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German Pages [473] Year 2023
Beiträge zum Kartellrecht herausgegeben von
Michael Kling und Stefan Thomas
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Niklas Andree
Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle Konzeptionelle Grundlagen und Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission
Mohr Siebeck
Niklas Andree, geboren 1989; Studium der Rechtswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin; Rechtsreferendariat am Kammergericht in Berlin; LL.M.-Studium an der Harvard Law School; Rechtsanwalt in Düsseldorf; 2023 Promotion. orcid.org/0009-0009-3389-1122
Zugl.: Düsseldorf, Heinrich-Heine-Universität, Diss., 2023 D 61 ISBN 978-3-16-162415-5 / eISBN 978-3-16-162675-3 DOI 10.1628/978-3-16-162675-3 ISSN 2626-773X / eISSN 2626-7748 (Beiträge zum Kartellrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Bodelshausen aus der Times Antiqua gesetzt und von Beltz Grafische Betriebe in Bad Langensalza auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Mit dieser Arbeit wurde ich im Juni 2021 an der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zur Promotion zugelassen und nach der mündlichen Prüfung im Januar 2023 promoviert. Für die Veröffentlichung wurden Literatur und Entwicklungen bis Juni 2021 berücksichtigt, aktualisiert bis Mai 2023. Meinem Doktorvater, Prof. Dr. Rupprecht Podszun, danke ich für die erstklassige Anleitung und Unterstützung während der Erstellung dieser Arbeit und des gesamten Promotionsverfahrens. Durch zahlreiche Denkanstöße und Fragen hat er sehr zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Prof. Dr. Justus Haucap danke ich für das Zweitgutachten und wertvolle Hinweise. Zudem bedanke ich mich für die großzügige Förderung aus dem Programm „Arbeitskreis Wirtschaft und Recht“ des Stifterverbands für die Deutsche Wissenschaft sowie für die Förderung der Johanna und Fritz Buch Gedächtnis- Stiftung, Hamburg. Und schließlich bedanke ich mich herzlich bei all jenen, die die Entstehung dieser Arbeit begleitet, unterstützt und vorangetrieben haben. Das gilt insbesondere für Dr. Lucas Gasser, Dr. Viktoria Kraetzig und Dr. Constantin Rolke. Düsseldorf, im August 2023
Niklas Andree
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Forschungsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 C. Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 D. Stand der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 E. Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Teil 1: Ökonomische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Kapitel 1: Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 A. Grundbegriff(e) eines vielschichtigen Phänomens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I. Das Konzept der Innovation im Oslo Manual . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 II. Zur Kategorisierung von Innovationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 III. Unterschiedliche Grade und Ausprägungen der Innovation . . . . . . . . . . . . . 20 B. Entstehungsbedingungen von Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Innovationstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Forschung und Entwicklung als zentrale Innovationstätigkeiten . . . . . . 25 a) Grundlagenforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 b) Angewandte Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 c) Experimentelle Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Anderweitige Innovationstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 3. Innovation und Investition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Innovationsfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Einzelne Innovationsfähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Der Dynamic Capabilities View auf das Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Umgang mit nicht beinflussbaren Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Innovationsanreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 C. Grundlegende Eigenschaften von Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 I. Prozesshaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Phasen des Innovationsprozesses nach Schumpeter . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Inventions- und Innovationsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42
VIII
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3. Diffusionsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 1. Innerorganisatorische Aufgabenteilung und -bewältigung . . . . . . . . . . . 44 2. Organisationsübergreifende Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Heterogenität von Akteuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 III. Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Zum Begriff der Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .48 2. Unsicherheit im Innovationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Folge der Unsicherheit in Innovationsprozessen: Trial and Error . . . . . . 52
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 A. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 I. Dimensionen des Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Wettbewerb als Instrument zur Herstellung von Effizienz . . . . . . . . . . . . . . 58 1. Statische Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2. Dynamische Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. Zielkonflikte bei der Herstellung von Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 III. Innovation in der Wettbewerbstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Die herkömmlichen statischen Wettbewerbskonzeptionen . . . . . . . . . . . 64 a) Die Neoklassik und das Modell der vollkommenen Konkurrenz . . . . 64 b) Harvard School, funktionsfähiger Wettbewerb und traditionelle Industrieökonomik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 c) Effizienzorientierte Ansätze: Chicago School und moderne theoretische Industrieökonomik (Post-Chicago Economics) . . . . . . . 73 2. Ansätze einer dynamischen Wettbewerbskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . 78 a) Wettbewerb als Prozess der Innovation und Imitation . . . . . . . . . . . . 80 b) Wettbewerbs- und Marktphasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 c) Wettbewerb als Entdeckungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 d) Das Konzept der Wettbewerbsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 e) Evolutions- und innovationsökonomische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . 86 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B. Grundzüge des Innovationswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Zur Funktionsweise des Wettbewerbs im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . 93 II. Zur Funktionsweise des Innovationswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Facetten des Innovationswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Zukünftiger Produktmarktwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 b) Gegenwärtiger Produktmarktwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Produktmarktunabhängiger Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Erweiterungen des bisherigen gedanklichen Modells . . . . . . . . . . . . . . . 103 a) Wahrscheinlichkeitsanforderungen hinsichtlich des zukünftigen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104
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b) Gezielte und ungezielte Innovationstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Innovationsfähigkeiten und potentieller Innovationswettbewerb . . . . 106 d) Einseitiger innovationsbedingter Wettbewerbsdruck . . . . . . . . . . . . . 108 3. Konstellationen des Innovationswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Innovationswettbewerb und Innovationsanreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 a) Anreize zu proaktiven und reaktiven Innovationstätigkeiten . . . . . . . 111 b) Die Bestreitbarkeit von Marktanteilen im zukünftigen Wettbewerb . . 112 c) Innovationsbedingte Kannibalisierungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Die Aneignung von Erträgen aus Innovationstätigkeiten . . . . . . . . . . . . .116 a) Ertragsaneignung durch Patente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 b) Weitere Aneignungsmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 c) Insbesondere: First-Mover Advantages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 aa) Skalen-, Lern- und Reputationseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 bb) Sicherung von Produktionsfaktoren und Marktsegmenten . . . . . . 127 cc) Wechselkosten und Netzwerkeffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Anreize in Innovationsrennen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Anreize zur Beschleunigung von Innovationstätigkeiten . . . . . . . . . . 131 b) Anreize von Unternehmen mit asymmetrischen Ausgangs bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Fazit: Ambivalente Wirkung auf Innovationsanreize . . . . . . . . . . . . . 136 4. Ergänzende Anmerkungen zu Innovationsanreizen . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Spannungsverhältnis zwischen Bestreitbarkeit und Aneigenbarkeit? 136 b) Außerwettbewerbliche Einflussfaktoren für Innovationsanreize . . . . 138 aa) Erwartete Nachfrage (Demand Pull) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Technologisches Potential (Technology Push, Technological Opportunity) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 cc) Obsoleszenz, Regulierung et cetera . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Richtung von Innovationstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
C. Strukturelle Determinanten von Innovation und Innovationswettbewerb 143 I. Marktstrukturfaktoren als Determinanten für Innovation . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Unternehmensgröße und Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Marktmacht beziehungsweise Marktkonzentration und Innovation . . . . 149 3. Empirische Überprüfung der Neo-Schumpeter-Hypothesen . . . . . . . . . . 150 a) Kennzahlen für die Innovationsaktivität von Unternehmen . . . . . . . . 151 b) Untersuchungsergebnisse zu Unternehmensgröße und Innovation . . . 153 c) Untersuchungsergebnisse zu Marktkonzentration und Innovation . . . 155 4. Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 II. Industrieeigenschaften als Determinanten für Innovation . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Zur Industriespezifität der Aneignungsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Zur Industriespezifität des technologischen Potentials . . . . . . . . . . . . . . 160 3. Zur Industriespezifität sonstiger Einflussfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163
X
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III. Industriespezifischer Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 IV. Wettbewerbsrechtliche Relevanz des Innovationswettbewerbs nach Industrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 1. Die Beobachtbarkeit von Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten . . . . . 167 2. Die Innovationsintensität von Industrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 3. Schumpeter’sche Innovationsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 a) Schumpeter-Mark-I- und Schumpeter-Mark-II-Industrien . . . . . . . . . 171 b) Innovationsmuster und Industrieeigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 c) Empirische Feststellung von Innovationsmustern in Industrien . . . . . 175
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb 177 A. Zusammenschlüsse zwischen Produktmarktwettbewerbern . . . . . . . . . . . 178 I. Unilaterale Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Wettbewerb auf differenzierten Oligopolmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Erst- und Zweitrundeneffekte eines Zusammenschlusses . . . . . . . . . . . . 181 3. Ergänzende Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Produktive Effizienzgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 III. Quantitative Analysemethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 B. Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . 187 I. Primäreffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte . . . . . . 189 a) Wirkung auf Innovationsanreize . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Zur wettbewerblichen Nähe zwischen Innovationswettbewerbern . . . 192 c) Äquivalente quantitativer Analysemethoden für den Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Internalisierung technologischer Spillovers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 3. Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte . . . . . . . . . . . 196 4. Effekte im produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb . . . . . . . 198 5. Ergänzende Anmerkungen zu den Primäreffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Sekundäreffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 1. Dynamische Ineffizienzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 2. Effekte auf die Richtung von Innovationstätigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . 204 3. Verringerung der Vielfalt im dynamisch-evolutorischen Wettbewerb . . . 205 III. Dynamische Effizienzgewinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Größen-, insbesondere Kostenvorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Synergien durch die Kombination komplementärer Innovations fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3. Koordinierung und Vermeidung doppelter Innovationstätigkeiten . . . . . 210 4. Effizienzsteigerungen bei der Wissensdiffusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211
Inhaltsverzeichnis
XI
C. Anknüpfungspunkte innovationsspezifischer Schadenstheorien . . . . . . . 212 I. Die Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Die Beeinträchtigung der statischen Effizienz in der Zukunft . . . . . . . . . . . 217 III. Die Behinderung des Innovationswettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 IV. Zielkonflikte bei der Entwicklung von Schadenstheorien . . . . . . . . . . . . . . 220 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . 225 Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 A. Vorbemerkungen zur europäischen Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . 227 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 II. Grundsätzliche Vorgehensweise der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 III. Tendenz zur statischen Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 IV. Innovationswettbewerb in den Leitlinien der Kommission . . . . . . . . . . . . . 238 B. Herkömmliche Analyseansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Wettbewerb auf gegenwärtigen Produktmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 II. Wettbewerb auf gegenwärtigen Technologiemärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 III. Potentieller Wettbewerb im Hinblick auf gegenwärtige Produktmärkte . . . 246 IV. Wettbewerb auf zukünftigen Produktmärkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 V. Konkurrierende F&E-Pole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 VI. Innovationsmärkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 C. Der direkte SIEIC-Test als vorzugswürdiger Analyseansatz . . . . . . . . . . 257 I. Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 II. Identifikation der relevanten Innovationswettbewerber . . . . . . . . . . . . . . . . 259 1. Abstellen auf Innovationstätigkeiten und Innovationsfähigkeiten . . . . . . 260 2. Abstellen auf den wahrgenommenen Wettbewerbsdruck . . . . . . . . . . . . 265 3. Ergänzende Anmerkungen zur Identifikation von Innovations wettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 a) Zur räumlichen Dimension innovationswettbewerblicher Rivalität . . 267 b) Schwierigkeiten im Falle disruptiver Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . 267 c) Rechtsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 aa) Zu den Nachweisanforderungen in der Fusionskontrolle . . . . . . . 268 bb) Zum Erfordernis der Marktabgrenzung in der Fusionskontrolle . .270 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 III. Untersuchung der Auswirkungen des Zusammenschlusses . . . . . . . . . . . . . 272 1. Erste Anhaltspunkte für oder gegen wettbewerbliche Bedenken . . . . . . . 273
XII
Inhaltsverzeichnis
a) Die herkömmliche Marktstrukturbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Marktstrukturbetrachtung und dynamische Effizienz . . . . . . . . . . . . . 275 c) Innovationsspezifische Anhaltspunkte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Negative Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz . . 281 3. Positive Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz . . . 282 a) Zur Berücksichtigungsfähigkeit dynamischer Effizienzgewinne . . . . 283 b) Asymmetrien in der Zusammenschlussprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 c) Integrierte Prüfung negativer und positiver Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 IV. Wettbewerblicher Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 A. Methodische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 I. Zur Auswahl der Kommissionsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 II. Zur Analyse einzelner Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 B. Fallstudien zur Pharmaindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 I. Innovation und Wettbewerb in der Pharmaindustrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 1. Die verschiedenen Geschäftsmodelle von Pharmaunternehmen . . . . . . . 301 2. Der Innovationsprozess zur Hervorbringung neuer Medikamente . . . . . 303 a) Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 304 b) Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 c) Zulassung und Markteinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 3. Wettbewerb und Innovationswettbewerb zwischen Pharmaunternehmen 308 4. Implikationen für die Zusammenschlussprüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 II. Die ältere Entscheidungspraxis der Kommission zur Pharmaindustrie . . . . 313 III. Fallstudie: Novartis/GSK Oncology Business . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. Arzneimittel zur Behandlung von Hautkrebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 316 b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 316 2. Arzneimittel zur Behandlung von Eierstockkrebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 317 3. Arzneimittel zur Behandlung weiterer Krebsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 318 b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 319 4. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 5. Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 IV. Fallstudie: Pfizer/Hospira . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 1. Monoklonale Antikörper und Biosimilars . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 323
Inhaltsverzeichnis
XIII
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Injizierbare Arzneimittel und Generika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 325 b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 326 3. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 4. Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 V. Fallstudie: J&J/Actelion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 1. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 2. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 3. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 4. Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
C. Fallstudien zu anderen Industrien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 I. Fallstudie: Deutsche Börse/NYSE Euronext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Zur relevanten Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 a) Derivate, Handel und Clearing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 b) Skalen- und Verbundeffekte im Derivatehandel . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 c) Innovation und Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 2. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 3. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 4. Zur Analyse von Ausgleichsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 5. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 6. Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 II. Fallstudie: Medtronic/Covidien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 1. Zur relevanten Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 2. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 3. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 4. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 5. Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 III. Fallstudie: GE/Alstom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 1. Zur relevanten Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 2. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 3. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 a) Marktanteile und Konzentrationsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b) Zusammenschluss mit einem nahen und wichtigen Wettbewerber . . . 352 c) Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten für Kunden . . . . . . . . . . . 352 d) Beseitigung einer wichtigen Wettbewerbskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 e) Einstellung von F&E-Tätigkeiten und Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . 353 4. Zur Analyse von Ausgleichsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 5. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 6. Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 IV. Fallstudie: Dow/DuPont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 1. Zur relevanten Industrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 a) Innovationsprozess und Lebenszyklus eines Pestizidprodukts . . . . . . 357
XIV
Inhaltsverzeichnis
b) Formen des Wettbewerbs in der Pflanzenschutzmittelindustrie . . . . . 359 2. Wettbewerb mit fertigen und Spätphasen-Pipeline-Produkten . . . . . . . . 359 a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 360 b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 361 3. Wettbewerb mit Frühphasen-Pipeline-Produkten und auf Industrieebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . 362 b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . 364 aa) Maßgebliche Industrieeigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 bb) Konzentration auf Industrieebene und in Innovationsräumen . . . 367 cc) Bedeutung der Parteien als Innovationswettbewerber . . . . . . . . . 368 dd) Wettbewerbliche Nähe zwischen den Parteien in Innovationsräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 ee) Konkrete Auswirkungen des Zusammenschlusses . . . . . . . . . . . . 369 4. Zur Analyse von Ausgleichsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 5. Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 6. Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 a) Innovationswettbewerb mit Spätphasen-Pipeline-Produkten . . . . . . . 373 b) Innovationswettbewerb mit Frühphasen-Pipeline-Produkten . . . . . . . 373 c) Innovationswettbewerb auf Industrieebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 d) Zusammenschlusseffekte auf den Innovationswettbewerb . . . . . . . . . 375 e) Positive Zusammenschlusswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
D. Gesamtbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 I. Von der Kommission herangezogene Analyseansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 II. Zur Prognose von Innovationseffekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 III. Zur Verortung des maßgeblichen Wettbewerbsschadens . . . . . . . . . . . . . . . 381 IV. Zur Berücksichtigung auch positiver Innovationseffekte . . . . . . . . . . . . . . . 382 V. Inkonsistenzen in der Entscheidungspraxis der Kommission . . . . . . . . . . . . 382 VI. Abschließende Evaluation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
Kapitel 6: Wettbewerbspolitische Implikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 A. Zentrale Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 I. Innovation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 II. Innovation und Wettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 III. Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . 388 IV. Analyseansätze für den Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 V. Die Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission zum Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389
Inhaltsverzeichnis
XV
B. Ansatzpunkte zur Erneuerung und Umgestaltung der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 I. Forschungsagenda zum Innovationswettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 II. Änderungen in der Fusionskontrollpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 1. Auswahl eines geeigneten Analyseansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 2. Leitlinien zur Bewertung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 3. Leitlinien zur Tatsachenermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 III. Änderungen des materiellen Fusionskontrollrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 IV. Änderungen bei Institutionen und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399
Abschließende Bemerkungen und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 Verzeichnis der Materialien und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451
Einleitung „Der fundamentale Antrieb, der die kapitalistische Maschine in Bewegung setzt und hält, kommt von den neuen Konsumgütern, den neuen Produktionsoder Transportmethoden, den neuen Märkten, den neuen Formen der industriellen Organisation, welche die kapitalistische Unternehmung schafft.“1
A. Ausgangspunkt Innovation spielt eine entscheidende Rolle für Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum. Diese in der vorab wiedergegebenen Aussage Schumpeters anklingende Erkenntnis steht heute zumindest aus wettbewerbspolitischer Sicht weitgehend außer Zweifel.2 In der Geschichte haben bahnbrechende Innovationen immer wieder dazu beigetragen, die Lebensbedingungen der Menschen erheblich zu verbessern. Als Beispiele historischen Fortschritts werden häufig etwa die Erfindung und Verbreitung des Buchdrucks, der Dampfmaschine, der Elektrizität oder des Internets genannt.3 Erhöhte Qualität und die zunehmende Verlängerung des Lebens sind zudem eng verknüpft mit immer neuen Erkenntnissen auf dem Gebiet der Medizin. Jedes Jahr werden zahlreiche neue Medikamente hervorgebracht, mit denen sich Krankheiten besser oder überhaupt erst behandeln lassen.4 Zu den Bereichen, in denen gegenwärtig wesent1 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 115 (erstmals erschienen 1942). 2 Vgl. nur Europäische Kommission, EU Merger Control and Innovation, 2016, S. 1; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 1; siehe auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 56; Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 613 f.; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 34 f.; grundlegend in diesem Zusammenhang bereits Solow, The Quarterly Journal of Economics 1956, Bd. 70, Nr. 1, 65; Solow, The Review of Economics and Statistics 1957, Bd. 39, Nr. 3, 312. 3 Siehe zum Beispiel Fallows, The 50 Greatest Breakthroughs Since the Wheel, The Atlantic, November 2013. 4 Statistische Angaben hierzu finden sich auf der Webseite des Verband Forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa), abrufbar unter vfa.de/digitorials/insights/insights-medikamente (zuletzt aufgerufen am 1. Mai 2023).
2
Einleitung
liche Neuerungen stattfinden oder erwartet werden, zählen beispielsweise die künstliche Intelligenz und die Biotechnologie.5 In der Marktwirtschaft sind die Hervorbringung und Verbreitung von Innovationen – so eine weitere unzweifelhafte Erkenntnis – grundsätzlich eng verknüpft mit dem Wettbewerb zwischen Unternehmen. Innovationsanreize resultieren zumindest im Ausgangspunkt daraus, dass Unternehmen, die gewissem Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, diesem durch die Einführung innovativer Lösungen zu entgehen suchen. Ein Mangel an Konkurrenz kann Unternehmen dagegen zu Trägheit verleiten und von Innovationsanstrengungen abhalten.6 Dementsprechend gehört die Förderung von Innovation auch zu den zentralen Zielen, welche die Wettbewerbspolitik und das Wettbewerbsrecht mit dem Schutz des Wettbewerbs gemeinhin verfolgen. Wettbewerbsschutz schließt den Schutz des Innovationswettbewerbs mit ein. So soll mit der Fusionskontrolle als einem der maßgeblichen Instrumente des Wettbewerbsrechts nicht zuletzt verhindert werden, dass Zusammenschlüsse die Innovationsanreize von Unternehmen schwächen und zu einem Rückgang an Investitionen in Entwicklungstätigkeiten führen.7 Dennoch schenkten Wettbewerbsbehörden der Förderung von Innovation und dem Schutz des Innovationswettbewerbs in der Fusionskontrolle bislang vergleichsweise wenig Beachtung. Namentlich die Europäische Kommission rückte mit ihrem More Economic Approach, der stärkeren Ökonomisierung ihrer wettbewerbspolitischen Entscheidungspraxis in den 2000er-Jahren, vor allem kurzfristige und für Verbraucherinnen und Verbraucher spürbare Auswirkungen auf das Preisniveau auf relevanten Produktmärkten in den Vordergrund ihrer Zusammenschlussprüfung. Die bevorzugte Orientierung an statischem Wettbewerb und allokativer Effizienz ließ wenig Raum für eine Berücksichtigung auch dynamischer Vorgänge, wie der häufig langwierigen Entwicklung neuer Technologien, Produkte und Prozesse.8 Exemplarisch zeigt dies der vermehrte Einsatz quantitativer ökonomischer Analyseinstrumente in 5 Vgl. etwa Hernández/Grassano/Tübke/Amoroso/Csefalvay/Gkotsis, The 2019 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, 2020, S. 22 f. 6 Vgl. nur Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 66; siehe auch Vestager, Competition: The Mother of Invention, 2016; Vestager, How Competition Supports Innovation, 2016. 7 Vgl. hierzu etwa Europäische Kommission, EU Merger Control and Innovation, 2016, S. 1; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 1 f.; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 670 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125 Fn. 1; siehe auch Vestager, Competition: The Mother of Invention, 2016; Vestager, How Competition Supports Innovation, 2016. 8 Siehe hierzu nur Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 44 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 5.
A. Ausgangspunkt
3
der Fusionskontrolle der Kommission, beispielsweise von Simulationsmodellen.9 Mit solchen Instrumenten lassen sich die Preiseffekte von Zusammenschlüssen numerisch abbilden. Effekte auf Innovationsanreize und die dynamische Effizienz können damit jedoch nicht erfasst werden.10 Erst in jüngerer Zeit war zu beobachten, dass die Europäische Kommission zunehmend auch letztere Effekte in den Blick nahm. Davon zeugen mehrere Fusionskontrollentscheidungen,11 unter denen eine besonders hervorsticht: die Entscheidung der Kommission im Verfahren Dow/DuPont.12 Mit dieser gab die Kommission im März 2017 den Zusammenschluss zweier Agrarchemieunternehmen frei, die sich unter anderem mit Erforschung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln betätigten. Die Kommission erteilte ihre Freigabe unter Bedingungen und Auflagen, wonach wesentliche Teile der Pestizidsparte von DuPont zu veräußern waren. Dieser Veräußerungsvorbehalt bezog sich insbesondere auch auf die entsprechenden Forschungsund Entwicklungstätigkeiten und -kapazitäten von DuPont. Mit ihm begegnete die Kommission wettbewerblichen Bedenken, welche der Zusammenschluss, so wie er ursprünglich angemeldet worden war, hervorrief. Laut Pressemitteilung der Kommission hätte der Zusammenschluss nicht nur den Wettbewerb auf einer Reihe von Märkten für bereits erhältliche Pestizide erheblich beeinträchtigt, sondern auch den Innovationswettbewerb in der Pestizidbranche. Er hätte zu einer Verringerung von Innovationsanreizen geführt, mit der Folge, dass die Innovationsaktivität im Pflanzenschutzmittelbereich deutlich zurückgegangen wäre. Hiermit wären weitreichende und schädliche Auswirkungen für die Landwirtschaft sowie für Verbraucherinnen und Verbraucher verbunden gewesen.13 Die Erwägungen der Kommission sind Ausdruck einer neuartigen Vorgehensweise bei der Analyse von Zusammenschlüssen, einer neuartigen Schadenstheorie.14 Aufgrund dieser neuen Vorgehensweise gilt die Entscheidung im Verfahren Dow/DuPont als Leitentscheidung zum Innovationswettbewerb.15 Sie soll einen wesentlichen Meilenstein bei der Entwicklung hin zu einer immer stärkeren Ausrichtung der Zusammenschlussprüfung an innovationsspezifischen Erwägungen markieren.16 Manche verbinden mit ihr gar die Einleitung
9 Siehe
Buettner/Federico/Lorincz, The Use of Quantitative Economic Techniques in EU Merger Control, 2016. 10 Vgl. Curzon Price/Walker, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 475, 476; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 5. 11 Siehe nur Europäische Kommission, EU Merger Control and Innovation, 2016, S. 4–7. 12 Siehe Europäische Kommission, 28.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont. 13 Siehe Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 27. März 2017, IP/17/772. 14 Vgl. nur Weiß in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 23. 15 Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 128b. 16 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2
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Einleitung
einer „neue[n] Ära in der Fusionskontrollpraxis“17. Diese Einschätzung dürfte vor allem mit der Erwartung zusammenhängen, dass Innovation und Innovationswettbewerb im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung in zahlreichen Branchen immer wichtiger für die Beurteilung von Zusammenschlüssen werden.18 Begleitet wurde die Entscheidung der Kommission im Verfahren Dow/DuPont von einer lebhaften wettbewerbspolitischen Debatte um die angemessene Berücksichtigung von Innovation in der Fusionskontrolle, die auch gegenwärtig weiter anhält.19 Diese Debatte ist insbesondere gekennzeichnet durch die vielfach kritische Auseinandersetzung mit der neuartigen Vorgehensweise der Kommission, aus ökonomischer wie aus juristischer Perspektive.20 Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass die Kommission vorschnell von negativen Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb ausgegangen sei, ohne sich hinreichend mit möglichen positiven Effekten zu beschäftigen. Sie habe ihre Analyse des dynamischen Innovationswettbewerbs allzu stark an die herkömmliche Analyse des statischen Preis- und Mengenwettbewerbs angelehnt.21 Während etwa von bestimmten Veränderungen der Marktstruktur, namentlich von erhöhten Marktanteilen und Konzentrationsgraden, auf negative Preis- und Rn. 348; siehe hierzu auch Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 700; Déchamps/Fanton in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 76 f.; Lorenzo/Watson, Concurrences 2019, Nr. 1, Art. 89495, 1; Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019; Kuhn, ZWeR 2020, 1, 30–33. 17 Horstkotte/Wingerter, IWRZ 2018, 3, 6. 18 Vgl. OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 5. 19 Vgl. hierzu etwa Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668; Déchamps/Fanton in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 63, 75–77; Ibáñez Colomo in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 133; Solidoro, Assessing Innovation Theories of Harm in EU Merger Control, 2019; Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11; Federico/Scott Morton/ Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125; Kokkoris, Journal of Antitrust Enforcement 2020, Bd. 8, Nr. 1, 56. 20 Siehe etwa Lofaro/Lewis/Abecasis, Antitrust Magazine 2017, Bd. 32, Nr. 1, 100; RBB Economics, An Innovative Leap Into the Theoretical Abyss, 2017; Petit, Significant Impediment to Industry Innovation, 2017; Petit, Concurrences 2018, Nr. 2, Art. 86623; Denicolò/ Polo, The Innovation Theory of Harm: An Appraisal, 2018; Cary in: FS Schroeder, 2018, S. 183–201; Spangler/Heppner, PharmR 2018, 522; Petit, Antitrust Law Journal 2019, Bd. 82, Nr. 3, 873; Jung/Sinclair, European Competition Law Review 2019, Bd. 40, Nr. 6, 266; Chernenko, European Competition Law Review 2019, Bd. 40, Nr. 1, 9; Fort in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 9–22; Weiß in: Körber/ Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 23–47; Landman, European Competition Law Review 2021, Bd. 42, Nr. 1, 30; Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 534–538. 21 Vgl. nur Cary in: FS Schroeder, 2018, S. 186 f.; Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 534.
A. Ausgangspunkt
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Mengeneffekte geschlossen werden könne, hätten zusammenschlussbedingte Marktstrukturveränderungen keine generelle Aussagekraft für Effekte auf die Innovationsanreize von Unternehmen. Insofern stünden sich nämlich zwei widerstreitende Positionen gegenüber: Mit Schumpeter sei davon auszugehen, dass Unternehmen mit hohem Marktanteil stärkere Innovationsanreize hätten. Anhand eines Modells von Arrow lasse sich dagegen zeigen, dass ein Monopolunternehmen schwächere Innovationsanreize habe als ein Unternehmen, das vollkommener Konkurrenz ausgesetzt sei. Deshalb eigne sich der herkömmliche, für Preis- und Mengeneffekte entwickelte Analyserahmen nicht für die Feststellung von Innovationseffekten.22 Hintergrund der Kritik an der Kommissionsentscheidung in Dow/DuPont ist, dass Innovation und Wettbewerb in einem ausgesprochen komplexen Verhältnis zueinander stehen, das insbesondere komplexer und bislang weit weniger durchdrungen ist als das Verhältnis zwischen Wettbewerb und Preis- oder Mengenniveaus.23 Fest steht, dass sich dieses komplexe Verhältnis zwischen Innnovation und Wettbewerb nicht in den beiden Schumpeter und Arrow zugeschriebenen Positionen erschöpft.24 Darüber hinaus fehlt es aber bis heute an einer soliden Grundlage zur konzeptionellen Erfassung des Verhältnisses zwischen Innovation und Wettbewerb. Ein genereller Konsens darüber, was genau eigentlich unter Innovationswettbewerb zu verstehen ist, existiert nicht. Ein solcher Konsens hat sich in der wettbewerbspolitischen Debatte um Innovation bisher nicht etabliert – obwohl die Innovationsförderung, wie eingangs beschrieben, verbreitet als eines der Kernanliegen von Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht aufgefasst wird.25 Hierin liegt ein beträchtliches Manko, dessen Beseitigung aus offensichtlichen Gründen wünschenswert ist: Ohne gesichertes Verständnis vom Verhältnis zwischen Innovation und Wettbewerb ist es in der Fusionskontrolle kaum möglich, die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf den Innovationswettbewerb systematisch und umfassend zu analysieren. Es besteht die Gefahr, dass den Innovationswettbewerb beeinträchtigende Zusammenschlüsse fälschlicherweise freigegeben und Zusammenschlüsse mit positiven Innovationseffekten fälschlicherweise untersagt werden. So lässt sich das Anliegen der Innovationsförderung im Rahmen der
22 Exemplarisch hierzu etwa Cary in: FS Schroeder, 2018, S. 184–187; Déchamps/Fanton in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 75–78. 23 Ausführlich hierzu etwa Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1. 24 Vgl. etwa Calvano/Polo, Information Economics and Policy 2021, Bd. 54, 100853, 13; siehe auch Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 361–404; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 41–53. 25 Vgl. hierzu nur Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 35–38.
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Einleitung
Fusionskontrolle nicht sinnvoll verwirklichen. Findet die Berücksichtigung von Innovation in der Zusammenschlussprüfung ohne ein gesichertes Verständnis des Innovationswettbewerbs statt, kann dies zu einem Mangel an Akzeptanz gegenüber Entscheidungen führen und zu Rechtsunsicherheit beitragen. Die Diskussion um die Kommissionsentscheidung im Verfahren Dow/DuPont zeigt dies exemplarisch.26 Um die wettbewerbspolitische Debatte voranzubringen, ist es also zunächst erforderlich, wesentliche Grundlagen für die konzeptionelle Erfassung des Verhältnisses zwischen Innovation und Wettbewerb sowie für das Verständnis des Innovationswettbewerbs zu legen. Dazu ist vorab zu klären, was sich hinter dem Begriff der Innovation überhaupt verbirgt und welche besonderen Eigenschaften von Innovation für den Wettbewerb relevant sind. Auf dieser Basis können dann die theoretisch möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb und die dynamische Effizienz herausgearbeitet werden. Sodann lässt sich eruieren, welche Analyseansätze zur systematischen Feststellung dieser möglichen Innovationseffekte in der Fusionskontrolle zur Verfügung stehen. Gegebenenfalls ist ein hierzu wirklich gut geeigneter Analyseansatz erst noch zu entwickeln. Die Kenntnis der verfügbaren Analyseansätze, einschließlich ihrer Vor- und Nachteile, ermöglicht es wiederum, die einschlägige Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission zu evaluieren. So können etwaige Unzulänglichkeiten in der aktuellen Handhabung der Fusionskontrolle identifiziert und Ansatzpunkte für Verbesserungen aufgezeigt werden.
B. Forschungsfragen Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den beschriebenen Fortgang der wettbewerbspolitischen Debatte um Innovation beziehungsweise um die Berücksichtigung von Innovation in der Fusionskontrolle auf den Weg zu bringen. Dazu widmet sich die Arbeit mehreren unterschiedlichen Themenkomplexen und beantwortet jeweils verschiedene Forschungsfragen, die nachfolgend aufgeführt werden. Die Arbeit ist in zwei Teile unterteilt, die jeweils drei Themenkomplexe umfassen. Im ersten Teil werden die wesentlichen ökonomischen Grundlagen aufbereitet. Im zweiten Teil folgt die Nutzbarmachung der gewonnenen Erkenntnisse für die Fusionskontrolle.
26 Zum Vorwurf, dass die Kommissionsentscheidung in Dow/DuPont Rechtsunsicherheit ausgelöst habe, siehe etwa Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 349; Weiß in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 23–47.
C. Methodik
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen Innovation – Was ist Innovation? Wie entsteht Innovation? Was sind grundlegende Eigenschaften von Innovation, die für das Verhältnis zwischen Innovation und Wettbewerb relevant sind? Innovation und Wettbewerb – In welchem Verhältnis stehen Innovation und Wettbewerb zueinander? Was ist unter Innovationswettbewerb zu verstehen? Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb – Welche Auswirkungen kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb und die dynamische Effizienz haben? Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle Analyseansätze für den Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle – Wie lassen sich Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz in der Fusionskontrolle feststellen? Welche Analyseansätze stehen zur Verfügung? Welcher Analyseansatz ist vorzugswürdig? Die Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission zum Innovationswettbewerb – Wie geht die Europäische Kommission vor, um Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz festzustellen? Bedient sie sich geeigneter Analyseansätze? Wettbewerbspolitische Implikationen – Ergibt sich aus den gewonnenen Erkenntnissen ein Erfordernis zur Erneuerung und Umgestaltung der europäischen Fusionskontrolle?
C. Methodik Die Forschungsfragen werden durch die Auswertung und Aufbereitung einschlägiger Literatur sowie, im zweiten Teil der Arbeit, durch die Auswertung und Aufbereitung der einschlägigen Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission beantwortet. Zurückgegriffen wird in erster Linie auf ökonomische Literatur, namentlich auf Erkenntnisse aus unterschiedlichen Teilgebieten der Volkswirtschaftslehre. Dies gilt für beide Teile der Arbeit, wenn auch in besonderem Maße für den ersten Teil. Dabei ist für die Beantwortung der Forschungsfragen nicht lediglich die Wettbewerbs- beziehungsweise Industrieökonomik bedeutsam, auf welche sich Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht herkömmlicherweise stützen. Vielmehr bedarf es auch einer Auseinandersetzung mit Erkenntnissen aus der Innovations- und der Evolutionsökonomik sowie ferner mit eher betriebswirtschaftlicher Literatur, wie derjenigen zum strategischen Management. Juristische und insbesondere wettbewerbsrechtliche Literatur wird ebenfalls herangezogen, soweit sie für die Beantwortung
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Einleitung
der Forschungsfragen hilfreich ist. Die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Arten wissenschaftlicher Literatur sind freilich fließend. Sämtliche Literatur, auch die ökonomische, wird aus rechtswissenschaftlicher Perspektive aufgearbeitet. Die Arbeit richtet sich vornehmlich an Juristinnen und Juristen – als Anwenderinnen und Anwender des Wettbewerbs- beziehungsweise Fusionskontrollrechts in Fällen mit Innovationsbezug. Die Entscheidungspraxis der Kommission wird anhand mehrerer Fallstudien erörtert. Darin wird die genaue Herangehensweise der Kommission bei der Feststellung von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz nachvollzogen. Die Auswahl der erörterten Entscheidungen sowie die Vorgehensweise bei den Fallstudien werden an entsprechender Stelle noch im Einzelnen erläutert. Die Aufarbeitung ökonomischer Erkenntnisse und die ökonomische Analyse stehen im Zentrum der vorliegenden Arbeit. Auf dezidierte Rechtsfragen wird nur vereinzelt eingegangen. Rechtsfragen werden vor allem dort problematisiert, wo dies die Schwierigkeiten verdeutlicht, welche sich bei der Untersuchung von Innovationseffekten in der Fusionskontrolle aus praktischer Sicht ergeben können. Gegenstand der Arbeit sind ausschließlich die Fusionskontrolle durch die Europäische Kommission und das hierfür geltende Fusionskontrollrecht der Europäischen Union. Anderweitige Fusionskontrollregime werden nicht einbezogen. Thematisiert werden auch allein horizontale Wettbewerbskonstellationen und Zusammenschlüsse. Nicht vertieft eingegangen wird etwa auf Fragen im Zusammenhang mit Verpflichtungszusagen beziehungsweise Abhilfemaßnahmen (Remedies) in der Fusionskontrolle (auch wenn sich solche Fragen durchaus mit Blick auf Innovation und Innovationswettbewerb stellen können)27.
D. Stand der Forschung Zu den in Rede stehenden Themenkomplexen existiert ein umfangreicher Bestand an ökonomischer Literatur, auf welchen bei der Beantwortung der Forschungsfragen zurückgegriffen wird. Dabei handelt es sich größtenteils um vergleichsweise kurze Aufsätze und Diskussionspapiere, die jeweils nur einzelne der hier relevanten Gesichtspunkte adressieren. Soweit rechtswissenschaftliche Literatur einschlägig ist, werden auch darin allenfalls Einzelaspekte abgedeckt.28 27 Vgl.
etwa Kartner, European Competition Journal 2016, Bd. 12, Nr. 2–3, 298; Bary/ Bure, Concurrences 2017, Nr. 3, Art. 84407, 5–9; Déchamps/Fanton, in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 75 f. 28 Monographische Arbeiten, die sich mit dem weiteren Themenumfeld um die Berücksichtigung von Innovation im Wettbewerbsrecht beschäftigen, sind etwa: Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989; Barth, Innovationsmärkte in der Fu-
E. Gang der Darstellung
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Eine Arbeit wie die vorliegende, welche die Forschungsfragen umfassend und systematisch beantwortet – und dabei insbesondere die maßgeblichen ökonomischen Erkenntnisse aus rechtswissenschaftlicher Sicht aufarbeitet und die jüngere Entscheidungspraxis der Kommission, einschließlich der Entscheidung im Verfahren Dow/DuPont, analysiert –, existiert, soweit ersichtlich, bislang nicht.
E. Gang der Darstellung Die Arbeit ist in zwei Teile mit jeweils drei Kapiteln untergliedert. Der Aufbau orientiert sich an den beschriebenen Themenkomplexen und Forschungsfragen. Die im ersten Schritt aufbereiteten ökonomischen Grundlagen werden im zweiten Schritt für die Fusionskontrolle nutzbar gemacht. Teil 1: Ökonomische Grundlagen Im ersten Kapitel wird der Themenkomplex Innovation behandelt. Hier werden begriffliche und konzeptionelle Grundlagen erarbeitet, auf welchen die nachfolgenden Ausführungen aufbauen. Zudem werden die Entstehungsbedingungen sowie drei grundlegende Eigenschaften von Innovation erörtert: Prozesshaftigkeit, Komplexität und Unsicherheit. Diese drei Eigenschaften prägen das Verhältnis zwischen Innovation und Wettbewerb maßgeblich und tragen zur Komplexität dieses Verhältnisses bei. Gegenstand des zweiten Kapitels ist der Themenkomplex Innovation und Wettbewerb. Im zweiten Kapitel wird zunächst aufgezeigt, in welchem Verhältnis Innovation und Wettbewerb grundsätzlich zueinander stehen und welche Rolle Innovation in der Wettbewerbstheorie spielt. Sodann werden Grundzüge des Innovationswettbewerbs erarbeitet. Anschließend wird auf Determinanten von Innovation und Innovationswettbewerb eingegangen, wie sie sich nach den Erkenntnissen empirischer Untersuchungen darstellen. Hieraus ergeben sich wichtige Konsequenzen für die Berücksichtigung von Innovation in Wettbewerbsrecht und Fusionskontrolle. Im dritten Kapitel werden mögliche Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb behandelt. Zuerst werden die Auswirkungen erörtert, die ein Zusammenschluss zwischen Produktmarktwettbewerbern auf den statischen Wettbewerb haben kann. Im Anschluss wird dargelegt, welche Aussionskontrolle, 2004; Glader, Innovation Markets and Competition Analysis, 2004; Wolf, Kartellrechtliche Grenzen von Produktinnovationen, 2004; Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008; Früh, Immaterialgüterrechte und der relevante Markt, 2012; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018; Baker, The Antitrust Paradigm, 2019; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020; Gilbert, Innovation Matters, 2020. Jüngere Arbeiten zum Innovationswettbewerb gehen auf andere Forschungsfragen ein und haben eine deutlich andere Schwerpunktsetzung, siehe Förstmann, Innovationswettbewerb in der europäischen Fusionskontrolle, 2022; Kurz, Innovation Competition, 2022.
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Einleitung
wirkungen ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb und die dynamische Effizienz haben kann. Die Vergegenwärtigung der statischen Effekte erleichtert es, mögliche Innovationseffekte nachzuvollziehen und deren Besonderheiten zu erkennen.29 Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle Das vierte Kapitel thematisiert zur Verfügung stehende Analyseansätze, mittels derer sich die möglichen Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb im Rahmen der Fusionskontrolle feststellen lassen. Dazu wird vorab ein Überblick über die europäische Fusionskontrolle sowie die grundsätzliche Vorgehensweise der Europäischen Kommission gegeben. Sodann werden methodisch-konzeptionelle Ansätze identifiziert, die herkömmlicherweise im Zusammenhang mit der Feststellung von Innovationseffekten diskutiert werden. Diese herkömmlichen Ansätze reichen allerdings für sich genommen nicht aus, um die relevanten Zusammenschlusswirkungen sinnvoll zu erfassen. Deshalb wird auf der Grundlage der bisherigen ökonomischen Erkenntnisse ein zusätzlicher Analyseansatz entwickelt und vorgestellt, der sich besser zur Feststellung von Innovationseffekten eignet als die herkömmlichen Ansätze und diesen gegenüber mithin vorzugswürdig ist. Im fünften Kapitel folgt die Auseinandersetzung mit der einschlägigen Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission. Hierzu werden detaillierte Fallstudien durchgeführt. Dabei wird der Blick zunächst auf die Pharmaindustrie gerichtet. Drei der insgesamt sieben ausgewerteten und aufbereiteten Kommissionsentscheidungen betreffen die Pharmaindustrie. An dieser lassen sich sowohl die Funktionsweise des Innovationswettbewerbs als auch die hier interessierende Entscheidungspraxis der Kommission besonders gut veranschaulichen. Die übrigen vier analysierten Entscheidungen betreffen jeweils andere Industrien. Die Entscheidung im Verfahren Dow/DuPont ist auch darunter. Anhand der Fallstudien wird herausgearbeitet, wie die Kommission bei der Feststellung von Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb im Einzelfall vorgeht. Im sechsten Kapitel wird schließlich auf wettbewerbspolitische Implikationen der gewonnenen Erkenntnisse eingegangen. Es werden Ansatzpunkte zur Erneuerung und Umgestaltung der Fusionskontrolle diskutiert, um die gewonnenen Erkenntnisse praktisch umzusetzen. Hierbei geht es insbesondere darum, die Praxis der Kommission stärker an dem im vierten Kapitel entwickelten, vorzugswürdigen Analyseansatz auszurichten. Auf diese Weise trägt die Arbeit zum Fortgang der wettbewerbspolitischen Debatte um Innovation bei und erleichtert die künftige Berücksichtigung von Innovation in der Fusionskontrolle. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt vor allem 29 Der Begriff der Innovationseffekte wird als Synonym für die Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz verwendet.
E. Gang der Darstellung
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auf der konzeptionellen Erfassung des Verhältnisses zwischen Innovation und Wettbewerb sowie der Vermittlung eines grundlegenden Verständnisses des Innovationswettbewerbs. Gerade in der rechtswissenschaftlichen Literatur fehlt es an einem solchen Verständnis bisher.
Teil 1
Ökonomische Grundlagen Im ersten Teil der Arbeit werden die wesentlichen ökonomischen Grundlagen aufbereitet.
Kapitel 1
Innovation Im Folgenden werden zunächst Grundbegriffe geklärt (unter A.). Anschließend wird auf die Entstehungsbedingungen (unter B.) sowie die grundlegenden Eigenschaften von Innovation (unter C.) eingegangen.
A. Grundbegriff(e) eines vielschichtigen Phänomens Eine allgemeingültige, abschließende Definition des Begriffs der Innovation gibt es nicht.1 Der Begriff wird mal als schillernd und modisch,2 mal als unscharf bezeichnet;3 mal wird ihm Facettenreichtum attestiert.4 Annäherungsweise Begriffsbestimmungen unterscheiden sich je nachdem, aus welcher Perspektive das zugrundeliegende Phänomen betrachtet wird. Dieses ist Gegenstand ganz unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Neben einer wirtschaftswissenschaftlichen gibt es etwa auch eine sozialwissenschaftliche sowie (zumindest seit einigen Jahren) eine rechtswissenschaftliche Innovationsforschung.5 Nachfolgend werden einige der für die Volks- und Betriebswirtschaftslehre maßgeblichen Grundbegriffe und Abgrenzungen aufgezeigt.6 1 Siehe
nur Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 3–6, zur „Vielfalt der Definitionen“ des Innovationsbegriffs; siehe auch Hauschildt in: Hoffmann-Riem/ Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 38. 2 Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 3. 3 Eifert in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovationsfördernde Regulierung, 2009, S. 11. 4 Vgl. den Beitrag von Hauschildt in: Hoffmann-Riem/Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 29–39; zum Innovationsbegriff siehe auch Popplow in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019. 5 Die Wirtschaftswissenschaften stellen laut Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 35, „die Disziplin dar, die sich am intensivsten mit Innovation und ihren wesentlichen Aspekten auseinandergesetzt hat“. Zur sozialwissenschaftlichen Innova tionsforschung siehe etwa Rammert in: Howaldt/Jacobsen, Soziale Innovation, 2010, S. 21–51; Howaldt/Schwarz in: Howaldt/Jacobsen, Soziale Innovation, 2010, S. 87–108; überblicksartig und mit zahlreichen weiteren Nachweisen auch Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 123–140. Zu Ansätzen der Innovationsforschung in der Rechtswissenschaft siehe etwa Hoffmann-Riem in: Hoffmann-Riem/Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 11–28; Hoffmann-Riem in: Sauer/Lang, Paradoxien der Innovation, 1999, S. 229–247; Hoffmann-Riem, AöR 131 (2006), 255–277; Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 235–238; vgl. auch Podszun in: Möslein, Regelsetzung im Privatrecht, 2019, S. 255–299; vgl. in diesem Zusammenhang ferner Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014, S. 102–171. 6 Zur volks- und betriebswirtschaftlichen Innovationsforschung siehe etwa Hoffmann-
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
I. Das Konzept der Innovation im Oslo Manual Im Oslo Manual, einem von OECD und Eurostat herausgegebenen Leitfaden zur statistischen Erfassung von Innovation und hierauf bezogenen Daten, wird zwischen einem „Konzept der Innovation“7 einerseits und einzelnen, zählbaren Innovationen andererseits unterschieden. Als Konzept hat Innovation laut Oslo Manual vier Dimensionen: Wissen (Knowledge), Neuartigkeit (Novelty), Umsetzung (Implementation) und Wertschöpfung (Value Creation). Hieraus ergeben sich Anforderungen, die eine einzelne Innovation erfüllen muss, um als solche anerkannt zu werden.8 Eine Innovation zeichnet sich mithin dadurch aus, dass sie auf der Anwendung bestehenden oder neu entwickelten Wissens beruht. Unter Wissen sind dabei das Verständnis und die Fähigkeit zur Nutzung von Informationen zu verstehen. Mithilfe von Wissen können neue Ideen, Modelle, Methoden oder Prototypen entwickelt werden – als mögliche Grundlagen innovativer Produkte (Güter oder Dienstleistungen) oder Prozesse (organisationsinterne Abläufe zur Erzeugung von Gütern oder Dienstleistungen). Die Neuartigkeit eines innovativen Produkts oder Prozesses bestimmt sich danach, ob diese sich von den bisherigen Produkten oder Prozessen des sie hervorbringenden Unternehmens unterscheiden. Hierbei sind ihre Eigenschaften in den Blick zu nehmen, und zwar sowohl objektive, zum Beispiel physische, Eigenschaften als auch subjektive, wie die Gebrauchstauglichkeit eines Produkts aus der Sicht von Nutzerinnen und Nutzern. Die Anforderung einer tatsächlichen Umsetzung oder Realisierung erfüllen neue Produkte oder Prozesse, sobald sie ihren (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung gestellt worden sind. Im Falle eines Prozesses sind dies Personen innerhalb des innovierenden Unternehmens, im Falle eines Produkts dessen (außenstehende) Abnehmerinnen und Abnehmer. Erst mit diesem Schritt der Umsetzung wird aus einer Erfindung (Invention) oder Idee eine eigentliche Innovation. Schließlich ist davon auszugehen, dass innovierende Unternehmen mit der Hervorbringung einer Innovation stets eine Form der Wertschöpfung oder -erhaltung bezwecken. Denn Innovationen hervorzubringen erfordert den Einsatz von Ressourcen, die auch anderweitig verwendet werden könnten, und erzeugt somit Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 220–223. Neben den in dieser Arbeit in Bezug genommenen Bereichen der Technik und Wirtschaft kann Innovation natürlich noch vielfältige andere „Referenzbereiche“ haben, etwa das Politische, das gesellschaftliche Zusammenleben sowie die Kunst und Kultur, siehe nur Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 24 f.; Rammert in: Howaldt/Jacobsen, Soziale Innovation, 2010, S. 40–45. 7 Siehe nur die Abschnittsüberschrift „The concept of innovation“, OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 45. 8 Vgl. nur OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 45 f. Einen grundsätzlich ähnlichen Ansatz zur Bestimmung des Innovationsbegriffs verfolgen etwa Stone/Rose/Lal/Shipp, Measuring Innovation and Intangibles, 2008, S. II-1–II-8.
Kapitel 1: Innovation
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Opportunitätskosten.9 Zusammengefasst handelt es sich bei einer Innovation danach um ein neues oder verbessertes Produkt oder einen neuen oder verbesserten Prozess (oder eine Kombination aus beidem), das beziehungsweise der sich deutlich von den bisherigen Produkten oder Prozessen des betreffenden Unternehmens unterscheidet und den Abnehmerinnen und Abnehmern des Unternehmens beziehungsweise innerhalb dessen tatsächlich zur Verfügung gestellt worden ist.10 Ist nach den Ausführungen im Oslo Manual hinsichtlich der Neuartigkeit von Produkten und Prozessen ein organisationsinterner Maßstab anzulegen, bedeutet dies zugleich, dass Produkte oder Prozesse auch dann neu sein und folglich Innovationen darstellen können, wenn sie bereits bei anderen Organisationen vorhanden sind.11 Beispiel eines innovativen Produkts kann nach diesem Verständnis also auch etwa die Nachahmung eines schon am Markt erfolgreichen Produkts durch Wettbewerber desjenigen Unternehmens sein, welches das Ausgangsprodukt auf dem Markt eingeführt hat. Auch in einer Region bereits erhältliche Produkte können (erneut) Innovationen darstellen, wenn sie in anderen Regionen eingeführt werden.12 Schwierigkeiten bereitet die Zugrundelegung des organisationsinternen Maßstabs, wenn die betreffende Organisation erst neu errichtet wird, bislang also noch gar keine Produkte oder Prozesse hervorgebracht beziehungsweise eingesetzt hat. Dann soll hinsichtlich der Neuartigkeit von Produkten oder Prozessen darauf abzustellen sein, ob diese bereits im relevanten wirtschaftlichen Umfeld, etwa bei vergleichbaren Organisationen, vorhanden sind.13 Der im Oslo Manual zugrunde gelegte organisationsinterne Maßstab ist allerdings keineswegs unumstritten. So lässt sich auch ein engerer Innovationsbegriff definieren, der lediglich zum ersten Mal neu eingeführte Produkte oder Prozesse umfasst (sogenannte New-to-World Innovations)14, unabhängig davon, ob die Einführung durch etablierte Unternehmen mit bereits bestehenden (anderen, älteren) Produkten und Prozessen erfolgt oder durch neu errichtete Organisationen.15 Werden dieselben Produkte oder Prozesse später in anderen Kon-
9 Siehe
OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 46–48, 53. Im englischsprachigen Original: „An innovation is a new or improved product or process (or combination thereof ) that differs significantly from the unit’s previous products or processes and that has been made available to potential users (product) or brought into use by the unit (process)“, OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 60. 11 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 47. 12 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 47. 13 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 60. 14 Zu diesem Begriff siehe nur Granstrand/Holgersson, Technovation 2020, Bd. 90–91, Art. 102098, 2. 15 Siehe nur Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 8. 10
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
texten eingeführt, wird dann nicht mehr von Innovation, sondern lediglich noch von Imitation (oder Nachahmung) gesprochen.16 Für die Zwecke der vorliegenden Arbeit ist es sinnvoller, diesen letzteren, engeren Innovationsbegriff zugrunde zu legen. Die Differenzierung zwischen Innovation und Imitation wird im weiteren Verlauf der Arbeit noch bedeutsam werden. Dies soll freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Abgrenzung zwischen Innovation und Imitation mitunter schwierig gestalten kann, weil die Grenzen hier zum Teil fließend sind. So kann etwa die Einführung der Nachahmung eines bestehenden Produkts in einem anderweitigen Kontext weitreichende Anpassungen erfordern, sodass letztlich durchaus ein neues oder zumindest erheblich verbessertes Produkt gegeben sein kann.17
II. Zur Kategorisierung von Innovationen Wie bereits erkennbar, wird gemeinhin zwischen Produkt- und Prozessinnovationen unterschieden.18 Hintergrund ist die Erkenntnis, dass beide Arten von Innovationen aus ökonomischer Sicht unterschiedliche Implikationen haben können.19 Mit Produktinnovationen, also neuen oder verbesserten Gütern oder Dienstleistungen, sollen bestehende, aber bislang nicht oder nicht vollständig befriedigte Bedürfnisse oder aber völlig neue Bedürfnisse befriedigt werden.20 Prozessinnovationen hingegen, also die Erneuerung oder Verbesserung organisationsinterner (Fertigungs-)Abläufe, bezwecken eine Steigerung der Produktivität von Unternehmen und damit vor allem Kostensenkungen.21 Sie können sich auf ganz unterschiedliche Aspekte der Abläufe in einem Unternehmen beziehen, darunter etwa die eigentliche Gütererzeugung selbst, aber auch die Logistik, Marketing und Vertrieb sowie administrative Tätigkeiten.22 Die Abgrenzung zwischen Produkt- und Prozessinnovationen lässt sich ebenfalls nicht immer eindeutig vornehmen; vielfach liegen beide Innovationsarten zugleich vor.23 Gerade bei der Erneuerung oder Verbesserung von Dienstleistungen wird 16 Siehe etwa Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 8; Schewe in: Albers/Herrmann, Handbuch Produktmanagement, 2007, S. 52 f. 17 Vgl. hierzu Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 8; Andersen in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 754. 18 Siehe etwa Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 6. 19 Vgl. Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 7. 20 Vgl. Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 6; vgl. hierzu auch Brockhoff in: Albers/Herrmann, Handbuch Produktmanagement, 2007, S. 22 f. 21 Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 177. 22 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 73 f. 23 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 76; Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 7; vgl. auch Dasgupta/Stiglitz, The Bell Journal of Economics 1980, Bd. 11, Nr. 1, 1, 3.
Kapitel 1: Innovation
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angezweifelt, ob eine Abgrenzung überhaupt möglich ist.24 In der Wettbewerbsökonomik wird eine getrennte Betrachtung der beiden Innovationsarten teilweise für nicht notwendig erachtet.25 Die Ausführungen der vorliegenden Arbeit beziehen sich vielfach auf beide Innovationsarten gleichzeitig. Es ist dann die Rede von einem eine Innovation verkörpernden Produkt oder schlicht von einem innovativen Produkt. Gemeint ist damit ein Produkt, das entweder selbst neu oder verbessert ist (also eine Produktinnovation darstellt) oder mittels eines neuen oder verbesserten Prozesses (also infolge einer Prozessinnovation) hergestellt wird. Im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum erfahren die beiden genannten Innovationsarten, Produkt- und Prozessinnovationen, wohl die meiste Aufmerksamkeit.26 Sie werden auch zusammengefasst zu den sogenannten technischen Innovationen.27 Weitere Kategorien sind die der organisationalen und der geschäftsbezogenen Innovationen.28 Erstere bestehen in der vollständigen Neuorganisation der Herstellungs- und Vertriebsprozesse eines Unternehmens sowie möglicherweise von dessen Beziehungen zu anderen Unternehmen.29 Sie können also intra- und interorganisationale Strukturen betreffen,30 aber auch etwa die Kultur eines Unternehmens.31 Insofern gehen sie über bloße Prozessinnovationen hinaus.32 Als „[d]as bekannteste Beispiel einer organisationalen Innovation“33 wird die Umstellung von Unternehmen auf ein System der Lean Production genannt.34 Die Kategorie der geschäftsbezogenen Innovationen umfasst vor allem Veränderungen der Geschäftsmodelle von Unternehmen.35 Unter dem Geschäfts24 Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 6. 25 Siehe etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the
Economy 2020, Bd. 20, 125, 129. 26 Vgl. Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 6 f. 27 Vgl. Zahn/Weidler in: Zahn, Handbuch Technologiemanagement, 1995, S. 362 f.; Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 11. 28 Zahn/Weidler in: Zahn, Handbuch Technologiemanagement, 1995, S. 363–366. 29 Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 7; vgl. auch Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 202. 30 Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 202. 31 Zahn/Weidler in: Zahn, Handbuch Technologiemanagement, 1995, S. 363 f.; siehe hierzu auch Specht in: Zahn, Handbuch Technologiemanagement, 1995, S. 509–512. 32 Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 7. 33 Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 202. 34 Siehe auch etwa Freeman, Cambridge Journal of Economics 1995, Bd. 19, Nr. 1, 5, 18. 35 Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 11; vgl. auch Zahn/Weidler in: Zahn, Handbuch Technologiemanagement, 1995, S. 365, die insofern von den „im Geschäft geltenden Spielregeln“ sprechen; zur Erneuerung von Geschäftsmodellen als Innovation siehe auch Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 5; vgl. auch Johnson/Christensen/Kagermann, Reinventing Your Business Model, 2008.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
modell eines Unternehmens wird gemeinhin die Logik der Wertschöpfung in diesem verstanden, also die Art und Weise, wie das Unternehmen Mehrwert für seine Kundinnen und Kunden schafft und hierdurch Einnahmen erzielt.36 Dies umfasst (zumindest auch) eine Beschreibung der wesentlichen internen Abläufe des Unternehmens, von dessen Produkten oder Dienstleistungen sowie der Ausgestaltung des Zusammenhangs zwischen beidem.37 Eine „Geschäftsmodellinnovation“38 liegt vor, wenn ein Unternehmen sowohl seine Produkte oder Dienstleistungen als auch seine internen Abläufe (und damit gerade auch die Kombination aus beidem) verändert.39 Betreffen Veränderungen nur die Produkte oder Dienstleistungen eines Unternehmens oder nur dessen interne Prozesse, lässt sich unter Umständen von einer bloß teilweisen Geschäftsmodellinnovation sprechen; hier bereitet allerdings die Abgrenzung von reinen Produkt- und Prozessinnovationen im herkömmlichen Sinne Schwierigkeiten.40
III. Unterschiedliche Grade und Ausprägungen der Innovation Ansätze zur Differenzierung von Innovationen ihrem Grade nach beziehungsweise zur Bestimmung des Innovationsgrades (im Sinne des Ausmaßes oder der Intensität) einer Neuerung gibt es in großer Zahl.41 Eine häufig anzutreffende Unterscheidung ist diejenige zwischen radikalen (auch drastischen, bahnbrechenden oder revolutionären) Innovationen auf der einen und inkrementellen oder marginalen Innovationen auf der anderen Seite.42 Die genaue Abgrenzung dieser Begriffe variiert.43 Vorgeschlagen wird beispielsweise, zur Identifikation 36 Vgl.
Fielt, Journal of Business Models 2013, Bd. 1, Nr. 1, 85, 92. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 76; Johnson/Christensen/Kagermann, Reinventing Your Business Model, 2008, S. 3 f.; siehe auch Zott/Amit/Massa, Journal of Management 2011, Bd. 37, Nr. 4, 1019, 1024, 1036 f., mit Übersichten über verschiedene Definitionsansätze in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur. 38 Im englischsprachigen Original „business model innovation“, Mitchell/Coles, Journal of Business Strategy 2003, Bd. 24, Nr. 5, 15, 16 f.; siehe hierzu auch etwa Schallmo, Geschäftsmodelle erfolgreich entwickeln und implementieren, 2018, S. 19–26; Becker/Ulrich/Stradtmann, Geschäftsmodellinnovationen als Wettbewerbsvorteil mittelständischer Unternehmen, 2018, S. 15–29. 39 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 76 f.; vgl. auch Mitchell/Coles, Journal of Business Strategy 2003, Bd. 24, Nr. 5, 15, 16 f. 40 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 76 f. 41 Siehe Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 13–17. 42 Siehe etwa Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 7; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 4; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 54; mit Verweis auf weitere denkbare Begriffspaare und Kritik an der Bildung derartiger Dichotomien Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 13; für eine abweichende Klassifizierung von Innovationen siehe auch Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 205 f. 43 Siehe nur die Literaturauswertung bei Dahlin/Behrens, Research Policy 2005, Bd. 34, Nr. 5, 717. 37 Vgl.
Kapitel 1: Innovation
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radikaler Innovationen an die erwarteten Wirkungen einer Neuerung auf die Wettbewerbsfähigkeit des innovierenden Unternehmens oder den Markt, auf welchem dieses tätig ist, anzuknüpfen.44 So wird etwa eine Produktinnovation dann als radikal bezeichnet, wenn das betreffende neue Produkt gegenüber bereits vorhandenen Produkten derart überlegen ist, dass diese selbst zu Grenzkosten nicht mehr in wettbewerbsfähiger Weise angeboten werden können.45 Danach sind radikale Innovationen also allgemein solche, die dazu führen, dass zunächst nur mehr das innovierende Unternehmen weiterhin auf dem betroffenen Markt tätig ist und andere Unternehmen, die die Neuerung nicht ebenfalls umsetzen, aus dem Markt gedrängt werden.46 Erwartungsgemäß sind radikale Innovationen sehr selten; inkrementelle Innovationen treten dagegen häufiger auf.47 Die kumulative Wirkung und damit Bedeutung einer Vielzahl von inkrementellen Innovationen können allerdings erheblich sein und der Wirkung und Bedeutung radikaler Innovationen durchaus gleichkommen.48 Verfehlt wäre es daher, einzelne Innovationen allein aufgrund ihres Innovationsgrades als mehr oder weniger wichtig für Wohlstand und wirtschaftliches Wachstum anzusehen.49 Zudem ist häufig eine Abfolge beobachtbar, in welcher zuerst eine radikale Innovation eingeführt wird und dieser dann verwandte inkrementelle Innovationen folgen.50 Insbesondere: Disruptive Innovation Eine anderweitige Einteilung von Innovationen basiert auf dem Konzept der Disruption oder disruptiven Innovation (auch disruptiven Technologie) nach Bower und vor allem Christensen.51 Hier wird unterschieden zwischen disruptiven und erhaltenden Innovationen (beziehungsweise Disruptive Technologies 44 45 46
S. 4.
OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 77 f. So etwa Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 591. Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017,
47 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 78; Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 206; Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 255. 48 Fagerberg in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 8. 49 Vgl. hierzu auch Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 17. 50 Siehe hierzu etwa Abernathy/Utterback, Technology Review 1978, Bd. 80, Nr. 7, 40, 42 f. 51 Grundlegend Bower/Christensen, Harvard Business Review 1995, Bd. 73, Nr. 1, 43; Christensen, The Innovator’s Dilemma, 2016 (erstmals erschienen 1997); siehe auch etwa Christensen/Raynor/McDonald, Harvard Business Review 2015, Bd. 93, Nr. 10, 44; Streel/ Larouche, Disruptive Innovation and Competition Policy Enforcement, 2015, S. 2 f.; Gans, The Disruption Dilemma, 2017; Schulz-Schaeffer in: Eifert, Digitale Disruption und Recht, 2020 S. 127–142; mit Kritik an Christensens Konzept etwa Danneels, The Journal of Product Innovation Management 2004, Bd. 21, Nr. 4, 246; Markides, The Journal of Product Innovation Management 2006, Bd. 23, Nr. 1, 19; Lepore, The Disruption Machine, The New Yorker, 16. Juni 2014; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 72 f.; mit einem ähnlichen Konzept
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
und Sustaining Technologies).52 Diese Unterscheidung bezieht sich aber – anders als diejenige zwischen radikalen und inkrementellen Innovationen – gerade nicht auf den Innovationsgrad einer betrachteten Neuerung. Disruptive wie erhaltende Innovationen können jeweils zugleich sowohl radikale als auch inkrementelle Innovationen darstellen. Keineswegs ist disruptive Innovation stets mit radikaler Innovation gleichzusetzen.53 Vielmehr beschreibt das Konzept der disruptiven Innovation einen spezifischen Mechanismus, der kleine Unternehmen ohne Zugriff auf umfangreiche Ressourcen in die Lage versetzen kann, die Marktstellung erfolgreicher, etablierter Unternehmen anzugreifen.54 Die Einordnung einer Innovation als erhaltend oder disruptiv aus Sicht eines etablierten Unternehmens hängt davon ab, ob sie sich innerhalb oder außerhalb des Value Network (des Wertschöpfungssystems) vollzieht, in welches das fragliche Unternehmen mit den von ihm angebotenen Produkten eingebettet ist.55 Der Begriff des Value Network bezeichnet den wirtschaftlichen und technischen Kontext, innerhalb dessen etablierte Unternehmen spezifische Bedürfnisse von Kundinnen und Kunden identifizieren und diese bestmöglich zu befriedigen suchen. Diese Kundinnenbedürfnisse hängen von den jeweiligen technischen Möglichkeiten, vor allem aber von den weitergehenden Ansprüchen ab, die etwa Abnehmerinnen und Abnehmer auf nachgelagerten Wertschöpfungsstufen an Produktangebote stellen. Ausgehend von den Bedürfnissen der Unternehmen auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen, bilden sich in einem Value Network bestimmte Kriterien für die Leistungsfähigkeit von Produkten heraus. Beabsichtigt ein Unternehmen, die Leistungsfähigkeit seines Angebots anhand der innerhalb seines Value Network maßgeblichen Kriterien zu erhöhen, und führt hierzu neue oder verbesserte Produkte ein, so handelt es sich um erhaltende Innovationen. Disruptive Innovationen hingegen sind solche, die, gemessen an den maßgeblichen Kriterien in einem Value Network, zunächst kaum leistungsfähig sind, dafür aber Kundinnen und Kunden außerhalb des Netzwerks ansprechen. Sie werden nicht von den wichtigen Durchschnittskundinnen und -kunden eines Markts nachgefragt, sondern fallen in eine Marktnische. Dort befriedigen sie die besonderen Bedürfnisse einer Randgruppe von Kundinnen und Kunden und werden Teil eines anderen, aus Anbietersicht erst einmal weniger attraktiven Value Network. Eine disruptive Innovation zeichwie Christensen bereits Henderson/Clark, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 9. 52 Siehe nur Christensen, The Innovator’s Dilemma, 2016, S. xix, 7–23; Streel/Larouche, Disruptive Innovation and Competition Policy Enforcement, 2015, S. 2. 53 Christensen, The Innovator’s Dilemma, 2016, S. 9, 23 f.; Streel/Larouche, Disruptive Innovation and Competition Policy Enforcement, 2015, S. 2; vgl. auch Christensen/Raynor/ McDonald, Harvard Business Review 2015, Bd. 93, Nr. 10, 44, 46. 54 Christensen/Raynor/McDonald, Harvard Business Review 2015, Bd. 93, Nr. 10, 44, 46. 55 Vgl. Streel/Larouche, Disruptive Innovation and Competition Policy Enforcement, 2015, S. 2.
Kapitel 1: Innovation
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net dann aber aus, dass sich die ihr zugrunde liegende Technologie mit der Zeit verbessert, bis sie auch im Hinblick auf die Kriterien des ursprünglichen, attraktiveren Value Network leistungsfähig ist. Da sie nun sowohl die Bedürfnisse der Durchschnittskundinnen und -kunden befriedigt als auch zusätzliche Leistungskriterien erfüllt (was bislang nur Nischenkundinnen und -kunden wertschätzten), ist die disruptive Innovation den bisherigen Produkten innerhalb des ursprünglichen Value Network überlegen. Dies führt dazu, dass die Durchschnittskundinnen und -kunden ihre Bedürfnisse anpassen und sich so die Leistungskriterien im Value Network verändern. Auch die wichtigen Durchschnittskundinnen und -kunden fragen fortan vor allem Produkte nach, welche die Eigenschaften der disruptiven Innovation aufweisen.56 Aus der Sicht erfolgreicher, marktführender Unternehmen, die in einem bestimmten Value Network fest etabliert sind, stellen disruptive Innovationen eine große wettbewerbliche Gefahr dar. In dem Zeitpunkt, in welchem eine disruptive Innovation erstmals technisch möglich ist, sind etablierte Unternehmen kaum geneigt, diese einzuführen. Denn sie richten ihre Tätigkeiten regelmäßig eng an den Bedürfnissen ihrer Kundinnen und Kunden aus. Eben dies ist häufig die Grundlage ihres Erfolgs. So können sie aber das Potential einer disruptiven Innovation zunächst nicht erkennen. Disruptive Innovationen stammen daher meist von Unternehmen, die noch nicht fest in einem bestimmten Value Network etabliert sind, von Newcomern. In dem Zeitpunkt, in welchem eine disruptive Innovation dann in technischer Hinsicht so weit fortentwickelt ist, dass sie auch die Bedürfnisse der ursprünglichen Durchschnittskundinnen und -kunden der etablierten Unternehmen befriedigt und so zum überlegenen Produkt im Value Network avanciert, ist es für die Etablierten meist zu spät. Dann verfügen die Newcomer über entscheidende Vorsprünge, etwa in Gestalt von Erfahrung und Know-how bei Herstellung und Vertrieb der disruptiven Innovation, die ihnen erhebliche Wettbewerbsvorteile verschaffen. Für disruptive Innovationen ist also gerade charakteristisch, dass etablierte Unternehmen sie kaum vorhersehen und die aus ihnen resultierenden wettbewerblichen Gefahren daher nur schwer abwehren können. So können disruptive Innovationen dazu führen, dass Newcomer etablierte Markthierarchien auflösen und so ganze Industrien erschüttern. Disruptive Innovationen sind, wie Christensen es zugespitzt ausdrückt, der Grund, „why the best firms can fail“.57 Als Beispiel disruptiver Innovation lässt sich etwa die Entwicklung von Netflix nachzeichnen. Das ursprüngliche Angebot des Unternehmens bestand darin, Film-DVDs zur Ausleihe per Post an seine Kundinnen und Kunden zu versenden. Damit schien es aus Sicht der etablierten Videotheken, wie Blockbuster 48.
56 Siehe
zum vorstehenden Absatz Christensen, The Innovator’s Dilemma, 2016, S. 29–
57 So wörtlich Christensen, The Innovator’s Dilemma, 2016, S. 3; siehe zum vorstehenden Absatz Christensen, The Innovator’s Dilemma, 2016, S. 29–48.
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in den Vereinigten Staaten, keine ernst zu nehmende Konkurrenz darzustellen. Aufgrund der vergleichsweise langen Wartezeiten war das Angebot von Netflix unattraktiv für die Durchschnittskundinnen und -kunden der Videotheken. Es sprach vor allem randständige Kundinnengruppen an, wie etwa frühe Nutzerinnen und Nutzer der noch jungen DVD-Technik. Später aber verbesserte sich die dem Angebot von Netflix zugrundeliegende Technologie. Das Unternehmen setzte die Streaming-Technik ein, womit sich die Wartezeiten für einen auszuleihenden Film drastisch verkürzten. Sein Video-on-Demand-Angebot wurde auch für die Durchschnittskundinnen und -kunden von Videotheken überaus attraktiv. So gelang es Netflix, Teile der Branche zu erschüttern und Videotheken wie Blockbuster zu verdrängen.58
B. Entstehungsbedingungen von Innovation Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind Innovationen, die durch (privat-)wirtschaftliche Unternehmen – als den zentralen Akteuren der Marktwirtschaft und Adressaten des Wettbewerbsrechts – hervorgebracht werden.59 Mittel von Unternehmen zur Hervorbringung von Innovationen sind Innovationstätigkeiten (dazu unter I.), welche sie vornehmen, wenn sie über die dazu erforderlichen Fähigkeiten (dazu unter II.) und Anreize (dazu unter III.) verfügen.60
I. Innovationstätigkeiten Mit dem Begriff der Innovationstätigkeiten wird im Folgenden die Gesamtheit an Tätigkeiten und Anstrengungen beschrieben, die einzelne Organisationen unternehmen, um Innovationen im Sinne neuer oder verbesserter Produkte oder Prozesse hervorzubringen.61 Auf eine bestimmte Innovation gerichtete Innovationstätigkeiten lassen sich zu einem spezifischen Innovations- oder Forschungsprojekt oder -programm zusammenfassen.62 Als Innovationstätig58 Zum Beispiel von Netflix und Blockbuster siehe Christensen/Raynor/McDonald, Harvard Business Review 2015, Bd. 93, Nr. 10, 44, 48 f.; Gans, The Disruption Dilemma, 2017, S. 13–31. 59 Als Unternehmen gilt nach dem in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte für das EU-Wettbewerbsrecht entwickelten funktionalen Begriffsverständnis „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung“, siehe nur EuGH, 12.9.2000, Rs. C-180/98, ECLI:EU:C:2000:428, Rn. 74 – Pavel Pavlov u. a./Stichting Pensioenfonds Medische Specialisten; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 3 Rn. 7. 60 Vgl. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 59, der insofern von Innovations- beziehungsweise „F&E-Fähigkeit“ und „F&E-Willigkeit“ spricht; vgl. auch Scotchmer, Innovation and Incentives, 2006, S. ix–xi, 2. 61 Ähnlich OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 68. 62 Vgl. nur Disselkamp, Innovationsmanagement, 2012, S. 187; siehe auch etwa Hartschen/Scherer/Brügger, Innovationsmanagement, 2009.
Kapitel 1: Innovation
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keiten kommt eine Vielzahl unternehmerischer Aktivitäten in Betracht – von der eigentlichen Produktion neuen Wissens über dessen Umsetzung bei der Gestaltung neuer Produkte oder Prozesse bis hin zur erstmaligen Herstellung und Erprobung solcher Produkte beziehungsweise zum erstmaligen (auch probeweisen) Einsatz solcher Prozesse.63 Zum Teil werden den Innovationstätigkeiten auch weitergehende Aktivitäten zugeordnet, wie die Markteinführung und (erstmalige) Vermarktung neuer Produkte,64 deren kontinuierliche Anpassung an die Nachfrage,65 sowie die Schulung von Mitarbeitenden in der Verwendung neuer Produkte oder Prozesse.66
1. Forschung und Entwicklung als zentrale Innovationstätigkeiten Zentrale Innovationstätigkeiten sind in jedem Fall Forschung und Entwicklung (kurz F&E).67 Deren wesentlicher Gegenstand ist die Produktion neuen Wissens.68 Sie lassen sich daher gut abgrenzen von unternehmerischen Aktivitäten, die nicht spezifisch für die Hervorbringung von Innovationen sind, wie der seriellen Herstellung und Vermarktung von (einmal entwickelten) Produkten oder dem routinemäßigen Einsatz von Prozessen.69 Die OECD definiert Forschung und (experimentelle) Entwicklung als kreative und systematische Tätigkeiten, die durchgeführt werden, um den Bestand an Wissen zu erweitern und neue Anwendungen für das verfügbare Wissen zu konzipieren.70 F&E-Tätigkeiten erfüllen nach der Begriffsbestimmung der OECD fünf kumulative Voraussetzungen: Sie dienen, erstens, der Gewinnung neuer Erkenntnisse, die bislang weder innerhalb des betrachteten Unternehmens noch bei anderen Unternehmen derselben Industrie vorhanden sind.71 Sie weisen, zweitens, ein Element der Kreativität auf. Das heißt, dass versucht wird, neue, nicht naheliegende Konzepte zu verwirklichen oder Hypothesen zu überprüfen. Forschung und Entwicklung stellen nicht bloß routinemäßige Änderungsvorgänge dar.72 Sie sind, drittens, geprägt von Unsicherheit, und zwar dahingehend, ob, wann und zu wel63 Vgl.
Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 28. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 88 f. 65 Pavitt in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 86, 101 f. 66 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 89. 67 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 87; ähnlich auch Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 3 f.; siehe ferner Scherer, Innovation and Growth, 1984, S. 120, demzufolge Forschung und Entwicklung „the principal institutionalization of technological innovation in a market economy“ darstellen. 68 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 1, 9. 69 Zur Produktion von Wissen als insofern nützlichem Abgrenzungskriterium vgl. auch Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 28 f. 70 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 44. 71 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 46. 72 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 47. 64 Vgl.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
chen Kosten sie das mit ihnen verfolgte Ziel tatsächlich erreichen werden.73 Sie werden, viertens, systematisch durchgeführt, das heißt unter Planung und Dokumentation der Vorgehensweise und der erforderlichen Ausgaben.74 Und sie führen, fünftens, zu reproduzierbaren Ergebnissen, sodass die gewonnenen Erkenntnisse übertragbar sind.75 Innerhalb der Gesamtheit in Betracht kommender F&E-Tätigkeiten werden regelmäßig unterschiedliche Typen oder Stufen identifiziert, denen einzelne Tätigkeiten zugeordnet werden können: Grundlagenforschung, angewandte Forschung und (experimentelle) Entwicklung.76 Eine solche Zuordnung einzelner Tätigkeiten ist freilich idealtypisch und in der Realität nicht durchweg möglich.77 So lassen sich die drei Stufen nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen.78 Auch erfolgen F&E-Tätigkeiten unter realen Bedingungen nicht notwendig in der durch die Zuordnung zu den drei Stufen suggerierten Reihenfolge; sie stehen vielmehr in einem komplexen Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung zueinander.79 Möglich ist zum Beispiel, dass Entwicklungstätigkeiten wiederum zu bestimmten Forschungstätigkeiten führen, oder dass die Stufe der angewandten Forschung übersprungen wird und Grundlagenforschung direkt zu Entwicklungstätigkeiten führt.80
a) Grundlagenforschung Grundlagenforschung, auf der ersten Stufe, dient der Gewinnung von Grundlagenwissen.81 Sie umfasst experimentelle oder theoretische Forschungstätigkeiten mit dem Ziel, neue Kenntnisse über grundlegende (natur-)wissenschaftliche Zusammenhänge zur Erklärung beobachtbarer Phänomene zu erlangen, ohne dass dabei bereits ein bestimmter Anwendungsbereich dieser Kenntnisse erkennbar ist.82 Gerade dieser letzte Aspekt unterscheidet Grundlagenforschung von den weitergehenden Stufen. Mangels Ausrichtung auf konkrete 73
OECD, Frascati Manual, 2015, S. 47. OECD, Frascati Manual, 2015, S. 47. 75 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 48. 76 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 20; OECD, Frascati Manual, 2015, S. 50. 77 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 24. 78 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 24. 79 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 23 f.; Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 197; siehe hierzu auch Kline/Rosenberg in: Landau/Rosenberg, The Positive Sum Strategy, 1986, S. 285–294, mit Kritik am sogenannten linearen Modell zur Erklärung von Innovationstätigkeiten; vgl. zudem Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 210; OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 86. 80 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 45. 81 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 20. 82 Vgl. OECD, Frascati Manual, 2015, S. 50; siehe auch Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 24 f. 74
Kapitel 1: Innovation
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Anwendungsfelder eignen sich die Ergebnisse von Grundlagenforschung – zumindest kurzfristig – nicht zur unmittelbaren Kommerzialisierung. Sie dienen als Basis für die weitergehende angewandte Forschung,83 lassen sich aber meist nicht selbst in Gestalt von bestimmten neuen Produkten veräußern.84 Dementsprechend wird häufig davon ausgegangen, dass Grundlagenforschung überwiegend in Hochschulen sowie staatlichen85 beziehungsweise staatlich geförderten Forschungseinrichtungen86 stattfindet, die nicht oder in geringerem Maße betriebswirtschaftlichen Zwängen unterliegen.87 Auch privatwirtschaftliche Unternehmen führen allerdings zuweilen Grundlagenforschung durch.88 So lassen sich zwei Arten der Grundlagenforschung unterscheiden: einerseits die reine Grundlagenforschung (Pure Basic Research), deren Zweck allein der wissenschaftliche Fortschritt ist, ohne dass darüber hinaus bestimmte wirtschaftliche oder sonstige Ziele verfolgt oder Forschungsergebnisse bestimmten Anwendungsfeldern zugeführt werden;89 und andererseits die problemorientierte Grundlagenforschung (Oriented Basic Research), die zwar ebenfalls einem breit angelegten Erkenntnisfortschritt dient, aber einem solchen, der möglicherweise Ausgangspunkt für Lösungsansätze zu bestimmten Problemfeldern sein kann.90 An dieser Unterscheidung zweier Arten von Grundlagenforschung wird erneut deutlich, dass eine Zuordnung von F&E-Tätigkeiten zu den drei genannten Stufen recht schablonenhaft ist. Namentlich eine Abgrenzung zwischen problemorientierter Grundlagenforschung und angewandter Forschung ist in vielen Fällen schwierig.91 83 84
Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 25. OECD, Frascati Manual, 2015, S. 50. 85 Staatliche Einrichtungen, welche direkt selbst Forschung und Entwicklung betreiben, sind in Deutschland etwa die Bundesministerien oder diesen nachgeordnete „Bundeseinrichtungen mit FuE-Aufgaben“, BmBF, Bundesbericht Forschung und Innovation 2020, S. 81. 86 In Deutschland zählen zu den wichtigen (außeruniversitären) Forschungseinrichtungen, die durch Bund und Länder gefördert werden, beispielsweise die Fraunhofer-Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft, die Max-Planck-Gesellschaft sowie die Akademien der Wissenschaften, vgl. BmBF, Bundesbericht Forschung und Innovation 2020, S. 75–80. 87 Vgl. OECD, Frascati Manual, 2015, S. 50; siehe auch Nelson, Journal of Political Economy 1959, Bd. 67, Nr. 3, 297, 304; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 50. 88 Siehe etwa Potters/Grassano, The 2019 EU Survey on Industrial R&D Investment Trends, 2020, S. 43–45, wonach Unternehmen mit Sitz in der EU, die Forschung und Entwicklung betreiben, laut einer Befragung im Jahr 2018 immerhin 9 % ihrer gesamten F&E-Aufwendungen in Grundlagenforschung investierten. Zur Grundlagenforschung US-amerikanischer Unternehmen siehe etwa die Studie von Arora/Belenzon/Sheer, Back to Basics: Why do Firms Invest in Research?, 2017. 89 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 50. 90 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 51. 91 Vgl. hierzu Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 28 f.; siehe auch bereits Nelson, Journal of Political Economy 1959, Bd. 67, Nr. 3, 297, 300.
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b) Angewandte Forschung Angewandte Forschung, auf der zweiten Stufe, zielt ebenfalls ab auf die Gewinnung neuen oder die Erweiterung vorhandenen Wissens, dies allerdings in der Absicht, Wissen zur Lösung bereits konkret definierter Probleme nutzbar zu machen.92 Sie ist – im Unterschied zur Grundlagenforschung – „auf ein festumrissenes, praktisches Ziel gerichtet“93, soll also Ergebnisse hervorbringen, die sich für die Erneuerung oder Verbesserung von Produkten oder Prozessen unmittelbar einsetzen lassen.94 Diese Ergebnisse angewandter Forschung werden meist als Erfindung, oder Invention, bezeichnet.95 Dabei knüpft die angewandte Forschung an Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung an.96 Sie operationalisiert abstrakte Konzepte für konkrete Anwendungen.97 Bestandteil der angewandten Forschung sind auch Versuche zum Beweis der technischen Durchführbarkeit gefundener Lösungsansätze.98 Gemeinhin gilt die angewandte Forschung als „das eigentliche Betätigungsfeld industrieller Forschung“99 beziehungsweise privatwirtschaftlicher und forschender Unternehmen.100 Allerdings betreiben auch etwa die staatlich geförderten Forschungseinrichtungen angewandte Forschung.101
c) Experimentelle Entwicklung Experimentelle Entwicklung, auf der dritten Stufe, umfasst schließlich Tätigkeiten, welche die Umsetzung erworbenen Wissens zur Herstellung neuer oder verbesserter Produkte oder zur Ausgestaltung neuer oder verbesserter Prozesse bezwecken.102 Leitgedanke ist hier die wirtschaftliche Verwertbarkeit von Wissen.103 Entwicklungstätigkeiten folgen häufig auf die angewandte Forschung 92 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 51; siehe auch Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 36. 93 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 31. 94 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 51; Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 31. 95 Siehe etwa Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 31; vgl. auch Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 135. 96 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 31. 97 Siehe OECD, Frascati Manual, 2015, S. 51, wo es heißt: „Applied research gives operational form to ideas“. 98 Vgl. Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 36. 99 Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 31. 100 Vgl. Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 31. 101 So etwa die Fraunhofer-Gesellschaft, deren vollständige Bezeichnung Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e. V. lautet, siehe BmBF, Bundesbericht Forschung und Innovation 2020, S. 76. 102 Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 52; OECD, Frascati Manual, 2015, S. 51. 103 Vgl. Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 52; OECD, Frascati Manual, 2015, S. 51.
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und sollen deren Ergebnisse systematisch weiterentwickeln.104 Mit der praktischen Umsetzung werden aus Inventionen Innovationen.105 Wie zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung ist aber auch zwischen angewandter Forschung und Entwicklung eine trennscharfe Abgrenzung häufig nicht möglich.106 Zudem werden Entwicklungstätigkeiten auch unabhängig von neuen Erkenntnissen aus der angewandten Forschung durchgeführt, etwa bei der nur geringfügigen Anpassung bestehender Produkte an Veränderungen im Verhalten der Abnehmerinnen und Abnehmer.107 Wesentlicher Bestandteil von Entwicklungstätigkeiten ist jedenfalls die Ausrichtung von für konkrete Probleme gefundenen Lösungsansätzen auf wirtschaftliche Bedürfnisse und Notwendigkeiten.108 Neue oder verbesserte Produkte oder Prozesse als Resultate von Entwicklungstätigkeiten werden an ihrer Marktfähigkeit beziehungsweise wirtschaftlichen Einsatzbereitschaft gemessen.109 Schlusspunkt von Entwicklungstätigkeiten kann etwa die Herstellung und Überprüfung erster Prototypen eines neuen oder verbesserten Produkts sein.110 Nicht mehr zu den Entwicklungstätigkeiten zählt hingegen ein sich anschließender Probebetrieb der seriellen Produktion.111 Für bestimmte Produkte, mit denen etwa besondere Gefahren für die Endverbraucherinnen und -verbraucher verbunden sind, ordnen spezielle Vorschriften an, dass sie in geregelten Verfahren erprobt werden müssen, bevor sie auf den Markt gebracht werden dürfen. So haben etwa Medikamente verschiedene Phasen der Erprobung in klinischen Studien zu durchlaufen, in welchen der Nachweis über ihre Wirksamkeit und ein hinreichendes Sicherheitsprofil erbracht werden soll.112 In derartigen Fällen ist die Durchführung von Erprobungsverfahren, jedenfalls soweit sie vor erstmaliger Markteinführung der betreffenden Produkte liegt, ebenfalls noch den Entwicklungstätigkeiten hinzuzurechnen.113
104 OECD, Frascati Manual, 2015, S. 51; Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 36. 105 Siehe etwa OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 47; Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 137. 106 Siehe nur Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 31, 36. 107 Vgl. Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 39. 108 Vgl. Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 36. 109 Vgl. Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 36, demzufolge „die Entwicklungsarbeit ganz im Zeichen der produktions- und absatzwirtschaftlichen Erfordernisse“ erfolgt. 110 Vgl. OECD, Frascati Manual, 2015, S. 60. 111 Vgl. OECD, Frascati Manual, 2015, S. 62. 112 Ausführlicher hierzu noch Kapitel 5.B. I.2.b). 113 Vgl. OECD, Frascati Manual, 2015, S. 63.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
2. Anderweitige Innovationstätigkeiten Neben Forschung und Entwicklung lassen sich zahlreiche weitere Innovationstätigkeiten ausmachen. So sind etwa im Oslo Manual insgesamt acht Kategorien von Aktivitäten beschrieben, die Unternehmen durchführen können, um Innovationen hervorzubringen.114 Diese Kategorien umfassen beispielsweise auch technische Arbeiten und Gestaltung, wozu unter anderem die Implementierung von Mechanismen zur Qualitätskontrolle, Standardsetzung und Produktgestaltung gehören,115 außerdem Erwerb und Verwertung von Immaterialgüterrechten,116 sowie Einsatz und Entwicklung von Software und Datenbanken.117 Anders als für Forschung und Entwicklung gilt für die Aktivitäten dieser anderweitigen Kategorien, dass sie nicht in jedem Fall, sondern nur unter bestimmten Umständen Innovationstätigkeiten darstellen.118 Beispielsweise kann der Einsatz von Software der Hervorbringung neuer Produkte oder Prozesse dienen (namentlich wenn diese selbst auf Software basieren, wie Computerspiele oder Logistiksysteme), ebenso aber natürlich gänzlich anderen Zwecken. Auch ist Softwareentwicklung nicht stets Entwicklung im engen Sinne des Begriffspaars Forschung und Entwicklung, stellen doch geringfügige Upgrades bereits eingesetzter Software mangels hinreichender Neuartigkeit oftmals keine wirklichen Innovationen dar.119 Die Einordnung einzelner unternehmerischer Aktivitäten als Innovationstätigkeiten hat also stets kontextbasiert zu erfolgen. Eine erschöpfende Aufzählung sämtlicher Aktivitäten, die als Innovationstätigkeiten in Betracht kommen, ist kaum zu bewerkstelligen. Dies ist auch deshalb der Fall, weil die Palette denkbarer Innovationstätigkeiten notwendigerweise selbst einem Wandel unterworfen ist. Innovationstätigkeiten sollen Neues, also bislang Unbekanntes, hervorbringen. Welche Aktivitäten hierzu in Zukunft einmal geeignet und erforderlich sein werden, lässt sich heute schlechterdings nicht abschließend sagen. So konnte etwa Softwareentwicklung vor ihrem Aufkommen und ihrer Verbreitung nicht als mögliche Innovationstätigkeit eingeordnet werden.120
114 Siehe
OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 87. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 87 f. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 89. 117 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 89 f. 118 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 87–91. 119 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 90. 120 Vgl. hierzu etwa auch Sauer in: Sauer/Lang, Paradoxien der Innovation, 1999, S. 14, mit der Erkenntnis, dass „Innovationen auf Bedingungen angewiesen sind, die zum Zeitpunkt der Innovation eben deshalb nicht erfüllt sein können, weil es sich um die Hervorbringung von Neuem handelt – Bedingungen, die vielmehr im Zuge der Innovation selbst erst entdeckt, hergestellt und erprobt werden müssen“. 115 116
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3. Innovation und Investition Die Vornahme von Innovationstätigkeiten (gleich welcher Art) – oder, anders ausgedrückt, Innovationstätigkeit als solche – versteht sich aus betriebswirtschaftlicher Perspektive in erster Linie als mit Kosten verbundene Ausübung von Handlungsspielräumen.121 Die unternehmerische Entscheidung zur Vornahme bestimmter Innovationstätigkeiten – beziehungsweise für die Aufnahme und Fortführung von Innovationstätigkeit – oder dagegen (auch „Innovationsentscheidung“122) ist daher im Kern eine strategische Investitionsentscheidung.123 Sie gleicht damit etwa der Entscheidung für oder gegen den Ausbau einer Produktionsstätte oder eine Aufstockung des in der Herstellung von Produkten beschäftigten Personals.124 Mit einer derartigen Investitionsentscheidung weist ein privatwirtschaftliches Unternehmen einen Teil seiner (endlichen) Ressourcen einem bestimmten Zweck zu, hier eben der Hervorbringung von Innovationen, und erklärt sich bereit, die zur Verfolgung dieses Zwecks notwendigen finanziellen Aufwendungen zu tätigen.125 Während des gesamten Verlaufs von der erstmaligen Aufnahme von F&E-Tätigkeiten bis zur Fertigstellung und Markteinführung eines neuen Produkts kann eine Vielzahl von Investitionsentscheidungen zu treffen sein: über die Vornahme immer weiterer einzelner Innovationstätigkeiten oder, mit anderen Worten, über Fortführung, Umleitung oder Abbruch der Innovationstätigkeit als solcher.126 Das Verständnis von Innovationstätigkeit als Gesamtheit sukzessiver Investitionsentscheidungen ist wichtig für die konzeptionelle Erfassung des Verhaltens von Unternehmen im Zusammenhang mit der Hervorbringung von Innovationen, namentlich unter dem Gesichtspunkt der Innovationsanreize.127
II. Innovationsfähigkeiten Als Innovationsfähigkeiten werden im Folgenden diejenigen Fähigkeiten und Mittel bezeichnet, derer Unternehmen bedürfen, um überhaupt zur Vornahme 121 Vgl. hierzu etwa Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 36 f. 122 Woeckener, Strategischer Wettbewerb, 2014, S. 98. 123 Vgl. Scherer, Innovation and Growth, 1984, S. 3; Scherer, The Quarterly Journal of Economics 1967, Bd. 81, Nr. 3, 359. 124 Vgl. auch Scherer, The Quarterly Journal of Economics 1967, Bd. 81, Nr. 3, 359, der ausführt: „Research and development projects are like other investment projects – more uncertain, to be sure, but conceptually similar“. 125 Vgl. O’Sullivan in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 242 f.; vgl. auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 62; Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 36 f. 126 Vgl. Scherer, Innovation and Growth, 1984, S. 5; Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 211 f.; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 60. 127 Zu Innovationsanreizen sogleich unter B.III.
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von (bestimmten) Innovationstätigkeiten in der Lage zu sein. Dazu können zum Beispiel bestimmte Kenntnisse und Erfahrungen, technische Ausstattungen und Fertigkeiten sowie finanzielle Ressourcen gehören.128 Innovationsfähigkeiten können zum einen Fähigkeiten sein, von denen abstrakt und generell anzunehmen ist, dass sie bedeutsam für die Vornahme von Innovationstätigkeiten sind.129 Solche Fähigkeiten werden nicht notwendig im Hinblick auf bestimmte Innovationstätigkeiten ausgebildet; ihre Abgrenzung von Fähigkeiten, die allgemein Grundlage oder Kennzeichen unternehmerischen Erfolgs (auch nicht innovierender Unternehmen) sind, fällt mitunter schwer.130 Zum anderen können einzelne Innovationstätigkeiten in bestimmten Branchen oder im Rahmen konkreter Forschungsprojekte spezifische Fähigkeiten erfordern.131 Diese spezifischen Innovationsfähigkeiten werden häufig auch als Specialized Assets, Capabilities, Characteristics oder Resources bezeichnet.132
1. Einzelne Innovationsfähigkeiten Im Oslo Manual werden, unterteilt in vier Gruppen, verschiedene Fähigkeiten und Faktoren aufgezählt, die generell für die Innovationstätigkeiten von Unternehmen relevant sein können.133 Sie beziehen sich, erstens, auf ganz allgemeine Unternehmenskennzahlen, wie die Unternehmensgröße (etwa nach Anzahl der Mitarbeitenden oder Umsatz), den Umfang des Geschäftsvermögens, das Alter des Unternehmens, das Aufschluss über dessen Branchen- und Geschäftserfahrung geben kann, sowie seine finanzielle Ausstattung (zum Beispiel Eigenkapitalanteil oder Gewinnspanne) und eine etwaige Konzernzugehörigkeit.134 Genannt werden, zweitens, Organisations- und Managementkompetenzen, die angeben, wie erfolgreich Unternehmen Geschäftsstrategien formulieren und umsetzen können; darin eingeschlossen sind insbesondere auch Kompetenzen im Innovationsmanagement.135 Als besonders wichtiger Faktor werden, drittens, Qualifikation und Fähigkeiten der Beschäftigten (etwa im Hinblick auf fachliche Expertise und Kreativität) hervorgehoben sowie die Qualität der Per128 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 104; siehe auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 59; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 50 f.; vgl. ferner Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 588 f. 129 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 104. 130 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 104. 131 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 588. 132 Siehe etwa Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 588; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 48; DoJ/FTC, IP Guidelines, 2017, S. 12; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 49 f. 133 Siehe OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 104. 134 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 104–106. 135 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 106–115.
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sonalführung.136 Schließlich wird auf die technische Leistungsfähigkeit von Unternehmen und deren Vermögen, neue Produktionsprozesse zu gestalten und zu implementieren, hingewiesen.137 Zu den für bestimmte Innovationstätigkeiten spezifischen Fähigkeiten und Faktoren können etwa die Vorhaltung besonderer Forschungsstätten, wie Laboratorien mit bestimmter technischer Ausstattung, oder die Beschäftigung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern oder Mitarbeitenden mit bestimmter Ausbildung gehören, außerdem gewisses Know-how sowie der Zugang zu bestimmten Technologien (die etwa aufgrund immaterialgüterrechtlichen Schutzes nicht allgemein zugänglich sind).138 In der Digitalwirtschaft können Innovationstätigkeiten auch etwa den Zugang zu bestimmten Datenbeständen sowie besondere Kompetenzen bei der Datenanalyse voraussetzen.139 Insbesondere: Absorptive Capacity und Pfadabhängigkeiten auf Unternehmensebene Die für einzelne Innovationstätigkeiten spezifischen Fähigkeiten können bei unterschiedlichen Unternehmen und Organisationen liegen, auf deren Zusammenarbeit es dann ankommt.140 Dazu müssen die Beteiligten jeweils in der Lage sein, extern generierte Wissensbestände für ihre eigenen Zwecke und Tätigkeiten nutzbar zu machen.141 Sie müssen solches Wissen als relevant erkennen, sich aneignen und sodann für die eigene Wertschöpfung verwerten können. Die Fähigkeit hierzu bezeichnen Cohen und Levinthal als Absorptive Capacity.142 Ausschlaggebend für diese „Absorptionsfähigkeit“143 von Unternehmen ist vor allem deren intern vorhandener Bestand an mit dem zu absorbierenden externen Wissen verwandtem Wissen.144 Erkenntnissen der Verhaltensforschung zufolge verbessert nämlich bei einer Person bereits vorhandenes Wissen die Fähigkeiten dieser Person zur Aufnahme verwandten Wissens. Dies betrifft sowohl die Fähigkeit, neue Informationen zu speichern, als auch die Fähigkeit, sich neue 136
OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 115–117. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 117–123. 138 Vgl. Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 50 f. 139 Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 50, 54 f.; vgl. hierzu auch etwa Graef, World Competition 2015, Bd. 38, Nr. 4, 473, 494 f.; Rubinfeld/Gal, Arizona Law Review 2017, Bd. 59, Nr. 2, 339, 376 f.; Podszun, WuW 2019, 289; Podszun/Kersting, NJOZ 2019, 321; Kerber, WuW 2020, 249. 140 Vgl. auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 60 f. 141 Siehe hierzu etwa Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 204–208; allgemein zu Informationsflüssen zwischen den an der Hervorbringung einer Innovation Beteiligten auch OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 128–134. 142 Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128. 143 Zu dieser Übersetzung der Terminologie bei Cohen und Levinthal siehe Blättel-Mink/ Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 204. 144 Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128. 137
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Lern- und Problemlösungsfähigkeiten anzueignen.145 Die Absorptionsfähigkeit einer Organisation beruht dann (verkürzt gesagt) einerseits auf dem Wissensbestand derjenigen Mitarbeitenden, die nach außen kommunizieren, um externes Wissen einzuholen, sowie andererseits auf dem Wissensbestand derjenigen Mitarbeitenden, welche das ursprünglich externe Wissen intern verwerten sollen.146 Vor diesem Hintergrund können sich gewisse Pfadabhängigkeiten auf Unternehmensebene herausbilden.147 Die Ausbildung eines bestimmten Wissensbestands in einem ersten Zeitpunkt führt zu beziehungsweise ist Voraussetzung entsprechender Absorptionsfähigkeit in einem zweiten Zeitpunkt.148 Forschung und Entwicklung eines Unternehmens erzeugen nicht lediglich neues internes Wissen, sondern fördern auch die Möglichkeiten des Unternehmens zur späteren Einholung und Verwertung externen Wissens.149 Verzichtet das Unternehmen hingegen zu einem gegebenen Zeitpunkt auf die Ausbildung eines bestimmten Wissensbestands, kann dies zur Folge haben, dass das Unternehmen später nicht mehr in der Lage sein wird, neues Wissen im betreffenden technologischen Bereich zu absorbieren, und ihm so weitere Innovationstätigkeiten unmöglich sein werden.150
2. Der Dynamic Capabilities View auf das Unternehmen Die Innovationsfähigkeiten von Unternehmen stehen auch im Fokus des sogenannten Dynamic Capabilities View aus der Literatur zum strategischen Management (einem Zweig der Betriebswirtschaftslehre).151 Dieser Ansatz, entwickelt vor allem durch Teece, Pisano und Shuen,152 beruht auf dem sogenannten ressourcenbasierten Ansatz und erweitert diesen.153 Der ressourcenbasierte Ansatz wiederum geht zurück auf Penrose.154 Dieser Ansatz besteht 145
Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128, 129–131.
146 Vgl. Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128, 131–
135.
147
Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128, 136.
148 Vgl. Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128, 135 f.
149 Vgl. Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128, 138. 150 Vgl. Cohen/Levinthal, Administrative Science Quarterly 1990, Bd. 35, Nr. 1, 128, 136–
138.
151 Zum Begriff des Dynamic Capabilities View siehe etwa Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 205; zum strategischen Management allgemein siehe etwa Hungenberg, Strategisches Management in Unternehmen, 2014; Welge/Al-Laham/ Eulerich, Strategisches Management, 2017. 152 Grundlegend Teece/Pisano/Shuen, Strategic Management Journal 1997, Bd. 18, Nr. 7, 509; siehe auch Barreto, Journal of Management 2010, Bd. 36 Nr. 1, 256, 258. 153 Siehe etwa Reuter, Der ressourcenbasierte Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen, 2011, S. 1; Hungenberg, Strategisches Management in Unternehmen, 2014, S. 60–63; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 43 f. 154 Ausgehend von Penrose, The Theory of the Growth of the Firm, 2009 (erstmals erschienen 1959); siehe hierzu auch das Vorwort von Pitelis bei Penrose, The Theory of the
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darin, unternehmerischen Erfolg und Wettbewerbsvorteile von Unternehmen anhand von deren Ressourcen sowie dem Einsatz dieser Ressourcen zu erklären.155 Unternehmensressourcen werden als unternehmensspezifische, das heißt nicht oder allenfalls schwer übertragbare, Vermögenswerte definiert.156 Dadurch unterscheidet sich der ressourcenbasierte Ansatz von anderen Ansätzen des strategischen Managements, die Wettbewerbsvorteile stärker mit Marktstrukturen und der (mittels spieltheoretischer Konzepte analysierten) strategischen Interaktion zwischen Wettbewerbern in Verbindung bringen.157 Hierzu zählt etwa die sogenannte Branchen- oder Industriestrukturanalyse nach dem Five-Forces-Modell von Porter.158 Nach dem ressourcenbasierten Ansatz sind Unternehmen anzusehen als eine – jeweils individuell ausgestaltete – Gesamtheit von Ressourcen, die ihre Wettbewerbsfähigkeit und damit Profitabilität determinieren.159 Die Ressourcen eines Unternehmens bestehen aus seinen materiellen Ressourcen, also physischem Kapital (etwa Fabrikgebäude) und Finanzausstattung, seinen immateriellen Ressourcen, wie Immaterialgüterrechten, Reputation, Unternehmenskultur und -organisation, sowie seinen Humanressourcen, einschließlich der Fähigkeiten und Fachkenntnisse der Mitarbeitenden.160 Unter mehreren Unternehmen einer Branche sind Ressourcenausstattungen ungleich verteilt.161 Erfolgreiche Unternehmen zeichnen sich aus durch ihre Kontrolle über eine einzigartige Zusammenstellung besonders wertvoller, seltener und schwer zu imitierender oder zu substituierender Ressourcen.162 Sie verfügen zudem über die Kompetenzen beziehungsweise Fähigkeiten, ihre Ressourcen effizient im Sinne ihrer Unternehmensziele einzusetzen.163 Growth of the Firm, 2009, S. x, xxx–xxxii; Hungenberg, Strategisches Management in Unternehmen, 2014, S. 60. 155 Vgl. Penrose, The Theory of the Growth of the Firm, 2009, S. 4 f.; Reuter, Der ressourcenbasierte Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen, 2011, S. 2 f.; Welge/Al-Laham/Eulerich, Strategisches Management, 2017, S. 85. 156 Teece/Pisano/Shuen, Strategic Management Journal 1997, Bd. 18, Nr. 7, 509, 516; zur Vielfalt der Definitionsansätze in der Literatur zum ressourcenbasierten Ansatz siehe Reuter, Der ressourcenbasierte Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen, 2011, S. 7 f. 157 Siehe hierzu Teece/Pisano/Shuen, Strategic Management Journal 1997, Bd. 18, Nr. 7, 509, 511–515. 158 Grundlegend Porter, Financial Analysts Journal 1980, Bd. 36, Nr. 4, 30; Porter, Competitive Strategy, 2004 (erstmals erschienen 1980). 159 Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 44; siehe auch Grant, California Management Review 1991, Bd. 33, Nr. 3, 114, 117. 160 Reuter, Der ressourcenbasierte Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen, 2011, S. 15; Welge/Al-Laham/Eulerich, Strategisches Management, 2017, S. 85 f. 161 Welge/Al-Laham/Eulerich, Strategisches Management, 2017, S. 84 f., 88 f.; Hungenberg, Strategisches Management in Unternehmen, 2014, S. 61 f. 162 Reuter, Der ressourcenbasierte Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen, 2011, S. 8–14. 163 So der (kern-)kompetenzbasierte Ansatz, welcher den ursprünglichen ressourcenbasierten Ansatz ebenfalls erweitert, Welge/Al-Laham/Eulerich, Strategisches Management, 2017, S. 97 f.
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In Erweiterung dieser Überlegungen versucht der Dynamic Capabilities View nun zu erklären, wie Unternehmen in einem rascher Veränderung unterliegenden wirtschaftlichen Umfeld – in Ansehung und unter Einsatz ihrer gegebenen Ressourcen – neuartige Wettbewerbsvorteile erlangen können.164 Hierzu bedürfen Unternehmen dynamischer Fähigkeiten (eben Dynamic Capabilities), mittels derer sie in der Lage sind, Bestand, Kombination und Nutzungsweise ihrer spezifischen Ressourcen anzupassen und zu erweitern.165 Maßgeblich für die dynamischen Fähigkeiten eines Unternehmens und damit für die von diesem im Zeitverlauf zu erlangenden Wettbewerbsvorteile ist nach Teece, Pisano und Shuen die Organisation seiner Handlungs- und Geschäftsabläufe, und zwar gerade auch im Hinblick auf Lernprozesse und -kapazitäten. Diese Organisation von Abläufen ist wiederum bedingt durch die aktuelle Zusammensetzung der Ressourcenbasis des Unternehmens sowie – aufgrund der beschriebenen Pfadabhängigkeiten – durch seine (Investitions-)Entscheidungen in der Vergangenheit.166 Zu den dynamischen Fähigkeiten gehört zunächst die Fähigkeit, neue Geschäftschancen (wie auch Gefahren für das eigene Geschäft) zu erkennen.167 Hierzu müssen etwa technologische und wirtschaftliche Entwicklungen kontinuierlich und systematisch beobachtet und interpretiert werden, was entsprechend geschultes Personal und vor allem entsprechende Organisationsstrukturen voraussetzt.168 Erforderlich ist zudem die Fähigkeit, erkannte Geschäftschancen auch zu ergreifen.169 Dies kann beispielsweise große Investitionen und folglich das Vorhalten von Liquidität zu den jeweils entscheidenden Zeitpunkten notwendig machen. Ferner muss rechtzeitig ein passendes Geschäftsmodell erstellt beziehungsweise ausgewählt werden.170 Es bedarf daher vor allem geeigneter Entscheidungsfindungsstrukturen und -prozesse im Unternehmen, um neue Chancen wahrzunehmen.171 Eine dritte dynamische Fähigkeit ist schließlich diejenige, neu gewonnene Profitabilität und erreichtes Unternehmenswachstum aufrechtzuerhalten und nachhaltig, das heißt wiederum als Grundlage für weitere Entwicklungen, einzusetzen. Dazu müssen bereits früher vorhandene und hinzugekommene Unternehmensressourcen neu kom-
164 Vgl. Teece/Pisano/Shuen, Strategic Management Journal 1997, Bd. 18, Nr. 7, 509, 515; Reuter, Der ressourcenbasierte Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen, 2011, S. 22. 165 Vgl. Teece/Pisano/Shuen, Strategic Management Journal 1997, Bd. 18, Nr. 7, 509, 516; siehe auch Reuter, Der ressourcenbasierte Ansatz als theoretischer Bezugsrahmen, 2011, S. 23 f. 166 Siehe Teece/Pisano/Shuen, Strategic Management Journal 1997, Bd. 18, Nr. 7, 509, 518–524. 167 Teece, Strategic Management Journal 2007, Bd. 28, Nr. 13, 1319. 168 Teece, Strategic Management Journal 2007, Bd. 28, Nr. 13, 1319, 1322–1326. 169 Teece, Strategic Management Journal 2007, Bd. 28, Nr. 13, 1319. 170 Vgl. Teece, Strategic Management Journal 2007, Bd. 28, Nr. 13, 1319, 1326 f. 171 Teece, Strategic Management Journal 2007, Bd. 28, Nr. 13, 1319, 1327–1329.
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biniert und Handlungsabläufe verändert werden, und zwar möglichst so, dass keine unvorteilhaften Pfadabhängigkeiten entstehen.172
3. Umgang mit nicht beinflussbaren Faktoren Zu den Innovationsfähigkeiten eines Unternehmens in einem weiteren Sinne ist schließlich auch dessen Fertigkeit zu zählen, sich auf äußerliche Faktoren und Umwelteinflüsse, die es nicht direkt zu beeinflussen vermag, einzustellen und diese gegebenenfalls für sich zu nutzen.173 Zu derartigen äußerlichen Faktoren können etwa die Bedingungen auf vorgelagerten Rohstoffmärkten sowie auf dem Arbeits- und Finanzmarkt zählen,174 ebenso der regulatorische Rahmen, innerhalb dessen sich ein innovierendes Unternehmen bewegt, sowie Steuerund Innovationsförderungspolitik und öffentliche Infrastruktur.175 Bedeutung können nicht zuletzt auch (sich verändernde) Einstellungen und Verhaltensweisen von Verbraucherinnen und Verbrauchern erlangen sowie klimatische Bedingungen.176
III. Innovationsanreize Zur Vornahme von Innovationstätigkeiten bedarf ein Unternehmen nicht nur der erforderlichen Fähigkeiten, sondern auch greifbarer ökonomischer Anreize.177 Hierunter werden gemeinhin Umstände oder Bedingungen verstanden, „die einen Akteur zu einem bestimmten Verhalten veranlassen oder veranlassen sollen“178. Eine ökonomische Verhaltensanalyse geht – auf der Grundlage des Modells vom Homo oeconomicus – davon aus, dass sich Akteure grundsätzlich derart (eingeschränkt) rational verhalten, dass sie nach einer KostenNutzen-Rechnung aus mehreren Handlungsoptionen (darunter auch die Option, 172 Vgl.
Teece, Strategic Management Journal 2007, Bd. 28, Nr. 13, 1319, 1334–1336. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 146 f. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 149–155. 175 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 156–159. 176 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 159. 177 Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 62; vgl. auch Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 5 f. Vorliegend stehen – wie in der Regel auch sonst bei einer ökonomischen Verhaltensanalyse im Wettbewerbsrecht – die Anreize des Unternehmens selbst im Vordergrund, quasi stellvertretend für die Gesamtheit der Anreize von dessen Leitungspersonal. Dem liegen vor allem anhand von Prinzipal-Agent-Modellen gewonnene Erkenntnisse zugrunde, vgl. nur Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 6; siehe in diesem Zusammenhang auch etwa Bennett/Fingleton/Fletcher/Hurley/Ruck, Competition Policy International 2010, Bd. 6, Nr. 1, 111, 123 f.; Reeves/Stucke, Indiana Law Journal 2010, Bd. 86, Nr. 4, 1527, 1539–1543; Morell, Journal of Institutional and Theoretical Economics 2011, Bd. 167, Nr. 1, 143, 167 f.; vgl. zudem Engel, Journal of Institutional Economics 2010, Bd. 6, Nr. 4, 445. 178 Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 395; siehe auch Sacksofsky in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2012, S. 1579. 173 Vgl. 174 Vgl.
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nicht zu handeln) stets diejenige auswählen, die ihren Nutzen zu maximieren, das heißt ihre gegebenen Präferenzen bestmöglich zu befriedigen, verspricht.179 Eine Handlung wird danach (nur) dann vorgenommen, wenn der von ihr erwartete Nutzen die mit ihr verbundenen Opportunitätskosten übersteigt, mithin über demjenigen Nutzen liegt, der bei anderweitigem Einsatz der für die fragliche Handlung erforderlichen Ressourcen erzielbar ist.180 Bei wirtschaftlich tätigen Unternehmen besteht die Nutzenmaximierung prinzipiell in der Maximierung des Unternehmensgewinns.181 Zu den für die Durchführung bestimmter Innovationstätigkeiten erforderlichen Investitionen werden Unternehmen also (nur) dann bereit sein, wenn sie davon ausgehen können, mit einer (mehr oder weniger konkret) in Aussicht genommenen Innovation höhere Gewinne zu erwirtschaften, als im Falle einer anderweitigen Verwendung der benötigten Mittel. Dabei kann eine anderweitige Verwendung der benötigten Mittel sowohl darin bestehen, in auf andere Innovationen gerichtete Innovationstätigkeiten zu investieren, als auch im Verzicht auf jegliche Innovationstätigkeiten.182 Entscheidend ist, kurz gesagt, die Aussicht darauf, dass sich die fraglichen Innovationstätigkeiten rentieren werden.183 Die Rentabilität von Innovationstätigkeiten lässt sich (vereinfacht) daran festmachen, ob die mit einem anvisierten innovativen Produkt erwartungsgemäß erzielbaren Erlöse zumindest die mit dessen Absatz verbundenen Kosten decken. Dies sind zum einen die Kosten der Innovationstätigkeiten und zum anderen die Kosten der Herstellung und Vermarktung des innovativen Produkts. Um zu prognostizieren, ob sich bestimmte Innovationstätigkeiten rentieren werden, sind die mit der anvisierten Innovation erzielbaren Erlöse den genannten Kosten gegenüberzustellen, und zwar unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit, dass die Innovationstätigkeiten tatsächlich zu einer – technisch und wirtschaftlich – erfolgreichen Innovation führen werden. Da sich der Erfolg 179 Vgl. Sacksofsky in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2012, S. 1597–1602; siehe auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2020, S. 107–127. 180 Vgl. etwa Brunner/Kehrle, Volkswirtschaftslehre, 2014, S. 33. 181 Vgl. etwa Scherer, Innovation and Growth, 1984, S. 120; Möller, Versuch und Irrtum, 2017, S. 83 f.; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 24; für einen Überblick zum Rentabilitätsstreben als Zielsetzung von Unternehmen und zu gegen diese Annahme vorgebrachten Einwänden siehe auch Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 81–85. 182 Vgl. Kleer, Three Essays on Competition Policy and Innovation Incentives, 2008, S. 13; Kirchner in: Hoffmann-Riem/Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 99; ähnlich auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 62. 183 Vgl. Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 117; Schätzle, Forschung und Entwicklung als unternehmerische Aufgabe, 1965, S. 81; siehe auch Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 588, mit einer anschaulichen, kurzen Beschreibung der Überlegungen, die angestellt werden müssen, bevor ein Limonadenstand entscheidet, in die Entwicklung innovativer Limonade zu investieren.
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einer Innovation nie mit Sicherheit vorhersagen lässt, muss die Erfolgswahrscheinlichkeit der fraglichen Innovationstätigkeiten stets als Diskontierungsfaktor mit in die Rechnung einfließen.184 Bei den Kosten von Innovationstätigkeiten handelt es sich häufig um Fixkosten, die unabhängig von der späteren Absatzmenge eines Produkts entstehen.185 Sie stellen außerdem teilweise versunkene Kosten dar, das heißt solche, die bereits vor Abschluss der Innovationstätigkeiten anfallen und deren Begleichung sich im Falle der Aufgabe der Innovationstätigkeiten nicht (etwa durch Veräußerungen) rückgängig machen lässt.186 Empirische Untersuchungen weisen darauf hin, dass sich die Kosten von Innovationstätigkeiten über einzelne Forschungsprojekte, Unternehmen und Industrien hinweg erheblich unterscheiden.187 Jedenfalls mit Blick auf einige Industrien wird davon ausgegangen, dass sie außerordentlich hoch sind.188 Innovationsanreize sind natürlich eng verknüpft mit Innovationsfähigkeiten. Sie können etwa gerade daraus resultieren, dass ein Unternehmen besonders gut und insbesondere besser als andere Unternehmen in der Lage ist, bestimmte Innovationstätigkeiten durchzuführen. Umgekehrt können die Innovationsanreize eines Unternehmens auch gerade deshalb eingeschränkt sein, weil es erkennen muss, dass andere Unternehmen deutlich bessere Innovationsfähigkeiten haben. Insofern lassen sich einzelne Einflussfaktoren für das Verhalten innovierender Unternehmen auch nicht immer eindeutig entweder den Innovationsfähigkeiten oder den Innovationsanreizen dieser Unternehmen zuordnen. Vielmehr können solche Einflussfaktoren Innovationsfähigkeiten und -anreize zugleich betreffen. Wenn eine eindeutige Zuordnung von Einflussfaktoren im Folgenden dennoch vorgenommen wird, dient dies vor allem der analytischen und darstellerischen Klarheit.189
184 Vgl. zum vorstehenden Absatz Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 630; siehe auch Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 245; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 6; siehe hierzu ferner Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 32 f.; Schilling, The Antitrust Bulletin 2015, Bd. 60, Nr. 3, 191, 195–197. 185 Siehe Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 17; vgl. auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2020, S. 755. 186 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 22. 187 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 17 f. 188 Zu den Kosten von Innovationstätigkeiten in der Pharmaindustrie siehe Kapitel 5.B. I.2. 189 Vgl. hierzu auch Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 31; Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 372.
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C. Grundlegende Eigenschaften von Innovation Zu den wesentlichen Eigenschaften von Innovation – die gerade auch für das Verhältnis zwischen Innovation und Wettbewerb und die Berücksichtigung von Innovation im Wettbewerbsrecht prägend sind – zählen insbesondere die folgenden drei: Prozesshaftigkeit (dazu unter I.), Komplexität (dazu unter II.) und Unsicherheit (III.).
I. Prozesshaftigkeit Die Hervorbringung von Innovationen erfolgt stets in Prozessen. Innovationstätigkeiten werden zu einem ersten Zeitpunkt aufgenommen und zu einem zweiten, späteren Zeitpunkt abgeschlossen. Der zwischen diesen Zeitpunkten liegende Innovationsprozess kann überaus langwierig sein. Insofern ist bereits dem Begriff der Innovation immer auch eine prozessuale Dimension zu eigen.190 Innovationsprozesse werden – zumeist in Anlehnung an Schumpeter – als Ablauf verschiedener Phasen oder Stadien verstanden.191 Zentrale Phasen dieses Ablaufs sind die Inventions-, die Innovations- und die Diffusionsphase.192
1. Phasen des Innovationsprozesses nach Schumpeter Die Unterteilung des Innovationsprozesses in die drei genannten Phasen klingt in Schumpeters 1911 erstmals erschienener Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung an (wenn auch unter Verwendung anderer als der heute üblichen – und von Schumpeter erst später übernommenen – Begriffe)193. Hier versteht Schumpeter Produktion als das Kombinieren vorhandener Dinge und Kräfte.194 Wirtschaftliche Entwicklung zeichne sich demnach durch Veränderungen in den gegebenen Kombinationen von Produktionsmitteln aus; sie bestehe in der Durchsetzung neuer Kombinationen (mit der Einschränkung, dass Schumpeter 190 Vgl. etwa Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 28; Hauschildt/ Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 21 f. 191 Mit ausdrücklichem Verweis auf Schumpeter in diesem Zusammenhang etwa Hoffmann-Riem in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 20 f.; Disselkamp, Innovationsmanagement, 2012, S. 19; Mohr in: Körber/Kühling, Regulierung – Wettbewerb – Innovation, 2017, S. 235 f. 192 Siehe etwa Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 56; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 27; Disselkamp, Innovationsmanagement, 2012, S. 19; Mohr in: Körber/Kühling, Regulierung – Wettbewerb – Innovation, 2017, S. 236. Zum Teil werden auch mehr als drei Phasen eines Innovationsprozesses unterschieden, siehe etwa Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 132–150; Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 192; Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 21 f. 193 Zur Begriffsverwendung bei Schumpeter siehe Weber, Innovation, 2018, S. 58 f. 194 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 16 f., 100.
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nur spontane, „diskontinuierlich“ auftretende Kombinationsveränderungen als charakteristisch für seinen Begriff der wirtschaftlichen Entwicklung ansieht).195 Als Beispiele für die Durchsetzung neuer Kombinationen von Produktionsmitteln führt Schumpeter die Herstellung neuer oder verbesserter Produkte sowie die Einführung neuer Produktionsmethoden an.196 Dies entspricht der oben dargestellten Differenzierung zwischen Produkt- und Prozessinnovationen. Aber auch die Erschließung neuer Absatzmärkte und die Eroberung neuer Bezugsquellen zählt Schumpeter hinzu.197 Außerdem führt er die „Durchführung einer Neuorganisation“198 an, die durch Erschaffung oder Überwindung von Monopolstellungen geschehen könne.199 Die Durchsetzung neuer Kombinationen werde ausschließlich von „Unternehmern“200 betrieben. Diesen schreibt Schumpeter besondere Eigenschaften und Motivationen zu.201 Von der Durchsetzung unterscheidet Schumpeter das „‚Finden‘ oder ‚Erfinden‘“202 neuer Kombinationen: „Der Unternehmer als solcher ist nicht geistiger Schöpfer der neuen Kombinationen, der Erfinder als solcher [nicht] Unternehmer“203. Zudem unterscheidet Schumpeter von der Durchsetzung neuer Kombinationen durch einen ursprünglichen Unternehmer das Auftreten von Nachrückenden, die, angespornt durch den Erfolg des ursprünglichen Unternehmers, dessen Errungenschaften kopierten und verbreiteten (auch über die Ausgangsbranche hinaus).204 Die – für die wirtschaftliche Entwicklung wesentliche – Durchsetzung neuer Kombinationen steht im Zentrum von Schumpeters Überlegungen.205 Ihre Bezeichnung als Innovation findet sich später auch bei Schumpeter selbst.206 Auf die vorangehende Phase des Erstellens neuer Kombinationen (die Inventionsphase) sowie die sich anschließende Phase der Verbreitung (die Diffusionsphase) geht Schumpeter nur am Rande ein.207 195
Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 100. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 100. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 101. 198 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 101. 199 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 101. 200 Schumpeter entwickelt einen eigenständigen Begriff des Unternehmers: Unternehmer als „die Wirtschaftssubjekte, deren Funktion die Durchsetzung neuer Kombinationen ist und die dabei das aktive Element sind“, Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 111. 201 Siehe Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 110–139. 202 Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 129. 203 Vgl. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 129. 204 Vgl. Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 339–342, siehe auch die Ausführungen Schumpeters zur Eliminierung des sogenannten Unternehmergewinns, Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 229–234. 205 Vgl. Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 74 f. 206 Siehe Schumpeter, Konjunkturzyklen, 2010, S. 95; zu Herkunft und Entwicklung des Begriffs der Innovation im Werk Schumpeters siehe Weber, Innovation, 2018, S. 55 f. 207 Vgl. Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 83. 196 197
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2. Inventions- und Innovationsphase Während der ersten Phase des Innovationsprozesses, der Invention (oder Erfindung), kommt es zur Entdeckung oder Gestaltung von Neuem.208 Mohr beschreibt Invention als „das Auffinden neuer Ideen in der vormarktlichen Phase“209. Deren Ergebnis – eine Invention (oder Erfindung) – weist bereits viele der im Oslo Manual angelegten Merkmale einer Innovation auf. Die Differenzierung zwischen Invention und Innovation erfolgt, wie beschrieben, anhand des für Letztere zentralen Elements der Umsetzung: Die Invention – als zunächst schlichtweg hervorgebrachte Neuerung – wird erst dann zu einer Innovation im obigen Sinne, wenn sie ihren (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern zur Verfügung gestellt wird.210 Die Umsetzung ist Gegenstand der zweiten Phase des Innovationsprozesses, der Innovationsphase.211
3. Diffusionsphase Als dritte Phase des Innovationsprozesses schließt sich die Diffusion (oder Verbreitung) an. Sie folgt auf die erstmalige Vermarktung innovativer Produkte beziehungsweise den erstmaligen Einsatz innovativer Prozesse (die noch der Phase der Innovation angehören).212 Diffusion meint das Geschehen, in dessen Verlauf sich einerseits die einer Innovation zugrundliegenden Ideen verbreiten sowie andererseits die Innovationen eines Unternehmens von anderen Unternehmen aufgegriffen, übernommen und, gegebenenfalls unter Anpassungen, für die eigene Produktpalette beziehungsweise die eigene Produktion verwandt werden.213 In dieser Phase entscheidet sich also, ob sich eine Innovation auch über ihren anfänglichen Kreis an Nutzerinnen und Nutzern hinaus durchsetzen kann oder nicht.214 Von der erfolgreichen Diffusion einer Innovation hängt letztlich deren wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung ab.215 Dabei stellen sich die Übernahme und Verwendung einer fremden Innovation – je nach dem Ausmaß der hierbei an dieser vorzunehmenden Veränderungen – als bloße Imitation dar, oder aber als Variation (im Sinne einer geringfügigen Modifikation) 208 Vgl. Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 135; Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 7 f. 209 Mohr in: Körber/Kühling, Regulierung – Wettbewerb – Innovation, 2017, S. 237. 210 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 44, 47; Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 8. 211 Vgl. Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 192; Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 8. 212 Vgl. hierzu etwa die Differenzierung zwischen „Commercialization“ und „Diffusion and Adoption“ bei Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 133; vgl. auch Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 8 f. 213 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 129; siehe auch Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 5–31. 214 Vgl. etwa Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 9. 215 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 129.
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oder Weiterentwicklung.216 Auch mag es durchaus vorkommen, dass die Übernahme und Verwendung einer fremden Innovation wiederum Produkte oder Prozesse hervorbringt, die sich derart von bereits Vorhandenem unterscheiden, dass sie (auch objektiv) neuartig und damit selbst Innovationen sind.217 Auch für den Innovationsprozess gilt übrigens, was bereits mit Blick auf die Reihenfolge möglicher Innovationstätigkeiten angesprochen wurde: Die chronologische Darstellung der einzelnen Phasen dient der Vereinfachung; sie soll helfen, einzelne Gesichtspunkte konzeptionell fassbar zu machen.218 Reale Innovationsprozesse laufen häufig nicht derart linear ab, sondern iterativ und unbeständig.219
II. Komplexität Innovationstätigkeiten und Innovationsprozesse sind geprägt von einer besonderen Komplexität. Hierfür lassen sich verschiedene Gründe anführen, darunter nicht zuletzt ihr zumeist iterativer und mitnichten linearer Ablauf.220 Eine ganz wesentliche Ursache der Komplexität von Innovationsprozessen sind auch die vielfältigen Koordinierungserfordernisse, die sich in ihrem Verlauf ergeben. In aller Regel sind es heute nicht mehr individuelle Erfinderinnen- und Erfinderpersönlichkeiten, die Innovationen in Momenten großer Genialität hervorbringen.221 Vielmehr kommt es zur erfolgreichen Durchführung von Innovationsprozessen auf die Interaktion zahlreicher und heterogener Akteure an. Das gilt sowohl für Prozesse innerhalb innovierender Unternehmen als auch für deren organisationsübergreifende Kooperation.222 216 Vgl. Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 192, der Weiterentwicklung und Variation allerdings als mögliche eigenständige Stadien eines Innovationsprozesses neben der Diffusion aufzählt. 217 OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 129; Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 17, 174 f.; Freeman, Cambridge Journal of Economics 1994, Bd. 18, Nr. 5, 463, 480 f.; vgl. auch Drucker, Innovation and Entrepreneurship, 2015, S. 270–276, zu „Creative Imitation“. 218 So auch bei Hoffmann-Riem in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 20 f. 219 Vgl. etwa Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 210; Hoffmann-Riem in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 20 f.; siehe auch bereits Nelson/Winter, Research Policy 1977, Bd. 6, Nr. 1, 36, 61 f.; Rogers, Diffusion of Innovations, 1995, S. 150; siehe in diesem Zusammenhang auch Lettkemann in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019, zum sogenannten „Feuerwerksmodell der Innovation“. Bei Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 121, heißt es: „Der Innovationsprozess weist eine zirkulär vernetzte Struktur auf, so dass eine begrifflich saubere empirische Abgrenzung der einzelnen Phasen des Innovationsprozesses häufig unmöglich ist“. 220 Vgl. etwa Stone/Rose/Lal/Shipp, Measuring Innovation and Intangibles, 2008, S. II-5. 221 Vgl. OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 62; Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 209; siehe auch Lemley, Michigan Law Review 2012, Bd. 110, Nr. 5, 709. 222 Ausführlich hierzu etwa Cantner in: Pyka/Cantner, Foundations of Economic Change, 2017, S. 9–49.
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1. Innerorganisatorische Aufgabenteilung und -bewältigung Innerhalb einzelner Unternehmen können zahlreiche Entscheidungs- und Aufgabenträgerinnen und -träger für den Fortgang von Innovationsprozessen eine Rolle spielen. Mit der Ausgestaltung des organisatorischen Rahmens von Innovationstätigkeiten in Unternehmen beschäftigt sich die (vor allem betriebswirtschaftliche) Literatur zum sogenannten Innovationsmanagement.223 Ihr Gegenstand sind unternehmensinterne Strukturen, auf welche es zur Schaffung und Ausschöpfung von Innovationspotential für ein Unternehmen ankommt.224 Die dabei anfallenden Aufgaben und Entscheidungen zeichnen sich durch ihre besondere Vielfalt und Schwierigkeit aus.225 Einen entscheidenden Faktor für das Innovationsmanagement stellen Kommunikation und Koordination zwischen den jeweiligen Einzelpersonen dar, die in Innovationstätigkeiten involviert sind.226 Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Förderung von Ideenfindung und Kreativität bei den beteiligten Mitarbeitenden – die häufig, wenn überhaupt, nur eingeschränkt möglich ist.227 In diesem Zusammenhang thematisiert die Literatur zum Innovationsmanagement beispielsweise auch die zweckmäßige Ausgestaltung von Hierarchiestrukturen in Unternehmen, die Zusammensetzung von Teams sowie die Vor- und Nachteile von Diversität unter Teammitgliedern.228
2. Organisationsübergreifende Zusammenarbeit Komplexität stiftende Interaktions- und Koordinierungserfordernisse bestehen in Innovationsprozessen auch insofern, als innovierende Unternehmen auf den Austausch mit externen Akteuren angewiesen sind.229 Ein Beispiel hier223 Siehe etwa Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 67 f.; grundlegend auch Drucker, Innovation and Entrepreneurship, 2015 (erstmals erschienen 1985); vgl. hierzu ferner Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 69–71. 224 Vgl. etwa Drucker, Innovation and Entrepreneurship, 2015, S. 180–216. 225 Vgl. nur Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 74–77. 226 Siehe hierzu Hauschildt/Salomo/Schultz/Kock, Innovationsmanagement, 2016, S. 73– 80. 227 Siehe Disselkamp, Innovationsmanagement, 2012, S. 99–120, 144–156; Beispiele aus der umfangreichen Literatur zu Kreativitäts- und Organisationstechniken sind etwa Schoenberger, Strategisches Design, 2011; Blumenschein/Ehlers, Ideen managen, 2016; Freudenthaler-Mayrhofer/Sposato, Corporate Design Thinking, 2017. 228 Siehe hierzu etwa Chamorro-Premuzic, Does Diversity Actually Increase Creativity?, Harvard Business Review, 28. Juni 2017; siehe auch Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 131–135; sowie die Beiträge in Bilton/Cummings, Handbook of Management and Creativity, 2014. 229 Vgl. Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 210; Metcalfe in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 945; Nelson/Winter, Research Policy 1977, Bd. 6, Nr. 1, 36, 51; siehe hierzu auch Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 121–123; Malerba, Research Policy 2002, Bd. 31, Nr. 2, 247.
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für ist der häufig vorkommende Rückgriff eines innovierenden Unternehmens auf extern gewonnene Forschungsergebnisse, beispielsweise solche der Grundlagenforschung durch Universitäten und staatliche beziehungsweise staatlich geförderte Forschungseinrichtungen. In eine ähnliche Richtung gehen verschiedene Formen der Kollaboration zwischen mehreren innovierenden Unternehmen. Vielfach werden etwa innovative Technologien, Ausgangsstoffe oder Vorprodukte beziehungsweise entsprechende Lizenzen von spezialisierten Herstellern zur weiteren Erforschung und Verarbeitung erworben. Der Wissenstransfer zwischen Einrichtungen der Grundlagenforschung und Herstellern von Ausgangstechnologien einerseits sowie Unternehmen, die externe Forschungsergebnisse für weitere Entwicklungstätigkeiten verwenden und innovative Produkte schließlich auf den Markt bringen, andererseits kann in beide Richtungen verlaufen. So gehen von Letzteren und ihrer praktischen Erfahrung nicht selten wichtige Impulse für zukünftige (Grundlagen-)Forschung aus. Ein zusätzlicher Aspekt der vielfältigen Beziehungen zwischen verschiedenen Forschungseinrichtungen und innovierenden Unternehmen ist die Mobilität von qualifiziertem Personal. Zu den Beteiligten eines Innovationsprozesses sind neben Forschungseinrichtungen und innovierenden Unternehmen außerdem auch Kreditinstitute und (Wagnis-)Kapitalgeber zu zählen. Dasselbe gilt etwa für staatliche Stellen, die möglicherweise ebenfalls Mittel zur Innovationsförderung bereitstellen, ansonsten aber in jedem Fall für die infrastrukturelle und politische Rahmensetzung verantwortlich sind (vor allem durch gezielte Innovationspolitik, jedoch auch etwa durch Industrie-, Steuer-, Bildungs-, Rechts- und nicht zuletzt Wettbewerbspolitik).230 Mit dem komplexen und hier nur andeutungsweise beschriebenen Beziehungsgeflecht der unterschiedlichen Akteure in Innovationsprozessen sowie den verschiedenen Möglichkeiten zur institutionellen Ausgestaltung dieses Beziehungsgeflechts beschäftigt sich insbesondere die Literatur zu sogenannten nationalen oder regionalen Innovationssystemen.231 Interessant sind in diesem Zusammenhang auch Untersuchungen zur Herausbildung von Clustern innovierender Unternehmen und anderer Orga230 Zu den vorstehend genannten Interaktions- und Koordinierungserfordernissen vgl. Pavitt in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 93 f.; Mowery/Sampat in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 209– 239; Scotchmer, Innovation and Incentives, 2006, S. 228–235; Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 210; OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 70; Granstrand, GRUR Int. 2020, 341; siehe auch Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 122 f. 231 Siehe hierzu etwa Freeman, Cambridge Journal of Economics 1995, Bd. 19, Nr. 1, 5; Edquist in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 181– 208; Carlsson in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 857–871; Lundvall in: Lundvall, National Systems of Innovation, 2010, S. 317–350; Ebner in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019; siehe auch Granstrand/Holgersson, Technovation 2020, Bd. 90–91, Art. 102098, zu sogenannten Innovationsökosystemen.
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nisationen in bestimmten geographischen Bereichen. Innerhalb solcher Innovationscluster können gewollte oder ungewollte Wissensabflüsse zwischen Organisationen zu gegenseitiger Befähigung und Befruchtung führen. Beispiele für Innovationscluster beziehungsweise allgemein die räumliche Ballung von Innovationsaktivität sind die Route 128 in Massachusetts oder das Silicon Valley in Kalifornien.232 Besonders deutlich lassen sich organisationsübergreifende Interaktion und Koordinierung in Innovationsprozessen auch anhand verschiedener prominenter Konzepte aus der Innovationsforschung veranschaulichen. Dazu gehören zum einen die Konzepte der User Innovation und der Open Innovation.233 Diese beruhen, vereinfacht gesagt, auf der Erkenntnis, dass es häufig die Kundinnen und Kunden beziehungsweise Nutzerinnen und Nutzer von Unternehmen sind, die vielversprechende Entwicklungspotentiale bei den angebotenen Produkten am besten ausmachen können. Sie können daher wichtige Impulse für Innovationsprozesse in Unternehmen setzen, diese anstoßen und gegebenenfalls auch an ihnen mitwirken. Insofern sind innovierende Unternehmen gehalten, ihre internen Abläufe für einen effektiven Austausch und Wissenstransfer mit ihren Kundinnen oder Nutzerinnen zu öffnen und deren Erfahrungen und Bedürfnisse für die eigenen Innovationstätigkeiten nutzbar zu machen.234 Zum anderen sind hier Konzepte aus der Innovationsforschung zu nennen, die sich mit den Möglichkeiten zum Austausch und zur Kollaboration innerhalb dezentraler Netzwerke, vor allem solcher zwischen Internetnutzerinnen und -nutzern, beschäftigen, sogenannten User oder Innovation Communities oder Networks. Die Mitglieder solcher Gemeinschaften oder Netzwerke, in erster Linie Privatpersonen ohne kommerzielle Motive, stellen ihr jeweiliges Wissen zur Verfügung und wirken so an der Akkumulation gemeinsamer Wissensbestände mit. Dieses akkumulierte Wissen kann wiederum Grundlage von Wertschöpfung und Innovation sein.235 So stellen Netzwerke eine dritte Mög232 Siehe
hierzu Gilson, New York University Law Review 1999, Bd. 74, Nr. 3, 575; vgl. auch Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 21. 233 Grundlegend zum Konzept der User Innovation etwa Hippel, Research Policy 1976, Bd. 5, Nr. 3, 212; Hippel, Management Science 1986, Bd. 32, Nr. 7, 791; Hippel, The Sources of Innovation, 1988, S. 11–27; grundlegend zum Konzept der Open Innovation etwa Chesbrough, Open Innovation, 2003, S. 43–91; Chesbrough, Research-Technology Management 2012, Bd. 55, Nr. 4, 20. Einen guten Überblick über diese Formen „distribuierter Innovation“ liefert auch Schrape in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innova tionsforschung, 2019, S. 1–8. 234 Siehe hierzu Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 183–198; Grundmann/Möslein, ZfPW 2015, 435, 441 f.; Harhoff in: Harhoff/Lakhani, Revolutionizing Innovation, 2016, S. 27–44; Lakhani in: Harhoff/Lakhani, Revolutionizing Innovation, 2016, S. 109–134; Benkler, Annual Review of Law and Social Science 2017, Bd. 13, 231, 235–238. 235 Vgl. etwa Hippel, Democratizing Innovation, 2005, S. 93–106; Benkler in: Harhoff/ Lakhani, Revolutionizing Innovation, 2016, S. 195–213; siehe auch Ladeur/Vesting in: Eifert/
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lichkeit zur Verhaltenskoordination in Innovationsprozessen dar, neben den beiden herkömmlichen Mechanismen des Austauschs auf Märkten und der Erteilung von Anweisungen im Rahmen hierarchischer Strukturen.236 Benkler und andere sprechen in diesem Zusammenhang von Commons-based Peer Production.237 Mitunter gelingt es gewinnorientierten Unternehmen nun, die in solchen dezentralen Netzwerken zustande gekommenen Ideen für ihre eigenen Innovationstätigkeiten zu nutzen.238 Exemplarisch zeigt sich dies bei sogenannter Free and Open Source Software. Solche wird gerade auch von privaten Nutzerinnen und Nutzern ohne jegliche Gewinnerzielungsabsicht programmiert und der Allgemeinheit kostenlos zur Verfügung gestellt.239 Häufig nutzen Unternehmen frei verfügbare Softwarekomponenten aber dann für die Entwicklung kommerzieller Software oder integrieren sie anderweitig in ihre Geschäftsmodelle, beispielsweise indem sie an ihrer Verbreitung mitwirken, um auf sie abgestimmte, proprietäre Dienstleistungen oder Hardware attraktiver zu machen.240
3. Heterogenität von Akteuren Was in den vorhergehenden Abschnitten bereits anklingt, ist auch Ergebnis empirischer Untersuchungen: Einzelne Unternehmen – gerade auch solche innerhalb bestimmter Industrien – unterscheiden sich regelmäßig stark im Hinblick auf ihre Innovationsfähigkeiten und ihre Innovationstätigkeiten. Dies betrifft sowohl die Frage, ob und in welchem Maße sie Innovationen hervorbringen (können), als auch die Frage der Adoption von Neuerungen aus ihrem Umfeld. Derartige Unterschiede zwischen Unternehmen erweisen sich, so sie einmal etabliert sind, zudem häufig als beständig. In vielen Industrien ist es jeweils nur eine geringe Anzahl an Unternehmen, von denen ein Großteil der dort aufkommenden Innovationen ausgeht.241 In diesen Erkenntnissen finden der resHoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 132–139; Benkler, Annual Review of Law and Social Science 2017, Bd. 13, 231. 236 Siehe hierzu nur Benkler, The Wealth of Networks, 2006, S. 91–127; Häußling in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019, S. 3–8. 237 Benkler/Nissenbaum, The Journal of Political Philosophy 2006, Bd. 14, Nr. 4, 394; Benkler, Strategic Organization 2017, Bd. 15, Nr. 2, 264. 238 Vgl. Benkler, Annual Review of Law and Social Science 2017, Bd. 13, 231, 239–241. 239 Siehe hierzu etwa Lerner/Tirole, The Journal of Industrial Economics 2002, Bd. 50, Nr. 2, 197; Hippel/Krogh, Organization Science 2003, Bd. 14, Nr. 2, 209; Osterloh/Luethi in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 145–163; Metzger in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 187–206; Lutterbeck in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 207–236. 240 Osterloh/Luethi in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008, S. 153; Benkler, The Yale Law Journal 2002, Bd. 112, Nr. 3, 369, 444 f.; siehe auch Benkler, International Review of Law and Economics 2002, Bd. 22, Nr. 1, 81, 84 f. 241 Vgl. nur Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 100 f.; siehe hierzu auch Cohen/Malerba, Industrial and Corporate Change 2001, Bd. 10, Nr. 3, 587.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
sourcenbasierte Ansatz und insbesondere der Dynamic Capabilities View auf das Unternehmen eine Bestätigung.
III. Unsicherheit Eng verknüpft mit der Prozesshaftigkeit von Innovation und der Komplexität von Innovationsprozessen, und in gewisser Weise Konsequenz dieser Gesichtspunkte, ist der Umstand, dass Innovation beziehungsweise Innovationsprozesse von großer Unsicherheit geprägt sind.242 Um zu verstehen, was sich hinter dieser Erkenntnis verbirgt, ist es sinnvoll, zunächst auf den Begriff der Unsicherheit im Allgemeinen einzugehen (dazu unter 1.) und erst dann auf das Moment der Unsicherheit speziell im Zusammenhang mit Innovation (unter 2.). Aufgrund der für Innovationsprozesse charakteristischen Unsicherheit werden Innovationstätigkeiten in der Regel nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum durchgeführt (dazu unter 3.).
1. Zum Begriff der Unsicherheit Der Begriff der Unsicherheit gehört vor allem zum Vokabular der Entscheidungstheorie.243 Diese beschäftigt sich mit Situationen, in denen eine Entscheidung, das heißt eine Auswahl unter mehreren Handlungsmöglichkeiten, zu treffen ist.244 Entscheidungen wohnt unweigerlich eine zeitliche Dimension inne. Entscheidungen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt getroffen werden, wirken sich zu einem (wenn auch minimal) späteren Zeitpunkt aus. Im Entscheidungszeitpunkt müssen also noch in der Zukunft liegende Ereignisse – die Konsequenzen der Wahl einer Handlungsmöglichkeit – prognostiziert werden.245 Unsicherheit resultiert dann aus der einer jeden Prognose immanen242 Nelson/Winter, Research Policy 1977, Bd. 6, Nr. 1, 36, 47; Dosi in: Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988, S. 222; Stone/Rose/Lal/ Shipp, Measuring Innovation and Intangibles, 2008, S. II-6 f.; siehe auch Cantner in: Drexl/ Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 157; Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 376; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 42. Bei Pyka in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019, S. 9, heißt es: „Innovationen sind genuin unsicher: Würde man deren Ergebnis bereits im Voraus kennen, könnte man nicht mehr von Innovationen sprechen“. 243 Vgl. etwa Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 2018, S. 4, 35; Eisenführ/Weber/Langer, Rationales Entscheiden, 2010, S. 1 f.; vgl. aber auch etwa Böhle/Weihrich in: Böhle/Weihrich, Handeln unter Unsicherheit, 2009, S. 9, wonach sich die soziologische Handlungstheorie ebenfalls mit „Entscheidungsfindung unter Unsicherheit“ befasst. 244 Vgl. Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 2018, S. 3, 5. 245 Vgl. Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 2018, S. 6; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 114; vgl. auch Eisenführ/Weber/ Langer, Rationales Entscheiden, 2010, S. 7 f., zur Zukunftsorientierung als Voraussetzung rationaler Entscheidungen.
Kapitel 1: Innovation
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ten Problematik: Eine vollständig sichere Vorhersage zukünftiger Ereignisse ist prinzipiell unmöglich.246 Mit dem Begriff der Unsicherheit (im weiteren Sinne) werden in der Entscheidungstheorie dementsprechend Situationen beschrieben, in welchen eine Entscheiderin oder ein Entscheider unvollständige Informationen über die Konsequenzen einer Entscheidung haben, sie also mindestens zwei alternative Szenarien für möglich halten.247 Dabei wird (häufig in Anlehnung an Knight)248 zwischen zwei verschiedenen Arten oder Graden der Unsicherheit differenziert.249 Eine Entscheidung unter Risiko trifft (verkürzt gesagt), wer sowohl Kenntnis davon hat, welche Szenarien eine Entscheidung im Einzelnen zur Folge haben kann, als auch davon, mit welcher Wahrscheinlichkeit jedes der möglichen Szenarien eintreten wird; eine Entscheidung unter Unsicherheit im engeren Sinne (auch Ungewissheit oder Knightian Uncertainty)250 trifft, wer lediglich Kenntnis von den möglichen Szenarien hat, nicht aber von deren jeweiliger Eintrittswahrscheinlichkeit.251 Risikosituationen können mehr oder weniger stark ausgeprägt sein, je nachdem, wie genau sich die Eintrittswahrscheinlichkeiten in Betracht kommender Szenarien bestimmen lassen.252 Denkbar sind schließlich auch Fälle derart ausgeprägten Informationsmangels, dass Entscheiderinnen oder Entscheider nicht einmal bestimmen können, welche oder dass überhaupt bestimmte Szenarien als Folge von Entscheidungen in der Zukunft eintreten können.253
2. Unsicherheit im Innovationsprozess Mit ihrem Prozesscharakter ist auch Innovation eine zeitliche Dimension zu eigen.254 Der Innovationsprozess erstreckt sich über die Inventions-, die Inno246 Siehe
hierzu beispielsweise Tietzel, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 1989, Bd. 206, Ausg. 6, 546; Foer, The Antitrust Bulletin 2011, Bd. 56, Nr. 3, 505, 511 f.; Brunn, NJOZ 2014, 361, 370. 247 Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 2018, S. 35. 248 Siehe Knight, Risk, Uncertainty and Profit, 1964, S. 19 f. (erstmals erschienen 1921). 249 Mit Verweis auf Knight in diesem Zusammenhang etwa Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 243 f.; Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 5; zur Berücksichtigung von Unsicherheit in der Wirtschaftswissenschaft siehe auch Kessler, Die Internationale Politische Ökonomie des Risikos, 2008, S. 137. 250 Zu diesem Begriff vgl. etwa Faber, The Georgetown Law Journal 2011, Bd. 99, Nr. 4, 901, 905; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 6. 251 Vgl. Laux/Gillenkirch/Schenk-Mathes, Entscheidungstheorie, 2018, S. 35; Freeman/ Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 243 f.; Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 5. 252 Vgl. Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 244; vgl. auch Hirshleifer/Riley, The Analytics of Uncertainty and Information, 2002, S. 10 (die eine Unterscheidung zwischen Risiko und Unsicherheit im engeren Sinne allerdings ablehnen). 253 Vgl. Wiesenthal in: Böhle/Weihrich, Handeln unter Unsicherheit, 2009, S. 29, der insofern von genuiner Unsicherheit spricht. 254 Vgl. auch Hoffmann-Riem/Fritzsche in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovationsverant-
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
vations- und schließlich die Diffusionsphase (freilich nicht stets in derart linearer Weise). Zu jedem Zeitpunkt während des Innovationsprozesses haben Aussagen über das an dessen Ende stehende Ergebnis prognostischen Charakter.255 Insofern ist Innovation durch Unsicherheit, resultierend aus dem Erfordernis der Prognose, geprägt.256 Noch in der Zukunft liegende Ereignisse, welche den Innovationsprozess beeinflussen beziehungsweise über den Erfolg einer Innovation entscheiden (können), sind nicht mit Sicherheit vorherzusagen; grundsätzlich können stets Ereignisse eintreten, welche einen initiierten Innovationsprozess vom eingeschlagenen Verlauf abbringen oder gar zu seinem Scheitern führen.257 Die Feststellung, dass ein Innovationsprozess tatsächlich zu einer erfolgreichen Innovation führt, ist häufig erst in der Rückschau möglich.258 Erfolgen Innovationsentscheidungen also unter Bedingungen der Unsicherheit, schließt dies sowohl Risikobedingungen als auch Bedingungen der Unsicherheit im engeren Sinne ein, und zwar je nach der Art der Entscheidung beziehungsweise danach, in welchem Stadium des Innovationsprozesses diese zu treffen ist.259 Entscheidungen in früheren Stadien sind gemeinhin mit größerer Unsicherheit behaftet als solche in späteren.260 Mit zunehmendem Fortschritt eines Innovationsprozesses sinkt in der Regel die Wahrscheinlichkeit, dass dieser letztlich scheitert.261 So dienen Innovationstätigkeiten auf der Stufe der experimentellen Entwicklung unter anderem gerade dazu, die auf der Stufe der Grundlagen- und angewandten Forschung noch stärker bestehende Unsicherheit zu verringern (wenn auch deren gänzlicher Ausschluss nicht möglich ist).262 Einzelne Faktoren, die Quellen von Unsicherheit für Entscheidungsträgerinnen und -träger in Innovationsprozessen darstellen können, hat Jalonen unter systematischer Auswertung einschlägiger Literatur herausgearbeitet.263 Hierbei handelt es sich um Gesichtspunkte, auf die es für den erfolgreichen Fortgang und Abschluss von Innovationsprozessen ankommen kann – und die also wortung, 2009, S. 26; Bora in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovationsverantwortung, 2009, S. 46–49, der insofern von der „komplexe[n] Temporalstruktur“ von Innovation spricht. 255 Vgl. etwa Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 302. 256 Vgl. auch Hoffmann-Riem/Fritzsche in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovationsverantwortung, 2009, S. 27 f.; Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 2. 257 Vgl. Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 242 f.; siehe auch Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 4, der den Innovationsprozess als „process of success and failure“ beschreibt. 258 Vgl. Bora in: Eifert/Hoffmann-Riem, Innovationsfördernde Regulierung, 2009, S. 30; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 123; OECD/Eurostat, Oslo Manual, 2018, S. 47 f. 259 Vgl. Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 7. 260 Vgl. Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 244. 261 Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 60; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 43 f. 262 Vgl. Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 243. 263 Siehe Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12.
