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German Pages 333 [336] Year 2004
Ursula Kundert Konfliktverläufe
Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte Begründet als
Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker von
Bernhard Ten Brink und Wilhelm Scherer
Herausgegeben von
Ernst Osterkamp und Werner Röcke
33 (265)
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Konfliktverläufe Normen der Geschlechterbeziehungen in Texten des 17. Jahrhunderts
von
Ursula Kundert
≥ Walter de Gruyter · Berlin · New York
Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Wintersemester 2002/03 auf Antrag von Prof. Dr. Paul Michel und Prof. Dr. Manfred Beetz als Dissertation angenommen.
P Gedruckt auf säurefreiem Papier, E das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
ISBN 3-11-017991-1 ISSN 0946-9419 Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Copyright 2004 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Einbandgestaltung: Sigurd Wendland, Berlin
Vorwort Normen, wie sich Frauen und Männer einander gegenüber verhalten sollen, werden im 17. Jahrhundert von einer breiten Palette von Texten geschaffen und vermittelt. Ziel dieser Untersuchung ist es, an einigen aussagekräftigen Beispielen zu zeigen und zu erklären, wie solche Normen in barocken Gedichten, Landesordnungen, Witzen, Dramen, Katechismen, Briefstellern, Romanen, Predigten, Satiren, Eheschriften, Benimmbüchern und Erbauungsschriften geltend gemacht werden. In diesem Diskursgeflecht lassen sich dynamische Muster erkennen, die der Normenkonstruktion und -vermittlung dienen. Sie zeigen sich in den einzelnen Texten gleichsam als textinterne Choreographien, die in einem geregelten Ablauf Figurengruppen trennen und zusammenführen. Fünf verschiedene Konfliktverlaufmuster,1 so meine These, vermitteln in Texten des 17. Jahrhunderts Normen der Geschlechterbeziehungen: Ich werde sie Kompliment, Disputation, Verleumdung, Rehabilitation und Buße nennen. Diese Muster finden sich einzeln oder gehäuft in ganz unterschiedlichen Texten. Sie sind nicht an bestimmte Textsorten oder Diskurse gebunden. Meine Darstellung dieser Muster zielt darauf ab, in deren Variationen die Bandbreite der Vermittlungsmöglichkeiten abzustecken und Momente der Normenreflexion zu erkennen. Im ersten Teil dieser Untersuchung wird zuerst die Fragestellung, wie Texte des 17. Jahrhunderts Normen des gegenseitigen Verhaltens von Frauen und Männern immer wieder neu konstruieren, erläutert und theoretisch begründet. Das zweite Kapitel dieses Teils begründet die Auswahl der Texte und dient ihrer zeitlichen, räumlichen, materiellen und vor allem inhaltlichen Einordnung. Die diskurstypischen Schwerpunkte der Normeninhalte werden hier zur Orientierung umrissen, weil sich der Hauptteil der Untersuchung auf die Techniken der Normenvermittlung konzentriert. Im zweiten Teil wird die Fragestellung literaturwissenschaftlich konkretisiert und an Formulierungsvarianten des sechsten Gebots die These hergeleitet und begründet, dass die untersuchten Texte normative Ansprüche dadurch kenntlich machen, dass sie Beobachtungsinstanzen schaffen.
1
Def. s. S. 11 und 21.
VI
Vorwort
Der dritte Teil bildet den Fokus der Untersuchung: In ihm zeige ich, dass fünf Konfliktverlaufmuster die Normen der Geschlechterbeziehungen konstruieren und vermitteln. Der Akzent liegt darauf, welche Variationen dieser Muster möglich sind und in welcher Weise sie die Normenkonstruktion und -vermittlung dadurch reflektieren. Am Schluss werden die Ergebnisse der Analysekapitel in einer Synthese zusammengefasst. Gerade die Variationen der Muster müssen dabei aber notwendig herausfallen. Im Anhang werden die verwendeten Begriffe in Kurzdefinitionen erläutert. Im Anschluss sind zwei Gedichte abgedruckt, die im dritten Teil analysiert werden.
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V
Teil I: Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Grundlagen und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 2. Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 3. Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 4. Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Diskurse und Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Diskurs als Korpus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Diskurs als Zeitgespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Diskurs als Textgeflecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Formale Textbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. Inhaltliche Textbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Theologischer Diskurs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Politischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Ökonomischer Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Texte als diskursive Schnittpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Multimedialität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17 17 18 20 20 22 22 24 27 29 33
Teil II: Textinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 A. Ein Modell normativer Wirkung von Texten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fiktionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Textebenen als Hürden der Normenvermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39 39 39 40
VIII
Inhaltsverzeichnis
4. Rollenübernahme als Voraussetzung der Normenvermittlung. . . . . . . . . 42 5. Realismus oder performative Setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 6. Beobachtungsinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Definitionsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Figur als Äußerungsinstanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Adressierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Leseinstanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Fiktivierung der Leseinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Techniken der Breitenwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3. Techniken der gruppenspezifischen Zuschneidung . . . . . . . . . . . 3.2. Figuren als Adressierte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Beobachtungsinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Definitionsinstanz und Leseinstanz als Beobachtungsinstanzen . . . 4.2. Beobachtungsinstanzen auf Figurenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Wahrnehmende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51 51 54 57 57 59 60 60 63 65 65 68 71
C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75
Teil III: Konfliktverlaufmuster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 A. Kompliment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 1. Ritualisierter Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Ritualisierte Modifikation der Statusdefinition als Fiktionalisierung. . . . 84 3. Werberitual als Spirale von Verstoß und Sanktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Ohne Normenverstoß keine Werbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 5. Geschlechtsbezogene Asymmetrie der sozialen Verwirklichung. . . . . . . . 94 6. Prüfung des rituellen Wissens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 B. Disputation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ritualisierter Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Disputationsthemen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Heiraten oder nicht? – Eine unentscheidbare Frage . . . . . . . . . . . 2.2. Gleich zu Gleich? – Hierarchische Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Den Männern über- oder unterlegen? – Zwei komplementäre Kategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfung des rituellen Wissens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 108 110 110 113 115 119
Inhaltsverzeichnis
IX
4. Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Asymmetrische Topik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Geschlechternormen als Regeln der Güterabwägung . . . . . . . . . . 5. Disputationen über Disputationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
122 124 127 135 140
C. Verleumdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ritualisierter Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Text als Gerücht: Verleumderische Lesende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerücht als Textinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Unwiederbringlichkeit des verlorenen guten Rufes . . . . . . . . 3.2. Blick in die Gerüchteküche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Lektüre und Schreiben als soziale Wahrnehmung und Interpretation. . 4.1. Mediale Rücksichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Konstruktion von Tugend- oder Lasterhaftigkeit bei der Lektüre . 4.3. Konstruktion der eigenen Tugend- oder Lasterhaftigkeit beim Briefschreiben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gewissen zur Verhinderung von Gerücht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Sündigen im Denken, Tun und Scheinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Vorwegnahme verleumderischer Interpretation . . . . . . . . . . . . . . 6. Aktive Beeinflussung des Gerüchts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1. Manipulation des Gerüchts mithilfe von Interpretationsgleichungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2. Gerücht als objektive Information. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Geheimhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. 1. Pranger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2. Sündenböcke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3. Verbannung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
143 144 145 149 150 151 154 157 158
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D. Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wahrheitssuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Entscheidende Information. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Entscheidende Darstellung der Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reintegration durch Rehabilitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Neidlosigkeit als Zeichen der Reintegration. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Rehabilitation als Balance zwischen Schaden und Nutzen . . . . . . 2.3. Rehabilitation durch das Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Rehabilitation durch Eid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
187 187 187 194 195 196 199 204 206
159 160 160 161 165
X
Inhaltsverzeichnis
3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 E. Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ritualisierter Verlauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Reue als Mittel der normativen Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bußaufruf: Universale Beschuldigung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reue im engeren Sinne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. Zeichen der Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Sündenbekenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Bußkasuistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4. Einblick in seelische und körperliche Intimitäten . . . . . . . . . . . . . 4.5. Sozialpsychologie der Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Genugtuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1. Weltliche Buße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2. Buße für das Publikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vergebung im kleinen Kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
211 212 214 215 218 218 221 222 224 226 227 228 230 234 236
Teil IV: Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 A. Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normenanwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Konfliktverlaufmuster als normatives Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Soziale Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Dynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausschluss und Reintegration. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Gattungsübergreifende Muster. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Inferenzsteuerung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Intertextuelle Bezüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Geschlechterkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1. Dichotomien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2. Definitionsmacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3. Diskursabhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Ausblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
241 241 242 242 243 243 245 245 246 246 247 247 249 250
B. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253
Inhaltsverzeichnis
XI
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 A. Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 B. Textwiedergabe in Zitaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 C. Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 D. Bibliografie und Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Texte vor 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Bibliothekssigeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2. Korpus (mit Register) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Vergleichstexte (mit Register) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Texte nach 1800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Nachschlagewerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Monographien und Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
277 277 277 277 295 303 303 304
Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
Teil I Einleitung
A. Grundlagen und Fragestellung Wie werden Normen des gegenseitigen Verhaltens von Frauen und Männern in Texten des 17. Jahrhunderts gebildet und weitergetragen? – Bevor ich mich der Beantwortung dieser Frage zuwende, gilt es zu klären, welche Fragen darin nicht impliziert sind: Es geht nicht darum, wie sich Frauen und Männer im 17. Jahrhundert tatsächlich benommen haben. Das körperliche Verhalten hat sich unwiederbringlich verflüchtigt. Es geht auch nicht darum, wie Frauen und Männer dachten, sich einander gegenüber benehmen zu müssen. Es liegt auf der Hand, dass Gedanken noch viel unzugänglicher sind als körperliches Handeln. Schliesslich geht es ebenso wenig darum, auf welche Weise sie lernten, wie Frau und Mann sich benehmen sollten. Dass die Menschen im Deutschland des 17. Jahrhunderts dies hauptsächlich aus gedruckten Büchern lernten, ist höchst unwahrscheinlich, konnten doch zu Anfang des Jahrhunderts nur fünf Prozent der Bevölkerung – etwa 100 000 Personen – überhaupt lesen.1 Zu dieser lesenden Minderheit, die mehrheitlich aus Männern bestand, gehörten Angehörige des gehobenen Adels, Großbürger, höhere Beamte, Geistliche, Studenten und Handwerker.2 Die Lesefähigen konzentrierten sich damit in Städten und Höfen, aber auch dort konnten längst nicht alle lesen.3 Das Lesepublikum nahm unter massgeblichem Einfluss des Pietismus erst um 1700 merklich zu.4 Geschrieben wurden die Texte von derselben Gruppe. Das körperliche Verhalten, die verinnerlichten Normen und die Art und Weise, wie beides gelernt wurde, könnte aus den gedruckten Texten faute de mieux höchstens für die Führungsschicht in Städten und Höfen rekonstruiert werden. Dies ist jedoch nicht meine Absicht. Es geht ebenso wenig darum, die in den Texten enthaltenen Verhaltensnormen aus heutiger Sicht ethisch zu werten. Mir geht es nicht um das Verhältnis von Texten und Wirklichkeit, sondern um die Verhältnisse zwischen den Texten als Wirklichkeit. Es geht darum, wie – und nicht ob – gedruckte Texte im Zusammenhang mit anderen Texten normativ gewirkt haben mögen. Die Frage, ob die Texte die Gesellschaft tatsächlich bestimmten oder umgekehrt, interessiert hier nicht. Im Zentrum steht die Frage, mit welchen 1 2 3 4
Cersowsky, 1999, 198. Cersowsky, 1999, 198. Cersowsky, 1999, 198 erwähnt, dass in Berlin 1615 nur die Hälfte aller Bürger (und Bürgerinnen?) lesen konnten. Cersowsky, 1999, 199.
4
A. Grundlagen und Fragestellung
Mitteln Texte (als Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit) die einzelnen realen Lesenden überhaupt normativ beeinflussen könnten.
1. Norm Foucault hat die Art und Weise, wie Texte einander bestimmen, mit dem Begriff des Formationssystems bezeichnet.5 Das Formationssystem umfasst die Regeln, die festlegen, wie ein Text in einem Diskurs6 erscheinen kann. Entscheidend dafür ist seine relative Position zu anderen Texten und die relative Position des Diskurses zu anderen Diskursen. Nach Foucault gilt für Texte, was Saussure für sprachliche Zeichen allgemein formuliert hat: Das einzelne Zeichen erhält seine Bedeutung durch seinen Platz zwischen anderen Zeichen in einem Zeichensystem.7 Entscheidend ist die bedeutungsschaffende Differenz.8 Derrida hat darauf hingewiesen, dass diese Bedeutung keineswegs feststeht, sondern wegen ihres Beziehungs- und Verhältnischarakters dauernd im Fluss ist.9 Foucault hat sich für die Brüche und Widersprüche interessiert, die sich im selben Diskurs ergeben.10 Die Diskursregeln bestimmen sich also durch die Art und Weise, wie Texte sich zueinander in Beziehung setzen. Es sind Normen, die regeln, von wem an wen wie worüber warum und wann etwas geschrieben werden darf. Diese Normen legen auch fest, ob Frauen oder Männer als Figuren, Erzählerinnen und Erzähler, Autorinnen und Autoren als Äußerungsinstanzen für einen Text in Frage kommen und ob Texte und Textelemente an weibliche oder männliche Empfangsinstanzen gerichtet werden können. Sie bestimmen, welches Verhalten zwischen Frauen und Männern zur Sprache kommt und in welcher Form und mit welchem Stil dies geschieht. Sie legen schließlich einen Satz legitimer Gründe bereit, die für eine bestimmte Wahl ins Feld geführt werden können. Die Normen werden nicht von einer äußeren Instanz an den Diskurs herangetragen, sie sind im Gegenteil dessen eigenes, sich mit jedem neuen Text wandelndes Produkt. Damit ist klar, dass es hier nicht um vernünftig hergeleitete, gleich bleibende und in ein widerspruchsfreies System gebrachte Normen gehen kann. Soziologische Begriffe, welche die Norm als sozial geltende Regel fassen, scheinen meiner Frage näher zu liegen. Einen solch allgemeinen Normenbegriff hat zum 5 6 7 8 9 10
Foucault, 71995, 108. Vgl. zur Operationalisierung des Diskurs-Begriffes für diese Arbeit das Kapitel „Diskurse und Korpus“, S. 17. Saussure, 21967, Einleitung. Foucault, 71995, 98. Derrida, 1979, 164 f. Foucault, 71995, 96.
1. Norm
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Beispiel Durkheim, der Normen definiert als „jede mehr oder minder festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äußeren Zwang auszuüben“.11 Noch etwas schärfer formuliert es der Handlungstheoretiker Parsons, für den Handeln immer eine Bemühung ist, mit einer Norm übereinzustimmen.12 Auf meine Fragestellung übertragen ist jedes Schreiben oder Darstellen und jede (fiktionale) Handlung innerhalb des Textes gemäß diesem Ansatz ein Bemühen, einer Norm gerecht zu werden. Für die Normenvermittlung bedeutet dies, dass diese Handlung immer eine (mindestens) zweifache Absicht verfolgt: eine Norm zu vermitteln und einer (anderen) Norm zu entsprechen. Für beide, die Norm im Text und die Norm für den Text, gilt die interessante Zweideutigkeit von Norm, auf die Simmel hingewiesen hat: Norm hat die zweifache Bedeutung: einmal dessen, was allgemein generisch geschieht, dann was geschehen soll, wenngleich es vielleicht nicht geschieht. Diese Doppelheit mag den tiefen Zusammenhang haben, dass für den Einzelnen dasjenige die Norm im zweiten Sinne bedeutet, was Norm der Allgemeinheit im ersten ist.13
Was „allgemein generisch geschieht“, entspricht nicht unbedingt dem statistischen Durchschnitt, zum Beispiel von Wortverwendungen.14 Viel eher ist es ein Prototyp, dem Texte mehr oder weniger nahe kommen und der als (wandernder) Orientierungspunkt für Abweichungen Verwendung findet. Wie es den Turm, wie wir ihn uns prototypisch vorstellen, nie gegeben hat und nie geben wird, so wäre die Suche nach dem Tanzkompliment in Texten des 17. Jahrhunderts kaum erfolgreich. Obwohl das Tanzkompliment in Georg Greflingers Höflichem und Vermehrtem Complementier-Büchlein von 1648 diesem Prototypen vermutlich näher kommt als dasjenige im Poetischen Schertz-Gedicht der Witz- und Anekdoten-Sammlung Lustige Gesellschafft von 1660,15 so wäre es falsch, die Äußerungen des Komplimentierbuches als Norm und das satirische Kompliment als ihr (missglückter) Anwendungsfall zu betrachten. Diese Betrachtungsweise würde lediglich diejenigen diskursiven Regeln auch für die eigene Analyse der Textbezüge anwenden, die bestimmen, welche textlichen Verpackungen von Normen als prototypisch angesehen werden 11 12 13 14
15
Durkheim, 41976, 114. Parsons, 21949, 76 f. Simmel, 41964, 69. Darin ist auch Parsons, 1986, 221 gerade mit Blick auf Geschlechternormen zu widersprechen, der die Selbstverständlichkeit der Gültigkeit von institutionellen Normen damit begründet, dass die Mehrheit sie einhält. Greflinger, 1648, 74 f.: „Wie man nemblich habe eine sonderbare affection geschöpfft bey gegenwertigen ansehnlicher Tugendreichen Damen, daß sie nebst andern von Gott dem HErrn gezierten Tugenden, sonderlich der Demuth sich befleissiget, ihn des Tantzens nicht versaget, worüber er höchlich erfrewet, bedancke sich auch Ehrn-Dienstfreundlich für sothane affection, wolle es jederzeit höchlich zu rühmen und in Ehren zu verschulden geflissen seyn“. Tanzkompliment im Poetischen Schertz-Gedicht s. S. 93. Vollständiger Text im Anhang.
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A. Grundlagen und Fragestellung
beziehungsweise welche als Anwendung oder Abweichung gelten sollen. Deshalb werden hier auch nicht von vornherein literarische von anderen Texten in dem Sinne abgegrenzt, dass die einen grundsätzlich normativer wären als die anderen,16 sondern alle Texte – ob Landesordnung oder Gedicht – werden auf dieselbe Ebene gestellt, damit von da aus, im unvoreingenommenen Vergleich der Texte, ihr jeweiliger Beitrag zur Normenvermittlung erfasst werden kann. Eine Verhaltensnorm erscheint also als prototypischer Bezugspunkt im Diskursgeflecht, von dem sie entscheidend mitbestimmt wird. Jeder Text zeichnet sie jedoch anders, so dass ihre Bedeutung keineswegs textübergreifend eindeutig zu bestimmen ist, obwohl der Diskurs als Ensemble von Texten die Konturen entwirft, innerhalb derer die Verhaltensnorm ausgestaltet werden kann und soll. Dasselbe gilt für Textnormen.
2. Geschlecht Butler hat diesen paradoxen Effekt nicht für die Verhaltensnorm im Text, sondern für die Geschlechtsidentität (gender) eines Subjekts beschrieben: Das Subjekt richtet sich an der gesellschaftlichen Norm aus, Geschlecht zu werden, ja wird sogar erst Subjekt, indem es eine Geschlechtsidentität ausbildet. Gleichzeitig hat es aber selbst in den individuellsten Formen, in welchen diese Identität sichtbar wird, wiederum an der gesellschaftlichen Konstruktion der Geschlechtsnorm teil. Diesen Zirkel, der Geschlechtsnorm und Geschlechtsidentität untrennbar verbindet, bezeichnet Butler mit dem Begriff der Performativität.17 In Anlehnung an Foucault ist für sie das „Subjekt eine Folgeerscheinung bestimmter regelgeleiteter Diskurse“.18 In körperlichen Handlungen, gesprochener Rede, Gebäuden, in handschriftlichen und gedruckten Texten usw. konstituiert sich Geschlechtsidentität und wird die Geschlechtsnorm konstruiert. Diese zeichenhaften Erscheinungen sind auch Produkte des Diskurses. Subjekt und Text oder Geschlechtsidentität und Text oder Geschlechtsnorm und Textnorm sind demnach soziale Phänomene gleicher Ordnung. Beide Seiten dieser Paare sind Effekte von diskursiven Regeln und produzieren diese Regeln in performativer Weise immer auch mit. Wie lassen sich jedoch diese Normen im Text fassen? Welchen Zeichen kann überhaupt normative Bedeutung zugemessen werden? – Als Normen der Geschlechterbeziehungen sollen diejenigen gelten, die sich in eine Handlungsanwei16
17 18
Vgl. dazu Fricke, 1981, 44: „Die Befreiung von pragmatischen Einschränkungen des Sprechens ist also kein allgemeines Charakteristikum von Dichtung, sondern ein spezieller Kunstgriff eines Teils der Dichtung.“ Butler, 1997, 36. Butler, 82000, 213.
2. Geschlecht
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sung der Form ‚Frauen/Männer sollen gegenüber Männern/Frauen (nicht) x tun‘ umformulieren lassen. Subjekt der vorgeschriebenen Handlung ist eine abstrakt umschriebene Gruppe, die entweder zur Menge der Frauen oder zur Menge der Männer gezählt werden kann. Die Handlung wird gegenüber einer ebenso umschriebenen Gruppe des jeweils anderen Geschlechts ausgeführt. Zusammen bilden solche Verhaltensnormen einen Teil der Geschlechterrollen, des Bündels des von Frauen beziehungsweise Männern erwarteten Verhaltens. Damit Texte solche Verhaltensnormen formulieren können, müssen sie Subjekte, also handlungsfähige Einheiten, schaffen. Diesen Figuren wird im Gegensatz zu Butlers Subjekten nicht ein Körper aus Fleisch und Blut zugesprochen. Über Namen, Pronomina, Eigenschafts- und Handlungsstereotype kann ein Text den Figuren ein Geschlecht zuweisen. Im Gegensatz zu Menschen aus Fleisch und Blut müssen sie aber keines erhalten.19 Die geschlechtlich konnotierten Verhaltensnormen benötigen also einerseits geschlechtlich konnotierte Figuren, an denen sie formuliert werden können, und andererseits helfen sie mit, die geschlechtliche Konnotation der Figuren zu bewerkstelligen. Normen der Geschlechterbeziehungen bilden dabei jeweils einen Teil der geschlechtlichen Konnotation.20 Die Figuren können demnach mit Butlers Subjekten, die geschlechtliche Konnotation mit der Geschlechtsidentität in Analogie gesetzt werden. Geschlechtsidentität wird gemäß Butler nicht in einem einzelnen Einsetzungsakt geschaffen, sondern „durch die stilisierte Wiederholung“ von aufgeführten Handlungen „konstituiert“.21 Die Geschlechtsidentität eines Subjekts ist eine Wiederholung vorhergehender geschlechtsdarstellender Handlungen, indem die Körper sich, so Butlers Annahme, in einzelnen Handlungen zu „kulturell erzeugten Formen der Geschlechtsidentität (gendered modes)“ stilisieren.22 Körper sind also nicht Geschlecht, sondern handeln als Geschlecht, indem sie gesellschaftlich geteilte und zeichenhafte Formen verwenden. Butler erklärt mit diesem Modell, wie das scheinbar vordiskursive körperliche Geschlecht doch vom Diskurs bestimmt ist – und zwar von einem Diskurs, an dem der Körper selbst als kulturelles Zeichen teilhat. Der Begriff Performanz betont diese körperliche Seite der Bedeutungskonstitution. Für die Herstellung von Bedeutung im gedruckten Text ist jedoch der Begriff der Performativität angemessener, der – unabhängig vom Medium – den Hand-
19 20
21 22
Diesem fehlenden Zwang zur Anthropomorphisierung entspricht Hamburgers (21968, 113) Begriff der Erzählfunktion im Gegensatz zum Erzähler. Textverfahren wie Namen, Pronomina oder Körperbeschreibungen werden hier nicht analysiert, sondern als gegeben vorausgesetzt. Vgl. zu solchen Verfahren die Untersuchung von Stocker 2002 über die Verwendung von Kollokationen und Personenbezeichnungen zur Konstruktion weiblicher Stereotype in der Mädchenliteratur des 19. Jahrhunderts. Butler, 82000, 206. Hervorhebungen im Original. Butler, 82000, 206. Hervorhebungen im Original.
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A. Grundlagen und Fragestellung
lungsaspekt von Zeichen ins Blickfeld rückt.23 Der gedruckte Text ist zwar ein Medium, in dem sich Geschlecht darstellen und konstituieren kann, jedoch nicht in dem eben beschriebenen Sinne, dass sich damit ein Körper aus Fleisch und Blut als geschlechtlicher zur Geltung bringen würde. Der Text entspricht nicht dem Körper, sondern ist die zeichenhafte Oberfläche, die auf verschiedene Instanzen und damit (potentiell) auf verschiedene geschlechtliche Konnotationen verweist. Obwohl den Figuren der Körper fehlt, kann ihnen aber immerhin ein solcher samt Handlungen zugeschrieben werden; das heißt, Figuren können ihr Geschlecht zwar nicht verkörpern, wohl aber bedeuten, indem genau dieselben gesellschaftlich etablierten Bedeutungskomplexe (gendered modes) abgerufen werden wie bei der körperlichen Performanz. Das Geschlecht gewinnt hier die Bedeutung nicht im Medium der Körper, sondern im Medium der druckgeschwärzten Blätter. Die Geschlechterkonstruktion, die auch die kulturell-gesellschaftlichen gendered modes beinhaltet, ist auf der Ebene des Diskurses anzusiedeln: Sowohl einzelne Körper wie auch einzelne Texte und Textteile konstituieren ihre geschlechtlichen Bedeutungen in Bezug auf diese Geschlechterkonstruktion. Wie bereits beschrieben, ist diese jedoch nicht ein festes, abgeschlossenes System, sondern wird durch die Blickwinkel und Neuformulierungen von Körpern und Texten ständig neu definiert. Butler hat für die amerikanische und europäische Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts Geschlechternormen festgestellt, welche das auf gegenseitiger Ausschließlichkeit beruhende Zwei-Geschlechter-Modell und Heterosexualität fordern. Wenn hier das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern, das in den meisten untersuchten Zusammenhängen von heterosexuellem Begehren geprägt ist, ins Zentrum gerückt wird, dann deshalb, weil damit beide Geschlechter gleichzeitig und (wenigstens methodisch) gleichberechtigt in den Blick treten, nicht jedoch, um der normativen Forderung nach universaler heterosexueller Ausrichtung historische Legitimität zu verschaffen. Auch den anderen von Butler genannten Normen wird nicht vorschnell der Status einer anthropologischen Konstanten zugebilligt, sie werden vielmehr als historische Größen begriffen, welche die heutige mitteleuropäische Gesellschaft prägen, also als methodisches Problem: Die Konzeption und Formulierung dieses Buches beruht auf diesen Normen, ja es wäre ohne diesen Bezug gar nicht verständlich. Um Techniken der Normenvermittlung aufzeigen zu können, war es nötig, einen bestimmten Bereich von Normen auszuwählen. Normen der Geschlechterbeziehungen stehen deshalb hier im Zentrum, weil das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern in sehr unterschiedlichen Texten und Diskursen vorkommt. Diese Vorentscheidung enthält genau die genannten beiden Momente: Die Wahl dieser Normenart und ihre Begründung bestätigt wider Willen die Relevanz eines 23
Vgl. unten S. 11 f.
3. Konflikt
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Geschlechterunterschieds für sehr viele Diskurse. Auch die Annahme, dass sich Texte auf der Grundlage des Themas Geschlechterbeziehungen vergleichen lassen, unterstellt, dass es sich dabei um eine Konstante handelt. Dennoch, und das ist das zweite Moment, ermöglicht gerade diese Wahl, die diskursiven Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie die kulturelle Relativität solcher Normen aufzuzeigen. Indem aber historische Texte gerade auf die Art und Weise untersucht werden, wie sie Geschlecht mitkonstruieren, soll ein verfremdeter Blick auf das heutige Geschlechterverhältnis ermöglicht werden. Damit gilt auch für dieses Buch, was Butler für die Geschlechtsidentität festhält: „Eine Subversion der Identität“ (beziehungsweise der üblichen Geschlechtszuschreibungen in Texten) ist „nur innerhalb der Verfahren repetitiver Bezeichnung möglich“.24 Hier wird versucht, solche Problematisierungen „innerhalb der Verfahren repetitiver Bezeichnung“ in Texten des 17. Jahrhunderts zu finden und im 21. Jahrhundert selbst durchzuführen. Wie Bourdieu für seine Analyse der „Domination masculine“ die kabylischen Berber deshalb als Untersuchungsobjekt wählt, weil sich an einer fremden Gesellschaft die Konstruktionen von Geschlecht besser erkennen lassen, so kann auch die Untersuchung historischer Diskurse diesen „ethnologischen Blick“ auf die eigene Gegenwart schärfen, ohne dass sie eine ungebrochene Traditionslinie eines „natürlichen“ Geschlechterverhältnisses propagieren wollte. Bourdieu betont vielmehr, dass es darum gehe, die je historischen Mechanismen zu analysieren, welche es immer neu erlaubt haben, die Unterscheidung in Geschlechter und das von männlicher Herrschaft geprägte Geschlechterverhältnis als ahistorische, scheinbar natürliche Tatsachen zu etablieren.25
3. Konflikt Die normative Wirkung von Texten, so viel lässt sich vermutlich ahistorisch feststellen, ist immer dann am größten, wenn ihre Normativität gar nicht bemerkt wird und sie als Tatsachenberichte und wahrheitsgetreue Abbilder der Weltordnung durchgehen.26 Da Texte Produkte von Auswahl und Kombination sind, müssen sie gezwungenermaßen immer normativ wirken – und wenn es nur darum geht, dass sie der abstrakt umrissenen Leserinstanz nahe legen, das Vorliegende und nicht das 24 25
26
Butler, 82000, 213. Hervorhebung im Original. Bourdieu, 1998, 10 f. „l’histoire du travail historique de déshistoricisation ou, si l’on préfère, l’histoire de la (re)création continuée des structures objectives et subjectives de la domination masculine“, (90; Hervorhebung im Original). Vgl. auch hier die Analogie zum körperlichen Geschlecht, dessen ‚Natürlichkeit‘ erst seit Foucault (Das wahre Geschlecht. In: Über Hermaphrodismus, 1998, engl. 1980) unter Verdacht steht, ein diskursives Konstrukt zu sein, vorher aber als Tatsache behandelt wurde.
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A. Grundlagen und Fragestellung
an seiner Stelle auch Mögliche, nun aber nicht zur Sprache Gekommene zu lesen.27 Alle normativen Techniken zu beschreiben hieße, eine umfassende Pragmatik des schriftlichen Sprachgebrauchs zu entwerfen. Das ist hier nicht die Absicht, sondern es sollen Techniken beschrieben werden, die geeignet sind, den Lesenden Normen der Geschlechterbeziehungen bewusst zu machen. Normen treten immer dann aus ihrem mächtigen Schattendasein, wenn sich Normenverletzungen und -konflikte ereignen.28 Gemäß der entwicklungspsychologischen Analyse der Moralentwicklung von Kohlberg sind Konflikte für das Normenlernen besonders wichtig.29 Diese Momente der Infragestellung von Normen haben eine wichtige gesellschaftliche Funktion: Turner hat beide Momente in seiner Theorie des Sozialen Dramas in einem Ablaufschema verknüpft. Eine „öffentliche Verletzung der sozialen Regeln“ („Bruch“) führt zur „Krise“, in der die Gruppenmitglieder Partei ergreifen oder zu vermitteln suchen. „Bewältigungsmechanismen“ werden in Gang gesetzt und der Zeitpunkt für ein Ritual festgesetzt. Dieses zelebriert „die Werte, gemeinsamen Interessen und die moralische Ordnung“ mit dem Ziel, sie als allen zersplitterten Gruppen gemeinsame wieder einzusetzen und die kulturelle und moralische Gemeinschaft dadurch zu bestätigen.30 Das Soziale Drama endet mit der Versöhnung oder Trennung der Gruppen. Turner beansprucht für diesen Ablauf ahistorische Gültigkeit als „alle Zeiten überdauernde Form der Auseinandersetzung“31, wobei sich die kulturelle Ausgestaltung sehr wohl verändert.32 27 28
29 30 31 32
Vgl. zu ähnlichen normativen Effekten von Registern Kundert, 2001. Vgl. Habermas, 1983, 77 und Jauss, 1982, 759, der zusätzlich darauf hinweist, dass Normen den späteren Lesenden viel eher auffielen als den im entsprechenden Rollenverhalten und Wissen auch im Alltag eingebundenen. Die historische Distanz schafft demnach gerade die Voraussetzungen für erhellende Konflikte zwischen den Normen des Textes und denjenigen der sozialen Wirklichkeit der Analysierenden. Kohlberg, 1996, 170. Turner, 1995, 12. Turner, 1995, 14 f. Für die Auswirkungen des Sozialen Dramas auf die einzelnen Gruppenmitglieder zieht Turner Diltheys Begriff des Erlebnisses hinzu, das dieser in fünf Momente innerhalb einer Verlaufsstruktur gliedert: Auf eine Steigerung und Intensivierung der Wahrnehmung folgt die bildliche Erinnerung an vergangene Erlebnisse, auf die jedoch erst dann eine Reaktion folgt, wenn auch die damit verknüpften Gefühle wieder belebt werden. Dies führt zur Bedeutungsproduktion durch einfühlendes Nachsinnen über die zwischen vergangenen und gegenwärtigen Erlebnissen bestehenden Zusammenhänge. Das Erlebnis findet seinen Abschluss erst dann, wenn es „‚ausgedrückt‘, d. h. anderen […] auf verständliche Weise, sprachlich oder anders, mitgeteilt wird“ (Turner, 1995, 19). Obwohl dieser Erlebnisbegriff schon früh wegen seiner historischen und formalen Einschränkung der kulturellen Äußerungen kritisiert wurde, sind für die hier fokussierte Analyse von Verlaufsstrukturen als Sozialen Dramen, die nichts mit der Interpretation von Texten als Erlebnisdichtung zu tun hat, folgende Elemente hinsichtlich ihres Zusammenspiels in chronologischer Abfolge interessant: die Rolle der Wahrnehmung, der (bildlichen) Erinnerung, der Abhängigkeit der Reaktion von Gefüh-
3. Konflikt
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Turner weist selbst darauf hin, dass das Soziale Drama in der Krisenphase soziale Ordnungen und Normen öffentlich sichtbar macht und zur Disposition stellt.33 Das Modell für Turners Ablaufschema liefert die aristotelische Dramenlehre. In diesem Traditionszusammenhang zeigt sich eine Vorliebe, theoretische Überlegungen zur sozialen Wirkungsmacht von mündlichen und schriftlichen Texten am Beispiel und Modell des Dramas anzustellen. Schon im 17. Jahrhundert wird die aristotelische Theorie jedoch keineswegs nur auf die Tragödie bezogen.34 Die Aufführung (performance),35 für Turner insbesondere das „Experimentelle Theater“, kann darüber hinaus die Funktion des abschließenden Rituals übernehmen, indem darin etwas „wiedererlebt“ wird und zur kommunizierbaren Form gerinnt, das heißt (konventionelles) Zeichen wird.36 Turners Überlegungen und Analysen sind für die Analyse normativer Techniken in unterschiedlichen Texten und Textsorten des 17. Jahrhunderts deshalb fruchtbar, weil sie zeigen, dass es bei Normenkonflikten nicht einfach auf den inhaltlichen Gegensatz zwischen Normenverstoß und Norm ankommt, sondern dass Normenkonflikte Teil eines Ablaufs sind. Dieser verknüpft subjektive und soziale Handlungen. Die Textnormen, an denen sich die einzelnen dargestellten Abläufe orientieren, werde ich Konfliktverlaufmuster nennen. Dies sind die ritualisierten Strukturen, die als konventionalisierte Zeichen den Texten den Charakter von Turners abschließenden Ritualen verleihen. Es ist anzunehmen, dass nicht nur Dramen ähnliche Strukturen wie das Soziale Drama einsetzen, um Normen zu verhandeln und zu vermitteln. Wahrnehmung, Erinnerung, Gefühle, Intertextualität und Zeichenhaftigkeit werden auch von anderen Textsorten einerseits thematisiert und andererseits in der Formulierung der Figuren als Elemente der Produktion und Rezeption angelegt. Der Text kann in Analogie zu Turner als öffentlicher, von Zeichen geprägter Raum gesehen werden, in dem Soziale Dramen einerseits erzählt und dargestellt, andererseits erlebt werden. Die Texte formulieren solches Erleben des Schreibens und Lesens immer auch mit als im Text angelegte Fiktion produzierender und rezipierender Instanzen. Es geht hier jedoch nicht um eine Rekonstruktion der individuellen, räumlich und zeitlich punktuell festgelegten Produktion und Rezeption. Die performance der Texte im
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len, der Herstellung von Zusammenhängen und des intersubjektiven Austauschs (Turner, 20; die problematischen Konzepte der Einfühlung und der als möglich erachteten intersubjektiven Verständigung ja gar vom Künstler erahnter Tiefen des Lebens habe ich bewusst umformuliert). Zu Walter Benjamins Kritik vgl. Sauerland, 1972, 169. Auffällig ist die Ähnlichkeit dieses Erlebnisablaufs zum Konfliktverlaufmuster der Buße. Schrieb Dilthey hier eine christliche Tradition fort, oder handelt es sich bei beidem um einen Hinweis auf eine anthropologische Konstante? Victor Turner, 1995, 10. Vgl. das Kapitel „Textinstanzen“, S. 44. Victor Turner, 1995, 17. Victor Turner, 1995, 25.
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A. Grundlagen und Fragestellung
Sinne eines unwiederbringlichen Augenblicksphänomens37 interessiert hier nicht, sondern ihre Performativität. Wenn ich Butlers und Turners Konzepte auf Texte anwende, dann nicht in der Art, dass ich die körperliche Aktualisierung von sprachlichen Zeichen (performance) betrachte, sondern indem ich Texte in Analogie zu menschlichen Körpern setze: Die Texte sind performativ in der gleichen Art wie wirkungsmächtig handelnde menschliche Körper, als wirkungsvolle Zeichen im sozialen Raum. Allerdings sind nun tatsächlich nicht alle Texte gleich wirkungsvoll. Es macht aber keinen Sinn, Texte in performative und nicht-performative scheiden zu wollen. Dies hatte bekanntlich Austin im Sinn, als er performative von konstatierenden Äußerungen unterscheiden wollte, jedoch zum Schluss kam, dass jeder Sprechakt einen Handlungsaspekt aufweist, den er dann Illokution nannte.38 Performativität verwende ich deshalb als Begriff für ein sehr eng umrissenes Merkmalsbündel, das jedoch Stufen und Grade des Performativen zulässt.39 Mit performativen Äußerungen werden gleichzeitig diejenigen Handlungen vollzogen, die damit bezeichnet werden; sie sind also selbstreferentiell in Bezug auf die Handlung.40 Diesen Grad an Performativität erreichen nur sehr wenige Äußerungen, und er ist nur möglich in einem bestimmten situationalen Rahmen. Performative Äußerungen sind Deklarationen, das heißt sie lassen ihren Inhalt Wirklichkeit werden.41 Damit hängt zusammen, dass es nicht möglich ist, mit Deklarationen zu lügen.42 In einem allgemeinen Sinn verändern jedoch alle sprachlichen Äußerungen die Wirklichkeit, indem sie als Teil der Diskurse diese auch mitbestimmen. Wirklichkeit wird hier ausschließlich sozial verstanden: Wirklich ist, was wirkt. In diesem weiteren Sinne werde ich von ‚wirklichkeitsstiftend‘ und ‚verwirklichen‘ sprechen, wenn eine Äußerung von der Umgebung43 als Wahrheit akzeptiert wird. Lügen ist nur dann möglich, wenn eine von Diskursen unabhängige Wahrheit angenommen wird. Es geht deshalb um Abstufungen der institutionellen Untermauerung von Äußerungen: Manche Formulierungen sind tatsächlich institutionell so stark ver-
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Eming u. a., 2001, 217. König, „Performativ“ und „Performanz“, 1998, 60 f. Vgl. „Performativität als Kategorie […], die bestimmte Charakteristika von Handlungen und Prozessen erfasst.“ Eming u. a., 2001, 217. Bohle/König, 2001, 19. Bohle/König, 2001, 19. Bohle/König, 2001, 20. Es wird in dieser Untersuchung bewusst von (sozialer) Umgebung und nicht von Gesellschaft gesprochen, da Normen gerade in einer ständischen Gesellschaft nicht von allen Gruppen gleichermaßen geteilt werden müssen. Im Vergleich zum entsprechenden soziologischen Begriff der Gruppe evoziert Umgebung außerdem eine sinnliche Dimension der Sicht- und Hörbarkeit, was gerade in Bezug auf die normative Wirkung von Beobachtungsinstanzen wichtig ist, wie noch zu zeigen sein wird.
4. Forschungslage
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ankert, dass ihre singuläre Äußerung für alle Beteiligten deutlich und von einem Moment auf den anderen Wirklichkeit verändert. Da es hier um Texte geht, sind Institutionen vor allem Sprachkonventionen, die jedoch in der Regel im Zusammenhang mit anderen Ordnungen wie Kleidern, Gebäuden etc. stehen.44 So ist es nicht unbedeutend, dass sich Texte des Korpus auf die Institutionen Kirche, Gericht, Universität und Schule beziehen. Auch solchen Texten, die keine Deklarationen sind, sichert diese Anbindung eine gewisse Legitimation und Durchschlagskraft, indem auch eine außertextliche Durchsetzung der in den Texten formulierten Normen erwartbar ist, so dass die Perlokution, die erfolgreiche Wirkung auf die Adressierten, viel eher gesichert scheint. Die neue Kriminalitätsforschung betont allerdings, dass es einerseits selbst in diesen Institutionen vermutlich oft bei der Formulierung der Normen blieb und die Durchsetzung sehr situationsabhängig war, dass andererseits die soziale Gruppe eine mindestens so starke Normierungs- und Durchsetzungsmacht hatte wie die anderen Institutionen.45 Der Bezug auf kirchliche, gerichtliche und schulische Instanzen wird deshalb als diskursiver gefasst, dem außertextlichen perlokutiven Erfolg der normativen Äußerungen wird nicht nachgegangen, weil er aus der historischen Distanz kaum überprüfbar ist.46
4. Forschungslage In der Forschung über Texte des 17. Jahrhundert fehlt bisher eine gattungs- und diskursübergreifende Studie zu den Techniken der Normenvermittlung. Diese Untersuchung nimmt sich vor, dies in Bezug auf Normen der Geschlechterbeziehungen zu leisten. Sie kann dafür an Forschungspositionen unterschiedlicher Richtungen anknüpfen. Für die Zeit davor und danach liegen schon Arbeiten vor: Schnell hat in mehreren Publikationen gezeigt, wie Geschlechternormen in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texten je nach Diskurs verschieden thematisiert werden.47 Der Schwerpunkt seiner Arbeiten liegt dabei auf dem geäußerten Normeninhalt, der sich nach thematisch definierten Diskursen richtet. Im Kapitel über die verschiedenen Diskurse werde ich inhaltliche Vorlieben, was die Normen der Geschlechterbeziehungen betrifft, für das 17. Jahrhundert umreißen. Die Frage nach den Techniken der Normenvermittlung führt mich jedoch weg von den Inhalten der Geschlechternormen zu den Möglichkeiten ihrer wirksamen Produktion und Darstellung. Die grundlegenden Techniken der Normenvermittlung, die Konfliktver44 45 46 47
Zum Begriff der Institution s. Kapitel „Diskurse und Korpus“, S. 33. Schwerhoff, 2000, 52. Darstellungen von perlokutiven Effekten in der Rahmenerzählung werden aber als Hinweis auf die mögliche Wirkungsweise der Texte verwendet, s. Kapitel „Kompliment“, S. 101. In Schnell, 2002, findet sich auch eine ausführliche Darstellung der Forschungslage.
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A. Grundlagen und Fragestellung
laufmuster, laufen quer zu den Gattungen und zu den inhaltlich definierten Diskursen. Solche gattungsübergreifenden Sprachrituale hat Linke als Distinktionsmittel des Bürgertums für das 18. und vor allem das 19. Jahrhundert beschrieben. Den geschlechterbezogenen Normen für das Sprachverhalten wird dabei ein wichtiger Anteil eingeräumt. Linke geht in ihrer Analyse von einer adligen Benimm- und Körperkultur des 18. Jahrhunderts aus, die das Bürgertum des 19. Jahrhunderts in ein Mittel der sprachlichen Selbstdarstellung transformiere. Beetz stellt in seiner Monographie über gesellschaftsethische Literatur auch schon früher solche Paradigmenwechsel fest: Theoretische Äußerungen über das Kompliment höben in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Gegensatz zum Humanismus vermehrt dessen soziale Unterscheidungskraft hervor und um 1700 sei eine Wende zu einer eigenständigen Umgangskultur des Bürgertums erkennbar, die sich ausdrücklich von der Adelskultur absetze.48 Diese beiden Untersuchungen betrachten, auf welche sozialen Gruppen Sprachrituale bezogen wurden und welche historischen Veränderungen sich dabei ergeben. Meine Untersuchung bietet hingegen eine Quersicht durch die verschiedenen Textsorten und weist die Integrationskraft solcher Muster in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach. Aufgrund meiner Ergebnisse ist zu vermuten, dass sie als Herstellungsverfahren für Normen der Geschlechterbeziehungen weit langlebiger sind als ihre Zuordnung zu ökonomisch und politisch definierten Ständen und Schichten. In Bezug auf die historische Forschung ergeben sich Anknüpfungspunkte vor allem zu den Arbeiten von Burghartz, Dinges und Gleixner über die Ehe- und Unzuchtsgerichtsbarkeit, welche die soziale und kulturelle Konstruktion von Delikten betonen, den Blick also auf die sprachlichen und prozessualen Verfahren lenken. Der theoretischen Reflexion von Text- und Verhaltensnormen im 17. Jahrhundert wurde bereits viel Forschungsaufmerksamkeit zuteil; wichtig sind für diese Arbeit insbesondere die grundlegenden Untersuchungen zur Rhetorik und Poetik von Barner, Beetz, Dyck und Solbach. Ich werde diese Arbeiten um eine geschlechterbezogene Perspektive ergänzen und durch die Anwendung des erweiterten Literaturbegriffs Reflexionen über die Vermittlung von Geschlechternormen vor allem außerhalb von Poetiken und Rhetoriklehren aufspüren.
48
Beetz, 1990, 267 und 274.
5. Zusammenfassung
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5. Zusammenfassung Dieses Kapitel hat die Fragestellung formuliert, welche Techniken Texte des 17. Jahrhunderts verwenden, um Normen der Geschlechterbeziehungen und damit einen Teil der Geschlechternormen zu schaffen, weiterzutragen und zu verändern. Theoretische Grundlage dieser Fragestellung bildet die Definition von Norm als eines diskursiven Produkts und Motors. Diese Norm ist eine soziale Größe und umfasst sowohl die Vorschrift als auch den Prototypen als zwei Seiten einer Medaille. Normen der Geschlechterbeziehungen bilden einen Teil der konventionellen Darstellungsmittel (gendered modes), durch die sowohl Körper als auch Figuren geschlechtlich konnotiert und normiert werden können. Die Erweiterung von Butlers Theorie auf Texte schafft also eine analogische Brücke von körperlichen zu textlichen Zeichen und umgekehrt. Die Fokussierung auf den Konflikt wurde schließlich begründet mit seiner besonderen Bedeutung für die bewusste Normenkonstruktion, -vermittlung und -veränderung, nicht zuletzt durch ritualisierte Formen der Konfliktregelung.
B. Diskurse und Korpus Das Verhalten von Frauen und Männern wird in unterschiedlichen Zusammenhängen behandelt, die zu größeren Gruppen ähnlicher Perspektiven, Themen und Formen zusammengefasst werden können, zu Diskursen. In deren Verfahren und Strukturen definiert sich, wie Normen gebildet, weitergetragen und abgeändert werden.1 Hermanns schlägt vor, einen Diskurs in forschungspraktischer Hinsicht jeweils in drei Richtungen zu beleuchten: als Korpus, als Zeitgespräch und als Textgeflecht.2
1. Diskurs als Korpus Wenn wir vom Geschlechterdiskurs des 17. Jahrhunderts sprechen, haben wir „ein imaginäres Korpus“3 im Blick, das alle Texte, Gedanken, Musiknoten, Theateraufführungen usw. umfasst, die zum Thema der Geschlechterbeziehungen vorhanden waren. Vieles davon ist verschwunden. Wenn im letzten Kapitel von Diskurs gesprochen wurde, dann war damit ein solches imaginäres Korpus von einander ähnlichen Äußerungen in verschiedenen Medien gemeint. Das „virtuelle Korpus“4 umfasst nur die noch erhaltenen Äußerungen. Ich habe es außerdem zusätzlich eingeschränkt, wie ich unter dem Stichwort des Zeitgesprächs noch ausführen werde. Obwohl Verallgemeinerungen in der Literaturwissenschaft problematisch sind, kann das virtuelle Korpus als die Grundgesamtheit angesehen werden, auf die sich die allgemeinsten Aussagen dieser Arbeit beziehen. Gerade weil diese Untersuchung im Einzelnen keine Verallgemeinerbarkeit anstrebt, werden die sozialen, örtlichen und zeitlichen Parameter angegeben, über die hinaus nicht einmal eine Extrapolation der großen Linien sinnvoll wäre. 1 2
3 4
S. oben S. 17. Hermanns, 1995, 86 – 91 bezieht sich auf die historische Semantik. Seine Unterteilung ist auch für diese literaturwissenschaftliche Arbeit sinnvoll. Für die Aufgliederung des Korpus-Aspekts stützt er sich auf Busse und Teubert, 1994. Eine Zusammenfassung von Hermanns Vorschlag findet sich bei Wengeler, 2003, 163 – 167, der ihn zur Entwicklung seiner um den Begriff des Topos zentrierten diskursanalytischen Methode nutzt. Hermanns, 1995, 89. Hermanns, 1995, 89.
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B. Diskurse und Korpus
Die Menge der tatsächlich untersuchten Texte ist eine Stichprobe aus dem virtuellen Korpus. In der Bibliografie wird transparent gemacht, auf welchem „konkreten Korpus“5 die Aussagen dieser Arbeit beruhen. Was die Textvielfalt anbelangt, erhebt es den Anspruch, für das virtuelle Korpus repräsentativ zu sein. Die Stichprobe weist jedoch gewisse Lastigkeiten auf, die dadurch zu erklären sind, dass dort, wo literaturwissenschaftliche Überblicksdarstellungen bisher fehlten, mehr Primärtexte verglichen werden mussten. In diesem Kapitel wird vor allem im Abschnitt über die Multimedialität ausgeführt, in welchem Verhältnis das konkrete Korpus zu einem imaginären Geschlechterdiskurs des 17. Jahrhunderts steht: Um deutlich zu machen, dass hier nur ein Diskursausschnitt betrachtet wird, werden die Beziehungen der gedruckten Texte zu anderen Medien, Menschen und Orten des 17. Jahrhunderts skizziert. Zur Erleichterung der Darstellung wurden aus dem konkreten Korpus Leittexte ausgewählt, die bevorzugt als Beispiele verwendet werden. In den Abschnitten über die verschiedenen Diskurse werden sie vorgestellt. Bei ihrer Auswahl achtete ich darauf, dass sie zusammen das virtuelle Korpus gut repräsentieren. Welche Aspekte die einzelnen Leittexte abdecken, wird in den Abschnitten über die Diskurse beleuchtet. Der etwas detaillierteren Einbettung der Leittexte sind ebenfalls einige Schwerpunkte des konkreten Korpus geschuldet.
2. Diskurs als Zeitgespräch Obwohl es hier nicht um konkrete Rezeptionszusammenhänge geht, wurden die Texte so ausgewählt, dass der diskursive Zusammenhang nicht nur hypothetisch, sondern historisch wahrscheinlich ist. Es wird ein virtuelles „Zeitgespräch“6 rekonstruiert, das zeitlich, sprachlich, medial, konfessionell, geografisch und ständisch umgrenzt ist: Es geht um deutschsprachige Texte der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die dem protestantischen Stadtbürgertum in Mittel- und Norddeutschland – sowohl was die Produktion als auch was die Rezeption betrifft – zugeordnet werden können. Die eindeutige Dominanz der Ehe im Diskurs über das Verhalten zwischen Frauen und Männern ist dem protestantischen Gebiet geschuldet.7 Die Texte des Korpus beziehen die Verhaltensnormen auf Leute, die sich eine eigene Haushaltung und Bücher leisten sowie lesen und schreiben können. Der Einfachheit halber können sie Stadtbürgertum genannt werden, wenn auch der Adel in 5 6 7
Hermanns, 1995, 90. Hermanns, 1995, 88. Eybl, 1999, 410 hat auf die konfessionsspezifische Ausgliederung der erbaulichen Textsorten aufmerksam gemacht. Vgl. zum Einfluss der lutherischen Ehelehre auf die deutsche Ausprägung der Querelle des Femmes Bock/Zimmermann, 1997, 16 f.
2. Diskurs als Zeitgespräch
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Städten und auf dem Land mehrheitlich dazu zu zählen ist. Die Trennlinie zu den Verhaltensnormen für das höfische Umfeld ist jedoch je nach Textgruppe kaum zu ziehen: Die Hausväterliteratur, bei der es ausschließlich um die Einrichtung des eigenen Hausstandes und dessen wirtschaftliches Fortkommen geht, ist allerdings für die einzelnen Höflinge kaum relevant, die Briefsteller und Romane haben hingegen oft beide Rezipientenkreise im Blick. Gerade die Hofmannsliteratur ist in der Forschung Verhaltensliteratur par excellence geworden,8 was hier durch die ergänzende Betrachtung anderer Texte relativiert wird. Die Wirklichkeit und Legitimation stiftenden Techniken wurden für das 17. Jahrhundert mit Vorliebe an performativen Aspekten der höfischen Repräsentationskunst beschrieben.9 Dass sie auch in unscheinbareren Zusammenhängen ihre normativen Wirkungen entfalten, zeigt sich bei der Konzentration auf nicht spezifisch höfische Texte. Die Einschränkung auf deutsche Texte ist nicht so selbstverständlich, wie es scheinen mag; der gedruckte Diskurs über das Verhalten zwischen Frauen und Männern, der von stadtbürgerlichen Frauen und Männern rezipiert wurde, besteht zwar hauptsächlich aus deutschen Texten, aber auch aus lateinischen und vereinzelt französischen: Lateinische Schulliteratur enthält Normen der Geschlechterbeziehungen.10 Johann Gerhard schrieb sein Standardwerk zur lutherisch-orthodoxen Dogmatik, in dem er Geschlechterbeziehungen in den Kapiteln über die Sünden, über die zehn Gebote und über die Ehe thematisiert,11 selbstverständlich auf Latein. Für stets lateinisch abgefasste schulische und universitäre Disputationen wurden gerne Themen aus Theologie und Recht gewählt, welche die Geschlechterverhältnisse berührten.12 Explizite Verhaltensschriften gehören jedoch zu denjenigen Textsorten, die, um einen weiteren Adressiertenkreis zu erreichen, gern und früh ins Deutsche übersetzt oder gleich auf Deutsch verfasst wurden.13 Gerhards Dogmatik war als Auslegehilfe für Pfarrer gedacht und fand so Eingang in deutschsprachige Predigten. Disputationen wurden gerne in deutschen Satiren parodiert.
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9 10 11 12
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Den besonderen Aspekt der Geschlechterbeziehungen, insbesondere das weibliche Verhalten im höfischen Umkreis, behandelt Koloch, 1999. Zu Hofkultur und Literatur: Fues 1998, Conermann 1981 und Wieckenberg 1981. Zur Kritik am höfischen Verhalten: Kiesel 1979. Braungart, 1988 und Schmitt, 1997. Z. B. Erasmus von Rotterdam: ‚De civilitate morum puerilium‘ (1530) und ‚Colloquia familiaria‘ (1518) (Barner, 1970, 283 f., Chartier, 1987, 79). Johann Gerhard (1639): ‚De peccato originali‘, ‚De peccatibus actualibus‘, ‚De lege Dei‘, ‚De coniugio‘. Z. B.: Condisius, Godofredus; Bergmann, Johannes: ‚Disputatio philosophica de mulieribus‘, 1629. Drechsler, Jo. Gabriel; Mylius, Johannes Henricus: ‚De praejudiciis‘, 1675. Schultze, Georg: ‚De blanda mulierum rhetorica‘, 1678. Thomasius, Jacob; Sauerbrei, Johannes; Smalcius, Jacob: ‚De foeminarum eruditione‘ 1671/ 76. Vgl. dazu auch das Kapitel „Disputation“, S. 110. Zum Beispiel wurde Erasmus' von Rotterdam ‚De civilitate morum puerilium‘ (lat. 1530) schon 1531 ins Deutsche übersetzt.
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B. Diskurse und Korpus
In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts nahm die Produktion deutschsprachiger Bücher erheblich zu.14 Nun wurden auch Gedichte, Novellen und Romane direkt auf Deutsch geschrieben, die vorher häufig in einer anderen Sprache gelesen oder übersetzt wurden. Aus diesem Grund wurde die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts als Fokus gewählt, denn für die erste Hälfte hätte eine Beschränkung auf deutsche Texte zu starken Verzerrungen geführt. Übersetzungen und Adaptationen sind jedoch auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bei einem Literaturverständnis, das sich unter anderem auf Kompilation, Imitation und Variation stützt, eine Selbstverständlichkeit. Neben Latein ist Französisch gerade für Briefe und Romane eine wichtige Sprache und bleibt es bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Für das stadtbürgerliche Umfeld ist die französische Sprache aber weniger dominant als im höfischen Umkreis. Italienisch und Spanisch sind für die Verhaltensliteratur im engeren Sinne (z. B. Benimmbücher) wichtig, solche Werke gelangen jedoch oft über das Französische oder das Latein ins Deutsche.
3. Diskurs als Textgeflecht Der Blickwinkel des Textgeflechts lässt die Gemeinsamkeiten von Texten als Kriterien für einen Diskurs hervortreten: Texte desselben Diskurses gleichen sich in thematischer oder formaler Hinsicht, sie nehmen thematisch oder formal aufeinander Bezug. Im letzten Kapitel wurde dargelegt, dass Normen der Geschlechterbeziehungen in diesem Sinne diskursive Regeln mit doppeltem Gesicht sind: als Normen, die im Text formuliert werden, und als Normen, wie der Text zu formulieren sei. Meine Fragestellung zielt vor allem auf den zweiten, formalen Aspekt. Bei der forschungspraktischen Umsetzung der Fragestellung galt es demnach, diesen zweiten Aspekt als Variable zu konzipieren. Konstant gehalten und als beschränkendes Kriterium verwendet wurde deshalb der Normeninhalt: Es wurden nur Texte in das Korpus aufgenommen, in denen gegenseitiges Verhalten von Frauen und Männern thematisiert wird.
3.1. Formale Textbeziehungen Der formale Aspekt sollte hingegen möglichst vielfältig vertreten sein. Die Beschränkung auf eine Gattung hätte dies weitgehend verhindert. Ebenso problematisch wäre es gewesen, die Grenzen zwischen unterschiedlichen Vermittlungsarten 14
Um 1600 erscheinen im deutschen Sprachgebiet doppelt so viele lateinische Bücher wie deutsche, um 1650 gleich viele und am Ende des Jahrhunderts halb so viele (Cersowsky, 1999, 178).
3. Diskurs als Textgeflecht
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von vornherein entlang von Gattungsgrenzen zu suchen. Gerade für die Normenvermittlung unterschied die ältere Forschung säuberlich zwischen ‚literarischen‘ und ‚nicht-literarischen‘ Textsorten. Sie erhob zum Beispiel gerne Darstellungen in ‚nicht-literarischen‘ Texten zu Abbildern körperlich-tatsächlichen Verhaltens, was aber gerade in der Rechtsgeschichte nicht unwidersprochen geblieben ist.15 Längst hat es sich auch in der Literaturwissenschaft durchgesetzt, ‚literarische‘ Texte nicht mehr nur als freie Variationen und Gegenentwürfe von solcherart ermittelten ‚Tatsachen‘ abzuheben, sondern nach normativen Beziehungen zwischen verschiedenen Textsorten zu fragen. Diese Untersuchung geht allerdings noch einen Schritt weiter, indem sie auch nach dem normativen Beitrag literarischer Texte fragt und zu diesem Zweck grundsätzlich alle Texte über Geschlechterbeziehungen auf dieselbe Ebene stellt. Diese radikale Anwendung des erweiterten Literaturbegriffs ist für die Analyse der normativen Techniken deshalb wichtig, weil sonst bereits als Ausgangspunkt normative Gattungsunterscheidungen gewählt würden, die danach eigentlich nur noch bestätigt werden könnten. Es bestünde die Gefahr, dass diejenigen Textsorten, welche die diskursiven Regelmässigkeiten besonders prototypisch thematisieren, weiterhin allein für die normative Kraft dieser Muster verantwortlich gemacht und deshalb mit dem Etikett der normativen oder pragmatischen Textsorte versehen würden, während die (übrige) Literatur von diesem normativen Ruch weiterhin reingewaschen würde. Es wird hier deshalb auf diskursive Umstände fokussiert und nicht auf Textsorten und Gattungen. Diese sind teils historische normative Postulate, die in reiner Form nie als Texte existiert haben, teils Konglomerate von formalen Merkmalen, bei denen nicht klar ist, welches nun die unterscheidenden sind (Gedicht), teils Bezeichnungen für die erwünschte Rezeptionshaltung (Drama, Gebetbuch) oder den Inhalt (Katechismus, Briefsteller). Die historischen, damaligen Gattungsbezeichnungen sind allerdings insofern für die Normenvermittlung wichtig, als sie Erwartungshaltungen gegenüber einem einzelnen Text aufbauen. Trotzdem reichen sie nicht aus, um die normative Wirkung von Texten zu beschreiben. Dafür ist es nötig, diejenigen formalen und inhaltlichen Beziehungen zu ermitteln, die sich zwischen größeren Textgruppen ergeben und die für die normative Gestaltung der Geschlechterbeziehungen entscheidend sind. Sie werden im Folgenden Konfliktverlaufmuster genannt.
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Vgl. den diesbezüglichen Forschungsüberblick bei Schwerhoff, 2000, 1 – 66, insbesondere 29 f.
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B. Diskurse und Korpus
3.2. Inhaltliche Textbeziehungen Der Begriff des Diskurses im engeren Sinne wird im Folgenden hingegen – wie es sich gegen Foucault eingebürgert hat – für die inhaltlich bestimmten Textzusammenhänge reserviert. Obwohl es um die Techniken der Normenvermittlung geht, kann der Normeninhalt nicht vollständig vernachlässigt werden. Das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern kommt, wie zu erwarten, in sehr vielen deutschen Drucktexten des 17. Jahrhunderts vor: Es geht um das Verhalten von Liebesund Ehepaaren, etwas weniger um freundschaftliche und verwandtschaftliche Verhältnisse und kaum um Geschäftsbeziehungen zwischen einander sonst unbekannten Frauen und Männern. In den folgenden Unterkapiteln werden die drei Diskurse umrissen, die für die Formulierung von Normen der Geschlechterbeziehungen im 17. Jahrhundert am wichtigsten sind: der theologische, der politische und der ökonomische. Aus jedem Diskurs wurden Leittexte ausgewählt, um den Überblick bei der Darstellung der Konfliktverlaufmuster zu erleichtern. Sie werden vorgestellt, um ihren diskurstypischen Fokus auf das Thema der Geschlechterbeziehungen deutlich zu machen und um die Streuungen und Verflechtungen in und zwischen den Diskursen zu demonstrieren. Für die Diskurse sind diese Texte insofern repräsentativ, als sie die wichtigsten historischen Gattungen des jeweiligen Diskurses abdecken, die Geschlechterbeziehungen thematisieren. Die Diskurse überschneiden sich mitten in Texten; dass dies gerade für Normenkonflikte wichtig ist, führe ich an einem Beispiel vor.
4. Theologischer Diskurs Gemäß dem thematischen und institutionellen Blickwinkel, unter dem Texte das Verhalten zwischen Frauen und Männern behandeln, lassen sich verschiedene Diskurse zusammenfassen, die einander überschneiden: Geistlich, Seele, christlich und erbaulich sind die inhaltlichen Schlüsselwörter auf den Titelblättern des theologischen Diskurses. Die historischen Gattungsbezeichnungen, die einen Text diesem Diskurs zuordnen, heißen Katechismus, Predigt bzw. Sermon, Gebet, Betrachtungen, Buß-, Beicht- und Betbücher.16 Das Verhalten zwischen Frauen und Männern nimmt im theologischen Diskurs einen weitaus geringeren Stellenwert ein als das Verhalten des einzelnen Menschen gegenüber Gott. Weiteste Verbreitung genossen die Katechismen, weil sie als Schulbuch benutzt wurden. Luthers Kleiner Catechismus, der gattungsprägend wirkte, enthält folgende Teile: die Zehn Gebote, das 16
Zur Textsortengeschichte der protestantischen Erbauungsliteratur s. Pfefferkorn, 2002.
4. Theologischer Diskurs
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Glaubensbekenntnis, das Vaterunser, Erklärungen der Taufe und des Abendmahls, einen Segen, ein Dankgebet, die Haustafel mit den standesspezifischen Pflichten und eine Beichte. Weit ausführlicher kommt das Verhalten zwischen Frauen und Männern in Hochzeits- und etwas weniger in Leichenpredigten zur Sprache. Als Leittext für diese Gruppe wurde deshalb Heermanns Hochzeitspredigtsammlung Nuptialia, oder Hundert fünff und vierzig Christliche Treuungs Sermones von 1657 gewählt: Sie gliedert sich in fünf Teile, von denen der erste die Ehe anhand von Bibelversen erörtert, die hauptsächlich der Schöpfungsgeschichte entnommen sind; die anderen bieten Ehepredigten für vier verschiedene Berufsgruppen.17 Ehebücher wie der überaus beliebte Verus amor conjugalis von Abraham Hosemann vermitteln nicht nur christliche Ehelehre, sondern auch Ratschläge zur Brautwerbung.18 Als Leittext für all diejenigen Erbauungsschriften, welche die Ehe auf der allegorischen Ebene als Verbindung mit dem Bräutigam Christus thematisieren, wurde Johann Quirsfelds Gebet- und Gesangbuch Des Mit Jesu verlobten Tugendliebenden Frauen-Zimmers Allerschönster Seelen-Schmuck, Darmit sich Eine in Christo andächtige Seele zieren kan (21682) ausgewählt. Die Besonderheit dieses Erbauungsbuchs liegt darin, dass die allegorische Ebene der gezierten Seele mit der Anrede an lesende Frauen verbunden wird. Folgenden Kleidern wird jeweils eine Gruppe von Gebeten oder ein Seelengespräch zugeordnet: 1. Andächtigen Schlaff Habit. 2. Liebreitzenden Garten-Kleidern. 3. Zierlichen Tugend Kleidern. 4. Anständigen Standes-Habit. 5. Ehrliebenden Matronen-Habit. 6. Geringen Wittwen- und Wäysen-Habit. 7. Demüthigen Buß-Habit. 8. Keuschen Hochzeit-Kleidern. 9. Geistreichen Fest-Kleidern. 10. Schwartzfärbigen Trauer Kleidern. 11. Weissen Patienten Habit. 12. Erdfärbigen Sterbe Kleidern. (Inhaltsverzeichnis)
Diese Kleider werden jeweils mit Liedern (Geschmeide) ergänzt und beide Teile mit je einem Kupferstich illustriert. Illustrierte Heiligenviten, geistliche Emblembücher, Gedichte, Dramen und Romane bilden weitere zeitgenössische Gattungen, die auch schon anzeigen, wo die Überschneidungen zu Büchern nicht primär religiösen Inhalts liegen. Als Beispiele 17 18
Vgl. zu den Berufsgruppen und dem ausführlichen Titel im Kapitel „Buße“, S. 222. Mindestens 10 Auflagen von 1611 (Magdeburg) bis 1682 (Braunschweig und Frankfurt am Main). Verwendet wurde die Ausgabe von Kirchner, Magdeburg 1622.
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B. Diskurse und Korpus
dafür dienen Sibylle Schwarz’ Deutsche Poëtische Gedichte von 1650 und Christian Weises biblisches Drama Der keusche Joseph von 1690. Im zweiten Teil von Schwarz’ postum veröffentlichter Gedichtsammlung ist es zum Beispiel die Nachdichtung der apokryphen Susanna-Geschichte, welche einen Bezug zum theologischen Diskurs schafft. Umgekehrt verweisen Quirsfelds Seelenschmuck in den Gartengesprächen der Seele mit Jesus und Hermann Hugos geistliche Verwendung von schäferlichen Emblemkupfern in den Pia desideria emblematis von 1624 auf die Schäferliteratur, die in Schwarz’ Sammlung mit der Erzählung Faunus vertreten ist. Weises Drama verwendet Stoff aus der Josefsgeschichte, wählt daraus allerdings lediglich die Kapitel von der Verführung Josephs durch Potiphars Frau Seres bis zur Hochzeit mit Asnath (= 1 Mo 39, 7 – 41, 45). Der keusche Joseph erschien zusammen mit dem Drama Die unvergnügte Seele19 in einem Sammelband, der den mit einem Kupferstich illustrierten Titel Lust und Nutz der Spielenden Jugend trägt. Beiden Spielen vorangestellt ist eine Vorrede, darinnen von der Intention dergleichen Spiele deutlich und aus dem Fundamente gehandelt wird (Titelblatt). Im Gegensatz zum Bibeltext, bei dem Josef zwei unterschiedlichen Frauen gegenübersteht, von denen nur die Verführerin auch selbst handelt und etwas mehr Kontur gewinnt, multiplizieren in Weises Drama 44 namentlich genannte handelnde Personen die Begegnungen zwischen weiblichen und männlichen Figuren.
5. Politischer Diskurs Der politische Diskurs ist für die Normen der Geschlechterbeziehungen sehr wichtig. „Politisch“ ist im 17. Jahrhundert ein weiterer Begriff als heute, ja geradezu ein Modewort und umfasst sowohl die Bereiche des staatlich-institutionellen Handelns, die heute ebenfalls darunter gefasst würden, als auch karrieretechnisch geschicktes und schlicht öffentliches Verhalten.20 In seiner Nähe zum französischen poli ist es geradezu ein Synonym für Anstand und Benehmen.21 Die Techniken und Begriffe 19 20
21
Entgegen den Angaben auf dem gemeinsamen Titelblatt ist als zweites Drama in einigen Ausgaben ‚Der betrogene Betrug‘ beigebunden. Weise, (1976/1690), ‚Der keusche Joseph‘, 448. Vgl. den Artikel „Politicus“ in Zedlers ,Universallexicon‘, das häufige, aber gemäß Lexicon missbräuchliche Bedeutungen wie „Schmeichler“, „Betrüger“, „modischer Galan“ sowie die Bezeichnung „politische Studien“ tadelt, als richtige Bezeichnung hingegen anführt für „diejenigen, welche in öffentlichen Bedienungen, so nicht geistlich sind, stehen“ sowie für die Juristen (Bd. 28, 1741, Sp. 1528). Vgl. den Titel C. N. S., 1694, ‚Der Verliebten Jugend Vernünfftiger Hofmeister, Das ist: Kurzerjedoch gründlich deutlicher Unterricht, welcher Gestalt ein in dieser Politen Welt lebender Junger Mensch seine Liebe vortheilhafftig anfangen, vergnüglich fortführen, und höchst glücklich zum vorgenommenen Zweck bringen möge. Aus aufrichtigem Gemüt mitgetheilet‘.
5. Politischer Diskurs
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des politischen Diskurses sind stark von der Rhetorik geprägt, von der Kunst also, mit Worten und Gesten auf andere einzuwirken. Schlüsselwörter auf den Titelblättern sind hier Staat, Kanzlei, Konversation, Kompliment, Hof. Kategorien der ständischen Hierarchie wie Hohen Fürstlichen: So wohl auch Niedrigen und Gemeinen Stands Personen22 kommen in den Titeln sehr häufig vor.23 Während höflich in Texten, die positiv anleiten wollen, erscheint, weist das Stichwort politisch, wenn es in Titeln enthalten ist, meist auf satirische Texte hin, die jedoch inhaltlich hinsichtlich der Geschlechterbeziehungen meist dem ökonomischen Diskurs zuzuordnen sind (s. u.). Curiös und galant schließlich sind zwei Signalbegriffe dieses Diskurses, von denen der erste das Interesse an der Novelle, an der Zeitung im Sinne von Neuigkeit meint,24 während sich der zweite gerade auf das geschliffen-verführerische Verhalten zwischen den Geschlechtern bezieht und auch voyeuristisch entblößend bedeuten kann.25 Den unterschiedlichen Schattierungen dieses Begriffs entsprechen die ausgewählten Leittexte dieses Bereichs: Die Landesordnung von Sachsen-Gotha in der revidierten Fassung von 166626 regelt in einem geistlichen und einem weltlichen Teil Institutionen wie Kirche, Schulen, Gerichte, die Rechte und Pflichten der Untertanen, Handel und Gewerbe und führt die strafbaren Handlungen auf. Am Schluss des geistlichen Teils wird im achten Kapitel die Ehe behandelt, im vierten Kapitel des weltlichen Teils werden unter den Lastern und Misshandlungen auch Geschlechterbeziehungen aufgeführt. Es ergeben sich enge Bezüge zum theologischen Diskurs: Die Ehebestimmungen der zugelassenen Verwandtschaft, der Öffentlichkeit und des elterlichen Konsenses entsprechen zweien der Ehebedingungen, welche Johann Gerhards für das 17. Jahrhundert maßgebliche lutherische Dogmatik fordert.27 Das vierte Kapitel „Von Bestrafung unterschiedener Laster und Misshandlungen“ ist wie der Strafrechtskommentar im vierten Teil der Jurisprudentia Forensis Romano-Saxonica von Benedict Carpzov (1650) nach den Zehn Geboten eingeteilt.28
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24 25 26 27 28
Aus dem Titel des gattungsprägenden Buches von Greflinger (1648), ‚Höfliches und Vermehrtes Complementier Büchlein‘. Wenn auch zu beachten ist, dass es in allen Bereichen – vor allem auch in der Erbauungsliteratur in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – Mode wird, Texte nach ständischen Adressiertengruppen zu differenzieren, also zum Beispiel besondere Gebetbücher für hohe und niedere Stände herauszugeben (Pfefferkorn, 2002). Vgl. zu den in Richtung aufklärerische Wochenschriften des 18. Jahrhunderts weisenden Implikationen Timmermann, 1999, 31 f. Vgl. Wiggin, 2003, passim. Gedruckt 1667. Gerhard, 1639, ‚De coniugio‘, Bd. 7, Sp. 127. Den Hinweis auf die Bedeutung Carpzovs für die Strafrechtslehre des 17. Jahrhunderts verdanke ich Lothar Schilling.
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B. Diskurse und Korpus
Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspiele von 1644 und August Bohses Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst von 1692 vertreten als Leittexte denjenigen Teil des politischen Diskurses, der im Umkreis des Begriffs Conversation anzusiedeln ist. Dieser meint noch bis ins 18. Jahrhundert hinein den geselligen Umgang mit oder ohne Gespräche.29 Frauen und Männer begegnen sich in diesen Texten als werbende und umworbene Bekannte und Freunde. Harsdörffers Gesprächspiele stehen in der Tradition der italienischen höfischen Gesprächsrunden, wie sie Baldassare Castiglione mit seinem Cortegiano 1628 initiierte.30 Sie beschränken sich jedoch nicht auf den perfekten Höfling und die perfekte Hofdame, sondern entwickeln ein ständisch offeneres Bildungskompendium in Gesprächform.31 Das Wichtige an diesen Spielen ist nicht so sehr ihr Inhalt als vielmehr die Form; sie stellen Regeln auf, die von den Figuren befolgt werden.32 Bohses Briefsteller ist ein Vertreter jener reichen rhetorischen Beispielliteratur, wie sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in den verschiedensten, auf spezielle Adressiertenkreise zugeschnittenen Varianten erscheinen. Typisch für den galanten Zweig des politischen Diskurses sind die Titel dieser beiden Schriften, in denen Frauen als Adressierte genannt werden. Frauenzimmers Secretariat-Kunst enthält fast ausschließlich Liebes- oder genauer Werbebriefe von Männern mit den jeweiligen Antworten der Frauen.33 Durch die Beibehaltung von Namen entstehen briefromanähnliche Passagen, welche diesen Briefsteller in die Nähe der Romane rücken.34 Filip von Zesens Assenat; das ist Derselben und des Josefs Heilige Staths- Lieb- und Lebens-geschicht von 1670 ist eine Romanbearbeitung der biblischen Josefsgeschichte, die den ägyptischen Hof zum Hauptschauplatz der Handlung macht. Im Gegensatz zu Joachim Meiers Bearbeitung des Stoffes unter dem Titel Der Durchlauchtigsten Hebreerinnen Jiska Rebekka Rahel Assenath und Seera Heldengeschichte von 1697, die schon in der Titelgebung auf die modische höfische Heroinenliteratur verweist,35 ist hier das Verhalten des Protagonistenpaares Josef und Assenat deutlich bürgerlich-ökonomisch konnotiert, während bei Meier der höfisch-politisch-konversationelle Aspekt überwiegt.36 Dieser Aspekt ist allerdings in Zesens Werk we29 30 31 32 33 34 35
36
Linke, 1996, 132 f. Baldassare Castiglione (1628/1986), Il Cortegiano. Zeller, 1997, 536. Zeller, 1974, 6 f. Es gibt nur wenige Beispiele unter den fingierten Briefwechseln, bei denen die Frau den Initialbrief schreibt: „Rosette an Lysandern.“ (Nr. 153). Zu den normativen Auswirkungen dieser Briefromanpassagen vgl. Kundert, 2001. Die Mode kommt aus der französischen Romanliteratur, in der Heroinen vorkommen, „die durch Kampfesmut, Ausdauer und Tatkraft den männlichen Gestalten ebenbürtig gestaltet sind“ (Plume, 1996, 66). Als Beispiel: Bei Zesen begegnen sich die beiden in Assenats Vaterhaus, ohne viele Worte zu wechseln; bei Meier dagegen lernen sie sich während eines Spaziergangs im Gespräch kennen.
6. Ökonomischer Diskurs
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nigstens andeutungsweise durch das Paar der Königstochter Nitokris und des libyschen Prinzen ebenfalls vertreten. Zesens Assenat verbindet mit den anderen für den politischen Diskurs ausgewählten Leittexten, dass diese Texte den im höfischen Umfeld entstandenen Diskurs unter bürgerlicher Perspektive oder mit Einbeziehung der bürgerlichen Perspektive sehen und fortschreiben.37
6. Ökonomischer Diskurs Typisch für diesen Diskurs ist die Hausväterliteratur. Als Beispiel und Leittext wird hier Johannes Colerus’ gattungsprägende und seit 1591 immer wieder neu aufgelegte und ergänzte Oeconomia ruralis et domestica in einem Druck von 1680 verwendet.38 Diese Literatur leitet dazu an, wie ein Mann heiraten und sein Haus einrichten soll, damit Frau und Mann für das wirtschaftliche Gedeihen ihrer selbst, ihrer Kinder und der Hausangestellten sorgen können. Colerus’ Oeconomia, Oder Haußbuch (Titelvariante von 1627 des 1. Teils) thematisiert das Verhalten zwischen Frauen und Männern in Fragen des technischen, personellen, psychologischen und christlichen Managements des bäuerlichen und häuslichen Wirtschaftsbetriebes, zu dem Hausvater, Hausmutter, Knechte, Mägde und Kinder gehören, und des öffentlichen Ansehens von schwangeren Ledigen und Witwen sowie der Geburtsbegleitung durch den Ehemann.39 Schon der Titel Oeconomia deutet an, dass sich das Haußbuch in die Tradition von Aristoteles’ Politik stellt. Der Haushalt (oikós) dient als Teil der staatlichen Gemeinschaft (pólis) der Erhaltung der leiblichen Existenz: der Produktion von Gütern des körperlichen Bedarfs und der Reproduktion im Nachwuchs.40 Verstärkt wird diese Traditionslinie durch Johann Gerhard, der im Ehekapitel seiner lutherischen Dogmatik das Haus als dritte Herrschaftsordnung neben Kirche und Staat aufführt und Kirchen- und Hausämter parallelisiert.41 Johannes Riemers Politischer Stock-Fisch, der 1681 anonym erschien, parodiert die Anleitungen zum Heiraten für junge Männer, welche sich in Ehebüchern und in Hausbüchern wie dem Wegweiser zur Höflichkeit von 164642 finden, einer Übersetzung von Stefano Guazzos La civil conversazione von 1574. Entspre-
37 38 39
40 41 42
Vgl. die Thematisierung von Gelderwerb in Frauenzimmers Secretariat-Kunst Nr. 72. Frühere Ausgaben erschienen unter dem Titel: ‚Calendarium oeconomicum et perpetuum‘. 1. Teil, 1. Buch, Kapitel 2, 4 – 6, 8 – 10, 14; 2. Teil, 4. Buch, Kapitel 6. Andere auf Deutsch gedruckte Texte des medizinischen Diskurses wie zum Beispiel die Hebammenbüchlein haben sich als für Geschlechterbeziehungen wenig ergiebig erwiesen. Aristoteles, ‚Politik‘, 1. Buch, v. a. 1253b und für das Verhältnis zwischen den Eheleuten 1259a f. Johann Gerhard (1632), ‚De coniugio‘, Bd. VII, Sp. 1. In der 2. Ausgabe von 1665 befinden sich die Ratschläge zur Brautwerbung auf den Seiten 76 ff.
28
B. Diskurse und Korpus
chend ist das Werbeverhalten des Helden Solande und seiner verschiedenen Geliebten Hauptthema des Romans. Das Sexualverhalten, das in den Hausbüchern höchstens als Kinderzeugen erwähnt wird, findet hier etwas mehr Aufmerksamkeit.43 Die unter dem Pseudonym Johann Peter de Memel 165644 erschienene Witzund Anekdotensammlung Lustige Gesellschaft nimmt in denjenigen Witzen, Anekdoten und Hochzeitsgedichten, die das Verhalten zwischen Frauen und Männern betreffen, hauptsächlich das häusliche Zusammenleben der Geschlechter, das Werbeverhalten und die Folgen ausschweifenden Sexualverhaltens aufs Korn. (Zwei Gedichte daraus sind im Anhang abgedruckt.) Die satirischen Hochzeitsgedichte ernten wegen ihrer Anzüglichkeit oft Kritik.45 Auffallend ist, dass sowohl Schelmenromane als auch Witze häufig die Kenntnis der lateinischen Sprache als geschlechtsunterscheidendes Merkmal einführen. Als Literatur über Studenten und als Parodien gelehrter Textsorten sind sie Teil des sonst hauptsächlich auf Latein stattfindenden Diskurses der Universitäten.46 Unter den deutschen Satiren der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ist die große Zahl von Frauensatiren auffällig. Wenn es auch meist einseitig um angeblich typische schlechte Eigenschaften von Frauen geht, so betrifft der immer wiederkehrende Topos des Weiberregiments doch das Verhalten zwischen Frauen und Männern.47 Es geht um das Herrschaftsverhältnis im Haus, das typischerweise im ökonomischen Diskurs thematisiert wird. Häufig, das zeigt das Schlüsselwort Weiberregiment, wird dies jedoch mit einer satirischen Utopie eines staatlichen Matriarchats metaphorisch dargestellt. Der Übergang zu Texten mit nur leichten satirischen Merkmalen, welche die Beteiligung der Frauen an der staatlichen Herrschaft thematisieren, ist fließend.48 Diese Texte kennzeichnen sich häufig als Teil der Auseinandersetzung um die Minder-, Gleich- oder Mehrwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann, die heute als Querelle des Femmes bezeichnet wird.49 Obwohl die Querelle des Femmes eine alle
43 44 45 46 47 48 49
Stark pornografische Texte wurden nicht ins Korpus aufgenommen. Ich verwende die Ausgabe von 1660. Auch noch bei Hunold, 1713, Vorrede. Vgl. das Kapitel „Disputation“, S. 119. Vgl. Schnells, 1998 gerade für die Satire nützliche Unterscheidung in Frauendiskurs (172 – 177), Männerdiskurs (193 ff.) und Ehediskurs (248 ff.). Vgl. zum Verhältnis von Frauensatire und Querelle des Femmes Kundert, 2003. Vgl. zur deutschen Querelle des Femmes allgemein Bock/Zimmermann, 1997. Im 17. Jahrhundert sind die wichtigsten Referenztexte ‚Vom Adel und Fürtreffen Weibliches geschlechts‘ von Cornelius Agrippa von Nettesheim (lat. 1629, dt. 1540) und Valentinus Acidalius’ ‚Disputatio Perjucunda, Qua Anonymus probare nititur Mulieres Homines non esse‘ mit der entsprechenden Kritik von Simon Gediccus unter dem Titel ‚Defensio Sexus Muliebris‘ (beide Teile vereint z. B. in der Ausg. Den Haag, 91644).
7. Texte als diskursive Schnittpunkte
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drei Diskurse verbindende Auseinandersetzung ist und das Verhältnis der Fähigkeiten und Kompetenzen von Frau und Mann über Jahrhunderte immer wieder verhandelt, so thematisiert sie doch nicht im engeren Sinne das Verhalten zwischen Frauen und Männern beziehungsweise diejenigen Aspekte der Geschlechterrollen, die auf gegenseitiges Verhalten abzielen, sondern hauptsächlich die Rollenerwartungen an die Frau und zur Kontrastierung teilweise auch die Rollenerwartungen an den Mann. Es geht beispielsweise nicht darum, ob Frauen Männer unterrichten dürfen, sondern ob sie überhaupt unterrichten dürfen. Im politischen Diskurs deutet das Thema Weiberregiment auf die Frage hin, ob Frauen überhaupt regieren dürfen, nur im ökonomischen Diskurs wird unter dem Stichwort Weiberregiment verhandelt, wie Frauen sich gegenüber Männern zu verhalten haben.
7. Texte als diskursive Schnittpunkte Die Thematisierung und Darstellung von Normenkonflikten scheint eine der Möglichkeiten zu sein, verschiedene Diskurse in einen Zusammenhang zu bringen. Sowohl der thematisch definierte Geschlechterdiskurs als auch die später auszuführenden Konfliktverlaufmuster können als Interdiskurse bezeichnet werden, welche die soeben beschriebenen um Wissensgegenstände und außertextliche Institutionen gruppierten Diskurse vernetzen. Link fokussiert mit dem Begriff des Interdiskurses auf diesen institutionsübergreifenden Aspekt. Gerade in Normenkonflikten überschneiden sich oft verschiedene Diskurse.50 Von der Warte eines Interdiskurses aus können die in den vorhergehenden Kapiteln beschriebenen Diskurse zum Beispiel durch die Darstellung von Dilemma-Situationen einander gegenübergestellt werden. Die untersuchten Texte nutzen die Darstellung von Normenkonflikten nicht zuletzt als Mittel, die Diskurse gleichsam von außen, das heißt in konfliktiver Abgrenzung zu anderen Diskursen, zu definieren und immer wieder neu zu bilden. Im Assenat-Roman spielt sich der hauptsächliche Konflikt von Normen der Geschlechterbeziehungen in denjenigen Erzählteilen des dritten und vierten Buchs ab, in denen Sefira, die Frau des ägyptischen Fürsten Potifar, ihren Leibeigenen Josef zu verführen versucht. In diesem Konflikt nun überschneiden sich verschiedene Diskurse: Er spielt sich in einem Haushalt ab, in einem klar hierarchischen Verhältnis zwischen Hausherrin und Diener. Diese Konstellation verweist auf die Hausväterliteratur. Im Wegweiser zur Höflichkeit (21665) wird das Herrschaftsverhältnis dadurch herausgehoben, dass die Verhaltensanweisungen ständisch gegliedert werden: Auf die Regeln, wie der Ehemann sich gegenüber der Ehefrau zu verhalten hat, fol50
Link, 1988, 285 unterscheidet zwischen Spezialdiskurs (z. B. Medizin) und Interdiskurs (z. B. Sexualität).
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B. Diskurse und Korpus
gen diejenigen für das Verhalten gegenüber den Kindern, gegenüber dem Gesinde, unter den Kindern und unter dem Gesinde. Die Verhaltensanweisungen für den Herrschenden gegenüber dem Untergebenen stehen vor den Regeln, welche die Untergebenen im Umgang mit den Herrschenden zu beachten haben, den Schluss bildet das Verhalten zwischen Personen gleichen Standes.51 Aus der Sicht der Ökonomik besteht zwischen Sefira und Josef ein Herrschaftsverhältnis, was bedeutet, dass Josef Sefiras Befehle auszuführen hat. Darauf pocht Sefira: Wisset ihr nicht, daß ich eure Gebieterin bin, der ihr zu gehorsamen verpflichtet? Wisset ihr nicht, daß ihr mein Leibeigener seid, und ich macht habe euch frei zu laßen, und glükselig zu machen, oder aber zu strafen, ja selbst zu tödten, wie und wan es mir beliebet? (136)
Der im Roman dargestellte Normenkonflikt ist aber kein einfacher Anwendungsfall der in den Ökonomiken beschriebenen Regeln für die häusliche Herrschaft. Ein Vergleich mit Colerus’ Oeconomia fördert mehrere Unterschiede zutage: Die Oeconomia fordert von der Hauß-Frauen oder Hauß-Wirthin (I, 6, S. 5), dass sie Mägde und Knechte bei der Arbeit und in ihrem Lebenswandel beaufsichtigt, besonders achten soll sie darauf, dass jene nichts stehlen (I, 6, S. 5). In den Kapiteln über Knechte (I, 8) und Mägde (I, 9) wird man dazu ermahnt, Mägde und Knechte nicht miteinander sprechen und scherzen52 zu lassen, ja ihnen den Lohn erst am Schluss ihrer Dienstzeit zu geben, damit sie nicht heiraten und ausziehen, wenn man sie am meisten benötigt. Das Problem von möglichen Liebesbeziehungen zwischen der Hausfrau und einem Knecht wird nicht angesprochen, außer der allgemeinen Formulierung, dass eine Haußfrau […] fromm und gottsförchtig seyn, ihren Mann lieben und gerne beten, Zucht und Erbarkeit lieb haben, und so wol als ihr Hauß-Wirth den Kindern und Gesinde mit gutem Exempel vorgehen soll (I, 6, S. 5). Die Knechte sollen Gottsförchtig, nüchtern, wacker, treu und fleissig seyn (I, 8, S. 6). Der Haußwirt muss bei neuem Gesinde darauf achten, dass nicht die Knechte über die Herren, und die Mägde über die Frauen regieren wollen (I, 8, S. 7 und fast gleich I, 4, S. 3). Ein Herrschaftsverhältnis von Hausfrau zu Knecht kommt nicht vor. Diese Regeln werden von der Erzählinstanz ausgesprochen. In den Verführungsszenen des Assenat-Romans nun wird eine standesübergreifende Liebesbeziehung dargestellt, eine Beziehung zwischen Gebieterin und Leibeigenem in den Blick gerückt. Die weitgehende Reduktion des Schauplatzes dieser Verführungsgeschichte auf den häuslichen Rahmen und Sefiras ausdrücklicher Hinweis auf die häusliche Herrschaftsordnung stellen die Episoden in den inhaltlichen 51 52
Wobei auffällt, dass die Ehegatten im Gegensatz zu Geschwistern und Mägden und Knechten unter den Gleichgestellten keine Kategorie bilden. Scherzen hat im 17. Jahrhundert eine etwas andere Bedeutung als heute; es bezeichnet ein „Interaktionsmuster“ und wird gerne im Kontext der beziehungssuchenden Konversation zwischen Frauen und Männern verwendet, vgl. Linke, 1999.
7. Texte als diskursive Schnittpunkte
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Zusammenhang der Hausväterliteratur, in der eine solche Beziehung nicht vorgesehen ist. Aus der Sicht der Oeconomia erscheint deshalb die Verführungsbeziehung in der Assenat als etwas Anormales, Ungeregeltes. Im Gegensatz zur Oeconomia, in der die Normen von der Erzählinstanz geäußert werden, spricht in der Assenat eine Figur die Gehorsamsnorm aus. Dadurch wird sie einerseits in einen konkreten Handlungszusammenhang eingebettet, andererseits aber gerade dadurch auch relativiert. Aus der Sicht des theologischen Diskurses ist das häusliche Gehorsamsgebot weniger bedeutsam, obwohl sich über die Haustafeln der lutherischen Katechismen ein direkter Zusammenhang zur Ökonomie-Literatur ergibt.53 Für den theologischen Diskurs viel wichtiger als Josefs Ungehorsam gegenüber Sefira ist seine bewahrte Keuschheit.54 Josef gehört zum festen Exempelschatz, welchen die Predigtund Erbauungsliteratur zur Illustration dieser Tugend verwendet, zum Beispiel die Göttliche Liebesflamme von 1651, eine erbauliche Nürnberger Koproduktion von Johann Michael Dilherr, Georg Philipp Harsdörffer und Georg Strauch (75). Das Geschlechterverhältnis wird in den Haustafeln neben anderen Ständeverhältnissen erwähnt. Das Ehebruchsverbot hingegen, das als sechstes Gebot ebenfalls in allen Katechismen enthalten ist, bezieht sich ausschließlich auf die Geschlechterbeziehungen. Das sechste Gebot wird in der Assenat nicht wörtlich wiedergegeben, sondern in einem Bericht über Josefs Äußerung: Er erinnerte sie ihrer pflicht und ihrer treue, die sie ihrem Ehliebsten geschwohren. Er baht, sie möchte behertzigen, in was vor erschrökliche sünde sie beide sich stürtzten, im fal er ihren begierden gehorchete. Er mahlte ihr die strafe des Allerhöchsten, die darauf erfolgen würde, aufs greulichste vor. (123)
Die Worte sünde und Allerhöchsten sind Hinweis genug, dass hier der theologische Diskurs zum Tragen kommt. In der Auseinandersetzung zwischen Sefira und Josef, zwischen Gehorsamsgebot und Ehebruchsverbot werden also zwei Diskurse konfrontiert. Der Konflikt spitzt sich zur Güterabwägung55 zwischen den beiden Normen zu:56 Der Gehohrsam ist freilich eine tugend, antwortete Josef. Aber er mus zuförderst Gotte geschehen: und dann erst den Menschen. Befielet ein Mensch etwas, das wider Gottes gebot ist; so heist es man mus Gott mehr gehorchen, als den Menschen. (137)
Die theologische Norm siegt vorläufig. Gleich anschließend ändert Sefira jedoch ihre Taktik und argumentiert nicht mehr mit einer Norm, sondern gegen die normative Kategorie Tugend überhaupt:
53 54 55 56
Z. B. Luthers ,Kleiner Catechismus‘ von 1529, WA 30, I, 332a, 334a, 336a, 338a. Allerdings ist gemäß der lutherischen Zwei-Reiche-Lehre auch der weltliche Ungehorsam problematisch. I. S. v. Entscheidung, welcher von zwei oder mehreren Normen der Vorzug zu geben ist. Vgl. zur disputatorischen Gestaltung dieser Passage das Kapitel „Disputation“, S. 132 f.
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B. Diskurse und Korpus
was wolt ihr euch doch so viel auf die Tugend verlassen? Sie ist doch nur ein eiteles nichts, ein eingebildeter wahn, ein bloßes spiegelfechten. Kan dieses so gar nichtige ding euch wohl der leibeigenschaft entschlagen, wie ich kan? Kan es euch wohl befördern, und zu ehren helfen, als ich; wan ihr meinen willen volziehet? Ja wird euch eure Tugend wohl beschirmen, wan sich, eurer hartnäkkigkeit wegen, meine liebe in einen has veränderte, und ich bewogen würde mich erschröklich an euch zu rächen? […] Ich versichere euch, daß sie mehr, als alzuunmächtig sein würde. Darüm, mein liebster Engel, nehmet der gelegenheit war, die euch itzund von selbst in die hände fället. Verschertzt das glükke nicht, das euch itzund angeboten wird. Laßet uns mit wohllust unsere jugend ergetzen. (138)
Die Stichwörter, die hier auf den politischen Diskurs hinweisen, sind befördern, zu ehren helfen, gelegenheit und glükke. Sefira bringt hier Überlegungen zur Karriere und zur Optimierung des diesseitigen Lebensgenusses ein, die den in der Höflingsliteratur vertretenen Normen57 entsprechen: Josef soll die Situation mit Geschmeidigkeit zu seinen Gunsten optimal ausnützen – für sein diesseitiges Wohlergehen, das heißt für Leben, Liebe und Karriere. Leben, sexuelle Liebe und Karrieremöglichkeiten werden von Sefira der Keuschheitsnorm gegenübergestellt. Sie werden zwar explizit nicht als Tugenden, also als Normen, sondern als Güter angeführt, erhalten aber aus der Sicht des politischen Diskurses dadurch, dass sie dort als erstrebenswerte Güter gelten, trotzdem normative Bedeutung. Auch gegen diese politische Perspektive führt Josef die theologische Argumentation ins Feld: Ich weis sehr wohl, was meine gnädige Fürstin vor eine macht über mich hat. Aber darneben ist mir auch nicht unbewust, daß Gott noch mehr macht über uns alle habe: und daß sie keine macht hat mir ein haar zu krümmen, wofern es ihr Gott nicht zulesset. Solte sich dan ihre Liebe in einen Zorn verändern; so wisse sie, daß mir solcher zorn lieber sein wird, als diese sündliche Liebe, damit sie meine Keuschheit verfolget. […] Ich wil meinem Gotte, und nach ihm, meinem Fürsten getreu verbleiben bis in den tod. (138 f.)
Gemäß dem Gedankenbericht der Erzählinstanz sieht nun Sefira, dass weder mit Worten, Gebärden noch mit Schmuck etwas auszurichten ist und entschließt sich zur Gewaltanwendung (139), womit der argumentative, den Normenkonflikt thematisierende Teil zu Ende ist. Wie gezeigt, werden in diesem Teil die Argumente des ökonomischen und des politischen Diskurses zugunsten der von Josef vorgebrachten theologischen Argumente entkräftet. Die Erzählinstanz betont dieses Resultat, als Josef Sefiras Mantelgriff entfliehen kann: Und also behielt der erkaufte sein freies gemüht: der geliebte enhielt sich der liebe: der gebähtene ward nicht erbähten; und der ergriffene lies sich nicht 57
Am deutlichsten karrieristisch äußern sich Machiavelli im Principe (1532) und Eustache Du Refuges Traicté de la Cour ou Instruction des Courtisans (1618), der allerdings in der deutschen Übersetzung von Georg Philipp Harsdörffer (1655) abgemildert wurde.
8. Multimedialität
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halten (140). Doch die Position der Figur Josef verhält sich nicht so konsequent anti-politisch, wie es hier scheinen könnte; Josef berücksichtigt durchaus die Wirkung auf Drittpersonen und die Regeln zweideutiger Konversation, beides im politischen Diskurs wichtige normative Komplexe.58
8. Multimedialität Wenn bisher nur von gedruckten Texten die Rede war, dann nicht in der Meinung, dass Diskurse nur aus geschwärztem Papier bestünden. Im Gegenteil, Diskurse sind Äußerungszusammenhänge, in denen unterschiedliche Zeichen auf verschiedenen Datenträgern, also verschiedene Medien verknüpft werden: gesprochene Sprache, handschriftliche und gedruckte Texte, Bilder, Musik, zubereitete Gerichte, Plastiken, Architektur, Tanz, Zeremonielle usw. Charakteristisch für den einzelnen Diskurs sind auch seine bevorzugten Medien und die Art, wie sie miteinander kombiniert werden. In ihrer spezifischen Kombination und Organisation von zeichenhaften Äußerungen in verschiedenen Medien bilden die Diskurse Institutionen. Institutionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie normative Muster ausbilden, die Handlungserwartungen festlegen, dass sie mit Sanktionen verbunden werden und zur gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit geworden sind.59 Viele diskursive Ereignisse des 17. Jahrhunderts können nur noch aus Texten, die sie beschreiben, rekonstruiert werden. Obwohl es im Folgenden nicht um die Rekonstruktion des außertextlichen Bereichs von Institutionen geht, soll hier kurz beschrieben werden, welche institutionellen Zusammenhänge die untersuchten Texte entwerfen, welche intermedialen Verweise sie demnach enthalten. Diejenigen Texte des Korpus, die dem theologischen Diskurs zugeordnet werden können, tragen alle mehr oder minder zur Etablierung und Aufrechterhaltung der Institution Kirche bei. Andere Medien, die ebenfalls daran beteiligt, aber zum Teil flüchtig sind (wie gottesdienstliche Versammlungen, gesprochene Worte) oder hier nicht berücksichtigt werden (wie Kirchenarchitektur, Altarbilder, Kirchenmusik), gehören zum institutionellen Kontext der Texte und finden teilweise auch einen thematischen Niederschlag in ihnen. Von besonderer Bedeutung für die normative Wirkung von Texten sind die außertextlichen Sanktionen, die in einer Institution vorgesehen sind. In der Institution Kirche, das heißt durch den multimedialen kirchlichen Diskurs, wird im thematischen Zusammenhang mit dem Verhalten zwischen Frauen und Männern vor allem die gottesdienstliche Versammlung von Frauen und Män58 59
Vgl. Kapitel „Verleumdung“, S. 164. Definition gemäß Parsons, 1986, 218 – 221.
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B. Diskurse und Korpus
nern, die (mündliche) Predigt über richtiges Verhalten sowie das einzelne oder gemeinsame Gebet um Hilfe für richtiges gegenseitiges Verhalten thematisiert. Als Diskursmedium, das der Sanktion dient, erscheint in den Texten der öffentliche Tadel von der Kanzel. Von der Institution des weltlichen öffentlichen Lebens und der staatlichen Organisation, das heißt vom multimedialen politischen Diskurs, thematisieren die Texte ebenfalls andere Medien, in denen Normen der Geschlechterbeziehungen gebildet, verändert und weitergetragen werden: Unzuchtprozesse, Hochzeits- und Tauffeste und andere Gastereyen, Besuche und halböffentliche Zusammenkünfte, die der Conversation dienen, der mündliche Bericht der privaten Botinnen und Boten, vorgetragene Lieder. Sanktionsmittel sind der öffentliche Schuldspruch, Gefängnis, Geldbuße, Vertreibung, Tötung, die gesellschaftliche Ächtung. Im Bereich der Conversation sind es die kleinen Sanktionen, die jemanden sozial auf- oder abwerten, zusammengenommen aber entscheidend zur Performanz des Geschlechtes und des Standes beitragen. Sämtliche soziolektalen Differenzierungen, die in den Texten beschrieben, vorgeführt oder gefordert werden, können auch als solche Sanktionen angesehen werden. In der Institution des Haushalts bzw. vom ökonomischen Diskurs werden folgende anderen Medien angesprochen, die ebenfalls der Vermittlung von Normen der Geschlechterbeziehungen dienen: Die mündlich geäußerte Meinung der Eltern, Nachbarn und Verwandten, das Gespräch und der Streit zwischen Ehepartnern. Sanktionsmittel sind die negativen Äußerungen von Eltern, Nachbarn und Verwandten oder von Geschäftspartnern, was wirtschaftliche Nachteile mit sich bringt, und Schläge durch den weiblichen oder männlichen Ehepartner. Es ist bezeichnend für eine vormoderne Gesellschaft,60 dass die hier skizzierten Diskurse eng miteinander verflochten sind, sich thematisch, medial und formal nur schlecht voneinander scheiden lassen. Das bedeutet für den Inhalt der Normen der Geschlechterbeziehungen, dass verschiedene Diskurse nicht verschiedene Verhaltensideale propagieren. Das explizit geforderte Verhalten sowohl von Frauen gegenüber Männern als auch von Männern gegenüber Frauen gleicht sich durch alle Diskurse hindurch sehr stark und orientiert sich hauptsächlich an der Institution Ehe, die sich als lutherisches Heiratsgebot apostrophieren ließe.61 Deshalb werden hier auch nicht diese Normeninhalte zusammengetragen, sondern die Normativität von 60 61
Das meint jedenfalls Luhmann, 1997, 609 ff. Schnell, 2002 und 1998 und die Beiträge des Sammelbandes Schnell (Hg.), 1998, stellen in Bezug auf eheliche Umgangsnormen für den Untersuchungszeitraum vom Mittelalter bis 1700 allerdings kleine, jedoch regelmäßige Unterschiede in Abhängigkeit von Diskursen und Textsorten fest. Weniger textbezogen und deshalb nur für einen homogenisierten Überblick über die Normeninhalte konsultierbar ist die historische Monographie über die Geschlechterverhältnisse vom 15. bis zum 18. Jh. von Wunder, 1992.
8. Multimedialität
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Texten in zwei Richtungen untersucht: Durch welche Techniken schaffen einerseits Texte diese enge diskursive Verflechtung und normative Homogenität? Welche Techniken gibt es andererseits, um Verhaltensalternativen und Paletten von Rollenvarianten darzustellen?
Teil II Textinstanzen Dieser Teil beschreibt, auf welchen Textebenen geschlechtlich konnotierte Figuren angesiedelt werden und in welchen Beziehungen sie zueinander hinsichtlich der Normenformulierung stehen. Auf der Grundlage von Überlegungen, die in der Sprechakt-, Interaktions- und Erzähltheorie sowie in der Psychologie der Moralentwicklung gemacht wurden, stelle ich ein Modell für die normative Wirkung von gedruckten Texten auf. Wie sich das dadurch definierte Verhältnis zu den Lesenden sowie die entsprechenden Hürden und Erleichterungen der Normenvermittlung historisch ausprägen, zeige ich an Formulierungsvarianten des Ehebruchverbots. Der Fokus liegt dabei auf der Frage, wie die verschiedenen Techniken der Formulierung die normative Wirkung auf reale Leserinnen und Leser beeinflussen können.
A. Ein Modell normativer Wirkung von Texten 1. Normativität Wenn Texte als Zeichen angesehen werden, die der intersubjektiven Verständigung dienen, heißt das gleichzeitig, dass sie normativ sind, indem sie auf sozialen Konventionen beruhen und bei verschiedenen Lesenden ähnliche Reaktionen hervorrufen. Wie ähnlich sich diese Reaktionen sind, bestimmt den Normativitätsgrad von Texten. Dieser kann deshalb nicht unabhängig von Raum und Zeit ermittelt werden. Mich interessiert, wie die hier analysierten Texte auf Lesende des 17. Jahrhunderts hätten normativ wirken können. Sie tun es zunächst in einem ganz allgemeinen Sinn, indem sie sich als Zeichen ausgeben, auswählen und kombinieren. Dadurch verlangen sie, dass die Menschen ihnen gegenüber eine bestimmte Haltung, eine Lesehaltung, einnehmen, bestimmte Konzepte abrufen und sie in eine bestimmte Verbindung zu anderen Konzepten bringen. Sie steuern demnach das Denken beim Lesen.1 Diese Art der Normativität ist für meine gesamte Analyse wichtig, in diesem Kapitel soll aber vor allem untersucht werden, wie sich die Steuerung des Denkens auf das übrige Handeln der Lesenden auswirken könnte, wie Texte Normen so formulieren können, dass sie die Lesenden auf sich beziehen und glauben, danach handeln zu müssen.
2. Fiktionalität Der Gegenbegriff zu Normativität ist Fiktionalität. Je weniger ein Text den Lesenden vorschreibt, welche Konzepte sie bei der Lektüre abrufen sollten, desto fiktionaler ist er. Jeder Text ist in diesem Sinne fiktional, im umgekehrt proportionalen Verhältnis zu seinem Grad an Normativität. Um Texte in Analogie zur Kommuni1
Meine Fassung der Normativität beruht auf Überlegungen Isers, 1991, 24 – 51: Er beschreibt drei „Akte des Fingierens“: Selektion, Kombination und Selbstanzeige. Diese produktionsseitigen Festlegungen bestimmen, was die Lesenden aus ihrem Weltwissen hinzuziehen, welche Fiktion sie anstellen können. Iser behauptet, dass sich dies nur in manchen, nämlich „fiktionalen Texten“ so verhält. Ich denke aber, dass die drei Akte in gradueller Abstufung an der Produktion jedes Textes beteiligt sind und dass sich daher nur verschiedene Grade von Normativität beziehungsweise ihres Gegenstücks, der Fiktionalität, feststellen lassen. Vgl. dazu Kundert, 2001.
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A. Ein Modell normativer Wirkung von Texten
kation zwischen sprechenden und hörenden Körpern verstehen zu können, braucht es einigermaßen anthropomorphe Konzepte, die von den Textverfassern mit Worten umrissen werden und die sich die Lesenden aufgrund dieser Worte vorstellen. Ich bezeichne diese Konzepte im Sinne eines Oberbegriffs als Textinstanzen. Das Schreiben und Lesen von Texten funktioniert dadurch, dass wir uns Instanzen vorstellen, die etwas sagen, und solche, die dies aufnehmen. Das ist sowohl auf schreibender als auch auf lesender Seite eine fiktionale Leistung.2 Diese Textinstanzen sind dabei verschieden leicht mit historischen Menschen in Verbindung zu bringen; das Spektrum reicht in den untersuchten Texten vom Herzog Ernst von Sachsen, der in vielen anderen Texten ebenfalls genannt wird und deshalb heute als historische Person gilt, bis zur Äußerungsinstanz, die hinter dem Titel Fürstliche Sächsische abermals verbesserte Landes-Ordnung zu vermuten ist, der jedoch über ihre implizierte Äußerungsfähigkeit hinaus keine weiteren Eigenschaften zugesprochen werden können. Dafür, dass Aussagen zu Aufforderungen werden, sind gemäß dieser Fassung der Fiktionalität sowohl diejenigen, die sie schreiben, als auch diejenigen, die sie lesen, verantwortlich. Sowohl die Formulierung hat einen Einfluss darauf als auch die Art und Weise, wie sie wahrgenommen wird. Es verwundert deshalb nicht, dass Iser, der die „Appellstruktur“ von literarischen Texten untersuchte, gleichzeitig auf die kreative Rolle der Rezipierenden aufmerksam machte.3 Eine Analyse, welche die normative Wirkung eines Textes allein dadurch zu bestimmen sucht, dass sie ein Aussagesubjekt und eine ihm zugehörige Intention konstruiert, wird in diesem individualistischen Modell der sozialen Situation nicht gerecht, in der Normen notwendigerweise formuliert werden müssen, weil sie konventionelle und nicht individuelle Phänomene sind. Die folgenden drei Unterkapitel behandeln deshalb insbesondere die Frage, wie in Texten diese soziale Ebene der konventionellen Geltung von Normen erreicht werden kann.
3. Textebenen als Hürden der Normenvermittlung Bei einer mündlichen Aufforderung sind die situativen Umstände wie Raum oder Körper neben und unabhängig von der sprachlichen Äußerung vorhanden. Die Formulierung des mündlichen Textes und die Verstehensleistung beziehen diese Umstände mit ein und berücksichtigen sie mehr oder weniger.4 Der (gedruckte)
2 3 4
Vgl. Iser 1991, 18 – 51. Iser, 31990 und 1970. Goffmann 1977 weist mehrfach darauf hin, dass die Rahmen, welche Menschen für die Regelung der Interaktion mit anderen und für ihr Verständnis der Welt entwerfen, auch bedeuten können,
3. Textebenen als Hürden der Normenvermittlung
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Text ‚weiß‘ nichts von der Situation, in der er zum kommunikativen Medium werden wird. Er entwirft dafür selbst Situationen, die mit der realen Lesesituation kaum je übereinstimmen, so dass sie für den Lesenden immer bis zu einem gewissen Grad fiktiv und damit unverbindlich sind. Der Text muss seine Relevanz für eine konkrete soziale Situation der Lesenden zuerst beweisen. Diese Fiktivitätshürde besteht nicht nur zwischen Text und sozialer Wirklichkeit, sondern auch zwischen Text und Text im Text. Genette und Pfister haben für den Erzähltext beziehungsweise für das Drama ein Modell von Textebenen aufgestellt.5 Der Äußerungsinstanz auf der obersten Textebene kommt dabei ein logisch privilegierter Status zu, weil ihre Aussagen notwendig wahr sind: Die Lesenden müssen sie (zumindest vorläufig) glauben.6 Diese Definitionsinstanz wird von der Erzähltheorie als Erzählinstanz ausführlich behandelt. Es gibt sie jedoch nicht nur in Erzähltexten, sondern in allen Texten. In narrativen Texten wird sie gerade dann besonders deutlich, wenn sie als Fiktionalitätssignal eingesetzt wird: Über die Gestaltung dieser Instanz kann ein Text deutlich machen, dass er auf beliebigen Setzungen beruht und dass sein Inhalt nur im und durch den Text wirklich ist.7 Auch Dramen haben eine solche Definitionsinstanz: Sie kann so ausgestaltet sein, dass sie Akt- und Szeneneinteilung, Namen der Sprechenden und Szenenanweisungen formuliert.8 Neben der Definitionsinstanz sind auf der Definitionsebene auch die Leseinstanzen anzusiedeln. Es sind diejenigen Instanzen, die der Text entwirft, indem er für die Lektüre vorgesehen ist. Die Rezipierenden, die sich außerhalb des Textes befinden, werde ich als Lesende bezeichnen, die durch den Text entworfenen Leseinstanzen. Die Definitionsinstanz entwirft eine weitere Textebene, die mit (Binnen-)Figuren bevölkert ist, die Figurenebene. Die Figuren können wieder neue (Binnen-)Figurenebenen entwerfen. Diese Textebenen lassen sich mit Zwiebelschalen vergleichen, die immer noch eine weitere umhüllen können:9
5
6 7 8 9
dass gewisse Kategorien von Menschen oder Gegenständen systematisch übersehen werden. Für mündliche Erzählungen und Zitate gilt aber auch das für den schriftlichen Text Gesagte. Die entsprechende Terminologie bei Genette/Pfister lautet wie folgt: Reale Welt: -/N4, Definitionsebene: extradiegetisch/N2; Figurenebene: intradiegetisch/N1; (Binnen-)Figurenebene: metadiegetisch. Genette nach Martínez/Scheffel, 1999, 76; Pfister, 61988, 21. Martínez/Scheffel, 1999, 96 f. Vgl. für den umgekehrten Fall Iser, 1991, 36: Faktuale Texte verschleiern ihre Fiktionalität. Pfister, 61988, 21 f. nimmt im Sinne eines historisch und je nach Text variablen Modells eine von der Figurenebene unterschiedene Definitionsinstanz auch für das Drama an. Gotthard Heidegger benutzt in seiner poetologischen Schrift ‚Mythoscopia Romantica‘ von 1698 diese Metapher für die Beschreibung von Binnengeschichten, die er als Charakteristikum von Romanen erwähnt: „Da gibet es vil Episodia, oder Zwischen-spiele. Die in einander stecken wie die Tunicae einer Zwibel“ (59).
