine53 Wettbewerbsgefahren durch gesetzliche Durchleitungsverpflichtungen der Inhaber des „bottlenecks“, d.h. der Produktionsvorstufe, gegenüber ihren Konkurrenten vereitelt. Solche Durchleitungsverpflichtungen ergeben sich in Deutschland aus § 35 Abs. 1 TKG und § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB, sowie in Russland aus dem Gesetz über natürliche Monopole.54 Für einzelne natürliche Monopole sind solche Durchleitungsverpflichtungen mangels anderer Möglichkeiten, Wettbewerb zu gewährleisten, sachgerecht. Alle Wettbewerbsgefahren aus vertikaler Integration können durch Regulierungen im Sinne der facility doctrine dagegen kaum behoben werden. Die einzelnen Aspekte der Durchleitungspflichten und
__________ 49
Schmidt/Binder, Wettbewerbspolitik im internationalen Vergleich, S. 21. Vgl. hierzu auch unten IV. 3. Martin, Vertikale Konzentration als Gegenstand der Wettbewerbspolitik, S. 81 ff. 52 Vgl. zu diesem Begriff unten § 6 VI. 4. a). 53 Vgl. zu dem Begriff auch unten § 6 VI. 4. a). 54 Vgl. unten § 5 VII. 4. a). 50 51
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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mit ihr verbundener Fragen (insbesondere Umfang und Entgelte) erfordern umfangreiche Bestimmungen, die für alle vertikalen Integrationen einen kaum vorstellbaren Verwaltungsaufwand bedeuteten, der gleichzeitig eine Einmischung des Gesetzgebers und der Verwaltung in Marktgeschehnisse mit sich brächte, die kaum erwünscht sein können. Es ist deshalb wesentlich effizienter und bedeutet zugleich einen wesentlich geringeren Eingriff in Marktgeschehnisse, vertikale Integrationen von vornherein durch Zusammenschlusskontrollen zu vereiteln oder abzufedern. Vertreter der Chicago-Schule halten die Gefahren der vertikalen Integration für vernachlässigenswert. Jedem Unternehmen, das auf einem Markt tätig sei oder in ihn eintreten wolle, stehe es offen, Aktivitäten auf der vor- oder nachgelagerten Marktstufe zu entfalten. Wenn ein Wettbewerber im Gegensatz zu anderen eine solche Möglichkeit wahrnehme, zeige das nur, dass er kompetitiver sei. Die bloße Wahrnehmung einer solchen Chance wird also als eine Maßnahme zur Steigerung der produktiven Effizienz, nicht aber als wettbewerbsbeeinträchtigende Maßnahme betrachtet.55 Hierbei handelt es sich um einen Aspekt der auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertrauenden Argumentation der Chicago-Schule,56 die zumindest mit der Allgemeingültigkeit, die von ihren Vertretern in Anspruch genommen wird, nicht überzeugt. Bereits die Aussage, dass es allen Wettbewerbern möglich sei, auch auf einer vorgelagerten Marktstufe Tätigkeiten zu entfalten, gilt aufgrund unterschiedlicher Finanzkraft und der damit verbundenen Fähigkeit, finanzielle Risiken einzugehen, nur eingeschränkt. Aber selbst die Richtigkeit der These unterstellt, begründet eine ursprüngliche „Chancengleichheit“ nicht die Wettbewerbsverträglichkeit der Folge der Chancenwahrnehmung. Wenn ein Wettbewerber ein marktstarkes Unternehmen der Marktvorstufe erwirbt und sich damit einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Wettbewerbern verschafft, handelt es sich hierbei um ein innovatives (im untechnischen Sinne) und risikofreudiges Verhalten, das grundsätzlich nicht unterbunden werden darf. Ein staatlicher Eingriff ist aber dann geboten, wenn zu befürchten ist, dass der entstehende Vorteil so groß ist, dass das Unternehmen auf längere Zeit unabhängig von Wettbewerbern seine Geschäftspolitik völlig frei bestimmen kann. Dies ist der Fall, wenn die vertikale Integration eines Unternehmens die völlige Abhängigkeit der Wettbewerber von diesem einen Unternehmen mit sich bringt bzw. die Abschreckungswirkung auf potenzielle Wettbewerber so hoch ist, dass langfristig nicht mit einem Neueintritt in den Markt zu rechnen ist. Ob dies der Fall ist, wird abhängig sein von den Kosten, dem Aufwand und dem Risiko, die mit dem Aufbau eines eigenen auf der Marktvorstufe tätigen Unternehmensteils
__________ 55 56
So z. B. Demsetz, Economies as a guide to antitrust regulation, S. 382. Vgl. hierzu näher unten IV. 3.
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für Wettbewerber verbunden sind. Sind diese derartig hoch, dass mit einem Neuzutritt auf den Markt unabhängig von der Verhaltensweise des vertikal integrierten Unternehmens nicht zu rechnen ist, kann der Aufbau der vertikalen Integration nicht mehr als bloße Wettbewerbstaktik bezeichnet werden, die keine Monopolisierung darstelle.57 Vielmehr handelt es sich dann um die Entstehung einer Marktzutrittsschranke, die durch eine Fusionskontrolle zu verhindern ist. 5. Konglomerale Zusammenschlüsse Konglomerale Zusammenschlüsse sind Zusammenschlüsse auf verschiedenen Märkten tätiger Unternehmen. Unterschieden wird zwischen Markterweiterungs-, Marktverkettungs- und Marktdiversifikationszusammenschlüssen (reinen Konglomeraten). Als Markterweiterungszusammenschlüsse werden Zusammenschlüsse von Unternehmen bezeichnet, die auf räumlich oder sachlich benachbarten Märkten tätig sind, so dass sie mehr oder weniger hinreichend enge Substituten58 anbieten. Da durch sie der Wettbewerb(-sdruck) entfällt oder abnimmt, der auch vom Rande eines Marktes ausgehen kann, sind sie horizontalen Zusammenschlüssen verwandt. Dieser abnehmende Wettbewerbsdruck kann tatsächlicher Art sein. Er kann aber ebenso potenzieller Art (actual-potential entrant theory) sein. Auf benachbarten Märkten tätige Anbieter sind eher in der Lage, in einen Markt einzutreten als völlige Outsider. Durch einen Marktdiversifikationszusammenschluss kann deshalb insbesondere der Druck von Seiten potenzieller Wettbewerber abnehmen. Dieser ist jedoch für das Funktionieren des Wettbewerbs besonders wichtig auf Märkten, auf denen hohe Konzentration besteht. Marktverkettungszusammenschlüsse sind Zusammenschlüsse von Unternehmen, die auf unterschiedlichen Märkten tätig sind, jedoch dieselben Marktgegenseiten haben. Hierbei handelt es sich insbesondere um Unternehmen innerhalb einer Produktionskette, zwischen denen Unternehmen einer anderen, d.h. mittleren, Fertigungsstufe tätig sind. Diese Mittelunternehmen begegnen dem einen Partner des Marktverkettungszusammenschlusses als Lieferant und dem anderen als Abnehmer. Wenn in einer der beiden Marktbeziehungen ein Beteiligter des Marktverkettungszusammenschlusses eine marktbeherrschende Stellung einnimmt, kann diese durch den Zusammenschluss auf den anderen Markt übertragen werden. Diese Übertragung wird zwar oft durch per se wettbewerbswidrige Kopplungsgeschäfte bzw. -bedingungen erfolgen. Solche Kopplungsgeschäfte dürften jedoch nicht immer nachzuweisen und oft schwer
__________ 57 58
So aber Demsetz, S. 382. Möschel, Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 11, Rz. 711.
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2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
zu verfolgen sein. Insbesondere in Russland muss dies angenommen werden, da hier die Angst vor kriminellen Vergeltungsmaßnahmen viele Marktteilnehmer vor einer Eingabe bei den Wettbewerbsbehörden abhält.59 Sogenannte reine Marktdiversifizierungszusammenschlüsse sind alle anderen konglomeralen Zusammenschlüsse. Ihnen sind – ebenso wie den Markterweiterungs- und Marktverkettungszusammenschlüssen – Wettbewerbsgefahren immanent, die gerade auf der Tätigkeit auf verschiedenen Märkten, teilweise aber auch nur auf der Größe der entstehenden Unternehmen beruhen. Konglomerale Verbindungen erhöhen das Potential zu wettbewerbsbeschränkenden Strategien. Durch seine Größe und seine Tätigkeit auf verschiedenen Märkten kann das neu entstehende Unternehmen auf Märkten, auf denen es eine beherrschende Stellung einnimmt, seine jeweiligen Marktgegenseiten unter angedrohter Vertragsverweigerung zwingen, mit ihm, dem konglomeralen Unternehmen, auch Verträge auf anderen Märkten abzuschließen. Darüber hinaus können – ebenfalls für konglomerale Unternehmen typische – Wettbewerbsverzerrungen und Marktzutrittsschranken entstehen, wenn ein Großunternehmen ein mittelständisches Unternehmen eines Nachbarmarktes aufkauft, soweit letzterer mittelständisch strukturiert ist. Durch seine überlegene Finanzkraft kann das konglomerale Großunternehmen seinen auf dem mittelständisch strukturierten Markt tätigen Unternehmensteil solange subventionieren, bis es eine marktbeherrschende Stellung innehat (sog. crosssubsidizing).60 Ebenso kann es aufgrund größerer Risikodiversifizierung auf einem Markt riskantere Strategien oder Investitionen wählen als mittelständische Wettbewerber. Auf einem mittelständisch strukturierten Markt nimmt deshalb die abschreckende Wirkung auf potenzielle Newcomer zu, d.h. potenzieller Wettbewerb nimmt ab (entrenchment theory). Darüber hinaus wird teilweise argumentiert, dass konglomerale Zusammenschlüsse zunehmend zu einer Oligopolisierung von Märkten führten. Mehrproduktunternehmen kämen auf einer Vielzahl von Märkten miteinander in Kontakt, auf denen diese Unternehmen im Einzelnen völlig unterschiedliches Marktpotential aufweisen. Dadurch könne ein Bewusstsein gegenseitiger Abhängigkeit entstehen, demzufolge ein Konglomerat auf aggressivere Wettbewerbsmaßnahmen auf einem Markt verzichte, auf dem es eine starke Stellung hat, weil es Vergeltungsmaßnahmen auf einem Markt fürchte, auf dem ein anderes Konglomerat eine stärkere Stellung innehat.61 In Russland konnte in den 90er Jahren aus dieser Argumentation ein Postulat für die Entflechtung von
__________ 59 Verschiedene Mitarbeiter des Antimonopolministeriums wiesen hierauf in persönlichen Gesprächen hin. 60 Dies wird insbesondere in der Entscheidungspraxis des BKartA betont. 61 Möschel, § 11, Rz. 712.
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
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ehemals staatlichen und staatlich geschaffenen Konglomeraten abgeleitet werden.62 Für die Untersagung des Zusammenschlusses von Unternehmen ist dieses Argument dagegen nicht weiterführend. Die geschilderten Gefahren dürften im Einzelfall sehr schwierig nachzuweisen sein. Auf der bloßen Vermutung solcher abstrakten Gefahr lässt sich aber keine Untersagung stützen. Im Übrigen dürften auch in Russland – ebenso wie in westlichen Marktwirtschaften – Wohlfahrtsgewinne durch die Entflechtung großer konglomeraler Unternehmen aufgrund deren X-Ineffizienzen zu erzielen sein.63 Diese Gesichtspunkte sind allerdings nicht wettbewerblicher Art. Sie bleiben als Argumente für eine Fusionskontrolle deshalb ebenfalls außer Betracht. Zusammenfassend bleibt aber zu betonen, dass konglomerale Zusammenschlüsse ebenso wie horizontale und vertikale Zusammenschlüsse Wettbewerbsgefahren mit sich bringen können, die durch Fusionskontrollen vereitelt werden sollten. 6. Allgemeine „metaökonomische“ Gefahren Neben ökonomischen Gefahren, die von Fusionen ausgehen, werden auch metaökonomische64 oder gesellschaftspolitische Gefahren diskutiert. Diese sollen darin bestehen, dass zu wenige zu große Unternehmen möglicherweise einen gesellschaftspolitisch, d.h. letztlich demokratisch, unerwünschten Einfluss auf die Politik ausüben könnten.65 Diese metaökonomischen Gefährdungen sollten nicht unterschätzt werden.66 Sie vor dem Hintergrund kontinuierlich wachsender geografischer Märkte als Hauptgrund für Fusionskontrollen zu betrachten,67 erscheint allerdings nicht sehr überzeugend. Als Kriterien einer Fusionskontrolle sind sie schwer praktikabel. Die metaökonomische Gefahr zu großen Einflusses großer Unternehmen auf politische Entscheidungsträger lässt sich schwer quantifizieren. Deshalb scheidet sie als verlässliche Bezugsgröße in
__________ 62
Hierzu unten § 5 VII. 3. Vgl. zu dem Begriff unten III. 1. Unter X-Ineffizienzen werden auf aufwendiger Bürokratie und mangelnder Motivation der Beschäftigten beruhende Ineffizienzen verstanden. 64 Meta (griech.) = jenseits. 65 Vgl. hierzu Möschel, § 11 Rz. 715; US-Justizministerium, Conglomerate Mergers, S. 175 ff.; Lindblom, Politics and Markets, S. 344. Betont wird dieser Aspekt auch von Rittner, Wettbewerbsund Kartellrecht, S. 370. In der deutschen Rechtsprechung spielte der Aspekt eine Rolle in WuW/E BGH Z 1685, 1687 ff. (Springer-Elbe Wochenblatt). Auch der Präsident des Bundeskartellamts, Ulf Böge, betonte jedoch schon den Aspekt der aus Unternehmensgröße folgenden gesellschaftspolitischen Gefahren. Vgl. hierzu FAZ, 4. April 2000, über Äußerungen Böges in einer Anhörung vor der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum europäischen Kartellrecht und Übernahmerecht am 3. April 2000. 66 Anders wohl Möschel, Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rz. 715, der eine gewisse Ironie gegenüber solchen Erwägungen zum Ausdruck bringt. 67 So wird aber der Präsident des Bundeskartellamts Böge in FAZ, 4. April 2000, zitiert. 63
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2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
einer Fusionskontrolle aus. Ohne als Durchführungsmaßstab dienen zu können, bietet die metaökonomische Gefahr dennoch ein weiteres (Neben-)Argument für die Existenz von Fusionskontrollen. Dies gilt um so mehr, je intransparenter der Einfluss wirtschaftlicher Entscheidungsträger auf die Politik ist. In Russland ist dieser Einfluss als hoch und wenig transparent einzuschätzen. Das Demokratieprinzip kann deshalb in Russland die Einführung einer Fusionskontrolle nahe legen, solange nicht zu erwarten ist, dass der intransparente Einfluss großer Unternehmen auf die Politik auch den Ausgang von Fusionskontrollverfahren bestimmt. Im Rahmen zu starken Einflusses von Großunternehmen auf die Politik ist auch der Umstand zu nennen, dass Politiker eher geneigt sind, wettbewerbsschädliche industriepolitische Maßnahmen zur kurzfristigen Erhaltung großer maroder Unternehmen zu ergreifen als bei kleineren Unternehmen. Die Beihilfeaufsicht durch die EU-Kommission gebietet diesen Umständen in gewissem, wenngleich geringem Maße Einhalt. In Russland existiert ein Aufsichtsregelwerk gemäß Artikel 7 WG. Danach kann jede wettbewerbserhebliche Maßnahme einer öffentlichen Körperschaft durch die Kartellbehörden überprüft und untersagt werden. Die Tätigkeit der regionalen Wettbewerbsbehörden besteht hauptsächlich aus derartigen Kontrollen. Zwischen 1994 und 1998 untersuchten die russischen Wettbewerbsbehörden mehr als 6000 solcher Sachverhalte. In etwa 4000 Fällen stellten sie gemäß Artikel 7 WG untersagte wettbewerbsverzerrende Maßnahmen staatlicher Organe fest und leiteten Schritte zu deren Aufhebung ein.68 III. Vorteile einer höheren Unternehmenskonzentration – Zielkonflikte zur Bekämpfung von Marktkonzentration 1. Economies of Scale (Betriebsgrößenvorteile) Als operativer Vorteil vor allem horizontaler Zusammenschlüsse gelten economies of scale, d.h. betriebsgrößenbedingte Ersparnismöglichkeiten aufgrund steigender Skalenerträge einer Produktion. Steigende Skalenerträge bezeichnen sinkende durchschnittliche Kosten bei einer Ausdehnung der Produktion. Die meisten Produktionsbedingungen sind durch steigende Skalenerträge bis zu einer sog. mindestoptimalen Betriebsgröße (die MOS, d.h. minimum optimal
__________ 68 Diese Zahlen ergeben sich aus dem Bericht des damaligen Antimonopolkomitees über die Entwicklung von Wettbewerb auf den Gütermärkten der russischen Föderation, (Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 26) und dem Bericht von Kostjuk, Abteilungsleiter im Antimonopolministerium, über die Struktur der Verstöße gegen das Wettbewerbsgesetz der Russischen Föderation in Jahren 1997 und 1998, Struktura narušenij zakona RSFSR „O konkurencii“, S. 29 ff.
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scale) gekennzeichnet. Bei dieser werden die Betriebsgrößenvorteile voll ausgeschöpft. Die Gründe für economies of scale liegen in den Vorteilen der Arbeitsteilung (u.a. managerial economies) sowie in produktionsmengenunabhängigen Fixkosten. Fixkosten sind ausbringungsunabhängige Anfangskosten für Bauten und Anlagen69 oder regelmäßig anfallende Kosten idiosynkratischer Investitionsgüter70 mit hohen Kapazitäten, d.h. Investitionsgüter, die für eine kleine Produktion in gleicher Anzahl und Regelmäßigkeit angeschafft werden müssen wie für eine große Produktion und die sinnvoll nicht anderweitig genutzt werden können. Economies of scale werden ebenfalls durch Kosten verursacht, die bei steigender Ausbringung nur unterproportional ansteigen. Hierbei handelt es sich z. B. um Kosten für Rohrleitungen oder große Behälter in der chemischen oder der Zementindustrie sowie bei Pipelinesystemen.71 Unterproportional steigen oft auch Lagerkosten.72 Die mindestoptimale Betriebsgröße wird trotz Fixkosten bei einer bestimmten Produktionsmenge erreicht, weil den economies of scale ab einer bestimmten Betriebsgröße sog. X-Ineffizienzen73 entgegenwirken. Hierbei handelt es sich um ab einer bestimmten Betriebsgröße überdurchschnittlich ansteigende Produktionskosten, die hervorgerufen werden durch Effizienzverluste bei großen Verwaltungsapparaten. Sie sind die Folge mangelnder Kontrollierbarkeit einzelner interner Unternehmensabläufe und mangelnder Motivation des Managements und der Mitarbeiter in bürokratisierten Unternehmen. Ist die optimale Mindestgröße auf einem Markt sehr groß, kann es zu Zielkonflikten zwischen der Aufrechterhaltung wirksamen Wettbewerbs durch eine größere Zahl von Unternehmen und einer Realisierung von Kostenersparnissen kommen. Eine effiziente Produktionsstruktur verlangt dann die Konzentration des Angebots auf wenige, kostengünstiger produzierende Unternehmen. Horizontale Zusammenschlüsse sind in diesen Fällen ein Instrument, effiziente Betriebsgrößen zu realisieren. Bis zu welcher Betriebsgröße tatsächlich Betriebsgrößenvorteile eintreten können, hängt allerdings sehr von der einzelnen Industrie und ihrem Entwick-
__________ 69
Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 30. Idiosynkratisch sind Investitionsgüter, deren Wert bei einer Nutzung in der nächstbesten Verwendungsalternative weit unter den Anschaffungs-/Herstellungskosten bzw. dem aktuellen Buchwert in der geplanten Verwendung liegt – vgl. hierzu Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 22. 71 Pipelinesysteme spielen für die russische Volkswirtschaft aufgrund der relativ hohen Ertragskraft der Öl- und Gasindustrie eine große Rolle. Ein wichtiger Pipelinehersteller ist Rosneftegasstroi, der eine marktbeherrschende Stellung auf dem Pipelinemarkt in Russland besitzt. 72 Kallfass, S. 30 f. 73 Der Begriff wird in Anlehnung an den von Leibenstein geprägten Begriff der X-efficiencies verwendet. Vgl. Leibenstein, Allocative efficiency vs. „x-efficiency“, S. 392 ff. 70
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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lungsstand ab. Im Einzelfall kann die Quantifizierbarkeit problematisch sein.74 Insgesamt erscheint es allerdings sehr fraglich, ob bei großen Unternehmenszusammenschlüssen – nur um solche geht es letztlich bei der Fusionskontrolle zumindest in den entwickelten Marktwirtschaften75 – die beteiligten Unternehmen nicht bereits ihre kritische Größe erreicht haben. Trotz der langsamen Vergrößerung der Märkte bleiben gerade viele kleinere und mittlere Unternehmen besonders vital. Sie überleben, weil sie mittels Spezialisierung durch Produktdifferenzierung „Nischen“ besetzen können. Auch die Möglichkeit der erfolgreichen geografischen Spezialisierung bleibt bestehen.76 Je dynamischer ein Markt ist, desto mehr Chancen bestehen für kleine Unternehmen.77 Nahe liegt auch die Annahme, dass economies of scale von Unternehmen tatsächlich nur dann genutzt werden, wenn sie unter äußerem Wettbewerbsdruck stehen. Verschiedene empirische Studien haben ergeben, dass bei den meisten großen Unternehmenszusammenschlüssen Betriebsgrößenvorteilen nur eine relativ geringe, X-Inefficiencies dagegen eine wichtigere Bedeutung zukommt. Kaufer beruft sich z. B. auf verschiedene deutsche und amerikanische empirische Studien der 50er, 60er und 70er Jahre, denen zufolge fusionsaktive Unternehmen seltener fusionierenden Unternehmen an Wachstum und Betriebsgewinnen signifikant unterlegen seien.78 Auch die Aktienkurse fusionierter Unternehmen entwickelten sich tendenziell schlechter als der Industriedurchschnitt. Wirtschaftliche Erfolge würden eher durch konglomerale als durch horizontale Fusionen hervorgerufen.79 Letztere These erscheint allerdings auf-
__________ 74
Hieraus kann jedoch nicht gefolgert werden, dass das Argument der Betriebsgrößenvorteile als Gegenargument einer Fusionskontrolle keine Relevanz haben kann. So aber Möschel, Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 11, Rz. 721 unter Verweis auf die schwer prognostizierbare Nachfrage der Marktgegenseite. Jedes einen Zusammenschluss beabsichtigende Unternehmen wird zumindest gewisse Vorstellungen über die erwartete Nachfrage und mögliche zusammenschlussbedingte Einsparmöglichkeiten haben. Diese müssten im Rahmen einer Fusionskontrolle zumindest auf Plausibilität überprüft werden können. 75 In der russischen Fusionskontrolle ist dies allerdings aufgrund der niedrigen Schwellenwerte nicht der Fall. Vgl. hierzu unten § 5 II. 2. 76 Vgl. hierzu v. Weizsäcker, Weltweiter Wettbewerb und das Problem der Unternehmensgröße, S. 58 f. 77 Vgl. v. Weizsäcker, S. 58 f.: „Früher gab es viele Tante Emma-Läden, weil Menschen nicht so mobil waren. Heute existieren mehr große Warenhäuser. Klein sind dagegen viele Unternehmen der Softwarebranche. Die Anzahl der kleinen Unternehmen hat dabei – entgegen den Annahmen von Marx oder Schumpeter – nicht abgenommen. Schumpeter ging davon aus, dass der Fortschritt durch Großunternehmen erfolge.“ 78 Kaufer, Konzentration und Fusionskontrolle, S. 60 f. 79 Allgemein hierzu: Kaufer, Konzentration und Fusionskontrolle, S. 45 ff., vgl. auch ders., Industrieökonomik, S. 58-130, 479 ff.; Scherer, Industrial Market Structure and Economic Performance, S. 138 ff.
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grund der in den 90er Jahren spürbaren Konzentrierung auf das Kerngeschäft nicht mehr haltbar.80 Zunächst bleibt festzuhalten, dass signifikante Wohlfahrtsverluste aufgrund nicht realisierter Synergieeffekte durch die Fusionskontrollpraxis nicht drohen. Zumindest ist davon auszugehen, dass die Unternehmen, die Gegenstand großer Fusionskontrollverfahren sind, ihre kritische Größe zur Nutzung von economies of scale tatsächlich bereits regelmäßig erreicht haben und ihnen eher die Gefahr von X-Inefficiencies droht. Hieraus ist deshalb zu schließen, dass economies of scale zumindest im Regelfall kein Argument gegen die Durchführung von Fusionskontrollverfahren sind. Nur im Einzelfall kann und sollte im Rahmen der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung überprüft werden, ob economies of scale einer Untersagungsverfügung ausnahmsweise entgegenstehen können. In Russland könnte der Anwendungsbereich dieser Ausnahmeerwägung allerdings etwas größer sein, da aufgrund der niedrigen finanziellen Aufgreifkriterien der Fusionskontrolle auch kleinere Unternehmen unterliegen, die ihre kritische Größe bislang noch nicht erreicht haben. Darüber hinaus bietet die Gefahr von X-Ineffizienzen sogar ein Argument für die Durchführung von Fusionskontrollen. Gerade weil Unternehmensgröße und Marktmacht zum Auftreten von X-Ineffizienzen führen, müssen monopolistische Strukturen vermieden werden. Zumindest in den Fällen, in denen Marktzutrittsschranken hoch sind und auf rasche Selbstheilungskräfte des Marktes deshalb nicht vertraut werden darf, besteht staatlicher Handlungsbedarf in Form der Fusionskontrolle. Aus diesem Argument jedoch weitergehend zu folgern, dass Kartellbehörden in ihrer Fusionskontrolle auch das Vorhandensein von X-Ineffizienzen überprüfen sollten, wäre verfehlt. Hierbei würde es sich um eine zu weitgehende Einmischung von Behörden in interne Unternehmensabläufe handeln. Es ist auch zu bezweifeln, ob Behörden in der Lage wären, X-Ineffizienzen tatsächlich zu entdecken.81
__________ 80
Vgl. hierzu unten 3. Dennoch wurden in der Entscheidungspraxis der Europäischen Fusionskontrolle bereits Zusammenschlussvorhaben aufgrund vermuteter X-Ineffizienzen freigegeben. Vgl. hierzu Jenny, EEC Merger Control: Economies as an antitrust defense or as an antitrust attack, S. 596 f. unter Verweis auf AT&T/NCR (Sache IV/M.050). Dieser Prüfungsansatz kann allerdings nicht überzeugen. In den einzelnen Fallentscheidungen müssen vielmehr die Positionen der einzelnen Marktteilnehmer sowie Marktzutrittsschranken ausschlaggebend für die Annahme von Marktbeherrschung sein. Ein aufgrund von X-Ineffizienzen teurer und schlechter Anbieter, dem kein wesentlicher Wettbewerb gegenübersteht, ist bei hohen Marktzutrittsschranken wettbewerblich besonders „gefährlich“. Vgl. hierzu im Weiteren unten IV. 3. 81
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2. Transaktionskosten- und Verbundvorteile Transaktionskostenvorteile entstehen bei vertikalen Fusionen. Auch sie könnten gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsgewinne zur Folge haben, die durch eine Fusionskontrolle nicht vereitelt werden sollten.82 Die Vorteile vertikaler Integration beruhen auf einer hohen Flexibilität in der Anpassung der Produktionsstufen zueinander und der Realisierung schneller und zuverlässiger Informationsprozesse mit geringen Informationskosten. Zwischen verbundenen Unternehmensteilen können Pläne durch Anpassung der Erwartungen unter Umständen besser abgestimmt werden als zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen. Dies ist zumindest auf unterentwickelten Märkten der Fall. Die Vorteile vertikaler Integration treten besonders auf, wenn der Austausch zwischen den Stufen selten stattfindet und die Qualität des gehandelten Gutes, die Zuverlässigkeit der Lieferung oder die Austauschbedingungen unsicher sind. Vertikale Verbindungen haben einen geringeren Bedarf an Kontrollen und Schutzvorkehrungen vor opportunistischem Verhalten zur Folge. Wenn in einer der aufeinanderfolgenden Produktionsstufen in hohem Umfang idiosynkratische Investitionsgüter eingesetzt werden müssen, um niedrige Produktionskosten zu erreichen, bieten vertikale Zusammenschlüsse die Vorteile sicherer Nachfrage oder sicheren Absatzes auf der vor- oder nachgelagerten Stufe. Dieses Ergebnis kann auch durch langfristige Verträge erreicht werden. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn das Vertrauen in die Vertragserfüllung und eine funktionierende Rechtspflege nur eingeschränkt bestehen. Gerade diese Umstände sind jedoch in Russland erfüllt. Viele Märkte sind unterentwickelt. Der Informationsaustausch zwischen verschiedenen Unternehmen funktioniert schlechter als in entwickelteren Marktwirtschaften. Infrastrukturen und Verkehrsnetzen sind weniger entwickelt; die gehandelten Gesamtmengen sind niedriger. Das Vertrauen in Vertragserfüllung, zuverlässige Qualität der Leistung und eine funktionierende Rechtspflege sind deutlich schwächer ausgeprägt als in entwickelteren Marktwirtschaften, in denen Transaktionskosten- und Verbundvorteile deshalb eine unwichtigere Rolle spielen. In ihnen haben entwickelte Technik und Märkte umgekehrt häufig kostengünstigere Möglichkeiten der Auslagerung83 zur Folge.84 Zudem begründen hier vertikale Integrationen häufig nichtrealisierte economies of scale. Diese sind auf
__________ 82 Auf dieser Ratio beruht auch die EU-SchirmgruppenfreistellungVO (GVO Nr. 2790/1999, ABl. 1999 L 336/21), durch die bestimmte vertikale Vereinbarungen zwischen nicht miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen vom Kartellverbot des Art. 81 Abs. 1 EG-Vertrag freigestellt werden. 83 Inzwischen dürfte der Begriff des „Outsourcens“ gebräuchlicher sein. 84 Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 36.
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allen integrierten Produktionsstufen nur zu realisieren, wenn die Unternehmung über eine Kapazität und Absatzmöglichkeit in Höhe des kleinsten gemeinsamen Vielfachen der optimalen Absatzgrößen verfügt.85 Selbst wenn dies der Fall ist, können sich bei einer solchen Unternehmensgröße beträchtliche X-Ineffizienzen ergeben, die Verbundvorteilen entgegenwirken würden. In Russland dagegen dürfen Vorteile aus vertikaler Integration aufgrund der häufigen Unzuverlässigkeit von Lieferungen oder ihrer Qualität nicht unterschätzt werden. Auf sie muss in der einzelnen Kontrolle vertikaler Zusammenschlüsse deshalb besonders Rücksicht genommen werden.86 3. Konglomerale Vorteile (economies of scope) Konglomerale Vorteile, sog. economies of scope,87 liegen vor, wenn zwei oder mehr heterogene Güter desselben Marktes oder verschiedener Märkte innerhalb eines Unternehmens kostengünstiger produziert werden können als in zwei voneinander unabhängigen Unternehmen. Der Grund hierfür liegt meistens darin, dass die für eine absetzbare Menge homogener Güter benötigten Produktionsmittel nicht voll genutzt werden können. So können beispielsweise economies of scale in einer homogenen Produktion nicht voll ausgeschöpft werden, wenn keine ausreichende Anzahl anderer für die homogene Produktion benötigter Produktionsmittel zur Verfügung steht oder die örtlich beschränkte Nachfrage nicht ausreicht.88 Eine solche Situation kann insbesondere bei – beispielsweise aufgrund des Aufkommens örtlich verfügbarer Rohstoffe – ortsgebundenen Produktionsstätten, hohen Transportkosten und weiten Entfernungen bestehen. Letztere spielen in Russland außerhalb der Metropolen eine große Rolle. Vielen Unternehmen ist dort aufgrund von Transportkosten und weiten Entfernungen eine Ausdehnung ihrer homogenen Produktion verschlossen.89
__________ 85 Dies ist natürlich nur der Fall, wenn die optimale Betriebsgröße jeweils nur genau ein bestimmter, für verschiedene Stufen der vertikalen Produktionen unterschiedlicher Wert ist. Vgl. hierzu Monopolkommission, Hauptgutachten VI, S. 235 ff. 86 Dies entspricht auch der Entscheidungspraxis des Antimonopolministeriums. Es differenziert allerdings nicht zwischen economies of scale und Verbundvorteilen, sondern spricht von „ökonomischen Effizienzen“. Der Sache nach handelt es sich hierbei oft um Verbundvorteile. Vgl. hierzu unten § 5 III. 3. d). 87 Soweit ersichtlich, wurde der Begriff „economies of scope“ in Anlehnung an economies of scale erstmalig von Panzar und Willig 1975 verwendet; vgl. Panzar/Willig, Economies of Scale and Economies of Scope in Multi-Output Production.“ 88 Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 32. 89 Zur Bedeutung der Entfernungen und Transportkosten s. auch Devlin/Perrakis, Legislating competition in the Russian Federation: a new challenge for antitrust policy, S. 925.
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2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
Eine heterogene Produktion90 kann auch erforderlich sein, um spezialisierte Aufgabenträger voll zu beschäftigen.91 Konglomerale Vorteile können aber ebenso durch die gemeinsame Nutzung von Land, Marktinformationen, Reputation, Rechte, technischorganisatorisches Wissen,92 Werbung oder ähnliche Faktoren entstehen. Ein geringeres Insolvenzrisiko diversifizierter Produktionen kann Finanzierungsvorteile (niedrigere Fremdkapitalzinsen und ein erweiterter Kreditrahmen) zur Folge haben. Kostenersparnisse können bei Forschung, Entwicklung, gemeinsamer Fertigung oder Vertrieb verwandter Produktionen oder sog. Abfallerfindungen bzw. „Abfallprodukte“ auftreten.93 Über economies of scope hinaus sollen konglomerale Verbindungen teilweise auch Wettbewerbsbelebungen verursachen. In welchem Umfang dies der Fall sein kann, ist allerdings umstritten. So wird teilweise vertreten, dass die Fähigkeit großer diversifizierter Unternehmen, rasch in neue lukrative Märkte einzudringen, die potenzielle Konkurrenz auf diesen Märkten erhöhe.94 Dem wird entgegengehalten, dass dies nur gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen gelte. Große Unternehmen seien untereinander äußerst risikoscheu und würden üblicherweise die jeweiligen gegenseitigen Interessensphären respektieren.95 Als wichtige Branchen konglomeraler Unternehmen nennen Bailey und Friedlaender insbesondere die Ölindustrie, die in andere Rohstoffmärkte oder den Fernsehmarkt strebe.96 In Europa sind trotz der seit Beginn der 90er Jahre bemerkbaren Tendenz der Konzentration auf ein Kerngeschäft97 verschiedene große Konglomerate entstanden. Dies waren bzw. sind zuletzt insbesondere ursprüngliche Rohstoffunternehmen und Versorger wie Suez Lyonnaise bzw. Vivendi, Chemieunternehmen (Aventis oder BASF) und traditionelle Maschinenbauunternehmen wie Mannesmann oder Preussag. In jüngster Zeit ist jedoch auch bei diesen Unternehmen eine deutliche Konzentration auf ein Kern-
__________ 90 Bailey/Friedlaender, Market structure and multiproduct industries, S. 1024 ff., sprechen von „shared input.“ 91 Bailey/Friedlaender, Market structure and multiproduct industries, S. 1027. 92 Schmidt/Binder, Wettbewerbspolitik im internationalen Vergleich, S. 23. 93 Bailey/Friedlaender, S. 1026, nennen gemeinsam genutzte Produktionsmittel mit Grenzkosten der Nutzung für die Produktion weiterer Güter von Null „public input“. Als traditionelle Beispiele nennen sie Wolle und Schafe, als „moderne“ Beispiele Roboter und computergelenkte Maschinen. 94 Auf diesen Aspekt dürfte Emmerich (Kartellrecht, 8. Auflage, S. 267) seine Auffassung stützen, demzufolge konglomerale Verbindungen „unbestreitbar“ zu Belebungen des Wettbewerbs führten. 95 Herdzina, Möglichkeiten und Grenzen einer wirtschaftstheoretischen Fundierung der Wettbewerbspolitik, S. 11. 96 Bailey/Friedlaender, Market Structure and Multiproduct Industries, S. 1024 ff. 97 Vgl. hierzu auch die Ausführungen der EU-Kommission in ihrem XXVIII. Wettbewerbsbericht, S. 68. Die Kommission sieht die zunehmende Konzentration auf ein Kerngeschäft als Folge der Globalisierung, in der sich in verschiedenen Produktbereichen weltweit führende Unternehmen herausbildeten.
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geschäft erkennbar. Hiervon zeugen die Übernahme von Mannesmann durch Vodafone und die anschließende Veräußerung aller telekommunikationsfremden Bereiche, die Veräußerung des Agrarbereiches durch Aventis, die Veräußerung von Viag Interkom und anderer Randbereiche durch E.on und die Unternehmenspolitik Vivendis nach dem Rückzug des Vorstandsvorsitzenden Messier. Offensichtlich scheinen sich zumindest in westlichen Marktwirtschaften kaum noch Unternehmen Vorteile von einer konglomeralen Ausrichtung zu versprechen. Bedeutendes Gegenbeispiel ist allerdings General Electrics. In der russischen Fusionskontrolle könnte das Argument konglomeraler Vorteile aufgrund der Existenz einiger Konglomerale,98 insbesondere sog. finanzindustrieller Gruppen, von größerer Bedeutung sein. Im weiteren Verlauf dieser Arbeit wird gezeigt werden, dass diesbezüglich teilweise zwischen den Veröffentlichungen des Antimonopolministeriums und seinen tatsächlich getroffenen – intransparenten – Entscheidungen zu differenzieren ist.99 4. Technischer Fortschritt Teilweise wird vertreten, dass eine bestimmte Unternehmensgröße und Marktkonzentration notwendige Voraussetzungen für technischen Fortschritt seien.100 Diese als Neo-Schumpeter-Hypothesen I und II bezeichneten Annahmen101 gehen davon aus, dass Großunternehmen (Hypothese I) oder Unternehmen mit Marktmacht (Hypothese II) gegenüber kleineren Unternehmen bzw. Unternehmen mit kleineren Marktanteilen technologisch und innovatorisch überlegen seien.102 Wettbewerbspolitisch sei dies nicht problematisch, da ein Innovationsmonopol Wettbewerb nicht entgegenstehe, solange das innovative Unternehmen seine Güter am Markt absetzen könne.103 Gegen diese letztgenannte These wird jedoch zutreffend eingewandt, dass sie tautologisiert und Markt und Wettbewerb gleichsetzt.104
__________ 98
Bekanntestes Beispiel ist Gazprom. Vgl. hierzu unten § 5 III. 3. h) und § 6 IV. 2. Selbst Kantzenbach, einer der Hauptverfechter für die Einführung einer Fusionskontrolle in Deutschland, schrieb 1966 (Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 121): „Fast alle Unternehmenszusammenschlüsse bewirken eine Reduzierung des Wettbewerbs und/oder ermöglichen technische Fortschritte bei den Produktionsverfahren.“ 101 In ihren Grundlagen lassen sich diese Thesen auf Schumpeter zurückführen. Vgl. Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, S. 134 ff. und 143 ff. s. auch Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rz. 720. 102 Vgl. Scherer, Industrial market structure and economic performance, 1980; Clark, Toward a concept of workable competition, S. 453. 103 Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, S. 428 f. 104 Mantzavinos, Wettbewerbstheorie – Eine kritische Auseinandersetzung, S. 110. Diese Argumentation ist allerdings ein wenig verkürzt. Hoppmann, S. 428 f., betrachtet die Marktvorgänge im Rahmen eines längeren Zeitraums. Solange ein ein Innovationsmonopol innehabendes Unternehmen seine Produkte am Markt absetzen kann, ist das insofern nicht problematisch, als Nachahmer 99
100
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2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
Beide Neo-Schumpeter-Hypothesen wurden durch empirische Studien nur sehr eingeschränkt bestätigt.105 Vertreter der Neo-Schumpeter-Hypothesen wenden gegen diese Studien allerdings wiederum ein, dass sie erhebliche Schwächen in der methodologischen Vorgehensweise beinhalteten. Studien, die den Erfolg von Forschung und Entwicklung nur am Input, d.h. Kostenaufwand, oder an der Anzahl der angemeldeten Patente messen, seien z. B. nur sehr beschränkt aussagekräftig. Erstere gebe überhaupt keine Information über den Forschungserfolg, letztere differenziere zu Unrecht nicht zwischen grundlegenden Inventionen und peripheren Erweiterungspatenten.106 Diese Kritik überzeugt. Andererseits konnten auch die Vertreter der NeoSchumpeter-Hypothesen bislang keine auf geeigneteren Vorgehensweisen beruhenden empirischen Studien vorlegen.107 Nur bei der Grundlagenforschung, der Innovations- und Diffusionsphase sowie weitergehend teilweise den Bereichen Chemie und Elektrotechnik konnte eine positive Korrelation zwischen Unternehmensgröße und Forschungstätigkeit festgestellt werden.108 Selbst letzteres gilt in den der Chemie und Elektrotechnik verwandten, neueren Bereichen der Biotechnologie und Informationstechnologie jedoch nur noch eingeschränkt. Anders ließe sich das zunehmende Outsourcen der Forschungstätigkeit großer Unternehmen in der Pharma-109 und Biotechnologiebranche ebenso wenig erklären wie die zeitweiligen Erfolge insbesondere kleiner Internet- und Medienunternehmen, die durch Venture Capital-Gesellschaften finanziert wurden oder werden.110 So wird die Neo-Schumpeter-Hypothese zuneh__________ auf den Markt treten werden, von denen Wettbewerb ausgehen wird. Hoppmann nimmt damit Bezug auf den Hayekschen Wettbewerbsbegriff der „ständigen Verfolgung“; vgl. hierzu auch oben Abschnitt I. m.w.N. Problematisch, d.h. ungeklärt, ist bei Hoppmann allerdings die Frage nach der Länge des Zeitraums, den eine Wiederherstellung von Wettbewerb – im statischen Sinne – benötigt. In vielen Fällen dürfte er zu groß sein, um es sachgerecht erscheinen zu lassen, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu vertrauen und auf eine Fusionskontrolle zu verzichten. Diese Frage ist Gegenstand der Diskussion in Abschnitt IV. 3. Im vorliegenden Abschnitt soll zunächst nur die Frage erörtert werden, ob die Neo-Schumpeter-Hypothesen selbst noch Geltung beanspruchen dürfen, d.h. ob das Institut der Fusionskontrolle innovationshemmend sein kann. 105 Vgl. Markham, Industrial Concentration: The new Learning, S. 2744; Blair, Economic Concentration. Structure, Behaviour and Public Policy, 1972; für Deutschland vgl. Tabbert , Unternehmensgröße und Marktstruktur, 1974. 106 Möschel, Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rz.720. 107 Zu den einzelnen Hypothesen und verschiedenen empirischen Tests vgl. Jüttner-Kramny, Unternehmensgröße, Unternehmenskonzentration und technologische Entwicklung, S. 27 ff. 108 Vgl. Herdzina, Wettbewerbspolitik, S. 44. 109 Vgl. hierzu z.B. das Interview der Süddeutschen Zeitung mit dem Vorstandsvorsitzenden der Bayer AG, Manfred Schneider, SZ 4. Februar 2000, S. 29. 110 Die Ernüchterung, die diesen Unternehmen am Ende des Jahres 2001 entgegentritt, ist wohl eher als Folge einiger Insolvenzen und drastisch rückläufigen Unternehmensbewertungen zu verstehen. Diese müssen dagegen vor dem Hintergrund gigantischer Bewertungen im Jahre 1999 und der ersten Hälfte von 2000 relativiert werden. Am Grundphänomen des Outsourcens innovativer und grundlagenforschender Bereiche durch große Unternehmen hat sich grundsätzlich nichts geändert.
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mend auch völlig abgelehnt. v. Weizsäcker betont z. B., dass gerade kleine Unternehmen Träger des Fortschritts seien.111 Fortschritt finde insbesondere auf dynamischen Märkten statt – oder umgekehrt, Fortschritt dynamisiere Märkte – auf dynamischen Märkten könnten aber insbesondere kleine Unternehmen agieren. Überzeugend erscheint auch die These Dunns, derzufolge auch Forschung und Entwicklung von Wettbewerbsdruck und gegenseitigem Trial-and-Error profitieren müssten.112 Ein solcher Wettbewerbsdruck kann durch – zumindest ungefähre – Kenntnis von den Forschungsergebnissen der Wettbewerber, deren Einführung neuerer Produkte auf dem Markt oder den Wettbewerb um verschiedene Investoren entstehen. Die große Anzahl an vergleichsweise jungen Venture Capital-Gesellschaften ist ein Garant dafür, dass verschiedene Forschungsprojekte und -teilergebnisse in regem Wettbewerb zueinander stehen. Sie ist ebenso ein Garant dafür, dass vielversprechende Forschungsprojekte nicht mehr an der mangelnden Größe oder Finanzkraft der sie durchführenden Gruppe scheitern. Dunns These der Voraussetzung von Trial and Error für technologische Innovationen wird auch von einer McKinsey-Studie über den Zusammenhang zwischen Produktivität und Internationalität des Wettbewerbs aus dem Jahre 1993 bestätigt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass in den Branchen die größten technologischen Innovationen erfolgen, in denen der die „internationalste“ und intensivste Wettbewerb stattfindet.113 Dieses Ergebnis widerspricht der NeoSchumpeter-Hypothese II insofern, als auf Märkten intensivsten Wettbewerbs gerade keine hohe Marktkonzentration besteht.
__________ 111
v. Weizsäcker, Weltweiter Wettbewerb und das Problem der Unternehmensgröße, S. 60. Vgl. Dunn, Neue Industriepolitik oder Stärkung der Marktkräfte?, S. 173: „Erst im Prozess von Trial-and-Error lässt sich das Wissen verbessern. In der Wissenschaft hilft uns der geistige Wettbewerb der Forschungsideen und -methoden, um neue Hypothesen zu falsifizieren … Forscher und Geschäftsmann sind gleichermaßen auf den Wettbewerb als Erfahrungsprozess verwiesen, denn für beide ist es wichtig, dass ihre Hypothesen konkurrieren können. Wettbewerbsfreiheit und Freiheit der Forschung erscheinen gleichsam als korrespondierende Bedingungen zur Entdeckung neuen und besseren Wissens, indem sie die Hypothesen und Vorstellungen über unsere Umwelt einem permanenten Leistungstest unterziehen und die Akteure zur Entwicklung neuer Hypothesen anstacheln.“ 113 McKinsey (McKinsey Global Institute, Manufacturing Productivity), untersuchte die Wettbewerbsintensität und Produktivität in den Branchen Automobilbau, Automobilbauzulieferer, Stahlund Metallverarbeitung, Computer, Konsumelektronik, nahrungsmittelverarbeitende Industrie, Bierbrau, Wasch- und Reinigungsmittel. Alleine auf den Märkten für Wasch- und Reinigungsmittel sowie für Computer herrscht demzufolge in Deutschland globaler Wettbewerb einiger Anbieter. Auf dem Automobilmarkt in Deutschland beginnt er, sich langsam zu entwickeln. s. insbesondere die Kapitel „Automotive“ – Teil A, S. 10 ff., Teil B, S. 11 f., „Heavy manufacturing“, Teil A, S. 8 ff., Teil B, S. 8 ff. sowie Kapitel „Synthesis“, S. 11 ff. 112
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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Die Neo-Schumpeter-Hypothesen bieten deshalb kein sehr tragfähiges Argument gegen Fusionskontrollen. Soweit ein Bedürfnis114 nach großen Forschungseinrichtungen besteht, können diese im Übrigen als – kartellrechtlich zulässige – Forschungskooperationen von Großunternehmen115 durchgeführt werden, ohne dass hierfür ein Zusammenschluss erfolgen müsste. Ob – zumindest in entwickelteren Marktwirtschaften – daneben noch Konstellationen denkbar sind, in denen eine bestimmte Forschungs- und Entwicklungstätigkeit zwingend einen geplanten Unternehmenszusammenschluss voraussetzt, erscheint äußerst fraglich.116 In Russland gilt dies angesichts eines schwächer ausgeprägten Finanzierungsmarkts dagegen nur eingeschränkt. Für russische Unternehmen ist es aufgrund des größeren Risikos, das sie für jeden Investor darstellen, schwieriger, Investoren zu finden als für vergleichbare westliche Unternehmen. Für Kooperationen kann es u.U. noch an der erforderlichen Marktstruktur fehlen. Die Neo-Schumpeter-Hypothesen könnten deshalb – im Einzelfall – in Russland eher der Wirklichkeit entsprechen als in entwickelten Volkswirtschaften. Entsprechend dürfte eine auf sie gestützte Ausnahmeregelung in Russland auch eher sachgerecht erscheinen als in entwickelten Marktwirtschaften. Tatsächlich hat das Argument in der russischen Zusammenschlusskontrollpraxis bislang allerdings – soweit ersichtlich – noch keine signifikante Bedeutung erlangt.117 5. Internationale Wettbewerbsfähigkeit Soweit Waren oder Leistungen international gehandelt werden können, wird als Argument gegen eine Konzentrationskontrolle gelegentlich das Argument internationaler Wettbewerbsfähigkeit vorgetragen, das gegen eine Unterbindung von Fusionen spreche. Dieses Argument dürfte in – vor allem politisch motivierten – Diskussionen keiner Wettbewerbsordnung wirklich fremd sein. In Deutschland ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit als Berücksichtigungsmaßstab im Rahmen der Ministererlaubnis gemäß § 42 Abs. 1 S. 2 GWB
__________ 114
Vgl. z.B. den damaligen Leiter der Zentralabteilung Unternehmensplanung und -strategie der Siemens AG, Mirow (Wettbewerbsbedingungen in der Elektronikindustrie, S. 98): „Der gezielte Aufbau einer europäischen Kompetenz auf diesen Gebieten in Abstimmung mit der Industrie eröffnet die Chance für eine bessere europäische Positionierung. Voraussetzung dazu ist die Bildung von großen, schlagkräftigen Forschungseinrichtungen, die über die notwendige Infrastruktur und Budgets verfügen.“ 115 Gemäß Art. 81 Abs. 3 EGV werden beispielsweise im europäischen Kartellrecht Forschungskooperationen vom Koordinationsverbot des Art. 81 Abs. 1 EGV freigestellt. 116 In der deutschen Fusionskontrollpraxis wurde die Ministererlaubnis im Fall Thyssen-Hüller, WuW/E BWM 159 z.B. auf die Schutzbedürftigkeit des technologischen Potenzials der beiden bereits zusammengeschlossenen Unternehmen gestützt. Vgl. hierzu auch Monopolkommission, Sondergutachten 6. 117 Vgl. hierzu unten § 5 III. 3. g).
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eigens vorgesehen. Auf sie wurde die Ministererlaubnis E.on/Ruhrgas gestützt.118 Auch in Russland wurden schon einige Freigabeentscheidungen mit dem Argument internationaler Wettbewerbsfähigkeit begründet.119 Die oben erwähnte McKinsey-Studie120 gelangt zu dem Ergebnis, dass Industrien tendenziell um so produktiver sind, je internationaler der Wettbewerb ist, dem sie ausgesetzt sind.121 Dabei ist jedoch unklar, ob die hohe Produktivität Folge oder Ursache des internationalen Wettbewerbs ist. Sollte allerdings internationale Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich nur sehr großen Unternehmen möglich sein, könnten im Einzellfall Fusionsuntersagungen Effizienzsteigerungen verhindern. Möschel vertritt die These, dass das Argument internationaler Wettbewerbsfähigkeit allenfalls auf solchen Märkten Berücksichtigung finden könne, die durch internationalen Leistungsaustausch wesentlich beeinflusst werden könnten.122 Abgesehen davon, dass die Anzahl dieser Märkte zunimmt, ist der These aber auch grundsätzlich nicht zuzustimmen. Gerade relativ schwache und devisenbedürftige Volkswirtschaften wie Russland würden beträchtlich davon profitieren, wenn einige ihrer Unternehmen kleine Marktanteile auf außerrussischen Märkten einnehmen könnten. Sollten größere Unternehmen tatsächlich eher als kleinere Unternehmen in der Lage sein, ihre Waren zu exportieren, könnte der dadurch erzielbare Devisenzufluss durchaus einen gesamtwirtschaftlichen Vorteil bieten, der gewisse innerrussische Wettbewerbsbeeinträchtigungen – zumindest vorübergehend – kompensieren würde. Dabei allerdings zur Voraussetzung zu machen oder als notwendige Folge anzunehmen, dass russische Waren oder Leistungen in der Lage wären, außerrussische Märkte wesentlich zu beeinflussen, erscheint unrealistisch. Bei Märkten in großen Volkswirtschaften – von denen die größten Devisenzuflüsse erwartet werden können – ist dies allenfalls im Hinblick auf Rohstoffe vorstellbar.123 In kleinen Volkswirtschaften – etwa anderen GUS-Staaten – sind größere Marktanteile russischer Unternehmen auch bezüglich anderer Waren vorstellbar oder bereits existent. Von diesen Ländern können bedeutsame Devisenzuflüsse allerdings nicht er-
__________ 118 Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie vom 5.7.2002, WuW/E DEV, 573 ff.; die Vollziehbarkeit der Entscheidung wurde durch das OLG Düsseldorf ausgesetzt; vgl. WuW/E DE-R 885 und WuW/E DE-R 926. Vgl. hierzu Möschel, Neue Rechtsfragen, S. 2077 ff., und Bunte, Nochmals: Rechtsfragen zur Ministererlaubnis, S. 2393. 119 s. Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 40 (Abschnitt II, § 1.3.). Vgl. hierzu im Einzelnen auch unten § 5 III. 3. c). 120 Vgl. oben 4. 121 Vgl. oben 4. 122 Möschel, Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rz. 719, S. 454. 123 Hierbei wäre insbesondere an Gas zu denken. Russische Gasexporte sind von derartiger Bedeutung, dass sie durchaus z.B. den deutschen Gasmarkt nachhaltig beeinflussen. Möglicherweise bildete internationale Wettbewerbsfähigkeit auch tatsächlich ein Hauptargument für die Struktur des russischen Gasmarktes, die durch die deutlich marktbeherrschende Stellung Gazproms bestimmt wird und dessen Entflechtung im Rahmen einer Privatisierung politisch noch immer unvorstellbar erscheint. Vgl. hierzu unten § 5 VII. 3. und § 6 IV. 2.
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wartet werden. Erscheint die wesentliche Beeinflussung außerrussischer Märkte durch russische Produkte im Regelfall unrealistisch, so ist aber auch nicht ersichtlich, welche Vorteile eine solche Bedingung im Möschelschen Sinne haben sollte. Eine völlig andere Frage ist hingegen, ob die grundsätzliche Annahme überzeugt, dass größere Unternehmen eher international wettbewerbsfähig seien als kleinere Unternehmen. Im Hinblick auf gewisse Betriebsgrößenvorteile dürfte dies zu bejahen sein. Der Warenexport verursacht organisatorische Maßnahmen bzw. Verwaltungsaufwand oder stellt zusätzliche rechtliche Anforderungen, die für einen Kleinunternehmer schwieriger zu erfüllen sein dürften als für ein größeres Unternehmen. Dies dürfte in Russland von besonderer Bedeutung sein, da kleinere russische Unternehmer durchschnittlich weniger Erfahrungsschatz im internationalen Handel aufweisen als ihre Kollegen in westlichen Marktwirtschaften. Eine Kontaktaufnahme russischer Unternehmer zu westlichen Gesprächspartnern kann bereits an fehlenden Sprachkenntnissen scheitern. Hinzukommt, dass die rechtlichen Barrieren für russische Unternehmer höher sind als für ihre Kollegen in westlichen Marktwirtschaften. Im Rahmen der Erörterung der Argumente „Betriebsgrößenvorteile“124 und „konglomerale Vorteile“125 wurde bereits ausgeführt, dass zumindest bei Unternehmen, die der Fusionskontrolle in westlichen Marktwirtschaften unterliegen, die kritischen Größen, bis zu denen Betriebsgrößenvorteile erzielt werden können, regelmäßig schon vor dem Zusammenschluss erreicht sind. In Russland dürften die Fälle, in denen dies nicht gilt, aufgrund der niedrigen Schwellenwerte126 und der niedrigen Marktumsätze dagegen zahlreicher sein. Das Argument internationaler Wettbewerbsfähigkeit könnte deshalb in der russischen Fusionskontrollpraxis beim Zusammenschluss kleinerer Unternehmen eine gewisse Bedeutung haben. Dabei würde es sich letztlich jedoch nur um einen besonderen Aspekt von Betriebsgrößenvorteilen handeln. In der tatsächlichen Entscheidungspraxis wird das Argument allerdings eher überstrapaziert und bei besonders großen Unternehmen verwendet.127 6. Lösung der Zielkonflikte Zielkonflikte zwischen Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs einerseits und economies of scale, Transaktionskostenvorteilen, economies of scope, technischem Fortschritt und internationaler Wettbewerbsfähigkeit andererseits können in Russland – eher als in entwickelteren Marktwirtschaften – im Einzelfall
__________ 124
Vgl. oben 1. Vgl. oben 3. 126 Vgl. unten § 5 II. 2. 127 Vgl. hierzu unten § 5 III. 3. c). 125
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bestehen. Diese Zielkonflikte sind jedoch auch in Russland nicht so gravierend, dass sie einer Fusionskontrolle völlig entgegenstünden. Vielmehr muss zur Wahrung der Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs eine Fusionskontrolle durchgeführt werden, um Wettbewerbsdruck zu erhalten und strukturelle Anreize für Marktmachtmissbrauch zu vermeiden. Soweit tatsächlich Anhaltspunkte für einen der genannten Zielkonflikte bestehen, muss dieser sorgfältig geprüft werden. Erweisen sich diese Anhaltspunkte als begründet, ist dem nicht-wettbewerblichen Ziel im Einzelfall (!) Vorrang vor der Marktstruktur einzuräumen. IV. Kann Wettbewerbsgefahren durch eine Fusionskontrolle begegnet werden? 1. Überblick In den vorangestellten Abschnitten wurde gezeigt, dass das öffentliche Interesse der Wettbewerbsfreiheit durch den Zusammenschluss von Unternehmen gefährdet werden kann (Abschnitt II.). Umgekehrt wurde in Abschnitt III. gezeigt, dass Zielkonflikte zur Wettbewerbsfreiheit bei Unternehmenszusammenschlüssen bestehen können, diese aber nicht ausreichen, das Konzept einer Fusionskontrolle zum Schutz des Wettbewerbs allgemein zu verwerfen. Vielmehr müsste auf sie in der Einzelfallentscheidung Rücksicht genommen werden. Hierauf aufbauend, soll im Folgenden untersucht werden, ob Fusionskontrollen überhaupt in der Lage sein können, die aus Unternehmenszusammenschlüssen ggf. folgenden Gefahren zu vereiteln, und ob sie – bejahendenfalls – hierzu erforderlich sind. Trotz der Verwendung der Begriffe der Geeignetheit und Erforderlichkeit soll keine verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung etwaiger Fusionskontrollgesetze vorgenommen werden. Sie würde schon daran scheitern, dass die Erörterungen für die Fusionskontrolle allgemein unabhängig von der einzelnen Rechtsordnung vorgenommen werden sollen. Die im Konzept der Verhältnismäßigkeit enthaltenen Fragen nach der Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Maßnahme sollen jedoch Leitgedanke der Überlegungen sein. So soll erörtert werden, ob durch Fusionskontrollen Wettbewerb bewahrt werden kann und ob Fusionskontrollen hierzu erforderlich sind oder ob für die beteiligten Unternehmen mildere Maßnahmen denkbar wären. Diese Untersuchungen sollen anhand ökonomischer Argumente, d.h. insbesondere der von der Chicago-Schule vorgetragenen Bedenken, vorgenommen werden. Ob die Durchführung von Fusionskontrollen geeignet ist, den Zweck des Schutzes der Wettbewerbsfreiheit zu erreichen, unterliegt insofern Bedenken, als in der wirtschaftswissenschaftlichen Wettbewerbstheorie teilweise – von
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den Vertretern der sog. Chicago-Schule – die Funktionsfähigkeit der ex anteAnalyse bezweifelt wird (hierzu unter 2.). Teilweise wird – in der Regel von den selben Wissenschaftlern – vertreten, dass eine Fusionskontrolle insofern entbehrlich sei, als Marktmachtpositionen im Laufe der Zeit ohnehin nicht gehalten werden könnten. Träfe diese These zu, könnten sich Zweifel im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer Fusionskontrolle ergeben (hierzu unter 3.). Solche Zweifel wären auch dann zu erheben, wenn das durch die Fusionskontrolle angestrebte Ziel der Bewahrung der Wettbewerbsfreiheit ebenso gut durch eine Verhaltenskontrolle bereits zusammengeschlossener Unternehmen erreichbar wäre. Eine solche Verhaltenskontrolle wäre – da zeitlich später ansetzend und statt drohender Gefahren ein bereits erfolgtes Verhalten untersuchend – ein im Vergleich zur Fusionskontrolle milderes Mittel (hierzu unter 4.). 2. Problem der ökonomischen ex ante-Analyse Die Eignung einer Fusionskontrolle, Gefahren für den Wettbewerb zu verhindern, wird mit dem Argument in Frage gestellt, dass es ex ante unmöglich sei, die wettbewerblichen Konsequenzen einer Unternehmensfusion abzuschätzen.128 Diese Argumentation stützt sich auf Vorbehalte gegenüber jeglichem staatlichen Eingriff in Marktgeschehnisse, der notwendigerweise auf „angemaßtem Wissen“ beruhen müsse.129 Im Hinblick auf die Marktkonzentration überzeugt dies allerdings nicht. Die Konzentration von Märkten kann anhand von Absatzzahlen hinreichend genau bestimmt werden. In Russland erfolgt die Bestimmung von Konzentrationen regelmäßig anhand von Produktionskapazitäten. Dieser Maßstab ist zwar unbestimmter, aber dennoch hinreichend aussagekräftig. Die Gefahr wettbewerbsbeeinträchtigender Verhaltensweisen abzuschätzen, ist etwas schwerer. Über die für diese Gefahren entscheidenden Faktoren, die Transparenz des Marktes und die Höhe von Marktzutrittsschranken, können aber durchaus begründete Schätzungen vorgenommen werden. Insbesondere können Ergebnisse aus einem Vergleich der diesbezüglichen Angaben der beteiligten Unternehmen mit denen ihrer Wettbewerber, evtl. potenzieller auslän-
__________ 128
So z.B. Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 23. Der Begriff des „angemaßten Wissens“ wurde von v. Hayek geprägt. Vgl. z.B. v. Hayek, Die Anmaßung von Wissen, S. 12 ff. Allerdings warnt v. Hayek an anderer Stelle (The Road to serfdom, S. 27) auch vor der Gefahr – nicht nur staatlicher – Marktzutrittsschranken; vgl. hierzu unten 3. 129
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discher Wettbewerber,130 gewonnen werden. Das Ausmaß an Wettbewerbsdruck, dem marktstarke Unternehmen noch begegnen, kann anhand der relativen Konzentration des Marktes, d.h. des Verhältnisses der Marktanteile der einzelnen Wettbewerber zueinander, und den Ergebnissen aus der Marktzutrittsschrankenbestimmung bestimmt werden. Aussagekräftig sind auch die Nachfrageelastizitäten im Hinblick auf qualitative oder preisliche Differenzierung derselben Ware,131 zwischen verschiedenen Marktsegmenten oder benachbarten Märkten.132 Kenntnisse hierüber bestehen durch Marktstudien, die in Russland nicht so zahlreich und aussagekräftig sind wie in entwickelten Marktwirtschaften, die aber dennoch existieren und auch ausdrückliche Grundlage der Entscheidungen der Wettbewerbsbehörde sein sollen.133 Auch insoweit kann der ex ante-Bestimmung der wettbewerblichen Folgen von Unternehmenszusammenschlüssen doch ein recht hohes Maß an Zuverlässigkeit zugetraut werden. Dies dürfte schwieriger sein im Hinblick auf Befreiungstatbestände, d.h. insbesondere die Erfüllung der Voraussetzungen der in Abschnitt II beschriebenen Zielkonflikte. Da es sich bei ihnen aber, wie gezeigt, nur um Ausnahmefälle handelt, werden sie entsprechend auch nur durch Befreiungstatbestände geregelt.134 Die Beweislast ist deshalb umgekehrt. Das schließt nicht aus, dass im Einzelfall durchaus eine nicht sachgerechte Entscheidung ergehen kann. Bei einer an der Wettbewerbsfreiheit orientierten Anwendung der Regeln einer Zusammenschlusskontrolle, die den Ausnahmecharakter eines staatlichen Verbots beachtet, wird eine solche nicht sachgerechte Entscheidung jedoch eine Ausnahme darstellen, so dass das grundsätzliche Konzept hierdurch nicht in Frage gestellt werden kann. Möschel ist sogar der Auffassung, dass Unternehmen, denen zu Unrecht eine Fusion verweigert wird, immer noch der Weg zu innerem Wachstum offen stehe,135 so dass der mögliche Schaden einer wettbewerbsrechtlich nicht gebotenen Fusionsuntersagung begrenzt sei. Dies setzt allerdings voraus, dass die im vorgenannten Kapitel genannten Zielkonflikte mit der Wettbewerbsfreiheit gerade nicht bestehen. Wenn die Fragwürdigkeit einer Untersagungsverfügung gerade darauf beruht, dass im Ausnahmefall die durch die Fusion erzielbaren
__________ 130
Sie können befragt werden, welche Umstände sie vor einem Eintritt in einen benachbarten Markt abhalten. Hieraus könne Folgerungen über die Existenz von Markzutrittsschranken gezogen werden. Vgl. dazu unten 3. 131 Dem entspricht der sog. „Preistest“ der Kommission bei der Marktabgrenzung. Vgl. dazu § 4 III. 3. b). 132 Hierdurch lässt sich etwaiger Substitutionswettbewerb bestimmen. Vgl. hierzu § 4 III. 3. e). 133 Vgl. hierzu die unten in § 6 II. 3. und 4. vorgestellten Verordnungen Nr. 146 und 169 des Antimonolministeriums. 134 Dies gilt für die russische und die deutsche Fusionskontrolle. In der europäischen Fusionskontrolle bleiben nicht-wettbewerbliche Gesichtspunkte dagegen unbeachtet. 135 Möschel, Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 11 Rz. 725.
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Betriebsgrößenvorteile, die größeren Forschungskapazitäten oder eine höhere internationale Wettbewerbsfähigkeit verkannt werden, dann können gerade diese Vorteile eben nicht so leicht durch internes Wachstum erreicht werden. Beruht die Fragwürdigkeit einer Untersagungsverfügung auf einer unzutreffenden Annahme der Wettbewerbsverhältnisse, ist inneres Wachstum aufgrund der Verfügbarkeit, bzw. niedrigen Flexibilität von Ressourcen oft nur wesentlich langsamer zu erreichen als externes. Eine Fusionskontrolle muss deshalb mit größter Sorgfalt und Orientierung an dem ihr zugrundeliegenden Wettbewerbsprinzip und ggf. etwaiger Zielkonflikte durchgeführt werden. Entgegen Möschel sind die möglichen Schäden nicht unbeachtlich. Dennoch sollte es bei sorgfältiger Prüfung des Einzelfalls grundsätzlich möglich sein, sachgerechte ex ante-Abschätzungen vorzunehmen. 3. Werden Marktungleichgewichte, die eine Konzentration mit sich bringt, nicht durch Selbstheilungskräfte des Marktes ohnehin behoben? (Über die Missachtung der Marktzutrittsschranken) Die Durchführung von Zusammenschlusskontrollen wäre nicht erforderlich, wenn ein für die betroffenen Unternehmen milderes Mittel zur Verfügung stände, mit dem der Wettbewerb in selber Weise gewahrt werden könnte. Dies wäre der Fall, wenn die Grundthese der Chicago-Schule („contestable markets“)136 zuträfe, derzufolge konzentrationsbedingte Marktungleichgewichte ohnehin durch die Selbstheilungskräfte des Marktes behoben werden. Ein für die betroffenen Unternehmen milderes Mittel wäre in diesem Fall das laissez-faire, d.h. das bloße Nichtstun. Die Chicago-Schule ist der Auffassung, dass sich – soweit nicht staatliche Zutrittsbarrieren bestehen – ineffiziente Monopole bzw. Marktmacht auf Dauer nicht halten könnten bzw. umgekehrt beständige Marktmacht der Ausdruck überragender Effizienz sei.137 Externes Unternehmenswachstum sei im Wesentlichen Ausdruck der Ausschöpfung von economies of scale, der Vermögenskonzentration in den Händen erfolgreicher, d.h. effizienter (im produktiven und dadurch auch allokativen Sinne)138 Unternehmer sowie der Bestrafung eines schlechten bzw. ineffizienten Managements. Wenn Marktkonzentration auf lange Zeit besteht, sei das Ausdruck dessen, dass sie die Organisation der der jeweiligen Industrie zugrundeliegenden Kostenstruktur wiederspiegele.139 Eine Marktstruktur sei immer das Ergebnis der unterschiedlichen Effizienzen verschiedener Unternehmen. Hohe Konzentration sei das Ergebnis überlegener
__________ 136 Vgl. hierzu allg. Braulke, Contestable Markets – Wettbewerbskonzept mit Zukunft, S. 945 ff., insbes. S. 953 f. 137 Vgl. z.B. Kaufer, Konzentration und Fusionskontrolle, S. 60. 138 Vgl. hierzu oben II. 3. 139 Vgl. Demsetz, Economies as a guide to antitrust regulation, S. 374 f.
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Unternehmerqualitäten. Die staatliche Verhinderung einer solchen Konzentration könne demzufolge keinen Konsumentenwohlfahrtsgewinn nach sich ziehen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass ein zunehmender Konzentrationsgrad eines Marktes aggressives Wettbewerbsverhalten mit Preisen in der Nähe der langfristigen Kostenkurve voraussetze.140 Denn wann immer ein Unternehmen ohne die höchstmögliche produktive Effizienz eine marktstarke Position innehabe, werde ein Wettbewerber dessen Position einnehmen. Dies könne ein tatsächlicher Wettbewerber, ebenso aber auch ein potenzieller Wettbewerber sein, der die mangelnde Effizienz des marktstarken Unternehmens erkenne und neu in den Markt eintrete. Märkte seien contestable, d.h. angreifbar. Eine Zusammenschlusskontrolle sei deshalb überflüssig. Die Untersagung eines Zusammenschlusses stelle einen effizienzhemmenden Eingriff in den funktionsfähigen Markt für Unternehmensbeteiligungen dar.141 Die These der allgemeingültigen Angreifbarkeit der Märkte ist jedoch nicht haltbar.142 Sie setzt vollkommene Märkte voraus, die dergestalt in der Realität nicht existieren.143 Sie vernachlässigt Marktzutrittsschranken144, die Anbieter vor potenziellem Wettbewerb145 schützen und dazu führen, dass auch ineffiziente Unternehmen lange marktstarke Positionen innehaben können.146 Je höher die Marktzutrittsschranken sind, desto länger ist das der Fall. Sehr langfristig mag die These der Angreifbarkeit auch für die durch Marktzutrittsschranken abgeschirmten Märkte Geltung beanspruchen können. Dies kann
__________ 140
Kallfass, Die Chicago School – Eine Skizze des „neuen“ amerikanischen Ansatzes für die Wettbewerbspolitk, S. 599 f. 141 Vgl. hierzu Immenga, Die Sicherung unverfälschten Wettbewerbs durch die Europäische Fusionskontrolle, S. 371 f., der allerdings – entgegen Hoppmann, Fusionskontrolle, S. 23 ff. – aus der Existenz eines Marktes für Unternehmensbeteiligungen nicht die Folgerung zieht, eine Fusionskontrolle sei entbehrlich. Vgl. auch Kaufer, Konzentration und Fusionskontrolle, S. 65 ff. 142 Vgl. zur Kritik allgemein Shepherd, „Contestability“ vs. Competition, S. 572 ff. 143 Vgl. Schwintowski, Vertikale Beschränkungen im europäischen Wettbewerbsrecht, S. 908: „Problematisch ist nur, dass es vollkommene Märkte in der Wirklichkeit nicht gibt,…“. 144 Schon Hayek wies daraufhin, dass Marktzutrittsschranken den Wettbewerb beeinträchtigen können (The Road to serfdom, S. 27): „And it is essential that the entry into the different trades should be open to all on equal terms, and that the law should not tolerate any attempts by individuals or groups to restrict this entry by open or concealed force.“ Allerdings ist diese Aussage, die sich auf strategische Marktzutrittsschranken bezieht, wohl eher als Plädoyer für eine Verhaltensdenn für eine Konzentrationskontrolle zu verstehen. Vgl. dazu auch die Diskussion in Unterabschnitt 3. 145 Unter potenziellem Wettbewerb soll Wettbewerb verstanden werden, der im Gegensatz zu tatsächlichem Wettbewerb noch nicht besteht, während eines absehbaren Prognosezeitraums jedoch realistisch erscheint. Die EU-Kommission bestimmt als einen solchen Prognosezeitraum z.B. die Dauer von zwei bis vier Jahren. Vgl. dazu insbesondere die Entscheidungen Mannesmann/Hoesch (Kommission, Entscheidung vom 12.11.1992, Sache IV/M.222, ABl. 1993 L 114/34, Tz.107) und Procter&Gamble/VP Schickedanz (II) (Kommission, Entscheidung vom 21.6.1994, Sache IV/M.430, ABl. 1994 L 354/32,Tz.178). Vgl. auch § 4 III. 3. g). 146 So auch Wissenschaftlicher Beirat beim BMWi, Gutachten vom 6.12.1986, S. 289 f.
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2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
jedoch mitunter Jahrzehnte dauern – so lange kann keine Volkswirtschaft sinnvoll warten. Der Begriff Marktzutrittsschranken ist im Folgenden weit auszulegen. In erster Linie bezeichnet er die Barrieren für einen Neueintritt in einen Markt. In – teilweise – etwas eingeschränkterem Maße behindern dieselben Barrieren jedoch auch kleinere Wettbewerber, ihre Produktion auszuweiten bzw. ihren Absatz signifikant zu erhöhen. Die Chicago-Schule lehrt, dass nur staatlich geschaffene Marktzutrittsschranken existierten.147 Tatsächlich bestehen sie jedoch in vielfältiger Form. Dabei kann unterschieden werden zwischen Marktzutrittsschranken struktureller Art und denen, die auf das Verhaltens anderer Marktteilnehmer, d.h. insbesondere der marktstarken Unternehmen selbst, zurückzuführen sind (sog. strategische Marktzutrittsbarrieren).148 Strukturell sind insbesondere die Marktzutrittsschranken, die als höhere Anfangskosten durch die sog. Erfahrungskurve ausgedrückt werden. Diese zeigt in Abhängigkeit von der Erfahrung einer Tätigkeit auf einem Markt einen zunehmenden Kostensenkungseffekt, der aus fallenden Material- und Vorproduktkosten, realisierten Größenvorteilen (economies of scale), zunehmender Beherrschung der Verfahren, Verbesserungen in den Produktionsverfahren, etc. resultiert.149 Nach dem „Erfahrungssatz“ sollen die Stückkosten bei jeder Verdopplung eines produzierten Gutes um 20-30% fallen.150 Von besonderer Bedeutung können dabei die durch sog. set-up Kosten anfänglich entstehenden absoluten Kostennachteile sein.151 Sie folgen aus den anfänglich zu tätigenden irreversiblen Investitionen, dem Erwerb sog. idiosynkratischer Güter, d.h. Güter, die bei Misserfolg des Newcomers nicht oder nur unter Verlust wieder veräußert werden können. Besonders hoch sind die set-up Kosten, wenn der Produktionsfaktorenmarkt durch etablierte Unternehmen monopolisiert ist (durch vertikale Integrationen oder bloße Ausschließ-
__________ 147 Demsetz, Barriers to Entry, S. 47 ff. – Dies ist zumindest die „main-stream“-Linie der Chicago-Schule. Wichtige Vertreter der Chicago-Schule (vgl. z.B. Bork, The Antitrust Paradoxon, S. 329) sehen die Existenz strategischer Marktzutrittsschranken, d.h. Marktzutrittsschranken, die von Marktführern künstlich geschaffen werden, um potenziellen Wettbewerb zu vereiteln. Hieraus ziehen diese Vertreter der Chicago-Schule jedoch lediglich die Konsequenz, dass eine effektive Verhaltensaufsicht durchzuführen sei. Vgl. hierzu Unterabschnitt 4. 148 Vgl. Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 101 ff. 149 Vgl. Dunn, Neue Industriepolitik oder Stärkung der Marktkräfte?, S. 169: „Der erfahrungsbedingte Vorsprung in der Anwendung einer bestimmten Technologie und die aus dem Lernprozeß resultierenden Produkt- und Prozessverbesserungen ermöglichen es dem Erstanwender, seine Position für eine unbestimmte Zeit auszubauen, weil die Gefahr der Fremdnutzung durch konkurrierende Unternehmen gering ist.“ 150 Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 28; Lange, Die Erfahrungskurve, S. 229 ff. 151 Kallfass, Großunternehmen und Effizienz , S. 102 f.
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lichkeitsverträge152) und die Kosten für die Erschließung neuer Produktionsmittel höher sind als die Kosten des bloßen Erwerbs. Lernkosten entstehen aus Lernprozessen bis zur Beherrschung der Produktions- und Absatzverfahren, aus Informationsaktivitäten bezüglich der Produktionsverfahren, Faktorpreisen, Angebots- und Nachfragebedingungen etc. sowie aus den Aufwendungen für die Einführung eines Gutes auf dem Markt. Trotz aufgewendeter „Lernkosten“ verbleibt für den Newcomer das Risiko der Unsicherheit vor dem Markteintritt,153 ob seine Informationen über den Gütermarkt (Preisniveau, Preisstruktur und abgesetzte Mengen) und die vorhandenen Unternehmen (das Produktionsverfahren, die technischorganisatorischen Anpassungsmöglichkeiten der Produktion und die Kostenstrukturen), die Elastizität der Nachfrage und die eigenen Produktionsmöglichkeiten zutreffend sind.154 Auf vielen Gütermärkten besitzen die tätigen Unternehmen Insiderwissen, das nicht käuflich erworben werden kann. Hieraus ergibt sich, dass ein Unternehmen, das nicht die bestmögliche produktive Effizienz aufweist, möglicherweise doch nicht von einem potenziellen Wettbewerber übertroffen werden kann, weil diesem Informationen fehlen bzw. er die genannten Nachteile tragen muss. Insiderwissen kommt allerdings dann nur in eingeschränktem Maße zum Tragen, wenn der Newcomer gerade eine neue Produktionsweise einführen will. Sind die economies of scale erheblich, können neu in den Markt tretende Unternehmen zudem gezwungen sein, von Anfang an in Höhe der mindestoptimalen Betriebsgröße zu produzieren. Damit haben sie nicht die Möglichkeit, mit kleineren Kosten und kleinerem Risiko eine „Testphase“ zu starten. Strukturelle Marktzutrittsschranken infolge staatlicher Eingriffe entstehen durch kostenträchtige Vorschriften, die zum Schutz der Umwelt, Arbeitskräfte oder Konsumenten geschaffen wurden, jedoch nur für Newcomer gelten, da ältere Unternehmen sich auf Bestandschutz berufen können oder die Verträglichkeit ihres Handelns für die genannten schützenswerten Rechtsgüter bekannt ist. Sonderfall des absoluten Kostennachteils ist das Patentrecht, bei dem der Schutz des Pionierunternehmens sogar Ziel des staatlichen Eingriffs ist.155 Neben strukturellen Marktzutrittsschranken haben auch strategische Marktzutrittsbarrieren eine erhebliche Bedeutung. Sie werden von marktbeherrschenden Unternehmen regelmäßig geschaffen, um potenziellen Wettbewerb abzu-
__________ 152 „Monopolisierung“ durch Ausschließlichkeitsverträge mit Zulieferern oder Abnehmern unterfällt allerdings den strategischen Marktzutrittsschranken, s. dazu weiter unten in diesem Abschnitt. 153 Kallfass, Großunternehmen und Effizienz, S. 103. 154 Ökonomisch wird dieses Risiko als zusätzliche Kosten betrachtet. Vgl. hierzu van de Loo, Marktstruktur und Wettbewerbsbeschränkung, S. 413 ff. 155 Zur ökonomischen Analyse des Patentschutzes vgl. Kaufer, Industrieökonomik, sowie Scherer, Industrial Market Structure and Economic Performance, chapter 5.
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2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
wehren. Dies erfolgt beispielsweise durch die Diversifizierung von Produkten. Hierbei handelt es sich um einen Umstand, dem die Harvard-Schule besonderes Gewicht beimisst. Sie machte darauf aufmerksam, dass ein höherer Marktanteil die Möglichkeit zu größeren Produkt- und Preisdifferenzierungen156 beinhaltet. Die von der Chicago-Schule angenommene größere Effizienz marktstarker Unternehmen betrachtet die Harvard-Schule als die lediglich ausgeprägtere Fähigkeit, „Produkte durch Werbung oder patentfähige Produktverbesserungen zu differenzieren“.157 Durch den hohen Marktanteil und die Produktdifferenzierung erhalte der Anbieter die Möglichkeit, monopolistische Spielräume zu nutzen und überhöhte Preise zu verlangen. Mangels Wettbewerbsdrucks könne grundsätzlich jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass die erlangten Effizienzvorteile auch an die Abnehmer abgegeben würden. So hätten Anbieter mit einem hohem Marktanteil oft – durch economies of scale begründete – niedrigere Kosten, seien aber gleichzeitig in der Lage, höhere Preise zu verlangen.158 Gegen diese These wird eingewandt, dass eine durch Werbung unterstützte Produktdifferenzierung in erster Linie Kosten für das am Markt tätige Unternehmen verursache. Ein Newcomer sei nicht gezwungen, diese Kosten auch aufzuwenden. Deshalb ergebe sich hieraus keine Marktzutrittsschranke.159 Dies überzeugt indes nicht. Selbst wenn ein Newcomer nicht in alle – durch Produktdifferenzierung geschaffenen – Marktsegmente eindringen wollte, müsste er zumindest Werbeaufwand betreiben, um seinem Produkt ein bestimmtes Image zu verleihen. Ob er dadurch den Einstieg in ein bereits bestehendes Marktsegment erreichen will oder selbst ein neues Segment schaffen will, ist dabei bedeutungslos. Im Übrigen belegen Studien, dass die Gewinne von Anbietern als Funktion des Produkts aus Marktanteil und Produktdifferenzierung zu sehen sind.160 Auch der Konsumalltag belegt bei den meisten Gütern die These der differenzierten Produktreihe marktstarker Unternehmen. Für Newcomer ergibt sich hieraus jedoch die Pflicht, marktbeherrschende Unternehmen in ihrer gesamten Palette anzugreifen. Das verpflichtet Newcomer zu einem von Anfang an sehr hohen Output mit entsprechender Anfangsinvestition und hohem Risiko. Strategische Marktzutrittsschranken ergeben sich außerdem durch Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit Zulieferern oder Abnehmern.
__________ 156 Hierunter fällt auch die durch Werbung unterstützte sog. psychologische Produktdifferenzierung, die sich durch den Aufbau unterschiedlicher „Images“ identischer Produkte an unterschiedliche Käufergruppen wendet. Verbreitet ist diese Differenzierung beispielsweise in der Zigarettenindustrie. 157 Mueller, Das Antitrustrecht der Vereinigten Staaten am Scheidewege, S. 543. 158 Vgl. Schmidt/Rittaler, Die Chicago School of Antitrust Analysis, S. 62. Schmidt und Rittaler stellen hier – entgegen dem eigentlichen Titel des Buches – die Argumentationen der Chicago- und der Harvard-School einander gegenüber. 159 Schultze, Marktzutrittsschranken in der Fusionskontrolle, S. 100, 102. 160 Vgl. Ravenscraft, Structure Profit Relationship at the line of business and industry level, S. 22 ff.: In dieser Studie wird die Produktdifferenzierung anhand der Höhe der Werbeausgaben und des Verhältnisses zwischen Patenten und Verkaufszahlen gemessen.
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
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Solche Vereinbarungen sind oft verbunden mit einem Portfolioeffekt, aufgrund dessen Einzelhändler beispielsweise verpflichtet oder positiv sanktioniert werden, ein breites Sortiment an Gütern eines Herstellers anzunehmen. Nicht zu übersehen ist überdies die zeitliche Dimension, d.h. die Zeit, die das Unternehmen vom Anstoß zum unternehmerischen Handeln, über die Suche einer Einstiegslücke bis zur Einführung des Guts auf dem Markt aufwenden muss. Während dieser Zeit können etablierte Unternehmen unter Umständen den Eintritt der Newcomer erkennen bzw. antizipieren. Unter Umständen können sie dann ihre eigenen Produktionsweisen vor dem eigentlichen Zutritt des Newcomers auf den Markt effizienter gestalten oder ihre Gewinnmargen durch eine Preisreduzierung senken und damit dem Newcomer zuvorkommen. Dem Wettbewerb wäre in diesem Falle zwar geholfen. Für den Newcomer ergibt sich hieraus jedoch von vornherein eine Marktzutrittsschranke, weil er mit dem Zuvorkommen des etablierten Unternehmens rechnen und dieses Risiko in seine Planungen mit aufnehmen muss. Marktzutrittsschranken sind deshalb verbreitet; potenzieller Wettbewerb ist auf vielen Märkten gar nicht oder nur eingeschränkt vorhanden. Eine Fusionskontrolle, die betrachtet, inwieweit eine marktstarke Stellung wettbewerblich gefährlich ist, weil sie nicht leicht durch potenziellen Wettbewerb angegriffen werden kann, ist deshalb unentbehrlich. Andererseits muss eine solche Kontrolle, wenn sie zu dem Ergebnis kommt, dass Marktzutrittsschranken nicht sehr hoch sind und potenzieller Wettbewerb existiert, dies auch berücksichtigen. Das bedeutet, dass in einem solchen Fall eine Untersagung nicht erforderlich ist. Äußerst problematisch sind deshalb leichtfertige Annahmen von Marktbeherrschung, die sich lediglich auf die Existenz hoher Marktanteile stützen.161 Die notwendige Untersuchung, ob bzw. welche Markzutrittsschranken existieren, muss weiterführend auch betrachten, von welcher Seite aus potenzieller Wettbewerb evtl. vermutet werden könnte. Dabei ist zu beachten, dass Marktzutrittsbarrieren für etablierte Unternehmen grundsätzlich niedriger sind als für neu zu gründende Unternehmen. Existierende Unternehmen verfügen über ein gewisses Know-How (Produktions-, Markt- und Organisationskenntnisse), das sie für einen Eintritt in – in sachlicher oder geografischer Hinsicht – benachbarte Märkte nutzen können. Des Weiteren verfügen sie in der Regel über eine größere Finanzkraft, über Produktionsfaktoren und über einen – mehr oder weniger – bekannten Markennamen. Dies alles bevorteilt sie gegenüber neu zu gründenden Unternehmen. Deshalb ist auf der Suche nach potenziellem Wettbewerb insbesondere auf sachlich oder geografisch benachbarte Märkte zu blicken.162 Im Hinblick auf die auf diesen Märkten tätigen Unternehmen hat
__________ 161 162
Diese Gefahr besteht in allen drei betrachteten Fusionskontrollsystemen. Vgl. Bailey/Friedlaender, Market Structure and Multiproduct Industries, S. 1044.
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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sich die Fusionskontrolle mit der Frage zu beschäftigen, welche Marktzutrittsschranken ihrem Eintritt in den Markt entgegenstehen könnten, um beurteilen zu können, ob diese Unternehmen als potenzielle Wettbewerber zu qualifizieren sind. Dabei ist zu beachten, dass potenziellem Wettbewerb von geografisch benachbarten Märkten neben den geschilderten Marktzutrittsschranken überdies Zölle oder vergleichbare Handelshemmnisse entgegenstehen, wenngleich mit deren langsamen, schrittweisen Abbau infolge der Umsetzung der WTOVereinbarungen zu rechnen ist. Soweit bereits globale Märkte existieren, kann potenzieller Wettbewerb von benachbarten geografischen Märkten allerdings (offensichtlich) nicht existieren. Der erwähnten McKinsey-Studie163 aus dem Jahre 1993 zufolge gibt es allerdings selbst in Deutschland nur wenige Gütermärkte, auf denen Unternehmen tatsächlich globalem Wettbewerb ausgesetzt sind.164 Auf den meisten Märkten besteht der Studie zufolge dagegen regionaler, d.h. europäischer, Wettbewerb. Potenzieller Wettbewerb ist auf diesen Märkten deshalb – im Rahmen internationaler Handelsliberalisierung, d.h. dem Abbau rechtlicher Marktzutrittsschranken – insbesondere von außereuropäischen Unternehmen zu erwarten. In Russland existiert bereits auf einigen Märkten165 globaler Wettbewerb. Dabei besetzen jedoch ausländische Anbieter auf den meisten Märkten jeweils nur ein kleines Luxussegment. Für die verbleibenden Marktanteile steht ausländischem Wettbewerb die extrem schwache Finanzkraft eines Großteils der russischen Bevölkerung entgegen. Signifikanter potenzieller Wettbewerb von seiten ausländischer Unternehmen ist deshalb nur unter der Bedingung zu erwarten, dass diese die Möglichkeit haben und nutzen, in Russland kostengünstig zu produzieren. Dies ist zur Zeit insbesondere in der Nahrungsmittel- und Konsumgüterindustrie der Fall. Im Übrigen kann signifikanter potenzieller Wettbewerb für die absehbare Zukunft dagegen nur von seiten russischer Unternehmen sachlich benachbarter Märkte oder – trotz höherer Lernkosten – von Newcomern erwartet werden. Ihre Lernkosten sind im Vergleich zu denen von Newcomern auf westlichen Märkten allerdings aufgrund geringerer Markttransparenz, dem jüngeren Entwicklungsstadium der Marktwirtschaft und den daraus folgenden geringeren Erfahrungen ihrer Teilnehmer noch erhöht. Auch vertikale Verbindungen sind – aus Zeiten der Planwirtschaft verbleibend – in Russland noch ausgeprägter als in Westeuropa.
__________ 163
Vgl. oben III. 4. mit der Angabe der geprüften Branchen und den Ergebnissen. Dies entspricht auch der Entscheidungspraxis der Kommission, vgl. dazu § 4 III. 2. b). 165 Der Begriff „Markt“ wird hier im Sinne des „Gütermarktes“ nach der Abgrenzung des russischen Antimonopolministeriums verwendet. Es ist jedoch zu diskutieren, ob nicht aus Nachfragesicht manche Luxussegmente als eigenständige Märkte betrachtet werden sollten. Hierfür sprechen die extrem hohen Preisunterschiede zwischen in- und ausländischen Produkten, die eine Austauschbarkeit im Sinne des Bedarfsmarktkonzepts – vgl. hierzu unten § 4 III. 2. a) – zweifelhaft erscheinen lassen. Vgl. auch § 5 III. 1. b) (1). 164
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
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Andererseits bieten etablierte russische Unternehmen auf den meisten Märkten aufgrund eines enormen Ausmaßes an produktiver Ineffizienz Newcomern größere und leichtere Angriffspunkte. Dennoch ist eine Fusionskontrolle unentbehrlich, die nach Marktzutrittsschranken sucht und bei mangelndem potenziellen Wettbewerb evtl. entstehende Marktbeherrschung abzuwenden vermag. Im Umkehrschluss darf eine Fusionskontrolle, die auf einem Markt beträchtlichen potenziellen Wettbewerb entdeckt, einen eine marktstarke Stellung begründenden Zusammenschluss mangels wettbewerblicher Bedenklichkeit nicht untersagen. Diese „Befreiungswirkung“ potenziellen Wettbewerbs wird teilweise bezweifelt. Auf potenziellen Wettbewerb dürfe zumindest nicht grundsätzlich abgestellt werden, weil sich Unternehmen oft gar nicht bewusst seien, dass sie potenziellem Wettbewerb ausgesetzt sind. Deshalb stellten sie sich auch nicht mittels des Versuchs effizienten Verhaltens auf ihn ein.166 Eine solche Argumentation übersieht jedoch, dass es auf die subjektiven Vorstellungen eines Unternehmens nicht ankommt. Entscheidend ist, dass ein ineffizientes Unternehmen bei Existenz eines potenziellen Wettbewerbers von diesem angegriffen und aus seiner marktbeherrschenden Stellung vertrieben werden kann. Dies dient der allokativen Effizienz einer Volkswirtschaft und genügt den Anforderungen eines funktionsfähigen Marktes. Ob ein marktbeherrschendes Unternehmen die Gefahr potenziellen Wettbewerbs rechtzeitig erkennt und durch Steigerung seiner produktiven Effizienz dem Newcomer zuvorkommt oder ob es durch einen Newcomer verdrängt wird, spielt aus wettbewerblicher Sicht heraus keine Rolle. Entscheidend ist, dass es ein Unternehmen gibt, das das möglichst effiziente Verhalten realisiert. Deshalb ist eine Fusion dann nicht zu untersagen, wenn sie zwar ein marktstarkes Unternehmen schafft, dieses jedoch aufgrund nur schwacher Zutrittsbarrieren auf dem betreffenden Markt starkem potenziellen Wettbewerb ausgesetzt ist. Als Annex sei noch auf die im Zusammenhang mit der These der Funktionsfähigkeit des Marktes von der Chicago-Schule vertretene Auffassung eingegangen, dass eine Fusionsuntersagung ein Eingriff in den funktionsfähigen Markt für Unternehmensbeteiligungen darstelle. Auch sie überzeugt letztlich nicht. Zweifelhaft ist bereits, ob ein solcher Markt wirklich ausgeprägt ist,167 da jeweils nur sehr wenige Erwerber in Betracht kommen. Zudem sind die Trans-
__________ 166
Mantzavinos, S. 110, verweist auf Beispiele von Unternehmen und ganzer Branchen, die ruiniert worden seien, weil sie sich ihrer potenziellen Konkurrenten nicht bewusst gewesen seien. 167 Vgl. Kaufer, Konzentration und Fusionskontrolle, S. 65 ff.; ders., Industrieökonomik, S. 512 ff.
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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aktionskosten auf diesem „Markt“ sehr hoch. Letztlich ist jedoch irrelevant, inwieweit ein solcher „Markt“ angenommen werden kann. So zeigen Diskriminanzanalysen, dass dieser Teil des Kapitalmarktes nicht in der Lage ist, weniger effiziente Unternehmen zu displinieren.168 Vor einer Übernahme schützt am ehesten Größe, nicht jedoch die Effizienz des Managements. Entscheidend ist aber, dass aufgrund bestehender Marktzutrittsschranken kein funktionsfähiger Wettbewerb auf den Güter- oder Dienstleistungsmärkten besteht, wenn marktbeherrschende Unternehmen aufgrund externen Wachstums entstanden sind. Im Sinne einer allokativen Effizienz kann dann auch der Erwerb eines Unternehmens, der diese Situation ermöglicht, nicht wettbewerbsförderlich sein. Vielmehr sprechen die exorbitanten Preise, die bei Unternehmensübernahmen bezahlt werden, eher dafür, dass Übernehmer eine Kapitalrendite aus Wettbewerbsbehinderungen auf den jeweiligen Gütermärkten ziehen wollen. Das Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte des Marktes reicht deshalb nicht aus, Wettbewerbsbeeinträchtigungen aufgrund externen Wachstums zu begegnen. Potenzieller Wettbewerb ist infolge von Marktzutrittsbarrieren auf zu vielen Märkten zu schwach ausgeprägt, um einen laissez-faire-Ansatz gegenüber Unternehmensfusionen zu wählen. Dies gilt um so mehr in Russland, da dort die Marktzutrittsbarrieren noch ausgeprägter sind als in westlichen Marktwirtschaften. Sind Marktzutrittsbarrieren allerdings erkennbar niedrig, steht der Freigabe einer Fusion, die eine starke Marktkonzentration verursacht, nichts entgegen. 4. Reicht eine Verhaltenskontrolle aus? Die Fusionskontrolle wäre auch entbehrlich, wenn eine Verhaltenskontrolle Wettbewerbsbeeinträchtigungen infolge externen Unternehmenswachstums sachgerecht verhindern könnte. Sie wäre der Fusionskontrolle in diesem Falle vorzuziehen, da sie gegenüber jener ein milderes Mittel darstellt. Schmidt169 vertritt die Auffassung, dass eine Missbrauchsaufsicht Ausdruck dirigistischer Politik sei und folglich nur in den Fällen angewendet werden solle, in denen kein anderer Ansatz möglich sei. Im Vergleich zur Strukturkontrolle überzeugt dies jedoch nicht. Die Fusionskontrolle, die wesentlich früher ansetzt und im Falle der Untersagung eine gesamte Unternehmensneugründung oder -übernahme verbietet, stellt dadurch eine wesentlich stärker in die Rechte der beteiligten Unternehmen eingreifende Maßnahme dar als eine gewisse „Gängelei“ im day-to-day business oder das Verbot bestimmter Handelsprakti-
__________ 168 169
Kaufer, Konzentration und Fusionskontrolle, S. 66 – s. auch S. 76. I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 155.
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
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ken. Die Verhaltenskontrolle wäre deshalb für die beteiligten Unternehmen ein milderes Mittel als eine Fusionskontrolle. Die Fusionskontrollen im Wesentlichen ablehnende Chicago-Schule betont teilweise die Bedeutung der Verhaltenskontrolle, da ihrer Auffassung nach Wettbewerbsgefahren nahezu ausschließlich von horizontalen Kollisionen (insbesondere individuellen oder geografischen Marktaufteilungen) ausgingen. So fordern manche Vertreter der Chicago-Schule strikte Kontrollen gegenüber Preisabsprachen,170 während andere Vertreter der Chicago-Schule geheime Preisabsprachen mangels Durchsetzbarkeit für wirkungslos halten,171 so dass eine staatliche Kontrolle entbehrlich sei.172 Gemein ist ihnen allen die Überzeugung, dass Kollisionen einfach erkenn- und nachweisbar173 und deshalb gut durch eine Verhaltenskontrolle zu unterbinden seien. Diese Auffassung überzeugt indes nicht. Im Gegensatz zur ex ante-Aufsicht der Fusionskontrolle stellt die Verhaltensaufsicht eine ex post-Kontrolle dar. Sie hinkt deshalb der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher174 und kann erst eingreifen, wenn Wettbewerbsbeeinträchtigungen bereits eingetreten sind.175 Dieser Nachteil wird durch Regelungen der sofortigen Vollziehbarkeit von Missbrauchsverfügungen (so § 65 GWB im deutschen Recht) auch nur leicht gemindert. Auch ein Ansatz, der besagt, dass mangels wettbewerbsbeschränkender Motivation der Unternehmen eine Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen im Gegensatz zur Verhaltenskontrolle nicht sachgerecht sei, überzeugt nicht.176 Wettbewerbliche Konsequenzen müssen unabhängig von subjektiven Vorstellungen der Marktteilnehmer betrachtet werden. Entscheidend für die Überlegenheit der Fusions- gegenüber der Verhaltenskontrolle ist aber neben dem früheren Zeitpunkt der Kontrolle die höhere Praktikabilität der ersteren. 177
__________ 170
So Demsetz, Economies as guide to antitrust regulation, S. 383. So Stigler, The Organization of Industry, S. 268. 172 Diese Auffassung hatte großen Einfluss auf die Antitrustpolitik des US-Department of Justice zur Zeit Präsident Reagans. Vgl. Buxbaum, Enforcement of United States Antitrust Laws during the Reagan Administration, S. 568 ff.; sowie Lüttig, Die Rolle der Marktzutrittschranken im Fusionskontrollrecht der Bundesrepublik Deutschland und der USA, S. 165 m.w.N.: „Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die den Thesen der ,Chicago School‘ folgende Entscheidungspraxis weitgehend alle Zusammenschlüsse unbeanstandet lässt, obwohl dadurch im Ergebnis die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs leidet. Das ausgesprochene ,Laissez-faire‘ der US-amerikanischen Fusionskontrollpraxis in den letzten zehn Jahren scheint dem Recht zu geben.“ 173 Vgl. Stigler, The Organization of Industry, S. 268 ff. 174 Vgl. Mueller, Lessons from the United States’s antitrust history, S. 435, 440. 175 So auch Monopolkommission, Hauptgutachten VI, Tz. 445. 176 Vgl. hierzu Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 147. 177 So auch Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 147. 171
2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
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Unternehmensneugründungen bedürfen in Russland der Registrierung im staatlichen Unternehmensregister.178 Ein Anteilserwerb – insbesondere auch durch Mittelsmänner – kann dagegen eher verborgen bleiben. Letztlich dürfte aber auch dieser eher nachweisbar sein als das Vorliegen von Absprachen. Dies gilt bei sog. feindlichen Übernahmen, bei denen das gegen seinen Willen übernommene Unternehmen auf die Einhaltung etwaiger kartellrechtlicher Vorschriften achten wird. Es gilt aber ebenso für andere Übernahmen aufgrund verschiedener Publizitätsanforderungen, die die meisten Rechtsordnungen an Anteilsübertragungen stellen.179 Das Argument der einfacheren Nachweisbarkeit von Absprachen überzeugt deshalb ebenfalls nicht. Hinzukommt, dass Zusammenschlüsse stabiler sind als Kartelle – das macht sie gefährlicher.180 Aus externem Wachstum folgenden Wettbewerbsbeeinträchtigungen kann deshalb durch eine Verhaltenskontrolle nicht ebenso gut wie durch eine Fusionskontrolle begegnet werden. V. Zusammenfassung Zusammenschlüsse von Unternehmen können die Gefahr verminderten Wettbewerbs auf den Märkten hervorrufen, auf denen diese Unternehmen tätig sind. Diese Gefahr besteht insbesondere beim Zusammenschluss unmittelbarer Wettbewerber (horizontaler Zusammenschluss), da alleine die Reduzierung der Anzahl der auf einem Markt tätigen Wettbewerber die Wettbewerbsintensität reduziert. Auch durch eine vertikale Integration – vor allem eine Internalisierung von Bezugswegen – kann ein Unternehmen eine gegenüber seinem Wettbewerber derartig überragende Position gewinnen, dass Wettbewerb erheblich eingeschränkt wird. Dies gilt besonders dann, wenn das Unternehmen sich selbst und Wettbewerber mit notwendigen Rohstoffen versorgen kann. Bei konglomeralen Zusammenschlüssen kann sich das Potential wettbewerbsbeschränkender Strategien erhöhen. Auf mittelständisch strukturierten Märkten kann der Erwerb eines Anbieters durch ein Großunternehmen aufgrund dessen sog. Finanzkraft signifikante wettbewerbliche Folgen haben. Obgleich insgesamt von geringerer Bedeutung können deshalb auch konglomerale Zusammenschlüsse Wettbewerbsgefahren verursachen. Bei bloßem inneren Unternehmenswachstum, das selbst Ergebnis von Wettbewerb ist, sind diese Gefahren dagegen geringer.