Kapitel 1: Innovation
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sämtlich prognostiziert und berücksichtigt werden müssen, um optimale Innovationsentscheidungen zu treffen. Die große Anzahl dieser relevanten Faktoren macht Innovationsentscheidungen komplex und die Entscheidungsfindung schwierig.264 Denn je mehr Faktoren eine Rolle spielen, desto mehr Elemente sind zum Gegenstand der jeweils anzustellenden Prognosen zu machen, zum Teil auch solche, die schon für sich genommen kaum vorhersehbar sind. Jalonen ordnet die von ihm herausgearbeiteten Unsicherheitsfaktoren acht Kategorien zu.265 Einige der für Innovationsprozesse relevanten Unsicherheitsfaktoren sind keineswegs spezifisch für Innovationsentscheidungen.266 Solche nicht innovationsspezifischen Unsicherheitsfaktoren können sich in Innovationsprozessen jedoch stärker als bei anderen Wirtschaftsprozessen auswirken, da Innovationsprozesse häufig von besonders langer Dauer sind.267 Zu den von Jalonen gebildeten Kategorien gehört zunächst diejenige der technologischen Unsicherheitsfaktoren. So sei bei Produktinnovationen etwa die Frage zu klären, wie die Produkte im Einzelnen auszugestalten seien, damit sie funktionierten und den erwarteten Nutzen sowie die erwartete Qualität aufwiesen.268 Marktbezogene Unsicherheitsfaktoren folgten daraus, dass sich Innovationen letztlich am Markt durchsetzen müssten, was von zahlreichen Parametern abhänge, insbesondere von der Entwicklung der Nachfrage und dem Verhalten von Wettbewerbern des innovierenden Unternehmens.269 Unsicherheit könne zudem aus der Unklarheit oder Komplexität des relevanten regulatorischen Rahmens resultieren sowie aus der Möglichkeit, dass sich dieser verändern werde.270 Eine weitere Kategorie bildeten soziale und politische Unsicherheitsfaktoren. Beispielsweise bestehe dort, wo es der Kooperation zwischen Akteuren bedürfe, die Gefahr opportunistischen Verhaltens.271 Für Unsicherheit sorge zudem, dass für die erfolgreiche Umsetzung einer Neuerung stets deren Akzeptanz innerhalb bestimmter Personenkreise erforderlich sei, wofür mitunter schwer fassbare Wertvorstellungen und kulturelle Aspekte ausschlaggebend seien.272 Unsicherheit im Hinblick auf das Management von Innovationstätigkeiten resultiere daraus, dass die für Innovationen erforderlichen neuen Ideen häufig nicht in rationalen, auf herkömmliche Weise strukturierten Arbeits- und Denkprozessen hervorgebracht würden, sondern Kreativität ver264 Vgl.
Eisenführ/Weber/Langer, Rationales Entscheiden, 2010, S. 3. Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 14. Zu abweichenden Kategorisierungen siehe etwa Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 243; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 43. 266 Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 34. 267 Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 243. 268 Siehe Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 23 f. 269 Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 24 f. 270 Vgl. Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 25 f. 271 Vgl. Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 26 f. 272 Vgl. Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 27 f. 265
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
langten, mit Intuition und dem Hinterfragen von Konventionen einhergingen. Dies erschwere die Zusammensetzung und Anleitung von F&E-Abteilungen sowie deren Einbindung in die sonstigen Tätigkeiten eines Unternehmens.273 Auch aus der Bedeutung des richtigen Timings von Innovationstätigkeiten für die Profitabilität einer anvisierten Innovation ergäben sich Unsicherheiten.274 Eine letzte Kategorie von Unsicherheitsfaktoren umfasse schließlich solche, die aus der fehlenden Kenntnis um die – vor allem langfristigen – Auswirkungen von Innovationen folgten. Neben den direkten, erwünschten und erwarteten könnten Innovationen auch indirekte, unerwünschte und unvorhergesehene Konsequenzen haben.275
3. Folge der Unsicherheit in Innovationsprozessen: Trial and Error Aufgrund der Innovationsprozesse prägenden Unsicherheit gehen Unternehmen zumeist nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum vor. Geläufig ist daher das Verständnis von Innovationsprozessen als Such- oder eben Trial-and-ErrorProzessen. Da sie Erfolg und Konsequenzen ihrer Innovationstätigkeiten nicht sicher vorhersehen können, sind Unternehmen bei deren Durchführung auf heuristische Methoden angewiesen. Dies bedeutet freilich nicht, dass innovierende Unternehmen nicht rational oder nicht zielorientiert vorgehen. Im Verlauf eines Innovationsprozesses probieren sie mit ihren (Innovations-)Entscheidungen kontinuierlich verschiedene Ideen und Herangehensweisen aus. Erweist sich eine Idee oder Herangehensweise als nicht zielführend und muss aufgegeben werden, wird auf Alternativen ausgewichen. Nur zielführende Ansätze werden weiterverfolgt. Dabei besteht natürlich die Möglichkeit, dass sich sämtliche der in Betracht kommenden Ansätze letztlich als nicht zielführend erweisen und der gesamte Innovationsprozess scheitert. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Fall eintritt, nimmt aber, wie erwähnt, mit zunehmendem Fortschritt im Innovationsprozess ab. Sie lässt sich zudem häufig durch die konkrete Ausgestaltung der Innovationstätigkeiten verringern, wenn auch nicht ganz ausschließen.276 Die wiederkehrende Erprobung von Möglichkeiten betrifft natürlich nicht nur einzelne Arbeitsschritte während eines Innovationsprozesses, sondern auch die an dessen Ende stehende Einführung eines innovativen Produkts auf dem Markt. Auch diese stellt stets einen Versuch dar, ob und inwieweit das Produkt auf 273 Siehe
Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 28–30. Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 30 f. 275 Siehe Jalonen, Journal of Management Research 2012, Bd. 4, Nr. 1, E12, 31–33. 276 Zu Innovationsprozessen als Trial-and-Error-Prozessen vgl. etwa Nelson/Winter, Research Policy 1977, Bd. 6, Nr. 1, 36, 52 f.; Metcalfe in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 944 f.; Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 54; Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 120 f.; Cantner in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 157; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 42. 274 Siehe
Kapitel 1: Innovation
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Nachfrage trifft und sich mit ihm Umsätze erzielen lassen. Dieser Gedanke liegt nicht zuletzt der prominenten Vorstellung von Wettbewerb als Entdeckungsverfahren und von der Selektionsfunktion von Marktprozessen zugrunde.277 Im Moment der stark ausgeprägten Unsicherheit und dem daraus folgenden Trialand-Error-Prinzip unterscheidet sich die Hervorbringung von Innovationen beziehungsweise innovativen Produkten übrigens fundamental von herkömmlichen, dem Angebot eines Produkts auf einem Markt ebenfalls vorgelagerten Herstellungsprozessen.278
D. Zusammenfassung Vom Konzept der Innovation zu unterscheiden sind einzelne Innovationen. Dies sind neue oder verbesserte Produkte (Produktinnovationen) oder Prozesse (Prozessinnovationen), die sich deutlich von bisherigen Produkten oder Prozessen abheben und den jeweiligen Nutzerinnen und Nutzern tatsächlich zur Verfügung gestellt worden sind. Je nach Ausmaß der Neuerung handelt es sich um radikale oder inkrementelle Innovationen. Unternehmen können Innovationen hervorbringen, indem sie die erforderlichen Innovationstätigkeiten, insbesondere Forschung und Entwicklung, durchführen. Voraussetzung ist, dass die Unternehmen über die entsprechenden Fähigkeiten und Anreize verfügen. Grundlegende Eigenschaften von Innovation sind Prozesshaftigkeit, Komplexität und Unsicherheit.
277 Vgl. hierzu an dieser Stelle nur Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 185. 278 Vgl. Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 42.
Kapitel 2
Innovation und Wettbewerb In diesem Kapitel wird das Verhältnis zwischen Innovation und Wettbewerb untersucht.1 Es werden Ansätze zur begrifflichen und konzeptionellen Erfassung des Innovationswettbewerbs erarbeitet. Bislang wird der Begriff des Innovationswettbewerbs sehr uneinheitlich verwendet.2 Eine eindeutige Definition hat sich, soweit ersichtlich, bislang nicht herausgebildet.3 Nach einer Einführung (unter A.) wird der Innovationswettbewerb in seinen Grundzügen erläutert (unter B.). Anschließend wird auf strukturelle Determinanten von Innovation und Innovationswettbewerb eingegangen (unter C.).
A. Einführung Die folgenden Überlegungen dienen dazu, eine Grundlage für die vertiefte Befassung mit dem Verhältnis von Innovation und Wettbewerb zu legen. Sie sollen ein Vorverständnis für die späteren Ausführungen erzeugen. Nach einem kurzen Aufriss des später aufzufächernden Verhältnisses von Innovation und Wettbewerb (unter I.) wird auf die mit dem Wettbewerb verbundenen Effizienzziele 1 Die
vorliegende Arbeit beschränkt sich auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen in ihrer Rolle als Anbieter von Produkten. Nicht weiter eingegangen wird auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen als Nachfragern. 2 In der wettbewerbsrechtlichen Literatur wird der Begriff des Innovationswettbewerbs zum Beispiel verwendet von Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 57; Spangler/Heppner, PharmR 2018, 522; Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 343–349; Grave/Nyberg in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, AEUV, Art. 101 Abs. 1 Rn. 223. Englischsprachige Pendants des Begriffs sind etwa: Innovation Competition, Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 592; Competition in Innovation, Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 512 f.; oder auch Innovation-Inducing Competition, Budzinski, An Evolutionary Theory of Competition, 2004, S. 4. 3 So auch Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 18; vgl. auch bereits Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 107. Ein Definitionsansatz findet sich etwa bei Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 579, der (allerdings eher beiläufig) ausführt, „competition in innovation itself – that is, competition among firms seeking to develop the same new product or process“. Siehe auch etwa Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20, die Innovationswettbewerb beschreiben als „parallele Forschungs- und Entwicklungstätigkeit (F&E) zweier oder mehrerer Unternehmen, mit dem Ziel zukünftig neue oder verbesserte Produkte anbieten zu können“.
56
Teil 1: Ökonomische Grundlagen
eingegangen (unter II.). Sodann wird dargelegt, welche Rolle Innovation in der Wettbewerbstheorie spielt (unter III.).
I. Dimensionen des Wettbewerbs Wettbewerb wird allgemein charakterisiert „als eines der zentralen Organisationsprinzipien einer marktwirtschaftlichen Ordnung“4. Er kommt dadurch zustande, dass Wirtschaftssubjekte von bestimmten Handlungsmöglichkeiten, oder Aktionsparametern, Gebrauch machen.5 Seine organisierende Wirkung entfaltet der Wettbewerb nach heute vorherrschendem Verständnis in erster Linie, indem er wiederum Anreize zum (weiteren, noch intensiveren) Einsatz dieser Aktionsparameter setzt.6 Auf diese Weise erfüllt der Wettbewerb die verschiedenen ihm zugedachten Funktionen.7 Je nachdem, um welchen der grundsätzlich zur Verfügung stehenden Aktionsparameter es im Einzelnen geht, ist eine andere der spezifischen Dimensionen angesprochen, die der Wettbewerb im Allgemeinen umfasst.8 Die Unterscheidung der verschiedenen Aktionsparameter und Wettbewerbsdimensionen dient freilich vor allem analytischer Klarheit. In der Realität lässt sie sich nicht immer stringent durchführen.9 Zu den wichtigsten wettbewerblichen Aktionsparametern werden meist Preise und Mengen gezählt.10 Wettbewerb – in seinen Dimensionen des Preis- oder Mengenwettbewerbs – kann dadurch zustande kommen, dass Unternehmen ihre 4 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 371; vgl. auch etwa Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 77, die von Wettbewerb als „anonyme[m] Kontroll- und Steuerungsmechanismus“ sprechen. 5 Vgl. Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 3 f.; Kling in: FS Bohl, 2015, S. 439. 6 Zu Wettbewerb und Verhaltensanreizen siehe etwa Nalebuff/Stiglitz, The Bell Journal of Economics 1983, Bd. 14, Nr. 1, 21; Vickers, Oxford Economic Papers 1995, Bd. 47, Nr. 1, 1, 7 f.; Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 6. 7 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 372. 8 Zu den verschiedenen Dimensionen des Wettbewerbs vgl. etwa Wright in: Manne/ Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 232–235; Gilbert/ Greene, George Washington Law Review 2015, Bd. 83, Nr. 6, 1919, 1922; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 5; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 11. 9 Vgl. Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 78. 10 Vgl. nur Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 78; Meessen/ Kersting in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, Einf. Rn. 10; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 20; deutlich auch Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 111: „Der Preis ist der für Theorie und Politik wichtigste Wettbewerbsparameter. Er verdankt seine Prominenz wohl der Tatsache, dass der Preiswettbewerb die wissenschaftlich bei weitem am besten untersuchte Wettbewerbsform ist und seine Voraussetzungen und Wirkungen am präzisesten vorausgesagt werden können“.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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Preise senken oder ihre Ausbringungsmengen erhöhen (was ebenfalls den Effekt geringerer Marktpreise hat). Umgekehrt kann Wettbewerb Anreize zur Vornahme von Preissenkungen beziehungsweise Mengenausweitungen schaffen. Auf diese Weise erfüllt der Wettbewerb insbesondere seine Funktion, für eine effiziente Ressourcenallokation zu sorgen.11 Innovation stellt ebenfalls einen möglichen wettbewerblichen Aktionsparameter dar. Auch durch die Vornahme von Innovationstätigkeiten kann Wettbewerb entstehen. Und Wettbewerb kann wiederum Innovationsanreize setzen. So gehören auch die Hervorbringung und Verbreitung von Innovation zu den Funktionen des Wettbewerbs.12 Hiermit ist die Wettbewerbsdimension des Innovationswettbewerbs angesprochen.13 In dieser manifestiert sich, was Fuchs sinngemäß damit beschreibt, dass Innovation „sowohl Ursache als auch Mittel und Ergebnis von Wettbewerb“14 ist.15 Der Innovationswettbewerb unterscheidet sich nun aber ganz wesentlich von anderen Wettbewerbsdimensionen. Dies liegt vor allem darin begründet, dass es sich beim Innovationswettbewerb – angesichts der Innovation eigenen Prozesshaftigkeit – um eine dynamische Wettbewerbsdimension handelt. Andere Wettbewerbsdimensionen, insbesondere Preis- und Mengenwettbewerb, sind hingegen statischer Natur.16 Zudem erschweren die für Innovation charakteristischen Eigenschaften der Komplexität und Unsicherheit die Analyse des Innovationswettbewerbs im Vergleich zu Preis- und Mengenwettbewerb. Die für die Analyse von Preis- und Mengenwettbewerb gängigen Konzepte und Methoden lassen sich nicht ohne Weiteres auch für die Analyse des Innovationswettbewerbs heranziehen. Es bedarf vielmehr eigenständiger Analysekonzepte und -methoden für den Innovationswettbewerb, die aber bislang allenfalls in Ansätzen entwickelt sind.17 11 Zu Preis- und Mengenwettbewerb siehe etwa Woeckener, Strategischer Wettbewerb, 2014, S. 14–16. 12 Zu Innovation als Wettbewerbsparameter siehe etwa Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 67; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 572; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 70 f.; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 670; Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 698. 13 Zum Innovationswettbewerb als Wettbewerbsdimension vgl. nur Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 147. 14 Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64; siehe auch Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76. 15 Vgl. auch Metcalfe in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 944, der ausführt: „Innovation is a route to competitive advantage but the converse is true also, that competition shapes the innovation process; the two phenomena are inseparable“. Vgl. ferner Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 212; Callon in: Bathelt/Cohendet/Henn/Simon, The Elgar Companion to Innovation and Knowledge Creation, 2017, S. 589–609. 16 Vgl. nur OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 11. 17 Vgl. hierzu nur Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014,
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
II. Wettbewerb als Instrument zur Herstellung von Effizienz Wie bereits angedeutet, werden mit dem Wettbewerb verschiedene Funktionen verbunden. Welche dies im Einzelnen sind und welche Bedeutung ihnen jeweils zuzuschreiben ist, dazu gibt es unterschiedliche Sichtweisen.18 Im Vordergrund steht heute vielfach das wohlfahrtstheoretische Konzept, Wettbewerb „als ein Instrument zur Herstellung von Effizienz“19 aufzufassen.20 Unterschieden wird dabei zwischen statischer Effizienz, wozu die allokative und die produktive Effizienz zählen, und dynamischer Effizienz.21
1. Statische Effizienz Allokative Effizienz ist gegeben, wenn die vorhandenen, knappen Ressourcen beziehungsweise Produktionsfaktoren auf optimale, das heißt auf die produktivste, Art und Weise verwendet werden.22 Ressourcen beziehungsweise Produktionsfaktoren müssen gerade denjenigen Wirtschaftssubjekten zur Verwendung zugewiesen sein, die hierzu am besten in der Lage sind.23 Im resultierenden Zustand kann dann kein Wirtschaftssubjekt besser gestellt werden, ohne dass zugleich ein anderes Wirtschaftssubjekt schlechter gestellt würde.24 Insofern ist Allokationseffizienz gleichbedeutend mit sogenannter Pareto-Effizienz.25 Unternehmen bieten die optimalen Mengen an Produkten zu den jeweils optimalen Preisen an; jede weitere Preissenkung und jede weitere Erhöhung der Ausbringungsmengen zugunsten der Nachfrageseite ginge mit Verlusten für die anbietenden Unternehmen einher.26 Auf wettbewerblichen Märkten ist allokative EfS. 48; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 37 f., 42; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 5. 18 Siehe nur Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 35–40; Conrad, Wirtschaftspolitik, 2020, S. 73–78. 19 Schmidt, ORDO 59 (2008), 209, 215. 20 Vgl. hierzu auch Schmidtchen in: Oberender, Effizienz und Wettbewerb, Berlin, 2005, S. 9–41; Fox in: Pitofsky, How the Chicago School Overshot the Mark, 2008, S. 77–88; Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 669; Wissing, WuW 2020, 593. 21 Siehe etwa Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 3; Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 26; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 85; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 3 f. 22 Vgl. Scheufen, Angewandte Mikroökonomie und Wirtschaftspolitik, 2020, S. 10; Schmidt, ORDO 59 (2008), 209, 215. 23 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 4; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 86. 24 Brunner/Kehrle, Volkswirtschaftslehre, 2014, S. 27. 25 Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 4; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 86; vgl. auch Schmidt, ORDO 59 (2008), 209, 215; ausführlicher zur Pareto-Effizienz Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2020, S. 14–19. 26 Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 26.
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fizienz dann erreicht, wenn die Preise der angebotenen Produkte (langfristig) den Grenzkosten ihrer Herstellung entsprechen.27 Produktive Effizienz bezieht sich demgegenüber nicht auf die Zuweisung von Produktionsfaktoren an verschiedene Wirtschaftssubjekte, sondern auf deren Nutzung durch ein einzelnes Wirtschaftssubjekt,28 und damit (auch) auf dessen interne Organisation.29 In einem Zustand produktiver Effizienz werden die einem Unternehmen zur Verfügung stehenden Produktionsfaktoren optimal genutzt. Mit einem gegebenen Input wird der maximale Output erzielt.30 Eine weitere Verbesserung der Nutzung von Produktionsfaktoren, namentlich eine weitere Senkung der Produktionskosten des Unternehmens, ist nicht (mehr) möglich.31
2. Dynamische Effizienz Die beiden Arten der statischen Effizienz zeichnen sich dadurch aus, dass mit ihnen Zustände unabhängig von ihrer Entstehung und (weiteren) Entwicklung beschrieben werden. Für die Beantwortung der Frage, ob statische Effizienz vorliegt, werden Ressourcen beziehungsweise Produktionsfaktoren als für den maßgeblichen Moment gegeben angesehen. Der Ablauf von Zeit sowie Neuerungen bei Produkten und Prozessen bleiben außer Betracht.32 Hierin unterscheidet sich die statische von der dynamischen Effizienz (auch Innovationseffizienz).33 Letztere bezieht sich auf die Innovationsrate einer Gesamtheit von Wirtschaftssubjekten,34 also das Ausmaß, in welchem Unternehmen neue oder 27 Curzon Price/Walker, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 475; Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 4. 28 Vgl. Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 86; Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 27; Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 4. 29 Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 8. 30 Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 4; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 8; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 86. 31 Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 27; Curzon Price/Walker, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 475. 32 Baake/Haucap/Kühling/Loetz/Wey, Effiziente Regulierung in dynamischen Märkten, 2007, S. 21; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 9; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 85. 33 Vgl. nur Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 87; Curzon Price/Walker, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 475; Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 27; Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 4 f. 34 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 3 Rn. 81; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 87.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
verbesserte Produkte oder Prozesse einführen.35 Dynamische Effizienz liegt vor, wenn die Innovationsrate von Unternehmen und der Volkswirtschaft insgesamt optimal ist und Innovationen zum optimalen Zeitpunkt eingeführt bzw. adaptiert werden.36 Das setzt voraus, dass deren Investitionen in Tätigkeiten zur Hervorbringung bestimmter Innovationen der Höhe nach den infolge der Einführung dieser Innovationen erzielbaren Erträgen entsprechen.37 Eine Rolle spielt etwa auch die Geschwindigkeit, mit welcher Unternehmen Innovationen einführen.38 Insgesamt ist die dynamische Effizienz in der Wohlfahrtstheorie aber, verglichen mit der statischen Effizienz, weitaus weniger klar herausgearbeitet und definiert.39 Praktisch ist die Ermittlung der (optimalen) Innovationsrate und damit des Vorliegens dynamischer Effizienz dementsprechend auch überaus schwierig, wenn nicht gar unmöglich.40 Dies liegt nicht zuletzt an der mit Innovation einhergehenden Unsicherheit. So sind die mittels einer Innovation erzielbaren Erträge regelmäßig gerade nicht sicher prognostizierbar.41 Zentral für die dynamische Effizienz sind in jedem Fall die Fähigkeiten und Anreize von Unternehmen zur Vornahme von Innovationstätigkeiten; je größer diese Fähigkeiten und Anreize unter bestimmten wirtschaftlichen beziehungsweise Wettbewerbsbedingungen sind, desto eher weisen diese Bedingungen Züge dynamischer Effizienz auf.42
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Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 4. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 9; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 87; ausführlich zum Begriff der dynamischen Effizienz auch Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319. 37 Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 9; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 88. 38 Vgl. Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 27; Kinne, Effizienzvorteile in der Zusammenschlusskontrolle, 2000, S. 59; Kerber in: Drexl/Idot/Monéger, Economic Theory and Competition Law, 2009, S. 98. 39 Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 37 Fn. 10. 40 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 3 Rn. 81; vgl. auch Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 9; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 88; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 264 f.; Kerber in: Drexl/Idot/Monéger, Economic Theory and Competition Law, 2009, S. 98 f. 41 So auch etwa Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 9; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 88 f.; Curzon Price/Walker, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 475, 476. 42 Vgl. OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 9; OECD, The Role of Efficiency Claims in Antitrust Proceedings, 2013, S. 14; vgl. auch Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319, 336; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 9 f. 36 Vgl.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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3. Zielkonflikte bei der Herstellung von Effizienz Zwar ist die Verwirklichung jeder der einzelnen Arten von Effizienz vorteilhaft. Allerdings können hierbei Zielkonflikte auftreten.43 Verhaltensweisen oder Maßnahmen (beispielsweise auch Kooperationen und Zusammenschlüsse) von Unternehmen haben häufig vorteilhafte Auswirkungen auf den Verwirklichungsgrad einer Effizienz und zugleich nachteilige Auswirkungen auf denjenigen einer anderen. Zur Beurteilung der wohlfahrtsökonomischen Gesamtwirkung einer Verhaltensweise oder Maßnahme können diese Vor- und Nachteile dann gegeneinander abzuwägen sein (sogenannter Trade-off ).44 Ob es dieser Abwägung bedarf, ist häufig auch eine Frage des zugrunde gelegten Wohlfahrtsstandards, also ob die Gesamt- oder die Konsumentenwohlfahrt als Beurteilungsmaßstab herangezogen werden.45 Während Erstere die gesamtwirtschaftliche Wertschöpfung zum Bezugspunkt hat, ohne dass es auf deren Verteilung zwischen Unternehmen und der Konsumentinnenseite ankommt, steht bei Letzterer der (Netto-)Nutzen für Verbraucherinnen und Verbraucher im Mittelpunkt.46 Ein derartiges Abwägungserfordernis kann namentlich im Falle von Unternehmenszusammenschlüssen auftreten. Möglich ist beispielsweise, dass ein Zusammenschluss einerseits die allokative Effizienz herabsetzt und andererseits die produktive Effizienz erhöht – wie im Modell von Williamson,47 auf das in diesem Zusammenhang vielfach verwiesen wird.48 Der dort modellierte Zusammenschluss hat zum einen gesteigerte Marktmacht der entstehenden Unternehmenseinheit zur Folge, sodass diese von ihren Abnehmerinnen und Abnehmern höhere Preise verlangen kann als dies den Beteiligten des Zu43
Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 8 f., 20 f.; Schwalbe/ Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 10; Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319, 321 f.; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 177. 44 Vgl. nur Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 177; Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 35 f.; Curzon Price/Walker, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 475. 45 Ausführlicher zu den Wohlfahrtsstandards etwa Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 41–47; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 11–14; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 94–97. 46 Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 14. 47 Siehe Williamson, The American Economic Review 1968, Bd. 58, Nr. 1, 18; siehe hierzu auch Williamson, The American Economic Review 1968, Bd. 58, Nr. 5, 1372; Williamson, The American Economic Review 1969, Bd. 59, Nr. 5, 954. 48 Siehe etwa Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319, 321 f.; OECD, The Role of Efficiency Claims in Antitrust Proceedings, 2013, S. 17 f.; Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 36–39; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 97– 100.
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sammenschlusses zuvor möglich war. Zum anderen führt der modellierte Zusammenschluss zu geringeren (Grenz-)Kosten in der Produktherstellung.49 Überdies kann ein Zusammenschluss auch unterschiedlich auf die allokative Effizienz einerseits und die dynamische Effizienz andererseits wirken. So ist denkbar, dass durch einen Zusammenschluss erhöhte Marktmacht sowohl einen Preisanstieg als auch eine Stärkung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen bedingt.50 Besondere Schwierigkeiten verursacht die Abwägung hier vor allem deshalb, weil Marktmachterhöhung und Preisanstieg möglicherweise unmittelbar im Anschluss an den Vollzug des Zusammenschlusses stattfinden, während sich die Vorteile gesteigerter dynamischer Effizienz erst später und über einen längeren Zeitraum hinweg materialisieren.51 Grundsätzlich wird aber angenommen, dass dynamischer Effizienz angesichts der generellen Bedeutung von Innovation für Wohlstand und Wachstum aus wohlfahrtsökonomischer Perspektive der Vorrang gegenüber statischer Effizienz einzuräumen ist.52
III. Innovation in der Wettbewerbstheorie Bevor auf weitere Einzelheiten zum Wettbewerb als Instrument zur Herstellung gerade auch dynamischer Effizienz und zum Innovationswettbewerb eingegangen wird, bedarf es eines Überblicks über die verschiedenen wettbewerbstheoretischen und -politischen Konzeptionen und Leitbilder.53 Diese liefern ganz grundlegende Anhaltspunkte dafür, was unter Wettbewerb zu verstehen ist beziehungsweise wie Wettbewerb funktioniert, und auf welche Weise sich durch Ausgestaltung und Anwendung des Wettbewerbsrechts wettbewerbspolitische Zielsetzungen erreichen lassen.54 Von den unterschiedlichen Wettbewerbskon49
Williamson, The American Economic Review 1968, Bd. 58, Nr. 1, 18. Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319, 322; OECD, The Role of Efficiency Claims in Antitrust Proceedings, 2013, S. 15. 51 Vgl. Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 40 f.; Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319, 319 f. 52 Siehe Curzon Price/Walker, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 475; Kathuria, European Competition Journal 2015, Bd. 11, Nr. 2–3, 319, 323– 325; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 177–181; Sidak/ Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 600–602. Bei Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 208, heißt es hierzu plakativ: „Dynamic competition should be favored over its poorer cousin, static competition“. 53 Einer allzu ausführlichen Darstellung sämtlicher Konzeptionen und Leibilder bedarf es an dieser Stelle nicht. Instruktive Übersichten finden sich etwa bei Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 374–391; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 26–33; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 4–30. 54 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 374; Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 155. Auf eine 50 Vgl.
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zepten, die sich im Laufe des 20. Jahrhunderts herausgebildet haben, hatten und haben einzelne einen mehr oder weniger großen Einfluss auf die Wettbewerbspolitik und das Wettbewerbsrecht.55 Da jedes der Konzepte für sich genommen gewisse Unzulänglichkeiten aufweist, hat sich keines von ihnen als wirklich langfristig dominantes Erklärungsmuster durchsetzen können.56 Der folgende Überblick soll vor allem eines verdeutlichen: Trotz des Konsenses, dass die Hervorbringung und Verbreitung von Innovation und also dynamische Effizienz „zu den wesentlichen Funktionen des Wettbewerbs“57 gehören,58 ist es bislang nicht gelungen, diese Wettbewerbsfunktion auf zufriedenstellende Art und Weise in ein konzeptionelles Verständnis des Wettbewerbs zu integrieren.59 Ein allgemein akzeptiertes Wettbewerbskonzept, welches diese Integration lückenlos bewerkstelligt, existiert nach wie vor nicht.60 Die verschiedenen Wettbewerbskonzepte mit dem bis heute prägendsten Einfluss auf die Ausgestaltung und Entwicklung von Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht in der EU lassen dynamische Gesichtspunkte wie die Hervorbringung von Innovation weitgehend außen vor. Sie konzentrieren sich stattdessen vor allen Dingen auf das Verhalten von Unternehmen bei der Festsetzung von Preisen und Mengen und damit auf die statische Effizienz.61 genaue Differenzierung zwischen wettbewerbstheoretischen Konzepten einerseits und wettbewerbspolitischen Leitbildern andererseits kommt es hier nicht an. Differenzierte Darstellungen finden sich etwa bei Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 4–30; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 3–30. 55 Vgl. etwa Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 31; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 26; instruktiv zu den Vorzügen eines Pluralismus an Wettbewerbskonzepten Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295; Budzinski, Pluralism of Competition Policy Paradigms and the Call for Regulatory Diversity, 2003. 56 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 390 f.; Fleischer, Die Dynamik des Wettbewerbsschutzes im US-amerikanischen, europäischen und australischen Kartellrecht, 2013, S. 23. 57 Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 100. 58 Siehe auch etwa Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 669; Wolf, Kartellrechtliche Grenzen von Produktinnovationen, 2004, S. 73 f.; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 56. Möller, Versuch und Irrtum, 2017, S. 70, bemerkt dazu: „Die ‚Peitsche‘ des Wettbewerbs zwingt die Unternehmen laufend zur Anpassung an die sich ändernden Marktbedingungen, insbesondere zu Produkt- und Prozessinnovationen. Wirksamer Wettbewerb treibt zu ständigen dynamischen Neuerungsprozessen an“ (Hervorhebung ausgelassen). 59 Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 100; vgl. auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 3 Rn. 20. 60 So Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 37: „Although there is broad critique in regard to this static concept of competition, currently no convincing integrated and well-established concept of competition exists that also includes innovation“. 61 Siehe hierzu nur Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 31 f.; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 183 f.; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 35–38.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
1. Die herkömmlichen statischen Wettbewerbskonzeptionen Im Folgenden werden zunächst die Wettbewerbskonzepte mit dem größten praktischen Einfluss auf Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht vorgestellt.
a) Die Neoklassik und das Modell der vollkommenen Konkurrenz Wurde Wettbewerb im klassischen Liberalismus, wie er vor allem auf Adam Smith zurückgeht, noch als dynamischer Prozess verstanden, angetrieben durch die Ausnutzung individueller Handlungsfreiheiten bei weitgehender Zurückhaltung des Staats,62 so setzte sich mit Aufkommen und Entwicklung der neoklassischen Mikroökonomik zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend eine statische Betrachtungsweise durch, die Wettbewerb mit einem bestimmten Gleichgewichtszustand identifizierte.63 Anliegen der Neoklassik war es, über die Beobachtungen der klassischen Ökonomen hinaus Untersuchungen des Wirtschaftsgeschehens im Sinne einer exakten Wissenschaft anzustellen.64 Daraus ging insbesondere die neoklassische Preistheorie hervor,65 welche sich der Frage nach dem Zustandekommen von Preisen auf einem Markt und der Koordinierung der individuellen Pläne von Wirtschaftsteilnehmerinnen und -teilnehmern über den Preis widmet.66 Auf ihrer Grundlage wurden Gleichgewichtsmodelle zu den verschiedenen Marktformen des Polypols, Monopols und Oligopols entwickelt.67 Namentlich das Modell der vollkommenen Konkurrenz (Perfect Competition) im Polypol wurde zum maßgeblichen Referenzpunkt.68 Mit dem in diesem Modell abgebildeten Zustand wurde Wettbewerb fortan gleichgesetzt. Die Deutung dessen, was unter Wettbewerb zu verstehen 62
Zum Wettbewerbsverständnis der Klassik siehe etwa Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 4–7; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 297; Vickers, Oxford Economic Papers 1995, Bd. 47, Nr. 1, 1, 4 f.; Stigler, Journal of Political Economy 1957, Bd. 65, Nr. 1, 1, 1 f. 63 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 374 f.; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 7; Kling in: FS Bohl, 2015, S. 441 f.; anschaulich zum neoklassischen „Denken in Gleichgewichten“ auch Fehl, ORDO 56 (2005), 77, 78–81. 64 Vgl. Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 297; Stigler, Journal of Political Economy 1957, Bd. 65, Nr. 1, 1, 5 f. 65 Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 297; Fleischer, Die Dynamik des Wettbewerbsschutzes im US-amerikanischen, europäischen und australischen Kartellrecht, 2013, S. 15. 66 Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 116; zur neoklassischen Preistheorie siehe auch Nicholas, World Review of Political Economy 2012, Bd. 3, Nr. 4, 457. 67 Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 297; siehe auch Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 118–121. 68 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 375; Fleischer, Die Dynamik des Wettbewerbsschutzes im US-amerikanischen, europäischen und australischen Kartellrecht, 2013, S. 15.
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ist, hatte sich damit gewandelt: Anstelle des Prozesses hin zu einer bestimmten stationären Gleichgewichtslage (wie in der Klassik) wurde nun diese Gleichgewichtslage selbst als Wettbewerb bezeichnet.69 Das Modell der vollkommenen Konkurrenz beschreibt einen theoretischen Idealzustand. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass die individuelle Nutzenbeziehungsweise Gewinnmaximierung der auf einem Markt auftretenden Wirtschaftsteilnehmerinnen und -teilnehmer Pareto-Optimalität herbeiführt. Das bedeutet, dass keine Wirtschaftsteilnehmerin ihre Position verbessern kann, ohne dass zugleich ein anderer Wirtschaftsteilnehmer Einbußen hinzunehmen hätte. Vollkommene Konkurrenz wird also in erster Linie mit allokativer Effizienz gleichgesetzt. Zu den Modellannahmen, den Bedingungen der Paretooptimalen, effizienten Faktorallokation gehören unter anderem die durch eine Vielzahl von Anbietern und Nachfragerinnen und Nachfragern geprägte, atomistische Marktstruktur, die Homogenität der angebotenen Produkte, die grenzenlose Reaktionsgeschwindigkeit der Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer, vollständige Markttransparenz sowie das Fehlen von Marktzutritts- und Marktaustrittsschranken. Sind die Modellannahmen der vollkommenen Konkurrenz auf einem Markt gegeben, werden sämtliche Anbieter zu Preisnehmern beziehungsweise Mengenanpassern (je nachdem, ob der Preis oder die Menge die maßgebliche strategische Variable ist). Kein Anbieter hat Einfluss auf das Preisniveau. Dieses entspricht den jeweiligen Grenzkosten der Herstellung des angebotenen Produkts. Erhöhte ein Anbieter den Preis über das Niveau der Grenzkosten hinaus oder reduzierte seine Ausbringungsmenge entsprechend, müsste er damit rechnen, dass sofort sämtliche Kundinnen und Kunden zu einem anderen, günstigeren Anbieter hinüberwechselten. Unterhalb der Grenzkosten kann der Produktpreis freilich zumindest langfristig nicht liegen, da dann Verluste geschrieben würden. Es besteht, mit anderen Worten, keinerlei Spielraum zur Festsetzung von Preisen oder Mengen. Anbieter sind nicht in der Lage, Gewinne über die normale Kapitalverzinsung zuzüglich einer Risikoprämie hinaus zu erwirtschaften. Zudem findet die Produktherstellung unter den Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz zu minimalen Kosten statt. Neben allokativer ist also auch produktive Effizienz gegeben.70 69 Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 7; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 297; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 375; siehe hierzu auch Stigler, Journal of Political Economy 1957, Bd. 65, Nr. 1, 1; McNulty, Journal of Political Economy 1967, Bd. 75, Nr. 4, 395; McNulty, The Quarterly Journal of Economics 1968, Bd. 82, Nr. 4, 639; Blaug, Review of Industrial Organization 2001, Bd. 19, Nr. 1, 37, 37–39. 70 Zum Modell der vollkommenen Konkurrenz siehe etwa Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 14–20; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 26–28; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 7–9; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 375, 377.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
Seine neoklassische Charakterisierung anhand des Modells der vollkommenen Konkurrenz und damit insbesondere anhand der Bedingungen allokativer Effizienz reduziert das Phänomen des Wettbewerbs, wie gesagt, auf einen stationären Gleichgewichtszustand. Wettbewerb zeichnet sich danach vor allem aus durch eine polypolistische Marktstruktur sowie ein Marktergebnis in Gestalt von Preisen auf dem Niveau der Grenzkosten. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen also Marktstruktur und Marktergebnis, und nicht etwa ein durch Rivalität geprägtes, dynamisches Verhalten der Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer.71 Abweichungen vom Zustand der vollkommenen Konkurrenz, namentlich die Fähigkeiten und Anreize von Unternehmen, Preise oberhalb des Grenzkostenniveaus durchzusetzen, werden mit Marktmacht gleichgesetzt.72 So markiert das Modell der vollkommenen Konkurrenz als Zustand idealen Wettbewerbs, in welchem kein Marktteilnehmer über Marktmacht verfügt, den Ausgangspunkt des neoklassischen Modellspektrums über die verschiedenen Marktformen hinweg.73 Ihm gegenüber liegt der gegenteilige Grenzfall des Monopols, mit uneingeschränkter Marktmacht eines Anbieters.74 Ein Monopolanbieter verfügt über große Spielräume bei der Preis- beziehungsweise Mengenfestsetzung und kann übernormale Gewinne erzielen. Der Monopolfall ist durch Wohlfahrtseinbußen, namentlich allokative und produktive Ineffizienz, geprägt.75 Zwischen den Grenzfällen der vollkommenen Konkurrenz und des Monopols liegen die in der Realität häufigsten Marktformen mehr oder weniger weiter Oligopole.76 Auf oligopolistisch strukturierten Märkten verfügen Unternehmen jeweils über Marktmacht, aber nur zu einem gewissen Grad, welcher das Ausmaß an Marktmacht im Monopol nicht erreicht. Oligopolpreise liegen typischerweise oberhalb des Grenzkosten-, aber unterhalb des Monopolpreisniveaus.77 Mit der Definition von Wettbewerb als Gleichgewichtszustand wurde – wohl vor allem aus Gründen der analytischen Klarheit – bewusst von Zustandsveränderungen und Entwicklungen abstrahiert. Das Modell der vollkommenen Konkurrenz geht aus von einer gegebenen Anzahl an Marktteilnehmerinnen und -teilnehmern, gegebenen Produkten und Herstellungsverfahren, un71 Siehe hierzu nur McNulty, The Quarterly Journal of Economics 1968, Bd. 82, Nr. 4, 639; Vickers, Oxford Economic Papers 1995, Bd. 47, Nr. 1, 1, 3–7. 72 Vgl. Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 27; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 53, 64; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 377. 73 Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 20, 26. 74 Zum Monopol siehe Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 29– 32; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 22–31. 75 Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 30, 32; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 25 f. 76 Vgl. Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 121; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 377. 77 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 377; siehe auch Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 41.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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veränderlichen Präferenzen auf der Nachfrageseite und so weiter. Im Vordergrund stehen allokative und produktive Effizienz. Dynamische Effizienz wird von der Betrachtung weitgehend ausgeschlossen. Die Hervorbringung von Innovation spielt keine Rolle. Die Konzeption des Wettbewerbs auf der Grundlage der vollkommenen Konkurrenz und des neoklassischen Spektrums stationärer Gleichgewichtsmodelle führt mithin naturgemäß zu einem rein statischen Verständnis eines ursprünglich einmal als dynamisch charakterisierten Phänomens.78 Mit dieser und allem voran der noch grundsätzlicheren Unzulänglichkeit, dass das Modell der vollkommenen Konkurrenz auf überaus unrealistischen Annahmen beruht,79 zog das auf diesem Modell basierende Wettbewerbskonzept vielfältige Kritik auf sich.80 Nichtsdestotrotz hatte es über lange Zeit eine Vorrangstellung in der Wettbewerbstheorie inne.81 Gerade aufgrund seiner analytischen Stringenz ist es für Teile der Wettbewerbstheorie bis heute prägend geblieben.82 Die vollkommene Konkurrenz diente auch mit der Erkenntnis ihrer fehlenden tatsächlichen Realisierbarkeit zunächst noch als maßgebliches Leitbild der Wettbewerbspolitik, das es mittels geeigneter Maßnahmen und Eingriffe anzustreben galt.83 Zumindest als theoretisches Ideal spielte die vollkommene Konkurrenz auch bei der Ausgestaltung des europäischen Wettbewerbsrechts eine Rolle.84 Unabhängig vom Modell der vollkommenen Konkurrenz und seiner Bedeutung, dominiert die neoklassische Theorie – und mit ihr ein vorwiegend an statischen Gleichgewichten ausgerichtetes Denken und 78 Vgl. zum vorstehenden Absatz Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 10; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 298; siehe auch Hovenkamp, Competition Policy International 2008, Bd. 4, Nr. 2, 273, 273 f.; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 20 f.; Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 210; vgl. zudem Coricelli/Dosi in: Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988, S. 124–147. 79 Demsetz, The Journal of Law & Economics 1969, Bd. 12, Nr. 1, 1, bezeichnet die Erhebung der vollkommenen Konkurrenz zum Referenzmaßstab daher als „nirvana approach“; vgl. auch Söllner/Stulpe/Schaal in: Mause/Müller/Schubert, Politik und Wirtschaft, 2018, S. 55. Eine Alternative stellt etwa das Konzept des unvollkommenen oder monopolistischen Wettbewerbs nach Chamberlin und Robinson dar, siehe hierzu nur Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 11 f. 80 Siehe hierzu etwa Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 377 f.; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 9–12; Kling in: FS Bohl, 2015, S. 442. 81 Kling in: FS Bohl, 2015, S. 441; siehe auch Stigler, Journal of Political Economy 1957, Bd. 65, Nr. 1, 1. 82 Vgl. Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 298; Vickers, Oxford Economic Papers 1995, Bd. 47, Nr. 1, 1, 7. 83 Vgl. Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 11 f. 84 Kling in: FS Bohl, 2015, S. 472.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
Modellieren von Wirtschaftsphänomenen – aber in jedem Fall nach wie vor die Wirtschaftswissenschaften; um sie kreist der ökonomische Mainstream.85
b) Harvard School, funktionsfähiger Wettbewerb und traditionelle Industrieökonomik In den 1930er- und 1940er-Jahren bildeten sich vor allem in den Vereinigten Staaten weitere Ansätze zur Konzeption des Wettbewerbs heraus, die sich als Gegenentwurf zum Leitbild der vollkommenen Konkurrenz mit ihren unrealistischen Annahmen verstanden. Für diese Ansätze ist die Sammelbezeichnung als Harvard School gebräuchlich.86 Darunter befand sich insbesondere das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs (Workable Competition) nach Clark.87 Dieser sah die vollständige Konkurrenz weiterhin als erstrebenswertes Optimum an, ging aber zugleich davon aus, dass angesichts der im realen Wettbewerb stets gegebenen Unvollkommenheiten das Hinzutreten bestimmter zusätzlicher Unvollkommenheitsfaktoren im Ergebnis nicht schädlich, sondern einem funktionsfähigen Wettbewerb zuträglich sein kann.88 Funktionsfähiger Wettbewerb, gekennzeichnet durch sich gegenseitig relativierende Marktunvollkommenheiten, stellt Clark zufolge eine zweitbeste Lösung nach der vollkommenen Konkurrenz dar.89 Im deutschsprachigen Schrifttum fand der Clark’sche funktionsfähige Wettbewerb seine Entsprechung im Konzept der optimalen Wettbewerbsintensität nach Kantzenbach.90 Charakteristisch für die als Harvard School bezeichneten Ansätze ist das Denkmuster des sogenannten Struktur-Verhalten-Ergebnis- oder SCP-Para85 Siehe nur Mankiw/Taylor, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 2018, S. 23 f.; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 390 f.; Mas-Colell/Whinston/Green, Microeconomic Theory, 1995, S. 620. 86 Siehe etwa Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 298; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378. 87 Siehe Clark, The American Economic Review 1940, Bd. 30, Nr. 2, 241; siehe hierzu auch Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 298; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 12; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 172; Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 26. 88 Vgl. Clark, The American Economic Review 1940, Bd. 30, Nr. 2, 241; siehe auch Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 12 f. 89 Vgl. Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 12 f. Diese Überlegung wird zumeist als „Gegengiftthese“ bezeichnet, Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 27. Siehe auch Lipsey/Lancaster, The Review of Economic Studies 1956/1957, Bd. 24, Nr. 1, 11, zur Theorie des Zweitbesten. 90 Siehe Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966; siehe hierzu auch Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 14–16; Kling in: FS Bohl, 2015, S. 447 f.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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digmas (nach dem englischen Structure-Conduct-Performance Paradigm).91 In dessen Zentrum steht die Untersuchung von Kausalbeziehungen zwischen der Struktur eines Markts, dem Verhalten der auf diesem tätigen Unternehmen sowie dem sich einstellenden Marktergebnis.92 Marktstruktur meint hier die für Unternehmen (zumindest kurz- und mittelfristig) unveränderlichen Gegebenheiten eines Marktes.93 Dazu zählen etwa Anzahl und Größe der auf dem Markt als Anbieter und Nachfrager tätigen Unternehmen, Marktanteilsverteilung und Konzentrationsgrad, Produkteigenschaften wie Qualität und Differenzierungsgrad, die Marktphase, Kostenstrukturen sowie Marktzutrittsschranken.94 Das Marktverhalten besteht im Einsatz der zur Verfügung stehenden (wettbewerblichen) Aktionsparameter,95 also beispielsweise in der Festsetzung von Preisen und Mengen oder der Entwicklung und Umsetzung von Produktstrategien sowie in der Vornahme von Investitionen, auch etwa für Innovationstätigkeiten.96 Das Marktergebnis entspricht dem im Markt insgesamt erreichten Grad an produktiver, allokativer und dynamischer Effizienz, das heißt zum Beispiel dem Niveau von Preisen und Ausbringungsmengen, der Produktivität und den Gewinnmargen der Unternehmen sowie der Innovationsrate.97 Durch die Untersuchung von Kausalbeziehungen zwischen Marktstruktur, -verhalten und -ergebnis wollte die Harvard School Wettbewerbsprozesse systematisch erfassen.98 Dabei wurde vor allem die von der Marktstruktur über das Marktverhalten hin zum Marktergebnis verlaufende Kausalität betont.99 Die Möglichkeit von Rückwirkungen und wechselseitigen Bedingungszusammenhängen zwischen Marktstruktur, -verhalten und -ergebnis, wurde zwar grundsätzlich anerkannt, spielte aber (zumindest ursprünglich) eine eher untergeordnete Rolle.100 Da das Verhalten zuweilen – als ohnehin maßgeblich durch die Struktur 91 Vgl. Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299; siehe auch etwa Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 3; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 6. 92 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378 f.; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299. 93 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378. 94 Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 3; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 6. 95 Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 6. 96 Bester Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 3; Conrad, Wirtschaftspolitik, 2020, S. 243 f. 97 Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 6; Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 3. 98 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378 f.; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299. 99 Siehe nur Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 2–4; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 6; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378. 100 Vgl. Conrad, Wirtschaftspolitik, 2020, S. 244; Kerber in: Vahlens Kompendium der
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
bedingt – ausgeklammert wurde, kam es in erster Linie auf den Zusammenhang zwischen Struktur und Ergebnis an.101 Auf diesem Zusammenhang, namentlich auf der Annahme, dass die Marktstruktur letztlich erheblichen Einfluss auf das Marktergebnis hat, beruhten die wettbewerbspolitischen Handlungsempfehlungen der Harvard School: Durch Eingriffe in die Marktstruktur und eine Kontrolle von Marktstrukturveränderungen sollten wettbewerbspolitisch erwünschte Marktergebnisse hergestellt beziehungsweise abgesichert werden.102 Letztere zeichneten sich vor allem durch einen möglichst hohen Grad an allokativer, produktiver und ebenso dynamischer Effizienz aus. Neben der Effizienz formulierten Vertreter der Harvard School aber auch weitere wettbewerbspolitische Ziele, wie etwa die Einhegung wirtschaftlicher Macht oder die Freiheitssicherung.103 Es wird hier von einem Multi-Goal Approach gesprochen.104 Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Durchsetzung dieser wettbewerbspolitischen Ziele war die Marktmacht von Unternehmen, welche die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs beeinträchtigt und Ineffizienzen hervorruft. Auf ihre Bekämpfung zielten die vorgeschlagenen, marktstrukturbezogenen Interventionen vor allem ab.105 Eine theoretische Grundlage findet der für die Harvard School zentrale Zusammenhang zwischen Marktstruktur, -verhalten und -ergebnis in dem oben skizzierten Modellspektrum der Neoklassik.106 Dieses ist Ausgangspunkt der Überlegung, dass sich die Intensität des Wettbewerbs beziehungsweise umgekehrt das Ausmaß vorhandener Marktmacht – und damit das Marktergebnis in Form eines Preis- und Mengenniveaus, in welchem sich Wettbewerb beziehungsweise Marktmacht manifestieren – generell auf die Marktstruktur und insbesondere die Anzahl konkurrierender Anbieter zurückführen lassen.107 Viele der auf diesem Spektrum liegenden Modelle veranschaulichen, Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 378; zu einem moderneren Verständnis des SCP-Paradigmas siehe auch etwa Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 4–7. 101 Vgl. Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 6; Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 3. 102 Vgl. Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299; siehe auch Ewald, in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 7; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 14–16. 103 Siehe hierzu Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961, S. 63 f.; Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966, S. 16 f.; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 380; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299. 104 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 380; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299. 105 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 380; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299. 106 Vgl. Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 5 f., 41–60. 107 Vgl. Tsoulfidis, Classical vs. Neoclassical Conceptions of Competition, 2011, S. 7; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 8 f.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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dass auf oligopolistisch strukturierten Märkten umso größere Preissteigerungen beziehungsweise Mengenreduktionen auftreten, je weniger Anbieter vorhanden und je größer deren jeweilige Marktanteile sind.108 Idealtypisch belegt dies das grundlegende, sogenannte Cournot-Modell zum Mengenwettbewerb mit homogenen Gütern.109 An ihm lässt sich zeigen, dass mit dem Marktanteil eines Unternehmens dessen Marktmacht – in Form des Spielraums zur Vornahme von Mengenreduktionen – steigt.110 Zwar gibt es auch Fälle, in denen Marktanteile keine Aussagekraft für die Marktmacht von Unternehmen und damit die Wettbewerbsintensität haben.111 Insbesondere am sogenannten Bertrand-Modell zum Preiswettbewerb mit homogenen Gütern lässt sich zeigen, dass unter Umständen sogar in einem Duopol keines der beiden Unternehmen über Marktmacht verfügt und sich ein Marktergebnis wie im Falle der vollkommenen Konkurrenz einstellt.112 Allerdings wird davon ausgegangen, dass ein Zusammenhang zwischen der Marktstruktur einerseits sowie der Marktmacht beziehungsweise Wettbewerbsintensität und damit dem Preis- und Mengenniveau andererseits zumindest in der Tendenz besteht.113 In stärkerem Maße als eine solche modelltheoretische war allerdings die empirische Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Marktstruktur, -verhalten und -ergebnis kennzeichnend für die Harvard School. Derartige empirische Untersuchungen waren Gegenstand des mikroökonomischen Forschungsbereichs der (heute) sogenannten traditionellen Industrieökonomik (Industrial Organization).114 Mit eindeutigen Belegen für eine generelle Korrelation oder gar Kausalbeziehung zwischen Marktstruktur und -ergebnis konnte die traditionelle, empirische Industrieökonomik indes nicht aufwarten. Auch nach deren Erkenntnissen ließen sich Marktmacht und Wettbewerbsintensität beziehungsweise das Preis- und Mengenniveau allenfalls tendenziell auf bestimmte Markt108 Vgl. nur Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 14 Fn. 32; siehe auch Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 39–49. 109 OECD, Market Definition, 2012, S. 26; zum Cournot-Modell siehe auch Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 46 f.; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 41–44. 110 Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 47. 111 Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 48; vgl. auch Zimmer, WuW 2013, 928, 929. 112 Vgl. hierzu Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 49; Schwalbe/ Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 40 f. 113 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 72 f., 219; Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 14 Fn. 32; Hovenkamp/Shapiro, The Yale Law Journal 2018, Bd. 127, Nr. 7, 1996, 2001–2008. 114 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 379; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 5 f.; zum Forschungsbereich der Industrieökonomik siehe etwa Bain, Industrial Organization, 1968; Cabral, Introduction to Industrial Organization, 2000; Bühler/Jaeger, Einführung in die Industrieökonomik, 2002.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
strukturen zurückführen.115 Als kaum realisierbar stellte sich daher das mit dem Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs beziehungsweise den HarvardSchool-Ansätzen verbundene Anliegen heraus, anhand empirischer Erkenntnisse bestimmte Marktstrukturen zu identifizieren, welche dem Wettbewerb und wettbewerbspolitisch gewünschten Marktergebnissen generell besonders förderlich oder abträglich sind, und hierauf aufbauend ein wettbewerbspolitisches Interventionsprogramm auszuarbeiten.116 Unbesehen dessen gilt das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs mit dem SCP-Paradigma in Europa wie in den Vereinigten Staaten als theoretische Grundlage der heutigen Ausgestaltung von Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht. Auf ihm beruht die nach wie vor starke Ausrichtung an der Marktstruktur.117 Namentlich mit Blick auf die Fusionskontrolle wird deutlich, wie auch das moderne Wettbewerbsrecht noch bestrebt ist, im Wege der Kontrolle der Marktstruktur das Marktverhalten und so letztlich das Marktergebnis zu steuern.118 Was die Einbeziehung von Dynamik und Innovation anbetrifft, war das Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs demjenigen der vollkommenen Konkurrenz zwar überlegen. Die dynamische Effizienz zählte zu den wettbewerbspolitisch erwünschten Marktergebnissen. Hervorbringung und Verbreitung von Innovation wurden als Wettbewerbsfunktionen anerkannt. So ließ sich der Zusammenhang zwischen Marktstruktur einerseits und dynamischer Effizienz beziehungsweise Innovation andererseits systematisch in das Forschungsprogramm unter dem SCP-Paradigma integrieren.119 Die Vorstellung, über Eingriffe in die Marktstruktur dynamische Effizienz herzustellen und Innovation zu fördern, ist allerdings unterkomplex. Während der oben beschriebene tendenzielle Zusammenhang zwischen Marktstruktur und wettbewerblichem Markt115 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 380; ausführlich hierzu auch Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 411–447; Schmalensee in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 951–1009. 116 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 380. 117 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 380 f., 390; vgl. auch Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299; Podszun/Franz, NZKart 2015, 121, 124. 118 Kerber in: Oberender, Die Europäische Fusionskontrolle, 2000, S. 84; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 239 f.; zum Einfluss des SCP-Paradigmas auf das europäische Wettbewerbsrecht siehe auch etwa Gorp/Batura, Challenges for Competition Policy in a Digitalised Economy, 2015, S. 50 f.; Hildebrand, World Competition 2002, Bd. 25, Nr. 1, 3; Behrens, Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht, 2017, S. 177 f.; Schmidtchen in: Oberender, Effizienz und Wettbewerb, Berlin, 2005, S. 35; Zimmer, WuW 2013, 928, 929; zum Einfluss des SCP-Paradigmas in den Vereinigten Staaten siehe etwa Hovenkamp, Notre Dame Law Review 2019, Bd. 94, Nr. 2, 583. 119 Vgl. Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 38 Fn. 13.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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ergebnis im Hinblick auf die statische Effizienz besteht, ist dies hinsichtlich der dynamischen Effizienz nicht der Fall. Für die insofern maßgeblichen Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen spielen Marktstrukturfaktoren allenfalls eine untergeordnete Rolle. Weitaus wichtiger sind anderweitige, von der Marktstruktur unabhängige Gesichtspunkte. Ein Zusammenhang zwischen Marktstruktur und dynamischer Effizienz beziehungsweise Innovation ist dementsprechend auch empirisch nicht ohne Weiteres nachweisbar.120
c) Effizienzorientierte Ansätze: Chicago School und moderne theoretische Industrieökonomik (Post-Chicago Economics) Einen Gegenentwurf zum Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs und zur vergleichsweise interventionistischen Harvard School stellen wiederum jene Ansätze dar, die sich seit den 1960er-Jahren entwickelten und die Wettbewerbspolitik stärker mikroökonomisch fundiert wissen wollten. Dem von den Vertretern der Harvard School hochgehaltenen Pluralismus der Wettbewerbsfunktionen und -ziele setzten sie die erneute Fokussierung auf wirtschaftliche Effizienzen, vor allem die allokative Effizienz, entgegen. Die neoklassische (Preis-)Theorie und ihre statischen Gleichgewichtsmodelle, einschließlich des Modells der vollkommenen Konkurrenz, gewannen wieder an Einfluss.121 Inbegriff eines derart an Preistheorie und Effizienzorientierung ausgerichteten Wettbewerbskonzepts ist dasjenige der sogenannten Chicago School.122 Deren Vertretern zufolge eignet sich ausschließlich die Effizienz als Ziel der Wettbewerbspolitik sowie als Beurteilungskriterium. Die Einbeziehung anderweitiger Zielsetzungen oder Kriterien sei, insbesondere im Sinne einer klaren und eindeutigen Rechtsanwendung, nicht praktikabel.123 Der Wettbewerb selbst stellte für die Chicago School lediglich ein Instrument zur Verwirklichung des Effizienzziels dar.124 Als problematisch wurden insbesondere Einbußen bei der Allokationseffizienz erachtet, welche aus der von marktmächtigen Unternehmen zu erwartenden Reduktion ihrer Ausbringungsmengen gegenüber dem 120 Ausführlich
dazu noch unten, unter C. I. Siehe zum vorstehenden Absatz Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 381. 122 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 3 Rn. 21; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 23 f.; grundlegend für die Chicago School beispielsweise Director/Levi, Northwestern University Law Review 1956, Bd. 51, 281; Demsetz, The Journal of Law & Economics 1976, Bd. 19, Nr. 2, 371; Posner, Antitrust Law, 1976; Posner, University of Pennsylvania Law Review 1979, Bd. 127, Nr. 4, 925; Easterbrook, Texas Law Review 1984, Bd. 63, Nr. 1, 1. 123 So etwa Posner, Antitrust Law, 1976, S. 4; siehe auch Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 381; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 24. 124 Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 30; Fleischer, Die Dynamik des Wettbewerbsschutzes im US-amerikanischen, europäischen und australischen Kartellrecht, 2013, S. 20. 121
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
wettbewerblichen Niveau – also bei vollkommener Konkurrenz – resultiert.125 Dabei hatten die Vertreter der Chicago School aber nicht die Verbraucher-, sondern die Gesamtwohlfahrt im Blick. Für sie waren Effizienzeinbußen daher nicht bereits deshalb erheblich, weil sie eine Verringerung der Konsumentenrente bedeuteten, sondern erst und nur dann, wenn ihr Gesamteffekt negativ war. So konnte etwa eine Verringerung der Allokationseffizienz durch eine Steigerung der Produktionseffizienz ausgeglichen werden. Auf die darin liegende Verschiebung von der Konsumenten- zur Unternehmensrente kam es für eine wettbewerbspolitische Beurteilung im Sinne der Chicago School nicht an. Charakteristisch für eine solche Beurteilung war gerade die Abwägung zwischen Effizienzverlusten (etwa bei Verbraucherinnen und Verbrauchern) und Effizienzgewinnen (etwa bei Unternehmen).126 Im Gegensatz zur Harvard School wird die Chicago School gemeinhin mit einem tiefen Vertrauen in die Selbstheilungskräfte von Märkten und folglich mit großer Skepsis gegenüber staatlichen Eingriffen jedweder Art in Verbindung gebracht.127 Großen Einfluss hatte die Chicago School vor allem in den Vereinigten Staaten, wo sie ab den 1980er-Jahren die Antitrust-Politik wesentlich prägte.128 Dort bewirkte sie entsprechend eine stärkere wettbewerbspolitische Zurückhaltung im Vergleich zur früheren Praxis.129 Aus der vielfältigen und sicher zu weiten Teilen gerechtfertigten Kritik am Konzept der Chicago School ist vorliegend insbesondere hervorzuheben, dass deren dezidierter Fokus auf allokative und produktive Effizienz und die damit einhergehende Abstraktion von der dynamischen Effizienz eine erneute Vernachlässigung von Innovation und ihrer Hervorbringung durch im Wettbewerb stehende Unternehmen bedeuteten.130 Als effizienzorientiert gelten auch die heute wohl am ehesten relevanten Ansätze zur Konzeption des Wettbewerbs, die auf der modernen, theoretischen Industrieökonomik beruhen. Da diese Ansätze sowohl bei der Harvard als auch bei der Chicago School Anleihen nehmen, werden sie bisweilen als deren Syn125
Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 381. 126 Zur Wohlfahrtsanalyse der Chicago School siehe Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 381 f.; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 24; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 300. 127 Siehe nur Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 382; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 24–26; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 299 f. 128 Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 23; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 30. 129 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 382. 130 Zu dieser und weiterer Kritik an der Chicago School siehe etwa Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 28 f.; Fleischer, Die Dynamik des Wettbewerbsschutzes im US-amerikanischen, europäischen und australischen Kartellrecht, 2013, S. 20 f.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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these beschrieben und als Post-Chicago School oder Post-Chicago Economics bezeichnet.131 Es handelt sich allerdings um eine Vielzahl heterogener Ansätze, weniger um ein einheitliches Wettbewerbskonzept beziehungsweise wettbewerbspolitisches Leitbild.132 Die moderne Industrieökonomik zeichnet sich gegenüber der traditionellen, empirischen Industrieökonomik dadurch aus, dass sie stärker auf die theoretische Aufarbeitung der Funktionsweise von Märkten und der wettbewerblichen Interaktion zwischen Unternehmen bedacht ist.133 Sie basiert ebenfalls auf der neoklassischen Preistheorie und insbesondere auf deren theoretischen Modellen zu Oligopolmärkten, darunter die erwähnten, grundlegenden Modelle nach Cournot und Bertrand.134 Ihr Instrumentarium ist aber um dasjenige der Spieltheorie bereichert, wodurch sie in stärkerem Maße zur Modell- und Theoriebildung in der Lage ist.135 Mit dem spieltheoretischen Instrumentarium der modernen Industrieökonomik lassen sich Marktstrukturen und Verhaltensweisen von Unternehmen sowie deren Auswirkungen auf Marktergebnisse weitaus zielgerichteter und differenzierter analysieren als dies zuvor, im Rahmen der traditionellen Industrieökonomik, der Fall war.136 Eine Errungenschaft der modernen Industrieökonomik sind etwa die Erkenntnisse zur detaillierten Analyse koordinierter und nicht koordinierter Wirkungen von Unternehmenszusammenschlüssen in engen Oligopolen, wie sie die heutige Fusionskontrolle im Wesentlichen ausmachen.137 In wettbewerbspolitischer Hinsicht sind die Vertreterinnen und Vertreter der modernen, industrieökonomischen Post-Chicago Economics, nicht zuletzt aufgrund ihrer besseren Kenntnisse der tatsächlichen Implikationen unternehmerischer Verhaltensweisen, deutlich weniger skeptisch gegenüber staatlichen Ein131 Siehe hierzu etwa Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 385–387; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 29; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 301. 132 Vgl. Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 304. 133 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 385; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 301. Freilich spielten und spielen empirische Untersuchungen auch weiterhin eine Rolle im Rahmen der Industrieökonomik. Diese ist, wie Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2005, S. 45, konstatiert, „durch eine fortwährende methodische Debatte über das Verhältnis zwischen empirischer und theoretischer Analyse“ gekennzeichnet; siehe hierzu auch Ott in: Bombach/Gahlen/Ott, Industrieökonomik, 1985, S. 321 f.; Bresnahan/Schmalensee, The Journal of Industrial Economics 1987, Bd. 35, Nr. 4, 371; Einav/Levin, Journal of Economic Perspectives 2010, Bd. 24, Nr. 2, 145; Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 5. 134 Siehe etwa Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 4; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 3 Rn. 34. 135 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 385; Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 4. 136 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 385. 137 Vgl. hierzu an dieser Stelle nur Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 303; ausführlich Ivaldi/Jullien/Rey/Seabright/Tirole, The Economics of Unilateral Effects, 2003.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
griffen als die Chicago School.138 Einige von deren Ansichten und – zumeist von einem anti-interventionistischen Plädoyer getragenen – Handlungsempfehlungen konnten mithilfe der modernen Industrieökonomik als allzu oberflächlich zurückgewiesen werden.139 Von der Chicago School übernommen haben es die Post-Chicago Economics indes, die ökonomische Effizienz als alleiniges Ziel der Wettbewerbspolitik anzuerkennen (wobei zumindest umstritten ist, ob, statt der Gesamt-, nicht die Verbraucherwohlfahrt der richtige Maßstab ist).140 Die Effizienzorientierung ist bei den Post-Chicago Economics in gewisser Weise sogar noch verstärkt, jedenfalls aber verfeinert: So sollen im Rahmen einer intensiven ökonomischen Einzelfallanalyse unter Zuhilfenahme des gesamten Instrumentariums der modernen Industrieökonomik, zu dem auch etwa ökonometrische Methoden gehören, vor allem die messbaren, kurzfristigen Auswirkungen unternehmerischer Verhaltensweisen und Maßnahmen auf die Effizienz untersucht werden (einschließlich der bereits bekannten Abwägung zwischen negativen und positiven Auswirkungen).141 Eine möglichst genaue Bestimmung beziehungsweise Prognostizierung solcher Auswirkungen, gerade auch in quantitativer Hinsicht, sollen moderne Techniken wie Datenanalysen und Simulationen ermöglichen.142 Mit der statischen Gleichgewichtstheorie der Neoklassik als Ausgangspunkt und ihrer Ausrichtung auf kurzfristige Effizienzwirkungen sind auch die PostChicago Economics sowie auf ihnen basierende Ansätze zur Konzeption des Wettbewerbs beziehungsweise zur Anleitung der Wettbewerbspolitik der inzwischen vertrauten Kritik ausgesetzt, dass sie Innovation und dynamische Effizienz nicht in angemessener Weise erfassen können.143 Um möglichst eindeutige und robuste Aussagen treffen zu können, stehen bei der Analyse unternehmerischer Verhaltensweisen und Maßnahmen in erster Linie deren kurzfristige Effekte auf die Preis- und Mengenfestsetzung der betroffenen Unternehmen und damit die statische Effizienz im Vordergrund. Solche Effekte lassen sich mit den bislang entwickelten Methoden am besten und sichersten ermitteln. Weitgehend aus138
Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 301. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 385 f. 140 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 386; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 301. 141 Vgl. Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 301; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 386. 142 Vgl. Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 304 f.; mit einem differenzierten Überblick hierzu etwa Budzinski in: Drexl/Kerber/Podszun, Competi tion Policy and the Economic Approach, 2011, S. 111–138; siehe auch Budzinski/Christiansen, Legal Issues of Economic Integration 2007, Bd. 34, Nr. 2, 133. 143 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 390 f.; siehe auch Kerber in: Drexl/Idot/Monéger, Economic Theory and Competition Law, 2009, S. 94–101; Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 600–602. 139 Vgl.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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geblendet werden bei der Analyse hingegen Effekte auf das über die Preis- und Mengenfestsetzung hinaus gehende Verhalten von Unternehmen bei Investitionsentscheidungen und Innovationstätigkeiten und damit auf die dynamische Effizienz. Bei solchen Effekten ist es angesichts der Prozesshaftigkeit von Innovation gerade auch möglich, dass sie sich erst auf lange Sicht und nicht schon kurzfristig einstellen.144 In den Vereinigten Staaten traten moderne Industrieökonomik beziehungsweise Post-Chicago Economics an die Stelle der Chicago School als maßgebliche Richtschnur der Wettbewerbspolitik.145 In Europa erlangten sie vor allem durch den More Economic Approach der Europäischen Kommission Bedeutung.146 Im Zuge dessen fand auch in der wettbewerbspolitischen Praxis der Kommission eine verstärkte Einbeziehung industrieökonomischer Erkenntnisse und moderner Analysemethoden statt. Es etablierte sich der durch Chicago School und Post-Chicago Economics vorgezeichnete Fokus auf die ökonomische Effizienz. Insbesondere die Verbraucherwohlfahrt wurde zum Referenzmaßstab für die Beurteilung unternehmerischer Verhaltensweisen und Maßnahmen. Anstatt sich, wie teilweise zuvor, mit einer vergleichsweise oberflächlichen Analyse von Verhaltensformen und Marktstrukturfaktoren zu begnügen und daraus Schlussfolgerungen für die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit von Verhaltensweisen und Maßnahmen zu ziehen (sogenannter Form- oder Structure-based Approach), untersucht die Kommission seit ihrem More Economic Approach vermehrt die konkreten Effizienzwirkungen solcher Verhaltensweisen und Maßnahmen – das heißt vor allem ihre kurzfristigen Auswirkungen auf das Verhalten von Unternehmen bei der Preis- und Mengenfestsetzung und damit auf die statische, insbesondere allokative Effizienz (sogenannter Effectsbased Approach).147 144 Vgl. zum Ganzen etwa Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 183–185; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 36 f.; Budzinski in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 116 f.; Budzinski/Christiansen, Legal Issues of Economic Integration 2007, Bd. 34, Nr. 2, 133, 159 f. 145 Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 29; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 32. 146 Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 304; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 183; Fleischer, Die Dynamik des Wettbewerbsschutzes im US-amerikanischen, europäischen und australischen Kartellrecht, 2013, S. 22; instruktiv zum More Economic Approach etwa Witt, The More Economic Approach to EU Antitrust Law, 2016. 147 Zu den hier angesprochenen Änderungen durch den More Economic Approach siehe etwa Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, 2010, S. 226–230; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 40 f.; Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 3 Rn. 43–52; Witt, The More Economic Approach to EU Antitrust Law, 2016, S. 126–141; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 17–19. Zu den Limitierungen des More Economic Approach im Hinblick auf die Erfassung von Innovation und dynamischer Effizienz siehe etwa Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008,
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
2. Ansätze einer dynamischen Wettbewerbskonzeption Als Zwischenfazit aus den vorangegangenen Ausführungen lässt sich der eingangs bereits angesprochene Befund festhalten, dass die maßgeblichen, auch heute noch prägenden Wettbewerbskonzepte eine Tendenz zur Statik beziehungsweise zur statischen Betrachtung aufweisen. Gemein ist ihnen, dass sie auf der Gleichgewichtstheorie der Neoklassik basieren. Sie eignen sich daher, ob ausdrücklich so gewollt oder nicht, vor allem zur Beschreibung und Analyse der Implikationen wettbewerblicher Verhaltensweisen und Maßnahmen für die statische, insbesondere allokative Effizienz. Innovation und dynamische Effizienz blenden sie, mehr oder weniger bewusst, zu weiten Teilen aus. Hierin spiegelt sich der Umstand wider, dass Innovation und Wettbewerb aus mikroökonomischer Perspektive herkömmlicherweise als zwei voneinander getrennte Themenkomplexe angesehen werden. Was Handlungsempfehlungen für die praktische Politik anbelangt, unterscheidet die herkömmliche (orthodoxe) Ökonomik vielfach zwischen Wettbewerbspolitik (Competition Policy) auf der einen und einer davon unabhängigen Innovationspolitik (Innovation Policy) auf der anderen Seite.148 Demgegenüber gibt es auch Ansätze, deren Anliegen gerade die Integration von Innovation in die Wettbewerbstheorie ist.149 Sie beschreiben Wettbewerb, wie bereits die Vertreter der Klassik, als dynamischen Prozess, und nicht als statischen Zustand.150 Solche dynamischen Ansätze stehen bis heute weitgehend außerhalb des neoklassischen ökonomischen Mainstream und daher nicht in einer Reihe mit den dominierenden Grundpositionen in der Wettbewerbstheorie.151 Für die Modellierung einer dynamischen Wirklichkeit beziehen sie auch Erkenntnisse aus heterodoxen Strömungen der Wirtschaftswissenschaften mit ein, wie der Innovations-, der Evolutions- und der Verhaltensökonomik, sowie ferner etwa aus der Literatur zum strategischen Management.152 Im Vergleich S. 54–56. Eine sachte Abkehr vom More Economic Approach im Zuge der Diskussion um die Behandlung von Big Tech im Wettbewerbsrecht beobachtet etwa Ibáñez Colomo, Journal of European Competition Law & Practice 2020, Bd. 11, Nr. 9, 473. 148 Vgl. Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 101; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 35 f.; instruktiv hierzu auch Metcalfe in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 943–966. 149 Vgl. Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 102; für einen Überblick über dynamische Wettbewerbskonzepte siehe etwa Ellig/Lin in: Ellig, Dynamic Competition and Public Policy, 2001, S. 16–44. 150 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 387. 151 Vgl. etwa Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 37; Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 600–603; Ellig/Lin in: Ellig, Dynamic Competition and Public Policy, 2001, S. 40. 152 Siehe hierzu nur Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5,
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zu den oben beschriebenen, maßgeblich auf der neoklassischen Theorie beruhenden Wettbewerbskonzepten sind die dynamischen Ansätze allerdings in theoretischer Hinsicht wie im Hinblick auf eine empirische Untermauerung noch unterentwickelt.153 Sie wurden, wie Kerber und Schwalbe bemerken, „bisher nicht systematisch genug ausgearbeitet, um eine ernsthafte Alternative für die Zwecke einer praktischen Wettbewerbspolitik zu bieten“154. Das soll freilich nicht bedeuten, dass nicht zumindest einige Einsichten dieser dynamischen Ansätze auch im Mainstream Anerkennung finden und die moderne praktische Wettbewerbspolitik beeinflussen.155 Es fehlt aber eben doch bislang an einem umfassenden, systematischen Verständnis von Wettbewerb, das Innovation und dynamische Effizienz ebenso umfassend berücksichtigt wie andere, eher statische Aspekte.156 Ist die Wettbewerbspolitik also auch nicht ganz blind gegenüber Innovation und dynamischer Effizienz, so werden diese Gesichtspunkte doch notgedrungen spürbar vernachlässigt.157 Im Folgenden werden einige grundlegende Ansätze zur dynamischen Konzeption des Wettbewerbs kurz erläutert. Dass diese Ansätze bisher wenig ausgearbeitet und nicht in ein stringentes wettbewerbstheoretisches Gesamtkonzept dynamischen Wettbewerbs integriert sind, erstaunt besonders angesichts der Tatsache, dass erste sehr wesentliche Erkenntnisse hierzu bereits Schumpeter mit seinen Arbeiten zu Beginn und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lieferte. Ein Grund dürfte sein – darauf weist etwa Kerber hin –, dass die dynamischen Ansätze ihrerseits Innovation und dynamische Effizienz allzu sehr in den Vordergrund stellen und die statische Dimension des Wettbewerbs damit möglicherweise zu wenig einbeziehen.158
Nr. 4, 581, 603–607; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 185 f. 153 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 390 f. 154 Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 112. 155 Vgl. hierzu nur Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 669 f. Wolf, Kartellrechtliche Grenzen von Produktinnovationen, 2004, S. 60 f. 156 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 390 f. Erklärungsansätze für die Hürden, welche die Integration neuerer Denkmodelle in den ökonomischen Mainstream erschweren, liefert etwa Akerlof, Journal of Economic Literature 2020, Bd. 58, Nr. 2, 405. 157 Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 183 f.; Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 205. Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 81, führt hierzu aus: „For the time being, however, antitrust law continues to rely on largely static parameters, including homogeneous products, a given technology level and price competition as its main focus. The mostly static training of economists has been made responsible for this ‚static-ization of antitrust‘“ (Fußnoten ausgelassen). 158 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 390 f.
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a) Wettbewerb als Prozess der Innovation und Imitation Ausgangspunkt sämtlicher Ansätze zum Verständnis von Wettbewerb als dynamischem Prozess sind zunächst Überlegungen von Schumpeter, speziell dessen (bereits erwähnte) Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung mit ihrer Beschreibung des aus drei Phasen bestehenden Innovationsprozesses.159 Die darin und in späteren Arbeiten enthaltenen Aussagen Schumpeters160 können wie folgt zusammengefasst werden: Wirtschaftliche Entwicklung lässt sich als Resultat technischen Fortschritts auffassen, also der erstmaligen Durchsetzung und anschließenden Verbreitung (im Wege der Imitation und dann Diffusion) von Innovationen. Hierfür sorgt der Wettbewerb als ein Geschehensablauf, in welchem voranschreitende (Pionier-)Unternehmen durch Innovation einen wettbewerblichen Vorsprung und so übernormale Pioniergewinne erzielen, und nachziehende Konkurrenten diesen Vorsprung durch Imitation aufholen. Bisherige Produkte und Prozesse werden auf diese Weise von Märkten verdrängt. In der Durchsetzung und Verbreitung von Innovationen sieht Schumpeter die vornehmliche Aufgabe des Wettbewerbs, und nicht etwa darin, Unternehmen zur sukzessiven Verringerung ihrer Preise auf die Höhe der Grenzkosten zu veranlassen.161 Den beschriebenen Geschehensablauf bezeichnet Schumpeter selbst in seinem 1942 erstmals erschienen Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie als „Prozess der schöpferischen Zerstörung“162 (Creative Destruction), „der unaufhörlich die Wirtschaftsstruktur von innen heraus revolutioniert, unaufhörlich die alte Struktur zerstört und unaufhörlich eine neue schafft“163. Als weiterer Ausgangspunkt dynamischer Ansätze werden mit dem Vorstehenden eng verknüpfte Überlegungen von Clark angesehen.164 Dieser entwickelte sein oben beschriebenes Konzept des funktionsfähigen Wettbewerbs – nach Auseinandersetzung mit den Arbeiten Schumpeters – weiter zu einem 159 Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 103; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 171; siehe hierzu bereits Kapitel 1.C. I.1. 160 Siehe insbesondere Schumpeter, Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, 1997, S. 88–139; Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 113–147; Schumpeter, Konjunkturzyklen, 2010, S. 94–117. 161 Vgl. zum Ganzen auch Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 103; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 171; siehe auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 57 f.; Scherer, Journal of Economic Literature 1992, Bd. 30, Nr. 3, 1416, 1416–1418; Ellig/Lin in: Ellig, Dynamic Competition and Public Policy, 2001, S. 17–21; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 29 f. 162 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 116. 163 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 116 (Hervorhebung und Fußnote ausgelassen). 164 Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 172; siehe auch Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 104; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 13 f.
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Konzept des dynamischen Wettbewerbs.165 Darin beschreibt Clark, die vollständige Konkurrenz als Ideal- und Leitbild nunmehr hinter sich lassend, Wettbewerb als „series of initiatory moves and defensive responses“166. Wirksamer Wettbewerb (Effective Competition, als Abkehr vom Begriff des funktionsfähigen Wettbewerbs)167 beginne mit Vorstößen voranschreitender Unternehmen, die während einer vorübergehenden Vorsprungphase Pioniergewinne erzielen könnten, und verbreite sich über die Reaktionen nachziehender Unternehmen, die sich als wirksam erweisende Neuerungen nachahmten und Vorsprünge so neutralisierten.168 Abweichungen von der vollständigen Konkurrenz – namentlich in Gestalt temporärer Monopolstellungen, welche die Erzielung von Pioniergewinnen zuließen – seien so gerade Voraussetzung für Fortschritt und daher tolerierbar.169 Als zyklischen Prozess beschreibt übrigens auch Kantzenbach (als deutscher Vertreter eines Harvard-School-Ansatzes) den Wettbewerb, und lehnt sich dabei ebenfalls an Schumpeter, wie auch an Clark, an.170 Wettbewerb sei „seinem ganzen Wesen nach etwas Evolutorisches und Ungleichgewichtiges“171, sodass „eine statische Gleichgewichtsbetrachtung ihn nicht zu erklären“172 vermöge. Im zyklischen Wettbewerbsprozess löse Innovation stets eine „Anpassungstendenz zum neuen Gleichgewicht“173 aus. Unternehmen, die infolge von Innovation etwa zu günstigeren Kosten produzieren könnten als ihre Wettbewerber, gewönnen Marktanteile hinzu. Die Wettbewerber sähen sich nun ihrerseits zur Hervorbringung von Innovationen veranlasst, um den Vorsprung der ersteren Unternehmen einzuholen und diese zu überholen – und so eine drohende Marktverdrängung umzukehren.174 An der Geschwindigkeit, mit welcher die wettbewerblichen Vorsprünge eines innovierenden Unternehmens von dessen Wettbewerbern wieder zunichte gemacht würden, lasse sich die Intensität des Wettbewerbs ablesen.175
165 Siehe Clark in: Chamberlin, Monopoly and Competition and their Regulation, 1954, S. 326–328; Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961, S. 429. 166 Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961, S. 429. 167 Siehe Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961, S. ix. 168 Vgl. Clark in: Chamberlin, Monopoly and Competition and their Regulation, 1954, S. 326–328; Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961, S. 429 f. 169 Clark, Competition as a Dynamic Process, 1961, S. ix; siehe hierzu auch Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 28 f. 170 Siehe Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966, S. 32–40; siehe auch Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 10 f. 171 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966, S. 32. 172 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966, S. 32. 173 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966, S. 33. 174 Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966, S. 34. 175 Vgl. Kantzenbach, Die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs, 1966, S. 39 f.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
b) Wettbewerbs- und Marktphasen Eingang fanden die Ideen Schumpeters sowie die Konzeption von Wettbewerb als dynamischem Prozess außerdem in die Ansätze von Arndt und Heuss, den Wettbewerb beziehungsweise Märkte in Phasen einzuteilen.176 Nach Arndt findet Wettbewerb in zwei unterschiedlichen Phasen statt: In einem (schöpferischen) „Wettbewerb der Bahnbrecher“ brächten Unternehmen Neuerungen hervor und erzielten so vorübergehend wettbewerbliche Vorsprünge und entsprechende Gewinne; in einem sich anschließenden „Wettbewerb der Nachahmer“ würden diese Vorsprünge wieder aufgeholt und die Marktpositionen und Gewinne der bahnbrechenden Unternehmen abgebaut.177 Einem bahnbrechenden Unternehmen stehe vorübergehend die Sonderrente aus einem Leistungsmonopol zu, weil es mit einem schöpferischen Beitrag mehr geleistet habe als andere.178 Ihm gebühre es, die „schwächeren und schlechteren Wirtschafter“179 zu verdrängen. Eine daraus resultierende Tendenz zur Konzentration werde aber durch Nachahmung wieder unterbrochen.180 Heuss gliedert die Entstehung und Entwicklung von Märkten in vier Phasen.181 In einer Experimentierungsphase würden Produkte und Herstellungsverfahren geschaffen und zur wirtschaftlichen Verwertung gebracht.182 Ein „Markt im üblichen Sinne“183 existiere in dieser Phase noch nicht.184 Ein solcher müsse erst durch die Einführung der Innovation geschaffen werden, womit die Experimentierungsphase in ihr ökonomisches Stadium trete; es bedürfe einer Produktion von Nachfrage, durch Mittel wie Marktforschung und Werbung.185 Kurz, „[a]uf die Produktkreation folgt die Marktkreation, auf das technische folgt das ökonomische Experiment“186. 176 Vgl. Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 104; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 172; Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 87–91; vergleichbare Einteilungen in Phasen finden sich auch etwa bei Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 357–360; Wieandt, Die Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten durch Innovation, 1994; siehe auch Malerba/Nelson/Orsenigo/Winter, Innovation and the Evolution of Industries, 2016, S. 9–15, mit einem Überblick über die Literatur zu sogenannten Industry Life Cycles. 177 Arndt, Schöpferischer Wettbewerb und klassenlose Gesellschaft, 1952, S. 35–44; siehe auch Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 172. 178 Arndt, Schöpferischer Wettbewerb und klassenlose Gesellschaft, 1952, S. 37. 179 Arndt, Schöpferischer Wettbewerb und klassenlose Gesellschaft, 1952, S. 38. 180 Vgl. Arndt, Schöpferischer Wettbewerb und klassenlose Gesellschaft, 1952, S. 39 f. 181 Siehe hierzu auch Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2012, S. 78 f.; Müller, Wettbewerb, Unternehmenskonzentration und Innovation, 1975, S. 11; ein Bild der einschlägigen Kritik gibt Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 91–95. 182 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 26. 183 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 26. 184 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 26. 185 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 30. 186 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 30.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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Seien anfängliche Nachfrage nach einem neuen Produkt und damit ein Markt für dieses geschaffen, ende die Experimentierungsphase. Die Ausweitung der Nachfrage falle in die Expansionsphase, in welcher Verbesserungen an der Qualität des neuen Produkts vorgenommen würden und weitere Abnehmerinnen und Abnehmer hinzuträten.187 In dieser zweiten Phase könnten auch zusätzliche Märkte erschlossen und ausgeschöpft werden, wenn sich weitere Verwendungsmöglichkeiten für das neue Produkt ergäben.188 Letzteres könne fortgesetzte Entwicklungsanstrengungen aufseiten des innovierenden Unternehmens erfordern.189 Außerdem sei die Expansionsphase „die Zeit der großen Rationalisierungen und Kostenreduktionen“190. Begünstigt würden diese durch die Möglichkeit der Ausweitung von Produktionskapazitäten in einem wachsenden Markt und damit der Massenproduktion.191 Mit Rationalisierung und Kostenreduktion gehe zudem ein nicht selten drastischer Preisverfall einher.192 Bei ursprünglich besonders teuren Produkten ermögliche dieser Preisverfall Massenkonsum und Marktausweitung erst.193 Die dritte Marktphase, die Ausreifungsphase, schließe sich zumeist lückenlos an die vorangehende Phase an; auch sie sei nämlich „von Auftriebsmomenten getragen“194, die eine weitere, wenn auch langsamere Produktionsausweitung bedingten.195 Nach den wichtigsten Marktsegmenten würden nun auch Randbereiche der betroffenen Märkte erschlossen.196 Die Gewinnung weiterer Nachfrage erweise sich allerdings als deutlich schwieriger als in den früheren Phasen.197 Insbesondere seien Spielräume für Kosten- und Preissenkungen nur mehr eingeschränkt vorhanden.198 Der Wettbewerb erlahme in dieser Phase zusehends.199 Nach einem kontinuierlichen Prozess der Preissenkung in den bisherigen Marktphasen komme es in der abschließenden Stagnations- und Rückbildungsphase nun wieder zu Kosten- und daher Preissteigerungen. Die Entwicklungsund namentlich Wachstumsmöglichkeiten des Markts würden so erheblich eingeschränkt. Wo dies noch von einer Zunahme der Nachfrage begleitet werde, verbleibe der Markt bei seiner gegebenen Größe oder wachse sogar noch leicht (Stagnation). Wo dies nicht der Fall sei, also die Nachfrage nach den fraglichen 187 Vgl. Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 41, 188 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 42 f. 189
Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 43 f. Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 44. Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 44. 192 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 45. 193 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 45. 194 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 62. 195 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 62 f. 196 Vgl. Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 63. 197 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 63. 198 Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 63 f. 199 Vgl. Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 66. 190 191
44.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
Produkten schwinde – etwa, weil diese durch neue Produkte ersetzt würden – gehe die Produktion zurück und der Markt beginne zu schrumpfen (Rückbildung). Um eine solche Schrumpfung abzuwenden, müssten die betroffenen Unternehmen neuerliche Qualitätsverbesserungen vornehmen oder, noch besser, neue Märkte erschließen – was aber gerade den vielen konservativ agierenden Unternehmen in der Regel nicht gelinge.200
c) Wettbewerb als Entdeckungsverfahren Dynamische Elemente und das Anliegen einer Abkehr von statischen Gleichgewichtsbetrachtungen prägten außerdem die Überlegungen von Vertretern der sogenannten österreichischen Marktprozesstheorie.201 Genannt sein soll hier nur von Hayeks bekannte Konzeptualisierung von „Wettbewerb als Entdeckungsverfahren“202. Deren Ausgangspunkt ist das sogenannte Wissensproblem – als Gegensatz zur Annahme vollständigen Wissens aufseiten aller Marktteilnehmerinnen und -teilnehmer, wie sie im neoklassischen Modell der vollständigen Konkurrenz vorherrschend ist.203 Unternehmen als (potentielle) Hersteller und Anbieter von Produkten verfügten regelmäßig gerade nicht vorab über die notwendigen Informationen, welche Produkte die Bedürfnisse ihrer (potentiellen) Nachfragerinnen und Nachfrager bestmöglich befriedigten und mit welchen Verfahren sie diese Produkte bestmöglich herstellten.204 Diese Informationen bringe erst der Wettbewerb als ein dynamischer Prozess des Versuchs und Irrtums hervor, in dessen Verlauf Unternehmen Produkte herstellten und am Markt gleichsam ausprobierten, um aus den Reaktionen der Nachfragerinnen und Nachfrager zu lernen.205 Wettbewerb sei „als ein Verfahren zur Entdeckung von Tatsachen [zu] betrachten, die ohne sein Bestehen entweder unbekannt bleiben oder doch zumindest nicht genutzt werden würden“206. So verstanden sei Wettbewerb gerade deshalb erforderlich, weil „wir die wesent200
Vgl. zum vorstehenden Absatz Heuss, Allgemeine Markttheorie, 1965, S. 85–90. Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 107; Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 115. 202 Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968; siehe hierzu auch Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, 2003, S. 373–375; Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 119–122. Dargestellt werden in diesem Zusammenhang häufig auch noch Arbeiten von Kirzner, der Gruppe der sogenannten radikalen Subjektivisten und anderen, siehe nur Kerber/ Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 108; Ellig/Lin in: Ellig, Dynamic Competition and Public Policy, 2001, S. 25–31; Mantzavinos, Wettbewerbstheorie, 1994, S. 124–133. 203 Vgl. Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 107. 204 Vgl. Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968, S. 7; siehe auch Hayek, Individualism and Economic Order, 1958, S. 41–43. 205 Siehe hierzu Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968; Hayek, Individualism and Economic Order, 1958, S. 92–106; Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, 2003, S. 373–375. 206 Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968, S. 3. 201
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lichen Umstände nicht kennen, die das Handeln der im Wettbewerb Stehenden bestimmen“207. Zentrales Merkmal des Wettbewerbs sei also, dass er der Suche nach und damit der Hervorbringung von neuem, besserem Wissen diene.208 Nur durch Wettbewerb würden Fortschritt und Innovation auf dem Weg zur bestmöglichen Befriedigung von Bedürfnissen der Nachfragerinnen und Nachfrager erzielt.209
d) Das Konzept der Wettbewerbsfreiheit Als weiterer Ansatz lässt sich hier das Konzept der Wettbewerbsfreiheit von Hoppmann nennen.210 Dieses nimmt Anleihen beim klassischen Liberalismus und wird deshalb auch als neuklassisches Konzept bezeichnet.211 Es knüpft ebenfalls an die zuvor erörterten Überlegungen zum dynamischen Wettbewerbsprozess und insbesondere die österreichische Marktprozesstheorie an.212 Sein unmittelbarer Ausgangspunkt ist der Ordoliberalismus der Freiburger Schule, welcher die Ausgestaltung von Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht in Deutschland und Europa stark prägte, ohne aber ein eigenständiges theoretisches Wettbewerbskonzept zu entwickeln.213 Mit dem Konzept der Wettbewerbsfreiheit wandte sich Hoppmann vor allem gegen die Kantzenbach’sche Wettbewerbskonzeption.214 Er kritisierte diese unter anderem dafür, Wettbewerbspolitik allzu sehr an bestimmten, vermeintlich definierbaren ökonomischen Zielen auszurichten und Wettbewerb auf ein bloßes Mittel zu deren Durchsetzung zu reduzieren.215 Oberstes Ziel in der Konzeption Hoppmanns ist 207 208
Hayek, Der Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, 1968, S. 3. Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, 2003, S. 374; vgl. insofern zur Theorie von Hayeks auch Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 107; siehe auch Hayek, Individualism and Economic Order, 1958, S. 101. 209 Vgl. Hayek, Recht, Gesetz und Freiheit, 2003, S. 380 f.; siehe auch Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 63, zur Theorie von Hayeks. 210 Siehe dazu etwa Hoppmann, Marktmacht und Wettbewerb, 1977; Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988; siehe hierzu auch Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 169–191; siehe auch Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 18–23. 211 Siehe etwa Eickhof in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 41; Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 157. 212 Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 110. 213 Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 109; zur ordoliberalen Freiburger Schule siehe auch etwa Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 305–308; ausführlich auch Gerber, The American Journal of Comparative Law 1994, Bd. 42, Nr. 1, 25. 214 Zur sogenannten Hoppmann-Kantzenbach-Kontroverse siehe etwa Eickhof in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 35–59. 215 Vgl. Hoppmann, Marktmacht und Wettbewerb, 1977, S. 19–23; Hoppmann, Wirtschaftsordnung und Wettbewerb, 1988, S. 248–253; siehe auch Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 110; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 388 f.
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die Sicherung der individuellen (Wettbewerbs-)Freiheit. Wettbewerb und die durchaus wünschenswerten ökonomischen Wirkungen des Wettbewerbs ergäben sich aus der Verwirklichung von Freiheit automatisch. Dabei unterscheidet Hoppmann zwischen der Freiheit im Parallelprozess und derjenigen im Austauschprozess. Erstere bestehe in der Freiheit von (potentiellen) Wettbewerbern, über den Einsatz der ihnen zu Gebote stehenden Aktionsparameter zu verfügen, und damit in der Freiheit „zum Vorstoß sowie zur Nachfolge in technisches, organisatorisches und ökonomisches Neuland“216 sowie zum Marktzutritt. Die Freiheit im Austauschprozess bestehe darin, zwischen verschiedenen Handelspartnerinnen und -partnern auf der Marktgegenseite auswählen zu können.217 Wesentlich an Hoppmanns Konzept der Wettbewerbsfreiheit ist hier, dass es „die zentrale Bedeutung von Freiheit zu wettbewerblichen, insbesondere innovativen Aktivitäten“218 hervorhebt. In wettbewerbspolitischer Hinsicht fordert Hoppmann den Schutz der Wettbewerbsfreiheit vor Beschränkungen beziehungsweise Marktmacht.219
e) Evolutions- und innovationsökonomische Ansätze Vielversprechende neuere Ansätze zur Integration von Innovation in die Wettbewerbstheorie gehen von einem evolutorischen Verständnis der Wirtschaft und des Wettbewerbs aus. Sie bauen auf Elementen der ihnen vorausgegangenen dynamischen Ansätze auf, insbesondere auf den Arbeiten von Schumpeter und von Hayek, machen sich aber auch Erkenntnisse verschiedener Forschungsrichtungen aus jüngerer Zeit zunutze. Hierzu zählen namentlich die sich seit den 1980er-Jahren entwickelnde Evolutionsökonomik220 und die zum Teil auf dieser beruhende Innovationsökonomik221 sowie ferner etwa die Verhaltensöko216
Eickhof in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 41. Verständnis der Wettbewerbsfreiheit bei Hoppmann siehe Eickhof in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 41; Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 110; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 388 f. 218 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 389. 219 Siehe nur Eickhof in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 44 f. 220 Grundlegend dazu Nelson/Winter, An Evolutionary Theory of Economic Change, 1982; siehe auch etwa Nelson, Journal of Economic Literature 1995, Bd. 33, Nr. 1, 48; Dosi/ Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 51–127; Cantner in: Pyka/Cantner/Greiner/Kuhn, Schumpeterian Economics, 2009, S. 13–33; siehe auch die Beiträge in Nelson/Dosi/Helfat/Pyka/Winter/Saviotti/Lee/Malerba/Dopfer, Modern Evolutionary Economics, 2018; vgl. ferner Podszun, Wirtschaftsordnung durch Zivilgerichte, 2014, S. 107–127. 221 Siehe etwa die Beiträge in Dosi/Freeman/Richard/Silverberg/Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988; Freeman, Cambridge Journal of Economics 1994, Bd. 18, Nr. 5, 463; siehe auch Pyka in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019, zur evolutorischen Innovationsökonomik. 217 Zum
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nomik222 und die wissens- und ressourcenbasierten Theorien der Unternehmung im strategischen Management223. Trotz vielfältiger Anstrengungen auf diesen Gebieten hat sich allerdings noch keine einheitliche „dynamisch-evolutorische Wettbewerbskonzeption“224 herausgebildet und als Leitfaden für die praktische Ausgestaltung von Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht durchgesetzt.225 Einen wesentlichen Beitrag zur Formulierung einer solchen dynamischevolutorischen Wettbewerbskonzeption hat insbesondere Kerber geleistet. Von ihm stammt der Entwurf eines wettbewerbstheoretischen Konzepts, das Wettbewerb als Hypothesentest beziehungsweise evolutorischen Prozess der Wissensschaffung versteht.226 Ausdrücklich soll dieses Konzept „eine Alternative zu den neoklassischen Ansätzen darstellen […], die Preiswettbewerb und effiziente Allokation in den Mittelpunkt stellen“227. Als Bausteine für dieses Konzept verwendet Kerber Überlegungen zur Generierung neuen Wissens aus verschiedenen anderen Ansätzen zum Verständnis von Wettbewerb. Er nimmt Anleihen bei der österreichischen Marktprozesstheorie, bei Ansätzen in Schumpeter’scher Tradition sowie bei solchen, die ausdrücklich mit einem Schema der Variation und Selektion argumentieren.228 Kerber zufolge verfügen wirtschaftliche Akteure angesichts der Subjektivität ihrer Wahrnehmungen – anders als der stets rational seinen Nutzen maxi222
Siehe hierzu beispielsweise Beck, Behavioral Economics, 2014. Für einen knappen Überblick siehe Hungenberg, Strategisches Management in Unternehmen, 2014, S. 60–63. 224 Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 389. 225 Zum vorstehenden Absatz siehe Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 389 f.; Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 185 f.; Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 112; Budzinski, Cambridge Journal of Economics 2008, Bd. 32, Nr. 2, 295, 311–313. Mit möglichen Implikationen der genannten Forschungsrichtungen, insbesondere der Evolutionsökonomik, für Wettbewerbstheorie, Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht setzen sich beispielsweise auch die folgenden Beiträge auseinander: Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 607–618; Walterscheid/Wegehenkel in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 127–167; Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 203–227; vgl. ferner auch etwa Burlamaqui in: Netanel, The Development Agenda, 2008, S. 429–449; Horton, The Antitrust Bulletin 2006, Bd. 51, Nr. 1, 195. 226 Hierzu insbesondere Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 29–78; siehe auch Kerber in: Priddat/Wegner, Zwischen Evolution und Institution, 1996, S. 307–311; Kerber/Saam, Journal of Artificial Societies and Social Simulation 2001, Bd. 4, Nr. 3; Saam/Kerber in: Diekmann/Jann, Modelle sozialer Evolution, 2004, S. 119–140; Kerber, Journal of Economic Issues 2006, Bd. 40, Nr. 2, 457; Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 113 f., 185–199; siehe daneben auch etwa Mantzavinos, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 2005, Bd. 225, Ausg. 2, 205; Mantzavinos, European Journal of Law and Economics 2006, Bd. 22, Nr. 3, 273; Budzinski, An Evolutionary Theory of Competition, 2004. 227 Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 32. 228 Siehe hierzu Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 33–49. 223
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mierende Homo oeconomicus der neoklassischen Modellvorstellung – immer nur über eingeschränkte und fallibele Kenntnisse ihrer Umwelt. Aufbauend auf ihrem subjektiv beschränkten Wissen und mittels der ihnen gegebenen Fähigkeit zur Kreativität entwickelten die Akteure in einem fortwährenden Trial-andError-Prozess ständig neue Hypothesen, die sie im kommunikativen Austausch mit anderen Akteuren testeten, und daraufhin entsprechend beibehielten, anpassten oder verwürfen. Die Ergebnisse dieser Hypothesentests nähmen die Akteure wiederum individuell wahr, sodass sich ihre jeweiligen Schlussfolgerungen hieraus und damit ihre Entscheidungen über Beibehaltung, Anpassung und Verwerfung von Hypothesen unterschieden. Die Verhaltensweisen unterschiedlicher wirtschaftlicher Akteure zeichneten sich also besonders durch ihre Heterogenität aus.229 Übertragen auf den Markt- und Wettbewerbsprozess bedeute dies, dass Anbieter jeweils andersartige Hypothesen darüber entwickelten, welches Angebot, das heißt welche Preis-Leistungs-Kombination, die Präferenzen der Abnehmerinnen und Abnehmer am besten und, vor dem Hintergrund des Ziels der Gewinnmaximierung, am kostengünstigsten befriedigten. Diese Hypothesen würden am Markt erprobt und durch die Kauf- oder Nichtkaufentscheidungen der Abnehmerinnen und Abnehmer und die daraus resultierenden Gewinn-/Verlust-Rückkopplungen bestätigt oder widerlegt. So werde Wissen darüber generiert und verbreitet, welche der verschiedenen Hypothesen zu geeigneten Preis-Leistungs-Kombinationen überlegen seien. Als überlegen identifizierte Hypothesen könnten imitiert, andere verworfen werden. Diejenigen Anbieter, die eine überlegene Hypothese zuerst aufgestellt hätten, profitierten zumindest vorübergehend von einem Wettbewerbsvorsprung und entsprechenden Vorsprungsgewinnen. Als Prozess der Generierung neuen Wissens schaffe der Wettbewerb so Anreize, fortlaufend das eigene Wissen zu verbessern und neue, vielversprechende – innovative – Hypothesen aufzustellen. Dies könne nicht zuletzt durch Innovationstätigkeiten wie Forschung und Entwicklung geschehen. Funktionsbedingung dieses wissensschaffenden Wettbewerbs sei, dass tatsächlich regelmäßig neue und vor allem unterschiedliche Hypothesen beziehungsweise Preis-Leistungs-Kombinationen angeboten würden, zwischen denen die Abnehmerinnen und Abnehmer auswählen könnten. Von der Anzahl und Heterogenität der Auswahlmöglichkeiten hänge der Umfang des über die Entscheidungsfindung der Abnehmerinnen und Abnehmer vermittelten Wissens ab. Je mehr Hypothesen getestet würden, desto schneller bildeten sich überlegene Hypothesen heraus und desto besser seien diese. Der skizzierte Wett229 Siehe Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 50–52; das vorstehend erläuterte Handlungsmodell gilt nicht nur für Unternehmen als Anbieter auf Märkten (auf die im Folgenden beispielhaft eingegangen wird), sondern „gleichermaßen für Produzenten oder Konsumenten, Entscheidungsträger in der Verwaltung oder für Politiker“, Kerber in: Priddat/Wegner, Zwischen Evolution und Institution, 1996, S. 308.
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bewerbsprozess lasse sich auch als Prozess der Variation und Selektion beschreiben. Die Gesamtheit der Hypothesen entspreche dann einer Population von Einheiten, der Vorgang des Aufstellens und Erprobens neuer Hypothesen einem Variationsprozess und das Imitieren, Anpassen oder Verwerfen der Hypothesen einem Selektionsprozess. Anders als in stärker an der neoklassischen Theorie orientierten Konzeptionen werde Wettbewerb hier als permanenter Prozess verstanden, der in die Zukunft hinein offen sei und nicht einem Gleichgewicht entgegenstrebe.230 Dieser dynamisch-evolutorische Ansatz zur Konzeption des Wettbewerbs ist mit unterschiedlichen Empfehlungen für die Ausgestaltung der Wettbewerbspolitik und des Wettbewerbsrechts verbunden.231 Ein Beispiel liefert die Erkenntnis, dass Anzahl und Heterogenität der zur Erprobung gestellten Hypothesen maßgebliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Wettbewerbs als Prozess der Wissensschaffung haben.232 Auf Basis dieser Erkenntnis lässt sich möglicherweise ein Mindestmaß an Diversität im Hinblick auf vorhandene und noch zu entwickelnde Hypothesen zum normativen Ziel der Wettbewerbspolitik erheben. Wird davon ausgegangen, dass die wettbewerbspolitisch erwünschte Diversität an Hypothesen vor allem daraus resultiert, dass mehrere, voneinander unabhängige Wirtschaftsakteure miteinander konkurrieren, so hat dies Implikationen für die Bewertung von Kooperations- und Konzentrationsmaßnahmen. Denn Vereinbarungen über die Kooperation von Unternehmen und noch viel stärker Unternehmenszusammenschlüsse reduzieren die Anzahl unabhängiger Akteure, die jeweils eigenständig Hypothesen aufstellen und am Markt erproben, und behindern den wettbewerblichen Wissensschaffungsprozess dadurch. Solchen Maßnahmen wäre gegebenenfalls mit Skepsis zu begegnen, zumindest wenn ein wettbewerbspolitisch relevantes Mindestmaß an Diversität unterschritten zu werden droht.233 Insbesondere für die Beurteilung von F&E-Kooperationen und Fusionen zwischen Unternehmen, die Innovationstätigkeiten durchführen, wäre die vorstehende Argumentation hilfreich. Mit ihr ließe sich begründen, dass und wes230 Siehe
Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 52–56. hierzu etwa Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 61–69; Kerber in: Priddat/Wegner, Zwischen Evolution und Institution, 1996, S. 301–330; Kerber in: Dopfer, Studien zur Evolutorischen Ökonomik VIII, 2004, S. 67–97; speziell etwa zur Beurteilung vertikaler Vereinbarungen Kerber/Vezzoso, World Competition 2005, Bd. 28, Nr. 4, 507. 232 Ausführlich zur Bedeutung von Heterogenität (oder Vielfalt, Diversität) auch Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 115–144, 200–203. 233 Vgl. hierzu Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 390; Kerber/Schwalbe in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, Grdl. Rn. 112; Kerber/Saam, Journal of Artificial Societies and Social Simulation 2001, Bd. 4, Nr. 3; Budzinski, An Evolutionary Theory of Competition, 2004, S. 13 f.; siehe auch Farrell, The Antitrust Bulletin 2006, Bd. 51, Nr. 1, 165, der in diesem Zusammenhang das Schlagwort der „econodiversity“ einbringt. 231 Siehe
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halb gerade auch eine Mindestanzahl an von unabhängigen Akteuren parallel geführten Innovationsvorhaben schützenswert ist. Innovationsvorhaben sind schließlich nichts anderes als eine bestimmte Art und Weise der Entwicklung von Hypothesen, die anschließend im Wettbewerb erprobt werden. Folglich wären Kooperationen oder Fusionen, die zur Zusammenlegung paralleler Innovationsvorhaben führen, im Ausgangspunkt als der Diversität an Hypothesen und damit dem wissensschaffenden Wettbewerb abträglich anzusehen.234 Hierauf ließe sich etwa eine Vermutung gründen, dass Kooperationen oder Fusionen, welche die Anzahl an parallelen Innovationsvorhaben beziehungsweise Unternehmen, die zur Aufnahme solcher Vorhaben in der Lage wären, in einer Industrie derart verringern, dass eine gewisse Mindestanzahl unterschritten wird, grundsätzlich wettbewerbswidrig – und daher zu untersagen – sind, wenn nicht ausnahmsweise besondere Ausgleichsfaktoren greifen. Dabei kann sich die jeweils maßgebliche Mindestanzahl paralleler Innovationsvorhaben je nach Industrie unterscheiden. Die entscheidende Besonderheit einer solchen, auf einem dynamisch-evolutorischen Verständnis von Wettbewerb beruhenden Vermutung ist, dass sie völlig unabhängig davon herangezogen werden könnte, ob die beteiligten Unternehmen bereits auf bestimmten Märkten tätig sind oder nicht.235
3. Fazit Wie dargelegt, ist den herkömmlichen Wettbewerbskonzepten eine Tendenz zur Statik beziehungsweise zur statischen Betrachtung immanent. Sie sind wesentlich geprägt durch neoklassisches Gleichgewichtsdenken. Ihre analytische Kraft beschränkt sich daher weitgehend auf die statischen Wettbewerbsdimensionen, insbesondere den Preis- und Mengenwettbewerb, und die statische, vor allem allokative Effizienz. Die Einbeziehung von Innovation und dynamischer Effizienz gelingt ihnen allenfalls teilweise. Zwar gibt es auch verschiedene Ansätze einer dynamischen Wettbewerbskonzeption. Diese sind aber bislang nicht wirklich umfassend und systematisch ausgearbeitet. Ein einheitliches Konzept dynamischen Wettbewerbs, welches Innovation umfänglich miteinbezieht, existiert bis heute nicht. In der wettbewerbspolitischen Praxis lösen die beschriebenen Unzulänglichkeiten herkömmlicher Konzepte und das Fehlen hinreichend fundierter Alternativen laut 234 Siehe hierzu Kerber in: Vanberg, Evolution und freiheitlicher Wettbewerb, 2010, S. 187 f.; Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 173–201; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 43. 235 Zu einer solchen Vermutung siehe Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 200–203; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 43; eingehend hierzu auch Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 173–201.
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Kerber seit einiger Zeit „eine gravierende Verunsicherung“236 aus. Die naheliegende Reaktion hierauf ist seither, wie Kerber weiter feststellt, ein immer weniger starres Festhalten an herkömmlichen Konzepten auf der Suche nach pragmatischen Lösungsmöglichkeiten im Einzelfall.237
B. Grundzüge des Innovationswettbewerbs Auch wenn die konzeptionelle Einbindung von Innovation in die Wettbewerbstheorie bislang unzureichend ist, lassen sich das Verhältnis von Innovation und Wettbewerb und die Funktionsweise des Innovationswettbewerbs zumindest in ihren wesentlichen Grundlinien beschreiben. Nach den oben vorangestellten Überlegungen besteht das Verhältnis von Innovation und Wettbewerb im Kern aus den folgenden Aspekten: Wettbewerb kommt durch den Einsatz bestimmter Aktionsparameter zustande, von denen Innovation einer ist. Wettbewerb setzt zugleich Anreize zum (weiteren) Einsatz dieser Aktionsparameter, mithin auch Innovationsanreize. So fördert der Wettbewerb die Herstellung von Effizienz, und zwar neben statischer auch dynamischer Effizienz. Der Innovationswettbewerb stellt eine besondere, dynamische Dimension des Wettbewerbs im Allgemeinen dar. Mit der grundlegenden Funktionsweise des Innovationswettbewerbs beschäftigen sich die folgenden Ausführungen. Sie wird nach einer kurzen Einführung in die Funktionsweise des Wettbewerbs im Allgemeinen (unter I.) im Einzelnen erläutert (unter II.). Dabei liegt ein Schwerpunkt auf dem Zusammenhang zwischen dem Innovationswettbewerb und den Innovationsanreizen von Unternehmen (dazu unter III.). Später wird die Funktionsweise des Innovationswettbewerbs auch noch einmal am Beispiel der Pharmaindustrie veranschaulicht.238 Anzumerken ist vorab, dass sich die nachfolgende Konzeptualisierung des Innovationswettbewerbs auf Grundlage des gegenwärtigen Standes der Wettbewerbstheorie natürlich (zu weiten Teilen) im Rahmen des vorherrschenden neoklassischen Paradigmas bewegt. Aus der Perspektive der Innovations- und Evolutionsökonomik unterliegt sie wesentlichen Einschränkungen in ihrer Erklärungskraft. Dies gilt insbesondere für die Hervorhebung des Einflusses, welche der Wettbewerb auf die Innovationsanreize von Unternehmen hat. Diese ist charakteristisch für die moderne, spieltheoretisch fundierte und durch neoklassisches Gleichgewichtsdenken geprägte Industrieökonomik, wie sie für Wettbewerbstheorie und -politik heute tonangebend ist. Erkenntnissen namentlich 236
Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 31 Fn. 2. Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 31 Fn. 2; siehe hierzu auch Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 670 f. 238 Siehe Kapitel 5.B. I. 237 Vgl.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
der Evolutionsökonomik zufolge ist die Fokussierung auf die Verhaltens- beziehungsweise Innovationsanreize vermeintlich rational agierender Unternehmen indes unterkomplex. In der Evolutionsökonomik werden, wie beschrieben, nicht nur Innovationsanreize, sondern vor allem auch die Diversität und Heterogenität von Unternehmen als entscheidende Faktoren für die Hervorbringung von Innovation angesehen.239 Unterkomplex ist die hiesige Konzeptualisierung des Innovationswettbewerbs aus Sicht der Evolutionsökonomik möglicherweise zudem insoweit, als sie an der Tätigkeit von Unternehmen auf (zukünftigen) Märkten als wichtigem Bezugspunkt anknüpft. Gemeint sind damit Märkte im Sinne des Wettbewerbsrechts, definiert nach dem (gegebenenfalls modifizierten) Bedarfsmarktkonzept.240 Ein etwaiger Mangel an Komplexität aus evolutionsökonomischer Perspektive bedeutet aber keineswegs, dass die hiesige Konzeptualisierung des Innovationswettbewerbs nicht einen wichtigen Beitrag zum Verständnis des Verhältnisses von Innovation und Wettbewerb leisten kann, soweit es für die Zwecke der praktischen Wettbewerbspolitik und insbesondere einer praktikablen Anwendung des Fusionskontrollrechts erforderlich ist.241 Auf die Limitierungen der hiesigen Konzeptualisierung des Innovationswettbewerbs sowie auf weitergehende Erkenntnisse der Innovations- und Evolutionsökonomik wird später noch gesondert eingegangen.242 Zu beachten ist außerdem, dass die folgenden Ausführungen mitunter stark vereinfachen. Sie beruhen zum Teil auf stilisierten Fakten und decken sicherlich nicht sämtliche der in der Realität möglicherweise relevanten Aspekte und denkbaren Wettbewerbssituationen ab. Insbesondere beschränken sie sich auf das horizontale Verhältnis zwischen konkurrierenden Unternehmen. Vertikale Gesichtspunkte werden allenfalls am Rande miteinbezogen.243 Derartige Ver239 Vgl. hierzu nur Kern/Ackermann, Shedding Some Light on the Dark Matter of Competition, 2014, S. 2–14; ausführlich Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008. 240 Zum wettbewerbsrechlichen Marktbegriff sowie zur Marktabgrenzung nach dem (modifizierten) Bedarfsmarkkonzept siehe nur Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 328–340; Robertson, Journal of Antitrust Enforcement 2019, Bd. 7, Nr. 2, 158; ausführlich auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 16–182. Zu einem evolutionären Marktkonzept siehe Podszun, The Antitrust Bulletin 2016, Bd. 61, Nr. 1, 121. Zur interessanten wirtschaftssoziologischen Perspektive auf das Verhältnis von Innovation und Märkten siehe Diaz-Bone in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019. 241 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 363: „What do we actually need to know about the relationship between competition and innovation for the purposes of competition policy? For merger enforcement, we need a framework to evaluate the effects of a proposed merger on innovation. […] For these purposes, I argue here that we do not need a universal theory of the relationship between competition and innovation“ (Hervorhebung ausgelassen). 242 Siehe Kapitel 3.B.II.3. und Kapitel 4.C.III.1.c). 243 Zu solchen vertikalen Gesichtspunkten vgl. etwa die Untersuchung zum Verhältnis von Innovation und Unternehmung (im Sinne der Theory of the Firm) bei Lee, Stanford Law Review 2018, Bd. 70, Nr. 5, 1431.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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einfachungen sind zum Verständnis sowie im Sinne der analytischen und argumentativen Klarheit und Stringenz unumgänglich.
I. Zur Funktionsweise des Wettbewerbs im Allgemeinen Kennzeichnend für das Phänomen des Wettbewerbs von Unternehmen ist im Ausgangspunkt die Rivalitätsbeziehung zwischen mindestens zwei Wettbewerbern, die sich daraus ergibt, dass die Wettbewerber identische Ziele verfolgen und die (vollständige) Zielerreichung des einen Wettbewerbers die (vollständige) Zielerreichung des anderen Wettbewerbers ausschließt. Die Wettbewerber streben danach, ihren jeweiligen Zielerreichungsgrad zulasten des anderen Wettbewerbers zu erhöhen. Sie verhalten sich antagonistisch.244 Wirtschaftlich tätige Unternehmen verfolgen in erster Linie das Ziel, maximale Gewinne zu erwirtschaften.245 Hierzu generieren sie Umsätze, indem sie entgeltliche Leistungen auf einem Markt anbieten und Geschäftsabschlüsse mit der Marktgegenseite, den Nachfragerinnen und Nachfragern, tätigen.246 Ein Zwischenziel zur Gewinnmaximierung ist also die Sicherung möglichst vieler Geschäftsabschlüsse und damit eines möglichst großen Marktanteils. Eine durch antagonistisches Verhalten geprägte Rivalitätsbeziehung zwischen Unternehmen auf demselben Markt kommt nun dadurch zustande, dass die Anzahl der möglichen Geschäftsabschlüsse auf diesem Markt prinzipiell begrenzt ist. Die Unternehmen müssen um die Geschäftsabschlüsse konkurrieren. Die Sicherung von Geschäftsabschlüssen durch ein Unternehmen geht stets zulasten der anderen Unternehmen.247 Folglich kann ein Unternehmen grundsätzlich nur dann (zusätzliche) Geschäftsabschlüsse tätigen, wenn sein Angebot den Angeboten der anderen Unternehmen aus Nachfragerinnensicht überlegen ist.248 Unter dem Angebot eines Unternehmens ist die Kombination aus dessen Leistung, das heißt dem von ihm angebotenen Produkt (sei es eine Ware oder eine Dienstleistung), und dem dafür verlangten Preis zu verstehen.249 Aus der Möglichkeit der Nachfragerinnen und Nachfrager, die Angebote mehrerer Unternehmen miteinander zu vergleichen und das aus ihrer Sicht beste auszuwählen, folgt automatisch ein Druck auf jedes der Unternehmen, sein jeweiliges Angebot im Hinblick auf die Anforderungen und Bedürfnisse der Nachfragerinnen 244 Vgl. etwa Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 3 f.; Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 152. 245 Siehe nur Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 152. 246 Vgl. Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 152; zur „Existenz von Märkten“ als Merkmal von Wettbewerb siehe auch Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 3. 247 Vgl. Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 152 f. 248 Vgl. Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 152 f.; Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 371. 249 Vgl. hierzu Kerber in: Delhaes/Fehl, Dimensionen des Wettbewerbs, 1997, S. 52.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
und Nachfrager bestmöglich auszugestalten.250 Dieser Wettbewerbsdruck setzt starke Anreize für die Unternehmen zur kontinuierlichen Verbesserung ihrer Angebote.251 Zur Verbesserung ihrer Angebote machen konkurrierende Unternehmen von den ihnen zur Verfügung stehenden wettbewerblichen Aktionsparametern (oder Wettbewerbsparametern) Gebrauch. Sie können beispielsweise ihre Preise senken, die Qualität ihrer Produkte steigern oder weitergehende Serviceleistungen anbieten.252 Ob und auf welche Weise Unternehmen einzelne dieser Aktionsparameter einsetzen (können), ist bedingt durch eine Vielzahl von Faktoren, darunter etwa die (technischen) Eigenschaften der von ihnen angebotenen Produkte oder die zu deren Herstellung verfügbaren Technologien.253 Gelingt es einem Unternehmen, sein Angebot durch Einsatz eines wettbewerblichen Aktionsparameters (also etwa eine Preissenkung) derart zu verbessern, dass es Konkurrenzangeboten aus Nachfragerinnensicht überlegen ist, und sichert sich das Unternehmen dadurch zusätzliche Geschäftsabschlüsse, so geht dies zulasten seiner Wettbewerber. Diese müssen auf die entsprechenden Geschäftsabschlüsse verzichten. Sie verlieren gegebenenfalls Kundinnen und Kunden. (Das gilt zumindest insoweit, als nicht durch die Preissenkung Marktzutritte auf der Nachfrageseite erfolgen.) Dieser in der Knappheit möglicher Geschäftsabschlüsse auf einem Markt angelegte Vorgang wird verbreitet als Business Stealing bezeichnet. Business-Stealing-Effekte sind zentral für die Rivalitätsbeziehung, den Antagonismus, zwischen den Unternehmen auf einem Markt.254 Das durch die Angebotsverbesserung eines Unternehmens induzierte Business Stealing stellt aus Sicht von dessen Wettbewerbern eine negative Externalität dar.255 Diese Wettbewerber werden sich in der Folge veranlasst sehen, ihre An250 Vgl. Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 152 f.; Vickers, Oxford Economic Papers 1995, Bd. 47, Nr. 1, 1, 8; Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 108; Webster, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 1, 11, 12; zur Bedeutung der Auswahlmöglichkeit von Verbraucherinnen und Verbrauchern siehe auch etwa Marsden, Journal of European Competition Law & Practice 2014, Bd. 5, Nr. 10, 667; vgl. hierzu ferner Podszun, Digital Ecosystems, Decision-Making, Competition and Consumers 2019; Podszun, GRUR 2020, 1268, 1268 f., 1273 f. 251 Vgl. Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 128; Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 153. 252 Vgl. Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 4, 78. 253 Vgl. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2012, S. 78 f. 254 Vgl. Kerber in: Vahlens Kompendium der Wirtschaftstheorie und Wirtschaftspolitik, Bd. 2, 2007, S. 371; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 128. Die Bezeichnung des Business Stealing beziehungsweise der Business-Stealing-Effekte fand wohl ursprünglich vor allem in der Literatur zu Wohlfahrtsauswirkungen von Marktzutritten Verwendung, siehe hierzu etwa Mankiw/Whinston, The RAND Journal of Economics 1986, Bd. 17, Nr. 1, 48; Berry/Waldfogel, The RAND Journal of Economics 1999, Bd. 30, Nr. 3, 397. 255 Vgl. Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 128 f.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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gebote ebenfalls zu verbessern, um den Verlust von Geschäftsabschlüssen beziehungsweise Kundinnen und Kunden zu verhindern (beispielsweise, indem auch sie ihre Preise verringern).256 So sorgt der zwischen den Unternehmen auf einem Markt bestehende Wettbewerbsdruck für wechselseitige Anreize zur Angebotsverbesserung und führt damit letztlich zu Wohlfahrtssteigerungen. Preiswettbewerb beziehungsweise preisbezogener Wettbewerbsdruck können Unternehmen theoretisch zur Verringerung ihrer Preise bis auf das Niveau der Grenzkosten veranlassen, wodurch sie zur Herstellung allokativer und ferner produktiver Effizienz beitragen.257
II. Zur Funktionsweise des Innovationswettbewerbs Den Innovationswettbewerb zeichnet nun aus, dass Unternehmen den wettbewerblichen Aktionsparameter Innovation einsetzen, um ihre Angebote zu verbessern. Das heißt, dass sie hierzu nicht etwa Preissenkungen, sondern Innovationstätigkeiten vornehmen und innovative Produkte in ihre Angebote (ihre Preis-Leistungs-Kombinationen) integrieren. Sie streben eine innovationsbedingte Überlegenheit des eigenen Angebots an, um sich zusätzliche Geschäftsabschlüsse zu sichern. Aus einer solchen innovationsbedingten Angebotsüberlegenheit ergeben sich dann wiederum innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte. Die Unternehmen üben innovationsbedingten Wettbewerbsdruck aufeinander aus.258 An der Art und Weise, wie Angebotsverbesserungen erfolgen, lässt sich der grundlegende Unterschied zwischen dynamischem Innovationswettbewerb einerseits und Wettbewerb in seinen statischen Dimensionen andererseits festmachen.259 So lässt sich beispielsweise eine Preissenkung in der Regel vergleichsweise kurzfristig realisieren. Der hierfür erforderliche Aufwand ist, je nachdem wie Unternehmen ihre Preise kommunizieren, zumeist kaum nennenswert oder doch jedenfalls gering. Möglicherweise reicht die Aktualisierung elektronischer Anzeigen. Gegebenenfalls müssen Preislisten versandt werden. Anders sieht es bei einer Angebotsverbesserung durch die Einbindung einer Innovation aus. Bevor ein Unternehmen auf einem Markt ein innovatives Produkt 256 Vgl.
etwa Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 577; Katz/Shelanski, „Schumpeterian“ Competition and Antitrust Policy in High-Tech Markets, 2005, S. 2 f. 257 Vgl. hierzu nur Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 14–22. 258 Vgl. zum vorstehenden Absatz etwa Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 128 f.; Engelkamp/Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 153 f.; Henkel/Hippel in: Link/Scherer, Essays in Honor of Edwin Mansfield, 2005, S. 50; vgl. ferner Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 96 f. 259 Vgl. auch Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 42.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
anbieten kann, muss es – nicht selten überaus langwierige und kostspielige – Innovationstätigkeiten vornehmen und einen durch Komplexität und Unsicherheit geprägten Innovationsprozess durchlaufen.260 Während dieses Innovationsprozesses hat das Unternehmen eine Vielzahl von Entscheidungen zu treffen. Dazu zählen etwa Entscheidungen über die Vorgehensweise bei Forschung und Entwicklung, über den Zeitplan eines Forschungsprojekts oder über die konkrete (technische) Ausgestaltung einer anvisierten Innovation beziehungsweise eines anvisierten innovativen Produkts. Alle diese Entscheidungen während des Innovationsprozesses haben Einfluss darauf, ob es dem Unternehmen letztlich gelingen wird, sich mittels eines innovationsbedingt überlegenen Angebots auf dem fraglichen Markt Geschäftsabschlüsse zu sichern. Dementsprechend handelt es sich bei ihnen um strategische Entscheidungen.261 Denn sie betreffen auch alle anderen Unternehmen, die einmal mit dem innovierenden Unternehmen auf dem fraglichen Markt um Geschäftsabschlüsse konkurrieren werden.262 Zwischen diesen Unternehmen besteht daher im Grundsatz auch schon während des Innovationsprozesses, und damit – unter Umständen lange – bevor ein innovatives Produkt angeboten wird, eine strategisch-antagonistische Interdependenz. Hieraus resultiert die dynamische, weil sich über einen Zeitverlauf erstreckende Rivalitätsbeziehung zwischen innovierenden Unternehmen, die charakteristisch für den Innovationswettbewerb ist. Insofern ist es eine Konsequenz aus der Prozesshaftigkeit von Innovation selbst, dass sich der Innovationswettbewerb stets über gewisse Zeiträume erstreckt und mithin als dynamische Wettbewerbsdimension versteht.263
1. Facetten des Innovationswettbewerbs Ausgangspunkt zum Verständnis der Funktionsweise des Innovationswettbewerbs ist also die Konkurrenz um Geschäftsabschlüsse zwischen Unternehmen, die innovative Produkte in ihre Angebote integrieren, um diese zu verbessern. Solange die Innovationsprozesse zur Hervorbringung der betreffenden Innovationen noch nicht abgeschlossen sind, liegt diese Konkurrenz mit innovativen Angeboten – und das ist entscheidend – in der Zukunft. Sie lässt sich daher begreifen als zukünftiger Wettbewerb, der auf einem zukünftigen Produktmarkt 260 Vgl.
514.
auch Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507,
261 Vgl. hierzu auch Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 123 f. 262 Zu strategischen, weil interdependenten, Entscheidungen im (strategischen) Wettbewerb siehe auch Woeckener, Strategischer Wettbewerb, 2014, S. 3. 263 Zur für den Innovationswettbewerb charakteristischen dynamischen Rivalitätsbeziehung, die etwaigem Produktmarktwettbewerb vorgelagert ist, vgl. auch etwa Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 123 f.; Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 514; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 42.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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stattfindet, und abgrenzen von vor dem Abschluss der Innovationsprozesse stattfindendem, gegenwärtigem Wettbewerb. Anstatt von gegenwärtigem und zukünftigem Wettbewerb kann auch von Pre-Innovation- oder ex-ante-Wettbewerb und Post-Innovation- oder ex-post-Wettbewerb gesprochen werden.264 Der gegenwärtige Wettbewerb lässt sich seinerseits unterteilen in einen gegenwärtigen Produktmarktwettbewerb und einen reinen Innovationswettbewerb (oder Innovationswettbewerb in einem engeren Sinne), der losgelöst von gegenwärtig bereits existierenden Produktmärkten stattfindet.265 Letzterer, der reine Innovationswettbewerb, wird auch etwa als „Wettbewerb in Forschung und Entwicklung“266, „Forschungswettbewerb“267 oder „F&E-Wettbewerb“268 bezeichnet. Da allerdings Forschung und Entwicklung, wie beschrieben, zwar sehr wichtige, aber nicht die einzig relevanten Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Hervorbringung von Innovationen sind, erscheint der Begriff des reinen Innovationswettbewerbs treffender. Mit ihm können sämtliche Innovationstätigkeiten erfasst werden.269 Wegen der grundsätzlichen Unabhängigkeit des reinen Innovationswettbewerbs von bestimmten Produktmärkten ist im Übrigen auch etwa von „competition in innovation ‚without a market‘“270 die Rede. Die Differenzierung zwischen gegenwärtigem und zukünftigem Wettbewerb sowie zwischen gegenwärtigem Produktmarktwettbewerb und reinem, produktmarktunabhängigem Innovationswettbewerb dient freilich in erster Linie der gedanklichen Vereinfachung. In der Realität sind diese unterschiedlichen Facetten des Innovationswettbewerbs sehr eng miteinander verknüpft. Sie können sich auf vielfältige Weise gegenseitig beeinflussen.271 264 Vgl. hierzu die Unterscheidung mehrerer Wettbewerbsebenen bei Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76; vgl. auch Baxter, Antitrust Law Journal 1984, Bd. 53, Nr. 3, 717, 717 f.; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 571. Zwischen Preund Post-Innovation-Wettbewerb unterscheiden etwa Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014. 265 Vgl. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76; Baxter, Antitrust Law Journal 1984, Bd. 53, Nr. 3, 717, 717 f.; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 571; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 2. Von „Innovationswettbewerb im engen Sinne“ spricht etwa das Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11. 266 Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11. 267 Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64 f. 268 Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76. 269 Vgl. hierzu auch etwa Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 617. 270 Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 510. 271 Vgl. hierzu auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 65; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76; Ordover/Willig, The Journal of Law & Economics 1985, Bd. 28, Nr. 2, 311, 316.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
a) Zukünftiger Produktmarktwettbewerb Mit dem zukünftigen Produktmarktwettbewerb als gedanklichem Ausgangspunkt lassen sich Innovationswettbewerb beziehungsweise innovationsbedingter Wettbewerbsdruck zunächst überall dort verorten, wo Unternehmen an der Hervorbringung innovativer Produkte arbeiten, die künftig miteinander austauschbar sein – und gerade deshalb demselben zukünftigen Produktmarkt angehören – werden. Die Aussicht innovierender Unternehmen darauf, auf einem zukünftigen Produktmarkt miteinander zu konkurrieren, begründet bereits vor Abschluss der jeweiligen Innovationsprozesse eine dem zukünftigen Wettbewerb vorgelagerte strategisch-antagonistische Interdependenz zwischen ihnen, welche den Innovationswettbewerb ausmacht. Bei diesem zukünftigen Produktmarkt kann es sich zum einen um einen völlig neuen Markt handeln, der erst mit der Einführung eines innovativen Produkts entsteht. Möglich ist zum anderen aber auch, dass der zukünftige Markt aus einem gegenwärtig bereits existierenden Markt hervorgeht und mit diesem weitgehend kongruent ist. Letzteres ist der Fall, wenn innovative Produkte nicht nur untereinander, sondern auch mit auf einem gegenwärtigen Markt bereits angebotenen Produkten austauschbar sind. Dies ist besonders dann naheliegend, wenn Innovationen lediglich inkrementeller Natur sind. Radikale Innovationen hingegen führen eher zur Entstehung eines völlig neuartigen Produktmarkts, der von bisherigen Märkten unabhängig ist.272 Zwischen diesen beiden Extremen sind natürlich zahlreiche weitere Varianten denkbar. Beispielsweise kann es sein, dass innovative Produkte zwar einem bisherigen Markt zuzurechnen sind, dort aber eine (weitere, horizontale) Produktdifferenzierung herbeiführen und so ein eigenes Marktsegment bilden beziehungsweise eine Marktnische ausfüllen.273 Im gedanklichen Modell folgt der zukünftige Produktmarktwettbewerb dem Abschluss der jeweiligen Innovationsprozesse und der Einführung innovativer Produkte zeitlich nach. Er beginnt in einem Zeitpunkt, in welchem die innovierenden Unternehmen ihre Innovationstätigkeiten bereits beendet haben. Der für ihn maßgebliche Aktionsparameter ist daher nicht mehr eigentlich Innovation. Ihn macht vielmehr vor allem der Einsatz statischer Aktionsparameter aus. Im zukünftigen Wettbewerb konkurrieren Unternehmen etwa durch die Festsetzung der Preise und Mengen ihrer innovativen Produkte oder mittels Werbemaßnahmen für diese. Insofern umfasst der dynamische Innovationswettbewerb (in einem weiteren Sinne) auch die statischen Wettbewerbsdimensionen.274 272 Vgl. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64 f.; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 8; ausführlich zur Entstehung von Märkten durch Innovation auch Wieandt, Die Entstehung, Entwicklung und Zerstörung von Märkten durch Innovation, 1994, S. 87–123. 273 Vgl. etwa Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 580. 274 Diese Überlegung ist auch der Unterscheidung mehrerer Wettbewerbsebenen imma-
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Besonders wichtig ist hier die Erkenntnis, dass der zukünftige Wettbewerb, oder besser gesagt, die – gegenwärtigen – Erwartungen an den zukünftigen Wettbewerb konstitutiv für die Innovationsanreize innovierender Unternehmen sind.275 Denn der Erfolg eines innovierenden Unternehmens im zukünftigen Wettbewerb, die mit einem innovativen Produkt künftig erzielbaren Umsätze und Gewinne, sind ausschlaggebend dafür, ob das Unternehmen seine Ausgaben für Innovationstätigkeiten amortisieren kann und sich diese Innovationstätigkeiten letztlich rentieren.276
b) Gegenwärtiger Produktmarktwettbewerb Bieten innovierende Unternehmen bereits Produkte auf gegenwärtigen Märkten an, kann auch gegenwärtiger, vor Abschluss der jeweiligen Innovationsprozesse stattfindender Produktmarktwettbewerb für den Innovationswettbewerb eine Rolle spielen. Wie der zukünftige Wettbewerb ist auch der gegenwärtige Wettbewerb im gedanklichen Modell zunächst statisch, vollzieht sich also unter Einsatz statischer Aktionsparameter.277 Er markiert aber unter Umständen einen wichtigen Ausgangs- und Anfangspunkt des dynamischen Innovationswettbewerbs.278 So kann der Erfolg eines innovierenden Unternehmens im gegenwärtigen Wettbewerb maßgeblichen Einfluss auf dessen Innovationsfähigkeiten haben: Je höher die gegenwärtigen Gewinne des Unternehmens ausfallen, desto mehr Mittel stehen ihm zur Investition in Innovationstätigkeiten zur Verfügung.279 Dieser Zusammenhang kann grundsätzlich unabhängig davon bestehen, ob der gegenwärtige Produktmarkt, auf welchem das innovierende Unternehmen bereits tätig ist, mit dem von ihm anvisierten zukünftigen Produktmarkt kongruent ist oder nicht. Ist dies jedoch – wie vor allem bei inkrementellen und Prozessinnovationen – der Fall, kann der gegenwärtige Wettbewerb auch noch auf eine andere Weise Bedeutung für den Innovationswettbewerb erlangen. Er kann dann nämlich nicht nur die Innovationsfähigkeiten, sondern auch die Innovationsanreize des innovierenden Unternehmens beeinflussen. Im Falle kongrunent, wie sie sich bei Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64, und Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76, findet; vgl. hierzu auch Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 125. 275 Vgl. auch Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 198. 276 Vgl. hierzu Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64, 66. Nelson, Journal of Economic Literature 1995, Bd. 33, Nr. 1, 48, 63, spricht etwa auch davon, dass (erst) der zukünftige Wettbewerb die den Innovationsprozess prägende Unsicherheit auflöse. 277 Vgl. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 64; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76; Baxter, Antitrust Law Journal 1984, Bd. 53, Nr. 3, 717, 717 f.; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 571. 278 Vgl. Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76. 279 Vgl. hierzu an dieser Stelle nur Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 67 f.; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 76.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
enter Märkte bildet der gegenwärtige Wettbewerb den zukünftigen Wettbewerb möglicherweise bereits realistisch ab, sodass von den Bedingungen des ersteren auf die Bedingungen des letzteren geschlossen werden kann.280 Ein innovierendes Unternehmen, das auf dem gegenwärtigen Markt über einen hohen Marktanteil verfügt, hat dann beispielsweise automatisch die Aussicht, auch auf dem zukünftigen Markt viele Kundinnen und Kunden für sein innovatives Produkt zu finden. Dies lässt sich am Beispiel eines Versions-Updates für ein Softwareprodukt festmachen. Ist ein Unternehmen führend im Bereich von Textverarbeitungsprogrammen und nutzt ein Großteil der Nachfragerinnen und Nachfrager solcher Programme sein Produkt, so hat es gute Aussichten darauf, auch für eine neue Version seines Programms zahlreiche Abnehmerinnen und Abnehmer zu finden und so hohe Umsätze zu erzielen. Angesichts einer solchen Erwartung hat das Unternehmen starke Anreize, das Versions-Update zu entwickeln, da es die dafür erforderlichen Ausgaben wahrscheinlich wird amortisieren können. Es ist, wohlgemerkt, keineswegs so, dass innovierende Unternehmen immer schon auf einem gegenwärtigen Produktmarkt tätig sind. Dementsprechend ist für das Zustandekommen von Innovationswettbewerb beziehungsweise innovationsbedingtem Wettbewerbsdruck, wie dargelegt, auch nicht der gegenwärtige Wettbewerb zwischen innovierenden Unternehmen entscheidend, sondern deren Aussicht, auf einem zukünftigen Markt in Konkurrenz zueinander zu treten. Dass Unternehmen als Wettbewerber auf einem bestimmten gegenwärtigen Produktmarkt Innovationstätigkeiten aufnehmen, jeweils eine inkrementelle Innovation hervorbringen und damit schließlich auch auf dem entsprechenden zukünftigen Produktmarkt konkurrieren, ist eine mögliche Konstellation des Innovationswettbewerbs. Daneben sind aber auch andere Konstellationen denkbar. So kann etwa ein Start-up- oder Newcomer-Unternehmen, das gegenwärtig noch gar kein Produkt anbietet, mit der Hervorbringung eines innovativen Produkts auf einen Markt und dadurch in Wettbewerb zu den dort etablierten Unternehmen treten. Dann kann es auch passieren, dass die etablierten Unternehmen aus dem Markt ausscheiden, weil ihre Produkte unterlegen sind, und folglich nicht mehr am zukünftigen Wettbewerb teilnehmen. Ebenso kann durch die Hervorbringung einer Innovation, wie gesagt, ein völlig neuer Markt entstehen.281 280 Zu einer derartigen Schlussfolgerung siehe Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 7 f.; vgl. auch Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 126; Cohen/Klepper, The Economic Journal 1996, Bd. 106, Nr. 437, 925, 926 f. Bei Hemphill/Wu, University of Pennsylvania Law Review 2020, Bd. 168, Nr. 7, 1879, 1888, heißt es auch: „Where competition has already begun, its existence might inform a positive prediction about future competition“. 281 Zum hier angesprochenen Gesichtspunkt, dass Innovationswettbewerber nicht mit den Wettbewerbern auf einem bestimmten Produktmarkt identisch sein müssen, vgl. auch etwa Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 118; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 174 f.; Kerber/Kern,
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c) Produktmarktunabhängiger Innovationswettbewerb Die dem zukünftigen Produktmarktwettbewerb vorgelagerte strategisch-antagonistische Interdependenz zwischen innovierenden Unternehmen kommt besonders im reinen Innovationswettbewerb zum Ausdruck, der losgelöst von bestimmten (gegenwärtigen) Produktmärkten stattfindet. Dieser kann sich über den gesamten Verlauf der jeweiligen Innovationsprozesse erstrecken und umfasst die währenddessen zu treffenden strategischen Entscheidungen. In der ökonomischen Literatur wird er vor allem damit in Verbindung gebracht, wie innovierende Unternehmen ihre Forschungsprojekte in zeitlicher Hinsicht strukturieren. Einem innovierenden Unternehmen wird es zumeist (wenn auch nicht in jedem Fall) darum gehen, seine Innovationstätigkeiten als erstes, vor anderen innovierenden Unternehmen abzuschließen, mit denen es auf einem zukünftigen Markt konkurrieren wird.282 Der reine, produktmarktunabhängige Innovationswettbewerb lässt sich insofern als sogenanntes Innovationsrennen begreifen.283 Mit solchen Innovationsrennen beschäftigt sich die ökonomische Literatur unter dem Schlagwort des Timing of Innovation.284 Sie analysiert, wie Unternehmen in einem Innovationsrennen strategisch über Höhe und Realisierung von Investitionen in Innovationstätigkeiten entscheiden.285 Im Grundmodell eines Innovationsrennens befinden sich meist zwei oder mehr Unternehmen mit symmetrischen Ausgangsbedingungen im Wettbewerb um die Hervorbringung einer bestimmten Innovation. Profitieren kann von dieser nur eines der Unternehmen, und zwar dasjenige, welches sie als erstes hervorbringt. Im Grundmodell wird davon ausgegangen, dass die Innovation aufgrund perfekten rechtlichen Schutzes nicht imitiert werden kann, sodass es zur Situation eines Winner takes all kommt. Das Schutzrecht für die Innovation stellt im Modell gewöhnlich ein Patent dar. Daher ist verbreitet auch von Patentrennen die Rede. Nur das erste Unternehmen kann das Patent erlangen und dadurch die Innovation gewinnbringend verwerten. Im Verlauf des Rennens haben die beteiligten Unternehmen jeweils die Möglichkeit, ihre Investitionen in Innovationstätigkeiten zu erhöhen oder zu verringern. Mit den Investitionen eines UnAssessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 17; Kern/Dewenter/Kerber, Journal of Industry, Competition and Trade 2016, Bd. 16, Nr. 3, 373, 374; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 46. 282 Vgl. Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11, wo „Innovationswettbewerb im engen Sinne“ definiert ist als „Wettbewerb darum, eine bestimmte Entwicklung durch intensive Forschungsanstrengungen möglichst vor anderen, ebenfalls forschungsaktiven Unternehmen zu erreichen“. 283 Vgl. Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 40. 284 Siehe Reinganum in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 1, 1989, S. 849–908. 285 Vgl. Reinganum in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 1, 1989, S. 850; siehe auch etwa Tirole, The Theory of Industrial Organization, 1988, S. 394.
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ternehmens steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es die anvisierte Innovation als erstes hervorbringen und das Rennen so gewinnen wird. Damit sinken zugleich die Erfolgsaussichten der übrigen Unternehmen. Es wird angenommen, dass das Unternehmen, welches letztlich die höchsten Investitionen tätigt, das Rennen am Ende gewinnt. Aus Sicht der unterlegenen Unternehmen erweisen sich dann sämtliche Investitionen in Innovationstätigkeiten als vergeblich.286 Dieses Grundmodell vereinfacht natürlich stark und enthält zahlreiche Annahmen, welche von den Bedingungen realer Innovationsprozesse abweichen.287 Hierzu gehört etwa die Annahme perfekten Patentschutzes.288 Ebenso ist der Zusammenhang zwischen Investitionshöhe und Erfolg tatsächlich kaum derart eindeutig, wie im Modell angenommen.289 Vielfach werden auch eine vollständig symmetrische Ausganslage (etwa in Bezug auf Unternehmensgröße und Innovationsfähigkeiten) und damit identische Erfolgschancen der am Innovationsrennen beteiligten Unternehmen nicht gegeben sein.290 Zwar wurden, ausgehend vom beschriebenen Grundmodell, vielfältige Modelle entwickelt, welche die komplexeren Bedingungen der Realität besser abbilden.291 Diese komplexeren Modelle treffen ihrerseits allerdings umso mehr Annahmen und liefern daher nur wenig robuste Aussagen.292 Insgesamt lassen sich der Literatur zu Innovationsrennen nichtsdestotrotz wertvolle Erkenntnisse entnehmen, auf die noch genauer eingegangen wird.293 Der weitergehende Wettbewerbsprozess kann sich auch so darstellen, dass immer wieder einzelne Innovationsrennen aufeinander folgen, wobei sich ver286 Zu diesem Grundmodell eines Innovations- beziehungsweise Patentrennens siehe Woeckener, Strategischer Wettbewerb, 2014, S. 193 f.; vgl. auch Reinganum in: Schmalensee/ Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 1, 1989, S. 853–868; Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 10; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 59. 287 Vgl. Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 10; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11 f. 288 Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 8. 289 Siehe etwa Rapp, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 64, Nr. 1, 19, 33; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 34; vgl. hierzu auch Reinganum in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 1, 1989, S. 855. Gründe für einen positiven Zusammenhang zwischen Kosten und Geschwindigkeit von Forschung und Entwicklung nennen etwa Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 632. 290 Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11 f. 291 So zum Beispiel sogenannte asymmetrische Modelle, die Innovationsrennen zwischen bereits am Markt etablierten und neu in den Markt eintretenden Unternehmen darstellen, vgl. hierzu Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 10 f.; siehe auch Reinganum in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 1, 1989, S. 868–884. 292 Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 12. 293 So auch Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 10; weitere Einzelheiten folgen unter B.III.3.
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schiedene Unternehmen gegenseitig die Position als Gewinner des jeweils zuletzt beendeten Rennens streitig machen. Möglich ist dann auch, dass zu keinem Zeitpunkt nennenswerter Wettbewerb auf einem Produktmarkt unter Einsatz statischer Aktionsparameter (also etwa Preiswettbewerb) stattfindet, dafür aber ein besonders intensiver produktmarktunabhängiger Innovationswettbewerb über den Zeitverlauf hinweg.294 In diesem Zusammenhang wird – in Anlehnung an Schumpeter und insbesondere dessen Konzept der sich wiederholenden schöpferischen Zerstörung – häufig von Schumpeter’schem Wettbewerb gesprochen.295 Neben der Geschwindigkeit, mit welcher Innovationstätigkeiten abgeschlossen werden, und dem Zeitpunkt, zu welchem eine Innovation eingeführt wird, spielen für den reinen, produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb freilich weitere Möglichkeiten der strategischen Ausrichtung und der konkreten Ausgestaltung des anvisierten innovativen Produkts eine Rolle. Dies umfasst sämtliche Aspekte der Positionierung des innovativen Produkts auf dem zukünftigen Markt. Innovierende Unternehmen streben nicht etwa nur danach, eine bestimmte Innovation als erstes hervorzubringen. Ihnen geht es vielmehr darum, die Innovation insgesamt möglichst erfolgreich zu verwerten und sich so Geschäftsabschlüsse und Marktanteile zu sichern. Dabei können diverse Zwischenziele eine Rolle spielen, wie etwa der Erhalt von Zugang zu bestimmten (auch immateriellen) Vorprodukten und Vertriebswegen oder die Durchsetzung von Standards, um deren Erreichung die innovierenden Unternehmen dann ebenfalls miteinander konkurrieren. Der reine Innovationswettbewerb erschöpft sich also nicht unbedingt in seiner Gestalt als Innovationsrennen um die erste Markteinführung.296
2. Erweiterungen des bisherigen gedanklichen Modells Als Ausgangspunkt zur Verortung von Innovationswettbewerb beziehungsweise innovationsbedingtem Wettbewerbsdruck zwischen Unternehmen diente bisher der zukünftige Produktmarktwettbewerb. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob zwei (oder mehrere) innovierende Unternehmen mit ihren Innovationstätigkeiten bestimmte innovative Produkte anvisieren, die künftig miteinander austauschbar sein werden. An dieser künftigen Austauschbarkeit und der daraus 294 Vgl. Katz/Shelanski, Innovation Policy and the Economy 2005, Bd. 5, 109, 113; siehe hierzu auch etwa Reinganum The Quarterly Journal of Economics 1985, Bd. 100, Nr. 1, 81; Aghion/Howitt, Econometrica 1992, Bd. 60, Nr. 2, 323. 295 Siehe Katz/Shelanski, Innovation Policy and the Economy 2005, Bd. 5, 109, 113, die von „Schumpeterian rivalry“ sprechen; vgl. auch Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 11; Aghion/Howitt, Econometrica 1992, Bd. 60, Nr. 2, 323, 323 f. 296 Vgl. zu diesem Aspekt etwa Münnich in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 123–125; speziell zur Durchsetzung von Standards siehe Neurohr, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 3, 289.