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A. Ein Modell normativer Wirkung von Texten
Soziale Wirklichkeit
Autorin / Autor – Lesende / Lesender
Definitionsebene
Definitionsinstanz – Leseinstanz
Figurenebene (Binnen-)Figurenebene
Figur – Figur (Binnen-)Figur – (Binnen-)Figur
Zwischen zwei Textebenen bestehen potentielle Hürden der Normenvermittlung, weil auf jeder neuen Textebene andere Normen des gesellschaftlichen Umgangs gelten können. Für die Normenvermittlung besteht das Hauptinteresse darin, wie die Hürde von der Definitionsebene auf die Ebene der sozialen Wirklichkeit genommen werden kann. Zur Klärung dieser Frage verwende ich im folgenden Kapitel entwicklungspsychologische Erkenntnisse über die Moralentwicklung für mein Modell der normativen Wirkung von Texten.
4. Rollenübernahme als Voraussetzung der Normenvermittlung Eine erfolgreiche Normenvermittlung sollte zweierlei bewirken: Dass die Lesenden die Norm kennen und dass sie sie für die eigenen Handlungsentscheidungen anwenden. Der Entwicklungspsychologe Kohlberg hält die Rollenübernahme10 für einen entscheidenden Faktor für die Moralentwicklung von Kindern, das heißt auch für das Normenlernen. Rollenübernahme bedeute zunächst die Fähigkeit, im Denken und Fühlen andere Rollen nachzuvollziehen.11 Wichtig für die Moralentwicklung sei zusätzlich, dass die Rollenübernahme wechselseitig geschehe, dass also auch andere Kinder oder Erwachsene die Rolle des lernenden Kindes übernähmen.12 Auf der Grundlage dieser Definition wurden in verschiedenen Kulturen die Stufen der 10
11 12
Durch die Übernahme der Theatermetaphorik soll hier nicht eine theatrum-mundi-These vertreten werden, für die in den Texten nach einem theozentrischen Weltbild gefragt würde, sondern Rollenübernahme ist hier als sozialpsychologischer Vorgang zu verstehen, zu dem Ordnungskonzepte nur mittelbar beitragen. Vgl. die Kritik an der soziologischen Theatermetaphorik bei Jauss, 1982, 221 – 227. Rolle wird hier im Sinne von Butlers gendered modes als Normenbündel verstanden, s. die Einleitung, S. 19. Kohlberg, 1996, 167 f. Er geht von der formalen, neokantianischen Moraldefinition von R. M. Hare aus, „nach der ein Urteil dann als moralisch bezeichnet werden kann, wenn es (a) präskriptiv ist, also eine kategorische Verpflichtung zum Handeln ausdrückt, und (b) verallgemeine-
5. Realismus oder performative Setzung
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individuellen Moralentwicklung empirisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass die individuelle Moralentwicklung immer, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, „aus stärker subjektiven oder kulturspezifischen Gewohnheiten und Überzeugungen kontinuierlich“ zu größerer moralischer Universalisierbarkeit führe.13 Dieses Ergebnis und die in diesem Zusammenhang gefundenen Einflussfaktoren sind, da interkulturell abgestützt, wohl auch für das 17. Jahrhundert anzunehmen. Ob sich die moralischen Ansprüche auf der obersten Stufe der Entwicklung mit Blick auf die ganze Menschheit verallgemeinern, ist vermutlich aber nicht nur kulturell und historisch verschieden, sondern hängt auch vom Diskurs ab. In Analogie zu diesen Befunden gehe ich davon aus, dass ein Text, wenn er zum Normenlernen Anlass geben soll, sowohl Textinstanzen zur Verfügung stellen muss, deren Rollen nachzuvollziehen und nachzufühlen Lesende in der Lage sind, als auch Textinstanzen entwerfen muss, welche die Rolle von Lesenden übernehmen, mit denen sich die Lesenden identifizieren können. Für das Verhältnis zwischen Lesenden und Texten bedeutet Rollenübernahme in dieser Hinsicht Verständnis für die Rolle einer im Text entworfenen Instanz. Mit Identifikation bezeichne ich den Vorgang, dass Lesende eine Personenbezeichnung auf sich selbst beziehen.14
5. Realismus oder performative Setzung Diese Bedingungen der normativen Wirkung können im Sinne eines strengen Realismus erfüllt werden: Der Text zeigt einerseits dadurch, dass er eine Instanz entwirft, die keine anderen Eigenschaften als eine reale Leserin oder ein realer Leser hat, dass er deren Rollen übernimmt. Eine männlich konnotierte Textinstanz wäre dafür schlecht geeignet, weil sie den gewünschten Effekt auf die Leserinnen verspielte. Damit die Lesenden andererseits die Rolle der Textinstanzen übernehmen können, dürfen diese keine anderen Eigenschaften haben als sie in der sozialen Wirklichkeit der Lesenden möglich sind: Reale Leserinnen können sich dann in Männerfiguren einfühlen, wenn sie den Männern ihrer Umgebung in ihren Eigenschaften entsprechen. Diese realistische Variante, wie die Anforderungen von Kohlberg umgesetzt werden können, hat allerdings gewichtige Nachteile: Am schwersten sind in den situationsenthobenen Texten die Identifikationsangebote an die Lesenden zu treffen.
13 14
rungsfähig (universalisierbar) ist, d. h. einen Standpunkt verkörpert, den jeder mit dem Problem konfrontierte Mensch einnehmen könnte oder sollte.“ (Kohlberg, 1996, 239). Kohlberg, 1996, 321. Es wird hier nicht behauptet, die Differenzierung in Rollenübernahme und Identifikation sei eine Forderung der barocken Poetik; die beiden Begriffe dienen lediglich zur Unterscheidung der für das Normenlernen sozialpsychologisch notwendigen Arten von Rollenübernahmen.
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A. Ein Modell normativer Wirkung von Texten
Wenn der Leser im Text etwas ganz anderes denkt und ist als die Lesenden, werden sie sich nicht mit dieser Textinstanz identifizieren, sondern sie als fiktiv betrachten. Diesem Problem begegnen einige Texte des Korpus, indem sie die Figur des Gewissens schaffen. Diese Figur wird performativ in die Lesenden verlegt, indem die Texte implizit behaupten, dass sie eine Eigenschaft aller Menschen sei. Die Wirkung dieser Bildung ist deshalb performativ, weil in keinem der untersuchten Texte die universale Existenz von Gewissen abgestritten wird. Dass Lesende die Textwelt mit ihrer Welt durch Einfühlung in Verbindung setzen können, kann performativ noch leichter erreicht werden als die Identifikation. Es genügt, dass Übersetzungsregeln durch den Diskurs entworfen werden, nach denen die Textwirklichkeit in die soziale transformiert werden kann. Damit Frauen sich in männliche Figuren einfühlen können, müssen diese demnach in ihren Eigenschaften nicht unbedingt realen Männern gleichen, sondern es reicht, wenn die Frauen die Gattungsregeln kennen, nach denen Männer üblicherweise so dargestellt werden. Diese Technik wird im 17. Jahrhundert als Wahrscheinlichkeit formuliert. Martin Opitz meint dazu im Buch von der Deutschen Poeterey: soll man auch wissen, das die gantze Poeterey im nachäffen der Natur bestehe, und die dinge nicht so sehr beschreibe wie sie sein, als wie sie etwan sein köndten oder solten. (17). Die Forderung geht auf Aristoteles’ Postulat zurück, dass die Tragödie Nachahmung von Menschen sei, die besser seien als wir.15 Die Poetik des 17. Jahrhunderts fordert deshalb nicht in erster Linie „gestaltete Lebenswirklichkeit, sondern dichterische Wahrscheinlichkeit im Sinne des Decorum, das bestimmten Personen eine normative Handlungsweise aufzwingt, bestimmten Gegenständen eine ebenso normative Ausdrucksform zumisst.“16 Dieses Verfahren stützt sich darauf, dass die Decorum-Regeln, also Textnormen, quer durch alle Diskurse formuliert und dadurch zur sozialen Wirklichkeit werden.17 Ein Text, der sich in einen diskursiven Zusammenhang stellt, immer auch an den Gattungsregeln teilhat und sie mitbestimmt, bietet gute Voraussetzungen für die Einfühlung. Gerade die relativ enge Ausrichtung von Texten des 17. Jahrhundert an Gattungsnormen erleichtert die Übersetzung für die Lesenden,
15 16 17
Aristoteles, Poetik, 1454b. Dyck, 31991, 111 f. In dieser Hinsicht muss ich Dyck, 31991, 112 widersprechen. Aus konstruktivistischer Sicht ist die Welt hauptsächlich so, wie sie geschrieben wird; sie ist für die Schreibenden des 17. Jahrhundert ständisch geordnet und heilsgeschichtlich determiniert. Dyck meint hingegen: „die Wirklichkeit, die scheinbar nachgeahmt werden soll, steht dem Dichter des 17. Jahrhunderts nicht unbeschränkt zur Verfügung, sondern sie ist immer schon eingeschränkt auf eine Schein- und Wertwelt, auf ‚dichtungswürdige‘ Sachen, Themen und Personen, und damit auf Ausdrucksformen, die nach Maßgabe der Wahrscheinlichkeit und des Decorum angemessen erscheinen. […] Nicht Schilderung der wirklichen Welt, sondern Darstellung einer ständisch geordneten, heilsgeschichtlich determinierten und ethisch idealisierten Welt betrachtet die Dichtung als ihre Aufgabe.“
6. Beobachtungsinstanzen
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macht die Texte hingegen auch zu Kindern ihrer Zeit.18 Aber die Einfühlung kann erschwert werden, nämlich dann, wenn weder die Situation der eigenen sozialen Wirklichkeit entspricht noch die Gattungsregeln eine Übersetzungshilfe bieten, sondern nur als solche wiedererkannt werden. Dem wird in vielen Texten dadurch abgeholfen, dass sie ebenfalls mit Unterstützung des ganzen Diskurses die Figuren Gerücht oder Gott ebenfalls performativ in die Situation der Lesenden hineinsetzen. Durch diese performativen Setzungen entsprechen sich die Textsituation und diejenige der Lesenden zumindest darin, dass sowohl Figuren als auch die Lesenden für sich ein Gewissen beanspruchen und in beiden ein Gerücht und Gott präsent sind. Es entsteht ein Kurzschluss zwischen Text und Welt, indem die Lesenden die Figur als Teil der Wirklichkeit betrachten; die Hürde für die Normenvermittlung ist niedriger.
6. Beobachtungsinstanzen Möglichkeiten der Rollenübernahme zwischen Text und Lesenden wären demnach in beiden Richtungen geschaffen. Wie werden jedoch die Lesenden dazu motiviert, ihr Normenwissen auch anzuwenden? Um dem Aufforderungsaspekt auf die Spur zu kommen, soll ein Modell für den in direkter mündlicher Rede geäußerten Befehlssatz betrachtet werden. In Filip von Zesens Roman Assenat; das ist Derselben, und des Josefs heilige StahtsLieb- und Lebens-geschicht (1670) wird das Ehebruchsverbot thematisiert. Es verlangt eine Unterlassungshandlung. Die Sprechakttheorie nennt den Aspekt einer Äußerung, der zu einer Handlung oder Unterlassung auffordert, einen illokutionären Akt. Diesen richtet gemäß einem einfachen Kommunikationsmodell ein Sprecher an einen Hörer. Der Sprecher ist in diesem Modell gleichzeitig diejenige Instanz, welche die Befolgung der Aufforderung verlangt, der Hörer diejenige, welche der Aufforderung Folge zu leisten hat. In einem geschriebenen Text ist es nicht so eindeutig, wer spricht und wer zuhört. Nach dem einfachen Kommunikationsmodell wäre zum Beispiel anzunehmen, dass der ganze Assenat-Roman unter anderem die Illokution des Ehebruchsverbots enthält, also die Definitionsinstanz die Leseinstanz dazu auffordert, keinen Ehebruch zu begehen. Der Text besteht aber nicht aus dem Satz „Mein lieber Leser, begehe keinen Ehebruch!“, ja ein solcher 18
Vgl. Beetz, 1991, 281: „Fern von hochfliegenden Idealen ästhetischer Autonomie [auch dies eine Norm, nämlich der Moderne!] präsentiert sich die Barockliteratur bis in poetische Genres hinein unverhohlen anlassbedingt, zweckorientiert und zeitverhaftet. Ihre entscheidende kontextuelle Eingebundenheit in kulturelle, politische und soziale Strukturen setzte literarische Texte des 17. Jahrhunderts von vornherein dem Wandel der Wertstandards ungeschützt aus und prädestinierte sie geradezu zu Opfern unangemessener Rezeptionsmaßstäbe.“
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A. Ein Modell normativer Wirkung von Texten
kommt nicht einmal vor. Mit einer solchen Formulierung wäre sowohl die Sprecher- als auch die Hörerinstanz klar konstituiert und die Illokution eindeutig als Aufforderung des sprechenden bzw. schreibenden Ich an den Leser zu verstehen. Wenn das schreibende Ich nun mit dem im 17. Jahrhundert lebenden Filip von Zesen und der Leser ebenfalls mit einer konkreten Person identifiziert würde, ließe sich daraus eine Aufforderung ableiten, die genau der mündlichen idealtypischen Situation einer Aufforderung gemäß dem oben skizzierten Kommunikationsmodell entspräche. Drucktexte funktionieren aber anders: Bei Gesprächen besteht phonetische Eindeutigkeit darüber, wer eine Aussage macht. In Texten ist dies oft unklar; der Kleine Catechismus von 1529 gestaltet das sechste Gebot wie folgt: Das Sechste. Du solt nicht ehebrechen. Was ist das? Antwort. Wir sollen Gott fuerchten und lieben, das wir keusch und zuechtig leben ynn worten und wercken, Und ein yglicher sein gemahl lieben und ehren. (Luther, WA 30, Bd. 1, 286a).
Hier bleibt unbestimmt, welchen Instanzen die verschiedenen Äußerungen zuzuordnen sind. Die Zuordnung unterscheidet sich je nach Rezeptionssituation: Im Katechismus-Unterricht wird dieser Text von Pfarrer und Schülern gleichsam aufgeführt, dabei wird die Antwort wohl keine Realisierung und deshalb auch keine Zuordnung erfahren, während diese Äußerung bei der stillen Lektüre vermutlich einer Textinstanz zugesprochen wird, welche den gesamten Text mit solchen Überschriften ordnet. Auf der Rezeptionsseite ist es selbst bei mündlichen Gesprächen oft schwierig, einen einzelnen und einzigen Hörer zu bestimmen. Die sprechakttheoretisch arbeitenden Linguisten Clark und Carlson haben deshalb Kategorien vorgeschlagen, welche die Rezeptionsseite differenzieren und sich jeweils auf einen Sprechakt beziehen.19 Für die hier verfolgten Zwecke lassen sich die Kategorien auf folgende reduzieren: auf Teilnehmende (Adressierte, Beobachtungsinstanzen sowie Sprechende) und Wahrnehmende.20 Eine Sprecherin richtet zum Beispiel einen Befehl an 19 20
Clark und Carlson 1982: Hearers and speech acts: Addressees, participants, known and unknown overhearers; vgl. dazu König 1998, 65. Auch die Erzähltheorie macht eine ähnliche Unterscheidung, die sie aber nur auf die Position der homodiegetischen Erzählinstanz, auf den Ich-Erzähler bezieht: Sie unterscheidet als mögliche Positionen der Äußerungsinstanz: Unbeteiligter Beobachter, beteiligter Beobachter, Nebenfigur, eine der Hauptfiguren, Hauptfigur (autodiegetisch). Dies sind Durchschnittspositionen und betreffen nicht einzelne Sprechakte. Es handelt sich jedoch um eine handlungs- und nicht normenbezogene Terminologie; weil es hier um Handlungs-Aufforderungen geht, ist die Terminologie von Clark und Carlson geeigneter. Clark und Carlson unterscheiden weiter in Mithörende und Lauschende: Während bei Mithörenden die Äußerungsinstanz damit rechnet, dass sie das Geäußerte hören
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eine Adressatin. Beobachtungsinstanzen nenne ich in Anlehnung an Clark und Carlson diejenigen, die dabeistehen und den Befehl als solchen begreifen. Wahrnehmende hören zwar die Äußerung, verstehen ihren Befehlscharakter jedoch nicht. Clark und Carlson berücksichtigen für ihr Modell des Publikumsdesigns21, dass eine Äußerung verschiedene Illokutionen22 enthalten kann, die sich an verschiedene Empfangsinstanzen richten. Sie legen dar, dass mit einer Aufforderung immer eine Mitteilung verbunden sein muss, die vor der Aufforderung verstanden werden muss, damit diese überhaupt sinnvoll adressiert werden kann. „Wer als Letzte geht, lösche das Licht!“ ist ein typischer Satz, an dem diese notwendige Vorgängigkeit des informativen Aktes deutlich wird. Normen entsprechen diesem Satz, wenn sie auch nicht so formuliert sein müssen: Die konkrete Menge der mit einer Norm Aufgeforderten ist jeweils im Anwendungsfall zu ermitteln. Clark und Carlson haben damit außerdem auf sprechakttheoretischer Ebene gezeigt, dass die Voraussetzung für die Normenformulierung und -befolgung darin besteht, dass die Mitglieder einer Gruppe voneinander wechselseitig annehmen können, dass sie die Normen kennen. Dieses Wissen wird dann jeweils zuerst durch den informativen Akt aufgerufen, und in Anwendung dieses Wissens – also anderer Normen, die unausgesprochen bleiben – wird die Norm verstanden. Das heißt, es wird von den Anwesenden bestimmt, wer von wem welche Handlung verlangt. Die Beobachtungsinstanzen sind diejenigen, welche zwar die Norm verstehen, aber weder zu denjenigen gehören, die die Handlung verlangen, noch zu denen, die sie auszuführen haben. Auf dieselbe Weise informiert „Du sollst nicht ehebrechen!“ zuerst alle, die es lesen, darüber, dass hier eine Aufforderung in Bezug auf ein Eheverhältnis geäußert wird. Aus allen Lesenden sind aber nur diejenigen auch im Sinne einer Aufforderung angesprochen, die tatsächlich verheiratet sind oder Verheirateten begegnen. Auch in den analysierten Texten werden solche Beobachtungsinstanzen geschaffen, welche die Normen nicht formulieren und sie nicht befolgen, sondern nur beobachten. Das können sowohl die bereits genannten Figuren Gewissen, Gerücht, Gott als auch zum Beispiel Figuren wie Ehefrau, Ehemann oder Gesinde sein. Solche Figuren können ihre normative Wirkung nur deshalb entfalten, weil sie auf viele reale Situationen bezogen werden können. Es sind außerdem verstehende Figuren; das heißt es gibt ein gemeinsames Wissen, auf das sich ihre Erwartungen an die anderen Figuren des Textes stützen können.
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können, nimmt sie dies bei den Lauschern nicht an. Für gedruckte Texte ist die Kategorie der Lauschenden hinfällig, da der Text für die reale Rezeption mit Öffentlichkeit rechnet und auf der Figurenebene die Formulierung der Äußerungen selbstverständlich auch für das Ohr von heimlich zuhörenden Figuren entwirft, die dadurch nicht mehr Lauschende, sondern Mithörende sind. audience design „das, was man tut, indem man spricht“ (Lexikon der Sprachwissenschaft, 21990, 324), Art der Handlung, die mit einer Äußerung verbunden ist.
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A. Ein Modell normativer Wirkung von Texten
Sie vertreten also im Text einerseits diese normative Erwartungshaltung, schaffen und bezeichnen andererseits das gesellschaftliche Wissen, das nötig ist, damit die Lesenden dieselbe Erwartungshaltung aufbauen. Sie dienen dazu, Rahmen zu kennzeichnen. Goffman meint mit dem Begriff der Rahmung „Transformationen der Wirklichkeit“, die in der Interaktion vorgenommen werden, um „Erfahrungen zu sinnvollen Einheiten“ zu ordnen.23 Rahmen sind Situationsdefinitionen, die beantworten, was „hier eigentlich“ vorgeht.24 Rahmungen gibt es in der direkten Interaktion (z. B. Täuschungen), aber auch Textebenen können als Rahmen wahrgenommen werden.25 Wie die einzelnen Figuren, so können auch ganze Rahmen zugunsten der Normenvermittlung realistisch ausgestaltet oder performativ gesetzt werden. Wenn die gerahmte Situation des Textes den bekannten Rahmen der Lesenden genügend ähnlich ist oder ihr Leben performativ in einen Rahmen setzt, schafft sie gute Voraussetzungen für die Wirkung der von ihr formulierten Normen: Die Inhalte sowie Formen der Formulierung und Sanktionierung der Normen sind dann in den gedruckten Texten mit denjenigen der mündlichen Texte, Bilder, Gesten, Kleider, Hausgrundrisse und anderen Zeichen, welche die Lesenden sonst kennen, kompatibel. Die verschiedenen Medien können gegenseitig verstärkend wirken. Dadurch kommt ein weiterer von Kohlbergs Faktoren der Moralentwicklung zum Tragen: das moralische Miteinander, die Einbindung in eine Institution.26 Goffmans Modell ist aber insofern mit Pfisters vereinbar, als er annimmt, dass Rahmen pragmatische Hürden darstellen, so dass nur Aufforderungen auf der Definitionsebene beziehungsweise im primären Rahmen konkrete Interaktionen provozieren – also in demjenigen, der als natürliche und soziale Wirklichkeit angenommen wird.27 Goffmans Modell ist jedoch für diejenigen Fälle geeigneter als Pfisters, bei denen über die erzähllogischen Grenzen hinweg eine gemeinsame Situationsdefinition erkennbar ist. Das kann zum Beispiel im Sinne einer Metalepse28 durch
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Knoblauch, 1994, 26 ff.; vgl. Goffman, 1977, 19. Goffman, 1977, 16 und 19. Goffmans Ausführungen zum Roman (1977, 170 – 175) müssen allerdings zu diesem Zweck erzähltheoretisch präzisiert werden. Kohlberg, 1996, 164 und 170. Die Institution sollte für die erfolgreiche Moralentwicklung auf einer (gemäß Kohlbergs Klassifikation) höheren moralischen Stufe stehen als das lernende Individuum. Da wir über Letzteres in Bezug auf das 17. Jahrhundert nichts wissen, lasse ich diese Frage dahingestellt; wichtig und für Texte keinesfalls selbstverständlich ist jedoch die Voraussetzung, dass überhaupt eine Einbindung der Lesenden in die durch den Text entworfenen Institutionen möglich ist. Goffmann, 1977, 31: Primäre Rahmen sind solche, die „nicht auf eine vorhergehende oder ‚ursprüngliche‘ Deutung“ zurückgreifen, sondern „einen sonst sinnlosen Aspekt der Szene zu etwas Sinnvollem“ machen. Metalepse: „‚narrativer Kurzschluss‘, bei dem infolge einer Rahmenüberschreitung die Grenze zwischen […] extra- und […] intradiegetischer Position aufgehoben wird (indem z. B. die Figuren ei-
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einen Erzählerkommentar oder ein ad-spectatores bewerkstelligt werden. Textebenen-übergreifend können auch ähnliche Umgebungsbeschreibungen wirken. Das eher statische Wissen in Rahmen wird durch Interaktionsrituale ergänzt, die Abläufe regeln, also aus Normen bestehen. Konfliktverlaufmuster sind ein mögliches textliches Pendant zu solchen Interaktionsritualen zwischen lebenden Menschen. In den Kapiteln über die Konfliktverlaufmuster werde ich darstellen, wie die Beobachtungsinstanzen den Verlauf bestimmen, indem sie als Ursprung der Erwartungen bezeichnet werden, welche die Figuren zum Handeln veranlassen. Beobachtungsinstanzen tragen auf zwei Arten zur Normenvermittlung bei: als Instanzen, die vor allem durch ihre Erwartungshaltungen im Text präsent sind, fördern sie die normenbezogene Rollenübernahme durch die Lesenden und damit das Normenlernen; als handlungsbezogene Situationskennzeichen schaffen sie abstraktere Rahmen als etwa genaue Beschreibungen der dinglichen Umgebung. Durch den Handlungsbezug können sie außerdem dazu beitragen, dass die Lesenden statisches Rahmenwissen und dynamisches Interaktionswissen verknüpfen. Solche Rahmungen sind geeignet, die Rahmen der Textebenen gleichsam quer zu überlagern und mit der realen Situation der realen Lesenden so zu verbinden, dass ein Aufforderungseffekt zustande kommt, indem die realen Lesenden die Erwartungshaltung der Beobachtungsinstanzen in vergleichbaren Situationen als Norm für ihr eigenes Handeln auffassen können.
nes Romans über ihren Autor sprechen, oder der Leser eines Romans zu dessen Protagonisten gehört).“ (Martínez/Scheffel, 1999, 190).
B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots Normen der Geschlechterbeziehungen müssen, damit sie in die Praxis umgesetzt werden können, sowohl an Frauen als auch an Männer vermittelt werden. Im Folgenden soll am Beispiel des sechsten1 Gebots gezeigt werden, wie die Textinstanzen der soeben beschriebenen Kategorien geschlechtlich ausgestaltet werden und was dies für die Normenvermittlung an Frauen und Männer gemäß dem aufgestellten Modell bedeutet. Die folgende detaillierte Betrachtung der Textinstanzen, die zur normativen Wirkung beitragen, führt weg von der Vorstellung eines Befehlssatzes zwischen Befehlenden und Ausführenden hin zu einer mehrdimensionalen Choreografie der Textinstanzen. Du sollst nicht ehebrechen (2 Mo 20, 14 und 5 Mo 5, 18). Kaum jemand wird bezweifeln, dass es sich bei diesem Satz um eine Norm der Geschlechterbeziehungen handelt. Das Gebot steht nicht im Imperativ, sondern zeigt durch die Verwendung des Modalverbs ‚sollen‘ einen Unterschied zum Befehlssatz an.2 Der entscheidende Unterschied zwischen Norm und Befehl besteht darin, dass ein Befehl eine einzelne Person oder Figur zum Handeln auffordert, währenddem sich eine Norm auf eine vage bis genau umschriebene Kategorie von potentiell Handelnden bezieht. In welchen konkreten Situtationen die Norm schließlich umgesetzt wird, hängt von den Handelnden ab.
1. Definitionsinstanz Die Nachteile der Situationsenthobenheit werden gemindert, wenn Drucktexte selbst Situationen definieren. Diese stimmen zwar nie mit der aktuellen Situation des Schreib- oder Leseprozesses überein, haben aber den Vorteil, dass sie einen Rahmen bilden, in dem Normen sinnvoll formuliert werden können, weil die Anwesenden (als Figuren) definiert werden können. Des mit Jesu verlobten Tugendliebenden 1
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Das Ehebruchsverbot wird in der katholischen und der lutherischen Kirche als sechstes gezählt. Entsprechend erscheint es in den analysierten Texten. Bibelnäher ist die jüdische und reformierte Zählung, in der es den siebten Platz einnimmt. (Feneberg, 2002, 18). Weil es hier nur um Texte geht, die von einem deutschsprachigen protestantischen Stadtbürgertum des 17. Jahrhunderts wahrscheinlich rezipiert wurden, kann die Übersetzungsgeschichte der Bibel vernachlässigt werden.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
Frauen-Zimmers Allerschönster Seelen-Schmuck (21682) von Johann Quirsfeld thematisiert das sechste Gebot unter dem Titel Heimliche Beichte zu GOtt einer Ehefrauen, die Ehebruch begangen (460), der eine solche konkrete Situation entwirft. Die Definitionsinstanz weist oft nur sehr wenige anthropomorphe Eigenschaften auf. Eine besondere Form der Definitionsinstanz ist jedoch die Autorinstanz: Auf den Titelblättern der untersuchten Texte kommt außer bei häufig anonym erschienenen Satiren fast immer ein Eigenname vor, der am Ende von Widmung und Vorwort manchmal nochmals als Unterschrift wiederholt wird. Diese Namen, seien es nun Pseudonyme oder ‚echte‘, konnotieren die Definitionsinstanz für diese einleitenden Texte geschlechtlich und legen nahe, dass für den Haupttext dieselbe Definitionsinstanz gilt. Vor allem die Definitionsinstanz von Vorreden gibt sich häufig den Namen eines damals lebenden Mannes, seltener einer Frau. Diese besondere Art der Ich-Erzählung verschleiert die Fiktionalität des Textes und schafft Faktualität, soziale Wirklichkeit, indem sie die Verbindung zu einer außertextlichen Instanz suggeriert.3 Anders gesagt, die Definitionsinstanz gewinnt hauptsächlich in den Vorreden Konturen, die einer Rollenübernahme förderlich sind. Diese Faktualität wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Obrigkeit im 17. Jahrhundert daran interessiert ist, jemanden dafür verantwortlich machen zu können, wenn ein Text zum Beispiel gegen religiöse Normen verstößt. Nur so werden die Strafen anwendbar, die für solche Vergehen vorgesehen sind. Es ließe sich von daher annehmen, dass Autorin/Autor und Autorinstanz im damaligen Bewusstsein umso näher zusammenrücken. Ein Autor hat für die Wahrheit der Textaussagen zu bürgen, er kann sich nicht damit herausreden, ein anderer als der hinter dem Text vermutete Verfasser zu sein. Chartier hat gezeigt, dass gerade solche rechtlichen Bestimmungen in der Frühen Neuzeit dazu beitragen, dass Texte Autoren bekommen, weil nur Menschen verantwortlich gemacht werden können.4 Auf der anderen Seite schafft gerade die Gefahr von Sanktionen das Bewusstsein, dass Autorin/Autor und Autorinstanz nicht dieselben sind, verwenden doch gerade Satireschreiber mit Vorliebe Pseudonyme, die als sprechende Namen eine Rolle kennzeichnen – eine Funktion, die im Text als Autorinstanz zum Ausdruck kommen soll, zum Beispiel Veriphantor, zu Deutsch ‚Wahrsprecher‘. Die Pseudonyme sind zwar meist auflösbar, in diesem Sinne nur ein Alias, ein anderer Name für die gleiche Person. Trotzdem machen sie kenntlich, dass es nicht um ein Individuum geht, das sich mit Wahrhaftigkeitsanspruch5 äußert, sondern um eine Funktion des Textes, einen Modus des Sprechens. Veriphantor als Autorname ist zugleich
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Vgl. Martínez/Scheffel, 1999, 84. Chartier, 1994. Wahrhaftigkeit = „Übereinstimmung der Rede mit den Gedanken bzw. der Überzeugung des Redenden.“ (Wörterbuch der Philosophie).
1. Definitionsinstanz
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eine Verteidigung gegen den möglichen Vorwurf, der Text enthalte nicht die Wahrheit, eine Hervorhebung der Norm, dass der Autor die Wahrheit des Textes mit seiner Person zu verbürgen hat, und eine Ironisierung derselben Norm, indem der Text, den dieser Veriphantor abgefasst haben soll, gerade sehr Unglaubhaftes und Unerhörtes enthält. Unerhörtes erfüllt allerdings wieder die Gattungsregeln des politischen Traktats oder Romans, die Weise in seinem Kurtzen Bericht vom Politischen Näscher von 1680 formuliert: Damit sie lustig werden, muss der Affekt der neugierigen Lust an neuen, an unerhörten, und an unverhofften Dingen (29) geweckt werden. Innerhalb der Lyrik finden sich fast so häufig wie Liebesgedichte deutliche geschlechtliche Festlegungen der Definitionsinstanz des lyrischen Ich: Das über seine Liebe berichtende Ich definiert sich in erster Linie über das Liebesverhältnis, meist als Mann. Umgekehrt ist das lyrische Ich in religiösen Gedichten, zum Beispiel im Rahmen der Brautmystik, oft weiblich konnotiert. Das lyrische Ich von Gedichten, die eine Binnenebene in Meditationen, Romanen oder Schäfererzählungen bilden, ist Figur und nicht Definitionsinstanz. Diese Art der Konkretisierung der Definitionsinstanz ist oft so allgemein, dass eine Rollenübernahme nicht gestört wird, allerdings bleibt auch die beschriebene soziale Situation entsprechend ungenau. Die satirischen Romane sind in dieser Hinsicht oft anschaulicher. In Johann Beers alias Antonino Camineros Politischem Feuermäuerkehrer (1682) erzählt der Ich-Erzähler Verutzo nicht nur von seinem Kaminfegerdasein, sondern vor allem von seinen Begegnungen mit unzüchtigen Frauen; eine ähnliche Ich-Erzählerin ist die ihr Leben nur sehr halbherzig beichtende Landstörtzerin Courasche (1670). In beiden Fällen wird durch die Anschaulichkeit die Rollenübernahme mehr hintertrieben als gefördert, weil die Eigenschaften und Erlebnisse der Definitionsinstanz kaum mit denjenigen der Lesenden übereinstimmen. Die Lesenden werden durch diese Konstruktion dazu gedrängt, das Ich der Definitionsinstanz zu fiktivieren, das heißt die dadurch entworfene Welt nicht als die ihre anzuerkennen.6 Indem sie selbst festlegen, was der Fall ist, setzen sich die Lesenden an die Stelle der Definitionsinstanz. Das bedeutet, dass die Lesenden die dargestellten und geäußerten Normen nicht automatisch als Teil ihrer sozialen Wirklichkeit akzeptieren, sondern bestimmen, in welchem Verhältnis sie zu den Normen der eigenen Gruppe stehen.7 6
7
Warning, 1983, 195 ff. hat für die höfische Lyrik des Mittelalters postuliert, dass Autor und Sänger im Gegensatz zum Rhapsoden des Heldenepos auseinander treten und sich eine spielerische Spannung zwischen der universalen Referenz des lyrischen Ich und der partikularen Referenz des AutorIch eröffnet. Während Warning die Produktionsseite dieses Auseinandertretens besonders betont hat, widmen sich Strohschneider, 1996, 9 und Egidi, 2000, 136 f. der Rezeptionsseite, die hier angesprochen ist. Van Gemert, 1999, 454 spricht vom aufgrund seines „dubiosen Vorlebens“ fragwürdigen Ich-Erzähler des Pikaro, der sich von seinem Schelmendasein abgewendet hat: Weil die Darstellung einseitig sei, bedürfe sie der Ergänzung im Lesevorgang (also der Fiktion), „zumal dort, wo sie sich
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
Dieses Verhältnis kann sich enger oder weiter gestalten, ganz im Sinne des von Margreth Egidi auch für die reale Aufführungs- und Rezeptionssituation vorgeschlagenen Kontinuums von verschiedenen Graden der Situationsspaltung (Warning).8 Diesen Effekt vermeiden die meisten anderen Textsorten, indem sie die Definitionsinstanz möglichst neutral halten: Das verbreitete Hannoverische Gesangbuch von 1646 fügt zu den beiden Zehngebote-Liedern des Kleinen Catechismus von 1529 zwei weitere hinzu, von denen eines als Beichte verfasst ist, so dass das sechste Gebot lautet: Ich hab unreine lust gesucht, Nicht heiligkeit geliebt und zucht (Ausg. von 1657, 140). Das Ich dieser Beichtversion ist nicht geschlechtlich konnotiert. Obwohl in religiösen Texten die Definitionsinstanz außer über den Autornamen wenig geschlechtliches Profil gewinnt, wird sie punktuell in manchen Texten trotzdem als männliche Instanz sichtbar: Wir ehmänner (737) heißt es plötzlich in der Kurtzen Catechismus-Predigt zum sechsten Gebot (1689) von Philipp Jacob Spener, nachdem die Pflichten der Ehemänner in der dritten Person abgehandelt worden sind (XCII, 3), als das Thema Geduld mit den Ehefrauen an die Reihe kommt. Eine entsprechende Identifikation mit der Position der Ehefrauen im nachfolgenden Abschnitt über ihre Pflichten (XCIII) findet nicht statt. Im Anhang zum achten Band von Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspielen begegnet in Ehre oder Liebe eine ähnliche, Männer als Wir-Gruppe definierende Äußerung der Definitionsinstanz: Durch die Liebe verstehen wir hier Frauenliebe, dann die Neigung, oder das Belieben, welches wir zu andern Sachen [!] tragen, kan eigentlich keine Liebe genennet werden. (VIII, 576).
2. Figur als Äußerungsinstanz Eine Möglichkeit, eine an viele konkrete Lese-Situationen anschließbare allgemeine Definitionsinstanz nicht zu verlieren, aber trotzdem Situationen zu schaffen, die konkret genug sind, eine Norm sinnvoll zu formulieren, besteht darin, außer der Definitionsinstanz auch eine untergeordnete Figurenebene zu bilden. Auf der Figurenebene sind im Gegensatz zur Definitionsebene die meisten Instanzen geschlechtlich konnotiert. Ausnahmen bilden die bereits erwähnten Figuren des Gewissens und des Gerüchts, die jedoch in vielen Texten vorkommen. Die Definitionsinstanz scheint sich sonst an die biblische Schöpfungsgeschichte zu halten: als Mann und Weib schuf er sie (Gen. 1, 27). Die beiden Kategorien sind abschlie-
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lehrhaft gibt“. Der Leser werde von Anfang an dazu disponiert, die Lehren kritisch zu hinterfragen, der Pikaro-Roman werde dadurch zum ‚offenen‘ Werk, der Leser zur kritischen Anwendung des „Deutungsmodells auf den eigenen konkreten Kontext“ angeregt. Egidi, 2000, 133.
2. Figur als Äußerungsinstanz
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ßend und gegenseitig ausschließlich. Die Äußerungsinstanzen auf der Figurenebene sind deshalb fast immer weiblich oder männlich, das vorgeführte Verhalten gewinnt deshalb fast immer eine zusätzliche geschlechtsbezogene Bedeutung. Geschlecht als geschlechtstypisches Handeln wird nicht nur im Zusammenhang mit den noch zu betrachtenden Konfliktverlaufmustern thematisiert, sondern auch dadurch, dass beschrieben wird, wie die Figuren das Geschlecht der anderen Figuren aufgrund eines einzigen Blicks bestimmen. In Verkleidungsszenen wird zum Beispiel die von der Definitionsinstanz als Mann eingeführte Figur aufgrund der Verkleidung von einer anderen Figur als Frau behandelt und umgekehrt. Zu den topischen Treue-Exempeln, bei denen Ehefrauen ihre Männer aus Lebensgefahr retten, gehört auch der im Rathgeber zum Freyen erzählte doppelte Kleiderwechsel, durch den Theopompus als Frau das Gefängnis verlässt, während seine Frau als vermeintlicher Theopompus darin bleibt (12. Frage).9 In einer Kriegsanekdote verkleidet sich eine flämische Jungfrau vier Jahre lang als Mann, agirt einen Soldaten und wird zum Lieutenant befördert (Lustige Gesellschaft, Nr. 1123). In Joachim Meiers Der Durchlauchtigsten Hebreerinnen Jiska Rebekka Rahel Assenath und Seera Heldengeschichte (1697) verkleidet sich der noch bartlose Amenophis als Iphianassa, um in den Tempel eingelassen zu werden, wo sich seine geliebte Io befindet (1. Buch, § 27). Um sich wie die erwähnte flämische Amazonin vor einem männlichen Überfall zu schützen, stürzt sich Assenath im zweiten Buch desselben Romans in Männerkleider (§ 92). Die lexikalischen Anleihen an die Theatersprache verdeutlichen, dass in den Kleidertauschszenen nochmals ein Rahmen innerhalb der Figurenebene aufgespannt wird, den Goffman ‚Täuschung‘ nennen würde, weil er für die getäuschte Seite als primärer Rahmen erscheint, während die Täuschenden wissen, dass sie enttarnt werden können – das heißt, dass etwas anderes wirklicher erscheinen wird, als das, was sie vorgeben.10 Indem dadurch vorgeführt wird, dass mit wenigen Requisiten ein soziales Geschlecht hergestellt werden kann, thematisieren solche Stellen gerade die Willkürlichkeit der Geschlechtszuweisungen an Menschen und Figuren. Dieselbe Reflexionswirkung erzielt auch die Kritik an Kleiderwechseln, obwohl sie sich gerade gegen den willkürlichen Umgang mit Geschlechtsattributen wendet: Der Jungferliche Zeit-Vertreiber von 1665 beschreibt in satirischer Kritik, was Jungfern am Montag tun: Sie fangen an, des Knechts […] zuspielen, nähen sich die Rökke zwischen den Beinen gleich wie Hosen, zusammen, spielen Comödien u.s.f. oder kleiden sich wohl gantz und gar vor Kerl aus und gehen in der Stadt herüm. (78 f.) Verdichtet
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Vgl. ganz ähnlich die als römischer Soldat verkleidete Titelheldin (V. 257 – 259) in Lohensteins Sophonisbe, welche ihre Soldatenkleider mit denjenigen des gefangenen Königs Syphax vertauscht (V. 265) und sich an seiner Stelle einschließen lässt. Goffman, 1977, 98 f.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
und zusätzlich mit der Frage nach der Macht zwischen den Geschlechtern verknüpft wird diese Kritik in der Redewendung von der Frau, die die Hosen anhat.11 Johann Beer gestaltet im Politischen Feuermäuerkehrer (1682) eine Verkleidungskritik als kleine Mise-en-abîme des politischen Romans. Für diese Gattung beschreibt Christian Weise in seinem Kurtzen Bericht vom Politischen Näscher (1680) ein Rahmungsverfahren, das über den Umweg der fiktionalen Rahmung auf die lächerliche Wirklichkeit aufmerksam machen will, aus der Produktionsperspektive: Die beste Mode lustige Sache zu schreiben ist wol, wen man auff die Thorheiten zurücke siehet, welche einem auf der Welt begegnet sind. Doch was zum Exempel ein grosser Mann thut das muß so lange ein Kauffmann gethan haben, was ein Politicus fehlet, das erzehlet man von einem Bauer. […] Also mögen sich einfältige Leser an der Schale, das ist an den eusserlichen Possen begnügen, und wer seinen Kopff zu spitzfündigen Händeln angewehnet hat, der mag den Kern suchen, und weiter dencken. (S. 109)
Kugelmann, der in Beers Roman dem dummen Verutzo die Welt erklärt, führt die entsprechende, die Täuschungsrahmen wegräumende Lesehaltung am Beispiel der Verkleidung vor: „Ach“, sprach Kugelmann, „was seid ihr vor Narren, O ihr Weibsbilder, daß ihr euch verkleidet, und allenthalben auf der Näscherey herum lauffet. Ihr bildet euch vielleicht ein, unter einem Mannskleid eure Person zu verbergen? Aber wisset, daß ihr damit nicht allein euch selbsten, sondern auch eure verborgene Laster erst offenbahr machet. […]“ (89 f.)
Hier wird ex negativo eine Norm der wahrhaftigen Geschlechtsperformanz formuliert und der Versuch, andere über das eigene ‚wahre‘ Geschlecht zu täuschen, als Laster bezeichnet. Dieses Täuschungsverbot in Bezug auf die Requisiten der Geschlechterzuschreibung missachten die untersuchten Texte zwar auf der Figurenebene, aber aus Sicht der Definitionsebene wird den Figuren durchgängig dasselbe ‚wahre‘ Geschlecht zugeschrieben, die Lesenden werden nicht getäuscht. Die Definitionsinstanzen erweisen sich in Bezug auf die Geschlechterzuschreibungen durchweg als zuverlässige Erzähler und unterstreichen damit, dass ihren Äußerungen Wahrheitscharakter zukommt. Umgekehrt wird die Norm, dass alle genau eines von zwei Geschlechter haben und zur Schau stellen müssen, dadurch bestätigt.
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Vgl. hierzu die historische Monografie von Metken, 1996.
3. Adressierte
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3. Adressierte 3.1. Leseinstanz Die Adressierung der Leseinstanz ist die Form, in der ein Text am nächsten an die Lesenden herankommt, weil die Leseinstanz am ehesten mit lebenden Lesenden identifiziert werden kann. Deshalb scheint es sinnvoll, Normen an sie zu adressieren, obwohl sie als Textinstanz keinerlei Entscheidungsgewalt hat. Jeder Text trifft Annahmen über die Leute, welche ihn lesen werden, und sei es nur schon durch die Wahl der Sprache oder die Kostbarkeit der Ausstattung. Druck und Bindung haben auch Einfluss darauf, in welcher Situation der Text gelesen wird. Kleinformatige Bücher wie die Witz- und Anekdotensammlung Lustige Gesellschaft (1656 Duodez, 1660 Kleinoktav) oder das Andachtsbüchlein Des Mit Jesu verlobten Tugendliebenden Frauen-Zimmers Allerschönster Seelen-Schmuck (Duodez) können leicht mitgetragen werden, sind demnach nicht an das Haus gebunden. Erbauungsbücher wie das Hallesche Exemplar dieses Andachtsbuches sind oft schön verziert, was eine Wertschätzung des Inhalts bedeuten und eine ehrfurchtsvolle Lesehaltung nahe legen kann. Diese Einschränkung der möglichen Lesesituationen ist auch auf der Ebene der Leseinstanz festzustellen, indem die Vorrede sich in der Regel an den Leser im Singular richtet. Die Vorrede wird auch gerne eingesetzt, damit die Definitionsinstanz der Leseinstanz zeigt, dass sie ihre Eigenschaften, Bedürfnisse und Wünsche kennt, damit also Rollenübernahme von Seiten der Definitionsinstanz dargestellt wird. Wie oben ausgeführt,12 ist es für das Normenlernen genauso wichtig, dass andere die eigene Rolle übernehmen, als selbst die Rolle anderer zu übernehmen. In Anreden wie zum Beispiel an den Christlichen Eheliebenden Leser (Rathgeber zum Freyen, 1609, Vorrede) oder An das Gott- leut- und lieb-seelige Frauenzimmer (Frauenzimmers Gebeht-Buch, 1657, Vorrede) geschieht die Rollenübernahme durch eine Definition der Leseinstanz, die dann die Normenvermittlung unterstützt, wenn sich Lesende mit dieser Definition identifizieren können. In satirischen Romanen kann die Anrede zur Gewissensprüfung werden: Vorrede an die Hurer und Ehebrecher (Corinna, 1660, 12); der normentreue Leser wird keine Identifikation vornehmen und die Angeredeten fiktiviert neben sich stellen. Zu beachten ist, dass das Frauenzimmer als Sammelbezeichnung13 und die Hurer als Plural mehrere Lese12 13
Vgl. Kapitel „Modell“, S. 42. Das Frauenzimmer bedeutet im 17. Jahrhundert nicht wie später ‚die Frau‘, sondern ‚die Frauen‘. Weiteres Bsp.: Im satirischen Dialog ‚Lust und Unlust des Ehelichen Lebens‘ geht der ‚Vor-Rede An Den Leser‘, welche die beabsichtigte Wirkung auf die männlichen Leser beschreibt, eine ‚Zuschrifft Insgesamt An Alles Frauenzimmer‘ voran, welche die Eignung des Textes für tugendhafte Frauen erörtert.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
instanzen entwerfen, so dass die Definitionsinstanz des Textes die Lesenden, auch wenn sie sich mit dieser Kategorienbezeichnung identifizieren sollten, nicht ausschließlich, sondern als Einzelne von vielen anspricht. Der Plural in der Textadressierung der Vorrede sagt demnach etwas darüber aus, welche Lesesituation der Text entwirft, um die Normen zu vermitteln, nicht aber etwas darüber, wie weit der Kreis der Normadressierten gezogen werden muss, noch etwas darüber, wie viele Leute den Text lesen sollten. Den denkbar größten Kreis von Textadressierten und auch von Normadressierten sollte der Kleine Catechismus entwerfen, dient er doch als Lehrmittel für alle. Es ergeben sich jedoch unterschiedliche Identifikationsangebote für Frauen und Männer. Seine Funktion als Lehrmittel wird immerhin unterstützt, indem im 17. Jahrhundert zusätzlich Katechismus-Predigten und entsprechende Lieder publiziert werden, die alle dazu dienen sollen, das die Christliche lere auff allerley weise, mit predigen, lesen, singen sc. vleissig getrieben, und imer dem jungen und einfeltigen volck eingebildet […] würde,14 wie es in der Vorbemerkung zu den zwei Katechismus-Liedern im Bapstschen Gesangbuch heißt, dem Standardkirchengesangbuch des 17. Jahrhunderts.15 In Martin Luthers Deudsch Catechismus (1529) wird das sechste Gebot der Bibel so ausgelegt, dass es für alle erwachsenen Menschen als Keuschheitsgebot für Taten und Gedanken gilt (WA, Bd. 30.1, 161 ff.). In der längeren Version DIß sind die heilgen zehn gebot des Bapstschen Gesangbuchs lautet das sechste Gebot in der siebten Strophe wie folgt: Dein eh soltu bewahren rein, Daß auch dein hertz kein andre mein, Und halten keusch das leben dein Mit zucht und auch mässigkeit fein. (137). In der kürzeren Version MEnsch wiltu leben seliglich wird das sechste Gebot mit dem vierten und fünften in der vierten Strophe zusammengefasst, so dass es auf Solt du […] deine ehe halten rein (138) beschränkt wird. Für die Vermittlung des Ehebruchsverbots ergeben sich in diesen KatechismusLiedern, die sich auch im Hannoverischen Gesangbuch von 1646 wiederfinden, mehrere Probleme: Erstens sind die Angaben über die Umstände, in denen das Gebot zur Anwendung kommen soll, und darüber, was es genau beinhaltet, wie in der Bibel und im Kleinen Catechismus rudimentär, obwohl die ausführlichere Liedversion zumindest einen Ansatz von Auslegung liefert. Diese jedoch bringt das zweite Problem mit sich, dass mit der Auslegung das angesprochene und aufgeforderte Du auf Männer reduziert wird, indem es kein andre heißt. Damit wird allerdings nur eine Adressiertendefinition in das sechste Gebot übernommen, wie sie in der Bibel (1 Mo 20, 17 und 5 Mo 5, 21) für das zehnte Gebot steht, das in den Liedern mit Beibehaltung der geschlechtsbezogenen Asymmetrie aufgenommen wird: Du solt deins nechsten weib und hauß Begehren nicht, 14 15
Luther (Hg.), Das Bapstsche Gesangbuch von 1545, 1966. Scheitler, 1999, 352.
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[…] Deins nechsten weibes nicht begehrn (Hannoverisches Gesangbuch, 137 und 139). Die Formulierung in der zweiten Person hält sich drittens sehr eng an den Bibeltext, was einerseits den Bezug zu diesem stärkt und andererseits in der singenden Gemeinde eine Rezeptionssituation schafft, in der mit dem gesungenen Du alle alle ermahnen, niemand sich aber direkt selbst auffordert. Alle sind in der Situation der singenden Gemeinde gleichzeitig Äußerungs- und Beobachtungsinstanz, aber nur die Männer gehören zur Gruppe, an die sich die Norm richtet.
3.1.1. Fiktivierung der Leseinstanz Die Lesenden haben gegenüber der Definitionsinstanz eine privilegierte Stellung, indem sie den Text mit anderen Zeichensystemen vergleichen können: Sie können im Verstehensprozess Wissen aus anderen Erfahrungsbereichen hinzuziehen und ihn damit anreichern, den so konstituierten Sinn mit anderen Sinnbildungen vergleichen und den Text aufgrund dessen beurteilen. Sie entscheiden letztlich darüber, ob sie das im Text Beschriebene, also auch die vorgeschlagene Leseinstanz, als Teil der eigenen Erfahrungswelt wahrnehmen wollen oder ob sie Definitions- und Leseinstanz in einen Rahmen setzen und damit fiktivieren. Der Vergleich mit der außertextlichen Erfahrungswelt erlaubt es ihnen auch zu beurteilen, inwiefern die Norm für die eigene Situation relevant ist und deshalb befolgt werden sollte. Denn Normen, die als Bestandteile von primären Rahmen akzeptiert werden, haben bessere Chancen, befolgt zu werden. Da primäre Rahmen nicht nur aus Dingen bestehen, die wir als natürliche Gesetzmäßigkeiten und Gegebenheiten verstehen,16 sondern ebenso aus sozialen Verhältnissen, die wir als Tatsachen ansehen, besitzen sie auch eine gruppenspezifische Dimension: Zu den primären Rahmen gehört dasjenige, was die eigene Gruppe dazu rechnet.17 Für die Normenvermittlung ergibt sich dadurch eine schwierige Lage: Damit die Norm sinnvoll und annehmbar erscheint, muss die Instanz möglichst genau entworfen werden, an welche die Norm gerichtet wird. Das bedeutet jedoch, dass alle Lesenden, die dieser besonderen Leseinstanz nicht entsprechen, sie mit großer Wahrscheinlichkeit fiktivieren, das heißt eine Hürde für die Normenvermittlung aufbauen werden. 16 17
„Alle sozialen Rahmen haben mit Regeln zu tun, aber auf verschiedene Weise“ (Goffman, 1977, 34). „Zusammengenommen bilden die primären Rahmen einer sozialen Gruppe einen Hauptbestandteil von deren Kultur“ (Goffman, 1977, 37).
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Der Text muss also zwischen mäßig verbindlicher Breitenwirkung und gruppenspezifischer normativer Beeinflussung entscheiden. Die Normenformulierung verlagert sich von der Frage nach Sende- und Empfangsinstanzen zu einer Frage der Definition von Gruppen. Direktive Sprechakte an die Adresse der Leseinstanz wie in der Bibelformulierung des sechsten Gebots sind nämlich im Korpus eher selten. Ja manchmal scheint er sogar absichtlich umgangen zu werden wie zum Beispiel im Votum Authoris des Ehebüchleins Arcana Annuli Pronubi, in dem der lateinische Imperativ Vivite concordes, foelices vivite im Deutschen in eine Segensbitte umformuliert wird: GOtt gebe das ihr in einigkeit, | Und glückhafftig zubringt ewr zeit (C iiii).
3.1.2. Techniken der Breitenwirkung Die vierte Version des Zehngeboteliedes im Hannoverischen Gesangbuch 1646 verwendet ebenfalls die Gnadenbitte, macht sich aber für den Eingangsvers die gruppenstiftenden Eigenschaften der Wir-Formulierung zunutze: HERR deine rechte und gebot, | danach wir sollen leben, | Sollstu nur, o du treuer Gott, | Ins hertze selber geben, bevor sie dann für die einzelnen Gebote zum Ich wechselt (1657, 142 f.). Während die Du-Formulierung nur in der aufgeführten Situation des Kirchengesanges Aufforderungsinstanzen und Normadressierte vermischt, führt die im Wir gehaltene Gnadenbitte Definitionsinstanz, Leseinstanz und Normadressierte auch für die stille Lektüre zu einer Gruppe zusammen, deren Mitglieder in Bezug auf die Norm völlig identisch sind, zumal diese Version das sechste Gebot geschlechtsneutral formuliert. Die Gruppe ist in dieser Definition auf die ganze Christenheit ausgedehnt. Wenn die Wir-Formulierung in dieser Weise dazu verwendet wird, alle potentiellen Lesenden performativ in die umfassende Christenheit einzuschließen, fördert dies die Normenvermittlung mehr als die bereits erwähnte Möglichkeit, die Wir-Formulierung dazu zu verwenden, gewisse Kategorien von Lesenden von vornherein aus der Gruppe auszuschließen.18
3.1.3. Techniken der gruppenspezifischen Zuschneidung Nicht nur die Predigt-Formulierungen zum sechsten Gebot im männlichen Wir schließen die Identifikation von potentiellen Lesenden aus, das kann auch in einer Beichtvorlage geschehen. Das Hannoverische Gesangbuch fasst die Zehn Gebote für die dritte Version als Beichte: Ich hab unreine lust gesucht, Nicht heiligkeit geliebt und zucht (140) lautet die Formulierung zum sechsten Gebot. Die Transposition in das 18
Vgl. S. 54.
3. Adressierte
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Ich-Bekenntnis ermöglicht, dass eine Identifikation mit den Normadressierten sowohl für singende Frauen als auch Männer sinnvoll ist und deshalb die Vermittlung des Ehebruchsverbotes an beide Geschlechter unterstützt wird. Auch das zehnte Gebot ist in diesem Text geschlechtsneutral formuliert. Obwohl diese Beicht-Version der Zehn Gebote beide Geschlechter berücksichtigt, schafft es eine neue Schwierigkeit: Es unterstellt den sich mit dem Ich identifizierenden Singenden oder Lesenden Sünden, die sie zwar mit großer Wahrscheinlichkeit, aber doch nicht mit Sicherheit begangen haben. Es schafft also deklarativ Sünder, die es zuvor nicht waren, nun aber durch das (vorgeformte) Bekenntnis als solche erscheinen. Dieser Diskrepanz können die Singenden und Lesenden nur dadurch entgehen, dass sie entweder so lange nachforschen, bis sie ihre Sünden gegen das sechste Gebot erkennen können, was natürlich höchst erwünscht ist, oder aber, stutzig geworden, das Ich fiktivieren und keine Identifikation vornehmen. Immerhin wird eine Übernahme der Rolle verzweifelter Sünderinnen und Sünder unterstützt und damit im Gegensatz zur Gesetzes-Version des Bapstschen Gesangbuches die Angst vor der Strafe in den Text hereingeholt. Diese Möglichkeit zur Rollenübernahme kann als abschreckende Wirkung der Normenvermittlung selbst bei fiktiviertem Ich förderlich sein. Typisch für die Erbauungsschriften der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und Ausdruck des damaligen Rhetorik-Booms ist die Auffächerung in besondere Literatur für alle Stände und Lebenssitutationen.19 Im Bereich der Gebetsliteratur wird das Anliegen der Katechismen, die christliche Lehre in einprägsamer Kurzform für alle Christen zu fassen,20 dahingehend aufgefächert, dass nicht mehr alle Gebete allen dienen sollen, sondern dass für verschiedene Stände, Zeiten und Anliegen verschiedene Texte angeboten werden. Das führt dazu, dass sich auch ganze Gebetbücher nur einem Stand oder einer Untermenge von Ständen widmen. Das schafft deshalb wenig Identifikationsschwierigkeiten, weil diese Gebetbücher in erster Linie für die Hausandacht bestimmt sind, für welche Gebete ausgewählt werden können, die gemäß den Gebetsüberschriften zur eigenen Situation passen. In dieser Entwicklung gibt es nun auch Gebetbücher für Frauen: In der Vorrede An das Gott- leutund lieb-seelige Frauenzimmer in Frauenzimmers Gebeht-Buch rühmt sich der Autor Filip von Zesen, der Erste zu sein, der diese galante Dienstleistung an die Hand genommen habe (335). Das bereits erwähnte Andachtsbuch Des Mit Jesu verlobten Tugendliebenden Frauen-Zimmers Allerschönster Seelen-Schmuck von Johann Quirsfeld nimmt diese
19 20
Vgl. Pfefferkorn, 2002. Ein solch universaler Anspruch erscheint auch noch in Neumanns kurzgefasstem, nur 47-seitigen Gebetbuch Kern aller Gebete […] Fuer alle Menschen, Jn allem Alter, Jn allen Staenden, Zu allen Zeiten von 1680.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
Mode auf.21 Ein Vergleich mit dem Sing- und Bet-Altar des gleichen Autors zeigt, welchen Einfluss die Gestaltung der Text- und Normadressierten auf die Rezeptionsmöglichkeiten durch die Lesenden und damit auf die Normenvermittlung hat: Die Situation, in der das sechste Gebot relevant und anzuwenden ist, wird in diesen beiden Andachtsbüchern, die gleichzeitig auf dem Markt waren, in einer mehrseitigen Beichte geschildert: einmal als Beichte einer Ehefrauen (Seelen-Schmuck, 460) und einmal als Teil eines Beicht-Gebets nach der andern Tafel der zehen Gebote (Sing- und Bet-Altar, 195).22 Im Seelen-Schmuck werden die Normadressierten im Titel der Beichte auf Ehefrauen beschränkt. Der Sing- und Bet-Altar richtet sich im Buchtitel an eine jede gläubige Seele, der Vorbericht an den Gottseligen Leser und der übrige Text sind außer bei den Geburts-Gebeten durchgängig im generischen Maskulinum formuliert. Linguistische Untersuchungen zur Gegenwartssprache haben festgestellt, dass im Deutschen und in vielen anderen Sprachen Personenbezeichnungen im generischen Maskulinum von den Lesenden meist als Verweise auf Männer verstanden werden.23 Obwohl dieser Befund nicht einfach auf das 17. Jahrhundert übertragen werden kann, legen eine solche Kontinuität doch diejenigen Textstellen nahe, in denen nahtlos zu klar männlichen Konnotationen übergegangen wird. Dieser Mechanismus kommt im Falle des sechsten Gebotes im Sing- und Bet-Altar zur Anwendung: Das Ich beklagt sich, ein stinckender unreiner und unkeuscher Bock gewesen zu sein (196). Es konnotiert sich dadurch männlich, das Ehebruchsverbot scheint in dieser Fassung nur oder vor allem für Männer zu gelten. Der Universalanspruch der Norm wird dadurch natürlich sehr beeinträchtigt, für die Leser wird die Stelle durch die Metapher aber umso anschaulicher. Der Seelen-Schmuck unternimmt besondere Anstrengungen, um die Männer dennoch zu erreichen, die durch die Situationsdefinition und die Äußerungsinstanzen weiblich konnotierende Metaphorik ausgeschlossen werden: Der SeelenSchmuck richtet sich zwar über die Braut- und Frauenkleider-Metaphorik in der Vorrede An das Christlich gesinnte Frauen-Zimmer zunächst an Frauen, am Schluss der Vorrede verändert sich die Anrede aber von o gottseliges Frauen-Zimmer-Hertz über o Christliches Hertz, wer du seyst in die folgende Aufforderung: Brauchest du gegenwärtiges Gebetbüchlein, so thue es also, daß du dabey bedenckest, wie ein rechtschaffener Beter und Beterinne müsse gegen GOTT und Menschen beschaffen seyn. Diese Verallgemeinerung bezieht auch Männer als mögliche Rezipienten mit ein. Die Beichte einer Ehefrauen, die Ehebruch begangen werden Männer, unverheiratete Frauen und treue Ehefrauen durch Fiktivierung des Ich rezipieren.
21 22 23
Vgl. oben, S. 51 f. 1682 erscheint der Seelen-Schmuck in der zweiten und der Sing- und Bet-Altar in einer neu-vermehrten Auflage. Frank, 1992, Kap. 5.2.2.
3. Adressierte
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Der Seelen-Schmuck bietet eine Rahmung für diese Rezeption an, indem die weiblich konnotierten Textinstanzen auch als Seele-Figuren gelesen werden können. Hermann Hugos Emblembuch Pia desideria, in dem die Seele als Mädchenfigur und Liebhaberin Jesu abgebildet ist, war nebst anderen brautmystischen Texten so verbreitet, dass für die Lesenden des 17. Jahrhunderts damit gerechnet werden kann, dass sie hinreichend mit der Metaphorik von Frau als Seele bekannt waren. Damit gewinnen die Frauenfiguren im Seelen-Schmuck einen Sinn, der sie ähnlich wie die explizite Hertz-Figur in der Anrede oder die früher erwähnte Gewissen-Figur ins Innere der Lesenden verlegt. Sowohl die Rezeptionshaltung der emblematischen Deutung als auch diejenige der Fiktivierung rücken den Text in die Nähe von Drama und Erzählung. Nicht die Definition der Rezipierenden als Normadressierte und damit der direkte Appell oder deklarative Vollzug, sondern die Vorführung von Normadressierten und die Information über einen Appell oder einen Vollzug stehen dann im Vordergrund.
3.2. Figuren als Adressierte Während in den soeben gezeigten Fällen die Fiktivierung und Rahmung der Textinstanzen von der Situation und Rezeptionshaltung der Lesenden abhängt, schaffen Texte in anderen Fällen Binnenebenen, deren Rahmen durch konventionelle Signale klar abgesteckt sind. Auf diesen bereits oben erwähnten Figurenebenen kommen natürlich auch Instanzen vor, an die Textpassagen und normative Ansprüche gerichtet werden. Als Adressat einer Norm macht allerdings eigentlich nur eine Instanz Sinn, der auch Handlungsspielraum eingeräumt wird. Da Figuren nur im Text existieren und nur so handeln, wie es der Text vorgibt, sind sie als Adressierte der Norm ungeeignet. Hingegen kann mit der Hilfe von Figuren die Perlokution in den Text hineingeholt werden: Der Erfolg der Aufforderung, das heißt, die Handlungskonsequenz bei den Adressierten, wird im Text sichtbar. Damit kann die Figurenebene genutzt werden, um vorbildliche oder abschreckende Reaktionen auf eine Aufforderung zu zeigen. In diesem Sinne gestaltet der Text trotzdem Figuren so, als ob sie Entscheidungsmöglichkeiten hätten; im Bewusstsein des realen Lesers, der das Buch zum ersten Mal liest, weiß die Figur tatsächlich nichts über ihre Zukunft, weil der Leser nichts über die Zukunft der Figur weiß, sondern sie auf der Grundlage des Textes erst bildet. Die Leserin, die das Buch hingegen schon einmal gelesen hat, besitzt eine privilegierte Position, nach Catharina Regina von Greiffenberg in ihrem Lobgedicht auf den Aramena-Roman sogar eine gottähnliche: Die am Schluss erreichte Übersicht über die Ordnung der Handlung und die darin aufgehobenen Entschei-
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
dungen der Figuren sind ihr ein Abbild der göttlichen Vorsehung.24 Es gibt sogar Möglichkeiten, die Tatsache, dass das Handeln der Figuren vorbestimmt ist, auch für Erstleser hervorzustreichen: Filip von Zesen erreicht dies im Assenat-Roman (1670), indem das Schicksal der beiden Hauptfiguren Josef und Assenat schon in den ersten zwei Büchern durch Orakel und Träume angekündigt wird. Josef legt die Träume aus, sagt sich damit die eigene Zukunft voraus, was die beiden Figuren Semesse und Nitokris (und natürlich die reale Leserin) wissen, nicht aber die Figur Josef selbst. Die Verführung und die Ehebruchsgefahr sind detaillierter Teil der Auslegung (89). Die Figurenebene kann dadurch auch praktische Beispiele für die Definitionsebene liefern. Besonders deutlich wird dies in Balthasar Schupps Corinna, dessen erster Teil fast vollständig der Lebensbeschreibung der Hurenfigur Corinna gewidmet ist. Diese Beschreibung wird von der Definitionsinstanz als abschreckendes Beispiel den dazu passenden Thesen des zweiten Teils vorangestellt,25 welche in die abschließende Ermahnung der Unkeuschen mündet. Die Normadressierten auf der Figurenebene sind sowohl Frauen als auch Männer. Es gibt aber auch Texte, die wechselseitig geltende Normen vorführen wollen und deshalb Normadressierte schaffen, die nicht geschlechtlich konnotiert sind. Schnell hat für den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ehediskurs in Ehepredigten und Bußsummen die relationale Definition und Verantwortlichkeit der Ehepartner hervorgehoben, die sich besonders deutlich in Formulierungen wie under einander, mit einander, alter…alteri (eines dem andern) und alterius coniugis (des anderen Gemahls) zeigen.26 Solche Formulierungen finden sich auch im Korpus praktisch ausschließlich bei der Thematisierung der Ehe im theologischen Diskurs: Das Ehebüchlein Arcana Annuli Pronubi (1589 u. ö.) dekliniert die Gegenseitigkeit durch alle ehelichen Pflichten und betont, dass liebe gegeneinander […] nicht sündtlich (5. Kap.), daß sie bis an ihr ende, für und bey einander wohnen (8. Kap.), ein jedes dem andern seinen eigenen Ring gibt […] als untergebe eines dem andern sein Hertze, und […] nu hinfort nach des andern Hertze, Begierde, Wunsch und Willen sich richten wolle (9. Kap.), dass sie Freud und Leid mit einander tragen (11. Kap.), die Kinder mit einander im Gebet und GOttes furcht unterweisen (13. Kap.), und einander zu GOttes Furcht ermahnen […] unnd mit einander fleissig beten (13. Kap.). Für die Be-
24 25
26
Greiffenberg. In: Anton Ulrich von Braunschweig-Lüneburg, 1671, 3. Teil, Vorspann o. S. Die Disputation als Folie dieser Darlegung wird besonderes deutlich ab S. 125 f., als die Frage „warumb Unzucht, Hurerey und Ehebruch heutiges Tages so gemein sey?“ in 10 Punkten beantwortet wird, von denen acht aus dem ‚Theatrum Diabolorum‘ übernommen sind (s. die Anm. in der verwendeten Ausgabe von Vogt). Schnell, 1998, 83/114/219: Bsp. aus Samuel Neuheusers Hochzeitspredigt über Eph. 5, 25 – 29 (1585), Thomas von Chobhams Summa confessorum (1210 – 16), Johann Niders (gest. 1438) 13. der Sermones totius anni.
4. Beobachtungsinstanzen
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schreibung der negativen Seiten der Ehe wird der zweite Teil von Martin Luthers Auslegung des sechsten Gebots aus dem Deudsch Catechismus, dass man und weib fur allen dingen ynn liebe und eintracht beinander wonen [müssen], das eines das ander von hertzen und mit gantzer trewe meine (WA 30.1, 163), anzitiert: das keins das ander mehr hertzlich meinet und liebet (14. Kap.). In diesem Fall will ein jedes seines Kopffs und Sinnes sein […] krieget also der Teuffel raum und platz […] eins gegen dem andern so [zu] verbittern (16. Kap.). In der für Leichenpredigten typischen rückblickenden Idealisierung gestaltet Andreas Heinrich Bucholtz in der Leichenpredigt auf Margarethe Hackmann (1654) ihre Ehe mit Brandanus Daetrius mit folgenden Worten: Welche Ehe nach Hertzens wunsch ihnen beyderseits sehr wol gerathen, daß Sie in solcher Lieb und Einigkeit mit einander gelebet und mit solchem Hertzen einander gemeynet, als man immer ehelichen frommen Christhertzen von dem allerhöchsten wünschen und begehren möchte. (20v).
In den übrigen Diskursen und außerhalb des Themas Ehe habe ich solche Formulierungen kaum gefunden. In der Ökonomie-Literatur, die sonst sehr auf Hierarchie besteht, findet sich eine vereinzelte entsprechende Passage, allerdings mit einem relativierenden Zusatz: Beyde miteinander, nemblich, Mann und Weib, regieren in ihrem Hauß auff zweyerley Weise (Wegweiser, 21665, 71). In der Satire Lust und Unlust von 1693 macht sich Antigamus über die traute eheliche Liebe lustig, indem er solche Formulierungen nachäfft: Sie werden einander thun, was eines dem andern an Augen wird können ansehen (162). Sprichwörtlich formuliert die Anekdoten- und Witzsammlung Lustige Gesellschafft von 1660: Drey schöne Dinge seynd, die beyde GOtt und MEnschen wolgefallen, 1. Wenn […] 3. Man unde Weib, unde Man, unde Weib [Reihenfolge sic] sich — mit — einander — wol — begehen (248).
4. Beobachtungsinstanzen 4.1. Definitionsinstanz und Leseinstanz als Beobachtungsinstanzen Für Beobachtungsinstanzen legen Clark und Carlson fest, dass sie die Illokution des direktiven Sprechakts verstehen, ihn jedoch weder aussprechen noch angesprochen werden. Wird davon ausgegangen, dass für die Norm nur eine Äußerungsinstanz, welche die Handlung verlangt, und ein Adressierter, welcher die Norm auszuführen hat, nötig sind, dann lässt sich kaum erklären, weshalb es viele Texte für nötig befinden, Figuren einzuführen und auftreten zu lassen, die lediglich als Beobachtungsinstanzen fungieren. Tatsächlich sind sie aber oft entscheidend dafür, welche soziale Geltung und Verbindlichkeit einer geäußerten Norm zugemessen wird.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
Wenn Normen auf der Figurenebene formuliert werden, übernehmen Definitions- und Leseinstanz meist die Funktion solcher Beobachtungsinstanzen, weil sie alle Informationen haben, aber nicht direkt angesprochen und zur Normenbefolgung aufgefordert sind. Indem der Text eine Leseinstanz als Beobachtungsinstanz entwirft, ergibt sich für die Lesenden dieselbe normative Wirkung, ganz gleich ob sie sich mit der Leseinstanz gleichsetzen oder ob sie nur durch Rollenübernahme deren Perspektive verstehen, das heißt sich derselben Normengemeinschaft zugehörig fühlen: In beiden Fällen stellen sich die Lesenden ebenfalls auf die Position von Beobachtungsinstanzen. Die Regeln, die es erlauben, Zuordnungen zwischen der Situation oder den Eigenschaften der Leseinstanz einerseits und der Lesenden andererseits vorzunehmen, sind im Diskurs geformte gesellschaftliche Normen. Sie bilden den institutionellen Rahmen27, der die zwei Situationen in eine einzige überführt und dadurch kompatibel macht. Für die folgende Szene sind es zum Beispiel die Klassifikation sowohl von Figuren als auch Menschen nach Frauen und Männern und das Ehebruchsverbot. Diese Zuordnung und damit Neu-Rahmung kann grundsätzlich bei jedem Text geschehen, im folgenden Beispiel wird aber eine solche übergreifende Rahmung explizit gemacht, indem die Leseinstanz durch rhetorische Fragen als Beobachtungsinstanz konstituiert wird: Die letzte Episode des Assenat-Romans, die in der auch in der Bibel beschriebenen (1 Mo 39, 12) Mantelentreißszene gipfeln wird, beansprucht im Vergleich zu den anderen Episoden die meiste Erzählzeit. Sie beginnt mit einer die Liebeshandlung retardierenden Beschreibung des Festes der sowohl weiblichen als auch männlichen Gottheit Isis (Assenat, 130 und Anmärkungen zu 2, 1). Darauf beschreibt die Erzählinstanz ausführlich, wie Sefira, Potifars Frau, sich selbst schmückt und ihr Schlafzimmer verführerisch schmücken lässt (132 f.). Diese retardierende Beschreibung deutet darauf hin, dass ein besonders ausgefeilter Verführungsversuch folgen wird. Die Erzählinstanz berichtet, wie der Leibeigene Josef eintritt und sie sich begrüßen (133 f.). Noch bevor die Konversation in direkten Redebericht übergeht, stellt die Erzählinstanz nach der Beschreibung des hie und da entblößten Busens rhetorische Fragen: Welcher Mensch hette wohl diese so lieblich entblößte schönheit, ohne verzükkung, anschauen können? Welcher mensch, der diese so schönen augen, diese so blühenden wangen, diesen so liebliche rosenmund, ja dieses so zierlich gebildete angesicht ansehen sollen, hette wohl unbewegt und unverliebt bleiben können? Ja wen hette so ein schöner und noch darzu so schön ausgeschmükter und in lauter wollust entblößter leib nicht zur höchsten liebe bewegen sollen? Man kan ihm [rückbezügliches Pronomen] leichtlich einbilden, daß Josef, bei diesem anblikke, nicht unangefochten geblieben. (135)
27
Vgl. die Definition auf S. 48.
4. Beobachtungsinstanzen
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Die Fragen schaffen auf der Ebene der Leseinstanz ein Publikum, vor dem sie ausgesprochen werden. Die Norm heterosexueller Liebe vorausgesetzt, werden der Mensch der Fragen und das Man, auf das sich das rückbezügliche ihm (im grammatischen Maskulinum) bezieht, männlich konnotiert. In den rhetorischen Fragen wird gegenüber dem Lesepublikum die Aussage gemacht, dass es kaum einen Mann gebe, der dieser Verführung widerstehen könnte. Die Erzählinstanz kommentiert die beschriebene Situation und stellt sie in einen allgemeineren Zusammenhang. Die Verwendung von Mensch streicht die allgemein menschliche Schwäche heraus, obwohl es in dieser Situation nur Männern schwer fällt, der Norm des Ehebruchsverbots zu gehorchen. Diese Stelle verallgemeinert die Schwierigkeit, der Norm gehorchen zu können, über die sinnvolle Menge derjenigen hinaus, für welche die Norm in dieser Situation überhaupt relevant wäre. Einerseits wird die Verbindlichkeit der Norm dadurch herabgesetzt, dass ihre Befolgung nicht nur allen Männern schwer fallen dürfte, sondern sogar allen Menschen. Dadurch wird umgekehrt der Mann zum Mensch, die männlichen Normenbefolgungsprobleme zur allgemein menschlichen Norm. Andererseits steigert diese Verallgemeinerung das Vermögen, sich diese Situation aus der Perspektive eines sittlich durchschnittlichen Mannes vorzustellen. Für eine Leserin wird dieser Zweck nur dann erreicht, wenn sie sich nicht unter Mensch subsumiert, da gerade die Frageform ihr nahe legt, nach Fällen zu suchen, in denen die Situation nicht zur Liebe reizte, was ihr aus eigener Erfahrung nicht schwer fallen sollte. Der Schluss der Passage ist eine indirekte Aufforderung, sich Josef in dieser Situation vorzustellen und seine Rolle zu übernehmen. Eine solche Aufforderung ist nur sinnvoll an Instanzen, von denen angenommen werden kann, dass ihnen die Rollenübernahme nicht allzu schwer fällt. Dies wird im Text durch das leichtlich (135) unterstrichen. Eine solche Rezeption wird jedoch durch den weiteren Verlauf des Textes nicht unterstützt, da die Fragen auf einen Kontrast des durchschnittlichen Menschen/Mannes mit dem tugendhaften Josef hinauslaufen: Er war noch in seiner besten jugend. […] Er bestund eben, als andere menschen, aus fleisch und bluhte. Er hatte eben die gemühtsbewegungen, als andere. Aber gleichwohl schien er mehr ein meister über seine jugend, über sein fleisch und bluht, ja über alle seine gemühtstriften und begierden zu sein, als sonst alle sterblichen. (135)
Die Aufforderung richtet sich deshalb an die durch die männliche Konnotation von Man aus der Menge des Lesepublikums hervorgehobenen Männer. Der indirekte Sprechakt formuliert die Aufforderung, sich in Josef einzufühlen, so dass nur Männer als Teilnehmende in Frage kommen. Mit der Rezeptionsweise von Leserinnen rechnet der Text nicht, das heißt sie werden aus dem Kreis der Teilnehmenden ausgeschlossen, als Wahrnehmende28 konzipiert: Der Text verhindert nicht, dass er von 28
Zur Definition s. Kapitel „Modell“, S. 46.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
Frauen gelesen wird. Dadurch aber, dass männliche Erfahrung angesprochen wird, fehlt Frauen ein wichtiger Inferenzbereich, um die geforderte Einfühlung auszuführen und den Gegensatz zu Josefs Verhalten wie vom Text nahe gelegt wahrzunehmen. Andererseits kann diese Bemerkung umso genauer auf den männlichen Leser wirken, als er erkennen muss, dass die Erzählinstanz das Ehebruchsverbot propagiert, obwohl sie sich in mögliche männliche Leser einfühlen kann. Meist wird die Leseinstanz nicht auf diese explizite Weise als Beobachtungsinstanz konstituiert; als Publikum dessen, was sich auf der Figurenebene abspielt, ist sie implizit entweder Beobachtungsinstanz oder Wahrnehmende.29
4.2. Beobachtungsinstanzen auf Figurenebene Beobachtungsinstanzen können innerhalb der Figurenebene so von den übrigen Figuren unterschieden werden, dass sie Stellvertretende der sozialen Gruppe darstellen, für die die Norm gilt, und deshalb die geäußerten Aufforderungen verstehen. Das heißt nicht, dass die Norm auch für die einzelnen Beobachtungsinstanzen gilt, aber diese können richtig beurteilen, wann jemand gemäß dem Normensystem der Gruppe handelt. Sie kennen also die Rollen, die in dieser Gruppe erwartet werden. Auf der Figurenebene können verschiedene Beobachtungsinstanzen dazu benutzt werden, die soziale und situationale Abhängigkeit von Normen vorzuführen. Im dritten Buch der Assenat werden die situativen Umstände, die dazu führen, dass ein Normenverstoß von der sozialen Umwelt konstatiert wird, in gestaffelten Verführungsszenen durchgespielt. Innerhalb der Figurenebene werden also nochmals Rahmungen eingeführt, welche die verschiedenen Situationen und Inszenierungen kennzeichnen. SEphira brannte noch (94). So beginnt dieses Buch. Sefira, die Frau des ägyptischen Fürsten Potifar, war – das wird nun klar – unter den Frauen, die Josef im ersten Buch am Königshof gesehen und sich in ihn verliebt haben (18). Im dritten unternimmt sie Annäherungsversuche, die sich von Mal zu Mal steigern. Zentrale Norm dieses Buches ist das Ehebruchsverbot: Sefiras Annäherungsversuche werden mit zunehmender Intensität deutlicher mit dem Ehebruchsverbot konfrontiert. Für sie besteht das Dilemma zwischen der Liebe zu Josef und dem Ehebruchsverbot. Dieser Konflikt wird aber nicht als Normenkonflikt behandelt: Es ist ein Konflikt zwischen dem Affekt, der sie beim Anblick Josefs in Besitz genommen hat (vgl. auch den krank machenden Widerstreit der Gefühle auf S. 146), und der normgeleiteten Affektbeherrschung als aktiver Handlung. Sefira steht dem29
Zur Instanz der Wahrnehmenden s. u. S. 71.
4. Beobachtungsinstanzen
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nach zwischen Affekt und Norm. Einen Konflikt zwischen zwei Normen hat Josef auszustehen, denjenigen zwischen Ehebruchsverbot und Gehorsam gegenüber seiner Herrin, deren leibeigener Diener er ist. Den Affekt der Liebe, die auch ihn zu überwältigen droht, als er die schön geschmückte Sefira erblickt (136), kann er nicht zügeln, ohne gegen das Gehorsamsverbot zu verstoßen. Für die Normenkonstruktion des Textes ist es entscheidend, wie der Handlungsverlauf, der im Text chronologisch abläuft, den normativen Inhalt strukturiert. Auf der Figurenebene fordern Nitokris (in direkter Rede 119) und Josef (in indirekter Rede 127) Sefira ausdrücklich zum Befolgen des Ehebruchsverbotes auf, das gemäß den gängigen Katechismen30 mit dem Keuschheitsgebot weitgehend zusammenfällt. Auf der Erzählebene werden diejenigen, welche diese Norm zu befolgen haben, nicht ausdrücklich genannt, das heißt, die Lesenden werden nicht angeredet. Für die Vermittlung der Norm an die Lesenden ist entscheidend, wie der Geltungsrahmen der Norm in der Figurenhandlung gestaltet wird, ob sich also die Lesenden zu dem Kreis zu zählen haben, für den die Norm Geltung besitzt, oder gar zu dem, der die Norm zu befolgen hat. Die verschiedenen Episoden der Steigerung bringen nicht nur verschiedene Normen zur Sprache, die allenfalls gegen das Ehebruchsverbot angeführt werden könnten. Gleichzeitig werden als Beobachtungsinstanzen auch Personen und Personengruppen eingeführt, die stellvertretend für diejenigen auftreten, welche den Geltungsrahmen der verschiedenen Normen bilden, das heißt welche zu denjenigen sozialen Gruppen gehören, für die die verschiedenen Normen als Konvention gelten. Die Beobachtungsinstanzen der einzelnen Verführungsepisoden entwerfen einen sozialen Geltungsrahmen für das Ehebruchsverbot und machen die Regeln für die Güterabwägung zwischen den verschiedenen Normen, die in den Normenkonflikten aufeinander prallen, von der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen abhängig. Auffallend ist, dass auf Figurenebene keine Beobachtungsinstanzen vorkommen, welche einer sozialen Gruppe angehörten, die den Ehebruch billigen würde, obwohl das gerade in einer in heidnischer Vergangenheit angesiedelten Erzählung durchaus möglich wäre. Obschon die Träume von Nitokris, Semesse und Assenat bereits im zweiten Buch darauf hinweisen, dass Josef von einer Ehefrau verführt werden wird, kennt Josef Sefira zu Anfang des dritten Buches noch nicht. Sie inszeniert die erste Begegnung als großartige Wagenausfahrt, die sie scheinbar zu einem Bildhauer führt. Sie rechnet mit Josef als Beobachtungsinstanz ihrer Unterhaltung mit dem Bildhauer, als Zuschauer und Bewunderer ihres Schmuckes, weil er beim memfischen Kaufmann im Haus gegenüber wohnt. Sie muss jedoch ein zweites Mal, noch viel präch30
Luther, 1529, ,Kleiner Catechismus‘, 6. Gebot. Vgl. entsprechend auch Prasch, 1683, ,Emblematischer Katechismus‘, 6. Gebot.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
tiger, auffahren, bis nicht nur sehr viele andere Bewohner der Gassen, sondern auch Josef, von den Jungfrauen des Hauses dazu bewogen, vor die Tür tritt. Josef hatte zwar keine Lust einige schöne Frau an zu blikken. Er flohe sie vielmehr […] damit ihr üppiger anblik ihn nicht verunruhigte (96): Noch bevor Sefira überhaupt beim Bildhauer ankommt und ihre Blicke liebreich auf Josef wirft, bangt Josef bereits um seine Keuschheit. Während die ganze soziale Umgebung Josefs den schönen Anblick genießen will, ist Josef aus Prinzip und ohne die Frau zu kennen um seine Keuschheit besorgt. Josefs Verhalten ist in dieser Situation die Ausnahme, seine Besorgnis um seine Keuschheit scheint auf dem Hintergrund all der schaulustigen einwohner (96) übertrieben. Aus diesem Zusammenhang wird klar, dass es nicht die soziale Umgebung ist, die ihm das keusche Verhalten nahe legt oder aufzwingt, sondern dass er es aus eigener Motivation tut. Obwohl Josef die Träume von Nitokris, Semesse und Assenat selber ausgelegt hat, weiß er nicht, dass sie sich auf ihn beziehen, für ihn kann es also keine Motivation darstellen, dass dem keuschen Jüngling Verführung durch eine verheiratete Frau droht (89). Josef, das wird aus dieser Situation deutlich, ist einer, der aufgrund seiner eigenen Normvorstellungen handelt und sich kaum nach seiner Umgebung richtet. (Immerhin tritt er auf das Drängen der Hausjungfrauen vor die Tür.) Für die Lesenden, die dieser Situation als Beobachtungsinstanzen ebenfalls beiwohnen, ist sein Verhalten allerdings gerechtfertigt, da die Lesenden wissen, dass Josef die in den Träumen angekündigte Verführung droht. Obwohl Josef kaum den normativen Erwartungen seines sozialen Umfelds entsprechend handelt, erscheint es nach der Vorausdeutung der Träume für die Lesenden sinnvoll. Auf der Figurenebene und auf der Erzählebene werden hier zwei verschiedene Normanwendungssituationen konzipiert: Auf der Erzähl- beziehungsweise Leseebene scheint wegen der Kenntnis der Traumdeutungen Josefs strenge Befolgung des Keuschheitsgebots selbst in dieser harmlosen Situation sinnvoll, während seine Figurenumgebung ihn dazu drängt, Sefira anzuschauen. Obwohl diese Figuren sich nicht gegen das Ehebruchsverbot wenden, stellt die soziale Isolierung von Josefs Keuschheitssorgen doch eine gewisse implizite Relativierung der Keuschheitsnorm dar. Auf der Erzählebene werden jedoch, wie gezeigt, durch die Vorausdeutungen Vorkehrungen getroffen, dass diese soziale Isolierung und Motivationslosigkeit von Josefs Zurückhaltung nicht hervorsticht. Eine besondere Konstitution der Beobachtungsinstanzen begegnet in der Landesordnung von Sachsen-Gotha. Sie gleicht derjenigen von Christian Weises Josephdrama. Dort werden durch Szenenanweisungen, die ein ad-spectatores-Sprechen vorschreiben, Beobachtungsinstanzen auf der Ebene der Lese- beziehungsweise impliziten Publikumsinstanz geschaffen, deren Situation mit derjenigen der realen Zuschauenden übereinstimmt. Die Landesordnung von Sachsen-Gotha ist als Text an diejenigen Instanzen adressiert, die für die Durchsetzung der in ihr niedergeleg-
5. Wahrnehmende
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ten Normen zuständig sind, und nicht direkt an alle Normadressierten. Am Schluss steht jedoch ein Vorlese-Befehl, der diesen zuständigen Instanzen vorschreibt, dass die Bestimmungen den entsprechenden Normadressierten jeweils abschnittweise vorzulesen sind: so wollen Wir, daß allen und jeden die Stücke daraus, welche sie angehen, an denen obrigkeitlichen Stellen zum wenigsten alle Jahr einmal, und zwar diejenige, welche männiglich betreffen oder männiglich sonderbar zur Nachrichtung dienen, zugleich ganzen Gemeinden auf zweene Rügegerichtstermine jedesmal zur Helfte, die andern aber, welche Personen gewisses Standes und Berufs sonderbar angehen, denenselben auf absonderliches Fürfordern zu gelegener und bequemer Zeit fürgelesen und sie, derselbigen zu geleben, mit Ernst und Fleiß vermahnet und angehalten werden sollen. (Beschluß [2], Schmelzeisen Bd. 2/1, 658)
Einerseits wird durch diese Passage eine mündliche direkte Adressierung der Normadressierten vorgeschrieben. Andererseits werden aber durch die Formulierung oder männiglich […] zur Nachrichtung dienen Beobachtungsinstanzen konstituiert. Dieser Vorlese-Befehl erhält (auf der Ebene einer die normative Kraft des Gesamttextes stützenden Binnenerzählung) die Funktion einer Mise-en-abîme des Prinzips, dass Gültigkeit auf Öffentlichkeit beruht. Die realen Pendants zu den so konstituierten Beobachtungsinstanzen bilden die Öffentlichkeit, die der Normentext zur Bezeugung rechtswirksamer Verträge und Vollziehung der Ehrenstrafen braucht: Der Text entwirft Szenen, in denen Beobachtungsinstanzen erst durch ihre wissende Anwesenheit die normative Kraft der Vorgänge zum Tragen bringen: Die Ehe als Institution und Bündel von Normen erlangt nur Geltung durch die Anwesenheit von zwei Zeugen (1. Teil, 8. Kap., 1. Tit., Abs. 1, Schmelzeisen S. 598). Für außerehelichen Geschlechtsverkehr werden mehrere Strafen entworfen, die ohne die Anwesenheit eines wissenden Publikums gar nicht wirksam werden können: Neben Gefängnis für beide muss die Braut mit verdecktem Häupte, und ohne Spiel, zur Kirchen gehen (2. Teil, 4. Kap., 10. Tit., Schmelzeisen S. 652). Strafen für schlimmere Unzucht sind neben Hinrichtung und Landesverweisung öffentliche Rutenschläge, Pranger und öffentliche Auspaukung (2. Teil, 4. Kap., 10. Tit.). Die Landesordnung von Sachsen-Gotha schafft demnach mit dem Vorlese-Befehl Instanzen, die mit dem Wissen ausgestattet werden, das die entworfenen Szenen erst zu Strafen macht.
5. Wahrnehmende Dadurch dass im Text gezeigt wird, dass Leseinstanzen oder untergeordnete Figuren eine Äußerung zwar hören oder lesen können, aber es nicht vorgesehen ist, dass sie deren Illokution auch verstehen, werden Gruppen gebildet: Wahrnehmende werden aus dem Kreis der Teilnehmenden ausgeschlossen, zum Beispiel indem sie zu wenig
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
wissen, um die Illokutionen und damit deren Normen verstehen zu können. Durch die Kombination von Wahrnehmenden und Beobachtungsinstanzen kann in den Texten eine Konstellation geschaffen werden, die der dramatischen Ironie31 entspricht: Beobachtungsinstanzen und Wahrnehmende interagieren auf derselben Textebene (Bühne). Auf der gleichen oder auf der darüber liegenden Textebene stehen Beobachtungsinstanzen (Publikum), welche den Wissensunterschied zwischen Beobachtungsinstanzen und Wahrnehmenden erkennen. Frauen werden auf der Ebene der Leseinstanz in manchen Texten als Teilnehmende ausgeschlossen, indem es ihnen verunmöglicht wird, denselben Informationshintergrund aufzubauen. Mit Vielgünstiger Leser! fängt die Vorrede von Johann Riemers Der politische Maulaffe an. Der Roman beginnt mit der Liebesgeschichte zweier Sekundaner (2) und spricht damit ein Wissen an, das Frauen kaum aus eigener Erfahrung kennen. Entsprechend den Romanhelden müsste der reale Leser lateinkundig sein, um den ganzen Text verstehen zu können. Im 180. Kapitel zitiert zum Beispiel der Ich-Erzähler in Gedanken auf Latein eine Seneca-Stelle über die allseitigen Gunstbezeugungen von Huren, als er zuschaut, wie die Wirtin dem Mons. Dion Nysi von ihrer Keuschheit erzählt, unter dem Tisch aber mit ihm füßelt und Philurts Hand hält (308 f.). Zwar verstehen auch Lesende, die nur Deutsch können, dass Wort und Tat der Wirtin nicht übereinstimmen, die Verurteilung dessen wird aber für Lateinkundige durch das Seneca-Zitat umso deutlicher. Der politische Maulaffe vermittelt demnach nicht an Frauen und Männer gleichermaßen, wie sie sich jeweils dem anderen Geschlecht gegenüber zu verhalten haben, sondern zielt hauptsächlich darauf ab, den lateinkundigen (männlichen) Lesern sowohl männer- als auch frauenspezifische Verhaltensnormen zu lehren. Die Aufforderung an Frauen wird demnach nicht an weibliche Leseinstanzen adressiert, sondern an Lateinkundige (Männer) delegiert. Die Befehlshierarchie, wie sie am deutlichsten in Ökonomien zur Darstellung kommt, wird durch diese Art der Rahmung nachvollzogen; Johannes Colerus’ Oeconomia (1591 u. ö.) setzt den Hausvater als Wissensverwalter über die Rechte und Pflichten aller Hausbewohner ein. Auch er müsste, um den ganzen Informationswert des Buches nutzen zu können, Latein und Griechisch lesen können. Nicht nur der Gebrauch gelehrter Sprachen, sondern auch gelehrte intertextuelle Verweise schaffen in der Leserschaft eine Trennlinie zwischen Teilnehmenden und Wahrnehmenden. Innerhalb des wohlhabenden bürgerlichen Standes verläuft diese hauptsächlich zwischen den Geschlechtern, weil darin Männer weit häufiger als Frauen Latein lernen oder gar die Universität besuchen. Diese Texte setzen Ironie 31
Pfister, 61988, 88: Dramatische Ironie „tritt immer dann auf, wenn die sprachliche Äußerung oder das außersprachliche Verhalten einer Figur für den Rezipienten aufgrund seiner überlegenen Informiertheit eine der Intention widersprechende Zusatzbedeutung erhält.“
5. Wahrnehmende
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so ein, dass die beiden Geschlechter systematisch verschiedene Informationen zugewiesen bekommen. Die Tatsache, dass verschiedene Individuen den gleichen Text unterschiedlich verstehen, wird damit in geschlechtsdifferenzierender Weise verstärkt – im vorliegenden Fall so, dass Männer nach der Lektüre mehr wissen als Frauen. Ironie kann zur Normenvermittlung auch auf der Figurenebene eingesetzt werden. Erzählinstanz und Leseinstanz wissen zum Beispiel mehr als eine Figur.32 In Christian Weises Drama Der keusche Joseph (1690) werden Figuren dazu benutzt, die alltägliche Beurteilung von Geschlechterbeziehungen zu simulieren. Typisch dafür ist, dass die beobachtenden Figuren über die Motivation und Vorgeschichten der Handelnden nur teilweise informiert sind: Im dreizehnten Aufzug der ersten Handlung freut sich Seres’ Gatte Potiphar über die Treue seiner Frau, deren abschlägige Antwort an den arabischen Prinzen Mamylos er belauscht. Das (Lese-)Publikum weiß aber aus ihrem Monolog im vierten Aufzug, dass sie den Sklaven Joseph liebt (16 f.). Auch in der Romanfassung der Josefsgeschichte von Zesen ist die Figur Potifar der leichtgläubige Gemahl, der zwar etwas bemerkt, aus dem Verhalten seiner Frau aber völlig ‚falsche‘ Schlüsse zieht (Assenat, 101). Eine Ironie-Situation wegen fehlender Lateinkenntnisse kann auch auf der Figurenebene erzählt werden, wie in einem Witz der Lustigen Gesellschafft, der auch in der satirischen Disputatio Inauguralis Von Der Jungfrau-Liebe (3. Frage) vorkommt: Eine Tochter fragte ihren Vater den Doctor, was doch ein brave Dama hieß, also würde sie von den Studenten titulirt. Der Vater sagte: Eine stinckende Gemse, heißet es, drumb kehre du dich nicht daran. (Nr. 474, S. 177)
Das scheinbare Lob für normenkonformes Verhalten verwandelt sich durch die Erklärung des Vaters in eine verleumderische Kritik. Der Witz macht wie die IronieSituationen der Josefsgeschichten-Bearbeitungen deutlich, dass die Einschätzung der Normenkonformität vom Informationsstand abhängt, dass eine normative Beurteilung sich immer auf einen Rahmen bezieht, der nicht nur als soziale Gruppe, sondern auch als Kenntnisstand definiert werden muss. Primäre Rahmen definieren sich auch dadurch, dass sie eine bestimmte Ansicht darüber, was der Fall ist, umreißen und dadurch Informationsgruppen bilden. Detektivfiguren, für die ein systematisches Informationsgefälle zu den übrigen Figuren aufgebaut wird, sind ein wichtiges Instrument der Normenvermittlung im dynamischen Ablauf, wie ich es im Kapitel „Rehabilitation“ am Beispiel der Figur Nitokris zeigen werde.33
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Vgl. Goffman, 1977, 156 analysiert den Informationsunterschied zwischen (realem) Publikum und Figuren in Theateraufführungen und definiert diese ‚Modulation‘ des ‚primären Rahmens‘ als „eine Art freiwillig unterstützter freundlicher Täuschung“. S. 189–193.
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B. Textinstanzen in Variationen des sechsten Gebots
Die gleiche Funktion besitzen die bereits genannten intertextuellen Verweise. Für die Normenvermittlung besonders hilfreich sind diejenigen intertextuellen Verweise, welche von der Formulierung und Typografie nicht als solche gekennzeichnet sind: Sie schaffen für diejenigen Lesenden, die sie erkennen, Ironie und enge Gruppenzugehörigkeit, erhöhen aber, solange der Text auch sonst verständlich bleibt, die Rahmenhürde für die anderen nicht, weil diese sie gar nicht als Verweise wahrnehmen. Die Inhalte von Normen der Geschlechterbeziehungen sind allerdings als intertextuelle Verweise so allgegenwärtig, dass in diesem Fall nicht von Ironie gesprochen werden kann. Das Wissen über die Normeninhalte kann als Teil der primären Rahmen aller zeitgenössischen Lesenden des untersuchten Korpus gelten – nicht unbedingt in der Hinsicht, dass die Normen gesellschaftlich wirklich gelten, sondern als Wissen darüber, welche Normen der Geschlechterbeziehungen auf der Diskursebene üblicherweise formuliert werden. Der Unterschied zwischen Wahrnehmenden und Beobachtungsinstanzen besteht darin, dass die Letzteren die Norm verstehen und in einer entsprechenden Situation danach handeln könnten. Die Wahrnehmenden hingegen brauchen die Norm nicht zu kennen. Beobachtungsinstanzen sind deshalb dafür vorgesehen, dass sie wegen der Norm (moralisch) handeln können, indem sie ihr Handeln bewusst an ihr ausrichten. Bei Wahrnehmenden wird in Kauf genommen, dass sie höchstens zufälligerweise gemäß der Norm (juridisch) handeln werden, weil sie die Norm möglicherweise nicht verstehen.34 Daraus wird klar, dass nur die Gruppe der Teilnehmenden für die Normenvermittlung vorgesehen ist. Texte, die Ironie so konstruieren, dass die Leseinstanz systematisch zu den am besten informierten Instanzen gehört, schaffen für sie ein institutionelles Umfeld auf einem im Vergleich zu den weniger informierten Figuren höheren moralischen Niveau. Dieser Unterschied kann das Normenlernen bei den Lesenden fördern, denn „die Schaffung einer institutionellen Atmosphäre“ auf höherer moralischer Stufe ist nach Kohlberg günstig für die Moralentwicklung.35
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Obwohl hier nicht mit Kants Normenbegriff gearbeitet wird, scheint seine Unterscheidung von juridischem und moralischem Handeln bzw. von Legalität und Moralität (Metaphysik der Sitten, AA 214) insofern auch für diese auf die soziale Geltung von Normen ausgerichtete Untersuchung brauchbar, indem damit das Verhältnis von dargestellten Gedanken und Handlungen hinsichtlich der Normerfüllung genauer beschrieben werden kann. Kohlberg, 1996, 170.
C. Zusammenfassung Es ist in Texten nicht unbedingt nötig, Textinstanzen auf eines von zwei Geschlechtern festzulegen. Das Geschlecht von Textinstanzen bildet sich im Leseprozess über gruppenbildende sprachliche Formulierungen. Dies sind die textlichen gendered modes, welche gleichzeitig auch die Verhaltensnormen für Frauen und Männer bilden. Frauen und Männer müssen gerade für das gegenseitige Verhalten nicht nur die Normen, die für ihr Geschlecht gelten, lernen. Zwei Grundmechanismen des Normenerwerbs sind nach Kohlberg Identifikation (nur möglich für das eigene Geschlecht) und Rollenübernahme (für beide Geschlechter). Diese beiden Vorgänge sind wichtig, um Rahmen zu überschreiten, das heißt, Fiktionales in die eigene Wirklichkeit herüberzuholen, werden aber nur dann gefördert, wenn die gerahmten Vorgänge nach übersetzbaren Regeln ablaufen. Die Betrachtung verschiedener Strategien, das Ehebruchsverbot zu formulieren und zu vermitteln, hat gezeigt, dass die Normadressierten zur gleichen historischen Zeit je nach vorgesehenem Verwendungsrahmen und Art der Formulierung sehr unterschiedlich ausfallen können. Während bei generischem Maskulinum Frauen weniger als Normadressierte angesprochen sind, ist das Gleiche für Männer bei Braut-Metaphorik der Fall. Die Überlegungen zu den Fiktionsleistungen der Lesenden haben aber deutlich gemacht, dass die exakte Übereinstimmung von Rezipierenden mit den im Text definierten Normadressierten nicht die einzige Möglichkeit ist, Normen zur sozialen Geltung zu verhelfen. Wichtig für die Normenvermittlung ist in den Texten meines Korpus die situative Veranschaulichung der Norm und die Position der Beobachtungsinstanzen, einer dritten Instanz, welche die Norm weder ausspricht noch unmittelbar zu befolgen hat, sondern nur darüber informiert wird und über ihre Einhaltung wacht. Die folgenden Kapitel werden zeigen, dass nicht nur statische Personenreferenzen oder Textbezüge, sondern ebensosehr ritualisierte Textverläufe die Art und Weise bestimmen, wie Frauen und Männer als soziale, miteinander interagierende Gruppen stets neu definiert werden. Es wurde deutlich, dass der direkte auffordernde Sprechakt an die Leseinstanz die Ausnahme darstellt. Viel häufiger sind gerahmte Äußerungen, welche eine Publikums-Position schaffen. Normativität wird vor allem durch Beobachtungsfiguren geschaffen. Nicht der Befehlende ist wichtig, auch nicht der Befehlsempfänger, sondern die Zuschauenden. Das kann anders so formuliert werden, dass die auf Konventionen basierenden Normen diesen Vertrag, den sie darstellen, immer wieder er-
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C. Zusammenfassung
neuern müssen. Es ist deshalb nicht sinnvoll, die Konstruktion von Geschlechternormen in Texten ausschließlich anhand von direkten Befehlssätzen zu untersuchen, sondern es muss das soziale Umfeld, wie es der Text schafft, in den Blick genommen werden. Die folgenden Kapitel analysieren deshalb nicht auf Satz-, sondern auf Text- und Diskursebene, wie Normen der Geschlechterbeziehungen konstruiert werden. Es wurde klar, dass Normen insofern etwas mit Mengenlehre zu tun haben, als sie jeweils für bestimmte Kategorien von Situationen gelten. Ihr Verständnis setzt eine differenzierte Abstraktionsleistung voraus. Wichtig für die Normenvermittlung ist, dass der Text für die schwer vorherzusehenden Lesenden eine soziale Umgebung (Gruppe, Institution) zu schaffen vermag, welche die Lesenden zur Rollenübernahme anregen und die Übernahme ihrer Rolle durch andere Instanzen vorführen. Konkrete Anwendungssituationen von Normen sind ohne Rahmen, welche zumindest einen Teil der Lesenden in die Position von Beobachtungsinstanzen versetzen, nicht beschreibbar. In den analysierten Texten werden die verschiedenen Textinstanzen mit geschlechtstypischen Lastigkeiten ausgestaltet, die geschlechtsbezogene Asymmetrien in der Normenvermittlung zur Folge haben können. Die Definitionsinstanz wird, wenn überhaupt, eher männlich konnotiert. Die Leseinstanz erscheint meist im generischen Maskulin und entpuppt sich stellenweise als männlich, so dass sich Männer eher als Normadressierte angesprochen fühlen werden. Abhilfe gegen diese einseitige Ausrichtung auf die Gruppe der Männer schaffen zwei Taktiken: die Ergänzung um spezifische Texte für andere Gruppen, zum Beispiel Frauen, oder die geschlechtsneutrale Formulierung im Wir. Auf der Figurenebene werden Instanzen gebildet, die von der Definitionsebene aus gesehen das ihnen einmal zugesprochene ‚wahre‘ Geschlecht durch den ganzen Text hindurch behalten. Es gibt allerdings auch geschlechtsneutrale Figuren wie Gewissen und Hertz, die in einem universalen Inneren angesiedelt werden. Fast nur im theologischen Diskurs begegnen wechselseitige Formulierungen wie einander. Manche Textstellen setzen für die Normenvermittlung auf gelehrtes Wissen, das innerhalb des wohlhabenden bürgerlichen Standes hauptsächlich Männer haben. Solche Verweise wie auch Beschreibungen von männlichen Erfahrungen schaffen zwei geschlechtsbezogene Rezeptionsvarianten: Die Normenvermittlung an die Männer wird unterstützt, Frauen, denen wichtige Informationen fehlen, um die normativen Implikationen verstehen zu können, werden in die Position von Wahrnehmenden verwiesen. Die Ausgestaltung der Textinstanzen scheint also auch bei einer für beide Geschlechter geltenden Norm wie dem Ehebruchsverbot hauptsächlich der Normenvermittlung an (gebildete) Männer zu dienen. Diejenigen Texte, die gar riskieren, dass Frauen die Normen aufgrund fehlenden Vorwissens nicht lernen und überneh-
C. Zusammenfassung
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men, halten es scheinbar für ausreichend, wenn (gebildete) Männer darüber belehrt werden, welche Normen sie selbst und die Frauen anzuwenden haben. Diese männerbezogenen Rahmungen werden allerdings von ablaufbezogenen Rahmen überlagert, welche durchaus situatives Wiedererkennungspotential für Frauen bergen. Diesen Konfliktverlaufmustern gilt die Aufmerksamkeit der folgenden Kapitel. Die Analyse wird im Folgenden auf Normenkonflikte fokussieren. Wenn Norm als soziales Produkt definiert und dabei gerade auch der statistische Aspekt betont wird, ergeben sich Normenkonflikte typischerweise im konkreten Einzelfall. In diesem Kapitel wurde gezeigt, wie sich mit zunehmender Konkretisierung der Situation im Text ihr Fiktivitätsgrad erhöht. Die Darstellung von Normenkonflikten kommt deshalb kaum ohne Rahmung aus. Es ist deshalb ein enger Zusammenhang zwischen Normenkonflikten und Fiktivität von Textsituationen zu vermuten; die zusätzlichen Rahmen verlangen Fiktionsleistungen der Lesenden. Dass sich alle Lesenden mit den Normadressierten des Textes im Konfliktfall identifizieren, war nicht einmal in den Beispielen der Beichtgebete möglich. Wird die Textsituation zusätzlich durch Konfliktverlaufmuster und Verweise auf außertextliche Institutionen festgelegt – was sich in den folgenden Kapiteln zeigen wird –, kommt der Fiktivität schaffenden Rahmung und damit der Position der Beobachtungsinstanzen eine herausragende Stellung zu.
Teil III Konfliktverlaufmuster Die folgenden Kapitel stellen fünf Konfliktverlaufmuster1 vor, die sich für die normativen Darstellungsmöglichkeiten von Geschlechterbeziehungen im 17. Jahrhundert als grundlegend erweisen. Dank der textsortenübergreifenden Betrachtungsweise kann gezeigt werden, dass Muster, die bisher vor allem einer Textsorte zugeschrieben wurden, ähnlich auch in anderen zu finden sind. Erst durch diese Quersicht wird deutlich, welche diskursordnende und damit normative Kraft ihnen zukommt. Für die Konstruktion und Vermittlung von Normen der Geschlechterbeziehungen ist es entscheidend, welche Positionen innerhalb der Verlaufmuster an die im vorhergehenden Kapitel eingeführten Textinstanzen vergeben werden. Im Zentrum der Analyse steht deshalb die Frage, auf welchen kommunikativen Ebenen das Ablaufmuster dargestellt wird und welche Auswirkungen die Wahl auf die Normenvermittlung hat. Vergleichsbasis ist dafür jeweils eines der Konfliktverlaufmuster, die als Regelmäßigkeiten quer durch die Textsorten zu finden sind und dort die Thematisierung von Geschlechterbeziehungen strukturieren. Diese Muster bilden Prototypen von Konflikten, die sich an Normen der Geschlechterbeziehungen entzünden können.2 Sie gehören zum Formationssystem des Geschlechterdiskurses des 17. Jahrhunderts und bestimmen, welche Darstellungsverfahren für Beziehungen der Geschlechter möglich sind. Die Muster sind ihrer-
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Def. s. Kapitel „Grundlagen“, S. 11 und 21. Vgl. die Definition von Norm auf S. 4 f.
80 seits demnach wiederum Normen und erzeugen Sinn durch die Auswahl und Ordnung, die sich durch die Strukturierung ergeben. Sie werden hier in erster Linie als Normen für Texte untersucht. Die folgenden Kapitel widmen sich deshalb ritualisierten Interaktionsformen, wie sie sich in den Texten des Korpus präsentieren. Dabei geht die Absicht wie in der Einleitung erwähnt nicht dahin, tatsächliches Verhalten von Frauen und Männern für das 17. Jahrhundert zu rekonstruieren, sondern Muster zu präsentieren, die in den Texten des Korpus Begegnungen der Geschlechter strukturieren. Für die normative Wirkung ist es allerdings entscheidend, dass sie Anknüpfungspunkte an außertextliche diskursive Praktiken bieten und in diesem Sinne (das lässt sich aufgrund des Textinhalts vermuten) zu gesellschaftlichen Praktiken und Institutionen3 wie der Liebeswerbung oder dem Gericht gehören, in welchen auch andere Medien dieselben Muster (re-)produzieren. Die Konfliktverlaufmuster lassen als prototypische Ablaufschemata „die schließliche Plazierung des Textes als punktierte Linie offen“.4 Die Analyse der Einzeltexte zielt deshalb nicht darauf, die strenge Einhaltung eines universalen Schemas zu beweisen – sie will die normative Herstellung eines Prototypen durch seine Variationen vorführen. Zur Orientierung wird jedoch am Anfang der Kapitel jeweils ein Prototyp aufgrund von prototypennahen Texten entworfen. In der Spannung der einzelnen Realisationen zum Prototypen wird denn auch das Reflexionspotential der Variationen gesucht. Konfliktverlaufmuster liegen entweder dem Textverlauf zugrunde, sie werden vom Text thematisiert oder es geschieht beides zugleich. Im Zentrum der Analyse stehen diejenigen Texte, die sich formal am Konfliktverlaufmuster orientieren; wo jedoch die Texte die Konfliktverlaufmuster im Hinblick auf Geschlechterbeziehungen thematisieren, betrachte ich auch dies, da sich an solchen Stellen zeigt, inwiefern die Texte diese Muster selbst reflektieren.
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Def. s. Kapitel „Diskurse und Korpus“, S. 33. Foucault, 71995, 111.
A. Kompliment Im Konfliktverlaufmuster Kompliment, so wird im Folgenden zu zeigen sein, wird gleichzeitig mit dem Normenbruch eine fiktionale Uneindeutigkeit geschaffen, welche das besondere Kennzeichen dieses Musters ist. Der Bewältigungsmechanismus vereindeutigt die Situation zu einer sozialen Wirklichkeit, indem er meist die Aussagen der männlichen Textinstanz zur Wahrheit werden lässt.