__________ 178
Dies entspricht im Wesentlichen dem deutschen Handelsregister. Vgl. beispielsweise die Beurkungspflicht von GmbH-Anteilen nach deutschen Recht (§ 15 GmbHG), die das russische GmbH-Gesetz allerdings nicht zwingend vorschreibt, sondern der Bestimmung durch die Satzung vorbehält (§ 21 Abs. 6 rus. GmbHG). Eine gewisse Publizität bewirken aber auch die Mitteilungspflichten gegenüber der Gesellschaft einer Übernahme von 25% der Anteile an einer deutschen Aktiengesellschaft nach § 20 AktG, bzw. von 30% der Anteile an einer russischen Aktiengesellschaft nach § 80 rus. AktG. 180 Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, § 11, Rz. 709. 179
§ 3 Wettbewerbstheoretische Begründbarkeit
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Strukturellen Wettbewerbsgefahren, die durch externes Unternehmenswachstum verursacht werden, muss deshalb begegnet werden. Dem stehen auch nicht etwaige mögliche positive Folgen von Unternehmenszusammenschlüssen entgegen. Als solche werden insbesondere Betriebsgrößenvorteile (economies of scale), Transaktionskosten- und konglomerale Vorteile, höhere technische Innovationsfähigkeit und internationale Wettbewerbsfähigkeit genannt. Economies of scale dürften bei hohen finanziellen Aufgreifkriterien einer Fusionskontrolle keine Rolle mehr spielen. Transaktionskostenvorteile können nicht erreicht werden, soweit die Möglichkeit verlässlicher Vertragsbeziehungen zu externen Anbietern besteht. In entwickelteren Marktwirtschaften haben vertikale Integrationen deshalb häufig vielmehr X-Ineffizienzen zur Folge. In Russland können Transaktionskostenvorteile bei vertikalen Integrationen dagegen angesichts vergleichsweise schlecht ausgebauter Verkehrsnetze und Infrastrukturen und vergleichsweise unzuverlässiger Bezugswege von Bedeutung sein. Das Argument des sog. technischen Fortschritt überzeugt kaum. Für die technische Innovationsfähigkeit von Unternehmen dürfte der Zusammenschluss starker Wettbewerber eher kontraproduktiv sein. Großer Kapitalbedarf kann – obgleich in Russland etwas eingeschränkter – durch externe Finanzierungen oder kartellrechtlich unproblematischere Forschungskooperationen erfüllt werden. Auch die angebliche Förderung internationaler Wettbewerbsfähigkeit durch wichtige Unternehmenszusammenschlüsse wird regelmäßig überbewertet. In Russland könnte dieses Argument – im Gegensatz zu westlichen Marktwirtschaften – allerdings noch eine gewisse Bedeutung haben. Vereitelt werden Marktstrukturgefahren durch eine präventive Zusammenschlusskontrolle vor Durchführung der Zusammenschlusskontrolle, die genau die wettbewerblichen Konsequenzen analysiert, die aus dem Zusammenschluss zu erwarten sind. Auf der Grundlage aussagekräftiger Marktinformationen können so sachgerechte Schlüsse gezogen werden. Werden dabei Wettbewerbsgefahren erkennbar, müssen diese frühzeitig durch Untersagungen oder Auflagen vereitelt werden, da fusionsbedingte Marktungleichgewichte – in zumindest überschaubarer Zeit – weder durch Selbstheilungskräfte des Marktes noch jederzeit durch eine zu spät ansetzende Verhaltenskontrolle behoben werden. Den Selbstheilungskräften des Marktes stehen regelmäßig strukturelle oder strategische Marktzutrittsschranken entgegen. Umgekehrt ist die Existenz von Marktzutrittsschranken aber auch zwingende Voraussetzung von Marktbeherrschung. Andernfalls sind hohe Marktanteile tatsächlich nur Ausdruck überragender Effizienz. Zusammenschlüsse sind dann nicht zu untersagen. Die sorgfältige Suche nach Marktzutrittsschranken muss deshalb wesentlicher Bestandteil jeder Fusionskontrolle sein. Sie ist ebenso unabdingbar wie Fusionskontrollen selber. Im Einzelfall können – zumindest auf eher unterentwickelten Märkten in Russland – auch Zielkonflikte bestehen, die eine Freigabe aus den genannten nicht-wettbewerblichen Gründen nahe legen. Dies bedarf jedoch einer
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2. Teil: Theoretische Grundlagen der Fusionskontrolle
besonders sorgfältigen Abwägung. Andernfalls besteht die Gefahr industriepolitisch motivierter Freigaben, durch die Wettbewerb und Wohlstand unterentwickelt bleiben.
Dritter Teil
Das Konzept der russischen Fusionskontrolle unter Vergleich mit dem europäischen und dem deutschen System § 4 Konzept und Funktion der Fusionskontrolle in Europa und Deutschland I. Entstehungsgeschichte und Konzept 1. Entstehungsgeschichte – die europäische Fusionskontrolle zwischen Wettbewerbsschutz und Industriepolitik Auf europäischer Ebene existiert eine eigentliche Regelung der Fusionskontrolle erst seit In-Kraft-Treten der Fusionskontrollverordnung (im Weiteren FKVO)1 am 21. September 1990. Zuvor hatte die Kommission Unternehmenszusammenschlüsse gelegentlich als möglichen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung gemäß Art. 86 EGV a.F.2 geprüft.3 Kurz vor In-Kraft-Treten der FKVO entschied der EuGH im sog. Zigarettenurteil4, dass vor dem InKraft-Treten fusionskontrollrechtlicher Regelungen Zusammenschlüsse, abgesehen von Verschmelzungen, auch den Kartelltatbestand von Art. 85 EGV a.F.5 erfüllen könnten.6 Das Urteil hatte jedoch keine Auswirkungen auf die Entscheidungspraxis der Kommission mehr. Die Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen durch die Kommission im Rahmen der Verhaltenskontrolle war eines der Hauptargumente der Befür-
__________ 1
Die VO 4064/89 des Rates vom 21.12.1989, ABl. 1990 L 257/13, geändert durch VO Nr. 1310/97 vom 30.6.1997, ABl. 1997 L 180/1 und ABl. 1998 L 40/17. 2 Heutiger Art. 82 EGV. 3 Einen Missbrauch nahm die Kommission erstmals in Continental Can (Entscheidung vom 9.12.1971, ABl. EG 1971, L 7/25) an. Der EugH (EuGH Slg. 1973, 215 ff., Tz. 24 – Continental Can) bestätigte dies ausdrücklich. Die Kommissionsentscheidung wurde zwar aufgehoben. Dies beruhte allerdings auf der Fehlerhaftigkeit der Marktabgrenzung. 4 EuGH Slg. 1987, 4487 ff. (BAT Reynolds). 5 Heutiger Art. 81 EGV. 6 Gegenstand war eine gegenseitige Minderheitsbeteiligung der Zigarettenhersteller Philip Morris und Rothmans. In dem Urteil sprach sich der EuGH dafür aus, dass Art. 85 EGV a.F. auch auf den Erwerb von Minderheitsbeteiligungen an einem Wettbewerbers anwendbar sein könne. Dies setze lediglich voraus, dass dem Erwerb Vereinbarungen zugrunde liegen. In ihnen könnten Koordinierungen des Wettbewerbsverhalten der selbständig bleibenden Unternehmen gesehen werden.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
worter einer europäischen Fusionskontrollregelung:7 Dogmatisch müsse zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle unterschieden werden,8 Zusammenschlusskontrollen auf Grundlage der Continental Can-Rechtsprechung oder des Zigarettenurteils reichten deshalb nicht aus bzw. überzeugten konzeptionell nicht. Diese Trennung ist – wie zu zeigen sein wird – dem russischen Recht fremd. Im deutschen Recht spielt sie eine ganz besonders wichtige Rolle.9 Im französischen Recht10 existierte sie dagegen lange nicht in dieser Form. Die Auffassung, dass eine einheitliche europäische Fusionskontrollregelung notwendig sei, wurde nicht von allen Mitgliedstaaten geteilt. So gab es – wie grundsätzlich in der Diskussion über den Nutzen einer Fusionskontrolle – zwei starke Gegenauffassungen. Eine insbesondere in den 80er Jahren in Großbritannien verbreitete Ansicht äußerte gegenüber jeglicher Fusionskontrolle die Vorbehalte, die die Chicago-Schule lehrte. Völlig entgegengesetzt verlief bzw. verläuft die Argumentation der – insbesondere in Frankreich11 und Spanien zahlreichen, letztlich jedoch in jedem Land anzutreffenden – sog. Industriepolitiker.12 Sie lehnen Fusionskontrollen konzeptionell nicht notwendigerweise ab, sondern stehen staatlichen Kontrollmechanismen vielmehr oft recht positiv gegenüber. Der Wettbewerbsschutz ist dabei jedoch in der Regel nicht ihr erstes Ziel. So wurden zahlreiche Entwürfe für Fusionskontrollverordnungen verfasst, die wichtige industriepolitische Öffnungsklauseln enthielten.13 Insbesondere die in § 3 III. 4. und 5. erörterten Aspekte des technischen Fortschritts und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sollten oft als dem Wettbewerb entgegenstehende Schutzziele statuiert werden.
__________ 7 Andere Gründe waren insbesondere integrationspolitischer Natur; vgl. hierzu Sedemund/Montag, Fusionskontrolle, S. 75, Rz. 256. Vgl. ebenso Monopolkommission, Sondergutachten 17, Tz. 10: „Eine gemeinschaftsrechtliche Fusionskontrolle ist eine wichtige Voraussetzung für die Verwirklichung der erwarteten Vorteile des Binnenmarktes.“ 8 Vgl. hierzu Monopolkommission, Hauptgutachten V, Tz. 470. 9 Auf sie stützt sich das Verbot aus § 40 Abs. 3 S. 2 GWB, Zusammenschlussfreigaben mit Verhaltensauflagen zu verknüpfen. Weder das europäische noch das russische Recht kennen allerdings ein solches Verbot. Im Ergebnis überzeugt das Verbot jedoch auch nicht, vgl. hierzu unten § 5 IV. 2. 10 Im französischen Kartellrecht existierte bis zum In-Kraft-Treten der „Nouvelles Régulations Economique“ am 17. Mai 2001 keine umfassende ex ante-Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen; die Anmeldung war fakultativ. Bei Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung konnten Entflechtungen angeordnet werden. Vgl. hierzu Bach, Reform des französichen Wettbewerbsrechts, S. 422; Kleemann, Das neue französische Wettbewerbsrecht, S. 633 f; Lob, Das neue französische Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, S. 96; ders., Wettbewerbspolitik in Frankreich nach altem und nach neuem Recht, S. 533 ff. Zu der nunmehr umfassenden obligatorischen Zusammenschlusskontrolle vgl. Berlin/Süß, Reform der französischen Fusionskontrolle, S. 549 ff. und Condomines, Die neuen Regelungen der Fusionskontrolle in Frankreich, S. 1071, 1075. 11 Vgl. hierzu Vogel, Industriepolitik und Wettbewerbsrecht aus französischer Sicht, S. 638 ff. 12 Vgl. hierzu oben § 3 I. 2. m.w.N. 13 Vgl. hierzu Janicki, EG-Fusionskontrolle auf dem Weg zur praktischen Umsetzung, S. 196 f.
§ 4 Konzept und Funktion der Fusionskontrolle in Europa
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Ein Entwurf der Kommission aus dem Jahre 1984 beispielsweise enthielt auf Initiative des Europäischen Parlaments eine Regelung, derzufolge auch die Auswirkungen des internationalen Wettbewerbs berücksichtigt werden sollten.14 Im Übrigen enthielt der Entwurf eine Ausnahmeklausel, aufgrund derer jedes „vorrangige Ziel der Gemeinschaft“ die Freigabe eines Zusammenschlusses trotz Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung hätte rechtfertigen können.15 Die am 21. Dezember 1989 vom Ministerrat schließlich verabschiedete endgültige Fassung der FKVO enthielt bzw. enthält keine bedeutsamen industriepolitischen Öffnungsklauseln. Die für eine etwaige Zusammenschlussuntersagung maßgeblichen Eingreifkriterien (Art. 2 FKVO) sind ausschließlich am Wettbewerbsschutz orientiert. Wettbewerbstheoretisch setzte sich damit das auch in § 3 dieser Abhandlung favorisierte Konzept der Harvard-Schule durch. Durch Verzicht auf eine explizite industriepolitische Öffnungsklausel mit entsprechendem Verfahrensschritt ist die europäische Regelung materiellrechtlich und wettbewerbspolitisch konsequenter als das deutsche Recht, das das Institut der Ministererlaubnis aus ordnungspolitischen Gründen kennt.16 2. Entstehungsgeschichte und besondere Charakteristika der deutschen Fusionskontrolle Die gegenüber der europäischen Fusionskontrolle einige Jahre ältere deutsche Fusionskontrolle wurde mittlerweile in vielerlei Hinsicht den europäischen Regelungen angepasst. Bereits der ursprüngliche Regierungsentwurf zum GWB von 1955 sah eine Fusionskontrolle vor. Unter Hinweis auf economies of scale und internationale Wettbewerbsfähigkeit wurde sie jedoch vom Wirtschaftsausschuss verworfen.17 Durch die 2. Novelle des GWB im Jahre 1973 wurde eine Fusionskontrolle geschaffen.18 Im Gegensatz zu der FKVO beinhaltete die deutsche Fusionskontrolle – ähnlich den russischen Regelungen – zunächst insbesondere ein Anzeigeverfahren (ex post-Kontrolle), d.h. Unternehmenszusammenschlüsse durften bereits vor Freigabe durch das BKartA vollzogen werden. Nur besonders gewichtige Zusammenschlüsse mindestens zweier Unternehmen mit einem Jahresgesamtumsatz von jeweils mindestens einer Milliarde DM unterlagen der ex-ante-Kontrolle und durften erst nach Freigabe durch
__________ 14 Bekanntmachung der Kommission vom 23. Februar 1984, ABl. 1984 C 51/8, vgl. hierzu auch Janicki, EG-Fusionskontrolle auf dem Weg zur praktischen Umsetzung, S. 197. 15 Vgl. auch andere Entwürfe mit industriepolitischen Öffnungsklauseln in ABl. 1982 C 36/3 vom 2. Februar 1982; ABl. 1988 C 130/4 vom 19. Mai 1988; ABl. 1989 C 22/14 vom 28. Januar 1989. 16 Vgl. zur sog. Ministererlaubnis im deutschen Recht § 4 III. 6. 17 Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 171. 18 Zweite GWB-Novelle vom 3.8.1973 (BGBl. I, S. 917) – die die Fusionskontrolle betreffenden Normen (damalige §§ 23-24b GWB) traten rückwirkend bereits zum 7.6.1973 in Kraft.
3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
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das BKartA vollzogen werden. Die ex-post-Kontrolle wurde durch die sechste GWB-Novelle19 aufgehoben, da Auflösungsanordnungen im Falle nachträglicher Untersagungsverfügungen regelmäßig rechtstechnische und tatsächliche Schwierigkeiten bereitet hatten.20 Eine wettbewerbstheoretische Besonderheit der deutschen Fusionskontrolle ist die Möglichkeit, wettbewerbliche Vorteile auf einem Markt mit Nachteilen auf einem anderen Markt abzuwägen (sog. „Abwägungsklausel“). Eine weitere institutionelle und wettbewerbspolitische Besonderheit der deutschen gegenüber der europäischen Fusionskontrolle ist das Institut der sog. Ministererlaubnis aus ordnungspolitischen Gründen nach § 42 GWB. Danach kann der deutsche Bundesminister für Wirtschaft und Technologie eine Untersagungsverfügung des BKartA aus industriepolitischen Gründen aufheben. Nachdem seit 1989 keine Ministererlaubnis mehr erlassen worden war, hat die Regelung durch die im Juli 2002 erlassene Ministererlaubnis in Sachen E.on/Ruhrgas neue Bedeutung gewonnen. Kritiker streiten darüber, ob die Existenz eines industriepolitischen Korrektivs einer Fusionskontrolle sinnvoll ist21 oder ob sie de lege ferenda aufgehoben werden sollte.22
II. Formelle Fusionskontrolle – der Begriff des „Zusammenschlusses“ 1. Überblick Aufgreifkriterien, d.h. Voraussetzungen einer Anzeige- oder Anmeldepflicht einer Fusionskontrolle sind ein Zusammenschluss von Unternehmen (hierzu im Einzelnen unter 2.) und die Erfüllung bestimmter finanzieller Schwellenwerte. Letztere sind in der europäischen und deutschen Fusionskontrolle bestimmte weltweite Gesamtumsatzzahlen23 und kumulativ Mindestumsätze innerhalb des örtlichen Regelungsgebiets der jeweiligen Fusionskontrolle, d.h. des Gebiets aller oder einiger24 EU-Mitgliedstaaten im Falle der FKVO und der Bundesrepublik Deutschland im Falle der deutschen Fusionskontrolle. Die Gesamtumsatzzahlen beziehen sich nicht nur auf die jeweils relevanten Produktmärkte,
__________ 19 Zu den Änderungen im Einzelnen vgl. Schulte, Änderungen der Fusionskontrolle durch die 6. GWB-Novelle, S. 297 ff. 20 Auflösungsanordnungen wurden oft als unverhältnismäßig betrachtet. Vgl. BGH WuW/E 2211 f., 2217 (Morris/Rothmans). 21 So insbesondere Basedow, Die Ministererlaubnis muss bleiben, S. 417, sowie Bunte: Nochmals: Rechtsfragen zur Ministererlaubnis, S. 2393 ff. 22 So Möschel, Die Ministererlaubnis, S. 2077 ff. 23 In Russland sind demgegenüber die jeweiligen Bilanzsummen maßgebliche finanzielle Schwellenwerte. 24 Dies gilt nach Art. 1 Abs. 3 FKVO für die Fälle der sog. Vermeidung der Mehrfachnotifizierung.
§ 4 Konzept und Funktion der Fusionskontrolle in Europa
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sondern auf alle Märkte,25 auf denen ein beteiligtes Unternehmen tätig ist.26 Damit unterfallen konglomerale Unternehmen viel eher den Aufgreifkriterien der Fusionskontrolle als marktstarke Unternehmen, die nur auf einem Markt tätig sind. Unternehmensgröße und Finanzkraft und die aus ihr folgende Abschreckungswirkung auf potenzielle Wettbewerber27 sind somit schon im Rahmen der Aufgreifkriterien relevant. Die Anwendbarkeit der Fusionskontrollregelungen ist unabhängig vom Sitz der beteiligten Unternehmen. Alleine der Umstand, dass Unternehmen auf dem europäischen, deutschen oder russischen Markt tätig sind, unterwirft sie der jeweiligen Fusionskontrolle28 (sog. „Wirkungsprinzip“). Zwischen der europäischen Fusionskontrolle einerseits und der deutschen bzw. allen anderen mitgliedstaatlichen Fusionskontrollsystemen andererseits gilt allerdings ein gegenseitiges Verweisungs- und Ausschließlichkeitssystem (sog. „one-stop-shop“Prinzip).29 2. Der Zusammenschluss a) Überblick Entscheidendes Aufgreifkriterium der Fusionskontrolle ist der Begriff des Unternehmenszusammenschlusses. In der FKVO umfasst der Begriff die Alternativen der Verschmelzung von Unternehmen, des Kontrollerwerbs30 und der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, soweit diese sog. Vollfunktionsunternehmen31 sind. Die deutsche Fusionskontrolle kennt den Vermögenserwerb, den Kontrollerwerb, den Anteilserwerb – die beiden letzteren können sich auch
__________ 25 Erwirbt ein Unternehmen allerdings nur Teile eines anderen Unternehmens, sind für die Umsatzberechnung nur die Tätigkeitsbereiche maßgeblich, die tatsächlich übernommen werden. Vgl. hierzu EuG; Urteil vom 24.3.1994, RS T-3/93, Air France/Kommission, Slg. 1994, II-121, WuW/E MUV 973. 26 Vgl. zu der diesbezüglichen deutschen Regelung Möschel, Entwicklungen im amerikanischen und europäischen Kartellrecht, S. 604. 27 Vgl. hierzu oben § 3 II 5. 28 Vgl. EuG zum Zusammenschlussvorhaben Gencor/Lonhro in Gencor/Kommission, RS T102/96: Völkerrechtlich seien die extraterritorialen Effekte dieses Grundsatzes gerechtfertigt, da die Anwendung des Wirkungsprinzips im europäischen Recht für die Völkergemeinschaft vorhersehbar sei. 29 Vgl. hierzu Art. 1 Abs. 2 und 3, Art. 9 und Art. 21 Abs. 2 FKVO sowie § 35 Abs. 3 GWB. 30 Vgl. zur Auslegung dieses Begriffs durch die Kommission deren Bekanntmachung Kommission über den Begriff des Zusammenschlusses der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66/02 (im folgenden „Zusammenschlussbekanntmachung“). 31 Vgl. zur Auslegung dieses Begriffs durch die Kommission deren Bekanntmachung über den Begriff des Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. 1998 C 66/01 (im folgenden „GU-Bekanntmachung“).
3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
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auf die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen beziehen – und die Begründung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses. b) Fusion (Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO) Eine Fusion im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO32 ist eine Verschmelzung von bisher voneinander unabhängigen Unternehmen zu einer einzigen unternehmerischen Einheit.33 Wesentliche Merkmale sind damit die Aufgabe der Rechtspersönlichkeit zumindest eines beteiligten Unternehmens und – im Gegensatz zum deutschen Recht34 – die bisherige Unabhängigkeit der beteiligten Unternehmen voneinander. In der Praxis spielt diese Variante der Verschmelzung keine bedeutende Rolle,35 da bei großen Zusammenschlussvorhaben in den meisten Fällen kein beteiligtes Unternehmen seine Rechtspersönlichkeit aufgibt. Ausnahmen bildeten die Entscheidung Kyowa/Saitama Banks,36 durch die die Verschmelzung der Saitama Bank auf die Kyowa Bank als aufnehmender Gesellschaft freigegeben wurde, oder der Zusammenschluss Daimler/Chrysler.37 c) Kontrollerwerb (Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO) Von größerer praktischer Bedeutung ist die Alternative des Kontrollerwerbs. Dieser liegt gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO38 vor, wenn ein oder mehrere Personen, die bereits mindestens ein Unternehmen kontrollieren, oder ein oder mehrere Unternehmen durch den Erwerb von Anteilsrechten oder Vermögenswerten, durch Vertrag oder in sonstiger Weise die unmittelbare oder mittelbare Kontrolle über die Gesamtheit oder über Teile eines oder mehrerer anderer Unternehmen erwerben. Kontrolle ist dabei gemäß Art. 3 Abs. 3 FKVO die Möglichkeit, einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des erworbenen Unternehmens auszuüben. Bestimmender Einfluss bezeichnet die Macht, Handlungen zu blockieren,
__________ 32
Vgl. auch Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 6. Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrollverordnung, S. 98. Vgl. § 37 Abs. 2 GWB, demzufolge ein Zusammenschluss auch dann vorliegt, wenn die beteiligten Unternehmen bereits vorher zusammengeschlossen waren (d.h. einen Zusammenschlusstatbestand in Sinne des GWB erfüllen), es sein denn, der Zusammenschluss führt nicht zu einer wesentlichen Verstärkung der bestehenden Unternehmensverbindung. 35 Laut Löffler, Kommentar zur europäischen Fusionskontrollverordnung, Art. 3, Rz. 4, weniger als 5% der angemeldeten Zusammenschlüsse. 36 Kommission, Entscheidung vom 7.3.1991, ABl. 1991 C 66/13, WuW/E EV 1591. 37 Kommission, Entscheidung vom 22.7.1998, Sache IV/M. 1204, ABl. 1998 C 252/8, WuW/E EU-V 102. 38 Vgl. auch Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 8 ff. 33 34
§ 4 Konzept und Funktion der Fusionskontrolle in Europa
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die das strategische Geschäftsverhalten eines Unternehmens prägen.39 Diese Möglichkeit kann durch rechtliche ebenso wie durch rein tatsächliche Umstände vermittelt werden. Aus Art. 3 Abs. 3 lit. b FKVO lässt sich entnehmen, dass die Einflussnahme nicht alleine ein nach außen hin erkennbares Handeln umfasst, sondern dass auch interne Beratungen ausreichen, solange sie in irgendeiner Form auf die nach außen gerichtete Tätigkeit des Unternehmens Auswirkungen haben können.40 Entscheidend für den Begriff der Kontrolle ist alleine, dass eine Person nach dem Erwerb durch eine zumindest mittelbar41 gesellschaftsrechtlich vermittelte Position maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens hat. Entgegen der entsprechenden Regelung im GWB42 oder der russischen Regelung im WG43 setzt die FKVO somit beim Anteilserwerb keinen bestimmten Mindestanteil an einem Unternehmen voraus. Die Kapitalbeteiligung an einem Unternehmen ist allerdings ein wichtiges Kriterium für Kontrolle, soweit sie entsprechende Stimmrechte vermittelt. Bei einer Kapitalbeteiligung von über 50% ist ein bestimmender Einfluss anzunehmen, soweit dies auch einer Mehrheit der Stimmrechte entspricht.44 Hält eine Person eine Minderheit des Kapitals, hat dabei jedoch eine vertraglich begründete Mehrheit der Stimmrechte oder zumindest das Recht, die Zusammensetzung der Mehrheit der Organe zu bestimmen, hat sie ebenso unproblematisch bestimmenden Einfluss.45 Eine Mehrheit der Stimmrechte bzw. entsprechender Einfluss durch vertragliche Beziehungen kann insbesondere durch konzernrechtliche Organisationsverträge wie Beherrschungsverträge, Betriebsüberlassungsverträge oder Betriebsführungsverträge vermittelt werden. Dasselbe kann für Gewinnabführungs- und Geschäftsführungsverträge gelten.46 Dagegen begründet eine Ge-
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Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 19. Vgl. Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der Europäischen Fusionskontrolle, S. 157. 41 Gemäß Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 10, gilt dies beispielsweise für Treuhandverhältnisse. Kontrolle über ein Unternehmen hat jeweils die Person, die den tatsächlichen Einfluss ausübt. 42 Im deutschen Recht gilt dies seit der 5. GWB-Novelle allerdings auch nur eingeschränkt, da Anteile, die knapp unter der Schwelle von 25% liegen, durch das „Auffangaufgreifkriterium“ der Begründung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses kontrolliert werden können. 43 In Russland sind die Mindestschwellen allerdings sehr niedrig. So liegt sie beim Anteilserwerb bei 20%, bei Vermögenswerten sogar bei nur 10%. Vgl. hierzu unten § 5 II. 5. und 6. 44 Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 13. Kontrollerwerb lag deshalb unproblematisch vor bei General RE/Kölnische Rück (50,1%), (Kommission, Entscheidung vom 24.10.1994, ABl. 1994 C 312/5, WuW 1995, 211) oder gar Alcatel/Telettra (69,1%), (Kommission, Entscheidung vom 12. April 1991, Sache IV/M.042, ABl. 1991 L 122/48, WuW/E EV 1616). 45 Kommission, Entscheidung vom 19.12.1991, ABl. 1991 C 334/23, WuW 1992, 225 (Mediobanca/Generali). 46 Sedemund/Montag, Fusionskontrolle, Rz. 263. 40
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winngemeinschaft in der Regel keinen Zusammenschluss. Sie vermittelt nicht die Möglichkeit, die Geschäftspolitik eines Unternehmens zu bestimmen. Dasselbe gilt für etwaige Einflussmöglichkeiten, die aus Austauschverträgen wie langfristigen Lieferverträgen, Darlehens- oder Lizenzverträgen folgen.47 Je niedriger die stimmrechtsvermittelnde Kapitalbeteiligung ist, desto gewichtiger müssen sonstige Umstände sein, die einen bestimmenden Einfluss begründen. Solche Umstände können beispielsweise die übliche Präsenz in Gesellschafterversammlungen,48 die Streuung der Anteile,49 Fälle personeller Verflechtung oder allgemein die Beziehungen zwischen dem Unternehmen und seinen Inhabern sein. Während die Kommission beispielsweise in Renault/Volvo50 entschied, dass eine Kapitalbeteiligung von 20-25% für sich genommen keinen bestimmenden Einfluss eröffne, wertete sie in CocaCola/Amalgamated Beverages51 eine wechselseitige Kapitalbeteiligung von jeweils 45% als Kontrolle. Durch die 45% könne die Geschäftspolitik des jeweils anderen Unternehmens entscheidend gestaltet werden. Aufgrund der sehr zersplitterten Struktur der anderen Anteilseigner sei eine sichere Mehrheit auf Hauptversammlungen gewährleistet. In Arjomari-Prioux/Wiggins Teap Appleton52 nahm die Kommission aufgrund der Streuung der sonstigen Anteile bereits bei 39% eine alleinige Kontrolle an. Sie sah sich jedoch veranlasst, dies ausführlich zu begründen. So wies sie darauf hin, dass der Streubesitz von 61% in der Hand von 107.000 Aktionären lag, von denen keiner mehr als 4% und nur drei Aktionäre mehr als 3% hielten. Aufgrund hohen Streubesitzes bejahte die Kommission ein paar Jahre später in SGB/General de Banque53 bereits bei einer Kapitalbeteiligung von 25,96% bzw. in Anglo American Corporation/Lonrho54 bei einer Kapitalbeteiligung in Höhe von 27,48% eine alleinige Kontrolle. Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO ist es auch möglich, dass zwei oder mehr Personen oder Unternehmen gemeinsam an einem anderen Unternehmen Kontrolle erlangen.55 Voraussetzung hierfür ist, dass die beiden Personen oder Un-
__________ 47
Sedemund/Montag, Fusionskontrolle, Rz. 263. Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 14. 49 Vgl.beispielsweise Kommission, Entscheidung vom 14.4.1992, ABl. 1992 C 107/24, WuW 1992, 500 (Banesto/Totta), s. auch Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 14. 50 Kommission, Entscheidung vom 6.11.1990, ABl. 1990 C 281/2, WuW/E EV 1542. 51 Kommission, Entscheidung vom 22.1.1997, Sache IV/M.794, ABl. 1997 L 218/15, WuW 1997, 331. 52 Kommission, Entscheidung vom 10.12.1990, ABl. 1990 C 321/16, WuW/E EV 1554. 53 Kommission, Entscheidung vom 31.7.1995, Sache IV/M.613, WuW 1995, 1008. 54 Kommission, Entscheidung vom 23.4.1997, Sache IV/M.754, ABl. 1998 L 149/21, WuW 1997, 597. 55 Die russische Zusammenschlusskontrolle kennt hierfür eigens das in seinem Anwendungsbereich jedoch wesentlich weiter reichende Merkmal der „Personengruppe“, die gemeinsam Unternehmensanteile oder Vermögenswerte hält. 48
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ternehmen gemeinsam die Geschäftspolitik des zu beherrschenden Unternehmens bestimmen.56 Klassischer Fall sind zwei jeweils 50%-ige Beteiligungen an einem Unternehmen. Gemeinsame Kontrolle kann aber ebenso durch ausgeprägte Vetorechte oder Beherrschungsverträge begründet oder faktisch57 konstatiert werden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn zwei Gesellschafter zu 65% bzw. 35% beteiligt sind und der Gesellschaftsvertrag oder eine sonstige Gesellschaftervereinbarung für im direkten Zusammenhang mit der Geschäftsführung der Gesellschaft stehende Gesellschafterbeschlüsse eine Mehrheit von 75% der Stimmen voraussetzt.58 Gemeinsame Kontrolle liegt dagegen nicht vor, wenn eine Person die Geschäftspolitik eines Unternehmens notfalls auch gegen den Willen des „Partners“ bestimmen könnte. Deshalb nahm die Kommission in BASF/Hoechst59 bei einem von beiden Unternehmen gegründeten Gemeinschaftsunternehmen60 trotz der paritätischen Beteiligung der beiden Gesellschafter eine alleinige Kontrolle durch BASF an. Entscheidend war hierfür der Umstand, dass Hoechst im Gesellschaftsvertrag auf eine Stimmabgabe für den Fall verzichtet hatte, dass eine einvernehmliche Beschlussfassung mit BASF nicht zu erzielen wäre, dabei allerdings die Übernahme seiner Anteile durch BASF verlangen konnte. Genehmigungsbedürftig ist nur der Erwerb der Kontrolle. Nach Erwerb einer Mehrheit der Stimmrechte in einem Unternehmen ist der zusätzliche Stimmerwerb nicht mehr genehmigungs- bzw. anmeldepflichtig. Anderes gilt jedoch, wenn eine Person, die gemeinsam mit einer oder mehreren anderen Personen Kontrolle ausübt, eine alleinige Kontrollstellung erlangt. So entschied die Kommission in ICI/Tioxide,61 dass der Erwerb von 50% Anteilen durch einen Gesellschafter, der bereits 50% hält, genehmigungsbedürftig sei, da es einen Unterschied darstelle, ob bestimmender Einfluss gemeinsam oder alleine ausgeübt werde. Gemäß dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 lit. b und Art. 5 Abs. 2 FKVO kann Kontrolle auch an einem Teil eines Unternehmens erlangt werden. Hierbei muss es sich jedoch um einen Unternehmensteil handeln, dem konkrete Umsätze zugerechnet werden können. Dies folgt daraus, dass für die Anwendbarkeit der FKVO bestimmte Mindestumsatzzahlen Voraussetzung sind.
__________ 56
Vgl. Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 19 ff. Vgl. Zusammenschlussbekanntmachung, Tz. 30 (sog. faktischer Gleichordnungskonzern). 58 Kommission, Entscheidung vom 31.7.1991, Sache IV/M.12, ABl. 1991 L 320/26, WuW/E EV 1701, Rz. 32 (Varta/Bosch/Starterbatterie GmbH). 59 Kommission, Entscheidung vom 17.6.1997, Sache IV/M.845, ABl. 1997 C 232/4, WuW 1997, 972. 60 Vgl. dazu unten e). 61 Kommission, Entscheidung vom 28.11.1990, ABl. 1990 C 304/27, WuW/E EV 1551. 57
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d) Zusammenschluss gemäß § 37 GWB (1) Überblick Der Zusammenschlussbegriff der Fusionskontrolle ist im deutschen Recht umständlicher formuliert als im europäischen Recht. Er umfasst verschiedene tatbestandliche Alternativen, deren Anwendungsbereiche sich allerdings teilweise überschneiden. (2) Vermögenserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB) Ein Vermögenserwerb gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB ist die Übernahme mindestens eines wesentlichen Teils des Vermögens eines anderen Unternehmens. Damit umfasst der Begriff vollständige Vermögensübernahmen, d.h. Fusionen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO, und Kontrollerwerbe – einer Gesamtheit oder von Teilen eines oder mehrerer Unternehmen – durch den Erwerb von Vermögenswerten nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO. Der Begriff der Wesentlichkeit wird (auch von der Rechtsprechung) sehr weit ausgelegt. Er ist erfüllt, wenn der übernommene Vermögensteil eine eigene wirtschaftliche Funktionseinheit darstellt, die geeignet ist, die Stellung des Erwerbers auf dem Markt zu verändern.62 Bejaht wurde beispielsweise ein Vermögenserwerb bei der Übernahme von drei Einzelhandelsgeschäften in einer Großstadt63 oder einer bekannten Marke verbunden mit dem dazugehörigen Teilgeschäftsbetrieb.64 (3) Kontrollerwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB) Die sehr umständlich formulierte Alternative des Kontrollerwerbs gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB entspricht (im Wesentlichen)65 dem Kontrollerwerbsbegriff der FKVO.66 Sie wurde erst durch die 6. Novelle in das GWB eingefügt. Durch diese Alternative sollen alle Zusammenschlüsse aufgegriffen werden, die vom europäischen Kontrollerwerbsbegriff umfasst wären, ohne unter eine andere Alternative des § 37 Abs. 1 GWB zu fallen. Somit ist auch für den Kontroll-
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WuW/E BGH 2783, 2785 (Warenzeichenerwerb). KG, WuW/E OLG 3591 = Die AG 1986, 230 (Coop SH/Deutscher Supermarkt). 64 BGH Z 119 (121, 127ff.) = Die AG 1993, 36 (Melitta/Kraft). 65 Kleinere Unterschiede bestehen bei gemeinsamer Kontrolle. Bei § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB werden neben den aus Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO folgenden Voraussetzungen konkret mögliche wettbewerbliche Konsequenzen im Verhältnis zwischen den gemeinsam Beteiligten gefordert. Vgl. insbesondere BGH WuW/E 2337 ff., 2339 (Hussel/Mara). Hierbei handelt es sich um einen Umstand, der in der europäischen Fusionskontrolle als Aufgreifkriterium nur bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, ansonsten erst im Rahmen der Eingreifkriterien geprüft wird. 66 Mestmäcker/Veelken, GWB, § 37 Rz. 19 ff. 63
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erwerb nach deutschem Recht der bestimmende Einfluss entscheidend, der aufgrund einer Mehrheitsbeteiligung oder sonstiger – zumindest mittelbar gesellschaftsrechtlich vermittelter – rechtlicher oder tatsächlicher – Umstände erlangt wird. (4) Anteilserwerb (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 1 und 2 GWB) Ein anmeldepflichtiger Anteilserwerb gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB liegt vor, wenn ein Unternehmen (unmittelbar oder mittels eines Treuhänders)67 an einem anderen Unternehmen allein oder zusammen mit dem Erwerber bereits gehörenden Anteilen 25 oder 50% des Kapitals oder der Stimmrechte des anderen Unternehmens erreicht. Seit der Einfügung der Kontrollerwerbsalternative in das GWB ist die Alternative des Anteilserwerbs nur noch für den Erwerb von Anteilen von Bedeutung, die noch keine Kontrolle vermitteln. Der „Anteilserwerb“ ist damit eher eine Auffangklausel, deren Voraussetzungen allerdings leichter nachzuweisen sind. (5) Begründung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses Ein Zusammenschluss kann gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB auch in der Begründung wettbewerblich erheblichen Einflusses liegen. Hierbei handelt es sich gegenüber der Alternative des Anteilserwerbs um einen Auffangtatbestand, der durch die 5. Novelle in das GWB eingefügt wurde.68 Erfasst werden Fälle, in denen keine Kontrolle erworben wird, die Schwelle von 25% der Anteile bzw. Stimmrechte nur ganz knapp unterschritten wird und ein weiterer wettbewerblich erheblicher Umstand hinzutritt. Dabei handelt es sich zum einen um Fälle, die seit der 6. GWB-Novelle dem Kontrollerwerb nach § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB unterfallen, beispielsweise eine 24%ige Beteiligung bei aufgrund hohen Streubesitzes sehr niedriger Hauptversammlungspräsenz69 oder mit erheblichem vertraglich begründeten Einfluss.70 Bei den zusätzlichen Umständen kann es sich aber auch um Aspekte handeln, die üblicherweise im Rahmen der Überprüfung von Marktbeherrschung entscheidend sind. Eine deutliche Trennung zwischen Aufgreif- und Eingreifkriterien besteht dann nicht mehr. Eine Prüfung der Eingreifkriterien ist in solchen Fällen vielmehr dem Aufgreifkriterium der Begründung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses vorangestellt. So
__________ 67 § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 2 GWB; vgl. auch BKartA, Beschluss vom 6.7.1995, WuW/E BKartA 2829, 2835 (Kolbenschmidt) und BKartA, Beschluss vom 6.2.1997, WuW/E BKartA 2894 (Herlitz/Landré), sowie Bechtold, Die Entwicklung des deutschen Kartellrechts 1999 bis 2001, S. 3164. 68 Durch die 6. Novelle wurde der Wortlaut leicht modifiziert. 69 BKartA, Beschluss vom 6.7.1995, WuW/E BKartA 2829, 2835 (Kolbenschmidt). 70 BKartA, Beschluss vom 6.11.1997, WuW/E DE-V 1, 3 f. (ASV/Stilke).
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sah das BKartA ebenfalls in dem Erwerb von knapp 25% der Anteile an den Stadtwerken Bremen71 durch Veba die Begründung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses. Entscheidend waren hierbei ein vermuteter Markterschließungseffekt72 und hohe Einflussmöglichkeiten aufgrund deutlich überlegener Sachkenntnis Vebas gegenüber den Mitgesellschaftern.73 e) Die Problematik der Gemeinschaftsunternehmen (Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b FKVO sowie § 37 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 S. 3 GWB)74 Als Gemeinschaftsunternehmen („GU“) im Sinne von Art. 3 Abs. 2 FKVO werden Unternehmen bezeichnet, über die mindestens zwei Unternehmen, die sog. Mütter, die Kontrolle halten. Durch Art. 1 lit. b FKVO wird der gemeinsame Kontrollerwerb an einem Drittunternehmen aufgegriffen. Auch aus der Gründung eines GUs können jedoch wettbewerbliche Konsequenzen im Verhältnis zwischen den beiden Müttern entstehen. Diese Probleme können rein verhaltensbezogen sein; sie können aber ebenso struktureller Art sein. Im zweitgenannten Fall wird die Unternehmensgründung über Art. 3 Abs. 2 FKVO auch der Fusionskontrolle unterworfen. Gründen beispielsweise zwei Unternehmen, die auf demselben Markt tätig sind, ein Unternehmen, das für sie den Vertrieb oder bestimmte Forschungstätigkeiten übernehmen soll, handelt es sich jeweils um eine reine Kooperation, die der Verhaltenskontrolle unterliegt.75 Gründen sie aber ein Unternehmen, das auf demselben Markt tätig sein soll wie die Mütter, besteht die Gefahr, dass das GU früher oder später zumindest einen beträchtlichen Teil der Marktanteile der Mütter übernimmt. In diesem Fall entstehen also strukturelle Marktveränderungen, die denen eines Zusammenschlusses der beiden Mütter nahe kommen.
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BKartA, Beschluss vom 29.5.1996, B8-148/95 (Stadtwerke Bremen). Das Energieversorgungsgebiet der Stadtwerke Bremen grenzte an das Energieversorgunsgebiet eines Unternehmens des Vebakonzerns; im Rahmen der Liberalisierung des Energiemarktes vermutete das BKartA ein Eindringen dieses Unternehmens in den Bremer Markt. 73 Dies ist ein beachtliches Argument, das bei der Bestimmung von Einflussmöglichkeiten wesentlich seltener verwendet wird als das des Streubesitzes. Gerade in der russischen Zusammenschlusskontrolle könnte es eine größere Bedeutung erlangen. Soweit ersichtlich, geschieht dies jedoch nicht. Allerdings müsste im Falle der Verwendung dieses Arguments in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden, inwieweit die höhere Sachkenntnis auch tatsächlich größere Einflussmöglichkeiten gewährt. 74 Die Problematik ist für die russische Fusionskontrolle von großer Bedeutung, da nach der in dieser Arbeit vertretenen Auslegung nur die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens der (nachträglichen) Kontrolle der russischen Wettbewerbsbehörden unterliegt. Nach Auffassung des Antimonopolministeriums ist dagegen jegliche Gründung eines Tochterunternehmens – auch durch nur eine Muttergesellschaft – kontrollpflichtig. 75 Die gegeben Beispiele wären, soweit sie nicht besondere Wettbewebsbeschränkungen hervorriefen, gemäß Art. 81 Abs. 3 EGV zulässig. 72
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Sind die Mütter auf einem Markt tätig, der dem des GU vor- oder nachgelagert ist, entstehen vertikale Effekte, die im Hinblick auf die Märkte der Mütter eher kooperativer denn struktureller Art sind. Für den Markt, auf dem das GU tätig ist, können sich durch die hinter den Müttern stehende wirtschaftliche Macht und Finanzkraft sowie daraus möglicherweise folgenden Abschreckungseffekten auf potenzielle Wettbewerber jedoch auch strukturelle Vorteile des GUs gegenüber Wettbewerbern ergeben. Dieser Umstand spielt allerdings im Rahmen der GU-Problematik keine Rolle, da er sich lediglich auf die Märkte bezieht, auf denen beide Mütter tätig sind. Deshalb ist grundsätzlich auch die Gründung eines Tochterunternehmens durch lediglich eine Mutter (unabhängig von deren Stärke) nicht anmeldepflichtig, obgleich die Tochter durch die hinter der Mutter stehende Finanzkraft gegenüber Wettbewerbern bevorzugt sein kann. Auch wenn GU und Mutterunternehmen auf unterschiedlichen Märkten tätig sind, können sich auf den Märkten, auf denen nur die Mütter tätig sind, wettbewerbliche Konsequenzen ergeben. Hierbei handelt es sich um die Gefahr vermehrter Absprachen, d.h. verhaltensbezogene Gefahren. Solche Absprachen haben allerdings im Gegensatz zu üblichen Kartellen – selbst auf Märkten weniger Anbieter76 – mit strukturellen Marktveränderungen eine höhere Stabilität gemein, da die zwischen den Müttern eines GUs bestehenden Bindungen enger sind als zwischen üblichen „Kartellpartnern“. Durch diese Bindungen werden Geheimabsprachen zwischen den Müttern wahrscheinlicher und leichter möglich, Verstöße gegen etwaige Absprachen dagegen unwahrscheinlicher. Die gemeinschaftliche Kontrolle eines GUs verpflichtet beide Seiten zu gegenseitiger Rücksichtnahme und Vertrauen. Ein einmaliger Verstoß gegen etwaige Kartellabsprachen hätte enorme Vertrauenseinbußen beim Partner zur Folge, die einem erfolgreichen gemeinsamen Führen eines GUs entgegenstünden. Auch wenn zwischen Mutterunternehmen keine Verflechtungen in Form von gegenseitigen Beteiligungen existieren, entstehen durch die Gründung eines GUs deshalb Verflechtungen, die denen gegenseitiger Beteiligungen zumindest nahe kommen können. Die Frage, ob die Gründung eines GUs im Hinblick auf die beiden Mütter eher der Verhaltens-, der Strukturkontrolle oder beiden zu unterfallen hat, ist deshalb während der zehnjährigen Geschichte der FKVO vehement diskutiert worden. Der Ansatz der europäischen Fusionskontrolle gegenüber GU hat sich in dieser Zeit massiv gewandelt. Während zunächst die Verhaltenskontrolle für eine Mehrzahl der Fälle der Gründungen von GU als geeignetes wettbewerbli-
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Kartelle auf Märkten weniger Anbieter sind besonders stabil, weil auf ihnen der Kartellverstoß eines Partners auch leichter den Verstoß oder andere unliebsame, spürbare Verhaltensweisen des Wettbewerbs zur Folge haben kann. Vgl. hierzu Karl, Der Zusammenschlusskontrollbegriff in der Europäischen Fusionskontrole, S. 344; Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 431.
3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
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ches Mittel betrachtet wurde, ist der Anwendungsbereich der Zusammenschlusskontrolle inzwischen wesentlich weiter.77 Bedeutsam ist dabei jedoch, dass zunächst eine Ausschließlichkeit zwischen Verhaltens- und Strukturkontrolle angenommen wurde, während inzwischen in vielen Fällen – wie zu zeigen ist, zu Recht – die Struktur- neben der Verhaltenskontrolle als wettbewerblich geeignetes Mittel betrachtet wird. Die ursprüngliche Fassung der FKVO unterschied zwischen konzentrativen und kooperativen GU. Während erstere der Strukturkontrolle unterfielen, wurden letztere als Kooperationen im Sinne von Art. 85 EGV a.F. betrachtet. Auf Grundlage dieser Unterscheidung betrachtete die Kommission zunächst ein GU nur dann als konzentrativ, wenn beide Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit auf den Märkten des GUs voll einstellten. Jede noch so unbedeutende verbliebene Geschäftstätigkeit mindestens eines Mutterunternehmens führte dazu, das Tochterunternehmen als kooperativ zu bezeichnen und alleine der Verhaltenskontrolle zu unterwerfen.78 Die Gründung eines GU hatte aber selbst dann oft nicht die völlige Einstellung der Geschäftstätigkeit der Mutterunternehmen auf den Märkten des GUs zur Folge, wenn dieses langfristig die Marktanteile der Mütter übernehmen sollte. Die Abgrenzung nach der völligen Einstellung der Geschäftstätigkeit auf dem Markt des GUs offenbarte sich deshalb schnell als nicht sachgerecht. Die Abgrenzung durch die Kommissionspraxis wurde daraufhin kontinuierlich weiter gefasst,79 d.h. der Anwendungsbereich des Begriffes „konzentrativ“ wurde erweitert. Es verblieb jedoch die Ausschließlichkeit zwischen der Strukturkontrolle konzentrativer und der Verhaltenskontrolle kooperativer GU. Diese Unterscheidung wurde durch die Novelle der FKVO80 mit Wirkung zum 1. März 1998 aufgehoben. Danach unterliegen nun gemäß Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 lit. b FKVO alle sog. VollfunktionsGU der Fusionskontrolle. Ein VollfunktionsGU ist ein Unternehmen, das auf einem Markt tätig ist und alle Funktionen ausübt, die auf diesem Markt tätige Unternehmen üblicherweise ausüben.81 Es muss des Weiteren über die erforderlichen Ressourcen und das nötige Management verfügen, um seine Tätigkeit unabhängig und auf Dauer auszuüben.82 Im Gegensatz dazu steht ein Teilfunktionsunternehmen, das ledig-
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Vgl. Bechtold, Gemeinschaftsunternehmen nach der neuen Fusionskontroll-VO, S. 77. Gyselen, Droit communautaire de la concurrence et droit des sociétés, S. 12, Rz.18. 79 Vgl. die inzwischen wieder aufgehobene Bekanntmachung der Kommission über die Unterscheidung zwischen konzentrativen und kooperativen Gemeinschaftsunternehmen vom 31. Dezember 1994, ABl. 1994 C 385/1. 80 Die FKVO wurde durch die VO Nr. 1310/97 vom 30. Juni 1997 novelliert, ABl. 1997 L 180/1. 81 Kommission, Bekanntmachung über den Begriff des Vollfunktionsgemeinschaftsunternehmens (GU-Bekanntmachung), ABl. 1998 C 66/1 ff., Tz. 12. 82 GU-Bekanntmachung, Tz. 12. 78
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lich einzelne Aufgaben für die Mütter übernimmt. Dabei handelt es sich insbesondere um Tätigkeiten wie Forschung und Entwicklung neuer Produkte, die Herstellung von Vorprodukten oder eine Koordinierung des Ein- oder Verkaufes für die Mütter.83 Diese Ausweitung des Anwendungsbereiches der Fusionskontrolle bei der Gründung von GU durch die Novelle der FKVO konnte allerdings nicht die durch den EG-Vertrag begründete Anwendung des Art 81 EGV n.F. auf kooperative VollfunktionsGU einschränken. Solche unterliegen demnach, soweit die Schwellen der gemeinschaftsweiten Bedeutung erfüllt sind, sowohl der Fusionskontrolle gemäß der FKVO als auch der Verhaltenskontrolle gemäß Art. 85 EGV a.F. Dies ist sachgerecht. 84 Die Gründung von GU kann – wie anfangs geschildert – wettbewerblich sowohl Verhaltens- als auch strukturelle Konsequenzen haben; drohende Kartelle sind aufgrund besonderer Stabilität Marktstrukturveränderungen u.U. zumindest vergleichbar.85 Notwendige Voraussetzung für die Anwendung der Zusammenschlusskontrolle auf die Gründung eines GU ist – gemäß der Legaldefinition in Art. 3 Abs. 2 FKVO – die gemeinsame Kontrolle der „Mütter“ über das GU. Könnte eine der vermeintlichen „Mütter“ die Geschäftstätigkeit des GUs ggf. auch alleine bestimmen, entsteht nicht ein solch enges Beziehungsgeflecht zwischen den Müttern, dass konzentrative Auswirkungen auf ihre Märkte anzunehmen wäre.86 Sind die Voraussetzungen für die Strukturkontrolle von GU erfüllt, sind für die finanziellen Schwellenwerte konsequenterweise die Umsatzschwellen der Mütterunternehmen entscheidend.87 Dies ist nicht – wie teilweise vertreten 88 wird – willkürlich. Unabhängig von einer etwaigen Tätigkeit des GU werden
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GU-Bekanntmachung, Tz. 13. So auch Pohlmann, Der Unternehmensverbund im Europäischen Kartellrecht, S. 279 und Meessen, Gemeinschaftsunternehmen im EWG-Wettbewerbsrecht: Zwischen Markt und Hierarchie, S. 907. 85 Vgl. auch schon vor der Novelle der FKVO Karl, Der Zusammenschlussbegriff in der europäischen Fusionskontrolle, S. 343 f.: „Gerade im Bereich der Gemeinschaftsunternehmen zeigt sich, dass eine ausschließliche fusionskontrollrechtliche Prüfung nur schwerlich in der Lage ist, die durch Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens entstehenden Auswirkungen auf den Wettbewerb zutreffend zu erfassen. Nicht umsonst ist nach allgemeiner Auffassung das Gemeinschaftsunternehmen als die flexibelste Form unternehmerischer Kooperation dadurch gekennzeichnet, dass es sich einer ausschließlichen Zuordnung zu den Begriffen ,Kartell‘ oder ,Zusammenschluss‘ entzieht.“ Vgl. auch Mestmäcker, Europäisches Wettbewerbsrecht, S. 431. 86 Bei BASF/Hoechst (Kommission, Entscheidung vom 17.6.1997, Sache IV/M.845, ABl. 1997 C 232/4, WuW 1997, 972; vgl. oben c) waren konzentrative Wirkungen auf ihren Märkten deshalb beispielsweise nicht anzunehmen, während sie bei Varta/Bosch/Starterbatterie GmbH (Kommission, Entscheidung vom 31.7.1991, Sache IV/M.12, ABl. 1991 L 320/26, WuW/E EV 1701, Tz. 32) zu prüfen waren. 87 Vgl. hierzu oben statt aller Kommission, Entscheidung vom 6.2.1991, Sache IV/M.058, ABl. 1991 C 37/11, WuW/E EV 1579 (Baxter/Nestlé/Salvia). 88 Dirksen, Praktische Erfahrungen im ersten Jahr der europäischen Fusionskontrolle, S. 125. 84
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
alle Märkte betrachtet, auf denen beide Mutterunternehmen tätig sind, da durch die Zusammenschlusskontrolle bei GU gerade Anteilsverflechtungen zwischen den Müttern fingiert werden. Ein weiter Anwendungsbereich der Strukturkontrolle für die Gründung von GU ist auch sachgerecht, um mögliche positive Einflüsse von GU auf Marktstrukturen hervorzuheben bzw. positive und negative Marktstrukturfolgen miteinander abzuwägen.89 Meessen90 verweist beispielsweise auf die Gründung eines GU zum Bau und Betreiben eines Automobilwerks in Kalifornien durch General Motors und Toyota im Jahre 1983. Die Entwicklung des Wagens und das Management des Werks übernahm Toyota, der Vertrieb lag in den Händen von General Motors. Beide Unternehmen profitierten durch das GU in vergleichbarer Weise, so dass der Wettbewerb zwischen ihnen nicht beeinträchtigt wurde.91 Toyota gewann durch das GU Zugang zu dem für japanische Automobilunternehmen abgeschotteten amerikanischen Markt. Hieraus waren also positive Effekte auf die Struktur des amerikanischen Automobilmarktes zu erwarten. General Motors erlernte japanisches Management-Know-how in „lean production“ und konnte dadurch seine gesamte Produktion effizienter gestalten. Dies hätte die Marktstellung von General Motors auf allen Märkten, auf denen es tätig war – unmittelbar – stärken können. Durch die Prüfung des GU im Rahmen der Fusionskontrolle bestand somit zumindest die Möglichkeit, positive Markteffekte im Rahmen der materiellen Zusammenschlusskontrolle zu untersuchen bzw. mit negativen Folgen abzuwägen. Die Eingreifkriterien für die Anwendung der Fusionskontrolle auf GU nach deutschem Recht entsprechen seit der 6. GWB-Novelle denen der FKVO. Danach kann die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens nun sowohl in der Begründung gemeinsamer Kontrolle gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB als auch im Erwerb jedes Beteiligten von Anteilen in Höhe von jeweils mindestens 25% gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 3 S. 3 GWB liegen. Ähnlich der Praxis der Kommission unterscheidet das BKartA zwischen kooperativen und konzentrativen Gemeinschaftsunternehmen. Dabei wird eine Konzentration durch ein Gemeinschaftsunternehmen in der zumindest teilweisen Aufgabe selbständiger Unternehmenstätigkeit des Mutterunternehmens gesehen. Im Gegensatz zu den früheren europäischen Regelungen kann allerdings auf Gemeinschaftsunternehmen nach
__________ 89 In der deutschen Fusionskontrolle können gegenläufige wettbewerbliche Folgen auf verschiedenen Märkten allerdings im Rahmen der sog. „Abwägungsklausel“ miteinander abgewogen werden. 90 Meessen, Gemeinschaftsunternehmen im EWG-Wettbewerbsrecht: Zwischen Markt und Hierarchie, S. 902. 91 Vgl. auch Langenfeld/Scheffman, Innovation and United States Competition Policy, S. 44.
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dem GWB seit jeher sowohl die Verhaltenskontrolle im Sinne von § 1 GWB als auch die Zusammenschlusskontrolle angewendet werden.92
III. Materielle Zusammenschlusskontrolle – insbesondere der Begriff der Marktbeherrschung 1. Überblick Im Rahmen der dargestellten formellen Zusammenschlusskontrolle wurde geprüft, ob ein bestimmte finanzielle Schwellenwerte erreichender Unternehmenszusammenschluss vorliegt. Im Rahmen der materiellen Zusammenschlusskontrolle wird die eigentliche Wettbewerbsverträglichkeit eines Zusammenschlusses geprüft. Die durch die formelle Kontrolle „aufgegriffenen“ Zusammenschlüsse werden dabei daraufhin untersucht, ob die Wahrung des Wettbewerbs einen „Eingriff“ in Form einer Untersagung oder Genehmigung unter Auflagen gebietet. Voraussetzung hierfür ist, sowohl nach der europäischen als auch – im Wesentlichen93 – nach der deutschen Fusionskontrolle, dass eine beherrschende Stellung auf einem bestimmten Güter- oder Dienstleistungsmarkt (im folgenden „Markt“) begründet oder verstärkt und dadurch Wettbewerb erheblich behindert wird. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, haben weder Kommission noch BKartA einen Ermessensspielraum. Die Betrachtung eines bestimmten sachlich und geografisch abgrenzbaren Marktes beruht auf der Annahme, dass nur Anbieter ähnlicher oder gleicher Güter oder Dienstleistungen innerhalb eines bestimmten Gebietes miteinander im Wettbewerb stehen. Innerhalb eines solchen Marktes wird eine entsprechende Marktbeherrschung definiert. Dieses sog. Marktmachtkonzept liegt der europäischen, der deutschen und der russischen Fusionskontrolle zugrunde.
__________ 92 Vgl. hierzu Schröder, Zusammenschlusskontrolle, Kapitel 5, § 2 Rz. 38; Bunte, Kartellverbot, 9. Aufl., § 1, Rz. 262 ff.; Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl., § 24, 5d) (S. 279), unter Verweis auf die grundlegende BGH-Entscheidung BGH Z 96, 69 (77ff.). 93 Entgegen der europäischen Fusionskontrolle kann in der deutschen Fusionskontrolle ein Zusammenschlussvorhaben trotz wettbewerblicher Gefahren auf einem oder mehreren Märkten freigegeben werden, wenn auf einem anderen Markt (bzw. mehreren anderen Märkten) Wettbewerbsvorteile zu erwarten sind, die die Wettbewerbsnachteile auf den erstgenannten Märkten überwiegen (sog. „Abwägungsklausel“).
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2. Marktabgrenzung a) Sachlich relevanter Markt Zur Bestimmung, welche Güter oder Dienstleistungen (im Folgenden vereinfacht „Güter“) jeweils miteinander in Wettbewerb stehen, wird in erster Linie das sog. Bedarfsmachtkonzept94 herangezogen. Danach werden diejenigen Güter einem Markt zugerechnet, die aus der Sicht der Marktgegenseite austauschbar sind, d.h. der Befriedigung desselben Bedarfs dienen.95 Ob eine solche Austauschbarkeit vorliegt, wird in der deutschen Fusionskontrolle eher normativ anhand der jeweiligen Funktion eines Guts beurteilt. Maßgeblich sind in der Regel nicht empirische Markterhebungen, sondern objektive Betrachtungen.96 Danach werden zwei Güter als miteinander funktionell austauschbar und somit zu einem Markt gehörig betrachtet, wenn sie aus der Perspektive eines „verständigen Verbrauchers“ dieselben Eigenschaften haben und demselben Verwendungszweck zu dienen geeignet sind.97 In der europäischen Fusionskontrolle ist demgegenüber die tatsächliche Austauschbarkeit entscheidend.98 So wird neben einer Betrachtung der Beschaffenheit oder physikalischen Eigenschaften, des Markennamens, des Images, des Geschmackes und – im Gegensatz zur deutschen Fusionskontrolle – des Preises99 oft empirisch untersucht, ob die Nachfrager eines Guts zwischen verschiedenen Alternativen auch tatsächlich auswählen. Wenn zwei Gegenstände demselben Bedarf zu dienen geeignet sind, sich aber nur eine kleine Minderheit der potenziellen Abnehmer auch tatsächlich zwischen den beiden Alternativen entscheidet, liegt keine Austauschbarkeit vor. Die tatsächliche Austauschbarkeit wird oft unter der Hypothese einer Preiserhöhung von 5-10%100 bestimmt. Zwei Güter sind danach dann untereinander austauschbar, d.h. substituierbar, wenn ein Gut zu Lasten eines anderen wesentlich stärker nachgefragt wird, sobald sein Preis unverändert bleibt, während der des anderen steigt (Untersu-
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Rösler, Der relevante Markt in der Europäischen Fusionskontrolle, S. 762 ff. Vgl. hierzu Emmerich, Kartellrecht, 8. Aufl., § 18, S. 179 und § 38, S. 448. 96 Bechtold, GWB, 3. Aufl., § 19 Rz. 6. 97 Vgl. beispielsweise BGH, WuW/E BGH 2150, 2153 (Rheinmetall/WMF). 98 Gemäß Abschnitt 6 des Formblatts CO umfasst der ,,sachlich relevante Produktmarkt“ ... ,,sämtliche Erzeugnisse und/oder Dienstleistungen, die von den Verbrauchern hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar oder substituierbar angesehen werden“. 99 Vgl. Kommission, Wettbewerbsbericht 1997, S. 71, Tz. 162 ff. 100 Vgl. hierzu Kommission, Bekanntmachung vom 9.12.1997, ABl. 1997 C 372/5, Tz. 15 ff., WuW 1998, 261. 95
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chung der relativen Preiselastizität zweier Güter miteinander, der sog. Kreuzpreiselastizität101). In manchen Fällen wird – sowohl in der europäischen102 als auch in der deutschen103 Marktabgrenzung – statt der Nachfragesubstituierbarkeit die Angebotsumstellungsflexibilität überprüft. Danach gehören zwei Güter auch dann demselben Markt an, wenn der Anbieter des einen Guts in der Lage ist, auf kleine dauerhafte Änderungen der relativen Preise des anderen Guts seine Produktion auf die Produktion eben dieses Guts umzustellen, ohne dass ihm dabei spürbare Zusatzkosten oder Risiken entstehen.104 Die Angebotsumstellungsflexibilität ist eine geeignete Ergänzung zum Bedarfsmarktkonzept, weil durch eine jederzeit mögliche Angebotsumstellung durch den Produzenten eines anderen Guts auf ein marktstarkes Unternehmen eine ebenso disziplinierende Wirkung ausgeübt werden kann wie durch einen bereits am Markt tätigen unmittelbaren Wettbewerber. Letztlich handelt es sich bei dem Maßstab der Angebotsumstellungsflexibilität um potenziellen Wettbewerb, der so evident ist, dass er – im Gegensatz zu sonstigem potenziellem Wettbewerb – in die Marktabgrenzung mitaufgenommen wird. In der europäischen Entscheidungspraxis wurde auf eine niedrige Angebotsumstellungsflexibilität die Marktabgrenzung der ersten Untersagungsverfügung der Kommission, der Entscheidung Aérospatiale-Alenia/de Havilland,105 gestützt. Dasselbe Prinzip führte auch zur Bestimmung unterschiedlicher Märkte für Getränkeverpackungen aus Glas, Kunststoff bzw. Metall.106 Die Marktabgrenzung ist bisweilen ein Streitpunkt zwischen der jeweiligen Kartellbehörde und den zusammenschlussbeteiligten Unternehmen. Einer engen Marktabgrenzung der Kartellbehörden, die in entsprechend hohen Marktanteilen weniger Marktteilnehmer resultiert, steht oft die Annahme größerer
__________ 101 Zu Schwächen des Konzepts der Kreuzpreiselastizität vgl. Traugott, Zur Abgrenzung von Märkten, S. 930. Er verweist darauf, dass das Konzept bei ausgeübter Marktmacht und exorbitant hohen Preisen für ein Gut in die Irre führen könne, da in diesen Fällen ein noch weiteres Ansteigen der Preise zu einem Ausweichen der Marktgegenseite auf andere Produkte führen könne, die bei angemessenen Preisen zu einem anderen Markt gehören würden. Die Schwierigkeit ist hierbei zu bestimmen, welche Preise exorbitant hoch sind. Nach Auffassung der Monopolkommission soll diesem Problem im Einzelfall durch Betrachtung etwaiger Marktzutrittsschranken begegnet werden können. Vgl. hierzu Monopolkommission, Hauptgutachten V, Tz. 626. 102 Vgl. hierzu Bekanntmachung der Kommission vom 9.12.1997, Tz. 15 ff. 103 BKartA, Beschluss vom 24.1.1995, WuW/E BKartA 2729, 2731 (Hochtief/Phillip Holzmann). 104 Vgl. Bekanntmachung der Kommission, Tz. 20. 105 Kommission, Entscheidung vom 2.10.1991, Sache IV/M.053, ABl. 1991 L 334/42, WuW/E EV 1675. In dieser Entscheidung wurde ein Markt für Flugzeuge mit bis zu 30 Sitzen von einem Markt für Flugzeuge mit 50 Sitzen aufgrund völlig anderer erforderlicher Produktionsanlagen unterschieden. 106 Kommission, Entscheidung vom 6.6.1991, ABl. 1991 C 156/10; WuW/E EV 1626 (VIAG/Continental Can).
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Märkte mit entsprechend kleinen Marktanteilen durch die Unternehmen gegenüber. Solche Diskussionen bezüglich der Marktabgrenzung sind letztlich fast notwendige Folge des Marktmachtkonzepts, da Marktanteilgrößen das entscheidende Kriterium bei der Bestimmung der Wettbewerbsverträglichkeit von Zusammenschlüssen sind. Soweit es auf die genaue Marktabgrenzung dagegen nicht ankommt, lässt die Kommission sie in der Regel offen107 bzw. prüft sinnvollerweise den kleinsten in Betracht kommenden Markt.108 Letzteres ist freilich nur möglich, wenn eine Freigabeentscheidung begründet wird. b) Geografisch relevanter Markt Der geografisch relevante Markt bezeichnet gemäß Art. 9 Abs. 7 FKVO das Gebiet, auf dem die betroffenen Unternehmen als Anbieter oder Nachfrager von Waren oder Dienstleistungen auftreten, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und sich von denen in benachbarten Gebieten deutlich unterscheiden. Ob das der Fall ist, bestimmt sich nach Art und Eigenschaft der betreffenden Waren oder Dienstleistungen, dem Vorhandensein von Zugangsschranken, den Verbrauchergewohnheiten, gravierenden Marktanteilsunterschieden der jeweiligen Unternehmen und Preisunterschieden.109 Dabei wird unter „Preisunterschieden“ im Wesentlichen nicht nur der absolute Unterschied zwischen Preisen desselben Gutes, sondern auch der Unterschied der Preisentwicklung verstanden. Ein einheitlicher räumlicher Markt kann damit auch lediglich eine Interdependenz (hohe Elastizität) der Preisentwicklung bzw. konstante Preiskorrelationen voraussetzen.110 In der deutschen Fusionskontrolle erfolgt die räumliche Marktabgrenzung nach ähnlichen Kriterien. Maßgeblich ist, „innerhalb welchen geografischen Gebiets sich Nachfrager eines bestimmten Guts mit diesem eindecken“.111 Daraus ergibt sich letztlich ebenso wie im europäischen Recht die Homogenität der Wettbewerbsbedingungen, die sich von denen benachbarter Gebiete unterscheiden, als Abgrenzungskriterium.
__________ 107 Vgl. z.B. Kommission, Entscheidung vom 2.10.1997, Sache IV/M.984, WuW 1997, 971 (DuPont/ICI); Entscheidung vom 6.5.1998, Sache IV/M.970, ABl. 1998 L 316/33, WuW 1998, 575 (TKS/ITW Signode/Titan) und Entscheidung vom 11.9.1997, Sache IV/M.833, ABl. 1998 L 145/41, WuW 1997, 973 (The Coca-Cola Company/Carlsberg A/S). In der letztgenannten Entscheidung ist es besonders erstaunlich, dass die Marktabgrenzung offengelassen wurde, obgleich in der wenige Monate vorher ergangenen Entscheidung Coca-Cola/Amalgamated Beverages ein Colagetränkemarkt bestimmt worden war. Auf diese Abgrenzung hätte mühelos zurückgegriffen werden können. 108 Dies gilt sowohl in sachlicher als auch in räumlicher Hinsicht. Vgl z.B. Kommission, Entscheidung vom 22.7.1998, Sache IV/M.1204, ABl. 1998 C 252/8, WuW/E EU-V 102 (Daimler/Chrysler). 109 So Art. 9 Abs. 7 S. 2 FKVO. 110 Vgl. hierzu Kallfass, Konzepte und Indikatoren zur Abgrenzung räumlicher Märkte in der europäischen Zusammenschlusskontrolle, S. 122 ff. und Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Rz. 40. 111 Emmerich, Kartellrecht, 8. Aufl., § 18, 5 a (S. 183).
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In der Entscheidungspraxis der Kommission wurde die räumliche Marktabgrenzung kurz nach In-Kraft-Treten der FKVO bisweilen noch recht weit vorgenommen. Maßstab war dabei nicht immer das tatsächliche, sondern das im Hinblick auf eine Binnenmarktsentwicklung erwünschte Marktverhalten.112 Kritiker sprachen von einer „dynamischen Betrachtungsweise“.113 In den letzten Jahren hat sich die Marktabgrenzung der Kommission allerdings tendenziell wieder eher an den ökonomischen Realitäten als an einem „dynamischen Konzept“ orientiert114 und statt der Annahme eines europäischen Marktes mit niedriger Konzentration zur Annahme kleinerer – oft nationaler – Märkte mit hoher Marktkonzentration geführt. Dies ist sachgerecht. Auch innerhalb eines Gebietes ohne wesentliche Handelsbarrieren stellen geografische Distanzen, beträchtliche ökonomische Diskrepanzen, verschiedene Traditionen und damit verbunden unterschiedliche Verbraucherpräferenzen und Nachfragegewohnheiten Gründe dafür dar, dass Marktbedingungen nicht homogen sind. Umgekehrt nahm die Kommission teilweise aber auch über das Gebiet der Mitgliedstaaten hinausreichende Märkte an. So ging sie von Weltmärkten für Platin115, für „große düsengetriebene Verkehrsflugzeuge mit mehr als 100 Sitzen“116 und für Top Level Internet Service Provider117 aus. Auf diesen Märkten treten nur wenige Anbieter auf: auf dem Platinmarkt sind die südafrikanischen Unternehmen Gencor, Lonrho und Anglo American Corporation sowie die russische Almaz tätig; auf dem Markt für große düsengetriebene Verkehrsflugzeuge agiert neben Boeing und McDonnell Douglas nur Airbus. Auch auf dem Markt für sog. Top Level Internet Service Provider, die eine universelle Internetverbindung zwischen verschiedenen Netzen anbieten, nahm die Kommission
__________ 112 So betonten Siragusa/Subiotto, Le contrôle des opérations de concentration entre entreprises au niveau européen, S. 77, im Jahre 1992 noch, dass die Kommission in einigen Fällen nicht das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaft als betroffenen geographischen Markt betrachtet habe. Dies werde sich aber sicherlich in unmittelbarer Zukunft ändern. 113 Vgl. z.B. die Kritik des Bundeskartellamts bei Löffler, Ein Jahr Europäische Fusionskontrolle – Erfahrungen aus der Sicht des Bundeskartellamtes, S. 117. s. auch Monopolkommission, Hauptgutachten IX, Rz. 606. 114 Vgl. beispielsweise die Untersagungsentscheidung Volvo/Scania (Sache Nr. COMP/M.1672, WuW 2000, 391), die auf einem Marktanteil der fusionswilligen Unternehmen von 90% auf dem skandinavischen Lastkraftwagenmarkt beruhte. Vgl. auch das Zusammenschlussvorhaben der Touristikunternehmen Airtours und First Choice (Kommission, Entscheidung vom 22.9.1999, Sache IV/M.1524, ABl. 2000 L 93/1), das aufgrund einer Marktbeherrschung auf dem britischen Markt für Kurzstreckenreisen untersagt wurde. Die Entscheidung wurde allerdings mittlerweile durch das EuGH-Urteil vom 6. Juni 2002, Verb. Rs. C-68/94 und 30/95, Slg. 1998, I-1375, aufgehoben. 115 Kommission, Entscheidung vom 24.4.1996, Sache IV/M.619, ABl. 1997 L 11/30, WuW 1996, 579 (Gencor/Lonrho); Entscheidung vom 23.4.1997, Sache IV/M.754, ABl. 1998 L 149/21, WuW 1997, 597(Anglo American Corporation/Lonrho). 116 Kommission, Entscheidung vom 30.7.1997, Sache IV/M.877, ABl. 1997 L 336/16, WuW/E EU-V 7 (Boeing/McDonnell Douglas). 117 Kommission, Entscheidung vom 8.7.1998, Sache IV/M.1069, ABl. 1999 L 116/1, WuW 1998, 698 (WorldCom/MCI).
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nur wenige Anbieter an. Unter ihnen wurde MCI als Weltmarktführer gesehen.118 Ein Vertreter der Kommission erklärte in diesem Zusammenhang, dass es der Schutz der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gebiete, europäische Unternehmenszusammenschlüsse, die auf einem europäischen Markt eine beherrschende Stellung einnehmen, nicht zu untersagen, wenn sie auf einem Weltmarkt keine beherrschende Stellung einnehmen würden.119 Eine solche Aussage legt die Gefahr industriepolitischer Entscheidungen zum Schutz der sog. internationalen Wettbewerbsfähigkeit120 europäischer Unternehmen nahe. Der Umstand, dass die Kommission bislang nur in vereinzelten Fällen Weltmärkte annahm, auf denen insbesondere die Zusammenschlüsse nichteuropäischer Unternehmen geprüft wurden, zeigt jedoch, dass diese Gefahr sich bislang noch nicht realisiert hat. Im Gegensatz zur Kommission legten BKartA und BGH ihren Entscheidungen bis zur 6. Novelle des GWB keine Weltmärkte zugrunde. Vielmehr gingen sie von einer Beschränkung des GWB auf Märkte aus, die nicht über das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland hinausgehen.121 Hierbei wurde die ökonomische Relevanz der Existenz bzw. des Fehlens von Marktgrenzen außerhalb des Gebiets der Bundesrepublik Deutschland verkannt, bzw. die Begrenzung hoheitlicher Befugnisse im Rahmen des Wirkungsprinzips und die Marktanalyse werden unzulässigerweise miteinander vermengt. Die praktische Relevanz dieser (Fehl-)Annahme war allerdings eher gering, da das BKartA tatsächlichen ausländischen Wettbewerb im Rahmen des Merkmals der Marktbeherrschung berücksichtigte. Seit der Neufassung des GWB erwähnt § 19 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 nunmehr ausdrücklich, dass im Hinblick auf Unternehmen mit Sitz im Ausland der ökonomisch relevante Markt zu berücksichtigen sei. Die Auffassung von BKartA und BGH, derzufolge das GWB nur maximal von einem nationalen Markt ausgehe, überzeugt seitdem noch weniger. Bei dem Zusammenschlussvorhaben RubberNetwork.com122 (ein Gemeinschaftsunternehmen verschiedener Reifenhersteller) nahm das BKartA nun Anfang des Jahres 2001 einen zumindest inländischen Markt an, bei dem „aus ökonomischer Sicht viel für einen europäischen Markt, wenn nicht weltweiten Markt“ spreche.123 In 3M/ESPE nahm nun das BKartA bundesweite Märkte an, führte aber weiter aus: „Unter ökonomischen
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Vgl. hierzu im Einzelnen unten. So der ehemalige Assistent des Generaldirektors Wetbewerb Gyselen (Droit communautaire de la concurrence et droit des sociétés, S. 25 f., Rz. 64). 120 Vgl. oben § 3 III. 5. 121 BGH, Beschluss vom 24.10.1995, WuW/E BGH 3026 ff. (Backofenfall), kritisch dazu Schütz, Der räumlich relevante Markt in der Fusionskontrolle, S. 286 ff. 122 BKartA, Beschluss vom 26.1.2001, WuW/E DE-V 425. 123 BKartA, Tz. 26. 119
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Gesichtspunkten dürften diese Märkte sogar eine mindestens europaweite Dimension haben.“124 Gleichsam ein Gegenstück zu der bislang unbegründeten Begrenzung des BKartA auf nationale Märkte ist die Annahme von Weltmärkten durch das russische Antimonopolministerium, soweit russische Güter – unabhängig von der Homogenität der Wettbewerbsverhältnisse – im Ausland gehandelt werden.125 3. Die Marktbeherrschung a) Überblick Entscheidendes Kriterium einer auf dem Marktmachtkonzept basierenden Fusionskontrolle ist die Marktbeherrschung.126 In der europäischen Fusionskontrolle ergibt sich dies aus Art. 2 Abs. 1 – 3 FKVO, in der deutschen Fusionskontrolle aus § 36 Abs. 1 i.V.m. § 19 Abs. 2 GWB. Gemäß Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO – ähnlich die deutsche Formulierung in § 36 Abs. 1 – ist ein Zusammenschluss darauf zu untersuchen, ob durch ihn eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird. Marktbeherrschung definiert die Kommission als die Fähigkeit eines Unternehmens, in spürbarem Maße dauerhaft unabhängig von seinen Wettbewerbern und Abnehmern zu agieren.127 Das GWB enthält in § 19 Abs. 2 GWB eine Legaldefinition. Art. 2 Abs. 1 lit. a FKVO bestimmt, dass Marktbeherrschung anhand des tatsächlichen und potenziellen Wettbewerbs im Einzelfall zu bestimmen ist. Es wurde bereits betont,128 wie wichtig es ist, in einer Strukturkontrolle insbesondere auch potenziellen Wettbewerb zu berücksichtigen. Nur er gibt – bei Fehlen signifikanten Wettbewerbs – darüber Auskunft, inwieweit im Einzelfall die Hypothesen der Chicago-Schule zutreffen, derzufolge eine starke Marktposition nur bei überragender Effizienz Bestand haben kann. Kann potenzieller Wett-
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BKartA, Beschluss vom 1.2.2001, B 3-113/00. Die – gekürzte – Veröffentlichung in WuW/E DE-V 427 enthält diese Formulierung bedauerlicherweise nicht. 125 Die Homogenität der Wettbewerbsverhältnisse wird vom Antimonopolministerium dabei gar nicht erörtert; vgl. hierzu unten § 5 III. 1. b) (2). 126 Vgl. auch den Überblick bei Rösler, Der Begriff der marktbeherrschenden Stellung in der europäischen Fusionskontrolle, S. 858 ff. 127 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 2.10.1991, Sache IV/M.053, ABl. 1991 L 334/32, WuW/E EV 1675 (Aerospatiale/de Havilland); Entscheidung vom 22.7.1992, Sache IV/M.190, ABl. 1992 L 356/1, WuW/E EV 1903 (Nestlé/Perrier); Entscheidung vom 12.11.1992, Sache IVM.222, ABl. 1992 L 144/34, WuW 1993, 35 (Mannesmann/Hoesch); Entscheidung vom 21.6.1994, Sache IV/M.430, ABl. 1994 L 354/32(57), WuW 1995, 24 (Procter & Gamble/VP Schickedanz II); Entscheidung vom 8.6.1994, Sache IV/M. 269, ABl. 1994 L 332/48 (61), WuW 1995, 25 (Shell/Montecatini). 128 Vgl. insbesondere oben § 3 IV. 3.
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bewerb unterstellt werden, ist die Untersagung eines eine starke Marktstellung schaffenden Zusammenschlusses entsprechend entbehrlich, d.h. nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig – bzw. in reiner „Chicago-Lehre“ – schädlich.129 Das Vorliegen tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerbs wird gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO anhand verschiedener Kriterien bestimmt, die denen des § 19 Abs. 1 und 2 GWB ähneln. Hierbei handelt es sich um die Marktstellung, die wirtschaftliche Macht und Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, deren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, rechtliche und tatsächliche Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher und die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert. Diese Kriterien sind von unterschiedlicher Relevanz. Teilweise sind sie sehr bedeutsam, teilweise erscheinen sie allerdings auch schlicht überflüssig bzw. mehr oder weniger bedeutungslos. Sie sollen im Folgenden einzeln erörtert werden. Dabei wird nicht Bezug genommen auf die Prüfungsreihenfolge der Kommission130, weil diese keinen unmittelbaren Bezug zu den tatbestandlichen Kriterien des Art. 2 FKVO mehr erkennen lässt. Die Erörterung soll sich vielmehr an die Aufzählung in Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO orientieren. Hierdurch soll der Vergleich zwischen der europäischen und der russischen Zusammenschlusskontrollregelung und deren Anwendungen erleichtert werden. b) Marktstellung – absolute und relative Marktanteile, ihre Volatilität und ihre Bedeutung Das erstgenannte und regelmäßig auch zu Anfang geprüfte Kriterium der Marktstellung bezeichnet zunächst den Marktanteil der beteiligten Unternehmen.131 Dieser wird nach den auf dem Markt erzielten Umsätzen errechnet,
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Vgl. § 3 IV. 3. Die Kommission prüft Marktbeherrschung in einem vierstufigen Verfahren (vgl. Kommission, XXI. Wettbewerbsbericht, Annex III, S. 408): – vermutete Marktstellung des zusammengeschlossenen Unternehmens (Marktanteil und sonstige Vorteile gegenüber Wettbewerbern), – die Stärke der verbleibenden Wettbewerber (Angebotsstruktur), – Auswahlmöglichkeiten bzw. etwaige Nachfragemacht der Kunden (Nachfragestruktur), – mögliche Kapazitätserweiterungen der Konkurrenten und mögliche neue Markteintritte (potenzieller Wettbewerb). 131 Ihm kommt eine besondere Bedeutung und laut Rösler, Der Begriff der marktbeherrschenden Stellung in der europäischen Fusionskontrolle, S. 860, eine gewisse Sonderstellung zu. In einer zu starken Betonung des Marktanteils liegt jedoch die Gefahr der Vernachlässigung anderer Kriterien, 130
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hilfsweise können auch andere Größen – wie die in der russischen Bestimmung von Marktbeherrschung verwendete Produktionskapazität132 – gewählt werden.133 Gemäß dem 15. Erwägungsgrund der FKVO wird bei Marktanteilen unter 25% ein Fehlen von Marktbeherrschung vermutet. Tatsächlich ist diese Legalvermutung noch in keinem einzigen Fall widerlegt und – soweit ersichtlich – auch nicht ernsthaft in Frage gestellt worden. Damit liegt bei 25% Marktanteil de facto, d.h. in der Anwendungspraxis der Kommission, ein Mindestschwellenwert, der erheblich unter dem entsprechenden Wert in der russischen Fusionskontrolle liegt. Er beträgt jedoch nur knapp weniger als der Wert, ab dem in der deutschen Fusionskontrolle Marktbeherrschung bereits vermutet wird.134 Tatsächlich hat die Kommission selten bei Marktanteilen unter 45% Marktbeherrschung angenommen oder durch Eröffnen des Hauptverfahrens auch nur ernsthaft geprüft. Unter Verweis auf die anderen genannten Kriterien verneinte sie vielmehr teilweise bei wesentlich höheren Marktanteilen Marktbeherrschung. Aufgrund besonderer Nachfragemacht, d.h. Wahlmöglichkeiten der Abnehmer,135 nahm die Kommission in Alcatel/Telettra beispielsweise trotz deren gemeinsamen Marktanteil von 83% keine Marktbeherrschung an.136 Alleine in Rewe/Meinl137 bejahte die Kommission bereits bei Marktanteilen zwischen 32-43% auf österreichischen Lebensmitteleinzelhandelsmärkten Marktbeherrschung. Entscheidend war hier insbesondere die große Differenz zu den Marktanteilen der nächsten Wettbewerber, d.h. ein hoher relativer Marktanteil von Rewe und Meinl.138 Auf dem Beschaffungsmarkt reichten in derselben __________ insbesondere dem des potenziellen Wettbewerbs und der Marktzutrittsschranken. Vgl. hierzu unten g) und unten § 5 III. 1. c) (5). 132 Vgl. hierzu unten § 5 III. 1. c) (2). 133 Kommission, Bekanntmachung zur Definition des relevanten Marktes im Wettbewerbsrecht, ABl. 1997 C 372/5 (WuW 1998, 261 ff.), Rz. 54. 134 In Russland wird Marktbeherrschung bei Marktanteilen bis zu 35% unwiderlegbar ausgeschlossen und selbst bei Marktanteilen zwischen 35 und 65% widerlegbar als nicht gegeben vermutet. In Deutschland dagegen wird Marktbeherrschung nach § 19 Abs. 3 S. 1 GWB bereits bei Marktanteilen über 33,3% vermutet. Vgl. hierzu unten i) und § 5 III. 1. c) (1). 135 Vgl. hierzu e). 136 Vgl. zu dieser Entscheidung unten e). 137 Kommission, Entscheidung vom 3.2.1999, Sache IV/M.1221, ABl. 1999 L 274/1, WuW/E EU-V 413-420. 138 In Mitsubishi/UCAR (Kommission, Entscheidung vom 4.1.1991, Sache IV/M.24, ABl. 1991 C 5/7, WuW/E EV 1557, Tz. 12) prüfte die Kommission Marktbeherrschung ausnahmsweise auch bereits bei einem Marktanteil von 35-40%, lehnte sie jedoch letztlich trotz hohen relativen Marktanteils unter Hinweise auf die vergleichbare technologische Expertise der Wettbewerber ab. In eklatantem Widerspruch zu Rewe/Meinl steht dagegen die Entscheidung MannesmannVallourec/Ilva (Kommission, Entscheidung vom 31.1.1994, Sache IV/M.315, ABl. 1994 L 102/115, Tz. 127; WuW 94, 924), in der die Kommission einen Marktanteil von 70% gegenüber 13% des nächsten Wettbewerbers annahm. Trotz hoher absoluter und relativer Marktanteile und überdies bestehender Marktzutrittsschranken wurde der Zusammenschluss freigegeben. Die Entscheidung kann als Paradebeispiel einer politischen Entscheidung betrachtet werden. Die Kommis-
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Entscheidung bereits 25-35% für die Annahme von Marktbeherrschung aus. Dies war jedoch auf das besondere Abhängigkeitsverhältnis der Hersteller gegenüber Einzelhandelsketten zurückzuführen, denen ein „Ausweichen auf andere Absatzkanäle“139 in der Regel schwer möglich sei. Die in Rewe/Meinl für die Annahme von Marktbeherrschung entscheidende Höhe der relativen Marktanteile der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen ist auch als Teil des Kriteriums Marktstellung zu betrachten. Dasselbe gilt für die jüngere Entwicklung der Marktanteile, die ebenfalls zu untersuchen ist, um Veränderungspotentiale zu erkennen.140 Dabei indiziert eine hohe Volatilität der Marktanteile, dass auf dem betreffenden Markt eine dauerhafte Abhängigkeit eines Anbieters von seinen Wettbewerbern eher nicht zu erwarten ist. Eine kontinuierliche Zunahme der Marktanteile der sich zusammenschließenden Unternehmen legt dagegen höhere Wettbewerbsgefahren nahe. Die Volatilität der Marktanteile hat damit Indizcharakter. Problematisch ist allerdings, ob auch hohe relative Marktanteile einen solchen Indizcharakter haben oder ob von ihnen zwingend auf Marktbeherrschung zu schließen ist. Das EuG scheint dieser Auffassung zumindest für Marktanteile zu folgen, die deutlich über 50% liegen. So betonte es in der Rechtsache Endemol, dass ein solcher „besonders hoher Marktanteil“ ohne weiteres den Beweis für das Vorliegen einer beherrschenden Stellung liefern könne. Dies gelte insbesondere, wenn die Marktanteile der übrigen Marktteilnehmer nur erheblich niedriger seien, d.h. bei starker relativer Marktstellung.141 Dem kann nicht gefolgt werden. Eine Marktbeherrschung kann nicht alleine mit hohen relativen Marktanteilen begründet werden. Hohe relative Marktanteile sind lediglich ein Indiz dafür, dass die starke Marktposition eines Unternehmen schwer anzugreifen ist. Dies kann beispielsweise die Folge von Marktzutrittsschranken (im weiteren Sinne142), von Intransparenz des Marktes, von besserem Zugang des Marktführers zu den Beschaffungsmärkten u.ä. sein. Es kann aber – im Sinne der Chicago-Schule – ebenso die Folge der überragend __________ sion folgte nicht dem Vorschlag der bearbeitenden Merger Task Force, die sich für eine Untersagung ausgesprochen hatte. 139 Kommission, Tz. 101. 140 Ebenso Immenga, Fusionskontrollverordnung, Tz. 110 ff.; Sedemund/Montag, Fusionskontrolle Tz. 310, betrachten den Abstand zu Wettbewerbern, bzw. die Präsenz weiterer starker Wettbewerber auf den relevanten Märkten ebenso wie die Marktanteilsentwicklung dagegen als Kriterien, die bei der Fusionskontrolle von der Kommission berücksichtigt werden, ohne in Art. 2 FKVO eigens genannt zu sein. Eine mögliche weite Auslegung des Begriffs „Stellung“ ist dem jedoch vorzuziehen. Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Tz. 56, prüft die Votalität im Rahmen der Entwicklung von Angebot und Nachfrage. Diese Merkmale beziehen sich jedoch auf die Entwicklung des Gesamtmarktes. 141 EuG 1999, II-1299, 1343 ff., Tz. 134; vgl. hierzu auch Emmerich, Fusionskontrolle 1999/2000, S. 553, der diese Auffassung indessen nicht kritisiert. 142 Vgl. hierzu oben § 3 IV. 3.
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hohen Effizienz des Marktführers sein. Die Kommission muss deshalb den Grund der hohen relativen Marktanteile suchen bzw. untersuchen. Es ist durchaus vorstellbar, dass hohe absolute und relative Marktanteile die Folge dessen sind, dass das Produkt eines Unternehmens aus Nachfragesicht in jeder Hinsicht attraktiver ist als das der Wettbewerber. Ist dies der Fall, kann der Marktführer nicht im Sinne der Marktbeherrschungsformel der Kommission „unabhängig von seinen Wettbewerbern am Markt agieren“. Würde er signifikant den Preis erhöhen bzw. die Qualität oder den After-sale-Service verschlechtern, bis er das Niveau des nächstbesten Anbieters erreicht hat, wäre sein Angebot nicht mehr in jeder Hinsicht attraktiver als das seiner Wettbewerber. In einem funktionierenden Markt würden seine Marktanteile folglich sinken. Nur wenn zu vermuten ist, dass auch in diesem Fall die Marktanteile nicht sinken würden, d.h. dass der Marktführer unabhängig von seinen Wettbewerbern am Markt agieren kann, ist die Gefahr einer Marktbeherrschung anzunehmen, sodass einschneidende Auflagen oder gar eine Untersagungsverfügung erlassen werden dürfen. Die Gründe, aus denen heraus das Funktionieren des Marktes in einem solchen Szenario nicht angenommen wird, d.h. die einzelnen Marktzutrittsschranken, die angenommen werden, müssen in einer vollständigen Entscheidungsbegründung jedoch enthalten sein.143 c) Wirtschaftliche Macht und Finanzkraft Das Kriterium der wirtschaftlichen Macht bezeichnet die reine Unternehmensgröße und den von ihr ausgehenden Wettbewerbsbezug, soweit er über die bloße Finanzkraft hinausgeht.144 Finanzkraft beinhaltet die finanziellen Ressourcen eines Unternehmens. Bei beiden handelt es sich – wie in § 3 im Einzelnen geschildert – um Wettbewerbsvorteile, die Unternehmen eine Risikodiversifizierung und die Erzielung von Synergieeffekten ermöglichen.145 Die Finanzkraft eines Unternehmens macht es zudem resistenter gegen Zahlungsunfähigkeit. Diese Umstände sind jedoch nur von Relevanz auf Märkten, auf denen Wettbewerber tätig sind, die über diese Vorteile nicht verfügen.146 Dasselbe gilt für kleinere potenzielle Wettbewerber. Sie werden aufgrund der ge-
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In Rewe/Meinl stützte die Kommission ihre Untersagungsverfügung deshalb neben den hohen relativen Marktanteilen der beteiligten Unternehmen auch auf hohe Marktzutrittsschranken aufgrund hoher Anlaufkosten sowie besseren Zugang der beteiligten Unternehmen zu den Beschaffungsmärkten (Kommission, Entscheidung vom 3.2.1999, Sache IV/M. 1221, ABl. 1999 L 274/1, WuW/E EU-V 413-420). 144 Vgl. Immenga, Die Sicherung unverfälschten Wettbewerbs durch Europäische Fusionskontrolle, S. 376. 145 Vgl. § 3 II. 5., III. 2. und 3. 146 Kommission, Entscheidung vom 13.12.1991, Sache IV/M. 164, ABl. 1992 C 088/0, WuW/E EV 1799 (Mannesmann/VDO), Tz. 28: „Finanzkraft ist nicht zu berücksichtigen, wenn andere Unternehmen ein vergleichbares Potential aufweisen.“
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nannten Umstände von einem Markteintritt oft abgehalten (sog. Abschreckungseffekt). Insofern wirken Wirtschaftsgröße und Finanzkraft auch als bedeutsame Marktzutrittsschranken.147 Die Kommission verwendet gelegentlich auch den nicht in Art. 2 Abs. 1 FKVO genannten – von der Harvard-Schule geprägten – Ausdruck Sortiments- oder Portfolioeffekt.148 Hierbei handelt es sich um die Vorteile diversifizierter Unternehmen, die sich als Kombination der Kriterien wirtschaftlicher Macht, Finanzkraft, Zugang zu Absatz- und Beschaffungsmärkten sowie Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer sowie Synergievorteilen diversifizierter Unternehmen149 darstellen. Die finanziellen Vorteile im Rahmen des sog. Portfolioeffekts waren in der Entscheidung Boeing/Mc Donnell Douglas150 von Bedeutung. Der hohe Marktanteil von 70%, den Boeing (64%) und Mc Donnell Douglas (6%) auf dem Markt für große Zivilflugzeuge hatten, erschien besonders bedenklich aufgrund ihrer Aktivität auf dem – mangels Prüfungskompetenz von der EUKommission nicht betrachteten – Markt für Militärflugzeuge in den USA. Im Hinblick auf diesen Markt erhalten beide Unternehmen für Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten signifikante staatliche Beihilfen durch die USRegierung. Die Ergebnisse dieser Tätigkeiten können jedoch auch für den Bau großer Zivilflugzeuge verwendet werden. Gegenüber der Kommission verpflichteten sich beide Unternehmen deshalb, Vorteile aus der staatlich finanzierten Entwicklung von Militärflugzeugen nicht für den Bau von Zivilflugzeugen zu verwenden, die auf dem europäischen Markt abgesetzt werden sollen. Aufgrund dieser Zusage wurde der Zusammenschluss unter eben dieser Auflage freigegeben. Wie sie allerdings praktiziert bzw. ihre Einhaltung überwacht werden soll, ist unverständlich. d) Entwicklung von Angebot und Nachfrage – sich entwickelnde und reife Märkte – Marktabschottungsgefahren auf jungen Märkten Anhand des Kriteriums der Entwicklung von Angebot und Nachfrage soll untersucht werden, in welcher Phase sich der durch das Zusammenschlussvorhaben betroffene Markt befindet.151 Da auf sich entwickelnden Märkten das Marktvolumen noch wächst und Marktanteile üblicherweise sehr volatil sind, werden hohe Marktanteile auf solchen Märkten grundsätzlich für wettbewerblich wesentlich unbedenklicher gehalten als auf reifen oder gar sich zu-
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Vgl. § 3 II. 5. Vgl. oben § 3 IV. 3.; zu der Bedeutung dieses Arguments in der europäischen Fusionskontrolle vgl. auch unten e). 149 Vgl. hierzu unten e) und f). 150 Kommission, Entscheidung vom 30.7.1997, Sache IV/M.877, ABl. 1997 L 336/16-47, WuW/E EU-V 7. 151 Vgl. Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Tz. 54 unter Verweis auf das Formblatt CO. 148
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rückbildenden Märkten. Auf letzteren ist der Neueintritt in den Markt oft sehr schwer, so dass kein oder kaum potenzieller Wettbewerb existiert. Dies nimmt die Kommission beispielsweise an, wenn sie einen Markt im Hinblick auf die Zahl der existierenden Marken und Produktpaletten als gesättigt ansieht.152 Hat die Bestimmung der Marktphase also eine gewisse Indizwirkung dafür, ob hohe Marktanteile für bedenklich gehalten werden, so werden umgekehrt gerade auch bei einigen jungen Märkten hohe Marktanteile für besonders gefährlich gehalten. Hierbei handelt es sich um Märkte, denen die Gefahr anhaftet, „dass ein Zusammenschluss neues Forschungs- und Entwicklungspotential verbindet, so dass für die Zukunft erhebliche Wettbewerbsvorteile entstehen, die von Wettbewerbern nicht mehr erreicht werden können“.153 Die Kommission spricht von „Marktabschottungsgefahren“.154 Gemeint sind damit die Errichtung künstlicher Marktzutrittsschranken auf sich entwickelnden Märkten. In Worldcom/MCI155 nahm die Kommission diese Gefahr beispielsweise im Bereich des sich damals entwickelnden Marktes für Internetzugang an. MCI und Worldcom waren beide Anbieter umfassender Telekommunikationsdienste. Sie wären nach einem Zusammenschluss das einzige Unternehmen gewesen, das über die Fähigkeit verfügt hätte, weltweit zu sämtlichen Punkten des Internets direkten Zugang anzubieten, ohne anderen Unternehmen für die Herstellung von Verbindungen zahlungspflichtig zu sein („sog. umfassende Anschlussfähigkeit“). Hieraus hätten sich fast unwiderrufliche Wettbewerbsvorteile ergeben, da Wettbewerbern der Aufbau eines entsprechend umfassenden Netzes nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr wären sie von der „Durchleitung“ durch Worldcom und MCI abhängig gewesen. Es hätte sich insofern ein „bottleneck“ entwickelt, das mangels Regelungskompetenz einer europäischen Behörde nicht durch Regulierung im Sinne der „essential facility“-Doktrin hätte behoben werden können.156 MCI musste sich deshalb der Kommission – und dem U.S. Department of Justice – gegenüber verpflichten, seinen gesamten Internetbereich, d.h. die technischen „backbone“-Einrichtungen und das Internetgeschäft, an ein neues, in den Markt für Internetverbindungen tretendes
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Vgl. Kommission, Entscheidung vom 22.7.1992 (Nestlé/Perrier), Tz. 94. Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 2, Tz. 162. 154 Vgl. z.B. Kommission, Entscheidung vom 8.7.1998, Sache IV/M.1069, ABl. 1999 L 116/1, WuW 1998, 698 (Worldcom/MCI). 155 Kommission, Entscheidung vom 8.7.1998, Sache IV/M.1069, ABl. 1999 L 116/1, WuW 1998, 698. 156 Hierdurch unterschied sich das Zusammenschlussvorhaben von BT/MCI (II), vgl. hierzu unten e), bei dem eine Durchleitungspflicht und die Bedingungen ihrer Ausführung zumindesten von einer britischen Regulierungsbehörde bestimmt bzw. kontrolliert werden konnten. Zur „essential facility“-Doktrin und der sich aus ihr ergebenden Durchleitungspflicht allgemein vgl. unten § 6 VI. 4. a). 153
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Unternehmen zu veräußern.157 Dieser Verpflichtung kam MCI durch die Veräußerung an Cable & Wireless nach, das ebenfalls einen weltumspannenden sog. „backbone“ aufbaute. Abschottungsgefahren auf sich entwickelnden Märkten sah die Kommission auch bei den Zusammenschlussvorhaben Bertelsmann/Kirch/Premiere158, Deutsche Telekom/Betaresearch159 im Bereich Pay-TV und seiner technischen Grundlage, sowie bei MSG Media Service160 und Nordic Satellite161. In allen Fällen konnten sich die beteiligten Unternehmen mit der Kommission nicht über Auflagen oder Bedingungen einigen, so dass jeweils Untersagungsverfügungen erlassen wurden. e) Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer – Kapazitätserweiterungen, Substitutionswettbewerb, Abschottung reiferer Märkte, Nachfragemacht Das Kriterium der Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer dient der Untersuchung, welche Ausweichmöglichkeiten Lieferanten und Abnehmer, d.h. die Marktgegenseite, der sich zusammenschließenden Unternehmen haben bzw. wie abhängig sie von den sich zusammenschließenden Unternehmen sind.162 Relevante Umstände für die Bestimmung der Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite sind die vorhandenen oder leicht zu erweiternden Kapazitäten der Wettbewerber, möglicher Substitutionswettbewerb, etwaige Marktabschot-
__________ 157
Die Kommission gibt in ihrem XXVIII. Wettbewerbsbericht, S. 69, an, dass auf ihr Betreiben hin die Veräußerungszusage von MCI zustande gekommen sei. Ob dies zutrifft oder nicht eher das U.S. Department of Justice entscheidend war, mit dem die Kommission nach eigener Darstellung gut zusammenarbeitete, kann dahingestellt bleiben. In ihrer Pressemitteilung vom 15. Juli 1998 (www.worldcom.com) erwähnten Worldom und MCI die Kommission zumindest mit keinem Wort. Hier ist lediglich von der Entscheidung des amerikanischen Justizministeriums die Rede. 158 Kommission, Entscheidung vom 27.5.1998, Sache IV/M.993, ABl. 1999 L 53/1. 159 Kommission, Entscheidung vom 27.5.1998, Sache IV/M.1027, ABl. 1999 L 53/1. 160 Kommission, Entscheidung vom 9.11.1994, Sache IV/M.469, ABl. 1994 L 364/1. 161 Kommission, Entscheidung vom 19.7.1995, Sache IV/M.490, ABl. 1996 L 53/20. 162 Immenga (Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 2, Rz. 132) hält das Kriterium für bedeutungslos, da die Einschränkung der Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite gerade aus der Marktbeherrschung geschlossen werde. Sie könne deshalb kaum als Kriterium zur Bestimmung von Marktbeherrschung dienen. Dies ist allerdings nicht zwingend. Vielmehr können sich Marktbeherrschung und Einschränkung der Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite gegenseitig bedingen und begründen. Ob die Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite eingeschränkt sind, ist nicht immer einfach festzustellen. Oft kann deshalb nur anhand anderer Kriterien beurteilt werden, ob dies der Fall ist, d.h. ob Marktbeherrschung vorliegt und im Ergebnis auch die Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite eingeschränkt sind. In Konstellationen, in denen jedoch bekannt ist, dass die Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite eingeschränkt sind, muss dieser Umstand berücksichtigt werden. Ist zusätzlich davon auszugehen, dass sich diese Wahlmöglichkeiten mangels potenziellen Wettbewerbs auch nicht schnell erweitern können, ist ein sicherer Schluss auf Marktbeherrschung zulässig.