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folgenden Konkurrenz der Unternehmen auf einem zukünftigen Produktmarkt wurden die zwischen ihnen bereits vor Abschluss der jeweiligen Innovationsprozesse bestehende strategisch-antagonistische Interdependenz und die daraus folgende Rivalitätsbeziehung festgemacht, die charakteristisch für den Innovationswettbewerb sind. Nun gilt es, um ein vollständigeres und realistischeres Bild von der Funktionsweise des Innovationswettbewerbs zu erhalten, einige der bisher implizit zugrunde gelegten Annahmen zu lockern, und weitere Gesichtspunkte zu ergänzen.
a) Wahrscheinlichkeitsanforderungen hinsichtlich des zukünftigen Wettbewerbs Eine wichtige und naheliegende Ergänzung der bisherigen Annahmen ist zunächst die folgende: Von Innovationswettbewerb zwischen innovierenden Unternehmen ist nicht allein und erst dann auszugehen, wenn die Unternehmen mit Abschluss ihrer Innovationsprozesse, also ex post, auch tatsächlich auf einem bestimmten, ex ante (das heißt während des Fortgangs der Innovationsprozesse) noch zukünftigen Produktmarkt als Konkurrenten auftreten. Wäre dies der Fall, ließe sich die Existenz von Innovationswettbewerb zwischen zwei Unternehmen immer erst in der Retrospektive feststellen. Denn wegen der für Innovation typischen Unsicherheit lässt sich vor Abschluss eines Innovationsprozesses regelmäßig noch nicht mit Sicherheit absehen, ob es tatsächlich zur erfolgreichen Hervorbringung eines bestimmten innovativen Produkts kommen wird. Die charakteristische, innovationswettbewerbliche Rivalitätsbeziehung verwirklicht sich aber gerade in der Vorausschau innovierender Unternehmen. Maßgeblich ist deren – mehr oder weniger gesicherte – Erwartung, mit miteinander austauschbaren, innovativen Produkten auf einem zukünftigen Markt zu konkurrieren. Bereits aufgrund der Erwartung einer solchen zukünftigen Angebotsüberschneidung besteht die beschriebene strategisch-antagonistische Interdependenz zwischen innovierenden Unternehmen und üben diese innovationsbedingten Wettbewerbsdruck aufeinander aus. Schwierig zu beantworten ist die Frage, unter welchen Bedingungen innovierende Unternehmen eine hinreichende, innovationsbedingten Wettbewerbsdruck zwischen ihnen erzeugende Erwartung der zukünftigen Angebotsüberschneidung haben. Hiermit angesprochen sind die im Hinblick auf diese Erwartungen zu stellenden Wahrscheinlichkeitsanforderungen. Fest steht, dass es im Ausgangspunkt zumindest der Möglichkeit einer zukünftigen Angebotsüberschneidung bedarf. Wie wahrscheinlich diese darüber hinaus aber mindestens sein muss, damit innovierende Unternehmen einander als Rivalen wahrnehmen, lässt sich wohl nur im Einzelfall, unter Berücksichtigung der Routinen strategischen Verhaltens der fraglichen Unternehmen und etwa der Besonderheiten ihrer Industrie, sagen. Das Spektrum grundsätzlich in Betracht kom-
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mender Gewissheitsgrade reicht von bloßer Plausibilität bis hin zu an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Bei einem Plausibilitätserfordernis wäre es ausreichend, wenn eine zukünftige Angebotsüberschneidung generell realistisch erschiene, ihre Erwartung also nicht allgemeinen Denkgesetzen und Erfahrungssätzen widerspräche. Zwischen den beiden genannten Extrempunkten liegt beispielsweise der Gewissheitsgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit.297 Im Regelfall wird die maßgebliche Wahrscheinlichkeitsschwelle indes nicht allzu hoch anzusiedeln sein. Denn im Sinne einer frühzeitigen Erfassung jedweder wettbewerblichen Bedrohung werden Unternehmen in ihren strategischen Überlegungen zumeist ein möglichst großes (innovations-)wettbewerbliches Umfeld berücksichtigen. Sie werden mithin geneigt sein, sämtliche Unternehmen als mögliche Quellen innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks einzubeziehen, bei denen sie eine zukünftige Angebotsüberschneidung auch nur für plausibel halten.298
b) Gezielte und ungezielte Innovationstätigkeiten Für den Innovationswettbewerb zwischen innovierenden Unternehmen wird die Frage nach den maßgeblichen Wahrscheinlichkeitsanforderungen hinsichtlich einer zukünftigen Angebotsüberschneidung nicht nur wegen der für Innovation typischen Unsicherheit virulent, sondern auch aufgrund eines weiteren Gesichtspunkts: Zwar haben innovierende Unternehmen regelmäßig bestimmte, gewünschte Ergebnisse ihrer Innovationstätigkeiten vor Augen. Sie unterscheiden sich jedoch mitunter darin, wie spezifisch sie diese Ergebnisse im Vorhinein ausformulieren (können). Innovationstätigkeiten können gezielt (directed) erfolgen, das heißt, dass sie auf ganz bestimmte Innovationen beziehungsweise innovative Produkte ausgerichtet sind, oder ungezielt (undirected), also mehr nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum, ohne dass von vornherein ein bestimmtes, einzelnes Ergebnis feststeht, das erreicht werden soll. Auch die Fälle vollständig gezielter und vollständig ungezielter Innovationstätigkeiten stellen Extreme eines Spektrums dar. Dazwischen können Innovationstätigkeiten jeden Grad an mehr oder weniger großer Gezieltheit annehmen.299 Eine zukünftige Angebotsüberschneidung lässt sich mit umso größerer Wahrscheinlichkeit vorhersagen, je gezielter Innovationstätigkeiten sind, je genauer die jeweils anvisierten Innovationen beziehungsweise innovativen Produkte folglich bereits vorab spezifiziert sind. Arbeiten zwei innovierende Unternehmen jeweils auf ganz bestimmte innovative Produkte hin, deren Eigenschaften von vornherein 297 Zu
den angesprochenen Wahrscheinlichkeitsabstufungen vgl. etwa Ibáñez Colomo, Journal of Competition Law & Economics 2021, Bd. 17, Iss, 2, 3172 f. 298 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur „strategischen Frühaufklärung“ bei Welge/ Al-Laham/Eulerich, Strategisches Management, 2017, S. 419–442. 299 Zu gezielten und ungezielten Innovationstätigkeiten vgl. Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 41.
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festgelegt sind, lässt sich schon früh und mit recht großer Gewissheit antizipieren, ob die innovativen Produkte der beiden Unternehmen künftig austauschbar sein werden (wenn die Unternehmen ihre jeweiligen Innovationsprozesse erfolgreich abschließen). Sind die Innovationstätigkeiten zweier Unternehmen hingegen weniger gezielt, sodass sie letztlich zur Hervorbringung einer ganzen Palette an unterschiedlichen, nicht unbedingt miteinander austauschbaren innovativen Produkten führen können, ist die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Angebotsüberschneidung deshalb eingeschränkt (auch ungeachtet der generellen Erfolgsunsicherheit bei Innovation). Ob Unternehmen eher gezielte oder eher ungezielte Innovationstätigkeiten durchführen, hängt nicht zuletzt davon ab, in welcher Industrie sie tätig sind. Durch weitgehend gezielte Innovationstätigkeiten zeichnet sich etwa die Pharmaindustrie aus.300 Auch hier liegt es nahe, grundsätzlich darauf abzustellen, ob die zukünftige Austauschbarkeit der innovativen Produkte innovierender Unternehmen und damit zukünftiger Produktmarktwettbewerb zwischen diesen zumindest plausibel erscheinen. So können innovierende Unternehmen auch dann innovationsbedingten Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben, wenn ihre Innovationstätigkeiten nicht vollständig gezielt erfolgen, sondern eine gewisse Streuung aufweisen. Entscheidend für die Plausibilität zukünftigen Wettbewerbs ist demnach, dass die Innovationstätigkeiten der Unternehmen identische oder jedenfalls dicht beieinander liegende Fluchtpunkte haben. Nicht erforderlich ist dagegen, bildlich gesprochen, dass die Überschneidungsfläche dieser Fluchtpunkte in ihrer (sachlichen und räumlichen) Ausdehnung einem bestimmten zukünftigen Produktmarkt entspricht. Sie kann vielmehr darüber hinausgehen. Die plausible Möglichkeit zukünftigen Wettbewerbs besteht unter Umständen bereits, sobald innovierende Unternehmen derselben Industrie ähnliche Ziele verfolgen – beispielsweise insofern, als sie an der Lösung derselben oder hinreichend ähnlicher technischer Probleme arbeiten.
c) Innovationsfähigkeiten und potentieller Innovationswettbewerb In Erweiterung des bisherigen gedanklichen Modells sind bei der Feststellung von Innovationswettbewerb zwischen Unternehmen gegebenenfalls auch solche Unternehmen in die Betrachtung miteinzubeziehen, die gegenwärtig noch gar keine Innovationstätigkeiten durchführen, aber die Fähigkeiten hierzu besitzen oder sich leicht beschaffen können. Auch von solchen Unternehmen kann nämlich innovationsbedingter Wettbewerbsdruck ausgehen. Entsprechend der im Wettbewerbsrecht gebräuchlichen Differenzierung zwischen aktuellem und potentiellem Wettbewerb – je nachdem, ob ein Unternehmen bereits auf einem Markt tätig ist oder sein Marktzutritt lediglich jederzeit möglich beziehungsweise für die nahe Zukunft absehbar ist – lässt sich hier zwischen aktuellem und 300
Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 41.
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potentiellem Innovationswettbewerb unterscheiden.301 Durch die Berücksichtigung auch von potentiellem Innovationswettbewerb lässt sich eine längerfristige Perspektive einnehmen, als wenn die Betrachtung auf bereits innovierende Unternehmen beschränkt bleibt.302 Gemessen am Maßstab der Plausibilität zukünftigen Wettbewerbs zwischen zwei Unternehmen ist ein bislang nicht innovierendes Unternehmen namentlich dann als potentieller Innovationswettbewerber eines anderen Unternehmens anzusehen, wenn es in der Lage ist, Innovationstätigkeiten aufzunehmen, deren Fluchtpunkt sich mit demjenigen der Innovationstätigkeiten des anderen Unternehmens überschneidet, und es also zumindest plausibel erscheint, dass die innovativen Produkte der beiden Unternehmen künftig austauschbar sein werden. Vor diesem Hintergrund kann potentieller Innovationswettbewerb einerseits zwischen Unternehmen bestehen, von denen eines bereits Innovationstätigkeiten durchführt, während das andere über entsprechende Innovationsfähigkeiten verfügt. Dann kann der von dem zweiten Unternehmen als potentiellem Innovationswettbewerber ausgehende Wettbewerbsdruck das erste Unternehmen dazu veranlassen, sich während seines Innovationsprozesses so zu verhalten, als nähme auch das zweite Unternehmen bereits entsprechende Innovationstätigkeiten vor. Allerdings verringert sich dieser Wettbewerbsdruck womöglich mit fortschreitender Zeit stark oder fällt ganz weg. Dies ist etwa der Fall, wenn sich die Situation als Innovationsrennen beschreiben lässt und das erste Unternehmen einen Vorsprung eingenommen hat, den das zweite Unternehmen nicht mehr aufholen kann. Andererseits kann potentieller Innovationswettbewerb zwischen zwei Unternehmen stattfinden, die beide bislang lediglich über entsprechende Innovationsfähigkeiten verfügen.303 Als potentielle Innovationswettbewerber kommen, wie angesprochen, nicht nur Unternehmen mit den im Einzelfall maßgeblichen Innovationsfähigkeiten in Betracht, sondern auch Unternehmen, welche sich diese Innovationsfähigkeiten ohne Weiteres beschaffen können. Insofern erlangen die in einem bestimmten wissenschaftlich-technischen oder wirtschaftlichen Bereich erforderlichen Innovationsfähigkeiten insbesondere auch Bedeutung als Zutrittshindernisse (Barriers to Entry). Als solche erschweren oder verhindern sie nicht 301 Zum potentiellen Innovationswettbewerb vgl. auch die Ausführungen bei Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 120–123. Zumindest beiläufig anerkannt wird der potentielle Innovationswettbewerb auch etwa bei Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 10; Baker, The Antitrust Paradigm, 2019, S. 158. Ausführlich zur Differenzierung zwischen aktuellem und potentiellem Wettbewerb im Wettbewerbsrecht etwa Gey, Potentieller Wettbewerb und Marktbeherrschung, 2004. 302 Vgl. Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 6; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16. 303 Im Zusammenhang mit den vorstehenden Überlegungen vgl. auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 120–123; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 6 f.
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erst den Zutritt zu bestimmten (zukünftigen) Produktmärkten,304 sondern bereits die Teilnahme am Innovationswettbewerb. Im Zusammenhang mit Innovationsfähigkeiten ist deshalb auch von Innovationshindernissen (Barriers to Innovation) die Rede.305 Ob (potentieller) innovationsbedingter Wettbewerbsdruck auch von Unternehmen ausgehen kann, welche sich die maßgeblichen Innovationsfähigkeiten erst noch beschaffen müssten, hängt davon ab, mit welchem (finanziellem) Aufwand einerseits und welchem wirtschaftlichem Nutzen andererseits dies konkret verbunden wäre.306
d) Einseitiger innovationsbedingter Wettbewerbsdruck Schließlich ist zu beachten, dass der innovationsbedingte Wettbewerbsdruck zwischen zwei Unternehmen auch in nur eine Richtung verlaufen kann. Möglich ist dies etwa, wenn ein Unternehmen, das auf einem gegenwärtigen Produktmarkt tätig ist, keine Innovationstätigkeiten durchführt und nicht über Innovationsfähigkeiten verfügt (und sich diese auch nicht ohne Weiteres beschaffen kann), während ein anderes, innovierendes Unternehmen beabsichtigt, im Wege der Einführung eines innovativen Produkts in den fraglichen Markt einzutreten. Hier sieht sich ersteres (Incumbent-)Unternehmen dem einseitigen, innovationsbedingten Wettbewerbsdruck vonseiten des letzteren (Newcomer-) Unternehmens ausgesetzt.307 304 Zu
Innovationsfähigkeiten (in Gestalt etwa des Zugangs zu wichtigen Patenten) als Hindernis für den Marktzutritt vgl. nur Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 304; Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 73. Siehe in diesem Zusammenhang auch Gubby, Global Policy 2020, Bd. 11, Nr. 1, 46, zur Blockade von Wettbewerbern durch Patentstrategien; vgl. hierzu ferner Podszun, IIC 2019, 720. 305 Vgl. OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 8 f.; siehe auch Mueller/Tilton, The Canadian Journal of Economics 1969, Bd. 2, Nr. 4, 570, wo Innovationsfähigkeiten beziehungsweise die Kosten zu deren Beschaffung als Hindernisse für den Zutritt in eine Industrie analysiert werden; vgl. ferner Baca, Duke Law & Technology Review 2006, Bd. 5, Nr. 1, 1. 306 Vgl. zum vorstehenden Absatz auch Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 197; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, Working Paper, 2014, S. 18; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 10; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 50 f.; siehe ferner Marsili, The Anatomy and Evolution of Industries, 2001, S. 127–157, zu dort sogenannten „Technological Entry Barriers“. 307 Vgl. hierzu etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 150–153; siehe in diesem Zusammenhang auch die aktuelle Diskussion um den Aufkauf von Start-up-Unternehmen durch Incumbents im Digitalsektor, Crémer/ Montjoye/Schweitzer, Competition Policy for the Digital Era, 2019, S. 110–127; Furman/ Coyle/Fletcher/McAuley/Marsden, Unlocking Digital Competition, 2019, S. 89–102; BMWi, Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, 2019, S. 64–71; Schweitzer/Haucap/ Kerber/Welker, Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, 2018, S. 151–157.
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3. Konstellationen des Innovationswettbewerbs Auf der Grundlage der bisherigen Ausführungen sind die folgenden (vereinfachten) Konstellationen des Innovationswettbewerbs denkbar:308 – Zwei Unternehmen, die noch nicht auf einem gegenwärtigen Produktmarkt konkurrieren, führen Innovationstätigkeiten mit sich überschneidenden Fluchtpunkten durch, das heißt sie entwickeln innovative Produkte, bei denen es zumindest plausibel erscheint, dass sie künftig austauschbar und die Unternehmen deshalb Wettbewerber auf einem zukünftigen Produktmarkt sein werden (Pipeline-to-Pipeline-Overlap). – Zwei Unternehmen konkurrieren bereits auf einem gegenwärtigen Produktmarkt und entwickeln innovative Produkte, die mit den Produkten auf dem fraglichen Markt austauschbar sein werden, etwa Verbesserungen oder neue Versionen der bisherigen Produkte (Product-to-Product-Overlap).309 – Von zwei Unternehmen ist eines bereits auf einem gegenwärtigen Produktmarkt tätig, während das andere ein innovatives Produkt entwickelt, das mit den Produkten auf dem fraglichen Markt austauschbar sein wird, mit dessen Einführung das zweite Unternehmen also in den fraglichen Markt eintreten wird (Product-to-Pipeline-Overlap). – Von zwei Unternehmen ist eines bereits auf einem gegenwärtigen Produktmarkt tätig, während das andere die Fähigkeiten zur Entwicklung eines innovativen Produkts hat, das mit den Produkten auf dem fraglichen Markt austauschbar sein wird (Product-to-Capability-Overlap). – Von zwei Unternehmen entwickelt eines ein innovatives Produkt, während das andere die Fähigkeiten zur Entwicklung eines innovativen Produkts hat, das mit dem innovativen Produkt des ersten Unternehmens austauschbar sein wird (Pipeline-to-Capability-Overlap). – Zwei Unternehmen haben die Fähigkeiten zur Entwicklung innovativer Produkte, die miteinander austauschbar sein werden (Capability-to-CapabilityOverlap).310 Hervorzuheben ist, dass sich die dargestellten Konstellationen maßgeblich darin unterscheiden, welcher Zeithorizont der Betrachtung jeweils zugrunde 308
Zu den dargestellten Konstellationen vgl. auch Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 390; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 137; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 6, 12–14; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 92–101. 309 Als Product-to-Product-Overlap lässt sich freilich jede Konstellation beschreiben, in welcher Unternehmen als Wettbewerber auf demselben Markt tätig sind. Hier sind allerdings nur solche Konstellationen gemeint, in denen mindestens ein Unternehmen zugleich entsprechende Innovationstätigkeiten durchführt. 310 Wie in der ersten Konstellation, kommt es auch in allen übrigen Konstellationen jeweils nicht auf eine tatsächliche, ex post feststellbare Austauschbarkeit von Produkten an, sondern lediglich darauf, dass diese aus ex-ante-Sicht zumindest plausibel erscheint.
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liegt. Soweit nur bereits angebotene und schon in der Entwicklung befindliche Produkte berücksichtigt werden (wie im Falle von Product-to-Product-, Product-to-Pipeline- und Pipeline-to-Pipeline-Overlaps), ist die Betrachtung eine kurz- oder allenfalls mittelfristige. Finden dagegen auch Innovationsfähigkeiten Berücksichtigung (wie bei Product-, Pipeline- und Capability-to-Capability-Overlaps), handelt es sich um eine gegebenenfalls sehr langfristige Betrachtung. Müssen Unternehmen Innovationstätigkeiten überhaupt erst aufnehmen, wird es regelmäßig noch beträchtliche Zeit bis zur Einführung eines innovativen Produkts dauern.311
III. Innovationswettbewerb und Innovationsanreize Wie beschrieben, setzt der Wettbewerb, der unter Einsatz eines bestimmten Aktionsparameters zustande kommt, wiederum Anreize zum (weiteren) Einsatz dieses Aktionsparameters. Der Innovationswettbewerb setzt mithin Innovationsanreize. Dabei ist der Zusammenhang zwischen dem Innovationswettbewerb und seinen verschiedenen Facetten auf der einen sowie den Innovationsanreizen von Unternehmen auf der anderen Seite weitaus vielschichtiger als etwa der Zusammenhang zwischen dem Preiswettbewerb und den Preissetzungsanreizen von Unternehmen.312 Konstitutiv für die Innovationsanreize von Unternehmen sind, wie erwähnt, deren Erwartungen an den zukünftigen Produktmarktwettbewerb. Auf den gegenwärtigen Produktmarktwettbewerb kommt es lediglich insoweit an, als sich aus ihm bereits Hinweise auf die zu erwartenden Bedingungen im zukünftigen Wettbewerb ergeben. Auf einzelne Aspekte des Zusammenhangs zwischen Innovationswettbewerb und Innovationsanreizen wird im Folgenden genauer eingegangen.
1. Innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte Innovationsanreize können sich primär aus der Aussicht auf eine innovationsbedingte Angebotsüberlegenheit und daraus resultierende innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte im zukünftigen Produktmarktwettbewerb ergeben. Hier lassen sich Anreize zu proaktiven und solche zu reaktiven Innovationstätigkeiten unterscheiden.313 311 Vgl. auch Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 137; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 6; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16. 312 Vgl. Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 577; Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 162; ausführlich in diesem Zusammenhang auch Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 13–31. 313 Vgl. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 62; Kirchner in: Hoffmann-Riem/Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 99; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 32; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671; Jansen, The Journal of
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a) Anreize zu proaktiven und reaktiven Innovationstätigkeiten Anreize zu proaktiven Innovationstätigkeiten hat ein Unternehmen, wenn es erwarten kann, sich durch das Angebot eines innovativen Produkts im zukünftigen Wettbewerb zusätzliche Geschäftsabschlüsse beziehungsweise Kundinnen und Kunden und damit Marktanteile zu sichern, die ansonsten anderen Unternehmen zufielen. Solche Innovationsanreize kann etwa ein Newcomer haben, der sich vom künftigen Eintritt in einen lukrativen Markt im Wege der Einführung eines innovativen Produkts verspricht, Kundinnen und Kunden der auf dem Markt etablierten Incumbents für sich zu gewinnen.314 Unternehmen, die bereits auf einem gegenwärtigen Markt tätig sind, können Innovationsanreize der beschriebenen Art ebenfalls wegen der Aussicht auf einen Zugewinn von Kundinnen und Kunden ihrer Wettbewerber haben. Ihnen kann es außerdem zusätzlich darum gehen, durch die Einführung einer Innovation einen Wettbewerbsvorsprung zu erzielen und sich so dem von ihren Wettbewerbern ausgehenden Wettbewerbsdruck ein Stück weit zu entziehen. So kann beispielsweise die Einführung einer neuen Produktversion eine sinnvolle Differenzierungsstrategie darstellen, um den Preisdruck vonseiten konkurrierender Produkte zu verringern und in der Folge höhere Preise ohne die Gefahr von Marktanteilsverlusten durchzusetzen.315 In diesem Zusammenhang wird auch von einem EscapeCompetition-Effekt gesprochen.316 Möglich ist die Erzielung eines Vorsprungs vor Wettbewerbern namentlich dann, wenn diese selbst nicht innovieren.317 Es ist zudem davon auszugehen, dass die Aussicht auf Business-Stealing-Effekte beziehungsweise der Escape-Competition-Effekt für die Innovationsanreize der auf einem gegenwärtigen Markt tätigen Unternehmen umso bedeutsamer sind, je intensiver der (gegenwärtige) Wettbewerb auf diesem Markt ist.318 Im Falle Industrial Economics 2010, Bd. 58, Nr. 2, 349, 350; Katz/Shelanski, „Schumpeterian“ Competition and Antitrust Policy in High-Tech Markets, 2005, S. 15 f., sprechen von „offensive and defensive reasons to innovate“. 314 Vgl. Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 128 f.; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 32. 315 Vgl. hierzu Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 62; Kirchner in: Hoffmann-Riem/Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 99; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 32; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671; Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 579 f.; Lüken, Innovationen und asymmetrische Besteuerung, 2016, S. 21 f. 316 Siehe etwa Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 6 f.; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 9; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 673; vgl. auch Aghion/Bloom/Blundell/Griffith/Howitt, The Quarterly Journal of Economics 2005, Bd. 120, Nr. 2, 701. 317 Vgl. Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671. 318 Vgl. hierzu Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 71; Katz/Shelanski, „Schumpeterian“ Competition and Antitrust Policy in High-Tech Markets,
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
einer besonders radikalen Innovation, deren Einführung zum Entstehen eines völlig neuen (zukünftigen) Produktmarkts führen wird, geht es bei der Aussicht auf die Sicherung von Geschäftsabschlüssen und Marktanteilen dagegen nicht um solche, die gegenwärtig bereits bei bestimmten Unternehmen liegen, denen sie abgenommen würden. Hier sind quasi sämtliche innovierenden Unternehmen als Newcomer hinsichtlich des entsprechenden zukünftigen Markts anzusehen. Sie konkurrieren dann ausschließlich um die in Zukunft möglichen Geschäftsabschlüsse auf diesem Markt.319 Anreize zu reaktiven Innovationstätigkeiten können sich für ein auf einem gegenwärtigen Produktmarkt etabliertes Unternehmen aus der Erwartung ergeben, dass ein anderes Unternehmen – sei es bereits auf demselben Markt tätig oder ein Newcomer – ein innovatives Produkt auf dem betreffenden Markt einführen könnte. Hier kann sich das etablierte Unternehmen veranlasst sehen, selbst ebenfalls zu innovieren, um dem konkurrierenden Innovator zuvorzukommen und den Verlust seiner Kundinnen und Kunden und eine Verringerung seines Marktanteils abzuwenden.320 Die Stärke zu erwartender Business-Stealing-Effekte hängt übrigens davon ab, wie hoch der Grad der Substituierbarkeit und damit die wettbewerbliche Nähe zwischen den jeweils im zukünftigen Wettbewerb um Geschäftsabschlüsse konkurrierenden Produkten sind. Business-Stealing-Effekte sind umso größer, je eher es sich bei diesen Produkten um sogenannte Close Substitutes handelt. Außerdem spielt die Gewinnspanne desjenigen Produkts eine Rolle, das infolge des Business Stealing künftig Geschäftsabschlüsse verlieren wird. Mit dessen Gewinnspanne steigt die Lukrativität jedes einzelnen der betroffenen Geschäftsabschlüsse. Damit erhöhen sich sowohl die Attraktivität des Zugewinns dieser Geschäftsabschlüsse als auch die Gefahr ihres Verlusts.321
b) Die Bestreitbarkeit von Marktanteilen im zukünftigen Wettbewerb Damit Business Stealing im zukünftigen Wettbewerb möglich ist, bedarf es stets einer gewissen wettbewerblichen Offenheit des jeweils relevanten zukünftigen Produktmarkts. Die Erwartung einer solchen Offenheit ist Voraussetzung 2005, S. 15 f.; Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 579 f.; Lüken, Innovationen und asymmetrische Besteuerung, 2016, S. 23. 319 Vgl. Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 19; siehe auch etwa die Ausführungen zu Pipeline-to-Pipeline Overlaps bei Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 142. 320 Vgl. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 62; Kirchner in: Hoffmann-Riem/Schneider, Rechtswissenschaftliche Innovationsforschung, 1998, S. 99; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 32; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671; Katz/Shelanski, „Schumpeterian“ Competition and Antitrust Policy in High-Tech Markets, 2005, S. 15 f. 321 Vgl. Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129 f.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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für die Herausbildung von Anreizen zu proaktiven oder reaktiven Innovationstätigkeiten. Mit der wettbewerblichen Offenheit eines Markts ist gemeint, dass Geschäftsabschlüsse, Kundinnen und Kunden sowie Marktanteile tatsächlich bestreitbar sind. Die Wettbewerbsbedingungen auf dem jeweils relevanten zukünftigen Markt müssen so beschaffen sein, dass sich durch die Einführung eines innovativen Produkts tatsächlich Geschäftsabschlüsse sichern beziehungsweise Kundinnen und Kunden sowie Marktanteile gewinnen lassen. Hierauf weist vor allem Shapiro mit seinem Bestreitbarkeitsprinzip (Constestability Principle) hin, mit dem er die Bedeutung von Business-Stealing-Effekten für Innovationsanreize beschreibt.322 Die Bestreitbarkeit von Geschäftsabschlüssen, Kundinnen und Kunden sowie Marktanteilen hängt Shapiro zufolge im Wesentlichen von der Art und Intensität des zukünftigen Produktmarktwettbewerbs ab. Bestünden hohe Marktzutrittsschranken beziehungsweise ließen sich Kundinnen und Kunden nur unter Schwierigkeiten zu einem Anbieterwechsel bewegen (etwa aufgrund besonderer Markentreue), sodass Marktanteile sticky seien, dann fielen die Bestreitbarkeit und damit Innovationsanreize gering aus.323 Aufschluss darüber, ob die Bestreitbarkeit von Marktanteilen im zukünftigen Wettbewerb gegeben sein wird, können unter Umständen die gegenwärtigen Wettbewerbsbedingungen geben. Diese können den zukünftigen Wettbewerb, wie erwähnt, bereits abbilden.324 So kann etwa intensiver gegenwärtiger Wettbewerb, in dem Geschäftsabschlüsse, Kundinnen und Kunden sowie Marktanteile in hohem Maße bestreitbar sind, ein Anzeichen dafür sein, dass dies auch im zukünftigen Wettbewerb der Fall sein wird. Umgekehrt können die gegenwärtig besonders gefestigte marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens sowie das Bestehen erheblicher Marktzutrittsschranken gegen die Bestreitbarkeit von Marktanteilen im zukünftigen Wettbewerb sprechen.325
c) Innovationsbedingte Kannibalisierungseffekte Sehr ähnlich den Business-Stealing-Effekten wirken sogenannte Kannibalisierungseffekte.326 Auch innovationsbedingte Kannibalisierungseffekte sind Folge 322 Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 364; vgl. hierzu auch etwa BMWi, Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, 2019, S. 22 f. 323 Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 364, 385 f.; vgl. auch Lüken, Innovationen und asymmetrische Besteuerung, 2016, S. 23 f. 324 Siehe hierzu oben, unter B.II.1.b). 325 Vgl. etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129; BMWi, Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, 2019, S. 22; siehe auch Katz/Shelanski, „Schumpeterian“ Competition and Antitrust Policy in High-Tech Markets, 2005, S. 15 f. 326 Dies wird auch etwa deutlich bei Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
einer – aus der innovationsbedingten Angebotsüberlegenheit resultierenden – Sicherung von Geschäftsabschlüssen im zukünftigen Wettbewerb. Die Aussicht auf Kannibalisierungseffekte kann auf die Innovationsanreize von Unternehmen einen gegenläufigen Effekt zur Aussicht auf Business-Stealing-Effekte haben. Kannibalisierungseffekte erzeugen Einbußen bei den bisher erzielten Umsätzen und Gewinnen eines innovierenden Unternehmens. Sie erhöhen damit die (Opportunitäts-)Kosten von Innovationstätigkeiten und verringern so deren Rentabilität.327 Kannibalisierungseffekte können entstehen, wenn ein Unternehmen ein innovatives Produkt neben einem von ihm selbst bereits angebotenen Produkt einführt und beide Produkte miteinander austauschbar sind. Dann wird zumindest ein Teil der Kundinnen und Kunden, die bisher das bereits angebotene Produkt des Unternehmens nachgefragt haben, zum innovativen Produkt hinüberwechseln. So kommt es zu einer Verlagerung der Umsätze des Unternehmens. Der Verkauf des innovativen Produkts kannibalisiert einen Teil der Umsätze mit dem bisherigen Produkt.328 Zusätzliche Gewinne erzielt das Unternehmen durch die Einführung des innovativen Produkts dann vor allem insoweit, als dessen Gewinnspanne über derjenigen des bisherigen Produkts liegt.329 Wie Business-Stealing-Effekte sind Kannibalisierungseffekte umso stärker, je größer die Substituierbarkeit zwischen dem innovativen Produkt und dem bisherigen Produkt des innovierenden Unternehmens ist, je eher sie Close Substitutes darstellen. Die negative Wirkung der Kannibalisierungseffekte auf die Innovationsanreize des betreffenden Unternehmens ist zudem umso stärker, je höher die Gewinnspanne des bisherigen Produkts ist.330 Die Einbußen eines innovierenden Unternehmens infolge von Kannibalisierungseffekten betreffen nicht nur die mit dem bisherigen Produkt an sich weiterhin erzielbaren Umsätze. Daneben kann es auch zur Entwertung früherer Investitionen in die Entwicklung und Herstellung des bisherigen Produkts kom327
Vgl. zu Kannibalisierungseffekten als Kostenfaktoren etwa Lomax/Hammond/East/ Clemente, Marketing Intelligence & Planning 1996, Bd. 14, Nr. 7, 20; Kerin/Harvey/Rothe, Business Horizons 1978, Bd. 21, Nr. 5, 25, 27; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 39; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 234, 248. 328 Vgl. zur beschriebenen Funktionsweise von Kannibalisierungseffekten etwa Dachs/ Hud/Koehler/Peters, Industry and Innovation 2017, Bd. 24, Nr. 4, 346, 347 f.; Kerin/Harvey/ Rothe, Business Horizons 1978, Bd. 21, Nr. 5, 25, 26; Mason/Milne, Journal of Business Research 1994, Bd. 31, Nr. 2–3, 163; Chandy/Tellis, Journal of Marketing Research 1998, Bd. 35, Nr. 4, 474, 476; Heerde/Srinivasan/Dekimpe, Marketing Science 2010, Bd. 29, Nr. 6, 1024, 1025; siehe auch Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 39 f. 329 Vgl. Heerde/Srinivasan/Dekimpe, Marketing Science 2010, Bd. 29, Nr. 6, 1024, 1025; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129 f. 330 Vgl. Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 234.
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men.331 Dies betrifft zum einen Investitionen in Vermögensgegenstände, wie Produktionsanlagen, und zum anderen angesammeltes Erfahrungswissen und ausgebildete Arbeitsroutinen. Beides wird möglicherweise für Herstellung und Vertrieb des innovativen Produkts nicht mehr benötigt.332 Hierzu bedarf es dann vielmehr neuer Investitionen.333 Vor der Aufnahme von Innovationstätigkeiten, die auf eine bestimmte Innovation gerichtet sind, hat ein Unternehmen zu beurteilen, ob und in welchem Umfang mit der Einführung der Innovation wahrscheinlich Kannibalisierungseffekte einhergehen werden. Je stärker diese Kannibalisierungseffekte sind, desto höher sind die mit der Einführung der Innovation verbundenen Kosten und desto geringer sind die Anreize zur Durchführung der auf sie gerichteten Innovationstätigkeiten. Durch die Berücksichtigung von Kannibalisierungseffekten kann sich das betreffende Unternehmen veranlasst sehen, die fraglichen Innovationstätigkeiten ganz zu unterlassen, zu verzögern oder auf eine andere Innovation auszurichten.334 Eine weitere Möglichkeit besteht freilich darin, Kannibalisierungseffekte durch die Einstellung des bisherigen Produkts zu verhindern. Eindeutig angezeigt ist eine solche Vorgehensweise etwa in Fällen vertikaler Produktdifferenzierung, wenn also das innovative Produkt das bisherige Produkt aus Kundinnensicht vollständig ersetzt, sodass, jedenfalls bei gleichen Preisen, sämtliche Kundinnen und Kunden zum innovativen Produkt hinüberwechseln.335 Die grundlegende Hervorhebung der Bedeutung von Kannibalisierungseffekten für die Innovationsanreize von Unternehmen geht zurück auf Arrow.336 Dieser hat in einem viel beachteten Aufsatz von 1962 mittels eines theoretischen Modells herausgearbeitet, dass und unter welchen Umständen ein Unternehmen, das intensivem Wettbewerb ausgesetzt ist, stärkere Innovationsanreize haben kann als ein Monopolist.337 Dahinter stehen folgende Überlegungen: Ein Monopolist generiert weitaus höhere Umsätze und Gewinne als Unternehmen, die auf einem durch vollkommene Konkurrenz gekennzeichneten Markt tätig sind, oder solche, die ihren Marktzutritt erst vorbereiten. Im Falle der Einführung einer Innovation entstehen dem Monopolisten Kosten infolge von Kan331 Vgl. Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 39; Chandy/Tellis, Journal of Marketing Research 1998, Bd. 35, Nr. 4, 474, 477. 332 Vgl. Chandy/Tellis, Journal of Marketing Research 1998, Bd. 35, Nr. 4, 474, 477. 333 Vgl. Chandy/Tellis, Journal of Marketing Research 1998, Bd. 35, Nr. 4, 474, 477. 334 Vgl. hierzu an dieser Stelle nur Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 130–132; siehe auch Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 39 f. 335 Vgl. hierzu Siebert, The Introduction of New Product Qualities by Incumbent Firms, 2003; zur Abgrenzung zwischen horizontaler und vertikaler Produktdifferenzierung siehe etwa Woeckener, Strategischer Wettbewerb, 2014, S. 16 f. 336 Siehe etwa Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 40; vgl. auch Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129. 337 Arrow in: NBER, The Rate and Direction of Inventive Activity, 1962, S. 609–626.
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nibalisierungseffekten, um welche sich die mit der Innovation erzielbaren Gewinne reduzieren. Die anderen Unternehmen erwirtschaften dagegen geringere oder (noch) gar keine kannibalisierbaren Umsätze. Von der Einführung der Innovation können sie sich daher höhere Gewinne versprechen als der Monopolist.338 Tirole und andere sprechen – unter Bezugnahme auf Arrow – auch davon, dass sich der Monopolist selbst ersetzt, und von einem Replacement Effect.339 Treffend zusammengefasst finden sich die vorstehenden Überlegungen bei Gilbert: „The incentives to invest in R&D increase with the profits that a firm can earn or protect by innovating and decrease with the profits that a firm can earn if it does not innovate.“340 Aus den modelltheoretischen Erkenntnissen von Arrow folgt allerdings nicht zwingend, dass marktmächtige Unternehmen generell geringere Innovationsanreize haben als andere. Dem ist bereits entgegenzuhalten, dass Arrow in seinem Modell eine Vielzahl von Annahmen trifft, die nicht unbedingt auch in der Realität gegeben sind.341 Dass Kannibalisierungseffekte bei marktmächtigen Unternehmen eine größere Rolle spielen können als bei anderen Unternehmen, leuchtet zwar durchaus ein.342 Sie sind aber nur ein Gesichtspunkt unter vielen, der für die Frage der Innovationsanreize unterschiedlicher Unternehmen eine Rolle spielen kann.
2. Die Aneignung von Erträgen aus Innovationstätigkeiten Die Anreize eines Unternehmens zur Vornahme von Innovationstätigkeiten hängen, wie beschrieben, davon ab, ob das Unternehmen von der Rentabilität der Innovationstätigkeiten ausgehen kann. Hierzu muss es die Aussicht haben, mit der jeweils anvisierten Innovation hinreichend hohe Gewinne erzielen zu können. Die mit einem innovativen Produkt erzielbaren Umsätze müssen nicht nur dessen Herstellungskosten decken, sondern auch die Kosten der zu seiner Hervorbringung erforderlichen Innovationstätigkeiten. Damit sind bestimmte Erwartungen des betreffenden Unternehmens an die Intensität des zukünftigen (statischen) Produktmarktwettbewerbs angesprochen. Dieser darf nicht derart 338 Siehe zu den Überlegungen auf der Grundlage des Modells von Arrow auch Tirole, The Theory of Industrial Organization, 1988, S. 390–392; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 575; Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 578 f.; siehe ferner Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 39 f. 339 Tirole, The Theory of Industrial Organization, 1988, S. 392; siehe auch Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 165. Von einem „Replacement Effect“ oder „Arrow Effect“ spricht auch Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 578 f.; siehe hierzu auch Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 45–53. 340 Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 204. 341 Siehe hierzu etwa Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 575; Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 165–167; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 45–53. 342 So auch etwa Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 40.
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intensiv sein, dass der Preis, welchen das Unternehmen für sein innovatives Produkt verlangen kann, in die Nähe der Grenzkosten gedrückt wird. Denn dann decken die verbleibenden Gewinne die Innovationsausgaben womöglich nicht. Die Innovationstätigkeiten wären nicht rentabel. Je intensiver der zukünftige Produktmarktwettbewerb und der sich dort einstellende Preisdruck nach den Erwartungen des Unternehmens sind, desto geringer fallen dessen Innovationsanreize aus. Im Extremfall hat das Unternehmen gar keine Innovationsanreize.343 Für das Bestehen von Innovationsanreizen muss ein Unternehmen also davon ausgehen können, dass es für sein innovatives Produkt im zukünftigen Wettbewerb einen Preis festsetzen kann, der oberhalb der Grenzkosten der Herstellung dieses Produkts liegt. Hat ein Unternehmen die Fähigkeiten und Anreize zur Festsetzung eines solchen Preises, ist es im ökonomischen (neoklassischen) Sinne als marktmächtig anzusehen.344 Innovationsanreize setzen folglich die Aussicht auf ein hinreichendes Maß an (vorübergehender) Marktmacht voraus. Hier kommt der mögliche Zielkonflikt bei der Herstellung statischer und dynamischer Effizienz zum Ausdruck.345 Innovationsanreize und damit dynamische Effizienz gehen einher mit der Erwartung einer Einschränkung der statischen, namentlich allokativen, Effizienz im zukünftigen Wettbewerb.346 Diese Überlegungen werden vor allem mit Schumpeter in Verbindung gebracht.347 In dessen Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie heißt es hierzu: „Die Einführung neuer Produktionsmethoden und neuer Waren ist bei einer von Anfang an vollkommenen – und ganz sofortigen – Konkurrenz kaum denkbar. Dies bedeutet aber, daß die große Masse dessen, was wir wirtschaftlichen Fortschritt nennen, hiermit nicht vereinbar ist. Falls etwas Neues eingeführt wird, wird stets – heute so gut wie in früheren Zeiten – die vollkommene Konkurrenz zeitweilig aufgehoben, entweder automatisch oder durch besondere, zweckbestimmte Maßnahmen, selbst dann, wenn im übrigen die Bedingungen der vollkommenen Konkurrenz maßgebend sind.“348
343 Vgl. hierzu etwa Lüken, Innovationen und asymmetrische Besteuerung, 2016, S. 21 f.; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 66; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 182; Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 636 f. 344 Zur ökonomischen (auf dem neoklassischen Modellspektrum basierenden) Definition von Marktmacht siehe auch etwa Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 20, 26 f.; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 53; Daskin/Wu, Antitrust Magazine 2005, Bd. 19 Nr. 3, 53, 54; OECD, Glossary of Industrial Organisation Economics and Competition Law, 1993, S. 57. 345 Siehe hierzu bereits oben, unter A.II.3. 346 Siehe hierzu etwa Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 66; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 63, 66. 347 So etwa bei Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organiza tion, Bd. 2, 1989, S. 1074; Winter, Research Policy 2006, Bd. 35, Nr. 8, 1100, 1101; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 182; Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 363. 348 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 145.
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Eine prominente Rekapitulation dieser Überlegungen aus jüngerer Zeit findet sich etwa bei Thiel und Masters: „Monopolies drive progress because the promise of years or even decades of monopoly profits provides a powerful incentive to innovate. […] Monopoly is the condition of every successful business.“349
Ausgangspunkt der für die Innovationsanreize eines Unternehmens erforderlichen (zukünftigen) Marktmacht ist die innovationsbedingte Überlegenheit seines Angebots auf dem zukünftigen Produktmarkt. Führt ein Unternehmen ein innovatives Produkt ein, das den anderen Produkten auf dem betroffenen zukünftigen Markt innovationsbedingt überlegen ist, werden die Nachfragerinnen und Nachfrager auf diesem Markt dazu bereit sein, einen über den Herstellungskosten liegenden Preis für das innovative Produkt zu zahlen. Durch die Überlegenheit seines Produkts erlangt das innovierende Unternehmen einen Vorsprung vor seinen (zukünftigen) Wettbewerbern. Von diesen Wettbewerbern geht dann nur ein geringer Preisdruck auf das innovierende Unternehmen aus. Das innovierende Unternehmen kann sogenannte Pioniergewinne vereinnahmen. Für die Begründung von Innovationsanreizen ist nun entscheidend, wie lange ein innovierendes Unternehmen seine Angebotsüberlegenheit und die dadurch begründete Marktmacht aufrechterhalten kann, bevor seine (zukünftigen) Wettbewerber aufschließen und den Wettbewerbsvorsprung ausgleichen.350 Hiermit angesprochen ist das Problem der Aneigenbarkeit (Appropriability) der Erträge aus der fraglichen Innovation beziehungsweise aus den erforderlichen Innovationstätigkeiten.351 Die (zukünftigen) Wettbewerber eines innovierenden Unternehmens können zu diesem aufschließen und seinen Vorsprung ausgleichen, indem sie die fragliche Innovation imitieren oder eine entsprechende eigene (Parallel-)Inno349 Thiel/Masters, Zero to One, 2014, S. 33 f. (Hervorhebung ausgelassen); kritisch hierzu etwa Lee, How Peter Thiel Repackaged Conventional Wisdom as Bold Contrarianism, Vox, 30. November 2014. 350 Vgl. zum Ganzen auch etwa Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 57–59; vgl. ferner Burk/Lemley, The Patent Crisis and How the Courts Can Solve It, 2009, S. 42–44. 351 Siehe hierzu beispielsweise Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, wo es heißt: „To have the incentive to undertake research and development, a firm must be able to appropriate returns sufficient to make the investment worthwhile.“ Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 675, beschreibt die Aneigenbarkeit von Erträgen aus Innovationstätigkeiten als „the ability of an innovator to capture the social value of its invention by limiting imitation by competing firms“. Siehe ferner Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 367; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 140 f., 182; Pisano/Teece, California Management Review 2007, Bd. 50, Nr. 1, 278; Winter, Research Policy 2006, Bd. 35, Nr. 8, 1100; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 36–39; Dosi in: Dosi, Innovation, Organization and Economic Dynamics, 2000, S. 119.
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vation hervorbringen.352 Die Imitation einer Innovation ist grundsätzlich möglich, weil Wissen, das eine Innovation ja im Kern ausmacht, Eigenschaften eines öffentlichen Guts aufweist, nämlich Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität. Diese beiden Eigenschaften unterscheiden Wissen beispielsweise von physischen Gütern. Wissen steht, einmal hervorgebracht und offengelegt, grundsätzlich allen zur Verfügung. Dritte können von der Nutzung einmal offengelegten Wissens nicht ausgeschlossen werden. Zudem verbraucht die Nutzung von Wissen dieses Wissen nicht. Dasselbe Wissen kann unbegrenzt weiter genutzt werden, ohne dass dadurch weitere als die für seine ursprüngliche Hervorbringung angefallenen Kosten entstünden.353 Haben Wettbewerber unbeschränkten Zugriff auf das Wissen eines innovierenden Unternehmens, können sie Konkurrenzprodukte zu dessen innovativem Produkt herstellen und weitaus günstiger anbieten, da sie keine eigenen Innovationsausgaben amortisieren müssen. Das innovierende Unternehmen ist dann langfristig nicht wettbewerbsfähig und wird aus dem Markt verdrängt.354 Dasselbe gilt im Grundsatz, wenn die Wettbewerber eines innovierenden Unternehmens nicht dessen ursprüngliche Innovation imitieren, sondern eine Parallelinnovation entwickeln. Zwar haben sie dann ebenfalls Innovationsausgaben zu tragen. Dennoch profitieren sie häufig davon, die ursprüngliche Innovation als Vorbild heranziehen zu können. So müssen sie etwa nicht eigens das Nachfragepotential für ein entsprechendes innovatives Produkt eruieren, sondern können gegebenenfalls auf Erfahrungen des ursprünglichen innovierenden Unternehmens zurückgreifen.355 Aus den vorgenannten Gründen bedarf es verschiedener Aneignungsmechanismen, welche das Aufschließen von Wettbewerbern durch Imitation oder parallele Innovation verhindern beziehungsweise verzögern. Mithilfe derartiger Mechanismen soll ausgeschlossen werden, dass die (zukünftigen) Wettbewerber eines innovierenden Unternehmens die Möglichkeit zum Trittbrettfahren (Free Riding) im Hinblick auf dessen Innovationstätigkeiten haben.356 Sie sollen die (unfreiwilligen) Wissensabflüsse an Wettbewerber, auch als technologische Spillovers bezeichnet, verringern beziehungsweise die Internalisierung der 352 Vgl. etwa Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1 19. 353 Siehe Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 117 f.; vgl. aber auch Nel-
son, Science, Technology, & Human Values 1989, Bd. 14, Nr. 3, 229, 232 f., der im Rahmen von Innovationstätigkeiten hervorgebrachtes Wissen nach bestimmten Eigenschaften differenziert und teilweise als öffentliches, teilweise als privates Gut charakterisiert. Mit differenzierten Ausführungen hierzu auch etwa Metcalfe in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to NeoSchumpeterian Economics, 2007, S. 953. 354 Vgl. Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 117 f. 355 Vgl. hierzu etwa Lüken, Innovationen und asymmetrische Besteuerung, 2016, S. 14. 356 Vgl. etwa Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 623; zum sogenannten Trittbrettfahrerproblem bei öffentlichen Gütern siehe auch Schäfer/ Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2020, S. 86 f.; Conrad, Wirtschaftspolitik, 2020, S. 150 f.
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darin liegenden externen Effekte ermöglichen.357 So tragen sie dazu bei, dass das innovierende Unternehmen eine hinreichende Aussicht auf Marktmacht und die Möglichkeit zur Aneignung der Erträge aus seinen Innovationstätigkeiten hat, und damit schließlich über Innovationsanreize verfügt. Aneignungsmechanismen sind beispielsweise Immaterialgüterrechte, insbesondere Patente.358 Mit ihnen und anderen Mechanismen beschäftigen sich die folgenden Abschnitte.359
a) Ertragsaneignung durch Patente Immaterialgüterrechte stellen den wohl prominentesten Aneignungs- und Anreizmechanismus dar.360 Kerber spricht insofern auch vom „ökonomische[n] Anreizparadigma in der Diskussion um das Geistige Eigentum“361. Innerhalb der Immaterialgüterrechte spielt namentlich das Patentsystem mit seinem Technikbezug eine hervorgehobene Rolle für den Schutz von Innovationen.362 Ein Patent stellt die Aneigenbarkeit von Erträgen aus Innovationstätigkeiten her, indem es dem Innovator für den Zeitraum seiner Lebensdauer ein Exklusivrecht 357
Zu technologischen Spillovers siehe etwa Ordover, Antitrust Law Journal 1984, Bd. 53, Nr. 3, 503, 505; Katz/Ordover, Brookings Papers on Economic Activity 1990, Bd. 21, Microeconomics, 137, 138; Bondt, International Journal of Industrial Organization 1997, Bd. 15, Nr. 1, 1; Frischmann/Lemley, Columbia Law Review 2007, Bd. 107, Nr. 1, 257, 258–268. 358 Aus dem Schrifttum zur Rechtfertigung und Ausgestaltung von Immaterialgüterrechten siehe hier etwa Scotchmer, Innovation and Incentives, 2006; insbesondere zum Patentrecht siehe Machlup, An Economic Review of the Patent System, 1958; Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 116–119; zum Urheberrecht siehe etwa Breyer, Harvard Law Review 1970, Bd. 84, Nr. 2, 281; Landes/Posner, The Journal of Legal Studies 1989, Bd. 18, Nr. 2, 325; Hoffmann-Riem in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019, S. 13 f. 359 Nicht weiter eingegangen wird auf Anreizmechanismen, die nicht direkt eine Einschränkung zukünftigen (Imitations-)Wettbewerbs betreffen. Hierzu gehört etwa die Auslobung von Prämien (im Englischen meist Prizes) für erfolgreiche Innovationen, siehe hierzu Scotchmer, Innovation and Incentives, 2006, S. 40–59; Shavell/Ypersele, The Journal of Law & Economics 2001, Bd. 44, Nr. 2, 525; Wright, The American Economic Review 1983, Bd. 73, Nr. 4, 691; kritisch etwa Spulber, Prices versus Prizes, 2014. Angesichts des mit öffentlichen Gütern einhergehenden Anreizproblems bei Privaten kann der Staat natürlich auch selbst (finanziert durch Steuereinnahmen) direkt in Innovationstätigkeiten investieren, wie es etwa über staatliche und staatlich geförderte Forschungseinrichtungen geschieht, vgl. hierzu Ordover, Antitrust Law Journal 1984, Bd. 53, Nr. 3, 503, 509; Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 118; Kerber, ZGE 2013, 245, 253 f. 360 Vgl. etwa Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 188 f.; Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 118 f.; Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 621–624; Ordover, Antitrust Law Journal 1984, Bd. 53, Nr. 3, 503, 507. 361 Kerber, ZGE 2013, 245, 246. 362 Vgl. Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 118; Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 193 f.; siehe auch Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 165, der ausführt: „To the would-be inventor, the prospect of a patent represents the expectation of ex-post market power that Schumpeter claimed was an essential spur to innovation“.
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an dessen Innovation beziehungsweise dem zugrundeliegenden Wissen, der Erfindung, zubilligt.363 Allein der Innovator ist dann zur Nutzung dieses Wissens und insbesondere zu dessen Vermarktung berechtigt (sei es im Wege der Lizenzierung oder des Vertriebs von Produkten, welche die Innovation verkörpern). Dritte dürfen das Wissen nur mit Zustimmung des Innovators nutzen – welche der Innovator in aller Regel von der Erbringung einer Gegenleistung abhängig machen wird. Sie können daher nicht mit dem oben beschriebenen Kostenvorteil auf dem zukünftigen Produktmarkt in Wettbewerb zu dem Innovator treten und geringere Preise verlangen. Der Innovator soll so in die Lage versetzt werden, bei der Verwertung seiner Innovation Gewinne zu vereinnahmen, welche ihm die Amortisation seiner Innovationsausgaben erlauben.364 Die Wirkungsweise des Patentsystems ist hier freilich stark vereinfacht dargestellt. Als Aneignungsmechanismus unterliegt es der wichtigen Einschränkung, dass ein Patent lediglich die direkte Imitation einer Innovation ausschließt, nicht aber die Entwicklung von Parallelinnovationen. Den einem Innovator gewährten Patentschutz können (zukünftige) Wettbewerber unter Umständen umgehen, indem sie durch sogenanntes Designing- oder Inventing-Around eigene Problemlösungen hervorbringen, ohne das Patent des ursprünglichen Innovators zu verletzen.365 So kann es trotz bestehenden Patentschutzes zu SpilloverEffekten kommen.366
363 Der genaue Gegenstand eines Patents und dessen Schutzumfang müssen an dieser Stelle nicht interessieren. 364 Zur im vorstehenden Absatz beschriebenen, grundlegenden Wirkungsweise des Patentsystems siehe nur Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 622–624; hierzu und zu weiteren Funktionen des Patentsystems siehe auch Spulber, Journal of Competition Law & Economics 2015, Bd. 11, Nr. 2, 271. Dass das Patentsystem aus wohlfahrtsökonomischer Perspektive auch negative Auswirkungen hat und insgesamt ein allenfalls unvollkommenes Werkzeug zur Lösung des beschriebenen Anreizproblems bereitstellt, ist hinlänglich bekannt und muss hier nicht vertieft werden. Zur grundsätzlichen Problematik der Erzeugung von Wohlfahrtsverlusten (Deadweight Losses) durch das Patentsystem siehe nur Scotchmer, Innovation and Incentives, 2006, S. 36 f.; für weitere Kritik vgl. etwa Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2007, Bd. 8, 111–156; Boldrin/Levine, Journal of Economic Perspectives 2013, Bd. 27, Nr. 1, 3; Kerber, ZGE 2013, 245, 249, 255 f.; Mazzoleni/Nelson, Research Policy 1998, Bd. 27, Nr. 3, 273. Zu den wichtigen Problematiken des Patentsystems gehört etwa auch der Umgang mit kumulativer oder sequentieller Innovation, siehe hierzu Scotchmer, Journal of Economic Perspectives 1991, Bd. 5, Nr. 1, 29; Scotchmer, Innovation and Incentives, 2006, S. 127–159; Bessen/Maskin, RAND Journal of Economics 2009, Bd. 40, Nr. 4, 611; Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 119 f.; Kerber, ZGE 2013, 245, 258. 365 Siehe hierzu etwa Katznelson/Howells, Journal of Competition Law & Economics 2021, Bd. 17, Iss 4, 1007–1052; Lemley, Texas Law Review 1997, Bd. 75, 989. 366 Vgl. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 624; Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 784, 802 f.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
b) Weitere Aneignungsmechanismen Neben dem Patentsystem, und Immaterialgüterrechten insgesamt, existieren weitere Mechanismen, die technologische Spillovers verringern, den Ausgleich des Vorsprungs eines Innovators durch Wettbewerber erschweren oder verzögern, und so für Innovationsanreize sorgen.367 Hier sind zunächst Informationsasymmetrien zwischen einem Innovator und seinen (zukünftigen) Wettbewerbern zu nennen.368 Letztere müssen von einer Innovation und dem ihr zugrundeliegenden, neu hervorgebrachten Wissen natürlich zunächst einmal Kenntnis erlangen.369 Vielfach führen Unternehmen ihre Innovationstätigkeiten allerdings unter Geheimhaltung durch. Existenz, Zielrichtung sowie Erfolge von Forschungsprojekten werden mitunter nicht öffentlich kommuniziert.370 Auch involvierte Mitarbeitende erhalten häufig nur zu solchen Informationen Zugang, die sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen,371 und müssen sich zur Verschwiegenheit verpflichten.372 Da das Patentrecht – gleichsam im Gegenzug für die Schutzgewährung – eine Offenlegung des zu schützenden Wissens verlangt,373 verzichten Unternehmen mitunter auch bewusst auf an sich mögliche Patentanmeldungen. Stattdessen bedienen sie sich dann etwa der rechtlichen Instrumente zum Schutz von Know-how beziehungsweise Geschäftsgeheimnissen.374 Solche Strategien kommen namentlich dann in Betracht, wenn die Geheimhaltung des relevanten Wissens auch nach der Markteinführung eines innovativen Produkts noch möglich ist.375 Ausschlaggebend hierfür ist vor allem, ob sich anhand eines Produkts das für dessen Herstellung erforderliche Wissen und 367 Vgl. nur Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 815 f.; Metcalfe in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to NeoSchumpeterian Economics, 2007, S. 949 f. 368 Vgl. Kerber, ZGE 2013, 245, 250; Kwoka in: Nihoul/Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 18. Mit Informationsasymmetrien im Hinblick auf Innovationen beschäftigt sich in etwas anderem Zusammenhang auch etwa Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 221–225. 369 Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 626. 370 Vgl. etwa Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 35. 371 Zu diesem sogenannten „Need-to-know-Prinzip“ siehe Maaßen, GRUR 2019, 352, 357. 372 Vgl. Maaßen, GRUR 2019, 352, 359; Ohly, GRUR 2019, 441, 444; McGuire, GRUR 2015, 424, 426. 373 Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 118 f.; vgl. auch McGuire, GRUR 2016, 1000, 1004; Busche, GRUR 2021, 157, 157 f.; zur sogenannten Offenbarungsoder Vertragstheorie (als einer der Patentrechtstheorien) siehe auch Osterrieth, Patentrecht, 2015, Rn. 18; Beier, GRUR 1977, 282. 374 Vgl. McGuire, GRUR 2015, 424, 425; vgl. auch Boldrin/Levine, Journal of Economic Perspectives 2013, Bd. 27, Nr. 1, 3, 9. In Deutschland ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen seit 2019 im GeschGehG geregelt. 375 Vgl. McGuire, GRUR 2015, 424, 425; Moser, Why Don’t Inventors Patent?, 2007, S. 1 f.
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damit auch das Produkt selbst rekonstruieren lassen und welchen Aufwand ein solches Reverse Engineering erfordert.376 Leicht nachvollziehbar kann etwa die Zusammensetzung bestimmter Produkte der Pharma- oder Chemieindustrie sowie von technischen Geräten sein.377 Derartige Produkte werden als „selfdisclosing“378 bezeichnet. Cantner spricht hier von diskreten – im Gegensatz zu komplexen – Innovationen.379 Möglich ist aber auch, dass ein Reverse Engineering nur mit allzu hohem Aufwand oder überhaupt nicht durchführbar ist, so etwa im Falle besonders komplizierter chemischer Zusammensetzungen.380 Als Beispiel wird in diesem Zusammenhang häufig angeführt, dass die CocaCola Company das Rezept für ihre Coca-Cola seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erfolgreich geheim hält.381 Möglich sei dies deshalb, weil es bislang nicht gelinge, die enthaltenen ätherischen Öle zu bestimmen.382 Ergreifen die Wettbewerber eines Innovators Maßnahmen zur Überwindung der zugunsten des Letzteren bestehenden Informationsasymmetrien, ist dies häufig mit nicht geringen Kosten verbunden.383 Je höher diese Kosten sind, desto weniger profitieren die Wettbewerber gegenüber dem Innovator davon, dass sie nicht dieselben kostspieligen Innovationstätigkeiten durchführen mussten wie dieser. Zu solchen Maßnahmen gehört beispielsweise die sogenannte Competitive Intelligence, die (auch) dazu dienen kann, Informationen über etwaige (an sich geheime) Innovationstätigkeiten zu erlangen.384 Auch das soeben angesprochene Reverse Engineering ist hier zu nennen, das etwa hohe Kosten verursachen kann, wenn es den Einsatz besonders qualifizierten Fachpersonals erfordert.385 Insgesamt gilt, dass auch die bloße Imitation von Inno376 Vgl. Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 126; Moser, Why Don’t Inventors Patent?, 2007, S. 1 f. 377 Vgl. Nelson, Science, Technology, & Human Values 1989, Bd. 14, Nr. 3, 229, 234; siehe hierzu auch McGuire, GRUR 2016, 1000, 1005. 378 Lemley, Stanford Law Review 2008, Bd. 61, Nr. 2, 311, 313; siehe auch McGuire, GRUR 2016, 1000, 1005. 379 Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 126. 380 Hippel, Research Policy 1982, Bd. 11, Nr. 2, 95, 103; vgl. auch Moser, Annual Review of Economics 2016, Bd. 8, 241, 250. 381 Siehe etwa Moser, Why Don’t Inventors Patent?, 2007, S. 1; Hippel, The Sources of Innovation, 1988, S. 54; Engel in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008 S. 44 f.; Burk/Lemley, The Patent Crisis and How the Courts Can Solve It, 2009, S. 42; Cooter, The Falcon’s Gyre, 2014, S. 2.6 f.; McGuire, GRUR 2015, 424, 425 Fn. 27; Arens, GWR 2019, 375, 377. 382 Engel in: Eifert/Hoffmann-Riem, Geistiges Eigentum und Innovation, 2008 S. 45. 383 Siehe zu sogenannten Imitationskosten etwa Mansfield/Schwartz/Wagner, The Economic Journal 1981, Bd. 91, Nr. 364, 907. 384 Siehe hierzu McGuire, GRUR 2016, 1000, 1001; Calof/Wright, European Journal of Marketing 2008, Bd. 42, Nr. 7–8, 717; Wurzer, CCZ 2009, 49, 53; Hofer/Weiß, Wirtschaftsund Industriespionage, 2016, S. 17–20. 385 Nach Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 811, ist Reverse Engineering etwa in Industrien kostspielig, die sich durch besonders komplexe Produkte auszeichnen.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
vationen mit umfangreichen, kostenintensiven Entwicklungstätigkeiten verbunden sein kann. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich von einem Innovator nur grundlegende Konzepte übernehmen lassen, auf diesen aufbauend dann aber etwa komplexe Verfahren zur Herstellung oder Überprüfung von Produkten zu implementieren sind.386 Über solche Entwicklungstätigkeiten hinaus kann die Imitation einer Innovation auch umfangreiche Absorptive Capacities aufseiten eines potentiellen Imitators notwendig machen, ohne die Letzterer nicht in der Lage ist, extern, durch einen Innovator generiertes Wissen für sich zu nutzen.387 Diese Absorptionsfähigkeiten hängen, wie dargestellt, vom vorhandenen Wissensbestand des Imitators ab.388 Dieser muss also, um Absorp tionsfähigkeiten zu entwickeln, möglicherweise zunächst selbst ebenfalls kostspielige F&E-Tätigkeiten durchführen.389 Außerdem kann es vorkommen, dass ein großer Teil des für die Herstellung eines neuen Produkts oder die Implementierung eines neuen Prozesses erforderlichen Wissens am besten originär im jeweiligen Unternehmen ausgebildet wird, und ein derivativer Erwerb dieses Wissens von einem Innovator durch potentielle Imitatoren kaum möglich ist.390 Auf diese Weise unternehmensspezifisch ist vor allem Wissen, welches die Einstellung interner Abläufe auf neue Produkte oder Prozesse betrifft und allein im Wege praktischer Erfahrung und durch individuelle Lernprozesse (einschließlich eines Learning by Doing)391 gewonnen werden kann.392 Es kann sich bei solchem Wissen zudem um implizites handeln, also Wissen, das nicht ohne Weiteres in artikulierbaren Signalen darzustellen und daher schwerlich an Imitatoren zu übertragen ist (unabhängig davon, ob der Innovator einvernehmlich mitwirkt oder nicht).393 Soweit nun für eine Innovation relevante Wissensbestandteile einem derivativen Erwerb nicht oder kaum zugänglich sind, bedarf es zur Imitation der fraglichen Innovation eigenständiger Wissensgenerierung durch den Imitator – was wiederum Kosten verursacht.394 Diese Wissensgenerierung kann natürlich auch darin bestehen, 386 Vgl.
Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 626. 387 Vgl. Cohen/Levinthal, The Economic Journal 1989, Bd. 99, Nr. 397, 569. 388 Zu Absorptive Capacities bereits Kapitel 1.B.II.1. 389 Vgl. auch Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 122. 390 Vgl. Nelson, Science, Technology, & Human Values 1989, Bd. 14, Nr. 3, 229, 233. 391 Siehe hierzu Arrow, The Review of Economic Studies 1962, Bd. 29, Nr. 3, 155. 392 Vgl. Dosi, Journal of Economic Literature 1988, Bd. 26, Nr. 3, 1120, 1131; Dosi in: Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988, S. 224. 393 Cantner in: FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 122. Das Konzept des impliziten Wissens (Tacit Knowledge) geht zurück auf Polanyi, Implizites Wissen, 1985 (erstmals erschienen 1966), der prägnant auch von Wissen spricht, „das sich nicht in Worte fassen läßt“, S. 17; siehe hierzu auch Powell/Grodal in: Fagerberg/Mowery/Nelson, The Oxford Handbook of Innovation, 2005, S. 74–77. 394 Vgl. Dosi, Journal of Economic Literature 1988, Bd. 26, Nr. 3, 1120, 1140; Cantner in:
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Trägerinnen und Träger entsprechenden Wissens von anderen Organisationen zu gewinnen, also Personal abzuwerben.395
c) Insbesondere: First-Mover Advantages Einen weiteren wichtigen Aneignungs- und Anreizmechanismus können sogenannte First-Mover Advantages darstellen.396 Gemeint sind damit Vorteile, die einem Innovator gerade daraus erwachsen, dass er bei der Einführung einer Innovation beziehungsweise eines diese enthaltenden, innovativen Produkts einen zeitlichen Vorsprung (Head Start) vor seinen (zukünftigen) Wettbewerbern hat.397 First-Mover Advantages resultieren zumeist aus Umständen, aufgrund derer der Marktzutritt für nachziehende Wettbewerber mit höheren Kosten verbunden ist als für den voranschreitenden Innovator.398 Insofern haben sie ihre Grundlage in Marktzutrittshindernissen zulasten der nachziehenden Wettbewerber.399 Diese Marktzutrittshindernisse können struktureller oder strategischer Art sein.400 Strategische Marktzutrittshindernisse werden, im Gegensatz zu strukturellen, durch bereits auf dem betreffenden Markt tätige Unternehmen, hier also den Innovator, bewusst erzeugt.401 Die aus Marktzutrittshindernissen folgenden Kostenvorteile helfen dem Innovator dabei, auch mit Preisen oberhalb seiner Grenzkosten wettbewerbsfähig zu bleiben.402 Unter Umständen schrecken sie potentiell nachziehende Wettbewerber sogar ganz vom Marktzutritt ab.403 Solange derartige First-Mover Advantages ihre Wirkung entfalten, verfügt der Innovator über Marktmacht und kann Gewinne zur Deckung seiner Innovationsausgaben erwirtschaften.404 Einige wichtige First-Mover Advantages werden im Folgenden aufgezählt. FIW, Innovation und Wettbewerb, 2010, S. 122; vgl. hierzu auch Spulber, International Journal of Industrial Organization 2012, Bd. 30, Nr. 6, 641. 395 Vgl. Dosi, Journal of Economic Literature 1988, Bd. 26, Nr. 3, 1120, 1131. 396 Vgl. Scherer, The Journal of Technology Transfer 2015, Bd. 40, Nr. 4, 559, 560. 397 Vgl. Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41; Rochlin, Hunter or Hunted?, 2006, S. 124; Kerber, ZGE 2013, 245, 250; Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 816; Scherer, The Journal of Technology Transfer 2015, Bd. 40, Nr. 4, 559, 560. 398 Vgl. Kerin/Varadarajan/Peterson, Journal of Marketing 1992, Bd. 56, Nr. 4, 33, 34; Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 7. 399 Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 7. 400 Siehe nur Gey, Potentieller Wettbewerb und Marktbeherrschung, 2004, S. 62. Daneben gibt es auch noch institutionelle oder rechtliche Marktzutrittshindernisse, auf die hier aber nicht weiter eingegangen wird. 401 Gey, Potentieller Wettbewerb und Marktbeherrschung, 2004, S. 62; Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 7. 402 Vgl. Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41, 42 f. 403 Vgl. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 627. 404 Vgl. Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
First-Mover Advantages treten, das sei vorab angemerkt, nicht in jedem Fall eines Head Start auf.405 Denkbar ist auch, dass bestimmte Vorteile gerade erst einem Second Mover zukommen, der nach einem voranschreitenden Innovator in den relevanten Markt eintritt. Ein Beispiel wäre, dass der Innovator mit seinem innovativen Produkt noch auf wenig Akzeptanz trifft und daher zunächst nur eine Marktnische besetzen kann, und erst der Second Mover anschließend den Massenmarkt für sich gewinnt.406 In eine ähnliche Richtung weisen auch die in der Literatur ebenfalls diskutierten First-Mover Disadvantages, also Umstände, die Innovatoren Nachteile gegenüber nachziehenden Wettbewerbern verschaffen können.407
aa) Skalen-, Lern- und Reputationseffekte Zugutekommen können einem Innovator als erstem Anbieter auf einem Markt beispielsweise Kostenvorteile infolge von Skaleneffekten in der Produktion, die dadurch entstehen, dass die Stückkosten mit steigender Ausbringungsmenge sinken.408 Beginnt der Innovator mit der Produktfertigung vor etwaigen nachziehenden Wettbewerbern, kann er günstiger produzieren als diese.409 Ähnliche Vorteile für den Innovator können sich ergeben, wenn die Herstellung eines neuen Produkts oder der Einsatz eines neuen Prozesses wichtige Lerneffekte generieren, welche die Fähigkeiten eines Unternehmens im Umgang mit der Innovation zunehmend verbessern.410 So lassen sich eventuell mit zunehmender Erfahrung bei der Herstellung eines neuen Produkts wiederum die Herstellungskosten je Produkteinheit senken. Auch im Hinblick auf die Entwicklung entlang der Lern- oder Erfahrungskurve mündet ein zeitlicher Vorsprung des Innovators dann in Kostenvorteilen gegenüber nachziehenden Wettbewerbern.411 Zu nennen sind außerdem Reputationsgewinne, welche dem Innovator daraus erwachsen können, dass er ein innovatives Produkt gerade als erster auf 405
121.
406
Siehe hierzu auch etwa Suarez/Lanzolla, Harvard Business Review 2005, Bd. 83, Nr. 4,
Vgl. hierzu Markides/Geroski, Fast Second, 2005, S. 55. etwa Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41, 47–49; Mueller, International Journal of Industrial Organization 1997, Bd. 15, Nr. 6, 827, 840 f.; Rayna/Striukova, International Journal of Collaborative Enterprise 2009, Bd. 1, Nr. 1, 4. 408 Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 9; siehe auch Gey, Potentieller Wettbewerb und Marktbeherrschung, 2004, S. 63 f. 409 Vgl. Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 9. 410 Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 41; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 63; Mueller, International Journal of Industrial Organization 1997, Bd. 15, Nr. 6, 827, 839. Derartige Lerneffekte stellen einen Unterfall der Skaleneffekte dar, Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 9; vgl. auch Spence, The Bell Journal of Economics 1981, Bd. 12, Nr. 1, 49, 68. 411 Scherer, The Journal of Technology Transfer 2015, Bd. 40, Nr. 4, 559, 561; siehe hierzu auch Spence, The Bell Journal of Economics 1981, Bd. 12, Nr. 1, 49. 407 Siehe
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den Markt bringt.412 Mithilfe einer First-to-Market-Strategie,413 einschließlich der passenden Werbemaßnahmen, kann sich ein Innovator möglicherweise ein positives Image als Pionier- oder Originalanbieter aufbauen, aufgrund dessen Kundinnen und Kunden seine Produkte auch gegenüber günstigeren Produkten später auftretender Wettbewerber bevorzugen.414
bb) Sicherung von Produktionsfaktoren und Marktsegmenten Als erster Anbieter auf einem Markt profitiert ein Innovator gegebenenfalls auch vom früheren Zugang zu Produktionsfaktoren, die – zu ebenso günstigen Bedingungen – nur einer sehr begrenzten Zahl von Unternehmen offenstehen. So kann er sich etwa exklusiven Zugriff auf bestimmte Vorleistungen oder Lizenzen zur Nutzung fremder Immaterialgüterrechte oder die attraktivsten Vertriebskanäle sichern.415 Marktzutrittshindernisse und damit First-Mover Advantages können ferner Resultat der Produktdifferenzierung durch einen Innovator sein. Dieser kann als erster Anbieter auf einem Markt die Eigenschaften seines innovativen Produkts etwa derart ausgestalten, dass er die attraktivsten Kundinnensegmente mit der höchsten Zahlungsbereitschaft für sich beansprucht.416
cc) Wechselkosten und Netzwerkeffekte Zu möglichen First-Mover Advantages, die durch Bedingungen auf der Nachfrageseite induziert sind, gehören zum Beispiel sogenannte Wechselkosten (Switching Costs),417 also Nachteile die den Kundinnen und Kunden eines Innovators durch einen Wechsel zu nachziehenden Wettbewerbern entstünden.418 Solche Nachteile können etwa darin bestehen, dass Kundinnen und Kunden des Innovators zur Auswahl und Nutzung von dessen Produkt bereits Aufwendungen tätigen mussten, die sich im Falle eines Wechsels als vergeblich herausstellten und die sie zur Auswahl und Nutzung eines alternativen Produkts erneut tätigen müssten. Dies können Aufwendungen zur Schulung von Mit412 413
Scherer, The Journal of Technology Transfer 2015, Bd. 40, Nr. 4, 559, 561. Vgl. hierzu etwa Disselkamp, Innovationsmanagement, 2012, S. 65 f. 414 Vgl. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 627, 582–585. 415 Vgl. Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 11; Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, 41, Sonderausgabe, 44– 46. 416 Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 12; zu Produktdifferenzierung im Zusammenhang mit Innovation siehe auch Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 106–120. 417 Vgl. Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41, 46. 418 Grundlegend zum Begriff der Wechselkosten etwa Porter, Competitive Strategy, 2004, S. 10; siehe auch Farrell/Klemperer in: Armstrong/Porter, Handbook of Industrial Organization, Bd. 3, 2007, S. 1972–1974.
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arbeitenden im Umgang mit einem innovativen Produkt sein oder solche zum Erwerb von Komplementärprodukten, derer es für die sinnvolle Nutzung des innovativen Produkts bedarf.419 Weitere Nachteile der fraglichen Art beruhen auf Such- beziehungsweise Informationskosten und dem für einen Wechsel erforderlichen Zeitaufwand.420 Wechselkosten können auch gezielt hervorgerufen werden, beispielsweise durch Bonusprogramme oder Exklusivitätsbindungen, etwa in Form von Vertragsstrafen für den Fall des Anbieterwechsels.421 Folge signifikanter Wechselkosten können Lock-in-Situationen sein, in welchen Kundinnen und Kunden durch ihre Entscheidung für das Produkt eines Innovators auf längere Sicht an dieses gebunden und kaum empfänglich für die Angebote nachziehender Wettbewerber sind, selbst wenn diese geringere Preise beinhalten oder sonstige Vorteile versprechen.422 Die Kehrseite dessen ist, dass den nachziehenden Wettbewerbern höhere Kosten entstehen, wenn sie – etwa durch verstärktes Marketing oder Rabatte – versuchen, Kundinnen und Kunden dennoch von dem Innovator abzuwerben.423 Profitieren kann ein Innovator als erster Anbieter auf einem Markt schließlich von Netzwerkeffekten.424 Unter einem Netzwerk lässt sich eine Gruppe von Nutzerinnen und Nutzern verstehen, die dasselbe Produkt oder miteinander kompatible Produkte nachfragen.425 Zwischen diesen Nutzerinnen können Externalitäten dergestalt auftreten, dass der Nutzwert des Produkts für jede einzelne Nutzerin von der Anzahl der weiteren Nutzerinnen im Netzwerk beeinflusst wird.426 Solche Externalitäten stellen sogenannte direkte (positive) Netzwerkeffekte dar, wenn eine einzelne Nutzerin unmittelbar von einer steigenden Nutzerinnenzahl profitiert, wie es etwa bei Kommunikationsnetzen der Fall ist. Von indirekten (positiven) Netzwerkeffekten wird gesprochen, wenn der Nutzwert eines Produkts für eine einzelne Nutzerin zwar ebenfalls mit der Nutzerinnenzahl steigt, aber nicht weil die Nutzerin daran interessiert wäre, neben sich weitere Nutzerinnen zu wissen, sondern weil eine größere Nutzerinnenzahl die Attraktivität des Produkts auf der Angebotsseite stärkt, sodass etwa mehr Anbieter von Komplementärprodukten oder Sekundärleistungen (wie Service-Dienstleistungen) auf den Plan treten.427 Netzwerkeffekte treten vor allem auch auf mehr419 Siehe etwa Farrell/Shapiro, The RAND Journal of Economics 1988, Bd. 19, Nr. 1, 123; Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41, 46. 420 Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 13. 421 Klemperer, The Quarterly Journal of Economics 1987, Bd. 102, Nr. 2, 375, 376; Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41, 46. 422 Ausführlich zum Ganzen auch Shapiro/Varian, Information Rules, 1999, S. 103–134. 423 Vgl. Lieberman/Montgomery, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 41, 46. 424 Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 41; Haucap/Dewenter, First-Mover Vorteile im Schweizer Mobilfunk, 2006, S. 13. 425 Scotchmer, Innovation and Incentives, 2006, S. 290. 426 Vgl. nur Katz/Shapiro, The American Economic Review 1985, Bd. 75, Nr. 3, 424. 427 Katz/Shapiro, The American Economic Review 1985, Bd. 75, Nr. 3, 424; Farrell/Salo-
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seitigen Märkten beziehungsweise Plattformen auf.428 Bestehen aufgrund von Netzwerkeffekten also quasi nachfrageseitige Skaleneffekte, und haben Nutzerinnen daher einen starken Anreiz ihre jeweilige Nachfrageentscheidung an derjenigen anderer Nutzerinnen auszurichten, kommt es häufig zur Herausbildung von Standards.429 Nutzerinnen wählen, vereinfacht dargestellt, ein bestimmtes Produkt aus, weil sie davon ausgehen, dass dieses Produkt beziehungsweise die Gruppe von Produkten, die über (zum Beispiel technische) Standards mit diesem Produkt kompatibel sind, die meiste Nachfrage auf sich vereinigen werden.430 Für die dahingehende Erwartungsbildung der Nutzerinnen im Hinblick auf einzelne Anbieter spielen vor allem die bei einem Anbieter bereits vorhandene Nutzerinnenbasis, aber auch dessen Reputation eine Rolle.431 Haben der Anbieter eines Produkts oder ein Standard, über den mehrere Produkte miteinander kompatibel sind, eine kritische Masse an Nutzerinnen gewonnen, erfüllen sich die Nutzerinnenerwartungen im Übrigen gewissermaßen selbst.432 Das Produkt beziehungsweise der Standard setzen sich durch und verdrängen Alternativen (soweit es solche auf einem Markt bereits gibt); dies wird als Tipping bezeichnet.433 Wettbewerb zwischen mehreren Anbietern findet in durch Netzwerkeffekte geprägten Branchen weniger auf einem Markt, als vielmehr um den Markt statt.434 Bringt ein Innovator in einer solchen Branche ein neues Produkt als erster auf den Markt und setzt damit einen Standard, kann sich die Einführung weiterer Produkte für nachziehende Wettbewerber als außerordentlich schwierig erweisen.435 Das ist der Fall, wenn diese Produkte mit demjenigen des Innoner, The RAND Journal of Economics 1985, Bd. 16, Nr. 1, 70, 70 f.; Katz/Shapiro, Journal of Economic Perspectives 1994, Bd. 8, Nr. 2, 93, 95–100; zur Begriffsbildung siehe auch Bundeskartellamt, Arbeitspapier Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 2016, S. 9–11. 428 Ausführlich hierzu etwa Bundeskartellamt, Arbeitspapier Marktmacht von Plattformen und Netzwerken, 2016; siehe auch Podszun/Kreifels, EuCML 2016, 33; Gasser, Der Marktstrukturmissbrauch in der Plattformökonomie, 2021, S. 31–60. 429 Farrell/Saloner, The American Economic Review 1986, Bd. 76, Nr. 5, 940; vgl. auch Katz/Shapiro, Journal of Economic Perspectives 1994, Bd. 8, Nr. 2, 93, 105 f. 430 Vgl. Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 188; Gey, Potentieller Wettbewerb und Marktbeherrschung, 2004, S. 68. 431 Vgl. Katz/Shapiro, The American Economic Review 1985, Bd. 75, Nr. 3, 424, 425; siehe in diesem Zusammenhang auch Farrell/Saloner, The American Economic Review 1986, Bd. 76, Nr. 5, 940, 942 f., zu den Implikationen eines dort sogenannten „preannouncement“. 432 Vgl. Farrell/Klemperer in: Armstrong/Porter, Handbook of Industrial Organization, Bd. 3, 2007, S. 1975; Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 188. 433 Katz/Shapiro, Journal of Economic Perspectives 1994, Bd. 8, Nr. 2, 93, 105 f.; Gey, Potentieller Wettbewerb und Marktbeherrschung, 2004, S. 68; zum Tipping von Märkten siehe auch Bedre-Defolie/Nitsche, Journal of European Competition Law & Practice 2020, Bd. 11, Nr. 10, 610. 434 Vgl. etwa Farrell/Klemperer in: Armstrong/Porter, Handbook of Industrial Organization, Bd. 3, 2007, S. 1971 f. 435 Vgl. Rayna/Striukova, International Journal of Collaborative Enterprise 2009, Bd. 1, Nr. 1, 4, 9; vgl. auch Katz/Shapiro, Journal of Economic Perspectives 1994, Bd. 8, Nr. 2, 93,
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vators nicht kompatibel sind – was der Innovator jedoch häufig maßgeblich beeinflussen kann.436 Um ihr Produkt attraktiv für Nutzerinnen und Nutzer zu machen, müssen die nachziehenden Wettbewerber nämlich zunächst ihrerseits eine kritische Masse an Nutzerinnen gewinnen, und diese von der Nutzerinnenbasis des Innovators abziehen (jedenfalls soweit die Nutzerinnen nicht sogenanntes Multi-Homing betreiben, also mehrere Produkte gleichzeitig nutzen können – worauf der Innovator möglicherweise ebenfalls Einfluss nehmen kann).437 Können die Nutzerinnen des Produkts des Innovators aber (zumindest noch) nicht davon ausgehen, im Falle eines Wechsels zum Produkt eines Wettbewerbers auf hinreichend viele andere Nutzerinnen zu stoßen, wird ihre Bereitschaft zum Produktwechsel unter Umständen auch dann sehr begrenzt sein, wenn das Produkt dieses Wettbewerbers günstiger oder höherwertig ist als das des Innovators.438 Farrell und Saloner sprechen in diesem Zusammenhang auch von übermäßiger Trägheit (Excess Inertia): „a socially excessive reluctance to switch to a superior new standard when important network externalities are present in the current one“439. Zugunsten des Innovators wirkende Netzwerkeffekte können also enorme Wechselkosten erzeugen,440 auch sogenannte kollektive Wechselkosten.441
3. Anreize in Innovationsrennen Für die Innovationsanreize von Unternehmen ist neben der Aussicht auf Business-Stealing-Effekte und der Möglichkeit zur Ertragsaneignung im zukünftigen Wettbewerb auch die Intensität des reinen, produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerbs von Bedeutung. Letztere wird zumeist an der Anzahl von Innovationswettbewerbern bemessen. Sie hat insbesondere Einfluss darauf, mit welcher Geschwindigkeit Unternehmen ihre Innovationstätigkeiten vorantreiben.442 Erkenntnisse hierzu hat vor allem die bereits angesprochene Literatur zu sogenannten Innovationsrennen hervorgebracht.443 106: „With network effects, it can be very difficult to switch horses in midstream to a system that later proves superior“. 436 Vgl. Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 189 f. 437 Vgl. hierzu Farrell/Saloner, The American Economic Review 1986, Bd. 76, Nr. 5, 940, 943. Zum Multi-Homing siehe nur Evans/Schmalensee in: Blair/Sokol, The Oxford Handbook of International Antitrust Economics, Bd. 1, 2015, S. 417 f. 438 Vgl. Farrell/Saloner, The American Economic Review 1986, Bd. 76, Nr. 5, 940; Farrell/Saloner, The RAND Journal of Economics 1985, Bd. 16, Nr. 1, 70, 71 f. 439 Farrell/Saloner, The American Economic Review 1986, Bd. 76, Nr. 5, 940. 440 Vgl. Gey, Potentieller Wettbewerb und Marktbeherrschung, 2004, S. 67. 441 Siehe, Farrell/Klemperer in: Armstrong/Porter, Handbook of Industrial Organization, Bd. 3, 2007, S. 1971. 442 Vgl. etwa Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 8; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 65; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 41 f. 443 Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 10; Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 579; siehe auch bereits oben, unter B.II.1.c).
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a) Anreize zur Beschleunigung von Innovationstätigkeiten Anhand des oben beschriebenen Grundmodells eines Innovationsrennens lässt sich zeigen, dass grundsätzlich ein positiver Zusammenhang zwischen intensivem Innovationswettbewerb einerseits und der Geschwindigkeit von Innovationstätigkeiten andererseits besteht. Zu den Annahmen des Grundmodells gehören insbesondere die symmetrische Ausgangslage der am Rennen teilnehmenden Unternehmen sowie der perfekte Patentschutz für die anvisierte Innovation – mit der Folge, dass nur ein Teilnehmer das Rennen gewinnen kann. Sind diese Annahmen erfüllt, hat jeder Teilnehmer grundsätzlich einen starken Anreiz, in die Beschleunigung seiner Innovationstätigkeiten zu investieren.444 Zugleich lässt sich anhand von Modellen zu Innovationsrennen auch ein gegenläufiger Effekt zeigen. So kann die Steigerung der Teilnehmerzahl auch bewirken, dass jeder einzelne Teilnehmer den Anreiz hat, seine Innovationsausgaben zu verringern.445 Dies kann deshalb der Fall sein, weil die Steigerung der Teilnehmerzahl den aus Sicht jedes einzelnen Teilnehmers zu erwartenden Gewinn schmälert, sodass er nur noch zur Deckung geringerer Innovationsausgaben ausreicht. Der zu erwartende (diskontierte) Gewinn eines Teilnehmers ist das Produkt aus dem Gewinn, den dieser Teilnehmer in der Zukunft realisieren kann, und seiner individuellen Gewinnwahrscheinlichkeit. Dieser zu erwartende Gewinn verringert sich mit zunehmender Teilnehmerzahl, unabhängig davon, ob die (wenig realistische) Annahme perfekten Patentschutzes für die in einem Innovationsrennen anvisierte Innovation zugrunde gelegt wird oder nicht. Ist der Patentschutz perfekt, sodass nur einer der Teilnehmer das Rennen gewinnen kann, verringert sich mit steigender Teilnehmerzahl die individuelle Gewinnwahrscheinlichkeit eines jeden Teilnehmers, und damit sein zu erwartender Gewinn.446 Ist hingegen davon auszugehen, dass mehrere innovative Produkte auf einem zukünftigen Markt konkurrieren werden, verringert sich mit steigender Teilnehmerzahl der künftige Marktanteil eines jeden Teilnehmers, und damit sein realisierbarer Gewinn. Auch dies reduziert seinen zu erwartenden Gewinn.447 444 Siehe hierzu Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 8; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 65; Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 579, hält hierzu fest: „When firms see themselves in a tough race to innovate first, they try harder to win“. 445 Siehe hierzu etwa Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 196 f.; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11; Scherer/ Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 636 f.; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 8 f.; Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 19. 446 Vgl. Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 196; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11. 447 Vgl. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 636 f.; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 8 f.
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Dennoch wird davon ausgegangen, dass sich die Intensivierung der Konkurrenz in einem Innovationsrennen durch Hinzutreten weiterer Teilnehmer grundsätzlich positiv auf die Hervorbringung der anvisierten Innovation auswirkt. Hintergrund ist der Umstand, dass mit steigender Teilnehmerzahl zwar deren jeweilige individuelle Innovationsausgaben sinken mögen, zugleich aber die gesamten Innovationsausgaben sämtlicher Teilnehmer zusammen steigen. Dies führt dazu, dass die anvisierte Innovation mit insgesamt höherer Geschwindigkeit und einer größeren (aggregierten) Erfolgswahrscheinlichkeit hervorgebracht wird.448 Problematisch wird eine Intensivierung des Innovationswettbewerbs erst dann, wenn die aus Sicht der einzelnen Teilnehmer zu erwartenden Gewinne ein gewisses Mindestniveau unterschreiten. Denn dann kann es sein, dass sämtliche Innovationsanreize entfallen.449
b) Anreize von Unternehmen mit asymmetrischen Ausgangsbedingungen Weitere Erkenntnisse zu Innovationsanreizen liefern komplexere Modelle zu Innovationsrennen, die von der (ebenfalls wenig realistischen) Annahme des Grundmodells abrücken, dass sich die an einem Innovationsrennen teilnehmenden Unternehmen sämtlich in symmetrischen Ausgangslagen befinden. Solche Modelle legen stattdessen asymmetrische Ausgangsbedingungen der Teilnehmer zugrunde. Die jeweiligen Ausgangsbedingungen eines Teilnehmers lassen sich gleichsetzen mit seiner wettbewerblichen Position auf einem gegenwärtigen Produktmarkt. Exemplarisch ist insofern ein Innovationsrennen zwischen einem gegenwärtig marktbeherrschenden Unternehmen sowie einem kleineren Unternehmen, das bislang nur einen geringen oder gar keinen Marktanteil innehat. Für einen solchen Fall lässt sich zeigen, dass die beiden Unternehmen unterschiedliche Fähigkeiten und Anreize haben können, ihre Innovationsausgaben über diejenigen des jeweils anderen Unternehmens zu erhöhen, um das Innovationsrennen zu gewinnen. Welches der beiden Unternehmen Sieger des Rennens sein wird, ist abhängig von einer Vielzahl von (Modell-)Annahmen beziehungsweise Einzelfallumständen.450 Möglich ist etwa, dass ein marktbeherrschendes Unternehmen größere Anreize besitzt, ein Innovationsrennen zu gewinnen, als ein bisher nicht auf dem Markt tätiger Newcomer, und diesem gegenüber eine sogenannte PreemptionStrategie verfolgt. Ein solches Innovationsrennen läuft – stark vereinfacht – fol448 Bester, Theorie der Industrieökonomik, 2017, S. 177; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 11; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 13. 449 Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 8 f.; Scherer/ Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 637. 450 Vgl. zum Vorstehenden Absatz Woeckener, Strategischer Wettbewerb, 2014, S. 207 f.; Reinganum in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 1, 1989, S. 868– 884; siehe hierzu auch Baker, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 621.
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gendermaßen ab: Der Eintritt in einen Monopolmarkt ist (nur) durch Entwicklung und Einführung eines innovativen Produkts möglich. Dessen Entwicklung schließt die Anmeldung eines Patents ein, welches der zugrundeliegenden Erfindung perfekten Schutz gewährt. Im Rennen um das Patent kann daher nur ein Unternehmen obsiegen. Dies wird (mit Sicherheit) dasjenige Unternehmen sein, welches die höheren Innovationsausgaben tätigt. Das Monopolunternehmen hat nun, solange es sich keines Marktzutritts versieht, generell geringe Innovationsanreize. Es bleibt marktbeherrschend, ob es das innovative Produkt entwickelt und einführt oder nicht. Wie erörtert, ist die Aussicht eines marktbeherrschenden Unternehmens auf Zugewinne an Geschäftsabschlüssen, Kundinnen und Kunden sowie Marktanteilen durch innovationsbedingtes Business Stealing gering. Ein solches Unternehmen liefe eher Gefahr, durch die Einführung eines innovativen Produkts die Umsätze mit seinem bisherigen Produkt zu kannibalisieren.451 Das kleinere Unternehmen hingegen hat zunächst erhebliche Innovationsanreize. Bislang ist es nicht auf dem Markt tätig, erzielt also keinerlei Gewinne. Wenn es das innovative Produkt entwickelt und einführt, tritt es in Wettbewerb zum Monopolunternehmen. Es kann diesem Geschäftsabschlüsse, Kundinnen und Kunden sowie Marktanteile streitig machen und hat Aussicht auf den im dann entstehenden Duopol erzielbaren Gewinn. Bis zur Höhe dieses Gewinns wird das kleinere Unternehmen Investitionen in die Entwicklung des innovativen Produkts tätigen. Beginnt das kleinere Unternehmen nun aber mit dieser Entwicklung, wird das Monopolunternehmen – unter Berücksichtigung der Perspektive des kleineren Unternehmens – zu einer veränderten Einschätzung der Situation gelangen. Investiert es weiterhin nicht ausreichend in Innovationstätigkeiten, um das Patent vor dem kleineren Unternehmen anmelden zu können, muss es damit rechnen, dass sich sein Gewinn in Zukunft vom Monopol- auf das Duopolniveau verringern wird. Um dem kleineren Unternehmen zuvorzukommen und eine Erosion seines Gewinns zu verhindern, wird das Monopolunternehmen bereit sein, Innovationsausgaben bis zur Höhe der Differenz zwischen Monopol- und Duopolgewinn auf sich zu nehmen. Dieser Differenzbetrag ist naturgemäß größer als der Duopolgewinn und damit als der Betrag, den das kleinere Unternehmen in Innovationstätigkeiten zu investieren bereit ist.452 Folglich hat das Monopolunternehmen letztlich doch größere Innovationsanreize als das kleinere Unternehmen – und wird das Innovationsrennen gewinnen.453 In einem ähnlichen Zusammenhang verweisen Scherer und Ross treffend auf eine 451
Siehe hierzu oben, unter B.III.1.c). Vgl. hierzu auch (allerdings in anderem Kontext) Crémer/Montjoye/Schweitzer, Competition Policy for the Digital Era, 2019, S. 117 Fn. 209. 453 Grundlegend zur hier dargestellten Preemption-Strategie Gilbert/Newbery, The American Economic Review 1982, Bd. 72, Nr. 3, 514, 514–517; siehe hierzu auch Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 168–170. Eine Erweiterung des Modells 452
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“observed tendency for market-dominating firms to be slow in developing important new products, but to roar back like tigers when smaller rivals – often new entrants with no historical market share at all – challenge their dominance“454.
Die Darstellung der Preemption-Strategie lässt sich noch um einige Aspekte ergänzen. Denkbar ist zum Beispiel, dass das kleinere Unternehmen seinerseits die Reaktion des Monopolunternehmens antizipiert, so zu der Erkenntnis gelangt, dass es das Innovationsrennen nicht gewinnen kann, und folglich gar nicht erst mit der Entwicklung des innovativen Produkts beginnt. Das Monopolunternehmen muss dann ebenfalls gar nicht erst in Innovationstätigkeiten investieren und kann durchweg so verfahren, als bestünde die Gefahr eines Marktzutritts nicht. Ob das kleinere Unternehmen sinnvollerweise von vornherein auf die Produktentwicklung verzichtet, hängt davon ab, welchen Aufwand es dem marktbeherrschenden Unternehmen abverlangt, reaktive Innovationstätigkeiten aufzunehmen und über die Geschwindigkeit proaktiver Innovationstätigkeiten des kleineren Unternehmens hinaus zu beschleunigen. Je geringer dieser Aufwand ist und je schneller das Monopolunternehmen ihn daher bewältigen kann, desto eher ist ein Verzicht des kleineren Unternehmens angezeigt. Ist der Aufwand hinreichend gering, hat also bereits die Fähigkeit des Monopolunternehmens, Innovationstätigkeiten zügig aufzunehmen und zu beschleunigen, eine abschreckende Wirkung auf das kleinere Unternehmen. Ist der Aufwand demgegenüber vergleichsweise hoch, muss das Monopolunternehmen zumindest in gewissem Umfang Innovationstätigkeiten durchführen, um eine Abschreckungswirkung zu erzeugen. Erlangt es dann das Patent, kann es sich für das Monopolunternehmen außerdem rechnen, das Patent nicht für die Fertigstellung des innovativen Produkts zu verwenden und stattdessen weiterhin sein altes Produkt beizubehalten. Ein derart ungenutztes Schutzrecht wird auch als Sleeping Patent bezeichnet.455 Bei abweichenden (Modell-)Annahmen beziehungsweise Einzelfallumständen, können sich die jeweiligen Innovationsfähigkeiten und -anreize eines marktbeherrschenden Unternehmens einerseits sowie eines kleineren Unternehmens, das bislang nur einen geringen oder gar keinen Marktanteil innehat, andererseits, wie gesagt, völlig anders darstellen. Möglich ist etwa auch, dass aus Sicht eines marktbeherrschenden Unternehmens anstatt der erläuterten Preemption- eine sogenannte Fast-Second-Strategie vorzugswürdig ist.456 Letzvon Gilbert und Newbery findet sich etwa bei Reinganum, The American Economic Review 1983, Bd. 73, Nr. 4, 741. Zu den Limitierungen des Modells siehe Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 48–50. 454 Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 635. 455 Siehe zu den im vorstehenden Absatz dargestellten Erweiterungen Gilbert/Newbery, The American Economic Review 1982, Bd. 72, Nr. 3, 514, 517 f.; Diekhof/Cantner, Incumbents’ Responses to Innovative Entrants, 2017; zu Sleeping Patents vgl. auch Belleflamme/ Peitz, Industrial Organization, 2010, S. 522. 456 Vgl. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 636.
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tere Strategie wird insbesondere im Falle radikaler Innovationen relevant, bei denen bestehende Märkte stark verändert beziehungsweise völlig neue, gegebenenfalls an bestehende angrenzende Märkte geschaffen werden, und bisherige Produkte dadurch obsolet. Als Fast Second versucht ein etabliertes Unternehmen auf die Gefahr des Markteintritts mit einem innovativen, überlegenen Produkt nicht dadurch zu reagieren, dass es den Zutrittskandidaten in einem Innovationsrennen überholt, um die Innovation selbst als erstes fertigzustellen. Vielmehr überlasst es dem Zutrittskandidaten die erstmalige Einführung des neuen – in technischer wie wirtschaftlicher Hinsicht zunächst wahrscheinlich noch wenig ausgereiften – Produkts. Es wartete ab und beobachtet, wie mit der Einführung weiterer Varianten des neuen Produkts ein neues Marktsegment oder ein neuer Nischenmarkt entstehen. So vermeidet es Kosten, die mit technischen Fehlstarts und sonstigen Unwägbarkeiten verbunden sein können, und denen sich ein First Mover ausgesetzt sieht. Sobald sich aber etwa bestimmte Produkteigenschaften unter den neuen Varianten durchzusetzen beginnen, sich also ein Dominant Design abzeichnet, tritt das etablierte Unternehmen zügig mit einer eigenen Variante des neuen Produkts hervor und versucht, die Entwicklung des Dominant Design in seinem Sinne zu beeinflussen. Hierbei kommen ihm zahlreiche Wettbewerbsvorteile gegenüber kleineren Unternehmen, die gerade erst in einen Markt eingetreten sind, zugute, darunter Skaleneffekte, Markenstärke und gefestigte Vertriebsstrukturen. Diese Vorteile kann das etablierte Unternehmen nutzen, um seine Variante des neuen Produkts aus dem bisherigen Nischenbereich heraus in einen (neuen) Massenmarkt zu führen. Sie erlauben es ihm nämlich, effizienter, also vor allem zu geringeren Kosten zu produzieren als kleinere Anbieter. Letztere, einschließlich des eigentlichen First Mover, kann das etablierte Unternehmen so vom Markt verdrängen. Im Gegensatz zu einem reinen Second Mover imitiert das etablierte Unternehmen als Fast Second nicht lediglich eine Innovation, sondern prägt aktiv deren (Weiter-)Entwicklung hin zu einem erfolgreichen (bestenfalls Massen-)Produkt. Es muss daher selbst ebenfalls Innovationstätigkeiten durchführen, um seine Variante des innovativen Produkts zum richtigen Zeitpunkt auf dem Markt platzieren zu können.457 Die Vorzugswürdigkeit der Fast-Second-Strategie hängt von zahlreichen Faktoren ab, darunter insbesondere die Bedingungen der Ertragsaneignung.458
457 Zur
Fast-Second-Strategie, wie sie hier paraphrasiert ist, siehe Markides/Geroski, Fast Second, 2005; vgl. auch Baldwin/Childs, Southern Economic Journal 1969, Bd. 36, Nr. 1, 18, die aber eher darauf eingehen, was nach hier zugrunde gelegtem Verständnis einer reinen Second-Mover-Strategie entspricht; vgl. hierzu ferner Teece, Research Policy 1986, Bd. 15, Nr. 6, 285; Reavis Conner, Strategic Management Journal 1988, Bd. 9, Sonderausgabe, 9. 458 Vgl. Teece, Research Policy 1986, Bd. 15, Nr. 6, 285, 290–292.
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c) Fazit: Ambivalente Wirkung auf Innovationsanreize Der reine, produktmarktunabhängige Innovationswettbewerb zwischen innovierenden Unternehmen hat also vor allem Einfluss auf die Geschwindigkeit, mit welcher diese ihre Innovationstätigkeiten vornehmen. Die Ausführungen zu Innovationsrennen zeigen, dass abstrakte Aussagen, etwa dahingehend, dass eine Zunahme der Intensität des Innovationswettbewerbs die Anreize zur Beschleunigung von Innovationstätigkeiten in jedem Fall stärkte, nicht möglich sind. Vielmehr ist die konkrete Ausgestaltung des Zusammenhangs zwischen Innovationswettbewerb und Innovationsanreizen (beziehungsweise Beschleunigungsanreizen) abhängig von zahlreichen Einzelfallbedingungen.459
4. Ergänzende Anmerkungen zu Innovationsanreizen Zum Verständnis des Zusammenhangs zwischen Innovationswettbewerb und Innovationsanreizen sind abschließend noch einige ergänzende Anmerkungen angebracht.
a) Spannungsverhältnis zwischen Bestreitbarkeit und Aneigenbarkeit? Damit Unternehmen Innovationsanreize aufgrund der Aussicht auf innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte haben, bedarf es, wie beschrieben, einer hinreichenden Offenheit des zukünftigen Produktmarktwettbewerbs, also der Bestreitbarkeit von Geschäftsabschlüssen sowie Kundinnen und Kunden und damit Marktanteilen (Contestability).460 Zugleich ist für das Bestehen von Innovationsanreizen die Aussicht darauf notwendig, mittels einer Innovation im zukünftigen Wettbewerb Gewinne zu erzielen, welche die erforderlichen Innovationsausgaben decken. Unternehmen müssen in der Lage sein, innovative Produkte zu Preisen oberhalb ihrer Grenzkosten anzubieten. Sie benötigen also ein gewisses Maß an Marktmacht (im ökonomischen, neoklassischen Sinne) auf dem zukünftigen Produktmarkt. Solche Marktmacht resultiert im Grundsatz aus einer innovationsbedingten Angebotsüberlegenheit. Zu ihrer Absicherung bedarf es wiederum einer Einschränkung der Bestreitbarkeit von Geschäftsabschlüssen im zukünftigen Wettbewerb. Ohne sie hätten innovierende Unternehmen keine Möglichkeit zur Aneignung der Erträge aus ihren Innovationen beziehungsweise Innovationstätigkeiten (Appropriability).461 Die Herausbildung von Innovationsanreizen im Innovationswettbewerb beruht also scheinbar auf einem Spannungsverhältnis – zwischen der Offenheit des zukünftigen Wettbewerbs und der Bestreitbarkeit von Geschäftsabschlüssen auf der einen und der Begründung von Marktmacht auf dem zukünftigen Pro459
Ähnlich auch Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 12. Siehe oben, unter B.III.1.b). 461 Siehe oben, unter B.III.2. 460
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duktmarkt und einer Einschränkung der Bestreitbarkeit von Geschäftsabschlüssen auf der anderen Seite. Dieses vermeintliche Spannungsverhältnis löst sich jedoch auf mit Berücksichtigung der dynamischen Komponente des Innovationswettbewerbs. Tatsächlich sind Bestreitbarkeit und Marktmacht nämlich zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Ablauf des dynamischen Innovationswettbewerbs erforderlich. Aus Sicht eines potentiellen Innovators kommt es zunächst darauf an, dass er sich durch die Einführung einer Innovation Geschäftsabschlüsse sichern kann, Geschäftsabschlüsse also bestreitbar sind. Beabsichtigt beispielsweise ein Newcomer, mit einem innovativen Produkt in einen bereits existierenden Markt einzutreten, muss er die Aussicht darauf haben, Kundinnen und Kunden von den dort etablierten Incumbents gewinnen zu können. Im zweiten Schritt kommt es für den potentiellen Innovator dann darauf an, dass er die Möglichkeit zur Tätigung von Geschäftsabschlüssen, welche er sich im ersten Schritt gesichert hat, nicht sogleich wieder verliert, die Bestreitbarkeit dieser Geschäftsabschlüsse also eingeschränkt ist. Seine durch die innovationsbedingte Überlegenheit seines Angebots entstandene Marktmacht darf nicht sogleich wieder durch nachziehende Wettbewerber ausgeglichen werden. Ansonsten hat er keine Möglichkeit, seine Innovationsausgaben zu amortisieren. Im gewählten Beispiel muss der Newcomer mithin die Aussicht haben, dass er die von den Incumbents gewonnenen Kundinnen und Kunden halten kann, und sie nicht zu früh wieder abwandern, sei es zurück zu den Incumbents oder zu anderen Newcomern. Aus Sicht des Newcomers muss also quasi zuerst mit Bestreitbarkeit und sodann mit dem Ausschluss von Bestreitbarkeit beziehungsweise mit Aneigenbarkeit zu rechnen sein.462 Mit der Aneigenbarkeit zugunsten eines Innovators darf der Ablauf des dynamischen Innovationswettbewerbs freilich nicht enden. Im Sinne kontinuierlichen Fortschritts und langfristiger dynamischer Effizienz ist es vielmehr erforderlich, dass immer wieder neue Innovationszyklen aufeinander folgen, Innovationsanreize also wiederkehrend und auch für weitere potentielle Innovatoren entstehen. Dafür ist es entscheidend, dass Aneignungsmechanismen nur vorübergehend wirken, und ein (erster) Innovator nicht über dauerhaft unbestreitbare Marktmacht verfügt, sobald er einmal eine Innovation hervorgebracht hat. Ein legitimes Interesse an Marktmacht hat er lediglich solange, wie es dauert, bis die zu erwirtschaftenden Gewinne seine Innovationsausgaben amortisiert haben. Die Aussicht auf eine solchermaßen zeitlich beschränkte Marktmacht ist für seine Innovationsanreize völlig ausreichend. Anschließend müssen Geschäftsabschlüsse wieder bestreitbar werden, damit auch bei nachfolgenden Innovatoren Innovationsanreize entstehen können. Eben deshalb unterliegen beispielsweise Patente einer zeitlichen Beschränkung. Indem sie ihrerseits er462 Zur Auflösung eines vermeintlichen Spannungsverhältnisses zwischen Bestreitbarkeit und Aneigenbarkeit siehe auch Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 364 f., 387–389.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
folgreiche Innovationen hervorbringen, können nachfolgende Innovatoren die Marktmacht des vorangehenden Innovators ab- und eigene aufbauen. Ein derart durch sich wiederholende Innovationszyklen geprägter, dynamischer Innovationswettbewerb entspricht genau der Schumpeter’schen Vorstellung von wiederkehrender schöpferischer Zerstörung.463 An den vorstehenden Ausführungen werden auch die Unzulänglichkeiten des rein statischen Wettbewerbsverständnisses der Neoklassik besonders deutlich, die im Zentrum der erwähnten Kritik Schumpeters stehen.464 In einem anhaltenden Zustand vollkommener Konkurrenz wären Innovationsanreize schlechterdings ausgeschlossen. Unternehmen hätten nie eine Aussicht darauf, durch die Festsetzung von Preisen oberhalb ihrer Grenzkosten überwettbewerbliche Gewinne zu erzielen, die ihre Innovationsausgaben decken. Hierzu bedarf es gerade einer gewissen Marktmacht – und mithin eines von der vollkommenen Konkurrenz abweichenden Zustands. Marktmacht und damit einhergehende Einbußen bei der statischen Effizienz sind daher keineswegs als Gegensätze zu wirksamem Wettbewerb aufzufassen. Vielmehr handelt es sich bei ihnen um wesentliche Elemente des Innovationswettbewerbs, die im Rahmen eines dynamischen Verständnisses stets mitzudenken sind.465
b) Außerwettbewerbliche Einflussfaktoren für Innovationsanreize Die Aussicht auf Business-Stealing-Effekte und die Bestreitbarkeit von Geschäftsabschlüssen, die Aussicht auf Marktmacht und die Möglichkeit der Ertragsaneignung sowie die an der Teilnehmerzahl festgemachte Intensität von Innovationsrennen – sämtliche der bislang erörterten Einflussfaktoren für die Innovationsanreize von Unternehmen sind wettbewerblicher Natur. Das bedeutet, dass sie im Kern durch die Erwartungen innovierender Unternehmen an den zukünftigen Wettbewerb, an die Konkurrenz mit anderen Unternehmen auf einem zukünftigen Produktmarkt determiniert sind. Neben wettbewerblichen können aber auch außerwettbewerbliche Einflussfaktoren eine wichtige Rolle spielen. Dies ist bei Innovationsanreizen in weitaus stärkerem Maße der Fall als etwa bei Anreizen zur Vornahme von Preissenkungen. Solche außerwettbewerblichen Einflussfaktoren zeichnen sich dadurch aus, dass für sie nicht die (erwartete) Rivalität mit anderen Unternehmen unmittelbar ausschlaggebend ist, sondern anderweitige Gesichtspunkte. Dennoch können sie natürlich in einem engen Zusammenhang mit wettbewerblichen Einflussfaktoren stehen. Auf einzelne außerwettbewerbliche Einflussfaktoren wird im Folgenden eingegangen. 463 Vgl. hierzu etwa Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 57 f., 66; siehe auch Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 364; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 64–68. 464 Siehe Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 121–147. 465 Vgl. nur Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 7 f.
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aa) Erwartete Nachfrage (Demand Pull) Auf Schmookler geht die Überlegung zurück, dass vor allem die zu erwartende Nachfrage nach einem innovativen Produkt maßgeblichen Einfluss auf die Anreize zu dessen Hervorbringung hat (sogenannte Demand-Pull-These).466 An ihren Erwartungen hinsichtlich der künftigen Nachfrage orientierten Unternehmen ihre Innovationstätigkeiten. Ohne absehbare Nachfrage fehle es dagegen an Innovationsanreizen.467 In der Tat hängen Potential und Volumen eines zukünftigen Produktmarkts und damit die Höhe der dort mit einem innovativen Produkt erzielbaren Umsätze von der jeweiligen Nachfrage ab. Mit Marktvolumen und Umsatzhöhe steigen zumeist auch die Gewinne eines innovierenden Unternehmens, da es sich bei den mit Innovationstätigkeiten einhergehenden Kosten größtenteils um Fixkosten handelt, die unabhängig von der Ausbringungsmenge des innovativen Produkts entstehen. Je größer das zu erwartenden Marktvolumen ist, desto eher besteht also die Aussicht darauf, dass sich die Innovationstätigkeiten rentieren werden – und desto stärker sind die Innovationsanreize des innovierenden Unternehmens.468 Welche Bedeutung die zu erwartende Nachfrage für die Innovationsanreize von Unternehmen im Einzelfall hat, lässt sich indes schwerlich präzise ermitteln. Denn gerade die Vorhersage des künftigen Verhaltens individueller Nachfragerinnen und Nachfrager ist stets mit großer Unsicherheit verbunden. Dies gilt insbesondere bei der Hervorbringung vollständig neuer Produkte.469 Erschwert wird die Vorhersage zusätzlich dadurch, dass die Nachfrage häufig nicht statisch ist, sondern sich weiterentwickelt. Unternehmen haben insbesondere auch in den Blick zu nehmen, ob und inwiefern ein zukünftiger Markt Wachstumspotential aufweist.470 Zudem kann die Einführung einer Innovation die Nachfrage und damit das Marktvolumen und -wachstum auch ihrerseits be466 Siehe Schmookler, The Journal of Economic History 1962, Bd. 22, Nr. 1, 1; Schmookler, Invention and Economic Growth, 1966; siehe hierzu auch Cohen/Levin in: Schmalensee/ Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1080; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 162. 467 Siehe Schmookler, The Journal of Economic History 1962, Bd. 22, Nr. 1, 1: „New goods and new techniques are unlikely to appear, and to enter the life of society without a preexisting, – albeit possibly only latent – demand.“ Siehe auch Schmookler, Invention and Economic Growth, 1966, S. 212 f.; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 169. 468 Vgl. zum vorstehenden Absatz Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 162 f.; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 169 f.; Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 41. 469 Vgl. Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 163; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 170 f.; siehe hierzu auch Markides/Geroski, Fast Second, 2005, S. 17–24; vgl. auch Dosi, Research Policy 1982, Bd. 11, Nr. 3, 147, 150. 470 Vgl. Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 163; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 170.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
einflussen.471 Dies ist etwa der Fall bei innovativen Produkten, die Netzwerkeffekte generieren.472
bb) Technologisches Potential (Technology Push, Technological Opportunity) Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass sich zur Erklärung von Innovationsanreizen eine der Demand-Pull-These entgegengesetzte Technology- oder Science-Push-These herausgebildet hat. Danach werden Innovationstätigkeiten nicht zuvorderst durch Erwartungen an eine künftige Nachfrage angestoßen, sondern durch (angebotsseitige) Entwicklungsschritte in Wissenschaft und Technik, die sich unabhängig von einer bereits (latent) vorhandenen Nachfrage vollziehen.473 Diese These wird inzwischen unter dem Schlagwort des technologischen Potentials für solche Entwicklungsschritte (Technological Opportunity) diskutiert.474 Wissenschaftlicher Erkenntnisfortschritt hat insofern Bedeutung für die Innovationsanreize von Unternehmen, als er die Kosten zur Hervorbringung einer auf ihm beruhenden Innovation reduziert.475 Sind diese Kosten eingangs so hoch, dass keine Aussicht auf ihre Amortisation nach Einführung der Innovation besteht, kann eine Kostenreduktion durch Erkenntnisfortschritt Innovationsanreize sogar überhaupt erst entstehen lassen.476 Deutlich wird dies an einem Modell von Nelson. Hier werden (vereinfacht dargestellt) zwei Innovatoren miteinander verglichen, die angewandte Forschung und Entwicklung betreiben und dabei in unterschiedlichem Maße auf Grundlagenwissen, das Ergebnis zuvor erfolgter Grundlagenforschung, zurückgreifen können. Die angewandte Forschung dient der Auswahl der vielversprechendsten aus einer Reihe von Forschungsansätzen, die dann bei der Entwicklung eines innovativen Produkts weiterverfolgt werden. Der erste Innovator verfügt nicht über Grundlagenwissen. Er kann daher auf der 471 Vgl. Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 163; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 170. 472 Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 172. 473 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1080; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 162; vgl. auch Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 40 f., 48. Angesichts der (unterstellt) zunächst rein angebotsseitigen Entwicklung ist auch die Bezeichnung als Supply Push geläufig, so etwa Markides/Geroski, Fast Second, 2005, S. 17–36. 474 Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 169; siehe auch Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 183–188; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 163. 475 Rosenberg, The Economic Journal 1974, Bd. 84, Nr. 333, 90, 107; siehe auch Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 163 f.; zur Bedeutung von (Grundlagen-)Forschung für die Innovationstätigkeiten von Unternehmen siehe darüber hinaus auch Watzinger/Schnitzer, Standing on the Shoulders of Science, 2019. 476 Vgl. Rosenberg, The Economic Journal 1974, Bd. 84, Nr. 333, 90, 107; siehe auch Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 174 f.
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Stufe der angewandten Forschung nicht zwischen den zur Verfügung stehenden Forschungsansätzen differenzieren. Seine Auswahl trifft er nach dem Prinzip des Trial and Error, wobei für jede Erprobung eines einzelnen Forschungsansatzes Kosten entstehen. Der zweite Innovator hat hingegen Zugang zu bestimmtem Grundlagenwissen und kann deshalb bei seiner angewandten Forschung einige Forschungsansätze als von vornherein ungeeignet ausschließen. Da er folglich eine geringere Anzahl von Forschungsansätzen tatsächlich erproben muss, entstehen ihm auch geringere Kosten als dem ersten Innovator. So hat der zweite Innovator aufgrund des Zugangs zu Grundlagenwissen stärkere Innovationsanreize als der erste.477 Über dieses Modell hinaus können Grundlagenforschung und daraus resultierendes Grundlagenwissen Innovationstätigkeiten natürlich auch dadurch produktiver und kostengünstiger machen, dass sie bestimmte vielversprechende Forschungsansätze überhaupt erst zutage fördern.478 Nach empirischen Untersuchungen wird heute übrigens davon ausgegangen, dass weder die Nachfrage noch das technologische Potential jeweils die allein maßgeblichen Determinanten der Innovationsanreize von Unternehmen sind. Vielmehr sind beide Aspekte relevant und ergänzen sich gegenseitig.479
cc) Obsoleszenz, Regulierung et cetera Als außerwettbewerbliche Einflussfaktoren für Innovationsanreize kommen neben erwarteter Nachfrage und technologischem Potential noch zahlreiche andere Gesichtspunkte in Betracht. Anreize zur Hervorbringung neuer Produkte können sich etwa aus der langfristigen Obsoleszenz vorhandener Produkte ergeben, wenn der entsprechende Bedarf auf Nachfrageseite fortbesteht. Damit ist gemeint, dass Produkte langfristig ihre Wirksamkeit oder Brauchbarkeit verlieren. Denkbar ist dies bei Arzneimitteln oder anderen chemischen Produkten, bei denen sich Resistenzen gegen die enthaltenen Wirkstoffe herausbilden können.480 Ebenso können Produkte aufgrund einer Veränderung der bei ihrem 477 Vgl.
Nelson, The Quarterly Journal of Economics 1982, Bd. 97, Nr. 3, 453, 455–460; siehe auch Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 164. 478 Vgl. Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 164; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 175. 479 Vgl. hierzu Mowery/Rosenberg, Research Policy 1979, Bd. 8, Nr. 2, 102, 143; Dosi, Research Policy 1982, Bd. 11, Nr. 3, 147, 151; Scherer, Innovation and Growth, 1984, S. 120; Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 48; Freeman/Soete, The Economics of Industrial Innovation, 1997, S. 201; Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1080; Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 74 f.; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 169; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 162. 480 Diese Problematik tritt etwa bei antimikrobiellen Medikamenten auf, siehe hierzu Batista/Byrski/Lamping/Romandini, IIC 2019, 30.
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Verkauf zu erfüllenden regulatorischen Anforderungen obsolet werden. So soll beispielsweise die sukzessive Verschärfung von Umweltschutzvorschriften Unternehmen dazu anhalten, ältere Produkte, von denen eine hohe Umweltbelastung ausgeht, gegen innovative, umweltfreundlichere Produkte auszutauschen.481
c) Richtung von Innovationstätigkeiten Bei der Erörterung von Innovationsanreizen stand bislang die Frage im Mittelpunkt, ob Unternehmen überhaupt Innovationstätigkeiten vornehmen, und mit welcher Geschwindigkeit. Weiter lässt sich natürlich danach fragen, in welche Richtung sie innovieren, also welche spezifischen Innovationen sie mit ihren Innovationstätigkeiten anvisieren. Dies hängt davon ab, wie die Innovationsanreize der Unternehmen im Einzelnen ausgestaltet sind. Innovationsanreize betreffen demnach nicht nur das Ob von Innovationstätigkeiten, sondern auch das Wie – oder, mit anderen Worten, Rate and Direction of Inventive Activity.482 Hierin liegt ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Innovationsanreizen und Anreizen zur Vornahme von Preissenkungen. Bei Letzteren kommt es darauf an, ob sie überhaupt vorgenommen werden, und in welchem Umfang. Eine bestimmte Richtung können Preissenkungen dagegen nicht einnehmen.483 Für die inhaltliche Ausgestaltung von Innovationsanreizen und damit die Richtung von Innovationstätigkeiten können sowohl die wettbewerblichen als auch außerwettbewerbliche Einflussfaktoren auf vielgestaltige Weise Bedeutung erlangen.484
IV. Fazit Innovationswettbewerb kommt durch den Einsatz des dynamischen Aktionsparameters Innovation zustande und setzt zugleich (weitere) Innovationsanreize. So fördert er die Herstellung dynamischer Effizienz. Als aktuelle Innovationswettbewerber sind Unternehmen anzusehen, die Innovationstätigkeiten mit sich überschneidenden Fluchtpunkten durchführen. Dies ist der 481 In diese Richtung geht nicht zuletzt die kontinuierliche Verringerung von Emissionszertifikaten im Brennstoffemissionshandel, vgl. hierzu etwa Zenke/Telschow, EnWZ 2020, 157, 158; vgl. in diesem Zusammenhang auch Kerber, Journal of Economic Issues 2006, Bd. 40, Nr. 2, 457, 460; Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 105 f.; Hoffmann-Riem in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019. 482 So der Titel eines einflussreichen Sammelbands zur ökonomischen Analyse von Innovation, siehe NBER, The Rate and Direction of Inventive Activity, 1962; siehe hierzu auch Rosenberg/Stern in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 27–34. 483 Einmal abgesehen etwa von Möglichkeiten zur Preisdiskriminierung. 484 Vgl. hierzu auch noch Kapitel 3.B.II.2.
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Fall, wenn es zumindest plausibel erscheint, dass die von den Unternehmen jeweils anvisierten innovativen Produkte miteinander austauschbar sein und die Unternehmen deshalb auf einem zukünftigen Produktmarkt konkurrieren werden. Unternehmen, die bislang noch keine Innovationstätigkeiten mit entsprechenden Fluchtpunkten durchführen, jedoch über die Fähigkeiten zur Aufnahme solcher Innovationstätigkeiten verfügen oder sich diese Fähigkeiten ohne Weiteres beschaffen können, sind als potentielle Innovationswettbewerber anzusehen. Maßgeblich für die Innovationsanreize von Unternehmen sind deren Erwartungen an den zukünftigen Produktmarktwettbewerb. Innovationsanreize resultieren vor allem aus der Aussicht auf innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte sowie auf künftige Marktmacht und die Möglichkeit zur Ertragsaneignung. Eine Rolle spielt zudem die Intensität des Innovationswettbewerbs, namentlich wenn sich dieser als Innovationsrennen darstellt. Schließlich können die Innovationsanreize von Unternehmen auch durch außerwettbewerbliche Faktoren beeinflusst werden.
C. Strukturelle Determinanten von Innovation und Innovationswettbewerb Nachdem nun die Grundlinien des Innovationswettbewerbs erläutert wurden, bedarf es noch der Aufbereitung wichtiger Erkenntnisse der ökonomischen, insbesondere empirischen, Literatur zum Verhältnis von Innovation und Wettbewerb. Diese haben nämlich weitereichende Implikationen für die Berücksichtigung des Innovationwettbewerbs in Wettbewerbspolitik und Wettbewerbsrecht. Seit Innovation und ihre Bedeutung für Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung mit den Arbeiten Schumpeters in das Blickfeld ökonomischer Forschung gelangten, wird der Frage nach den idealen Bedingungen für Unternehmen zur Hervorbringung von Innovationen nachgegangen.485 Im Zentrum standen dabei lange die Wettbewerbsbedingungen auf gegenwärtigen Produktmärkten (dazu unter I.). Untersucht wurde, ob Innovationen generell eher durch (gegenwärtig) große, marktmächtige Unternehmen hervorgebracht werden oder eher durch kleinere Unternehmen, die dem Wettbewerbsdruck zahlreicher Konkurrenten ausgesetzt sind. Mit der Vorgehensweise, in erster Linie an bestimmte Marktstrukturfaktoren anzuknüpfen, standen derartige Untersuchungen in der Tradition der Harvard School beziehungsweise der traditionellen Industrieökonomik und erfolgten im Rahmen des SCP-Paradigmas, auf Grundlage des Postulats eines (Kausal-)Zusammenhangs zwischen Marktstruktur, Marktverhalten 485 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160.
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und Marktergebnis.486 Eine auf den gegenwärtigen Produktmarktwettbewerb beschränkte Betrachtung ist zur Erfassung der für Innovation relevanten Bedingungen allerdings unzureichend. Dies legen bereits die bisherigen Ausführungen nahe, wonach der gegenwärtige Produktmarktwettbewerb lediglich eine Facette des Innovationswettbewerbs darstellt, und Innovationen grundsätzlich auch durch Unternehmen außerhalb von gegenwärtigen Produktmärkten hervorgebracht werden können. Es erstaunt daher nicht, dass sich die Anstrengungen der Forschung, eine für Innovation ideale Struktur gegenwärtiger Märkte zu ermitteln, im Allgemeinen als vergeblich erwiesen haben. Heute werden die maßgeblichen Determinanten für Innovation demgemäß nicht mehr auf der Ebene von (gegenwärtigen) Produktmärkten verortet, sondern auf Industrieebene. Im Zentrum stehen nunmehr bestimmte Industrieeigenschaften (dazu unter II.). Dies führt zu der Schlussfolgerung, dass sich der Innovationswettbewerb in besonderem Maße industriespezifisch vollzieht (dazu unter III.). Insofern lassen sich bestimmte Industrien ausmachen, in welchen der Innovationswettbewerb aus wettbewerbsrechtlicher Sicht eine größere Relevanz hat als in anderen (dazu unter IV.).
I. Marktstrukturfaktoren als Determinanten für Innovation Die Verknüpfung gegenwärtiger Wettbewerbsbedingungen beziehungsweise bestimmter Marktstrukturfaktoren mit der Innovationsaktivität von Unternehmen geht zurück auf Schumpeter.487 Dieser hob in seinem Werk Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie die Rolle von Großunternehmen mit Monopolstellung für den technischen Fortschritt hervor.488 In Anlehnung an Schumpeter haben sich in der industrieökonomischen Literatur zwei Hypothesen herausgebildet: Innovation geht vor allem von großen Unternehmen aus, das heißt die Innovationsaktivität eines Unternehmens steigt überproportional zu dessen Größe; und Innovation geht vor allem von nur geringem Wettbewerb ausgesetzten, marktmächtigen Unternehmen aus, das heißt die Innovationsaktivität steigt mit der Marktmacht eines Unternehmens.489 In ihrer heutigen Differenziertheit werden diese Hypothesen zumeist als Neo-Schumpeter-Hypothesen bezeich486
Siehe hierzu bereits oben, unter A.III.1.b).
487 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2,
1989, S. 1060; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160. 488 Siehe hierzu das Kapitel „Monopolistische Praktiken“ in Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 121–147. 489 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1060; Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 67 f.; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 63; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 65 f.
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net.490 Bei Schumpeter selbst waren sie und insbesondere die ihnen zugrundeliegenden theoretischen Herleitungen allenfalls angelegt.491 Für beide NeoSchumpeter-Hypothesen lassen sich in der Theorie sowohl unterstützende als auch Gegenargumente finden beziehungsweise modellieren.492 Ob die Hypothesen jeweils zutreffen, ist daher grundsätzlich nur empirisch festzustellen.493 Mit ihnen beschäftigen sich neben zahlreichen theoretischen Arbeiten dementsprechend auch unzählige empirische Untersuchungen.494 Letztere machen laut Cohen und Levin gar den zweitgrößten Bestand an empirischer Literatur in der Industrieökonomik aus.495 Für die empirische Überprüfung der Neo-Schumpeter-Hypothesen spielen Marktstrukturfaktoren nicht nur eine Rolle, soweit es die Variable der Unternehmensgröße, zumeist gemessen am Umsatzvolumen, betrifft.496 Auch Wettbewerbsintensität beziehungsweise Marktmacht werden in empirischen Untersuchungen für gewöhnlich durch marktstrukturelle Indikatoren abgebildet. Im Vordergrund stehen dabei Konzentrationsindizes.497 Diese geben die Verteilung eines Umsatzvolumens auf einzelne Unternehmen an. Ein Beispiel ist der Herfindahl-Hirschmann-Index.498 Sie haben freilich nur eingeschränkte Aussagekraft.499 Ihr Einsatz beruht auf der anhand des neoklassischen Modellspektrums 490 Siehe zum Beispiel Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 68; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 63; Cantner in: Drexl/ Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 151; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 65 f. 491 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 63 Fn. 256; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 132; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 42 f. 492 Vgl. Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 7, 10. 493 Vgl. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 644, 651. 494 Übersichten dieser Literatur finden sich etwa bei Kamien/Schwartz, Journal of Economic Literature 1975, Bd. 13, Nr. 1, 1; Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1059–1107; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 129–213; Schmidt/Haucap, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 2013, S. 134–139; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160–168. 495 Noch größer ist nur der Bestand an empirischen Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Marktkonzentration und Unternehmensprofitabilität Cohen/Levin in: Schmalensee/ Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1060; siehe auch Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 187; Kwoka in: Nihoul/Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 16. 496 Vgl. hierzu Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1067. 497 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 12. 498 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 385, 389. 499 Siehe hierzu Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 12, 16.
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gewonnenen, theoretischen Erkenntnis zur Aussagekraft der Konzentration eines Markts für die Intensität des Wettbewerbs auf diesem beziehungsweise die Marktmacht der auf ihm tätigen Unternehmen.500 Der hier postulierte Zusammenhang zwischen Marktkonzentration und Wettbewerbsintensität beziehungsweise Marktmacht besteht allerdings lediglich in der Tendenz, nicht auch zwingend in jedem Einzelfall.501 Die Marktkonzentration ist, wie Gilbert es ausdrückt, „a commonly used, but highly imperfect, surrogate for competi tion“502. Hinzukommt, dass bei empirischen Untersuchungen in aller Regel gar nicht auf Konzentrationskennzahlen für bestimmte, einzelne Märkte zurückgegriffen werden kann. Umsatzangaben stehen meist nur aggregiert zur Verfügung, beispielsweise für ganze Industrien. Insofern wird zur Abbildung von Wettbewerbsintensität beziehungsweise Marktmacht in Studien häufig nicht die eigentliche Marktkonzentration, sondern eine Industriekonzentration herangezogen. Daraus resultieren weitere Verzerrungen, die mit einer steigenden Anzahl an Einzelmärkten innerhalb einer Industrie gewichtiger werden.503 Seltener werden in empirischen Untersuchungen zur zweiten Neo-Schumpeter-Hypothese andere als strukturelle Indikatoren für die Intensität des Wettbewerbs auf einem Markt oder die Marktmacht von Unternehmen gewählt. In Betracht kommen hier etwa die Preisaufschläge auf seinen Grenzkostenpreis, die ein Unternehmen realisieren kann (sogenannte Markups).504 Im Folgenden wird nun zunächst auf die theoretischen Argumente für und gegen die beiden Neo-Schumpeter-Hypothesen eingegangen. Sodann werden die Erkenntnisse aus ihrer empirischen Überprüfung kurz dargestellt.
1. Unternehmensgröße und Innovation Die Hypothese, dass die Innovationsaktivität eines Unternehmens überproportional mit dessen Größe steigt, hat – nach Andeutungen Schumpeters – wohl 500 Vgl. etwa Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 11 f.; Baker, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 575, 583; siehe auch Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 66. 501 Siehe nur Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 12 f.; vgl. auch Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 386; siehe ferner bereits oben, unter A.III.1.b). 502 Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 187. 503 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 387. 504 Zu Markups als Marktmachtindikatoren siehe etwa Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 11 f.; Loecker/Eeckhout, The Quaterly Journal of Economics 2020, Bd. 135, Nr. 2, 561–644; Weche/Wambach, The Fall and Rise of Market Power in Europe, 2018; Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 390–393. Für eine aktuelle Studie zum Zusammenhang zwischen Marktmacht, abgebildet durch Markups, einerseits und Innovation andererseits siehe etwa Ganglmair/Hahn/Hellwig/Kann/Peters/Tsanko, Price Markups, Innovation, and Productivity: Evidence from Germany, 2020.
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erst Galbraith ausdrücklich formuliert.505 Dieser These liegt die Überlegung zugrunde, dass (gegenwärtig) größere Unternehmen möglicherweise stärkere Innovationsfähigkeiten und -anreize haben als kleinere Unternehmen.506 Als Argument wird vorgebracht, dass größere Unternehmen einen besseren Zugang zu Finanzmitteln hätten, sodass sie Innovationstätigkeiten besser finanzieren könnten.507 Denn sie seien zumeist besser mit Eigenkapital ausgestattet,508 aus welchem Innovationstätigkeiten vorwiegend finanziert würden.509 Auch sei für sie die Aufnahme von Fremdkapital mit geringeren (Zins-)Kosten verbunden.510 Größere Unternehmen profitierten zudem von Skalen- und Verbundeffekten.511 Bei ihnen könnten sich etwa eher Produktivitätssteigerungen daraus ergeben, dass sich Innovationstätigkeiten und anderweitige Tätigkeiten (wie Marketing oder Finanzplanung) gegenseitig ergänzen.512 Möglich sei auch, dass das F&EPersonal in größeren Unternehmen produktiver sei, da sich Mitarbeitende in größeren Teams besser untereinander austauschen könnten.513 Da größere Unternehmen außerdem meist über stärker diversifizierte Produktpaletten verfügten, könnten ihnen auch eher technologische Spillovers zwischen verschiedenen, auf unterschiedliche Produktbereiche ausgerichteten Forschungsprojekten zugutekommen.514 Deshalb seien sie auch eher in der Lage, unvorhergesehene Erfindungen zu nutzen,515 und die mit Innovationstätigkeiten einhergehenden Risiken zu streuen.516 505 Galbraith, American Capitalism, 1952, S. 70; siehe hierzu auch Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160. Zu einer weitergehenden Perspektive auf die Bedeutung großer, etablierter Unternehmen für die Hervorbringung von Innovationen siehe auch etwa Buenstorf in: Pyka/Cantner, Foundations of Economic Change, 2017, S. 283–297. 506 Ausführlich hierzu auch etwa Rothwell/Zegveld, Innovation and the Medium Sized Firm, 1982, S. 44–54. 507 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3, 22; Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1067. 508 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1067. 509 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 22. 510 Siehe hierzu Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 24–26. 511 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3; vgl. auch Cohen/ Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1067; Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652. 512 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1067; Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652. 513 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 18. 514 Vgl. hierzu Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3, 18, 21; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 161. 515 Vgl. Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 161; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3, 21. 516 Vgl. Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3, 21.
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Ein weiteres Argument geht dahin, dass größere Unternehmen aufgrund eines größeren Umsatzvolumens die mit Innovationstätigkeiten regelmäßig verbundenen hohen Fixkosten eher amortisieren könnten.517 Ein größeres Umsatzvolumen ermögliche ihnen dann auch eine höhere Rendite.518 Unter diesen Gesichtspunkten hat ein größeres Unternehmen freilich nur dann stärkere Innovationsanreize, wenn von der gegenwärtigen auf die zukünftige Größe beziehungsweise vom gegenwärtigen auf das zukünftige Umsatzvolumen eines Unternehmens geschlossen werden kann.519 Dies ist etwa nicht der Fall bei besonders erfolgversprechenden Innovationen, bei denen anzunehmen ist, dass kleinere Unternehmen gerade durch ihre Einführung rasch wachsen und ihr Umsatzvolumen so ausweiten können.520 In eine ähnliche Richtung wie das zuvor genannte geht das Argument, dass größere Unternehmen aufgrund ihrer größeren Ausbringungsmenge stärker von Prozessinnovationen profitieren könnten.521 Gegen besondere Innovationsfähigkeiten und -anreize gerade größerer Unternehmen werden unter anderem die folgenden Argumente ins Feld geführt: Was den Zugang zu Finanzmitteln angehe, hätten kleinere Unternehmen angesichts der Leistungsfähigkeit moderner Kapitalmärkte, einschließlich der Märkte für Wagniskapital, tatsächlich keinerlei Nachteil.522 Größere Unternehmen seien zudem weniger effizient bei der Durchführung von Innovationstätigkeiten, da mit zunehmender Unternehmensgröße vermehrt Organisationsschwierigkeiten aufträten.523 Das Managementpersonal besonders großer Unternehmen könne die Vielzahl anfallender Einzelvorgänge in der Regel nur eingeschränkt kontrollieren. Häufig stelle sich eine überbordende Bürokratisierung ein, die insbesondere notwendige Kreativität behindern könne.524 In For517
Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1067; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160. 519 Vgl. auch Cohen/Klepper, The Economic Journal 1996, Bd. 106, Nr. 437, 925, 926 f. 520 Vgl. hierzu Cohen/Klepper, The Economic Journal 1996, Bd. 106, Nr. 437, 925; siehe auch Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 17; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 153 f.; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160. 521 Siehe etwa Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652. 522 Vgl. etwa Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 363 Fn. 4; Nicholas, Antitrust Law Journal 2011, Bd. 77, Nr. 3, 787, 802–807; Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 587, 590–592; Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652. Ausführlich zur Rolle von Wagniskapitalgebern bei der Finanzierung von Innovationstätigkeiten auch Lerner/Nanda, Journal of Economic Perspectives 2020, Bd. 34, Nr. 3, 237. Zur Finanzierung von kleineren Unternehmen in Deutschland im Allgemeinen siehe etwa Rolke, Herausforderungen bei der Finanzierung von kleinen und mittleren Unternehmen, 2019. 523 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 18. 524 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 4, 18; Cohen/ Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1067. 518
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schungseinrichtungen mit viel Personal müsse unverhältnismäßig viel Zeit auf das Bewerkstelligen des Wissenstransfers zwischen einzelnen Personen verwandt werden, was ebenfalls zulasten der kreativen Arbeit gehe.525 Auch wirke sich die Einbindung allzu vieler Forschender in einzelne Forschungsprojekte ungünstig auf deren Motivation und Anreize aus, da sie so meist nur geringen Anteil an den Früchten ihrer Arbeit hätten.526 Angesichts der mit der Unternehmensgröße wachsenden Bedeutung von Organisations- und Managementaufgaben verliefen Karrierepfade in großen Unternehmen verstärkt entlang verschiedener Managementposition, sodass die fähigsten Forschenden vielfach schon nach kurzer Zeit gar nicht mehr in die eigentliche Forschung eingebunden seien, sondern Leitungstätigkeiten übernähmen.527 Schließlich gehe mit zunehmender Unternehmensgröße die für Innovationstätigkeiten häufig relevante Risikofreudigkeit zurück. Denn mit länger werdenden Weisungs- und Verantwortungsketten steige die Wahrscheinlichkeit, dass besonders kreative, von der bisherigen Norm stark abweichende Ideen und Vorschläge an irgendeiner Stelle aufgegeben würden.528 Dies wiederum schrecke (potentielle) Mitarbeitende ab, die sich gerade durch ihre hohe Kreativität auszeichneten, beziehungsweise könne sie dazu bewegen, das Unternehmen zu verlassen (und etwa eigene Unternehmen zu gründen).529
2. Marktmacht beziehungsweise Marktkonzentration und Innovation Der zweiten Neo-Schumpeter-Hypothese zufolge haben Unternehmen umso stärkere Innovationsfähigkeiten und -anreize, je weniger intensivem Wettbewerb sie (gegenwärtig) ausgesetzt sind und je größer ihre (gegenwärtige) Marktmacht ist – beziehungsweise je stärker konzentriert die Märkte sind, auf welchen sie (gegenwärtig) ihre Produkte anbieten. Hierfür wird angeführt, dass Unternehmen mit steigender Marktmacht ja definitionsgemäß höhere, insbesondere oberhalb ihrer Grenzkosten liegende Preise durchsetzen und so übernormale ökonomische Gewinne erzielen könnten, was ihnen die Finanzierung von Innovationstätigkeiten erleichtere.530 Zudem hätten marktmächtige Unternehmen bessere Aussichten darauf, sich die Erträge aus ihren Innovationstätigkeiten aneignen zu können. Ertragsaneignung, so die wichtige Erkenntnis von Schumpeter, setze gerade Marktmacht voraus. Auch dieses Argument be525 Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652. 526 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2,
1989, S. 1067. 527 Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652. 528 Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652. 529 Scherer/Ross, Industrial Market Structure and Economic Performance, 1990, S. 652 f. 530 Vgl. hierzu Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1074 f.; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3, 22; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 5.
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ruht freilich darauf, dass von der gegenwärtigen auf die zukünftige Marktmacht eines Unternehmens – beziehungsweise von der Konzentration eines gegenwärtigen Produktmarkts auf die Konzentration eines zukünftigen Produktmarkts – geschlossen werden kann.531 Ein wichtiges Gegenargument ist hier, dass ein nur geringer gegenwärtiger Wettbewerbsdruck marktmächtige Unternehmen zur Trägheit verleite, da sie namentlich unter dem Gesichtspunkt von Business-Stealing- und Escape-Competition-Effekten schwächere Anreize zu proaktiven und reaktiven Innovationstätigkeiten hätten.532 Ein weiteres Gegenargument geht dahin, dass marktmächtige Unternehmen aufgrund von Kannibalisierungseffekten regelmäßig in geringerem Maße von der Einführung innovativer Produkte profitierten als Unternehmen, die keine (oder kaum) Marktmacht hätten oder gegenwärtig noch gar nicht auf einem Produktmarkt tätig seien.533 Die Hervorhebung von Kannibalisierungseffekten geht, wie beschrieben, auf Arrow zurück. Insofern kommt in den soeben einander gegenübergestellten Argumenten die eingangs bereits angesprochene, sogenannte Schumpeter-Arrow-Kontroverse zum Ausdruck. Hierin erschöpft sich das Verhältnis von Innovation und Wettbewerb, wie ebenfalls schon erwähnt, freilich nicht.534
3. Empirische Überprüfung der Neo-Schumpeter-Hypothesen Die empirische Überprüfung der Thesen vom Zusammenhang zwischen der Größe und Marktmacht von Unternehmen auf der einen und ihrer Innovationsaktivität auf der anderen Seite hat trotz der großen Anzahl an einschlägigen Studien bislang kaum ergiebige Ergebnisse hervorgebracht.535 Ein wichtiger Grund ist darin zu suchen, dass sich bereits die Auswahl geeigneter Kennzahlen für die Innovationsaktivität von Unternehmen, die mit Kennzahlen für Unternehmensgröße und Marktkonzentration in Beziehung gesetzt werden können, schwierig gestaltet.536 Auf mögliche Innovationskennzahlen und hiermit verbundene Pro531 Vgl.
hierzu Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1074 f.; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 3, 26; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 63; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 140; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 223. 532 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1075; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 4; siehe auch bereits oben, unter B.III.1.a). 533 Vgl. nur Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1075; siehe auch bereits oben, unter B.III.1.c). 534 Siehe hierzu Abschnitt A. der Einleitung. 535 Siehe etwa Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 66; Cantner in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 151; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 68; Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 108. 536 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2,
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blematiken wird im Folgenden zunächst eingegangen (unter a)). Anschließend werden für beide Neo-Schumpeter-Hypothesen jeweils einige Ergebnisse empirischer Untersuchungen dargestellt (unter b) und c)).
a) Kennzahlen für die Innovationsaktivität von Unternehmen Als Kennzahlen für die Innovationsaktivität von Unternehmen kommen sowohl solche auf der Input-Seite als auch solche auf der Output-Seite in Betracht.537 Zu ersteren zählen vor allem die Ausgaben, die ein Unternehmen für Forschung und Entwicklung aufwendet, sowie die Anzahl der Beschäftigten, die es hierfür abstellt.538 Solche Input-Einheiten werden in den meisten einschlägigen Studien eingesetzt.539 Problematisch an ihnen ist die Praxis ihrer Erhebung: Diese wird in Unternehmen nicht zwingend einheitlich gehandhabt.540 Zudem werden F&E-Ausgaben und -Personal häufig nur in Unternehmen mit speziell organisierten F&E-Einrichtungen oder -Abteilungen statistisch erfasst. Dies kann zur Unterrepräsentation der Innovationsaktivität kleinerer Unternehmen führen, die vielfach nicht über gesonderte F&E-Abteilungen verfügen, sondern Forschung und Entwicklung informell, das heißt innerhalb von Abteilungen mit anderweitigen Schwerpunkten (wie Design oder Vertrieb), betreiben.541 Als Output der Innovationsaktivität eines Unternehmens werden oft Anzahl oder Marktwert der von diesem hervorgebrachten Innovationen oder der ihm erteilten Patente herangezogen.542 Letzteres ist insofern problematisch, als die Neigung von Unternehmen, ihre Erfindungen patentieren zu lassen, je nach Unternehmensgröße und Industrie stark schwankt.543 Auch sind Patente mög1989, S. 1062. Zu weitergehenden Schwierigkeiten bei der empirischen Überprüfung der NeoSchumpeter-Hypothesen vgl. etwa Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1061, 1066, 1070; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 6, 11 f., 16; Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 596–598; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 1627. 537 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1062; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. Zu Kennzahlen beziehungsweise Indikatoren für Innovation siehe auch etwa Grupp in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 503–524; OECD, Frascati Manual, 2015, S. 207 f.; Som in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019. 538 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. 539 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1064. 540 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1065; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. 541 Santarelli/Sterlacchini, Small Business Economics 1990, Bd. 2, Nr. 3, 223; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. 542 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. 543 Siehe auch Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1063 f.; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996,
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licherweise bedeutsamer im Zusammenhang mit Produkt- als mit Prozessinnovationen.544 Sinnvoll ist es, nur besonders wichtige Innovationen oder Patente zu berücksichtigen. Dies drängt sich bereits deshalb auf, weil sich die (technologische) Relevanz und der (Markt-)Wert verschiedener Innovationen stark unterscheiden können.545 Zwar gibt es Methoden zur Bemessung der Signifikanz einer Innovation. Diese sind aber fehleranfällig. Bei Einschätzungen von Expertinnen und Experten des betroffenen wissenschaftlichen oder technischen Fachgebiets können individuelle Fehleinschätzungen und Biases zum Tragen kommen.546 Als wenig zielführend haben sich auch Versuche erwiesen, Reaktionen der Kapitalmärkte auf Patenterteilungen zu messen.547 Fortschritte sind dagegen mit Ansätzen erzielt worden, bei denen Patente anhand der Anzahl gewichtet werden, mit der sie in anderen Patentschriften zitiert werden.548 Die Annahme, dass derartige Patentzitierungen (Patent Citations) Auskunft über die Bedeutung eines Patents als Grundlage weiteren technischen Fortschritts und wirtschaftlichen Erfolgs geben können, gründet auf den folgenden Überlegungen: In Patentschriften werden in der Regel diejenigen vorgängigen Patente aufgeführt, auf denen die nunmehr patentierte Erfindung aufbaut. Diese vorgängigen Patente geben den Stand der Technik bis zur nunmehr patentierten Erfindung wieder. Je öfter ein Patent in Patentschriften zitiert wird, desto höher ist also seine Bedeutung als Voraussetzung und Wegbereiter nachfolgender Erfindungen. Weil solche nachfolgenden Erfindungen wiederum mit kostspieligen Innovationstätigkeiten einher gehen, liegt außerdem nahe, dass die nachfolgenden Innovatoren dem fraglichen wirtschaftlich-technischen Umfeld ein gewisses Wertschöpfungspotential zuschreiben.549 Trotz der FortschritS. 5; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 165. 544 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1066. 545 Vgl. Trajtenberg, The RAND Journal of Economics 1990, Bd. 21, Nr. 1, 172, 172 f.; Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1063; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5; Sidak/Skog, The Criterion Journal on Innovation 2018, Bd. 3, 201, 215 f. 546 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1063; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. 547 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1064; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. 548 Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 167; Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1064; siehe hierzu auch Trajtenberg, The RAND Journal of Economics 1990, Bd. 21, Nr. 1, 172; Harhoff/Narin/Scherer/Vopel, The Review of Economics and Statistics 1999, Bd. 81, Nr. 3, 511; Hall/Jaffe/Trajtenberg, The RAND Journal of Economics 2005, Bd. 36, Nr. 1, 16; Falk/Train, Journal of Business Valuation and Economic Loss Analysis 2017, Bd. 12, Nr. 1, 101; Sidak/Skog, The Criterion Journal on InnovatIon 2018, Bd. 3, 201, 220–242. 549 Vgl. zu Patent Citations insofern Trajtenberg, The RAND Journal of Economics 1990, Bd. 21, Nr. 1, 172, 173 f.; Harhoff/Narin/Scherer/Vopel, The Review of Economics and Statistics 1999, Bd. 81, Nr. 3, 511.
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te bei der Heranziehung von Patent Citations beziehungsweise entsprechenden Gewichtungen sind die in Studien bislang verwendeten Indikatoren für Relevanz und Marktwert von Innovationen insgesamt nach wie vor als Imperfect Proxies zu bezeichnen.550
b) Untersuchungsergebnisse zu Unternehmensgröße und Innovation Zu den Ergebnissen empirischer Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Innovationsaktivität halten Cohen und Levin fest: „The most notable feature of this considerable body of empirical research on the relationship between firm size and innovation is its inconclusiveness.“551 Cohen – der einschlägige Studien aus fünf Jahrzehnten ausgewertet hat – kommt zu dem Schluss, dass sich trotz mitunter starker Abweichungen zwischen deren Ergebnissen und Kontroversen um ihre Interpretation einige Befunde herausgebildet haben, über die zumindest grundsätzliche Einigkeit besteht.552 Hierzu gehört, dass die Innovationsaktivität von Unternehmen, gemessen anhand von Input-Einheiten, mehr oder weniger monoton und zumeist proportional mit der Unternehmensgröße ansteigt.553 Das gilt zumindest für Unternehmen ab einer gewissen Mindestgröße. Allerdings ist der Befund in Studien, dass sehr kleine Unternehmen kaum oder keine Innovationstätigkeiten durchführen, regelmäßig wenig aussagekräftig, da in einem Großteil dieser Studien, wie erwähnt, die informellen F&E-Tätigkeiten kleiner Unternehmen unberücksichtigt bleiben.554 Die Ergebnisse von Untersuchungen, in denen Innovationsaktivität anhand von Output-Einheiten abgebildet wird, scheinen insgesamt noch weniger aussagekräftig zu sein: Hier besteht bloß eine leichte Tendenz hin zu einem unterproportionalen Anstieg der Innovationsaktivität im Verhältnis zur Unternehmensgröße.555 Insofern konnten die empirischen Untersuchungen die erste Neo-Schumpeter-Hypothese zu einem positiven, überproportionalen Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Innovationsaktivität jedenfalls nicht bestätigen.556 Die Feststellung eines lediglich proportionalen Anstiegs der 550 Vgl. zu dieser Bezeichnung Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 5. 551 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1069. 552 Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 133; vgl. auch Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160. 553 Siehe Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 136 f.; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160. 554 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 10 f. 555 Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 137; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 11. 556 Vgl. Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 66; Cohen in: Hall/ Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 136.