1. Ritualisierter Verlauf In der Witz- und Anekdotensammlung Lustige Gesellschafft wird als Nr.688 ein Poetisch Schertz-Gedicht auf die jetzigen närrischen Complementen und Frantzösischen Kleidertracht aufgeführt (278 – 286). Das Ich spricht die lieben Hochzeit-Gäst (V. 9) an. Es schafft damit einen Rahmen, der die Rollenübernahme dann erleichtert, wenn das Gedicht tatsächlich an einer Hochzeit vorgetragen wird. Nach einer Alamode-Kritik der männlichen Mode wird den Hochzeitsgästen eine Moralisatio in den Mund gelegt, noch bevor die satirische Kritik am Komplimentierwesen beginnt: Weiß ich daß ihr selber saget, | Auß der Thorheit Elementen | Kommen unsre Complementen (V. 98 – 100). Dies vereinnahmt die realen Gäste für die Position des Ich, das nun im Sinne einer Kompliment-Kritik einen aufwendigen Werbeablauf beschreibt: Der Juncker (V. 101) kleidet sich fein, spaziert in zierlichen Schritten herum. Die Dame lässt ihr Mädgen ihm abpassen und schaut im richtigen Moment auf die Straße (V. 121 – 26). Er schickt ihr eine Kusshand zu, verneigt sich in übertriebener Ehrerbietung und zieht den Hut schon lange vor dem Haus. Er bemüht sich bei einem Hochzeitsfest sehr um sie und tanzt sehr artig (V. 138). Auf den Tanz folgen Worte: Wann nun der Tantz geschehn, kompt seine Red herfür, Die schon vielmahl gebraucht, auß einem Ebenthür [Roman], Bedanckt sich solcher Ehr so sie ihm hat erzeigt, (Immittelst mit dem Kopff sich zu der Erden neigt) Erzehlt sein Wenigkeit, wie die so hoch erhoben Durch ihre Gunst und Gnad, fängt an die Dam zu loben, Ihr liebliche Geberd, ihr Zier und Höffligkeit, Und wie er schuldig wär zu dienen ihr allzeit. Die Jungfrau, die nicht schlecht den Amadis studiret, Weiß wie dem Cavallier zu begegnen sich gebühret,
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A. Kompliment
Spricht: Ey dörff dancken nicht, ydt ys geschehn gantz gern, Wenn juw damit gedeent wil ick ydt nümmer wehrn. Kwet nichts van Höffligkeit, und den ammodign Seden, Van Gunsten und Favor, da gy so veel van reden, Damit juw nichts gedeent, de Dener wer tho godt Vör mine Weinichkeit. Das macht ihm grossen Muth. Brüst, reckt sich, und vermeynt er hab gewonnen Spiel, (O aber grosser Thor es mangelt noch gar viel) Zum Musicanten läufft und thut sich praesentiren, Sie streichen eilens auff, denn ihnen sein Manieren Bekandt, und was er gern vor Lieder müge hören Auff Lauten und Violn, damit sie ihn bethören, Bald wirfft er auff den Tisch, den Thaler daß er klingt, Darauff zur Liebsten geht und freundlich mit ihr ringt, Die sich zwar gegen stellt, doch endlich es zugiebet, Der Juncker gäntzlich meynt als ob sie ihn recht liebet. Damit springt er forn an, sie folgen all bey Paaren, Er macht gar viel Caproln, O denckt sie das sind Narren. (V. 141–168, kursiv statt größere Schrift UK)
Der Text strukturiert das Werbeverhalten nach verschiedenen Komplimenten: Zuerst sind es die gestischen Gruß-Komplimente, die auf Sichtbarkeit beruhen, dann folgt der Tanz, der hier wie in Komplimentierbüchern ebenfalls als Kompliment betrachtet wird.1 Musikwunsch und Spendiertaler sind wiederum auf Sichtbarkeit angelegt. Nach der zuerst abgelehnten, danach aber erlaubten Umarmung führt der Text wieder zurück in die Tanzsituation und expliziert auch durch den Erzählerkommentar, dass es durchaus mehrerer solcher Komplimentdurchgänge bedarf, bis die Jungfrau der Werbung nachgibt, das heißt in diesem Fall, bis die beiden verlobt und verheiratet sind. Letzteres wird am Schluss mit Praeteritio und Vertröstung so ausgespart, dass es trotzdem aufgrund der im Rahmen inszenierten Hochzeitssituation nahe liegend erscheint. In satirischer Überspitzung führt der Text einen ritualisierten Ablauf vor, der in Komplimentsequenzen gegliedert ist. Gemeinsam mit anderen Texten des Korpus ist der folgende Phasenablauf: 1. Der Mann lässt sich prachtvoll in der Öffentlichkeit sehen. Die Frau schaut absichtlich aus dem Fenster. Er grüßt sie gestisch. 2. In Sichtweite von Dritten, oft im Garten oder auf einer Hochzeit, ergibt sich die Gelegenheit für mündliche Komplimente: Er erhebt sie mit lobenden Worten, sie weist sie ab, indem sie die gelobten Eigenschaften verkleinert oder anderen zuschreibt. 1
Vgl. zur Kategorisierung von Komplimenten, die in Komplimentierbüchern vorkommen, Beetz, 1981, 152.
1. Ritualisierter Verlauf
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3. Er sucht auch die körperliche Nähe, sie verweigert sie ihm. 4. Er beklagt sich über die Abweisung, sie gewährt ihm eine gewisse Annäherung. 5. Die Phasen 1 bis 4 werden so lange wiederholt, bis an einem Ort der ausschließlichen Zweisamkeit die Frau mit einem Eheversprechen oder mit Hingabe reagiert oder der Mann Gewalt anwendet. 6. Das Ergebnis von 5 wird von der Öffentlichkeit bestätigt durch die rituelle Einbindung von Zeugen ins Eheversprechen oder in die Gerichtsverhandlung. Frau und Mann werden entweder als Paar in die Gemeinschaft aufgenommen oder verbannt beziehungsweise hingerichtet. Die Phasen 1 bis 4 sind jeweils Komplimentpaare, die aus einem Initialkompliment der männlichen Figur und einem Antwortkompliment der Frauenfigur bestehen. Während die normative Einordnung des Verhaltens in den Phasen, die ausschließlich auf Blick- oder Körperkontakt beruhen, nur durch die Definitionsinstanz vorgenommen werden kann, bieten die verbalen Komplimente, welche die anderen ebenfalls begleiten können, die Möglichkeit, dass die Normen als Dialogsequenz, als Konflikt auf der Figurenebene zum Ausdruck kommen können. Der Werbeverlauf besteht aus einer Staffelung von Brüchen und Bewältigungsmechanismen im Sinne von Turners sozialen Dramen: Jede einzelne Komplimentsequenz enthält gleichzeitig den Normenbruch und einen Bewältigungsmechanismus – allerdings nur für das betroffene Paar. In der fünften Phase geschieht ein öffentlicher Normenbruch, indem sich zwei von der Gesellschaft abkapseln beziehungsweise jemandem Gewalt angetan wird. Dieser Bruch wird in der sechsten Phase bewältigt. Auffällig ist, dass Komplimentierszenen zwischen Unverheirateten beiderlei Geschlechts in den Texten des Korpus praktisch ohne Ausnahme auf die fünfte und sechste Phase zulaufen. Dies steht im Gegensatz zu den Vorstellungen von einem amour tendre, wie er sich in den preziösen Romanen von Madeleine de Scudéry findet: Sowohl die ausschließliche Paarbeziehung der Ehe als auch die körperliche Vereinigung werden abgelehnt, weil die Liebe so nicht von Dauer sein könne. Borgstedt hat der preziösen Konzeption diejenige von Christian Thomasius’ ethischer Abhandlung Von der Kunst, vernünfftig und Tugendhafft zu lieben. Als dem eintzigen Mittel zu einen glückseligen, galanten und vergnügten Leben zu gelangen (1692) und von deutscher galanter Lyrik gegenübergestellt und in Übereinstimmung mit meinen Befunden gezeigt, dass diese deutschen Texte aus lutherischen Gebieten die Verwirklichung der vernünftigen Liebe beziehungsweise der Sexualität ganz in den Rahmen der lutherischen Verteidigung von Ehe und ehelicher Sexualität stellen und somit indirekt auf die lutherische und naturrechtliche Unvermeidlichkeit des Sexualtriebs abstellen. Der satirische Stachel von galanten und Hochzeitsgedichten richte sich im Gegensatz zu den französischen Pendants kaum
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A. Kompliment
gegen die Ehe, sondern gestalte sich weit eher in Topoi reformatorischer Polemik wie dem Nonnenspott.2
2. Ritualisierte Modifikation der Statusdefinition als Fiktionalisierung Zwei normative Konzepte sind für die Komplimente besonders wichtig: Demut und Ehrlichkeit. Komplimentierbücher schreiben für das Kompliment als Beziehungsdefinition eine Demutshaltung vor: Beide sollen ihre eigene ständische Position herunterspielen und/oder diejenige des Gegenübers erhöhen.3 Das gilt sowohl für das Initial- als auch für das Antwortkompliment. Im satirischen Beispiel sprechen deshalb beide von ihrer Wenigkeit. Selbst in der realen Interaktion ausgeführte Komplimente besäßen nach den Konventionen, welche die Komplimentierbücher aufstellen, einen fiktionalen Charakter, da sie eine Spanne zwischen ausgesprochenem und gedachtem Status aufmachten, die dem Gegenüber einen ziemlich großen Interpretationsspielraum ließe. Gerade weil beide die Konvention des Kompliments kennen und wissen, dass der Status über- beziehungsweise untertrieben wird, und das Kompliment in diesem Sinne auch nicht lügen kann, ist der gedachte Status aus dem Gesagten nicht ableitbar.4 Die Gefahr besteht, sich durch Ernstnehmen des Gesagten lächerlich zu machen, das heißt die Demutsnorm zu übertreten, die in vielen Komplimentierbüchern als mit der sozialen Stellung zunehmend verpflichtender dargestellt wird.5 Die übliche Lösung, um dies zu verhindern, besteht darin, dass sich die Angeredeten selbst heruntersetzen, womit sie für ihr Antwortkompliment auch einen Interpretationsspielraum eröffnen: Das Gegenüber weiß genauso wenig, inwieweit ihr Selbsttadel ihrer Eigeneinschätzung entspricht. Der prototypische Ablauf einer Werbung wird in den untersuchten Texten dadurch bestätigt und konstruiert, dass abweichende Fälle gezeigt werden, bei denen die Werbung nicht zum Ziel führt oder ins Stocken gerät. Passagen in den Josefsromanen von Zesen und Meier führen vor, dass die ritualisierte Werbung durch Komplimente nur dann zur Annäherung führen kann, wenn die Männerfigur einen höheren Status besitzt als die Frauenfigur. Den Abstand im Kompliment zu verringern, ist nur den Statushöheren erlaubt, oder umgekehrt: Den höheren Status hat inne, wer im Kompliment den Abstand verringert. Das gilt nicht nur zwischen Figuren gleichen Geschlechts,6 sondern auch im Umgang beider Geschlechter. Das 2 3 4 5 6
Borgstedt, 1997, 405 – 428. Beetz, 1990, 131. Beetz, 1990, 147. Beetz, 1990, 133. Beetz, 1990, 132.
2. Ritualisierte Modifikation der Statusdefinition als Fiktionalisierung
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Werberitual kann nur in Richtung immer größere Annäherung eskalieren, wenn eine der beiden Figuren statushöher ist und sich deshalb die Freiheit herausnehmen kann, sich im Kompliment probeweise zu nähern. Ein zusätzlicher Mechanismus stellt sicher, dass das nur der Mann sein kann: Das folgende Beispiel aus Joachim Meiers Der Durchlauchtigsten Hebreerinnen Jiska Rebekka Rahel Assenath und Seera Heldengeschichte von 1697 zeigt, dass, selbst wenn der Mann statusniedriger ist, der weitere Erzählverlauf dem Wortlaut seiner Abweisung entspricht und die weibliche Werbung auf dem Weg des Kompliments nicht zum Ziel, sondern zu einem frühen Abbruch führt. In Meiers Josefsroman scheitert die weitere Entwicklung der Beziehung zwischen der Prinzessin Assenath und dem Gefängnisdiener Joseph zunächst daran, dass er ihr seinen Prinzenstand nicht verraten kann, weil sonst sein Verkauf durch die Brüder und Sephiras Ehebruchsversuche bekannt würden. So bleibt seine Komplimentantwort auf ihre freundliche Erhöhung hin in der konventionellen Selbsterniedrigung stecken: So habe ich gewiß indessen, fuhr sie mit einem anmuthigen lächeln fort, mich mehr um euch, als ihr euch üm mich bekümmert, weil ich dennoch weiß, daß ihr des Mephres Diener seyd. Joseph verwunderte sich, und konte nicht wohl begreiffen, wie es müglich wäre, daß sie ihn kennen solte: Der Nahme aber eines Dieners des Mephres machte ihn vor Schaam erröthen. Wenn ich eure Bescheidenheit, fuhr sie solches sehend fort, die ich mit so klaren Zeichen in eurem Angesicht erblicke, beleidigen wolte, hätte ich noch mehr ruhmwürdiges von euch zu sagen. Aber saget mir, ist es müglich, daß ihr nur gebohren seyd, ein Diener des Obristen der Gefangenen zuseyn, und ein so geschickter Geist nur zu so niedrigen Verrichtungen verdammet seyn solte? Die Zufälle meines Lebens, antwortete Joseph, sind so verwirret und unglückselig, daß ob ich gleich nicht zu des Mephres Diener gebohren, ich es dennoch vor ein Glück zuhalten, daß ich solches gegenwärtig bin. (2. Buch, § 30)
Diese Geschichte wird dem ägyptischen Prinzen Amenophis von Gerson, Josephs Diener, erzählt. Weil die Figur Amenophis und die Lesenden bereits wissen, dass Joseph ein Prinz ist, können sie in dieser Situation Josephs Rolle leicht übernehmen. Das raffinierte Antwortkompliment erfüllt die Selbsterniedrigungskonvention mit Rücksicht auf Wahrhaftigkeit und die Interessen anderer elegant, bestätigt aber gerade den vermeintlichen Standesunterschied, so dass es Joseph trotz seiner Liebe nicht erlaubt ist, sich Assenath komplimentierend zu nähern. Assenath muss sich auf einem Maskenfest mit dem gleichen Kostüm wie Josephs Freund Theman verkleiden, also einen Rahmen entwerfen, in dem das Werberitual ganz ausfällt und Komplimente sich nicht auf sie beziehen können, um Josephs Liebe und Stand zu erfahren (2. Buch, § 60 f.). Was in Meiers Version als die schwierige Aufgabe erscheint, im Kompliment widerstrebenden gesellschaftlichen Rücksichten und eigenen Absichten gerecht zu werden, reduziert sich in der Version von Zesens Assenat-Roman auf die Frage, ob
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A. Kompliment
eine unstandesgemäße Werbung anzunehmen ist. Nicht der (scheinbar) standesniedrige Josef, sondern Assenats Vater Potifar wirbt für ihn um sie: „Josef“, sagte er, „der Starke Gottes, wird zu uns kommen: und ich habe beschlossen, dich mit ihm zu vermählen.“ Sie aber gab eine weigerliche antwort: dan ihr war noch zur zeit unbekant, daß der König ihn zum Herscher über das gantze Egipten gesetzet. „Nein, nein!“ rief sie überlaut: „ich wil keinem Gefangenen oder Leibeigenen, aber wohl einem Königlichen Fürsten vermählet sein. […]“ (203 f.)
Obwohl diese Sequenz derjenigen von Antrag und Abweisung entspricht, verlieren sowohl Antrag als auch Ablehnung die fiktionale Doppelbödigkeit der Komplimente, weil es bei der stellvertretenden Werbung nicht nötig ist, durch Uneindeutigkeit Möglichkeiten zu schaffen, dass Josef und Assenat ihr Gesicht wahren können. Ein Dilemma, bei dem Assenat zwischen dem Gehorsam zum Vater und den Standesrücksichten zu entscheiden hätte, wird vom Erzähltext nicht unterstützt; es geht nur darum, dass Assenat mit der Ablehnung der väterlichen Zumutung den Lesenden beweist, wie sehr sie der Keuschheitsnorm und der Norm der standesgleichen Eheschließung verpflichtet ist. Nur die Schauseite der Interaktion ist hier wichtig, nicht die Innensicht der Rücksichten gegenüber dem Vater oder, wenn die Szene anders konstruiert wäre, gegenüber Josef. Die Eheschließung zwischen Gleichrangigen, die bei Zesen ex negativo als Problem der individuellen Normerfüllung erscheint, wird in Johann Gerhards lutherischen Dogmatik als zweite von sieben Ehe-Erfordernissen formuliert.7 Im Gegensatz dazu zeigt Meiers Liebeshindernis, wie das Werbe- und Komplimentierritual selbst performativ verhindert, dass eine statushöhere Frauenfigur und eine standesniedrigere Männerfigur zueinander finden. Bei Zesen stellt Potifar seiner Tochter Assenat den neuen Schaltkönig Josef mit folgenden Worten vor: Meine Tochter, grüsse deinen Bruder, der alle fremde Frauen hasset, gleichwie du alle Männer (206). Darauf begrüßen sie sich gegenseitig mit Segenswünschen.8 Vorbestimmung und Gehorsam gegenüber Vater und König führen Assenat und Josef zusammen, wobei das gegenseitige Eheversprechen explizit übersprungen und nur das Resultat mitgeteilt wird (222). Ausführliche Komplimentierszenen kommen jedoch im vorhergehenden dritten Buch vor: Die rituelle Erniedrigung und Erhöhung in der komplimentierenden Konversation wird in einer Szene zu Anfang des Buches zusätzlich christlich aufgeladen: Nitokris, die Königliche Fürstin, komplimentiert Josef etwas anzüglich (106), als er sie besucht, was ihn erröten lässt. Die Zweideutigkeit ist jedoch für die Lesenden entschärft, denn sie haben bereits erfahren, dass Nitokris von Josefs Zukunft
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„2. honestus, ne sit inter dissimiles moribus, genere, fortuna, religione personas, aut etiam contra honestatem publicam“ (Gerhard, De coniugio, 1639, 7. Bd., Sp. 127). Segenswünsche gehören durchaus zum barocken Grußkompliment (Beetz, 1990, 293).
2. Ritualisierte Modifikation der Statusdefinition als Fiktionalisierung
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weiß. Sie kann deshalb ihr Lob und seine Selbsterniedrigung (107) in prophetische Worte fassen: ich weis gewis, weil er [direkte Anrede] sich selbsten so gar erniedriget, daß in die Götter aufs höchste erhöhen werden. Wer sich selbst erhöhet, wird erniedriget. Wer sich selbst erniedriget, wird erhöhet. Das ist ein unveränderliches gesetze des Himmels. (108)
Die dreifache Amplifikation, die für diesen Roman typisch ist, und das wörtliche Zitat von Mat. 23, 12 liefern den Lesenden mitten in der dargestellten Komplimentsituation selbst eine biblische Legitimation der rituellen Erniedrigung im Kompliment. Nitokris insistiert nicht weiter, so dass keine werbende Annäherung geschieht. Sefira ist mit Potifar verheiratet und Josefs Herrin. Auch sie übernimmt als Standeshöhere die initiative Rolle bei den Komplimenten. In ihrer ersten Liebeserklärung an Josef verwendet sie den Eigentums- und Unterwerfungstopos: Ich habe euch noch nie vor einen Leibeigenen erkant: aber wohl mich schon längst vor die eurige. […] Ich mus euch versichern, daß ich, eine Fürstin, die über euch gebieten solte, mich euch zu eigen gegeben. (116)
Diese Unterwerfungsgeste ist für die Lesenden ein übliches werbendes Kompliment, allerdings in ungewöhnlicher Situation: Üblicherweise gibt sich der Mann der Frau zu eigen, hier gibt sich in der Liebessituation die adlige Dame dem Leibeigenen zu Besitz. Indem hier die übliche Verwendung des Topos ‚Unterwerfung aus Liebe‘ gleichzeitig verwendet, also bestätigt, und durchkreuzt wird, spielt die Stelle mit der poetologischen Norm. Zwischen den Handlungsnormen auf Figurenebene und der poetologischen Norm des Unterwerfungstopos ergeben sich dadurch mehrere spannungsreiche Beziehungen: Zwar gehört es zur Topik des Kompliments, dass der Standesunterschied umgekehrt wird, hier aber ist die Veränderung unüblich groß, indem eine Adlige sich einem Leibeigenen unterwirft. Barocke und galante Komplimentierbücher halten fest, dass große Standesunterschiede wie zwischen Diener und Herr Komplimente verbieten.9 Sowohl der Standesunterschied, der die Gehorsamspflicht Josefs impliziert, als auch die Stärke von Sefiras Liebe, die sie zu einer solchen Erniedrigung bringt, werden dadurch verdeutlicht. Josefs Dilemma zwischen Gehorsamspflicht und Keuschheitsgebot wird in dieser extremen Anwendung des Unterwerfungstopos parallelisiert. Der Topos zeigt die ambivalente ständische Einordnung Josefs: Die Lesenden wissen, dass er kein Leibeigener von Geburt ist; die Träume von Nitokris, Semesse und Assenat im zweiten Buch deuten alle auf eine Standeserhöhung Josefs hin. Eine Ironiesituation wird bereits geschaffen, als Potifar ergebnislos Josefs Standeszugehörigkeit aufgrund von Sefiras Hinweis untersucht (97 f.). Die Ironie der Kompli9
Beetz, 1990, 133.
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A. Kompliment
mentierszenen mit Sefira besteht darin, dass der höfische Liebeserklärungstopos Josefs zukünftiger Stellung durchaus angemessen ist; auch er antwortet Sefira mit höfischen Topoi: Er ist bereit, sein Leben für sie einzusetzen (122). Allerdings macht er gleichzeitig auch klar, dass seine Liebe sich nur so weit erstrecken darf. Das Dilemma ist hier anders konstruiert als bei Meier: Josef ist als Leibeigener bereits Sefiras Diener, darf sich aber, weil sie verheiratet ist, nicht komplimentierend als ihr Diener bezeichnen. Dass seine Äußerung nicht im Sinne eines werbenden Kompliments zu verstehen ist, macht er deshalb mit dem klärenden Nachsatz deutlich. Als Ganzes ist das dritte Buch eine Keuschheitsprobe – ebenfalls ein Topos des höfischen Romans: Er wolte lieber hundertmahl den tod leiden, als einmahl in unkeusche liebe willigen (125). Die Verwendung der Liebestopoi und die statusumkehrenden Komplimentierszenen sind eine Verstärkung von Josefs Abhängigkeitsdilemma und eine implizite Vorausdeutung auf Josefs Erhöhung zum Schaltkönig. Die komplimentierende Annäherung Sefiras schreitet zwar Stufe um Stufe fort, Josef komplimentiert gegen Ende aber immer weniger zurück, sondern beginnt im Disputationsstil zu argumentieren. Die Argumente der Definitionsinstanz vermischen sich zunehmend mit seinen Positionen.10 Das verleiht diesen mehr und mehr Wahrheitscharakter, so dass die fiktionale Spannung zwischen Gesagtem und Gemeintem gelöst wird. Das für das Kompliment typische gegenseitige Uminterpretieren wird durch die Definitionsinstanz zu einer Wahrheit vereindeutigt, die Josefs Äußerungen entspricht, welche für das biblische Ehebruchsverbot eintreten. Wenn das Konfliktverlaufmuster Kompliment mit einer standeshöheren Frauenfigur und einer niedrigeren Männerfigur durchgespielt wird, kommt die Funktion dieses Musters, ein Standesgefälle von Mann zu Frau festzuschreiben, besonders deutlich zum Ausdruck: Die Beispiele haben gezeigt, dass erhebliche Behinderungen des Werbeablaufs dargestellt werden, wenn die weibliche Figur standeshöher ist: Da auch in diesem Fall die Interpretationsspanne zwischen Geäußertem und Gedachtem zugunsten des vom Mann Gesagten aufgelöst wird, indem seine Weigerung ernst genommen wird, führt eine solche Konstellation der Figuren nicht zur Vereinigung: Meiers Sephira und Zesens Nitokris insistieren nicht weiter, so dass die Komplimente in der Situation abbrechen, die durch die Weigerung und Statuserniedrigung Josephs/Josefs definiert ist. Das letzte Beispiel verdeutlichte, wie die ständische Blockierung der Komplimente mit einer zusätzlichen christlichen Ebene überlagert werden kann, auf der die Keuschheitsnorm hinzukommt, welche die Annäherungsversuche Sefiras als Ehebruchsversuche zusätzlich disqualifiziert. Diese Perspektive stellt auch sicher, dass das Bibelzitat von der Erhöhung der sich Erniedrigenden von den Lesenden nicht auf Sefira bezogen wird, die sich, um Josef zu gewinnen, ja ebenfalls erniedrigt. 10
Vgl. dazu ausführlicher Kapitel „Disputation“, S. 130 f.
3. Werberitual als Spirale von Verstoß und Sanktion
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3. Werberitual als Spirale von Verstoß und Sanktion August Bohses unter dem Pseudonym Talander 1692 veröffentlichter Komplimentierbriefsteller Frauenzimmers Secretariat-Kunst stellt ganz auf den Konflikt auf Figurenebene ab, indem er 900 Musterbriefe präsentiert, deren Rahmenerzählung lediglich aus den Brieftiteln besteht, welche die jeweiligen Briefpartner angeben. Das genannte Verlaufmuster wird in diesem Briefsteller durch die hohe Übereinstimmung von Vorwurfs- und Antwortinhalten (re-)produziert: Männerfiguren werfen Frauenfiguren Unbarmherzigkeit und Kaltherzigkeit vor, also Verstöße gegen das Gebot der Liebe, die sie allerdings erotisch und kaum christlich auffassen (Nr. 63, besonders prägnant mit Bezug auf Predigt und Nächstenliebe: Nr. 257); sie bitten um Besuchsrecht und bestrafen mit Verleumdung (Nr. 247, vgl. Nr. 260). Dem Titel gemäß kann der Briefsteller als Anleitung gesehen werden, wie Frauen solche Angriffe geschickt parieren können: Briefe der Frauenfiguren sind denn auch meist reaktiv und nur mit Antwort überschrieben. Das Register, das die Briefe nach Gelegenheit und Illokutionen sortiert, weist zahlreiche Einträge zu Straff- und Verweiß-Schreiben auf. Die weiblichen Figuren werfen den Werbern Schmeichelei und Verstellung, also Unaufrichtigkeit vor (Nr. 63), erinnern sie an die Sittsamkeit (Nr. 66) und strafen durch Besuchsverbot (Nr. 66) beziehungsweise belohnen Zurückhaltung mit Besuchserlaubnis (Nr. 252). Wenn eine Frauenfigur ihre Liebe bekennt, dann mit großem Zögern in einem späten Stadium des Briefwechsels und mit größten Vorsichtsmaßnahmen (Nr. 250). Gemäß Beetz’ Analyse der Komplimentierbücher geht es diesen nicht nur darum, die Komplimentiernormen zu vermitteln, sondern die Komplimente sind ihrerseits didaktische Instrumente. Berechtigtes Lob wirke als verstärkende Bestätigung, unberechtigtes setze auf das „psychologische Gesetz der sich selbst erfüllenden Prophezeiung“.11 Die „Bevorzugung einer ‚Didaktik durch Bestätigung‘ im barocken und galanten Komplimentierdiskurs“12 kann ich für Werbekomplimente zwischen weiblichen und männlichen Figuren nicht bestätigen: In meiner Analyse solcher Komplimente wird besonders deutlich, dass im Werbekompliment rituell Normenverstoß und Sanktion immer wieder durchgespielt werden. Die Verweiß-Schreiben der Secretariat-Kunst formulieren in Vorwurfsform eine ganze Palette von Normen der Geschlechterbeziehungen. Über die dargestellten Konflikte lernen und repetieren die Lesenden diese Normen, indem diese als Legitimation für die Vorwürfe genannt oder unterstellt werden. Die „Bevorzugung einer ‚Didaktik durch Bestätigung‘“ und durch verhaltene Mahnung, die Beetz 11 12
Beetz, 1990, 174 f. Beetz, 1990. 175.
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A. Kompliment
in gesellschaftsethischen Traktaten für das allgemeine Kompliment feststellt,13 sind bei den Werbekomplimenten keineswegs die Regel. Der offen ausgesprochene Vorwurf scheint geradezu das Mittel zu sein, dem Gegenüber die höfliche Maske ein Stück weit zu entreißen und sich einander anzunähern.14 Das macht solche Szenen für das Lernen von Normen so besonders interessant, weil diese in Vorwurf, Rechtfertigung oder Gegenvorwurf bewusst und anschaulich werden. Bei den Werbekomplimenten in Bohses Secretariat-Kunst ist die Beziehungserhaltung nicht oberstes Ziel, sondern die Beziehungskrise wird als Chance der Annäherung und der Beziehungsabbruch als konventionalisiertes Sanktionsmittel genutzt. Die Didaktik des Erfüllungsentzuges hat im Roman eine reiche Tradition: Die Kunst- und Tugend-Gezierte Macarie (1769/73) des Ehepaars Heinrich Arnold und Maria Katharina Stockfleht hat ihre Vorgänger im spätmittelalterlichen Roman de la Rose und der 1499 in Venedig gedruckten Hypnerotomachia Poliphili. In allen dreien führt der Bildungsweg eines jungen Mannes an den Allegorien der Künste und Tugenden vorbei zur (ebenfalls allegorisch aufgeladenen) Geliebten. Dem gleicht das Kompliment des Briefstellers in zweierlei Hinsicht: Es schreitet als sich wiederholender Teil des Werberituals ebenfalls etappenweise fort. Wie bei den Liebhabern der Romane geschieht die didaktisch aufgeladene Annäherung zwar nicht im Traum, aber in einem spielerischen Rahmen. Das Kompliment unterscheidet sich allerdings dadurch, dass die zu lernende Norm (oder Tugend) auf einen Konflikt zwischen Initiative und Reaktion verdichtet wird. Lern- und Anwendungssituation sind im Kompliment identisch. Der Lernprozess ist wechselseitig, allerdings mit unterschiedlicher Wirklichkeitsrelevanz, wie im Folgenden zu zeigen sein wird.
4. Ohne Normenverstoß keine Werbung Die Werbekomplimente können sich nur aufschaukeln und zu mehr Nähe führen, wenn die rituelle Zurückweisung nicht (ganz) ernst genommen wird, wenn sie wie das Initialkompliment bis auf Weiteres ziemlich frei interpretierbar bleibt. Diese Interpretationsspanne kann nur entstehen, wenn eine fiktive Welt ohne Abstandsregel entworfen, also ein Normenbruch begangen und eine fiktionale Spanne geöffnet und von beiden Seiten aufrechterhalten wird. Zwei Schäfereien thematisieren die Abbruchgefahr, die sich für den Werbeablauf ergibt, wenn die Abstandsregel nicht überschritten beziehungsweise wenn sie sofort und gänzlich vernachlässigt wird. Beides schafft in der Welt der Figuren nur Fakten, aber keine Möglichkeiten. 13 14
Beetz, 1990, 175. Vgl. das folgende Kapitel.
4. Ohne Normenverstoß keine Werbung
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Faunus aus dem zweiten Teil von Sibylle Schwarz’ Deutschen Poëtischen Gedichten von 1650 ist eine vergleichsweise sehr harmlose Schäfererzählung. Zwar verweisen mehrere Stellen (10)15 auf Ovids Metamorphosen oder – wahrscheinlicher – auf deren Bearbeitung im Schäferspiel Dafne, das Martin Opitz für eine Fürstenhochzeit 1627 schrieb und das 1644 im Druck herauskam. Doch es geht in der Handlung nicht um die glückliche Rettung Dafnes vor Apollos Vergewaltigungsversuch durch ihre Verwandlung in einen Lorbeerstrauch. Vielmehr verliebt sich Faunus an einer Hochzeit in Daphne, ist jedoch zu schüchtern, ihr seine Liebe zu gestehen, obwohl sich mehrere günstige Gelegenheiten bieten. Die Erzählinstanz apostrophiert dieses Verhalten wiederkehrend als (unzeitige) Blödigkeit (5, 8, 11, 12, 13, 14, 15). Auch Daphnes Verhalten fällt unter dieses Verdikt. Bezeichnend ist, dass gerade günstige Gelegenheiten, die hier regelmäßig verpasst werden, in anderen Schäferdichtungen systematisch ausgenutzt werden. Die Szene, als Daphne den unter einem Baume schlafenden Faunus findet, stellt eine solche Gelegenheit dar, aber ob ihr zwar Amor manchen süssen Raht einraunete, so wolte demselben nach zu leben, ihre, noch nicht entwichene, Blödigkeit nicht verstatten (8). Stattdessen spricht sie ein Sonett, in dem sie ihre Wünsche, die sie gerade nicht in die Tat umsetzt, formuliert: […] hier mag ich nun mein Lieb vielmahl umfangen: hier mag ich nun auch küssen seine Wangen: Cupido hört mein Klagen inniglich, und wil nun auch so hülffreich zeigen sich; […] die Venus zeigt mir iezt ein guhtes Ziel, ich wil nur selbst, nicht was ich gerne wil; O Blödigkeit, du must nur von mir weichen! […] Wer lieben wil, mus nicht so blöde seyn, sonst kan er nicht der Liebe Lohn erreichen. (8 f.)
Ein ähnliches Fehlen konfliktträchtiger Annäherungsversuche konstatiert Krebs für Filip von Zesens Roman Adriatische Rosemund von 1645: Der Roman übernimmt aus der heliodorschen Tradition das Strukturelement der Liebesverhinderung. Die Auseinandersetzung um das Hindernis des Konfessionsunterschiedes werde aber „sorgfältig ausgeklammert, damit die Liebesgeschichte nicht novellistisch ein frühzeitiges Ende in einem zugespitzten Drama oder in einer glücklichen Ehe findet“.16 So entpuppe sich „die allseitige Höflichkeit […] als das einzig wahre Hindernis“.17 Die Entscheidung zwischen Liebe und Normenkonformität wird bis zum Schluss offen gehalten. Der Mangel an wirklichkeitsstiftender Auseinandersetzung erhält 15 16 17
Das Original besitzt keine Seitenzählung, in Klammern deshalb jeweils meine eigene Seitenzählung ab der Titelseite des ,Faunus‘. Krebs, 1997, 403. Krebs, 1997, 403.
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A. Kompliment
gemäß Krebs zusätzliche Unterstützung durch Rosemunds Entschluss, Schäferin zu werden. Die Binnenerzählungen stellen Alternativen zur fiktionalisierenden und entscheidungsaufschiebenden Höflichkeit dar: die Beziehungen zweier Liebespaare, die einerseits ohne Liebe und andererseits ohne Höflichkeit auskommen, sich also gar nicht entscheiden müssen, und eine Verführungsepisode, welche den Konflikt durch einen Gewaltakt löst.18 Eher in diese Richtung der Konfliktlösung zielt – im Unterschied zu Schwarz’ Daphne – Celadon im Gedicht Ruhestatt der Liebe, oder Die schooß der Geliebten, das 1697 anonym in der Gedichtsammlung von Benjamin Neukirch erschien:19 Er weiß, dass er nicht sollte, nähert sich aber doch: Doris schläft wie Schwarz’ Faunus unter einem Baum ein. Die Definitionsinstanz lässt den lauen Westwind ihre Kleider heben, was ihr Gelegenheit gibt, die Blöße im Detail zu beschreiben. Erst danach wird Celadon erwähnt, der dem Reiz nicht widerstehen kann und Chloris berühren muss. Diese erwacht davon und empört sich: du bist des stranges werth. Hilff himmel! was ist das? Hast du den witz verlohren Ist diß die stete treu, die du mir zugeschworen? Hast du der Chloris zorn so wenig denn gescheut, Daß du auch freventlich ihr heiligthum entweyht? Daß du! welche eine that! – – sie konte nicht mehr sprechen, und wolte sich an ihm mit ihren thränen rächen. (222)
Diese Anklage gibt Celadon Gelegenheit, ihr in einer Unterwerfungsgeste zu Füßen zu fallen, ihre Knie zu umfassen und eine ausführliche Verteidigungsrede vorzutragen.20 Schließlich ist es Chloris, die ihn versöhnlich besänftigt und mitleidig in das graß (179) zieht. Das mit Man meynt (179) eingeleitete Epimythion deutet die günstige Gelegenheit als Belohnung der Götter für Celadons Zurückhaltung und Treue. Die abschließenden Verse weisen auch auf das Liebesbedürfnis der Götter hin und verallgemeinern damit die naturrechtliche, von der protestantischen Ehepolitik gerne verwendete Vorstellung, dass kein Lebewesen ohne körperliche Liebe leben könne,21 sogar über das Irdische hinaus. So legen die Verse nahe, dass die Götter aus eigener Erfahrung Verständnis für Celadons Begehren haben. Der auf den Körper bezogene Voyeurismus, an dem dieses Gedicht auch die Lesenden teilnehmen lässt, ist im Faunus nicht vorhanden; im Sonett kann zwar die
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Krebs, 1997, 409. ‚Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster theil‘, 1697/1961, 173 – 179. (Sammlung erotischer Gedichte von Benjamin Neukirch). Erst postum erschien das Gedicht unter Nennung des Autors Johann von Besser in der Ausgabe: ‚Des Herrn von Besser Schrifften‘, 1732. Vgl. zur Verteidigungsrede Kap. „Rehabilitation“, S. 194. Schnell, 2002, 220.
4. Ohne Normenverstoß keine Werbung
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Cupido-Praeteritio die Fantasie der Lesenden anregen und sie erfahren Daphnes Wünsche, die ihr beim Anblick des schlafenden Faunus aufsteigen, aber Faunus wird nicht beschrieben. Jedoch gibt der Schlaf Gelegenheit zu einem anderen Voyeurismus: Als Faunus nur halb aufwacht, hört Daphne, wie er im Halbschlaf spricht: Daphne wehrstu mein, und möchtest jetzund bey mir seyn! (9). Diese Worte hatte er – als Abschluss eines Schäferliedes – bereits in der vorausgehenden Szene gesungen, als Daphne ihn am Rand einer Lichtung heimlich belauschte (6 ff.). Der Reiz der Wiederholung liegt darin, dass Daphne und die Lesenden Faunus nun noch weniger als beim Schäferlied eine bewusste Absicht unterstellen können, jedoch umgekehrt ihre voyeuristische Einsicht in seine Absichten umso tiefer ist. Denn dadurch, dass er in diesem Zustand seine Zuneigung nicht bewusst verstecken kann, liest sie gleichsam seine Gedanken. Ebenfalls einen Voyeurismus im Sinne eines direkten Zugangs zum Innenleben einer Person erkennt Krebs auf der Definitionsebene der Adriatischen Rosemund, indem die Erzählinstanz in der liebesverstörten Rosemund „die Nacktheit des Affekts unter dem Gewand der ‚zucht‘ durchscheinen“ lasse.22 Dem träumenden Faunus getraut sich Daphne eine Komplimentantwort zu geben und schreibt Faunus’ Liebe einer anderen zu, erfindet also eine weitere Daphne. Faunus meint, er träume noch, als er Daphne erblickt, und errötet erst, als er realisiert, dass sie sein Lied mitgehört hat (9). Durch dieses Traumgespräch ist nun die fiktive Figur der zweiten Daphne geschaffen, über die sie sich einander annähern werden, indem die erste Daphne jeweils die Initiative übernehmen wird, weiter in ihn zu dringen, bis er ihr schließlich seine Liebe im wachen Zustand erklärt (14). Seine im Halbschlaf geäußerte Liebeserklärung, die gerade deshalb der Anforderung der Fiktionalität genügt, lehrt Daphne das werbende Komplimentierspiel, das zur Wiederholung des Liebesgeständnisses, zur Vereindeutigung und Verwirklichung der durch den Halbschlaf eröffneten Möglichkeit und fiktionalen Spanne führt.23 Die beiden Schäfereien führen in zwei Extremen vor, wie erst der Normenbruch die Voraussetzung für den nötigen fiktionalen Freiraum der Werbungs-Komplimente schafft. Den goldenen Mittelweg scheinen Komplimentbriefsteller wie die Secretariat-Kunst zu lehren: Sie bieten mustergültige, also normative Vorlagen für den werbenden Normenverstoß. Die Alamodische Hobel-Banck wirbt gerade damit, dass die Lerneifrigen beim Selbststudium von ihr gesagt bekommen, was andere ihnen nicht sagen würden oder dürften (Vorrede).24 Als Text will das Anstandsbuch
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Krebs, 1997, 407. Vgl. zu den Begriffen ‚Wirklichkeit‘ und ‚verwirklichen‘ in dem hier performativ gemeinten Sinn S. 12. Beetz, 1990, 176.
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gerade als die objektive Korrekturinstanz auftreten, die in einer Welt der Komplimente nicht möglich ist. Paradoxerweise institutionalisieren und verwirklichen Komplimentierbücher durch ihren Vorlagencharakter den Normenverstoß und damit auch dessen uneindeutigen Wirklichkeitsstatus, der nötig ist, damit die gesichtswahrende Funktion des Kompliments nicht verloren geht. Für die Normenvermittlung stellt dieser Gegensatz zwischen gesellschaftlich geltender, wirklicher Komplimentnorm und dem fiktionalen Status von Komplimenten kein Hindernis dar; die normative Wirkung kommt vielmehr gerade dadurch zustande, dass die Komplimentierregeln den Normenkonflikt in einen Ablauf einbetten, der nur mit ganz bestimmten Rollen der sich komplimentierenden Instanzen funktioniert. In dieser Hinsicht ist der Text – sei es nun Briefsteller, Gedicht oder Erzähltext –, in dem das einzelne fiktionale Kompliment als Binnentext vorkommt oder erzählt wird, wenig fiktional. Dies bildet das Grundmuster für alle bisherigen Texte: Sie führen auf der Figurenebene einen Konflikt, nämlich das Komplimentierritual, vor, um es auf der Diskursebene gleichzeitig als Institution einzusetzen, die festlegt, welche Frauen und Männer wie zueinander finden können. Ein weiterer Grund, bei Komplimenten stets die fiktionale Spanne aufrechtzuerhalten, ist die politische Nützlichkeit, das heißt die Berücksichtigung von möglichen Beobachtungsinstanzen: Die Bonville-Episode aus Johann Riemers Politischem Stock-Fisch führt, wie sich zeigen wird,25 vor, dass Menschen nur nach ihren Äußerungen (und Handlungen) eingeschätzt werden können und dass es deshalb ratsam ist, Äußerungen, die leicht zu einer sozialen Sanktion führen könnten – wie der Briefwechsel zwischen der verheirateten Bonville und dem jungen Schauspieler Solande –, zweideutig zu halten.
5. Geschlechtsbezogene Asymmetrie der sozialen Verwirklichung Solche Mittel der Gesichtswahrung wollen verhindern, dass die soziale Umgebung Schuld zuweisen, jemanden anprangern und diskreditieren kann.26 Sie suchen abzuwenden, dass ein Normenverstoß soziale Folgen zeitigt, indem sie ihn übersehen beziehungsweise als ausschließlich auf der fiktionalen Ebene geschehenen betrachten. Auch in dieser Hinsicht werden die weiblichen Komplimentierenden auf Fiktionalität verpflichtet. In Bohses Frauenzimmers Secretariat-Kunst schreibt Adalard
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S. das Kapitel „Verleumdung“, S. 158. Diskreditierung ist hier im genauen, von Goffman, 51983, 12 eingeführten Sinne gemeint: Ein diskreditiertes Individuum nimmt an, „dass man über sein Anderssein schon Bescheid weiß oder dass es unmittelbar evident ist“.
5. Geschlechtsbezogene Asymmetrie der sozialen Verwirklichung
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an Heroine, wie freigebig sie ihm gegenüber in seinem Traum gewesen sei (Nr. 245). Sie inszeniert in der Briefantwort ein Nicht-Verstehen, das aber eigentlich zum Zweck hat, den Normenbruch zu rügen. Ihr Briefanfang ICh glaube, sie schreiben im Schlaffe verweigert nicht nur dem Traum-, sondern auch dem Briefinhalt Relevanz für die soziale Wirklichkeit (Nr. 246). Komplimentierbücher schreiben auch Wahrnehmungsregeln vor: Männer, aber insbesondere auch Frauen haben die Pflicht, alles zu überhören, was sie oder andere peinlich berühren könnte.27 Dabei kann es sich darum handeln, dass stigmatisierende Eigenschaften nicht thematisiert werden sollten: Ismenie ermahnt ihren Bruder Torismondo, er solle sich nicht über die Zahnlücken einer alten Hofrätin auslassen (Frauenzimmers Secretariat-Kunst, Nr. 256). Die Definitionsinstanz der Frauenzimmer Gesprächspiele führt das Weghören in Bezug auf Wissensgebiete stellvertretend für die Figurenebene durch, indem die weiblichen Figuren „stillschweigend aus gewissen Gesprächen ausgeschlossen [werden], die in spezielle Fachthemen hinauslaufen“.28 Wichtiger im Zusammenhang mit dem Werbeverhalten ist jedoch der bereits angesprochene Fall, dass der Normenbruch gleichsam als inexistent erklärt wird, indem sich Heroine durch ihr inszeniertes Nicht-Verstehen von einer Teilnehmenden in eine nur Wahrnehmende verwandelt, sich also zeitweilig aus der Normengemeinschaft verabschiedet. Sie tadelt Adalard darauf, dass er Träumen Wirklichkeitswert zumesse, und verpflichtet ihn so, ebenfalls auf der fiktionalen Ebene zu bleiben. Das kommt einer Abweisung gleich, womit sie dann doch wieder beweist, dass sie die Absicht seines Briefes sehr wohl verstanden hat und sich im zweiten Teil des Briefes wieder als Teil der Normengemeinschaft äußert. Die Secretariat-Kunst scheint eine Antwortstrategie zu bevorzugen, in der die Frau gleichzeitig den Normenbruch (auch wenn er groß ist) fiktionalisierend übersieht und trotzdem in einer weigerlichen Antwort zu erkennen gibt, dass sie ihn als Normenbruch einordnet. So malt sich auch Doris ironisch aus, dass Damon die andere Dame überhaupt nicht gesprochen hat, um ihm zwar Recht zu geben, dass er nur sie im Sinn habe und alles andere Verleumdung sei, aber sich doch nicht als einfältig zu geben (Nr. 242). Diese Strategie macht sowohl für die lesenden Figuren als auch für die realen Lesenden klar, dass die Normen nicht zur Disposition stehen, sondern dass es nur darum geht, eine Diskreditierung zu vermeiden.29 27 28
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Beetz, 1990, 153. Krebs, 1991, 57. Krebs fügt den Fall hinzu, dass die weiblichen Figuren „sich […] selbst im Bewusstsein ihrer intellektuellen Unterlegenheit aus einer allzu schwierigen Diskussion zurückziehen“. Zeller, 1997, 536 sieht in diesem Protest weniger eine Abqualifizierung weiblicher Verstandesleistungen, sondern eine „Vermittlungsstrategie“, welche die Gesprächsteilnehmerinnen gleichsam als Testpersonen für die Vermittlung von Fachwissen an ein Laienpublikum einführt. Komplimente können allerdings auch gerade zur Diskreditierung eingesetzt werden: Bei sittlichen Verfehlungen der Haushaltsmitglieder können Bekannte dem unschuldigen Teil ihre Solidarität in einem Beileidskompliment aussprechen (vgl. Beetz, 1990, 318 f.). In diesen Komplimenten wird
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A. Kompliment
Trotz der vielfältigen Möglichkeiten, im Kompliment dem Gegenüber und dadurch auch den Lesenden einen fiktionalen Spielraum einzuräumen, werden die Interpretationsleistungen der Lesenden teilweise auch erheblich gesteuert. Gedankenberichte sind eine Möglichkeit, die wahre Absicht der Figuren festzulegen. Mit einem raffinierten Gedankenbericht in Form eines intertextuellen Verweises auf den Amadís-Roman wird der Jungfer im eingangs zitierten Schertz-Gedicht scheinheilige Weigerung zugeschrieben.30 Der Erzähltext kann dadurch weit normativer wirken, als es eine Komplimentsequenz in der wirklichen Interaktion erreichen könnte, weil für diese die wahre Absicht nie zweifelsfrei zu ermitteln wäre. Wird dieses Verfahren auf biblischem Hintergrund angewendet, erhält die Festschreibung der wirklichen Gedanken sogar den Status von Wahrheit: In Catharina Regina von Greiffenbergs emblematischem31 Meditationstext Betrachtung Von der Empfängnis Christi von 1678 erschrickt Maria, weil der Engel sie im Gruß lobt: Gegrüßet seyst du Holdseelige! der HErr ist mit dir, du Gebenedeyte unter den Weibern! (78 = Lk 1, 28). Dieses biblische Lob wird auf einen fünfeinhalb Seiten langen, ausschmückenden Redebericht ausgedehnt (81 – 86). Der Bericht von Marias Gedanken, welchen die Erzählinstanz hier einfügt, führt das Erschrecken und die Verwunderung Marias in Analogie zum Verhaltensablauf in den Komplimentierbüchern aus: Welch ein Gruß ist das! (gedachte sie) [= Luk 1, 29] von einem Engel deren Worte ernstlich und warhaftig sind. Welche hohe Anwünschungen, und übertreffliche [= mehr als treffliche] Preis-Worte, die kaum glaublich, und fast nicht anzuhören sind! (88)
Was die Briefsteller und Komplimentierbücher als rhetorische Antwortstrategie für Frauen empfehlen, verlagert diese Betrachtung in Marias Gedanken: Sie zweifelt an der Ehrlichkeit des Engels, das heißt daran, die Eigenschaften zu besitzen, die ihr der Engel in seinem Gruß zuschreibt. Maria fragt sich: Geschihet es vielleicht, meine Demut oder Leichtglaubigkeit zu probiren? (88). Bei Komplimenten von Liebhabern, das haben die Beispiele aus Bohses Secretariat-Kunst gezeigt, ist sicherheitshalber davon auszugehen und deshalb bescheiden und ablehnend zu reagieren. Während aber in den Komplimentierbüchern und Briefstellern offen bleibt, ob die mündlich oder schriftlich reagierenden Frauenfiguren die Komplimente für unwahr halten oder nur aus taktischen Gründen vorgeben, ihnen keinen Glauben zu schenken, wird der Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Engels hier in die Gedanken Marias verlegt. Sie kann sich in diesem Augenblick gerade nicht wie im Briefsteller
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über den Normenverstoß nicht hinweggesehen, denn ein solches Beileidskompliment steht nicht in einem Werbeablauf, sondern es bewirkt in performativer Weise, dass das fehlbare Teil diskreditiert und dem unschuldigen seine Zugehörigkeit zur Gemeinschaft bestätigt wird (Für die Anregung zu dieser Überlegung danke ich Alice Kundert). Textstelle S. 81 f., vollständiger Text im Anhang. Zum Verhältnis von Bild und Text vgl. Kundert, 2004.
5. Geschlechtsbezogene Asymmetrie der sozialen Verwirklichung
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vorgeführt verhalten, käme doch ein Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Engels einem Glaubenszweifel gleich; der zweite Teil des Dilemmas lautet deshalb im Gedankenbericht: Geschihet es vielleicht […] mein GOtt-vertrauen zu üben […]? (88). Maria ist unschlüssig, ob sie in diesem Moment ihre Demut oder ihren Glauben beweisen muss, ihr fehlen die Grundlagen für eine taktische Entscheidung: Wann ich nur wüste, mit was Bezeigung ich GOtt hierinn preißen solte, und welches der Zweck des Göttlichen Verlangens ist! (88). In Gedanken spielt Maria beide Szenarien durch: Ginge es um die Demut, so würde sie den Worten des Engels keinen Glauben schenken, sie würde ihre Ohren vor dem Schlangen-Beschwerer und dem sterb-gefährlichen Syrenen-Thon verschließen und das Lob als erschreckbare Felsen meiden (88). Ginge es aber um ihren Glauben, so würde sie auch noch das Unmöglichste glauben; sie malt sich aus, was Gott in seiner Allmacht alles bewirken könne, was den Menschen unmöglich und undenkbar erscheint (88 f.). Sie kommt zum Schluss, dass auch ihre Entscheidung des Dilemmas in Gottes Belieben stehe. In Marias Gedanken wird die Verkündigungssituation einer Werbesituation entsprechend gestaltet; sie reagiert auf das Kompliment des Engels in Gedanken, wie es die Komplimentierbücher für die schriftliche oder mündliche Reaktion auf das Lob eines Liebhabers vorschreiben. Diese Ablehnung steht in beiden Fällen in einem Ablaufschema, das mit der Zustimmung endet: Sihe ich bin des HErrn Magd, mir geschehe wie du gesaget hast (115 = Luk. 1, 38) sind Marias Worte, bevor der Engel wieder von ihr scheidet. Eine juristische Dissertation de Literis Amatoriis von 1690 versucht zu definieren, welche Briefe von Frauen oder Männern mit solcher Eigentumsmetaphorik rechtliche Wirkungen im Sinne eines Heiratsversprechens entfalten.32 Bei gewissen Formulierungen und wenn die beiderseitige Zustimmung aus dem Briefwechsel ersichtlich sei, komme die Werbephase auch aus juristischer Perspektive zum Ende und werde ein Eheversprechen rechtswirksam (These 18). Allerdings reicht die Metaphorik des Eigentums noch nicht, um ein Verlöbnis zu begründen, wie die lateinische Dissertation anhand deutscher Beispiele auseinander setzt. Thesis 16: Du bist mein, aut Du solt mein seyn sei eine so weit verbreitete Wendung, die sich auch auf anderes beziehen könnte, dass daraus kein Heiratsversprechen abgeleitet werden könne. Thesis 17: Briefe, welche die Worte Du bist mein hertzallerliebstes und eigenes Hertz auf dieser Welt enthielten, hätten Kraft eines Heiratsversprechens. Die galanten und juristischen Parallelen zeigen, wie der Gedankenbericht mit dem bekannten Ablaufschema der Werbung spielt, um umso deutlicher zu machen, dass es auf die angemessene Reaktion Marias ankommt und dass ihre Reaktion entscheidende Konsequenzen für ihre Position hat – hier als Gnadenempfängerin, in den anderen diskursiven Zusammenhängen als Empfängerin guten Rufes und öf32
Vgl. auch Zedlers Universal Lexicon, Bd. 47, Sp. 1175 f. und Beetz, 1990, 119.
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A. Kompliment
fentlichen Ansehens. Dass der Engel um Maria wirbt, stört die Parallele mit den weltlichen Texten nicht, denn auch dort ist ein Freiwerber vorgesehen.33 Als konsequente Folgerung der angelegten Parallele ergibt sich, dass Gottes Gnade in der Betrachtung und der Heiratsantrag eines Mannes in den weltlichen Texten dieselbe Position einnehmen. Der Gedankenbericht zu Marias Reaktion auf Gabriels Gruß verstärkt die Demutsnorm für Frauen gegenüber um sie werbenden Männern mit mehreren Mitteln: Zunächst gestaltet er die Verkündigung in deutlicher Übereinstimmung mit Werbeszenen in zeitgenössischen Texten: Entsprechungen ergeben sich zwischen Maria und einer umworbenen Frau, dem Engel und einem (stellvertretenden) Werber sowie Gott und einem werbenden Mann. Diese Parallele setzt die Bibelstelle für die Lesenden in einen gewohnten sozialen Ablauf. Einerseits wird dadurch der Bibeltext anschaulich und nachvollziehbar, andererseits rechtfertigt der Andachtstext durch diese Parallele implizit die soziale Norm: Maria wird zum Vorbild für jede umworbene Frau, die Hierarchie zwischen Mann und Frau durch die Analogie zu Gott und Maria überdeutlich, die auf deren Grundlage geforderte Demut und ihr Nachgeben selbstverständlich. Die Vereindeutigung der durch das Kompliment geöffneten Mehrdeutigkeit geschieht in Marias Zustimmung, dass die Aussage der männlich konnotierten Seite Wahrheit und Wirklichkeit werde. Die berichtete Reflexion über das Dilemma zwischen Demut und Glaube verlegt die Demutshaltung, die in den galanten Briefen auch rein strategisch und äußerlich sein kann, ins Innere Marias, das heißt nicht nur die Worte, sondern auch die Gedanken Marias werden auf die Demutsnorm verpflichtet. Das Verhältnis von Lob und Selbsterniedrigung wird nicht wie in den anderen Beispielen standes- und situationsangemessen auf beiden Seiten gemischt, sondern klar getrennt: in Lob von Gott und Marias Unterwerfung. Nur der Engel lobt, nur Maria erniedrigt sich selbst. Über das ganze Korpus gesehen ergeben sich Interpretationsgleichungen zwischen dem dargestellten Verhalten und den zugeschriebenen Absichten. Sie sind von Belang für die Dynamik des Werberituals und für die geschlechtsbezogene Asymmetrie des zur sozialen Wirklichkeit verfestigten Ausgangs: Der Verlauf zeigt jeweils, dass die Klagen der Männerfigur wahrhaftig sind, die Weigerungen der Frauenfigur nicht. Trotzdem wird die Frauenfigur auf Weigerung verpflichtet. Das Lob der Männerfigur bleibt unwidersprochen, ebenso die Selbsterniedrigung der Frauenfigur. Der typische Verlauf des Werberituals wird auch in Bohses Frauenzim-
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Christian Praetorius liefert in seiner Schrift ‚Kurtze und eynfältige Anleytung, WIe man eine Christliche Ehe werben, unnd zusagen: Auch wie man zur Hochzeit bitten und abdancken sol‘ von 1607 (frühere Ausg. von 1591) ein dialogisches Formular für die Ehewerbung, bei der „Der Freyer, oder Werber“ die Initiative ergreift und sich an den Vater der zukünftigen Braut richtet (2. Seite).
6. Prüfung des rituellen Wissens
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mers Secretariat-Kunst so dargestellt, dass die Frau auf den Vorwurf des Mannes schließlich eingeht, während der ihre ohne langfristige Wirkung bleibt. Der so konstruierte Ablauf gibt zum Schluss dem Vorwurf der Männerfiguren Recht, während der Verweis der Frauenfiguren durch den üblichen Schluss als zwar für die Etappenbildung wichtiges, jedoch nur als strategisch zu betrachtendes Verhalten dargestellt wird. Diese Zuordnungen schränken, gerade weil sie topisch in vielen Texten wiederkehren, die Inferenzmöglichkeiten der Lesenden ein. Sie wirken normativ, indem die Lesenden auch sonst diese Zuordnung machen werden.
6. Prüfung des rituellen Wissens Der unverbindliche, uneindeutige Charakter des Kompliments kann auch wegen seiner Institutionalisierung bezweifelt werden. Wenn der Anschein der Ehrlichkeit und Natürlichkeit vollkommen verloren geht, findet keine Situationsspaltung statt, das komplimentierende und das wahrhaftige Ich treten nicht auseinander. Die Institution Kompliment kann als soziales Wissen bezeichnet werden, das sich in der Gleichförmigkeit von Handlungen (einschließlich Texten) äußert und festigt. Die folgenden Beispiele zeigen, wie Texte das rituelle Wissen prüfen, indem sie es für ihre Pointen voraussetzen, die darin bestehen, dass die Regeln des Komplimentierens teilweise gebrochen werden. Die eingangs zitierte Komplimentier-Satire kritisiert die phrasenhaften Komplimentversatzstücke und setzt zusätzlich zur Darstellung des komplimentierenden Paares auf die satirische Übertreibung, welche die Norm des vorbildlichen Kompliments bricht: Der Hinweis, dass beide ihre Komplimente aus einem Roman, genauer dem Amadís, entlehnt haben, verdeutlicht die sexuelle Absicht, wurde dieser Roman doch gerade wegen seiner Freizügigkeiten getadelt.34 Zum Eindruck des plumpen Kompliments soll vermutlich auch der niederdeutsche Dialekt der Tanzpartnerin beitragen. Um über dieses Schertz-Gedicht lachen zu können, müssen die Lesenden demnach Dreierlei kennen: die normale Form eines Werbekompliments, die Amadís-Kritik und die komödiantische Bedeutung der Dialektverwendung. Wird das Gedicht vorgetragen, schafft das Gelächter performativ die Menge der Teilnehmenden, welche diese Normen kennen.35 Das Gedicht sorgt am Anfang dafür, dass auch Braut und Bräutigam mitlachen können und den Tadel nicht auf sich beziehen müssen.
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Rötzer, 1972, 34. Linke, 1999, 188 beschreibt das Gelächter als „perlokutiven Prüfstein“ in ihrer Untersuchung über die Scherzrede in der galanten Anstandsliteratur des frühen 18. Jahrhunderts.
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A. Kompliment
Ebenfalls in der Sammlung Lustige Gesellschafft findet sich ein Komplimentierwitz, in dem die sanktionierende, normative Kraft des Vorwurf-Kompliments in der Schlagfertigkeit der Jungfer zum Ausdruck kommt. Ein Galan zeiget einer Jungfer einen Ring, die Jungfer war bereit den Ring zu nehmen, Er zog zu ruck, sagte: Schämet euch, hat euch ewer Mutter das weigern nicht gelehret? Sie schlug ihn ans Maul, daß er umbtummelte, sagte: Hat euch ewer Vater das weichen nicht gelehret? (Lustige Gesellschafft, Nr. 467, S. 175)
Auf das Geschenk-Kompliment des Galans reagiert die Jungfer, indem sie es sofort annimmt, was ihr der Galan als Mangel an Verhaltenswissen vorhält. Indirekt macht er ihr damit den Vorwurf der Unehrenhaftigkeit, weil sie sich zu schnell hingebe. Die Ohrfeige als Sanktion dessen führt die Dynamik der Überbietung, die aufeinander folgenden Lob-Komplimenten eigen ist, in der vorwurfsgeladenen Umkehr ad absurdum. Auch hier ist der Witz eine Möglichkeit, Wissen perlokutiv zu überprüfen und im Aufführungsfall eine Normengemeinschaft performativ zu schaffen, weil er so konstruiert ist, dass für das Verständnis der Pointe Wissen über Ablaufmuster nötig ist. Nur diejenigen, welche die entsprechenden normativen Muster kennen, werden mit Belustigung belohnt; das Lachen scheidet die Gruppe der Teilnehmenden von den Wahrnehmenden. In der Vera Historia der gleichen Witz- und Anekdotensammlung nützt eine schöne und dabey vornehme Dame […] Zu Pariß (194 f.) das Werberitual aus, um einen heftig um sie werbenden, jeden Tag prächtiger erscheinenden Grafen zwei teure Ohrringe bezahlen zu lassen: Sie sieht zu, dass der Juwelier genau dann vorbeikommt, als der Graf am ehesten auf die Erfüllung seiner Wünsche hofft. Der Graf geht ihm nach und lässt sie sofort kaufen, danach gieng das complementiren wieder an, der Graff zog die ohrgehäng hervor, sagte, sie solten der Dame verehret seyn, Sie entschuldigte sich auffs höchste, daß sie deren unwürdig, wolte sie nicht annehmen, ER bath, […], das Geschenck anzunehmen, hierauff gieng es an küssen, Er vermeynte, sie wäre nun verkauffet, wolte auch nun seinen Willen haben, sie weigerte sich mit Höffligkeit, hatte unterdessen ein paar Unterhosen angezogen, der Grafe war hitzig, und in voller postuer [sic], legte sie mit Gewalt nieder, da fieng sie gestracks überlaut an zu ruffen Gewalt, Gewalt, da kamen ihre Diener gelauffen prügelten den Grafen über allemassen, schnitten seine Kutzsche in hundert Stücken, und machten alles preiß was er hatte. Wie diese Historia der Königin über der Taffel erzehlet worden, hat sie über die massen gelachet über der Damen Verschlagenheit. (194 – 197)
Die Anekdote führt vor, dass zwar der ritualisierte Ablauf des Werberituals gute Gelegenheit bietet, das Gegenüber zu überlisten, dass aber damit gerechnet werden muss, dass beide falsch spielen. Damit öffnet die Anekdote die Deutungsmöglichkeiten für das Komplimentierverhalten wieder. Die Interpretationsgleichung, dass die Frau trotz Weigerung in Wahrheit Annäherung möchte, wird gleichzeitig bestätigt und widerlegt: Die Dame rechnet mit dem Vergewaltigungsversuch und zielt
6. Prüfung des rituellen Wissens
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darauf hin, aber nur, um den Grafen nach Erhalt der Ohrringe schnell und definitiv loszuwerden. Zwar werden ihre Weigerungskomplimente gemäß der Interpretationsgleichung missachtet, aber ihre lautstarken Protestrufe gegen seine Gewaltanwendung schaffen, weil von den Dienern bezeugt, abschließende soziale Wirklichkeit, die dadurch (ausnahmsweise) dem Wortlaut ihrer Komplimente und nicht denjenigen des Mannes entspricht. Die Pointe besteht darin, dass der Werbeablauf zu ihren Gunsten durchbrochen wird. Diese die weibliche Komplimentseite begünstigende Perspektive wird durch den abschließenden Rahmen bestätigt, indem eine Frauenfigur, die Königin, über die Anekdote lacht. Durch die beiderseitigen Normenverstöße präsentiert diese Anekdote weder für Frauen noch für Männer vorbildliches Handeln. Die Rollenübernahme, die für die weibliche Leserschaft von der Reaktion der Königin unterstützt wird, zielt vielmehr dahin, dass Frauen und Männer das normale Werberitual in seinen Brüchen erkennen lernen und dies durch Gelächter zum Ausdruck bringen. Gleich mit einem doppelten Rahmen arbeitet das Frauenzimmer Gesprächspiel Männer oder Weiber (IV, 399 ff.), um in ähnlicher Weise einen Normenbruch über die Reaktionen von Beobachtungsinstanzen zu zeigen: Bevor die Polygamie als Hauptthema dieses Diskussionsspiels zur Sprache kommt, thematisiert die kluge Matron Julia von Freudenstein die Ehe allgemein. Es kommt zu einer ersten disputationsähnlichen Runde.36 Danach bringt Reymund, der gereiste und belesene Student, Argumente aus L’Honneste femme37 ins Spiel und erzählt das folgende Beispiel: Ein junger Edelmann begehrete an seine Hochzeiterin, in Beywesen beiderseits Befreunden, sie solte nieder knien, und ihm mit Ehren zu gedenken, die Schuhe ausziehen. Wie unerwart dieses Begehren der zu Bette gehenden Braute vorkommen, ist unschwer zu erachten: doch hat sie sich fast ohne Bedacht, dem Erheischen zu Folge, auf die Erden niedergelassen. (IV, 404 f.)
Die Gesprächsteilnehmerin Cassandra wirft ein, dass sie sich auf einen solchen Dienst nicht eingelassen hätte und die Arbeit den Dienern überlassen hätte. Reymund erzählt darauf die Folge, dass es nur eine Gehorsamsprobe gewesen sei und er sie sofort aufgehoben und ihr versprochen habe, ein Leben lang ihr Diener zu sein. Danach kehrt er wieder zur Polygamie-Frage zurück. Im von Reymund erzählten Exempel wird betont, dass diese Szene vor Drittpersonen stattfindet. Der Edelmann äußert eine klare Aufforderung an seine Braut, ihm einen Dienst zu erweisen. Mit dieser Aufforderung informiert er die dabeiste-
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S. das Kapitel „Disputation“, S. 107 f. Jacques Du Bosc: L’Honneste femme. Paris 1632. Quellenangabe in den Gesprächspielen (IV, 404): „2. part. p. 261“.
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A. Kompliment
henden beiderseitigen Verwandten38 darüber, dass er die Befehlsgewalt gegenüber seiner zukünftigen Frau beansprucht. Reymund versetzt die Diskussionsteilnehmenden und die Lesenden mit der indirekten Aufforderung, sich die Gedanken der Braut vorzustellen, in die Position dieser Befreunden. Cassandra geht auf diese indirekte Aufforderung ein, indem sie bekannt gibt, dass sie an der Stelle der Braut nicht gehorcht hätte. Die Äußerung dieser Reflektorfigur und die suggestive Aufforderung Reymunds machen es wahrscheinlich, dass die Lesenden an dieser Stelle den Gehorsam der Braut übertrieben finden. Die Fortsetzung der Binnenerzählung bewirkt, dass Angelica und wahrscheinlich auch die (weiblichen) Lesenden sich fragen, ob sie selbst diese Tugendprobe bestanden hätten. Obwohl Reymund die Aufforderung des Edelmannes als unerwart (IV, 405) bezeichnet, ist diese Diskussionspartie so gestaltet, dass Leserinnen und Leser wahrscheinlich zum Schluss kommen, ihr Rat zu ungehorsamem Verhalten hätte zu einem schlechteren Ergebnis als der Gehorsam der Braut geführt. Die von Reymund referierte konventionelle Einigkeit darüber, dass diese Aufforderung unüblich ist, kontrastiert mit dem Effekt, dass die Lesenden realisieren müssen, dass das von ihnen gewählte Verhalten nicht zum Erfolg geführt hätte. Sieht es am Anfang der Szene so aus, als wäre die Braut die Beschämte vor den Verwandten, den Diskussionsteilnehmenden und den Lesenden, so ist es zum Schluss genau umgekehrt. Werden die Drittpersonen als Zeugen betrachtet, so gewinnt diese Szene den Charakter der Einsetzung des ritterlichen Verhältnisses des Mannes zu seiner Ehefrau. Es geht darum, wer von beiden die Befehlsgewalt innehat. Die Geschlechterbeziehungen auf dem Hintergrund eines Herrschaftsverhältnisses zu sehen, kommt in allen Diskursen vor und wird mit Vorliebe am Beispiel der Ehe illustriert, allerdings mit unterschiedlicher Akzentuierung: Johann Heermann ist nicht der Einzige, der die Erschaffung Evas aus Adams Rippe, die zwischen Kopf und Fuß liege, in seinem XI. Treuungs-Sermon zum Anlass nimmt, darauf hinzuweisen, dass der Mann zwar die Befehlsgewalt über die Frau habe, sie also nicht sein Haupt sei, er sie aber auch nicht wie seinen Fußschemel behandeln solle (Nuptialia, 76 – 85). Anzustreben ist gemäß den Hochzeitspredigten eine wohlwollende Herrschaft des Mannes über die Frau: Unterwürfigkeit und Überheblichkeit sind zu meiden. Auch die Figur Julia von Freudenstein schließt an anderer Stelle der Frauenzimmer Gesprächspiele, sich auf Théophraste Renaudot stützend,39 Haupt und Fußschemel als Posi-
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Vgl. zu dieser Bedeutung den Beleg aus der Hausväterliteratur im Deutschen Wörterbuch, Bd. 1, Sp. 1271: „wenn ein ehemann ein gut verkauft, das sein wäre, so haben darum seines eheweibs befreunde den einstand nicht zu begehren. Hohberg 3,37a“. Das weist Krebs, 1991, 57 nach: Théophraste Renaudot: Première [quatriesme] Centurie des questions traitées ez conférences du Bureau d’addresse, 4 Bde., Paris 1634 – 41. Bd. I, N° 25, 2.
6. Prüfung des rituellen Wissens
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tionen der Frau gegenüber ihrem Ehemann aus (VII, 247 und VIII, 262).40 Das Hausväterbuch Wegweiser zur Höflichkeit bemüht diesen Topos in gleicher Weise (80). Die Aufforderung zum Ausziehen der Schuhe weckt leicht die Assoziation zu Füßen oder einem Fußschemel. Auf dem soeben genannten diskursiven Hintergrund ergibt sich daraus ein Hinweis darauf, dass der Edelmann seine Braut zu stark erniedrigt. Der Ökonomie-Literatur ist sehr daran gelegen, die Herrschaftsordnung innerhalb des Hauses unzweideutig zu regeln; lediglich guten Rat soll der Mann zugunsten des Wohlergehens des ganzen Hauses von seiner Frau, von Knecht und Magd annehmen (Oeconomia, 3). Der Roman Betrogener Frontalbo, der dieses ehelichhäusliche Herrschaftsverhältnis ex negativo thematisiert, malt in der Rahmenerzählung ein Schreckensbild der Frau, welche die Herrschaftsgewalt inne, die des Mannes Hosen an hat (Betrogener Frontalbo, 11).41 Dieser ökonomische Herrschaftsanspruch des Ehemannes kontrastiert mit der Selbsterniedrigungstopik des galanten Kompliments.42 Die Briefwechsel in des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst führen allerdings in der Regel nur bis zur Verheiratung der Briefpartner. Der frisch verheiratete Edelmann benimmt sich gegenüber seiner Angetrauten überhaupt nicht so, wie es der politisch-rhetorische Diskurs propagiert. Im Kompliment negiert der unverheiratete Mann seinen Herrschaftsanspruch gegenüber der ebenfalls unverheirateten Frau explizit. Das dienstfertige Verhalten des Ehemannes gegenüber der Ehefrau ist also aus zweierlei Sichtweise unmöglich: Er entspricht nicht der ökonomischen Herrschaftsforderung und wendet ein Verhaltensmuster an, das für Unverheiratete vorgesehen ist. Oder, um es ständisch zu formulieren, der Ehemann würde seinem Stand als Hausvater ebenso wenig gerecht wie seinem verheirateten Stand. Indem nun der Edelmann in der von Reymund angeführten Anekdote vor Zeugen den Gehorsam seiner Frau unter Beweis stellt und explizit auf seine Herrschaftsrechte für die Zukunft verzichtet, erscheint er nach außen doch als Hausvater und Befehlsmacht, auch wenn er in Zukunft seiner Frau zu Diensten sein wird. Diese Szene rettet das galante Verhalten des expliziten Herrschaftsverzichts in die Ehesituation hinüber. Zu beachten ist allerdings, dass dies – obwohl in einem ständisch gemischtem Gesprächskreis – von einem Edelmann erzählt wird. In den Texten des Korpus, die ein bürgerliches Umfeld entwerfen, haben Komplimente in der Ehe nichts zu suchen.
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Ebenfalls mit diesem Topos argumentiert in Grimmelshausens Roman die Landstörtzerin Courasche (39) (Krebs, 1991, 57). Vgl. zu diesem Topos im Kapitel „Textinstanzen“ S. 56. Vgl. oben S. 84.
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A. Kompliment
7. Zusammenfassung Das Konfliktverlaufmuster Kompliment stellt wie die anderen kulturelles Wissen dar, das im Witz überprüft werden kann und gruppenbildend wirkt. Komplimente zwischen den Geschlechtern kommen in den Texten des Korpus hauptsächlich im Umgang von Nichtverheirateten vor, indem es in Wiederholung als mittlere Phase zum ritualisierten Ablaufmuster der Werbung gehört.43 Die einzelne KomplimentSequenz zeichnet sich durch eine Situationsspaltung zwischen gedachter und geäußerter Statusdefinition der beiden Teilnehmenden aus. Die Rahmenmodifikation gilt einerseits dem Gegenüber, andererseits aber auch Dritten. Das Werbe-Kompliment stellt insofern einen Spezialfall dar, als es nicht nur die Statusdefinitionen modifiziert und demnach die Komplimentierregeln den Beobachtungsinstanzen vorführt, sondern gerade den höflichen Abstand zumindest in körperlicher Hinsicht systematisch verletzt. Im Gegensatz dazu, dass Beetz für Komplimente unter Figuren gleichen Geschlechts den gesichts-, respekts- und abstandwahrenden Aspekt hervorhebt, gilt dies für Komplimente zwischen weiblichen und männlichen Figuren nur in Bezug auf Drittpersonen. Die Initialkomplimente der Statushöheren zielen hingegen dahin, den Abstand zu verringern. Damit gerät der Komplimentierstreit eines Paares zur rituellen Aufführung vor Publikum. Das werbende Kompliment verfolgt eine Politik der kleinen Schritte: Indem der einzelne Normenbruch jeweils ziemlich klein ist und sofort Korrektur erfährt, akzeptiert ihn die gesellschaftliche Schauseite wenigstens vorläufig. Denn aus dem Blickwinkel der dritten Instanz kommt vor allem die normenstärkende Sanktion zum Tragen.44 Die ritualisierte Eskalation zielt auf die stufenweise Akzeptanz der Aufhebung der Keuschheits- und Abstandsnorm, die so lange anhält, als die Interpretation, dass es sich nur um eine fiktive Annäherung handelt, noch möglich ist. Das Kompliment ist in seiner Uneindeutigkeit, was die ‚wahre‘ Meinung der Interagierenden betrifft, ein Schirm gegenüber dem Voyeurismus von Drittpersonen. Dadurch dass die Erzählinstanz diesen Voyeurismus definitorisch ausleben kann, durchbricht sie die Diskretionsnorm und verschafft den Lesenden Einblick in die Absichten der Figuren. Erst durch diese Anreicherung durch die Erzählinstanz können die Lesenden Handeln und Denken der Figuren vergleichen. Das Urteil der Lesenden wird von der Erzählinstanz jedoch bereits in der Art der Interpretationsgleichung, die sie selbst zwischen dem Handeln und Denken der Figuren vor43 44
Barocke Komplimentierbücher gestehen den Männern gegenüber ledigen Frauen galanteres Verhalten zu als gegenüber verheirateten (Beetz, 1981, 177). Auch Niefanger, 2000, 472 kommt in der Analyse der galanten Traktate und Romane von Benjamin Neukirch, Christian Hunold und Erdmann Neumeister zum Schluss, dass sich in diesen Schriften um 1700 die galante Erscheinung „weniger auf ein gegenseitiges Verstehen […] als vielmehr auf das Gelingen des sozial sanktionierten Kommunikationsaktes konzentriert.“
7. Zusammenfassung
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nimmt, vorbestimmt. Eine enge Verschränkung von Kompliment mit der biblischen Verkündigungsszene legitimiert die so hergestellte ‚Wahrheit‘ zusätzlich und verstärkt die geschlechterbezogene Asymmetrie. Die Vereindeutigung durch körperliche Vereinigung bedarf der breiten Zustimmung der Normengemeinschaft, vertreten etwa durch die Hochzeitsgesellschaft; sie hebt die Keuschheitsnorm für ein spezielles Paar auf. Auch im Fall, der nicht zur Ehe führt, verwirklicht die soziale Sanktion die Forderungen der männlichen Komplimente und macht die weiblichen zur befristeten Utopie;45 obwohl in den analysierten Texten sowohl weibliche als auch männliche Figuren als standeshöhere und deshalb initiierende Werbende vorkommen, gilt die weibliche weigerliche Komplimentantwort nur vorläufig und ist deshalb fiktional – das heißt, von der männlichen Seite her frei interpretierbar –, währenddem die Position der männlichen Figuren, sei sie initiierend oder antwortend, schließlich soziale Bestätigung erhält. Die erziehende weibliche Figur ist demnach wichtiges Requisit für das soziale Drama, Legitimation erfahren die Normen der Geschlechterbeziehungen jedoch nicht durch ihre Autorität, die ohne wirklichkeitsstiftende Kraft gering ist, sondern durch die Einbindung in und Aufführung für einen Kreis von Beobachtungsinstanzen, die entscheiden, welchen Aussagen Wirklichkeitswert zukommt. In diesem Sinne ist der fiktionale Charakter des jahrhundertealten Topos von der erziehenden Frau zu betonen und Krebs’ Ansicht zu widersprechen, dass Harsdörffers Gesprächspiele die Absicht, Frauen als Erzieherinnen für eine Zivilisierung Deutschlands zu bilden (III, Vorrede), auch textlich umsetzten.46 Das kann nur in Texten geschehen, die Frauenfiguren auch Verwirklichungsmacht zugestehen. Die enge Verbindung, welche die Werbung im Kompliment mit der fiktionalen Situationsdefinition eingeht, weist über das engere Werbekompliment hinaus auf das Erzählen allgemein. Es zeigt sich hier ein Zusammenhang zur liebesstiftenden Funktion des Erzählens, die Peter in Johann Beers Teutschen Winter-Nächten von 1682 hervorgehoben hat. Erzählen reiße (vermeintliche) Ständeschranken zwischen Adligen und Rangniederen ein, schaffe einen frühaufklärerischen Egalisierungsentwurf, nehme „die egalisierenden Tendenzen in der Liebesauffassung der Galanterie“ vorweg und stärke „das naturrechtliche Geselligkeitskonzept“ von Thomasius.47 Die Teutschen Winter-Nächte bestätigen in Peters Interpretation meine These von der Fiktionalität der werbenden Komplimente. Die damit zusammenhängenden utopischen Aspekte eines Egalisierungsentwurfes für die Ständepyramide sind sogar für die Geschlechterhierarchie anzunehmen. Es ist jedoch nicht nur die fiktionale 45
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Niefanger, 2000, 470 weist anhand von Christian Thomasius’ ‚Discours Welcher Gestalt man denen Frantzosen im gemeinen Leben und Wandeln nachahmen solle‘ ebenfalls auf den utopischen Charakter galanter Texte im Sinne von „Entwürfen einer galanten Welt“ hin. Krebs, 1991, 57. Peter, 1997, 790.
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A. Kompliment
Öffnung, sondern auch der realisierende Schluss der Erzählungen und Komplimentsequenzen zu beachten. Peter gibt selbst zu, dass sich die Ständeschranken in den Teutschen Winter-Nächten am Ende als Irrtum erweisen. Ich habe am Beispiel zweier Josefsromane gezeigt, wie das Konfliktverlaufmuster Kompliment als Einschränkung von Handlungsmöglichkeiten dargestellt wird und dass gerade im Verlauf die normativen Implikationen zutage treten. Dieses entscheidet denn auch, ob die Thematisierung von Galanterie und naturrechtlichen Entwürfen egalisierend wirkt. Gerade für die Geschlechterhierarchie zeichnet sich in den analysierten Texten gegen 1700 eine Verstärkung derselben ab durch die Konzentration der Galanten auf das Kompliment zwischen Frauen und Männern mit seinen hierarchisierenden Implikationen und durch die Naturalisierung von Geschlechterunterschieden.48 Die Komplimente zwischen weiblichen und männlichen Figuren hören mit der Hochzeit nicht auf, auch Verheiratete werden darauf verpflichtet – allerdings im bürgerlichen Diskurs nicht unbedingt ihren Ehegatten gegenüber. Die Werbekomplimente sind deshalb für die Normenvermittlung geeigneter, weil es sich nicht nur um einen individuellen, sondern um einen gesellschaftlichen Normenkonflikt handelt: Das grundsätzlich Skandalöse am Umgang von nicht Verheirateten liegt in seiner Nicht-Ausschließlichkeit; im religiösen Diskurs fällt er unter das Verdikt der Unzucht, im Werberitual erscheint die Nicht-Ausschließlichkeit als topischer Verweis auf Neid und Eifersucht. Diese konfliktträchtigen sozialen Mehrfachbeziehungen schaffen ideale Voraussetzungen für die Rollenübernahme durch die Lesenden, insofern als der Kreis der Figuren damit nicht nur auf die beiden an einen Werbeverlauf unmittelbar Beteiligten beschränkt ist, sondern schon im Text auch Zuschauerfiguren geschaffen werden. Dadurch wird das Rollenangebot vervielfacht und soziale Ein- und Ausschlussmechanismen können vorgeführt werden. Entsprechend wird die Ehe dann wieder für die Normenvermittlung interessant, wenn sie sich zum Beispiel durch einen Ehebruch wieder sozial öffnet und die MonogamieNorm infrage stellt.
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Vgl. dazu das den Geschlechterunterschied betonende Aufkommen spezieller Bücher für Frauen, nicht zuletzt in der Erbauungsliteratur (s. die Schlusszusammenfassung) sowie Linkes, 1996, 77 – 79 Analyse von Daniel Chodowieckis Darstellung des natürlichen Paares im Göttinger Taschenkalender auf das Jahr 1779. Auch Laqueurs 1996 medizingeschichtliche These von der Ablösung des Ein-Geschlechter- durch ein Zwei-Geschlechter-Modell im 18. Jahrhundert bestätigt dies (vgl. allerdings die Kritik an dieser klaren Ablösungs-These durch Schnell, 1998, 284 – 87 und 2002, 68 – 77).
B. Disputation Das Konfliktverlaufmuster der Disputation ist – wie im Folgenden gezeigt wird – für die Konstruktion und Vermittlung von Normen der Geschlechterbeziehungen deshalb von großer Bedeutung, weil es Geschlechternormen so thematisiert, dass genau zwei einander ausschließende Geschlechter gebildet werden. Als Lehrform an Universitäten und Schulen signalisiert dieses Muster den zeitgenössischen Lesenden, dass es sich bei den vorgeführten Themen um Lernstoff handelt, weshalb es sich für die Normenvermittlung besonders eignet. Im Gegensatz zum Kompliment stehen sich hier nicht zwei Figuren beiderlei Geschlechts gegenüber, sondern in der Regel zwei Parteien von Männerfiguren. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind das Thema der Auseinandersetzung. Sowohl das Konfliktverlaufmuster als auch die Topoi, die darin geprägt werden, verbinden alle Diskurse. Die beiden Geschlechterkategorien werden dabei als Hilfsmittel verwendet, um Wissensstoff aus den verschiedensten Disziplinen und Erfahrungsbereichen antagonistisch zu ordnen, was umgekehrt dazu beiträgt, die Geschlechterdichotomie mit Argumenten aus allen Bereichen zu legitimieren. Männer oder Weiber heißt der aussagekräftige Titel eines von Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspielen (IV, 399 ff.): Die Figur Julia von Freudenstein äußert in der Gesprächsrunde, die dieses Spiel spielt, die Meinung, dass die Ehe ein notwendiges Unglück sei und Frauen zu lieben das kleinere Übel. Diese männliche Perspektive nimmt sich im Mund der klugen Matron Julia von Freudenstein etwas eigenartig aus. Die adlige Jungfrau Angelica von Keuschewitz fügt an, dass Etliche Mißträuling (IV, 400) sich unterstünden zu behaupten, dass sogar die Tugenden der Frauen voller Gefahren seien. Ihr zweiter Satz ist geschlechtsneutral formuliert: Feindselige Reisegefährten seien eine Qual, umso mehr wiederige […] Ehegatten (IV, 401). Cassandra Schönlebin meint, dass über Ehen, in denen ein Teil mit dem anderen unzufrieden ist, eigentlich nicht geklagt werden könne, da die beiden sie ja freiwillig eingegangen seien. Von daher kommt sie zur Formulierung der beliebten Disputationsfrage: und schwebet die Frage: Ob man heirathen sol oder nicht? in beharrlichem Zweiffel. Unser Verstand, Sorgfalt und Fürsichtigkeit ist viel zu schwach hierinnen den rechten Ausschlag zu treffen (IV, 401). Dieser Diskussionsbeitrag charakterisiert die Frage gerade als eine, die nicht abschließend entschieden werden kann, was ihre Beliebtheit für Disputationsanlässe erklärt.
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B. Disputation
Nachdem die Frage gefallen ist, nimmt die Diskussion disputationsähnliche Züge an: Der verständige und gelehrte Soldat Degenwerth spricht sich mit biblischen, geschichtlichen und ökonomischen Argumenten gegen die Ehe aus, der alte Hofmann Vespasian von Lustgau plädiert mit dem Argument der gegenseitigen Hilfe und Freundschaft für die Ehe. Die Figur Vespasian wird durch die Definitionsinstanz unterstützt, welche seine Argumente als Zitate aus Jacques Du Bosc L’Honneste Femme (1632) nachweist und ihnen dadurch zusätzliche Legitimation verschafft.
1. Ritualisierter Verlauf Dies ist keineswegs die einzige Stelle in der Literatur des 17. Jahrhunderts, welche Normen der Geschlechterbeziehungen als Diskussionsstoff präsentiert. Im Gegenteil, sowohl die Form des Streitgesprächs als auch Fragen über das Verhältnis zwischen Frauen und Männern sind in sehr vielen Textsorten äußerst beliebt. Die strengsten Verlaufregeln gelten in der Universitätsdisputation. Sie ist eine der hauptsächlichen Lehr-, Lern- und Repräsentationsformen der Universität des 17. Jahrhunderts.1 Die universitäre Disputationsordnung entwirft einen oft feierlichen und immer sozial definierten Rahmen. Der Ablauf einer feierlichen Disputation wird in den Universitätsstatuten des 17. Jahrhunderts wie folgt skizziert:2 1. Der Dekan überträgt einem Professor die Aufgabe des Präses für die nächste ordentliche Disputation oder eine solche zum Erreichen eines akademischen Grades (pro gradu). 2. Der Präses verfasst Thesen aus seinem Lehrgebiet, gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit dem Respondenten, der sich aus der Reihe der fortgeschrittenen Studierenden meldet oder verpflichtet wird. 3. Eine Woche vor der Disputation werden die Thesen an die Professoren (gegebenenfalls an Gönner und Eltern) verschickt und an die Türen der Universitätsgebäude angeschlagen. 4. Am Tag selbst nimmt der Präses im festlich geschmückten Auditorium auf dem obersten Katheder Platz, auf dem unteren stehen Respondent und ein 1
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Vgl. Barner, 1970, 407: Jeder Angehörige der Universität kommt fast täglich aktiv oder als Zuhörer „mit dem Disputationswesen in Berührung“. Horn, 1893, 87: „Jede öffentliche Disputation war ein akademisches Schaugericht, ein Fest, das unter lebendiger Teilnahme der ganzen akademischen Bürgerschaft begangen wurde.“ In den Aussagen zur mündlichen Disputation stütze ich mich auf Beetz, 1980, der sie unter Hinzuziehung von Rhetoriken für die Zeit um 1700 beschreibt; auf Horn, 1893, der sie anhand erhaltener Disputationsschriften und Universitätsstatuten rekonstruiert, sowie auf die Editionen solcher Statuten: Statuten und Reformationen der Universität Heidelberg vom 16. bis 18. Jahrhundert; Die Statutenbücher der Universität Leipzig aus den ersten 150 Jahren ihres Bestehens.
1. Ritualisierter Verlauf
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oder mehrere Opponenten. Als Publikum zugelassen und je nachdem zur Teilnahme verpflichtet sind alle graduierten Mitglieder der Fakultät sowie solche anderer Fakultäten oder Universitäten, die alle in Amtstracht zu erscheinen haben. 5. Der Präses stellt das Thema vor. 6. Die Opponenten fechten nun These für These an, der Respondent verteidigt sie, falls nötig mithilfe des Präses. 7. Die Disputation kann geöffnet werden für außerordentliche Opponenten aus dem akademischen Publikum. Dekan und Pedelle sorgen für Ordnung im Saal. 8. Der Präses stellt dem Respondenten eine Urkunde aus. Der Konflikt wird hier verordnet. Die Regelung des Ablaufs sorgt einerseits dafür, dass der heraufbeschworene Konflikt sich nicht zu früh in Einverständnis auflöst, indem ein Konsensverbot für Respondent und Opponenten besteht. Andererseits soll er weder verbal noch handgreiflich eskalieren. Die genaue Bezugnahme auf das Gegenargument, die strenge Form der syllogistischen3 Beweisführung und die Redezeit sind vorgeschrieben. Das mündliche Szenarium, welches die Universitätsstatuten entwerfen, spielt sich auf Latein im streng definierten Kreis der graduierten Universitätsangehörigen ab. Die Teilnahme ist Nicht-Graduierten, das heißt auch allen Frauen, verwehrt. Auffällig ist, dass der Schluss sehr unspektakulär beschrieben wird.4 Die erhaltenen Disputationsschriften (3. Phase) sind meist solche für disputationes pro gradu. Sie tragen jeweils die Namen von Präses und Respondent im Titel. Sie widerspiegeln dadurch in der schriftlichen Form, dass auch bei der mündlichen Disputation der Präses auf der Seite des Respondenten steht. Die Disputationsschriften sind nicht nur Thesenlisten, sondern ausgewachsene dialogische oder monologische Traktate. Sie öffnen den engen Kreis der mündlichen Teilnehmer, sind aber ebenfalls auf Latein verfasst. Es ist gut möglich, dass sie zum Beispiel den Eltern oder Gönnern nicht zuletzt als Leistungsausweis zugeschickt wurden.5 Nicht nur die Universität, sondern auch die Akademien und Gymnasien nutzten die Disputation als Repräsentationsmittel: In den actus der Schulen konnten neben Vor3
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„Die traditionelle Logik bezeichnet den Syllogismus als einen aus zwei Prämissen (Obersatz und Untersatz) gezogenen logischen Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere“ (Ottmers, 1996, 76). Im Folgenden werden Schlussformulierungen, die eine der Prämissen weglassen (Enthymem), ebenfalls als Syllogismen bezeichnet. Vgl. zum Enthymem Michel, 1987, 62 f. Bei einer disputatio pro gradu gehörte die Doktor- oder Magisterfeier nicht dazu; diese wird nach dem retrospektiven Bericht von Lünig, Bd. 2, 1720, 1368 in Straßburg mit einem ebenfalls gedruckten Programm, Umzug durch die Stadt, Musik, Vortrag des Dekans, Gebet, Eidesleistung im Saal, Verleihung der Insignien und performativer Erklärung zu Doctores bzw. Magistri begangen. Vgl. auch Horn, 1893. Vgl. Horn, 1893, 2.
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tragsübungen und Theaterstücken Disputationen vorkommen. Zu diesen waren je nach Anlass auch die Eltern eingeladen.6 Die Teilnehmenden sowohl der akademischen als auch der schulischen Disputation sind also ausschließlich männlichen Geschlechts. Lateinkundige Frauen sind höchstens als Rezipientinnen der Disputationsschriften oder Dissertationen, wie sie auch heißen, vorgesehen. Damaligen Männern wie Frauen dürfte klar gewesen sein, dass es sich bei der Institution der Disputation um eine Lehr- und Lernsituation handelt, dass also das Dargebotene den Rang von Lernstoff hat, was die Form für die Normenvermittlung besonders interessant macht.
2. Disputationsthemen 2.1. Heiraten oder nicht? – Eine unentscheidbare Frage Charakteristisch für die Textsorte der Disputationsschrift sind die vielen abgekürzten Quellenangaben. Wie die mündliche Disputationssituation schaffen dadurch auch die Texte eine Gruppe von Teilnehmern, welche die Grundlagenwerke kennen. Es geht vor allem darum, alte, wohl verbürgte Argumente zu präsentieren. Deshalb schreiben auch die Universitätsordnungen die achttägige Vorbereitungsphase vor, in der sich die Teilnehmer, vor allem der Respondent, Wissen aneignen sollen. Diese gelehrte Belesenheit schlägt sich in den Disputationsschriften in wiederkehrenden und selten originellen Argumenten nieder. Es erstaunt deshalb nicht, wenn auch die zur Diskussion stehenden Thesen selbst topischen Charakter haben. In allen Fakultäten finden sich Disputationsthesen zum Verhältnis zwischen Frau und Mann. Gerade die beliebtesten Disputationsfragen über Geschlechterbeziehungen sind oft aus männlicher Perspektive formuliert. Die Disputationsschriften verweisen damit auf den fast ausschließlich männlichen Rahmen von Schule und Universität, aus dem sie stammen. In der Wiederverwendung der im akademischen Diskurs geformten Topoi wird das Geschlechterverhältnis im männlichen, ritualisierten Rahmen der universitären Disputation immer wieder aufgeführt. Die typische Formulierung einer Disputationsthese ist die Entscheidungsfrage gemäß dem lateinischen Muster An sit …?, gerne auch als Doppelfrage An sit … an …? Einige Fragen dieser Form über Frauen und Männer werden so bekannt, dass sie auch auf Deutsch zu Topoi gerinnen, zum Beispiel diejenige, die schon 1472 als Titel des Ehetraktats von Albrecht von Eyb dient: Ob einem manne sey zunemen ein eelichss weyb oder nicht. Es ist die Übersetzung von An uxor ducenda?, wie sie Quinti6
Barner, 1970, 243 f.
2. Disputationsthemen
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lian bereits in der Antike als quaestio infinita, als unentscheidbare Frage, formulierte (Institutio oratoria III 5, 8). Diese topische Frage hat von der Antike bis in die Reformationszeit immer wieder neue Oppositionen organisiert: Die mittelalterliche Diskussion dieser Frage nimmt ihren Ausgangspunkt in einem Fragment von Theophrast, das sich nur bei guten Eigenschaften der zukünftigen Frau für die Ehe ausspricht und zahlreiche Beschwernisse für den verheirateten Mann aufreiht.7 Der Kirchenvater Hieronymus verwendet Ehebeschwernisse, für die er sich auf einen heute verlorenen liber de nuptiis von Theophrast beruft, um Jovinian die Überlegenheit der keuschen Lebensweise gegenüber der Ehe zu beweisen.8 Dieser Linie folgt im Mittelalter eine ganze Reihe frauenfeindlicher Schriften. Im zweiten, frauenfeindlichen Teil des Roman de la Rose taucht das Thema als Klage eines Ehemannes auf. Um deren poetologischen Wert entbrennt um 1400 eine Diskussion, die einen der Ausgangspunkte für die europäische Querelle des Femmes bildet: die Auseinandersetzung über die Mehr- oder Minderwertigkeit von Frauen gegenüber Männern. Zu dieser Zeit gewinnt das Thema wieder, wie in der Antike, kontroversen Charakter, indem nicht nur Ehekritik, sondern auch (vor allem ökonomisches) Ehelob geäußert wird. In der Reformationszeit schließlich erhält es konfessionspolitische Brisanz, da sich die reformatorische Seite mit Nachdruck für die Ehe ausspricht. All diese Argumentationslinien sind auch noch im 17. Jahrhundert topisch vorhanden. Gemeinsam ist ihnen, dass nicht so sehr das Verhalten zwischen Frauen und Männern als vielmehr die Eigenschaften der idealen oder schlechten Ehefrau zur Diskussion stehen. In diesem Sinne ist der Topos auch Bestandteil der Ratgeberliteratur für junge Männer, welche die Frage meist positiv damit beantwortet, dass es nur darauf ankomme, die zukünftige Ehefrau richtig zu wählen. Während andere nach wie vor Theophrasts Kriterien der Schönheit, Tugendhaftigkeit und ehrbaren Herkunft für die Frau wiederholen (ohne allerdings die Kriterien der Gesundheit und des Reichtums für den Mann ebenfalls zu nennen) (PL 23, 276C), verkürzt Der Verliebten Jugend Vernünfftiger Hofmeister die sehr schwer[e] Frage, wie denn ein Frauenzimmer müsse beschaffen seyn, auf die einfache Antwort, dass sie sehr jung sein sollte (7). Im Neuen Büchlein, Von allerhand höflichen Discoursen und schönen Gesprächen (1675) consulirt im 19. zur Venuszkanzeley gehörigen […] Sendschreiben ein junger Cavallieur [sic …] einen Juristen, ob er zu der Heirath schreiten, oder seine Zeit im Ehelosen Leben zubringen sol (161). Die Antwort und der Rat des Juristen wird als Abschluss der Briefsammlung angefügt (164 ff.). Das Gedicht über die Ungelegenheit der Ehe (Nr. 671) in der Witz- und Anekdotensammlung Lustige Gesellschafft von 1660 verweist durch den Titel auf Theo7 8
Ich folge in diesem Abschnitt für die Geschichte des Topos der Darstellung bei Roth, 1998, 171 – 232. Adversus Iovinianum, Patrologia Latina 23, 276B–278B.
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B. Disputation
phrast und führt wie dieser eine Reihe von Ehebeschwernissen auf. In diesem Gedicht werden jeweils zwei Handlungsalternativen für die Figur des Ehemannes genannt, welche aber beide nicht verhindern können, dass sich die Figur der Ehefrau schlimm entwickelt. Im Gegensatz zum Eheratgeber geht es nicht darum, dass der Mann eine vernünftige Wahl trifft, sondern dass eine Ehe sowieso nur zum Schlimmen ausschlagen kann. Diese Variante macht die Ehefrau ebenfalls ganz alleine verantwortlich für das Misslingen der Ehe, nimmt aber in satirischer Überspitzung die interaktive Situation der Ehe ernst, in der auch die Frau handelt und entscheidet. Das Gelingen der Ehe hänge nicht allein von der Wahl und den Erziehungsgrundsätzen des Mannes ab: Ist sie schön, So hat er viel wartens. Ist sie heßlich, So bleibet er nicht im Hause, sondern suchet ein ander Bette. […] Versperrestu sie, So klaget sie, Lässestu sie gehen, So ist sie in der Leute Mäuler, […] Hastu sie gar lieb, So achtet sie deiner wenig. Fragestu aber wenig nach ihr, So meinet sie du seyest anderswo verliebet, Wiltu nicht sagen warumb sie dich fraget, Lässet sie nicht ab biß du es sagest. Vertrawestu ihr aber etwas, So schweiget sie so lang biß sie zu Leuten kömmt. (Nr. 671)
Das Gedicht endet mit einer Conclusio, welche die Seltenheit glücklicher Eheleute mit 10:100 angibt, Aber danach ein Sirach-Zitat in drei Punkten über die gottgefällige Eintracht von Brüdern, Nachbarn und Eheleuten zu bedenken gibt (Sir 25, 1 und Ps 133, 1). Zu beachten ist die Disputationsterminologie am Gedichtende, die nicht nur ein Bibelzitat mit drei Punkten wählt, sondern diese auch in der Art einer Thesenliste durchnummeriert. Dieser Schluss entspricht der Unentscheidbarkeit der Frage: Er stellt im lutherischen Sinne das gewichtige zustimmende Bibelzitat ans Ende, könnte aber gleich wieder als neue Disputationsthese fungieren. Die Frage, ob Heirat ratsam sei, wird im 17. Jahrhundert nicht nur in utramque partem, dafür und dawider, diskutiert, sondern auch aus der Perspektive beider Geschlechter, allerdings nicht im gleichen Text. Die Weißliche Bedencken den Frauenzimmer zur Nachrichtung gestellet. Ob sie lieber Juristen und Weltlichen oder Geistlichen Personen sich verheyrathen sollen von 16319 beschränken sich zwar auf die
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Ich verwende die Ausgabe von 1635.
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Sicht einer Jungfer, sind aber über die topische Heiratsfrage, die zusätzlich durch die disputationsähnliche Darbietungsweise unterstützt wird, mit an-uxor-ducendaTexten aus männlicher Perspektive verbunden, zu denen sie sich nicht im Sinne einer disputatorischen Opposition verhalten, sondern vollkommen parallel. Die Weißlichen Bedencken bestehen aus einem Brief der Jungfer Agnise Huldreich, die ihre Muhme um Rat fragt, ob sie dem Urteil ihrer Mutter nachgeben solle und einen Geistlichen oder eher ihren treuliebenden Juristen heiraten solle. Ihre Muhme, die Witwe Christina Sorgin, greift die Argumente in Disputationsmanier (Die erst Ursach so ihr setzet …) auf, korrigiert Agnises Kategorisierung (distinctio) und widerlegt ihre Gründe fein säuberlich einen nach dem andern, um am Briefende darauf hinzuweisen, dass sie vom Geistlichen einen Brief mit der Bitte um Empfehlung bekommen habe. Dieser Bitte entspricht die Muhme am Schluss ihres Briefes und rät Agnise zur Heirat mit dem Geistlichen. Wie bei den Ratgebern für Männer verschiebt sich auch hier die Frage nach dem Heiraten, welche die Muhme zu Anfang des Antwortbriefes streift, auf die Frage nach dem richtigen Partner, die hier allerdings nicht abstrakt, sondern mit dem Hinweis auf die besonderen Verdienste des Werbers beantwortet wird. Die Kategorisierungskorrektur der Muhme besteht gerade darin, dass sie nicht wie Agnise alle Geistlichen einerseits und Juristen andererseits in einen Topf wirft. Die Weißlichen Bedencken führen dadurch den Lesenden vor, wie eine Disputation mit abstrakten Kategorien auf einen konkreten Einzelfall zu übertragen ist. In dieser Hinsicht verrät das Beispiel eine Verwandtschaft mit der Liebeskasuistik, bei der es konkrete Fälle zu entscheiden gilt, typischerweise den Fall, dass eine Frau von mehreren Männern geliebt wird.10
2.2. Gleich zu Gleich? – Hierarchische Kopplung Ob Gleich zu Gleich sich gerne gesellt, ist im 17. Jahrhundert nicht eine psychologische Frage, sondern eine der Standespolitik und der theologischen Dogmatik. Bereits im Konfliktverlaufmuster Kompliment wurde die Regel deutlich, dass die Frau nicht höheren Standes sein soll als der Mann, es kommt also auf die Richtung des Unterschiedes an.11 Johann Gerhards lutherische Dogmatik schreibt Gleichheit in den Sitten, der Herkunft, dem Reichtum und der Religion vor.12 Witze und Anek-
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So in spätmittelalterlichen Streitgedichten. Vgl. die gattungskontrastierende Darstellung bei Lichtblau, 1998, 280 et passim. S. das Kapitel „Kompliment“, S. 84 – 88. Gerhard, 1639, Bd. 7, Sp. 127: „ne sit inter dissimiles moribus, genere, fortuna, religione personas, aut etiam contra honestatem publicam“.
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B. Disputation
doten ergänzen diesen Katalog um das Alter.13 Das Gedicht Ein guter Raht zur Heyraht aus der Lustigen Gesellschafft führt diese Forderung ad absurdum: Gleiche Liebe, gleiche Stände, Gleiche Schöne, gleiche Jahr, Gleiche Füße, gleiche Hände, Wie so ists ein gleiches Paar, Gleicht das ander sich nicht minder, Hoffen wir viel gleiche Kinder. (Nr. 242)
Das Frauenzimmer-Gesprächsspiel von den Liebs-gleichnissen (I, 35 ff.) wendet die Frage der Gleichheit ins Grundsätzliche und stellt sie in einen kontroversen Gesprächsrahmen. Zuerst erörtert die Gesprächsrunde das Thema Gleichnis allgemein. Danach schlagen die Figuren Julia und Vespasian zwei verschiedene Spiele vor. Julia von Freudenstein regt an, dass alle eigene Eigenschaften aufzählen, welche die oder der Zukünftige ebenfalls besitzen sollte. Reymund Discretin, ein gereist- und belesener Student (I, Personen) hält ihr jedoch entgegen, dass es für den Staat weit förderlicher sei, wenn sich ungleiche Leute trauen ließen (I, 36 f.). Daraus erfindet Vespasian von Lustgau, ein alter Hofmann (I, Personen) ein anderes Spiel, das von den anderen sofort weitergeführt wird. Alle nennen Dinge, die wegen ihrer ergänzenden Andersartigkeit verheiratet werden sollen, wie Tag und Nacht, Käse und Brot. Die beiden Spiele schöpfen aus zwei Quellen oder Topoi: aus dem Gleichen (e simili) und aus dem Gegenteil (e contrario). Gemäß diesen Topoi wird dem Argument ein Gegenargument, das ihm gleicht oder entgegensteht, gegenübergestellt. Obwohl es hier nicht um die Abwägung der Eigenschaften und Dinge gegeneinander geht, wird die koppelnde Wirkung der Disputationssituation auf die Topoi im Bild der Heirat dargestellt: Es werden genau zwei Eigenschaften oder Dinge verheiratet, wie in der Disputation die Argumente beider Parteien aneinander gekoppelt werden und zusammen das Thema formen. Die vorangehende allgemeine Erörterung des Gleichnisses behandelt das Thema der Gleichheit auf eine andere Art: Während die Spiele von Julia und Vespasian einander wie in einer Disputation unvermittelt, aber gekoppelt gegenüberstehen, wird vorher ein dialektischer Dreischritt vollzogen: Vespasian vertritt hier die These, dass alles in der Welt in Harmonie stehe, weil es von einem Schöpfer geschaffen sei (16 f.). Reymund hält dem entgegen, dass in der Welt sehr unterschiedliche Dinge vorhanden seien. Julia verbindet die beiden Thesen zu einem vermittelnden Vorschlag: So viel ich mit meiner schwachen Vernunfft ergreiffen kan, besteht die Welt nicht in widrigen und unter sich streitenden Dingen, sondern in unterschiedenen, welche in gewisser Maß einander nachgeordnet sind. (18 f.)
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Z. B. Johannes Petrus a Memel, Lustige Gesellschafft, Nr. 220 und 221.
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Harmonische Gleichheit und Widersprüchlichkeit werden zu einer hierarchischen Ordnung von Andersartigem verbunden. Obwohl dieses Konzept im Spiel LiebsGleichnisse nicht auf die Heiratsfrage angewandt wird, lässt sich darin unschwer die Vorstellung einer Schöpfungsordnung (ordo) erkennen. Sie verschiebt die gegensätzlichen Dinge von der gleichen Ebene auf eine Hierarchie-Leiter. Wie in der Disputation der Präses die Seite des Respondenten unterstützt, so ergibt sich unter den (allenfalls im Sinne der darauf folgenden Spiele gekoppelten) Dingen eine Gewichtung nach der Schöpfungsordnung; die Kopplung wird als schräge deutlich, bei der eine Seite mehr Macht besitzt. Das Spiel Liebs-Gleichnisse kann also auf drei Ebenen betrachtet werden: Es beschreibt erstens über das Bild der Heirat ein dialektisches Verfahren, das Argument und Gegenargument über die Topoi e simili oder e contrario aneinander koppelt. Dieses Verfahren gleicht zweitens der in der Disputation aufgeführten Szene, indem sich dort Respondent und Opponent(en) gegenüberstehen, der Präses jedoch einseitig dem Respondenten hilft. Drittens stellt Julias Schöpfungsordnung die nachfolgenden Verheiratungsvorschläge in eine hierarchische Schräglage, besonders für diejenigen Lesenden, denen beim Thema der gleichen Heirat die ständisch geordnete Haustafel der lutherischen Katechismen einfällt. Diese intertextuelle Assoziation würde festlegen, dass bei einem standesgleichen Paar die höhere Position dem Ehemann zukommt.
2.3. Den Männern über- oder unterlegen? – Zwei komplementäre Kategorien Den Anstoß für eine ganze Welle von Satiren im Stil der Querelle des Femmes gibt für das 17. Jahrhundert die anonyme Disputatio nova contra Mulieres, Qua probatur eas Homines non esse von 1595. Die theologische Fakultät von Wittenberg warnt die studentische Jugend vor der Lektüre, diejenige von Leipzig reagiert mit einer Refutatio, und der Leipziger Professor für hebräische Sprache und Hallenser Hauptpastor Simon Gediccus gibt im selben Jahr eine Defensio sexus muliebris heraus, in der er die Thesen fein säuberlich widerlegt.14 Die Disputatio und die Defensio werden später gerne zusammen publiziert und erhalten eine Umarbeitung in einen Dialog zwischen einem frauenfeindlichen Benediktiner und einem frauenfreundlichen Jesuiten, welche 1618 und in mindestens vier weiteren Auflagen15 unter dem Titel Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? erscheint. Damit ist die topische Frage definitiv geprägt, so dass der Traktat Das Weib auch ein wahrer Mensch gegen die unmensch-
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Jungmayr, 1996, 52 f. Jungmayr, 1996, 53.
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B. Disputation
lichen Lästerer Weibl. Geschlechts, einfältigst vorgestellet von einer Jungfräulichen Weibs-Person R. D. S. aus ihren Zellen von 1697 behaupten kann: Diese Lästerung [dass Frauen keine Menschen seien] werden so vermehret und gemein, daß nun in allen Dörfern bey den geringsten Leuthen ein solch unnütz Buch angetroffen wird. Darunter sind 2. ohne Nahmen, und eines welches ein Gespräch zweyer Mönchen ist, voller Lügen und Lästerung, doch so alber und abgeschmack, daß es nicht eines Anblick, vielweniger einer Antwort werth ist. (5 f.)
Es geht in diesem Streit nicht um das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern, sondern um die Mehr- oder Minderwertigkeit der Frau im Verhältnis zum Mann, insbesondere was die Heilsfähigkeit anbelangt.16 Diese Fragestellung wird in der französischen wie in der deutschen Querelle des Femmes auch auf die Themen Bildung, Macht und Rechte angewendet. Die bürgerliche Rezeption der Diskussion besteht aus Listen17 von vorbildlichen oder abschreckenden Frauen beziehungsweise Männern, ernsthaften und scherzhaften Disputationen, welche außer der theologischen auch die bildungs-18 und machtpolitischen19, rechtlichen20 und medizinischen21 Seiten der Frage erörtern. Die Frage schafft dadurch eine Verbindung aller Fachbereiche. Als Kontrahenten treten auf beiden Seiten vor allem männliche (Autor-)Figuren auf. Die Querelle-Texte übernehmen dabei eine Perspektive, die derjenigen der mündlichen Disputationssituation entspricht: Es ist eine Konstruktion der Geschlechter im Streit unter Männern. Indem Romane wie Filip von Zesens Adriatische Rosemund von 1645 Frauenund Männerfiguren über solche Fragen diskutieren lassen, machen sie einerseits deutlich, dass diese als Allgemeinwissen gelten können, und führen die dadurch transportierten normativen Raster in diese Beziehungen ein. Krebs hat den Wortstreit von Rosemund und Markhold über die Vorzüge der Männer aus Ober-
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Jungmayr, 1996, 59 f. hat dargelegt, dass die anonyme Schrift Valens Acidalius zuzuschreiben ist, der mit der überspitzten These die Argumentationsweise der polnischen Wiedertäufer, der Sozinianer, in satirischer Überzeichnung kritisierte. Z. B.: Jacob Sturm: ,Der frommen Weiber Tugend Lob, der bösen Männer Laster-Prob‘, 1662. Vorbilder sind u. a. Boccaccios ,De Claris Mulieribus‘ von 1473 und Trousset, Alexis (Ps. Jacques Olivier): ,L'Alphabet de l'Imperfection et Malice des Femmes‘, 1617. Z. B.: Anna Maria van Schurman: ,Dissertatio de ingenii muliebris ad doctrinam et meliores litteras aptitudine; accedunt quaedam epistolae, eiusdem argumenti‘. Elzevir, Leiden 1641. Thomasius, Jacob; Sauerbrei, Johannes; Smalcius, Jacob: ,De foeminarum eruditione‘, 1671/76. Z. B.: Grosserus, Samuel: ,Dissertatio de Foeminarum Meritis in Rempublicam, earumque Praerogativis in Republ. concessis‘. 1690. ,Corpus juris foeminini. Das ist: Uhraltes, Durch die veränderliche Zeiten verblichenes, und nun aufs neue wieder hervor gesuchtes Weiber Recht‘, o. J. ,Der Frauen und Weiber Privilegium‘, o. J. Johann Sommer (Ps. V. O. J.): ,Curiose, lustige und artige Beschreibung Der Regiersüchtigen eigennützigen Bösen Weiber‘, o. J. Z. B.: Hoeltich, Franciscus Henr.; Waltz, Johannes Casparus: ,Quod Foemina Non Est Homo‘, 1672. Volckmann, Adam: ,Disputatio de Virorum prae foeminis in iure Praerogativis‘, 1645. Melchior Sebizius: ,De discrimine corporis virilis et muliebris‘, 1672.