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tungen durch sich zusammenschließende Unternehmen163 sowie durch sonstige Umstände begründete Nachfragemacht. Nicht ausgeschöpfte Kapazitäten der Wettbewerber veranlassten die Kommission, in KNP/BühlmannTetterode/VRG164 die Gefahr des Entstehens einer marktbeherrschenden Stellung durch den geplanten Zusammenschluss zu verneinen. Demgegenüber sah sie in Varta/Bosch165 eine Auslastung der Kapazitäten der Wettbewerber und bewertete dies zumindest als wettbewerblich bedenklich. Substitutionswettbewerb bezeichnet den Wettbewerb, der von benachbarten166 Märkten ausgehen kann.167 Güter, die aufgrund des Preistests168 als nicht zu einem Markt gehörig ausgemacht wurden, könnten bei einer Verengung des Angebots169 durchaus einen Ersatz für die Marktgegenseite bilden. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass Güter aufgrund ihrer Eigenschaften austauschbar sind, von Verbrauchern als solche aber noch nicht erkannt wurden. Substitutionswettbewerb kann dadurch entstehen, dass die Hersteller der Substitute Verengungen des Angebots am Nachbarmarkt feststellen und ihre Geschäftspolitik z. B. durch Veränderungen des Marketings neu darauf ausrichten.170 Die Wahlmöglichkeit der Abnehmer und Lieferanten kann auch durch eine Marktabschottung der sich zusammenschließenden Unternehmen eingeschränkt werden. Dieser Umstand wurde bereits im Rahmen der sich entwickelnden Märkte erörtert.171 Dort handelt es sich insbesondere um Abschottungen aufgrund der Verbindung von Forschungs- und Entwicklungsressourcen oder
__________ 163 Dieses Problem stellt sich nicht nur auf sich entwickelnden Märkten – zu den dortigen Besonderheiten vgl. oben d). 164 Kommission, Entscheidung vom 4.5.1993, Sache IV/M.291, ABl. 1993 L 217/35, Tz. 54, s. auch WuW 93, 213. 165 Kommission, Entscheidung vom 31.7.1991, Sache IV/M.12, ABl. 1991 L 320/26, WuW/E EV 1701, Rz. 32. 166 Das russische WG kennt den Begriff der „substituierbaren“ Güter. Hierbei handelt es sich jedoch im Gegensatz zum Substitutionswettbewerb um tatsächlich funktional austauschbare und damit zu einem sachlich identischen Markt gehörige Güter. Der Begriff wird deshalb bereits im Rahmen der Marktabgrenzung verwendet. Vgl. hierzu unten § 5 III. 1. b) (1). 167 Vgl. hierzu Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, S. 66. 168 Vgl. oben 2. a). 169 Dasselbe gilt natürlich für signifikante Preiserhöhungen oder Qualitätsverschlechterungen. 170 Die Kommission nahm eine Ausweichmöglichkeit für Verbraucher auf einen sachlich benachbarten Markt beispielsweise in TKS/ITW Signode/Titan (Entscheidung vom 6.5.1998, Sache IV/M.970, ABl. 1998 L 316/33) an. Dieses Zusammenschlussvorhaben wurde nach Abschluss der Prüfphase II ohne Auflagen freigegeben, obwohl die beteiligten Unternehmen auf dem Markt für Stahlbänder einen überragenden Marktanteil innehatten und die Marktzutrittsschranken für den Stahlbändermarkt als sehr hoch betrachtet wurden. Die wettbewerbliche Unbedenklichkeit begründete die Kommission jedoch damit, dass Stahlbänder in vielen Verwendungsmethoden durch Plastikbänder einfach ersetzbar seien. 171 Vgl. oben d).
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technischer Mittel, die bei der Entwicklung des Marktes von großer Bedeutung sind, so dass dieser während seiner technischen Entwicklung gegenüber jeglichen potenziellen Wettbewerbern „abgeschottet“ wird. Für die Wettbewerbsbehörden kommt auf diesen Märkten erschwerend hinzu, dass oft nicht leicht zu erkennen ist, welche Bedeutung verschiedene Ressourcen für den zukünftigen Markt haben werden. Deshalb ist es sinnvoll, auf sich entwickelnden Märkten die mit den Zusammenschlüssen verbundene Ressourcenverbindung besonders sorgfältig zu beobachten. Im Rahmen der „Wahlmöglichkeiten der Abnehmer und Lieferanten“ wird dagegen betrachtet, inwieweit bereits entwickelte Märkte abgeschottet sind. Eine solche Abschottung wurde beispielsweise auf dem Markt für internationale Telefondienstleistungen172 bei dem Zusammenschlussvorhaben BT/MCI (II)173 angenommen. Die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten sind darüber hinaus stark eingeschränkt, wenn die sich zusammenschließenden Unternehmen über eine durch sonstige Umstände begründete Nachfragemacht verfügen. Dieser Aspekt spielt für Einzelhandelsmärkte eine besonders wichtige Rolle.174 Produzenten von Waren, die für den Einzelhandel bestimmt sind, sind – um bei Endkunden wettbewerbsfähig zu sein – in der Regel darauf angewiesen, ihre Waren über nahezu alle auf ihrem jeweiligen Gütermarkt für Endkunden tätigen Handelsketten zu vertreiben. Dadurch entsteht eine besondere Abhängigkeit der Hersteller gegenüber Einzelhandelsketten, die die Kommission veranlasste, in der Sache Rewe/Meinl bereits bei deren Anteil von 35% auf dem Beschaffungsmarkt eine Marktbeherrschung gegenüber Herstellern anzunehmen.175 Noch größer waren die Marktanteile und damit die Verhandlungsmacht der Handels-
__________ 172 Der Markt für internationale Telefondienstleistungen war zumindestens im Vergleich zum Markt für Internetleistungen wesentlich reifer und konnte insofern – trotz seiner Nähe zu sich entwickelnden Märkten – nicht mehr als ein solcher betrachtet werden. 173 Kommission, Entscheidung vom 14.5.1997, Sache IV/M.856, ABl. 1997 L 336/1. Durch den Zusammenschluss zwischen dem britischen Marktführer für internationale Telefondienste, BT, (Marktanteil 70%) und dem amerikanischen Telefonunternehmen MCI entstand das einzige Unternehmen, das seine sämtlichen zwischen Großbritannien und den USA angebotenen Telefongespräche abwickeln konnte, ohne auf die Dienstleistungen anderer Telefonunternehmen angewiesen zu sein. Von allen zwischen Großbritannien und den USA bestehenden Telefonleitungen, bezüglich derer ein erheblicher Mangel festgestellt wurde, standen zur Zeit der Anmeldung über 50% im Eigentum von BT und MCI, an den östlichen Kabelabschnitten war es sogar ein Anteil von etwa 70%. Alle Wettbewerber von BT und MCI waren deshalb von deren kostenpflichtigen – nicht regulierten – Vermittlungsleistung abhängig und konnten auf dem Markt für transatlantische Telefondienstleistungen keinen Wettbewerbsdruck auf BT und MCI ausüben. Die Wahlmöglichkeiten der Abnehmer der Telefondienstleistungen waren dadurch stark eingeschränkt. Der Zusammenschluss wurde deshalb nur aufgrund der Zusage von BT und MCI genehmigt, alle MCI gehörenden, westatlantischen Leitungen Wettbewerbern auf deren Wunsch hin uneingeschränkt zur Verfügung zu stellen, sowie eine bestimmte – als Geschäftsgeheimnis nicht veröffentlichte – Anzahl ostatlantischer Kabelverbindungen von BT an amerikanische Interessenten zu veräußern. 174 Vgl. Bergmann, Nachfragemacht in der Fusionskontrolle, S. 25 f. 175 Vgl. oben b).
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ketten Kesko und Tuko. Die Kommission untersagte deshalb deren Zusammenschluss (Kesko/Tukko II).176 Eine ähnliche Situation lag auch dem durch die Kommission untersagten Zusammenschlussvorhaben Blokker/Toys „R“ Us177 zugrunde. Umgekehrt kann bei niedrigen Marktanteilen die Nachfragemacht, d.h. der Verhandlungsspielraum, der Handelsketten besonders klein gegenüber Herstellern oder Großhändlern von Markenprodukten sein, an denen „keine Handelskette vorbeikommt“, weil sie ein „Muss“ in jedem Verkaufssortiment bilden. Dies nahm die Kommission beispielsweise für die Konsumgüter der sich jeweils zusammenschließenden Unternehmen Procter & Gamble178 und Kimberly-Clark/Scott179 an, denen Handelsketten als Marktgegenseite gegenüberstehen. Eine hohe Nachfragemacht der Marktgegenseite besteht bei sog. monopsonitischen Nachfragegütern, d.h. Gütern, die nur von einer Person nachgefragt werden. Diese eine Person ist meistens der Staat. Bei den nur von ihm – teilweise allerdings auch von anderen Staaten – nachgefragten Gütern handelt es sich insbesondere um militärische Güter. Auf Märkten für militärische Güter nahm deshalb die Kommission trotz hoher Marktanteile der beteiligten Unternehmen in den Zusammenschlussvorhaben Marconi/Finnemeccanica180 und Daimler Benz/Carl Zeiss181 keine marktbeherrschenden Stellungen an.182 Zu Zeiten staatlicher Telefonmonopole waren auch Telekommunikationsausrüster Anbieter monopsonitischer Nachfragegüter. Deshalb gab die Kommission beispielsweise das Zusammenschlussvorhaben Alcatel/Telettra183 frei, obwohl beide Unternehmen einen gemeinsamen Anteils von 80% des spanischen Telekommunikationsausrüstungsmarktes hielten. Alleinige Nachfragende auf der
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Kommission, Entscheidung vom 19.2.1997, Sache IV/M.784, ABl. 1997 L 174/47, WuW/E 1997, 327; zu der sich anschließenden Entflechtungsanordnung vgl. unten § 5 VI 2). 177 Die Kommission (Entscheidung vom 21.2.1997, Sache IV/M.890, ABl. 1998 L 316/1, WuW/E EU-V 167) nahm eine bereits gegebene Beherrschung des niederländischen Spielzeugmarkts durch das Einzelhandelsunternehmen Blokker insbesondere auch aufgrund eingeschränkter Wahlmöglichkeiten der Lieferanten an.177 Spielzeuglieferanten hatten erklärt, dass ein Zugang zu dem niederländischen Spielzeugmarkt an Blokker nicht vorbeiführe. Die Einführung eines neuen Spielzeuges auf den niederländischen Spielzeugmarkt könne nur kostendeckend erfolgen, wenn das Spielzeug zumindest auch in einigen Blokker-Spielzeugläden vertrieben werde. Problematisch war, ob die geplante Übernahme der niederländischen Toys "R" US-Geschäfte die marktbeherrschende Stellung von Blokker verstärken würde. Im Ergebnis wurde dies jedoch bejaht. Vgl. hierzu l). 178 Kommission, Entscheidung vom 21.6.1994, ABl.1994 L 354/32. 179 Kommission, Entscheidung vom 16.1.1996, ABl. 1996 L 183/1, Tz. 185 ff. 180 Kommission, Entscheidung vom 5.9.1994, Sache IV/M.496, ABl. 1994 C 253/10. 181 Kommission, Entscheidung vom 27.6.1995, Sache IV/M.598, ABl. 1995 C 276/10. 182 In Krauss-Maffei/Wegmann (Kommission, Entscheidung vom 19.6.1998, Sache IV/M.1153) sah die Kommission in der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens für Wehrtechnik und Simulationstechnik dagegen die Gefahr des Entstehens einer marktbeherrschenden Stellung auf dem deutschen Markt für gepanzerte Heeresfahrzeuge und verwies die Anmeldung gemäß Art. 9 Abs. 3 lit. b FKVO an das Bundeskartellamt. 183 Kommission, Entscheidung vom 12.4.1991, Sache IV/M.042, ABl. 1991 L 122/48.
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Marktgegenseite war jedoch die damals noch staatliche Telefónica, der entsprechend eine hohe Nachfragemacht zugesprochen wurde. Die Bestimmung von Nachfragemacht ergibt sich teilweise auch als bloßer Vergleich der Konzentrationen beider Marktgegenseiten.184 Je höher der Marktanteil eines Unternehmens ist, desto größer ist üblicherweise seine Wahlmöglichkeit bzw. die daraus folgende Verhandlungsposition gegenüber der Marktgegenseite.185 Stehen sich auf einem Markt zwei Unternehmen bzw. Unternehmensverbindungen mit jeweils sehr hohen Marktanteilen gegenüber, handelt es sich letztlich um einen „Kampf von Giganten“, bei dem keine Seite schützenswert erscheint bzw. keine Seite als marktbeherrschend zu betrachten ist. Eine solche Konstellation lag dem Zusammenschlussvorhaben Enso/Stora186 zugrunde. f) Zugang zu Absatz- und Beschaffungsmärkten – die Kehrseite zu denWahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, vertikale Effekte und der Portfolioeffekt Das Kriterium des Zugangs zu Absatz- und Beschaffungsmärkten ist in vielen Fällen, in denen die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer besonders zu diskutieren sind, deren bloße Kehrseite aus Sicht der am Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen. Eine beträchtliche Wahlmöglichkeit der Marktgegenseite kann oft mit eingeschränkten Zugangsmöglichkeiten der sich zusammenschließenden Unternehmen verbunden sein. Dies gilt nicht für den Fall der unausgenutzten Kapazitäten von Wettbewerbern. Ebenso wenig dürfte es für die Fälle des Substitutionswettbewerbs gelten. Sind jedoch die Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite durch eine Marktabschottung der sich zusammenschließenden Märkte eingeschränkt, folgt daraus ein uneingeschränkter Markzugang für die „Abschotter“. Nachfragemacht der Marktgegenseite
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Vgl. hierzu auch Nordemann, Gegenmacht und Fusionskontrolle, S. 21. Vgl. Kommission, XX. Wettbewerbsbericht, Tz. 251. 186 Kommission, Entscheidung vom 25.11.1998, Sache IV/M.1225, ABl. 1999 L 254/9. Durch den Zusammenschluss des finnischen Unternehmens Enso mit der schwedischen Stora sollte der weltgrößte Papier- und Papphersteller entstehen. Auf dem Markt für Zeitschriftenpapier waren nach dem Zusammenschluss im Europäischen Wirtschaftsraum noch sechs Unternehmen tätig, auf dem Markt für Getränkeverpackungen drei. Auf beiden Märkten nahm die Kommission jedoch auf der Marktgegenseite eine noch höhere Marktkonzentration an. Auf dem Markt für Getränkeverpackungen hatte TetraPak einen Nachfrageanteil von 90% gegenüber jeweils 5% für Elopak und SIG Combibloc. Die Nachfragemacht TetraPaks wurde darüber hinaus noch dadurch verstärkt, dass TetraPak strategische Mengen Getränkeverpackungsmaterials aus den USA bezog. Aufgrund dieser Nachfragemacht TetraPaks wurde das Zusammenschlussvorhaben freigegeben. Allerdings mussten sich Enso und Stora verpflichteten, eine gegenüber Elopak und SIG Combibloc diskriminierende Preispolitik zu unterlassen. Gleichzeitig verpflichtete sich Enso, eine durch ein Gemeinschaftsunternehmen mit Elopak bestehende vertikale Verflechtung aufzugeben, da in einer solchen Verflechtung die Gefahr einer Beschränkung der Verhandlungsmacht Ensos gesehen wurde. 185
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schränkt den Zugang der sich zusammenschließenden Unternehmen nicht notwendigerweise ein. Ein offener Marktzugang der sich zusammenschließenden Unternehmen aufgrund deren Nachfragemacht hat jedoch notwendigerweise beschränkte Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite zur Folge. Über diese Fälle hinaus hat das Kriterium des Zugangs zu Absatz- und Beschaffungsmärkten Bedeutung für Marktabschottungen, durch die die Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite nicht unbedingt eingeschränkt werden, es aber unwahrscheinlicher wird, dass mit ihnen Vertragsbeziehungen eingegangen werden. Diese Konstellation tritt bei vertikalen Zusammenschlüssen und infolge eines Portfolioeffekts187 auf. Vertikale Zusammenschlüsse haben zur Folge, dass ein Unternehmen seine gesamten – oder einen gewichtigen Teil seiner – Abwicklungen auf einem bestimmten Markt – mehr oder weniger188 – internalisiert. Auf beiden betroffenen Märkten können dadurch die realen Absatz-, bzw. Beschaffungsmöglichkeiten, verbessert, die der Wettbewerber eingeschränkt werden.189 Einen solchen Fall nahm die Kommission in RTL/Veronica/Endemol190 an. In der vertikalen Verbindung VIAG/Continental Can191 prüfte die Kommission, ob Wettbewerber des Verpackungsherstellers Continental Can noch hinreichenden Zugang zum Beschaffungsmarkt für Aluminiumprodukte behielten. Im
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Vgl. hierzu oben § 3 IV. 3. Bei der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens – wie im vorliegendem Fall – bleiben die einzelnen Unternehmen noch bestehen, sodass nicht von wirklicher Internalisierung, sondern nur von bevorzugtem Zugang gesprochen werden kann. Bei anderen Zusammenschlüssen würde es sich dagegen um echte Internalisierungen handeln. 189 Vgl. zu den Wettbewerbsgefahren aus vertikaler Integration allgemein § 3 II. 4. 190 Kommission, Entscheidung vom 20.9.1995, Sache IV/M.553, ABl. 1996 L 134/32, Rz. 101, bzw. Kommission, Entscheidung vom 17.7.1996, ABl. 1996 L 294/14, WuW 1996, 1029. Die Kommission untersagte die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zwischen den drei führenden niederländischen Fernsehsendern (RTL 4, RTL 5, Veronica), die gemeinsam über 40% Marktanteil auf dem niederländischen Fernsehmarkt mit 60% Anteil an der Fernsehwerbung verfügten, und dem führenden niederländischsprachigen Fernsehproduzenten Endemol. Grund war die Befürchtung, dass Endemol seine bereits als marktbeherrschend angenommene Stellung dadurch ausgebaut hätte, dass es über das Gemeinschaftsunternehmen bevorzugten Zugang zu dem Absatzmarkt für niederländische Fernsehproduktionen erhalten hätte und der Markt für Fernsehproduktionen dadurch für andere Produzenten abgeschottet worden wäre. Gleichzeitig befürchtete die Kommission, dass durch das Vorhaben eine beherrschende Stellung der drei Fernsehsender auf dem niederländischen Fernsehmarkt begründet worden wäre. Die marktbeherrschende Stellung wäre durch einen besonderen Zugang zum Beschaffungsmarkt, d.h. einem vereinfachten Zugang zu Endemol-Produktionen, entstanden. Das Zusammenschlussvorhaben wurde deshalb nur ohne Beteiligung von Endemol, d.h. ohne vertikale Verflechtungen, genehmigt. Den hohen Marktanteil der drei Fernsehsender betrachtete die Kommission insbesondere nicht als wettbewerblich bedenklich, weil sie die Neugründung eines Fernsehsenders durch Endemol mit anderen Partnern erwartete. 191 Kommission, Entscheidung vom 6.6.1991, ABl. 1991 C 156/10; WuW/E EV 1626. 188
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Ergebnis bejahte sie dies, da neben VIAG noch vier andere Aluminiumproduzenten verblieben. Der verbesserte Zugang zu Absatz- und Beschaffungsmärkten kann sich jedoch auch aus dem bereits erwähnten, von der Harvard-Schule192 besonders betonten Portfolioeffekt193 ergeben. Ein Unternehmen, das in seinem Sortiment über Gegenstände verfügt, die ein „Muss“ für Handelsunternehmen sind194, kann diesen positive oder negative Anreize schaffen, auch andere Gegenstände aus seinem Sortiment zu beziehen. Dadurch können marktbeherrschende Stellungen auch auf Märkten für Gegenstände entstehen, auf denen die jeweilige Marke kein „Muss“ ist. Dies kann z. B. beim Sortiment von Coca-Cola angenommen werden. Das Getränk Coca-Cola ist ein „Muss“ für jeden Lebensmittelhandel, andere Getränke aus dem Sortiment Coca-Colas sind es dagegen nicht. Durch die außerordentlich starke Stellung bezüglich des Coca-Cola-Getränks können jedoch Anreize geschaffen werden, auch diese anderen Getränke zu beziehen.195 Solche Portfolioeffekte können die Absatz- oder Beschaffungsmöglichkeiten erheblich beeinflussen und dadurch Marktbeherrschung begründen. Die Kommission bezeichnet den Portfolieeffekt bisweilen auch als bloße „Kundenbindung“, die zu verbesserten Absatzmöglichkeiten des gesamten Sortiments führe. Dies nahm sie beispielsweise für verschiedene Flugzeugmärkte in den Entscheidungen AérospatialeAlenia/de Havilland196 und Boeing/McDonnell Douglas197 an. Ein leichterer Zugang zum Absatzmarkt aufgrund eines Portfolioeffekts198 wurde auch bei dem Zusammenschlussvorhaben Hoffmann-La Roche/Boehringer Mannheim199 gesehen.
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Vgl. hierzu oben § 3 II. 1., IV. 3. Zu der Bedeutung des Portfolioeffekts im Hinblick auf Finanzkraft vgl. oben c). 194 Vgl. zu der daraus folgenden starken Verhandlungsmacht des Markenproduzenten auch bereits oben e). 195 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 22.1.1997, Sache IV/M.794, ABl. 1997 L 218/15 (Coca-Cola Enterprise/Amalgamated Beverages Great Britain). Die Ausführungen der Kommission sind allerdings ein wenig zurückhaltender. Sie spricht von Vorteilen für Abnehmer, alle Getränke von einer Quelle zu beziehen. Das Zusammenschlussvorhaben wurde allerdings letztlich dennoch genehmigt. Vgl. hierzu unter f). 196 Kommission, Entscheidung vom 2.10.1991, Sache IV/M.053, ABl. 1991 L 334/42. 197 Vgl. hierzu oben c). 198 Die Kommission verwendete wiederum den Begriff „Abschottung der Märkte“, vgl. zu diesem Begriff auch Unterabschnitt d) und e). 199 Kommission, Entscheidung vom 2.4.1998, Sache IV/M.950, ABl. 1998 L 234/14-18. Auf verschiedenen nationalen Märkten für sog. In-vitro-Diagnostika hatten die beteiligten Unternehmen bereits Marktanteile von 40-80% inne. Noch höher waren die Marktanteile allerdings auf den Märkten für installierte Instrumente und Anlagen, die für die Anwendung der Diagnostika erforderlich sind. Es bestand deshalb die Gefahr, dass die Kunden durch die Abnahme der Instrumente und Anlagen via Kundendienst und Wartung der Instrumente gebunden werden würden, auch die Diagnostika von den beteiligten Unternehmen zu beziehen. Hoffmann-La Roche verpflichtete sich 193
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Der Portfolioeffekt kann sich jedoch auch auf unterschiedliche Produkte desselben Marktes beziehen. Wettbewerbsvorteile können dann aufgrund verminderter Preistransparenz, größerer Preisflexibilität und der Fähigkeit zu unterschiedlichen Marketingstrategien infolge verschiedener Geschäftskonzepte entstehen. So führte die Kommission in Blokker/Toys „R“ Us200 aus, dass aus der Verschiedenartigkeit des Warenangebots und verschiedenen Geschäftskonzepten für Wettbewerber und Verbraucher eine verminderte Preistransparenz und für Blokker eine größere Preisflexibilität folge.201 Blokker/Toys „R“ Us war insofern eine Entscheidung, die in großem Maße auf die Argumentation der Harvard-Schule Bezug nahm, derzufolge hohe Marktanteile aus der Fähigkeit zu Produktdifferenzierungen folgen. Nicht überzeugend war in dieser Entscheidung allerdings, dass die Kommission des Weiteren betonte, Blokker sei aufgrund seiner besonderen Kenntnis des niederländischen Spielzeugmarkts in der Lage, ein neues von Toys „R“ Us erworbenes Geschäftskonzept besonders gut zu nutzen. Dieses Argument beschreibt zwar zusätzlich die starke Marktposition von Blokker, es stützt sich jedoch letztlich auf die Fähigkeit Blokkers zu einer höheren produktiven Effizienz. Wenn sich eine Untersagung auf dieses Argument stützt, besteht die Gefahr einer Untersagung höherer produktiver Effizienzen, Maßstab darf aber alleine die Entwicklung des Wettbewerbsdrucks sein. Im Ergebnis überzeugt die Entscheidung gleichwohl. Dies folgt auch daraus, dass sich für potenzielle Wettbewerber in Zusammenschlussvorhaben wie Blokker/Toys „R“ Us oder Hoffmann-La Roche/Boehringer Mannheim eine Abschreckungswirkung aufgrund des Portfolioeffekts und damit eine Marktzutrittsschranke ergibt. g) Marktzutrittsschranken (potenzieller Wettbewerb) Die Bedeutung der Marktzutrittsschranken für die Notwendigkeit von Fusionskontrollen und ggf. Untersagungsverfügungen wurde im Rahmen der wettbewerbstheoretischen Grundlagen202 bereits erörtert und seitdem mehrfach wiederholend erwähnt.203 In der europäischen Fusionskontrollpraxis spielt die Bestimmung von Marktzutrittsschranken deshalb auch eine sehr wichtige Rolle. __________ deshalb, den überwiegenden Teil seines Geschäfts mit Diagnostika in einigen Mitgliedstaaten zu veräußern. 200 Vgl. oben e). 201 So sei Blokker z.B. in der Lage, auf veränderte Nachfrageeigenschaften in nur einer von ihm betriebenen Spielzeuggeschäftskette die Preise zu verändern, in anderen dagegen beizubehalten. 202 § 3 IV 3. 203 Vgl. auch Monopolkommission, Sondergutachten 14, S. 72, Tz. 113: „Marktschranken erlauben … langfristig die Erzielung einer ökonomischen Rendite, die über dem wettbewerblichen Niveau liegt.“
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Marktzutrittsschranken sind ein Kriterium, das der Bestimmung potenziellen Wettbewerbs gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a FKVO dient. Da Marktbeherrschung im Sinne der FKVO Dauerhaftigkeit voraussetzt,204 ist ein Unternehmen trotz hohen Marktanteils nicht marktbeherrschend, wenn es aufgrund niedriger Marktzutrittsschranken ständig mit potenziellem Wettbewerb rechnen muss.205 Kann ein marktstarkes Unternehmen unter diesen Bedingungen seine marktstarke Position gleichwohl lange halten, sind – Transparenz des Marktes vorausgesetzt – die Voraussetzungen dessen erfüllt, was die Chicago-Schule als Regelfall betrachtet: Die konstant hohen Marktanteile sind dann Ausdruck überragender Effizienz. Als Marktzutrittsschranken werden alle Umstände bezeichnet, die potenziellen Wettbewerb innerhalb eines Prognosezeitraums verhindern und damit einen Verhaltensspielraum für marktstarke Unternehmen eröffnen.206 Damit unterfallen dem Kriterium der Marktzutrittsschranken auch Umstände, die bereits im Rahmen anderer Kriterien (wirtschaftliche Macht, Finanzkraft, Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer) erörtert wurden.207 Während diese Umstände im Rahmen der erörterten Kriterien jedoch den tatsächlichen Wettbewerb betrafen, betreffen sie im Rahmen des Kriteriums „Marktzutrittsschranken“ die Frage, ob potenzieller Wettbewerb existiert. Bei den Kriterien der Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite einerseits und dem Zugang zu Absatz- und Beschaffungsmärkten andererseits wurde bereits gezeigt, dass wettbewerblich erhebliche Aspekte unter mehrere Kriterien fallen können. Der Unterschied der einzelnen Kriterien liegt dabei in der Perspektive des Betrachters. Während Marktstellung, wirtschaftliche Macht und Finanzkraft Kriterien sind, für die eine objektive Sicht maßgeblich ist, werden das Kriterium der Wahlmöglichkeiten der Marktgegenseite aus der objektivierten Sicht
__________ 204
So die unbestrittene Definition durch die Kommission – vgl. Unterabschnitt a). Vgl. z.B. Kommission, Entscheidung vom 5.April 1993 (Degussa/Ciba-Geigy), Sache IV/M. 317, ABl. 1993 C 104/0: Die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens zwischen Degussa und Ciba-Geigy auf dem Markt für Glasfarben wurde als wettbewerblich unbedenklich betrachtet, obgleich das Gemeinschaftsunternehmen die Marktanteile von Degussa von 40% und von CibaGeigy („unter 10%“) übernehmen sollte. Entscheidend für die Freigabe war der Umstand, dass mit dem Martkeintritt potenzieller japanischer und koreanischer Wettbewerber zu rechnen war. 206 Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 2, Rz. 150; vgl. hierzu auch Siragusa/Subiotto, Le contrôle des opérations de concentration entre entreprises au niveau européen, S. 93 ff.; vgl. auch Schütz, EU-Fusionskontrolle, Artikel 2, Rz. 105: ,,Objektiv-tatsächliche Marktzutrittsschranken sind prinzipiell unbegrenzt ...“. 207 A.A. Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 2, Rz. 140: Potenzieller Wettbewerb hinge neben Marktzutrittsschranken auch von „anderen Kriterien wie Finanzkraft oder Zugang zu den Absatz- und Beschaffungsmärkten“ ab. Dies steht jedoch im Widerspruch zu Immengas, Rz. 150, eigener Definition, nach der Marktzutrittsschranken alle Umstände sind, die potenziellen Wettbewerb abhalten (s. oben). Der hier gewählte weite Marktzutrittsschrankenbegriff wird ebenso von Jickeli, Marktzutrittsschranken im Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, S. 162 ff., verwendet. 205
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eines Unternehmens der Marktgegenseite und das Kriterium des Zugangs zu Absatz- und Beschaffungsmärkten aus der objektivierten Sicht der sich zusammenschließenden Unternehmen bestimmt. Das Kriterium der Marktzutrittsschranken dagegen stellt auf die Sicht eines fiktiven rationalen Unternehmens ab, das an einen Eintritt in den betrachteten Markt denkt.208 Ergeben seine fiktiven Analysen des Marktes, dass ein Eintritt in diesen – trotz entdeckter allokativer Ineffizienzen – schwierig sein dürfte, sind Marktzutrittsschranken vorhanden. Marktzutrittsschranken sind damit alle wettbewerblich erheblichen Umstände, die Abschreckungswirkung auf außerhalb des Marktes stehende Unternehmen ausüben und dazu führen, dass diese keine potenziellen Wettbewerber darstellen. Potenzieller Wettbewerb setzt dem entsprechend Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit des Markteintritts voraus. In der wettbewerbstheoretischen Erörterung der Marktzutrittsschranken wurde die dort gebräuchliche Unterscheidung zwischen strategischen (d.h. verhaltensbedingten) und strukturellen Marktzutrittsschranken eingeführt.209 Die Entscheidungspraxis der Kommission übernimmt diese Unterscheidung nur teilweise. Sie verwendet den Begriff „strategische Markzutrittsschranken“ für Ausschließlichkeitsvereinbarungen, Produktdifferenzierungen und sonstiges Ausnutzen eines Portfolioeffekts. Im Übrigen unterscheidet sie zwischen technischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Marktzutrittsschranken. Rechtliche Marktzutrittsschranken sollen innerhalb des Gemeinsamen (Binnen-)Marktes nicht mehr bestehen.210 Sie spielen deshalb in der Entscheidungspraxis der Kommission keine bedeutende Rolle mehr, obgleich sie im Hinblick auf potenzielle außereuropäische Wettbewerber durchaus noch von Bedeutung sein könnten. Strategische Marktzutrittsschranken infolge von Portfolioeffekten ergeben sich für Newcomer in den geschilderten Fällen, in denen für tatsächliche Wettbewerber der durch ihr Sortiment bevorzugten Unternehmen der Zugang zu Absatz- oder Beschaffungsmärkten erschwert wird.211 Strategische Marktzutrittsschranken in Form von Ausschließlichkeitsvereinbarungen lagen der Annahme von Marktbeherrschung in Agfa-Gevaert/Du
__________ 208 Es muss sich dabei natürlich um ein fiktives Unternehmen handeln, das aufgrund seines Tätigkeitsbereichs für einen Markteintritt in Betracht kommt. 209 § 3 IV. 3. 210 Von Bedeutung waren sie noch bei Kommission, Entscheidung vom 12.11.1992, Sache IV/M.222, ABl. 1993 L 114/34, Tz.103 ff. (Mannesmann/Hoesch); vgl. hierzu auch weiter unten in diesem Abschnitt. 211 s. in Unterabschnitt f) insbesondere die dort genannten Beispiele aus der Kommissionspraxis Blokker/Toys „R“ Us und Hoffmann-La Roche/Boehringer Mannheim..
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Pont212 zugrunde. Ausschließlichkeitsvereinbarungen sind sehr verbreitet und per se Regelungsmaterie von Art. 81 EGV bzw. der dazu ergangenen Gruppenfreistellungsverordnungen. Trotz ihrer dort bestimmten „Rechtmäßigkeit“ können sie jedoch auch beträchtliche Marktzutrittsschranken bilden. Bedeutsame Ausschließlichkeitsvereinbarungen bildeten, bzw. bilden beispielsweise noch die Gestaltungen von Vertriebswegen von Kraftfahrzeugen.213 Verschiedene wirtschaftliche Marktzutrittsschranken nahm die Kommission in Nestlé/Perrier214 an. Abschreckende Wirkung maß sie der hohen Marktkonzentration, der Reife des Marktes, stabiler Marktanteile und insbesondere der Existenz wichtiger Marken bei.215 Eine zusätzliche strategische Marktzutrittsschranke sah die Kommission bei diesem Zusammenschlussvorhaben in der Existenz von Rabattsystemen für den Absatz von Wasser an Einzel- und Großhandel, durch die der Bezug anderer Getränke belohnt wurde.216 Den Marktzutrittsschranken wurde so hohes Gewicht beigemessen, dass das Zusammenschlussvorhaben nur unter der Bedingung eines Verkaufs verschiedener Wassermarken durch Nestlé genehmigt wurde. Wirtschaftliche Marktzutrittsschranken nahm die Kommission auch in dem bereits erwähnten Zusammenschlussvorhaben BT/MCI (II)217 für den britischen Markt transatlantischer Telefonkonferenzdienstleistungen an. Den gemeinsamen Marktanteil der sich zusammenschließenden Unternehmen von 80% führte die Kommission nicht auf objektiv überragende Qualität bzw. Effizienz sondern auf eine Kundenbindung auf diesem Markt an bestehende Dienstleister aufgrund deren Rufes und Erfahrung zurück. Trotz niedrigen Anfangsinvestitionsbedarfs verneinte die Kommission deshalb für diesen Markt potenziellen Wettbewerb. Aus diesem Grund mussten sich BT und MCI der Kommission gegenüber neben der Gewährung von Durchleitungsrechten für Wettbewerber auch zur Veräußerung des Telefonkonferenzdienstleistungsbereichs von MCI verpflichten.
__________ 212 Kommission, Entscheidung vom 11.2.1998, Sache IV/M 986, ABl. 1998 L 211/22-40. Agfa und Du Pont hatten sowohl mit Zulieferern als auch mit Händlern Ausschließlichkeitsvereinbarungen getroffen. Potenzielle Wettbewerber hatten deshalb erheblich erschwerten Zugang zu dem Markt. Der Zusammenschluss zwischen den bereits marktstarken Agfa-Gevaert und Dupont wurden deshalb erst genehmigt, als Agfa-Gevaert zusicherte, seine Ausschließlichkeitsvereinbarungen mit Lieferanten und Abnehmern aufzugeben. 213 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 14.2.1995, Sache IV/M.477, ABl. 1995 L 211/1 (Mercedes-Benz/Kässbohrer), Tz. 82 ff. 214 Kommission, Entscheidung vom 22. Juli 1992, Sache IV/M.190, ABl. L 1992, 356/1, Tz. 94. 215 Hierbei handelt es sich um die gleichen Merkmale, die als Indizien für das Vorliegen eines Oligopols verwendet werden. Hätte die Kommission auch ein Oligopol angenommen, hätte sich hieraus wiederum eine strategische Marktzutrittsschranke ergeben. Vgl. zu Oligopolbeherrschung unten k). 216 Kommission, Tz. 95. 217 Vgl. oben e).
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Auch in Bank Austria/Creditanstalt218 sah die Kommission im Nachfrageverhalten der Kunden eine wirtschaftliche Marktzutrittsschranke. Dasselbe galt für den Colagetränkemarkt in Coca-Cola Enterprise/Amalgamated Beverages Great Britain219 bei dem wie bei Nestlé/Perrier220 die Markenbindung eine überragende Rolle spielte.221 In Boeing/McDonnell Douglas222 machten wirtschaftliche Marktzutrittsschranken in Form von besonders hohen Fix- und Vorlaufkosten einen Eintritt in den Weltmarkt für große Zivilflugzeuge extrem unwahrscheinlich. Die Kommission verneinte deshalb potenziellen Wettbewerb, obgleich der russische Flugzeughersteller Iljushin angekündigt hatte, seine Flugzeuge auf internationalen Märkten anbieten zu wollen. Ihm wurde von der Kommission jedoch eine aus europäischer Abnehmersicht so geringe Zuverlässigkeit, geringes erreichbares Image und schwache Kundendienstqualität attestiert, dass sie ihn als potenziellen Wettbewerber nicht ernst nahm oder ihn zumindest im Falle eines Markteintritts als einem anderen Markt zugehörig betrachtete.223 Technische Marktzutrittsschranken schützen die Anbieter von Rohstoffen vor einem Neueintritt potenzieller Wettbewerber, wenn keine (bekannten) neuen Ressourcen mehr bestehen.224 Dies gilt beispielsweise für den weltweiten Plutoniummarkt225, den das Zusammenschlussvorhaben Anglo American Corporation/Lonrho226 betraf. Wird die Existenz von Markzutrittsschranken verneint, folgt daraus per definitionem, dass potenzieller Wettbewerb existiert.227 Teilweise führte die Kom-
__________ 218
Kommission, Entscheidung vom 11.3.1997, Sache IV/M.873, Amtsbl 1997 C 160/4. Kommission, Entscheidung vom 22.1.1997, Sache IV/M.794, ABl. 1997 L 218/15; vgl. hierzu auch oben f). 220 Vgl. oben in diesem Abschnitt. 221 Vgl. hierzu oben f). 222 Kommission, Entscheidung vom 30.7.1997, Sache IV/M.877, ABl. 1997 L 336/16, WuW/E EU-V 7. Vgl. hierzu auch oben c) und f). 223 Unterschiedliche Qualitätsniveaus sind in Europa ein nicht sehr verbreitetes Abgrenzungskriterium für Märkte. In Russland müsste dieser Aspekt aufgrund des dortigen Wohlstandsgefälles innerhalb der Gesellschaft jedoch viel häufiger zur Marktabgrenzung verwendet werden. Soweit ersichtlich, geschieht dies allerdings kaum. Vgl. hierzu unten § 5 III. 1. b) (1). 224 Hierbei kann es sich auf bestimmten Märkten um natürliche Monopole handeln. Natürliche Monopole bestehen aber auch, wenn eine Neuinvestition eines Wettbewerbers wirtschaftlich unsinnig wäre, weil die Anlaufkosten außer Verhältnis zu der jemals erreichbaren Rendite stehen. Inhaber solcher natürlicher Monopole sind vor potenziellem Wettbewerb durch wirtschaftliche Marktzutrittsschranken geschützt. Zu der Problematik natürlicher Monopole vgl. unten § 5 VII. 4. a). 225 Vgl. hierzu oben 2. b). 226 Kommission, Entscheidung vom 23.4.1997, Sache IV/M.754, ABl. 1998 L 149/21. 227 A.A Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 2, Rz. 144: „Die Wahrscheinlichkeit des Markteintritts hängt auch von einer entsprechenden subjektiven Bereitschaft ab.“ Dieser These kann nur unter der Annahme beigepflichtet werden, dass es keine Unternehmen gibt, die die sich aus der mangelnden produktiven Effizienz der Marktführer ergebenden Gewinnmöglichkeiten wahrnehmen wollen. Eine solche Annahme würde jedoch einen – trotz Fehlens von 219
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mission dies in ihren Entscheidungen aus. Teilweise beschäftigt sie sich jedoch nur mit der Frage potenziellen Wettbewerbs. Dies ist jedoch ohne eine – unter Umständen daran anschließende – Untersuchung, ob Marktzutrittsschranken bestehen, nicht sachgerecht möglich. Im Rahmen der wettbewerbstheoretischen Grundlagen wurde erläutert, dass die Bestimmung von Marktzutrittsschranken durchaus dergestalt erfolgen kann, dass Unternehmen geografisch oder sachlich benachbarter Märkte228 betrachtet werden und im Hinblick auf sie nach Umständen gesucht wird, die sie von einem Markteintritt abhalten können. Ziel muss es jedoch immer bleiben, Markzutrittsschranken zu identifizieren. Die Suche alleine nach möglichen Newcomern hilft insofern nicht weiter, als durch sie üblicherweise keine Aussagen darüber gemacht werden können, wie wahrscheinlich ein Markteintritt dieser Unternehmen im Falle sinkender produktiver Effizienz der Marktführer ist. Solange dagegen kein Neueintritt in den Markt zu vermuten ist, weil – und nur weil – die Marktführer im Sinne der ChicagoSchule überragend effizient sind, ist dies wettbewerbspolitisch nicht problematisch. Eine Marktbeherrschung im Sinne der Fähigkeit, unabhängig von Wettbewerbern zu agieren, besteht dann nicht. Das Fehlen von Marktzutrittsschranken und die Existenz potenziellen Wettbewerbs nahm die Kommission in den sog. „Röhrenfällen“ Mannesmann/Hoesch229 und Mannesmann/Vallourec/Ilva230 an. Die jeweilige Begründungsqualität unterschied sich in den beiden Entscheidungen jedoch erheblich. In der erstgenannten Entscheidung wurde potenzieller Wettbewerb auf dem Gasleitungsröhrenmarkt von Seiten anderer westeuropäischer Unternehmen damit begründet, dass zur Zeit des Zusammenschlusses verschiedene nationale technische Normen noch eine Markzutrittsschranke rechtlicher Art bildeten. Da bereits eine Harmonisierungsrichtlinie beschlossen worden war, war jedoch mit dem Wegfall dieser Marktzutrittsschranke zu rechnen. Dies überzeugt. __________ Marktzutrittsschranken, die auch Intransparenz des Marktes umfassen – vorliegenden Mangel an Funktionsfähigkeit des Marktes voraussetzen, von dem außerhalb von ausgeprägten wirtschaftlichen Krisenzeiten nicht ausgegangen werden kann. Immenga selber nennt als mögliche Gründe für eine fehlende subjektive Bereitschaft zu einem Markteintritt Kosten, Risiken und unsichere Gewinnaussichten. Bei diesen Umständen handelt es sich jedoch um klassische strukturelle Marktzutrittsschranken. Sie wurden in § 3 IV. 3. als Beispiel für das Erfordernis von Fusionskontrollen genannt. Dadurch, dass solche Marktzutrittsschranken regelmäßig bestehen, überzeugt die Annahme der Chicago-Schule nicht, derzufolge Marktführerschaft, ohne Ausdruck überragender Effizienz zu sein, nur sehr kurzfristig Bestand haben kann. 228 Diese Unternehmen haben regelmäßig größere Chancen, bei einem Markteintritt in kürzerer Zeit signifikante Marktanteile zu erlangen. Vgl. dazu oben § 3 IV. 3. 229 Kommission, Entscheidung vom 12.11.1992, Sache IV/M.222, ABl. 1993 L 114/34, Tz. 103 ff. 230 Kommission, Entscheidung vom 31.1.1994, Sache IV/M.315, ABl. 1994 L 102/15, Tz. 116ff; kritisch hierzu Ebenroth/Lange, EG-Fusionskontrolle nach Abschluss der Uruguay-Runde im Rahmen des GATT, S. 601 ff.; BKartA, Tätigkeitsbericht 1993/94, S. 59.
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In Mannesmann/Vallourec/Ilva dagegen erfolgte die Feststellung, dass Marktzutrittsschranken fehlten, recht apodiktisch. Der gemeinsame Marktanteil der beteiligten Unternehmen von 70% gegenüber 13% des nächstgrößten Wettbewerbers wurde aufgrund von Überkapazitäten der noch nicht an europäischen Märkten tätigen japanischen Wettbewerber als wettbewerblich nicht bedenklich betrachtet. Eine weitergehende Begründung fehlte allerdings. Damit blieb ungeklärt, ob dem Markteintritt der japanischen Unternehmen Marktzutrittsschranken entgegenstanden, und damit, wie wahrscheinlich der Markteintritt tatsächlich war. Die Freigabe wurde von der Kommission allerdings mit knapper Mehrheit entgegen dem Entscheidungsvorschlag der das Zusammenschlussvorhaben bearbeitenden Merger Task Force beschlossen. Diese schwach begründete Entscheidung scheint deshalb eher politisch denn wettbewerblich motiviert gewesen zu sein.231 Ebenfalls verneint wird potenzieller Wettbewerb, wenn die Qualität des in Betracht kommenden potenziellen Angebots als so unzureichend betrachtet wird, dass es nach Auffassung der Kommission aus Abnehmersicht keine vernünftige Alternative darstellt. Für die Flugzeuge des russischen Herstellers Iljushin wurde dies im Hinblick auf Boeing/McDonnell Douglas232 bereits erwähnt. Ähnlich argumentierte die Kommission jedoch auch bei den Zusammenschlussvorhaben Aérospatiale-Alenia/de Havilland233, Saint Gobain/Wacker/NOM234, Orkla/Volvo235 und Crown Cork/Carnaud Metalbox.236 Auf allen jeweils betroffenen Märkten wurde ein versuchter Markteintritt durch potenzielle Wettbewerber aus Osteuropa oder China für möglich gehalten. Qualität und Lieferzuverlässigkeit dieser Unternehmen betrachtete die Kommission jedoch als derartig niedrig, dass von diesen Unternehmen ihrer Auffassung nach kein wirksamer Wettbewerb ausgehen könne. Soweit diese Unternehmen selbst schon an einen Markteintritt in Europa dachten bzw. denken, ersetzte die Kommission deren Einschätzungen des Marktes somit durch eine eigene, andere Markteinschätzung. Dies kann im gegebenen Fall sachgerecht sein. Grundsätzlich erscheint eine derartige Verfahrensweise allerdings problematisch. Tendenziell sollte davon auszugehen sein, dass ein einen Markteintritt zumindest ernsthaft planendes Unternehmen zuverlässigere Informationen über den betroffenen Markt hat als eine Behörde, die notwendigerweise nur eine Outsiderrolle einnehmen kann und oft auch nicht in dem
__________ 231
Vgl. hierzu unten II. Kommission, Entscheidung vom 30.7.1997, Sache IV/M.877, ABl. 1997 L 336/16; vgl. hierzu auch oben in diesem Abschnitt sowie c) und f). 233 Kommission, Entscheidung vom 2.10.1991, Sache IV/M.53, ABl. 1991 L 334/42, Tz. 53 ff. 234 Kommission, Entscheidung vom 4.12.1996, Sache IV/M.774, ABl.1997 L 247/1, Tz. 188 ff. 235 Kommission, Entscheidung vom 20.9.1995, Sache IV/M.582, ABl. 1996 L 66/17, Tz. 78 ff. 236 Kommission, Entscheidung vom 14.11.1995, Sache IV/M.603, ABl. 1996 L 75/38, Tz. 75ff. 232
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Ausmaß Ressourcen zur Informationsbeschaffung wird bereitstellen können wie das den Markteintritt planende Unternehmen.237 Dabei sei jedoch zusammenfassend betont, dass jegliche Betrachtung etwaigen potenziellen Wettbewerbs mit der Zielsetzung erfolgen muss, Marktzutrittsschranken zu identifizieren. Nur mittels ihrer Kenntnis kann darüber Auskunft gegeben werden, wie angreifbar die Position des Marktführers im Falle von ihm verursachter sinkender allokativer Effizienz ist. h) Interessen der Zwischen- und Endverbraucher und Entwicklung technischen und wirtschaftlichen Fortschritts Die Bedeutung der beiden Kriterien der „Interessen der Zwischen- und Endverbraucher“ und der Entwicklung des „technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, soweit sie dem Verbraucher dienen“, ist äußerst zweifelhaft. Das Entdeckungsverfahren Wettbewerb238 soll insbesondere der Marktgegenseite, d.h. regelmäßig dem Zwischen- und Endverbraucher, dienen. Jegliche alleine am Wettbewerbsschutz orientierte Fusionskontrolle, die auf Grundlage der genannten Markbeherrschungsaspekte vorgenommen wird, berücksichtigt deshalb die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher. Diese Zielsetzung gilt unmittelbar, wenn Wettbewerb – im Kantzenbachschen Sinne – als Mittel verstanden wird, die Aufgaben der optimalen Faktorallokation und leistungsgerechten Einkommensverteilung zu erfüllen.239 Mittelbar gilt diese Zielsetzung aber auch dann, wenn Wettbewerb – im Sinne Hoppmanns – nicht als Mittel, sondern als Ziel in sich, d.h. als Prinzip, verstanden wird.240 Schließlich gründet sich bei letzterem Verständnis die Schutzwürdigkeit des Prinzips auf den Gedanken, dass die allgemeine Wohlfahrt (allerdings immateriell und materiell) durch die Realisierung des Prinzips maximiert werden könne. Ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn wird durch die Bestimmung der Interessen der Zwischenund Endverbraucher als Marktbeherrschungsaspekt nicht erzielt. Vielmehr kann mittels der in den vorigen Abschnitten genannten Aspekte viel eher analysiert werden, was den Interessen der Zwischen- und Endverbraucher dient.
__________ 237 Welche Unsicherheiten dennoch selbst bei dem den Markteintritt vorbereitenden Unternehmen verbleiben, wurde in § 3 IV. 3. ausgeführt. 238 v. Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren; vgl. hierzu oben § 3. I. 239 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 16 ff. 240 Hoppmann, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs: Bemerkungen zu Kantzenbachs Erwiderung, S. 251 ff. – vgl. zu der Diskussion auch unten § 5 III. 3. b).
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Das Kriterium der „Interessen der Zwischen- und Endverbraucher“ ist deshalb entbehrlich.241 In der Entscheidungspraxis der Kommission hatte das Kriterium bislang auch tatsächlich keine Bedeutung. Der Sinngehalt des Kriteriums des dem Verbraucher dienenden technischen und wirtschaftlichen Fortschritts ist unklar. Der Wortlaut scheint auf die in § 3 erörterten sog. Neo-SchumpeterHypothesen Bezug zu nehmen, den Thesen von der angeblich positiven Relation zwischen Marktanteil bzw. Unternehmensgröße einerseits und technischem und wirtschaftlichen Fortschritt andererseits. Wäre dies der Fall, würde es sich um eine industriepolitische Öffnungsklausel gegen die ansonsten wettbewerblich konzeptionierte Fusionskontrolle handeln. Im vermeintlichen Interesse technischen Fortschritts könnten wettbewerblich bedenkliche Zusammenschlüsse freigegeben werden. Kurz nach In-Kraft-Treten der FKVO verstanden Befürworter einer eher industriepolitischen Ausrichtung der FKVO ebenso wie skeptische Befürworter einer wettbewerblichen Ausrichtung das Kriterium tatsächlich als eine derartige Öffnungsklausel.242 Sie konnten darauf verweisen, dass in früheren Entwürfen für eine FKVO eine Freigabemöglichkeit wettbewerblich bedenklicher Zusammenschlüsse im Interesse wirtschaftlichen und technischen Fortschritts vorgesehen war.243 Diese wurde fallengelassen; die mangelnde Präzision der schließlich gewählten Version ließ sie jedoch als Kompromiss erscheinen. Das zusätzliche Kriterium der Verbraucherdienlichkeit technischen und wirtschaftlichen Fortschritts vermag bzw. vermochte daran aufgrund seiner Ungenauigkeit wenig zu ändern. Diese Interpretation des Kriteriums des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts konnte sich des Weiteren darauf stützen, dass die FKVO ein industriepolitisches Element auch im 13. Erwägungsgrund Satz 2 der FKVO zu enthalten scheint. Ihm zufolge hat sich die Kommission bei der Fusionskontrolle an den allgemeinen Vertragszielen des Art. 2 EGV zu orientieren und darüber hinaus die „Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft im Sinne des Art. 130 lit. a zu berücksichtigen. Hieraus folge,
__________ 241
So im Ergebnis auch Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 2, Tz. 165; Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Tz. 64; Westermann, Die Einwirkungen der europäischen auf die deutsche Fusionskontrolle, S. 157, a.A. Janicki, EG-Fusionskontrolle auf dem Weg zur praktischen Umsetzung, S. 198: Ihm zufolge sollen Wettbewerbsgefahren aufgrund vertikaler Zusammenschlüsse durch dieses Kriterium berücksichtigt werden. Für Endverbaucher ergeben sich bei vertikalen Zusammenschlüsse jedoch mangels zunehmender Marktkonzentration gerade keine unmittelbaren Wettbewerbsbeeinträchtigungen. Im Übrigen werden vertikale Effekte im Rahmen des Zugangs zu Absatz- und Beschaffungsmärkten bzw. der Marktzutrittsschranken berücksichtigt. 242 Vgl. hierzu Schmidt, Die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, S. 110 f. 243 s. hierzu Abschnitt I. 1.
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dass die Fusionskontrolle nicht allein wettbewerblich ausgerichtet sein dürfe.244 Im Übrigen wurde auf eine Parallele zu Art. 85 Abs. 3 EGV a.F. verwiesen. Danach sind Kartelle freizustellen, wenn sie Vorteile des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts ermöglichen. Die Fragwürdigkeit der Neo-Schumpeter-Hypothesen wurde in § 3 bereits erörtert.245 Um so bedenklicher erschien kurz nach In-Kraft-Treten der FKVO aus der – vorliegend vertretenen – wettbewerblichen Sicht, dass mit der Formulierung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts eine in ihren Konsequenzen möglicherweise unüberschaubare industriepolitische Öffnungsklausel geschaffen worden war. Die systematische Stellung des Kriteriums des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts steht deren Verständnis als industriepolitischer Öffnungsklausel jedoch entgegen. Der technische und wirtschaftliche Fortschritt ist ein Kriterium gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO zur Bestimmung von Marktbeherrschung. Hierin kann – rechtstechnisch – keine Ermächtigungsgrundlage für Ausnahmegenehmigungen gelesen werden. Auch im Rahmen eines etwaigen Ermessens kann der technische und wirtschaftliche Fortschritt nicht als eine dem Wettbewerbsgedanken entgegenstehende Erwägung berücksichtigt werden, da die FKVO kein Ermessen einräumt. Bei Art. 2 Abs. 3 und 4 FKVO handelt es sich um gebundene Entscheidungen. Soweit Marktbeherrschung durch den Zusammenschluss zu befürchten ist, ist der Zusammenschluss zu versagen. Systematisch denkbar wäre allenfalls ein Verständnis, demzufolge eine Marktbeherrschung nicht angenommen wird, wenn der Zusammenschluss erwarten lässt, dass er den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt fördert. Eine solche Auslegung ist wörtlich schwer vertretbar, da die „Beherrschung eines Marktes“ ein rein wettbewerblicher Ausdruck ist, der begrifflich keine Öffnung zulässt. Hinzukommt, dass bei In-Kraft-Treten der FKVO bereits eine ständige Rechtsanwendungspraxis durch die Kommission und Rechtsprechung des EuGH zu Art. 86 EGV a.F. bestand, derzufolge Marktbeherrschung die Fähigkeit bezeichnet, unabhängig von anderen Marktteilnehmern zu agieren.246 Technischer und wirtschaftlicher Fortschritt hatte dagegen nur als Befreiungstatbestand im Rahmen der Kooperationsaufsicht gemäß Art. 85 Abs. 3 EGV a.F. eine Bedeutung. Anzeichen, dass der Marktbeherrschungsbegriff nun eine derartige Bedeutungsveränderung erfahren sollte, bestanden bzw. bestehen nicht. Dem steht auch nicht der Umstand entgegen, dass damit im Ergebnis eine Freigabe aufgrund von Innovationsvorteilen bei Kooperationen möglich sein
__________ 244
Löffler, Fusionskontrollverordnung, 8. Aufl., Artikel 2, Rz. 74. Vgl. § 3 III. 4. 246 Vgl. oben a). 245
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sollte, bei Fusionskontrollen hingegen nicht. Eine Unterscheidung zwischen der Freigabe in der Kooperationsaufsicht einerseits und der Nichtberücksichtigung in der Fusionskontrolle andererseits erschien bzw. erscheint vielmehr sinnvoll, da die Kooperationskontrolle gemäß Art. 85 Abs. 1 EGV a.F. bereits jede spürbare Kooperation untersagt und damit wesentlich früher ansetzt als die Fusionskontrolle. Das Kriterium des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts lässt deshalb keine Freigaben wettbewerblich bedenklicher Zusammenschlüsse zu.247 Ob dieses Verständnis auch der Rechtsauffassung der Kommission entspricht, blieb in ihrer ersten Untersagungsverfügung, Aérospatiale-Alenia/de Havilland,248 noch offen. In dieser erörterte sie das Argument des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, auf das sich die beteiligten Unternehmen beriefen, sah jedoch in tatsächlicher Hinsicht nicht ausreichend Anhaltspunkte gegeben. Zu der allgemeinen Gültigkeit der Neo-Schumpeter-Hypothesen nahm sie dabei nicht Stellung. In späteren Entscheidungen nahm die Kommission dagegen einen deutlicheren Standpunkt ein. So stellte sie bereits in ihrer zweiten Untersagungsverfügung, MSG Media Service,249 fest, dass das Kriterium des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts keine Bedeutung haben könne, wenn der Wettbewerb durch den Zusammenschluss behindert werde. Ähnlich äußerte sie sich in der darauffolgenden Unvereinbarkeitsentscheidung Nordic Satellite Distribution.250 Bedeutung hatte das Kriterium des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts noch einmal in dem Zusammenschlussvorhaben Delta Airlines/PAN AM.251 Den Einwand der beteiligten Fluggesellschaften, dass durch das Zusammenschlussvorhaben Innovationspotential entstehe, wertete die Kommission als Anzeichen für Marktbeherrschung. Solches Innovationspotential bevorteile die beiden Fluggesellschaften gegenüber ihren Wettbewerbern.252 Das
__________ 247
Ebenso Janicki, EG-Fusionskontrolle auf dem Weg zur praktischen Umsetzung, S. 198 ff., Bos/Struyck/Wytinck, Concentration Control in the European Economic Community, S. 228 f.; Schröter, Art. 87 EGV, Rz. 273; Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 2, Rz. 168 ff.; Schmidt, Die „Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“, S. 144 ff., 151. 248 Kommission, Entscheidung vom 2.10.1991, Sache IV/M.053, ABl. 1991 L 334/42, WuW/E EV 1675. 249 Kommission, Entscheidung vom 9.11.1994, Sache IV/M.469, ABl. 1994 L 364/1, WuW/E EV 2231. 250 Kommission, Entscheidung vom 19.7.1995, Sache IV/M.490, ABl. 1996 L 53/20, WuW/E EV 2343: „Die Förderung technischen Fortschritts ist irrelevant im Verhältnis zu der mitgliedstaatlichen Bemühung, staatliche Monopole zu beseitigen.“ 251 Kommission, Entscheidung vom 13.9.1991, Sache IV/M.130, ABl. 1991 C 289/1. 252 Kommission, Tz. 2.
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Kriterium des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts wurde also – in rechtstechnisch, d.h. insbesondere systematisch korrekter Auslegung des Art. 2 Abs., 1 lit. b FKVO – als ein Umstand für das Vorliegen von Marktbeherrschung gewertet.253 Dieses Verständnis ist jedoch – zu Recht – ein Einzelfall geblieben. Würde man diese Argumentation konsequent verfolgen, wäre jeder Zusammenschluss zu untersagen, der Vorteile für die beteiligten Unternehmen (z. B. durch economies of scale) hervorruft. Soweit die beteiligten Unternehmen rational handeln, werden – der Erwartung der beteiligten Unternehmen zufolge – durch alle Zusammenschlüsse Vorteile hervorgerufen. Andernfalls würden sie den Zusammenschluss nicht beschließen. Im Übrigen ist es aber auch nicht Sinn der Fusionskontrolle, Effizienzvorteile von Unternehmen zu vereiteln. Die Fusionskontrolle soll vielmehr sicherstellen, dass durch den Zusammenschluss nicht Situationen entstehen, die es den beteiligten Unternehmen ermöglichen, völlig unabhängig von Wettbewerbern und den Abnehmern zu agieren, d.h. ihre durch Steigerung der produktiven Effizienz erzielten Vorteile an die Abnehmer nicht nur nicht abzugeben, sondern ihnen gegenüber die Konditionen möglicherweise sogar zu verschlechtern.254 Kommen damit den Kriterien der Interessen der Zwischen- und Endverbraucher und des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts keine eigenständige Bedeutung im Rahmen der Bestimmung von Marktbeherrschung zu, so gewährleistet eine ausschließlich am Wettbewerbsgedanken ausgerichtete Fusionskontrolle jedoch gerade mittelbar, dass diese beiden Interessen bestmöglich erfüllt werden.
i) Die Marktbeherrschung nach deutschem Recht (§§ 36 Abs. 1, 19 Abs. 2 GWB) In der deutschen Fusionskontrolle wird der Begriff der Marktbeherrschung im Missbrauchstatbestand des § 19 GWB definiert. Gemäß dessen Absatz 2 ist ein Unternehmen marktbeherrschend, soweit es ohne Wettbewerber ist bzw.
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Im Ergebnis wurde Marktbeherrschung jedoch verneint. Immenga (Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Art. 2, Rz. 178; ebenso: Die Sicherung unverfälschten Wettbewerbs durch Europäische Fusionskontrolle, S. 377) vertritt die Auffassung, dass das Kriterium u.U. dann zugunsten einer Freigabe den Ausschlag geben könne, wenn die Frage der Marktbeherrschung ungeklärt ist, d.h. wenn die anderen zu prüfenden Kriterien – als unbestimmte Rechtsbegriffe – kein eindeutiges Ergebnis zulassen. Dies überzeugt indes nicht. Rechtstechnisch kann – wie geschildert – das Kriterium des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts ebenso wie alle anderen Kriterien nur als Anzeichen für eine Marktbeherrschung wirken. Liegen diese Anzeichen nicht deutlich vor, sind die Voraussetzungen des Eingreifkriteriums Marktbeherrschung nicht erfüllt. Eine Untersagungsverfügung kann damit nicht erlassen werden. 254
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keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist255 oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat.256 Letzteres bestimmt sich gemäß dem Gesetzeswortlaut257 nach dem Marktanteil,258 der Finanzkraft,259 dem Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten,260 Verflechtungen mit anderen Unternehmen,261 Marktzutrittsschranken262 und potenziellem Wettbewerb.263 Auch die Auswahlmöglichkeiten der Marktgegenseite264 und der im Rahmen der Marktabgrenzung diskutierte Aspekt der Angebotsumstellungsflexibilität265 sind danach zu berücksichtigen.266 Wichtigstes Kriterium bildet auch in der deutschen Fusionskontrolle der Marktanteil. Übersteigt er 33,3%, wird gemäß § 19 Abs. 3 S. 1 GWB Marktbeherrschung bereits legalvermutet. Die Beweislast dafür, dass ein hoher Marktanteil Ausdruck überragender Effizienz im Sinne der Annahme der ChicagoSchule ist,267 liegt damit bei den beteiligten Unternehmen. Dies erscheint insbesondere insofern bedenklich, als der Wert, ab dem Marktbeherrschung gemäß dem GWB vermutet wird, nicht bedeutend über dem „Mindestschwellenwert“ von 25% liegt, ab dem in der FKVO eine Marktbeherrschung überhaupt nur in Betracht kommt.268 Die Widerlegung der Vermutung einer Marktbeherrschung erfolgt durch die genannten anderen relevanten Umstände. Der Finanzkraft kommt in der deutschen Fusionskontrolle eine höhere Bedeutung als in der europäischen Fusionskontrolle zu. Teilweise wird dies in der Literatur befürwortet, da eine hohe Finanzkraft interne Verlustausgleichmöglichkeiten und dadurch eine größere Bestandskraft für die betroffenen größeren Unternehmen schaffe.269 Die auf das Argument der Finanzkraft gestützte Untersagung des Zusammenschlussvorhabens Hochtief/Phillip Holzmann270 durch
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§ 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB. § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. 257 § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB. 258 Bechtold, GWB, 2. Aufl., § 19, Rz. 28. 259 Bechtold, Rz. 29 f. 260 Bechtold, Rz. 31. 261 Bechtold, Rz. 32. 262 Bechtold, Rz. 33. 263 Bechtold, Rz. 34. 264 Bechtold, Rz. 37. 265 Vgl. hierzu insbesondere oben III. 2. a) und unten § 5 III. 1. b) (1). 266 Bechtold, Rz. 35. 267 Vgl. hierzu oben § 3 II. 1., IV. 2. und 3.; zu der Aufnahme des Arguments bzgl. der russischen Zusammenschlusskontrolle vgl. unten § 5 III. 1. c) (1). 268 15. Erwägungsgrund der FKVO. Vgl. hierzu oben b). 269 So Emmerich, Kartellrecht, 8. Aufl., § 18, 8c (S. 189 f.). 270 BKartA, Beschluss vom 24.1.1995, WuW/E BKartA 2729, 2742 ff. 256
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das BKartA271 zeigt allerdings, dass die Finanzkraft von ihr teilweise ein wenig überschätzt wird.272 Unabhängig von der Notwendigkeit sorgfältiger tatsächlicher Prüfung, ob eine solche Finanzkraft überhaupt vorliegt, sollte jedoch ebenso sorgfältig geprüft werden, ob eine solche Finanzkraft auf dem betrachteten Markt von Bedeutung sein kann. So kann die mit ihr verbundene Abschreckungswirkung nur dann eine Rolle spielen, wenn tatsächliche und potenzielle Wettbewerber über wesentlich begrenztere finanzielle Ressourcen verfügen und die Tätigkeit auf dem betroffenen Markt sehr kapitalintensiv ist.273 Soweit der zusammenschlussbedingte Zuwachs der Finanzkraft betrachtet wird,274 wird teilweise argumentiert, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen durch den Zuwachs an Finanzkraft eher in der Lage sei, Preisreduktionen – oft nur temporär oder lokal begrenzt – durchzuführen, um potenzielle Wettbewerber vor einem Eintritt in den Markt abzuschrecken.275 Ob dieses Argument allerdings immer überzeugt, ist fragwürdig. Oft dürften marktbeherrschende Unternehmen bereits über ausreichende finanzielle Mittel für Verdrängungs- oder Abschreckungstaktiken verfügen.276 In der russischen Zusammenschlusskontrolle wird das Argument – soweit ersichtlich – zumindest nicht explizit verwendet. Viele bislang ergangene Entscheidungen können jedoch nur unter Verweis auf Finanzkraft und wirtschaftliche Größe und die damit verbundenen Abschreckungswirkungen begründet werden.277 Den übrigen, im Rahmen der Marktbeherrschung nach § 19 Abs. 2 GWB zu berücksichtigenden Aspekten kommt dagegen in etwa dieselbe Bedeutung zu wie im Rahmen der europäischen Zusammenschlusskontrolle. Eine Behinderungsklausel kennt das deutsche Recht der Zusammenschlusskontrolle – entgegen dem europäischen und russischen Recht – nicht. Da dieser Klausel jedoch – im Gegensatz zur Fusionskontrolle nach US-Recht – auch in der europäischen
__________ 271 Die Untersagungsverfügung wurde jedoch vom KG (Beschluss vom 18.3.1998, WuW/E DER 94) aufgehoben. Das Vorhaben wurde allerdings aufgegeben. Phillip Holzmann musste 1999 Insolvenz anmelden. 272 Die Insolvenz des Unternehmens konnte im Jahre 1999 nur aufgrund signifikanter staatlicher Subventionen abgewendet werden. 273 Vgl. hierzu oben § 3 II. 5., III. 2. und 3., sowie § 5 III. 1. c) (7). 274 Vgl. zum Eingreifkriterium der „Verstärkung“ einer marktbeherrschenden Position unten e). 275 WuW/E BGH 1749, 1756 (Klöckner/Becorit); WuW/E BGH 1501/1511 (Kfz-Kupplungen); WuW/E BGH 2276, 2283 (Süddeutscher Verlag/Donau-Kurier). 276 Vgl. auch Monopolkommission, Hauptgutachten I, Tz. 916. 277 Vgl. hierzu unten § 5 III. 1. c) (7). Hier wird der Versuch unternommen, apodiktische Entscheidungen der russischen Wettbewerbsbehörden auf Grundlage der ökonomischen Argumente von § 3 mit dem Gesetzeswortlaut von Art. 17 und 18 WG (Grundlage der Fusionskontrolle) in Einklang zu bringen.
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Anwendungspraxis keine Bedeutung zukommt, ist dieser Unterschied ohne Bedeutung. j) Behinderungsklausel – eine leere Klausel mit Chancen, die Schwächen des Marktmachtkonzepts aufzufangen Im Gegensatz zum deutschen Recht, setzt die Untersagung in der europäischen Fusionskontrolle – ebenso wie im russischen Recht278 – neben der Begründung oder Verstärkung der Marktbeherrschung zusätzlich eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs voraus. Hieraus wurde kurz nach In-Kraft-Treten der FKVO teilweise gefolgert, dass entgegen dem deutschen Recht die europäische Fusionskontrolle auch unmittelbar verhaltensbezogen sei, sie also in Fortführung der Continental CanRechtsprechung oder des sog. Zigarettenurteils279 einen Zusammenschluss als Verhalten und nicht als Strukturveränderung prüfe.280 Dabei wurde u.a. darauf verwiesen, dass die Behinderungsklausel insbesondere auf französische Anregung in die FKVO aufgenommen worden sei, das französische Kartellrecht den Eingriffstatbestand der Marktbeherrschung aber nur als „Unterfall einer umfassend verstandenen wettbewerblichen Behinderung“281 betrachte. Es wurde deshalb vermutet, dass ein Zusammenschluss unter der FKVO erst dann untersagt werde, wenn das Verhalten des zusammengeschlossenen Unternehmens dies gebiete.282 Kommission283 und EuGH284 sind diesem Verständnis jedoch nicht gefolgt. Sie legen die Behinderungsklausel als bloße Konkretisierung der Strukturverschlechterung aus. Maßgeblich ist danach, ob eine entstehende Marktstruktur ein Unternehmen in die Lage versetzt, „die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt zu verhindern, indem sie ihm die Möglichkeit verschafft, sich seinen Wettbewerbern, seinen Abnehmern und letztlich den Verbrauchern gegenüber in einem nennenswerten Um-
__________ 278
Hierzu vgl. § 5 III. 2. Vgl. zu beiden Entscheidungen Abschnitt I. 1. 280 Vgl. hierzu Studienvereinigung Kartellrecht, Arbeitstagung, Bericht, S. 218 ff. 281 Janicki, EG-Fusionskontrolle auf dem Weg zur praktischen Umsetzung, S. 198; Janicki zitiert die französische Regelung allerdings nicht. Tatsächlich bezeichnet Art. 38 Abs. 1 der französischen Wettbewerbsverordnung (Journal Officiel vom 30.12.1986, S. 15775 ff.; s. die deutsche Fassung in WuW 1988, 38 ff.) die „Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung“ als Regelbeispiel des Eingreifkriteriums „Wettbewerbsbeschränkung“. Vgl. zur französischen Fusionskontrolle auch oben I. 1. m.w.N. 282 Vgl. den Verweis von Schultz/Wagemann, Kartellrechtspraxis und Kartellrechtsprechung 1998/1999, S. 246, Rz. 722, auf die französische Auffassung während der Entstehungsgeschichte der FKVO. 283 Vgl. z.B. Kommission, Entscheidung vom 2.10.1991, Sache IV/M.053, ABl. 1991 L 334/42, (Aérospatiale-Alénia/de Havilland), und XXI. Wettbewerbsbericht, S. 97, 407. 284 EuGH, Telemarketing, WuW/E EWG/MUV 713, 714. 279
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fang unabhängig zu verhalten“.285 Ob dies der Fall ist, wird jedoch – im Sinne einer Strukturanalyse – ex ante bewertet. Vorheriges tatsächliches Verhalten der beteiligten Unternehmen kann allenfalls eine Indizwirkung für die durch die Strukturveränderung zu erwartenden Gefahren haben. Für EuGH und Kommission dient die Behinderungsklausel also lediglich der Sicherstellung, dass einer der Hauptgründe für die Durchführung von Fusionskontrollen erfüllt ist: die Gefahr von Marktmachtmissbrauch möglichst frühzeitig zu vereiteln.286 Diese Aufgabe wird allerdings schon durch das Marktmachtkonzept und den Marktbeherrschungsbegriff erfüllt.287 Die Behinderungsklausel soll nicht den sog. „Significant“ oder „Substantial“ „Lessening of Competition“-Test (sog. SLCTest) in der europäischen Fusionskontrolle begründen.288 Die Behinderungsklausel wäre danach in ihrer jetzigen Form überflüssig.289 Die Kommission maß der Behinderungsklausel in ihrer ersten Untersagungsverfügung, Aérospatiale-Alenia/de Havilland,290 eine zeitliche Komponente bei. Sie führte aus, dass Zusammenschlüsse als wettbewerblich unbedenklich freizugeben seien, die zu einer nicht auf Dauer angelegten „Marktbeherrschung“ führten. Entsprechend der Chicago-Lehre wurden kurzfristige „Marktbeherrschungen“ also als nicht erheblich und deshalb freizugeben betrachtet. Dies ist sachgerecht. Hierzu bedarf es allerdings nicht der Behinderungsklausel. Marktbeherrschung wird von der Kommission selber bereits als Fähigkeit zu dauerhaft unabhängigem Verhalten definiert. Vorübergehende Marktmacht kann deshalb bereits per definitionem keine Marktbeherrschung darstellen. Diese Auslegung ist zwingend, da Marktbeherrschung unter Berücksichtigung potenziellen Wettbewerbs (Art. 2 Abs. 1 lit. a FKVO) und etwaiger Marktzutrittsschranken (Art. 2 Abs. 1 lit. b FKVO) zu bestimmen ist. Der von der Kommission in Aérospatiale-Alenia/de Havilland betonten zeitlichen Komponente wird insofern bereits durch das Marktmachtkonzept und den Marktbeherrschungsbegriff entsprochen.
__________ 285
EuGH, Telemarketing, WuW/E EWG/MUV 713, 714. Vgl. hierzu oben § 3 II. 3. 287 Dabei ist noch einmal zu betonen, dass sich Marktbeherrschung aus einer Gesamtschau der oben betrachteten Aspekte ergibt. Missverständlich waren deshalb Äußerungen der Kommission in Mannesmann/VDO (Entscheidung vom 13.12.1991, Sache IV/M.164, ABl. 1992, C 088/0, WuW/E EV 1799); hier nahm sie eine Verstärkung der Finanzkraft von VDO durch den Zusammenschluss an, verneinte aber eine Behinderung des Wettbewerbs, da die Finanzkraft der Wettbewerber noch größer sei. Aufgrund der im Verhältnis zu Wettbewerbern nicht erheblichen Finanzkraft der beteiligten Unternehmen hätte vielmehr keine Marktbeherrschung angenommen werden dürfen. Die Finanzkraft versetzte VDO eben gerade nicht in die Lage, unabhängig von Wettbewerbern zu agieren, da deren Finanzkraft noch höher war. 288 Vgl. hierzu und zu der zwischenzeitlich geführten Diskussion, den SLC-Test in die FKVO einzuführen, Alfers, Untersagungskriterien in der Fusionskontrolle, S. 20 ff. 289 So im Ergebnis auch Westermann, Die Einwirkung der europäischen auf die deutsche Fusionskontrolle, S. 136. 290 Kommission, Entscheidung vom 2.10.1991, Sache IV/M.053, ABl. 1991 L 334/42, Tz. 53. 286
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In der Literatur wird der Behinderungsklausel teilweise eine Bedeutung für Fälle von Marktbeherrschung niedrigen Gewichts291 oder unerheblicher Marktanteilszunahme292 zuerkannt. Dabei wird wohl an das im Zusammenhang mit der Wettbewerbsbehinderung genannte Tatbestandsmerkmal der Erheblichkeit angeknüpft. Marktbeherrschung niedrigen Gewichts dürfte bereits begrifflich nicht möglich sein. Eine Beherrschung setzt notwendigerweise eine gewisse Erheblichkeit voraus. Dies entspricht auch der erwähnten Spürbarkeit und Dauerhaftigkeit, die Marktbeherrschung gemäß Art. 2 Abs. 1 FKVO und dessen ständige Auslegung durch Kommission und EuGH zu Recht beinhaltet. Dagegen ist es sinnvoll, in Fällen unerheblicher Marktanteilszunahme bei bereits bestehender Marktbeherrschung keine Untersagungsverfügung zu erlassen.293 Dieser Umstand ist jedoch – entsprechend der Praxis der Kommission – sachgerechter im Rahmen des Merkmals der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu berücksichtigen. Die Behinderungsklausel hätte damit keinerlei eigenständigen Bedeutungsgehalt. Dies ist insofern konsequent, als das Marktmachtkonzept, auf dem die FKVO beruht, davon ausgeht, dass es allen aus der Struktur eines Marktes folgenden Wettbewerbsgefahren mit Hilfe der Begriffe „Begründung oder Verstärkung von Marktbeherrschung“ begegnen kann. Sinnvoll wäre es jedoch, der Behinderungsklausel einen Anwendungsbereich für die Fälle zuzubilligen, die durch das Marktmachtkonzept gerade nicht sachgerecht behandelt werden können. Hierbei handelt es sich um Zusammenschlüsse, durch die mehrere Märkte betroffen sind, d.h. konglomerale Zusammenschlüsse. Das Marktmachtkonzept betrachtet in diesen Fällen jeden betroffenen Markt einzeln. Die entsprechende Praxis der Kommission geht dahin, sich mit den beteiligten Unternehmen bezüglich der Märkte, auf denen sich wettbewerbliche Gefahren ergeben, auf Auflagen zu einigen. Diese betreffen regelmäßig die Veräußerung der jeweiligen Geschäftsbereiche. Handelt es sich dabei um Geschäftsbereiche, die für die beteiligten Unternehmen nicht von
__________ 291 Immenga, Die Sicherung unverfälschten Wettbewerbs durch die Europäische Fusionskontrolle, S. 375; diese Ansicht vertrat Immenga jedoch, bevor eine Anwendungspraxis der FKVO durch die Kommission existierte. s. deshalb auch ders., Fusionskontrolle, Abschnitt D, Rz. 22: Hier spricht er sich dafür aus, die Funktion der Behinderungsklausel darin zu sehen, unerhebliche Strukturverschlechterungen freizugeben. Damit vertritt er letztlich auch die im folgenden genannte Ansicht von Bechtold. 292 Vgl. Bechtold, Abwägung zwischen wettbewerblichen Vor- und Nachteilen eines Zusammenschlusses in der europäischen Fusionskontrolle, S. 390; ders., Die Grundzüge der neuen EWGFusionskontrolle, S. 257; ders., Zwischenbilanz zum EG-Fusionskontrollrecht, S. 657. Ebenso Albers, Auslegungsfragen und praktische Anwendung der Fusionskontrolle, S. 107 f. 293 Vgl. zu diesem Aspekt in der russischen Fusionskontrolle unten § 5 III. 4.; zur „Behinderungsklausel“ im russischen Recht vgl. unten § 5 III. 2.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
großer Bedeutung sind, sind sie hierzu gerne bereit. Problematischer ist die Situation dagegen, wenn sich die Bedenken der Kommission gerade auf Märkte beziehen, die für die beteiligten Unternehmen von größerer Bedeutung sind. Kommt in solchen Fällen keine Einigung zustande, geben die beteiligten Unternehmen ihr Vorhaben möglicherweise auf. Dies ist allerdings gesamtwirtschaftlich dann bedauerlich, wenn der geplante Zusammenschluss große Einsparpotentiale mit sich gebracht hätte, die auf einem anderen Markt wettbewerblich positive Effekte gehabt hätten.294 Im deutschen Recht werden diese Fälle von der Abwägungsklausel umfasst,295 die allerdings in der Praxis keine allzu große Bedeutung mehr hat. Die FKVO lässt eine solche Abwägung dagegen nicht zu. Dieses Problem einer fehlenden Abwägungsmöglichkeit zwischen den wettbewerblichen Folgen auf verschiedenen Märkten wird von zahlreichen deutschen Autoren thematisiert.296 Bechtold297 schlägt vor, es unter Rückgriff auf den Verweis auf die Struktur aller betroffenen Märkte in Art. 2 Abs. 1 lit. a FKVO zu lösen. Hierfür gibt der Wortlaut „Struktur aller betroffenen Märkte“ jedoch wenig her. Er legt eher nahe, dass alle betroffenen Märkte nebeneinander zu untersuchen sind, die Kommission also nicht nur die jeweils wichtigsten Märkte betrachten soll. Gegen den Vorschlag Bechtolds spricht auch der Umstand, dass die Betrachtung der Struktur aller betroffenen Märkte gemäß dem Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 lit. a FKVO ein Mittel der Kommission sein soll, um Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt aufrechtzuerhalten. Die Struktur der betroffenen Märkte ist somit Gegenstand der Detailuntersuchung jedes einzelnen dieser betroffenen Märkte. Sie dient dem allgemeinen Ziel der Wahrung des Wettbewerbs auf dem allgemeinen Gemeinsamen Markt. Die in manchen Fällen ökonomisch erforderliche Gesamtabwägung der unterschiedlichen wettbewerblichen Konsequenzen auf verschiedenen Märkten kann jedoch nicht im Rahmen der Detailarbeit erfolgen, sondern setzt Zwischenergebnisse bezüglich der wettbewerblichen Folgen auf einzelnen Märkten bereits voraus. Sie kann also nur im Hinblick auf den Gemeinsamen Markt vorgenommen werden.
__________ 294
Insbesondere Gemeinschaftsunternehmen können wettbewerblich positive Effekte nach sich ziehen, vgl. hierzu in Abschnitt 2. e) den Verweis auf das von Meessen zitierte Beispiel. 295 Sie stellt insofern auch eine Einschränkung des Marktmachtkonzepts dar, auf dem die deutsche Fusionskontrolle im Übrigen beruht. Vgl. zu der Abwägungsklausel im deutschen Recht unten 5. 296 Vgl. Bechtold, Abwägung zwischen wettbewerblichen Vor- und Nachteilen eines Zusammenschlusses in der europäischen Fusionskontrolle, S. 389 ff.; Immenga, Die Sicherung unverfälschten Wettbewerbs durch die Europäische Fusionskontrolle, S. 376; Kleemann, Enthält Art. 2 eine wettbewerbliche Abwägungsklausel?, S. 386 ff.; die Notwendigkeit einer Gesamtabwägung der wettbewerblichen Folgen auf allen betroffenen Märkten sehen auch Sedemund/Montag, Fusionskontrolle, Rz. 314. 297 Bechtold, Abwägung zwischen wettbewerblichen Vor- und Nachteilen eines Zusammenschlusses in der europäischen Fusionskontrolle, S. 389 ff.
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Daher sollte sie auch im Rahmen eines auf den Gemeinsamen Markt bezogenen Tatbestandsmerkmals erfolgen. Genau auf ihn (bzw. einen Teil desselben – dies ist allerdings nur räumlich zu verstehen) bezieht sich jedoch das „Erhebliche Behindern“ in Art. 2 Abs. 2 FKVO. Auch aus diesem Grund ist es deshalb sachgerecht, das zu Recht beklagte Fehlen einer Gesamtabwägung der wettbewerblichen Folgen auf unterschiedlichen Märkten in der FKVO bzw. der Kommissionspraxis im Rahmen der Behinderungsklausel vorzunehmen und dieser damit zu Bedeutung zu verhelfen. Dabei sei jedoch betont, dass es sich nur um eine Gesamtabwägung wettbewerblicher Konsequenzen, nicht solcher allgemeiner ökonomischer Art,298 handeln kann. Es sei des Weiteren betont, dass das Problem positiver und negativer wettbewerblicher Folgen eines Zusammenschlusses auf verschiedenen Märkten in der Praxis meistens durch entsprechende Auflagen zu beheben sein sollte. Ebenso wie die deutsche Abwägungsklausel hätte deshalb auch die Behinderungsklausel im europäischen Recht nach dem hier vorgeschlagenen Verständnis einen nur sehr engen Anwendungsbereich. Nach derzeit verbreiteter Auslegung der Behinderungsklausel kommt ihr indes gar keine Bedeutung zu. k) Oligopolbeherrschung Für die Marktstrukturfolgen eines Zusammenschlusses ist auch paralleles Marktverhalten von Wettbewerbern, zu denen keine strukturellen Verbindungen im Sinne eines Zusammenschlusses bestehen, von Bedeutung. Eine solche Bildung eines Oligopols reduziert Wettbewerbsdruck bzw. schließt ihn möglicherweise gar aus. Deshalb ist es sinnvoll, im Rahmen der Prüfung der wettbewerblichen Erheblichkeit eines Zusammenschlusses auch ein etwaiges Parallelverhalten eines beteiligten Unternehmens mit außerhalb des Zusammenschlussvorhabens befindlichen Unternehmen zu berücksichtigen. Dem steht nicht entgegen, dass das Parallelverhalten selber der Verhaltenskontrolle unterfällt. Die deutsche Fusionskontrolle sieht die Berücksichtigung von derartigen Oligopolen in der Fusionskontrolle gemäß §§ 36 Abs. 1, 19 Abs. 2 S. 2 GWB ausdrücklich vor. Danach sind zwei oder mehr Unternehmen marktbeherrschend, soweit zwischen ihnen ein wesentlicher Wettbewerb nicht besteht und sie in ihrer Gesamtheit die Voraussetzungen für ein marktbeherrschendes Unternehmen erfüllen. Ein wesentlicher Wettbewerb besteht zwischen Unternehmen dann nicht, wenn ihre Verhaltensweisen am Markt im Wesentlichen gleichgerichtet sind.
__________ 298 Diese Bedeutung will aber Berlin, Contrôle communautaire des concentrations, S. 238 f., der Behinderungsklausel geben.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Die FKVO enthält dagegen – ebenso wie das WG299 – keine solche ausdrückliche Regelung. Während der ersten beiden Jahre nach In-Kraft-Treten der FKVO ließ die Kommission die Frage, ob auch Oligopolmacht unter Art. 2 FKVO fällt – trotz deren Entscheidungserheblichkeit in Varta/Bosch300 – explizit offen. Im Jahre 1992 bejahte sie in der Grundsatzentscheidung Nestlé/Perrier301 die Berücksichtigung von Oligopolmacht im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle. Dies ergebe sich nicht aus dem ausdrücklichen Wortlaut, sondern aus einer teleologischen Auslegung. Von Oligopolen könnten die gleichen Wettbewerbsbehinderungen302 ausgehen wie von einzelnen marktbeherrschenden Unternehmen, so dass dies in einer Strukturanalyse zu berücksichtigen sei. Die fehlende ausdrückliche Erwähnung von Oligopolen in der FKVO stehe dem nicht entgegen, da die FKVO die Berücksichtigung von Oligopolen eben auch nicht ausdrücklich ausschließe. Alle „wichtigen“ Fusionskontrollregelungen303 seien auch auf Oligopole anwendbar. Der EuGH teilte diese Auffassung und bejahte in Kali und Salz/MdK/Treuhand304 die Anwendbarkeit der FKVO auf Oligopolmarktbeherrschung.305 In der Literatur wurde diese Auslegung weitgehend begrüßt.306 Teilweise wurde jedoch auch Kritik geäußert.307 Sie verwies insbesondere darauf, dass die Frage der Oligopolmacht während der Entstehungsgeschichte der FKVO erörtert und aufgrund fehlender Einigkeit unter den Mitgliedstaaten nicht geregelt worden sei. Im Übrigen könne ein Eingriff, den eine Untersagung oder Auflage darstellt, schwer auf Grundlage einer derartig weiten Auslegung der Ermächtigung erfolgen. Diese Kritik überzeugt. Oligopolmacht ohne eine entsprechende Erwähnung in der FKVO unter den Begriff „Marktbeherr-
__________ 299 In der russischen Fusionskontrolle werden Oligopole teilweise durch den weiten Begriff der „Personengruppe“ im Rahmen der Aufgreifkriterien erfasst. Vgl. hierzu unten § 5 II. 5. 300 Kommission, Entscheidung vom 31.7.1991, Sache IV/M.12, ABl. 1991 C 55/1; WuW/E EV 1701. 301 Kommission, Entscheidung vom 22.7.1992, Sache IV/M.190, ABl. 1992 L 356/1. 302 Gemeint sind Wettbewerbsbehinderungen struktureller Art. 303 Gemeint sind die der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands, nicht dagegen die anderer damaliger EG-Staaten. Vgl. hierzu auch Enchelmaier, Europäische Wettbewerbspolitik im Oligopol, S. 294. 304 EuGH, Slg. 1998, I-1375, EuZW 1998, 299 m. Anm. Bechtold. 305 Die Kriterien des EuGH beruhten teilweise auf Grundsätzen, die die Kommission in verschiedenen Entscheidungen vorher angesprochen hatte, vgl. z.B. Gencor/Lonrho, Sache IV/M.619. 306 Diese Ansicht wird auch ganz überwiegend in der Literatur geteilt. Vgl. Bechtold, Die Grundzüge der neuen EWG-Fusionskontrolle, S. 258; Cook/Kerse, Merger Control, S. 134 ff.; Ebenroth/Lange, Die Auswirkungen der Europäischen Fusionskontrollverordnung auf das bundesdeutsche Recht der Unternehmenszusammenschlüsse, S. 848; Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Art. 2, Rz. 203 ff.; Janicki, EG-Fusionskontrolle auf dem Weg zur praktischen Umsetzung, S. 198; Monopolkommission, X. Hauptgutachten 1992/1993, Tz. 598; Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Rz. 72 ff.; a.A. Horspool/Korah, Competition, S. 344 und Montag/Heinemann, Europäische Fusionskontrolle, S. 1379. 307 Horspool/Korah, Competition, S. 344; Montag/Heinemann, Europäische Fusionskontrolle, S. 1379; Montag, Grundzüge der Europäischen Fusionskontrolle, S. 245.
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schung“ zu subsumieren, bedeutet zumindest eine äußerst extensive Auslegung der Ermächtigungsgrundlage. Angesichts der Entstehungsgeschichte ist dies aus rechtsstaatlicher Perspektive sehr fragwürdig. Inhaltlich ist die Berücksichtigung von Oligopolmacht allerdings sachgerecht, da sie einen auch für die Marktstruktur erheblichen Umstand darstellt, der in den erwähnten Kriterien zur Bestimmung der Marktbeherrschung nicht zum Ausdruck kommt. Eine entsprechende Bestimmung de lege ferenda wäre der derzeitigen Praxis gegenüber jedoch deutlich zu bevorzugen. Die Berücksichtigung von Oligopolmacht wird von der Kommission dergestalt vorgenommen, dass die Marktanteile der Unternehmen, mit denen ein am Zusammenschlussvorhaben beteiligtes Unternehmen eine langfristige parallele Verhaltensweise aufweist, zu den Marktanteilen dieses Unternehmens addiert werden. Voraussetzung für die Annahme von Oligopolmacht, d.h. fehlenden Wettbewerbs zwischen mehreren strukturell nicht miteinander verbundenen Unternehmen, ist der Nachweis eines gleichen Interesses der beteiligten Unternehmen, den Wettbewerb gegeneinander nicht aufzunehmen. Dieses gemeinsame Interesse kann durch eine Analyse von Faktoren wie dem Ausmaß an Symmetrie bei den Marktanteilen, den Produktionskapazitäten und den Kostenstrukturen der vermuteten marktbeherrschenden Unternehmen erbracht werden. Aspekte sind des Weiteren Homogenität der Produkte, transparente Preispolitik, hohe Zutrittsschranken, ausgereifte Technik, statische oder zurückgehende Nachfrage, Verbindungen zwischen den Lieferanten und Fehlen von Nachfragemacht. An den Nachweis des Vorliegens dieser Umstände stellt der EuGH allerdings hohe Anforderungen in tatsächlicher Hinsicht. Obgleich er die Berücksichtigung von Oligopolmacht im Rahmen von Art. 2 FKVO in Kali und Salz/MdK/Treuhand308 im Grundsatz billigte, urteilte er in diesem Fall, dass die Kommission das Vorliegen der entscheidenden Faktoren nicht ausreichend belegt habe. Deshalb hob er die mit Auflagen verbundene Freigabeentscheidung der Kommission auf und forderte diese zur weitergehenden Ermittlung auf. Die Kommission gab den Zusammenschluss schließlich ohne Auflagen frei. In der Fallpraxis der Kommission spielte die Frage des Vorliegens von Oligopolmacht insbesondere in Price Waterhouse/Coopers & Lybrand309 und Enso/Stora310 eine wichtige Rolle.
__________ 308
EuGH, verb. Rs. C-68/94 u. C-30/95, Slg. 1998, I-1375; EuZW 1998, 299 m. Anm. Bechtold. Kommission, Entscheidung vom 20.5.1998, Sache IV/M.1016, ABl. 1999 L 50/27 (41), WuW 1998, 692. 310 Kommission, Entscheidung vom 25.11.1998, Sache IV/M.1225, ABl. 1999 L 254/9. 309
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So nahm sie auf dem Markt der Wirtschaftsprüfungsdienste für international tätige Unternehmen311 eine statische Nachfrage, Unwahrscheinlichkeit von Innovationen und eine Transparenz der Preisgestaltung an. Die Veröffentlichung letzterer ist in einigen EU-Ländern sogar gesetzlich vorgeschrieben. Ein wirksames Oligopol wurde dennoch im Ergebnis verneint. Ausschlaggebend hierfür war eine Mandantenbefragung, derzufolge zahlreiche Mandanten ihre international tätigen Wirtschaftsprüfer aufgrund besserer Konditionen – teilweise trotz lange bestehender Mandatsbeziehungen – gelegentlich wechseln. Im Übrigen schwankten die Marktanteile der großen Gesellschaften in den einzelnen EG-Mitgliedstaaten erheblich. Dies wurde auf asymmetrische Kostenstrukturen zurückgeführt. Die Kommission erklärte des Weiteren, dass die Zahl der fünf nach dem Zusammenschluss verbleibenden Wettbewerber so groß wäre, dass ein wirksames Oligopol äußerst unwahrscheinlich sei. Dieser Umstand wurde auch in Enso/Stora betont. Ein Oligopol wurde auf dem EWR-Markt für Zeitungsdruck- und Zeitschriftenpapier geprüft, da neben den zusammenschlussbereiten Enso und Stora nur vier bedeutende Wettbewerber existierten. Geringes Nachfragewachstum, eine konzentrierte Angebotsseite, homogene Produkte, ausgereifte Technik, hohe Zutrittsschranken und ähnliche Kostenstrukturen wurden bejaht. Dennoch wurde ein Oligopol mangels Markttransparenz letztlich nicht angenommen. So gab es Hinweise, dass einige Anbieter tatsächlich Rabatte gewährten, von denen ihre Wettbewerber keine Kenntnis hatten. Bedeutsam war auch die Nachfragemacht der Marktgegenseite. Insbesondere führte die Kommission jedoch aus, dass angesichts eines komplexen Beziehungsgeflechts und der daraus folgenden Anreize für abweichendes Verhalten eine gemeinsame Marktbeherrschung von mehr als „drei oder vier“ Anbietern eher unwahrscheinlich sei. Tatsächlich hat die Kommission bislang erst in einem einzigen Fall, Airtours/First Choice,312 eine kollektive Marktbeherrschung von mehr als zwei, d.h. in diesem Fall drei, Unternehmen angenommen, ohne dass zwischen diesen gesellschaftsrechtliche Verbindungen bestanden oder geplant gewesen wären. Inwieweit diese Entscheidung ein Einzelfall verbleibt oder die Kommission eher geneigt sein wird, polypolistische Oligopole anzunehmen,313 bleibt abzuwarten. Letzteres erscheint angesichts der
__________ 311 Die Kommission grenzte diesen Markt von einem Markt für Wirtschaftsprüfungsdienste für hauptsächlich in einem Staat tätige Unternehmen ab. Unternehmen, die in verschiedenen Ländern tätig seien, unterfielen deren verschiedenen gesetzlich vorgeschriebenen Buchprüfungsregeln. Sie seien deshalb darauf angewiesen, die Dienste eines Wirtschaftsprüfers in Anspruch zu nehmen, der diese in verschiedenen Ländern anbieten kann. 312 Kommission, Entscheidung vom 22.9.1999, Sache IV/M.1524, ABl. 2000 L 93/1, WuW/E EU-V 437. Die Entscheidung wurde mittlerweile durch EUG, Urt. v. 6.6.2002, Rs. T-342/99 aufgehoben. 313 Eine solche Tendenz erwarten Montag/Leibenath, Aktuelle Probleme in der Europäischen Fusionskontrolle, S. 858.
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Aufhebung der Airtours/First Choice-Entscheidung durch das EuG jedoch eher zweifelhaft. l) Begründung oder Verstärkung Durch den Zusammenschluss muss eine Begründung oder Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung drohen. Dies ist in der Regel unproblematisch. Die Begründung einer marktbeherrschenden Stellung wird jedoch dann verneint, wenn die Ursächlichkeit des Zusammenschlusses für eine marktbeherrschende Stellung im Sinne einer conditio sine qua non – Formel erheblich in Zweifel steht. Dies ist der Fall bei sog. Sanierungsfusionen.314 Diese liegen nach den – vom BGH für die deutsche Zusammenschlusskontrolle im Wesentlichen schon in „Zementmehlanlage II“315 und von der Kommission für die FKVO in Kali und Salz/MdK/Treuhandanstalt316 entwickelten – Voraussetzungen vor, wenn ein zusammenschlussbeteiligtes Unternehmen ohne den Zusammenschluss kurzfristig nicht überlebensfähig wäre, d.h. aus dem Markt ausschiede, die Marktanteile dieses Unternehmens alle dem übernehmenden Unternehmen zuwüchsen und keine weniger wettbewerbsschädliche Erwerbsalternative besteht. Die Kausalität wird unter diesen Voraussetzungen verneint, weil die nach dem Zusammenschluss eintretende Situation sich auch ohne ihn ergeben würde. Auch wenn sich an einem Zusammenschluss beteiligte Unternehmen oft auf das Sanierungsargument berufen, sind die Voraussetzungen einer solchen Sanierungsfusion tatsächlich selten erfüllt. Selbst wenn die Insolvenz eines beteiligten Unternehmens droht, wird regelmäßig nicht anzunehmen sein, dass seine sämtlichen Marktanteile dem übernehmenden Unternehmen zufallen würden.317 Deshalb wurden die genannten, von der Kommission in Kali und Salz/MdK/Treuhandanstalt entwickelten Voraussetzungen der Sanierungsfusion, die der EuGH im Grundsatz bestätigte,318 von der Kommission selbst bis
__________ 314 Der Rechtsgedanke wurde der durch die US-Antitrust-Rechtsprechung entwickelten clearing, bzw. failing company doctrine entnommen. Vgl. hierzu Fleischer /Körber, US-Antitrustrecht und EU-Wettbewerbsrecht, S. 10 f. mit Verweis auf die entscheidenden Urteile. 315 BGH, Urteil vom 23.10.1979, WuW/E BGH 1659. 316 Kommission, Entscheidung vom 14.12.1993, Sache IV/M.308, ABl. 1994 L 136/38. 317 So beriefen sich angesichts der wettbewerblichen Problematik des geplanten Zusammenschlussvorhabens beispielsweise auch Toys „R“ Us und Blokker auf die failing-company doctrine. Ein Anwachsen aller Marktanteile von Toys „R“ Us auf Blokker ohne den Zusammenschluss konnten sie aber eben nicht belegen. Vgl. Kommission, Entscheidung vom 21.2.1997, Sache IV/M.890, ABl. 1998 L 316/1, WuW/E EU-V 167 (Blokker/Toys „R“ Us). 318 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-68/94 und C-30/95, Slg. 1998, I-1375, EuZW 1998, 299 m. Anm. Bechtold über die Klagen Frankreichs und zweier französischer Gesellschaften gegen die Freigabeentscheidung der Kommission und insbesondere die mit ihr verbundenen Auflagen, die sich indirekt gegen die beiden Gesellschaften richteten. Obgleich die Entscheidung im Ergebnis aufgehoben wurde, wurden die Ausführungen zur Sanierungsfusion ausdrücklich bestätigt. Vgl. hierzu auch
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zum Jahre 2001 in keinem weiteren Fall mehr angenommen. Erst mit BASF/Pantochim/Eurodiol319 wurde eine zweite Freigabeentscheidung auf die failing company doctrine gestützt. Der Nachweis, dass sämtliche Marktanteile der im Insolvenzverfahren befindlichen belgischen Unternehmen Pantochim und Eurodiol auch ohne die Übernahme durch BASF dieser zuwachsen würden, wurde in diesem Verfahren allerdings nicht geführt. Teilweise wird in der Entscheidung deshalb ein grundsätzliches Abrücken der Kommission von dem Erfordernis dieses schwer zu erbringenden Nachweises gesehen.320 Die Kommissionsbegründung stellt jedoch klar, dass die besondere Situation der Unterversorgung auf den betroffenen Märkten maßgeblich wawr, die bei Ausscheiden eines Anbieters vom Markt weiter zugenommen hätte.321 Auf das russische Wettbewerbsrecht übertragen, lässt sich der Gedanke der Sanierungsfusion auf die verbreiteten Investitionsauflagen für Zusammenschlüsse anwenden.322 Wie bereits im Rahmen der „Behinderungsklausel“ erörtert, liegt nach europäischem Recht keine Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung vor, wenn die bestehende marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens durch einen geplanten Zusammenschluss nur unerheblich verändert wird.323 Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein hoher Marktanteil nur unerheblich, d.h. etwa bis zu 5%, erhöht wird und keine zusätzlichen Umstände (wie beispielsweise ein neues Geschäftskonzept)324 hinzutreten, die die Marktposition stärken. Im Gegensatz hierzu steht die deutsche Regelung gemäß § 36 Abs. 1 GWB, deren Auslegung durch BKartA und BGH zufolge – ähnlich der russischen Regelung – bereits eine unerhebliche Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung ausreicht.325 Eine spürbare Verschlechterung der Wettbewerbsbedingungen ist danach nicht erforderlich.326 Hat ein Unternehmen bereits eine marktbeherrschende Stellung inne, so führt damit nahezu jeder zusätzliche Erwerb von __________ Gonzalez-Diaz, Commentaire sur l’Arrêt de la Cour dans l’affaire „Kali und Salz“, S. 2, und Hacker, The Kali und Salz-case, S. 40. 319 Kommission, Entscheidung vom 11.7.2001, Sache COMP/M.2314. 320 So Fiedler, EG-Kommission erleichtert Voraussetzungen für Sanierungsfusion, S. 588 f. 321 Kommission, Entscheidung vom 11.7.2001, Sache COMP/M.2314, Tz. 157 ff. Vgl. hierzu auch Strohm, BASF/Pantochim/Eurodiol: Richtungswechsel in der Europäischen Fusionskontrolle?, S. 1206; sowie Rau, Der Erwerb aus der Insolvenz und die Fusionskontrolle, S. 1975 f. 322 Vgl. hierzu unten § 5 III. 3. e), IV. 1. c). 323 Eine Auffassung in der Literatur, insbesondere Bechtold und Immenga, betrachten die nur unerhebliche Verstärkung von Marktbeherrschung als einen Umstand, der im Rahmen der Behinderungsklausel berücksichtigt werden sollte. Vgl. hierzu und zu Beispielen der Entscheidungspraxis der Kommission, die den Umstand im Rahmen der „Verstärkung“ prüft, oben d). 324 Kommission, Entscheidung vom 21.2.1997, (Blokker/Toys „R“ US), Sache IV/M.890, ABl. 1998 L 316/1, WuW/E EU-V 167. 325 BGH, Urteil vom 23.10.1979, WuW/E BGH 1659 (Zementmehlanlage II). 326 BGH, WuW/E BGH 1685, 1691 (Springer/Elbe Wochenblatt).