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Input-Innovationskennzahlen mit der Unternehmensgröße legt gerade keine besonderen Innovationsfähigkeiten und -anreize größerer Unternehmen nahe. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Innovationsaktivität eines größeren Unternehmens genauso gut auf mehrere kleine Unternehmen entfallen könnte. Die aggregierte Innovationsaktivität auf einem Markt mit nur einem großen Unternehmen dürfte sich demnach nicht unterscheiden von derjenigen auf einem Markt mit mehreren kleinen.557 Konsensfähig scheinen außerdem etwa die Befunde zu sein, dass mit der Größe eines Unternehmens sein Anteil an inkrementellen und Prozessinnovationen steigt und umgekehrt sein Anteil an eher radikalen und Produktinnovationen sinkt.558 Dasselbe gilt für den Befund, dass die F&E-Produktivität mit der Unternehmensgröße abnimmt.559 Hier ist die Interpretation der Studienergebnisse jedoch teilweise umstritten.560 Weitergehende Erkenntnisse liefern übrigens auch Studien nicht, die anstatt der Innovationsaktivität eines Unternehmens diejenige einzelner Unternehmenssparten oder Abteilungen untersuchen.561 Zu beobachten ist, dass sich Untersuchungsergebnisse zum Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Innovationsaktivität über Industrien, aber auch über Zeiträume und Regionen hinweg stark unterscheiden.562 Frühere Untersuchungen, die Unternehmen aus verschiedenen Industrien betrachteten, wiesen durchaus noch auf einen überproportionalen Anstieg der Innovationsaktivität mit der Größe eines Unternehmens hin.563 Sobald in nachfolgenden Untersuchungen verschiedene Industrieeigenschaften als Störfaktoren kontrolliert wurden, stellte sich allerdings ein stärker ambivalentes Bild ein.564 Ausgehend hiervon hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass bestimmte Industrieeigenschaften sowohl die Größe der Unternehmen in einer Industrie als auch deren Innovationsaktivität beeinflussen.565 Die Kontrolle solcher Industrieeigenschaften als Störfaktoren ist daher in industrieübergreifenden Untersuchungen unabdingbar.566 Sie gestaltet sich jedoch ebenfalls überaus 557 Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 136. 558 Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 137. 559 Vgl. Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 137; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 11. 560 Vgl. nur Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 137 f., 153. 561 Vgl. Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 136; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 9 f. 562 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 11. 563 Siehe nur Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 134. 564 Vgl. nur Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 134. 565 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 6. 566 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 6.
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schwierig, etwa weil viele größere Unternehmen in verschiedenen Industrien gleichzeitig tätig sind.567 Dies wird als ein Grund für die geringe Aussagekraft der Studien genannt (neben den eingangs dargestellten Unzulänglichkeiten der Innovationskennzahlen sowie möglichen Stichprobenverzerrungen).568 Heute scheint anerkannt zu sein, dass sich Unterschiede in der Innovationsaktivität von Unternehmen, die in verschiedenen Industrien tätig sind, in weitaus größerem Maße mit den unterschiedlichen Eigenschaften der Industrien erklären lassen als anhand der Größe der Unternehmen.569 Dies deutet darauf hin, dass es keine für Innovation ideale Unternehmensgröße gibt, beziehungsweise dass es angesichts der Bedeutung von Industrieeigenschaften hierauf letztlich nicht wirklich ankommt.570
c) Untersuchungsergebnisse zu Marktkonzentration und Innovation Der Zusammenhang zwischen der Marktmacht und Innovationsaktivität von Unternehmen wird in der empirischen Forschung, wie dargelegt, meist als Zusammenhang zwischen Marktkonzentration und Innovationsaktivität untersucht. Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen sind ebenfalls kaum aussagekräftig.571 Insgesamt legen sie nahe, dass für einen generell positiven Zusammenhang zwischen Marktkonzentration und Innovationsaktivität wenig spricht, soweit Innovationskennzahlen der Input-Seite zugrunde gelegt werden.572 Nachgewiesen wurden in einzelnen Studien sowohl ein positiver als auch ein negativer Zusammenhang; außerdem ein solcher in Form eines umgedrehten U (sogenannte Inverted-U Relationship) – das heißt, dass mit steigender Konzentration zunächst auch die Innovationsaktivität zunimmt, allerdings nur bis einem gewissen Konzentrationsgrad, ab welchem sie mit weiter steigender Konzentration wieder abnimmt.573 567 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1069; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 6; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 135. 568 Siehe Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 11; Cohen/ Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1069 f. 569 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1073 f.; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 6; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160. 570 Vgl. auch Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 168. Siehe hierzu auch bereits die Feststellung von Jewkes/Sawers/Stillerman, The Sources of Invention, 1958, S. 222: „It may well be that there is no optimum size of firm but merely an optimal pattern for any industry, such a distribution of firms by size, character and outlook as to guarantee the most effective gathering together and commercially perfecting of the flow of new ideas“. 571 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 16; Cohen in: Hall/ Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 154. 572 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 16. 573 Siehe Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1075; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation,
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
Studien, in denen als Innovationskennzahlen Output-Einheiten verwendet wurden, legen einen generell positiven Zusammenhang zwischen Konzentration und Innovationsaktivität erst recht nicht nahe.574 Auch im Vergleich zur Marktkonzentration werden Industrieeigenschaften letztlich als besserer Ansatzpunkt angesehen, um Unterschiede in der Innovationsaktivität von Unternehmen zu erklären.575
4. Schlussfolgerungen Die empirische Überprüfung hat also keine der beiden Neo-Schumpeter-Hypothesen bestätigt. Für die Annahme, größere und marktmächtige beziehungsweise auf konzentrierten Märkten tätige Unternehmen hätten generell stärkere Innovationsfähigkeiten und -anreize, gibt es keine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage. Dasselbe gilt im Übrigen für die entgegengesetzte Annahme, kleinere Unternehmen mit vielen Wettbewerbern hätten generell stärkere Innovationsfähigkeiten und -anreize.576 In welchem Zusammenhang Unternehmensgröße beziehungsweise Marktkonzentration und Innovationsaktivität jeweils stehen, hängt vielmehr in entscheidendem Maße davon ab, welcher Industrie die in einer Studie erfassten Unternehmen jeweils angehören. Hieraus lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen in weitaus größerem Maße durch bestimmte Industrieeigenschaften beeinflusst werden als durch Unternehmensgröße und Marktkonzentration.577 Mit anderen Worten: sowohl Unternehmensgröße und Marktkonzentration als auch die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen sind endogene Faktoren innerhalb eines komplexen Systems, das vor allem durch bestimmte Industrieeigenschaften determiniert wird (und nicht zuletzt auch durch den Zufall).578 Die Frage nach einer für Unternehmen zur Hervorbringung von Innovationen generell idealen Marktstruktur ist mithin nicht zielführend. Zu fragen ist vielmehr nach den maßgeblichen Industrieeigenschaften.579 Diese sind Gegenstand der folgenden Abschnitte. Bd. 1, 2010, S. 142 f.; siehe hierzu insbesondere auch Aghion/Bloom/Blundell/Griffith/Howitt, The Quarterly Journal of Economics 2005, Bd. 120, Nr. 2, 701. 574 Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 16. 575 Vgl. hierzu Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1076–1078; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 16; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 146–148. 576 Vgl. Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 67 f.; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 11 f.; siehe auch Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 112–118. 577 Vgl. Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 160; siehe auch Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 33. 578 Vgl. Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 11, 16; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 155. 579 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2,
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II. Industrieeigenschaften als Determinanten für Innovation Als Industrieeigenschaften werden die wesentlichen Merkmale bezeichnet, die für eine Industrie spezifisch sind und sie von anderen Industrien unterscheiden.580 In der ökonomischen Literatur scheint sich inzwischen ein Konsens darüber herausgebildet zu haben, welche Industrieeigenschaften sowohl die Struktur von Märkten als auch die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen entscheidend beeinflussen können – und auf die es bei der Frage nach den für Innovation besonders förderlichen Bedingungen ankommt. Dazu gehören in erster Linie die Aneigenbarkeit von Erträgen aus Innovationstätigkeiten, die zu erwartende Nachfrage sowie das technologische Potential (Technological Opportunity).581 Bei diesen drei Faktoren wird davon ausgegangen, dass sie – auch wenn sie im genannten komplexen System ebenfalls endogen und von anderen Faktoren beeinflussbar sind – für hinreichend lange Zeiträume konstant bleiben, um die über verschiedene Industrien hinweg zu beobachtenden Unterschiede in der Innovationsaktivität von Unternehmen zu erklären.582 Auf die Bedeutung von Aneigenbarkeit, zu erwartender Nachfrage und technologischem Potential für die Innovationsanreize von Unternehmen wurde bereits eingegangen.583 Dabei wurde allerdings die Industriespezifität dieser Faktoren noch nicht erläutert. Bei den Nachfragebedingungen leuchtet sie sogleich ein: Die Nachfrage unterscheidet sich bereits über verschiedene Märkte und damit umso mehr über verschiedene Industrien hinweg. Um überhaupt zur Abgrenzung verschiedener Märkte zu gelangen, bedarf es ja gerade einer unterschiedlichen Nachfrage. Die Industriespezifität der Aneignungsbedingungen und des technologischen Potentials erschließt sich hingegen nicht von selbst. Auf sie wird deshalb im Folgenden gesondert eingegangen.
1989, S. 1078; Symeonidis, Innovation, Firm Size and Market Structure, 1996, S. 11; Sidak/ Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 586, 588 f.; Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 206. 580 Der Begriff Industrie wird in dieser Arbeit als Synonym für die Begriffe Branche oder Sektor verwandt. Aus dem Englischen übernommen, scheint sich diese synonyme Verwendung auch in der deutschsprachigen Literatur zu Innovation und Innovationswettbewerb weitgehend durchgesetzt zu haben, vgl. etwa die Begriffsverwendung bei Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017. 581 Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1061, 1079; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 168; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 162; siehe hierzu auch etwa Castellacci, Industrial and Corporate Change 2007, Bd. 16, Nr. 6, 1105. 582 Vgl. Cohen/Levin in: Schmalensee/Willig, Handbook of Industrial Organization, Bd. 2, 1989, S. 1081, 1095. 583 Siehe oben, unter B.III.2., B.III.4.b)aa) und B.III.4.b)bb).
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
1. Zur Industriespezifität der Aneignungsbedingungen Dass die Bedingungen zur Aneignung von Erträgen aus Innovationstätigkeiten ein Industriespezifikum darstellen, sich also über verschiedene Industrien hinweg unterscheiden können, verdeutlichen vor allem empirische Untersuchungen zur Bedeutung, die Unternehmen einzelnen Aneignungsmechanismen jeweils beimessen.584 Bei Befragungen regelmäßig innovierender Unternehmen hat sich zunächst herausgestellt, dass das Patentsystem – entgegen seiner prominenten Stellung als Aneignungsmechanismus – tatsächlich vielfach als relativ unwichtig wahrgenommen wird.585 Beachtung haben insbesondere die sogenannte Yale- und die sogenannte Carnegie-Mellon-Studie gefunden.586 Die für diese Studien befragten Unternehmen maßen anderweitigen Aneignungsmechanismen – darunter verschiedene First-Mover Advantages (außerhalb des Patentsystems) und Geheimhaltungsstrategien – im Durchschnitt weitaus größere Bedeutung zu als Patenten.587 Selbst Unternehmen, welche das Patentsystem als wichtig einschätzten, nutzten auch noch weitere Aneignungsmechanismen, sei es nebeneinander oder während verschiedener Phasen ihrer Innovationsprozesse.588 Unternehmen hielten ihre Innovationstätigkeiten beispielsweise zunächst geheim, machten sie dann aber im Rahmen einer Patentanmeldung oder zu Marketingzwecken öffentlich.589 Ausschlaggebend dafür, auf welchen Aneignungsmechanismus ein Unternehmen im Einzelfall zurückgreift, ist den Autoren der Carnegie-Mellon-Studie zufolge dessen Eignung und Handhabbarkeit zum Schutz einer konkreten Innovation.590 Eine in diesem Zusammenhang geläufige Überlegung geht beispielsweise dahin, dass bei Produktinnovationen häufiger Patente angemeldet werden als bei Prozessinnovationen,591 weil Letztere eher geheim gehalten werden können, während Erstere gegenüber Kundinnen und Kunden beworben und letztlich an diese abgegeben werden müssen.592 584 Ausführlich zu solchen empirischen Untersuchungen auch Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 182–193; vgl. auch etwa Burk/Lemley, The Patent Crisis and How the Courts Can Solve It, 2009, S. 42–44. 585 Nach der Auswertung einschlägiger Studien gelangt zu diesem Schluss etwa Sampat, A Survey of Empirical Evidence on Patents and Innovation, 2018, S. 5. 586 Siehe Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783 (sogenannte Yale-Studie); Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000 (sogenannte Carnegie-Mellon-Studie); vgl. hierzu auch etwa Williams, Annual Review of Economics 2017, Bd. 9, 441, 448. 587 Siehe Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 794; Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000, S. 9. 588 Vgl. Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000, S. 6 f. 589 Vgl. Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000, S. 7. 590 Vgl. Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000, S. 8 Fn. 18. 591 Carrier, Iowa Law Review 2008, Bd. 93, Nr. 2, 393, 405; Link/Lunn, Review of Industrial Organization 1984, Bd. 1, Nr. 3, 232, 233. 592 Vgl. Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 795.
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Darüber hinaus wurde die Bedeutung des Patentsystems sehr unterschiedlich eingeschätzt, je nachdem, welcher Industrie die befragten Unternehmen zuzuordnen waren. Erst Mansfield und dann auch die erwähnten Yale- und Carnegie-Mellon-Studien gelangten jeweils zu dem Ergebnis, dass Patente vor allem in der Arzneimittel- und Chemiebranche als wichtige Aneignungsmechanismen gelten, während dies in anderen Branchen in deutlich geringerem Maße der Fall ist.593 Als weniger, aber immer noch wichtig werden Patente zum Schutz vergleichsweise unkomplizierter mechanischer Geräte, wie Kompressoren und motorbetriebener Werkzeuge, angesehen.594 Die Autoren der Yale-Studie erklären sich diese unterschiedlichen Einschätzungen damit, dass manche Innovationen besser fassbar und abgrenzbar seien als andere und sich ihre immaterialgüterrechtliche Schutzfähigkeit daher leichter feststellen lasse. Bei derartigen Innovationen seien daher sowohl die Erlangung eines Immaterialgüterrechts (in einem Patentanmeldeverfahren) als auch dessen Verteidigung (im Patentverletzungsprozess) einfacher. Diese Eigenschaften wiesen Innovationen in Gestalt diskreter Produkte mit nur wenigen patentierbaren Komponenten auf, wie Chemikalien oder mechanische Geräte, nicht aber etwa komplexere Technologien oder Elektronikartikel.595 Die Autoren der Carnegie-Mellon-Studie fügen hinzu, dass Innovatoren Patente für Produkte dieser beiden Kategorien auch durchaus unterschiedlich nutzten: Im Falle diskreter Produkte dienten Patente dazu, Imitationen zu verhindern (also der eigentlichen Ertragsaneignung). Im Falle komplexer Produkte setzten Innovatoren Patente hingegen vor allem auch als Verhandlungsmasse im Rahmen von Lizenzverhandlungen ein. Solche Verhandlungen seien gerade bei der Entwicklung komplexer Technologieprodukte häufig erforderlich. Hierzu bedürfe es nämlich meist nicht nur einer patentierten Technologie, sondern zahlreicher solcher Technologien – und daher auch der Kooperation verschiedener Patentinhaber.596 Auch hier gilt natürlich, dass empirische Untersuchungen, zumal Befragungen, nie ein absolut verlässliches Bild der Wirklichkeit zeichnen. Die erwähnten Umfragen konzentrierten sich etwa auf Unternehmen einer bestimmten Größe. Die Einbeziehung auch kleinerer Unternehmen hätte möglicherweise andere Ergebnisse hervorgebracht. So ist denkbar, dass Patente für kleinere Unterneh593 Vgl.
Mansfield, Management Science 1986, Bd. 32, Nr. 2, 173, 175; Levin/Klevorick/ Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 797; Cohen/ Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000, S. 9, 12; siehe auch Williams, Annual Review of Economics 2017, Bd. 9, 441, 450; ausführlicher zur Ertragsaneignung in der Arzneimittelbranche auch Carrier, Iowa Law Review 2008, Bd. 93, Nr. 2, 393, 413 f. 594 Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 796. 595 Vgl. Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 798; siehe auch Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000, S. 18 f. 596 Vgl. Cohen/Nelson/Walsh, Protecting Their Intellectual Assets, 2000, S. 18–24.
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men ein wichtigeres Aneignungsinstrument darstellen, weil ihnen andere Mechanismen nicht in gleicher Weise zur Verfügung stehen wie größeren Unternehmen.597 Trotz derartiger Unzulänglichkeiten empirischer Studien wird aber davon ausgegangen, dass die bisherigen Erkenntnisse jedenfalls klar für eine Industriespezifität der Aneignungsbedingungen sprechen, diese sich also über Industrien hinweg mitunter stark unterscheiden können.598 Im Übrigen können sich Aneignungsbedingungen auch mit der Zeit verändern.599 Unternehmen müssen dann unter Umständen neue Aneignungsmechanismen entwickeln, beispielsweise durch Erneuerungen ihrer Geschäftsmodelle.600
2. Zur Industriespezifität des technologischen Potentials Das jeweilige technologische Potential gilt als ein weiterer wichtiger Ansatz zur Erklärung der unterschiedlichen Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen in verschiedenen Industrien – und damit auch der gänzlich unterschiedlichen Gestalt, die Innovationen in verschiedenen Industrien meist annehmen.601 Denn einzelne Industrien unterscheiden sich in ihrem technologischen Potential. Ein Grund dafür, ist darin zu suchen, dass sich Industrien verschiedenen wissenschaftlich-technischen Fachgebieten oder Technologiefeldern zuordnen lassen, innerhalb derer sich technologische Entwicklung sehr unterschiedlich vollzieht.602 Die Entwicklung in einem solchen Fachgebiet oder Technologiefeld erfolgt häufig im Rahmen eines bestimmten Musters oder technologischen Paradigmas (Technological Paradigm, in Anlehnung an sogenannte Scientific Paradigms nach Kuhn) und entlang eines bestimmten Pfads (Technological Trajectory).603 Sie unterliegt gewissen Pfadabhängigkeiten (und 597 Hierauf
weisen etwa die Autoren der Yale-Studie hin, Levin/Klevorick/Nelson/Winter, Brookings Papers on Economic Activity 1987, Bd. 18, Nr. 3, 783, 797. 598 Siehe auch Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 185, 192. 599 Siehe Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 165. 600 Vgl. Kerber, ZGE 2013, 245, 252. 601 Vgl. hierzu etwa Rosenberg, The Economic Journal 1974, Bd. 84, Nr. 333, 90, 106; Nelson/Winter, Research Policy 1977, Bd. 6, Nr. 1, 36, 49 f.; Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 163; siehe hierzu auch etwa Oltra/ Flor, Creativity and Innovation Management 2003, Bd. 12, Nr. 3, 137; Fung, Journal of Productivity Analysis 2004, Bd. 21, Nr. 2, 167. 602 Zu Ansätzen in der empirischen Forschung, Industrien nach wissenschaftlichen oder technischen Bereichen zu klassifizieren, mit denen sie am stärksten verbunden sind, siehe Cohen in: Wright, International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences, 2015, S. 164; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 173 f.; vgl. hierzu auch Dolata in: Blättel-Mink/Schulz-Schaeffer/Windeler, Handbuch Innovationsforschung, 2019. 603 Grundlegend hierzu Nelson/Winter, Research Policy 1977, Bd. 6, Nr. 1, 36, 56 f.; Dosi, Research Policy 1982, Bd. 11, Nr. 3, 147, 151–157; Dosi in: Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/ Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988, S. 223–233; Dosi, Journal of Economic
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zwar nicht nur, wie schon erwähnt, auf der Ebene einzelner Unternehmen).604 Unterscheiden sich nun technologische Paradigmen und Entwicklungspfade über einzelne Fachgebiete oder Technologiefelder hinweg, gilt dasselbe für das technologische Potential der diesen jeweils zuzuordnenden Industrien. Der Verlauf technologischer Entwicklungen entlang gewisser vorgegebener Pfade lässt sich (stark vereinfacht) wie folgt beschreiben:605 Forschende, die auf einem bestimmten Feld der Wissenschaft oder Technik tätig sind, gehen in der Regel von demselben Vorwissen und ähnlichen (Grund-)Annahmen aus, setzen die gleichen oder ähnliche Methoden ein und haben ähnliche Erwartungen hinsichtlich der möglichen Resultate ihrer Arbeit. Die Wahrscheinlichkeit ist dementsprechend groß, dass sie ähnliche Forschungsfragen oder Problemstellungen aufgreifen, hierbei ähnliche Prioritäten setzen und mit ihren Tätigkeiten letztlich auch vergleichbare Ergebnisse erzielen. So bewegen sich die der wissenschaftlichen Gemeinschaft eines bestimmten Fachgebiets angehörenden Forschenden im Rahmen eines einheitlichen technologischen Paradigmas, und zwar unabhängig davon, wo auf der Welt und an welchen konkreten Projekten sie arbeiten.606 Bilden sich innerhalb eines technologischen Paradigmas demnach mit der Zeit einheitliche Arbeitsmuster und -schritte heraus, an denen sich Forschende orientieren, kann dies zur Folge haben, dass sich auch die Technologie im entsprechenden Fachgebiet in eine einheitliche Richtung entwickelt. Dabei bauen Erkenntnisfortschritte innerhalb eines technologischen Paradigmas häufig aufeinander auf. Die im Verlauf der technologischen Entwicklung an einer Stelle gewonnenen Erkenntnisse können Grundlage für weitere Innovationstätigkeiten an anderer Stelle sein. Forschende müssen nicht einen allgemeinen Wissensbestand durchsuchen, sondern können sich auf das fachspezifische, für sie konkret relevante Wissen innerhalb des Paradigmas konzentrieren. Technologischer Fortschritt erfolgt so kumulativ und zeichnet einen für das jeweilige Paradigma spezifischen Entwicklungspfad nach. Natürlich können einzelne Entwicklungen innerhalb des Paradigmas auch auseinanderlaufen. Sie bilden dann, bildlich gesprochen, Äste eines gemeinsamen Stamms. Zur EntLiterature 1988, Bd. 26, Nr. 3, 1120, 1125–1130; siehe auch Markides/Geroski, Fast Second, 2005, S. 26; Cohen in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 176 f.; grundlegend zu Scientific Paradigms Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 2001 (erstmals erschienen 1962). 604 Vgl. Markides/Geroski, Fast Second, 2005, S. 28; Dosi in: Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988, S. 223, 225. Zu Pfadabhängigkeiten auf der Ebene einzelner Unternehmen siehe Kapitel 1.B.II.1. 605 Die nachfolgende Darstellung beruht vor allem auf den Ausführungen von Markides/ Geroski, Fast Second, 2005, S. 26–30. 606 Markides/Geroski, Fast Second, 2005, S. 26, bemerken hierzu pointiert: „Wherever they are and whatever they are doing, those scientists and engineers who share the same paradigm are likely to end up, in effect, fishing in pretty much the same way in pretty much the same pond. In these circumstances, it would not be surprising if the fish that different scientists catch in that pond belonged to the same species or at least to the same family“.
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stehung völlig neuer Paradigmen beziehungsweise zu einem Paradigmenwechsel kommt es aber erst bei besonders weitreichenden Veränderungen, wenn sich etwa aufgrund massiver Erkenntnisfortschritte völlig neue Entwicklungspfade eröffnen. Derartige Erkenntnisfortschritte sind dann meist Grundlage äußerst radikaler Innovationen. Sie treten vergleichsweise selten auf.607 Die in einem technologischen Paradigma vorgegebene Entwicklung entlang eines bestimmten Pfads ist nun ausschlaggebend für das technologische Potential derjenigen Industrien, die sich dem entsprechenden wissenschaftlich-technischen Fachgebiet oder Technologiefeld zuordnen lassen. Vom technologischen Paradigma und Entwicklungspfad hängt ab, welche (weiteren) Entwicklungsschritte in einer Industrie möglich und wirtschaftlich sinnvoll sind, und also welcher Technology Push auf die in dieser Industrie tätigen Unternehmen wirkt. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass auch die Innovationstätigkeiten der Unternehmen in einer Industrie einem einheitlichen Pfad folgen oder jedenfalls in eine ähnliche Richtung gehen, und sich von den Innovationstätigkeiten von Unternehmen in anderen Industrien unterscheiden.608 Sobald in einer Industrie einmal Innovationsprozesse entlang eines bestimmten Entwicklungspfads angestoßen sind, kommen zudem Pfadabhängigkeiten auf Unternehmensebene hinzu. So können Innovatoren beispielsweise vor Abweichungen vom einmal eingeschlagenen Pfad zurückschrecken, weil hiermit erhebliche Wechselkosten einhergingen. Dies ist etwa der Fall, wenn die Kosten von Innovationstätigkeiten größtenteils versunkene sind.609 Die Unternehmen in einer Industrie – und damit die Industrie selbst – können so in eine Lock-in-Situation im Hinblick auf eine bestimmte (nicht notwendigerweise die überlegene) Technologie geraten.610 Ein häufig angeführtes Beispiel hierfür ist die Entwicklung und Beibehaltung der QWERTY-Tastatur – die gegenüber alternativen Tastenanord607 Vgl. zum vorstehenden Absatz auch Dosi, Research Policy 1982, Bd. 11, Nr. 3, 147; Dosi in: Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988, S. 223–228; Dosi/Sylos Labini in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 332–337; siehe ferner bereits Nelson/Winter, Research Policy 1977, Bd. 6, Nr. 1, 36, 56–60, die hier von „natural trajectories“ innerhalb von „technological regimes“ sprechen. Einzelnen technologischen Paradigmen beziehungsweise Paradigmenwechseln übergeordnet sind noch sogenannte technologische Revolutionen, siehe hierzu Perez, Cambridge Journal of Economics 2010, Bd. 34, Nr. 1, 185. Eine umfassende Einordnung des Ganzen liefern auch etwa Blättel-Mink/Menez, Kompendium der Innovationsforschung, 2015, S. 99–105. 608 Vgl. insoweit auch Dosi in: Dosi/Freeman/Nelson/Silverberg/Soete, Technical Change and Economic Theory, 1988, S. 225, 229 f. 609 Vgl. hierzu nur Hoffmann-Riem, Innovation und Recht – Recht und Innovation, 2016, S. 213 f. 610 Siehe hierzu etwa Arthur, The Economic Journal 1989, Bd. 99, Nr. 394, 116; Cowan, The Journal of Economic History 1990, Bd. 50, Nr. 3, 541; Foxon in: Atkinson/Dietz/Neumayer/Agarwala, Handbook of Sustainable Development, 2014, S. 304–316; Cantner/Vannuccini in: Bathelt/Cohendet/Henn/Simon, The Elgar Companion to Innovation and Knowledge Creation, 2017, S. 165–181.
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nungen in Bezug auf Schreibkomfort und -geschwindigkeit eigentlich als unterlegen gilt.611 Ein weiteres Beispiel ist die Verbreitung des Verbrennungsmotors anstelle alternativer, ursprünglich wohl ebenso aussichtsreicher Antriebsarten, wie des Dampf- oder Elektromotors. Es wird davon ausgegangen, dass auch hier eher Zufälligkeiten und ein sich anschließender Lock-in den Ausschlag gaben als eine wirkliche Überlegenheit des Verbrennungsmotors.612
3. Zur Industriespezifität sonstiger Einflussfaktoren Neben der Aneigenbarkeit, der zu erwartenden Nachfrage und dem technologischen Potential gibt es freilich zahlreiche weitere industriespezifische Faktoren, die Einfluss auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize der in einer Industrie tätigen Unternehmen haben können. Mit solchen Industrieeigenschaften beschäftigt sich etwa die umfangreiche und vielfältige Literatur zur dynamischen Entwicklung von Industrien (Industrial Dynamics and Evolution) sowie zu sogenannten Sectoral Systems of Innovation.613 Zu diesen Eigenschaften zählen übrigens auch die oben beispielhaft als außerwettbewerbliche Einflussfaktoren für Innovationsanreize angesprochenen Gesichtspunkte der Obsoleszenz und der Regulierung. So unterscheiden sich Industrien gewiss auch darin, ob Innovationsanreize aus einer natürlich beschränkten Lebensdauer vorhandener Produkte (wie im Falle der Resistenzbildung) oder aus Verschärfungen des regulatorischen Rahmens (wie zum Zwecke des Umweltschutzes) resultieren können.614 Über dieses letztere Beispiel hinaus wird den jeweiligen Institutionen in einer Industrie, also Normen, Standards, etablierten Praktiken und gesetzlichen Vorschriften, generell eine große Bedeutung für dortige Innovation beigemessen.615
611 Grundlegend hierzu David, The American Economic Review 1985, Bd. 75, Nr. 2, 332; siehe auch Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 93–95; kritisch etwa Liebowitz/Margolis, The Journal of Law & Economics 1990, Bd. 33, Nr. 1, 1. 612 Siehe hierzu etwa Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 93 f. 613 Für einen Überblick siehe Malerba, Revue de l’OFCE 2006, Bd. 97, Nr. 5, 21; Cantner in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 149–172. 614 Siehe oben, unter B.III.4.b)cc). 615 Vgl. hierzu Malerba, Research Policy 2002, Bd. 31, Nr. 2, 247, 257; Malerba in: Malerba, Sectoral Systems of Innovation, 2004, S. 27 f.; Malerba, Economics of Innovation and New Technology 2005, Bd. 14, Nr. 1–2, 63, 66 f. Siehe auch etwa Temin, The Bell Journal of Economics 1979, Bd. 10, Nr. 2, 429, der Entwicklungen in der Arzneimittelindustrie in den Vereinigten Staaten unter anderem anhand von Veränderungen des regulatorischen Rahmens erläutert.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
III. Industriespezifischer Innovationswettbewerb Festzuhalten ist also, dass maßgebliche Einflussfaktoren für Innovation – beziehungsweise für die Innovationsfähigkeiten und vor allem -anreize von Unternehmen – eher auf der Industrieebene zu verorten sind als auf der Marktebene. Sie können sich über verschiedene Industrien hinweg unterscheiden. Ihre Ausprägung ist mitunter industriespezifisch. Daraus folgt, dass auch der Innovationswettbewerb sehr unterschiedliche, industriespezifische Ausprägungen annehmen kann. Zum Beispiel sind für die innovationswettbewerbliche Rivalitätsbeziehung zwischen Arzneimittelherstellern andere Gesichtspunkte von Bedeutung als für diejenige zwischen Unternehmen, die Börsenplätze betreiben oder Gasturbinen herstellen.616 Ebenso ist bereits die Frage, ob Innovation und Innovationswettbewerb überhaupt eine wichtige Rolle spielen, nicht für jede Industrie in gleicher Weise zu beantworten.617 Bevor in den nachfolgenden Abschnitten Implikationen dieser Erkenntnis für das Wettbewerbsrecht erörtert werden, sind noch einige Anmerkungen angebracht: Auch wenn Innovation und Innovationswettbewerb industriespezifischen Einflussfaktoren ausgesetzt sind und gleichsam selbst industriespezifische Ausprägungen annehmen können, folgt daraus nicht zwingend, dass Innovationswettbewerb stets (auch) auf Industrieebene stattfindet. Eine derartige Schlussfolgerung wäre genauso verfehlt wie der Versuch, die maßgeblichen Determinanten für Innovation allein auf der Ebene einzelner (gegenwärtiger) Produktmärkte zu verorten. Ausgangspunkt für das Entstehen von Innovationswettbewerb zwischen zwei innovierenden Unternehmen ist, wie beschrieben, die Möglichkeit zukünftigen Produktmarktwettbewerbs zwischen ihnen. Im Grundsatz müssen sich die Fluchtpunkte ihrer Innovationstätigkeiten derart überschneiden, dass die künftige Austauschbarkeit der jeweils anvisierten innovativen Produkte und damit die Konkurrenz der Unternehmen auf einem zukünftigen Produktmarkt plausibel erscheinen.618 Die bloße Tatsache, dass sich zwei innovierende Unternehmen derselben Industrie zurechnen lassen, reicht für sich genommen nicht notwendigerweise aus, um die für den Innovationswettbewerb konstitutive strategisch-antagonistische Interdependenz zwischen ihnen zu begründen. Schließlich sagt die Zugehörigkeit zweier Unternehmen 616 617
Vgl. hierzu auch die Fallstudien in Kapitel 5.B. und C. Zur Industriespezifität von Innovation und Innovationswettbewerb vgl. auch Kerber/ Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 15; Kerber/Vezzoso, Dow/ DuPont, 2019, S. 12; siehe ferner Pavitt, Research Policy 1984, Bd. 13, Nr. 6, 343; Castellacci, Industrial and Corporate Change 2007, Bd. 16, Nr. 6, 1105; Burk/Lemley, The Patent Crisis and How the Courts Can Solve It, 2009, S. 37–48, 81–83; Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 104 f.; Lemley, Columbia Business Law Review 2012, Bd. 2011, Nr. 3, 637; Malerba/Nelson/Orsenigo/Winter, Innovation and the Evolution of Industries, 2016, S. 4–6. 618 Siehe oben, unter B.II.2.
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zu derselben Industrie noch nichts über die Austauschbarkeit der von ihnen (gegenwärtig oder künftig) angebotenen Produkte aus. Dies zeigt sich am Beispiel der Pharmaindustrie: Pharmaunternehmen sind mit ihren Produkten regelmäßig auf unzähligen Einzelmärkten gleichzeitig tätig.619 Kurzum, industriespezifischer Innovationswettbewerb ist nicht immer auch industrieweiter Innovationswettbewerb beziehungsweise Innovationswettbewerb auf Industrieebene. Unter Umständen kann die Zugehörigkeit innovierender Unternehmen zu derselben Industrie natürlich ein wichtiger erster Anhaltspunkt für das Bestehen von Innovationswettbewerb zwischen ihnen sein. Gehört das technologische Potential einer Industrie zu den Einflussfaktoren für die Innovationsanreize der Unternehmen in dieser Industrie, so liegt es nahe, dass diese ihre Innovationstätigkeiten zumindest generell in eine ähnliche Richtung vorantreiben. Denn es ist, wie beschrieben, davon auszugehen, dass sich die technologische Entwicklung innerhalb des für die Industrie maßgeblichen wissenschaftlich-technischen Fachgebiets im Rahmen eines bestimmten technologischen Paradigmas und entlang eines bestimmten Pfads vollzieht.620 Auch die Unternehmen in der fraglichen Industrie werden daher wahrscheinlich nur solche Innovationen hervorbringen, die auf dem vorgegebenen Entwicklungspfad liegen (es sei denn, es kommt zu besonders weitreichenden Erkenntnisfortschritten und deshalb zu einem Paradigmenwechsel). Dies reicht zwar, wie gesagt, zur Begründung von Innovationswettbewerb zwischen den Unternehmen nicht aus, macht ihn aber durchaus wahrscheinlicher. Letztendlich findet auch der Innovationswettbewerb zwischen Unternehmen derselben Industrie innerhalb eines bestimmten technologischen Paradigmas statt und wird durch dieses geprägt.621 Umgekehrt erscheint es grundsätzlich eher fernliegend, dass die für den Innovationswettbewerb charakteristische strategisch-antagonistische Interdependenz zwischen Unternehmen entsteht, die nicht derselben Industrie angehören. Dies gilt insbesondere dann, wenn es zur Hervorbringung von Innovationen in einer Industrie besonderer Innovationfähigkeiten bedarf, die nur unter großem (vor allem finanziellem) Aufwand zu beschaffen sind. Das Erfordernis derartiger Innovationsfähigkeiten kann, wie dargestellt, ein gewichtiges Innovationshindernis statuieren.622 Welcher Innovationsfähigkeiten es in einer Industrie bedarf, hängt wiederum vom für die Industrie maßgeblichen technologischen Paradigma und Entwicklungspfad ab. Insofern ist anzunehmen, dass Innovationshindernisse in Gestalt des Erfordernisses besonderer Innovationsfähigkeiten häufig auf Industrieebene angesiedelt sind. Verfügt ein Unternehmen dann über 619
Vgl. hierzu nur Have/Martinez/Demertzi, World Competition Law and Economics Review 2016, Bd. 39, Nr. 1, 85, 94, die auf die regelmäßig hohe Anzahl betroffener Märkte bei Zusammenschlussverfahren in der Pharmaindustrie hinweisen. 620 Dazu soeben, unter C.II.2. 621 Siehe hierzu auch Elßer, Innovationswettbewerb, 1993, S. 111, 183. 622 Siehe oben, unter B.II.2.c).
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
die in einer Industrie erforderlichen Innovationsfähigkeiten, kann es innovative Produkte regelmäßig für eine Mehrzahl unterschiedlicher Produktmärkte innerhalb der fraglichen Industrie entwickeln. Im Falle einer durch solche Innovationshindernisse geprägten Industrie werden Unternehmen, die nicht bereits in der Industrie tätig sind und über die erforderlichen Innovationsfähigkeiten verfügen, dagegen kaum als (potentielle) Innovationswettbewerber der bereits in der Industrie tätigen Unternehmen in Betracht kommen (völlig unvorhersehbare, disruptive Entwicklungen einmal außen vorgelassen).623 Anknüpfend an die Bemerkungen zu Beginn dieses Abschnitts ist aber festzuhalten, dass die Zugehörigkeit zweier innovierender Unternehmen zu derselben Industrie immer nur ein erster Anhaltspunkt für das Entstehen von Innovationswettbewerb zwischen den Unternehmen sein kann. Dem ist auch nicht zuletzt deshalb so, weil es bislang kein eindeutiges ökonomisches Konzept zur Abgrenzung von Industrien gibt.624 Die definitiven Festlegungen von Industriegrenzen, wie sie etwa zur Erstellung statistischer Klassifikationssysteme erfolgen,625 sind nicht in jeder Hinsicht willkürfrei.626 So lässt sich auch etwa nicht mit Sicherheit sagen, ob Innovationshindernisse in Gestalt bestimmter erforderlicher Innovationsfähigkeiten die Grenzen einer bestimmten Industrie tatsächlich genau nachzeichnen. Spielen schwer zu beschaffende Innovationsfähigkeiten eine Rolle, erscheint es demnach sinnvoller, zur Feststellung innovationswettbewerblicher Rivalitätsbeziehungen zwischen Unternehmen sogleich auf diese Fähigkeiten abzustellen, und nicht umständlich nach der Zugehörigkeit der Unternehmen zu einer wie auch immer definierten Industrie zu fragen.
IV. Wettbewerbsrechtliche Relevanz des Innovationswettbewerbs nach Industrien Eine Konsequenz der dargestellten Industriespezifität ist, dass Innovation und Innovationswettbewerb für die Anwendung des Wettbewerbsrechts im Einzelfall unterschiedliche Bedeutung erlangen können, je nachdem, welcher Industrie die jeweils betroffenen Unternehmen angehören.627 Aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive stellt sich daher die Frage, welche Industrien es sind, in denen der Innovationswettbewerb am ehesten eine Rolle spielt. In welcher Industrie liegt es etwa nahe, dass die Parteien eines Zusammenschlusses nicht 623 Zur Industriespezifität von Innovationsfähigkeiten vgl. auch Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 16 f. 624 Vgl. Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 16. 625 Ein Beispiel ist die statistische Systematik der Wirtschaftszweige der EU (NACE Rev. 2), siehe hierzu Eurostat, NACE Rev. 2, 2008. 626 Vgl. Hernández/Grassano/Tübke/Amoroso/Csefalvay/Gkotsis, The 2019 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, 2020, S. 29. 627 Vgl. hierzu auch Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 15, 21, 48 f.; Lemley, Columbia Business Law Review 2012, Bd. 2011, Nr. 3, 637.
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nur Wettbewerber auf gegenwärtigen Produktmärkten sind, sondern möglicherweise auch Innovationswettbewerber? Anhaltspunkte für die Relevanz des Innovationswettbewerbs in einer Industrie für das Wettbewerbsrecht ergeben sich aus den folgenden Gesichtspunkten: der Beobachtbarkeit der Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten von Unternehmen in einer Industrie (dazu unter 1.); der Innovationsintensität einer Industrie (dazu unter 2.); sowie dem in einer Industrie vorfindlichen Innovationsmuster (dazu unter 3.).
1. Die Beobachtbarkeit von Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten Die Beobachtbarkeit (Observability) der Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten von Unternehmen, die als Innovationswettbewerber in Betracht kommen, ist zunächst Voraussetzung dafür, dass der Innovationswettbewerb überhaupt bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts Berücksichtigung finden kann. Dabei geht es nicht lediglich darum, dass beobachtbar ist, ob ein Unternehmen generell Innovationstätigkeiten durchführt beziehungsweise hierzu in der Lage ist. Dies ließe sich etwa an veröffentlichten Angaben zu F&E-Ausgaben und F&E-Personal erkennen.628 Vielmehr kommt es gerade auch darauf an, dass die Richtung, in die Unternehmen innovieren beziehungsweise (im Falle von Innovationsfähigkeiten) innovieren können, also die Fluchtpunkte (potentieller) Innovationstätigkeiten erkennbar sind. Ohne eine solche Beobachtbarkeit sind Wettbewerbsbehörden nicht in der Lage, etwaigen Innovationswettbewerb zwischen Unternehmen zu identifizieren.629 Für die Beobachtbarkeit bereits begonnener Innovationstätigkeiten spielt insbesondere eine Rolle, welcher Aneignungsmechanismen sich Unternehmen bedienen. Besonders gut beobachtbar sind Innovationstätigkeiten beispielsweise dort, wo Unternehmen sie üblicherweise frühzeitig gegenüber dem Kapitalmarkt oder potentiellen Kundinnen und Kunden offenlegen, etwa aus Werbe- oder Marketingzwecken, bereits im Hinblick auf eine künftige Marktpositionierung. Dies setzt freilich voraus, dass den Unternehmen anderweitige Aneignungsmechanismen als die Geheimhaltung ihrer Innovationtätigkeiten zur Verfügung stehen. Vergleichsweise freizügig können namentlich solche Unternehmen verfahren, die ihre Erfindungen patentieren lassen wollen und können. Damit unterliegen sie ohnehin bestimmten Offenbarungspflichten. Patentanmeldungen und -erteilungen werden veröffentlicht. Insofern werden Innovationstätigkeiten dann auch ohnehin nach außen erkennbar.630 Finden In628 Vgl.
OECD, Frascati Manual, 2015, S. 207. Zum Erfordernis der Beobachtbarkeit von Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten vgl. auch Glader, Innovation Markets and Competition Analysis, 2004, S. 99 f.; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 20–29; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 20, 47 f.; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173. 630 Vgl. Nelson, Science, Technology, & Human Values 1989, Bd. 14, Nr. 3, 229, 236; 629
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novationstätigkeiten noch nicht oder im Geheimen statt, kommt es auf die Beobachtbarkeit der erforderlichen Innovationsfähigkeiten von Unternehmen an. Gerade Specialized Assets, zum Beispiel bestimmte Patentportfolien oder Forschungseinrichtungen mit bestimmten Laborkapazitäten, können relativ gut beobachtbar sein.631 Wie die jeweils priorisierten Aneignungsmechanismen variiert auch die Beobachtbarkeit von Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten über Industrien hinweg. Als Beispiel einer Industrie mit besonders ausgeprägter Beobachtbarkeit dient zumeist die Arzneimittelbranche.632 Außerhalb vergleichbar stark regulierter Industrien sind Innovationstätigkeiten hingegen meist weniger gut beobachtbar.633
2. Die Innovationsintensität von Industrien Ob Innovation und Innovationswettbewerb in einer Industrie (überhaupt) bedeutsam sind, lässt sich auch daran ablesen, in welchem Umfang und mit welcher Intensität dort Innovationstätigkeiten durchgeführt werden. Ein hilfreicher Parameter sind hier die aggregierten Innovationsausgaben der in einer Industrie tätigen Unternehmen. Die Innovationsintensität einer Industrie lässt sich bestimmen, indem die aggregierten Innovationsausgaben in dieser Industrie ins Verhältnis zu einem weiteren Parameter gesetzt werden, etwa den aggregierten Umsätzen oder der Bruttowertschöpfung in der Industrie.634 Hinsichtlich der Innovationsausgaben von Unternehmen und ihrer Innovationsintensität unterscheiden sich Industrien mitunter deutlich. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht liegt es nahe, dass der Innovationswettbewerb in einer Industrie umso eher releBarth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 35; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 24 f. Zur strategischen Kommunikation im Zusammenhang mit Innovationstätigkeiten auch gegenüber Wettbewerbern siehe Jansen, The Journal of Industrial Economics 2010, Bd. 58, Nr. 2, 349. 631 Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern anhand ihrer Innovationsfähigkeiten vgl. auch Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 588; Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 38; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 184–187; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 49–55; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 7; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16. 632 Siehe etwa Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 47 f.; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 187; Müller/Stril, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 52, 55; Kerber in: Gerard/ Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 51; siehe hierzu auch noch Kapitel 5.B. I.4. 633 Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 24 f.; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 51 f. 634 Die Bruttowertschöpfung ergibt sich aus der Differenz zwischen dem (Brutto-)Produktionswert einer Industrie und den dort erworbenen Vorleistungen, vgl. hierzu etwa Engelkamp/ Sell, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, 2017, S. 204 f.
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vant wird, je höher die Innovationsausgaben oder die Innovationsintensität dort sind. Umgekehrt kann möglicherweise davon ausgegangen werden, dass der Innovationswettbewerb eher unbedeutend bleiben wird, wenn Industrien eine gewisse Schwelle an Innovationsausgaben oder -intensität unterschreiten. Die aggregierten Innovationsausgaben in Industrien und deren jeweilige Innovationsintensität werden etwa im EU Industrial R&D Investment Scoreboard angegeben.635 Dieses enthält eine Auflistung der 15 danach innovativsten Industrien. Für die Auflistung werden Industrien definiert als Sektoren im Sinne der Industry Classification Benchmark von FTSE Russell.636 Die Innovationsbeziehungsweise F&E-Intensität einer Industrie wird bestimmt durch das Verhältnis von F&E-Ausgaben zu Nettoumsätzen.637 An der Spitze der Rangliste steht der als Pharmaceuticals & Biotechnology bezeichnete Sektor mit F&EAusgaben von 153,8 Milliarden Euro und einer F&E-Intensität von 15,4 %.638 Darüber hinaus werden Industrien – diesmal definiert als Subsektoren im Sinne der Industry Classification Benchmark – in vier Gruppen eingeteilt, je nachdem, ob sie eine hohe, mittelhohe, mittelniedrige oder niedrige F&E-Inten sität aufweisen. Industrien mit hoher F&E-Intensität sind danach: Aerospace; Biotechnology; Computer Hardware; Computer Services; Defence; Electronic Office Equipment; Health Care Providers; Internet; Leisure Goods; Medical Equipment; Pharmaceuticals; Semiconductors; Software; Technology Hardware & Equipment; sowie Telecommunications Equipment.639 Eine vergleichbare Taxonomie von Industrien anhand ihrer F&E-Intensitäten haben auch Galindo-Rueda und Verger für die OECD entwickelt.640 Sie bestimmen die F&E-Intensität einer Industrie durch das Verhältnis von F&EAusgaben zur Bruttowertschöpfung.641 Industrien definieren sie anhand der 635 Siehe Hernández/Grassano/Tübke/Amoroso/Csefalvay/Gkotsis, The 2019 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, 2020. 636 Siehe hierzu FTSE Russell, Industry Classification Benchmark, 2020, S. 9–26. 637 Vgl. Hernández/Grassano/Tübke/Amoroso/Csefalvay/Gkotsis, The 2019 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, 2020, S. 111. 638 Ihm folgen bis zum zehnten Platz: Technology Hardware & Equipment (127,8 Milliarden Euro, 8,4 %); Automobiles & Parts (127,8 Milliarden Euro, 4,7 %); Software & Computer Services (117,7 Milliarden Euro, 10,8 %); Electronic & Electrical Equipment (64,2 Milliarden Euro, 5,0 %); Industrial Engineering (29,9 Milliarden Euro, 3,2 %); Chemicals (22,5 Milliarden Euro, 2,2 %); General Industrials (20,4 Milliarden Euro, 2,9 %); Aerospace & Defence (20,2 Milliarden Euro, 4,0 %); Health Care Equipment & Services (16,6 Milliarden Euro, 3,7 %); siehe Hernández/Grassano/Tübke/Amoroso/Csefalvay/Gkotsis, The 2019 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, 2020, S. 112. 639 Hernández/Grassano/Tübke/Amoroso/Csefalvay/Gkotsis, The 2019 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, 2020, S. 30. 640 Siehe Galindo-Rueda/Verger, OECD Taxonomy of Economic Activities Based on R&D Intensity, 2016; siehe aber auch etwa Marsili, The Anatomy and Evolution of Industries, 2001, S. 109–111. 641 Galindo-Rueda/Verger, OECD Taxonomy of Economic Activities Based on R&D Intensity, 2016, S. 7.
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zweistelligen, teilweise auch der dreistelligen, Kodierungen der International Standard Industrial Classification (ISIC Rev. 4).642 Diese Klassifikation entspricht im Wesentlichen der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige der EU (NACE Rev. 2).643 So bilden Galindo-Rueda und Verger fünf Industriegruppen – Industrien mit hoher, mittelhoher, mittlerer, mittelniedriger und niedriger F&E-Intensität.644 Als Industrien mit hoher F&E-Intensität werden ausgewiesen: Luft- und Raumfahrzeugbau (NACE-Code 30.3); Forschung und Entwicklung (72); Verlegen von Software (58.2); Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen (21); sowie Herstellung von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen (26).645 Eine ähnliche Einteilung von Industrien nimmt schließlich auch etwa Eurostat vor.646 Innovationsausgaben und -intensität in einer Industrie liefern freilich nur allererste Anhaltspunkte für die wettbewerbsrechtliche Bedeutung des Innovationswettbewerbs dort. Zwingend ist eine entsprechende Korrelation keineswegs. Zu beachten ist auch, dass Industrieklassifikationen, wie schon erwähnt, immer zu einem gewissen Grad arbiträr sind.647 Neben der Auswahl einer geeigneten Industrieklassifikation bereitet außerdem bekanntermaßen auch die Auswahl geeigneter, innovationsspezifischer Kennzahlen Schwierigkeiten.648 Festhalten lässt sich aber, dass die dargestellten Statistiken bestimmte Industrien übereinstimmend als besonders innovativ ausweisen, darunter etwa die Luft- und Raumfahrt- sowie die Pharmaindustrie.
3. Schumpeter’sche Innovationsmuster Schließlich lässt sich die wettbewerbsrechtliche Relevanz des Innovationswettbewerbs in einer Industrie möglicherweise auch daran abschätzen, welchem spezifischen Muster Innovation und Innovationswettbewerb in dieser Industrie 642 Galindo-Rueda/Verger, OECD Taxonomy of Economic Activities Based on R&D Intensity, 2016, S. 8 f. 643 Siehe hierzu Eurostat, NACE Rev. 2, 2008. 644 Galindo-Rueda/Verger, OECD Taxonomy of Economic Activities Based on R&D Intensity, 2016, S. 6. 645 Galindo-Rueda/Verger, OECD Taxonomy of Economic Activities Based on R&D Intensity, 2016, S. 10; zu den jeweiligen NACE-Codes siehe Eurostat, NACE Rev. 2, 2008. 646 Siehe Eurostat, Glossary: High-Tech Classification of Manufacturing Industries; siehe auch Eurostat, High-Tech Industry and Knowledge-Intensive Services. Auf die Klassifikation von Eurostat verweist etwa die Europäische Kommission, European Innovation Scoreboard 2020, S. 11 Fn. 6. 647 Vgl. nur Hernández/Grassano/Tübke/Amoroso/Csefalvay/Gkotsis, The 2019 EU Industrial R&D Investment Scoreboard, 2020, S. 29. 648 Siehe hierzu oben, unter C. I.3.a); vgl. auch Galindo-Rueda/Verger, OECD Taxonomy of Economic Activities Based on R&D Intensity, 2016, S. 5 f., 15 f.; siehe hierzu ferner Lhuillery/Raffo/Hamdan-Livramento in: Bathelt/Cohendet/Henn/Simon, The Elgar Companion to Innovation and Knowledge Creation, 2017, S. 99–118.
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folgen.649 In Betracht kommen vor allem zwei sogenannte Innovationsmuster, die sich bereits bei Schumpeter finden, und die deshalb meist als Schumpeterian Patterns of Innovation bezeichnet werden. Hierbei handelt es sich um die beiden Extreme eines Spektrums, auf dem sich Industrien mit Blick auf ihre für Innovation relevanten Eigenschaften verorten lassen.650
a) Schumpeter-Mark-I- und Schumpeter-Mark-II-Industrien Das eine Extrem bilden Schumpeter-Mark-I-Industrien – so benannt, weil das zugrunde liegende Innovationsmuster den Darstellungen in Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung von 1911 entspricht. Solche Industrien zeichnen sich durch Prozesse kontinuierlicher schöpferischer Zerstörung aus. Hier sind es immer wieder neue beziehungsweise junge Unternehmen (Newcomer), die Innovationen hervorbringen und so die Marktpositionen etablierter Unternehmen aufbrechen. Mit ihren innovativen Technologien sehen sie sich dabei keinen nennenswerten Marktzutrittsschranken ausgesetzt. Über die Zeit entsteht eine große Population an Innovatoren, die sich fortlaufend gegenseitig ablösen. Angesichts der regelmäßigen Marktein- und -austritte von Unternehmen sind Schumpeter-Mark-I-Industrien eher durch strukturelle Turbulenzen geprägt als durch Stabilität und konstante Hierarchien oder Rangordnungen zwischen Unternehmen. Das bedeutet, dass Technologie- und Marktführerschaften regelmäßig schnell wieder ausgeglichen werden.651 Schumpeter-Mark-II-Industrien bilden das andere Extrem des Spektrums. Das ihnen zugrunde liegende Innovationsmuster entspricht eher den Überlegungen Schumpeters in Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, das 1942 erschien. An die Stelle der schöpferischen Zerstörung tritt hier eine schöpferische Akkumulation (Creative Accumulation). Die ursprünglichen Innovatoren reifen zu großen, etablierten Unternehmen heran und häufen immer mehr Wissen auf dem jeweils relevanten technologischen Fachgebiet an, ebenso wie Kompetenzen bei Forschung und Entwicklung sowie Produktherstellung und -vertrieb, und damit auch finanzielle Ressourcen. Auf diese Weise schaffen sie hohe Marktzutrittsschranken für später auftretende, neue Unternehmen. Es gelingt daher nur wenigen Unternehmen, durch Innovation zu relevanten Marktgrößen aufzusteigen. Die Population von innovativen Unternehmen und die Hie649 Zur Bestimmung industriespezifischer Muster technischen Fortschritts siehe auch Scherer, Research Policy 1982, Bd. 11, Nr. 4, 227; Pavitt, Research Policy 1984, Bd. 13, Nr. 6, 343; Dosi, Journal of Economic Literature 1988, Bd. 26, Nr. 3, 1120, 1147–1150; Miozzo/ Walsh, International Competitiveness and Technological Change, 2006, S. 166–204; Dosi/Nelson in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 85 f.; Peneder, Research Policy 2010, Bd. 39, Nr. 3, 323. 650 Siehe hierzu Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388. 651 Siehe Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 388 f.
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rarchien zwischen diesen verändern sich seltener. Schumpeter-Mark-II-Industrien sowie die zugehörigen Märkte neigen stärker zur Konzentration.652 Heruntergebrochen lässt sich die Abgrenzung zwischen den beiden Schumpeter’schen Innovationsmustern anhand dreier maßgeblicher Dimensionen festmachen: der Zutrittsrate beziehungsweise der Bedeutung jeweils neuer Innovatoren für die Industrie; dem Grad der Konzentration der Innovationstätigkeiten in einer Industrie auf bestimmte (wenige) Unternehmen; sowie dem Stabilitätsgrad der Rangordnung innovierender Unternehmen, also der Beständigkeit von Technologie- und Marktführerschaften.653
b) Innovationsmuster und Industrieeigenschaften Die Herausbildung des einen oder anderen Schumpeter’schen Innovationsmusters in einer Industrie lässt sich nun mit bestimmten Industrieeigenschaften erklären. Breschi, Malerba und Orsenigo schlagen vor, hierzu an das für eine Industrie jeweils relevante, von ihnen sogenannte technologische Regime (Technological Regime) anzuknüpfen.654 Unter einem solchen verstehen sie die für eine Industrie spezifische Kombination aus dem technologischen Potential (Technological Opportunity), den Aneignungsbedingungen (Appropriability), der Kumuliertheit technischen Fortschritts (Cumulativeness) und den Eigenschaften der maßgeblichen Wissensgrundlage (Properties of the Knowledge Base). Bei hohem technologischem Potential haben Unternehmen starke Innovationsanreize und bringen häufig wichtige Innovationen hervor. Eine hohe Aneigenbarkeit sorgt nicht nur für starke Innovationsanreize des einzelnen Unternehmens, sondern zugleich dafür, dass sich die Verbreitung von Innovationen und damit der technische Fortschritt auf Industrieebene weniger effizient gestalten. Die Kumuliertheit technischen Fortschritts bestimmt darüber, inwieweit Innovationen auf vorangegangenen Innovationen und bereits zuvor gewonnenem Wissen aufbauen. Dies betrifft verschiedene Ebenen. Auf Ebene der einzelnen Innovation oder Technologie kann sich Fortschritt kumulativ vollziehen, wenn es zu technologiespezifischen Lerneffekten kommt. Auf Unternehmensebene kann es eine Rolle spielen, dass sich Innovationfähigkeiten nur individuell entwickeln und verbessern, und nicht übertragen lassen. Zudem kann sich etwa ein Feedback-Mechanismus etablieren, aufgrund dessen nur erfolgreiche Innovatoren in der Lage zu weiterer Innovation sind (Success breeds 652 Zur Differenzierung der beiden Schumpeterian Patterns on Innovation siehe Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 388–391; siehe auch Malerba, Research Policy 2002, Bd. 31, Nr. 2, 247, 253; Malerba in: Malerba, Sectoral Systems of Innovation, 2004, S. 22 f.; Malerba in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to NeoSchumpeterian Economics, 2007, S. 345–347. 653 Vgl. hierzu Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 392 f. 654 Siehe Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388.
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Succes). Je ausgeprägter die Kumuliertheit technischen Fortschritts in einer Industrie ist, desto eher beschränkt sich das Feld möglicher zukünftiger Innovatoren auf Unternehmen, die bereits in der Vergangenheit erfolgreiche Innovationen hervorgebracht haben. Die Eigenschaften der Wissensgrundlage einer Industrie hängen schließlich davon ab, auf welche Art von Wissen Unternehmen bei ihren Innovationstätigkeiten zurückgreifen (müssen). Unterschieden wird hier insbesondere eher generisches Wissen, wie es vor allem Grundlagenforschung hervorbringt, von eher spezifischem Wissen, das Ergebnis angewandter Forschung ist.655 Ein Erklärungszusammenhang zwischen dem in einer Industrie zu beobachtenden Schumpeter’schen Innovationsmuster einerseits und dem für die Industrie relevanten technologischen Regime andererseits wird erkennbar, wenn die beschriebenen Dimensionen des technologischen Regimes zu den für die Abgrenzung zwischen den beiden Schumpeter’schen Innovationsmustern maßgeblichen Dimensionen in Beziehung gesetzt werden. Was die Zutrittsrate beziehungsweise die Bedeutung jeweils neuer Innovatoren für eine Industrie angeht, liegt ein positiver Zusammenhang mit einem hohen technologischen Potential, nur geringfügig kumulativem technischem Fortschritt sowie einer eher durch spezifisches (angewandtes) Wissen geprägten Wissensgrundlage nahe. Denn mit dem technologischen Entwicklungspotential einer Industrie steigen die Innovationsanreize auch für Newcomer. Bei kaum kumulativem Fortschritt sind auch Newcomer in der Lage, erfolgreich zu innovieren. Und spezifisches Wissen ist für Newcomer eher verfügbar und nutzbar als generisches (Grundlagen-) Wissen, für dessen Nutzung es in der Regel fortgeschrittener Fähigkeiten bedarf (etwa besonderer Absorptionsfähigkeiten)656. Hinsichtlich der Konzentration von Innovationstätigkeiten auf bestimmte Unternehmen ist davon auszugehen, dass grundsätzlich ein positiver Zusammenhang mit einem geringen technologischen Potential, einer hohen Aneigenbarkeit, stark kumulativem technischem Fortschritt sowie einer eher durch generisches Wissen geprägten Wissensgrundlagen besteht. Dann nämlich werden nur wenige Unternehmen zu erfolgreicher Innovation in der Lage sein. Ein ähnlicher Zusammenhang drängt sich schließlich mit Blick auf die Stabilität der Rangordnung innovierender Unternehmen auf. Auch für diese sind geringes technologisches Potential, hohe Aneigenbarkeit und stark kumulativer technischer Fortschritt grundsätzlich förderlich. Im Einzelfall kann es freilich auch zu abweichenden Korrelationen 655 Zu den Dimensionen technologischer Regime siehe Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 391 f.; siehe auch Malerba, Research Policy 2002, Bd. 31, Nr. 2, 247, 251–254; Malerba in: Malerba, Sectoral Systems of Innovation, 2004, S. 18–21; Malerba in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 347–350; siehe auch Marsili, The Anatomy and Evolution of Industries, 2001, S. 89–107. 656 Siehe hierzu Kapitel 1.B.II.1.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
zwischen den einzelnen Dimensionen technologischer Regime einerseits und Schumpeter’scher Innovationsmuster andererseits kommen.657 Für eine Einteilung von Industrien nach ihren spezifischen, für die Hervorbringung von Innovation relevanten Eigenschaften ergibt sich aus den vorstehenden Überlegungen nun also ein Spektrum, das durch die folgenden Extreme begrenzt wird: Schumpeter-Mark-I-Industrien sind solche mit hohem technologischem Potential, geringer Aneigenbarkeit und nur geringfügig kumulativem Fortschritt, in denen eher angewandtes als generisches Wissen zum Tragen kommt. Sie zeichnen sich aus durch eine hohe Zutrittsrate, einen geringen Grad der Konzentration von Innovationstätigkeiten sowie geringe Stabilität in der Rangordnung innovierender Unternehmen. Es tritt folglich eine hohe Anzahl an verschiedenen und auch immer wieder neuen Innovatoren auf. Schumpeter-Mark-II-Industrien hingegen sind solche mit geringem technologischem Potential, hoher Aneigenbarkeit und kumulativem Fortschritt, in denen eher generisches als angewandtes Wissen bedeutsam ist. Im Einzelfall können sie auch ein hohes technologisches Potential aufweisen. Schumpeter-Mark-II-Industrien zeichnen sich aus durch eine geringe Zutrittsrate, einen hohen Konzentrationsgrad sowie sehr stabile Rangordnungen innovierender Unternehmen.658 Denkbar ist natürlich, dass sich Schumpeter-Mark-I-Industrien zu SchumpeterMark-II-Industrien entwickeln. Mit solchen Entwicklungen beschäftigt sich die Literatur zu sogenannten Industrielebenszyklen (Industry Life Cycles). Auch kann, umgekehrt, ein plötzlicher Umbruch dazu führen, dass es in einer Schumpeter-Mark-II-Industrie wieder mehr Zutritte und damit eine Konzentrationsabnahme gibt, und die Industrie mithin Züge einer Schumpeter-Mark-I-Industrie annimmt.659 Im Gegensatz zum technologischen Regime stellen räumliche Bezüge hier übrigens keine relevanten Einflussgrößen dar. Das (Schumpeter’sche) Innovationsmuster einer Industrie bleibt regelmäßig auch über Ländergrenzen hinweg stabil.660 Aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive dürfte der Innovationswettbewerb nun eher in Schumpeter-Mark-II-Industrien relevant werden. Eine hohe Unternehmenskonzentration, fest verankerte Markt- und Technologieführerschaften 657 Zum Zusammenhang zwischen den Dimensionen technologischer Regime und Schumpeter’scher Innovationsmuster siehe Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 392–394; Malerba in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 350–352; siehe auch Fontana/Nuvolari/Shimizu/Vezzulli, Journal of Evolutionary Economics 2012, Bd. 22, Nr. 4, 785, 788–790. 658 Vgl. Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 395; Malerba in: Hanusch/Pyka, Elgar Companion to Neo-Schumpeterian Economics, 2007, S. 352 f.; Fontana/Nuvolari/Shimizu/Vezzulli, Journal of Evolutionary Economics 2012, Bd. 22, Nr. 4, 785, 788–790. 659 Vgl. hierzu nur Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 389 Fn. 2; Malerba, Research Policy 2002, Bd. 31, Nr. 2, 247, 253. 660 Vgl. Breschi/Malerba/Orsenigo, The Economic Journal 2000, Bd. 110, Nr. 463, 388, 390.
Kapitel 2: Innovation und Wettbewerb
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und aufgrund von Zutrittsschranken seltene Marktzutritte sind Faktoren, bei denen es naheliegt, dass etwa Zusammenschlüsse einer besonders eingehenden und vorsichtigen fusionskontrollrechtlichen Prüfung im Hinblick auf ihre wettbewerblichen Auswirkungen bedürfen. Anzeichen für die wettbewerbsrechtliche Relevanz des Innovationswettbewerbs bestehen demnach in Industrien mit einem eher geringen (möglicherweise aber auch hohen) technologischen Potential, in denen wirksame Aneignungsmechanismen zur Verfügung stehen, Fortschritt eher kumulativ verläuft und eher generisches als angewandtes Wissen eingesetzt wird.
c) Empirische Feststellung von Innovationsmustern in Industrien Die empirische Feststellung dieser Charakteristika bei einzelnen Industrien ist natürlich eine komplexe Aufgabe und mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Dementsprechend ist die Zuordnung von Industrien zu Schumpeter’schen Innovationsmustern allenfalls näherungsweise möglich. Eine solche Zuordnung nehmen etwa Fontana, Nuvolari, Shimizu und Vezzulli vor. Um einzelne Industrien zu definieren, greifen die Autoren auf eine Klassifikation von 30 Technologiebereichen zurück, die gemeinsam durch das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), das französische Institut National de la Propriété Industrielle (INPI) und das Observatoire des Science et des Techniques (OST) entwickelt wurde. Diese 30 Technologiebereiche gruppieren die Autoren in fünf Sektoren und ermitteln dann, welches Schumpeter’sche Innovationsmuster im Zeitraum von 1977 bis 2002 in den jeweiligen Sektoren zu beobachten war. Dies war bei den Sektoren Electrical Engineering sowie Chemistry & Pharmaceuticals durchweg das Schumpeter-Mark-II-Muster und bei den Sektoren Mechanical Engineering sowie Process Engineering durchweg das Schumpeter-Mark-I-Muster. Der Sektor Instruments ließ sich nicht eindeutig einem der beiden Innovationsmuster zuordnen.661 Wie schon in den vorangegangenen Abschnitten findet sich also beispielsweise die Pharmabranche auch hier wieder unter denjenigen Industrien, in denen eine besondere wettbewerbsrechtliche Bedeutung des Innovationswettbewerbs naheliegt.
D. Zusammenfassung Innovation ist bislang nur unzureichend in die Wettbewerbstheorie integriert. Ein einheitliches, allgemein akzeptiertes dynamisches Wettbewerbskonzept, das Innovation umfassend miteinbezieht existiert nicht. Dennoch lassen sich 661 Siehe Fontana/Nuvolari/Shimizu/Vezzulli, Journal of Evolutionary Economics 2012, Bd. 22, Nr. 4, 785, 795–799; zur Klassifikation von Technologiebereichen nach ISI, INPI und OST siehe auch Hinze/Reiss/Schmoch, Statistical Analysis on the Distance Between Fields of Technology, 1997, S. 2 f.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
das Verhältnis von Innovation und Wettbewerb sowie die Funktionsweise des Innovationswettbewerbs in ihren Grundlinien beschreiben. Der Innovationswettbewerb ist eine dynamische Dimension des Wettbewerbs im Allgemeinen. Er kommt dadurch zustande, dass Unternehmen den dynamischen Aktionsparameter Innovation zum Einsatz bringen. Zugleich setzt er Anreize zum (weiteren) Einsatz dieses Aktionsparameters und fördert so die dynamische Effizienz. Die strategisch-antagonistische Interdependenz, welche den Innovationswettbewerb zwischen Unternehmen ausmacht, entsteht, wenn die Unternehmen Innovationstätigkeiten mit sich überschneidenden Fluchtpunkten durchführen beziehungsweise die Fähigkeiten zur Aufnahme solcher Innovationstätigkeiten haben oder sich ohne Weiteres beschaffen können. Es muss zumindest plausibel erscheinen, dass die von den Unternehmen jeweils anvisierten innovativen Produkte substituierbar sein und die Unternehmen deshalb auf einem zukünftigen Produktmarkt in Konkurrenz zueinander treten werden. Die Innovationsanreize von Unternehmen konstituieren sich aus den Erwartungen an den zukünftigen Produktmarktwettbewerb. Maßgeblich sind dabei vor allem die Aussicht auf innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte sowie auf die Möglichkeit zur Ertragsaneignung, außerdem die Intensität der Konkurrenz im Innovationsrennen. Entscheidende Determinanten für die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen sind nicht bestimmte Marktstrukturfaktoren, wie Unternehmensgröße und Marktkonzentration, sondern bestimmte Industrieeigenschaften, namentlich die Aneignungsbedingungen, die zu erwartende Nachfrage und das technologische Potential einer Industrie. Innovation und Innovationswettbewerb nehmen daher jeweils industriespezifische Gestalt an. Anhaltspunkte dafür, dass der Innovationswettbewerb in einer Industrie aus Sicht des Wettbewerbsrechts relevant ist, bestehen, wenn die Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten von Unternehmen in der Industrie gut beobachtbar sind und die Industrie eine hohe Innovationsintensität aufweist. Anhaltspunkte liefert außerdem das Innovationsmuster einer Industrie. Für die wettbewerbsrechtliche Relevanz des Innovationswettbewerbs spricht es, wenn sich die Industrie durch eine hohe Aneigenbarkeit, kumulativen Fortschritt sowie dadurch auszeichnet, dass generisches Wissen bedeutsamer als angewandtes Wissen ist. Dann handelt es sich eher um eine sogenannte Schumpeter-Mark-II-Industrie. Für solche Industrien sind geringe Zutrittsraten, ein hoher Grad an Unternehmenskonzentration sowie stabile Rangordnungen unter innovierenden Unternehmen charakteristisch. Eine Industrie, in welcher der Innovationswettbewerb danach als aus wettbewerbsrechtlicher Sicht relevant erscheint, ist die Pharmaindustrie.
Kapitel 3
Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb Im Folgenden wird erörtert, welche Auswirkungen ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb und die dynamische Effizienz haben kann. Es werden allein horizontale Zusammenschlüsse betrachtet. Als solche werden sämtliche Zusammenschlüsse zwischen konkurrierenden Unternehmen angesehen. Dies schließt nicht lediglich Zusammenschlüsse zwischen (potentiellen) Produktmarktwettbewerbern ein,1 sondern auch Zusammenschlüsse zwischen (potentiellen) Innovationswettbewerbern.2 Nicht Gegenstand der Betrachtung sind vertikale und konglomerate Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen auf einander vor- und nachgelagerten Marktstufen beziehungsweise Unternehmen, deren Tätigkeiten weder in einer horizontalen noch in einer vertikalen Beziehung zueinander stehen.3 Zur Veranschaulichung der möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb (dazu unter B.) ist es sinnvoll, sich zunächst die möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Produktmarktwettbewerbern auf den Preiswettbewerb zu vergegenwärtigen (dazu unter A.).4 Erst auf der Grundlage eines fundierten Verständnisses dieser letzteren Auswirkungen lassen sich erstere Auswirkungen wirklich nachvollziehen. Nur so werden auch die Besonderheiten eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern gegenüber einem solchen zwischen Produktmarktwettbewerbern hinreichend deutlich. Diese Besonderheiten sind ausschlaggebend dafür, dass sich die Frage nach geeigneten Analyseansätzen speziell für die Feststellung von Innovationseffek1 Die Kommission bezeichnet Zusammenschlüsse (nur dann) als horizontal, „wenn die beteiligten Unternehmen tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber auf demselben relevanten Markt sind“, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 5. 2 So auch etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 128. 3 Siehe die entsprechende Beschreibung vertikaler und konglomerater Zusammenschlüsse der Kommission, Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 4 f. Ein einzelner Zusammenschluss kann natürlich auch mehrere der genannten Zusammenschlussarten umfassen – so, wenn die Zusammenschlussparteien jeweils auf einer Mehrzahl von Märkten tätig sind und sich darunter sowohl identische als auch einander vor- oder nachgelagerte beziehungsweise nebeneinanderstehende Märkte befinden, siehe nur Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 341. 4 So auch etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 130 f.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
ten in der Fusionskontrolle überhaupt stellt. Außerdem gilt es zu klären, worin genau im Falle eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern wettbewerbliche Bedenken bestehen können (dazu unter C.).
A. Zusammenschlüsse zwischen Produktmarktwettbewerbern Schließen sich zwei auf einem gegenwärtigen Produktmarkt in Wettbewerb stehende Unternehmen zusammen, führt dies primär zur Beseitigung des Wettbewerbsdrucks, welchen die beiden Unternehmen bisher aufeinander ausübten. Die wechselseitige Möglichkeit der Unternehmen, sich durch Angebotsverbesserungen Geschäftsabschlüsse zulasten des jeweils anderen Unternehmens zu sichern – die Möglichkeit des Business Stealing – entfällt. An die Stelle von Business-Stealing-Effekten im Verhältnis zwischen den beiden Unternehmen treten Kannibalisierungseffekte aufseiten der entstehenden Unternehmenseinheit. Es kommt zur Internalisierung von Business-Stealing-Effekten beziehungsweise der damit einhergehenden Externalitäten. Durch diesen Wegfall von Wettbewerbsdruck erhält die entstehende Unternehmenseinheit einen erweiterten Spielraum beim Einsatz ihrer wettbewerblichen Aktionsparameter. Sie ist dann in stärkerem Maße als die beiden unabhängigen Unternehmen zuvor in der Lage, gewinnbringend Preise oberhalb ihrer Grenzkosten durchzusetzen – verfügt also über erhöhte Marktmacht. Folge des Zusammenschlusses können mithin Preissteigerungen und eine Beeinträchtigung der statischen, allokativen Effizienz sein. Solche durch den Wegfall von Wettbewerbsdruck bedingten Verhaltensspielraumerweiterungen beziehungsweise Marktmachterhöhungen werden als nicht koordinierte oder unilaterale Effekte eines Zusammenschlusses zwischen Wettbewerbern bezeichnet. Denn sie verschaffen der entstehenden Unternehmenseinheit einen erweiterten Verhaltensspielraum, den sie einseitig, das heißt unabhängig von verbleibenden Wettbewerbern, ausnutzen kann. Auf unilaterale Effekte wird im Folgenden näher eingegangen. Hiervon abzugrenzen sind sogenannte koordinierte Effekte, bei denen eine implizite Verhaltenskoordinierung und kollusives Parallelverhalten der nach einem Zusammenschluss verbleibenden Unternehmen im Mittelpunkt stehen.5 Solche koordinierten Effekte werden hier nicht weiter thematisiert, da sie bei Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern wohl eher keine große Rolle spielen.6 5
Vgl. zu den hier beschriebenen Zusammenschlusswirkungen nur Federico/Scott Morton/ Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 130 f.; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 114; ausführlich hierzu auch etwa das für die Kommission erstellte Gutachten von Ivaldi/Jullien/Rey/Seabright/Tirole, The Economics of Unilateral Effects, 2003. 6 Vgl. Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 47 f.; Carrier, Iowa
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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I. Unilaterale Zusammenschlusswirkungen Illustrieren lassen sich unilaterale Effekte vor allem am Beispiel eines Zusammenschlusses zwischen Wettbewerbern auf einem oligopolistisch strukturierten Markt, auf welchem differenzierte Produkte angeboten werden und der Preis den maßgeblichen wettbewerblichen Aktionsparameter darstellt.7 Derartige Märkte und entsprechende Zusammenschlüsse kommen in der Realität häufig vor.8
1. Wettbewerb auf differenzierten Oligopolmärkten Auf einem solchen Oligopolmarkt konkurrieren nur wenige Anbieter miteinander, die jeweils eine gewisse Marktmacht innehaben und in der Lage sind, durch ihr wettbewerbliches Verhalten das Marktergebnis zu beeinflussen. Darin unterscheiden sich die Oligopolunternehmen (deren Rivalitätsbeziehung auch als monopolistische Konkurrenz bezeichnet wird) von Preisnehmern in vollkommener Konkurrenz. Bei strategischen Entscheidungen berücksichtigen sie ihren Einfluss auf das Marktergebnis ebenso wie die antizipierte Reaktion ihrer Wettbewerber. Ihr Wettbewerbsverhältnis zeichnet sich daher durch eine strategische Reaktionsverbundenheit aus. Die Marktmacht der Oligopolunternehmen beruht darauf, dass die Preiselastizität der Nachfrage auf einem Markt mit differenzierten Produkten eingeschränkt ist. Differenzierte (oder heterogene) Produkte sind, im Gegensatz zu homogenen Produkten, nicht vollständig identisch, sondern unterscheiden sich im Hinblick auf bestimmte Eigenschaften oder etwa die Produktqualität. Jeder Anbieter verfügt mit seinem Produkt über gewisse Alleinstellungsmerkmale und deshalb über eine Stammkundschaft, die gerade sein Produkt besonders bevorzugt. Diese Stammkundschaft bleibt dem Anbieter eines differenzierten Produkts zunächst auch dann noch erhalten, wenn er den Produktpreis über das Niveau seiner Grenzkosten hinaus erhöht. Anders als Nachfragerinnen und Nachfrager homogener Produkte, weicht die Stammkundschaft erst bei einer Preiserhöhung gewissen Umfangs auf Alternativprodukte der Konkurrenz aus. Das konkrete Ausmaß der Preiserhöhungsspielräume beziehungsweise der Marktmacht von Oligopolunternehmen hängt von der DiffeLaw Review 2008, Bd. 93, Nr. 2, 393, 422; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 5 f.; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 87; siehe hierzu auch OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 21 f.; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 235. 7 Vgl. auch Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 116, 119 f. Gänzlich anders stellen sich die Auswirkungen eines Zusammenschlusses etwa in einer Wettbewerbssituation dar, welche den Annahmen im Bertrand-Modell zum Preiswettbewerb mit homogenen Produkten entspricht, wie sie (theoretisch) zum Beispiel auf Ausschreibungsmärkten gegeben sein kann, vgl. Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 118. 8 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 257; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 41, 119.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
renziert ihrer Produkte ab. Diese bestimmt über den Grad der Austauschbarkeit der Produkte und damit über die Preiselastizität der Nachfrage. Je stärker sich die Produkte auf einem Markt (beispielsweise in technischer Hinsicht) voneinander unterscheiden, je weniger sie (aus Sicht zumindest einiger Kundinnen und Kunden) miteinander austauschbar sind, desto größer sind Spielräume und Marktmacht der jeweiligen Anbieter.9 In der Regel variieren die Differenziertheit und damit der Grad der Austauschbarkeit von Produkten auf einem Markt. Bestimmte Produkte stellen einander besonders nahe Substitute (Close Substitutes) dar und grenzen sich dadurch von weniger nahen Substituten ab. Dementsprechend bestehen auch Unterschiede darin, wie stark sich Unternehmen in ihren Preiserhöhungsspielräumen gegenseitig einschränken und in welchem Ausmaß sie mithin Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben. Das heißt mit anderen Worten: Die sogenannte wettbewerbliche Nähe zwischen Unternehmen (Closeness of Competition) unterscheidet sich jeweils. Unternehmen, die einander besonders nahe Substitute anbieten, schränken sich in ihren Preiserhöhungsspielräumen gegenseitig stärker ein als andere. Sie gelten daher als nahe Wettbewerber (Close Competitors). Im Verhältnis zwischen nahen Wettbewerbern kann es bei einer Veränderung von Produktpreisen zu besonders starken Business-Stealing-Effekten kommen.10 Dies verdeutlicht das folgende einfache Beispiel: Unternehmen A, B und C sind auf demselben Markt tätig. Sie bieten Produkte an, die zwar grundsätzlich miteinander austauschbar sind, sich aber in technischer Hinsicht unterscheiden. Dem Produkt von Unternehmen A kommt das Produkt von Unternehmen B in seinen technischen Eigenschaften näher als das Produkt von Unternehmen C. Senkt Unternehmen A den Preis seines Produkts, gewinnt es daher eher Kundinnen und Kunden von Unternehmen B hinzu als von Unternehmen C. So wechseln Kundinnen von Unternehmen B etwa bereits bei einer Preissenkung von 5 % zu Unternehmen A, Kundinnen von Unternehmen C hingegen erst bei einer Preissenkung von 10 %. Umgekehrt verliert Unternehmen A im Falle einer Preiserhöhung eher Kundinnen an Unternehmen B als an Unternehmen C. Die Kundinnen von Unternehmen A weichen etwa bereits bei einer Preiserhöhung um 5 % auf das Produkt von Unternehmen B aus, aber erst bei einer Preiserhöhung um 10 % (auch) auf das Produkt von Unternehmen C. Die Unternehmen A und B sind folglich nähere Wettbewerber als die Unternehmen A und C.11 9 Zum oligopolistischen Wettbewerb mit differenzierten Produkten vgl. Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 39 f., 51, 116, 119 f. 10 Vgl. hierzu etwa Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 392; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 40, 51, 119. 11 Für ein ähnliches Beispiel siehe etwa Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 424; vgl. auch Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 258; Montag/Bonin in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 183.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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2. Erst- und Zweitrundeneffekte eines Zusammenschlusses Jeder Zusammenschluss zwischen Wettbewerbern führt zur Beseitigung von Wettbewerbsdruck und zur Internalisierung von mit Business-Stealing-Effekten einhergehenden Externalitäten. Dies erweitert die Verhaltensspielräume der entstehenden Unternehmenseinheit. Es verringert ihre Anreize zur Vornahme von Preissenkungen und erhöht ihre Anreize zur Vornahme von Preiserhöhungen. Bei einem Zusammenschluss zwischen Wettbewerbern auf einem differenzierten Oligopolmarkt hängt die Ausprägung dieser Effekte maßgeblich von der wettbewerblichen Nähe zwischen den Zusammenschlussparteien ab. Je größer die wettbewerbliche Nähe zwischen ihnen ist, desto stärker nehmen sich der zusammenschlussbedingte Wegfall von Wettbewerbsdruck und die sich einstellende Verhaltensspielraumerweiterung aus. In der Folge werden Preissenkungen durch die entstehende Unternehmenseinheit umso unwahrscheinlicher und Preiserhöhungen umso wahrscheinlicher.12 Zur Verdeutlichung lässt sich wiederum an obiges Beispiel anknüpfen: Eine Preissenkung von 5 % durch Unternehmen A verringert Umsätze und damit Gewinne von Unternehmen B. Diese negative Externalität einer Preissenkung braucht Unternehmen A zunächst nicht zu berücksichtigen. Ihm geht es bei der Preissenkung ausschließlich darum, selbst Kundinnen und Kunden hinzuzugewinnen und so die eigenen Umsätze und Gewinne zu steigern. Schließen sich die Unternehmen A und B allerdings zusammen, internalisiert die entstehende Unternehmenseinheit die negative Externalität der Preissenkung. Senkt die Unternehmenseinheit den Preis für das Produkt des ursprünglichen Unternehmens A, geht dies zulasten ihrer nun eigenen Umsätze mit dem Produkt des ursprünglichen Unternehmens B. Es kommt zu Kannibalisierungseffekten. Aus Sicht der Unternehmenseinheit sind mit der Preissenkung zusätzliche (Opportunitäts-)Kosten verbunden, welche die Preissenkung verteuern. Konsequenz ist, dass die Unternehmenseinheit geringere Preissenkungsanreize hat als die beiden Unternehmen A und B vor dem Zusammenschluss. Ein Zusammenschluss von Unternehmen A und Unternehmen C, einem weniger nahen Wettbewerber, hätte im Grundsatz denselben Effekt. Jedoch käme es für die Einheit aus Unternehmen A und C nicht bereits bei einer Preissenkung von 5 % zu relevanten Kannibalisierungseffekten, sondern erst bei einer solchen von 10 %. Hier bliebe also mehr Raum zur Vornahme von Preissenkungen.13 Was die umgekehrten Anrei12 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 257; Berg/Real, Journal of European Competition Law & Practice 2016, Bd. 7, Nr. 7, 442, 444; Federico/Scott Morton/ Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 130 f.; siehe hierzu auch Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391; Shapiro, Antitrust Magazine 1996, Bd. 10. Nr. 2, 23. 13 Vgl. zu diesem Beispiel auch Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 6 f.; Oldale/Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 4, 375, 377; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht,
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
ze zur Vornahme von Preiserhöhungen angeht, führt ein Zusammenschluss zur Internalisierung von mit Business-Stealing-Effekten einhergehenden positiven Externalitäten. Im Beispiel hat die Einheit aus Unternehmen A und B Anreize, den Preis für das Produkt des ursprünglichen Unternehmens A auf ein Niveau zu erhöhen, bis zu welchem sie davon ausgehen kann, dass die Abnehmerinnen und Abnehmer dieses Produkts zwar zum Produkt des ursprünglichen Unternehmens B wechseln, nicht aber zum Produkt von Unternehmen C. Zu erwarten ist also eine Preiserhöhung um bis zu knapp unter 10 %. Bei einer solchen Preiserhöhung verliert die Unternehmenseinheit keine Kundinnen und Marktanteile an Unternehmen C. Schlössen sich hingegen die Unternehmen A und C zusammen, fiele eine zu erwartende Preiserhöhung geringer aus. Sie läge bei knapp unter 5 %, da bereits ab einer Preiserhöhung von 5 % mit dem Abwandern von Kundinnen zu Unternehmen B zu rechnen wäre.14 Neben den bislang beschriebenen, sogenannten Erstrundeneffekten eines Zusammenschlusses, welche die Preissetzungsanreize der Zusammenschlussparteien beziehungsweise der entstehenden Unternehmenseinheit betreffen, sind auch sogenannte Zweitrundeneffekte möglich. Diese betreffen die Preissetzungsanreize der nicht am Zusammenschluss beteiligten Wettbewerber auf dem relevanten Markt. In der Realität wechseln nicht sämtliche Kundinnen und Kunden eines Unternehmens erst im Falle einer Preiserhöhung um einen bestimmten Prozentsatz ihren Anbieter. Vielmehr kommt es bei graduellen Preiserhöhungen zum sukzessiven Abwandern einzelner Kundinnengruppen. Das geschilderte Beispiel ist deshalb eher dahingehend zu verstehen, dass aus Sicht der Einheit aus Unternehmen A und B eine Preiserhöhung um bis zu knapp unter 10 % noch profitabel ist, bevor allzu viele Kundinnen zu Unternehmen C abwandern. Bei jeder Preiserhöhung der Unternehmenseinheit auch unterhalb dieser Schwelle wechselt aber zumindest ein kleiner Teil von deren Kundinnen den Anbieter. Erhöht die Unternehmenseinheit also, wie zu erwarten, den Preis für ihr Produkt, steigt daher auch die Nachfrage nach dem Produkt des Unternehmens C. Dieses kann nun ebenfalls (wenn auch in geringerem Umfang als die Unternehmenseinheit) profitable Preiserhöhungen vornehmen. Die Stärke solcher Zweitrundeneffekte hängt wiederum für jeden verbleibenden Wettbewerber von seiner jeweiligen wettbewerblichen Nähe zur Unternehmenseinheit ab.15 2020, § 7 Rn. 120; Montag/Bonin in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 183. 14 Die Gefahr einer derartigen Preiserhöhung besteht im Beispiel allerdings jederzeit, auch ohne den Zusammenschluss zweier der drei Unternehmen. Zur Stärkung von Preiserhöhungsanreizen infolge eines Zusammenschlusses naher Wettbewerber siehe auch Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 120. 15 Vgl. zu diesen Zweitrundeneffekten Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 236 f.; Johnsen, WuW 2013, 1177, 1179 f.; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 120.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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3. Ergänzende Anmerkungen Mit der wettbewerblichen Nähe zwischen den Zusammenschlussparteien nehmen also die negativen Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf einem differenzierten Oligopolmarkt zu. Damit ein Zusammenschluss Anlass zu wettbewerblichen Bedenken geben kann, müssen die beteiligten Unternehmen nicht notwendig die einander nächsten Wettbewerber auf dem relevanten Markt sein – solange sie nur besonders nahe Wettbewerber sind.16 Relativiert wird die Bedeutung der wettbewerblichen Nähe zwischen den Zusammenschlussparteien wiederum, wenn deren Produkte auch mit den Produkten nicht beteiligter Wettbewerber in einem hohen Grade austauschbar, Letztere also quasi ebenfalls in das wettbewerbliche Näheverhältnis zwischen den Parteien einzubeziehen sind.17 Neben dem Grad der Austauschbarkeit ihrer Produkte (in sachlicher Hinsicht) können übrigens weitere Kriterien Aufschluss über die wettbewerbliche Nähe zwischen Unternehmen geben, beispielsweise die räumliche Entfernung zwischen ihren Verkaufsstätten oder die Vergleichbarkeit ihrer strategischen Ausrichtung und Preispolitik.18 Zudem können Unternehmen ihre wettbewerbliche Nähe zu anderen Unternehmen verändern, indem sie ihre Produkte um- beziehungsweise neu positionieren.19 Zu berücksichtigen ist überdies die jeweilige Gewinnspanne (die Differenz zwischen Preis und Grenzkosten) der beteiligten Unternehmen vor dem Zusammenschluss. Hohe Gewinnspannen lassen auf eine hohe Wahrscheinlichkeit von Preiserhöhungen infolge des Zusammenschlusses schließen. So hat im Beispiel des Zusammenschlusses zwischen Unternehmen A und B die Gewinnspanne von Unternehmen B vor dem Zusammenschluss ebenso wie die wettbewerbliche Nähe zwischen beiden Unternehmen Einfluss auf die Lukrativität einer Erhöhung des Preises für Produkt A durch die Unternehmenseinheit, und damit auf deren Anreize zur Vornahme einer solchen Preiserhöhung: Mit der wettbewerblichen Nähe zwischen den Unternehmen A und B steigt die Anzahl der Kundinnen und Kunden, die infolge einer bestimmten Erhöhung des Preises für Produkt A auf Produkt B ausweichen. Mit der Gewinnspanne von Unternehmen B steigt der Zusatzgewinn durch jede zusätzliche Kundin von Produkt B. Dies hat umgekehrt auch Implikationen für die Anreize zur Verringerung des Preises von Produkt A.20 16 Kuhn, ZWeR 2020, 1, 13; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 425. 17 Vgl. nur Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 236. 18 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 426; siehe auch Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 393. 19 Vgl. Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 120. 20 Zur Bedeutung der Gewinnspanne vgl. etwa Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 259; Oldale/Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 4, 375, 376 f.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
II. Produktive Effizienzgewinne Die bislang dargestellten negativen Effekte eines Zusammenschlusses zwischen Wettbewerbern auf einem differenzierten Oligopolmarkt auf die Preissetzungsanreize der entstehenden Unternehmenseinheit wirken sich letztlich nicht aus, wenn der Zusammenschluss zugleich hinreichend große Effizienzgewinne hervorbringt. Insbesondere zusammenschlussbedingte Kostenvorteile aufseiten der Unternehmenseinheit können die beschriebenen Preiserhöhungsanreize ausgleichen, indem sie gegenläufige Anreize zur Vornahme von Preissenkungen setzen. Infolge einer derartigen Steigerung der produktiven Effizienz kann es sein, dass die durch den Wegfall von Wettbewerbsdruck bedingte Beeinträchtigung der allokativen Effizienz, die von einem Zusammenschluss zwischen Wettbewerbern an sich zu erwarten wäre, im Ergebnis ausbleibt. Die angemessene Beurteilung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses erfordert insofern eine abwägende Gesamtbetrachtung, bei der auch Effizienzgewinne miteinzubeziehen sind. Diese sind umso bedeutsamer, je weniger die negativen Effekte des Zusammenschlusses ins Gewicht fallen, etwa weil die wettbewerbliche Nähe zwischen den Zusammenschlussparteien vergleichsweise gering ist.21
III. Quantitative Analysemethoden Die Auswirkungen eines Zusammenschlusses naher Wettbewerber auf einem differenzierten Oligopolmarkt lassen sich insbesondere auch mit quantitativen Methoden erfassen. Als Maß für den Grad der Austauschbarkeit von Produkten beziehungsweise die wettbewerbliche Nähe zwischen den diese anbietenden Unternehmen dient die sogenannte Umlenkungskennziffer (Diversion Ratio).22 Sie gibt an, in welchem Umfang Abnehmerinnen und Abnehmer eines Produkts im Falle einer Preiserhöhung zu einem anderen Produkt wechseln. Sie errechnet sich anhand der Kreuz- und Eigenpreiselastizitäten zweier Produkte. Erhöht im obigen Beispiel Unternehmen A den Preis für sein Produkt A um einen bestimmten Prozentsatz, geht die Nachfrage nach diesem Produkt A zurück, da Kundinnen und Kunden zu anderen Produkten auf dem Markt wechseln. Diesen Effekt gibt die Eigenpreiselastizität von Produkt A wider. Ein Teil der früheren Kundinnen von Unternehmen A weicht auf das Produkt B von Unternehmen B aus. Dies bildet die Kreuzpreiselastizität zwischen den Produkten A und B ab. Die Kennziffer für die Umlenkung von Produkt A auf Produkt B ist der Quo21 Zu zusammenschlussbedingten Effizienzgewinnen und dem Erfordernis der Gesamtbetrachtung vgl. nur Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 120, 147– 150. 22 Umlenkungskennziffern werden auch als „Substitutions- oder Abwanderungsraten“ bezeichnet, Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 126.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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tient der Kreuzpreiselastizität zwischen den beiden Produkten und der Eigenpreiselastizität von Produkt A. Sie drückt aus, welcher Anteil der Kundinnen, die zuvor Produkt A bezogen haben und die Unternehmen A durch seine Preiserhöhung verliert, auf Produkt B von Unternehmen B ausweicht, und nicht etwa auf Produkt C von Unternehmen C.23 Mithilfe der Umlenkungskennziffer lässt sich auch der sogenannte Preissteigerungsdruck (Upward Pricing Pressure, kurz UPP) ermitteln, den ein Zusammenschluss hervorruft.24 Hierbei handelt es sich um ein ökonomisches Konzept zur direkten Erfassung der Anreize der entstehenden Unternehmenseinheit, nach Vollzug eines Zusammenschlusses Preiserhöhungen vorzunehmen.25 Es geht zurück auf Farrell und Shapiro.26 Danach ist zur Beurteilung der Zusammenschlusswirkungen auf das Preissetzungsverhalten der beteiligten Unternehmen zunächst der zusammenschlussbedingte Brutto-Preissteigerungsdruck zu bestimmen.27 Schließen sich die Unternehmen A und B zusammen, ergibt sich der dadurch für Unternehmen A erzeugte Brutto-Preissteigerungsdruck aus dem Produkt der Kennziffer für die Umlenkung von Produkt A auf Produkt B und der Gewinnspanne von Unternehmen B vor dem Zusammenschluss.28 Der Brutto-Preissteigerungsdruck reflektiert die Anreize zur Vornahme von Preiserhöhungen, welche daraus resultieren, dass mit dem Zusammenschluss der direkte Wettbewerb zwischen den beteiligten Unternehmen wegfällt; er quantifiziert diese Anreize.29 Zur Ermittlung des eigentlichen (Netto-)Preissteigerungsdrucks sind zusätzlich noch etwaige Effizienzgewinne durch den Zusammenschluss zu berücksichtigen, die einen gegenläufigen Preissenkungsdruck (Downward Pricing Pressure) bewirken können.30 Der Einfachheit halber werden Effizienzgewinne dabei generell als Potential zur Senkung von Grenzkosten verstanden.31 Der Preissenkungsdruck für Unternehmen A ergibt sich daher aus dem Produkt der durch den Zusammenschluss bei Unternehmen A erzeug23 Zu dieser Art der Berechnung der Umlenkungskennziffer vgl. etwa Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 393; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 105; zur alternativen Berechnung der Umlenkungskennziffer anhand von Marktanteilen siehe Lianos/Genakos in: Lianos/Geradin, Handbook on European Competition law, 2013, S. 12 f. 24 Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 394. 25 Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 257 f. 26 Siehe Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9; vgl. auch bereits Werden, The Journal of Industrial Economics 1996, Bd. 44, Nr. 4, 409. 27 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 258. 28 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 258; Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 394. 29 Ähnlich die Ausführungen bei Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 2, 4. 30 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 258; Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 394. 31 Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 258; Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 10.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
ten Effizienzgewinne und der Grenzkosten von Unternehmen A.32 Dieser Preissenkungsdruck ist vom Brutto-Preissteigerungsdruck zu subtrahieren.33 Hat das Ergebnis – also der Netto-Preissteigerungsdruck – einen positiven Wert, so bestehen für Unternehmen A nach dem Zusammenschluss Anreize, den Preis für sein Produkt A zu erhöhen.34 Auf dieselbe Weise ist der infolge des Zusammenschlusses auf Unternehmen B wirkende Preissteigerungsdruck zu ermitteln, und damit dessen Anreize, nach dem Zusammenschluss den Preis für sein Produkt B zu erhöhen.35 Ein positiver Netto-Preissteigerungsdruck kann als (ein) Indiz für die wettbewerbswidrigen Wirkungen eines Zusammenschlusses gesehen werden.36 Allerdings weist das Konzept des Preissteigerungsdrucks auch einige Limitierungen auf. So findet etwa der oben beschriebene Zweitrundeneffekt eines Zusammenschlusses naher Wettbewerber auf die nicht am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen keine Berücksichtigung.37 Auch weist ein positiver Preissteigerungsdruck lediglich auf das Vorhandensein von Anreizen zur Preiserhöhung sowie deren Ausprägung hin; keine Auskunft gibt er hingegen über die Höhe der infolge eines Zusammenschlusses zu erwartenden Preissteigerung.38 Hierzu bedarf es komplexerer Methoden. Eine direkte Schätzung der infolge eines Zusammenschlusses zu erwartenden Preise ist etwa mittels sogenannter Simulationsmodelle (auch Merger Simulations) möglich.39 Für deren Anwendung sind allerdings in weitaus größerem Umfang Informationen über Markt- und Wettbewerbsbedingungen erforderlich, die im Einzelfall schwierig zu beschaffen sein können.40 32 Vgl. 33 Vgl.
Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 259. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 259. 34 Vgl. Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 11. 35 Vgl. Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 394; Zimmer, WuW 2013, 928, 935; Moresi, The Use of Upward Price Pressure Indices in Merger Analysis, 2010, S. 2 f. 36 Vgl. Thomas, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 5, 391, 398 f.; Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 11. 37 Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 260 f.; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 129 Fn. 524. 38 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 259; Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 14, 19. 39 Vgl. Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 28; Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 261; Oldale/Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 4, 375, 378 f. 40 Vgl. Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 261, 265 f.; Zimmer, The Antitrust Bulletin 2016, Bd. 61, Nr. 1, 133, 140; zur Anwendung von Simulationsmodellen in der Fusionskontrolle siehe auch etwa ICN, The Role of Economists and Economic Evidence in Merger Analysis, 2013, S. 31–34; Kirkwood, The Antitrust Bulletin 2011, Bd. 56, Nr. 3, 543, 563–566; Budzinski/Ruhmer, Journal of Competition Law & Economics 2010, Bd. 6, Nr. 2, 277.
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In eine ähnliche Richtung wie das UPP-Konzept nach Farrell und Shapiro geht das Konzept des sogenannten Gross Upward Pricing Pressure Index (kurz GUPPI). Dieser Index entspricht im Wesentlichem dem beschriebenen BruttoPreissteigerungsdruck. Er wird anstelle des Netto-Preissteigerungsdrucks herangezogen, um die wettbewerbswidrigen Wirkungen eines Zusammenschlusses gesondert von etwaigen Effizienzgewinnen zu eruieren.41
B. Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern Die Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb verhalten sich insoweit analog zu den Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Produktmarktwettbewerbern auf den Preiswettbewerb, als auch sie primär zur Beseitigung des Wettbewerbsdrucks zwischen den Parteien führen. Allein, bei ihnen geht es um die Beseitigung speziell innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks. Im Vordergrund stehen Folgen für die dynamische, nicht so sehr für die statische Effizienz.42 Darin, wie sich diese Beseitigung von Wettbewerbsdruck im Einzelnen realisiert, unterscheiden sich Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern allerdings von solchen zwischen bloßen Produktmarktwettbewerbern. Die möglichen Auswirkungen Ersterer sind weitaus komplexer als die Auswirkungen Letzterer.43 Zurückzuführen ist diese Komplexität auf die charakteristischen Eigenschaften von Innovation, insbesondere ihre Prozesshaftigkeit. Sie erfordert es, dass auch für eine sinnvolle Erfassung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern (zur gedanklichen Vereinfachung) wieder die drei verschiedenen Facetten des Innovationswettbewerbs zu unterscheiden sind: der zukünftige und der gegenwärtige Produktmarktwettbewerb sowie der reine, produktmarktunabhängige Innovationswettbewerb.44 Die Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks infolge eines Zusammenschlusses wirkt sich auf jede dieser drei Facetten aus, und zwar in jeweils unterschiedlicher Weise.45 Hierauf wird im Folgenden näher eingegan41 Zum GUPPI siehe Salop/Moresi, Updating the Merger Guidelines, 2009, S. 18–24; Moresi, The Use of Upward Price Pressure Indices in Merger Analysis, 2010; zur Verwendung des GUPPI durch die Europäische Kommission siehe etwa Oldale/Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2013, Bd. 4, Nr. 4, 375, 380 f.; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 361 f.; Friederiszick/Nitsche/Dijk/Verouden, Recent Economic Applications in EU Merger Control, 2019, S. 1. 42 Vgl. Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 130 f. 43 Vgl. an dieser Stelle nur Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014. 44 Zu den verschiedenen Facetten des Innovationswettbewerbs siehe Kapitel 2.B.II.1. 45 Vgl. hierzu auch etwa Federico, Journal of European Competition Law & Practice
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gen. Dabei werden die einzelnen Effekte, die ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern gerade durch die Beseitigung des innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks zwischen diesen haben kann, als Primäreffekte bezeichnet (dazu unter I.). Von ihnen zu trennen sind sekundäre Effekte eines solchen Zusammenschlusses, die nicht unbedingt direkt mit der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks zusammenhängen (dazu unter II.). Hierzu gehören insbesondere auch mögliche dynamische Effizienzgewinne (dazu unter III.). Die (vereinfachende) Unterscheidung von Primär- und Sekundäreffekten hat vor allem den Zweck, die Darstellung zu strukturieren. Tatsächlich bestehen zwischen beiden Arten von Zusammenschlusswirkungen vielfältige Überschneidungen.
I. Primäreffekte Die Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks durch einen Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern schlägt sich zunächst insofern nieder, als sie die Erwartungen an den zukünftigen Wettbewerb und damit Innovationsanreize verändert. Dies geschieht zum einen über die Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte (die sich im zukünftigen Wettbewerb realisieren) sowie zum anderen über die Internalisierung technologischer Spillovers, beziehungsweise der damit jeweils einhergehenden Externalitäten. Während ersterer Internalisierungseffekt die Innovationsanreize der entstehenden Unternehmenseinheit beeinträchtigt, hat letzterer Internalisierungseffekt eine positive Wirkung, weil er der Unternehmenseinheit die Ertragsaneignung erleichtert. Sind die Parteien nicht nur Innovations-, sondern zugleich Wettbewerber auf einem gegenwärtigen Produktmarkt, so bewirkt der Zusammenschluss auch eine Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte (die sich noch im gegenwärtigen Wettbewerb realisieren), wodurch die entstehende Unternehmenseinheit mit erhöhter (gegenwärtiger) Marktmacht ausgestattet wird. Dieser Marktmachteffekt wiederum kann die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Unternehmenseinheit sowohl in positiver als auch in negativer Weise beeinflussen. Was schließlich den reinen, produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb zwischen den Parteien angeht, der ja gemeinhin vor allem als Innovationsrennen beschrieben wird, so kann ein Zusammenschluss einerseits die Internalisierung solcher Externalitäten zur Folge haben, die entstehen, wenn ein Teilnehmer am Innovationsrennen seine Innovationsausgaben erhöht und dadurch seine Innovationstätigkeiten beschleunigt. Andererseits kann ein Zusammenschluss, insbesondere wenn er zur Einstellung der Innovationstätigkeiten einer der Parteien führt, mit einer Verringerung der An2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671–676, der nicht von verschiedenen Facetten des Innovationswettbewerbs spricht, sondern davon, dass sich ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern über unterschiedliche Kanäle (Channels) auswirkt.
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zahl unabhängiger Teilnehmer am Innovationsrennen gleichzusetzen sein. Der Einfluss dieser über den produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb vermittelten Effekte auf die Innovationsanreize der entstehenden Unternehmenseinheit ist ebenfalls ambivalent, kann also positiv oder negativ ausfallen. Die einzelnen hier angesprochenen Effekte werden in den folgenden Abschnitten noch ausführlicher erläutert.
1. Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte Eine ganz zentrale Rolle für Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern spielen die Internalisierung der mit innovationsbedingten BusinessStealing-Effekten einhergehenden Externalitäten sowie die damit verbundene Erzeugung innovationsbedingter Kannibalisierungseffekte.46 Hierin liegt eine Entsprechung zur zentralen Rolle, welche die Internalisierung der mit preisbezogenen Business-Stealing-Effekten einhergehenden Externalitäten und die Erzeugung preisbezogener Kannibalisierungseffekte – so wie oben erläutert – für Zusammenschlüsse zwischen Produktmarktwettbewerbern spielen.47 Auch bei Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern werden Internalisierung und Kannibalisierung vornehmlich dann virulent, wenn es sich bei den Zusammenschlussparteien um zwei einander besonders nahe von insgesamt nur wenigen relevanten Innovationswettbewerbern handelt. In Anlehnung an den oben erläuterten Begriff des Produktmarktoligopols kann hier von einem Innovationsoligopol gesprochen werden. Die Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte durch einen Zusammenschluss im Innovationsoligopol folgt im Grundsatz demselben Mechanismus, der auch im Falle eines Zusammenschlusses naher Preiswettbewerber auf einem differenzierten Oligopolmarkt greift und Preiserhöhungen durch die entstehende Unternehmenseinheit wahrscheinlich macht.48 Zur Illustration lässt sich daher auf obiges Beispiel rekurrieren. Es müssen lediglich die darin in Bezug genommenen Preissenkungen durch die Aufnahme von Innovationstätigkeiten beziehungsweise deren Fortführung oder Erweiterung (etwa in Gestalt der Beschleunigung) ersetzt werden, und die darin in Bezug genommenen Preiserhöhungen durch das Unterlassen von Innovationstätigkeiten beziehungsweise deren Ein46 Vgl.
nur Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 131 f.; siehe auch Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 374–379, die hier von einem „Innovation Diversion Effect“ sprechen. 47 Siehe oben, unter A. I. 48 Vgl. Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 131 f.; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 37; differenzierend Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 369 f.; siehe auch OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 6–9.
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stellung oder Reduktion (etwa in Gestalt der Verlangsamung).49 Dann lässt sich anhand des Beispiels aufzeigen, wie ein Zusammenschluss besonders naher Innovationswettbewerber im Innovationsoligopol die Anreize der entstehenden Unternehmenseinheit zur Aufnahme beziehungsweise Fortführung oder Erweiterung von Innovationstätigkeiten in besonderem Maße verringert und, umgekehrt, ihre Anreize zum Unterlassen beziehungsweise zur Einstellung oder Reduktion von Innovationstätigkeiten in besonderem Maße erhöht (vorbehaltlich natürlich der konkreten Ausprägung der übrigen Primär- sowie etwaiger Sekundäreffekte).
a) Wirkung auf Innovationsanreize Die Verringerung positiver Innovationsanreize, also solcher zur Aufnahme beziehungsweise Fortführung oder Erweiterung von Innovationstätigkeiten, infolge eines Zusammenschlusses naher Innovationswettbewerber resultiert aus der Internalisierung der mit innovationsbedingten Business-Stealing-Effekten einhergehenden negativen Externalitäten. Wird die Aussicht auf innovationsbedingte Business-Stealing-Effekte im zukünftigen Wettbewerb durch die Aussicht auf innovationsbedingte Kannibalisierungseffekte ersetzt, erhöht dies die (Opportunitäts-)Kosten der Innovationstätigkeiten und verringert so deren voraussichtliche Rentabilität, was zu herabgesetzten Innovationsanreizen führt. Hierzu die Abwandlung des obigen Beispiels: Unternehmen A hat Anreize zur Vornahme von Innovationstätigkeiten, weil es davon ausgehen kann, sich durch die Einführung eines anvisierten innovativen Produkts A Geschäftsabschlüsse beziehungsweise Kundinnen und Kunden zu sichern, die ansonsten künftig Unternehmen B zufielen. Schließen sich Unternehmen A und B zusammen, muss die entstehende Unternehmenseinheit berücksichtigen, dass es mit der Einführung des innovativen Produkts A zur Kannibalisierung der Umsätze mit dem nun ebenfalls zum eigenen Portfolio gehörenden Produkt B kommt. Dies beeinträchtigt die Anreize zur Hervorbringung und Einführung des innovativen Produkts A. Dabei kann es sich bei Produkt B sowohl um ein bereits existierendes Produkt handeln als auch um ein ebenfalls noch in der Entwicklung befindliches, innovatives Produkt. Soll das innovative Produkt A eine bereits existierende, ältere Version dieses Produkts ersetzten, treten die Kannibalisierungseffekte hinsichtlich des Produkts B zu den ohnehin zu erwartenden Kannibalisierungseffekten hinsichtlich der älteren Version von Produkt A hinzu. Die Stärke der beschriebenen Effekte hängt auch hier nicht nur von der wett49
Tatsächlich unterscheiden sich die Preisfestsetzung einerseits und Entscheidungen über Innovationstätigkeiten andererseits natürlich in vielerlei Hinsicht. Regelmäßig handelt es sich bei einem Großteil der Ausgaben für Innovationstätigkeiten um versunkene, sodass beispielsweise die, zumal kurzfristige, Einstellung von Innovationstätigkeiten nicht immer ohne Weiteres als strategisch sinnvolle Handlungsoption in Betracht kommt, vgl. hierzu etwa Petit, Antitrust Law Journal 2019, Bd. 82, Nr. 3, 873, 894 f.
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bewerblichen Nähe zwischen den Zusammenschlussparteien ab, sondern auch von der Gewinnspanne derjenigen Produkte, um deren Kannibalisierung es jeweils geht.50 Spiegelbildlich dazu ist die Erhöhung negativer Innovationsanreize, also solcher zum Unterlassen beziehungsweise zur Einstellung oder Reduktion von Innovationstätigkeiten, infolge eines Zusammenschlusses naher Innovationswettbewerber das Resultat der Internalisierung von mit innovationsbedingten Business-Stealing-Effekten einhergehenden positiven Externalitäten. Muss etwa Unternehmen A davon ausgehen, mit einem Verzicht auf (weitere) Innovationstätigkeiten zur Verbesserung seines bereits existierenden Produkts künftig Geschäftsabschlüsse beziehungsweise Kundinnen und Kunden an den (gegenwärtigen) Konkurrenten B zu verlieren, der seinerseits eine innovative Version seines Produkts einzuführen beabsichtigt, so bannt ein Zusammenschluss mit Konkurrent B diese Gefahr und verringert mithin den Innovationsdruck auf Unternehmen A. Dieses kann die fraglichen Innovationstätigkeiten unterlassen beziehungsweise einstellen.51 So es sich bei den Zusammenschlussparteien um aktuelle Innovationswettbewerber handelt, die bereits Innovationstätigkeiten durchführen, kann die Beeinträchtigung von Innovationsanreizen, anstatt der Einstellung oder etwa Verlangsamung, auch eine Umlenkung der laufenden Innovationstätigkeiten nach sich ziehen. Damit ist gemeint, dass die inhaltliche Ausrichtung der fraglichen Innovationstätigkeiten verändert, also etwa ein anderes innovatives Produkt als zuvor anvisiert wird. Auch durch eine solche Umlenkung lassen sich künftige Kannibalisierungseffekte nach einem Zusammenschluss möglicherweise vermeiden. Zu demselben Zweck können auch bereits auf einem Markt angebotene Produkte um- beziehungsweise neu positioniert werden.52 Ansonsten (das heißt abgesehen vom Gesichtspunkt der Umlenkung) können die hier beschriebenen Effekte auch im Falle eines Zusammenschlusses zwischen potentiellen Innovationswettbewerbern auftreten, die noch keine Innovationstätigkeiten mit sich überschneidenden Fluchtpunkten durchführen, aber die erforderlichen Fä50 Zur beschriebenen Verringerung positiver Innovationsanreize infolge eines Zusammenschlusses siehe Lofaro/Lewis/Abecasis, Antitrust Magazine 2017, Bd. 32, Nr. 1, 100, 101; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 129 f., 131 f.; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 37. 51 Zur zusammenschlussbedingten Erhöhung negativer Innovationsanreize vgl. Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671 f.; Cascone Fauver/Ramanarayanan/Tosini, Antitrust Magazine 2018, Bd. 32, Nr. 2, 70, 71 f.; Federico/ Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 131 f.; Kerber/ Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 19 f.; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 36; mit einem anschaulichen Beispiel auch Lofaro/Lewis/Abecasis, Antitrust Magazine 2017, Bd. 32, Nr. 1, 100, 100 f.; siehe ferner Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 374–379, mit Hinweisen auf einige komplizierende Faktoren. 52 Vgl. hierzu etwa OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 7 f.
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higkeiten zur Aufnahme derartiger Innovationstätigkeiten haben. Dann geht es nicht um die Einstellung oder Verlangsamung von Innovationstätigkeiten, sondern um deren Unterlassen oder die Verzögerung ihrer Aufnahme infolge des Zusammenschlusses.53
b) Zur wettbewerblichen Nähe zwischen Innovationswettbewerbern Nicht immer einfach zu bewältigen ist die Bestimmung der wettbewerblichen Nähe zwischen Innovationswettbewerbern. Anders als bei Produktmarktwettbewerbern kann nicht an die Eigenschaften bereits existierender Produkte angeknüpft werden, da es ja auf den Grad der Austauschbarkeit noch nicht existenter, zukünftiger und innovativer Produkte ankommt. Deren Eigenschaften und damit ihr Substitutionsgrad sind zwar umso besser einzuschätzen, je gezielter Forschung und Entwicklung verlaufen. Solche Einschätzungen basieren aber stets auf Vorhersagen, die naturgemäß mit Unsicherheit behaftet sind. Bei (noch) ungezielten Innovationstätigkeiten sowie im Falle eines Zusammenschlusses zwischen lediglich potentiellen Innovationswettbewerbern gibt die Vergleichbarkeit beziehungsweise Austauschbarkeit der Innovationsfähigkeiten von Unternehmen Hinweise auf die wettbewerbliche Nähe zwischen ihnen. Präzise Maßstäbe zur Feststellung von Überschneidungen bei Innovationsfähigkeiten haben sich bislang allerdings nicht herausgebildet. Sie sind erst noch zu entwickeln. Denkbare Ansatzpunkte sind dabei etwa Produktmarktüberschneidungen zwischen Unternehmen in der Vergangenheit oder ähnlich bestückte Patentportfolien.54
c) Äquivalente quantitativer Analysemethoden für den Innovationswettbewerb Ebenso schwierig gestaltet sich eine quantitative Erfassung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses naher Innovationswettbewerber im Innovationsoligopol. Hierzu schlagen Farrell und Shapiro die Berechnung einer innovationsbezogenen Umlenkungskennziffer (Innovation Diversion Ratio) vor – als Äquivalent zur herkömmlichen, preisbezogenen Umlenkungskennziffer, wie sie dem UPP-Konzept der beiden Autoren zugrunde liegt.55 Sie gehen davon 53 Vgl. hierzu Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 146 f. 54 Zur Problematik der wettbewerblichen Nähe zwischen Innovationswettbewerbern und ihrer Bestimmung anhand von anvisierten innovativen Produkten beziehungsweise Innovationsfähigkeiten vgl. auch etwa Baker, The Antitrust Paradigm, 2019, S. 158 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 147 f.; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16. 55 Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 33 f.; siehe auch etwa Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 391 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 132; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 248.
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aus, dass die Durchführung beziehungsweise Steigerung der Innovationstätigkeiten eines Unternehmens A grundsätzlich zu einer Erhöhung von dessen operativem Gewinn (unter Abzug der erforderlichen Innovationsausgaben) und zugleich zu einer Verringerung der Gewinne seiner Innovationswettbewerber führt. Die Innovation Diversion Ratio im Verhältnis von Unternehmen A und Unternehmen B gibt dann den Anteil am zusätzlichen Gewinn von Unternehmen A infolge der Einführung einer anvisierten Innovation wieder, der dem hierdurch bedingten Gewinnrückgang bei Unternehmen B entspricht. Im Falle des Zusammenschlusses von Unternehmen A und B fallen sowohl die Gewinnsteigerung als auch der Gewinnrückgang bei der entstehenden Unternehmenseinheit an. Der Wert der Innovation Diversion Ratio weist dann die Höhe einer Kannibalisierungssteuer (Cannibalization Tax) aus, welche aus Sicht der Unternehmenseinheit auf die mithilfe der anvisierten Innovation erzielbaren Zusatzgewinne anfällt. Überragen Innovation Diversion Ratio beziehungsweise Kannibalisierungssteuer etwaige, durch den Zusammenschluss hervorgerufene Effizienzgewinne, ist davon auszugehen, dass der Zusammenschluss wahrscheinlich zur Beeinträchtigung von Innovationsanreizen und Verringerung von Innovationstätigkeiten führen wird.56 Die tatsächliche Praktikabilität dieses quantitativen Konzepts erscheint allerdings fraglich. Denn eine genaue, numerische Bestimmung von Innovation Diversion Ratio und innovationsbezogenen Effizienzgewinnen wird – das räumen auch Farrell und Shapiro ein – in vielen Fällen überaus schwierig sein.57 In eine ähnliche Richtung geht ein Ansatz von Salinger zur Berechnung einer Net-Innovation-Pressure-Formel. Auch diese soll ein Äquivalent für das Konzept des Preissteigerungsdrucks darstellen und beinhaltet eine Gegenüberstellung von Diversion Ratio und Effizienzgewinnen. Letztere macht Salinger an der Internalisierung technologischer Spillovers und dadurch verbesserte Aneignungsbedingungen fest. Im Hinblick auf die Schwierigkeit, derartige Spillovers präzise zu quantifizieren, schlägt er vor, auf Vorgänge in der Vergangenheit abzustellen, bei denen eine Zusammenschlusspartei eine Innovation der anderen Partei imitiert hat.58 Einen etwas anderen Ansatz zur quantitativen Analyse beschreiben Régibeau und Rockett. Sie lassen Effizienzgewinne zunächst außen vor und ermitteln einen DPII-Index – als Äquivalent zum oben beschriebenen GUPPI, wobei DPII für Downward Pressure on Innovation Investment steht. Der Abwärts56
33 f.
Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9,
57 Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9, 34; siehe auch Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 392; OECD, Market Definition, 2012, S. 210. 58 Siehe Salinger, Net Innovation Pressure in Merger Analysis, 2019; siehe auch OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 22.
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druck auf Innovationsausgaben, der im Falle eines Zusammenschlusses zwischen einem innovierenden Unternehmen A und einem Unternehmen B entsteht, entspricht dem Produkt aus der Innovation Diversion Ratio im Verhältnis zwischen Unternehmen A und B, dem Preis des Produkts von Unternehmen B sowie dessen Gewinnspanne. Die Innovation Diversion Ratio definieren Régibeau und Rockett als Verhältnis zwischen der Anzahl an verkauften Produkteinheiten, die Unternehmen A hinzugewinnt, und der Anzahl an verkauften Produkteinheiten, die Unternehmen B verliert, wenn Unternehmen A eine zusätzliche Geldeinheit in Innovationstätigkeiten investiert.59 Die angesprochenen Einschränkungen hinsichtlich der tatsächlichen Praktikabilität gelten freilich auch für diesen Ansatz.
2. Internalisierung technologischer Spillovers Ein zweiter Internalisierungseffekt, den ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern hervorrufen kann, betrifft technologische Spillovers. Hiermit ist, wie erläutert, der ungewollte Abfluss von Wissen gemeint, das ein Innovator mittels kostspieliger Innovationstätigkeiten hervorbringt und das in dessen innovatives, auf einem zukünftigen Markt anzubietendes Produkt einfließt. Derartige Wissensabflüsse kommen den Innovationswettbewerbern des Innovators als positive Externalitäten zugute. Sie ermöglichen es ihnen, parallele Innovationen oder Imitationen hervorzubringen, und zwar mit geringerem (finanziellem) Aufwand als der Innovator. Dadurch können sie auf dem zukünftigen Markt Produkte anbieten, die konkurrenzfähig zum innovativen Produkt des Innovators, aber günstiger sind. So gleichen sie eine innovationsbedingte Überlegenheit des Angebots des Innovators rasch aus und nivellieren dessen hierauf beruhende Machtstellung auf dem zukünftigen Markt. Der Innovator ist dann nicht oder nur kurzzeitig in der Lage, sein innovatives Produkt zu Preisen oberhalb seiner Grenzkosten zu veräußern. Dies erschwert ihm die Aneignung der Erträge aus seiner Innovation beziehungsweise seinen Innovationstätigkeiten. Sind die Wissensabflüsse allzu groß und wird die Marktmacht des Innovators deshalb allzu schnell abgebaut, hat er keine Aussicht darauf, hinreichende Gewinne auf dem zukünftigen Markt zu erwirtschaften, um seine Innovationsausgaben zu amortisieren. Ohne Aussicht auf die Rentabilität seiner Innovationstätigkeiten fehlt es dem Innovator dann an Innovationsanreizen.60 In einer Situation, in der technologische Spillovers eine Rolle spielen, kann ein Zusammenschluss mit einem Innovationswettbewerber des Innovators die Ertragsaneignung erleichtern, indem er zur Internalisierung der mit den Spill overs einhergehenden positiven Externalitäten führt. Ein solcher Zusammen59 Siehe 60
Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 37. Siehe hierzu bereits Kapitel 2.B.III.2.
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schluss schließt das Risiko einer Parallelinnovation oder Imitation durch den beteiligten Innovationswettbewerber aus, wodurch die allzu rasche Nivellierung der zukünftigen Marktmacht des Innovators zumindest unwahrscheinlicher wird. Dies stärkt die Aussicht des Innovators auf die Rentabilität seiner Innovationstätigkeiten und damit seine Innovationsanreize.61 Der beschriebene Internalisierungseffekt fällt freilich umso stärker ins Gewicht, je größer die Wissensabflüsse sind, welche die Innovationstätigkeiten des Innovators generieren.62 Dies hängt von den in einer Industrie generell und unabhängig von einem konkreten Zusammenschluss bestehenden Aneignungsbedingungen ab, also etwa davon, ob der Innovator zum Schutz seiner Innovationen auf wirksame Immaterialgüterrechte, insbesondere Patente, zurückgreifen kann. Ist Letzteres der Fall und sind die Aneignungsbedingungen für den Innovator daher gut, spricht dies gegen eine große Bedeutung des Internalisierungseffekts.63 Grundsätzlich ist allerdings davon auszugehen, dass stets zumindest geringfügige technologische Spillovers in der einen oder anderen Form auftreten, selbst wenn die Aneignungsbedingungen an sich gut sind, wie im Falle starken Patentschutzes.64 Dementsprechend sind der Internalisierungseffekt und seine positive Wirkung auf Innovationsanreize wohl bei keinem Zusammenschluss ganz auszuschließen.65 Im Einzelfall kann der Effekt freilich sehr gering ausfallen.66 Er kann aber theoretisch auch so groß ausfallen, dass er die negative Wirkung auf Innovationsanreize, die von einer Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte ausgeht, vollständig ausgleicht.67
61 Siehe
hierzu etwa Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 14; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 675 f.; Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 384–386; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 133; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 39 f.; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 27 f.; mit einer empirischen Untersuchung hierzu Entezarkheir/Moshiri, Innovation Spillover and Merger Decisions, 2018. 62 Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 39. 63 Vgl. Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 675; Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 384; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 27. 64 Vgl. Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 384. 65 Vgl. nur OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 27. 66 Vgl. Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 133. 67 Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 675; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 133; grundlegend hierzu auch D’Aspremont/Jacquemin, The American Economic Review 1988, Bd. 78, Nr. 5, 1133.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
3. Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte Konkurrieren Innovationswettbewerber bereits auf einem gegenwärtigen Produktmarkt, und geht es um die Hervorbringung einer bloß inkrementellen Innovation, also eines innovativen Produkts, das mit den Produkten auf dem gegenwärtigen Markt austauschbar sein wird, so führt ein Zusammenschluss zwischen den Innovationswettbewerbern zur Internalisierung nicht nur innovationsbedingter, sondern auch herkömmlicher, preisbezogener BusinessStealing-Effekte beziehungsweise der damit einhergehenden Externalitäten. Hieraus resultieren, wie oben erläutert, ein erweiterter Verhaltensspielraum beziehungsweise erhöhte Marktmacht der entstehenden Unternehmenseinheit auf dem gegenwärtigen Produktmarkt. Die Unternehmenseinheit kann gewinnbringend Preise oberhalb ihrer Grenzkosten durchsetzen. Die statisch-allokative Effizienz wird beeinträchtigt. Die Stärke dieses Marktmachteffekts hängt in erster Linie von der wettbewerblichen Nähe der Zusammenschlussparteien auf dem gegenwärtigen Produktmarkt und ihren Gewinnspannen ab.68 Aus diesem Marktmachteffekt können sich wiederum Konsequenzen für die Innovationsfähigkeiten und -anreize der entstehenden Unternehmenseinheit ergeben und damit für die dynamische Effizienz.69 Wie genau sich der Marktmachteffekt auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize der entstehenden Unternehmenseinheit auswirkt, lässt sich allerdings nicht abstrakt, sondern nur mit Blick auf den Einzelfall bestimmen. Hier kann an die Diskussion um die zweite Neo-Schumpeter-Hypothese, also um den Zusammenhang zwischen Marktmacht beziehungsweise Marktkonzentration und Innovation angeknüpft werden.70 Darin wurden verschiedene Gesichtspunkte erörtert, unter denen die Innovationsfähigkeiten und -anreize eines Unternehmens mit dessen Marktmacht beziehungsweise mit der Konzentration des Produktmarkts, auf dem es tätig ist, sowohl steigen als auch sinken können. Unter diesen Gesichtspunkten kann entsprechend auch eine zusammenschlussbedingte Erhöhung gegenwärtiger Marktmacht für stärkere oder für schwächere Innovationsfähigkeiten und -anreize sorgen.71 Mithin ist der Marktmachteffekt eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern – anders als die Wirkungen, die ein solcher Zusammenschluss durch die Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte und technologischer Spillovers haben 68
Siehe oben, unter A. hierzu Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 2 f.; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 672–675; Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 365; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 162–165. 70 Siehe Kapitel 2.C. I.2. 71 Vgl. hierzu auch Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 5–10; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 672 f. 69 Vgl.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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kann – nicht eindeutig, was die dynamische Effizienz angeht, sondern ambivalent.72 Der Veranschaulichung des Marktmachteffekts, insbesondere in Kombination mit der Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte, dient das folgende Beispiel, das sich wiederum an die obigen Beispiele anlehnt: Unternehmen A und B bieten die Konkurrenzprodukte A und B auf einem gegenwärtigen Markt an. Unternehmen B führt zugleich Innovationstätigkeiten durch, um sein Produkt durch eine innovative Version zu ersetzen, und sich so Geschäftsabschlüsse zulasten von Unternehmen A zu sichern. Nach einem Zusammenschluss zwischen Unternehmen A und Unternehmen B berücksichtigt die entstehende Unternehmenseinheit bei der Entscheidung über die Fortführung der Innovationstätigkeiten von Unternehmen B, dass mit der Einführung einer verbesserten Version von Produkt B die mit Produkt A erzielbaren Umsätze teilweise kannibalisiert würden. Je nach den Gewinnspannen der Produkte verfügt die Unternehmenseinheit also bereits wegen der Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte über erheblich geringere Innovationsanreize als Unternehmen B vor dem Zusammenschluss. Hinzukommt nun, dass die Unternehmenseinheit aufgrund des Marktmachteffekts einen erhöhten Preis für Produkt A durchsetzen kann. Angesichts der auf diese Weise gesteigerten Gewinnspanne hätte eine Kannibalisierung der Umsätze mit Produkt A aus Sicht der Unternehmenseinheit noch einschneidendere Folgen als ohnehin schon. In der Konsequenz sind ihre Innovationsanreize gegenüber denjenigen von Unternehmen B zuvor noch stärker herabgesetzt. Hier zeigt sich, wie negative Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz durch negative Zusammenschlusswirkungen auf die statische Effizienz ausgeweitet werden können.73 Umgekehrt kann der Marktmachteffekt Innovationsfähigkeiten und -anreize aber auch stärken. So kann er eine zusammengeschlossene Unternehmenseinheit in die Lage versetzen, durch Preiserhöhungen zusätzliche Gewinne zu erzielen und diese in Innovationstätigkeiten zu investieren.74 Möglich ist außerdem, dass die Unternehmenseinheit angesichts gegenwärtig erhöhter Marktmacht davon ausgehen kann, auch in Zukunft geringerem Wettbewerb ausgesetzt zu sein. Dann hat sie die Aussicht, ihr gegenwärtig noch in der Entwicklung befindliches, innovatives Produkt künftig zu einem höheren Preis absetzen und sich so die Erträge aus ihren Innovationstätigkeiten besser aneignen 72 Vgl. Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 673: „The product market competition channel therefore has an ambiguous impact on the incentives to innovate“. 73 Siehe zu diesem Beispiel Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 163; vgl. auch Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 8–10. 74 Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 5 f.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
zu können.75 An diesen Beispielen wird deutlich, dass ein Zusammenschluss zugleich negative Auswirkungen auf die statische Effizienz und positive Auswirkungen auf die dynamische Effizienz haben kann. Das Anliegen, Effizienz herzustellen, ruft hier den beschriebenen Zielkonflikt hervor, der eine Abwägung erforderlich macht.76
4. Effekte im produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb Weist die strategisch-antagonistische Interdependenz zweier Innovationswettbewerber Ähnlichkeiten zu einem Innovationsrennen auf, führt ein Zusammenschluss zwischen ihnen auch zur Internalisierung derjenigen Externalitäten, die auftreten, wenn einer der Wettbewerber seine Innovationstätigkeiten durch die Erhöhung seiner Innovationsausgaben beschleunigt. Nach den Annahmen im Grundmodell zu solchen Innovationsrennen kann ein Teilnehmer durch die ausgabenbedingte Beschleunigung seiner Innovationstätigkeiten die Wahrscheinlichkeit steigern, dass er die anvisierte Innovation als erster hervorbringt und damit als einziger Teilnehmer Erfolg im Innovationsrennen hat. Das bedeutet zugleich, dass die Ausgabenerhöhung eines Teilnehmers die Erfolgswahrscheinlichkeit der übrigen Teilnehmer im Innovationsrennen verringert. Diese negative Externalität braucht jener Teilnehmer bei seiner Entscheidung über die Ausgabenerhöhung nicht zu berücksichtigen. Das ändert sich allerdings, wenn er sich mit einem anderen Teilnehmer im Innovationrennen zusammenschließt. Dann muss er den Umstand in seine Entscheidung miteinbeziehen, dass die Beschleunigung der ursprünglich eigenen Innovationstätigkeiten auch die Erfolgswahrscheinlichkeit der ursprünglich fremden Innovationstätigkeiten und dadurch den mit diesen zu erwartenden Gewinn schmälert. So können die Anreize zur Erhöhung von Innovationsausgaben mit dem Ziel der Beschleunigung von Innovationstätigkeiten durch einen Zusammenschluss beeinträchtigt werden. Zu beachten ist hier freilich, dass die diesen Überlegungen zugrundeliegenden Annahmen im Grundmodell zu Innovationsrennen in der Realität selten wirklich erfüllt sind. Die beschriebenen Effekte hat ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern daher keineswegs zwangsläufig und in jedem Fall.77 Darüber hinaus bewirkt ein Zusammenschluss, insbesondere wenn er zur Einstellung der Innovationstätigkeiten einer der Zusammenschlussparteien führt,78 dass sich die Anzahl unabhängiger Innovationswettbewerber reduziert, 75 Vgl. Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 163 f.; siehe auch Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 12 f. 76 Siehe hierzu Kapitel 2.A.II.3. 77 Vgl. hierzu Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 46. 78 Eine solche Einstellung von Innovationstätigkeiten kann etwa Folge der bereits durch die oben beschriebenen Internalisierungseffekte induzierten Beeinträchtigung von Innovationsanreizen sein.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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und damit die Teilnehmerzahl im Innovationsrennen. Wie schon erläutert, besteht ein Zusammenhang zwischen der Teilnehmerzahl in Innovationsrennen und den Anreizen der einzelnen Teilnehmer zur Tätigung von Innovationsausgaben. Ob es sich bei diesem Zusammenhang um einen positiven oder negativen handelt, ist allerdings abhängig von einer Vielzahl von Voraussetzungen und lässt sich, wie gesehen, nicht auf abstrakter Ebene feststellen. Dementsprechend ist auch der hier in Rede stehende Effekt eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationsanreize, ebenso wie der oben erläuterte Marktmachteffekt, nicht eindeutig, sondern ambivalent. Unter Umständen kann sich eine Reduktion der Teilnehmerzahl im Innovationsrennen jedoch wiederum auch dann, wenn sie individuelle Teilnehmer zur Steigerung ihrer Innovationsausgaben veranlasst, negativ auf die dynamische Effizienz auswirken, indem sie eine Verringerung der Gesamtausgaben über sämtliche Teilnehmer hinweg nach sich zieht. Auch hier gilt die maßgebliche Einschränkung, dass die zugrundeliegenden Modelle aus der Literatur zu Innovationsrennen, zumal komplexere, über das Grundmodell hinausgehende, höchst voraussetzungsvoll und häufig nicht direkt auf die Realität anwendbar sind.79
5. Ergänzende Anmerkungen zu den Primäreffekten Welche Auswirkungen ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern unter dem Gesichtspunkt der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks konkret hat, lässt sich also nicht abstrakt vorhersagen. Dies markiert einen Unterschied zu Zusammenschlüssen, an denen lediglich Produktmarktwettbewerber beteiligt sind. Bei Letzteren wirkt sich die Beseitigung von Wettbewerbsdruck im Grundsatz eindeutig negativ auf das Preissetzungsverhalten der entstehenden Unternehmenseinheit aus. Sie verringert Preissenkungsanreize und steigert Preiserhöhungsanreize, und beeinträchtigt so die statische, allokative Effizienz. Zu klären ist im Einzelfall allein, ob diese negativen Effekte hinreichend großen Ausmaßes sind, um Bedenken auszulösen, und ob sie eventuell durch produktive Effizienzgewinne ausgeglichen werden. Die Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks zwischen Innovationswettbewerbern ist dagegen mit mehreren Einzeleffekten verknüpft, auf deren konkretes Zusammenspiel es ankommt. Diese Einzeleffekte können Innovationsfähigkeiten und -anreize sowohl beeinträchtigen als auch stärken, sodass ihre Gesamtwirkung auf die dynamische Effizienz – auch unabhängig von dynamischen Effizienzgewinnen – nicht eindeutig negativ oder positiv ist. Während aus der Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte stets eine Beeinträchtigung und aus der Internalisierung technologischer Spillovers stets eine Stärkung von Innovationsanreizen folgt, haben der mit der Interna79 Vgl. nur Schulz, Review on the Literature of Mergers on Innovation, 2007, S. 10–12; siehe hierzu auch bereits Kapitel 2.B.III.3.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
lisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte verbundene Marktmachteffekt und die Effekte im reinen, produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb ambivalente Wirkung auf Innovationsfähigkeiten und -anreize.80 In der jüngeren Vergangenheit wurde in der ökonomischen und insbesondere industrieökonomischen Forschung vermehrt der Frage nachgegangen, wie genau die Interaktion der beschriebenen Einzeleffekte funktioniert und welche spezifischen Faktoren für ihre Gesamtwirkung auf die dynamische Effizienz im Einzelfall ausschlaggebend sind. Gerade seit der Entscheidung der Kommission im Verfahren Dow/DuPont aus dem Jahr 2017 findet in der einschlägigen Literatur eine Debatte um Mergers and Innovation statt,81 in der es um die angemessene modelltheoretische Erfassung von Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz geht.82 Für den Bereich der Fusionskontrolle bedeutet diese Debatte einen Fortschritt gegenüber der früheren Fokussierung auf Marktstrukturfaktoren als Determinanten für Innovation und die Neo-SchumpeterHypothesen. Hieraus ließen sich nämlich kaum erhellende Schlussfolgerungen für die praktische Wettbewerbs- und Fusionskontrollpolitik gewinnen.83 Ein generelles und völlig einhelliges Verständnis des Zusammenspiels von Einzel80 Vgl.
zum Ganzen auch etwa noch einmal Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 671–676; Lorenzo/Watson, Concurrences 2019, Nr. 1, Art. 89495, 1 f.; siehe zudem Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014; Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364. 81 Von einer „Horizontal Mergers and Innovation Policy Debate“ spricht etwa Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2019, Bd. 10, Nr. 6, 370. 82 Einen Überblick über die maßgeblichen Beiträge liefern beispielsweise Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364; Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2019, Bd. 10, Nr. 6, 370; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 32–35; Calvano/Polo, Information Economics and Policy 2021, Bd. 54, 100853, 13 f.; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 226–232. Einzelne Beiträge in der Debatte sind etwa Bourreau/Jullien, Economics Letters 2018, Bd. 167, 136; Bourreau/Jullien/Lefouili, Mergers and DemandEnhancing Innovation, 2019; Denicolò/Polo, Economics Letters 2018, Bd. 166, 56; Denicolò/ Polo, Economics Letters 2021, Bd. 202, 109841, 1–4; Etro, International Journal of Industrial Organization 2019, Bd. 65, 302; Federico/Langus/Valletti, Economics Letters 2017, Bd. 157, 136; Federico/Langus/Valletti, International Journal of Industrial Organization 2018, Bd. 59, 1; Haucap/Rasch/Stiebale, International Journal of Industrial Organization 2019, Bd. 63, 283; Hollenbeck, Quantitative Marketing and Economics 2020, Bd. 18, Nr. 1, 1; Jullien/Lefouili, Mergers and Investments in New Products, 2018; Marshall/Parra, International Journal of Industrial Organization 2019, Bd. 65, 221; Moraga-González/Motchenkova/Nevrekar, RAND Journal of Economics 2022, Bd. 53, Nr. 4, 641–677; Motta/Tarantino, International Journal of Industrial Organization 2021, Bd. 78, 102774, 1–20. Einschlägige empirische Erkenntnisse finden sich etwa bei Haucap/Rasch/Stiebale, International Journal of Industrial Organization 2019, Bd. 63, 283; Entezarkheir/Moshiri, Economics of Innovation and New Technology 2018, Bd. 27, Nr. 2, 132; Entezarkheir/Moshiri, Empirical Economics 2019, Bd. 57, Nr. 5, 1783; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 122–130. Vgl. hierzu ferner auch Igami/Uetake, The Review of Economic Studies 2020, Bd. 87, Nr. 6, 2672. 83 So auch etwa Federico/Langus/Valletti, Economics Letters 2017, Bd. 157, 136; hierzu bereits Kapitel 2.C.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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effekten und der hierfür maßgeblichen Faktoren scheint aber auch die jüngere Debatte bislang noch nicht hervorgebracht zu haben. So finden sich in verschiedenen Beiträgen durchaus voneinander abweichende Forschungsergebnisse und Schlussfolgerungen.84 Dennoch gehen einige Autorinnen und Autoren auf Basis des gegenwärtigen Kenntnisstands davon aus, dass die gleichzeitige Beseitigung preis- oder mengenbezogenen und innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks der dynamischen Effizienz und Verbraucherwohlfahrt grundsätzlich (also vorbehaltlich dynamischer Effizienzgewinne) eher abträglich, oder jedenfalls nicht förderlich, ist.85 Als weiteres komplizierendes Element kommt hinzu, dass die Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks durch einen Zusammenschluss zwischen zwei Innovationswettbewerbern auch Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize dritter, nicht am Zusammenschluss beteiligter Innovationswettbewerber haben kann. Diese Auswirkungen können dann wiederum in ein Verhältnis wechselseitiger Beeinflussung mit den bisher adressierten Primäreffekten auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Zusammenschlussparteien treten. Hier besteht eine gewisse Parallele zu den oben beschriebenen Zweitrundeneffekten eines Zusammenschlusses naher Wettbewerber auf einem differenzierten Oligopolmarkt.86 Die möglichen Zusammenschlusswirkungen auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize Dritter können ihrerseits sowohl positiver als auch negativer Natur sein. Sie können die Effekte auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Zusammenschlussparteien sowohl verstärken als auch abschwächen. Welche Reaktion von Dritten nach einem Zusammenschluss im Einzelfall zu erwarten ist, hängt vor allem davon ab, ob es sich bei den relevanten Innovationstätigkeiten um strategische Substitute oder um strategische Komplementäre handelt. Bei Substituten reagieren Dritte entgegengesetzt zum Verhalten der zusammengeschlossenen Unternehmenseinheit. Eine zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung der Innovationsfähigkeiten und -anreize der Zusammenschlussparteien wirkt sich dann zugleich positiv auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize Dritter aus. Stellt die zusammengeschlossene Unternehmenseinheit bestimmte Innovationstätigkeiten ein oder reduziert diese, reagieren Dritte mit der Ausweitung ihrer Innovationstätigkeiten. Es ist allerdings davon auszugehen, dass solch positive Drittwirkungen eines Zusammenschlusses in den meisten Fällen nicht ausreichen, um negative Primäreffek84 Vgl. nur Federico/Langus/Valletti, Economics Letters 2017, Bd. 157, 136, und demgegenüber Denicolò/Polo, Economics Letters 2018, Bd. 166, 56. 85 Siehe Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 165; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 231 f.; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 130, 136 f.; vgl. auch Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 674 f.; Kwoka in: Nihoul/ Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 26; Schilling, The Antitrust Bulletin 2015, Bd. 60, Nr. 3, 191, 205 f. 86 Siehe oben, unter A. I.2.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
te auf die Zusammenschlussparteien und dadurch bedingte Einbußen bei der dynamischen Effizienz auszugleichen. Sind die relevanten Innovationstätigkeiten dagegen als Komplementäre anzusehen, spiegeln Dritte das Verhalten der zusammengeschlossenen Unternehmenseinheit eher und verstetigen die positiven oder negativen Zusammenschlusswirkungen dadurch.87 Darüber hinaus ist auch etwa denkbar, dass es infolge eines Zusammenschlusses zur (weiteren) Anhäufung von Innovationfähigkeiten aufseiten der entstehenden Unternehmenseinheit kommt und damit zu signifikanten Innovationshindernissen. Dies kann Dritte dann von der Aufnahme oder Fortführung eigener Innovationstätigkeiten abschrecken.88
II. Sekundäreffekte Neben den soeben dargestellten Primäreffekten, die aus der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks resultieren, kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern weitere, damit nicht unbedingt in direktem Zusammenhang stehende Effekte auf Innovationsfähigkeiten und -anreize und die dynamische Effizienz haben, die hier als sekundär bezeichnet werden.89 Diese Sekundäreffekte sind, im Gegensatz zu jenen Primäreffekten, bislang in weitaus geringerem Maße (modell-)theoretisch herausgearbeitet und in ihrer Wirkungsweise verstanden worden. Sie lassen sich insbesondere nicht ohne Weiteres in Entsprechung zu den herkömmlichen unilateralen Effekten eines Zusammenschlusses naher Wettbewerber auf differenzierten Oligopolmärkten beschreiben. Dementsprechend kann auch nicht abschließend gesagt werden, welche weiteren Zusammenschlusswirkungen als Sekundäreffekte in Betracht kommen.90 Nachfolgend werden einige Gesichtspunkte aufgezählt, unter welchen ein Zusammenschluss die dynamische Effizienz beeinträchtigen kann. Auf dynamische Effizienzgewinne wird anschließend gesondert eingegangen.
87 Vgl. zu diesen Zusammenschlusswirkungen auf Dritte etwa Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 373; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 9; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 38; Lorenzo/Watson, Concurrences 2019, Nr. 1, Art. 89495, 2; siehe hierzu auch Haucap/Rasch/Stiebale, International Journal of Industrial Organization 2019, Bd. 63, 283. 88 Vgl. hierzu Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 10; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 8 f.; siehe auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 76 f.; Baker, The Antitrust Paradigm, 2019, S. 164 f. 89 Die Bezeichnung als sekundär soll, wohlgemerkt, nichts darüber aussagen, wie wichtig oder weitgehend die hier betrachteten Effekte im Einzelfall jeweils sein können. 90 Vgl. Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 20–23.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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1. Dynamische Ineffizienzen Zu nennen sind hier etwa Ineffizienzen oder Dissynergien, die in einer zusammengeschlossenen Unternehmenseinheit auftreten und sich auch auf deren Innovationsfähigkeiten und -anreize auswirken können. Dies gilt beispielsweise für Schwierigkeiten im Management der Unternehmensintegration nach einem Zusammenschluss, was auch etwa die Zusammenlegung von F&E-Abteilungen und -Personal betreffen kann, sowie des künftigen Geschäftsbetriebs. Unter Umständen kann es zusammenschlussbedingt zur Abwanderung wichtigen Forschungspersonals kommen. Außerdem kann ein Zusammenschluss den Schuldenstand der beteiligten Unternehmen so beeinflussen, dass sich die künftige Finanzierung kostspieliger und risikoreicher Projekte, also auch von mit Unsicherheit verbundenen Innovationstätigkeiten, schwieriger gestaltet. Fremdkapitalgebern wird nämlich eine größere Risikoaversion zugeschrieben als Eigenkapitalgebern.91 Einige solcher Aspekte stellen gewissermaßen innovationsspezifische oder dynamische Ausprägungen der (produktiven) Effizienzverluste dar, die generell mit zunehmender Unternehmensgröße entstehen können.92 Zum besseren Verständnis derartiger Effekte bietet es sich insbesondere an, Einsichten betriebswirtschaftlicher Forschung und des strategischen Managements noch stärker in die Betrachtung von Zusammenschlüssen einzubinden.93 Dynamische Ineffizienzen sind übrigens nicht nur auf Unternehmensebene möglich, sondern auch auf der Ebene von Innovationssystemen oder -clustern.94 Hierunter ist die Gesamtheit von Unternehmen (die nicht notwendigerweise alle in einem innovationswettbewerblichen Verhältnis zueinander stehen) und anderweitigen Organisationen (wie zum Beispiel Universitäten) zu verstehen, die etwa auf einem bestimmten wissenschaftlich-technischen Fachgebiet und in einer bestimmten Region Innovationstätigkeiten durchführen oder an solchen mitwirken. Die Bedeutung solcher regionaler Innovationssysteme oder -cluster liegt – davon geht die innovations- und evolutionsökonomische Literatur aus – unter anderem darin, dass sich die jeweils beteiligten Akteure infolge von Wissensabflüssen gegenseitig befähigen und befruchten. Technologische Spillovers tragen gerade auch dazu bei, dass unterschiedliche Organisationen 91 Vgl.
Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 22; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 135; siehe hierzu auch Hitt/Hoskisson/Ireland, Strategic Management Journal 1990, Bd. 11, Sonderausgabe, 29; Hitt/Hoskisson/Johnson/Moesel, The Academy of Management Journal 1996, Bd. 39, Nr. 5, 1084; Shaver, The Academy of Management Review 2006, Bd. 31, Nr. 4, 962. 92 Grundlegend zu diesen auch sogenannten X-Ineffizienzen Leibenstein, The American Economic Review 1966, Bd. 56, Nr. 3, 392; siehe auch etwa Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 191 f.; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 32; vgl. hierzu auch Kapitel 2.C. I.1. 93 Vgl. etwa Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 249 f. 94 Vgl. hierzu bereits Kapitel 1.C.II.2.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
eine gemeinsame Wissensgrundlage aufbauen und vertiefen. Sie ermöglichen oder erleichtern so beispielsweise kumulative Innovation. Vor diesem Hintergrund beeinträchtigt die oben beschriebene Internalisierung technologischer Spillovers durch einen Zusammenschluss, die ja zunächst positive Effekte auf die Innovationsanreize der entstehenden Unternehmenseinheit hat, möglicherweise zugleich in gewisser Weise die Funktionsfähigkeit eines Innovationssystems oder -clusters und damit die dynamische Effizienz.95
2. Effekte auf die Richtung von Innovationstätigkeiten Ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern kann nicht nur deren Fähigkeiten und Anreize zur Aufnahme oder Fortführung von Innovationstätigkeiten an sich beeinflussen, sondern unter Umständen auch ihre Fähigkeiten und Anreize, Innovationstätigkeiten in eine bestimmte Richtung zu lenken, also auf bestimmte Forschungsziele oder innovative Produkte auszurichten. Wie schon erwähnt, kann ein Zusammenschluss auch etwa dazu führen, dass die entstehende Unternehmenseinheit die Innovationstätigkeiten einer der Zusammenschlussparteien umlenkt.96 In einer solchen Umlenkung von Innovationstätigkeiten ist freilich nicht immer und ohne Weiteres auch eine Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz zu sehen. Um zu beurteilen, ob die dynamische Effizienz im Einzelfall beeinträchtigt wird, ist ein Vergleich anzustellen zwischen dem ursprünglichen Forschungsziel und dem zusammenschlussbedingt veränderten Forschungsziel, beziehungsweise zwischen den jeweils anvisierten innovativen Produkten. Dabei sind auch die Erfolgswahrscheinlichkeiten der jeweiligen Innovationstätigkeiten und die wahrscheinliche Dauer bis zu einem etwaigen Erfolg zu berücksichtigen. Vielfach wird diese Beurteilung wohl auch nicht ohne subjektive Wertungen auskommen.97 Anreize zur Umlenkung von Innovationstätigkeiten können sich aus den beschriebenen Primäreffekten ergeben, nämlich wenn sich durch diese Umlenkung Kannibalisierungseffekte vermeiden lassen. Sie können aber auch unter Gesichtspunkten zustande kommen, die nicht direkt mit der Beseitigung von Wettbewerbsdruck zu tun haben. Ein anschauliches Beispiel für die in Rede 95
Vgl. zum vorstehenden Absatz Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 21. hierzu Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 49; vgl. auch etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 127 f., denen zufolge ein Zusammenschluss Auswirkungen auf „pace and direction of innovation“ haben kann; ähnlich Calvano/Polo, Information Economics and Policy 2021, Bd. 54, 100853, 130 f. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der „Elasticity of Science“, der Bereitschaft von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Ausrichtung ihrer Tätigkeiten zu ändern, siehe hierzu Myers, American Economic Journal: Applied Economics 2020, Bd. 12, Nr. 4, 103. 97 Vgl. hierzu auch etwa Petit, Antitrust Law Journal 2019, Bd. 82, Nr. 3, 873, 896–898; Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20, 27; Fort in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 21. 96 Siehe
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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stehenden Zusammenschlusswirkungen findet sich bei Régibeau und Rockett, die zeigen, dass ein Zusammenschluss von ihnen sogenannte Biases im Hinblick auf die Richtung von Innovationstätigkeiten begründen oder verstärken kann, indem er Komplementaritäten innerhalb des Produkt- und Forschungsportfolios der entstehenden Unternehmenseinheit herstellt. Dabei beziehen sie sich auf Zusammenschlüsse im Bereich der Biotechnologie und Agrarchemie. Hier sei folgendes zu beobachten: Auf der Stufe der Grundlagenforschung seien bereits zahlreiche verschiedene Möglichkeiten zur gentechnischen Veränderung von Saatgut erforscht. So könnten Pflanzen mit einer Resistenz gegen bestimmte Pestizide ausgestattet werden. Möglich sei aber auch, ihnen eine direkt gegen bestimmte Schädlinge gerichtete Resistenz zu verleihen. Letzteres habe den gewichtigen Vorteil, dass mitunter starke Umweltbelastungen durch den Einsatz von Pestiziden vermieden werden könnten. Über die Stufe der Grundlagenforschung hinaus und bis zur Marktreife werde allerdings regelmäßig nur solches Saatgut entwickelt, das Pflanzen die Veranlagung zur Pestizidresistenz verleihe. Es gebe also einen Bias zugunsten dieses und zulasten des aus gesellschaftlicher Sicht vorteilhafteren Saatguts. Dieser Bias sei damit zu erklären, dass viele der wichtigen Biotechnologieunternehmen – nicht zuletzt aufgrund von Zusammenschlüssen – zugleich wichtige Agrarchemieunternehmen, also Anbieter von Pestiziden, seien. Dementsprechend hätten die Unternehmen starke Anreize, vornehmlich solches Saatgut zu entwickeln, das Pflanzen gegen die eigenen Pestizide resistent mache. Mit dem Verkauf solchen Saatguts könnten sie nämlich zugleich den Verkauf ihrer Pestizide fördern, und umgekehrt. Régibeau und Rockett sind der Auffassung, dass derartige, aus gesellschaftlicher Sicht nachteilige Biases durchaus im Rahmen der Fusionskontrolle aufgegriffen werden könnten, um zu verhindern, dass sie infolge eines Zusammenschlusses noch verstärkt würden.98
3. Verringerung der Vielfalt im dynamisch-evolutorischen Wettbewerb Schließlich kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern die dynamische Effizienz möglicherweise auch dadurch beeinträchtigen, dass er die Anzahl an Unternehmen, die als unabhängige und heterogene Innovatoren miteinander konkurrieren, verringert und so die Diversität unter ihnen einschränkt.99 Dieser Effekt ist unabhängig von den Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen, 98 Siehe Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 49, die aber auch einräumen: „Clearly, this is an issue that requires more thought.“ Zu den beschriebenen Komplementaritäten bei Biotechnologie- und Agrarchemieunternehmen siehe auch etwa Fulton/Giannakas, AgBioForum 2001, Bd. 4, Nr. 2, 137, 144; Lee, Stanford Law Review 2018, Bd. 70, Nr. 5, 1431, 1471. 99 Vgl. nur Kern/Ackermann, Shedding Some Light on the Dark Matter of Competition, 2014, S. 1 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 21 f.