2. Disputationsthemen
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deutschland als indirektes Liebesgespräch mit erotischer Konnotation im Stil der Frauenzimmer Gesprächspiele gedeutet.22 Die Liebe habe sich so sehr als Konversationsthema etabliert, dass die noch unsicher Liebenden sich vor dem körperlichen Ausdruck in den „Diskurs der Höflichkeit“ flüchteten.23 Die Querelle des femmes ist nicht nur für die einzelnen Darstellungen wichtig, sondern bildet auch das Muster für die Bezugnahmen der einzelnen Schriften aufeinander. Sich in Umkehrung entsprechende Titel wie die genannten oder der Ehren-Preiß Deß Hochlöblichen Frauen-Zimmers (1663) und der Gestürtzte Ehren-Preiß des hochlöblichen Frauen-Zimmers (1666) belegen die textübergreifende antagonistische Anlage der Debatte. Diese bringt es mit sich, dass ein Argument zugunsten der Frauen immer auch eines zum Nachteil der Männer ist und umgekehrt. Durch diesen Mechanismus deklinieren diese disputatorischen Texte durch alle Fachgebiete hindurch, dass es zwei und nur zwei Geschlechter gibt, die sich gegenseitig ausschließen, sie konstruieren die Geschlechter als Positiv- und Negativschablone voneinander, so dass nur eine ausgefüllt werden muss, um die andere zu erkennen.24 Diese Komplimentarität der Kategorien entspricht der bilateralen Anlage der universitären Disputation und dem dort geltenden Konsensverbot. Während jedoch in der universitären Disputation bei anderen Disputationsfragen auch Einwände möglich sind, welche die vom Proponenten verwendeten Kategorien verwerfen, wird bei Thesen über das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern am
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Vgl. die Fragen des Gesprächsspiels „Liebsfragen“ (I, 130 ff.) Nach einem Beispielstreit über die Frage, „Ob die Soldaten, oder die Gelehrten mehr zu lieben?“ (I, 130) werden sechzehn weitere übliche Entscheidungsfragen aufgelistet (I, 132 f.). Streitfragen erinnern an rechtliche Bestimmungen: „Ob besser öffentlich- oder heimlicher weis lieben?“ (I, 132), „Ob die unkeuschhe [sic] liebe ohne Furcht seyn könne?“ (I, 133). Auch andere betreffen den politischen Diskurs: „Ob in der Lieb die natürlichen Neigung mehr würke, als ander zufällige Sachen, Kunst, Wissenschaft, Reichthum, Höflichkeit? […] Ob leichter sey die Liebe zu verbergen, oder sich verliebt zu stellen? […] Ob leichter eine Festung zu erobern, oder einer Jungfrauen Keuschheitverlöbnis zu gewinnen? […] Ob die Rede oder das Schreiben leichter lieben mache?“ (I, 132 f.). Damit verwandt sind die Fragen aus der Tugend- und Affektenlehre: „Ob die Liebe ein Verlangen sey? […] Ob die Furchtsamen oder Hertzhafften mehr lieben? […] Ob der Haß oder die Liebe eine mächtigere Gemühtsbewegung sey? […] Ob ein Geitzhals lieben könne? […] Ob die Verliebten gleich sind denen, welche im Schlaf reden und gehen? […] Ob die Eifersucht der Liebe Stieffschwester?“(I, 132 f.). Eher in Richtung theologischer Diskurs weisen folgende Fragen: „Ob in der Liebe von grössern Kräfften seye die Schönheit des Gemühts, oder des Leibs? […] Ob die unkeusche Liebe ohne Frucht seyn könne?“ (I, 132 f.). Krebs, 1997, 404 ff. Äußerst beliebt sind solche Fragen im höfischen Roman, z. B. in Barclays gattungsprägender ,Argenis‘ (Barner, 1970, 405). Zum Verhältnis von Querelle des Femmes und Daniel Caspar von Lohensteins ‚Grossmüthigem Feldherr Arminius‘ von 1689/90 vgl. Plume 1996. Schnell, 1998, Frauendiskurs, 161 hat in ähnlicher Weise darauf hingewiesen, dass solche frauenverherrlichende und frauenfeindliche Texte letztlich doch dasselbe Geschlechtermodell reproduzieren, in dem ein „Androzentrisches Sprechen […] über das Objekt Frau“ verfüge. Vgl. auch Kundert, 2003.
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B. Disputation
zweiteiligen Geschlechtermodell nicht gerüttelt; auch die Einwände stützen sich darauf, dass es zwei und nur zwei unterschiedliche Geschlechterkategorien gebe. Johann Gorgias’ unter dem Pseudonym Veriphantor veröffentlichter Roman Betrogener Frontalbo beteiligt sich an der Auseinandersetzung um die Frage, ob Frauen mehr Macht haben dürfen als Männer. Diese ist zwar typisch für die Querelle des Femmes, bringt allerdings am wenigsten kontroverse Standpunkte hervor, weil sie stets verneint wird. Die Querelle-Thematik wird über die Darstellung eines Streits zwischen Eheleuten eingeführt, in dem eine alte reiche Frau ihren jungen armen Mann verfolgt, prügelt und entmannen will. Das als Definitionsinstanz waltende Ich, das geschlechtlich nicht festgelegt ist, eilt ihm zu Hilfe und pflegt ihn. Während dieser Zeit erzählt ihm der verwundete Dolobert seine Lebensgeschichte. Nachdem er zu seines Trauerspiels (Gott behüte einen jedweden davor) Ende gekommen ist, tröstet ihn das Ich, indem es ihn mit Guter Freund anredet (114). Es bewertet die Lebensgeschichte des Kranken, weist sie als Exempel aus25 und formuliert abschließend acht Ursachen, welche die Männer Weibisch, ihren Frauen untertan, machen (119). Diese traktatähnliche Passage von 21 Seiten bildet den Abschluss des Haupttextes. Sie gleicht unter anderem deshalb einer Disputationsschrift, weil sie das Thema in Paragraphen aufgliedert. Die Ich-Definitionsinstanz führt Dolobert zum Abschluss dessen eigene Lebensgeschichte als Beweis für die Richtigkeit ihrer acht Thesen an. Es folgt ein Schlusswort An den Leser (141), in dem Veriphantor, die Definitionsinstanz des Schlusswortes, dem Leser aufzeigt, welche der für die Querelle so typischen komplementären Kopplungen in der Darstellung der Gründe für die Weibischen Männer enthalten sind: Der Leser könne durch Kunst-Schlüsse aus vorbesagten […] erkennen, […] welche die Männische Weiber seyn (141). Diese (Wieder-)Leseanweisung stellt Weibische Männer und Männische Weiber als zwei komplementäre, aufeinander bezogenene Kategorien dar. Die acht Thesen behaupten indirekt, dass diese Zuordnung in der wechselseitigen ehelichen Interaktion beziehungsweise in der Partnerinnenwahl geschehe. Veriphantor teilt dem Leser im Schlusswort außerdem mit, dass er auf die Darstellung der Männische[n] Weiber verzichtet habe, damit er sie nicht selber zur Männligkeit anführe (141). Er thematisiert dadurch, dass auch die tadelnde Darstellung zur Nachahmung gebraucht werden kann. Nicht nur die beiden Geschlechterkategorien ergänzen sich demnach gemäß Veriphantor, sondern auch die beiden Vermittlungsarten Lob und Tadel. Diese Hinweise, wie das Dargestellte in die Situationen der Lesenden übersetzt werden kann, vervielfältigen die möglichen Lesarten. Die Lesenden könnten nun die beiden Umkehrmöglichkeiten hinsichtlich Geschlecht und Wirkung kombinieren und die Kritik an den Weibischen Männern als 25
Vgl. das Kapitel „Buße“, S. 227.
3. Prüfung des rituellen Wissens
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Anleitung für Männische Weiber lesen. Diese Lesart schlägt jedoch Veriphantor in seinem Nachwort nicht vor, sondern charakterisiert die Geschicht als Erklärungshilfe für die Männer, woher die in Teutschland so weit verbreitete Regier-Sucht der Weiber herquäle [herquelle/(herquäle)] (141). Er öffnet für die Lesenden also nur diejenigen Lesarten explizit, welche zu einer Kritik an der weiblichen Herrschaft im Haus führen. Dass der vorhandene Text auch als Anleitung für weibliche Herrschaft gelesen werden kann, verschweigt er. Diese Kopplungen zwischen zwei Geschlechterkategorien sowie Tadel und Anreiz machen den normativen Charakter der Querelle-Schriften aus: Sie konstruieren zwei komplementäre Geschlechterkategorien. Grundsätzlich wäre es möglich, Tadel als Anreiz und umgekehrt zu lesen, aber die Schriften versuchen, wie Veriphantor auch, dieses Kippspiel durch Hierarchisierung zu unterbinden beziehungsweise nur bestimmte Umkehrungen zuzulassen.
3. Prüfung des rituellen Wissens Wie in den Beispielen bereits deutlich wurde, entwerfen nicht alle Texte des Konfliktverlaufmusters Disputation ein ausschließlich männliches soziales Umfeld. Allerdings erreichen die bisherigen abweichenden Beispiele nicht den Status einer diskursiven Institution. Eine Textsorte jedoch, die Brautsuppe, macht sich als institutionalisierter Teil des Hochzeitsrituals geltend. Das von Gottlieb Sigmund Corvinus unter dem Pseudonym Amaranthes verfasste Nutzbare, galante und curiöse Frauenzimmer-Lexicon von 1715 definiert Brautsuppe wie folgt: Ist eine aus Wein, eyern und Semmel abgewürtzte gelbe Brühe, so den andern HochzeitTag zu allererst auf die Tafel getragen wird. Man pfleget auch an etlichen Orten diejenigen lustigen und schertzhafften Carmina Braut-Suppen zu benennen, so man den andern Hochzeit-Tag bey der Tafel austheilet. (258)
Es ist wenig sinnvoll, Disputationen, wie sie die Universitätsstatuten und Disputationsschriften entwerfen, als die eigentlichen, ernsten zu bezeichnen und diejenigen der Brautsuppen als unernste, sozial folgenlose Variante darzustellen. Es würde dadurch ein Gegensatz zwischen der außeruniversitären Disputation von der universitären konstruiert, der so einseitig nicht haltbar ist, waren doch manchmal bei langen Disputationsveranstaltungen an der Universität disputationes pro ioco oder quodlibetica26 vorgesehen, welche zur Abwechslung und Unterhaltung dienten.27 Und auch die Brautsuppe hat wie die universitäre Disputation ihre ernsthaften, 26 27
Entsprechend habe ich die Brautsuppen in der Staatsbibliothek Berlin unter der Signatur ‚Quodlibetica‘ gefunden. Horn, 1893.
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B. Disputation
wirklichkeitsstiftenden Seiten. Folgendes sind Beispiele solcher Texte, die auch Braut-Suppe im Titel tragen: Rotulus Testium oder Summarisches Zeugnis Der beeden Braut-Mägde, wider die Junfger Braut, … Bey der Rudloff-Niednerischesn Braut-Suppe, In Halle den 1. October 1679 publiciret Eine gekochte Bratwurst. Denen Lüsternden Löffel-Gänsgen Bey der Rosenfeld und Wincklerischen Braut-Suppe Mit zuzubeissen Vorgesetzet von einem Alten Sudel-Koch Im Jahr 1679 Disputatio Nuptialis von Vier Fragen: Welche die Gestern Jungfer, Heute aber neue Frau Professorin zu Jena Pro Loco Unter den wohllöblichen Weiber-Orden allhier rechmesziger Weise zu erhalten, publiciret, Gehalten umb 10. Uhr vormittage am Tage der Braut-Suppe, war der 20. des Wintermonats im M. DC. LV. Heyl-Jahre.
Besonders die letzte füllt das Titelformular einer universitären Disputation fast vollständig aus: Das Adjektiv Nuptialis lässt dasjenige der Disputatio Inauguralis anklingen; das Thema, der Name der Respondentin, der Ort, die Modalität (pro loco)28 ergänzt um den erlangten Grad, die Uhrzeit und das Datum erscheinen wie auf dem Titelblatt einer universitären Disputationsschrift, das gleichzeitig auch als Plakat zu dienen hat. Noch genauer parodiert es die Disputatio Inauguralis Von Der Jungfrau-Liebe, Welche Mit Einwilligung der Hochlöblichen Weiber-Facultät, Unter dem Schutz Der Edlen, Hochgelahrten und Hoch-Ehrenreichen Fr. Christina Amalia von Blumenau, vornehmen Doctorin u. Professorin der berühmten Jungfer hohen Schule in Wittenberg, Ihrer grossen Lehrerin und Patronin, Die höchste Ehre des Brautbettes zuerlangen, den 18. May des 1661. Jahrs öffentlich hielte Anna Elisabeth Mostin, Patrit. Witteberg.
Hier werden sogar noch Herkunftsort und Präses genannt. Diese Brautsuppen, am deutlichsten die letzten beiden, parallelisieren Hochzeit und Graduierungsdisputation, womit auf ihre gemeinsame Qualität als Initiationsritus verwiesen ist. Im Falle der Disputatio Nuptialis werden die rituellen Umstände, unter denen die Braut ihren Titel erhält, denjenigen ihres Mannes angeglichen. Der Text präsentiert die neue Frau Professorin als aktive Teilnehmerin der akademischen Welt und lehrt die rituellen Gepflogenheiten der universitären Disputation auch denjenigen, die kein Latein verstehen. Andererseits sind diese hochzeitlichen Scherzdisputationen trotzdem Parodien, also nur für diejenigen lustig, welche das Disputationsmuster kennen. Nur diese sind als Teilnehmende der realen Rezeptionssituation zu werten. Dieser Kreis kann durchaus größer sein als derjenige der zu universitären Disputationen Zugelassenen; das Muster kann schließlich auch von Schul-Disputationen, anderen Brautsuppen oder vom Hörensagen her bekannt sein.
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Die Disputationen pro loco gehören zu den öffentlichen (Horn, 1893, 30).
3. Prüfung des rituellen Wissens
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Die Disputatio Nuptialis ist zwar analog zu einer universitären Schrift aufgebaut, aber die Abänderungen schaffen eine Differenz, welche die durch die Parallele in den universitären Lehrbetrieb aufgenommene Figur der Ehefrau auch gleich wieder daraus ausschließt. Wer das Muster erkennt (und das tut wahrscheinlich auch die reale Ehefrau) und über die lustige Abwandlung lacht, weiß auch, dass diese Disputatio nicht die Zugehörigkeit zu den Disputationsberechtigten belegt. Durch das Gelächter (auch ihr eigenes) ist die Ehefrau aus diesem Kreis verwiesen. Die Disputatio Inauguralis Von der Jungfrau-Liebe unterstreicht den scherzhaften Charakter dadurch, dass bei der Erörterung der dritten Frage, Wie die Jungfrauen voraus auff hohen Schulen sich vor der verführischen Liebe zu hüten haben, der Gefahr durch die verdammlichen Mißbräuche der guten Künste besondere Beachtung geschenkt wird. Die Disputationsparodie, die ja selbst gewissermassen Künste-Missbrauch ist, führt durch alle Disziplinen aus, wie die gelehrten Liebhaber die Jungfrauen dank Wissens- und Know-how-Vorsprung zum vorehelichen Beischlaf verführen. Als Zeichen dieses Wissensvorsprungs, der für die gebildeten Männer Ironie schafft, wird der Prava-Dama-Witz angeführt.29 Die gleiche Ironie-Situation wird durch die Quellenangaben geschaffen: Mit Johan. Goedd. und Heinr. Cornel. Agripp. a Nettersheim [sic] verweist die Disputatio auf die zwei wichtigsten als frauenfreundlich geltenden Exponenten der deutschen Querelle des Femmes.30 Indem diesen durch fingierte Quellenangaben diskreditierende Texte in adulter. (über den Ehebr.) und de arte meretr. (über die Kunst der Hur.)31 untergeschoben werden, schlägt sich die Disputantinnenfigur Anna Elisabeth Mostin auf die Seite der Frauenfeinde beziehungsweise zeigt der Text den Eingeweihten, was von den beiden Autoritäten zu halten ist. Diese Zitate machen auch deutlich, dass die Querelle des Femmes auf beiden Seiten von Männern zum Thema Frau geführt wird. Dies verstärkt den Ausschluss der Ehefrau und aller anderen Frauen aus dem Kreis der Disputationsberechtigten; gerade weil diese Brautsuppen aus gegebenem Anlass das Thema Liebe aufgreifen, wird damit demonstriert, dass die Normen der Geschlechterbeziehungen (fast) ausschließlich von (gebildeten) Männern schriftlich diskutiert und in topischen Fragen festgelegt werden. Mit den universitären Disputationen teilt die Disputatio Inauguralis von der Jungfrau-Liebe die Vorliebe für Themen der Geschlechterbeziehungen. Es geht auch hier nicht darum, das gegenseitige Verhalten der Geschlechter als Disputation zwischen Frau und Mann darzustel-
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S. Kapitel „Textinstanzen“, S. 73. S. oben S. 115. Vermutlich in ironischer Abwandlung von de arte metrica, was ‚über die Messkunst‘ heißen würde.
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B. Disputation
len.32 Obwohl eine Frauenfigur als Disputantin auftritt, ist in beiden Beispielen schon im Titel klar, dass sie das in einem ausschließlich weiblichen Rahmen tut. Hier kommt derjenige Aspekt der universitären Disputation besonders zum Tragen, dass sie nicht nur einen organisierten Streit, sondern (vielleicht sogar in erster Linie) ein gruppendefinierendes Ritual darstellt. Mag die Universitätsordnung vor allem eine Differenzierung unter den Männern gemäß ihrem akademischen Grad im Blick haben, so fokussiert die Brautsuppe auf die Differenzierung zwischen Ehefrau und Ehemann – ebenfalls im Sinne eines Wissens- und damit Machtgefälles.
4. Argumentation In den Universitätsstatuten wie in den Disputationsschriften fällt auf, dass dem Schluss der Disputation wenig Beachtung geschenkt wird. Die Statuten geben höchstens eine Zeitspanne für die Disputationen an oder weisen darauf hin, dass der Präses dem Proponenten ein Zeugnis oder Testat ausstellen sollte. Die Disputationsschriften brechen oft einfach nach der argumentativen Stützung der letzten These ab. Manchmal wird dieses Abbrechen sogar verbalisiert: Haec de materia literarum amatoriarum dixisse sufficiant. Tantum. (Dies über das Thema der Liebesbriefe gesagt zu haben, soll genügen. So viel.). Das Tantum ist in dieser juristischen Dissertatio auf eigener Zeile groß gedruckt und ist im Sinne von ‚so viel für heute‘ wohl ein üblicher verbaler Schlusspunkt, auch die Disputatio Inauguralis Juridica de Officio Mariti Erga Suam Uxorem, von Der Pflicht und Schuldigkeit eines Ehe-Mannes gegen seine Ehe-Frau schließt nach einer Segensbitte mit einem Tantum!. Dieses schwache Interesse für den Schluss hängt mit der deduktiven Anlage der Disputation zusammen: Eine bereits vorhandene These wird aufgegliedert und im Einzelnen argumentativ gestützt. Wie fein unterteilt wird und wie viele Argumente hinzugezogen werden, ist letztlich willkürlich. Die Entscheidung, welche Seite Recht behalten soll, muss auch deshalb nicht zwingend an den Schluss gesetzt werden, weil schon vorher eine Autorität, der Präses, auf der Seite des Proponenten votiert. Für die mündliche Disputation, die immerhin eine Lehrveranstaltung darstellt, ist dies einigermaßen erstaunlich, da doch gerade der Schluss gute Gelegenheit böte, lehrhaft und normativ zu wirken.33
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Beetz, 1980, 74 findet allerdings für 1711 ein Gelegenheitsgedicht, bei dem die Braut teils auf der Seite des Ehemanns („prae- und subsidirt“), teils gegen ihn („pro & contra in die Wette“) disputiert. Beetz, 1980, 81 findet in Rhetoriken des beginnenden 18. Jahrhunderts allerdings die Vorgabe, dass der Präses das Ergebnis der Disputation am Schluss zusammenzufassen hat.
4. Argumentation
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Genau jedoch eine solche am Ende offene Diskussionsanlage findet sich in Daniel Casper von Lohensteins Arminius-Roman von 1689/90, in den Gespräche zwischen den Figuren eingebettet sind. Kafitz ist diese Unabgeschlossenheit der Figurengespräche aufgefallen. Dass die Gesprächspartner kontrovers diskutieren und die Gespräche ohne Entscheidung für eine Seite abbrechen, sieht er im Gegensatz zu Barclays Argenis, Harsdörffers Gesprächspielen und Rists Monatsunterredungen.34 „Die Unparteilichkeit der Argumentation, das Fehlen fester Resultate, die Anhäufung von Gegengründen und eine destruktive Tendenz, alles Voraussetzungen des Dialogs […], wodurch er sich von einer nur spielerischen Konversation und einem rein belehrenden Gespräch, in dem ein Wissender die Zuhörer unterrichtet und deren Fragen beantwortet, unterscheidet“ ließen sich im Arminius nachweisen, „die Austauschbarkeit von Personen und Szenerie“ sei ein „Hauptkennzeichen der Gespräche im Arminius“.35 Kafitz sieht deshalb im Arminius ein disputatorisches Verfahren am Werk. Im letzten Band der Gesprächsspiele allerdings, auch darauf hat Kafitz hingewiesen,36 wird unentschiedenen Gesprächen didaktischer Nutzen zugesprochen, weil in solchen der Leser zu einem Richter aufgeworffen werde (VIII, 601). Dass dies den Lesenden Vergnügen bereiten könne, behauptet Christian Weise in seiner Poetik des Politischen Romans, dem Kurtzen Bericht vom Politischen Näscher von 1680: Und was sind die Comödien selbst anders, als zusammen gesetzte Gespräche darbey sich der Zuschauer als ein Richter über frembde Worte belustigen sol (23). Das Hauptinteresse liegt in der Disputation auf der Kategorisierung und der Argumentation. In der Universitätsdisputation müssen die Disputanten das Argument des Gegenübers vor der Erwiderung jeweils wiederholen. Sie werden also dazu gezwungen, die Argumente des anderen gedanklich und sprachlich nachzuvollziehen, und führen damit dem Publikum Rollenübernahme vor. Das Publikum der mündlichen Disputation sowie die Lesenden von dialogisch gestalteten Texten werden durch dieses Muster zur eigenen Rollenübernahme motiviert. Die hierarchisierende Rolle des Präses begünstigt, dass sie die Argumente der ‚richtigen‘ Partei bevorzugen. Die schriftliche Form der Disputationsschrift ist bezüglich der Rollenübernahme im Nachteil, wenn sie nicht in dialogisch, sondern monologischer Traktat ist. Viel klarer kann sie jedoch die ‚richtige‘ Seite hervorstellen. Die Rollenübernahme wird immerhin dadurch gefördert, dass mögliche Einwände (natürlich zum Zweck der Entkräftung) eingebracht werden. Die Traktate übernehmen entweder die schematische Abfolge von positiver Stützung (confirmatio) und Wi34 35 36
Kafitz, 1970, 55 und 58 f. Kafitz, 1970, 61. Kafitz, 1970, 59 f.
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B. Disputation
derlegung möglicher Einwände (con- oder refutatio), oder sie formulieren die Themen der Unterkapitel in Frageform, die dann entweder Thesen- oder EinwandCharakter haben können.37 Typisch für die Disputationen sind die Je-nachdemAntworten (limitatio, distinctio), die dieselbe Frage in zwei Richtungen ausleuchten.38
4.1. Asymmetrische Topik Die klassische Rhetorik baut auf die positive Begründung von Geltungsansprüchen. Dabei ist es charakteristisch für einen Diskurs oder eine soziale Gemeinschaft, welche Aussagen nicht weiter gestützt und begründet werden müssen, weil sie als Gewissheiten eingestuft werden.39 Wegen der binären Anlage der Disputation und der dadurch begünstigten Bildung komplementärer Kategorien erstaunt es nicht, dass immer wieder dieselben Beispiele auf die eine oder andere Seite gewendet werden: Der berühmteste, der Topos von der Erschaffung aus der Rippe, wird sowohl zur Begründung der Mehr- als auch der Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann benutzt. Diese Topoi werden auch in Texten aufgegriffen, die nicht primär an einer wertenden Gegenüberstellung von Geschlechtereigenschaften interessiert sind, wie zum Beispiel Eheschriften.40 Gleichgültig, welche Figuren in den Texten diskutieren – es bleibt die männliche Perspektive und eine patriarchale Hierarchisierung in der Regel erhalten. Die Topoi können nicht einfach geändert werden, weil ihre abschließende argumentative Kraft auf sozialer Konvention beruht und nicht in einem einzigen Text hergestellt werden kann. Sigmund von Birkens Pegnesis: oder der Pegnitz BlumgenoßSchäfere FeldGedichte von 1673 bemüht sich scheinbar um eine objektive Argumentation, indem in einer Gesprächsrunde über Querelle-Themen weibliche 37
38 39 40
Vgl. die Redeteile bei Vossius: III, Cap. l, § 2: Exordium (Einleitung), narratio (Vorstellung des Themas), propositio (Hautpstreitfrage, Zusammenfassung der Streitpunkte), fides (Argumentation) aus confirmatio (Bestätigung) und confutatio (Widerlegung der Gegenargumente), peroratio (Zusammenfassung, Aufforderung). Vgl. zu den entsprechenden, in Syllogismen vorzubringenden Zügen des mündlichen Verfahrens Beetz, 1980, 79. Vgl. Kopperschmidt, 1981, 67 f. In der „Dreizehenden Treuungs-Sermon“ aus Johann Heermanns Nuptialia wird die Erschaffung der ersten Frau aus der Rippe des ersten Mannes einerseits als Argument dafür gebraucht, dass Frauen auch Menschen seien, andererseits aber zur Rechtfertigung ehelichen Gehorsams, die sie deshalb zu leisten schuldig sind, weil die Männin vom Mann genommen sei und nicht umgekehrt. Schnell 2002 und 1998 hat für die Zeit vom Mittelalter bis an die Schwelle des 17. Jahrhunderts mehrfach gezeigt, dass insbesondere Eheschriften ein differenzierteres Bild des Zusammenlebens von Frauen und Männern zeichnen.
4. Argumentation
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Figuren für die Männer und männliche für die Frauen votieren. Trotz dieser ausgeglichenen Situation ergibt sich eine Schieflage: Indem nun beide Seiten nicht zu ihren eigenen Gunsten sprechen, fällt es nicht weiter auf, wenn die männlichen Figuren nicht gar so radikal für die weibliche Seite votieren. Wenn sie es dennoch tun, erscheint es als satirische Umkehr der geläufigen Topoi und provoziert Gelächter. Die folgende Passage der Pegnesis führt diesen Effekt vor: Gegen Ende der Diskussion um das Verhältnis der Geschlechter kritisiert die Figur Dorilis Wilhelm Ignatius Schütz’ Ehren-Preiß Desz Hochlöblichen FrauenZimmers von 1663. In der Binnenerzählung dieser Querelle-Schrift verteidigt die träumende Ich-Figur das weibliche Geschlecht vor allen Fakultäten. Dorilis bezieht sich auf die Stelle, als das träumende Ich als Respondent vor die theologische Fakultät tritt und die Zartheit der weiblichen Glieder als Beweis der schönen weiblichen Seele anführt. Dorilis kritisiert diese Argumentationsweise: Ich halte dafür, (unterredete Dorilis) dieser Schütz habe mit diesem Beweiß nicht ins Schwarze getroffen. Dann, indem er uns zärter beschreibet, so machet er uns damit auch schwächer und gebrechlicher: folgbar wird unser Geschlecht unedler seyn, als das Männliche. (184)
Dorilis reflektiert den Lesenden an dieser Stelle vor, dass der Gebrauch topischer Argumente gerade bei einer Argumentation zugunsten der Frauen heikel sei. Floridan kritisiert ihre Schlussregel und wendet ein, dass weibliche Vortrefflichkeit durch den zarten Körper nicht gemindert, sondern vergrößert werde. Ich will noch mehr sagen: sagte Alcidor. Wir Männer sind darum stärker erschaffen, damit wir euch, ihr schöne Schwachen, dienen mögen: gleichwie auch uns die stärkere Geschöpfe, als Pferde, Ochsen und Esel zu dienste stehen. Dieses lustige Gleichnis, wurde wol belachet, sonderlich von den Schäferinnen. (184)
Die Diskussion schlägt da in Gelächter um, wo ein Argument eingebracht wird, das ganz offensichtlich die Hierarchie zwischen den Geschlechtern zugunsten der Frauen entscheidet – es wird wegen des Vergleichs nicht ernst genommen. Dorilis’ Einwand wird nicht weiter erörtert. Obwohl als Argumente anerkannte Topoi durch den sozialen Verfestigungsprozess, der sie erst zu solchen macht, relativ veränderungsresistent sind, lassen sich doch modische Präferenzen feststellen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sind für Geschlechterbeziehungen naturrechtliche Topoi in Mode: Sie reichen von der Unwillkürlichkeit des Liebestriebs bis zur Polygamie-Diskussion.41 In Anlehnung an letztere thematisiert Heermann in seiner Ersten Treuungs-Sermon von 1657 über GOtt schuff sie ein Männlein und ein Fräulein (Nuptialia, 2 = 1 Mo 1, 27) nicht etwa den Geschlechterunterschied – dafür benutzt er in der elften Sermon die dafür 41
Samuel von Pufendorf und Christian Thomasius beteiligten sich an dieser Diskussion. Vgl. dazu den ausführlichen Artikel „Polygamie“ im Zedler, Bd. 28, 1741, Sp. 1300 – 1313.
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B. Disputation
topische Rippen-Stelle42 –, sondern konzentriert sich darauf, dass Gott je nur eines schuf. Heermanns Treuungs Sermones sind nach den Redeteilen aufgebaut, wie sie Erasmus für die Predigt vorschlägt.43 Auffällig ist in diesem Muster die starke Strukturierung durch Untergliederung in verschiedene Teilaspekte (divisio), die den Disputationsschriften sehr nahe kommt. Nachdem Die Erste TreuungsSermon über drei Seiten den Ursprung von Gott betrachtet und in Unteraspekte aufgegliedert hat, wendet sie sich für die nächsten fünf Seiten der Zahl oder der Frage zu, Wie viel Personen im Ehestande auff einmal beysammen wohnen sollen (5). Die Christliche Seele wird aufgefordert, aus dem Bibeltext zu schliessen, es sey GOttes Wille, daß nur zwey und nicht mehr Personen ehlich beysammen leben (5). Mit der gleich darauf folgenden Wendung Hätte Ers aber für rathsam befunden, daß ein Mann viel Weiber heurathen solte (5) wird sogleich die eine der möglichen Gegenthesen formuliert, deren Widerlegung praktisch die ganze restliche Predigt gewidmet ist. Sie bietet nun Anlass, nicht nur die Bibelstellen aufzuzählen, die sich positiv für die heterosexuelle Monogamie aussprechen, sondern auch die Ausnahmen im Alten Testament zu erwähnen, die Gott zugelassen habe. Mit einer Abgrenzung von ihnen wird betont, dass wir wissen, dass diesen Beispielen nicht zu folgen ist. Mit der bezeichnenden Einführung Werden demnach hiedurch wiederleget (7) schließt sich auf fast zwei Seiten die Reihe der Exempel an für den ersten Refutationspunkt, die Polygami: alle diejenigen, so sich mit vielen Weibespersonen verehlicht, und noch zu verehlichen sich unterstehen (7): Juden […] Mahumeth […] Widertäuffer[…] Römer und der Schotten König Evenus III (7 f.). Der zweite Refutationspunkt, die Adulteri (Ehebrecher), wird nur mit Bibelstellen, aber ohne ausgeführte Beispiele auf einer halben Seite behandelt (8), bevor die Predigt im Ehesegen ihren Abschluss findet. Mit der modischen und unterhaltsamen Topik der Polygamie konnten sowohl eine Hochzeitsgesellschaft als auch zeitgenössische Lesende vermutlich für die Predigt interessiert werden. Das Mittel der Refutatio ist für die Predigt deshalb günstig, weil die Negativbeispiele zwar anschaulich sind, aber in ferne Zeiten und Gesellschaften abgeschoben werden können. Die Hochzeitsgäste oder gar das Brautpaar müssen nicht mit Verdächtigungen belästigt werden, da sie ja zum Wir und nicht zu 42 43
1 Mo 2, 22: „Und Gott der HERR bawet ein Weib aus der Riebe, die er von dem Menschen nahm, und bracht sie zu im.“ Vgl. für die Predigt das Schema bei Erasmus, ,Ecclesiastes sive de ratione concionandi‘, 1535: exordium, narratio, divisio, confirmatio, confutatio, conclusio (nach Ottmers, 1996, 61). Ähnlich ist das Schema bei Melanchthon, ,De Officio concionatoris‘ 1537, dessen Predigtlehre von Andreas Hyperius, ,De Formandis concionibus sacris‘ 1553 verfeinert wurde und für das Luthertum leitend wurde: 1. Lehre (doctrina), allenfalls mit Widerlegung (refutatio), 2. Mahnung (exhortatio), 3. Vorwürfe und Strafandrohung (obiurgatio), 4. Trost (consolatio). Diese Aufteilung zielt auf die Erregung von vier Affekten: der Liebe zu Gott, dem Hass der Sünde, der Angst vor der Strafe und dem Vertrauen in den Erlöser (nach der Darstellung in Delumeau, 1983, 554).
4. Argumentation
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ihnen gehören. Es wird die Monogamie-Norm untermauert und gegen Gegenargumente gestützt, obwohl sie auf höchste Akzeptanz zählen kann. Wohl genau aus diesem Grund fällt die Ehebrecher-Stelle kurz aus; hier muss mit Betroffenen unter den Hochzeitsgästen gerechnet werden. Das kategorisierende Verfahren im Disputationsmuster erleichtert es, die Asymmetrien bei der Ausgestaltung der Argumente zu erkennen: Die Predigt formuliert im zweiten Refutationspunkt das Ehebruchsverbot für beide Eheleute, allerdings im generischen Maskulin. In der Refutation der Polygamie wird die Gegenthese, dass eine Frau mehrere Ehemänner haben könnte, nicht erwähnt.44 Die Negativbeispiele der Vielweiberei dominieren hingegen die Predigt. Damit fällt die Normenvermittlung an Frauen und Männer sowohl für das Ehebruchsverbot als auch für das Polygamie-Verbot unterschiedlich aus: Die zuhörenden oder lesenden Männer werden vom generischen Maskulin des Ehebrechers eher angesprochen, das Ehebruchsverbot ist aber nicht so attraktiv gestaltet wie die Gegenbeispiele der Vielweiberei, so dass diese den Männern vermutlich eher in Erinnerung bleiben als die etwas farblose Aufforderung zur ehelichen Treue. Andererseits werden die Frauen im Gegensatz zu den Männern sprachlich nicht gezwungen, die Polygamie- und Ehebruchsverbote auf sich zu beziehen: Ihnen wird nicht explizit verboten, mehrere Männer zu haben, die Ehebrecher sind im (generischen) Maskulinum formuliert. Nach der Regel, dass das Unauffällige, Verschwiegene und Nichtevozierte am wenigsten Nachahmung provoziert, ist die Wirkung dieser Predigt auf die Normenkonformität der Frauen vermutlich stärker als auf diejenige der Männer. Vielleicht nicht zuletzt wegen dieser normativen Wirkung des Verschweigens werden auch für die Männer beim aktuelleren Ehebruchsverbot keine Gegenbeispiele erwähnt.
4.2. Geschlechternormen als Regeln der Güterabwägung Bisher wurde gezeigt, wie die Variationen des Disputationsmusters geschlechtsbezogene Gruppen unter dem Publikum beziehungsweise den Lesenden schaffen und in ein hierarchisches Verhältnis setzen. Gleichzeitig werden durch die Fragen der Querelle des Femmes jeweils zwei verschiedene Bündel von Geschlechternormen als komplementäre Kategorien einander gegenübergestellt. Die Argumentation bietet jedoch auch einen Raum, in dem einzelne Normen der Geschlechterbeziehungen thematisiert und gegeneinander abgewogen werden können. Unter dieser Perspek-
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Diese Asymmetrie wird im 18. Jahrhundert auch begrifflich unterstrichen: Zedler verweist von Vielmännerey auf Polyandrie, von Vielweiberey auf Polygamie. Die beiden Begriffe führen demnach nicht zum selben Artikel. Im Artikel „Polygamie“ werden beide Bedeutungsmöglichkeiten, die Vielweiberei aber als üblichere angegeben. Zedler, Bd. 28, 1741, Sp. 1300.
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B. Disputation
tive wird der inszenierte Konflikt, der als Repräsentationsmöglichkeit performativ Gruppen schafft, gleichzeitig zu einem Konflikt zwischen verschiedenen Normen, dessen Entscheidung Regeln der Güterabwägung benötigt und produziert. Bisher wurde gezeigt, wie Topoi zur Begründung der Geschlechternormen eingesetzt werden. Aber umgekehrt kann auch geschlechterkonnotiertes Wissen dazu eingesetzt werden, bei der Gegenüberstellung von zwei grundsätzlich nicht geschlechtsbezogenen Normen den Ausschlag zu geben. Geschlechtsbezogenes Wissen wird im folgenden Beispiel aus Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspielen als Regel der Güterabwägung unterstellt. Ob die Ehre oder die Liebe stärker seye? (VIII, 576) ist die in der typischen ObFormulierung der Disputationen gestellte Frage, die in den zwölff Aufgaben aus Der Sitten- oder Tugendlehre behandelt wird. Diese Aufgaben stehen nicht im sonst üblichen Gesprächsrahmen auf Figurenebene, sondern gehören zu einer Zugabe mit traktatähnlichen Erörterungen durch den Spielenden (Titelblatt der Zugabe).45 Indem sie die Erörterung dieser Ob-Frage einleitet, übernimmt die Definitionsinstanz die Rolle des Präses. Sie legt die Liebe als Frauenliebe fest, genauer als Liebe zu einer Person, die nicht ohne Verlust ihrer Ehre lieben kan, oder geliebet werden. (VIII, 576). Ehre und Liebe werden also als zwei einander ausschließende Kategorien definiert. Danach stellt die Definitionsinstanz Ehre und Liebe einander in einer disputationsähnlichen Gerichtssituation gegenüber: Hier treten diese beede miteinander in die Schranken, und erweisen ihre Stärke (VIII, 577). Allerdings treten danach nicht zwei Personifikationen der Liebe und der Ehre auf, die je eine Apologie in Ich-Form vortragen, sondern Liebe und Ehre werden in der dritten Person abgehandelt. Strukturierende Einschübe wie Im Gegensatz (VIII, 579) verdeutlichen, dass alles von einer einzigen Rede- beziehungsweise Schreibinstanz stammt. Die Randtitel Für die Ehre […] Unterscheid […] Für die Liebe […] Unterscheid und Für die Ehre weisen darauf hin, dass sich die Abhandlung an einem disputatorischen Verfahren orientiert. Zuerst werden die Argumente für die größere Kraft der Ehre angeführt: Die Ehre wird Tochter der edlen Vernunft genannt und gelobt als des Lebens Leben, deßwegen nennet man diese lebendig tod, die burgerlich gestorben, und ihrer Ehren entsetzet werden (VIII, 577). Im ersten Unterscheid (distinctio), wird dann der Geltungsbereich der genannten Argumente auf die tugendhafte Ehre eingeschränkt. Die Liebe, die sich nur mit Ehre bemäntelt, wird am weiblichen Beispiel formuliert: ist keine mehr so schlecht, sie will für ehrlich angesehen seyn (VIII, 578).46 45 46
‚Der Spielende‘ ist der Gesellschaftsname von Georg Philipp Harsdörffer in der Fruchbringenden Gesellschaft. Die weiblichen Pronomina könnten sich auch auf die Liebe beziehen, die Formulierung „ist keine mehr so schlecht“ ruft aber eher eine weibliche Figur auf, da „schlechte Liebe“ keine übliche Kollokation ist.
4. Argumentation
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Die Verteidigung widerlegt nun diese Argumentationsbasis und unterstellt, dass die als Ausnahme genannte Scheinehre die statistische Regel darstelle, indem sie Folgendes als Beweis für die stärkere Liebe hinstellt: Wann die Ehre stärker were als die Liebe, würde manche Jungfrau mehr in der Welt seyn (VIII, 580). Um dies in die Feststellung, dass die Liebe tatsächlich stärker sei als die Ehre, überzuführen, müsste eigentlich bewiesen werden, dass es nicht viele Jungfrauen auf der Welt gibt; dies wird jedoch einfach unterstellt. Im Unterscheid zur Verteidigung der Liebe wird jedoch klar gemacht, dass hier nicht auf gleicher Ebene verglichen wird: Während im Votum für die Ehre diese selbst für solche als erstrebenswert hingestellt wird, welche die objektiven Voraussetzungen nicht erfüllen, argumentiert die Passage, welche die Liebe verteidigt, auf der Grundlage der statistischen Häufigkeit, die aber unterstellt werden muss, weil sie nicht nachweisbar ist.47 Im ersten Fall wird die Norm als Ideal, im zweiten als durchschnittliche Tatsache thematisiert,48 was der Unterscheid wie folgt zusammenfasst: Es ist aber eine andre Frage; Ob wir die Liebe oder die Ehre in uns sollen herrschen lassen; und wieder eine andere, was zu geschehen pflege (VIII, 582). Der gleich folgende, wegen des Disputationsschemas als abschließende Entscheidung zu verstehende Teil Für die Ehre spricht sich aufgrund eines Seneca-Zitats für die Ehre aus, weil sie im Gegensatz zur tierhaften Liebe etwas Menschliches sei. Die Erörterung fokussiert genau dort, wo es um die beiden Aspekte der Norm geht, auf weibliche Beispiele. Im Ehre-Plädoyer wird diese zwar als unentbehrlich für das soziale Leben angesehen und dadurch allen Frauen und Männern zu bewahren empfohlen. Das Beispiel der Scheinehre lässt die Ehre für Frauen als besonders attraktiv erscheinen, lässt aber gerade für dieses Geschlecht Zweifel daran aufkommen, ob die von der idealen Norm verlangten Voraussetzungen auch erfüllt werden. Der Zweifel, ob die Frauen auch ehrlich und ehrenhaft seien, wird durch die Unterstellung im Liebe-Plädoyer zur allgemein geteilten Wahrheit. Der Hinweis auf die statistische Seite der Norm im Liebes-Plädoyer geht davon aus, dass es zum Allgemeinwissen gehört, dass Jungfrauen ihre (Sexual-)Ehre nicht bewahren. Der Unterschied zwischen Sollen und Sein wird in einem Generalverdacht gegenüber den Frauen dargestellt, dass die meisten nicht so seien, wie sie geehrt werden wollten. Schon beim Kompliment begegnete eine ähnliche Konstruktion, dass weibliche Figuren auf die Wahrung der Abstandsnorm zwar verpflichtet werden, ihnen aber gleichzeitig unterstellt wird, dass sie sie gar nicht einhalten wollen. Wie dort wird auch hier kein solcher Zwiespalt zwischen Sollen und Sein an männlichen Figuren konstruiert. Während die ‚echte‘ Ehre geschlechtlich weitgehend unmarkiert bleibt, 47 48
Jungfräulichkeit ist in der frühen Neuzeit nicht (nur) eine Frage medizinischer Tatsachen, sondern wurde „von der Wahrnehmung durch das soziale Umfeld mit definiert“ (Dinges, 1998, 137). Vgl. Simmels Definition der Norm im Kapitel „Grundlagen“, S. 5.
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B. Disputation
belegen weibliche Beispiele die Stärke der tierhaften Liebe zulasten der menschlichen Ehre oder Tugend. Der Übergang von dieser Exemplifizierung an geschlechtlich konnotierten Figuren zur Inszenierung einer Disputation unter weiblichen und männlichen Figuren ist fließend. Auch im folgenden Beispiel aus Zesens Assenat-Roman wird die weibliche Figur der unterliegenden Seite des Begehrens zugeordnet, während die männliche hauptsächlich das Ehebruchsverbot vertritt. Der Vorteil der Disputation auf Figurenebene, wie sie in der Assenat vorkommt, besteht darin, dass Normen der Geschlechterbeziehungen in einer einzigen Anwendungssituation verhandelt werden. Das fördert das Mitdenken und Mitentscheiden der Lesenden, beschränkt jedoch auch die Übertragbarkeit auf andere Situationen. Das dritte Buch, in dem Sefira einen Versuch nach dem andern unternimmt, um ihren Leibeigenen Josef zu verführen, kann als erzählerische Umsetzung der Disputation gelesen werden: Josef als Proponent muss sich gegen die Einwände der Opponentin Sefira wehren. Dass die Rollen so verteilt sind, erweist sich dadurch, dass die Definitionsinstanz sich gegen Ende zunehmend auf die Seite Josefs schlägt, indem sie seine Argumente als Gesprächsbericht oder in indirekter Rede wiedergibt und unterstützend kommentiert, während diejenigen von Sefira weiterhin in direkter Figurenrede stehen.49 Die Perspektive der Definitionsinstanz wird mit Josefs Figurenperspektive verknüpft. Die Definitionsinstanz fungiert als Präses, indem sie hierarchisch über den Figuren steht und eine der beiden Seiten unterstützt. Josef versucht Sefira mit Worten zur Anerkennung des Keuschheitsgebotes zu bringen, indem er ihr ihre Potifar geschuldete Treue und eheliche Pflicht vorhält, ihr Gewissen anspricht und ihr mit der Versündigung und der Strafe Gottes Angst einflößt. Diese Aussagen bilden eine der zwei Erwiderungen (123, 126 f.) Josefs auf Sefiras Verführungsversuche, in denen sich die Perspektiven der Definitionsinstanz und Josefs annähern. Diese beiden Passagen handeln explizit vom Ehebruchsverbot und enthalten Ermahnungen und Aufforderungen an Sefira, keinen Ehebruch zu begehen. In der ersten Passage, die als Gesprächsbericht abgefasst ist, wird einerseits die Beurteilung von Sefiras Handeln (erschrökliche sünde, 123) Josef zugeschrieben und damit die normative Aussage einer Figur zugewiesen, also relativiert. Andererseits ist der Redebericht näher bei der Definitionsinstanz, weil dadurch die Ebene nicht gewechselt wird: Die im Redebericht enthaltenen Aufforderungen an Sefira werden ihrer situativen Direktheit beraubt, was die Aufforderungen allgemeiner er-
49
Begriffe nach Martínez/Scheffel, 1999, 52, 60 und 62: „Gesprächsbericht: Valtin erzählte Grete von einem Nest.“, „indirekte Rede: Valtin sagte zu Grete, dass sie ein Nest in ihrem Garten hätten.“ Direkte Figurenrede: „Valtin sagte zu Grete: ‚Weißt du, wir haben ein Nest in unserm Garten!‘“.
4. Argumentation
131
scheinen lässt, zumal die beiden indirekten Redeberichte sehr grundsätzlich auf die Ehebruchsnorm Bezug nehmen. Sefiras Reden werden nie als Redebericht, sondern immer in direkter Figurenrede wiedergegeben. Sefiras Perspektive wird von der Erzählinstanz nicht unterstützt, sie fungiert in diesem Sinne als Opponentin. Es folgen mehrere Verführungsepisoden, in denen verschiedene Argumentationslinien durchgespielt werden. In der argumentativen Behandlung des Ehebruchsverbotes kommen ganz analog zur ausdifferenzierenden Disputation eine ganze Reihe von Normen ins Spiel: theologisch fundierte wie das Gehorsamsgebot, das Mordverbot, das Selbstmordverbot, die Nächstenliebe und das Vergewaltigungsverbot, politisch-galante wie die Erwiderung erotischer Liebe, die standesgemäße Liebe, das öffentliche Ansehen und die Affektbeherrschung sowie naturrechtliche wie die Erhaltung körperlicher Freiheit und des Lebens. Es werden Dilemmata für beide Figuren konstruiert, die meist aus einer Tugend und Sexual- und Überlebensnormen50 zusammengesetzt sind: Sefira droht Josef mit dem Tod, was ihm die Alternative zwischen Ehebruch und Tod eröffnet (124). Josef solle die Folgen seiner Tugend, die in Sefira Liebe geweckt hat, tragen und ihr nachgeben. Josef hält ihr entgegen, dass sie nicht gleichzeitig seine Tugend, die sie liebt, und die Erwiderung ihrer Liebe erhalten könne (125). Durch diese Argumentation zum Verstummen gebracht, fällt Sefira (zum zweiten Mal) in Ohnmacht (125). Im nächsten Verführungsversuch will Sefira Josef gewinnen, indem sie die Absicht äußert, sich und ihren Mann zu bekehren. Hier nähern sich die Perspektive der Definitionsinstanz und diejenige Josefs zum zweiten Mal an: Josefs Belehrung über die Keuschheitsgebote Gottes sind in indirekter Rede formuliert (126 f.). Darin werden Sefira die Vorschriften erklärt, die sie einzuhalten hätte, wenn sie sich bekehren wollte. Wie wenig Verständnis sie für Josefs Normen hat, zeigt sich darin, dass sie, um das Ehebruchsverbot zu umgehen, ihren Mann umbringen will. Hier stößt die Disputationsanordnung an ihre Grenze, denn die Argumente beziehen ihre Überzeugungskraft aus der axiomatischen Grundlage des Allgemeinwissens, das eine gewisse Gleichförmigkeit der Interpretationsmuster und Werthaltungen gewährleistet. An dieser Stelle der Assenat stellt sich heraus, dass die ägyptische Fürstin Sefira andere Normvorstellungen und Regeln der Güterabwägung hat als der hebräische Jüngling Josef. Die kulturelle Abhängigkeit von Normen scheint allerdings nur punktuell auf. Würde dieser grundsätzliche Unterschied zwischen den beiden Positionen durch alle Verführungsversuche hindurch beibehalten, könnte dies trotz der Parteilichkeit der Definitionsinstanz die allgemeine Wertegrundlage 50
Ich vermeide hier mit Absicht den Begriff ‚Trieb‘, da gerade aufgrund des hier Erörterten zu vermuten ist, dass die begriffliche Unterscheidung zwischen ‚natürlichen‘ (Trieb) und vernünftigen Normen eine kulturelle Konstruktion mit geschlechtsbezogenen Asymmetrien ist.
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B. Disputation
erschüttern und der normativen Wirkung hinderlich sein. So richtet sich Sefira in den Gedankenberichten, die jeweils ihre Motivation zu einem neuen Verführungsversuch darstellen, sehr wohl nach dem Ehebruchsverbot, das in diesen Passagen auch in ihrer kulturell-sozialen Umgebung zu gelten scheint. Der Disput spitzt sich anschließend zur Güterabwägung zwischen dem Ehebruchsverbot und dem Gehorsamsgebot zu. An dieser Stelle wird nun auch die Analogie zum räumlichen und sozialen rituellen Rahmen einer feierlichen Disputation verstärkt: Der Höhepunkt der Verführungsversuche wird mit einer retardierenden Beschreibung des Festumzugs zur Isis-Feier, der auch auf einem Kupfer abgebildet ist, eingeleitet (130 ff.).51 Sefiras Raum- und Körperschmuck wird ebenfalls ausführlich beschrieben (132 f.). Die Definitionsinstanz schafft durch rhetorische Fragen ein männlich konnotiertes Publikum (135).52 Nachdem Josefs höfliches absichtliches Missverstehen Sefira nicht von ihren Verführungsversuchen abgebracht hat, wird die Auseinandersetzung argumentativer. Sefira reflektiert die Relativität von Normen und ihre Situationsabhängigkeit: Ist dann der Gehorsam, sagte sie, nicht auch eine Tugend? Und diesen seid ihr, als mein Leibeigner, mir zu leisten schuldig. Aber eure halsstarrigkeit verhindert euch solche den Leibeignen so gantz eigene tugend zu erfüllen. Und weil ihr euch verhindern laßet, macht ihr die tugend zum laster, und das laster zur tugend. (137)
Josef führt sich jetzt nicht mehr als gehorsamer Diener, sondern als ebenbürtiger Disputant auf: Der Gehohrsam ist freilich eine tugend, antwortete Josef. Aber er mus zuförderst Gotte geschehen: und dann erst den Menschen. Befielet ein Mensch etwas, das wider Gottes gebot ist; so heist es man mus Gott mehr gehorchen, als den Menschen. (137)
Es fällt also der Figur Josef zu, in direkter Rede die abschließende Güterabwägung vorzunehmen. Die Erzählinstanz unterstützt ihn, indem sie die Wirkung dieses schlagenden Arguments beschreibt: Die Fürstin hatte ihr [sich] eingebildet, daß sie den Josef nunmehr so listiglich und so feste bestrükket, daß er sich nicht heraus wükkeln könte. Aber sie befand sich in ihrer einbildung gantz betrogen. Der vogel, den sie gefangen zu haben vermeinte, ris ihre falstrükke plötzlich in zwei. Ihr vom eisendrahte gewähnter garnsak ward zum spingewebe. Der wind blies ihn in stükken. Josefs ahtem hauchte ihn voneinander. Der blitz des Göttlichen gebots versängte ihn gar. (137)
Dieser letzte Satz bildet den Schluss der Normendisputation, die damit von der gleichsam präsidierenden Definitionsinstanz zugunsten der theologischen Norm entschieden wird. Josefs Regel der Güterabwägung, welche die Befolgung von Got51
52
Einen Umzug erwähnt Horn, 1893, S. 116 allerdings nur für die Doktorfeiern (actus promotionis), nicht für die an einem vorhergehenden Tag stattfindenden Doktordisputation (disputatio inauguralis). Vgl. dazu das Kapitel „Textinstanzen“, S. 66 f.
4. Argumentation
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tes Geboten an oberste Stelle setzt, wird bestätigt, während Überleben und irdisches Vergnügen, auf die Sefira als höchste Güter zielt, auf die unteren Ränge verwiesen werden.53 Das dritte Buch der Assenat entspricht demnach einer rhetorischen refutatio, einer Widerlegung derjenigen Gründe, die gegen das Ehebruchsverbot in Stellung gebracht werden könnten. Auch die Gerichtsrede führt gemäß antiker Rhetorik die Gründe an, welche andere Personengruppen einwenden könnten.54 Auch da ist vorgesehen, auf die möglicherweise abweichenden Normen und unterschiedliche Normenhierarchie anderer Gruppen einzugehen. Das bietet dem Text die Gelegenheit, verschiedenen Lesenden nacheinander zu zeigen, dass er deren Rollen übernimmt. Die refutatio ist das Grundprinzip auch der universitären Disputation, dort fällt es den Opponenten zu, Gegenargumente einzubringen. Diese Rolle übernimmt hier Sefira. So reihend die Steigerung der Verführungsversuche aussehen mag, so geschieht in diesen Szenen doch nicht nur eine solche einfache refutatio, die Gegenargument um Gegenargument abarbeitet, sondern sie bringt diese Gegengründe wie die aufgeführten Disputationen in einen sozialen Handlungszusammenhang. Im Unterschied zu den Disputationsschriften, die höchstens fremde Situationen als Beispielargumente heranziehen, diskutieren die Figuren in diesem Roman genau in der Situation, die zugleich – abgesehen von der ägyptischen Szenerie – einer möglichen Anwendungssituation für die Norm entspricht. Die verschiedenen Normenkonflikte der Verführungsepisode werden zwar hauptsächlich im Disput zwischen Sefira und Josef ausgetragen, der Konflikt zwischen Überleben und Keuschheit wird jedoch durch einen Gedankenbericht auch in Josefs Inneres verlegt: Als ihm Sefira mit dem Tod droht, stellt sich Josef das Dilemma zwischen der Erhaltung seines Lebens und seiner Keuschheit als Kampf zwischen Zorn und Liebe vor. Im Gegensatz zu anderen Psychomachie-Darstellungen wird hier nicht gesagt, dass diese beiden Leidenschaften in oder um seine Seele kämpfen, sondern es wird eine kleine Binnenebene eröffnet, auf der Zorn und Liebe vor dem Zuschauer Josef streiten: Er sahe zween gegeneinander streitende feinde vor seinen augen. Diese waren Zorn und Liebe: welche ihm alle beide den untergang dreueten; jener des lebens, und diese der keuschheit. Davon muste er eines wehlen. (124 f.)
53
54
Ich formuliere hier absichtlich aristotelisch, bildete seine Lehre doch im 17. Jahrhundert immer noch den Grundstock des Universitätsstudiums. Vgl. zum höchsten Gut Aristoteles, ,Nikomachische Ethik‘, 1094a 1 – 21. ,Rhetorica ad Herennium‘, I, 10.18.
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B. Disputation
Josef entscheidet sich in Gedanken für die Keuschheit und führt den Lesenden damit vor, auf welche Seite sie sich beim Lesen des Disputs zwischen ihm und Sefira stellen sollten.55 In Joachim Meiers Heldengeschichte entschließt sich Joseph auf Sephiras verführerische Einladung in eine Sommerlaube hin behertzt […] der Sephira die Abscheulichkeit desjenigen, was sie von ihm begehret, vor Augen zu stellen (2. Buch, § 12, 865). Den Lesenden wird in der Folge ein Streitgespräch in direkter Rede zwischen Sephira und Joseph präsentiert (2. Buch, § 13 – 15). Joseph schließt mit der Aussage, lieber sterben als sich versündigen zu wollen, Sephira reist ab. Die Auseinandersetzung ist hier auf die Argumentation beschränkt und deutlich weniger nah am feierlichen Rahmen der mündlichen Disputation als Zesens Variante. Da außerdem Joseph die Entscheidung fasst, Sephira seine Meinung zu sagen, wird seinerseits kein Dilemma fassbar. Ein solches ist jedoch nach Josefs Begegnungen mit Asnath, die wegen des vermeintlichen Standesunterschieds nicht zur Liebe führen können,56 feststellbar. Sein Jugendfreund Theman scheint ihm beinahe nur deshalb hier wieder zu begegnen (2. Buch, § 33), damit Josephs Dilemma zwischen einer für seine Ehre riskanten Freiheit und der sichereren Sklaverei formuliert und gelöst werden kann. Die Lesenden wissen, dass Joseph schließlich frei und von Asnath geliebt sein wird, schließlich beginnt der Roman mit einem in-medias-res-Anfang an ihrem Hochzeitstag, bevor er zur Vorgeschichte zurückblendet. Die Diskussion ändert vorderhand nichts an Josephs Überzeugung, lieber im Sklavenstand zu bleiben, aber sie fächert die verschiedenen Hindernisse auf, die Josephs Liebe zu Asnath entgegenstehen, was der deduktiven Zergliederung des Themas durch die Einwürfe des Opponenten in der Disputation entspricht. Im Gegensatz zu einem monologischen Gedankenbericht beziehen die Disputationsszenen zwischen Josef und Sefira bei Zesen sowie zwischen Joseph und Theman bei Meier die Abwägungen auf ein Gegenüber und auf ein Publikum. Sie fördern damit die Rollenübernahme analog zur sozialen Situation der mündlichen 55
56
Ein zweites Mal wird die Psychomachie in einem Bericht über Josefs Gedanken bemüht, diesmal im üblichen Sinn, als Kampf in seinem „hertz“, den sich Josef ausmalt für den Fall, dass er sich noch länger Sefiras Liebesbekundungen aussetzen würde: „Er bestund eben, als andere menschen, aus fleisch und bluhte […] Er befahrte sich, dass daß der feind von aussen endlich mit voller gewalt in sein hertz dringen, und alda seine eigene untertahnen, seine feinde zu werden, aufwügeln möchte. Diese, fürchtete er, möchten alsdan von innen heftiger stürmen, als der feind von aussen; ja ihn endlich wohl gar überwältigen“ (135). Als Präventivmaßnahme gegen diesen „einheimischen Krieg“ (135) will er sich entfernen. Wie die Kriegsmetapher zeigt, geht es hier nicht um ein Disputations-Szenario, sondern um einen virtuellen Bürgerkrieg auf der Binnenebene von Josefs Gedanken. Diese Szene stützt die Vergleichbarkeit Josefs mit anderen Menschen/Männern und macht dadurch ein Nacheifern überhaupt sinnvoll. S. das Kapitel „Kompliment“, S. 84 – 88.
5. Disputationen über Disputationen
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Disputation. Wie gezeigt, wird sowohl in der Assenat als auch in den Universitätsstatuten von Anfang an eine autoritative Präses-Position geschaffen, welche den Lesenden vormacht, welche Rolle sie übernehmen und welche Seite sie (in Gedanken) unterstützen sollten. Im Unterschied zur Disputationsschrift machen in den beiden Romanbearbeitungen der Josefsgeschichte die analysierten Gedankenberichte zusätzlich deutlich, dass auch das Argumentieren ein Handeln ist, das von Normen geleitet wird. Während im Bericht über Josefs Gedanken sich äußere Aufforderung und seine Normen und Wünsche gegenüberstehen, die Reflexion also auf der Achse zwischen Ich und anderen stattfindet, stellt die Disputation zwischen Sefira und ihm dar, dass die Normen und Aufforderungen keine fremden sind, sondern in einer gesellschaftlichen, hierarchisierten Auseinandersetzung hergestellt werden und dass Josef daran durch sein Handeln ebenfalls teilhat. Die Normenreflexion geschieht über die Disputationsdarstellung deshalb eher in sozialen und gegenseitigen Perspektiven. Von den Lesenden aus gesehen schränken Normen nicht nur den Handlungsspielraum der beiden Figuren ein, sondern die beiden Figuren tragen mit ihrer Disputation auch zu Normenbildung bei. Die Disputationsanalogie macht deutlich, wie verfahren wird, wenn die Praxis den Normen im Einzelfall oder im Verhalten einer ganzen Gruppe widerspricht: Die andere Seite, in diesem Fall Sefira, wird angehört, aber gerade weil sie als andere Seite auftritt, durch die hierarchisierte Anordnung desavouiert.
5. Disputationen über Disputationen Wie anhand dieser Romanbeispiele deutlich wurde, braucht der Präses nicht wie in den Universitätsstatuten unter den Figuren zu sitzen, sondern seine erhöhte Position im Saal kann in eine erhöhte Position in der Hierarchie der Textebenen umgebildet werden.57 Die Definitionsinstanz kann somit als Präses fungieren und den Ausschlag für die Diskussion auf Figurenebene geben. Oder eine Textinstanz wie die Figur Dorilis kann eine Diskussion in einem anderen Text kommentieren und sie dadurch profilieren.58 Eines von Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächspielen führt in der Form einer Disputation vor, wie sich die Güterabwägungsregeln auf die damit erzielten Ergebnisse auswirken: Vespasian, gleichsam in der Rolle des Präses, macht 57
58
Vgl. zu Disputationsstrukturen in Andreas Gryphius’ Trauerspiel Leo Armenius Beetz, 1980, 183 und 198. Die Tatsache, dass hier nicht Geschlechterbeziehungen thematisiert und vorgeführt werden, weist darauf hin, dass das Konfliktverlaufmuster der Disputation auch für die Vermittlung anderer Normen eingesetzt wird. Vgl. oben S. 125.
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B. Disputation
den Vorschlag, zwei Tugenden zu vergleichen, weil die Tugendbezeichnungen oft euphemistisch für Laster gebraucht würden und die Tugenden ohne wahre Vergleichung schwer zu erkennen (IV, 393) seien. Die Frage, die er an die anderen Teilnehmenden stellt, lautet: Ob die Keuschheit oder die Mässigkeit für eine höhere Tugend zu achten? (IV, 393). Die Frage folgt auf das Referat von Aristoteles’ Bemerkungen über den Geiz in der Nikomachischen Ethik.59 Die goldene Mitte als für alles Verhalten geltende aristotelische Mäßigkeitsforderung60 und die Vorstellung einer Güterpyramide, die im Besten gipfelt,61 bilden den intertextuellen Hintergrund, auf den allerdings nur bezüglich des Geizes explizit verwiesen wird. Die antwortenden Figuren kommen je nach angewandter argumentativer Strategie zu ganz verschiedenen Ergebnissen. Cassandra kommt über die Betrachtung der lasterhaften Gegenteile zum Schluss, dass Keuschheit der Mäßigkeit vorzuziehen sei. Degenwerth wirft ein, ohne auf Cassandra Bezug zu nehmen: Die Tugend ist keine Tugend, wann selbe nicht freywillig geübet wird (IV, 393). Er kommt über eine Ursache-Wirkung-Betrachtung zum Schluss, dass die Mäßigkeit als Ursache vorzuziehen sei. Angelica meint, die Mäßigkeit im Essen müsse die Geilheit verhindern. Reymund merkt an, dass wir sowohl Essen für den Leib als auch Liebe fürs Gemüt bräuchten. Allerdings: Wenig essen ist in unserem Vermögen, wenig lieben ist nicht in unserer Willkühr (IV, 394). Sein Unterscheidungskriterium ist also die willentliche Beeinflussbarkeit. Julia gibt das Gebet als Mittel zur Keuschheit an, unterscheidet nach ledigem und ehelichem Stand und meint, dass Keuschheit im letzteren eine größere Tugend sei, weil viel schwerer ist sich in zulässigen, als in verbottenen Sachen zu mäßigen (IV, 394). Reine Keuschheit (also völlige sexuelle Abstinenz in Taten und Gedanken) sei schwieriger und deshalb höher zu achten als Mäßigkeit im Essen. Vespasian pflichtet dieser Meinung abschließend bei. Dieses Gesprächspiel unterscheidet sich von einer universitären Disputation trotz Ähnlichkeiten dadurch, dass die Beiträge nicht syllogistisch genau aufeinander Bezug nehmen und dass sich mehr als zwei Parteien daran beteiligen. Die verschiedenen Argumentationsmöglichkeiten werden nur angeschnitten, nicht aber ausgeführt. In der Verkürzung führt es jedoch die besondere Eigenschaft des Konfliktverlaufmusters Disputation vor Augen: Gerade weil immer dieselben Themen
59 60
61
‚Nikomachische Ethik‘ IV, 1, 1119b, 22 – 1120a, 25. ‚Nikomachische Ethik‘, II, 5, 1106b, 20 – 27 „Dagegen von diesen Regungen [Lust und Unlust] zur rechten Zeit zu empfinden und den rechten Situationen und Menschen gegenüber sowie aus dem richtigen Beweggrund und in der richtigen Weise – das ist jenes Mittlere, das ist das Beste, das ist die Leistung der sittlichen Tüchtigkeit.“ „Wenn wir daher auf ihr immanentes Wesen und die begriffliche Darstellung dieses Wesens schauen, so ist die sittliche Vortrefflichkeit eine Mitte, fragen wir jedoch nach Wert und gültiger Leistung, so steht sie auf höchster Warte.“ II, 6, 1106b 27 – 1107a 14. ‚Nikomachische Ethik‘, I, 5, 1097a 24 – b 12.
5. Disputationen über Disputationen
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verhandelt werden, lenkt dieses Muster die Aufmerksamkeit auf die Art und Weise, wie normative Ansprüche geltend gemacht werden. Indem das Gesprächspiel das übliche Verfahren der mündlichen Disputation rafft, tritt die normenreflektierende Seite der Disputation zum Vorschein, die sich darin äußert, dass in diesem Muster die Herstellungsverfahren für Normen vorund aufgeführt werden. Ohne eine zusätzliche Ebene zu schaffen beziehungsweise die vorhandene Definitionsinstanz zu diesem Zweck zu nutzen, kommentiert das Gesprächspiel die Disputationsform in der abändernden Anwendung. Die Modifikation der Gattungsnorm macht diese durch die zusammenfassende Raffung besonders deutlich und bestätigt sie. Die Ferne zur prototypischen Gattungsnorm schafft eine Differenz, die als Kommentarhierarchie von den Lesenden genutzt werden kann – allerdings in beide Richtungen: Genauso, wie das Gesprächspiel die Gattungsnorm kommentiert, erklärt diese das Spiel. Der Dialog Lust und Unlust des Ehelichen Lebens von 169362 macht die Disputation über Diskussionen zu ihrem Hauptdarstellungsprinzip. Philogamus möchte heiraten, Antigamus besucht ihn sofort, um ihm davon abzuraten. Die sprechenden Namen lassen bereits erahnen, dass sie die Disputationspartner sein werden.63 Die direkte Figurenrede geht in autonome Figurenrede über.64 Sie streiten sich zunächst ohne Präses, dann stößt der Abt Sophin zu ihnen, sie erwählen ihn zu ihrem Richter, und er rät ihnen, Lust und Unlust des ehelichen Lebens genau gegeneinander abzuwägen. Die beiden begleiten Antigamus zu seinem Financier. Weil dieser jedoch schnell weg muss, verwickeln sich die drei in ein Gespräch mit seiner Frau über die Geständnisszene im Roman Die Prinzessin von Cleve65 (36 – 40). In diesem Roman verliebt sich die frisch verheiratete Princesse de Clèves in einen anderen Mann, in den Comte de Nemours. Zwar beherrschen die beiden ihre Affekte, aber Gewissensbisse treiben die Princesse dazu, ihrem Ehemann ihre Liebe zu Nemours zu gestehen. Dieses Geständnis steigert zwar die Liebe des Prince, aber zugleich auch seine Eifersucht. Er stirbt, aber die Princesse weist Nemours’ Werbung ab und zieht sich vom Hofleben in die Einsamkeit zurück. An der Geständnisszene dieses Romans der Comtesse de La Fayette entzündete sich 1678 in Frankreich eine literarische Kontroverse. Die Zeitschrift Mercure Ga-
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Übersetzung von: Jacques Dubois de Chastenay: ‚Philogame et Antigame ou les Agréemens et les chagrins du mariage‘, Quinet, Paris 1692. Philogamus = Ehefreund, Antigamus = Ehegegner Begrifflichkeit nach Martínez/Scheffel, 1999, 60 und 62. Direkte Figurenrede: „Valtin sagte zu Grete: ‚Weißt du, wir haben ein Nest in unserm Garten!‘“, autonome (direkte) Figurenrede: „Weißt du, wir haben ein Nest in unserm Garten!“. Marie-Madeleine Pioche de la Vergne, comtesse de La Fayette: La princesse de Clèves, 1678.
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B. Disputation
lant66 veröffentlichte 1678 die zugeschickten Meinungen zur Geständnisszene in drei Nummern. Auf Valincours Streitschrift Lettres à Mme La Marquise *** sur le sujet de la Princesse de Clèves von 1678 reagierte der Abbé de Charnes mit einer verteidigenden Conversation sur la Critique de la Princesse de Clèves (1679).67 Die Diskussion in der Lust und Unlust greift demnach den zentralen Punkt der Kontroverse auf. Danach erzählt die Definitionsinstanz, dass die Rückkehr des Financiers zu einem derben Streit des Ehepaars über ihre gegenseitigen Pflichten führt. Anschließend kommentieren Antigamus und Philogamus im Sinne ihrer Disputationsfrage das Gesehene und Gehörte, das dadurch Exempel-Charakter erhält. (Die Diskussion in den Pariser Salons wird kommentiert,) indem im Text das Buch Die Prinzessin von Cleve kommentiert wird in der Diskussion von Philogamus, Antigamus und der Frau des Financiers, die kommentiert wird im Streit zwischen dem Financier und seiner Frau, der kommentiert wird in der Diskussion zwischen Philogamus und Antigamus, … die ganz am Schluss kommentiert wird durch den Abt Sophin, (aufgrund dessen sich die Lesenden ihren Kommentar ausdenken können.) Diese Konstruktion kommt einer disputatorischen Mise-en-Abîme gleich: Philogamus und Antigamus disputieren über einen Streit, der sich auf eine Diskussion bezieht, die den Roman von La Fayette erörtert und dadurch eine Literaturfehde kommentiert, die sich ihrerseits über den Clèves-Roman stritt. Diese Verschachtelung der Kommentare führt aber keineswegs zu einer größeren normativen Offenheit, sondern die Streitfragen werden für alle Ebenen entschieden. Der Abt Sophin erhält das Schlusswort zugunsten der Ehe und kann somit alles Vorhergegangene im Sinne von Exempeln instrumentalisieren. Am anderen Ende der Verschachtelung verankert der Bezug auf die Literaturdebatte den Dialog Lust und Unlust in einem literarischen Diskurs, in einem Teil der sozialen Wirklichkeit. Die Disputation von Antigamus und Philogamus wird nicht nur vom Abt Sophin entschieden, sondern der Lehrgehalt dieser Gespräche, die Befürwortung eines keuschen Ehestandes, wird so66
67
Dieser wird im zweiten Teil, in dem je zwei adlige Damen und Herren zur Gesprächsrunde stoßen, von Antigamus erwähnt: Eine den ‚Mercure Galant‘ lesende kluge Frau mache den Mann nicht glücklich. De Jean, 1997, 65.
5. Disputationen über Disputationen
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wohl in der Zuschrifft Insgesamt An Alles Frauenzimmer als auch in der Vor-Rede An Den Leser zusammengefasst. Es fällt auf, dass sich gemäß den Ebenen mehrere inhaltliche Verschiebungen der Normenkonflikte ergeben: In der Diskussion mit der Frau des Financiers fasst Philogamus das Problem der Geständnisszene als Dilemma zwischen Liebe und Treue zusammen. In seiner Bewertung lobt er die Ehrlichkeit der Lösung, dass die Princesse ihrem Ehemann ihre Gefühle für Nemours gesteht (36). Dagegen opponiert die Frau des Financiers, welche lieber gesehen hätte, dass Madame de Cleve mit geschickten Täuschungen allen dreien ein vergnügliches Leben bereitet hätte (37 f.). Auf der Ebene des Disputs zwischen Philogamus und der Financière reduziert sich demnach das Dilemma auf Ehrlichkeit und Schadensbegrenzung. Der Financier streitet sich nun aufgrund der mitgehörten Diskussion mit seiner Frau darüber, ob sie ihre Pflichten als Ehemann und Ehefrau wahrnähmen: Er wirft ihr Bücherlesen statt Haushaltsarbeit vor, sie ihm, dass er den Kammermädchen nachstelle. Der Ehemann greift also nicht ihre Position in der Diskussion mit Philogamus auf, sondern thematisiert ihre Teilnahme an der Diskussion als Normenverstoß. Auf der nächsten Kommentarebene, im Gespräch von Antigamus mit Philogamus über die beiden vorhergegangenen Diskussionen, werden die Äußerungen von Ehefrau und Ehemann ebenso wenig aufgegriffen, ihr Verhalten wird lediglich als lächerlich abgetan. Antigamus und Philogamus streiten sich einzig darum, ob das Verhalten des Ehepaars als Beweis gegen die Ehe oder lediglich als unglücklicher Einzelfall betrachtet werden muss (45 – 48). Das Schlussvotum des Abtes wird Philogamus’ Einzelfall-These bestätigen (164). Obwohl sich demnach auf allen Ebenen Diskussionen ereignen, die thematisch durchaus verknüpft sind, lässt sich aufgrund der mangelnden syllogistischen Bezugnahme auf die Argumente der unteren Ebene nicht von einer übergreifenden Disputation sprechen. Es ergibt sich jedoch das Muster, dass die nächsthöhere Kommentarebene die untere als Beispielargument aufgreift, das heißt die Disputation der unteren Ebenen dient in der Perspektive der oberen Ebenen der Charakterisierung der Figuren und ihrer Positionen. Die Kommentarstruktur der nacheinander geordneten Diskussionsszenen begünstigt demnach eine induktive Beispielargumentation gegenüber der für die Disputationsschriften typischen deduktiven Argumentation in Syllogismen. Die Beispielargumentation ist insofern alltagsnäher, als sie von konkreten Situationen ausgeht, was die Rollenübernahme sicherlich begünstigt.
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B. Disputation
6. Zusammenfassung Die Disputation ist eine der wichtigsten Lehrformen des 17. Jahrhunderts und deshalb als Gattungssignal sehr geeignet, den Lesenden eine Rezeptionshaltung des Lernens nahe zu legen. Die binäre Anlage der Disputation begünstigt die Schaffung und Reproduktion einer Geschlechterdichotomie: Jedoch nicht in dem Sinne, dass besonders viele Texte eine Frau und einen Mann in schulmäßiger Disputation vorführten. Wichtiger ist, dass sich auch die Opponenten an die Einteilung der Geschlechter in zwei komplementäre Kategorien halten, den typischen Eigenschaften von Frauen und Männern zustimmen und nur in der Bewertung anderer, nämlich genau gegenteiliger Meinung sind. Geschlechterbeziehungen werden durch die Konzentration auf Begriffe und topische Argumente als Verhältnis von geschlechtstypischen Eigenschaften gefasst. Topische Kopplungen, die ein Argument mit seinem entsprechenden Gegenargument verbinden, sind in diesem Sinne entscheidend für die gegengleiche Ausgestaltung der Geschlechter: Es geht demnach in der Disputationsform weniger um das Verhalten der Geschlechter im Streit als um die Auseinandersetzung darüber, wie ein als geschlechtstypisch definiertes Verhalten zu beurteilen sei. Es geht um die Herstellung der Geschlechternormen im Streit. Prototypisch wird dieser Streit von männlichen Figuren vor männlichem Publikum ausgetragen. Die Geschlechternormen, die sich in der disputatorischen Wiederholung zu Topoi verdichten, werden in der Disputation von einer männlichen Gruppe hergestellt und bestätigt. Die topischen Fragen über Geschlechterbeziehungen gelten typischerweise als unentscheidbar und sind deshalb hervorragend geeignet, nicht nur verschiedene Diskurse in verschiedenen Fakultäten und Themenbereichen, sondern auch andere Textsorten in internationaler Breite zu verbinden und durch diese Allgegenwart Wirklichkeit zu produzieren. Die Argumentation mit der genauen Bezugnahme auf das Gegenüber begünstigt die Rollenübernahme und damit die Normenvermittlung, für die insbesondere auch die asymmetrische Gestaltung der Disputation wichtig ist, so dass jeweils von Anfang an feststeht, welche Seite die ‚richtige‘ ist. Die Festlegung dieser Seite, das heißt die Rolle des Präses, übernimmt eine männlich konnotierte Instanz oder die Definitionsinstanz. In der mündlichen Disputation wird die Autorität des Präses aus seiner erhöhten Position im Saal deutlich, in den Texten befindet sich die entsprechende Instanz auf einer höheren Textebene. Die Argumentationen und der Schlusskommentar sind deshalb nicht symmetrisch; sie tendieren dazu, eine männliche Perspektive hervorzuheben und weibliche Kategorien zu ignorieren. Das hat zur Folge, dass die bewusste Normenvermittlung an die Männer gefördert wird. Die Normen für die Frauen sind in den Auslassungen sichtbar, welche einerseits keine bewusste Auseinandersetzung provozieren, andererseits aber auch umso wirkungsmächtiger sind, als sie nicht thematisiert werden, geschweige denn Opposition erfahren.
6. Zusammenfassung
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Differenzen zur prototypischen Disputation setzen auf das Gattungswissen der Rezipierenden, das im Falle der Disputation unter (gebildeten) Männern am größten ist. Das Erkennen des Prototypen in seiner unpassenden Abwandlung – wie der Disputation in einem Brautsuppentext – kann Gelächter provozieren, das diejenigen, welche die Norm kennen, hörbar von allen anderen abhebt. (Gebildete) Männer werden demnach von solchen Texten mit mehr Lachmöglichkeiten belohnt und damit als Teilnehmende definiert. Die Perspektiven und das Wissen von Frauen übernehmen die Texte nicht in gleicher Weise und lassen sie deshalb eher als Wahrnehmende außerhalb der Gruppe der Disputationsteilnehmer. Die Texte fördern den Einblick der Frauen in die Normen, nach denen die Geschlechter in diesem Verlaufmuster verhandelt werden, nicht. Die Herstellung von Normen wird demnach durch die Form der Disputation an einen männlichen Kreis delegiert, die Normenvermittlung geschieht für die männlichen Rezipienten kontrovers, anschaulich und bewusst, für die Frauen regelhaft, abstrakt und im Verschweigen von Alternativen.
C. Verleumdung Texte sind Gerücht. Niemand kann mit Bestimmtheit sagen, ob ihr Inhalt mit einer handfesten Tatsache übereinstimmt oder wer sie verfasst hat, und doch existieren sie nicht nur als materielle, sondern – sofern sie gelesen werden – auch als soziale Tatsachen. In diesem Kapitel geht es um die soziale Verbreitung von Informationen und Normen, die das Wort Gerücht bezeichnet: Für die ursprüngliche Bedeutung „lautes rufen oder schreien, lärm“ findet das Deutsche Wörterbuch noch bei Gryphius einen Beleg. Damit zusammen hängt die rechtliche Bedeutung „das not-, hülfsoder zetergeschrei, unter welchem der auf der that ertappte verbrecher verfolgt und vor gericht geschleppt wurde“, zu dem auch das „klagegeschrei“ gehört, „mit welchem alsdann die richterliche hülfe angerufen wurde“.1 Gerücht kann im 17. Jahrhundert auch noch ‚guter Ruf‘, ja sogar ‚Ansehen‘ und ‚Ehre‘ heißen.2 In Stielers Teutschem Sprachschatz von 1691 überwiegen jedoch die negativen Adjektive: Bös […] Falsch […] Ungewiß […] Erdichtetes Gerücht (Sp. 1632). Beide Aspekte, die Anklage und die rasche und allgemeine Informationsverbreitung, sind für die soziale Herstellung und Vermittlung von Normen der Geschlechterbeziehungen von großer Bedeutung. Nachdem die Konfliktverlaufmuster des Kompliments und der Disputation ihre normative Wirkung vor allem dadurch entfalten, dass sie vor und für Publikum aufgeführt werden, tritt hier nun das Publikum selbst aktiv als Anklage-, Untersuchungs- und Rehabilitationsinstanz auf.3 In den untersuchten Texten wird ein Geraune unter Beobachtungsinstanzen inszeniert, dessen normative Kraft in der Verleumdung zum Ausdruck kommt, wie sich im Folgenden zeigen wird.
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Vgl. dazu Kaspar Stieler, 1691/1968, Sp. 1632, der in diesem nach Wortstämmen gruppierten Wörterbuch „Gerücht“ unter dem Hauptstichwort „Rug, rugen, et rügen, geruge, et gerüget“ aufführt, dem er die Bedeutungen „accusare, deferre, arguere, insimulare, indicare“ zuordnet. Kaspar Stieler, 1691/1968, Sp. 1632: „Gut Gerücht, fama praeclara“. In einer soziologischen Untersuchung über die Entstehung von Gerüchten hebt Kapferer 1992, S. 53 f. hervor, dass Gerüchte selten einen bestimmbaren oder absichtlichen Verursacher hätten, die Zuschauer spielten die Hauptrolle.
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C. Verleumdung
1. Ritualisierter Verlauf Der Konfliktverlauf der Verleumdung ist denkbar einfach. Er besteht aus: 1. einer Anklage oder Verleumdung,4 die 2. zum sozialen Ausschluss führt. Dieser Ablauf kann durch ein Reintegrationsverfahren ergänzt werden, für das es verschiedene Versionen gibt, die Rehabilitation und die Buße: 3. Aus neuen Informationen ergibt sich, dass der Ausschluss zu Unrecht geschah. 4. Die öffentliche Rehabilitation versucht, den Ausschluss durch allgemeine Akzeptanz rückgängig zu machen. Oder: 3. Durch Reue und Buße macht sich das Ausgeschlossene würdig, 4. durch öffentliche Vergebung wieder aufgenommen zu werden. Die Konfliktverlaufmuster der Rehabilitation und der Buße werden in getrennten Kapiteln behandelt. Das Konfliktverlaufmuster der Verleumdung setzt auf die Macht der Information: Was alle Leute wissen, ist soziale Tatsache, auch wenn sie noch so weit vom tatsächlich Geschehenen abweicht. Voraussetzung für die breite Mitteilbarkeit ist die Einfachheit der Aussage. Die Normen der Geschlechterbeziehungen, die in anderen Zusammenhängen gerne auf das Keuschheitsgebot reduziert werden, erfahren hier tendenziell eine zusätzliche Verengung auf den Beischlaf. Verleumdet werden Einzelpersonen, nicht ganze Kategorien. Allerdings beruht eine Verleumdung auf normativen Interpretationsgleichungen, an denen die hör- und sichtbaren Handlungen der Einzelpersonen gemessen werden. Charakteristisch für das Verlaufmuster ist außerdem, dass die Schritte 1 und 2 gleichzeitig geschehen: Mit der Verleumdung ist der Ausschluss schon geschehen. Sobald die Information sich verbreitet hat, wird sie zur sozialen Tatsache. Das Gerücht bezeichnet also die normsetzende Ebene selbst; was auf dieser Ebene geschieht, ist Wirklichkeit. Das heißt die Handlungen, die der Instanz Gerücht zugeschrieben werden, sind in hohem Maße performativ.5 Das ist auf der Definitionsebene des Textes selbstverständlich: Was die Definitionsinstanz äußert, ist (für den Text) wahr. 4
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Ich verwende Verleumdung als Oberbegriff und unterscheide weiter in Verleumdung i. e. S. (= ungerechtfertigte öffentliche Anschuldigung) und Anklage (= gerechtfertigte öffentliche Anschuldigung). Verleumdung als Oberbegriff zu wählen ist insofern sinnvoll, als auch die Anklage verleumderisches Potential hat. I. S. v. deklarativ: „Deklarationen sind diejenigen Sprechakte, deren erfolgreicher Vollzug ausreichend ist, um den Satzinhalt Wirklichkeit werden zu lassen.“ (Bohle/König, 2001, 19), zum Beispiel: „Ich entschuldige mich“.
2. Text als Gerücht: Verleumderische Lesende
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Die betrachteten Drucktexte verzichten jedoch alle darauf, durch Verleumdung der realen Lesenden normativ zu wirken. Dies wohl aus mehreren Gründen: Der Text könnte nur namentlich genannte Personen wirklich verleumden, was möglicherweise ernsthafte außertextliche Konsequenzen für die reale Autorin oder den realen Autor hätte. Für die verleumdeten realen Lesenden hätte der Text dann keine normative Kraft mehr, da sie dadurch ohnehin schon aus der Gesellschaft ausgeschlossen wären. Auf die übrigen Lesenden hätte es dieselbe Wirkung wie eine Verleumdung einer Figur; da die Definitionsinstanz gleichzeitig verleumdet und die Eigenschaften der jeweiligen Figur festlegt, sehen sich die Lesenden in diesem Fall mit einiger Sicherheit auf der verleumdenden Seite, auch sie werden mit imaginären Fingern auf die Figur zeigen. Weil es sich bei einem solchen, an einer realen Person festgemachten Negativbeispiel zwingend um einen Einzelfall handelt, genügt dieser PrangerEffekt für die Normenvermittlung nicht. Dafür müssen die realen Lesenden eine Gefahr sehen, selbst in die Öffentlichkeit gestellt zu werden. Die Verleumdung ist für diesen Effekt günstiger als die Anklage, weil eine Spaltung erzeugt wird zwischen eigener und öffentlicher Meinung über die Figur. Die verleumdete Person ist wegen ihrer ‚eigentlichen‘ Unschuld geeignet, Rollenübernahme bei den Lesenden zu provozieren. Für die Darstellung einer Verleumdung muss ein Text mindestens zwei Rahmen entwerfen: einerseits die Handlung der Person und andererseits die öffentliche Beurteilung. Handlung und Beurteilung sind über topische Interpretationsgleichungen verbunden, die festlegen, wie die Beurteilung aus der Handlung abgeleitet werden soll. Sie gehören zum Wissen über die soziale Reichweite einer Norm und die typischen Fälle ihrer Anwendung.
2. Text als Gerücht: Verleumderische Lesende Verlangt wird ein Handeln, das nicht nur einer Norm entspricht, sondern auch den Anschein macht, einer Norm zu entsprechen. Diese Forderung variieren die Texte des Korpus in verschiedener Hinsicht; ein wichtiger Bezugspunkt dafür ist sicher Luthers Kommentar zum sechsten Gebot im Kleinen Catechismus: Normenkonformen Schein können Einzelne nur erreichen, wenn sie nicht nur die nackte Handlungsnorm kennen, sondern ihnen auch die Interpretationsgleichungen bewusst sind, die in diesem Zusammenhang zur Anwendung kommen. Im Spiel Rähtsel-Erzehlung der Frauenzimmer Gesprächspiele (VI, 140 – 152) können sich die Lesenden als Teil des verleumderischen Gerüchts kennen lernen und sich dadurch die Interpretationsgleichungen bewusst machen, die zu Beurteilungen führen. Der alte Hofmann Vespasian von Lustgau erzählt eine Geschichte, zu der sich die übrigen am Gespräch teilnehmenden Figuren ein Rätsel ausdenken müssen. Es
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C. Verleumdung
ist die Geschichte eines vermeintlichen Ehebruchs: Eine außerordentlich schöne Gräfin lebt meist allein, weil ihr Mann oft bei den Soldaten und am Hof weilt. Oliveiro, ein Markgraf, bemüht sich in dessen Abwesenheit um die Gräfin. Um den Richter zu bestechen, damit er ihren kriminellen Bruder aus dem Gefängnis entlasse, versetzt die Gräfin ihren Schmuck. In dem Moment erreicht sie ein Brief ihres Mannes, dass er sie bei der Kaiserin in Mailand in ihrem schönsten Schmuck erwarte. Sie schreibt Oliveiro, dass er ihr doch das Geld, um den Schmuck auszulösen, geben möge, was dieser auch sofort tut. Wieder zurück aus Mailand, wo sie von der Kaiserin mit einer Goldkette beschenkt wurde, erlaubt die Gräfin Oliveiro, sie am Gassenfenster zu sprechen. Dort erlaubt sie ihm, die folgende Nacht ohne Lampe durch den Garten zu ihr zu kommen. Sie empfängt ihn, lässt ihn kurz in der Kammer allein, er genießt eine Liebesnacht und geht noch vor Tag wieder durch den Garten nach Hause. Tags darauf sendet ihm die Gräfin das Geld zurück. Als er am Abend wieder beim Gassenfenster erscheint, deckt ihm die Gräfin den Betrug auf, dass nicht sie, sondern ihre Magd bei ihm gelegen habe. Der Markgraf geht mit Racheplänen nach Hause, die er jedoch in Ehrerbietung verwandelt, als er bedenkt, dass diese verständige, und keusche Fräulein ihn sehr vergnüglich betrogen habe (VI, 149). Wie die Figur Oliveiro erst nach der Liebesnacht merkt, dass er betrogen worden ist, so werden auch die Annahmen der Lesenden über das ‚tatsächlich‘ Vorgefallene enttäuscht: Sie erfahren es gleichzeitig mit Oliveiro. Die Einfühlung in Oliveiros Situation wird den Lesenden leicht gemacht: Auch sie müssen sich am Ende von der erzählenden Figur Vespasian betrogen fühlen, obwohl die Erzählung glücklich endet. Den Gegensatz zwischen Annahme und ‚Wirklichkeit‘ betont Reymund durch sein Rätsel: Er liebt, und weiß nicht was, er leiht, und schenkt es hin, | Er küsst, die er nicht liebt, und hat doch den Gewinn (VI, 150). Die Auflösung des Rätsels ist noch deutlicher: Oliveiro meine eine Ehebrecherin zu lieben und wisse nicht, daß sie ein ehrliches Weib sei. Er meine, er schenke Geld, müsse aber merken, dass es nur geliehen sei. Und er meine, die geliebte Gräfin zu küssen, während er die Magd in Armen halte. Obwohl sich Oliveiro mehrfach täuscht, bringt ihm dies keinen Nachteil ein; Reymund schließt seine Auflösung mit der Bemerkung, dass er trotzdem den Gewinn, die Belustigung, und sein Gelt wieder habe. Wird der Blick von der Gräfin und dem Markgrafen Oliveiro weg auf die Beobachtungsinstanzen gelenkt, lässt sich die Binnenerzählung als Rehabilitation der Gräfin lesen: Zwar wird den Lesenden die Gräfin als schöner Tugendschatz (VI, 141) vorgestellt, aber auf der gleichen Seite auch darauf hingewiesen, dass die öffentliche Meinung der Binnenerzählung dem entgegensteht, in dem Sinne, dass man ins gemein darvor gehalten, er werde von seiner Gemahlin, wenig geliebet. (VI, 141) Diese Meinung wird sogleich als Wahn (VI, 141) qualifiziert. Für die Lesenden öffnet sich eine Spanne zwischen der Charakterisierung durch die Erzählinstanz
2. Text als Gerücht: Verleumderische Lesende
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und der Meinung der Binnen-Öffentlichkeit; dies mag die Lesenden dazu bewegen, ganz besonders auf den Aspekt zu achten, wie sich diese Frau bezüglich ihrer ehelichen Pflichten und ihres Rufes verhalten wird. Schwere Zweifel über die eheliche Treue der Markgräfin müssen den Lesenden spätestens beim ersten eingerückten Brief kommen, in dem die Gräfin Oliveiro von Liebe schreibt. Die Interpretation des Briefes als Liebesbrief wird zusätzlich gestützt, indem Oliveiros Reaktion darauf als erste Bewegungen, in welchen wir uns, aus uns selbsten befinden (VI, 145) beschrieben werden. Dies schafft ein mitfühlendes Wir für Oliveiro, der als Reflektorfigur eingesetzt wird. Dass sie trotzdem auf Geheiß ihres Mannes nach Mailand reist, erscheint dann nur noch als Wahrung des Scheins. Als sie Oliveiro nach ihrer Rückkehr zu einer nächtlichen Visite einlädt, besteht für die Lesenden wohl kaum mehr Zweifel, dass die Gräfin Gefahr läuft, Ehebruch zu begehen. Als sie den Grafen bittet, sich auszuziehen, und berichtet wird, dass der Markgraf genossen, was er mit so langem Verlangen erwartet (VI, 146), kategorisieren sie die Lesenden ziemlich sicher als Ehebrecherin, wenn nicht gar als Hure, weil sie die Liebesnacht im Zusammenhang mit dem Dank für das Geld angeboten hat. Die Rehabilitation wird eingeleitet mit dem zurückgesandten Geld und dem von der Reflektorfigur Oliveiro als kühlsinnig empfundenen Brief. In den Augen der Lesenden ist sie wohl noch Ehebrecherin, aber nicht mehr Hure. Am Schluss der Binnenerzählung eröffnet die Gräfin dem Markgrafen die ‚Wahrheit‘, damit sein Wahn ihrer Ehre nicht länger nachteilig sei (VI, 149). Der Markgraf ändert seine Rachgier, die er darauf empfindet, in Ehrerbietung (VI, 149). Auch hier erscheint das Signalwort Wahn: Dieser wird zerstört und die Gräfin rehabilitiert, sowohl in den Augen des Markgrafen als auch der Lesenden. Die Erzählinstanz steuert darauf hin, dass die Lesenden die Position Oliveiros übernehmen und damit ‚falsche‘ Vermutungen über die Tugendhaftigkeit der Gräfin bilden: Nur die Reaktionen Oliveiros auf die zwei Initialbriefe der Gräfin werden berichtet, nicht aber die Reaktionen der Gräfin auf die beiden Antwortbriefe Oliveiros. Dadurch ergibt sich eine geschlechtsbezogene Asymmetrie; sowohl das sich in Oliveiro einfühlende Wir als auch die Reflektorfigur Reymund betrachten das Verhältnis zwischen der Gräfin und Oliveiro von der Seite des Letzteren. Zunächst fühlen sie sich wohl wie der Markgraf getäuscht, erst die zweite Lektüre bringt den Lesenden das Vergnügen, dass sie mit demselben Informationsvorsprung, den der erzählende Vespasian und die Binnenfigur der Gräfin haben, die Ironie der Erzählung erfassen können. Obwohl die Gräfin nicht wenige für ihre eheliche Treue schwierige Momente zu meistern hat, wird die Einfühlung in sie von der Erzählung kaum unterstützt. Das Dilemma besteht nicht wie in anderen Ehebruchsgeschichten darin, dass sie zwischen ehelicher Treue und außerehelicher Liebe zu wählen hat. Was sie überhaupt in Normenkonflikte bringt, ist die schwesterliche Liebe zu ihrem kriminellen
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C. Verleumdung
Bruder: Sie besticht den Richter, damit ihr Bruder, der den Tod zu gewärtigen hat, aus dem Gefängnis entlassen wird. Dafür muss sie ihren Schmuck versetzen, den sie aber bräuchte, um der bald darauf eintreffenden Aufforderung ihres Mannes, in Mailand die Kaiserin zu besuchen, Folge zu leisten. Der Konflikt, dass die Gräfin ihren Bruder, wie sie sollte, unterstützt, aber auch einen Richter besticht und einem gemäß den erzählten Umständen eindeutigen Verbrecher auf freien Fuß hilft,6 wird nicht explizit gemacht, ebenso wenig der Konflikt zwischen Bruder- und Gattenliebe, sondern ein anderer: Die Gräfin liebte diesen ihren Bruder, und hatte doch nicht das guldene Band, der Gerechtigkeit Augen zu verbinden (VI, 143). Der Auslöser für die Ehebruchssituation ist demnach der Bruder der Gräfin, nicht ihre Initiative oder ihr anlassloses Entgegenkommen gegenüber Oliveiro. Damit sie ihrem Mann gehorsam sein kann, setzt sie sich in ein ehebrecherisches Licht gegenüber Oliveiro; das heißt, sie macht ihm Hoffnungen, damit sie das Geld erhält. Hier wird immerhin berichtet, dass sie diesen Brief erst nach vielen Bedenken (VI, 144) abfasst. Was sie zu bedenken hat beziehungsweise was ihre Bedenken sind, wird jedoch nicht erwähnt. Wie ist es der erzählenden Figur Vespasian überhaupt möglich, die Leseinstanz einerseits zur gedanklichen Verleumdung der Gräfin und andererseits zur Einsicht in ihre Tugendhaftigkeit zu bringen? Es stellt sich ein erzähltechnisches Problem: Wie kann eine Instanz, welche die Eigenschaften und Handlungen der von ihr erzählten Figuren festlegt, ihnen Rehabilitation zugestehen? Woher soll die für die Rehabilitation nötige andere Sicht der Dinge oder zusätzliche Information kommen, hängt doch die ganze Erzählwelt von der Setzung der Erzählinstanz ab? Vespasians Erzählweise ist nicht unzuverlässig, denn auch die Aussagen am Anfang stimmen mit dem Schluss überein, aber sie legt den Lesenden ‚falsche‘ Annahmen nahe, indem sie für die Interpretationsgleichung das Verlaufmuster7 Prostitution aus Geldmangel abruft. Für die Lesenden entsteht ein doppeltes Ironie-Gefälle zwischen ihrem Wissensstand am Schluss und dem am Anfang: Sie wissen nicht nur mehr über die ‚wahren‘ Absichten der Gräfin, sondern auch etwas über die Interpretationsgleichungen, die sie selbst zur Beurteilung anwenden. Die Figurenebene wird hier nicht genutzt; die Gesprächsrunde könnte miteinander die Geschichte erzählen und verschiedene Kenntnisstände der Teilneh6
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Julia bezieht ihr Rätsel auf die Bestechung der Richter und macht damit die Verwerflichkeit dieser Handlung deutlich, nicht aber das Dilemma der Gräfin: „Sagt: was legt (Gelt) allen Streit? was kan die Weisen blenden? | Sagt: was die Laster lobt, und kan die Tugend schänden. | Es legt das strenge Recht zu Boden: ja das Schwert | wird stumpf, und sein Gewicht die beste Waag gefehrt.“ (VI, 152, Hervorhebung im Original). Goffman, 1977, 31 erwähnt die interpretationsleitende statische Organisation von Wissen in Rahmen. Die Frames- und Scripts-Theorie ergänzt dies um die Drehbücher, die dynamischen Organisationsweisen von Wissen (Schank, 1982). Verlaufmuster kombinieren die statische und die dynamische Darstellungsart, indem sie Situationswissen mit Handlungswissen verknüpfen.
3. Gerücht als Textinstanz
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menden könnten so gestaltet werden, dass eine der Figuren die rehabilitierenden Informationen gegen Ende enthüllt. Allerdings stünden dann die realen Lesenden mit ihren ‚falschen‘ Annahmen nicht alleine da, und es wäre fraglich, ob sie sie in guter Gesellschaft mit einigen der Figuren überhaupt als ‚falsch‘ empfänden.
3. Gerücht als Textinstanz Dass Texte ihre Lesenden auf diese Weise ihres eigenen Verleumdungspotentials überführen, kommt im Korpus eher selten vor; vielmehr benutzen sie die Interpretationsgleichungen gerade dazu, den Lesenden eine positive oder negative Charakterisierung von Figuren nahe zu legen. Wegen der definitorischen Hoheit des Textes kann in diesem Fall jedoch nicht von Verleumdung gesprochen werden, denn die Figuren besitzen kein wirkliches Leben außerhalb des Textes, das sie diesem entgegenhalten könnten. Obwohl ein Text eine Figur nicht verleumden kann, ist es immerhin möglich, Verleumdung durch andere Figuren darzustellen. Damit eine Verleumdung vorgeführt werden kann, müssen die Lesenden die ‚Wahrheit‘ über die verleumdete Figur kennen. Der für die Verleumdung notwendige Vergleich zwischen ‚Wahrheit‘ und verleumderischer Aussage wird nicht selten dadurch ermöglicht, dass eine Figur mögliche Verleumdungen in der Planung ihrer Handlungen vorwegnimmt, was für die Normenvermittlung deshalb besonders wirksam ist, weil die Rollenübernahme selbst für reale Lesende leicht ist, die sich zur Zeit keiner Verleumdung ausgesetzt finden. Im Folgenden werden verschiedene Möglichkeiten einer solchen Antizipation der Verleumdung betrachtet. Neben den handelnden weiblichen und männlichen Figuren wird in vielen Texten eine weitere Instanz auf der Figurenebene eingeführt, die jedoch unpersönlich bleibt: das Gerücht. Durch die Verschiebung auf die Figurenebene sind die Aussagen, die dem Gerücht zugeschrieben werden, nicht mehr performativ, sondern die Definitionsinstanz kann sie relativieren. Trotzdem wird mit dem Gerücht eine Instanz geschaffen, der in Analogie zur performativen Wirkung eines Diskurses – denn nichts anderes ist das wirkliche Gerücht – Beurteilungs- und Sanktionsmacht zukommt. Im Zusammenhang mit den Textinstanzen und den Verlaufmustern Kompliment und Disputation wurde mehrmals hervorgehoben, dass die Formulierungen und Textmuster Gruppen bilden, die für die normative Wirkung wegen der Rollenübernahmemöglichkeiten entscheidend sind. Aus demselben Grund sind auch Reflektorfiguren für die Normenvermittlung sehr geeignet. Mit dem Gerücht tritt gleichsam eine verallgemeinerte Reflektorfigur in den Text; die soziale Ebene wird im Text als Instanz sichtbar, die als Resonanzraum und Verstärker für Normenkonflikte dienen kann.
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C. Verleumdung
3.1. Die Unwiederbringlichkeit des verlorenen guten Rufes Die Landesordnung von Sachsen-Gotha von 1667 schafft die Instanz des Gerüchts, stattet sie mit Macht aus und motiviert die Rezipierenden, ihr Beachtung zu schenken, indem sie zum Beispiel im Falle einer Vergewaltigung die einklagbaren Ansprüche davon abhängig macht, ob die Vergewaltigte sonst unberüchtiget ist (2. Teil, 4. Cap., 10. Tit., Abs. 16). Das Bekanntwerden einer Straftat und die Strafe werden in direkte Verbindung gebracht: sol man auch die, so sich nach ihrem Verlöbnis vor der Copulation fleischlich vermischen, aber deren Unzucht erst nach gehaltenem Kirchgang kundbar wird, mit willkührlichem Gefängnis straffen (2. Teil, 4. Kap., 10. Tit., Abs. 2). Sowohl das strafende man als auch die Urheber des Kundbarwerdens bleiben unpersönlich. Insofern entspricht die mit unpersönlicher Strafe verbundene unpersönliche Anklage einer ‚wirklichen‘ Verleumdung. Der Satz formuliert jedoch einen zeitlichen Unterschied zwischen Bekanntwerden und Bestrafung, der in der performativen, wirklichen Verleumdung nicht gegeben ist. In anderen Fällen wird dem Gerücht jedoch durchaus eine performative Kraft (auf Figurenebene) zugemessen, indem es als Anklage gilt: Würde aber von einem oder dem andern Teil [der Eheleute] wegen Übeltractirens [Schlagens] Klage vorgehen oder es ruchbar werden (2. Teil, 4. Kap., 12. Tit., Abs. 3). Der Text erwähnt keine Maßnahmen, die gerüchteweise Anklage auf ihre Richtigkeit zu prüfen, sehr wohl aber solche, welche die Aussagen von persönlichen Klagenden oder Angeklagten untersuchen.8 Eine unpersönliche Verleumdung gibt es gemäß der Formulierung der Landesordnung demnach nicht, sondern das Gerücht spricht die Wahrheit. Durch die unpersönlichen Formulierungen bezieht die Landesordnung die Rezipierenden in den Text ein: Je nach ihrer Situation werden sie sich entweder in das anklagende und strafende Gerücht einfühlen können oder sich in der entsprechenden Rolle der Angeklagten und Bestraften sehen: Mit dem Gerücht ist eine Instanz geschaffen, deren Sprachrohr oder Opfer zu sein sich die Lesenden gleichermaßen vorstellen können. Außerdem ist sie, zumindest was ihre anklagende Funktion betrifft, ständisch und geschlechtlich nicht definiert, so dass eine Rollenübernahme für eine breite Palette von realen Lesenden möglich ist. Allerdings differenzieren die Paratexte die Rollenübernahmemöglichkeiten, indem die Vorrede die Landsleute zur Befolgung der Vorschriften auffordert, sie deshalb tendenziell als Gerüchteopfer 8
Diese Aussage wie auch die folgenden beziehen sich nur auf die Formulierungsart des Textes, nicht auf die Rechtslage oder das Verfahren, das tatsächlich umgesetzt wurde. Wäre das die Absicht, müsste zum Beispiel berücksichtigt werden, dass die Carolina der „oberkeyt“ vorschreibt, das Gerücht zuerst zu erhärten im Falle, dass „jemandt eyner übelthat durch gemeynen leumut, berüchtiget oder andere glaubwirdige anzeygung verdacht und argkwonig“ (,Peinlich Gerichtsordnung‘, Art. 6).
3. Gerücht als Textinstanz
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einstuft und der Beschluss die Obrigkeit zur Aufsicht und Bestrafung ermahnt, sie also eher auf der anklagenden und bloßstellenden Seite des Gerüchts klassifiziert. Der Verliebten Jugend Vernünfftiger Hofmeister von 1694 thematisiert die Unwiederbringlichkeit des verlorenen Rufs, das heißt die performative Macht des Gerüchts. Es vergleicht den Verlust des guten Rufs mit der Erbsünde: Ganz wie Adam sich durch die Liebe zu einem Fehler habe verleiten lassen, den nun alle seine Nachkommen büßen müssten, so bereuten viele ihre unmäßige Liebe in der Jugend, durch die sie Güter, Zeit, Glück, Gesundheit, Vernunft und Ehre eingebüßt und sich ins Unglück gestürzt hätten (Vorrede). Dieser Vergleich verwendet nicht nur einen gut bekannten Normenbruch, um vor übermäßiger Liebe, also vor dem Bruch der Keuschheitsnorm zu warnen, sondern evoziert damit auch das Konfliktverlaufmuster Buße, das Erlösung vorsieht. Einerseits macht die Parallele klar, dass das Gerücht soziale Tatsachen schafft, die sich nicht so leicht beheben lassen, andererseits öffnet der Vergleich die Hoffnung auf solche Revisionsmöglichkeiten, wie sie für Adam durch Christi Kreuzestod vorgesehen sind.
3.2. Blick in die Gerüchteküche August Bohses Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- und FreundschafftsBrieffe von 1692 schaffen eine soziale Ebene, indem der Briefsteller nicht nur unpersönliche Musterbriefe nebeneinander stellt, sondern Adressaten- und Empfänger-Figuren schafft, die über mehrere Briefe in verschiedenen Konstellationen beibehalten werden und dadurch briefromanähnliche Passagen bilden. Jeweils eine weibliche und eine männliche Figur kommen sich über den Briefkontakt näher. Diese Briefwechsel stehen aber nicht nacheinander in separaten Kapiteln, sondern auf Initial- und Antwortkompliment eines Paares folgen im Anschluss diejenigen der anderen Paare, so dass die geraffte Zeit zwischen zwei Briefwechseln mit Briefwechseln anderer Paare ausgefüllt wird. Nur schon dadurch ergibt sich für die Lesenden die Vorstellung von einer sozialen Ebene, auf der sich alle diese Figuren gleichzeitig bewegen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die Tatsache, dass einzelne Briefe andere Briefpartner erwähnen: In Brief 82 möchte Torismondo seine geliebte Ismenie zu einer Schlittenfahrt überreden, indem er darauf hinweist, dass Stellanie und Verdibond sowie Adalard und Heroine bereits versprochen hätten, daran teilzunehmen. Durch solche erzählte Rede wird der Eindruck erzeugt, die Briefe seien nur einzelne Zeugen eines Austausches, der auch mündlich rege betrieben werde. Geschlechterbeziehungen werden als Liebeswerbung9 und diese als Kommunikationsspiel beziehungsweise -problem thematisiert: Conversation, der gesellige und 9
Vgl. dazu v. a. das Kapitel „Kompliment“.
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C. Verleumdung
gesprächige Umgang mit dem jeweils anderen Geschlecht, ist deshalb das Hauptthema.10 Sehr oft wird dabei expliziert thematisiert, dass die liebelnde Conversation in soziale Äußerungszusammenhänge eingebettet ist, die konstruktiv und vor allem destruktiv sein können: Im 165. Brief an die verheiratete Climene kritisiert Vindician, ihr Verehrer aus ledigen Tagen, dass ihr eifersüchtiger Ehemann sie als eine Gefangene behandle und ein falsches Mißtrauen auff dero Tugend setze. Climene gibt Vindician in ihrem Antwortbrief (Nr. 166) zu bedenken: Auch eine zugelassene Conversation wird von dem Argwohn und der Verläumdung getadelt. Sie bittet ihn, nicht weiter um Erlaubnis für die Fortsetzung ihrer Bekanntschaft zu bitten, die ihr Verantwortung bringen möchte. Die drohende Verleumdung wird von Climene dazu gebraucht, ihre eheliche Zurückgezogenheit zu rechtfertigen. Aus der Perspektive Climenes könnten sie weitere Briefe von Vindician vor ihrem Ehemann oder vor Dritten verleumden. Sie formuliert den sie umgebenden verdächtigen Blick so, dass derjenige ihres Ehemannes mit dem allgemeinen zusammenfällt; der eifersüchtige Ehemann ist ein Vertreter des Gerüchts. Ehemann und Gerücht bringen sie dazu, nicht einmal den Verdacht erwecken zu wollen, sie habe mit Vindician ein vertrauliches Verhältnis; der Ehemann verbietet ihr, mit andern umzugehen (Nr. 166), das entsprechende Verbot ihrer Umgebung nimmt sie vorweg, indem sie gegenüber Vindician die Interpretationsgleichungen der Umgebung erwähnt. Zwischen Damon und Doris entspinnt sich ein anderer Konflikt, der sich nicht auf die verdächtigende Wahrnehmung bezieht, sondern auf die performative Kraft des Gerüchts: WIe kan doch die Mißgunst interessirter Zeitungs-Träger einen schwartz machen, klagt Damon im 241. Brief, worauf ihm Doris zurückschreibt, weshalb sie ihm mehr als anderer Nachricht trauen solle (Nr. 242). Die Nachricht erscheint Damon als verleumderische Instanz. Doris betont, dass Verleumdung und zutreffende Aussage nicht zu unterscheiden seien. In ihrem Brief kommt damit eine Eigenschaft zum Ausdruck, die für die Darstellungsweise des ganzen Briefstellers ebenfalls gilt: Es gibt im Unterschied zur Erzählung, die über die Gedanken der Figuren berichten kann, keinen privilegierten Zugang zum Bewusstsein der Figuren; die Aussagen, die sie über sich selbst machen, haben den gleichen Status wie die Aussagen anderer Figuren. Es bleibt den Lesenden überlassen, zu urteilen, welche Aussagen als gerechtfertigt und welche als verleumderisch einzustufen sind. Wie im ‚wirklichen‘ Leben müssen sie sich dabei auf die Interpretationsgleichungen verlassen, die ihnen nahe legen, welche Indizien eher für Verleumdung sprechen. Climenes Antwortbrief kann die Lesenden in dieser Hinsicht jedoch verunsichern: Argwöhnen und verleumden sie vielleicht auch grundlos? Oder gar absichtlich? Losardo verwendet im 247. Brief die Verleumdung gleich in dreierlei Hinsicht, um Albelle von ihrem neuen Liebhaber Leander zu seinen 10
Vgl. die Belege dieser Bedeutung noch für das 18. Jahrhundert (Linke, 1996, 132 f.).
3. Gerücht als Textinstanz
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Gunsten abzuraten: Er hält ihr die schlechte Meinung der Leute über Leander vor. Ihrem möglichen Einwand, dass er dies nur aus Eifersucht schreibe, kommt er mit einer Praeteritio-Formulierung zuvor: Daß aber andere Leute keine grosse estim von ihm machen, wolte ich gerne sagen, wenn sie es mehr vor eine Warheit, als vor eine Verläumbdung, so aus Eyfersucht entstünde, wolten annehmen.