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Unternehmen zur Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung.327 Oft reicht auch nur die Verstärkung eines einzigen Strukturmerkmals aus. Dies kann ein Zuwachs an Finanzkraft sein.328 Damit sind auch konglomerale Zusammenschlüsse grundsätzlich „untersagungsgefährdet“. 4. Die Freigabe unter Auflagen und Bedingungen a) Auflagen und Bedingungen in der FKVO Drohen durch ein Zusammenschlussvorhaben die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, nimmt die Kommission vielfach Zusagen der beteiligten Unternehmen entgegen und übernimmt diese inhaltlich als Auflagen oder Bedingungen einer Freigabeentscheidung,329 soweit sie sie zur Vereitelung der drohenden wettbewerblichen Gefahren für erforderlich hält.330 Ermächtigungsgrundlage hierfür ist im Rahmen der zweiten Prüfphase Art. 8 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO. Für Auflagen und Bedingungen einer Freigabeentscheidung am Ende der ersten Prüfphase wurde die Ermächtigungsgrundlage in Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2 FKVO durch die FKVO-Novelle331 geschaffen. Dennoch wurden auch vorher bereits Freigabeentscheidungen unter Auflagen und Bedingungen nach Abschluss der Vorprüfphase erlassen.332 Diese Praxis wurde
__________ 327 Entgegen der russischen Regelung ist allerdings eine Anteilszunahme an einem bereits „gehaltenen“ Unternehmen – z.B. zwischen 25 und unter 50% – nicht genehmigungsbedürftig. Vgl. zu der russischen Regelung unten § 6 III. 5. 328 Vgl. hierzu auch Monopolkommission, Hauptgutachten VI, Tz. 449. 329 Hirsbrunner, Neue Entwicklungen der Europäischen Fusionskontrolle 1999/2000, S. 199, spricht von einer Absicherung der entgegengenommenen Zusagen, „damit sie rechtsverbindlich weden“. 330 Andernfalls nimmt die Kommission „Kenntnis“ von Zusagen. Formell sind die Zusagen dann nicht Inhalt der Freigabe, sie dürften dennoch einen positiven Effekt auf die Prognose der Kommission bezüglich der Wettbewerbssituation haben. 331 Sie trat zum 1. Mai 1998 in Kraft, vgl. oben I. 1. 332 So insbesondere Kommission, Entscheidung vom 20.7.1995, Sache IV/M.616, WuW 1996, 107 (Swissair/Sabena); Entscheidung vom 30.10.1995, Sache IV/M.646, WuW 1996, 112 (Repola/Kymmene) und Entscheidung vom 11. 3. 1997, Sache IV/M.873, ABl. 1997 C 160/4, WuW 1997, 595 (Bank Austria/Creditanstalt). Die Rechtmäßigkeit dieser Auflagen war umstritten. Die Kommission (Bericht an den Rat über die Anwendung der Verordnung über Unternehmenszusammenschlüsse, S. 385 ff.) hielt sie seit Mitte der 90er Jahre als milderes Mittel aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für geboten. Zu ihrer früheren Auffassung vgl. dagegen Drauz, Ein Jahr Europäische Fusionskontrolle, S. 92. Teilweise wurden diese Auflagen auch als öffentlichrechtliche Verträge betrachtet. Vgl. hierzu Krause, Article 6 (1) b EC Merger Regulation: Improving the reliability of commitments, S. 211. Ähnliches wurde bzgl. der deutschen „Auflagen und Bedingungen“ in der deutschen Zusammenschlusskontrolle vertreten, bevor sie durch die 6. Novelle in das GWB ausdrücklich aufgenommen wurden. Vgl. hierzu unten § 5 I. 6. c) sowie insbesondere Schultz, Die Ausgestaltung der fusionsrechtlichen Zusagenregelung in der Praxis, S. 433 f., und Wolf, Probleme der Zusagenpraxis im Fusionskontrollverfahren, S. 803. Bezüglich der europäiscen Zusammenschlusskontrolle wurde in der Literatur weitgehend ein Bedürfnis nach Freigaben unter Auflagen bereits nach Ende der Prüfphase 1 gesehen. Die entsprechende Praxis der Kommission
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
in der Literatur seinerzeit weitgehend kritisiert. Neben der fehlenden gesetzlichen Regelung bildete damals die Unvereinbarkeit der relativ oberflächlichen Prüfungsabläufe im Vorprüfverfahren mit dem Detail und der Komplexität mancher Zusagen ein wichtiges Argument. Die Bedeutung und Erforderlichkeit von Zusagen wirklich sachgerecht abzuschätzen, sei der Kommission im Vorverfahren oft nicht möglich.333 Dieses Argument ist auch heute noch von Bedeutung.334 Die FKVO bezeichnet Auflagen und Bedingungen als Mittel zur Sicherstellung, dass die beteiligten Unternehmen den Verpflichtungen nachkommen, die sie der Kommission gegenüber eingehen. Damit wird nicht vorausgesetzt, dass die von den beteiligten Unternehmen übernommenen Pflichten von diesen auch vorgeschlagen werden.335 Teilweise legt die Kommission den beteiligten Unternehmen im Rahmen informeller Gespräche Verpflichtungen mehr oder weniger nahe.336 Dennoch hat die Kommission Untersagungsverfügungen auch schon damit begründet, dass die beteiligten Unternehmen trotz wettbewerblicher Bedenken der Kommission keine Verpflichtungen vorgeschlagen hätten.337 Die Kommission verwendet üblicherweise den Ausdruck „Auflagen und Bedingungen“, ohne zwischen den beiden Termini zu differenzieren.338 Dies steht nicht im Einklang mit dem Wortlaut der FKVO, der eine Differenzierung zwischen Auflagen und Bedingungen vorsieht. Danach ist die Unterscheidung __________ wurde jedoch mangels Rechtsgrundlage als nicht rechtmäßig, bzw. die „Auflagen“ wurden als nicht bindend betrachtet. Vgl. hierzu Bechtold, Zwischenbilanz zum neuen EG-Fusionskontrollrecht, S. 659; Mülbert, Zusagen im deutschen und europäischen Fusionskontrollrecht, S. 706 f. 333 Uhlig, Zusagen, Auflagen und Bedingungen im Fusionskontrollverfahren, S. 250 ff.; Heidenhain, Zusagen in der EG-Fusionskontrollpraxis, S. 136 f.; ders., Commitments in EC-Merger Control, S. 439 ff.; Leibenath, Die Rechtsprobleme der Zusagenpraxis in der Europäischen Fusionskontrolle, S.48 ff.; Broberg, Commitments in Phase One Merger Proceedings, S. 845 ff. 334 Dieser Umstand wird insbesondere von Bartosch, Zehn Jahre Europäische Fusionskontrolle, S.1900, betont. Bartosch argumentiert, dass dadurch, dass in wettbewerblich schwierigen Fällen gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. c FKVO zwingend die Eröffnung des Hauptverfahrens vorgeschrieben ist, auch in der Vorprüfphase nur relativ unkomplizierte Auflagen und Bedingungen in Betracht kämen, die der Lösung eines klar umrissenen Wettbewersproblemes dienten. Er kritisiert deshalb die Praxis der Kommission, auch im Vorverfahren bereits sehr detaillierte Zusagen zu akzeptieren und entsprechend als Auflagen zu erlassen. 335 Auch VO 447/98 setzt dies nicht voraus, sondern bestimmt nur Fristen, innerhalb derer Verpflichtungen vorgeschlagen werden können. 336 Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Art. 8, Tz. 12, scheint demgegenüber anzunehmen, dass die Auflagen und Bedingungen von den Unternehmen auch vorgeschlagen werden müssen. Es ist jedoch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der Kommission ein derartiges „Vorschlagsrecht“ verwehrt sein sollte. Heidenhain, Zusagenpraxis in der EG-Fusionskontrolle, S. 136, zufolge werden die Auflagen und Bedingungen „eingehend erörtert und abgestimmt“. 337 So Kommission, Entscheidung vom 19.2.1997, Sache IV/M.784, ABl. 1997 L 174/47, WuW/E 1997, 327 Tz. 13 (Kesko/Tuko); vgl. auch Schreiber/Bruhn, Mergers – Summary of thee most important recent developments, S. 17. 338 Vgl. Uhlig, Auflagen und Bedingungen in der deutschen Fusionskontrolle, S. 574 f.
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zwischen Auflagen und Bedingungen in der FKVO der in § 36 VwVfG339 zumindest vergleichbar.340 So sind nur Auflagen mit Zwangsgeldern gemäß Art. 15 Abs. 2 und 3 FKVO durchsetzbar. Art. 8 Abs. 5 FKVO begründet die Kompetenz der Kommission, eine Vereinbarkeitserklärung zu widerrufen, wenn die beteiligten Unternehmen einer mit der Entscheidung verbundenen Auflage zuwiderhandeln.341 Damit ist die Nichterfüllung einer Auflage gleichzusetzen, welche die gleiche Wirkung wie ein Zuwiderhandeln hat.342 Für Bedingungen ist eine derartige Widerrufsmöglichkeit nicht vorgesehen. Tatsächlich stellt die Kommission in einigen Nebenbestimmungen, die die Veräußerung von Unternehmensteilen vorschreiben, die Wirksamkeit der Freigabe auch ausdrücklich unter den Vorbehalt der Veräußerung.343 Der Sache nach dürfte es sich bei diesen Nebenbestimmungen deshalb um Bedingungen handeln. Die meisten bislang ergangenen Nebenbestimmungen dagegen lassen die Wirksamkeit der Freigabeentscheidungen bereits vor Ausführung der Auflagen unberührt.344 Ihre Wirksamkeit steht auch nicht unter dem Vorbehalt der Ausführung bis zu einem bestimmten Termin. Es handelt sich bei ihnen deshalb der Sache nach345 um Auflagen.346
__________ 339 Gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG sind Auflagen Nebenbestimmungen zu einem Verwaltungsakt, durch die dem Adressaten ein Tun, Dulden oder Unterlassen auferlegt wird. Die Wirksamkeit des Verwaltungsaktes, d.h. im Falle einer Genehmigung die genehmigende Wirkung, steht nicht unter dem Vorbehalt der Ausführung der Auflage. Die Auflage ist selbständig mit Zwangsmitteln durchsetzbar. Eine Bedingung gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG ist demgegenüber eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt, durch die der Eintritt der Rechtswirkungen des Verwaltungsaktes von einem zukünftigen ungewissen Ereignis abhängig gemacht wird. Erst nach Eintritt der Bedingung entfaltet sich – im Falle einer Genehmigung – die genehmigende Wirkung des Verwaltungsaktes. Selbständig durchsetzbar ist die Bedingung dagegen nicht. 340 Vgl. Fuchs, Zusagen, Auflagen und Bedingungen in der europäischen Fusionskontrolle, S. 279: „Diese Normen zeigen, dass die dogmatische Unterscheidung zwischen Auflagen und Bedingungen, wenn auch nicht unbedingt in gleicher Schärfe wie im deutschen Verwaltungsrecht (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 und 4 VwVfG) auch der FKVO zugrundeliegt. A.A. dagegen – ohne Begründung – Heidenhain, Zusagenpraxis in der EG-Fusionskontrolle, S. 136, Fn. 17: „Ob die Definitionen von Bedingungen und Auflagen, wie sie in § 36 II Nr. 2 und 4 VwVfG enthalten sind, bei der Anwendung der Fusionskontroll-Verordnung ohne weiteres verwendbar sind, mag allerdings fraglich sein.“ 341 Vgl. Westermann, Die Einwirkungen der europäischen auf die deutsche Fusionskontrolle, S. 202. 342 So die Kommission in ihrer Entscheidung vom 22.7.1992, Sache IV/M.190, ABl. 1992 L 356/1, WuW/E EV 1903 (1944) (Nestlé/Perrier), Tz. 138. 343 Vgl. z.B. Kommission, Entscheidung vom 22.7.1992, Sache IV/M.190, ABl. 1992 L 356/1, WuW/E EV 1903 (Nestlé/Perrier); Kommission, Entscheidung vom 14.11.1995, Sache IV/M.603, ABl. 1996 L 75/38 (Crown Cork & Seal/Carnaud Metalbox); Kommission, Entscheidung vom 18.10.1995, Sache IV/M.580, ABl. 1997 L 011/1 (ABB/Daimler Benz); Kommission, Entscheidung vom 20.9.1995, Sache IV/M.582, ABl. 1996 L 66/17 (Orkla/Volvo). 344 Vgl. Wagemann, Fusionskontrolle, § 17, Rz. 126. 345 D.h. im Sinne der Terminologie des deutschen VwVfG. Vgl. hierzu oben in diesem Abschnitt.
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Bezüglich des Inhalts von Auflagen sieht die FKVO im Gegensatz zur Regelung der Fusionskontrolle im deutschen Recht kein ausdrückliches Verbot von Verhaltensauflagen vor. Es ist deshalb umstritten, inwieweit Auflagen im Rahmen der FKVO auch verhaltensbezogen sein dürfen. Da dieser Gesichtspunkt für die russische Zusammenschlusskontrolle von besonderer Bedeutung ist, werden die Sinnhaftigkeit eines Verbots von Verhaltensauflagen und die möglichen Inhalte von Auflagen in der europäischen Auflagenpraxis vor dem Hintergrund der russischen Auflagenpraxis im Rahmen eines Vergleichs mit dieser und der deutschen Praxis erörtert werden.347 b) Freigabe unter Bedingung und Auflagen nach deutschem Recht (§ 40 Abs. 3 GWB) In das GWB wurde erst durch die 6. Novelle eine Regelung aufgenommen, derzufolge Freigabeentscheidungen (allerdings im Gegensatz zur FKVO erst nach einem Hauptprüfverfahren) auch unter Auflagen und Bedingungen erlassen werden können.348 Dadurch wurde jedoch letztlich nur die bereits langjährige Praxis des BKartA, Freigabeentscheidungen mit Auflagen und Bedingungen zu verknüpfen, legalisiert.349 Gleichzeitig wurde damit der Streit darüber hinfällig, ob es sich bei den Zusagen der beteiligten Unternehmen um modifizierende Anträge bzw. den daraufhin vom BKartA erlassenen "Auflagen und Bedingungen“ tatsächlich um solche Nebenbestimmungen, um öffentlichrechtliche Verträge350 oder um Zusicherungen im Sinne von § 38 VwVfG351 analog352 handelt. Das GWB übernahm in der 6. Novelle die Begriffe „Auflagen und Bedingungen“. Im Gegensatz zu Bedingungen sind Auflagen gemäß § 40 Abs. 3 i.V.m. § 12 Abs. 2 S. 1 GWB selbständig durchsetzbar. Die bisherige Entscheidungspraxis des BKartA zeigt, dass es – im Gegensatz zur Kommission – zwischen den beiden Begriffen auch tatsächlich differenziert und Auflagen im Sinne selbständig durchsetzbarer Nebenverfügungen erlässt, deren Erfüllung __________ 346 Ebenso Wagemann, Fusionskontrolle, § 17, Rz. 128; Fuchs, Zusagen, Auflagen und Bedingungen in der europäischen Fusionskontrolle, S. 279; Uhlig, Auflagen und Bedingungen in der deutschen Fusionskontrolle, S. 575, Fn. 10. 347 Vgl. unten § 5 IV. 2. 348 § 40 Abs. 3 S. 1 GWB. 349 Vgl. Richter, Formelle Fusionskontrolle (GWB), § 19, S. 637. 350 So Schultz, Die Ausgestaltung der fusionsrechtlichen Zusagenregelung in der Praxis, S. 433 f. und Wolf, Probleme der Zusagenpraxis im Fusionskontrollverfahren, S. 803. 351 So Windbichler, Nochmals: Zusagen bei der Zusammenschlusskontrolle, S. 846. Ihrer Auffassung zufolge konnte es sich – je nach Fallgestaltung – bei den „Auflagen und Bedingungen“ sowohl um zweiseitige öffentlichrechtliche Verträge als auch um „einseitige Festlegungen der Behörde“ handeln. 352 Um eine Analogie handelt es sich, da die „Zusage“ der Behörde sich nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes, sondern auf die rechtliche Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes (d.h. eines Sachverhaltes, der von dem ursprünglich angemeldeten aufgrund der „Zusage“ der beteiligten Unternehmen abweicht) bezieht.
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die Wirksamkeit der Freigabeentscheidung unberührt lässt, während Freigabeentscheidungen unter aufschiebender Bedingung erst nach deren Eintritt Wirksamkeit entfalten.353 Bereits vor der 6. GWB-Novelle sah § 24 Abs. 3 GWB a.F. vor, dass die Ministererlaubnis unter Auflagen und Bedingungen erlassen werden konnte. Diese durften gemäß § 24 Abs. 3 S. 4 GWB a.F. nicht verhaltensbezogen sein. Eine entsprechende Regelung enthält nun § 40 Abs. 3 S. 2 GWB. Auch vor der 6. GWB-Novelle wurde weitgehend die Auffassung vertreten, dass die „Auflagen und Bedingungen“ nicht verhaltensbezogen sein sollten, um die beteiligten Unternehmen nicht durch die Strukturkontrolle einer laufenden Verhaltenskontrolle zu unterziehen.354 Während in der Anfangsphase der Zusammenschlusskontrolle durch das BKartA auch zahlreiche verhaltensbezogene Auflagen erlassen wurden,355 werden seit 1985 in der deutschen Zusammenschlusskontrolle – im Gegensatz zur FKVO – fast ausschließlich strukturbezogene Auflagen, d.h. Veräußerungsauflagen, erlassen.356 Im Rahmen des Vergleichs der russischen mit der europäischen und deutschen Fusionskontrolle wird gezeigt werden, dass eine völlige Beschränkung auf strukturbezogene Auflagen nicht sinnvoll ist357 und teilweise sogar gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen kann, die russische Praxis fast ausschließlich verhaltensbezogener Auflagen allerdings noch weniger überzeugt.358 5. Die Abwägungsklausel nach deutschem Recht – der nicht erfolgte Gegenbeweis bezüglich zu erwartender verbesserter Wettbewerbsbedingungen (§ 36 Abs. 1 GWB) Im Gegensatz zur FKVO359 können in der deutschen wettbewerblichen Zusammenschlusskontrolle Vor- und Nachteile eines Zusammenschlussvorhabens auf verschiedenen Märkten miteinander „abgewogen“ werden.360 So ist gemäß § 36 Abs. 1 GWB ein Zusammenschluss trotz Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Position zulässig, wenn den beteiligten Unternehmen der Nachweis gelingt, dass mit dem Zusammenschluss auch Verbesserun-
__________ 353 Vgl. hierzu Uhlig, Auflagen und Bedingungen in der deutschen Fusionskontrolle, S. 575 f., mit einem Überblick über die bisherige Entscheidungspraxis des BKartA seit der 6. GWB-Novelle. 354 So Schultz, Die Ausgestaltung der fusionskontrollrechtliche Zusagenregelung in der Praxis, S. 437 ff.; Wolf, Probleme der Zusagenpraxis im Fusionskontrollverfahren, S. 806; Windbichler, Nochmals: Zusagen bei der Zusammenschlusskontrolle, S. 845. 355 Vgl. hierzu den Überblick bei Schultz, Die Ausgestaltung der fusionsrechtlichen Zusagenregelung in der Praxis, S. 439 ff. 356 Vgl. hierzu Wolf, Probleme der Zusagenpraxis im Fusionskontrollverfahren, S. 807. 357 So auch Satzky, Zusagen im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle, S. 564. 358 Vgl. hierzu unten § 5 IV. 2. 359 Die russische Fusionskontrolle enhält auch keine Abwägungsklausel. 360 In 3. j) oben wurde vorgeschlagen, eine Abwägungsklausel aus dem Merkmal der Behinderungsklausel „abzuleiten“.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
gen der Wettbewerbsbedingungen verbunden sind, die die Nachteile überwiegen. Auf Grundlage dieser – das klassische Machtmarktprinzip einschränkenden – Norm sollen Zusammenschlüsse freigegeben werden, durch die auf einem Markt zwar eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt wird, auf einem anderen Markt jedoch Wettbewerb gefördert wird.361 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn auf einem Markt eine Marktbeherrschung begründet oder verstärkt wird, auf einem anderen, bislang durch einen starken Wettbewerber oder ein Oligopol362 beherrschtem Markt jedoch ein starker Wettbewerber geschaffen363 und dadurch Wettbewerb entsteht oder gestärkt wird. Ein Vergleich des Ausmaßes der beiden gegenläufigen Entwicklungen auf den beiden unterschiedlichen Märkten sowie eine Berücksichtigung der Bedeutung der beiden Märkte kann in der Erkenntnis resultieren, dass die Vorteile die Nachteile überwiegen. Die russische Zusammenschlusskontrolle kennt ebenso wie die europäische Zusammenschlusskontrolle keine Abwägungsklausel. Tatsächlich kann die Klausel auch insofern nur in wenigen Fällen relevant sein, als meistens die Problematik durch entsprechende Auflagen und Bedingungen zu beheben sein dürfte, die sich dann nur auf die Märkte beziehen, auf denen die jeweiligen Wettbewerbsnachteile auftreten. Soweit solche Auflagen und Bedingungen nicht möglich sind, da der Zusammenschluss von den beteiligten Unternehmen nur aufgrund des Marktes oder der Märkte geplant wird, auf denen wettbewerbliche Gefahren zu befürchten sind, kann oft eine Untersagung sachgerecht erscheinen. 6. Die sog. „Ministererlaubnis“ (§ 42 GWB) Gemäß § 42 Abs. 1 GWB kann der Bundesminister für Wirtschaft auf Antrag einen vom BKartA untersagten Zusammenschluss freigeben. Voraussetzung hierfür ist, dass wettbewerbsfremde Erwägungen („gesamtwirtschaftliche Vor-
__________ 361 Emmerich, Kartellrecht, 9. Aufl., § 25, 9 a (S. 302), zufolge kann es sich zwar auch um Wettbewerbsvorteile auf dem Markt handeln, auf dem Wettbewerbsnachteile entstehen. Welche unmittelbaren wettbewerblichen Vorteile jedoch gleichzeitig mit Nachteilen auf demselben Markt entstehen können, ist unverständlich. Betriebsgrößenvorteile oder technischer Fortschritt, vgl. hierzu oben § 3 III. 1. und 4., dürften als wettbewerbsfremde Motive nicht berücksichtigt werden. Durch einen Zusammenschluss begründete wettbewerbliche Vorteile können allerdings durch Aufbrechen eines Oligopols – vgl. hierzu Schwintowski, Die Abwägungsklausel in der Fusionskontrolle, S. 91 ff. – oder durch Substitutionswettbewerb von sachlich oder räumlich benachbarten Märkten gefördert werden. In einem solchen Fall wären auf dem betrachteten Markt aber gerade keine wettbewerblichen Nachteile im Sinne der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu befürchten. Die Abwägungsklausel käme damit gar nicht zur Anwendung. Dennoch haben BKartA, KG und BGH in mehreren Fällen auf Gasmärkten die Abwägungsklausel aufgrund von entstehenden Substitutionswettbewerbes angewandt. So BGH Z 73, 65 (78 f.) (Erdgas Schwaben); KG WuW/E OLG 3443 (EVS-Gas); BKartA, Die AG 1986, 116 (Badenwerk/Rhein-Neckar II). 362 Vgl. hierzu Schwintowski, Die Abwägungsklausel in der Fusionskontrolle, S. 92. 363 Schwintowski, S. 75 ff., 92.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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teile des Zusammenschlusses“ oder „überragende Interessen der Allgemeinheit“)364 die Wettbewerbsgefahren überwiegen. Die sog. Ministererlaubnis ist somit auch ein industriepolitisches Einfallstor der deutschen Zusammenschlusskontrolle, durch das den in § 3 erörterten Aspekten365 entsprochen werden kann. Ausdrücklich bestimmt § 42 Abs. 1 S. 2 GWB, dass die Ministererlaubnis zur Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der beteiligten Unternehmen erteilt werden kann.366 Durch die Ministererlaubnis können allerdings nur Untersagungen, nicht dagegen mit Freigabeentscheidungen verbundene Auflagen aufgehoben werden. Die praktische Bedeutung der Ministererlaubnis ist gering. Insgesamt wurde sie seit Bestehen der deutschen Zusammenschlusskontrolle, d.h. seit 1973, bis 1989 in bislang insgesamt sechs Fällen erlassen.367 Seitdem war E.on/Ruhrgas368 die einzige Ministererlaubnis. Fünf Anträge wurden negativ beschieden.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland I. Das russische Konzept der Strukturkontrolle – ein weiter Begriff des „Zusammenschlusses“ Eine strikte Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle im Sinne des deutschen und in etwas eingeschränkter Form auch des europäischen Kartellrechts ist dem russischen Kartellrecht fremd. Normativ unterscheidet das Wettbewerbsgesetz zwar zwischen Verhaltensgeboten und einem diesbezüglichen Befreiungsverfahren einerseits und der Strukturaufsicht andererseits. Hierin werden jedoch lediglich zwei miteinander eng verbundene Mittel zur Wettbewerbswahrung gesehen. Dabei ist die besondere Bedeutung der strukturellen Wettbewerbsgefahren den russischen Wettbewerbsbehörden durchaus bekannt. So betont das Antimonopolministerium in seinem „Bericht über die Zusam-
__________ 364
§ 42 Abs. 1 S. 1 GWB. Vgl. oben § 3 III. 366 Vgl. hierzu oben § 3 III. 5. 367 BMWi, Verfügung vom 1.2.1974 ,WuW/E BWM 147 (Veba/Gelsenberg); BMWi, Verfügung vom 17.10.1976,WuW/E BWM 155 (Babcock/Artos); BMWi, Verfügung vom 1.8.1977, WuW/E BWM 159 (Rheinstahl/Hüller); BMWi, Verfügung vom 5.3.1979, WuW/E BWM 165 (BP/Gelsenberg); BMWi, Verfügung vom 9.12.1981, WuW/E BWM 177 (IHB/Wibau); BMWi, Verfügung vom 6.9.1989, WuW/E BWM 191 (Daimler/MBB). 368 Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie vom 5.7.2002, WuW/E DEV, 573 ff.; die Vollziehbarkeit der Entscheidung wurde durch das OLG Düsseldorf ausgesetzt; vgl. WuW/E DE-R 885 und WuW/E DE-R 926. Vgl. hierzu Möschel, Neue Rechtsfragen, S. 2077 ff., und Bunte, Nochmals: Rechtsfragen zur Ministererlaubnis, S. 2393. 365
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
menschlusskontrolle“,369 dass horizontale Zusammenschlüsse notwendigerweise die Konkurrenz auf einem Markt reduzieren. Zusammenschlüsse seien insofern gefährlicher als Kartelle, als letztere üblicherweise weniger beständig und dem ständigen Druck der widerstrebenden Interessen ihrer Mitglieder ausgesetzt seien. Eine weitere besondere Gefahr von Zusammenschlüssen bestehe darin, dass die Wahrscheinlichkeit einer Verhaltenskoordinierung der verbleibenden Marktteilnehmer zunehme. Im Gegensatz zur Verhaltenskontrolle müsse die Zusammenschlusskontrolle allerdings besonders berücksichtigen, dass eine Chance von Zusammenschlüssen in der Ausnutzung von Betriebsgrößenvorteilen bestehen könne. Kosten könnten durch Größe, durch die Übernahme von Managementerfahrung, technisches Know-how und ähnlichem gesenkt werden.370 Im Widerspruch hierzu steht eine Äußerung des ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden des Antimonopolkomitees Cijganov, derzufolge eine bestimmte Marktstruktur nicht als „nützlich oder schädlich“ bezeichnet werden könne. Ihre Existenz alleine zeige, dass der Markt sie benötige.371 Der Wortlaut des WG und die Praxis der Untersagungsverfügungen lassen allerdings darauf deuten, dass sich die Aussage nur gegen eine Kontrolle inneren Wachstums,372 nicht aber – im Sinne der Chicago-Schule – auch gegen jegliche Kontrolle und Untersagungsmöglichkeit äußeren Wachstums373 wendet. Trotz der Existenz einer Kontrolle äußeren Wachstums zeigt sich der Umstand, dass Struktur- und Verhaltenskontrolle in der russischen Föderation nicht vollständig getrennt sind, insbesondere darin, dass Auflagen für Zusammenschlüsse fast ausnahmslos verhaltensbezogen sind. Hierunter fallen zumindest teilweise auch die nicht ganz leicht einzuordnenden, in der russischen Fusionskontrolle verbreiteten Investitionsauflagen. Des Weiteren ergibt sich die Überschneidung von Struktur- und Verhaltenskontrolle daraus, dass einige Aufgreifkriterien der Strukturkontrolle alleine der besseren Durchführung der Verhaltenskontrolle dienen. Dies gilt insbesondere für die Anmeldung von Interessenverbänden oder rein kooperativen Gemeinschaftsunternehmen im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle, sowie die – im Jahr 2002 sogar erweiterte – Anzeigepflicht der Bestellung von Organen. Der weite Anwendungsbereich der Zusammenschlusskontrolle ist allerdings vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Verhaltenskontrollnormen der Art. 5 WG (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) und Art. 6 WG (Kartelle) lediglich Verbote statuieren, wettbewerbsbehördliche Befreiungs-
__________ 369 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 5. 370 Antimonopolministerium, S. 5. 371 Cijganov, Monopolii na svobodnom rynke, S. 81. 372 Vgl. oben § 3 II. 2. 373 Vgl. oben § 3 III. und IV.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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möglichkeiten vorsehen und repressive – von der Wettbewerbsbehörde gerichtlich zu beantragende – Mittel im Falle eines Verstoßes gegen diese Verbote begründen. Ein eigenes Anmelde- oder Notifizierungsverfahren sehen die beiden Normen nicht vor. Der russischen Fusionskontrolle unterfallen infolge dessen Sachverhalte, die schwer als Zusammenschluss bezeichnet werden können. Da sie jedoch der Fusionskontrolle gemäß Art. 17, 18 WG unterliegen, sind sie vom Begriff des Zusammenschlusses im weiteren Verlauf dieser Arbeit umfasst. Aussagekräftig ist die Zielsetzung der Zusammenschlusskontrolle in Art. 17 Abs. 1 S. 1 WG. Sie wird als Verhinderung möglichen Missbrauches marktbeherrschender Stellungen oder neuer Wettbewerbsbehinderungen bezeichnet.374 Eine ähnliche Formulierung enthält der Tätigkeitsbericht für die Jahre 19992001.375 Die Strukturkontrolle wird dabei also als bloßes Mittel zur Erleichterung der Verhaltenskontrolle betrachtet. Das Phänomen der Marktstruktur veranlasst das russische Antimonopolministerium eher zu Vergleichen mit sowjetischen Marktstrukturen. So betont es, dass Unternehmensintegrationen die Gefahr in sich bergen, zu Marktstrukturen zu führen, die denen der sozialistischen Planwirtschaft nicht unähnlich seien. Angesichts der Aufgabe der staatlichen Monopolisierung der Wirtschaft bestehe die Gefahr eben derselben Monopolisierung durch „privates Kapital.“376 Dabei erwähnt das Ministerium allerdings nicht, dass in vielen Fällen das Entstehen einer marktbeherrschenden Position auch Resultat überragender Effizienz im Sinne der Chicago-Schule sein kann. Es darf nicht Ziel einer Zusammenschlusskontrolle sein, jeglichen Zusammenschluss aus Strukturgründen zu untersagen. Aus der Praxis ist jedoch nicht ersichtlich, dass das Antimonopolministerium einen derartigen Weg wählen würde.
II. Formelle Fusionskontrolle – die Aufgreifkriterien der verschiedenen Fusionskontrollverfahren 1. Einleitung Die russische Fusionskontrolle unterscheidet zwischen verschiedenen Fallgruppen des Zusammenschlusses, der Verschmelzung bzw. Aufnahme gemäß
__________ 374 Hölzler/Lenga, Russian Antimonopoly Law, S. 47, nennen diese Zielsetzung dagegen eine „begriffliche Unschärfe.“ 375 Ziel der Strukturkontrolle sei „im Rahmen dieser Strukturen die Verhinderung des Abschlusses wettbewerbsbehindernder Vereinbarungen“ (Antimonopolministerium, Doklad o konkurentnoj politike v Rossijskoj Federacii 1999-2001, S. 2). 376 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 8.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Art. 17 Abs. 1 WG377, der Gründung von (Gemeinschafts-)unternehmen gemäß Art. 17 Abs. 5, 3. Alt WG378 sowie dem Erwerb von Gesellschaftsanteilen, wesentlicher Anlagegüter oder immaterieller Güter und sonstiger Rechte, die eine bestimmende Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik vermitteln, gemäß Art. 18 WG. Darüber hinaus unterliegen der Fusionskontrolle gemäß Art. 17 Abs. 5, 1. Alt. WG379 die Gründung, Verschmelzung und Aufnahme von Interessenverbänden sowie deren Aufnahme neuer Mitglieder gemäß Art. 17 Abs. 5, 2. Alt WG . Das russische Fusionskontrollrecht unterscheidet – ähnlich dem GWB bis zu dessen 6. Novelle – zwischen einem Anmelde- und Notifizierungsverfahren. Dem Anmeldeverfahren unterliegen vorher genehmigungsbedürftige Zusammenschlüsse, das Notifizierungsverfahren dagegen ist ein nachträgliches Verfahren. Vor Änderung des Wettbewerbsgesetzes mit Wirkung zum 25. Mai 1995 enthielt das Gesetz diese Unterscheidung noch nicht. Jegliches Zusammenschlussvorhaben bedurfte der vorherigen Genehmigung, es sei denn, das Grundkapital der beteiligten Unternehmen lag (bei In-Kraft-Treten des Gesetzes) unter 50 Millionen Rubeln. Inzwischen ist nicht mehr das im Unternehmensregister eingetragenen Grundkapital ausschlaggebend. Maßgeblich sind vielmehr die bilanzierten Vermögenswerte der beteiligten Unternehmen. Bei größeren Zusammenschlüssen ist eine vorherige Genehmigung erforderlich. Im Notifizierungsverfahren müssen nunmehr der Wettbewerbsbehörde Zusammenschlüsse innerhalb von 45 Tagen380 nach Vollziehung oder Eintragung des jeweiligen Vorgangs in das staatliche Unternehmensregister angezeigt werden. Die wettbewerblichen Folgen werden jedoch – ähnlich wie beim früheren deutschen Anzeigeverfahren – auch in diesem Fall überprüft. Im Falle materieller Unvereinbarkeit des erfolgten Zusammenschlusses mit dem WG erlässt die Wettbewerbsbehörde eine Anordnung auf Wiederherstellung wettbewerblicher Verhältnisse (im folgenden Wiederherstellungsanordnung). Die einzelnen Fallgruppen der Zusammenschlusskontrolle haben verschiedene zusätzliche finanzielle Aufgreifkriterien, die sich insbesondere nach den jeweiligen addierten Bilanzsummen der beteiligten Unternehmen richten. Hierauf ist im Folgenden zunächst einzugehen. Im Anschluss daran sollen die verschiedenen Aufgreifkriterien und damit der Anwendungsbereich der russischen Zusammenschlusskontrolle erörtert werden.
__________ 377
Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 WG a.F. Art. 17 Abs. 4 WG a.F. 379 Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4 WG a.F. 380 Gemäß Art. 17/18 WG a.F. innerhalb von 15 Tagen. 378
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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2. Die finanziellen Schwellenwerte – (niedrige) addierte Bilanzsummen als Aufgreifkriterium; die „Registereintragung“ als alternatives Aufgreifkriterium Die einzelnen Alternativen der Zusammenschlusskontrolle gemäß Art. 17 und 18 WG haben unterschiedliche finanzielle Aufgreifkriterien. Im Gegensatz zur europäischen und deutschen Fusionskontrolle beziehen sie sich nicht auf die Gesamtumsätze der beteiligten Unternehmen und deren verbundene Unternehmen (Art. 5 Abs. 1 S. 1 FKVO bzw. § 36 Abs. 2 GWB), sondern auf die addierten Bilanzsummen der beteiligten Unternehmen einschließlich verbundener Unternehmen (vgl. Abs. 4 WG). Damit ist weder der für den Wettbewerb unmittelbar entscheidende Umsatz noch die hinter einem Unternehmen stehende Finanzkraft (Eigenkapital), sondern das von den beteiligten Unternehmen genutzte Kapital, d.h. Eigenkapital zuzüglich Verbindlichkeiten, das entscheidende Aufgreifkriterium der Fusionskontrolle. Dies führt dazu, dass im Gegensatz zu den europäischen und deutschen Regelungen investitionsintensive Unternehmen wesentlich eher kontrolliert werden als z. B. Dienstleister, die im Verhältnis zum Umsatz regelmäßig geringe Bilanzsummen haben. Einer Zusammenschlusskontrolle können Unternehmen damit gegebenenfalls auch dadurch ausweichen, dass sie frühzeitig Gewinne aus dem Unternehmen nehmen oder (wirtschaftlich sinnvolle) Kapitaleinlagen unterlassen, um die Bilanzsumme zu reduzieren. In einer Volkswirtschaft, in der weniger kapitalintensive Unternehmen einen zunehmend größeren Anteil am Bruttosozialprodukt haben, erscheinen die russischen Regelungen nicht sachgerecht. Das russische Ministerium begründet die Regelung damit, dass Bilanzsummen nachvollziehbar seien, während Unternehmensangaben über eigene Umsätze nur schwer überprüfbar seien.381 Tatsächlich wird jedoch durch die Möglichkeit, das Eigenkapital zu reduzieren,382 der Umgehung der Zusammenschlusskontrolle Vorschub geleistet. Unabhängig von der Ungeeignetheit addierter Bilanzsummen als Aufgreifkriterium, sind deren Beträge sehr niedrig. Dem Anmeldeverfahren unterliegen Zusammenschlüsse von Unternehmen, deren addierte Bilanzsummen jeweils mindestens 200.000 Minimaleinkommen betragen. Dem Notifizierungsverfahren unterliegen Zusammenschlüsse, soweit die addierten Bilanzsummen jeweils 100.000 Minimaleinkommen betragen. Ein Minimaleinkommen in diesem Sinne beträgt gemäß Art. 4 des Bundesgesetzes Nr. 82 vom 19. Juni 2000 „über das Mindesteinkommen“383 100 Rubel. Finanzielle Schwellenwerte sind des-
__________ 381 So die Leiterin der Abteilung Unternehmenskonzentration, Kirjuškina, in einem Gespräch mit dem Autor im September 1999. 382 Maßgeblich ist gemäß dem Wortlaut von Artikel 17 Abs. 1 und 5 sowie 18 Abs. 2 und 4 WG die jeweils letzte Bilanz. 383 Letzte Fassung vom 29. April 2002.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
halb bereits bei addierten Bilanzsummen von 10 Millionen Rubel384 erreicht. Obgleich bis zur Novelle vom 9. Oktober 2002 die finanziellen Schwellenwerte jeweils nur 50% der derzeitigen Werte betrugen385 – zuvor waren die Werte seit 1997 nicht geändert worden386 – sind sie immer noch unangemessen niedrig. Trotz der Schwierigkeit, Bilanzsummen mit Umsätzen zu vergleichen, liegen die russischen Schwellenwerte deutlich unter dem Wert der weltweiten gemeinsamen Umsätze von mindestens € 500 Millionen gemäß der deutschen Fusionskontrolle bzw. € 2,5 Milliarden nach Art. 1 Abs. 3 FKVO387 oder gar € 5 Milliarden nach Art. 1 Abs. 2 FKVO. Die niedrigen russischen Schwellenwerte haben zur Folge, dass bereits sehr kleine Zusammenschlüsse ausländischer Unternehmen, die auf dem russischen Markt tätig sind, angemeldet bzw. notifiziert werden müssen.388 In manchen Fällen – den Alternativen des Erwerbs von Anteilen, Vermögenswerten oder sonstiger Rechte, die einen bestimmenden Einflusses auf die Unternehmenspolitik einer Gesellschaft vermitteln, – ist alternatives „finanzielles“ Aufgreifkriterium des Anmeldeverfahrens gemäß Art. 18 Abs. 2 S. 2, 2. Alt. WG, dass ein beteiligtes Unternehmen oder ein Unternehmen, das von einer beteiligten Person/Personengruppe beherrscht wird, im Register „der Unternehmen mit Marktanteilen über 35%“ (im folgenden „Register“) eingetragen ist. Das Register wurde durch Entscheidung der russischen Regierung Nr. 154 vom 19. Februar 1996 begründet und durch die Entscheidung Nr. 445 des Antimonopolministeriums vom 9. Juni 2000 bestätigt. Es wird vom Antimonopolministerium und den regionalen Wettbewerbsbehörden geführt. In ihm sollen alle Unternehmen aufgeführt werden, die einen Marktanteil von mehr als
__________ 384 Dies entspricht gemäß Umrechnungskurs vom 24. Juni 2003 € 284.724,10 (1 Euro = 35,12172 Russische Rubel). 385 Vgl. Art. 17 und 18 WG a.F. 386 Vgl. das durch das Bundesgesetz Nr. 82 vom 19. Juni 2000 außer Kraft gesetzte Bundesgesetz Nr. 6 vom 9. Januar 1997 „Über die Erhöhung der Mindesteinkommen“. Dessen Artikel 1 setzte das monatliche Mindesteinkommen auf 83,49 Rubel fest. Eine Erhöhung dieses Betrages, der auch Grundlage für gesetzliche Rentenzahlungen war, erfolgte 2000. Entgegen Pittman, Competition Law in Central and Eastern Europe, S. 28, kann deshalb von einem Schutz vor Inflationseffekten, d.h. von einem proportionalen Anstieg der finanziellen Schwellenwerte, keine Rede sein. 387 Vgl. zu der Entstehungsgeschichte dieses niedrigeren finanziellen Aufgreifkriteriums in der FKVO Baron, Die neuen Bestimmungen der Europäischen Fusionskontrolle, S. 579 ff.; Hirsbrunner, Die revidierte EG-Fusionskontroll-Verordnung, S. 69 ff.; Kleinmann, Die Umsatzschwellen für Zusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung, S.135 f.; Pohlmann, Die Vorschläge der Europäischen Kommission zu einer Änderung der Fusionskontrollverordnung, S. 182 ff.; sowie van Miert, Wettbewebspolitik der neuen Kommission, S. 557. 388 Vgl. zu der Frage der exterritorialen Anwendung Bardina, Zakon o konkurencii – gde granicy primenenija?, S. 28 f.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
143
35% auf einem Gütermarkt innehaben.389 Dadurch soll eine Transparenz der Marktkonzentrationen erreicht werden.390 Umgangssprachlich wird für dieses Register auch die Bezeichnung „Monopolregister“ verwendet. Bis 1996 wurde tatsächlich ein Monopolregister geführt, in das Unternehmen eingetragen wurden, die auf einem Gütermarkt die einzigen Anbieter waren. Anhand der Anzahl der Eintragungen in diesem Register, die kontinuierlich abnahmen, wurde die Privatisierung und Einführung wettbewerblicher Strukturen beobachtet. Da Anknüpfungspunkt der russischen Fusionskontrolle jedoch die marktbeherrschende Stellung ist, die gemäß Art. 4 WG erst ab einem Marktanteil von 35% angenommen werden kann, wurde 1996 das Register der Unternehmen von Marktanteilen über 35% geschaffen. Das ehemalige Monopolregister wurde gleichzeitig aufgehoben. Indem die Eintragung im Register ein alternatives finanzielles Aufgreifkriterium ist, dient der Marktanteil unmittelbar als Aufgreifkriterium. Damit werden Aufgreif- und Eingreifkriterien in der russischen Fusionskontrolle ebenso vermengt wie in der deutschen Fusionskontrolle beim Begriff der Begründung eines wettbewerblich erheblichen Einflusses gemäß § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB. 3. Verschmelzung (Art. 17 Abs. 1 und Abs. 5, 4. Alt. WG) und der Sonderfall der Verschmelzung mehrerer staatlicher Unternehmen Gemäß Art. 17 Abs. 1 und Abs. 5, 4. Alt. WG391 unterfallen der Fusionskontrolle Fusionen von Unternehmen mit einem bilanzierten Gesamtvermögen von mindestens 100.000 monatlichen Minimaleinkommen, d.h. 10 Millionen Rubel. Fusionen von Unternehmen mit einem bilanzierten Gesamtvermögen zwischen 100 und 200 Tausend monatlichen Minimaleinkommen sind (nachträglich) anzeigepflichtig. Fusionen von Unternehmen mit einem bilanzierten Gesamtvermögen über 200.000 monatlichen Minimaleinkommen sind (vorher) genehmigungspflichtig. Eine Fusion im Sinne von Art. 17 Abs. 1, Abs. 5, 4. Alt. WG bezeichnet die Verschmelzung von zwei Gesellschaften in eine neue Rechtsperson (slijanie) sowie die Verschmelzung durch Aufnahme (prisoedinenie). Diese Begriffe werden in Art. 16 und 17 des Gesetzes über Aktiengesellschaften392 definiert.
__________ 389 Am 1. Januar 2002 waren in dem Register nach Angaben des Antimonopolministeriums (Doklad o konkurentnoj politike 1999-2001, S. 43) 6852 Unternehmen eingetragen. 390 Nach Klejn, Antimonopol’noje Zakonodatel’stvo i Zakonodatel’stvo o ectectvennych monopolijach, S. 45, erhoffen sich die russischen Wettbewerbsbehörden von diesem Register eine Erleichterung ihrer Arbeit. 391 Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 WG a.F. 392 Bundesgesetz der Russischen Föderation Nr. 208-95 „Über die Aktiengesellschaften“ vom 24. November 1995, das am 1. Januar 1996 in Kraft trat.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Sie sind entsprechend auf andere Rechtsformen anzuwenden. Entscheidend für das Aufgreifkriterium der Fusion nach Art. 17 Abs. 1, Abs. 5 WG ist somit der Verlust der Rechtspersönlichkeit zumindest eines beteiligten Unternehmens. Die Fusion i.S.v. Art. 17 Abs. 1, Abs. 5, 4. Alt. WG entspricht damit der Fusion i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. a FKVO. In Deutschland werden Fusionen durch den Vermögenserwerb nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB aufgegriffen. Eine Fusion i.S.v. Art. 17 Abs. 1, Abs. 5, 4. Alt. WG liegt auch in der Verschmelzung mehrerer Unternehmen, die alle bereits zu 100% in staatlicher Hand liegen. Diese Auffassung vertrat das russische Antimonopolministerium in Verbindung mit den Kühldepots der russischen Eisenbahn.393 Nachdem auf Grundlage eines Erlasses des russischen Verkehrsministeriums im Jahre 1998 alle Kühlwagen der staatlichen russischen Eisenbahn ausgegliedert und auf Einzelunternehmen übertragen worden waren, an denen der Staat 100% der Anteile hielt, wurden alle diese Unternehmen kurze Zeit später wieder zu einem Unternehmen, der Refserviz MPS, miteinander verschmolzen. Dies geschah, ohne dass eine vorherige Genehmigung gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 WG a.F. durch das Antimonopolministerium beantragt worden war. Eine solche hielt das Antimonopolministerium für erforderlich, weil Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 WG a.F. als Voraussetzung für die Genehmigungspflicht Verschmelzungen nennt, ohne dass der Wortlaut irgendeine Einschränkung bei staatlicher Inhaberschaft oder bei Identität der Inhaber der zu verschmelzenden Gesellschaften enthielte. Das Antimonopolministerium forderte das Verkehrsministerium deshalb auf, zu erklären, aus welchem Grund diese Genehmigung nicht beantragt worden war. Ohne jegliche Begründung reichte das Verkehrsministerium daraufhin ein Genehmigungsersuchen ein. Dieses lehnte das Antimonopolministerium ab und ordnete die Aufspaltung in zwei unterschiedliche Unternehmen an.394 Diese Anordnung wurde ausgeführt. Aus reinen Marktmachterwägungen heraus überzeugt das weite Verständnis des Antimonopolministeriums vom Begriff der „Verschmelzung“ zunächst nicht. Liegen 100% der Anteile mehrerer Unternehmens in einer Hand, spielt es im Hinblick auf die reine Marktkonzentration – zumindest nach herkömmlicher Betrachtung – keine Rolle, ob diese Unternehmen miteinander verschmolzen werden. Dennoch ist die sehr formale Betrachtung des Antimonopolministeriums, die alleine auf den Begriff der Verschmelzung abstellt, zu begrüßen. Aus wettbewerblicher Perspektive395 ist die Existenz mehrerer Unternehmen, an
__________ 393 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 23-25. 394 Rechtsgrundlage hierfür war eine Wiederherstellungsanordnung gemäß Art. 17 Abs. 6 WG a.F.; vgl. hierzu unten VI. 2. f). 395 Ob betriebswirtschaftlich aufgrund von economies of scale die Existenz eines Unternehmens oder aufgrund von X-Ineffizienzen mehrerer Unternehmen sinnvoller ist, spielt für die wettbewerbliche Perspektive dagegen keine Rolle.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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denen ein identischer Gesellschafter jeweils 100% der Anteile hält, gegenüber der Existenz nur eines Unternehmens auf demselben Markt zu bevorzugen. So erscheint es möglich, dass verschiedene Unternehmen trotz Identität des alleinigen Gesellschafters miteinander tatsächlich im Wettbewerb stehen. Dies kann durch entsprechende Trennung und bewusstes Unterbrechen des Informationsflusses zwischen den beiden Gesellschaften, sog. „Chinese walls,“ veranlasst sein. Es kann aber auch die Folge fehlender Koordination zwischen den verschiedenen staatlichen, jedoch privatrechtlich organisierten Unternehmen sein, da deren Geschäftsführer und Vorstände in Russland oft sehr unabhängig agieren. Darüber hinaus spricht für ein weites Verständnis des „Verschmelzungs“Begriffes aber auch die Praktikabilität einer Auflösungsanordnung im Falle des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung und damit die Durchführbarkeit der Missbrauchskontrolle. Art. 19 WG sieht als Sanktion des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung die Möglichkeit einer wettbewerbsbehördlichen Entflechtungsanordnung vor. Eine „Entflechtung“ mehrerer Unternehmen desselben Anteilsinhabers ist jedoch wesentlich einfacher durchzuführen als die tatsächliche Entflechtung eines Unternehmens. Im ersten Fall müssen lediglich die Anteile an einem oder einigen Unternehmen veräußert werden, während im Falle einer echten Entflechtung zunächst die tatsächliche Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Teilunternehmen angeordnet werden muss. Deren Durchführung kann erhebliche praktische Schwierigkeiten verursachen und einige Zeit in Anspruch nehmen. Auch die in Russland besonders enge Beziehung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle sprechen deshalb für ein weites Verständnis des „Verschmelzungs“-Begriffes. 4. Die Gründung von (Gemeinschafts-)unternehmen gemäß Art. 17 Abs. 5, 3. Alt. WG Gemäß Art. 17 Abs. 5, 3. Alt WG n.F.396 müssen die Gründer (uþrediteli) eines Unternehmens, deren addierte Bilanzsummen (summarnaja stoimost’ aktivov uþreditelej) mehr als 200.000 Minimaleinkommen betragen, diese Gründung notifizieren, d.h. innerhalb von 45 Tagen nach Gründung der Wettbewerbsbehörde mitteilen. Ein vorheriges obligatorisches Anmeldeverfahren wird für Unternehmensgründungen in Art. 18 Abs. 1 S. 2 WG ausdrücklich ausgeschlossen.397 Nach dem Verständnis des Antimonopolministeriums bezieht sich die Notifizierungspflicht auf jede Unternehmensgründung – die Erfüllung der finanziellen Schwellenwerte vorausgesetzt.398
__________ 396
Art. 17 Abs. 4 S. 1, 1. Alt. WG a.F. Sie ergibt sich auch nicht konkludent aus der ungeschickten Formulierung des Art. 17 Abs. 9 WG. Eine fakultative vorherige Anmeldung ist dagegen gemäß Art. 17 Abs. 8 WG möglich. 398 Antimonopolministeriums, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 3: „Die russische Fusionskontrolle ist unabhängig davon, 397
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Im Gegensatz zum Gesetzeswortlaut bis zur Novelle 1995, nach dem jede Gründung eines Unternehmens, dessen Grundkapital 50 Millionen Rubel überstieg, der vorherigen Zustimmung der Wettbewerbsbehörden bedurfte,399 ist der Wortlaut von Art. 17 Abs. 5, 3. Alt. WG n.F. bzw. Art. 17 Abs. 4 S. 1, 1. Alt WG a.F. nicht so eindeutig. Er könnte sich auch nur auf die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen, d.h. die Gründung eines Unternehmens durch mindestens zwei Gründer, beziehen.400 Dafür, dass der Bedeutungsgehalt des in Art. 17 Abs. 5, 3. Alt. WG n.F. im Plural verwendeten Begriffs der „Gründer“ (uþrediteli) sich nicht auch auf einen Gründer beziehen kann, spricht im Übrigen die Ergänzung in Klammern durch den Begriff der Teilnehmer (uþastniki). Darüber hinaus hätte andernfalls der Begriff der „addierten Bilanzsummen der Gründer“ (summarnaja stoimost’ aktivov uþreditelej) insoweit keine Bedeutung. Entscheidend ist jedoch, dass eine Notifizierungspflicht für alle Unternehmensgründungen jeglichen Sinns entbehrt. Der Eintritt eines neuen Unternehmens auf einem Markt dekonzentriert die Marktstruktur und hat deshalb grundsätzlich positive wettbewerbliche Folgen. Anderes kann lediglich bei der Gründung von Gemeinschaftsunternehmen durch zwei Wettbewerber gelten, soweit diese ihre beiden Aktivitäten auf einem Markt in ein Unternehmen zusammenlegen. Deshalb ist es sinnvoll – wie in der europäischen und deutschen Fusionskontrolle – die Gründung derartiger „konzentrativer“ Gemeinschaftsunternehmen401 im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle zu prüfen. Eine Unterscheidung zwischen kooperativen und konzentrativen Gemeinschaftsunternehmen – ähnlich dem deutschen oder europäischen Recht – ist Art. 17 Abs. 5, 3. Alt. WG n.F. nicht zu entnehmen. Damit unterliegt die Gründung jeglicher Gemeinschaftsunternehmen – die Erfüllung der finanziellen Schwellenwerte vorausgesetzt – der Fusionskontrolle. Soweit – der Sache nach – rein kooperative Gemeinschaftsunternehmen der Fusionskontrolle nach Art. 17 WG unterliegen, dient dies ausschließlich der Verhaltenskontrolle, d.h. der Kontrolle, ob __________ wieviele Gründer ein Unternehmen hat, anzuwenden“. Hieraus könnte auch zu folgern sein, dass die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens auch bei einer sehr großen Anzahl von Gründern anzeigepflichtig ist, obgleich die kartellrechtlichen Gefahren mit wachsender Anzahl der Teilnehmer abnehmen (vgl. hierzu die Ausführungen zum Oligopol in § 4). Persönliche Anfragen beim Antimonopolministerium ergaben jedoch, dass dies nicht das Verständnis des Ministeriums ist. 399 Vgl. Art. 17 Ziff. 2 WG a.F. (bis 1995): Gründung von Vereinigungen im Sinne von Art. 13 Unternehmensgesetz. 400 Vgl. auch Krüßmann, Zur Novelle des russischen Antimonopolgesetzes, S. 230: „Mit dieser Neufassung hat der Gesetzgeber eine deutliche Verlagerung des Schwerpunktes von der Gründungs- auf die Zusammenschlusskontrolle vorgenommen.“ Missverständlich wäre dann Hölzer/Lenga, Russian Antimonopoly Law: „Under a system of notification after consummation of the merger or reorganisation, Art. 17 (4) WG provides the following „(...) in the case of formation of a new commercial organisation the founder‘s total assets exceed 100.000 times the monthly minimum wage (...).“ Hier müsste es „the founders‘ total assets (...)“ heißen. 401 Vgl. hierzu oben § 4 II. 2. e).
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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das durch Art. 6 WG begründete Kartellverbot eingehalten wird. Ein zusätzliches wettbewerbspolitisches Informationsbedürfnis über die Gründung alleiniger Tochterunternehmen eines anderen Unternehmens besteht dagegen nicht.402 Soweit eine Notifizierungspflicht von Unternehmensgründungen dem Informationsbedürfnis der Wettbewerbsbehörde über die Existenz von Gesellschaften dienen soll, könnte dieses gegebenenfalls auch durch eine Nachfrage beim Unternehmensregister erfüllt werden. Es ist im Übrigen nicht ersichtlich, dass die Wettbewerbsbehörde durch die Notifizierung der Gründung eines neuen Unternehmens eher dessen wettbewerbsfeindliche Verhaltensweisen bemerken würden. Eine diesbezügliche Kenntnis würde die Wettbewerbsbehörde ohnehin nur durch eine intensivere Marktanalyse oder Mitteilung von Wettbewerbern bzw. der Marktgegenseite erfahren. Soweit durch eine allgemeine Notifizierungspflicht eine umfassende Strukturkontrolle bewirkt werden soll, müsste konsequenterweise auch das interne Wachstum von Unternehmen kontrolliert werden. Im Hinblick auf die Marktstruktur ist es unerheblich, ob ein Unternehmen eigenständig einen Geschäftsbereich aufbaut oder ein Tochterunternehmen gründet. Es wurde bereits gezeigt, dass die Kontrolle inneren Wachstums unter keinen Umständen wünschenswert403 und praktisch auch nicht durchsetzbar ist. Gegenstand der Fusionskontrolle kann allein der externe Ressourcenzuwachs sein.404 5. Der Erwerb von Anteilen (Art. 18 Abs. 1, 1. Alt. WG) – das Problem der Bestimmung einer erwerbenden „Personengruppe“ Ebenfalls der Zusammenschlusskontrolle unterfällt gemäß Art. 18 Abs. 1 WG der Erwerb von stimmberechtigten Anteilen an einem Unternehmen, soweit die erwerbende Person/Gruppe von Personen dadurch 20% der stimmberechtigten Anteile erhält. Die Anteilsschwelle ist damit – ähnlich der deutschen Anteilsschwelle von 25% nach § 37 Abs. 1 Nr. 3 GWB – fix. Sie steht somit im Gegensatz zur europäischen (und neuen deutschen) „Kontroll-Schwelle“ nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO bzw. § 37 Abs. 1 Nr. 2 GWB, deren Überschreiten bei jedem Zusammenschlussvorhaben individuell zu prüfen ist, im Einzelfall von der Kommission – bei einer hohen Streuung der Anteile – aber auch bereits
__________ 402
Das Antimonopolministerium bezeichnet es in seinem Tätigkeitsbericht für die Jahre 19992001 als eine „Haupttendenz" der Entwicklung wirtschaftlicher Konzentrationen, dass auf vielen Märkten die Anzahl der tätigen Unternehmen (Gesellschaften) aufgund einer Auslagerung von (Teil-)Geschäftsbereichen in Tochterunternehmen steige. Dies habe jedoch keine Dekonzentration zur Folge (Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii, S. 34). Aus welchen Gründen heraus dieser Aspekt wesentlich sein soll, ist unklar: Ein Informationsinteresse folgt aus dieser Tendenz gerade nicht, weil eine solche Auslagerung in neu gegründete Tochtergesellschaften für die Marktstruktur in der Tat irrelevant ist. 403 Vgl. oben § 3 II. 2. 404 So auch (in allerdings anderem Zusammenhang) Schultz/Wagemann, Kartellrechtspraxis und Kartellrechtsprechung 1998/1999, Rz. 218.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
bei 25,96% angenommen wurde,405 oder der Auffangklausel des § 37 Abs. 1 Nr. 4 GWB, nach der auch ein Anteilserwerb von weniger als 25% anmeldepflichtig sein kann. Im Gegensatz zur europäischen Regelung nach Art. 3 Abs. 1 lit. b i.V.m. Abs. 2 FKVO bestimmt Art. 18 Abs. 1 WG ausdrücklich, dass sein Anwendungsbereich nicht die Gründung einer Gesellschaft durch mehrere Personen umfasst. Diese unterliegen nur der nachträglichen Notifizierungspflicht nach Art. 17 Abs. 5, 3. Alt. WG.406 Nach Auffassung des Antimonopolministeriums407 unterliegt der Zusammenschlusskontrolle gemäß Art. 18 Abs. 1 auch der zusätzliche Erwerb von Anteilen an einem Unternehmen durch eine Person, die bereits vor dem Erwerb mehr als 20% der stimmberechtigten Anteile hielt und durch den Erwerb keine Mehrheit erlangt. Diese Rechtsauffassung wurde vom Rostower Handelsgericht im Verfahren Rostower regionale Wettbewerbsbehörde/OAO FPK Jugmebel’ bestätigt.408 Das Verfahren hatte ein Bußgeld wegen unterlassener Anmeldung des Erwerbs von Anteilen an AOOT Rostomebel’ zum Gegenstand, an der OAO FPK Jugmebel’ bereits mehr als 20% Anteile hielt. Das Gericht bestätigte das Bußgeld. Es ließ nicht einmal den Einwand der OAO FPK Jugmebel’ gelten, die Pflicht zur erneuten Anmeldung habe ihr nicht bekannt sein müssen. Diese Auffassung des Rostower Handelsgerichts überzeugt nicht. Sie steht im Widerspruch zum Wortlaut von Art. 18 Abs. 1, 1. Alt. WG. Derjenige, der durch einen Erwerb 20% der Anteile erhält, hat diese vor dem Erwerb noch nicht. Abgesehen von der – milde ausgedrückt – Fragwürdigkeit einer die mögliche Bedeutung des Wortlauts überschreitenden Auslegung zulasten des Bürgers bzw. von Unternehmen, ist eine solche weite Auslegung im vorliegenden Fall aber auch nicht sachgerecht. Wettbewerblich entscheidend wird ein zusätzlicher Anteilserwerb durch einen Gesellschafter, der bereits über mehr als 20% der stimmberechtigten Anteile verfügt, erst wieder bei Überschreiten der 50%Marke, bzw. bei deren Annäherung, falls einige kleinere Minderheitsgesellschafter üblicherweise ihr Stimmrecht nicht nutzen. Dieses Verständnis entspricht auch der Auslegung des Begriffes „Kontrollerwerb“ durch die EUKommission.409 Nichtsdestotrotz wird das Verständnis der russischen Wettbewerbsbehörden und des Rostower Handelsgerichts auch vom Höchsten Russischen Handelsgericht geteilt. In Artikel 22 seines Informationsbriefes Nr. 32
__________ 405 Kommission, Entscheidung vom 31.7.1995, Sache IV/M.613, WuW 1995, 1008 (SGB/General de Banque). 406 Nach der im vorigen Abschnitt abgelehnten Auffassung des Antimonopolministeriums gilt dies auch für die Gründung durch allein eine Muttergesellschaft. 407 So die damalige Abteilungsleiterin der Zusammenschlusskontrolle, Kirjuškina in einem Gespräch mit dem Autor im September 1999. 408 Entscheidung vom 27. Januar 1997; zitiert nach Kostjuk, Struktura Narušenij Zakona RSFSR „O Konkurencii…“, S. 37 f. 409 Vgl. hierzu Kommission, Entscheidung vom 28.11.1990, ABl. 1990 C 304/27,WuW/E EV 1551 (ICI/Tioxide).
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stellt es fest, dass eine Anmeldepflicht auch für Anteilserwerber bestehe, die bereits mehr als 20% der Anteile an einem Unternehmen halten.410 Wenngleich dem inhaltlich nicht gefolgt werden kann, muss dieses Verständnis in der Rechtsanwendung in Russland somit zumindest beachtet werden. Der Anteilserwerb im Sinne des russischen Wettbewerbsgesetzes kann auch durch eine „Personengruppe“ erfolgen. Dieser Begriff wird im russischen Wettbewerbsrecht sehr weit verstanden. Eine Definition des Begriffes enthält Art. 4 WG. Danach gehören zu einer Personengruppe im Sinne des WG insbesondere alle juristischen Personen, die entweder über mehr als 20% der Stimmrechte aneinander verfügen oder deren stimmberechtigten Anteile zu jeweils mehr als 20% von einer anderen juristischen oder natürlichen Person oder Personengruppe gehalten werden. Dasselbe gilt, wenn sie auf andere Weise in der Lage sind, die Geschäftspolitik oder die Bestellung von mehr als 50% der Organe des anderen Unternehmens zu bestimmen, bzw. ihre Geschäftspolitik von einer anderen Person oder die mehrerer Unternehmen von einer identischen anderen Person bestimmt wird. Hinzugerechnet werden Organmitglieder von Unternehmen, die einer solchen Personengruppe angehören, sowie die unmittelbaren Verwandten oder Verschwägerten natürlicher Personen, die einer Personengruppe angehören. Auch durch Stimmbindungsgemeinschaften oder abgestimmte Verhaltensweisen im Hinblick auf eine Gesellschaft kann eine Mitgliedschaft zu einer Personengruppe begründet werden. Dies gilt jedoch nur, soweit eine solche Personengruppe gemeinsam mindestens 50% der Stimmrechte der Gesellschaft innehat und/oder ausübt. Eine Stimmbindung im Hinblick auf gemeinsam gehaltene 40% der Stimmrechte an einem anderen Unternehmen reicht gemäß dem Wortlaut der Definition in Art 4 WG deshalb nicht für die Begründung einer Personengruppe aus. Diese Regelung ist inkonsistent mit dem Umstand, dass bereits ein Erwerb von 20% der Anteile an einem Unternehmen durch eine Person oder Personengruppe anmelde- bzw. anzeigepflichtig ist. Erscheint es zweifelhaft, bei Verwandten grundsätzlich von gleichgelagerten Interessen und deshalb gleichgerichteter Stimmrechtsausübung auszugehen, so sollte die Gleichlagerung der Interessen bei einer Stimmbindungsgemeinschaft wesentlich offensichtlicher sein. Deren Mitglieder verpflichten sich gerade gegenseitig zu einer gemeinsamen Stimmausübung. Dem Antimonopolministerium ist – soweit ersichtlich – diese Inkonsistenz der Definition der Personengruppe mit den Aufgreifkriterien nicht bewusst. Dabei scheint es jedoch trotz der im Übrigen sehr weiten Definition der Personengruppe diese bisweilen sogar in Fällen anzunehmen, in denen
__________ 410 Präsidium des Höchsten Handelsgerichts der Russischen Föderation, Informationsbrief Nr. 32 vom 30. März 1998.
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der Wortlaut der Definition nicht erfüllt ist. So nahm das Ministerium im Zusammenhang mit dem Zusammenschlussvorhaben OAO Verchnesaldinskoe Metallurgiþeskoe Proisvodstvennoe Ob’’edinenie (VSMPO)/OAO Avismar411 die Zugehörigkeit zu einer Gruppe für zwei zypriotische Unternehmen an, von denen lediglich bekannt war, dass sie unter derselben zypriotischen Adresse registriert waren.412 Die angebliche Klarheit des Bedeutungsgehalts des Begriffs der Personengruppe,413 die durch die Legaldefinition erreicht worden sein soll, entspricht somit nicht der Entscheidungspraxis des Antimonopolministeriums.414 Allerdings kennt die russische Zusammenschlusskontrolle keine „Oligopolmacht“, so dass paralleles Verhalten voneinander unabhängiger Unternehmen, das in der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle als „Oligopolmacht“ im Rahmen der „Marktbeherrschung“ berücksichtigt wird,415 im russischen Recht nur durch die „Personengruppe“ – durch das Kriterium der Beeinflussung der Geschäftspolitik – aufgegriffen werden kann. Im Hinblick auf Transparenz und Rechtssicherheit ist es jedoch zu beklagen, wenn alleine der Umstand einer identischen Adresse die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Personen begründet, ohne dass Anteilsverhältnisse – oder im Falle eines Oligopols – parallele Verhaltensweisen untersucht und nachgewiesen werden. Umgekehrt hat das Antimonopolministerium jedoch Schwierigkeiten zu überwinden, die westliche Wettbewerbsbehörden nicht in diesem Ausmaß kennen. So stellte das Antimonopolministerium ebenfalls in dem Zusammenschlussvorhaben VSMPO/OAO Avismar fest, dass zwei andere in Zypern registrierte Unternehmen 12 bzw. 25% der Anteile an VSMPO hielten. Beide zypriotische Unternehmen waren 100%ige Tochtergesellschaften einer anderen Gesellschaft, der österreichischen CAIB Investment Bank AG. Die beiden zypriotischen Gesellschaften bildeten deshalb auch nach der genannten Definition eine Personengruppe. Ihr Erwerb von Anteilen an VSMPO hätte folglich angemeldet werden müssen. Der Umstand, dass dies pflichtwidrig unterlassen worden war, stellte das Antimonopolministerium aber eben nur zufällig fest, als es sich mit
__________ 411
Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 25-27; vgl. zu diesem Zusammenschluss auch unten III. 1. c) (6). 412 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 27. 413 Von einer solchen Klarheit der Legaldefinition der „Personengruppe“ in Art. 4 WG sprechen beispielsweise Burmistrova/Martijnenko, Pravovye osnovy, S. 27. 414 Die Staatssekretärin im Antimonopolministerium, Fonarjova, bezeichnet die Auslegung des Begriffs der Personengruppe durch das Antimonopolministerium auch selber als sehr weit. Ein solche weites Verständnis sei jedoch, wie praktische Erfahrungen zeigten, erforderlich, um den vielschichtigen engen Verbindungen zwischen Unternehmen gerecht zu werden. Vgl. Fonarjova, „O konkurentnoj politike Rossijskoj Federacii v 1997-1998 godach“, S. 20. 415 Vgl. hierzu oben § 4 III. 3. k).
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
151
dem Anteilserwerbsvorhaben der VSMPO an Avismar beschäftigte. In diesem Fall zeigt sich ein Hauptproblem der Arbeit des Antimonopolministeriums: die Gewährleistung der Kontrolldichte, d.h. Einhaltung der Anmelde- und Notifizierungspflichten durch alle verpflichteten Unternehmen unter zutreffender Sachverhaltsangabe. Oft werden beispielsweise Zusammenschlussvorhaben angemeldet bzw. notifiziert, ohne dass der gesamte erhebliche Sachverhalt mitgeteilt wird. Insbesondere versuchen Gesellschafter in vielen Fällen, die Beteiligungsverhältnisse oder die Existenz von Stimmbindungsgemeinschaften/Poolverträgen zu verdecken. Ein Beispiel hierfür ist die Anmeldung eines geplanten Anteilserwerb von insgesamt 33% an der Fluggesellschaft Transaero.416 In der Anmeldung verschwiegen die anmeldenden Unternehmen,417 dass enge Mehrheitsbeteiligungsverhältnisse und entsprechende Stimmbindungsgemeinschaften zwischen ihnen und einigen Gesellschaftern der Transaero bestanden. Dieser Sachverhalt wurde erst infolge einer Klage eines Minderheitsgesellschafters ermittelt. Die Freigabeentscheidung wurde letztlich gerichtlich aufgehoben.418 Eine vergleichbare Situation war Gegenstand eines Verfahrens gegen die Bank KB Rossijskij Kredit. Die Bank hatte etwas weniger als 20% der stimmberechtigten Anteile an den Aktiengesellschaften Michajlovskij GOK, Lebedinskij GOK und Stojlenskij GOK erworben.419 Neben der Bank KB Rossijskij Kredit hatten an den in der Erzgewinnung tätigen Gesellschaften jedoch auch Tochterunternehmen der KB Rossijskij Kredit, sowie Unternehmen, die von Mitarbeitern der KB Rossijskij Kredit gegründet worden waren, Anteile erworben. Da sie alle eine Personengruppe gemäß Art. 4 WG bildeten, wäre der Anteilserwerb anmeldepflichtig gewesen. Im Rahmen weiterer Untersuchungen des Antimonopolministeriums bezüglich der Verflechtungen der KB Rossijskij Kredit stellte es fest, dass die Bank auch Unternehmen im Ausland gegründet hatte, die keinerlei eigenen Geschäftsbetrieb hatten und nur zum Zwecke der „Verschleierung von Unternehmensanteilen“420 gegründet worden waren. Das Antimonopolministerium nahm diese Ergebnisse zum Anlass, ein Gesetz zur Untersagung jeglicher wirtschaftlichen Aktivität ausländischer Unternehmen,
__________ 416
OAO Aviakompanija Transaero. Bei ihnen handelte es sich um AOST LogoVaz, SAO Borej-2, SAO Ratmir+ und SAO PrincMotors; Vgl. hierzu Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21. 418 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21; s. auch unten VI. 2. g). 419 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 22. 420 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 23. 417
3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
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deren Gesellschafter nicht vollständig bekannt sind, vorzuschlagen.421 Ein solcher Vorschlag zeigt eine gewisse Hilflosigkeit des Antimonopolministeriums, unbekannten wettbewerbsbehindernden Strukturen zu begegnen, die es insbesondere bei einer Beteiligung von Ausländern befürchtet und denen es durch einen praeter legem ausgelegten Personengruppenbegriff entgegenzutreten versucht. 6. Der Erwerb von Anlagevermögen (Art. 18 Abs. 1, 2. Alt. WG) Der Erwerb wesentlichen Anlagevermögens oder geistigen Eigentums (osnovnych proisvodstvennych sredstv ili nematerialnych aktivov) (im Folgenden Assets) eines Unternehmens kann gemäß Art. 18 Abs. 1, 2. Alt WG ebenfalls der Zusammenschlusskontrolle unterfallen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Erwerber ebenfalls ein Unternehmen ist oder bereits Anteile an einem solchen hält.422 Der bilanzierte Wert der übertragenen oder zu übertragenden Vermögenswerte muss im Übrigen mehr als 10% des gesamten Buchwertes der Vermögensgegenstände des übertragenden Unternehmens ausmachen. Ein solch niedriger Anteil liegt deutlich unter der Schwelle des Vermögenserwerbs nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO, der den Kontrollerwerb voraussetzt, oder des § 37 Abs. 1 Nr. 1 GWB, der einen Vermögenserwerb zu einem wesentlichen Teil voraussetzt. Nicht verständlich ist, aus welchem Grund bei einem Erwerb von Vermögenswerten in Russland bereits ein Anteil von 10% für das Vorliegen eines Aufgreifkriteriums ausreicht, bei einem Erwerb von Gesellschaftsanteilen dies dagegen erst ab 20% der Fall ist. Eine diesbezüglich einheitliche Regelung wäre sachgerecht. Weiteres finanzielles Aufgreifkriterium ist – ebenso wie beim Anteilserwerb – gemäß Art. 18 Abs. 6 WG eine Mindestsumme der addierten bilanzierten Vermögenswerte der beteiligten Unternehmen von mindestens 100.000 Minimaleinkommen. Übersteigen die addierten bilanzierten Vermögenswerte der beteiligten Unternehmen 200.000 monatliche Minimaleinkommen oder ist ein beteiligtes Unternehmen im Register423 eingetragen, ist der Asseterwerb gemäß Art. 18 Abs. 2 WG vor Durchführung anmeldepflichtig.
__________ 421 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 23; vgl. hierzu unten § 6 III. 2. („Xenophobie als Leitmotiv der russischen Zusammenschlusskontrolle ?“). 422 Der Immobilienerwerb von einem Unternehmen durch eine Privatperson unterfällt deshalb nicht der Zusammenschlusskontrolle. Der Umstand, dass ein Immobilienerwerb durch ein Unternehmen leicht der Zustimmungspflicht der Wettbewebsbehörde unterfallen kann, ist ohnehin erstaunlich. Vgl. hierzu auch Kolomijþenko/Lukjanova, Rynok nedvižymosti v svete antimonopol’nych pravil, S. 3. 423 Vgl. oben 2.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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7. Sonstiger Erwerb von Rechten, die einen entscheidenden Einfluss auf die Unternehmenspolitik einer Gesellschaft vermitteln (Art. 18 Abs. 1, 3. Alt. WG) Eine Auffangklausel beinhaltet Artikel 18 Abs. 1, 3. Alt. WG, der die Anzeige- bzw. Genehmigungspflichtigkeit (bei addierten Bilanzsummen von mehr als 100.000 bzw. 200.000 Minimaleinkommen oder Eintragung eines beteiligten Unternehmens im Register) von Rechten bestimmt, die einen entscheidenden Einfluss auf die Geschäftspolitik einer Gesellschaft vermitteln. Durch diese Klausel sollen Konstellationen erfasst werden, in denen Personen oder Personengruppen selbst keine oder nur wenige Anteile an einem Unternehmen halten, mittels Vereinbarungen mit den Anteilsinhabern jedoch deren Stimmrechte ausüben können. Hierbei handelt es sich insbesondere um Fälle treuhänderischer Anteilsinhaberschaft. 8. Die Gründung, Verschmelzung und Übernahme von Interessenverbänden im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 WG a.F. bzw. Art. 17 Abs. 5, 1. Alt. WG n.F. – die präventive Kartellaufsicht Gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 1 WG a.F. war die Gründung, Verschmelzung und der Beitritt von bzw. zu Vereinigungen (ob’’edinenie) von Unternehmen (kommerþeskych organizaciej) genehmigungspflichtig. Unter Vereinigungen von Unternehmen waren nicht Konglomerate (im Sinne von Konzernen, die der Kontrolle nach Art. 18 unterliegen, da sie nur durch Anteilserwerb entstehen können) oder sog. finanzindustrielle Gruppen424 zu verstehen.425 Vielmehr handelte es sich bei ihnen alleine um Unternehmensvereinigungen im Sinne von Interessenverbänden.426 Der Begriff der Unternehmensvereinigung wurde durch die Begriffe Unionen und Assoziationen erläutert, die in Art. 121 Abs.1 UAbs. 1 ZGB als nichtkommerziell (d.h. nichtgewerblich) definiert werden. Als mögliche Zwecke solcher Vereinigung nennt Art. 121 Abs.1 UAbs. 1 ZGB die Koordinierung unternehmerischer Tätigkeiten sowie die Vertretung und den Schutz gemeinsamer vermögensbezogener Interessen. Die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit durch die Assoziation oder Union als Hauptgesell-
__________ 424 Hierbei handelt es sich um Verbindungen verbundener Unternehmen, die denen einer Organschaft nach dem deutschen Körperschafts- oder Gewerbesteuergesetz ähneln. Vgl. hierzu unten III. 3. h). 425 A.A. Olschewski/v. Wistinghausen, Wettbewerbsrecht, Grundzüge des Kartell- und Wettbewerbsrechts der russischen Föderation, Rz. 41. 426 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 46: „Die Antimonopolorgane führen auch eine vorherige Kontrolle der Bildung von Vereinigungen von Unternehmen (Unionen und Assoziationen), die mit dem Ziel der Koordinierung der unternehmerischen Tätigkeiten ihrer Mitglieder geschaffen werden, durch. Vgl. auch Krüßmann, Privatisierung und Umstrukturierung in Russland, S. 540.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
schaftszweck setzt deren Umwandlung in eine andere Gesellschaftsform voraus.427 Durch die Novelle des WG vom 9. Oktober 2002 wurde das Aufgreifkriterium noch ein wenig deutlicher gefasst. Inzwischen wird durch Art. 17 Abs. 5, 1 Alt. WG n.F. klargestellt, dass es sich auf die Gründung, Verschmelzung und Aufnahme nichtwirtschaftlicher Organisationen (Assoziationen, Unionen und nichtgewerblicher Partnerschaften) – sozdanije, slijanie, prisoedinenie nekommerþeskych organizacij (associacij, sojuzov, nekommerþeskych partnerstv) – bezieht. Diese sind nun nicht mehr anmelde-, d.h. genehmigungspflichtig, sondern unterliegen nur noch dem Notifizierungsverfahren. Zweck dieses Aufgreifkriteriums ist die Erleichterung der Verhaltenskontrolle, d.h. der Kartellaufsicht,428 die außerhalb des Verfahrens der Art. 17 und 18 WG keine präventiven Mittel kennt.429 Im Rahmen des Antrags auf Genehmigung der Bildung von Verbänden im Sinne von Art. 17 Abs. 5, 1. Alt. WG müssen die beteiligten Unternehmen detailliert angeben, welches Ziel ihre Vereinigung verfolgen soll. Das Antimonopolministerium prüft, ob im Rahmen des Verbandes wettbewerbsbehindernde Vereinbarungen getroffen werden können. Vereinigungen, deren offensichtliches Ziel der Abschluss wettbewerbswidriger Vereinbarungen ist, werden untersagt.430 Die Gefahr wettbewerbsbehindernder Vereinbarungen bejaht das Antimonopolministerium regelmäßig bei Vereinigungen zwischen Wettbewerbern und ihren Händlern.431 Deren Gründung genehmigt sie deshalb in der Regel nur unter der Auflage,432 keine wettbewerbsbehindernden Vereinbarungen zu treffen. Solche Vereinbarungen sind allerdings schon gemäß Art. 6 WG unzulässig und – zivilrechtlich – unwirksam. Unabhängig von der Existenz von
__________ 427
Art. 121 Abs. 1 UAbs. 2 ZGB. Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 46: „Hauptziel dieser Kontrolle ist die Verhinderung von im Rahmen der Unternehmensvereinigungen erleichterter Möglichkeiten des Abschlusses gesetzeswidriger Kartellvereinbarungen.“ (Übersetzung durch den Autor). 429 Die Kartellaufsicht in Art. 6 WG begründet ebenso wie die Missbrauchsaufsicht in Art. 5 WG nur materielle gesetzliche Verbote, repressive – von der Wettbewerbsbehörde gerichtlich zu beantragende – Mittel im Falle eines Verstoßes gegen diese Verbote und seit 2002 eine Ermächtigungsgrundlage für Befreiungen von den gesetzlichen Verboten durch die Wettbewerbsbehörden. 430 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 46. 431 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 46 zu Art. 17 Abs. 1, 1. Alt. WG a.F. 432 Das Antimonopolministerium verwendet üblicherweise den Ausdruck „Auflage, Bedingung und Zusage.“ Der Sache nach handelt es sich – in der Terminologie des VwVfG – um Auflagen, d.h. um selbständig durchsetzbare Gebote, die mit einer Genehmigung verbunden werden können und deren Erfüllung die Wirksamkeit der Genehmigung zunächst unberührt lässt. Ihre Nichterfüllung kann allerdings Grund für eine gerichtliche Unwirksamkeitserklärung der Genehmigung bilden. Vgl. hierzu unten VI. 2. f) (2). 428
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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Auflagen, können im Übrigen auch Entflechtungsanordnungen gemäß Art. 19 WG433 bereits im Falle eines mindestens zweifachen Verstoßes gegen Art. 6 WG erlassen werden. Materiellrechtlich folgt deshalb aus den Auflagen für die Beteiligten allenfalls eine erhöhte Rechtssicherheit bzw. nimmt ihnen die Möglichkeit, sich ggf. auf einen Verbotsirrtum zu berufen. Beispiel eines nur unter Auflagen genehmigten Verbandes ist der Verband der Zuckerproduzenten Russlands. Seiner Gründung wurde unter der Auflage zugestimmt, unter den Wettbewerbern innerhalb des Verbandes keine Informationen bezüglich Produktion, Absatz, Käufer, Lieferanten, Produktionskapazitäten oder Preisbildung auszutauschen, es sei denn, diese wären auch öffentlich zugängig. Die Gründer des Verbandes stimmten diesen Auflagen zu.434 Inwieweit diese Auflagen befolgt werden, ist allerdings nicht bekannt. 9. Annahme von Organfunktionen in verschiedenen Unternehmen (Art. 18 Abs. 6 WG n.F.) Der nachträglichen Anzeigepflicht unterfällt gem. Art. 18 Abs. 6 S. 2 WG n.F.435 auch die Wahl zum Vorstands-, Geschäftsführungs-, Aufsichtsrats- oder Beiratsmitglied in einem Unternehmen, dessen bilanzierte Vermögenswerte 100.000 Minimaleinkommen übersteigen oder die im Register436 eingetragen sind. Bis zur Gesetzesnovelle vom 9. Oktober 2002 galt die Notifizierungspflicht nur für Personen, die bereits mindestens eine Organfunktion in einem anderen Unternehmen innehaben – allerdings unabhängig davon, ob die Unternehmen auf einem identischen Markt oder wenigstens ähnlichen Märkten tätig waren. In seiner alten Fassung erinnerte das Aufgreifkriterium insofern an die Empfehlung des deutschen Corporate Governance Kodex, derzufolge Aufsichtsratsmitglieder einer Gesellschaft keine Organ- oder Beratungsfunktion bei einem Wettbewerber ausüben sollen.437 Als Aufgreifkriterium einer Fusionskontrolle war das Merkmal allerdings bereits vor der Gesetzesnovelle systemfremd. In seiner jetzigen Fassung dient es ausschließlich nur noch der reinen Informationssammlung. Ob durch diese Informationen eher Kartelle oder strukturelle Verflechtungen in Erfahrung gebracht werden können, die pflichtwidrig
__________ 433
Vgl. hierzu unten VII. 2. Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 46 f. 435 Art. 18 Abs. 5 WG a.F. 436 Vgl. hierzu oben 2. 437 Deutscher Corporate Governance Kodex (in der Fassung vom 21. Mai 2003), veröffentlicht durch das Bundesministerium der Justiz im elektronischen Bundesanzeiger am 4. Juli 2003, Art. 5.4.2. 434
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nicht angemeldet oder angezeigt worden sind,438 ist sehr fraglich. So erscheint äußerst zweifelhaft, ob Organe an einem Zusammenschluss oder an Kartellen beteiligter Unternehmen, die diese nicht anmelden oder Beteiligungsverhältnisse nur unzutreffend angeben, bereit sind, ihre Organfunktionen anzuzeigen. Im Übrigen kann die jeweilige Wettbewerbsbehörde Informationen über Vorstände und Geschäftsführer auch vergleichsweise unproblematisch beim Unternehmensregister abfragen. Der praktische Nutzen der Anzeigepflicht von Organfunktionen ist folglich sehr beschränkt und rechtfertigt nicht den zusätzlichen Arbeitsaufwand. Dieses Aufgreifkriteriums sollte deshalb de lege ferenda aufgehoben werden. 10. Liquidierung und Entflechtung staatlicher Unternehmen (Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 WG a.F.) Der ex ante-Kontrolle unterlagen gemäß Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 WG a.F. auch die Liquidation439 und Entflechtung staatlicher und kommunaler „Unitarunternehmen“,440 wenn durch die Liquidation oder Entflechtung Wirtschaftssubjekte mit einem Marktanteil auf einem Gütermarkt von mehr als 35% entstanden. Die Entflechtung privatrechtlich organisierter Gesellschaften, die mehrheitlich oder zu 100% vom Staat gehalten waren, waren von diesem Aufgreifkriterium nicht umfasst. Die Zusammenschlusskontrolle war auch dann nicht zu eröffnen, wenn die Liquidierung durch ein Gericht angeordnet wurde.441 Finanzielles Aufgreifkriterium der Zerschlagung staatlicher Unternehmen war eine Bilanzsumme von mindestens 50.000 monatlichen Minimaleinkommen. Das Aufgreifkriterium des „Marktanteils von mehr als 35%“ war systemfremd und stellte eine erneute Vermengung von Ein- und Aufgreifkriterien dar, die das GWB in § 37 Abs. 1 Nr. 4 jedoch – in schwächerer Form – ebenfalls kennt. Die Formulierung „Entstehen eines Marktteilnehmers mit einem Marktanteil von mehr als 35%“ gab darüber hinaus nicht ganz eindeutig zum Ausdruck, ob sie sich alleine auf die nach der Entflechtung entstehenden Unternehmen oder auf alle am Markt tätigen Unternehmen bezog. Die russische Literatur sagte
__________ 438 Vgl. hierzu unten VI. 2. f) (4) und den Verweis auf den faktischen Zusammenschluss verschiedener Generatorenhersteller zu einem Unternehmen, der EMK, der nie angemeldet wurde. 439 Liquidation bezeichnet gemäß Art. 1.2 der VO Nr. 145 die Beendigung einer juristischen Person ohne Übergang der Rechte und Pflichten auf andere Personen im Wege der Rechtsnachfolge. 440 Vgl. zu dieser Gesellschaftsform Knüpfer, Gesetzliche Regelung der staatlichen und munizipalen Unitarbetriebe in der Russischen Föderation, S. 161 f. 441 Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 a E. WG – Die Unwirksamkeit von Gesellschaftsgründungen (durch die konstitutive Eintragung in Unternehmensregister) muss nach russischem Recht von einem Gericht festgestellt werden, das ggf. auch die Auflösung anordnet. Das Unternehmensregister selbst wird dagegen nicht von einem Gericht, sondern der Registerbehörde geführt.
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diesbezüglich – soweit ersichtlich – nichts aus. Hölzler/Lenga zufolge bezog sich das Kriterium eines Marktanteils von 35% alleine auf die nach der Entflechtung entstehenden Unternehmen.442 Damit hätten sich für die Alternative der Liquidation staatlicher Unternehmen, d.h. die vollständige Beendigung dieser juristischen Person und ihres Geschäfts ohne Übernahme durch Dritte, keine Anwendungsfälle ergeben. Die Formulierung „Entstehen eines Marktteilnehmers mit einem Marktanteil von mindestens 35%“ war deshalb – entgegen Hölzler/Lenga – dahingehend zu verstehen, dass die Zerschlagung staatlicher Unternehmen auch dann kontrolliert werden musste, wenn zu erwarten war, dass nach der Entflechtung oder Liquidation staatlicher Unternehmen ein anderes am Markt tätiges Unternehmen einen Marktanteil von mehr als 35% haben würde. Die Wettbewerbsbehörde hatte somit die Möglichkeit, die Liquidation oder Entflechtung staatlicher Unternehmen zu verzögern oder gar zu untersagen. Da eine Liquidation nur im Fall der faktischen Unveräußerlichkeit des Unternehmens in Betracht kam, ist bzw. war eine solche wettbewerbsbehördliche Kompetenz mit marktwirtschaftlichen Vorstellungen schwer in Einklang zu bringen. Auch der wettbewerbspolitische Sinn einer Entflechtungskontrolle ist bzw. war äußerst unklar. Die Aufhebung dieses Aufgreifkriteriums durch die Novelle vom 9. Oktober 2002 war deshalb äußerst sachgerecht. Trotz seiner Aufhebung ist das Aufgreifkriterium jedoch systematisch noch von Bedeutung: Die Wettbewerbsbehörde konnte Entflechtungen staatlicher Unternehmen – von Art. 19 WG abgesehen – nicht fördern,443 sondern nur untersagen. Eine solche „Kompetenzbeschränkung“ ist einer Zusammenschlusskontrolle zwar notwendigerweise immanent. In einer ehemals vom Staatsmonopol dominierten Volkswirtschaft ist eine solche Beschränkung jedoch offensichtlich von besonderer Bedeutung. Eine Fusionskontrolle ist in ihr
__________ 442
Ohne Begründung Hölzler/Lenga, Russian Antimonopoly Law, S. 48. Eine Förderung im Einzelfall wäre nur vorstellbar, wenn ein Erwerb in der Privatisierung freigegeben wird, obwohl wettbewerbliche Gefahren bestehen. Das Antimonopolministerium akzeptiert das Ziel der Privatisierung jedoch nicht als ein die Freigabe begünstigendes Element. Dies entspricht der deutschen Praxis während der Privatisierung ehemals staatseigener Unternehmen der DDR. Nach der Untersagung eines Zusammenschlusses beantragten beispielsweise die kanadische PCS eine Ministererlaubnis für einen Mehrheitserwerb der an Kali und Salz (BMWi, Beschluss vom 22.7.1997, WuW/E BWM 225). Die Antragsteller beriefen sich auf eine angebliche Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit von Kali und Salz im Fall des Erwerbs sowie auf den Privatisierungsgedanken. Die Ministererlaubnis wurde jedoch verweigert. Es sei zwar unwahrscheinlich, dass die BvS in der Lage sei, sich anders als durch eine Veräußerung an PCS von ihrer Mehrheitsbeteiligung an Kali und Salz zu trennen. Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass der Zusammenschluss die ordnungspolitisch zu begrüßende Rückführung staatlichen Einflusses auf die private Wirtschaft begünstigen würde. Eine Privatisierung liege jedoch nur dann im Interesse der Allgemeinheit, wenn damit wettbewerbliche Strukturen erreicht oder verbessert würden. Gerade dieser Erfolg werde im vorliegenden Fall jedoch nicht erreicht. 443
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nur sinnvoll, wenn zusätzliche staatliche Entflechtungsmechanismen existieren.444
III. Materielle Fusionskontrolle – die Eingreifkriterien 1. Marktbeherrschende Stellung a) Überblick Die russische Zusammenschlusskontrolle beruht ebenso wie das entsprechende deutsche und europäische System auf dem Gütermarktmachtkonzept. Voraussetzung einer Untersagungsverfügung der russischen Wettbewerbsbehörde im Anmeldeverfahren445 ist gemäß Art. 17 Abs. 3, Art. 18 Abs. 4 und Abs. 6 WG die Gefahr des Begründens oder Verstärkens einer beherrschenden Stellung und/oder der Beeinträchtigung von Wettbewerb.446 Der zentrale Begriff der „beherrschenden Stellung“ wird in Art. 4 WG legaldefiniert. Danach bezeichnet er die ausschließliche Position einer oder mehrerer Wirtschaftssubjekte auf einem Gütermarkt, entscheidenden Einfluss auf die allgemeinen Bedingungen des Warenaustauschs auf dem jeweiligen Markt ausüben zu können und den Zugang anderer Wirtschaftssubjekte auf den Markt ermöglichen zu können. Auch die Beeinträchtigung von Wettbewerb bezieht sich gem. Art. 4 Abs. 5 WG auf einen Gütermarkt. Bedeutsam ist also wie in der europäischen und deutschen Fusionskontrolle die Abgrenzung des Gütermarktes.
__________ 444 Zum Privatisierungsverfahren vgl.unten VII. 3. sowie Priewe, Privatisierung und Transformation – Lehren aus Rußland, S. 41 ff., und Rau, Privatizations in Russia, S. 93 ff. 445 Vgl. hierzu unten VI. 2. b). 446 Auch im nachträglichen Notifizierungsverfahren nach Art. 18 Abs. 5 und 6 WG setzt eine Untersagungsverfügung die Gefahr des Begründens oder Verstärkens einer beherrschenden Stellung oder/und die Beeinträchtigung von Wettbewerb voraus. Im Notifizierungsverfahren gemäß Art. 17 Abs. 4 WG setzt eine Untersagungsverfügung nach Art. 17 Abs. 6 WG dagegen lediglich die Gefahr der Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Ebenso wie in der europäischen Fusionskontrolle hat der Begriff der Wettbewerbsbeeinträchtigung auch in Russland keinen über das Begründen oder Verstärken einer marktbeherrschenden Stellung hinausgehenden Bedeutungsgehalt. Entsprechend setzt die gerichtliche Unwirksamkeitserklärung der Eintragung eines Zusammenschlusses im Unternehmensregister gemäß Art. 17 Abs. 9 WG, die sich auf eine wettbewerbsbehördliche Untersagungsverfügung gemäß Art. 17 Abs. 4/ 6 WG stützt, das Entstehen einer marktbeherrschenden Stellung voraus.
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b) Marktabgrenzung (1) Sachliche Marktabgrenzung – der Vergleich mit der europäischen und deutschen Anwendungspraxis sowie ein Plädoyer für mehr preis- und imageabhängige Marktabgrenzungen Auch die russische Zusammenschlusskontrolle unterscheidet zwischen der sachlichen und der geografischen Marktabgrenzung. So wird ein Gütermarkt in Art. 4 Abs. 3 WG definiert als: „der Bereich des Absatzes von Gütern ohne Ersatz oder substituierbare Güter auf dem Gebiet der Russischen Föderation oder eines Teiles von ihr, der auf der Grundlage der wirtschaftlichen Möglichkeit des Käufers, die Ware innerhalb des jeweiligen Territoriums zu erwerben, und dem Nichtvorhandensein einer solchen Möglichkeit außerhalb der Grenzen dieses Territoriums, bestimmt wird.“
Überraschend ist die Verwendung der Begriffe „Ersatz“ (zamenitel’) und „substituierbare Güter“ (vzaimozamenjaemye tovary), nicht ganz eindeutig deren Abgrenzung. Begrifflich naheliegend wäre ein Verständnis, demzufolge „Ersatz“ aus Sicht der Marktgegenseite funktional ersetzbare Güter sind. „Substituierbar“ könnten demgegenüber Güter sein, die innerhalb der europäischen Fusionskontrolle durch das Merkmal des „Substitutionswettbewerbs“ umfasst werden und somit zu einem benachbarten Markt gehören.447 Dies ist jedoch erkennbar nicht gemeint. Vielmehr sollen gerade „Ersatz“ und „substituierbare Güter“ zu einem Markt gehören. In Art. 4 WG wird der Begriff der substituierbaren Güter legaldefiniert als „die Gruppe von Waren, die aufgrund ihrer funktionalen Bedeutung, ihrer Anwendung, ihrer qualitativen und technischen Charakteristika, ihres Preises und anderer Parameter mit einer anderen Ware dergestalt verglichen werden können, dass der Käufer sie tatsächlich ersetzt oder im Nachfrageprozess (oder Produktionsprozess) zu ersetzen bereit ist.“
Hieraus folgt, dass unter „Ersatz“ völlig identische Güter, unter „substituierbar“ dagegen funktionell austauschbare Güter zu verstehen sind. Die Definition zeigt des Weiteren, dass die Austauschbarkeit nicht – wie in der deutschen Fusionskontrolle – eher normativ bestimmt werden soll. Maßgeblich ist vielmehr – ähnlich der europäischen Fusionskontrolle – die tatsächliche Aus-
__________ 447 Substituierbare Güter i.S.d. FKVO sind Güter, die bei Verengung des Angebots einen Ersatz für die Marktgegenseite bilden könnten, ohne dass dies bislang von der Marktgegenseite erkannt worden wäre. Hierbei handelt es sich aufgrund der eher potenziellen Austauschbarkeit um Güter, die in der europäischen Fusionskontrolle als zu verschiedenen, wenngleich benachbarten, Märkten gehörig betrachtet werden. Ihre Existenz spielt insofern bei der Berechnung der Marktanteile keine Rolle. Sie werden jedoch durch das Kriterium der „Wahlmöglichkeiten der Abnehmer und Lieferanten“ im Rahmen der Marktbeherrschung brücksichtigt. Vgl. hierzu oben § 4 III. 3. e).
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tauschbarkeit aus Perspektive der am Markt Nachfragenden, einem „tatsächlichen“ Bedarfskonzept entsprechend. Dieses wird detaillierter durch die Verordnung des russischen Antimonopolkomitees Nr. 169 vom 20. Dezember 1996 erläutert. Sie enthält Leitlinien für eine Analyse und Einschätzung der Wettbewerbsbedingungen von Gütermärkten. In § 2.2 der VO wird bestimmt, dass die Meinung der Käufer über die Austauschbarkeit von Gütern der Bestimmung der Gütermarktgrenzen zugrunde liegen soll. Diese Auffassungen werden durch Umfragen und deren statistische Auswertungen erhoben.448 Umfragen sollen zunächst unter Experten und, wenn diese keine eindeutigen Resultate ergeben, unter Käufern – möglichst repräsentativ449 – erhoben werden. Ermittelt werden danach die funktionelle Austauschbarkeit, die Ähnlichkeiten zwischen den Eigenschaften verschiedener Güter und ihrer Substitute sowie die jeweiligen Vor- und Nachteile zweier vergleichbarer Güter (funktionell, Art, Preise, Service after Sale). Soweit Umfragen und deren statistische Auswertung bezüglich der Austauschbarkeit zweier Güter aus Nachfragesicht keine eindeutigen Resultate ergeben, soll – ebenso wie in der Praxis der europäischen Fusionskontrolle – die Kreuzpreiselastizität der beiden Güter ermittelt werden.450 Subsidiär wird somit auch der aus der europäischen Fusionskontrolle bekannte ,,hypothetische Monopolistentest“ angewandt. Neben der Austauschbarkeit aus Nachfragesicht soll gemäß § 2.4. Satz 2 der VO Nr. 169 auch die Austauschbarkeit aus dem Blickpunkt der Produktion, d.h. die Angebotsumstellungsflexibilität, eine Rolle spielen. Auch sie soll ähnlich genau wie die Austauschbarkeit aus Nachfragesicht bestimmt werden. Aufgrund des oft besonders hohen Images, aber auch Preises, ausländischer Güter, durch die diese sich teilweise entscheidend von russischen Gütern abgrenzen, müssten diese beiden Merkmale bei der russischen Marktabgrenzung eine wichtige Rolle spielen. Dem ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung ist oft die Möglichkeit verschlossen, auf ausländische Güter auszuweichen, wenn der Preis russischer Güter steigt, soweit zwischen beiden regelmäßig noch eine ganz erhebliche Differenz besteht. Aufgrund des besonderen Images ausländischer Güter wählt eine kleine begüterte Schicht der Bevölkerung dagegen grundsätzlich viele ausländische Güter. Dieser durch die Einkommensdisparitäten innerhalb der russischen Gesellschaft begründete Umstand wird – soweit ersichtlich – durch die russischen Wettbewerbsbehörden nicht ausreichend beachtet, obwohl der Begriff der „wirtschaftlichen Möglichkeiten“ in der Definition eines Gütermarktes in Art. 4 WG ein solches Verständnis nahe legt. Ungeachtet hoher Preisdifferenzen werden ausländische und russische Güter
__________ 448 Vgl. hierzu den Fragenkatalog zur Bestimmung der sachlichen Marktabgrenzung, Anlage 1 zu VO Nr. 169. 449 § 2.2 S. 3 der VO Nr. 169. 450 Vgl. hierzu die Anlage 4 zu VO Nr. 169: Anhand der Kreuzpreiselastizität wird ausgeführt, inwieweit Betonblöcke und Ziegelsteine zum selben Markt gehören können.
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regelmäßig zu einem Markt zusammengefasst. Hier wäre eine andere Rechtsanwendungspraxis ratsam. Aus der Entscheidungspraxis der europäischen und deutschen Fusionskontrolle lassen sich dagegen Beispiele für eine Marktabgrenzung zwischen nicht untereinander austauschbaren „high level“ und „low level“-Gütern heranziehen. So grenzte das BKartA in WMF/Auerhahn451 Märkte preisbezogen ab, indem es einen eigenständigen Markt für Edelstahlbestecke höherer und mittlerer Preislage annahm. Neben den Preisunterschieden und dem höheren Prestigewert von Edelstahlbestecken höherer und mittlerer Preislage waren für die Abgrenzung allerdings auch die Unterschiedlichkeit der Absatzwege (Fachhandel mit Nachkaufgarantie einerseits, Supermärkte andererseits) entscheidend.452 Ebenfalls zwischen „high level“ und „low level“-Leistungen wurde durch das BKartA in Hochtief/Phillip Holzmann453 und durch die Kommission in Price Waterhouse/Coopers and Lybrand454 abgegrenzt. In Hochtief/Phillip Holzmann nahm das BKartA aufgrund der Angebotsumstellungsflexibilität einen eigenständigen Markt für Bauleistungen mit einem Auftragsvolumen von mindestens 50 Millionen DM an.455 Nur wenige Anbieter von Bauleistungen seien aufgrund ihrer personellen, technischen und logistischen Kapazitäten in der Lage, Aufträge eines bestimmten Volumens auszuführen. Aus Nachfragesicht unterschied die Kommission in Price Waterhouse/Coopers and Lybrand zwischen einem Markt für Wirtschaftsprüfungsdienstleistungen für international tätige und einem Markt solcher Leistungen für national tätige Unternehmen. Eine Marktabgrenzung – nicht zwischen high und low level Gütern – jedoch in Abhängigkeit vom Image einer Ware kann allerdings auch zu nicht sachgerechten Ergebnissen führen. Beispiel einer solchen Marktabgrenzung durch die Kommission ist die Annahme eines eigenständigen Marktes für Colagetränke, der sich von Märkten sonstiger Softgetränke unterscheiden soll.456 Cola sei gegenüber anderen Saftgetränken nicht austauschbar, da der Name und das
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BKartA, Beschluss vom 9.2.1996, B5-33/95. Die Marktabgrenzung wurde vom KG gebilligt. Vgl. KG, Beschluss vom 16.4.1997, WuW/E OLG 5879, 5880 ff. (WMF/Auerhahn). 453 BKartA, Beschluss vom 24.1.1995, WuW/E BKartA 2729, 2731. 454 Kommission, Entscheidung vom 20.5.1998, Sache IV/M.1016, ABl. 1999 L 50/27 (41), WuW 1998, 692. 455 Das KG hob die Entscheidung des BKartA allerdings durch Beschluss vom 18.3.1998 (WuW/E DE-R 94) auf. Es verwarf die Marktabgrenzung durch das BKartA, obgleich es eine Marktabgrenzung unter Heranziehung eines Größenkriteriums nicht „von vornherein“ ablehne. Vgl. hierzu auch Bechtold/Uhlig, Die Entwicklung des deutschen Kartellrechts 1997-1999, S. 3530 f. 456 Kommission, Entscheidung vom 22.1.1997, Sache IV/M.794, ABl. 1997 L 218/15, WuW 1997, 331 (Coca-Cola Enterprises/Amalgamated Beverages Great Britain). 452
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Image von Colagetränken Hauptgründe ihres Konsums seien.457 Dieser Unterschied sei so maßgeblich, dass von unterschiedlichen Produktmärkten auszugehen sei. Diese Annahmen erscheinen äußerst fragwürdig.458 Dennoch ist eine auch das Image berücksichtigende Marktabgrenzung im Einzelfall sachgerecht. So sollte aus ihr auch in Russland eine Unterscheidung zwischen low und high level-Gütern folgen. Dabei kann sowohl auf die Nachfragesicht als auch auf die Angebotsumstellungsflexibilität abgestellt werden. Letztere kann aufgrund des unterschiedlichen Images, das nationalen gegenüber ausländischen Gütern auf manchen Märkten anhaftet, niedriger sein. Diese Auffassung stützt sich auf empirische Erfahrungen in Russland. Während beispielsweise russische Schokolade ein sehr hohes Image anhaftet, so dass Nestlé einen russischen Schokolade- und Pralinenproduzenten übernahm und weiter unter russischem Namen produziert, ist auf anderen Lebensmittel- sowie Kosmetikmärkten ein wesentlich höheres Image ausländischer Waren erkennbar, die insbesondere in den Metropolen zu weitaus höheren Preisen verkauft werden können als ihre russischen Äquivalente. Diesbezügliche Marktanalysen würden den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Für die Marktforschung böte sich hier jedoch eine Aufgabe, von der die russische Kartellrechtspraxis profitieren würde. (2) Räumliche Marktabgrenzung – Problem der Annahme von Weltmärkten Die räumliche Marktabgrenzung erfolgt gemäß der genannten Legaldefinition in Art. 4 WG auf Grundlage der wirtschaftlichen Möglichkeit eines Käufers, die Ware auf dem Gebiet der Russischen Föderation oder eines Teils von ihr zu erwerben. Diese Definition ist erkennbar an den Begriff des „Gemeinsamen Marktes oder eines wesentlichen Teils desselben“ in Art. 2 Abs. 2 FKVO angelehnt. Sie wurde 1995 in das WG eingefügt. Die erste Fassung des WG von 1991 sah noch vor, dass ein räumlicher Markt mindestens das Gebiet einer Verwaltungseinheit der russischen Föderation umfassen müsse.459 Dieser auch für die Missbrauchskontrolle gemäß Art. 5 WG entscheidende Umstand führte dazu, dass Unternehmen, die einen lokalen Markt innerhalb einer größeren Verwaltungseinheit bestimmten, von den Wettbewerbsbehörden nicht als marktbeherrschend angesehen werden konnten. Yakovlev erwähnt beispielsweise zwei Fleischkombinate von Taganrog und Azov, die 1992 lokale Märkte beherrschten, von der regionalen Wettbewerbsbehörde in das Monopolregister eingetragen wurden und deshalb nach damaligem Recht der staatlichen Preis-
__________ 457 Für den Konsum anderer Getränke seien dagegen Preis oder Geschmack entscheidend. Vgl. hierzu auch Schreiber/Bruhn, Mergers – Summary of the most recent important recent developments, S. 16. 458 Die Kommission setzt letztlich voraus, dass niemand Cola trinke, weil es ihm schmecke, sondern alleine aufgrund eines gewissen – wohl guten – Images, das Colagetränken anhafte. 459 Vgl. hierzu auch Kolomijþenko, Kak preseþ’ monopolizaciju na rynke tovarov i uslug, S. 84.