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wie sie bislang im Vordergrund standen. Mit dem herkömmlichen neoklassischen Verständnis von Wettbewerb, das in der modernen, spieltheoretisch fundierten Industrieökonomik vorherrscht, lässt er sich daher auch nicht erfassen. Dieses reduziert das Verhältnis zwischen Innovation und Wettbewerb im Wesentlichen auf ein solches zwischen Innovationsanreizen und Wettbewerb und misst der Diversität unter Wettbewerbern keine besondere Bedeutung bei.100 Zur Erfassung des hier in Rede stehenden Effekts ist vielmehr auf die dynamisch-evolutorische Wettbewerbskonzeption zurückzugreifen, wie sie sich auf Basis der evolutionsökonomischen Innovationsforschung herausgebildet hat und vor allem von Kerber artikuliert worden ist. In dessen Konzept des Wettbewerbs als Hypothesentest gilt Wettbewerb als dynamischer, Wissen generierender – und Innovationen ermöglichender – Prozess der Variation und Selektion, dessen Funktionsfähigkeit vor allem davon abhängt, dass eine möglichst große Vielfalt an unterschiedlichen Problemlösungsansätzen seitens unabhängiger, in Ressourcenausstattung und Verhaltensroutinen heterogener Unternehmen parallel erprobt wird. Gerade das Vorhandensein möglichst vieler Innovationswettbewerber mit eigenständigen Forschungsprojekten fördert danach die dynamische Effizienz. Demgegenüber ist bei einem Zusammenschluss, welcher die Anzahl unabhängiger Innovationswettbewerber reduziert, grundsätzlich (das heißt vorbehaltlich etwaiger dynamischer Effizienzgewinne) davon auszugehen, dass er den dynamischen Wettbewerbsprozess behindert und damit der dynamischen Effizienz schadet. Dies gilt jedenfalls, wenn die Anzahl unabhängiger Innovationswettbewerber infolge des Zusammenschlusses unter ein bestimmtes Mindestniveau fällt.101 Vollständig ausgereift ist die Idee der Nutzbarmachung evolutionsökonomischer Wettbewerbskonzepte zur Erfassung zusätzlicher Zusammenschlusseffekte freilich noch nicht.102 Ungeklärt ist insbesondere die kritische Frage nach der jeweils maßgeblichen Mindestanzahl unabhängiger Innovationswettbewerber. Soweit ersichtlich, existiert bislang keine Methode, um diese Mindestanzahl zu bestimmen. Sie dürfte sich in jedem Fall auch über verschiedene 100 Vgl. Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 264; Kern/Ackermann, Shedding Some Light on the Dark Matter of Competition, 2014, S. 1 f.; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 200–204. 101 Siehe hierzu Kapitel 2.A.III.2.e); zum hier in Rede stehenden Zusammenschlusseffekt siehe auch Kerber in: Oberender, Die Europäische Fusionskontrolle, 2000, S. 83; Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 609 f.; Kerber in: Drexl/ Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 173–201; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 200–204; Kern/ Ackermann, Shedding Some Light on the Dark Matter of Competition, 2014, S. 1–14; Kerber/ Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 21 f. 102 Vgl. etwa Kerber in: Oberender, Die Europäische Fusionskontrolle, 2000, S. 83; Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 188, 195 f.; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 202.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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Industrien hinweg unterscheiden.103 Im Einzelfall wäre außerdem zu überprüfen, inwiefern es zur Gewährleistung unterschiedlicher und voneinander unabhängiger Problemlösungsansätze beziehungsweise Forschungsprojekte tatsächlich darauf ankommt, dass diese auch von unabhängigen Unternehmen betrieben werden. Möglicherweise können unabhängige, parallele Forschungsprojekte auch innerhalb eines Unternehmens, beispielsweise in verschiedenen Abteilungen, realisiert werden.104 Angesichts der dabei anfallenden Kosten ist allerdings nicht selbstverständlich, dass Unternehmen die erforderlichen Anreize hierzu haben.105
III. Dynamische Effizienzgewinne Ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern kann die Innovationsfähigkeiten und -anreize der entstehenden Unternehmenseinheit auch jenseits der oben beschriebenen (positiven) Primäreffekte stärken, indem er sogenannte dynamische Effizienzgewinne (auch Innovationseffizienzen) hervorbringt.106 Im Einzelfall können derartige Effizienzgewinne eine Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz durch Primär- und Sekundäreffekte abmildern oder gar ausgleichen.107 Insofern ähneln sie statisch-produktiven Effizienzgewinnen, die eine zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung der statisch-allokativen Effizienz abmildern oder ausgleichen können. Sie zeichnen sich jedoch gemeinhin durch eine größere Komplexität aus als diese.108 Die möglichen dynamischen Effizienzgewinne, die ein Zusammenschluss hervorbringen kann, 103 Vgl. etwa Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 185, 188 f., 194 f.; Baker, The Antitrust Paradigm, 2019, S. 156 f.; siehe in diesem Zusammenhang auch Carstensen/Lande, Wisconsin Law Review 2018, Nr. 4, 783. 104 Vgl. hierzu Gilbert, Innovation Policy and the Economy 2006, Bd. 6, 159, 185 f.; Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 186; vgl. auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 77–79, der zwischen Binnen- und Außenpluralität differenziert; ausführlich hierzu auch Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 217–241; Kern/Ackermann, Shedding Some Light on the Dark Matter of Competition, 2014, die zwischen „inter-firm diversity“ und „intrafirm diversity“ unterscheiden; vgl. in diesem Zusammenhang ferner die Variante der „semiintegration“ als mögliche Organisationsstruktur für Unternehmen bei, Lee, Stanford Law Review 2018, Bd. 70, Nr. 5, 1431. 105 Vgl. hierzu Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 78; Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 223–231. 106 Instruktiv zu diesem Themenkomplex etwa Leber, Dynamische Effizienzen in der EUFusionskontrolle, 2018. 107 Siehe nur Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 49 f.; Federico/ Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 133 f.; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 38; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 24; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 25. 108 Vgl. Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 24; OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 34.
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sind vielfältig.109 Im Folgenden werden einige von ihnen herausgegriffen und kurz exemplarisch erläutert.
1. Größen-, insbesondere Kostenvorteile Wie statische Effizienzgewinne können dynamische Effizienzgewinne daraus resultieren, dass sich viele der Tätigkeiten eines Unternehmens mit zunehmender Unternehmensgröße effizienter bewerkstelligen lassen.110 Zusammenschlüsse stellen Vorgänge externen Unternehmenswachstums dar.111 Insofern lässt sich hier auf die an anderer Stelle bereits ausgebreiteten Argumente dafür, dass größere Unternehmen stärkere Innovationsfähigkeiten und -anreize haben als kleinere Unternehmen, verweisen.112 Ob diese Argumente tatsächlich greifen, ist freilich eine Frage des Einzelfalls. Denn ein generell positiver Zusammenhang zwischen Unternehmensgröße und Innovationsfähigkeiten und -anreizen lässt sich, wie ebenfalls dargestellt, nicht nachweisen.113 Zu den möglichen wachstumsbedingten Effizienzgewinnen zählen insbesondere Kosteneinsparungsmöglichkeiten.114 Daraus resultierende Kostenvorteile einer zusammengeschlossenen Unternehmenseinheit können sich nicht nur bei Herstellung und Vertrieb bereits existierender Produkte ergeben,115 sondern auch bei Innovationstätigkeiten.116 Sie beruhen dann namentlich auf Skalenund Verbundeffekten in Forschung und Entwicklung. So lässt sich in einer zusammengeschlossenen Unternehmenseinheit etwa die Produktivität von Forschungseinrichtungen steigern, wenn diese für Forschungsprojekte in größerer Anzahl und Vielfalt genutzt werden können.117 Eine erwartungsgemäß bessere Auslastung kann beispielsweise auch die Anschaffung zusätzlicher Anlagen 109
Vgl. nur Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 88. nur Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 49. 111 Vgl. nur Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 299. 112 Siehe Kapitel 2.C. I.1. Speziell zu den hier thematisierten dynamischen Effizienzgewinnen durch Zusammenschlüsse vgl. OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 26; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 256. 113 Siehe Kapitel 2.C. I.3.b); vgl. hierzu auch OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 26 f.; Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 50–52. 114 Vgl. nur Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 184. 115 Vgl. hierzu Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 38; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 25. 116 Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 188; Federico/ Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 134; Régibeau/ Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 38; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 25. 117 Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 255 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 134; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 38; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 26. 110 Vgl.
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rechtfertigen.118 Verringern sich so die Kosten bestimmter Innovationstätigkeiten, stärkt dies die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Unternehmenseinheit. Die betreffenden Innovationstätigkeiten werden sich eher rentieren. Und freiwerdende Finanzmittel können in zusätzliche Innovationstätigkeiten investiert werden.119 Unter Umständen können übrigens auch zunächst rein statische Effizienzgewinne in Form von größen- beziehungsweise wachstumsbedingten Kostenvorteilen bei Herstellung und Vertrieb existierender Produkte die Innovationsfähigkeiten und -anreize der entstehenden Unternehmenseinheit stärken. Gibt die Unternehmenseinheit solche Kostenvorteile nämlich über Preissenkungen an ihre Abnehmerinnen und Abnehmer weiter, vergrößert sich die nachgefragte Menge. Damit steigt auch die Rentabilität kostensenkender Prozessinnovationen, welche die Unternehmenseinheit nun auf eine größere Anzahl herzustellender Produkteinheiten anwenden kann. Dies befördert die Anreize der Unternehmenseinheit zur Hervorbringung entsprechender Prozessinnovationen.120
2. Synergien durch die Kombination komplementärer Innovationsfähigkeiten Große Ähnlichkeit zu Verbundeffekten weisen mögliche Synergien auf, die entstehen können, wenn sich innovierende Unternehmen mit komplementären Innovationsfähigkeiten zusammenschließen, und bewirken, dass die entstehende Unternehmenseinheit mit erweiterten und dadurch verbesserten Innovationsfähigkeiten ausgestattet ist.121 Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn die Innovationsprozesse in einer Industrie besonders komplex sind, also zahlreiche Aufgabenbereiche umfassen, die üblicherweise von verschiedenen Akteuren abgedeckt werden.122 Komplementäre Fähigkeiten, deren Kombination Synergien erzeugt, können sich auch etwa ergeben, wenn eine Zusammenschlusspartei über eine gut ausgestattete F&E-Abteilung verfügt und die andere Partei über besondere Marketingkompetenz und effektive Vertriebsstrukturen.123 Die 118
OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 26. etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 134; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 255. 120 Siehe hierzu Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 389. 121 Siehe Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 365, 389, der hier auch von einem „Synergies principle“ spricht; vgl. auch OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 255; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 134. 122 Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 389, verweist hier auf die Pharmaindustrie. 123 Vgl. OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25; Shapiro in: Lerner/ Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 389. 119 Vgl.
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hier angesprochenen Synergieeffekte werden allerdings häufiger mit vertikalen als mit horizontalen Zusammenschlüssen in Verbindung gebracht.124
3. Koordinierung und Vermeidung doppelter Innovationstätigkeiten Ein Zusammenschluss versetzt die Parteien in die Lage, ihre jeweiligen Innovationstätigkeiten aufeinander abzustimmen und redundante Anstrengungen zu vermeiden. Schließen sich zwei Unternehmen mit parallelen Forschungsprojekten zusammen, kann die entstehende Unternehmenseinheit eines der Forschungsprojekte einstellen, um Kosten zu sparen und finanzielle Ressourcen für anderweitige Innovationstätigkeiten freizusetzen. Dies stärkt die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Unternehmenseinheit zumindest theoretisch.125 Ob und unter welchen Umständen derartige Effizienzgewinne praktisch anzuerkennen sind, ist allerdings umstritten, jedenfalls soweit ihre Realisierung tatsächlich die vollständige Einstellung bestimmter Innovationstätigkeiten voraussetzt. Denn in der Einstellung von Innovationstätigkeiten manifestiert sich ja eigentlich gerade eine zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz.126 Zu bedenken ist außerdem, dass die Innovationstätigkeiten beziehungsweise Forschungsprojekte zweier Unternehmen, auch wenn es sich bei diesen um enge Innovationswettbewerber mit identischen Forschungszielen handelt, wohl in den seltensten Fällen tatsächlich vollkommen deckungsgleich und wirklich redundant sein werden. Vielmehr werden sich auch weitgehend parallele Tätigkeiten und Projekte zweier Unternehmen zumindest im Hinblick auf einzelne Arbeitsschritte oder Herangehensweisen unterscheiden.127 Dann aber führt die Einstellung eines der Projekte nach einem Zusammenschluss zur Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz. Da Innovationstätigkeiten aufgrund der für Innovation charakteristischen Unsicherheit regelmäßig nach dem Prinzip des Trial and Error durchgeführt werden und immer auch scheitern können, steigt mit der Anzahl paralleler, aber nicht vollkommen deckungsgleicher Forschungsprojekte die Wahrscheinlichkeit, dass zumindest eines der Projekte zur erfolgreichen Hervorbringung der jeweils anvisierten Innovation führen wird. Die Aufrechterhaltung paralleler Innovationstätigkeiten kann der dynamischen Effizienz insofern zuträglich sein.128 Vor diesem Hintergrund ist die Möglich124 Vgl. etwa OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 676. 125 Vgl. OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 256; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 41. 126 Siehe OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25, 33; Federico/ Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 134 f. 127 Vgl. hierzu etwa Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 578 f.; OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25. 128 OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25; OECD, Considering Non-
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keit, durch Einstellung eines von zwei parallelen Forschungsprojekten nach einem Zusammenschluss Kosten zu einzusparen, also allenfalls dann als Effizienzgewinn anzuerkennen, wenn die beiden Forschungsprojekte ausnahmsweise tatsächlich vollkommen redundant sind.129 Ob eine solche Redundanz überhaupt in Betracht zu ziehen ist, hängt etwa davon ab, wie gezielt die jeweiligen Innovationstätigkeiten erfolgen.130 Die vorstehenden Überlegungen sind übrigens eng verknüpft mit dem Gesichtspunkt der Einschränkung von Diversität unter Innovationswettbewerbern, die sich aus evolutionsökonomischer Perspektive als problematisch erweisen kann.131
4. Effizienzsteigerungen bei der Wissensdiffusion Wie dargestellt, führt ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern zur Internalisierung technologischer Spillovers. Der dadurch bedingte Ausschluss unfreiwilliger Wissensabflüsse zwischen den Zusammenschlussparteien stärkt die Innovationsanreize der entstehenden Unternehmenseinheit.132 Darüber hinaus kann der Internalisierungseffekt auch für eine effizientere Verbreitung und Nutzung des für die Hervorbringung bestimmter Innovationen erforderlichen Wissens sorgen, und so zusätzlich die Innovationsfähigkeiten der Unternehmenseinheit stärken.133 Möglich ist dies, wenn eine der Zusammenschlussparteien über Wissen verfügt, das auch die andere Partei für ihre Innovationstätigkeiten benötigt, auf das diese aber vor dem Zusammenschluss keinen Zugriff hat, etwa weil sich die Parteien bei Lizenzverhandlungen nicht einigen können oder weil es für das fragliche Wissen generell keinen funktionierenden Technologiemarkt gibt. In einem solchen Fall ermöglicht erst der Zusammenschluss den Parteien die gemeinsame Nutzung des fraglichen Wissens.134 Auch über diesen Extremfall hinaus kann ein Zusammenschluss zur effizienten Verbreitung von für Innovationstätigkeiten erforderlichem Wissen beitragen, indem er die Transaktionskosten im Zusammenhang mit dessen Austausch verringert.135 Price Effects in Merger Control, 2018, S. 9; siehe auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 77–79; Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 173–201; Baker, The Antitrust Paradigm, 2019, S. 155 f. 129 So OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 25; vgl. auch Federico/ Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 134 f. 130 Vgl. hierzu Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 41. 131 Siehe oben, unter B.II.3. 132 Siehe oben, unter B. I.2. 133 Siehe Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 385; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 134; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 38 f. 134 Vgl. hierzu OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 26; Régibeau/ Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 38 f.; Cabral, Merger Policy in Digital Industries, 2020, S. 5 f. 135 Vgl. OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 26; Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 50 f.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
C. Anknüpfungspunkte innovationsspezifischer Schadenstheorien Aus wohlfahrtstheoretischer Perspektive stellt sich ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern dann als problematisch dar, wenn er die dynamische Effizienz in seiner Gesamtwirkung aus sämtlichen Primär- und Sekundäreffekten beeinträchtigt, und nicht zugleich dynamische Effizienzgewinne hervorbringt, welche die Effizienzbeeinträchtigung auszugleichen vermögen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die entstehende Unternehmenseinheit insgesamt über schwächere Innovationsfähigkeiten und -anreize verfügt als die Zusammenschlussparteien vor dem Zusammenschluss – beziehungsweise im maßgeblichen Referenzszenario ohne den Zusammenschluss, dem sogenannten Counterfactual.136 Ein genauerer Blick ist nun noch darauf zu werfen, woran sich bei einem solcherart problematischen Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern sogenannte Schadenstheorien anknüpfen lassen, wie sie die Europäische Kommission und andere Wettbewerbsbehörden im Rahmen der Fusionskontrolle, bei der wettbewerblichen Würdigung von Zusammenschlüssen, entwickeln. Unter einer Schadenstheorie (Theory of Harm) ist eine konkrete Vorstellung davon zu verstehen, ob und wie ein betrachteter Zusammenschluss einen wettbewerblichen Schaden (Competitive Harm) herbeiführen kann, das heißt eine tatbestandsmäßige Wettbewerbsbehinderung, die Anlass zur Intervention gibt.137 An welchen konkreten wettbewerblichen Bedenken lassen sich also in der Fusionskontrolle speziell innovationsspezifische Schadenstheorien (Innovation Theories of Harm)138 grundsätzlich festmachen? Welchen wettbewerblichen Schaden kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern im Einzelnen hervorrufen?
136 Zum Begriff des Counterfactual in der EU-Fusionskontrolle siehe etwa Rosenthal/ Thomas, European Merger, Control, 2010, S. 89; Markopoulos, Die Prognoseentscheidung in der europäischen Fusionskontrolle, 2009, S. 23. 137 Siehe etwa Botteman, Journal of Competition Law & Economics 2006, Bd. 2, Nr. 1, 71, 75; Lianos/Genakos in: Lianos/Geradin, Handbook on European Competition law, 2013, S. 34 f.0 f.; ICN, The Role of Economists and Economic Evidence in Merger Analysis, 2013, S. 2, 4; Salamon-Limberg, Prüfungsumfang und -dichte des Gerichtshofs der Europäischen Union in Fusionskontrollprozessen, 2017, S. 44 f., 52; zum Begriff der Schadenstheorie siehe auch Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 111 Fn. 491; Ewald, ZWeR 2011, 15, 25 Fn. 38; Monopolkommission, Hauptgutachten XVII, 2008, S. 283, 285; Röller in: Bergeijk/Kloosterhuis, Modelling European Mergers, 2005, S. 16 f. 138 Zum Begriff der Innovation Theory of Harm siehe etwa Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668; Denicolò/Polo, The Innovation Theory of Harm: An Appraisal, 2018; Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2019, Bd. 10, Nr. 6, 370; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 45 f.; Solidoro, Assessing Innovation Theories of Harm in EU Merger Control, 2019; Bourreau/Streel, Big Tech Acquisitions, 2020, S. 17 f.
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I. Die Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz Als Anknüpfungspunkt für eine innovationsspezifische Schadenstheorie kommt zunächst die zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz selbst in Betracht. Der maßgebliche wettbewerbliche Schaden, den ein Zusammenschluss verursachen kann, liegt dann vor allem in der Schwächung der Innovationsfähigkeiten und -anreize der entstehenden Unternehmenseinheit (und möglicherweise dritter Unternehmen) mit der Folge, dass Innovationstätigkeiten infolge des Zusammenschlusses in geringerem Umfang durchgeführt werden als im Referenzszenario ohne den Zusammenschluss. Ein derartiger Rückgang an Innovationstätigkeiten besteht namentlich darin, dass bereits begonnene Innovationstätigkeiten eingestellt oder reduziert, das heißt etwa durch Budget- oder Personalkürzungen verlangsamt oder in ihrer Erfolgswahrscheinlichkeit eingeschränkt werden, oder dass noch nicht begonnene Innovationstätigkeiten gar nicht, erst später oder in reduziertem Umfang neu aufgenommen werden.139 Im Rückgang an Innovationstätigkeiten die Manifestation eines wettbewerblichen Schadens zu sehen, bedeutet, Innovation im Allgemeinen und der Durchführung von Innovationstätigkeiten im Besonderen einen Eigenwert zuzuschreiben, den es aus wettbewerbspolitischer Sicht zu schützen gilt.140 Fraglich ist, ob es bei der Schadensfeststellung ausreicht, auf den rein qualitativen, aus der zusammenschlussbedingten Schwächung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen folgenden Rückgang an Innovationstätigkeiten abzustellen, oder ob dieser auch zu quantifizieren ist. Hierin läge dann ein Äquivalent zur Schätzung des Ausmaßes von Preissteigerungen infolge eines Zusammenschlusses.141 Denkbar ist eine Quantifizierung des Rückgangs an Innovationstätigkeiten etwa dergestalt, dass Streichungen oder Kürzungen von F&E-Ausgaben und -Personal beziffert werden. Besteht der Rückgang an Innovationstätigkeiten im Unterlassen oder der verspäteten Aufnahme bestimmter Innovationstätigkeiten gestaltet sich eine Quantifizierung freilich schwieri139 Kürzungen von F&E-Ausgaben oder -Personal bewirken natürlich nicht zwingend, dass Innovationstätigkeiten beziehungsweise Forschungsprojekte langsamer oder mit geringerer Erfolgswahrscheinlichkeit vorangetrieben werden. Vielmehr können Versuche nach dem Trial-and-Error-Prinzip grundsätzlich weiterhin – zufallsbedingt – zu frühzeitigen Erfolgen führen. Die Unterstellung eines Zusammenhangs zwischen F&E-Ausgaben und -Personalausstattung einerseits und Geschwindigkeit beziehungsweise Erfolgswahrscheinlichkeit andererseits dient der analytischen Vereinfachung. Sie liegt vielen ökonomischen Modellen zugrunde, vgl. hierzu etwa Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 141. 140 Vgl. hierzu auch Cleynenbreugel in: Nihoul/Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 8 f.; OECD, Start-ups, Killer Acquisitions and Merger Control, 2020, S. 21 f. 141 Siehe hierzu etwa Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 127– 133.
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ger. Außerdem sind generell verringerte Innovationsfähigkeiten und -anreize, zu denen ein Zusammenschluss führen kann, nicht immer auch mit bestimmten einzelnen Forschungsprojekten in Zusammenhang zu bringen, anhand derer sich Einsparungen konkret festmachen lassen. Unklar wäre bei einem Quantifizierungserfordernis zudem, wie entsprechende (numerische) Schwellenwerte festzulegen wären, bei deren Über- beziehungsweise Unterschreitung von einer hinreichenden Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz und mithin einem wettbewerblichen Schaden auszugehen ist.142 Der hier bereits anklingende Umstand, dass ein Zusammenschluss Innovationsfähigkeiten und -anreize in aller Regel nicht vollständig, sondern nur teilweise oder graduell beseitigt, erlangt auch insofern Bedeutung, als der Rückgang an Innovationstätigkeiten stets im Vergleich mit dem relevanten Referenzszenario ohne den Zusammenschluss zu bewerten ist. Gewissermaßen ist der nach einem Zusammenschluss verbleibende Umfang an Innovationstätigkeiten ins Verhältnis zu setzen zum Umfang an Innovationstätigkeiten, wie er sich ohne den Zusammenschluss ergeben hätte. Dieser Vergleich kann im Einzelfall möglicherweise auch ergeben, dass eine zusammenschlussbedingte Schwächung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen kaum ins Gewicht fällt, zum Beispiel weil außerwettbewerbliche Einflussfaktoren für die Innovationsanreize der betreffenden Unternehmen eine wichtige Rolle spielen und von den Auswirkungen des Zusammenschlusses unberührt bleiben. So ist vorstellbar, dass Unternehmen angesichts einer bevorstehenden Obsoleszenz der von ihnen gegenwärtig angebotenen Produkte einen starken Druck zur Erneuerung ihrer Produktpalette verspüren, den auch die Effekte eines Zusammenschlusses zwischen den Unternehmen nur äußerst geringfügig vermindern können. Zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang auch mögliche Veränderungen im relevanten Referenzszenario gegenüber der Situation vor dem Zusammenschluss. Solche Veränderungen sind in der Fusionskontrolle ebenso zu prognostizieren wie die Auswirkungen des Zusammenschlusses selbst. Die Rede ist dann auch von einem sogenannten dynamischen Counterfactual.143 So kann eine zusammenschlussbedingte Schwächung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen beispielsweise dann unbeachtlich bleiben, wenn es aufgrund einer vorherzusehenden Veränderung bei den jeweils maßgeblichen außerwettbewerblichen Einflussfaktoren wahrscheinlich ohnehin, auch unabhängig von dem Zusammenschluss, zu einer weitgehenden Beseitigung der Innovationsanreize der Zusammenschlussparteien und damit zu einem Rückgang an Innovationstätigkeiten kommen wird. Exemplarisch sind hier 142 Vgl. zu dieser Problematik etwa Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 20 Fn. 76; siehe auch Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20, 25–27. 143 Zu dynamischen Counterfactuals siehe etwa Geradin/Girgenson, The Counterfactual Analysis in EU Merger Control, 2013, S. 2–5; Pezzoli, Italian Antitrust Review 2014, Bd. 1, Nr. 1, 58.
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etwa umfangreiche Änderungen des regulatorischen Rahmens für die Tätigkeiten der Parteien.144 Insbesondere: Schadensfeststellung und Verbraucherwohlfahrt Sofern bei der Verortung des wettbewerblichen Schadens speziell die Verbraucherwohlfahrt in den Blick genommen werden soll,145 ist natürlich zu berücksichtigen, dass sich bei Verbraucherinnen und Verbrauchern ein Rückgang an Innovationstätigkeiten selbst noch nicht direkt bemerkbar macht. Effizienzbeeinträchtigungen betreffen Verbraucherinnen und Verbrauchern quasi immer erst vermittelt über den Mechanismus der Koordination von Angebot und Nachfrage auf einem Markt. Innovationstätigkeiten, einschließlich der Veränderung ihres Umfangs, sind der Tätigkeit von Unternehmen auf Märkten jedoch zeitlich – mitunter weit – vorgelagert. Aus Verbraucherinnensicht stellen sich der Rückgang an Innovationstätigkeiten und die sich darin niederschlagende Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz deshalb nur insofern als nachteilig dar, als sie zur Folge haben, dass bestimmte Innovationen nicht, mit geringerer Wahrscheinlichkeit oder zu einem späteren Zeitpunkt hervor- und auf den zukünftigen Markt gebracht werden als im relevanten Referenzszenario. Wird zum Beispiel nach einem Zusammenschluss das Forschungsprojekt einer der Parteien eingestellt, um innovationsbedingte Kannibalisierungseffekte zu vermeiden, bedeutet dies, dass ein im Rahmen des Projekts anvisiertes innovatives Produkt nicht auf dem entsprechenden zukünftigen Produktmarkt angeboten werden wird. Verbraucherinnen und Verbraucher werden dann künftig auf ein innovatives Produkt verzichten müssen, das ihnen im Referenzszenario zur Verfügung gestanden hätte. Wird das Forschungsprojekt nicht gänzlich eingestellt, sondern nur verlangsamt, gilt im Grundsatz dasselbe. Allerdings wird die aus Verbraucherinnensicht nachteilige Abweichung vom Referenzszenario nur vorübergehend sein. Erfolgen die betroffenen Innovationstätigkeiten (noch) weitgehend ungezielt, lässt sich zwar nicht ein bestimmtes innovatives Produkt ausmachen, das Verbraucherinnen und Verbrauchern künftig fehlen wird. Ihnen entstehen aber dennoch möglicherweise ganz ähnliche Schäden. Soweit die fraglichen Innovationstätigkeiten zur Hervorbringung von Innovationen auf einem bestimmten wissenschaftlich-technischen Fachgebiet geeignet sind, ist theoretisch davon auszugehen, dass nach ihrer Einstellung auf diesem Gebiet generell weniger innovative Produkte eingeführt werden als im Referenzszenario. Im Ergebnis heißt das (vorübergehende) Ausbleiben innovativer Produkte für Verbraucherinnen und Verbraucher jedenfalls, dass bestimmte ihrer (möglicherweise auch künftig erst aufkommenden) Bedürfnisse in Zukunft, anders als im Referenzszenario, nicht befriedigt werden, oder dass ihnen zur Befriedigung 144 Siehe hierzu auch bereits Kapitel 2.B.III.4.b). 145 Vgl. hierzu nur Ewald in: Wiedemann, Handbuch
Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 14; ausführlich etwa Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, 2010.
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
dieser Bedürfnisse eine im Vergleich zum Referenzszenario geringere Auswahl an Produkten auf dem entsprechenden zukünftigen Markt zur Verfügung stehen wird.146 Schwieriger festzustellen ist ein Schaden für Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn ein Zusammenschluss Innovationsfähigkeiten und -anreize dergestalt verändert, dass Innovationstätigkeiten nicht eingestellt oder verlangsamt, sondern umgelenkt werden. In einem solchen Fall kommt es theoretisch darauf an, ob sich das nunmehr anvisierte innovative Produkt aus Verbraucherinnensicht genauso gut zur Bedürfnisbefriedigung eignet wie das ursprünglich anvisierte innovative Produkt oder nicht. Zu berücksichtigen ist außerdem etwa, ob sich durch die Umlenkung der Innovationstätigkeiten deren Erfolgswahrscheinlichkeit und die verbleibende Zeit bis zu ihrem Abschluss ändern. Aussagen hierzu werden sich in der Realität freilich allenfalls auf der Grundlage subjektiver Werturteile treffen lassen.147 Es stellt sich daher auch die Frage, ob eine Umlenkung von Innovationstätigkeiten überhaupt zum Anknüpfungspunkt der Schadensfeststellung in der Fusionskontrolle gemacht werden kann beziehungsweise sollte. Schließlich wird verbreitet davon ausgegangen, dass es nicht die Aufgabe einer Wettbewerbsbehörde ist, die inhaltliche Ausrichtung der Innovationstätigkeiten von Unternehmen im Einzelnen zu bewerten.148 Zu beachten ist bei der Feststellung eines Verbraucherinnenschadens, dass sich die für Innovation charakteristische Unsicherheit auch im Hinblick auf das relevante dynamische Referenzszenario auswirkt. Ob und wann etwa Innovationstätigkeiten, deren Einstellung infolge eines Zusammenschlusses wahrscheinlich ist, bei unverändertem Fortgang tatsächlich zur erfolgreichen Hervorbringung einer Innovation führen würden, wird in den meisten Fällen nicht sicher vorhergesagt werden können. Welcher Grad an Sicherheit hier zu erreichen ist, hängt unter anderem vom Fortschrittsstadium der betroffenen Innovationstätigkeiten ab. Solange die fraglichen Innovationstätigkeiten aber noch scheitern können, bleibt die Möglichkeit bestehen, dass ihre Einstellung infolge des Zusammenschlusses für Verbraucherinnen und Verbraucher keinen echten Nachteil gegenüber dem Referenzszenario darstellt, weil sie ohnehin geschei146 Zur Auswirkung eines Rückgangs an Innovationstätigkeiten bei Verbraucherinnen und Verbrauchern vgl. auch Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 49; Haucap, Merger Effects on Innovation, 2017, S. 8; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 140; Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20, 26; OECD, Start-ups, Killer Acquisitions and Merger Control, 2020, S. 21 f. 147 Siehe hierzu bereits oben, unter B.II.2. 148 Siehe etwa Drexl, Antitrust Law Journal 2010, Bd. 76, Nr. 3, 677; vgl. hierzu auch Ahn, Competition, Innovation and Productivity Growth, 2001, S. 9: „[P]ast experiences show that the government may have a significant informational disadvantage relative to private parties when emerging technologies are involved“. Vgl. ferner Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 230 f., wo es heißt: „[A]uthorities are not predicting winners or successful products“. Vgl. in diesem Zusammenhang außerdem Podszun in: FS Schroeder, 2018, S. 622–625.
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tert wären. Hat beispielsweise ein Forschungsprojekt, in dessen Rahmen ein bestimmtes innovatives Produkt hervorgebracht werden soll, eine Erfolgswahrscheinlichkeit von 50 %, so bewirkt die zusammenschlussbedingte Einstellung dieses Projekts lediglich mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil für Verbraucherinnen und Verbraucher. Vor diesem Hintergrund ist die Feststellung eines Verbraucherinnenschadens infolge eines zusammenschlussbedingten Rückgangs an Innovationstätigkeiten stets probabilistischer Natur – und zwar auch dann, wenn dieser Rückgang mit großer Sicherheit prognostiziert werden kann.149
II. Die Beeinträchtigung der statischen Effizienz in der Zukunft Anstatt auf den zusammenschlussbedingten Rückgang an Innovationstätigkeiten und die sich darin realisierende Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz, kann zur Entwicklung einer innovationsspezifischen Schadenstheorie auch auf die Wettbewerbssituation auf einem zukünftigen Produktmarkt abgestellt werden, und namentlich auf die sich dort ergebende statisch-allokative Effizienz. Auch hier bleibt der Rückgang an Innovationstätigkeiten mit der Folge ausbleibender oder verzögerter Innovationen ein wesentliches Element für die Schadensfeststellung. Der eigentliche wettbewerbliche Schaden besteht allerdings erst in den – zu prognostizierenden – Konsequenzen, welche das Ausbleiben oder die verzögerte Einführung von Innovationen für den zukünftigen Wettbewerb in seinen statischen Dimensionen, unter Einsatz statischer Aktionsparameter, haben wird. Werden infolge eines Zusammenschlusses Innovationstätigkeiten eingestellt, ist möglicherweise davon auszugehen, dass ein bestimmtes innovatives Produkt deshalb, anders als im relevanten Referenzszenario, letztlich nicht auf einem bestimmten zukünftigen Produktmarkt eingeführt werden wird. Auf diesem zukünftigen Markt wird es dann weniger Produktvielfalt und eine geringere Auswahl für Verbraucherinnen und Verbraucher geben. Dies wiederum wird die Intensität des (statischen) Wettbewerbs auf dem zukünftigen Markt im Vergleich zum Referenzszenario einschränken, was die Verhaltensspielräume der dort tätigen Unternehmen vergrößern wird. Diese werden eher in der Lage sein, gewinnbringend erhöhte, oberhalb ihrer Grenzkosten liegende Preise durchzusetzen. So führt der Zusammenschluss im Ergebnis zu erhöhter Marktmacht auf dem zukünftigen Markt sowie zu einer Beeinträchtigung der statischen, allokativen Effizienz in der Zukunft. Hierin lässt sich dann der maßgebliche Wettbewerbsschaden erblicken. Werden Innovationstätigkeiten infolge des Zusammenschlusses nicht eingestellt, sondern bloß verzögert, stellen sich die beschriebenen Effekte nur vorübergehend ein.150 Denkbar ist natürlich, 149 Vgl. hierzu auch Drexl, Antitrust Law Journal 2010, Bd. 76, Nr. 3, 677; Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20, 26 f.; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 97–99. 150 Zur Beeinträchtigung des zukünftigen Wettbewerbs beziehungsweise der zukünf-
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insbesondere wenn es um bloß inkrementelle Innovationen geht, dass sich der hier in Rede stehende zukünftige Produktmarkt aus einem bestimmten gegenwärtigen Produktmarkt heraus entwickelt und beide Märkte kongruent sind.151 Eine Beeinträchtigung der statischen, allokativen Effizienz auf einem zukünftigen Produktmarkt kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern auch dann zur Folge haben, wenn er deren Innovationsfähigkeiten und -anreize sowie die dynamische Effizienz überhaupt nicht beeinträchtigt. Führt die entstehende Unternehmenseinheit die Innovationstätigkeiten beider Zusammenschlussparteien unverändert fort und bringt die jeweils anvisierten innovativen Produkte schließlich beide auf den (zukünftigen) Markt, verändern sich zwar die dort vorhandenen Auswahlmöglichkeiten für Verbraucherinnen und Verbraucher gegenüber dem Referenzszenario nicht. Allerdings entscheiden dann, im Unterschied zum Referenzszenario, nicht zwei unabhängige, miteinander konkurrierende Unternehmen über die Ausgestaltung der Angebote mit den beiden innovativen Produkten, sondern die Unternehmenseinheit. Diese kann dann insbesondere die Preisfestsetzung für beide Produkte in koordinierter Weise vornehmen. Anders als im Referenzszenario entsteht zwischen den Parteien kein Wettbewerbsdruck auf dem zukünftigen Markt. Die Unternehmenseinheit erhält erweiterte Verhaltensspielräume und erhöhte Marktmacht. Der Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern hat dann gewissermaßen dieselben Auswirkungen wie ein Zusammenschluss zwischen gegenwärtigen Produktmarktwettbewerbern, nur dass sich seine Auswirkungen erst in der Zukunft, auf einem zukünftigen Produktmarkt, realisieren. Gewiss beruhen die vorstehenden Überlegungen auf zahlreichen Annahmen. Dazu gehört etwa die Annahme, dass die Unternehmenseinheit die beiden jeweils anvisierten innovativen Produkte nicht mit allzu großem Zeitversatz fertigstellen und einführen kann.152
III. Die Behinderung des Innovationswettbewerbs In Abkehr von einer unmittelbar wohlfahrtstheoretisch und effizienzorientierten Wettbewerbspolitik kann schließlich auch eine Behinderung des Innovationswettbewerbs zum Anknüpfungspunkt einer innovationsspezifischen tigen statischen Effizienz als Wettbewerbsschaden vgl. etwa Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 136; Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41, 46; Haucap, Merger Effects on Innovation, 2017, S. 8; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 676; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 140; Kokkoris/Valletti, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 2, 220, 233. 151 Siehe dazu Kapitel 2.B.II.1.a). 152 Vgl. zum hier angesprochenen Gesichtspunkt der koordinierten Bepreisung innovativer Produkte Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41, 46; Federico/ Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 140.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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Schadenstheorie gemacht werden. Im Vordergrund steht dann die zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung des dynamischen Wettbewerbsprozesses, insbesondere soweit es den Einsatz von Innovation als wettbewerblichem Aktionsparameter betrifft, und nicht so sehr die Beeinträchtigung der dynamischen oder statischen Effizienz. Letztere ergibt sich aber mittelbar aus Ersterer, da ein ungehindert funktionierender Wettbewerbsprozess aus wohlfahrtstheoretischer Sicht ja generell zur Herstellung von Effizienz beitragen soll.153 Konkret zu verorten ist der wettbewerbliche Schaden, den ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern verursachen kann, hier bereits in den Einbußen bei der Funktionsfähigkeit oder Wirksamkeit des Innovationswettbewerbs, die entstehen, wenn Unternehmen den wettbewerblichen Aktionsparameter Innovation infolge einer zusammenschlussbedingten Schwächung ihrer Innovationsfähigkeiten und -anreize – namentlich durch die Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks – in nur mehr geringerem Umfang einsetzen als es im relevanten Referenzszenario der Fall wäre. Sich daraus ergebende Effizienzeinbußen stellen lediglich Folgen des eigentlichen Wettbewerbsschaden dar. Sie sind nicht mehr als Teil desselben anzusehen. Im Gegensatz etwa zum eingangs dargestellten Ansatz wird Innovation hier kein aus wettbewerbspolitischer Sicht zu schützender Eigenwert beigemessen. Wettbewerbspolitisches Schutzgut ist vielmehr allein der dynamische (Innovations-)Wettbewerbsprozess als solcher.154 Im Mittelpunkt der innovationsspezifischen Schadenstheorie steht hier, noch einmal anders gewendet, der vor allem durch die Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks erweiterte Spielraum der entstehenden Unternehmenseinheit, sich auch gegen den (weiteren) Einsatz von Innovation als wettbewerblichem Aktionsparameter zu entscheiden. Diese Verhaltensspielraumerweiterung ist zentral für die Schadensfeststellung. Auf einen daraus resultierenden Rückgang an Innovationstätigkeiten und ein (vorübergehendes) Ausbleiben innovativer Produkte kommt es dagegen nicht entscheidend an. So wie der erweiterte Spielraum einer Unternehmenseinheit beim Einsatz statischer Wettbewerbsparameter auf einem bestimmten Produktmarkt, insbesondere bei der Preissetzung, als erhöhte Marktmacht bezeichnet wird,155 lässt sich 153
Vgl. hierzu Kapitel 2.A.II. Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Innovationswettbewerbs als Wettbewerbsschaden vgl. Drexl, Antitrust Law Journal 2010, Bd. 76, Nr. 3, 677; Cleynenbreugel in: Nihoul/Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 7–9. In eine ähnliche Richtung gehen auch die Überlegungen zu einer indirekten Berücksichtigung von Innovation beziehungsweise Innovationseffekten im Wettbewerbsrecht von Ibáñez Colomo, European Law Review 2016, Bd. 41, Nr. 2, 201, der allerdings auf den Schutz des Wettbewerbsprozesses abstellt, wie er sich auf bestimmten Produktmärkten vollzieht, und nicht auch den zumindest in gewisser Hinsicht losgelöst von Produktmärkten stattfindenden Innovationswettbewerb mit einbezieht. 155 Siehe oben, unter A. 154 Zur
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hier von erhöhter Innovationsmacht oder von einer gestärkten Machtstellung im Innovationsoligopol sprechen. Die bislang hier hervorgehobene Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks ist freilich nicht als einzige relevant für die Behinderung des Innovationswettbewerbs durch einen Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern. Namentlich auf der Grundlage einer evolutionsökonomischen Wettbewerbskonzeption lassen sich mit der Behinderung des Innovationswettbewerbs als Anknüpfungspunkt für eine innovationsspezifische Schadenstheorie gerade auch die zusammenschlussbedingte Verringerung der Anzahl an unabhängigen, heterogenen Innovationswettbewerbern beziehungsweise die Einschränkung der Diversität unter ihnen als maßgeblicher Wettbewerbsschaden ausmachen.156
IV. Zielkonflikte bei der Entwicklung von Schadenstheorien Im Einzelfall können sich bei der Beurteilung eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern Zielkonflikte und Abwägungserfordernisse (Trade-offs) ergeben. Dies gilt unabhängig davon, welche wettbewerblichen Bedenken konkret als Anknüpfungspunkte für eine innovationsspezifische Schadenstheorie in Betracht gezogen werden. Hintergrund ist, dass ein derartiger Zusammenschluss, wie beschrieben, auch (einzelne) positive Effekte auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen haben kann, darunter auch solche, die gerade aus einer zusammenschlussbedingten Einschränkung der Intensität des Wettbewerbs in seinen statischen Dimensionen beziehungsweise aus einer Beeinträchtigung der statischen Effizienz resultieren. Das alleinige Abstellen auf innovationsspezifische Schadenstheorien bedeutete hier, dass möglicherweise insgesamt kein Anlass zu wettbewerblichen Bedenken gesehen würde, obwohl der statische Wettbewerb eingeschränkt und die statische Effizienz beeinträchtigt werden. Würden umgekehrt allein herkömmliche, nicht innovationsspezifische Schadenstheorien herangezogen und ausschließlich die Fähigkeiten und Anreize beziehungsweise Verhaltensspielräume von Unternehmen beim Einsatz statischer Wettbewerbsparameter zum Bewertungsmaßstab erhoben, ließen sich zwar der statische Wettbewerb und die statische Effizienz schützen. Dadurch würden aber dann Potentiale zur Förderung der dynamischen Effizienz durch den Zusammenschluss preisgegeben. Es ist also eventuell erforderlich, die unterschiedlichen Effekte eines Zusammenschlusses auf die statische und die dynamische Effizienz gegeneinander abzuwägen und im Rahmen integrierter Schadenstheorien zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.157 156 157
Siehe hierzu oben, unter B.II.3. Zu solchen Zielkonflikten und Abwägungserfordernissen siehe auch bereits Kapitel 2. A.II.3. sowie die dortigen Nachweise.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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Solche Zielkonflikte treten insbesondere in zwei Fällen auf. Einer davon ist der Fall, dass ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern, die zugleich Wettbewerber auf einem gegenwärtigen Produktmarkt sind, zu einem Marktmachteffekt auf diesem Produktmarkt führt, der wiederum positive Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize der entstehenden Unternehmenseinheit und damit die dynamische Effizienz hat. So liegt es etwa, wenn die Unternehmenseinheit aufgrund erhöhter Marktmacht auf dem gegenwärtigen Produktmarkt ökonomische Gewinne erzielen und Innovationstätigkeiten deshalb besser finanzieren kann.158 Der für die statische Effizienz schädliche Marktmachteffekt wäre hier freilich nur dann zugunsten der dynamischen Effizienz hinzunehmen, wenn wirklich davon ausgegangen werden könnte, dass die Unternehmenseinheit zur Durchführung von Innovationstätigkeiten einen nicht am Kapitalmarkt zu deckenden Bedarf an Finanzmitteln hat, und sie ihre zusätzlichen Gewinne tatsächlich in Innovationstätigkeiten investieren wird.159 Der zweite Fall betrifft die zusammenschlussbedingte Internalisierung technologischer Spillovers. Hierdurch erhält die entstehende Unternehmenseinheit die Aussicht auf künftig erhöhte Marktmacht, was ihr die Ertragsaneignung erleichtert und damit ihre Innovationsanreize stärkt. Der Förderung der dynamischen Effizienz steht in diesem Fall eine Beeinträchtigung der statischen Effizienz auf einem zukünftigen, nicht auf einem gegenwärtigen, Produktmarkt gegenüber.160 Im Rahmen der hier erforderlichen Abwägung ist besonders die voraussichtliche Dauerhaftigkeit der künftigen Marktmachterhöhung und Effizienzbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Diese wären etwa hinzunehmen, wenn sie nur solange andauerten, wie es zur Begründung hinreichender Innovationsanreize für die Unternehmenseinheit erforderlich ist, und nicht noch deutlich länger.161 Schwierig ist die Abwägung der Effekte, die ein Zusammenschluss auf die statische und die dynamische Effizienz jeweils haben kann, weil es an einheitlichen Maßstäben zur Gewichtung dieser Effekte fehlt. Während sich zu erwartende Preiserhöhungen unter Umständen quantifizieren lassen, stellen sich im Hinblick auf die Quantifizierung einer zusammenschlussbedingten Schwächung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen beziehungsweise eines Rückgangs an Innovationstätigkeiten, wie gesehen, viele offene Fragen.162 Wird bei der Feststellung wettbewerblicher Schäden speziell auf die Verbraucherwohlfahrt abgestellt, erschwert dies die Abwägung von Zusammenschlusseffekten zusätzlich. So ist zum Beispiel denkbar, dass Preiserhöhungen mit relativ großer Sicherheit bereits kurz nach Vollzug eines Zusammenschlussvorhabens zu 158
Siehe oben, unter B. I.3. Vgl. auch Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 52. Siehe oben, unter B. I.2. 161 Siehe hierzu auch bereits Kapitel 2.B.III.4.a). 162 Hierzu soeben, unter C. I. 159 160
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Teil 1: Ökonomische Grundlagen
erwarten sind, während die Einführung eines bestimmten innovativen Produkts voraussichtlich erst in der entfernten Zukunft erfolgt, und dies auch nur mit einer möglicherweise sehr geringen Wahrscheinlichkeit.163
D. Zusammenfassung Ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern kann sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz haben, insbesondere indem er die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen schwächt oder stärkt. Unterscheiden lassen sich Primäreffekte eines solchen Zusammenschlusses, die gerade aus der Beseitigung des innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks zwischen den Innovationswettbewerbern resultieren, von Sekundäreffekten, die mit der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks nicht unbedingt direkt zusammenhängen. Primäreffekte können in Gestalt der Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte, technologischer Spillovers und preisbezogener BusinessStealing-Effekte sowie in Gestalt von Effekten im produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb auftreten. Möglich sind außerdem dynamische Effizienzgewinne durch einen Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern. Die möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf die dynamische Effizienz unterscheiden sich in grundlegender Weise von den möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Produktmarktwettbewerbern auf die statische Effizienz. Die zusammenschlussbedingte Beseitigung des Wettbewerbsdrucks zwischen Produktmarktwettbewerbern führt grundsätzlich zur Erweiterung von Verhaltensspielräumen bei der Preis- und Mengenfestsetzung und damit zu erhöhten Preisniveaus. Sie hat damit grundsätzlich negative Folgen für die statische Effizienz. Ausnahmsweise können diese negativen Folgen durch statisch-produktive Effizienzgewinne aufgewogen werden. Bei einem Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern können dagegen bereits die in der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks liegenden Primäreffekte nicht nur negative, sondern auch positive Folgen für die dynamische Effizienz haben, unabhängig von etwaigen dynamischen Effizienzgewinnen. Im Falle von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern kann zur Entwicklung innovationsspezifischer Schadenstheorien an einer Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz, an einer zukünftigen Beeinträchtigung der statischen Effizienz sowie an einer Behinderung des Innovationswett163 Vgl. hierzu etwa OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 19, 32, 34 f.; Allensworth, Vanderbilt Law Review 2016, Bd. 69, Nr. 1, 1, 20–22; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 28.
Kapitel 3: Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb
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bewerbs angeknüpft werden. Unter Umständen können bei der Entwicklung solcher Schadenstheorien Zielkonflikte entstehen.
Teil 2
Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle Ziel des folgenden zweiten Teils dieser Arbeit ist es, die Erkenntnisse aus dem ersten Teil – die wesentlichen ökonomischen Grundlagen zu Innovation, Innovationswettbewerb und den Innovationseffekten von Zusammenschlüssen – für die Fusionskontrolle nutzbar zu machen.
Kapitel 4
Analyseansätze für den Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle In diesem Kapitel wird erörtert, wie sich die möglichen, im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz im Rahmen der Fusionskontrolle feststellen lassen. Die Ausführungen beschränken sich auf die EU-Fusionskontrolle durch die Europäische Kommission. Hierzu folgen zunächst einige Vorbemerkungen (unter A.). Sodann wird dargelegt, welche Analyseansätze zur Berücksichtigung von Innovation in der Fusionskontrolle herkömmlicherweise zur Verfügung stehen (unter B.). Weil diese Ansätze für eine sinnvolle und umfassende Analyse der möglichen Innovationseffekte unzureichend sind, wird anschließend ein zusätzlicher Analyseansatz entwickelt und vorgestellt, der vorzugswürdig gegenüber den herkömmlichen Ansätzen ist (unter C.).
A. Vorbemerkungen zur europäischen Fusionskontrolle Zu Beginn werden hier die europäische Fusionskontrolle kurz vorgestellt (unter I.) und die übliche Vorgehensweise der Kommission bei der Zusammenschlussprüfung erläutert (unter II.). Außerdem wird darlegt, dass und weshalb die Beurteilung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb eine Sonderstellung in der Fusionskontrollpraxis der Kommission einnimmt (unter III. und IV.).
I. Überblick Zentrale Rechtsgrundlage der EU-Fusionskontrolle ist die Fusionskontrollverordnung.1 Darin ist die Fusionskontrolle als System der präventiven (oder ex1 Die
aktuell gültige Fusionskontrollverordnung des Rates wurde im Jahr 2004 erlassen. Ihre Vorgängerregelung ist die ursprüngliche Fusionskontrollverordnung aus dem Jahr 1989. Die Ermächtigungsgrundlage zur Regelung der Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen durch den Rat enthalten (nach heute herrschender Auffassung) Art. 103 und Art. 352 AEUV, siehe hierzu Erwägungsgrund 7 der Fusionskontrollverordnung; Körber in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Einl. Rn. 43 f.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
ante-)Prüfung bestimmter Unternehmenszusammenschlüsse durch die Europäische Kommission ausgestaltet.2 Die Fusionskontrollverordnung erfasst Zusammenschlüsse,3 denen unionsweite Bedeutung beigemessen wird, weil die beteiligten Unternehmen bestimmte Umsatzschwellen überschreiten.4 Derartige Zusammenschlüsse sind vor ihrem Vollzug bei der Kommission anzumelden,5 die sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt prüft.6 Bis zum Erlass einer Freigabeentscheidung durch die Kommission ist der Vollzug unzulässig. Gegen das Vollzugsverbot verstoßende Rechtsgeschäfte sind (schwebend) unwirksam.7 Das Prüfverfahren der Kommission vollzieht sich in einer oder, falls erforderlich, zwei Phasen.8 In Phase I findet zunächst eine lediglich summarische (Vor-)Prüfung statt,9 an deren Ende die Kommission die Nichtanwendbarkeit der Fusionskontrollverordnung feststellt, den Zusammenschluss mangels ernsthafter Bedenken hinsichtlich seiner Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt freigibt 2 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Einl. Rn. 35; Simon in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, FKVO, Einf. Rn. 32–34. 3 Zusammenschlüsse im Sinne der Fusionskontrollverordnung sind in deren Art. 3 definiert. 4 Die relevanten Umsätze enthält Art. 1 Fusionskontrollverordnung. Vorgaben zu ihrer Berechnung macht Art. 5. 5 Art. 4 Abs. 1 Fusionskontrollverordnung. Die Fusionskontrollverordnung enthält zudem ein System der Verweisung von Fusionssachen: An sich nicht von der Fusionskontrollverordnung erfasste Zusammenschlüsse können unter Umständen zur Prüfung bei der Kommission angemeldet oder durch mitgliedstaatliche Wettbewerbsbehörden an sie verwiesen werden, siehe Art. 4 Abs. 5, Art. 22. Zudem kann die Kommission von der Fusionskontrollverordnung erfasste Zusammenschlüsse unter Umständen an mitgliedstaatliche Behörden verweisen, siehe Art. 4 Abs. 4, Art. 9. Zu diesem Verweisungssystem siehe auch die Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen; ausführlich hierzu auch Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 24 Rn. 47–72. Eine zugunsten der Kommission begründete Zuständigkeit ist (vorbehaltlich der gerichtlichen Nachprüfung ihrer Entscheidungen) ausschließlich, Art. 21 Abs. 2 und 3 Fusionskontrollverordnung. Allerdings können die Mitgliedstaaten weiterhin Maßnahmen zum Schutz von nicht in der Fusionskontrollverordnung berücksichtigten Interessen vornehmen, etwa nach Art. 21 Abs. 4 Fusionskontrollverordnung oder Art. 106 Abs. 2 und Art. 346 AEUV, siehe hierzu Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Einl. Rn. 79 f., 126–128; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 302 f. 6 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 1 Fusionskontrollverordnung. 7 Art. 7 Abs. 1 und 4 Fusionskontrollverordnung. 8 Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 17 Rn. 65. Den beiden Phasen des formellen Fusionskontrollverfahrens, das mit der Anmeldung eines Zusammenschlusses bei der Kommission beginnt, gehen in der Regel informelle (Pre-Notification-)Gespräche zwischen den Fusionsparteien und der Kommission voraus, Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 24 Rn. 84; siehe hierzu auch Europäische Kommission, Best Practices on the Conduct of EC Merger Control Proceedings, 2004, Rn. 5–15. Für die beiden formellen Phasen gelten im Übrigen strenge Fristenregelungen, siehe Art. 10 Fusionskontrollverordnung. 9 Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 17 Rn. 66.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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(erforderlichenfalls unter Bedingungen oder Auflagen) oder Phase II mit einer stärker formalisierten, tiefergehenden Prüfung eröffnet.10 Zum Abschluss dieser zweiten Prüfphase kann die Kommission den Zusammenschluss dann entweder freigeben (wiederum erforderlichenfalls unter Bedingungen oder Auflagen) oder untersagen.11 Tatsächlich nimmt die Kommission häufig bereits in Phase I umfangreiche Untersuchungen vor und vermeidet so den Übergang in Phase II.12 Mit Bedingungen und Auflagen versieht die Kommission eine Freigabeentscheidung namentlich, um die Einhaltung von Verpflichtungszusagen der Zusammenschlussparteien sicherzustellen.13 Solche Zusagen können die Parteien abgeben, um Bedenken der Kommission auszuräumen.14 In Betracht kommen einerseits strukturelle Zusagen, vor allem zur Veräußerung bestimmter Geschäftsteile, sowie andererseits verhaltensbezogene Zusagen, also Verpflichtungen zu bestimmten Verhaltensweisen nach Vollzug des Zusammenschlussvorhabens.15 Die Ausgestaltung der Fusionskontrolle als Präventivinstrument bringt es mit sich, dass die Entscheidungsfindung der Kommission prognostischer Natur ist.16 Die Kommission muss nicht nur die wahrscheinlichen Auswirkungen des Zusammenschlusses selbst vorhersagen, sondern, wie bereits erwähnt, auch die Entwicklung des maßgeblichen Referenzszenarios (des dynamischen Counterfactual).17 Weil sich zukünftige Ereignisse, wie ebenfalls schon angesprochen, prinzipiell nicht vollständig sicher vorhersagen lassen, weist die Entscheidungsfindung in der Fusionskontrolle mit ihrem Prognoseerfordernis ein Moment der Unsicherheit auf.18 Das Ausmaß dieser Unsicherheit fällt umso größer aus, je weiter die zu treffenden Vorhersagen in die Zukunft reichen. Allgemein gilt, dass die Zuverlässigkeit einer Prognose mit zunehmender Ausdehnung des Prognosehorizonts sinkt.19 Welchen Prognosehorizont die Kommis10
Siehe Art. 6 Abs. 1 und 2 Fusionskontrollverordnung.
11 Siehe Art. 8 Abs. 1, 2 und 3 Fusionskontrollverordnung. 12 Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2016, 13 Siehe
§ 17 Rn. 66. Art. 6 Abs. 2 Unterabs. 2 bzw. Art. 8 Abs. 2 Unterabs. 2 Fusionskontrollverord-
nung. 14 Siehe auch Erwägungsgrund 30 der Fusionskontrollverordnung sowie die Mitteilung der Kommission über Abhilfemaßnahmen. 15 Siehe hierzu nur Kwoka, The Antitrust Bulletin 2017, Bd. 62, Nr. 2, 367. 16 Siehe Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 204–208; ausführlich zur Prognose in der Fusionskontrolle etwa Markopoulos, Die Prognoseentscheidung in der europäischen Fusionskontrolle, 2009; Günther, Das Prognoseproblem in der Fusionskontrolle, 2004; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 25–47. 17 So auch Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 32; siehe auch bereits Kapitel 3.C. 18 Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 114; Schroeder in: FS Säcker, 2011, S. 986; siehe hierzu auch etwa Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 3, 537. 19 Schroeder in: FS Säcker, 2011, S. 986; Günther, Das Prognoseproblem in der Fusions-
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
sion im Einzelfall heranzuziehen hat, ist in der Fusionskontrollverordnung nicht vorgegeben, sondern abhängig von den jeweiligen Umständen.20 In der Regel legt die Kommission Zeiträume von zwei bis drei Jahren, seltener von bis zu fünf Jahren zugrunde (gemessen ab dem hypothetischen Vollzugszeitpunkt des angemeldeten Zusammenschlusses).21 Maßgebliches Kriterium für die Vereinbarkeit eines Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt – und damit materiell-rechtliche Voraussetzung für ein Eingreifen der Kommission im Fusionskontrollverfahren – ist, ob der Zusammenschluss eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs herbeiführen würde, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung (sogenannter SIEC-Test, nach der englischen Formulierung des Eingriffskriteriums Significant Impediment to Effective Competition).22
II. Grundsätzliche Vorgehensweise der Kommission Ihre Vorgehensweise bei der Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse erläutert die Kommission in entsprechenden Leitlinien.23 Diese Leitlinien beruhen auf den „sich fortentwickelnden Erfahrungen der Kommission“24 mit horizontalen Zusammenschlüssen sowie mit der Rechtsprechung der europäischen Gerichte hierzu.25 Ihr Zweck liegt vorwiegend darin, die Transparenz und Vorhersehbarkeit von Entscheidungen in der Fusionskontrolle zu fördern.26 Als Soft Law27 beanspruchen sie grundsätzlich keine unmittelbare Rechtsgültigkeit; die Kommission kann allenfalls infolge einer Selbstbindung zu ihrer Einhaltung im Einzelfall verpflichtet sein.28 Den Leitlinien kommt aber bereits deshalb erkontrolle, 2004, S. 15; vgl. hierzu auch Winker, Empirische Wirtschaftsforschung und Ökonometrie, 2017, S. 292 f. 20 Vgl. etwa Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 44 f.; so auch Markopoulos, Die Prognoseentscheidung in der europäischen Fusionskontrolle, 2009, S. 121 f. 21 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 206; ausführlich zum Prognosezeitraum in der Fusionskontrolle auch Markopoulos, Die Prognoseentscheidung in der europäischen Fusionskontrolle, 2009, S. 111–144. 22 Art. 2 Abs. 2 und 3 Fusionskontrollverordnung. Zum Begriff des SIEC-Tests siehe nur Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 326 f.; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Einl. Rn. 29. 23 Siehe die Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse. Erlassen hat die Kommission daneben auch Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse. 24 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 6. 25 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 6. 26 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Einl. Rn. 72. 27 Zu diesem Begriff im Zusammenhang mit Leitlinien der Kommission generell siehe Graevenitz, EuZW 2013, 169, 169 f. 28 Thomas, EuR 2009, 423; Graevenitz, EuZW 2013, 169. Laut Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 11, haben die Leitlinien „keinen normativen, aber faktisch einen normgleichen Charakter“.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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hebliche faktische Bedeutung zu, weil sie für Unternehmen die maßgebliche Orientierungshilfe bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten eines Zusammenschlussvorhabens darstellen. Bei dieser Beurteilung müssen Unternehmen gerade auch die Bewertung des Vorhabens durch die Kommission antizipieren.29 Den genannten Leitlinien zufolge umfasst die materielle Prüfung eines Zusammenschlusses durch die Kommission zwei wesentliche Schritte: die Abgrenzung der relevanten Märkte sowie die wettbewerbliche Würdigung des Zusammenschlusses.30 Die Marktabgrenzung dient der Identifikation derjenigen Unternehmen, die Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben (können), das heißt der jeweils relevanten Wettbewerber.31 Hinweise zu ihrer Vorgehensweise hierbei finden sich in einer gesonderten Bekanntmachung der Kommission.32 Zwar wird die Marktabgrenzung aus ökonomischer Perspektive in bestimmten Fällen für verzichtbar (oder zumindest nur eingeschränkt erforderlich) gehalten.33 Die Kommission hält gleichwohl an ihr fest.34 Nicht zuletzt ist es auch ständige Rechtsprechung, „dass die angemessene Festlegung des relevanten Marktes eine notwendige Voraussetzung für jede Beurteilung des Einflusses eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb ist“35. 29
Thomas, EuR 2009, 423, 441 f., spricht von einem „Gebot der praktischen Vernunft, die in den Leitlinien aufgestellten Grundsätze zu beachten, um Konflikte mit der Kommissionspraxis zu vermeiden“; siehe auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Einl. Rn. 77. 30 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 10; siehe auch Riesenkampff/Steinbarth in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 9; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 327 f. 31 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 10; Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 2; siehe auch Körber in: Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 19. 32 Siehe die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes. Diese Bekanntmachung ist gegenwärtig in Überarbeitung. Stellungnahmen im Rahmen eines Konsultationsverfahrens sollen 2021 veröffentlicht werden. Die Verabschiedung einer erneuerten Bekanntmachung beabsichtigt die Kommission für das Jahr 2022, siehe Europäische Kommission, Timeline for Mergers and Antitrust Policy Reviews 2019–2022. Zur Vorgehensweise der Kommission bei der Marktabgrenzung siehe auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 26–33. 33 Zu dieser Diskussion siehe vor allem Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 9; Epstein/Rubinfeld, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 21; Farrell/Shapiro, The B. E. Journal of Theoretical Economics 2010, Bd. 10, Nr. 1, Art. 41; Kaplow, Harvard Law Review 2010, Bd. 124, Nr. 2, 437; siehe ferner Zimmer, WuW 2013, 928; Glasner/Sullivan, Antitrust Law Journal 2020, Bd. 83, Nr. 2, 293. 34 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 26 Rn. 120; siehe auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 17; Montag/Bonin in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 187. 35 So etwa EuGH, 31.3.1998, verb. Rs. C-68/94 u. C-30/95, ECLI: EU: C: 1998:148, Rn. 143 – Frankreich u. a./Kommission („Kali + Salz“); EuG, 7.6.2013, Rs. T‑405/08, ECLI:EU:T:2013:306, Rn. 116 – SPAR Österreichische Warenhandels AG/Kommission; EuG, 6.6.2002, Rs. T-342/99, ECLI:EU:T:2002:146, Rn. 19 – Airtours/Kommission; EuG, 7.5.2009, Rs. T-151/05, ECLI:EU:T:2009:144, Rn. 51 – NVV u. a./Kommission.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Im Rahmen der wettbewerblichen Würdigung entwickelt die Kommission ihre Schadenstheorie für den betrachteten Zusammenschluss.36 Die Schadenstheorie liefert überprüfbare Voraussetzungen dafür, dass der Wettbewerb durch den Zusammenschluss erheblich behindert würde, und mithin ein Prüfungsschema für den Einzelfall.37 Aus ihr ergibt sich auch, welche Tatsachen zweckmäßigerweise zu ermitteln sind.38 Durch einen Abgleich der ermittelten Tatsachen mit den anhand der Schadenstheorie identifizierten Voraussetzungen für eine Wettbewerbsbehinderung prognostiziert die Kommission dann die wahrscheinlichen Auswirkungen des Zusammenschlusses.39 Es kann sich dabei auch herausstellen, dass die Schadenstheorie zunächst noch weiter zu konkretisieren oder zu modifizieren ist.40 Überdies kann ein einzelner Zusammenschluss Anlass zu mehreren Schadenstheorien geben.41 Eine Grobgliederung für die wettbewerbliche Würdigung lässt sich den genannten Leitlinien der Kommission entnehmen. Danach findet die Überprüfung konkreter Schadenstheorien in der Regel in drei Schritten statt: Zunächst nimmt die Kommission Marktanteilsverteilung und Konzentrationsgrad auf den relevanten Märkten sowie deren absehbare Veränderung durch den betrachteten Zusammenschluss in den Blick. Den Konzentrationsgrad ermittelt sie anhand des Herfindahl-Hirschmann-Indexes (HHI). Aus diesen Marktstrukturfaktoren können sich wichtige Anhaltspunkte für die wettbewerbliche Bedeutung einzelner Unternehmen sowie für mögliche wettbewerbliche Bedenken ergeben.42 Die Marktstrukturbetrachtung hat insofern vor allem eine Filterfunktion. Mit ihrer Hilfe sollen bereits frühzeitig problematische von weniger problematischen Fällen unterschieden werden können.43 36 Siehe
nur Salamon-Limberg, Prüfungsumfang und -dichte des Gerichtshofs der Europäischen Union in Fusionskontrollprozessen, 2017, S. 44 f., 52. 37 Vgl. hierzu Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 2; Ewald, ZWeR 2011, 15, 25–28. 38 Vgl. Markopoulos, Die Prognoseentscheidung in der europäischen Fusionskontrolle, 2009, S. 222; Breidenstein, Zur Methodik der Verfahrensrechtsvergleichung, 2012, S. 272 f.; Salamon-Limberg, Prüfungsumfang und -dichte des Gerichtshofs der Europäischen Union in Fusionskontrollprozessen, 2017, S. 44 f. 39 Vgl. Ewald, ZWeR 2011, 15, 34–37; Röller in: Bergeijk/Kloosterhuis, Modelling European Mergers, 2005, S. 16 f.; Salamon-Limberg, Prüfungsumfang und -dichte des Gerichtshofs der Europäischen Union in Fusionskontrollprozessen, 2017, S. 44, 49, 52 f.; Markopoulos, Die Prognoseentscheidung in der europäischen Fusionskontrolle, 2009, S. 226, 248 f. 40 Vgl. Markopoulos, Die Prognoseentscheidung in der europäischen Fusionskontrolle, 2009, S. 223; vgl. auch Salamon-Limberg, Prüfungsumfang und -dichte des Gerichtshofs der Europäischen Union in Fusionskontrollprozessen, 2017, S. 44, 49, 52 f. 41 Vgl. Monopolkommission, Hauptgutachten XVII, 2008, S. 283, 285. 42 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 14–21; siehe auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 221; Riesenkampff/Steinbarth in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 72. 43 Vgl. nur Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 258 f.
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Im zweiten Schritt untersucht die Kommission die möglichen wettbewerbswidrigen Wirkungen des betrachteten Zusammenschlusses im Einzelnen. Hier findet die bereits erläuterte Differenzierung zwischen koordinierten und nicht koordinierten Effekten statt.44 Sind derartige wettbewerbswidrige Wirkungen festzustellen, prüft die Kommission schließlich, ob ihnen Ausgleichsfaktoren gegenüberstehen.45 Als solche kommen insbesondere Effizienzgewinne durch den betrachteten Zusammenschluss in Betracht.46 Diese sind berücksichtigungsfähig, wenn sie „den Verbrauchern zugutekommen, fusionsspezifisch und überprüfbar“47 sind. Das Kriterium der Fusionsspezifität erfüllen Effizienzgewinne, die sich nicht anders als durch den Zusammenschluss und insbesondere nicht durch weniger wettbewerbswidrige Mittel, wie die Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens, erzielen lassen.48 Überprüfbar sind Effizienzgewinne, die sich präzise und überzeugend, insbesondere auch quantitativ, darlegen lassen und möglichst kurzfristig ihre Wirkung entfalten sollen.49 Nach verbreitetem Verständnis orientiert sich die Kommission bei der Entwicklung von Schadenstheorien in der Fusionskontrolle heutzutage – wie bei der Ausgestaltung der europäischen Wettbewerbspolitik und der Anwendung des europäischen Wettbewerbsrechts generell – am wohlfahrtstheoretischen Effizienzziel und insbesondere am Maßstab der Verbraucherwohlfahrt.50 Dies geht nicht zuletzt auch aus ihren Leitlinien hervor.51 Im Rahmen ihres weiterhin maßgeblichen More Economic Approach verfolgt sie in erster Linie den Ansatz, die konkreten Auswirkungen eines Zusammenschlusses zu untersuchen und dabei festzustellen, ob und auf welche Weise der Zusammenschluss für Verbraucherinnen und Verbraucher spürbare Effizienzeinbußen beziehungsweise wettbewerbliche Schäden verursacht. Dieser auswirkungsorientierte Ansatz (Effects-based Approach) hat den früheren strukturorientierten Ansatz (Formoder Structure-based Approach) der Kommission, bei dem die oben beschrie44
Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 22–63; hierzu bereits Kapitel 3.A. 45 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 12; siehe auch Erwägungsgrund 29 der Fusionskontrollverordnung. 46 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 76–88. 47 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 78. 48 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 85. 49 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 86. 50 Dazu bereits Kapitel 2.A.III.1.c); siehe auch Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, 2010, S. 226–230; Witt, The More Economic Approach to EU Antitrust Law, 2016, S. 132–141; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 193, 195. 51 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 8, 76–88; vgl. hierzu auch Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, 2010, S. 106 f.; Witt, The More Economic Approach to EU Antitrust Law, 2016, S. 136 f.; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 193.
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bene Betrachtung von Marktanteilen und Konzentrationsgraden noch klar im Vordergrund stand und das Ergebnis der Zusammenschlussprüfung ganz wesentlich determinierte, weitgehend abgelöst. Heute kommt der Marktstrukturbetrachtung, wie gesagt, vor allem eine Filterfunktion zu. Marktanteile und Konzentrationsgrade haben indiziellen Charakter. Den Prüfungsschwerpunkt macht dann aber vielfach die Untersuchung kurzfristiger Zusammenschlusswirkungen auf das Preissetzungsverhalten von Unternehmen und die statisch-allokative Effizienz aus.52 Dieser grundsätzlichen Ausrichtung ihrer gegenwärtigen Fusionskontrollpraxis steht nicht entgegen, dass die Kommission Marktanteilen und Konzentrationsgraden in einzelnen Fällen auch heute noch hin und wieder große, zuweilen überwiegende Bedeutung zumisst, insbesondere wenn es um das Regelbeispiel der Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch einen Zusammenschluss geht.53 Auch soweit die Marktstrukturbetrachtung heute nur noch einen Filter darstellt, ist ihre Bedeutung freilich nicht zu unterschätzen. Als Ausgangspunkt der weiteren Zusammenschlussprüfung kann sie diese in Teilen immer noch prägen.54 Unklar ist übrigens, inwieweit die europäischen Gerichte die Hinwendung der Kommission zu Effizienz und Verbraucherwohlfahrt als primären beziehungsweise alleinigen Schutzgütern und Anknüpfungspunkten bei der Entwicklung von Schadenstheorien in der Fusionskontrolle mittragen.55 Der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Kartellverbot lässt sich allerdings entnehmen, dass 52 Zum Übergang von struktur- zu auswirkungsorientiertem Ansatz in der Fusionskontrolle siehe etwa Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 193–197; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 17; Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 4, 6, 10. In einem mehr oder weniger engen Zusammenhang hiermit steht auch der Übergang vom früheren Marktbeherrschungszum heutigen SIEC-Test durch die Reform der Fusionskontrollverordnung im Jahr 2004, siehe hierzu etwa Röller/Mano, European Competition Journal 2006, Bd. 2, Nr. 1, 9; Röller/Strohm, Ökonomische Analyse des Begriffs „Significant Impediment to Effective Competition“, 2006; Levy, European Competition Journal 2010, Bd. 6, Nr. 1, 211, 221. 53 Siehe hierzu Kuhn, ZWeR 2020, 1, 8. Vor allem für Untersagungsentscheidungen der Kommission hat dieses Regelbeispiel zuletzt eine wichtige Rolle gespielt, vgl. Kuhn, ZWeR 2020, 1, 7 f.; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 195; Drauz in FS Schroeder, 2018, S. 126; siehe hierzu auch Witt, The More Economic Approach to EU Antitrust Law, 2016, S. 139 f. 54 Vgl. hierzu etwa Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2012, FKVO, Art. 2 Rn. 195 f.; Salamon-Limberg, Prüfungsumfang und -dichte des Gerichtshofs der Europäischen Union in Fusionskontrollprozessen, 2017, S. 41. Zur Feststellung einer wieder steigenden Bedeutung der Marktstrukturbetrachtung in der jüngeren Entscheidungspraxis der Kommission siehe Dethmers, European Competition Law Review 2016, Bd. 37, Nr. 11, 435. 55 Siehe hierzu Witt, The More Economic Approach to EU Antitrust Law, 2016, S. 271– 274. Das EU-Wettbewerbsrecht enthält, wohlgemerkt, keine eindeutige Festlegung auf ein bestimmtes Wettbewerbskonzept oder -leitbild. Kommission wie Gerichte sind vor allem dazu aufgerufen, pragmatische Einzelfallentscheidungen zu treffen, vgl. hierzu etwa Meessen/Kersting in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, Einführung in das europäische und deutsche Kartellrecht, Rn. 6; Kling in: FS Bohl, 2015,
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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„Art. 81 EG [heute Art. 101 AEUV], wie auch die übrigen Wettbewerbsregeln des Vertrags, nicht nur dazu bestimmt [ist], die unmittelbaren Interessen einzelner Wettbewerber oder Verbraucher zu schützen, sondern die Struktur des Marktes und damit den Wettbewerb als solchen“56.
Hieraus wird auch für die Fusionskontrolle der Schluss gezogen, der Gerichtshof habe der durch die Kommission vorangetriebenen „Neuausrichtung allein auf die Konsumentenwohlfahrt eine klare Absage erteilt“57.
III. Tendenz zur statischen Betrachtung Der EU-Fusionskontrolle unterliegen selbstverständlich nicht nur Zusammenschlüsse zwischen Produktmarktwettbewerbern, sondern auch solche zwischen Innovationswettbewerbern – soweit sie nur unionsweite Bedeutung haben. Auch sie sind darauf zu überprüfen, ob sie eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs herbeiführen würden. Das materielle Eingriffskriterium der Fusionskontrollverordnung, der SIEC-Test, erfasst auch den Innovationswettbewerb als besondere (dynamische) Dimension des Wettbewerbs im Allgemeinen.58 Zwar ist dies eine Selbstverständlichkeit. Dennoch ist festzustellen, dass Fälle, in denen die Kommission Zusammenschlüsse explizit als solche zwischen Innovationswettbewerbern behandelt und speziell Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb beziehungsweise die dynamische Effizienz in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung gestellt hat, eher eine Ausnahme darstellen. In den allermeisten Fällen (zumal seit More Economic Approach beziehungsweise auswirkungsorientiertem Ansatz) stehen, wie erläutert, die kurzfristigen Auswirkungen des jeweils betrachteten Zusammenschlusses auf das Verhalten von Wettbewerbern auf gegenwärtigen Produktmärkten bei der Festsetzung von Preisen und Mengen im Vordergrund, sowie aus einem erhöhten Preisniveau resultierende Einbußen bei der statisch-allokativen Effizienz. Die explizite Auseinandersetzung mit dem Innovationswettbewerb und Effekten auf die dynamische Effizienz findet in der Fusionskontrolle, wie bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts insgesamt, dagegen praktisch vergleichsweise selten statt.59 So setzt sich in der wettbewerbs- und fusionskontrollpolitischen S. 470–472; Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 34 f.; Hertfelder, Die consumer welfare im europäischen Wettbewerbsrecht, 2010, S. 220–226. 56 EuGH, 4.6.2009, Rs. C‑8/08, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 38 – T‑Mobile Netherlands BV u. a./Raad van bestuur van de Nederlandse Mededingingsautoriteit. 57 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 194 (Hervorhebungen ausgelassen); siehe auch Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 43 f.; Wissing, WuW 2020, 593, 594. 58 Vgl. nur Europäische Kommission, EU Merger Control and Innovation, 2016, S. 1 f.; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 343. 59 Vgl. etwa Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 7, 245 f.; Buehler/Coublucq/Hariton/Langus/Valletti, Review of Industrial Organization 2017, Bd. 51, Nr. 4, 397, 400; Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 721; Bourreau/Streel,
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Praxis der Kommission gleichsam fort, was im Zusammenhang mit der wirtschaftswissenschaftlichen Wettbewerbstheorie als Tendenz zur Statik beziehungsweise zur statischen Betrachtung beschrieben wurde.60 Dieser grundsätzliche Gesamteindruck entsteht unabhängig davon, dass Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz natürlich in Einzelfällen immer wieder eine Rolle gespielt haben.61 An ihm ändert es vorerst auch nichts, wenn die Kommission diesen Gesichtspunkten in ihrer jüngeren Praxis, wie eingangs beschrieben, zunehmende Aufmerksamkeit schenkt.62 Ein Erklärungsansatz dafür, dass sich eine Tendenz zur statischen Betrachtung auch auf der Ebene der praktischen Wettbewerbs- und Fusionskontrollpolitik beobachten lässt, ist in den beträchtlichen Schwierigkeiten zu suchen, die es verursacht, wenn Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz stärker zur Geltung kommen und als Gegenstand möglicher Zusammenschlusswirkungen behandelt werden sollen. Zurückzuführen sind diese Schwierigkeiten nicht zuletzt auf die Prozesshaftigkeit und Komplexität von Innovation beziehungsweise Innovationstätigkeiten sowie die für sie charakteristische Unsicherheit. In der Fusionskontrolle tritt das mit Innovation einhergehende Unsicherheitsmoment zum Unsicherheitsmoment hinzu, das der Prognose von Zusammenschlusswirkungen ohnehin innewohnt, und verstärkt dieses.63 Wie beschrieben, können Innovationsprozesse überaus langwierig ausfallen und damit eine signifikante Erweiterung des üblichen Prognosehorizonts in der Fusionskontrolle erforderlich machen.64 Wie die gängigen Wettbewerbskonzepte und -leitbilder haben sich auch die ökonomischen Analysekonzepte und -methoden, die bei der Anwendung des Wettbewerbs- und Fusionskontrollrechts zur Verfügung Big Tech Acquisitions, 2020, S. 17; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 248. Bei Podszun, The Antitrust Bulletin 2016, Bd. 61, Nr. 1, 121, 125, heißt es hierzu: „This is a bias in favor of a static efficiency tendency in competition law: an end-consumer-oriented interpretation of competition rules places low prices into the center of concern for competition since the maximization of consumer welfare is the ultimate goal of competition law“. Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 45, spricht von einem „application bias against the analysis of innovation effects“. 60 Siehe Kapitel 2.A.III.2. 61 Zu solchen Fällen siehe nur Europäische Kommission, EU Merger Control and Innovation, 2016, S. 4–7. 62 Zur gestiegenen Bedeutung, die Innovationswettbewerb und dynamischer Effizienz in der Fusionskontrollpraxis der Kommission in jüngerer Zeit zugekommen ist, siehe etwa Buehler/Coublucq/Hariton/Langus/Valletti, Review of Industrial Organization 2017, Bd. 51, Nr. 4, 397, 401; Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 12; Lorenzo/ Watson, Concurrences 2019, Nr. 1, Art. 89495, 1; siehe auch bereits Abschnitt A. der Einleitung. 63 Vgl. Bary/Bure, Concurrences 2017, Nr. 3, Art. 84407, 4 f.; Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 525; siehe hierzu auch Drexl, Antitrust Law Journal 2010, Bd. 76, Nr. 3, 677. 64 Vgl. Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 525; siehe auch etwa Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20, 26 f.
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stehen, unter der Ägide neoklassischen Gleichgewichtsgedenkens entwickelt, das den ökonomischen Mainstream seit langem prägt. Folglich sind die verfügbaren Analysekonzepte und -methoden in ihrem Kern ausgerichtet auf den Wettbewerb unter Einsatz statischer Aktionsparameter, insbesondere den Preiswettbewerb, und die statische Effizienz. Dies erschwert die Erfassung des Innovationswettbewerbs und der dynamischen Effizienz erheblich.65 Konkrete Vorgaben für die Berücksichtigung von Innovation finden sich im Übrigen auch nicht in der Fusionskontrollverordnung. Diese determiniert die konkrete Anwendung des SIEC-Tests ohnedies nur insoweit, als sie eine nicht abschließende Aufzählung von Beurteilungskriterien enthält.66 Darunter befinden sich zwar auch Kriterien, welche „den dynamischen Elementen des Wettbewerbs Rechnung tragen“67. Zu berücksichtigen sind unter anderem „die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen“ sowie „die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“.68 Hinweise darauf, wie die Wettbewerbsdimension des Innovationswettbewerbs in die Zusammenschlussprüfung sinnvollerweise im Einzelnen zu integrieren ist, gibt die Fusionskontrollverordnung indes nicht. Aus dem ersten Kriterium der Entwicklung von Angebot und Nachfrage wird in erster Linie herausgelesen, dass die Kommission nicht bei reinen Momentaufnahmen der wettbewerblichen Situation vor einem Zusammenschluss stehen bleiben darf, sondern auch absehbare Veränderungen, etwa was die Marktanteilsverteilung angeht, mit einzubeziehen hat. So soll beispielsweise zur Kenntnis genommen werden, dass ein hoher Marktanteil nicht unbedingt aussagekräftig für die längerfristige Marktmacht eines Unternehmens ist, wenn mit Marktanteilsschwankungen zu rechnen ist.69 Das zweite, auch sogenannte Fortschrittskriterium wird (gegenwärtig) vor allem als Hinweis auf die Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen 65 Vgl. Graef/Wahyuningtyas/Valcke, How Google and Others Upset Competition Analysis, 2014, S. 1 f.; Ibáñez Colomo, European Law Review 2016, Bd. 41, Nr. 2, 201, 202; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 35–37; Solidoro, Assessing Innovation Theories of Harm in EU Merger Control, 2019, S. 1; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 9; siehe hierzu auch Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 203– 227; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 248–273; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 86. Bei Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 5, heißt es treffend: „[T]he assessment concepts that have been developed in the last decades are based upon a static concept of markets and competition, which focuses mostly on price competition on existing product markets“. 66 Siehe Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Fusionskontrollverordnung. 67 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 26 Rn. 12; vgl. auch Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 25 f. 68 Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) Fusionskontrollverordnung. 69 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 307, 310 f.; Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 68.
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als Ausgleichsfaktoren verstanden,70 so auch durch die Kommission.71 Dem entspricht der im Text der Fusionskontrollverordnung angefügte Vorbehalt, dass die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts nur zu berücksichtigen ist, „sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert“72. Mit diesem Vorbehalt weist das Fortschrittskriterium auch Ähnlichkeiten mit der Rechtfertigungsklausel auf, über die Effizienzgewinne Eingang in die Prüfung des Kartellverbots finden können.73 Darüber hinaus wird das Fortschrittskriterium gerade in jüngerer Zeit aber auch in einen Zusammenhang mit der Erfassung zusammenschlussbedingter Beeinträchtigungen von Innovationswettbewerb und dynamischer Effizienz gestellt.74 Insofern scheint es nicht ausgeschlossen, dass das Fortschrittskriterium in Zukunft eine weitergehende Auslegung erfahren und als genereller Anknüpfungspunkt für die Integration des Innovationswettbewerbs in die Zusammenschlussprüfung gesehen werden wird – nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Effizienzgewinne, sondern auch bei der Entwicklung von Schadenstheorien.
IV. Innovationswettbewerb in den Leitlinien der Kommission Die beschriebene Tendenz zur statischen Betrachtung schlägt sich auch in den Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse nieder. Diese Leitlinien werden zwar – zumindest von einigen – dahingehend verstanden, dass sie eine Untersuchung auch von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz zulassen, wenn nicht gar vorsehen.75 Spezielle Konzepte und Methoden hierzu, oder beispielsweise die Darstellung möglicher innovationsspezifischer Schadenstheorien, enthalten sie 70 Siehe Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 338, 342; Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 80; Montag in: Oberender, Effizienz und Wettbewerb, 2005, S. 97; ausführlich zur Auslegung der Fortschrittsklausel auch Rabus, Die Behandlung von Effizienzvorteilen in der europäischen Fusionskontrolle und in Art. 81 Abs. 3 EG, 2008, S. 66–70, 94–98. 71 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 76 f. 72 Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) Fusionskontrollverordnung; siehe hierzu auch Riesenkampff/Steinbarth in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 115. 73 Siehe Art. 101 Abs. 3 AEUV. Auf diese Ähnlichkeit weist auch etwa Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 80, hin; ebenso Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 121. 74 Siehe hierzu etwa Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 343. Ähnlich wohl auch die Kommission, wenn sie unter Verweis auf die Beurteilungskriterien in Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 Fusionskontrollverordnung dafürhält, dass sich aus der Fusionskontrollverordnung eindeutig ein „requirement for an analysis of the dynamic effects of a merger“ ergebe, siehe OECD, Merger Control in Dynamic Markets – Contribution from the European Union, 2019, S. 2 f. 75 Vgl. Haucap, Merger Effects on Innovation, 2017, S. 4; Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 721.
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aber nicht.76 Vielmehr geben sie im Wesentlichen die Praxis der Kommission bei der Untersuchung von kurzfristigen Preiseffekten und deren Konsequenzen für die statisch-allokative Effizienz wieder.77 Bereits den Bezugsgegenstand ihrer Leitlinien definiert die Kommission so, dass höchstens bestimmte Konstellationen des Innovationswettbewerbs ausdrücklich erfasst sind. Als horizontal bezeichnet sie nämlich nur solche Zusammenschlüsse, bei denen „die beteiligten Unternehmen tatsächliche oder potenzielle Wettbewerber auf demselben relevanten Markt sind“78. Innovationswettbewerbliche Rivalitätsbeziehungen können jedoch, wie erörtert, auch zwischen Unternehmen bestehen, die nicht bereits Wettbewerber auf einem gegenwärtig relevanten Produktmarkt sind.79 Den Zweck der Kontrolle horizontaler Zusammenschlüsse beschreibt die Kommission in ihren Leitlinien damit, dass vor allem zusammenschlussbedingte Marktmachterhöhungen verhindert werden sollen. Durch solche Marktmachterhöhungen würden Verbraucherinnen und Verbrauchern die Vorteile wirksamen Wettbewerbs, in erster Linie ein niedriges Preisniveau, vorenthalten. Unter erhöhter Marktmacht versteht die Kommission – insoweit übereinstimmend mit der ökonomischen Begriffsbestimmung – allem voran „die Fähigkeit eines oder mehrerer Unternehmen, Gewinn bringend ihre Preise zu erhöhen“.80 Dementsprechend erörtert sie auch mit einem ausgewiesenen Fokus auf Marktmacht- und daraus folgende Preiserhöhungen, welche (unilateralen) Auswirkungen ein horizontaler Zusammenschluss vorwiegend haben kann.81 In diesem Rahmen will die Kommission zwar auch den Innovationswettbewerb erfasst wissen. So stellt sie fest, dass wirksamer Wettbewerb Verbraucherinnen und Verbrauchern auch Vorteile in Gestalt von Innovation verschaffe und dass sich erhöhte Marktmacht auch in der Fähigkeit von Unternehmen, „die Innovation einzuschränken“82 ausdrücke. Zudem sollen, wenn in den Leitlinien von Preiserhöhungen beziehungsweise erhöhten Preisen die Rede ist, anderweitige Formen der Wettbewerbsschädigung mit gemeint sein.83 Wie genau sich die 76 Von „lack of a separate innovation-focused analysis“ in den Leitlinien der Kommission spricht etwa Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 47. 77 Siehe zum vorstehenden Absatz auch Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 31 f., 47, 49; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 175; Monopolkommission, Hauptgutachten XXII, 2018, Tz. 721 (siehe dort auch Fn. 271); Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 23; Weiß in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 24, 43, 47; siehe auch Petit, Antitrust Law Journal 2019, Bd. 82, Nr. 3, 873; Ibáñez Colomo, European Law Review 2016, Bd. 41, Nr. 2, 201, 202. 78 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 5. 79 Siehe nur Kapitel 2.B.II.3. 80 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 8. 81 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 22–38. 82 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 8. 83 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 8.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Anwendung der in den Leitlinien erläuterten, auf Preiseffekte zugeschnittenen Analysekonzepte und -methoden auf den Innovationswettbewerb darstellen soll, erklärt die Kommission allerdings nicht. Dass eine Übertragung des Analyserahmens für Zusammenschlüsse zwischen bloßen Produktmarktwettbewerbern auf solche zwischen Innovationswettbewerbern nicht ohne Weiteres möglich sein kann, hat bereits die Auseinandersetzung mit den möglichen Auswirkungen Letzterer gezeigt.84 Diese Auswirkungen lassen sich, wenn überhaupt, nur zu einem geringen Teil mit Marktmachteffekten erklären. Weniger als Marktmacht- und Preiserhöhungen steht bei Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern erhöhte Innovationsmacht im Vordergrund, also die Stärkung einer (zumindest teilweise produktmarktunabhängigen) Machtstellung im Innovationsoligopol.85 Falls der Marktmachtbegriff in den Leitlinien der Kommission Innovationsmacht im hiesigen Sinne ebenfalls erfassen sollte,86 geht dies jedenfalls nicht hinreichend deutlich aus den Leitlinien hervor. An keiner Stelle macht die Kommission wirklich deutlich, was damit im Einzelnen gemeint ist, wenn sie den Marktmachtbegriff unter anderem auf die Fähigkeit zur Einschränkung von Innovation ausdehnt.87 Im Übrigen sprechen gewichtige Gründe dagegen, Innovationsmacht im hiesigen Sinne als von diesem Marktmachtbegriff erfasst anzusehen. Denn im Hinblick auf die Feststellung von Marktmacht und Marktbeherrschung (bei der es sich schlicht um Marktmacht in besonders ausgeprägte Form handelt)88 misst die Kommission in ihren Leitlinien nicht zuletzt den Marktanteilen von Unternehmen große Bedeutung zu.89 Derartige Marktstrukturfaktoren sind allerdings, wie gesehen, für sich ge84 Dazu Kapitel 3.B.; vgl. hierzu auch etwa Thomas, Journal of Competition Law & Economics 2017, Bd. 13, Nr. 2, 346, 384 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 20. 85 Vgl. hierzu Kapitel 3.B. I.1. 86 Dies ist zumindest insofern nicht völlig abwegig, als die Begriffe der Marktmacht und Marktbeherrschung im Rahmen des Wettbewerbsrechts durchaus abweichend vom ökonomischen, vor allem am Preissetzungsverhalten orientierten Marktmachtkonzept verwendet werden, vgl. etwa OECD, Market Definition, 2012, S. 24; siehe auch Glöckner, Kartellrecht, 2012, S. 183–185. 87 Vermutlich versteht die Kommission den Begriff der erhöhten Marktmacht einfach als Sammelbezeichnung für sämtliche Schäden für Verbraucherinnen und Verbraucher, die ein Zusammenschluss – auch produktmarktunabhängig – verursachen kann. Dann dient der Begriff in den Leitlinien freilich eher als Etikett denn als Vehikel zur Integration eines bestimmten (ökonomischen) Konzepts. Auf ähnliche Weise verwenden die US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden den Begriff der Marktmacht, siehe DoJ/FTC, Horizontal Merger Guidelines, 2010, S. 2: „The unifying theme of these Guidelines is that mergers should not be permitted to create, enhance, or entrench market power or to facilitate its exercise. For simplicity of exposition, these Guidelines generally refer to all of these effects as enhancing market power. A merger enhances market power if it is likely to encourage one or more firms to raise price, reduce output, diminish innovation, or otherwise harm customers as a result of diminished competitive constraints or incentives“. 88 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 411; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 115. 89 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 17, 25, 27.
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nommen wenig aussagekräftig für die Stärke der Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen.90 Wenn die Kommission in den Leitlinien darüber hinaus festhält, dass Zusammenschlüsse in „Märkten, wo Innovation einen wichtigen Wettbewerbsfaktor darstellt“91, Innovationsfähigkeiten und -anreize einerseits schwächen und andererseits, insbesondere durch Effizienzgewinne, stärken können,92 fehlen auch hier weitergehende Erläuterungen dazu, wie genau und aufgrund welcher spezifischer Mechanismen dies im Einzelfall möglich ist.
B. Herkömmliche Analyseansätze Wie lassen sich die möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz nun in der Fusionskontrolle feststellen? Welche Analyseansätze stehen hierzu zur Verfügung? So wie sich in der Wettbewerbstheorie bislang kein einheitliches, Innovation umfassend miteinbeziehendes Wettbewerbskonzept etabliert hat, gibt es auch keinen einheitlichen und allgemein akzeptierten methodisch-konzeptionellen Rahmen, mit dem sich mögliche Innovationseffekte in der Zusammenschlussprüfung umfassend analysieren lassen.93 Hierzu werden in der einschlägigen wettbewerbsrechtlichen Literatur bisher lediglich unterschiedliche Analyseansätze diskutiert, die alle gewisse Unzulänglichkeiten aufweisen. Diese herkömmlichen Ansätze werden im Folgenden dargestellt. Weil sie keinen ausreichenden Analyserahmen für die Prüfung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern bilden, wird im nächsten Abschnitt (unter C.) ein besser geeigneter Analyseansatz vorgestellt.
I. Wettbewerb auf gegenwärtigen Produktmärkten Die in der Fusionskontrolle gemeinhin verfügbaren Analysekonzepte und -methoden sind, wie erläutert, im Wesentlichen ausgerichtet auf die Untersuchung von Zusammenschlüssen zwischen Wettbewerbern auf gegenwärtigen Produkt90 Siehe
Kapitel 2.C. I.; siehe auch Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 258–261, die das Abstellen auf Marktanteilsschwellen als Relikt einer statischen Analyse beschreibt. 91 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 38. 92 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 38, 76, 81. 93 Vgl. Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 1; Solidoro, Assessing Innovation Theories of Harm in EU Merger Control, 2019, S. 1; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 5; siehe hierzu auch Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 16–21; Bourreau/Streel, Digital Conglomerates and EU Competition Policy, 2019, S. 25 f.
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märkten und deren Auswirkungen auf Preissetzung und statische Effizienz. Verschiedentlich wurde vorgeschlagen, diesen Analyserahmen auch dann nicht zu verlassen, wenn es um Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz geht.94 In diese Richtung scheinen etwa die Überlegungen von Ibáñez Colomo zu weisen, der lediglich eine indirekte Berücksichtigung von Innovationsgesichtspunkten (Innovation Considerations) bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts für zulässig erachtet: Im Zentrum jeder wettbewerbsrechtlichen Prüfung müssten die Begründung oder Verstärkung von Marktmacht stehen. Negative Auswirkungen auf die dynamische Effizienz könnten allein insoweit eine Rolle spielen, als davon auszugehen sei, dass sie automatisch aus der Begründung oder Verstärkung von Marktmacht folgten. Auf sie komme es aber bei der Prüfung nicht entscheidend an. Sie dienten lediglich der Illustration, welche unerwünschten Konsequenzen eine Behinderung des Wettbewerbsprozesses und gesteigerte Marktmacht generell haben könnten. Für eine direkte Berücksichtigung von Innovationsgesichtspunkten dergestalt, dass negative Auswirkungen auf die dynamische Effizienz um ihrer selbst Willen und unmittelbar zum Anknüpfungspunkt wettbewerbsrechtlicher Interventionen gemacht würden, sei dagegen kein Raum. Wettbewerbsprozess und Marktmacht sieht Ibáñez Colomo bei diesen Überlegungen, wohlgemerkt, auf gegenwärtigen Produktmärkten verortet.95 Dem folgend stellte Innovation dann allem voran einen komplizierenden Faktor innerhalb des herkömmlichen, auf Zusammenschlüsse zwischen Produktmarktwettbewerbern und Preiseffekte ausgerichteten Analyserahmens dar. So wäre etwa (lediglich) zu beachten, dass die Aussagekraft gegenwärtiger Marktanteile und Konzentrationsgrade für die Marktmacht von Unternehmen eingeschränkt ist, wenn die Einführung innovativer Produkte mit der Folge starker Veränderungen von Marktanteilsverteilung und Konzentration absehbar ist. Dasselbe gölte für den Umstand, dass innovative Newcomer im Einzelfall auch Unternehmen mit hohen Marktanteilen verdrängen und enge Oligopole weiten können.96 Diese Gesichtspunkte sind zum Teil auch in den Leitlinien der Kommission reflektiert.97 Katz und Shelanski sprechen hier von einem „Innovation Impact Effect“98. 94 Vgl.
hierzu Cleynenbreugel in: Nihoul/Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 7 f. 95 Siehe Ibáñez Colomo, European Law Review 2016, Bd. 41, Nr. 2, 201. 96 Vgl. hierzu etwa Pleatsikas/Teece, International Journal of Industrial Organization 2001, Bd. 19, Nr. 5, 665; Teece in: Manne/Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 209, 222. Ausführlich beschäftigt sich mit Gesichtspunkten, unter denen das Aufkommen von Innovation die Anwendung des Wettbewerbsrechts nach dem herkömmlichen Analyserahmen verkomplizieren kann, beispielsweise auch Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020. 97 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 15, 20 lit. b). 98 Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 12 f.
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Überlegungen, in jedem Fall am herkömmlichen Analyserahmen festzuhalten und lediglich eine indirekte Berücksichtigung von Innovationsgesichtspunkten zuzulassen, ist natürlich entgegen zu halten, dass Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz so nicht vollständig erfasst werden können. Eine Verringerung der Wettbewerbsintensität beziehungsweise eine Erhöhung der Marktmacht auf einem gegenwärtigen Produktmarkt können sich, wie dargelegt, unterschiedlich auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen und damit auf die dynamische Effizienz auswirken.99 Angesichts der Komplexität im Verhältnis von Innovation und Wettbewerb verbieten sich simplifizierende Schlussfolgerungen der Art, dass eine höhere Intensität des Produktmarktwettbewerbs stets zu mehr (wie auch immer zu bemessender) Innovation führt.100 Unzulänglich ist der Ansatz, allein den Wettbewerb auf gegenwärtigen Produktmärkten in den Blick zu nehmen, insbesondere auch deshalb, weil der Innovationswettbewerb, wie beschrieben, in wesentlichen Teilen produktmarktunabhängig stattfindet. Werden lediglich gegenwärtige Produktmärkte abgegrenzt, ist bereits nicht sichergestellt, dass sämtliche Innovationswettbewerber erfasst werden.101 Dies gilt auch in der Konstellation eines Product-to-Product-Overlap, in welcher die Zusammenschlussparteien sowohl bereits Produktmarktwettbewerber als auch Innovationswettbewerber sind, weil sie an inkrementellen Innovationen arbeiten, etwa um neue Versionen ihrer gegenwärtigen Produkte einzuführen.102 Denn auch in einem solchen Fall besteht die Möglichkeit, dass weitere Unternehmen, die derzeit noch nicht auf dem fraglichen Produktmarkt tätig sind, mit innovativen Produkten in diesen einzutreten beabsichtigen und deshalb ebenfalls als Innovationswettbewerber der Parteien anzusehen sind. Anders mag es ausnahmsweise sein, wenn der Produktmarkt durch hohe Zutrittsschranken gekennzeichnet ist, die zugleich kaum überwindbare Innovationshindernisse darstellen.103 Dann sind die zum Kreis der aktuellen und potentiellen Innovati99
Siehe Kapitel 3.B. I.3. Kritik an den Überlegungen von Ibáñez Colomo üben auch etwa Costa-Cabral, Yearbook of European Law 2018, Bd. 37, 305, 315 f., 320; Bourreau/Streel, Digital Conglomerates and EU Competition Policy, 2019, S. 31 f.; Bourreau/Streel, Big Tech Acquisitions, 2020, S. 17 f. 101 Siehe Kapitel 2.B.II.1.b). Die herkömmlichen ökonomischen Methoden zur Marktabgrenzung, wie der sogenannte SSNIP-Test (small but significant non-transitory increase in price, auch hypothetischer Monopoltest), sind im Wesentlichen auf den statischen Preiswettbewerb auf gegenwärtigen Produktmärkten ausgerichtet. Sie finden Anwendung auf gegenwärtig bereits angebotene Produkte. Zur Erfassung noch nicht abschließend entwickelter, innovativer Produkte eignen sie sich dagegen kaum, vgl. hierzu Pleatsikas/Teece, International Journal of Industrial Organization 2001, Bd. 19, Nr. 5, 665, 672; Podszun, The Antitrust Bulletin 2016, Bd. 61, Nr. 1, 121, 125; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 35 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 5; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 249–258. 102 Siehe hierzu Kapitel 2.B.II.3. 103 Zu Innovationshindernissen siehe Kapitel 2.B.II.2.c). 100 Ähnliche
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onswettbewerber gehörenden Unternehmen möglicherweise tatsächlich einmal identisch mit den Wettbewerbern auf dem fraglichen Produktmarkt.104 Erwähnenswert ist hier noch der Gesichtspunkt der Angebotssubstituierbarkeit (auch Angebotsumstellungsflexibilität). Unter diesem können in die Analyse des Wettbewerbs auf einem gegenwärtigen Produktmarkt auch solche Unternehmen mit einbezogen werden, die derzeit noch nicht auf diesem Markt tätig, zum Marktzutritt aber ohne Weiteres in der Lage sind (auch sogenannte Immediate Entrants).105 Danach erscheint es grundsätzlich möglich, auch innovierende Unternehmen als Immediate Entrants einem bestimmten Produktmarkt zuzuordnen, bevor sie die Entwicklung eines innovativen Produkts abgeschlossen haben.106 Die Angebotssubstituierbarkeit kann bei der Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärkte nach dem Bedarfsmarktkonzept ergänzend zur ansonsten maßgeblichen Nachfragesubstituierbarkeit herangezogen werden.107 Damit Unternehmen ohne eigentliche Marktpräsenz einem Markt zugerechnet werden können, ist der Kommission zufolge allerdings erforderlich, dass sie „in der Lage sind, ihre Produktion auf die relevanten Erzeugnisse umzustellen und sie kurzfristig auf den Markt zu bringen, ohne spürbare Zusatzkosten oder Risiken zu gewärtigen“108. Nicht ausreichend ist die Möglichkeit der Angebotsumstellung dagegen, „wenn sie erhebliche Anpassungen bei den vorhandenen Sachanlagen und immateriellen Aktiva, zusätzliche Investitionen, strategische Entscheidungen oder zeitliche Verzögerungen mit sich brächte“109.
Diese hohen Voraussetzungen der Kommission werden im Falle eines Unternehmens, das vor seinem Marktzutritt noch einen Innovationsprozess abschließen muss, selten erfüllt sein. Insbesondere wird sich der Marktzutritt mit einem innovativen Produkt kaum je kosten- und risikolos bewerkstelligen lassen.110 Deshalb schlägt Dreher auch vor, das Konzept der Angebotssubstituierbarkeit für innovationsgeprägte Märkte durch eine Herabsetzung der genannten Voraussetzungen zu erweitern. So sollen bei der Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärkte auch solche Unternehmen miteinzubeziehen sein, die zwar nicht bereits Immediate Entrants darstellen, wohl aber die im Vergleich hierzu geringeren Voraussetzungen erfüllen, um als potentielle Wettbewerber 104
Vgl. hierzu auch Glader, Innovation Markets and Competition Analysis, 2004, S. 119 f. Siehe hierzu nur Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 13 f., 20–23; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 58, 60. 106 Vgl. hierzu etwa Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 254 f. 107 Vgl. Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 20. 108 Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 20 (Fußnote ausgelassen). 109 Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 23. 110 Vgl. auch Dreher, ZWeR 2009, 149, 158 f., 164 f. 105
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berücksichtigt zu werden.111 Der potentielle Wettbewerb wird sogleich näher beleuchtet.
II. Wettbewerb auf gegenwärtigen Technologiemärkten Als ein weiterer methodisch-konzeptioneller Ansatz ist, wenn auch nur der Vollständigkeit halber, die Analyse des Wettbewerbs auf gegenwärtigen Technologiemärkten zu nennen. Anstatt selbst Innovationstätigkeiten vorzunehmen, greifen produzierende Unternehmen zuweilen (etwa im Rahmen von Outsourcing-Strategien) auf Forschungs- und Entwicklungsdienstleistungen Dritter zurück. Von diesen hervorgebrachte Technologien beziehungsweise entsprechende Immaterialgüterrechte oder Lizenzen erwerben die produzierenden Unternehmen dann auf sogenannten Technologiemärkten.112 Dies sind Märkte, auf denen Technologie- beziehungsweise Rechte des geistigen Eigentums separat, das heißt unabhängig von bestimmten (End-)Produkten, angeboten werden.113 Sie stellen eigenständige (Upstream- oder) Beschaffungsmärkte dar, die einer weitergehenden Produktionstätigkeit mit anschließendem Angebot auf einem (Downstream-)Produktmarkt vorgelagert sind.114 An ihnen wird deutlich, was gemeint ist, wenn Innovation beziehungsweise Innovationstätigkeiten (oder Forschung und Entwicklung) sowie hierdurch hervorgebrachtes neues Wissen als Input für Produktionstätigkeiten und Produktmarktangebot bezeichnet werden.115 Die Abgrenzung von Technologiemärkten folgt im Wesentlichen denselben Grundsätzen wie diejenige gewöhnlicher Produktmärkte.116 Auch hier werden lediglich bereits hervorgebrachte Technologien einbezogen. Für die Feststellung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz liefert 111 Siehe
Dreher, ZWeR 2009, 149, 164–167. etwa Horizontal-Leitlinien, Rn. 116–118; zur ökonomischen Analyse von Technologiemärkten siehe Arora/Gambardella in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 641–678. 113 Vgl. Horizontal-Leitlinien, Rn. 116. 114 Vgl. Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 514 f. 115 Zur Bezeichnung von Innovation als Input siehe etwa Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 514; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 72 f.; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 581– 587; Ordover, Antitrust Law Journal 1984, Bd. 53, Nr. 3, 503, 514. Ob ein Unternehmen diesen Input, also etwa eine bestimmte Technologie, selbst generiert oder extern bezieht (sogenannte Make-or-Buy-Entscheidung), hängt etwa vom Grad der (noch möglichen und sinnvollen) vertikalen Integration des Unternehmens ab. Hierbei spielt nicht zuletzt eine Rolle, wie effizient das Immaterialgüterrechtssystem im Hinblick auf die fragliche Technologie funktioniert. Diesbezüglich bestehen große Unterschiede über einzelne Unternehmen und vor allem über verschiedene Industrien hinweg, vgl. hierzu etwa Arora/Gambardella in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 641–678; Teece in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 679–730. 116 Vgl. Horizontal-Leitlinien, Rn. 117. 112 Siehe
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die Analyse des Wettbewerbs auf gegenwärtigen Technologiemärkten folglich keinen weitergehenden Erkenntnisgewinn, sondern unterliegt denselben Einschränkungen wie die Analyse des Wettbewerbs auf gegenwärtigen Produktmärkten.117
III. Potentieller Wettbewerb im Hinblick auf gegenwärtige Produktmärkte Vielversprechender ist demgegenüber der Ansatz, das Konzept des potentiellen Wettbewerbs auf Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern anzuwenden. Der Innovationswettbewerb nimmt sich nämlich unter Umständen als eine „Spielart potentiellen Wettbewerbs“118 aus. Dies ist namentlich in der Konstellation eines Product-to-Pipeline-Overlap der Fall, in welcher ein Innovationswettbewerber derzeit ein innovatives Produkt entwickelt, um damit künftig in denjenigen Produktmarkt einzutreten, auf welchem ein zweiter Innovationswettbewerber gegenwärtig bereits tätig ist.119 Schließen sich die beiden Innovationswettbewerber in einem solchen Fall zusammen, handelt es sich um einen Zusammenschluss mit einem potentiellen Wettbewerber.120 Derartige Zusammenschlüsse behandelt die Kommission ebenfalls in ihren Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse.121 Der hier in Rede stehende potentielle Wettbewerb im Hinblick auf einen bestimmten gegenwärtigen Produktmarkt ist freilich nicht zu verwechseln mit dem potentiellen Innovationswettbewerb.122 Ein Zusammenschluss mit einem potentiellen Wettbewerber kann im Grundsatz dieselben oder zumindest vergleichbare wettbewerbswidrige Auswirkungen haben wie ein solcher zwischen aktuellen Wettbewerbern auf einem bestimmten Produktmarkt.123 Bei der Anwendung des Konzepts des potentiellen Wettbewerbs geht es darum zu ermitteln, ob dies der Fall ist. Dazu muss entweder eine Situation vorliegen, in welcher der potentielle Wettbewerber die Verhaltensspielräume der anderen Zusammenschlusspartei auf dem fraglichen Produktmarkt bereits gegenwärtig spürbar einschränkt (Perceived Potential Competition), oder es muss davon auszugehen sein, dass der potentielle Wettbewerber künftig in diesen Markt eintreten und sich dort zu einer wirksamen Wettbewerbskraft entwickeln wird (Actual Potential Competition). In beiden 117 Vgl.
Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 515. Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 65. 119 Siehe hierzu Kapitel 2.B.II.3. 120 Vgl. Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 178; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 19; Bourreau/ Streel, Big Tech Acquisitions, 2020, S. 8; Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 96; siehe hierzu auch McSweeny/O’Dea, Antitrust Chronicle 2018, Bd. 1, Nr. 2, 7. 121 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 5, 58–60, 68–75. 122 Zum potentiellen Innovationswettbewerb siehe Kapitel 2.B.II.2.c). 123 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 5, 58 f. 118
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Fällen ist darüber hinaus erforderlich, dass nach dem Zusammenschluss keine weiteren potenziellen Wettbewerber verbleiben, die in ähnlicher Weise wie der am Zusammenschluss beteiligte potentielle Wettbewerber zuvor Wettbewerbsdruck auf die Unternehmen auf dem fraglichen Markt ausüben.124 Wahrgenommener Wettbewerbsdruck vonseiten eines potentiellen Wettbewerbers (Perceived Potential Competition) kann die Verhaltensspielräume von bereits auf einem Produktmarkt tätigen Unternehmen vor allem dann spürbar einschränken, wenn der potentielle Wettbewerber jederzeit und ohne Weiteres in den fraglichen Markt einzutreten in der Lage ist. Dabei geht es vornehmlich um die Verhaltensspielräume beim Einsatz statischer Aktionsparameter. So verzichten die bereits auf dem Markt tätigen Unternehmen möglicherweise etwa schon präemptiv auf Preiserhöhungen, bei denen sie davon ausgehen müssen, dass der potentielle Wettbewerber auf sie reagieren und kurzfristig mit einem günstigeren Produkt in den Markt eintreten wird, um ihnen so Geschäftsabschlüsse beziehungsweise Kundinnen und Kunden streitig zu machen. Darauf, dass der potentielle Wettbewerber tatsächlich einmal in den Markt eintritt, kommt es dann für den von ihm bereits ausgehenden Wettbewerbsdruck nicht an.125 Bei einem Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern in der Konstellation des Product-to-Pipeline-Overlap dürfte diese Variante des potentiellen Wettbewerbs allerdings eher selten virulent werden. Solange die noch nicht auf dem fraglichen Produktmarkt tätige Zusammenschlusspartei ihre Innovationstätigkeiten nicht abgeschlossen hat, ist sie zum Marktzutritt gerade nicht ohne Weiteres in der Lage. Dementsprechend ist es unwahrscheinlich, dass sich die andere, bereits auf dem Markt tätige Partei schon vorher in ihrem Verhaltensspielraum bei der Preissetzung eingeschränkt sieht.126 Relevanter ist bei Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern in der Konstellation des Product-to-Pipeline-Overlap die zweite Variante des potentiellen Wettbewerbs, der tatsächliche potentielle Wettbewerb (Actual Potential Competition).127 Davon, dass die noch nicht auf dem fraglichen Produktmarkt tätige Zusammenschlusspartei künftig tatsächlich mit einem innovativen Produkt in diesen Markt eintreten und sich dort zu einer wirksamen Wettbewerbskraft entwickeln wird, ist auszugehen, wenn drei Voraussetzungen 124 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 60; zu den vor allem im angelsächsischen Schrifttum gebräuchlichen Bezeichnungen als Perceived und Actual Potential Competition siehe nur Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 176 f.; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 131; kritisch hierzu etwa Werden/Limarzi, Antitrust Law Journal 2010, Bd. 77, Nr. 1, 109. 125 Siehe hierzu nur Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 176 f. 126 Vgl. auch Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 527. 127 Vgl. hierzu Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 178.
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erfüllt sind.128 Der Marktzutritt des potentiellen Wettbewerbers muss, erstens, hinreichend wahrscheinlich sein. Ihm dürfen insbesondere keine allzu großen Zutrittshindernisse entgegenstehen.129 Der Marktzutritt muss, zweitens, rechtzeitig, das heißt im Regelfall binnen zwei Jahren, erfolgen.130 Und er muss, drittens, in hinreichendem Umfang erfolgen. Daran fehlt es etwa, wenn der potentielle Wettbewerber nur eine kleine Marktnische besetzen will.131 Insbesondere mit den Anforderungen an Wahrscheinlichkeit und Rechtzeitigkeit des künftigen Marktzutritts eignet sich das Konzept des tatsächlichen potentiellen Wettbewerbs natürlich nur in sehr engen Grenzen zur Erfassung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern. Sind Innovationsprozesse, wie in vielen Industrien, langwierig und über weite Strecken mit großer Unsicherheit verbunden, ist der Marktzutritt eines innovierenden Unternehmens wohl erst dann als hinreichend wahrscheinlich und zeitnah anzusehen, wenn das Unternehmen bereits kurz vor dem Abschluss seiner Innovationstätigkeiten steht. Zur Erfassung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern, die sich noch in früheren Phasen ihrer Innovationsprozesse befinden, ist das Konzept des tatsächlichen potentiellen Wettbewerbs dagegen kaum geeignet.132 Wie angesprochen, geht es hier im Wesentlichen darum, zu ermitteln, ob ein Zusammenschluss mit einem potentiellen Wettbewerber dieselben oder vergleichbare wettbewerbswidrige Auswirkungen haben kann wie ein Zusammenschluss mit einem aktuellen Wettbewerber auf einem bestimmten Produktmarkt. Dementsprechend lassen sich mit dem Konzept des potentiellen Wettbewerbs vorwiegend Zusammenschlusswirkungen auf die statische Effizienz untersuchen. Im Mittelpunkt der Analyse steht der (künftige) Wettbewerb unter Einsatz statischer Aktionsparameter zwischen der bereits auf einem Produktmarkt tätigen Zusammenschlusspartei und der anderen Partei, die bislang nur ein potentieller Wettbewerber ist. Um eine zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen sowie der dynamischen Effizienz zu erfassen, liefert das Konzept des potentiellen Wettbewerbs an sich keinen wirklichen Mehrwert.133 128 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 285 f.; siehe zu diesen Voraussetzungen auch Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 68–75. 129 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 69–73; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 287–289. 130 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 74; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 290. 131 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 75; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 291. 132 Zu den Unzulänglichkeiten des Konzepts des tatsächlichen potentiellen Wettbewerbs siehe auch Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 178. 133 Vgl. hierzu auch Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 19.
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IV. Wettbewerb auf zukünftigen Produktmärkten Ein weiterer Ansatz, um die Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern zu erfassen, besteht darin, einen zukünftigen Produktmarkt abzugrenzen und sodann den Wettbewerb auf diesem – im Wege der Prognose – zu analysieren.134 Dieser Ansatz erscheint besonders naheliegend, weil der zukünftige Produktmarktwettbewerb, wie beschrieben, den gedanklichen Ausgangspunkt zur Feststellung von Innovationswettbewerb zwischen Unternehmen darstellt. Die für den Innovationswettbewerb charakteristische strategisch-antagonistische Interdependenz ist im Grundsatz überall dort zu verorten, wo Unternehmen miteinander austauschbare innovative Produkte entwickeln, und deshalb die Aussicht haben, künftig, auf einem zukünftigen Produktmarkt, miteinander zu konkurrieren.135 Für die Analyse des Wettbewerbs auf einem zukünftigen Produktmarkt ist insbesondere ohne Belang, ob die als relevante Innovationswettbewerber in Betracht kommenden Unternehmen bereits auf einem gegenwärtigen Markt konkurrieren oder nicht.136 Ob es im Einzelfall tatsächlich möglich ist, einen zukünftigen Produktmarkt abzugrenzen, hängt freilich davon ab, wie gezielt die Innovationstätigkeiten der fraglichen Unternehmen erfolgen.137 Je gezielter diese Innovationstätigkeiten sind, je genauer sich die jeweils anvisierten Innovationen bereits vorab bestimmen lassen, desto leichter fällt die Abgrenzung eines zukünftigen Produktmarkts. Zu berücksichtigen ist hier in jedem Fall die Unsicherheit, die auch in Innovationsprozessen mit weitgehend gezielten Innovationstätigkeiten verbleibt. Auch gezielte Innovationstätigkeiten können, zumindest bis zu einem gewissen Zeitpunkt im Innovationsprozess, möglicherweise noch scheitern. Außerdem können sich die spezifischen Eigenschaften eines anvisierten innovativen Produkts im Laufe des Innovationsprozesses und bis zu dessen erfolgreichem Abschluss gegebenenfalls noch verändern. Insofern lässt sich die künftige Austauschbarkeit anvisierter innovativer Produkte stets nur mit eingeschränkter Zuverlässigkeit feststellen.138 Vor dem Hintergrund, dass das Ausmaß an Unsicherheit häufig mit zunehmendem Fortschritt im Innovationsprozess abnimmt, ist denkbar, die Abgrenzung zukünftiger Produktmärkte von vornherein auf Fälle zu beschränken, 134 Vgl. Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 179; siehe hierzu auch Landman, World Competition 1997, Bd. 21, Nr. 3, 63; Landman, Journal of the Patent and Trademark Office Society 1999, Bd. 81, Nr. 9, 728; Landman, Journal of the Patent and Trademark Office Society 1999, Bd. 81, Nr. 10, 789; Landman, Journal of the Patent and Trademark Office Society 1999, Bd. 81, Nr. 11, 838; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 122–128. 135 Siehe Kapitel 2.B.II.1.a). 136 Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 179. 137 Siehe bereits Kapitel 2.B.II.2.b). 138 Vgl. hierzu Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 126–128.
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in denen innovative Produkte kurz vor ihrer Fertigstellung beziehungsweise Markteinführung stehen. Als Maßstab können hier die vom Konzept des potentiellen Wettbewerbs bekannten Wahrscheinlichkeits- und Rechtzeitigkeitsanforderungen herangezogen werden, wie sie im vorherigen Abschnitt dargestellt wurden.139 Dies schränkt den Anwendungsbereich des hier in Rede stehenden Ansatzes freilich wiederum erheblich ein. Wie schon bei den zuvor dargestellten Ansätzen, steht auch bei der Analyse des Wettbewerbs auf zukünftigen Produktmärkten die (künftige) statische Effizienz im Vordergrund. Um Innovationsfähigkeiten und -anreize und die dynamische Effizienz sowie deren Beeinträchtigung durch einen Zusammenschluss geht es dagegen nicht im Kern.140
V. Konkurrierende F&E-Pole Als weiterer Analyseansatz kommt ein Abstellen auf sogenannte F&E-Pole in Betracht. Hierbei handelt es sich eigentlich um eine Herangehensweise der Kommission zur Bewertung von Vereinbarungen zwischen Unternehmen über Forschung und Entwicklung. Sie wird in den Horizontal-Leitlinien der Kommission zum Kartellverbot beschrieben.141 Es ist aber denkbar, diesen Ansatz auch zur Feststellung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern heranzuziehen.142 Im Abschnitt der genannten Leitlinien zu F&E-Vereinbarungen macht die Kommission deutlich, dass es für die Analyse solcher Vereinbarungen nicht nur auf bestehende (beziehungsweise, nach der hier gewählten Begriffsverwendung, gegenwärtige) Produkt- und Technologiemärkte ankommt, sondern unter Umständen auch auf den „Wettbewerb im Bereich der Innovation“ (Competition in Innovation, wie es in der englischsprachigen Fassung der Leitlinien heißt).143 Im Hinblick auf Letzteren unterscheidet die Kommission zwei Szenarien, und zwar anhand der „Art des 139 Vgl. 140 Vgl.
auch Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 134 f. hierzu Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 19; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 128; differenzierend Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 178–180, 193 f. 141 Siehe Horizontal-Leitlinien, Rn. 119–122. Die Horizontal-Leitlinien werden derzeit überarbeitet; eine endgültige Fassung neuer Horizontal-Leitlinien existiert allerdings noch nicht, siehe hierzu die Webseite der Kommission zur öffentlichen Konsultation über horizontale Gruppenfreistellungsverordnungen und horizontale Leitlinien, abrufbar unter https:// competition-policy.ec.europa.eu/public-consultations/2022-hbers_en (zuletzt aufgerufen am 1. Mai 2023). Vgl. auch Technologietransfer-Leitlinien, Rn. 26; siehe hierzu außerdem Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2019, F&E-GVO, Einf. Rn. 44–46; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 147 f. 142 Vgl. etwa Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 148; siehe hierzu auch bereits Temple Lang, Fordham International Law Journal 1996, Bd. 20, Nr. 3, 717. 143 Vgl. Horizontal-Leitlinien, Rn. 112–122.
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in einer Branche stattfindenden Innovationsprozesses“144. Sie stellt dabei namentlich darauf ab, ob Innovationsprozesse in einer Industrie derart strukturiert sind, dass sich schon früh konkurrierende F&E-Pole ausmachen lassen, oder nicht. Im ersten Szenario, das beispielsweise in der Arzneimittelindustrie auftritt, ist dies der Fall, im zweiten Szenario hingegen nicht.145 Unter F&E-Polen versteht die Kommission Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen, die auf ein bestimmtes innovatives Produkt gerichtet sind. Unter konkurrierenden F&E-Polen versteht sie Substitute für solche Anstrengungen, also Forschungsund Entwicklungsanstrengungen, die auf mit dem ersteren innovativen Produkt (künftig) austauschbare Produkte gerichtet sind und einem ähnlichen Zeitplan folgen. Zu den maßgeblichen Kriterien für die Bewertung der Substitutionsbeziehung zwischen verschiedenen Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen zählt die Kommission unter anderem deren Art, Bereich und Umfang sowie die Möglichkeiten der innovierenden Unternehmen, auf erforderliche Ressourcen, wie Finanzmittel oder Personal, sowie auf Know-how, Patente oder andere spezifische Vermögenswerte (Specialized Assets) zuzugreifen. Bedeutung misst sie zudem der Fähigkeit von Unternehmen zur Verwertung der Ergebnisse ihrer jeweiligen Innovationstätigkeiten bei.146 Im ersten Szenario mit früh erkennbaren F&E-Polen kann, so die Kommission, geprüft werden, ob nach Abschluss einer zu beurteilenden F&E-Vereinbarung F&E-Pole in ausreichender Zahl übrigbleiben.147 Im zweiten Szenario, wo dies mangels erkennbarer F&E-Pole nicht möglich ist, sollen F&E-Vereinbarungen der Kommission zufolge dagegen grundsätzlich nur auf ihre Auswirkungen auf bestehende Produkt- und Technologiemärkte hin untersucht werden. Die Auswirkungen solcher Vereinbarungen auf Innovation sollen ausgeklammert werden, wenn nicht außergewöhnliche Umstände vorliegen.148 Bemängelt wird hieran unter anderem, dass die dem Pragmatismus der Kommission geschuldete Beschränkung auf Branchen beziehungsweise Fälle mit erkennbaren F&E-Polen einer sachlich-inhaltlichen Rechtfertigung entbehre und deswegen konzeptionell nicht überzeuge.149
144
Horizontal-Leitlinien, Rn. 119. Siehe Horizontal-Leitlinien, Rn. 120–121. Vgl. Horizontal-Leitlinien, Rn. 120. 147 Horizontal-Leitlinien, Rn. 120. 148 Horizontal-Leitlinien, Rn. 122. 149 Vgl. Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2019, F&E-GVO, Einf. Rn. 47; kritisch zum hier in Rede stehenden Ansatz der Kommission auch etwa Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 522 f.; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 148. 145 146
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VI. Innovationsmärkte Zuletzt ist noch auf das Konzept der sogenannten Innovation Market Analysis einzugehen.150 Dieses Konzept gilt als das erste, das speziell zum Zwecke der Berücksichtigung von Innovation im Wettbewerbsrecht entwickelt wurde.151 Diskutiert wurde es vor allem in den 1980er und 1990er Jahren in den Vereinigten Staaten.152 Dort fand es auch Eingang in die Leitlinien der Wettbewerbsbehörden zur Lizenzierung von Immaterialgüterrechten153 sowie in die Leitlinien zur Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern154 (nicht allerdings in die Horizontal Merger Guidelines)155. In Europa konnte sich die Innovation Market Analysis dagegen nicht durchsetzen.156 Der Begriff der Innovationsmärkte fand zwar Erwähnung in den Leitlinien der Europäischen Kommission zum Kartellverbot aus dem Jahr 2001.157 Definiert oder erläutert wurde er darin indes nicht.158 In den aktuellen Leitlinien von 2011 taucht der Begriff der Innovationsmärkte nur mehr an einer Stelle auf.159 Damit wird allerdings nicht die Innovation Market Analysis in Bezug genommen, sondern der Ansatz, auf 150 Grundlegend hierzu Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569; siehe auch Dahdouh/Mongoven, Antitrust Law Journal 1996, Bd. 64, Nr. 2, 405; Davis, Anti trust Law Journal 2003, Bd. 71, Nr. 2, 677; monographisch etwa Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004; Glader, Innovation Markets and Competition Analysis, 2004. 151 Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 6, bezeichnen die Innovation Market Analysis als „the first serious attempt at developing a separate innovation-specific assessment concept“. Ähnlich äußern sich etwa Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 1. 152 Rapp, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 64, Nr. 1, 19, 20–22; Glader, Innovation Markets and Competition Analysis, 2004, S. 6; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 137 f. Zur einschlägigen Entscheidungspraxis der US-Behörden siehe Gilbert/Tom, Antitrust Law Journal 2001, Bd. 69, Nr. 1, 43; Gilbert/Greene, George Washington Law Review 2015, Bd. 83, Nr. 6, 1919; Kern/Dewenter/Kerber, Journal of Industry, Competition and Trade 2016, Bd. 16, Nr. 3, 373. 153 Siehe DoJ/FTC, IP Guidelines, 1995, S. 10–13. In der aktuellen Fassung ihrer IP Guidelines sprechen DoJ und FTC nicht mehr von „Innovation Markets“, sondern von „Research and Development Markets“, siehe DoJ/FTC, IP Guidelines, 2017, S. 11–14. Inhaltlich entsprechen sich beide Ansätze aber wohl, Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 138, 144. 154 Siehe DoJ/FTC, Competitor Collaboration Guidelines, 2000, S. 17. 155 Siehe DoJ/FTC, Horizontal Merger Guidelines, 1997; DoJ/FTC, Horizontal Merger Guidelines, 2010; siehe hierzu auch Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 517, 520; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 144. 156 Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 521 f.; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 32; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 137, 145 f.; siehe auch Temple Lang, Fordham International Law Journal 1996, Bd. 20, Nr. 3, 717, 761; Landman, European Competition Law Review 1998, Bd. 19, Nr. 1, 21. 157 Siehe Horizontal-Leitlinien 2001, Rn. 56, 60, 73. 158 So auch Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 521. 159 Siehe Horizontal-Leitlinien, Rn. 147.
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konkurrierende F&E-Pole abzustellen.160 Ähnliches gilt für die Technologietransfer-Leitlinien der Kommission.161 Während der Begriff der Innovationsmärkte in der früheren Fassung dieser Leitlinien aus dem Jahr 2004 noch erwähnt wurde,162 verzichtet die aktuelle Fassung von 2014 auf ihn.163 In den Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse ist die Innovation Market Analysis ebenfalls nicht berücksichtigt.164 Zweck der Innovation Market Analysis ist es, Innovation in die wettbewerbsrechtliche Analyse von F&E-Vereinbarungen und Unternehmenszusammenschlüssen zu integrieren.165 Im Zentrum des Konzepts steht die Abgrenzung separater – von Produkt- und Technologiemärkten zu unterscheidender, diesen vorgelagerter – Innovationsmärkte, auf denen die im Einzelfall relevanten Innovationswettbewerber tätig sind.166 Anknüpfungspunkt für die Abgrenzung solcher Innovationsmärkte sind die Innovationstätigkeiten von Unternehmen selbst, und nicht erst daraus möglicherweise entstehende, innovative Produkte. Hierin liegt der maßgebliche Unterschied zwischen Innovationsmärkten und (gegenwärtigen oder zukünftigen) Produktmärkten.167 Im Anschluss an die Abgrenzung eines Innovationsmarkts können einzelnen Innovationswettbewerbern Marktanteile zugeordnet werden.168 Abstellen lässt sich dabei zum Beispiel auf den Anteil der einzelnen Unternehmen an den von sämtlichen Unternehmen im Innovationsmarkt getätigten F&E-Ausgaben.169 So kann der Konzentrationsgrad im Bereich von Forschung und Entwicklung vor und nach einer F&E-Vereinbarung oder einem Zusammenschluss ermittelt beziehungsweise prognostiziert werden. Dies soll die Feststellung ermöglichen, ob die Vereinbarung oder der Zusammenschluss den beteiligten Unternehmen die Fähigkeiten und Anreize verschaffen, ihre Investitionen in Forschung und Entwicklung zu reduzieren und so für ein niedrigeres Niveau an Innovationsanstrengungen im relevanten Innovationsmarkt zu sorgen.170
160 Vgl.
Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2019, F&E-GVO, Einf. Rn. 44. 161 Siehe hierzu auch Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 146. 162 Siehe Technologietransfer-Leitlinien 2004, Rn. 25. 163 Siehe Technologietransfer-Leitlinien. 164 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse; siehe auch Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 47. 165 Siehe Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 569–571, 594. 166 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 595 f. 167 Vgl. Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 137. 168 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 596 f.; DoJ/ FTC, IP Guidelines, 1995, S. 12. 169 DoJ/FTC, IP Guidelines, 1995, S. 12; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 597. 170 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 590–593, 596 f.
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Konkret umfasst ein Innovationsmarkt „the research and development directed to particular new or improved goods or processes, and the close substitutes for that research and development“171. Zur Bestimmung der Austauschbarkeit von Forschungs- und Entwicklungs- beziehungsweise Innovationstätigkeiten wird auf den hypothetischen Monopol- beziehungsweise SSNIP-Test zurückgegriffen.172 Es wird also versucht, herkömmliche Analyseinstrumente auf den Bereich von Forschung und Entwicklung zu übertragen.173 Mit den auf einem Innovationsmarkt durchgeführten Innovationstätigkeiten sind anderweitige Innovationstätigkeiten dann austauschbar und dem Innovationsmarkt deshalb ebenfalls zuzuordnen, wenn ihr Vorhandensein die Ausübung von Marktmacht auf dem Innovationsmarkt unwahrscheinlich macht. Das ist insbesondere der Fall, wenn sie die Fähigkeiten und Anreize eines hypothetischen Monopolisten auf dem Innovationsmarkt zur Einschränkung seiner Innovationstätigkeiten spürbar verringern.174 Als Innovationswettbewerber werden alle diejenigen Unternehmen angesehen, welche die erforderlichen Fähigkeiten besitzen, um die dem relevanten Innovationsmarkt zugeordneten Innovationstätigkeiten durchzuführen, oder die sich diese Fähigkeiten ohne Weiteres beschaffen können.175 Die Innovation Market Analysis soll auf Fälle beschränkt bleiben, in denen die Vornahme der fraglichen Innovationstätigkeiten besondere Innovationsfähigkeiten voraussetzt, namentlich spezielle Ressourcen und Vermögenswerte (Specialized Assets) oder spezifische Unternehmenseigenschaften.176 Bedarf es solcher besonderen Innovationsfähigkeiten nämlich nicht, ist die Reduktion von F&E-Investitionen infolge einer F&E-Vereinbarung oder eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern unschädlich, da sie durch das jederzeit und ungehindert mögliche Auftreten weiterer Innovatoren ausgeglichen werden kann.177 Für eine vollständige Innovation Market Analysis zur Beurteilung eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern haben Gilbert und Sunshine (zum damaligen Zeitpunkt beide im Bereich Antitrust beim U. S. Department of Justice tätig)178 ein Prüfprogramm mit fünf Schritten vorgeschla171 DoJ/FTC, IP Guidelines, 1995, S. 11; siehe auch Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 595. 172 Dreher, ZWeR 2009, 149, 159; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 138. SSNIP steht für small but significant non-transitory increase in price, siehe hierzu nur Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 51. 173 Vgl. Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 31. 174 DoJ/FTC, IP Guidelines, 1995, S. 11; siehe auch Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 595 f. 175 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 595. 176 Vgl. DoJ/FTC, IP Guidelines, 1995, S. 11; Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 588 f., 596. 177 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 596; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 139. 178 Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 517, 516.
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gen.179 Die ersten beiden Prüfschritte – die Feststellung sich überschneidender F&E-Aktivitäten der Zusammenschlussparteien sowie die Identifikation alternativer F&E-Quellen – entsprechen der beschriebenen Abgrenzung eines Innovationsmarkts zur Feststellung der relevanten Innovationswettbewerber.180 Als dritten Prüfschritt sehen Gilbert und Sunshine die Bewertung des tatsächlichen und potentiellen Wettbewerbs auf den dem relevanten Innovationsmarkt nachgelagerten Produktmärkten vor.181 An der Konzentration des relevanten Innovationsmarkts und dem Marktanteil der entstehenden Unternehmenseinheit soll sich dann, viertens, festmachen lassen, ob die Unternehmenseinheit die Fähigkeiten und Anreize haben wird, ihre F&E-Investitionen spürbar zu verringern und dadurch das Investitionsniveau im Innovationsmarkt insgesamt herabzusetzen.182 Schließlich sollen, fünftens, etwaige Effizienzgewinne bei Forschung und Entwicklung als Ausgleichsfaktoren berücksichtigt werden.183 Am Konzept der Innovation Market Analysis ist vielfältige Kritik geübt worden, mittels derer sich sicherlich auch erklären lässt, weshalb dem Konzept in Europa mit Skepsis begegnet worden ist.184 Kritisiert wird bereits der konzeptionelle und begriffliche Ausgangspunkt: Wesentliches Element eines Markts im wettbewerbsrechtlichen Sinne sei das Zusammentreffen von Angebot und Nachfrage beziehungsweise die Begründung von Austauschbeziehungen. Demgemäß ließen sich Innovationstätigkeiten nur dann einem bestimmten (Innovations-)Markt zuordnen, wenn sie selbst als externe Dienstleistungen anderen Unternehmen angeboten würden. Rein unternehmensinterne Innovationstätigkeiten seien dagegen lediglich insoweit mit bestimmten Märkten verknüpft, als sie zu innovativen Produkten führten, die dann veräußert werden könnten.185 Ein weiterer Kritikpunkt geht dahin, dass der Innovation Market Analysis nach Gilbert und Sunshine letztlich das veraltete SCP-Paradigma zugrunde liege – und damit die Annahme eines schlichten Zusammenhangs zwischen der Kon179 Siehe Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 595–597. 180 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 595 f. 181
Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 596. 569, 590 f., 596 f. 597. 184 Siehe etwa Rapp, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 64, Nr. 1, 19; Hay, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 64, Nr. 1, 7; Hoerner, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 64, Nr. 1, 49; Carlton/ Gertner, Innovation Policy and the Economy 2003, Bd. 3, 29; Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 100–109; Carlton, Competition Policy International 2007, Bd. 3, Nr. 1, 3, 24 f.; Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 258–263; Bernard, Competition Policy International 2011, Bd. 7, Nr. 1, 159; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 194–196; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 142–144; siehe aber auch die Erwiderung auf einige Kritikpunkte bei Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 64, Nr. 1, 75. 185 Siehe etwa Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 143; Chernenko, European Competition Law Review 2019, Bd. 40, Nr. 1, 9, 12; Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 517, 519; Dreher, ZWeR 2009, 149, 159; Temple Lang, Fordham International Law Journal 1996, Bd. 20, Nr. 3, 717, 764 f. 182 Vgl. Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 183 Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569,
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zentration auf einem Markt und dem Verhalten von Unternehmen, der sich aber gerade nicht ohne Weiteres nachweisen lasse.186 Insbesondere Landman ist schließlich der Auffassung, dass die Innovation Market Analysis letztlich gar kein eigenständiges Analysekonzept darstelle, da die US-Behörden in der Praxis nicht wirklich Innovationsmärkte abgrenzten und analysierten, sondern zukünftige Produktmärkte.187
VII. Fazit Mit Blick auf die Feststellung von Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz werden herkömmlicherweise verschiedene Analyseansätze diskutiert. In Betracht kommt namentlich die Analyse des aktuellen oder potentiellen Wettbewerbs auf gegenwärtigen Produkt- oder Technologiemärkten, die Analyse des Wettbewerbs auf zukünftigen Märkten sowie ein Abstellen auf konkurrierende F&E-Pole oder separate Innovationsmärkte. Diese herkömmlichen Analyseansätze unterliegen jeweils wichtigen Einschränkungen. Keiner dieser Ansätze eignet sich, um die möglichen Innovationseffekte eines Zusammenschlusses umfassend zu analysieren. Die Unzulänglichkeiten der herkömmlichen Ansätze bestehen vor allem darin, dass mit ihnen nicht sämtliche der in einem Fall möglicherweise relevanten Innovationswettbewerber erfasst werden können. Die Ansätze lassen sich daher allenfalls auf bestimmte Konstellationen des Innovationswettbewerbs anwenden. Ob eine bestimmte Konstellation des Innovationswettbewerbs die Gegebenheiten in einem Einzelfall abbildet, ist zu Beginn der Zusammenschlussprüfung aber natürlich gerade noch nicht bekannt. Diese Einschränkung gilt insbesondere für diejenigen Analyseansätze, die eine Abgrenzung bestimmter gegenwärtiger oder zukünftiger Produkt- oder Technologiemärkte zum Gegenstand haben. Diese Ansätze haben zudem gemeinsam, dass sie in erster Linie auf den statischen (Preis-)Wettbewerb – auf gegenwärtigen oder zukünftigen Märkten – ausgerichtet sind, und damit auf die Erfassung zusammenschlussbedingter Beeinträchtigungen der statischen Effizienz. Effekte auf Innovations186 Siehe hierzu nur Rapp, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 64, Nr. 1, 19, 26–33; Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 517, 517 f.; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 21; Kern/Mantilla Contreras, Mergers and the Incentives to Undertake Product Innovation Oriented R&D, 2014, S. 1. 187 Siehe hierzu Landman, Berkeley Technology Law Journal 1998, Bd. 13, Nr. 2, 721; Landman, Journal of Civil Rights and Economic Development 1998, Bd. 13, Nr. 2, 223; Landman, Journal of the Patent and Trademark Office Society 1999, Bd. 81, Nr. 9, 728; Landman, Journal of the Patent and Trademark Office Society 1999, Bd. 81, Nr. 10, 789; Landman, Journal of the Patent and Trademark Office Society 1999, Bd. 81, Nr. 11, 838; Landman, European Competition Law Review 2021, Bd. 42, Nr. 1, 30.
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fähigkeiten und -anreize sowie die dynamische Effizienz lassen sich mit ihnen nicht dezidiert in den Blick nehmen. Auch die beiden Analyseansätze, die ohne eine Abgrenzung von Produktoder Technologiemärkten auskommen, weisen Unzulänglichkeiten auf. Der Ansatz, auf konkurrierende F&E-Pole abzustellen, ist von vornherein beschränkt auf Fälle, in denen Innovationsprozesse langwierig und gut strukturiert sind, sodass sich F&E-Pole frühzeitig ausmachen lassen. Damit ist auch dieser Ansatz in seinen Anwendungsmöglichkeiten stark limitiert. Der Ansatz, separate Innovationsmärkte zu definieren, wurde in Europa bisher weitgehend abgelehnt. Zu Recht wird darauf hingewiesen, dass bereits die Bezeichnung als Innovationsmarkt in die Irre führt, weil es bei rein unternehmensinternen Innovationstätigkeiten an der für einen Markt wesentlichen organisationsübergreifenden Austauschbeziehung fehlt. Weil die herkömmlichen Analyseansätze für die systematische Erfassung von Innovationseffekten in der Fusionskontrolle also insgesamt unzureichend sind, bedarf es eines zusätzlichen Analyseansatzes, der hierzu besser imstande ist. Ein solcher gegenüber den herkömmlichen Ansätzen vorzugswürdiger Analyseansatz wird im nächsten Abschnitt vorgestellt.
C. Der direkte SIEIC-Test als vorzugswürdiger Analyseansatz Anstatt an einem oder mehreren der herkömmlichen Analyseansätze mit ihren diversen Unzulänglichkeiten festzuhalten, erscheint es sinnvoll, die möglichen Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern, wie sie im vorangegangenen Kapitel dargelegt wurden,188 direkt zu adressieren. Wie gesehen, kann sich ein solcher Zusammenschluss sowohl negativ als auch positiv auf den Innovationswettbewerb und die dynamische Effizienz auswirken. Dies ist insbesondere dadurch möglich, dass er zu einer Schwächung oder zu einer Stärkung der Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen führt, was wiederum vor allem (wenn auch nicht ausschließlich) mit der zusammenschlussbedingten Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks und mit dynamischen Effizienzgewinnen zusammenhängt. Vor diesem Hintergrund ist es vorzugswürdig, Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern – losgelöst von den herkömmlichen Analyseansätzen, und vor allem von der Abgrenzung bestimmter Märkte – direkt und in erster Linie auf ihre Auswirkungen auf Innovationsfähigkeiten und -anreize hin zu untersuchen.189 188
Siehe Kapitel 3.B. Vgl. hierzu auch Baker, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 621, 639–641; Katz/ Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 12 f.; Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 524, 542 f.; Shelanski, University of Pennsylvania Law Review 2013, Bd. 161, Nr. 6, 1663, 1701 f.; Kern, World Competition Law and Eco189
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz, welche die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen nicht unmittelbar betreffen, sind dabei freilich nicht auszublenden.190 In Anlehnung an den Wortlaut des maßgeblichen Eingriffskriteriums der Fusionskontrollverordnung lässt sich dieser vorzugswürdige Analyseansatz als direkte Prüfung einer erheblichen Behinderung wirksamen Innovationswettbewerbs oder als direkter SIEIC-Test (Significant Impediment to Effective Innovation Competition) bezeichnen.191 Die einzelnen Zusammenschlusswirkungen, die Gegenstand eines solchen direkten SIEIC-Tests sein können, müssen nach den Darlegungen im vorangegangenen Kapitel hier nicht erneut erörtert werden. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich deshalb in erster Linie mit der Struktur des direkten SIEIC-Tests sowie mit praktischen und rechtlichen Aspekten seiner Anwendung in der Fusionskontrolle.
I. Anwendbarkeit Ob es sich bei einem Zusammenschluss überhaupt um einen solchen zwischen Innovationswettbewerbern handeln kann, dessen Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz gesondert zu untersuchen sind, hängt – angesichts der Industriespezifität des Innovationswettbewerbs – im Wesentlichen davon ab, welche Industrie im Einzelfall betroffen ist. Daher bietet es sich an, in einem Fusionsfall zunächst die betroffene Industrie festzustellen und zu erörtern, welche Rolle Innovation und Innovationswettbewerb in dieser Industrie spielen. Daran lässt sich festmachen, ob es naheliegt, dass die Zusammenschlussparteien nicht nur Produktmarkt-, sondern möglicherweise auch nomics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 203–205; Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 389 f.; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 11; Lorenzo/Watson, Concurrences 2019, Nr. 1, Art. 89495, 2; siehe auch Drexl, Antitrust Law Journal 2010, Bd. 76, Nr. 3, 677; Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 361–404; Déchamps/Fanton in: Gerard/ Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 69; Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2019, Bd. 10, Nr. 6, 370. Erinnert wird in diesem Zusammenhang häufig auch an den sogenannten Incentives Balance Test zur Beurteilung von Lizenzverweigerungen, siehe hierzu etwa Lévêque, World Competition 2005, Bd. 28, Nr. 1, 71; Vezzoso, European Competition Law Review 2006, Bd. 27, Nr. 7, 382; Schmidt/Kerber, Microsoft, Refusal to License Intellectual Property Rights, and the Incentives Balance Test of the EU Commission, 2008; Drexl, Antitrust Law Journal 2010, Bd. 76, Nr. 3, 677, 698–701; Kerber, ZGE 2013, 245, 267. Zur Bedeutung, welche den Fähigkeiten und Anreizen von Unternehmen bei der Feststellung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen und Maßnahmen generell zukommt, siehe auch Ibáñez Colomo, Journal of Competition Law & Economics 2021, Bd. 17, Iss, 2, 309–363. 190 Zu solchen Zusammenschlusswirkungen siehe Kapitel 3.B.II.3. 191 Diese Bezeichnung findet sich, allerdings mit etwas anderem Inhalt, auch etwa bei Petit, Antitrust Law Journal 2019, Bd. 82, Nr. 3, 873, 877; Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 23.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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Innovationswettbewerber sind.192 Darüber hinaus gibt es, wie beschrieben, bestimmte Gesichtspunkte, die Hinweise auf die wettbewerbsrechtliche Relevanz des Innovationswettbewerbs in einer Industrie liefern. Dies sind namentlich die Beobachtbarkeit der Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten von Unternehmen in der Industrie, ihre Innovationsintensität sowie das sie prägende Innovationsmuster.193 Die Feststellung der betroffenen Industrie hat so die Funktion eines ersten Filters, mit dessen Hilfe unter Umständen frühzeitig Fusionsfälle, in denen der direkte SIEIC-Test anwendbar beziehungsweise einschlägig ist, von anderen Fusionsfällen unterschieden werden können.194 Dieser Filter liefert natürlich nur erste Anhaltspunkte. Allein durch die Feststellung der betroffenen Industrie lässt sich nicht gänzlich ausschließen, dass die Parteien eines Zusammenschlusses Innovationswettbewerber sind.