Er spielt damit, dass die Verleumdung, einmal ausgesprochen, auch dann wirkt, wenn sie danach als solche bezeichnet wird: Der Verdacht ist erregt. Als Zweites warnt er davor, sie könnte durch Leanders Bekanntschaft in üble Nachrede kommen, denn – zum Dritten – habe sich dieser Hochmüthige mehr gerühmet, als ihn mag vergönnet worden seyn. Indem Losardo Leander bezichtigt, dass er Albelle verleumdet habe, stellt er unter Beweis, dass er nichts auf sie kommen lässt. Albelle hält ihm entgegen – indem sie seine Argumentationsweise übernimmt –, sie wundere sich, dass er mit ihr weiter umzugehen wünsche, wenn er doch den Umgang mit galanten Cavalliren für so reputationsfeindlich halte: solche Vergünstigung dürffte mir eben dergleichen Nachrede bringen, als wenn mich jemand mit Leandern reden siehet (Nr. 248). Im Brief der Figur Losardo wird die Verleumdung ebenso aus der Sicht seiner Eifersucht perspektiviert, wie es Climenes Antwortbrief für die Position ihres Ehemannes entwirft: Nur die anderen Bekanntschaften sind rufschädigend. Albelles Antwortbrief spricht Losardo jedoch diese eheähnliche Perspektive ab, indem sie ihm die anderen, ebenso berechtigten Ansprüche Leanders entgegenhält. Ihr Brief macht deutlich, dass das Gerücht nur Normen unterstützt, indem deren Übertretung (zu Recht oder zu Unrecht) geahndet wird, nicht aber persönliche Wünsche, die andere mit gleichem Recht haben können. Losardos Versuch, sich mit seinem Verleumdungsszenario eheähnliche Ansprüche zu sichern, misslingt. Es gehört zum galanten Brief, mit normativen Mustern zu spielen, um das Gegenüber zu Nähe oder Abstand zu bewegen. Reizvoll und konfliktträchtig ist dieses Spiel deshalb, weil sich die Briefpartner keineswegs einig sind über den Wirklichkeitswert ihrer Aussagen.11 Eine briefliche Auseinandersetzung zwischen Briseis und Lyncestes führt vor, zu welchen Missverständnissen dies führen kann: Briseis ist erzürnt, weil Lyncestes sie in der ganzen Stadt als eine Zancksüchtige hingestellt habe, wo es doch nur ein Schertz-Zanck gewesen sei. Sie werde nun bey vielen Spitzfündigen wegen ihrer schlechten Conduite verhöhnet (Nr. 485). Sie schlägt ihm seine Bitte um Friedens-Tractate (d. h. -verhandlungen, Nr. 484) nicht ab, will ihm aber bei seinem Besuch Unterricht geben […] wie man die renomée eines Frauenzimmers erhalten soll (Nr. 485). Auf welche Weise der gute Ruf geschont werden soll, wird aus ihren Vorwürfen klar, in denen sie das Missverhältnis zwischen ihrem scherzhaften Streit und der stadtweiten Verleumdung darstellt. Die allgemeine Formulierung (man, 11
Vgl. das Kapitel „Kompliment“.
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C. Verleumdung
Frauenzimmer) fördert eine Rollenübernahme und legt den Lesern nahe, die öffentliche Meinung über Frauen nicht negativ zu beeinflussen. Der Briefsteller leistet mehr, als dass er Frauen nur eine Handhabe böte, wie sie auf briefliche und außerbriefliche Normenbrüche reagieren können. Durch die briefromanartige Verschränkung einzelner Briefsequenzen schafft er eine soziale Ebene, die durch die Aussagen der Briefschreibenden zum Gerücht zusätzlich verstärkt wird. Durch die Einführung dieser Ebene und vor allem der Gerücht-Instanz wird deutlich, dass das, was andere schreiben und sagen, mindestens so wichtig ist für den guten Ruf und die Entwicklungsmöglichkeiten der Liebesbeziehungen wie der einzelne Briefwechsel eines Liebespaars.
4. Lektüre und Schreiben als soziale Wahrnehmung und Interpretation In Johann Riemers 1681 anonym erschienenem Roman Politischer Stock-Fisch erzählt das unbeteiligte Ich12 von der Ankunft der Hauptfigur Solande in Driali. Der König von Driali feiert Hochzeit und lässt deswegen die Schauspieltruppe, zu der Solande gehört, mehrere Stücke aufführen. Wie schon in Paris und Troiville ist Solande auch hier Magnet (100) für die Frauen. Nach der Vorstellung hält eine Kutsche vor seiner Tür, die ihn zu einer hohen Standes-Dame (100) führen sollte. Das erzählende Ich fügt an dieser Stelle ein: Eine herrliche Tugend an Solanden war, daß Er dem üppigen Fleische feind war (100). Er entschuldigt sich deshalb damit, dass er zu müde sei. Am nächsten Tag bekommt er einen Brief von der jungen Frau eines alten Hofbeamten. Bevor der Brief eingerückt wird, meint das erzählende Ich: Diese hatte nicht geringen Verstand: Auch mochte sie dergleichen wohl mehr practiciret haben. Ihr Absehen weiß ich nicht zuloben, noch zuschelten. Denn aus dem Brieffe kan ich nichts unziemliches lesen. Sie schriebe einen zierlichen Vers, und hatte den Brieff also eingerichtet. (101)
In diesem Brief gibt sich Bonville Solande gleichzeitig in Liebe hin und beteuert, dass es ihr nicht um Beischlaf gehe: Fürst der schönen MannesBilder liebstwerther Solande. ES liebet die Natur vor andern, was mit Güte Und Schönheit spielet vor. […] So bin ich, Götter Sohn, darumb nicht zuverdencken, 12
Diese Art der Definitionsinstanz wird in der Erzähltheorie nicht behandelt, in Anlehnung an Genettes Terminologie könnte von einem heterodiegetischen Ich-Erzähler gesprochen werden (vgl. Martínez/Scheffel, 1999, 82).
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Wann meine Demuth dich als ihre Sonne küst, Und wann ich selber mich zur Sclavin dir will schencken Weil du viel schöner noch als Ganymedes bist. Ich sehne mich nach dir, als wenn ich schwanger wäre, Da doch von dieser Last ich nichts zusagen weiß; Und die ich auch noch nicht durch einen Mann begehre: […] Denn hätte ich in mich der Liebe Gifft gesoffen, Daß ich von Geilheit toll, von Wollust truncken sey, So hätt ich keinen Bund mit einem Greiß getroffen, […] Er liegt an Alter kranck, an Podagra [Gicht] zu Bette: Und dennoch lieb ich ihn und halte an der Treu. Doch wündsch ich, daß ich euch in meinen Armen hätte; Nur bloß umb einen Kuß, von Sünd und Unzucht frey. Die Tugend so in Euch und eurer Seele wohnet, Zwingt diesen Appetit nur meiner Seele ein. […] Drum komm und brauche mich, doch ohne alle Sünden, Genieß was Weiber Ehr in keinen [sic] Theil verletzt. Es soll die keusche Hand hier eine Freyheit finden: Doch nur, wo die Natur ins Auge sich gesetzt. Die Eurige: Bonville. (102 – 107)
Mit der Treue kontrastieren Geilheit und Wollust, mit Sündenfreiheit der Wunsch nach Umarmung und Kuss; mit der Tugend der Appetit, mit dem Auge die Hand, auch wenn sie keusch genannt wird. Der Appell an Solande lautet umformuliert: Liebe mich, verursache aber keine Sünde, Strafe und Schande! Diese paradoxe Aufforderung fasst auch das erzählende Ich unmittelbar auf den Brief folgend so zusammen: Ich nehme aus dem Brieffe so viel ab, daß Bonville […] mit Solanden gerne bekant sein, und an seiner schönen Person gegenwärtig sich ergetzen will. Alleine an ihren Ehe-Herrn mag sie nicht untreu werden, noch das jenige, was sie ihm alleine versprochen, einem andern zum Dienst überlassen. Sie sucht nichts, als eine äuserliche Tendeley mit Solanden zu haben, zu schertzen, die Hände zu paren, in Arm zu nehmen, zu küssen, und dergleichen. (107)
Die Ich-Instanz warnt jedoch, dass solche Tändelei leicht zu mehr führen könne, indem sie eine Feuermetapher, die sprichwörtlichen Phasen der Liebe Post visum risum … (108), die sich auch in anderen Texten des Korpus finden,13 Krankheitsund Verwundungsmetaphern und zwei Exempel bemüht – ein allgemeines über die Anfechtungen der Heiligen und ein namentliches über Richarda, Caroli III. Gemahlin, die barfuß über glühende Kohlen gegangen sei (109). 13
Z. B. die gradus amoris in der ‚Lustigen Gesellschafft‘: „Post visum risum, post risum venit in usum, | Post usum tactum, post tactum venit in actum. | Post actum factum, post factum poenit actum“ (Nr. 828, S. 325).
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C. Verleumdung
Zusätzlich wird anschließend von Solande berichtet: Solande hatte mit mir dergleichen Gedancken, denn Er konte nicht zusammen räumen [reimen], der Bonville grosse Continentz, die sie sich in ihrem Brieffe bedingete, und die beygefügte Beschwerung über ihren alten Podagristen [Gichtkranken]. Doch deutete Er endlich diese Contradiction als einen Paroxysmum amoris. Denn wann die Verliebten viel reden, so wiedersprechen sie sich immer übers zehende Wort. (109)
Solande bestätigt die Lesart des erzählenden Ich. Die Interpretation des Briefes wird damit als überindividuelle, objektivere dargestellt. Erzählendes Ich und die Figur Solande übernehmen zwei verschiedene Darstellungen dieser Interpretation: Das erzählende Ich arbeitet den Gegensatz zwischen den beiden Forderungen Bonvilles heraus, indem es mit Argumenten beweist, dass es nicht bei der keuschen Liebe bleiben würde, wenn Solande ihrer Einladung nachgäbe. Solande fügt dem über die Folgenabschätzung hergestellten Gegensatz einen weiteren hinzu. Aus dem Text wird jedoch nicht klar, weshalb zwischen Bonvilles ausdrücklicher sexueller Zurückhaltung und ihrer Klage über die Gichtkrankheit ihres Mannes ein Gegensatz bestehen soll, zumal sie im eingerückten Brief ihre Liebe und Treue zu ihrem alten Mann beteuert. Hier müssen die Lesenden eine Interpretationsgleichung hinzuziehen, welche im Korpus oft vorkommt14 und im zitierten Text als bekannt vorausgesetzt wird: Junge Ehefrauen von alten Männern suchen bei jungen Männern nach sexueller Befriedigung. Da die Frauen wissen, dass auch die jungen Männer dies annehmen, müssen sie sich, wenn sie einen jungen Mann zum Beischlaf auffordern wollen, nur über ihren alten Mann beschweren. Das heißt umgekehrt: Wenn eine junge Frau sich über ihren alten Mann beklagt, will sie mit dem jungen Mann schlafen. Nur aufgrund dieses letzten Satzes macht es überhaupt Sinn, wenn Solande es als Gegensatz zu ihren Treuebeteuerungen hinstellt, dass sie sich über die Krankheit ihres Mannes beklagt. Solandes Reduktion von Bonvilles paradoxer Formulierung auf die Aufforderung zum Beischlaf führt den Lesenden vor, dass die Interpretationsgleichung stärker wirkt als die explizite Dementierung, ja dass die Interpretationsgleichung gerade durch die Dementierung aufgerufen wird. Die paradoxe Formulierung Bonvilles führt Solande auf eine Liebeskrankheit zurück, deren Symptom im letzten Satz erklärt wird. Solande hat also festgestellt, dass Bonville in ihn verliebt ist, will diese Liebe aber nicht erwidern. Die vom erzählenden Ich bereits gesammelten Argumente finden nun für Solandes Antwortbrief Verwendung. Das erzählende Ich lobt anschließend Solandes Taktik, sich genau dessen zu bezichtigen, was er von Bonville vermutet, nämlich dass er seine Affekte in der entscheidenden Situation nicht bezähmen könnte, obwohl das erzählende Ich
14
Z. B. Zesen, 1667, Assenat, 104: Sefira meint gegenüber dem jungen Josef in einer der Verführungsepisoden: „Mein Herr ist ein alter, beinah sechzigjähriger Fürst. Das Kinderzeugen ist ihm vergangen: die lust selbsten darzu.“
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für Solande bürgt, dass dieser nie auf Bonvilles Einladung eingegangen wäre. Das erzählende Ich fügt im indirekten Gedankenbericht Solandes Überlegungen an: Denn Er gedachte bey sich: Es sey wahr, oder nicht wahr, daß Bonville so keusch seyn wolle, nemlich einen freundlichen jungen Kerlen bey sich haben, und dennoch mit demselben ohne alle Sünden leben. Wäre es wahr; so würde sie keines weges umb Zuspruch bey ihm anhalten: Und also habe Er sich von dem Netze des Weibes loß gemacht. Sey es aber nicht wahr, daß sie die Zucht im Sinne habe, welche sie in ihren Brieffe vorgegeben, so werde sie sich dennoch schämen müssen, wenn sie ihre gerühmte Keuschheit mit eigener Hand verleugnen, und schrifftlich von Solanden das jenige zu immerwehrenden Gedächtnis bitten müste, welches ein ander [sic] nicht gerne mit einen vergänglichen Worte in die Lufft hin begehret, wol aber manchmal in Gedancken wündschet. (113 f.)
Mit diesem Satz ist diese Episode zu Ende. Sie reflektiert auf der Definitionsebene, Figurenebene und der Binnenebene der Briefe Normen der Geschlechterbeziehungen auf verschiedene Weise: Die soziale Herstellung von Tugend- und Lasterhaftigkeit wird dargestellt, indem an der Definitionsinstanz und an der Figur Solande vorgeführt wird, welche Interpretationsgleichungen sie anwenden und wie Solande daraus seine Antwortstrategie ableitet. Solande konstruiert seinen Antwortbrief so, dass Bonville ihre ‚wahre‘ Absicht, die er ihr unterstellt, ihm nur mitteilen könnte, wenn sie auf Zweideutigkeiten verzichten und ihren Antwortbrief in einem Modus der Wahrhaftigkeit abfassen würde, womit sie sich aber selbst an den Pranger stellte. Ausserdem treten mediale Rücksichten zutage, die im Folgenden erörtert werden sollen.
4.1. Mediale Rücksichten Die gerade zitierte Passage thematisiert das Medium, dem die Figuren taktische Beachtung zu schenken haben. Die Menge der Beobachtungsinstanzen unterscheidet sich für Brief, Sprechen und Denken: Für den dauerhaften Brief gibt es sehr viele mögliche Beobachtungsinstanzen, für flüchtige, gesprochene Worte nur wenige und für Gedanken gar keine. Die Bonville-Episode zeigt den Lesenden alle drei Möglichkeiten und führt gleichzeitig vor, welche Rücksichten auf das Medium genommen werden müssen: Bonvilles Liebesbrief achtet offensichtlich auf die Möglichkeit, dass er von Dritten eingesehen werden könnte. Aufgrund des Geschriebenen kann der Schreiberin kein Vorwurf der Leichtfertigkeit gemacht werden, wie das erzählende Ich in der genannten Vorbemerkung explizit ausführt. Das erzählende Ich befindet sich auf einer anderen Textebene, seine Wahl des Mediums hat auf der Figurenebene keine Auswirkungen. Es bedient sich rhetorischer Beispielargumentation. Obwohl das erzählende Ich für seine Äußerungen nur
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mit dem Publikum der Lesenden zu rechnen hat, unterstellt es Bonville nicht, unehrenhaft zu handeln, sondern bringt nur mehrere Argumente dafür auf, dass es höchst wahrscheinlich ist, dass ihre Vorgaben in Konflikt geraten werden. Aus diesen Argumenten den Plausibilitätsschluss zu ziehen, dass Bonville bestimmt nur Beischlaf wolle, obwohl sie das Gegenteil behauptet, wird den Lesenden überlassen. Auch diese Passage rechnet insofern mit Beobachtungsinstanzen, die dem erzählenden Ich vorwerfen könnten, in unzulässiger Weise auf Bonvilles Absichten zu schließen, als es ein Verfahren anwendet, das der Gerichtsrede ähnelt, und es die Möglichkeit, dass Bonville nichts Unzüchtiges im Sinne hat, gleichsam in Anwendung des in dubio pro reo zulässt. Der Bericht über die Gedanken, die sich Solande beim Lesen von Bonvilles Brief und beim Verfassen seiner Antwort macht, ist viel expliziter: weil Er [sic] Bonvillen vor so reine nicht hielte, als sie sich machte (113). Der Plausibilitätsschluss, den die Lesenden aufgrund der Argumentation des erzählenden Ich machen konnten, ist hier explizit formuliert. Nachdem die Lesenden die verschiedenen Grade der moralischen Festlegung einer Person, wie sie den unterschiedlichen Medien angemessen sind, vorgeführt bekommen haben, ist ihnen an dieser Stelle nun klar, weshalb Bonville sich würde schämen müssen (113), also mit der öffentlichen moralischen Bloßstellung ihrer Person rechnen müsste, wenn sie sexuelle Wünsche unzweideutig zu Papier brächte; die Leute würden so denken wie Solande. Die letzte Passage kann deshalb wie ein Epimythion gelesen werden, in dem das erzählende Ich unterstreicht, dass für Liebesbotschaften auf das Medium Rücksicht genommen werden muss. Es legt nahe, dass das dauerhafte Medium Brief, zu dem auch Dritte Zugang haben, gefährlich ist und dass deshalb solche Botschaften besser zweideutig abzufassen sind.15 Beim Kompliment wurde seine Fiktionalität als Schirm gegenüber der Vereindeutigung der Liebessituation deutlich.16 Hier begegnet derselbe Fall, bei dem nun aber die Seite der Umgebung und ihre Interpretationsmühen betont werden.
4.2. Konstruktion von Tugend- oder Lasterhaftigkeit bei der Lektüre Bonvilles Absichten werden vom erzählenden Ich nicht festgelegt: Ihr Absehen weiß ich nicht zuloben, noch zuschelten. Denn aus dem Brieffe kan ich nichts unziemliches lesen (101). Dies ist nun deshalb bemerkenswert, weil die Erzählinstanz wegen ihrer Definitionsmacht eigentlich bestimmen könnte, was Bonville gedacht hat, als sie den Brief schrieb, wie das erzählende Ich dies nachher für Solandes Gedanken zum 15 16
Eine typische rhetorische Aptum-Forderung. Vgl. Kapitel „Kompliment“, S. 84.
4. Lektüre und Schreiben als soziale Wahrnehmung und Interpretation
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Antwortbrief tut. An Bonvilles Brief wird hingegen vorgeführt, wie weit eine Absicht aus einem Text herausgelesen werden kann und welche motivationalen Gegensätze und Ambivalenzen nur von der Schreibenden selbst aufgelöst werden könnten, da sonst die Gefahr bestünde, ihr Absichten zu unterstellen, die sie nicht hatte. Folgerichtig lobt das erzählende Ich deshalb an Solandes Antwort, dass er ihr nicht unehrenhafte Absichten unterstellt, sondern dass er auf den expliziten Inhalt des Briefes eingeht und den Vorwurf, den er ihr machen könnte, falls ihre sexuellen Wünsche sicher wären, auf sich bezieht. Durch die Anführung der Briefinterpretationen wird vorgeführt, wie zwei Lesende – das erzählende Ich und Solande – Bonvilles Tugend beziehungsweise Lasterhaftigkeit aufgrund ihres Briefes konstruieren, das heißt, wie es zu einem bestimmten moralischen Bild einer Person über die Lektüre kommt. Die Perspektive ist diejenige eines männlichen Briefschreibers, dem seine eigenen Motivationen bekannt sind, der jedoch diejenigen einer Briefschreiberin zu interpretieren hat. Während Solandes ‚wahre‘ Absichten mitgeteilt werden, wird in Bezug auf Bonville vorgeführt, wie Solande die ihren gleich zweifach festlegt: In Gedanken verurteilt er sie aufgrund von Interpretationsgleichungen, im Brief aber schreibt er sie auf eine Tugendhaftigkeit fest, die sie ebenso wenig richtig stellen kann, wenn sie sich nicht selbst verleumden will.
4.3. Konstruktion der eigenen Tugend- oder Lasterhaftigkeit beim Briefschreiben An Solandes Antwortbrief hingegen wird deutlich, wie er als Schreibender auch Gestaltungsmacht darüber hat, in welchem Licht er selbst erscheint. In diesem Fall stellt er sich selbst in ein schiefes Licht, um sich sexuelle Unbeherrschtheit vorwerfen zu können, damit er nicht Bonville dieser bezichtigen muss. Weil das erzählende Ich häufig die Perspektive Solandes übernimmt und zum Beispiel seine Gedanken im Gegensatz zu denjenigen Bonvilles berichtet, ist es erstaunlich, dass es Solande dafür lobt, dass er sich schlecht macht. Im Text gibt es dafür keine Erklärung. In anderen Texten des Korpus wird jedoch immer wieder darauf hingewiesen, um wie viel folgenreicher und schlimmer der schlechte Ruf für Frauen als für Männer sei.17 Solande nimmt also eine mögliche negative Konsequenz des Briefwechsels voll und ganz auf sich und minimiert so den möglichen gesellschaftlichen Schaden mit Blick auf beide.
17
Vor allem die Heiratschancen für junge Frauen schwindeten „nach landläufiger Meinung“ im europäischen 17. Jahrhundert bei schlechtem Ruf, der aber nicht so sehr an der Jungfräulichkeit hänge als vielmehr an der „Wahrnehmung durch das soziale Umfeld“ (Dinges, 1998, 136 f.).
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C. Verleumdung
Indem die Erzählinstanz die Absicht Bonvilles nicht festlegt und ihre und Solandes Interpretationen angeführt werden, erscheint die Tugendhaftigkeit nicht als Eigenschaft der Briefschreiberin, die aus jedem ihrer Texte zweifelsfrei ermittelt werden könnte, sondern als Produkt der Interpretation durch andere. Die Berücksichtigung dessen bedeutet, dass beim Formulieren von Liebesbotschaften mögliche Beobachtungsinstanzen, das heißt Interpretierende, berücksichtigt werden müssen: Wie die Episode illustriert, können bei einem sehr dauerhaften Medium moralisch heikle oder leicht missverständliche Botschaften gezielt uneindeutig, ja paradox, das heißt moralisch nicht festlegbar formuliert werden. Solande wirft Bonville nicht mangelnde Tugendhaftigkeit vor, indem er sie in seinem Antwortbrief auf die Verlockungen eines trauten Zusammenseins aufmerksam macht, sondern er behauptet, sich selbst nicht zuzutrauen, diesen widerstehen zu können. Ein Grundproblem normativer Beurteilung wird an Solandes Beispiel demonstriert, bei Bonville nahe gelegt: Die Absicht der Handelnden muss nicht mit der Interpretation durch die Wahrnehmenden übereinstimmen, ‚wahre‘ und strategische Absicht der Handelnden können auseinander liegen. Wichtig für die moralische Integrität18 einer Person ist gemäß dem letzten Absatz, dass die ‚wahren‘ und die strategischen Absichten nicht in einen expliziten Widerspruch geraten. Es geht also nicht wie bei Kant darum, dass jemand nur dann moralisch handelt, wenn die Absicht einer Norm entspricht,19 und auch nicht um die Übereinstimmung von Sein und Schein, von Gedanken und Handeln, sondern um die Übereinstimmung explizit gemachter Absichten.
5. Gewissen zur Verhinderung von Gerücht 5.1. Sündigen im Denken, Tun und Scheinen Die klare Trennung von eigener Absicht und fremder Wahrnehmung im Sinne einer Unterscheidung zwischen Gewissen und Gerücht wäre im theologischen Diskurs zu vermuten. Aber selbst dort wird den Einzelnen die Pflicht auferlegt, auch für ihr Bild gegen außen zu sorgen. Philipp Jacob Spener legt in seinen Kurtzen Catechismus-Predigten von 1689 das sechste Gebot so aus, dass nicht nur Ehebruch unkeusch ist, sondern alles, was dazu verleiten kann oder den Anschein davon erwecken kann (736). Das Gerücht gerät so zur eigenen Sünde, die Einzelnen werden für ihren Ruf verantwortlich gemacht. Es reicht nicht, sich der eigenen Absichten si18 19
Ich fasse moralische Integrität hier als Gegenstück zu dem Zustand auf, in dem sich eine Person schämen muss. Vgl. im Kapitel „Textinstanzen“ S. 74.
5. Gewissen zur Verhinderung von Gerücht
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cher zu sein, um keine Sünde zu begehen, die Einzelnen haben auch darauf zu achten, dass andere diese Absicht wahrnehmen. Dadurch wird das Gewissen sozial eingebunden. Da auch schon der Anschein Sünde ist, werden die Einzelnen von außen beurteilbar.20 Genauso fallen auch in Nr. 920 der Lustigen Gesellschafft Absicht und Außensicht für die normative Beurteilung zusammen: Wann die Hure wie die Frau hat ein gleiches Kleid, | Hat die Schande von der Zucht keinen Unterscheid (Nr. 920, 341). Dieses Sprichwort führt die normative Beurteilung radikal auf die soziale Erscheinung zurück und formuliert dies mit weiblichen Figuren. Im Gegensatz zur theologischen Äußerung Speners ergibt sich hier eine geschlechtliche Asymmetrie. Solche Formulierungen finden sich auch in Eheordnungen und Gerichtsakten zu Unzuchtsprozessen, in denen Burghartz vom 16. zum 18. Jahrhundert hin eine immer einseitigere Beschuldigung der Frauen festgestellt hat.21 Dies äußert sich in Interpretationsgleichungen, die zweideutige Äußerungen von Frauen auf die unzüchtige Möglichkeit festlegen, wie in Riemers Roman an Solande vorgeführt wird. Als Vorwegnahme dieser schiefen Verdachtslage verlangen die Eheordnungen und Gerichtsakten indirekt ein besonders eindeutiges Verhalten von Frauen.22
5.2. Vorwegnahme verleumderischer Interpretation In Filip von Zesens Assenat-Roman nehmen sowohl Sefira als auch Josef Rücksicht darauf, wie die Umgebung ihre Handlungen beurteilen könnte. Dies werde ich als soziales Gewissen bezeichnen, weil das Gewissen, wie es im Kapitel über das BußeMuster beschrieben werden wird, davon nicht grundsätzlich verschieden ist: In beiden Fällen geht es darum, dass die Figuren Interpretationen von Drittfiguren (Gesinde oder Gott) zur Beurteilung der eigenen Handlung vorwegnehmen.23 Die Verführungsgeschichte im dritten Buch der Assenat spielt sich hauptsächlich in Potifars Haus ab, in dem Josef als Leibeigener dient. Sefiras erster Versuch, Josef zu gewinnen, besteht lediglich aus verliebten Blicken. Das Gesinde bildet das gefürchtete Publikum von Sefiras stummen Aufforderungen an Josef, die dieser bewusst ignoriert (100). Sefira sorgt sich, es könnte deutlichere Appelle an Josef verstehen (100), was deutlich macht, dass Sefira annimmt, das Gesinde unterstütze das
20
21 22 23
Diese Auslegung des sechsten Gebotes ist keine pietistische Spezialität; auch Luther legt in der zweiten Predigtreihe seiner Katechismuspredigten Wert darauf, dass das männlich konnotierte Du weder im Werk, noch mit dem Mund, Herzen oder auf andere Weise Ehebruch begehe, sondern aktiv verhindern solle, dass schlechte Beispiele andere demoralisieren (WA, 30, 1, S. 37, Z. 20 – 30). Burghartz, 1995, 218 – 224. Dinges, 1998, 140. Beetz, 1990, 156 nennt dies Meta-Perspektiven.
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Ehebruchsverbot. Sie traut sich deshalb zunächst nicht, Worte zu gebrauchen. Diese Schüchternheit ist für eine in einem Barockroman geschilderte höfische Dame durchaus bemerkenswert, besteht doch ein nicht geringer Teil höfischer Konversationskunst darin, Liebesaufforderungen so zweideutig zu formulieren, dass die Beobachtungsinstanzen nicht entscheiden können, auf welche Bedeutungsebene sie ihre normative Beurteilung abstützen sollten.24 Sefira inszeniert als Nächstes aber tatsächlich eine zweideutige Situation, indem sie an Josefs Bett tritt und ihn wie einen Sohn umarmt und küsst (102). Josef versteht es entsprechend als Ersatzhandlung einer kinderlosen Frau und empfiehlt ihr Arznei gegen Unfruchtbarkeit. Im Gegensatz zur Wagensszene und zum Liebäugeln ist Josef nun plötzlich nicht mehr so überaus besorgt um seine Keuschheit, sondern fühlt gemäß Bericht der Erzählinstanz Mitleid (102), eine christliche Tugend. Dies ist nicht ein plötzlicher Bruch in der Darstellung der Keuschheitsnorm am Vorbild Josefs, sondern zeigt den Einfluss des Publikums auf normengerechtes Verhalten. Wäre Publikum vorhanden, dies zeigt eine spätere Episode (122), müsste Josef sich nicht nur davor hüten, unzüchtige Gedanken zu haben, sondern auch davor, die Situation so erscheinen zu lassen, als ob er unzüchtige Gedanken und Absichten hätte. In der Bett-Situation sind aber ausdrücklich keine Drittpersonen anwesend; als Sefira eine Tür knarren hört, eilt sie ohne Licht davon. Trotz der ausschließlichen Zweisamkeit der Figuren erhalten die Lesenden durch den Erzähltext und den Kupferstich, der diese Szene illustriert (103), einen Einblick in Josefs Schlafzimmer. Von diesen Beobachtungsinstanzen ist nicht zu befürchten, dass sie Josef unkeusche Gedanken nahe legen, weil die Vorgeschichte seine Keuschheit schon sehr deutlich hervorgestrichen hat und weil die Erzählinstanz ihnen auch Einblick in Josefs Gedanken gewährt: Josef dachte noch kein arges (102). Hier wird den Lesenden ein Verhalten vorgeführt, dass sonst nur ohne Drittpersonen möglich wäre. Die Lesenden werden zu idealen unbeteiligten Beobachtenden. Für einen Beobachter auf Figurenebene ergäben sich Zweideutigkeiten: Ist Sefiras Kinderwunsch echt oder aufgesetzt, also der ehelichen Fruchtbarkeitsnorm (der Bibel) gemäß oder nur ein Mittel zur sexuellen Vereinigung mit Josef? Hat Josef wirklich christliches Mitleid mit ihr und will er ihr nur medizinisch helfen oder benutzt er die Situation, um sie mit dem Hinweis auf die Form der Wurzel, welche ihre kinderzeugende Wirkung anzeige, zu verführen? Beide Handlungen können in Kenntnis der Absicht eindeutig normativ beurteilt werden; die Lesenden werden hier in die privilegierte Situation gesetzt, diese Absichten aus den Gedankenberichten zu erfahren. Die Darstellung von anwesenden Drittfiguren macht klar, wie diese die Normenbefolgung und das normative Bewusstsein der Handelnden beeinflussen. Ge24
Vgl. das Kapitel „Kompliment“, S. 94.
5. Gewissen zur Verhinderung von Gerücht
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dankenberichte führen vor, dass diese Beeinflussung nicht zuletzt über das soziale Gewissen der Handelnden geschieht. Der Einblick in die Gedanken der Handelnden zeigt, welche Überlegungen sie selbst in Zweiersituationen darüber anstellen, welche ihrer handlungsleitenden Beweggründe von der sozialen Umgebung als normenkonform eingestuft würden. Im ersten Fall wird die radikal soziale Grundlage von Normen hervorgehoben, während in den Fällen der zweiten Art thematisiert wird, dass Normenkonformität nicht nur eine Frage der inneren Absicht ist, sondern auch als sozial sichtbare hergestellt werden muss. Der Gegensatz zwischen Absicht und sozialem Ergebnis wird auf zwei Arten problematisiert: Sefira nutzt ihn, indem sie ihre Normenverstöße absichtlich tarnt. Obwohl den Lesenden Josefs ‚wahre‘ Absichten bekannt sind, macht die Szene klar, dass sein Handeln von der Umgebung leicht als Normenbruch interpretiert werden könnte. Es wird in dieser Szene deutlich, dass Drittpersonen nicht entscheiden können, ob es sich bei einer Handlung um die einigermaßen unvermittelte Darstellung von Absichten, um ein wohlwollendes Eingehen auf das Gegenüber (simulatio) oder um Täuschung (dissimulatio) mit betrügerischer Absicht handelt.25 Wie schon beim Liebäugeln ist es auch bei den nächtlichen Bettbesuchen die Angst vor dem Gesinde, das etwas bemerken könnte, die Sefira davon abhält, Josef auf diese Weise weiter gewinnen zu wollen, und sie dazu bewegt, neue Wege zu finden. Die Angst vor der Entdeckung eines Normenverstoßes wird hier als kreativer Beweggrund gezeigt: Sefira sieht mit jedem neuen Versuch auch neue Gefahren, entdeckt zu werden, und muss sich deshalb neue Mittel ausdenken. In ähnlicher Weise wie im heroischen Roman seit Heliodor Schiffbrüche, Verirrungen und kämpferische Rivalen die Hindernisse zur Vereinigung mit der Geliebten darstellen, die tugendhafte Liebe aber nicht beirren können, so bringen im dritten Buch der Assenat die Befürchtungen um die sozialen Sanktionen Sefira nicht von ihrer normwidrigen Liebe ab. Sefiras Beständigkeit in ihrer Liebe zu Josef wird durch die implizite Parallele zu den heroischen Liebeshindernissen hervorgehoben, kontrastiert jedoch mit der von ihr befürchteten sozialen Bewertung dieser Liebe als Normenverstoß. Sefiras Befürchtungen gleichen denen von Josef (122), Potifar (155) und Nitokris (157). Sie alle berücksichtigen bei ihren Handlungen die Art und Weise, wie diese von einer Drittinstanz normativ beurteilt werden könnten. Bei Sefira und Josef ist diese Drittinstanz das Gesinde, bei Potifar und Nitokris eine nicht näher bestimmte Öffentlichkeit.
25
Diese beiden rhetorischen Gedankenfiguren gehören zur Ironie: Simulatio ist eine „offene Darstellung von Ironie (der Sprecher täuscht die Übereinstimmung der eigenen Meinung mit der der Gegenpartei vor)“. Dissimulatio ist eine „versteckte Darstellung von Ironie (der Sprecher weiß mehr als er vorgibt zu wissen)“. (Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 2, Sp. 886).
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C. Verleumdung
Solche Handlungseinschränkungen durch die Berücksichtigung der sozialen Wirkung sind also nicht auf die Figuren beschränkt, die mit Absicht gegen die Norm handeln, sondern die normenkonformen Handlungen werden ebenfalls mit sozialen Rücksichten motiviert. Als Sefira in Ohnmacht fällt, ruft Josef das Gesinde aus Rücksicht auf dessen Wahrnehmung und Beurteilung nicht (122). Dies beeinträchtigt seine Vorbildfunktion nicht in der Weise, dass die Lesenden der Figur Opportunismus und normative Inkonsequenz vorwerfen könnten. Die soziale Rücksicht, Sefira und sich selbst nicht in ehebrecherischem Licht erscheinen zu lassen, tritt gleichberechtigt neben die Norm des Keuschheitsgebotes, wonach es höchst bedenklich ist, wenn Josef mit der ohnmächtigen Sefira allein in einem Raum bleibt. Josef verstößt gegen eine strenge Auslegung des Keuschheitsgebots, um sein Zusammensein mit Sefira vor dem Gesinde nicht als unkeusches Verhalten erscheinen zu lassen. Diese Güterabwägung26 wird nur knapp zusammengefasst, nachdem ihm Sefira mitgeteilt hat, ohne seine Gegenliebe sterben zu müssen, und in Ohnmacht gesunken ist: Josef erschrak über diesen plötzlichen zufal. Er hette gern das gesinde gerufen. Aber er durfte nicht. Auch konte er nicht; so sehr hämmete der schrik seine zunge (122). Warum er gerne das Gesinde gerufen hätte, wird nicht ausgeführt: Aus dem Vorhergehenden müssen die Lesenden annehmen, dass er befürchtete, Sefira sterbe und er habe diesen Tod verschuldet. Im nachfolgenden verliebten Dank Sefiras wird die Zweideutigkeit seiner Hilfeleistung hervorgehoben. Sorge um Sefiras Leben – wenn nicht gar Tötungsverbot – und Keuschheitsgebot stehen hier der Besorgnis um das soziale Ansehen gegenüber. Josef wählt diejenige Handlungsalternative, welche dem sozialen Ansehen Sefiras und seiner selbst am förderlichsten ist. Diese an der Figur Josef vorgeführte Güterabwägung ist keine theoretische, die sich einfach für die höhere Tugend entscheidet,27 sondern eine, die die soziale Konstruktion nicht nur von Normen, sondern auch von Normenverstößen berücksichtigt: Entscheidend ist schließlich nicht, welche Handlungsalternative die geringsten Normenverstöße mit sich bringt, sondern welches Handeln dazu führt, dass das Gesinde möglichst keinen Verdacht eines Normenverstoßes schöpft. Die Situation ist eine ähnliche wie in der Szene an Josefs Bett: In beiden Szenen werden zwei verschiedene Situationsdeutungen nahe gelegt: Sefira verlangt erotische Liebe und Josef antwortet mit Mitleid und Nächstenliebe. In beiden Fällen sind sie allein. Die Situation droht aber beide Male durch Drittfiguren, durch das Gesinde, normativ beurteilt und dadurch vereindeutigt zu werden: Beide Situationen könnten leicht als Ehebruch interpretiert werden. Wie im Disputationskapitel dargelegt 26 27
S. oben S. 31. Vgl. dazu das Kapitel „Disputation“, S. 127 f.
6. Aktive Beeinflussung des Gerüchts
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wurde,28 erörtern Sefira und Josef die Normenkonflikte durchaus auch theoretisch. In den hier betrachteten Szenen wird jedoch der soziale Aspekt der Normengeltung und -beurteilung hervorgehoben. Der Bericht über die Gedanken Sefiras, von Bettbesuchen abzulassen, und über diejenigen Josefs, das Gesinde nicht zu rufen, verdeutlichen den Lesenden, dass beide Figuren befürchten, die Situation werde von Dritten am ehesten als Normenverstoß aufgefasst. Indirekt zeigen diese Szenen damit auch, dass der Normenverstoß letztlich nur durch den Rekurs auf eine soziale Gruppe Wirklichkeit wird, soziale Folgen zeitigt und damit sanktioniert wird. Bliebe dieser Bezug aus, käme keine normative Wirkung zustande, es stünden sich zwei einzelne Figuren mit ihren Wünschen gegenüber. In den Verführungsepisoden nimmt Josef nicht nur Rücksicht auf mögliche rufschädigende Auswirkungen, sondern setzt die Verleumdungsdrohung als Argument ein: Als Sefira Josef damit droht, bei unerwiderter Liebe Selbstmord zu begehen, ermahnt Josef sie in Frageform (129) und gibt ihr zu bedenken, dass Sechon, ihres Liebsten Beischläferin, ihr gedächtnüs vom erdbodem vertilgen würde (130). Diese Bemerkung beinhaltet die Forderung, dass Sefira nur schon um ihres guten Rufes willen am Leben bleiben muss, und zwar nicht, weil Selbstmord eine Sünde ist, sondern weil die Nebenfrau ihres Ehemanns sie ungehindert in Verruf bringen könnte. Ist die Verleumdungsdrohung auch sonst eine Drohung mit performativer Fremdbestimmung durch das Gerücht, so wird hier der Extremfall heraufbeschworen: eine Situation, in der die ‚wahre‘ Absicht nicht einmal mehr von Sefira selbst behauptet werden könnte, die Verleumdung deshalb gar nicht mehr als solche qualifizierbar wäre. Sefiras Absicht wäre durch den Tod noch viel unzugänglicher als sonst geworden, selbst die äußeren Zeichen ihres Verhaltens, welche die Umgebung mithilfe von Interpretationsgleichungen deuten könnte, wären unwiederbringlich verloren. Das Totsein entspricht hier der Situation, verleumdet zu werden, ohne sich dagegen wirksam wehren zu können.
6. Aktive Beeinflussung des Gerüchts 6.1. Manipulation des Gerüchts mithilfe von Interpretationsgleichungen Die Interpretationsgleichungen der Umgebung nehmen Figuren nicht nur vorweg, um ihre Handlungen in einem guten Licht erscheinen zu lassen, sondern auch um andere anzuschwärzen: In Johann Gorgias’ Roman Betrogener Frontalbo wird vorgeführt, wie sich gestische und verbale Verleumdung zur sozialen Wirklichkeit verdichten können. Der Schlossherr Astarin hat Lydie alias Orbella, die Konkubine des 28
S. 130 f.
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C. Verleumdung
Binnenerzählers Dolobert alias Frontalbo, entführt und bemüht sich um sie, sehr zum Missfallen seiner Frau Rosette: Astarin […] gab ihr [Rosette] […] eine Ohrfeige und Orbellen einen Kuß: Die Umbstehenden verwunderten diesen Wechsel, und vermeineten nicht anders, als Astarin hure mit Orbellen. Darumb sagte auch Rosette mit weinenden Augen, sie wolte ihm die Huhre schon saur gnug machen. Orbella fiel auff diese Geschicht in eine Ohnmacht, denn sie war unschuldig, und durffte doch nicht die Schmähewort gar wol wieder zurück geben. (49)
Der Erzähltext kann mit der Schlussbemerkung den Kuss und die Bemerkung Rosettes als Verleumdungen kenntlich machen, das heißt ihre wirklichkeitsstiftende Kraft aufheben. Dass Orbella auf der Figurenebene gegenüber der Verleumdung machtlos ist und ihre performative Wirkung nicht aufheben kann, wird durch die Ohnmacht betont. Die Spannung zwischen guter Absicht und sozialer Verurteilung, schlechter Absicht und sozialer Bestätigung kulminiert im Assenat-Roman in der Szene, in der Sefira versucht, Josef zu vergewaltigen, er sich aber aus der Jacke windet. Das herbeigerufene Gesinde muss aufgrund von Sefiras Interpretationsanleitung das Vorgefallene normativ völlig falsch beurteilen. Die Lesenden haben Einblick erhalten in die Gedanken der beiden, in ihre ‚wahren‘ Absichten. Sie wissen um die in ausschließlicher Zweisamkeit vorgefallenen Handlungen. Die herbeistürzenden Stahtsjungfrauen und Kammermägdlein (140) haben keine Ahnung, sondern sehen nur eine Momentaufnahme: Die halbnackte Sefira schreit und klagt Josef mit seiner Jacke in der Hand der versuchten Vergewaltigung an. Diese Momentaufnahme ist im Kupferstich (141) festgehalten: Zwei herbeieilende Frauen sind als Repoussoir-Figuren im beschatteten Vordergrund abgebildet, die eine hebt den ebenfalls beschatteten Vorhang über dem Mittelgrund, in dem eine perlengeschmückte, barbusige Frauenfigur mit einem Umhang in der Hand auf eine Männerfigur weist, die im Hintergrund zurückschauend einen Türvorhang zur Seite hebt. Dass die Frauenfiguren im Vordergrund nichts von dem vorher Vorgefallenen wissen, ist mit dem dunklen Vorhang ins Bild gesetzt, der den Blick erst in dem hier gezeigten Moment freigibt, in dem er angehoben wird. Diese Anordnung setzt bildlich um, dass die Stahtsjungfrauen und Kammermägdlein von der Szene, die sie mit eigenen Augen sehen, darauf zurückschließen müssen, was sich ereignet hat und mit welcher Motivation diese Handlungen von Sefira und Josef ausgeführt wurden. Sie müssen interpretieren, Fiktionsleistung erbringen. Sefira bietet ihnen Interpretationshilfe, dass heißt sie versucht, die Fiktionsleistung der Herbeigeeilten zu beeinflussen. Im Bild drückt sich das in ihrer umhangbestückten Hinweisgeste aus. Der im Hintergrund dargestellte Josef ist im Erzähltext zu diesem Zeitpunkt nicht mehr im Zimmer, im Bild wird also im Hintergrund bereits eine Fiktionsleistung der Stahtsjungfrauen und Kammermägdlein
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Zesen, Filip von: Assenat; das ist derselben, und des Josefs Heilige Stahts- Lieb- und Lebensgeschicht, mit mehr als dreissig schönen Kupferstükken gezieret. Hagen, Amsterdam 1670. (Erstausgabe). S. 141. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel: [Lo 8303].
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abgebildet: Im Erzähltext sehen die Frauen Josef nicht, das Bild stellt jedoch den Vorgang dar, wie sich ihn die Stahtsjungfrauen aufgrund der aufgedeckten momentanen Szene (Vordergrund) vorstellen. Ihre Annahmen werden gesteuert durch Sefiras Aussagen und Gesten (Mittelgrund) und die Tatsache, dass Josef nicht mehr im Zimmer ist (Hintergrund).29 Die durch das Bild laufende Diagonale zeigt, wie die soziale Beurteilung von Handlungen geschieht: Ohne die Vorgeschichte und die Motivationen der Handelnden vollständig kennen zu können, beurteilen die Beobachtenden die Handlung aufgrund von Interpretationshinweisen, die ihnen zur Verfügung stehen – hier Sefiras Anklagegestus und das im Bild nicht dargestellte Ehebruchsverbot. Dass die Herbeieilenden über die Szene entsetzt sind, wird an ihren aufgeworfenen Armen deutlich. Genauso wie Sefira die Beurteilung der Stahtsjungfrauen steuert, geben diese den bildbetrachtenden Lesenden, welche die Szene gleichsam hinter ihrem Rücken hervor betrachten, ebenfalls eine Interpretationsanleitung. Der Kupfer stellt demnach dar, dass die normative Beurteilung von Handlung auf Fiktionsleistungen beruht, die durch Interpretationsanleitungen gesteuert werden können. Die Hierarchie der Interpretationsanleitungen, die im Erzähltext durch die verschiedenen Textebenen und Rahmungen erscheinen, werden hier als perspektivische Staffelung dargestellt. Die nach hinten offene Flucht von Bild- und Interpretationsebenen kann in diesem Sinne darauf hinweisen, dass jede Interpretation, jede fiktionale Leistung im nächsten Moment durch neue Ent-Deckungen verändert werden kann. Was in diesem dritten Buch thematisiert wird, ist nicht so sehr das Ehebruchsverbot, das auch in diesem Kupfer (141) nicht erscheint. Es wird nicht grundsätzlich angezweifelt. Die verschiedenen Verführungsszenen spielen hingegen einige situative Umstände durch, die dazu führen, dass ein Normenverstoß von der sozialen Umwelt konstatiert wird.
6.2. Gerücht als objektive Information Im Text beeinflusst Sefira nicht nur die hereinstürzenden Stahtsjungfrauen in der Weise, dass sie einen Vergewaltigungsversuch durch Josef annehmen müssen, sondern gestaltet ihre Anklage vor den Frauen und nachher vor Potifar so, dass ihre Rechtsansprüche gesichert sind. Ihr Ehemann Potifar reagiert zunächst bestürzt, weil sein gutes Bild von Josef durch die (scheinbar) beweiskräftigen Indizien jäh ent29
Dass Josef im Hintergrund auf der Flucht nochmals einen Türvorhang aufhebt, könnte als Vorausdeutung verstanden werden, dass diese Interpretation der Szene nicht die volle Wahrheit ist, sondern dass sich dahinter noch eine andere versteckt, die im Folgenden noch aufgedeckt werden muss. Der Ausblick auf Vorhalle, Garten und andere Gebäude ist aber zu unspezifisch, um diese Interpretation zu belegen.
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täuscht wird. Es kommen ihm aber Zweifel an den bösen Absichten Josefs. Wie schon im Verfahren mit den Ismaeler Kaufleuten, werden an Potifar die juristischen Regeln dargelegt, indem er dem Angeklagten den bisherigen guten Eindruck zugute hält. Potifar lässt Josef deswegen nur ins königliche Gefängnis werfen, was Garantie bietet, dass er einen juristisch korrekten Prozess bekommt und von der Rachewillkür Potifars und Sefiras sicher ist. Dies wird später ausdrücklich ausgeführt (154). Potifar berücksichtigt demnach für seine Einschätzung dessen, was ‚wirklich‘ vorgefallen ist, nicht nur die Aussage seiner Ehefrau, sondern seinen eigenen bisherigen Eindruck als Drittperson. Am Ende des dritten Buches werden Potifars Gedanken erzählt, dass er ein Missverständnis oder krankhafte Einbildungen Sefiras für möglich hält, die sich krank gestellt hatte, um zu Hause bleiben zu können. Er geht nicht zur Gegenklage über, sondern erwägt Fälle, in denen keinem von beiden ein Vorwurf gemacht werden könnte, hält aber doch die Aussagen seiner Frau für abklärungsbedürftig. Viel stärker betont eine solche Verdächtigung die Landesordnung von SachsenGotha unter dem Marginaltitel Was die jenige geschwächte Weibespersonen, welche Nothzucht, so ihnen von Frembden und Unbekanten wiederfahren seyn solle, zu ihrer Reinigung dißfals in acht zu nehmen (241 f.). Sie unterstellt Frauen, die beim Bekanntwerden ihrer Entjungferung oder Schwangerschaft angeben, dass sie von Fremden vergewaltigt worden seien, zu lügen, indem sie es im Irrealis formuliert: ob weren sie an einsamen Orthen durch unbekante und solche Personen, deren man zu Erforschung der Warheit nicht mächtig seyn kan, genothzüchtiget worden (241). Es wird vorausgesetzt, dass die Umgebung annehmen wird, die ledige oder verwitwete Schwangere oder ledige Entjungferte habe freiwillig Unzucht begangen. Damit bestätigt die Landesordnung diese Interpretationsgleichung. Gleich zu Anfang des Absatzes heißt es denn auch: wenn ihre Schande kund und offenbahr wird (241). Wegen ihrer performativen Wirkung ist zu diesem Zeitpunkt die Verleumdung kaum mehr rückgängig zu machen. Die Landesordnung von Sachsen-Gotha befasst sich hier nicht mit der Gefahr, dass ein Mann fälschlicherweise einer Vergewaltigung angeklagt werden könnte, sondern damit, wie eine vergewaltigte Frau sich davor schützen kann, durch eine eventuelle Schwangerschaft und das darauf folgende ex-officioHandeln der Behörden verleumdet zu werden. Die Landesordnung findet es besonders schwierig, die Unfreiwilligkeit festzustellen, wenn die Frauen angeben, von Fremden vergewaltigt worden zu sein, deren man zu Erforschung der Warheit nicht mächtig seyn kan (241). Wenn der Vergewaltiger mangels Bekanntheit nicht verurteilt werden kann, warum muss er dann angehört werden? Müssen die Rechte des Vergewaltigers auch dann gewahrt werden, wenn er gar nicht fassbar ist, es ihn sozusagen gar nicht gibt? Es scheint auch hier der Grundsatz in dubio pro reo angewendet zu werden, allerdings nur in Bezug auf die Gerichtsentscheidung: Angeklagt vor dem Gericht ist der Vergewaltiger, vor
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dem Gerücht jedoch die Vergewaltigte. Die Landesordnung sieht für sie kein in dubio pro rea vor, sondern installiert mit dem Irrealis gerade ein in dubio contra ream, eine Verleumdung von Amtes wegen. Analog zum sündigen Schein in Speners Kurtzen Katechismus-Predigten wird auch hier die Verantwortung für diese amtliche Verleumdung auf die Verleumdungsgefährdete selbst übertragen: Sie hat von vornherein dafür zu sorgen, dass die Umgebung die Tat richtig einstuft und diese Version zur sozialen Wirklichkeit wird. Sie muss versuchen, den Schänder […] alsobald unter auffgedrungener Gewalt dergestalt, daß andere Leute, so dißfals für sie zeugen möchten, darzu kommen, zu beschreyen (242). Wenn dies nicht gelingt, muss sie den ihr begegneten Unfall […] zweyen ehrlichen Leuten, zwar vertraulich, jedoch beweißlich anzeigen (242). Die Landesordnung inszeniert damit ein begrenztes Gerücht, das dem allgemeinen vorbeugen soll: Zeugen. Wichtig ist wegen der performativen Kraft die Vorzeitigkeit, weshalb betont wird, dass es ungesäumet darauff, und ehe ihr Zustand, oder etwan beschehene Schwängerung offenbahr wird zu geschehen habe (242). Die Drohung mit der Fremdbestimmung durch das Gerücht, durch die amtliche Verleumdung wird verbunden mit einer Verpflichtung zur Inszenierung der Unschuld, mit der Vorgabe, die Beurteilung durch die Umgebung aus eigenem Antrieb und vorbeugend zu beeinflussen. Auch in Frauenzimmers Sekretariat-Kunst wird Zeugen mehr vertraut als der Aussage Einzelner, mit derselben geschlechtsbezogenen Schieflage: Obwohl Doris ihrem Liebhaber Damon nur schwer glaubt, dass er in ihrer Abwesenheit keine anderen Damen hofiert habe,30 ist es in einem späteren Briefwechsel Damon, der während seiner Abwesenheit Aufseher über Doris einsetzt (Nr. 253 f.). Zwischen Zesens Assenat und der Landesordnung ergeben sich Parallelen: Beide entwerfen für eine Vergewaltigung Szenarien, wie die Frau das Gerücht zu ihren Gunsten beeinflussen kann, nämlich durch sofortige Anzeige im engeren Kreis. Die Landesordnung versucht, Gewissheit über die ‚Tatsachen‘ zu erreichen, indem sie mit Beschreiung und früher Anzeige der Verleumdung vorbeugen will. Die Szene in der Assenat führt vor, wie genau dieses Anklagemuster wiederum zur Verleumdung benutzt werden kann: Was die Landesordnung zur Bekräftigung der Wahrhaftigkeit der Vergewaltigten vorschreibt, benutzt Sefira, um die Wahrhaftigkeit ihrer falschen Anklage zu untermauern, die Zeugen haben hier keinen privilegierteren Zugang zu den Absichten der Beteiligten als das allgemeine Gerücht. Beide Texte stellen aber für die Lesenden einen solchen Zugang her und können dadurch darstellen, wie Frauen ungeschehene Vergewaltigungen behaupten. Dass genau dieser Fall geschildert wird, hat als weitere normative Wirkung, dass die Interpretationsgleichung bestätigt wird, im Zweifelsfall sei die vergewaltigte Frau (mit-)schuldig.
30
S. o. S. 95.
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In beiden Texten werden für den Mann, den eine solche falsche Behauptung treffen könnte, keine Maßnahmen vorgesehen, wie er sich vor einer solchen Verleumdung schützen oder sich rehabilitieren könnte. Indirekt bestätigt dies ebenfalls die Interpretationsgleichung, dass die Umgebung sowieso eher die Frau verurteilen wird. In der Assenat heißt es gleich auf der ersten Seite des vierten Buches, dass Assenat ein gemummel unter dem volke, daß Josef unschuldig sei, vernahm (144); das Gerücht spricht zu seinen Gunsten. Die Texte stellen hervor, dass Aussagen einer einzigen Frau noch keine normativen Ansprüche schaffen, sondern dass dafür ein unterstützendes Publikum vorhanden sein muss. Sie muss ihre Ansprüche in einem sozialen Resonanzraum gemäß den vorhandenen Interpretationsgleichungen inszenieren. Die Texte machen damit zugleich eine normentheoretische Aussage: Der einzelne Anspruch muss sich auf eine allgemein akzeptierte Norm abstützen können, die nur dann für den Fall in Anwendung gebracht werden kann, wenn die Umgebung auch die ‚Tatsachen‘ als mit den Kategorien der Norm übereinstimmend einstuft. Nicht nur die Schaffung der Norm, sondern auch die Beurteilung nach der Norm ist ein sozialer und kein individueller Akt, oder anders formuliert: Die sozial abgestützte Beurteilung nach der Norm schafft die Norm immer wieder neu. Im poetologischen Sinne bedeutet das, dass ein Text allein keine normativen Ansprüche an Lesende erheben kann. Der Anspruch muss sich als sozialer rechtfertigen, der Text muss deutlich machen, dass nicht nur er, sondern auch andere Texte diese Norm vertreten. Dies kann er nur, wenn die Lesenden ein bestimmtes Wissen über andere Texte mitbringen, damit sie die Bezüge bei der Lektüre herstellen können. Inwiefern die Norm gerechtfertigt erscheint, hängt deshalb auch von ihnen ab. Die normative Wirkung ist aus diesem Grund sozial und historisch begrenzt.
6.3. Geheimhaltung Aus dieser Perspektive ist es klar, dass bei normativer Wirkungsabsicht Geheimhaltung31 unbedingt zu vermeiden ist. Die Texte des Korpus haben insofern gute Chancen, normativ zu wirken, als sie ihre Aussagen in einem Druckmedium formulieren, das eine gewisse Verbreitung wahrscheinlich macht. Außerdem entwerfen alle von ihnen nur schon dadurch einen sozialen Rahmen, dass sie eine verständliche
31
Ich beziehe mich hier auf die Terminologie Hahns, 2002, 26. Er unterscheidet zwischen Heimlichkeit als „Differenz zwischen Bewusstsein und Kommunikation“ und Geheimnis als „Zugangssperren zwischen Systemen der Kommunikation“. Mit Geheimhaltung wird die Transformation von Heimlichkeiten in Geheimnisse bezeichnet, welche der Herstellung von Gruppen dienen kann.
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Sprache wählen, Gattungsmuster anklingen lassen – kurz, sich an einige diskursive Regeln halten. Auf den inneren Kommunikationsebenen der Texte wird Heimlichkeit jedoch durchaus dargestellt. Sie wird dazu benutzt, Konstellationen, die Normenherstellung und -kontrolle begünstigen, ex negativo zu beschreiben. Der Verliebten Jugend Vernünfftiger Hofmeister von 1694 berät junge Männer auch in der Frage, worauf zu achten sei, wenn sie von mehreren Damen zugleich geliebt würden. Es sei ganz unvermeidlich, dass die Damen in Gedanken aufeinander eifersüchtig würden (12). Sei die Wahl dann getroffen, habe das Paar allen Schaden von den Abgewiesenen zu gewärtigen: Ich [der Hofmeister] bin gewiß, sie [die übrigen Damen] werden die Verliebten, auf alle ersinliche Weege zu hindern bemühet seyn, wann auch ihr Unvermögen sonst nichts verstattete, so muß entweder die sonst gute renomée sich beyderseits abkürtzen oder die Lust, durch Verhütung derer, so etwas darein zu sprechen, sich ziemlich mühesam machen […]; doch aber läßt sich solcher Anstoß noch guten theils vermeiden, wann man nur seine Intriguen etwas geheim zu spielen gewohnet ist. (13)
Die Erhaltung des guten Rufes wird in dieser Darstellung zu einer Umgangsnorm eigenen Ranges für die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Dies wurde auch für die Bonville-Episode und Briefe in Frauenzimmers Sekretariat-Kunst konstatiert. Geheimhaltung wird nicht nur empfohlen, weil Verleumdung dadurch vermieden werden kann, sondern auch um keine persönlichen Interessen derjenigen, so etwas darein zu sprechen, zu schaffen, damit das Eheversprechen nicht verhindert werden kann. Durch das Entweder-oder werden zwei grundsätzliche Möglichkeiten umrissen, wie die anderen Damen das Paar auseinander treiben könnten: Sie haben einerseits positive performative Macht, indem sie falsche Behauptungen in die Welt setzen können, und andererseits negative performative Macht, indem sie (als Verwandte) ihre Zustimmung zur Ehe verweigern und damit die soziale Einsetzung der Ehe verhindern können. Es ist ein Kennzeichen des politischen Diskurses, Geheimhaltung als Mittel zu beschreiben, um unliebsame Interessen gar nicht aufkommen zu lassen und nur jene Abmachungen einer sozialen Verwirklichung zuzuführen, die allgemein oder dem schlauen Intrigen-Schmied erwünscht sind. Auch das fiktionale Spiel des Kompliments ist eine Variante dieser instrumentalisierten Geheimhaltung. Die Geheimhaltung erlaubt es, einen Verhandlungsspielraum zu öffnen, indem nur das Resultat, nicht aber alle Schritte, die dahin führen, von der Umgebung normativ beurteilt werden können. Situationen, in denen keine Drittpersonen anwesend sind, werden jedoch nicht nur von der Seite der Möglichkeiten, die sie schaffen, betrachtet, sondern in allen Textsorten des Korpus auch von der Seite der Gefahren. Die Landesordnung von Sachsen-Gotha entwirft eine prekäre Situation für bloß zweiseitige Abkommen:
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Heimliche Eheversprechen ohne Zeugen und Zustimmung der Eltern werden als nichtig angesehen (1. Teil, 8. Kap., 1. Tit., Abs. 1).32 Eine gewisse Kraft wird solchen Versprechungen indirekt aber doch zugesprochen, indem bei einer Klage auf Ehe der Eid als Beweismittel wegfällt. Damit nimmt die Landesordnung Rücksicht darauf, dass sich die heimlich Versprochenen trotzdem gebunden fühlen könnten, in ihren Augen demnach Meineid begehen müssten. Das nur zweiseitige Versprechen stellt die Landesordnung als normativen Zwischenstatus dar: Es wird zwar angenommen, dass das Versprechen stattgefunden hat, aber es wird als nichtig erklärt. Im sechsten Treuungssermon über Es ist nicht gut, daß der Mensch alleine seye. (36 = 1 Mo 2, 18) aus Johann Heermanns Nuptialia von 1657 betrachtet der zweite Teil die Situation nach dem Eheschluss: Das Nicht-Alleinsein helfe, das Sündigen zu vermeiden (40 f.). Hier wird nicht Gott als Beobachtungsinstanz des Handelns unter den Ehegatten eingesetzt, sondern die Ehefrau oder der Ehemann walten als Beobachtungsinstanz des Handelns gegenüber Gott. Der Konformitätsdruck als Hilfe im Kampf gegen die individuelle Sündenneigung scheint hier auch von einer einzigen Person ausgeübt werden zu können. Obwohl im ersten Teil der Treuungssermon definiert wird, dass mit dem Menschen, der heiraten soll, der Mann gemeint sei, werden zuerst zwei alttestamentarische Exempel für Frauen angeführt, die in Sündengefahr kamen, weil sie allein waren: Eva und Susanna (40). Für Männer in derselben Gefahr werden nur Merksprüche, aber keine Exempel eingerückt (41). Wie in der Predigt- und Traktatliteratur allgemein üblich, wird die Norm auch an alttestamentarische und heidnische Beispiele und Merksprüche angelegt, womit ihre universelle Gültigkeit indirekt behauptet wird. Durch diese Überlegung wird eine soziale Unabhängigkeit des Normenverstoßes konstruiert – die Norm wird absolut. Dem Verstoß gegen die absolute Norm kann, so argumentiert die Predigt, durch soziale Einbindung vorgebeugt werden, womit wiederum die Ebene der sozialen Kontrolle erreicht wäre, die gar keinen absoluten Normenbegriff braucht. In Filip von Zesens Assenat-Roman von 1670 kommt die Abwesenheit von Drittpersonen in der argumentativen Auseinandersetzung33 zwischen Sefira und Josef ebenfalls als Problem der Normenbefolgung zur Sprache. Die Tugend, meint Sefira, sei nur ein eiteles nichts, ein eingebildeter wahn, ein blosses spiegelfechten (138). Sefira thematisiert hier ausdrücklich die Konstruktivität der Norm: Sie ist nur eine abstrakte Größe im Vergleich zu den leiblichen Gefahren, die Josef drohen, wenn sie will, oder den leiblichen Freuden, die er genießen könnte. Anschließend argumentiert Sefira weiter, dass sie doch ihre Jugend genießen und einander lieben sollten, denn: Wir sind allein. Niemand siehet es. Niemand wird uns verrahten (138). 32 33
Dies entspricht reformatorischer Auffassung entgegen kanonischem Recht. Vgl. zur Form der Auseinandersetzung das Kapitel „Disputation“, S. 130.
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Hier kommt die Gesellschaft als Normenkontroll- und -sanktionsinstanz zur Geltung. Geht es um den Ruf, kann das soziale Gewissen in dieser Situation beruhigt sein, weil keine Gefahr besteht, dass die Handlung soziale Folgen haben wird. (Wie die bereits analysierte Folge zeigen wird,34 kann allerdings die soziale Umgebung sehr wohl von einem der Beteiligten zu ihren Gunsten manipuliert werden, so dass in diesem Fall Josef ins Gefängnis kommen wird.) Zu Zesens Assenat gehören neben dem Romantext auch umfangreiche Anmärkungen und ein Register (Blatweiser). Zur dieser Haupttextstelle, an der Sefira Josef auf ihr Alleinsein hinweist, führen die Anmärkungen Zitate von Plutarch, Ovid, dem Kirchenvater Petrus Blesensis und Seneca an, die alle darauf hinauslaufen, dass das Alleinsein zum Normenbruch verleite (460). Der Abwesenheit sozialer Kontrolle hält Josef gleich danach das Gewissen entgegen. Er wandelt dazu Psalm 121, 4 (Sihe, der Hüter Israel Schlefft noch schlumet nicht) ab: Der verrähter schläfet, noch schlummert nicht, fing ihr Josef das wort auf. Unser gewissen würde uns verrahten, ja noch darzu erschröklich foltern. Gott, der alle dinge siehet, auch selbst unsers hertzens gedanken weis, würde es sehen. Die Engel, so wohl böse, als guhte, seind bei und üm uns her: die würden uns anklagen. Darüm haben wir uns wohl vor zu sehen, was wir tuhn. (138)
Der behütende und beschützende Gott des Psalms wird in Josefs (Zesens) Abwandlung zur Normenkontroll- und -sanktionsinstanz Gewissen. Diese innere Instanz wird aber danach wieder in eine Gesellschaft gesetzt: Gott sieht auch das Gewissen, die Engel sehen die böse Tat. Gott und Engel wären die Beobachtungsinstanzen bei der Tat. Auch das Gewissen wird demnach als soziales konzipiert, allerdings in einer Gesellschaft, der es sich im Gegensatz zur Gesellschaft der leiblichen Mitmenschen nicht entziehen kann. Die Anmerkung, die Josefs Entgegnung ergänzt, führt Stellen der Kirchenväter Augustinus, Laktanz, Hildebert, Athanasius und Barnard, Stellen von Seneca und aus den Axiomata des Görlitzer Pfarrers Gregor Richter (1560 – 1624) an, die alle die Allgegenwart Gottes oder das (schlechte) Gewissen betonen, die vom Sündigen abhalten beziehungsweise Sünden ahnden (460 f.). Der Blatweiser verweist auf die Seite 460 unter dem Lemma Gewissen, was es sei (537). All diese Beispiele, ob sie nun die Geheimhaltung aus rechtlicher oder theologischer Perspektive betrachten, stellen auf unterschiedliche Weise dar, dass die Normenbefolgung durch Beobachtungsinstanzen gefördert wird. Theologische Normen werden als universale dargestellt, so dass es gar keine rein Wahrnehmenden geben kann; irgendein Publikum kann die Befolgung dieser Normen einfordern. Auch für die rechtlichen Bestimmungen versucht die Landes34
S. oben S. 166 ff.
7. Ausschluss
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ordnung Wahrnehmende zu vermeiden, indem Abmachungen ohne Zeugen als nichtig erklärt werden. Was die soziale Umgebung mangels mitwissender Beobachtungsinstanzen nicht von sich aus kontrollieren und ahnden kann, gilt gar nicht als Norm. Die beiden Techniken nähern sich von verschiedenen Seiten der universellen Geltung von Normen: Die Nuptialia erreichen sie, indem sie deren Nichteinhaltung überall tadeln, ihre Universalität schlichtweg behaupten, die Landesordnung, indem sie Aussagen, welche die breitere soziale Ebene nicht erreichen, ihren normativen Charakter abspricht. Alle diese Texte entwerfen auf der Figurenebene Instanzen, welche der Heimlichkeit entgegenwirken und eine Aussage zum normativen Anspruch erheben, indem sie als Beobachtungsinstanzen fungieren: Zeugen, Gesinde, Ehegattin und -gatte, Gewissen, Gott und Engel. Die drei Letzteren haben die besten Chancen, mit der Situation möglichst vieler realer Lesenden vereinbar zu sein. Dadurch dass sie in Analogie zu menschlichen Zeugen konstruiert werden, wird ihre normative Wirkung verständlich. Die Erweiterung zur Allgegenwart sichert den normativen Anspruch für alle Situationen.
7. Ausschluss 7. 1. Pranger Die Texte des Korpus verleumden keine realen Lesenden und stellen sie nicht an den Pranger. Sie formulieren jedoch abstrakt oder in Beispielen, welche Kategorien von Leuten den Pranger verdient hätten, und formulieren so die Norm und die Interpretationsgleichungen, über die jemand an den Pranger gerät. Mit Pranger bezeichne ich den bloßstellenden sozialen Ausschluss, den die Verleumdung bewirkt. Folgender Witz aus der Lustigen Gesellschafft verwendet dieses Verfahren und stellt es gleichzeitig auf der Binnenebene dar: Herr Asinus hatte unter seiner Gemeine einen Ehebrecher, sagte nach der Predigt, Ich habe hier unter meinen Zuhörern einen Ehebrecher, der von Sünden nicht ablassen wil, aber ich vermahne ihn hiermit zum ersten mahl, daß er davon abstehe, und sich bekehre, oder ich wil ihn kommenden Sonntag nahmkündig machen. Jener aber blieb wie er war. Den andern Sontag brauchte Herr Asinus vorige Vermahnung, aber umsonst. Den dritten Sontag sagte er: Ihr meine Zuhörer wisset, wie ich einen unter dieser Gemeine nun zweymal gewarnet, und zur Buße vermahnet habe, aber da ist alles umbsonst gewesen, damit nun gleichwol ein jeder sehen mag wer der ist, so wil ich ihn (er hatte einen Stein in die Ermel gesteckt, den zog er hervor, und zeigete denselben der Gemeine) mit diesem Stein auff den Kopff werffen, that, wie wenn er schmeissen oder werffen wolte, indem er sich aber stalte als wolte er werffen, waren wol hundert die die Köpffe bucketen, Hoho,
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sagte der Herr Asinus, ich meinete ich hätte einen Ehebrecher, aber ich sehe wol es seynd mehr da. (Nr. 5, S. 10 f.)
Der Prediger hat nicht umsonst einen Narrennamen: Wie der naive Kaminfegerlehrling Verutzo (= ‚roher Wahrling‘ o. ä.) in Johann Beers Politischem FeuermäuerKehrer von 1682 Beispiele von untreuen Ehefrauen berichtet (30. Kap.), so führt auch der eselhafte Prediger seiner Gemeinde das Laster eines Ehebrechers vor Augen. Der Witz illustriert im Steinwurf, wie ein Text mit Verleumdung drohen und einen weit besseren Erfolg erzielen kann, als wenn er einen einzelnen Leser wirklich verleumdete. Im Zielen zeigt sich das Realismus-Problem eines normenvermittelnden Textes: Wie kann ein Text in der Menge der realen Lesenden diejenigen treffen, die gegen die Norm verstoßen haben? Der reale Autor kann die potentiellen realen Lesenden unmöglich alle kennen. Würfe Herr Asinus den Stein auf den Kopf eines ihm bekannten Ehebrechers, wäre die Pranger-Situation erreicht: Ein Einziger würde aus der Gemeinschaft ausgeschlossen wegen einer Sünde, die möglicherweise auch andere begangen haben. Die Identifikation mit dem Ausgeschlossenen wäre wohl unter den Kirchenbesuchern gering; sie müssten sich im Gegenteil zur Norm bekennen, die mit dem Ausschluss bestätigt wird, um Teil der Gruppe bleiben zu können. Herr Asinus tut aber nur so, als ob er würfe: Die Zahl der sich getroffen Fühlenden nimmt zu, die Prangerwirkung nimmt angesichts der Menge ab. Im äußeren Kommunikationssystem verwendet der Witz genau diese Methode: Zunächst werden die Lesenden auf die Anprangerung des Ehebrechers vorbereitet. Als Raster wird eine dreiteilige Mitteilung des Pfarrers gewählt, wie sie das Frauenzimmer-Lexicon von 1715 unter dem Stichwort Auffgeboth für Eheschließungen entwirft.35 Dient diese der Verhinderung von Ehebruch, so wird sie von Herrn Asinus zur Vermahnung des Ehebrechers gebraucht. Der Anfang des Witzes nährt die Erwartung, dass der Ehebrecher vor der Gemeinde bloßgestellt werden wird. Die unerwartete Wendung ins Allgemeine prangert vor dem inneren Auge der Lesenden plötzlich so viele an, dass die Lesenden am Schluss nicht nur die sich selbst Verratenden auslachen, sondern möglicherweise auch verlegen lachen, weil sie sich in die Menge der Ertappten einfühlen können. Der Witz bewirkt nur bei denjenigen Lesenden schadenfreudige oder schamhafte Erheiterung, die das Konfliktverlaufmuster der Verleumdung kennen; nur diese sehen ihre Erwartungen durchkreuzt. Wie schon in den Mustern Kompliment und Disputation wird beim Erzählen dieses 35
Vgl. Amaranthes, 127 f.: “Oder Bannum Nuptiale […] heißet die zu dreyen unterschiedenen mahlen von dem Priester auff der Cantzel öffentlich geschehene Abkündigung und Denunciation der zwey verlobten Personen, mit Ablesung ihrer beyder Nahmen und Titul, nebst angehengter Clausul, daß, wofern jemand wieder solches instehende Verbündniß etwas zu erinnern hätte, sich binnen solcher Zeit des Auffgeboths melden, oder hernach nach Vollziehung dessen, schweigen solle. Zuweilen wird dergleichen Auffgeboth bey vornehmen Frauenzimmer durch erlangte Permission von Hofe gar weggelassen, oder es geschiehet nur solche zusammen ein einiges mahl.“
7. Ausschluss
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Witzes am Gelächter sichtbar, wer zum Kreis der Beobachtungsinstanzen gehört. Wer das Konfliktverlaufmuster nicht erkennt, sieht sich aus der Gemeinschaft derjenigen ausgeschlossen, die wissen, weshalb sie lachen. Gemäß diesem Beispiel scheinen die Rezipierenden den Tadel dann auch auf sich zu beziehen, wenn nicht Einzelne an den Pranger gestellt werden, sondern ganzen Kategorien damit gedroht wird. Die hundert sich duckenden Köpfe führen vor, dass das Ehebruchsverbot zwar breit geteilt wird (sonst wüssten sie ja nicht, dass sie sich zu ducken haben), dass das aber nicht unbedingt bedeutet, dass es auch befolgt wird. Gerade der häufige Normenbruch führt in diesem Witz dazu, dass die breite Akzeptanz der Norm deutlich wird. Dass der verbreitete Normenbruch nicht als Lizenz dazu, das heißt als neue Norm,36 wahrgenommen wird, verhindert die Angst vor der alleinigen Bloßstellung, die am Anfang des Witzes ebenfalls dargestellt wird. Das Poetisch Schertz-Gedicht (Nr. 688)37 aus der Lustigen Gesellschafft thematisiert in ähnlicher Weise, wie die allgemeine Anprangerung bewirken kann, dass sich Betroffene selbst an den Pranger stellen: Ich setze niemand hier, und will auch keinen nennen, Ein jeder sehe zu daß ers nicht thu bekennen, Daß er hie mit gemeynt; Das wil ich keinerley, Der bellend Hund schon selbst meld’t daß er troffen sey (V. 25 – 28)
Der Text wendet nicht wie der Asinus-Witz den besonderen Normbruch ins Allgemeine, sondern verfährt genau umgekehrt: Er wirft das Stutzertum zunächst allen vor außer dem Bräutigam, den er explizit ausnimmt: ihr stoltze Bavianen […] ihr wolstaffierte Hanen […] Es muß das was ihr tragt gar weit geholet seyn (V. 21 – 32). Durch den Wechsel in die dritte Person wird danach gleichsam mit dem Finger auf einen Sündenbock gezeigt, der nicht zur angesprochenen Menge gehört: So geputzt nach franscher Ahrt, Grosse Spitzen, kleine Kragen, Die ihm fast biß auff den Magen Forne lencklich nieder hencken (V. 42 – 45)
Den Hochzeitsgästen wird das ausschließende Verdikt in den Mund gelegt: Summa der ein solch Credäntzer, Wie ein Mascharaden-täntzer, Die nur einig darum leben, Daß sie Art der Thorheit geben […] Weiß ich daß ihr selber saget,
36 37
Zum statistischen Aspekt von Normen vgl. das Kapitel „Norm“ S. 5. Vollständiger Text im Anhang.
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Auß der Thorheit Elementen Kommen unsre Complementen (V. 91 – 100).38
Und er wird nun auch mit einem Titel versehen: der Juncker (101). Das abschließende Urteil O denckt sie das sind Narren ist der mit diesen Künsten umschwärmten Jungfrau in den Mund gelegt (V. 168). Diese verurteilende Betrachtungsweise wird am Schluss auf alle Jungfrauen ausgedehnt: gnug geredt von den Gesellen, | Die so braviern thun, euch Jungfrawn zu gefallen […] (V. 169 f.). Dieses Gedicht entwirft ein soziales Drama: Das Ich, das sich zu keiner der von ihm bezeichneten Gruppen zählt, schafft einen Sündenbock, den Juncker, den er im Namen der ganzen Hochzeitsgesellschaft verurteilt. Am Schluss dehnt es aber den Vorwurf auf alle Gesellen aus und fasst damit sich und die Jungfrauen zu einer Gruppe zusammen, aus der die Gesellen ausgeschlossen werden. Die Versöhnung wird in Aussicht gestellt: Die Fortsetzung der Discurs und was die Gesellen danach tun, solle bald folgen, zusammen mit dem Ruhm der Jungfrauen (V. 171 f.). Die Verschiebung der Kritik auf den Juncker macht deutlich, dass er als Stellvertreter für eine ganze Kategorie am Pranger steht. Dieses Verhältnis von Vorrede und Hauptteil ist auch in Politischen Romanen beliebt.39 Gleichzeitig schließt sich jedoch die Kritik auf die eine Figur und appelliert nicht mehr an alle Männer der Hochzeitsgesellschaft, was der Normenvermittlung schadet, weil es die Rollenübernahme hemmt. Durch die dynamische Verschiebung der angeprangerten Kategorie von Männern, die sich gegen Ende wieder öffnet, ist jedoch nie ganz klar, wer eigentlich alles dazugehört, so dass der für die Normenvermittlung negative Effekt des schadenfreudigen Anprangerns minimiert wird.
7.2. Sündenböcke Pranger und Sündenbock unterscheiden sich als Darstellungen von Normenbrüchen nur darin, wie sie das Verhältnis zwischen den einzelnen Verurteilten und Ausgeschlossenen und den sie betrachtenden unauffälligen Mitgliedern der Gruppe konzipieren. Am Pranger steht eine Vertretung all jener, die gegenwärtig und vor al38
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„Credäntzer“ deshalb, weil nicht nur Sprechen und Tanzen zur Komplimentierkunst gehört, sondern auch die Fähigkeit, das Fleisch kunstgerecht aufzuschneiden. Vgl. zu der darauf folgenden Komplimentierszene das Kapitel „Kompliment“, S. 81. Johann Beer spricht die Lesenden in der Vorrede zum unter dem Pseudonym Antonino Caminero 1682 veröffentlichten ‚Politischen Feuermäuer-Kehrer‘ in separaten Absätzen folgendermassen an: „O ihr Frauenzimmer“, „o ihr jungen Leute“ und „ihr, was Geschlechtes ihr auch seyd“. Den Frauen werde Verutzo ihre Fehler zeigen, den Männern die Wahrheit besser sagen, als es Frauen täten, und schließlich gebe er beiden kritisches Werkzeug an die Hand, an dem sie sich jedoch, so warnt die Vorrede, leicht selbst verletzen könnten. Im Haupttext berichtet dann der Ich-Erzähler Verutzo von einzelnen Figuren.
7. Ausschluss
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lem in Zukunft den gleichen Normenbruch begehen werden. Es besteht demnach eine kategoriale Beziehung. Sündenböcke werden ausgeschlossen, um den Normenbruch im Sinne des Prangers an einem Beispiel vorführen zu können, jedoch ohne dass die Kategorien der Norm auf sie zutreffen müssen. Zu ihrem Ausschluss führt keine kategoriale Beziehung; er ist vielmehr Ausdruck eines Machtgefälles. Die Beispiele aus Frauenzimmers Sekretariat-Kunst und die Bonville-Episode haben die besondere Art von Verantwortung thematisiert, die sprachliches Handeln wegen seiner breiten Interpretierbarkeit mit sich bringt. Diese Texte machen weitgehend die einzelnen Figuren dafür verantwortlich, welches moralische Bild sich die Umgebung von ihnen und der von ihnen beschriebenen anderen Figuren macht. Sie können die Verantwortung für Gerücht und Verleumdung einzelnen Figuren zuschreiben, indem sie das Gerücht als etwas Beeinflussbares und Steuerbares aus der individuellen Perspektive darstellen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, alle Gerüchte und Verleumdungen einer bestimmten Gruppe zuzuschreiben. Das Hochzeitsgedicht Der Beschertzte Bockes-Beutel 40 aus der Lustigen Gesellschafft verleumdet, indem es Verleumdung vorwirft. Es benutzt Verleumdung als Mittel, Sündenböcke herzustellen. Nach der Eingangsbemerkung an das Brautpaar folgt eine Variation des Themas Weiberregiment,41 indem eine Art von außgelahrten Frauen kritisiert wird, die alles in der Stadt anordne und richte.42 Sie werden in der folgenden Invocatio gleichsam als Göttinnen des Gerüchts angesprochen: O Prophetinnen Chor! O heilige Sibillen! (V. 17). Das Ich beschreibt seine Angst vor dem Gerücht, um zu beteuern, dass es die Wahrheit sagen werde: ihr [die Sibillen] würdet mich beschämen, | Ihr und ein jederman. Die gantze Stadt ist voll | Von eurem Lob, und wil daß man es meiden sol (V. 22 – 24). Das Ich entwirft im Paradox eine ambivalente Haltung: Zwar klatscht die ganze Stadt mit, sondert aber die Sibillen ab. Das Ich postuliert damit, dass allgemeines Mitklatschen und Sündenbock-Produzieren Hand in Hand gehen. Das Ich vollzieht das Sündenbock-Produzieren im Gedicht nach. Bockes-Beutel bezeichnet auf Niederdeutsch einen Beutel für Gebetbücher. Durch metonymische Verschiebung wird Bockes-Beutel im Gedicht als Sammelabstraktum für ‚Frauen‘ verwendet. Die Weiber werden für das Gerücht verantwortlich gemacht, dessen wirklichkeitsstiftende Kraft mehrfach betont wird: Bockes-Beutel kan es wehren, | Bockes-Beutel kan es machen (V. 56 f.), Da hängt Arbeit, Mühe, Reisen [der Männer] | Erstlich an der Weiber preisen (V. 83 f.). Das Gedicht kontrastiert die normative so40 41 42
Der vollständige Text findet sich im Anhang. Vgl. das Kapitel „Diskurse und Korpus“, S. 28. Es ist durchaus möglich, dass dies nicht nur Umkehr-Satire ist, sondern einen Bezug zu den Weibergerichten herstellt, in denen verheiratete Frauen über Fälle ehelicher Unstimmigkeiten in der Nachbarschaft gerichtet haben. Christina Vanja, 1986, entdeckte Hinweise auf ein solches im hessischen Breitenbach.
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C. Verleumdung
ziale Macht des Gerüchts mit der harm- und folgenlosen, nur unterhaltenden Gauckler-Kunst (V. 41). Indem das Ich das Gerücht als Klatschsucht und Herrschaftsinstrument der Weiber kritisiert, schiebt es die Verantwortung für die performativen Wirkungen des Diskurses auf die klatschenden Frauenfiguren ab. Das Ich beschreibt, wie Frauenfiguren über die normative soziale Macht des Gerüchts Herrschaft über Figuren beiderlei Geschlechts ausüben. Das Ich zählt in 44 Versen auf, wer alles vom Gerücht beeinflusst, betroffen und gefährdet ist. Es folgt eine Passage, in welcher das nun eindeutig männlich konnotierte Ich das Szenarium einer verkehrten Welt, in der die Frauen regieren würden, als Wunsch und rhetorische Frage entwirft. Topische Exempel der Weiberherrschaft werden angeführt, jedoch so ironisch, dass sie diese Forderung nicht stützen. Die darauf folgende Anrede O Heroinen nimmt auf die Heroinen-Literatur Bezug und leitet zu einer Amtsbitten-Parodie über, in der sich das Ich als Klatsch-Protokollant bewirbt. Gleichsam als Vorleistung berichtet das Ich die Klatschinhalte in 20 niederdeutschen Versen, in der die oft wiederholten Wörter Schnacken und Schnack das Gerede bezeichnen und lautmalerisch nachahmen. Indem es nur die Themen aufzählt und das Geräusch imitiert, nimmt das Ich dem Gerede der Frauenfiguren die performative Kraft; indem es jedoch die Frauenfiguren dafür verantwortlich macht, setzt es selbst eine wirklichkeitsstiftende Verleumdung in Umlauf. Das Ich reflektiert dies gegen Ende, indem es sich selbst das Wort abschneidet: Hola! es ist genung. Wer hat mir den Macht geben Der Weiber Vogt zu seyn? Es ist mein junges Leben Mir noch zu lieb dazu, als daß ich es so gantz In Zweiffel setzen solt, und schlagen in die Schantz. Ein ander sage mehr: Ich will noch etwas sparen Biß es von nöthen ist. Es kan mir widerfahren Daß sie mich flecken auch in Bockes Beutel ein, Da viel mehr Wissenschafft und Kunst von nöthen seyn. Ich rath es aber nicht; Denn werd ich solches spüren, So will ichs allzumahl erst trefflich außstaffieren, Will bringen an den Tag was ich da werde sehn, Und solt es ihnen gleich durch Marck und Beine gehn. (V. 183 – 194)
Das Gerücht, welches das Ich bisher aus Distanz beschrieben hat, wird nun plötzlich als bedrohliche diskursive Wirklichkeit inszeniert, gegen die sich das Ich vorsehen muss, indem es damit droht, im Falle, dass es verunglimpft würde, mit rufschädigenden Informationen zurückzuschlagen. Es malt einen Gerüchtekampf mit ungewissem Ausgang an die Wand. In diesem Sinne reflektiert der Text die soziale Herstellung und Anwendung von Normen im Kampf um die diskursive Definitionsmacht. Nachdem es sich selbst in die diskursive Welt des Gerüchts versetzt hat, formuliert das Ich die moralische Anwendung des Gehörten für die Braut, indem es ihr
7. Ausschluss
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nahe legt, sich bei der Wahl zwischen dem Bockes-Beutel und der Sahren Tugend Zier für Letztere zu entscheiden (V. 198). Die alttestamentliche Sara wird schon von Petrus (1 Pt 3, 6) als Beispiel einer vorbildlichen, weil untertänigen Ehefrau angeführt. In der Gegenüberstellung von Gerücht und Untertänigkeit wird die Bitte impliziert, die Jungfraw Braut solle sich als Ehefrau keine diskursive Macht aneignen wollen: Ich bitte nehmet nicht den Bockes-Beutel an, | das bittet neben mir auch euer liebster Mann (V. 213 f.). Aus der Perspektive dieser Bitte erscheint die vorausgehende Sündenbock-Produktion als Warnung, wie es der Jungfraw Braut ergehen könnte, falls sie sich am Gerücht beteiligte. Der Ehemann wird jedoch nicht um Gerüchteabstinenz gebeten. Das Ich, das seine diskursive Macht bewiesen und angedroht hat, stellt sich auf die Seite des Ehemannes und bittet die Jungfraw Braut, auf solche Macht zu verzichten und stattdessen lieber Kinder zu bekommen. Der Gedichtschluss wendet das Gerüchtthema demnach so, dass dem Ehemann mehr diskursive Macht zukommt als der Ehefrau.
7.3. Verbannung In Filip von Zesens Assenat-Roman äußert sich die Definitionsinstanz negativ über die Frau des Potifar, Sefira. Da die Figur Sefira kein ‚wirkliches‘ Leben hat, kann dies nicht als Verleumdung bezeichnet werden. Der Text stellt ihren Tod und damit ihr Verschwinden aus dem Roman allerdings als Folge ihrer Verführungsversuche dar. Auf die mehrfache Verurteilung ihres unzüchtigen Verhaltens durch die Definitionsinstanz und die Reflektorfigur Josef folgen ihre Krankheit und schließlich ihr Tod. Dieser wird den Lesenden als Grund mitgeteilt, weshalb der Prozess, der Josef gemacht werden sollte, gar nicht erst ins Rollen kam (154). Sefira, die im Prozess auf der anklagenden Seite gestanden hätte, wird schon bevor ein solcher stattfinden kann als handelnde Figur aus dem Roman verbannt. Nicht den Figuren, sondern der Definitionsinstanz wird die Bestrafung Sefiras überlassen. Die Überschreitung der Kommunikationsebenen, die dieser Akt impliziert, lässt ihn als einen Akt höherer Macht erscheinen, so dass der Bestrafung umso größere Autorität zukommt. Die Bestrafung, die in der Assenat performativ auf der Definitionsebene durchgeführt wird, beschreibt die Landesordnung von Sachsen-Gotha auf der Binnenebene: Wenn ein lediger Mann sich mit einer Ehefrau einlasse, so sollen beyde mit dem Schwerd vom Leben zum Tode gestraffet werden (2. Teil, 4. Kap., 10. Tit., Abs. 4). Ein Vergewaltigungsversuch durch eine Frau ist nicht vorgesehen,43 bei einer Ver43
Knapp achtzig Jahre später ist dieser Fall immerhin als historischer denkbar und erwähnenswert: Zum Problem des Geschlechtsverkehrs mit dem eigenen Leibeigenen führt Zedler, Bd. 49, 1746, Sp. 2576 unter dem Stichwort „Unzucht“ den italienischen humanistischen Rechtsgelehrten Julius
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C. Verleumdung
gewaltigung einer Frau durch einen ledigen Mann verlangt die Landesordnung seine Hinrichtung. Während die Assenat die Ehebruchsnorm unterstreicht, indem eine einzelne Figur erzählerisch hingerichtet wird, droht die Landesordnung mit der Bestrafung, indem sie für ganze Kategorien von Menschen die Schwertstrafe vorsieht. Im ersten Fall ist die Wirkung der Strafe anschaulicher und eindrücklicher für die Lesenden, sie werden sich wegen der genauen Umstände aber kaum mit Sefira identifizieren können. Im zweiten Fall jedoch führt die kategorielle Weite dazu, dass sich sehr viele zumindest potentiell betroffen fühlen müssen. Auffällig bei diesem Vergleich ist, dass sich die exemplarische Bestrafung einer Vergewaltigerin und die angedrohte Bestrafung für die Kategorie der Vergewaltiger gegenüberstehen. Die gewaltsame Verführung der Josefsgeschichte, die gerne und oft als Keuschheitsexempel verwendet wird, steht in allen Diskursen einsam da. Das Muster von Vergewaltigung und Hinrichtung wird in anderen Texten regelmäßig anhand von männlichen Figuren gezeichnet. In der Sefira-Episode der Assenat scheinen sich zwei Ergehensmuster zu überblenden: Im sechsten Buch wird die äußerst keusche Assenat vom Kronprinzen entführt, der nicht bestraft wird, aber an seinen Wunden stirbt, die er sich beim Überfall auf Assenats Wagen zugezogen hat (294 f.). Sie wird vor Schrecken krank (299), erholt sich etwas, erliegt aber schließlich einer heftigen Krankheit (305 f.). Assenat und Sefira ergeht es demnach ähnlich, obwohl ihr Verschulden diametral verschieden liegt. Bei beiden ist es der seelische Schaden aus der Begebenheit, der ins Ungleichgewicht gekommene Affekthaushalt, der sie krank macht: Sefira erkrankt aus Verdruss, Ungeduld, Zorn, Liebe und dergleichen heftige[n] gemühtstriften (146), Assenat wird durch den Schrecken traurig und schwach (318). Sefiras Ergehen gleicht allerdings auch demjenigen des Kronprinzen, der wie sie auf der Figurenebene nicht gestraft wird, aber als handelnde Figur aus der Erzählung verschwindet. In Sefiras Ergehen überblenden sich die negativen Auswirkungen beider Varianten, es verdichten sich die negativen Folgen einer Vergewaltigung in der weiblichen Figur. Damit wird die Vergewaltigung für Frauen abschreckender als für Männer dargestellt. Dass damit vor allem Frauen vor Unzucht gewarnt und zur Einhaltung der Keuschheitsnorm ermahnt werden, entspricht der Interpretationsgleichung, die ihnen im Zweifelsfall die Schuld zuschiebt. Clarus (1525 – 1575), eine jahrhundertelange Autorität in Verfahrens- und Eherechtsfragen, an: „Ein Weibsbild, so sich mit ihrem leibeigenen Knechte vermischt, wird von Rechtswegen […] mit dem Schwerdte, der Knecht aber mit dem Feuer abgestrafft.“ Zur aktuellen Rechtslage referiert er Johann Christoph Frölich von Frölichsburg (Commentarius in Kayser Carl des Fünften peinliche Hals- Gerichts-Ordnung, Frankfurt und Leipzig 1741): „Jedoch weil unter denen Christen die wahre Knecht- und Leibeigenschafft, wie sie bey denen Römern beschaffen gewesen, aufgehoben ist, so würde diese so schwere Straffe bey denen an theils Orten noch befindlichen leibeigenen oder eigenthümlichen Leuten nicht wohl statt haben, ob zwar dergleichen Vermischung allerdings schwerer, als sonst, abzustraffen wäre.“ (Für die Auflösung der abgekürzt angegebenen Quellen danke ich Lothar Schilling).
8. Zusammenfassung
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8. Zusammenfassung Im Medium des Drucktextes wird im 17. Jahrhundert das mündliche Massenkommunikationsmittel Gerücht thematisiert. Geschlechterbeziehungen werden im Zusammenhang mit Verleumdung auf das Thema Beischlaf reduziert. Indem diese Darstellungsart die performative Macht von Gerüchten thematisiert, die Normenbrüche (auch wenn sie nicht stattgefunden haben) als soziale Tatsachen schafft, betrachtet sie die diskursive Sinnzuschreibung für diesen körperlichen Akt. Aus dem Blickwinkel des Gerüchts erhält das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern eine soziale Dimension, die sich von der Interaktion Einzelner abhebt: Beziehungen zwischen weiblichen und männlichen Figuren werden so dargestellt, dass sie in erheblichem Maße von Dritten mitbestimmt und erst durch ihr Hinzutreten normativ beurteilt werden. Das Konfliktverlaufmuster der Verleumdung bringt die soziale Seite von Normen zum Tragen, indem in den vorgeführten Variationen gezeigt wird, dass die Herstellung und Anwendung von Normen Beobachtungsinstanzen braucht. Die Ohnmacht der Einzelnen gegenüber der geschehenen Verleumdung und die Unwiederbringlichkeit des guten Rufs wird in mehreren Texten dargestellt. Auf der Definitionsebene wird auf Verleumdungen verzichtet. Ein Beispiel wurde jedoch vorgeführt, das den Lesenden ihre Interpretationsgleichungen und damit ihr Verleumdungspotential bewusst zu machen versucht, indem es sie mit diesen Interpretationsgleichungen zu Annahmen verleitet, die danach widerlegt werden. Wenn das Konfliktverlaufmuster Verleumdung auf der Figurenebene durchgespielt wird, verliert es seine wirklichkeitsstiftende Kraft. Aber gerade darin liegt die große Chance für die Normenvermittlung: Die Chance, dass die Lesenden sich die Normen zu eigen machen, scheint dann am größten, wenn nicht einzelne namentlich genannte Menschen oder Figuren verleumdet werden, sondern wenn die Texte ganzen Kategorien implizit oder explizit mit Verleumdung drohen. Der Asinus-Witz machte umgekehrt deutlich, dass gerade der verbreitete Normenbruch und die damit einhergehende Verleumdungsangst zum Ausdruck bringen, dass eine Norm gilt. Die Verleumdungsdrohung wird in den Texten hauptsächlich gegenüber weiblichen Figuren oder Kategorien ausgesprochen; die Verletzung weiblicher Ehre wird als Problem der Beziehung zwischen Frauen und Männern gefasst, die Verletzung männlicher Ehre jedoch als Unstimmigkeit zwischen Männern.44 Im Modus der 44
Vgl. den Zwang zur performativen Sicherung der eigenen Ehre, z. B. in der ‚Assenat‘: Sefira betont in ihrer Anklage gegenüber Potifar, dass sie damit ihre Ehre erfolgreich verteidigt habe und es nun an ihm sei, die seinige zu verteidigen: „Ich habe meine ehre gerettet, wie ihr sehet. Nun möget ihr vor die eurige eifern; und ihn, den undankbaren, den treulosen, gebührlich abstrafen“ (142). Dinges, 1998, 147 weist darauf hin, dass Duelle (unter Männern) im 17. Jahrhundert besonders wich-
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C. Verleumdung
Verleumdungsdrohung werden männliche Herrschaftsansprüche über weibliche Figuren erhoben und nicht zuletzt das Recht, am Diskurs teilzunehmen, exklusiv beansprucht. Wenn die Verleumdung in den Texten nur als Drohung erscheint, wird ein Ausweg aus der absoluten Fremdeinschätzung durch das Gerücht eröffnet: die Vorwegnahme der normativen Erwartungen der Umgebung im eigenen Handeln. Dafür müssen die Handelnden die Interpretationsgleichungen ihrer Umgebung kennen. Die realen Lesenden werden demnach sowohl negativ als auch positiv zum Normenlernen und -anwenden motiviert: Die Furcht vor dem sozialen Ausschluss kann dadurch gemildert werden, dass sie die Interpretationsgleichungen lernen. Die Diskrepanz zwischen Handlung und öffentlicher Wahrnehmung legt den Lesenden nahe, im eigenen Handeln diejenigen Interpretationsgleichungen bei den anderen aufzurufen, die zur gewünschten Einschätzung führen. Die Hofmannstraktate nennen dies ein politisches Verhalten, das sie jedem Höfling ans Herz legen, der erfolgreich Karriere machen möchte; Komplimentierbücher sehen es als Mittel, um anderen zu gefallen. Meine breitere Textbasis zeigt jedoch, dass dieser Aufruf zur Interpretationssteuerung quer durch alle Gattungen geht. Auch in diesen steht er nicht nur im Zusammenhang mit böswilliger Täuschung oder entgegenkommender Selbstverleugnung, sondern reflektiert viel grundsätzlicher darüber, wie Handlungsmotivationen von Einzelnen und ihre gesellschaftliche Bewertung zusammenhängen.45 Die Perspektive des Gerüchts betont die radikale Sozialität von normativen Beurteilungen; die Einzelnen haben keine Möglichkeit, die kulturellen Kopplungen zwischen bestimmten Handlungen und Interpretationen außer Kraft zu setzen. Deshalb können die Einzelnen nur auswählen, welche Seite, Handlungen oder Interpretationen, sie lieber mit ihrem Selbstbild in Deckung bringen möchten. Entweder richten sie sich nach ihren eigenen Wünschen oder sie tun das, wovon sie denken, dass es bei der Umwelt die Interpretation aufruft, welche sie gerne möchten. Das Konfliktverlaufmuster der Verleumdung im Korpus aus dem 17. Jahrhundert rechnet mit Fehlinterpretationen von Handlungen, die dadurch entstehen, dass die handlungsleitende Norm der Einzelnen nicht mit der interpretationsleitenden Norm der Umgebung übereinstimmt. Die wirklichkeitsstiftende Macht liegt auf der Seite der Umgebung, indem sie die Absicht der Handelnden über Interpretationsgleichungen erschließt und unabhängig von deren ‚wahrer‘ Absicht zur sozialen Tatsache macht. Die Handelnden sind deshalb gut beraten, sich nach Möglichkeit nach diesen Interpretationsgleichungen zu richten.
45
tig wurden. Die Landesordnung von Sachsen-Gotha enthält ein ganzes Kapitel „Von Bestraffung des Außforderns und Balgens“ (2. Teil, 4. Kap., 8. Tit.). Beetz, 1990, 159.
8. Zusammenfassung
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Die Figuren führen vor, wie Verleumdungen vorgebeugt werden kann, indem die normativen Erwartungen der Umgebung in die Planung der eigenen Handlung einbezogen werden. Die Beobachtungsinstanzen werden in den Texten unterschiedlich ausgestaltet: als Gesinde, Ehegattin und -gatte, Gott, Gewissen, Engel oder schlicht als Gerücht. Besonders die wenig charakterisierten Beobachtungsinstanzen fungieren als verallgemeinerte Reflektorfiguren; die soziale Gruppe wird in der Figur des Gerüchts zur Textinstanz, in deren Macht die normative Beurteilung oder Verleumdung der anderen Figuren liegt. Auffällig ist, dass in den analysierten Texten die Figur Gott immer zusätzlich durch irdische Beobachtungsinstanzen ergänzt wird. Es ist das Privileg von Texten mit mehreren Kommunikationsebenen, die Motivation für normenkonformes Verhalten offen zu legen und damit zu zeigen, wie normenkonformes Verhalten sozial konstruiert wird, weil gleiche Äußerungen und Handlungen zu gleichen Einschätzungen führen – unabhängig davon, ob die normativen Vorstellungen der Figur mit denjenigen der Umgebung übereinstimmen. Ob die Figuren die Interpretationsgleichungen ihrer Umgebung zum Zweck der Täuschung ausnützen oder verleumdet werden, weil sie einen Eindruck hinterlassen haben, der nicht mit ihren Absichten übereinstimmt, ist letztlich für die Vermittlung der Interpretationsgleichung nebensächlich. Wichtig für die Normenreflexion ist, dass überhaupt ein Konflikt zwischen zwei Ebenen stattfindet, damit die normativen Gleichungen den Lesenden bewusst werden. Die Aussagen zum Gerücht, welche die Texte in Anwendung des Verleumdungsmusters auf der Figurenebene machen, können als theoretische Aussagen zur normativen Kraft von Diskursen gelesen werden. Die Inszenierungen und Reflexionen über das Gerücht sind die Diskurstheorie des 17. Jahrhunderts. In den Texten werden einzelne Faktoren vorgeführt, die das Verleumdungspotential beeinflussen und deshalb in der Prävention zu berücksichtigen sind: Mediale Rücksichten sind nötig; im Brief ist mehr Formulierungsvorsicht geboten als mündlich oder gar in Gedanken. Mit Zweideutigkeit kann Gerüchten vorgebeugt werden. Besonders die Männer werden darauf verpflichtet, die Verleumdungsgefahr für die Frauen zu minimieren. Die Äußerungen über das Gerücht liefern somit gleichermaßen die Begründung für die notwendige Fiktionalität von Werbekomplimenten. Durch die Vorführung von Gerüchte- und Verleumdungsmanipulationen werden die Interpretationsgleichungen und situativen Umstände deutlich, welche zusammen dazu führen, dass die Umgebung einen Normenbruch konstatiert.
D. Rehabilitation Rehabilitation ist grundsätzlich prekär. Wenn Verleumdungen erst einmal zu sozialen Tatsachen geworden sind, lassen sie sich kaum mehr aus der Welt schaffen. Im letzten Kapitel wurden Aussagen über diese besondere wirklichkeitsstiftende Kraft der Verleumdung analysiert. In diesem Kapitel geht es nun um die Rehabilitation, die zwar eng mit der Verleumdung verbunden ist, jedoch als eigenes Konfliktverlaufmuster angesehen werden kann, das den Sieg der Wahrheit über die Verleumdung inszeniert. Bereits im letzten Kapitel wurde der ritualisierte Verlauf erwähnt, der im Wesentlichen aus Informationszuwachs und öffentlich wirksamer Rehabilitation besteht. Den Anlass für die Anwendung dieses Konfliktverlaufmusters bildet nicht der Bruch einer Norm der Geschlechterbeziehungen, sondern der Bruch des Verleumdungs- beziehungsweise Lügenverbots. Es wird ein Fall präsentiert, bei dem zu Unrecht der Bruch einer Norm der Geschlechterbeziehungen festgestellt wird. Das Falsche wird aufgedeckt und das Richtige im Triumph durchs Publikum geführt, damit es soziale Tatsache werden und die Verleumdung desavouieren kann. Die Rehabilitation verleumdet in diesem Sinne die Verleumdung; da aber eine solche schon besteht, muss sie ein zusätzliches Mittel anwenden, um die bereits bestehende Meinung umzustürzen. Dieses Mittel heißt Autorität.
1. Wahrheitssuche 1.2. Entscheidende Information In Christian Weises Drama Der keusche Joseph von 1690 hängt Josephs Entlassung aus dem Gefängnis allein von Thmosis, dem Mundschenken, ab, der ihn als Traumdeuter dem Pharao empfiehlt (IV, 9). Der Pharao wundert sich gegenüber Thmosis, dass der beste Sterndeuter seines Reichs im Gefängnis sitze, und erhebt Joseph zum Landesvater, als er seine Fähigkeiten bewiesen hat (IV, 16). Der Pharao wird demnach vom Einflussbereich des Gerüchts ausgeklammert. Potiphar lässt Joseph im Gefängnis hart bestrafen, ohne einen Grund anzugeben. In einem Monolog äußert er seine Meinung, dass niemand den Grund erfahren soll (II, 13). Trotzdem wird an Asnath die Wirkung von Verleumdung und Gerücht gezeigt: Sie äußert aufgrund einer gehörten Zeitung gegenüber ihrem Bruder On Zweifel an
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D. Rehabilitation
Josephs Glauben und an seiner Tugend (III, 6). Dem Publikum bekennt sie, dass sie sich jetzt schäme, jemals verliebte Gedanken über Joseph gehabt zu haben (III, 6). Dabei stehen die Höflinge Merdes, Bubastus und Armais. Bubastus ist Seres auf ihr Geschrey zu Hilfe gekommen (II, 7). Als Asnath sich zum Weinen zurückzieht, fragt On die Höflinge, was Joseph denn getan habe. Sie zeigen sich erschreckt über die Wirkung ihrer Worte auf Asnath: Merdes. Wenn geschehene Sachen könten zurücke gezogen werden, so wolte ich wünschen, daß ich geschwiegen hätte (III, 6). Merdes betont hier also die wirklichkeitsstiftende Macht des Gerüchts. Armais ist die Schlüsselfigur für die zusätzliche Information, die zu Josephs Rehabilitation in Asnaths Augen führt. Noch vor der versuchten Vergewaltigung (II, 6) wird Armais mit Informationen versehen, die ihn zur Detektivfigur werden lassen: Seres stellt sich krank und geht nicht an das königliche Geburtstagsfest, um mit Joseph allein zu Hause zu sein. Potiphar schickt die Höflinge Armais und Merdes, um Seres zu holen. Seres verwechselt im Halbschlaf Armais mit Joseph und küsst ihm die Hand (II, 5). Dass der Verdacht, Seres habe Josephs Liebkosungen vielleicht sogar geschätzt, die ganze Zeit in Armais geschwelt hat, erfährt das Publikum in einem die Gerüchtelage zusammenfassenden Monolog von Armais: Entweder ist Joseph ein boßhaffter und gottloser Bube oder Seres war dergleichen Anbringen nicht allerdings […] zuwieder (IV, 12). Die Entscheidung bringt ein Brief von Seres an Joseph, den Armais dem Boten No abschwatzt (IV, 12). Im 19. Aufzug der IV. Handlung präsentiert sich Armais Asnath als einer, der die Sache besser erkundiget hat. Asnath leiht hier gleichsam dem Gerücht ihre Stimme: Asnath. Wie? soll der unschuldig seyn, der seiner schlechten Zucht wegen im ZuchtHause steckt? Armais. Es können auch unschuldige Leute gefangen werden. Asnath. Der gerechte GOtt behüte mich vor so einer unschuldigen Person. (IV, 19)
Erst der Brief, den ihr Armais vorlesen will, kann sie umstimmen, denn sie anerkennt dessen Autorität: hat es meine Frau Muhme [Seres] schreiben können, so wird es auch noch anzuhören seyn (IV, 19). Im Brief entschuldigt sich Seres gegenüber Joseph. Asnath nimmt den Brief an sich und bittet im Schlussmonolog des Aufzugs (IV, 19) Joseph um Verzeihung. Wie in Weises Drama, so wissen die Lesenden auch in Filip von Zesens Assenat-Roman, ‚wer es wirklich war‘. Dass dieser Eindruck durch den ganzen Roman nicht enttäuscht wird, stärkt die Fiktion von einer absoluten Wahrheit und wirklichen Lage der Dinge für die Lesenden. Das erleichtert die Darstellung von Rehabilitationsvorgängen, weil klar ist, was Verleumdungen und was ‚Tatsachen‘ sind. Die Rehabilitationsmuster tragen umgekehrt gerade dazu bei, dass zum Vorschein kommt, welche Sicht der Lage mit der ‚Wirklichkeit‘ übereinstimmt.
1. Wahrheitssuche
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Zu Anfang des dritten Buches und der Verführungsgeschichte zwischen Sefira und Josef benutzt Sefira das Muster der Rehabilitation von Amtes wegen, um an Josef heranzukommen: Sefira rät ihrem Mann Potifar, Josef als Hofemeister zu nehmen und damit Josef Recht zu tun, da der ruf gehe, er sei aus Kanaan entführt worden (97). Was hier als Gerücht von Sefira angeführt wird, wissen die königliche Fürstin Nitokris und ihre Kammerjungfrau Semesse (und mit ihnen die Lesenden) aus dem Munde des Ebreischen Jünglings, der im zweiten Buch in einer Rückwendung von Josefs Herkunft und Jugend erzählt hat (54 – 80). Potifar nimmt sich des Falles, obwohl zögerlich, juristisch korrekt an, mit dem Ergebnis, dass Josef als beschlagnahmtes Gut ins königliche Gefängnis kommt, bis seine Besitzer, die Ismaeler, ihn auslösen. Sowohl vor Potifar als auch vor den Ismaelern bestätigt Josef seine Leibeigenschaft, weil er seine Brüder nicht verraten will (97). Obwohl Potifar Josef zu teuer ist, lässt ihn Sefira von den Ismaelern kaufen. Sefiras absichtsgeleiteter Hinweis auf ein Gerücht veranlasst Potifar zur amtlichen Überprüfung der ‚Tatsachen‘. Das gelingt ihm nicht, weil Josef das Verbrechen seiner Brüder decken will und deshalb nicht wahrheitsgetreu Auskunft gibt. Für die Lesenden behält der ruf jedoch Recht und ist als vox Dei und wahrhaftige Instanz eingesetzt.1 Obwohl die Lesenden nicht getäuscht oder schlecht informiert werden, fehlt das kriminalistische Element in Zesens Assenat nicht ganz: Bei der Königlichen Fürstin Nitokris laufen seit Anfang des ersten Buches die Informationsfäden zusammen; damit werden die Voraussetzungen geschaffen, dass sie im vierten Buch gleichsam als Detektivin eingesetzt werden kann. Nitokris hört im dritten Buch ein Gespräch zwischen Sefira und Josef mit, das diese führen, als Potifar und alle Kammermädchen ausdrücklich abwesend sind (115 – 119). Auf der Figurenebene muss Nitokris als Lauscherin bezeichnet werden, da Sefira ihre Liebeserklärungen nicht für ihre Ohren bestimmt hätte. Sefira erschrickt, als sie sieht, dass sich das Prunktuch an ihrer Tür bewegt, und schickt Josef fort (118). Auf ihre Frage in direkter Rede, ob Nitokris das Gespräch gehört habe, bekommt sie eine positive Antwort. Als Nitokris sie für ihre unziemliche Liebe zu ihrem Diener rügt und damit droht, sie nicht mehr als ihre Tante anerkennen zu wollen, das heißt sie aus der königlichen Familie auszuschließen, weint Sefira. Nitokris tröstet sie, ermahnt sie zur Tugend und geht auf ihre Bitte ein, nichts weiter-
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Schubert, 2001, S. 119 ff. führt eine solche Praxis der Überprüfung von Gerüchten bereits für weltliche und geistliche Herrscher des 9. Jahrhunderts an. Im Spätmittelalter sind ihm Redewendungen begegnet, die sowohl die Unzuverlässigkeit des Gerüchts tadeln als auch seine geheime Wahrheit betonen (vox populi vox dei).