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aufsicht unterlagen. Den Klagen der beiden Kombinate gegen diese Eintragung gab das zuständige Handelsgericht statt, weil die beiden Kombinate innerhalb des gesamten Kreises – im Sinne einer Verwaltungseinheit – nur deutlich unter 35% liegende Marktanteile hatten. Der Umstand, dass Fleisch jeweils nur innerhalb kleiner Gebiete innerhalb des Kreises geliefert wurde und die Märkte deshalb – unter ökonomischer Betrachtungsweise – räumlich nur viel kleinere Gebiete als das einer Verwaltungseinheit umfassten, spielte damals – rechtlich – noch keine Rolle.460 In § 4 der VO Nr. 169 wird festgestellt, dass die Möglichkeiten der Käufer, Waren in einem anderen Gebiet zu erwerben, durch wirtschaftliche, technologische und Verwaltungsgrenzen behindert werden können. Inwieweit diese Möglichkeit besteht, wird in der behördlichen Entscheidungspraxis jedoch in erster Linie durch einen Blick auf das – ebenfalls durch Marktumfragen festgestellte461 – tatsächliche Nachfrageverhalten der Käufer analysiert. Eine besondere Rolle spielen dabei die Existenz bzw. Erreichbarkeit von Transportmitteln für Käufer und Verkäufer. Berücksichtigt werden soll gemäß § 4.4 der VO Nr. 169, in welcher Relation die Transportkosten zum Gesamtpreis der Ware stehen. Betrachtet wird des Weiteren, inwieweit die Qualität und die Nachfrageeigenschaften der Güter im Laufe des Transportes bewahrt werden können. Das Kriterium der Transportmittel hat insbesondere außerhalb der Metropolen eine enorme Bedeutung, da zurückzulegende Distanzen oft sehr groß sind und die Qualität der Straßen schlecht ist. Trotz langsamen, aber stetigen Ausbaus des Transportsystems (insbesondere allerdings der Luftfracht, deren jährliche Wachstumsraten jeweils zwischen 1994 und 1997, sowie 1999 und 2000 zwischen 10 und 20% betrug),462 ist das Transportsystem in Russland insgesamt immer noch vergleichsweise schwach entwickelt. Viele Märkte sind deshalb geografisch wesentlich kleiner als vergleichbare Märkte in westlichen Staaten.463 Tatsächliche Annahmen der deutschen oder europäischen Kartellbehörden für die örtliche Marktabgrenzung können deshalb nur bedingt auf russische Verhältnisse übertragen werden. Dies gilt beispielsweise für die Marktabgren-
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Yakovlev, Anti-Monopoly Policy in Russia: Basic Stages and Prospects, S. 38. Vgl. hierzu Anlage 2 zu VO Nr. 169. 462 So die Angaben des Abteilungsleiters für die Regulierung natürlicher Monopole im Antimonopolministerium, Sentjurin, und des Referatsleiters für die Regulierung von Flughäfen im Antimonopolministerium, Belusov, Analiz rynka gruzovych perevozok graždanskoj aviaciej Rossii, S. 24. 463 Vgl. Joskow/Schmalensee/Tsukanova, Competition Policy in Russia during and after Privatization, S. 303: „…. Russia´s enormous size and the unfortunate state of its transportation system“; vgl. zu diesen Problemen zur Zeit der Existenz der Sowjetunion auch Starodubrovskaya, The nature of monopoly and barriers to entry in Russia, S. 5: „The underdeveloped system of transport, storage, distribution and sales was an important factor limiting inter-regional exchange.“ 461
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zung im Lebensmitteleinzelhandel, die auf der Annahme beruht, Verbraucher seien bereit, bis zu 20 Autominuten zu Lebensmittelläden zurückzulegen, so dass der Umkreis von 20-25 km um einzelne Verkaufsstellen464 einen Markt bildet. Auch das Prinzip der „Kettensubstitution“465 der europäischen Fusionskontrolle ist der russischen Marktabgrenzung deshalb zu Recht fremd. Eine Kettensubstitution wird angenommen, wenn verschiedene lokale oder regionale Märkte existieren, die sich gegenseitig überschneiden. Sie führt insbesondere auf Einzelhandelsmärkten466 zu einer Aggregation zu nationalen Märkten.467. Für Russland könnte dieser Gedanke allenfalls auf die Metropolen – insbesondere Moskau und St. Petersburg – übertragen werden. Dort könnte erwogen werden, einzelne, sich auf Stadtteile beziehende Einzelhandelsmärkte zu „Stadtmärkten“ zu aggregieren. Ein weiteres ausschlaggebendes Abgrenzungskriterium ist gemäß § 4.4. der VO Nr. 169, ob zwischen verschiedenen Regionen (im untechnischen, d.h. nicht im verwaltungspolitischen Sinne) auffällige Preisunterschiede zwischen gleichen oder austauschbaren Waren bestehen. Soweit derartige Preisunterschiede bestehen,468 werden geografische Marktgrenzen vermutet. Dabei wird jedoch vernachlässigt, dass solche Preisunterschiede auch Folge unterschiedlicher Kaufkraft innerhalb eines Marktes sein können. Sachgerechter wäre des-
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BKartA, Beschluss vom 15.3.1999, B 9-243/98. Vgl. hierzu Hirsbrunner, Die Entwicklung der Europäischen Fusionskontrolle in den Jahren 1997 und 1998, S. 394 f. 466 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 3.2.1999, Sache IV/M.1221, ABl. 1999 L 274/1, WuW/E EU-V 413 (Rewe/Meinl); Entscheidung vom 20.11.1996, Sache IV/M.784, ABl. 1997 L 110/53, WuW 97, 32 (Kesko/Tuko); Entscheidung vom 26.6.1997, Sache IV/M.890, ABl. 1998 L 316/1 (Blokker/Toys ,,R“ Us); Entscheidung vom 27.8.1996, Sache IV/M.803, ABl. 1996 C 306/1 (Rewe/Billa); Entscheidung vom 30.6.1997, Sache IV/M.946, ABl. 1997 C 227/1 (Intermarché/Spar). 467 Vgl. Kommission, Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. 1997 C 372/5 (13). Die Kommission geht davon aus, dass ein durchschnittlicher Verbraucher bereit ist, zu einem Handelsmarkt oder Einzelhandelsgeschäft 20 Minuten im Kraftfahrzeug zurückzulegen. Für jeden Ort oder Ortsteil ergibt sich somit der relevante lokale bzw. regionale Markt als die Summe der Handelsmärkte bzw. Einzelhandelsgeschäfte, die von dem jeweiligen Ort oder Ortsteil in 20 Minuten mit dem Auto erreicht werden können. Für eine benachbarte Ortschaft gehört ein Teil dieses Marktes auch zu ihrem lokalen oder regionalen Markt, der andere Teil des Marktes wird dagegen durch die Geschäfte ersetzt, die von der benachbarten Ortschaft schneller zu erreichen sind. Aufgrund der zahlreichen Überschneidungen kann so ein nationaler Markt für Einzelhandelsmärkte aggregiert werden. Dies besagt, dass Änderungen des Wettbewerbsverhaltens eines Anbieters in einem lokalen Markt über vielfache geographische Marktüberschneidungen Auswirkungen auf den gesamten nationalen Markt haben werden. In dicht besiedelten Gebieten ist dieses Konzept überzeugend, in sehr schwach besiedelten Gebieten dagegen nicht, obgleich die Kommission in Kesko/Tuko einen nationalen Markt für Einzelhandelsgeschäfte in Finnland annahm. 468 Vgl. hierzu v. Wistinghausen, Preisaufsicht mit Mitteln des Kartellrechts in der Russischen Föderation, S. 140 ff. 465
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halb, ähnlich der europäischen und deutschen Marktabgrenzung, nicht anhand von absoluten Preisunterschieden abzugrenzen, sondern zu unterscheiden, ob eine einheitliche Preisentwicklung festzustellen ist.469 Von Bedeutung ist der Umstand, dass das russische Antimonopolministerium für die Bereiche Rohstoffe und Verkehr einen Weltmarkt oder zumindest geografische Märkte annimmt, die über die Fläche der ehemaligen Sowjetunion hinausgehen.470 Dadurch erreichen die Marktanteile der existierenden russischen Anbieter nie das Ausmaß der Marktbeherrschung. Diese Annahme verkennt, dass nur in Russland russische Anbieter auf Energie- und Verkehrsmärkten keinem beträchtlichen Wettbewerb von Seiten ausländischer Anbieter ausgesetzt sind. Trotz des Auftretens russischer Anbieter auf internationalen Märkten divergieren Wettbewerbsbedingungen in und außerhalb Russlands stark. Von der Existenz russischer Anbieter im Ausland werden deshalb unzulässig Rückschlüsse auf die signifikante Existenz ausländischer Anbieter in Russland, bzw. auf das Fehlen räumlicher Marktgrenzen, gezogen. Diese Fehlannahme ist insofern das Gegenstück zu der vor der 6. GWB-Novelle von BKartA und BGH vertretenen Auffassung, derzufolge dem GWB eine „Beschränkung auf einen geografischen Markt“ zu entnehmen sei, der „maximal auf die politischen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland begrenzt“ sei.471 Auch hier wird bzw. wurde das ökonomische Konzept räumlicher Märkte – wenngleich in umgekehrter Weise – missverstanden. Hatte diese Fehlannahme in der deutschen Zusammenschlusskontrolle allerdings keine bedeutende praktische Relevanz,472 dient die russische Fehlannahme der Rechtfertigung der Monopolstellung oder zumindest marktbeherrschender Position von Unternehmen wie Gazprom oder des Elektroenergieversorgers EES Russlands.473 Hiermit einher geht die An-
__________ 469 In der europäischen und deutschen Marktabgrenzung wird ein einheitlicher räumlicher Markt auch bei einer Interdependenz (hohe Elastizität) der Preisentwicklung bzw. konstanten Preiskorelationen angenommen. Vgl. hierzu Kallfass, Konzepte und Indikatoren zur Abgrenzung räumlicher Märkte in der europäischen Zusammenschlusskontrolle, S. 122 ff. und Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Rz. 40. 470 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 7. Im Widerspruch hierzu steht allerdings eine bei Abschluss dieser Arbeit veröffentlichte Mitteilung, derzufolge die Freigabe des beabsichtigten Zusammenschlusses Yukos/Sibneft einen Passus enthielt, dass der Staat in den Regionen, in denen YukosSibneft mehr als 65% des Marktes kontrollieren werde, sicherstellen werde, „dass andere Ölunternehmen dort tätig sein können“ (FAZ vom 15. August 2003). Vgl. hierzu auch unten IV. 2. a). 471 Vgl. BGH, WuW/E 3026 ff (Backofenfall), kritisch dazu Schütz, Der räumlich relevante Markt in der Fusionskontrolle, S. 286 ff. Vgl. hierzu auch oben § 4 III. 2. b). 472 Erheblicher ausländischer Wettbewerb wurde im Rahmen des Merkmals der Marktbeherrschung berücksichtigt; vgl. hierzu auch oben § 4 III. 2. b). 473 Beispiele des Anscheins einer gewissen Bevorzugung europäischer Unternehmen können jedoch auch aus der europäischen Fusionskontrolle genannt werden. Vgl. hierzu die in § 4 III. 2. b) zitierte Äußerung des ehemaligen Assistenten des Generaldirektors Wettbewerb Gyselen, der Schutz der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen gebiete es, europäische Unternehmenszusammenschlüsse, die auf einem europäischen Markt eine beherrschende Stellung einneh-
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
nahme, dass nur eine dominierende binnenstaatliche Position dieser Unternehmen deren internationale Wettbewerbsfähigkeit ermögliche.474 Auch dieser – wettbewerbsfremde – Gedanke hat jedoch jüngst in Deutschland eine Renaissance erlebt.475 c) Die Marktbeherrschung (1) Überblick – der Marktanteil Zentrales Kriterium der Marktbeherrschung ist auch in der russischen Fusionskontrolle der Marktanteil. Gemäß der Legaldefinition für Marktbeherrschung in Art. 4 WG wird diese ab einem Marktanteil von 65% – widerlegbar – vermutet. Ein Unternehmen mit einem Marktanteil, der unter 35% liegt, kann gemäß Art. 4 WG nicht als marktbeherrschend angesehen werden. Für einen Marktanteil zwischen 35 und 65% kann die marktbeherrschende Stellung angenommen werden, wenn die Wettbewerbsbehörde dies aufgrund der Stabilität von Marktanteilen, der relativen Marktanteile der Konkurrenten, Marktzutrittsbarrieren oder anderer Marktmerkmale feststellt. Diese – aus der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle – bekannten Wettbewerbsmerkmale werden in zwei Verordnungen des russischen Antimonopolkomitees näher erläutert, der auch für die Bestimmung der Marktgrenzen entscheidenden VO Nr. 169 vom 20. Dezember 1996476 und der VO Nr. 67 vom 3. Juni 1994.477 Diese Kriterien können aber nur ab Marktanteilen von mindestens 35% relevant sein. Diese Regelung ist zu starr.478 Auch im Vergleich zu den Fusionskontrollverordnungen westlicher Staaten, d.h. insbesondere den dargestellten, der FKVO und dem GWB, sind diese für eine Marktbeherrschung vorausgesetzten Marktanteile sehr hoch. Vor allem Marktabschottungsgefahren auf jungen, sich entwickelnden Märkten oder auf entwickelten Märkten mit stabilen Marktanteilen können so nicht immer sachgerecht verfolgt werden. Da stabile Marktanteile auch ein Indiz für Oligopole sind, könnten diese auch __________ men, nicht zu untersagen, wenn sie auf einem Weltmarkt keine beherrschende Stellung einnehmen würden. 474 Vgl. hierzu unten 3. c). 475 Die Ministererlaubnis in Sachen E.on/Ruhrgas (Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie vom 5.7.2002, WuW/E DE-V, 573 ff.) wurde mit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit auf dem Gasmarkt begründet. 476 Vgl. hierzu oben § 2 II. 4. 477 VO Nr. 67 des Antimonopolkomitees vom 3. Juni 1994. 478 Diese Ansicht scheint auch im Antimonopolministerium vertreten zu werden. Zumindest bezeichnet es in seinem Tätigkeitsbericht für die Jahre 1999-2001 (Doklad o konkurentnoj politike v Rossijskoj Federacii 1999-2001, S. 42) eine schrittweise Abkehr von den formalen Grenzen 0, 35, 65, 100% hin zur Entwicklung eines qualifizierteren Systems der Bestimmung von Marktbeherrschung als erstrebenswert. Dennoch wurde das Wettbewerbsgesetz durch die Novelle vom 9. Oktober 2002 insoweit nicht geändert.
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leichter entdeckt bzw. ihnen wirksamer begegnet werden, soweit der Wettbewerbsbehörde der Beweis, dass mehrere Wettbewerber zu einer „Gruppe von Personen“ gehören, nicht gelingt. Da die russische Verhaltenskontrolle mangels eigenen Anmelde- oder Notifizierungsverfahrens sich auf die Informationen stützen muss, die die russischen Wettbewerbsbehörden im Rahmen der Fusionskontrolle erlangen, wäre auch für die Aufdeckung von Kartellen eine niedrigere Mindestmarktanteilsschwelle wünschenswert. Faktisch werden so Kartelle oft nur durch eine eingehendere Analyse eines Marktes aufgrund eines angemeldeten Zusammenschlussvorhabens entdeckt.479 Eine solche Analyse findet aber wohl kaum statt, solange feststeht, dass die Marktanteile der einzelnen beteiligten Unternehmen unter 35% liegen und deshalb rechtlich keine Marktbeherrschung begründen können. Eine Reduzierung des Mindestmarktanteils von 35% für die Annahme von Marktbeherrschung oder ein völliger Verzicht auf einen solchen Mindestmarktanteil de lege ferenda wäre deshalb sinnvoll. (2) Bestimmung der Marktanteile Die Bestimmung der Marktanteile selber erfolgt im Gegensatz zur europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle nicht nach dem erzielten Umsatz, sondern auf Grundlage vorhandener Produktionskapazitäten. Dies begründet das Antimonopolministerium damit, dass über erzielte Umsätze keine verlässlichen Angaben existierten, da insbesondere Erklärungen der Unternehmen selber oft nicht zuverlässig seien.480 Sie gäben dieselben Umsatzzahlen an, die sie gegenüber den Finanzbehörden erklärten. Diese Zahlen lägen jedoch häufig deutlich unter den tatsächlichen.481 Produktionskapazitäten dagegen seien durch Inaugenscheinnahme einfacher zu überprüfen. Auch aus Umfragen könnten nur unter erheblichem Aufwand zuverlässige Angaben über Marktanteile gewonnen werden. Diesbezügliche Umfragen seien wesentlich aufwendiger als Umfragen zur Bestimmung der Marktgrenzen.482 Letztere könnten auf relativ wenige Testpersonen beschränkt werden, von denen eine höhere Repräsentativität erwartet werden könne, als dies bei der Bestimmung der Marktanteile der Fall sei. Aufgrund der groben Einteilung des russischen Fusionskontrollrechts, d.h. der Unterscheidung zwischen Marktanteilen von unter 35%,
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Vgl. hierzu unten § 6 IV. 1. Dies erklärte Frau Kirjuškina, Abteilungsleiterin im Antimonopolministerium, dem Verfasser während eines Gesprächs am 25. September 1999. 481 Dies beklagen auch Sahlas/Reshetnikova, Competition Law in the Russian Federation, S. 70. Der Umstand, dass es den russischen Wettbewerbsbehörden oft nicht einmal möglich ist, die tatsächlichen Umsatzzahlen der an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen in Erfahrung zu bringen, zeigt erneut, dass russische Wettbewerbsbehörden Schwierigkeiten ausgesetzt sind, die westliche Wettbewerbsbehörden zumindest in diesem Ausmaß nicht kennen. Vgl. hierzu unten § 6 IV. 1. 482 So Frau Kirjuškina. 480
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
über 35% und über 65%, ist es allerdings nicht immer erforderlich, exakte Marktanteile zu bestimmen. Deshalb ist es im Ergebnis nicht wirklich überzeugend, dass im Hinblick auf die Abgrenzung von Märkten auf Umfragen zurückgegriffen werden kann, im Hinblick auf die Bestimmung von Marktanteilen dagegen nicht. Auch ist es zweifelhaft, ob die Bestimmung der vorhandenen Produktionskapazitäten wirklich derartig leicht möglich ist. Hier erscheint es ebenfalls möglich, dass Produktionskapazitäten verschwiegen oder von den beteiligten Unternehmen falsch dargestellt werden. In Zweifelsfällen dürften deshalb Umfragen über Marktanteile unter Zwischenhändlern und Endabnehmern am verlässlichsten sein. In der europäischen Fusionskontrolle wird die Produktionskapazität – wie dargestellt – nur im Ausnahmefall als Kriterium zur Bestimmung von Marktanteilen gewählt.483 Tatsächlich bestimmte die Kommission Marktanteile mittels Produktkapazitäten in den Entscheidungen Neste/Statoil484 und Delta Airlines/Pan American.485 Dabei verwies sie auf den – selbstverständlichen – Umstand, dass dieses Kriterium nur dann verwendet werden kann, wenn eine vergleichbare Auslastung der Wettbewerber anzunehmen ist. Ob dies in Russland regelmäßig zuverlässig geprüft werden kann, erscheint ebenfalls zweifelhaft. Auch deshalb sollten in Russland Marktanteile vermehrt gemäß dem durch Kundenbefragungen ermittelten Nachfrageverhalten bestimmt werden. Alleine in der Rohstoffgewinnung sind die bereitstehenden Reserven wirklich ein sachgerechtes Kriterium.486 (3) Relative Marktanteile Neben den absoluten Marktanteilen selber nennt der Gesetzeswortlaut in Art. 4 WG auch relative Marktanteile als besonderes Merkmal zur Bestimmung von Marktbeherrschung. Wie beschrieben, wird dieses Merkmal auch von der Europäischen Kommission bei der materiellen Überprüfung von Zusammenschlüssen geprüft,487 obgleich es in der FKVO nicht als eigenes Merkmal genannt wird. Eine hohe Disparität zwischen den Marktanteilen der größten Wettbewerber kann ein Indiz dafür sein, dass die Stellung des oder der stärksten
__________ 483 Vgl. oben § 4 III. 2. b) und die dort zititerte Bekanntmachung der Kommission über die Abgrenzung des relevanten Marktes, Rz. 54. 484 Kommission, Entscheidung vom 17.2.1994, Sache IV/M.361, ABl. 1994 C 99/13, Tz. 26, WuW 94, 647. 485 Kommission, Entscheidung vom 13.9.1991, Sache IV/M.130, Abl. 1991 C 889/14, Tz. 17, WuW 91, 892. 486 So auch Kommission, Bekanntmachung über die Abgrenzung des relevanten Marktes, Rz. 54. 487 Vgl. oben § 4. Die relativen Marktanteile sind dabei als ein Aspekt des im Gesetz genannten Merkmals „Marktanteile“ (nach anderer Auffassung als ungeschriebens Merkmal) zu prüfen. Vgl. hierzu § 4 III. 3. b).
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Anbieter schwer anzugreifen ist. Dies kann auf Marktzutrittsschranken beruhen, kann aber ebenso Folge überragend höherer Effizienz im Sinne der Chicago-Schule sein. Umgekehrt kann allerdings eine besonders niedrige Disparität, d.h. etwa gleich große Anteile der größten Anbieter, ein Indiz für Kartelle, für Absprachen zwischen den Anbietern, sein. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Volatilität der Marktanteile sehr niedrig ist.488 Die Disparität der Marktanteile ist deshalb ein Merkmal, das lediglich genutzt werden kann, um festzustellen, in welcher Hinsicht weitere Erforschungen des betroffenen Marktes erforderlich sind, d.h. ob beispielsweise eine Suche nach etwaigen bislang unbekannten Marktabsprachen oder nach Marktzutrittsschranken geboten ist. Aufgrund der Disparität von Marktanteilen alleine kann keine Marktbeherrschung angenommen oder gar eine Untersagungsverfügung erlassen werden.489 In russischen Entscheidungen dient die Disparität der Marktanteile jedoch teilweise als einzige Begründung für den Erlass von Auflagen.490 Dies reicht nicht aus. Vielmehr muss die Wettbewerbsbehörde darlegen, aus welchen Gründen heraus sie vermutet, dass die hohen relativen Marktanteile nicht Ausdruck überragender Effizienz, sondern Ausdruck von Marktbeherrschung sind. Von russischen Wettbewerbsbehörden wurden – soweit ersichtlich – Untersagungsverfügungen allerdings noch nicht alleine auf die Disparität von Marktanteilen gestützt. Solange lediglich Verhaltensauflagen auf die Disparität von Marktanteilen ohne weitere Begründung gestützt werden, ist zumindest das rechtsstaatliche Begründungsdefizit nicht so gravierend wie im Fall einer Untersagung. (4) Volatilität der Marktanteile Auch das Merkmal der Volatilität der Marktanteile wurde bereits im Rahmen der europäischen Zusammenschlusskontrolle erörtert.491 Je volatiler Marktanteile sind, desto beweglicher ist notwendigerweise der Markt. Das Entstehen von Marktbeherrschung wird dadurch unwahrscheinlicher. Wenn Marktanteile dagegen nicht volatil sind, sind insbesondere auf reifen Märkten hohe Marktzu-
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Vgl. hierzu unten (4). Dennoch nahm die Europäische Kommission in Rewe/Meinl (Entscheidung vom 3.2.1999, Sache IV/M.1221, WuW/E EU-V 413-420) Marktbeherrschung insbesondere aufgrund der Disparität zwischen den Marktanteilen der beteiligten Unternehmen und denen anderer Anbieter an und stützte hierauf eine Untersagung. Das europäische Gericht erster Instanz stützte eine solche Auffassung in Endemol (EuG 1999, II-1299, 1343 ff., Tz. 134) zumindest für Marktanteile, die deutlich über 50% liegen. 490 Mehrere Beispiele wurden in persönlichen Gesprächen von Mitarbeitern des Antimonopolministeriums und in Moskau tätigen Rechtsanwälten – ohne Namensnennung oder mit der Bitte um Vertraulichkeit – genannt. 491 Vgl. oben § 4 III. 3. b). 489
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
trittsschranken anzunehmen. Ein Zusammenschlussvorhaben zweier Wettbewerber erscheint dann wettbewerblich wesentlich gefährlicher. In der russischen Entscheidungspraxis hatte das Merkmal der Volatilität der Marktanteile – soweit ersichtlich – bislang keine größere Bedeutung. Der Grund hierfür dürfte in der Schwierigkeit der genauen Marktanteilsbestimmung492 und dem Fehlen von Marktdaten aus früheren Jahren liegen. In Zukunft könnte und sollte das Kriterium eine größere Bedeutung erhalten. (5) Marktzutrittsschranken/potenzieller Wettbewerb Von größerer Bedeutung sind bereits jetzt die auch in der Marktbeherrschungsdefinition des Art. 4 WG eigens genannten Marktzutrittsschranken und somit die Frage nach der Existenz potenzieller Wettbewerbs.493 Die besondere Bedeutung des Konzepts der Zutrittsschranken bzw. des potenziellen Wettbewerbs betont das Antimonopolministerium auch in seinem Bericht über die Zusammenschlusskontrolle. In ihm bezeichnet es Zusammenschlüsse als ungefährlich, soweit die betroffenen Märkte ökonomisch entwickelt seien und es potenziellen Wettbewerbern leicht falle, in den jeweiligen Markt einzutreten.494 Wie in den vorigen Kapiteln mehrfach betont, ist es äußerst sachgerecht, die wettbewerbliche Gefährlichkeit eines Zusammenschlusses insbesondere auf Grundlage des zu erwartenden potenziellen Wettbewerbs zu bestimmen. Hoher zu erwartender potenzieller Wettbewerb schließt die Rechtfertigung einer Untersagungsverfügung aus. Allerdings überzeugt es nicht, potenziellen Wettbewerb insbesondere auf entwickelten Märkten anzunehmen. In vielen Fällen dürfte geradezu das Gegenteil der Fall sein. Auf entwickelten Märkten sind – wie geschildert – die Marktanteile der einzelnen Anbieter oft statisch; die Bindung der Kunden an einzelne Anbieter ist hoch. In diesen Fällen ist es für neu in den Markt tretende Anbieter in der Regel besonders schwer, signifikante Marktanteile zu gewinnen. Auf entwickelten – vor allem regionalen – Märkten, in denen die derzeitige Marktmacht in den Händen privatisierter, ehemals staatlicher Betriebe liegt, bestehen teilweise auch künstliche, durch regionale Behörden geschaffene Marktzutrittsschranken.495 In gerichtlich teilweise nur schwer überprüfbarer Weise werden oft alte marktbeherrschende Unternehmen bevorzugt und neue Investoren oder Unternehmen durch umständliche Verwal-
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Vgl. hierzu oben (2). Vgl. z.B. die Staatssekretärin im Antimonopolministerium Fonarjova in „O konkurentnoj politike Rossijskoj Federacii v 1997-1998 godach“, S. 22: „Zur gleichen Zeit senkt die Öffnung der Märkte für interregionalen und internationalen Handel die Bedrohung, die von Marktkonzentration ausgeht.“ Zu der Bedeutung potenziellen Wettbewerbs allgemein vgl. oben § 3 IV. 3. 494 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 6. 495 Vgl. hierzu Starodubrovskaya, The nature of monopoly and barriers to entry in Russia, S. 12. 493
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tungsabläufe verschiedener Genehmigungsverfahren belastet. Hierbei handelt es sich teilweise um eine besondere Form der strategischen Marktzutrittsbarrieren, eine Kollusion regionaler Marktführer mir regionalen Behörden oder Parlamenten. Teilweise erlassen Regionalparlamente auch Normen, durch die neu auf den Markt tretende Unternehmen offen diskriminiert werden.496 Solche Normen können zwar von der jeweiligen Wettbewerbsbehörde gemäß Art. 7 WG untersagt werden, alleine die Existenz derartiger Normen dürfte jedoch bereits manchen potenziellen Wettbewerber von einem Markteintritt abhalten. Im Übrigen können lange Verwaltungsverfahren (beispielsweise zur Erlangung von Umweltverträglichkeitsgenehmigungen), die insbesondere auf potenzielle ausländische Investoren eine hohe Abschreckungswirkung haben,497 durch die Wettbewerbsbehörden nicht ,,beschleunigt“ werden. Der vom Antimonopolministerium angenommenen Verbindung zwischen Marktentwicklung und potenziellem Wettbewerb ist deshalb nur insoweit zuzustimmen, als auf „nicht entwickelten“ Märkten die besondere Gefahr von Marktabschottungen durch starke Anbieter und damit die Verhinderung zukünftigen potenziellen Wettbewerbs besteht. Dies ist insbesondere auf neuen technologischen Märkten der Fall.498 Völlig unabhängig davon können Marktzutrittsschranken aber auch auf entwickelten Märkten existieren. Bei der Entwicklungsstufe des Marktes und dem Vorhandensein potenziellen Wettbewerbs handelt es sich deshalb um zwei voneinander getrennt zu betrachtende Merkmale, die jedes für sich für die Bestimmung der von einem Zusammenschluss ausgehenden Wettbewerbsgefahren von Bedeutung sein können, ohne dass zwischen diesen beiden Merkmalen eine besondere Abhängigkeit bestünde. Im Einzelnen bestehen neben den bezeichneten künstlichen, d.h. staatlich geschaffenen, Marktzutrittsschranken499 (bzw. Verwaltungsbarrieren) in Russland solche struktureller Art, die denen in entwickelteren Marktwirtschaften vergleichbar sind. Dies sind insbesondere Lernkosten für Neueinsteiger.500 Derartige Lernkosten bestehen auch für ausländische Unternehmen, die neu auf rus-
__________ 496
Starodubrovskaya, S. 12. Martinenko, Bar’ery vchoda na rynok, S. 62 f., spricht von Verwaltungsbarrieren. 498 Vgl. hierzu auch die Ausführungen über die Bedeutung, die die EU-Kommission Marktabschottungsgefahren auf jungen, sich entwickelnden Märkten beimisst; oben § 4 III. 3. d). 499 Vgl. hierzu im Einzelnen oben § 3 IV. 3. In seinem Tätigkeitsbericht für 1995 (gosudarstvennyj doklad 1995, S. 64) unterscheidet das damalige Antimonopolkomitee noch zwischen wirtschaftlichen und administrativen Schranken. Erstere seien durch die Steuerpolitik und staatliche Investitionsbedingungen, Preispolitik des Staates u.ä. geschaffen worden, zweitere dagegen seien die Folge reiner staatlicher Verwaltungsabläufe. Die Rückführung von „wirtschaftlichen Marktzutrittsschranken“ auf staatliche Vorgänge bringt noch stark die Wahrnehmung vom Staat als Regulator aller wichtigen wirtschaftlichen Umstände zum Ausdruck. Die in dem Bericht ebenfalls genannten sog. natürlichen Schranken wurden auf begrenzte Ressourcen zurückgeführt. Hierbei handelt es sich um die Fälle, die in Anwendung der essential facility-Doktrin behoben werden können. Vgl. dazu unten VII. 4. a). 500 Vgl. oben § 3 IV. 3. s. hierzu auch Martinenko, Bar’ery vchoda na rynok, S. 61. 497
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
sischen Märkten auftreten. Im Hinblick auf Produktionsverfahren sind sie unter Umständen ihren russischen Wettbewerbern überlegen. Bezüglich der Kenntnis des russischen Marktes, der Absatzwege und „weicher“ Faktoren dagegen sind die Lernkosten für sie aufgrund ihrer Herkunft aus einem völlig anderen Marktumfeld besonders hoch. Darüber hinaus werden insbesondere ausländische Unternehmen von einem Eintreten in russische Märkte durch Furcht vor rechtlicher Unsicherheit abgehalten, die in der bisweilen geäußerten Pauschalität nicht begründet ist.501 Dennoch ist sowohl in der russischen Öffentlichkeit als auch teilweise in Verwaltung und Gesetzgebung eine zumindest ausländerskeptische Grundeinstellung zu bemerken, die viele staatliche Entscheidungen mitbestimmt.502 Auch manchen Begründungen des Antimonopolministeriums haftet eine derartige Skepsis an.503 Durch eine solche Entscheidungspraxis kann auch das Antimonopolministerium mit dafür verantwortlich sein, dass ausländische Unternehmen von einem Eintritt in russische Märkte abgehalten werden und der von ihnen ausgehende potenzielle Wettbewerb entsprechend niedrig ist. Das Antimonopolministerium selbst bezeichnet als besondere Marktzutrittsschranken in Russland Barrieren „kriminellen Charakters“.504 Hiermit dürften Verbindungen zu sog. mafiaähnlichen Gruppen zu verstehen sein, die indes schwer festzustellen und deshalb kaum als Grundlage der Entscheidungsfindung genannt werden können. Auch unterhalb des Bereichs der Kriminalität bilden jedoch für Ausländer schwer durchschaubare persönliche Verbindungen eine beträchtliche Marktzutrittsschranke. Eine strukturelle Marktzutrittsschranke für Neueinsteiger aus benachbarten Märkten (regional oder national) ist des Weiteren das schwach ausgeprägte Transportwesen.505 Strategische Marktzutrittsbarrieren folgen im Wesentlichen aus der erwähnten Kollusion regionaler Marktführer mit regionalen Behörden oder Parlamenten.
__________ 501 In persönlichen Gesprächen erklären teilweise sogar in Russland tätige Unternehmer, Russland sei ein völlig gesetzesfreier Raum, eine funktionierend Justiz existiere nicht. Derartige pauschale Urteile sind, wie auch gerade die genannte kartellrechtliche Rechtsprechung zeigt, nicht zutreffend. 502 Vgl. hierzu insbesondere unten 3. c) und § 6 III. 503 Im Wesentlichen werden gegenüber Ausländern allerdings nicht Untersagungen, sondern rechtlich äußerst fragwürdige Auflagen erlassen. Vgl. dazu unten IV. 2. c). 504 Russisches Antimonopolkomitee, Tätigkeitsbericht 1995, S. 64. Vgl. auch den in § 2 III. oben geschilderten Eingangsfall. 505 Vgl. Joskow/Schmalensee/Tsukanova, Competition Policy in Russia during and after Privatization, S. 303. Dieser Umstand wurde bereits im Hinblick auf dadurch entstehende geographisch kleinere Märkte erwähnt. Vgl. oben 1. b) (2).
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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(6) Vertikale Aspekte Als eines der in Art. 4 Abs. 7 S. 3 WG genannten sonstigen Merkmale erwähnt die Wettbewerbsbehörde häufiger vertikale Aspekte. Das Demonopolisierungsprogramm der russischen Regierung506 betont als Ziel russischer Wettbewerbspolitik, vertikale Verbindungen innerhalb von Industriegruppen bzw. die Internalisierung der Verbindungen zwischen Lieferanten und Abnehmern, zu vermeiden. Der Tätigkeitsbericht des Antimonopolministeriums für die Jahre 1999-2001 bezeichnet die zunehmende „Bildung vertikal integrierter Unternehmensstrukturen“ dagegen als erste Haupttendenz wirtschaftlicher Konzentrationsentwicklungen.507 Als Beispiel werden insbesondere die chemischen und petrochemischen Industrien genannt, in denen der Abbau und die Verarbeitung von Öl und Gas sowie die Produktion von Kautschuk und Gummireifen innerhalb einer Konzernstruktur erfolgten.508 Die wettbewerblichen Gefahren vertikaler Integrationen bestehen insbesondere darin, dass eine marktbeherrschende Position, die ein Unternehmen auf einem Markt innehat, auf einen vor- oder nachgelagerten Markt übertragen wird.509 Dies kann geschehen, indem Bezugs- oder Absatzmöglichkeiten abgeschottet werden. Entsprechend werden auch in der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle vertikale Aspekte berücksichtigt. In beiden Systemen erfolgt dies im Rahmen des Merkmals des Zugangs zu Absatz- und Beschaffungsmärkten. In der russischen Entscheidungspraxis waren vertikale Aspekte im Zusammenschlussvorhaben VSMPO/Avismar510 von Bedeutung. VSMPO hatte auf dem russischen Markt für Titanwalz einen Marktanteil von 85%. Avismar, sein Hauptlieferant für Titangrundstoff, war nach Einschätzung des Antimonopolministeriums auf diesem Markt marktbeherrschend.511 Das Vorhaben von VSMPO, 78% der stimmberechtigten Anteile an Avismar zu erwerben, wurde vom Antimonopolministerium deshalb nur unter Verhaltensauflagen freigegeben, durch die gewährleistet werden sollte, dass Avismar auch Wettbewerber von VSMPO weiterhin zu angemessenen Preisen mit Titan beliefern würde. Eine Verpflichtung von VSMPO, Titangrundstoff auch von Wettbewerbern von Avismar zu erwerben, wurde dagegen nicht begründet. Dies dürfte insofern
__________ 506 Staatliches Programm zur Demonopolisierung der Wirtschaft und zur Entwicklung des Wettbewerbs auf den Märkten der russischen Föderation (Hauptrichtungen und vorrangige Maßnahmen), Entscheidung der russischen Regierung Nr. 191 vom 9. März 1994, vgl. auch oben § 2 II. 5. 507 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1999-2001, S. 34. 508 Ein Beispiel sei die OAO „Sibur“, Antimonopolministerium, S. 35. 509 Vgl. hierzu § 3 II. 4. 510 Vgl. oben II. 5. 511 Der Bericht des Antimonopolministeriums enthält keine Angaben über die Höhe des Marktanteils von Avismar.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
sachgerecht sein, als alle Wettbewerber von VSMPO auf dem Markt für Titanwalz insgesamt lediglich über einen Marktanteil von 15% verfügten, entsprechend auch nur eine geringe Nachfrage nach Titangrundstoff hatten und folglich schützenswerter gewesen sein dürften als die Wettbewerber von Avismar. Vermutlich war VSMPO aufgrund seines hohen Bedarfs an Titangrundstoff auf die Belieferung durch Wettbewerber von Avismar ohnehin angewiesen. Ausführungen hierzu enthält der Bericht des Antimonopolministeriums jedoch nicht.512 Das Ziel des Anteilserwerbs an Avismar dürfte tatsächlich darin bestanden haben, den Beschaffungsmarkt für Wettbewerber von VSMPO abzuschotten. Zumindest verwirklichte VSMPO sein Vorhaben, die Mehrheit der Anteile an Avismar zu erwerben, nach Erlass der Auflagen nicht.513 Die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung aufgrund vertikaler Effekte wurde ebenfalls bei dem Zusammenschlussvorhaben der OAO Novolipeckij Metallurgiþeskij Kombinat, eines auf einigen regionalen Märkten marktbeherrschenden Gusseisen- und Walzmetallherstellers, mit der OAO Studenovskaja Akcionernaja Gornodobyvajušþaja Kompanija (OAO NLMK/OAO STAGDOK) angenommen.514 STAGDOK ist in der Kalksteingewinnung tätig und auf einigen regionalen Märkten ebenfalls marktbeherrschend. 90% seines Absatzes liefert es an NLMK. Das Antimonopolministerium befürchtete deshalb, dass durch den Zusammenschluss zwischen NLMK und STAGDOK die Wettbewerber von NLMK bzw. andere Kunden von STAGDOK benachteiligt werden könnten. Dennoch gab das Antimonopolministerium den Zusammenschluss unter Auflagen frei. Ausschlaggebend hierfür war nach eigener Darstellung des Antimonopolministeriums die äußerst schwache finanzielle Situation von STAGDOK, zu deren Verbesserung sich NLMK gegenüber dem Antimonopolministerium verpflichtete.515 Das Antimonopolministerium erwartete, dass der Zusammenschluss STAGDOK vor der möglichen Insolvenz bewahren würde. Der Erwerb der Kontrollmehrheit der Aktien an STAGDOK durch NLMK wurde deshalb unter der Bedingung freigegeben, dass sich NLMK dem Antimonopolministerium gegenüber zu Investitionsmaßnahmen bei STAGDOK verpflichtete. Des Weiteren verpflichtete sich NLMK, während eines Zeitraums von 3 Jahren den regionalen Wettbewerbsbehörden halbjährlich die Kalksteinabsatz-
__________ 512 An dieser Stelle wird wieder ein Hauptproblem der Analyse der russischen Zusammenschlusskontrollpraxis deutlich. Die deutlich unzureichende Informationspolitik des Antimonopolministeriums lässt oft nur Vermutungen auf rechtliche Erwägungen und Begründungen zu. Vgl. hierzu auch unten § 6 V. 2. 513 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 26. 514 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 27 f. 515 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 27 f.; zu Investitionsauflagen und ihrer rechtlichen Begründbarkeit bzw. Fragwürdigkeit im Allgemeinen vgl. unten IV. 1. c).
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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zahlen und -preise von STAGDOK mitzuteilen. Im Falle von Preiserhöhungen verpflichtete sich NLMK, diese „wirtschaftlich“ zu begründen.516 Die Investitionsmaßnahmen wurden von NLMK tatsächlich ausgeführt, die Insolvenz STAGDOKs vermieden. Erhöhungen der Kalksteinpreise bzw. Reduzierungen des Absatzes an Wettbewerber von NLMK sind zumindest nicht bekannt. Erstaunlich ist bei diesem Zusammenschlussvorhaben allerdings, welche Bedeutung das Antimonopolministerium den Investitionsmaßnahmen durch NLMK beimisst. Das Antimonopolministerium war der Auffassung, dass Wettbewerbsgefahren infolge vertikaler Integration durch die Auflage an NLMK, Angaben über Absatz- und Preispolitik zu machen, behoben seien. Soweit dies der Fall war, hätte es einer Rechtfertigung für die darüber hinausgehenden Investitionsauflagen nicht mehr bedurft. NLMK/STAGDOK ist deshalb ein Beispiel dafür, dass das Antimonopolministerium auch industriepolitische Ziele verfolgt, ohne dass es durch Rechtsgrundlagen hierzu ermächtigt wäre.517 Ebenfalls vertikale Wettbewerbsgefahren wurden im Zusammenschlussvorhaben zwischen der OAO Neftjanaja Kompanija (Ölgesellschaft) Komi TEK, der OAO Uchtinskij Neftepererabatyvajušþij Zavod und der OAO Kominefteprodukt angenommen. Das insbesondere in der Ölgewinnung tätige Unternehmen Komi TEK wollte beherrschenden Einfluss an dem ölverarbeitenden Unternehmen Uchtinskij und dem Heizmittelhändler Kominefteprodukt erlangen. Dadurch, dass sowohl Uchtinskij als auch Kominefteprodukt auf ihren jeweiligen Märkten in der Republik Komi marktbeherrschend waren, wurde befürchtet, dass sich diese marktbeherrschende Stellung infolge vertikaler Integration auf Komi TEK übertragen würde, bzw. der entstehende Konzern Wettbewerber von Uchtinskij und Kominefteprodukt benachteiligen würde. Da der Zusammenschluss jedoch beträchtliche Betriebsgrößenvorteile mit sich bringen sollte, wurde das Vorhaben unter Auflagen freigegeben, die die Wettbewerbsgefahren infolge vertikaler Integration vereiteln sollten. Durch diese Auflagen wurden die beteiligten Unternehmen verpflichtet, die zuständige regionale Wettbewerbsbehörde regelmäßig über ihre Absatzpolitik auf allen drei Produktionsstufen, etwaige Reduzierungen der Absatz- oder Fördermengen, wichtigste Handelspartner (insbesondere den Abbruch etwaiger Handelsbeziehungen) und wichtige Preiserhöhungen zu informieren. (7) Wirtschaftliche Macht, Finanzkraft und Portfolioeffekt Das Argument der wirtschaftlichen Macht, der Finanzkraft oder eines Portfolioeffektes wird in russischen Entscheidungen – soweit ersichtlich – im Unter-
__________ 516 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 27 f. 517 Vgl. unten V. 2. f) (3).
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
schied zu deutschen518, aber ähnlich den europäischen Entscheidungen519 selten genannt. Dennoch scheint es einer der Hauptaspekte für die Annahme von Marktbeherrschung zu sein. Nur so lässt sich begründen, dass Zusammenschlussvorhaben durch ausländische Unternehmen auch dann regelmäßig nur unter Auflagen freigegeben werden, wenn der ausländische Erwerber noch gar nicht auf dem jeweiligen russischen Markt tätig ist, vorausgesetzt, der Marktanteil des russischen Unternehmen überschreitet die Mindestschwelle der Marktbeherrschung von 35%. Der Erwerb von drei russischen Tabakherstellern mit einem gemeinsamen Marktanteil von 17% durch die noch nicht auf dem russischen Markt tätige niederländische J. T. International Holding B.V. beispielsweise wurde notwendigerweise ohne Auflagen freigegeben.520 Sobald jedoch die Mindestschwelle von 35% überschritten ist, werden ausländischen Erwerbern unabhängig von einer Tätigkeit auf dem russischen Markt regelmäßig Auflagen auferlegt.521 Obwohl ein solches Zusammenschlussvorhaben zumindest unmittelbar keine Marktanteilszunahme nach sich ziehen kann, wird apodiktisch die Gefahr der Verstärkung von Marktbeherrschung angenommen. Konkret äußert das Antimonopolministerium häufig seine Befürchtung, dass der Erwerb russischer Unternehmen durch ausländische Erwerber oft mit dem Ziel erfolge, die russischen Unternehmen wirtschaftlich zu ruinieren, d.h. aus dem Markt zu ziehen, um so Absatzmöglichkeiten für die ausländischen Produkte der Investoren zu eröffnen.522 So heißt es im Bericht des Antimonopolministeriums über die Zusammenschlusskontrolle, „der Aufkauf von Kontrollbeteiligungen an marktbeherrschenden russischen Unternehmen mit dem Ziel, diesen Wettbewerber vom jeweiligen Gütermarkt zu drängen“, sei eine „typische Verhaltensweise großer ausländischer Unternehmen“.523
Angesichts der regelmäßig sehr viel höheren Produktionskosten ausländischer Produkte und der nur sehr schwachen Finanzkraft des ganz überwiegenden Teils der russischen Bevölkerung überzeugt diese Furcht nicht sehr. Nur ein sehr kleiner Teil der russischen Bevölkerung ist wirtschaftlich in der Lage, viele der prestigeträchtigen teureren ausländischen Produkte zu kaufen. Über-
__________ 518 Vgl. bsplw. den Verweis auf die Untersagung Hochtief/Phillip Holzmann des BKartA oben § 4 III. 3. i). 519 In Lyonnaise-des-Eaux/Suez (Kommission, Entscheidung vom 5.6.1997, Sache IV/M.916, ABl. 1997 C 207/12) beispielsweise wurde der Umstand, dass durch den Zusammenschluss eine der größten französischen Industriegruppen entstehen sollte, von der Kommission nur kurz erwähnt, ohne dass hieraus irgendwelchen wettbewerblichen Konsequenzen folgten. 520 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 25 521 Bzgl. zahlreicher Beispiele vgl. unten IV. 1. c). 522 Vgl. hierzu insbesondere unten § 6 III. 523 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 18 (Übersetzung durch den Autor).
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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dies ist nicht verständlich, aus welchen Gründen ausländische Unternehmenserwerber den umständlichen Weg des Erwerbs zwecks anschließender Schließung des Unternehmens wählen sollten, anstatt direkt in den Markt einzutreten. Dennoch nennt das Antimonopolministerium diese Befürchtung – nach eigenen Angaben und denen in Moskau tätiger Rechtsanwälte – sehr oft als Begründung für Auflagen bei einem Unternehmenserwerb durch einen auf dem betreffenden Markt noch nicht auftretenden Anbieter. Da solche Auflagen de lege lata jedoch die Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer Marktbeherrschung voraussetzen, kann eine solche bei einem neu in einen Markt eintretenden Unternehmen nur auf das Merkmal der wirtschaftlichen Macht oder Finanzkraft gestützt werden.524 Auch der anmeldepflichtige Erwerb von Anteilen an einem marktbeherrschenden Unternehmen im Rahmen einer Privatisierung wird grundsätzlich nur unter Informationsauflagen im Hinblick auf Absatz-, Nachfrage- und Preispolitik genehmigt.525 Dies gilt für ausländische Erwerber ebenso wie für russische. Diese Auflagen können ebenfalls nur im Einklang mit dem Wortlaut des WG stehen, wenn in dem Erwerb eines staatlichen marktbeherrschenden Unternehmens durch eine nichtstaatliche Person eine Verstärkung der marktbeherrschenden Position gesehen wird. Soweit der Erwerber auf dem jeweiligen russischen Markt noch nicht tätig ist, kann auch diese Verstärkung nur Folge wirtschaftlicher Macht bzw. von Finanzkraft, unter Umständen eines Portfolioeffekts, sein. Deren Vorliegen wird – ebenso wie in den oben genannten Fällen des Erwerbs russischer marktbeherrschender Unternehmen durch ausländische Investoren bei diesen – vom Antimonopolministerium jedoch nicht geprüft. Vielmehr sind Freigabeentscheidungen eines Erwerbs im Rahmen einer Privatisierung grundsätzlich mit derartigen Auflagen verbunden.526
__________ 524 Zu dieser Entscheidungspraxis vgl. auch unten V. 1. c) und § 6 III.; sowie Thiel, Das Wettbewerbs- und Kartellrecht in Osteuropa, S. 119, der davon ausgeht, dass die Übernahme eines marktbeherrschenden osteuropäischen Unternehmens durch ein westliches Unternehmen aufgrund dessen Finanzkraft regelmäßig zu einer Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung führen werde. Aufgrund des großen Bedarfs osteuropäischer Volkswirtschaften an ausländischen Investitionen solle eine solche Finanzkraft von osteuropäischen Kartellbehörden grundsätzlich nicht negativ bewertet werden. Ob dem in der Allgemeinheit zugestimmt werden kann, erscheint äußerst fraglich. Insbesondere der Schutzzweck der Fusionskontrolle – Wahrung des Wettbewerbs – spricht gegen eine solche Argumentation. Lediglich einschränkende Zustimmung zu einer solchen These deshalb auch von Willig, Antimonopol’naja Politika, S. 314 f., und Hansen, Wettbewerbsschutz in Mittel-/ Osteuropa, S. 1004, die den Bedarf der russischen Volkwirtschaft nach ausländischen Investitionen betonen, denen eine zu „harte Antikartellpolitik“ entgegenstehen könnte. Dennoch darf nicht vernachlässigt werden dass von einer besonderen Finanzkraft Marktstrukturgefahren ausgehen können, die vereitelt werden müssen. Durch eine restriktivere Auflagenpolitik könnte dem jedoch – nach intensiver Beschäftigung mit der Frage, ob das Finanzkraftargument im gegebenen Fall überhaupt vorliegt – hinreichend entsprochen werden. 525 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44. 526 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Laut Bardina liegt ein Hauptzweck der russischen Fusionskontrolle darin, die Übernahme alter Staatsmonopole durch private Unternehmen zu vermeiden.527 Dieser Zweck rechtfertige die Auflagenpraxis bei der Übernahme marktbeherrschender staatliche Monopole. Dem mag ökonomisch zuzustimmen sein. Bedauerlicherweise steht diese Auflagenpraxis jedoch in eindeutigem Widerspruch zu dem Wortlaut des WG, der für Untersagungsverfügungen oder Auflagen die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung voraussetzt. Die unzureichende Kompetenz des Antimonopolministeriums bei der Privatisierung von Unternehmen und Entflechtung staatlicher Unternehmen kann durch eine Zusammenschlusskontrolle wider deren eindeutigen Wortlauts nicht geheilt werden. Um zahlreiche Auflagen russischer Wettbewerbsbehörden in den Fallgruppen des Erwerbs eines marktbeherrschenden Unternehmens durch ein nicht auf dem russischen Markt tätiges ausländisches Unternehmen sowie des Erwerbs im Rahmen einer Privatisierung trotz ihres Begründungsdefizits zu legitimieren, ist deshalb davon auszugehen, dass wirtschaftliche Macht und Finanzkraft, ggf. auch der Portfolioeffekt, ein wichtiges „sonstiges Marktmachtmerkmal“ im Sinne von Art. 4 WG bilden. Dies setzt allerdings voraus, dass die Wettbewerbsbehörde in ihren Entscheidungen auch begründet, aus welchen Gründen heraus sie diese Umstände annimmt. Bei wirtschaftlicher Macht und Finanzkraft müsste sie insbesondere nachweisen, dass die übernehmenden Unternehmen diese Merkmale in wesentlich stärkerem Umfang erfüllen als andere Marktteilnehmer, weil nur unter diesen Voraussetzungen von der Finanzkraft bzw. wirtschaftlichen Macht ein besonderer wettbewerblicher Druck ausgehen kann.528 Diese Merkmale dagegen apodiktisch vorauszusetzen, sobald ein Unternehmen im Rahmen einer Privatisierung erworben oder der Erwerber ausländische Staatsangehörigkeit bzw. Sitz hat, steht mit keiner möglichen Auslegung des WG im Einklang. 2. Wettbewerbsbehinderung Ähnlich der europäischen Fusionskontrolle kennt auch das russische System das Kriterium der Wettbewerbsbehinderung. So bestimmt Art. 17 Abs. 3 WG als Voraussetzung für eine Untersagungsverfügung, dass das Zusammenschlussvorhaben eine marktbeherrschende Stellung begründen oder verstärken und/oder zu einer Wettbewerbsbehinderung führen kann. Entsprechend lautet der Wortlaut von Art. 18 Abs. 4 und Abs. 7 WG. In der Entscheidungspraxis
__________ 527 Vgl. Bardina, Competition and Monopolies in the Russian Federation, S. 297: „Merger Regulation – … This supervision is intended to prevent the old state monopolies from being inherited by the emerging private sector.“ 528 Vgl. hierzu auch oben § 4 III. 3. c).
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des Antimonopolministeriums hatte das Kriterium der Wettbewerbsbehinderung bislang allerdings – soweit ersichtlich – ebenso wie in der europäischen Fusionskontrolle keine eigenständige Bedeutung. Soweit ersichtlich, wurde keine Wettbewerbsbehinderung ohne Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung angenommen. Das Antimonopolministerium hat sogar in mehreren Entscheidungen festgestellt, dass Marktanteile, die unterhalb der Schranke für Marktbeherrschung von 35% liegen, Untersagungsverfügungen ausschließen. Dies war beispielsweise in dem Zusammenschlussvorhaben J.T. International Holding BW. W. (Niederlande)/R.J.R. Tobako-Ilic u.a. der Fall. Das niederländische Unternehmen, das das russische Tabakunternehmen R.J.R. Tobako Ilic erwerben wollte, hielt bereits über 90% der stimmberechtigten Aktien an drei anderen russischen Tabakunternehmen, die gemeinsam über einen Marktanteil von 17% verfügten, während R.J.R. Tobako Ilic einen Marktanteil von 14% hatte. Obgleich J.T. International Holding B.V. auch 95% der Anteile eines wichtigen Tabakvertriebsunternehmens hielt, konnten mögliche vertikale Effekte keine Marktbeherrschung begründen, da zu erwarten war, dass das niederländische Unternehmen auch nach Verwirklichung des Vorhabens einen Marktanteil von weniger als 35% haben würde. Das Antimonopolministerium führte in der Entscheidung aus, dass deshalb auch keine Wettbewerbsbehinderung vorliegen könne, da diese zwingend die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung voraussetze.529 Ebenso wie in der europäischen Fusionskontrolle folgt aus dem Merkmal der „Wettbewerbsbehinderung“ deshalb keine zusätzliche Anwendung des sog. „SLC“-Tests,530 der nach verbreiteter Auffassung allerdings auch gar keinen zusätzlichen Erkenntniswert haben kann.531 Im Rahmen der Erörterung der Behinderungsklausel im europäischen Recht wurde in dieser Abhandlung vorgeschlagen, die – in der europäischen und russischen Fusionskontrolle – unbekannte Abwägungsklausel unter das Merkmal der Wettbewerbsbehinderung zu subsumieren.532 Dieser Vorschlag gilt entsprechend für das System der russischen Fusionskontrolle. Soweit ersichtlich, ist das Problem der Abwägung wettbewerblicher Vor- und Nachteile auf unterschiedlichen Märkten in der russischen Literatur allerdings noch nicht diskutiert worden.533
__________ 529 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 25. 530 Nach verbreiteter Auffassung kann der SLC-Test auch keinen weiteren Anwendungsbereich haben als das Merkmal der Begründung oder Verstärkung von Marktbeherrschung. Vgl. hierzu oben § 4 III. 3. k). 531 Vgl. Alfers, Untersagungskriterien in der Fusionskontrolle, S. 20 ff. 532 Vgl. oben § 4 III. 3. k). 533 Eine Abwägungsklausel – entsprechend § 36 Abs. 1 GWB – enthält die russische Fusionskontrolle nicht.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
3. Positive sozioökonomische Effekte a) Überblick Trotz Vorliegens der genannten Eingreifkriterien kann ein Zusammenschlussvorhaben gemäß Art. 17 Abs. 4 bzw. Art. 18 Abs. 5 WG freigegeben werden, wenn die Antragsteller „beweisen“, dass „der positive Effekt des Zusammenschlussvorhabens, insbesondere im sozioökonomischen Bereich,“ die negativen Folgen des Vorhabens überwiegt. Positive wettbewerbliche Folgen – zumindest auf identischen Märkten – sind bereits im Rahmen der Gefahr einer Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Position zu prüfen. Bei den sonstigen positiven Effekten handelt es sich deshalb im Wesentlichen534 um nicht-wettbewerbliche Aspekte, d.h. um die sogenannten „positiven Effekte, insbesondere im sozioökonomischen Bereich“. Diese bezeichnet das Antimonopolministerium in seiner Entscheidungspraxis kurz und allgemein als „positive sozioökonomische Effekte“. Dabei vermeidet es allerdings eine Definition des Begriffes. Vielmehr erörtert es, teils unter ausdrücklichem Verweis auf den Begriff der sozioökonomischen Effekte, teils ohne einen solchen, gelegentlich Rechtfertigungsgründe für die Freigabe von Zusammenschlussvorhaben trotz Vorliegens der Gefahr einer Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Aus der Entscheidungspraxis lassen sich vier Fallgruppen solcher Rechtfertigungsgründe zusammenfassen, die im folgenden diskutiert werden sollen: die bereits in § 3 III. 5. erörterte internationale Wettbewerbsfähigkeit, die sog. interne Wettbewerbsfähigkeit, bzw. economies of scale im Sinne von § 3 III. 1. und 2. oben, die Überlebensfähigkeit des übernommenen Unternehmens (das Sanierungsargument) und der Schutz von Arbeitsplätzen. Technischer Fortschritt und konglomerale Vorteile spielen demgegenüber keine bedeutsame Rolle. b) Konkurrenz als Träger des Schutzguts „Wettbewerb“ – Kantzenbach und die Gefahren seiner „Missdeutung“ in Russland im Rahmen sog. positiver sozioökonomischer Effekte Ausdrücklich betont das Antimonopolministerium, dass positive sozioökonomische Effekte höheres Gewicht haben können als die sich aus einem Zusammenschluss für die Konkurrenz ergebenden negativen Folgen. Dieses Ergebnis wird sogar als „Politik des gesunden Menschenverstandes“ bezeichnet.535 Damit wird ein Konzept zum Ausdruck gebracht, das Wettbewerb nicht als Prinzip, sondern lediglich als Vehikel zum Schutze der Konkurrenz ver-
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Eine Ausnahme kann das „Sanierungsargument“ bilden. Vgl. hierzu unten e). Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 7. 535
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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steht. Im traditionellen Hoppmann/Kantzenbach-Streit darüber, ob Wettbewerb im Sinne von Freiheit ein „Ziel in sich selbst“ ist536 oder ob Wettbewerb bestimmte Funktionen, insbesondere die der optimalen Faktorallokation unter Berücksichtigung der Käuferpräferenzen,537 zu erfüllen hat, ist dies eine deutliche Stellungnahme für Kantzenbach. Wettbewerb wird durch das Antimonopolministerium als Schutzgut der Wettbewerber dargestellt. Ihm wird die Funktion zuerkannt, Wettbewerber zu schützen. Gegenüber einem per se zu schützenden Freiheitsprinzip Wettbewerb ist ein Wettbewerb, dem bestimmte Schutzfunktionen zuerkannt werden, leichter zu relativieren. Eine Abwägung zwischen den Rechtsinteressen der durch Wettbewerb geschützten Personen, d.h. der Wettbewerber, mit denen anderer Personen, z. B. der Arbeitnehmer, liegt nahe. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch, dass Wettbewerber, nicht dagegen Verbraucher, als durch Wettbewerb geschützte Rechtsgutinhaber bezeichnet werden. Eine Abwägung zwischen Verbraucher- und Arbeitnehmerinteressen wäre politisch schwerer zugunsten letzterer zu entscheiden als eine Abwägung zwischen Wettbewerbern und Arbeitnehmern. Arbeitnehmerschutz ist üblicherweise eher ein Argument gegen Zusammenschlüsse, da durch einen Zusammenschluss hervorgerufene economies of scale538 gerade auch in einer Reduzierung der Arbeitnehmeranzahl bestehen können. In Russland dagegen werden Arbeitnehmerinteressen oft als Argumente für einen Zusammenschluss genannt. Teilweise geschieht dies direkt,539 teilweise – unter Verweis auf eine angebliche internationale Wettbewerbsfähigkeit – auch indirekt.540 Ein Wettbewerbsbegriff à la Kantzenbach kann deshalb im russischen Kontext dahingehend miss(!)verstanden werden, dass er nur dann schützenswert erscheint, wenn ihm sozioökonomische Erwägungen nicht entgegenstehen. Diese Gefahr erscheint um so naheliegender, wenn der Begriff des „gesunden Menschenverstandes“ verwendet wird, der an Unbestimmtheit und Öffnung für politisch motivierte Entscheidungen kaum zu überbieten ist. Die positiven sozioökonomischen Erwägungen sind vor diesem Hintergrund ein gefährliches industriepolitisches Einfallstor.
__________ 536 Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, S. 14 f.; ders., Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs – Bemerkungen zu Kantzenbachs Erwiderung, S. 252. 537 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, S. 16 ff. 538 Vgl. hierzu oben § 3 III.1. 539 Vgl. unten f). 540 Vgl. unten c).
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
c) Internationale Wettbewerbsfähigkeit Besondere Bedeutung misst das russische Antimonopolministerium dem Argument der internationalen Wettbewerbsfähigkeit541 bei. Teilweise bezeichnet das Antimonopolministerium den Schutz der Konkurrenzfähigkeit russischer Unternehmen gegenüber großen internationalen Unternehmen sogar als einen Hauptzweck der Zusammenschlusskontrolle.542 Entsprechend oft wird dieses Argument bei Zusammenschlussvorhaben als mögliche Rechtfertigung erörtert. In der alten Fassung des Wettbewerbsgesetzes wurde internationale Wettbewerbsfähigkeit sogar noch ausdrücklich als Rechtfertigungsgrund für Freigabeentscheidungen genannt.543 Unabhängig von der Streichung dieser ausdrücklichen Regelung, ist die Ansicht, dass nur große russische Unternehmen gegenüber ausländischen Konkurrenten im Wettbewerb bestehen könnten, in Russland jedoch noch sehr verbreitet. Reynolds beispielsweise weist daraufhin, dass in der russischen Öffentlichkeit Anfang der 90er Jahre die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit russischer Produkte gegenüber ersten westlichen Importen nicht auf deren höhere Qualität, sondern auf die Größe und damit verbundene finanzielle Stärke der ausländischen Unternehmen zurückgeführt worden sei.544 Der Wettbewerb russischer Unternehmen mit ausländischen Unternehmen wird dabei als ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Volkswirtschaften betrachtet, in dem es das Ziel der einen Volkswirtschaft sei, die andere zu zerstören.545 Eine nicht näher bezeichnete Unterstützung internationaler Unternehmensübernahmen durch die Regierungen Großbritanniens und der USA bezeichnet das Antimonopolministerium als „protektionistische Politik im Hinblick auf die eigenen Unternehmen“, da insbesondere US-amerikanische und britische Unternehmen an einem Erwerb russischer Unternehmen aus dem Bereich der
__________ 541
Zu dem Argument allgemein vgl. oben § 3 III. 5. Die Homepage des Antimonopolministeriums (www.maprf.ru), Stand 01. Juli 2003, bezeichnet die „Verteidigung der Interessen russischer Produzenten“ auf „dem internationalen Markt“ als eine „Hauptrichtung“ ihrer Politik. Vgl. auch Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 7: ,,... positive ökonomische Effekte der ökonomischen Konzentration vom Standpunkt der Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit auf inneren und internationalen Gütermärkten“; Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 42: „Die durchgeführte Kontrolle erlaubt es, Erscheinungen neu integrierter Strukturen monopolistischen Charakters zu vermeiden, ohne gleichzeitig eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit auf den inneren und internationalen Märkten zu vermeiden.“ 543 Vgl. hierzu Martemjanov, Chozjajstvennoje pravo, S. 211. Eine vergleichbare Regelung enthielt jedoch auch ein Entwurf für eine europäische Fusionskontrollverordnung der Europäischen Kommission aus dem Jahr 1984. Vgl. hierzu oben § 4 I. 1. 544 Vgl. Reynolds, Addressing Russia's economic crisis, S. 42: „Such views are sometimes backed up by references to the number of domestic suppliers that were unable to compete after abrupt trade liberalization opened Russian markets to foreign producers, whose advantages in production, packaging technology and large advertising budgets seemed enormous.“ 545 Reynolds, S. 42: „... competition between national economies, in which nations are suspected of deliberately fostering the economic destruction of their neighbors.“ 542
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
183
Metallurgie interessiert seien.546 In seinem Tätigkeitsbericht für die Jahre 19992001 bezeichnet das Antimonopolministerium es als seine Aufgabe, angesichts der zunehmenden ausländischen Investitionen in Russland ein Konzept der strategischen Industrieentwicklung Russlands für die nächsten 10 bis 15 Jahre zu entwickeln. Dies solle „eine Strategie der Bildung integrierter Unternehmensstrukturen und Entwicklungsszenarien zur Sicherstellung der Verteidigungsbereitschaft, der wirtschaftlichen Sicherheit, der technologischen und Ressourcenunabhängigkeit Russlands“
und der Entwicklung des „Ersatzes von Import“ umfassen. Auf der Grundlage einer solchen Strategie könnten besser begründete und systematischere Fusionskontrollentscheidungen getroffen werden, die unter anderem der „strategischen Entwicklung Russlands im Ganzen“ dienten.547 Die große Bedeutung vermeintlicher nationaler Interessen in der Fusionskontrolle ergibt sich auch aus der Betonung des sog. Konzepts der nationalen Sicherheit. Dieses bezeichnet gemäß einem Ukas des Russischen Präsidenten (Ukas vom 10. Januar 2000) die Fähigkeit, nationale Interessen Russlands ausschließlich auf der Grundlage stabilen Wachstums der eigenen Volkswirtschaft zu verteidigen.548 Daneben nennt das Antimonopolministerium die sog. wirtschaftliche Sicherheit, die als die „Fähigkeit eines Landes, seine Bevölkerung zu ernähren“,549 definiert wird. Der Umstand, dass beide Begriffe im Rahmen von Ausführungen über die Strukturkontrolle und das Interesse ausländischer Unternehmen an der Übernahme russischer Wettbewerber verwendet und erläutert werden, zeigt, dass solche Übernahmen nach Auffassung des Antimonopolministeriums die sog. „nationale“ und/oder „wirtschaftliche“ Sicherheit gefährden. Des Weiteren wird im selben Zusammenhang betont, dass es russischen Aluminiumproduzenten gelungen sei, die Übernahme durch „westliche“ Wettbewerber „abzuwehren“.550 Solche Übernahmen zu vereiteln, betrachtet das Antimonopolministerium offenbar auch als seine eigene Aufgabe. Angesichts „zunehmender ausländischer Investitionen in die russische Volkswirtschaft“ sei „die Durchführung adäquater staatlicher Regulierung und Kontrolle mit dem Ziel der vernünftigen Verteidigung russischer Gütermärkte und dem Schutz der nationalen wirtschaftlichen Sicherheit“
__________ 546
Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii, S. 2 Antimonopolministerium, Gosudarstvennye doklady o konkurentnoj politike – Doklad o konkurentnoj politike v Rossijskoj Federacii (1999-2001), S. 41. 548 Verweis hierauf in Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii, S. 2. 549 Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii, S. 3. 550 Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii , S. 1. 547
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
(sic!) erforderlich.551 Obgleich dieses Ziel nur durch Untersagungen, nicht dagegen durch Freigaben trotz wettbewerblicher Gefahren erreicht werden kann, zeigt die Betonung dieser nationalen Erwägungen durch das Antimonopolministerium im Rahmen von Darstellungen über die Marktstrukturkontrolle, dass der russischen Fusionskontrolle die Gefahr wettbewerbsfeindlicher Entscheidungen im vermeintlichen nationalen Interesse anhaftet. Solche – vom Gesetz nicht getragenen – selbstgestellten Aufgaben der „vernünftigen Verteidigung russischer Gütermärkte und des Schutzes der nationalen wirtschaftlichen Sicherheit“
erscheinen äußerst wettbewerbsfern und von einem Gedankengut geprägt, dessen Bezeichnung als „nationalistisch“ alleine der Charakter dieser Arbeit verbietet. Zumindest bringen sie ein enormes Maß an Xenophobie zum Ausdruck. Besonders überraschend und fragwürdig ist dabei die Annahme, dass russische Gütermärkte verteidigt würden, indem ausländische Investoren ausgeschlossen werden. Eine sich entwickelnde Marktwirtschaft wie die russische mit vergleichsweise gut ausgebildeten Arbeitskräften benötigt wohl keinen Produktionsfaktor so dringend wie Kapital, d.h. ausländische Investitionen. Dies wird zwar teilweise anerkannt.552 Im Wesentlichen scheint das russische Antimonopolministerium mit ausländischen Investitionen jedoch die Befürchtung zu verbinden, dass ausländische Unternehmen russische Wettbewerber aufkauften, um diese dann zu vernichten und so größere Absatzmöglichkeiten der ausländischen Erwerberunternehmen zu eröffnen.553 Damit solle der Absatz russischer Güter in das Ausland vereitelt werden. Eben jenen zu fördern, betrachtet das Antimonopolministerium aber als sein im Rahmen der Fusionskontrolle anzustrebendes Ziel.554 Als besonders schutzwürdig betrachtet das Antimonopolministerium folglich die international auftretenden Unternehmen der sogenannten natürlichen Monopole.555 Als solche werden Rohstoffe, Eisenbahn und Schifffahrt bezeichnet. Unternehmen wie RAO Gazprom, der Elektroenergieversorger RAO EES und die MPS Russlands seien nur aufgrund ihrer faktischen Monopolstellung innerhalb des Landes in der Lage, ihre Produkte bzw. Leistungen auf dem Weltmarkt zu veräußern.556 Den
__________ 551
Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii, S. 1. Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii, S. 3; „… die eigenern Ressourcen und die ausländischer Investoren müssen genutzt werden.“ 553 Vgl. bsplw. das Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii, S. 2, im Hinblick auf die geplante Übernahme russischer Aluminiumhersteller durch „westliche Unternehmen“. 554 Antimonopolministerium, Kontrol’ êkonomiþeskoj koncentracii, S. 3. 555 Vgl. hierzu auch unten VII. 4. a). 556 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 7. 552
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
185
„harten Bedingungen des Konkurrenzkampfes mit ausländischen transnationalen Kooperationen, die auf diesen Märkten tätig sind,“557
könnten sich nur Unternehmen stellen, die als einzige innerhalb Russlands das jeweilige Produkt anbieten. Unterstützt wird diese These durch die – wie geschildert unzutreffende558 – Annahme, dass es sich bei den Rohstoff- und Transportmärkten um internationale oder gar Weltmärkte handle, so dass die Marktkonzentration international zu bestimmen sei.559 Bei dieser Annahme wird die Verfügbarkeit russischer Rohstoffe für ausländische Kunden mit der Erreichbarkeit ausländischer Rohstoffe für russische Kunden verwechselt. Dies gilt beispielsweise für den russischen Ölmarkt, auf dem im Gegensatz zu außerrussischen Märkten fast ausschließlich russische Anbieter auftreten. Gerade der russische Ölmarkt zeigt aber auch, dass die These, derzufolge nur Unternehmen ohne nennenswerten Wettbewerb auf ihrem „Heimatmarkt“ international wettbewerbsfähig seien, nicht zutrifft. Ölförderung und Ölvertrieb werden in Russland bereits von verschiedenen, miteinander im Wettbewerb stehenden, russischen Unternehmen betrieben (insb. Lukoil, Tatneft, Mosneft), die Öl jeweils auch im Ausland absetzen. Das Argument der internationalen Wettbewerbsfähigkeit kann deshalb nicht erfolgreich dazu dienen, den Schutz marktbeherrschender Positionen zu rechtfertigen.560 Vielmehr scheinen international wettbewerbsfähig gerade jene Unternehmen zu sein, die in ihrem Heimatstaat561 oder Heimatregion562 besonders hartem Wettbewerb ausgesetzt sind. Sie können oft in ihren Heimatmärkten nicht unabhängig von ihren Wettbewerbern agieren und gelangen deshalb zu einer überragenden Qualität, durch die sie international wettbewerbsfähig werden. Dennoch wird das industriepolitische Argument der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bisweilen auch in vermeintlich entwickelteren Marktwirtschaften verwendet. Jüngstes deutsches Beispiel ist die Ministererlaubnis in Sachen E.on/ Ruhrgas.563 Entgegen der Auffassung des russischen Antimonopolministeriums sollte das Argument der internationalen Wettbewerbsfähigkeit zur Rechtfertigung von Unternehmenszusammenschlüssen, durch die marktbeherrschende Stellungen
__________ 557
Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 7. 558 Vgl. oben 2. b). 559 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 7. 560 Vgl. hierzu allgemein auch oben § 3 III. 5. 561 Ein Beispiel hierfür sind die deutschen Automobilkonzerne Daimler, BMW und Volkswagen. 562 Ein Beispiel hierfür sind der finnische und der schwedische Anbieter von Mobilfunktechnologie, Nokia und Ericsson. 563 Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie vom 5.7.2002, WuW/E DEV, 573 ff.
3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
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begründet oder verstärkt werden, auch in Russland – allenfalls – äußerst behutsam verwendet werden. d) Betriebsgrößen- und Verbundvorteile bzw. economies of scale oder „Innere Wettbewerbsfähigkeit“ Ebenfalls von Bedeutung als Rechtfertigungsgrund für Freigabeentscheidungen ist in der Entscheidungspraxis des Antimonopolministeriums der Hinweis auf Betriebsgrößenvorteile.564 Wie bereits dargestellt, handelt es sich hierbei um ein international verbreitetes Standardargument gegen Zusammenschlussuntersagungen, das in den westlichen Systemen allerdings in aller Regel nicht überzeugt.565 Auch das Antimonopolministerium erwähnt häufig den Aspekt der Betriebsgrößenvorteile, bezieht sich dabei aber sowohl auf klassische economies of scale566 als auch auf Verbundvorteile, die in Russland aufgrund geringeren Vertrauens in die Vertragserfüllung eine größere Rolle spielen als in westlichen Marktwirtschaften.567 Soweit das Antimonopolministerium annimmt, dass Betriebsgrößen- oder Verbundvorteile durch einen Zusammenschluss erzielt werden können, erlässt es üblicherweise Auflagen, die befürchtete Wettbewerbsgefahren vereiteln sollen. Unklar ist dabei, ob es von der Geeignetheit dieser Auflagen zur Vereitelung von Wettbewerbsgefahren überzeugt ist oder ob Betriebsgrößen-/Verbundvorteile tatsächlich Wettbewerbsgefahren rechtfertigen können. Systematisch müsste zweiteres der Fall sein. Typisch ist hierfür beispielsweise das geschilderte Zusammenschlussvorhaben zwischen dem ölgewinnenden Unternehmen OAO Neftjanaja Kompanija (Ölgesellschaft) Komi TEK, der ölverarbeitenden OAO Uchtinskij Neftepererabatyvajušþij Zavod und dem Heizmittelhändler OAO Kominefteprodukt.568 Trotz Wettbewerbsgefahren aufgrund vertikaler Integration wurde das Vorhaben unter Auflagen freigegeben, nachdem die Beteiligten – nach Angaben des Antimonopolministeriums – nachweisen konnten, dass durch das Zusammenschlussvorhaben eine Steigerung der „ökonomischen Effizienz“, d.h. insbesondere eine signifikante Reduzierung der Selbstkosten bei Produktion und Absatz,
__________ 564 Soweit das Antimonopolministerium die innere Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens als Rechtfertigungsgrund für die Freigabe eines eine marktbeherrschende Position begründenden oder verstärkenden Zusammenschlusses bezeichnet (vgl. Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 7), kann es sich hierbei auch nur auf Betriebsgrößenvorteile beziehen. 565 Vgl. hierzu oben § 3 III. 1. 566 Vgl. oben § 3 III. 1. 567 Vgl. hierzu oben § 3 III. 2. 568 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 25 f.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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erreicht werden könnte.569 Die Auflagen hatten – wie geschildert – eine Pflicht der beteiligten Unternehmen zum Gegenstand, der Wettbewerbsbehörde regelmäßig Auskunft über Absatz- und Preispolitik sowie Handelspartner zu geben. Diese Auflagen sollten die bestehenden Wettbewerbsgefahren vereiteln. Aus der Darstellung des Antimonopolministeriums geht bedauerlicherweise nicht eindeutig hervor, ob es von der Geeignetheit der Auflagen zur Vereitelung der Wettbewerbsgefahren überzeugt war. War dies der Fall, wäre eine Rechtfertigung des Zusammenschlusses unter Hinweis auf die ökonomische Effizienz, d.h. wohl Verbundvorteile, nicht mehr erforderlich gewesen. Vielmehr wäre eine Freigabe unter Auflagen auch ohne Hinweis auf die Vorteile dem allgemeinen rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit, d.h. dem mildesten Eingriff, gemäß sogar geboten gewesen. Wäre das Antimonopolministerium hingegen nicht davon überzeugt gewesen, dass die Auflagen zur Vereitelung der Wettbewerbsgefahren ausreichend waren, hätte es eine Abwägung zwischen den wettbewerblichen Gefahren und den Vorteilen vornehmen müssen. Eine solche Abwägung wird jedoch zumindest nicht dargestellt. Leider ist aus der gesamten russischen Entscheidungspraxis kein Fall bekannt, in dem wirklich eine derartige Abwägung geschildert wird. Bekannt sind lediglich Fälle, in denen die Genehmigungsfähigkeit eines Zusammenschlusses von den Beteiligten auch mit Betriebsgrößenvorteilen begründet wurde, diese aber nicht substantiiert dargestellt wurden.570 Eine rechtsstaatliche, d.h. insbesondere auch gerichtlich nachprüfbare, Entscheidungsbegründung571 muss jedoch eine Abwägung zwischen Wettbewerbsgefahren und Betriebsgrößenvorteilen enthalten, wenn letztere ausschlaggebend für die Freigabe sind. Eine solche Begründung darf allerdings nur eine Effizienzsteigerung im allokativen Sinne betrachten. Eine Effizienzsteigerung alleine im produktiven Sinne,572 d.h. eine Steigerung, von der nur die beteiligten Unternehmen, nicht aber die Volkswirtschaft insgesamt profitieren würde, würde nicht ausreichen, wettbewerbliche Gefahren zu rechtfertigen. Eine solche Steigerung der produktiven Effizienz zu Lasten von Wettbewerbern würde
__________ 569
Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 25 f. 570 Im Zusammenschlussvorhaben Mordovlesprom beispielsweise, in das alle holzverabeitenden Unternehmen der Republik Mordowien verschmolzen werden sollten, wurde das Argument der Betriebsgrößenvorteile verwendet. Angaben dazu, worin diese liegen sollten, machten die Anmeldenden jedoch nicht. Sie waren dem Antimonopolministerium auch nicht ersichtlich. Das Zusammenschlussvorhaben wurde deshalb untersagt. Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 43. 571 Vgl. zu der gerichtlichen Überprüfbarkeit wettbewerbsbehördlicher Freigabeentscheidungen unten VI. 2. g). 572 Vgl. zu der Unterscheidung oben § 3 II. 3. und 4.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
sich vielmehr gerade aus der begründeten oder verstärkten Marktbeherrschung ergeben, deren Verhinderung die Zusammenschlusskontrolle dient. Aufgrund der niedrigen Schwellenwerte für die Zusammenschlusskontrolle und der noch immer drastischen Veränderungen innerhalb der russischen Volkswirtschaft kann die kritische Größe von Unternehmen – insbesondere in investitionsintensiven Sektoren – durchaus oberhalb der Schwellenwerte der Zusammenschlusskontrolle und innerhalb des Bereiches von Marktbeherrschungsgrößen liegen. In der russischen Zusammenschlusskontrolle muss dem Rechtfertigungsgrund der Betriebsgrößenvorteile deshalb eine größere Bedeutung zukommen als im europäischen oder deutschen System.573 Er bedarf jedoch einer nachvollziehbaren Begründung in Form einer Schutzgüterabwägung, die das Ausmaß der Wettbewerbsgefahren nach Erlass von Auflagen in Bezug zu dem Ausmaß der erwarteten Betriebsgrößenvorteile setzt. Eine solche detaillierte und nachvollziehbare Begründung ist auch erforderlich, um zu vermeiden, dass angebliche Betriebsgrößenvorteile als Vorwand für die Bewahrung großer Unternehmensstrukturen verwendet werden.574 Dadurch könnte die gesamte Zusammenschlusskontrolle ad absurdum geführt werden. Soweit bekannt, ist aus der bisherigen Entscheidungspraxis des Antimonopolministeriums, insbesondere auch seiner Skepsis gegenüber finanzindustriellen Gruppen,575 allerdings nicht ersichtlich, dass eine derartige Gefahr derzeit bestünde. e) Sanierung von Unternehmen In seinem Bericht über die Zusammenschlusskontrolle betont das Antimonopolministerium, dass es im Rahmen der Beurteilung eines Zusammenschlussvorhabens auch untersuchen müsste, ob im Falle der Untersagung eines Zusammenschlussvorhabens die Insolvenz eines beteiligten Unternehmens und damit ein Verlust seiner „Aktiva“ für den Markt „drohe“.576 Gemeint sein dürfte hiermit ein Verlust von Produktionskapazitäten. In der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle ist die drohende Insolvenz eines Unternehmens nur im Rahmen der Kausalität eines Zusammenschlusses für eine drohende Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung – im Sinne der essential facility doctrine – von Bedeutung.577 Dabei ist ein Zusammenschluss im Falle drohender Insolvenz
__________ 573
Vgl. hierzu § 3 III. 1. Diese Gefahr betonen Joskow/Schmalensee/Tsukanova, Competition Policy in Russia during and after Privatization, S. 303. 575 Vgl. unten h); insbesondere den Verweis auf eine Stellungnahme des Antimonopolministeriums, derzufolge die Gründung finanz-industrieller Gruppen nur genehmigt wird, wenn auf den betreffenden Gütermärkten mindestens drei Wettbewerber tätig sind. 576 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 8. 577 Vgl. zur Sanierungsfusion auch oben § 4 III. 3. l). 574
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
189
eines beteiligten Unternehmens nur freizugeben, wenn feststeht, dass alle Marktanteile des nicht überlebensfähigen Unternehmens dem potenziellen Erwerber zufallen würden.578 Die russische Zusammenschlusskontrollpraxis enthält bislang – soweit ersichtlich – keinerlei Hinweis darauf, dass das Antimonopolministerium das Vorliegen einer Sanierungsfusion im Rahmen der Kausalität eines Zusammenschlusses für Marktbeherrschung geprüft hätte. Der zitierte Ausdruck des „Verlusts von Aktiva für den Markt“ des russischen Antimonopolministeriums erinnert jedoch an die Entscheidung BASF/ Pantochim/Eurodiol579 der Kommission aus dem Jahre 2001. Erstmals gab die Kommission mit dieser Entscheidung ein Zusammenschlussvorhaben aufgrund der drohenden Insolvenz des Übernahmeobjektes frei, obwohl nicht davon auszugehen war, dass dessen Marktanteile alle ohnehin dem Erwerber zufallen würden. Begründet wurde die Entscheidung mit hohen Marktzutrittsschranken und einer Unterversorgung auf dem betroffenen Markt, die im Falle der Insolvenz Endochims noch weiter zugenommen hätte. Dieser Gedanke kann auf Russland übertragen werden: Soweit auf einem Markt Unterversorgung besteht, kann die drohende Insolvenz eines beteiligten Unternehmens die Freigabe eines Zusammenschlusses aus wettbewerblichen Gründen nahe legen, obwohl nach dem Zusammenschluss die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung droht, da andernfalls noch größere Unterversorgung auf dem betroffenen Markt und damit noch weniger Wettbewerb bestünde. Das Argument der drohenden Insolvenz ist somit auch wettbewerblicher Natur. Aufgrund größerer Unterversorgung auf russischen Märkten als auf sachlich vergleichbaren Märkten in entwickelteren Marktwirtschaften kann einem solchen „wettbewerblichen Argument“ der drohenden Insolvenz in der russischen Zusammenschlusskontrolle eine größere Bedeutung zukommen als in der deutschen Zusammenschlusskontrolle. f) Schutz von Arbeitsplätzen Positive Folge der Sanierung und Rettung von Unternehmen ist der Erhalt zumindest eines Teils seiner Arbeitsplätze. Soweit das Antimonopolministerium die Sanierung von Unternehmen als Ziel seiner Tätigkeit betrachtet, damit „Aktiva für den Markt“ nicht verloren gehen,580 kann sich dieses Ziel auch auf die Arbeitsplatzsicherung beziehen. Teilweise nennt das Antimonopolministe-
__________ 578 Vgl. BGH, Urteil vom 23.10.1979, WuW/E BGH 1659 („Zementmehlanlage II“) und Kommission, Entscheidung vom 14.12.1993, Sache IV/M.308, ABl. 1994 L 136/38 („Kali und Salz“). 579 Kommission, Entscheidung vom 11.7.2001, Sache COMP/M.2314. 580 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 8.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
rium Arbeitsplatzbewahrung aber auch als eigentliches Ziel von Investitionsauflagen.581 Dies gilt insbesondere, soweit das Antimonopolministerium befürchtet, dass ein ausländischer Erwerber ein Unternehmen lediglich erwerben wolle, um es zu schließen und somit Produktionskapazitäten zu vernichten. Nicht ganz eindeutig ist dabei, ob die Arbeitsplatzsicherung als mittelbare Folge der wettbewerbsfördernden Sanierung oder als – vermeintliches – Ziel an sich betrachtet wird. Letzteres könnte insbesondere bei Investitionsauflagen der Fall sein, die wettbewerblich oft schwer zu begründen sind. Mangels ausführlicher Begründungen der – wenigen veröffentlichten – Entscheidungen des Antimonopolministeriums kann nicht nachgewiesen werden, dass ein solcher wettbewerbsfremder Freigabegrund ausschlaggebend für die Freigabe wettbewerblich bedenklicher Zusammenschlüsse ist. Die Gefahr seiner Übergewichtung liegt jedoch nahe. g) Technischer Fortschritt Das in § 3 erörterte Argument des technischen Fortschritts,582 das bisweilen als Gegenargument für die Untersagung von Zusammenschlüssen verwendet wird, spielt – soweit ersichtlich – in der russischen Zusammenschlusskontrollpraxis eine bislang nur untergeordnete Rolle. Dies überrascht insofern, als zu Zeiten der Sowjetunion – nach herkömmlicher Auffassung – große Unternehmen als Garant für höheren technischen Fortschritt gesehen wurden.583 Überlegenes technisches Know-how wird – soweit ersichtlich – im Wesentlichen nur im Zusammenhang mit ausländischen Investoren erörtert, denen zugetraut wird, dass sie neben Geld auch technisches Know-how in ein russisches Unternehmen einbringen können, von dem der russische Markt profitieren könne.584 Argumentativ spielt dieses technische Know-how jedoch regelmäßig eine gegenüber dem Arbeitsplatzargument untergeordnete Rolle. Dies ist zu bedauern. Das Einbringen technischen Know-hows durch einen ausländischen Investor könnte dieses beispielsweise im Vergleich zu einem anderen Investor, der solches Know-how nicht einbringen kann, für den russi-
__________ 581 So beispielsweise in Zavod avtotraktornych zapalnych Sveþej (Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44) und NLMK/STAGDOK (Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 27 f.). 582 Vgl. oben § 3 III. 4. 583 Vgl. Slay/Capelik, Natural monopoly regulation and competition policy in Russia, S. 233. Differenzierend dagegen Brown/Ickes/Rystermann, The myth of monopoly – a new view of industrial structure in Russia, S. 3 ff. 584 Dieses Argument wurde – dem Vernehmen nach – auch in Zavod avtotraktornych zapalnych Sveþej (Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44) genannt.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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schen Markt tatsächlich interessanter machen.585 Hierdurch könnten Marktpotentiale entstehen, von der die russische Wirtschaft auch profitieren könnte, wenn durch sie eine marktbeherrschende Position ausgebaut würde. Tatsächlich verwendet wurde das Argument des technischen Fortschritts im Zusammenschlussvorhaben der staatlichen Holzverarbeitungsunternehmen der Republik Mordovien, Mordovlesprom. 586 Verschiedene staatliche Holzverarbeitungsunternehmen der Mordovsker Gegend sollten zu einem einzigen Unternehmen zusammengefasst werden. Die regionale Verwaltung, die diesen Beschluss gefasst hatte, konnte jedoch nicht erläutern, welche technischen Vorteile der Zusammenschluss mit sich bringen sollte. Der Zusammenschluss wurde deshalb untersagt.587 h) Konglomerale Vorteile – Bevorzugung finanzindustrieller Gruppen? Auch konglomerale Vorteile588 spielen in den Begründungen von Freigabeentscheidungen – soweit ersichtlich – keine bedeutsame Rolle. Als Rechtfertigungsgrund kämen sie insbesondere für die Rechtfertigung wettbewerblicher Gefahren infolge wirtschaftlicher Macht oder Finanzkraft sowie vertikaler Verbindungen in Betracht. Das Antimonopolministerium scheint in der Bildung von Konglomeraten vielmehr im Wesentlichen wettbewerbliche Gefahren zu sehen. In seinem Tätigkeitsbericht für die Jahre 1999-2001 beschreibt es, dass die Anzahl der Konglomerate in Russland zugenommen habe. Es sei eine Tendenz erkennbar, dass erfolgreiche Unternehmen andere Unternehmen aufkauften, die auf fremden – auch nicht benachbarten, vor- oder nachgelagerten Märkten – tätig seien.589 Als Beispiel wird das Unternehmen OAO ýitaenergo genannt, das auf den Märkten für die Herstellung von Wärme- und Elektroenergie Marktanteile von über 65% habe und das im Bereich der Goldgewinnung tätige Unternehmen Rudnik Usugli erworben habe. Hiermit verbunden ist auch die Entwicklung finanzindustrieller Gruppen, d.h. insbesondere Banken, die in völlig unterschiedliche Wirtschaftsbereiche investieren. Ein wettbewerblich bedenklicher Schutz von Konglomeraten folgt auch nicht aus dem Gesetz „Über Finanzindustrielle Gruppen.“590 Durch dieses Gesetz
__________ 585
Vgl. oben e). Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 43. 587 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 43. 588 Vgl. oben § 3 III. 3. 589 Antimonopolministerium: Doklad o konkurentnoj politike v Rossijskoj Federacii 1999-2001, S. 35, 37. 590 ,,Gesetz über Finanzindustrielle Gruppen“, Bundesgesetz der Russischen Föderation Nr. 190FS vom 30. November 1995. 586
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
werden sog. finanzindustrielle Gruppen einer besonderen Regelung unterworfen. Dies scheint die Existenz konglomeraler Industriegruppen zu begünstigen.591 So soll durch das Gesetz gemäß dessen Art. 2 auch die Wettbewerbsfähigkeit der finanzindustriellen Gruppen gefördert werden. Das Gesetz bietet Konzernen – insbesondere unter Einbindung von Banken – die Möglichkeit, sich beim Russischen Wirtschaftsministerium als finanzindustrielle Gruppen registrieren zu lassen.592 Der Vorteil einer solchen Anerkennung liegt im Wesentlichen in der Möglichkeit, Verluste und Gewinne einzelner Konzernunternehmen gemäß Art. 13 des Gesetzes über Finanzindustrielle Gruppen steuerlich miteinander zu verrechnen. Die – sehr umständliche und zeitaufwendige593 – Registrierung als finanzindustrielle Gruppen ist deshalb eher der Begründung einer Organschaft nach deutschem Körperschafts- und Gewerbesteuerrecht vergleichbar, als dass sie eine Bevorzugung finanzindustrieller Gruppen zur Folge hätte. Eine solche Registrierung setzt im Übrigen bereits die Freigabe durch das Antimonopolministeriums voraus. Von der Kompetenz, die Bildung oder Erweiterung von Konglomeraten zu untersagen, macht das Antimonopolministerium auch Gebrauch. Bekannt ist beispielsweise der Erwerb von zusätzlichen Anteilen an verschiedenen Erzmetallunternehmen durch die Bank Rossijskij Kredit, die in einer finanzindustriellen Gruppe verbunden waren. Deren Gründung stimmte das Antimonopolministerium zwar zu. Als es jedoch erfuhr, dass Rossijskij Kredit seine Anteile an Erzunternehmen unzutreffend dargestellt hatte, initiierte es – unter Beteiligung der Staatsanwaltschaft – umfangreiche Ermittlungen, die im Ergebnis dazu führten, dass Rossijskij Kredit seine Anteile an ein Tochterunternehmen von Gazprom veräußern musste.594 Gemäß seiner eigenen Darstellung sind dem Antimonopolministerium die von finanzindustriellen Gruppen ausgehenden wettbewerblichen Gefahren bewusst,595 obgleich es finanzindustrielle Gruppen zur Wahrung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit russischer Unternehmen auch für wesentlich
__________ 591 Diese Gefahr wird von verschiedenen Autoren betont. Vgl. Jasper, Entstehung , Bedeutung und Tragfähigkeit der Konzeption der Finanzindustriellen Gruppen in der Russischen Föderation, S. 28 (33); Thede, Die Entwicklung der Unternehmensstrukturen im Transformationsprozeß der Russischen Föderation, S. 80. 592 Art. 5 des Gesetzes über Finanzindustrielle Gruppen und Verordnung der Russischen Regierung Nr. 104 vom 2. Februar 1998. 593 Das Verfahren nimmt etwa zwei Jahre in Anspruch; vgl. Suvorov, Banki i financovopromyšlennye gruppy, S. 15. 594 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 22 f. 595 Vgl. Antimonopoministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 45: ,,Die durchgeführte Fusionskontrolle erlaubt es, die Begründung wichtiger monopolistischer Strukturen unter der Ägide finanzindustrieller Gruppen und negative Folgen für den Wettbewerb als Ergebnis ihrer Tätigkeit auf dem inneren Markt der Russischen Föderation zu vermeiden.“
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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hält.596 Das Antimonopolministerium hat es sich jedoch zur Maxime gemacht, die Bildung einer finanzindustriellen Gruppe nur dann zu genehmigen, wenn auf einem betroffenen Gütermarkt mindestens zwei andere finanzindustrielle Gruppen agieren oder andere wichtige Wettbewerber tätig sind.597 Die Existenz mindestens zwei anderer finanzindustrieller Gruppen setzt letztlich das Vorliegen entsprechender Anträge voraus, die ggf. gemeinsam positiv beschieden werden können. i) Die Bedeutung der sog. positiven sozioökonomischen Effekte – Zusammenfassung und Vergleich mit den Regelungen der FKVO und des GWB Konzeptionell ist die Klausel der positiven sozioökonomischen Effekte der große Schwachpunkt der russischen Fusionskontrolle598, da sie erhebliche industriepolitische Einfallstore eröffnet.599 Im Gegensatz zu dem industriepolitischen Einfallstor der deutschen Fusionskontrolle, der Ministererlaubnis nach § 42 GWB, können industriepolitische Argumente von der russischen Wettbewerbsbehörde in jeder Fusionskontrollentscheidung berücksichtigt und gegen wettbewerbspolitische Argumente abgewogen werden. In Deutschland erfolgt dies dagegen erst nach einer wettbewerbsbehördlichen Untersagungsverfügung in einem zweiten Schritt durch ein politisches Organ, den Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit. Quantitativ spielt die deutsche Ministererlaubnis im Übrigen keine bedeutsame Rolle. Nachdem seit 1991 keine einzige Erlaubnis mehr erteilt worden war, gewann sie erst im Jahre 2002 durch e.on/Ruhrgas600 und die möglicherweise bevorstehende Erlaubnis Holtzbrinck/Berliner Zeitung wieder an Bedeutung. Die europäische Fusionskontrolle ist demgegenüber konzeptionell „wettbewerbspolitisch reiner“, da sie materiellrechtlich, d.h. im Rahmen der Eingreifkriterien, keine Berücksichtigung wettbewerbsfremder Aspekte vorsieht. Völlig fremd sind industriepolitische Wertungen allerdings auch der FKVO nicht. Erwägungsgrund 13 der FKVO nennt als Rahmen der Fusionskontrolle u.a. die allgemeinen Ziele des EG-Vertrags gemäß dessen Art. 2 sowie ausdrücklich die Stärkung des wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts der Gemeinschaft. Hierauf könnten industriepolitisch begründete Freigabeentscheidungen gestützt
__________ 596 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997: „Zugleich ermöglicht allerdings der integrative Prozeß der Bildung finanzindustrieller Gruppen, …, auch den Eintritt russischer wettbewerbsfähiger Strukturen auf internationale Märkte.“ Vgl. auch oben c). 597 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 45. 598 Ebenso Krüßmann, Privatisierung und Umstrukturierung in Russland, S. 555. 599 Ebenso Pfeffer, Vergleichende Betrachtungen der neuen Kartellgesetze in Osteuropa, S. 367. 600 Verfügung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie vom 5.7.2002, WuW/E DEV, 573 ff.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
werden.601 Erwägungsgründen kommt im europäischen Recht nach der Rechtsprechung des EuGH Justiziabilität zu. Diese Gefahr ist besonders groß, da die in Fusionskontrollverfahren in der Prüfphase 2 entscheidende Kommission das Kollektiv der Kommissare und damit ein politisches Organ ist. Damit ist in der FKVO ein Konflikt zwischen Wettbewerbsschutz und Industriepolitik angelegt, dessen Ausgang sehr von der personellen Besetzung der Kommission selbst abhängt.602 Insbesondere Anfang der 90er Jahre wurde deshalb bisweilen die Vermutung geäußert, dass die europäische Fusionskontrollpraxis stark von industriepolitischen Gesichtspunkten überlagert sein würde.603 Der Anwendungspraxis der Kommission entspricht dies allerdings im Allgemeinen nicht, obgleich eine starke (industrie-)politische Motivation bei vereinzelten Freigabeentscheidungen – in mehr oder weniger intransparenter Weise604 – mitzuschwingen scheint. Dies gilt für Fälle, in denen auf tatsächlicher Ebene Marktzutrittsschranken als überraschend niedrig dargestellt oder auch Marktanteile von über 50% apodiktisch als nicht ausreichend für eine Marktbeherrschung bezeichnet werden.605 In der Anwendungspraxis der russischen Fusionskontrolle werden als positive sozioökonomische Effekte insbesondere die aus der Industriepolitik bekannten Argumente der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Betriebsgrößenvorteile, sowie der wettbewerbspolitisch und industriepolitisch relevante Aspekt der drohenden Insolvenz und der Bewahrung von Arbeitsplätzen zur Rechtfertigung von Zusammenschlüssen herangezogen, durch die bzw. nach denen die Gefahr oder Begründung einer marktbeherrschenden Stellung droht. Das Argument der internationalen Wettbewerbsfähigkeit überzeugt bereits konzeptionell nicht. Es ist im Wesentlichen Ausdruck einer xenophobisch erscheinenden russischen Wettbewerbspolitik606 – obgleich es auch in westlichen Marktwirtschaften bisweilen verwendet wird. Das Argument der Betriebsgrößenvorteile kann dagegen nicht ohne weiteres abgelehnt werden. Vielmehr dürften in Russland manche genehmigungspflichtigen Zusammenschlüsse unterhalb der für die Erzielung von Betriebsgrößenvorteilen notwendigen kritischen Größe liegen. Ursächlich hierfür sind die sehr niedrigen Schwellenwerte des russischen Systems der Zusammenschlusskontrolle. Aufgrund des enormen
__________ 601 Da die – äußerst unbestimmten – Ziele des EG-Vertrages einen Rahmen der am Wettbewerbsschutz orientierten Fusionskontrolle bilden sollen, könnte die FKVO dahingehend ausgelegt werden, dass – soweit es politisch opportun erscheint – trotz Erfüllung der Eingreifkriterien ein Zusammenschluss freigegeben werden könnte. 602 So auch I. Schmidt, The Suitability of the European Merger Control System, S. 303. 603 So Meessen, Industriepolitisch wirksamer Wettbewerb, S. 429. 604 Ebenso Opgenhoff, Die europäische Fusionskontrolle zwischen Wettbewerbspolitik und Industriepolitik, S. 229. 605 So auch Kindler, Europäische Fusionskontrolle auf Abwegen, S. 327. 606 Vgl. hierzu unten § 6 III. 2.