II. Identifikation der relevanten Innovationswettbewerber In einem zweiten Schritt bedarf es der Identifikation der relevanten Innovationswettbewerber. Für die Anwendung des direkten SIEIC-Tests müssen sich natürlich vor allem die Zusammenschlussparteien als solche identifizieren lassen. Darüber hinaus ist aber auch zu eruieren, ob dritte Unternehmen als (potentielle) Innovationswettbewerber innovationsbedingten Wettbewerbsdruck auf die Parteien ausüben (können). Wie dargelegt, treten gerade negative Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz vorwiegend im Innovationsoligopol auf, also in Situationen, die durch das Vorhandensein nur weniger Innovationswettbewerber gekennzeichnet sind, unter denen die Zusammenschlussparteien eine herausgehobene Stellung einnehmen.195 Der Prüfungspunkt der Identifikation relevanter Innovationswettbewerber tritt hier gleichsam an Stelle der herkömmlichen Marktabgrenzung in Fällen mit einem Fokus auf den statischen Produktmarktwettbewerb. Dementsprechend kann etwa auch von der Abgrenzung des relevanten Innovationsoligopols gesprochen werden.196 Bei innovierenden Unternehmen handelt es sich nach den obigen Ausführungen dann um (aktuelle) Innovationswettbewerber, wenn sich die Fluchtpunkte ihrer Innovationstätigkeiten überschneiden, sodass es zumindest plausibel er192
Siehe hierzu bereits Kapitel 2.C.III. Siehe Kapitel 2.C.IV. 194 Vgl. hierzu auch OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 13 f. 195 Siehe Kapitel 3.B. I.1. 196 Zum Erfordernis der Identifikation relevanter Innovationswettbewerber in der Zusammenschlussprüfung vgl. auch Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 203; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 14 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 7; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16. 193
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
scheint, dass die Unternehmen künftig miteinander austauschbare innovative Produkte anbieten und deshalb auf einem zukünftigen Produktmarkt konkurrieren werden.197 Als potentielle Innovationswettbewerber kommen weiterhin solche Unternehmen in Betracht, die zwar derzeit noch keine Innovationstätigkeiten durchführen, jedoch über die Innovationsfähigkeiten verfügen, die zur Aufnahme und Durchführung von Innovationstätigkeiten mit entsprechenden Fluchtpunkten erforderlich sind, beziehungsweise die sich diese Innovationsfähigkeiten ohne Weiteres beschaffen können.198 Vor diesem Hintergrund lassen sich (stark vereinfachend) mindestens sechs Konstellationen des Innovationswettbewerbs unterscheiden: Pipeline-to-Pipeline-, Product-to-Product-, Product-to-Pipeline-, Product-to-Capability-, Pipeline-to-Capability- sowie Capability-to-Capability-Overlaps.199
1. Abstellen auf Innovationstätigkeiten und Innovationsfähigkeiten In praktischer Hinsicht ist die Identifikation relevanter Innovationswettbewerber im Allgemeinen mit weitaus größeren Schwierigkeiten verbunden als die Identifikation relevanter Produktmarktwettbewerber im Wege der herkömmlichen Marktabgrenzung (was freilich nicht heißen soll, dass Letztere immer ohne Schwierigkeiten möglich wäre). Anders als Produktmarktwettbewerber lassen sich Innovationswettbewerber gerade nicht anhand bereits existenter, auf einem gegenwärtigen Markt angebotener Produkte identifizieren. Vielmehr kommt es auf die künftige Austauschbarkeit anvisierter innovativer Produkte an. Anstatt existenter Produkte sind insofern zunächst die Innovationstätigkeiten von Unternehmen in den Blick zu nehmen.200 Von deren Gezieltheit hängt ab, inwiefern die künftige Austauschbarkeit anvisierter Produkte prognostiziert werden kann.201 Möglicherweise ist auch nach der Austauschbarkeit von Innovationstätigkeiten selbst zu fragen. Diese hängt dann etwa davon ab, ob die fraglichen Tätigkeiten grundsätzlich geeignet sind, miteinander austauschbare innovative Produkte hervorzubringen.202 Entscheidend ist hier in jedem Fall die Beobachtbarkeit der Innovationstätigkeiten von Unternehmen. Nur wenn 197 198
Siehe Kapitel 2.B.II.2.a) und B.II.2.b). Siehe Kapitel 2.B.II.2.c). 199 Siehe Kapitel 2.B.II.3. 200 Vgl. etwa Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 203; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 47; Déchamps/Fanton in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 72. 201 Siehe hierzu bereits Kapitel 2.B.II.2.b). 202 Auf die Austauschbarkeit von Innovationstätigkeiten selbst scheinen (zumindest begrifflich) auch die Kommission in ihrer Beschreibung des Konzepts konkurrierender F&EPole sowie die US-Wettbewerbsbehörden bei der Definition von „Research and Development Markets“ (früher Innovationsmärkte) abzustellen, siehe Horizontal-Leitlinien, Rn. 120, beziehungsweise DoJ/FTC, IP Guidelines, 2017, S. 11 f.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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von außen erkennbar ist, welche Unternehmen welche Innovationstätigkeiten durchführen, und welche innovativen Produkte sie damit anvisieren, lassen sich Unternehmen anhand ihrer Innovationstätigkeiten als Innovationswettbewerber identifizieren.203 Die Beobachtbarkeit von Innovationstätigkeiten variiert, wie beschrieben, über Industrien hinweg.204 In Fällen, in denen Innovationstätigkeiten (noch) weitgehend ungezielt erfolgen oder nicht beobachtbar sind, oder wenn es um lediglich potentiellen Innovationswettbewerb geht, stellen die Innovationsfähigkeiten von Unternehmen einen wichtigen Anknüpfungspunkt bei der Identifikation relevanter Innovationswettbewerber dar.205 Diese Erkenntnis wird vielfach dem Konzept der Innovation Market Analysis zugeschrieben.206 Wird auf die Innovationsfähigkeiten von Unternehmen abgestellt und werden so auch bloß potentielle Innovationswettbewerber erfasst, wird damit zugleich eine längerfristige Perspektive eingenommen.207 Dies ermöglicht letztlich eine umfassendere Betrachtung des Innovationswettbewerbs. Zur Identifikation relevanter Innovationswettbewerber in der Fusionskontrolle an Innovationsfähigkeiten anzuknüpfen, gilt daher auch als besonders vielversprechender Ansatz.208 Relevant wird dieser Ansatz namentlich dort, wo es zur Durchführung von Innovationstätigkeiten (mit bestimmten Fluchtpunkten) spezifischer Innovationsfähigkeiten bedarf, die sich ein Unternehmen, das gegenwärtig nicht über sie verfügt, nicht ohne Weiteres und nicht kurzfristig beschaffen kann. Durch das Erfordernis solcher spezifischen Innovationsfähigkeiten ist der Kreis der relevanten potentiellen Innovationswettbewerber gegebenenfalls von vorn203 Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 179, 203; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 19, 47; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 48 f.; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 122, 127. 204 Siehe Kapitel 2.C.IV.1. 205 Vgl. hierzu Gilbert/Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 588; Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 39; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 184–187, 197, 203; Kerber in: Gerard/ Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 49–55; Déchamps/Fanton in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 72; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 7; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16. 206 Siehe etwa Katz/Shelanski, Innovation Policy and the Economy 2005, Bd. 5, 109, 129; Katz/Shelanski, „Schumpeterian“ Competition and Antitrust Policy in High-Tech Markets, 2005, S. 11 f.; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 18, 20; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 51. 207 Vgl. Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 6; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16. 208 Vgl. etwa Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 48; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 50 f.; Bourreau/Streel, Digital Conglomerates and EU Competition Policy, 2019, S. 27 f.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
herein stark eingeschränkt. Solche spezifischen Innovationsfähigkeiten stellen zugleich Innovationshindernisse dar, welche die Teilnahme am Innovationswettbewerb erschweren.209 Je ausgeprägter diese Innovationshindernisse sind, desto eher lässt sich von einem unbestreitbaren Innovationsoligopol sprechen. Kommt es dagegen lediglich auf Innovationsfähigkeiten an, die auch bislang nicht innovierende Unternehmen ohne übermäßige (finanzielle) Anstrengungen und binnen kurzer Zeit aufbauen können, fehlt es also an schwer zu überwindenden Innovationshindernissen, ist der Kreis der potentiellen Innovationswettbewerber weiter zu ziehen. Das Innovationsoligopol ist dann eher bestreitbar. Erhöhte Innovationsmacht eines Unternehmens, im Sinne einer überbordenden Machtstellung im Innovationsoligopol, ist weniger wahrscheinlich.210 Neben Innovationsfähigkeiten sind bei der Identifizierung von Unternehmen als potentiellen Innovationswettbewerbern möglicherweise zusätzlich deren Innovationsanreize beziehungsweise ihre Anreize zum zügigen Aufbau und Gebrauch der erforderlichen Innovationsfähigkeiten in den Blick zu nehmen.211 Die schon erwähnten praktischen Schwierigkeiten bei der Identifikation relevanter Innovationswettbewerber bestehen vor allem deshalb, weil es dazu – über die vorstehenden, vergleichsweise allgemeinen Ausführungen hinaus – bislang keine konzeptionelle Grundlage gibt, die in theoretischer und empirischer Hinsicht wirklich ausgearbeitet ist. Dies gilt insbesondere für die Identifikation von Innovationswettbewerbern anhand von Innovationsfähigkeiten.212 Geeignete Methoden zur Bestimmung derjenigen Innovationsfähigkeiten, die etwa auf einem bestimmten wissenschaftlich-technischen Fachgebiet oder zur Durchführung von Innovationstätigkeiten mit bestimmen Fluchtpunkten beziehungsweise zur Hervorbringung bestimmter Innovationen generell erforderlich sind, gilt es erst noch zu entwickeln.213 Hierbei ist auch auf Erkenntnisse aus ökonomischen Forschungsdisziplinen zurückzugreifen, die über die herkömmliche Industrieökonomik hinausgehen und in der wettbewerbstheoretischen und -politischen Diskussion bislang wenig Beachtung finden. Dazu gehören beispielsweise der ressourcenbasierte Ansatz und der Dynamic Capabilities View aus der betriebswirtschaftlichen Literatur zum strategischen Management.214 Mithilfe 209
Siehe hierzu Kapitel 2.B.II.2.c). Vgl. hierzu Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 197 f.; Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 18; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 51; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 8 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 17. 211 So etwa Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 122 f. 212 Vgl. Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 53 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 7, 15 f. 213 Vgl. Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 53 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 7, 16. 214 Siehe hierzu Kapitel 1.B.II.2. 210
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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dieser Ansätze lassen sich die entscheidenden dynamischen beziehungsweise Innnovationsfähigkeiten und -strategien von Unternehmen möglicherweise systematisch erfassen und als Grundlage für die Prognose von Verhaltensweisen in der Fusionskontrolle heranziehen.215 Insbesondere: Heranziehen interner Dokumente In praktischer Hinsicht fragt sich vor allen Dingen, welche Nachweise und Beweismittel zur Identifikation relevanter Innovationswettbewerber sinnvollerweise heranzuziehen sind. Da sich die künftige Austauschbarkeit innovativer Produkte, die sich derzeit noch in der Entwicklung befinden, natürlich nicht anhand statistischer Daten zum Nachfrageverhalten bestimmen lässt, kommen vor allem qualitative Beweismittel in Betracht. Mittels solcher ist festzustellen, ob Unternehmen bereits Innovationstätigkeiten durchführen und welche Fluchtpunkte diese gegebenenfalls haben, sowie über welche Innovationsfähigkeiten Unternehmen verfügen. Hierzu kann es sinnvoll sein, bei der fusionskontrollrechtlichen Zusammenschlussprüfung vor allem auch Einsicht in interne Dokumente der Zusammenschlussparteien und Dritter zu nehmen beziehungsweise zu verlangen. Dazu zählen etwa Planungs- oder Strategiedokumente, Präsentationsunterlagen sowie Kommunikationsverläufe. Solche Dokumente enthalten unter Umständen wertvolle Hinweise auf die gegenwärtige und künftige Ausrichtung der Innovationstätigkeiten eines Unternehmens. Sie können mit externen Dokumenten zusammengebracht und abgeglichen werden, wie Industrieanalysen, (ökonomischen) Studien oder den Ergebnissen von Umfragen unter Branchenexpertinnen und -experten, Marktteilnehmern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern.216 Zur Sicherstellung interner Dokumente ist vorgeschlagen worden, auch im Rahmen der Fusionskontrolle (vermehrt) auf Durchsuchungen (Dawn Raids) zurückzugreifen. Bereits sporadische Durchsuchungen in einzelnen Fusionsfällen könnten die Bereitschaft zur Herausgabe 215 Vgl. Kerber/Kern, Assessing Innovation Effects in US Merger Policy, 2014, S. 48; Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 46, 49–55; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 7, 17 f.; Bourreau/Streel, Digital Conglomerates and EU Competition Policy, 2019, S. 28; siehe hierzu auch Sidak/ Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581; Teece in: Manne/ Wright, Competition Policy and Patent Law under Uncertainty, 2011, S. 223–225; Greene/Yao, Antitrust Bulletin 2014, Bd. 59, Nr. 4, 789, 812–814; Costa-Cabral, Yearbook of European Law 2018, Bd. 37, 305; vgl. in diesem Zusammenhang ferner bereits Narver, St. John’s Law Review 1970, Bd. 44, Nr. 5, 316. 216 Zur Heranziehung interner Dokumente bei der Identifikation von Innovationswettbewerbern vgl. Cascone Fauver/Ramanarayanan/Tosini, Antitrust Magazine 2018, Bd. 32, Nr. 2, 70, 74; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 13–15; OECD, Merger Control in Dynamic Markets, 2020, S. 16; OECD, Start-ups, Killer Acquisitions and Merger Control, 2020, S. 29; zur Heranziehung interner Dokumente im Allgemeinen siehe Kuhn in: FS Schroeder, 2018, S. 415–440; Laitenberger/Zedler in: FS Schroeder, 2018, S. 468–470; Berg, WuW 2019, 230; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 207.
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interner Dokumente über sämtliche Fälle hinweg erhöhen, indem sie die Nichtbefolgung entsprechender Herausgabeverlangen mit einem Risiko belegten.217 Nicht immer einfach zu bewältigen ist die adäquate Interpretation interner Dokumente von Unternehmen. In diesem Zusammenhang wird häufig auf das Beispiel unternehmensinterner Präsentationen verwiesen, mit denen um die Gewährung finanzieller Mittel etwa für bestimmte Forschungsprojekte geworben wird. In derartigen Präsentationen werden die Projekte möglicherweise übertrieben positiv dargestellt oder es werden überzogene Erwartungen hinsichtlich des künftigen Erfolgs eines innovativen Produkts und der damit verbundenen Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens geäußert. Dies ist vor allem bei Präsentationen der Fall, die lange vor der Planung eines Zusammenschlusses erstellt werden, und bei denen noch nicht damit gerechnet wird, dass sie einmal einer Wettbewerbsbehörde zur Kenntnis gelangen könnten. Bei solchen Präsentationen ist es in der Zusammenschlussprüfung natürlich wichtig, ihren Aussagegehalt unter Berücksichtigung dessen zu bewerten, was etwa nach anderweitigen Informationsquellen realistisch erscheint.218 Im Übrigen gilt aber, dass interne Dokumente, die im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs entstanden sind, grundsätzlich eher belastbare Einsichten enthalten als Dokumente, die bereits mit Blick auf den betrachteten Zusammenschluss erstellt wurden.219 Mit Vorsicht sind außerdem auch die Aussagen Dritter im Fusionskontrollverfahren zu interpretieren, unabhängig davon, ob sie internen Dokumenten entstammen oder nicht. So können nicht am betrachteten Zusammenschluss beteiligte Marktteilnehmer ihrerseits ein bestimmtes Interesse am Verfahrensausgang haben. Auch kann es unter Expertinnen und Experten, beispielsweise auf einem bestimmten Wissenschaftsgebiet, Meinungsverschiedenheiten geben.220 Wichtige Anhaltspunkte für die Identifikation relevanter Innovationswettbewerber können zudem frühere Forschungsprojekte und Investitionsmuster liefern. So lässt sich möglicherweise am gegenwärtigen Wettbewerb zwischen zwei Unternehmen auf einem bestimmten Produktmarkt, welchem die Einführung innovativer Produkte durch diese Unternehmen vorausging, ablesen, dass die Unternehmen bereits in der Vergangenheit Innovationswettbewerber waren. Hieraus können wiederum Schlussfolgerungen für die Feststellung einer gegen217 Siehe Argentesi/Buccirossi/Calvano/Duso/Marrazzo/Nava, Ex-post Assessment of Merger Control Decisions in Digital Markets, 2019, S. 44 f. 218 Zur Interpretation interner Dokumente siehe etwa Kuhn in: FS Schroeder, 2018, S. 419; Jung/Sinclair, European Competition Law Review 2019, Bd. 40, Nr. 6, 266, 273 f.; Todino/ Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 28; Fort in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 14–16. 219 Laitenberger/Zedler in: FS Schroeder, 2018, S. 468 Fn. 39; differenzierend Kuhn in: FS Schroeder, 2018, S. 437. 220 Vgl. Bary/Bure, Concurrences 2017, Nr. 3, Art. 84407, 5; Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 29.
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wärtigen innovationswettbewerblichen Rivalitätsbeziehung zwischen den Unternehmen zu ziehen sein.221
2. Abstellen auf den wahrgenommenen Wettbewerbsdruck Die Heranziehung interner Dokumente ist bei der Identifikation relevanter Innovationswettbewerber möglicherweise nicht nur insofern von Bedeutung, als sich daraus Hinweise auf die Innovationsfähigkeiten und (künftigen) Innovationstätigkeiten eines Unternehmens ergeben. Bislang ist die Feststellung einer innovationswettbewerblichen Rivalitätsbeziehung in erster Linie daran festgemacht worden, dass sich die Fluchtpunkte der Innovationstätigkeiten zweier Unternehmen überschneiden. Eventuell kann aber auch direkt danach gefragt werden, welchem innovationsbedingten Wettbewerbsdruck sich ein Unternehmen ausgesetzt wähnt, welche anderen Unternehmen es selbst als Innovationswettbewerber wahrnimmt. Innovationswettbewerbliche Rivalität manifestiert sich beispielsweise häufig darin, dass Unternehmen die Forschungsprojekte anderer Unternehmen beziehungsweise deren Fortschritte im Innovationsprozess bei ihren eigenen Innovationstätigkeiten als Vergleichsmaßstab (Benchmark) heranziehen. Dazu versuchen Unternehmen, die Innovationstätigkeiten anderer Unternehmen, soweit sie die Möglichkeiten dazu haben, genau zu beobachten und nachzuvollziehen. Auch Hinweise hierauf lassen sich den internen Dokumenten der fraglichen Unternehmen dann gegebenenfalls entnehmen.222 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch das Konzept der sogenannten Wirtschaftspläne. Das Wirtschaftsplankonzept ist in der wettbewerbsrechtlichen Literatur als Alternative zum Bedarfsmarktkonzept bei der Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärke vorgeschlagen worden.223 Es hat bislang allerdings wenig Aufmerksamkeit in der Praxis erfahren.224 Nach diesem Konzept sollen etwaige Wettbewerbsbeziehungen zwischen Unterneh221 Vgl. hierzu OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 13, 15; Cascone Fauver/Ramanarayanan/Tosini, Antitrust Magazine 2018, Bd. 32, Nr. 2, 70, 74; Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 47; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 147 f. 222 Siehe hierzu Zimmerlich, Marktmacht in dynamischen Märkten, 2007, S. 218–220. Vgl. auch Argentesi/Buccirossi/Calvano/Duso/Marrazzo/Nava, Ex-post Assessment of Merger Control Decisions in Digital Markets, 2019, S. 44 f., denen zufolge sich aus den internen Dokumenten eines Incumbent Hinweise darauf ergeben können, ob dieser ein noch junges Unternehmen, das sich in einer frühen Phase der Entwicklung eines innovativen Produkts befindet, bereits als wettbewerbliche Gefahr wahrnimmt und (nur) deshalb aufzukaufen beabsichtigt. 223 Siehe hierzu etwa Säcker, ZWeR 2004, 1; Zimmerlich, Marktmacht in dynamischen Märkten, 2007, S. 128 f.; Dreher, ZWeR 2009, 149, 160; Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, 2020, GWB, § 18 Rn. 54. 224 Vgl. Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 61; Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, 2020, GWB, § 18 Rn. 54; Wiedemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 23 Rn. 11.
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men anhand von deren Planungen und Verhaltensweisen festgestellt werden. Es soll etwa von der ermittelbaren internen Kommunikation oder dem zu beobachtenden Marktverhalten eines Unternehmens darauf geschlossen werden, ob sich dieses Unternehmen dem Wettbewerbsdruck bestimmter anderer Unternehmen ausgesetzt sieht.225 Dabei soll sowohl aktueller als auch potentieller Wettbewerbsdruck erfasst werden.226 Auf diese Weise soll „die überlegene Marktkenntnis der Unternehmen selbst für die Feststellung vorhandener oder fehlender kompetitiver Verhältnisse“227 nutzbar gemacht werden.228 So erlaube es das Wirtschaftsplankonzept, „den Wettbewerbsdruck unmittelbar aus Sicht derer zu bestimmen, die nach ihm handeln müssen“229. Da die Wirtschaftspläne von Unternehmen stets zukunftsorientiert seien, ließen sich mit ihrer Hilfe insbesondere auch Prognosen hinsichtlich der weiteren Entwicklung bestehender sowie des Aufkommens neuer Wettbewerbsbeziehungen zwischen Unternehmen anstellen.230 Diese Zukunftsorientierung schlage sich in den Wirtschaftsplänen von Unternehmen beispielsweise dergestalt nieder, dass darin auch zu erwartende Veränderungen im Verhalten der Nachfragerinnen und Nachfrager Berücksichtigung fänden.231 Diesem Wirtschaftsplankonzept entspricht es im Wesentlichen, wenn zur Identifikation relevanter Innovationswettbewerber auf subjektive Einschätzungen von Unternehmen hinsichtlich ihres (innovations-)wettbewerblichen Umfelds zurückgegriffen wird, wie sie sich in internen Dokumenten darstellen. Es wird quasi versucht, an den Businessplänen von Unternehmen (um einen heute gebräuchlicheren Begriff verwenden) direkt abzulesen, welchen innovationsbedingten Wettbewerbsdruck vonseiten dritter Unternehmen sie im Rahmen ihrer strategischen Entscheidungen berücksichtigen. Im Unterschied zum eigentlichen Wirtschaftsplankonzept geht es dabei freilich nicht um die Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärkte, sondern um die Bestimmung des relevanten Innovationsoligopols. Wie generell, gilt auch hier, dass subjektive Einschätzungen von Unternehmen in jedem Fall kritisch zu würdigen sind und häufig nur eingeschränkte Aussagekraft und Verlässlichkeit aufweisen.232
225 Vgl. Säcker, ZWeR 2004, 1, 2, 6, 14 f.; Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbs-
recht, Bd. 2, 2020, GWB, § 18 Rn. 54. 226 Säcker, ZWeR 2004, 1, 6. 227 Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, 2020, GWB, § 18 Rn. 54. 228 Siehe Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 2, 2020, GWB, § 18 Rn. 54; Säcker, ZWeR 2004, 1, 2, 14 f., 17; Dreher, ZWeR 2009, 149, 160. 229 Vgl. Säcker, ZWeR 2004, 1, 17. 230 Siehe Säcker, ZWeR 2004, 1, 14–18; Dreher, ZWeR 2009, 149, 160. 231 Säcker, ZWeR 2004, 1, 18. 232 Dreher, ZWeR 2009, 149, 160; vgl. auch Zimmerlich, Marktmacht in dynamischen Märkten, 2007, S. 129.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
267
3. Ergänzende Anmerkungen zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Über die bislang dargestellten hinaus sind noch einige weitere Aspekte im Zusammenhang mit der Identifikation von Innovationswettbewerbern im Rahmen der Zusammenschlussprüfung zu beachten. Auf sie wird im Folgenden eingegangen.
a) Zur räumlichen Dimension innovationswettbewerblicher Rivalität Unerheblich für die Identifikation von Unternehmen als Innovationswettbewerber ist in vielen Fällen, wo diese ansässig sind und Innovationstätigkeiten durchführen. Innovationen beziehungsweise im Rahmen von Innovationsprozessen hervorgerbachtes Wissen sind – als zumindest im Ausgangspunkt immaterielle Güter – regelmäßig nicht ortsgebunden, sondern lassen sich frei oder jedenfalls kostengünstig auch über weite Distanzen hinweg transferieren. Dass innovierende Unternehmen beispielsweise ihre Forschungseinrichtungen an unterschiedlichen, weit voneinander entfernten Orten betreiben, ist daher kaum von Belang für die Frage, ob die Unternehmen künftig auf einem bestimmten geographischen Markt in Konkurrenz zueinander treten werden, und deshalb als Innovationswettbewerber anzusehen sind. Eines direkten Pendants zur räumlichen Marktabgrenzung bedarf es bei der Identifikation von Innovationswettbewerbern also nicht.233
b) Schwierigkeiten im Falle disruptiver Innovation Besonders schwierig gestaltet sich die Identifikation relevanter Innovationswettbewerber im Falle disruptiver Innovation.234 Diese zeichnet sich, wie beschrieben, gerade dadurch aus, dass sie besonders schwer vorherzusehen ist. Bereits auf einem Markt beziehungsweise in einer Industrie etablierte Unternehmen sind kaum in der Lage, sie frühzeitig auszumachen. Für solche Unternehmen stellen disruptive Innovationen deshalb regelmäßig eine erhebliche wettbewerbliche Gefahr dar. Umso schwieriger ist es für Wettbewerbsbehörden, die außerhalb des Markt- und Wettbewerbsgeschehens stehen, disruptive Newcomer als Innovationswettbewerber eines etablierten Incumbent zu identifizieren. Vor diesem Hintergrund ist zu befürchten, dass Zusammenschlüsse zwischen Incumbents und disruptiven Newcomern möglicherweise zu selten als solche zwischen Innovationswettbewerbern erkannt werden.235 In jedem Fall 233 Vgl. hierzu auch die Ausführungen zur räumlichen Marktabgrenzung im Zusammenhang mit Innovation bei Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 129–131; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 269–273. 234 Siehe hierzu bereits Kapitel 1.A.III. 235 Vgl. hierzu etwa Graef/Wahyuningtyas/Valcke, How Google and Others Upset Competition Analysis, 2014, S. 11–13; Streel/Larouche, Disruptive Innovation and Competition Policy Enforcement, OECD, 2015; Bary/Bure, Concurrences 2017, Nr. 3, Art. 84407; Costa-Ca-
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
ist es sinnvoll, das Konzept der disruptiven Innovation und die zugehörige betriebswirtschaftliche Theorie nach Christensen bei der Feststellung und Analyse wettbewerblicher Beziehungen zwischen Unternehmen zu berücksichtigen.236
c) Rechtsfragen In rechtlicher Hinsicht stellen sich im Zusammenhang mit der Identifikation von Innovationswettbewerbern in der Fusionskontrolle insbesondere zwei Fragen.237
aa) Zu den Nachweisanforderungen in der Fusionskontrolle Eine dieser Rechtsfragen betrifft die Anforderungen an den Nachweis einer innovationswettbewerblichen Rivalitätsbeziehung zwischen Unternehmen. Generell gilt, dass im Rahmen der Entscheidungsfindung in der Fusionskontrolle diejenigen Geschehensabläufe zugrunde zu legen sind, bei denen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie eintreten werden.238 Die Kommission hat „sich die verschiedenen Ursache-Wirkungs-Ketten vor Augen zu führen und von denjenigen mit der größten Wahrscheinlichkeit auszugehen“239, wie es der EuGH wiederholt formuliert hat.240 Die Kommission muss also, damit sie ihre Entscheidung in einem Fusionskontrollverfahren in zulässiger Weise auf die Feststellung einer innovationswettbewerblichen Rivalitätsbeziehung zwischen den Zusammenschlussparteien gründen kann, nachweisen, bral, Yearbook of European Law 2018, Bd. 37, 305, 337 f.; Caffarra/Latham, Italian Antitrust Review 2018, Bd. 5, Nr. 1, 86, 89; OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 8; Larouche, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 1, 18, 22 f. 236 Ähnlich auch Owings, Vanderbilt Law Review 2013, Bd. 66, Nr. 1, 323, 348–351. 237 Nicht weiter eingegangen wird an dieser Stelle etwa auf Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Tatsachenermittlung durch die Kommission, also beispielsweise mit der Anforderung und Auswertung interner Dokumente, siehe hierzu etwa Kuhn in: FS Schroeder, 2018, S. 415–440; Levy/Karadakova, European Competition Law Review 2018, Bd. 39, Nr. 1, 12; Berg, WuW 2019, 230. 238 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 26 Rn. 34. 239 EuGH, 15.2.2005, Rs. C-12/03 P, ECLI: EU:C:2005:87, Rn. 43 – Kommission/Tetra Laval; EuGH, 10.7.2008, Rs. C-413/06 P, ECLI:EU:C:2008:392, Rn. 47 – Bertelsmann u. a./ Impala. 240 Nach einer Entscheidung des Gerichts aus jüngerer Zeit gelten in der Fusionskontrolle möglicherweise unter bestimmten Umständen und für bestimmte Aspekte auch strengere Nachweisanforderungen. In dieser Entscheidung spricht das Gericht von „ernsthafter Wahrscheinlichkeit“, die wohl zwischen überwiegender Wahrscheinlichkeit einerseits und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit andererseits liegen soll, vgl. EuG, 28.5.2020, Rs. T-399/16, ECLI:EU:T:2020:217, Rn. 118 – CK Telecoms UK Investments/Kommission. Auf diese Entscheidung wird hier jedoch nicht weiter eingegangen. Denn ihre Implikationen für die Fusionskontrollpraxis sind noch nicht abzusehen, weil die Entscheidung des Gerichtshofs im entsprechenden Rechtsmittelverfahren noch aussteht, siehe EuGH, Rs. C-376/20 P – Kommission/CK Telecoms UK Investments; vgl. insoweit auch etwa Göhsl/Rottmann, ZWeR 2020, 493, 495.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
269
dass diese Rivalitätsbeziehung zwischen den Parteien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht. Zumindest vordergründig stellt sich nun die Frage, wie sich diese Wahrscheinlichkeitsanforderung der Rechtsprechung mit dem hier zugrunde gelegten Plausibilitätsmaßstab verträgt. Es wird hier ja davon ausgegangen, dass Unternehmen, die Innovationstätigkeiten mit bestimmten Fluchtpunkten durchführen oder über die hierzu erforderlichen Fähigkeiten verfügen, dann als Innovationswettbewerber anzusehen sind, wenn es zumindest plausibel erscheint, dass sie letztlich mit innovativen Produkten auf einem zukünftigen Produktmarkt konkurrieren werden. Dies ist bereits der Fall, wenn die Erwartung künftiger Produktmarktkonkurrenz zwischen ihnen generell realistisch erscheint und nicht gegen allgemeine Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt – und nicht erst, wenn die künftige Produktmarktkonkurrenz überwiegend wahrscheinlich ist.241 Die Wahrscheinlichkeitsanforderung der Rechtsprechung und der hier zugrunde gelegte Plausibilitätsmaßstab scheinen aber nur auf den ersten Blick inkompatibel. Tatsächlich haben sie nämlich unterschiedliche Bezugspunkte. Bei Letzterem geht es um die Begründung einer innovationswettbewerblichen Rivalitätsbeziehung, bei Ersterer um deren Nachweis. Steht die Plausibilität künftiger Produktmarktkonkurrenz zwischen zwei innovierenden Unternehmen eindeutig fest, ist gleichsam mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer innovationswettbewerblichen Rivalitätsbeziehung zwischen den Unternehmen auszugehen. Die Wahrscheinlichkeitsanforderung der Rechtsprechung ist dann zweifellos erfüllt. Bei dieser geht es, mit anderen Worten, lediglich darum, den Nachweis zu erbringen, dass die plausible Möglichkeit künftiger Produktmarktkonkurrenz zwischen zwei innovierenden Unternehmen mit überwiegender Wahrscheinlichkeit besteht, und zwar aus Sicht der beiden Unternehmen. Für diesen Nachweis gilt im Übrigen, dass an die Kommission, so wird die erwähnte Rechtsprechung des EuGH weiter verstanden, „trotz Verpflichtung zu sorgfältiger Prüfung und Begründung angesichts der komplexen Probleme und der knappen Prüffristen keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürften“242.
Schließlich sind die Fusionskontrollentscheidung und darin enthaltene Teilentscheidungen angesichts ihres prognostischen Charakters stets nur mit eingeschränkter Gewissheit zu treffen.243 Der Kommission kommt durchaus ein gewisser Beurteilungsspielraum zu.244 Gerade auch die Identifikation der relevanten Wettbewerber, die in Fällen ohne Innovationsbezug mithilfe der her241 242
Siehe hierzu Kapitel 2.B.II.2.a). Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 16
Rn. 86. 243 Siehe hierzu Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 32– 38. 244 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
kömmlichen Marktabgrenzung erfolgt, ist notwendigerweise mit Unsicherheit behaftet und bedarf der Vornahme von Wertungen.245 Sie „kann in aller Regel nicht anhand eindeutiger wissenschaftlicher Kriterien erfolgen“, sondern „basiert maßgeblich auf Plausibilitätsüberlegungen und Erfahrungssätzen“.246
bb) Zum Erfordernis der Marktabgrenzung in der Fusionskontrolle Die zweite Rechtsfrage betrifft die ständige Rechtsprechung, wonach „die angemessene Festlegung des relevanten Marktes eine notwendige Voraussetzung für jede Beurteilung des Einflusses eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb ist“247. Die hiermit wohl statuierte Pflicht zur Marktabgrenzung in der fusionskontrollrechtlichen Zusammenschlussprüfung bezieht sich freilich im Grundsatz auf gegenwärtige Produktmärkte. In der zitierten Rechtsprechung kommt die allgemeine Vorstellung zum Ausdruck, dass Wettbewerb „in der Regel auf einem Markt, manchmal auch um einen Markt, aber niemals außerhalb des Marktgeschehens statt[findet]“248. Fraglich ist, ob und wie es sich mit dieser grundsätzlichen Pflicht zur Marktabgrenzung verträgt, wenn Innovationswettbewerber ohne die Abgrenzung eines gegenwärtigen Produktmarkts identifiziert werden. Wie erörtert, ist die Abgrenzung gegenwärtiger Märkte zur Identifikation von Innovationswettbewerbern zumeist weder erforderlich noch ausreichend. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass sich die europäischen Gerichte mit der Frage nach dem Erfordernis der Marktabgrenzung bislang, soweit ersichtlich, noch nicht im Fall eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern zu befassen hatten. Ob sie auch in einem solchen Fall bei einer Pflicht zur Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärkte blieben, dürfte indes zu bezweifeln sein. Denn nach weit verbreiteter Ansicht, auch der Kommission, ist die Marktabgrenzung im Wettbewerbsrecht nicht Selbstzweck, sondern Hilfsmittel bei der Entscheidungsfindung, insbesondere wenn es um den Nachweis von Marktmacht geht.249 Fest etabliert und wohl bislang nicht durch die Gerichte beanstandet ist dementsprechend auch die Praxis der Kommission, exakte Marktdefinitionen nur dann vorzunehmen, wenn dies tatsächlich erforderlich Rn. 33; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 16 Rn. 85 f. 245 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 17 Rn. 21 f.; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 328. 246 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 32 (Hervorhebungen ausgelassen). 247 EuGH, 31.3.1998, verb. Rs. C-68/94 u. C-30/95, ECLI: EU:C:1998:148, Rn. 143 – Frankreich u. a./Kommission („Kali + Salz“). 248 Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 16 (Hervorhebungen ausgelassen). 249 Siehe nur Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 2; Podszun, The Antitrust Bulletin 2016, Bd. 61, Nr. 1, 121, 123 f.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
271
ist, die Marktabgrenzung dagegen offen zu lassen, wenn die zu treffende Entscheidung bei jeder denkbaren Abgrenzungsvariante gleich ausfällt.250 Zweck der Marktabgrenzung ist es festzustellen, welche Unternehmen Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben (können), und so die relevanten Wettbewerber zu identifizieren – um damit einen Anwendungsrahmen für das Wettbewerbsrecht im Einzelfall festzulegen.251 Ist die Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärkte zur Identifikation der relevanten Wettbewerber aber nicht erforderlich, wie es bei Innovationswettbewerbern der Fall ist, dürfte auch für die Gerichte nichts dafür sprechen, an der Pflicht zur Marktabgrenzung uneingeschränkt festzuhalten. Im Übrigen wäre zu überlegen, ob es eines entsprechenden Hinweises in der Fusionskontrollverordnung bedarf.
4. Fazit Die Identifikation relevanter Innovationswettbewerber ist ein wichtiger und mit einigen Schwierigkeiten verbundener Prüfungspunkt im Rahmen des direkten SIEIC-Tests. Ihre Bedeutung verdeutlicht noch einmal folgende Überlegung: Gelingt es, die Parteien eines Zusammenschlussvorhabens (richtigerweise) als Innovationswettbewerber zu identifizieren, ist von einem horizontalen Zusammenschluss auszugehen, dessen Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz sich anschließend untersuchen lassen. Können dagegen in einem Fusionsfall die Zusammenschlussparteien nicht als Innovationswettbewerber identifiziert werden, obwohl sie tatsächlich Innovationswettbewerber sind, und wird der Zusammenschluss deshalb als ein vertikaler oder konglomerater behandelt und freigegeben, bleiben möglicherweise schwerwiegende Beeinträchtigungen der dynamischen Effizienz durch den Zusammenschluss unberücksichtigt. Nichthorizontalen Zusammenschlüssen wird im Fusionskontrollrecht grundsätzlich mit geringerer Skepsis begegnet als horizontalen Zusammenschlüssen.252 Maßgebliche Anknüpfungspunkte für die Identifikation von Unternehmen als Innovationswettbewerber sind deren Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten. In Betracht kommt zudem, subjektive Einschätzungen von Unternehmen hinsichtlich des innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks heranzuziehen, dem sie sich ausgesetzt sehen. Als hilfreich kann es sich darüber hinaus erweisen, zunächst die Industrie, der ein innovierendes Unternehmen angehört, in den Blick zu nehmen, um etwaige Innovationswettbewerber dieses Unternehmens zu identifizieren. Die Zugehörigkeit zweier innovierender Unternehmen zu 250
Siehe hierzu Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 27; Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 340. 251 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 10; Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 2. 252 Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 11; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 526.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
derselben Industrie kann nämlich einen wichtigen ersten Anhaltspunkt für das Vorhandensein innovationswettbewerblicher Rivalitätsbeziehungen zwischen ihnen darstellen. Sie reicht zwar für sich genommen nicht zur Begründung solcher Rivalitätsbeziehungen aus, macht sie aber wahrscheinlicher. Dies ist zurückzuführen auf die beschriebene Industriespezifität von Innovation und Innovationswettbewerb. Unterscheidet sich der Innovationswettbewerb stark von einer Industrie zur anderen, etwa weil sich die Unternehmen der einen Industrie in völlig anderen technologischen Regimen, entlang völlig anderer technologischer Entwicklungspfade bewegen als die Unternehmen der anderen Industrie, liegt es nahe, dass regelmäßig nur solche Unternehmen in innovationswettbewerblichen Rivalitätsbeziehungen zueinander stehen können, die entweder der einen oder der anderen, jedenfalls aber derselben, Industrie angehören. Über einen ersten Anhaltspunkt geht die Zugehörigkeit innovierender Unternehmen zur selben Industrie hier indes nicht hinaus. Grund dafür ist auch, dass sich die Grenzen einzelner Industrien in der Regel nicht eindeutig bestimmen lassen. Wichtiger als die Industrieebene ist daher etwa die Ebene, auf der Innovationshindernisse – namentlich in Gestalt des Erfordernisses spezifischer Innovationsfähigkeiten – bestehen.253
III. Untersuchung der Auswirkungen des Zusammenschlusses Konnten die Zusammenschlussparteien und gegebenenfalls dritte Unternehmen als Innovationswettbewerber identifiziert werden, geht es im nächsten Schritt darum, die Auswirkungen des betrachteten Zusammenschlusses auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz zu untersuchen. Diese Auswirkungen können sowohl negativ als auch positiv sein. Sie betreffen in erster Linie (aber nicht nur) die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Zusammenschlussparteien beziehungsweise der entstehenden Unternehmenseinheit sowie etwaiger dritter Innovationswettbewerber. Die Untersuchung einzelner Zusammenschlusswirkungen im Rahmen des direkten SIEIC-Tests entspricht der wettbewerblichen Würdigung im Rahmen der herkömmlichen Vorgehensweise der Kommission bei der Zusammenschlussprüfung, bloß geht es speziell um die Entwicklung und Überprüfung innovationsspezifischer Schadenstheorien. Dabei lassen sich im Ausgangspunkt, wie bei der herkömmlichen Zusammenschlussprüfung, drei einzelne Prüfungspunkte unterscheiden: die vorgeschaltete Frage nach ersten Anhaltspunkten für oder gegen wettbewerbliche Bedenken (dazu unter 1.); die Untersuchung negativer Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz (dazu unter 2.); sowie die Untersuchung positiver Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz, namentlich dynamischer Effizienzgewinne, die Ausgleichsfaktoren für die negativen Wirkungen 253
Siehe hierzu bereits Kapitel 2.C.III.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
273
darstellen können (dazu unter 3.). Anschließend ist im Wege der Gesamtwürdigung zu beurteilen, ob der Zusammenschluss einen wettbewerblichen Schaden verursachen wird (dazu unter IV.).
1. Erste Anhaltspunkte für oder gegen wettbewerbliche Bedenken Ausgangspunkt der herkömmlichen Zusammenschlussprüfung ist üblicherweise die Marktstrukturbetrachtung. Anhand von Strukturfaktoren wie Marktanteilen und Konzentrationsgraden lassen sich erste Anhaltspunkte dafür gewinnen, ob ein Zusammenschluss wahrscheinlich Wettbewerbsbedenken hervorrufen wird oder nicht.254
a) Die herkömmliche Marktstrukturbetrachtung Die Kommission bestimmt meist zunächst die Marktanteile der Zusammenschlussparteien und aus deren Summe den voraussichtlichen Marktanteil der entstehenden Unternehmenseinheit. Zudem ermittelt sie den Konzentrationsgrad vor und nach dem Zusammenschluss anhand des HHI. Dieser wird berechnet, indem die Marktanteile der einzelnen Unternehmen auf einem Markt jeweils quadriert werden und dann die Summe aus diesen Quadraten gebildet wird. So findet gerade auch Berücksichtigung, wenn einzelne Unternehmen auf einem Markt besonders hohe Marktanteile auf sich vereinigen. Erhält die entstehende Unternehmenseinheit einen hohen Marktanteil und führt der Zusammenschluss zu einem hohen Konzentrationsgrad auf dem relevanten Markt, der insbesondere signifikant über dem Konzentrationsgrad vor dem Zusammenschluss liegt (was der sogenannte Deltawert angibt), spricht dies dafür, dass der Zusammenschluss Marktmacht begründen oder verstärken und dadurch den Wettbewerb behindern wird. Konkret geht die Kommission – mit der Rechtsprechung der europäischen Gerichte – etwa davon aus, dass Marktanteile von 50 % oder mehr für und solche von nicht mehr als 25 % eher gegen eine Wettbewerbsbehinderung sprechen. Was HHI und Deltawert angeht, führt die Kommission in ihren Leitlinien Schwellenwerte auf, bei deren Unterschreiten sie grundsätzlich (das heißt vorbehaltlich bestimmter besonderer Umstände)255 nicht davon ausgeht, dass der Zusammenschluss Bedenken hervorrufen wird.256 254 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2014, § 26 Rn. 61; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 221–223; Riesenkampff/Steinbarth in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 72; Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 16 Rn. 12; Robertson, Competition Law’s Innovation Factor, 2020, S. 258 f. 255 Ein solcher besonderer Umstand liegt etwa vor, wenn „an dem Zusammenschluss […] Unternehmen beteiligt [sind], deren Innovationspotenzial sich nicht in den Marktanteilen niederschlägt“, Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 20 lit. b). 256 Siehe zum vorstehenden Absatz Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 14–21.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Auf diese Weise kommt Marktstrukturfaktoren in der herkömmlichen Zusammenschlussprüfung eine wichtige Indiz- und Filterfunktion zu. Sie dienen als Proxies für Marktmacht beziehungsweise eine Wettbewerbsbehinderung.257 Als solche verschaffen sie der Kommission frühzeitig einen Eindruck von der wettbewerblichen Bedeutung eines betrachteten Zusammenschlusses und helfen, die weitere Untersuchung zu strukturieren.258 Stellt die Kommission etwa fest, dass ein Zusammenschluss zu hohen Marktanteilen und Konzentrationsgraden führt, wird sie ihn als im Ausgangspunkt problematisch ansehen und im Verlauf der restlichen Prüfung vor allem Kriterien in den Blick nehmen, die ihre Ausgangshypothese stützen oder widerlegen können.259 Eine erhöhte Bedeutung kann Markstrukturfaktoren so etwa zuteil werden, wenn die Kommission im weiteren Prüfungsverlauf dem sogenannten Bestätigungsfehler (Confirma tion Bias) unterliegt.260 Grundsätzlich geht die Bedeutung von Marktstrukturfaktoren jedoch, das sei hier betont, nicht so weit, dass sich ein Fusionsfall allein an den nach dem Zusammenschluss zu erwartenden Marktanteils- und Konzentrationshöhen entschiede.261 Die für die Fusionskontrolle und das Wettbewerbsrecht insgesamt formulierten Marktanteils- und Konzentrationsschwellen werden, vor allem in der angelsächsischen Literatur, teilweise als Anknüpfungspunkte für Vermutungen (Presumptions oder auch Structural Presumptions) beschrieben.262 Dahinter steht der Gedanke, dass das Über- oder Unterschreiten dieser Schwellen Auslöser für weitere Annahmen oder Schlussfolgerungen im Rahmen der wettbewerbsrechtlichen Prüfung ist. Gemeint ist damit aber letztlich nur, dass bei der Prüfung (natürlich) von ökonomischen Annahmen und Erfahrungssätzen Gebrauch gemacht macht wird.263 Insofern ist auch von ökonomischen Vermutungen die Rede (die im Einzelfall mitunter auch widerlegt werden können).264 Im eigentlichen Sinne rechtliche Vermutungen, die insbesondere eine Umkehr der Beweislast auslösen, sind mit Marktanteils- und Konzentrationsschwellen in der 257 Siehe hierzu Kalintiri, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 3, 392, 401–404. 258 Vgl. Ritter, Journal of Antitrust Enforcement 2018, Bd. 6, Nr. 2, 189, 195 f. 259 Vgl. auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 215 f. 260 Vgl. hierzu nur Budzinski/Haucap in: Haucap/Budzinski, Recht und Ökonomie, 2020, S. 341 f. 261 Vgl. auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 245–249. 262 Vgl. nur Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1; siehe auch Hovenkamp/Shapiro, The Yale Law Journal 2018, Bd. 127, Nr. 7, 1996. 263 Ausführlich hierzu etwa Ritter, Journal of Antitrust Enforcement 2018, Bd. 6, Nr. 2, 189; Kalintiri, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 3, 392. 264 Siehe zum Beispiel Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 163.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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Fusionskontrolle dagegen nicht verknüpft.265 Als Indikatoren für die Marktmacht von Unternehmen beziehungsweise Wettbewerbsbehinderungen infolge eines Zusammenschlusses stellen Marktanteile und Konzentrationsgrade nämlich auch lediglich Imperfect Proxies dar.266
b) Marktstrukturbetrachtung und dynamische Effizienz Zu beachten ist nun, dass sich Marktstrukturfaktoren überhaupt nur dann als Ausgangspunkt und Filter in der Zusammenschlussprüfung eignen, wenn es um Produktmarktwettbewerb und statische Effizienz geht. Sollen dagegen die Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz untersucht werden, kommt Marktanteilen und Konzentrationsgraden für sich genommen keine relevante Aussagekraft zu.267 Indizwirkung entfalten sie lediglich insoweit, als sich an ihnen die Machtstellung von Unternehmen auf einem bestimmten (gegenwärtigen) Produktmarkt ablesen lässt.268 Auf der Grundlage der neoklassischen Oligopoltheorie und empirischer Untersuchungen hierzu wird, wie erläutert, von einem jedenfalls tendenziellen Zusammenhang zwischen der Struktur eines Markts einerseits sowie der Marktmacht der auf diesem tätigen Unternehmen und dem sich einstellenden Preis- und Mengenniveau andererseits ausgegangen.269 Stehen aber nicht die Marktmacht von Unternehmen und eine durch sie bedingte Beeinträchtigung der statischen Effizienz im Vordergrund, sondern die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen, lassen sich Marktanteile und Konzentrationsgrade nicht als Indikatoren heranziehen. Wie die Auseinandersetzung mit den Neo-Schumpeter-Hypothesen gezeigt hat, fehlt es an einem belegbaren Zusammenhang zwischen der Marktstruktur und der Innovationsaktivität von Unternehmen.270 Außerdem lassen sich Marktanteile immer nur Unternehmen zuordnen, die bereits auf einem Markt tätig sind. Dies ist aber nicht notwendigerweise bei sämtlichen relevanten Innovationswettbewerbern der Fall. Mithin kann von zusammenschlussbedingt erhöhten Marktantei-
265 Vgl. Kalintiri, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 3, 392, 401–404; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 222 f. 266 Vgl. etwa Kaplow, International Journal of Industrial Organization 2015, Bd. 43, 148, 150; Kalintiri, Journal of Competition Law & Economics 2020, Bd. 16, Nr. 3, 392, 402. 267 Siehe Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 16–31. 268 Siehe hierzu etwa Schwalbe/Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 72 f.; Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 47 f. Die indirekte Erfassung von Marktmacht anhand von Marktanteilen ist meist vorzugswürdig gegenüber einer direkten, da sie weniger aufwendig ist und weniger Informationen voraussetzt, siehe hierzu nur Schwalbe/ Zimmer, Kartellrecht und Ökonomie, 2011, S. 70–72; OECD, Market Definition, 2012, S. 26. 269 Siehe Kapitel 2.A.III.1.a) und A.III.1.b). 270 Siehe Kapitel 2.C. I.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
len und Konzentrationsgraden weder auf ein Mehr an Innovationsaktivität geschlossen werden noch auf ein Weniger.271 Weil es bei der Untersuchung von Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz also nicht möglich ist, sich auf die allgemeinen ökonomischen Erfahrungssätze zu stützen, welche der herkömmlichen Marktstrukturbetrachtung zugrunde liegen, muss die Untersuchung, so wird verbreitet angenommen, grundsätzlich noch stärker an den spezifischen Umständen des jeweiligen Einzelfalles ausgerichtet werden als es bei der Untersuchung von Zusammenschlusswirkungen auf die statische Effizienz der Fall ist.272 Die Entscheidungsfindung auf ökonomische Vermutungen zu stützen, wonach Zusammenschlüsse unter bestimmten Umständen stets und generell bestimmte Auswirkungen auf die dynamische Effizienz haben, ist nicht gerechtfertigt.273 Eine Ausnahme soll nach Katz und Shelanski allein für Zusammenschlüsse gelten, die ein Monopol begründen. Dann sei auch hier eine schwache Schadensvermutung im Hinblick auf die dynamische Effizienz zulässig.274 Eine solche Vermutung dürfte freilich kaum für eine nennenswerte Erleichterung der Zusammenschlussprüfung sorgen. Ein Zusammenschluss, der ein Monopol begründet, wird regelmäßig schon zum Schutz des statischen Wettbewerbs und der statischen Effizienz zu untersagen sein. Zu erwägen wäre, ob eine solche schwache Vermutung auch für Zusammenschlüsse zulässig ist, die zwar nicht ein Monopol begründen, aber auf hochkonzentrierten Märkten stattfinden, auf denen sich das Problem des fehlenden Zusammenhangs zwischen Konzentrationsgrad und Innovationsaktivität wohl in etwas geringerem Maße stellt als bei weniger stark konzentrierten Märkten.
271
Vgl. auch Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 26 f. Vgl. etwa Barth, Innovationsmärkte in der Fusionskontrolle, 2004, S. 70; Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 17–27; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 203 f.; Kwoka in: Nihoul/Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 20; Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 262 f. 273 Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 26 f. Hiermit beschäftigen sich auch einige jüngere Beiträge, die vor allem von Mitarbeitenden ökonomischer Beratungsunternehmen stammen, siehe Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41; RBB Economics, An Innovative Leap Into the Theoretical Abyss, 2017; Lofaro/Lewis/Abecasis, Antitrust Magazine 2017, Bd. 32, Nr. 1, 100; Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2019, Bd. 10, Nr. 6, 370. 274 Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 26 f., die auch von „moderate presumption of harm“ sprechen. Sie empfehlen „that merger review proceed on a more fact-intensive, case-by-case basis where innovation is at stake, with a presumption that a merger’s effects on innovation are neutral except in the case of merger to monopoly, where there would be a rebuttable presumption of harm“, Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 6. Siehe hierzu auch Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41, 44. 272
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
277
c) Innovationsspezifische Anhaltspunkte? Weniger vertieft scheint bislang die Frage erörtert worden zu sein, ob sich bei der Untersuchung von Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz nicht anhand von anderweitigen Gesichtspunkten als Marktanteilen und Konzentrationsgraden frühzeitig Rückschlüsse darauf ziehen lassen, ob im Falle eines Zusammenschlusses wettbewerbliche Bedenken angebracht sind oder nicht. Kann oder sollte die herkömmliche Marktstrukturbetrachtung bei Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern durch die Betrachtung anderweitiger (Struktur-)Faktoren ersetzt werden? Wie beschrieben, dient die Abgrenzung von Innovationsmärkten im Rahmen der Innovation Market Analysis auch dazu, den auf einem bestimmten Innovationsmarkt tätigen Unternehmen Anteile an diesem Innovationsmarkt zuzuweisen und sodann dessen Konzentrationsgrad zu ermitteln.275 Der Anteil eines Unternehmens an einem Innovationsmarkt entspricht etwa seinem Anteil an den von sämtlichen Unternehmen auf dem Innovationsmarkt insgesamt getätigten F&E-Ausgaben oder am insgesamt vorhandenen Bestand an bestimmten Innovationsfähigkeiten, beispielsweise bestimmten Ressourcen oder Vermögenswerten (Specialized Assets).276 Dieser Ansatz ist grundsätzlich auch unabhängig einer von Innovation Market Analysis denkbar. Unter Umständen lassen sich die Anteile der einzelnen Innovationswettbewerber an den Innovationsausgaben und -fähigkeiten sämtlicher relevanter Innovationswettbewerber bestimmen. Der Anteilsverteilung und einem auf ihrer Grundlage ermittelten Konzentrationsgrad können dann Hinweise auf etwaige Wettbewerbsbedenken entnommen werden.277 Problematisch ist hieran freilich, dass die Aussagekraft von F&E-Ausgaben und sonstigen Kennzahlen für die Innovationsaktivität von Unternehmen, wie schon erörtert, stets eingeschränkt ist. Es werden auch nicht in jedem Fall geeignete und vergleichbare Daten zu erheben sein.278 Darüber hinaus stellt sich auch hier die Frage, ob wirklich ein stetiger Zusammenhang zwischen dem Anteil eines Unternehmens an Innovationsausgaben und -fähigkeiten sowie seiner relativen Bedeutung als Innovationswettbewerber nachweisbar ist. Möglicherweise spielen gerade Unternehmen mit kleiner F&EAbteilung und geringer Ausstattung eine besonders wichtige Rolle im Innova-
275 276
Siehe oben, unter B.VI. DoJ/FTC, IP Guidelines, 1995, S. 12; DoJ/FTC, IP Guidelines, 2017, S. 12; Gilbert/ Sunshine, Antitrust Law Journal 1995, Bd. 63, Nr. 2, 569, 597. 277 Vgl. hierzu auch etwa Katz/Shelanski, „Schumpeterian“ Competition and Antitrust Policy in High-Tech Markets, 2005, S. 11 f.; Sidak/Teece, Journal of Competition Law & Economics 2009, Bd. 5, Nr. 4, 581, 616 f.; Graef/Wahyuningtyas/Valcke, How Google and Others Upset Competition Analysis, 2014, S. 14. 278 Siehe hierzu Kapitel 2.C. I.3.a).
278
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
tionswettbewerb. Dies liegt zumal bei mit großer Unsicherheit behafteten und stark vom Zufall abhängigen Innovationsprozessen nicht fern.279 Sinnvoller ist es daher eventuell, anstatt der relativen die absolute Bedeutung einzelner Innovationswettbewerber in den Blick zu nehmen, und Rückschlüsse auf die Angemessenheit von Wettbewerbsbedenken auf die Anzahl der nach einem Zusammenschluss verbleibenden Innovationswettbewerber zu stützen.280 In diese Richtung geht der Ansatz der Kommission, bei F&E-Vereinbarungen in Szenarien mit früh erkennbaren F&E-Polen danach zu fragen, ob solche F&E-Pole nach Vertragsschluss in ausreichender Zahl übrigbleiben.281 In eine zumindest ähnliche Richtung scheint auch die Festlegung eines SafeHarbour-Bereichs in den Leitlinien der Kommission zum Technologietransfer zu gehen. Darin äußert die Kommission die Annahme, dass eine Technologietransfer-Vereinbarung (außerhalb der einschlägigen Gruppenfreistellungsverordnung) nicht gegen das Kartellverbot verstößt, „wenn es neben den von den Vertragsparteien kontrollierten Technologien vier oder mehr von unabhängigen Dritten kontrollierte Technologien gibt, die zu für den Nutzer vergleichbaren Kosten anstelle der lizenzierten Technologie eingesetzt werden können“282.
Dieser sogenannte 4-Plus-Test bezieht sich allerdings nicht auf die Anzahl an Innovationswettbewerbern, sondern auf die Anzahl an Wettbewerbern auf einem Technologiemarkt.283 Auf die Anzahl an Innovationswettbewerbern bezieht sich wiederum eine Safety-Zone-Bestimmung in den Leitlinien der US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden zur Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern. Danach werden (verkürzt gesagt) Vereinbarungen zwischen Innovationswettbewerbern dann nicht aufgegriffen, wenn es neben den Vertragsparteien noch drei oder mehr weitere, unabhängige Unternehmen gibt, die über die Fähigkeiten und Anreize zur Vornahme solcher Innovationstätigkeiten verfügen, die mit denjenigen der Vertragsparteien austauschbar sind.284 Eine vergleichbare Bestimmung findet sich in den Leitlinien der US-Behörden zur Lizenzie279 Vgl hierzu auch Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 132 f. 280 Vgl. hierzu etwa Fuchs, Kartellrechtliche Grenzen der Forschungskooperation, 1989, S. 127, 133 f.; Shapiro in: Lerner/Stern, The Rate and Direction of Inventive Activity Revisited, 2012, S. 368; Haucap, Merger Effects on Innovation, 2017, S. 7 f.; Carstensen/Lande, Wisconsin Law Review 2018, Nr. 4, 783; Gilbert, Review of Industrial Organization 2019, Bd. 54, Nr. 3, 465; Baker, The Antitrust Paradigm, 2019, S. 155–160. 281 Horizontal-Leitlinien, Rn. 120; Technologietransfer-Leitlinien, Rn. 26; siehe hierzu auch oben, unter B. V. 282 Technologietransfer-Leitlinien, Rn. 157. 283 Vgl. Fuchs in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2019, TT-GVO, Allgemeines Rn. 71; Schweda in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, TT-GVO, Einf. Rn. 12. 284 DoJ/FTC, Competitor Collaboration Guidelines, 2000, S. 26 f.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
279
rung von Immaterialgüterrechten, bei der die Mindestanzahl an zusätzlichen, unabhängigen Innovationswettbewerbern allerdings vier beträgt.285 Aus den genannten Leitlinien erschließt sich indes nicht ohne Weiteres, auf welcher theoretischen Grundlage solche Ansätze zur Aufrechterhaltung der Konkurrenz zwischen einer Mindestanzahl an unabhängigen Innovationswettbewerbern beruhen.286 Ihnen mag die Intuition zugrunde liegen, dass der Innovationswettbewerb die dynamische Effizienz umso besser fördern kann, je mehr Unternehmen sich an ihm beteiligen. In dieser Allgemeinheit lässt sich diese Intuition aber jedenfalls nicht allein auf die moderne Industrieökonomik stützen, wie sie für die heutige Wettbewerbstheorie und -politik sowie für den More Economic Approach der Kommission prägend ist.287 Wie schon beschrieben, stehen in industrieökonomischen Modellen – so überhaupt versucht wird, das Verhältnis von Innovation und Wettbewerb zu erfassen – regelmäßig die Innovationsanreize von Unternehmen im Mittelpunkt.288 Die Auseinandersetzung mit der Literatur zu Innovationsrennen hat indes gezeigt, dass es Innovationsanreize keineswegs immer stärkt, wenn weitere Unternehmen zum Kreis der relevanten Innovationswettbewerber hinzutreten.289 An dieser Stelle kann allerdings erneut auf Erkenntnisse der evolutionsökonomischen Innovationsforschung und die beschriebene dynamisch-evolutorische Wettbewerbskonzeption zurückgegriffen werden. Diese liefert sehr wohl Anhaltspunkte für eine theoretische Grundlage, auf welcher ein Zusammenhang zwischen der Anzahl an Innovationswettbewerbern einerseits und der Funktionsfähigkeit des Innovationswettbewerbs sowie der Förderung dynamischer Effizienz andererseits hergestellt werden kann. Wie dargelegt, lässt sich Wettbewerb aus evolutionsökonomischer Perspektive als dynamischer, auf Variation und Selektion basierender Prozess der Schaffung und Erprobung neuen Wissens verstehen. Entscheidende Bedeutung kommt dabei der Vielfalt an unterschiedlichen, zur Probe gestellten Problemlösungsansätzen zu, die wiederum mit der Anzahl an unabhängigen, heterogenen Innovationswettbewerbern zusammenhängen kann. Deren Innovationsanreize spielen gegenüber dem Vielfaltsaspekt nur eine zu vernachlässigende Rolle. Hierauf ließe sich möglicherweise eine – ökonomische – Vermutung gründen, wonach bei einem Zusammenschluss, welcher die Anzahl an relevanten Innovationswettbewerbern 285 Vgl.
DoJ/FTC, IP Guidelines, 2017, S. 13, 24 f. Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 193 f.; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 202 f. 287 Siehe hierzu Kapitel 2.A.III.1.c). 288 Vgl. Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 264; Kerber in: Drexl/Kerber/Podszun, Competition Policy and the Economic Approach, 2011, S. 190; Kern/ Ackermann, Shedding Some Light on the Dark Matter of Competition, 2014, S. 1 f.; Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 200–204. 289 Siehe Kapitel 2.B.III.3. 286 Vgl.
280
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
oder, mit anderen Worten, die Diversität im Innovationsoligopol spürbar reduziert, von Wettbewerbsbedenken auszugehen wäre. An dieser Feststellung könnte sich die weitere Zusammenschlussprüfung dann orientieren. Abzurücken wäre von der Annahme wettbewerblicher Bedenken, wenn sich zeigt, dass in Verbindung mit dem Zusammenschluss besondere Ausgleichsfaktoren auftreten. Wie ebenfalls bereits dargestellt, ist jedoch bislang unklar, inwiefern es zur Aufrechterhaltung von Diversität unter den erprobten Problemlösungsansätzen tatsächlich eigenständiger Unternehmen bedarf und bei welcher Schwelle die für einen funktionierenden Innovationswettbewerb erforderliche Mindestanzahl an Innovationswettbewerbern anzusiedeln ist. Die hier erwogene ökonomische Vermutung lässt sich zur Erklärung der in den genannten Leitlinien festgelegten Wettbewerberzahlen daher (noch) nicht unmittelbar heranziehen. Es ist aber durchaus denkbar, dass weitere Forschung auf dem Gebiet der Evolutionsökonomik zusätzliche Erkenntnisse bringen und es beispielsweise gelingen wird, industriespezifische Schwellenwerte zu bestimmen, deren zusammenschlussbedingtes Unterschreiten die beschriebene Vermutung für die Zusammenschlussprüfung auslöst.290 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch der von Linge vorgelegte Entwurf eines an der dynamisch-evolutorischen Wettbewerbskonzeption angelehnten Prüfkonzepts für die Fusionskontrolle.291 Danach ist in die Zusammenschlussprüfung (vereinfacht und zusammengefasst) insbesondere auch folgender Gedankengang zu integrieren: Jeder Zusammenschluss reduziert die Anzahl unabhängiger, parallel experimentierender Unternehmen. Deshalb ist zunächst zu prüfen, ob die entstehende Unternehmenseinheit die Fähigkeiten und Anreize haben wird, die derzeit noch von den Zusammenschlussparteien durchgeführten, parallelen Experimente jeweils intern aufrechtzuerhalten. Ist davon nicht auszugehen, wird der Zusammenschluss wahrscheinlich zu einer zahlenmäßigen Einschränkung der im Wettbewerb erprobten Problemlösungsansätze führen. Es wird dann nicht mehr in gleichem Maße wie vor dem Zusammenschluss Wissen im Wettbewerb generiert werden. In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, ob vor dem Zusammenschluss ein Übermaß an parallel geführten Experimenten besteht. Ist dies nicht der Fall, wird der Zusammenschluss den wissensschaffenden Wettbewerb voraussichtlich in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigen, und damit auch die dynamische Effizienz, sodass künftig mit weniger Innovationen zu rechnen sein wird. Anderenfalls wird mit dem Zusammenschluss lediglich der Abbau eines Diversitätsüberschusses einhergehen, der unschädlich ist.292 290 Siehe 291 Siehe
hierzu bereits Kapitel 2.A.III.2.e) sowie Kapitel 3.B.II.3. Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 263–281. 292 Vgl. die Übersicht bei Linge, Competition Policy, Innovation, and Diversity, 2008, S. 266.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
281
2. Negative Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz Inwiefern ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern negative Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz haben kann, wurde bereits erörtert. Zu den möglichen Zusammenschlusswirkungen zählen sowohl Primäreffekte, die aus der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks resultieren, als auch Sekundäreffekte, die hiermit nicht unbedingt in direkter Weise zusammenhängen. Bei diesen Zusammenschlusswirkungen geht es, entsprechend dem Leitbild der modernen Industrieökonomik, in erster Linie um die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen. Darüber hinaus sind aber, wie soeben erneut angesprochen, auch Zusammenschlusswirkungen denkbar, die auf einer Verringerung der Vielfalt im dynamisch-evolutorischen Wettbewerb beruhen. Welche dieser Zusammenschlusswirkungen ein konkreter Zusammenschluss wahrscheinlich hervorrufen wird, ist unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu untersuchen. Schwierig kann sich im Einzelfall die Ermittlung der zur Prognose negativer Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz erforderlichen Tatsachen gestalten. Wie bereits im Zusammenhang mit der Identifikation relevanter Innovationswettbewerber gilt auch hier, dass die konkrete Erhebung statistischer Daten, etwa durch die Befragung von Kundinnen und Kunden, häufig nicht möglich sein und es daher vor allem auf qualitative Nachweise ankommen wird. Auf die eingeschränkte Praktikabilität quantitativer Analyseinstrumente für den Innovationswettbewerb wurde bereits hingewiesen.293 Besondere Aufmerksamkeit ist unter Umständen auch hier den internen Dokumenten der Parteien und gegebenenfalls dritter Unternehmen zu schenken. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich daraus direkte Hinweise auf Anreize und wahrscheinliches Verhalten nach dem betrachteten Zusammenschluss ergeben. So kann eine zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen und damit der dynamischen Effizienz beispielsweise dadurch indiziert sein, dass die Einstellung, Reduktion oder Umlenkung von Innovationstätigkeiten bereits in internen Strategie- und Planungsdokumenten erwogen oder angekündigt wird. In einem solchen Fall ist die Auswertung interner Dokumente eine wichtige Ergänzung zur ökonomischen Analyse von Fähigkeiten und Anreizen.294 Allein auf Hinweise, die sich in internen Dokumenten finden, sollte die Entscheidungsfindung freilich nicht gestützt werden. Solche Hinweise vermögen die ökonomische Analyse nicht zu ersetzen.295 Dem 293
Siehe Kapitel 3.B. I.1.c). Bourreau/Streel, Digital Conglomerates and EU Competition Policy, 2019, S. 33; OECD, Start-ups, Killer Acquisitions and Merger Control, 2020, S. 32 f.; Hemphill/Wu, University of Pennsylvania Law Review 2020, Bd. 168, Nr. 7, 1879, 1903 f. 295 Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 19; vgl. hierzu auch Solà-Morales, Journal of European Competition Law & Practice 2019, Bd. 10, Nr. 5, 304. 294 Vgl.
282
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
stehen auch die beschriebenen Unwägbarkeiten bei der Interpretation interner Dokumente entgegen.296 Aufschlussreich kann es zudem sein, frühere Zusammenschlüsse, die unter Beteiligung einer der auch aktuell beteiligten Parteien oder innerhalb der fraglichen Industrie stattfanden, und ihre – nunmehr, ex post, konkret messbaren – Auswirkungen in den Blick zu nehmen. Instruktiv ist es zum Beispiel, wenn die erwerbende Partei schon zuvor mehrfach Innovationswettbewerber aufgekauft und deren Innovationstätigkeiten eingestellt hat, oder wenn zu beobachtende Konsolidierungswellen in einer Industrie bereits in der Vergangenheit zu einem sichtbaren Rückgang an Innovationstätigkeiten geführt haben.297 Um das künftige Verhalten der entstehenden Unternehmenseinheit vorherzusagen, sollte auch versucht werden, die spezifischen Beweggründe der Parteien bei der Vornahme des Zusammenschlusses (auch Merger Rationale genannt) nachzuvollziehen. Danach kann im Rahmen von Auskunftsverlangen direkt gefragt werden. Auch können wiederum interne Dokumente herangezogen und auf entsprechende Hinweise durchsucht werden. Angaben der Parteien zu ihren Beweggründen lassen sich eventuell durch den Abgleich mit Auskünften Dritter sowie den Erkenntnissen der historischen Betrachtung früherer Zusammenschlüsse verifizieren.298
3. Positive Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz Im Anschluss an die Feststellung etwaiger negativer Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf die dynamische Effizienz, ist zu überprüfen, ob der Zusammenschluss möglicherweise zugleich positive Auswirkungen auf die dynamische Effizienz haben wird. Im Mittelpunkt stehen hier vor allem dynamische Effizienzgewinne, die ein solcher Zusammenschluss hervorrufen und dadurch Innovationsfähigkeiten und -anreize stärken kann.
296
Siehe hierzu oben, unter C.II.1. Vgl. hierzu auch die Diskussion um den Nachweis von Strategien zum systematischen Aufkauf innovativer Start-up-Unternehmen, die Incumbents auf digitalen Märkten möglicherweise verfolgen, um so ihre Marktpositionen zu festigen und (potentielle) wettbewerbliche Gefahren frühzeitig auszuschalten, Schweitzer/Haucap/Kerber/Welker, Modernisierung der Missbrauchsaufsicht für marktmächtige Unternehmen, 2018, S. 122–127; Furman/Coyle/Fletcher/ McAuley/Marsden, Unlocking Digital Competition, 2019, S. 95 f.; Crémer/Montjoye/Schweitzer, Competition Policy for the Digital Era, 2019, S. 119; BMWi, Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, 2019, S. 65; Hemphill/Wu, University of Pennsylvania Law Review 2020, Bd. 168, Nr. 7, 1879, 1905–1908; Bryan/Hovenkamp, University of Chicago Law Review 2020, Bd. 87, Nr. 2, 331, 353. 298 Vgl. hierzu etwa OECD, Considering Non-Price Effects in Merger Control, 2018, S. 18; OECD, Start-ups, Killer Acquisitions and Merger Control, 2020, S. 25 f. 297
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
283
a) Zur Berücksichtigungsfähigkeit dynamischer Effizienzgewinne Die wesentlichen Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen nach den Leitlinien der Kommission wurden bereits genannt: Es muss sich um Vorteile für Verbraucherinnen und Verbraucher handeln, die fusionsspezifisch und überprüfbar sind.299 Dass ein Zusammenschluss Verbraucherinnenvorteile auch in Gestalt speziell dynamischer Effizienzgewinne hervorbringen kann, erkennt die Kommission in ihren Leitlinien ausdrücklich an. Sie nennt darin unter anderem mögliche „Vorteile aufgrund neuer oder verbesserter Waren oder Dienstleistungen […], die sich z. B. aus Effizienzgewinnen in den Bereichen Forschung und Entwicklung und Innovation ergeben“300.
Im Übrigen sind die Leitlinien allerdings eher auf statische denn auf dynamische Effizienzgewinne zugeschnitten. So verlangt die Kommission, dass die in Rede stehenden Verbraucherinnenvorteile erheblich sind und sich rechtzeitig, das heißt binnen eines überschaubaren Zeitraumes, sowie auf denjenigen Märkten realisieren, die auch durch die festgestellten negativen Zusammenschlusswirkungen betroffen sind.301 Mit dem Gewicht dieser negativen Zusammenschlusswirkungen steigen zudem die Wahrscheinlichkeitsanforderungen an die fraglichen Verbraucherinnenvorteile.302 Für hinreichend überprüfbar hält die Kommission überdies nur solche Effizienzgewinne, die quantifizierbar oder jedenfalls klar identifizierbar sind.303 Diese Kriterien passen nicht wirklich zu dynamischen Effizienzgewinnen in Gestalt gestärkter Innovationsfähigkeiten und -anreize. Zwischen der Beurteilung eines Zusammenschlusses und dem Zeitpunkt, zu welchem sich derartige Effizienzgewinne darin niederschlagen, dass Verbraucherinnen und Verbrauchern innovative Produkte auf einem zukünftigen Markt angeboten werden, wird in vielen Fällen ein Zeitraum liegen, der nicht mehr als überschaubar anzusehen ist. Innovationsprozesse können, wie erörtert, überaus langwierig ausfallen. Außerdem ist die Wahrscheinlichkeit, mit welcher sich dynamische Effizienzgewinne für Verbraucherinnen und Verbraucher realisieren werden, angesichts der für Innovationsprozesse typischen Unsicherheit stets eingeschränkt.304 Wird hinsichtlich der in Betracht zu ziehenden Verbraucherinnenvorteile nicht erst auf bestimmte fertige Produkte abgestellt, sondern bereits auf die zusammenschlussbedingte Stärkung von Innovationsfähigkeiten 299 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 78; siehe auch bereits oben, unter A.II. 300 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 81. 301 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 79, 83, 86. 302 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 84. 303 Vgl. Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 86. 304 Siehe hierzu Katz/Shelanski, Antitrust Law Journal 2007, Bd. 74, Nr. 1, 1, 56; OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 34 f.
284
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
und -anreizen selbst beziehungsweise die darauf folgende Aufnahme oder Beschleunigung von Innovationstätigkeiten, so treten besondere Schwierigkeiten hinzu, was die Bestimmung der Erheblichkeit der Vorteile und ihre quantitative Überprüfung betrifft.305 Auch das Kriterium, wonach sich negative und positive Zusammenschlusswirkungen auf demselben Markt realisieren sollen, ist dann schwierig anzuwenden.306 Vor diesem Hintergrund ist dem Befund von Leber zuzustimmen, dass die Leitlinien der Kommission „konzeptionell auf statische Effizienzen ausgerichtet“ sind.307 Dies führt dazu, dass die von der Kommission aufgestellten Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen im Falle dynamischer Effizienzgewinne kaum je erfüllt werden. Soweit ersichtlich, sind dynamische Effizienzgewinne bislang in keiner Fusionskontrollentscheidung der Kommission dergestalt berücksichtigt worden, dass sie das Ergebnis der Zusammenschlussprüfung substantiell beeinflusst haben.308 Als nicht wirklich zu dynamischen Effizienzgewinnen passend wird auch die Festlegung in den Leitlinien der Kommission angesehen, dass die Zusammenschlussparteien die Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf Effizienzgewinne tragen.309 Diese Beweislastverteilung wird in der Literatur von vielen ganz generell abgelehnt, und dies mit guten Gründen.310 Aufgrund des auch für die Fusionskontrolle maßgeblichen Untersuchungs- oder Amtsermittlungsprinzips sei es grundsätzlich Sache der Kommission, nicht nur negative, sondern sämtliche Zusammenschlusswirkungen, also auch etwaige Effizienzgewinne, zu untersuchen und nachzuweisen.311 Eine integrierte und umfassende Prüfung durch die Kommission entspreche ferner ihrem auswirkungsorientier305 Vgl. 306 Vgl.
OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 35 f. hierzu auch Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 35–40; Graef/Wahyuningtyas/Valcke, How Google and Others Upset Competition Analysis, 2014, S. 15 f. 307 So wörtlich Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 277; vgl. hierzu auch Wolf, Effizienzen und europäische Zusammenschlusskontrolle, 2009, S. 266; Graef/Wahyuningtyas/Valcke, How Google and Others Upset Competition Analysis, 2014, S. 15; Costa-Cabral, Yearbook of European Law 2018, Bd. 37, 305, 312 f. 308 Müller/Stril, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 52, 54 f.; Bundeskartellamt, Innovationen – Herausforderungen für die Kartellrechtspraxis, 2017, S. 29; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 380; ausführlich hierzu auch Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018. 309 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 85, 87 f.; siehe hierzu auch Thomas, Journal of Competition Law & Economics 2017, Bd. 13, Nr. 2, 346, 370; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 372. Dabei geht es allerdings nicht um einen Streng-, sondern lediglich um einen Indizienbeweis, Riesenkampff/Steinbarth in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff/Kersting/Meyer-Lindemann, Kartellrecht, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 182. 310 Instruktiv etwa Thomas, Journal of Competition Law & Economics 2017, Bd. 13, Nr. 2, 346; siehe auch Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 107–112. 311 Vgl. Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 49; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 110; Köber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 372.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
285
ten Ansatz in der Zusammenschlussprüfung, der eine Feststellung gerade der Netto-Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf die Verbraucherwohlfahrt und also eine Abwägung zwischen wettbewerblichen Schäden und Effizienzgewinnen vorsehe.312 Für die Praxis ist diese Kritik in der Literatur bislang von eingeschränkter Bedeutung, zumal die Rechtsprechung die Beweislastverteilung durch die Kommission sanktioniert hat.313 Geht es speziell um dynamische Effizienzgewinne, kommen indes gewichtige Kritikpunkte hinzu, die umso mehr gegen eine Beweislastverteilung zulasten der Zusammenschlussparteien sprechen. Die Kommission begründet diese in ihren Leitlinien nämlich im Wesentlichen damit, dass sich die relevanten Informationen „ganz überwiegend im Besitz der Zusammenschlussparteien“ befinden.314 Wichtige Informationsquellen seien beispielsweise „interne Unterlagen, die von der Unternehmensführung herangezogen wurden, um über den Zusammenschluss zu beschließen, Ausführungen der Unternehmensleitung an die Eigentümer und Finanzmärkte zu den erwarteten Effizienzvorteilen, Beispiele für zurückliegende Effizienzvorteile und Verbrauchervorteile und vor dem Zusammenschluss erstellte Studien außenstehender Sachverständiger“315.
Hinsichtlich des Zugangs zu Informationen, auf welche es für die Feststellung etwaiger dynamischer Effizienzgewinne ankommt, werden die Zusammenschlussparteien tatsächlich jedoch in vielen Fällen weitaus schlechter gestellt sein als die Kommission. Diese Informationen betreffen nämlich in besonderem Maße die zukünftige Entwicklung von wirtschaftlichen und Marktbedingungen, deren Prognose einzelnen Unternehmen regelmäßig mindestens genauso schwerfällt wie der Kommission. Anders als die Zusammenschlussparteien, verfügt die Kommission jedoch über Ermittlungsbefugnisse, welche ihr beispielsweise die Informationsbeschaffung durch Befragungen von Wettbewerbern der Parteien sowie sonstigen Marktteilnehmern oder (Branchen-)Expertinnen und Experten ermöglichen. Dass allein die Zusammenschlussparteien darlegungs- und beweisbelastet sind, ist also im Hinblick auf die dynamische Effizienz in besonderem Maße unsachgerecht.316 Dennoch haben Vorschläge 312 Vgl. Thomas, Journal of Competition Law & Economics 2017, Bd. 13, Nr. 2, 346, 370 f.; Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 109 f. 313 Siehe EuG, 9.3.2015, Rs. T-175/12, ECLI:EU:T:2015:148, Rn. 361 f. – Deutsche Börse/Kommission; siehe hierzu auch Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 373. 314 So wörtlich Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 87. Zu dieser Begründung der Verteilung von Darlegungs- und Beweislast zulasten der Zusammenschlussparteien siehe auch etwa OECD, Dynamic Efficiencies in Merger Analysis, 2008, S. 28, 33, 37 f. 315 Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 88. 316 Siehe Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 259 f.; vgl. auch Fackelmann, Dynamic Efficiency Considerations in EC Merger Control, 2006, S. 57; Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41, 48 f.; Gilbert, Antitrust Chronicle 2018, Bd. 1, Nr. 1, 54, 58 f.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
aus der Literatur, die in den Leitlinien der Kommission vorgesehene Beweislastverteilung umzukehren und den Zusammenschlussparteien lediglich eine Art der sekundären Darlegungslast zuzuweisen, bislang, soweit ersichtlich, keinen Eingang in die Praxis gefunden.317
b) Asymmetrien in der Zusammenschlussprüfung Festzuhalten ist also: Positive Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz können, soweit sie dynamische Effizienzgewinne darstellen beziehungsweise als solche angesehen werden, und soweit deshalb die von der Kommission aufgestellten Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen im Allgemeinen auf sie angewendet werden, in der praktischen Zusammenschlussprüfung regelmäßig keine Beachtung finden. Insoweit besteht ein erheblicher Unterschied zwischen positiven und negativen Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz. Zwar realisieren sich Letztere, wie erörtert, möglicherweise ebenfalls erst binnen eines nicht überschaubaren Zeitraums sowie mit eingeschränkter Wahrscheinlichkeit. Auch lassen sie sich ebenso wenig quantifizieren wie dynamische Effizienzgewinne. Weil aber die Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen für sie nicht gelten, können sie in der Zusammenschlussprüfung sehr wohl beachtet werden. Dieses Ungleichgewicht geht zulasten der Zusammenschlussparteien, die nach gegenwärtiger Kommissionspraxis im Hinblick auf Effizienzgewinne darlegungs- und beweisbelastet sind. Während die Kommission im Einzelfall durchaus die Möglichkeit hat, den ihr obliegenden Nachweis negativer Zusammenschlusswirkungen zu führen, wird es den Parteien kaum je gelingen, dynamische Effizienzgewinne darzulegen und zu beweisen. Insofern ist die Entscheidungsfindung in der Fusionskontrolle, wenn es um Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz geht, durch signifikante strukturelle Asymmetrien geprägt. Negativen Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz wird ein weitaus größeres Gewicht beigemessen als positiven.318 Derartige Asymmetrien sind natürlich unter verschiedenen Gesichtspunkten als problematisch anzusehen. Sie können etwa zur Folge haben, dass positive 317 Mit
einem solchen Vorschlag etwa Leber, Dynamische Effizienzen in der EU-Fusionskontrolle, 2018, S. 261; vgl. hierzu auch Thomas, Journal of Competition Law & Economics 2017, Bd. 13, Nr. 2, 346. 318 Zu den beschriebenen Asymmetrien siehe etwa Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41, 48 f.; Haucap, Merger Effects on Innovation, 2017, S. 9 f., der von „structural imbalance“ und „structural asymmetry“ spricht; Lofaro/Lewis/Abecasis, Antitrust Magazine 2017, Bd. 32, Nr. 1, 100, 103; RBB Economics, An Innovative Leap Into the Theoretical Abyss, 2017; Cascone Fauver/Ramanarayanan/Tosini, Antitrust Maga zine 2018, Bd. 32, Nr. 2, 70, 73; Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20, 28; Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 27 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 24; Jung/Sinclair, European Competition Law Review 2019, Bd. 40, Nr. 6, 266, 274 f.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf die dynamische Effizienz in der Zusammenschlussprüfung letztlich unberücksichtigt bleiben, obwohl sie die negativen Auswirkungen des Zusammenschlusses auf die dynamische Effizienz tatsächlich langfristig weit überwiegen. In einem solchen Fall besteht die Gefahr, dass die zu treffende Fusionskontrollentscheidung entgegen dem Zweck der Fusionskontrolle keinen Beitrag zur Förderung langfristiger dynamischer Effizienz leistet, sondern dieser sogar eher abträglich ist.319 Darüber hinaus führen die strukturellen Asymmetrien unter Umständen eine Situation herbei, in der bei einem Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern nach der Prüfung lediglich einzelner Effekte faktisch eine negative Gesamtwirkung auf die dynamische Effizienz (im ökonomischen, nicht rechtlichen Sinne) vermutet wird. Eine solche Vermutung ist jedoch gerade nicht angebracht.320 Schwer nachzuvollziehen ist außerdem, dass die strukturellen Asymmetrien im Falle dynamischer Effizienzgewinne weitaus stärker ausgeprägt sind als im Falle statischer Effizienzgewinne. Dem ist so, weil die Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen für dynamische Effizienzgewinne, wie beschrieben, noch schwieriger zu erfüllen sind als für statische Effizienzgewinne. Zugleich sind dynamische Effizienzgewinne jedoch möglicherweise eher geeignet, negative Zusammenschlusswirkungen vollständig auszugleichen, als statische Effizienzgewinne. Für diese gilt nämlich, dass beispielsweise Preissenkungen, die infolge zusammenschlussbedingter Einsparungen von Produktionskosten möglich werden, regelmäßig geringer ausfallen als mögliche Preiserhöhungen infolge einer zusammenschlussbedingten Marktmachterhöhung.321 Aus rechtlicher Perspektive ist schließlich anzuführen, dass die strukturellen Asymmetrien womöglich zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte führen und gegen den rechtsstaatlichen, auch in den EU-Verträgen verankerten Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit verstoßen.322 Vor diesem Hintergrund fragt sich, ob die Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen im Falle dynamischer Effizienzgewinne herabgesetzt werden sollten, um die strukturellen Asymmetrien zu überwinden.323 319 Vgl. hierzu etwa Kern, World Competition Law and Economics Review 2014, Bd. 37, Nr. 2, 173, 205; Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41, 48 f. 320 Siehe oben, unter C.III.1.b). 321 Siehe Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 24; vgl. auch Déchamps/Fanton in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 66; Argentesi/Buccirossi/Calvano/Duso/Marrazzo/Nava, Ex-post Assessment of Merger Control Decisions in Digital Markets, 2019, S. 136; kritisch hierzu allerdings etwa Buehler/Federico, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 1, 64, 72. 322 Vgl. Weiß in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 44–46; siehe hierzu auch Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 27 f. 323 Vgl. auch Weiß in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 44.
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c) Integrierte Prüfung negativer und positiver Zusammenschlusswirkungen In diesem Zusammenhang und vor dem Hintergrund der beschriebenen strukturellen Asymmetrien in der Zusammenschlussprüfung wird ein weiterer Aspekt relevant, auf den bislang noch gar nicht eingegangen wurde, der aber gegebenenfalls entscheidend für den Ausgang einzelner Fusionsfälle ist. Im Rahmen der herkömmlichen, auf die statische Effizienz ausgerichteten Zusammenschlussprüfung wird vielfach grundsätzlich von folgender (freilich vereinfachter) Zweiteilung möglicher Zusammenschlusswirkungen ausgegangen: Negative Effekte resultieren aus der Beseitigung von Wettbewerbsdruck; positive Effekte treten in Form von statisch-produktiven Effizienzgewinnen auf.324 Die Beseitigung von Wettbewerbsdruck wird ausschließlich mit negativen Effekten in Verbindung gebracht. Sämtliche positiven Effekte stellen Effizienzgewinne dar. Sie sind zunächst an den beschriebenen Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen zu messen und durch die Zusammenschlussparteien darzulegen und zu beweisen.325 Wenn es um Zusammenschlusswirkungen auf die dynamische Effizienz geht, ist diese Zweiteilung nicht gleichermaßen selbstverständlich.326 Wie dargestellt, kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern Innovationsfähigkeiten und -anreize gerade auch insoweit stärken, als er zu einer Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks führt. Auch unter den (hier so bezeichneten) Primäreffekten sind solche, die sich als positiv für die dynamische Effizienz erweisen können. Folglich kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern positive Effekte auf die dynamische Effizienz haben, die nicht zu den dynamischen Effizienzgewinnen im eigentlichen Sinn zählen. Angesprochen sind damit namentlich die Internalisierung technologischer Spillovers, die sich stets positiv auf Innovationsfähigkeiten und -anreize auswirkt, sowie die Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte und Effekte im produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb, deren jeweilige Wirkung auf Innovationsfähigkeiten und -anreize ambivalent ist, also sowohl negativ als auch positiv ausfallen kann.327 Eine entscheidende Frage lautet nun: Sind auch diese positiven Primäreffekte auf die dynamische Effizienz dennoch zunächst an den Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen zu messen und durch die Parteien darzulegen und zu beweisen? 324 Dies gilt zumindest, soweit unilaterale Zusammenschlusswirkungen in Rede stehen. 325 Angelegt zu sein scheint dieses Verständnis auch etwa in Erwägungsgrund 32 der Fusi-
onskontrollverordnung sowie in den Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 22 lit. a), 24 f., 76 f., 85, 87. 326 An ihr wird dennoch zuweilen festgehalten, vgl. etwa Déchamps/Fanton in: Gerard/ Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 67. 327 Siehe hierzu Kapitel 3.B. I.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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Überzeugender erscheint es, eine integrierte Prüfung sämtlicher Auswirkungen, die ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern durch die Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks haben kann, durch die Kommission zu verlangen, und der Kommission die entsprechende Darlegungs- und Beweislast aufzuerlegen. Dann hätte die Kommission bereits bei der Entwicklung und Überprüfung innovationsspezifischer Schadenstheorien auch etwaige positive Primäreffekte zu berücksichtigen. Sie müsste nachweisen, dass solche positiven Effekte unwahrscheinlich sind beziehungsweise nicht zum Ausgleich negativer Effekte ausreichen werden, und dass im Ergebnis mit negativen Netto-Auswirkungen der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks durch den betrachteten Zusammenschluss zu rechnen ist. Überzeugender ist dies deshalb, weil sich negative und positive Primäreffekte in ihrer Art gleichen und eng miteinander verknüpft sind. Sie beruhen im Wesentlichen auf der Internalisierung von Externalitäten zwischen Wettbewerbern, wie sie jeder horizontale Zusammenschluss grundsätzlich herbeiführt. Hierbei macht es keinen maßgeblichen Unterschied, ob die Externalitäten jeweils negativer oder positiver Natur sind. So stellen die Primäreffekte eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern gleichsam unterschiedliche Seiten derselben Medaille dar.328 Auch wenn vom Grundsatz einer integrierten Prüfung sämtlicher Primäreffekte durch die insofern umfänglich darlegungs- und beweisbelastete Kommission ausgegangen wird, ist freilich nicht ausgeschlossen, dass die Zusammenschlussparteien im Rahmen einer Art der sekundären Darlegungslast dazu angehalten sind, Informationen zu etwaigen positiven Primäreffekten, die nur ihnen zur Verfügung stehen oder die sie zu geringeren Kosten beschaffen können als die Kommission, in angemessener Weise beizubringen.329 Einer solchen sekundären Darlegungslast der Zusammenschlussparteien kann insbesondere dann Bedeutung zukommen, wenn es der Kommission im Einzelfall an spezifischer Expertise fehlt oder Informationsasymmetrien zulasten der Kommission bestehen, die sie nicht ohne Weiteres durch geeignete Ermittlungsmaßnahmen überwinden kann. Zu erwägen ist darüber hinaus, ob nicht eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast in Betracht kommt, wenn besondere Umstände dafür sprechen, dass negative Primäreffekte sehr wahrscheinlich, positive Primäreffekte dagegen sehr unwahrscheinlich sind. Dann müssten die Parteien, im Anschluss an einen 328 Siehe dazu Jullien/Lefouili, Journal of Competition Law & Economics 2018, Bd. 14, Nr. 3, 364, 385 f., 389 f.; Padilla, Journal of European Competition Law & Practice 2019, Bd. 10, Nr. 6, 370, 377; Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 537; vgl. auch Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41, 48 f.; Argentesi/Buccirossi/Calvano/ Duso/Marrazzo/Nava, Ex-post Assessment of Merger Control Decisions in Digital Markets, 2019, S. 136; Bourreau/Streel, Big Tech Acquisitions, 2020, S. 18 f. 329 Vgl. Thomas, Journal of Competition Law & Economics 2017, Bd. 13, Nr. 2, 346, 375, 377.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Nachweis negativer Primäreffekte durch die Kommission, etwaige positive Primäreffekte ausnahmsweise selbst umfassend nachweisen.330 Denkbar ist dies zum Beispiel, wenn die ökonomische Analyse der Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf eine Beeinträchtigung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen hindeutet und durch interne Dokumente der Parteien gestützt wird, aus denen sich bereits eindeutig eine Absicht zur Einstellung bestimmter Innovationstätigkeiten ergibt. In einem solchen Fall erscheint es etwa gerechtfertigt, den Parteien die Darlegungs- und Beweislast für etwaige positive Effekte im Zusammenhang mit einer zunächst nicht offensichtlichen Internalisierung technologischer Spillovers aufzuerlegen.
IV. Wettbewerblicher Schaden In Rahmen einer Gesamtwürdigung ist abschließend zu beurteilen, ob der betrachtete Zusammenschluss einen wettbewerblichen Schaden verursachen wird. Als mögliche Wettbewerbsschäden und damit als Anknüpfungspunkte innovationsspezifischer Schadenstheorien kommen, wie im vorangegangenen Kapitel dargestellt, eine Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz, eine zukünftige Beeinträchtigung der statischen Effizienz sowie eine Behinderung des Innovationswettbewerbs in Betracht.331 Es fragt sich, auf welchen dieser möglichen Anknüpfungspunkte gerade auch in der europäischen Fusionskontrolle abgestellt werden kann. Zu erinnern ist hier erneut an den More Economic Approach der Kommission und ihren Ansatz, Wettbewerbsschäden stets an konkreten Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf die Verbraucherwohlfahrt festzumachen. In Anbetracht dessen dürften aus Sicht der Kommission nicht bereits eine zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen sowie ein daraus folgender Rückgang an Innovationstätigkeiten als Wettbewerbsschaden anzusehen sein. Als Wettbewerbsschaden dürfte sich aus Sicht der Kommission vielmehr erst der Umstand darstellen, dass Verbraucherinnen und Verbrauchern infolge eines Zusammenschlusses bestimmte innovative Produkte künftig (vorübergehend) nicht angeboten werden, mit der Folge, dass sich die Verbraucherinnen und Verbraucher auf einem zukünftigen Produktmarkt mit einer geringeren Auswahl sowie mit einer Einschränkung der Intensität statischen Wettbewerbs und also mit erhöhten Preisen konfrontiert sehen werden. Außerdem dürfte aus Kommissionssicht auch eine zusammenschlussbedingte Behinderung des Innovationswettbewerbs für sich genommen nicht als Wettbewerbsschaden anzusehen sein. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang freilich, dass die europäischen Gerichte die Ausrichtung der Kommission auf 330 Vgl. hierzu auch Thomas, Journal of Competition Law & Economics 2017, Bd. 13, Nr. 2, 346, 378–385. 331 Siehe Kapitel 3.C.
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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die Verbraucherwohlfahrt, wie angesprochen, möglicherweise nicht mittragen.332 Wenn die erwähnte Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Kartellverbot auf die Fusionskontrolle auszudehnen und dahin zu verstehen ist, dass auch Letztere nicht nur Verbraucherinneninteressen, sondern „den Wettbewerb als solchen“333 schützen soll, könnte danach insbesondere auch eine Behinderung des Innovationswettbewerbs als solche einen maßgeblichen Wettbewerbsschaden in der Zusammenschlussprüfung darstellen. Im Übrigen dürfte gelten, dass der vergleichsweise weit gefasste und flexibel handhabbare Eingriffstatbestand der Fusionskontrollverordnung letztlich sämtliche der möglichen Anknüpfungspunkte innovationsspezifischer Schadenstheorien erfasst.334 Dazu zählen die Beeinträchtigung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen und ein entsprechender Rückgang an Innovationstätigkeiten, die sich für Verbraucherinnen und Verbraucher hieraus auf einem zukünftigen Produktmarkt ergebenden Konsequenzen (in Gestalt einer geringeren Auswahl und Wettbewerbsintensität mit der Folge höherer Preise), und schließlich die Behinderung des Innovationswettbewerbs als solche. Hierfür sprechen auch die in der Fusionskontrollverordnung aufgezählten Beurteilungskriterien für die Zusammenschlussprüfung, darunter namentlich „die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer“, „die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen“, sowie schließlich „die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts“.335 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch der relevante Prognosehorizont der Kommission in der Fusionskontrolle. Dieser ist in der Fusionskontrollverordnung nicht festgeschrieben. In der Regel beträgt er zwei bis drei, seltener bis zu fünf Jahre. Je länger der Prognosehorizont veranschlagt wird, desto größer sind die Unsicherheiten, mit welchen die Prognose behaftet ist.336 Wird im Hinblick auf den wettbewerblichen Schaden auf eine zukünftige Beeinträchtigung der statischen Effizienz abgestellt, kann dies eine erhebliche Ausdehnung des bisher geläufigen Prognosehorizonts bedeuten. Gerade im Falle langwieriger und noch nicht weit fortgeschrittener Innovationsprozesse kann die dann maßgebliche Effizienzeinbuße weit in der Zukunft liegen. Werden Wettbewerbsschäden dagegen bereits an der Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz oder der Behinderung des Innovationswettbewerbs angeknüpft, folgt der Schadenseintritt unmittelbar auf den Vollzug des betrachteten Zusammen332
Siehe oben, unter A.II. 4.6.2009, Rs. C‑8/08, ECLI:EU:C:2009:343, Rn. 38 – T‑Mobile Netherlands BV u. a./Raad van bestuur van de Nederlandse Mededingingsautoriteit. 334 Vgl. hierzu auch Drexl, Journal of Competition Law & Economics 2012, Bd. 8, Nr. 3, 507, 524 f.; Graef/Wahyuningtyas/Valcke, How Google and Others Upset Competition Analysis, 2014, S. 15; Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668, 676. 335 Art. 2 Abs. 1 Unterabs. 2 lit. b) Fusionskontrollverordnung. 336 Siehe oben, unter A. I. 333 EuGH,
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schlusses, und nicht erst in ferner Zukunft. Die Frage danach, welche Ausdehnung des Prognosehorizonts unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit noch zulässig ist, stellt sich dann nicht in gleicher Weise. Im Sinne eines möglichst umfassenden Schutzes des Innovationswettbewerbs und der dynamischen Effizienz ist es vorzugswürdig, grundsätzlich sämtliche möglichen Anknüpfungspunkte innovationsspezifischer Schadenstheorien in Betracht zu ziehen. Zumindest auch auf die gegenwärtige Beeinträchtigung der dynamischen Effizienz und die Behinderung des Innovationswettbewerbs abzustellen, hat den Vorteil, dass sich eine allzu weite Ausdehnung des Prognosehorizonts vermeiden lässt.
D. Zusammenfassung Die europäische Fusionskontrollpolitik weist eine Tendenz zur statischen Betrachtung auf. Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz spielen traditionell eine eher geringe Rolle bei der Zusammenschlussprüfung durch die Europäische Kommission. Die Feststellung der Auswirkungen von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz ist grundsätzlich schwierig, weil die Analysekonzepte und -methoden in der Fusionskontrolle auf den Wettbewerb in seinen statischen Dimensionen ausgerichtet sind. Die herkömmlicherweise diskutierten Ansätze reichen zur umfassenden Analyse von Innovationseffekten nicht aus. Das gilt für die Analyse des aktuellen oder potentiellen Wettbewerbs auf gegenwärtigen Produkt- oder Technologiemärkten, die Analyse des Wettbewerbs auf zukünftigen Märkten sowie ein Abstellen auf konkurrierende F&E-Pole oder separate Innovationsmärkte. Gegenüber diesen herkömmlichen Ansätzen ist ein Analyseansatz vorzugswürdig, der als direkter SIEIC-Test bezeichnet werden kann. Zur Feststellung von Significant Impediments to Effective Innovation Competition werden Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern direkt auf ihre Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz hin untersucht. Dabei sind die folgenden Prüfungsschritte zu durchlaufen: Anwendbarkeit – Zunächst ist festzustellen, ob der Zusammenschluss eine Industrie betrifft, in der Innovation und Innovationswettbewerb eine wichtige Rolle spielen. Dies liefert erste Hinweise darauf, ob die Anwendung des direkten SIEIC-Tests zweckmäßig ist. Identifikation der relevanten Innovationswettbewerber – Sodann ist zu untersuchen, ob zwischen den Zusammenschlussparteien – und dritten Unternehmen – eine innovationswettbewerbliche Rivalitätsbeziehung besteht. Hierzu ist
Kapitel 4: Analyseansätze für den Innovationswettbewerb
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vor allem auf die Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten der fraglichen Unternehmen abzustellen. Aussagekräftig kann zudem ein von den Unternehmen selbst wahrgenommener innovationsbedingter Wettbewerbsdruck sein. Zur Informationsgewinnung lassen sich etwa interne Dokumente der Unternehmen heranziehen. Untersuchung der Auswirkungen des Zusammenschlusses – Anschließend bedarf es der Feststellung konkreter Zusammenschlusswirkungen. Im Vordergrund stehen dabei Auswirkungen auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen. Bedeutung kann aber auch solchen Auswirkungen zukommen, die auf einer Verringerung der Vielfalt im dynamisch-evolutorischen Wettbewerb beziehungsweise der Diversität im Innovationsoligopol beruhen. An einer solchen Diversitätsreduktion lässt sich unter Umständen künftig eine ökonomische Vermutung für oder gegen wettbewerbliche Bedenken festmachen, die sich als Orientierungshilfe für die weitere Zusammenschlussprüfung eignet. Hierzu bedarf es aber zunächst noch weiterer Forschung auf dem Gebiet der Evolutionsökonomik, um etwa industriespezifische Schwellenwerte als Referenzmaßstäbe für spürbare Diversitätsreduktionen bestimmen zu können. Um etwaige negative Zusammenschlusswirkungen festzustellen, sind sämtliche möglichen Primär- und Sekundäreffekte in den Blick zu nehmen, die ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern theoretisch haben kann. Anschließend ist auf Vorbringen der Parteien hinsichtlich positiver Zusammenschlusswirkungen in Gestalt dynamischer Effizienzgewinne einzugehen. Positive Primäreffekte sind bereits im Zusammenhang mit negativen Primäreffekten zu untersuchen – und zwar grundsätzlich unabhängig davon, ob es den Parteien gelingt, sie im Einzelnen darzulegen und nachzuweisen. Wettbewerblicher Schaden – Schließlich ist der maßgebliche Wettbewerbsschaden zu bestimmen, zu welchem der betrachtete Zusammenschluss gegebenenfalls führt. Dieser direkte SIEIC-Test liefert der Kommission eine Richtschnur für die Feststellung von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz im Einzelfall. Auch wenn es zur Beantwortung einzelner Fragen, die sich bei seiner Anwendung stellen können, noch weiterer Forschung auf verschiedenen Teilgebieten der Ökonomik bedarf, ist der direkte SIEIC-Test bereits nach gegenwärtigem Kenntnisstand der am besten geeignete Analyseansatz für Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern.
Kapitel 5
Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb In diesem Kapitel wird untersucht, wie die Europäische Kommission bei der Beurteilung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern vorgeht, wie sie deren Auswirkungen auf den Innovationswettbewerb und die dynamische Effizienz in konkreten Fällen feststellt. Es soll insbesondere herausgearbeitet werden, ob und inwieweit sich die Kommission bestimmter der im vorangegangenen Kapitel dargestellten Analyseansätze bedient, seien es die herkömmlichen, für unzureichend befundenen Ansätze oder der vorzugswürdige direkte SIEIC-Test.1 Dies dient einer Evaluation der Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb. Dabei gilt: Je näher die Herangehensweise der Kommission dem direkten SIEIC-Test kommt, desto eher ist sie generell zur Feststellung von Innovationseffekten geeignet. Die Untersuchung der Kommissionspraxis wird nachfolgend anhand von Fallstudien durchgeführt. Den eigentlichen Fallstudien (unter B und C) sind zunächst Vorbemerkungen zur Methodik vorangestellt (unter A). Ihnen folgen Gesamtbetrachtung und Evaluation der Kommissionspraxis (unter D.).
A. Methodische Vorbemerkungen Erläutert werden zunächst die Auswahl der analysierten Kommissionsentscheidungen (unter I) und sodann die Vorgehensweise bei der Analyse (unter II.).
I. Zur Auswahl der Kommissionsentscheidungen Um ein akkurates Bild der Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb zu erhalten, ist es sinnvoll, solche Entscheidungen zu analysieren, die vergleichsweise aktuell sind und welche die Kommission selbst als exemplarisch für ihre Herangehensweise bei der Feststellung von Innovationseffekten ansieht. Angesichts der Industriespezifität von Innovation und Innovationswettbewerb bietet es sich zudem an, Kommissionsentscheidungen zu verschiedenen Industrien in die Analyse einzubeziehen.2 Eingegangen werden 1 2
Siehe Kapitel 4.B. und C. Zur Industriespezifität von Innovation und Innovationswettbewerb siehe nur Kapitel 2.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
sollte dabei in jedem Fall auch auf die Pharmaindustrie,3 ist doch nach den bisherigen Erkenntnissen davon auszugehen, dass dem Innovationswettbewerb in der Pharmaindustrie eine besondere wettbewerbsrechtliche Relevanz zukommt. Hierfür spricht, dass die Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten von Unternehmen in der Pharmaindustrie gut beobachtbar sind und die Pharmaindustrie eine hohe Innovationsintensität aufweist und (soweit sich das feststellen lässt) eher eine Schumpeter-Mark-II- als eine Schumpeter-Mark-I-Industrie darstellt.4 Außerdem hat die Kommission im Jahr 2009 eine Sektoruntersuchung zur Pharmaindustrie durchgeführt, weshalb zahlreiche und gut aufbereitete Informationen zu Innovationsprozessen und Wettbewerb zwischen Pharmaunternehmen zur Verfügung stehen, auf die bei der Analyse von Entscheidungen zurückgegriffen werden kann.5 Vor diesem Hintergrund werden nachfolgend zunächst drei Entscheidungen zur Pharmaindustrie analysiert, und zwar die Entscheidungen in den Verfahren Novartis/GSK Oncology Business6, Pfizer/Hospira7 und J&J/Actelion8. Diese drei Entscheidungen benennt die Kommission in einem 2019 veröffentlichten Bericht über ihre wettbewerbsrechtliche Praxis in der Pharmaindustrie seit Abschluss der Sektoruntersuchung explizit als instruktive Beispiele für die Berücksichtigung von Innovation in der Fusionskontrolle.9
C.III. Angaben dazu, welchen Industrien im Sinne der statistischen Systematik der Wirtschaftszweige der EU (NACE Rev. 2) sich ein Fusionsfall zuordnen lässt, enthält die Entscheidungsdatenbank auf der Webseite der Kommission. Diese ist abrufbar unter ec.europa.eu/competition/elojade/isef/index.cfm?clear=1&policy_area_id=2 (zuletzt aufgerufen am 1. Mai 2023). 3 Gemeint ist der Wirtschaftszweig der Herstellung von pharmazeutischen Erzeugnissen (NACE-Code C.21). 4 Siehe Kapitel 2.C.IV. 5 Siehe Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009; Europäische Kommission, Zusammenfassung des Berichts über die Untersuchung des Arzneimittelsektors, 2009. 6 Europäische Kommission, 28.1.2015, M.7275 – Novartis/GSK Oncology Business. Gegenstand der Entscheidung ist der Erwerb der Kontrolle (Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fusionskontrollverordnung) über einen Bestand an Krebsmedikamenten von GlaxoSmithKline plc. (GSK) durch die Novartis AG (Novartis). Siehe hierzu auch die Publikation von Mitarbeitenden der Kommission Mirabile/Pieber/Saurí/Stril, Competition Merger Brief 2015, Nr. 2, 1. 7 Europäische Kommission, 4.8.2015, M.7559 – Pfizer/Hospira. Gegenstand der Entscheidung ist der Erwerb der Kontrolle (Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fusionskontrollverordnung) über Hospira, Inc. (Hospira) durch Pfizer, Inc. (Pfizer). Siehe hierzu auch die Publikation von Mitarbeitenden der Kommission Mazurkiewicz/Stril, Competition Merger Brief 2016, Nr. 1, 11. 8 Europäische Kommission, 9.6.2017, M.8401 – J&J/Actelion. Gegenstand der Entscheidung ist der Erwerb der Kontrolle (Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fusionskontrollverordnung) über die Actelion Pharmaceuticals Ltd. (Actelion) durch Johnson & Johnson (J&J). Siehe hierzu auch die Publikation von Mitarbeitenden der Kommission Pencheva/Laguna-Goya/Bailly, Competition Merger Brief 2017, Nr. 3, 9. 9 Siehe Europäische Kommission, Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor (2009–2017), 2019, S. 51–53.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 297
Analysiert werden darüber hinaus drei weitere Entscheidungen, die andere Industrien als die Pharmaindustrie betreffen. Deren Auswahl orientiert sich an einer Veröffentlichung der Kommission aus dem Jahr 2016, in welcher diese unter dem Titel „EU Merger Control and Innovation“ ihre Erfahrungen mit dem Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle darlegt.10 Darin zählt sie bestimmte Entscheidungen als prägnante Beispiele für die Feststellung negativer Innovationseffekte durch horizontale Zusammenschlüsse auf.11 Neben den schon genannten Entscheidungen zur Pharmaindustrie sind dies die Entscheidungen in den Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext12, Medtronic/Covidien13 und GE/Alstom14. Sie betreffen die Finanzdienstleistungs-, die Medizintechnik- beziehungsweise die Maschinenbauindustrie.15 Schließlich ist auch die Entscheidung der Kommission im Verfahren Dow/DuPont16 in die Betrachtung einzubeziehen, stellt sie doch den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit dar.17 Dieses Verfahren betraf die Agrarchemieindustrie.18 10 Siehe Europäische Kommission, EU Merger Control and Innovation, 2016. 11 Siehe Europäische Kommission, EU Merger Control and Innovation, 2016, S. 4–6.
12 Europäische Kommission, 1.2.2012, M.6166 – Deutsche Börse/NYSE Euronext. Gegenstand der Entscheidung ist die Fusion (Art. 3 Abs. 1 lit. a) Fusionskontrollverordnung) von Deutsche Börse AG (Deutsche Börse) und NYSE Euronext, Inc (NYSE Euronext). Siehe hierzu auch die Publikation von Mitarbeitenden der Kommission Kühn/Lorincz/Verouden/Wilpshaar, Review of Industrial Organization 2012, Bd. 41, Nr. 4, 251, 253–260. 13 Europäische Kommission, 28.11.2014, M.7326 – Medtronic/Covidien. Gegenstand der Entscheidung ist der Erwerb der Kontrolle (Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fusionskontrollverordnung) über Covidien plc. (Covidien) durch Medtronic, Inc. (Medtronic). 14 Europäische Kommission, 8.9.2015, M.7278 – GE/Alstom. Gegenstand der Entscheidung ist der Erwerb der Kontrolle (Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fusionskontrollverordnung) über die Geschäftsbereiche Wärmeenergie, Erneuerbare Energien und Übertragungsanlagen der Alstom S. E. (Alstom) durch die General Electric Company (GE). Siehe hierzu auch die Publikationen von Mitarbeitenden der Kommission Coublucq/Seritti/Vareda, Competition Merger Brief 2016, Nr. 1, 1, sowie Claici/Coublucq/Federico/Motta/Saurí, Review of Industrial Organization 2016, Bd. 49, Nr. 4, 585, 587–596. 15 Auf ihrer Webseite macht die Kommission folgende Angaben, was die jeweils betroffenen Industrien angeht: Deutsche Börse/NYSE Euronext – Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen verbundene Tätigkeiten (NACE-Code K.66); Medtronic/Covidien – Herstellung von medizinischen und zahnmedizinischen Apparaten und Materialien (NACE-Code C.32.50); GE/Alstom – Installation von Maschinen und Ausrüstungen (NACE-Code C.33.20), Herstellung von Verbrennungsmotoren und Turbinen (ohne Motoren für Luft- und Straßenfahrzeuge) (NACE-Code C.28.11), Herstellung von hydraulischen und pneumatischen Komponenten und Systemen (NACE-Code C.28.12). 16 Europäische Kommission, 28.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont. Gegenstand der Entscheidung ist die Fusion (Art. 3 Abs. 1 lit. a) Fusionskontrollverordnung) von The Dow Chemical Company (Dow) und E. I. du Pont de Nemours and Company (DuPont). Siehe hierzu auch die Publikationen von Mitarbeitenden der Kommission Bertuzzi/Blanco Thomas/Cloubucq/Jonckheere/Tew/Deisenhofer, Competition Merger Brief 2017, Nr. 2, 1, sowie Buehler/ Coublucq/Hariton/Langus/Valletti, Review of Industrial Organization 2017, Bd. 51, Nr. 4, 397, 402–411. 17 Siehe Abschnitt A. der Einleitung. 18 Auf ihrer Webseite gibt die Kommission an: Landwirtschaft, Jagd und damit verbundene Tätigkeiten (NACE-Code A.01), Herstellung von chemischen Erzeugnissen (NACE-
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Die Kommissionsentscheidung im Verfahren Bayer/Monsanto19 (das als Nachfolgeverfahren von Dow/DuPont gilt)20 bedarf dagegen keiner gesonderten Erörterung, da sich die Vorgehensweise der Kommission nicht wesentlich von derjenigen im Verfahren Dow/DuPont unterscheidet.21 In diesem Kapitel werden also insgesamt sieben Fallstudien durchgeführt, anhand derer sich die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb gut nachvollziehen lässt.
II. Zur Analyse einzelner Entscheidungen Im Rahmen der nachfolgenden Fallstudien werden die ausgewählten Kommissionsentscheidungen im Hinblick auf die Herangehensweise der Kommission bei der Untersuchung von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz aufbereitet und ausgewertet. Dabei wird jeweils folgendermaßen vorgegangen: Zuerst werden die relevanten Ausführungen, welche die Kommission in der jeweiligen Entscheidung macht, wiedergegeben und analytisch aufgearbeitet.22 Dabei werden die Ausführungen der Kommission grundsätzlich nur insoweit wiedergegeben, als sie tatsächlich von Interesse sind. Das ist der Fall, soweit sie horizontale Innovationseffekte betreffen, an welchen die Kommission wettbewerbliche Bedenken (bei Entscheidungen in Phase I) beziehungsweise die Feststellung einer Wettbewerbsbehinderung (in Phase II) festmacht.23 AnderCode C.20), Herstellung von elektrischen Ausrüstungen (NACE-Code C.27), Herstellung von Gummi- und Kunststoffwaren (NACE-Code C.22). 19 Siehe Europäische Kommission, 21.3.2018, M.8084 – Bayer/Monsanto. Gegenstand Entscheidung ist der Erwerb der Kontrolle (Art. 3 Abs. 1 lit. b) Fusionskontrollverordnung) über die Monsanto Company (Monsanto) durch die Bayer AG (Bayer). Siehe hierzu auch die Publikation von Mitarbeitenden der Kommission Bertuzzi/Blanco Thomas/Bove/Forestier/ Goppelsroeder/Hariton/Impellizzeri/Kovo/Notaro/Ramondino/Tew/Vande Walle/Deisenhofer, Competition Merger Brief 2018, Nr. 2, 6. 20 Siehe etwa Wirtz/Schulz, NZKart 2019, 20; Bertuzzi/Blanco Thomas/Bove/Forestier/ Goppelsroeder/Hariton/Impellizzeri/Kovo/Notaro/Ramondino/Tew/Vande Walle/Deisenhofer, Competition Merger Brief 2018, Nr. 2, 6; Weiß in: Körber/Immenga, Innovation im Kartellrecht – Innovation des Kartellrechts, 2020, S. 23. 21 Vgl. hierzu nur die Fallstudie zum Verfahren Dow/DuPont unten, unter C.IV., mit den Ausführungen bei Europäische Kommission, 21.3.2018, M.8084 – Bayer/Monsanto, Tz. 61– 88. 22 Der Einfachheit halber werden Ausführungen der Kommission grundsätzlich im Tempus des Präsens wiedergegeben. Zeitlicher Bezugspunkt ist freilich jeweils der Zeitpunkt des Entscheidungserlasses. Identität und Tätigkeiten der beteiligten Unternehmen sowie sonstige Umstände können sich seit diesem Zeitpunkt verändert haben. 23 Interventionsentscheidungen, mit denen ein Zusammenschlussvorhaben nur unter Bedingungen und Auflagen freigegeben oder untersagt wird, können in Phase I nach Art. 6 Abs. 1 lit. b) in Verbindung mit Abs. 2 Fusionskontrollverordnung erlassen werden, wenn Anlass zu ernsthaften wettbewerblichen Bedenken besteht. In Phase II können Interventionsentscheidungen nach Art. 8 Abs. 2 und 3 Fusionskontrollverordnung erlassen werden, wenn eine erheb-
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 299
weitige Ausführungen, die zum Beispiel vertikale oder konglomerate Effekte oder ausschließlich statischen Wettbewerb betreffen, oder mit denen die Kommission wettbewerbliche Bedenken letztlich verneint, werden grundsätzlich ausgeblendet. Teilweise ist es allerdings erforderlich, auch das Erkenntnisinteresse nicht unmittelbar betreffende Aspekte einer Entscheidung mitaufzuarbeiten und wiederzugeben, um Überlegungen und Argumentation der Kommission sinnvoll zu erfassen und im Ganzen verständlich zu machen. So müssen teilweise auch Aspekte des statischen Wettbewerbs und statische Zusammenschlusswirkungen in den Fallstudien berücksichtigt werden. Dasselbe gilt für die Eigenschaften der jeweils betroffenen Industrie. Diejenigen Ausführungen der Kommission, die tatsächlich von Interesse sind, werden im Übrigen möglichst detailliert wiedergegeben, um die Herangehensweise der Kommission möglichst genau nachzuvollziehen. Wenn die einzelnen Fallstudien in Umfang und Detailliertheit variieren, ist dies darauf zurückzuführen, dass dasselbe für die jeweiligen Ausführungen der Kommission zu den hier interessierenden Gesichtspunkten gilt. Die Wiedergabe der Kommissionsentscheidungen im Rahmen der verschiedenen Fallstudien folgt einer einheitlichen Struktur. Zwar sollen die Kommissionsentscheidungen prinzipiell aus der ihnen jeweils eigenen Logik heraus erfasst werden. Im Sinne der Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit ist es jedoch zum Teil notwendig, die Ausführungen der Kommission in eine neue Reihenfolge zu bringen und bestimmte Aussagen in anderen Kontexten wiederzugeben. So werden in jeder Fallstudie zunächst Eigenschaften und Besonderheiten der jeweils betroffenen Industrie oder des betroffenen Geschäftsfelds darlegt. Sodann wird gezeigt, auf welche Weise die Kommission die Zusammenschlussparteien sowie dritte Unternehmen als Wettbewerber und insbesondere als Innovationswettbewerber identifiziert. Anschließend wird dargelegt, wie die Kommission bestimmte (negative) Auswirkungen eines Zusammenschlusses feststellt. Eingegangen wird gegebenenfalls auch auf die Prüfung von Ausgleichsfaktoren, namentlich von Effizienzgewinnen. Schließlich werden das Ergebnis der Untersuchung durch die Kommission und etwaige Abhilfemaßnahmen wiedergegeben. Die Wiedergabe der Kommissionsentscheidungen ist damit nicht ausschließlich deskriptiv, sondern Teil der analytischen Aufarbeitung. Bei den Fallstudien zur Pharmaindustrie wird von der dargestellten Reihenfolge abgewichen. Hier können die besonderen Industrieeigenschaften vor die Klammer gezogen und vorab gesondert erörtert werden, bevor auf die einzelnen Kommissionsentscheidungen eingegangen wird. Im Anschluss an Aufarbeitung und Wiedergabe der Ausführungen der Kommission werden in einem zweiten Schritt Beobachtungen festgehalten. Hier liche Wettbewerbsbehinderung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 und 3 Fusionskontrollverordnung festgestellt ist.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
werden die Ausführungen der Kommission interpretiert und kommentiert. Es wird vor allem darauf eingegangen, ob und inwieweit sich die Kommission bei der Feststellung von Innovationseffekten in der jeweiligen Entscheidung auf bestimmte der im vorangegangenen Kapitel dargestellten Analyseansätze beruft. Die Trennung zwischen Aufarbeitung und Wiedergabe der Kommissionsentscheidungen einerseits und der Zusammenstellung von Beobachtungen andererseits dient der Genauigkeit, Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit der Analyse. Angesichts des Umfangs und der Komplexität der hier relevanten Kommissionsentscheidungen ist es erforderlich, durch deren detaillierte Aufarbeitung und Wiedergabe zunächst eine fundierte und nachvollziehbare Grundlage für die anschließende Interpretation und Kommentierung zu schaffen.24 Nur so lässt sich sicherstellen, dass die festzuhaltenden Beobachtungen eindeutigen Bezugsgegenständen zuzuordnen sind.
B. Fallstudien zur Pharmaindustrie Gegenstand dieses Abschnitts sind die Pharmaindustrie und die diese betreffenden Fusionskontrollentscheidungen der Kommission zum Innovationswettbewerb. Unter den in diesem Kapitel, im Rahmen der Fallstudien, thematisierten Industrien nimmt die Pharmaindustrie eine besondere Stellung ein. Anhand der Pharmaindustrie und ihrer spezifischen Eigenschaften lässt sich die generelle Funktionsweise des Innovationswettbewerbs besonders anschaulich beschreiben. Hierzu kann auf die Erkenntnisse der Kommission aus ihrer Sektoruntersuchung zurückgegriffen werden. Zudem ist der Innovationswettbewerb in der Pharmaindustrie, wie beschrieben, aus wettbewerbsrechtlicher Perspektive besonders relevant. Auch in der Vergangenheit – vor Erlass der drei nachfolgend in Fallstudien analysierten Entscheidungen – hatte die Kommission bereits über zahlreiche Zusammenschlüsse zwischen Pharmaunternehmen zu entscheiden, bei denen Aspekte des Innovationswettbewerbs eine Rolle spielten. Hierbei etablierte die Kommission bereits eine gewisse Praxis im Umgang mit innovierenden Pharmaunternehmen und deren Berücksichtigung in der Zusammenschlussprüfung. Diese ältere Entscheidungspraxis der Kommission wird im Folgenden ebenfalls kurz dargestellt. Dies erleichtert das Verständnis der jüngeren Kommissionspraxis. Zudem können so Unterschiede zwischen älterer und jüngerer Entscheidungspraxis festgestellt werden. 24 Auf Umfang und Komplexität der Kommissionsentscheidungen weist bereits die jeweilige Länge Entscheidungstexte hin. Diese umfassen 24 (J&J/Actelion), 55 (Pfizer/Hospira), 56 (Novartis/GSK Oncology Business), 82 (Medtronic/Covidien), 356 (Deutsche Börse/NYSE Euronext), 401 (GE/Alstom) beziehungsweise 628 (Dow/DuPont) Seiten, und mit Anhängen (sowie Deckblättern, Inhaltsverzeichnissen und so weiter) sogar 37 (J&J/Actelion), 84 (Novartis/GSK Oncology Business), 100 (Pfizer/Hospira), 111 (Medtronic/Covidien), 447 (Deutsche Börse/NYSE Euronext), 611 (GE/Alstom) beziehungsweise 915 (Dow/DuPont) Seiten.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 301
Nachfolgend werden also zunächst die besonderen Eigenschaften der Pharmaindustrie im Hinblick auf Innovation und Innovationswettbewerb beschrieben (unter I.). Sodann wird auf die ältere Entscheidungspraxis der Kommission eingegangen (unter II.). Daran schließen sich die Fallstudien zu den drei aktuellen Kommissionsentscheidungen zur Pharmaindustrie an (unter III. bis V.).
I. Innovation und Wettbewerb in der Pharmaindustrie Im Folgenden wird zunächst ein Verständnis für Geschäftsmodelle, Innovationsprozesse und Innovationswettbewerb in der Pharmaindustrie vermittelt (unter 1. bis 3.). Als Grundlage dienen vor allem die Erkenntnisse der Kommission aus ihrer Sektoruntersuchung.25 Weitere Quellen werden ergänzend herangezogen. Zudem wird kurz dargelegt, welche Implikationen die besonderen Eigenschaften der Pharmaindustrie für die Untersuchung der Auswirkungen von Zusammenschlüssen zwischen innovierenden Pharmaunternehmen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz haben (unter 4.). Die Ausführungen knüpfen an die bisherigen Darstellungen zu Entstehungsbedingungen und Eigenschaften von Innovation sowie zu den Grundzügen des Innovationswettbewerbs an und illustrieren diese am Beispiel einer hierzu besonders gut geeigneten Industrie.26
1. Die verschiedenen Geschäftsmodelle von Pharmaunternehmen Auf der Angebotsseite gibt es in der Pharmaindustrie Unternehmen mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen. Dazu zählen einerseits Hersteller von Originalpräparaten und andererseits Hersteller von Generika beziehungsweise Biosimilars.27 Erstere betätigen sich mit der Erforschung und Entwicklung neuer oder verbesserter Medikamente. Sie führen Zulassungsverfahren durch und produzieren und vertreiben die neuen oder verbesserten Medikamente schließlich in Gestalt marktfähiger Produkte.28 Die in ihren Medikamenten enthaltenen pharmazeutischen Wirkstoffe (Active Pharmaceutical Ingredients) entwickeln Originalpräparatehersteller entweder selbst oder erwerben sie von spezialisierten, oft kleinen und mittleren, Unternehmen auf vorgelagerten Märkten.29 Für 25 Auf
neuere Tendenzen seit der Sektoruntersuchung im Jahr 2009 wird gegebenenfalls in Fußnoten hingewiesen. 26 Zu den Entstehungsbedingungen und Eigenschaften von Innovation siehe Kapitel 1.B und C; zu den Grundzügen des Innovationswettbewerbs siehe Kapitel 2.B. 27 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 47 f. Inzwischen verfolgen viele Unternehmen die unterschiedlichen Geschäftsmodelle beziehungsweise Abwandlungen davon gleichzeitig, stellen also etwa sowohl Originalpräparate als auch Generika her, siehe hierzu – und insbesondere zur Vermarktung sogenannter Authorized Generics – Kunst/Kaufmann, GRUR Int. 2020, 1105. 28 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 51. 29 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 49, 55; siehe auch
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
ihre neuen Medikamente erwerben sie in der Regel Patentschutz.30 Weitere Aneignungsmechanismen, die in der Pharmaindustrie eine Rolle spielen, sind ergänzende Schutzzertifikate zur Verlängerung des Patentschutzes sowie Regeln zur Daten- und Vermarktungsexklusivität.31 Viele Originalpräparatehersteller sind weltweit tätig. Insbesondere Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten finden auf globaler Ebene statt. Das heißt, dass etwa die Standortauswahl nicht auf bestimmte Regionen beschränkt ist, sondern vor allem davon abhängt, wo sich Projekte, einschließlich klinischer Studien, am besten realisieren lassen. Marketing- und Vertriebstätigkeiten werden hingegen an nationalen oder regionalen Gegebenheiten ausgerichtet.32 Eine Sonderstellung unter den Originalpräparateherstellern nehmen Hersteller von Biopharmazeutika (auch Biotech-Unternehmen) ein. Diese stellen biopharmazeutische Medikamente aus lebendigen Organismen, wie menschlichen Zellen, mittels Gentechnik her.33 Ein anderes Geschäftsmodell verfolgen Generikahersteller. Sie entwickeln und produzieren Medikamente, die bestimmte Originalpräparate nachahmen, also dieselben Wirkstoffe enthalten und für dieselben Behandlungen eingesetzt werden können wie diese. Generika werden auf den Markt gebracht, sobald die (Patent-)Schutzdauer für die entsprechenden Originalpräparate ausgelaufen ist. Als Referenzprodukte wählen Generikahersteller meist besonders erfolgreiche Originalpräparate (sogenannte Blockbuster) aus. Da für die Herstellung von Generika kostspielige Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten nicht oder jedenfalls in erheblich geringerem Ausmaß als bei Originalpräparaten erforderlich sind, können Generikahersteller ihre Produkte zu deutlich niedrigeren Preisen abgeben als Originalpräparatehersteller. Um Gesundheitskosten zu reduzieren, fördern viele Mitgliedstaaten der EU die Verwendung von Generika dezidiert durch eine entsprechende Ausgestaltung ihrer Erstattungssysteme. Zum Beispiel können Apotheken verpflichtet sein, auf Vorlage eines Rezepts das jeweils günstigste passende Generikum herauszugeben.34 Mit einem ähnlichen GeShepherd, Journal of Health Care Law and Policy 2018, Bd. 21, Nr. 1, 1, zur inzwischen stark gestiegenen Bedeutung von Spezialisierung und Kooperation entlang vertikaler Wertschöpfungsketten in der Pharmaindustrie. 30 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 47; zur Bedeutung des Patentsystems für die Pharmaindustrie vgl. auch etwa Scherer in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 560 f.; siehe hierzu ferner OECD, Competition and Regulation Issues in the Pharmaceutical Industry, 2000, S. 34–37. 31 Siehe Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 293 beziehungsweise 319; vgl. hierzu auch Europäische Kommission, Study on the Economic Impact of Supplementary Protection Certificates, Pharmaceutical Incentives and Rewards in Europe, 2018; ausführlich hierzu ferner Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, 1050. 32 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 54, 71, 73. 33 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 56; siehe hierzu auch vfa, Biopharmazeutika, 2010. 34 Zum Geschäftsmodell von Generikaherstellern siehe Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 48, 88–94, 99–101, 103, 114, 170 f., 367 f.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 303
schäftsmodell wie Generikahersteller arbeiten Hersteller von Biosimilars. Hierbei handelt es sich um Nachahmungen biopharmazeutischer Medikamente. Ihre Entwicklung ist allerdings gewöhnlich aufwendiger als diejenige von Generika. Auch sind Biosimilars – im Gegensatz zu Generika – nie vollständig identisch mit den entsprechenden biopharmazeutischen Originalpräparaten. Es kann deshalb zum Beispiel vorkommen, dass sie anders dosiert werden müssen als das Original oder sich in ihren Nebenwirkungen von diesem unterscheiden.35 Auf der Nachfrageseite besteht in der Pharmaindustrie die Besonderheit, dass die Endverbraucherinnen und -verbraucher, nämlich Patientinnen und Patienten, einzelne Produkte nicht selbst auswählen – so zumindest bei verschreibungspflichtigen Medikamenten. Dies übernehmen vielmehr die verschreibenden Ärztinnen und Ärzte. Für die Kosten eines Produkts kommen dabei weder Patientinnen noch Ärztinnen auf, sondern das Gesundheitssystem, also die Allgemeinheit oder eine Gesamtheit von Versicherten. Patientinnen und insbesondere Ärztinnen bei der Produktauswahl weisen daher nur eine eingeschränkte Preissensibilität auf.36
2. Der Innovationsprozess zur Hervorbringung neuer Medikamente Innovationsprozesse in der Pharmaindustrie sind aufwendig und langwierig. Sie umfassen die Erforschung geeigneter chemischer Verbindungen beziehungsweise Moleküle, deren Entwicklung zu einem tauglichen Wirkstoff und schließlich zu einem neuen, marktfähigen Medikament, sowie den Erwerb einer behördlichen Zulassung für dieses.37 Schätzungen zur Dauer von Innovationsprozessen variieren, vor allem aufgrund unterschiedlicher Datengrundlagen und methodischer Ansätze.38 Die Kommission ermittelte in ihrer Sektoruntersuchung für eine bestimmte Stichprobe von Medikamenten einen Zeitraum von circa sechs bis zehn Jahren, beziehungsweise durchschnittlich 8,6 Jahren, zwischen erster Patentanmeldung und Markteinführung (der sogenannten verlorenen Patentdauer).39 Neuere Schätzungen gelangen etwa zu Zeiträumen von durchschnitt35 Zu Biosimilars siehe vfa, Biopharmazeutika, 2010; Kunst/Kaufmann, GRUR Int. 2020, 1105, 1108–1111. 36 Siehe Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 119 f., 124– 126, 364–366, 369. 37 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 133; siehe hierzu auch etwa Breitenbach/Fischer in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 58 f. 38 Vgl. hierzu nur Europäische Kommission, Study on the Economic Impact of Supplementary Protection Certificates, Pharmaceutical Incentives and Rewards in Europe, 2018, S. 66 f. 39 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 142 f. Zum Begriff der verlorenen Patentdauer vgl. Europäische Kommission, Study on the Economic Impact of Supplementary Protection Certificates, Pharmaceutical Incentives and Rewards in Europe, 2018, S. 65.
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lich zwölf oder 15 Jahren.40 Auch die ungefähren Gesamtkosten von Forschung und Entwicklung zur Hervorbringung eines Medikaments werden unterschiedlich eingeschätzt.41 Jüngeren Angaben zufolge betragen sie zwischen 0,5 und 2,2 Milliarden Euro.42 Diese Forschungs- und Entwicklungskosten, und insbesondere die Kosten der Durchführung klinischer Studien, machen einen erheblichen Teil der insgesamt bei Originalpräparateherstellern anfallenden Kosten aus.43
a) Forschung Innovationsprozesse zur Hervorbringung neuer Medikamente beginnen in der Regel damit, dass mögliche Ansatzpunkte zur Behandlung einer bestimmten Erkrankung im menschlichen Körper (sogenannte Targets) identifiziert werden (Target Identification). Hierbei handelt es sich zumeist um Moleküle (meist Enzyme oder Rezeptoren), die eine Rolle im Verlauf der fraglichen Erkrankung spielen, und an denen ein pharmazeutischer Wirkstoff zur Behandlung der Erkrankung grundsätzlich ansetzen könnte. Sind mehrere solcher Targets identifiziert, wird ihr genauer Einfluss auf den Organismus untersucht und es wird überprüft, ob und inwieweit sie sich tatsächlich als Angriffsfläche für einen Wirkstoff eignen. Hierzu nicht oder weniger gut geeignete Targets werden aussortiert (Target Validation). Anschließend werden Wirkstoffmoleküle gesucht, die mit den identifizierten Targets reagieren und dadurch in den Krankheitsverlauf eingreifen können. Die meisten dieser Substanzen sind synthetisch erzeugte chemische Verbindungen. Zunehmend wird hier aber auch Gentechnik eingesetzt, um Biopharmazeutika herzustellen. Hierauf gerichtete Innovationstätigkeiten gehen in der Regel mit noch größerer Schwierigkeit und Komplexität einher. Aus mehreren in Betracht kommenden Substanzen werden die vielversprechendsten (dann sogenannten Lead-)Moleküle ausgewählt (Lead Identification). Die Wirkstoffsuche kann es erfordern, eine Vielzahl an unterschiedlichen Substanzen auf ihre Reaktion mit dem Target zu testen. Es bleiben 40 Siehe Kyle, Economic Analysis of Supplementary Protection Certificates in Europe, 2017, beziehungsweise Europäische Kommission, Study on the Economic Impact of Supplementary Protection Certificates, Pharmaceutical Incentives and Rewards in Europe, 2018, S. 66. 41 Vgl. nur Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 149. 42 Siehe Europäische Kommission, Study on the Economic Impact of Supplementary Protection Certificates, Pharmaceutical Incentives and Rewards in Europe, 2018, S. 95, mit Verweis auf DiMasi/Grabowski/Hansen, Journal of Health Economics 2016, Bd. 47, 20, und Prasad/Mailankody, JAMA Internal Medicine 2017, Bd. 177, Nr. 11, 1569. Zur Umrechnung der dort in USD angegebenen Werte in Euro siehe Europäische Kommission, Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor (2009–2017), 2019, S. 23 Fn. 28. 43 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 72–77; vgl. auch Scherer in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 553–556.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 305
aber meist nur sehr wenige geeignete Substanzen übrig. Auch aus den identifizierten Lead-Molekülen werden wieder diejenigen mit dem größten Potential zur weiteren Entwicklung herausgefiltert. An diesen werden zudem, soweit erforderlich, chemische Veränderungen und Verbesserungen vorgenommen, was mit weiteren Untersuchungen einhergeht, darunter Labortests und auch Tierversuche (Lead Optimization). Während des Prozesses der Lead Identification und Optimization werden in der Regel erste Patentanmeldungen vorgenommen. Vielversprechende Wirkstoffkandidaten für die weitere Entwicklung werden durch sogenannte Primärpatente geschützt. Sekundärpatente folgen später, etwa mit Blick auf bestimmte Darreichungsformen oder noch einmal veränderte chemische Zusammensetzungen.44
b) Entwicklung Die ausgewählten Wirkstoffkandidaten beziehungsweise Lead-Moleküle werden sodann auf ihre Sicherheit (beziehungsweise Verträglichkeit) und Wirksamkeit hin untersucht. In einer vorklinischen Phase werden zunächst Labor- und Tierversuche durchgeführt, um eine Toxizität oder sonstige schädliche Wirkungen der Substanzen auszuschließen.45 Dieser vorklinischen schließen sich drei klinische Phasen zur Erprobung der Wirkstoffkandidaten an Menschen an. An Studien in der klinischen Phase I nehmen kleine Gruppen gesunder Menschen teil (meist 20 bis 100 Personen). Hier sollen die Sicherheit der getesteten Wirkstoffe evaluiert und mögliche Nebenwirkungen festgestellt werden. In Phase II steht die Wirksamkeit der getesteten Wirkstoffe im Vordergrund. Es werden Studien mit (üblicherweise 100 bis 500) Patientinnen und Patienten durchgeführt, die an der fraglichen Krankheit chronisch oder unheilbar erkrankt sind. Um die Wirkungen der getesteten Medikamente besser einschätzen zu können, werden Scheinpräparate (Placebos) an Personen in Kontrollgruppen verabreicht. In Phase II fallen meist auch eine weitere Ausdifferenzierung verschiedener Darreichungsformen und daher die Anmeldung von Sekundärpatenten. Phase III besteht schließlich aus Langzeitstudien mit großen Gruppen von Patientinnen und Patienten mit der fraglichen Erkrankung. Mitunter nehmen 3.000 bis 5.000 Personen teil. Die Studienergebnisse aus dieser Phase dienen der Bestätigung der Sicherheit und Wirksamkeit der getesteten Wirkstoffe.46 44 Siehe zum vorstehenden Absatz Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 134–139; vgl. auch Breitenbach/Fischer in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 62; vfa, So entsteht ein neues Medikament, 2018; speziell zur Erforschung biopharmazeutischer Wirkstoffe siehe vfa, Biopharmazeutika, 2010. 45 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 140; ausführlich zur präklinischen Entwicklung auch Breitenbach/Fischer in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 63–66. 46 Zu den drei klinischen Phasen siehe Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 140; Scherer in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 543 f.; Breitenbach/Fischer in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie,
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Einzelheiten zur Durchführung von Studien der Phasen II und III (wie auch der Phase IV, dazu sogleich) sowie deren Ergebnisse werden in öffentlich zugänglichen Datenbanken registriert.47 Fortschritte entlang der verschiedenen (klinischen) Phasen im Innovationsprozess werden außerdem gewöhnlich auch in der Öffentlichkeit kommuniziert, was nicht zuletzt dazu dient, die Erwartungen der Wissenschaftsgemeinschaft auf dem Gebiet der Medizin sowie etwa von Investorinnen und Investoren zu steuern.48 Angaben zur Dauer der einzelnen klinischen Phasen variieren ebenso wie Angaben zur Gesamtdauer von Innovationsprozessen in der Pharmaindustrie. In ihrer Sektoruntersuchung legte die Kommission einen Zeitraum von insgesamt zwei bis zehn Jahren, mit einem Durschnitt von fünf Jahren, für das Durchlaufen aller drei klinischen Phasen zugrunde.49 An anderer Stelle wird davon ausgegangen, dass Phase I circa 15 bis 20 Monate, Phase II circa 18 bis 24 Monate und Phase III circa 24 bis 40 Monate dauert.50 Zum zeitlichen Abstand zwischen dem jeweiligen Beginn der einzelnen Phasen und der Markteinführung des betreffenden neuen Medikaments finden sich Angaben in einer älteren Fusionskontrollentscheidung der Kommission: acht bis zwölf Jahre bei Phase I, sechs bis sieben Jahre bei Phase II und drei bis vier Jahre bei Phase III.51 Die bei der Durchführung der klinischen Studien entstehenden Kosten tragen erheblich zu den Gesamtkosten der Hervorbringung eines neuen Medikaments bei. Von diesen Kosten entfielen nach Ermittlungen der Kommission im Jahr 2007 etwa 12 % auf Phase I, 20 % auf Phase II und 60 % auf Phase III. Lediglich 8 % der Gesamtkosten entstanden im Zusammenhang mit Grundlagenforschung und vorklinischer Entwicklung.52 Diese Kostenverteilung korrespondiert mit Veränderungen beim Risiko eines Misserfolgs im Innovationsprozess. Letzteres nimmt mit Fortschreiten des Entwicklungsprozesses ab.53 Dieses Risiko und seine Entwicklung lassen sich zumindest näherungsweise (wenn auch 2020, S. 66 f.; Aigner in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 151–156; Falck/ Slopek/Thiermann, GRUR 2015, 1050, 1051; vfa, So entsteht ein neues Medikament, 2018. 47 Siehe hierzu nur Krafft, Bulletin zur Arzneimittelsicherheit 2015, Ausg. 2, 23. 48 Vgl. hierzu etwa Müller/Stril, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 52, 55; vfa, So entsteht ein neues Medikament, 2018. 49 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 142. 50 Aigner in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 150. 51 Europäische Kommission, 17.7.1996, M.737 – Ciba-Geigy/Sandoz, Tz. 58; mit geringfügig abweichenden Angaben auch Europäische Kommission, 8.5.2000, M.1846 – Glaxo Wellcome/SmithKline Beecham, Tz. 70; Europäische Kommission, 22.5.2000, M.1878 – Pfizer/Warner-Lambert, Tz. 42; Europäische Kommission, 28.2.2001, M.2312 – Abbott/BASF, Tz. 18; Europäische Kommission, 9.8.2001, M.2517 – Bristol Myers Squibb/DuPont, Tz. 23. 52 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 152; völlig andere Angaben finden sich etwa noch bei Schröder/Selke in: Klauber/Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 222 f. 53 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 152, 160–162; Scherer in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 559.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 307
nicht mit Sicherheit)54 abschätzen.55 So ging die Kommission in besagter älterer Entscheidung etwa davon aus, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit von Forschungsprojekten in Phase I bei 10 %, in Phase II bei 30 % und in Phase III bei circa 50 % liegt.56 Die vorstehenden exemplarischen Angaben lassen sich wie in Tabelle 1 zusammenfassen: Tabelle 1: Dauer bis Markteinführung, Anteil an F&E-Kosten und Erfolgswahrscheinlichkeit nach klinischen Phasen. Klinische Phase
Phase I
Phase II
Phase III
Dauer bis Markteinführung Anteil an F&E-Kosten Erfolgswahrscheinlichkeit
8–12 Jahre 12 % 10 %
6–7 Jahre 20 % 30 %
3–4 Jahre 60 % 50 %
Quelle: Eigene Darstellung nach der im vorstehenden Absatz wiedergegebenen Literatur und Entscheidungspraxis.
c) Zulassung und Markteinführung Verlaufen Forschung und Entwicklung, einschließlich sämtlicher Studien, erfolgreich, kann ein neues Medikament für die Vermarktung zugelassen werden. Die Zulassung erfolgt auf Grundlage der Ergebnisse aus den klinischen Studien. Sie wird durch die Kommission oder Behörden der Mitgliedstaaten erteilt. Voraussetzung für die Erteilung ist ein angemessenes Nutzen-Risiko-Verhältnis, das anhand der durch Studienergebnisse nachgewiesenen Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des fraglichen Medikaments beurteilt wird.57 Vor beziehungsweise im Zuge der Markteinführung des neuen Medikaments erfolgt die Preisfestsetzung im Rahmen der jeweiligen Erstattungssysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten.58 Auch nach der Markteinführung besteht weiterhin eine 54 Vgl. hierzu auch Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 161. 55 Vgl. Carrier, Iowa Law Review 2008, Bd. 93, Nr. 2, 393, 418 f. 56 Europäische Kommission, 17.7.1996, M.737 – Ciba-Geigy/Sandoz, Tz. 58; siehe auch Europäische Kommission, 8.5.2000, M.1846 – Glaxo Wellcome/SmithKline Beecham, Tz. 70; Europäische Kommission, 22.5.2000, M.1878 – Pfizer/Warner-Lambert, Tz. 42; Europäische Kommission, 28.2.2001, M.2312 – Abbott/BASF, Tz. 18; Europäische Kommission, 9.8.2001, M.2517 – Bristol Myers Squibb/DuPont, Tz. 23; zu anderweitigen Schätzungen siehe etwa Carrier, Iowa Law Review 2008, Bd. 93, Nr. 2, 393, 418 f.; vgl. hierzu auch Scherer in: Hall/Rosenberg, Handbook of the Economics of Innovation, Bd. 1, 2010, S. 544 f.; Paul/Mytelka/Dunwiddie/Persinger/Munos/Lindborg/Schacht, Nature Reviews Drug Discovery 2010, Bd. 9, Nr. 3, 203; Hay/Thomas/Craighead/Economides/Rosenthal, Nature Biotechnology 2014, Bd. 32, Nr. 1, 40. 57 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 144, 298 f.; Breitenbach/Fischer in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 67–72; vfa, So entsteht ein neues Medikament, 2018. 58 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 133, 145–147, siehe auch Tz. 346–362; vfa, So entsteht ein neues Medikament, 2018.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Pflicht zur Beobachtung und Überwachung des neuen Medikaments und seiner Verwendung, um etwaige unvorhergesehene oder (weitere) Nebenwirkungen zu identifizieren (sogenannte Pharmakovigilanz). Hier ist häufig auch von einer Phase IV zur Durchführung marktbegleitender Studien die Rede. In dieser Phase werden mitunter auch weitere Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten zur inkrementellen Verbesserung des Medikaments vorgenommen.59
3. Wettbewerb und Innovationswettbewerb zwischen Pharmaunternehmen Der Innovationsprozess macht lediglich einen von drei Abschnitten im Lebenszyklus eines Medikaments (also eines Originalpräparats) aus. Ihm schließen sich eine Vertriebsphase, in welcher das Medikament – aufgrund von Patentschutz oder anderweitigen Aneignungsmechanismen – Exklusivität auf dem Markt genießt, sowie eine spätere Phase ohne Exklusivität an, in welcher Generika- und Biosimilar-Hersteller Nachahmungen des Medikaments auf den Markt bringen.60 Während aller drei Abschnitte im Lebenszyklus eines Medikaments besteht in der Regel Wettbewerb zwischen Pharmaunternehmen. Große Bedeutung hat zunächst vor allem der Innovationswettbewerb zwischen Originalpräparateherstellern. Diese konkurrieren während der Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente in der Regel darum, geeignete Wirkstoffkandidaten jeweils als Erste zu entdecken und patentieren zu lassen, um aus ihnen Medikamente zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, die möglichst (zumindest vorerst noch) nicht mit anderen Produkten austauschbar sind.61 Bieten mehrere Originalpräparatehersteller im Anschluss an ihre Innovationsprozesse miteinander austauschbare Medikamente an, entsteht zwischen ihnen herkömmlicher Produktmarktwettbewerb. Wichtige wettbewerbliche Parameter sind dabei die Wirksamkeit der Medikamente sowie die Vermeidung von Nebenfolgen, ferner das Marketing. Preiswettbewerb besteht aufgrund der Erstattungsregelungen im Rahmen der mitgliedstaatlichen Gesundheitssysteme in der Regel allenfalls eingeschränkt.62 Mit Auslaufen der Exklusivität von Originalpräparaten treten gewöhnlich auch Generikahersteller in den Wettbewerb mit ein, indem sie Nachahmungen erfolgreicher Originalpräparate auf den Markt bringen.63 Dann kommt es auch zu direktem Preiswettbewerb (was aber im Einzelnen von der Ausgestaltung 59 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 133, 148; Breitenbach/Fischer in: Fischer/Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 67.; Aigner in: Fischer/ Breitenbach, Die Pharmaindustrie, 2020, S. 156 f. 60 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 128; zum Lebenszyklus von Arzneimitteln siehe auch Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, 1050. 61 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 59; siehe auch Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, 1050, 1052; ausführlich ferner Münnich in: Klauber/ Schröder/Selke, Innovation im Arzneimittelmarkt, 2000, S. 107–129. 62 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 58. 63 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 89.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 309
des jeweiligen Erstattungssystems abhängt).64 Dabei können Generika deutlich günstiger angeboten werden als Originalpräparate, weil Generikahersteller nicht dieselben kostspieligen Investitionen in Forschung und Entwicklung amortisieren müssen wie Originalpräparatehersteller.65 Um eine Zulassung für ihre Generika zu erhalten, müssen sie insbesondere keine umfangreichen klinischen Studien durchführen. Vielmehr reicht es aus, wenn sie die Bioäquivalenz ihrer Produkte mit den entsprechenden Originalpräparaten nachweisen, wozu in der Regel eine einzige Studie mit geringer Teilnehmerinnenzahl ausreicht.66 Folglich sinken die Preise für ein Medikament mit der Einführung eines Generikums meist spürbar, ebenso wie der Absatz teurer Originalpräparate. Originalpräparatehersteller sind also darauf angewiesen, die zur Amortisation ihrer Innovationstätigkeiten erforderlichen Einnahmen vor Auslaufen der Exklusivität ihrer Produkte zu generieren – solange sie noch erhöhte, das heißt oberhalb ihrer Grenzkosten liegende, Preise verlangen können.67 Die mit dem Verkauf erfolgreicher (Blockbuster-)Medikamente zu erzielenden Einnahmen decken dabei in der Regel auch die Investitionen in gescheiterte Entwicklungsversuche mit ab.68 Vor diesem Hintergrund spielen Generikahersteller und der von ihnen ausgehende Wettbewerbsdruck eine erhebliche Rolle für die Innovationsanreize von Originalpräparateherstellern. Denn Letztere sind, durch die Beschränkung des Zeitraums, in dem sie erhöhte Preise verlangen können, dazu angehalten, immer wieder von Neuem Innovationstätigkeiten durchzuführen, um innovative Medikamente hervor- und auf den Markt zu bringen.69 Etwas anders stellt sich die Situation mit Blick auf Biosimilar-Hersteller dar. Diese treten – im Ausgangspunkt ähnlich wie Generikahersteller – mit der Einführung von Nachahmungen in Wettbewerb zu den Anbietern originaler Biopharmazeutika, sobald deren Exklusivität endet. Anders als Generika, können Biosimilars jedoch meist nicht zu wesentlich günstigeren Preisen angeboten werden als die entsprechenden Originalpräparate. Denn ihre Entwicklung ist deutlich aufwendiger als diejenige von Generika.70 Es bestehen weitaus größere Marktzutrittsschranken. Dies liegt nicht zuletzt darin begründet, dass Biosimilars mangels vollständiger Übereinstimmung mit Originalen auf der Molekularebene erst nach Durchführung umfangreicher (präklinischer und klinischer) Studien zum Beleg ihrer Vergleichbarkeit mit dem Original (in Bezug auf Sicherheit und Wirksamkeit) zugelassen werden. Durchzuführen sind namentlich 64 Vgl.
Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 98. Sector Inquiry, 2009, Tz. 92.
65 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical 66 Siehe vfa, Biopharmazeutika, 2010. 67 Siehe
Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 163; siehe aber auch Falck/Slopek/Thiermann, GRUR 2015, 1050, zu möglichen Strategien von Originalpräparateherstellern zur Maximierung ihrer Einnahmen mit einem Medikament. 68 Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 65. 69 Vgl. Europäische Kommission, Pharmaceutical Sector Inquiry, 2009, Tz. 59, 92. 70 Siehe oben, unter B. I.1.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
klinische Studien der Phase I und vor allem der aufwendigen und kostspieligen Phase III. Lediglich Studien der Phase II sind nicht erforderlich. Darüber hinaus ist zwischen biopharmazeutischen Originalpräparaten und entsprechenden Biosimilars, wie auch zwischen Biosimilars mit demselben Referenzprodukt untereinander, zumeist eine gewisse Produktdifferenzierung gegeben – während es sich bei synthetischen Originalpräparaten und entsprechenden Generika in der Regel um (nahezu) homogene Produkte handelt. Denn auch zwischen nach Studienlage vergleichbaren Originalpräparaten und Biosimilars verbleiben, wie oben schon erwähnt, Unterschiede in Anwendung (beispielsweise, was die Dosierung angeht) und Nebenwirkungen. Dementsprechend kann die Verbreitung von Biosimilars auch eher nicht, wie diejenige von Generika, gefördert werden, indem Apotheken zur Substitution verschriebener Biopharmazeutika durch Biosimilars berechtigt oder verpflichtet werden.71 Die angesichts der Unterschiede in Anwendung und Nebenwirkungen eingeschränkte Austauschbarkeit von biopharmazeutischen Originalpräparaten und Biosimilars kann besonders virulent werden bei bereits in Behandlung befindlichen Patientinnen und Patienten. Angesichts der Risiken, die mit einer Medikamentenumstellung einhergehen können, wird Patientinnen und Patienten ein einmal verabreichtes Biopharmazeutikum vielfach immer wieder neu verschrieben – auch anstelle erst später verfügbarer Biosimilars, die vielleicht nicht wesentlich, aber doch häufig nennenswert günstiger sind. Es können also Lock-in-Effekte zugunsten von Originalpräparateherstellern entstehen, welche Letzteren die Durchsetzung hoher Preise erlauben, und zwar gerade auch über den Ablauf der Exklusivität ihrer Produkte hinaus. Biosimilar-Hersteller konkurrieren mit den ihnen möglichen (geringfügigen) Preisunterbietungen dann vor allem um neu diagnostizierte Patientinnen und Patienten, die erstmals behandelt werden. Ist ein relevanter Markt für Biopharmazeutika mithin nur teilweise bestreitbar, vollzieht sich die Marktdurchdringung mit Biosimilars langsamer als es bei Generika regelmäßig der Fall ist.72
4. Implikationen für die Zusammenschlussprüfung Die Art und Weise, wie Innovationsprozesse und Innovationswettbewerb in der Pharmaindustrie verlaufen, haben wichtige Implikationen für die Untersuchung der Auswirkungen von Zusammenschlüssen zwischen innovierenden Pharmaunternehmen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz. Aufgrund 71 Vgl. zum vorstehenden Absatz Grabowski/Ridley/Schulman, Managerial and Decision Economics 2007, Bd. 28, Nr. 4–5, 439; vfa, Biopharmazeutika, 2010; Besen/Slusarek, PharmR 2016, 352, 353; Figueroa/Guerrero in: Knable Gotts, The Merger Control Review, 2016, S. 34 f.; siehe auch Picht/Chrobak, NZKart 2019, 528, 531. 72 Vgl. Europäische Kommission, 4.8.2015, M.7559 – Pfizer/Hospira, Tz. 35–38; siehe auch Europäische Kommission, Durchsetzung des Wettbewerbsrechts im Arzneimittelsektor (2009–2017), 2019, S. 26 f., 45 f.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 311
der – in erster Linie dem regulatorischen Rahmen geschuldeten – Struktur von Innovationsprozessen in der Pharmaindustrie lassen sich Innovationswettbewerber hier mit vergleichsweise großer Genauigkeit und Sicherheit identifizieren. Das gilt zumindest für aktuelle Innovationswettbewerber, die bereits Innovationstätigkeiten durchführen. Da Innovationstätigkeiten hier überaus gezielt ablaufen, ist es bereits frühzeitig möglich, Unternehmen zu identifizieren, deren Produkte wahrscheinlich auf einem zukünftigen Produktmarkt konkurrieren werden, und die deshalb in Innovationswettbewerb zueinander stehen. Innovationsprozesse sind auf die Hervorbringung bestimmter neuer Medikamente – mit bestimmten Eigenschaften – gerichtet. Ausgangspunkt ist meist eine zu behandelnde Erkrankung beziehungsweise Indikation. Von dieser ausgehend, werden geeignete Zielmoleküle und sodann vielversprechende Wirkstoffkandidaten bestimmt. Schon früh erfolgen (erste) Festlegungen weiterer Eigenschaften des anvisierten neuen Medikaments, darunter etwa Wirkungsweise, Darreichungsform und Dosierung. Anhand dieser und gegebenenfalls weiterer Gesichtspunkte lässt sich bereits lange vor Fertigstellung des anvisierten Medikaments ausmachen, mit welchen anderen Medikamenten es in Zukunft wahrscheinlich austauschbar sein wird.73 Hinzukommt, dass Innovationstätigkeiten in der Pharmaindustrie gut beobachtbar sind. Dies resultiert daraus, dass ihr Ablauf sehr stark strukturiert und der Fortschritt von Unternehmen leicht nachvollziehbar ist. Für die Zulassung eines neuen Medikaments ist es zwingend erforderlich, die verschiedenen vorklinischen und klinischen Studienphasen zu durchlaufen. Der Eintritt eines Unternehmens in eine (weitere) dieser Phasen wird in öffentlich einsehbaren Datenbanken registriert sowie öffentlich kommuniziert. Zudem stellen Patente in der Pharmaindustrie wichtige, wenn nicht die entscheidenden, Aneignungsmechanismen dar. Um deren Erteilung bemühen sich Unternehmen ebenfalls bereits frühzeitig – was bekanntlich wiederum mit bestimmten Veröffentlichungspflichten einhergeht.74 Schließlich ist die für Innovation charakteristische Unsicherheit im Falle von Innovationsprozessen in der Pharmaindustrie vergleichsweise gut handhabbar. Jedenfalls lässt sich die ungefähre, vom jeweiligen Fortschrittsstadium abhängige Erfolgswahrscheinlichkeit eines anvisierten neuen Medikaments ermitteln. Dann ist es etwa möglich, den Kreis der relevanten Innovationswettbewerber auf diejenigen Unternehmen zu beschränken, bei denen eine Teilnahme am 73 Zur Gezieltheit der Innovationstätigkeiten von Pharmaunternehmen vgl. auch Régibeau/Rockett, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 31, 41; siehe hierzu ferner Siebert/ Pries, PharmR 2007, 147, 150. 74 Zur Beobachtbarkeit der Innovationstätigkeiten von Pharmaunternehmen vgl. Carrier, Iowa Law Review 2008, Bd. 93, Nr. 2, 393, 401; Müller/Stril, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 52, 55; Cunningham/Ederer/Ma, Journal of Political Economy 2021, Bd. 129, Nr. 3, 649, 667 f.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
zukünftigen Wettbewerb mit einem neuen Medikament nicht (mehr) allzu unwahrscheinlich ist.75 Angesichts der Bedeutung, welche dem Innovationswettbewerb (zwischen Originalpräparateherstellern) für die Pharmaindustrie zukommt, ist außerdem davon auszugehen, dass Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern – und die damit einhergehende Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks – hier besonders schwerwiegende negative Konsequenzen haben können.76 In diesem Zusammenhang sei auch auf die Diskussion um sogenannte Killer Acquisitions hingewiesen (die ursprünglich mit Blick auf die Pharmaindustrie begonnen und erst später auf Konstellationen in der Digitalwirtschaft übertragen wurde).77 Als Killer Acquisition bezeichnen Cunningham, Ederer und Ma Zusammenschlüsse, bei denen ein Incumbent ein innovatives beziehungsweise innovierendes Target-Unternehmen erwirbt und sodann dessen Innovationstätigkeiten einstellt, um zukünftigen Wettbewerb vonseiten des Target zu verhindern.78 In einer empirischen Untersuchung kommen sie zu dem Ergebnis, dass Projekte zur Entwicklung eines neuen Medikaments mit einer um 23,4 % geringeren Wahrscheinlichkeit fortgesetzt werden, wenn die sie durchführenden Unternehmen von einem Incumbent erworben werden, dessen Produkt Überschneidungen mit dem jeweils anvisierten neuen Medikament aufweist.79 Solche Überschneidungen machen Cunningham, Ederer und Ma daran fest, dass beide Medikamente jeweils derselben therapeutischen Klasse angehören (also der Behandlung derselben Erkrankung dienen) und dieselbe Wirkungsweise haben.80 Sie schätzen, dass zwischen 5,3 % und 7,4 % der Zusammenschlüsse in der von ihnen untersuchten Stichprobe Killer Acquisitions darstellen, was 46–63 Zusammenschlüssen im Jahr entspricht.81 75 Zur
abnehmenden Unsicherheit bei Innovationstätigkeiten von Pharmaunternehmen vgl. Carrier, Iowa Law Review 2008, Bd. 93, Nr. 2, 393, 416–419. 76 Vgl. hierzu etwa die modelltheoretischen und empirischen Arbeiten speziell zur Pharmaindustrie von Ornaghi, International Journal of Industrial Organization 2009, Bd. 27, Nr. 1, 70; Comanor/Scherer, Journal of Health Economics 2013, Bd. 32, Nr. 1, 106; Haucap/Rasch/Stiebale, International Journal of Industrial Organization 2019, Bd. 63, 283; kritisch hierzu etwa Richman/Mitchell/Vidal/Schulman, Loyola University Chicago Law Journal 2017, Bd. 48, Nr. 3, 787; siehe auch Munos, Nature Reviews Drug Discovery 2009, Bd. 8, Nr. 12, 959, 965; LaMattina, Nature Reviews Drug Discovery 2011, Bd. 10, Nr. 8, 559; Shepherd, Journal of Health Care Law and Policy 2018, Bd. 21, Nr. 1, 1, 11–13; Siebert/Tian, Dynamic Mergers Effects on R&D Investments and Drug Development across Research Phases in the Pharmaceutical Industry, 2020. 77 Grundlegend Cunningham/Ederer/Ma, Journal of Political Economy 2021, Bd. 129, Nr. 3, 649; mit einem guten Überblick über die angesprochene Diskussion etwa OECD, Startups, Killer Acquisitions and Merger Control, 2020; siehe ferner Grise/Burns/Giordano, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 2, 19; Sokol, Florida Law Review 2020, Bd. 72, 1; Madl, Yale Journal on Regulation Online Bulletin 2020, Bd. 38, 28. 78 Cunningham/Ederer/Ma, Journal of Political Economy 2021, Bd. 129, Nr. 3, 649, 650. 79 Cunningham/Ederer/Ma, Journal of Political Economy 2021, Bd. 129, Nr. 3, 649, 652. 80 Cunningham/Ederer/Ma, Journal of Political Economy 2021, Bd. 129, Nr. 3, 649, 652. 81 Cunningham/Ederer/Ma, Journal of Political Economy 2021, Bd. 129, Nr. 3, 649, 654.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 313
II. Die ältere Entscheidungspraxis der Kommission zur Pharmaindustrie In ihrer älteren Entscheidungspraxis zur Pharmaindustrie fasste die Kommission Zusammenschlüsse zwischen Unternehmen mit Pipeline-Medikamenten regelmäßig als solche zwischen potentiellen Wettbewerbern auf.82 Sie behandelte Unternehmen mit Pipeline-Medikamenten, genauer gesagt, unter bestimmten Umständen als Actual Potential Competitors, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich zu einer wirksamen Wettbewerbskraft entwickeln werden.83 Dabei legte die Kommission unterschiedliche Maßstäbe an, je nachdem, ob es sich bei den fraglichen Pipeline-Medikamenten um Originalpräparate, Generika oder Biosimilars handelte.84 Im Falle von Pipeline-Originalpräparaten untersuchte die Kommission zunächst deren wahrscheinliche zukünftige Austauschbarkeit mit anderen Medikamenten. Hierzu stellte sie auf bestimmte Eigenschaften ab, insbesondere die mit den Medikamenten jeweils anvisierte Indikation sowie die Wirkungsweise der Medikamente. Dabei gab sie sich mit einer weniger eindeutigen Bestimmung der Austauschbarkeit zufrieden als im Rahmen der herkömmlichen Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärkte üblich, um der mit Innovation einhergehenden Unsicherheit Rechnung zu tragen. So identifizierte sie Productto-Pipeline-Overlaps wie auch Pipeline-to-Pipeline-Overlaps.85 Sie berücksichtigte regelmäßig nur solche Pipeline-Medikamente als Quellen potentiellen Wettbewerbs, die sich bereits in Phase III der klinischen Entwicklung befanden. Nur dann sah sie nämlich die Erfolgswahrscheinlichkeit der Pipeline-Medikamente als ausreichend hoch (um 50 %) und den Zeitraum bis zum Markteintritt als ausreichend kurz (circa drei Jahre) an, um von Anhaltspunkten dafür ausgehen zu können, dass sich die Medikamente beziehungsweise die entsprechenden Unternehmen zu wirksamen Wettbewerbskräften entwickeln werden.86 82 Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 15 f.; Montag/ Bonin in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 276. Zur Analyse potentiellen Wettbewerbs als einem der herkömmlichen Analyseansätze siehe Kapitel 4.B.III. 83 Siehe hierzu Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 60; vgl. auch Have/Martinez/Demertzi, World Competition Law and Economics Review 2016, Bd. 39, Nr. 1, 85, 104. 84 Besen/Slusarek, PharmR 2016, 352, 354. 85 Zu diesen Konstellationen des Innovationswettbewerbs siehe auch bereits Kapitel 2. B.II.3. 86 Vgl. hierzu etwa Europäische Kommission, 28.2.1995, M.555 – Glaxo/Wellcome, Tz. 9, 28–31; Europäische Kommission, 28.9.1995, M.631 – Upjohn/Pharmacia, Tz. 7–11, 5–32; Europäische Kommission, 17.7.1996, M.737 – Ciba-Geigy/Sandoz, Tz. 42–46, 58, 95– 106; Europäische Kommission, 8.5.2000, M.1846 – Glaxo Wellcome/SmithKline Beecham, Tz. 70–72, 181, 190; Europäische Kommission, 22.5.2000, M.1878 – Pfizer/Warner-Lambert, Tz. 42–44, 77–80; Europäische Kommission, 27.2.2003, M.2922 – Pfizer/Pharmacia, Tz. 22; Europäische Kommission, 24.11.2005, M.3928 – Teva/Ivax, Tz. 51; Europäische Kommission, 3.8.2010, M.5865 – Teva/Ratiopharm, Tz. 426; Europäische Kommission, 9.8.2010, M.5778 – Novartis/Alcon, Tz. 111; Europäische Kommission, 29.7.2011, M.6278 – Take-
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Als potentielle Wettbewerber berücksichtigte die Kommission auch Unternehmen, die im Begriff waren, ein Generikum aus ihrer (Entwicklungs-)Pipeline auf den Markt zu bringen, um so in Konkurrenz zum dort tätigen Originalpräparatehersteller (und gegebenenfalls zu anderen Generikaherstellern) zu treten. Die Voraussetzungen für eine solche Berücksichtigung unter dem Gesichtspunkt des potentiellen Wettbewerbs sind im Falle von Pipeline-Generika eher erfüllt als bei Pipeline-Originalpräparaten. Denn zur Hervorbringung Ersterer sind nicht dieselben umfang- und risikoreichen sowie langwierigen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten erforderlich. Insbesondere sind nicht drei klinische Studien durchzuführen, sondern nur eine einzige Studie zum Nachweis der Bioäquivalenz zwischen Pipeline-Generikum und originalem Referenzprodukte. Als erfüllt sah die Kommission die genannten Voraussetzungen etwa an, wenn die Entwicklung eines Pipeline-Generikums derart fortgeschritten war, dass seine Markteinführung binnen nicht mehr als zwei Jahren bevorstand.87 Vor der Zulassung und Markteinführung von Pipeline-Biosimilars sind schließlich wiederum Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten erforderlich, die in Umfang und Dauer über die zur Entwicklung von Generika notwendigen Tätigkeiten weit hinausgehen. Diese Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten sind eher denjenigen vergleichbar, derer es zur Hervorbringung eines Originalpräparats bedarf. Sie schließen insbesondere auch umfangreiche klinische Studien ein. Die Kommission ging in der Vergangenheit wohl davon aus, dass die erfolgreiche Fertigstellung von Pipeline-Biosimilars binnen ausreichend kurzer Zeit dann hinreichend wahrscheinlich für ihre Berücksichtigung unter dem Geda/Nycomed, Tz. 10–13; Europäische Kommission, 13.10.2011, M.6258 – Teva/Cephalon, Tz. 81; Europäische Kommission, 5.8.2013, M.6969 – Valeant Pharmaceuticals International/Bausch & Lomb Holdings, Tz. 18, 81; siehe auch Besen/Slusarek, PharmR 2016, 352, 354; Have/Martinez/Demertzi, World Competition Law and Economics Review 2016, Bd. 39, Nr. 1, 85, 104 f.; Coninck, Competition Law & Policy Debate 2016, Bd. 2, Nr. 3, 41; Todino/Walle/ Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 16 f.; vgl. ferner Morgan, Review of Industrial Organization 2001, Bd. 19, Nr. 2, 181. 87 Vgl. hierzu etwa Europäische Kommission, 4.2.2009, M.5253 – Sanofi-Aventis/Zentiva, Tz. 194; Europäische Kommission, 3.8.2010, M.5865 – Teva/Ratiopharm, Tz. 55 f.; Europäische Kommission, 9.8.2010, M.5778 – Novartis/Alcon, Tz. 111; Europäische Kommission, 13.10.2011, M.6258 – Teva/Cephalon, Tz. 81; Europäische Kommission, 5.10.2012, M.6613 – Watson/Actavis, Tz. 110; Europäische Kommission, 28.1.2015, M.7379 – Mylan/Abbott EPDDM, Tz. 450; siehe auch Have/Martinez/Demertzi, World Competition Law and Economics Review 2016, Bd. 39, Nr. 1, 85, 104 f.; Besen/Slusarek, PharmR 2016, 352, 354. Angesichts der Vielzahl von Pipeline-Produkten, deren Entwicklung Generikahersteller üblicherweise zeitgleich betreiben, konzentrierte sich die Kommission bei ihrer Prüfung außerdem vielfach auf Fälle, in denen eine Zusammenschlusspartei mit einem Pipeline-Generikum in einen Markt einzutreten beabsichtigte, an welchem die andere Partei oder beide Parteien zusammen einen Anteil von mindestens 35 % hielten, siehe Europäische Kommission, 3.8.2010, M.5865 – Teva/Ratiopharm, Tz. 440; Europäische Kommission, 13.10.2011, M.6258 – Teva/Cephalon, Tz. 129; Europäische Kommission, 5.10.2012, M.6613 – Watson/Actavis, Tz. 111; Europäische Kommission, 28.1.2015, M.7379 – Mylan/Abbott EPD-DM, Tz. 450.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 315
sichtspunkt des potentiellen Wettbewerbs ist, wenn sie die klinische Phase III erreicht haben, welche dem – schwierig zu erbringenden – Nachweis ihrer Vergleichbarkeit mit dem biopharmazeutischen Referenzprodukt dient.88 Was die räumliche Dimension der (im Falle von Product-to-Pipeline-Overlaps gegenwärtigen und im Falle von Pipeline-to-Pipeline-Overlaps zukünftigen) Produktmärkte angeht, hinsichtlich derer sie Unternehmen mit PipelineMedikamenten als potentielle Wettbewerber ansah, ging die Kommission in der Regel von einer weltweiten oder sich zumindest auf das Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) erstreckenden Ausdehnung aus. Dabei berücksichtigte sie, dass Entwicklungsprozesse in der Pharmaindustrie nicht etwa landesspezifisch, sondern auf globaler Ebene erfolgen und zu Markteinführungen in einer Vielzahl von Staaten führen können.89 Von den hier beschriebenen Grundsätzen löst sich die Kommission in den drei aktuelleren Entscheidungen, die Gegenstand der folgenden Fallstudien sind, nun teilweise. Dies machen die nächsten Abschnitte deutlich.
III. Fallstudie: Novartis/GSK Oncology Business In ihrer Entscheidung über das Zusammenschlussvorhaben Novartis/GSK Oncology Business beschäftigt sich die Kommission, soweit hier von Interesse, mit Arzneimitteln für die gezielte Krebstherapie (Targeted Therapies),90 darunter vor allem sogenannte MEK- und BRAF-Hemmer.91 Sie wendet sich verschiedenen Medikamenten für unterschiedliche Krebsarten zu.
1. Arzneimittel zur Behandlung von Hautkrebs Zum einen beschäftigt sich die Kommission mit dem Einsatz von MEK- und BRAF-Hemmern bei der Behandlung fortgeschrittener Melanome, einer Form von Hautkrebs.92 88 Vgl. Europäische Kommission, 3.8.2010, M.5865 – Teva/Ratiopharm, Tz. 425–427; siehe hierzu auch Besen/Slusarek, PharmR 2016, 352, 354 f. Die Entscheidung der Kommission ist in dieser Hinsicht allerdings nicht eindeutig verständlich. Ein abweichendes Verständnis der genannten Kommissionsentscheidung haben etwa Have/Martinez/Demertzi, World Competition Law and Economics Review 2016, Bd. 39, Nr. 1, 85, 104 f. 89 Vgl. hierzu etwa Europäische Kommission, 17.7.1996, M.737 – Ciba-Geigy/Sandoz, Tz. 51; Europäische Kommission, 26.2.1999, M.1403 – Astra/Zeneca, Tz. 48; Europäische Kommission, 27.2.2003, M.2922 – Pfizer/Pharmacia, Tz. 64; Europäische Kommission, 3.8.2010, M.5865 – Teva/Ratiopharm, Tz. 422; siehe auch Siebert/Pries, PharmR 2007, 147, 152; Have/Martinez/Demertzi, World Competition Law and Economics Review 2016, Bd. 39, Nr. 1, 85, 105; Besen/Slusarek, PharmR 2016, 352, 355. 90 Siehe Europäische Kommission, 28.1.2015, M.7275 – Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 8–198. 91 Siehe Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 12–114. 92 Siehe Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 14–59.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Die Kommission verweist hier auf ihre (oben dargelegten) Grundsätze zur Erfassung von Unternehmen mit Pipeline-Originalpräparaten als potentiellen Wettbewerbern.93 Sie grenzt einen relevanten, welt- oder zumindest EWR-weiten Markt für Arzneimittel beziehungsweise MEK- und BRAF-Hemmer für die gezielte Therapie zur Behandlung fortgeschrittener Melanome ab.94 Auf diesem Markt sei GSK bereits mit zwei fertigen Produkten tätig, dem BRAFHemmer Tafinlar und dem MEK-Hemmer Mekinist, die bereits seit 2013 beziehungsweise 2014 als Monotherapien (das heißt zur Anwendung in isolierter Form, unabhängig von anderen Stoffen) zugelassen seien. Zudem verfüge GSK über ein Pipeline-Produkt, eine Kombinationstherapie aus Tafinlar und Mekinist, in der klinischen Studienphase III.95 Novartis verfüge über drei Pipeline-Produkte in Phase III, und zwar den BRAF-Hemmer LGX818 und den MEK-Hemmer MEK162, jeweils als Monotherapie, sowie eine Kombinationstherapie aus LGX818 und MEK162.96 Zwischen den Parteien sei also ein Product-to-Pipeline-Overlap gegeben, soweit es deren MEK- und BRAF-Hemmer als Monotherapien betreffe, sowie ein Pipeline-to-Pipeline-Overlap, soweit es die Kombinationstherapien aus MEK- und BRAF-Hemmern betreffe.97 Neben den Parteien gebe es lediglich ein weiteres Unternehmen mit entsprechenden BRAF- und MEK-Hemmern auf dem Markt oder entsprechenden Pipeline-Produkten in Phase III. Dies sei Roche, deren BRAF-Hemmer Zelboraf seit 2012 zugelassen sei, und deren MEK-Hemmer Cobimetinib die Studienphase III zur Erprobung seiner Anwendung in Kombination mit Zelboraf erfolgreich abgeschlossen habe und voraussichtlich noch 2015 zugelassen werde.98 Andere Unternehmen berücksichtigt die Kommission nicht, da sich deren MEK- und BRAF-Hemmer sämtlich noch in früheren Studienphasen befänden.99
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Die Kommission gelangt zu der Einschätzung, dass der Zusammenschluss die entstehende Unternehmenseinheit mit verringerten Anreizen zurücklassen werde, die Pipeline-Produkte LGX818 und MEK162 von Novartis, als Monowie auch als Kombinationstherapie, weiterzuentwickeln und auf den Markt zu bringen. Die Anreize der entstehenden Unternehmenseinheit würden vielmehr dahingehen, Tafinlar und Mekinist von GSK zu bevorzugen, die bereits als Mo93 Siehe
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 24–27.
94 Siehe Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 28–33. 95 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 38–40. 96 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 35–37. 97 Vgl. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 47. 98
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 51 f. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 55.
99 Vgl.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 317
notherapien zugelassen seien, und deren Erprobung als Kombinationstherapie in Phase III weiter fortgeschritten sei als die Erprobung der Kombinationstherapie aus LGX818 und MEK162. Diese Einschätzung stützt die Kommission auf Aussagen, die sie im Rahmen ihrer Marktuntersuchung eingeholt hat.100 Die danach wahrscheinliche Einstellung der – aus medizinischer Sicht besonders vielversprechenden – Pipeline-Produkte von Novartis infolge des Zusammenschlusses werde eine Verringerung des potentiellen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt herbeiführen. In der Folge werde die Anzahl künftig verfügbarer BRAF- und MEK-Hemmer von drei auf zwei reduziert werden.101 Der Zusammenschluss werde so künftigen Wettbewerbsdruck zwischen Novartis und GSK, und damit einen ernstzunehmenden Wettbewerber auf dem zukünftigen Markt, beseitigen. Allein von Roche werde ausreichender Wettbewerbsdruck auf die Unternehmenseinheit in Zukunft nicht zu erwarten sein.102
2. Arzneimittel zur Behandlung von Eierstockkrebs Zum anderen geht die Kommission auf den Einsatz von MEK- und BRAFHemmern bei der Behandlung von Eierstockkrebs ein.103
a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Auch hier nimmt die Kommission Bezug auf ihre Grundsätze zur Erfassung von Unternehmen mit Pipeline-Originalpräparaten unter dem Gesichtspunkt des potentiellen Wettbewerbs.104 Als relevanten Markt bestimmt sie einen weltoder zumindest EWR-weiten Markt für Arzneimittel für die gezielte Therapie zur Behandlung von Eierstockkrebs.105 Hinsichtlich dieses Markts bestehe ein Pipeline-to-Pipeline-Overlap zwischen den Parteien: Novartis und GSK verfügten beide über jeweils einen MEK-Hemmer, MEK162 beziehungsweise Mekinist, in Phase III zur Erprobung der Anwendung gegen eine bestimmte Form von Eierstockkrebs.106 Ansonsten habe nur noch AstraZeneca einen relevanten MEK-Hemmer, Selumetinib, in der Pipeline, und zwar in Phase II.107
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Auch die Anreize zur kostspieligen Weiterentwicklung des Pipeline-Produkts MEK162 von Novartis, dessen Eigenschaften mit denen des Pipeline-Produkts 100 Vgl. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 56. 101 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 57.
102 Vgl. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 57–59. 103 Siehe Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 60–83. 104
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 67 f. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 72. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 62, 76. 107 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 78. 105 106
318
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Mekinist von GSK identisch seien, werde der Zusammenschluss verringern. Die entstehende Unternehmenseinheit werde das Pipeline-Produkt MEK162 von Novartis daher wahrscheinlich einstellen. Dies werde zur Beseitigung potentiellen Wettbewerbs auf dem relevanten Markt führen. In der Folge würden die künftig verfügbaren MEK-Hemmer von drei auf zwei reduziert werden. Künftiger Wettbewerbsdruck zwischen Novartis und GSK und damit ein ernstzunehmender Wettbewerber auf dem zukünftigen Markt würden wegfallen. Andere Unternehmen würden dies nicht ausgleichen können.108
3. Arzneimittel zur Behandlung weiterer Krebsarten Darüber hinaus nimmt die Kommission auch den Einsatz von MEK- und BRAFHemmern bei der Behandlung weiterer Krebsarten in den Blick.109
a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Hier verweist die Kommission nicht auf ihre Grundsätze zur Erfassung von Unternehmen mit Pipeline-Originalpräparaten als potentiellen Wettbewerbern, sondern auf die in ihren Horizontal-Leitlinien dargelegten Grundsätze zur Erfassung von Wettbewerb im Bereich der Innovation (Competition in Innovation) anhand konkurrierender F&E-Pole.110 Diese Grundsätze seien auch in der Fusionskontrolle anwendbar.111 Angesichts der Struktur von Innovationsprozessen in der Pharmaindustrie könnten konkurrierende klinische Forschungsprogramme ausgemacht werden, welche auf die Entwicklung miteinander austauschbarer Produkte abzielten und sich zeitlich überschnitten. Die (zukünftige) Austauschbarkeit der jeweils anvisierten Produkte sei anhand von deren Eigenschaften und vorgesehener therapeutischer Anwendung, insbesondere ihrer Wirkungsweise und (Krebs-)Indikation, zu beurteilen, die zeitliche Überschneidung anhand der klinischen Studienphase, in welcher sie sich jeweils befänden.112 Zur Erfassung des Wettbewerbs im Bereich der Innovation sei hier außerdem ein mindestens EWR-weiter Maßstab anzulegen, da Erforschung und Entwicklung von Medikamenten üblicherweise global ausgerichtet seien.113 Daran gemessen verfügten die Parteien über konkurrierende klinische Programme zur Erforschung des Einsatzes ihrer jeweiligen BRAF- (Tafinlar beziehungsweise LGX818) und MEK-Hemmer (Mekinist beziehungsweise MEK162) bei der Behandlung von Darmkrebs, Lungenkrebs und durch Melanome verursachten Hirnmetastasen.114 Die Kommission bezieht hier, anders als zuvor, nicht 108 Vgl.
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 81–83.
109 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 84–114. 110 Siehe Horizontal-Leitlinien, Rn. 119–122; siehe 111 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 89. 112 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 90. 113 114
hierzu auch bereits Kapitel 4.B. V.
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 93. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 91, 94, 98.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 319
nur Pipeline-Produkte in der klinischen Studienphase III mit ein, sondern auch solche in früheren Phasen. Sie stellt namentlich die in Tabelle 2 dargestellten Pipeline-to-Pipeline-Overlaps zwischen den Parteien fest:115 Tabelle 2: Pipeline-to-Pipeline-Overlaps in Novartis/GSK Oncology Business. BRAF-Hemmer MEK-Hemmer Kombinationstheraals Monotherapie als Monotherapie pie aus BRAF- und MEK-Hemmern
Indikation
Partei
Darmkrebs
Novartis Phase I oder II GSK Phase II
Phase I oder II –
– Phase II
Lungenkrebs
Novartis Phase II GSK Phase II
Phase II –
Phase II Phase II
Hirnmetastasen
Novartis – GSK Phase II
– –
Phase II Phase II
Quelle: In Anlehnung an Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 97.
Die Kommission geht davon aus, dass die von den Parteien (mit Blick auf eine bestimmte Indikation) jeweils anvisierten Produkte wahrscheinlich in Zukunft miteinander austauschbar sein würden, merkt aber auch an, dass sich dies bis zum Eintritt in die letzte Studienphase nicht wirklich sicher sagen lasse.116 Mit den klinischen Forschungsprogrammen der Parteien konkurriere lediglich noch ein Programm von Roche zur Erforschung des Einsatzes von dessen BRAFHemmer Zelboraf als Monotherapie bei der Behandlung von Darmkrebs, das sich in Studienphase II befinde.117
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Als Bewertungsmaßstab hebt die Kommission – entsprechend den Ausführungen in ihren Horizontal-Leitlinien zum Wettbewerb im Bereich der Innovation – das Übrigbleiben einer ausreichenden Anzahl an klinischen Forschungsprogrammen nach dem Zusammenschluss hervor.118 Sie führt aus, dass die entstehende Unternehmenseinheit infolge des Zusammenschlusses jeweils zwei der mit Blick auf die verschiedenen in Rede stehenden (Krebs-)Indikationen höchstens drei relevanten konkurrierenden klinischen Forschungsprogramme mit MEK- und BRAF-Hemmern kontrollieren werde. Dies werde den Wettbewerb im Bereich der Innovation wahrscheinlich beeinträchtigen und zu einer Verringerung der Innovationstätigkeiten der Unternehmenseinheit führen. Denn vor dem Zusammenschluss hätten beide Parteien Anreize zur Investition in ihre 115 Siehe
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 84, 96 f.
116 Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 91. 117 Vgl. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 102 f. 118
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 101; siehe auch Horizontal-Leitlinien, Rn. 120.
320
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
jeweiligen Forschungsprogramme, und zwar aufgrund der Aussicht auf die im Erfolgsfall zu erwartenden, zukünftigen Einnahmen. Dabei müssten die Parteien nicht berücksichtigen, dass zusätzliche zukünftige Einnahmen für sie selbst zugleich geringere Einnahmen für die Betreiber konkurrierender Forschungsprogramme bedeuteten. Diesen Effekt werde der Zusammenschluss aber internalisieren. Die Unternehmenseinheit werde dann sehr wohl berücksichtigen müssen, dass Investitionen in ein Forschungsprogramm der einen Partei, zur Erhöhung von dessen Erfolgswahrscheinlichkeit, zugleich auch eine Kannibalisierung der nach dem Abschluss des jeweils konkurrierenden Forschungsprogramms der anderen Partei zu erwartenden Einnahmen bewirken würden. Die Unternehmenseinheit werde folglich erheblich verringerte Anreize haben, in die konkurrierenden Forschungsprogramme der Parteien jeweils parallel zu investieren.119 Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass die Unternehmenseinheit die Forschungsprogramme von Novartis wahrscheinlich einstellen oder zumindest zurückfahren werde. Denn die Programme von GSK zur Erforschung des Einsatzes seiner MEK- und BRAF-Hemmer bei der Behandlung fortgeschrittener Melanome seien weiter fortgeschritten als die entsprechenden Forschungsprogramme von Novartis. Daher liege es nahe, dass die Unternehmenseinheit die Forschungsprogramme von GSK gegenüber den Forschungsprogrammen von Novartis priorisieren werde, und zwar dann im Hinblick auf sämtliche der in Rede stehenden (Krebs-)Indikationen.120 Diese Einschätzung bestätigten auch die Angaben befragter Marktteilnehmer.121 Einer Beurteilung der wahrscheinlichen Zusammenschlusswirkungen auf die Anreize zur Fortführung von Forschungsprogrammen in frühen klinischen Studienphasen stehe, wie die Kommission betont, nicht entgegen, dass hinsichtlich des Erfolgs solcher Forschungsprogramme größere Unsicherheit bestehe als hinsichtlich des Erfolgs von Forschungsprogrammen in späteren Phasen. Mit der Verringerung der Investitionen in ein Forschungsprogramm sinke dessen Erfolgswahrscheinlichkeit nämlich unabhängig davon, wie hoch diese Erfolgswahrscheinlichkeit im Ausgangspunkt sei. Ebenso habe die Einstellung eines Forschungsprogramms unabhängig von dessen Erfolgswahrscheinlichkeit zur Folge, dass die darin anvisierten Produkte mit Sicherheit nie auf den Markt gebracht würden.122 Die Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Bereich der Innovation und die Verringerung der Innovationsanreize und damit erwartungsgemäß der Innovationstätigkeiten der entstehenden Unternehmenseinheit, wie sie der Zusammenschluss wahrscheinlich herbeiführen werde, würden wahrscheinlich in einer 119
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 104. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 106. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 107. 122 Vgl. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 108. 120 Vgl. 121 Vgl.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 321
geringeren Anzahl an neuen Produkten auf den jeweils relevanten zukünftigen Produktmärkten resultieren. Dies werde zweierlei negative Konsequenzen haben: eine Einschränkung des zukünftigen Wettbewerbs, mit der Folge höherer Preise; sowie eine Reduktion der zukünftigen Produktvielfalt, mit der Folge, dass zumindest einigen Patientinnen und Patienten nicht die ihren Bedürfnissen am besten entsprechenden Medikamente zur Verfügung stehen würden.123
4. Entscheidung Weitere wettbewerbliche Bedenken hat die Kommission nicht.124 Sie gibt den Zusammenschluss in Phase I frei. Um die beschriebenen Bedenken auszuräumen, müssen die Geschäftsbereiche von Novartis um den MEK-Hemmer MEK162 und den und BRAF-Hemmer LGX818, einschließlich zugehöriger Forschungsprogramme, an den Wettbewerber Array veräußert werden.125
5. Beobachtungen Die Kommission hält in ihrer Entscheidung, soweit diese Arzneimittel zur Behandlung von Haut- und Eierstockkrebs betrifft, an ihrer früheren Praxis fest und berücksichtigt Unternehmen mit Pipeline-Originalpräparaten als potentielle Wettbewerber. Ausdrücklich verweist sie auf ihre hierzu etablierten Grundsätze. Wie in ihrer früheren Praxis sieht sie nur solche Unternehmen als potentielle Wettbewerber an, deren Pipeline-Produkte sich bereits in der klinischen Studienphase III befinden. Bei der Prüfung von Zusammenschlusseffekten gelangt die Kommission zu der Annahme, dass die durch den Zusammenschluss entstehende Unternehmenseinheit Anreize haben werde, die jeweiligen Pipeline-Produkte von Novartis einzustellen. Diese Annahme begründet die Kommission aber nicht etwa mit einer ausführlichen ökonomischen Anreizanalyse, sondern vor allem mit Erkenntnissen, die sie im Rahmen einer Marktuntersuchung gewonnen hat, also mit den Einschätzungen befragter Marktteilnehmer. Den maßgeblichen Wettbewerbsschaden macht die Kommission daran fest, dass die Einstellung der Pipeline-Produkte von Novartis zur Beseitigung potentiellen Wettbewerbs und in der Folge zur Einschränkung der Produktvielfalt sowie der Intensität des (statischen) Wettbewerbs auf dem jeweiligen zukünftigen Produktmarkt führen werde. Soweit die Entscheidung Medikamente zur Behandlung anderer Krebsarten als Haut- und Eierstockkrebs betrifft, weicht die Kommission dagegen bedeutend von ihrer früheren Praxis ab. Sie stellt nicht auf potentiellen Wettbewerb ab, sondern auf den Wettbewerb im Bereich der Innovation mit konkurrierenden F&E-Polen beziehungsweise, wie es die Kommission ausdrückt, 123 Vgl.
Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 110, 112 f. Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 115–266. 125 Siehe Novartis/GSK Oncology Business, Tz. 279–293, 317, 319. 124 Siehe
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
konkurrierenden klinischen Forschungsprogrammen. Damit überträgt sie ihre Horizontal-Leitlinien (zum Kartellverbot) auf die Fusionskontrolle. Als Wettbewerber mit konkurrierenden F&E-Polen sieht die Kommission nun nicht erst Unternehmen mit Pipeline-Produkten in Studienphase III an, sondern bereits solche mit Pipeline-Produkten in Phase II. Diesen Ansatz verfolgt die Kommission im Verfahren Novartis/GSK Oncology zum ersten Mal.126 Als Folge des Zusammenschlusses prognostiziert sie eine Beeinträchtigung des Wettbewerbs im Bereich der Innovation sowie die Einstellung der Forschungsprogramme von Novartis. Zur Begründung beruft sich die Kommission auf die ökonomische Analyse zusammenschlussbedingter Anreizveränderungen, wie sie durch die Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte auftreten,127 und ergänzend auf die Einschätzungen befragter Marktteilnehmer. Einen wettbewerblichen Schaden verortet die Kommission erneut in der zukünftigen Einschränkung von Produktvielfalt und Wettbewerbsintensität. Dabei hebt sie auch hervor, dass deshalb künftig mit höheren Preisen sowie mit der fehlenden Verfügbarkeit bedarfsgerechter Medikamente für bestimmte Patientinnen und Patienten zu rechnen sein werde. Festzuhalten ist, dass sich die Entscheidung im Verfahren Novartis/GSK Oncology durch eine gegenüber früheren Entscheidungen zur Pharmaindustrie veränderte Herangehensweise der Kommission besonders auszeichnet.
IV. Fallstudie: Pfizer/Hospira Die Zusammenschlussprüfung der Kommission im Verfahren Pfizer/Hospira betrifft zum einen (biopharmazeutische) Medikamente auf Basis bestimmter monoklonaler Antikörper,128 sowie zum anderen bestimmte injizierbare Arzneimittel.129
1. Monoklonale Antikörper und Biosimilars Gegenstand der Prüfung sind, soweit hier von Interesse, zunächst der monoklonale Antikörper Infliximab und diesen nachahmende Biosimilars.130
126 Have/Martinez/Demertzi, World Competition Law and Economics Review 2016, Bd. 39, Nr. 1, 85, 107; Todino/Walle/Stoican, The Antitrust Bulletin 2019, Bd. 64, Nr. 1, 11, 19; vgl. auch Montag/Bonin in: MüKo Wettbewerbsrecht, Bd. 1, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 217. 127 Siehe hierzu Kapitel 3.B. I.1. 128 Siehe Europäische Kommission, 4.8.2015, M.7559 – Pfizer/Hospira, Tz. 9–71. 129 Siehe Pfizer/Hospira, Tz. 72–285. 130 Vgl. nur Pfizer/Hospira, Tz. 13.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 323
a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Die Kommission grenzt einen zumindest den EWR-weiten Markt für Infliximab-Medikamente ab. Diesem gehörten sowohl das seit 2014 nicht mehr patentgeschützte Infliximab-Originalpräparat Remicade von Johnson & Johnson an, das in Europa exklusiv durch Merck vertrieben werde, als auch dieses nachahmende Biosimilars.131 Zugelassen und auf dem Markt sei bislang ein Infliximab-Biosimilar, das von Celltrion entwickelt worden sei. Vertrieben werde dieses einerseits durch Celltrion selbst, unter dem Markennamen Remsima, sowie andererseits durch Hospira, unter dem Markennamen Inflectra. Außerdem verfügten zwei Unternehmen über entsprechende Pipeline-Biosimilars in der klinischen Studienphase III, nämlich Pfizer und Samsung Bioepis. Einige weitere Unternehmen befänden sich in früheren Phasen der Entwicklung entsprechender Biosimilars.132 Diesen letzteren Unternehmen misst die Kommission allerdings keine weitergehende wettbewerbliche Bedeutung bei, da Wettbewerbsdruck von ihnen nicht in absehbarer Zukunft zu erwarten sei.133 Nicht ganz eindeutig geht aus den Ausführungen der Kommission hervor, ob sie Unternehmen mit Pipeline-Biosimilars in Phase III als potentielle Wettbewerber ansieht oder nicht.134
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Mit Blick auf den Markt für Infliximab-Medikamente – und vor dem Hintergrund der (oben dargestellten) Besonderheiten des Wettbewerbs mit Biosimilars135 – untersucht die Kommission die für die absehbare Zukunft maßgeblichen Wettbewerbsbeziehungen beziehungsweise die wettbewerbliche Nähe zwischen den maßgeblichen Unternehmen.136 Als bedeutsam erachtet sie insbesondere den zukünftigen Wettbewerb zwischen den drei dann nicht vollständig identischen und miteinander austauschbaren, sondern differenzierten Biosimilars von Hospira beziehungsweise Celltrion, Pfizer und Samsung Bioepis.137 Zwar sei gerade das wirtschaftliche Erfolgspotential der bislang noch in der Entwicklung befindlichen Pipeline-Produkte von Pfizer und Samsung Bioepis – auch aufgrund der allgemein noch sehr begrenzten Erfahrung mit Biosimilars – schwierig zu beurteilen. Allerdings deuteten die Antworten der im Rahmen einer Marktuntersuchung befragten Marktteilnehmer sowie die Angaben der Parteien darauf hin, dass diese hier als wichtige Akteure anzusehen 131 Siehe Pfizer/Hospira, Tz. 19–25, 132 Pfizer/Hospira, Tz. 39.
30 f., 39.
133 Vgl. Pfizer/Hospira, Tz. 51–53, 56. 134 Lediglich an einer Stelle und eher beiläufig
spricht die Kommission von einem „assessment of potential competition in markets of biologic drugs“, siehe Pfizer/Hospira, Tz. 55. 135 Siehe Pfizer/Hospira, Tz. 32–38; siehe auch oben, unter B. I.3. 136 Siehe Pfizer/Hospira, Tz. 41–56. 137 Vgl. Pfizer/Hospira, Tz. 45.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
seien.138 Zudem werde sich der Marktzutritt für Samsung Bioepis wahrscheinlich als schwieriger erweisen als für Pfizer, da Samsung Bioepis im EWR bislang nicht über eigene Vertriebsinfrastrukturen verfüge.139 Im Verhältnis zu den Biosimilars stelle das von Merck vertriebene Originalpräparat Remicade einen lediglich entfernten Wettbewerber dar. So liege der Preis von Remicade trotz einseitigen Preisdrucks weiterhin über demjenigen der bereits verfügbaren Biosimilars. Dies resultiere aus der eingeschränkten Austauschbarkeit zwischen Originalpräparaten und Biosimilars sowie aus dem Lock-in-Effekt zugunsten von Originalpräparateherstellern.140 Zwischen Hospira und Celltrion beziehungsweise den von ihnen vertriebenen, vollständig identischen und miteinander austauschbaren Biosimilars bestehe außerdem (quasi zusätzlich zum Wettbewerb zwischen den drei differenzierten Infliximab-Biosimilars) ein intensiver Preiswettbewerb. Dies stelle eine Besonderheit des hier relevanten Markts dar, der – anders als Märkte für biopharmazeutische Medikamente sonst – eben auch homogene Produkte kenne.141 Ihre Prognose der konkreten Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Markt für Infliximab-Medikamente macht die Kommission an der Zusammenführung des bereits zugelassenen, derzeit von Hospira vertriebenen Biosimilars Inflectra und des Pipeline-Biosimilars von Pfizer, sowie an der – auch durch Angaben im Rahmen der Marktuntersuchung bestätigten – Überlegung fest, dass ein Unternehmen, das bereits ein zugelassenes Biosimilar vertreibe, keinerlei Anreize habe, zugleich die Entwicklung eines Pipeline-Biosimilars mit demselben Referenzprodukt fortzuführen.142 Sie geht davon aus, dass sich infolge des Zusammenschlusses eins von zwei möglichen Szenarien realisieren werde.143 Eine Möglichkeit sei, dass die entstehende Unternehmenseinheit die Entwicklung des Pipeline-Biosimilars von Pfizer verzögern oder gar einstellen werde, um sich (zunächst oder vollständig) auf die Vermarktung des von Hospira vertriebenen Biosimilars zu konzentrieren. Die herabgesetzten Anreize der Unternehmenseinheit, das Pipeline-Biosimilar von Pfizer weiter zu entwickeln, bedeuteten eine Abschwächung des Innovationswettbewerbs. Mit der Einstellung oder Verzögerung des PipelineProdukts werde sich die Anzahl der zugelassenen beziehungsweise in einem fortgeschrittenen Entwicklungsstadium (Phase III) befindlichen, differenzierten Biosimilars von drei auf zwei verringern. Dadurch werde Patientinnen und Patienten der zeitnahe Zugang zu einem differenzierten Produkt, das Marktteilnehmer aufgrund bisheriger Studienergebnisse bereits als erfolgversprechend 138 Vgl. Pfizer/Hospira, Tz. 46–49. 139 Pfizer/Hospira, Tz. 50. 140 Vgl.
Pfizer/Hospira, Tz. 42 f., 56. Pfizer/Hospira, Tz. 44, 56. Pfizer/Hospira, Tz. 57, 60. 143 Pfizer/Hospira, Tz. 57, 61. 141 Vgl. 142 Vgl.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 325
ansähen, verstellt werden. Zudem werde künftig der Preiswettbewerb um neu diagnostizierte, erstmals zu behandelnde Patientinnen und Patienten, wie er von Biosimilar-Herstellern angesichts des Lock-in-Effekts zugunsten von Originalpräparateherstellern in erster Linie zu erwarten sei, abgeschwächt werden. Damit werde eine in Zukunft wichtige Wettbewerbskraft beseitigt werden.144 Im zweiten möglichen Szenario werde die Unternehmenseinheit die Vertriebsrechte für das von Hospira vertriebene Biosimilar an Celltrion zurückgeben, um sich auf die weitere Entwicklung und dann Vermarktung des Pipeline-Biosimilars von Pfizer zu konzentrieren. Dies werde einen vollständigen Verlust des gegenwärtigen, intensiven Preiswettbewerbs zwischen Hospira und Celltrion bewirken und zu höheren Preisen jedenfalls für deren Kundinnen und Kunden führen.145
2. Injizierbare Arzneimittel und Generika Außerdem beschäftigt sich die Kommission mit Medikamenten – Originalpräparaten und Generika – die im Wege der Injektion verabreicht werden.146 Dies betrifft namentlich, und soweit hier von Interesse, Medikamente gegen Pilzinfektionen auf Basis des Moleküls Voriconazol.147
a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Voriconazol-Medikamente stünden beziehungsweise träten allein mit solchen Medikamenten in Wettbewerb, welche jeweils dasselbe Molekül (Voriconazol) enthielten. Anderweitige Medikamente, auch solche zur Behandlung derselben Erkrankungen, seien daher nicht zu berücksichtigen.148 Das Originalpräparat Vfend werde von Pfizer hergestellt und vertrieben.149 Derzeit verfüge Pfizer noch über (EU-)Patentschutz, der aber bald auslaufen werde, und zwar zwischen Januar und Juli 2016 (je nach Mitgliedsstaat), teilweise (je nach Darreichungsform) auch erst im Juni 2018.150 Mit Blick auf dementsprechend gegenwärtig noch nicht auf dem Markt verfügbare Generika verweist die Kommission auf ihren (oben erläuterten) Grundsatz, Pipeline-Generika nur dann zu berücksichtigen, wenn deren Markteinführung binnen zwei Jahren vorgesehen sei.151 Ein danach berücksichtigungsfähiges Voriconazol-Generikum habe der144 Vgl.
Pfizer/Hospira, Tz. 57 f., 61. Pfizer/Hospira, Tz. 58. 146 Vgl. Pfizer/Hospira, Tz. 72 f. 147 Vgl. Pfizer/Hospira, Tz. 266 f. Gemeinsam mit Voriconazol-Medikamenten betrachtet die Kommission auch Antibiotika auf Basis des Moleküls Linezolid. Insoweit hat sie aber keine wettbewerblichen Bedenken, siehe Pfizer/Hospira, Tz. 266, 268, 270–277. 148 Vgl. Pfizer/Hospira, Tz. 267. 149 Pfizer/Hospira, Tz. 266. 150 Siehe Pfizer/Hospira, Tz. 270, 278. 151 Pfizer/Hospira, Tz. 269. 145
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
zeit allein Hospira in der Pipeline. Hospira habe die Entwicklung bereits abgeschlossen und auch schon eine EU-weit gültige Zulassung erhalten.152 Unklar bleibt, ob die Kommission Hospira insofern als potentiellen Wettbewerber ansieht oder nicht.153
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Auf der Grundlage von Angaben und internen Dokumenten der Parteien (die im Entscheidungstext allerdings geschwärzt sind) nimmt die Kommission an, dass die entstehende Unternehmenseinheit die Markteinführung des Voriconazol-Generikums von Hospira aussetzen werde. So werde es infolge des Zusammenschlusses wahrscheinlich zu einer generell verzögerten Markteinführung von Voriconazol-Generika kommen. Wichtiger Wettbewerbsdruck auf den Hersteller des Originalpräparats Pfizer werde beseitigt werden (beziehungsweise gar nicht erst entstehen). Den Wegfall des Voriconazol-Generikums von Hospira würden andere Generikahersteller auch nur schwer ausgleichen können.154
3. Entscheidung Über die beschriebenen Bedenken im Zusammenhang mit Infliximab- und Voriconazol-Medikamenten hinaus hat die Kommission weitere wettbewerbliche Bedenken, die allerdings den statischen Wettbewerb auf Märkten für anderweitige, bereits fertig entwickelte injizierbare Arzneimittel betreffen.155 Im Ergebnis gibt die Kommission den Zusammenschluss in Phase I frei. Angesichts ihrer Bedenken verlangt sie, dass der Geschäftsbereich um das (Pipeline-)InfliximabBiosimilar von Pfizer (mit Ausnahme der Rechte zum Vertrieb außerhalb des EWR) sowie die Rechte jeweils einer der Parteien an den betreffenden injizierbaren Arzneimitteln, einschließlich der Rechte von Hospira an seinem Voriconazol-Generikum, veräußert werden.156
4. Beobachtungen Im Verfahren Pfizer/Hospira geht es, anders als in Novartis/GSK Oncology, nicht schwerpunktmäßig um Originalpräparate, sondern um Biosimilars und Generika. Die Kommission scheint sich an ihrer früheren Praxis zur Berücksichtigung von Unternehmen mit Pipeline-Biosimilars und Pipeline-Generika zu orientieren. Sie hält daran fest, nur solche Pipeline-Biosimilars zu berücksichtigen, die bereits Studienphase III durchlaufen, und nur solche PipelineGenerika, deren Markteinführung nicht mehr als zwei Jahre in der Zukunft 152
Pfizer/Hospira, Tz. 278 f.
153 Einen Hinweis hierauf enthalten die Ausführungen 154 Vgl. Pfizer/Hospira, Tz. 280–285. 155 Siehe 156 Vgl.
der Kommission nicht.
Pfizer/Hospira, Tz. 102–265, 286. Pfizer/Hospira, Tz. 291–303, 309–314, 325, 327.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 327
liegt. Allerdings verweist die Kommission – anders als im Verfahren Novartis/ GSK Oncology – nicht ausdrücklich auf ihre frühere Praxis. So gibt sie nicht eindeutig zu erkennen, ob sie die Unternehmen mit entsprechenden PipelineProdukten hier als potentielle Wettbewerber ansieht oder nicht. Davon dürfte angesichts der Beschränkung auf Pipeline-Produkte, welche die genannten Anforderungen hinsichtlich ihrer Marktnähe erfüllen, jedoch auszugehen sein.157 Mit Blick auf Infliximab-Medikamente stellt die Kommission bei der Prognose von Zusammenschlusseffekten darauf ab, dass der Zusammenschluss ein bereits vertriebenes Produkt und ein entsprechendes Pipeline-Produkt unter die Kontrolle der entstehenden Unternehmenseinheit bringen werde. Sie geht – gestützt vor allem Erkenntnisse aus einer Marktuntersuchung – davon aus, dass die Unternehmenseinheit in der Folge nicht über hinreichende Anreize zur Weiterentwicklung des Pipeline-Produkts verfügen und dieses einstellen oder den Vertrieb des bereits erhältlichen Produkts beenden werde. Einen Wettbewerbsschaden erblickt die Kommission darin, dass es letztlich in beiden Szenarien zur Einschränkung von Produktvielfalt und (Preis-)Wettbewerb kommen werde. Mit Blick auf Voriconazol-Medikamente prognostiziert die Kommission, dass die entstehende Unternehmenseinheit die Entwicklung des bislang einzigen Generikums einstellen werde, und zwar zugunsten des dann ebenfalls von der Unternehmenseinheit kontrollierten Originalpräparats. Dabei beruft sich die Kommission auf interne Dokumente der Parteien. Der Wettbewerbsschaden liegt aus Sicht der Kommission darin begründet, dass mangels anderweitiger Voriconazol-Generika auf diese Weise jeglicher Wettbewerb für das Originalpräparat beseitigt beziehungsweise am Entstehen gehindert werde. Im Vergleich zu Novartis/GSK Oncology zeichnet sich die Entscheidung im Verfahren Pfizer/Hospira also vor allem dadurch aus, dass die Kommission im Wesentlichen – wenn auch nicht ausdrücklich – an bereits etablierten Grundsätzen festhält.
V. Fallstudie: J&J/Actelion Zum Verständnis der Kommissionsentscheidung im Verfahren J&J/Actelion ist es erforderlich, sich die Struktur der Transaktion vor Augen zu führen: Actelion soll zunächst den überwiegenden Teil seines Geschäftsbereichs zur Erforschung und Entwicklung von Arzneimitteln auf die neu gegründete Gesellschaft Indorsia Ltd. (Indorsia) übertragen. J&J (beziehungsweise eine Tochtergesellschaft) soll sodann die Kontrolle über Actelion und im unmittelbaren Anschluss eine Minderheitsbeteiligung an Indorsia in Höhe von 16 % erwerben. Zudem soll J&J eine Option auf weitere 16 % der Anteile an Indorsia erhalten. Die übrigen 157 Davon scheinen auch andere auszugehen, vgl. Lammens, Pharmaceutical Innovation in EU Merger Control, 2019, S. 21.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Anteile an Indorsia sollen bei den bisherigen Anteilseignerinnen und -eignern von Actelion verbleiben.158 In ihrer Zusammenschlussprüfung beschäftigt sich die Kommission, soweit hier von Interesse, mit Arzneimitteln zur Behandlung von Schlaflosigkeit.159
1. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Die Kommission grenzt einen eigenständigen, welt- oder zumindest EWR-weiten Markt für Arzneimittel zur Behandlung von Schlaflosigkeit auf Basis sogenannter Orexin-Antagonisten ab. Derartige Medikamente würden im EWR bislang noch nicht vertrieben. Sie befänden sich vielmehr noch in der Entwicklung. Den Angaben befragter Marktteilnehmer sowie den internen Dokumenten der Parteien zufolge stellten Medikamente auf Basis von Orexin-Antagonisten einen neuen, überaus vielversprechenden Ansatz zur Behandlung von Schlaflosigkeit dar. Sie könnten insbesondere eine langfristige Behandlung ermöglichen, der gegenwärtig noch die erheblichen Missbrauchs- und Nebenwirkungsrisiken sowie Suchtpotentiale verfügbarer Schlafmittel entgegenstünden. Angesichts des erwarteten, neuartigen Wirksamkeits- und Sicherheitsprofils von Orexin-Antagonisten werde die Behandlung mit ihnen wahrscheinlich nicht mit bisherigen Behandlungsformen austauschbar sein.160 Mit der Entwicklung von Medikamenten auf Basis von Orexin-Antagonisten betätigten sich beide Zusammenschlussparteien. Sie durchliefen aktuell jeweils die klinische Studienphase II. J&J entwickele die Substanz JNJ-7922 zusammen mit Minerva Neurosciences, Inc. (Minverva). Im EWR solle Minverva später das fertige Produkt vertreiben. Actelion entwickele die Substanz ACT541468. Die zugehörige Pipeline solle von Indorsia übernommen werden.161 Neben den Parteien verfügten im EWR nur wenige Unternehmen über Pipeline-Medikamente mit Orexin-Antagonisten. In einer fortgeschrittenen Studienphasen befände sich nur noch ein von Eisai und Purdue gemeinsam entwickeltes Produkt. Dieses durchlaufe gegenwärtig Phase III. Merck vertreibe bereits einen Orexin-Antagonisten in den Vereinigten Staaten, begehre für diesen aber bislang keine Zulassung für den EWR. Angesichts der langen Dauer von Entwicklungsprozessen für neue Medikamente sei es höchst unwahrscheinlich, dass andere Unternehmen vor den Parteien (sowie Eisai und Purdue) Medikamente mit Orexin-Antagonisten auf den Markt bringen würden.162
158
Europäische Kommission, 9.6.2017, M.8401 – J&J/Actelion, Tz. 6. J&J/Actelion, Tz. 12–54. J&J/Actelion, Tz. 23–33. 161 Siehe J&J/Actelion, Tz. 12–16. 162 J&J/Actelion, Tz. 36. 159 Siehe 160 Siehe
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2. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen In Anbetracht der geringen Anzahl an Unternehmen mit entsprechenden Pipeline-Produkten finde Wettbewerb bei der Entwicklung von Orexin-Antagonisten zur Behandlung von Schlaflosigkeit nur sehr eingeschränkt statt. Zudem bestehe mit Blick auf den Innovationswettbewerb eine große Nähe zwischen den Parteien.163 Deren Orexin-Antagonisten unterschieden sich zwar geringfügig in ihren Wirkungsweisen. Es sei jedoch davon auszugehen, dass sie sich hinsichtlich ihrer Wirksamkeits- und Sicherheitsprofile künftig sehr nahe kommen würden. Sie gehörten beide zu den vielversprechendsten Medikamenten zur Behandlung von Schlafstörungen und würden sich wohl auch gegenüber dem Produkt von Eisai und Purdue als überlegen erweisen.164 Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass der Zusammenschluss den Innovationswettbewerb schädigen und der entstehenden Unternehmenseinheit – beziehungsweise J&J als Erwerber – die Fähigkeiten und Anreize zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung (im Sinne etwa einer Neuausrichtung auf bestimmte Indikationen oder Patientinnengruppen) eines der beiden Pipeline-Produkte der Parteien verschaffen werde.165 Zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung seines eigenen PipelineProdukts mit dem Orexin-Antagonisten JNJ-7922 werde J&J trotz der Kooperation mit Minerva in der Lage sein. Zwar erfolge die Entwicklung von JNJ7922 (soweit es den EWR betreffe) nach einem gemeinsamen Entwicklungsplan und unter der Aufsicht eines gemeinsamen Lenkungsausschusses von J&J und Minerva. Die letzte Entscheidungshoheit liege aber bei J&J. Auch halte J&J eine Minderheitsbeteiligung von 11 % an Minerva.166 Daneben werde J&J auch zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung des Pipeline-Produkts mit dem Orexin-Antagonisten ACT-541468 von Actelion in der Lage sein. Die diesbezüglichen Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten von Actelion würden zwar vor der Übernahme durch J&J auf Indorsia übertragen. Auch auf Indorsia werde J&J aber nach dem Zusammenschluss bestimmenden Einfluss – und damit Kontrolle im Sinne von Art. 3 der Fusionskontrollverordnung – haben. Ein derartiger bestimmender Einfluss könne schon aufgrund langfristiger wirtschaftlicher Beziehungen beziehungsweise wirtschaftlicher Abhängigkeit gegeben sein.167 Indorsia werde auf die Finanzierung und Ausstattung mit Lizenzen durch J&J angewiesen sein. Zudem werde J&J eine Beteiligung an Indorsia in Höhe von 16–32 % erwerben, während die anderen Eignerinnen und Eigner jeweils nicht mehr als 5 % der Anteile halten würden. Ferner werde J&J unter 163 164
J&J/Actelion, Tz. 38. J&J/Actelion, Tz. 37. 165 Vgl. J&J/Actelion, Tz. 38 f. 166 J&J/Actelion, Tz. 40–42. 167 J&J/Actelion, Tz. 45. Die Kommission verweist hier auf ihre Mitteilung über Zuständigkeitsfragen, Rn. 20.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Umständen das Recht erhalten, Mitglieder in den Vorstand von Indorsia zu entsenden.168 Neben den Fähigkeiten werde J&J nach dem Zusammenschluss auch die Anreize zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines der beiden Pipeline-Produkte haben.169 Grundsätzlich könnten sich derartige Anreize infolge eines Zusammenschlusses ergeben, wenn davon auszugehen sei, dass das betreffende Pipeline-Produkt einer Zusammenschlusspartei in Zukunft, nach seiner Markteinführung, wahrscheinlich in erheblichem Maße Geschäftsabschlüsse beziehungsweise Umsätze generieren werde, die zulasten des konkurrierenden (Pipeline-)Produkts der anderen Zusammenschlusspartei gehen würden. Der von der Einführung des ersteren Produkts zu erwartende Gewinnrückgang bei letzterem Produkt (aufgrund einer Kannibalisierung von Umsätzen) erhöhe dann nämlich aus Sicht der entstehenden Unternehmenseinheit die mit der Entwicklung und Einführung des ersteren Produkts verbundenen Opportunitätskosten. Mit den Opportunitätskosten stiegen auch die Anreize der Unternehmenseinheit zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung des betreffenden Pipeline-Produkts, und dies insbesondere dann, wenn die Kosten für dessen Entwicklung und anschließenden Vertrieb generell hoch seien.170 Im Falle der von den Parteien entwickelten Orexin-Antagonisten sei davon auszugehen, dass die auf diesen basierenden Produkte künftig in engem Wettbewerb zueinander stehen und andere Unternehmen hinreichenden Wettbewerbsdruck nicht ausüben würden. Für J&J werde es sich daher beispielsweise rentieren, seinen Einfluss auf Indorsia geltend zu machen, um die Entwicklung des Orexin-Antagonisten ACT-541468 einzustellen, aufzuschieben oder umzulenken. Denn die mit ACT-541468 erzielbaren Umsätze würden wahrscheinlich die mit dem Orexin-Antagonisten JNJ-7922 von J&J erzielbaren Umsätze kannibalisieren. Umgekehrt könne J&J infolge des Zusammenschlusses auch die Entwicklung von JNJ-7922 einstellen, aufschieben oder umlenken, um eine Kannibalisierung der mit ACT-541468 erzielbaren Umsätze zu verhindern – vorausgesetzt, diese Umsätze überstiegen (soweit sie auf J&J und nicht auf andere Eignerinnen und Eigner von Indorsia entfielen) die mit JNJ7922 erzielbaren Umsätze. In jedem Fall werde J&J auch berücksichtigen, dass sich mit der Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines der beiden Pipeline-Produkte F&E-Kosten einsparen ließen.171 Die aufgrund der entsprechenden Fähigkeiten und Anreize von J&J nach dem Zusammenschluss wahrscheinliche Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines der Pipeline-Produkte der Parteien werde zu einer Schädigung 168 Siehe
J&J/Actelion, Tz. 43–48.
169 J&J/Actelion, Tz. 52. 170 Vgl. J&J/Actelion, Tz. 50. 171 Vgl.
J&J/Actelion, Tz. 51.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 331
der Verbraucherinnen und Verbraucher führen. Denn sie werde eine Verringerung der Produktvielfalt sowie der Wettbewerbsintensität und damit ein höheres Preisniveau auf dem zukünftigen Markt für Medikamente mit Orexin-Antagonisten zur Behandlung von Schlaflosigkeit bewirken.172
3. Entscheidung Weitergehende Wettbewerbsbedenken hat die Kommission nicht. Sie erteilt eine Freigabeentscheidung in Phase I. Mit Bedingungen und Auflagen soll insbesondere vermieden werden, dass J&J die Fähigkeiten zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines der beiden Pipeline-Produkte erhält. So darf J&J, um den Erwerb bestimmenden Einflusses auf Indorsia zu verhindern, etwa die Minderheitsbeteiligung an Indorsia nicht über 16 % hinaus ausbauen und kein Mitglied des Vorstands von Indorsia ernennen. Um Minerva die alleinige Kontrolle über Entwicklung und anschließenden Vertrieb des Produkts mit dem Orexin-Antagonisten JNJ-7922 zu verschaffen, muss J&J unter anderem seine Minderheitsbeteiligung an Minverva abgeben und dieser die finale Entscheidungshoheit in Bezug auf die Entwicklung von JNJ-7922 überlassen.173
4. Beobachtungen Gegenstand der Kommissionsentscheidung sind wiederum Originalpräparate – wie schon im Verfahren Novartis/GSK Oncology und anders als in Pfizer/Hospira. Die Kommission grenzt einen relevanten Markt ab, bei dem es sich offensichtlich um einen zukünftigen Markt handelt, da die fraglichen Produkte, wie die Kommission betont, bislang im EWR nicht vertrieben werden. Im Hinblick auf diesen Markt berücksichtigt die Kommission als Wettbewerber dann sowohl Unternehmen mit Pipeline-Produkten in Studienphase III als auch Unternehmen mit Pipeline-Produkten in Phase II. Dabei spricht sie weder von potentiellem Wettbewerb noch von Wettbewerb im Bereich der Innovation mit konkurrierenden F&E-Polen beziehungsweise klinischen Forschungsprogrammen. Sie verweist weder auf ihre frühere Entscheidungspraxis noch auf die Horizontal-Leitlinien (zum Kartellverbot). Insoweit bleibt unklar, welchen methodisch-konzeptionellen Analyseansatz die Kommission zugrunde legt. Die Kommission geht davon aus, dass der Zusammenschluss den Innova tionswettbewerb schädigen werde. In der Folge werde es zur Einstellung oder – darauf weist die Kommission hier, anders als in den Verfahren Novartis/GSK Oncology und Pfizer/Hospira, ebenfalls hin – zur Aufschiebung oder Umlenkung eines der beiden Pipeline-Produkte der Parteien kommen. Diese Prognose begründet die Kommission damit, dass J&J als Erwerber nach dem Zusammen172 Vgl.
J&J/Actelion, Tz. 38, 52–54. J&J/Actelion, Tz. 84–88, 95, 109 f.
173 Siehe
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
schluss die Fähigkeiten und Anreize zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines der Pipeline-Produkte haben werde. Recht ausführlich geht die Kommission zunächst auf die Fähigkeiten von J&J zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung ein. Dass J&J nach dem Zusammenschluss über diese Fähigkeiten verfügen wird, versteht sich aufgrund der besonderen Struktur der Transaktion nicht von selbst und bedarf deshalb der Erläuterung. Die Fähigkeiten von J&J zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines PipelineProdukts sind, wohlgemerkt, nicht identisch mit den Innovationsfähigkeiten von J&J. Deren etwaige zusammenschlussbedingte Beeinträchtigung ist nicht Gegenstand der Analyse durch die Kommission. Anschließend analysiert die Kommission die Anreize von J&J zur Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines Pipeline-Produkts. Hier führt sie im Wesentlichen die ökonomische Analyse von Zusammenschlusseffekten durch die Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte an. Einen Wettbewerbsschaden zulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher macht die Kommission daran fest, dass die Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung eines Pipeline-Produkts durch J&J Produktvielfalt und Wettbewerbsintensität auf dem relevanten zukünftigen Markt herabsetzen und so zu einem höheren Preisniveau auf diesem Markt führen werde. Dabei geht sie nicht darauf ein, weshalb gerade auch im Falle der Umlenkung eines PipelineProdukts mit derartigen Folgen zu rechnen ist. Sie beschäftigt sich nicht etwa mit der Möglichkeit, dass die Umlenkung von Innovationstätigkeiten zur Hervorbringung eines anderen innovativen Produkts führt und die Produktvielfalt so gerade fördert.174 Als besonderes Merkmal der Kommissionsentscheidung im Verfahren J&J/ Actelion ist vor allem festzuhalten, dass die Kommission zwar das Spektrum berücksichtigungsfähiger Innovationswettbewerber gegenüber ihrer früheren Praxis erweitert, indem sie auch Unternehmen mit Pipeline-Produkten in Studienphase II einbezieht, zugleich – und anders als in Novartis/GSK Oncology – aber darauf verzichtet, diese Erweiterung konzeptionell zu begründen.
C. Fallstudien zu anderen Industrien Im Folgenden werden vier Entscheidungen der Kommission zu anderen Industrien als der Pharmaindustrie in Fallstudien analysiert. Dabei wird jeweils auch auf die besonderen Eigenschaften der betroffenen Industrien im Hinblick auf Innovation und Innovationswettbewerb eingegangen.
174
Vgl. hierzu auch bereits Kapitel 3.C. I.
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I. Fallstudie: Deutsche Börse/NYSE Euronext Das Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext betrifft, soweit hier von Interesse, den Derivatehandel, genauer Handel und Clearing börsengehandelter Derivate (Trading and Clearing of Exchange-traded Derivatives, oder ETDs).175 Die Zusammenschlussparteien betreiben die Derivatebörsen Eurex Deutschland (Eurex) beziehungsweise NYSE Liffe (Liffe).176
1. Zur relevanten Industrie Zum Verständnis der Kommissionsentscheidung ist es zunächst erforderlich, sich klar zu machen, was unter Handel und Clearing börsengehandelter Derivate zu verstehen ist und wie der diesbezügliche Wettbewerb zwischen Börsenbetreibern abläuft. Hierzu macht die Kommission umfangreiche Ausführungen.177
a) Derivate, Handel und Clearing Bei Derivaten handele es sich um Finanzkontrakte, deren Wert sich von zugrundeliegenden Referenzgrößen, sogenannten Basiswerten, ableite. Sie ermöglichten den Transfer finanzieller Risiken von einer Vertragspartei auf die andere. Damit dienten sie einerseits der Absicherung risikoreicher Geschäfte (sogenanntes Hedging), stellten andererseits aber auch eine eigene Investitionsform dar, als Alternative zur direkten Investition in den zugrundeliegenden Basiswert.178 Börsengehandelte Derivatekontrakte würden – beispielsweise im Gegensatz zu Aktien – von den Börsenbetreibern selbst kreiert und wiesen in der Regel einen hohen Standardisierungsgrad auf.179 Die Rolle einer Börse beziehungsweise eines Börsenbetreibers im Handel mit Derivaten bestehe darin, die Vertragsparteien eines Derivategeschäfts, Käuferin oder Käufer und Verkäuferin oder Verkäufer, zusammenzubringen (auch Matching genannt).180 Unter Clearing seien bestimmte Tätigkeiten bei der Abwicklung eines Deriva175 Siehe Europäische Kommission, 1.2.2012, M.6166 – Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 221–462, 492–1024. Neben Handel und Clearing börsengehandelter Derivate sind auch sogenannte Off-Order-Book-Dienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang mit Handel und Clearing sogenannter flexibler Varianten von Derivateprodukten Gegenstand der Zusammenschlussprüfung durch die Kommission, soweit sie (auch) den Innovationswettbewerb betrifft. Hierauf wird – aus Gründen der Anschaulichkeit und Übersichtlichkeit – nicht weiter eingegangen. Die Kommission gelangt jeweils mit ähnlicher Vorgehensweise und Argumentation zu im Wesentlichen identischen Ergebnissen, siehe Tz. 463–490, 1025–1125. 176 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 10 f. 177 Siehe insbesondere Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 221–243, 500–534, sowie ferner auch Tz. 535–640. 178 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 221. 179 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 222. 180 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 223–229.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
tegeschäfts zu verstehen. Um das mit dem Abschluss von Derivategeschäften für die Vertragsparteien entstehende Ausfallrisiko (Counterparty Risk) zu verringern, werde eine Clearing-Stelle als sogenannte zentrale Gegenpartei (Central Counterparty) eingesetzt, welche das Geschäft für beide Vertragsparteien garantiere. Für die Käuferin oder den Käufer eines Derivats agiere die zentrale Gegenpartei quasi als Verkäuferin und, umgekehrt, für die Verkäuferin oder den Verkäufer als Käuferin. Sie sei verpflichtet, das Geschäft in jedem Fall auszuführen, und übernehme so für beide Vertragsparteien das jeweilige Ausfallrisiko.181 Börsenbetreiber böten Handel und Clearing von Derivaten in der Regel als einheitliche Leistung an (so genanntes Vertical-Silo-Modell). Dazu betrieben sie entweder eigene Clearing-Stellen (wie es bei Eurex der Fall sei) oder unterhielten Vereinbarungen mit von ihnen ausgewählten Drittanbietern von Clearing-Leistungen (so im Falle von Liffe). In jedem Fall hätten ihre Kundinnen und Kunden beim Abschluss von Derivategeschäften nicht selbst die Möglichkeit zur Auswahl einer bestimmten Clearing-Stelle beziehungsweise zentralen Gegenpartei.182 Umsätze generierten Börsenbetreiber durch Gebühren für ihre Matching- und Clearing-Leistungen.183
b) Skalen- und Verbundeffekte im Derivatehandel Im Wettbewerb um Kundinnen und Kunden für den Derivatehandel konkurrierten Börsenbetreiber zunächst durch die Ausgestaltung ihrer Gebühren, etwa mittels Rabattgewährungen,184 ferner auch über die Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit ihrer technischen Systeme sowie die sonstige Ausgestaltung ihres Börsenplatzes und der Handelsabwicklung (sogenanntes Market Design).185 Ganz wesentlich geprägt sei der Wettbewerb zwischen Börsenbetreibern darüber hinaus aber durch Skalen- und Verbundeffekte im Zusammenhang mit dem Clearing von Derivategeschäften. Mit dem Abschluss solcher Geschäfte müssten die Vertragsparteien bei der jeweiligen Clearing-Stelle Sicherheiten (genannt Margin oder Collateral) hinterlegen. Derartiger Sicherheiten bedürfe es, damit Clearing-Stellen die Derivategeschäfte auch bei Ausfall einer Vertragspartei ausführen könnten. Die erforderlichen Sicherheitsleistungen machten einen erheblichen Teil der für die Kundinnen und Kunden von Börsenbetreibern anfallenden (Opportunitäts-)Kosten des Handels mit Derivaten aus. Wenn nun mehrere unterschiedliche Geschäfte einer Kundin, Käufe und Verkäufe, über dieselbe Clearing-Stelle abgewickelt würden, könne diese die jeweiligen offenen Positionen (Open Positions oder Open Interest) der Kundin miteinander verrechnen. Das Ausfallrisiko der Clearing-Stelle gegenüber dieser Kundin 181 Vgl.
Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 230–233.
182 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 234, 239 f. 183 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 229, 234, 501. 184 Siehe 185 Siehe
Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 501–514. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 520–524, 532 f.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 335
bestehe dann nur noch in Höhe des sich ergebenden Saldos. Dementsprechend habe die Kundin auch nur noch in Höhe des Saldos Sicherheiten an die Clearing-Stelle zu leisten. Voraussetzung für die Verrechnung offener Positionen einer Kundin aus mehreren Derivategeschäften sei, dass diese identische oder miteinander korrelierende Derivateprodukte beträfen. Bei – hinsichtlich ihrer Vertragsbedingungen und den zugrundeliegenden Basiswerten – identischen Produkten erfolge die Verrechnung im Wege des sogenannten Netting, bei Produkten, die in Bezug auf die entstehenden Risiken miteinander korrelierten, im Wege des sogenannten Cross-Margining. Die Möglichkeit der Verringerung zu leistender Sicherheiten und damit der durch ein Derivategeschäft entstehenden (Opportunitäts-)Kosten machten es für Kundinnen und Kunden von Börsenbetreibern überaus attraktiv, ihre Handelsaktivitäten hinsichtlich einzelner, identischer oder korrelierender, Derivateprodukte jeweils auf bestimmte Clearing-Stellen und (wegen des Vertical-SiloModells) Börsenplätze zu konzentrieren. Ihre Attraktivität für Kundinnen und Kunden generierten Börsenplätze insofern maßgeblich auch dadurch, dass sie einen möglichst breitgefächerten Bestand an identischen beziehungsweise korrelierenden – miteinander verrechenbaren – Derivateprodukten anböten, und so das Potential zur Herabsetzung erforderlicher Sicherheiten innerhalb ihres sogenannten Margin Pool steigerten. Vor diesem Hintergrund zeichne sich der Derivatehandel durch einen gewissen Netzwerkcharakter aus. Aufgrund der beschriebenen Skalen- und Verbundeffekte weise die Liquidität an einzelnen, identischen oder korrelierenden Derivateprodukten regelmäßig eine Tendenz zur Konzentration an bestimmten Börsenplätzen auf. Charakteristisch für den Wettbewerb zwischen Börsenbetreibern seien deshalb Winner-takes-all-Dynamiken: Die Konkurrenz um Kundinnen und Kunden beziehungsweise Liquidität finde vor allem im Zusammenhang mit der Entwicklung und Einführung neuer Derivateprodukte statt, durch die Ausgestaltung von deren Vertragsbedingungen und die Festlegung von Gebühren. Sobald ein Börsenplatz dann aber genug Liquidität an einem bestimmten Derivateprodukt auf sich gezogen habe, komme die Konzentrationstendenz zum Tragen, sodass Kundinnen und Kunden das betreffende Produkt umso eher an diesem Börsenplatz nachfragten und nicht (auch) an anderen.186 Zwischen Börsenbetreibern bestehe insoweit ein Wettbewerb um den Markt.187 Mit der einmal geschaffenen Konzentration von Liquidität an einem bestimmten Derivateprodukt bei einem Börsenplatz sei jedoch der Wettbewerb 186
Zur wiedergegebenen Darstellung der Skalen- und Verbundeffekte im Wettbewerb zwischen Börsenbetreibern in diesem und den beiden vorangegangenen Absätzen siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 230–238, 515–519, 934–946; vgl. hierzu auch die Ausführungen des Chief Economist Team der Kommission bei Kühn/Lorincz/Verouden/Wilpshaar, Review of Industrial Organization 2012, Bd. 41, Nr. 4, 251, 254–256. 187 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 527 Fn. 482.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
zwischen Börsenbetreibern im Hinblick auf dieses Produkt keineswegs auch langfristig entschieden. Grundsätzlich bestehe nämlich weiterhin die Möglichkeit, dass sich Kundinnen und Kunden und damit Liquidität zu anderen Börsenplätzen verlagerten. Daher könne auf den Betreiber eines Börsenplatzes mit hoher Liquidität auch weiterhin Wettbewerbsdruck vonseiten anderer Börsenbetreiber ausgehen, welcher den Verhaltensspielraum des ersteren Börsenbetreibers, namentlich im Hinblick auf die Festlegung seiner Gebühren, einschränke. Die anderen Börsenbetreiber seien dann als aktuelle oder potentielle Wettbewerber des ersteren Börsenbetreibers anzusehen, je nachdem, ob sie zumindest einige wenige Kundinnen und Kunden schon mit dem fraglichen Derivateprodukt bedienten oder nicht. Voraussetzung dafür, dass ein Börsenbetreiber den beschriebenen Wettbewerbsdruck als lediglich potentieller Wettbewerber ausüben könne, sei freilich, dass er über einen hinreichend großen Bestand an mit dem fraglichen Derivateprodukt identischen oder korrelierenden Produkten in seinem Margin Pool verfüge und seinen Kundinnen und Kunden deshalb ähnliche Vorteile im Hinblick auf die Verrechnung offener Positionen sowie auf die Reduktion der erforderlichen Sicherheiten und entstehenden Kosten bieten könne.188 Aus der Sicht von Börsenbetreibern, bei denen dies (noch) nicht der Fall sei, resultierten aus den dargestellten Skalen- und Verbundeffekten dagegen überaus hohe Marktzutrittsschranken.189
c) Innovation und Innovationswettbewerb Der Innovationswettbewerb zwischen Börsenbetreibern unterscheide sich zunächst danach, um welche Art von Produktinnovation es sich handele. Möglich seien grundsätzlich drei verschiedene Arten von Produktinnovationen: bloße Upgrades, mit denen bereits angebotene Derivateprodukte nur leicht verändert, etwa mit einem neuen Zeithorizont versehen würden (auch Typ-I-Innovationen genannt); sogenannte Product Adjacencies, Derivateprodukte, die etwa im Hinblick auf Basiswert oder Vertragsbedingungen Neuerungen aufwiesen, aber an bereits angebotene Produkte anknüpften und mit diesen korrelierten (Typ-IIInnovationen); sowie schließlich vollständig neue Derivateprodukte ohne jede Verknüpfung zu bereits angebotenen Produkten (Typ-III-Innovationen).190 TypI-Innovation dienten vornehmlich defensiven Zwecken, also der Verhinderung eines möglichen Verlusts an Kundinnen und Kunden beziehungsweise Liquidität an aktuelle oder potentielle Wettbewerber.191 Mit Innovationen der Typen II und III verfolgten Börsenbetreiber dagegen vor allem das Ziel, Kundinnen und Kunden sowie Liquidität hinzu zu gewinnen und so zusätzliche Einnahmen zu 188 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 518, 536–540; siehe auch Kühn/Lorincz/Verouden/Wilpshaar, Review of Industrial Organization 2012, Bd. 41, Nr. 4, 251, 256 f. 189 Siehe hierzu Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 928–983. 190 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 528, 562. 191 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 528, 809.
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generieren.192 Unter beiden Gesichtspunkten hätten sie starke Anreize, fortwährend zu innovieren.193 Besonders bedeutsam und ausgeprägt seien der Innovationswettbewerb zwischen Börsenbetreibern und deren Innovationsanreize mit Blick auf Typ-II- und Typ-III-Innovationen. Denn (wie oben ausgeführt) konkurrierten Börsenbetreiber vor allem im Wege der Einführung neuer Derivateprodukte um die Anziehung einer möglichst hohen Liquiditätskonzentration am eigenen Börsenplatz. Aufgrund der beschriebenen Winner-takes-all-Dynamiken hätten sie die Aussicht, nach Einführung eines neuen Derivateprodukts mehr oder weniger die gesamte Liquidität an diesem (zumindest vorübergehend) auf den eigenen Börsenplatz zu ziehen – und damit die Aussicht auf ganz erhebliche Zusatzeinnahmen.194 Damit einem Börsenbetreiber diese Liquiditätskonzentration gelinge, müsse er mit einem bestimmten innovativen Produkt möglichst als erster auf den Markt treten oder ein besonders überlegenes Produkt einführen. Insbesondere auf hierauf gerichtete Anstrengungen erstreckten sich folglich die Innovationsanreize von Börsenbetreibern.195 Einfluss auf die Innovationsanreize von Börsenbetreibern hätten außer dem Wettbewerb um Liquidität auch noch andere Faktoren. Hierzu gehörten etwa Veränderungen der regulatorischen oder sonstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, aufgrund derer eine Nachfrage nach neuen Produkten entstehen oder sich neue Geschäftsmöglichkeiten ergeben könnten. Die Bedeutung derartiger Faktoren sei aber geringer als diejenige des (Innovations-)Wettbewerbs.196 Neben der Einführung von Produktinnovationen nähmen Börsenbetreiber auch Verbesserungen oder Erneuerungen ihrer technischen Systeme und ihres Market Design vor.197 Derartige (Prozess-)Innovationen dienten – ähnlich wie Produkt-Upgrades – vor allem dazu, den Verlust von Liquidität an Wettbewerber zu verhindern. Anreize zu ihrer Vornahme resultierten daher zu einem großen Teil aus aktuellem oder potentiellem Wettbewerbsdruck, den Börsenbetreiber aufeinander ausübten.198
2. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Die Kommission grenzt verschiedene Märkte für börsengehandelte Derivate (ETDs) ab. Zwischen Handel und Clearing von ETDs sei dabei nicht zu unterscheiden, da im Rahmen des verbreiteten Vertical-Silo-Modells regelmäßig bei192 Vgl.
Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 528.
193 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 527. 194 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 527,
541. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 571. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 562, 570 f. 197 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 525, 532 f., 604. 198 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 605, 608, 633–640. 195 Vgl. 196 Vgl.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
des zusammen angeboten und nachgefragt werde.199 Die maßgebliche Unterscheidung der verschiedenen ETD-Märkte sei anhand der Basiswerte zu treffen, die solchen Derivaten zugrunde liegen könnten.200 Danach bestünden jeweils eigenständige Märkte für ETDs auf europäische Zinssätze (Zinsderivate), für ETDs auf europäische Einzelaktien (Aktienderivate) und für ETDs auf europäische Aktienindizes (Indexderivate).201 Der Markt für Indexderivate sei zudem weiter zu unterteilen anhand einzelner Indizes. Nachfragerinnen und Nachfrager hielten Derivate auf unterschiedliche Indizes nämlich für nicht miteinander austauschbar. Auch könnten Börsenbetreiber solche Derivate nicht kurzfristig und ohne Weiteres in ihr Sortiment aufnehmen, sondern müssten – da Indizes in der Regel immaterialgüterrechtlich geschützt seien – zunächst entsprechende Lizenzen erwerben.202 Was die räumliche Dimension der Märkte für Zins-, Aktien- und Indexderivate angeht, lässt die Kommission offen, ob es sich jeweils um welt- oder nur EWR-weite Märkte handelt.203 Auf den danach relevanten Märkten seien die Zusammenschlussparteien jeweils sehr starke, teilweise die einzigen Akteure.204 In Wettbewerb zueinander stünden sie insbesondere auf den Märkten für Zins- und Aktienderivate. Auch dort, wo es einer der Parteien gelungen sei, einen Großteil der Liquidität an einem Derivateprodukt an ihrem Börsenplatz zu versammeln, gehe von der jeweils anderen Partei weiterhin Wettbewerbsdruck aus. Letztere sei dann zumindest potentieller Wettbewerber der Ersteren. Denn die Parteien verfügten über vergleichbar umfangreiche Mitgliederbestände, Produktportfolien und insbesondere Margin Pools mit korrelierenden Derivateprodukten.205 Auf den verschiedenen Märkten für Indexderivate konkurrierten die Parteien dagegen nicht miteinander, da sie gegenwärtig nicht über die notwendigen Lizenzen verfügten, um Derivate auf dieselben Indizes anzubieten.206 Darüber hinaus seien die Parteien auch Wettbewerber im Hinblick auf die Einführung von Produktinnovationen.207 Dies gelte zum einen insofern, als die Parteien auf den Märkten, auf denen sie bereits gegenwärtig enge Wettbewerber seien, regelmäßig Produkt-Upgrades (Typ-I-Innovationen) vornähmen. Aufgrund der ähnlichen Margin Pools der Parteien glichen sich zum anderen auch die von ihnen immer wieder eingeführten Product Adjacencies (Typ-II-Innovationen) – die sich gerade durch die Korrelation mit bereits angebotenen, im jewei199 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 237–243. 200 Zur Differenzierung von ETDs anhand ihrer Basiswerte
siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 396–432. 201 Vgl. nur Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 445. 202 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 427–431. 203 Zur räumlichen Marktabgrenzung siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 447–462. 204 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 498 f., 543. 205 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 543–559. 206 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 431, 893–898. 207 Siehe hierzu Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 562–572.
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ligen Margin Pool vorhandenen Derivateprodukten auszeichneten.208 Es lägen, wie die Kommission es ausdrückt, erhebliche Überschneidungen zwischen denjenigen Bereichen oder Räumen vor, in welchen die Parteien jeweils Product Adjacencies hervorbrächten.209 Mit der Einführung vollständig neuer ETDs (Typ-III-Innovationen) konkurrierten die Parteien dagegen nicht.210 Innovationswettbewerb bestehe zwischen den Parteien nicht nur im Hinblick auf Zinsund Aktienderivate, sondern auch im Hinblick auf Indexderivate. Unabhängig davon, dass sie gegenwärtig nicht mit Derivaten auf dieselben Indizes konkurrierten, könnten die Parteien auch hier die gleichen Product Adjacencies hervorbringen, weil Derivate unter Umständen nämlich auch dann miteinander korrelierten, wenn ihnen verschiedene Indizes als Basiswert zugrunde lägen. Folglich gelte die Unterteilung der Märkte für Indexderivate anhand einzelner Indizes nicht gleichermaßen für den Innovationswettbewerb.211 Zur Identifikation der Parteien als Innovationswettbewerber zieht die Kommission insbesondere Angaben befragter Marktteilnehmer212 heran sowie interne Dokumente der Parteien213 und Beispielsfälle aus der Vergangenheit, in welchen die Parteien mittels neu eingeführter Derivateprodukte (namentlich mittels neuer Indexderivate) um Kundinnen und Kunden beziehungsweise Liquidität konkurriert hätten.214 Schließlich spielten auch die beschriebenen Verbesserungen und Erneuerungen der technischen Systeme und des Market Design für das Wettbewerbsverhältnis der Parteien eine Rolle. Diese (Prozess-)Innovationen machten sie sich zunutze, um den von der jeweils anderen Partei ausgehenden, aktuellen oder potentiellen Wettbewerbsdruck abzumildern.215
3. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Zunächst stellt die Kommission eine große wettbewerbliche Nähe zwischen den Parteien fest. Auf den Märkten für Zins- und Aktienderivate seien sie die einander nächsten aktuellen und potentiellen Wettbewerber. Ihre umfangreichen Mitgliederbestände, Produktportfolien und Margin Pools verschafften ihnen 208 Vgl.
Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 529. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 529: „Because Eurex and Liffe have similar margin pools, there is a considerable overlap in the space of product adjacencies for which they compete in terms of product innovation“. Gerade mit Blick auf Indexderivate spricht die Kommission, anstatt von einem Markt, auch etwa von einem Innovationsraum („the European innovation space for equity indices“) oder von einem Bereich neuer Produkte („the area of new Exchhange-traded European equitiy index futures and options“), siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 923 beziehungsweise Tz. 1023. 210 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 560 f. 211 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 432. 212 Siehe nur Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 569, 596. 213 Siehe nur Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 596. 214 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 568, 899–906. 215 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 604–640. 209 Siehe
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einzigartige und erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Börsenbetreibern. Dort, wo es eine Liquiditätskonzentration am Börsenplatz einer Partei gebe, sei die jeweils andere Partei der einzige potentielle Wettbewerber mit einem ausreichenden Margin Pool.216 Auch als Innovationswettbewerber seien die Parteien die einander nächsten.217 Diese Nähe zwischen den Parteien resultiere ebenfalls aus ihrer einzigartigen Ausstattung mit vergleichbar umfangreichen Margin Pools. Dadurch seien sie weitaus besser als andere Unternehmen zur Einführung der genannten Innovationen in der Lage.218 Infolge des Zusammenschlusses würden der aktuelle und der potentielle Wettbewerb zwischen den Parteien auf dem Markt für Zinsderivate beseitigt. Die entstehende Unternehmenseinheit werde über ein Quasi-Monopol verfügen, mit Marktanteilen von über 90 %. Vonseiten dritter Unternehmen werde ernstzunehmender Wettbewerbsdruck auf die Unternehmenseinheit nicht ausgehen. So werde der Zusammenschluss wahrscheinlich zu einer erheblichen Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten für Kundinnen und Kunden sowie zum Anstieg der Gebühren für Handel und Clearing von ETDs führen.219 Dasselbe gelte mit Blick auf den Markt für Aktienderivate.220 Außerdem werde der Zusammenschluss den engen Innovationswettbewerb zwischen den Parteien im Hinblick auf Zins-, Aktien- und Indexderivate beseitigen – was letztlich zu weniger (Produkt-)Innovation führen werde.221 Dies werde auch deshalb der Fall sein, weil der Zusammenschluss die Innovationsfähigkeiten und -anreize dritter Unternehmen verringern werde. Mit der Zusammenlegung der hinsichtlich ihres Umfangs gegenüber Dritten bereits weit überlegenen Margin Pools der Parteien würden diese (beziehungsweise dann die Unternehmenseinheit) in die Lage versetzt werden, jedes von einem dritten Unternehmen eingeführte, innovative Derivateprodukt zu kopieren und sodann schnell die Liquidität an diesem neuen Produkt auf den eigenen Börsenplatz zu ziehen und dort zu konzentrieren. Die Unternehmenseinheit werde sich auf diese Weise sämtliche der mit einem innovativen Derivateprodukt zu erzielenden Gewinne aneignen können. Dritten Unternehmen werde so jegliche Gewinnaussicht im Zusammenhang mit der Hervorbringung und Einführung einer Innovation genommen werden. Der kombinierte Margin Pool der Unternehmenseinheit werde gleichsam eine unüberwindbare Marktzutrittsschranke etablieren. In der Folge würden sich dritte Unternehmen außerstande sehen, innovationsbedingten Wettbewerbsdruck auf die Unternehmenseinheit aus216 Siehe 217 Siehe
Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 543–559. hierzu Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 562–572, 601 f. 218 Vgl. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 572, 601 f. 219 Siehe nur Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 701, 800, 814. Die Kommission führt ihre Analyse hilfsweise auch für kleinteiligere Marktabgrenzungen durch, gelangt aber im Wesentlichen zu denselben Ergebnissen. 220 Siehe nur Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 859–861, 880, 890–892. 221 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 809, 813 f., 889, 892, 913, 923, 925.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 341
zuüben.222 Selbst wenn es trotz der zusammenschlussbedingten Beseitigung des Innovationswettbewerbs zwischen den Parteien und vonseiten Dritter in Einzelfällen nicht zu einem Weniger an Innovation kommen, also etwa ein innovatives Derivateprodukt der Parteien unverändert auf den Markt gelangen werde, werde der Zusammenschluss doch jedenfalls den wichtigen (Preis-)Wettbewerb zwischen den Parteien um die Anziehung von Liquidität in der Phase nach Einführung des neuen Produkts ausschalten.223 Schließlich werde die Beseitigung des aktuellen und potentiellen Wettbewerbs zwischen den Parteien die Unternehmenseinheit auch mit geringeren Anreizen zur Vornahme von Verbesserungen und Erneuerungen ihrer technischen Systeme und ihres Market Design zurücklassen. Ihre Kundinnen und Kunden würden folglich auch weniger von (Prozess-)Innovationen profitieren.224
4. Zur Analyse von Ausgleichsfaktoren Einen Ausgleich der Zusammenschlusswirkungen durch zeitnahe Marktzutritte sieht die Kommission angesichts der hohen Marktzutrittsschranken als unwahrscheinlich an.225 Ebenso wenig werde Nachfragemacht die Marktmacht der Unternehmenseinheit begrenzen.226 Von den Parteien vorgebrachte Effizienzgewinne weist die Kommission im Ergebnis zurück.227
5. Entscheidung Soweit ihre Prüfung andere Geschäftsbereiche als den Derivatehandel betrifft, stellt die Kommission keine Wettbewerbsbehinderungen fest.228 Weil von den Parteien angebotene Verpflichtungszusagen nicht ausreichen, um die festgestellten Wettbewerbsbehinderungen abzuwenden,229 untersagt die Kommission das Zusammenschlussvorhaben letztendlich.230
6. Beobachtungen Die Entscheidung im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext hebt sich bereits insofern deutlich von den bislang analysierten Entscheidungen zur Pharma222 Vgl.
Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 886 f., 919 f., 925.
223 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 603. 224 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 635–640. 225 Siehe
Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 926–1008. Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 1009–1021. Zur Analyse vorgebrachter Effizienzgewinne siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 1133–1342. Dynamische Effizienzgewinne, also zusammenschlussbedingte Stärkungen der Innovationsfähigkeiten und -anreize der entstehenden Unternehmenseinheit, sind nicht dezidiert Gegenstand der Zusammenschlussprüfung durch die Kommission. 228 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 28–216. 229 Siehe Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 1343–1482. 230 Deutsche Börse/NYSE Euronext, Tz. 1483 f. 226 227
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industrie ab, als sie eine Industrie mit lediglich niedriger Innovationsintensität betrifft.231 Zudem ist die betroffene Industrie, im Gegensatz zur Pharmaindustrie, nicht durch langwierige, klar strukturierte Innovationsprozesse geprägt. Bestimmte Pipeline-Produkte lassen sich daher nicht ausmachen. So ist der Innovationswettbewerb im Bereich des Derivatehandels sehr eng verknüpft mit dem gegenwärtigen Produktmarktwettbewerb zwischen Betreibern von Derivatebörsen. Um ersteren zu verstehen, ist es erforderlich, sich auch mit Letzterem zu beschäftigen. Dementsprechend analysiert die Kommission den Innovationswettbewerb auch im unmittelbaren Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Produktmarktwettbewerb. Sie stützt ihre Erwägungen zum Innovationswettbewerb und zu den diesbezüglichen Zusammenschlusseffekten nicht (jedenfalls nicht ausdrücklich) auf einen über die Analyse des gegenwärtigen Produktmarktwettbewerbs hinausgehenden Analyseansatz. Indem sie die Zusammenschlussparteien als aktuelle oder potentielle Wettbewerber auf bestimmten, gegenwärtigen Produktmärkten identifiziert, gelangt die Kommission quasi automatisch auch zur Identifikation der Parteien als Innovationswettbewerber – zumindest insoweit, als es um Prozessinnovationen sowie um Produktinnovationen in Gestalt bloßer Produkt-Upgrades geht. Derartige inkrementelle Innovationen werden von Börsenbetreibern im Rahmen der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit auf Derivatemärkten hervorgebracht. Sie führen nicht dazu, dass sich die Grenzen der Derivatemärkte verschieben oder gar neue Märkte entstehen. Deshalb – so die naheliegende Schlussfolgerung der Kommission – stünden die Parteien grundsätzlich überall dort, wo sie auf einem gegenwärtigen Derivatemarkt konkurrierten, zugleich in Innovationswettbewerb zueinander. Soweit es um weitergehende Produktinnovationen in Gestalt sogenannter Product Adjacencies geht, lässt sich nicht mehr einfach vom Produktmarktwettbewerb zwischen den Zusammenschlussparteien auf das Vorhandensein von Innovationswettbewerb zwischen ihnen schließen. Zur Identifikation der Parteien als Innovationswettbewerber stellt die Kommission hier vielmehr auf die Ähnlichkeit der von ihnen jeweils anvisierten innovativen Produkte ab. Welche innovativen Produkte die Parteien jeweils anvisieren und ob diese einander hinreichend ähnlich sind, kann die Kommission deshalb bestimmen, weil die Betreiber von Derivatebörsen neue Product Adjacencies regelmäßig so konzipieren, dass sie an Produkte in ihren bisherigen Produktportfolien anknüpfen. Denn auf diese Weise können Börsenbetreiber erheblich von Skalen- und Verbund- beziehungsweise Netzwerkeffekten profitieren. Für die Ähnlichkeit ihrer anvisierten innovativen Produkte und damit für den Innovationswettbewerb 231 In der Taxonomie von Galindo-Rueda und Verger sind die Wirtschaftszweige der Finanzdienstleistungen (NACE-Codes K.64 bis K.66) als Industrien mit niedriger F&E-Intensität aufgeführt, siehe Galindo-Rueda/Verger, OECD Taxonomy of Economic Activities Based on R&D Intensity, 2016, S. 10.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 343
zwischen Börsenbetreibern kommt es also letztlich darauf an, dass diese gegenwärtig über hinreichend ähnliche Produktportfolien verfügen. Wegen der einander sehr ähnlichen Produktportfolien der Parteien geht die Kommission davon aus, dass diese auch im Hinblick auf die Hervorbringung von Product Adjacencies als Innovationswettbewerber anzusehen seien. Mit Blick auf vollständig neue Derivateprodukte, die nicht an bisherige Produktportfolien anknüpfen, und bei denen es sich daher um eher radikale Innovationen handelt, stellt die Kommission dagegen keinen Innovationswettbewerb zwischen den Zusammenschlussparteien fest. Dabei ist allerdings unklar, wie es der Kommission überhaupt hätte gelingen können, hier Innovationswettbewerb festzustellen – ohne die Möglichkeit, von ähnlichen Produktportfolien auf die Ähnlichkeit anvisierter innovativer Produkte und damit auf den Innovationswettbewerb zwischen Derivatebörsenbetreibern zu schließen. Konkrete Innovationseffekte des Zusammenschlusses analysiert die Kommission vergleichsweise oberflächlich. Ihre Analyse erschöpft sich im Wesentlichen in der Feststellung, dass der Zusammenschluss Produktmarkt- und Innovationswettbewerb zwischen den Parteien – als engen und einzigen wirklich relevanten Wettbewerbern – beseitigen und dadurch deren Innovationsanreize verringern werde. Dies werde in einem Weniger an Innovation resultieren. Eine tiefergehende ökonomische Analyse zusammenschlussbedingter Anreizveränderungen bei den Parteien nimmt die Kommission nicht vor. Allerdings erörtert sie, dass und weshalb der Zusammenschluss auch die Innovationsanreize Dritter beeinträchtigen werde. Welche spezifischen Innovationen infolge des Zusammenschlusses ausbleiben würden, legt die Kommission nicht dar. Scheinbar verortet die Kommission einen wettbewerblichen Schaden hier bereits im prognostizierten Weniger an Innovation. Ergänzend weist sie jedoch auch darauf hin, dass es selbst bei unveränderten Innovationsanstrengungen nach dem Zusammenschluss in jedem Fall zu einer Einschränkung des (zukünftigen) Preiswettbewerbs mit innovativen Produkten kommen werde. Festzuhalten ist, dass es der Kommission hier auch in einer Industrie ohne langwierige Innovationsprozesse und erkennbare Pipeline-Produkte gelingt, Unternehmen als Innovationswettbewerber zu identifizieren. Hervorzuheben ist aber auch, dass sie sich bei ihrer Untersuchung nicht auf einen spezifischen methodisch-konzeptionellen Ansatz zur Analyse von Innovationseffekten stützt. So ist nachvollziehbar, wenn die Entscheidung der Kommission auch dahingehend verstanden wird, dass der „Innovationswettbewerb zwar eine Rolle, aber keine eigenständige“ spiele.232 Bedeutsam ist die Entscheidung der Kommission im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext im Übrigen auch deshalb, weil sie durch das Europäische 232
Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 530.
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Gericht bestätigt wurde.233 Soweit ersichtlich, ist dies der einzige Fall, in welchem sich die (EU-)Rechtsprechung bislang mit dem Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle beschäftigt hat. Gerade auch diesbezüglich sah das Gericht die Beurteilung der Kommission im Ergebnis als richtig (beziehungsweise nicht offenkundig falsch) an und hielt die zugrundeliegenden Nachweise für ausreichend.234 Es ging insbesondere nicht davon aus, dass die Kommission das Ausmaß eines Weniger an Innovation, mit dem sie infolge des Zusammenschlusses rechnete, konkret hätte spezifizieren müssen.235
II. Fallstudie: Medtronic/Covidien Im Mittelpunkt der Zusammenschlussprüfung durch die Kommission im Verfahren Medtronic/Covidien stehen, soweit hier von Interesse, periphere Gefäßkatheter, die bei der Behandlung verschlossener Blutgefäße zum Einsatz kommen (Peripheral Vascular Devices).236
1. Zur relevanten Industrie In der Medizintechnikindustrie erfolgten Forschung und Entwicklung zur Hervorbringung neuer Produkte, einschließlich neuer peripherer Gefäßkatheter, über unterschiedliche Phasen hinweg. Darunter befänden sich eine Entwurfsphase, eine Phase bis zur Festlegung des endgültigen Produktdesigns sowie eine Phase, in der unter anderem erforderliche Zulassungsverfahren eingeleitet und klinische Studien durchgeführt würden. Die Gesamtdauer der Produktentwicklung könne bis zu sieben Jahre betragen. Wettbewerbliche Relevanz erlange ein in der Entwicklung befindliches (Pipeline-)Produkt, sobald erste Ergebnisse aus den klinischen Studien vorlägen, in der Regel bereits circa zwei Jahre vor seiner Markteinführung. Qualität und Menge dieser Studienergebnisse hätten maßgeblichen Anteil daran, ob ein Pipeline-Produkt Erfolg verspreche. Der Vertrieb peripherer Gefäßkatheter innerhalb der EU setze nämlich neben einer Zulassung – erforderlich sei namentlich eine Konformitätserklärung, die zur 233
sion.
Siehe EuG, 9.3.2015, Rs. T-175/12, ECLI:EU:T:2015:148 – Deutsche Börse/Kommis-
234 Siehe
EuG, 9.3.2015, Rs. T-175/12, ECLI:EU:T:2015:148, Tz. 157–179 – Deutsche Börse/Kommission. 235 EuG, 9.3.2015, Rs. T-175/12, ECLI:EU:T:2015:148, Tz. 168 – Deutsche Börse/Kommission. 236 Siehe Europäische Kommission, 28.11.2014, M.7326 – Medtronic/Covidien, Tz. 10– 259. Daneben geht die Kommission unter anderem auch auf elektrochirurgische Instrumente zum Schneiden von Gewebe oder zur Blutstillung (Electrosurgical Devices) ein, siehe Medtronic/Covidien, Tz. 260–317. Sie betont zwar eingangs, dass es sich hierbei um einen innovativen Bereich mit hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung handele, in welchem regelmäßig neue und verbesserte Produkte eingeführt würden (siehe Tz. 288), greift dies im weiteren Verlauf ihrer Untersuchung allerdings nicht wieder auf.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 345
Anbringung einer CE-Kennzeichnung berechtige – die Erstattungsfähigkeit des Produkts innerhalb der Krankenkassensysteme der einzelnen EU-Mitgliedstaaten voraus. Erstattungsfähig seien regelmäßig nur solche Medizinprodukte, für die verlässliche Studienergebnisse vorlägen. Zudem beruhten die Kaufentscheidungen von Kliniken, den Hauptabnehmern peripherer Gefäßkatheter, auf den für angebotene Produkte vorliegenden Studienergebnissen. Denn auf diese gründeten Ärztinnen und Ärzte ihre Produktpräferenzen.237
2. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Die Kommission grenzt, soweit hier von Interesse, einen sachlich relevanten Markt beziehungsweise jeweils nationale Märkte für medikamentenbeschichtete Ballonkatheter (Drug-Coated Balloons, DCBs) ab.238 Auf diesem DCBMarkt (beziehungsweise den nationalen DCB-Märkten) böten gegenwärtig zehn Unternehmen bereits existierende DCBs mit CE-Kennzeichnung an.239 Als erstes Unternehmen habe Medtronic im Jahr 2009 einen DCB herausgebracht. Medtronic vertreibe derzeit zwei solcher Katheter, die beide auf Behandlungen oberhalb der Knie ausgerichtet seien.240 Covidien vertreibe gegenwärtig noch keinen DCB, verfüge jedoch über ein Pipeline-Produkt namens Stellarex, für das bereits Patente erteilt worden seien, und mit dem Covidien in den DCBMarkt einzutreten beabsichtige. Für eine Stellarex-Variante, die auf Behandlungen oberhalb der Knie ausgerichtet sei, werde die Konformitätserklärung zur Anbringung der CE-Kennzeichnung für Ende 2014 oder Anfang 2015 erwartet. Dann solle auch die Markteinführung dieser Produktvariante folgen. Covidien entwickle zudem eine Stellarex-Variante für Behandlungen unterhalb der Knie, für welche das Verfahren zum Erhalt der Konformitätserklärung allerdings noch nicht eingeleitet worden sei.241
3. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Mit Blick auf den DCB-Markt seien Medtronic und Covidien weder aktuelle noch potentielle Wettbewerber. Auf diesem Markt sei bislang allein Medtronic mit einem bereits existierenden Produkt tätig. Covidien werde zwar nach Abschluss des Zulassungsverfahrens für sein Pipeline-Produkt mit hinreichender Sicherheit in den DCB-Markt eintreten. Die Einstufung von Covidien als potentiellem Wettbewerber im Sinne der Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse setze aber voraus, dass der Verhaltensspielraum von Medtronic auf dem DCB-Markt durch die Präsenz von Covidien bereits jetzt spürbar 237 Siehe
Medtronic/Covidien, Tz. 68–79.
238 Siehe Medtronic/Covidien, Tz. 13–67. 239 Medtronic/Covidien, Tz. 186. 240 241
Medtronic/Covidien, Tz. 188 f. Medtronic/Covidien, Tz. 194–196.
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begrenzt werde. Weil aber das Zulassungsverfahren einem strengen Zeitplan folge, dessen Etappen allgemein bekannt seien, könne von einem PipelineProdukt erst dann Wettbewerbsdruck ausgehen, wenn es tatsächlich auf den Markt gelange. Folglich gehe es vorliegend nicht um die Beseitigung von Wettbewerbsdruck zwischen aktuellen oder potentiellen Wettbewerbern, sondern um die Beseitigung zukünftigen Wettbewerbsdrucks. Deren Analyse (die Kommission spricht auch von einem „test for elimination of future competition“242) habe weitgehend der Analyse einer Beseitigung aktuellen Wettbewerbsdrucks nach den Leitlinien zu entsprechen, allerdings ohne die Bewertung von Marktanteilen.243 Um die wettbewerbliche Nähe zwischen den Anbietern von DCBs zu bestimmen, setzt sich die Kommission mit verschiedenen Maßstäben zum Vergleich einzelner DCBs auseinander. Ein wichtiger Maßstab seien vor allem die Ergebnisse klinischer Studien, und zwar sowohl hinsichtlich ihrer Menge als auch hinsichtlich ihrer Qualität.244 Gemessen an Marktanteilen sowie insbesondere an solchen Studienergebnissen sei Medtronic auf dem DCB-Markt in den meisten Staaten des EWR eindeutig und mit einigem Abstand Marktführer. Als erstes Unternehmen auf dem Markt habe Medtronic den bislang aussagekräftigsten Bestand an Studienergebnissen aufbauen können. Nächster Wettbewerber von Medtronic sei Bard. Den im Vergleich zu dritten Unternehmen recht guten Studienergebnissen von Bard seien diejenigen von Medtronic jedoch deutlich überlegen. Die weiteren Unternehmen auf dem DCB-Markt hätten nur geringfügige wettbewerbliche Bedeutung, da sie meist nicht über einen ausreichenden Bestand an Studienergebnissen verfügten. Medtronic sei daher gegenwärtig nur geringfügigem Wettbewerbsdruck vonseiten seiner aktuellen Wettbewerber ausgesetzt.245 Mit seinem Pipeline-Produkt Stellarex habe Covidien demgegenüber das Potential, sich zu einem starken, möglicherweise überlegenen Wettbewerber der DCBs von Medtronic zu entwickeln. Dies ließen die Angaben von Marktteilnehmern sowie Expertinnen und Experten (Key Opinion Leaders) und interne Dokumente der Parteien erkennen. Covidien verfüge zwar noch nicht über einen hinreichenden und vergleichbaren Bestand an Studienergebnissen. Stellarex lasse aber bereits einige Vorzüge gegenüber den Produkten von Medtronic erkennen, etwa im Hinblick auf seine Haltbarkeit und die zur Behandlung erforderliche Medikamentendosis. Zudem habe Covidien die Durchführung umfangreicher klinischer Studien geplant und begonnen, bei deren Abschluss Covidien über einen vergleichbaren, wenn nicht sogar überlegenen Bestand an Studienergebnissen verfügen werde. Die ersten Studienergebnisse für Stellarex 242
Medtronic/Covidien, Tz. 180.
245
Medtronic/Covidien, Tz. 206–231.
243 Siehe Medtronic/Covidien, Tz. 178–180. 244 Vgl. Medtronic/Covidien, Tz. 197–205.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 347
seien bereits vielversprechend und deuteten darauf hin, dass Covidien wahrscheinlich der nächste Wettbewerber von Medtronic auf dem DCB-Markt sein werde.246 Es sei auch davon auszugehen, dass Covidien die Entwicklung von Stellarex ohne den betrachteten Zusammenschluss weiter vorantreiben und zum Abschluss bringen werde.247 Infolge des Zusammenschlusses werde die weitere Entwicklung von Stellarex nun aber wahrscheinlich eingestellt. Die Absicht zur Einstellung von Stellarex gehe aus internen Planungsdokumenten von Medtronic hervor.248 Dadurch werde ein ernstzunehmender zukünftiger Wettbewerber beseitigt, der ohne den Zusammenschluss wahrscheinlich bedeutenden Wettbewerbsdruck auf den Marktführer Medtronic ausgeübt hätte. Derartiger Wettbewerbsdruck werde von anderen Wettbewerbern in Zukunft nicht ausgehen. Patientinnen und Patienten werde so ein innovatives und möglicherweise besonders effektives Produkt vorenthalten und es werde verhindert, dass Covidien sein Pipeline-Produkt zusätzlich auch für Behandlungsformen weiterentwickele, für welche die Produkte von Medtronic nicht zugelassen seien (also Behandlungen unterhalb der Knie).249
4. Entscheidung Sonstige Bedenken hat die Kommission nicht.250 Sie gibt den Zusammenschluss in Phase I frei. Wegen der beschriebenen Bedenken ist das gesamte Geschäftsfeld von Covidien um das Pipeline-Produkt Stellarex zu veräußern, von Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten bis hin zu Herstellung, Vermarktung und Vertrieb.251
5. Beobachtungen Die im Verfahren Medtronic/Covidien betroffene Medizintechnikindustrie weist im Hinblick auf die Struktur von Innovationsprozessen große Ähnlichkeiten zur Pharmaindustrie auf. Wie dort sind Innovationstätigkeiten vergleichsweise gezielt und gut beobachtbar. Pipeline-Produkte lassen sich bereits frühzeitig erkennen und bestimmten (zukünftigen) Produktmärkten zuordnen. Dennoch weicht die Kommission hier in bemerkenswerter Weise von ihrer Entscheidungspraxis zur Pharmaindustrie ab. Sie geht ausdrücklich davon aus, dass im Verhältnis der Zusammenschlussparteien kein potentieller Wettbewerb gegeben sei, weil Covidien mit einem noch unfertigen Pipeline-Produkt den 246 247
Medtronic/Covidien, Tz. 232–242. Medtronic/Covidien, Tz. 243–246. 248 Medtronic/Covidien, Tz. 247. 249 Vgl. Medtronic/Covidien, Tz. 247–250. 250 Siehe Medtronic/Covidien, Tz. 81–177, 251–391. 251 Siehe Medtronic/Covidien, Tz. 393–398, 419, 421.
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Verhaltensspielraum von Medtronic auf dem relevanten Markt nicht bereits spürbar einschränke. Vielmehr seien die Parteien lediglich als zukünftige Wettbewerber anzusehen. Die Kommission untersucht den Zusammenschluss deshalb auf eine mögliche Beseitigung zukünftigen Wettbewerbsdrucks hin. Zwar ist ihr darin zuzustimmen, dass ein innovierendes Unternehmen, das noch nicht auf einem bestimmten Markt tätig ist und von dem auch noch keine spürbare Einschränkung des Verhaltensspielraums der bereits auf dem Markt tätigen Unternehmen ausgeht, nicht als Perceived Potential Competitor anzusehen ist.252 Unklar ist allerdings, weshalb die Kommission – anders als in ihrer früheren Entscheidungspraxis zur Pharmaindustrie, und auch anders als in den Verfahren Novartis/GSK Oncology und Pfizer/Hospira – nicht auf die als Actual Potential Competition bezeichnete Variante des potentiellen Wettbewerbs eingeht und prüft, ob sich Covidien wahrscheinlich zu einer wirksamen Wettbewerbskraft entwickeln wird. Die Auswirkungen des Zusammenschlusses macht die Kommission vorwiegend daran fest, dass die entstehende Unternehmenseinheit das Pipeline-Produkt von Covidien einstellen werde. Diese Annahme stützt sie auf interne Dokumente von Medtronic. Einen Wettbewerbsschaden erblickt sie in den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die zukünftige Wettbewerbsintensität und die zukünftige Verfügbarkeit von Produkten für Verbraucherinnen und Verbraucher. Insofern entsprechen die Erwägungen der Kommission denjenigen in ihren Entscheidungen zur Pharmaindustrie weitgehend. An der Entscheidung im Verfahren Medtronic/Covidien wird besonders deutlich, dass die Kommission keine einheitliche und stringente Herangehensweise zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz verfolgt. In der Praxis der Kommission sind vielmehr Inkonsistenzen zu beobachten.
III. Fallstudie: GE/Alstom Im Verfahren GE/Alstom liegt der Fokus der Kommission, soweit hier von Interesse, auf Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Hochleistungsgasturbinen (Heavy Duty Gas Turbines, HDGTs).253
1. Zur relevanten Industrie HDGTs kämen vor allem in Gaskraftwerken zum Einsatz. Ihre Hersteller veräußerten einerseits neue HDGTs und erbrächten andererseits Wartungsleistungen für bereits installierte HDGTs. Solche Wartungsleistungen umfassten sowohl Instandhaltung als auch Entwicklung und Einbau nachträglicher Up252 253
Vgl. hierzu auch bereits Kapitel 4.B.III. Siehe Europäische Kommission, 8.9.2015, M.7278 – GE/Alstom, Tz. 58–1429.
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grades. In den ersten (zumeist acht bis 16) Jahren nach Veräußerung einer neuen HDGT, bevor die darin eingesetzte Technologie einen bestimmten Reifegrad erreicht habe, seien andere Unternehmen als der Originalhersteller meist nicht in der Lage, Wartungsleistungen für die fragliche HDGT zu erbringen. So würden neue HDGTs häufig auch bereits zusammen mit langfristigen Wartungsverträgen an Kraftwerksbetreiber veräußert.254 HDGTs würden entweder für den 50- oder für den 60-Hz-Frequenzbereich konstruiert. Im EWR kämen vor allem 50-Hz-Turbinen zum Einsatz.255 HDGTs ließen sich anhand zahlreicher technischer Merkmale unterscheiden, darunter die von ihnen produzierte Strommenge (Output, gemessen in Megawatt, MW), ihre Effizienz sowie die Flexibilität, mit der sie an- und abgeschaltet werden könnten.256 Die Unterscheidbarkeit von HDGTs anhand dieser technischen Merkmale komme auch dadurch zustande, dass HDGT-Hersteller ihre Produkte jeweils entlang spezifischer technologischer Pfade entwickelten. So verfügten HDGT-Hersteller über individuelle technologische Portfolien, die es ihnen erlaubten, ihre Produkte derart auszugestalten, dass sie sich gerade im Hinblick auf bestimmte technische Merkmale als besonders leistungsstark erwiesen.257 Die Erforschung und Entwicklung benötigter Technologie und anschließend neuer HDGTs dauere bis zu zwölf Jahre und verlange Investitionen im dreistelligen Millionenbereich. Es seien wichtige Forschungskapazitäten erforderlich. So bedürfe es etwa einer Vielzahl hochspezialisierter Ingenieurinnen und Ingenieure. Eine große Rolle für Forschung und Entwicklung spielten Immaterialgüterrechte und Know-how. Die meisten der von HDGT-Herstellern entwickelten neuen Technologien unterlägen immaterialgüterrechtlichem Schutz. Angesichts der gebräuchlichen Praxis, HDGTs zusammen mit langfristigen Wartungsverträgen zu veräußern, würden zur erfolgreichen Vermarktung neuer HDGTs neben Forschungs- und Herstellungs- auch Kapazitäten zur Erbringung von Wartungsleistungen benötigt. Außerdem setze die erfolgreiche Vermarktung voraus, dass für eine neue HDGT umfangreiche Funktionsnachweise erbracht werden könnten. Dies erfordere einen langwierigen Probeeinsatz, der ebenfalls enorm kostspielig sei. Vermarktungserfolge beziehungsweise die Wettbewerbsfähigkeit von HDGT-Herstellern hingen darüber hinaus ab von deren Reputation und der Größe ihrer sogenannten installierten Flotte. Als installierte Flotte eines Herstellers werde die Gesamtheit der von ihm bereits ausgelieferten und am Einsatzort gewarteten HDGTs bezeichnet. Alle diese Umstände führten letztlich dazu, dass Entwicklung, Herstellung und erfolgreiche 254 Siehe
GE/Alstom, Tz. 58–70.
255 GE/Alstom, Tz. 61. 256 Vgl. GE/Alstom, Tz. 64 f., 257 Vgl.
GE/Alstom, Tz. 879.
siehe auch Tz. 314–348.
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Vermarktung von HDGTs für Newcomer überaus schwierig seien. Es bestünden außerordentlich hohe Marktzutrittsschranken.258
2. Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Die Kommission grenzt einen relevanten Markt für 50-Hz-HDGTs mit einem Output von mehr als 90 MW ab.259 60-Hz-HDGTs gehörten diesem Markt nicht an.260 Es handele sich um einen stark differenzierten Markt. Zu den maßgeblichen Differenzierungskriterien gehörten namentlich die angesprochenen technischen Merkmale, hinsichtlich welcher sich HDGTs unterschieden.261 So lasse sich unter anderem jeweils ein Marktsegment ausmachen für mittlere Turbinen mit einem Output von 90–200 MW, große Turbinen mit einem Output von 200– 320 MW und sehr große Turbinen mit einem Output von über 320 MW.262 Der relevante Markt für 50-Hz-HDGTs sei EWR- oder weltweit (dann aber ohne Einschluss von China und Iran, wo besondere Zutrittshindernisse bestünden).263 Auf dem relevanten Markt seien weltweit insgesamt lediglich fünf Unternehmen als vollwertige Wettbewerber (Full Technology Competitors) tätig, nämlich die beiden Parteien sowie Mitsubishi Hitachi Power Systems (MHPS), Siemens und Ansaldo. Nur diese Unternehmen führten sämtliche Tätigkeiten von der Entwicklung neuer Technologie bis hin zu Verkauf und Wartung von Turbinen aus. Andere Unternehmen, namentlich solche, die lediglich als Lizenznehmer der genannten Unternehmen deren HDGTs veräußerten und nicht selbst neue Turbinen entwickelten, seien nicht als vollwertige und vor allem unabhängige Wettbewerber anzusehen. Ansaldo sei erst in jüngerer Zeit als fünfter vollwertiger Wettbewerber hinzugekommen. Noch bis 2004 sei das Unternehmen als Lizenznehmer von Siemens tätig gewesen. Angesichts der geringen Anzahl an Wettbewerbern sei der relevante Markt stark konzentriert und oligopolistisch strukturiert.264 Alstom biete eine mittlere Turbine sowie eine große Turbine (mit der Bezeichnung GT26) an.265 Zudem habe Alstom vor Kurzem die Entwicklung einer neuen, sehr großen Turbine (GT36) weitgehend fertiggestellt. Diese Turbine werde derzeit in den Markt eingeführt. Veräußert worden sei sie bislang aber noch nicht.266 GE habe zwei mittlere, zwei große sowie zwei sehr große Turbi-
258 Vgl.
GE/Alstom, Tz. 385–399, 408, 992–995. 220.
259 Siehe GE/Alstom, Tz. 147, 260 GE/Alstom, Tz. 98–103. 261 262
GE/Alstom, Tz. 104 f. GE/Alstom, Tz. 111–118. 263 GE/Alstom, Tz. 218 f. 264 Siehe GE/Alstom, Tz. 352–383, 407. 265 GE/Alstom, Tz. 358. 266 Vgl. GE/Alstom, Tz. 358, 453, 743–749, 768–775.
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nen im Sortiment.267 Außerdem verfüge Alstom über einige wichtige PipelineProdukte.268
3. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Bei der Feststellung von Zusammenschlusswirkungen orientiert sich die Kommission stark an ihren Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse. Nacheinander geht sie die darin aufgeführten Prüfungspunkte durch.269
a) Marktanteile und Konzentrationsgrad270 So bestimmt die Kommission zunächst Marktanteilsverteilung und Konzentrationsgrad auf dem relevanten Markt sowie deren Veränderung infolge des Zusammenschlusses.271 Nach absatzbezogenen Marktanteilen sei GE klar Marktführer, mit großem Abstand zum nächsten Wettbewerber, Siemens. Alstom nehme den dritten Platz ein. MHPS und Ansaldo lägen abgeschlagen dahinter. Die entstehende Unternehmenseinheit werde in vielen Marktsegmenten sehr hohe Marktanteile von weit über 50 % auf sich vereinigen. Der Abstand zu Siemens werde sich noch vergrößern. HHI-Höhen und HHI-Delta-Werte deuteten darauf hin, dass der vor dem Zusammenschluss bereits stark konzentrierte Markt für 50-Hz-HDGTs nach dem Zusammenschluss noch deutlich stärker konzentriert sein werde.272 Die Kommission bestimmt auch die Anteile der fünf vollwertigen Wettbewerber an den insgesamt vorhandenen Produktionskapazitäten sowie an der Gesamtheit der installierten Flotten. Deren Verteilung stelle sich in ähnlicher Weise zugunsten von GE beziehungsweise der entstehenden Unternehmenseinheit dar wie die Marktanteilsverteilung.273 Zusätzlich ermittelt die Kommission noch die Anteile der Parteien an den für die Entwicklung von HDGTs zwischen 2013 und 2015 insgesamt aufgewendeten F&E-Ausgaben sowie am 2014 insgesamt eingesetzten Forschungspersonal. Die gemeinsamen Anteile der Parteien lägen hier jeweils bei über 60 %, was auf eine besondere Bedeutung der Parteien als Innovatoren hinweise. Durch den Zusammenschluss werde mit Alstom ein starker Innovationswettbewerber beseitigt, auf den über 30 % der F&E-Ausgaben und über 20 % des Forschungspersonals entfielen.274 267 Vgl. GE/Alstom, Tz. 362, 800–803, 268 Siehe GE/Alstom, Tz. 985–991. 269 270
821.
Siehe nur GE/Alstom, Tz. 221–251, 264. Siehe hierzu Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 14–21. 271 Siehe GE/Alstom, Tz. 410–504. 272 Siehe GE/Alstom, Tz. 429–464, 499–501. 273 Siehe GE/Alstom, Tz. 465–473, 502. 274 Vgl. GE/Alstom, Tz. 497 f., 504.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Aus diesen Erkenntnissen leitet die Kommission die vorläufige Schlussfolgerung ab, dass der Zusammenschluss wahrscheinlich zu einer Unternehmenseinheit mit großer Marktmacht und damit zu einer erheblichen Wettbewerbsbehinderung führen, sowie erhebliche negative Auswirkungen auf Innovation haben werde.275
b) Zusammenschluss mit einem nahen und wichtigen Wettbewerber276 Sodann ermittelt die Kommission die wettbewerbliche Nähe zwischen den fünf HDGT-Herstellern. Mit Blick auf den Gesamtmarkt sowie auf die Marktsegmente der großen und sehr großen Turbinen identifiziert sie die Marktführer GE und Siemens als enge Wettbewerber. Große wettbewerbliche Nähe bestehe außerdem zu Alstom. MHPS sei demgegenüber ein eher entfernter Wettbewerber, mit einem anderen technologischen und geographischen Schwerpunkt. Ansaldo schließlich sei ein noch weiter entfernter Wettbewerber. Als ehemaliger Lizenznehmer von Siemens verfüge Ansaldo bislang insbesondere nur über sehr eingeschränkte F&E-Fähigkeiten und eine begrenzte Produktpalette. Folglich werde durch den Zusammenschluss mit Alstom ein wichtiger und naher Wettbewerber von GE beseitigt. Mit Blick auf das Marktsegment für mittlere Turbinen stellt die Kommission dagegen keine wettbewerbliche Nähe zwischen GE und Alstom fest.277 Unwahrscheinlich sei, dass aus der Beseitigung von Alstom als wichtigem und nahem Wettbewerber resultierende Preissteigerungen durch Produktneupositionierungen seitens anderer HDGT-Hersteller, namentlich MHPS und Ansaldo, abgewendet würden. Derartige Neupositionierungen seien nur im Wege der Entwicklung und Einführung neuer Turbinen möglich. Hierzu fehlten MHPS und Ansaldo die Fähigkeiten und Anreize.278
c) Einschränkung der Auswahlmöglichkeiten für Kunden279 Die Kommission stellt fest, dass der Zusammenschluss die ohnehin begrenzten Auswahlmöglichkeiten für die Kunden der HDGT-Hersteller in einzelnen Marktsegmenten noch erheblich weiter einschränkten werde.280
d) Beseitigung einer wichtigen Wettbewerbskraft281 Sie geht davon aus, dass mit dem Erwerb von Alstom durch GE eine aus einer Innovations- und technologischen Perspektive wichtige Wettbewerbskraft be275
GE/Alstom, Tz. 503 f. hierzu Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 24, 28. GE/Alstom, Tz. 505–891. 278 Vgl. GE/Alstom, Tz. 875–889. 279 Siehe hierzu Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 31. 280 Siehe GE/Alstom, Tz. 892–943. 281 Siehe hierzu Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 37 f. 276 Siehe 277 Siehe
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 353
seitigt werden würde.282 Die wettbewerbliche Bedeutung von Alstom sei aus technologischer Sicht weitaus größer als es die Marktanteilsverteilung nahelege, da es sich bei Alstom um einen wichtigen Innovator handele.283 So verfüge Alstom über ein einzigartiges, in vielerlei Hinsicht führendes technologisches Portfolio.284 Die große Bedeutung von Alstom als Innovator, von dem in besonderem Maße innovationsbedingter Wettbewerbsdruck ausgehe, sieht die Kommission auch durch die Angaben befragter Marktteilnehmer bestätigt.285 Weiter führt sie an, dass Alstom einen besonders hohen Anteil an den für die Entwicklung von HDGTs insgesamt getätigten F&E-Aufwendungen sowie am insgesamt eingesetzten Forschungspersonal habe.286 Als Anhaltspunkte für die sehr starken Innovationsfähigkeiten von Alstom benennt die Kommission zudem die fortschrittlichen Einrichtungen zur Erprobung neuer HDGTs sowie die Größe der installierten Flotte von Alstom.287 Schließlich verweist sie auf die Pipeline-Produkte von Alstom und deren künftige Bedeutung.288 Die Kommission prognostiziert, dass die Beseitigung von Alstom als wichtigem Innovator den (innovationsbedingten) Wettbewerbsdruck auf die verbleibenden HDGT-Hersteller und damit deren Innovationsanreize verringern und so eine erhebliche und nachhaltige Beeinträchtigung der Innovation im HDGTBereich herbeiführen werde. Aufgrund der hohen Marktzutrittsschranken sei insbesondere auch nicht damit zu rechnen, dass Newcomer oder Start-ups den Verlust von Alstom ausgleichen würden. Zumal disruptive Innovation sei hier, anders als etwa in der IT-Industrie, nicht zu erwarten.289
e) Einstellung von F&E-Tätigkeiten und Produkten290 Die Kommission geht schließlich über die Prüfungspunkte in ihren Leitlinien hinaus und legt zusätzlich dar, dass der Zusammenschluss wahrscheinlich zur Einstellung von F&E-Tätigkeiten und Produkten von Alstom führen werde.291 Maßgeblicher Beweggrund der Parteien für den Zusammenschluss seien erhoffte Synergien durch Einsparungen bei ihren sich überschneidenden F&E-Tätigkeiten und Produktportfolien.292 So solle laut internen Dokumenten von GE nach dem Zusammenschluss ein Großteil der F&E-Fähigkeiten von Alstom abge282 Siehe
GE/Alstom, Tz. 944–1000. GE/Alstom, Tz. 946. 284 Siehe GE/Alstom, Tz. 948–954. 285 Vgl. GE/Alstom, Tz. 955–964. 286 GE/Alstom, Tz. 965–968. 287 Siehe GE/Alstom, Tz. 969–974 beziehungsweise Tz. 975–982. 288 GE/Alstom, Tz. 985–991. 289 Vgl. GE/Alstom, Tz. 995–1000, 1128 f. 290 Hierzu gibt es keine Entsprechung in den Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse. 291 Siehe GE/Alstom, Tz. 1001–1078. 292 Vgl. GE/Alstom, Tz. 1001. 283
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
schafft werden. Die entstehende Unternehmenseinheit werde dann nicht mehr in der Lage sein, das technologische Portfolio von Alstom weiterzuentwickeln beziehungsweise den entsprechenden technologischen Pfad weiter zu verfolgen.293 Ebenso gebe es starke Hinweise darauf, dass die Unternehmenseinheit die sehr große Turbine von Alstom (GT36) einstellen werde. Wie die Mehrzahl der befragten Marktteilnehmer angegeben habe, sei es für HDGT-Hersteller wirtschaftlich nicht sinnvoll, mehrere HDGTs in ihrem Produktportfolio vorzuhalten, die im Wesentlichen identische Eigenschaften hätten und auf dasselbe Marktsegment ausgerichtet seien. Es sei davon auszugehen, dass den beiden großen Turbinen von GE der Vorzug vor der gerade erst entwickelten und noch nicht etablierten GT36 eingeräumt werden würde.294 Dasselbe gelte auch für die mittlere Turbine von Alstom (GT26).295 Mit Abschaffung der F&E-Fähigkeiten und des technologischen Portfolios von Alstom und Einstellung der genannten Produkte werde die Unternehmenseinheit außerdem nur mehr über eingeschränkte Fähigkeiten und Anreize zur Entwicklung von Upgrades für die installierte Flotte von Alstom verfügen.296
4. Zur Analyse von Ausgleichsfaktoren Von den Parteien vorgebrachte Effizienzgewinne sieht die Kommission lediglich insoweit als relevant an, als sie das Marktsegment der mittleren Turbinen betreffen – für welches die Kommission aber ohnehin mit einem allenfalls geringfügigen Wettbewerbsschaden rechnet.297
5. Entscheidung Zusammenschlussbedingte Wettbewerbsbehinderungen stellt die Kommission auch noch mit Blick auf andere Geschäftsfelder fest.298 Sie erteilt schließlich eine Freigabe in Phase II. Um die festgestellten Wettbewerbsbehinderungen abzuwenden, muss ein Großteil der Gassparte von Alstom an Ansaldo veräußert werden. Ansaldo soll dadurch insbesondere in die Lage versetzt werden, die Position von Alstom als wichtigem HDGT-Hersteller und Innovator einzunehmen.299 293 Vgl.
GE/Alstom, Tz. 1001–1005, 1077.
294 Vgl. GE/Alstom, Tz. 1006–1009, 1077. 295 Siehe GE/Alstom, Tz. 1010–1054, 1077. 296 Siehe 297 Siehe
GE/Alstom, Tz. 1055–1072, 1077. nur GE/Alstom, Tz. 1362–1368. Um ausdrücklich dynamische Effizienzgewinne geht es dabei nicht. 298 Siehe GE/Alstom, Tz. 1430–1832. Die entsprechenden Ausführungen der Kommission sind hier allerdings nicht weiter von Interesse. Sie betreffen zwar mitunter auch den Innovationswettbewerb, unterscheiden sich von den bereits wiedergegebenen Ausführungen allerdings nicht wesentlich. 299 Siehe GE/Alstom, Tz. 1838, 1927–1973, 1974 f., 1979.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 355
6. Beobachtungen Ähnlich wie im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext führt die Kommission hier keine eigenständige Untersuchung speziell der Innovationseffekte des Zusammenschlusses durch. Einen hierauf ausgerichteten Analyseansatz zieht sie nicht gesondert heran. Vielmehr orientiert sie ihre Prüfung weitgehend an den vor allem auf statische Effekte beschränkten Vorgaben in ihren Leitlinien.300 Der Innovationswettbewerb erscheint in ihrer Analyse eher als ein Teiloder Nebenaspekt des Produktmarktwettbewerbs. So geht die Kommission nicht eigens auf die Identifikation von Unternehmen als Innovationswettbewerber ein. Sie grenzt einen gegenwärtigen Produktmarkt ab und bestimmt die fünf Unternehmen, die auf diesem Markt als einzige wirklich vollwertige Wettbewerber (Full Technology Competitors) darstellen, weil nur sie grundsätzlich in der Lage sind, sämtliche Tätigkeiten entlang der Wertschöpfungskette durchzuführen – einschließlich solcher zur Entwicklung neuer Technologien und Hervorbringung neuer Turbinen. Allein diese Unternehmen sieht die Kommission als relevant an. Produktmarkt- und Innovationswettbewerber identifiziert sie also gleichsam in einem Schritt. Möglich ist dies vor allem deshalb, weil der relevante Produktmarkt, wie die Kommission betont, durch hohe Marktzutrittsschranken gekennzeichnet sei. Die Einführung innovativer Produkte durch bislang nicht auf dem Markt tätige Newcomer und disruptive Innovation seien nicht zu erwarten. Die von der Kommission festgestellten Marktzutrittshindernisse stellen also zugleich Innovationshindernisse dar.301 Bei der Untersuchung konkreter Zusammenschlusswirkungen anhand ihrer Leitlinien geht die Kommission punktuell auf innovationsspezifische Aspekte ein und damit teilweise – wenn auch nur geringfügig – über die Leitlinien hinaus. Im Rahmen der in den Leitlinien vorgesehenen Marktstrukturbetrachtung bestimmt sie nicht lediglich absatzbezogene Marktanteile, sondern auch Anteile an Produktionskapazitäten, installierten Flotten, F&E-Ausgaben und Forschungspersonal. Dies sehen die Leitlinien nicht ausdrücklich vor. Aus der Verteilung dieser Anteile auf die fünf vollwertigen Wettbewerber schlussfolgert die Kommission (vorläufig), dass der Zusammenschluss wahrscheinlich auch negative Auswirkungen auf Innovation haben werde. Diese Schlussfolgerung erörtert die Kommission allerdings nicht weiter. So bleibt unklar, welchen Zusammenhang zwischen den genannten Faktoren einerseits und Innovation beziehungsweise den Innovationsfähigkeiten und -anreizen von Unternehmen andererseits sie zugrunde legt. Wie beschrieben, ist eigentlich nicht ohne Weiteres von einem belastbaren Zusammenhang zwischen dem Marktanteil eines Un300 301
Zu den Leitlinien der Kommission siehe insoweit bereits Kapitel 4.A.IV. Vgl. hierzu bereits Kapitel 2.B.II.2.c).
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
ternehmens oder seinem Anteil an F&E-Ausgaben oder -Kapazitäten und seiner Bedeutung als Innovationswettbewerber auszugehen.302 Ein weiterer innovationsspezifischer Aspekt ist darin zu sehen, dass die Kommission zur Bestimmung der wettbewerblichen Nähe zwischen den HDGT-Herstellern unter anderem auch deren Innovationsfähigkeiten heranzieht. Zudem geht sie aufgrund der besonders ausgeprägten Innovationsfähigkeiten von Alstom davon aus, dass der Zusammenschluss eine wichtige innovative Wettbewerbskraft beseitigen und dadurch den Wettbewerbsdruck auf die übrigen HDGT-Hersteller und mithin deren Innovationsanreize verringern werde. Als Folge dessen sei eine erhebliche Beeinträchtigung der Innovation im HDGT-Bereich zu erwarten. Durch eine ausführliche ökonomische Analyse von Innovationsanreizen untermauert die Kommission diese Erwägungen allerdings nicht. Einen in den Leitlinien so nicht vorgesehenen Prüfungspunkt adressiert die Kommission schließlich, wenn sie die Abschaffung der F&E-Fähigkeiten und des technologischen Portfolios von Alstom sowie die Einstellung bestimmter neuer Produkte prognostiziert. Diese über die Leitlinien hinausgehende Prognose ist, wohlgemerkt, dadurch erleichtert, dass sie sich auf interne Dokumente der Parteien und Angaben befragter Marktteilnehmer stützen lässt. Ebenfalls ähnlich wie im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext scheint die Kommission hier auch bereits die Herabsetzung von Innovationsanreizen beziehungsweise die daraus folgende Beeinträchtigung der Innovation als problematisch und möglichen wettbewerblichen Schaden anzusehen. Jedenfalls hebt sie, anders als in anderen Entscheidungen, nicht explizit die Konsequenzen eines Rückgangs an Innovationstätigkeiten für Wettbewerb und Produktvielfalt auf einem zukünftigen Markt hervor. Insgesamt zeichnet sich die Entscheidung im Verfahren GE/Alstom dadurch aus, dass die Kommission dezidiert innovationsspezifischen Erwägungen nur punktuell Raum gibt. Im Wesentlichen folgt die Analyse derjenigen des Wettbewerbs auf gegenwärtigen Produktmärkten. Zu Recht ist die Entscheidung damit kommentiert worden, dass die Kommission hier „keine eigenständige Innovationsanalyse“ durchführe.303
IV. Fallstudie: Dow/DuPont Die Zusammenschlussprüfung der Kommission im Verfahren Dow/DuPont betrifft, soweit hier von Interesse, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Pflanzenschutzmitteln.304 302
Siehe hierzu Kapitel 4.C.III.1.b). Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 530. 304 Siehe Europäische Kommission, 28.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont, Tz. 140–3297. 303
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 357
1. Zur relevanten Industrie Pflanzenschutzmittel oder Pestizide dienten der Bekämpfung von Schädlingsbefall bei Nutzpflanzen in der Landwirtschaft. Unterscheiden ließen sich Herbizide (gegen Unkraut), Insektizide (gegen Insekten) und Fungizide (gegen Krankheiten).305 Fertige Pestizidprodukte enthielten als zentralen (molekularen) Bestandteil einen oder mehrere Wirkstoffe (Active Ingredients, AIs).306 In der Pflanzenschutzmittelindustrie spiele Innovation, also die Hervorbringung neuer AIs, eine wichtige Rolle. Aufseiten der Landwirtschaft bestehe fortwährend Bedarf an neuen Pestizidprodukten. Infolge des natürlichen, evolutionären Selektionsprozesses bildeten sich nämlich Resistenzen gegen vorhandene Produkte heraus und beeinträchtigten deren Wirksamkeit. Außerdem würden die regulatorischen Anforderungen an Pestizide zum Zwecke des Umweltschutzes zunehmend verschärft. Unternehmen seien also auch deshalb zu stetiger Erneuerung ihrer Produkte angehalten, weil ältere Produkte die erhöhten Voraussetzungen für ihren Vertrieb häufig nicht mehr erfüllten.307 Erforschung (Discovery) und Entwicklung neuer AIs seien mit erheblichem finanziellem und Zeitaufwand verbunden. Über die vergangenen Jahre hinweg sei der Aufwand zusammen mit den regulatorischen Anforderungen stets gestiegen. Ein neues Pestizidprodukt hervor- und auf den Markt zu bringen, koste durchschnittlich rund 286 Millionen USD und dauere circa elf Jahre.308
a) Innovationsprozess und Lebenszyklus eines Pestizidprodukts Der Ablauf von Innovationsprozessen in der Pflanzenschutzmittelindustrie und der Lebenszyklus eines Pestizidprodukts stellten sich wie folgt dar: Während der Discovery-Phase würden zunächst zahlreiche Molekülkandidaten synthetisch hergestellt und auf ihre biologische Aktivität untersucht. Anhand von Wirksamkeit, Toxizität und voraussichtlichem Umwelteinfluss würden geeignete Kandidaten für den weiteren Entwicklungsprozess ausgewählt. Forschende Unternehmen verfolgten mit einzelnen Forschungsprojekten (auch Forschungslinien, Lines of Research, genannt) bestimmte Forschungsziele (Discovery Targets), das heißt sie suchten gezielt nach Molekülen mit ganz bestimmten Bioaktivitäts- und Sicherheitsprofilen. Ausgangspunkt sei dabei zumeist eine bestimmte zu schützende Pflanzensorte (Lead Crop, etwa Getreide) oder eine zu bekämpfende Schädlingsart (Lead Pest, zum Beispiel bestimmte Unkräuter oder Insekten). Ihre Discovery Targets richteten die Unternehmen an den (erwarteten) Gegebenheiten auf einem anvisierten Produktmarkt aus. Die Discovery-Phase nehme drei bis vier Jahre in Anspruch. Noch während dieser Phase würden auch 305 Vgl.
Dow/DuPont, Tz. 140–143, 151.
306 Dow/DuPont, Tz. 152 f. 307 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 157, 308
Dow/DuPont, Tz. 160 f.
1976–1986.
358
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
erste Patente erworben. Patentierbar seien neue AIs, aber auch etwa neue Produktzusammensetzungen, AI-Kombinationen, Herstellungsverfahren oder Einsatzmöglichkeiten für AIs. Mit der Patentierung eines neuen AI würden die Forschungstätigkeiten eines Unternehmens auch für andere Unternehmen in der Pflanzenschutzmittelindustrie sichtbar, da diese die Patentanmeldungen und -erteilungen in ihrem Umfeld genau beobachteten.309 Während der Discovery-Phase gefundene und nicht wieder aussortierte AIs würden in der sich dann anschließenden Entwicklungsphase, wie nach den einschlägigen Regularien erforderlich, im Rahmen von Feldstudien weiter getestet, unter anderem auf ihre Sicherheit und Einsatzfähigkeit in unterschiedlichen Zusammensetzungen und gegen verschiedene Schädlinge. Diese Studien dauerten insgesamt circa fünf bis sechs Jahre. Auf sie entfalle ein Großteil der F&EKosten in der Pflanzenschutzmittelindustrie. Deshalb führten forschende Unternehmen sie auch nur für solche AIs durch, die sie aufgrund ihrer vorgängigen Untersuchungen mit vergleichsweise großer Sicherheit für erfolgversprechend hielten. So bestehe bei AIs in der Entwicklungsphase bereits eine Wahrscheinlichkeit von 80 bis 90 %, dass sie letztlich erfolgreich auf den Markt gebracht werden könnten.310 Nach Abschluss der Entwicklung eines Pestizidprodukts müssten noch ein Zulassungsverfahren durchlaufen und die Produktsicherheit nachgewiesen werden. Zunächst bedürfe es der Zulassung des enthaltenen AI durch die Europäische Kommission. Sodann müsse das Pestizidprodukt durch die jeweils zuständige Behörde in den einzelnen Mitgliedsstaaten zugelassen werden, in welchen es vertrieben werden solle. Zwischen erster Beantragung und Erteilung der Zulassungen könnten noch einmal zweieinhalb bis dreieinhalb Jahre vergehen.311 Schließlich erfolge der Vertrieb des fertigen und zugelassenen Pestizidprodukts. Der im anfänglichen Ausgangsprodukt enthaltene Wirkstoff finde später meist auch in weiteren Produkten mit anderer Zusammensetzung oder neuen Einsatzgebieten Verwendung.312 Da Forschungsprojekte bereits während der Entwicklungsphase eine sehr hohe Erfolgswahrscheinlichkeit hätten, könnten forschende Unternehmen ihre künftigen Vertriebsstrategien für neue Produkte auch bereits sehr frühzeitig, nämlich sechs bis acht Jahre vor der eigentlichen Markteinführung, vorbereiten. Schon dann könnten sie relativ sichere Prognosen zum zukünftigen Geschäft mit einem neuen Produkt anstellen und etwa dessen Umsatzpotential sowie die sich einstellende Wettbewerbsdynamik abschätzen. Dazu sammelten sie insbesondere auch Informationen zu Forschungsprojekten konkurrierender Unternehmen. Dies sei ihnen möglich durch die Beobachtung von Patentanmeldungen und -erteilungen. Informationen würden 309
Dow/DuPont, Tz. 162–164, 168, 173–176, 293, 1958, 2165. 297.
312
Dow/DuPont, Tz. 167, 169.
310 Dow/DuPont, Tz. 165 f., 168, 177 f., 294 f., 311 Siehe Dow/DuPont, Tz. 179–197, 296.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 359
außerdem aufgrund von Präsentationen gegenüber Investorinnen und Investoren frühzeitig öffentlich.313 Nach seiner Markteinführung genieße ein neues Pestizidprodukt zunächst einige Jahre Exklusivität. Diese betrage, da von der zwanzigjährigen Patentdauer (im EWR) zu diesem Zeitpunkt in der Regel bereits die Hälfte vergangen sei, rund zehn und bei zusätzlichem Erwerb ergänzender Schutzzertifikate 15 Jahre. Die Nutzungszeit eines (Original-)Wirkstoffs könne allerdings mehr als 30 Jahre betragen. Auch nach Ablauf ursprünglicher Wirkstoffpatente gelinge es forschenden Unternehmen nämlich meist, Wettbewerb durch Generikahersteller mittels ihrer Vertriebsstrategien und weiterer Patentierungen abzuwehren.314 Teilweise übernähmen forschende Unternehmen den Vertrieb neuer Pestizidprodukte auch nicht selbst, sondern erteilten entsprechende Lizenzen oder veräußerten ihre AIs an Dritte.315
b) Formen des Wettbewerbs in der Pflanzenschutzmittelindustrie Die Kommission macht verschiedene Formen des Wettbewerbs in der Pflanzenschutzmittelindustrie aus: den Wettbewerb auf bestimmten Produktmärkten zwischen den Anbietern fertiger Pestizidprodukte; den von Unternehmen mit Pipeline-Produkten in einem bereits fortgeschrittenen Entwicklungsstadium (der Entwicklungsphase) ausgehenden potentiellen Wettbewerb; den Innovationswettbewerb zwischen Unternehmen mit konkurrierenden Forschungslinien und Pipeline-Produkten in einem noch frühen Entwicklungsstadium (der Discovery-Phase); sowie den Innovationswettbewerb auf Industrieebene, der zwischen den fünf einzigen vollintegrierten F&E-Unternehmen in der Pflanzenschutzmittelindustrie, den Big Five, stattfinde.316 Hieran orientiert die Kommission ihre Zusammenschlussprüfung. Sie befasst sich zunächst mit den beiden erstgenannten und anschließend mit den beiden letztgenannten Wettbewerbsformen.