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D. Rehabilitation
zuerzählen (119). Nitokris beurteilt die Situation normativ, droht Sefira mit sozialen Sanktionen, wenn sie am Verstoß festhalte, verspricht ihr aber schließlich, den sozialen Schaden möglichst klein zu halten, indem sie nichts weitererzählen werde. Die Sanktion in einem weiteren sozialen Rahmen ist damit hinausgeschoben. Nitokris ist eine Verdoppelung der Leseinstanz, indem sie dieser vorzeigt, wie die Situation normativ zu beurteilen ist. Da die Lesenden erst fast gleichzeitig mit Sefira erfahren, dass Nitokris gelauscht hat, liefert Nitokris eine Art moralisatio zu den berichteten Reden: Den Lesenden wird im Nachhinein eine normative Einordnung geliefert, die ihren beim Lesen gemachten Gedanken ent- oder widersprechen kann. Es wird also keine Ironie erzeugt, indem Nitokris schon zu Beginn der Konversation eingeführt würde und die Lesenden während der ganzen Szene immer auch ihre Perspektive auf Sefiras und Josefs Äußerungen mitdenken könnten. Auf der Definitionsebene ist Nitokris keineswegs eine Lauscherin, sondern sie bekommt Informationen zu Ohren, welche ihre Funktion in der Sefira-Episode aufwerten und sie befähigen, im entscheidenden Augenblick Potifar dazu zu bewegen, von einer Anklage Josefs abzusehen (145). In der Logik der Erzählung ist es nicht nur nötig, dass Nitokris lauscht, sondern dass sie auch den Normenbruch versteht, den Sefira mit ihren Liebesworten begeht. Das vierte Buch von Zesens Assenat-Roman ist Josefs Rehabilitation gewidmet, nachdem ihn Sefira am Ende des dritten Buches vor versammeltem Haus der versuchten Vergewaltigung beschuldigt hat. Im vierten Buch treten die beiden Protagonisten des dritten Buches zunächst in den Hintergrund: Gezeigt wird nun, wie sich die Information von Sefiras beziehungsweise Josefs Vergewaltigungsversuch verbreitet. Mehrere Figuren, die Josef wohlwollend gesinnt sind oder deutliche Hinweise auf seine Unschuld besitzen, geraten nun in ein Dilemma, ob sie Josef helfen sollten. Bei der Beurteilung der Handlungsalternativen achten diese Figuren auf eine Beobachtungsinstanz: die öffentliche Meinung. Assenat, ihre Mutter Toote und Nitokris haben das Vorgefallene nicht gesehen, es wird jetzt aber in ihren Gedanken- und Redeberichten vorgeführt, wie sie davon erfahren haben und wie sie es aufgrund ihres Vorwissens einordnen (144 – 146). Der Anfang des vierten Buches berichtet zuerst von Assenats Reaktion. Da Assenat in der Sefira-Episode überhaupt nicht vorkommt, ist dies einigermaßen überraschend, weist aber darauf hin, dass sich nun nach der Verführung durch Sefira auch der zweite Teil der Prophezeihungen, Josefs Erhöhung und Heirat mit Assenat, seiner Erfüllung nähert. Das Buch beginnt mit einem Zeit- oder eher Informationssprung, indem raffend berichtet wird, was Assenat inzwischen alles über Josef erfahren hat (144). Sie weiß praktisch alles über Josef, außer weshalb Potifar ihn plötzlich ins Gefängnis geworfen hat.
1. Wahrheitssuche
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Ihre verwunderung über eine so uhrplötzliche veränderung zwang sie nach zu forschen. Sie vernahm ein gemummel unter dem volke, daß Josef unschuldig sei. Und dieses verursachet sie noch mehr die wahrheit zu ergründen. Man wolte damit nicht recht heraus. Man redete in der stille darvon. Und einer sagte dis, der andere das. (144)
Es ist keine moralische Entrüstung oder eine verliebte Voreingenommenheit, die Assenat dazu bringt, Genaueres erfahren zu wollen, sondern es ist der durch die Verwunderung geweckte philosophische Wissensdurst, die durch das geheimniskrämerische Gerücht angestachelte Neugier. Assenat nimmt das Gerücht nicht als Stimme Gottes, sondern schenkt dem Gerücht erst Glauben, als sie einen Zusammenhang mit weiteren Indizien herstellen kann: mit dem im Erzähltext gerafft berichteten Brief von Nitokris, daß ihr [Assenats] Vater den Schönen Leibeigenen in haft gestellet; weil ihre Stiefmutter ihn bezüchtiget, er hette ihr unzucht zugemuhtet (144 f.), und ihrem als gerafften Erinnerungsbericht nochmals wiederholten Traum. Sie bringt nun beides in Verbindung und kann deshalb den Hermelin des Traumes mit Josef identifizieren. Ihre so gewonnenen neuen Erkenntnisse schreibt sie ihrer Mutter Toote (die sonst kaum vorkommt)2 und bittet sie um ihr Urteil über den Traum. Im Gegensatz zu Grimmelshausens Bearbeitung desselben Stoffes3 ist Assenat in Zesens Roman viel weniger stark für die Aufdeckung der ungerechten Behandlung Josefs zuständig, weil diese Rolle hier weitgehend Nitokris übernimmt. Trotzdem setzt sie mit ihren Überlegungen am Anfang des vierten Buches einen Informationsaustausch und -vergleich in Gang, der allerdings nur erzähltechnisch bedeutsam wird, indem die Vorausdeutungen kurz vor deren Erfüllung nochmals wiederholt werden. Zwar bewirken Nitokris’ briefliche Interventionen im Folgenden Josefs Wohlergehen im Gefängnis, aber bei Josefs Aufstieg zum Schaltkönig ist sie nur am Rande beteiligt: Sie liefert Josef ein angemessenes Kleid für seinen Auftritt als Traumdeuter vor dem König, zu dem der Hinweis des Mundschenks aber ebenso beiträgt wie ihr in den Erzähltext eingerückter Brief an ihren königlichen Vater. Was Nitokris weiß, um so handeln zu können, weiß sie schon vor dem vierten Buch. Was hier noch an Gerüchten präsentiert wird, hat also kaum Handlungsrelevanz, ist aber umso effektiver, wenn gezeigt werden soll, welche normativen Kräfte 2
3
Ohne Namen wird sie auf S. 23 als Frau von Potifar und Mutter von Assenat eingeführt. Namentlich erscheint sie auf S. 47, in der sich Nitokris’ Hofjungfrau Semesse in Gedanken freut, Toote Josefs Auslegung von Assenats Geburtsorakel mitzuteilen. Grimmelshausen, 1667, ‚Joseph in Egipten‘. Die zwölfjährige Asaneth ist in dieser Bearbeitung die Tochter des Hohepriesters Potiphar (nicht zu verwechseln mit dem Kuchenmeister) und Tante von Selicha. In dieser Position ist sie, trotz des etwas störenden geringeren Alters, befugt, Selicha zu ermahnen. Ihre noble und reiche Herkunft erlaubt es ihr, nachdem sie sich in Selichas Haus zuerst in Josephs Tugend, dann in seine Schönheit verliebt hat, als ein Art Detektivin tätig zu werden und Joseph zu beschützen. Zu diesem Zweck besticht sie Selichas Kammerjungfern und nimmt die beiden nach Selichas Tod in ihren Dienst, damit sie ihr als Informationslieferantinnen und schließlich in der Gerichtsverhandlung Joseph als Zeugen dienen können.
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D. Rehabilitation
auf die Beteiligten in der Weise einwirken, dass sie auch nach Sefiras Tod nichts für Josefs Rehabilitation tun: Nitokris informiert Potifar über das, was sie als Lauscherin zu Gehör bekommen hat, wodurch Potifar in seinen Zweifeln und in der Verzögerung der Anklage bestärkt wird (154). Er merkt, dass eine Anklage ihm und seiner Gemahlin mehr schimpfes, als ehre, bringen würde (154). Kurz darauf wird Potifar zum Erzbischof von Heliopel gewählt. Gern hette er den Josef aus dem Gefängnüsse erlöset. […] Aber er durfte nicht. Er befahrete, es möchte ihm, und seiner verstorbenen Gemahlin zur schande gereichen. Darüm schwieg er itzund gantz stil (155).
Er behält Josef dennoch im Sinn und denkt, dass die Zeit es schon richten werde. Auch Nitokris hätte Josef gerne erlöst: Sefira war todt. […] Bei dem Könige, ihrem Herrn Vater, vermochte sie sehr viel. Es were nur üm ein wort zu tuhn gewesen. Doch gleichwohl durfte sie es nicht wagen. Der wohlstand wolte es nicht zulaßen. Sie befahrete sich eines übelen nachklangs; wan sie sich des Josefs so eifrig und so öffendlich annehme: wan sie demselben, den ihre Muhme bezüchtiget, als wan er ihre ehre zu kränken sich unterwunden, das Wort redete.[…] Sie muste einer füglichern gelegenheit erwarten. (157)
Beide stufen ihren eigenen Schutz vor Verleumdung höher ein als die Rehabilitation Josefs und warten deshalb einen Moment ab, in dem Josefs Rehabilitation ohne Gefahr für ihren eigenen Ruf möglich sein wird. Da sowohl Nitokris als auch Potifar als sehr integre Figuren gezeichnet werden, unterstützt der Text in dieser Hinsicht eine gewisse egoistische Güterabwägung in Bezug auf den guten Ruf. Das Gerücht hat demnach im vierten Buch zwei Funktionen: Es kündigt als gemummel unter dem Volke (144), als Stimme der Wahrheit, Josefs Rehabilitation an, aber die Angst vor schimpf […] schande und üblem nachklang (154, 157), vor der drohenden Verleumdung, verhindert Josefs schnelle Freilassung. Josef wehrt sich nicht gegen die Vorwürfe Sefiras und gegen seine Gefangenschaft, sondern vertraut allein auf Gott (151). Dank Nitokris’ Brief und seinem tugendhaften Benehmen überträgt der Gefängnismeister Josef die Oberaufsicht über alle Gefangenen. Er erwirbt sich in der Welt des Gefängnisses dank seiner tugend, seinem verstand und seiner geschikligkeit (148) einen guten Ruf und Ansehen beim Gefängnismeister. In seiner Freizeit befasst sich Josef mit der Sterndeuterei (148 f.) und stellt sich sein eigenes Horoskop. Dies führt nun die Definitionsinstanz zu einem kleinen Exkurs über lutherische Gnadenlehre, die sie zusätzlich ins Weltliche wendet: er verlies sich auf Gott allein: der es ihm durch diese sternzeichen zwar angedeutet, aber gleichwohl solche andeutung gantz anders könte ausfallen laßen; imfal er sich solches glükkes selbst unwürdig machte, oder dasselbe durch achtloßheit oder sonst verscherzete. Ein König oder Fürst giebt manchem seiner untertahnen ein zeichen seiner gnade,
1. Wahrheitssuche
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und verspricht ihm dadurch ein großes glük: aber er wil auch haben, daß er sich der würklichen gnade, und des glükkes, das er ihm verspricht, würdig mache; (151)
Indem sich Josef gegen die Vorwürfe Sefiras nicht wehrt, nimmt er gleichsam die Leiden des schlechten Rufes an. In der abgeschlossenen Gesellschaft des königlichen Gefängnisses erwirbt er sich jedoch einen alternativen, guten Ruf, der die Grundlage für seine Rehabilitation im weiteren gesellschaftlichen Kreis bilden wird. Die zitierte Stelle macht die doppelte Bedeutung der Rehabilitation durch den König deutlich: Als gottähnliche Figur belohnt er einerseits Josefs Leiden in Bezug auf die weitere Gesellschaft und andererseits seine Tugendhaftigkeit im Gefängnis. Zesens Assenat versucht also, zwei Rehabilitationsmodelle zu vereinen: den ewigen Lohn dank zeitlicher Strafe und den irdischen Lohn dank zeitlichem Wohlverhalten. Das Gerücht wird als Volkes Stimme zur Stimme Gottes und kündigt Josefs Rehabilitation durch den mit Gott parallelisierten König an (144). Wegen der performativen Wirkung von Verleumdungen ist die automatische irdische Rehabilitation eine höchst unwahrscheinliche Variante, was im Text dadurch deutlich gemacht wird, dass es als Zeichen der göttlichen Gnade gedeutet wird. Die Normenvermittlung wird durch die Kombination der beiden Rehabilitationsmodelle gestärkt. Sie amalgamiert die Anforderungen der sozialen Figurenumgebung mit derjenigen von Josefs christlicher Demutshaltung und verspricht implizit irdischen Lohn für die Befolgung der göttlichen Gebote. Die ‚Wahrheit‘, die am Schluss siegt, wird gleich mehrfach konstruiert: durch die Träume und das Horoskop, welche Josefs Erhöhung zum Schaltkönig voraussagen, durch das Gerücht von Josefs Unschuld und durch die gute Wirkung auf Potifar und den Gefängnismeister. In beiden Varianten der Josefsgeschichte werden Detektivfiguren schon früh mit Informationen versehen, die im entscheidenden Moment zur Rehabilitation des Gefangenen beitragen: In Weises Drama kann Armais Asnath überzeugen, in Zesens Roman Nitokris Potifar. Weitgehend unabhängig von dieser Rehabilitation in den Augen der engsten Betroffenen ist die allgemeine Rehabilitation, die Gefängnisentlassung und Erhöhung durch den Pharao beziehungsweise den König.
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D. Rehabilitation
1.2. Entscheidende Darstellung der Motivation Wenn es den verleumdeten Figuren gelingt, ihre Tat so darzustellen, dass sie überindividuellen Verpflichtungen und nicht nur persönlichen Bedürfnissen entspricht, haben sie gute Chancen auf Reintegration.4 Im Schäfergedicht Ruhestatt der Liebe, oder Die schooß der Geliebten von 1697 berührt Celadon die schlafende, vom Westwind entblößte Doris.5 Diese erwacht und klagt ihn an: du bist des stranges werth (175). Celadon fällt ihr mit einer Unterwerfungsgeste zu Füßen, umfasst ihre Knie und trägt eine ausführliche Verteidigungsrede nach den Regeln der rhetorischen Kunst vor: Er schiebt dem Westwind die Schuld zu, wirft ihr also vor, dass sie die falsche Person anklagt (nach dem Topos a persona rei). Er ficht ihre Darstellung der Sachlage an (a re), indem er die Berührung in einen Beweis ihrer Unwiderstehlichkeit umwertet. Er bezweifelt, dass er für die Handlung verantwortlich gemacht werden kann, indem er seine Begierde als natürliche entschuldigt (a causa). Mit dem gerne für den Redeschluss benutzten Stilmittel der indignatio6 geht er zum Gegenangriff über und beklagt sich empört, dass sie ihm ihren Körper verwehre, obwohl sie doch behaupte, dass ihm ihr Herz gehöre. Schliesslich ist es Chloris, die ihn versöhnlich besänftigt und mitleidig in das graß (179) zieht. Celadons Gegenklage lässt sich mit der Klage auf Ehe vergleichen, wie sie in der Landesordnung von Sachsen-Gotha vorkommt. Dort können Frauen und Männer den jeweils anderen Teil gerichtlich zum Vollzug der Ehe zwingen lassen, indem sie glaubhaft machen, dass ihnen die Ehe versprochen wurde (1. Teil, 8. Kapitel, 1. 4
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Dies hat Gleixner 1994 auch in Gerichtsprotokollen festgestellt, die als handschriftliche Textsorte keinen Eingang in mein Korpus gefunden haben. Gleixner hat in ihrer Untersuchung über Unzuchtsverfahren in der Altmark zwischen 1700 – 1760 Gerichtsprotokolle als „komplex konstruierte bürokratische Texte“ untersucht, welche die Kategorie Geschlecht in der Darstellung des Gerichtsverfahrens entwerfen (S. 16). Trotz der unterstellten Wahrhaftigkeit hat sie topische Kopplungen zwischen Frage und Antwort festgestellt, die darauf zurückzuführen sind, dass nur die ‚richtigen‘ Antworten auch Rechtsansprüche begründeten: „Der Richter fragte explizit, wo der ‚Beyschlaf‘ stattgefunden habe, um das Feld der Ansprüche abzustecken; denn konnte die Frau nicht überzeugend genug darstellen, dass der ‚Beyschlaf‘ in ihrem Schlaf- bzw. Arbeitsbereich stattgefunden hatte, verlor sie erstens ihre Ansprüche und zweitens galt dann sie als die Verführerin. […] Frauen mussten vor Gericht darstellen, dass sie sexuell eher passiv und der Mann der sexuell aktive war. Sie mussten vor Gericht den Eindruck erwecken, dass ihr Verhalten sich im herkömmlichen Rahmen der Eheanbahnung bewegte. Nur dadurch, dass der Mann sein Versprechen brach, war sie in der Terminologie des Richters zur ‚Hure‘ und nicht zur Braut geworden“ (S. 87). Die gerichtliche Befragung ist wohl sehr eng mit der Textsorte Beichte verwandt, jedoch eher mit der (katholischen) institutionalisierten Beichte nach einem Bußkatalog. Vgl. zu dieser Stelle Kapitel „Kompliment“, S. 104. Ottmers, 1996, S. 60: Die indignatio (Empörung-Erwecken) gehört wie die conquestio (Gewinnung) und die commiseratio (Mitleid-Erwecken) zu den rhetorischen Mitteln, die in der abschließenden peroratio der (Gerichts-)Rede beim Publikum Emotionen wecken sollen.
2. Reintegration durch Rehabilitation
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Titel, Abs. 1, S. 599). Der Vollzug der Ehe als gerichtliche Sanktion in der Landesordnung ist der Vereinigung im Gras des Gedichts vergleichbar. Wie nahe Strafe und Befriedigung zusammenliegen, zeigt auch die Etymologie von „büßen“: Aus der Grundbedeutung ‚wieder ganz machen‘ ergibt sich einerseits in der Wendung „die Lust büßen“, in der es ‚befriedigen‘ heißt, und andererseits das kirchliche oder strafrechtliche „büßen“, mit dem eine (allenfalls triebhafte) Handlung bekannt oder abgegolten werden muss.7 Im ersten Fall wird den persönlichen Bedürfnissen Genüge getan, im zweiten Fall den Bedürfnissen der Gruppe. Normativen Charakter haben per definitionem nur die Bedürfnisse der Gruppe. Celadon argumentiert denn auch mit einem Anspruch, der ihm aus der Kommunikation mit Doris, also aus einer Art Vertrag erwächst, und nicht mit seinem Begehren. Trotzdem entspricht der Ausgang des Gedichts einer Befriedigung des Liebestriebs, der nun aber auf beiderseitigem Einverständnis beruht und sozial eingebunden ist.
2. Reintegration durch Rehabilitation In Weises Drama wird Joseph schon in der IV. Handlung aus dem Gefängnis geholt und zum Landes Vater ernannt aufgrund seiner guten Sterndeuterkenntnisse (16. Aufzug). Die Rehabilitation in Bezug auf die Verleumdung findet erst im zweitletzten Aufzug statt, in dem der Pharao ihn öffentlich mit Asnath traut. Auch Seres wird wieder aufgenommen.8 Die höfischen Hauptfiguren loben reihum Joseph und seine fruchtbare Wirkung auf Egypten. Damit ist die Handlung auf der Figurenebene beendet; im letzten Aufzug tragen die Königskinder Canopus und Ostracine, indem sie hervor treten, in einander ergänzender Wechselrede die praktische Anwendung für das Publikum vor: Ostracine. Wollet ihr auch den Seegen haben, den Joseph hat? Canopus. Folget seiner Tugend nach, so habt ihr seinen Lohn.
In Zesens Assenat-Roman rehabilitiert ebenfalls der König Josef, indem er ihn zum Schaltkönig ernennt (174 f.). Beim anschließenden Mahl liest die Königin ein vom Königlichen Dichtmeister verfasstes Freudenlied auf Josef vor. Die Damen des Hofes erfahren erst durch dieses Lied von Josefs Erhöhung, weil sie nicht an der Versammlung der Reichsfürsten teilgenommen haben (168 ff.):
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Deutsches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 573: Neben den vielen Belegen für „lust büszen“ gibt es auch Verbindungen mit anderen Substantiven: mit „mutwillen“, „rachbegier“, „geltsucht“, „hasz“, „fürwitz“, „zorn“. Vgl. das Kapitel „Buße“, S. 235.
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D. Rehabilitation
Nun sahen sie auf Josefs heupte die Egiptische Krohne. Nun erblikten sie den Egiptischen Reichsstab in seiner hand. Ja was ihnen bisher unsichtbar gewesen, das ward itzung ihren augen entdekket. (177)
Die Erzählinstanz hebt dadurch die performative Wirkung des Gedichtvortrags hervor: Sie schafft eine soziale Wirklichkeit, die nicht an realen Kronen und Szeptern hängt, sondern allein an der vom König und nun von der Königin zugesprochenen Funktion. Die Einsetzung ist jedoch nur für die Lesenden eine Rehabilitation, denn die versammelten Hofleute kennen Josef nicht. Das deklarative Gedicht muss also nicht gegen eine durch die Verleumdung beeinflusste Meinung ankommen, sondern schafft aus einem Unbekannten einen Schaltkönig. Der Nitokris allein kahm es nicht fremde vor (176). Sie fungiert als Reflektorfigur, die wie die Lesenden Josefs ganze Geschichte kennt. Sie wünscht in Gedanken, dass Assenat sehen könnte, wie sich ihr Traum erfüllt (177). Das Freudenlied formuliert derweil noch abstrakt den Wunsch, dass Josef, der Heiland des ägyptischen Reiches, bald eine Heilandin finden möge (179).9
2.1. Neidlosigkeit als Zeichen der Reintegration Neid und Eifersucht werden oft als Ursache beschrieben, dass es überhaupt zu Verleumdungen kommt. Entsprechend wird am Ende eines Konfliktverlaufs, bei der Rehabilitation und Reintegration, oft betont, dass kein Neid mehr herrsche.10 In Zesens Assenat bemerkt die Erzählinstanz nach Josefs Ernennung zum Schaltkönig: In dergleichen fällen pflegt sich sonst der Neid gemeiniglich mit einzumischen. Aber alhier schien dieses laster gleich als gantz verbannet. Es war ein großes wunder. Wunder war es gewis, daß den Josef nicht einer beneidete. (181)
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Gemäß Deutschem Wörterbuch Bd. 10, 1877, Sp. 821 ist dies eine übliche Bezeichnung für einem Land Rettung und Wohlstand bringende Menschen: „von menschen, die von einem schweren und allgemeinen übel befreien und heil bringen; […] ZINKGREF apophth. 1 (1626) 252; disz ist Jothams fabel, desz weisen mannes und groszen regenten, und lieblichen heilandes in Israel, Gideons sohn. SCHUPPIUS 828; er war dazumal mein heiland, asylum, refugium meum tunc temporis erat. STIELER 818; der heiland des landes.“ Vgl. die in diesem Unterkapitel folgenden Bsp. und den folgenden Titel: Johann Gorgias (Ps. Veriphantor): Jungferlicher Zeit-Vertreiber. Darinnen meistentheils alle Jungferliche Kurtzweilen/ welcher sie sich zu gebrauchen/ so wol heimlich als öffentlich/ pflegen/ entdekket werden. Und wie ein jedweder Liebhaber könne seiner Liebsten Tugend oder Untugend erkennen? Dem Neid zu Leid. Der Aller-Volkommensten und Uberirdischen Schäferin Florinda. Meiner Treugeliebten Hertzens-Zwingerin. Aber allen Liebhabern der Hochdeutschen Sprachen/ zum Nutzen und Ergötzen heraus gegeben. O. O. 1665.
2. Reintegration durch Rehabilitation
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Es herrscht demnach vollkommene Harmonie unter der tafelnden Hofgesellschaft. Nur eine Seite vorher meint jedoch die Erzählinstanz, nachdem sie die schmachtenden Blicke der anwesenden Frauen beschrieben hat: Were die Fürstin Assenat gegenwärtig gewesen, ich gleube gewis, es würde ohne schmählsichtigkeit nicht abgelauffen sein. Hette sie diese spielenden blikke, die alle auf Josefs herliche schönheit zuspieleten, erblikket; sie würde ihnen gewis mit liebseifrenden [eifersüchtigen] blikken begegnet haben. (180)
Diese Vorstellung der Erzählinstanz mutet etwas seltsam an, weil Assenat zwar die Auflösung ihres Geburtsorakels erfahren (49 – 52) und einen Traum über ihre Zukunft gehabt (90 ff.), aber Josef noch nie gesehen hat. Wenn jedoch beachtet wird, dass auch in anderen Texten erst Verheiratete vor Neid und Eifersucht sicher sind, kommt dieser Stelle vorausdeutenden Charakter zu, indem sie mitten im Rehabilitationsmahl darauf hinweist, dass erst die Heirat die volle Integration bringen wird. Der Text erwähnt hier eine topische Station eines Werbeverlaufs, hält die beiden füreinander Bestimmten aber bis zum Eheversprechen von direkter Interaktion fern. Mit dem Eheversprechen hört auch in anderen Texten der Neid auf. Die Phase der Zweifel, gegenseitigen Verleumdungen und Verdächtigungen wird bei Zesen im Gegensatz zu den Bearbeitungen der Josefsgeschichte von Meier und Weise nur hypothetisch erwähnt, aber es wird bei jeder Gelegenheit die Keuschheit der beiden hervorgestrichen.11 Die Lesenden werden dadurch davon abgehalten, Assenat oder Josef der Untreue zu verdächtigen; deren Keuschheit erscheint umso strahlender. 11
Bei Meier ist Joseph nicht einmal der erste Bewerber um Assenaths Liebe; schon länger bemüht sich Abifares vergeblich um sie, tröstet sich zeitweilig mit der Liebe zu Seres, der er im Gegensatz zu Joseph nicht widerstrebt (§65), und entführt Assenath an ihrem Hochzeitstag, der den in-medias-res-Anfang des Romans bildet (1. Buch, § 10). Der Roman enthält außerdem eine überkreuzte Eifersuchtsgeschichte: Assenath schickt Joseph einen Brief (der eingerückt wird), dass sie über seine Liebe zur feindlichen, hyskischen Prinzessin Sebenna enttäuscht sei und damit rechne, dass er nun auch Ägypten verraten werde, und deshalb ihr Vaterland verlassen habe (2. Buch, § 100). Josephs Diener bringt in Erfahrung, dass Assenath durch das Gerücht veranlasst wurde, Joseph beobachten zu lassen (2. Buch, § 101 f.). In direkter Figurenrede beklagt danach Joseph die auf der äußerlichen Verwechslung von Freundschaft und Liebe beruhende Fehleinschätzung des Beobachters (2. Buch, §103). Sabenna hat die Unterhaltung zwischen Joseph und dem Diener in der Gartenlaube mitgehört, was Anlass zur ausführlichen Darstellung von Sabennas Verzicht und der gegenseitigen Beteuerung der Freundschaft gibt (2. Buch, § 103 – 107). Umgekehrt erzählt dem Joseph sein Jugendfreund Theman von Reguels (ebenfalls unglücklichen) Liebe zu Assenath (2. Buch, § 117). Reguel rettet die beiden gegen Räuber. Als er Josephs Liebe zu Assenath bemerkt und von Theman erfährt, dass Josephs Hoffnungen den Segen des Königs besitzen, würde er sich gerne mit ihm schlagen, kann es aber wegen seiner Wunden nicht (2. Buch § 129). Sebenna redet ihm seine Liebe zu Assenath so liebreich aus, dass er sich in sie verliebt (2. Buch, § 131 – 133). Die Hyksen, die Assenath gefangen genommen hatten, schicken sie zurück. Da der Gesandte Assenath schon von Josephs Unschuld überzeugt hat, ist es ein Leichtes, die beiden zu versöhnen (2. Buch, § 134). Reguel bittet Assenath um Verzeihung und verspricht, ihr nur noch in Freundschaft verbunden zu sein. Er heiratet Sebenna (2. Buch, § 135).
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Nach dem Eheversprechen im fünften Buch wird dann auch für diesen Ablauf der Neidlosigkeitstopos bemüht: Jederman war, mit ihm [Josef ], erfreuet. Jederman wündschte den neuen Breuten glük (224). Die juristische Dissertation von 1690 de Literis Amatoriis spricht der Absage an Gerücht und Verleumdung sogar performative Wirkung zu: Ich will Euch haben und nehmen, die Leute mögen reden, was sie wollen komme einem Eheversprechen gleich (Thesis. XVI). In Weises Josefsdrama wird der reuigen Verführerin Seres der selbstlose Wunsch in den Mund gelegt: So will ich zur schuldigen Danckbarkeit und zum Zeichen meiner beständigen, doch unbefleckten Affection Fräulein Asnath bitten, daß sie diese Liebens-würdige Person [Joseph] ewig lieben wolle. Geniesset daßjenige mit einander, was sonst allen Menschen auf der Welt versaget ist (V. 19).
Diese Stelle macht besonders deutlich, dass die Absage an Neid, Eifersucht und Verleumdung die Institution der monogamen Ehe formuliert und alle Ansprüche, die forthin auf einen der beiden Ehepartner gemacht werden, als Verletzung des sozial unterstützten Exklusivitätsanspruches zu gelten haben. Das Hochzeitsgedicht Der Beschertzte Bockes-Beutel beschreibt dies in Markt-Metaphorik: Nun ruffet man Glück zu, es ist geschlossner Kauff, | Die Lieb ist offenbahr, das Neiden höret auff (V. 7 f.). Die Neidlosigkeit auf der Figurenebene führt den Lesenden die angemessene Haltung gegenüber der Institution Ehe vor: Dritten sind jegliche Ansprüche an einen der Ehegatten verboten. Dieser Topos hat demnach Vertragscharakter, indem die anderen Figuren damit gleichsam auf ihre Ansprüche verzichten. Das Ende des sozialen Dramas der Verleumdung wird in diesen Fällen mehr durch den Neidlosigkeitstopos signalisiert als durch das Eheversprechen. Dieser Topos fokussiert den gesellschaftlichen Aspekt des Ehebruchsverbotes, indem es die übrigen, nicht das neue Ehepaar, in die Pflicht nimmt. Dadurch ist dieser Topos sehr geeignet, normativ zu wirken, da sich die realen Lesenden leicht als Teil dieser allgemein definierten Umgebung begreifen können. Dieser Topos untermauert nicht nur das Ehebruchsverbot, sondern propagiert die Ehe auch als Zufluchtsort vor Gerücht und Verleumdung. Diese Absage an die tratschende Umwelt wird im Morgen-gebeht am sontage aus Filip von Zesens Frauenzimmers Gebeht-Buch von 1657 als Absage an die Welt geformt. Das weiblich konnotierte Ich betet: Zeume meine zunge/ das unruhige übel/ daß sie mich durch boßhaftiges verleumunden/ durch spöttisches afterreden/ und schändliches lästern nicht zu fall bringe; löse sie aber/ daß ich dein lob und deine rechte verkündige/ und mein gespreche von dir habe. […] Versperre mein hertz vor allen lüsten des verderblichen fleisches; entschleus es aber den gaben des heiligen Geistes: damit ich ausziehe die beflekten kleider der nacht/ und mit dem helme des lichtes gewafnet/ erbarlich wandele/ als am tage; nicht in üppigkeit und frefel/ nicht in schlämmen und unzucht/ nicht in zanksucht und neid; sondern/ dasz ich
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anlege das geistliche braut-kleid/ meinen himlischen Bräutigam/ und mich in wahrem glauben und […] kristlichem wandel mit Ihm vereinbahre (351 f.)12
Das betende Ich bittet um die Fähigkeit, Verleumdungen und Neid hinter sich zu lassen, um sich mit dem himmlischen Bräutigam zu vermählen. Es ist das umfassende weibliche christliche Ich, das gleichzeitig Umwelt und Braut ist. Das Konfliktverlaufmuster der verleumdungsgefährdeten Werbephase endet hier in einer neidlosen Hochzeit besonderer Art. Durch die religiöse Konnotation erhält die Ehe als Zufluchtsort zusätzliche Bedeutung und Legitimation.
2.2. Rehabilitation als Balance zwischen Schaden und Nutzen Wenn vorbildlich treue Ehefrauen gezeigt werden sollen, gehören zum festen Exempel-Inventar auch Frauen aus der Geschichte, die ihren Männern (meist im Krieg) in allen Widerwärtigkeiten treu geblieben sind und sie aus schwierigen Situationen gerettet haben. Eines der beliebtesten Exempel sind die Frauen von Weinsberg, denen gestattet wird, aus der belagerten Burg ihre persönlichen Habe hinauszutragen. Sie nehmen ihre Männer auf den Rücken und retten ihnen so das Leben.13 Diese Exempel beinhalten zwar Unannehmlichkeiten für die Frauen, aber in der Regel keine Normenkonflikte. Im Frauenzimmer Gesprächspiel Die Ehre (VII, 396 – 424) erzählt die Figur Julia von Freudenstein eine Geschichte, die eine solche eheliche Hilfesituation auf ein Dilemma zuspitzt: Reynucius, ein Bürger der Stadt Coma, wird unter Spionageverdacht gefangen genommen. Der Obrist der Stadt, Don Garcias, hat sich vorgenommen, die Anklage anzuhören und ihn zu einem schmählichen Tod zu verurteilen (VII, 403). Reynucius’ schöne und tugendreiche Frau Leocadia hält aus ehelicher Pflicht täglich bei Don Garcias um die Freilassung ihres unschuldigen Mannes an, indem sie sich ihm zu Füßen wirft, weint und bittet. Don Garcias giebt ihr zu verstehen (VII, 403), dass er ihren Mann freigebe, wenn sie seines Willens werden wolte (VII, 403). Unmittelbar auf diesen Satz wird ihr Dilemma nacheinander zuerst als Psychomachie, als Kampf im Gemüt, und danach als Gedankenbericht dargestellt, die 12 13
Hier klingt auch die bußfertige Absage an die Welt im glaubenden Hinblick auf Gott an. Vgl. dazu das Kapitel „Buße“. Z. B. bei Junius, 1609, 12. Frage im zweiten Teil über die Pflichten der Ehefrau: „Zum andern wird von dem gefordert, das sie irem Mann Trew beweise und erzeige: […] Und das Exempel der Weiber zu Weinsberg ist denckwirdig, welche an stadt der Bürden, ihre Männer auff den Rücken gefasset, und von der Tyranney der feinde sie errettet haben“. Sachse, 1605, 12. Kap. als Exempel für die eheliche herzliche gegenseitige Liebe. Für die anhaltende Beliebtheit dieses Exempels spricht, dass es heute noch unter dem Stichwort „Burgruine Weibertreu“ zuoberst auf der Homepage von Weinsberg prangt, das sich stolz „Stadt der treuen Weiber“ nennt (http://www.weinsberg.de, 27. 8. 2002).
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D. Rehabilitation
zunächst zum Ergebnis der Gleichwertigkeit der beiden Normen (Keuschheit und Treue) kommen: Die Ehre und die Liebe hatten einen harten Streit in dieses Weibes Gemüt, sie wolte gerne beedes, mit Verlust ihres Lebens erhalten, wann die Wahl in ihren Handen gestanden were (VII, 403). Sie darf mit ihrem Mann Rücksprache halten. Im Plädoyer gegenüber ihrem Mann votiert sie für die Ehre als höheres Gut und möchte ihn überzeugen, den Tod auf sich zu nehmen, weil das Mittel sein Leben zu retten, ärger als tausend Tod were (VII, 404). Das Dilemma des Mannes wird anschließend berichtet: Nachdem nun der Gefangene verstanden, daß seines Weibes Ehre das Lößgeld seiner Verhafft, für welches sie das Leben viel lieber geben wolte; Hat er erstlich seines ehrliebenden Weibs, und die Wolfahrt seiner Kinder (massen dergleichen Personen Güter der Obrigkeit heimfallen) gering geachtet, und lieber zu sterben entschlossen, endlich doch ein solches Abscheuen für der Todesart, und des Henkers Folterhand gefasst, daß er seinem ehrlichem Weib zu Füssen […] gefallen, und mit vielen Threnen gebeten, sich seiner zu erbarmen, und auf besagte Weise aus der Gefängnisz zu retten; mit ümständiger Meldung, welcher gestalt seine und ihre Unschuld, an höhern Orten eröffnet, und die abgeraubte Ehre wieder geben, oder ja die Unehre, welche in einem eignen Wahn bestünde, verschwiegen blieben [sic] könte. (VII, 404 f.)
Die ebenfalls als Gedankenbericht gestalteten Güterabwägungen des Mannes nehmen mehr Platz ein als diejenigen der Frau. Sie sind widersprüchlich, aber im Gegensatz zu derjenigen der Frau, die ihren Mann um Rat fragt, abschließend: Die erste Güterabwägung gewichtet die Ehre seiner Frau am höchsten, die zweite sein Leben. Die zweite Güterabwägung wird unterstützt durch die darauf folgende Bemerkung Vespasians, eines Teilnehmers des Rahmengesprächs: Die wahre Ehre bestehet in der Zeugschaft, welches unser Gewissen der Tugend ertheilt; dann der Menschen Augen leitlich [sic vermutlich für leichtlich] zu betrügen (VII, 405). Danach fährt die Figur Julia in ihrer Erzählung fort: Der Ehemann und Garcias können Leocadia bereden (VII, 405), dass sie ihren Ehemann erlöst, indem sie auf Garcias’ Vorschlag eingeht und ihm zusätzlich noch tausend Ducaten bezahlt. Zu beachten ist hier, dass Leocadia nicht einfach ihrem Mann gehorcht, sondern von ihm überredet oder überzeugt wird. Der Gedankenbericht ist eine Reduktion auf die Gründe dafür und dagegen und stellt in diesem Sinne die Disposition einer Rede dar, die zu Leocadias Überredung dient. Im Gegensatz zum Plädoyer Leocadias, der in einem einzigen, allerdings in seiner klaren Präferenz für die Ehre deutlichen Satz besteht, werden für Reynucius’ Überzeugungsleistung alle rhetorischen Mittel in Anspruch genommen. Er führt nicht nur mehr Gründe an, sondern unterstreicht sie auch mit der entsprechenden actio, mit Fußfall und Tränen. Don Garcia hält jedoch nicht Wort, sondern, damit seine Unthat nicht eröffnet würde (VII, 405), lässt er Reynucius trotzdem hinrichten. Ihre Freunde raten Leoca-
2. Reintegration durch Rehabilitation
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dia zur Klage an den Herzog von Ferrara, welcher Garcias unter Todesandrohung befiehlt, Leocadia zu heiraten. Diese willigt erst ein, nachdem der Herzog ihr im Vertrauen eröffnet hat, dass er Garcias danach ebenfalls hinrichten lassen werde. Dadurch fallen alle seine Güter an Leocadia, welche üm fünf- oder sechstausend Ducaten reicher, die Zeit ihres Lebens in dem Wittibstand zugebracht, und von jederman geehret worden (VII, 407). Die Figuren beziehen sich in ihren Handlungsentscheidungen in unterschiedlicher Weise auf Beobachtungsinstanzen: Während Leocadia ausschließlich mit abstrakten Tugendbegriffen argumentiert, erwähnt ihr Mann am Schluss, dass die geraubte Ehre von Gott wiedergegeben werde oder die Unehre, welche in einem eignen Wahn bestünde, verschwiegen blieben [sic] könte (VII, 404 f.). Für die gesellschaftliche Umgebung gibt es erst dann Unehre, wenn sie Anlass bekommt, eine solche zu konstituieren; vorher besteht Unehre in gesellschaftlicher Hinsicht in einem eignen Wahn: Das Ehepaar nimmt die gesellschaftliche Reaktion vorweg, ohne dass diese eintreten muss.14 Aber der Ehemann überzeugt seine Frau nicht von einer Handlungsalternative, welche wie in der ersten Güterabwägung diese gesellschaftliche Ehre berücksichtigen würde, sondern von derjenigen, die sein Leben erhalten sollte. Der Obrist Garcias jedoch handelt so, dass ihm in den Augen der Umgebung kein Vorwurf gemacht werden kann. Er erpresst zwar von Leocadia Beischlaf und Bestechungsgelder, lässt aber Reynucius trotzdem hinrichten, damit die Umgebung nicht auf den Gedanken kommen kann, er habe solche Verbrechen begangen. Diese Umgebung wird im Bericht über seine Gedanken ausdrücklich umrissen: viel Hauptleute auf sein Tun ein wachendes Aug hatten (VII, 405). Der Gedankenbericht macht diese sozialen Rücksichten explizit. Die Gesprächsteilnehmerin Julia erzählt weiter, dass Freunde Leocadia zur Anklage gegenüber dem Herzog von Ferrara raten (VII, 406). Die Lesenden können daraus schließen, dass sie offensichtlich keine sozialen Rücksichten genommen hat und den Vorfall sogar ihren Freunden erzählt hat. Vor dem Herzog gibt Garcias die That, als ein Soldatenstükklein (VII, 406), zu. Er rechnet also damit, dass der Herzog für sie beide, als Soldaten, andere Gesetze anwendet. Unterstützend führt er ein Sprichwort15 an, das seine Erwartung ausdrückt, dass auch Leocadia ihr Handeln nach sozialen Rücksichten ausgerichtet habe und lieber den Schaden begrenzen und schweigen als als Ehebrecherin dastehen wollte, da sie ihren Mann auch durch dieses Eingeständnis nicht mehr hätte lebendig machen können. Die schwierige (im Text nicht explizit reflektierte) Aufgabe des Herzogs besteht nun darin, Leocadia gleichzeitig Recht zu verschaffen und ihr wieder zu Ehre, das heißt öffentlichem Ansehen, zu verhelfen. Er befiehlt Garcias unter Androhung des 14 15
Vgl. das Kapitel „Verleumdung“, S. 161. „zu geschehenen Sachen das Beste reden“ (VI, 406).
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D. Rehabilitation
Todes, Leocadia zu heiraten. Einer solchen politischen, auf die öffentliche Meinung Rücksicht nehmenden Lösung steht Leocadias Normenvorstellung jedoch entgegen, indem sie den Mörder ihres Manns, und Rauber ihrer Ehre nicht einmal kennen will (VII, 406). Erst als sie der Herzog ins Vertrauen zieht, lässt sie sich mit Garcias trauen und verspricht ihm die ehliche Treue (VII, 406). Im Text wird überhaupt nicht thematisiert, dass Leocadia eigentlich allen Grund hätte, dem Herzog zu misstrauen und zu befürchten, dass er sie ebenso übervorteilen werde und sie am Schluss die Ehefrau Garcias’ bleiben müsste. Der Text spielt vielmehr mit der Ironie, dass Garcias genauso gutgläubig auf den erpresserischen Vorschlag des Herzogs eingeht wie vorher Leocadia auf seinen eigenen, allerdings mit dem Unterschied, dass für ihn kein Dilemma entsteht, da er Leocadia begehrt. Der Nachteil aus dieser Heirat, nämlich dass seine Güter nach seiner Hinrichtung Leocadia zugesprochen werden, erwächst nicht ihm, sondern seiner Familie. Auch hier wird nochmals ein Argument gespiegelt, das bereits in der ersten Güterabwägung von Reynucius erwähnt wurde: Dort wollte dieser der Ehre seiner Frau wegen lieber auf den Wohlstand von Frau und Kindern verzichten, indem seine Güter nach seiner Hinrichtung der Obrigkeit anheimgefallen wären. Sogleich nach der Heirat wird Garcias hingerichtet, allerdings wird ihm Zeit gelassen, sich zu dem Tod [zu] bereiten (VII, 406), das heißt seine Sünden zu beichten. Garcias Vermögen erhält Leocadia. Für Reynucius wird im letzten Satz angenommen, dass ihm Gott als einem Unschuldigen vergeben wird, obwohl er das Leben der Ehre vorgezogen hatte.16 Die ausgleichende Gerechtigkeit und die Achtung ihrer Umgebung, die Leocadia erfährt, werden hier gleichgesetzt mit der göttlichen Rettung ihres hingerichteten Ehegatten. Trotz dieses Schlusses, der die beiden Eheleute belohnt, bleibt der Zusammenhang zwischen moralischer Einstellung und Ergehen ambivalent: Leocadia hält an ihrer ehelichen Treue durch die Erzählung hindurch und selbst nach dem Tod ihres Mannes grundsätzlich fest. Zum Beischlaf mit Garcias und damit zum Ehebruch lässt sie sich einerseits von ihrem Mann im Sinne einer Güterabwägung, andererseits von Garcias selbst bewegen. Damit versündigen sich alle drei.17 Als Strafe für diese Versündigung kommen die Hinrichtungstode der beiden Männer in Betracht, allenfalls auch der Verlust des Ehemannes und der Ehre für Leocadia.
16
17
Die Stelle ist allerdings etwas dunkel, vermutlich aufgrund eines Übersetzungsfehlers: „Wann auch Reynucius die Ehre dem Leben nicht hätte vorgezogen; so würde ihm der Schutzherr aller Unschuldigen, sonders zweiffel, aus seinen Nöhten errettet haben“ (VI, 407, Randquellenangabe: „Belleyans Even. l. 4. n. 9“). Auch Anstiftung zum Ehebruch gilt als Bruch des sechsten Gebots, vgl. oben S. 58. Weil es bei dieser Untersuchung um die Wirkung auf lutherische Lesende geht, wird die Erzählung aus lutherischer Perspektive analysiert, obwohl die Vorlage aus Frankreich stammt.
2. Reintegration durch Rehabilitation
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Das Ergehen bestätigt im Nachhinein Reynucius’ Güterabwägung, welche die Gattentreue im Sinne der Lebenserhaltung über Leocadias Ehre gestellt hat: Leocadia hätte, wenn sie sich Garcias nicht hingegeben hätte, zwar ihre Ehre schon gar nicht verloren, aber das ganze Vermögen – was in der ersten Güterabwägung, die deshalb für den Ergehenszusammenhang eine Funktion bekommt, ausdrücklich erwähnt ist. Durch den Handel mit Garcias hat sie zwar vorübergehend tausend Dukaten verloren und ihre Ehre gefährdet, wird aber schließlich rehabilitiert und ist am Schluss reicher als vorher. Ihre Kränkung wird durch die vorgeschlagene Heirat zunächst verdoppelt, indem sie erneut gezwungen ist, sich mit dem Mann einzulassen, der ihrem Ehemann Unrecht getan hat, danach aber durch Garcias’ Hinrichtung gesühnt.18 Reynucius, der unschuldig als Spion verdächtigt wird, geschieht auf Erden kein Recht. Seine Unschuld dient offensichtlich nur dazu, das Dilemma für die Frau größer zu machen als für ihn. Denn wäre er schuldig, hätte er mehr Grund, den Tod auf sich zu nehmen. Seine Unschuld verstärkt das Dilemma, seine Tugend, auch wenn sie durch die Anstiftung zum Ehebruch Schaden gelitten haben sollte, wird nicht belohnt. Allerdings wird seine Hinrichtung im Bericht über Leocadias Gedanken (VII, 406) als Mord und damit als ungerecht beurteilt. Leocadia argumentiert stets mit ihrer Ehre, das heißt mit der Beschränkung ihrer sexuellen Beziehungen auf ihren Ehemann und nach dessen Tod mit ihrer sexuellen Selbstbestimmung19, an oberster Stelle ihrer Güterabwägungen. Das Festhalten an der Ehre im Sinn ehelicher Treue und Keuschheit wird den weiblichen Figuren in Texten aller Diskurse empfohlen. Nur diese Ehre bietet die Chance, vor Gericht Recht zu erhalten und nicht als schuldig zu gelten.20 In diesem Sinne ist sie Voraussetzung für das öffentliche Ansehen und die Rechtswürdigkeit, ja mit diesen identisch. Die Erzählung zeigt, wie leicht zu überlisten diese Norm Leocadia macht. Vor dem diskursiven Hintergrund ist auch für die Lesenden nicht zu erwarten, dass der Herzog auf die Rechtsansprüche einer Frau eingeht, die vorsätzlichen Ehebruch begangen hat. Ihr Mann votiert für sein Leben als höchstes Gut, Garcia für das Leben ihres Mannes zugunsten seines Vergnügens und der Herzog für ihr soziales Ansehen und ihren Wohlstand. Alle drei Argumentationen der Männer gehen auf Kosten ihrer sexuellen Selbstbestimmung. Die herzogliche Konfliktlösung teilt diese drei Aspekte und bestimmt ihr Verhältnis zueinander, indem die Ehre als durch die Ehe einsetz18 19
20
Damit kommt die Rehabilitation einer Bußhandlung nahe. Vgl. dazu das Kapitel „Buße“, S. 230. Mir ist bezeichnenderweise kein zeitgenössischer Ausdruck bekannt, der die freie Wahl des Sexualpartners beschreiben würde. Das Konzept gibt es jedoch, wie Leocadias weigerliche Antwort gegenüber dem Heiratsvorschlag des Herzogs belegt. Zum Verhältnis von Recht und Ruf in der Landesordnung von Sachsen-Gotha s. das Kapitel „Verleumdung“, S. 150.
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D. Rehabilitation
bar und deshalb als Gattentreue definiert wird sowie die Ehre als öffentliches Ansehen der sexuellen Selbstbestimmung übergeordnet wird. Die Konfliktlösung durch den Herzog ist so gestaltet, dass Leocadias soziales Ansehen als wichtigstes Gut hochgehalten wird, sie also genau wieder auf die Wahrung ihrer öffentlichen Ehre verpflichtet wird, welche Garcias für seinen Betrug – beinahe mit Erfolg – ausgenützt hatte.
2.3. Rehabilitation durch das Register In Filip von Zesens Assenat-Roman findet die Rehabilitation Josefs nicht nur auf der Figurenebene des Haupttextes statt, sondern ebenso auf der Definitionsebene des ausführlichen Sachregisters (533 – 549). Dieser Blatweiser fasst unter den Stichwörtern Sefira und Josef die Handlung aus Sicht dieser beiden Personen zusammen. Ehebruch kommt weder im Lemma Sefira, in dem sich allerdings unzucht findet, noch unter dem Stichwort Josef vor. Unter Letzterem erscheint immerhin Seine Keuschheit und Tugend, die jedoch zwischen den anderen zu seiner Beschreibung gehörenden Stichwörtern steht und nicht im Zusammenhang der Stichwörter, die sich auf die Verführungsepisoden beziehen.21 Diejenige Handlung, die von Sefira angeführt wird, reicht sowohl im Haupttext als auch im Blatweiser kaum über die Verführungsepisoden hinaus. Von den Stellen, die zu Josefs Leben angegeben werden, macht die Verführungshandlung nur ein gutes Viertel aus. Werden die einzelnen, im Blatweiser aufgeführten Schritte der Verführungshandlung einander gegenübergestellt, ergibt sich das in der Tabelle dargestellte Bild. Die Stichwörter unter dem Lemma Sefira stellen die Verführungsepisoden chronologisch als Handlungen Sefiras dar. Zweimal werden Josefs Reaktionen auf ihre Verführungsversuche unmittelbar anschließend, also auch chronologisch eingefügt. Unter dem Lemma Josef sind die Handlungen jedoch nach Handlungsträgern und auch innerhalb dieser beiden Kategorien nicht chronologisch geordnet.
21
Der Normenvermittlung bestimmt nicht förderlich ist die Tatsache, dass nur eine der vier Seitenangaben zum Thema „Seine Keuschheit und Tugend“ auf eine Stelle verweist, die sich explizit dazu äußert; die anderen Stellen über Sefiras Angst vor dem Gesinde, lustwandelnde Ägypter und Bohnentrinkschalen würden nur den mutigen Exegeten unter den realen Lesenden etwas über Josefs Tugenden verraten; wahrscheinlicher ist es, dass es sich hier schlicht um Druckfehler handelt. Die Seitenverweise der Ausgaben stimmen mit dem Original von 1670 in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel überein [HAB Lo 8303]. Für diese Abklärung danke ich Christian Hogrefe.
2. Reintegration durch Rehabilitation
205
Sefira, der Assenat stiefmutter
Josef, Jakobs sohn, der jüngste Osiris, Apis und Serapis
Auf dieser Seite stehen die Einträge, wie sie sich im Blatweiser unter dem Stichwort ‚Sefira‘ finden.
Auf dieser Seite werden die Einträge des Stichwortes ‚Josef‘ den entsprechenden des Stichwortes ‚Sefira‘ gegenübergestellt. Die Zahlen geben die Reihenfolge innerhalb des Stichwortes ‚Josef‘ an.
verliebt sich in den Josef
3) [Gemahlin] die sich in ihn verliebt 1) wird auf Potifars befehl gefänglich bewahret
Sie kauft ihn
2) und seiner gemahlin verkauft
Begegnet ihm mit liebesblikken, die er in den wind schläget Ihr listgrif zu ihrem ziele zu kommen Giebt ihre liebe was deutlicher kund, und stellet sich, als hielte sie den Josef vor ihren Sohn
7) Er giebt ihr artznei wider die unfruchtbarkeit
Hierauf bricht sie gar heraus, und eröfnet ihre rechte meinung
4) [Gemahlin, die] ihm sehr zusetzet mit worten
Auf guhte worte folgen bedreuungen
5) und bedreuungen
auf diese allerlei ränke
6) auch vielerhand ränken 8) ermahnet und bestraft sie, 9) wird durch einen Engel gewarnet
Sie tuht den vorschlag, ihren Ehherrn aus dem mittel zu reumen, und dan den Josef zu ehligen
8) ermahnet und bestraft sie
Endlich wil sie ihn mit gewalt zur unzucht zwingen; er aber entfliehet Hierauf bezüchtigt sie ihn fälschlich bei ihrem Herrn, der ihn ins gefängnis würft
10) auf anklage der Sefira ins gefängnüs geworfen
Ja bestürmet ihn selbst im gefängnüsse; und suchet ihn mit gifte zu tödten Darüber stürbet sie plötzlich
Dass und wie Josef Sefiras gewalttätigem Verführungsversuch entkommt, steht ausschließlich unter dem Lemma Sefira, obwohl gerade diese Verführungsszene in der Bibel steht (1 Mo 39, 12). Unter beiden Lemmata erscheint Sefira als hauptsächliche Handlungsträgerin der Verführungsepisoden; Josefs Handlungsanteile, die im Text einigen Platz einnehmen, werden als gering dargestellt: Das Lemma Sefira erwähnt nur zwei Gegenreaktionen Josefs, und unter dem Eintrag Josef finden
206
D. Rehabilitation
sich Josefs Gegenreaktionen unter Er giebt ihr eine artznei wider die unfruchtbarkeit und ermahnet und bestraft sie zusammengefasst. Der Eintrag Josef stellt also dessen Verhalten als gleich bleibende Eigenschaft dar, während beide Lemmata Sefiras Verhalten als sich steigernde Folge von sich stets ändernden Handlungen beschreiben. Der Eintrag Josef macht einen kategorialen Unterschied zwischen den Handlungen Sefiras und Josefs, indem er sie trennt. Der Eintrag Sefira folgt hingegen der chronologischen Steigerung der Verführungsversuche. Im Gegensatz zum Haupttext, in dem Josef durchaus mit Handlungsvarianten und Gegenargumenten auf Sefiras Versuche eingeht, wird Josef im entsprechenden Lemma zum völlig eindimensionalen Tugendbeispiel ohne Handlungsalternativen. Der absichtsvolle Umgang mit Handlungsalternativen, den der rhetorisch-politische Diskurs so schätzt und der im Haupttext auch an Josef vorgeführt wird, bezeichnet der Blatweiser abschätzig als allerlei ränke. Der Registereintrag entspricht dem Interpretationsmuster, das die Lesenden bei der Lektüre des Haupttextes im Kopf haben (sollten). Über die Bereitstellung dieses Musters wird Josefs und Sefiras ‚Ruf‘ bei den Lesenden gesteuert. Das Register kennt die Interpretationsschwierigkeiten der Figuren nicht, in ihm präsentiert sich die ‚Wahrheit‘; Sefira wird in ihrem Lemma verurteilt und hingerichtet, unter dem Lemma Josef ist gar kein Vergewaltigungsversuch aufgeführt, das heißt diese Stelle definiert, dass er nicht stattgefunden hat. Dieser Unterschied entspricht dem Ergebnis des Haupttextes: Das Ereignis ist für Sefiras Nachruhm entscheidend, für Josefs nicht.
2.4. Rehabilitation durch Eid Die Landesordnung von Sachsen-Gotha verlangt, dass Frauen eine Vergewaltigung sofort mindestens zwei vertrauenswürdigen Leuten mitteilen, und zwar deshalb, weil zu befürchten sei, dass manche eine Vergewaltigung nur vorgäben. Diese Unterstellung wurde bereits als Verleumdung von Amtes wegen beschrieben.22 Die Landesordnung sieht nun auch ein Verfahren vor, wie Frauen diesen Vorwurf wieder von sich weisen können, wenn aus den angegebenen Umbständen die vorgeschützte violentz nicht allerdings gewiß seyn würde (2. Teil, 4. Kap., 10. Tit., Abs. 10, 243). Sie sollen dann mit eynem Eyde […] ihrer Unschuld halben sich zu reinigen, angehalten werden (243). Der von Amts wegen verleumdeten Frau wird demnach die Möglichkeit eingeräumt, sich durch eine feierliche Erklärung vor Publikum, einen Reinigungseid, von dieser Verleumdung frei zu machen und zu 22
S. das Kapitel „Verleumdung“, S. 169.
3. Zusammenfassung
207
rehabilitieren. Dieses Publikum wird nicht nur als irdisches Gericht entworfen, sondern das Konzept des Eides impliziert, dass die Erklärung auch vor Gott geschieht. Die Landesordnung lässt keinen Zweifel aufkommen, dass der Eid vor Gericht die Macht hat, die Klägerin von der Verleumdung reinzuwaschen, denn sie gibt mehr der Sorge Ausdruck, dass dieses Mittel missbraucht werden könnte, als derjenigen, dass sich die Verleumdete damit nicht wirksam rehabilitieren könnte. Sie formuliert als Grund für die nötige frühe Anzeige die Vermutung, dass wenn die Untersuchung allein auf den Eid der Frauen abstellen müsse, diese oft Meineid begingen und sich versündigten, um sich vor Verleumdung und irdischer Strafe zu retten. Um dieser Versündigung auch dann noch vorzubeugen, wenn Zeugen vorhanden sind, verlangt sie im hier behandelten Fall, dass vor der Eidesleistung eine ernste Verwarnung für der schweren [göttlichen] Straffe des Maineydes ausgesprochen werde (243). Das kommt einer Aufforderung zur Gewissensprüfung gleich und verweist damit auf das Konfliktverlaufmuster der Buße.23
3. Zusammenfassung Allen Verfahren des Konfliktverlaufmusters Rehabilitation ist gemeinsam, dass sie versuchen, den Normenverstoß vergessen zu machen. Er verschwindet als soziales Faktum beziehungsweise wird als verschwunden erklärt. Paradoxerweise kann gerade das Für-vergessen-Erklären ein (wenigstens momentanes) Erinnern nötig machen. In dieser Hinsicht ist das Konfliktverlaufmuster der Rehabilitation mit demjenigen der Buße verwandt. Das Konfliktverlaufmuster Rehabilitation hebt sich von den übrigen dadurch ab, dass es der Konstruktion einer Wahrheit nicht nur dient, sondern sie auch thematisiert. Nur durch diese Konstruktion ist es überhaupt möglich, die Verleumdung, welche zur sozialen Wirklichkeit geworden ist, zu kritisieren. Auf der Figurenebene kann die Rehabilitation gelingen, weil eine Autoritätsfigur die verleumdete Person wieder einbindet: Auf der Figurenebene wird die Reintegration soziale Wirklichkeit, weil sie von den Instanzen ausgeführt wird, deren Worte kraft des Amtes performative Wirkung haben. Für die Lesenden trägt das Konfliktverlaufmuster Rehabilitation dazu bei, dass sie erkennen, was auf der Figurenebene als Wahrheit gelten soll. Es ist deshalb ein wichtiges normatives Muster,
23
Vgl. die Erwähnung des Gewissens bei der Betrachtung des unerwünschten Falles: „sie bedencken darbey den Vorhalt, und die schwere Straffe des Maineydes wenig, sondern trachten nur, wider Gewissen und vermessentlich sich der zeitlichen Schande und Straffe durch dieses Mittel zu entschüten [sic]“ (Landesordnung, 2. Teil, 4. Kap., 10. Tit., Abs. 9, S. 242). S. auch das Kapitel „Buße“, S. 232.
208
D. Rehabilitation
das die Fiktion der realen Lesenden hinsichtlich der sehr grundlegenden Annahme steuert, was auf der Figurenebene ‚der Fall ist‘. Die Textinstanz des Gerüchts spielt auch im Konfliktverlaufmuster Rehabilitation eine herausragende Rolle. Es ist das zur Instanz gemachte Medium, in dem sich die Rehabilitation abspielt. Erst die Spannung zwischen Verleumdung und Wahrheit kann das Konfliktverlaufmuster der Rehabilitation überhaupt anstoßen. Dafür ist es nötig, dass im dargestellten sozialen Rahmen überhaupt mehrere Meinungen möglich sind. Am Gerücht wird diese Voraussetzung vorgeführt: Als Gottes Stimme kann es Auslöser eines Rehabilitationsverlaufs sein. Als Volkes Stimme droht es stets von neuem mit Verleumdung und kann damit als Hindernis dargestellt werden, dass die Rehabilitation nicht oder nicht gleich gelingt. Der Gerichtsrahmen wird so dargestellt, dass dort berichtigende Entgegnungen der Verleumdeten möglich sind, dass also die Verleumdeten ihre Rehabilitation selbst in Gang bringen können. Der Streit der Meinungen vor Gericht verweist, weil er argumentativ ausgetragen wird, auf das Konfliktverlaufmuster der Disputation. Indem die Verleumdungsdrohung auch im Rehabilitationsmuster erwähnt wird, erscheint die Rehabilitation als prekär. Das drückt sich in den Texten in mehrfacher Hinsicht aus: Das Rehabilitationsritual auf Figuren- oder auf Definitionsebene kann nicht von allen ausgeführt werden; für die Rolle der Instanz, die mit deklarativer Wirkung rehabilitiert, ist Macht nötig: Die Königin und der König im Assenat-Roman haben institutionelle Macht auf Figurenebene. Die Definitionsinstanz desselben Romans bestimmt, was aus Josefs Handeln im Haupttext erinnerns- und abfragewert ist und deshalb Eingang in den Blatweiser findet. Für die Rehabilitation wird ein neuer sozialer Rahmen entworfen, entweder ein irdischer oder ein jenseitiger; die Schwierigkeit der sozialen Rehabilitation wird dadurch hervorgehoben, dass sie nur für das Jenseits in Aussicht gestellt oder, wenn sie gelingt, als Gnade Gottes bezeichnet wird. In diesem Konfliktverlaufmuster lassen sich nur wenige geschlechtsbezogene Asymmetrien feststellen. Als zentrales abschließendes Element, durch das eine Verleumdung im Bereich der Geschlechterbeziehungen vollständig revidiert ist, wird die Eheschließung verwendet. Mit dem Topos, dass damit aller Neid und alle Verleumdung ende, rehabilitiert die Definitionsinstanz deklarativ die Verleumdeten. Der Topos hat zwei normative Implikationen: Heirat wird dadurch einerseits als Schutz vor Neid angepriesen. Ehre, die insbesondere für Frauenfiguren als Gattentreue definiert wird, ist durch Ehe einsetzbar. Die Eheschließung revidiert deshalb vorhergehende Verleumdungen. Auch die Betende findet als Braut Christi Zuflucht vor dem Neid und vor dem Neidischsein. Die Erzählung Die Ehre thematisiert die Rehabilitation als heiklen Aushandlungsprozess zwischen dem Recht der Einzelnen und der öffentlichen Interpretation ihrer Handlungen, welcher zur paradoxen Lösung führt, dass die Frauenfigur, von der Beischlaf erpresst wurde, nur durch die
3. Zusammenfassung
209
Ehe mit ihrem Erpresser wieder zu Ehren kommt. Andererseits wird mit dem Neidlosigkeitstopos die Umgebung zur Enthaltsamkeit in Bezug auf die Eheleute verpflichtet. Der Topos schreibt Monogamie vor, nicht so sehr den Eheleuten, als vielmehr der Umgebung. Diese Pflicht zur Enthaltsamkeit der Umgebung bildet das Gegenstück zur geforderten ehelichen Treue der Eheleute. Im Konfliktverlaufmuster der Rehabilitation werden demnach nicht nur Normen für die Verleumdeten, sondern ebenso für die Umgebung vermittelt. Das gewährleistet, dass dieses Konfliktverlaufmuster nicht nur auf verleumdete Lesende normativ wirken kann.
E. Buße Das Konfliktverlaufmuster Buße ist nicht an theologische Thematik gebunden. Da es in dieser Untersuchung um Normen des Verhaltens zwischen Frauen und Männern geht, wird hier Buße aus dem sozialen Blickwinkel betrachtet, als textliches Ablaufmuster, das für die Darstellung von Normenkonflikten zur Anwendung kommt. Nicht immer werden Bußverläufe ausführlich gezeichnet, weshalb auch Textpassagen analysiert werden, die einzelne Elemente der Buße verwenden und damit die Buße als Konfliktverlaufmuster erscheinen lassen, das nicht ausschließlich dem theologischen Diskurs zuzuordnen ist. Gerade im Zusammenhang mit Normen der Geschlechterbeziehungen halten sich die Texte nur selten streng an lutherische Theologie; irdisches Buße-Zahlen und auf das Jenseits gerichtetes Buße-Leisten überblenden sich vielfältig. Trotzdem ist das Konfliktverlaufmuster Buße, wie zu erwarten, in den Texten des theologischen Diskurses gut vertreten. In diesem Kapitel behandle ich diese Beispiele anfangs etwas eingehender, weil sie den Bußverlauf sehr detailliert ausgestalten und damit den Prototypen des Konfliktverlaufmusters Buße schärfer konturieren. Wie das Konfliktverlaufmuster Rehabilitation ist auch dasjenige der Buße mit dem Verleumdungsmuster eng verbunden. Wenn Texte das Konfliktverlaufmuster Verleumdung anwenden, machen sie oft, das wurde gezeigt, dessen wirklichkeitsstiftende Macht deutlich. Im sozialen Sinn werden die Verleumdeten wirklich schuldig, und ihre Rehabilitation gestaltet sich entsprechend schwierig. Für das Konfliktverlaufmuster Buße ist es unerheblich, wie jemand schuldig geworden ist. Es bietet jedoch eine Reintegrationsmöglichkeit um den Preis der Anerkennung der eigenen Schuld, um den Preis der Demütigung. Der gegenüber der Rehabilitation größere Ritualisierungsgrad und die Autorität, die durch die starke Verankerung im religiösen Diskurs geschaffen wird, ermöglichen es, der Verleumdung oder Anklage eine neue soziale Wirklichkeit entgegenzusetzen. Im Gegensatz zur Verleumdung geschieht die Konfliktlösung nicht durch Ausschluss, sondern durch Integration der Normbrechenden. Im Unterschied zur Rehabilitation setzt sie nicht so sehr auf das Vergessen des Normenbruchs als vielmehr auf das Erinnern, was dieses Konfliktmuster ungleich wirkungsvoller für die Normenvermittlung macht.
212
E. Buße
1. Ritualisierter Verlauf Im 15. Locus De Poenitentia (VI, 196 – 343), seiner einflussreichen orthodox-lutherischen Dogmatik Loci Theologici von 1610 – 22, formuliert Johann Gerhard ein Phasenmodell für die Buße. Der Text ist als Lehrtraktat gegliedert, stellt lutherische Bußlehre dar und widerlegt katholische Autoritäten. Die Buße besteht gemäß § 40 (VI, 233 f.) aus zwei Hauptteilen, aus der Reue (contritio) und dem Glauben (fides). Als stützende Argumentation wird angeführt, dass die Buße gleichsam eine Bekehrung (conversio) sei, die von etwas (terminus a quo) zu etwas anderem (terminus ad quem) geschehe. Die Seite, von der sich die Bekehrten abwenden, sind die Sünden und das schlecht geführte Leben, durch deren Betrachtung (consideratio) Schmerz und Reue entsteht. Die Seite, zu der sich die Bekehrten hinwenden, ist Gott. Das menschliche Herz richtet sich auf, indem es auf Gottes Barmherzigkeit wegen des Mittlers Christus vertraut, das heißt an Gott glaubt. Mit mortificatio (Absterben) und vivificatio (Auferstehung) habe Philipp Melanchthon nichts anderes gemeint als Reue und Glauben (§ 44; VI, 239). In § 44 wird es freigestellt, zu Reue und Glauben als dritten Teil die Früchte der Buße (fructus poenitentiae) hinzuzufügen, nämlich eine Änderung des Lebens und Handelns zum Besseren (VI, 239). § 60 kritisiert jedoch die katholische Dreigliedrigkeit von Reue (contritio), Bekenntnis der Sünden (confessio) und Genugtuung (satisfactio), weil der Glaube darin fehle, der allein Gottes Gnade, die Vergebung der Sünden, die Abwendung der Strafen und das (ewige) Leben schenken könne. Anhand eines Vergleichs mit der Tragödie wird die katholische Aufteilung jedoch mit der lutherischen vereinbart: Wie die Tragödien aus drei Teilen bestehen, aus Einleitung (protasis), Verwicklung (epitasis) und Lösung (catastrophe), so stehen die drei Akte (actus) der Buße für sich, aber in der ganzen Handlung (fabula) spielt Christus gleichsam eine stumme Rolle (muta persona); der Glaube an Christus wird nicht erwähnt, durch den wir die Vergebung der Sünden erhalten. (VI, 250, Übers. UK)1
In Ergänzung zum katholischen Modell wird hier Christus explizit als stumme, auf der Ebene der Menschenfiguren mitspielende Beobachtungsinstanz geschaffen, die nicht nur zuschaut, sondern als seitlich teilnehmende mitspielt. Der Vergleich evoziert außerdem einen öffentlichen Rahmen für die Buße, und tatsächlich wird im Folgenden unter anderem die Unterscheidung zwischen privat und öffentlich für die verschiedenen Teile der Buße erörtert, wobei der private Rahmen eindeutig bevorzugt wird. Reue, so definiert § 63, bezeichnet einen wahren und ernsthaften 1
Die Begriffe entsprechen dem vom spätantiken Rhetoriker und Terenzkommentator Aelius Donatus systematisierten dreiaktigen Drama, das sich vor allem in der spanischen und portugiesischen Klassik (16./17. Jh.) durchsetzte (Wilpert, 71989, 216).
1. Ritualisierter Verlauf
213
Schmerz, der daraus entsteht, dass die einzelnen ihre Sünden erkennen und den göttlichen Zorn darüber spüren. Der Schmerz ist verbunden mit Gewissensängsten und Abscheu vor den Sünden (VI, 252). Gott schaue mehr auf die Reue des Herzens als auf äusserliche Gesten und Handlungen; das Herz, nicht die Kleider müssten zerrissen sein (§ 65; VI, 254), allerdings könne die Beschreibung der äußerlichen Zeichen sich im Sinne einer Synekdoche2 auf innere Reue beziehen (§ 66; VI, 256). Die Reue könne nur durch den Heiligen Geist bewirkt werden. Wichtiges Hilfsmittel des Heiligen Geistes sei das Predigen der Zehn Gebote, durch welches die Sünden und Gottes Zorn über sie offenbar würden (§§ 67 + 70; VI, 256 f.). Reue sei kein Verdienst und kein Werk der Menschen; die Meinung von Eckard,3 der sie als Wirkung verschiedener Seelenvermögen beschreibe, sei deshalb abzulehnen (§ 76; VI, 260). Nach Eckard geschehe im Gedächtnis (memoria) die Erinnerung der Sünden, im Geist (mens) die Betrachtung der verletzten göttlichen Gesetze, im Willen (voluntas) die Verabscheuung der erkannten Sünden, im Herz (cor) die Angst vor Strafe und Gericht und im Gewissen (conscientia) Schrecken, Schmerz, Bisse und Stiche (§ 76; VI, 260). Das Sündenbekenntnis kann gemäß § 97 einerseits öffentlich geschehen: Die ganze Gemeinde bekennt, indem sie der Stimme des Pfarrers folgt, ihre Sünden und bittet um Vergebung. Dies kann in täglichen Gebeten geschehen oder in außerordentlichen Fällen, in drohenden oder bereits eintreffenden allgemeinen Gefahrenlagen (VI, 274). Das private Sündenbekenntnis wird in § 98 nach Gesprächssituationen unterteilt: Die Glaubensbeichte richte sich an Gott, die Liebesbeichte an den beleidigten Nächsten und die Raths- oder Kirchenbeichte an den Pfarrer oder sonst einen Christen, von dem wir Trost erwarteten (VI, 275). Die Genugtuung kann einerseits gegenüber Gott in Betracht gezogen werden oder gegenüber den Menschen (§ 118; VI, 305). Die Genugtuung gegenüber Gott könne nur über den Erlöser Christus gefordert werden. Die Genugtuung gegenüber den Menschen wird wiederum in eine öffentliche und eine private getrennt: Die öffentliche Kirchenbuße wird historisch behandelt, für die wahre Reue nötig sei die private, bei der wir dem mit Worten oder Taten geschädigten Nächsten Abbitte leisteten und den Schaden wiedergutmachten (§ 122; VI, 311). Interessant an dieser Variante des Konfliktverlaufmusters Buße ist seine Mehrschichtigkeit. Es werden konsequent drei Rahmen entworfen, in denen Vergebung stattfinden kann: in der Beziehung gegenüber Gott, gegenüber der Gemeinde und gegenüber dem Nächsten.
2 3
Rhetorische Figur, die das Allgemeine statt des Besonderen nennt, oder umgekehrt (Ottmers, 1996, 175). Henricus Eckardus, ‚Dilucidatio Controversiarum Theologicarum de poenitentia et quaestionibus cognatis‘ (1610).
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E. Buße
In der Beziehung gegenüber Gott ist die Anklage universal. Die Vergebung ist es ebenfalls, hängt aber an der Voraussetzung des Glaubens, so dass sie nur potentiell eintritt. In diesem Rahmen ist die Buße ein (irdischer) Dauerzustand zwischen Sündenbekenntnis und Heilsgewissheit, zwischen Reue und Glauben. Der institutionelle Rahmen der christlichen Gemeinde entwirft die Dimension der sozialen Wirklichkeit. Mit der Ablehnung der Absolution als Sakrament wird diesem Rahmen die performative Wirkung in Bezug auf die Vergebung explizit abgesprochen. Im Rahmen der Beziehung zu einem einzelnen Menschen skizziert der Text ein zeitlich und personell begrenztes Verschulden, das durch Genugtuung und Versöhnung im Irdischen zu beheben ist. Dieser Bußverlauf unterscheidet sich gegenüber dem ersten durch seine Zeitlichkeit: Er hat einen klaren Anfang und ein klares Ende, auch wenn er nur eine Voraussetzung für die Buße gegenüber Gott darstellt.
2. Reue als Mittel der normativen Wirkung Gemäß dem 15. Locus Theologicus De Poenitentia wird also die Reue allein durch den Heiligen Geist bewirkt. Er bedient sich dabei zweier Mittel, einerseits der Gnade, andererseits des Wortes. Für die Vermittlung von Normen der Geschlechterbeziehungen in Texten ist die Gnade deshalb eher uninteressant, weil ihre Darstellung die Rezipierenden zu nichts auffordert, da sie per definitionem von diesen nicht bewirkt werden kann. Auch die Wirkung des Wortes muss vom Heiligen Geist vermittelt werden, aber auf der Ebene des sprachlichen Verständnisses setzen die Möglichkeiten rhetorischer Überzeugungs- und Aufforderungskunst ein. In dieser besonderen Rolle als Mittel des Heiligen Geistes wird nicht nur das Bibelwort gesehen; sondern sie bildet die Legitimation aller Literatur, die sich als erbaulich versteht.4 Als rhetorische Mittel werden die fünf Seelenvermögen, denen in De Poenitentia die Fähigkeit abgesprochen wird, Buße zu bewirken, von demselben Traktat jedoch sehr wohl berücksichtigt, wenn es um die Vermittlung der theologischen Lehrinhalte geht, indem er zum Beispiel durch die Paragraphengliederung die 4
Der reformierte Pfarrer Gotthard Heidegger geht in seiner Kritik der Romanpoetik, ‚Mythoscopia Romantica‘, von 1698 sogar so weit, allem Schreiben, das nicht der Aufrüttelung zu Glauben und Buße entspricht, jegliche Berechtigung abzusprechen. Der Text entwirft eine Gesprächssituation, in der zuerst die Romanpoetik und -lektüre diskutiert und danach Alternativbeschäftigungen vorgeschlagen werden, von denen die „Betrachtung und Erforschung der heiligen Göttlichen Schrifft“ als „der heilsamste und wolbedächtigste Vorschlag“ auserkoren wird (S. 221). Das Scharnier zwischen beiden Teilen bildet eine Passage, die einem Bußaufruf gleicht (Kap. CLV.–CLXII., S. 198 – 211). Vgl. zur lutherischen Erbauungsliteratur Pfefferkorn, 2002, Kapitel 3.1. Erbauungsliteratur.
3. Bußaufruf: Universale Beschuldigung
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Erinnerung erleichtert. Als grundlegende Fähigkeiten, um Normen überhaupt verstehen zu können, kommen die Seelenvermögen auch in Friedrich Balduins Traktatus Luculentus von 16545 vor, der in der Tradition von Philipp Melanchthons Loci praecipui theologici (1599)6 und Aristoteles’ Nikomachischer Ethik die Wirkungsweise des Gewissens als praktischen Syllogismus beschreibt:7 Das Gewissen (conscientia) ist eine praktische Fähigkeit (facultas operativa) des Geistes (mens), die ihm vom natürlichen bzw. dem Licht der Schrift eingepflanzten Handlungsprinzipien auf irgendeine Tat (factum) so anzuwenden, dass die Vernunft (ratio) sich dahin ausspricht, jene Tat solle von uns geschehen oder nicht geschehen bzw. hätte von uns geschehen oder nicht geschehen sollen. (5)8
Das Gesetz bildet den Obersatz, die konkrete, einzelne Handlung den Untersatz und aus diesen beiden wird der Schluss gezogen, wie die Handlung normativ zu beurteilen sei. Die Elemente der Reue, wie sie Gerhards De Poenitentia beschreibt,9 lassen sich in diese Form bringen: Die Erinnerung der Sünden (Untersatz) und die Betrachtung der göttlichen Gesetze (Obersatz) führen zu Gewissensängsten und Abscheu vor den Sünden (Schluss). Die Seelenvermögen als Wirkungsstätten des normativen Erkennens und Empfindens kommen nicht nur im polemischen Referat der katholischen Position in Gerhards De Poenitentia vor, sondern finden sich in vielen Texten des Korpus, die allesamt im lutherischen Gebiet gedruckt wurden. Entweder werden die Seelenvermögen thematisiert oder als Zielscheiben und Einfallstore der normenvermittelnden Rhetorik genutzt.
3. Bußaufruf: Universale Beschuldigung Johann Balthasar Schupps Corinna. Die Erbare und scheinheilige Hure, eine zweiteilige Schrift aus Roman10 und Traktat von 1660, fordert zur Buße auf. Sie begrüßt in der Vorrede an die Hurer und Ehebrecher ihre Leseinstanz so: Bona dies ihr reiche
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Erstausgabe: 1628. „Conscientia est syllogismus practicus in intellectu, in quo maior propositio est Lex Dei seu verbum Dei. Minor vero et conclusio sunt applicatio approbans recte factum vel condemnans delictum, quam approbationem in corde sequitur laetitia et condemnationem dolor naturali ordine sancito a Deo.“ Melanchthon, Bd. 2, 2, 1953, S. 790. Kittsteiner, 1991, 181 f. Zitiert in der bei Kittsteiner, 1991, 180 angeführten Übersetzung. Kittsteiner, 1991, 178 – 182 geht ausführlich auf diese syllogistische Vorstellung des Gewissens ein. „Lex incutit dolorem, dum peccati atrocitatem et iram Dei adversus illud manifestat et hominem propter transgressionem accusat“ (VI, S. 234). „Contritio enim nihil aliud designat, quam verum ac serium dolorem ex agnitione peccati et sensu irae divinae adversus illa exortum cum conscientiae pavoribus et peccati detestatione conjunctum.“ (VI, S. 252). Im Sinne eines ausgebauten Exempels.
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E. Buße
und ihr arme, ihr edele und unedele Hurenjäger und Ehebrecher, Huren und Ehebrecherinnen (8a). Dieser breiten Anklage der Leseinstanz, die wenig Pranger-Wirkung erzeugt, entspricht die ebenfalls in der Vorrede eröffnete Möglichkeit, Reintegration durch Buße zu erlangen: Es ist jetzo noch Zeit Busse zu thun (9a). Das ist die Technik des theologischen Diskurses, der alle Lesenden zu Sündern macht, ihnen dann aber Reintegration durch Reue und Glauben verspricht. Hieronymus Ortels emblematisches Erbauungsbuch Geistlicher Frauenzimmer Spiegel erscheint 1657 in einer bearbeiteten Fassung des lutherischen Pfarrers Jakob Behme. Es formuliert den Bußaufruf etwas vorsichtiger, indem es die Lesenden nicht von vornherein begangener Sünden anklagt. Die zwei Teile des Frauenzimmer Spiegels widmen sich in emblematischen Einzelportraits Frauenfiguren aus dem Alten Testament einerseits und aus dem Neuen andererseits. Die Geschichte der Thamar (1 Mo 38, 6 – 30), welche in der Bibel in die Josefsgeschichte eingefügt ist, bildet den Anlass, das Thema Unzucht zur Sprache zu bringen. Thamar wird in einem Kupferstich als verschleierte Witwe dargestellt (129). Unter der Überschrift Thamar die Verlassene folgt ein lateinisches Distichon und seine Übersetzung in deutschen Alexandrinern, welche die Geschichte kurz zusammenfassen: Weil Juda seine Schnur [Schwiegertochter] die Thamar gar nicht kante, Beschläft er sie üm Lohn, begeht damit Blutschande: Die Zwilling die sie bracht, sind Perez und Serah, Dis war, als Juda sie verkleid am Wege sah’. (130)
Die erklärende subscriptio bildet im Gegensatz zu den anderen Portraits kein Kommentar, sondern es werden lediglich Bibelstellen zu Ehebruch und Unzucht angeführt. Darauf folgen mehrere gereimte Seufzer und Gebete, die allesamt als Gnadenbitte für die Vermeidung fleischlicher Sünden gestaltet sind. Diese Gebete sprechen sehr wohl von Blutschanden […] Unzucht, Ehebruch, Hurerei (150), aber dem betenden Ich werden diese Sünden nicht unterstellt, da es Gott um Kraft zu deren Vermeidung, nicht um deren Vergebung bittet. Viel zurückhaltender in der Festlegung der Sünden sind die beiden Gebete, die Reue zum Ausdruck bringen: Das Gebet, sein sündliches Leben in Reue und Demut für Gott auszuschütten, und üm Gnade zu bitten11 ist geschlechtsneutral formuliert und spricht nur allgemein von Sünden. Das Gebet Um Vergebung der Sünden bestimmt die Sünden ebenfalls nicht genauer, das betende Ich ist hier jedoch männlich konnotiert. Im zweiten Teil des Frauenzimmer Spiegels, der sich den neutestamentlichen Frauenfiguren widmet, bildet die Geschichte der Ehebrecherin den Anlass, das Ehe-
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Die Angabe „Taulerus“ zu diesem Gebet verrät den kompilatorischen Charakter des Buches und weist auf die Bedeutung Taulers für die Vorstellung einer „mystischen Entweltlichung“ hin, die sich auch die lutherische Orthodoxie des 17. Jahrhunderts zunehmend zu eigen macht (vgl. Hausammann, 1974, S. 264).
3. Bußaufruf: Universale Beschuldigung
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bruchsverbot zu thematisieren. Unter dem Kupferstich werden wie sonst auch die (erklärend ergänzten) Bibelworte angeführt: Der, wer ohn Sünde (ohn fleischliche Begierden) ist, werffe den ersten Stein […] Die Phariseer aber überzeuget, daß sie nicht ohn Sünde weren gingen schamrot davon. […] gehe derowegen hin, weil dir deine Sünde herzlich leid ist, und sündige hinfort nicht mehr (532f, vgl. Jh 8, 7 – 11).
Die Lehre aus dieser Historia ist als Konditionalsatz formuliert: Fällest du O mensch wie dieses Weib in fleischliche Sicherheit, hörest aber durchs Wort, daß dich deine Sünden von Gott abwenden und seiner Gnade berauben; O so kere wieder, und bitte herzlich, daß dir Gott üm Christi willen gnädig sein, und dich mit dem Trost des heiligen Geistes aufrichten wolle, so wird dich GOtt üm Christi willen annemen, in dieser Gnadenzeit mit seinem reichen Trost, dort aber in der Ewigkeit ohn aufhören erfreuen, das helffe uns Christus, Amen. (533 f.)
Diese Formulierung proklamiert keine selbstgerechte Normentreue. Es vermeidet die Technik der Gnadenbitten zur Thamargeschichte, bei denen sich das betende Ich diesseits des Sündenvorwurfs wähnen kann und in der Bitte um Vermeidung der Sünden gleichsam mit Fingern auf die Sündigenden zeigt und sie aus der Gruppe des Ich und des Wir ausgrenzt. Obwohl die Lehre nicht auf Christi Kritik am Verurteilen von anderen Bezug nimmt, berücksichtigt sie dies in ihrer Formulierung: Es geht nicht um die Vermeidung der Sünden, die andere begehen, sondern darum, was zu tun ist, wenn das Du selbst in Sünde gerät. Dass dafür eine anthropologisch begründete Wahrscheinlichkeit besteht, macht die Anrede O mensch deutlich. Aber nicht nur das Weib wird zu mensch verallgemeinert, sondern auch der Ehebruch zur Verhaftung in irdischen Genüssen (fleischliche Sicherheit). Diese Lehre klagt im Gegensatz zu Schupps Corinna nicht alle Lesenden an, sondern formuliert die Norm nur als potentiellen Bußverlauf: Auf die Versündigung folgt der Einfluss des gepredigten biblischen Gesetzes (Reue), die Bekehrung durch den Glauben an Gottes Gnade und Vergebung dank Christus (Glaube). Die Normativität des Sündenverbots wird dadurch deutlich, dass für den Fall der Übertretung ein ritualisiertes Konfliktverlaufmuster vorgesehen ist. Der Konditionalsatz entspricht der Grundstruktur einer Norm, weil jede Norm für einen bestimmten Anwendungsfall (wenn) eine Handlung (dann) fordert. Der Anwendungsfall ist hier allerdings eher dogmatisch als alltagspraktisch und anschaulich beschrieben.
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E. Buße
4. Reue im engeren Sinne 4.1. Zeichen der Reue Bevor die Sefira-Episode in Filip von Zesens Assenat-Roman in ein argumentatives Streitgespräch zwischen Josef und der ihn bedrängenden Sefira mündet,12 versucht Josef mehrfach, Sefira zur Buße zu bewegen. Zunächst dadurch, dass er ihr einen mustergültigen Bußverlauf ausmalt: Er ermahnte sie von ihrem bösen vornehmen abzustehen. Er erinnerte sie ihrer pflicht und ihrer treue, die sie ihrem Eheliebsten geschwohren. Er baht, sie möchte behertzigen, in was vor erschrökliche sünde sie beide sich stürtzten, im fal er ihren begierden gehorchete. Er mahlte ihr die strafe des Allerhöchsten, die darauf erfolgen würde, aufs greulichste vor. Er bildete ihr das böse gewissen, das sie hernach fort und fort nagen würde, zum allerabscheulichsten ab. Ja er machte ihr die hölle so heis, daß sie anfing bitterlich zu weinen. Und also schien sie sich zur reue zu lenken. […] Und als sie von ihm geschieden, rief er inbrünstig zu Gott, daß er sie bei dieser reue erhalten möchte. Auch lies sie ihn eine zeit lang in frieden. (123 f.)
Das Konfliktverlaufmuster der Buße wird genau eingehalten: Gesetz, Tat, Strafe Gottes und Gewissensbisse, die Josef schildert, finden ihre Fortsetzung in ihren Tränen, als äußerlichem Zeichen der Reue, deren innere Entsprechung jedoch ungewiss bleibt (schien). Josef verlangt in seinem Gebet nicht einmalige, sondern dauernde Reue von Sefira.13 Dies unterstreicht den Wiederholungscharakter dieses Konfliktverlaufmusters. Die Passage führt vor, wie die Hürde zwischen zwei Kommunikationsebenen übersprungen werden kann: Josef schildert einen fiktiven Bußverlauf. Sefira ergänzt ihn gemäß dem Konfliktverlaufmuster nicht beschreibend, sondern durch eigenes Erleben. Im Hinblick auf die Analyse der nächsten Bußpassage ist zu beachten, dass hier die innere Reue fiktiv bleibt und Sefira nur die äußere erlebt. Nachdem diese Bußpredigt nichts gefruchtet hat, beweist Josef Sefira, dass Gott seine Absicht, keusch zu bleiben, unterstützt und selbst ihre mit Aphrodisiaka gewürzten Speisen ihn nicht davon abbringen können. Die Tatursamen in der Speise werden in den Anmärkungen so dargestellt, dass sie im Haupttext als Angriff Sefiras auf Josefs Gewissen gelten müssen, indem sie das dafür unabdingbare Seelen-
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S. das Kapitel „Disputation“, S. 130. Hier zeigt sich eine Parallele zur pietistischen Bußtheologie bei Philipp Jacob Spener, der zwischen der großen Buße der Gefallenen, die sich bekehren müssen, und der täglichen Buße der im Glauben Bestehenden unterscheidet. Wenn die tägliche Buße nicht mehr möglich ist, dann ist dies ein Zeichen, dass der Stand der Wiedergeburt verloren gegangen ist, dass eine neue große Buße nötig ist (Hausammann, 1974, 255 ff.).
4. Reue im engeren Sinne
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vermögen der Erinnerung ausschalten. Die Anmärkungen zu den gewürzten Speisen lauten: Dergleichen pflegen auch die Huhren in Egipten und Ost-Indien zu tuhn, wan sie einen Jüngling zu ihrem willen zu bringen trachten. Dem geben sie die gemelten saamen gemeiniglich im weine zu trinken: darauf er so sinloß wird, daß er nicht weis, was er tuht, oder redet, auch nicht einmahl, wan er wieder zu sich selbst kommen, was er getahn oder geredet. (454)
Die Tatursamen haben also gemäß den Anmärkungen die Wirkung, Bewusstsein und Gedächtnis auszuschalten. Implizit wird damit darauf hingewiesen, dass Wahrnehmung und Erinnerung Voraussetzungen für die normative Beurteilung des eigenen Handelns sind. Der Haupttext macht mit der Darstellung einer Vorführung klar, dass Josefs Glaube gegen diese Wirkung ankommt: Josef isst nichts von den Speisen, die ihm Sefira hat zukommen lassen, weil ein Engel ihn davon warnt, indem ein Messer in der Schüssel liegt (128). Als Sefira ihn danach fragt, warum er nichts esse, antwortet er: sie [die Speise] war mit dem tode erfüllet. Gott hat es mir, durch seinen Engel geoffenbahret. Und ich habe sie, zur überzeugung ihrer boßheit, aufgehoben. Ich habe sie bewahret; damit Sie, durch dieselbe, zur reue bewogen würde. Nun sol sie sehen, daß demjenigen, der mit keuschem und reinem hertzen Gott dienet, die arglistigkeit der boßhaftigen kein übels zu zu fügen vermag. (128 f.)
Darauf nimmt er die aufbewahrten Speisen hervor und isst sie in ihrer Gegenwart. Josef ruft also Sefira zur Buße auf und beweist ihr gleichzeitig, was der Glaube gegen die Anfechtungen des Bösen vermag. Josefs Handeln ist hier nach lutherischer Lehre keineswegs vorbildlich, fordert er doch Gottes Beistand heraus, obwohl Gottes Gnade nicht erzwungen werden kann.14 Sefira wirft sich bitterlich weinend vor Josef nieder (129), als dieser ihr Gottes Macht demonstriert, indem er vor ihren Augen die vergiftete Speise isst. Mit diesem Unterwerfungsgestus ist Sefiras Anerkennung ausgedrückt, dass diejenige Macht, die Josef als Normsetzungsinstanz für das Ehebruchsverbot angegeben hat (127), stärker ist als ihre Verführungsmittel. Sie bereut, indem sie verspricht, solches nicht wieder zu tun (129). Dadurch anerkennt sie außerdem, dass es einen Normenverstoß darstellt, Josef aphrodisierende Speisen reichen zu lassen. Die Machtdemonstration bringt Sefira dazu, den Normenverstoß und mit ihm die Norm anzuerkennen. Gegenüber den Lesenden zeigt die vorgeführte Unterwerfungsgeste die perlokutive Wirkung, die Josefs Demonstration auf Sefira ausgeübt hat: Josef will Se14
Diese Unstimmigkeit ist auf Zesens Vorlagentreue zurückzuführen. Er folgt hier dem Josefstestament aus den Testamenten der zwölf Patriarchen, das er in den „Anmärkungen“ zur S. 128 ausführlich zitiert und nachweist.
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E. Buße
fira mit dieser Ess-Vorführung dazu bringen, die Norm anzuerkennen. Die Lesenden erhalten keinen Gedankenbericht, dass Sefira diese Norm anerkenne, sondern einen Bericht über eine gestische Umsetzung der Anerkennung. Im Erzähltext werden verschiedene Arten nachgebildet, wie performative Wirkungen von Handlungen wahrgenommen werden können. Der Gedankenbericht ist ein der Erzählung eigenes Mittel, im täglichen Leben ist es nicht möglich, die Gedanken anderer Leute zu lesen. Die Unterwerfungsgeste stellt ein konventionelles Zeichen dar, wie die mündlichen Äußerungen der Figuren. Es ist, wie bestimmte Äußerungen es auch sein können, ein ritualisiertes Handeln, dessen soziale Bedeutung ziemlich fixiert ist. Anders als ein Redebericht, der Sprache in Sprache wiedergibt, evoziert der Gestenbericht ein anderes, visuelles Medium, das gemäß Mnemonik besonders erinnerungsfreundlich ist.15 Der Gestenbericht entwirft (noch mehr als ein Redebericht) eine imaginäre Bühne vor den Lesenden, auf der Sefira gegenüber Josef eine Unterwerfungsgeste vorführt. Die (zeitgenössischen) Lesenden kennen Unterwerfungshandlungen wie Verbeugungen vermutlich aus dem Alltag. Dort dienen sie dazu, Respekt gegenüber einer oder einem anderen zu zeigen – was zwar auch in einer Zweiersituation möglich ist, jedoch ein Publikum als Garant der sozial und konventionell festgelegten Distinktionskraft dieses Symbols zumindest in Gedanken voraussetzt. Ein Vergleich dieser Szene mit Gerhards De Poenitentia eröffnet eine Lesart, welche eine subtile Normenvermittlung im Sinne lutherischer Bußlehre erkennen lässt. In De Poenitentia wird das Weinen nicht als Bußleistung anerkannt, es kann (muss aber nicht) Zeichen innerer Zerknirschung sein (§ 65, VI, 254). Dass jedoch nur äußerliche Gesten gezeigt werden, nicht aber allfällige Reuegedanken Sefiras, entspricht der in § 65 abgelehnten nur äußerlichen Buße (VI, 254). Der Fortgang der Sefira-Episode zeigt außerdem, dass Sefiras Reue keine anhaltende Wirkung zeitigt: Sie wird Josef weiter bedrängen. Sefira wird demnach auch konfessionspolitisch konnotiert und aus lutherischer Sicht negativ bewertet. Es ergibt sich ein Konflikt zwischen erinnerungsfreundlicher Gestikdarstellung und ihrer negativen Bewertung in bußtheologischer Hinsicht. Wirkungsvolle bildhafte Didaktik und konfessionspolitische Bewertung stehen sich hier entgegen.16 15
16
Vgl. Carruthers, 2001, 149 über Quintilian: „It is the imagines that can be fixed by the mind’s eyes and that arouse again one’s emotional response (‚intentio‘) to the initial matter, so these are the key to holding any discourse in our memories.“ Vgl. dazu Largier, 2002, 178 f. der anhand von Paracelsus’ Schriften zum Gebrauch von Bildern in der Frömmigkeitspraxis darlegt, wie „die affektiv-imaginative Erregung“, die sich gerade im Weinen zeigt, in der Reformation als weiblich und äußerlich abgewertet und dem am Wort orientierten Glauben gegenübergestellt wird. In einer schwierigen Abwägung argumentiere Paracelsus je-
4. Reue im engeren Sinne
221
Eine Variante mit umgekehrten Geschlechterrollen findet sich im Schäfergedicht Ruhestatt der Liebe, oder Die schooß der Geliebten: Hier ist es Celadon, der sich vor Doris niederwirft und ihre Knie umfasst, nachdem er sie im Schlaf berührt hat und deswegen von ihr angeklagt worden ist. Dass diese Unterwerfungsgeste wie bei Sefira nur zur strategischen Besänftigung dient, aber nicht als echte Reue angesehen werden kann, beweist seine gleich darauf folgende erfolgreiche Verteidigungsrede. Die Einbettung des Konflikts in das Konfliktverlaufmuster der gerichtlichen Rehabilitation, das bereits durch Doris’ Anklage du bist des stranges werth (222) aufgerufen wird, ermöglicht es der männlichen Figur Celadon, Reintegration durch Verteidigung zu erlangen.17 Im Kontext des Buße-Musters hat Sefira diese Wahl nicht: Wenn sie ihre Zudringlichkeit abstritte, wäre das mindestens so negativ zu bewerten, wie wenn sie bloß äußere Buße zeigt. Nur das Geständnis führt in diesem Muster zur Lösung des Konflikts.
4.2. Sündenbekenntnis Die Beichte ist nicht nur ein beliebiger mündlicher oder schriftlicher Text, in dem Sünden bekannt werden, sondern kann auch als Gattungsbegriff verwendet werden für eine der wichtigsten Textsorten, in denen das Konfliktverlaufmuster der Buße thematisiert wird. In der Beichte kommt oft nicht nur ein Sündenbekenntnis vor, sondern der ganze Bußverlauf wird aus der Perspektive des beichtenden Ich entworfen. Gattungsprägend haben Augustins Confessiones gewirkt. Sexuelle Ausschweifung ist die Sünde, die in Bezug auf Geschlechterbeziehungen in den Confessiones wie im Korpus am häufigsten thematisiert wird,18 allenfalls noch gefolgt von Streit in der Ehe.19 Die Beichte ist eine Textsorte der Wahrhaftigkeit mit universalisierendem Seitenblick, was sie für die Normenvermittlung besonders interessant macht: Das Ich
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doch durchaus für den Gebrauch von Bildern zu didaktischen Zwecken wegen ihrer besseren Memorierbarkeit. Vgl. das Kapitel „Rehabilitation“, S. 194. In den ersten neun Büchern der ‚Confessiones‘ schildert das Ich seine Bekehrung, wobei den Geschlechterbeziehungen große Bedeutung zukommt: Sexuelle Ausschweifungen sind die Sünden, die den Hauptteil des Bekenntnisses ausmachen, ohne dass jedoch dafür individualisierte weibliche Figuren entworfen würden (Bsp. I, 13, 21; II, 2, 2; II, 2, 4; VIII, 11, 27; VIII, 12, 29). Auf der anderen Seite nimmt die Figur der Mutter Monnica eine wichtige Rolle im Bekehrungsprozess ein. Sie ist es, die das Ich schon früh ermahnt und ihm das Keuschheitsgebot vorhält, allerdings zunächst folgenlos. Sie freut sich als Erste über seine Bekehrung. (II, 3, 7). In den Texten des Korpus kommen ermahnende Mütter kaum vor. Z. B. findet sich im ‚Sing- und Bet-Altar‘ von Johann Quirsfeld ein „Gebet eines Ehegatten“, das geschlechtsneutral Gott bittet: „erhalte uns beyde in Friede und Einigkeit […] Behüte uns […] für allem Zorn, Zanck, Zwietracht, Argwohn, Haß und Falschheit“ (S. 316 f.).
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E. Buße
bekennt zwar, so nehmen es die Lesenden aufgrund des Gattungsvertrags der Beichte an, seine eigenen, wirklich begangenen Sünden. Damit zeichnet sich das bekennende Ich als sündigen Menschen. Gemäß christlicher Auffassung kommt diese Beschreibung dem Zustand aller Menschen nach dem Sündenfall gleich, so dass sich das Ich für eine Rollenübernahme für alle Lesenden eignet.
4.3. Bußkasuistik In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts differenziert sich die Erbauungsliteratur nach Zielgruppen aus. Johann Heermanns Sammlung Nuptialia von 1657 enthält Hochzeitspredigten zu einschlägigen Bibelstellen sowie für verschiedene weibliche und männliche Berufsgruppen.20 Auch Gebetbücher richten sich an besondere Adressiertengruppen und/oder bieten diesen Gebete für verschiedene Gelegenheiten. Einen typischen Titel für ein Andachtsbuch mit fast enzyklopädischem Anspruch trägt das folgende von Johann Quirsfeld aus dem Jahr 1680: Offenes Bussund Beicht-Hertz, wie es nach einem jeden Stande, und gethanen Suenden-Falle, Gott seine Schuld bekennet und umb Gnade bittet. Hier werden in Beichtform Sündenfälle erörtert, wie sie auch in Gewissenskasuistiken vorkommen, die Gewissenfälle in der disputationsmäßigen Ob-Formulierung zur Debatte stellen.21 Im Beichtgebet fallen jedoch Thema und Äußerungsinstanz, die in der Disputation immer getrennt sind, zusammen: Das Ich erörtert das Ich.22 Johann Quirsfelds Gebet- und Gesangbuch Des Mit Jesu verlobten Tugendliebenden Frauen-Zimmers Allerschönster Seelen-Schmuck (21682) widmet dem Demüthigen Buß-Habit ein eigenes Kapitel, der auf das folgende Kapitel in Keuschen Hochzeit-Kleidern vorbereitet, welches Gebete zum Abendmahl enthält. Auf dem dazugehörigen Kupferstich kniet eine Frau mit verhülltem Kopf vor einem Altar mit Kreuz, auf den sie ihre gefalteten Hände und den linken Unterarm legt. Dieses Kapitel enthält eine Heimliche Beichte zu Gott einer Weibs-Person, die Hurerey getrieben (458 ff.), und eine Heimliche Beichte zu Gott einer Ehefrauen, die Ehebruch begangen (460 – 463). Zum Ehebruch-Gebet findet sich eine männlich konnotierte Parallele in Johann Quirsfelds Sing- und Bet-Altar im Beicht-Gebet nach der andern 20
21 22
Die Nuptialia gliedern sich in fünf Teile: „I. Treuungs-Sermones aus Biblischen Sprüchen. II. Deren Künst-Handlungen- und Handwercke-Ehrenruhm, welche zu deß Menschen Gesundheit und Nahrung dienen. III. Deren Ehrenruhm die zu deß Menschen Schmuck und Kleidung dienen. IV. Deren Ehrenruhm die zum Bauen und Zierd der Gebäu dienen. V. Deren Ehrenruhm die zu deß Menschen Andacht, Wehre, Haushaltung und anderer Nothdurfft dienen.“ (Titelblatt) Kittsteiner, 1991, 193 – 203 beschreibt einige solche Gewissensfälle, die er nach dem Schema des praktischen Syllogismus analysiert. Vgl. zur Selbstbetrachtung des Ich in der Todesmeditation des 17. Jahrhunderts ausführlich Wodianka, 2004, 125 – 266 et passim.
4. Reue im engeren Sinne
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Tafel der zehen Gebote (194 – 197). Die Formulierungen der beiden Betvorlagen entsprechen sich fast wörtlich: Bußverlauf
Frauen-Zimmers … Seelen-Schmuck
Sing- und Bet-Altar
Reue
O Wehe mir armen Sünderin! Was habe ich begangen?
Ach barmhertziger Vater, ich bitte um Gnade, weil ich deine Gebote so vielfältig übertreten und wider dich gesündiget habe.
schändlich habe ich mein Ehebette befleckt!
also mein Ehe-Bette schändlich besudelt
ich mit meinem Ehemann nicht bin ich bin auch nicht im Ehestande vergnügt gewesen vergnügt gewesen mit meinem Ehegatten23
Glaube
Früchte der Busse
geile und schändliche Lust und Brunst
böser geiler Brunst […] verbotener Lust
Zorn und Ungnade
Fluch und Straffe
hertzlicher Reue und Leid
von Grund meines Hertzens leid
bitte und flehe […] Ach erbarme dich doch!
bitte, o Herr Gott himmlischer Vater, um gnädige Verschonung
O JEsu
JEsus Christus
will ich nimmermehr thun
wil ich mich hinfort befleißigen, mein sündlich Leben zu ändern und zubessern
Die beiden Gebete weisen einen identischen Bußablauf auf: Das Sündenbekenntnis und die Reue im engeren Sinne mit der Betrachtung der begangenen Sünden und des göttlichen Zorns darüber stehen am Anfang (contritio). In der Gnadenbitte um des Kreuzestodes Christi willen kommt schließlich der Glaube (fides) zum Ausdruck. Den Abschluss bildet das Versprechen künftiger Besserung (fructus poenitentiae). Die Elemente dieses Ablaufs entsprechen denjenigen, die auch in Gerhards De Poenitentia beschrieben werden. Die Betrachtung des Gesetzes, die in De Poenitentia das entscheidende Merkmal der Reue ist,24 kommt jedoch nur im Sing- und Bet-Altar, beim männlich konnotierten Ich, vor: Nach dem sechsten Gebot sollte ich mich 23 24
Ehegatte ist im 17. Jahrhundert die geschlechtsneutrale Bezeichnung für Ehefrau oder Ehemann. „duo sunt summa doctrinae coelestis genera, […] lex et evangelium […] Ergo etiam duae sunt essentiales poenitentiae partes“: „Zwei höchste Gattungen gibt es der himmlischen Lehre […] das Gesetz und das Evangelium […] demnach gibt es auch zwei Hauptteile der Buße“, nämlich Reue und Glauben (§ 40, VI, 234, Übers. UK).
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E. Buße
keusch und züchtig, so wohl außer als inner dem Ehestande gehalten haben. (195). Das weiblich konnotierte Ich des Seelen-Schmuckes erwähnt hingegen die äußerlichen Zeichen der Reue: ich falle für hertzlicher Reue und Leid auf meine Knie zu der Erden nieder, ich lege mich in Staub und in die Asche, krümme und beuge mich vor dir als ein armer Wurm, bitte und flehe mit vielen Seufftzen und Thränen (462)
Während also in der männlich konnotierten Variante beide Prämissen des praktischen Syllogismus, Gesetz und Tat, genannt werden, kommen in der weiblich konnotierten Version die affektiven Zeichen der Reue zum Ausdruck, die aus lutherischer Sicht keinesfalls nötig und allein nicht hinreichend für echte Buße sind (De Poenitentia, § 65). Abgesehen von dieser kleinen Schieflage, die angesichts des leicht unterschiedlichen Kontextes nicht allzu schwer zu gewichten ist,25 bieten die beiden Gebete ein symmetrisches Bild. Beide führen die lesend Betenden in der vereinnahmenden IchPerspektive von der Reue über die Hoffnung auf Erlösung zum Entschluss, sich zu bessern. Die Früchte der Buße, die bei Gerhard nicht im engeren Sinne zur Buße gehören, werden als Vorsatz an prominenter Stelle erwähnt: Als Abschluss erfüllt der Vorsatz die rhetorische Funktion der adhortatio, welche die Zuhörenden zum Handeln auffordert. Wenn die lesend Betenden diesen Vorsatz aussprechen, wird dieser Effekt sogar übertroffen, indem sie das Versprechen beim Lesen bereits geleistet haben. Nicht die entsprechende Handlung, aber immerhin der Vorsatz dazu wird performativ erzeugt.
4.4. Einblick in seelische und körperliche Intimitäten Wenn in Erwägung gezogen wird, dass die lutherische Lehre das Keuschheitsgebot nicht nur auf die Taten, sondern ebenso auf die Gedanken bezieht,26 lässt sich eine Nähe zwischen dem erotischem Schäfergedicht Ruhestatt der Liebe und den zwei Beichtgebeten von Quirsfeld feststellen. Gemäß dem Titel Offenes Buss- und BeichtHertz wird der voyeuristische Blick in die ‚wahren‘, sündigen Innereien der Beichtenden den Lesenden gleichsam mit dem Skalpell ermöglicht. Beide, erotisches Ge25
26
Es ist zu beachten, dass die Nennung des Gesetzes in einem Beichtgebet zu den Zehn Geboten ziemlich nahe liegend ist und dass andererseits das Beichtgebet im ‚Seelen-Schmuck‘, weil es sich nur dem Ehebruch widmet, mehr Raum hat, die reuige Zerknirschung auch mit äußerlichen Zeichen auszumalen. Luther legt in der zweiten Predigtreihe seiner Katechismuspredigten Wert darauf, dass das männlich konnotierte Du weder im Werk, noch mit dem Mund, Herzen oder auf andere Weise Ehebruch begehe (WA, 30, I, S. 37, Bl. 19b, 20 – 30). Johann Quirsfelds ‚Seelen-Schmuck‘ thematisiert die Sünden im Geiste im ersten Lied im siebten Kapitel, dem „Buß-Habit“.
4. Reue im engeren Sinne
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dicht wie Beichtgebet, schaffen sich Komplizen als Lesende; da der Normenbruch explizit ausgesprochen wird und nur schon der Gedanke an Ehebruch und Unzucht Sünde ist, versündigen sich die Lesenden auf jeden Fall. Es ist dabei unerheblich, ob sie sich mit Celadon oder Doris, mit der Ehebrecherin oder dem betrogenen Ehemann, identifizieren; auch wenn eine reale Leserin kaum Gefahr läuft, je in Celadons Situation zu gelangen, und deshalb sicher sein kann, sein Vergehen nicht zu begehen, ist nur schon ihr lesender Voyeurismus ein Bruch des Keuschheitsgebotes. Während die Vorrede der Corinna mit ihrer Anrede die Lesenden verleumdet beziehungsweise anklagt und folgerichtig zur Buße aufruft, müssen die Lesenden hier selbst erkennen, dass sie sich genauso wie das Ich eines Normenbruches schuldig gemacht haben. Hier enden jedoch die Parallelen: Die Beichtvorlage unterstützt die Einsicht in den eigenen Normenbruch der Lesenden, indem das unzüchtige männlich konnotierte Ich explizit auf das sechste Gebot verweist und den Lesenden die breite Keuschheitsforderung in Erinnerung ruft. Das Gedicht über Celadon eröffnet hingegen die Möglichkeit einer gerichtsähnlichen Rehabilitation, welche die Erfüllung des Begehrens ermöglicht. Da das weltliche Recht keine Strafen für Gedanken vorsieht, müssen sich die Lesenden in diesem Fall keiner Schuld bewusst werden. Dass das Gedicht die Szene in der dritten Person erzählt, unterstützt diese Haltung der Lesenden, die sich umso weniger mit dem Angeklagten identifizieren werden. Die Nähe zwischen religiöser Bußliteratur und galanter Literatur27 liegt im fiktionalen Charakter der Perspektiven, die sie entwerfen: die Bußliteratur einen auf die eigene Seelenverfassung, die Galanterie einen auf die Intimitäten des geliebten Gegenübers. Beides geschieht im Modus des bekennenden beziehungsweise begehrenden Ich, einer Textinstanz, die einerseits die persönliche Perspektive betont, andererseits aber vereinnahmend allen, die das Gedicht oder die Beichtvorlage lesen, diese Perspektive aufdrängt.28 Leicht abgeschwächt wird diese Wirkung in der Corinna und der Ruhestatt der Liebe, indem zwar die Perspektive der bußfertigen In-
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Vgl. dazu Borgstedt, 1997: Gemäß ihm geht es in der galanten deutschen Lyrik „nicht um die Differenz zwischen einer traditionellen christlichen Moralität und einem modernen Libertinismus“, sondern die „Liebesapologie“ betone lediglich die Heilsunabhängigkeit und christliche Zulässigkeit eines Bereichs weltlicher Sittlichkeit. Er zieht eine Parallele zwischen der galanten Poesie, die „das lutherische Ehegebot“ und die naturrechtliche Begründung der Sexualität zu einer „Feier der Sinnlichkeit“ werden lässt, mit der gleichzeitig aufkommenden religiösen „Seelenkultur“ des Pietismus (427). „Der Wechsel der Textsorte vom Galanterie- zum Bußtraktat gehört deshalb zur Biographie mehrerer Autoren, unter anderem zu der von Thomasius und später auch zu der von Hunold, der seine „beissende Kritik der galanten Topik“ (428) in der Vorrede zu seinen ‚Academischen NebenStunden‘ von 1713 in die Worte münden lässt: „Alle Liebe muss keusch seyn und keusch ausgedruckt werden. Meine Fehler bekenne ich, und bitte solche hertzlich ab […]“. Die Ich-Perspektive des begehrenden Blicks findet sich z. B. in Hunolds ‚Die Edle Bemühung müssiger Stunden‘ von 1702.
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E. Buße
nensicht beziehungsweise des begehrenden Blickes beibehalten, aber einer Figur in der dritten Person zugeschrieben wird. Unabhängig von der Perspektive kann die Äußerungsinstanz deutlich machen, dass zumindest das Schreiben darüber (und deshalb sehr wahrscheinlich auch das Lesen) einen Normenverstoß darstellt, indem sie solche Stellen mit Wendungen ankündigt wie Ach zürne, schönste nicht, wenn ich zu weit will gehen (Hunold, Edle Bemühung, 4). Dies ist sozusagen eine Schwundform der Buße als mit dem Sündenbekenntnis verbundener Gnadenbitte. Eine ähnliche Funktion können praeteritiones29 übernehmen: Nichts will ich von denen andern Zeit-Vertreibungen, welche im grünen Grase vorgenommen werden, sagen meint Veriphantors Jungferlicher Zeit-Vertreiber von 1665, welcher in der dritten Person alle unkeuschen Gedanken und Handlungen der Jungfern ausbreitet (19). Diese Variante entspricht der Rehabilitation, welche den Normenverstoß als ungeschehen erklärt.