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Reformbedarfs noch vieler wirtschaftlicher Sektoren kann es sich dabei auch um Zusammenschlüsse handeln, durch die Marktbeherrschung begründet oder verstärkt wird. Nicht ganz eindeutig ist die Bedeutung des sozioökonomischen Arguments der Bewahrung von Arbeitsplätzen (teilweise auch unter Berücksichtigung von Know-how-Transfer). Wohl auch auf seiner Grundlage werden zumindest ausländischen Erwerbern regelmäßig Investitionsauflagen erlassen. Auch hierin kommt eine nicht unerhebliche Xenophobie der russischen Wettbewerbsbehörden zum Ausdruck, die annimmt, dass ausländische Erwerber in erster Linie die Zerstörung bzw. Stillegung russischer Unternehmen nach deren Übernahme als Ziel hätten. Die rechtlichen Grundlagen derartiger Auflagen erscheinen mehr als zweifelhaft. Das ebenfalls verwendete Argument der drohenden Insolvenz eines zu übernehmenden Unternehmens kann dagegen wettbewerblicher Natur sein, wenn auf einem betroffenen Markt eine Unterversorgung besteht. Deren Beseitigung können sachgerechterweise auch Investitionsauflagen dienen. 4. Ermessen? Widersprüchliche Regelungen infolge doppelter Ermessensermächtigungen nach Art. 17/18 WG a.F.? Ein neuer Begriff der „Marktbeherrschungsverstärkung“? Bis zur Gesetzesnovelle vom 9. Oktober 2002 war nicht eindeutig, ob die Ermächtigungsgrundlagen für Untersagungsverfügungen und Wiederherstellungsanordnungen (Art. 17 Abs. 3, 6 sowie Art. 18 Abs. 4, 7 WG a.F.) der Wettbewerbsbehörde einen gewissen Entscheidungsspielraum – im Sinne des „Ermessens“ nach deutschem Verwaltungsrecht – eröffneten.607 Für das (vorherige) Anmeldeverfahren bestimmten Art. 17 Abs. 3 S. 1 und Art. 18 Abs. 4 S. 1 WG a.F., dass die Wettbewerbsbehörde bei Vorliegen einer Wettbewerbsgefahr, d.h. der Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung, berechtigt war, ein Vorhaben zu untersagen. Dasselbe galt
__________ 607 Der Begriff des „Ermessens“ ist – soweit ersichtlich – dem russischen Verwaltungsrecht fremd. Vgl. hierzu Hartwig, Gerichtliche Kontrolle der Verwaltung in Russland, S. 366: „Es lassen sich keine Entscheidungen feststellen, in denen die Gerichte die Verwaltungsmaßnahmen wegen unrichtiger Ermessensausübung aufgehoben haben. Der Begriff des Ermessens findet sich, soweit ersichtlich, überhaupt in nicht einer einzigen Entscheidung. Aber auch eine implizite Ermessenskontrolle hat nicht nachgewiesen werden können. Da aber eine jede Verwaltung – ganz unabhängig von dem rechtlichen System, in welchem sie sich befindet – einen großen Teil ihrer Entscheidungen nicht auf gesetzliche Vorgaben, sondern auf ihr eigenes Ermessen gründet, in der russischen Judikatur aber keine Entscheidungen zur Ermessenskontrolle nachweisbar sind, lässt sich nur der Schluss ziehen, dass die Gerichte sich bislang einer solchen Kontrolle enthalten.“ In einer Fußnote, S. 366, führt Hartwig weiter aus: „Eine vorsichtige Wertung der bisherigen Rechtsetzung nach In-Kraft-Treten der neuen Verfassung könnte dahin lauten, dass der Schwerpunkt der legislativen Arbeit bei der Implementierung von Grundrechten liegt, was einhergeht mit der Setzung von Tatbeständen für die gebundene Verwaltung. Allerdings lassen sich in vielen Gesetzen auch Ermessensbestimmungen feststellen, vgl. etwa Art. 26 des Gesetzes über die Ausreise aus oder die Einreise in die Russische Föderation.“
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gemäß Art. 17 Abs. 3 S. 2 und Art 18 Abs. 4 S. 2 WG a.F. für die Freigabe unter Auflagen. Bezüglich des nachträglichen Notifizierungsverfahrens regelten Art. 17 Abs. 6 bzw. Art. 18 Abs. 7 WG a.F. für den Fall des Vorliegens von Wettbewerbsgefahren die Verpflichtung der beteiligten Unternehmen, auf Aufforderung durch die Wettbewerbsbehörde die zur Wiederherstellung von Wettbewerb erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Auch diese Regelung konnte dahingehend zu verstehen sein, dass der Wettbewerbsbehörde – unabhängig von einer Art „Auswahlermessen“ – ein dem deutschen Entschließungsermessen vergleichbarer Entscheidungsspielraum darüber eingeräumt war, ob sie im Falle des Vorliegens von Gefahren für den Wettbewerb eine Wiederherstellungsanordnung erlassen würde. Die Freigabe eines wettbewerbsgefährdenden Zusammenschlusses aufgrund sozioökonomischer Erwägungen war die Wettbewerbsbehörde gemäß Art. 17 Abs. 3 S. 4 und Art. 18 Abs. 4 S. 4 WG a.F. ebenfalls lediglich berechtigt, zu erklären. Solche „doppelten Ermessensermächtigungen“ erschienen bzw. erscheinen rechtslogisch nicht unmittelbar miteinander vereinbar. Für den Fall, dass durch einen Zusammenschluss eine Wettbewerbsgefahr drohte, wäre der Wettbewerbsbehörde eine Art „Ermessen“ bzgl. des Erlasses einer Untersagungsverfügung eingeräumt gewesen. Andererseits hätte es auch in ihrem „Ermessen“ gestanden, aufgrund sozioökonomischer Gesichtspunkte eine Freigabeentscheidung zu erlassen. Da jedoch nur eine Freigabe (unter Umständen unter Auflagen) oder eine Untersagungsverfügung erlassen werden konnten, hätte es für die Berechtigung der Wettbewerbsbehörde, eine Freigabeentscheidung auch bei Vorliegen von Wettbewerbsgefahren zu erlassen, nicht mehr des Vorliegens sozioökonomischer Gesichtspunkte bedurft. Dieser Widerspruch konnte nur dadurch aufgelöst werden, dass die Wettbewerbsbehörde Zusammenschlüsse, als deren Folge Wettbewerbsgefahren zu erwarten waren, die nicht durch Auflagen behoben oder vereitelt werden konnten, untersagen musste, es sei denn, gewichtige sozioökonomische Argumente oder gesetzlich nicht geregelte, atypische Fälle lagen vor. Das Antimonopolministerium schien solche gesetzlich nicht geregelten, atypischen Fälle anzunehmen, wenn eine zu erwartende Verstärkung einer Marktbeherrschung nicht beträchtlich war.608 In seinem Bericht über die Zusammenschlusskontrolle führte es – vor der Gesetzesnovelle vom 9. Oktober 2002 – aus, dass es als seine Aufgabe betrachte, lediglich solche Zusammenschlüsse herauszufiltern und gegebenenfalls zu untersagen, die zu einer Begründung
__________ 608 Dies entspricht auch der Entscheidungspraxis der EU-Kommission. Sie knüpft dabei an das Merkmal der „Verstärkung“ einer marktbeherrschenden Stellung an. Vgl. hierzu oben § 4 III. 3. l).
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oder einer beträchtlichen Verstärkung der Marktkonzentration führen.609 Einen solchen „Filter“ sah bzw. sieht das WG – zumindest ausdrücklich – nicht vor. Vielmehr sind bzw. waren bei jeder Verstärkung einer Marktbeherrschung gemäß dem Wortlaut des WG die Voraussetzungen für eine Untersagungsverfügung erfüllt. So sind keine Hinweise darauf erkennbar, dass „Verstärkung“ im Sinne des WG eine gewisse Erheblichkeit entsprechend der insoweit allerdings nicht ganz einheitlichen europäischen610 und neuerdings auch deutschen611 Entscheidungspraxis voraussetzt. Auch der vom Antimonopolministerium – vor der Gesetzesnovelle – verwendete Begriff des Herausfilterns ist eher im Sinne des Nutzens eines eigenen behördlichen Ermessensspielraumes als im Sinne der tatbestandlichen Auslegung einer im Übrigen gebundenen Norm zu verstehen. Dennoch erscheint es sinnvoll, bei offensichtlich nur leichter Zunahme der Marktbeherrschung, unabhängig von jeglichen sozioökonomischen Erwägungen, keine Untersagungsverfügung zu erlassen und zwecks sinnvollen Einsatzes der Ressourcen der Wettbewerbsbehörden auch keine genaueren Marktforschungen vorzunehmen. Wird ein Marktanteil, der eine marktbeherrschende Position begründet, durch einen Zusammenschluss nur unerheblich verstärkt,
__________ 609 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 8. 610 In Deutsche Post/DHL (Kommission, Entscheidung vom 26.6.1998, Sache IV/M.1168, ABl. 1998 C 307/3, WuW EU-V 159, 161 f.) gab die Kommission beispielsweise einen Zusammenschluss frei, der bei einem bestehenden Marktanteil von 45-55% auf dem Markt für internationale Eilpost bzw. mehr als 75% auf dem Markt für gewöhnliche internationale Post einen Zuwachs um jeweils 5% nach sich zog. Eine solch geringe Marktanteilszunahme reiche nicht aus, um die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung anzunehmen. Die Kommissionspraxis ist in Fällen leichter Marktanteilszuwachses allerdings nicht ganz einheitlich. In Procter&Gamble/VP Schickedanz (II) (Kommission, Entscheidung vom 21.6.1994, Sache IV/M.430, ABl. 1994 L 354/32, Rz. 118) betrachtete die Kommission dagegen noch eine Erhöhung des bei 75-80% liegenden Marktanteils auf dem spanischen Markt für Damenbinden um 1-2% als ausreichend für eine Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Eine Marktanteilserhöhung um etwa 5-6% reichten in Boeing/McDonnell-Douglas (Kommission, Entscheidung vom 30.7.1997, Sache IV/M.877, ABl. 1997 L 336/16) und Guiness/Grand Metropolitan (Kommission, Entscheidung vom 15.10.1997, Sache IV/M.938, ABl. 1998 L 288/24, Tz. 89) für die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung aus. Die Erhöhung eins Marktanteils von 59% um 4% wurde dagegen in Swedish Match/Kav (Kommission, Entscheidung vom 18.12.1997, Sache IV/M.997, WuW1998, 157) nicht als Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung angesehen. In Degussa/Ciba-Geigy (Kommission, Entscheidung vom 5.4.1993, Sache IV/M.317, ABl. 1993 C 104/1, Tz. 25) reichten sogar Zunahmen von jeweils etwas weniger als 10% und etwas weniger als 5% nicht für die Verstärkung marktbeherrschender Stellungen bei gegebenen Marktanteilen von jeweils 40 und 50% aus. In Blokker/Toys „R“ US (Kommission, Entscheidung vom 21.2.1997, Sache IV/M.890, ABl. 1998 L 316/1, WuW/E EU-V 167) reichte eine Marktanteilszunahme um 10% bei einem gegebenen Marktanteil von 55 bis 65% auf dem niederländischen Spielzeugmarkt für eine Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung dagegen aus, weil mit der Marktanteilszunahme der Erwerb eines neuen Geschäftskonzepts verbunden war. 611 Vgl. BKartA, Beschluss vom 16.12.1999 WuW/E DE-V 201 „Gießwalzkabel“: 3,7% Marktanteilszuwachs reichten nicht für die Annahme der Verstärkung einer Marktbeherrschung.
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kann eine Untersagungsverfügung unangemessen sein. Die Beeinträchtigung der Rechtssphäre der beteiligten Unternehmen dürfte regelmäßig in einem Maße betroffen sein, das außer Verhältnis zu dem Ausmaß steht, in dem Wettbewerb geschützt wäre. Aufgrund der bislang doppelten Ermessensermächtigung war eine solche Anwendungspraxis in Russland auch vom Gesetzeswortlaut des WG gedeckt. Inzwischen wurde der logische Widerspruch der doppelten Ermessensermächtigung aufgehoben. Art. 17 Abs. 3 und 6 WG n.F. und Art. 18 Abs. 4 WG n.F. bestimmen, dass die Wettbewerbsbehörde Untersagungsverfügungen bzw. Wiederherstellungsanordnungen erlässt, soweit die Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung besteht. Lediglich im Notifizierungsverfahren nach Art. 18 Abs. 7 a.F. ist ein Unternehmen zur Wiederherstellung eines wettbewerblichen Zustandes erst auf Anordnung durch die Wettbewerbsbehörde verpflichtet. Der Ausdruck „auf Anordnung der Wettbewerbsbehörde“ ist jedoch nicht zwingend im Sinne eines Ermessensspielraums für die Wettbewerbsbehörde zu interpretieren. Zur Freistellung aufgrund sozioökonomischer Erwägungen ist die Wettbewerbsbehörde dagegen weiterhin lediglich berechtigt. Damit unterliegt die Freigabeentscheidung aus sozioökonomischen Gründen weiterhin einer Art „Entscheidungsspielraum“ der Wettbewerbsbehörde, der allerdings bereits durch die Auslegungsmöglichkeiten der unbestimmten Rechtsbegriffe der sozioökonomischen Erwägungen geprägt wird. Anhaltspunkte dafür, dass die Wettbewerbsbehörde in Folge der Gesetzesnovelle davon abrückt, unerhebliche Verstärkungen einer marktbeherrschenden Stellung weiter zu tolerieren, sind nicht ersichtlich. Im Rahmen des neuen Gesetzeswortlauts kann eine derartige – sinnvolle – Praxis allerdings nicht mehr auf eine etwaige Ermessensermächtigung gestützt werden. Sinnvoller Anknüpfungspunkt wäre deshalb jetzt – entsprechend der europäischen und nun auch deutschen Fusionskontrolle und entgegen der bisherigen russischen Praxis – das Merkmal der „Verstärkung“ einer marktbeherrschenden Stellung.612 Diese für das Anmeldeverfahren entwickelten Grundsätze sollten entsprechend auf das Notifizierungsverfahren anzuwenden sein. Bezüglich einer Wiederherstellungsanordnung haben die zuständigen Wettbewerbsbehörden eine Art Entschließungs- und Auswahlermessen. Bei der Ausübung des Entschließungsermessens sind jedoch ebenfalls etwaige sozioökonomische Aspekte zu berücksichtigen, obgleich diese im Zusammenhang mit der Wiederherstellungsanordnung vom Gesetzeswortlaut nicht eigens genannt werden. Bei nur
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Das Merkmal der Wettbewerbsbehinderung, das Bechthold in Fällen nicht erheblicher Marktanteilszunahme für nicht erfüllt hält, ist dagegen bereits aufgrund seines natürlichen Wortsinns kein geeigneter Anknüpfungspunkt.
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unwesentlicher Verstärkung einer Marktbeherrschung müsste das Ermessen entsprechend dahingehend ausgeübt werden, dass eine Wiederherstellungsanordnung nicht zu erlassen wäre.
IV. Die Bedeutung von Auflagen und Bedingungen – die fehlende Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle 1. Freigaben unter Auflagen, Bedingungen oder Zusagen a) Die gebräuchlichsten Auflagen und ihre Rechtsgrundlage – Überblick Auch die russische Fusionskontrolle kennt das Instrument der Freigabe unter Auflagen oder Bedingungen, vom dem das Antimonopolministerium nach eigenen Angaben häufig Gebrauch macht.613 Oft verwendet das Antimonopolministerium dabei die drei termini Auflagen, Bedingungen und Zusagen in ein und derselben Entscheidung. Dabei müssen sich die Adressaten vor Erlass der Freigabeentscheidung üblicherweise verpflichten, den Inhalt der Auflage, Bedingung oder Zusage auszuführen. Im Anmeldeverfahren bildeten bis zur Gesetzesnovelle vom 9. Oktober 2002 Art. 17 Abs. 3 S. 2 f. und Art. 18 Abs. 4 S. 2 f. WG a.F. Rechtsgrundlage für derartige Auflagen/ Bedingungen oder Zusagen. In ihnen wurde die Wettbewerbsbehörde bei Vorliegen der Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung ausdrücklich zur Freigabe „für den Fall der Erfüllung von auf die Sicherstellung von Wettbewerb gerichteten Anforderungen“ ermächtigt. Inzwischen sehen Art. 17 Abs. 4, 2. Alt. sowie Art. 18 Abs. 4 Satz 1, 2. Alt WG n.F. vor, dass ein Zusammenschluss trotz der Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung u.a. freigegeben werden kann, wenn die beteiligten Unternehmen bzw. deren Organe sich zur Vornahme von Handlungen verpflichten, die auf die Wiederherstellung von Wettbewerb gerichtet sind. Da bereits vor der Gesetzesnovelle Freigabeentscheidungen derartige – vorher verhandelte – Zusagen enthielten, dürfte die neue Gesetzesformulierung keine Änderung der Anwendungspraxis des russischen Antimonopolministeriums mit sich bringen. Bereits vor der Gesetzesnovelle wurden oft Auflagen erlassen bzw. Zusagen entgegengenommen, ohne dass die Wettbewerbsbehörde die Begründung oder Verstärkung von Marktbeherrschung näher begründete.614 Inhaltlich handelt(e) es sich bei den Auflagen/Bedingungen/Zusagen regelmäßig um Verpflichtungen, die nach Vollziehung des Zusammenschlusses zu erfüllen sind/waren. Die
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Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44 f. Vgl. hierzu oben III. 1. c) (7).
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Wirksamkeit der Freigabe hing bzw. hängt somit nicht von der Erfüllung der Zusage ab, so dass es sich bei diesen der Sache nach um Auflagen handelt.615 Im Notifizierungsverfahren bilden Auflagen dogmatisch eine besondere Form der Wiederherstellungsanordnung, da Freigabeentscheidungen nicht zu erlassen sind. Jede Herstellungsanforderung richtet sich in diesem Fall aber eben nicht auf die Wiederherstellung des vor dem Zusammenschluss bestehenden Zustandes, sondern auf eine anderweitige Wiederherstellung von Wettbewerb. Inhaltlich sind derartige Wiederherstellungsanordnungen identisch mit Zusagen/Auflagen im Anmeldeverfahren. Der Einfachheit und Klarheit halber wird deshalb im folgenden nur der Ausdruck Auflage verwendet. In den meisten Fällen enthalten Auflagen eine Informationspflicht bezüglich Preis- und Absatz- (bzw. Nachfragepolitik) sowie eine Investitionsverpflichtung. Soweit ersichtlich, hat das Antimonopolministerium noch keine strukturbezogenen Auflagen im engeren Sinne erlassen. b) Informationsauflagen Durch Informationsauflagen werden Erwerber bzw. die zusammengeschlossenen Unternehmen verpflichtet, die Wettbewerbsbehörden regelmäßig über ihre Preis- und Nachfragepolitik zu unterrichten. So müssen sie gegenüber der Wettbewerbsbehörde Preiserhöhungen (bzw. als Nachfragende eines Guts Preisreduzierungen) und die Ablehnung eines Vertragsschlusses mit etwaigen Interessenten begründen. Damit soll vermieden werden, dass Unternehmen, die eine marktbeherrschende Position inne haben, diese missbrauchen und damit gegen Art. 5 WG verstoßen. Im Gegensatz zu Informationsauflagen der europäischen Fusionskontrolle, die eher darauf gerichtet sind, die Kommission über die Erfüllung anderer, insbesondere strukturbezogener Auflagen, zu informieren,616 haben die russischen Informationsauflagen einen eigenständigeren Charakter. Sie dienen nicht der Strukturkontrolle, sondern der Vermeidung von Missbrauchsgefahren, d.h. der Missbrauchskontrolle. Solche Informationsauflagen wurden beispielsweise in den Zusammenschlussvorhaben NLMK/STAGDOK,617 Sandwig AB/Moskovskij Kombinat tvɺrdych splavov,618 Stratton Paper/Segiežabumprom,619 ONEKSIMBank/RAO Norylskij Nikel’,620 Robert
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Gemeint sind Auflagen in der Terminologie des VwVfg. Vgl. hierzu oben § 4 III. 4. Vgl. bsplw. Kommission, Entscheidung vom 14.5.1997, Sache IV/M.856, ABl. 1997 L 336/1 (BT/MCI II). 617 Vgl. russisches Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 27 f. 618 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44. 619 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 13. 620 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44. 616
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Bosch GmbH/Engelskij Zavod avtotraktoryjch zapalnych Sveþej (Zündkerzenunternehmen der Stadt Engel),621 ICN Pharmaceuticals, Inc./Kurskij Kombinat Lekarstvennych Sredstv (Medikamentenkombinat der Stadt Kursk)622 und dem Erwerb von 57% der Anteile an Lebedinskij GOK durch ein Tochterunternehmen der RAO Gazprom, der SAO Gazprominvestholding,623 erlassen. c) Investitionsauflagen – problematische Rechtsgrundlage Verbreitet sind in der Auflagenpraxis des russischen Antimonopolministeriums – insbesondere gegenüber ausländischen Erwerbern – Investitionsauflagen. In ihnen werden die Erwerber eines russischen Unternehmens zu bestimmten Investitionen verpflichtet, die auf mehrere Jahre detailliert vorgegeben werden. Solche Auflagen wurden beispielsweise in den Vorhaben Robert Bosch GmbH/Engelskij Zavod avtotraktornych zapalnych Sveþej,624 ICN Pharmaceuticals, Inc./Kurskij Kombinat Lekarstvennych Sredstv (Medikamentenkombinat der Stadt Kursk),625 SAO Gazprominvestholding /Lebedinskij GOK626 und NLMK/STAGDOK627 erlassen. Wettbewerbspolitisch sind derartige Auflagen zumindest überraschend. Durch Investitionen werden Unternehmen gestärkt, d.h. eine zu befürchtende marktbeherrschende Stellung kann durch Investitionen kaum vereitelt werden. Wettbewerbspolitisch sinnvoll sind Investitionsauflagen deshalb nur, soweit durch sie sichergestellt wird, dass ein von der Insolvenz bedrohtes Unternehmen saniert und somit der Untergang eines Unternehmens auf einem nicht sehr wettbewerbsintensiven – da beispielsweise von Übernachfrage gekennzeichneten628 – Markt und die damit einhergehende Marktkonzentrationszunahme vereitelt wird.629 Im Übrigen erlässt das Antimonopolministerium jedoch in
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Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44. Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44. 623 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 23. 624 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 44. 625 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S.44. 626 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S.23. 627 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S.27 f. 628 Vgl. hierzu oben III. 3. e) und der Bezug zu der Entscheidung BASF/Pantochim/Eurodiol der Kommission. 629 In der deutschen Fusionskontrolle wurden Investitionsauflagen in dem Zusammenschlussvorhaben Liberty Media/KDG, Bundeskartellamt, Vorbeschluss vom 22. Februar 2002, B7 – 168/01, veröffentlicht unter www.bundeskartellamt.de, im Rahmen der sog. Abwägungsklausel erörtert. Durch Investitionen in marktschwache Unternehmen auf einem nicht sehr wettbewerbsintensiven Markt sollte Wettbewerb verstärkt werden. Diese Wettbewerbsvorteile sollten Wettbewerbsnachtei622
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vielen Fällen Investitionsauflagen, um zu verhindern, dass russische Unternehmen kurze Zeit nach ihrer Übernahme – insbesondere durch Ausländer – stillgelegt werden.630 Da ein Verstoß gegen Auflagen selber strafbewehrt ist, können im Falle eines Verstoßes die jeweiligen Unternehmen bzw. ihre Organe entsprechend zur Verantwortung gezogen werden.631 Wie bereits dargestellt, ist im Übrigen schwer abzuschätzen, inwieweit Investitionsauflagen lediglich auferlegt werden, um Arbeitsplätze zu sichern und damit einen wettbewerbsfremden, sog. sozioökonomischen Zweck zu erfüllen. Soweit Investitionsauflagen nur einem solchen wettbewerbsfremden, sozioökonomischen Zweck dienen, ist ihre Rechtsgrundlage problematisch. Gemäß Art. 17 Abs. 3, Art. 18 Abs. 4 WG müssen Auflagen bzw. Zusagen den Schutz von Wettbewerb bezwecken. Auflagen, die alleine der Sicherung sozioökonomischer Gründe dienen, sind vom Wortlaut der Ermächtigungsgrundlagen dagegen nicht umfasst. Eine Ermächtigung muss sich jedoch aus weiter, letztlich teleologischer und systematischer Auslegung in Verbindung mit der Ermächtigungsgrundlage für Freigaben aus sozioökonomischen Gründen ergeben. Freigaben unter Auflagen stellen aus Sicht der betroffenen Unternehmen ein im Vergleich zur Untersagung milderes Mittel dar. Statt einer Untersagung muss dann auch die Berechtigung bestehen, Auflagen zu erlassen, aufgrund derer die Erfüllung sozioökonomischer Gründe sichergestellt ist. Dies gilt umso mehr, als die Erwerber sich auch selbst zur Erfüllung der Auflagen gegenüber der Wettbewerbsbehörde verpflichten müssen. Als Begründung kann ebenso ein de maiore ad minus-Argument dienen. Wenn die Behörde eine Untersagung erlassen kann, dann muss auch eine Freigabe unter Auflagen möglich sein, soweit diese keinen sachfremden Inhalt haben, d.h. soweit sie beispielsweise den Eintritt sozioökonomischer Freigabegründe sicherstellen sollen. Danach wären die Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage jedoch nur erfüllt, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Erwerber die angenommenen sozioökonomischen Vorteile nicht erfüllen will. Alleine der Umstand, dass es sich bei dem Erwerber um einen Ausländer handelt, dürfte kaum ein hinreichender Anhaltspunkt sein. Selbst wenn Anhaltspunkte vorlägen, ist es allerdings zweifelhaft, ob es betriebswirtschaftlich sinnvoll ist, Investitionen detailliert auf mehrere Jahre festzuschreiben. Die Unvorhersehbarkeit späterer Marktereignisse wird dabei nicht berücksichtigt. Investitionsaufla__________ le auf dem Kabelmarkt überwiegen. Letztlich konnten sich das BKartA und Liberty Media jedoch nicht auf entsprechende Investitionsauflagen einigen. 630 Ausdrücklich wurden so beispielsweise Investitionsauflagen in Glaverbel/Borskij stekol’nyj Zavod (vgl. § 2 III. oben) und in Robert Bosch GmbH/Engelskij Zavod avtotraktornych zapalnych Sveþej (vgl. oben 1. c)) begründet. Während persönlicher Gespräche des Verfassers im Antimonopolministerium wurde deutlich, dass die Furcht vor der Stillegung von Unternehmen kurz nach ihrer Übernahme ein wesentliches Motiv für den Erlass von Investitionsauflagen ist. 631 Vgl. unten V.
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gen dürften deshalb oft ein rechtswidriges Einmischen der Wettbewerbsbehörden in die individuellen Investitionsentscheidungen der Erwerber darstellen. Dies gilt umso mehr, als bereits die Annahme der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschende Position sehr fragwürdig ist, wenn der Erwerber noch nicht auf dem jeweiligen russischen Markt tätig ist. Das in dieser Arbeit als „Rettungsanker“ verwendete Argument der wirtschaftlichen Macht bzw. Finanzkraft dürfte – wie geschildert – nicht immer ausreichen, die Verstärkung einer Marktbeherrschung zu begründen.632 2. Strukturbezogene Auflagen als Unbekannte in der russischen Auflagenpraxis (die fehlende Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle) – der Vergleich zur deutschen und europäischen Fusionskontrolle a) Die europäische und deutsche Praxis Abgesehen von Investitionsauflagen, die der Sicherstellung des Verbleibens von Produktionskapazitäten auf einem wettbewerbsarmen Markt dienen, kennt die russische Fusionskontrolle keine Strukturauflagen, d.h. Auflagen, die auf eine zumeist einmalige, die Marktstruktur unmittelbar beeinflussende Handlung gerichtet sind.633 Dieses somit fast vollständige Fehlen von Strukturauflagen in der russischen Fusionskontrolle634 ist einer ihrer Hauptunterschiede gegenüber dem deutschen und dem europäischen System. Die deutsche Fusionskontrolle enthält in § 40 Abs. 3 S. 2 GWB sogar ein ausdrückliches Verbot verhaltensbezogener Auflagen.635 Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der Zweck der Fusionskontrolle, wettbewerbliche Marktstrukturen zu erhalten, nur durch strukturbezogene Auflagen erfüllt werden
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Vgl. oben III. 1. c) (7). Bei Abschluss dieser Arbeit wurde bekannt, dass die Freigabe des Zusammenschlusses Yukos/Sibneft ,,einen Passus enthielt, laut dem der Staat in den Regionen, in denen Yukos-Sibneft mehr als 65% des Markts kontrollieren wird, sicherstellen wird, dass andere Ölunternehmen dort tätig sein können. Sie sollen den Zugang zu den Ölraffinerien von Yukos-Sibneft erhalten.“ (FAZ vom 15. August 2003). Auch hierbei handelt es sich nicht um strukturbezogenen Auflagen im engeren Sinne. Der Zugang zu Ölraffinerien – enstprechend den Anforderungen der sog. essential facility doctrine – vgl. hierzu unten VII. 4. a) – hat aber zumindest einen mittelbaren Strukturbezug. Inwieweit „der Staat“ darüber hinaus in Regionen, in denen die Marktanteile von Yukos-Sibneft über 65% liegen, den Zugang von Wettbewerbern ermöglichen möchte, ist unklar. Auffallend ist aber, dass das Antimonopolministerium danach von regionalen Ölmärkten auszugehen scheint. Dies steht im Widerspruch zu bisherigen Veröffentlichungen. Vgl. hierzu oben III. 1. b) (2). 634 Offensichtlich soll sich dies auch nicht ändern. In seinem Bericht über die Wettbewerbspolitik für die Jahre 1999 bis 2001 (Doklad o konkurentnoj politike 1999-2001, S. 42) betrachtet es das Antimonopolministerium als seine Aufgabe, das System der Verhaltensauflagen zu überarbeiten. Die potenzielle Einführung von Strukturauflagen wird mit keinem Wort erwähnt. 635 Vgl. hierzu oben § 4 III. 4. 633
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
könne.636 Nicht so eindeutig ist dagegen die FKVO, die keine dem § 40 Abs. 3 S. 2 GWB vergleichbare Regelung enthält. Inwieweit nach der FKVO Verhaltensauflagen zulässig sind, ist deshalb umstritten. Einer weit verbreiteten Auffassung zufolge dürfen im Rahmen einer Strukturkontrolle Verhaltensauflagen nur – möglichst implizit – erlassen werden, soweit sie der bloßen Durchsetzung gleichfalls erlassener strukturbezogener Auflagen dienen.637 Dies gelte beispielsweise für die implizit mit einer Veräußerungsauflage verbundene Auflage, in Verhandlungen mit möglichen Kaufinteressenten zu treten.638 Dies gelte jedoch nicht für die Auflage, ein bestimmtes Marktverhalten an den Tag zu legen. Einer vermittelnden Auffassung zufolge werden Verhaltensauflagen akzeptiert, soweit auch strukturelle Auflagen erlassen werden.639 Die diesbezügliche Entscheidungspraxis der Kommission ist uneinheitlich. In ihrer früheren Entscheidungspraxis erließ die Kommission zumindest nach Abschluss der zweiten Prüfphase auch bloße verhaltensbezogene Auflagen.640 Diese bezogen sich insbesondere auf die Beendigung nicht gesellschaftsrechtlich vermittelter Verflechtungen, sei es vertikaler Art (so der Verzicht auf Ausschließlichkeitsvereinbarungen oder die Aufhebung von Vertragsbeziehungen mit Zulieferern und Abnehmern641) oder horizontaler Natur (so die Auflagen, Lizenzverträge mit einem Wettbewerber zu beenden642 und auf personelle Verbindungen zwischen Vorstand und Aufsichtsrat beider Unternehmen zu verzichten643). Von einer grundsätzlichen Befürwortung verhaltensbezogener Auf-
__________ 636
Fuchs, Zusagen, Auflagen und Bedingungen in der europäischen Fusionskontrolle, S. 274 f. Fuchs, Zusagen, Auflagen und Bedingungen in der europäischen Fusionskontrolle, S. 274 f. Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Art. 8, Tz. 16; Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Tz. 106. Ablehnend gegenüber Verhaltensauflagen im Rahmen einer Strukturkontrolle allgemein: Wolf, Probleme der Zusagenpraxis im Fusionskontrollverfahren, S. 806; Schultz, Die Ausgestaltung der fusionsrechtlichen Zusagenregelung in der Praxis, S. 437. 638 Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Art. 8, Tz. 17; Fuchs, Zusagen, Auflagen und Bedingungen in der europäischen Fusionskontrolle, S. 275. 639 Drauz/Schroeder, Praxis der europäischen Fusionskontrolle, S. 118; Groger/Janicki, Weiterentwicklungen des europäischen Wettbewerbsrechts, S. 1000; Kerber, Europäische Fusionskontrollpraxis, S. 126; Montag/Sedemund, Fusionskontrolle, Tz. 324; Westermann, Die Einwirkung der europäischen auf die deutsche Fusionskontrolle, S. 202. 640 Vgl. dazu auch Overbury, Politics or Policy?, S. 577. 641 Die Beendigung der Lieferbeziehungen zwischen Alcatel und der spanischen Telefongesellschaft Telefonica wurde beispielsweise in Alcatel/Telettra (Kommission, Entscheidung vom 12.4.1991, Sache IV/M.042, ABl. 1991 L 122/48, WuW/E EV 1616, Tz. 45 f.) angeordnet. Der Verzicht auf Ausschließlichkeitsvereinbarungen für den Vertrieb und die Wartung von Druckmaschinen wurde in KNP/Bührmann Tetterode/VRG (Kommission, Entscheidung vom 4.5.1993, Sache IV/M.291, ABl. 1993 L 217/35, Tz. 66 ff.; WuW 1993, 213.) aufgegeben. 642 Vgl. Kommission, Entscheidung vom 31.7.1991, Sache IV/M.12, ABl. 1991 L 320/26, Tz. 34; WuW/E EV 1701 (Varta/Bosch). 643 Kommission, Entscheidung vom 31.7.1991, Sache IV/M.12, ABl. 1991 L 320/26, Tz. 34; WuW/E EV 1701 (Varta/Bosch). Diese Auflage erinnert an das mittlerweile aufgehobene russische 637
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lagen schien die Kommission in den Untersagungsverfügungen MSG/Media Service644 und Nordic Satellite Distribution645 abzurücken.646 In ihnen bezeichnete sie Verhaltenszusagen als bereits „im Ansatz ungeeignet“, strukturelle Wettbewerbsprobleme zu lösen. Dennoch hat die Kommission auch nach diesen beiden Entscheidungen mehrere Auflagen erlassen, deren angeblicher Strukturbezug äußerst konstruiert erscheint.647 Ende 2000 erließ sie eine Mitteilung, in der sie die Veräußerung von Unternehmensteilen „bevorzugt“; verhaltensbezogene Auflagen werden jedoch ausdrücklich zugelassen.648 Veräußerungsauflagen sind strukturbezogene Auflagen „par excellence“. Sie haben eine direkte Reduzierung von Marktkonzentration zur Folge. Durch die Veräußerung bestimmter Geschäftsbereiche eines am Zusammenschluss beteiligten Unternehmens sinken auf dem entsprechenden Markt die Marktanteile. Beispiele von Auflagen der Kommission, die auf die Veräußerung einzelner Geschäftsbereiche gerichtet waren, bezüglich derer auf dem entsprechenden Markt Marktbeherrschung zu befürchten war, wurden bereits mehrfach genannt. So mussten BT und MCI in BT/MCI (II)649 Teile ihres transatlantischen Audiokonferenzbereichs veräußern. In WorldCom/MCI650 wurde MCI aufgegeben, seinen Internetbereich zu veräußern. Procter&Gamble/VP Schickedanz (II)651 wurde aufgegeben, einen Teil ihres Frauenhygienebereichs zu veräußern.
__________ Aufgreifkriterium der Besetzung von Organ- oder Überwachungsfunktionen in verschiedenen Unternehmen. 644 Kommision, Entscheidung vom 9.11.1994, Sache IV/M.469, ABl. 1994 L 364/1, Tz. 95 ff. 645 Kommission, Entscheidung vom 19.7.1995, Sache IV/M.490, ABl. 1996 L 53/20, Tz. 153 und 159. 646 Vgl. hierzu Montag/Kaessner, Neuere Entwicklungen in der Fallpraxis der europäischen Fusionskontrolle, S. 787. 647 Dies gilt in besonders eklatanter Weise für Auflagen, bestimmte Rechte nicht geltend zu machen. In Boeing/McDonnell Douglas (Kommission, Entscheidung vom 30.7.1997, Sache IV/M.877, ABl. 1997 L 336/16, WuW 1997, 703) gab die Kommission Boeing beispielsweise auf, auf die Geltendmachung der Rechte aus 20jährigen Exklusivlieferverträgen mit drei großen Fluggesellschaften (American, Delta und Continental Airlines) zu verzichten. Den Umstand, dass die Fluggesellschaften diese Verträge geschlossen hatten, betrachtete die Kommission als Indiz für eine bereits vor dem Zusammenschluss bestehende besonders signifikante Marktbeherrschung Boeings. Die Kommission untersagte Boeing auch jegliche künftige Ausschließlichkeitsvereinbarungen. Durch diese Auflage erhielt das europäische Unternehmen Airbus die Möglichkeit, mehrere Lieferverträge mit den Fluggesellschaften abzuschließen. 648 Kommission, Mitteilung vom 21.12.2000 über im Rahmen der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 447/98 der Kommission zulässige Abhilfemaßnahmen. 649 Kommission, Entscheidung vom 14.5.1997, Sache IV/M.856, ABl. 1997 L 336/1. 650 Kommission, Entscheidung vom 8.7.1998, Sache IV/M.1069, ABl. 1999 L 116/1, WuW 1998, 698. 651 Kommission, Entscheidung vom 21.6.1994, Sache IV/M.430, ABl. 1994 L 354/32, WuW 1995, 24.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Kimberly-Clark/Scott652 mussten einzelne Geschäftsbereiche für Toilettenpapier und Taschentücher veräußern. Der Zusammenschluss ABB/Elsag Bailey Process Automation NV653 wurde unter der Aufgabe freigegeben, die Tätigkeit von Elsag im Bereich Gaschromatographen aufzugeben. Da es sich hierbei um den einzigen Markt handelte, auf dem beide konglomerale Unternehmen große Marktanteile hielten, der Bereich für die Unternehmen jedoch von eher untergeordneter Bedeutung war, erfolgte eine Einigung auf die Veräußerung bereits in der Vorprüfphase. Aus demselben Grund konnte sich die Kommission in Owens-Illinois/BTR Packaging654 unproblematisch auf deren Veräußerung ihres britischen und irischen Glascontainer- und Glasverwertungsgeschäfts sowie mit den französischen Industriegruppen Lyonnaise-des-Eaux/Suez655 auf deren Veräußerung eines Teil des Geschäfts im belgischen Abfallentsorgungs- und Reinigungsbereichs einigen. Ebenfalls strukturbezogen sind Auflagen, die auf eine derartig starke Senkung der gesellschaftsrechtlichen Beteiligungsquote an einem Unternehmen gerichtet sind, dass dessen Kontrollerwerb ausgeschlossen wird, d.h. die Voraussetzungen des Aufgreifkriteriums entfallen und damit keine strukturkontrollrechtlich relevante Beteiligung mehr besteht. Eine Reduzierung von Gesellschaftsanteilen an einem Wettbewerber auf 10% wurde beispielsweise in Magnetti Marelli/CEAc656 angeordnet. In Anglo American Corporation/ Lonrho657 wurde der beantragte Erwerb von 27.5 % der Anteile an Lonrho nur „unter der Auflage“ genehmigt, dass nur 9.9 % erworben würden. Der Sache nach wurde das beantragte Vorhaben damit untersagt.658 Teilweise ist die Abgrenzung zwischen strukturellen und verhaltensbezogenen Auflagen auch schwierig. Ein überwiegend struktureller Charakter wird in Auflagen gesehen, die die Überlassung von Lizenzen und Know-how an Wettbewerber aufgeben.659 Dem ist im Hinblick auf die Einmaligkeit der Übergabe zuzustimmen. Die Überlassung von Produktionskapazitäten und/oder Personal,
__________ 652 Kommission, Entscheidung vom 16.1.1996, Sache IV/M.623, ABl. 1996 L 183/1, WuW 1996, 581. 653 Kommission, Entscheidung vom 21.1.1998, Sache IV/M.1339, ABl. 1998 C 342/1. 654 Kommission, Entscheidung vom 21.4.1998, Sache IV/M.1109, ABl.1998 C 165/7. 655 Kommission, Entscheidung vom 5.6.1997, Sache IV/M.916, ABl. 1997 C 207/12. 656 Kommission, Entscheidung vom 29.5.1991, Sache IV/M.43, ABl. 1991 L 222/38, WuW/E EV 1735. 657 Kommission, Entscheidung vom 23.4.1997, Sache IV/M.754, ABl. 1998 L 149/21, WuW 1997, 597. 658 Solche Auflagen, die die zugelassene Beteiligungsquote derartig deutlich unter die „Kontrollschwelle“ drücken, erinnern an die Inkonsistenz des russischen Fusionskontrollrecht, eine Gruppenzugehörigkeit nach Art. 4 WG bereits bei einer Beteiligung von 10% anzunehmen, die Anmelde- oder Anzeigenpflicht eines Asseterwerbs nach Art. 18 WG ebenfalls ab einem Anteil von 10%, einen Anteilserwerbs nach Art. 18 WG aber erst ab einem Anteilserwerb von 20% zu begründen. 659 Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Rz. 110.
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die – in tatsächlicher Hinsicht – rückgängig gemacht werden kann, wäre demzufolge dagegen als eher verhaltensbezogen einzuordnen. Der Vergleich zwischen diesen „Überlassungsalternativen“, die in der Entscheidungspraxis der Kommission alle verbreitet sind,660 zeigt, dass die Unterscheidung nach der Einmaligkeit der Übergabe recht willkürlich und von geringem Nutzen ist. Alle Überlassungsauflagen dienen der Stärkung tatsächlicher und etwaiger auf den Markt tretender potenzieller Wettbewerber. Sie alle können deshalb geeignet sein, die wettbewerblichen Bedenken eines Zusammenschlusses aufzuheben. Ob diese Geeignetheit in den einzelnen Entscheidungen immer gegeben ist, wird zwar teilweise bezweifelt.661 Hieraus folgt jedoch nicht die grundsätzliche Ungeeignetheit verhaltensbezogener Auflagen. b) Zusammenfassende Stellungnahme Die Kritik an verhaltensbezogenen Auflagen stützt sich auf dogmatische und praktische Erwägungen. So soll sich das Erfordernis der Strukturbezogenheit von Auflagen aus dem “marktstrukturorientierten Regelungsansatz“ der Fusionskontrolle ergeben.662 Verhaltensauflagen ließen die durch den Zusammenschluss entstehende Marktstruktur unberührt und seien deshalb grundsätzlich nicht geeignet, wettbewerbliche Strukturprobleme zu beheben.663 Verhaltensauflagen seien im Übrigen wesentlich schwieriger zu kontrollieren als
__________ 660
Vgl. die besonders markanten Auflagen in folgenden Entscheidungen: DuPont/ICI (Kommission, Entscheidung vom 30.9.1992, Sache IV/M.214, ABl. 1993 L7/13, Tz. 48) – Überlassung von Personal und Produktionskapazitäten; BT/MCI (II) (Tz. 257) – Übertragung von Kabelübertragungskapazitäten; Ciba-Geigy/Sandoz (Tz. 257) – Übertragung einer Lizenz für einen Wirkstoff gegen Kleintier-Ektoparasitizide; Boeing/McDonnell Douglas (Tz. 117) – Überlassung von Patenten und Know-how aus der staatlich geförderten Entwicklung von Militärflugzeugen, soweit es für die Entwicklung von Zivilflugzeugen auch genutzt werden kann; Nestlé/Perrier (Tz. 136ff.) Überlassung von Produktionsstätten und „Wassermarken“ an Wettbewerber. 661 Heidenhain, Zusagenpraxis in der EG-Fusionskontrolle, S. 139, stellt beispielsweise in Frage, ob die Übertragung von Wassermarken und Brunnen in einer Quantität, die selbst noch keine wesentliche Marktstellung begründet, geeignet sei, die marktbeherrschende Stellung von Nestlé und Perrier anzugreifen. Diese Zweifel knüpfen jedoch nicht an den Verhaltenscharakter mancher Auflagen an. Die Kommission selber ließ es bei Nestlé/Perrier offen, ob die zu übertragenden Wassermarken und Brunnen deren Erwerber in die Lage versetzen könnten, eine wesentliche Marktstellung aufzubauen. Mehr darf eine Auflage aber auch nicht bezwecken. Vielmehr würde es sich bei strengeren Auflagen bereits um industriepolitisch anmutende Verpflichtungen handeln, die gezielt die Stärkung bestimmter Wettbewerber vorsehen. Ob es dem Erwerber gelingt, eine marktstarke Stellung aufzubauen, muss von seinem Geschick und insbesondere von dem Verhalten Nestlés und Perriers abhängen. Soweit diese in mehr oder weniger produktiv effizienter Weise agieren und ihre Marktmacht nicht missbrauchen, ist diese nicht bedenklich. In einem solchen Falle bedarf es auch keiner staatlichen Eingriffe. Die Existenz innovationsfördernden Wettbewerbsdrucks spielt angesichts der Reife des Wassermarktes dagegen ohnehin keine Rolle. 662 Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Tz. 105. 663 Drauz/Schroeder, Praxis der europäischen Fusionskontrolle, S. 213.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
strukturelle Auflagen.664 Darüber hinaus würden Verhaltensauflagen eine stete Verhaltenskontrolle nach sich ziehen. Dies beinhalte jedoch die Gefahr industriepolitischer Einflussnahme der Kommission auf Marktabläufe und sei vom Regelungszweck einer Fusionskontrolle nicht umfasst.665 Eine solche Gefahr besteht allerdings ebenso bei strukturbezogenen Auflagen, soweit diese der Stärkung ganz bestimmter Wettbewerber dienen sollen.666 Die Kritik an verhaltensbezogenen Auflagen ist deshalb nur teilweise berechtigt. Sind diese Auflagen praktisch nur schwer durchsetzbar oder können sie in tatsächlicher Hinsicht eine Beseitigung wettbewerblicher Strukturprobleme nicht gewährleisten, ist ihre Ungeeignetheit offensichtlich. Es überzeugt allerdings nicht, diese Voraussetzungen für alle verhaltensbezogenen Auflagen anzunehmen. Dem generellen Verbot von Verhaltensauflagen steht insbesondere entgegen, dass auch Marktstruktur und Marktbeherrschung teilweise durch verhaltensbezogene oder zumindest verhaltensbedingte Merkmale bestimmt werden bzw. Indiz für bestimmte wettbewerbswidrige Verhalten sind.667 Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung setzt eben eine solche voraus. Sind verhaltensbezogene Marktbeherrschungsmerkmale erfüllt, kann ihnen durch Unterlassungs- oder Beseitigungsauflagen entgegengewirkt werden. Diese sind notwendigerweise auch verhaltensbezogen. Eine strikte Trennung zwischen Strukturund Verhaltensauflagen ist deshalb oft gar nicht möglich.668 Verhaltensbezogene Marktbeherrschungsmerkmale bilden insbesondere strategische Marktzutrittsschranken, Ausschließlichkeitsverträge oder das bloße Nachfrageverhalten der beteiligten Unternehmen und der Marktgegenseite. Diesen Umständen können Verhaltenszusagen wie ein Verzicht auf Ausschließlichkeitsbeziehungen669 oder das Überlassen gewisser Kenntnisse oder Nut-
__________ 664 Wagemann, Fusionskontrolle, § 16, Tz. 106; Montag/Kaessner, Neuere Entwicklungen in der Fallpraxis der europäischen Fusionskontrolle, S. 787. 665 Fuchs, Zusagen, Auflagen und Bedingungen in der europäischen Fusionskontrolle, S. 274. 666 Vgl. Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Tz. 12. 667 Vgl. Lerouge/Lüder, Fujitsu/Siemens: la structure des marchés comme indice d´une possible coordination, S. 41 f. 668 Dies wird auch von den Verfechtern des Verbots von Verhaltensauflagen zugestanden. Vgl. z.B. Drauz, Remedies under the Merger Regulation, S. 225, demzufolge der Bereich der Auflagen, die als strukturbezogen betrachtet werden, zunehme: ,,… the distinction between these two types of remedies ist not a clear bright line and, in fact, it appears that the line has been ,moving‘ over time.“ Vgl. aber zu der entsprechenden Diskussion in der deutschen Fusionskontrolle auch bereits Satzky, Zusagen im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle, S. 564 f., der sich völlig gegen eine Unterscheidung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle ausspricht: „… dass keineswegs immer eindeutig ist, was im Einzelnen der Marktstruktur und was dem Marktverhalten zuzurechnen ist … Ordnungspolitisch inakzeptabel wären nur Zusagen über ein bestimmtes unternehmerisches Wohlverhalten“. 669 Vgl. beispielsweise die in der Entscheidung Boeing/McDonnell Douglas erlassene Auflage, auf Rechte aus Ausschließlichkeitsverträgen zu verzichten. Der gemeinsame Marktanteil von
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zungsrechte an Wettbewerber670 sinnvoll entgegenwirken. Soweit sie geeignet sind, stellen verhaltensbezogene Auflagen ein gegenüber strukturbezogenen Auflagen, d.h. insbesondere Veräußerungsauflagen, milderes Mittel dar. Dies gilt um so mehr gegenüber Untersagungsverfügungen, falls strukturbezogene Auflagen aus tatsächlichen Gründen (z. B. mangels Kaufinteressenten) nicht in Betracht kommen. Verhaltensbezogene Auflagen können deshalb durch den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sogar geboten sein. Dies kann unter Umständen auch der Fall sein, wenn strukturbezogene Auflagen in tatsächlicher Hinsicht möglich sind. Verhaltensbezogene Auflagen sollten deshalb im Einzelfall durchaus in Erwägung gezogen,671 dabei jedoch strikt auf ihre Geeignetheit zur Beseitigung von Marktbeherrschungsgefahren überprüft werden. Dies wird regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn die Marktbeherrschung sich besonders auf verhaltensbezogene Umstände wie Nachfrageverhalten oder Marktzutrittsschranken stützt.672 Verhaltensbezogene Auflagen, insbesondere Informationsauflagen, können geeignet sein zu überwachen, ob sich die aus einer marktbeherrschenden Stellung ergebenden Gefahren realisieren. Dies ist dann der Fall, wenn diese Gefahren insbesondere im Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung liegen. Gegenüber Untersagungen oder strukturbezogenen Auflagen sind Verhaltensauflagen unter diesen Umständen als milderes Mittel vorzuziehen. Verhaltensauflagen sind jedoch nicht geeignet, marktstrukturellen Gefahren im engeren Sinne wirksam zu begegnen. Hierbei handelt es sich um die aus einer Markmacht als solche unmittelbar folgenden Gefahren, d.h. insbesondere __________ Boeing und McDonnell Douglas fiel von ursprünglich 70% im Bereich der großen zivilen Flugzeuge innerhalb von zwei Jahren auf unter 50%. Dies wurde insbesondere durch die genannten Auflagen ermöglicht, da sie eine Abschottung eines Teils des Marktes aufhoben. Dadurch, dass die Abschottung durch ein Verhalten, d.h. den Abschluss der Exklusivverträge mit drei der weltweit größten Fluggesellschaften (American, Delta und Continental Airlines), intensiviert worden war, bildete eine verhaltensbezogene Auflage ein geeignetes „Gegenmittel“. Boeing wurde in dem Verfahren allerdings neben dem Verzicht auf Ausschließlichkeitsvereinbarungen auch aufgegeben, jegliche bevorzugte Behandlung, die Zulieferer ihr gegenüber erweisen wollten, abzulehnen. Diese Auflage begegnet im Hinblick auf ihre Praktikabilität größten Bedenken. Die Nachweisbarkeit der Erfüllung dieser Auflage dürfte sehr schwer sein. 670 Dieses Merkmal wird teilweise bereits als strukturbezogen betrachtet. Im Vordergund steht bei ihm jedoch das Verhalten der Nutzungsgewähr, nicht die Stellung am Markt. 671 Vgl. auch van de Loo, Marktstruktur und Wettbewerbsbeschränkung, S. 425 ff., 472, der sich aufgrund der Bedeutung strategischer Marktzutrittsschranken allgemein für „verhaltensbezogene Strukturkontrollen“ ausspricht. Dem enstpricht die Verhaltenskontrolle nach Zusammenschlussfreigaben mit Verhaltensauflagen. 672 Systemfremd war dagegen die Zusage Ensos und Storas, den Import einer bestimmten zollfreien Quote außereuropäischen Verpackungsmaterials in den Europäischen Wirtschaftsraum zu akzeptieren. Ebenfalls überraschend ist, dass die Kommission all diese Zusagen annahm und zur Grundlage ihrer Freigabeentscheidung machte, später jedoch erklärte, dass sie aufgrund der besonderen Nachfragemacht der Marktgegenseite für die Genehmigung nicht erforderlich gewesen seien. Vgl. hierzu Kommission, XXVIII. Wettbewerbsbericht, S. 80, Tz. 166.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
den Abschreckungseffekt auf Wettbewerber. Diese Gefahr kann durch keine Verhaltensauflage völlig beseitigt werden. Vielmehr muss in solchen Fällen die Marktmacht per se angegriffen werden. Dies erfolgt im System der europäischen oder deutschen Zusammenschlusskontrolle durch sog. strukturbezogene Auflagen, die sich auf die Veräußerung von Unternehmensteilen beziehen. Der Umstand, dass solche Auflagen – soweit ersichtlich – in der russischen Fusionskontrollentscheidungspraxis bislang noch nicht erlassen worden sind, zeigt wiederum, dass ein echtes Marktstrukturverständnis in der russischen Zusammenschlusskontrolle noch fehlt und sie im Wesentlichen der Verhinderung von Missbrauchsgefahren dient. Die einer Marktstruktur als solcher anhaftenden Gefahren werden nicht ausreichend berücksichtigt. Die deutsche Fusionskontrolle beruht demgegenüber in besonders ausgeprägtem Maße auf dem Gedanken der Strukturkontrolle. Sie stützt sich auf die Annahme, dass die Strukturdaten eines Marktes die wichtigsten Einflussfaktoren für die Wettbewerbsverhältnisse bilden und damit auch die Marktergebnisse beeinflussen.673 Maßgeblich für die Fusionskontrolle sollen deshalb die „längerfristigen strukturellen Wirkungen“, die von Unternehmenszusammenschlüssen ausgehen, nicht dagegen „das aktuelle Wettbewerbsverhalten“674 sein. Dennoch können auch bei der Prognoseentscheidung, die im Rahmen der Strukturkontrolle vorgenommen wird, Verhaltensgesichtspunkte eine Rolle spielen. So berücksichtigte der BGH in verschiedenen Entscheidungen675 Verhaltensmerkmale. Dabei führte er aus, dass es sich bei der Beurteilung nach Marktstruktur und Marktverhalten um „zwei verschiedene Betrachtungsweisen des Marktgeschehens“ handle, „die sich im gewissen Maße ergänzen und gegenseitig beeinflussen“; beide dienten „der Prüfung, ob die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs ernstlich gefährdet wird.“ Die Beurteilung trifft uneingeschränkt zu. Wenn aber bei der Feststellung des Vorliegens von Marktbeherrschung Struktur- und Verhaltensmerkmalen berücksichtigt werden, müssen beide Aspekte auch durch Auflagen behoben werden können. Die Trennung zwischen struktur- und verhaltensbezogenen Auflagen ist deshalb teilweise auch künstlich.
__________ 673
Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten V, Tz. 470. Begründung zum Regierungsentwurf der vierten GWB-Novelle, BT-Drs. 8/2136, S. 12; vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf der zweiten GWB-Novelle, BT-Drs. 6/2520, S. 29, 39: „Ausgangspunkt dürften die in § 22 Absatz 1 Satz 2 genannten strukturellen Merkmale sein.“ 675 WuW/E BGH 1711, 1716 (Mannesmann/Brueninghaus); WuW/E BGH 1824, 1827 (Tonolli/Blei- und Silberhütte Braubach); WuW/E BGH 2025, 2027f (Texaco/Terssen); WuW/E BGH 2150, 2155 (Rheinmetall/WMF); WuW/E BGH 1749, 1755 (Klöckner/Becorit). 674
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V. Bußgelder/Strafen Bei Verstößen gegen Anmelde- oder Notifizierungspflichten aus Art. 17 und 18 WG oder Anordnungen der Wettbewerbsbehörde konnte diese bis zur Gesetzesnovelle vom 30. Dezember 2001 den betreffenden Unternehmen gemäß Art. 23 WG a.F.676 sowie ihren Organen persönlich gemäß Art. 24 WG a.F.677 Bußgelder auferlegen. Inzwischen verweist Art. 22 WG n.F. auf die persönliche zivil-, ordnungswidrigkeits- und – im Gegensatz zum europäischen678 und deutschen Recht – sogar strafrechtliche Verantwortlichkeit der betroffenen Unternehmen und ihrer Organe. Vorteile, die aus einem gegen Vorschriften des WG verstoßenden Verhalten erlangt werden, können in Russland gemäß Art. 23 n.F. überdies eingezogen werden.
__________ 676 Unternehmen konnte bei Nichterfüllung einer Anordnung der Wettbewerbsbehörde ein Bußgeld von bis zu 100 Minimaleinkommen pro Tag der Nichterfüllung, insgesamt jedoch maximal 25.000 Minimaleinkommen, auferlegt werden (Art. 23 S. 1, 1. Alt. WG a.F.; vgl. hierzu auch Daurova, Monopolistiþeskaja dejatel’nost’; ponjatie, vidy, otvetstvennost’, S. 118.). Handelte es sich bei den Anordnungen um Auflagen im Sinne von Art. 17 Abs. 3 oder Art. 18 Abs. 4 WG, konnten Bußgelder in einer Höhe von bis zu insgesamt 8.000 Minimaleinkommen festgesetzt werden (Art. 23 S. 1, 3. Alt. WG a.F.). Ein Verstoß gegen die in Art. 17 und 18 WG niedergelegten Anmelde- oder Notifizierungspflichten konnte für jeden Tag der Nichterfüllung mit 50 Minimaleinkommen, insgesamt jedoch maximal 5.000 Minimaleinkommen, belegt werden (Art. 23 S. 1, 2. + 4. Alt. WG a.F.). Bei einem Einreichen „nicht verlässlicher“ Informationen (gemeint dürften falsche Informationen sein) konnten Bußgelder in Höhe von bis zu insgesamt 1.000 Minimaleinkommen festgesetzt werden. 677 Natürlichen Personen sollten Bußgelder von bis zu 200 Minimaleinkommen auferlegt werden, wenn sie in ihrer Eigenschaft als Organe wirtschaftlicher oder nichtwirtschaftlicher Organisationen, d.h. Unternehmen oder Verbänden, Anordnungen der Wettbewerbsbehörde missachteten. Für die bloße unterlassene Anmeldung oder Notifizierung durften Organen juristischer Personen allerdings keine Bußgelder auferlegt werden. Gegenüber Einzelkaufleuten waren bei einem Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften der Art. 17 und 18 WG hingegen Bußgelder von bis bis zu 80, bei einem Verstoß gegen Auflagen im Sinne von Art. 17 Abs. 3 bzw. 18 Abs. 4 WG Bußgelder von bis zu 100 Minimaleinkommen zulässig (Art. 24 Abs. 1 WG a.F.). Auch Verwaltungsangestellten, die Unternehmen oder Interessenverbände im Unternehmensregister eintrugen, ohne dass eine erforderliche Freigabe durch die Wettbewerbsbehörde vorlag, konnten Bußgelder von bis zu 80 Minimaleinkommen auferlegt werden (Art. 24 Abs. 2 WG a.F.). Inwieweit diese Norm tatsächlich angewendet wurde, ist unbekannt. Darstellungen des Antimonopolministeriums beschränkten sich auf die Verhängung von Bußgeldern an Unternehmen und ihre Organe. 678 Die Kommission kann gemäß Art. 15 FKVO Bußgelder bei pflichtwidrig unterlassener Anmeldung bzw. gemäß Art. 14 FKVO Zwangsgelder zur Erzwingung von Erklärungen – auch gegenüber am Zusammenschlussvorhaben Unbeteiligten – festsetzen. Insbesondere von der Kompetenz zur Festsetzung von Bußgeldern machte die Kommission in den letzten Jahren in mehreren Fällen Gebrauch. Das erste Bußgeld in Höhe von 33.000 ECU wurde Samsung/AST (Kommission, Entscheidung vom 18.2.1998, Sache IV/M.970, WuW 1998, 576) auferlegt. Wesentlich höhere Bußgelder wurden danach gegen A. P. Moeller (Entscheidung vom 10.2.1999, Sache IV/M.969, WuW 1999, 372), Deutsche Post/trans-o-flex sowie KLM/Martinair III (Entscheidungen vom 14.12.1999, WuW 2000, 48) und Sanofi/Synthelabo (Entscheidung vom 28.7.1999, Sache IV/M.1543, ABl. 2000 L 095/34) festgesetzt.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Der Verweis auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit bezieht sich u.a. auf Art. 175 des Strafgesetzbuches,679 demzufolge u.a. die pflichtwidrig unterlassene Ausführung von Anordnungen oder Auflagen der Wettbewerbsbehörden im Rahmen von Art. 17 und 18 WG strafbewehrt ist.680 Tatsächlich wird der Straftatbestand in diesem Zusammenhang jedoch äußerst selten angewendet.681 Bußgelder werden demgegenüber häufiger erlassen. So führt das Antimonopolministerium in seinem Bericht über die Zusammenschlusskontrolle aus, dass die Anzahl der Verstöße gegen die Anmelde- und/oder Notifizierungspflicht Art. 17 und 18 WG zunehme und in mehreren Fällen Bußgelder festgesetzt worden seien.682 Der bekannteste Fall einer solchen Festsetzung von Bußgeldern steht im Zusammenhang mit dem Vorhaben des Erwerbs von Anteilen an der Fluggesellschaft „AK Transaero“.683 Den anmeldenden Unternehmen, die gemeinsam 33% der stimmberechtigten Aktien an OAO AK Transaero erwerben wollten, d.h. den Gesellschaften AOST LogoVas, der SAO Borej 2, der SAO Ratmir+ und der SAO Princ-Motors, wurden einerseits teilweise Bußgelder auferlegt, soweit sie im Zeitpunkt der Anmeldung den Aktienerwerb bereits vollzogen hatten. Darüber hinaus wurden Bußgelder festgesetzt, weil sie die Existenz eines Stimmbindungsvertrages mit anderen Anteilsinhabern an der OAO AK Transaero in der Anmeldung verschwiegen hatten. Leider geht aus dem Bericht des Antimonopolministeriums nicht die Höhe der festgesetzten Bußgelder hervor. Diese war auch in Gesprächen im Ministerium selber nicht zu ermitteln.
VI. Behörden und Verfahren 1. Behördenaufbau Zuständig für die Durchführung der Fusionskontrolle sind die zentrale Moskauer Wettbewerbsbehörde sowie die ihr untergeordneten 71 regionalen Wettbewerbsbehörden. Die Zentralbehörde, die ursprünglich die Bezeichnung An-
__________ 679
Vgl. hierzu Jani, Antimonopol’nye normy ugolovnogo zakona, S. 90 f. Der Antimonopolminister Južanov bedauerte allerdings 1999 in einem Interview, dass nicht auch der Verstoß gegen gesetzliche Pflichten aus dem WG strafbewehrt (im Sinne des Strafgesetzbuches) ist. Das Strafgesetz wurde seinerzeit jedoch nicht geändert. Vgl. Južanov, O politike po konkurencii, S. 3. 681 Vgl. hierzu Totev, Ugolovnaja otvetstvennost’ za monopolistiþeskuju dejatel’nost’, S. 54 ff., insbesondere S. 55: „Ziel von Art. 175 des Strafgesetzbuches ist es im Wesentlichen, die Wirksamkeit der Entscheidungen der Antimonopolorgane durch strafrechtliche Mittel zu gewährleisten." 682 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 11 f. 683 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21 f. (Sache OAO „Aviakompanija Transaero“). 680
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timonopolkomitee trug, hat seit Februar 1998 den Rang eines Ministeriums.684 In ihren Zuständigkeitsbereich fallen neben der Wettbewerbspolitik die Regulierung sog. natürlicher Monopole und – paradoxerweise – seit Februar 1998 auch wieder685 die Industriepolitik für kleine und mittlere Unternehmen. Organisatorisch sind Wettbewerbs- und Industriepolitik allerdings in unterschiedlichen Abteilungen deutlich voneinander getrennt.686 Bei den dem Ministerium unterstellten 71 regionalen Wettbewerbsbehörden handelt es sich gemäß VO Nr. 800 des Antimonopolministeriums vom 5. Dezember 2002 um Wettbewerbsbehörden der meisten der 89 sogenannten Föderationssubjekte. Teilweise umfasst der örtliche Zuständigkeitsbereich einer regionalen Wettbewerbsbehörde aber auch das Gebiet mehrerer Föderationssubjekte. VO Nr. 800 regelt auch die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen dem Ministerium und den Regionalbehörden. Danach wird die Zusammenschlusskontrolle jeweils durch die unterste territoriale Wettbewerbsbehörde durchgeführt, es sei denn, der Zuständigkeitsbereich des Ministeriums ist eröffnet. Für Personenund Kapitalgesellschaften bestimmt sich die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Ministerium und Regionalbehörde nach den addierten Bilanzsummen der beteiligten Gesellschaften, für Vereinigungen und Verbände dagegen nach der Größe ihres Wirkungskreises. Im Einzelnen erfolgt die Zuständigkeitsabgrenzung wie folgt: Die regionalen Wettbewerbsbehörden sind zuständig für die Prüfung von Unternehmenszusammenschlüssen im Sinne von Art. 17 WG, wenn die addierten Bilanzsummen der beteiligten Unternehmen 10.000.000 Minimaleinkommen nicht übersteigen. Bei den Fallgruppen des Art. 18 WG (Anteils-, Assetserwerb oder Erwerb sonstigen Einflusses) ist die regionale Wettbewerbsbehörde dagegen bis zu addierten Bilanzsummen der beteiligten Unternehmen von 20.000.000 Minimaleinkommen zuständig. Ein Grund dafür, dass der Zuständigkeitsbereicht der Regionalbehörden bezüglich der Erwerbsvarianten des Art. 18 WG weiter reicht als beim Zusammenschluss im Sinne von Art. 17 WG, ist allerdings nicht ersichtlich.
__________ 684
Die Umwandlung des Antimonopolkomitees in ein neu gegründetes Ministerium für Antimonopolpolitik und Unterstützung des Unternehmertums erfolgte durch die Verordnung (Postanobljenie) Nr. 163 der russischen Regierung vom 10. Februar 1998. 685 Diese Zuständigkeit hatte das Antimonopolkomitee 1995 an eine neu geschaffene Behörde, das staatliche Komitee für die Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen, abgegeben. Vgl. hierzu Erlass des Präsidenten der Russischen Föderation in der Gesetzessammlung Sobranie Zakonodatel’stva 1995 Nr. 24. 686 Reynolds, Addressing Russia’s economic crisis, S. 27, dagegen bedauert die Kompetenzfülle. Letztlich ist die gemeinsame Zuständigkeit für Industrie- und Wettbewerbspolitik jedoch auch in westlichen Systemen anzutreffen. Das BMWi beispielsweise ist zumindest die dem BKartA vorgesetzte Behörde.
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Die Prüfung einer Gründung oder eines Zusammenschlusses von Interessenverbänden etc. erfolgt bei der jeweiligen Regionalbehörde, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich der Sitz des Verbandes liegt, wenn die Mitglieder in nicht mehr als fünf verschiedenen russischen Gebietskörperschaften ansässig sind. Soweit der Zuständigkeitsbereich der regionalen Wettbewerbsbehörden eröffnet ist, sind sie für die Durchführung des gesamten Verfahrens verantwortlich, an deren Ende sie ggf. die jeweilige Verfügung erlassen. Über wichtige Entscheidungen sind die Regionalbehörden jedoch verpflichtet, dem Ministerium regelmäßig Bericht zu erstatten. Das Ministerium ist den Regionalbehörden gegenüber weisungsbefugt und ernennt deren Vorsitzenden. Dadurch kann das Ministerium auf die Entscheidungspraxis der Regionalbehörden Einfluss nehmen. 2. Verfahren a) Die Unterscheidung zwischen Anmelde- und Notifizierungsverfahren – Überblick Ähnlich der deutschen Regelung im GWB bis 1998 unterscheidet das russische WG zwischen einem Anmelde- und einem Notifzierungsverfahren. Das Anmeldeverfahren ist vor Durchführung des Zusammenschlusses abzuschließen. Dieser darf erst nach Genehmigung („Freigabe“) durch die Wettbewerbsbehörde durchgeführt werden. Das Notifizierungsverfahren dagegen muss erst nach Ausführung des Zusammenschlusses eingeleitet werden. Eine vorherige freiwillige Verfahrenseinleitung ist allerdings zulässig.687 Stellt die Wettbewerbsbehörde eine wettbewerbliche Gefahr im Sinne der Eingreifkriterien fest, kann es eine Anordnung auf Wiederherstellung wettbewerblicher Verhältnisse („Wiederherstellungsanordnung“) erlassen. b) Das Anmeldeverfahren – Verfahrensablauf, Fristen und besondere Untersagungsgründe Im Rahmen des Anwendungsbereiches von Art. 17 WG unterliegt dem Anmeldeverfahren jegliche Verschmelzung von Unternehmen, deren letzten addierten Bilanzsummen 200.000 Minimallöhne übersteigen. Innerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 18 WG unterfallen dem Anmeldeverfahren der Erwerb stimmberechtigter Anteile an einem Unternehmen durch eine Person oder Personengruppe, die nach dem Erwerb mehr als 20%
__________ 687
Art. 17 Abs. 7 und Art. 18 Abs. 8 WG.
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der stimmberechtigten Anteile hält, sowie der Erwerb von mehr als 10% der bilanzierten Vermögensgegenstände (Betriebsmittel) an einem Unternehmen. Dasselbe gilt für den Erwerb von Rechten, die den Erwerber in die Lage versetzen, die Geschäftspolitik eines anderen Unternehmens zu bestimmen bzw. dessen Geschäftsführung zu bestellen. Diese Alternativen des Art. 18 Abs. 1 WG unterliegen allerdings nur dann dem Anmeldeverfahren, wenn die addierten Bilanzsummen der beteiligten Unternehmen 200.000 Minimaleinkommen übersteigen oder wenn ein beteiligtes Unternehmen oder ein von einer beteiligten Person/Personengruppe beherrschtes Unternehmen im Register eingetragen ist.688 Neben der materiellen Fusionskontrolle, d.h. der Prüfung wettbewerblicher Gefahren oder der etwaigen Rechtfertigung aufgrund besonderer sozioökonomischer Gründe, enthalten Art. 17 Abs. 3 und Art. 18 Abs. 4 WG noch zusätzliche, teilweise wettbewerbsfremde Untersagungsgründe. Danach kann die Wettbewerbsbehörde Zusammenschlussvorhaben auch bei mangelnder Glaubhaftigkeit oder – nach Ablauf einer dem Anmeldenden eigens gesetzten Frist – Unvollständigkeit der eingereichten Dokumente untersagen. Dadurch soll vermieden werden, dass mangels positiver Kenntnis über Umstände, die Wettbewerbsgefahren begründen, Freigabeentscheidungen ergehen, obgleich ersichtlich ist, dass die von den Anmeldenden eingereichten Informationen nicht den Tatsachen entsprechen. Die Anmeldenden haben insofern eine „Bringschuld“ im Hinblick auf die erheblichen Tatsachen. Machen sie erkennbar unzutreffende oder nicht ausreichende Sachverhaltsangaben, können sie keine Freigabeentscheidung einfordern. Dieser besondere Untersagungsgrund dient deshalb letztlich dem Wettbewerbsschutz, obwohl es teilweise zweifelhaft erscheint, ob alle von den Wettbewerbsbehörden angeforderten Unterlagen für die sachlich zu treffende Entscheidung der Wettbewerbsbehörde tatsächlich unerlässlich sind. Durch die Gesetzesnovelle zum 2. Januar 2000 wurde in Art. 18 Abs.4 WG ein weiterer, wettbewerbsfremder Untersagungsgrund eingefügt. Danach können die Erwerbsalternativen von Art. 18 Abs. 1 WG auch untersagt werden, wenn die Anmeldenden nicht nachweisen können, dass sie die für die Durchführung des Vertrages notwendigen finanziellen Mittel haben oder erhalten werden. Auf den ersten Eindruck erscheint diese Regelung völlig widersinnig. Hat ein Käufer nicht die für die Durchführung eines Kaufvertrages notwendigen finanziellen Mittel, wird dieser Kaufvertrag kaum durchgeführt werden, es sei denn, der Verkäufer ist mit einer sicherheitslosen Vorleistung einverstanden. Einziger möglicher Zweck dieses Untersagungsgrundes kann deshalb nur der Schutz des Verkäufers, d.h. ein wettbewerbsfremder Grund, sein. Ursächlich für diese Regelung könnte auch die ausgeprägte Furcht des Antimonopol-
__________ 688
Vgl. hierzu oben II. 2.
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ministeriums vor dem Aufkauf marktbeherrschender Unternehmen zwecks Schließung sein. Unabhängig von der Zweifelhaftigkeit der Bedeutung, die das Antimonopolministerium dieser Furcht beimisst, erscheint dieser neue zusätzliche Untersagungsgrund kaum geeignet, ihr entgegenzuwirken. Der etwaige Wille, ein Unternehmen zwecks Schließung zu erwerben, dürfte unabhängig von finanziellen Kapazitäten bestehen. Darüber hinaus würden die durch den neuen Untersagungsgrund untersagbaren Verträge aber mangels Vorleistungswillen des Verkäufers in den meisten Fällen ohnehin nicht ausgeführt werden. Ebenfalls durch die Gesetzesnovelle vom 2. Januar 2000 wurde eine Regelung in Art. 18 Abs. 4 WG a.F. (inzwischen Art. 18 Abs. 5 WG n.F.) eingefügt, derzufolge jede Freigabe eines Erwerbs im Sinne von Art. 18 Abs. 1 nur ein Jahr Gültigkeit hat. Diese Regelung ist insofern sinnvoll, als sich die für die wettbewerbliche Analyse eines Zusammenschlusses erheblichen Umstände nach einem Jahr deutlich verändert haben können. Andererseits erscheint es den beteiligten Unternehmen zumutbar, einen Erwerb innerhalb eines Jahres nach Erhalt der Freigabeentscheidung durchzuführen. Innerhalb von 30 Tagen nach Eingang der Anmeldung, d.h. der vollständigen Dokumente, muss die Wettbewerbsbehörde ihre abschließende Entscheidung treffen.689 In Ausnahmefällen kann sich die Wettbewerbsbehörde diese Frist um bis zu 20 Tage selbst verlängern.690 Soweit die Anmeldenden innerhalb von sechzig Tagen nach Eingang der vollständigen Unterlagen bei der zuständigen Wettbewerbsbehörde keine Entscheidung erhalten, konnten sie bis zur Gesetzesnovelle vom 9. Oktober 2002 nach Art. 20 WG eine Klage beim zuständigen Zivil-, bzw. Handelsgericht691 auf Feststellung der Untätigkeit der Wettbewerbsbehörde erheben. Ob eine solche Klagemöglichkeit trotz ersatzloser Aufhebung des Art. 20 noch besteht, ist unklar. Da über eine solche Klage jedoch auch erst nach erheblicher Zeit entschieden wurde, war ihr praktischer Nutzen ohnehin eher gering. Eine Genehmigungsfiktion bei nicht erfolgter Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist entsprechend der FKVO692 oder dem GWB693 enthält das WG nicht. In der Praxis können sich Anmeldeverfahren
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Vgl. Art. 17 Abs. 2 S. 2 WG, auf den auch Art. 18 Abs. 3 S. 2 WG verweist. Vgl. Art. 17 Abs. 2 S. 3 WG, auf den Art. 18 Abs. 3 S. 2 WG ebenfalls verweist. 691 Bezüglich der Zuständigkeitsbegründung der Handelsgerichte (geläufig ist auch der Ausdruck „Wirtschaftsgericht“) vgl. Stampe, Der Funktionsbereich der russischen Wirtschaftsgerichtsbarkeit, S. 47 ff.: Maßgeblich sind der Rechtsstatus aller Verfahrensbeteiligten – juristische Personen, aber auch Einzelunternehmer – sowie die Art der streitigen Rechtsbeziehungen – Wirtschaftsstreitigkeiten. 692 Art. 10 Abs. 6 FKVO. 693 § 40 Abs. 2 S. 2 GWB. 690
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entgegen der gesetzlichen Fristenregelung über sechs Monate lang hinziehen.694 Wichtigen Verfahren sind üblicherweise informelle Verfahren vorgeschaltet.695 Ähnlich dem europäischen und deutschen Recht hat die Anmeldung eines Zusammenschlussvorhabens Suspensivwirkung. Jeder dem Anmeldeverfahren unterliegende Zusammenschluss darf gemäß Art. 17 Abs. 8 S. 1 WG erst nach Freigabe durch die zuständige Wettbewerbsbehörde in das staatliche Unternehmensregister eingetragen und damit wirksam werden. Eine Eintragung, die ohne Zustimmung der Wettbewerbsbehörde erfolgt, kann gemäß Art. 17 Abs. 9 WG auf Klage der zuständigen Wettbewerbsbehörde von einem Gericht für unwirksam erklärt werden. Dasselbe gilt, wenn Auflagen i.S.v. Art. 17 Abs. 4 oder Art. 18 Abs. 5 WG nicht erfüllt werden. Das WG enthält keine Rechtsgrundlage, nach der die Wettbewerbsbehörde selbst die Auflösung eines Zusammenschlusses anordnen kann.696 c) Das Notifizierungsverfahren – Verfahrensablauf und Fristen Das Notifizierungsverfahren wurde in das Wettbewerbsgesetz erst durch die Gesetzesnovelle von 1995 eingefügt. Es ist dem 1998 vom deutschen Gesetzgeber aufgehobenen Anzeigeverfahren insoweit vergleichbar, als es die formelle Befugnis der beteiligten Unternehmen zum Zusammenschluss vor Erlass der behördlichen Entscheidung nicht berührt, die materielle Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Wettbewerbsgesetz durch die Wettbewerbsbehörde vielmehr im nachhineinein vorsieht. Dem Notifizierungsverfahren unterfallen im Anwendungsbereich von Art. 17 WG die Gründung von (Gemeinschafts-)unternehmen,697 soweit die addierten Bilanzwerte der Gründer bzw. des gegründeten Unternehmens 200.000 Minimaleinkommen übersteigen, sowie die Verschmelzung von Unternehmen, deren addierten Bilanzwerte zwischen 100.000 und 200.000 Minimaleinkommen liegen, sowie sämtliche Gründungen, Verschmelzungen, Aufnahmen und Mitgliedsaufnahmen von Interessenverbänden. Innerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 18 WG unterfallen dem Notifizierungsverfahren der Anteils-, Vermögenswerte- oder Rechtserwerb im Sinne von Art. 18 Abs. 1 WG, soweit die addierten Bilanzwerte der Erwerber 100.000 Minimaleinkommen übersteigen und die Voraussetzungen für das Anmeldeverfahren nicht erfüllt sind.
__________ 694 So übereinstimmend die Angaben des Antimonopolministeriums und in Moskau ansässiger Rechtsanwälte; Schulze, Die Wettbewerbs- und Kartellgesetze der osteuropäischen Staaten, S. 191 f., zufolge sollen bis Mitte der 90er Jahre die gesetzlichen Fristen eingehalten worden sein. 695 Vgl. dazu unten e). 696 Vgl. hierzu auch unten g). 697 Vgl. hierzu oben II. 4.
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Soweit das Notifizierungsverfahren vorgeschrieben ist, muss der das Aufgreifkriterium erfüllende Sachverhalt der zuständigen Wettbewerbsbehörde innerhalb von 45 Tagen nach Eintragung im staatlichen Unternehmensregister bzw. nach Wirksamwerden mitgeteilt werden. Kommt die Wettbewerbsbehörde zu dem Ergebnis, dass sie wettbewerbliche Gefahren sieht, kann sie gemäß Art. 17 Abs. 6 bzw. 18 Abs. 7 WG eine Anordnung auf Wiederherstellung wettbewerblicher Verhältnisse erlassen. Die Wiederherstellungsanordnung soll im Hinblick auf die geeignetste und zugleich mildeste Maßnahme mit den beteiligten Unternehmen erörtert werden. Die Wiederherstellungsanordnung kann auch die Auflösung eines bereits durchgeführten Zusammenschlusses zum Gegenstand haben. Soweit dies der Fall ist, ist die praktische Ausführung der Auflagen jedoch mitunter äußerst problematisch, da entweder der Veräußerer nicht mehr existiert, über keine Mittel mehr verfügt oder die praktische Ausgliederung des neue eingegliederten Unternehmens schwierig ist. Mitunter sind durch den Erwerb auch Geschäftsgeheimnisse erworben worden, deren Erwerb offensichtlich nicht „rückabgewickelt“ werden kann. Aufgrund dieser Problematik wurde das Notifizierungs- bzw. Anzeigeverfahren im deutschen GWB durch dessen sechste Novelle aufgehoben.698 Fristenregelungen über den Erlass der Wiederherstellungsanordnung enthält das WG nicht. Bis zur Gesetzesnovelle vom 9. Oktober 2002 musste das Antimonopolministerium innerhalb von 15 Tagen nach Eingang der Notifizierung bei der Wettbewerbsbehörde gemäß Art. 17 Abs. 5 S. 2 bzw. Art. 18 Abs. 6 S. 2 WG a.F. darüber entscheiden, ob es ein Hauptprüfverfahren einleitete, d.h. ob sich nach einer summarischen Prüfung Zweifel bezüglich der materiellen Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem WG ergaben. Eine Entscheidung konnte notfalls durch Untätigkeitsklage gemäß Art. 20 WG a.F. erzwungen werden. Diese Regelung wurde ersatzlos gestrichen. Soweit beteiligte Unternehmen eine bindende Erklärung der Wettbewerbsbehörde über die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem WG wünschen, müssten sie nun gemäß dem Wortlaut des WG eine freiwillige vorherige Anmeldung gemäß Art. 17 Abs. 7 WG bzw. Art. 18 Abs. 8 WG vornehmen. Diese muss nach Art. 18 Abs. 8, Art. 17 Abs. 7 i.V.m. Abs. 2 WG innerhalb von 30 Tagen – bzw. in Ausnahmefällen von 50 Tagen – beschieden werden. Sachgerecht wäre es, diese Fristenregelung entsprechend auf das Notifizierungsverfahren anzuwenden, so dass auf Grundlage der Notifizierung eine Wiederherstellungsanordnung nur innerhalb der in Art. 17 Abs. 2 WG bestimmten Fristen erlassen
__________ 698 Obgleich die FKVO kein Notifizierungsverfahren kennt, sieht auch sie die Möglichkeit von Wiederherstellungsanordnungen bzw. Entfelchtungsanordnungen vor. Dies ist insbesondere der Fall, wenn ein Mitgliedstaaat der Kommission ein Zusammenschlussvorhaben zur Prüfung nach Art. 22 Abs. 3 FKVO übertragen hat. Aus diesem Grund wurde beispielsweise eine Entflechtungsanordnung in Kesko/Tuko II (Kommission, Entscheidung vom 19.2.1997, Sache IV/M.784, ABl. 1997 L 174/47, WuW 1997, 327) erlassen.
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werden darf. Eine entsprechende Entscheidungspraxis oder Literatur existiert jedoch – soweit ersichtlich – nicht. d) Einzureichende Dokumente – besondere Anforderungen für ausländische Erwerber (insbesondere bzgl. der Zahlungsfähigkeit) Eröffnet werden das Anmelde- und das Notifizierungsverfahren, indem die Organe eines Unternehmens oder sonstige Personen,699 die eine Entscheidung über die Erfüllung eines Zusammenschlusstatbestandes im Sinne des WG getroffen haben, ihr Vorhaben der zuständigen Wettbewerbsbehörde in detaillierter Beschreibung anmelden bzw. nach Ausführung anzeigen. In beiden Fällen müssen sie der Wettbewerbsbehörde gemäß Art. 17 Abs. 2/Art. 18 Abs. 3 WG und VO Nr. 276 die auch für die Eintragung beim Unternehmensregister einzureichenden Dokumente vorlegen, ihre Tätigkeit, die betroffenen Märkte und Marktverhältnisse beschreiben und Marktanteile nennen. Der Kauf- oder Übernahmevertrag bzw. dessen Entwurf müssen vorgelegt, persönliche Daten der Anmeldenden genannt werden. Soweit das übernehmende Unternehmen im Ausland registriert ist oder Tochterunternehmen eines ausländischen Unternehmens ist, müssen Gründungsdokumente, Registrierungsbestätigungen und Nachweise über die Zahlungsfähigkeit des ausländischen Unternehmens bei jeder Zusammenschlussalternative gegeben werden.700 Diese Regelung galt bereits vor der Novelle des WG zum 2. Januar 2000, durch die ein zusätzlicher Untersagungsgrund der fehlenden finanziellen Mittel in das WG eingefügt wurde. Der Umstand, dass VO Nr. 276 dieses Erfordernis eigens für ausländische Unternehmen und russische Tochterunternehmen ausländischer Unternehmen aufstellt, legt auch nahe, dass ursächliches Moment für die Gesetzesnovelle die Furcht vor der ausländischen Übernahme russischer Unternehmen zwecks Schließung war.701 Einen wettbewerblichen Bezug hat der Nachweis über die Zahlungsfähigkeit des ausländischen Investors indessen nicht. Des Weiteren müssen alle Geschäftsfelder, in denen die beteiligten Unternehmen tätig sind, weltweite Beteiligungen an anderen Unternehmen und deren Geschäftsbereiche genannt werden. Dies gilt auch für Geschäftsfelder, die in Russland nicht ausgeübt werden oder bei denen es aus sonstigen Gründen offensichtlich ist, dass durch den Zusammenschluss für sie keine wettbewerblichen Konsequenzen zu erwarten sind. In der Praxis üblich ist allerdings lediglich die Angabe der durch den jeweiligen Gesellschaftszweck der Satzung be-
__________ 699
Vgl. den Wortlaut von Art. 17 Abs. 2 WG, der als Verpflichtete nicht die Unternehmen, sondern ihre Organe oder entscheidenden Personen nennt. 700 Vgl. Teil 2 (Razdel 2) der Anlage 1 zu VO Nr. 276. 701 Vgl. hierzu oben b).
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
stimmten Geschäftsfelder der beteiligten und mit ihnen verbundenen702 Unternehmen.703 Detaillierte quantitative Angaben sind über den Umfang der Produktion, die Lieferung in und den Export aus der russischen Föderation erforderlich. Ein erwerbendes Unternehmen muss darüber hinaus sämtliche Organträger und die von ihnen weltweit ausgeübten Organfunktionen in anderen Unternehmen benennen.704 e) Informelle Verfahren (1) Die russische Praxis Informelle Gespräche vor der formellen Anmeldung eines Zusammenschlussvorhabens sind für die interessierten Unternehmen oft erforderlich, um die Aussichten auf Genehmigung eines in Betracht gezogenen Zusammenschlusses abzuschätzen.705 Detaillierte Darstellungen über informelle Verfahren in der russischen Praxis enthalten der Bericht des Antimonopolministeriums über die Zusammenschlusskontrolle oder seine anderen Veröffentlichungen – soweit ersichtlich – nicht. In Moskau tätige Rechtsanwälte berichten jedoch, dass vor und nach der offiziellen Anmeldung eines wesentlichen Zusammenschlussvorhabens häufig informelle Gespräche der Vertreter der an einem Zusammenschlussvorhaben beteiligten Unternehmen mit Beamten des Antimonopolministeriums stattfinden.706 Das Antimonopolministerium hat dies auf Anfrage bestätigt.707 Gegenstand solcher informeller Gespräche vor der Anmeldung ist regelmäßig eine summarische Darstellung des Zusammenschlussvorhabens durch die Vertreter der beteiligten Unternehmen gegenüber dem Ministerium. Die Unternehmensvertreter versuchen dabei, eine Einschränkung der Fülle der einzureichenden Dokumente zu erreichen. Persönliche Dokumente der Organpersonen eines Unternehmens sowie ausführliche Dokumentationen über die jeweiligen Beteiligungsverhältnisse an Unternehmen ohne Bezug zu dem in Frage stehenden Markt werden vom Antimonopolministerium allerdings regelmäßig verlangt. Teilweise scheint das Antimonopolministerium so auch eine Verlängerung der ihr zur Bearbeitung des Vorhabens zur Verfügung stehenden Zeit zu erreichen, da die in Art. 17 Abs. 2, Art. 18 Abs. 3 WG festgelegten Fristen von
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Im Sinne des deutschen § 15 AktG. Dies erklärten übereinstimmend verschiedene in Russland tätige Rechtsanwälte. 704 Vgl. im Einzelnen VO Nr. 276. 705 Vgl. hierzu Dirksen, Praktische Erfahrungen im ersten Jahr der europäischen Fusionskontrolle, S. 122. 706 So auch Hölzler, Das russische Antimonopolgesetz, S. 352. 707 Gespräch mit der Abteilungsleiterin für Unternehmskonzentration im Antimonopolministerium, Frau Kirjuškina, im Oktober 1999. 703
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30 bzw. im Ausnahmefall 50 Tagen erst nach Einreichen der vollständigen Dokumente zu laufen beginnen. Diese Fristen werden nach mündlicher Auskunft beteiligter Rechtsanwälte dennoch nur selten eingehalten. Eine vorherige Erörterung eines Zusammenschlussvorhabens mit der Behörde beschleunige jedoch die Bearbeitung des Vorhabens. Während informeller Gespräche nach der Anmeldung eines Zusammenschlusses einigen sich die Unternehmensvertreter in der Regel mit dem Ministerium über die Auflagen, die dieses erlassen kann. Ebenso kann nach erfolgter Anmeldung in informellen Gesprächen auch die Zustimmungsfähigkeit eines Teils des angemeldeten Vorhabens erörtert werden. Beispiel hierfür ist das Vorhaben der Verschmelzung verschiedener holzverarbeitender Unternehmen der Mordovsker Region zu Mordovlesprom. Da die regionale Wettbewerbsbehörde die hierdurch entstehende marktbeherrschende Stellung für nicht genehmigungsfähig hielt, lehnte sie eine Freigabe ab. Zugleich verwies sie die Antragsteller informell jedoch darauf, dass ein Zusammenschluss nur einiger holzverarbeitender Unternehmen unter Ausschluss eines namentlich genannten wichtigen Beteiligten genehmigungsfähig wäre. Dieses Vorhaben wurde hierauf entsprechend angemeldet und genehmigt.708 (2) Vergleich mit der europäischen Praxis und Erörterung Sowohl im Hinblick auf den Versuch der Anmeldenden, eine Einschränkung der einzureichenden Dokumente zu erreichen, als auch im Hinblick auf die Einigung auf etwaige Auflagen sind die informellen Gespräche der russischen Fusionskontrolle denen vergleichbar, die regelmäßig vor und während der Anmeldung eines wesentlichen Zusammenschlusses mit der EU-Kommission geführt werden. Während informeller Gespräche vor der formellen Anmeldung, zu denen die Kommission ausdrücklich ermutigt,709 gibt sie darüber Auskunft, ob bzw. welche Umstände ihrer Auffassung nach der Genehmigungsfähigkeit entgegenstehen können.710 Dabei schränkt sie – entsprechend der russischen Praxis – die Angaben ein,711 die das CO-Formular verlangt. 712 Teilweise bittet die Kommis-
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Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii na tovarnych rynkach Rossijskoj Federacii, S. 43. 709 Vgl. Erwägungsgrund 10 der VO 447/98. 710 Vgl. Canenbley/Hölzler/Wiedemann, EC Merger Control Monitor, A 16. 711 Vgl. zu dem Umfang der im CO-Formular aufzuführenden Angaben, die eine Einschränkung durch die Kommission nahelegen, auch Moosecker, Praktische Erfahrungen mit der europäischen Fusionskontrolle, S. 41. 712 Antragsteller werden auch dadurch „ermuntert“, von der Möglichkeit informeller Vorgespräche Gebrauch zu machen, dass es die Kommission ablehnt, Genehmigungsanträge vor Abschluss eines entsprechenden Kauf- und Übertragungsvertrages zu bearbeiten. Entgegen ihrer anfänglichen Praxis (vgl. hierzu Dirksen, S. 122) beruft sie sich nun teils auf Art. 4 Abs. 1 FKVO, demzufolge
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sion die beteiligten Unternehmen auch bereits um Zustimmung zu „Voruntersuchungen“, die der Eingrenzung der problematischen Fragestellungen dienen. Ähnlich den russischen Wettbewerbsbehörden, folgt auch für die Kommission aus informellen Verfahren der entscheidende Vorteil, sich bereits mit den Vorhaben beschäftigen zu können, ohne dass die Monatsfrist gemäß Art. 10 Abs. 1 FKVO713 bzw. die sich daran anknüpfenden Fristen zu laufen beginnen.714 Entsprechend äußern Vertreter der Kommission offen, dass Anmeldungen, die eingereicht würden, ohne dass vorher informelle Vorgespräche stattgefunden hätten, in der Regel aufgrund von Unklarheiten unvollständig seien, so dass die Monatsfrist nicht zu laufen beginne.715 Informelle „Vorverfahren“ sind deshalb de facto unabdingbare Voraussetzung eines Anmeldeverfahrens. Unabhängig von den geregelten Anhörungen in der Prüfphase 2, finden auch während beider Prüfphasen neben den normierten Verfahrensabschnitten teilweise informelle716 oder „semiformelle“ Gespräche zwischen den beteiligten Unternehmen und der Kommission statt. Im Rahmen dieser Gespräche schlagen die beteiligten Unternehmen oft Selbstverpflichtungen vor, die die Kommission, soweit sie diese aufgreift, als Auflagen einer Freigabeentscheidung erlässt.717 Die hohe Bedeutung informeller Verfahrensabschnitte wird teilweise im Hinblick auf mangelnde Transparenz kritisiert.718 Diese erleichtere politische Einflussnahmen. Dennoch gebietet es die Komplexität der Materie, dass die beteiligten Unternehmen und die Kommission bzw. in Russland die zuständigen Wettbewerbsbehörden in stetem Kontakt zueinander stehen. Von praktischer Bedeutung ist dabei, dass durch informelle Gespräche vor einer formellen Anmeldung unnötige Angaben vermieden werden. Noch bedeutsamer ist allerdings, dass während des Verfahrens selbst durch informelle Gespräche am ehesten wettbewerblich sachgerechte Ergebnisse gefunden werden, die für die beteiligten Unternehmen die kleinstmöglichen Nachteile mit sich bringen. Eine formalere Verfahrensweise würde nicht eine derartige Flexibilität in der Ergebnisfindung ermöglichen. Insbesondere würde sie jedoch einen wesentlich grö__________ eine Anmeldung innerhalb einer Woche nach Vertragsabschluss zu erfolgen hat, obgleich diese Frist auch dahingehend verstanden werden kann, dass sie eine frühere Anmeldung nicht ausschließt. Teilweise betrachtet die Kommission Anmeldungen, die vor endgültigem Abschluss der Zusammenschlussverträge eingereicht werden, auch als „formell unvollständig“ (So Kemp, DG COMP, Mergers – Recent Developments and Important Decisions, S. 44). Auch diese Begründung erscheint allerdings äußerst konstruiert. 713 Die Kommission betont hingegen regelmäßig, dass diese Frist erst nach vollständigen Einreichens aller gemäß des CO-Formulars erforderlichen Unterlagen zu laufen beginnt. Vgl. G. Schmidt, The new merger rules have come into rule, S. 63. 714 Vgl. Weitbrecht, Drei Jahre Europäische Fusionskontrolle – eine Zwischenbilanz, S. 689. 715 So Kemp, S. 44. 716 Für Prüfphase 1 sind Anhörungen nicht geregelt. 717 Vgl. Art. 18/19 der VO 447/98. 718 s. insbesondere die Kritik von Harmjanz, Auflagen und Bedingungen, S. 232 ff.
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ßeren Zeitaufwand in Anspruch nehmen, der für die Verwirklichung eines Zusammenschlussvorhabens aufgrund der während der Entscheidungsphase bestehenden Unsicherheit fatale Folgen haben könnte. Dennoch darf die Gefahr intransparenter Entscheidungsfindung719 und politischer Einflussnahme nicht unterschätzt werden. Die inhaltliche Überprüfung und ggf. lautstarke Kritik der Entscheidungsgründe durch Wissenschaft, Praxis und Öffentlichkeit ist deshalb von überaus großer Bedeutung. f) Wiederherstellung von Wettbewerbsbedingungen bei Verstoß gegen das Anmelde- oder Notifizierungserfordernis oder bei Nichterfüllung von Auflagen (1) Wiederherstellungsanordnung (im Gegensatz zum Modell der„Nichtigkeitslösung“) Für den Fall, dass im Rahmen eines Notifzierungsverfahrens die materielle Nichtvereinbarkeit eines bereits vollzogenen Zusammenschlusses mit dem WG, d.h. die Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Position, festgestellt wird, kann die Wettbewerbsbehörde – wie geschildert720 – eine Wiederherstellungsanordnung gemäß Art. 17 Abs. 6 und 18 Abs. 7 WG erlassen. Bis zur Gesetzesnovelle vom 21. März 2002 galten diese Ermächtigungsgrundlagen auch, wenn die an einem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen pflichtwidrig keine Anmeldung oder Notifizierung vorgenommen hatten.721 Art. 17 Abs. 6 WG ermächtigt die Wettbewerbsbehörde zum Erlass von Wiederherstellungsanordnungen gegenüber natürlichen und juristischen Personen, wenn durch einen Zusammenschluss, der die Voraussetzungen eines Aufgreifkriteriums des Art. 17 Abs. 5 WG erfüllt, eine Wettbewerbsbehinderung entstand oder zu entstehen droht. Eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage enthält Art. 18 Abs. 7 WG für den Fall, dass durch die Erfüllung einer Zusammenschlussalternative des Art. 18 Abs. 5 WG eine Wettbewerbsbehinderung entstand oder zu entstehen droht. Als Beispiel einer solchen Wettbewerbsbehinderung nennt Art. 18 Abs. 5 WG – im Gegensatz zu Art. 17 Abs. 5, Abs. 6 WG – die Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Da jedoch ähnlich der europäischen Fusionskontrolle der Wettbewerbsbehinde-
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Vgl. hierzu unten § 6 V. 2. Vgl. oben c). 721 Eine solche Wiederherstellungsanordnung erging beispielsweise an Refserviz MPS, die – pflichwidrig ohne Anmeldung – zu einem Unternehmen verschmolzenen Kühlwagenunternehmen der Russischen Bahn. Vgl. hierzu Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 23 ff. Das Antimonopolministerium nahm aber wohl zugleich materielle Wettbewerbsgefahren an. Vgl. hierzu auch oben II. 3. 720
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rung und der marktbeherrschenden Stellung eine identische Bedeutung zukommt, ist dieser redaktionelle Unterschied bedeutungslos. Vorraussetzung einer Wiederherstellungsanordnung nach Art. 17 Abs. 6 WG und Art. 18 Abs. 5 WG ist gemäß deren Wortlaut, dass ein Notifizierungsverfahren tatsächlich auch durchgeführt wurde. Für den Fall, dass pflichtwidrig eine Anzeige oder gar Anmeldung nach Art. 17 Abs. 1 oder Art. 18 Abs. 1 WG unterlassen wurde, kann die Wettbewerbsbehörde nach Art. 17 Abs. 6 und Art. 18 Abs. 7 WG keine Wiederherstellungsanordnung erlassen. In diesem Fall ist sie vielmehr auf den Rechtsweg verwiesen. In der russischen Literatur wird teilweise kritisiert, dass die Wettbewerbsbehörden Anteilserwerbsverträge im Falle materieller Unvereinbarkeit mit dem WG nicht für unwirksam erklären können.722 Das russische Zivilrecht betrachte im Allgemeinen derartige Verträge als nichtig, die gegen öffentliche Interessen verstießen, während gegen Individualinteressen verstoßende Verträge lediglich anfechtbar seien.723 Die von einem Anteilserwerb ausgehenden Wettbewerbsgefahren stellten jedoch ein öffentliches Interesse dar. Dabei wird allerdings verkannt, dass zivilrechtliche Verträge üblicherweise unmittelbar von einem Gericht beurteilt werden. Aus Gründen der Gewaltenteilung sollte diese Aufgabe nicht von Behörden wahrgenommen werden. Ihnen sollte deshalb nur die Kompetenz zukommen, Maßnahmen zur Vereitelung von Wettbewerbsgefahren anzuordnen. Hätte eine Behörde gestalterische oder feststellende Befugnisse hinsichtlich der Wirksamkeit von zwischen Privatpersonen geschlossenen Verträgen, würde dies eine bedenkliche behördliche Einmischung in Angelegenheiten der Privatautonomie darstellen. Die gegenwärtige Regelung, nach der die russische Wettbewerbsbehörde – ähnlich dem BKartA bis zur Aufhebung des Notifizierungsverfahrens – lediglich Wiederherstellungsanordnungen erlassen, nicht aber die Nichtigkeit eines Anteilsübertragungsvertrages feststellen kann, ist darüber hinaus aber auch wesentlich praktikabler als die „Nichtigkeitslösung.“ Oft wird eine Rückübertragung von unter materiellem Verstoß gegen das WG erworbenen Unternehmensanteilen an den ursprünglichen Inhaber faktisch gar nicht möglich sein, weil beispielsweise der Veräußerer zur Rückerstattung der für die Anteile erhaltenen Gegenleistung nicht mehr imstande ist oder gar nicht mehr existiert. Neben der Anteilsrückübertragung kommen darüber hinaus auch zahlreiche andere geeignete Maßnahmen zur Wettbewerbswahrung in Betracht, die im Rahmen des Erlasses einer Wiederherstellungsanordnung gesucht bzw. zwischen der Behörde und den Betroffenen erörtert werden können. Das Mittel der
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So Komov, Sdelki, soveršënnye s narušeniem trebovanij stati 18, S. 18f. Komov, S. 18.