2. Wettbewerb mit fertigen und Spätphasen-Pipeline-Produkten Die Kommission konzentriert sich zunächst auf den Wettbewerb mit fertigen Produkten sowie mit Pipeline-Produkten in der Entwicklungsphase.317 Um ihre sehr umfangreiche Untersuchung zu veranschaulichen, reicht es aus, einen be313
Dow/DuPont, Tz. 300 f.
314 Siehe Dow/DuPont, Tz. 170 f., 315 Dow/DuPont, Tz. 205. 316 Vgl.
198–203.
Dow/DuPont, Tz. 272–278, 302. Der Kommission zufolge finde Wettbewerb darüber hinaus auch noch im Zusammenhang mit der Lizensierung und dem Verkauf von AIs auf bestimmten, den Produktmärkten vorgelagerten Technologiemärkten statt, siehe Tz. 281, 333–341. Gesonderte Wettbewerbsbedenken hat die Kommission diesbezüglich aber nicht, siehe Tz. 1936–1954. 317 Siehe Dow/DuPont, Tz. 403–1935.
360
Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
stimmten Produktbereich exemplarisch herauszugreifen. Die Herangehensweise der Kommission unterscheidet sich nämlich über die verschiedenen betroffenen Produktbereiche hinweg nicht nennenswert. Wiedergegeben wird die Untersuchung der Kommission daher im Folgenden nur insoweit, als sie Herbizide, und zwar solche zur Anwendung auf Getreidekulturen, betrifft.
a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Die Kommission grenzt verschiedene Märkte für Getreideherbizide ab, unterzieht diese aber dann zumindest für bestimmte Analyseschritte einer gemeinsamen Betrachtung.318 Auf diesen Getreideherbizidmärkten seien die Parteien sowie weitere Unternehmen (Bayer, BASF, Syngenta, Adama, FMC, Sumitomo und Nufarm) mit jeweils mehreren fertigen Produkten tätig.319 Außerdem verfügten sowohl die Parteien als auch Bayer, Syngenta und FMC über Pipeline-Produkte, die sich in der Entwicklungsphase befänden beziehungsweise deren Markteinführung unmittelbar bevorstehe.320 Derartige Spätphasen-Pipeline-Produkte seien bei der Analyse von Zusammenschlusswirkungen auf die Märkte für (ansonsten fertige) Getreideherbizide mit zu berücksichtigen, und zwar unter dem Gesichtspunkt des potentiellen Wettbewerbs. Dies begründet die Kommission wie folgt:321 Für die Berücksichtigungsfähigkeit eines Unternehmens mit einem PipelineProdukt als Quelle potentiellen Wettbewerbs komme es auf die verbleibende Zeit bis zur Markteinführung des Pipeline-Produkts an sowie insbesondere darauf, ob diese Markteinführung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bevorstehe.322 Für die Pharmaindustrie habe sich die Praxis etabliert, solche Pipeline-Produkte als Quellen potentiellen Wettbewerbs anzusehen, die sich in der klinischen Studienphase III befänden und daher mit einer Wahrscheinlichkeit von circa 50 % binnen rund drei Jahren auf den Markt gebracht würden. Pipeline-Produkte in früheren Phasen fänden dagegen (allenfalls) nach den Grundsätzen des Wettbewerbs im Bereich der Innovation Berücksichtigung.323 Vom Innovationsprozess in der Pharmaindustrie unterscheide sich derjenige in der Pflanzenschutzmittelindustrie allerdings. Bei einem Pipeline-Pestizidprodukt sei bereits mit Beendigung der Discovery- und Eintritt in die Entwicklungs318 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 312, 318, 332, 657 f., 837. 319 Siehe Dow/DuPont, Tz. 668–675, 677–682, 685–692. 320 Siehe
Dow/DuPont, Tz. 597 f., 610–612, 676, 683 f., 686, 689, 692. Die Begründung der Kommission zur Berücksichtigung von Spätphasen-Pipeline-Produkten unter dem Gesichtspunkt des potentiellen Wettbewerbs gilt freilich nicht nur für Getreideherbizidmärkte. Im Entscheidungstext ist sie der Analyse einzelner Märkte beziehungsweise Produktbereiche in einem allgemeinen Teil vorangestellt, siehe Dow/DuPont, Tz. 284–302. 322 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 286 f. 323 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 288–290. Zu den von der Kommission hier in Bezug genommenen Grundsätzen des Wettbewerbs im Bereich der Innovation siehe Horizontal-Leitlinien, Rn. 119–122. 321
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 361
phase – und damit schon sechs bis acht Jahre vor Markteinführung – eine Wahrscheinlichkeit von 80 bis 90 % gegeben, dass das Produkt letztlich erfolgreich auf den Markt gebracht werde. Angesichts dieser hohen Wahrscheinlichkeit sei es gerechtfertigt, Pipeline-Pestizidprodukte als Quellen potentiellen Wettbewerbs anzusehen, sobald sie in die Entwicklungsphase einträten, auch wenn die eigentliche Markteinführung zu diesem Zeitpunkt noch sehr weit in der Zukunft liege. Es bedürfe hier keiner Beschränkung auf Pipeline-Produkte, deren Markteinführung binnen kürzerer Zeit bevorstehe, wie es in der Pharmaindustrie der Fall sei.324
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Hinsichtlich der Auswirkungen des Zusammenschlusses auf den Wettbewerb mit fertigen und Spätphasen-Pipeline-Produkten beschränkt die Kommission ihre Analyse ausdrücklich auf statische Wettbewerbsdimensionen, insbesondere den Preis.325 Sie orientiert sich eng an ihren Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse.326 Mit Blick auf den Produktbereich der Getreideherbizide legt sie zunächst dar, dass der Zusammenschluss eine Unternehmenseinheit mit teils sehr hohen Marktanteilen auf bestimmten Einzelmärkten hervorbringen werde.327 Diese Wettbewerbsposition werde durch die künftige Markteinführung der Pipeline-Produkte der Parteien noch erheblich gestärkt werden.328 Zudem seien die Parteien wichtige und einander nahe Wettbewerber. Dies gelte mit Blick auf ihre bereits fertigen Getreideherbizide, angesichts der Ausführungen in ihren internen Dokumenten und ausweislich der Angaben befragter Marktteilnehmer aber auch mit Blick auf ihre Pipeline-Produkte.329 Nennenswertem Wettbewerbsdruck vonseiten der anderen auf den Märkten für Getreideherbizide tätigen Unternehmen werde sich die Unternehmenseinheit nicht ausgesetzt sehen, auch nicht nach der etwaigen Markteinführung von Pipeline-Produkten dieser Unternehmen.330 Im Ergebnis geht die Kommission davon aus, dass der Zusammenschluss den Wettbewerb auf bestimmten Getreideherbizidmärkten erheblich behindern werde, teils auch durch Begründung und Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung.331
324 Vgl. 325 Vgl.
Dow/DuPont, Tz. 291–302, 417. Dow/DuPont, Tz. 275. 326 Siehe Dow/DuPont, Tz. 420–433. 327 Siehe Dow/DuPont, Tz. 702–706. 328 Siehe Dow/DuPont, Tz. 707–729. 329 Siehe Dow/DuPont, Tz. 730–782. 330 Siehe Dow/DuPont, Tz. 783–807. 331 Siehe Dow/DuPont, Tz. 808–837.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
3. Wettbewerb mit Frühphasen-Pipeline-Produkten und auf Industrieebene In einem zweiten Schritt nimmt die Kommission den Innovationswettbewerb mit konkurrierenden Forschungslinien und Pipeline-Produkten in der Discovery-Phase sowie den Innovationswettbewerb auf Industrieebene in den Blick.332
a) Zur Identifikation von Innovationswettbewerbern Innovationswettbewerb finde zum einen in einzelnen Innovationsräumen (Innovation Spaces) statt. Als Innovationswettbewerber in einem Innovationsraum seien forschende Unternehmen dann anzusehen, wenn sich ihre Innovationstätigkeiten beziehungsweise Forschungsprojekte überschnitten, also auf die Hervorbringung von Produkten abzielten, die nach Fertigstellung auf (zukünftigen) Produktmärkten miteinander konkurrieren könnten. In der Pflanzenschutzmittelindustrie seien dies Unternehmen mit identischen oder ähnlichen Discovery Targets. Hier komme zum Tragen, dass Pflanzenschutzunternehmen nicht völlig ungezielt forschten, sondern ihre Forschungslinien auf bestimmte Ziele, zumeist einzelne Lead Crops oder Lead Pests, ausrichteten. Bei forschenden Pflanzenschutzunternehmen, die ähnliche Discovery Targets und deshalb sich überschneidende Forschungslinien hätten, bestehe die Möglichkeit zukünftigen Produktmarktwettbewerbs. Dabei seien die Innovationsräume, in denen Pflanzenschutzunternehmen mit ähnlichen Discovery Targets folglich konkurrierten nicht mit einzelnen (zukünftigen) Produktmärkten kongruent. Vielmehr gingen sie über diese hinaus. Hintergrund dessen sei, dass Pflanzenschutzunternehmen im Rahmen einer Forschungslinie beispielsweise eine bestimmte zu schützende Pflanzensorte (als Lead Crop) in den Blick nähmen und dann mehrere AIs gegen verschiedene, diese Pflanzensorte betreffende Schädlinge entwickelten. Ein einzelnes Discovery Target umfasse also unterschiedliche Kombinationen aus jeweils zu schützender Pflanzensorte und zu bekämpfender Schädlingsart. Mit ihm würden daher mehrere zukünftige Pestizidprodukte anvisiert, die letztlich unterschiedlichen Produktmärkten zuzuordnen seien. Die bei der Verfolgung eines Discovery Target hervorgebrachten Pipeline-Produkte ließen sich erst dann einem bestimmten einzelnen Produktmarkt zuordnen, wenn sie bereits ein fortgeschrittenes Entwicklungsstadium erreicht hätten. Die Identifikation von Unternehmen als Innovationswettbewerber in einem bestimmten Innovationsraum ermöglichten dagegen bereits deren Forschungslinien und Pipeline-Produkte in einem noch frühen Entwicklungsstadium, eben der Discovery-Phase. Schließlich reflektierten sie die Discovery Targets der Unternehmen. Innovationswettbewerb in einem Innovationsraum könne allerdings nicht lediglich zwischen Unternehmen mit sich überschneidenden Forschungslinien und Frühphasen332 Siehe
Dow/DuPont, Tz. 1955–3297.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 363
Pipeline-Produkten bestehen, sondern auch etwa zwischen einem Unternehmen mit einem Frühphasen-Pipeline-Produkt und einem anderen Unternehmen, das bereits mit einem fertigen Produkt auf einem Produktmarkt tätig sei, in welchen ersteres Unternehmen mit Fertigstellung seines Pipeline-Produkts eintreten könnte. Dasselbe gelte für ein Unternehmen mit einem Frühphasen-PipelineProdukt und ein anderes Unternehmen mit einem Spätphasen-Pipeline-Produkt, wenn die beiden Unternehmen möglicherweise künftig auf demselben Produktmarkt tätig sein würden. In räumlicher Hinsicht nähmen Innovationsräume überdies eine welt- oder zumindest EWR-weite Ausdehnung an.333 Die für ihre Zusammenschlussprüfung relevanten Innovationsräume macht die Kommission im Wesentlichen anhand der Forschungslinien und Frühphasen-Pipeline-Produkte der Parteien fest. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass die Parteien in einer Reihe von Innovationsräumen wichtige und einander nahe Innovationswettbewerber seien, mit allenfalls geringfügiger Konkurrenz vonseiten dritter Unternehmen. Dies stellt die Kommission gesondert fest für Herbizide, Insektizide und Fungizide.334 Dabei legt sie dar, dass der gegenwärtig enge Wettbewerb zwischen den Parteien auf einzelnen Pestizidmärkten teilweise Resultat eines vorherigen engen Innovationswettbewerbs in vorgelagerten Innovationsräumen sei.335 Sie arbeitet heraus, wo jeweils Überschneidungen zwischen den Forschungslinien und Frühphasen-Pipeline-Produkten der Parteien vorlägen.336 Für die danach relevanten Innovationsräume erörtert die Kommission, weshalb ihnen allenfalls sehr wenige Pipeline-Produkte anderer Unternehmen zuzuordnen seien, beziehungsweise weshalb diese anderen Unternehmen nach Abschluss der Entwicklung ihrer Pipeline-Produkte wahrscheinlich keinen nennenswerten Wettbewerbsdruck auf die Parteien ausüben würden und folglich allenfalls als entfernte Innovationswettbewerber der Parteien anzusehen seien.337 Innovationswettbewerb finde zum anderen auch in einem weiteren, mehrere Innovationsräume umfassenden Rahmen statt, und zwar auf Industrieebene, zwischen Unternehmen mit vergleichbarer Ausstattung in Bezug auf Forschung und Entwicklung beziehungsweise mit vergleichbaren F&E-Fähigkeiten. Hiervon umfasst sei die Gesamtheit aus Personal, Anlagen und sonstigen materiellen und immateriellen Vermögensgegenständen eines Unternehmens, die speziell für Forschung und Entwicklung vorgehalten würden.338 Die 333 Der vorstehende Absatz paraphrasiert die Ausführungen der Kommission in Dow/DuPont, Tz. 350–361, 1955–1960, 2159–2191. 334 Siehe Dow/DuPont, Tz. 2600–3014. 335 Siehe Dow/DuPont, Tz. 2604–2646 (Herbizide) und Tz. 2704–2730 (Insektizide). 336 Siehe Dow/DuPont, Tz. 2650–2687 (Herbizide), Tz. 2731–2790 (Insektizide) und Tz. 2818–2833 (Fungizide). 337 Siehe Dow/DuPont, Tz. 2688–2701 (Herbizide), Tz. 2791–2804 (Insektizide) und Tz. 2834–2843 (Fungizide). 338 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 1955, 1957.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
in der Pflanzenschutzmittelindustrie (auf Industrieebene) relevanten Innovationswettbewerber seien diejenigen Unternehmen, die über Ausstattung und Fähigkeiten verfügten, um den gesamten Innovationsprozess zur Hervorbringung neuer Pestizidprodukte zu durchlaufen und diese Produkte anschließend global, und insbesondere im EWR, herzustellen und zu vertreiben.339 Von solchen vollintegrierten F&E-Unternehmen (Global R&D-Integrated Players) gebe es in der Pflanzenschutzmittelindustrie weltweit lediglich fünf – BASF, Bayer, Syngenta und die beiden Parteien – die sogenannten Big Five.340 Andere Unternehmen, die Forschungs-, Entwicklungs- und Vertriebstätigkeiten etwa beschränkt auf bestimmte Pflanzensorten oder Schädlingsarten, auf einzelne Tätigkeitsbereiche, oder mit einem regionalen Fokus durchführten, seien nicht als relevante Innovationswettbewerber der Big Five anzusehen. Dazu gehörten etwa Monsanto, FMC, Isagro sowie einige kleinere und mittlere Unternehmen, die in Japan ansässig seien und dort auch ihren Tätigkeitsschwerpunkt hätten.341 Unternehmen, die sich nicht auf sämtlichen Stufen der Wertschöpfungskette und weltweit betätigten, seien stets in irgendeiner Hinsicht abhängig von einem vollintegrierten F&E-Unternehmen und könnten daher keinen wesentlichen (innovationsbedingten) Wettbewerbsdruck auf die Big Five ausüben.342 Ebenso wenig als Innovationswettbewerber der Big Five anzusehen seien Generikahersteller, die, wie beispielsweise Adama, keine neuen AIs beziehungsweise Pestizidprodukte hervorbrächten, sondern allenfalls neuartige Zusammensetzungen älterer Substanzen, deren Exklusivität ausgelaufen sei.343
b) Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen Die Kommission verweist auf ihre Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse und betont, dass sich die darin enthaltenen Ausführungen zur Feststellung nicht koordinierter Zusammenschlusswirkungen nicht auf Preiseffekte beschränkten, sondern zumindest teilweise auch auf Innovation anwendbar seien.344 Eine dezidiert innovationsspezifische Schadenstheorie lasse sich aus den Erkenntnissen der ökonomischen Literatur ableiten. Danach sei unter bestimmten Bedingungen davon auszugehen, dass ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern zu einem Rückgang an Innovation führe. Die innovationsspezifische Schadenstheorie folge im Wesentlichen denselben Überlegungen, auf denen auch die Erfassung nicht koordinierter Zusammen339 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 349, 2163. 340 Siehe Dow/DuPont, Tz. 222, 2205–2209. 341 Dow/DuPont, Tz. 225–229, 2227–2321. 342 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 2220–2223.
343 Dow/DuPont, Tz. 219, 230 f., 2265–2268. 344 Siehe Dow/DuPont, Tz. 1988–1999. Dabei
bezieht sich die Kommission insbesondere auf folgende Randnummern ihrer Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse: 8, 22, 24 f., 38.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 365
schlusswirkungen in ihrer herkömmlichen, preisbezogenen Form (Standard Unilateral Effects) beruhe. Zu den maßgeblichen Bedingungen zählt die Kommission insbesondere die folgenden: (i) Der Zusammenschluss müsse eine Industrie betreffen, in welcher Innovation eine wichtige Rolle spiele und der (Innovations-)Wettbewerb zwischen Unternehmen ein wichtiger Treiber für deren Innovationsanreize sei, und zwar namentlich weil (ia) Marktanteile durch die Einführung von Innovationen bestreitbar seien; (ib) die Ertragsaneignung leicht falle, also wirksame Immaterialgüterrechte zur Verfügung stünden; und (ic) vor allem Produktinnovationen vorkämen, nicht Prozessinnovationen. (ii) Zudem müsse sich die betroffene Industrie durch eine starke Konzentration sowie sehr hohe Zutrittsschranken auszeichnen, welche den Marktzutritt und insbesondere die Aufnahme von Innovationstätigkeiten erschwerten. (iii) Bei den Zusammenschlussparteien müsse es sich darüber hinaus um zwei von nur wenigen wichtigen Innovatoren beziehungsweise Innovationswettbewerbern auf Industrieebene handeln. (iv) Auch müsse es sich bei den Parteien um einander nahe (Innovations-)Wettbewerber handeln, die sich mit der Einführung innovativer Produkte in nennenswertem Umfang gegenseitig Umsätze streitig machen würden. (v) Schließlich müssten umfangreiche (dynamische) Effizienzgewinne durch den Zusammenschluss unwahrscheinlich sein.345 Unter diesen Bedingungen beseitige ein Zusammenschluss wichtigen innovationsbedingten Wettbewerbsdruck zwischen den Parteien sowie möglicherweise auf dritte Unternehmen. Er führe außerdem dazu, dass die entstehende Unternehmenseinheit bei der Einführung einer Innovation künftig eine (zusätzliche) Kannibalisierung eigener Umsätze befürchten müsse. So folge aus dem Zusammenschluss eine Beeinträchtigung von Innovationsanreizen. Zwar könne eine mit dem Zusammenschluss ebenfalls einhergehende Verringerung des Produktmarktwettbewerbs grundsätzlich auch positive Auswirkungen auf Innovationsanreize haben. Solche positiven Auswirkungen reichten aber jedenfalls nicht aus, um die Beeinträchtigung von Innovationsanreizen auszugleichen. Auch sei es unwahrscheinlich, dass diese durch anderweitige positive Zusammenschlusswirkungen auf Innovationsanreize ausgeglichen werden könne. So sei beispielsweise eine Erleichterung der Ertragsaneignung unwahrscheinlich, weil die Aneignungsbedingungen ja bereits sehr gut seien. Ebenso seien etwa Größenvorteile durch die Möglichkeit zur Anwendung von Prozessinnovationen auf eine größere Ausbringungsmenge unwahrscheinlich, da ja vor allem Produktinnovationen vorkämen.346 345 Reihenfolge und Nummerierung der aufgezählten Gesichtspunkte dienen hier vor allem der Lesbarkeit. Sie sind nicht direkt aus dem Entscheidungstext übernommen. 346 Zur hier paraphrasierten innovationsspezifischen Schadenstheorie der Kommission vgl. Dow/DuPont, Tz. 2000–2013, 2041–2046; siehe insbesondere auch Dow/DuPont, Anhang 4.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
Zur Feststellung von Innovationseffekten überprüft die Kommission die Anwendbarkeit der beschriebenen innovationsspezifischen Schadenstheorie auf den konkreten Fall.
aa) Maßgebliche Industrieeigenschaften Sie erläutert, dass und inwiefern die Innovationsanreize von Pflanzenschutzunternehmen gerade durch den (Innovations-)Wettbewerb mit anderen Unternehmen getrieben seien: Märkte beziehungsweise Marktanteile seien im Wege der Einführung von Innovationen bestreitbar. Denn Kundinnen und Kunden seien nicht dauerhaft festgelegt, sondern wechselten stets binnen kurzer Zeit zu neuen Produkten, wenn sich diese als überlegen erwiesen. Forschende Unternehmen hätten zudem keine Schwierigkeiten, sich die Erträge aus ihren Innovationstätigkeiten anzueignen, da ihnen Patente und andere Schutzrechte sowie bestimmte Vertriebsstrategien zum Schutz vor Nachahmungen und Wettbewerb durch Generika zur Verfügung stünden. Auch handele es sich bei den maßgeblichen Innovationen in der Pflanzenschutzmittelindustrie, neuen AIs, um Produkt- und nicht um Prozessinnovationen. Die Bedeutung des (Innovations-) Wettbewerbs als Treiber von Innovationsanreizen belegten außerdem interne Dokumente der Parteien, aus denen hervorgehe, dass diese ihre Pipeline-Produkte an den (Pipeline-)Produkten ihrer Wettbewerber orientierten.347 Vor diesem Hintergrund resultierten Innovationsanreize in der Pflanzenschutzmittelindustrie aus der Aussicht darauf, durch die Einführung einer Innovation Umsätze zu generieren beziehungsweise Marktanteile zu gewinnen, die ansonsten anderen Unternehmen zufielen. Die Innovationsanreize eines Unternehmens seien umso stärker, je mehr zusätzliche Umsätze beziehungsweise Marktanteile es sich von einer Innovation versprechen könne. Umgekehrt fielen die Innovationsanreize eines Unternehmens aber auch umso schwächer aus, je eher es gewärtigen müsse, dass durch die Einführung einer Innovation eigene bisherige Umsätze kannibalisiert würden. Insofern könne ein Zusammenschluss forschender Pflanzenschutzunternehmen deren Innovationsanreize verringern, weil er den (Innovations-)Wettbewerb zwischen ihnen beseitige und Kannibalisierungseffekte verstärke.348 Dieser Schlussfolgerung stehe nicht entgegen, dass in der Pflanzenschutzmittelindustrie neben dem (Innovations-)Wettbewerb zwischen Unternehmen auch noch weitere Faktoren als Treiber von Innovationsanreizen eine Rolle spielten, wie insbesondere die Herausbildung von Resistenzen gegen bereits länger eingesetzte Pestizide, eine zunehmende Verschärfung der regulatorischen Anforderungen an deren Sicherheitsprofile sowie (in Grenzen) die Einführung von Generika. Denn einen zusammenschlussbedingten Verlust an wettbewerblich 347 Siehe 348 Vgl.
Dow/DuPont, Tz. 2050–2082. Dow/DuPont, Tz. 2083–2112, 2121–2123.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 367
veranlassten Innovationsreizen könnten diese weiteren Faktoren allenfalls dann auffangen, wenn ihre Bedeutung als Treiber von Innovationsanreizen infolge des Zusammenschlusses zugleich stiege – wovon indes nicht auszugehen sei.349 Belege für die Schlussfolgerung, dass Zusammenschlüsse forschender Pflanzenschutzunternehmen Innovationsanreize verringern könnten, lieferten auch Erfahrungen aus der bisherigen Konsolidierung in der Pflanzenschutzmittelindustrie. In der Vergangenheit hätten sich infolge zahlreicher Zusammenschlüsse sowohl die Anzahl vollintegrierter F&E-Unternehmen als auch deren F&E-Ausgaben sowie die Anzahl neuer AIs stark reduziert, insbesondere im EWR. Da die Kosten zur Hervorbringung neuer AIs im gleichen Zeitraum gestiegen seien, weise die beschriebene Entwicklung auf einen konsolidierungsbedingten Rückgang an Innovationsanstrengungen in der Pflanzenschutzmittelindustrie hin. Diesen Trend bestätigten auch die Angaben befragter Marktteilnehmer und Branchenexpertinnen und -experten.350
bb) Konzentration auf Industrieebene und in Innovationsräumen Infolge der Konsolidierung in der Pflanzenschutzmittelindustrie bestehe auf Industrieebene heute ein enges Oligopol aus lediglich noch fünf vollintegrierten F&E-Unternehmen. Nennenswertem, zumal innovationsbedingtem, Wettbewerbsdruck vonseiten anderer Unternehmen sähen sich die Mitglieder dieses Industrieoligopols nicht ausgesetzt. Mit ein Grund für die sehr hohe Konzentration in der Pflanzenschutzmittelindustrie seien insbesondere die steigenden Zutrittsschranken, die sich aus der zunehmenden Länge und Kostenintensität von Innovationsprozessen ergäben.351 Die einem hohen Maß an Konzentration bereits für sich genommen immanente Einschränkung des (Preis- und Innovations-)Wettbewerbs sei in der Pflanzenschutzmittelindustrie darüber hinaus auch deshalb besonders ausgeprägt, weil hier zahlreiche Verflechtungen zwischen den Oligopolmitgliedern bestünden: Verschiedene institutionelle Anleger hielten als Minderheitsgesellschafter bedeutende Positionen in mehreren der fünf vollintegrierten F&E-Unternehmen gleichzeitig (sogenanntes Common Shareholding).352 Weitere Belege für die hohe Konzentration der Pflanzenschutzmittelindustrie, insbesondere im Hinblick auf Innovation, wie auch für den diesbezüglichen Einfluss des Zusammenschlusses seien überdies auf der Grundlage von Patent Shares und New-AI Shares (dazu sogleich noch) errechnete HHIHöhen und Deltawerte.353 349 Vgl.
Dow/DuPont, Tz. 2025–2031, 2118 f. Dow/DuPont, Tz. 2124–2158. nur Dow/DuPont, Tz. 2192–2226, 2394. 352 Siehe Dow/DuPont, Tz. 233, 2337–2352; siehe auch Dow/DuPont, Anhang 5, wo sich die Kommission mit der ökonomischen Literatur zu den wettbewerblichen Auswirkungen des Common Shareholding auseinandersetzt. 353 Vgl. hierzu nur Dow/DuPont, Tz. 2322–2336, 2568, 2573–2577. 350 Siehe 351 Siehe
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Die einzelnen Innovationsräume innerhalb der Pflanzenschutzmittelindustrie zeichneten sich durch eine noch höhere Konzentration aus, als sie bereits auf Industrieebene bestehe. Denn nicht jedes der fünf vollintegrierten F&E-Unternehmen sei stets auch in jedem einzelnen Innovationsraum präsent. Dies lege der Umstand nahe, dass auch auf den allermeisten Märkten für fertige Produkte lediglich vier vollintegrierte F&E-Unternehmen tätig seien, oder noch weniger. Es sei daher davon auszugehen, dass die F&E-Unternehmen mit ihren Innovationstätigkeiten jeweils nur bestimmte Märkte beziehungsweise Gruppen von Märkten anvisierten, und sich damit auch nur in bestimmten Innovationsräumen bewegten. Die höhere Konzentration auf Innovationsraumebene lasse sich auch auf Kapazitätsgrenzen und Expansionshindernisse zurückführen, aufgrund derer es den F&E-Unternehmen schlicht nicht möglich sei, in sämtlichen Innovationsräumen gleichzeitig aktiv zu sein.354
cc) Bedeutung der Parteien als Innovationswettbewerber Bei den Parteien handele es sich um zwei wichtige Innovatoren beziehungsweise Innovationswettbewerber in der Pflanzenschutzmittelindustrie.355 Ihre vergleichsweise große Bedeutung spiegele sich zwar nicht in ihren Anteilen an einzelnen Produktmärkten und an den industrieweit insgesamt getätigten F&EAusgaben wider. Hier belegten sie unter den fünf vollintegrierten F&E-Unternehmen lediglich die beiden letzten Plätze.356 Wesentlich aussagekräftiger (als Marktanteile und Anteile an F&E-Ausgaben) für die technologische Stärke von Pflanzenschutzunternehmen und damit für ihre Bedeutung als Innovationswettbewerber auf Industrieebene seien allerdings Patent Shares und New-AI Shares.357 Die Patent Shares eines Unternehmens errechnet die Kommission anhand des Anteils der diesem Unternehmen erteilten Patente an einem jeweils maßgeblichen Referenzbestand an Patenten. Dazu identifiziert sie zunächst sämtliche Patente auf einzelne Pestizid-AIs, die zwischen 2000 und 2015 für den EWR erteilt wurden und am 31. Dezember 2015 noch wirksam waren, und zwar für die Pflanzenschutzmittelindustrie insgesamt sowie für die unterschiedlichen Segmente der Herbizide, Insektizide und Fungizide. Für jeden dieser Bereiche (also Pestizide insgesamt, Herbizide, Insektizide und Fungizide) definiert sie sodann vier verschiedene Referenzbestände: einen Bestand mit sämtlichen Patenten sowie jeweils einen Bestand mit Patenten, die, gemessen an ihrer Qualität, zu den besten 50 %, 25 % beziehungsweise 10 % gehören. Die (relative) Qualität eines Patents bestimmt die Kommission durch die Häufig354 Siehe
Dow/DuPont, Tz. 2353–2393, 2395. Dow/DuPont, Tz. 2396–2599. nur Dow/DuPont, Tz. 2426. 357 Vgl. nur Dow/DuPont, Tz. 379–386, 2598. 355 Siehe 356 Siehe
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 369
keit, mit welcher das Patent in nachfolgenden Patentschriften zitiert wird. Dabei zieht sie einmal sämtliche Zitationen heran und einmal nur sogenannte externe Zitationen, also solche in Patenten, die fremden Unternehmen erteilt wurden. So gelangt die Kommission zu qualitätsbereinigten Patent Shares als einem Maß für den Anteil eines Unternehmens am Aufkommen innovativer Outputs in der Pflanzenschutzmittelindustrie.358 Als weiteres Maß dienen ihr New-AI Shares. Solche definiert die Kommission als Anteile eines Unternehmens an den im Jahr 2015 erzielten Umsätzen mit Pestizidprodukten, die auf neuen, zwischen 2006 und 2015 eingeführten AIs basieren. Die erzielten Umsätze reflektierten den wirtschaftlichen Erfolg eines neuen AI, sodass auch hier eine Qualitätsbereinigung erfolge.359 Gemessen an Patent und New-AI Shares, erweise sich die Bedeutung der Parteien als Innovationswettbewerber auf Industrieebene nun als weitaus größer als ihre Anteile an Produktmärkten und F&E-Ausgaben suggerierten.360
dd) Wettbewerbliche Nähe zwischen den Parteien in Innovationsräumen Die Parteien seien (wie bereits dargestellt) in einigen Innovationsräumen wichtige und einander nahe Innovationswettbewerber. Von anderen Unternehmen gehe in diesen Innovationsräumen allenfalls geringfügiger Wettbewerbsdruck auf die Parteien aus. Auf die große (innovations-)wettbewerbliche Nähe zwischen den Parteien komme es insofern an, als von ihr das Ausmaß der zusammenschlussbedingten Beeinträchtigung von Innovationsanreizen abhänge. Sie determiniere nämlich, in welchem Ausmaß der Zusammenschluss zum Verlust innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks führe sowie dazu, dass die Unternehmenseinheit bei der Einführung einer Innovation künftig Kannibalisierungseffekte zu gewärtigen haben werde.361
ee) Konkrete Auswirkungen des Zusammenschlusses Vor diesem Hintergrund kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass der Zusammenschluss zu einer Beeinträchtigung von Innovationsanreizen führen werde. Die entstehende Unternehmenseinheit werde deshalb wahrscheinlich Forschungslinien und Frühphasen-Pipeline-Produkte der Parteien einstellen oder ihre weitere Entwicklung aufschieben oder umlenken. Dies werde namentlich diejenigen Forschungslinien und Frühphasen-Pipeline-Produkte be358 Zur Methodik der Kommission bei der Errechnung von Patent Shares siehe Dow/DuPont, Tz. 387–395, 2427–2498; siehe hierzu auch Dow/DuPont, Anhang 1. 359 Zur Bestimmung von New-AI-Shares siehe Dow/DuPont, Tz. 396–402, 2330–2336, 2569–2596. 360 Siehe Dow/DuPont, Tz. 2499–2599. 361 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 2013 f., 2043, 2117, 2600–3014, 3016, 3021 f.; siehe auch Dow/ DuPont, Anhang 4, Tz. 60.
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treffen, die sich in Innovationsräumen überschnitten, in welchen die Parteien als einander nahe Innovationswettbewerber präsent seien. Folge der Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung von Forschungslinien und FrühphasenPipeline-Produkten sei eine weitere erhebliche Verringerung des Innovationswettbewerbs in den jeweiligen Innovationsräumen. Zwar lasse sich nicht genau vorhersagen, welche Forschungslinien und Frühphasen-Pipeline-Produkte die Unternehmenseinheit im Einzelnen einstellen, aufschieben oder umlenken werde. Allerdings sei davon auszugehen, dass es sich um eine große Zahl handeln werde, da die wettbewerbliche Nähe zwischen den Parteien in den meisten Innovationsräumen sehr groß sei. Eine Absicht, bestimmte Innovationstätigkeiten zurückzufahren, gehe auch aus internen Dokumenten der Parteien hervor. Auch befragte Marktteilnehmer hielten sie für wahrscheinlich.362 Die durch den Wegfall innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks verursachte Beeinträchtigung von Innovationsanreizen infolge des Zusammenschlusses werde darüber hinaus wahrscheinlich auch zur Folge haben, dass die Unternehmenseinheit künftig deutlich weniger neue Forschungsprojekte aufnehmen werde. Dieser mittel- bis langfristige, strukturelle – und deshalb besonders gewichtige – Effekt werde zu dem kurzfristigen Effekt der Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung von Forschungslinien und Frühphasen-Pipeline-Produkten hinzutreten. Verglichen mit den Parteien vor dem Zusammenschluss, werde die Unternehmenseinheit wahrscheinlich in insgesamt erheblich verringertem Umfang Innovationstätigkeiten durchführen. Dementsprechend werde sie auch insgesamt deutlich weniger neue AIs beziehungsweise Pestizidprodukte auf den Markt bringen. Hinweise auf eine solche Entwicklung nach dem Zusammenschluss ließen sich den internen Dokumenten der Parteien sowie den Angaben befragter Marktteilnehmer ebenfalls entnehmen. Sie entspreche zudem den Auswirkungen, die Zusammenschlüsse von Pflanzenschutzunternehmen bereits in der Vergangenheit gehabt hätten.363 Der Rückgang an Innovationstätigkeiten und innovativem Output bei der Unternehmenseinheit werde wahrscheinlich auch nicht durch die Reaktionen Dritter, insbesondere der verbleibenden vollintegrierten F&E-Unternehmen, ausgeglichen werden. Davon, dass diese ihre Innovationstätigkeiten nach dem Zusammenschluss in hinreichendem Umfang steigern würden, sei nicht auszugehen. Hierzu fehlten ihnen angesichts der oligopolistischen Industriestruktur sowie der hohen Zutritts- und Expansionshindernisse die Fähigkeiten und Anreize. Auch nach früheren Zusammenschlüssen seien entsprechende Reaktionen Dritter nicht zu beobachten gewesen.364 Der Zusammenschluss werde also wahrscheinlich eine erhebliche Behinderung wirksamen Innovationswettbewerbs herbeiführen, sowohl auf Indus362 Vgl.
Dow/DuPont, Tz. 3015–3053.
363 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 2013 f., 3054–3223; siehe auch Dow/DuPont, Anhang 4, Tz. 60. 364 Siehe
Dow/DuPont, Tz. 2018 f., 3225–3264.
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trieebene als auch in einzelnen Innovationsräumen. Die Verbraucherinnen und Verbraucher werde er dadurch schädigen, dass er einen Verlust an Produktvielfalt und eine verringerte Intensität des Produktmarktwettbewerbs zur Folge haben werde, und zwar auf denjenigen (zukünftigen) Märkten, auf welchen die Parteien ohne ihn möglicherweise neue Pestizidprodukte eingeführt hätten. Unerheblich sei hier, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher diese Schädigung erst in der Zukunft wirklich spüren würden. Denn mit der für die Schädigung entscheidenden Verhaltensänderung aufseiten der entstehenden Unternehmenseinheit – der Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung von Innovationstätigkeiten beziehungsweise dem Verzicht auf die Aufnahme neuer Innovationstätigkeiten – werde bereits unmittelbar nach Vollzug des Zusammenschlusses zu rechnen sein. Diese Prognose beruhe nicht etwa auf bloßer Spekulation, sondern vor allem auf der Anwendung von Erkenntnissen der ökonomischen Theorie auf die Gegebenheiten in der Pflanzenschutzmittelindustrie.365
4. Zur Analyse von Ausgleichsfaktoren Von den Parteien vorgebrachte Argumente dafür, dass der Zusammenschluss auch positive Auswirkungen auf die Innovationsanreize der entstehenden Unternehmenseinheit haben werde, weist die Kommission zurück. Diese Argumente beträfen vor allem Gesichtspunkte, unter denen sich die Möglichkeiten der Unternehmenseinheit zur Ertragsaneignung verbessern könnten. Hierzu stellt die Kommission zunächst fest, dass auch derartige Gesichtspunkte im Rahmen etwaiger Effizienzgewinne – für welche die Parteien die Darlegungs- und Beweislast trügen – zu behandeln seien, und nicht etwa bereits als Teil der vorgängigen Analyse von (negativen) Zusammenschlusswirkungen (beziehungsweise der innovationsspezifischen Schadenstheorie). Denn die einer vermeintlichen Verbesserung der Aneignungsbedingungen für die Unternehmenseinheit zugrundeliegenden Mechanismen seien von der zusammenschlussbedingten Beseitigung des Wettbewerbs zwischen den Parteien konzeptionell zu unterscheiden und folgten auch nicht zwingend aus dieser. Eine solche Verbesserung von Aneignungsbedingungen lasse sich vielmehr im Grundsatz auch etwa durch eine stärkere Durchsetzung von Immaterialgüterrechten erreichen, und damit unabhängig vom betrachteten (oder auch von jedem anderen) Zusammenschluss. Verstanden als Effizienzvortrag, seien die Argumente der Parteien zurückzuweisen, weil sie den Anforderungen an die Berücksichtigungsfähigkeit solchen Vortrags nicht genügten. Als allzu komplexe und weit in die Zukunft reichende Prognosen seien sie nicht nachprüfbar. Dass entsprechende Erleichterungen der Ertragsaneignung nicht auch durch anderweitige Maßnahmen, wie 365 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 2016, 2032–2037, 3019, 3285–3297, siehe auch Dow/DuPont, Anhang 4, Tz. 60.
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F&E-Vereinbarungen, erzielbar seien, hätten die Parteien nicht dargetan, ebenso wenig eine Weitergabe der vermeintlichen Vorteile an die Verbraucherinnen und Verbraucher. Zum selben Ergebnis gelangt die Kommission im Hinblick auf weiteren Effizienzvortrag der Parteien betreffend etwa innovationsbezogene Skalen- und Verbund- sowie Synergieeffekte.366
5. Entscheidung Abseits der Pflanzenschutzmittelindustrie stellt die Kommission auch noch mit Blick auf zwei Märkte für petrochemische Erzeugnisse wahrscheinliche Wettbewerbsbehinderungen durch den Zusammenschluss fest, die allerdings den statischen Wettbewerb betreffen.367 Sie gibt den Zusammenschluss in Phase II frei. Zur Abwendung der festgestellten Wettbewerbsbehinderungen ist ein erheblicher Teil der Pestizidsparte von DuPont zu veräußern. Davon umfasst sind insbesondere Ausstattungen und Fähigkeiten zur Hervorbringung neuer Pestizidprodukte sowie Forschungslinien und Pipeline-Produkte. Dies soll Überschneidungen zwischen den Parteien aufheben und dazu führen, dass sich mit dem Erwerber ein weiteres vollintegriertes F&E-Unternehmen in der Pflanzenschutzmittelindustrie etablieren kann, zum Ausgleich des Wegfalls von DuPont. Weitere Veräußerungspflichten dienen außerdem dazu, die bisherige Präsenz von Dow auf den beiden betroffenen Märkten für petrochemische Erzeugnisse zu beseitigen.368
6. Beobachtungen Im Verfahren Dow/DuPont setzt sich die Kommission in weitaus größerem Umfang und wesentlich detaillierter mit dem Innovationswettbewerb auseinander als in den anderen Verfahren.369 Was die Strukturiertheit von Innovationsprozessen und die Beobachtbarkeit von Innovationstätigkeiten angeht, weist die hier betroffene Agrarchemie- beziehungsweise Pflanzenschutzmittelindustrie große Ähnlichkeiten zur Pharmaindustrie auf. Dennoch weicht die Analyse der Kommission in wesentlichen Punkten von der aus (vor allem älteren) Entscheidungen zur Pharmaindustrie bekannten Herangehensweise ab beziehungsweise geht über diese hinaus. 366 Vgl. Dow/DuPont, Tz. 3265–3284; siehe hierzu auch Dow/DuPont, Anhang 4, Tz. 25 f., 91–109. Hier bezieht sich die Kommission auf ihre Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 76–88. 367 Siehe Dow/DuPont, Tz. 3566 f., 3631 f., 4066. 368 Siehe Dow/DuPont, Tz. 3899–4063, 4066. 369 Zur Illustration: Die Entscheidung umfasst, wie angegeben, insgesamt 915 Seiten. Abschnitt V.8. mit der Überschrift „Competitive Assessment: Innovation Competition“ (betreffend die Pestizidindustrie) umfasst allein 195 Seiten. Zudem enthält die Entscheidung einen 44 Seiten umfassenden Anhang zu den „Implications of the Economic Theory on Mergers, Competition and Innovation in Light of the Features of the Transaction“.
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a) Innovationswettbewerb mit Spätphasen-Pipeline-Produkten Auch wenn die Kommission im Hinblick auf Spätphasen-Pipeline-Produkte nicht explizit von Innovationswettbewerb spricht, sondern nur von Wettbewerb, handelt es sich nach dem hier zugrunde gelegten Verständnis um eine Form beziehungsweise Konstellation des Innovationswettbewerbs. Denn auch der Wettbewerb mit noch nicht abschließend entwickelten Spätphasen-PipelineProdukten kommt durch Innovationstätigkeiten und damit unter Einsatz des dynamischen Aktionsparameters Innovation zustande. Soweit es um die Einbeziehung von Unternehmen mit Spätphasen-PipelineProdukten in die wettbewerbliche Beurteilung geht, orientiert sich die Kommission zunächst noch an ihrer Praxis zur Pharmaindustrie. Sie verweist auf die dort etablierten Grundsätze, Unternehmen mit Pipeline-Produkten als potentielle Wettbewerber (namentlich als Actual Potential Competitors) zu berücksichtigen, und erläutert, weshalb dies auch in der Pestizidindustrie möglich sei. Dabei berücksichtigt die Kommission Pipeline-Pestizide bereits in einem zeitlich früheren Stadium als Pipeline-Medikamente, da Erstere bereits früher über eine sehr hohe Erfolgswahrscheinlichkeit verfügen als Letztere. Im Unterschied zu ihren Entscheidungen zur Pharmaindustrie beschränkt sich die Kommission bei der Feststellung von Zusammenschlusswirkungen hier allerdings ausdrücklich auf mögliche Effekte auf den statischen (Preis-)Wettbewerb. Anders als bei Pipeline-Medikamenten untersucht sie insoweit nicht, ob es infolge des Zusammenschlusses wahrscheinlich zur Beeinträchtigung von Innovationsanreizen und daher zur Einstellung von Spätphasen-Pipeline-Pestiziden kommen wird. Begründet wird diese Abweichung nicht.
b) Innovationswettbewerb mit Frühphasen-Pipeline-Produkten Bei ihrer Analyse des Innovationswettbewerbs zwischen Unternehmen mit Frühphasen-Pipeline-Produkten und auf Industrieebene verlässt die Kommission den bislang aus der Pharmaindustrie bekannten Rahmen. Sie identifiziert Unternehmen mit Frühphasen-Pipeline-Pestiziden anhand von deren Forschungszielen (Discovery Targets) als Innovationswettbewerber, und zwar unabhängig von der Abgrenzung bestimmter (gegenwärtiger oder zukünftiger) Produktmärkte. Dass innovierende Unternehmen frühzeitig spezifische Forschungsziele definieren und sich innovationswettbewerbliche Rivalitätsbeziehungen an der Identität dieser Ziele festmachen lassen, ohne dass darin zugleich die (näherungsweise) Abgrenzung eines zukünftigen Produktmarkts liegt, stellt eine Besonderheit der Pestizidindustrie dar. Den sachlich-räumlichen Bereich, in welchem solchermaßen identifizierte Innovationswettbewerber miteinander konkurrieren, bezeichnet die Kommission als Innovationsraum (Innovation Space). Diesen Begriff verwendet sie gleichsam als Substitut für den Begriff beziehungsweise das Konzept des Produktmarkts, auf dem Wettbewerb stattfindet. Für die Identifika
374
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tion relevanter Innovationswettbewerber tritt die Abgrenzung von Innovationsräumen quasi an die Stelle der Marktabgrenzung. Zwar klingt der Begriff des (Innovations-)Raums auch schon in der Entscheidung im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext an.370 Eine eigenständige Rolle spielt er aber erst im Verfahren Dow/DuPont. Über die prominente Begriffsneuschöpfung hinaus ist mit der Abgrenzung von Innovationsräumen an sich nur eine geringfügige konzeptionelle Neuerung verknüpft. Inhaltlich entspricht die Identifikation von Innovationswettbewerbern im Wege der Abgrenzung von Innovationsräumen weitgehend etwa derjenigen durch die Abgrenzung zukünftiger Produktmärkte oder die Bestimmung konkurrierender F&E-Pole beziehungsweise klinischer Forschungsprogramme, wie sie die Kommission auch in anderen Verfahren (zum Beispiel in Novartis/GSK Oncology, J&J/Actelion und Medtronic/Covidien) zugrunde legt. Worauf es der Kommission jeweils ankommt, ist, dass die fraglichen Unternehmen künftig miteinander konkurrieren werden, beziehungsweise dass zumindest die Möglichkeit hierzu besteht. Dies entspricht dem in dieser Arbeit entwickelten Verständnis des Zustandekommens von Innovationswettbewerb zwischen innovierenden Unternehmen.371 Ein Alleinstellungsmerkmal der Entscheidung im Verfahren Dow/DuPont ist insofern aber, dass die Kommission ihr entsprechendes Verständnis mit der Betrachtung von Innovationsräumen weitaus deutlicher zum Ausdruck bringt als in anderen Entscheidungen.
c) Innovationswettbewerb auf Industrieebene Die vollintegrierten F&E-Unternehmen (Global R&D-Integrated Players), die auf Industrieebene als Innovationswettbewerber miteinander konkurrieren, identifiziert die Kommission vor allem anhand ihrer vergleichbaren Innovationsfähigkeiten. Mit dem Konzept des Innovationswettbewerbs auf Industrieebene will die Kommission die wettbewerbliche Interaktion zwischen Unternehmen offenbar in ähnlicher Weise einem bestimmten sachlich-räumlichen Bereich zuordnen, wie herkömmlicherweise mit dem Konzept des Produktmarkts und jetzt auch mit dem Konzept des Innovationsraums. Eine präzise Definition der relevanten Pestizidindustrie nimmt sie dabei allerdings nicht vor. Dies wäre auch schwierig zu bewerkstelligen, fehlt es doch, wie schon angesprochen, bislang an einem eindeutigen ökonomischen Konzept zur Abgrenzung von Industrien.372 Die Kommission konturiert den industrieweiten Innovationswettbewerb zwischen vollintegrierten F&E-Unternehmen hier gleichsam negativ, und zwar im Wesentlichen dadurch, dass sie solche Unternehmen aus dem Kreis der rele370
Siehe oben, unter C. I.2., sowie insbesondere auch Fn. 209 dort. Siehe Kapitel 2.B.II. 372 Siehe hierzu auch bereits Kapitel 2.C.III. 371
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vanten Innovationswettbewerber ausschließt, die in Ermangelung der erforderlichen (Innovations-)Fähigkeiten nicht auf sämtlichen Stufen der Wertschöpfungskette, von der Entwicklung bis zum Vertrieb eines Pestizidprodukts, tätig sind und sich die erforderlichen Fähigkeiten auch nicht ohne Weiteres beschaffen können. Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass es der Kommission tatsächlich um den sachlich-räumlichen Bereich geht, für welchen das Erfordernis bestimmter (Innovations-)Fähigkeiten eine Zutrittsschranke darstellt. Unternehmen, die sich mit den entsprechenden Fähigkeiten innerhalb dieses Bereichs bewegen, können innovationsbedingten Wettbewerbsdruck aufeinander ausüben, andere Unternehmen, außerhalb dieses Bereichs, dagegen nicht. Diesem Bereich, in dem Innovationswettbewerb stattfindet, verleiht die Kommission dann mit dem Begriff der Industrie eine Bezeichnung, die seine Beschreibung erleichtert, die aber mangels präziser Definition für sich genommen noch keine inhaltliche Konzeption vorgibt. Im Übrigen ähnelt die Feststellung von Innovationswettbewerb zwischen vollintegrierten F&E-Unternehmen in gewisser Hinsicht auch der Feststellung von Wettbewerb zwischen vollwertigen Wettbewerbern (Full Technology Competitors) im Verfahren GE/Alstom. Dort ließen sich die maßgeblichen Zutrittsschranken in Gestalt bestimmter (Innovations-)Fähigkeiten allerdings bereits auf der Ebene des relevanten – sehr stark differenzierten – Produktmarkts verorten, sodass es auf eine Industrieebene nicht ankam.373
d) Zusammenschlusseffekte auf den Innovationswettbewerb Mit Blick auf die Feststellung von Innovationseffekten verweist die Kommission im Verfahren Dow/DuPont, wie auch in anderen Verfahren, auf ihre Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse. Diese gölten zumindest teilweise auch für nicht koordinierte Zusammenschlusswirkungen auf Innovation. Inwieweit dies genau der Fall sein soll, erläutert die Kommission jedoch nicht. Mit der grundsätzlichen Ausrichtung der Leitlinien auf Zusammenschlüsse zwischen Produktmarktwettbewerbern und deren Auswirkungen auf die statisch-allokative Effizienz setzt sie sich nicht weiter auseinander. Anders als in anderen Verfahren beschränkt sich die Kommission hier aber nicht darauf, die üblichen Prüfungspunkte der Leitlinien nacheinander durchzugehen. Vielmehr entwickelt sie auf der Grundlage der einschlägigen ökonomischen Literatur eine – insbesondere im Vergleich zu anderen Verfahren – überaus detaillierte und komplexe, innovationsspezifische Schadenstheorie. Bei der Überprüfung 373 Aus
ökonomischer Perspektive stellt sich der Übergang von einem differenzierten Produktmarkt hin zu einer wie auch immer definierten Industrie wohl auch als fließend dar. Wesentlich sind aus dieser Perspektive die Elastizitäten der Nachfrage und des Angebots. Dagegen ist zweitrangig, ob ab einem bestimmten Elastizitätsgrad von Produktmarkt gesprochen wird und, solange dieser Elastizitätsgrad nicht erreicht ist, von Industrie, vgl. hierzu etwa Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 74 f.
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dieser Schadenstheorie anhand der Einzelfallumstände unternimmt die Kommission Prüfungsschritte, welche die Leitlinien nicht im Einzelnen vorsehen. So bestimmt sie nicht bloß die Konzentration einzelner Produktmärkte, sondern darüber hinaus die Konzentration auf Industrie- und Innovationsraumebene. Die besondere Bedeutung der Parteien als Innovatoren und Innovationswettbewerber macht sie an deren Anteilen an F&E-Ausgaben, Patent Shares und New-AI Shares fest, anstatt nur auf Marktanteile zu schauen. Bei der Ermittlung von Patent Shares stützt sie sich auf eine vergleichsweise aufwendige Methodik, um Patente angemessene zu gewichten. Diese Vorgehensweise ist weder in den Leitlinien angelegt noch findet sie sich in anderen Kommissionsentscheidungen. Nicht in den Leitlinien vorgesehen ist auch die Bestimmung der wettbewerblichen Nähe zwischen den Parteien anhand von deren Forschungszielen. Im Zentrum der innovationsspezifischen Schadenstheorie der Kommission steht vor allem die zusammenschlussbedingte Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte. Die Möglichkeit der Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte durch den Zusammenschluss, die sich insbesondere auch positiv auf Innovationsanreize auswirken kann, erwähnt die Kommission zwar. In den übrigen hier analysierten Entscheidungen ist dies, wohlgemerkt, nicht der Fall. Sie geht jedoch davon aus, dass etwaige positive Auswirkungen der Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte keinesfalls ausreichten, um eine Beeinträchtigung von Innovationsanreizen durch die Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte auszugleichen. Deshalb verfolgt sie die mögliche Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte nicht weiter. Eine wirklich tiefgreifende Begründung für diese Annahme liefert die Kommission indes nicht. Die Kommission prognostiziert, dass die entstehende Unternehmenseinheit wahrscheinlich zahlreiche Frühphasen-Pipeline-Produkte der Parteien einstellen, aufschieben oder umlenken werde. Um welche Pipeline-Produkte es sich dabei im Einzelnen handelt, vermag sie allerdings nicht genau zu spezifizieren. Hierin liegt insbesondere ein Unterschied zu Entscheidungen über Zusammenschlüssen zwischen Pharmaunternehmen, in welchen die Kommission gerade die Einstellung ganz bestimmter Pipeline-Medikamente für besonders problematisch befunden hat, wie etwa im Verfahren Novartis/GSK Oncology Business. Darüber hinaus prognostiziert sie einen mittel- bis langfristigen, strukturellen Effekt des Zusammenschlusses, wonach die Unternehmenseinheit weniger neue Forschungsprojekte aufnehmen beziehungsweise generell weniger Innovationstätigkeiten durchführen werde. Dies entspricht im Grundsatz der Prognose verringerter Innovationsanreize in Industrien, in denen Pipeline-Produkte nicht frühzeitig erkennbar sind, sodass sich Zusammenschlusseffekte nicht an der Einstellung bestimmter Pipeline-Produkte festmachen lassen. Mit einer sol-
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 377
chen Industrie setzte sich die Kommission etwa im Verfahren Deutsche Börse/ NYSE Euronext auseinander. Anzumerken ist, dass die Kommission sowohl die Prognose der Einstellung von Frühphasen-Pipeline-Produkten als auch die Prognose reduzierter Anreize zur Aufnahme neuer Forschungsprojekten nicht allein auf die Erkenntnisse der ökonomischen Literatur und deren Anwendung auf den Einzelfall stützt, sondern sich zusätzlich auf interne Dokumente der Parteien und die Angaben befragter Marktteilnehmer beruft. Insofern relativiert sie die Bedeutung ihrer umfangreichen ökonomischen Analyse in gewissem Maße. Den relevanten wettbewerblichen Schaden macht die Kommission, wie auch in ihren Entscheidungen zur Pharmaindustrie, an Einbußen bei Produktvielfalt und Wettbewerbsintensität auf zukünftigen Märkten fest. Wie bereits im Verfahren J&J/Actelion geht die Kommission nicht darauf ein, inwiefern sich neben der Einstellung oder Aufschiebung gerade auch die Umlenkung von Innovationstätigkeiten als für die Verbraucherinnen und Verbraucher schädlich erweisen kann.
e) Positive Zusammenschlusswirkungen Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Entscheidung im Verfahren Dow/DuPont ist schließlich, dass sie die einzige der hier betrachteten Entscheidungen ist, in welcher sich die Kommission auch explizit mit der Möglichkeit positiver Zusammenschlusswirkungen auf die Innovationsanreize der entstehenden Unternehmenseinheit auseinandersetzt. Dies betrifft namentlich die Möglichkeit der zusammenschlussbedingten Internalisierung technologischer Spillovers, welche der Unternehmenseinheit die Ertragsaneignung erleichtern und so ihre Innovationsanreize stärken kann. Die Kommission erörtert diesen Aspekt nicht im Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen des Zusammenschlusses auf Innovationsanreize, im Rahmen der Überprüfung ihrer Schadenstheorie. Vielmehr erblickt sie darin einen dynamischen Effizienzgewinn, den die Zusammenschlussparteien darzulegen und zu beweisen haben, und der überhaupt nur unter bestimmten, schwer zu erfüllenden Voraussetzungen berücksichtigungsfähig ist. Weil das entsprechende Vorbringen der Parteien diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weist es die Kommission zurück. Diese Vorgehensweise der Kommission widerspricht der im vorangegangenen Kapitel entwickelten Ansicht. Auf der Grundlage der einschlägigen ökonomischen Literatur erscheint es vorzugswürdig, der Kommission die Darlegungs- und Beweislast für sämtliche Primäreffekte eines Zusammenschlusses aufzuerlegen und eine integrierte Prüfung negativer wie positiver Primäreffekte zu verlangen. Danach hat sich die Kommission von vornherein nicht lediglich mit der Internalisierung innovationsbedingter (und preisbezogener) BusinessStealing-Effekte zu befassen, sondern auch mit der Internalisierung technologi-
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
scher Spillovers. Die Parteien sollte allenfalls eine sekundäre Darlegungslast treffen. Hintergrund ist, dass die Primäreffekte eines Zusammenschlusses sämtlich auf der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks beruhen und daher eng miteinander verknüpft sind. So überzeugt es nicht, die Prüfung dieser Effekte aufzuspalten und die Darlegungs- und Beweislast für einen Teil davon bei den Parteien zu verorten. Dies gilt zumal, da es den Parteien angesichts der hohen Anforderungen häufig nicht gelingen wird, positive Primäreffekte eines Zusammenschlusses zu beweisen. Anderenfalls kommt es zu strukturellen Asymmetrien in der Zusammenschlussprüfung – wie sie sich auch hier im Verfahren Dow/DuPont realisieren.374
f) Fazit In Dow/DuPont analysiert die Kommission Innovationseffekte eingehender als in anderen Verfahren sowie mit teilweise neuen Analysekonzepten und -methoden. Insbesondere mit der Abgrenzung von Innovationsräumen, der Verortung von Innovationswettbewerb auch auf Industrieebene und der Anwendung einer komplexen innovationsspezifischen Schadenstheorie, die sie aus umfangreichen Erkenntnissen der ökonomischen Literatur herleitetet, setzt die Kommission neue Akzente. Einige der dabei relevanten Gesichtspunkte klingen auch bereits in früheren Entscheidungen an. Jeweils für sich genommen sind die einzelnen konzeptionellen Neuerungen daher nicht besonders weitreichend. In ihrer Gesamtheit geht die Herangehensweise der Kommission in Dow/DuPont aber durchaus beachtlich über zuvor etablierte Grundsätze hinaus.
D. Gesamtbetrachtung Zusammengenommen vermitteln die einzelnen Fallstudien und die dazu festgehaltenen Beobachtungen einen guten Eindruck der Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission zum Innovationswettbewerb. Daraus ergeben sich die folgenden übergreifenden Erkenntnisse und Schlussfolgerungen.
I. Von der Kommission herangezogene Analyseansätze Die Fallstudien machen deutlich, dass die Kommission bei der Beurteilung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern nicht stets dieselbe, einheitliche Herangehensweise zugrunde legt. Zur Feststellung von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz bedient sie sich vielmehr unterschiedlicher methodisch-konzeptioneller Analyseansätze, je nach den Umständen und Besonderheiten eines gegebenen Ein374
Siehe hierzu bereits Kapitel 4.C.III.3.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 379
zelfalls. Dabei lässt sich die jeweilige Vorgehensweise der Kommission in fast allen Fällen einem der im vorangegangenen Kapitel dargestellten herkömmlichen Analyseansätze zumindest grob zuordnen. Allein im Verfahren Dow/DuPont stützt sich die Kommission teilweise auf anderweitige Ansätze. Zusammengefasst lässt sich dies wie in Tabelle 3 veranschaulichen: Tabelle 3: Von der Kommission herangezogene Analyseansätze. Entscheidung
Analyseansatz
Novartis/GSK Hautkrebs Oncology Eierstockkrebs Weitere Krebsarten
Potentieller Wettbewerb Potentieller Wettbewerb Konkurrierende F&E-Pole
Pfizer/Hospira Biosimilars Generika
Potentieller Wettbewerb Potentieller Wettbewerb
J&J/Actelion
Zukünftiger Wettbewerb
Deutsche Börse/NYSE Euronext
Gegenwärtiger Wettbewerb
Medtronic/Covidien
Zukünftiger Wettbewerb
GE/Alstom
Gegenwärtiger Wettbewerb
Dow/DuPont
Spätphasen-Pipeline-Produkte Potentieller Wettbewerb Frühphasen-Pipeline-Produkte Innovationswettbewerb in Innovationsräumen Ohne Bezug zu bestimmten Innovationswettbewerb auf IndustriePipeline-Produkten ebene
Quelle: Eigene Darstellung.
Die vorstehende Zuordnung ist freilich etwas holzschnittartig und beruht auf einer gewissen Vereinfachung. Die Kommission beruft sich nicht immer ausdrücklich auf einen bestimmten Analyseansatz, so etwa in den Verfahren Pfizer/Hospira und J&J/Actelion. Auch geht sie häufig über die für die jeweiligen Analyseansätze erforderlichen Prüfungsschritte hinaus. Deutlich wird dies beispielsweise, wenn sie in ihren Entscheidungen zur Pharmaindustrie das Konzept des potentiellen Wettbewerbs heranzieht. Dann berücksichtigt sie Unternehmen mit Pipeline-Produkten in Studienphase III zwar als potentielle Wettbewerber und stellt auf die zusammenschlussbedingte Beseitigung des potentiellen Wettbewerbs mit Blick auf einen bestimmten, zuvor definierten Produktmarkt ab. Allerdings lässt sie es nicht dabei bewenden, von einer prognostizierten Beseitigung potentiellen Wettbewerbs auf herkömmliche unilaterale Effekte auf das Preissetzungsverhalten der auf dem relevanten Markt verbleibenden Unternehmen zu schließen. Vielmehr prüft sie auch, ob die jeweils entstehende Unternehmenseinheit nach dem Zusammenschluss bestimmte Pipeline-Produkte einstellen wird. In den Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext und GE/Alstom
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
geht die Kommission außerdem nicht allein auf den statischen Wettbewerb auf gegenwärtigen Produktmärkten ein, sondern adressiert in diesem Zusammenhang zugleich Aspekte des Innovationswettbewerbs.
II. Zur Prognose von Innovationseffekten Konkrete Innovationseffekte macht die Kommission trotz der unterschiedlichen Analyseansätze in sämtlichen Entscheidungen vorwiegend an einer zusammenschlussbedingten Beeinträchtigung von Innovationsanreizen fest. Außer im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext hebt sie zudem auf die Einstellung oder Verzögerung beziehungsweise Aufschiebung von Pipeline-Produkten nach dem jeweiligen Zusammenschluss ab. Dabei spezifiziert sie die konkret betroffenen Pipeline-Produkte zumeist. Lediglich im Verfahren Dow/DuPont ist dies nicht der Fall. In den Verfahren J&J/Actelion und Dow/DuPont bezieht die Kommission neben der Einstellung und Aufschiebung auch die Umlenkung von Pipeline-Produkten mit ein. Unterschiede bestehen darin, wie die Kommission ihre Prognose der Beeinträchtigung von Innovationsanreizen und der Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung von Pipeline-Produkten jeweils begründet. Nur vereinzelt beruft sie sich dezidiert auf eine ökonomische Analyse zusammenschlussbedingter Anreizveränderungen, nämlich in den Verfahren Novartis/GSK Oncology (soweit es um andere Krebsarten als Haut- und Eierstockkrebs geht), J&J/Actelion und Dow/DuPont. Auch wo dies der Fall ist, setzt sich die Kommission, wohlgemerkt, keineswegs systematisch mit sämtlichen der im dritten Kapitel erläuterten Effekte auseinander, die Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern theoretisch auf Innovationsanreize haben können.375 Im Mittelpunkt ihrer Analyse steht jeweils die Internalisierung innovationsbedingter BusinessStealing-Effekte. Mit weiteren Primäreffekten befasst sich die Kommission allein im Verfahren Dow/DuPont. Darin geht sie auch auf die Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte und technologischer Spillovers ein – allerdings vergleichsweise oberflächlich. In den Verfahren Deutsche Börse/ NYSE Euronext und GE/Alstom leitet die Kommission die Beeinträchtigung von Innovationsanreizen gleichsam direkt aus der zusammenschlussbedingten Beseitigung von Produktmarkt- und Innovationswettbewerb ab. In den übrigen Verfahren stützt sie ihre Prognose vorwiegend auf interne Dokumente der Parteien sowie die Angaben befragter Marktteilnehmer oder Expertinnen und Experten. Diese Erkenntnisquellen zieht sie zum Teil auch zusätzlich zur ökonomischen Anreizanalyse heran.
375
Siehe Kapitel 3.B.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 381
III. Zur Verortung des maßgeblichen Wettbewerbsschadens Den maßgeblichen Wettbewerbsschaden macht die Kommission meist nicht an der Beeinträchtigung von Innovationsanreizen oder dem daraus folgenden Rückgang an Innovationstätigkeiten (etwa in Gestalt der Einstellung eines Pipeline-Produkts) fest, sondern an den daraus resultierenden Folgen für den zukünftigen Wettbewerb. So stellt sie bei der Schadensfeststellung meist eine Verringerung der Wettbewerbsintensität und Produktvielfalt auf zukünftigen Märkten in den Mittelpunkt, aufgrund derer sich Verbraucherinnen und Verbraucher höheren Preisen und einer geringeren (oder gar keiner) Auswahl an zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse geeigneten Produkten gegenüber sehen werden. Dass sich ein solcher Wettbewerbsschaden gegebenenfalls erst in der fernen Zukunft realisieren wird, sieht die Kommission nicht als Problem an. Sie betont, dass der Schaden bereits durch die unmittelbar nach Vollzug eines Zusammenschlusses zu erwartenden Verhaltensänderungen aufseiten der entstehenden Unternehmenseinheit eingeleitet werde – so etwa im Verfahren Dow/ DuPont. Der probabilistischen Natur ihrer Schadensfeststellung ist sich die Kommission durchaus bewusst, wie sie beispielsweise im Verfahren Novartis/ GSK Oncology Business deutlich macht. Allein in den Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext und GE/Alstom scheint die Kommission auch ein aus der Beeinträchtigung von Innovationsanreizen folgendes Weniger an Innovation selbst als wettbewerblichen Schaden anzusehen. In diesen Verfahren analysiert die Kommission den Innovationswettbewerb allerdings nicht gesondert und eigenständig, sondern in engem Zusammenhang mit dem Produktmarktwettbewerb. So identifiziert sie einen wettbewerblichen Schaden für die Verbraucherinnen und Verbraucher bereits auf den jeweils betroffenen gegenwärtigen Produktmärkten. Möglicherweise verzichtet sie deshalb darauf, zusätzlich auf die Situation für Verbraucherinnen und Verbraucher in der Zukunft und zukünftige Produktmärkte abzustellen. Insbesondere im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext identifiziert sie auch keine spezifischen Pipeline-Produkte, deren weitere Entwicklung durch die Beeinträchtigung von Innovationsanreizen betroffen wäre und anhand derer sich ein bestimmter zukünftiger Produktmarkt konturieren ließe. Auch, wenn es der Kommission bei der Schadensfeststellung in den meisten Fällen nicht um die Beeinträchtigung von Innovationsanreizen und den Rückgang an Innovationstätigkeiten selbst geht, sondern um die wettbewerbliche Situation für Verbraucherinnen und Verbraucher auf zukünftigen Produktmärkten, sind erstere Gesichtspunkt keineswegs zweitrangig oder gar im Ergebnis unerheblich für die Analyse der Kommission. Es ist gerade nicht so, dass die Kommission lediglich ihre herkömmliche Analyse fortschreibt und allein statische Zusammenschlusseffekte in der Zukunft betrachtet. Wäre dies der Fall, müsste sie nämlich gar nicht auf die Einstellung, Aufschiebung oder Umlen-
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
kung bestimmter Pipeline-Produkte eingehen. Denn die Intensität des zukünftigen Wettbewerbs kann ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern auch dann einschränken, wenn sämtliche Pipeline-Produkte unverändert auf den Markt gelangen – und zwar, weil die Produkte dann der einseitigen Kontrolle durch die entstehende Unternehmenseinheit unterliegen, sodass es zu herkömmlichen unilateralen Effekten kommen kann.376 Darauf weist die Kommission auch selbst hin, so etwa im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext. Dass sie die Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung von Pipeline-Produkten dennoch untersucht und die Schadensfeststellung auch auf einen Verlust an künftiger Produktvielfalt stützt, der aus dem Ausbleiben oder der verspäteten Einführung bestimmter innovativer Produkte resultiert, belegt, dass die Beeinträchtigung von Innovationsanreizen und der Rückgang an Innovationstätigkeiten tatsächlich ebenfalls zentrale Aspekte ihrer Analyse darstellen.
IV. Zur Berücksichtigung auch positiver Innovationseffekte Die im vorangegangenen Kapitel erläuterten Asymmetrien in der Zusammenschlussprüfung im Hinblick auf die Feststellung negativer Innovationseffekte einerseits und positiver Innovationseffekte andererseits spiegeln sich in den Fallstudien wider.377 In lediglich drei der sieben Verfahren befasst sich die Kommission überhaupt mit möglichen positiven Zusammenschlusswirkungen als Ausgleichsfaktoren. Positive Innovationseffekte spielen in lediglich einem Verfahren, Dow/DuPont, eine Rolle. Diese Effekte fasst die Kommission, wie beschrieben, sämtlich als dynamische Effizienzgewinne auf. So knüpft sie ihre Berücksichtigungsfähigkeit an hohe Voraussetzungen und weist den Zusammenschlussparteien die Darlegungs- und Beweislast zu. Im Ergebnis bleiben die fraglichen positiven Innovationseffekte unberücksichtigt. Auf diese Weise behandelt die Kommission insbesondere auch die von den Parteien im Verfahren Dow/DuPont geltend gemachte Internalisierung technologischer Spillovers. Als Primäreffekt ist Letztere nach der hier vertretenen Auffassung allerdings im Zusammenhang mit negativen Innovationseffekten zu adressieren und nicht an den hohen Voraussetzungen der Berücksichtigungsfähigkeit von Effizienzgewinnen zu messen. Darlegungs- und Beweislast für die Abwesenheit positiver Primäreffekte sollten bei der Kommission liegen.
V. Inkonsistenzen in der Entscheidungspraxis der Kommission Vereinzelt lassen sich gewisse Inkonsistenzen in der Entscheidungspraxis der Kommission beobachten. Beispielsweise beschäftigt sich die Kommission im 376 377
Siehe hierzu auch bereits Kapitel 3.C.II. Siehe hierzu Kapitel 4.C.III.3.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 383
Verfahren Medtronic/Covidien lediglich mit der als Perceived Potential Competition zu bezeichnenden Variante des potentiellen Wettbewerbs und nicht auch mit der Frage, ob Covidien einen Actual Potential Competitor von Medtronic darstellt. Damit weicht die Kommission, wie erörtert, von ihren Entscheidungen zur Pharmaindustrie ab. Dasselbe gilt, wie ebenfalls erörtert, für ihre Vorgehensweise im Verfahren Dow/DuPont. Soweit es um Spätphasen-Pipeline-Produkte geht, untersucht die Kommission darin lediglich statische Zusammenschlusseffekte auf den Preiswettbewerb, anstatt sich, wie in der Pharmaindustrie, auch mit der möglichen Einstellung von Pipeline-Produkten zu befassen. Begründungen für diese Abweichungen liefert die Kommission jeweils nicht. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch, dass sich über die analysierten Kommissionsentscheidungen hinweg keine wirkliche Tendenz zur Entwicklung hin zu einer stärker vereinheitlichten Herangehensweise oder zur Fokussierung auf einen bestimmten Analyseansatz durch die Kommission abzeichnet. Die Vorgehensweisen der Kommission in den verschiedenen Verfahren weisen jeweils eine hohe Industrie- und Einzelfallspezifität auf. Im Hinblick darauf, wie ausführlich und elaboriert sich die Kommission mit dem Innovationswettbewerb auseinandersetzt, und insbesondere wie fundiert sie auf die ökonomische Analyse von Innovationsanreizen und zusammenschlussbedingten Anreizveränderungen eingeht, sticht die Entscheidung im Verfahren Dow/DuPont durchaus unter den analysierten Entscheidungen hervor. Dies ist auch der Grund, weshalb sie als Leitentscheidung zum Innovationswettbewerb gilt.378 Es ist indes nicht so, dass die Vorgehensweise der Kommission in Dow/DuPont nun einen allgemeingültigen Standard zur Berücksichtigung des Innovationswettbewerbs in der Fusionskontrolle bildet. So bezieht sich die Kommission in ihrer Entscheidung im Verfahren J&J/Actelion nicht etwa auf ihre Entscheidung in Dow/DuPont – obwohl Erstere der Letzteren zeitlich nachfolgt. Wie in anderen Fällen auch ist die konkrete Vorgehensweise der Kommission im Verfahren Dow/DuPont auf die Besonderheiten der betroffenen Industrie zugeschnitten. Sie lässt sich nicht ohne Weiteres in jedem anderen Fall wiederholen. Beispielsweise haben Patente nicht in jeder Industrie dieselbe Bedeutung als Aneignungsmechanismus.379 Folglich können nicht in jedem Fall wie in Dow/DuPont Patent Shares herangezogen werden, um zu bestimmen, wie gewichtig einzelne Unternehmen als Innovationswettbewerber sind.
VI. Abschließende Evaluation Anhand der aus den durchgeführten Fallstudien gewonnenen Erkenntnisse lässt sich die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 378 379
Siehe hierzu Abschnitt A. der Einleitung. Siehe hierzu bereits Kapitel 2.C.II.1.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
einer abschließenden Evaluation unterziehen. Wie zu Beginn dieses Kapitel angesprochen, kann der direkte SIEIC-Test dabei als eine Art Referenzmaßstab herangezogen werden.380 Je näher die Herangehensweise der Kommission dem direkten SIEIC-Test kommt, desto eher ist sie generell zur Feststellung von Innovationseffekten geeignet. Wie die zu den einzelnen Entscheidungen festgehaltenen Beobachtungen erkennen lassen, greift die Kommission im Rahmen ihrer unterschiedlichen Analyseansätze und Vorgehensweisen hin und wieder Aspekte auf, die auch bei Anwendung des direkten SIEIC-Tests zu adressieren sind. So kommt es der Kommission bei der Identifikation von Innovationswettbewerbern – wie vor allem im Verfahren Dow/DuPont besonders deutlich wird – letztlich darauf an, dass die fraglichen Unternehmen künftig miteinander konkurrieren werden, beziehungsweise dass zumindest die Möglichkeit hierzu besteht. Dies macht die Kommission vorwiegend an den beobachtbaren Innovationstätigkeiten und Pipeline-Produkten der fraglichen Unternehmen fest. Vereinzelt stellt sie auch auf die Innovationsfähigkeiten von Unternehmen ab, namentlich in den Verfahren GE/Alstom und Dow/DuPont, wo sie nur vollwertige Wettbewerber (Full Technology Competitors) beziehungsweise vollintegrierte F&E-Unternehmen (Global R&D-Integrated Players) als relevante Innovationswettbewerber ansieht. Ebenso stellt die Kommission bei der Feststellung konkreter Zusammenschlusswirkungen, wie im Rahmen des direkten SIEIC-Tests vorgesehen, vornehmlich die Innovationsanreize von Unternehmen in den Mittelpunkt. Auch zieht sie, wie vorgeschlagen, interne Dokumente, Angaben von Marktteilnehmern, Expertinnen und Experten sowie Erfahrungen aus der Vergangenheit als Informationsquellen heran. Als maßgebliche Erkenntnis ist hier aber festzustellen, dass die Analyseansätze und Vorgehensweisen der Kommission lediglich punktuell und nicht flächendeckend mit den Prüfungsschritten des direkten SIEIC-Tests übereinstimmen. Zumindest im Ausgangspunkt stützt sich die Kommission in den meisten Fällen auf einen der herkömmlichen Analyseansätze, die im vorangegangenen Kapitel bereits als unzureichend für die vollständige Erfassung möglicher Innovationseffekte bewertet wurden.381 Anders als im Rahmen des direkten SIEIC-Tests vorgesehen, unterzieht die Kommission die untersuchten Zusammenschlüsse keiner umfassenden und systematischen Überprüfung, bei der sie sämtliche der theoretisch möglichen Innovationseffekte in den Blick nimmt. Das gilt insbesondere für die möglichen Primäreffekte eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern. Wenn sich die Kommission überhaupt mit der ökonomischen Analyse solcher Effekte befasst, liegt ihr Fokus eindeutig auf der Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte. Allein 380 381
Zum direkten SIEIC-Test siehe Kapitel 4.C. Siehe hierzu Kapitel 4.B.
Kapitel 5: Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb 385
im Verfahren Dow/DuPont geht sie auch auf andere Primäreffekte ein, misst diesen aber im Grunde kaum Bedeutung zu. Eine systematische Würdigung sämtlicher Primäreffekte nimmt die Kommission in keinem Fall vor. Sekundäreffekte spielen ebenfalls so gut wie keine Rolle in ihrer Entscheidungspraxis. Anders als im Rahmen des direkten SIEIC-Tests vorgesehen, zieht die Kommission auch nicht sämtliche möglichen Anknüpfungspunkte für einen Wettbewerbsschaden heran, sondern verengt den Blick zumeist auf die Verringerung von Wettbewerbsintensität und Produktvielfalt in der Zukunft, also auf eine zukünftige Beeinträchtigung der statischen Effizienz. Teilweise steht die Herangehensweise der Kommission auch geradewegs in Widerspruch zum Prüfprogramm des direkten SIEIC-Tests. Das ist namentlich insoweit der Fall, als die Kommission positive Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz, einschließlich positiver Primäreffekte, sämtlich als dynamische Effizienzgewinne ansieht, für welche die Parteien darlegungs- und beweisbelastet sind und die nur ausnahmsweise berücksichtigt werden können. Im Rahmen des direkten SIEIC-Tests ist eine integrierte Prüfung sowohl der negativen als auch der positiven Primäreffekte durch die Kommission selbst vorgesehen. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der direkte SIEIC-Test – als vorzugswürdiger Analyseansatz – in der Entscheidungspraxis der Kommission bislang nicht hinreichend zur Geltung kommt. Es ist daher zweckmäßig, die Praxis der Kommission in Zukunft stärker am direkten SIEIC-Test auszurichten. Dadurch können die Kommissionspraxis auf sinnvolle Weise vereinheitlicht und Inkonsistenzen vermieden werden. Hiermit beschäftigt sich das nachfolgende Kapitel.
Kapitel 6
Wettbewerbspolitische Implikationen In diesem letzten Kapitel wird erörtert, welche Erfordernisse zur Erneuerung und Umgestaltung der europäischen Fusionskontrolle sich aus den Erkenntnissen der vorangegangenen Ausführungen ergeben. Bevor auf einzelne Ansatzpunkte für eine solche Umgestaltung eingegangen wird (unter B.), werden einige der wesentlichen Erkenntnisse noch einmal in kurzen Thesen zusammengefasst (unter A.). Diese Thesen stellen zugleich Antworten auf die eingangs formulierten Forschungsfragen dar.1 Zuletzt folgen einige abschließende Bemerkungen (unter C.).
A. Zentrale Thesen I. Innovation 1. Das Konzept der Innovation umfasst einzelne Innovationen. Hierbei handelt es sich um neue oder verbesserte Produkte oder Prozesse, die ihren (potentiellen) Nutzerinnen und Nutzern bereits zur Verfügung gestellt worden sind. 2. Innovationen werden von Unternehmen mithilfe von Innovationstätigkeiten hervorbracht. Dazu gehören insbesondere Forschung und Entwicklung. Unternehmen führen Innovationstätigkeiten durch, wenn sie die Fähigkeiten und Anreize hierzu haben. 3. Drei grundlegende Eigenschaften von Innovation sind ihre Prozesshaftigkeit, ihre Komplexität sowie die mit ihr verbundene Unsicherheit.
II. Innovation und Wettbewerb 4. Innovation und Wettbewerb stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander. Die Integration von Innovation in die Wettbewerbstheorie ist bislang nicht auf zufriedenstellende Weise gelungen.
1 Siehe Abschnitt B. der Einleitung. Die hier vorgestellten Thesen beantworten natürlich nur die dort zu den ersten fünf Themenkomplexen formulierten Forschungsfragen.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
5. Wettbewerb kommt durch den Einsatz bestimmter Aktionsparameter zustande und setzt zugleich Anreize zum (weiteren) Einsatz dieser Aktionsparameter. So fördert der Wettbewerb die Herstellung von Effizienz. Wettbewerb unter Einsatz des dynamischen Aktionsparameters Innovation, der Innovationsanreize setzt und die dynamische Effizienz fördert, kann als Innovationswettbewerb bezeichnet werden. Der Innovationswettbewerb stellt eine besondere, dynamische Dimension des Wettbewerbs im Allgemeinen dar. 6. Innovationswettbewerb besteht zwischen Unternehmen, die Innovationstätigkeiten mit sich überschneidenden Fluchtpunkten durchführen, beziehungsweise über die Fähigkeiten zur Aufnahme solcher Innovationstätigkeiten verfügen. Eine Überschneidung der Fluchtpunkte von Innovationstätigkeiten liegt vor, wenn die künftige Austauschbarkeit der jeweils anvisierten innovativen Produkte und damit die Konkurrenz der innovierenden Unternehmen auf einem zukünftigen Produktmarkt zumindest plausibel erscheinen. 7. Maßgebliche Determinanten für Innovation sind nicht Marktstrukturfaktoren, sondern bestimmte Industrieeigenschaften. Daher weisen Innovation und Innovationswettbewerb eine hohe Industriespezifität auf.
III. Zusammenschlusswirkungen auf den Innovationswettbewerb 8. Ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern kann sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz haben. Insbesondere kann er die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Zusammenschlussparteien sowie dritter Unternehmen schwächen oder stärken. 9. Zu unterscheiden ist zwischen Primäreffekten und Sekundäreffekten eines solchen Zusammenschlusses. Erstere resultieren gerade aus der Beseitigung des innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks zwischen den Innovationswettbewerbern. Sie können in Gestalt der Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte, technologischer Spillovers und preisbezogener Business-Stealing-Effekte sowie in Gestalt von Effekten im produktmarktunabhängigen Innovationswettbewerb auftreten. Als sekundär sind solche Effekte anzusehen, die nicht unbedingt direkt mit der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks zusammenhängen. Eine besondere Form von Sekundäreffekten eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern stellen dynamische Effizienzgewinne dar. 10. Während die aus der Beseitigung von Wettbewerbsdruck resultierenden Primäreffekte eines Zusammenschlusses zwischen Produktmarktwettbewerbern stets negative Folgen für die Anreize von Unternehmen bei der Preis- und Mengenfestsetzung und damit die statische Effizienz haben, können die Primär-
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effekte eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern nicht nur negative, sondern auch positive Folgen für die Innovationsanreize von Unternehmen und damit die dynamische Effizienz haben.
IV. Analyseansätze für den Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle 11. In der europäischen Fusionskontrollpolitik lässt sich eine Tendenz zur statischen Betrachtung beobachten. Die Feststellung der Auswirkungen von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern ist mit Schwierigkeiten verbunden, weil die Analysekonzepte und -methoden in der Fusionskontrolle auf den Wettbewerb in seinen statischen Dimensionen ausgerichtet sind. Zur umfassenden Analyse von Innovationseffekten reichen die herkömmlicherweise diskutierten Ansätze nicht aus. 12. Gegenüber diesen herkömmlichen Analyseansätzen ist es vorzugswürdig, Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern in der Fusionskontrolle direkt auf ihre Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz, insbesondere auf Innovationsfähigkeiten und -anreize, hin zu untersuchen. Dieser vorzugswürdige Analyseansatz kann als direkter SIEIC-Test bezeichnet werden, welcher der Feststellung von Significant Impediments to Effective Innovation Competition dient.
V. Die Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission zum Innovationswettbewerb 13. In Fallstudien zu einschlägigen Fusionskontrollentscheidungen zeigt sich, dass die Kommission Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern nicht stets mit derselben, einheitlichen Herangehensweise analysiert. Vielmehr bedient sie sich unterschiedlicher Analyseansätze, zumeist eines der herkömmlichen. Anderweitige Analyseansätze setzt sie allein im Verfahren Dow/DuPont ein. Mitunter verzichtet die Kommission auch darauf, sich explizit auf einen bestimmten Analyseansatz zu berufen. 14. Konkrete Innovationseffekte macht die Kommission vor allem an der Beeinträchtigung von Innovationsanreizen und fest. In den meisten Fällen prognostiziert sie auch die Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung bestimmter Pipeline-Produkte. Dabei beruft sie sich teilweise auf eine ökonomische Analyse zusammenschlussbedingter Anreizveränderungen, bei der die Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte im Mittelpunkt steht. Im Übrigen beruft sie sich auf interne Dokumente der Parteien sowie die Angaben befragter Marktteilnehmer, Expertinnen und Experten. Eine systematische Überprüfung von Zusammenschlüssen auf sämtliche möglichen Innovations-
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effekte hin führt die Kommission nicht durch. Positive Innovationseffekte, einschließlich positiver Primäreffekte, sieht die Kommission – wo sie überhaupt eine Rolle spielen – als dynamische Effizienzgewinne an, die von den Parteien darzulegen und zu beweisen sind. 15. Als maßgeblichen wettbewerblichen Schaden sieht die Kommission meist die Konsequenzen an, die sich aus der Beeinträchtigung von Innovationsanreizen und der Einstellung, Aufschiebung oder Umlenkung beziehungsweise dem Unterlassen von Innovationstätigkeiten für die Verbraucherinnen und Verbraucher auf zukünftigen Produktmärkten ergeben werden. Diese Konsequenzen bestehen vor allem in der Verringerung von Wettbewerbsintensität und Produktvielfalt, mit der Folge erhöhter Preise und geringerer Auswahl. 16. Die Entscheidungspraxis der Kommission zum Innovationswettbewerb weist mit ihren unterschiedlichen Analyseansätzen und Vorgehensweisen gewisse Inkonsistenzen auf. Eine Tendenz zur stärkeren Vereinheitlichung der Praxis oder zur Herausbildung eines Standardansatzes ist nicht zu erkennen. Der vorzugswürdige Analyseansatz des direkten SIEIC-Tests kommt in der Entscheidungspraxis der Kommission bislang nicht hinreichend zur Geltung.
B. Ansatzpunkte zur Erneuerung und Umgestaltung der Fusionskontrolle Aus den bisherigen Erkenntnissen ergibt sich die Schlussfolgerung, dass die europäische Fusionskontrolle stärker auf Erfassung und Berücksichtigung des Innovationswettbewerbs ausgerichtet werden sollte. Hierzu kommen verschiedene Ansatzpunkte, oder wettbewerbspolitische Hebel, in Betracht.2 Einige davon wurden in den vorangegangenen Kapiteln bereits angesprochen. Sie werden im Folgenden in der Reihenfolge ihrer Eingriffstiefe, also des Ausmaßes, in dem sie Veränderungen der gegenwärtigen Fusionskontrollpolitik nach sich ziehen, aufgeführt.
I. Forschungsagenda zum Innovationswettbewerb Verschiedentlich wurde schon darauf hingewiesen, dass es weiterer Forschung auf unterschiedlichen Gebieten der Ökonomik bedarf, um die Fusionskontrollpraxis auf eine sicherere Wissensgrundlage zu stellen, wenn es um die Identifikation von Innovationswettbewerbern und die Feststellung der Auswirkungen 2 In der angelsächsischen Literatur ist in einem solchen Zusammenhang häufig die Rede von sogenannten Policy Levers, siehe etwa Burk/Lemley, The Patent Crisis and How the Courts Can Solve It, 2009, S. 95, mit Verweis auf Samuelson/Scotchmer, The Yale Law Journal 2002, Bd. 111, Nr. 7, 1575.
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eines Zusammenschlusses zwischen solchen Innovationswettbewerbern geht. Derartige Forschung sollte von unabhängigen Institutionen, namentlich Universitäten, vorangetrieben werden. Soweit erforderlich, kann sie auch vonseiten der Kommission veranlasst werden. Zum einen ist innerhalb der Generaldirektion Wettbewerb der Chief Competition Economist mit seinem Chief Economist Team angesiedelt. Aufgabe dieser unabhängigen Organisationseinheit aus Wirtschaftswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ist es, sowohl bei der Bearbeitung einzelner Fälle, insbesondere komplexer Fusionskontrollverfahren, als auch bei der Entwicklung der allgemeinen Wettbewerbspolitik durch die Kommission ökonomischen Sachverstand einzubringen. Dies schließt auch Beratung und Unterstützung bei der Entwicklung und Anwendung ökonomischer und ökonometrischer Analysekonzepte und -methoden ein. Zudem koordiniert der Chief Economist die Economic Advisory Group on Competition Policy, einen wissenschaftlichen Beirat aus führenden Hochschullehrerinnen und -lehrern.3 Mitarbeitende des Chief Economist betätigen sich regelmäßig mit der Publikation wissenschaftlicher Beiträge zu aktuellen Fragen der Wettbewerbsökonomik.4 Darunter sind auch bereits wichtige Publikationen zum Innovationswettbewerb.5 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass Forschungsprojekte zur Überwindung der hier in Rede stehenden Wissenslücken ebenfalls durch das Chief Economist Team oder im Rahmen der Economic Advisory Group on Competition Policy angestoßen werden können. Zum anderen gibt die Kommission gelegentlich Studien zu bestimmten wettbewerbsökonomischen Fragestellungen bei externen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Auftrag.6 Auch dies kommt hier in Betracht. Die Veranlassung weiterer Forschung durch die Kommission ist natürlich nur ein Notbehelf, auf den zurückgegriffen werden kann, soweit unabhängige Forschungseinrichtungen nicht eigenständig tätig werden. Zu den offenen Fragen, die im Wege weiterer Forschung zu beantworten sind, gehört die Frage nach Konzepten und Methoden zur Identifikation der in einer Industrie, auf einem wissenschaftlich-technischen Fachgebiet oder im Hinblick auf die Hervorbringung bestimmter Innovationen erforderlichen Innovationsfähigkeiten. Gelingt es, derartige Konzepte und Methoden zu entwickeln, wird 3 Zu Chief Competition Economist und Chief Economist Team siehe etwa Ewald in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 7 Rn. 195; Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 17 Rn. 109; ausführlich auch Röller/Buiges, The Office of the Chief Competition Economist at the European Commission, 2005; Kovacic/Mavroidis/Neven, The Antitrust Bulletin 2014, Bd. 59, Nr. 1, 55, 65–67. 4 Diese Beiträge sind abrufbar unter ec.europa.eu/dgs/competition/economist/publications.html (zuletzt aufgerufen am 1. Mai 2023). 5 Siehe Federico, Journal of European Competition Law & Practice 2017, Bd. 8, Nr. 10, 668; Federico/Langus/Valletti, International Journal of Industrial Organization 2018, Bd. 59, 1; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125. 6 Siehe beispielsweise Ormosi/Bennato/Davies/Mariuzzo, Feasibility Study on the Microeconomic Impact of Enforcement of Competition Policies on Innovation, 2017.
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Teil 2: Innovationswettbewerb in der Fusionskontrolle
dies die Identifikation von Unternehmen als Innovationswettbewerber und die Bestimmung der innovationswettbewerblichen Nähe zwischen ihnen erheblich erleichtern. Entscheidend ist es, sich hierbei nicht auf herkömmliche wettbewerbs- beziehungsweise industrieökonomische Ansätze zu beschränken. Vielversprechend erscheinen vielmehr auch Ansätze aus der eher betriebswirtschaftlich ausgerichteten Literatur, wie der ressourcenbasierte Ansatz und der Dynamic Capabilities View aus der Literatur zum strategischen Management.7 Fortgeführt und vertieft werden sollte zudem die angesprochene Mergersand-Innovation-Debatte um die angemessene modelltheoretische Erfassung von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz. Insbesondere ein tieferes Verständnis der Interaktion sämtlicher möglicher Einzeleffekte, die ein Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern hervorrufen kann, gilt es noch zu entwickeln.8 Hierzu könnten auch Ex-post-Analysen bereits vollzogener Zusammenschlüsse beitragen, sogenannte Merger Retrospectives. Derartige Analysen sollten regelmäßig und auf systematische Weise durchgeführt werden. Die Kommission sollte externen Ökonominnen und Ökonomen dazu die jeweils erforderlichen Informationen zur Verfügung stellen. Dabei hat sie nötigenfalls Vorkehrungen zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen zu treffen. Werden in solchen Analysen nicht nur einzelne zurückliegende Zusammenschlüsse, sondern auch die entsprechenden Fusionskontrollentscheidungen der Kommission in den Blick genommen, lassen sich auch Erkenntnisse zur Zweckmäßigkeit der jeweiligen Vorgehensweise der Kommission sowie zur Zuverlässigkeit und Richtigkeit ihrer Prognosen und Schlussfolgerungen sammeln.9 Weiterentwickelt werden sollten außerdem quantitative Instrumente zur Prognose von Zusammenschlusswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz. Solche gibt es bereits in Ansätzen. Bislang ist aber zumindest fraglich, inwieweit sie tatsächlich praktikabel sind.10 Schließlich können weitere Erkenntnisse auf dem Gebiet der evolutionsökonomischen Innovationsforschung, auf Grundlage der beschriebenen dynamisch-evolutorischen Wettbewerbskonzeption, möglicherweise Anhaltspunkte für einen industriespezifischen Zusammenhang zwischen der Anzahl an unabhängigen Innovationswettbewerbern einerseits und der Funktionsfähigkeit des Innovationswettbewerbs sowie der dynamischen Effizienz andererseits lie7
Siehe Kapitel 4.C.II.1. Kapitel 3.B. I.5. Mit einer ähnlichen Forderung auch etwa Gilbert, Innovation Matters, 2020, S. 237. 9 Vgl. hierzu auch Kwoka, Reviving Merger Control, 2018, S. 48–50. Zur Möglichkeit und Zweckmäßigkeit solcher Retrospektiven gerade zu Fusionskontrollentscheidungen der Europäischen Kommission siehe etwa Ormosi/Mariuzzo/Havell/Fletcher/Lyons, A Review of Merger Decisions in the EU, 2015; Ormosi/Bennato/Davies/Mariuzzo, Feasibility Study on the Microeconomic Impact of Enforcement of Competition Policies on Innovation, 2017. 10 Siehe Kapitel 3.B. I.1.c). 8 Siehe
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fern. Anhand eines solchen Zusammenhangs lassen sich eventuell (ökonomische) Vermutungen dahingehend aufstellen, dass ein Zusammenschluss, der die Anzahl an relevanten Innovationswettbewerbern – die Diversität im Innovationsoligopol – spürbar reduziert, grundsätzlich (vorbehaltlich bestimmter Ausgleichsfaktoren) als wettbewerbsschädlich anzusehen ist. Von einer spürbaren Reduktion der Diversität im Innovationsoligopol könnte möglicherweise dann ausgegangen werden, wenn die Anzahl an Innovationswettbewerbern unter eine bestimmte – industriespezifische – Schwelle sinkt. Wäre bei einem betrachteten Zusammenschluss dann eine solche Diversitätsreduktion festzustellen, könnte diese Feststellung zum Ausgangs- und Orientierungspunkt der weiteren Zusammenschlussprüfung genommen werden. Auch hier bedarf es weiterer Forschung außerhalb der herkömmlichen Wettbewerbs- beziehungsweise Industrieökonomik.11 So vielversprechend die genannten Ansätze sind – die Forderung nach einer Forschungsagenda zum Innovationswettbewerb soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Innovation und Wettbewerb auch weiterhin in einem komplexen Verhältnis zueinander stehen werden. Auch künftig wird es kaum gelingen, einfache Mustervorhersagen zum Innovationswettbewerb zu treffen. Ziel der weiteren Forschung sollte aber sein, bestehende Wissenslücken so weit wie möglich zu schließen und sich einem immer besseren Verständnis des Verhältnisses von Innovation und Wettbewerb anzunähern.
II. Änderungen in der Fusionskontrollpraxis Mit Blick auf die Entscheidungspraxis der Kommission sind einige wichtige Änderungen im Umgang mit dem Innovationswettbewerb angezeigt. Auf sie wird im Folgenden eingegangen.
1. Auswahl eines geeigneten Analyseansatzes Anstatt auf einen oder mehrere der herkömmlichen Analyseansätze zurückzugreifen, sollte die Kommission ihre Entscheidungsfindung in erster Linie am vorzugswürdigen Ansatz des direkten SIEIC-Tests orientieren. Dies hätte auch den Vorteil, dass die bisher zu beobachtenden Inkonsistenzen in der Entscheidungspraxis der Kommission aufgelöst und diese Praxis vereinheitlicht werden könnten. Zur Feststellung, ob Unternehmen in Innovationswettbewerb zueinander stehen, kommt es, wie beschrieben, auf deren Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten an.12 Ist ein Zusammenschluss als ein solcher zwischen Innovationswettbewerbern ausgemacht, sollte sich die Zusammenschlussprüfung darauf 11
12
Siehe Kapitel 2.A.III.2.e) und Kapitel 4.C.III.1.c). Siehe Kapitel 4.C.II.
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konzentrieren, Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz, und insbesondere auf die Innovationsfähigkeiten und -anreize der Parteien und gegebenenfalls dritter Unternehmen, direkt und systematisch in den Blick zu nehmen. Dabei sollten jedenfalls die auf der Beseitigung innovationsbedingten Wettbewerbsdrucks beruhenden Primäreffekte im Rahmen einer integrierten Prüfung durch die Kommission gewürdigt werden. Dies gilt auch für Primäreffekte, aufgrund welcher ein Zusammenschluss die Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen möglicherweise stärkt. Wie der wahrscheinliche Eintritt negativer sollte auch das wahrscheinliche Ausbleiben positiver Primäreffekte von der Kommission dargelegt und bewiesen werden müssen. Die Parteien sollte nur dann eine Obliegenheit zur Darlegung und zum Beweis positiver Primäreffekte treffen, wenn diese aufgrund besonderer Umstände sehr unwahrscheinlich, negative Primäreffekte dagegen sehr wahrscheinlich sind. Dies ist etwa der Fall, wenn interne Dokumente der Parteien bereits unverkennbar auf eine zusammenschlussbedingte Schwächung von Innovationsfähigkeiten und -anreizen beziehungsweise die geplante Einstellung von Innovationstätigkeiten hindeuten.13 Als dynamische Effizienzgewinne sollten lediglich positive Zusammenschlusswirkungen angesehen werden, die nicht aus einer Beseitigung von Wettbewerbsdruck resultieren. Nur für solche Zusammenschlusswirkungen sollte die herkömmliche Verteilung der Darlegungsund Beweislast zulasten der Parteien gelten. Nur an ihre Berücksichtigungsfähigkeit sollten die beschriebenen hohen Anforderungen gestellt werden.14 Als maßgebliche Wettbewerbsschäden und Anknüpfungspunkte innovationsspezifischer Schadenstheorien sollten nicht lediglich etwaige Einbußen bei Wettbewerbsintensität und Produktvielfalt zulasten von Verbraucherinnen und Verbrauchern auf zukünftigen Märkten in Betracht gezogen werden. Vielmehr sollten auch Beeinträchtigungen der Innovationsfähigkeiten und -anreize von Unternehmen und damit der dynamischen Effizienz selbst beziehungsweise Behinderungen des Innovationswettbewerbs als solche Berücksichtigung finden. Dies entspräche der ablehnenden Tendenz der Rechtsprechung gegen13 In jüngerer Zeit wiederholt geäußerte Überlegungen, die Darlegungs- und Beweislast in der Fusionskontrolle grundlegend zugunsten der Kommission (beziehungsweise der jeweils zuständigen Wettbewerbsbehörde) zu verändern, sind hier im Übrigen nicht einschlägig. Sie entstammen der Debatte um Zusammenschlüsse in der Digitalwirtschaft, namentlich um Aufkäufe innovativer Start-up-Unternehmen durch große Plattformunternehmen, bei denen ein gewisses Underenforcement besorgt wird. Weil aber Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern im Allgemeinen sowohl negative als auch positive Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz haben können, und die Interaktion der möglichen Einzeleffekte und damit die generell zu erwartende Gesamtwirkung solcher Zusammenschlüsse bislang nicht abschließend geklärt sind, sollte (jedenfalls noch) nicht von einem allgemein, auch außerhalb der Digitalwirtschaft zu besorgenden Underenforcement bei Zusammenschlüssen unter Beteiligung innovativer Unternehmen ausgegangen werden. Zu der angesprochenen Debatte auch sogleich noch, im Rahmen der abschließenden Bemerkungen. 14 Siehe zum Ganzen Kapitel 4.C.III.3.
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über einer allzu starken Ausrichtung der Wettbewerbspolitik an der Verbraucherwohlfahrt.15 An Zusammenschlusswirkungen auf die Richtung von Innovationstätigkeiten sowie deren Umlenkung sollten wettbewerbliche Schäden beziehungsweise Einbußen für die Verbraucherinnen und Verbraucher, wenn überhaupt, nur dann festgemacht werden, wenn sich dies auch tatsächlich begründen lässt.16 Die Anwendung des direkten SIEIC-Tests im Einzelfall setzt natürlich insbesondere voraus, dass Innovationstätigkeiten und -fähigkeiten von als Innovationswettbewerbern in Betracht kommenden Unternehmen für die Kommission beobachtbar sind. Diese Beobachtbarkeit variiert über Industrien hinweg, was bedeutet, dass die Anwendung des direkten SIEIC-Tests im Ausgangspunkt auf bestimmte Industrien beschränkt ist. Hiermit sind namentlich Industrien angesprochen, in denen Innovationsprozesse eher langwierig und, vor allem aufgrund regulatorischer Vorgaben, gut strukturiert sind. Exemplarisch ist insofern die Pharmaindustrie. Mit fortschreitender Erkenntnis bei der Erforschung von Innovationsfähigkeiten und ihrer Identifikation sollten aber zunehmend auch andere Industrien ins Blickfeld der Kommission rücken. Die Fallstudien haben bereits gezeigt, dass sich durchaus auch Zusammenschlüsse von Unternehmen aus anderen Industrien als der Pharmaindustrie als solche zwischen Innovationswettbewerbern ausmachen und untersuchen lassen. Es ist an der Kommission sich weiter intensiv um die Entwicklung und Überprüfung innovationsspezifischer Schadenstheorien zu bemühen. Mit der Anzahl an Verfahren und Entscheidungen, in denen sie solche Schadenstheorien erprobt, werden Erfahrung und Sicherheit im Umgang mit dem Innovationswettbewerb wachsen.17
2. Leitlinien zur Bewertung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern Nach den bisherigen Ausführungen liegt auf der Hand, dass es neuer Leitlinien zur Bewertung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern bedarf.18 Diese sollten Orientierung bei der Anwendung des direkten SIEIC15
Siehe Kapitel 4.C.IV. Vgl. hierzu Kapitel 3.C. I. 17 Vgl. hierzu auch die treffende Formulierung bei Bourreau/Streel, Digital Conglomerates and EU Competition Policy, 2019, S. 34: „To enhance experience, antitrust agencies should learn by doing, be ready to make mistakes and learn from those“. 18 Die Forderung nach der Anpassung oder Erneuerung von Leitlinien drängt sich angesichts neuer Entwicklungen im Wettbewerbsrecht regelmäßig auf, vgl. hierzu auch etwa BMWi, Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, 2019, S. 69–71; Furman/Coyle/Fletcher/McAuley/Marsden, Unlocking Digital Competition, 2019, S. 95–97; Bourreau/Streel, Digital Conglomerates and EU Competition Policy, 2019, S. 28; Chernenko, European Competition Law Review 2019, Bd. 40, Nr. 1, 9, 21–23; Levy/Waksman/Sheridan, Journal of Antitrust Enforcement 2020, Bd. 8, Nr. 2, 319, 333. 16
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Tests durch die Kommission geben. Die Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse reichen hierzu nicht aus. Einen speziell auf Zusammenschlüsse zwischen Innovationswettbewerbern und deren Auswirkungen auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz ausgerichteten Analyserahmen, beziehungsweise innovationsspezifische Schadenstheorien, enthalten diese Leitlinien, wie beschrieben nicht. Sie skizzieren vor allem die Praxis der Kommission bei der Untersuchung kurzfristiger Preiseffekte von Zusammenschlüssen zwischen Produktmarktwettbewerbern und deren Folgen für die statisch-allokative Effizienz.19 Als Orientierungshilfen für Unternehmen kommt Leitlinien der Kommission große Bedeutung zu. Sie sind ein wichtiges Instrument, um der Entscheidungsfindung der Kommission bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts Transparenz und Vorhersehbarkeit zu verleihen. So tragen sie erheblich zur Herstellung von Rechtssicherheit bei.20 Ein Mindestmaß an Rechtssicherheit ist für die Planbarkeit unternehmerischer Verhaltensweisen und Maßnahmen und damit für wirtschaftliche Tätigkeit insgesamt unverzichtbar.21 Im Bereich der Fusionskontrolle dient Rechtssicherheit namentlich dazu, die hohen Kosten zu vermeiden, die es für Unternehmen verursachen kann, wenn ein Zusammenschluss untersagt wird, beziehungsweise wenn die entsprechende Anmeldung bei der Kommission zurückgenommen werden muss.22 Demgemäß sollten neue Leitlinien zur Bewertung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern detaillierte Angaben zur Vorgehensweise bei der Feststellung der Auswirkungen solcher Zusammenschlüsse auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz enthalten. Sie könnten – da es sich ebenfalls um horizontale Konstellationen handelt – in eine neue Fassung der Leitlinien der Kommission zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse integriert werden.23 Denkbar ist aber auch, dass die Kommission eigenständige Leitlinien zum Innovationswettbewerb erlässt. Die beiden Prüfungspunkte der Identifikation von Innovationswettbewerbern einerseits und der Feststellung von Zusammenschlusswirkungen andererseits sollten aber jedenfalls nicht in getrennten Leitlinien behandelt werden, wie es gegenwärtig der Fall ist. Wie beschrieben, wird die Identifikation relevanter 19
Siehe Kapitel 4.A.IV. Holtse, Journal of European Competition Law & Practice 2020, Bd. 11, Nr. 8, 446, 448; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Einl. Rn. 72. 21 Vgl. Voigt/Schmidt, WuW 2003, 897, 898; Christiansen, ZfW 2006, 150, 157; siehe hierzu auch Holtse, Journal of European Competition Law & Practice 2020, Bd. 11, Nr. 8, 446. 22 Voigt/Schmidt, WuW 2003, 897, 898; Christiansen, WuW 2005, 285, 288; Christiansen, ZfW 2006, 150, 158. 23 So ist es etwa bei den Horizontal Merger Guidelines der US-amerikanischen Wettbewerbsbehörden. Diese enthalten im Abschnitt zu „Unilateral Effects“ einen Unterabschnitt zu „Innovation and Product Variety“, siehe DoJ/FTC, Horizontal Merger Guidelines, 2010, S. 23 f. Ausführliche Erläuterungen zum direkten SIEIC-Test, wie sie hier gefordert werden, finden sich darin jedoch nicht. 20 Vgl.
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Wettbewerber bislang nicht in den Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse thematisiert, sondern in der Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes.24 Mit Blick auf die Erfassung des Innovationswettbewerbs scheint eine solche Aufspaltung aber nicht angebracht, weil die beiden genannten Prüfungspunkte eng miteinander verknüpft sind. Dies betrifft etwa die Identifikation von Unternehmen als Innovationswettbewerber und die Feststellung der (innovations-)wettbewerblichen Nähe zwischen ihnen, insbesondere wenn dabei auf Innovationsfähigkeiten abgestellt werden soll. Würden die Prüfungspunkte in unterschiedlichen Dokumenten erläutert, müssten zahlreiche Gesichtspunkte doppelt angesprochen werden. Zu beachten ist, dass Leitlinien der Kommission gemeinhin als Kondensat der Erfahrungen und Entscheidungspraxis der Kommission aufzufassen sind.25 Rechtssicherheit vermitteln sie, indem sie künftige Entscheidungen der Kommission insofern vorhersehbar machen, als davon auszugehen ist, dass die Vorgehensweise der Kommission derjenigen in früheren Entscheidungen grundsätzlich entsprechen wird. Keineswegs sollen derartige Leitlinien etwa einen wissenschaftlichen Erkenntnisstand und eine danach vorzugswürdige Vorgehensweise wiedergeben. Deshalb sollte die Kommission die neuen Leitlinien zur Bewertung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern sinnvollerweise auch erst abfassen und veröffentlichen, wenn sie weitere Erfahrungen bei der Erprobung des direkten SIEIC-Tests beziehungsweise innovationsspezifischer Schadenstheorien – insbesondere auch außerhalb der Pharmaindustrie – gesammelt und eine gewisse Praxis hierbei etabliert hat. Konkrete Formulierungsvorschläge für die angeregten Leitlinien wären folglich an dieser Stelle und zu diesem Zeitpunkt wenig hilfreich. Es geht hier, wohlgemerkt, auch nicht um eine bloß geringfügige Änderung oder Überarbeitung der Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse.
3. Leitlinien zur Tatsachenermittlung Eine wesentliche Herausforderung bei der Anwendung des direkten SIEIC-Tests ist, wie beschrieben, die Ermittlung der jeweils erheblichen Tatsachen.26 Angesichts der Komplexität der ökonomischen Analyse und Prognose spezifischer Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern 24 Siehe Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 10; Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes, Rn. 2. 25 Siehe nur Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse, Rn. 6, wo es heißt: „Mit dieser Bekanntmachung sollen Leitlinien aus der sich fortentwickelnden Erfahrungen der Kommission bei der Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse […] herausgearbeitet werden. Die dargelegten Grundsätze werden von der Kommission bei der Behandlung von Einzelfällen angewandt, fortentwickelt und verfeinert. Abhängig von den zukünftigen Entwicklungen kann diese Bekanntmachung von Zeit zu Zeit überarbeitet werden“. 26 Siehe hierzu Kapitel 4.C.II.1 und C.III.2.
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spielen direkte, qualitative Hinweise auf das Verhalten von Unternehmen nach dem Zusammenschluss eine wichtige Rolle für die Prüfung. Solche Hinweise lassen sich gegebenenfalls internen Dokumenten der Zusammenschlussparteien und Dritter entnehmen. Hilfreich können auch die Einschätzungen von in Marktuntersuchungen befragten Marktteilnehmern, Expertinnen und Experten sein. Dasselbe gilt für Erfahrungen mit früheren Zusammenschlüssen unter Beteiligung einer der Parteien oder von Unternehmen mit ähnlichen Geschäftsbereichen beziehungsweise aus derselben Industrie. Wie die Fallstudien gezeigt haben, macht die Kommission von derartigen Methoden zur Tatsachenermittlung durchaus regen Gebrauch. Woran es bislang allerdings fehlt, sind etablierte Verfahren zur Einbeziehung und Auswertung der beschriebenen qualitativen Hinweise in die Zusammenschlussprüfung. Das ist insbesondere mit Blick auf die Heranziehung interner Dokumente der Parteien der Fall. Was Umfang, Zeitpunkt und sonstige rechtliche Rahmenbedingungen der Anforderung solcher Dokumente durch die Kommission angeht, bestehen große Unklarheiten, ebenso in Bezug auf Erkenntnis- und Beweiswert ihres Inhalts.27 Angesichts dieser Unklarheiten kommt es in Zusammenschlussverfahren immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kommission und anmeldenden Unternehmen.28 Um einen transparenten und vorhersehbaren sowie vor allem regelgebundenen Umgang der Kommission mit internen Dokumenten der Parteien in der Fusionskontrolle sicherzustellen, wäre es vor diesem Hintergrund angezeigt, dass die Kommission Leitlinien oder Best Practices mit entsprechenden Erläuterungen zur Einbeziehung und Auswertung interner Dokumente erlässt.29 Ein auf den Erlass solcher Leitlinien gerichtetes Konsultationsverfahren hat die Kommission offenbar im Jahr 2018 schon einmal eingeleitet, mit der informellen Veröffentlichung und Diskussion eines Leitlinienentwurfs. Unter den ausgewählten Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dieser Konsultation fand der Entwurf der Kommission aber anscheinend keinen Rückhalt.30 Bislang fehlt es daher weiterhin an der erforderlichen Orientierungshilfe.
III. Änderungen des materiellen Fusionskontrollrechts Änderungen des rechtlichen Rahmens der europäischen Fusionskontrolle, also namentlich der Fusionskontrollverordnung, sind nach den bisherigen Ausführungen grundsätzlich nicht erforderlich. Es hat sich in diesem Zusammenhang 27 28
Siehe hierzu Kuhn in: FS Schroeder, 2018, S. 415–440; Berg, WuW 2019, 230. Vgl. nur Europäische Kommission, 28.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont, Tz. 65–83. 29 So auch etwa Levy/Karadakova, European Competition Law Review 2018, Bd. 39, Nr. 1, 12; Berg, WuW 2019, 230, 234. 30 Siehe hierzu Kuhn in: FS Schroeder, 2018, S. 417 Fn. 4; Berg, WuW 2019, 230, 231, 234; Körber in: Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 3, 2020, FKVO, Art. 2 Rn. 207.
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lediglich die Frage gestellt, ob die europäischen Gerichte auch bei einem Zusammenschluss zwischen Innovationswettbewerbern am Erfordernis der Marktabgrenzung, vor allem der Abgrenzung gegenwärtiger Produktmärkte, zur Vornahme der Zusammenschlussprüfung festhielten. Problematisch wäre dies in allen Fällen, in denen Unternehmen zwar Innovationswettbewerber, aber (noch) keine Produktmarktwettbewerber sind. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass die Gerichte es tatsächlich als fehlerhaft ansähen, wenn die Kommission Unternehmen ohne jede Bezugnahme auf einen gegenwärtigen Produktmarkt als Innovationswettbewerber identifizierte.31 In Betracht kommt daher, wenn überhaupt, eine vorsorgliche (wohl deklaratorische) Feststellung in der Fusionskontrollverordnung, dass auf die Marktabgrenzung im Einzelfall auch verzichtet werden kann. Eine solche hätte Ähnlichkeiten mit der seit 2017 im deutschen Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen enthaltenen Feststellung, dass „der Annahme eines Marktes […] nicht entgegen [steht], dass eine Leistung unentgeltlich erbracht wird“32. So könnte etwa folgender Passung in die Fusionskontrollverordnung aufgenommen werden: Für die Beurteilung des Einflusses eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf den Innovationswettbewerb ist die Festlegung des relevanten Markts keine notwendige Voraussetzung.33 Mit Blick auf die systematische Ausgestaltung des materiellen Fusionskontrollrechts in der Fusionskontrollverordnung wirkte ein solcher Passus aber in jedem Fall eher unpassend.34 Da er nicht zwingend erforderlich sein dürfte, scheint er in den neu abzufassenden Leitlinien der Kommission zur Bewertung von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern wesentlich besser aufgehoben als in der Fusionskontrollverordnung.
IV. Änderungen bei Institutionen und Verfahren Auch institutionelle und verfahrensrechtliche Reformen sind aufgrund der bisherigen Ausführungen und Erkenntnisse nicht unbedingt angezeigt. Allerdings sollte eine Problematik nicht außer Acht gelassen werden, die sich nicht allein, aber auch im Zusammenhang mit der Erfassung des Innovationswettbewerbs in der Fusionskontrolle stellt. Bemüht sich die Kommission in künftigen Fusions31
Siehe hierzu Kapitel 4.C.II.3.c)bb). GWB. Zur Problematik unentgeltlicher Leistungen siehe auch etwa Podszun/Franz, NZKart 2015, 121; Podszun/Schwalbe, NZKart 2017, 98, 98 f. 33 Die Formulierung ist angelehnt an die hier kritische Formulierung der Rechtsprechung: „Vorab ist darauf hinzuweisen, daß die angemessene Festlegung des relevanten Marktes eine notwendige Voraussetzung für jede Beurteilung des Einflusses eines Zusammenschlusses auf den Wettbewerb ist“, EuGH, 31.3.1998, verb. Rs. C-68/94 u. C-30/95, ECLI:EU:C:1998:148, Rn. 143 – Frankreich u. a./Kommission („Kali + Salz“). 34 Als geeignete Stelle für diesen Passus kommt in der Fusionskontrollverordnung eigentlich nur Art 2 Abs. 1 in Betracht. Dort könnte ein entsprechender dritter Satz eingefügt werden. 32 § 18 Abs. 2a
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kontrollverfahren, so wie angeregt, um die verstärkte Anwendung des direkten SIEIC-Tests und die Entwicklung und Überprüfung neuer, speziell innovationsspezifischer Schadenstheorien, wird sie ihre Kompetenz im Umgang mit Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern sukzessive ausbauen und immer bessere und akkuratere Ergebnisse erzielen können. Dabei wird es jedoch aller Voraussicht nach auch zu Fehlentscheidungen kommen. Solche sind insbesondere dort, wo sich eine Anwendungspraxis für vergleichsweise neuartige Analyseansätze erst noch etablieren muss, nicht auszuschließen.35 Grundsätzlich löst dies keine allzu großen Bedenken aus. Fusionskontrollentscheidungen der Kommission können prinzipiell vor den europäischen Gerichten angegriffen werden.36 Diese können fehlerhafte Entscheidungen aufheben und dadurch Orientierung bei der Anwendung des Fusionskontrollrechts geben. So trägt die Rechtsprechung entscheidend zur Gewährleistung von Rechtssicherheit bei.37 Tatsächlich werden Fusionskontrollentscheidungen der Kommission jedoch nur vergleichsweise selten vor Gericht angefochten. Dies gilt insbesondere für Entscheidungen, mit denen die Kommission einen Zusammenschluss nicht in seiner ursprünglich angemeldeten Form, sondern nur unter Bedingungen und Auflagen freigibt, oder gar untersagt. Für die hierdurch belasteten Zusammenschlussparteien lohnt es sich nämlich häufig nicht, die Kommissionentscheidung anzufechten. Aufgrund sich rasch verändernder wirtschaftlicher Gegebenheiten müssen sie meist damit rechnen, ihr Interesse am Zusammenschluss in der ursprünglich angemeldeten Form bis zum Erlass einer gerichtlichen Abhilfeentscheidung bereits verloren zu haben.38 Vor diesem Hintergrund ist fraglich, wie gut die Rechtsprechung ihre Funktion als Kontrollinstanz bei der Entwicklung einer Anwendungspraxis für neuartige Analyseansätze in der Fusionskontrolle tatsächlich erfüllen kann. Verschiedene Reformen, vor allem zur Verfahrensbeschleunigung, haben hier in der Vergangenheit bereits teilweise Abhilfe geschaffen.39 Sicherlich wäre aber zu wünschen, dass sich die europäischen Gerichte künftig noch häufiger mit neuartigen Schadenstheorien der Kommission, gerade auch zum Innovations35 Vgl. hierzu nur Geradin/Petit in: Merola/Derenne, The Role of the Court of Justice of the European Union in Competition Law Cases, 2012, S. 32–36. 36 Zum Rechtsschutz gegen Entscheidungen der Kommission in der Fusionskontrolle siehe nur Kling/Thomas, Kartellrecht, 2016, S. 419–422; ausführlicher hierzu auch Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 17 Rn. 208–240. 37 Vgl. etwa Geradin/Petit in: Merola/Derenne, The Role of the Court of Justice of the European Union in Competition Law Cases, 2012, S. 23–31. 38 Von dieser Problematik berichten jedenfalls Praktikerinnen und Praktiker immer wieder. Vgl. hierzu auch Chernenko, European Competition Law Review 2019, Bd. 40, Nr. 1, 9, 22; Schroeder in: FS Wiedemann, 2020, S. 538. 39 Siehe etwa Jaeger in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 263 f.; Wagemann in: Wiedemann, Handbuch Kartellrecht, 2020, § 17 Rn. 210.
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wettbewerb, beschäftigen werden als dies gegenwärtig der Fall ist. Wie erwähnt, ist die Entscheidung des Europäischen Gerichts im Verfahren Deutsche Börse/NYSE Euronext, soweit ersichtlich, die bislang einzige, in der (auch) die Auswirkungen eines Zusammenschlusses zwischen Innovationswettbewerbern auf Innovationswettbewerb und dynamische Effizienz thematisiert wurden.
Abschließende Bemerkungen und Ausblick Abschließend ist hervorzuheben, dass sich diese Arbeit als Ausgangspunkt einer weitergehenden Auseinandersetzung mit Innovation und dem Innovationswettbewerb in der Wettbewerbspolitik versteht. Sie legt die wesentlichen Grundlagen für ein besseres Verständnis des Verhältnisses von Innovation und Wettbewerb und der Funktionsweise des Innovationswettbewerbs sowie für einen zweckmäßigen Umgang mit Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern in der Fusionskontrolle.1 Auf diesen Grundlagen lässt sich bei der Fortschreibung der wettbewerbspolitischen Debatte um Innovation aufbauen. Dabei ist der Blick von den hier in erster Linie behandelten Industrien mit langwierigen, strukturierten Innovationsprozessen, wie der Pharma- und Agrarchemieindustrie, insbesondere auch auf Geschäftsfelder zu richten, die sich durch schnelllebige Geschäftsmodelle und kurze Innovationszyklen auszeichnen. Solche Geschäftsfelder kommen gerade in verschiedenen Bereichen der Digitalwirtschaft häufig vor.2 In der Vergangenheit wurde die Möglichkeit rascher und radikaler Innovation eher als Anhaltspunkt dafür genommen, dass auf Digitalmärkten auch hohe Marktanteile und Konzentrationsgrade nicht unbedingt schädlich sind. Bei Zusammenschlüssen zwischen Digitalunternehmen stand die Frage nach dynamischen Effizienzgewinnen stärker im Vordergrund als innovationsspezifische Schadenstheorien. Wettbewerbliche Bedenken gegenüber solchen Zusammenschlüssen hielten sich in Grenzen.3 Das hat sich allerdings geändert. Inzwischen ist die Diskussion um aus wettbewerbspolitischer Sicht möglicherweise problematische Zusammenschlüsse zwischen Digitalunternehmen in vollem Gange. Lebhaft wird etwa über den Umgang mit Aufkäufen junger Start-up-Unternehmen durch etablierte, gegebenenfalls marktmächtige Betreiber digitaler 1 Insofern sollte nicht mehr zutreffen, was Cleynenbreugel in: Nihoul/Cleynenbreugel, The Roles of Innovation in Competition Law Analysis, 2018, S. 2, noch im Jahr 2018 folgendermaßen formulierte: „Although it is widely believed that market economies characterised by undistorted competition contribute directly to innovation, the relationship between innovation and competition law remains mysterious“ (Fußnote und Hervorhebung ausgelassen). 2 Vgl. nur Crémer/Montjoye/Schweitzer, Competition Policy for the Digital Era, 2019, S. 35. 3 Vgl. nur Podszun in: Surblytė, Competition on the Internet, 2015, S. 104; Déchamps/ Fanton in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 77 f.
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Abschließende Bemerkungen und Ausblick
Plattformen (beziehungsweise Big-Tech-Unternehmen) debattiert, namentlich unter dem Schlagwort der Killer Acquisitions. So besteht etwa der Verdacht, dass Plattformbetreiber systematisch sämtliche Unternehmen mit innovativen Geschäftsmodellen, die sie für eine (künftige) wettbewerbliche Gefahr halten, erwerben und so jegliches Wettbewerbspotential bereits im Keim ersticken. Damit verbunden ist die Sorge, dass die Plattformbetreiber eigentlich aussichtsreiche Geschäfts- und Innovationstätigkeiten der erworbenen Unternehmen nicht weiter vorantreiben, sondern einstellen, um ihre etablierte Marktposition zu schützen. Die Rede ist auch von sogenannten Kill Zones, welche die Plattformbetreiber um ihr Kerngeschäft herum errichten, und in welche sich zunehmend weniger innovierende Unternehmen vorwagen. Auch (Wagnis-) Kapitalgeber schrecken möglicherweise zunehmend davor zurück, Kapital für Geschäftstätigkeiten in solchen Kill Zones bereit zu stellen. In dieser Debatte bestehen freilich noch zahlreiche Uneinigkeiten, nicht zuletzt was die empirische Relevanz von Konstellationen der beschriebenen Art angeht. Gegen die Wettbewerbsschädlichkeit des Aufkaufs von Start-up-Unternehmen durch Plattformbetreiber spricht etwa der Umstand, dass Erstere möglicherweise erst mithilfe der Finanzausstattung Letzterer in die Lage versetzt werden, ihre Geschäftstätigkeiten über gewisse Schwellen hinaus zu skalieren oder ihre Innovationstätigkeiten erfolgreich abzuschließen. Auch könnte die Aussicht darauf, später von einem Incumbent aufgekauft zu werden, wichtige Anreize zur Unternehmensgründung und Aufnahme von Innovationstätigkeiten erst schaffen (dann ist häufig von einem sogenannten Entry for Buyout die Rede). Dem wird wiederum entgegengehalten, dass solche Anreize letztlich nicht wünschenswert seien, da sie im Grunde nur Nachahmungen der Produkte von Incumbents (sogenannte Me-too-Produkte oder -Innovationen) beträfen, und keine wirklichen Neuerungen mit gesamtgesellschaftlichen Vorteilen. Der Ausgang dieser Debatte ist abzuwarten.4 4 Zur hier in Bezug genommenen Diskussion um Zusammenschlüsse in der Digitalwirtschaft (die sich, wohlgemerkt, nicht auf horizontale Konstellationen und Effekte beschränkt) und zu den genannten Gesichtspunkten siehe etwa BMWi, Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft, 2019, S. 64–71; Crémer/Montjoye/Schweitzer, Competition Policy for the Digital Era, 2019, S. 110–124; Furman/Coyle/Fletcher/McAuley/Marsden, Unlocking Digital Competition, 2019, S. 90–102; Argentesi/Buccirossi/Calvano/Duso/Marrazzo/Nava, Expost Assessment of Merger Control Decisions in Digital Markets, 2019; Podszun/Kersting, ZRP 2019, 34, 35 f.; Yun, The Criterion Journal on Innovation 2019, Bd. 4, 625; Glick/Ruetschlin, Big Tech Acquisitions and the Potential Competition Doctrine, 2019; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 150–153; Calvano/ Polo, Information Economics and Policy 2021, Bd. 54, 100853, 12 f.; Bourreau/Streel, Big Tech Acquisitions, 2020; OECD, Start-ups, Killer Acquisitions and Merger Control, 2020; Letina/Schmutzler/Seibel, Killer Acquisitions and Beyond, 2020; Motta/Peitz, Big Tech Mergers, 2020; Katz, Information Economics and Policy 2021, Bd. 54, 100883, 1–17; Fayne/Foreman, Antitrust Magazine 2020, Bd. 34, Nr. 2, 8; Gautier/Lamesch, Information Economics and Policy 2021, Bd. 54, 100890, 1–15; Kamepalli/Rajan/Zingales, Kill Zone, 2020; Bryan/Hovenkamp, University of Chicago Law Review 2020, Bd. 87, Nr. 2, 331; Bryan/Hovenkamp, Re-
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In jedem Fall werden Zusammenschlüsse in der Digitalwirtschaft, einschließlich etwaiger Killer Acquisitions, mit den in dieser Arbeit aufbereiteten Grundlagen zu Innovation, Innovationswettbewerb und den Auswirkungen von Zusammenschlüssen zwischen Innovationswettbewerbern künftig ebenfalls besser einzuordnen und zu erfassen sein. Mithilfe dieser Grundlagen können auch Zusammenschlüsse zwischen innovierenden Digitalunternehmen beziehungsweise deren (systematischer) Aufkauf auf strukturierte Weise untersucht und die jeweils kritischen Aspekte gezielt adressiert werden. Der direkte SIEICTest ist hierzu ohne Weiteres geeignet. Zu den wesentlichen Herausforderungen dabei zählt insbesondere die Identifikation von Digitalunternehmen als Innovationswettbewerber. Denn Innovationstätigkeiten und -prozesse sind in der Digitalwirtschaft weitaus weniger gut beobachtbar als etwa in der Pharmaindustrie.5 Umso mehr kommt es hier darauf an, geeignete Konzepte und Methoden zur Bestimmung der erforderlichen, digitalen Innovationsfähigkeiten zu entwickeln.6 Und als umso drängender erweist sich folglich die oben formulierte Forschungsagenda für eine künftige Auseinandersetzung mit dem Innovationswettbewerb. Die Bedeutung, die einem gesicherten Verständnis des Innovationswettbewerbs und seiner Funktionsweise zukommt, lässt sich zuletzt noch einmal mit dem zu Beginn dieser Arbeit bereits zitierten Schumpeter hervorheben: „Es ist jedoch noch immer die Konkurrenz innerhalb eines starren Systems unveränderter Bedingungen – namentlich der Produktionsmethoden und der Formen der industriellen Organisation –, die praktisch alle Aufmerksamkeit monopolisiert. In der kapitalistischen Wirklichkeit jedoch, im Unterschied zu ihrem Bild in den Lehrbüchern, zählt nicht diese Art von Konkurrenz, sondern die Konkurrenz der neuen Ware, der neuen Technik, der neuen Versorgungsquelle, des neuen Organisationstyps (zum Beispiel der größtdimensionierten Unternehmungseinheit) – jene Konkurrenz, die über einen entscheidenden Kosten- oder Qualitätsvorteil gebietet und die bestehenden Firmen nicht an den Profit- und Produktionsgrenzen, sondern in ihren Grundlagen, ihrem eigentlichen Lebensmark trifft. view of Industrial Organization 2020, Bd. 56, Nr. 4, 615; Caffarra/Crawford/Valletti, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 2, 13; Latham/Tecu/Bagaria, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 2, 26; Udekem/Mathur/Audenrode, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 2, 38; Pérez de Lamo, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 2, 50; Becker, ZWeR 2020, 365, 372–377; Minuto Rizzo, Journal of European Competition Law & Practice 2021, Bd. 12, Nr. 1, 4; McLean, Journal of Competition Law & Economics 2021, Bd. 17, Nr. 1, 141; Lemley/McCreary, Boston University Law Review 2021, Bd. 101, 1–101; grundlegend auch bereits Rasmusen, The Journal of Industrial Economics 1988, Bd. 36, Nr. 3, 281; anschaulich hierzu außerdem Wu/Thompson, The Roots of Big Tech Run Disturbingly Deep, The New York Times, 7. Juni 2019. 5 Crémer/Montjoye/Schweitzer, Competition Policy for the Digital Era, 2019, S. 120; Limarzi/Phillips, Antitrust Chronicle 2020, Bd. 2, Nr. 2, 7, 8 f.; Sokol, Florida Law Review 2020, Bd. 72, 1, 3; vgl. auch Lemley/McCreary, Boston University Law Review 2021, Bd. 101, 92 f.0 f.; siehe hierzu ferner Wu, The Curse of Bigness, 2018, S. 119–126. 6 Vgl. etwa Kerber in: Gerard/Rivery/Meyring, Dynamic Markets, Dynamic Competition and Dynamic Enforcement, 2018, S. 54 f.; Federico/Scott Morton/Shapiro, Innovation Policy and the Economy 2020, Bd. 20, 125, 150 f.; Kerber/Vezzoso, Dow/DuPont, 2019, S. 27 f.
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Diese Art der Konkurrenz ist um so viel wirkungsvoller als die andere, wie es ein Bombardement ist im Vergleich zum Aufbrechen einer Tür, und sie ist so viel wichtiger, daß es verhältnismäßig gleichgültig wird, ob die Konkurrenz im gewöhnlichen Sinne mehr oder weniger rasch funktioniert; der mächtige Sauerteig, der auf lange Sicht die Produktion ausdehnt und die Preise herunterdrückt, ist auf jeden Fall aus anderem Stoff gemacht.“7
7 Schumpeter, Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie, 2018, S. 117 f. (erstmals erschienen 1942).
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Verzeichnis der Materialien und Entscheidungen
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Verzeichnis der Materialien und Entscheidungen Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Konsolidierte Fassung, ABl. C 202 vom 7. Juni 2016, S. 47 [zitiert als: AEUV] Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates vom 21. Dezember 1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 395 vom 30. Dezember 1989, S. 1 [zitiert als: Fusionskontrollverordnung 1989] Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates vom 20. Januar 2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. L 24 vom 29. Januar 2004, S. 1 [zitiert als: Fusionskontrollverordnung] Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. Juni 2013, BGBl. I S. 1750, 3245, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Januar 2021, BGBl. I S. 2 [zitiert als: GWB] Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vom 18. April 2019, BGBl. I S. 466 [zitiert als: GeschGehG] Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft, ABl. C 372 vom 9. Dezember 1997, S. 5 [zitiert als: Bekanntmachung über die Definition des relevanten Marktes] Mitteilung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 81 EG-Vertrag auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. C 3 vom 6. Januar 2001, S. 2 [zitiert als: Horizontal-Leitlinien 2001] Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. C 31 vom 5. Februar 2004, S. 5 [zitiert als: Leitlinien zur Bewertung horizontaler Zusammenschlüsse] Bekanntmachung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 81 EG-Vertrag auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. C 101 vom 27. April 2004, S. 2 [zitiert als: Technologietransfer-Leitlinien 2004] Mitteilung der Kommission über die Verweisung von Fusionssachen, ABl. C 56 vom 5. März 2005, S. 2 [zitiert als: Mitteilung über die Verweisung von Fusionssachen] Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse gemäß der Ratsverordnung über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. C 265 vom 18. Oktober 2008, S. 6 [zitiert als: Leitlinien zur Bewertung nichthorizontaler Zusammenschlüsse] Mitteilung der Kommission über nach der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates und der Verordnung (EG) Nr. 802/2004 der Kommission zulässige Abhilfemaßnahmen, ABl. C 267 vom 22. Oktober 2008, S. 1 [zitiert als: Mitteilung über Abhilfemaßnahmen] Berichtigung der Konsolidierten Mitteilung der Kommission zu Zuständigkeitsfragen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. C 43 vom 21. Februar 2009, S. 9 [zitiert als: Mitteilung über Zuständigkeitsfragen] Mitteilung der Kommission – Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit, ABl. C 11 vom 14. Januar 2011, S. 1 [zitiert als: Horizontal-Leitlinien]
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Verzeichnis der Materialien und Entscheidungen
Mitteilung der Kommission – Leitlinien zur Anwendung von Artikel 101 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf Technologietransfer-Vereinbarungen, ABl. C 89 vom 28. März 2014, S. 3 [zitiert als: Technologietransfer-Leitlinien] EuGH, 31.3.1998, verb. Rs. C-68/94 u. C-30/95, ECLI:EU:C:1998:148 – Frankreich u. a./Kommission („Kali + Salz“) EuGH, 12.9.2000, Rs. C-180/98, ECLI:EU:C:2000:428 – Pavel Pavlov u. a./Stichting Pensioenfonds Medische Specialisten EuGH, 15.2.2005, Rs. C-12/03 P, ECLI:EU:C:2005:87 – Kommission/Tetra Laval EuGH, 10.7.2008, Rs. C-413/06 P, ECLI:EU:C:2008:392 – Bertelsmann u. a./Impala EuGH, 4.6.2009, Rs. C‑8/08, ECLI:EU:C:2009:343 – T‑Mobile Netherlands BV u. a./ Raad van bestuur van de Nederlandse Mededingingsautoriteit EuGH, Rs. C-376/20 P – Kommission/CK Telecoms UK Investments (noch anhängig) EuG, 6.6.2002, Rs. T-342/99, ECLI:EU:T:2002:146 – Airtours/Kommission EuG, 7.5.2009, Rs. T-151/05, ECLI:EU:T:2009:144 – NVV u. a./Kommission EuG, 7.6.2013, Rs. T‑405/08, ECLI:EU:T:2013:306 – SPAR Österreichische Warenhandels AG/Kommission EuG, 9.3.2015, Rs. T-175/12, ECLI:EU:T:2015:148 – Deutsche Börse/Kommission EuG, 28.5.2020, Rs. T-399/16, ECLI:EU:T:2020:217 – CK Telecoms UK Investments/ Kommission Europäische Kommission, 28.2.1995, M.555 – Glaxo/Wellcome Europäische Kommission, 28.9.1995, M.631 – Upjohn/Pharmacia Europäische Kommission, 17.7.1996, M.737 – Ciba-Geigy/Sandoz Europäische Kommission, 26.2.1999, M.1403 – Astra/Zeneca Europäische Kommission, 8.5.2000, M.1846 – Glaxo Wellcome/SmithKline Beecham Europäische Kommission, 22.5.2000, M.1878 – Pfizer/Warner-Lambert Europäische Kommission, 28.2.2001, M.2312 – Abbott/BASF Europäische Kommission, 9.8.2001, M.2517 – Bristol Myers Squibb/DuPont Europäische Kommission, 27.2.2003, M.2922 – Pfizer/Pharmacia Europäische Kommission, 24.11.2005, M.3928 – Teva/Ivax Europäische Kommission, 4.2.2009, M.5253 – Sanofi-Aventis/Zentiva Europäische Kommission, 3.8.2010, M.5865 – Teva/Ratiopharm Europäische Kommission, 9.8.2010, M.5778 – Novartis/Alcon Europäische Kommission, 29.7.2011, M.6278 – Takeda/Nycomed Europäische Kommission, 13.10.2011, M.6258 – Teva/Cephalon Europäische Kommission, 1.2.2012, M.6166 – Deutsche Börse/NYSE Euronext Europäische Kommission, 5.10.2012, M.6613 – Watson/Actavis Europäische Kommission, 5.8.2013, M.6969 – Valeant Pharmaceuticals International/ Bausch & Lomb Holdings Europäische Kommission, 28.11.2014, M.7326 – Medtronic/Covidien Europäische Kommission, 28.1.2015, M.7275 – Novartis/GSK Oncology Business Europäische Kommission, 28.1.2015, M.7379 – Mylan/Abbott EPD-DM Europäische Kommission, 4.8.2015, M.7559 – Pfizer/Hospira Europäische Kommission, 8.9.2015, M.7278 – GE/Alstom Europäische Kommission, 28.3.2017, M.7932 – Dow/DuPont Europäische Kommission, 9.6.2017, M.8401 – J&J/Actelion Europäische Kommission, 21.3.2018, M.8084 – Bayer/Monsanto
Sachverzeichnis Absorptive Capacity 33 f., 124 Actual Potential Competition siehe Wettbewerb, potentieller Aktionsparameter im Wettbewerb 56 f., 91, 94–96, 98 f., 103 Aneignung siehe Ertragsaneignung Anfechtung von Fusionskontrollentscheidungen 400 Angebotsumstellungsflexibilität 244 f. Barriers to Innovation siehe Innovationshindernisse Basic Research siehe Grundlagenforschung Bedarfsmarktkonzept 92 Bertrand-Modell 71, 73 Bestreitbarkeit von Marktanteilen 112 f., 136–138 Biosimilars 301–303, 326 f. Business Stealing 94 f., 178, 180–182 – innovationsbedingte BusinessStealing-Effekte 110–116 – Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte 189 f., 322, 332, 376 – Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte 196–198 Chicago School 73 f. Chief Economist 391 Cluster siehe Innovationscluster Commons-based Peer Production 47 Counterfactual 212, 214, 229 Cournot-Modell 71, 73 Demand Pull 139 f. Diffusion 42 f. Dimensionen siehe Wettbewerbs dimensionen
Disruption siehe Innovation, disruptive Diversion Ratio siehe Umlenkungskennziffer Dokumente, interne 263 f. Downward Pricing Pressure siehe Preissteigerungsdruck Dynamic Capabilities 34–37, 392 Effizienz 58–62 – dynamische 59 f., 213 – statische 58 f., 217 f. – Zielkonflikte 61 f. Effizienzgewinne 233 – dynamische 207–211, 283–286 – integrierte Prüfung in der Fusions kontrolle 288–290 – produktive 184 Entdeckungsverfahren siehe Wettbewerb als Entdeckungsverfahren Entry for Buyout 404 Entwicklung siehe Forschung und Entwicklung Erfindung siehe Invention Ertragsaneignung 116–130 – Aneignunsmechanismus 119 f., 122– 125 – Ertragsaneignung durch Patente 120 f. Escape-Competition-Effekt 111 Evolutionsökonomik 86 f., 91 f. F&E siehe Forschung und Entwicklung F&E-Pole 250 f., 278, 321 f. Fast-Second-Strategie 134 f. First-Mover Advantages 125–130, 158 Forschung und Entwicklung 25–29, siehe auch Innovationstätigkeiten – angewandte Forschung 28 – experimentelle Entwicklung 28 f. – in der Pharmaindustrie 304–307
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Sachverzeichnis
– Grundlagenforschung 26 f. Fusionskontrolle – Anfechtung von Entscheidungen 400 – Marktabgrenzung 270 f., 398 f. – Nachweisanforderungen 268–270 Generika 301–303, 326 f. Geschäftsmodellinnovation 20 Gleichgewichtstheorie siehe Neoklassik Gross Upward Pricing Pressure Index 187 Größenvorteile 208 f. Grundlagenforschung 26 f. Gut, öffentliches 119 Harvard School 68–73, 143 f. Hypothesentest siehe Wettbewerbs konzeption, dynamisch-evolutorische Imitation 18, 80, 119, 121, 124 Immediate Entrants siehe Angebotsumstellungsflexibilität Industrieökonomik – moderne, theoretische 74–77 – tradiotionelle, empirische 71 f., 143– 146 Ineffizienzen, dynamische 203 Informationsasymmetrie 122 Innovation – disruptive 21–24, 267 f. – geschäftsbezogene 19 f. – Geschäftsmodellinnovation 20 – inkrementelle 20 f., 342 – Konzept im Oslo Manual 16–18 – Marktkonzentration und Innovation 149 f. – New-to-world Innovation 17 f. – Open Innovation 46 – organisationale 19 – organisationsinterner Maßstab 17 f. – Produktinnovation 18 f. – Prozesshaftigkeit 40–43 – Prozessinnovation 18 f. – radikale 20 f., 343 – Unternehmensgröße und Innovation 146–149 – User Innovation 46
Innovation Diversion Ratio siehe Umlenkungskennziffer, innovationsbezogene Innovation Market Analysis siehe Innovationsmärkte Innovation Networks 46 f. Innovation Space siehe Innovationsraum Innovationsaktivität (Kennzahlen) 151– 153 Innovationsanreize 37–39, 110–142, 190 f. Innovationscluster 45 f., 203 Innovationsfähigkeiten 31–37, 260–263 – Absorptive Capacity 33 f., 124 – Dynamic Capabilities 34–37, 392 – Kategorien im Oslo Manual 32 f. – komplementäre 209 f. Innovationsgrade 20 f. Innovationshindernisse 107 f. Innovationsintensität von Industrien 168– 170, 341 f. Innovationsmärkte 252–256, 277 Innovationsmuster 170–175 Innovationsökonomik 86 f., 91 f. Innovationsoligopol 189 f., 219 f., 240, 259, 262, 293 Innovationsprozess siehe Innovation, Prozesshaftigkeit Innovationsrate 60 Innovationsraum 373 f. Innovationsrennen 101–103, 130–136, 198 f. Innovationstätigkeiten 24–31, 260–263, siehe auch Forschung und Entwicklung – Beobachtbarkeit 168 f. – gezielte und ungezielte 105 f. – Kategorien im Oslo Manual 30 – proaktive und reaktive 111 f. – Richtung von Innovationstätigkeiten 142, 204 f. Innovationswettbewerb – Facetten 96, 178 – Funktionsweise 95–110 – industriespezifischer 164–166 – auf Industrieebene 374 f. – zwischen Pharmaunternehmen 308– 310 – Konstellationen 109 f.
Sachverzeichnis
– potentieller 106–108 – produktmarktunabhängiger siehe Innovationsrennen – räumliche Dimension 267 Internalisierung innovationsbedingter Business-Stealing-Effekte 189 f., 322, 332, 376 Internalisierung preisbezogener BusinessStealing-Effekte 196–198 Invention 16, 42 Investition 31 Kannibalisierungseffekte 113–116, 178, 180–182 Kill Zones 404 Killer Acquistions – durch digitale Plattformen 403–405 – in der Pharmaindustrie 312 Knightian Uncertainty 48 f. Komplexität 42–48 Konkurrenz, vollkommene siehe Neoklassik Konzept der Wettbewerbsfreiheit 85 f. Lock-in 128, siehe auch Netzwerkeffekte Marktabgrenzung in der Fusionskontrolle 270 f., 398 f. Marktmachteffekt siehe Internalisierung preisbezogener Business-Stealing-Effekte Marktphasen siehe Wettbewerbsphasen Marktprozesstheorie siehe Wettbewerb als Entdeckungsverfahren Marktstrukturbetrachtung 232–234, 273 f. – innovationsspezifische Anhaltspunkte 277–280 – und dynamische Effizienz 275 f. Merger Rationale 282 Modell von Williamson 61 f., siehe auch Effizienz More Economic Approach 2, 77, 223 f., 235, 279, 290 Multi-homing 130, siehe auch Netzwerkeffekte Nachweisanforderungen in der Fusionskontrolle 268–270
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Nähe, wettbewerbliche 180–183, 192, 356 Neo-Schumpeter-Hypothesen 144 f., 196 – empirische Überprüfung 150, 153–156 Neoklassik 64–68 Netzwerkeffekte 127–130 Neuklassik siehe Konzept der Wettbewerbsfreiheit New-to-world Innovation 17 f. Obsoleszenz 141 f. Oligopol siehe Neoklassik Oligopolmärkte 179 f. Open Innovation 46 Originalpräparate 310–303, 321, 331 Oslo Manual 16–18, 30, 32 f. Paradigma, technologisches 160–162, siehe auch Potential, technologisches Pareto-Effizienz siehe Effizienz Patent siehe Ertragsaneignung durch Patente Patentrennen 101, siehe auch Innova tionsrennen Patentzitierungen 152 f., 376 Perceived Potential Competition siehe Wettbewerb, potentieller Pfadabhängigkeit 33 f., 160–162 Pharmaindustrie 106, 168, 170, 300 – Innovation und Wettbewerb in der Pharmaindustrie 301–313 Phasen siehe Wettbewerbsphasen Post-Chicago Economics 74–77 Potential, technologisches 140 f., 157, 160–163 Preemption-Strategie 132–134 Preissenkungsdruck siehe Preis steigerungsdruck Preissteigerungsdruck 185 f. Preistheorie siehe Neoklassik Primäreffekte 188 Produktinnovation 18 f. Prozesshaftigkeit von Innovation 40–43 Prozessinnovation 18 f. Reverse Engineering 123 Schadenstheorie 212, siehe auch Wettbewerbsschaden
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Sachverzeichnis
Schumpeter’sche Innovationsmuster siehe Innovationsmuster SCP-Paradigma siehe Struktur-VerhaltenErgebnis-Paradigma Sekundäreffekte 202 SIEC-Test 230 SIEIC-Test, direkter 257 f., 383–385, 393–395 Skaleneffekte 126 f. Spillovers, technologische 119 f., 194 f., 377 f. SSNIP-Test 254 Struktur-Verhalten-Ergebnis-Paradigma 68–70, 143 f. Studienphasen, klinische 305–307 Synergien 209 f. Technological Opportunity siehe Potential, technologisches Technologiemarkt siehe Wettbewerb auf gegenwärtigen Technologiemärkten Technology Push siehe Potential, technologisches Tendenz zur statischen Betrachtung 78 f., 235–238 Timing of Innovation 101 Tipping 129, siehe auch Netzwerkeffekte Trial and Error 52 f., 88, 141 Trittbrettfahren 119 f. Umlenkungskennziffer 184 f. – innovationsbezogene 192–194 Unsicherheit 48–53 – Knightian Uncertainty 48 f. – Trial and Error 52 f., 88, 141 Upward Pricing Pressure siehe Preis steigerungsdruck User Innovation 46
Variation und Selektion siehe Wettbewerbskonzeption, dynamisch- evolutorische Verbraucherwohlfahrt 61 f., 74, 76 f., 215–217, 233–235, 290 f. Vielfalt siehe Wettbewerbskonzeption, dynamisch-evolutorische Wechselkosten 127–130 Wettbewerb – Funktionsweise im Allgemeinen 93–95 – funtionsfähiger 68, siehe auch Harvard School – gegenwärtiger Produktmarktwettbewerb 99 f., 178, 241–245, 342, 355 – potentieller 246–248, 313 f., 321, 348, 373 – als Entdeckungsverfahren 84 f. – auf gegenwärtigen Technologie märkten 245 f. – wirksamer 80 f. – zukünftiger Produktmarktwettbewerb 98 f., 104 f., 249 f., 348 Wettbewerbsdimensionen 56 f. Wettbewerbskonzeption, dynamisch-evolutorische 87–90, 205–207, 279 f., 392 f. Wettbewerbsparameter siehe Aktions parameter im Wettbewerb Wettbewerbsphasen 82–84 Wettbewerbsschaden 217–219, 290–292, 381, siehe auch Schadenstheorie Wirtschaftsplankonzept 266 f. Wissensdiffusion 211 Zerstörung, schöpferische 80 Zusammenschlusswirkungen, unilaterale 179–183
Beiträge zum Kartellrecht herausgegeben von Michael Kling und Stefan Thomas
Mit der Schriftenreihe Beiträge zum Kartellrecht (BtrKR) führt der Verlag seine Tradition, Werke mit hohem wissenschaftlichem Anspruch zu veröffentlichen, für das Kartellrecht fort. Er bietet damit ein Forum für Monographien, Habili tationsschriften, herausragende Dissertationen und thematisch geschlossene Sammelbände zu zentralen und grundlegenden Fragen des Kartellrechts ein schließlich seiner europarechtlichen, internationalen und rechtsvergleichenden Bezüge. ISSN: 2626-773X Zitiervorschlag: BtrKR Alle lieferbaren Bände finden Sie unter www.mohrsiebeck.com/btrkr
Mohr Siebeck
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