4.5. Sozialpsychologie der Buße Im Roman Betrogener Frontalbo von Johannes Gorgias erzählt der Titelheld dem Ich-Erzähler der Rahmenerzählung seinen bisherigen Lebenslauf. Frontalbo kennt das Rahmen-Ich, das ihn vor seiner gewalttätigen Frau gerettet hat, überhaupt nicht. Die Situation an seinem Krankenbett gleicht derjenigen einer mündlichen Beichte. Die Schilderung seiner wollüstigen Jugend erinnert durchaus an Augustins Confessiones, allerdings ist es hier der Vater, der ihn ermahnt. Das Frontalbo-Ich ist in seinen Erzählungen jedoch bestrebt, einen guten Teil der Schuld auf die ihn umgebenden Frauen zu schieben. Seine Mutter habe mehr Schuld, als ich, an allen meinen Verderben, weil sie ihn zu von Gott-verbotenenen Sachen anführete (31). Am meisten beklagt er sich über seine gegenwärtige Ehefrau: Herr, ich sage diß alles so frey heraus, ob es mir schon selbst nachtheilig ist; allein ich verhalte euch deßwegen nichts, damit ihr schliessen möget, wie übel ich sey von ihr gehalten worden (111)
Das Ich der Rahmenerzählung beurteilt Frontalbos Wunden, die ihm seine Frau zugefügt hat, als Strafe Gottes für die Ausschweifungen in seinen Jugendjahren und die heimlich gestiftete Ehe mit Orbella (115) und liefert dafür eine psychologische Erklärung: Die Angst, dass diese wilde Ehe ans Tageslicht kommen könnte, mache einen Kerl so blöde, daß er keinen Menschen darff freudig unter die Augen gehen (116). Er verrate sich selbst, indem er erröthen und sich schämen müsse, wenn irgendwo von einem ähnlichen Fall gesprochen werde (116). Es sei nur folgerichtig, dass einen 29
Rhetorische Figur, bei der etwas gesagt und gleichzeitig behauptet wird, dass es verschwiegen wird (Ottmers, 1996, 187).
5. Genugtuung
227
solchen Mann seine nun ordentlich angetraute (zweite) Frau quälen könne (117). Das äußerliche Leiden unter seiner Frau wird aus dem schlechten Gewissen Frontalbos abgeleitet, das als Angst vor dem Hencker charakterisiert wird (116). Das Rahmen-Ich macht Frontalbos Leben zu einem Exempel der conditio humana: Eure Geschicht hat in Warheit eine richtige Abbildung des Menschlichen Elendes, und ist dieselbe alleine gnug einen jedweden zur Gottesfurcht zu reitzen (117)
Entsprechend fordert das Rahmen-Ich die Lesenden am Schluss des Haupttextes zur erbaulichen Betrachtung dieser Geschichte auf: Diß allein erwege ein jedweder Mensch bey sich selbst, wie viel die Gewissens-Angst bey einem Menschen thun könne, und wie jämmerlich sich ein Mensch quälen muß, biß er erreichet seines Kummers. Ende. (140)
Die Beichte Frontalbos und die Gewissensangst, welche das Rahmen-Ich herausliest, entsprechen aber keineswegs der im theologischen Diskurs erwünschten Bußhaltung: Hier ist beides rein weltlich. Der Kommentar benutzt die Binnenerzählung, um die weltlichen Folgen eines schlechten Gewissens darzulegen. Wer sich schuldig glaubt, zieht die soziale Bestrafung auf sich.
5. Genugtuung Besonders bei der Genugtuung ist in vielen Texten der Übergang von weltlicher zu geistlicher Buße fließend, genauso derjenige von irdischer Verzeihung zu jenseitiger Vergebung. In Gerhards De Poenitentia wird die Genugtuung auf irdische Beziehungen beschränkt. Irdische Strafe statt ewiger ist jedoch nach Luther ein Gnadenzeichen Gottes.30
30
Luther lehnt die Genugtuung gegenüber Gott in der Erklärung zum fünften Artikel in der Schrift ‚Grund unnd ursach aller Artickel D. Marti. Luther, ßo durch Romische Bulle unrechtlich vordampt seyn‘ von 1521 ab: Der dritte Teil der Buße bestehe sehr wohl in der Strafe, aber diese könne nicht durch Ablass abgegolten werden. „derhalben ich auch feynd byn dem wortt. gnugthun. Wollt es were nie auffkummen. Die schrifft nennet es: straff vnnd casteyung der sünd. denn gott kan niemant fur eyn teglich sund gnugthun. er mag aber wol fur alle sund gestrafft werden. ettwa mit gnaden zceytlich ettwa mit zcorn ewiglich. […] Sie [die Busse] hatt aber drey stuck – nach gottlicher heyliger schrifft das das dritte zcu weyllen. nachbleybt. vmb der grossen rew. odder eygen straff willen. doch bleybt nymer mehr eyn sund ungestraffet […] Wie aüch das sprich wortt leret Wo mensch nit strafft. da straffett Gott“. (WA, 7, S. 353 f.). Vgl. zu Luthers Bußlehre Hausammann, 1974, S. 94 – 127, zur Genugtuung insbesondere S. 125.
228
E. Buße
5.1. Weltliche Buße Johann Gorgias’ alias Veriphantors Jungferliche Zeit-Vertreiber von 1665 konstruiert nicht näher begründete Zusammenhänge zwischen dem üblen Verhalten der Jungfern und den schlimmen Folgen, die oft mit hernacher eingeleitet werden:31 Kömt ein ander guter Kerl, so giebt sie ihm einen Korb, ja darff noch fein hönisch dabey seyn. Sitzt also hernacher solche Jungfer billig zwischen zwey Stühlen in dem Drekk (70).
Sehr viele Texte des Korpus stellen einen solchen Zusammenhang her zwischen dem Bruch einer Norm und dem späteren Ergehen. Dies widerspricht lutherischer Lehre, nach der nur Gott entscheidet, wem er Gnade gewährt, nicht aber die Bemühungen der Menschen. Trotzdem heißt es im zweiten Lied des Buße-Kapitels von Johann Quirsfelds Seelen-Schmuck: Solls ja so seyn, daß Straff und Pein auf Sünde folgen müssen, so fahr hie fort, und schone dort, und laß mich hie wol büssen. (4. Strophe, 472)
Wie die darauf folgende Strophe zeigt, handelt es sich hier um den Reue-Teil der Buße, in dem die Büßenden vor Gottes Strafe zittern: Gieb, Herr, Gedult, vergieb die Schuld, verleih ein gehorsam Hertze (472).32 Dieser Teil ist jedoch nicht als Beschreibung der eigenen Angst formuliert, sondern als Bitte um irdische statt jenseitige Vergeltung. Als solche gnädige irdische Strafe wird oft auch das Leid während der Ehe beschrieben. Eine solche Beschreibung bildet zum Beispiel einen festen Bestandteil der Biografien, die nach dem Predigttext den zweiten Teil von Leichenpredigten bilden.33 Äußeres Leid, das den Ehegatten widerfährt, bietet hier Anlass, die gegenseitige Hilfeleistung als eines der Eheziele zu beschreiben und die Ehegatten den Lesenden als Exempel vorzuhalten. Die Leichenpredigt von 1654 auf Margaretha Hackmann von Andreas Heinrich Bucholtz beschreibt ihr Leid auf mehreren Seiten: also hat Er [der himmlische Vater] die sel. Fr. Doctorin, als sein liebes Kind mit allerhand Kreutz und Beschwernis bey werendem Ehestand nicht übersehen, in dem sie nicht nur den Todesfall ihres hertzlieben Vaters bald im andern Jahr ihrer Ehe, mit Betrübnis in der Frembde erfahren, sondern auch hernacher fast jährlich […] wegen tödtlicher 31 32 33
Das scheint eine stilistische Eigenart von Johann Gorgias zu sein, denn sie kommt auch im ,Betrogenen Frontalbo‘ vor (S. 117). Für die Überprüfungen der Lieder am Original in der Landes- und Universitätsbibliothek Halle danke ich Ina Timmermann. Diese Heftchen wurden nach der Beerdigung an Bekannte und Verwandte verschickt. Cornelia Niekus Moore danke ich für wertvolle Hinweise zu den Leichenpredigten in den Beständen der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel.
5. Genugtuung
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Hinfälle der V. [fünf ] lieben Kinder auff schmertzliche weise nebenst ihrem Ehe-Herrn betrübet werden müssen (Bl. 21r)
Die Leichenpredigt auf Adelheit Gevekote von Brandanus Daetrius von 1652 beschreibt, wie sie ihren Herrn [Ehemann] in ehren gehalten, ihn hertzlich geliebet, in creutz und widerwertigkeit mit trost- und freundlichen worten ihme beygesprungen (63). Wegen der formularhaften Gleichförmigkeit der Braunschweiger Leichenpredigten fällt es auf, wenn diejenige auf Dorothea Ursula Busse von Brandanus Daetrius aus dem Jahr 1654 ihre erste Ehe in der üblichen Art wortreich lobt, die zweite aber in nur zwei Sätzen abhandelt und das creutz nicht näher ausführt: Anno 1638. den 3. Aprilis hat sie sich zum andern mahl in Gottes nahmen in den stand der H. Ehe begeben, und hochzeit gehalten mit dem Ehrnvesten, großachtbarn und wolweisen Herrn Burgerm. Hans Heinrichs, jetziger zeit Witwer, mit welchem Sie so gelebet, daß Er ihre liebe und trewe höchlich zu rühmen hat, und ob sie zwar ihr sonderbares creutz und trübsal in der andern [zweiten] Ehe empfinden müssen, hat sie doch allemahl solches mit gedult überwunden. (21)34
Die Interpretation der Ehe als irdische Strafe, die hier unterstellt werden könnte, wird im Roman Betrogener Frontalbo einiges deutlicher. Der Ich-Erzähler der Rahmengeschichte stellt sogar einen kausalen Zusammenhang her zwischen Frontalbos Verfehlungen und seinem Leid in der Ehe, die als Hölle geschildert wird: Denn da muß er hernacher ein Unthier kriegen, welche gleich dem Teuffel und seinem Anhange plagen kann; die stellet sich am ersten an als wenn sie eine Engel wäre, allein sie ist es auch in Warheit [nämlich ein gefallener], und plaget die Seele des Mannes biß auff den Todt. […] Was einer im währenden Ehestande sündiget, wird ihm gewiß im Alter oder wol gar in der Höllen belohnet (117)
Johann Quirsfelds Seelen-Schmuck stellt die gewünschte Umgangsnorm, wie ein Ehemann sich gegenüber einer Ehefrau benehmen sollte, ebenfalls ex negativo dar. Das fünfte Kapitel über das Ehrliebenden Matronen-Habit bietet Gebete für Ehefrauen in verschiedenen Situationen an, darunter ein Gebet einer Frauen, die einen bösen Ehemann hat. Das betende Ich der Ehefrau bittet einerseits um göttlichen Beistand für ihre Geduld und andererseits um die Bekehrung ihres Ehemanns. Das Gebet ist also eine Bitte, ihr Ehemann möge durch Buße geändert werden: Herr du hast mir dieses schwere Hauß-Creutze aufferleget, ach hilff mirs doch auch mit Gedult ertragen. Endere meines Ehegatten Hertz und Sinn durch deinen heiligen Geist, daß er allen Zorn, Grimm und Unwillen wider mich fahren lasse, und thue was einem treuen Ehegatten zu thun zukömmt. Steure doch dem leidigen Ehe-Teuffel und andern bösen Zungen, die ihn wider mich zu aller Unfreundlichkeit und Tyranney anreitzen. Pflantze du doch selbst eheliche Treue und Liebe in sein Hertz, und beselige ihn mit deiner Furcht, damit wir in Friede und Einigkeit bey einander wohnen, und unser Hauswe-
34
Die Adjektive zu ihrem Mann haben nichts zu bedeuten, sondern sind ständisch festgelegt.
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sen also mit einander fortsetzen mögen, daß Gott und Menschen an uns ein Wolgefallen haben. (350 f.)
Wenn das gegenseitige Verhalten des Ehemannes oder der Ehefrau als Buße beschrieben wird, liegt das Verschulden grundsätzlich beim leidenden Teil, auch wenn die Ehefrau im Frontalbo als Unthier bezeichnet wird. Das leidende Teil nimmt das üble Verhalten als Gnade und irdische Strafe von Gott an. Das letzte Gebet gleicht diese Asymmetrie aus, indem die Frauenfigur nicht nur das Hauß-Creutz auf sich nimmt, also selbst Buße tut, sondern auch für die Figur des Ehemanns eine Buße entwirft. Dass der Normenbruch auf seiner Seite liegt, machen die Anklagepunkte Unfreundlichkeit und Tyranney deutlich, welche der idealen Haltung eines christlichen Ehemannes, wie sie etwa in Johann Heermanns Ehepredigten Nuptialia aufgeführt werden, diametral entgegenstehen.35 Diese Version vermittelt demnach vor allem die Norm, die Ehemänner einzuhalten haben, an Ehefrauen, die sich mit dem betenden Ich identifizieren können. Die Leichenpredigten beurteilen nicht das Verhalten der Figur des Ehemanns, sondern dasjenige der leidenden Ehefrau. Das Verhalten des Ehemanns erscheint als Schicksal, als gottgewollte gnädige irdische Strafe für die Ehefrau. Für die zeitgenössischen Lesenden ist diese dem Ehemann vergebende, sich auf die eigenen Sünden konzentrierende Haltung deshalb nachahmenswert gestaltet, weil sie in einer Textsorte formuliert wird, in der nach ihrem Tod möglicherweise ebenfalls in aller Öffentlichkeit über die Lebensführung der Lesenden berichtet werden wird.
5.2. Buße für das Publikum Für den Fall, dass zwei Verlobte vor der Ehe einander beiwohnen, entwirft die Landesordnung ein Buß-Szenario, indem sie dafür folgende Strafe vorsieht: sol die Weibsperson, wenngleich auch keine Schwängerung daraus erfolget, mit verdecktem Häupte und ohne Spiel zur Kirchen gehen und sie beiderseits mit zeitlicher Gefängnis oder sonsten nach Gelegenheit willkürlich gestrafet werden. (LO Gotha, 2. Teil, 4. Kap., 10. Tit.; Schmelzeisen 652)
Das verdeckte Haupt erinnert an das Buß-Habit im Titelkupfer zum 7. Kapitel von Johann Quirsfelds Seelen-Schmuck. Dieses Zeichen der Buße wird in der Landesordnung an die Braut geheftet, nur sie geht als Büßerin. Die öffentliche Brandmarkung, die durch die Schwangerschaft sowieso vorhanden wäre, wird damit auch auf nicht
35
Heermann, Nuptialia, 6. Treuungs-Sermon: „Ist der ein Mensch, der sich verehlicht, so sol er auch nachmals im Ehestande sich erzeigen als ein Mensch, freundlich und sittsam.“ (S. 39), 11. Treuungs-Sermon: „Er soll zwar über sie herrschen, doch aber freund- und glimpfflich.“ (S. 82). Auf beide dieser Stellen folgt das Bibelzitat Sir. 4, 35.
5. Genugtuung
231
Quirsfeld, Johann: Des Mit Jesu verlobten Tugendliebenden Frauen-Zimmers Allerschönster SeelenSchmuck. Lunitius, Leipzig [21682]. Kupferstich zum 7. Kapitel, zum Demüthigen Buß-Habit. Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle: [AB 39 25/i, 17].
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E. Buße
schwangere Frauen übertragen. Diese Bestimmung wirkt als Prangerdrohung für beide Geschlechter, für das weibliche wird das Konfliktverlaufmuster der Verleumdung zusätzlich von demjenigen der Buße überlagert. Im Kapitel über das Konfliktverlaufmuster der Rehabilitation wurde die Thematisierung eines Reinigungseides in der Landesordnung von Sachsen-Gotha analysiert. Er bezog sich auf den Fall, wenn eine geschwängerte Person zwar sofort Zeugen von ihrer Vergewaltigung benachrichtigt hat, jedoch die Gewaltanwendung aus den Umständen nicht bewiesen werden kann (2. Teil, 4. Kapitel, 10. Titel, Abs. 10; 243). Dieselbe Landesordnung erörtert nun einen weiteren Fall, bei dem die Frau keine Zeugen in Kenntnis gesetzt hat, jedoch etliche gläubliche Umbstände, so doch die Unschuld nicht gar an Tag gegeben, beygebracht werden (Abs. 12; 243). Damit andere leichtfertige Dirnen also liederlichen zu schweren hinfüro bessere Scheu haben möchten, schreibt die Landesordnung für diesen Fall die Verwendung etwas mehrerer als ordentlicher Solenniteten und Ceremonien vor: mit Auffsteckung brennender Kertzen, Bekleidung des Gerichts-Tisches mit schwartzem Tuche, Auffsetzung eines Todeskopffes, und Zuziehung geistlicher und weltlicher Personen (Abs. 12; 243)
Besonders dann, wenn es Dirnen beschrihener Leichtfertigkeit, also schlechten Rufes seien, sei es unter Umständen angebracht, sie dem Scharffrichter vorzustellen, daß er ihnen Daumenstöcke anlege, oder wol gar mit den Schnüren wider sie verfahre (Abs. 12; 244). Wie in den Szenenanweisungen eines Dramas wird hier beschrieben, wie die Eidesleistung zu inszenieren sei, damit nicht so sehr die vor Gericht stehende Frau, als vielmehr alle anderen, vom Meineid abgehalten werden. Die Requisiten der schwächeren Variante erinnern an Todesbetrachtungen, die das Gewissen erforschen angesichts des eigenen oder eines fremden Todes, insbesondere des Kreuzestodes Christi.36 Diese Inszenierung gleicht dadurch einem Bußaufruf und das Gericht wird implizit mit dem Jüngsten Gericht in Verbindung gebracht. Die Eidesleistende wird durch die Inszenierung aufgefordert, ihr Gewissen zu prüfen und an das Jüngste Gericht zu denken, damit sie keinen Meineid begeht. Die stärkere Variante setzt hingegen auf die Androhung körperlicher Qualen, also innerweltlicher Strafe. Das Verfahren wird aus obrigkeitlicher Perspektive beschrieben. Aus dem Beschluß der Landesordnung ergibt sich jedoch ein zusätzlicher Blickwinkel auf diesen Abschnitt: Dort schreibt die Landesordnung vor, dass die Bestimmungen männiglich mindestens einmal pro Jahr vorgelesen werden sollen. Diese Figuren werden somit zu Mitwissenden der Strategie der obrigkeitlichen Textinstanz gemacht.37 Im Gegensatz zu Christian Weises Josefsdrama, in dem die Publikumsinstanz so infor36 37
Vgl. dazu die Monographie von Wodianka, 2004. S. das Kapitel „Textinstanzen“, S. 71.
5. Genugtuung
233
miert wird, dass sie mehr als die Figuren weiß,38 bleibt hier die Textinstanz des Publikums für verschiedenen Kommunikationsebenen zumindest teilweise dieselbe: Die Definitionsinstanz entwirft der Textinstanz der Obrigkeit eine Vorlesesituation vor Publikum, dem eine Befehlssituation zwischen Landesherr und Obrigkeit beschrieben wird, in der eine Gerichtssituation vor Publikum geschildert wird: Definitionsebene – Befehlssituation: Landesherr befiehlt der Obrigkeit, vorlesen zu lassen. Figurenebene – Vorlesesituation: Obrigkeit lässt allen die einzelnen Bestimmungen vorlesen. Binnenfigurenebene – Befehlssituation: Landesherr befiehlt der Obrigkeit ein Gerichtsverfahren. Binnenbinnenfigurenebene – Gerichtssituation: Die Inszenierung warnt alle leichtfertigen Dirnen vor Meineid.
Nun mag es schwierig erscheinen, das reale Gerichtspublikum mit erschreckenden Ceremonien zur Prüfung des eigenen Gewissens zu veranlassen, wenn es doch als reales Vorlesepublikum schon längst weiß, dass diese Inszenierung keine ernsthaften irdischen Folgen haben wird, dass die Daumenstöcke in diesem Sinne fiktiv sind. Die Übereinstimmung von Vorlese- und Gerichtspublikum macht nur dann Sinn, wenn es wichtig ist, dass das Gerichtspublikum über die Bedeutung dieser Solenniteten aufgeklärt ist. Es weiß, das diese nur vorkommen, wenn die Frau keine Zeugen informiert hat. Die Eidesleistung wird zur Buße: Die Frau wird bei der Eidesleistung als Übertreterin der Anklagenormen kenntlich gemacht, die von Amtes wegen verleumdet wird,39 freiwillige Unzucht begangen zu haben. Und gleichzeitig wäscht sie der Eid vom Verdacht der freiwilligen Unzucht rein. Im Unterschied zur kirchlichen Buße bekennt nicht die Büßende selbst, sondern die Obrigkeit inszeniert ein Bekenntnis für das Publikum, das die Frau auf keinen Fall teilen darf, da sie sonst Meineid beginge. Die Definitionsinstanz der Landesordnung verleumdet also die Figurenmenge der geschwängerten Frauen. Sie sieht nur für diejenigen, welche die aufgestellten Anklageregeln einhalten, eine Möglichkeit vor, sich über einen einfachen Eid zu rehabi38 39
S. u. S. 235. Vgl. zur Ironie auch das Kapitel „Textinstanzen“, S. 72. Vgl. zur Verleumdung von Amtes wegen das Kapitel „Verleumdung“, S. 170.
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E. Buße
litieren. Für die anderen entwirft sie ein Schuldbekenntnis, das jedoch nicht die Frau, sondern die Inszenierung der Obrigkeit ‚ausspricht‘. Obwohl demnach der Textsorte des Eides absolute wirklichkeitsstiftende Macht und Wahrhaftigkeit zugesprochen wird, und ein Eid deshalb Kraft hat, die Verleumdung zu widerlegen, wird hier für den Eid eine Gleichzeitigkeit von Schuldgeständnis und reinigender Widerlegung entworfen. Die reale leichtfertige Dirne im Vorlesepublikum, auf die diese Inszenierung abzielt, wird die Zeugen in Zukunft nicht deswegen benachrichtigen, weil sie Angst vor Meineid, Totenkopf oder Daumenstöcken hat, sondern weil sie weiß, was diese Ceremonien für die Zuschauenden bedeuten werden. Die angekündigte Bußinszenierung kommt in dieser Hinsicht einer Verleumdungsdrohung gleich. Beide Verfahren, der einfache und der zeremonielle Reinigungseid, werden in der Landesordnung im Zusammenhang mit Vergewaltigungen nur für Frauen erwähnt. Die gesamte Passage bezieht sich nur auf den Fall, dass der Vergewaltiger unbekannterweise angeklagt wird. Es werden keine entsprechenden Reinigungseide für der Vergewaltigung angeklagte oder verleumdete Männer dargestellt.40
6. Vergebung im kleinen Kreis Christian Weises Drama Der keusche Joseph von 1690 verbindet irdisches Verzeihen und jenseitige Vergebung. Im Unterschied zu Zesens Romanbearbeitung der Josefsgeschichte stirbt Seres, die Zesens Sefira entspricht, nicht, sondern Joseph vergibt am Ende des zweitletzten Aufzuges zuerst ihrem Bruder und dann ausführlicher ihr. Bei Weise führt ihr Normenbruch zur echten, weltlichen Buße, im Gegensatz zu Zesens Version, in der Sefira nur unechte Buße leistet und durch ihren Tod aus dem Text verbannt wird. Entwirft Zesen nur Rehabilitation für Josef, so lässt Weise diese auch Seres zuteil werden. Das Konfliktverlaufmuster der Buße überschneidet sich im Moment des reuigen Bekenntnisses mit dem Konfliktverlaufmuster der Rehabilitation: Seres bereut nicht nur ihre Zudringlichkeit, sondern verspricht, dass sie keine Ansprüche auf Joseph mehr erheben wird. Obwohl sie beides nur zu Joseph sagt, ist für die Lesenden klar, dass Asnath keinen Grund mehr haben wird, an Josephs Keuschheit zu zweifeln. Es kommt für die Lesenden einer Absage an den Neid gleich.41 Seres’ Reue und Josephs Verzeihen sind jedoch nicht öffentlich auf der Figurenebene. Obwohl die Hoffjuncker Seres’ Absichten gegenüber Joseph vermuten und 40
41
Burghartz, 1995, 224 stellt jedoch anhand der Ehegerichtspraxis und der Eheordnungen für Basel fest, dass sich der Purgationseid vom 16. bis zum 18. Jahrhundert von einem Beweismittel für beide Seiten zu einem ausschließlich von Männern benutzten Mittel entwickelte, um die Beschuldigung von sich zu weisen. Vgl. das Kapitel „Rehabilitation“, S. 196.
6. Vergebung im kleinen Kreis
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sie bei Asnath verleumden, weiß der Pharao bis zum Schluss nichts davon, und sie wird nicht aus dem höfischen Kreis ausgeschlossen. Dies betont die Innerlichkeit ihrer Buße zusätzlich, die jedoch durch die Passage, in der Joseph ihr verzeiht, zu den Lesenden beziehungsweise zum Theaterpublikum hin geöffnet wird: Seres. Aber mein werthester Herr Joseph, mit was vor einem Gewissen darff ich erscheinen? Joseph. Ich habe alles vergessen. Hat es derjenige vergessen, der über unser Gewissen zu richten hat, so kan sie auf beyden Theilen zu frieden seyn. Seres. Es ist mir leyd Joseph. Das ist eine Busse damit GOtt zu frieden ist. Seres. Ich will ins künfftige mein Gewissen vor dergleichen Brandmahl besser verwahren. Joseph. (Führet sie auff die Seite.) Meine Frau, was die Leute nicht wissen, das mag auch vor der Welt verborgen seyn, hat sie GOtt beleidiget, so suche sie auch bey demselben Gnade. Was mich anbelanget, ich habe es nicht allein vergeben, sondern auch vergessen. (V, 19)
Joseph verweist explizit auf die Vergebung durch Gottes Gnade, zu der sein Verzeihen nur als Vorstufe erscheint. An der Szene nehmen Seres und Asnath, ihre Brüder, Joseph und der Ober-Schenk Thmosis teil. Seres’ Entschuldigung und Josefs Verzeihen erreichen deshalb nicht nur das von ihren Ansprüchen allenfalls bedrohte Paar und ihre beiderseitigen Verwandten, sondern durch Thmosis auch das Ohr des Hofes. Diese Rehabilitation ist jedoch nur für diejenigen verständlich, die auch das Gerücht kennen. Joseph hält sie davon ab, sich selbst anzuprangern, indem sie ihre Normenverstöße öffentlich bekennen würde. Indirekt wird damit ausgesagt, dass die Verlegung der Buße ins Innere dazu dienen kann, durch das Bekenntnis nicht einen weiteren und weit folgenreicheren Ausschluss zu produzieren. Joseph trennt zwischen der für die Hoföffentlichkeit tauglichen Rehabilitation und der innerlichen Buße gegenüber Gott: Das Sündenbekenntnis führt dadurch nicht zum sozialen Ausschluss. Die Aussicht auf Rehabilitation lässt es für die Lesenden attraktiv erscheinen, ihre Normenbrüche nicht zu verheimlichen, sondern von sich aus einer Konfliktlösung im engeren Kreis zuzuführen. Die irdische Versöhnung wird so durchgeführt, dass nur die Figuren, die vom Normenbruch wussten, miteinbezogen werden, so dass die Eskalation der Bloßstellung, wie sie für den Pranger charakteristisch ist, vermieden wird. Diese Verbindung von Buße und Rehabilitation fördert eher die Kultur des Vergebens als die Vermittlung des Ehebruchsverbots. Der irdischen Versöhnung kommt hier gegenüber der Einhaltung der Gebote ein eigener normativer Wert zu. Dem Gegenüber wird in christlicher Demut42 nur das Beste zugetraut, die Buße wird zum Bußkompliment. 42
Vgl. Luk. 6, 37: „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben.“
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E. Buße
7. Zusammenfassung Im Gegensatz zur Rehabilitation liegt bei der Normenvermittlung im Bußemuster der Akzent auf der Erkenntnis und dem Bekenntnis der eigenen Normenverstöße. Die Reintegration ist immer nur vorläufig und wird selbst gleich wieder als Bußaufruf für die betroffene Figur oder die Umgebung funktionalisiert, sei es als Gewissensprüfung im Hinblick auf das Jenseits, sei es als irdische Mahnung an die betroffene Figur und an alle anderen. Das Konfliktverlaufmuster Buße entwirft zwei unterschiedliche Beobachtungsinstanzen: eine göttliche Instanz und eine irdische, soziale. Charakteristisch für das Buße-Muster ist es, dass diese beiden Instanzen immer gleichzeitig evoziert werden, allerdings mit je nach Text unterschiedlicher Gewichtung. In den Fällen, in denen die göttliche Instanz besonders hervorgehoben wird (zum Beispiel in den Gebet- und Gesangbüchern), steht die Erkenntnis der eigenen Sünden im Vordergrund. Dies geschieht anhand von konkreten Beispielen, welche die Wirkungsweise des Gewissens im Sinne eines praktischen Syllogismus vorführen. Der Schluss, die Einsicht in die Versündigung, bestimmt die Perspektive auf Gesetz und Tat. Dieser Blickwinkel hat sich als Gattungskennzeichen der Beichte etabliert. Der Bruch von Normen der Geschlechterbeziehungen ist aus der Perspektive der Buße eine von vielen Möglichkeiten, sich zu versündigen. Es geschieht hier keine heilsgeschichtliche Herleitung der Buße aus dem Sündenfall, wie sie in Texten vorkommt, die dem Konfliktverlaufmuster der Disputation zuzurechnen sind. Dort wird die erste Versündigung gerade in Geschlechterbeziehungen eingebettet, und diese profilieren sich deshalb vor allem anderen Verhalten als besonders problematisch. In der Darstellung der Buße vor Gott hebt sich weder die Versündigung im Umgang mit dem jeweils anderen Geschlecht besonders von anderen Versündigungen ab, noch lassen sich durchgehende geschlechtsbezogene Asymmetrien feststellen. Bei der Darstellung der Buße gegenüber Gott werden alle angeklagt. Der allgemeine Bußaufruf, der den Lesenden Ehebruch und Hurerei vorwirft, erreicht es nicht unbedingt, dass sich die realen Lesenden mit diesen Adressierten identifizieren. Wirkungsvoller erscheint das Verfahren der Beichte: Das detaillierte Bekenntnis des beichtenden Ich lässt alle realen Lesenden Sünden im Geiste begehen; die gleichzeitig angeführte Reue über solche Sünden kann den realen Lesenden diese Versündigung und die Notwendigkeit bewusst machen, dass auch sie diese Sünden bereuen sollten. Die Beichtvorlage kommt deshalb nicht nur einem Bedürfnis entgegen, sondern schafft es unter Umständen erst. Die Motivation der Lesenden zur Befolgung der Normen funktioniert ähnlich wie die Verleumdungsdrohung: Es wird keine Belohnung für die Befolgung in Aussicht gestellt, sondern es wird nur die Strafe für die Übertretung ausgesetzt. Während in der Verleumdungsdrohung
7. Zusammenfassung
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die Aufforderung jedoch so begründet wird, dass die Strafe nur durch Wohlverhalten aufgehalten werden kann, wird sie in der Buße als Leistung der Dankbarkeit legitimiert. Die Buße gegenüber Gott verlegt den Normenkonflikt und die Kontroll- und Strafinstanz ins Innere. Das büßende Gewissen wird als Beobachtungsinstanz gebildet, welche die Einzelnen jederzeit und vollständig zu überwachen hat, jedoch sozial nicht direkt kontrolliert, sondern nur angeregt werden kann. Diese Stimulation geschieht in Bezug auf Normen der Geschlechterbeziehungen hauptsächlich für Frauen. Wenn der Bußverlauf vor weltlichen Beobachtungsinstanzen betont wird, kommt der Sichtbarkeit eine große Bedeutung zu. Im Vordergrund steht hier das Sündenbekenntnis und zwar von seiner Schauseite, vom Publikum her. Diese Buße vor der sozialen Umgebung leisten vorzugsweise weibliche Textinstanzen, wenn es um den Bruch einer Norm der Geschlechterbeziehungen geht. Männliche Figuren büßen in Gedanken, weibliche im sichtbaren Tun. Im Gegensatz zur Buße gegenüber Gott, die geschlechtsneutral dargestellt wird, erhält diese weltliche Buße eine mehrfach negative Konnotation: Die sichtbare Buße wird konfessionspolitisch belastet und höchstens als äußeres Zeichen echter innerer Buße toleriert: Der Körper als Ort der Buße ist negativ konnotiert, er darf allenfalls Zeichen dafür sein. Die weltliche, öffentliche Buße beinhaltet immer ein Element des Prangers, auch wenn im Gegensatz zur Verleumdung die Reintegration bereits in ihr enthalten ist. Das Publikum, dessen Perspektive hier den Lesenden hauptsächlich zur Rollenübernahme angeboten wird, wirft einen voyeuristischen Blick auf das Sündenbekenntnis anderer. Dessen Bloßstellung wirkt als Verleumdungsdrohung, zumindest für die realen Leserinnen, denen es wohl leichter fällt, die Rolle der als Beispiel benutzten weiblichen Textinstanzen zu übernehmen. Einzig in Weises Drama wird die Buße so gestaltet, dass diese Prangerwirkung ausbleibt. Erfolgreich vermittelt wird in diesem Fall eher das Gebot der Nächstenliebe und weniger das Ehebruchsverbot. Eine geschlechtliche Asymmetrie kommt auch darin zum Ausdruck, welches Konfliktverlaufmuster gewählt wird, um Konflikte von Normen der Geschlechterbeziehungen darzustellen: Weibliche Zudringlichkeit wird mit sozialer Buße gelöst, männliche über die Rehabilitation. Das Konfliktverlaufmuster der Buße bietet jedoch Reintegrationschancen nur um den Preis des Schuldbekenntnisses. Bei der gerichtlichen Rehabilitation ist dies nicht nötig, sondern im Gegenteil das Abstreiten der eigenen Schuld beziehungsweise ihre Umdeutung als Pflicht Voraussetzung. Besonders deutlich wird diese geschlechtsbezogene Asymmetrie in den Texten, in denen die Reintegration über soziale Buße sogar für verleumdete weibliche Textinstanzen, deren Schuld nicht feststeht, entworfen wird.
Teil IV Schluss
A. Synthese In Normenbrüchen und -konflikten werden in Texten des 17. Jahrhunderts Normen über das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern gebildet und vermittelt. Dazu dienen die soeben dargestellten fünf Konfliktverlaufmuster Kompliment, Disputation, Verleumdung, Rehabilitation und Buße. Zum Schluss sollen in einer Quersicht der bisherigen Analyse-Kapitel die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen Vermittlungstechniken aufgezeigt werden. Es war jedoch nicht meine Absicht zu beweisen, dass alle Texte die normativen Muster einheitlich anwenden, sondern es ging im Gegenteil darum, die Konfliktverlaufmuster in ihren Variationen vorzuführen; deshalb sei mit Nachdruck auf die Analyse-Kapitel verwiesen, welche durchaus Widersprüchliches zu dem hier notwendigerweise verkürzt Zusammengefassten enthalten. Deutlicher hingegen als in der Analyse der einzelnen Konfliktverlaufmuster wird in der Zusammenstellung, welche Beziehungen zwischen den Mustern bestehen. Erst alle zusammen bilden den diskursiven Hintergrund, vor dem ein einzelner Text normativ wirken kann.
1. Normenanwendung Normenanwendung ist Mengenlehre. Da Normen für bestimmte Kategorien und nicht für Einzelne gelten, ist zu ihrer Anwendung Abstraktion nötig: Es ist jeweils zu fragen, ob der konkrete Fall zu der von der Norm abstrakt umrissenen Kategorie gehört. Das Konfliktverlaufmuster der Buße führt die einzelnen Überlegungsschritte, die für die normative Beurteilung nötig sind, als praktischen Syllogismus des Gewissens vor: Aus Regel und Tat wird darauf geschlossen, ob die Tat der Regel entspricht. Das Konfliktverlaufmuster der Disputation übt syllogistisches Denken am Thema der Geschlechternormen ein. An den Handlungen auf Figurenebene können die Lesenden die Beurteilung von Geschehenem üben, bei ihrem eigenen Handeln sollten sie diese Beurteilung vorwegnehmen. Diese Forderung hat vor allem das Verleumdungsmuster deutlich gemacht. Die Analyse der Texte hat gezeigt, dass die Texte die Regel nicht zu eng darstellen, damit sie die Lesenden überhaupt auf ihre Situation übertragen können. Andererseits muss der Text die Norm jedoch so genau formulieren, dass deutlich wird, auf welche Fälle sie nicht zutrifft.
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A. Synthese
2. Konfliktverlaufmuster als normatives Wissen Konfliktverlaufmuster stellen in sehr allgemeiner Form dar, wie Gruppen von Menschen interagieren. Die Konfliktverlaufmuster unterscheiden sich voneinander in der Art und Weise, wie sie den Verlauf gestalten und vor allem wie sie ihn mit Bedeutung anreichern. Die Konfliktverlaufmuster organisieren Wissen, indem sie soziale Kategorien und Konzepte zu einem Handlungsverlauf zusammenführen und als Handlungsmotivationen darstellen. Für die Vermittlung von Normen der Geschlechterbeziehungen in Texten ist dabei entscheidend, wie die Handlungspositionen innerhalb der Konfliktverlaufmuster auf weibliche und männliche Textinstanzen verteilt werden. Diese sehr allgemeinen Konstellationen von weiblichen und männlichen Textinstanzen erleichtern den Lesenden die Rollenübernahme, weil sie nicht nur in Texten, sondern in sehr vielen anderen Zusammenhängen vorkommen und wiederzuerkennen sind. Die Ausgestaltung der Textinstanzen zeigt den Lesenden an, für wen und in welcher sozialen Situation die Norm gilt.
3. Soziale Situation Nicht nur die handelnden Figuren sind für die Normenvermittlung wichtig, sondern vor allem die Beobachtungsinstanzen, welche dadurch definiert sind, dass sie zu dem Zeitpunkt gerade nicht handeln, aber die Norm kennen. Sie bezeichnen den sozialen Rahmen, in dem die Norm hergestellt wird und für den sie gilt. Die Normen werden in allen analysierten Texten sozial eingebunden, es gibt in ihnen keine absoluten Normen, sondern nur solche, deren Befolgung von einer Umgebung erwartet wird. Diese Beobachtungsinstanzen machen den Lesenden deutlich, wie sehr ihre Tugend nicht nur von ihren Handlungen, sondern von der Einschätzung ihrer Umgebung abhängt. Die Beobachtungsinstanzen bieten sich den Lesenden als Hilfe an, damit sie sich an ihnen die normativen Erwartungen ihrer Umgebung vorstellen und ihre Handlungen nach ihnen ausrichten, also normenkonform handeln können. Eine sehr allgemeine Form findet diese Umgebung in der Instanz des Gerüchts, das vor allem im Konfliktverlaufmuster Verleumdung thematisiert wird. Auch die übrigen Beobachtungsinstanzen sind so ausgestaltet, dass die realen Lesenden sie leicht in ihre konkrete Situation integrieren können: Ehefrau oder -mann, Gesinde, Gott und Gewissen. Die letzten zwei sind ebenso situationsungebunden wie das Gerücht. Die Reaktionen auch dieser Instanzen werden so beschrieben, dass sie soziale Auswirkungen haben. Die auf die sozialen Figurenkonstellationen fokussierende Analyse hat gezeigt, dass sich die Normenvermittlung des 17. Jahrhunderts nicht einfach mit dem Hin-
4. Dynamik
243
weis auf ein christliches Weltbild oder als Gehorsam gegenüber Gott erklären lässt, vielmehr wurde mehrfach deutlich, dass Gott in den Texten in gleicher Weise als Figur auftritt wie etwa das Gerücht oder das Gesinde. Mehr noch, die Figur Gott allein genügt in keinem der untersuchten Texte als Umgebung, die zum normenkonformen Handeln anspornt.
4. Dynamik Die bisherige Forschung untersuchte Normen der Geschlechterbeziehungen auf zwei Arten: Sie stellte in Diskursanalysen die vorherrschenden Normeninhalte oder auch die Varianz dieser Inhalte dar. Konfliktverläufe untersuchte sie in der Einzeltextanalyse mit dem Ziel, die Handlungsverläufe auf Textnormen zu beziehen und sie in eine Geschichte der Poetik einzuordnen. In dieser Untersuchung hat die weitgehende Ausblendung der Normeninhalte den Blick freigegeben auf die textlichen Verfahren, auf die dynamischen Aspekte der Normenformulierung. Der Vergleich von Texten unterschiedlicher Textsorten hat es auf der anderen Seite ermöglicht, die Konfliktverlaufmuster von den Handlungsmustern einzelner Gattungen zu lösen und die Überblendung verschiedener Konfliktverlaufmuster in einzelnen Texten zu zeigen. Konfliktverläufe in einer Diskursanalyse zu untersuchen, wie es hier unternommen wurde, und dabei nicht nur auf die durchgängigen Muster, sondern insbesondere auf deren Variationen zu achten, ergibt ein anderes Bild der Literatur des 17. Jahrhunderts. Es herrscht keine naive Regelfrömmigkeit in den Texten, weder bezüglich der Geschlechternormen noch bezüglich der poetologischen Regeln. Diese Literatur bestätigt ihre normativen Grundlagen gerade dadurch immer wieder, dass sie sie in Krisenszenarien reflektiert und begründet.
5. Ausschluss und Reintegration Die Lesenden sollen die Normen nicht nur kennen, sondern sie auch anwenden wollen. Die Texte suchen dies hauptsächlich dadurch zu erreichen, dass sie Szenarien sozialen Ausschlusses entwerfen. Wichtig für die normative Wirkung ist dabei, dass die Lesenden die Ausschlussdrohung auf sich beziehen müssen. Eine Verleumdungsdrohung an alle ist deshalb wirkungsvoller als eine Verleumdung anderer. Die Verleumdungsdrohung evoziert die Angst vor wirklichkeitsstiftender Fremdbestimmung und sozialem Ausschluss und motiviert die Lesenden, die Normen zu befolgen. Die fünf Konfliktverlaufmuster entsprechen sozialen Dramen (Turner). Sie gestalten eine soziale Krise, die durch einen Normenbruch entsteht, und einen Bewäl-
244
A. Synthese
tigungsmechanismus, der mit Ausschluss oder Reintegration endet. Am deutlichsten sind diese Phasen im Konfliktverlaufmuster Rehabilitation getrennt, weil es die Krise als Informationskrise fasst, die durch autoritative Verbreitung der ‚richtigen‘ Information gelöst werden kann. Das Konfliktverlaufmuster Kompliment hebt sich dadurch von den anderen ab, dass es eine Eskalation des Konfliktes nicht verhindert, sondern nur eingrenzt. Die Krise wird als fiktionales Spiel dargestellt. Im Konfliktverlaufmuster Disputation werden Geschlechterbeziehungen zum Thema eines Konflikts zwischen Proponent und Opponent, der deshalb immer normativ eindeutig ist, weil der hierarchisch höhere Präses den Proponenten unterstützt. Hier wird die Krise als Konflikt zwischen Argumenten in Szene gesetzt. Die Bewältigung ist aber von Anfang an vorhanden, indem vorgesehen ist, dass die These des Proponenten den Sieg davontragen wird. Der theoretische Charakter dieser Auseinandersetzung wird nicht zuletzt dadurch konstruiert, dass die prototypische Disputation einen ausschließlich männlichen Rahmen entwirft, Geschlechterbeziehungen deshalb gar nicht gezeigt, sondern nur diskutiert werden. Die Konfliktverlaufmuster Verleumdung und Buße gleichen sich insofern, als bei ihnen die Feststellung des Normenbruchs und der Bewältigungsmechanismus zusammenfallen. Während jedoch die Verleumdung in einem punktuellen Akt einen bleibenden Ausschluss schafft, ist es für das Buße-Muster charakteristisch, dass es die Krise perpetuiert. Zu meinem Erstaunen habe ich kein besonderes Konfliktverlaufmuster des Gerichtsprozesses feststellen können. Meist männlich konnotierte Richterfiguren kommen zwar in den Texten häufig vor, aber in recht unterschiedlichen Verlaufszusammenhängen. Die gerichtliche Regelung von Normenkonflikten erscheint in den Texten als Kombination von Verleumdung (Anklage, Strafe), Disputation (Verhör, Verhandlung), Rehabilitation (Verhör, Reinigungseid) und Buße (Verhör, Geständnis, Strafe). Gerade in Bezug auf Normen der Geschlechterbeziehungen entspricht dieser Befund jedoch der in Rechtstexten des 17. Jahrhunderts fassbaren Vielfalt von privaten Konfliktregelungen, sozialer Diskriminierung, Rüge-, Schieds-, Kirchen- und Strafgerichten.1
1
Vgl. Ulbricht, 1995, S. 6 ff. Rügepraktiken wie z. B. Katzenmusiken für ungleiche Paare werden von den „Alters-, Berufs- und Geschlechtsgruppen getragen“ und tadeln Verhalten, das gegen die Gruppennormen verstößt (S. 7).
6. Gattungsübergreifende Muster
245
6. Gattungsübergreifende Muster Der Übergang von theoretischen Schriften über die Regeln, wie ein Text Geschlechterbeziehungen darstellen soll, zu Texten, die diese Regeln anwenden, ist fließend. Die Analyse hat gezeigt, dass es ergiebig ist, Texte nicht in einseitiger Abhängigkeit von Normen zu sehen, die in Rhetoriken und Poetiken sowie in Rechtstexten formuliert werden. Der diskursiven Konstruktion von Normen wird eine Analyse gerecht, die allen Texten gleichen Erklärungswert zugesteht und in allen sowohl theoretische Aussagen über die Regeln als auch Normenanwendungen sucht. Die fünf Konfliktverlaufmuster, die Normen der Geschlechterbeziehungen vermitteln, sind selbst poetologische Normen: sie geben vor, wie Texte gestaltet sein sollen, definieren aber keine Gattungen. Das Muster Kompliment ist zwar in der Textsorte Komplimentierbriefsteller eines der wichtigsten Mittel, um die Verhaltensnormen zu formulieren, es wirkt in gleicher Weise jedoch auch im Andachtsbuch. Umgekehrt wird im Komplimentierbriefsteller auch das Verleumdungsmuster verwendet. Normenvermittlung ist demnach keine Spezialität einzelner Textsorten. Es wurde gezeigt, dass gerade die gattungsübergreifende Anwendung von Konfliktverlaufmustern die Voraussetzung bildet, dass diese normativ wirken können. Die Konfliktverlaufmuster erscheinen dadurch als textunabhängige Strukturen der sozialen Wirklichkeit, welche die einzelnen realen Lesenden nicht verändern können und denen sie sich deshalb anpassen müssen.
7. Inferenzsteuerung Die Textanalyse hat an Beispielen vorgeführt, dass Texte, die traditionellerweise zur Literatur gerechnet werden, nicht grundsätzlich fiktionaler oder weniger normativ sind.2 Eine bestimmte Gattung oder Textsorte kann zur Leitform und damit praktisch deckungsgleich mit den Konfliktverlaufmustern werden. Auffälligerweise fallen solche prototypennahen Texte nicht unter die Gattungen Gedicht, Drama und Roman. Diese zeigen jedoch nicht besonders wenige, sondern eher besonders viele Konfliktverlaufmuster. Alle fünf Muster werden in Zesens Assenat-Roman für die Darstellung von Sefiras Verführungsversuchen verwendet. Das bedeutet zwar eine gewisse Freiheit für die Lesenden, die normative Bewertung aufgrund des einen oder anderen Musters vorzunehmen. Aber die verschiedenen Muster werden nicht dazu verwendet, unterschiedliche Interpretationen anzubieten oder die Bewertung zu verwischen, sondern sie führen die Lesenden alle zur Verurteilung von Sefiras Handeln und zur Rechtfer2
Vgl. zum Verhältnis von Fiktionalität und Normativität das Kapitel „Modell“, S. 39.
246
A. Synthese
tigung von Josefs Position und vermitteln damit das Ehebruchsverbot. Zwar rechnet der Assenat-Roman mit unterschiedlichen Inferenzleistungen der Lesenden, indem er verschiedene Konfliktverlaufmuster unterstützt, aber er leitet die normativen Einschätzungen der realen Lesenden alle zum selben Schluss und wirkt dadurch integrierend. Die Kombination allein schafft also noch keine Relativierung von Normen, sondern es kommt auf die Art und Weise der Kombination an, welchen Grad an normativer Eindeutigkeit ein Text erreicht.3
8. Intertextuelle Bezüge Die Normativität wird durch implizite oder ausdrückliche Verweise auf andere Texte erhöht. Die fast ausschließliche Konzentration auf dieses normative Mittel wurde am Beispiel der rehabilitierenden Wirkung des Registers zum Assenat-Roman gezeigt. Intertextuelle Bezüge bahnen Assoziationswege und beschränken deshalb die Inferenzmöglichkeiten der Lesenden. Sie schaffen durch die Allgegenwart des Gleichen Wirklichkeit. Dem Konfliktverlaufmuster Disputation kommt in dieser Hinsicht eine zentrale Bedeutung für die Vermittlung von Normen der Geschlechterbeziehungen zu, denn es verdichtet normative Fragen zu Topoi, die es immer wieder aufführt und neu legitimiert. Diese Topoi finden sich in allen Diskursen und in allen Konfliktverlaufmustern und bestimmen in erheblichem Masse, was reale Lesende zum Verständnis des Textes aus ihrem Wissen hinzuziehen und wie sie das Gelesene einordnen. Im Extremfall genügt ein Wort wie Rippe, um ein ganzes Geschlechterkonzept aufzurufen. Diese Topoi sind aber nicht nur statische Schlagworte, sondern Zeichen für Abläufe, für exemplarische Geschichten.
9. Geschlechterkonstruktion Die fünf Konfliktverlaufmuster sind gendered modes (Butler), kulturelle Herstellungsweisen von Geschlecht. Außer ihnen können allerdings noch andere Konfliktverlaufmuster zur Geschlechterkonstruktion beitragen, wurden doch hier nur Normen des gegenseitigen Verhaltens untersucht. Ausserdem dienen die Konfliktverlaufmuster – teilweise vielleicht sogar in größerem Maße – der Konstruktion anderer sozialer Gruppen, das Kompliment-Muster etwa der ständischen Definition und das Buße-Muster der konfessionellen Identität. 3
Ähnlich sieht Kasics, 1990, 113 die Absicht und den Zweck literarischer Texte „in der Auseinandersetzung, Problematisierung, Rekonstruktion, Affirmation und Modifikation sozialer Sinnsysteme“, was durch die „Komplexität der Fiktionsstruktur“ erreicht werde.
9. Geschlechterkonstruktion
247
9.1. Dichotomien Je nach Konfliktverlaufmuster werden andere Dichotomien als Folie für eine Geschlechterdichotomie benutzt: Im Kompliment-Muster zeigte sich, dass es weibliches und männliches Geschlecht mit niedrigerem und höherem Stand identifiziert. Das führt dazu, dass das Werberitual nur dann eine Fortsetzung finden kann, wenn die weibliche Instanz nicht höheren Standes ist. Die Disputation konstruiert das Geschlechterverhältnis, indem es die Frage nach der Mehr- oder Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann durch alle Eigenschaften durchdekliniert. Die Fragerichtung setzt das männliche Geschlecht als Norm und Maß. Stärker als in allen anderen Mustern wird hier ein komplementäres Geschlechterverhältnis konstruiert. Dies scheint Tradition zu haben, stellt Schnell doch auch für den Sexualitätsdiskurs im Untersuchungszeitraum vom Mittelalter bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts fest, dass „klare Geschlechtermarkierungen“ vor allem „im spekulativ-theoretischen Diskurs“ zu finden seien, während sie sich „im pragmatisch-alltagsweltlichen“ zuweilen fast auflösten.4 Nur schwach ist im Verleumdungsmuster die Profilierung in weibliche Verleumdete und männliche Verleumder. Als eng mit der Verleumdung zusammenhängende Reintegrationsmuster scheinen sich Rehabilitation und Buße die Aufgabe leicht geschlechtstypisch aufzuteilen: Die Rehabilitation bietet zwar beiden Geschlechtern die Ehe als Zufluchtsort vor Verleumdung an, scheint sonst jedoch eher für männliche Textinstanzen Verwendung zu finden. Bei der Buße gegenüber der sozialen Umgebung ist die Präferenz für weibliche Textinstanzen deutlich. Weibliche Textinstanzen müssen also ihre Schuld bekennen, um reintegriert zu werden, männliche müssen sie abstreiten. Im Buße-Muster entsprechen der Dichotomie Frau-Mann äußerliche, gestisch geäußerte Reue, die aus lutherischer Sicht katholisch und unecht erscheint, und innere, verbal geäußerte, echte Reue.
9.2. Definitionsmacht Der Unterschied der Geschlechter wird in den untersuchten Texten von der Art und Weise bestimmt, wie die Konfliktverlaufmuster in ihren Figurenkonstellationen und Verläufen Wahrheit, Macht und Schuld auf die Textinstanzen verteilen. Quer durch alle Konfliktverlaufmuster hindurch werden diejenigen Textinstanzen, deren Äußerungen und Entscheidungen textinterne ‚Wirklichkeit‘ herstellen und verändern, eher männlich besetzt. Obwohl die Definitionsinstanz oft nur
4
Schnell, 2002, 473.
248
A. Synthese
schwache Konturen gewinnt, entpuppt sie sich zumindest stellenweise meist als männlich. Für die Normenvermittlung ist es entscheidend, welcher Textinstanz die Definitions- und Kommentarmacht zukommt. Die Definitionsinstanz legt fest, welche Normen gelten, was als (Text-)Wirklichkeit anzusehen ist. Je mehr Textebenen ineinander verschachtelt sind, desto öfter kann eine Handlung einer inneren Instanz im Durchgang durch die verschiedenen äußeren Instanzen umgedeutet werden. Gerade im Konfliktverlaufmuster Disputation wurde gezeigt, dass es für die normative Einordnung von Aussagen außerordentlich wichtig ist, darauf zu achten, von welcher Textinstanz auf welcher Textebene sie geäußert wird.5 Die Frage nach der Verteilung von Wahrheit, Macht und Schuld unter die Geschlechter kommt in allen Konfliktverlaufmustern vor. Die Verlaufmuster heben je unterschiedliche Aspekte davon hervor. Sie konstruieren und vermitteln deshalb erst im diskursiven Zusammenspiel die Normen der Geschlechterbeziehungen. Das Kompliment-Muster führt meist vor, dass die soziale Verwirklichung des fiktionalen Werbespiels schließlich den werbenden Aussagen der Männerfigur Recht gibt, während die verbalen Weigerungen der Frauenfiguren sich als fiktiv erweisen. Dies stellt die ausführliche Version der Interpretationsgleichung dar, die in allen Konfliktverläufen als implizite oder ausdrückliche Behauptung wiederkehrt. Diese legt fest, dass Frauen bei nicht vollkommen eindeutigem Verhalten, auch wenn sie etwas anderes sagen, die Werbung annehmen wollen. Solche Interpretationsgleichungen definieren, welches Verhalten von der Umgebung als Normenbruch interpretiert wird. Schnell stellt für den Geschlechterdiskurs vor 1600 in ähnlicher Weise fest, dass „der Körper der Frau […] zu einem deutungsfähigen Zeichensystem“ erklärt werde. Eine „Verrätselung des weiblichen Körpers“, wenn sich die Interpretation des Mannes als falsch erweist,6 lässt sich hingegen in meinem Korpus nicht feststellen. Die Interpretationsgleichung scheint hier demnach viel uneingeschränkter zu herrschen. Noch deutlicher als im Kompliment-Muster wird die Definitionsmacht im Disputations-Muster männlich konnotiert: In einem rein männlichen Rahmen werden hier Normen der Geschlechterbeziehungen argumentativ geformt und aufgeführt. Der Präses, der die ‚richtige‘ Seite bezeichnet, ist durchgängig männlich konnotiert. Im Verleumdungsmuster wird die Verleumdungsdrohung vor allem an Frauenfiguren gerichtet. Sie müssen sich um ihr öffentliches Ansehen in Bezug auf die Geschlechterbeziehungen weit mehr sorgen. Sie scheinen besonders gefährdet zu sein, von der Umgebung falsch beurteilt zu werden. Allerdings wird die performative 5 6
In der Rechtswissenschaft wird in diesem Zusammenhang von der Systematik eines Textes gesprochen. Schnell, 2002, 475.
9. Geschlechterkonstruktion
249
Macht des Diskurses auch an klatschenden Frauenfiguren vorgeführt, denen damit die Verantwortung für die schlimmen Folgen unwahrer Behauptungen zugewiesen wird. Sicherheit vor Verleumdung verheißt das Rehabilitationsmuster für beide Geschlechter in der Ehe. Die Spaltung in fremde und eigene Beurteilung, wie sie für die Situation der Verleumdung charakteristisch ist, wird hier aufgehoben in einer autoritativ hergestellten Wahrheit. Es fällt auf, dass in diesem protestantischen Korpus die Ehe als Zufluchtsort vor der zweideutigen und verleumderischen Welt sehr prominent vertreten ist. Während die Buße vor Gott beide Geschlechter gleichermaßen thematisiert, werden in der Buße vor der Welt geschlechtsbezogene Asymmetrien deutlich. Die Interpretationsgleichung, dass Frauenfiguren nicht so scheinen wie sie sind, führt hier dazu, dass unechte Buße mit Vorliebe an weiblichen Textinstanzen dargestellt und die Wahrhaftigkeit des Bekenntnisses für diese angezweifelt wird. Durch alle Konfliktverlaufmuster hindurch wird demnach der übereinstimmende Besitz von Wahrheit, Macht und Schuldlosigkeit eher männlichen Figuren zugesprochen.
9.3. Diskursabhängigkeit Für diese Analyse wurden nur Texte verwendet, welche Geschlechterbeziehungen thematisieren. Dabei fielen notwendigerweise all jene Texte außer Betracht, welche kaum geschlechtliche Konnotationen erkennen lassen und beide Geschlechter ziemlich gleich behandeln. Das ist insbesondere im theologischen Diskurs, der die Hälfte der Bücherproduktion des 17. Jahrhunderts ausmacht,7 ein nicht geringer Anteil. In der Verwendung von Anreden wie Hertz oder Seele wird das Bemühen deutlich, möglichst alle mit der christlichen Lehre zu erreichen.8 Situationsgerechte Normenanwendung und Güterabwägung wird in den analysierten Texten vor allem an männlichen Textinstanzen vorgeführt. Sie argumentieren aus männlicher Perspektive kontrovers über Fälle der Geschlechterbeziehungen, ihnen werden eher Güterabwägungen und Gewissensprüfungen in Mund und Gedanken gelegt. An männlichen Textinstanzen wird gezeigt, wie Normen formuliert werden und wie die Beurteilung nach Normen geschieht. Es ist Wissen, das nötig ist für Güterabwägungen, Entscheidungen und normativ begründetes Handeln. An weiblichen Figuren wird vorgeführt, dass ihre normativ begründete Absicht nicht
7 8
Eybl, 1999, 409. Vgl. zum Beispiel den Titel des Andachtsbuchs von Johann Heermann: ,Sechserley Sontags-Andachten: Oder Was frome Christ-Hertzen an dem heiligen Sontage betrachten, thun unnd lassen sollen‘.
250
A. Synthese
entscheidend ist für die Beurteilung durch die Umgebung, weil Interpretationsgleichungen ihre Absichten aus dem Verhalten ableiten. An ihnen wird dargestellt, dass die Verleumdung nur dann wenigstens vorläufig ausgesetzt wird, wenn sie sich vollständig regelkonform und eindeutig verhalten. Wenn es den Lesenden leichter fällt, die Rollen der Figuren ihres Geschlechts zu übernehmen, werden die Frauen dadurch vor allem motiviert werden, sich möglichst eindeutig und regelkonform zu präsentieren, während Männer lernen, Normen aufzustellen sowie sich und andere danach zu beurteilen. Quer zu den Konfliktverlaufmustern scheint sich aber hier ein Einfluss der verschiedenen Diskurse geltend zu machen: Der theologische und der politische Diskurs sprechen zwar in der Regel auch aus männlichen Perspektiven, es scheint ihnen aber leichter zu fallen, eine weibliche Perspektive zu übernehmen. Obwohl in allen drei Diskursen weiblichen Instanzen weniger Definitionsmacht zugestanden wird, trauen ihnen der theologische und der politische Diskurs doch eine gewisse situative Geschmeidigkeit in der Normenanwendung und die dafür notwendige Normenreflexion zu.
10. Ausblick Mit Blick auf die Aufklärung erstaunt dieser Befund nicht. Die für diese beiden inhaltlichen Diskurse besonders wichtigen Textsorten des Bekenntnisses und des Kompliments gewinnen zu Anfang des 18. Jahrhunderts eine besondere Bedeutung: Christian Thomasius entwickelt nicht zuletzt aufgrund seiner Wertschätzung des galanten Umgangs eine neue Art des Philosophierens. Das galante Kompliment zwischen Frau und Mann wird zum Kompliment par excellence; es akzentuiert sich der Geschlechterunterschied gegenüber dem Standesunterschied. Die galanten (meist männlichen) Schriftsteller machen es sich zur Pflicht, Bücher und Zeitschriften für Frauen zu verfassen oder Frauen zu widmen. Sie trauen auch weiblichen Rezipientinnen ein kritisches Urteil, normative Einschätzung zu, verdeutlichen andererseits durch die Differenzierung der Adressierten die Geschlechterdichotomie. Außer im Disputationsmuster wurde in allen Konfliktverlaufmustern ein normativer Voyeurismus festgestellt: Den Lesenden wird Einblick gewährt in die ‚wahren‘ Absichten der Figuren. Der Unterschied zwischen ‚wahrer‘ Absicht und sozialer Beurteilung wird vor allem dazu benutzt, die Lesenden dazu zu bewegen, die Interpretationen ihrer Umgebung, die sich in der Meinung des Gerüchts niederschlagen, selbst zu steuern. Die Verlegung sehr allgemeiner Instanzen wie Gott oder das Gewissen ins Innere der Figuren habe ich ebenfalls als vielversprechende Vermittlungstechnik des 17. Jahrhunderts beschrieben. Der Pietismus frönt bis weit ins 18. Jahrhundert hinein diesem normativen Voyeurismus mit einer wahren Flut von
10. Ausblick
251
Bekenntnisschriften, mit denen die eigene Bekehrung bekannt gemacht wird.9 Es wäre zu fragen, inwieweit in solchen Texten die Innerlichkeit nicht als Figurenkonstellation von Ich und Gemeinschaft dargestellt wird, die eine noch umfassendere Beobachtungsinstanz installiert, als sie im 17. Jahrhundert in Figuren des Gerüchts und des Gewissens imaginiert wird. Eine vor Bloßstellung schützende, tolerante Variante der Innerlichkeit scheint die Vergebungsszene in Weises Josephdrama vorzubilden, die eine innere Selbstanprangerung in der geheimen Buße der öffentlichen Bloßstellung vorzieht. Dies mag ein in die Aufklärung vorausweisendes Anzeichen einer normativen Selbstverantwortung sein. Um der je zeittypischen Reflexion der diskursiven Macht (und nicht der Rekonstruktion einer wirklichen Öffentlichkeit) auf die Spur zu kommen, halte ich es außerdem für vielversprechend, nach dem Gerücht nicht nur als Thema, sondern wie hier als Äußerungsinstanz auch in früheren und späteren Texten zu suchen und zu analysieren, ob sich diese Figur des generalized other (Mead) im Laufe der Zeit verändert. Bei aller historischen Modellierung, welche die vorgestellten Konfliktverlaufmuster erleiden, vermute ich allerdings nicht, dass sie sich in einem Jahrhundert vollständig ändern. Ich halte sie im Gegenteil für ein Phänomen der longue durée des christlich geprägten Abendlandes.10 Eine modernisierungstheoretische Überheblichkeit gegenüber früheren Jahrhunderten scheint mir deshalb für die Frage, wie Normen der Geschlechterbeziehungen vermittelt werden, nicht angebracht. Die Konfliktverlaufmuster sind nicht nur Geschichte.
9 10
Vgl. zur pietistischen Literaturproduktion ausführlich Schrader, 1989. Ähnlich äußert sich Dinges, 1995, 39 aus historischer Sicht über die „fehlende Erklärungsfähigkeit der Modernisierungstheorie für Veränderungen des ehrorientierten Verhaltens“.
B. Zusammenfassung Wie werden Normen über das gegenseitige Verhalten von Frauen und Männern in Texten des 17. Jahrhunderts gebildet, weitergetragen und verändert? So hieß die eingangs gestellte Frage, auf die nun geantwortet werden kann: Als gemeinsames Kennzeichen von Normativität in so verschiedenen Textsorten wie Gedicht und Landesordnung ergibt sich die Inszenierung einer dritten Instanz, die nicht unmittelbar auffordert und nicht unmittelbar zu befolgen hat, sondern ihre Wirkung als Publikum entfaltet: Als Norm gilt, was von anderen gewusst und erwartet wird. Die Gruppen, für die sie gelten, werden in der Interaktion gebildet und dargestellt:1 Die Normen der Geschlechterbeziehungen werden in fünf verschiedenen Konfliktverlaufmustern hergestellt und vorgeführt, die sich in den einzelnen Texten und Diskursen überlagern können. Diese Muster organisieren normatives Handlungswissen in einem erinnerungsfreundlichen dynamischen Ablauf. Die Lesenden werden nur selten durch Befehlssätze zum normenkonformen Handeln aufgefordert, sondern meist dadurch, dass sie zur Rollenübernahme motiviert werden. Dies geschieht einerseits durch die Vorführung von Rollenübernahme durch Textinstanzen, andererseits durch Drohung mit dem Ausschluss aus einer sehr allgemein definierten sozialen Gruppe. Diese Drohung wird ebenso selten direkt ausgesprochen, sondern durch die Vorführung von Ausschlussmechanismen formuliert, die in allen Konfliktverlaufmustern enthalten sind. Die Texte wirken normativ, indem sie auf die Angst vor Isolation der Lesenden abzielen, die sie einzeln und im diskursiven Zusammenspiel erst wecken. Die Variationen, in denen die prototypischen Konfliktverlaufmuster gebildet werden, zeigten einerseits die enge Verzahnung von Diskursen und Konfliktverlaufmustern, andererseits aber gerade im Konflikt ein reflexives Moment: Vor der Aufklärung und quer durch alle Textsorten, die sich mit Geschlechterbeziehungen beschäftigen, findet im 17. Jahrhundert eine Reflexion über soziale Normen statt. Literarische und nicht-literarische Textsorten reflektieren im- oder explizit die soziale Konstruktivität von Normen. Besonders die Aussagen über das Gerücht und die Inszenierungen von Gerücht können als Diskurstheorie des 17. Jahrhunderts be1
Dies entspricht der Interaktionsgruppe, die Parsons, 1986, 224 im Unterschied zur statistischen Gruppe, die auf gemeinsamen Eigenschaften beruht, als fließende Ergebnisse gemeinsamen Handelns definiert.
254
B. Zusammenfassung
trachtet werden. Obwohl die Normen der Geschlechterbeziehungen inhaltlich nicht stark variieren, finden je nach Text, Textsorte und diskursivem Zusammenhang sehr unterschiedliche Problematisierungen der Normen statt. Die soziale Seite von Geschlecht, seine Konstruktion vor, für und wegen Publikum wird in den zeitgenössischen Texten an den Schnittflächen zwischen den Diskursen, an den Normenkonflikten und Normenverstößen sichtbar. An diesen Stellen werden die diskursiven Selbstverständlichkeiten für einen Moment aufgedeckt und damit die Normen des Textes und des Diskurses implizit hinterfragt.
Anhang
A. Begriffe Seitenverweise auf Fußnoten sind kursiv gesetzt. Begriff
Kurzdefinition mit Hinweis auf die theoretischen Referenztexte, auf die sie sich stützt
Beobachtungsinstanz Textinstanzen, welche die Normen kennen, sie jedoch im Moment weder aussprechen noch zu befolgen haben, sondern diese Handlungen nur mitverfolgen. (Clark & Carlson, König)
Einführung Seite 47
Definitionsinstanz
Textinstanz, über die nicht von anderen Text41 instanzen gesprochen wird, der demnach die letzte Definitionsmacht darüber zukommt, was im Text der Fall ist. Sie ist Aussageinstanz auf der obersten –> Textebene. Ihre Aussagen sind notwendig wahr. (Martínez/Scheffel, Pfister)
Diskurs
Ein Diskurs wird durch Texte gebildet, welche 4 und 17 – 22 ähnliche Eigenschaften haben. Diese gemeinsamen Eigenschaften bilden die Normen des Diskurses, die Formationsregeln. Sie können inhaltlicher oder formaler Art sein. (Foucault, Wengeler) Es hat sich eingebürgert, Diskurs vor allem für Äußerungszusammenhänge zu verwenden, die sich über ihren Redegegenstand definieren und gleichzeitig relativ dauerhafte -> Institutionen bilden. In diesem Sinne wird der Begriff im Diskurse-Kapitel dieser Arbeit verwendet, obwohl die Konfliktverlaufmuster und das Schreiben über Geschlechter ebenfalls als Diskurse bezeichnet werden können (–> Interdiskurs).
Drehbuch
dynamische Organisation von Wissen (Schank)
148
gendered modes
Formen, in denen Geschlechtsidentität erzeugt wird (Butler)
7
Fiktion
Vorstellungsleistung beim Schreiben (-> Fingieren) und Lesen (–> Inferenz) oder deren Produkt, eine Vorstellung. (Iser)
4
258
A. Begriffe
fiktionalisieren
Möglichkeiten für Fiktion schaffen.
Fiktionalität
Grad der Offenheit eines Textes für verschiedene 39 f. Inferenzen; Gegenbegriff zur –> Normativität
84
Fingieren
Vorstellungsleistung beim Schreiben (Iser)
fiktiv
Fiktiv sind Referenzobjekte, die nicht als Teil der 41 –> Wirklichkeit angesehen werden. Die Entscheidung darüber, was als fiktiv zu gelten hat, ist von diskursiven Regeln gesteuert, letztlich aber Sache der einzelnen TextrezipientInnen (–> fiktivieren).
fiktivieren
als –> fiktiv betrachten
Güterabwägung
Entscheid, welcher von zwei oder mehreren Nor- 31 men der Vorzug zu geben ist.
Identifikation
Lesende setzen sich mit –> Textinstanz gleich.
Inferenz
Hinzuziehen von eigenem Wissen bei der Lektü- 68 re. (Van de Velde)
Institution
Soziale Gebilde, die normative Muster ausbilden, welche Handlungserwartungen festlegen, mit Sanktionen verbunden werden und zur gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit geworden sind. (Parsons)
33
Interdiskurs
Texte, die je verschiedenen inhaltlich und institutionell definierten –> Diskursen angehören, können dennoch gemeinsame Eigenschaften besitzen. Zusammen bilden sie so einen Interdiskurs, der verschiedene –> Diskurse verbindet. (Link)
29
Interpretationsgleichung
Diskursive Regelmäßigkeit, welche Absichten ei- 98 nem bestimmten Verhalten zugeschrieben werden.
Konflikt
–> Normenkonflikt
Konfliktverlaufmuster
–> Verlaufmuster, die sich auf –> Normenkon11 flikte beziehen und eine bestimmte Form von –> sozialem Drama bilden.
Norm
Normen sind Produkte von Diskursen und 4–6 gleichzeitig deren Formationsregeln. Sie sind soziales Wissen, beschreiben einerseits prototypische Handlungen und fordern andererseits entsprechende Handlungen von den Mitgliedern einer Gruppe (Butler, Foucault, Habermas, Simmel).
39
53
43
259
A. Begriffe
Normativität
Grad, in dem ein Text die –> Inferenz steuert; Gegenbegriff zu –> Fiktionalität
39
Normenkonflikt
Infragestellung einer Norm durch ihre Übertretung oder durch Konfrontation mit einer entgegenstehenden Norm.
10 f.
performative Äußerung = Deklaration
Mit performativen Äußerungen werden gleichzeitig diejenigen Handlungen vollzogen, die damit bezeichnet werden. (Austin, Bohle/König)
12
Performativität
Grad, in dem ein Text nicht nur die –> Inferenz 11 steuert, sondern seine Bedeutung gleichzeitig zur sozialen –> Wirklichkeit werden lässt. Ein hoher Grad an Performativität kann nur in einer bestimmten Äußerungs- und Rezeptionssituation erreicht werden (–> Ritual). (Bohle/König, König)
Rahmen
Rahmen sind Situationsdefinitionen, die Erfahrungen zu sinnvollen Einheiten ordnen und damit beantworten, was ‚hier eigentlich vorgeht‘. Primäre Rahmen entsprechen der –> Wirklichkeit. (Goffman)
Reflektorfigur
Textinstanz einer inneren Textebene, welche 102 ähnliche Eigenschaften und Gedanken wie eine Textinstanz auf einer äußeren Textebene oder ein Mensch besitzt. Diese textebenenüberschreitenden Ähnlichkeiten erleichtern die Rollenübernahme durch Lesende.
Ritual
Eine durch Verlaufmuster festgelegte Form so10 zialen Handelns, dessen soziale Bedeutung in der gleichförmigen Wiederholung solchen gemeinsamen Handelns aktualisiert und erneuert wird. Es erreicht deshalb einen hohen Grad an Performativität. (Geertz, Turner, Eming)
Ritualisierung
Grad, in dem soziales Handeln (also auch Äußerungen) durch Wiederholung zu einer festen Form und festen Bedeutung geronnen ist. Zum Grad an Performativität tritt hier zusätzlich der Grad an formaler Stilisierung. (Grimes)
11
Rolle
Bündel von Verhaltensnormen. (Butler)
7
Rollenübernahme
Fähigkeit, im Denken und Fühlen andere –> Rollen nachzuvollziehen. (Kohlberg)
43
48
260
A. Begriffe
Situationsspaltung
Spielerische Spannung zwischen der Identifika- 53 und 54 tion von Textinstanz und einer konkreten Person einerseits und der scharfen Trennung zwischen Textinstanz und konkreter Person andererseits (Warning).
Soziales Drama
Struktur, die sowohl den Ablauf als auch die 10 Gruppenbildungen bei einem Normenkonflikt beschreibt. Der Ablauf besteht aus Bruch, Krise, Bewältigungsmechanismen und abschließendem Ritual. (Turner)
Syllogismus (einschließlich Enthymem)
Ein aus zwei Prämissen (Obersatz, Untersatz) ge- 109 zogener logischer Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere. Ein Enthymem ist ein Syllogismus, dessen Prämissen nicht beide genannt werden. (Ottmers, Michel)
Textebene
Eine neue Textebene wird jeweils dann eröffnet, wenn die Dinge, Figuren oder –> Normen nicht der Welt der darüber Berichtenden angehören. (Pfister, Martínez/Scheffel)
Textinstanz
Textbestandteile, denen (menschliche) Handlun- 46 gen zugeschrieben werden. Gemäß ihrer Rolle in Bezug auf eine Äußerung im Text können sie unterteilt werden in: • Äußerungsinstanzen (auf Definitionsebene: Definitionsinstanz, auf Figurenebene: Figur), • Empfangsinstanzen (auf Definitionsebene: Lesende, auf Figurenebene: Figur) • –> Beobachtungsinstanzen • –> Wahrnehmende (Clark & Carlson, König)
Verlaufmuster
Sind Regelbündel, nach denen Abläufe in Texten 148 gestaltet werden. Sie verbinden in einem dynamischen Ablauf Situations- (–> Rahmen) und Handlungswissen (–> Drehbuch).
Wahrnehmende
Textinstanzen, welche eine Äußerung zwar hören 46 – 48 oder lesen können, von denen jedoch nicht erwartet wird, dass sie deren Illokution auch verstehen. (Clark & Carlson, König)
Wirklichkeit
Ein gemeinsames Produkt aller für die jeweilige Rezipientengruppe relevanter –> Diskurse. Sie entspricht Goffmans –> primärem Rahmen. (Konstruktivismus: Foucault, Butler, Goffman)
41 f.
3
261
A. Begriffe
wirklichkeitsstiftend
bezeichnet eine vermittelte Form von sozialer Wirkung: Sie liegt vor, wenn eine Äußerung zwar keine soziale –> Wirklichkeit schafft, also nicht –> performativ wirkt, aber als auf eine solche Wirklichkeit verweisend, als ‚wahr‘, angenommen wird.
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B. Textwiedergabe in Zitaten Die Texte werden gemäß den Vorlagen übernommen, allerdings mit folgenden Änderungen: • Sowohl in deutschen als auch in lateinischen Texten werden ‹i› und ‹u› vor Vokal durch ‹j› und ‹v› ersetzt. • Sowohl in deutschen als auch in lateinischen Texten werden ‹j› und ‹v› im Anlaut vor Konsonant durch ‹i› und ‹u› ersetzt. • Kleines ‹e› und ‹o› über Vokal wird durch ‹ä›, ‹ö› und ‹ü› ersetzt. • Alle Ligaturen außer ‹ß› werden aufgelöst. • Nasalstriche werden aufgelöst. • Virgel wird an derselben Stelle durch Komma ersetzt.
C. Texte Aus: a Memel, Johannes Petrus (Ps.): Wieder erneuwerte und augirte Lustige Gesellschafft, (Comes facundus inviâ pro vehiculo) Allen Reisenden, auch in Gesellschafft anwesenden Herren und Freunden zu Ehren und Lust, auß vielen andern Büchern zusammen gesuchet, und auff Begehren außgegeben. O. O. 1660. [HAB 142.11 Eth.] 687. Der Beschertzte Bockes-Beutel. [S. 268 – 277] Das ist ein Beutel, daman vor Alters die Bücher eingestackt, wenn man zur Kirchen gangen. 1 Ihr lasset euch jetzund, Herr Bräutigamb, auch binden, Ihr lasset schöne Braut, euch einmal überwinden, Ihr gebet nun das Hertz und einen freyen Sinn In euers Liebsten Hand als einem Herren hin. 5 Das Schwetzen hat ein End, es wird niemand mehr fragen Ob der und diese zu einander Liebe tragen: Nun ruffet man Glück zu, es ist geschlossner Kauff, Die Lieb ist offenbahr, das Neiden höret auff. Man findet eine Art von außgelahrten Frauen, 10 Die alles in der Stadt anordenen und bauen, Tieffsinnig, ehrbar, klug, mit grosser Gravität Begabet, und was sonst Regenten wol ansteht. Wann die zusammen sind, da gehet es an Richten, Da kan man allen Streit und Reiches-Händel schlichten, 15 Da muß her für das Liecht was immer ist geschehn, Und wie es noch sol vor dem Jüngsten Tage gehn. O Prophetinnen Chor! O heilige Sibillen! Ich bitte lasset mir auff dißmahl meinen Willen, Ich bitte lasset mich herbringen an den Tag, 20 Was ich auß grosser Gunst nicht länger schweigen mag. Man weiß es alles doch, ich darff nicht unternehmen Mit Lügen um zu gehn, ihr würdet mich beschämen,
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Ihr und ein jederman. Die gantze Stadt ist voll Von eurem Lob, und wil daß man es meiden sol. Vorzeiten war Gebrauch, daß wenn vor andern allen Ein ansehnlicher Mann der gantzen Stadt gefallen, Dem gab man diese Macht (als ihr anjetzo thut) Zu stellen alles an, wie es ihm dauchte gut. Ihr wollet solche Last den Männern helffen tragen, (O Sache Lobenswerth!) und einem jeden sagen Wie er sich halten muß: Was abkommt oder auff Das wisset ihr allein nach unsers Landes Lauff. Ihr habet eure Kunst zwar in kein Buch geschrieben, Doch ist sie unverfälscht biß diese Zeit geblieben, Und nimmt noch täglich zu, Ja kompt noch mehr dabey, Der Bockes-Beutel muß wol bersten gar entzwey. Wer hat nicht offt gesehn das spielen auß der Taschen, Die kahle Gauckler-Kunst, das unverschämpte Waschen? Den Weibern ist die Kunst viel tieffer noch bekandt, Der Bockes-Beutel geht viel besser an die Hand, Possen so die Gauckler machen Sind erfunden nur zu lachen Ocos, bocos [Hokuspokus] und die Dinge Sind daß man die Zeit hinbringe: Wer wil rechte Wunder sehen Komm bey diesen Beutel stehen. Wer da Kauffmanschafft wil treiben Und bey seinen Ehren bleiben, Der muß hie credit auß holen, Dem ein Ampt ist anbefohlen, Wil er Lob dabey empfangen Muß er s auß dem Beutel langen: Sind Jungfrauen, sind Gesellen Die zu Ehren kommen wollen, Die ein gut Gerücht begehren, Bockes-Beutel kan es wehren, Bockes-Beutel kan es machen, Daß es wol steh umb die Sachen. Wer ein wenig sich vergleitet, Was ist dem ein Bad bereitet, Der mag Gott die Hand zustrecken,
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Kommt er hier hinein zustecken, Burgermeister und Beampten, Priesterschafft und Rahtsverwandten, Schuster, Schneider, Schlachter, Fischer, Mäurer, Zimmerman und Tischer, Müssen fein gedültig hören Sie die Weiber Mores lehren. Was im Krieg ist vorgegangen Haben sie erst auffgefangen: Ketzer, Schwermer-Geister, Rotten[1], Können sie zierlich bespotten: Wiedertäuffer, Calvinisten, Jüden, Türcken und Papisten, Und was Secte sich erreget, Die wird alsbald widerleget. Ist im Regiment was offen, Ey da ist es recht getroffen? Dieser hat nicht viel studieret, Jener ist sonst nicht gezieret: Mützen-weise, Hölck-Doctoren Halten einen Raht zuvoren: Da hängt Arbeit, Mühe, Reisen Erstlich an der Weiber preisen. Daß ichs mache kurtz, von allen hat man hier das kan vorfallen Solte man die Winde sparen, Die auß diesem Sacke fahren, Schiffe könten gar mit hauffen Nach der See vom Strand ablauffen. Diß hält das kluge Volck vielmehr in ihren Sinnen, Als in dem Hause seyn, und einen Wocken spinnen: Und zwar es ist schon alt daß gute Weiber seyn, Die Welt erfodert nun viel einen andern Schein. Wer weiß ob mit der Zeit die Kugel sich nicht wende, Und komme das Gebiet von uns in Weiber Hände: Das wäre wol ein Wunsch, da solt es herrlich stehn, Da würde man gewiß auf leichten Füssen gehn. „sehr häufig bei LUTHER, seinem standpunkte gemäß alle nicht lutherischen richtungen bezeichnend“ (Deutsches Wörterbuch, Bd. 14, Sp. 1318).
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Es haben doch zuvor die Weiber wol regieret, Und mit der zarten Hand den Scepter steiff geführet, Was wolten wir denn nicht ein Theil von unser Macht Freywillig ihnen auch befehlen in die acht. Ich halte Vasti sey, davon man hat zu lesen, Ein Bockes-Beutel-Weib, wie unsre sind gewesen, Wo nicht, so waren doch dieselbe solcher Haar Für die die Gasterey bey ihr bereitet war. Denn als der König sprach: Man lasse zu mir kommen Die schöne Königin: Da hat sie vorgenommen Das Gegentheil zu thun: Ich sorge sonder scheu, Daß auß dem Bockes-Sack der Rath gekommen sey, Da hat ein altes Weib die Nasen auffgeschlagen, Und nach erwogner Sach ein Wörtlein dürffen sagen: Durchleuchtigste Princeß steht fest auff euren Sinn, Ob er der König ist, so seyd ihr Königin. Wie schlug es aber aus? Wie solche Sachen können: Frau Vasti stund zu letzt wie Butter an der Sonnen, Verstossen, ohne Mann, ohn Scepter, ohne Kron, Das ist, sprach jedermann, des Bockes-Beutels Lohn, Wir müssen hier auch nicht den kleinen Rath vergessen Der vor zu Romen war: Da erstlich ist gesessen Die alte Käyserin, die Weiber neben an, Die allerschlechteste viel frecher als ein Mann. Wir auch, wir sind gefasst ein Rathhauß auffzubauen, Da unser Weiber-Volck zu allen Dingen schawen, Und sehen auff die Stadt, und stehn den Männern für, Wir wollen Knechte seyn, und warten an der Thür. Das wird ein Hauffe seyn, gleich wie im Mohren-Lande. Die grossen Affen sich offt setzen in dem Sande, Die Eltesten oben an: Sind alle sonder Bart, Sind alle runtzelicht, sind alle gleicher Art. O Heroinen seyd vielmahl von mir gegrüsset, Was dünckt euch wann ihr mir ein Ampt zukommen liesset, Nur eines Dieners Ampt: Ich wolte Schreiber seyn Und halten Protocoll, und zeichnen alles ein. Ich bitte lasset es an eure Zunfft gelangen Beim ersten Kindeltreck: Ich warte mit verlangen Was man beschliessen wird, ich bitte dienstiglich
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Daß man befordere vor andern Sachen mich. Ich wil nur kleine Müh und wenig Zeit begehren, Ihr könntet ja alsbald zum Schnacken wieder kehren, Zu ewer Seelen Lust, damit sich ewer Hertz Erfreuet inniglich und treiben euren Schertz. Schnacken van dem Kindetrecken, Schnacken van de Brade specken, Schnacken van dein echten Leven, Schnacken van dem Köste geven, Schanck van Stifften, Parlen Schnören, Schnack van Lumpen, Schnack van Lören, Schnack van Schnüren, Büken, Waschen, Schnack von [sic] Schölen, Schnack van Plaschen, Schnack van Starcken, Schnack van Stisen, Schnack van Rösten, Schnack van Ryven, Schnack vam goden schlechte Vische, De tho bringen up den Dische, Schnack van Katten, Schnack van Müsen, Wo man de krigt uth den Hüsen, Schnack van einem Söde Kohl, Van de Banck, un van dem Stohl, Van dem Mößken, vam dem Sögen, Van tho gröen, un up tho drögen, Schnack van hicken, Schnack van hacken, Van dem Schnacken kumpt man Schnacken. Da wird nach keiner Zeit, nach keiner Uhr gefraget, Biß daß der Abend kompt und sie von ander jaget, Sonst ist kein Ende nicht: Sie lassen alles gehn Zu Hause wie es wil und für die Rente stehn. Doch wenn es endlich ist gekommne zu dem scheyden, Da geht ein Trauren an, ein Klagen und ein Leyden. Da ist der beste Trost: Ydt blyve nu also, Wy sprecken juw, wilt Gott, Ergestern wedder tho. Da schlentern sie dann hin, gleich wie die Krähen Scharen Des Abens nach der Stadt mit vielem Schreyen fahren. Gleich wie die Gänse thun, die nach dem Sonnenschein Mit blasen und Geschnack zum Stalle lauffen ein. Das gienge noch so hin, das wären noch die Sachen, Damit ihr lange gnug euch möchtet lustig machen,
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So stund es ziemlich recht; Zu solchem Weiberschnack Gehöret nichtes zu, kein Beutel oder Sack. Das ander ist zu hoch, diß könnet ihr verstehen, Und besser als ein Mann was recht davon ist sehen, Was recht ist oder nicht: Es bleibet doch dabey Daß nach dem Schnabel auch des Vogels Singen sey. Hola! es ist genung. Wer hat mir den Macht geben Der Weiber Vogt zu seyn? Es ist mein junges Leben Mir noch zu lieb dazu, als daß ich es so gantz In Zweiffel setzen solt, und schlagen in die Schantz. Ein ander sage mehr: Ich will noch etwas sparen Biß es von nöthen ist. Es kan mir widerfahren Daß sie mich flecken auch in Bockes Beutel ein, Da viel mehr Wissenschafft und Kunst von nöthen seyn. Ich rath es aber nicht; Denn werd ich solches spüren, So will ichs allzumahl erst trefflich außstaffieren, Will bringen an den Tag was ich da werde sehn, Und solt es ihnen gleich durch Marck und Beine gehn. Nun höret Jungfraw Braut, ich muß mich zu euch wenden, Ihr habet noch jetzund die Wahl in euren Händen Zu werden was ihr wolt: Man stellet euch hier für Den Bockes-Beutel, und der sahren [Sarahs] Tugend Zier. Die edle Jungfrawschafft steht nicht bey solchen Dingen Daß man wie stumme sey, und müsse sich bezwingen, Es ist der Frauen-Stand nicht daß man klappen soll, Und klingen wie ein Ertz, als wöre man gantz holl. Ein züchtig Frauen-Bild, ein Bild nicht abzumahlen, Ein Kleynod über Gold, ein Schatz nicht zubezahlen, Ist allzeit eben fromm: Wie ihre Jugend war So ist das Alter auch, so sind die grauen Haar. Sie ist dem lauffen feind, begehret nicht zu fegen Wie rasend durch die Stadt, und alles zu erregen, Ist still, einfältig, klug, ein unbetrogen Lamm, Das doch daneben sich für Schaden hüten kan. Diß wollen wir von euch, O schöne Braut? verhoffen, Ihr machet daß es sey von uns recht eingetroffen, Ich bitte nehmet nicht den Bockes-Beutel an, Das bittet neben mir auch euer liebster Mann. Es ist wol sonsten was von Haußgeräth zukauffen,
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Es ist ja kein Gebrauch daß alle Weiber lauffen, Mit Bockes Beutelen. Ihr kauffet etwas ein Das zu dem Kinder-Werck euch wird von nöthen seyn. Der Bräutigam der wird kein Arbeit oder Schwitzen Ersparen, daß ihr es mit ersten möget nützen: Seyd frölich, lebet wol, und macht es übers Jahr, Daß man euch zehlen kan mehr als bey einem Paar.
688. Poetisch Schertz-Gedicht [S. 278 – 286] Auff die jetzigen närrischen Complementen und Frantzösischen Kleidertracht. 1 Mann siht, Herr Bräutigam, nicht hilfft das grosse prangen, Es lässt sich ohne dem auch eine Dame fangen, Daß sie mit freyer Hand dem Bräutigam verspricht Geneigt und treu zu seyn zur Ehelichen Pflicht. 5 Ihr seyd auch unter den’n die nur mit süssen Zungen Ohn angesehn der Pracht, der Liebsten Hertz bezwungen, Denn solches dieser Zeit Gebrauch nicht scheint zu seyn, Die Mod’ erfodert nun viel einen andern Schein. Ihr lieben Hochzeit-Gäst: In GOttes-Welt Thier-Garten 10 Seynd aber Wunder-Thier, entstanden neuer Arten, Von neuen Trachten frech, von neuen Minen reich, Nicht gar den Menschen, noch den Affen gar geleich. Sie tragen mehrentheils auch Kleider wie die Menschen, Huet, Wämbser, Ermel, Schue, Strümffp [sic], Hosen, Stifflen, Hänschen, 15 So gar possierlich doch gemacht, daß auch das Vieh Bestehen bleibt, und sich verwundert über sie. So gar daß man auch kan mit ihnen affen fangen Sie sahen Eulen selbst, und lauffen mit der Stangen, Und weil ihr Dinge Fransch und Fransch ja alles ist, 20 Geschicht gar offte daß ein Häschen von sie frist. Ich bitt verzeiht mir nicht ihr stoltze Bavianen, Und nehmt vor übel auff, ihr wolstaffierte Hanen, Daß ich so was beschreib die Kunst zu cuortisieren [sic], Der ich euch so gebraucht mit närrischen Manieren. 25 Ich setze niemand hier, und will auch keinen nennen, Ein jeder sehe zu daß ers nicht thu bekennen, Daß er hie mit gemeynt; Das wil ich keinerley, Der bellend Hund schon selbst meld’t daß er troffen sey.
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Auch wie ihr zielt dahin, damit das Kleid gemacht Nach euer Courtisie und der Frantzöschen Tracht. Vom Haupte biß zum Fuß ist an euch nichts gemein, Es muß das was ihr tragt gar weit geholet seyn Fransche Hüt mit kleinen Ränden [sic], So sich nach dem Winde wenden, Hüte die gleich wie des Schepens Und des schiffens Störtebekens, Oben platt wie die Tellören, Darauff mancherley Favören, Welche thun frech anzusehen, Fornen an der Spitzen stehen. Lange Haar und kleinen Bart, So geputzt nach franscher Ahrt, Grosse Spitzen, kleine Kragen, Die ihm fast biß auff den Magen Forne lencklich nieder hencken, In gar grosser Spitze schrencken, Lange Wämser, Lange Rücken, Kurtze Schöß von achte Stücken, Grosse Mauen, weite Palten, Hosen die gantz ohne Falten, Nestel hengen umb die Hosen, Mit viel lächerlichen Schosen, Nestel, die da viel Getummel Machen, und manch groß Gerummel, Nestel, die herumb thun hangen, Wie die Därmer in den Schrangen. Damit sie zur gnüg bezieren Was sie an der Stelle führen, Da Eva die Augen hat Auff Adams sein Feigenblat. Halbe Hembd von Schir gemacht, Ist auch eine Allmode Tracht, Noch Canonen und Finetten, Und von Haare Brasiletten [bracelets], Ring von Gold und Diamanten, Außgeschliffen mit viel Kanten, Stehen da in grossen Ehren,
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Auff den langen Krebes-Scheren, Händchen so durch perfurmiret, Und mit Zibet wol beschmieret. Seiden Strümpff van Naples her, Atlasch, Kniebänd steiff und schwer, Und zu sagen ohne Ruhm, Rosen wie die Sonnen-bluhm; In den Corduanschen Schuen Sanfft des Hasen Füsse ruhen, Welche so getheilet stehen, Daß sie in zwo Hörner gehen: Ja wie lange Adlers Klauen, DA DEN KINDERN MÖCHT FÜR GRAUEN, Und mit Stieflen auffgezogen Kommen, welche ungelogen Seyn so weit gleich wie ein Spann, Da man Milch in tragen kan, Deren Stulpen nieder wippen Wie der alte Weiber Lippen. Kleine Mäntel von Tabienen, So von auß- und innen schienen, Wo sie nicht in Manteln hangen, So von gläntzend’n Atlasch prangen. Summa der ein solch Credäntzer, Wie ein Mascharaden-täntzer, Die nur einig darum leben, Daß sie Art der Thorheit geben, Da doch nimmermehr auff Erden Kan die Thorheit Tugend werden: Wann ihr nur was in euch schlaget, Weiß ich daß ihr selber saget, Auß der Thorheit Elementen Kommen unsre Complementen. Wann dann, wie oben steht, der Juncker außstaffieret, Und nach der Allmodie auffs beste ausgezieret Durch vieler Spiegel Kunst, erfährt er denn was sey An ihn nicht auffgeputzt, und was darüberley. So mangelt es am Bart, so ist das Haar nicht recht, So ist diß zimblich gut, bald jendes viel zu schlecht:
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Wann endlich nichtes mehr ihm dünckt das möge feilen An der Vollkommenheit, thut er nicht lange weilen, Spricht: öffne mir die Thür (nach grosser Herren weise,) Damit so geht er fort, fein langsam und fein leise, Da geht Monsieur dann hin mit eng- und weiten Schritten, Und misst die Gassen ab fein richtig in der mitten. Ohn reputation kein Tritt muß thun bestehen, Zwo Tritt auff einen Schlag muß nur der Juncker gehen, Das Haupt steht hoch empor, als wolt es Fliegen fangen Nachsinnet schwere Sach, die er nicht kan erlangen, Gleich den Philosophis, die da nach hohen Dingen, So ihn verborgen noch ihr hohe Sinnen zwingen, Der Arm der hält den Tact, und bummelt hin und her, Als wär er loß am Leib und nicht zu halten mehr. So lässt die Dame denn das Mädgen auff ihn passen Da tritt er leise her, als sonst in andern Gassen, Biß ihn das Mägden sieht, das eylet blad hinein, Sprich: Junckfruw kamel her, da geyd Jost Knacke hen. Ob schon er ist ein weil ohn das van [sic] ihrem Hauß, Hat sie doch den Geruch, und guckt zum Fenster auß, Das macht sein krauses Haar, das da gar dick besprengt Mit Puder de cypro als wäre es gantz versengt. Da macht er Baselmans [Besolasmanos], biß an die Erd sich neiget, Nach Alemodo Art die Knie und Beine beuget, Zehn Schritte weit vom Hauß macht er das Haupt schon bloß, Mit Fingern wirfft die Kueß, und macht so einen Schoß. Geschichts von ohngefehr daß eine Hochzeit ist, O Himmel, Meer und Erd! Was braucht er da für List, Ihr Hertz zu nehmen ein, ein jede Stund zu sitzen Scheint ihm ein gantzer Tag, vor Ohnmacht thut er schwitzen. Wanns nu geht an den Tantz, da solt man Wunder sehen, Wie alls nach Täntzer Art ihm artig thut abgehen: Macht hinten und auch forn gedoppelt Creutz-Capprolen, Thut mit der Füsse Macht schnell Winde dabey holen. Wann nun der Tantz geschehn, kompt seine Red herfür, Die schon vielmahl gebraucht, auß einem Ebenthür, Bedanckt sich solcher Ehr so sie ihm hat erzeigt, (Immittelst mit dem Kopff sich zu der Erden neigt) Erzehlt sein Wenigkeit, wie die so hoch erhoben
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Durch ihre Gunst und Gnad, fängt an die Dam zu loben, Ihr liebliche Geberd, ihr Zier und Höffligkeit, Und wie er schuldig wär zu dienen ihr allzeit. Die Jungfrau, die nicht schlecht den Amadis studiret, Weiß sie dem Cavallier zu begegnen sich gebühret, Spricht: Ey dörff dancken nicht, ydt ys geschehn gantz gern, Wenn juw damit gedeent wil ick ydt nümmer wehrn. Kwet[sagt] nichts van Höffligkeit, und den ammodign Seden, Van Gunsten und Favor, da gy so veel van reden, Damit juw nichts gedeent, de Dener wer tho godt Vör mine Weinichkeit, Das macht ihm grossen Muth. Brüst, reckt sich, und vermeynt er hab gewonnen Spiel, (O aber grosser Thor es mangelt noch gar viel) Zum Musicanten läufft und thut sich praesentiren, Sie streichen eilens auff, denn ihnen sein Manieren Bekandt, und was er gern vor Lieder müge hören Auff Lauten und Violn, damit sie ihn bethören, Bald wirfft er auff den Tisch, den Thaler daß er klingt, Darauff zur Liebsten geht und freundlich mit ihr ringt, Die sich zwar gegen stellt, doch endlich es zugiebet, Der Juncker gäntzlich meynt als ob sie ihn recht liebet. Damit springt er forn an, sie folgen all bey Paaren, Er macht gar viel Caproln, O denckt sie das sind Narren. Diß sey so dißmahl gnug geredt von den Gesellen, Die so braviern thun, euch Jungfrawn zu gefallen, Die übrige Discurs und was sie fernerthun, Folgt mit dem ehrsten nach, zugleich auch euer Ruhm.
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D. Bibliografie und Register Seitenverweise auf Fußnoten sind kursiv gesetzt.
1. Texte vor 1800 1.1. Bibliothekssigeln BNF Bibliothèque nationale de France, Paris BSB Bayerische Staatsbibliothek, München FSt Bibliothek der Frankeschen Stiftungen zu Halle HAAB Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Weimar HAB Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel IZEA Bibliothek des Interdisziplinären Zentrums zur Erforschung der Europäischen Aufklärung, Halle. SBB Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke SUBG Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen ULBH Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt in Halle ZB Zentralbibliothek Zürich
1.2. Korpus (mit Register) Arcana Annuli Pronubi s. Sachse, Michael Bapstsches Gesangbuch s. Luther, Martin Beantwortetes Jungfraw-Schreiben, Oder Weißliche Bendencken den Frauenzimmer zur Nachrichtung gestellet. Ob sie lieber Juristen und Weltlichen oder Geistlichen Personen sich verheyrathen sollen. O. O. 1635. [SBB: Yz 358 R]. –> 112 f. Der Beschertzte Bockes-Beutel s. Memel, Johannes Petrus a Betrogener Frontalbo s. Gorgias, Johann Die Betrübte Pegnesis, Den Leben, Kunst- und Tugend-Wandel Des Seelig-Edlen Floridans, H. Sigm. von Birken, Com. Pal. Caes. Durch 24 Sinn-bilder, in Kupfern Zur schuldigen Nach-Ehre, fürstellend, Und mit Gespräch- und
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1. Texte vor 1800
Reim-Gedichten erklärend, Durch ihre Blumen-Hirten. Hg. von der BlumenGesellschaft an der Pegnitz. Froberg, Nürnberg 1684. (Leiden, IDC 1980, Emblem Books). [HAB: Mikrofiche 207:485] Biblia: Das ist: Die gantze Heilige Schrifft, Deudsch. Auffs new zugericht. D. Mart Luth. Württembergische Bibelanstalt, Stuttgart 1967. (Nachdruck der Ausg. Lufft, Wittenberg 1545). –> 24, 51, 54, 58, 60, 66, 87, 96 f., 112, 174, 181, 205, 216 f., 235 Cochleatio Novissima. Das ist: Waare Abbildung der heut zu Tag zuviel üblicher Kunst der Löfflerey. So erstlich kurz verfasset durch den hochverständigen Herrn Davidem Seladon Osnabruggensem, J. V. D. Nun aber an vielen Orten verbessert durch Herrn Gerardum Vogelium Monasterio Westphalum der Löfflerey practicum veteranum. Samt 219. verblümter Reden und Sprüchwörter, so von den Alamodo Damen gebraucht werden Nebens einen kurtzen Anhang vom Bettelstab der Liebe. Gedr. zu Liebstadt, Typis Lambertini Remeleri, Im höltzern Löffel auff der Reitgassen 1648. [SBB: Yz 1551 R]. Corinna s. Schupp, Johann Balthasar Corpus juris foeminini. Das ist: Uhraltes, Durch die veränderliche Zeiten verblichenes, und nun aufs neue wieder hervor gesuchtes Weiber Recht, samt beygefügter Historischer Erzehlung Wann dasselbe aufgekommen, was es nach und nach vor Veränderungen erlitten, und wie es endlich dem angefochtenen weiblichen Geschlecht zum besten durch sonderbare Begebenheit von seinem Untergang gerettet worden. Anitzo auf new übersehen, und mit vielen nöthigen Anmerckungen vermehret Von einem Diener Etlicher ehrbaren Matronen, die an ihrem Munde erspahret, und vom Flaschen-Geld zusammen gehellert, was zu dieser Auflage erfordert worden. Im ersten Jahr des wieder gefundenen Weiber-Rechts. O. O. u. J. [SBB: Yz 621 und an Yz 1671a und Yz 622]. –> 116 Disputatio Inauguralis Juridica de Officio Mariti Erga Suam Uxorem s. Königk, Johannes Christianus Disputatio Inauguralis Von Der Jungfrau-Liebe s. Mostin Disputatio Nuptialis von Vier Fragen: Welche die Gestern Jungfer, Heute aber neue Frau Professorin zu Jena Pro Loco Unter den wohllöblichen Weiber-Orden allhier rechmeßiger Weise zu erhalten, publiciret, Gehalten umb 10. Uhr vormittage am Tage der Braut-Suppe, war der 20. des Wintermonats im M. DC. LV. Heyl-Jahre. [Jena] 1655. [ULBH: Pon II d 761]. –> 120 f. Ehren-Preiß s. Gorgias, Johannes und Schütz, Wilhelm Ignatius Der Frauen und Weiber Privilegia. O. O. u. J. [HAB: Xb 2° 80 (16); ULBH: Pon II h 264]. Der Frauen und Weiber Privilegium. O. O. u. J. [SBB: Yz 630]. –> 116 Frauenzimmers Gebeht-Buch s. Zesen, Philipp von Frauenzimmer Gesprächspiele s. Harsdörffer, Georg Philipp
1.2. Korpus (mit Register)
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Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst s. Bohse, August Fürstlich Sächsische abermals verbesserte LandesOrdnung, Der Durchläuchtigsten, Hochgebornen Fürsten und Herrn Herrn Ernsten, Hertzogen zu Sachsen, Jülich, Cleve und Berg… Mit Beyfügung unterschiedlicher nach und nach außgegangener und darzu gehörigen Ordnungen, Zu Nutz und Wolfahrt S. Fürstl. Durchl. Unterthanen in dero Fürstenthumb publicirt und außgelassen. In: Polizei- und Landesordnungen. Hg. von Gustav Klemens Schmelzeisen. Bd. 2/1. Böhlau, Köln/Graz 1968. (Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands Bd. 2/1). (Original: Gotha 1667). –> 25, 70 f., 150 f., 169 – 175, 181, 184, 194 f., 206 f., 230, 232 – 234 Eine gekochte Bratwurst. Denen Lüsternden Löffel-Gänsgen Bey der Rosenfeld und Wincklerischen Braut-Suppe Mit zuzubeissen Vorgesetze von einem Alten Sudel-Koch. O. O. 1679. [SBB 2: Yz 1763 no. 1]. –> 120 Gründ- und probierliche Beschreibung, Argument und Schluß-Articul, samt beygefügten ausfürlichen Beantwortungen. Belangend die Frage, Ob Die Weiber Menschen seyn, oder nicht? Meistentheils aus H. Schrifft, das übrige aus andern Scribenten und der Experienz selbsten zusammen getragen, zuvor Teutsch in Truck nie gesehen: Anitzo aber zu mercklicher guter Nachrichtung, Bevorab dem Weiblichen Geschlecht, zu gebürlicher Verantwortung, Gesprächsweiß lustig verfasset und publicirt, Durch einen besondern Liebhabern der Lieb und Bescheidenheit. O. O. 1672. (11617). [ULBH: AB 59840:1] Das Hannoverische ordentliche, vollständige Gesangbuch s. Gesenius, Justus Jungferlicher Zeit-Vertreiber s. Gorgias, Johann Kurtzweiliger Zeitvertreiber s. C. A. M. von W. De Literis Amatoriis s. Pfretzschner, Bernhard Lustige Gesellschaft s. Memel, Johannes Petrus a Malus mulier. Das ist Neue Böser Weiber Legenden, Bestehende in allerhand auserlesenen, kurtzweiligen und Erzehlungs-würdigen Historien von Bösen Weibern. O. O. 1671. [SBB: Yz 521 R]. Neu auffgelegtes Complimentir- und Liebes-Theatrum oder Schauplatz. Das ist: Neue, anmuthige und zierliche Conversations- und Liebesgespräche Welche So wohl Frauens- als Manns-personen bey allerhand Zufällen in Freud und Leid gebrauchen, und mit Nutz derselben sich bedienen können. Ausz dem Italianischen, Frantzösischen und Engl. jetzo zum erstenmahl ins Teutsche übersetzet. Woyk, Göttingen 1686. [SBB: Np 15944 R]. Neues Büchlein, Von allerhand Höflichen Discoursen und schönen Gesprächen, welche unter fürnehmen, verständigen und Ehr-liebenden Personen gebräuchlich; in zweene Theil abgesondert. Nebst angehängten zur Venus-Cantzeley gehörigen XX. höflichen Missiven und Send-Schreiben; Von A. P. V. K. mit allem Fleiß elaborirt. Bergen, Frankfurt 1675. [SBB: Yz 1441 (2) R]. –> 111
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Nützliches und wohl eingerichtetes Freyer-Büchlein, Oder ausführlicher Bericht, wie man heut zu Tage auf dem Lande um eine Braut werben … zur Hochzeit bitten … Hochzeit und Gevatter-Briefe schreiben … soll. O. O. und J. [SBB: Yt 6981 R]. Nuptialia s. Heermann, Johann Oeconomia s. Colerus, Johannes Poetisch Schertz-Gedicht s. Memel, Johannes a Rathgeber zum Freyen s. Junius, Melchior Renovirte Constitution in Ehesachen. In: Polizei- und Landesordnungen. Hg. von Gustav Klemens Schmelzeisen. Bd. 2/2. Böhlau, Köln/Graz 1968. (Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands Bd. 2/2). (Original: 1694). Rotulus Testium oder Summarisches Zeugnis Der beeden Braut-Mägde, wider die Junfger Braut, … Bey der Rudloff-Niednerischen Braut-Suppe, In Halle den 1. October 1679 publiciret. [SBB-Kriegsverlust: Yz 1762 no. 3]. –> 120 Ruhestatt der Liebe s. Besser, Johann von Schertz-Gedicht s. Memel, Johannes a Secretariat-Kunst s. Bohse, August Seelenschmuck s. Quirsfeld, Johann Die Statutenbücher der Universität Leipzig aus den ersten 150 Jahren ihres Bestehens. Hg. von Friedrich Zarncke. Hirzel, Leipzig 1861. –> 108 f. Statuten und Reformationen der Universität Heidelberg vom 16. bis 18. Jahrhundert. Hg. von August Thorbecke. Duncker und Humblot, Leipzig 1891. –> 108 f. Der Verliebten Jugend Vernünfftiger Hofmeister s. C. N. S. Wegweiser Zur Höflichkeit. Samt Beygefügter Hauß-Regel/ Wie ein jedweder in seinem Stand sein Haußwesen anstellen und vollführen sol. Allen Jung und Alt sehr nützlich und dienlich Neben einem ordentlichen Register. Zunner, Frankfurt 21665. (Erstausgabe: Frankfurt 1646). [HAB: M: QuN 937 (4)]. –> 27, 29, 65, 103 Das Weib auch ein wahrer Mensch s. Schilling, Rosina Dorothea Weißliche Bedencken s. Beantwortetes Jungfraw-Schreiben Alewein, Hans Adolf von: Kurtze Doch grundrichtige Anleitung zur Höflichkeit: Darinnen gewiesen würd, Wie man so Wohl mit Fürsten und Herren, als auch gemeinen Leuten ümgehen, und sich im Frauen-zimmer und anderen Gesellschafften, im Reden und Gebährden, die einen Höfling geziemen, verhalten sol. Gutt, Hamburg 1649. [HAB: MF von M: Lo 49]. August, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg: Von GOttes Gnaden, Wyr Augustus, Herzog zu BrunsWyg und LünäBurg, Fügen alle und jeden Unsern Beamten und Vögten, himit zu wissen (Katechismus-Verordnung). [Wolfenbüttel 1657]. [HAB: L 282.4° Helmst. (48)].