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Wiederherstellungsanordnung kann deshalb für die Betroffenen ein wesentlich milderes Mittel darstellen als das Edikt der Nichtigkeit, es ist darüber hinaus praktikabler und aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugswürdiger. (2) Klage der Wettbewerbsbehörde auf gerichtliche Unwirksamkeitserklärung des Zusammenschlusses Als zweite Sanktion zur Wiederherstellung von Wettbewerbsbedingungen kann die Wettbewerbsbehörde Klage beim zuständigen Handels- oder Zivilgericht auf Unwirksamkeitserklärung des Zusammenschlusses erheben. Eine solche Klage muss sich gegen die beteiligten Unternehmen richten. Im Anwendungsbereich von Art. 17 WG bezieht sich die Unwirksamkeitserklärung auf die für den Zusammenschluss konstitutive Eintragung im Unternehmensregister. Innerhalb des Anwendungsbereiches von Art. 18 WG ist die jeweilige Übertragung von Anteilen, Vermögensgegenständen oder Rechten für unwirksam zu erklären. Eine solche Klage auf Unwirksamkeitserklärung kann gemäß Art. 17 Abs. 9 WG erhoben werden, wenn aufgrund der Durchführung eines Zusammenschlusses im Sinne von Art. 17 Abs. 1 oder 5 WG die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung droht und die durch Art. 17 Abs. 1 oder 5 WG vorgeschriebenen Verfahren nicht eingehalten wurden.724 Die gerichtliche Unwirksamkeitserklärung nach Art. 17 Abs. 9 WG (likvidacija) hat rechtsgestaltende Wirkung. Nach Art. 17 Abs. 8 S. 2 und Abs. 9 WG a.F. stellte das Gericht dagegen noch die Nichtigkeit fest.725 Ein Anteilserwerb oder sonstiger Zusammenschluss i.S.d. Art. 18 Abs. 1 oder 5 WG, der unter Verstoß gegen das in Art. 18 Abs. 1 oder 5 WG beschriebene Verfahren zustande gekommen ist und durch den eine Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung entstand oder zu entstehen droht, kann auf Klage der Wettbewerbsbehörde durch das zuständige Gericht für unwirksam erklärt werden. Ein Gericht kann die Eintragung eines Zusammenschlusses im Sinne von Art. 17 WG oder den Erwerb im Sinne von Art. 18 WG gemäß Art. 17 Abs. 9 bzw. Art. 18 Abs. 9 S. 2 WG auch für unwirksam erklären, wenn auf Grundlage
__________ 724 Der Sache nach konnte bereits nach der alten Fassung des WG ein materiell nicht wettbewerbsgefährdender Zusammenschluss, der lediglich pflichtwidrig nicht angemeldet oder notifiziert wurde, nur die Verhängung von Bußgeldern durch die Wettbewerbsbehörde zur Folge haben. 725 Im Übrigen war nach dem Wortlaut von Art. 17 Abs. 8 S. 2 und Art. 17 Abs. 9 WG a.F. dagegen noch unklar, ob eine gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit eines Zusammenschlusses auch eine materielle Wettbewerbsgefahr voraussetzte oder alleine der formelle Verstoß gegen das Anmelde- oder Notifizierungsgebot ausreichte.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
von Art. 17 Abs. 4 oder 6 bzw. Art. 18 Abs. 5 oder 7 WG erlassene Auflagen726 oder Wiederherstellungsanordnungen nicht erfüllt wurden. Soweit die materielle Rechtswidrigkeit der Auflage oder Wiederherstellungsanordnung nicht Gegenstand einer Widerklage ist, prüft das Gericht in diesen Fällen – ähnlich der Bestandskraft einer Grundverfügung nach deutschem Recht – nicht mehr das Vorliegen materieller Wettbewerbsgefahren. Klagefristen sind weder in Art. 17 Abs. 9 WG noch in Art. 18 Abs. 9 S. 1 WG vorgesehen. Klagen sind deshalb unbefristet zulässig. Insbesondere können – entgegen der Auffassung des Tambowsker Handelsgerichts727 – im Zivilrecht geltende Verjährungsvorschriften nicht entsprechend angewendet werden. Dies entschied das Berufungsgericht im Verfahren Tambowsker Wettbewerbsbehörde/Städtische Tambowsker Vereinigung kommunaler Wohnwirtschaft.728 Bestätigt wurde diese Rechtsauffassung mittlerweile durch Art. 23 des Informationsbriefes des Präsidiums des Höchsten Handelsgerichts der Russischen Föderation vom 30. März 1998.729 (3) Fehlende Befugnis, bei Nichterfüllung von Auflagen oder aufgrund falscher Sachverhaltsdarstellung durch die Anmeldenden eine Freigabeentscheidung zurückzunehmen Die Befugnis, eine Freigabeentscheidung bei Nichterfüllung von Auflagen zurückzunehmen, hat die Wettbewerbsbehörde nicht. Der Grund hierfür liegt darin, dass gemäß ungeschriebener Grundsätze des russischen Verwaltungsrechts eine Behörde einen von ihr erlassenen begünstigenden Verwaltungsakt außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens nicht aufheben kann.730 Deshalb ist das überraschende Phänomen verbreitet, dass eine Behörde eine Klage gegen den Adressaten eines von ihr erlassenen Verwaltungsaktes auf Aufhebung dieses Verwaltungsaktes erhebt. Dasselbe gilt, wenn die Behörde nach Erlass einer Freigabeentscheidung bemerkt, dass ihre Entscheidung aufgrund falscher Tatsachengrundlagen
__________ 726
Der Wortlaut von Art. 17 Abs. 9 WG a.F. bezog sich dagegen noch nicht auf die unterlassene Auflagenerfüllung. 727 In einer Klage der regionalen Tambowsker Wettbewerbsbehörde auf Unwirksamkeitserklärung der Registrierung der „Städtischen Tambowsker Vereinigung kommunaler Wohnwirtschaft“ wegen fehlender Zustimmung der Wettbewerbsbehörde nahm das Tambowsker Handelsgericht in einer Entscheidung am 17. Januar 1996 die Anwendbarkeit der Verjährungsvorschriften des ZGB an. Diese Auffassung wurde in der Berufungsinstanz verworfen. Vgl. hierzu Kostjuk, Struktura Narušenij Zakona RSFSR „O Konkurencii…“, S. 37. 728 Kostjuk, S. 37. 729 Präsidium des Höchsten Handelsgerichts der Russischen Föderation, Informationsbrief Nr. 32 vom 30. März 1998. 730 Vgl. hierzu Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21 f.
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rechtswidrig ist. Auch eine solche Entscheidung kann nicht zurückgenommen werden:731 Während eines Prozesses der OAO AK Transaero und der SAO Transaero auf Unwirksamkeitserklärung eines Anteilserwerb durch die Stratton Paper732 forderte das Moskauer Handelsgericht das Antimonopolministerium zur erneuten Sachverhaltsermittlung auf. Dabei wurde die Existenz eines Stimmbindungsvertrages zwischen der Beklagten und anderen Unternehmen, die bereits Anteile an OAO AK Transaero hielten, festgestellt. Damit hätten diese im Fall des beabsichtigten Erwerbs gemeinsam mehr als 60% (statt der angemeldeten 33%) der Anteile gehalten. Aufgrund dieses Sachverhalts ging das Antimonopolministerium nun von einer nicht zu rechtfertigenden Wettbewerbsgefahr aus. Mangels Kompetenz, ihren als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakt zurückzunehmen, trat die Behörde der Klage auf Unwirksamkeitserklärung der Anteilsübertragung auf Seiten der Klägerin bei. (4) Praxis des Antimonopolministeriums – die Beispiele EMK, Kirovfarmia und SP AREMKO Grundsätzlich macht die Wettbewerbsbehörde sowohl von ihrem Recht auf Erlass von Wiederherstellungsanordnungen als auch ihrem Klagerecht Gebrauch. In Fällen unzutreffender Sachverhaltsangaben bei Anmeldungen oder Notifizierungen ist das Antimonopolministerium auch schon Klagen von Minderheitsgesellschaftern oder Unternehmen beigetreten, die Gegenstand einer geplanten Übernahme waren.733 Eine Wiederherstellungsanordnung in Form einer Auflösungsanordnung erließ das Antimonopolministerium im September 1998 gegenüber der OAO Energomašinostraitel’naja Korporacija (EMK).734 EMK war im Jahre 1993 als Vertriebsplattform sechs russischer Generatorenhersteller gegründet worden. Ohne dies bei der Wettbewerbsbehörde anzumelden, erwarb EMK jedoch nach und nach wesentliche Aktienpakete an seinen Gründergesellschaften. Einige dieser Beteiligungen wurden mittelbar durch ausländische Unternehmen erworben, die wiederum mit EMK verbunden waren. Damit einher ging die Übernahme aller wesentlichen Unternehmensfunktionen der sechs Gründerunternehmen durch EMK. Anfang 1998 versandten EMK und einige seiner „Gründerunternehmen“ Briefe an Kunden der „Gründerunternehmen“, in denen die
__________ 731 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21 f . 732 Vgl. hierzu unten g). 733 So insbesondere in den Verfahren um AK Transaero und NLMK/STAGDOK (Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S.27 f.); vgl. hierzu unten h). 734 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 28 f.
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„Gründerunternehmen“ sich als Abteilungen von EMK, d.h. als rechtlich völlig unselbständig, darstellten. Durch einen dieser Briefe wurde das Antimonopolministerium auf die Vorgänge aufmerksam gemacht. Im Rahmen seiner Untersuchungen stellte es fest, dass EMK und seine „Gründerunternehmen“ mittlerweile auf einigen Märkten gar keinen Wettbewerbern mehr gegenüberstanden. Nach Darstellung des Antimonopolministeriums waren diese gezielt vom Markt gedrängt worden, indem keine Verträge mit Zulieferern geschlossen worden waren, die auch Wettbewerber von EMK belieferten. Aus der nach Zusammenfassung der Unternehmen entstandenen marktbeherrschenden Position hatte sich EMK somit Monopole gesichert. Das Antimonopolministerium erließ daraufhin am 31. August 1998 eine Auflösungsanordnung an EMK, die bereits im September ausgeführt wurde. Das Antimonopolministerium begründete die Auflösungsanordnung allerdings mit dem Missbrauch der marktbeherrschenden Position. Dies könnte den Verdacht nahe legen, dass als Rechtsgrundlage der Auflösungsanordnung Art. 19 WG, die Ermächtigungsgrundlage für Sanktionen innerhalb der Verhaltenskontrolle, betrachtet wurde. EMK hatte jedoch sowohl gegen die Pflicht zur Anmeldung der Gründung des Gemeinschaftsunternehmens als auch gegen die Pflicht zur Anmeldung wesentlicher Anteile an seinen „Gründerunternehmen“ verstoßen. Beide Sachverhalte begründeten bzw. verstärkten die Gefahr einer marktbeherrschenden Position, die dadurch allerdings besonders offensichtlich war, dass sogar ihr Missbrauch schon festgestellt worden war. Dadurch waren aber auch die Voraussetzungen für Wiederherstellungsanordnungen wegen pflichtwidrig unterlassener Anmeldungen gemäß Art. 17 Abs. 6 und Art. 18 Abs. 7 WG a.F. erfüllt. Weiteres Beispiel einer Wiederherstellungsanordnung ist der Zusammenschluss aller Apotheken der Region Kirov sowie einiger Laboratorien zu einem einzigen staatlichen Apothekenkonglomerat Kirovfarmia. Die Zusammenlegung der teilweise privaten Apotheken unter staatliche Führung erfolgte auf Anordnung der regionalen Verwaltungsbehörde und Beschluss des Regionalparlaments. Eine Anmeldung oder Notifizierung bei der regionalen Wettbewerbsbehörde wurde unterlassen. Diese initiierte deshalb selbständig ein Verfahren, an dessen Ende sie eine Auflösungsanordnung erließ. Laut Darstellung des Antimonopolministeriums wurde diese Anordnung unmittelbar ausgeführt. Die einzelnen Apotheken wurden wieder den teilweise privaten Eigentümern zurückgegeben. Das Sortiment der in der Kirover Gegend verfügbaren und umgesetzten Medikamente ist der Darstellung des Antimonopolministeriums zufolge seitdem erheblich gestiegen.735
__________ 735
Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 42 f.
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Einer Klage des Archangelsker Eigentumsfonds736 auf Unwirksamkeitserklärung eines Anteilskaufvertrages gegen SP AREMKO trat die regionale Archangelsker Wettbewerbsbehörde im Jahre 1995 bei. Die Klage bezog sich auf einen Erwerb von 60% der Anteile an der AO Kusneþevskij Lesozavod N29 durch SP AREMKO. Der Eigentumsfond beantragte die Unwirksamkeitserklärung aus zivilrechtlichen Gründen, d.h. der Nichterfüllung von mit dem Kaufvertrag verbundenen Investitionsauflagen.737 Die Wettbewerbsbehörde begehrte die Unwirksamkeitserklärung des Kaufvertrages wegen pflichtwidrig unterlassener Anmeldung des Anteilserwerbs und wettbewerblichen Gefahren. Der Klage wurde in beiden Instanzen – wohl sowohl aufgrund der zivilrechtlichen als auch der kartellrechtlichen Begründung738 – stattgegeben. g) Der Rechtsweg (Klagebefugnis der Anmeldenden/Notifzierenden gemäß Art. 28 WG und ein Vergleich mit den europäischen und deutschen Regelungen) Ein rechtsstaatliches Fusionskontrollsystem setzt zwingend voraus, dass Entscheidungen der Kartellbehörde gerichtlich überprüfbar sind. Gegen Entscheidungen der Wettbewerbsbehörde steht den Anmeldenden bzw. Notifizierenden gem. Art. 28 Abs. 1 WG der Klageweg auf Unwirksamkeitserklärung wettbewerbsbehördlicher Verfügungen vor dem jeweiligen Zivil- oder Handelsgericht offen. Art. 28 WG beinhaltet keine Klagefrist. Da zivilrechtliche Verjährungsvorschriften nicht entsprechend auf das Verwaltungsverfahren angewendet werden können,739 müsste zu folgern sein, dass Klagen gemäß Art. 28 WG unbegrenzt zulässig sind. Es würde allerdings nicht überraschen, wenn zumindest das Antimonopolministerium diese Rechtsauffassung nicht teilen würde. Von einem russischen Gericht wurde die Frage, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Anders als in der deutschen und europäischen Fusionskontrolle740 kommt einer Klage gegen Entscheidungen der russischen Wettbewerbsbehörden nach Art. 28 Abs. 2 WG aufschiebende Wirkung zu. Die Klagebefugnis setzt nach
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Staatliche, regionale und städtische Eigentumsfonds waren – im Hinblick auf Aufgabenstellung und Unabhängigkeit der deutschen Treuhand vergleichbare – Behörden, die im Rahmen der Privatisierungswelle Russlands staatliches Vermögen veräußerten. 737 Hierbei handelte es sich um Investitionsauflagen, die mit dem Kaufvertrag verbunden waren, d.h. mit dem Eingentumsfonds vereinbart worden waren. Es handelte sich nicht um Investitionsauflagen im Sinne von oben IV. 1. c). 738 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 85 f.; die genaue Urteilsbegründung wird bedauerlicherweise nicht mitgeteilt. 739 Präsidium des Höchsten Handelsgerichts der Russischen Föderation, Informationsbrief Nr. 32, Art. 23; vgl. hierzu auch oben f) (2). 740 Vgl. § 64 GWB bzw. Art. 242 Abs. 1 FKVO.
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dem Wortlaut von Art. 28 WG keine vorherige Verfahrensbeteiligung oder ein Betroffensein eigener Interessen voraus. Bis zur Gesetzesnovelle vom 9. Oktober 2002 waren nach Art. 20 WG a.F.741 eine Anfechtungs- und eine Untätigkeitsklage in Zusammenschlusskontrollangelegenheiten nur zur „Verteidigung eigener Rechte“ zulässig. Ob daneben bereits die Möglichkeit der Anfechtungsklage nach – dem unveränderten – Art. 28 WG, d.h. ohne die Voraussetzung der persönlichen Betroffenheit eigener Rechte, bestand, ist unklar.742 Das Moskauer Handelsgericht nahm vor der Gesetzesnovelle in zwei Zusammenschlussvorhaben um OAO Segiežabumprom und OAO Aviakompanija (im folgenden: „AK“) Transaero eine Drittklagebefugnis an, ohne diese allerdings zu begründen. OAO UPAK, Minderheitsgesellschafterin und Kundin der OAO Segiežabumprom, wandte sich gegen die Freigabe der Übernahme einer Mehrheit der Aktien an OAO Segiežabumprom durch das zypriotische Unternehmen Stratton Paper.743 OAO AK Transaero und ihre Minderheitsgesellschafterin SAO Transaero wandten sich gegen den genehmigten Anteilserwerb an AK Transaero durch AOST LogoVAS, SAO Borej 2, SAO Ratmir+ und SAO Princ-Motors.744 Beklagte waren in beiden Fällen die jeweiligen Erwerber. Der Klageantrag richtete sich in beiden Fällen auf die Unwirksamkeitserklärung der jeweiligen Anteilsübertragungsverträge aufgrund materieller Unvereinbarkeit mit dem WG. Die Klagen zielten insofern auf eine implizite Aufhebung der wettbewerbsbehördlichen Entscheidungen. Beide Klagen wurden von den jeweiligen Klägern – letztlich auch in der Sache erfolgreich – darauf gestützt, dass die Freigabeentscheidungen rechtswidrig seien, da eine Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung zu befürchten und Rechtfertigungsgründe nicht ersichtlich seien. Die Wettbewerbsbehörde sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Nachdem das Moskauer Handelsgericht in beiden Fällen feststellte, dass die anmeldenden Unternehmen dem Antimonopolministerium tatsächlich unzutreffende Beteiligungsverhältnisse mitgeteilt bzw. die Existenz von Stimmbindungsgemeinschaften verschwiegen hatten, forderte es das Ministerium jeweils zu einer erneuten genaueren Sachverhaltsermittlung auf. Nach deren Abschluss hob das Gericht in beiden Fällen die Entscheidung des Antimonopolministeriums auf.
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Die Vorschrift wurde ersatzlos gestrichen. So Frau Kirjuškina im Gespräch mit dem Verfasser im Herbst 1999. 743 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 18 ff. 744 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21 f. (Sache OAO „Aviakompanija Transaero“). 742
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Das Antimonopolministerium wertete die Zulassung beider Klagen durch das Moskauer Handelsgericht als eine „Ausnahmeentscheidung“745 in weiter Auslegung von Art. 20 WG a.F. Diese sei angesichts der „besonderen“ Umstände der vorliegenden Fälle (falsche Sachverhaltsdarstellung der anmeldenden Unternehmen) geboten gewesen. Die Anwendbarkeit von Art. 28 WG, d.h. die grundsätzliche Zulässigkeit von Drittklagen in Zusammenschlusskontrollangelegenheiten, ergebe sich daraus dagegen nicht. Eine solche Begründung überzeugt kaum. Naheliegender ist bereits die Annahme der Klagebefugnis aus Art. 28 WG vor der Gesetzesnovelle. Infolge der ersatzlosen Streichung von Art. 20 WG a.F. ist die Frage allerdings nicht mehr von praktischer Relevanz. Bedeutsamer ist indessen, ob die Zulässigkeit reiner Populärklagen in der russischen Fusionskontrolle einige größere Kontrolldichte wettbewerbsbehördlicher Entscheidungen als in der deutschen oder europäischen Fusionskontrolle zur Folge hat. Dabei soll nicht die rechtssoziologische oder statistische Frage erörtert werden, inwieweit bestehende Klagerechte auch genutzt werden. Vielmehr soll die Bedeutung der Beschränkung der Klagebefugnis in der europäischen und deutschen Rechtsprechung untersucht werden. Voraussetzung einer Klagebefugnis gegen Entscheidungen der EUKommission ist nach Art. 230 Abs. 4 EGV eine „unmittelbare und individuelle Betroffenheit“746 durch die Entscheidung der Kommission. Diese unmittelbare und individuelle Betroffenheit wird in der Rechtsprechung von EuG und EuGH allerdings sehr weit ausgelegt. Unmittelbares Betreffen setzt voraus, dass die Auswirkungen der Kommissionsentscheidung die Interessen – nicht notwendigerweise die Rechte747 – des Dritten zwangsläufig und ohne weitere – unsichere – Umstände berühren. Der Vollzug des angemeldeten Zusammenschlussvorhabens ist regelmäßig fest geplant und damit kein dazwischentretendes unsicheres Ereignis, das der Unmittelbarkeit entgegenstünde. Individuelle Betroffenheit ist erfüllt, wenn die Entscheidung den Kläger wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressa-
__________ 745
So Frau Kirjuškina im Gespräch mit dem Verfasser im Herbst 1999. Vgl. hierzu insbesondere Karydis, Le contrôle des concentrations entre entreprises en vertu du règlement 4064/89 et la protection des intérêts légitimes des tiers, S. 84 ff. 747 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt eine Klagebefugnis Dritter nicht voraus, dass deren Rechte betroffen sind. Der Begriff „betreffen“ in Art. 230 Abs. 4 EGV bezieht sich nicht notwendigerweise auf Rechte. Es ist deshalb sachgerecht, in weiter Auslegung den Interessenbezug ausreichen zu lassen. Vgl. EuGH, Slg. 1988, 3761 Tz. 7 (Drillinger Hüttenwerke). Vgl. auch Körber, Konkurrentenklagen in der europäischen Fusionkontrolle, S. 269 f. 746
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ten.748 In Zusammenschlusskontrollverfahren nimmt der EuGH die erforderliche individuelle wirtschaftliche Betroffenheit für jede Person an, die antragsgemäß nach Art. 18 Abs. 4 FKVO angehört worden ist749 bzw. ein Anhörungsrecht gehabt hätte.750 Da ein solches Anhörungsrecht für Angestellte, Arbeitnehmervertreter, Wettbewerber,751 Lieferanten und Abnehmer gilt,752 sind sie auch klagebefugt. Materiell bezieht sich die Prüfungskompetenz von EuG und EuGH bei Ermessen (bei Entflechtungs- und Widerrufentscheidungen relevant) und unbestimmten Rechtsbegriffen753 gemäß Art. 229 EGV auf die Einhaltung der Verfahrensvorschriften, die zutreffende Feststellung und Würdigung des Sachverhalts sowie die Überzeugungskraft der Begründung. Da es sich bei den regelmäßig entscheidenden Fragen der Marktabgrenzung und der Marktbe-herrschung um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt, kann das Gericht die diesbezügliche Wertung der Kommission also nicht durch eine eigene ersetzen. Insbe-
__________ 748 Ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. EuGH, Rs.11/82, Rspr. 1985, S. 207 (242) (PiraikiPatraiki u.a./Kommission). 749 Dritte sind gemäß Art. 18 Abs. 4 S. 2 FKVO anzuhören, soweit sie ein hinreichendes Interesse darlegen können. Vermutet wird ein solches insbesondere bei Leitungsorganen der betroffenen Unternehmen oder bei Arbeitnehmervertretern (Art. 18 Abs. 4 S. 2 FkVO a.E.; vgl. auch EuG, Beschluss vom 10.5.1994 – Rs.T 88/94 R, Slg. 1994 II-265 (Kali und Salz/MdK/Treuhand); Beschluss vom 15.6.1994, Slg.1994, II-401 (SCPA und EMC/Kommission)). Im Übrigen unterliegt es der Einschätzungsprärogative der Kommission zu entscheiden, ob ein derartiges Interesse vorliegt. Daraus, dass bei Leitungsorganen und Arbeitnehmervertretern das hinreichende Interesse legalvermutet wird, ergibt sich, dass ein Interesse wirtschaftlicher Art ausreicht. Aus dem Wortlaut von Art. 18 Abs. 4 FKVO lässt sich allerdings nicht entnehmen, ob das Anhörungsrecht für Dritte ebenfalls nur für die zweite Prüfphase besteht. Teilweise wird eine derartige Beschränkung angenommen. Dies ergebe sich daraus, dass Art. 18 Abs. 4 FKVO durch die Nichtregelung dieser Frage auf Art. 18 Abs. 1 FKVO Bezug nehme (vgl. hierzu Mülbert, Zusagen im deutschen und europäischen Fusionskontrollrecht, S. 711; Miersch, Kommentar zur EG-Verordnung Nr. 4064/89, S. 170). Soweit es sich um Arbeitnehmervertreter und Leitungsorgane handelt, seien diese im Übrigen durch Zusagen in der ersten Prüfphase nicht unmittelbar und individuell betroffen. Dies überzeugt allerdings nicht. Auch in der ersten Prüfphase werden Veräußerungszusagen angenommen. Diesbezüglich besteht insofern kein Unterschied zu Zusagen in der Hauptprüfphase (ebenso Lange, Beteiligungsrechte Dritter im Fusionskontrollverfahren, S. 897 f.). Eine rechtliche Betroffenheit besteht in beiden Fällen nicht. Auch das systematische Argument überzeugt nicht. Art. 18 Abs. 4 FKVO begründet vielmehr ein unabhängiges Anhörungsrecht, das nicht in Bezug zu dem Anhörungsrecht der Adressaten gemäß Art. 18 Abs. 1 FKVO steht. Indem Art. 18 Abs. 4 FKVO keine ausdrückliche Beschränkung des Anhörungsrechts vorsieht – die im Übrigen sinnwidrig wäre – gilt es demzufolge bereits in der ersten Prüfphase (ebenso Immenga, Fusionskontrollverordnung, Abschnitt D, Artikel 18, Tz. 21; Zilles, Die Anfechtungslegitimation von Dritten, S. 116.). Dies entspricht auch der Entscheidungspraxis der Kommission. 750 Eine tatsächliche Beteiligung am Verfahren vor der Kommission ist nicht notwendige Voraussetzung einer Klagebefugnis. Vgl. EuG, EuZW 1995, 677, 680 Tz. 46 f. (CCE Vittel/CE Pierval); EuG, EuZW 1996, 660, 664 Tz. 62 (Métropole Télévision). 751 EuG, Slg. II, 121 Tz. 44ff (Air France I). 752 Art. 11 Abs. 1 lit. c VerfO. 753 Art. 229 EGV differenziert nicht zwischen Ermessen und unbestimmten Rechtsbegriffen, sondern bezieht sich auf beide.
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sondere kann es die Prognoseentscheidungen aufgrund der dieser notwendigerweise anhaftenden Unsicherheit nur eingeschränkt überprüfen. Es kann Entscheidungen jedoch aufgrund unzureichender Begründung aufheben.754 Problematisch ist der Umfang gerichtlicher Überprüfungskompetenz bezüglich Fusionskontrollentscheidungen im Hinblick auf die Schutzwirkung der Fusionskontrolle, wenn Klagen von Dritte erhoben werden. Die Interessen der Wettbewerber, Lieferanten und Abnehmer können in der wettbewerblichen Würdigung eines Zusammenschlussvorhabens eine entscheidende Rolle spielen. Auch sie geben darüber Auskunft, ob beteiligte Unternehmen eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Die vollständige materielle Prüfung einer Fusionskontrollentscheidung aufgrund einer durch Wettbewerber, Abnehmer oder Lieferanten erhobenen Klage ist deshalb sachgerecht. Soweit dritte Unternehmen nur durch Auflagen beeinträchtigt werden, richtet sich ihre Klage nur gegen diese. Die Prüfung der Dritte – wirtschaftlich – belastenden Auflagen im Hinblick auf ihre Interessen kann ebenfalls noch mit der wettbewerblichen Schutzrichtung vereinbar sein. Eine solche Konstellation lag dem Zusammenschlussvorhaben Kali und Salz/MdK/Treuhand 755 zugrunde. Die Auflage an Kali und Salz, zur Vermeidung parallelen Verhaltens Verbindungen zu einem französischen Unternehmen abzubrechen, wurde von diesem und dem französischen Staat erfolgreich angefochten, weil das EuG die Nachweise der Kommission in tatsächlicher Hinsicht für nicht ausreichend hielt. Die Interessen der Arbeitnehmer oder der leitenden Angestellten eines Unternehmens sind für die wettbewerbliche Würdigung eines Zusammenschlussvorhabens dagegen ohne Relevanz.756 Im Nestlé/Perrier-Kontrollverfahren
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Dies geschah beispielsweise bezüglich der Auflagen in Kali und Salz (EuGH, verb. Rs. C68/94 und C-30/95, Slg. 1998, I-1375, EuZW 1998, 299 m. Anm. Bechtold). 755 Kommission, Entscheidung vom 14.12.1993, Sache IV/M.308, ABl. 1994 L 136/38. 756 Dem steht auch nicht der 13. Erwägungsgrund der FKVO entgegen, demzufolge u.a. auch der wirtschaftliche und soziale Zusammenhalt der Gemeinschaft die Kommission in ihrer Entscheidung leiten soll. Diese Auffassung vertraten die klagenden Arbeitnehmervertreter in der Rechtssache Société Comité Central d`Entreprise de la Société Anonyme Vittel, Comité d`Etablissement de Pierval u. Fédération Générale Agroalimentaire/Kommission. (EuG, Urteil vom 27.4.1995 – Rs. T 12/93, EuZW 1995. S. 677 ff. Durch diesen Erwägungsgrund wird lediglich die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass eine am Wettbewerbsschutz orientierte Fusionskontrolle größtmöglichen Wohlstand ermöglichen kann. Es ist deshalb im Hinblick auf die Schutzwirkung der Fusionskontrolle und die Erforderlichkeit der Individualisierung der Klagebefugten in Art. 230 Abs. 4 EGV sehr fragwürdig, wenn auch materielle Fragen aufgrund von Klagen gerichtlich überprüft werden, die Arbeitnehmervertreter oder leitende Angestellte erheben (So auch Zilles, Die Anfechtungslegitimation von Dritten im europäischen Fusionskontrollrecht, S. 175 ff., der jegliche Anfechtungslegitimation von Arbeitnehmervertretern ablehnt. Kritisch – allerdings ohne Begründung – hierzu dagegen Montag/Leibenath, Rechtschutz Dritter in der europäischen Fusionskontrolle, S. 188). Das EuG überprüfte die materielle Rechtmäßigkeit der Fusionskontrollentscheidung in der von Arbeitnehmervertretern angefochtenen Entscheidung Nestlé/Perrier (CCE Grandes Sourcey u.a./Kommission, Sache T-96/92 (1992) Slg. EuGH II-2579 (15.12.1992) und CCE Vittel and CE Pierval/Kommission, Sache T-12/93. (1993) Slg. EuGH II-785 (6.7.1993)).
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hatten Arbeitnehmervertreter mangels Kenntnis der Anmeldung des Zusammenschlussvorhabens ihre Verfahrensrechte nicht geltend machen können.757 Als Begründung für die Anfechtungslegitimation führte das EuG lediglich aus, dass die Beteiligung Dritter an dem Kommissionsverfahren keine notwendige Voraussetzung für die Annahme einer Individualisierung im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EGV sei.758 Die Frage des Prüfungsumfangs wurde nicht problematisiert. Daraus ist zu schließen, dass die Klagebefugnis der Arbeitnehmervertreter – und entsprechend der leitenden Angestellten – sich nicht nur auf eine Geltendmachung ihrer Verfahrensrechte bezieht, sondern dass diese eine vollständige gerichtliche Überprüfung der Fusionskontrollentscheidung bewirken können. Dies ist mit dem Prinzip des subjektiven Rechtsschutzes nicht mehr zu vereinbaren. Das Prinzip des subjektiven Rechtsschutz in der Ausprägung, die es durch die ständige Rechtsprechung von EuG und EuGH erfahren hat, ist deshalb nicht sehr weit von der Zulässigkeit reiner Populärklagen in der russischen Fusionskontrolle entfernt. In der deutschen Fusionskontrolle hat die Beschränkung der subjektiven Klagebefugnis demgegenüber eine größere Bedeutung. Eine Beschwerde gegen Verfügungen des BKartA beim OLG nach § 63 Abs. 1 und 4 GWB setzt nach § 63 Abs. 2 GWB eine vorherige Verfahrensbeteiligung voraus. Soweit sich Dritte nicht gegen einen Verfahrensausschluss durch das BKartA wehren, bleibt ihnen somit die Möglichkeit einer späteren Klage gegen Entscheidungen des BKartA versperrt. Auch Dritte, die – beispielsweise mangels Kenntnis vom Zusammenschlussvorhaben – keinen Antrag auf Beteiligung am Verwaltungsverfahren vor dem BKartA gestellt haben, sind zumindest nach Auffassung der Rechtsprechung nicht klagebefugt.759 In der Literatur wird teilweise eine Klagebefugnis auch nicht verfahrensbeteiligter Dritter befürwortet. Dies wird bisweilen mit einem extensiven Verständnis des Wortlauts von § 63 Abs. 2 GWB begründet, der danach lediglich solche Dritte von einer Klage ausschließen wolle, die trotz Kenntnis vom Verfahren keine Rechte auf Beteiligung genutzt und damit ihre Klagebefugnis verwirkt hätten.760 Teilweise wird eine Klagebefugnis nicht am Verfahren Beteiligter auch aus Art. 12 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet.761 Parallel zu dieser Diskussion verläuft die Frage des möglichen Gegenstandes solcher Beschwerden. Nach ganz überwiegender Auffassung können grundsätzlich nur Untersagungsverfügungen und Freigabeentscheidungen, die in der
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Slg. EuGH II-2579, Tz. 25 und 67 ff. Slg. EuGH II-2579, Tz. 67 ff. 759 Grundlegend KG, WuW/E DER 644, 645 (tobaccoland III). 760 So Dormann, Die Bedeutung subjektiver Rechte für das Kartellbeschwerdeverfahren, S. 255. 761 So insbesondere Steinberger, Klage-(Beschwerde-)befugnis Dritter gegen Freigaben von Zusammenschlüssen durch das Bundeskartellamt, S. 348 ff. 758
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Hauptprüfphase erlassen werden, Beschwerdegegenstand sein. Sie sind deshalb gemäß § 61 Abs. 1 S.1 GWB schriftlich zu begründen. Freigabeentscheidungen in der Vorprüfphase sollen demgegenüber nicht angefochten werden können,762 da eine Untersagung eines Zusammenschlusses nach Ablauf eines Monats gemäß § 40 Abs. 1 GWB nicht mehr untersagt werden dürfe.763 Insofern fehle letztlich das Rechtsschutzbedürfnis. Diese Auffassung wird auch von Autoren vertreten, die auch in einer Freigabeentscheidung in der Vorprüfphase einen Verwaltungsakt sehen.764 Steinberger765 lehnt diese Auffassung allerdings aufgrund des von ihm aus Art. 12 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG abgeleiteten Klagerechts ab.766 Zusammenfassend ist deshalb festzustellen, dass die Kontrolldichte wettbewerbsbehördlicher Entscheidungen nach dem WG am größten ist. Während die Beschränkung auf eine individuelle und unmittelbare Betroffenheit aufgrund der extensiven Auslegung in der europäischen Rechtsprechung keine allzu große Bedeutung hat, ist die Beschränkung nach dem GWB wesentlich größer. Wettbewerbspolitisch überzeugt die deutsche Regelung – in ihrer Auslegung durch die Rechtsprechung – am wenigsten. Soweit man Wettbewerb nicht nur als ein per se schützenswertes Prinzip – im Sinne Hoppmanns767 –, sondern im Sinne Kantzenbachs768 anhand seiner Funktionen bestimmt, die u.a. den Schutz der Wettbewerber umfassen, muss zumindest diesen insoweit Geschützten eine Klagebefugnis zugestanden werden. Wenn durch einen Zusammenschluss Wettbewerb möglicherweise gefährdet erscheint,769 muss demjenigen, dessen
__________ 762
Laufkötter, Die Rolle des Dritten im neuen Recht der Zusammenschlusskontrolle, S. 671; Körber, Gerichtlicher Drittschutz im deutschen Fusionskontrollrecht, S. 1537; Emmerich, Fusionskontrolle 2000/2001, S. 613 f.; a.A. Steinberger, Klage-(Beschwerde-)befugnis Dritter gegen Freigaben von Zusammenschlüssen durch das Bundeskartellamt, S. 348 ff., vgl. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt. 763 Emmerich, Fusionskontrolle 2000/2001, S. 613 f. mit Verweis auf Rechtsprechung. 764 So Körber, Gerichtlicher Drittschutz im deutschen Fusionskontrollrecht, S. 1537. Er begründet sie damit, dass es an einem subjektiven materiellen Anspruch ohnehin fehle. Soweit das Gesetz eine ausdrückliche Klagebefugnis geschaffen habe, handle es sich um eine sog. formalisierte Klagebefugnis. Vgl. hierzu weiter unten in diesem Abschnitt. 765 Steinberger, Klage-(Beschwerde-)befugnis Dritter gegen Freigaben von Zusammenschlüssen durch das Bundeskartellamt, S. 348 ff. 766 Vgl. auch Laufkötter, Die Rolle des Dritten im neuen Recht der Zusammenschlusskontrolle, S. 675, die ebenfalls eine materielle Beschwer der Konkurrenten aus Art. 12 GG annimmt, ohne hieraus allerdings – insofern inkonsistent – die selben Konsequenzen wie Steinberger zu ziehen. Ihrer Auffassung nach kann eine Freigabe in der Hauptprüfphase die Berufsfreiheit eines Wettbewerbers berühren, eine Freigabe in der Vorprüfphase dagegen nicht. Dies überzeugt nicht. 767 Hoppmann, Zum Problem einer wirtschaftspolitisch praktikablen Definition des Wettbewerbs, S. 14 f.; ders., Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs – Bemerkungen zu Kantzenbachs Erwiderung, S. 252. 768 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs; vgl. hierzu auch oben III. 3. b). 769 Der Umstand, dass das GWB im Gegensatz zu anderen Fusionskontrollordnungen nicht an die Wettbewerbsgefährdung, sondern an die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung anknüpft, soll bei dieser Argumentation unbeachtet bleiben, da – wie die Ent-
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Schutz Wettbewerb unter anderem dient, d.h. dem Wettbewerber, ein Klagerecht gegen eine Freigabe durch das BKartA zugebilligt werden. Bis zur 6. Novelle des GWB vertrat die Rechtsprechung dagegen die Auffassung, dass die Zusammenschlusskontrolle nur generell dem Schutz des Prinzips Wettbewerb, nicht dagegen dem Individualschutz diene. Aus diesem Grund wurde eine Drittklagebefugnis abgelehnt.770 Wettbewerb wurde damit lediglich als per se schützenswertes Prinzip und nicht anhand seiner Funktionen verstanden. Durch die 6. Novelle des GWB sollte jedoch nach expliziter Absicht des Gesetzgebers771 eine Drittklagebefugnis gegen Freigabeentscheidungen im Hauptprüfverfahren im geschilderten Umfang geschaffen werden. Solange es sich hierbei nicht um eine „formalisierte Klagebefugnis“, d.h. eine Klagebefugnis ohne materiellrechtlichen Anspruch, handelt,772 – die dem deutschen Recht grundsätzlich fremd ist – müsste auch ein materieller Anspruch eines Wettbewerbers auf Untersagung eines Zusammenschlusses bestehen können. Dieser müsste auch bei einer Freigabe in der Vorprüfphase zulässig sein. Ob er durch unterlassene Antragstellung auf Verfahrensbeteiligung verwirkt würde, erschiene dabei äußerst zweifelhaft. Ob dagegen eine allgemeine Klagebefugnis – unabhängig von jeglicher möglichen wettbewerblichen Schutzwirkung – wie in der russischen Fusionskontrolle, die überdies mit einer aufschiebenden Wirkung aller Klagen verbunden ist – wettbewerbspolitisch sachgerecht ist, erscheint ebenfalls zweifelhaft. Die Verzögerungen, die sich hierdurch für zusammenschlussbereite Unernehmen ergeben können, können für diese fatale Folgen haben, während der Schutz des Wettbewerbs gewahrt bleibt, wenn denjenigen ein Klagerecht eingeräumt wird, die durch eine wettbewerbsbehördliche Entscheidung zumindest wirtschaftlich unmittelbar betroffen werden.
__________ scheidungspraxis der Kommission und des russischen Antimonopolministeriums zeigt – zwischen den beiden Kriterien kein bedeutsamer Unterschied besteht. 770 Vgl. hierzu insbesondere die grundlegenden Entscheidungen des KG, WuW/E OLG 1637 (Weichschaum I) sowie WuW/E OLG 1758 (Weichschaum II); sowie BGH, WuW/E BGH 1556, 1559 f. (Weichschaum III). 771 Vgl. die Regierungsbegründung, BT-Drs. 13/9720, 42. 772 Vgl. hierzu Körber, Gerichtlicher Drittschutz im deutschen Fusionskontrollrecht, S. 153 m.w.N., der allerdings eben eine solche formalisierte Klagebefugnis, d.h. eine Klagebefugnis, die sich nicht auf die Verletzung oder Gefährdung eigener materieller Rechte stützen kann, annimmt.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
237
VII. Das Verhältnis zu Monopolen 1. Überblick Das Ziel der Zusammenschlusskontrolle besteht in der Wahrung einer von Wettbewerb geprägten Marktstruktur. Dieses Ziel kann jedoch im Wesentlichen nur erreicht werden, wenn eine von Wettbewerb geprägte Marktstruktur, die es zu bewahren gilt, bereits existiert und nicht vor Einführung der Zusammenschlusskontrolle bereits hohe Marktkonzentrationen bestehen. Eben dies war in Russland infolge des zentralen planwirtschaftlichen Systems der Sowjetunion jedoch der Fall.773 Teilweise wurden diese Strukturen im Rahmen der Privatisierung aufgebrochen. Teilweise existieren sie allerdings noch immer. Notorische Beispiele sind in diesem Zusammenhang das auf verschiedenen Märkten marktbeherrschende Konglomerat Gazprom774 sowie einige andere Rohstoffproduzenten.775 Da eine Marktstrukturkontrolle für Unternehmenszusammenschlüsse nur dann sinnvoll ist, wenn auch Entflechtungsmöglichkeiten überkommener hochkonzentrierter Marktstrukturen existieren, sollen diese de lege lata im folgenden zumindest kurz erörtert werden. 2. Entflechtungen im Sinne von Art. 19 WG Gemäß Art. 19 WG kann die Wettbewerbsbehörde die Auf- oder Abspaltung von Unternehmen bzw. Unternehmensteilen anordnen, wenn diese eine marktbeherrschende Position einnehmen und innerhalb von drei Jahren mehr als zwei Verstöße gegen die Wettbewerbsgesetzgebung begangen haben. Diese Sanktionsmöglichkeit ist kein Regulativ im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle. In deren Rahmen bestehen für die Wettbewerbsbehörde vielmehr nur die Möglichkeiten einer Untersagung, einer Wiederherstellungsanordnung gemäß Art. 17 Abs. 6 bzw. Art. 18 Abs. 7 WG (die inhaltlich allerdings eine Entflechtungsanordnung darstellen kann) oder einer Klage auf Unwirksamkeitserklärung.776 Art. 19 WG erlaubt es den russischen Wettbewerbsbehörden somit, auch im Rahmen der Missbrauchskontrolle Einfluss auf die Marktkonzentration zu
__________ 773
Vgl. zu der Konzentration im Einzelnen unten § 6 II. Vgl. hierzu näher unten 4. a). 775 Vgl. hierzu den Vorsitzenden der regionalen Wettbewerbsbehörde der Karaþij-ýerkesskover Gegend, A.S. Urakþikiev, der in diesem Zusammenhang äußert (Urakþikiev, Neplatëži, S. 34): ,,… 60 % der Bevölkerung sind als arm zu klassifizieren. Wann wird das enden ? Erst dann, wenn eine klassische Demonopolisierung der RAO Gazprom und der RAO EES Rossii – Anm.: Elektroenergieerzeuger Russlands – mit unausweichlich folgender Reduzierung der Gas- und Elektroenergietarife durchgeführt wird.“ (Übersetzung durch den Autor). 776 Vgl. oben VI. 2. f) (2). 774
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
nehmen. Diese im europäischen und deutschen Kartellrecht unbekannte Sanktionsmöglichkeit der Kartellbehörden777 ist international in jüngster Zeit durch das vom US Department of Justice gegen Microsoft durchgeführte Verfahren wieder Diskussionsgegenstand geworden. Auch hier wird auf Grundlage angenommenen Marktmachtmissbrauches eine Aufspaltung des Unternehmens in drei voneinander getrennte Geschäftsbereiche angestrebt. Diese Möglichkeit der Auf- bzw. Abspaltung von Unternehmen als Sanktionsmöglichkeit im Rahmen der Verhaltenskontrolle zeigt erneut, dass das WG eine deutliche Trennung zwischen Konzentrations- und Missbrauchskontrolle nicht vornimmt. Allerdings könnte diese wettbewerbsbehördliche Kompetenz als effizientes Mittel im Rahmen der Missbrauchskontrolle im Sinne von Art. 5 WG genutzt werden, die keine präventiven Kontrollmechanismen enthält. Dadurch existiert für das Antimonopolministerium ein wichtiges Instrumentarium, zur Entflechtung alter, aus der Planwirtschaft übernommener Marktkonzentrationen, das enorme Bedeutung haben könnte.778 Bedauerlicherweise haben die russischen Wettbewerbsbehörden diese wichtige Kompetenz bislang allerdings selten genutzt. Wurden auf Grundlage von Art. 19 WG im Jahre 1996 noch sechs Auflassungsanordnungen erlassen, waren es in den darauf folgenden Jahren nur zwei bzw. drei pro Jahr.779 In den Darstellungen des Antimonopolministeriums werden diese Auflösungsanordnungen – soweit ersichtlich – nicht näher beschrieben. Alleine die Auflösungsanordnung gegenüber EMK780 wird dargestellt und mit dem Missbrauch marktbeherrschender Positionen begründet. Ob diese Auflösungsanordnung tatsächlich auf Art. 19 WG gestützt wurde, wird indessen nicht ganz deutlich. Da sie sich jedoch auf die Auflösung einer pflichtwidrig nicht angemeldete Struktur bezog, wären Art. 17 Abs. 8 oder/und Art. 18 Abs. 9 WG ihre passenden Ermächtigungsgrundlagen gewesen. 3. Entflechtung durch Privatisierung Bei Entscheidungen darüber, ob staatliche Unternehmen privatisiert werden, hat das Antimonopolministerium gemäß Art. 15 Abs. 5 des Privatisierungsgesetzes781 ein Anhörungsrecht. Die Stellungnahme ist für die staatliche Vermö-
__________ 777 Lediglich staatliche Handelsmonopole mussten nach Art. 31 EGV derart umgeformt werden, dass eine Diskriminierung zwischen den Angehörigen der Mitgliedstaaten ausgeschlossen war. Vgl. hierzu Lenz, EG-Vertrag, Art. 31. 778 Vgl. auch Krüßmann, Privatisierung und Umstrukturierung in Russland, S. 552 ff.; Pfeffer, Vergleichende Betrachtung der neuen Kartellgesetze in Osteuropa, S. 363. 779 Kostjuk, Struktura narušenij Zakona RSFSR „O konkurencii“, S. 32. 780 Vgl. oben VI. f) (4). 781 Bundesgesetz der Russischen Föderation Nr. 123-FS vom 21. Juli 1997, geändert am 23. Juni 1999.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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gensverwaltung allerdings nicht bindend. Das Privatisierungsgesetz nennt im Übrigen keine Aspekte, die vom Antimonopolministerium zu prüfen sind. Damit kann das Antimonopolministerium versuchen, im Rahmen der Privatisierung staatlicher Unternehmen auf deren Entflechtung hinzuwirken, ohne dabei allerdings signifikante Einflussmöglichkeiten zu haben. Derartige Einflussmöglichkeiten hat das Antimonopolministerium jedoch bei der Auswahl der Erwerber, die sich dem Verfahren von Art. 18 WG unterziehen müssen. Mittelbar könnte das Antimonopolministerium deshalb auf diesem Wege versuchen, eine Entflechtung staatlicher Unternehmen im Rahmen der Privatisierung durchzusetzen. Dies würde allerdings voraussetzen, dass das Antimonopolministerium die Verstärkung einer marktbeherrschenden Lage durch den Erwerb nachweisen könnte. Diesen Versuch unternimmt es in aller Regel jedoch gar nicht. Vielmehr nimmt es bei jeder Privatisierung eines staatlichen marktbeherrschenden Unternehmens apodiktisch eine Verstärkung dieser marktbeherrschenden Stellung an und erlässt Informationsauflagen bezüglich Absatz-, Nachfrage- und Preispolitik. Die Person des Erwerbers, d.h. insbesondere die Frage, ob er bereits auf dem russischen Markt tätig ist, spielt dabei keine Rolle. Wie bereits erörtert, bietet Art. 18 WG keine Rechtsgrundlage für eine derartige pauschale Beurteilung. Lediglich in den Fällen, in denen der Erwerber bereits auf dem in Frage stehenden Markt tätig ist oder eine wirtschaftliche Macht oder Finanzkraft hat, kann eine Verstärkung einer marktbeherrschenden Position angenommen werden.782 Dies müsste jedoch im Einzelfall begründet werden. Wettbewerbspolitisch ist es allerdings sinnvoll, dass das Ministerium durch diese Auflagen zumindest versucht, das Marktverhalten eines neu privatisierten marktbeherrschenden Unternehmens zu beobachten. Wünschenswert wäre es, wenn sich das Antimonopolministerium aktiver für die Entflechtung großer staatlicher Unternehmen zwecks Dekonzentrierung von Märkten einsetzen würde. Aktive Einwirkungsmöglichkeiten in diese Richtung hat es de lege lata jedoch nicht. Vielmehr werden Privatisierungsentscheidungen auf politischer Ebene bzw. vom Eigentumsfonds und dem Privatisierungsministerium getroffen.783 Tatsächlich hat die Bedeutung des Privatisierungsgesetzes abgenommen. Der überwiegende Teil der Privatisierungen staatlichen Vermögens wurde 1993 und 1994 noch vor In-Kraft-Treten des Privatisierungsgesetzes aufgrund von Erlas-
__________ 782
Vgl. oben III. 1. c) (7). Vgl. Yakovlev, Anti-Monopoly Policy in Russia: Basic Stages and Prospects, S. 42: „Change in the structure of the market and elimination of monopoly were not achieved by the use of antimonopoly regulation but were a side effect of the operation of these factors.“ „These factors“ bezeichnet dabei an höherer Stelle im Text „privatization, extension of enterprises’ autonomy, and the notable tightening of budget constraints.“ 783
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
sen des Präsidenten der Russischen Föderation vorgenommen.784 Etwa 70% der ehemals staatlichen Unternehmen war bereits vor In-Kraft-Treten des Privatisierungsgesetzes privatisiert.785 Dem verbleibenden Teil, insbesondere aus den Bereichen Rohstoffe und Rüstungsindustrie,786 sind allerdings noch knapp 40% des russischen Bruttosozialprodukts zuzurechnen.787 Ein politischer Wille, auch diese Sektoren zu privatisieren, ist nicht ersichtlich. 4. Ausnahmebereiche a) Natürliche Monopole Als natürliche Monopole werden herkömmlich Bereiche genannt, in denen die firmeninterne Kostendegression in Relation zur gegebenen Marktgröße so wichtig ist, dass im Wettbewerb auf Dauer nur ein Unternehmen überleben kann.788 Soweit es sich nicht um neue Märkte handelt, existiert in Bereichen natürlicher Monopole folglich ein Anbieter. Der Eintritt eines neuen Wettbewerbers in den betroffenen Markt ist betriebswirtschaftlich unsinnig, da mit derartig hohen Anlaufkosten verbunden, dass mögliche Einnahmen auf einen sehr langen Zeitraum hin nicht ausreichen würden, diese Kosten zu decken. Um dieses Dilemma zwischen betriebswirtschaftlichen Erwägungen und dem ordnungspolitischen Wunsch nach Wettbewerb zu lösen, wurde die sog. „essential facility doctrine“ entwickelt. „Essential facility“ bezeichnet diejenige Einrichtung, die für das Anbieten eines Gutes unbedingt erforderlich ist, deren Herstellungskosten jedoch unverhältnismäßig hohe Anlaufkosten verursachen. Gemäß dieser Theorie muss der Staat die Inhaber einer solchen „essential facility“ zwingen, solche Einrichtungen gegen ein festzusetzendes Entgelt auch etwaigen Wettbewerbern anzubieten, damit diese sie nutzen können, um das jeweilige Gut auf dem nachgelagerten Markt auch anbieten zu können. Künstlich soll somit ein dem betreffenden Gütermarkt vorgelagerter Markt geschaffen werden. Standardbeispiel sind sog. Durchleitungsfälle. Das Anbieten von Wasser setzt die Existenz von Wasserendanschlussleitungen zu den einzelnen Abnehmern voraus. Da deren Anschaffungs- bzw. Installationskosten jedoch sehr hoch sind, müssten die Inhaber dieser Wasserendanschlussleitungen, die auch auf dem Wassermarkt tätig sind, gezwungen werden, neuen Wettbewer-
__________ 784 Zum Privatisierungsverfahren vgl. Priewe, Privatisierung und Transformation – Lehren aus Rußland, S. 41 ff., und Rau, Privatizations in Russia, S. 93 ff. 785 Sondhof/Mezger, Corporate Governance in Russland – Probleme und Entwicklungstendenzen, S. 339, zufolge sind etwa 75% der russischen Unternehmen mehrheitlich in privater Hand; Devlin/Grafton/Rowlands, Rights and wrongs: a property rights perspective of Russia`s market reforms, S. 287, gehen unter Verweis auf Daten der Weltbank von etwa zwei Dritteln aus. 786 Vgl. unten 4. 787 Devlin/Grafton/Rowlands, S. 287. 788 Müller/Vogelsang, Staatliche Regulierung, S. 37.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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bern auf dem Wassermarkt die Nutzung der Leitungen zwecks Durchleitung gegen ein angemessenes Entgelt zu gestatten. Durch eine solche Regelung würde der Wettbewerb auf dem Wassermarkt belebt. Ein solcher Durchleitungsanspruch im Sinne der „essential facility doctrine“ kann bzw. muss de lege ferenda geschaffen werden. In der deutschen Rechtsordnung besteht beispielsweise ein derartiger Anspruch gemäß § 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB sowie für Telekommunikationsleistungen im Hinblick auf die Nutzung von Telekommunikationskabeln in §35 Abs. 1 TKG. In Russland werden natürliche Monopole durch das „Gesetz der Russischen Föderation über natürliche Monopole“789 geregelt. Als natürliche Monopole werden in Art. 4 des Gesetzes die Übertragung von Öl, Ölprodukten, Gas, Elektrizität und Wärmeenergie durch Leitungen, der Schienenverkehr, Bahnhof-, Hafen-790 und Flughafendienste791, Telekommunikation sowie Postdienste bezeichnet. Mit dieser Bestimmung wird auch der Regelungsbereich des Gesetzes abschließend bezeichnet. Problematisch ist bei dieser Aufzählung insbesondere der Bereich der Hafendienste, da zumindest kleinere Häfen ohne größere Probleme neu geschaffen werden könnten und teilweise auch Wettbewerb zwischen den Häfen beieinander nahe gelegener Städte besteht (dies gilt insbesondere für die Hafenstädte des Schwarzen Meeres, am Pazifik existieren teilweise verschiedene Häfen unterschiedlicher Eigentümer in einer Stadt).792 Das Gesetz regelt die Befugnis der Regulierungsbehörde für natürliche Monopole,793 Preise in den genannten Bereichen zu regeln, sowie die Inhaber natürlicher Monopole zu dem Abschluss von Verträgen mit bestimmten Kundengruppen zu zwingen. Aufgrund dieser Kompetenz kann also die Behörde Verpflichtungen im Sinne der „essential facility“-Doktrin begründen. Der damalige stellvertretende Vorsitzende des Antimonopolkomitees Cijganov erklärte bereits 1997, dass sich hieraus ein Anspruch auf diskriminationsfreien Zugang zu Leitungen ergebe.794 Gemäß Art. 7 Abs. 2 des Gesetzes über natürliche Monopole bedarf des Weiteren der Erwerb natürlicher Monopole der Zustimmung der Regulierungsbehörde. Ein solcher Erwerb umfasst auch den Erwerb von mehr als 10% der
__________ 789 Bundesgesetz der Russischen Föderation Nr. 147-FS „O estestvennych monopolijach“, (Über natürliche Monopole) vom 17. August 1995; vgl. hierzu auch Tot’’ev, Gosudarstvennaja i estestvennaja monopolia, S. 60 ff. 790 Vgl. hierzu Bajev, Problemy realizacii Federal’nogo zakona „O estestvennych monopolijach“ v morskich portach, S. 30 ff. 791 Vgl. hierzu auch Sentjurin/Belusov, Analiz rynka graždanskoj aviaciej Rossii, S. 24 ff. 792 Kritisch zur Aufnahme der Häfen in den Bereich der natürlichen Monopole auch Talanzev, Federal’nyj zakon „O estestvennych monopolijach i problemy ego realizacii“, S. 28. 793 Diese Zuständigkeit liegt inzwischen bei einer Abteilung des Antimonopolministeriums. 794 Cijganov, Monopolii na svobodnom rynke, S. 80.
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3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
Vermögenswerte795 oder der Anteile796 des Inhabers des natürlichen Monopols, eines Nutzungsrechts an solchen Vermögenswerten oder eine Investition in Vermögenswerte, die nicht zur Nutzung eines natürlichen Monopols erforderlich sind und deren Wert 10% der Vermögenswerte des Inhabers eines natürlichen Monopole übersteigt. Die Zustimmung kann gemäß Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 i.V.m. Abs. 1 des Gesetzes jeweils versagt werden, wenn durch den Erwerb negative Folgen für Kunden oder die Entstehung von Hindernissen für den Übergang eines natürlichen Monopols in einen freien Markt zu befürchten sind. Ein solcher Übergang eines natürlichen Monopols in einen freien Mark ist infolge technologischer Entwicklung möglich, die es erlaubt, die „essential facility“ zu wesentlich niedrigen Kosten herzustellen.797 Ein Beispiel hierfür ist wiederum der Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen. Im Zeitpunkt der Aufhebung der staatlichen Telekommunikationsmonopole wurden beispielsweise in Deutschland Durchleitungsansprüche im Sinne von § 35 Abs. 1 TKG begründet. Diese Ansprüche gelten aber nur für eine gewisse Zeit, d.h. solange die ehemaligen Staatsunternehmen noch eine marktbeherrschende Stellung innehaben. Während dieser Zeit sollen andere Telekommunikationsbetreiber die Möglichkeit haben und nutzen, eigene Netze zu entwickeln. Obgleich die Eingreifkriterien des Gesetzes über natürliche Monopole etwas unbestimmter sind als jene in Art. 17 und 18 WG, wird die Aufgabe des russischen Antimonopolministeriums deutlich, Wettbewerb in Märkten zu entwickeln, die natürlichen Monopolen nachgelagert sind. Hierzu dürfte auch die Aussage von Nina Klejn nicht im Widerspruch stehen, derzufolge im Gesetz über natürliche Monopole keine Förderungsmöglichkeit von Wettbewerb enthalten sei. Diese Aussage kann sich nur auf die natürlichen Monopole selber, nicht jedoch auf nachgelagerte Märkte beziehen.798 Sie hat also eher gesetzesbeschreibenden, denn gesetzesanalysierenden Charakter. Dennoch sieht Art. 7 Abs. 3 UAbs. 3 i.V.m. Abs. 1 des Gesetzes über natürliche Monopole darüber hinaus auch noch die Möglichkeit der Entwicklung von Wettbewerb infolge technologischer Entwicklung vor. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Tätigkeit des Antimonopolministeriums im Bereich natürlicher Monopole einzeln zu untersuchen. Die
__________ 795
Art. 7 Abs. 2, 3. Alt. des Gesetzes über natürliche Monopole. Art. 7 Abs. 4 des Gesetzes über natürliche Monopole. 797 Vgl. hierzu Graf, Regulierung und innovatorische Prozesse, S. 311 ff. 798 Vgl. Klejn, Antimonopol’noe Zakonodatel’stvo i Zakonodatel’stvo o ectectvennych monopolijach, S. 46: „Das Gesetz über natürliche Monopole ist ein Gegenstück zum Wettbewerbsgesetz. Das Gesetz über natürliche Monopole zielt nicht auf die Entwicklung von Wettbewerb, Begrenzung und Vermeidung monopolistischer Tätigkeit. Das Gesetz über natürliche Monopole sieht vielmehr eine direkte staatliche Einmischung in die Tätigkeit der Inhaber natürlicher Monopole und eine strenge staatliche Regulierung ihrer Aktivitäten vor.“ (Übersetzung durch den Autor). 796
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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Existenz zahlreicher russischer Fluggesellschaften,799 verschiedener Schienenverkehrsbetreiber,800 Telekommunikationsunternehmen,801 zahlreicher Öl- und einiger Gasunternehmen zeigt jedoch, dass ihnen die Nutzung der jeweils erforderlichen „essential facilities“ zumindest nicht versagt ist. Im Bereich der Gaserzeugung konzediert allerdings das Antimonopolministerium selbst, dass trotz der Existenz von etwa 100 russischen gaserzeugenden Unternehmen Gazprom eine marktbeherrschende Stellung habe.802 Eine Entflechtung Gazproms sei deshalb sinnvoll. Dem dürfte allerdings die politische Macht Gazproms – auch nach Amtsniederlegung seines Generaldirektors Tschernomyrdin – entgegenstehen.803 Der russische Gasmarkt dürfte deshalb aus machtpolitischen Gründen eine Sonderrolle spielen. Insgesamt lässt sich jedoch zusammenfassen, dass natürliche Durchleitungsmonopole nicht die Existenz von Erzeugermonopolen zur Folge haben. b) Ausnahmebereiche aus Gründen der „Staatssicherheit“ Einen auch offen politisch motivierten Ausnahmebereich bilden die Märkte des militärischen Komplexes. Die auf diesem Markt tätigen Unternehmen befinden sich noch zu etwa einem Drittel in Staatseigentum. Eine „Kommerzialisierung“ und Aufspaltung der Unternehmen, eine Öffnung des Marktes für ausländische Unternehmen/Lieferanten oder gar eine offene Informationspolitik sind nach Auffassung des Antimonopolministeriums mit der Sicherheit des Staates nicht vereinbar.804 c) Finanzdienstleistungen Gemäß Art. 2 Abs. 3 WG unterliegen die Märkte für Wertpapiere und Finanzdienstleistungen nicht dem WG. Reynolds zufolge soll diese Regelung mitursächlich für die Finanzkrise 1998 gewesen sein.805 Seit 1999 bilden diese Märkte jedoch insofern keinen Ausnahmebereich mehr, als mit dem „Gesetz
__________ 799 Sentjurin/Belusov, S. 24 ff., verweisen darauf, dass in den Jahren 1994 bis 1997 sowie 1999 und 2000 das Ausmaß der russische Flugfracht jährliche Wachstumsraten zwischen 10 und 20% aufgewiesen habe. 800 Vgl. hierzu den Fall Refserviz MPS, s. oben II. 3. und VI. 2. f) (1). 801 Vgl. hierzu auch Capelik, Should Monopolies be regulated in Russia, S. 22. 802 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 121 f. 803 Vgl. hierzu unten § 6 IV. 2. 804 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 14. „Die strategische und wirtschaftliche Sicherheit des Landes erfordern, dass ein beträchtlicher Teil der Militärproduktion in den Händen des Staates bleibt. Und dies gilt insbesondere auch für den after sale service, die Nutzung der Highproducts und der Techniken.“ 805 Reynolds, Addressing Russia’s economic crisis, S. 40 (ohne Begründung).
3. Teil: Das Konzept der russischen Fusionskontrolle
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über die Wahrung des Wettbewerbs auf den Finanzdienstleistungsmärkten“806 durch dessen Art. 16-20 eine Zusammenschlusskontrolle eingeführt wurde, die den Wortlaut der Aufgreif- und Eingreifkriterien von Art. 17 und 18 WG nahezu identisch übernimmt.807 Maßgebliches Eingreifkriterium ist ebenfalls die Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Zuständige Kontrollbehörde ist das Antimonopolministerium, teilweise jedoch in Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden für Wertpapiere und Versicherungen sowie der Zentralbank.808 5. Mangel aktiver Einflussmöglichkeiten auf Dekonzentrationen mittels Entflechtungen Wettbewerblich zu bedauern ist der Umstand, dass das Wettbewerbsgesetz dem Antimonopolministerium nur limitierte Möglichkeiten gibt, die Demonopolisierung der russischen Wirtschaft durch Entflechtungen voranzutreiben.809 Die Zusammenschlusskontrolle kann nur auf geplante Übernahmen oder Zusammenschlüsse reagieren bzw. diese untersagen. Aktive Einflussmöglichkeiten auf bestehende Monopole oder marktbeherrschende Unternehmen vermittelt sie – abgesehen von dem in der Praxis nur selten angewendeten Art. 19 WG810 – nicht. Dies ist insofern besonders misslich, als noch einige marktbeherrschende Unternehmen in Russland existieren, die nicht durch internes Wachstum entstanden, sondern oft noch als Relikt der sowjetischen Planwirtschaft bestehen. Die sogenannten natürlichen Monopole hingegen unterliegen einer rigiden Regulierung, durch die das Entstehen von Marktmacht auf nachgelagerten Märkten vermieden wird. Es wird eine Aufgabe der zukünftigen russischen Wettbewerbspolitik sein, die Entflechtung staatlicher oder ehemals staatlicher Unternehmen weiter vo-
__________ 806 Bundesgesetz der Russischen Föderation Nr. 117-FS „O zašþitie konkurencii na rynke finansovych uslug“ (Über die Wahrung des Wettbewerbs auf den Finanzdiensleistungsmärkten) vom 23. Juni 1999. 807 Vgl. zu dem Gesetz auch Osokin, Razrešeno vsë þto ne zaprešþeno, S. 6. 808 Vgl. Art. 21 des Gesetzes „Über die Wahrung des Wettbewerbs auf den Finanzdienstleistungsmärkten.“ 809 Dabei ist unter westlichen Autoren jedoch unbestritten, dass weitere Privatisierungen und Entflechtungen in Russland wünschenswert wären. Ein entsprechendes Ziel wurde auch vom Rat der Europäischen Union bestimmt. Vgl. Gemeinsame Strategie der Europäischen Union vom 4. Juni 1999 für Russland (1999/414/GASP), ABl. 1999 L 157/1, Teil II Nr. 2 a: „Die Europäische Union wird des Wirtschaftsreformprozeß in Russland konsolidieren … durch Unterstützung weiterer struktureller, wirtschaftlicher und administrativer Reformen, einschließlich einer weiteren Privatisierung, der Unternehmensumstrukturierung, und der Zunahme der KMU in Russland“. Auf welchem Wege dies geschehen soll, wird durch die GASP allerdings offengelassen. Nähere diesbezügliche Ausführungen würden jedoch auch den Rahmen der Regelungskompetenz innerhalb der GASP übersteigen. 810 Vgl. hierzu oben 2.
§ 5 Das Konzept der Fusionskontrolle in Russland
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ranzutreiben. Ob dies auf der Grundlage von Art. 19 WG oder auf Grundlage einer entsprechenden Ermächtigung de lege ferenda geschehen kann, bleibt abzuwarten. Bislang hat jedoch bereits die Existenz einer Zusammenschlusskontrolle mit ihrem zentralen Begriff der Marktbeherrschung in der politischen Diskussion ein Gegengewicht gegen Versuche gebildet, die darauf zielten, Monopole aufrechtzuerhalten.811
__________ 811 Diese Auffassung vertrat schon 1994 Yakovlev, Anti-Monopoly Policy in Russia: Basic Stages and Prospects, S. 38.
Vierter Teil
Die Funktion der russischen Fusionskontrolle
§ 6 Funktionen und Wirkweise der Fusionskontrolle in Russland I. Überblick Das Antimonopolministerium stellt die Zusammenschlusskontrolle als ein System dar, das wesentlich sei, um Wettbewerbsbeschränkungen zu vermeiden. Die zunehmende Anzahl an Anmeldungen und Notifzierungen von Unternehmenszusammenschlüssen zeuge von der zunehmenden Anzahl an Konzentrationsprozessen auf russischen Märkten.1 Die hohe Zahl an Anmeldungen und Notifizierungen ist allerdings auch Folge der niedrigen Schwellenwerte und der Existenz von Zusammenschlusstatbeständen, deren Kontrolle für die Konzentrationsentwicklung russischer Märkte – bestenfalls –von geringem Nutzen ist.2 Im vorangehenden Kapitel wurde dargestellt, dass das Konzept der russischen Zusammenschlusskontrolle neben der Prüfung wettbewerblich unwichtiger Sachverhalte teilweise auch sehr elaborierte und ökonomisch sinnvolle Ansätze enthält. In der praktischen Anwendung der Konzentrationskontrolle stehen dem jedoch einige signifikante Schwierigkeiten gegenüber. Dies ist insbesondere die Unsicherheit bezüglich der tatsächlichen Durchsetzungskraft der russischen Zusammenschlusskontrolle. In ihren Darstellungen verweist das Antimonopolministerium nur auf Beispielsfälle, in denen ihre Anordnungen ausgeführt wurden bzw. das Antimonopolministerium letztlich Wächterin der Marktstrukturen bleiben konnte. Andererseits ergeben sich aus den Darstellungen auch Hinweise, dass strukturelle Unternehmensverbindungen teilweise erst nach einiger Zeit festgestellt wurden, dass insbesondere gegen die Anmeldebzw. Notifizierungspflicht verstoßen oder Sachverhalte nur unzureichend mitgeteilt wurden. Insgesamt ist die Dunkelziffer nicht zutreffend angemeldeter
__________ 1 So beispielsweise die Staatssekretärin im Antimonopolministerium Fonarjova, „O konkurentnoj politike Rossijskoj Federacii v 1997-1998 godach“, S. 20; bzgl. der Zahlen selbst vgl. auch oben § 2. 2 Vgl. auch Bejcek, Wettbewerbspolitische Theorien, S. 47 f., der für das tschechische Fusionskontrollrecht ebenfalls kritisiert, dass die finanziellen Schwellenwerte zu niedrig sind, so dass die Kartellbehörden nicht alle Ressourcen für die Kontrolle der tatsächlich wichtigen Fälle einsetzen können.
§ 6 Funktionen und Wirkweise der Fusionskontrolle in Russland
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oder angezeigter Zusammenschlüsse unbekannt. Auch über das Ausmaß an – nichtveröffentlichten – Entscheidungen, die auf politischen Druck hin zustande kamen, können nur Mutmaßungen angestellt werden. Auffallend ist in der russischen Entscheidungspraxis eine gewisse Xenophobie, die neben der besonderen Bedeutung des Befreiungsgrundes der internationalen Wettbewerbsfähigkeit insbesondere in der zweifelhaften Unterstellung ihren Ausdruck findet, ausländische Erwerber wollten grundsätzlich russische Unternehmen lediglich zwecks Stillegung erwerben, um den Markt für ausländische Produkte zu öffnen. Die Ursache solcher Annahmen soll im Folgenden anhand des Zusammenschlusses Assidomein AB/OAO Segiežabumprom erörtert werden, der vom russischen Antimonopolministerium als „Algorithmus“ dieses Verhaltens ausländischer Investoren bezeichnet wird. Dieser Zusammenschluss soll darüber hinaus auch als allgemeines Beispiel für die praktischen Schwierigkeiten der russischen Zusammenschlusskontrolle dienen. II. Konzentrationsentwicklung Im Hinblick auf die Funktion der Fusionskontrolle sollte – trotz ihrer fehlenden Einwirkungsmöglichkeit auf bereits bestehende Marktmacht – die Konzentrationsentwicklung von Märkten betrachtet werden. Während der Zeiten der Planwirtschaft herrschte in westlichen Staaten der Eindruck vor, dass die russische Wirtschaft aufgrund ihres zentralen Planungssystems in jeder Industrie nur aus sehr wenigen überdimensional großen Unternehmen bestehe.3 Als Grund hierfür wurde unter anderem angenommen, dass mangels eines funktionierenden Kosten- und Leistungssystems Transportkosten keine Rolle spielten. Zu Beginn der 90er Jahre wurde diese Auffassung erstmals von einigen westlichen Autoren relativiert. So äußern Brown/Ickes/Ryterman4 die Auffassung, dass die russische Wirtschaft am Anfang der 90er Jahre nicht aus wenigen sehr großen Unternehmen bestanden habe, sondern dass Unternehmen mittlerer Größe vorgeherrscht hätten. Aufgrund ihrer Abneigung gegenüber privatwirtschaftlichen und individuellen Strukturen habe der sowjetische Planungszentralismus versucht, sehr kleine Unternehmen zu vermeiden. Ebenso hätten jedoch – im Vergleich zu manchen westlichen Unternehmen – keine sehr großen Unternehmen existiert. Starodubrovskaya betont, dass sowjetische Sektoren nicht höher konzentriert gewesen seien als entsprechende sektorale Märkte in westlichen Staaten. Allerdings seien alle Unternehmen hochspezialisiert gewesen, so dass ein Unternehmen oft nur ein ganz bestimmtes Produkt hergestellt habe (dies würde erklä-
__________ 3 4
So auch Laptev, Regelung der Unternehmertätigkeit in Russland, S. 375. Brown/Ickes/Ryterman, The myth of monopoly, insbesondere S. 14 f.
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4. Teil: Die Funktion der russischen Fusionskontrolle
ren, dass im Vergleich zu westlichen Konzernen keine wirklich großen Unternehmen existierten). Auf dem entsprechenden Gütermarkt sei ein russisches Unternehmen dann allerdings oft der einzige Anbieter gewesen.5 Darüber hinaus seien manche Märkte aufgrund eines schwach ausgeprägten Transportwesens – trotz genereller Missachtung der durch Transport entstehenden Kosten – regional sehr begrenzt gewesen.6 Aus diesen Ausführungen wäre allerdings zu folgern, dass zumindest Gütermärkte im Sinne einer sachlichen Marktabgrenzung, wie sie dem Kartellrecht zugrunde liegt, stark konzentriert waren. Noch deutlicher betont Leitzel die hohen Konzentrationsraten der sowjetischen Wirtschaft: „An estimated 30-40% of manufactured products, including sewing machines, freezers and colour-photography paper, were produced by a single enterprise within the USSR. In 1988 the market share of the single largest Soviet producer exceeded 50% for over 60% of product groups; for the US in 1982 the four largest producers exceeded a 50% market share in less than 30% of manufacturing industries.“7
Auch Joskow/Schmalensee/Tsukanova sprechen von einer hohen Konzentration der meisten russischen Märkte. Unter Verweis auf Daten der Weltbank führen sie aus, dass im Jahre 1991 87% des gesamten Maschinenbaus, 27,9% der gesamten Metallurgie, 46,7% der gesamten chemischen Produktion und 30% des Baugewerbes von jeweils einem Unternehmen erzeugt worden seien. 7,8%; 28,4%; 27,6% bzw. 28,9% seien in den Bereichen (in der genannten Reihenfolge) jeweils von den beiden nächstgrößten Herstellern produziert worden.8 Diese Aussagen stehen insofern etwas in Widerspruch zu den Darstellungen, die die russischen Marktkonzentrationen in relativierender Form schildern. Zusammenfassend kann aufgrund dieser Ausführungen nicht von niedrigen Marktkonzentrationen gesprochen werden.9 Trotz teilweise geringfügig differierender Darstellungen ist ihnen vielmehr allen zu entnehmen, dass die für die Zusammenschlusskontrolle maßgeblichen Gütermärkte stark konzentriert waren. Auf einem Gütermarkt im kartellrechtlichen Sinne waren in der Regel nur ein, in manchen Fällen zwei oder drei und nur in äußerst seltenen Fällen mehr als drei Unternehmen überhaupt in nennenswerter Weise tätig. Diese Marktkonzentrationen sind seit Anfang der 90er Jahre teilweise erheblich gesunken. Genauere Angaben hierzu enthalten die – allerdings teilweise
__________ 5
Starodubrovskaya, The nature of monopoly and barriers to entry in Russia, S. 3. Starodubrovskaya, S. 5; vgl. auch oben § 5 III. 1. b) (2). 7 Leitzel, A Note on Monopoly and Russian Economic Reform, S. 46; identische Zahlen nennt auch Yevstigneyev (Creating a competitive Environment in Russia, S. 90. 8 Joskow/Schmalensee/Tsukanova, Competition Policy in Russia during and after privatization, S. 316. 9 So auch Yacheistova, Competition Policy – The Russian Version, S. 283 f. 6
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etwas veralteten – Veröffentlichungen des Antimonopolministeriums.10 Insbesondere auf den Märkten der Bereiche Bauindustrie, Einzelhandel, Maschinenbau, Transport, Metallurgie, Landwirtschaft, Chemie, Ölverarbeitung, Holz und Papierwirtschaft11 setzte sich diese Entwicklung Ende der 90er Jahre nach Angaben der Staatssekretärin im Antimonopolministerium, Fonarjova, fort.12 Frau Fonarjova koinzidiert allerdings, dass auf einigen Märkten die Marktkonzentration gleichzeitig zugenommen habe.13 Teilweise sei dies jedoch auch Folge der russischen Finanzkrise im Sommer 1998.14 Dies überzeugt insofern, als aufgrund der enormen Rubelabwertung weniger russisches Kapital für Unternehmensneugründungen zur Verfügung stand. Umgekehrt verloren ausländische Investoren Vertrauen in russische Investitionen und zogen deshalb Kapital ab. Darüber hinaus konnten viele bereits existierende kleinere Anbieter infolge der Insolvenzen ökonomisch nicht überleben. Die Entwicklung von Marktkonzentrationen gibt allerdings per se nicht hinreichend Auskunft über die Funktionsfähigkeit einer Fusionskontrolle. Entscheidend ist vielmehr die Entwicklung von Marktmacht, d.h. die Frage, inwieweit hohe Marktanteile Folge von Marktmacht oder Folge überragend hoher Effizienz sind.15 Die Konzentrationsentwicklung kann deshalb nur als Indiz gewertet werden. Im Übrigen verbleibt auch Unsicherheit darüber, in welchem Ausmaß die Konzentrationsentwicklungen russischer Märkte mittelbar oder unmittelbar auf das System der Zusammenschlusskontrolle zurückzuführen sind. Im Jahre 1994 vertrat Yakovlev noch die These, dass Marktstrukturveränderungen nicht auf die Tätigkeit des Antimonopolministeriums zurückzuführen seien.16 Eine Zusammenschlusskontrolle wurde vor 1995 nicht in nennenswertem Maße praktiziert.
__________ 10 Vgl. insbesondere die teilweise detaillierten Angaben der Konzentrationskoeffizienten und HHI-Indices in Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 158-168, sowie Doklad o konkurentnoj politike 1999-2001, S. 45 ff. 11 Vgl. unten III. 12 Vgl. Fonarjova, O konkurentnoj politike Rossijskoj Federacii, S. 23. 13 Der Tätigkeitsbericht des Antimonopolministeriums für die Jahre 1999-2001 (Doklad o konkurentnoj politike, S. 46, nennt insbesondere die Marktkonzentrationen bei verschiedenen Kindernahrungsmitteln, bei denen der jeweils stärkste Anbieter 1998 über Marktanteile zwischen 95% und 100% verfügt habe, die allerdings bis zum Jahre 2000 wieder um einige Prozentpunkte gesunken seien. Auf einigen anderen Märkten seien zwischen 1998 und 2000 die Marktanteile des jeweils stäksten Anbieters noch weiter gestiegen. Hierbei handelt es sich u.a. um die Märkte für Turbinensegel (von 47,8% auf 81,9%), automatische Telefonstationen (Zunahme der CR 1 von 29,8% auf 62,1%), Schneeräumfahrzeuge (Zunahme der CR 1 von 50% auf 100%), Kinderfahrräder (von 29,8% auf 43,7%) und Minitraktoren (von 62,7% auf 88,3%). 14 Fonarjova, O konkurentnoj politike Rossijskoj Federacii, S. 23.; ähnlich der Antimonopolminister Južanov, Oþerednye zadaþi, S. 4, der dabei betont, dass eine Dekonzentrierung der Märkte ein „besonderes Anliegen“ der von Präsident Putin gebildeten Regierung sei. 15 Vgl. insbesondere oben § 3 II. 1., IV. 3. 16 Yakovlev, S. 42; vgl. auch oben § 5 VII. 3.
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Obgleich dies nicht mehr gilt, hatte über lange Zeit die staatliche Vermögensverwaltung Einfluss auf die Entwicklung der Marktkonzentrationen, da sie im Rahmen von Privatisierungen maßgeblich über das ,,Ob“ und ggf. die Modalitäten der Entflechtung von Unternehmen entschied bzw. entscheidet. Die Funktion der Fusionskontrolle dagegen beschränkt sich auf eine Kontrolle externen Wachstums. III. Das Zusammenschlussvorhaben Assidomein AB/OAO Segiežabumprom als „Beispiel“? Begründete Xenophobie? 1. Das Zusammenschlussvorhaben Assidomein AB/OAO Segiežabumprom Das Zusammenschlussvorhaben Assidomein AB/Segiežabumprom wird vom russischen Antimonopolministerium als Standardbeispiel für eine versuchte Zerschlagung eines marktbeherrschenden russischen Unternehmens durch ausländische Investoren betrachtet.17 Im Februar 1996 gab das Antimonopolministerium den Erwerb von 71% der stimmberechtigten Aktien der OAO Segiežabumprom, eines marktbeherrschenden Papierproduzenten Russlands mit Marktanteilen zwischen 60 und 70%, durch das zypriotische Unternehmen Stratton Paper unter Auflagen frei. Die Beteiligten wurden verpflichtet, das Antimonopolministerium vierteljährlich über ihre Absatzpolitik zu unterrichten. Durch eine solche Verpflichtung sollte sichergestellt werden, dass die marktbeherrschende Stellung OAO Segiežabumproms nicht (im Sinne von Art. 5 WG) missbraucht werde. OAO Segiežabumprom und Stratton Paper wurden verpflichtet, im Fall einer Reduzierung des Papierabsatzes auf dem russischen Markt diesen ökonomisch zu begründen. So sollten künstliche Marktverengungen mit anschließenden Preisanstiegen verhindert werden. Ein Minderheitsaktionär der OAO Segiežabumprom, die OAO UPAK, gleichzeitig Kundin der OAO Segiežabumprom, legte gegen die Freigabeentscheidung Rechtsmittel beim Handelsgericht der Stadt Moskau ein. Durch den Anteilserwerb werde die marktbeherrschende Stellung von OAO Segiežabumprom verstärkt. Die Auflagen seien nicht geeignet, dem entgegenzuwirken. Die Verstärkung der marktbeherrschenden Stellung folge daraus, dass auf den betroffenen Märkten ebenfalls das tschechische Unternehmen SEPAP A.S., ein mit der OAO Segiežabumprom verbundenes Unternehmen, tätig sei. Die gerichtliche Tatsachenermittlung ergab, dass beim Erwerb der Anteile an OAO Segiežabumprom das zypriotische Unternehmen Stratton Paper lediglich als Mittler für das schwedische Unternehmen Assidomain AB aufgetreten war. Dieses hatte mitt-
__________ 17 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 18 ff.
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lerweile die Anteile an OAO Segiežabumprom von dem zypriotischen Unternehmen erworben, ohne dass dies beim Antimonopolministerium angemeldet worden war. Nach Erwerb der Anteile an OAO Segiežabumprom durch das schwedische Unternehmen wurde der Absatz des russischen Unternehmens drastisch reduziert. Mit zahlreichen russischen Unternehmen weigerte sich OAO Segiežabumprom nach Darstellung des russischen Antimonopolministeriums, weitere Lieferverträge abzuschließen. Die russischen Abnehmer waren deshalb gezwungen, Verträge zu höheren Preisen mit ausländischen Anbietern abzuschließen. Diese gehörten nach Darstellung des Antimonopolministeriums alle zur Industriegruppe Assidomain AB. Auch UPAK war gezwungen, von ausländischen Anbietern Papier zu höheren Preisen zu beziehen. Das Moskauer Handelsgericht erklärte die Freigabeentscheidung am 1. Dezember 1997 für unwirksam, da sie auf einem unzutreffendem Sachverhalt basierte. Der tatsächliche Sachverhalt begründete die Gefahr der Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung. Diese Entscheidung wurde durch die Berufungsinstanz desselben Gerichts bereits zwei Monate später bestätigt. Mittlerweile wurde die Tätigkeit von OAO Segiežabumprom eingestellt. Staatssekretärin Fonarjova verweist in einer Veröffentlichung allerdings darauf, dass die Konzentration der Papiermärkte, an denen OAO Segiežabumprom etwa 70% hielt, mittlerweile drastisch abgenommen habe und wertet dies positiv.18 2. Xenophobie als Leitmotiv der russischen Zusammenschlusskontrolle? Obgleich es unmöglich ist, den genauen Sachverhalt um OAO Segiežabumprom zu ermitteln – in dessen Verlauf der Generaldirektor des Unternehmens eines unnatürlichen, jedoch nicht aufgeklärten Todes starb19 – lassen die oben geschilderten Vorgänge doch ein Hauptproblem der praktischen Durchführung der Zusammenschlusskontrolle in Russland erkennen: ein gewisses Maß an Kontrollausfall infolge unterlassener Anmeldungen bzw. Anmeldungen unter falscher Sachverhaltsschilderung.20 Dabei betont das Antimonopolministerium, dass insbesondere ausländische Beteiligungen in den Anmeldungen oft verschwiegen werden.21 Zahlreiche solcher Beteiligungsverhältnisse werden durch zypriotische Unternehmen – wie Stratton Paper – begründet. Der Grund hierfür liegt darin, dass russische Staatsangehörige bereits Anfang der 90er Jahre für einen längeren Aufenthalt in Zypern kein Visum benötigten. Viele Russen siedelten deshalb dorthin über und gründeten Unternehmen.
__________ 18
Fonarjova, O konkurentnoj politike Rossijskoj Federacii, S. 23. Dies erklärte eine Mitarbeiterin des Antimonopolministeriums in einem persönlichen Gespräch im Oktober 1999. 20 Vgl. hierzu unten IV. 1. 21 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 18. 19
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Die Gefahr, dass insbesondere ausländische Beteiligungsverhältnisse verschwiegen werden, liegt nahe, da das russische Antimonopolministerium sie auch nur unter höherem Aufwand ermitteln kann. Das Antimonopolministerium betrachtet jedoch – wie geschildert – nicht nur das Verschweigen von Beteiligungsverhältnissen für ein typisches Verhalten ausländischer Unternehmen. Typisch sei auch das Ziel ausländischer Unternehmen, russische Unternehmen aufzukaufen, um sie zu schließen und durch den dabei entstehenden Angebotsausfall auf russischen Märkten die Nachfrage nach den eigenen ausländischen Produkten der Unternehmenserwerber zu steigern.22 Weitere Beispiele für solche Verhaltensweisen ausländischer Unternehmen nennt das Antimonopolministerium allerdings nicht. Ob es sich hierbei auch tatsächlich um eine typische Verhaltensweise ausländischer Unternehmen handelt, erscheint äußerst zweifelhaft. Die Markenbindung russischer Verbraucher, die sich ausländische Produkte leisten können, dürfte nicht derartig hoch sein, dass ein Eintreten in den russischen Markt für ausländische Unternehmen nur über den kostenintensiven Weg der Zerstörung russischer Wettbewerber möglich wäre. Naheliegender ist deshalb die Annahme, dass russische Unternehme nach ihrem Erwerb durch ausländische Investoren geschlossen werden, weil sich die betriebswirtschaftlichen Berechnungen der Investoren im nachhinein als unzutreffend herausstellen und das jeweilige Unternehmen sich als völlig unrentabel oder unsanierbar entpuppt. Die Befürchtung des Antimonopolministeriums, Ausländer wollten russische Unternehmen vorsätzlich schließen, dürfte deshalb eher ein Aspekt einer in gewissem Maße irrationalen Xenophobie russischer Kartellpolitik sein.23 Diese Xenophobie zeigt sich an verschiedenen Stellen. Dies gilt für die Zielsetzung des Ministeriums, die „ökonomische Sicherheit der Russischen Föderation zu gewährleisten“24 und die Bedeutung, die einer angeblichen internationalen Wettbewerbsfähigkeit als Rechtfertigungsgrund für wettbewerblich bedenkliche Zusammenschlüsse zukommt.25 Ausdruck dessen ist auch die Auflagenpraxis, derzufolge der Erwerb eines marktbeherrschenden russischen Unternehmens durch einen Ausländer nur unter Informations- und Investitionsauflagen freigegeben wird, ohne dass das Merkmal der Verstärkung von Marktbeherrschung untersucht oder erläutert würde.26
__________ 22 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 23. 23 Vgl. hierzu auch Hölzler, Das russische Antimonopolgesetz, S. 362 f. 24 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 36. 25 Vgl. hierzu oben § 5 III. 3. c). 26 Vgl. oben § 5 III. 1. c) (7).
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Ebenfalls von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang ein Gutachten über die Konzentration der Verkehrsmärkte, das das Antimonopolministerium im Jahre 1998 für die Regierung der Russischen Föderation erstellte. In ihm schlug es ein Gesetz zum Schutz der russischen Märkte vor,27 das die bereits erwähnte Regelung erhalten sollte, derzufolge eine ausländische Gesellschaft, deren Gesellschafter russischen Behörden nicht bekannt sind, auf dem Gebiet der Russischen Föderation keine wirksamen Verträge abschließen könnte. Danach sollte es Ausländern auch untersagt werden, größere Aktienpakete an „strategisch wichtigen“ russischen Unternehmen zu erwerben. Für den Fall eines solchen Erwerbs sollte zahlreichen staatlichen Institutionen ein Klagerecht auf Unwirksamkeitserklärungen solcher Kaufverträge eingeräumt werden.28 Ein derartiges Gesetz wurde in dieser Form nicht beschlossen. Es hätte der Rechtsunsicherheit in gewaltigem Ausmaße Vorschub geleistet und ausländische Investoren vermutlich in erheblichem Umfang von einem Engagement in russischen Märkten abgehalten. Es überrascht, dass gerade eine Wettbewerbsbehörde derartige Vorschläge unterbreitet, da ausländische Investitionen wettbewerbsfördernd wirken sollten. Diese Xenophobie hat allerdings nicht zur Folge, dass das Antimonopolministerium versucht, jeden Erwerb russischer Unternehmen durch ausländische Investoren zu verhindern. Teilweise berichten in Moskau ansässige nichtrussische Rechtsanwälte auch über eine gute Zusammenarbeit mit dem Antimonopolministerium bei der Anmeldung wichtiger Erwerbsvorhaben russischer Unternehmen durch ausländische Erwerber.29 Über den Erwerb von 80% der Anteile an dem russischen Glaswarenunternehmen Borskij stekol’nyj Zavod durch das auf einigen regionalen russischen Märkten bereits tätige belgische Unternehmen Glaverbel wird sogar eine gewisse Erleichterung des Antimonopolministeriums zum Ausdruck gebracht.30 Hintergrund waren hier allerdings – wie eingangs geschildert – die äußerst angespannte finanzielle Situation des russischen Unternehmens sowie Machtkämpfe um das Unternehmen, die ebenfalls eine Tötung des Generaldirektors zur Folge hatten. Trotz mancher Umgehungen der Anmelde- oder Notifizierungspflichten des russischen WG durch verschleierte ausländische Beteiligungsverhältnisse wäre eine insgesamt wohlwollendere Behandlung ausländischer Investitionen wettbewerbspolitisch wünschenswert. Ein gewisses Insistieren der Wettbewerbsbe-
__________ 27 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 29. 28 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 29. 29 Die diesbezüglichen Erfahrungen erscheinen stark zu variieren. Vgl. hierzu auch oben § 6 V. 2. e), s. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 30. 30 Vgl. den Beispielsfall in § 2 III.
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hörden, um ausländische Beteiligungen in Erfahrung zu bringen, ist ratsam, um Verschleierungen zu reduzieren. Im Übrigen sollte jedoch erkannt werden, dass ausländische Investitionen grundsätzlich wettbewerbsfördernde Auswirkungen haben, da durch den neuen Markteintritt üblicherweise Know-how und Kapital in den Markt treten. In manchen Fällen mag diese Finanzkraft abschreckende Wirkung auf einige kleinere Wettbewerber haben, so dass Auflagen gerechtfertigt sein können.31 Der Regelfall wird dies aber keinesfalls sein. Durch solche Annahmen und die auf ihnen fußenden Investitionsauflagen werden ausländische Investoren vielmehr abgeschreckt. Zu den ökonomischen und politischen Risiken, die ausländische Unternehmen bei einem Markteintritt in Russland annehmen, stellen Investitionsverpflichtungen eine zusätzliche Belastung dar. Es ist nicht Aufgabe der russischen Wettbewerbsbehörden, eine „nationale ökonomische Sicherheit Russlands“ zu bewahren,32 die durch den Markteintritt von Ausländern im Übrigen nicht gefährdet erscheint. Die Aufgabe der Wettbewerbsbehörden besteht vielmehr in der Förderung von Wettbewerb bzw. der Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen. Hierzu kann der Eintritt ausländischer Unternehmen in russische Märkte positive Impulse leisten. Diese sollte nicht durch eine falsch verstandene Fusionskontrolle verhindert oder zunichte gemacht werden. IV. Praktische Durchsetzungsschwierigkeiten des Systems der russischen Zusammenschlusskontrolle 1. Schwierigkeiten der Sachverhaltsermittlung und Probleme der „Kontrolldichte“ – insbesondere in den Regionen Das Antimonopolministerium bezeichnet die Ermittlung der Beteiligungsverhältnisse von Unternehmen als Hauptproblem seiner Tätigkeit. Wörtlich heißt es in einem Wettbewerbsbericht des Antimonopolministeriums: „Merkbar ist das Bemühen kommerzieller Strukturen, ihre tatsächlichen Eigentumsund Beteiligungsverhältnisse zu verdecken, begleitet von der finanzindustriellen33 Integration russischer Unternehmen. Aufgrund dieser Tatsachen werden Nachforschungen angestellt und Ermittlungen auf Anzeichen von Verstößen gegen die Wettbewerbsgesetzgebung eingeleitet. Als Ergebnis derartiger Aufdeckungen werden
__________ 31
Vgl. oben § 5 III. 1. c) (7). So aber Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 37; vgl. auch weiter oben in diesem Abschnitt, sowie § 5 IV. 3. c). 33 Hiermit wird auf die zunehmenden Beteiligungen von Banken an russischen Unternehmen angespielt. 32
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Strafsanktionen durch das Antimonopolministerium verhängt, Wiederherstellungsanordnungen erlassen bzw. Klagen auf Unwirksamkeitserklärungen wettbewerbsfeindlicher Absprachen erhoben.“34
Diese Aussage bringt die Schwierigkeit des Antimonopolministeriums in der Sachverhaltsermittlung, insbesondere im Hinblick auf Beteiligungsverhältnisse, zum Ausdruck.35 Der Anteilserwerb durch Mittelsmänner („Briefkastenunternehmen“) oder das Verschleiern von Beteiligungsverhältnissen und Stimmbindungsgemeinschaften ist verbreitet und erfordert intensive Nachforschungen durch die Wettbewerbsbehörden. Als Beispiele genannt seien in diesem Zusammenhang die bereits erwähnten Verfahren Assidomein AB/OAO Segiežabumprom,36 die verschleierten Stimmbindungsgemeinschaften zwischen KB Rossijskij Kredit und anderen Gesellschaftern wichtiger russischer Erzunternehmen,37 die nicht angemeldeten Beteiligungen an VSMPO, die im Zusammenhang mit den Zusammenschlussvorhaben VSMPO/Avismar38 bekannt wurden, und die Vorgänge im Zusammenhang mit Transaero.39 Andererseits vermittelt obige Aussage des Antimonopolministeriums auch den Eindruck der regen Ermittlungstätigkeit und strengen Sanktionierung ermittelter Verstöße gegen die Vorschriften des WG. Tatsächlich scheint die Ermittlungstätigkeit des Antimonopolministeriums drastisch zugenommen zu haben. So wurde in den Jahren 1996 und 1997 kein einziger Verstoß gegen die Regelungen der Art. 17 und 18 WG, d.h. Unterlassen einer vorgeschriebenen Anmeldung bzw. Notifizierung oder unrichtige Sachverhaltsdarstellung, festgestellt. Im Jahr 1998 waren es bereits 947 Verstöße gegen Art. 17 WG und 873 Verstöße gegen Art. 18 WG,40 im Jahre 2000 betrug die Anzahl der Verstöße bereits das Doppelte und wuchs im Jahr 2001 um weitere 25%.41 Es ist zu befürchten, dass auch die bisherigen Ermittlungsergebnisse bei weitem nicht alle Verstöße aufdeckten. Realistischer erscheint deshalb auch die Äußerung des Antimonopolministeriums anlässlich der verschleierten Stimmbindungsgemeinschaft um Rossijskij Kredit:
__________ 34 Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 46 f. (Übersetzung durch den Autor). 35 Vgl. hierzu bereits oben § 5 II. 5. 36 Vgl. oben III. 37 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 22 ff. 38 Vgl. hierzu oben § 5 II. 5. bzw. III. 1. c) (6). 39 Vgl. oben § 5 II. 5. und VI. 2. f) (3). 40 Kostjuk, Struktura narušenij Zakona RSFSR „O konkurencii“, S. 31. 41 Antimonopolministerium, Doklad o konkurentnoj politike 1999-2001, S. 4
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„Im Lichte dessen ist es den Antimonopolorganen nicht möglich, in vollem Maße vollständig die realen Ausmaße der Konzentration der Wirtschaftssubjekte auf einem Warenmarkt festzustellen.“42
Eine umfassende Ermittlungstätigkeit ist dem Antimonopolministerium aufgrund seiner Ressourcen nicht möglich. Ermittlungen werden in der Regel nur aufgrund von Indiskretionen oder von Erkenntnissen aufgenommen, die im Zusammenhang mit anderen Verfahren gewonnen werden. Fast jede Ermittlung, die aufgenommen wird, endet jedoch mit der tatsächlichen Feststellung eines Verstoßes.43 Die Ermittlungstätigkeiten der regionalen Behörden erscheinen demgegenüber allerdings teilweise noch sehr rudimentär. Ein Besuch in der regionalen Wettbewerbsbehörde von Ulan-Ude44 im Sommer 1999 beispielsweise ergab, dass dort bis zu diesem Zeitpunkt noch kein einziges Zusammenschlussvorhaben im Sinne der Art. 17, 18 WG angemeldet und materiell geprüft worden war. Auch Ermittlungen im Hinblick auf möglicherweise pflichtwidrig unterlassene Anmeldungen waren nicht eingeleitet worden, da die drei in der dortigen Wettbewerbsbehörde beschäftigten Ökonomen und Juristen das System der Zusammenschlusskontrolle für die Gegend Burjatien für „nicht sachgerecht“ hielten. Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass auf regionalen oder lokalen Märkten Burjatiens keine Marktmacht durch externes Wachstum entsteht. In Ust-Bargusin, einer 10 000 Einwohner umfassenden burjatischen Siedlung, beispielsweise lag der gesamte dortige Einzelhandel in den Händen einer einzigen Person. Dem Antimonopolministerium ist dieser Umstand bewusst. In seinem Bericht über die Zusammenschlusskontrolle werden die Gegenden genannt, in denen besonders viele Anmeldungen und Notifizierungen erfolgen.45 Ihnen werden die Gegenden gegenübergestellt, in denen besonders wenige Anmeldungen und Notifizierungen eingehen. Unter ihnen befindet sich auch Burjatien.46 Das Antimonopolministerium wertet das Ausbleiben von Anmeldungen
__________ 42 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21. 43 Burmistrova/Martijnenko, Pravovye osnovy, S. 32: „Praktisch alle Verdachte auf Verstöße gegen Art. 17 und 18 WG wurden durch die aufgenommenen Ermittlungen erhärtet.“ 44 Hauptstadt der Region Burjatiens (östlich des Baikalsees). 45 Hierbei handelt es sich um die Städte Moskau, Sankt Petersburg, die Gegenden Nižnij Gorod, Rostov, Samara, Sverdlovsk, Irkutsk, Archangelsk, Tula und ýeljabinsk, die Kreise Krasnodarsk und Stavropol, sowie die Republiken Tatarstan und ýuvašien. Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 12. 46 Neben Burjatien werden die Republiken Adijgien, Karaþajevo-ýerkesien, KabardinoBalkarien, Dagestan, Nordosetien, Mordovien, die Gegend Chanti-Mansinskien, sowie die Kreise von Brjajsk, Uljanovsk und Pskov genannt. Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj intergracii, S. 12.
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und Notifizierungen diplomatisch als Ausdruck geringer Investitionstätigkeiten in diesen Gegenden. Dieser Grund dürfte angesichts der niedrigen Schwellenwerte der russischen Zusammenschlusskontrolle das Ausbleiben von Anmeldungen und Notifizierungen allerdings nur teilweise erklären. Die „persönliche Meinung“, die in der burjatischen Wettbewerbsbehörde geäußert wurde, bringt vielmehr eine profunde Skepsis der zuständigen Behörde gegenüber dem System zum Ausdruck und legen entsprechend laxe Ermittlungstätigkeiten nahe. Insgesamt ist jedoch das Bemühen des Antimonopolministeriums, Verstöße gegen Art. 17 und 18 WG aufzudecken, beachtlich und die Zunahme aufgedeckter Fälle seit 1997 beeindruckend. Auch die Anzahl der insgesamt erfolgten Anmeldungen und Notifizierungen bei Wettbewerbsbehörden nahm erheblich zu. Betrug sie 3.650 im Jahre 1996, 4.723 im Jahre 1997 und 7.039 im Jahre 1998, so waren es 2001 bereits 20.992.47 Diese signifikante Zunahme spricht dafür, dass zumindest weniger anmelde- oder notfizierungspflichtige Sachverhalte den Wettbewerbsbehörden überhaupt nicht mehr mitgeteilt werden. Offen bleibt jedoch, inwieweit Sachverhalte, insbesondere die Beteiligungsverhältnisse, in den Mitteilungen zutreffend dargestellt werden.48 Die Ermittlungstätigkeit sollte deshalb auch weiterhin einen Schwerpunkt der Tätigkeit des Antimonopolministeriums bilden. 2. Politische Entscheidungen? – Über die Bedeutung einer unabhängigen Wettbewerbsbehörde Sehr schwer zu bestimmen ist, wie viele Freigabeentscheidungen – unabhängig von der Gewichtung sozioökonomischer Erwägungen – aufgrund politischen Drucks zustande kommen. Naturgemäß existieren diesbezüglich auch keine Dokumentationen. Zahlreiche aufgelöste oder untersagte Zusammenschlussvorhaben, an denen wichtige russische Unternehmen beteiligt waren, vermitteln den Eindruck, dass das Antimonopolministerium eine starke politische Stellung hat, die es ihr ermöglicht, Entscheidungen in Anwendung des WG relativ unabhängig zu treffen und diese auch durchzusetzen. Beispiele hierfür sind der unterbundene Anteilserwerb der KP Rossijskij Kredit und verbundener Unternehmen an wichtigen russischen Erz-gewinnenden Unternehmen49 oder der mittelbare Anteils-
__________ 47 Kostjuk, Struktura narušenij Zakona RSFSR „O konkurencii…“, S. 32; Antimonopolministerium, Doklad o konkurentnoj politike v Rossijskoj Federacii 1999-2001, S. 34. Vgl. auch oben § 2 I. 48 Burmistrova/Martinenko, Pravovye osnovy, S. 32, folgern aus diesen Zahlen indessen, dass die Verstöße gegen Art. 17 und 18 WG insgesamt abnehmen. 49 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 22 f., vgl. hierzu auch oben § 5 II. 5. und VI. 2. f) (3).
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4. Teil: Die Funktion der russischen Fusionskontrolle
erwerb anderer russischer Fluggesellschaften an Transaero.50 Hierfür spricht auch die hohe Anzahl an Verstößen gegen die Anmeldepflicht in Art. 17 und 18 WG, die durch die Wettbewerbsbehörden selbst verfolgt wurden.51 Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass eine wesentliche Tätigkeit der Wettbewerbsbehörde auch in der Ausführung ihrer Befugnisse unter Art. 7 WG, d.h. der Aufhebung wettbewerbsbehindernder Verordnungen, Satzungen oder sonstiger legislativer oder administrativer Akte regionaler Verwaltungen oder Parlamente, besteht.52 Charakteristisch ist dabei das Beispiel der vom Verkehrsministerium beschlossenen Zusammenlegung aller Kühlwagenunternehmen der russischen Bahn, die das Antimonopolministerium als einen formellen und materiellen Verstoß gegen Art. 17 WG bewertete, worüber es das Verkehrsministerium informierte. Die von diesem daraufhin nachträglich beantragte Genehmigung des Zusammenschlusses lehnte das Antimonopolministerium ab, die Identität voneinander unabhängiger Kühlwagenbetreiber wurde gegen den Willen des Verkehrsministeriums wiederhergestellt.53 Ein weiteres Beispiel bilden die von der Kirover Verwaltungsbehörde auf Grundlage eines Beschlusses des Regionalparlaments angeordnete und durchgeführte Fusion aller Apotheken der Gegend. Auch diese Maßnahme wurde auf Anordnung des Antimonopolministeriums wieder rückgängig gemacht.54 Unterstützt wird die starke Position der Wettbewerbsbehörden durch die Justiz. Der Umstand, dass nur Gerichte einen Anteilserwerb oder eine Eintragung im Unternehmensregister für unwirksam erklären können, lässt diese Urteile als Resultat neutraler Entscheidungsfindung erscheinen. Die zitierten Gerichtsentscheidungen55 zeugen davon, dass das Moskauer Handelsgericht diese Funktion der Wettbewerbswahrung auch erfolgreich wahrnimmt. Im Jahre 1996 bezweifelte Frenkel56 noch jegliche Funktionsfähigkeit der Justiz. Die genannten Bei-
__________ 50 Vgl. Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 21 f.; vgl. auch oben § 5 II. 5. und VI. 2. f) (3). 51 Vgl. oben 1. 52 Vgl. zu den diesbezüglichen Aktivitäten Antimonopolministerium, Doklad o razvitii konkurencii 1997, S. 53-57 oder Kostjuk, Struktura narušenij Zakona RSFSR „O konkurencii….“, S. 36. Ein Beispiel hierfür bildete ein „lokales Qualitätskontrollsystem alkoholischer Getränke“ der Stadt Moskau. Das System wurde wegen wettbewerbsbehindernder Wirkungen vom Antimonopolministerium untersagt. Nachdem die Untersagungsverfügung nicht befolgt wurde, erhob das Ministerium Klage gegen die Stadt Moskau, die in erster Instanz abgewiesen wurde. In zweiter und dritter Instanz wurde der Klage dagegen stattgegeben.Vgl. hierzu die Darstellung der Richterin des höchsten Gerichtshof der Russischen Föderation, Ljubimova, Istorija o tom kak moskovskie vlasti possorilis’ s antimonopolnymi organami, S. 24. 53 Antimonopolministerium, Doklad o merach êkonomiþeskoj politiki, napravlennoj na umenšenie antikonkurentnoj integracii, S. 24-26; vgl. hierzu auch oben § 5 II. 3. 54 Vgl. oben § 5 VI. 2. f) (4). 55 Vgl. oben § 5 VI. 2. f). 56 Frenkel, Commercial Law of Russia – Law of Competition“, V D 12.
§ 6 Funktionen und Wirkweise der Fusionskontrolle in Russland
259
spiele zeigen jedoch, dass dies – zumindest in diesem Ausmaß – nicht (mehr) zutrifft. Grundsätzlich bietet die Kompetenz der Wettbewerbsbehörden, bei unterlassenen Anmeldungen in eigener Verantwortung Wiederherstellungsanordnungen zu erlassen, ihnen daneben die Möglichkeit, eigenständig und schnell die Wettbewerbsstruktur gefährdende Umstände zu beheben. Andererseits erscheint beispielsweise die Freigabeentscheidung des Erwerbs der Mehrheit der Anteile an NTW durch ein Tochterunternehmen von Gazprom im März 2001 zumindest fragwürdig.57 Dadurch, dass der russische Staat Mehrheitseigner von Gazprom ist, sind ihm – gemäß dem Begriff der „Personengruppe“ im Sinne von Art. 4 WG – alle landesweit sendenden Fernsehkanäle der russischen Föderation zuzurechnen. Der Erwerb der Anteile an Gazprom, obgleich durch Ausübung eines entsprechenden Pfandrechts erworben, verstärkte die marktbeherrschende Stellung der Russischen Föderation auf dem Fernsehmarkt. Ausnahmevorschriften für staatlichen Anteilserwerb enthält das WG nicht. Auch Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Die – unveröffentlichte – Freigabeentscheidung kann deshalb nur aufgrund politischen Drucks oder aufgrund einer Fehlbewertung staatlicher Beteiligungen zustande gekommen sein. Auch der Umstand, dass das Antimonopolministerium sehr selten von seinem Recht Gebrauch macht, gemäß Art. 19 WG die Entflechtung marktbeherrschender, ehemaliger staatlicher Unternehmen anzuordnen,58 dürfte auf politischen Druck zurückzuführen sein.59 Allerdings ist auch die Fusionskontrollentscheidungspraxis westlicher Kartellbehörden nicht völlig frei vom Vorwurf politischen Drucks. Dies gilt naturgemäß für die – politische – Ministererlaubnis im deutschen Recht. Es gilt aber ebenso für manche Entscheidung der Kommission.60
__________ 57 Vgl. hierzu F.A.Z. vom 25. Mai 2001 im Archiv des F.A..Z.-Instituts unter www.chemicalnewsflash.de 58 Vgl. hierzu oben § 5 VII. 2. 59 Hölzler, Das russische Antimonopolgesetz, S. 358 hat diesbezüglich keine Zweifel: „Man muss sich aber von der Vorstellung lösen, das russische Antimonopolkomitee könne mit Unterstützung von Parlament und Regierung gefestigen Monopolen, … Kartellverfahren aufzwingen. Hier wären eher personelle Umsetzungen in der Kartellbehörde als ein wettbewerblich durchschlagendes Resultat das Ergebnis.“ 60 Vgl. aber auch DIE ZEIT Nr. 23 vom 28. 5. 1998 und The Economist, 30. 5. 1998, denenzufolge der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl dem seinerzeitigen Präsidenten der EUKommission Santer ein Interesse an der Genehmigung des Zusammenschlusses Bertelsmann/Kirch/Premiere – allerdings vergeblich – übermittelt haben soll. In Tractebel/Distrigaz II (Kommission, Entscheidung vom 1.9.1994, Sache IV/M.493, ABl. 1994 C 249/3, WuW 94, 1022) entschied die Kommission, dass eine staatliche Beteiligung dann nicht eine Kontrolle darstelle, wenn der Staat lediglich auf den Schutz des Gemeinwohls gerichtete hoheitliche Vorrechte wahrnimmt und nicht als Gesellschafter auftritt. Vorausgesetzt wurde dabei, dass die staatlichen Vor-
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4. Teil: Die Funktion der russischen Fusionskontrolle
Hausmann verweist in seiner Darstellung politischen Einflusses auf die Kartellrechtsdurchsetzung darauf, dass, obgleich sich in den meisten „jüngeren und jüngsten Kartellrechtsordnungen“ unabhängige, von der politischen Entscheidungsmacht getrennte Kartellbehörden durchgesetzt hätten, daraus keine Entpolitisierung des Kartellrechts gefolgt sei.61 Das russische Antimonopolministerium ist nach dieser Abgrenzung – trotz seiner Stellung als Ministerium – als unabhängig zu bezeichnen, da bezüglich kartellrechtlicher Entscheidungen die Regierung zumindest formal kein Weisungsrecht hat. Die Position des Antimonopolministeriums ist insofern mit der des BKartA zu vergleichen, das – obgleich dem BMWi nachgeordnete Behörde – in ihren inhaltlichen Entscheidungen nicht weisungsgebunden ist. Institutionell hiervon zu unterscheiden ist dagegen die Stellung der Europäischen Kommission, d.h. das politische Gremium der 20 Kommissare, das die Fusionskontrollentscheidungen nach der FKVO trifft, wenngleich diese in sog. Merger Task Forces in der Generaldirektion Wettbewerb vorbereitet werden.62 Teilweise wird deshalb die Übertragung der Entscheidungskompetenz de lege ferenda auf die Wettbewerbsdirektion gefordert.63 Soweit ersichtlich, ist die Kommission allerdings bislang in nur einem Fall dem Vorschlag der zuständigen Merger Task Force nicht gefolgt.64 Ob ein politisches Organ oder eine – mehr oder weniger – unabhängige Behörde in Fusionskontrollangelegenheiten entscheidet, ist deshalb zumindest im Vergleich zwischen Europa, Deutschland und Russland nicht von elementarer Bedeutung. In Russland haben ordnungspolitische Erwägungen – als sog. sozioökonomische Gründe – bereits de lege lata eine Bedeutung. Eine de facto politische Einflussnahme bzw. ein gewisser politischer Druck auf das Antimonopolministerium kann nicht ausgeschlossen werden, sondern muss vielmehr vermutet werden. Der Erwerb der Anteile von NTW durch eine GazpromTochter ist hierfür ein bekanntes Beispiel. Andererseits hat das Antimonopolministerium in zahlreichen Fällen unter Beweis gestellt, dass es in der Lage ist, __________ rechte weder bezweckten noch bewirkten, dass der Staat einen bestimmenden Einfluss auf die Tätigkeit des Unternehmens ausübt. Diese Voraussetzungen betrachtete die Kommission als erfüllt, obwohl sich der belgische Staat gesellschaftsrechtlich vermittelte Vetorechte vorbehalten hatte, die es ihm ermöglichen sollten, Entscheidungen bei Distrigaz zu verhindern, die den Richtlinien (im untechnischen Sinne) der belgischen Energiepolitik widersprachen. Um Verstöße gegen belgisches Energierecht zu verhindern, hätte es der gesellschaftsrechtlich vermittelten Einflussmöglichkeit allerdings nicht bedurft. Hierfür hätten vielmehr öffentlichrechtliche Sanktionsmechanismen ausgereicht. 61 Hausmann, Staatliche Kartellrechtsdurchsetzung im internationalen Vergleich, S. 187. 62 Zu einigen in der FKVO und der Durchführungsverordnung Nr. 2367/90 vorgesehenen Entscheidungen und Verfahrensmaßnahmen ermächtigte die EU-Kommission den für Wettbewerbsangelegenheiten zuständigen Kommissar. Zu diesen Befugnissen gehört insbesondere die Monatsentscheidung gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. b FKVO. 63 So Opgenhoff, Die europäische Fusionskontrolle zwischen Wettbewerbspolitik und Industriepolitik, S.231. 64 Kommission, Entscheidung vom 31.1.1994, Sache IV/M.315, ABl. 1994 L 102/15 (Mannesmann/Vallourec/Ilva).
§ 6 Funktionen und Wirkweise der Fusionskontrolle in Russland
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gegen politischen Druck, d.h. andere Ministerien, regionale Verwaltungen und Parlamente sowie große finanzindustrielle Gruppen die Wettbewerbsstruktur schützende Maßnahmen durchzusetzen.65 V. Gesellschaftliche Wahrnehmung – mangelnde Veröffentlichung – fehlende Transparenz 1. Gesellschaftliche Wahrnehmung Ein Problem der russischen Wettbewerbspolitik im Allgemeinen und der Strukturkontrolle im Besonderen besteht darin, dass Wettbewerb in der russischen Öffentlichkeit noch nicht allgemein als ein wohlstandsförderndes Prinzip akzeptiert wird.66 In Teilen der Bevölkerung ist sogar eine Ansicht verbreitet, derzufolge Wettbewerb sittlich verwerflich ist, als kriminell oder kriminalitätsfördernd betrachtet wird.67 Auch aktuelle wissenschaftliche Darstellungen der Wettbewerbstheorie definieren „Wettbewerb“ teilweise unter deutlichem Hinweis darauf, dass „Wettbewerb“ zu Zeiten der Sowjetunion einen deutlich negativen Beigeschmack gehabt habe und als aggressives, unfriedliches Kämpfen verstanden worden sei.68 Die große Bedeutung, die solchen Ausführungen zukommt, zeugt davon, dass ein derartiges Verständnis noch nicht rein historischer Natur ist, sondern vielmehr von einem nicht zu unterschätzenden Teil der Bevölkerung geteilt wird. Hieraus können sich erhebliche Legitimationsschwierigkeiten ergeben, die in ihrem Ausmaß schwer abzuschätzen sind. 2. Mangelnde Veröffentlichung – mangelnde Transparenz Die geringe gesellschaftliche Anerkennung von Wettbewerb und vom Nutzen der Strukturkontrolle geht einher mit einer nur sehr rudimentären Informationspolitik des Antimonopolministeriums. Trotz zahlreicher Veröffentlichungen über seine Tätigkeit und deren Ziele erwähnt das Antimonopolministerium nur sehr wenige konkrete Entscheidungen. Dies gilt – wie mehrfach erwähnt – insbesondere für den Bereich der Zusammenschlusskontrolle.
__________ 65 Pittman, Competition Law in Central and Eastern Europe, S. 34, lobt in diesem Zusammenhang die im überwiegenden vorhersehbare, weil von objektiven Kriterien geleitete Entscheidungspraxis der russischen Wettbewerbsbehörden. Anfang der 90er Jahre hatte er angesichts mangelnder Erfahrung der zuständigen Behörden und Gerichte noch Skepsis geäußert, inwieweit sie in der Lage sein würden, das Wettbewerbsgesetz sachgerecht auszulegen. Vgl. hierzu Pittman, Some Critical Provisions in the Antimonopoly Laws of Central and Eastern Europe, S. 485. 66 Vgl. Reynolds, Addressing Russia’s economic crisis, S. 24, 38. 67 Reynolds, Adressing Russia’s economic crisis, S. 41 ff. 68 So z.B. Parašþuk, Konkurencija: ot êkonomiþeskoj mnogoznaþnosti k pravovoj opredelennosti – pravo na konkurenciju, S. 11.
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4. Teil: Die Funktion der russischen Fusionskontrolle
Allgemeine Wettbewerbsberichte oder der mehrfach in dieser Arbeit zitierte Bericht über die Zusammenschlusskontrolle waren bis 2001 interne Darstellungen des Antimonopolministeriums, die nicht frei zugängig waren. In erster Linie dienten sie der Information innerhalb des Ministeriums, den regionalen Wettbewerbsbehörden und „verwandten“ Ministerien. Mittlerweile werden diese Berichte im Internet veröffentlicht. Sie erwähnen jedoch nur wenige einzelne Zusammenschlussfälle. Soweit dies erfolgt, werden keinerlei Angaben zu den rechtlichen Erwägungen gemacht, die ursächlich für die jeweilige Entscheidung waren. Ausführungen zum zentralen Begriff der Marktbeherrschung beispielsweise fehlen in der Regel völlig. In der vorliegenden Arbeit wurde deshalb versucht, die bekannten Entscheidungen der russischen Wettbewerbsbehörden daraufhin zu analysieren, ob sie mit dem Wortlaut des WG vereinbar sind und welches Verständnis zentraler Eingreifkriterien sie vermitteln. Ein Beispiel hierfür ist die grundsätzliche Annahme der Verstärkung einer marktbeherrschenden Position im Fall eines Erwerbs eines marktbeherrschenden Unternehmens durch einen ausländischen Erwerber. Es wäre jedoch wünschenswert, dass die Behörden ihre für Entscheidungen maßgeblichen Erwägungen selbst veröffentlichen. Dies sollte – entsprechend der deutschen Fusionskontrolle – zumindest für wichtige Entscheidungen gelten.69 Für potenzielle Investoren würde die Entscheidungspraxis des Ministeriums dadurch wesentlich vorausschaubarer. Für Wettbewerber oder andere potenziellen Kläger gebietet bereits ein effektiver Rechtschutz die Veröffentlichung der Gründe einer Freigabeentscheidung. Auch die Akzeptanz der das WG und die Wettbewerbsbehörden leitenden Prinzipien durch die Bevölkerung – oder zumindest eines interessierten Teils – dürften bei einer größeren Transparenz der Entscheidungspraxis gefördert werden. Eine bessere Informationspolitik würden deshalb die Stellung des Antimonopolministeriums und die Akzeptanz des Prinzips „Wettbewerb“ stärken.70 Als Vergleich bietet sich die inzwischen breite Akzeptanz der fusionskontrollrechtlichen Untersagungskompetenz der Kommission an, die auch Ergebnis ihrer Veröffentlichungspolitik sein dürfte. Die Kritik der Öffentlichkeit an der ersten Untersagungsverfügung der Kommission, Aérospatiale-Alenia/de Havilland im Jahre 1991 war noch massiv.71 Manche Kritiker verlangten eine Revi-
__________ 69 In der deutschen Fusionskontrolle werden auch nur die Entscheidungen der Hauptprüfphase mit Begründung veröffentlicht. Vgl. hierzu oben § 5 VI. g). 70 Auch Dillenz, Das russische Wettbewerbsrecht, S. 128, beklagt den Mangel an Veröffentlichungen der Entscheidungen des Antimonopolministeriums. 71 Vgl. hierzu Kamburoglou, Erste Untersagungsentscheidung im Zusammenschlussvorhaben ATR/de Havilland, S. 305 f. m.w.N. Vgl. auch Schultz/Wagemann, Kartellrechtspraxis und Kartellrechtsprechung 1998/1999, S. 220, Rz. 656, denen zufolge die Entscheidung insbesondere wegen der Schärfe ihrer Kritik Aufsehen erregt habe.
§ 6 Funktionen und Wirkweise der Fusionskontrolle in Russland
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sion der FKVO,72 andere warfen der Kommission vor, ihre Kompetenzen zu überschreiten.73 Solche Äußerungen bezüglich der Rolle der Kommission als Wettbewerbshüterin in der Fusionskontrolle sind inzwischen nicht mehr zu vernehmen. Sie zeigen jedoch, wie massiv die Durchsetzungsfähigkeit einer am Wettbewerbsprinzip orientierten europäischen Fusionskontrolle zu Beginn ihrer Existenz gefährdet war74 Dies gilt umso mehr, als die Entscheidung Aérospatiale-Alenia/de Havilland selber durch die Kommission nur mit der knappest denkbaren Mehrheit von 9:8 getroffen wurde und von den Antragstellern fast überwiegend industriepolitische Argumente vorgetragen wurden.75 Eine konsequente am Wettbewerbsprinzip orientierte Fusionskontrolle muss deshalb auch eine breite Veröffentlichungspolitik verfolgen. Begründet wird die restriktive Informationspolitik des Antimonopolministeriums mit einer angeblichen Furcht vor Übergriffen organisierter krimineller Strukturen, der sog. „Mafia“.76 Genauere Angaben zu Umsatzzahlen oder Bilanzwerten der beteiligten Unternehmen beispielsweise würden diese unter Umständen höheren Erpressungsforderungen aussetzen. Es erscheint fraglich, ob kriminelle Gruppen die von ihnen gewünschten Informationen durch Kontaktaufnahme zu Wirtschaftsprüfern, Unternehmensangehörigen, der Marktgegenseite u.a. nicht ohnehin erhielten. Ganz unabhängig davon könnten aber auch aus Furcht vor Erpressungskriminalität relevante Umsatzzahlen unerwähnt bleiben. Nähere Ausführungen zu der Begründung der Annahme von Marktbeherrschung beispielsweise könnten und sollten dagegen problemlos erfolgen. VI. Ergebnis So wichtig eine Zusammenschlusskontrolle zwecks Verhinderung von Marktmacht durch externes Wachstum ist, so deutlich ist ihre rein präventive Wirkung mit der damit verbundenen Unfähigkeit, auf bereits bestehende Marktmacht Einfluss zu nehmen. In Russland ist dieser Umstand aufgrund der aus sowjetischer Zeit folgenden hohen Marktkonzentration von besonderer Bedeutung, obgleich im Rahmen der Privatisierung – allerdings ohne wesentliches Mitwirken der Wettbewerbsbehörden – massive Entflechtungen und entsprechende Konzentrationsreduzierungen erfolgten. Diese bezogen sich indes nicht auf alle Industriezweige. Gazprom ist ein notorisches, allerdings wohl eher „Einzel“-Beispiel eines
__________ 72
Frankfurter Rundschau vom 8. Oktober 1991, S. 7. FAZ vom 7.10.1991, zitiert nach Kamburoglou, S. 305 f. 74 Schultz/Wagemann, S. 220, Rz. 656. 75 Zur Gefahr industriepolitischer Einflüsse auf die wettbewerbsrechtliche Fusionskontrolle vgl. Berg, EG-Zusammenschlusskontrolle im Spannungsfeld von Wettbewerbs- und Industriepolitik, S. 323 ff. 76 Diese Erklärung erhielt der Autor bei Gesprächen im Antimonopolministerium mehrfach. 73
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4. Teil: Die Funktion der russischen Fusionskontrolle
verbleibenden konglomeralen Industriegiganten, gegen den die Zusammenschlusskontrolle nur wirksam „antreten“ könnte, soweit weitere Akquisitionen geplant sind. Ob sie dazu politisch tatsächlich imstande wäre, bleibt angesichts der genehmigten Übernahme des regierungskritischen Senders NTW durch eine Tochter von Gazprom fraglich. Im Übrigen kann die Wirkungskraft allerdings nicht alleine aufgrund der – zumal überwiegend abnehmenden – Konzentrationsraten der russischen Wirtschaft beurteilt werden. Untersucht werden müssen vielmehr die Vielzahl der von den russischen Wettbewerbsbehörden geprüften Zusammenschlüsse, die Qualität der Begründungen sowie die Anzahl der Untersagungen. Dabei ergibt sich zumindest, dass die Anzahl der geprüften Zusammenschlüsse in Russland erheblich zugenommen hat, dass zahlreiche Zusammenschlüsse untersagt und viele nur unter Auflagen – allerdings verhaltensbezogener Art – genehmigt wurden. Darüber hinaus ist aber auch bereits der Existenz eines Zusammenschlusskontrollsystems und der Durchsetzbarkeit von Untersagungsverfügungen oder Auflösungsanordnungen Abschreckungswirkung auf etwaige Versuche zuzurechnen, Marktmacht durch externes Wachstum aufzubauen. Trotz verbleibender Unsicherheiten darüber, ob manche Freigabeentscheidungen auch aufgrund politischen Drucks zustande kamen, ist in Russland deshalb grundsätzlich von einer hohen Kontrolldichte und aktivem Einfluss der russischen Wettbewerbsbehörden auf externes Unternehmenswachstum auszugehen.
§ 7 Die russische Zusammenschlusskontrolle als eigenes wettbewerbspolitisches Konzept? I.
Von Unternehmenszusammenschlüssen können besondere aus der Marktstruktur folgende Wettbewerbsgefahren ausgehen, die im Rahmen einer Zusammenschlusskontrolle vereitelt werden sollten. Eine Verhaltenskontrolle reicht hierfür nicht aus, da sie einerseits später ansetzt und andererseits rein strukturelle Gefahren nicht wirksam beseitigen kann. Dies gilt insbesondere für die Abschreckungswirkung, die von sehr großen Unternehmen auf kleine oder potenzielle Wettbewerber ausgehen kann. Eine Strukturkontrolle muss sich allerdings darauf beschränken, externes Unternehmenswachstum zu kontrollieren. Internes Wachstum ist einerseits nicht kontrollierbar und andererseits – im Gegensatz zu externem Wachstum – auf dem in Frage stehenden jeweiligen Gütermarkt erlangt worden, d.h. das Ergeb-
§ 7 Russische Zusammenschlusskontrolle als eigenes Konzept?
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nis von Wettbewerb selbst. Dadurch ist es wesentlich leichter angreifbar als eine Marktstellung, die durch externes Wachstum erlangt wurde. Auch eine solche Marktstellung darf durch eine Fusionskontrolle jedoch nur dann untersagt werden, wenn sie nicht Ausdruck überragender Effizienz im Sinne der Chicago-Schule ist. Einem hohen Marktanteil darf daher nur Indizwirkung für die Annahme von Marktbeherrschung und damit eine Untersagung zukommen. Andere wettbewerbsbehindernde Umstände, insbesondere hohe Marktzutrittsschranken, sind zusätzliche notwendige Voraussetzungen. Bestehende Unternehmenskonzentrationen, die ein junges Zusammenschlusskontrollsystem bereits vorfindet, bedürfen dagegen eigener staatlicher Entflechtungsmaßnahmen, zu denen eine Zusammenschlusskontrolle naturgemäß nicht in der Lage ist. Wettbewerbsgefährdende Zusammenschlüsse werden bisweilen mit verschiedenen Aspekten zu rechtfertigen versucht. Hierbei handelt es sich insbesondere um Betriebsgrößenvorteile, technischen Fortschritt infolge größerer Forschungsressourcen und eine angeblich höhere internationale Wettbewerbsfähigkeit national marktbeherrschender Unternehmen. Solche Rechtfertigungsversuche überzeugen in aller Regel nicht. Vielmehr erscheinen technischer Fortschritt und internationale Wettbewerbsfähigkeit üblicherweise gerade durch freien Wettbewerb am ungehindertsten erreichbar zu sein. Es ist deshalb sachgerecht, dass sich in Russland ein System der Zusammenschlusskontrolle entwickelt hat. Im Hinblick auf Elaboriertheit der in ihm getroffenen Entscheidungen kann es noch nicht mit der europäischen oder deutschen Fusionskontrolle verglichen werden. Derartige Anforderungen zu stellen, wäre jedoch auch nicht hilfreich. Dem jungen Alter der russischen Marktwirtschaft im Allgemeinen und der Zusammenschlusskontrolle im besonderen würden solche Anforderungen nicht gerecht. Ähnlich wie einst die deutsche und die europäische Zusammenschlusskontrolle hat aber auch die russische Zusammenschlusskontrolle seit ihrem Bestehen kontinuierlich an wettbewerbstheoretischer Schärfe gewonnen. Zu beklagen sind allerdings immer noch eine zu große Bedeutung industriepolitischer Freigabegründe, die Existenz wenig hilfreicher Aufgreif- und Eingreifkriterien und die unzureichenden Veröffentlichungen und Begründungen der Entscheidungen. II.
Konzeptionell ist die russische Zusammenschlusskontrolle eng an das europäische oder deutsche System angelehnt, hat allerdings auch einige eigene Aspekte entwickelt. Gemein sind den drei Systemen insbesondere das Marktmachtkonzept statt eines „SLC“-Tests als wettbewerbliches Beurteilungsprinzip. Der zentrale Begriff der „marktbeherrschenden Stellung“ ist in Russland zwar konzeptionell etwas starrer, da Marktbeherrschung bei Marktanteilen unter 35% nicht vorliegen kann und bei Marktanteilen über 65% vermutet wird.
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Im Übrigen stützt sich die Annahme von Marktbeherrschung jedoch auf Marktbeherrschungsmerkmale, die im Wesentlichen denen der europäischen und deutschen Zusammenschlusskontrolle entsprechen. Inwieweit sie erfüllt sind, wird – ähnlich der europäischen Fusionskontrollpraxis – durch Untersuchung tatsächlichen und potenziellen Marktverhaltens und somit weniger normativ als in deutschen Fusionskontrolle festgestellt. Eine noch stärkere Berücksichtigung der sonstigen Marktbeherrschungsmerkmale und eine Abkehr von der starren Marktanteilsabgrenzung (auch de lege ferenda) wäre jedoch sinnvoll. III.
Wichtigster Unterschied des russischen gegenüber den westlichen Systemen ist die nur sehr vage verlaufende bzw. kaum existierende Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle. Sie wird im Konzept des Fusionskontrollsystems bereits daraus ersichtlich, dass ihm auch die Gründung von Unternehmensverbänden und die Bestellung von Organen unterliegen. Dieser Umstand ist allerdings auch vor dem Hintergrund der im Übrigen fehlenden präventiven Verhaltenskontrolle im russischen Kartellrecht zu sehen. Noch deutlicher wird die mehr oder weniger fehlende Trennung zwischen Struktur- und Verhaltenskontrolle in der Entscheidungspraxis des Antimonopolministeriums. Dessen Auffassung zufolge sind auch Unternehmensgründungen nachträglich anzeigepflichtig. Als Zweck der Fusionskontrolle werden kaum rein marktstrukturelle Gesichtspunkte, sondern regelmäßig die Verhinderung von Missbrauchsgefahren genannt. Auflagen, die insgesamt sehr oft erlassen werden, haben – soweit ersichtlich – kaum strukturellen, sondern bislang ganz überwiegend verhaltensbezogenen Inhalt. Diese fehlende Trennung erlaubt einerseits eine höhere Flexibilität. Soweit marktstrukturelle Wettbewerbsgefahren insbesondere abstrakte Verhaltensgefahren bilden, kann diesen durch entsprechende Auflagen unter Umständen sinnvoll und in Form eines für den Adressaten mildesten Eingriffs begegnet werden. So besteht ein Vorteil der russischen „Vermischung“ von Struktur- und Verhaltenskontrolle darin, zu berücksichtigen, dass die wettbewerblichen Gefahren einer Marktkonzentration auch in der Zunahme der Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung liegen. Informationsauflagen bezüglich Preis-, Absatzpolitik u.ä. können beispielsweise durchaus geeignet sein, einem Marktmachtmissbrauch vorzubeugen. Vorausgesetzt, es herrscht Transparenz im Hinblick auf die Durchführung dieser Informationsauflagen und ggf. ihrer Antworten, kann die Abschreckungswirkung einer marktbeherrschenden Stellung auf tatsächliche, insbesondere aber potenzielle Wettbewerber signifikant abnehmen. Weiß ein potenzieller Wettbewerber, dass der derzeitige Marktführer Kunden nicht in wettbewerbswidriger Weise an sich binden wird, den Zugang zu dem Ressourcenmarkt für Wettbewerber verengen
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oder andere wettbewerbsbehindernde Maßnahmen vornehmen wird, kann sich ein Einstieg in den Markt für ihn lohnen. Die Position des Marktführers wäre unter solchen Voraussetzungen nicht mehr marktbeherrschend. Kann marktstrukturellen Gefahren durch solche verhaltensbezogene Auflagen tatsächlich wirksam begegnet werden, müssen solche Auflagen gegenüber dem milderen Mittel der strukturbezogenen Auflagen oder Untersagungsverfügungen auch tatsächlich vorgezogen werden. Nicht immer werden allerdings Informationsauflagen geeignet sein, marktstrukturelle Gefahren, d.h. auch die nicht quantifizier- und schwer qualifizierbare Abschreckungswirkung von Marktkonzentration an sich, zu beheben. In solchen Fällen muss die russische Fusionskontrolle stärker konzentrativ ausgerichtet werden und auch marktstrukturelle Auflagen erlassen. Aufgreifkriterien, die keinerlei konzentrative Bedeutung haben können (wie die Gründung von Unternehmensverbänden, die Bestellung von Organen oder in der Anwendungspraxis des Antimonopolministeriums die Gründung eines Unternehmens durch ein einziges Mutterunternehmen), sollten de lege ferenda gestrichen bzw. einschränkend klargestellt werden. Derartige Aufgreifkriterien binden unnötig Ressourcen der russischen Wettbewerbsbehörden, die sinnvoller in anderer Weise – insbesondere der Tatsachenermittlung in wirklich erheblichen Zusammenschlussvorhaben – eingesetzt werden könnten. Aus demselben Grund sollten auch die finanziellen Schwellenwerte der Aufgreifkriterien signifikant erhöht werden. IV.
Von großer Bedeutung sind in der Entscheidungspraxis des russischen Antimonopolministeriums sog. Investitionsauflagen, die insbesondere ausländischen Erwerbern regelmäßig auferlegt werden, ohne dass das Bestehen einer Gefahr der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung erläutert würde. Da sich Investitionsauflagen jedoch nur auf sozioökonomische Freigabegründe stützen können, muss zunächst das Vorliegen wettbewerblicher Gefahren dargestellt werden. Deren ausführliche Begründung ist insbesondere erforderlich, wenn Unternehmenserwerber auf dem betroffenen Markt noch gar nicht tätig sind. Als Begründungsmerkmal für die Verstärkung von Marktbeherrschung kommt in solchen Fällen insbesondere wirtschaftliche Macht bzw. Finanzkraft in Betracht. Deren Vorliegen müsste durch die Wettbewerbsbehörden jedoch – insbesondere unter Vergleich mit den anderen Anbietern des betroffenen Marktes – detailliert geprüft und dargestellt werden. Als Grund für Investitionsauflagen nennt das Antimonopolministerium oft den Aspekt der Sanierung von Unternehmen und der Rettung von Arbeitsplätzen. Die Sanierung andernfalls nicht überlebensfähiger Unternehmen kann wettbewerblich relevant sein, wenn ein Unternehmen auf einem Markt tätig ist,
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der von Unterkapazitäten und Nachfrageüberschuss bei hohen Marktzutrittsschranken gekennzeichnet ist, da diese Marktungleichgewichte sich im Falle des Untergangs eines Anbieters weiter zugunsten der Anbieterseite verschieben würden. In der europäischen Fusionskontrolle wurde dieser Umstand in der Entscheidung BASF/Pantochim/Eurodiol bei der Frage der Ursächlichkeit eines Zusammenschlusses für die Verstärkung von Marktbeherrschung geprüft. In Russland erfolgt dies im Rahmen sozioökonomischer Freigabegründe. Eine Unterversorgungssituation dürfte hier eher anzutreffen sein als in entwickelteren Marktwirtschaften. Soweit eine solche Situation jedoch nicht existiert, können Investitionsauflagen alleine der – vermeintlichen – Rettung von Arbeitsplätzen dienen. Hierbei handelt es sich dann um einen wettbewerbsfremden, d.h. industriepolitischen Freigabegrund. Um Freigabevoraussetzungen aus sozioökonomischen, insbesondere industriepolitischen, Gründen zu ermöglichen, können Auflagen erlassen werden. Dies birgt jedoch die Gefahr in sich, dass das Ziel der Fusionskontrolle, die Wahrung von Wettbewerb, aus dem Blickfeld gerät. Das Ziel der Zusammenschlusskontrolle besteht eben nicht in der unmittelbaren Wahrung von Arbeitsplätzen, sondern in der Wahrung von Wettbewerb. Dem liegt die Überzeugung zugrunde, dass Wettbewerb die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes fördert und mittelbar Arbeitsplätze schafft. V.
Die schwer mit Wortlaut und Sinn des WG vereinbare Praxis, einigermaßen gewichtige ausländische Investition mit Investitionsauflagen zu belegen, kann auch als Zeichen einer verbreiteten Skepsis gegenüber der Zuverlässigkeit ausländischer Investoren gedeutet werden. Damit einher gehen Veröffentlichungen, in denen es das Antimonopolministerium als seine Aufgabe betrachtet, russische Unternehmen vor der Übernahme durch ausländische Investoren zu bewahren und/oder die „nationale ökonomische Sicherheit“ des Landes zu schützen. Diese Praxis ist aber nicht nur rechtswidrig und wettbewerbspolitisch falsch, sie setzt potenziellen Investoren auch falsche Signale. Gerade von ihnen können Kapital und technologisches Know-how erwartet werden, die die russische Volkswirtschaft dringend benötigt und die sich insgesamt auch wettbewerbsfördernd auswirken sollten. Ebenfalls vor dem Hintergrund eines ausgeprägt nationalstaatlichen Denkes ist die Bedeutung der vermeintlichen internationalen Wettbewerbsfähigkeit als Freigabegrund wettbewerblich fragwürdiger Zusammenschlüsse zu bewerten. Umgekehrt sollten russische Wettbewerbsbehörden bei der Betrachtung der Wettbewerbsverhältnisse auf einem Markt stärker berücksichtigen, dass ausländische Produkte aufgrund ihres hohen Preises aus Nachfragesicht mit güns-
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tigeren inländischen Produkten oft nicht austauschbar sind und deshalb in vielen Fällen einen eigenen Markt bilden. VI.
Die genannten Beispiele zeigen, dass russische Wettbewerbsbehörden sich nicht immer nur von wettbewerblichen Gesichtspunkten leiten lassen. Systemfremd sind auch Erwähnungen – nicht näher ausgeführter – „krimineller Strukturen“, die ein Unternehmen erworben hätten oder erworben wollten; erschütternd sind Hinweise, dass während eines „Übernahmekampfes“ Gesellschafter oder Geschäftsführer eines Unternehmens ihr Leben verloren hätten. Dennoch scheinen in der überwiegenden Mehrheit der Fälle tatsächlich wettbewerbliche Gesichtspunkt für die wettbewerbsbehördlichen Entscheidungen maßgeblich zu sein. Die Abgrenzung des Marktes, die Betrachtung der absoluten und relativen Marktanteile ist Anfang jedes Entscheidungsfindungsprozesses. Erstaunlich hoch ist auch die Anzahl der tatsächlich erlassenen Untersagungen, die die entsprechende Zahl in der europäischen und deutschen Fusionskontrolle übersteigt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass es dem russischen Antimonopolministerium zumindest in einigen Fällen gelingt, wettbewerblich begründete Untersagungsverfügungen oder Wiederherstellungsanordnungen gegen den Widerstand anderer Ministerien oder wichtiger russischer Konzerne durchzusetzen. In einigen – politisch besonders brisanten – Fällen gelingt dies jedoch offensichtlich nicht. Eine besondere Rolle spielt dabei der Bereich der Rohstoffe. Aussagekräftig ist dabei die nur unzureichende Ausübung der Befugnis zum Erlass von Entflechtungsanordnungen im Fall von Marktmachtmissbrauch. Allerdings ist in diesem Zusammenhang einzugestehen, dass ein gewisser informeller politischer Einfluss auch in westlichen Fusionskontrollen angenommen werden muss. VII.
Eine Hauptschwäche der russischen Zusammenschlusskontrolle liegt in ihrer Kontrolldichte. Der Umstand, dass sie von einigen regionalen Behörden nur unzureichend angewendet wird, ist dabei noch von geringerer Bedeutung, da die Zuständigkeit für wesentliche Zusammenschlüsse ohnehin beim Ministerium liegt. Unbekannt ist allerdings die Dunkelziffer der nicht oder nur unter unzutreffender Sachverhaltsangabe angemeldeten Zusammenschlüsse. Insbesondere Beteiligungsverhältnisse werden oft verschleiert. Teilweise geschieht dies mittels ausländischer „Briefkastenunternehmen“. Dies begründet zumindest teilweise die strengere Entscheidungspraxis gegenüber Zusammenschlussvorhaben unter ausländischer Beteiligung; legitimiert wird diese dadurch allerdings nicht. Positiv zu werten ist demgegenüber die steigende Zahl der Aufde-
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4. Teil: Die Funktion der russischen Fusionskontrolle
ckung verschleierter Beteiligungsverhältnisse oder sonstiger unzutreffender Zusammenschlussanmeldungen und ihrer konsequenten Verfolgung. Eine weitere Schwäche der russischen Zusammenschlusskontrolle bildet ihre Informationspolitik, die kaum konkrete Angaben über Entscheidungen in Zusammenschlusskontrollverfahren an die Öffentlichkeit gelangen lässt. Dadurch wird es unterlassen, die Bekanntheit der wettbewerbsschützenden Tätigkeit des Antimonopolministeriums zu fördern. Des Weiteren wird dadurch versäumt, die Bedeutung wettbewerblicher, insbesondere marktstruktureller Gefahren einer Öffentlichkeit zu vermitteln. Solche Kenntnisse könnten jedoch helfen, dem Antimonopolministerium politisch weitere Einflussmöglichkeiten auf Marktstrukturen zu verschaffen. Solche Einflussmöglichkeiten sind insbesondere für die nicht-wettbewerblich strukturierten Rohstoffmärkte dringend vonnöten. Das Ausmaß der politisch motivierten Entscheidungen wäre ebenfalls leichter abzuschätzen. VIII. De lege ferenda sind neben der genannten stärkeren Betonung der strukturellen Aspekte der Zusammenschlusskontrolle, d.h. insbesondere des ersatzlosen Streichens der nicht strukturbezogenen Aufgreifkriterien (bzw. die Klarstellung ihrer Unanwendbarkeit auf Unternehmensgründungen durch lediglich einen Gründer), und der Anhebung der finanziellen Schwellenwerte eine sachliche Änderung der finanziellen Aufgreifkriterien vorzuschlagen. Diese sollten sich im Regelfall nach dem Umsatz eines Unternehmens, nicht dagegen seinen bilanzierten Vermögenswerte richten. Sachgerecht wäre des Weiteren eine einheitliche – höhere – Anteilsschwelle für den Erwerb von Anteilen (derzeit 20%) und Vermögenswerten (derzeit 10%). In der Anwendungspraxis des WG durch das Antimonopolministerium und seine territorialen Untergliederungen wären eine noch stärkere wettbewerbliche Orientierung, bessere Entscheidungsbegründungen und eine wesentlich höhere Transparenz durch die Veröffentlichung von Entscheidungen und ihrer Begründungen zu wünschen. Trotz dieser Veränderungsvorschläge bleibt zusammenfassend festzuhalten, dass sich in Russland eine bereits überwiegend an wettbewerblichen Gesichtspunkten orientierte Zusammenschlusskontrolle mit nicht zu unterschätzender und kontinuierlich wachsender Durchsetzungskraft gebildet hat. Teilweise eng an die europäische und deutsche Fusionskontrolle angelehnt, folgt sie im Hinblick auf die nur sehr vage verlaufende Trennung zwischen Verhaltens- und Strukturkontrolle auch einem eigenen Konzept, das – bei aller Verbesserungsfähigkeit – einen bedeutenden Beitrag zur Wettbewerbsentwicklung in Russland leistet.
Das Gesetz der Russischen Föderation ,,Über den Wettbewerb und die Verhinderung monopolistischer Tätigkeit auf den Gütermärkten“ (Auszüge)
in der Fassung vom 9. Oktober 2002
Teil I Allgemeine Bestimmungen
Art. 1 Ziele des Gesetzes 1.
Dieses Gesetz bestimmt die organisatorischen und rechtlichen Grundlagen der Verhinderung und Unterbindung von: monopolistischer Tätigkeit und unlauterem Wettbewerb auf den Gütermärkten der Russischen Föderation; Wettbewerbsbehinderungen durch Bundesexekutivorgane, staatliche Organe der Föderationssubjekte, Organe der örtlichen Selbstverwaltung sowie andere mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betraute Organe und Organisationen.
2.
Dieses Gesetz soll die Einheit des ökonomischen Raumes, freien Warenverkehr, Unterstützung von Wettbewerb, Freiheit wirtschaftlicher Tätigkeit auf dem Gebiet der Russischen Föderation und Bedingungen für ein effektives Funktionieren von Warenmärkten gewährleisten.
Art. 1a Die Antimonopolgesetzgebung und andere normative Rechtsakte über den Wettbewerb und über die Begrenzung monopolistischer Tätigkeit auf den Warenmärkten 1.
Die Antimonopolgesetzgebung stützt sich auf die Verfassung der Russischen Föderation und besteht aus diesem Gesetz sowie anderen Bundesgesetzen, die die durch Art. 2 dieses Gesetzes bestimmten Gegenstände regeln.
2.
Die von Art. 2 dieses Gesetzes bestimmten Gegenstände können auch durch Verfügungen (Ukazy) des Präsidenten der Russischen Föderation geregelt werden, die nicht im Widerspruch zu diesem Gesetz und anderen Bundesgesetzen stehen dürfen.
272
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
3.
Auf der Grundlage und in Ausführung dieses Gesetzes, von Bundesgesetzen und Verordnungen des Präsidenten der Russischen Föderation ist die Regierung der Russischen Föderation berechtigt, Verordnungen (postanovlenija) zu erlassen, die die in Art. 2 dieses Gesetzes genannten Gegenstände regeln.
4.
Stehen eine Verfügung des Präsidenten der Russischen Föderation oder eine Verordnung der Regierung der Russischen Föderation im Widerspruch zu diesem Gesetz oder zu einem Bundesgesetz, hat dieses Gesetz oder das jeweilige Bundesgesetz Vorrang.
Art. 2 Anwendungsbereich des Gesetzes 1.
Dieses Gesetz ist auf dem gesamten Territorium der Russischen Föderation anwendbar. Es erstreckt sich auch auf Beziehungen, die den Wettbewerb auf den Warenmärkten der Russischen Föderation beeinflussen und an denen russische und ausländische juristische Personen, Bundesexekutivorgane, staatliche Organe der Föderationssubjekte, Organe der örtlichen Selbstverwaltung sowie andere mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betraute Organe und Organisationen und natürliche Personen – darunter auch einzelne Unternehmer – teilnehmen. Dieses Gesetz findet auch Anwendung, wenn Handlungen und Vereinbarungen durch die genannten Personen außerhalb des Territoriums der Russischen Föderation vorgenommen oder geschlossen wurden und zu einer Behinderung des Wettbewerbs führen oder führen können bzw. andere negative Folgen für die russischen Märkte zur Folge haben oder haben können.
2.
Dieses Gesetz findet keine Anwendung auf Beziehungen, die mit Gegenständen ausschließlicher Rechte verbunden sind, es sei denn, die Vereinbarungen, die mit ihrer Nutzung verbunden sind, sind auf die Behinderung von Wettbewerb gerichtet oder der Erwerb, die Nutzung oder die Verletzung ausschließlicher Rechte an Gegenständen geistigen Eigentums können zu unlauterem Wettbewerb führen.
3.
Andere Bundesgesetze regeln die Beziehungen, die mit monopolistischer Tätigkeit oder unlauterem Wettbewerb auf Finanzmärkten verbunden sind, es sei denn, die auf diesen Märkten entstandenen Verhältnisse haben Einfluss auf den Wettbewerb auf Gütermärkten.
4.
außer Kraft (Bundesgesetz vom 9. 10. 2002).
Art. 3 Anwendungsbereich des Gesetzes 1.
außer Kraft (Bundesgesetz vom 9. 10. 2002).
Art. 4 Begriffsbestimmungen In diesem Gesetz werden die folgenden Begriffe verwendet:
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
273
Gut – Produkt einer Tätigkeit (einschließlich Arbeiten und Dienstleistungen), das für den Verkauf, den Tausch oder eine anderweitige Einführung in den Warenverkehr bestimmt ist; substituierbare Güter – Gruppe von Gütern, die aufgrund ihrer funktionellen Bestimmung, ihrer Anwendung, ihrer qualitativen und technischen Charakteristika, ihres Preises und anderer Parametern so miteinander verglichen werden können, dass der Käufer sie tatsächlich ersetzt oder im Nachfrageprozess (oder Produktionsprozess) zu ersetzen bereit ist; Gütermarkt – Gebiet des Absatzes von Gütern ohne Ersatz oder substituierbare Güter auf dem Gebiet der Russischen Föderation oder eines Teils von ihr, der auf der Grundlage der wirtschaftlichen Möglichkeit des Käufers, die Güter innerhalb eines bestimmten Territoriums zu erwerben, und dem Nichtvorhandensein einer solchen Möglichkeit außerhalb seiner Grenzen bestimmt wird, Wirtschaftssubjekte – russische und ausländische wirtschaftliche Organisationen, nichtwirtschaftliche Organisationen mit Ausnahme derer, die keinerlei unternehmerische Tätigkeit entfalten (darunter auch landwirtschaftliche Abnehmerkooperativen) sowie einzelne Unternehmer; Wettbewerb – ein Wettstreit zwischen Wirtschaftssubjekten, bei dem ihre selbstständigen Handlungen wirksam die Möglichkeit einer jeden von ihnen begrenzen, einseitig auf die allgemeinen Warenabsatzbedingungen auf dem jeweiligen Warenmarkt Einfluss zu nehmen; unlauterer Wettbewerb – ... marktbeherrschende Stellung – die ausschließliche Position eines Wirtschaftssubjekts oder mehrerer Wirtschaftssubjekte auf dem Markt eines Gutes, das keinen Ersatz oder ersetzbares Gut hat (im Weiteren: eines bestimmten Guts), die ihm die Möglichkeit gibt, entscheidenden Einfluss auf die allgemeinen Warenabsatzbedingungen auf dem jeweiligen Gütermarkt zu nehmen, und anderen Wirtschaftssubjekten den Zugang zu diesem Markt zu erschweren. Als marktbeherrschend wird die Stellung eines Wirtschaftssubjektes betrachtet, dessen Anteil auf einem bestimmten Markt 65% oder mehr beträgt, es sei denn, das Wirtschaftssubjekt beweist, dass seine Position unabhängig vom Überschreiten der genannten Marktanteilsschwelle auf dem Markt nicht marktbeherrschend ist. Als marktbeherrschend wird auch die Stellung eines Wirtschaftssubjektes betrachtet, dessen Marktanteil weniger als 65% beträgt, wenn das Antimonopolorgan dies - ausgehend von der Stabilität des Marktanteils des Wirtschaftssubjektes auf dem Markt, seinem relativen Marktanteil im Vergleich zu den Marktanteilen der Konkurrenten, den Marktzutrittsmöglichkeiten für neue Wettbewerber und anderen Kriterien, die einen Gütermarkt bestimmen, feststellt. Die Stellung eines Wirtschaftssubjektes, dessen Anteil auf einem bestimmten Markt 35% nicht überschreitet, kann nicht als marktbeherrschend betrachtet werden;
274
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
monopolistische Tätigkeit – der Antimonopolgesetzgebung entgegenstehende Handlungen (Unterlassungen) von Wirtschaftssubjekten, die auf die Unterbindung, die Behinderung oder die Beseitigung von Wettbewerb gerichtet sind; monopolistisch hoher Preis – der Preis einer Ware, der durch ein eine marktbeherrschende Stellung auf einem bestimmten Gütermarkt innehabendes Wirtschaftssubjekt festgelegt wird und bei dem dieses Wirtschaftssubjekt unbegründete Ausgaben kompensiert oder kompensieren kann und (oder) Gewinne erzielt oder erzielen kann, die bedeutsam höher sind als dies bei Wettbewerbsbedingungen der Fall wäre; monopolistisch niedriger Preis – der Preis einer zu erwerbenden Ware, der durch ein Wirtschaftssubjekt, das eine marktbeherrschende Nachfrageposition auf einem Gütermarkt innehat, mit dem Ziel festgesetzt wird, zusätzliche Einnahmen und (oder) eine Kompensation unbegründeter Ausgaben auf Kosten des Verkäufers zu erlangen, oder der Preis einer Ware, der von einem Wirtschaftssubjekt, das eine marktbeherrschende Anbieterposition auf einem Gütermarkt als Verkäufer innehat, bewusst auf einem solchen Niveau festgesetzt wird, dass der Verkauf der genannten Ware einen Verlust zur Folge hat und die Preisfestsetzung eine Unterbindung des Wettbewerbs durch das Verdrängen von Wettbewerbern vom Markt zur Folge hat oder zur Folge haben kann; Antimonopolorgan – das Bundesantimonopolorgan oder seine regionalen Organe; der Erwerb von Aktien (Anteilen) am Grundkapital einer Gesellschaft – der Kauf, aber ebenso der Erwerb einer anderen Möglichkeit, auf der Grundlage von Verwaltungsvollmachten, Kooperations- oder Treuhandvereinbarungen, anderer Verträge oder auf anderen Grundlagen selbst oder durch Vertreter die in den Aktien (Anteilen) verkörperten Stimmrechte auszuüben; eine Personengruppe – eine Gruppe juristischer und (oder) natürlicher Personen, bezüglich derer eine oder mehrere der folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: x
eine Person oder mehrere Personen haben gemeinsam als Ergebnis einer Vereinbarung (abgestimmter Verhaltensweisen) (auch auf der Grundlage von Kaufverträgen, Verwaltungsvollmachten, Kooperations- oder Treuhandvereinbarungen, anderer Verträge oder auf anderen Grundlagen) das Recht, direkt oder mittelbar über mehr als 50% der gesamten Stimmanzahl, die auf die stimmberechtigten Aktien, das entsprechende Grundkapital oder die Kapitalrücklage entfallen, oder der Anteile einer juristischen Person zu verfügen. Hierbei wird unter mittelbarer Verfügung über das Stimmrecht einer juristischen Person die Möglichkeit der tatsächlichen Ausübung durch dritte Personen verstanden, in Bezug auf die die erste Person das genannte Recht oder eine Vertretungsbefugnis besitzt;
x
eine Person oder mehrere Personen haben die Möglichkeit erhalten, auf Grundlage eines Vertrages oder auf andere Weise, die Entscheidungen zu bestimmen, die eine andere Person oder Personen zu treffen haben, - einschließlich der Regeln der Geschäftspolitik einer anderen Person oder anderer Personen-, oder die Vertretungsbefugnis einer anderen Person oder anderer Personen auf der Grundlage eines Vertrages auszuüben;
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
275
x
eine Person hat das Recht, ein aus einer Person bestehendes Ausführungsorgan und (oder) zu mehr als 50% über die Zusammensetzung eines aus mehreren Personen bestehenden Ausführungsorgans einer juristischen Person zu entscheiden und (oder) auf Vorschlag der Person werden mehr als 50% der Mitglieder eines Direktorenrats (Aufsichtsrats) oder eines anderen kollegialen Verwaltungsorgans der juristischen Person bestimmt;
x
eine natürliche Person hat die umfassende Vertretungsbefugnis eines aus einer Person bestehenden Ausführungsorgans einer juristischen Person;
x
eine natürliche Person, die in einem Arbeitsverhältnis zu einer juristischen Person oder zu mehreren zu einer Personengruppe gehörenden juristischen Personen steht, ist gleichzeitig einziges Ausführungsorgan einer anderen juristischen Person, oder natürliche Personen, die in Arbeitsverhältnissen zu einer juristischen Person oder mehreren zu einer Personengruppe gehörenden juristischen Personen stehen, bilden mehr als 50% der Mitglieder des kollegialen Exekutivorgans und (oder) des Aufsichtsrats oder eines anderen kollegialen Verwaltungsorgans einer anderen juristischen Person;
x
ein und dieselben natürlichen Personen, ihre Ehepartner, Eltern, Kinder, Geschwister und (oder) Personen, die durch ein und dieselbe juristische Person vorgeschlagen wurden, bilden mehr als 50% der Mitglieder des kollegialen Exekutivorgans und (oder) des Direktorenrats (Aufsichtsrats) oder eines anderen kollegialen Verwaltungsorgans zweier oder mehrerer juristischer Personen oder auf Vorschlag ein und derselben juristischen Personen werden mehr als 50% der Mitglieder des Direktorenrats (Aufsichtsrats) oder eines anderen kollegialen Verwaltungsorgans zweier oder mehrerer juristischer Personen bestellt;
x
ein und dieselben natürlichen Personen, ihre Eheleute, Eltern, Kinder, Geschwister und (oder) juristische Personen haben das Recht, selbst oder durch Vertreter (Bevollmächtigte) über mehr als 50% der Stimmen, die auf die stimmberechtigten Aktien, das Grundkapital oder die Kapitalrücklagen entfallen, oder der Anteile von jeweils zwei oder mehr juristischen Personen zu verfügen;
x
natürliche Personen und (oder) juristische Personen haben das Recht, selbst oder durch Vertreter (Bevollmächtigte) insgesamt über mehr als 50% der Stimmen, die auf die stimmberechtigten Aktien, das Grundkapital oder die Kapitalrücklagen einer juristischen Person entfallen, oder der Anteile einer juristischen Person zu verfügen, und gleichzeitig stellen die genannten natürlichen Personen, ihre Ehepartner, Eltern, Kinder, Geschwister und (oder) Personen, die durch eine identische juristische Person vorgeschlagen wurden, mehr als 50% der Mitglieder eines kollegialen Ausführungsorgans und (oder) des Direktorenrats (Aufsichtsrats) oder eines anderen kollegialen Verwaltungsorgans einer anderen juristischen Person;
x
juristische Personen sind Beteiligte einer finanzindustriellen Gruppe;
x
natürliche Personen sind Ehepartner, Eltern, Kinder und Geschwister
276
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
Die Situation bezüglich einer Personengruppe gilt für jedes seiner Mitglieder; nahestehende Personen – natürliche und juristische Personen, die in der Lage sind, Einfluss auf die Tätigkeit natürlicher oder juristischer Personen auszuüben, die eine unternehmerische Tätigkeit entfalten; nahestehende Personen juristischer Personen sind: x
das Mitglied seines Direktorenrats (Aufsichtsrats) oder eines anderen kollegialen Verwaltungsorgans, das Mitglied seines kollegialen Exekutivorgans sowie eine Person, die die Vertretungsbefugnis eines aus einer Person bestehenden Exekutivorgans hat;
x
Personen, die zu der Personengruppe gehören, zu der die genannte juristische Person gehört;
x
Personen, die das Recht haben, über mehr als 20% der Gesamtanzahl der Stimmen, die auf die stimmberechtigten Aktien, das Grundkapital oder die Kapitalrücklage entfallen, oder des Anteils an der genannten juristischen Personen zu verfügen;
x
eine juristische Person, in der eine genannte juristische Person das Recht hat, über mehr als 20% der Gesamtanzahl der Stimmen, die auf die stimmberechtigten Aktien, das Grundkapital oder die Kapitalrücklage entfallen, oder des Anteils an der genannten juristischen Personen zu verfügen;
x
wenn eine juristische Person Beteiligte einer finanzindustriellen Gruppe ist, zu deren nahestehenden Mitgliedern auch die Mitglieder des Direktorenrates (Aufsichtsrat) oder anderer kollegialer Verwaltungsorgane, kollegialer Exekutivorgane der Beteiligten der finanzindustriellen Gruppe sowie Personen, die die Vertretungsbefugnis des aus einer Person bestehenden Exekutivorgans von Beteiligten der finanzindustriellen Gruppe haben, gehören;
x
nahestehende Personen einer natürlichen Person, die eine unternehmerische Tätigkeit ausübt, sind Personen, die zur selben Personengruppe gehören, zu der auch die genannte natürliche Person gehört;
x
eine juristische Person, in der eine genannte natürliche Person das Recht hat, über mehr als 20% der gesamten Stimmen, die auf die stimmberechtigten Aktien, das Grundkapital oder die Kapitalrücklage entfallen, oder des Anteils an der genannten juristischen Personen zu verfügen.
Die Bestimmungen dieses Gesetztes, die sich auf Wirtschaftssubjekte beziehen, werden auch auf eine Personengruppe angewendet.
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
277
Teil II Monopolistische Tätigkeit
Art. 5 Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
--Art. 6 Vereinbarung (abgestimmte Verhaltensweisen) von Wirtschaftssubjekten, die den Wettbewerb behindern
---
Teil IIa Akte, Handlungen, Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen von Bundesexekutivorganen, staatlichen Organen der Föderationssubjekte, Organen der örtlichen Selbstverwaltung sowie anderen mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betrauten Organe und Organisationen, die den Wettbewerb behindern
Art. 7 Akte und Handlungen von Bundesexekutivorganen, staatlichen Organen der Föderationssubjekte, Organen der örtlichen Selbstverwaltung, anderen mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betrauten Organe und Organisationen
--Art. 8 Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen der Bundesexekutivorgane, staatlichen Organe der Föderationssubjekte, Organe der örtlichen Selbstverwaltung und anderer mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betrauter Organe und Organisationen
--Art. 9 Wettbewerbserfordernisse zur Durchführung von Wettbewerb bei der Vergabe von Aufträgen für die Lieferung von Gütern, die Ausführung von Arbeiten, das Erbringen von Dienstleistungen für staatliche Bedürfnisse und Bedürfnisse der örtlichen Selbstverwaltung
278
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation ---
Teil III Unlauterer Wettbewerb Art. 10 Formen unlauteren Wettbewerbs ---
Teil IV Das Antimonopolorgan
Art. 11 Antimonopolorgan
--Art. 12 Befugnisse des Antimonopolorgans
--Art. 13 Recht auf Informationszugang
--Art. 14 Verpflichtung der Informationsunterbreitung gegenüber dem Antimonopolorgan
--Art. 15 Verpflichtungen des Antimonopolorgans zur Beachtung von Geschäfts- und Dienstgeheimnissen sowie gesetzlich geschützter Geheimnisse --Art. 16 außer Kraft (Bundesgesetz vom 9. 10. 2002)
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
279
---
Teil V Einzelne Arten der staatlichen Antimonopolkontrolle Art. 17 Staatliche Kontrolle über die Gründung, Reorganisation und Liquidation wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Organisationen 1.
Die Verschmelzung und Aufnahme wirtschaftlicher Organisationen, deren addierten Bilanzsummen gemäß ihrer letzten Bilanz 200.000 durch das entsprechende Bundesgesetz festgelegte Mindesteinkommen übersteigen, erfolgt mit vorheriger Genehmigung durch das Antimonopolorgan.
2.
Die Personen oder Organe, die die Entscheidung über die Verschmelzung oder Aufnahme wirtschaftlicher Organisationen treffen, legen dem Antimonopolorgan neben den Dokumenten, die dem Registrierungsorgan in Übereinstimmung mit der Gesetzgebung der Russischen Föderation einzureichen sind, einen Antrag auf Erteilung der Zustimmung zu der Verschmelzung oder Aufnahme der wirtschaftlichen Organisationen, Nachweise über die Haupttätigkeitsfelder und den Umfang der auf den entsprechenden Gütermärkten produzierten und verkauften Produktionen (Arbeiten, Dienstleistungen) und andere Informationen, auch auf Diskette, die in einem vom Bundesantimonopolorgan bestätigten Verzeichnis aufgeführt werden, vor. Das Antimonopolorgan teilt den Antragstellern nicht später als 30 Tage nach Einreichen der erforderlichen Dokumente in schriftlicher Form die getroffene Entscheidung mit. Falls erforderlich, kann die genannte Frist durch das Antimonopolorgan verlängert werden, allerdings nicht länger als um 20 Tage.
3.
Das Antimonopolorgan lehnt den Antrag ab, wenn es bei Durchsicht der vorgelegten Dokumente erkennt, dass die in ihnen enthaltene Information, die für die Entscheidungsfindung Bedeutung hat, nicht glaubhaft ist, oder wenn eine Stattgabe des Antrags zur Behinderung von Wettbewerb auf einem Gütermarkt führen kann, insbesondere als Ergebnis der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Position eines Wirtschaftssubjektes oder mehrerer Wirtschaftssubjekte.
4.
Das Antimonopolorgan ist zur Stattgabe des Antrags auch bei der Möglichkeit des Entstehens der in Absatz 3 dieses Artikels genannten negativen Folgen in den folgenden Fällen berechtigt: Wenn die Personen oder Organe, die die Entscheidung über die Verschmelzung oder Aufnahme der wirtschaftlichen Organisationen treffen, beweisen, dass der positive Effekt ihrer Handlungen, insbesondere im sozioökonomischen Bereich, die negativen Folgen für den betrachteten Gütermarkt überwiegt; bei Erlass von Auflagen auf die Ausführung von Handlungen, die auf die Sicherstellung von Wettbewerb gerichtet sind, durch die Personen oder Organe, die die Entscheidung über die Verschmelzung oder die Aufnahme der wirtschaftlichen Organisationen treffen.
5.
Das Antimonopolorgan muss von den Gründern (Beteiligten) (einem der Gründer, Beteiligten) innerhalb von 45 Tagen ab der staatlichen Registrierung (ab dem Tage
280
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation der Änderungen oder Ergänzungen der Eintragung im einheitlichen staatlichen Register juristischer Personen) notifiziert werden: über die Gründung, Verschmelzung und Aufnahme nicht-wirtschaftlicher Organisationen (Assoziationen, Unionen, nicht-kommerzieller Partnerschaften), zu deren Mitgliedern nicht weniger als zwei wirtschaftliche Organisationen gehören; über die Veränderung der Zusammensetzung der Beteiligten (Mitglieder) nicht-wirtschaftlicher Organisationen (Assoziationen, Unionen, nicht-kommerzieller Partnerschaften), wenn zu deren Mitgliedern nicht weniger als zwei wirtschaftliche Organisationen gehören; über die Gründung wirtschaftlicher Organisationen, deren addierten Bilanzsummen gemäß ihrer letzten Bilanz 200.000 durch das entsprechende Bundesgesetz festgelegte Minimaleinkommen übersteigen, sowie über die Verschmelzung und Aufnahme wirtschaftlicher Organisationen, wenn ihre addierten Bilanzsummen gemäß ihrer letzten Bilanz 100.000 durch das entsprechende Bundesgesetz festgelegte Minimaleinkommen nicht übersteigen. Bei der Notifizierung legt der Erklärende dem Antimonopolorgan die Information vor, die durch Absatz 2 dieses Artikels bestimmt wird. Die Anforderungen dieses Absatzes gelten auch für nicht-wirtschaftliche Organisationen, die eine Koordinierung der unternehmerischen Tätigkeiten ihrer Beteiligten (Mitglieder) vornehmen oder vorzunehmen beabsichtigen.
6.
Wenn in Absatz 5 dieses Artikels genannte Handlungen zur Behinderung von Wettbewerb führen, erlässt das Antimonopolorgan gegenüber den Gründern (Beteiligten) der wirtschaftlichen oder nicht-wirtschaftlichen Organisation oder den Personen oder Organen, die die entsprechende Entscheidung getroffen haben, eine Anordnung über die Vornahme von Handlungen, die auf die Wiederherstellung von Wettbewerb gerichtet sind.
7.
In den in Absatz 5 dieses Artikels genannten Fällen sind die Personen oder Organe, die die jeweiligen Entscheidungen über die Gründung, Verschmelzung, Aufnahme treffen, vor einer Entscheidung berechtigt, die Zustimmung des Antimonopolorgans zu beantragen. Dieses ist verpflichtet, die entsprechenden Anträge nach dem in Absatz 2 dieses Artikels vorgesehenen Verfahren zu bearbeiten.
8.
Die staatliche Registrierung wirtschaftlicher Organisationen sowie der Eintrag über den Ausschluss aus dem einheitlichen staatlichen Register juristischer Personen wirtschaftlicher Organisationen wird durch das Registrierungsorgan vorgenommen, wenn eine vorherige Zustimmung des Antimonopolorgans vorliegt.
9.
Eine Gründung, Verschmelzung, Aufnahme wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Organisationen, eine Änderung der Zusammensetzung der Beteiligten nichtwirtschaftlicher Organisationen unter Verstoß gegen das in den Absätzen 1 und 5 dieses Artikels festgelegte Verfahren, die zur Behinderung von Wettbewerb, insbesondere als Ergebnis der Begründung oder Verstärkung einer Marktbeherrschung führt, sowie die Nichterfüllung einer Auflage des Antimonopolorgans, das diese in Übereinstimmung mit den Absätzen 4 und 6 dieses Artikels erlassen hat, ist Grundlage für ihre Liquidation durch Gerichtsbeschluss auf Antrag des Antimonopolorgans.
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
281
Art. 18 Staatliche Kontrolle über die Einhaltung der Antimonopolgesetzgebung bei dem Erwerb von Aktien (Anteilen) am Grundkapital wirtschaftlicher Organisationen und anderen Fällen 1.
Mit vorheriger Zustimmung des Antimonopolorgans erfolgen auf Grundlage eines Antrags einer juristischen oder natürlichen Person: der Erwerb einer Person (einer Personengruppe) von Aktien (Anteilen) mit Stimmrecht am Grundkapital einer Gesellschaft, bei der diese Person (Personengruppe) das Recht erhält, über 20% der genannten Aktien (Anteile) zu verfügen – diese Forderung bezieht sich nicht auf die Gründer einer Gesellschaft bei deren Gründung – der Erwerb, die Nutzung oder der Besitz eines Wirtschaftssubjekts (Personengruppe) der wesentlichen Produktionsmittel oder immateriellen Güter eines anderen Wirtschaftssubjekts, wenn die addierten Bilanzsummen der Vermögenswerte, die Gegenstand des Vertrages (verbundener Verträge) sind, mehr als 10% der Bilanzsummen der wesentlichen Produktionsmittel oder immateriellen Güter des ab- oder übergebenden Wirtschaftssubjekts ausmachen; der Erwerb von Rechten durch eine Person (Personengruppe), die es erlauben, die Verhaltensregeln der unternehmerischen Tätigkeit eines Wirtschaftssubjekts zu bestimmen oder die Funktionen seines Exekutivorgans auszuüben.
2.
Eine vorherige Zustimmung zum Abschluss der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Verträge ist erforderlich, wenn die addierten Bilanzsummen der in Absatz 1 dieses Artikel genannten Personen nach ihrer letzten Bilanz 200.000 durch das entsprechende Bundesgesetz festgelegte Minimaleinkommen übersteigen oder eine von ihnen ein Wirtschaftssubjekt ist, das in dem Register der Wirtschaftssubjekte eingetragen ist, die auf einem bestimmten Gütermarkt einen Marktanteil von mehr als 35% haben (im Weiteren „Register“) oder der Erwerber eine Personengruppe ist, die die Tätigkeit des genannten Wirtschaftssubjekts kontrolliert. Das Verfahren über die Entstehung des Registers der Unternehmen, die einen Marktanteil auf einem bestimmten Gütermarkt von mehr als 35% haben, wird durch die Regierung der Russischen Föderation festgelegt.
3.
Bei Abschluss von in Absatz 1 dieses Artikels genannten Verträgen sind die Personen verpflichtet, dem Antimonopolorgan einen Antrag auf Zustimmung zum Vertragsabschluss vorzulegen und die für den Erlass der Entscheidung erforderlichen, in Absatz 2 des Artikels 17 dieses Gesetzes genannten Information mitzuteilen. Die staatliche Kontrolle über den Abschluss in diesem Gesetz genannter Verträge wird vom Antimonopolorgan nach dem in Absatz 2 des Artikels 17 dieses Gesetzes festgelegten Verfahren vorgenommen.
4.
Das Antimonopolorgan lehnt den Antrag ab, wenn es bei Durchsicht der unterbreiteten Dokumente bemerkt, dass die in ihnen enthaltenen Informationen, die für die zu erlassende Entscheidung Bedeutung haben, nicht glaubhaft sind, oder von den Vertragsparteien auf Aufforderung durch das Antimonopolorgan in der ihnen gesetzten Frist entweder Informationen in Übereinstimmung mit Absatz 3 dieses Artikels oder Nachweise über die Quellen, die Umstände des Empfangs oder das Ausmaß der finanziellen Mittel oder anderer Vermögenswerte, die für den Abschluss der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Verträge erforderlich sind, nicht
282
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation vorgelegt werden, sowie, wenn die Verwirklichung des Vorhabens zur Behinderung von Wettbewerb, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Position eines Wirtschaftssubjekts oder mehrerer Wirtschaftssubjekte, auf einem Gütermarkt führen kann.
5.
Das Antimonopolorgan ist zur Stattgabe des Antrags auch bei der Möglichkeit der in Absatz 4 dieses Gesetzes genannten negativen Folgen in folgenden Fällen berechtigt: Wenn die Vertragsparteien nachweisen, dass der positive Effekt ihrer Handlungen, insbesondere im sozioökonomischen Bereich, die negativen Folgen für den betrachteten Gütermarkt übersteigt; bei dem Erlass von Auflagen auf die Ausführung von Handlungen, die auf die Sicherstellung von Wettbewerb gerichtet sind. Die Entscheidung des Antimonopolorgans über die Zustimmung zu dem Abschluss der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Verträge wird unwirksam, wenn diese Verträge nicht innerhalb eines Jahres ab Erlass der genannten Entscheidung vollzogen werden.
6.
Dem Antimonopolorgan müssen durch juristische oder natürliche Personen innerhalb von 45 Tagen nach Abschluss der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Verträge diese mitgeteilt werden, wenn die addierten Bilanzsummen der in Absatz 1 dieses Artikels genannten Personen nach ihrer letzten Bilanz 100.000 durch das entsprechende Bundesgesetz festgelegte Minimaleinkommen übersteigen. Wirtschaftssubjekte, deren addierten Bilanzsummen nach ihrer letzten Bilanz 100.000 durch das Bundesgesetz festgelegte Minimaleinkommen übersteigen, oder Wirtschaftssubjekte, die in das Register der Wirtschaftssubjekte eingetragen sind, die einen Marktanteil auf einem Markt von mehr als 35% haben, sind verpflichtet, das Antimonopolorgan über die Wahl natürlicher Personen in Exekutivorgane, Direktorenräte (Aufsichtsräte) innerhalb von 45 Tagen nach der Wahl zu informieren. Bei der Notifizierung liegt der Erklärende dem Antimonopolorgan gemeinsam mit der Erklärung die in Absatz 3 dieses Artikels genannten Informationen vor.
7.
Wenn die in Absatz 6 dieses Artikels genannten Handlungen zur Behinderung von Wettbewerb, insbesondere als Ergebnis der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung eines Wirtschaftssubjektes oder mehrere Wirtschaftssubjekte, führten oder führen können sind die Personen, die die genannten Handlungen vornehmen, verpflichtet, auf Anforderung durch das Antimonopolorgan auf die Wiederherstellung oder Sicherstellung von Wettbewerb gerichtete Handlungen vorzunehmen.
8.
In den in der ersten Fallgruppe in Absatz 6 dieses Artikels genannten Fällen sind die Personen berechtigt, eine vorherige Zustimmung zum Vollzug der genannten Handlungen beim Antimonopolorgan zu beantragen. Dieses ist verpflichtet, die entsprechenden Erklärungen nach dem vorgesehenen Verfahren zu bearbeiten.
9.
Verträge, die unter Verstoß gegen das in diesem Artikel festgelegten Verfahren geschlossen wurden und zur Behinderung von Wettbewerb, insbesondere als Ergebnis der Begründung oder Verstärkung einer Marktbeherrschung, führen, können auf Antrag des Antimonpolorgans im Gerichtsverfahren für unwirksam erklärt werden. Die unterlassene Ausführung von Entscheidungen oder Auflagen des Antimonopolorgans, die in Übereinstimmungen mit den Absätzen 5 und 7 dieses Arti-
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
283
kels erlassen wurden, sind Grundlagen für die Unwirksamkeitserklärung des jeweiligen Vertrages auf Antrag des Antimonopolorgans. Art. 19 Zwangsentflechtung (Ausgliederung) wirtschaftlicher und nicht-wirtschaftlicher Organisationen, die eine unternehmerische Tätigkeit entfalten 1.
Das Antimonopolorgan ist berechtigt, eine Anordnung über die zwangsweise Entflechtung wirtschaftlicher Organisationen oder unternehmerische Tätigkeit entfaltender, nicht-wirtschaftlicher Organisationen, die eine marktbeherrschende Stellung innehaben, oder über die Ausgliederung eines oder mehrerer ihrer Mitglieder zu erlassen, falls eine oder mehrere ihrer Organisationen einer systematischen monopolistischen Tätigkeit nachgehen. Unter systematischem Nachgehen monopolistischer Tätigkeit wird die in einem ordnungsgemäßen Verfahren festgestellte Erfüllung von mehr als zwei monopolistischen Tatbeständen innerhalb von drei Jahren verstanden.
2.
Die Anordnung über die Zwangsentflechtung (Ausgliederung) einer wirtschaftlichen Organisation wird erlassen, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: Wenn dies zur Entwicklung von Wettbewerb führt; die organisatorische und territoriale Absonderung ihrer strukturellen Einheiten möglich ist; zwischen ihren strukturellen Einheiten enge technologische Verbindungen fehlen (insbesondere, wenn das Ausmaß der durch die juristische Person nachgefragten Produktion – Arbeit, Dienstleistungen – bei ihrer strukturellen Einheit nicht mehr als 30% des gesamten Ausmaßes der durch diese strukturelle Einheit erzeugten Produktion (Arbeit, Dienstleistung) beträgt; wenn es der juristischen Personen nach der Reorganisation möglich ist, auf dem jeweiligen Gütermarkt selbständig zu arbeiten.1
3.
Die Anordnung des Antimonopolorgans über die Zwangsentflechtung (Ausgliederung) wirtschaftlicher Organisationen oder nicht-wirtschaftlicher Organisationen, die einer unternehmerischen Tätigkeiten nachgehen, obliegt der Ausführung durch den Eigentümer oder das von ihm ermächtigte Organ unter Beachtung der in der Anordnung festgelegten Anforderungen und der in ihr vorgegebenen Frist, die allerdings nicht weniger als 6 Monate betragen darf.
Art. 19a Staatliche Kontrolle über die Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen von Wirtschaftssubjekten, die den Wettbewerb behindern (durch das Bundesgesetz vom 9. Oktober 2002 eingeführt) 1.
Wirtschaftssubjekte, die in Übereinstimmung mit Absatz 4 des Artikels 6 dieses Gesetzes die Absicht haben, eine Vereinbarung zu schließen oder abgestimmten Verhaltensweisen nachzugehen, sind berechtigt, sich an das Antimonopolorgan mit dem Antrag auf Prüfung der Übereinstimmung der Vereinbarung oder dem Nach-
__________ 1
Die Klammern stehen im Original in derselben Anordnung.
284
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation gehen abgestimmter Verhaltensweisen mit den Anforderungen der Antimonopolgesetzgebung zu wenden.
2.
Bei Abgabe des Antrags beim Antimonopolorgan durch Wirtschaftssubjekte, die beabsichtigen, einen Vertrag zu schließen oder einer abgestimmten Verhaltensweise nachzugehen, oder einen Bevollmächtigten aus ihrem Kreis müssen auch die Informationen vorgelegt werden, deren Erfordernis sich aus der vom Bundesantimonopolorgan bestätigten Informationsliste ergibt.
3.
Das Antimonopolorgan trifft innerhalb von 30 Tagen nach dem Einreichen aller für die Bearbeitung des Antrags wesentlichen Informationen die Entscheidung über die Vereinbarkeit oder Nichtvereinbarkeit der Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweisen mit den Anforderungen der Antimonopolgesetzgebung. Gründe für die Ablehnung der Entscheidung über die Vereinbarkeit der Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen mit den Anforderungen der Antimonopolgesetzgebung sind: die Voraussetzungen, die in Absatz 1, 2 und 3 des Artikel 6 dieses Gesetzes genannt werden; die fehlende Glaubhaftigkeit der von den Wirtschaftssubjekten eingereichten, entscheidungserheblichen Informationen. Das Unterlassen des Einreichens von Informationen, die in Absatz 2 dieses Artikels vorgesehen sind, ist ebenfalls Grundlage für die Ablehnung der Entscheidung über den Antrag. Falls erforderlich, kann die Frist der Bearbeitung des Antrags durch das Antimonopolorgan verlängert werden, allerdings um nicht mehr als 20 Tage. Das Antimonopolorgan teilt dem Antragssteller die Verlängerung der Frist in schriftlicher Form und unter Angabe der Gründe für die Verlängerung mit.
4.
Die Entscheidung des Antimonopolorgans über die Vereinbarkeit einer Vereinbarung oder abgestimmter Verhaltensweisen mit der Antimonopolgesetzgebung wird unwirksam, wenn innerhalb von zwei Jahren nach dem Erlass der Entscheidung eine solche Vereinbarung nicht getroffen wird oder den abgestimmten Verhaltensweisen nicht nachgegangen wird.
5.
Das Antimonopolorgan ist berechtigt, gegenüber den Parteien der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweisen gemeinsam mit der Entscheidung über die Vereinbarkeit der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweisen mit der Antimonopolgesetzgebung die Sicherstellung von Wettbewerb bezweckende Auflagen zu erlassen.
6.
Das Antimonopolorgan ist berechtigt, eine Entscheidung über die Vereinbarkeit einer Vereinbarung oder abgestimmter Verhaltensweisen mit den Anforderungen der Antimonopolgesetzgebung in folgenden Fällen aufzuheben: Nachdem die Entscheidung getroffen wurde, wird bekannt, dass bei der Bearbeitung des Antrags von einer Partei unglaubhafte, entscheidungserhebliche Informationen vorgelegt wurden; von den Beteiligten der Vereinbarung oder der abgestimmten Verhaltensweisen werden Auflagen des Antimonopolorgans, die in Absatz 5 dieses Artikels vorgesehen sind, nicht erfüllt.
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
285
Art. 20 außer Kraft (Bundesgesetz vom 09.10.2002) Art. 21 außer Kraft (Bundesgesetz vom 09.10.2002)
Teil VI Verantwortlichkeit bei Verstößen gegen die Antimonopolgesetzgebung Art. 22 Verpflichtung, Entscheidungen und Verfügungen des Antimonopolorgans auszuführen 1.
Wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Organisationen (ihre Leiter), Bundesexekutivorgane, Exekutivorgane der Subjekte der Russischen Föderation, Organe der örtlichen Selbstverwaltung, andere mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betraute Organe und Organisationen (ihre verantwortlichen Personen), natürliche Personen – darunter auch einzelne Unternehmer – sind verpflichtet, Handlungen, die in einer Entscheidung oder Auflage des Antimonopolorgans vorgegeben werden, innerhalb der dort genannten Frist vorzunehmen.
2.
außer Kraft (Bundesgesetz vom 09.10.2002)
3.
außer Kraft (Bundesgesetz vom 25.05.1995)
Art. 22a Verantwortlichkeiten im Falle eines Verstoßes gegen die Antimonopolgesetzgebung 1.
Bei Verstößen gegen die Antimonopolgesetzgebung unterliegen die verantwortlichen Personen der Bundesexekutivorgane, der Exekutivorgane der Föderationssubjekte, der Organe der örtlichen Selbstverwaltung sowie anderer mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe oder Organisationen betrauter Organe, wirtschaftliche und nicht-wirtschaftlichen Organisationen oder ihre Führungskräfte, ebenso wie natürliche Personen – darunter auch einzelne Unternehmer – der bürgerlichrechtlichen, verwaltungsrechtlichen und strafrechtlichen Verantwortlichkeit.
2.
Die Heranziehung der im Absatz 1 dieses Artikels genannten Personen zur Verantwortung befreit sie nicht von der Pflicht, eine Entscheidung oder Auflage des Antimonopolorgans zu erfüllen, eine Anmeldung (Notifizierung) einzureichen oder die von der Antimonopolgesetzgebung vorgeschriebenen Handlungen auszuführen.
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
286 Art. 23
außer Kraft (Bundesgesetz vom 30. 12. 2001, Nr. 196). Art. 23a Einzug von Einkünften aus monopolistischer Tätigkeit oder unlauterem Wettbewerb (eingefügt durch das Bundesgesetz vom 9.10.2002) Einkünfte, die aus einem Verstoß gegen die Antimonopolgesetzgebung durch ein Wirtschaftssubjekt erzielt wurden, dessen Tätigkeiten im dafür vorgeschriebenen Verfahren als monopolistische Tätigkeit oder unlauterer Wettbewerb festgestellt wurden, unterliegen, falls entsprechende Auflagen nicht erfüllt werden, auf Antrag des Antimonopolorgans dem Einzug in den Bundeshaushalt durch gerichtlichen Beschluss. Art. 24 außer Kraft (Bundesgesetz vom 30. 12. 2001). Art. 25 außer Kraft (Bundesgesetz vom 30. 12. 2001). Art. 26 Ersatz von Unternehmen entstandenen Schäden Schäden, die einer natürlichen oder juristischen Person als Ergebnis gesetzeswidriger Handlungen eines Bundesexekutivorgans, eines staatlichen Organs der Föderationssubjekte, eines Organs der örtlichen Selbstverwaltung sowie anderer mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betrauter Organe und Organisationen entstanden sind – darunter auch die Schäden, die durch den Erlass von gegen die Antimonopolgesetzgebung verstoßenden Rechtsakten oder durch Unterlassen oder eine nicht sachgerechte Pflichtenerfüllung der genannten Organe entstanden –, unterliegen dem Ersatz durch die Russische Föderation, das jeweilige Föderationssubjekt oder die Gemeinde.
Teil VII Verfahren und Rechtsmittel Art. 27 Der Erlass von Entscheidungsfinden und Auflagen durch das Antimonopolorgan 1.
Das Antimonopolorgan fällt Entscheidungen im Rahmen seiner Kompetenzen und erlässt Auflagen, die durch dieses Gesetz vorgesehen sind.
2.
Grundlage für die Ermittlung und Untersuchung von Tatsachen sowie den Erlass von Entscheidungen und Auflagen durch das Antimonopolorgan sind Eingaben der Organe, Erklärungen von Organisationen und natürlichen Personen sowie Initiativen des Antimonopolorgans.
Anhang: Das Gesetz der Russischen Föderation
287
3.
Entscheidungen und Auflagen, die auf die Verhinderung des Entstehens diskriminierender Bedingungen gerichtet sind, sollen sich, soweit möglich, an Wettbewerbsprinzipien orientieren. Sie können Anforderungen enthalten, interessierten Personen Zugang zu Informationen zu gewähren, die diesen ein Verständnis der Bedingungen des Warenaustausch und (oder) den Zugang zum Markt ermöglichen, und (oder) die genannten Informationen in den Masseninformationsmedien zu publizieren. Sie können ebenso wirtschaftliche, technische und andere Anforderungen enthalten. Durch Bundesgesetze oder andere normative Rechtsakte der Russischen Föderation können weitere Anforderungen festgelegt werden, die auf die Verhinderung des Entstehens diskriminierender Bedingungen gerichtet sind und die nicht im Widerspruch zu den Regelungen dieses Gesetzes stehen.
4.
Die Bearbeitung durch das Antimopolorgans von Eingaben von Organen, Anträgen von Organisationen, der Erlass von Entscheidungen und Auflagen, die durch dieses Gesetz vorgesehen sind, sowie die Kontrolle über die Einhaltung der Antimonopolgesetzgebung erfolgen nach dem vom Bundesantimonopolorgan festgelegten Verfahren.
Art. 28 Verfahren der Beschwerden gegen Entscheidungen oder Auflagen des Antimonopolorgans 1.
Die Bundesexekutivorgane, staatlichen Organe der Föderationssubjekte, Organe der örtlichen Selbstverwaltung sowie andere mit den Funktionen und Rechten der genannten staatlichen Organe betraute Organe und Organisationen (ihre verantwortlichen Personen), wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Organisationen (ihre Führungskräfte), natürliche Personen – darunter auch einzelne Unternehmer – sind berechtigt, bei Gericht oder Handelsgericht einen Antrag auf vollständige oder teilweise Unwirksamkeitserklärung der Entscheidungen und Auflagen des Antimonopolorgans zu stellen.
2.
Eine Klageerhebung hemmt den Vollzug der Entscheidungen und Auflagen des Antimonopolorgans über die Einziehung von Einkünften aus wettbewerbsgesetzeswidriger Tätigkeit in das Bundesbudget, über die zwangsweise Entflechtung einer wirtschaftlichen oder nicht-wirtschaftlichen Organisation, über die Ausgliederung einer oder mehrerer Organisationen, über die Veränderung der Bedingungen oder über die Aufhebung von Verträgen und anderen Vereinbarungen oder über den Abschluss von Verträgen mit Wirtschaftssubjekten bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Entscheidung des Gerichts oder Handelsgerichts.
3.
In den übrigen Fällen, die durch Unterpunkt 2 des Art. 12 dieses Gesetzes vorgesehen sind, hemmt die Klageerhebung nicht den Vollzug der Entscheidung oder Auflage des Antimonopolorgans.
Art. 29 außer Kraft (Bundesgesetz vom 9. Oktober 2002).
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__________ 1 Die Übersetzungen der russischen Literaturangaben in Klammern wurden vom Autor ergänzt. Die Transliteration russischer Namen und Originaltitel erfolgte nach den Regeln des Deutschen Instituts für Normung & Deutsche Bibliothek (DIN 1460). Namen russischer Autoren, die auch in der englischen oder deutschen Sprache publizieren, wurden in der von den Autoren selbst gewählten Weise transliteriert.
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Stichwortverzeichnis
Absatzmarkt – Zugang zu Absatzmarkt 106 Absatzpolitik 36, 175, 208, 250, 266 Abschottung / Marktabschottung 100 ff., 104 f., 106, 171, 209 Abschreckung – Abschreckende Wirkung 40, 75, 107, 107, 120, 171, 254 – Abschreckungseffekt 83, 98, 210 Absprachen 36, 38, 83, 169, 255 Abwägungsklausel 74, 86 f., 124 f., 135 f., 179, 201 Allokative Effizienz s. Effizienz Almaz 91 Angebotsumstellungsflexibilität 89, 119, 160 ff. Anmeldeverfahren 140 ff., 145, 158, 195, 198 ff., 214 f., 216 ff., 222 Anteilserwerb 19, 68, 75, 77, 81, 148 f., 151 ff., 174, 206, 224 f., 227, 229 f., 250, 255, 257 f. Antimonopolkomitee s. Antimonopolministerium Antimonopolministerium 16 ff., 40, 42, 47, 49, 53, 64, 82, 93, 137 ff., 142 ff., 154, 165, 167, 170 ff., 199 ff., 212 f., 216, 218, 246 f., 249 ff., 262 f. – Entscheidungen – Assidomein AB / OAO Segieža bumprom 247, 250, 255 – ýitaenergo / Rudnik Usugli 291 – EMK 156, 227 f., 238 – KB Rossijskij Kredit 151, 255, 257 – Kirovfarmia 227 f. – Komi TEK / Uchtinsk. Neftepere rabat. Zavod 175, 186
– Mordovlesprom 187, 191, 221 – Novolipeck. Metall. Kombinat (NLMK) / Studenovsk. Akcio nern. Gornodob. Komp. (STAG DOK) 174 – OAO Verchnesaldinskoe Metal lurgiþeskoe Proisvodstvennoe Ob’’edinenie (VSMPO) / OAO Avismar 150 – Refserviz / MPS 144, 223, 243 – SP AREMKO / AO Kusneþecskij Lesozavod 29, 227, 229 – Tambowsker Wettbewerbsbehörde / Städtische Tambowsker Vereinigung kommunaler Wohnwirtschaft 226 – Transaero 151, 212, 227, 230, 255, 257 Anzeigeverfahren s. Notifizierungsverfahren Arbeitsplätze (Schutz von) 180, 189 f., 267 f., Auflagen / Auflagen und Bedingungen / Zusagen 20, 69, 131 ff., 199, 204, 208, 222, 250, 254, 264, 266 ff., – Informationsauflagen 24, 177, 200, 209, 239, 266 f. – Investitionsauflagen 25, 130, 138, 175, 190, 195, 201 ff., 229, 252, 254, 267 f. – strukturbezogene Auflagen 135, 203, 205, 209 f. – verhaltensbezogene Auflagen 135, 204 f., 209, 267 Austauschbarkeit s. Marktabgrenzung, sachlich BASF / Hoechst 79, 85 Bedarfsmachtkonzept 88 Bedingungen s. Auflagen und Bedingungen
Stichwortverzeichnis Behinderungsklausel 120 ff, 130, 179, 135 Betriebsgrößenvorteile s. economies of scale BGH 92, 129 f., 165, 210 – Entscheidungen – Badenwerk / Rhein-Neckar II 136 – Backofenfall92, 165 – Erdgas Schwaben 136 – EVS-Gas 136 – Springer / Elbe Wochenblatt 41, 130 – Zementmehlanlage II 129 f., 189 Bilanzsummen / addierte B. 140 ff., 145 f., 153, 213 ff. – als Aufgreifkriterium 141, 143 Bundeskartellamt 19 f., 31, 41, 91, 103, 201, 234 f. – Entscheidungen – 3M / ESPE 92 – Hochtief / Phillip Holzmann 119, 161, 176 – RubberNetwork.com 92 – WMF / Auerhahn 161 Burjatien 256 f. Bußgelder / Strafen 148, 211 f. Cable & Wireless 100 Chicago-Schule 26 ff., 35, 38, 55 f., 58, 60, 62, 65, 67, 72, 93, 96, 108, 112, 119, 138 f., 169, 265 CO-Formular 221 f., 228 Continental Can s. EuGH Corporate Governance Kodex 155 Daimler / Chrysler 76, 90 Durchleitung 37, 99, 241 Dynamische Betrachtungsweise s. Marktabgrenzung, räumlich Economies of scale 33 ff., 42 ff., 54, 58, 60 ff., 69, 73, 118, 144, 180 f., 186 Economies of scope 47 f., 65 f., Effizienz, effizient 34 ff., 38, 43, 46, 58 ff., 65 f., 69, 86, 93, 97, 107 f., 110 ff., 118 f., 139, 169, 186 f., 249, 265,
311
– Allokative Effizienz 35 ff., 65 f., 114 EES Russlands 165 Endemol 96, 105, 169 Entflechtung 22, 40 f., 53, 72, 145, 156 f., 178, 237 ff., 243, 250, 259, 263, 265 Entrenchment theory 40, Entscheidungen des Antimonopolministeriums s. Antimonopolministerium Entscheidungen der EU-Kommission s. Kommissionsentscheidungen Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen 94 Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts 94, 114 f., 117 E.on / Ruhrgas s. Ministererlaubnis Ermessen 116, 195 f., 199, 232 Erwerb 22, 24, 60 f., 65 f., 68, 152 250 ff., 259 f., 262, 270 – Erwerb von Anlagevermögen 152 Essential facility doctrine s. Durchleitung EuGH / EuG 19, 71, 75, 116, 121 ff., 126 f., 129, 194, 231 ff. – Air France I 75, 232 – Continental Can 19, 71 f., 105, 121 – Endemol 96, 105, 169 – Telemarketing 121 f. – Kali und Salz / MdK / Treuhand 126 f., 129, 232 f. – Piraiki-Patraiki u.a. / Kommission 232 – SCPA und EMC / Kommission 232 EU-Kommission s. Kommission Finanzdienstleistungen243 Finanzielle Schwellenwerte 74, 87, 141 Finanzkraft 34, 38, 40, 51, 63 f., 68, 254, 267 Fortschritt, technischer s. technischer Fortschritt Funktionsfähiger Wettbewerb s. Wettbewerb Gazprom 165, 184, 192, 201, 237, 243, 259 f., 263 f. Gencor 75, 91, 126 General Motors 86 Gerichtliche Unwirksamkeitserklärung 154, 158, 225
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Stichwortverzeichnis
Glaverbel / Borskij stekol’nyj Zavod 23, 24, 202 Gemeinschaftsunternehmen / GU 75 f., 79 f., 82 ff., 92, 103 ff., 124, 138, 145, 228 – konzentrativ84, 86, 146 – kooperativ 84, 86, 138, 146 – Teilfunktionsunternehmen 84 – Vollfunktions(gemeinschafts)unternehmen 75, 84 f. Güter 47, 49, 60, 62 f., 87 ff., 93, 101, 103, 140, 159 ff., 184 Handelsgericht 148 f., 163, 216, 226 f., 229 ff., 250 f., 258 Harvard-Schule 26 ff., 73, 98, 106 f. Hoppmann 114, 181, 235 Horizontal(e) (Zusammenschlüsse) 31, 34, 138 Industriepolitik /Industriepolitiker / industriepolitisch 29, 42, 51, 60, 70ff., 92, 137, 175, 181, 185, 193 f., 207 f., 213, 260, 263 – industriepolitische Öffnungsklausel 72 ff., 115 ff. – (positive) sozioökonomisch(e) (Effekte) 180 ff.,193 ff. Informelle Verfahren 217, 220 Interessen der Zwischen- und Enverbraucher 94, 114 f., 118 Interessenverbände 20, 22, 138, 140, 153, 211, 214, 214 Internationale Wettbewerbsfähigkeit 29, 52 f., 58, 69, 73, 166, 180 ff., 247, 252, 265, 268, Intransparenz des Marktes s. Markt Kammergerichtsentscheidungen – tobaccoland III 234 – Weichschaum I / II / III 236 Kantzenbach 32, 49, 114, 180 f., 235 Kapazitätserweiterung 94, 100 Kettensubstitution 164 Klagebefugnis 229, 231 f., 234 ff. Know-How (-Transfer) 63, 138, 190, 195, 206 f., 254, 268 Kommissionsentscheidungen – ABB / Daimler Benz 133
– Aérospatiale-Alenia / de Havilland 89, 93, 121, 262 f. – Agfa-Gevaert / Du Pont 109 f. – Airtours / First Choice 91, 128 f. – Alcatel / Telettra 77, 95, 103, 204 – Anglo American Corporation / Lonrho 78, 91, 111, 206 – Arjomari-Prioux / Wiggins Teap Appleton 78 – Bank Austria / Creditanstalt 111, 131 – BASF / Hoechst 79, 85 – BASF/Pantochim / Eurodiol 130, 189, 201, 268 – Bertelsmann/Kirch / Premiere 100 – Blokker / Toys „R“ Us 103, 107, 109, 130, 164, 197 – Boeing / McDonnell Douglas 91, 98, 106, 111, 113, 197, 205, 207 ff. – BT / MC (II) 99, 102, 110, 200, 205, 207 – CCE Vittel / CE Pierval 232 f. – Coca-Cola / Amalgamated Beverages 78, 90, 106, 111 – Crown Cork / Carnaud Metalbox 113 – Crown Cork & Seal / Carnaud Metalbox 133 – Daimler / Chrysler 76, 90 – Daimler Benz / Carl Zeiss 103 – Degussa / Ciba-Geigy108, 197 – Delta Airlines / PAN AM 117, 168 – Deutsche Telekom / Betaresearch 100 – Enso / Stora 104, 127 f. – Hoffmann-La Roche/ Boehringer Mannheim 106 f., 109 – ICI / Tioxide 79, 148 – Kali und Salz / MdK / Treuhandanstalt 126 f., 129, 232 f. – Kesko / Tukko II 103, 132, 164, 218 – Kimberly-Clark / Scott 103, 203 – KNP / BühlmannTetterode / VRG 101, 204 – Krauss-Maffei / Wegmann 103 – Kyowa / Saitama Banks 76 – Mannesmann / Hoesch 93, 109, 112 – Mannesmann / Vallourec / Ilva 95, 112 f. – Mannesmann / VDO 97, 122 – Marconi / Finnemeccanica 103 – Mercedes Benz / Kässbohrer 110
Stichwortverzeichnis – – – –
Métropole Télévision 232 MSG Media Service100, 117, 205 Neste / Statoil 168 Nestlé / Perrier 93, 99, 110 f., 126, 133, 207, 233 – Nordic Satellite 100, 205 – Orkla / Volvo 113, 133 – Price Waterhouse / Coopers & Lybrand 127, 161 – Procter & Gamble 93, 103, 197, 205 – Renault / Volvo 78 – Rewe / Meinl 95 f., 102, 164, 169 – RTL/Veronica / Endemol 105 – Saint Gobain / Wacker / NOM 113 – SGB / General de Banque 78, 148 – TKS / ITW Signode/Titan 90, 101 – Varta / Bosch / Starterbatterie 79, 85, 101, 126, 204 – VIAG / Continental Can 19, 89, 105 – Worldcom / MCI (auch World Com) 91, 99, 205 Konglomerat / konglomeral 31 f., 34, 39 ff., 47 ff., 68 f., 75, 123, 131, 153, 180, 191 f., 206, 228, 237, 264 Kontrolle – externes Wachstum 32 f., 256, 263 ff. – Kontrollerwerb, Erwerb der Kontrolle 75 ff., 148, 152 206 – Marktstruktur 30, 32, 34 ff., 50, 52, 55, 58, 61, 69, 86, 121, 127, 138 f., 146 f., 203, 207, ff., 237 f., 246, 249, 264, 270 – Missbrauch 19, 71 f., 138 f., 145, 208 f., 228, 238, 266 – Strukturkontrolle 17, 19, 30, 32 f., 66, 83 ff., 93, 135, 137 ff., 147, 183, 200, 203 f., 209 f., 261, 264, 270 – Verhaltenskontrolle 19, 22, 31, 56, 66 ff., 71 f., 82 ff., 87, 125, 135, 137 ff., 145 f., 154, 167, 199, 203, 208 f., 228, 238, 264, 266 Kontrollerwerb 22, 75 ff., 80 ff., 148, 152, 206 Konzentration s. Marktkonzentratio Konzentrativ s. Gemeinschaftsunternehmen Kooperativ s. Gemeinschaftsunternehmen
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Kreuzpreiselastizität 89, 160 Lernkosten 61, 64, 171 f. Liquidierung 156 Lukoil 185 Markt – Austauschbarkeit (funktionell, tatsächlich) 23, 64, 88, 159, f., 248 – nachgelagerte(r) Markt/Märkte 83, 173, 191, 240, 242, 244 – Marktabgrenzung 57, 71, 88 ff., 101, 111, 119, 159 ff., 232 – geografisch / räumlich 19, 23, 90 f., 159, 162 – sachlich 23, 88, 159 f. – Marktanteil 27, 30, 32, 34, 49, 53, 57, 62 ff., 69, 82, 84, 89 f., 94 ff., 103 f., 107 f., 110, 113, 115, 119, 123, 127 ff., 142 f., 156 f., 163, 165 ff., 173 f., 176, 179, 189, 191, 194, 197, 205 f., 219, 249 f., 265 f., 269 – absolut 94, 168 ff., 269 – relativ 34, 94 ff., 168 ff., 269 – Volatilität 96, 169 f. – Reif(e) 98, 100, 110 – Transparenz (Intransparenz) 56, 64, 96, 108, 112, 128, 143, 150, 222 – Weltmarkt 91 ff., 111, 162, 165, 184 f., 166 Marktkonzentration 23, 30 ff., 42, 49, 51, 56, 58, 66, 91, 104, 110, 115, 143 f., 185, 197, 201, 205, 237 f., 248 ff., 263, 266 f., Marktmachtkonzept 87, 90, 93, 121 ff., 265 Marktstellung 86, 94, 96, 108, 119, 207, 265 Martkstruktur 30, 32, 34 ff., 50, 52, 55, 58, 61, 64, 69, 86, 121, 127, 138 f., 146 f., 203, 207 ff., 237, 246, 249, 264, 270 Martkstrukturkontrolle s. Kontrolle Marktzutrittsschranken 23, 30, 37, 40, 45, 56 ff., 69, 94, 96 ff., 107 ff., 119, 122, 169 ff., 189, 194, 208 f., 265, 268 – rechtliche M. 94, 109 – strategische M. 69, 109, 208 – strukturelle M. 109
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Stichwortverzeichnis
– tatsächliche M. 94 Metaökonomische Gefahren 41 Microsoft 238 Minimaleinkommen 141, 143, 152 f., 155 f., 211, 213, 215 Ministererlaubnis 74, 52 f., 73 f., 135 ff., 185, 193, 157, 166, 259 – E.on / Ruhrgas 53, 74, 137, 166, 185, 193 – Holtzbrinck / Berliner Zeitung 193 Missbrauchsaufsicht / Missbrauchskontrolle s. Kontrolle Monopol (nicht Antimonopol) (s. auch natürliches Monopol) 18, 37, 58, 111, 117, 139, 143, 178, 184, 213, 228, 237, 240 ff. Monopolkommission 33, 35, 72, 89, 91, 107, 120, 126, 131, 210 Mosneft 185 Nachfrage – Nachfragemacht 94 f., 100 ff., 127 f., 209 – Nachfragesubstituierbarkeit 89 – s. auch Präferenz Natürliches Monopol 37, 111, 117, 240 ff. Neo-Schumpeter-Hypothesen 49 ff., 115 ff. Nicht ausgeschöpfte Kapazitäten der Wettbewerber 101 Nichtwirtschaftliche Organisationen 154, 211 Notifizierungsverfahren / Anzeigeverfahren 21, 73, 140, 217 f., 139 ff., 154, 158, 167, 196, 198, 200, 214, 217 ff., 224 OAO Aviakompanija 151, 230 Öffnungsklausel s. Industriepolitik Ökonomische Analyse des Rechts Oligopol / Oligopolbeherrschung 18, 110 125 ff. Organfunktionen 155 f., 220 Paralleles Marktverhalten 125 Personengruppe 78, 126, 142, 147, 149 ff., 214, 259 Politische Entscheidungen 257
Positive sozioökonomische Effekte s. Industriepolitik Potenzieller Wettbewerb s. Wettbewerb Portfolioeffekt 63, 98, 104 ff., 175, 177 f. Präferenz / Präferenzskala 36 Preisabsprachen 36, 67 Privatisierung 143, 153, 157 f., 177, 193, 237 ff. 250, 263 Produktionskapazitäten 56, 127, 155, 167 f., 188, 190, 203, 206 f. Rechtssicherheit 150, 155, 225 Rechtsweg224, 229 Refserviz MPS 144, 223, 243 Regionalbehörden / regionale Behörden 170, 213 f. Register 142 f., 152 f., 155, 215 – Monopolregister 143, 162 Relevanter Markt s. Marktabgrenzung Risikodiversifizierung 97 Rostower regionale Wettbewerbsbehörde / OAO FPK Jugmebel 148 Sanierung 188 ff., 267 Sanierungsfusion 129 f., 188 f. Selbstheilungskräfte des Marktes 31, 38, 45, 58, 66, 69, SLC-Test 122, 179, 265 Sortimentseffekt s. Portfolioeffekt Sozioökonomisch s. Industriepolitik Staatssicherheit 243 Strafen s. Bußgelder Substition / Substitutionswettbewerb 100 f., 104, 136, 159 Synergieeffekte 34, 45, 97 Tatneft 185 Technischer Fortschritt 49, 136, 180, 190, 265 Transaktionskostenvorteile 46, 54, 69, Transparenz s. Markt Unwirksamkeitserklärung 154, 158, 225 ff., 229 f., 237, 253, 255 Verbundvorteile 46 f., 186 f. Verfahren, informelle s. i.V. Verhaltenskontrolle s. Kontrolle
Stichwortverzeichnis
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Vermögenserwerb 75, 80, 144, 152 Vermögenswerte 20, 76 ff., 80, 140, 142, 152, 155, 217, 242, 270 Veröffentlichung 17, 20 f., 23, 49, 93, 128, 203, 220, 249, 251, 261 f., 268, 270 Verschmelzung 22, 71, 75 f., 139 f., 143 f., 153 f., 214, 217, 221 Vertikale (Zusammenschlüsse / Verbindungen) 37, 41, 46, 64, 105, 173 Vertrag 18, 33, 76, 215 Verwaltungsbarrieren 171 Volatilität s. Marktanteil Vollfunktionsunternehmen s. Gemeinschaftsunternehmen Vorprüfphase 131 f., 203, 235 f.
– wettbewerblich erheblicher Einfluss 76 f., 81 f., 143 – Wettbewerbsbehinderung / -beschränkung 21, 32, 39, 41, 44, 49 f., 53, 57, 61, 66, 68, 72, 108, 121, 123, 126, 139, 178 f., 198, 209, 223, 246, 254 Wettbewerbsfähigkeit 25, 29, 52 ff., 58, 69, 72, 92, 137, 165 f., 180 ff., 185 f., 192, 194, 157 Wiederherstellungsanordnung 20, 140, 144, 195 f., 198 ff., 214, 214, 223 ff., 230, 237, 255, 259, 269 Wirkungsprinzip 75, 92 Wirtschaftliche Macht s. Finanzkraft Wirtschaftsgericht s. Handelsgericht
Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer 94, 98, 100, 104, 108 Wettbewerb – funktionsfähiger Wettbewerb 33, 36, 114, 181, 210, 235 – potenzieller Wettbewerb 39 f., 59, 63 f., 66, 89, 93 ff., 99 f., 107 ff., 119, 122, 170 ff. – tatsächlicher Wettbewerb 59, 93 f., 108
Xenophobie 152, 184, 195, 247, 250 ff. Yukos / Sibneft 165, 203 Zugang zu Beschaffungs- und Absatzmärkten s. Absatzmarkt Zusagen s. Auflagen Zwischen- und Endverbraucher s. Interes sen der Z.u.E.