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Beer, Johann (Ps. Antonino Caminero): Der Politische Feuermäuer-Kehrer. In: Ders.: Sämtliche Werke. Hg. von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff. Lang, Bern u. a. 1997. (Mittlere deutsche Literatur in Neu- und Nachdrucken 6). (Erstausg. 1682). –> 53, 56, 176, 178 Behme s. Ortel Besser, Johann von (erm.): Ruhestatt der Liebe, oder Die schooß der Geliebten. In: Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster theil. Hg. von Angelo George de Capua und Ernst Alfred Philippson. Niemeyer, Tübingen 1961. (Original [hg. von Benjamin Neukirch] Fritsch, Leipzig 1697). S. 173 – 179. –> 83, 92, 194 f., 221, 224 f. Birken, Sigmund von: Pegnesis: oder der Pegnitz Blumgenoß-Schäfere FeldGedichte. In: Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Hg. von Elisabeth Gössmann. München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Original 1673). S. 177 – 191. –> 124 f. Boccalini, Traiano: Relation aus Parnasso … Das ist Allerhand lustige, anmüthige, so wol Politische, Historische als Moralische Discurs, darin nicht allein die heutige Welt mit lebendigen Farben abgemahlet, die vornembste Regimenter examiniret, deren Fehler und Gebrechen, wie auch heylsame, politische Mittel, denselbigen zubegegenen, entdecket und vorgeschrieben, sondern auch allen Privatpersonen viel schöne und nutzliche Lehren zu einem Tugendhafften Leben vorgestellet werden. Sampt Beygefügtem Politischem Probierstein, darauff die vornembste Monarchien, Fürstenthumb und andere Regimenter probiret und gestrichen, auch ihrem Halt nach abgewogen und aestimiret werden. Erstlich von Trajano Boccalini, in Italienischer Sprach beschrieben, jetzund aber in das Teutsche ubersetzt. Beyer, Frankfurt 1644. [HAB: 19.2 Pol.]. Bohse, August (Ps. Talander): Curieuses und bequemes Hand-Buch allerhand auserlesener Send-Schreiben und mündlicher Complimenten vom allerneuesten Stylo an hohe Standes-Personen, Patronen, Frauenzimmer, und an seines gleichen in meist vorfallenden Begebenheiten nützlich zu gebrauchen; Nebst einem zulänglichen neu-vermehrten Frantzösischen, Italiänischen und Teutschen Titular-Buch. Allen Liebhabern der Teutschen Höffligkeit zum Dienst heraus gegeben. Gleditsch, Leipzig 1702. (11697). (German Baroque Literature Reel 107, No. 572). Bohse, August (erm. aus Ps. Talander): Des Galanten Frauenzimmers Secretariat-Kunst oder Liebes- und FreundschafftsBrieffe, in neun Abtheilungen, deren iede hundert Brieffe in sich hält, nebst einem nöthigen Titular-Büchlein und vollständigen Register, der curieusen Welt zur Ergötzung und belieblicher Nachahmung an das Licht gegeben von Talandern. Gleditsch, Leipzig 1692. [SUBG: MFA MC 8 Ling VII, 9010]. –> 26, 89, 93 – 96, 98, 103, 151 – 154, 170, 172, 179
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Bucholtz, Andreas Heinrich: Der frommen Kinder GOttes Zeitliches Leiden und ewige Herrligkeit … bey der Christlichen und ansehnlichen Leichbegängnis Der weyland Erbaren und viel Ehr- und Tugendreichen Frawen, Frawen Margarethen Hackmanns. Zilliger, Braunschweig 1654. [HAB: M: Db 993]. –> 65, 228 Bucholtz, Andreas Heinrich: Des Christlichen Königlichen Fürsten Herkuliskus Und Herkuladisla Auch Ihrer Hochfürstlichen Gesellschafft anmuhtige Wunder-Geschichte. Hg. von Ulrich Maché. Lang, Bern/ Frankfurt am Main o. J. (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts). (Nach der Ausg. von 1665). Bucholtz, Andreas Heinrich: Des Christlichen Teutschen Gross-Fürsten Herkules und der Böhmischen Königlichen Fräulein Valiska Wunder-Geschichte. Teil I, Buch 1 – 2. Hg. von Ulrich Maché. Lang, Bern/ Frankfurt am Main 1973. (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts). (Nach der Ausg. von 1659). Buschky, Samuel von: Hochdeutsche Venus-Kanzeley/ Darinnen allerhand Schimpf- Ernst- und Mährhafte Brife in Libes Sachen. Schweidnitz 1644 [i .e. 1655]. (German Baroque Literature Reel 312, No. 1075b). C. A. M. von W.: Kurtzweiliger Zeitvertreiber, Welcher außgebutzt mit allerhand lustigen Hofreden, lächerlichen Schwäncken, artigen Schnacken, nachdencklichen wolgerissenen Possen, kurtzweiligen Begebnüssen, merckwürdigen Geschichten, nützlichen Erzehlungen, und wolgegebenen Poetischen Ergötzlichkeiten, sc. Die bey Lustliebenden Gesellschafften, vertraulichen Collationen, auff Reisen, und in friedlichen Zusammenkunfften, zu Vertreibung melancholischer Grillen, und zu Verkürtzung langweiliger Zeit, können gelesen und fürgebracht werden. Auß unterschiedenen Schrifften, Büchern, Mittheilung guter Freunde, täglichen Anmerckungen auff Reisen und in Gesellschafften, Zusammen getragen und zum Zweytenmahl vermehrter herauß gegeben. O. O. 21668. [HAB 137.39 Eth. (1)]. Carpzovius, Benedictus: Jurisprudentia Forensis Romano-Saxonica Secundum Ordinem Constitutionum D. Augusti Electoris Saxoniae in Part. IV Divisa. Pressius, Frankfurt am Main 1650. –> 25 C. M. A. M. B.: Kurtzweil sonder-Kurtzweil oder Wolgewürtzer Discurs worumb reiche Witwen nicht leichtlich nach dem Angel der Andern Ehe schnappen sollen. Nebenst einem Trost-Schreiben An eine vornehme Wittwe abgangen, worinnen allerhand seltzam anmutige Einfälle, allen züchtigen Jungfrawen und Gesellen sehr nütz- und ergetzlich zu lesen. O. O. 1651. [SBB: Yi 4441 R (1)]. C. N. S.: Der Verliebten Jugend Vernünfftiger Hofmeister, Das ist: Kurzer- jedoch gründlich deutlicher Unterricht, welcher Gestalt ein in dieser Politen Welt lebender Junger Mensch seine Liebe vortheilhafftig anfangen, vergnüglich fortführen, und höchst glücklich zum vorgenommenen Zweck bringen möge. Aus
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aufrichtigem Gemüt mitgetheilet. Fürstens seel. Wittib und Erben, Nürnberg 1694. [SBB Np 15, 992a (Ann. 3)]. –> 111, 151, 172 Colerus, Johannes: Calendarivm oeconomicvm & perpetuum: Vor die Hausswirt, Ackerleut, Apotecker und andere gemeine Handwercksleut, Kauffleut, Wanderssleut, Weinherrn, Gertner vnd alle diejenige so mit Wirtschafft umbgehen. Axin, Wittenberg 1591. [HAB: A: 202.45 Quod. (6)]. –> 27, 72 Colerus, Johannes: Oeconomia ruralis et domestica. 2 Teile. Hiebevor von M. Joanne Colero beschrieben, Jetzo aber, aufff ein Neues in vielen Büchern mercklich corrigirt, vermehret und verbessert, in Zwey Theil abgetheilet und mit schönen neuen Kupfferstücken gezieret, sammt vollkommenem Register in Truck verfertiget. Frankfurt am Main, Zubrodt /Schönwetter 1680. [ ZB: ZU 116]. –> 27, 30, 72, 103 Cundisius, Johann: Geistlicher Perlen-Schmuck, Oder Des Christlöblichen GOttund Tugendliebenden Frauen-Zimmers, Aller-Edelster Leibs- und Seelen-Zierath; Bestehende in auserlesenen Geistreichen Gebeten, Bibel-Sprüchen, Reimen und Liedern, in Acht unterschiedene Schnuren oder Theile gefasset, und mit 17. schöne Kupffern gezieret. Zusammen geschrieben, und in diesem bequemen Format zum Druck befördert, von Johann Cundisio. Hoffmann, Nürnberg 1696. (11667). [ULBH: AB 39331]. Czepko, Daniel: Angefangener und vollendeter Ehestand. In: Ders.: Sämtliche Werke Bd. II, 2. Hg. von Hans-Gert Roloff und Marian Szyrocki. (Ausgaben Deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Original 1660). S. 1 – 94. Czepko, Daniel: Hochzeitsgedichte. In: Ders.: Sämtliche Werke Bd. II, 2. Hg. von Hans-Gert Roloff und Marian Szyrocki. (Ausgaben Deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Original 1660). S. 95 – 130. Daetrius, Brandanus: Aureolum Apostolicum. Güldener Apostolischer Hauptspruch von vieren sonderbaren Amptsnahmen und Ehrentituln unsers Heylandes JEsu CHristi … in einem leich-sermon, als die Weyland Ehrbare, vielehrund Tugendreiche Matron Helena von Broitzen … zur erden bestattet worden. Duncker, Braunschweig 1661. [HAB: LP 6629]. Daetrius, Brandanus: Die grosse Weltgabe Gottes … beym begräbnis der weyland ehrbarn, viel ehr- und tugend-samen Frawen Dorotheen Ursulen Bussen. Zilliger, Braunschweig 1654. [HAB: LP 6740]. –> 229 Daetrius, Brandanus: Dreyfache Anweisung Christlich zu leben und selig zu sterben … Alß die Weiland Ehrbare, VielEhr- und Tugend-same Fraw Dorothea vom Sode …zur Erden bestattet worden. Duncker, Braunschweig 1647. [HAB: LP 7959]. Daetrius, Brandanus: Hiobs fröliche hoffnung und gedult … Bey Christlicher Leichbegängnisz Des weyland Ehrnvesten und Vorachbarn Hn. Frantzen Kalm. Zilliger, Braunschweig 1656. [HAB: LP 13778].
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Daetrius, Brandanus: Sions noht und trost … in einem leich-sermon, als die weyland Erbare, viel-Ehren-Tugendreiche Fraw Adelheit Gevekotin … in ihr rühekämmerlein beygesetzet worden. Duncker, Braunschweig 1652. [HAB: LP 10207]. Daetrius, Brandanus: Trostgründe auß dem güldnem kleynod Davids … Bey Christlichem Begräbnisz Der weyland Erbaren ehr- und Tugendreichen Frawen Dorotheen Rieken. Zilliger, Braunschweig 1656. [HAB: LP 3635]. Dilherr, Johann Michael; Harsdörffer, Georg Philipp; Strauch, Georg; Kindermann, Johann Erasmus: Göttliche Liebesflamme: Das ist, Christliche Andachten, Gebet, und Seufftzer, ueber das koenigliche Braut-Lied Salomonis…; Dazu auch, zu Ende, etliche Gebet der h. kirchenlehrer, ie auch etliche Predigten, gleiches Inhalts gesetzet worden…; mit Kupferstuecken / durch Johann Michael Dilherrn. Nürnberg: Endter 1651. [HAB: Microfiches A: 1326.9 Theol.] Ellinger, Johan: Allomodische Kleyder Tracht. Das ist: 1. Schimpff- und Ernstlicher Discurß, uber den heutigen Allemodischen oder A la modischen, Kleyderpracht, sc. 2. Erörterung der Frage: Wie ein Erbarer Teutscher Mann, wann sein Weib (da es doch sein Seckel nicht ertrage könte) sich Allemodisch tragen wolte, thun solle, damit er des Haußcepters nicht gar verlustigt werde. 3. Regulae eines Christlichen Ehe Weibs. Lucius, Rinteln 1629. [HAB: 387.5 Quod. (5)]. Francisci, Erasmus: Die Neu-Aufgerichtete Liebs-Cammer, Darinn Allerhand höflich-verliebte Send-Schreiben, an das löbliche und anmutige Frauenzimmer, auch andere Personen, abgefasset, und beantwortet sind: Voll mancherley Erfindungen, so wol zierlicher Schreib-Grüsse und anderer Formularn, als vieler seltener Liebs-Fälle, und mehrer Sachen, so der Jugend nicht nur lustig, sondern auch guten Theils nützlich zu lesen. Samt einer Zugabe elticher Schertz und Lust-Schreiben. Erbauet durch E. F. Zum andernmal gedruckt.Endter, Nürnberg 21679. (11662). [IZEA: Ha 6753 a]. Freud, Michael: Daß Die blosse Brüste seyn Ein groß Gerüste Viel böser Lüste, wird Dem züchtigen Frauen-Zimmer zu Ehren, und Den unverschämten Weibs-Stücken zur Schande, erwiesen. O. O. 1687. [HAB: G 590 Helmst. 4°]. Gayerus, Petrus Fridericus: Viereckichtes Eheschätzlein. Das ist: Die vier Gradus der Eheleute. Auff die Frage: Obs eine rechte Ehe sey, wann ein Alter Mann eine Jungfraw, oder ein Junger Gesell eine alte Frawe zur Ehe nimpt. Allen Eheleuten, altern Männern, Jungen Gesellen, Jungfrawen, jungen Wittwern und Wittwin, so wegen Gottes H. Worts, und des aller ersten Göttlichen Gesetzes der Natur, in heiligen Standt der Ehe sich begeben, gantz tröstlichen. Der Christlichen Jugendt, und Gottseligen betagten Witwinnen zur Warnung, Wider die alte Nicolaitische Ketzerey, Auch wider alle Newe Altvättelische Gutdünckel. Aus Göttlichen heiligen Prophetischen und Apostolischen Schrifften, dem aller Welt ersten uhreltesten, und noch jetzigem Christlichem Glauben, so
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wol dem Göttlichen eingepflantzem Gesetz der Natur gemeß vornewlich zusammen getragen. Beck, Jena/ Erfurt 1602. [SBB: Yz 241 R]. Gerhard, Johann: Loci Theologici cum pro adstruenda veritate tum pro destruenda quorumvis contradicentium falsitate per theses nervose solide et copiose explicati. 9 Bde. Hg. von Eduard Preuss. Schlawitz, Berlin 1863 – 75. –> 25, 86, 113 Gerhard, Johann: Locorum Theologicorum cum pro adstruenda veritate tum pro destruenda quorumvis contradicentium falsitate per theses nervosè, solidè et copiosè explicatorum tomus 1 – 9. Gamonet, Genf 1639. [HAB: M: Te 4° 4]. –> 25, 86, 113 – De coniugio, Bd. 7. –> 27, 86 – De poenitentia, Bd. 6, Sp. 196 – 343. –> 212 – 214, 220, 223 f. Gesenius, Justus; Denicke, David (erm.): Das Hannoverische ordentliche, vollständige Gesangbuch, Darinn 300. auserlesene Psalmen, Lob-Gesänge und geistliche Lieder, zur Beförderung der Privat- und öffentlichen Andacht, zusammen getragen, Und also über vorige Editionen mit unterschiedlichen newen nohtwendigen und sehr nützlichen Gesängen zum allerletztenmal endlich verbessert. Stern, Lüneburg 1657. (11646). [HAB: Microfiches M: Tl 484]. –> 54, 58 – 60 Gorgias, Johann (erm. aus Ps. Veriphantor): Betrogener Frontalbo. Hg. von Heinz Rölleke. Bouvier, Bonn 1985. –> 103, 118, 165 f., 226 f., 229 f. Gorgias, Johann (erm. aus Ps. Veriphantor): Jungferlicher Zeit-Vertreiber. Darinnen meistentheils alle Jungferliche Kurtzweilen, welcher sie sich zu gebrauchen, so wol heimlich als öffentlich, pflegen, entdekket werden. Und wie ein jedweder Liebhaber könne seiner Liebsten Tugend oder Untugend erkennen? Dem Neid zu Leid. Der Aller-Volkommensten und Uberirdischen Schäferin Florinda. Meiner Treugeliebten Hertzens-Zwingerin. Aber allen Liebhabern der Hochdeutschen Sprachen, zum Nutzen und Ergötzen heraus gegeben. O. O. 1665. [HAB: Xb 3929 (1)]. –> 55, 196, 226, 228 Gorgias, Johannes (erm. aus Ps. Poliandin): Gestürtzter Ehren-Preiß des hochlöblichen Frauen-Zimmers. In: Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Hg. von Elisabeth Gössmann. Iudicium, München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Original 1666). S. 72 – 85. –> 117 Greflinger, Georg: Höfliches und Vermehrtes Complementier Büchlein, Oder Richtige Art und grundformliche Weise; Wie man mit Hohen Fürstlichen: So wohl auch Niedrigen und Gemeinen Stands Personen, und sonsten bey Gesellschafften, Jungfrawen und Frawen, zierlich und höflich conversiren, reden und umbgehen möge. Lucius, Rinteln 1648. [HAB: Microfiches 166.1 Eth. (2)]. –> 5 Greiffenberg, Catharina Regina von: Der Allerheiligsten Menschwerdung, Geburt und Jugend JEsu Christi, Zwölf Andächtige Betrachtungen: Durch Dessen innigste Liebehaberin und eifrigste Verehrerin, Catharina Regina Frau von Greiffenberg, gebohrne Freyherrin auf Seysenegg, Zu Vermehrung der Ehre GOttes,
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und Erweckung wahrer Andacht, verfasset, und ausgefärtigt. In: Dies.: Sämtliche Werke Bd. 3. Hg. von Martin BircherMillwood 1983. (Original: Hofmann, Nürnberg 1678). – Von der Empfängnis Christi, S. 68 – 134. –> 96 – 98 Greiffenberg, Catharina Regina von: Geistliche Sonnette, Lieder und Gedichte, zu Gottseeligem Zeitvertreib, erfunden und gesetzet durch Fräulein von Greiffenberg, geb. Freyherrin von Seyßenegg: Nunmehr Ihr zu Ehren und Gedächtniß, zwar ohne ihr Wissen, zum Druck befördert, durch ihren Vettern Hanns Rudolf von Greiffenberg, Freyherrn zu Seyßenegg. In: Dies.: Sämtliche Werke. Bd. 1. Hg. von Martin BircherMillwood 1983. (Endter, Nürnberg 1662). Günther, Johann: Andächtiger Seelen geistliches Brand- und Gantz-Opfer, das ist Vollständiges Gesangbuch, In Acht unterschiedlichen Theilen… Aus vielen Gesangbüchern und andern Autoren… zusammengetragen, durch eine grosse Menge nie gedruckter Lieder vermehret. Zeidler, Leipzig 1697. [HAB: M: Tl 25]. Happel, Eberhard Werner: Größte Denkwürdigkeiten der Welt oder Sogenannte Relationes Curiosae. In Auswahl hg. von Uwe Hübner und Jürgen Westphal. Rütten und Loening, Berlin 1990. (Original 5 Bde. Hamburg 1683 – 91). Harsdörffer, Georg Philipp (erm.): Der Geschichtspiegel: Vorweisend Hundert Denckwürdige Begebenheiten, Mit Seltnen Sinnbildern, nutzlichen Lehren, zierlichen Gleichnissen, und nachsinnigen Fragen aus der Sitten-Lehre und der Naturkündigung, Benebens XXI. Auffgaben Von der Spiegelkunst, An das Liecht gesetzt, Durch Ein Mitglied der hochlöblichen Fruchbringenden Gesellschafft. Saur, München 1990 – 94 (Original: Endter, Nürnberg 1654). (Bibliothek der deutschen Literatur). Harsdörffer, Georg Philipp (erm. aus Ps. Octavianus Chiliades): Discurs von der Höflichkeit. In: Mercurius Historicus. Der Historische Mercurius. Das ist: Hundert Neue und denckwürdige Erzehlungen, Theils trauriger theils frölicher Geschichte: aus Parival, Sarpetro, Astolvi Balvacensi und etlich andern wenig bekanten Scribenten gedolmetscht und Mit nützlichen Lehren und Sprüchen der H. Schrift beleuchtet: Mit Anfügung Eines umständigen Discursus von der Höflichkeit. Johann Naumann, 1658. Harsdörffer, Georg Philipp: Frauenzimmer Gesprächspiele. 8 Teile. Hg. von Irmgard Böttcher. Niemeyer, Tübingen 1968 – 69. (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 13 – 20). (Original: Nürnberg 1643 – 57). –> 26, 54, 95, 114 f., 117, 123 – Teil III. –> 105 – Teil IV. –> 101 – 103, 107, 135 – 137 – Teil VI. –> 145 – 148 – Teil VII. –> 102 f., 199, 200 – 204, 208 – Teil VIII. –> 102 f.
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Harsdörffer, Georg Philipp (erm. aus Ps. Octavianus Chiliades): Mercurius Historicus. Der Historische Mercurius. Das ist: Hundert Neue und denckwürdige Erzehlungen, Theils trauriger theils frölicher Geschichte: aus Parival, Sarpetro, Astolvi Balvacensi und etlich andern wenig bekanten Scribenten gedolmetscht und Mit nützlichen Lehren und Sprüchen der H. Schrift beleuchtet: Mit Anfügung Eines umständigen Discursus von der Höflichkeit. Johann Naumann, 1658. (Erstausgabe 1657) [HAB: Microfiches 145.19 Eth.] Hartmann, Johannes Ludwig: Heilsame Mittel wider den Eheteuffel, in etlichen Hochzeit-Predigten an die Hand gegeben. Lipss, Rotenburg 1680. [HAB: M: Ts 287 (3)]. Heermann, Johann: Nuptialia, oder Hundert fünff und vierzig Christliche Treuungs Sermones, In fünff unterschiedliche Theil abgetheilt. Endter, Nürnberg 1657. [HAB: Xb 6525]. –> 23, 102 f., 124, 125 f., 173, 175, 222, 230 Hohberg, Wolf Helmgard: Georgica curiosa aucta, das ist, Umständlicher Bericht und klarer Unterricht von dem vermehrten und verbesserten Adelichen Landund Feld-Leben,…: ersten Theil… dritten Theil, durch ein Mitglied der hochlöbl. Fruchtbringenden Gesellschafft zum fünfften Mal ans Liecht gegeben. Endter, Nürnberg 5[1715 – 1716]. [German baroque literature Reels 148 – 149, No. 617]. Hosemann, Abraham: Verus amor conjugalis. Das ist: Wahrhafftige, gewisse und eygentliche Beschreibung der rechten Ehelichen Liebe, zwischen zweyer Ehegatten, dabey gehandelt wird, was die Liebe sey, wobei sie komme, und wobey man sie erkennen sol? Item, wie sie zu pflantzen und zu erwecken sey? Auch was derselbe zuwider? Alles auß Gottes Wort und der Philosophia, wo wol durch schöne anmutige glaubwürdige Historien illustriret erkläret und bewehret. Und auff hoher Personen Anhalten vom Autore selbst zum Siebenden mahl ubersehen, verbessert, und in ein ander Ordnung gebracht, mit darauff folgendem Register. Allen züchtigen Hertzen so in oder außer der Ehe leben, zu Christlichem Bericht gestellet. Kirchner, Magdeburg 71622. [HAB: 61 Eth.]. –> 23 Hugo, Hermann: Pia Desideria Emblematis, Elegiis et affectibus. Introductory note by Hester M. Black. Scolar Press, Menston 1971. (Continental Emblem Books 11). (Original: Antwerpen 1624). –> 24, 63 Junius, Melchior: Rathgeber zum Freyen. Das ist Ein Politischer Discurs vom Heiligen Ehestand aus denberühmbtesten Politischen Scribenten unnd Heiliger Schrifft anmutigen Sprüchwörtern, Lieblichen Reimen, und schönen gleichnüssen mit grossem fleiß zusammengetragen, und allen denen, so da zur heiligen Ehe zu schreiten willens, oder allbereit Ehelich sein, zur Lehre und instruction beschrieben, unnd in Druck verfertiget. Magdeburg 1609. [SBB: Yz 286 R und Yy 1014]. –> 55, 57, 199
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Kämpffer, Johann Georg: Christliche Catechismus-Lieder, so wohl bey öffentlichen Catechismus-Predigten und Examinibus, als auch zu Hause… nützlich zu gebrauchen. Bauhofer, Jena 1689. [HAB: M: Tl 146]. Kalle, Johann (Hg.): Sales et delitiae conjugales. Das ist: Schöne, nützliche und höffliche Quaestionen, Discursen und bedencken, wie und wann man sich in den Ehestandt begeben, wie man darin leben: und was man dabey nothwendig in acht nehmen sol. Durch Einen guten Freund, welcher damals im Spittal der Liebe, Kranck gelegen, auch sonsten nicht viel zu thun gehabt, und die zeit nicht umbsonst fürüber gehen lassen wollen, von andern vornehmen Authoren Colligirt ANNO VVie man Hat geschrieben 1616. Itzo aber in Druck verfertiget …Kalle, Berlin 1622. [HAB 61 Eth. (2); SBB: Yz 341 R]. Königk, Johannes Christianus: Disputatio Inauguralis Juridica de Officio Mariti Erga Suam Uxorem, von Der Pflicht und Schuldigkeit eines Ehe-Mannes gegen seine Ehe-Frau, Quam Autoritate Superiorum Pro Licentia Gradum Doctoris in utroque Jure consequendi ad diem XX. April Anno Christi 1693. publico Eruditorum Examini submittit. Scholvien, Leipzig o. J. [HAB: Re 87 (2)]. –> 122 Kuhnau, Johann: Des klugen und Thörichten Gebrauches Der fünf Sinnen: Erster Theil Vom Fühlen, Jn allerhand lustigen Historien dem curiosen Leser zu sonderbarem Vergnügen. Hg. von James Hardin. Lang, Bern u. a. 1992. (Nachdrucke Deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts 58). (Nachdruck der Ausgabe von Leipzig 1698). L., J. W. v.: Lust und Unlust des Ehelichen Lebens, in einer galanten Nouvelle Denen jenigen, so den Ehestand lediger Weise führen, Zu weitern Nachsinnen ausgefertiget. Fleischer, Leipzig 1693. [SBB: Np 15, 992a (Ann. 4)]. –> 65, 137 – 139 Luther, Martin: Das Bapstsche Gesangbuch von 1545. Hg. von Konrad Ameln. Kassel: Bärenreiter, 1966. (Original: u. d. T.: Geystliche Lieder. Mit einer newen vorrhede, D. Mart. Luth. Babst, Leipzig 1545). –> 58 Luther, Martin: Der kleine Catechismus für die gemeine Pfarrherr und Prediger. In: WA 30, 1. S. 264a–338a. (Original: Treffer, Erfurt [1529]). –> 22, 31, 46, 54, 58, 69, 145 Luther, Martin: Deudsch Catechismus (Der grosse Katechismus). Hg. von O. Brenner. In: Ders.: Werke. Bd. 30, 1. Böhlau, Weimar 1910. S. 123 – 238. (Original: Rhaw, Wittenberg 1529). –> 58, 65 Meier, Joachim (erm.): Der Durchlauchtigsten Hebreerinnen Jiska Rebekka Rahel Assenath und Seera Heldengeschichte, Zu Erklärung der alten Zeiten und tugendhaffter Gemüths-Belustigung auffgeführet und mit Kupfern gezieret. Lipper, Leipzig und Lüneburg 1697. [HAAB Weimar 14,6:3]. –> 26, 55, 84 – 86, 88, 106, 134 f., 197
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Memel, Johannes Petrus a (Ps.): Wieder erneuwerte und augirte Lustige Gesellschafft, (Comes facundus inviâ pro vehiculo) Allen Reisenden, auch in Gesellschafft anwesenden Herren und Freunden zu Ehren und Lust, auß vielen andern Büchern zusammen gesuchet, und auff Begehren außgegeben. O. O. 1660. [HAB 142.11 Eth.]. –> 5, 28, 55, 57, 65, 73, 100 f., 111, 113 f., 155, 161, 175 f. – Der Beschertzte Bockes-Beutel, Nr. 687 –> 179, 180 f., 198, vollständiger Text –> 265 – 271 – Poetisch Schertz-Gedicht, Nr. 688. –> 81 – 83, 96, 99, 177 f., vollständiger Text –> 271 – 275 Mercurius, J. F. S. (Ps.): Des Mercurius Keuscher Liebe Sitten-Schule; Darinnen gesaget wird: Wie sich ein junger angehender Liebhaber zu verhalten habe, damit er den verlangten Zweck seiner Liebe erreiche, und darbey nicht etwa zu weit außer den Schrancken der Tugend sich begebe? Bey langer Weile zum Truck verfertiget, von einem jetziger Zeit Lampridischen Einsiedler. Hoffmann, Nürnberg 1671. [SBB 1: Yz 1441 R]. Meyfart, Johann Matthäus: Teutsche Rhetorica oder Redekunst. Hg. von Erich Trunz. Niemeyer, Tübingen 1977. (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 25). (Original Gruner, Coburg 1634). Mostin, Anna Elisabeth (Ps.): Disputatio Inauguralis Von Der Jungfrau-Liebe, Welche Mit Einwilligung der Hochlöblichen Weiber-Facultät, Unter dem Schutz Der Edlen, Hochgelahrten und Hoch-Ehrenreichen Fr. Christina Amalia von Blumenau, vornehmen Doctorin u. Professorin der berühmten Jungfer hohen Schule in Wittenberg, Ihrer grossen Lehrerin und Patronin, Die höchste Ehre des Brautbettes zuerlangen, den 18. May des 1661. Jahrs öffentlich hielte Anna Elisabeth Mostin, Patrit. Witteberg. Ziegenbein, Wittenberg 1679. [ULBH: 91 B 287 Kapsel 56]. –> 73, 120 f. Muntscher, Johann Andreas: Eine Angst-, Trost- und Betrübnus-, Erquickungsvolle Seele… Bey Volk-reicher Beerdigung … Der … Sibyllen Schusterin, gebornen Neutardin. Rolk, Oettingen 1685. [SBB: Yq 8221 R]. Neukirch s. Besser, Johann von Neumann, Caspar: Kern aller Gebethe In Bitte, Gebeth, Fürbitte und Dancksagung Mit wenig Worten: Für alle Menschen, In allen Altern, In allen Ständen, In allem Anliegen, Zu allen Zeiten, Und demnach statt eines Morgensegens, Abendsegens, Kirchen-Gebeths Und aller andern Beth-Andachten Dienlich: anietzo Mit mehrerer Abtheilung und Anweisung zum Gebrauch, auch einer weitläufftigen Vorrede, worinnen zu Ablehnung alles Mißverstandes, die von dem Autore erwehlte Art zu bethen erkläret und verantwortet wird, von neuem ausgefertiget. Otto, Nürnberg 1688. [ULBH: AB 71B 4/c, 10]. –> 61 Ortel, Hieronimus: Geistlicher Frauenzimmer Spiegel. Aus dem Alten und Neuen Testament, an denen Erleuchteten Weibern, in schönen Historien, nützlichen
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1. Texte vor 1800
Erinnerungen, andächtigen Gebeten, und Himmelaufsteigenden HerzensSeufzern Weiblichem Geschlecht zum Schaz der Gottseligkeit vorgestellet. Verbessert von Jacob Behme. Müller, Frankfurt am Main 1657. –> 216 f. Pfretzschner, Bernhard: Dissertatio Juridica de Literis Amatoriis Praeside Petro Müllero. Gollner, Jena 41690. [HAB: QuN 167.4 (21)]. (11679). –> 97, 122, 198 Philalethes, Basilicus: Annehmliches Gespräch Zwischen Thoma und Johanne, Von den verheißenen Tausend-Jahren Apoc. am XX; Durch welches Das von gleicher Materie Zu Ende voriges Jahres herausgegebene, und Zwischen Martha und Maria Gehaltene erste Gespräch, Nebst einiger beygefügten Anmerckungen, Herrn D. Petersens und seiner Eheliebsten Person und Lehre betreffend, nach Nothdurfft untersuchet und erläutert, an dessen weiterer Continuation zu voraus begegnet wird. O. O. 1697. [ULBH: AB 153 605]. Praetorius, Christianus: Kurtze und eynfältige Anleytung, WIe man eine Christliche Ehe werben, unnd zusagen: Auch wie man zur Hochzeit bitten und abdancken sol. Item, Wie Braut unnd Bräutigam ihres newen Ehestandes halben, sich mit einander fein in GOttes Forcht unterreden, und Gott umb ein seelige Ehe bitten. Item, Wie man den Priester umb die Tauffe ansprechen: Zu Gevattern bitten, sich gegen dem Priester unnd Gevattern bedancken sol. Alles beschrieben und gebessert. O. O. 1607. [SBB: Yz 1236 R]. Prasch, Johann Ludwig (erm.): Emblematischer Catechismus, Oder Geist- und Sinnreiche Gedancken. Uber die Hauptstücke Christlicher Lehre. Nach ihrer in dem kleinen Catechismo befindlichen Abtheilung, und Auslegung H. Lutheri sel. Auf eine neue Manier in XXVII. auserlesenen Sinn-Bildern, samt der Erklärung, Hoch- und Niedrigen, Gelehrt- und Ungelehrten, Alt- und Jungen zu erbaulicher Belustigung fürgestellt. Endter, Nürnberg 1683. [HAB: MF von A:Th:1402]. –> 69 Quirsfeld, Johann: Des Mit Jesu verlobten Tugendliebenden Frauen-Zimmers Allerschönster Seelen-Schmuck, Darmit sich Eine in Christo andächtige Seele zieren kan, Bey Morgens und Abends, bey Frühling, Sommer, Herbst, Winter und Monat-Zeit des Jahrs, für Frauen, und Jungfrauen, Arme und Reiche, Hohe und Niedrige, Edel und Unedel, Bürger- und Bauerstandes, für HausMütter, Schwangere, Kroißerin, Gebärerin und Säugerin, für Wittwen und Wäysen, Auch bey Buß, Beicht und heiligen Abendmahl, auf alle Fest und Sonntage durchs gantze Jahr, bey Trauren, Kranckheit, Sterben und aller Widerwärtigkeit, In zwölfferley geistlichen Habit abgefatheilet, mit 24. schönen Kupffern gezieret: In einem vollständigen Gebet- und Gesang-Buche als einen geistlichen Schmuck-Kästlein mit zwölff unterschiedlichen Fächlein aus Anleitung Göttlichen Worts gezeiget, und auf vieler andächtigen Seelen Begehren vorgestellet. Lunitius, Leipzig [21682]. [ULBH: AB 39 25/i, 17]. –> 23 f., 51 f., 57, 61 – 63, 222 – 224, 228 – 230
1.2. Korpus (mit Register)
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Quirsfeld, Johann: Neu-vermehrter Sing- und Bet-Altar, worauff… eine jede gläubige Seele ihre 1. Wochen-Gebete, 2. Sonntags-Gebete… auffopffert. […] Vollständiges Gesang-Buch geistreicher von Luthero und andern theurern Lehrern der Kirche verfertigten Morgen-, Abend-, Sontags-… Lieder. Lunitius, Leipzig 1682. [HAB: M: Th 2104]. –> 62, 221, 222 – 224 Quirsfeld, Johann: Offenes Buss- und Beicht-Hertz, wie es nach einem jeden Stande, und gethanen Sünden-Falle, Gott seine Schuld bekennet und umb Gnade bittet. Nebenst beygefügten Communion-Gebete u. Dancksagungen. Russworm, Leipzig 1680. [HAB: M: Th 2095]. –> 222, 224 f. Riemer, Johannes: Amor Der Tyranne Mit seiner lächerlichen Reuterey, Spielweise, doch in Ernst zur Warnung wider die vermaledeyte Eiffersucht, In zweyen, theils Historischen Begebenheiten Curieusen Gemüthern Vorgestellet. In: Ders.: Werke. Bd. 2. Hg. von Helmut Krause. De Gruyter, Berlin/ New York 1984. (Ausgaben Deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Original: Forberger, Merseburg 1685). S. 533 – 623. Riemer, Johannes: Der ausgekehrte politische Feuermäuerkehrer. Hiersemann, Stuttgart 1996. (Rarissima litterarum 5). (Nachdruck der Ausgabe von 1682). Riemer, Johannes: Der Ertz-Verleumder Und Ehe-Teuffel Von Schottland In Ein Trauer-Spiel abgefast. In: Ders.: Werke. Bd. 2. Hg. von Helmut Krause. De Gruyter, Berlin/ New York 1984. (Ausgaben Deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). S. 405 – 471. Riemer, Johannes (erm. aus Ps. Clemens Ephorus Albilithanus): Der Politische Maul-Affe, mit allerhand Scheinkluger Einfalt Der Ehrsüchtigen Welt auss närrischen, iedoch wahrhafftigen, Begebenheiten zusammen gesucht/ und vernünftigen Gemüthern zur Verwunderung und Belustigung vorgestellet. In: Ders.: Werke. Bd. 1. Hg. von Helmut Krause. De Gruyter, Berlin/ New York 1979. (Ausgaben Deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Original: Fritzsch, Leipzig 1679). S. 1 – 159. –> 72 Riemer, Johannes (erm.): Der Politische Stock-Fisch, mit seinem Kunst-Stücke Wie ein kluger Liebhaber wie niedrig er auch sey Reich, Schön und vornehm heyrathen kan. Allen Politischen und Weltklugen Leuten zu sonderlicher Belustigung vorgestellet Durch Einen Welcher der Historischen Warheit ergeben. In: Ders.: Werke. Bd. 1. Hg. von Helmut Krause. De Gruyter, Berlin, New York 1979. (Ausgaben Deutscher Literatur des 15. bis 18. Jh.s). (Original: Forberger, Merseburg 1681). S. 325 – 468. –> 27, 94, 154, 155 – 161, 179 Rist, Johann: Der Adeliche Hausvatter, Vor vielen Jahren, von dem hochgelarten Jtaliäner Torquato Tasso in welscher Sprache beschrieben, Hernach auß derselben, durch J. Baudoin in die Frantzösische übergesetzet, Nunmehr aber verteutschet, in gewisse Abtheilung verfasset, und mit nützlichen Erläuterungen vermehret und ausgezieret. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 7. Hg. von Eber-
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hard Mannack. De Gruyter, Berlin/ New York 1974. (Nach der Erstausgabe von Stern, Lüneburg 1650). S. 151 – 380. Rühlmann, Andreas: Politischer Tractat, Von Staats- und Liebes-Sachen, welche mit sich führenden Krieg deß Streits Der Ehr und Liebe, Zwischen den Cavalliren, Courtisanen und Damen, worinnen begriffen sind, die Manifesta oder Ursachen des Krieges, der Männer und Weiber. Hertel, Frankfurt am Main und Hamburg 1664. [HAB 42.13 Eth.; ULBH: AB 65959]. Sachse, Michael: Arcana Annuli Pronubi Das ist, Geheimnis und nütze bedeutung deß Ehelichen Trawringes. Albrecht, Lübeck 1605. (Erstausgabe 1589). [HAB: 145.7 Eth. (2)]. –> 199, 60, 64 f. Schelhammer, Maria Sophia (erm.): Die wol unterwiesene Köchinn, Oder Gründlicher, deutlicher und vollkommener Unterricht, Wie man alle die Speisen, so nur in Teutschland bekant sein mögen, aufs füglichste und beste zubereiten, das Fleisch, Fische, Gartenfrüchte, Gewächse und ander Sachen wol einmachen, dürren oder sonst verwahren, nach der üblichsten Art speisen, Speisen anrichten, auftragen, die niedlichsten schmakkhafften Suppen, Potagen, Pasteten, Tarten, allerhand Gebakkenes sc. machen und zurichten soll, samt Vorstellung vieler Curieusen Sachen und der besten, aber bisher wenig, oder gar nie bekanten Griffe, so man in der Koch-Kunst anbringen, und mit großen Nutzen und jedermans Verwunderung practiciren und gebrauchen kan, Eröfnet, Und so gut, als es noch niemals geschehen, ans Tages-Licht gegeben Von Einer Vornehmen Dame. Gruber, Braunschweig 1692. [ULBH: AB 44 4/i, 8]. Schilling, Rosina Dorothea (erm.): Das Weib auch ein wahrer Mensch gegen die unmenschlichen Lästerer Weibl. Geschlechts, einfältigst vorgestellet von einer Jungfräulichen Weibs-Person R. D. S. aus ihren Zellen. Mintzel, Hof 1697. [ULBH: AB 153 605 (2)]. –> 115 f. Schmelzeisen, Gustav Klemens (Hg.): Polizei- und Landesordnungen. 2 Hbde. Böhlau, Köln/Graz 1968. (Quellen zur Neueren Privatrechtsgeschichte Deutschlands Bde. 2/1 und 2/2). Schütz, Wilhelm Ignatius: Ehren-Preiß Deß Hochlöblichen Frauen-Zimmers. In: Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Hg. von Elisabeth Gössmann. Iudicium, München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Original 1663). S. 54 – 71. –> 117, 125, 135 Schupp, Johann Balthasar: Corinna Die Erbare und scheinheilige Hure. Beschrieben, und allen Unkeuschen Leuten zur Warnung vorgestellet. Hg. von Carl Vogt. Niemeyer, Halle 1911. (Original Oehler, Leipzig 1660.) –> 57, 64, 215 f., 225 Schusterin, Sibylla: Verkehrter Bekehrter und wider bethörter Ophiletes auf die Traur-Bühne gestellet. Hg. von Michaël Schuster. Rolk, Oettingen 1685. [SBB: Yq 8221 R].
1.2. Korpus (mit Register)
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Schwarz, Sibylle: Ander Teil Deutscher Poëtischer Gedichten [sic], Nuhn Zum ersten mahl, auß ihren eignen Handschrifften. Hg. von Samuel Herlach. Rheten, Danzig 1650. (German Baroque Literature Reel 60, No. 272). –> 24 Schwarz, Sibylle: Deutsche Poëtische Gedichte, Nuhn Zum ersten mahl, auß ihren eignen Handschrifften. Hg. Samuel Herlach und Helmut W. Ziefle. Lang, Bern 1980. (Mittlere Deutsche Literatur in Neu- und Nachdrucken 25). (Nachdruck der Ausgabe Rheten, Danzig 1650). –> 24 Sommer, Johann (erm. aus Ps. V. O. J.): Curiose, lustige und artige Beschreibung Der Regiersüchtigen eigennützigen Bösen Weiber, Allen und jeden Männern zu nothwendiger Warnung und Unterricht Auf vieler Begehren ans Liecht gebracht … Gedruckt im Jahr Da die bösen Weiber regierten. [SBB: Yz 521 R]. –> 116 Spener, Philipp Jacob: Kurtze Catechismus-Predigten. Zunner, Franckfurt am Mayn 1689. [HAB: M: Ts 354 (2)]. –> 54, 160, 170 Stieler, Kaspar (erm. aus Ps. Der Spate): Teutsche Sekretariat-Kunst. Schmidt, Weimar 1673 – 74. (German Baroque Literature Reel 68 – 68a, No. 345b). Stockfleht, Heinrich Arnold: Die Kunst- und Tugend-Gezierte Macarie. Hg. von Volker Meid. Lang, Bern u. a. o. J. (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts). (Nach der Ausgabe von 1669). Stockfleht, Maria Katharina: Die Kunst- und Tugend-Gezierte Macarie. Der zweyte Theil. Hg. von Volker Meid. Lang, Bern u. a. o. J. (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts). (Nach der Ausgabe von 1673). Sturm, Jacob: Der frommen Weiber Tugend Lob, der bösen Männer Laster-Prob, Historisch-Poetisch beschrieben, mit vielen Kupffer-Bildnüssen und einem Achtsamen Blat-Zeiger gezieret. Fürst, Nürnberg 1662. [ULBH: Dd 4966 u]. –> 116 Thomas, Johann: Damon und Lisille. 2 Bücher. Hg. von Herbert Singer und Horst Gronemeyer. Maximilian Gesellschaft, Hamburg 1966. (Original: 1. Buch 1663, 2. Buch 1665). Thomasius, Christian: Freimütige, lustige und ernsthafte, jedoch vernunftmässige Gedanken oder Monatsgespräche über allerhand, fürnehmlich aber neue Bücher. Athenäum, Frankfurt am Main 1972. (Originale: 1688 – 90). Thomasius, Christian: Freymüthige Lustige und Ernsthaffte Jedoch Vernunfft- und Gesetz-Mässige Gedancken Oder Monats-Gespräche, über allerhand, fürnehmlich aber Neue Bücher Durch alle zwölff Monate des 1688. und 1689. Jahrs. Salfelden, Halle 1690. [HAB: M Ac 371]. Thomasius, Christian: Von der Kunst vernünfftig und tugendhafft zu lieben, als dem eintzigen Mittel zu einen glückseligen … Leben zu gelangen, oder Einleitung zur SittenLehre. Olms, Hildesheim 1995. (Ausgewählte Werke 10). (Nachdruck der Ausg. Hall 1692). –> 83
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1. Texte vor 1800
Veriphantor s. Gorgias, Johannes Vossius, Gerhard Johannes: Rhetorices contractae, sive partitionum oratoriarum libri quinque. Hahn, Leipzig 1660. [ZB: Rq 70]. –> 124 Weise, Christian: Der keusche Joseph. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 8: Biblische Dramen. Hg. von John D. Lindberg. De Gruyter, Berlin/ New York 1976. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Original in: Ders: Lust und Nutz der Spielenden Jugend bestehend in zwey Schau- und Lust-Spielen vom Keuschen JOSEPH und der Unvergnügten Seele, Nebenst Einer ausführlichen Vorrede, Darinnen von der Intention dergleichen Spiele deutlich und aus dem Fundamente gehandelt wird. Mieth, Dresden/ Leipzig 1690). S. 1 – 253. –> 24, 70, 73, 187 f., 193, 195, 197 f., 232 – 235, 237, 251 Weise, Christian: Kurtzer Bericht vom Politischen Näscher, wie nehmlich Dergleichen Bücher sollen gelesen, und Von andern aus gewissen Kunst-Regeln nachgemachet werden. Weidmann, Leipzig 1680. (German Baroque Literature Reel 1617, No. 579). –> 53, 56, 123 Wiegmann, Hermann: Die ästhetische Leidenschaft. Texte zur Affektenlehre im 17. und 18. Jahrhundert. Olms, Hildesheim 1987. (Germanistische Texte und Studien 27). Zeidler, Susanne Elisabeth: Jungferlicher Zeitvertreiber. Das ist Allerhand Deudsche Gedichte, Bey Häußlicher Arbeit, und stiller Einsamkeit verfertiget und zusammen getragen. Hg. und eingeleitet von Cornelia Niekus Moore. Lang, Bern u. a. 2000. (Original 1686). Zesen, Philipp von: Adriatische Rosemund. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 4, 2. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin/ New York 1990. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Erstausgabe: Elzewihr, Amsterdam 1645). –> 91, 116 Zesen, Philipp von: Anhang Etlicher Höflichen Schreiben des Herrn Fil. von Zesen. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 14. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin/ New York 1997. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jh.s). (Erstausgabe in: Hans Adolf von Alewein: Kurtze Doch grundrichtige Anleitung zur Höfligkeit. Gutt, Hamburg 1649). S. 553 – 573. Zesen, Philipp von: Assenat. Hg. von Volker Meid. Niemeyer, Tübingen 1967. (Deutsche Neudrucke, Reihe Barock 9). (Nachdruck der Erstausgabe von 1670). –> 26 f., 29 – 32, 45 f., 64, 66, 68 – 70, 73, 84 – 88, 106, 130 – 135, 156, 161 – 171, 173 f., 181 f., 183, 188 – 193, 195 – 198, 204 – 206, 208, 218 – 220, 234, 245 f. Zesen, Philipp von: Assenat. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 7. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin/ New York 1990. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Zitiert nach der Seitenzählung der Erstausgabe von 1670). –> s. o.
1.3. Vergleichstexte (mit Register)
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Zesen, Philipp von: Frauenzimmers Buß- Beicht- und Beht-Büchlein Vor, in, und nach Genießung des heiligen Nachtmahls; Allen denen, die sich durch wahre Buße mit Gott versühnen, mit ihrem Heilande zu vereinigen, und hinfort ein kristliches Leben zu führen gedenken, zum seeligen Gebrauch und nutzen. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 14. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin/ New York 1997. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Erstausgabe: Dos, Hamburg 1657). S. 469 – 518. Zesen, Philipp von: Frauenzimmers Gebeht-Buch: Auf allerlei zu-fälle des täglichen Gemeinen Lebens, So Wohl Nach den Haupt-Staffeln des Kindlichen, Blühenden, und Bejahrten Alters; als Nach Allen des Fraulichen geschlechts unterschiedlichen ständen. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 14. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin/ New York 1997. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Erstausgabe: Dos, Hamburg 1657). S. 327 – 467. –> 57, 61, 198 f. Zesen, Philipp von: Moralia Horatiana: Das ist Die Horatzische Sitten-Lehre, Aus der Ernst-sittigen Geselschaft der alten Weise-meister gezogen, und mit 113 in kupfer gestochenen Sinn-bildern, und eben so viel erklärungen und andern anmärkungen vorgestellet: Jtzund aber mit neuen reim-bänden gezieret, und in reiner Hochdeutschen sprache zu lichte gebracht durch Filip von Zesen. In: Philipp von Zesen: Sämtliche Werke. Bd. 14. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin/New York 1997. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Nach der Ausgabe: Danker, Amsterdam 1656). Zesen, Philipp von: Simson, eine Helden- und Liebes-Geschicht. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 8. Hg. von Volker Meid. De Gruyter, Berlin/New York 1970. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Erstausgabe: Nürnberg 1679). Zesen, Philipp von: Zesens Gedichte im Frauen-Zimmer-Spiegel. In: Philipp Zesen: Sämtliche Werke. Bd. 3. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin/New York 1993. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts). (Erstausgabe: Nürnberg 1666). S. 331 – 377.
1.3. Vergleichstexte (mit Register) Alamodische Hobel-Bank s. Waarmund, Expertus Amadis. Bücher 1 – 6. Lang, Bern u. a. 1998. (Bibliotheca anastatica germanica). (Nachdruck der Ausg. Feyerabend, Frankfurt am Main 1569 – 72). –> 81, 96, 99 Defensio Sexus Muliebris s. Disputatio Perjucunda Disputatio nova s. Disputatio Perjucunda
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1. Texte vor 1800
Disputatio Perjucunda, Qua Anonymus probare nititur Mulieres Homines non esse: Cui opposita est Simonis Gedicci, Sacros. Theol. Doctoris Defensio Sexus Muliebris, Qua singula Anonymi argumenta distinctis Thesibus proposita, viriliter enervantur. Burchornius, Den Haag 1644. [HAB: Microfiches 150.6 Phys. (2)]. –> 28, 115, 121 Frauenzimmer-Lexicon s. Corvinus, Gottlieb Keyser Karls des fünfften: unnd des heyligen Römischen Reichs peinlich Gerichtsordnung. Separatdruck aus: Heinrich Zoepfl: Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. Winter, Leipzig/Heidelberg 1870. (Beschlossen 1530 und 1532). –> 150 Le Mercure Galant. Hg. von Donneau de Vizé. Au Palais, Paris 1678. [BNF: RESLC2 – 33]. –> 137 f. Rhetorica ad Herennium. Lat.-Dt. Hg. und übers. von Theodor Nüsslein. Artemis und Winkler, München/ Zürich 1994. Abraham a Sancta Clara: Der unglückseelige Ehestand Ciboriae und Ruben, als Elteren deß Judae. In: Ders.: Judas der Ertz-Schelm., Für ehrliche Leuth, Oder: Eigentlicher Entwurff, und Lebens-Beschreibung deß Iscariotischen Bößwicht. Worinnen underschiedliche Discurs, sittliche Lehrs-Puncten, Gedicht, und Geschicht, auch sehr reicher Vorrath Biblischer Concepten. Welche nit allein einem Prediger auff der Cantzel sehr dienlich fallen, der jetzigen verkehrten, bethörrten, versehrten WElt die Warheit under die Nasen zu reiben: sondern es kan sich auch dessen eine Privat- und einsamber Leser zur ersprießlichen ZeitVertreibung, und gewünschten Seelen-Hayl gebrauchen. Teil I. Hg. und ausgewählt von Felix Bobertag. Spemann, Berlin/ Stuttgart 1883. (Deutsche Nationallitteratur 60). (Erstausgabe Salzburg 1686). Abraham a Sancta Clara: Reimb Dich, Oder Ich Liß Dich, Das ist: Vielerley Materien, Discurs, Concept, und Predigen, welche bishero in underschiedlichen Tractätlein gedruckt worden; Nunmehr aber in ein Werck Zusammengereimbt, und zusammengeraumbt, Mit einem beygefügten Indice Concionatorio, und neuem Zusatz mehrerer Concepten; Denen Herren Predigern für ein Interim geschenkt, biß etwas anders bald folgen wird. Ketteler, Köln 1691. [UBH: Ib 2573 b]. Acidalius, Valentinus s. Disputatio Perjucunda Agrippa von Nettesheim, Henricus Cornelius: De nobilitate et praecellentia foeminei sexus. Von Adel und Vorrang des Weiblichen Geschlechts vor dem männlichen. Übers. von Otto Schönberger. Königshausen und Neumann, Würzburg 1997. (Erstausgabe: lat. 1529, dt. 1540). –> 28, 121 Albertinus, Aegidius: Haußpolizey. 7 Bde. Henricus, München 1602. [BSB Res/4 Asc. 12]. Albertinus, Aegidius: Himmelisch Frawenzimmer, Das ist: Stammen-Buech deß Himmelischen Frawenzimmers: Darinn das Leben acht vnnd achtzig der aller-
1.3. Vergleichstexte (mit Register)
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heiligsten Jungfrawen vnd Frawen, nit allein zierlich beschriben, sonder auch mit Raphael Sadlers künstlichen Kupfferstichen für Augen gestellt. Jäcklin, München 1675. [HAB Xb 5603]. Albertinus, Aegidius: Hirnschleiffer. Hg. von Lawrence S. Larsen. Hiersemann, Stuttgart 1977. (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart 299). (Original 1618/19). Albrecht von Eyb: Ob einem manne sey zunemen ein eelichs weyb oder nicht. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1982. (Nachdruck der Erstausgabe von 1472). –> 110 Amaranthes s. Corvinus, Gottlieb Anton Ulrich Herzog von und Sibylla Ursula Prinzessin von Braunschweig-Lüneburg: Die durchleuchtige Syrerinn Aramena. 1. Teil. Hg. von Blake Lee Spahr. Lang, Bern/ Frankfurt am Main 1975. (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts). (Nach der Ausgabe von 1669). –> 63 Aristoteles: Die Kategorien. Gr.-Dt. Übers. und hg. von Ingo W. Rath. Reclam, Stuttgart 1998. (Universal-Bibliothek 9706). Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übers. von Franz Dirlmeier. Reclam, Stuttgart 1969. (Universal-Bibliothek 8586). –> 136, 215 Aristoteles: Poetik. Übers. und hg. von Manfred Fuhrmann. Reclam, Stuttgart 1989. (Universal-Bibliothek 7828, 2). –> 44 Aristoteles: Politik. Übers. von Franz Susemihl, hg. von Wolfgang Kullmann. Rowohlt, Reinbek 1994. (Rowohlts Enzyklopädie). –> 27 Augustinus: Bekenntnisse. Zweisprachige Ausgabe. Übers. von Joseph Bernhart. Insel, Frankfurt am Main/Leipzig 1987. (Insel Taschenbuch 1002). –> 221, 226 Balduin, Friedrich: Tractatus Luculentus Posthumus Toti Reipublicae Christianae Utilissimus De Materia rarissime antehac enucleata Casibus nimirum Conscientiae. Finkel, Wittenberg 1654. (Erstausgabe 1628). [FSt: S/THOL:XV C 013a]. –> 215 Barclay, John: Argenis. Übers. von Martin Opitz. Hg. von George Schulz-Behrend. Hiersemann, Stuttgart 1970. (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart 296). –> 123 Beer, Johann: Teutsche Winternächte. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 7. Hg. von Ferdinand van Ingen und Hans-Gert Roloff. Lang, Bern u. a. 1994. (Mittlere deutsche Literatur in Neu- und Nachdrucken 7). –> 105 f. Besser, Johann von: Ruhestat der Liebe, oder die Schooß der Geliebten. In: Ders.: Des Herrn von Besser Schrifften: beydes in gebundener und ungebundener Rede … außer des Verfassers eigenenn Verbesserungen, mit vielen seiner noch nie gedruckten Stücke und neuen Kupfern, nebst dessen Leben und einem Vorberichte, ausgefertiget von Johann Ulrich König. Gleditsch, Leipzig 1732. [German Baroque Literature Reel 602, No. 1697). –> s. Besser, Johann von unter 1.2. Korpus
298
1. Texte vor 1800
Boccaccio: De Claris Mulieribus. Übers. von Stainhöwel. Hg. von Karl Drescher. Tübingen 1895. (Bibliothek des Literarischen Vereins Stuttgart 205). (Original: 1473). –> 116 Castiglione: Il Libro del Cortegiano. Hg. von Walter Barberis. Enaudi, Turin 1998. (Biblioteca Enaudi 40). –> 26 Charnes, Jean-Antoine de: Conversations sur la Critique de la Princesse de Clèves. Hg. von François Weil. Université de Tours, Tours 1973. (Original: Barbin, Paris 1679). –> 138 Chastenay s. Dubois Colonna, Francesco (erm.): Hypnerotomachia Poliphili. 2 Bde. Hg. von Marco Ariani und Mino Gabriele. Adelphi, Mailand 1998. (Classici 66). (Erstausgabe: Manutius, Venedig 1499). –> 90 Condisius, Godofredus; Bergmann, Johannes: Disputatio philosophica de mulieribus. In: Elisabeth Gössmann (Hg.): Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Iudicium, München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Original 1629). S. 31 – 39. Corvinus, Gottlieb (erm. aus Ps. Amaranthes): Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon. Hg. von Manfred Lemmer. Insel, Frankfurt am Main 1980. (Nachdruck der Ausgabe Gleditsch, Leipzig 1715). –> 119, 176 Drechsler, Jo. Gabriel; Mylius, Johannes Henricus: De praejudiciis. In: Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Hg. von Elisabeth Gössmann. Iudicium, München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Original 1675). S. 121 – 138. Dubois de Chastenay, Jacques: Philogame et Antigame, ou Les Agréemens et les chagrins du mariage. Nouvelle galante. Dédiée aux dames. Quinet, Paris 1692. [BNF: Y2 – 7909]. –>137 Du Bosc, Jacques: L’honneste Femme. Piot, Paris 41647. [HAB: A: 39.5 Eth. (1)]. –> 101 Eckardus, Henricus: Dilucidatio Controversiarum Theologicarum de poenitentia et quaestionibus cognatis. Chemlinus, Gießen 1610. [HAB: A: 685.3 Theol. (5)]. –> 213 Erasmus von Rotterdam: Ecclesiastes sive de ratione concionandi. In: Ders.: Opera omnia 5, Bd. 4 und 5. Elsevier, Amsterdam/ New York 1991 und 1994. –> 126 Erasmus von Rotterdam: Züchtiger Sitten, zierlichen wandelns, und höfflichen Geberden der Jugent, in alle weg und Ordenung des gantzen leibs, … ein nützlich Buechlin. Kürzende Übers. von Johannes Greser. Egenolph, Frankfurt am Main 1531. (Lat. De civilitate morum puerilium). [HAB: A: 101.24 Rhet. (2)]. Erasmus von Rotterdam: Colloquia familiaria – Vertraute Gespräche. Lat.-Dt. Ausgew., übers. und hg. von Herbert Rädle. Reclam, Stuttgart 1993. (Original 1518).
1.3. Vergleichstexte (mit Register)
299
Frölich von Frölichsburg, Johann Christoph: Commentarius in Kayser Carl des Fünften peinliche Hals-Gerichts-Ordnung. Keip, Goldbach 1996. (Bibliothek des deutschen Strafrechts, Alte Meister 15). (Nachdruck der Ausgabe Wohler, Frankfurt und Leipzig 1741). Gediccus, Simon s. Disputatio Perjucunda Greiffenberg, Catharina Regina von; über den Aramena-Roman s. Anton Ulrich Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von: Histori vom Keuschen Josef in Egypten. Hg. von Rolf Tarot. Niemeyer, Tübingen 1968. (Gesammelte Werke in Einzelausgaben). (Erstausgabe datiert 1667, erschienen 1666). –> 191 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoph von: Lebensbeschreibung der Erzbetrügerin und Landstörzerin Courasche. Hg. von Klaus Haberkamm und Günther Weydt. Reclam, Stuttgart 1971. (Universal-Bibliothek 7998/7999). –> 53, 103 Grosserus, Samuel: Dissertatio de Foeminarum Meritis in Rempublicam, earumque Praerogativis in Republ. concessis. Leipzig 1690. [HAB: Xb 5835:10]. –> 116 Gryphius, Andreas: Catharina von Georgien. Trauerspiel. Hg. von Alois Maria Haas. Reclam, Stuttgart 1975. (Universal-Bibliothek 9751). Gryphius, Andreas: Leo Arminius. Trauerspiel. Hg. von Peter Rusterholz. Reclam, Stuttgart 1992. (Universal-Bibliothek 7960). Guazzo, Steffan: De Civili Conversatione, Das ist, Von dem Bürgerlichen Wandel und zierlichen Sitten. Übers. von Nicolaus Rücker. Frankfurt am Main 1599. (Erstausgabe: Brescia 1574). –> 27 f. Guillaume de Lorris und Jean de Meung: Le roman de la rose. Hg. von Armand Strubel. Librarie Générale Française, Paris 1992. (Le livre de poche 4533). –> 90, 111 Harsdörffer, Georg Philipp (erm.): Kluger Hofmann: Das ist, Nachsinnig Vorstellung untadelichen Hoflebens: mit vielen lehrreichen Sprüchen und denckwürdigen Exempeln gezieret; Nicht nur den Hofleuten zu dienlicher Nachrichtung; sondern allen und jeden welche bey großen Herren … sich vieler Welthändel unterziehen müssen, … Gedolmetscht, Und mit vielen Gedichten, Anmerckungen und seltnen Betrachtungen beleuchtet. Durch ein Mitglied der hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft. Naumann, Frankfurt am Main/ Hamburg 1655. (Frz. Original -> Refuges). [HAB: Microfiches 46.3 Eth.]. –> 32 Heermann, Johann: Sechserley Sontags-Andachten: Oder Was frome Christ-Hertzen an dem heiligen Sontage betrachten, thun unnd lassen sollen. Jacob, Breslau 1642. [HAB Th 1192]. –> 249 Heidegger, Gotthard: Mythoscopia Romantica: oder Discours Von den so benanten Romans. Hg. von Walter Ernst Schäfer. Gehlen, Bad Homburg u. a. 1964. (Ars poetica. Texte 3). (Original: Gessner, Zürich 1698). –> 41, 214
300
1. Texte vor 1800
Heliodorus Emesenus: Aetiopica Historia. Hg. von Peter Schäffer. Lang, Bern u. a. 1984. (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts 30). (Nach der Ausg. von 1559). –> 163 Hieronymus: Adversus Iovinianum. In: Patrologia Latina 23. Sp. 276B – 278B. –> 111 Hoeltich, Franciscus Henr.; Waltz, Johannes Casparus: Quod Foemina Non Est Homo. Schrödter, Wittenberg 1672. [ULBH: Wittenberg Diss. 1672:11]. –> 116 Huet, Pierre Daniel: Traitté de l’Origine des Romans. In: Marie-Madeleine Pioche de La Vergne, comtesse de La Fayette (Ps. M. de Segrais): Zayde, Histoire Espagnole. Paris 1671. [BNF: Volltext unter http://gallica.bnf.fr]. S. 5 – 67. Hunold, Christian Friedrich (erm. aus Ps. Menantes): Academische Neben-Stunden allerhand neuer Gedichte, Nebst Einer Anleitung zur vernünftigen Poesie. Zeitler, Halle und Leipzig 1713. (German Baroque Literature Reel 433, No. 1371). –> 28, 225 Hunold, Christian Friedrich (erm. aus Ps. Menantes): Die Edle Bemühung müssiger Stunden, In Galanten, Verliebten, Sinn- Schertz- und Satyrischen Gedichten. Liebernickel, Hamburg 1702. [HAB: Lo 3357]. –> 225, 226 Hyperius, Andreas: De formandis concionibus sacris, Seu De Interpretatione scripturarum populari Libri II. Colbius, Marburg 1553. [HAB: Microfiches A: 982 Theol. (4)]. –> 126 Hypnerotomachia s. Colonna, Francesco Jean de Meung s. Guillaume de Lorris Kant, Immanuel: Einleitung in die Metaphysik der Sitten. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Hg. von der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften. Berlin 1902 – 10. S. 211 – 228. La Fayette, Marie-Madeleine Pioche de La Vergne de: La Princesse de Clèves. Hg. von Bernard Pingaud. Gallimard, Paris 2000. (Collection Folio 3381). –> 137 f. Lohenstein, Daniel Casper von: Grossmüthiger Feldherr Arminius. 2 Tle. Hg. von Elida Maria Szarota. Lang, Bern/Frankfurt am Main 1973. (Nachdrucke deutscher Literatur des 17. Jahrhunderts). (Nach der Ausgabe von 1689/90). –>117, 123 Lohenstein, Daniel Casper von: Sophonisbe. Trauerspiel. Hg. von Rolf Tarot. Reclam, Stuttgart 1970. (Universal-Bibliothek 8394). (Nach dem Erstdruck von Fellgibel, Breslau 1680). –> 55 Lünig, Johann Christian (Hg.): Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum, Oder Historisch- und Politischer Schau-Platz Aller Ceremonien. Bd. 2: Welche So wohl an Europäischen Höfen, als auch sonsten bey vielen Illustren Fällen beobachtet worden. Weidmann, Leipzig 1720. [HAB: M: Ge 2° 5:2]. –> 109
1.3. Vergleichstexte (mit Register)
301
Luther, Martin: Grund und Ursach aller Artickel D. Marti. Luther, ßo durch Romische Bulle unrecchtlich vordampt seyn. In: Werke. Bd. 7. Böhlau, Weimar 1897. S. 309 – 457. (Original: [Lotther], Wittenberg [1521]). –> 227 Luther, Martin: Katechismuspredigten. 2. Predigtreihe. In: Ders.: Werke. Bd. 30, 1. Böhlau, Weimar 1910. S. 27 – 56. (Original: Manuskript UB Jena: Cod. Bos. q 24). –> 161, 224 Luther, Martin: Eyn Sermon von dem Elichen Standt. In: Ders.: Werke. Bd. 2. Böhlau, Weimar 1884. (Original von 1519). S. 166 – 171. Lütkemann, Joachim: Corpus doctrinae catecheticae Augustum: Das ist: Anleitung zur Catechismus-Lehr, wie dieselbe in des Fürstenthumms Braunschweig … Schulen und Kirchen einfältig und erbawlich zu treiben. Vorrede von Balthasar Cellarius. Stern, Lüneburg 1656. [HAB: A 1229.18 Theol.]. Macchiavelli, Niccolò: Il Principe – Der Fürst. Übers. und hg. von Philipp Rippel. Reclam, Stuttgart 1993. (Universal-Bibliothek 1219). (Ital. Erstausgabe 1532). –> 32 Mathesius, Johannes: Syrach …: Das ist, Christliche Lehrhaffte, Trostreiche und lustige Erklerung und Ausslegung des schoenen Haussbuchs, so der weyse Mann Syrach zusammen gebracht und geschrieben, Jn gewisse Predigten und drey unterschiedene Theil angeordnet. Hg. von Georgius Lysthenius. Beyer, Leipzig 1586. [HAB: Mikrofiches C 194.20 Helmst.]. Melanchthon, Philipp: Definitiones multarum appellationum, quarum in Ecclesia usus est. Hg. von Hans Engelland. In: Ders.: Werke in Auswahl. Bd. 2, 2. Bertelsmann, Gütersloh 1953. S. 781 – 816. (Erstausgabe in Loci praecipui theologici, Leipzig 1553). Melanchthon, Philipp: Loci praecipui theologici von 1559. Hg. von Hans Engelland. In: Ders.: Werke in Auswahl. Bd. 2, 1 und 2. Bertelsmann, Gütersloh 1952 – 53. S. 164 – 780. –> 215 Melanchthon, Philipp: De Officio Concionatoris. Anhang an: Ratio Brevis Et Docta, Piaqve Sacrarum tractandarum Concionum: vulgo Modus Praedicandi adpellata. Saur, München u. a. 1992. (Bibliotheca Palatina F 5225). (Mikrofichen der Ausg. von 1535). –> 126 Neumann, Caspar: Kern aller Gebete, […] In wenig Worten: Für alle Menschen, In allem Alter, In allen Ständen, Zu allen Zeiten, Und Demnach statt eines Morgen-Segens, Abend-Segens, Kirchen-Gebets, Und aller andern Bet-Andachten dienlich. Wolff, Hamburg 1680. [HAB: H: Yv 1537.8o Helmst. (2)]. Opitz, Martin: Dafne: auff deß durchlauchtigen … Herrn Georgen, Landegrafen zu Hessen … vnd der durchlauchtigen … Fräwlein Sophien Eleonoren …, Beylager: durch Heinrich Schützen … auß mehrentheils eigener Erfindung geschriebenen Martin Opitzen. Müller, Breslau (1627). (German baroque literature Reel 50 No. 210). –> 91
302
1. Texte vor 1800
Opitz, Martin: Buch von der Deutschen Poeterey. Hg. von Cornelius Sommer. Reclam, Stuttgart 1991. (Universal-Bibliothek 8397, 2). (Nach der Erstausg. von Müller, Breslau 1624). –> 44 Ovidius Naso, Publius: Metamorphoses. Hg. von William S. Anderson. Teubner, Tübingen 31985. (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana). –> 91 Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners. Zwölf Bücher. – Institutionis oratoriae libri XII. Hg. und übers. von Helmut Rahn. 2 Bde. Darmstadt 21988. –> 110, 111 Refuges, Eustache de: Traicté de la Cour. Ou instruction des courtisans. Nouvelle edition, de beaucoup enrichie. Saugrain, Paris 1618. [BNF: E* – 3439]. –> 32 Renaudot, Théophraste: Première Centurie des questions traitées ez conférences du Bureau d’addresse. Paris 1634. –> 102 Richter, Gregor: Axiomata Historica, eaque Politica: Hoc est: Rugulae De Eventibus Negociorum Politicorum: Jn quibis Regulae fere omnes … suis illustrantur historijs et exemplis. Rhamba, Görlitz 1599. [HAB: S: Alv.: Lf 127]. –> 174 Rist, Johann: Die alleredelste Zeitverkürzung. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. 6 Hg. von Eberhard Mannack. De Gruyter, Berlin u. a. 1976. (Ausgaben der deutschen Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts 66). –> 123 Roman de la rose s. Guillaume de Lorris Schultze, Georg: De blanda mulierum rhetorica. In: Elisabeth Gössmann (Hg.): Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Iudicium München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Original 1678). S. 121 – 138. Sebizius, Melchior: De discrimine corporis virilis et muliebris. In: Ders.: Exercitationes medicae. Staedelius, Strassburg 1672. [HAB: M: Ma 82]. S. 705 – 767. –> 116 Stieler, Kaspar: Der Teutschen Sprache Sprachbaum und Fortwachs oder Teutscher Sprachschatz. 3 Bde. Kösel, München 1968. (Nachdruck der Ausgabe 1691). –> 143 Theophrast: Liber de nuptiis s. Hieronymus Thomasius, Jacob; Sauerbrei, Johannes; Smalcius, Jacob: De foeminarum eruditione. In: Elisabeth Gössmann (Hg.): Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Iudicium, München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Original 1671/ 76). S. 99 – 117. –> 116 Trousset, Alexis (Ps. Jacques Olivier): L'Alphabet de l'Imperfection et Malice des Femmes. Petit-Bas 1617. [HAB: A: 130.1 Eth. (1)]. –> 116 Valincour, Jean-Bapiste H. de: Lettres à Mme la Marquise*** sur le sujet de la Princesse de Clèves. Hg. von Jacques Chupeau. Université de Tours, Tours 1972. (Publication du Groupe d’Étude du 17e siècle de l’Université François
2.1. Nachschlagewerke
303
Rabelais 1). (Nachdruck der Erstausgabe Mabre-Cramoisy, Paris 1678). –> 137 f. Van Schurman, Anna Maria: Num foeminae christianae conveniat studium litterarum? In: Das wohlgelahrte Frauenzimmer. Hg. von Elisabeth Gössmann. München 1984. (Archiv für philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung 1). (Originale 1648/50/52). S. 40 – 53. –> 116 Volckmann, Adam: Disputatio de Virorum prae foeminis in iure Praerogativis. [Scherf, Altdorf ] 1645. [HAB: Re 120 (15)]. –> 116 Waarmund, Expertus (Ps.): Renovirte Und mercklich vermehrte Alamodische Hobel-Bank, Oder Lustig und Sinn-reicher Discurs zweyer gereister AdelsPersonen: Worinnen sie die groben Sitten, Ehr-Sucht, falsch-gemeynte Complementen, eingerissenen Missbräuch in Gesellschaften, Bücher-lesen, KinderZucht, Kleidern …; Deme noch beygefügt ein kurtz-verfasset Grobianus, Sambt einer kurtzen Anweisung für junge und in die Frembd reisende Personen. O. O. u. J. (German Baroque literature Reel 195, No. 788a). –> 93 ‚Zedler‘: Grosses vollständiges Universal-Lexikon. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1993 – 1999. (Nachdruck der Ausgabe Johann Heinrich Zedler, Halle und Leipzig 1732 – 1754). –> 125, 127, 181 f. Zesen, Philipp von: Andächtiger Lehr-Gesänge von Kristus Nachfolgung und Verachtung aller eitelkeiten der Welt, erstes Mandel, Aus dem Seeligen Tohmas von Kempis gereimet, und mit anmuhtigen Sangweisen gezieret durch Malachias Siebenhaaren. In: Sämtliche Werke Bd. I, 2. Hg. von Ferdinand van Ingen. De Gruyter, Berlin u. a. 1993. (Ausgaben deutscher Literatur des 15. bis 18. Jahrhunderts 142). (Original: Hofmann, Magdeburg 1675).
2. Texte nach 1800 2.1. Nachschlagewerke Bibliographie der deutschen Universitäten. 1. Allg. Teil. Von Wilhelm Erman und Ewald Horn. Teubner, Leipzig/Berlin 1904. Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Hirzel, Leipzig 1854 – 1971. Handschriften und Drucke der Staatsbibliothek zu Berlin – Preussischer Kulturbesitz (Haus 2). Hg. von Erika Kartschoke. Akademie, Berlin 1996. (Repertorium deutschsprachiger Ehelehren der frühen Neuzeit 1). Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Hg. von Adalbert Erler. Schmidt, Berlin 1971 – 1998.
304
2. Texte nach 1800
Historisches Wörterbuch der Philosophie. 11 Bde. Hg. von Joachim Ritter. Schwabe, Basel 1971 – 2001. Historisches Wörterbuch der Rhetorik. 5 Bde. Hg. von Gert Ueding. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1992 – 2001. Lexikon der Sprachwissenschaft. Hg. von Hadumod Bussmann. Kröner, Stuttgart 21990. (Kröners Taschenausgabe 452). Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. Hg. von Ansgar Nünning. Metzler, Stuttgart 22001. Philosophisches Wörterbuch. Hg. von Georgi Schischkoff. Kröner Stuttgart 221991. Sachwörterbuch der Literatur. Hg. von Gero von Wilpert. Kröner, Stuttgart 71989. Schriftstellerinnen, Künstlerinnen und gelehrte Frauen des deutschen Barock. Ein Lexikon. Hg. von Jean M. Woods und Maria Fürstenwald. Metzler, Stuttgart 1984. (Repertorien zur deutschen Literaturgeschichte 10). Soziologie-Lexikon. Hg. von Gerd Reinhold. Oldenbourg, München/Wien 2000.
2.2. Monografien und Aufsätze Bachorski, Hans-Jürgen u. a.: Performativität und Lachkultur in Mittelalter und früher Neuzeit. In: Paragrana 10 (2001) S. 157 – 190. Backmann, Sibylle u. a.: Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Akademie-Verlag, Berlin 1998. (Colloquia Augustana 8). Barner, Wilfried: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Niemeyer, Tübingen 1970. Battafarano, Italo Michele: Barocke Typologie femininer Negativität und ihre Kritik bei Spee, Grimmelshausen und Harsdörffer. In: Wilhelm Kühlmann (Hg.): Literatur und Kultur im deutschen Südwesten zwischen Renaissance und Aufklärung. Neue Studien. Rodopi, Amsterdam u. a. 1995. (Chloe 22). S. 245 – 266. Walter E. Schäfer zum 65. Geburtstag gewidmet. Becker–Cantarino, Barbara: Der lange Weg zur Mündigkeit. Frauen und Literatur (1500 – 1800). dtv, München 1989. (11987). Becker-Cantarino, Barbara: Frauenzimmer Gesprächspiele. Geselligkeit, Frauen und Literatur im Barockzeitalter. In: Wolfgang Adam u. a. (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Teil I. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 17 – 42. Beetz, Manfred: Disputatorik und Argumentation in Andreas Gryphius’ Trauerspiel Leo Armenius. In: Literatur und Linguistik 10 (1980), S. 178 – 203. Beetz, Manfred Anstandsbücher und Kommunikationslehren der Frühmoderne als gesellschaftsethische Wegweiser. In: Chloe 25 (1997), S. 729 – 738.
2.2. Monografien und Aufsätze
305
Beetz, Manfred: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum. Metzler, Stuttgart 1990 (Germanistische Abhandlungen 67). Beetz, Manfred: Komplimentierverhalten im Barock. In: Wolfgang Frier (Hg.), Pragmatik. Theorie und Praxis. Amsterdam 1981. (Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik 13). S. 135 – 181. Beetz, Manfred: Leitlinien und Regeln der Höflichkeit für Konversationen. In: Wolfgang Adam u. a. (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Teil II. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 563 – 580. Beetz, Manfred: Negative Kontinuität. Vorbehalte gegenüber barocker Komplimentierkultur unter Altdeutschen und Aufklärern. 1991. Teil 1, In: Europäische Barockrezeption. 1. Teil. Hg. von Klaus Garber. Wiesbaden, Harrassowitz, 1991. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 20). S. 281 – 301. Beetz, Manfred: Rhetorische Logik – Prämissen der deutschen Lyrik im Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert. Niemeyer, Tübingen 1980. (Studien zur deutschen Literatur 62). Belliger, Andréa, Krieger, David J.: Ritualtheorien. Eine einführendes Handbuch. Westdeutscher Verlag, Opladen 1998. Benthien, Claudia Haut. Literturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse. Rowohlt, Hamburg 1999. (Rowohlts Enzyklopädie). Bepler, Jill: Women in German Funeral Sermons. Models of Virtue or Slice of Life? In: German Life and Letters 44. (1991), S. 392 – 403. Berger, Peter; Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Fischer, Frankfurt 1980. (Dt. Erstaufl. 1969, am. Original: The social construction of reality 1966). Bergmann, Jörg; Luckmann, Thomas (Hg.): Kommunikative Konstruktion von Moral. Bd 1: Struktur und Dynamik der Formen moralischer Kommunikation. Westdeutscher Verlag, Opladen 1999. Bergmann, Jörg R.: Klatsch: zur Sozialform der diskreten Indiskretion. De Gruyter, Berlin 1987. Blauert, Andreas; Schwerhoff, Gerd (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Universitäts-Verlag, Konstanz 2000. (Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven 1). Bock, Gisela; Zimmermann, Margarete (Hg.): Die ‚Querelle des Femmes‘ in Europa. Eine begriffs- und forschungsgeeschichtliche Einführung. In: Querelles 2 (1997), S. 9 – 8. Boge, Birgit: Nekrolog als Handlungsanleitung für weibliches Wohlverhalten. Zur Leichenpredigt auf Maria Catharina Manz aus dem Jahre 1654. In: Chloe 30 (1999), S. 131 – 169.
306
2. Texte nach 1800
Bohle, Ulrike; König Ekkehard: Zum Begriff des Performativen in der Sprachwissenschaft. In: Paragrana 10 2001. S. 13 – 34. Borgstedt, Thomas: Naturrecht der Geselligkeit und protestantische Emanzipation der Ehe in Hoffmannswaldaus Heldenbriefen. In: Wolfgang Adam u. a. (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Teil II. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 765 – 780. Borgstedt, Thomas: ‚Tendresse‘ und Sittenlehre. Die Liebeskonzeption des Christian Thomasius im Kontext der ‚Preciosité‘ – mit einer kleinen Topik galanter Poesie. In: Christian Thomasius (1655 – 1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung. Hg. von Tübingen, Niemeyer 1997. (Frühe Neuzeit 37). S. 405 – 428. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Suhrkamp, Frankfurt 61993. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 658). (Frz. La distinction, Paris 1979). Bourdieu, Pierre: La domination masculine. Seuil, Paris 1998. (Collection Liber). Bourdieu, Pierre: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998. (Edition Suhrkamp NF 985). (Frz. Raisons pratiques, Paris 1994). Brandenberger, Tobias: Antonio de Guevaras Eheschriften. Textaussagen und Textfunktion. In: Schnell, Rüdiger (Hg.): Text und Geschlecht. Mann und Frau in Eheschriften der frühen Neuzeit. Suhrkamp, Frankfurt 1997. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1322). S. 115 – 144. Braun, Christina von; Stephan, Inge (Hg.): Gender-Studien. Metzler, Weimar 2000. Braungart, Georg: Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus. Niemeyer, Tübingen 1988. (= Studien zur deutschen Literatur 96). Bucher, Theodor: Einführung in die angewandte Logik. De Gruyter, Berlin u. a. 1987. Burghartz, Susanna: Disziplinierung oder Konfliktregelung? Zur Funktion städtischer Gerichte im Spätmittelalter: das Zürcher Ratsgericht. In: Zeitschrift für historische Forschung 16 (1989), S. 385 – 407. Burghartz, Susanna: Geschlecht – Körper – Ehre. Überlegungen zur weiblichen Ehre in der frühen Neuzeit am Beispiel der Basler Ehegerichtsprotokolle. In: Schreiner, Klaus und Schwerhoff, Gerd (Hg.). Verletzte Ehre: Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Böhlau, Köln u. a. 1995. S. 214 – 234 Burghartz, Susanna: Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der frühen Neuzeit. Schöningh, Paderborn/Zürich 1999.
2.2. Monografien und Aufsätze
307
Busse, Dietrich; Teubert, Wolfgang: Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik. In: Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Hg. von Dietrich Busse u. a. Westdeutscher Verlag, Opladen 1994. S. 10 – 28. Butler, Judit: Körper von Gewicht. Suhrkamp, Frankfurt am Main 21999. (Edition Suhrkamp 1737). (Engl. Bodies that Matter 1993). Butler, Judit: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001. (Edition Suhrkamp 1744). (Engl. The Psychic Life of Power 1997). Butler, Judit: Das Unbehagen der Geschlechter. Suhrkamp, Frankfurt am Main 8 2000. (Edition Suhrkamp 1722). (Engl. Gender Trouble 1990). Carruthers, Mary J.: The Book of Memory. A Study of Memory in Medieval Culture. Cambridge University Press, Cambridge 2001. (Cambridge Studies in Medieval Literature 10). (11990). Cersowsky, Peter: Buchwesen. In: Albert Meier (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. S. 176 – 200. Chartier, Roger: Figures of the Author. In: Ders.: The Order of Books. Readers, Authors, and Libraries in Europe between the Fourteenth and Eighteenth Centuries. Übers. von Lydia G. Cochrane. Politiy Press, Cambridge 1994. S. 25 – 59. Chartier, Roger: From Texts to Manners. A Concept and Its Books: Civilité between Aristocratic Distinction and Popular Appropriation. In: Ders.: The Cultural Uses of Print in Early Modern France. Translated by Lydia G. Cochrane. University Press, Princeton 1987. S. 71 – 109. (Deutsches Original 1986). Clark, Herbert H.; Carlson, Thomas: Hearers and speech acts. In: Language 58 (1982), S. 332 – 373. Conermann, Klaus: Der Stil des Hofmanns. Zur Genese sprachlicher und literarischer Formen aus der höfisch-politischen Verhaltenskunst. In: August Buck (Hg.): Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Bd. 1. Hauswedell, Hamburg 1981. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 8). S. 45 – 56. Curtius, Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter. Francke, Bern 21954. De Jean, Joan: Ancients against Moderns. Culture Wars and the Making of a Fin de Siècle. University of Chicago Press, London/ Chicago 1997. Delumeau, Jean: Le péché et la peur. La culpabilisation en Occident (XIIIe–XVIIIe siècles). Fayard, Paris 1983. Demelius, Gustav. Die Rechtsfiktion in ihrer geschichtlichen Bedeutung. Eine juristische Untersuchung. Böhlau, Weimar 1958. Derrida, Jacques: Die Stimme und das Phänomen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979. (Frz. La voix et le phénomène, Paris 1967).
308
2. Texte nach 1800
Dinges, Martin: Die Ehre als Thema der historischen Anthropologie. Bemerkungen zur Wissenschaftsgeschichte und zur Konzeptualisierung In: Schreiner, Klaus und Schwerhoff, Gerd (Hg.). Verletzte Ehre: Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Böhlau, Köln u. a. 1995. S. 29 – 62. Dinges, Martin: Ehre und Geschlecht. In: Backmann, Sybille u. a. (Hg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Akademie Verlag, Berlin 1998. S. 123 – 147. Dinges, Martin: Ehrenhändel als „Kommunikative Gattungen“. Kultureller Wandel und Volkskulturbegriff. In: Archiv für Kulturgeschichte 75. 1993. S. 359 – 393. Dinges, Martin: Justiznutzungen als soziale Kontrolle in der Frühen Neuzeit. In: Schwerhoff, Gerd und Blauert, Andreas (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. UVK, Konstanz 2000. S. 503 – 544 Durkheim, Émile: Die Regeln der soziologischen Methode. Luchterhand, Neuwied/ Berlin 41976. (Soziologische Texte 3). (Frz. Les règles de la méthode sociologique, Paris 1895). Durkheim, Émile: Physik der Sitten und des Rechts. Vorlesungen zur Soziologie der Moral. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1999. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1400). Dyck, Joachim: Rhetorische Argumentation und poetische Legitimation. Zur Genese und Funktion zweier Argumente in der Literaturtheorie des 17. Jahrhunderts. In: Helmut Schanze (Hg.): Rhetorik. Beiträge zu ihrer Geschichte in Deutschland vom 16.–20. Jahrhundert. Athenaion, Frankfurt 1974. (Schwerpunkte Germanistik). S. 69 – 86. Dyck, Joachim: Ticht-Kunst. Deutsche Barockpoetik und rhetorische Tradition. Niemeyer, Tübingen 31991. (Rheorik-Forschungen 2). Dyck, Joachim; Jens, Walter; Ueding, Gert (Hg.): Rhetorik der frühen Neuzeit. (Rhetorik. Ein Internationales Jahrbuch 10). Egidi, Margreth: Text, Geste, Performanz. Zur mediävistischen Diskussion um das performative Spiel. In: Dies. u. a.: Gestik. Figuren des Körpers in Text und Bild. Tübingen 2000. S. 131 – 140. Eibach, Joachim: Böse Weiber, grobe Kerle. Delinquenz, Geschlecht und soziokulturelle Räume in der frühneuzeitlichen Stadt. In: Schwerhoff, Gerd und Blauert, Andreas (Hg.). Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. UVK, Konstanz 2000. S. 669 – 687. Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. 1. Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Suhrkamp, Frankfurt am Main 141989. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 158). (Entspricht Francke, Bern 21969).
2.2. Monografien und Aufsätze
309
Eming, Jutta; Kasten, Ingrid; Koch, Elke; Sieber, Andrea: Emotionalität und Performativität in der Literatur des Mittelalters. In: Paragrana 10 (2001), S. 215 – 233. Eybl, Franz M.: Predigt/Erbauungsliteratur. In: Albert Meier (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. S. 401 – 419. Fauser, Markus: Klatschrelationen im 17. Jahrhundert. In: Helwig Schmidt-Glintzer (Hg.): Fördern und Bewahren. Studien zur europäischen Kulturgeschichte der frühen Neuzeit. Harrassowitz, Wiesbaden 1996. (Wolfenbütteler Forschungen 70). S. 255 – 263. Feneberg, Rupert: Das sechste Gebot. In: Die Zeit (29. August 2002), S. 18. Ferrari Schiefer, Valeria: La Belle Question. Die Frage nach der Gleichheit der Geschlechter bei François Poullain de la Barre (1647 – 1723) vor dem Hintergrund der (früh-)neuzeitlichen Querelle des Femmes. Exodus, Luzern 1998. Fietze, Katharina: Frauenbildung in der ‚Querelle des Femmes‘. In: Elke Kleinau und Claudia Opitz (Hg.): Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 1. Frankfurt am Main/ New York 1996. S. 237 – 251. Fischbacher-Bosshardt, Andrea: Die erzählerischen Verfahrensweisen in Grimmelshausens Keuschem Joseph. In: Rolf Taro (Hg.): Simpliciana. Schriften der Grimmelshausen-Gesellschaft XII. Peter Lang, Bern u. a. 1990. Fohrmann, Jürgen; Müller, Harro (Hg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Suhrkamp, Frankfurt 1988. (Suhrkamp Taschenbuch 2091). Foucault, Michel: Archäologie des Wissens. Übers. von Ulrich Köppen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 71995 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 356). (Frz. L'archéologie du savoir, Paris 1969). Foucault, Michel: Das Wahrsprechen des Anderen. Zwei Vorlesungen 1983/ 84. Hg. von Ulrike Reuter u. a. Materialis, Frankfurt am Main 1988. (Materialis-Programm 31). Foucault, Michel: Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit Bd. 1. Frankfurt am Main 1977. (Frz. La volonté de savoir, Paris 1976). Foucault, Michel: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. Übers. von Ulrich Köppen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 131995 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 96). (Frz. Les mots et les choses, Paris 1966). Foucault, Michel: Die Ordnung des Diskurses. Hanser, München 1994. (Frz. L'ordre du discours 1972). Foucault, Michel: Mikrophysik der Macht. Über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin. Merve, Berlin 1976. Foucault, Michel: Résumé des cours 1970 – 1982. Julliard, 1989. (Conférences, essais et leçons du Collège de France).
310
2. Texte nach 1800
Foucault, Michel: Über Hermaphrodismus. Der Fall Barbin. Hg. von Wolfgang Schäffner und Joseph Vogel. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998. (Edition Suhrkamp 1733, NF 733). (Frz. Herculine Barbine, dite Alexina B., Paris 1978). Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Übers. von Walter Seitter. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1994. (Suhrkamp Taschenbuch 2271). (Frz. Surveiller et punir, Paris 1975). Foucault, Michel: Das wahre Geschlecht. In: Ders.: Über Hermaphrodismus. S. 7 – 19. (Engl. Introduction, New York 1980). Frank, Karsta: Sprachgewalt. Die sprachliche Reproduktion der Geschlechterhierarchie. Elemente einer feministischen Linguistik im Kontext sozialwissenschaftlicher Frauenforschung. Tübingen 1992. (Reihe germanistische Linguistik 130). Frank, Manfred: Zum Diskursbegriff bei Foucault. In: Fohrmann, Jürgen; Müller, Harro (Hg.): Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Frankfurt am Main 1998. S. 25 – 44. Fricke, Harald: Norm und Abweichung. Eine Philosophie der Literatur. Beck, München 1981. Fues, Wolfram Malte: Fiktionalität im Übergang. J. M. Loens „Redlicher Mann am Hofe“ und Chr. H. Korns „Tugendhafte und redliche Frau am Hofe“. In: Simpliciana 20 (1998), S. 211 – 227. Genette, Gérard: Fiktion und Diktion. Fink, München 1992. (Frz. Fiction et diction 1991). Genette, Gérard: Palimpsestes. La littérature au second degrée. Seuil, Paris 1982. (Collection Poétique). Gielen, Marlies: Tradition und Theologie neutestamentlicher Haustafelethik. Ein Beitrag zu einer christlichen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen. Hain, Frankfurt am Main 1990. (Bonner Biblische Beiträge 75, zugl. Diss. Bonn 1988). Gleixner, Ulrike: „Das Mensch“ und „der Kerl“. Die Konstruktion von Geschlecht in Unzuchtsverfahren der Frühen Neuzeit (1700 – 1760). Frankfurt am Main 1994. Goffman, Erving: Asyle. Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen. Frankfurt am Main 1972. Goffman, Erving: Das Individuum im öffentlichen Austausch. Mikrostudien zur öffentlichen Ordnung. Übers. von R. und R. Wiggershaus. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1974. Goffman, Erving: Interaktion: Spaß am Spiel – Rollendistanz. Übers. von Hansheinz Werner. Piper, München 1973. (Serie Piper). Goffman, Erving: Interaktion und Geschlecht. Hg. und eingel. von Hubert A. Knoblauch, mit einem Nachwort von Helga Kotthoff. Campus, Frankfurt/ New York 1994.
2.2. Monografien und Aufsätze
311
Goffman, Erving: Interaktionsrituale. über Verhalten in direkter Kommunikation. Übers. von Renate Bergsträsser und Sabine Bosse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1971. Goffman, Erving: Rahmen-Analyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen. Suhrkamp, Frankfurt 1977. (Engl. Frame analysis 1974). Goffman, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität. Suhrkamp, Frankfurt am Main 51983. (stw 140). (Engl. Stigma 1963). Griesebner, Andrea und Mommertz, Monika: Fragile Liebschaften? Methodologische Anmerkungen zum Verhältnis zwischen historischer Kriminalitätsforschung und Geschlechtergeschichte. In: Gerd Schwerhoff und Andreas Blauert (Hg.): Kriminalitätsgeschichte: Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. UVK, Konstanz 2000. S. 866 – 232. Griesshaber-Weninger, Christl: Harsdörffers Frauenzimmer Gesprächsspiele als geschlechtsspezifische Verhaltensfibel. Ein Vergleich mit heutigen Kommunikationsstrukturen. In: Women in German. Yearbook. Feminist studies in German literature and culture 9). University of Nebraska, Lincoln u. a. 1994. S. 49 – 70. Gutiérrez Rodríguez, Encarnación: Intellektuelle Migrantinnen – Subjektivitäten im Zeitalter von Globalisierung. Eine postkoloniale dekonstruktive Analyse von Biographien im Spannungsverhältnis von Ethnisierung und Vergeschlechtlichung. Leske + Budrich, Opladen 1999. (Geschlecht und Gesellschaft 21). Habermas, Jürgen: Erläuterungen zur Diskursethik. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1991. Habermas, Jürgen: Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1983. Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung. Suhrkamp, Frankfurt am Main 31985. (1. Aufl. 1981). Habermas, Jürgen: Theorie des kommunikativen Handelns. Bd. 2: Zur Kritik der funktionalistischen Vernunft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 31985. (11981). Hahn, Alois: Geheim. In: Das Geheimnis am Beginn der europäischen Moderne. Hg. von Gisela Bock u. a. Zeitsprünge 6 (2002). S. 21 – 42. Hamburger, Käthe: Die Logik der Dichtung. Klett, Stuttgart 21968. Hamon, Philippe: Texte et idéologie. Valeurs, hiérachies et évaluations dans l'oeuvre litteraire. Paris 1984. Hausammann, Susi: Busse als Umkehr und Erneuerung von Mensch und Gesellschaft. Eine theologiegeschichtliche Studie zu einer Theologie der Busse. Theologischer Verlag, Zürich 1974. Hauskeller, Christine: Das paradoxe Subjekt. Widerstand und Unterwerfung bei Judith Butler und Michel Foucault. Diskord, Tübingen 2000. (Perspektiven 16).
312
2. Texte nach 1800
Heinemann, Wolfgang; Viehweger, Dieter: Textlinguistik. Niemeyer, Tübingen 1991. (Reihe Germanistische Linguistik 115). Hemrich, Dieter; Iser, Wolfgang (Hg.): Funktionen des Fiktiven. Fink, München (1983). Hermanns, Fritz Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte. Überlegungen zu Sinn und Form und Gegenstand historischer Semantik. In: Gardt, Andreas (Hg.). Sprachgeschichte des Neuhodeutschen: Gegenstände, Methoden, Theorien. Niemeyer, Tübingen (1995) 69 – 101 Horn, Ewald: Die Disputationen und Promotionen an den deutschen Universitäten vornehmlich seit dem 16. Jahrhundert. Harrassowitz, Leipzig 1893. (Beihefte zum Centralblatt für Bibliothekswesen 11). Ingen, Ferdinand van: Philipp von Zesen. Metzler, Stuttgart 1970. (= Sammlung Metzler 96) Iser, Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Suhrkamp, Frankfurt 1991. Iser, Wolfgang: Der Akt des Lesens. Theorie ästhetischer Wirkung. Fink, München 31990. (= UTB 636). (11976). Iser, Wolfgang: Die Appellstruktur der Texte: Unbestimmtheit als Wirkungsbedingung literarischer Prosa. Universitätsverlag, Konstanz 1970. Konstanzer Universitätsreden; 28 Iser, Wolfgang: Fingieren als anthropologische Dimension der Literatur. Universitätsverlag, Konstanz 1990. (Konstanzer Universitätsreden 175). Jauss, Hans Robert: Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982. Jean s. De Jean Jungmayr, Jörg: Einführung zu Henricus Cornelius Agrippa von Nettesheim, zu Valens Acidalius und der Gegenschrift von Gediccus, sowie zu … Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? In: Ob die Weiber Menschen seyn, oder nicht? Hg. von Elisabeth Gössmann. Iudicium, München 21996. (Archiv für philosophieund theologiegeschichtliche Frauenforschung 4). S. 46 – 62. Kafitz, Dieter: Lohensteins Arminius. Disputatorisches Verfahren und Lehrgehalt in einem Roman zwischen Barock und Aufklärung. Metzler, Stuttgart 1970. Kapferer, Jean-Noël: How Rumors Are Born. Society 29, 5 (1992). S. 53 – 60. Kasics, Kaspar: Literatur und Fiktion. Zur Theorie und Geschichte der literarischen Kommunikation. Winter, Heidelberg 1990. (Reihe Siegen 94, zugl. Diss. Zürich 1984). Kiening, Christian: Anthropologische Zugänge zur mittelalterlichen Literatur. Konzepte, Ansätze, Perspektiven. In: Jahrbuch für Internationale Germanistik, Reihe C, Bd. 5, 1. 1996. S. 11 – 129.
2.2. Monografien und Aufsätze
313
Kienpointer, Manfred: Topische Sequenzen in argumentativen Dialogen. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 14, 3. 1986. S. 321 – 355. Kiesel, Helmuth: „Bei Hof, bei Höll“. Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brandt bis Friedrich Schiller. Niemeyer, Tübingen 1979. (Studien zur deutschen Literatur 60, zugl. Diss. Tübingen 1977). Kittsteiner, Heinz Dieter: Die Entstehung des modernen Gewissens. Insel, Frankfurt am Main/ Leipzig 1991. Kleinschmidt, Erich: Die Wirklichkeit der Literatur. Fiktionalitätsbewusstsein und das Problem der ästhetischen Realität von Dichtung in der Frühen Neuzeit. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literturwissenschaft und Geistesgeschichte, H. 1 (1982), S. 174 – 197. Knoblauch, Hubert A.: Erving Goffmans Reich der Interaktion. In: Erving Goffman: Interaktion und Geschlecht. Hg. von Hubert A. Knoblauch. Campus, Frankfurt/New York 1994. S. 7 – 49. König, Ekkehard: ‚Performativ‘ und ‚Performanz‘. Zu neueren Entwicklungen in der Sprechakttheorie. In: Paragrana 7 (1998). S. 59 – 70. Körnchen, Hans: Zesens Romane. Ein Beitrag zur Geschichte des Romans im 17. Jahrhundert. Johnson, New York 1967. (Palaestra 115). (Nachdruck von: Mayer und Müller, Berlin 1912). Kohlberg, Lawrence: Die Psychologie der Moralentwicklung. Hg. von Wolfgang Althof. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1232). Koloch, Sabine: Madeleine de Scudéry in Deutschland. Zur Genese eines literarischen Selbstbewusstseins bürgerlicher Autorinnen. In: Renate Kroll, Margarete Zimmermann (Hg.): Gender Studies in den romanischen Literaturen. Revisionen, Subversionen. Dipa, Frankfurt am Main 1999. S. 213 – 255. Kopperschmidt, Josef: Argumentation. Ein Vorschlag zur Methode ihrer Analyse. In: Wirkendes Wort 6 (1983). S. 384 – 398. Kopperschmidt, Josef: Quintilian ‚De argumentis‘. Oder: Versuch einer argumentationstheoretischen Rekonstruktion der antiken Rhetorik. In: Rhetorik 2 (1981), S. 59 – 74. Krämer, Sybille: Sprache – Stimme – Schrift: Sieben Thesen über Performativitität als Medialität. In: Paragrana 7 (1998), S. 33 – 57. Krämer, Sybille und Stahlhut, Marco Das ‚Performative‘ als Thema der Sprach- und Kulturphilosophie. In: Paragrana 10 (2001), S. 35 – 64. Krebs, Jean-Daniel: Dissimulation und Kommunikation der Affekte in Madame de Lafayettes Princesse de Clèves und Zesens Adriatische Rosemund. In: Ulrich Stadler und John E. Jackson (Hg.): Zweisprache, Beiträge zur Theorie und Geschichte des Übersetzens. Metzler, Stuttgart u. a. 1996. S. 163 – 174.
314
2. Texte nach 1800
Krebs, Jean-Daniel: Georg Philipp Harsdörffers Frauenzimmer-Gesprächspiele. Konversation als Erziehung zur „honnêteté“. In: Über die deutsche Höflichkeit. Hg. von Alain Montandon. Lang, Bern u. a. 1991. S. 43 – 60. Krebs, Jean-Daniel: Manieren und Liebe. Zur Dialektik von Affekt und Höflichkeit in Zesens Rosemund. In: Wolfgang Adam (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Bd I. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 401 – 410. Krebs, Jean-Daniel (Hg.): Die Affekte und ihre Repräsentation in der deutschen Literatur der Frühen Neuzeit. Lang, Bern 1996. (Jahrbuch für internationale Germanistik A 42). Kroll, Renate: Femme poète. Madeleine de Scudéry und die ‚poésie précieuse‘. Niemeyer, Tübingen 1996. (Mimesis 23). Kundert, Ursula: „O himmlische Schattirung“, „Meßkunst unseres Heils“! Medialität der göttlichen Heilsbotschaft in Greiffenbergs Betrachtung von der Empfängnis Christi. In: Jürg Glauser und Christian Kiening (Hg.): Text – Bild – Karte. Kartographien der Vormoderne. Rombach, Freiburg 2004. Kundert, Ursula: The polemic trap. German ‚querelle des femmes‘ and misogynous satire in the 17th century. In: Intellectual News 11/12 (Summer 2003), S. 57 – 63. Kundert, Ursula: Stichwort und Figur. Das Sachregister als Modell fiktionaler Normativität im Barock. In: Aplanalp, Laure; Schwarz, Alexander (Hg.): Textallianzen. Lang, Bern u. a. 2001. (Tausch 14). S. 303 – 316. Kundert, Ursula: Verhaltensnormen für schreibende Frauen und Männer? Geschlechterkonstruktion in Vorreden barocker Erbauungsschriften. In: Brandt, Gisela (Hg.): Vertextungsstrategien und Sprachmittelwahl in Texten von Frauen. Heinz, Stuttgart 2002. (Bausteine zu einer Geschichte des weiblichen Sprachgebrauchs 5, zugl. Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik 403). S. 142 – 123. Lamnek, Siegfried: Neue Theorien abweichendes Verhaltens. Fink, München 1997. Laqueur, Thomas: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud. München 1996. (Engl. 1990). Largier, Niklaus: Die Kunst des Weinens und die Kontrolle der Imagination. In: Ingrid Stedman u. a. (Hg.): Kulturen der Gefühle in Mittelalter und Früher Neuzeit. Stuttgart/ Weimar 2002. (Querelles 7). S. 171 – 186. Lausberg, Heinrich: Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft. Hueber, München 1960. Leeker, Joachim: Hofleben und Höfling in den Ragguagli di Parnaso (1612 – 1613): Traiano Boccalini versus Baldassare Castiglione. In: Wolfgang Adam u. a. (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Teil II. Harrassowitz,
2.2. Monografien und Aufsätze
315
Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 621 – 632. Lesemann, Silke: Frauen in Hildesheimer Leichenpredigten des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Hildesheimer Jahrbuch 63 (1992), S. 85 – 97. Lichtblau, Karin: Das ‚Minnegericht‘ in Fluratrône: die domestizierte Fee. In: Ir sult sprechen willekomen. Festschrift für Helmut Birkhan zum 60. Geburtstag. Hg. von Christa Tuczay. Bern u. a. Lang 1998. S. 263 – 283. Link, Jürgen: Literaturanalyse als Interdiskursanalyse. Am Beispiel des Ursprungs literarischer Symbolik in der Kollektivsymbolik. In: Diskurstheorien und Literaturwissenschaft. Hg. von Jürgen Fohrmann und Harro Müller. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1988. (stb 2091). Link, Jürgen; Link-Heer, Ursula: Diskurs, Interdiskurs und Literaturanalyse. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 20.77 (1990), S. 88 – 99. Linke, Angelika: Sprachkultur und Bürgertum. Zur Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts. Metzler, Stuttgart 1996. Linke, Angelika: „Wer sprach wie zu einer bestimmten Zeit?“ Überlegungen zur Gretchenfrage der Historischen Soziolinguistik am Beispiel des Kommunikationsmusters ‚Scherzen‘ im 18. Jahrhundert. In: Sociolinguistica 13 (1999). S. 179 – 208. Linke, Angelika; Michel, Paul: Text als Netzwerk. In: Alte Texte lesen. Textlinguistische Zugänge zur älteren deutschen Literatur. Hg. von Alexander Schwarz u. a. Haupt, Bern/ Stuttgart 1988. (= UTB 1482). S. 55 – 124. Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997. Luhmann, Niklas: Liebe als Passion. Zur Codierung von Intimtität. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1982. Maclean, Ian: Women triumphant. Feminism in French Literature 1610 – 52. Oxford 1977. Maihofer, Andrea: Geschlecht als Existenzweise Helmer, Frankfurt am Main 1995. Martínez, Matías; Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. Beck, München 1999. Meid, Volker: Heilige und weltliche Geschichten: Zesens biblische Romane. In: Philipp von Zesen 1619 – 1669. Beiträge zu seinem Leben und Werk. Hg. von Ferdinand van Ingen. Steiner, Wiesbaden 1972. S. 26 – 46. Meier, Albert (Hg.): Die Literatur des 17. Jahrhunderts. Hansers Sozialgeschichte der Literatur Bd. 2. München 1999. (dtv 4344) Melville, Gert (Hg.): Institutionen und Geschichte. Theoretische Aspekte und mittelalterliche Befunde. Böhlau, Köln u. a. 1992. Metken, Sigrid: Der Kampf um die Hose. Geschlechterstreit und die Macht im Haus. Die Geschichte eines Symbols. Frankfurt am Main 1996.
316
2. Texte nach 1800
Michel, Paul: Alieniloquium. Elemente einer Grammatik der Bildrede. Lang, Bern 1987. (Zürcher germanistische Studien 3). Moore, Cornelia Niekus: The Maiden’s Mirror. Reading Material for German Girls in the Sixteenth and Seventeenth Century. Otto Harrassowitz, Wiesbaden 1987. (Wolfenbütteler Forschungen 36). Niefanger, Dirk: Galanterie. Grundzüge eines ästhetischen Konzepts um 1700. In: Kuenste und Natur in Diskursen der Fruehen Neuzeit. Bd. 1. Hg. von Hartmut Laufhütte. Harrassowitz, Wiesbaden 2000. (Wolfenbütteler Barocknachrichten 35,1). S. 459 – 472. Obermann, Hans: Studien über Philipp von Zesens Romane. ‚Die Adriatische Rosemund‘, ‚Assenat‘, ‚Simson‘. Göttingen 1933. (Diss.). Opitz, Claudia: Streit um die Frauen? Die frühneuzeitliche ‚Querelle des femmes‘ aus sozial und frauengeschichtlicher Sicht. In: Historische Mitteilungen 8 (1995). S. 15 – 27 Ottmers, Clemens: Rhetorik. Metzler, Stuttgart 1996. (Sammlung Metzler 283). Otto Neudeck: Das Spiel mit den Spielregeln. Zur literarischen Emanzipation von Formen körperhaft-ritualisierter Kommunikation im Mittelalter. In: Euphorion 95 (2001), S. 287 – 303. Palladini, Fiammetta: Pufendorf on Milton and Divorce. In: Neulateinisches Jahrbuch 3 (2001), S. 117 – 124. Parsons, Talcott; Shils, Edward: Towards a general theorie of social action. Cambridge 1951. Parsons, Talcott: Aktor, Situation und normative Muster. Ein Essay zur Theorie sozialen Handelns. Hg. und übers. von Harald Wenzel. Frankfurt, Main: Suhrkamp, 1986. (Engl. Actor, situation and normative pattern). Parsons, Talcott: The structure of social action. Free Press, New York 21949. Penzkofer, Gerhard: Die Konversation als Symptom und Supplement: Thesen zum Verhältnis von Konversation und Roman in der französischen Barockliteratur. In: Wolfgang Adam (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Bd I. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (= Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 427 – 438. Peter, Emanuel: Verhaltensethik und Erzählgeselligkeit in Johann Beers Teutschen Winter-Nächten. In: Wolfgang Adam u. a. (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Teil II. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 781 – 792. Pfefferkorn, Oliver: Übung der Gottseligkeit. Predigtsammlung, Andachtsbuch und Gebetbuch im deutschen Protestantismus des späten 16. und 17. Jahrhunderts. Habil. Halle 2002. (Ms.). Pfister, Manfred: Das Drama. Fink, München 61988. (Uni Taschenbücher 580).
2.2. Monografien und Aufsätze
317
Plume, Cornelia: Heroinen in der Geschlechterordnung. Wirklichkeitsprojektionen bei Daniel Casper von Lohenstein und die ‚Querelle des femmes‘. Metzler, Stuttgart/ Weimar 1996. (Ergebnisse der Frauenforschung 42). Puff, Helmut: Die Ehre der Ehe. In: Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Hg. von Sybille Backmann u. a. Akademie Verlag, Berlin 1998. S. 99 – 122. Riedl, Gerda: Hochzeit in der literarischen Idylle. In: Daphnis 27 (1998), S. 655 – 684. Rötzer, Hans Gerd: Der Roman des Barock. 1600 – 1700. Kommentar zu einer Epoche. Winkler 1972. Roth, Detlef: An uxor ducenda. Zur Geschichte eines Topos von der Antike bis zur Frühen Neuzeit. In: Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit. Hg. von Rüdiger Schnell. Niemeyer, Tübingen 1998. (Frühe Neuzeit 40). S. 171 – 232. Ruhe, Doris; Spiess, Karl-Heinz (Hg.): Prozesse der Normbildung und Normveränderung im mittelalterlichen Europa. Steiner, Stuttgart 2000. Sauder, Gerhard: Argumente der Fiktionskritik 1680 – 1730 und 1960 – 1970. In: Germanisch-Romanische Monatsschrift 10 (1976), S. 129 – 140. Sauerland, Karol: Diltheys Erlebnisbegriff. Entstehung, Glanzzeit und Verkümmerung eines literaturhistorischen Begriffs. De Gruyter, Berlin 1972. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 169). Saussure, Ferdinand de: Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft. De Gruyter, Berlin 21967. Schank, Roger C.: Dynamic memory. A theory of reminding and learning in computers and people. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1982. Scheitler, Irmgard: Das geistliche Lied im deutschen Barock. Berlin 1982. (Schriften zur Literaturwissenschaft 3). Scheitler, Irmgard: Geistliche Lyrik. In: Die Literatur des 17. Jahrhunderts. Hg. von Albert Meier. S. 347 – 376. Schmitt, Axel: Inszenierte Geselligkeit. Methodologische Überlegungen zum Verhältnis von Öffentlichkeit und Kommunikationsstrukturen im höfischen Fest der Frühen Neuzeit. In: Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Teil 2. Hg. von Wolfgang Adam u. a. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 713 – 734. Schnell, Rüdiger: Frauendiskurs, Männerdiskurs, Ehediskurs. Textsorten und Geschlechterkonzepte in Mittelalter und Früher Neuzeit. Campus, New York 1998a. (Geschichte und Geschlechter 23).
318
2. Texte nach 1800
Schnell, Rüdiger (Hg.): Geschlechterbeziehungen und Textfunktionen. Studien zu Eheschriften der Frühen Neuzeit. Niemeyer, Tübingen 1998b. (Frühe Neuzeit 40). Schnell, Rüdiger: Geschlechtergeschichte und Textwissenschaft. Eine Fallstudie zu mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ehepredigten. In: Text und Geschlecht. Mann und Frau in Eheschriften der frühen Neuzeit. Hg. von Rüdiger Schnell. Suhrkamp, Frankfurt 1997. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1322). S. 145 – 175. Schnell, Rüdiger: Sexualität und Emotionalität in der vormodernen Ehe. Böhlau, Köln 2002. Schnell, Rüdiger: Text und Geschlecht. Eine Einleitung. In: Text und Geschlecht. Mann und Frau in Eheschriften der frühen Neuzeit. Hg. von Rüdiger Schnell. Suhrkamp, Frankfurt 1997. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1322). S. 9 – 46. Schrader, Hans-Jürgen: Literaturproduktion und Büchermarkt des radikalen Pietismus: Johann Henrich Reitz’ „Historie der Wiedergebohrnen“ und ihr geschichtlicher Kontext. Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 1989. (Palaestra 283). Schubert, Ernst: Erscheinungsformen der öffentlichen Meinung im Mittelalter. In: Das Mittelalter 6 (2001), S. 109 – 127. Schumacher, Eckhard: Passepartout. Zu Performativität, Performance, Präsenz. In: Texte zur Kunst 37 (2000), S. 95 – 103. Schuster, Peter: Ehre und Recht. In: Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen. Hg. von Sybille Backmann u. a. Akademie Verlag, Berlin 1998. S. 40 – 69 Schwerhoff, Gerd: Kriminalitätsgeschichte im deutschen Sprachraum. Zum Profil eines „verspäteten“ Forschungszweiges. In: Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne.Hg. von Andreas Blauert und Gerd Schwerhoff. Universitäts-Verlag, Konstanz 2000. (Konflikte und Kultur. Historische Perspektiven 1). S. 21 – 67. Schwitalla, Johannes: Textsortenstile und Textherstellungsverfahren in Ehetraktaten des 15. und 16. Jahrhunderts. In: Schnell, Rüdiger (Hg.): Text und Geschlecht. Mann und Frau in Eheschriften der frühen Neuzeit. Suhrkamp, Frankfurt 1997. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1322). S. 79 – 114. Searle, John R.: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Suhrkamp, Frankfurt am Main 71997. (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 458). (Engl. Speech Acts, Cambridge 1969). Segebrecht, Wulf: Das Gelegenheitsgedicht. Ein Beitrag zur Geschichte und Poetik der deutschen Lyrik. Metzler, Stuttgart 1977. Seybert, Gislinde: Liebe als Fiktion. Studien zu einer Literaturgeschichte der Liebe. Aisthesis, Bielefeld 1995.
2.2. Monografien und Aufsätze
319
Sieveke, Franz Günter: Philipp von Zesens ‚Assenat‘. Doctrina und Eruditio im Dienste des ‚Exemplificare‘. In: Philipp von Zesen 1619 – 1669. Beiträge zu seinem Leben und Werk. Hg. von Ferdinand van Ingen. Steiner, Wiesbaden 1972. S. 137 – 155. (1. Veröff.: In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 13 (1969), S. 115 – 136). Signori, Gabriela Ein ‚ungleiches Paar‘: Reflexionen zu den schwankhaften Zügen der spätmittelalterlichen ‚Gerichtsrealität‘. In: Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Hg. von Gerd Schwerhoff und Andreas Blauert. UVK, Konstanz 2000. S. 289 – 315. Simmel, Georg: Einleitung in die Moralwissenschaft. Bd. 1. Scientia, Aalen 41964. (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1892). Singer, Herbert: Joseph in Ägypten. Zur Erzählkunst des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Euphorion 48 (1954), S. 249 – 279. Solbach, Andreas: Evidentia und Erzähltheorie. Die Rhetorik anschaulichen Erzählens in der Frühmoderne und ihre antiken Quellen. Fink, München 1994. (Figuren 2). Solbach, Andreas: Fiktionaler und nicht-fiktionaler Diskurs in Christian Weises Romanen. In: Christian Weise. Dichter – Gelehrter – Pädagoge. Hg. von Peter Behnke und Hans-Gert Roloff. Lang, Bern u. a. 1994. (Jahrbuch für Internationale Germanistik A 37). S. 125 – 156. Solbach, Andreas Peter: Gesellschaftsethik und Romantheorie: Studien zu Grimmelshausen, Weise und Beer. Lang, New York u. a. 1994. (Renaissance and baroque studies and texts 8). Sonderegger, Ruth: Hauptsache performativ. In: Texte zur Kunst 37 (2000), S. 219 – 223. Steinberg, Sylvie: Wenn das Romanhafte die Wahrscheinlichkeit verbürgt: Frauen in Männerkleidern vor der Pariser Polizei im 18. Jahrhundert. In: Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne. Hg. von Gerd Schwerhoff und Andreas Blauert. UVK, Konstanz 2000. S. 689 – 704. Stephan, Inge: ‚Gender‘. Eine nützliche Kategorie für die Literaturwissenschaft. In: Zeitschrift für Germanistik 9.1 (1999), S. 23 – 35. Stierle, Karlheinz: Fiktion. In: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 2. Hg. von Karlheinz Barck. Metzler, Stuttgart/ Weimar 2001. S. 380 – 428. Stocker, Christa: Mädchen, Backfisch, junge Frau. Zur sprachlichen Konstitution sozialer Stereotype im mädchenliterarischen Diskurs (1850 – 1914). Diss. Zürich 2002. Stoll, Brigitta: Frauenspezifische Verwendung von mystischem Traditionsgut im Geistlichen Frauenzimmer-Spiegel des Hieronymus Oertl. In: Dieter Breuer und Barbara Becker-Cantarino (Hg.): Religion und Religiosität im Zeitalter
320
2. Texte nach 1800
des Barock. Vorträge und Referate gehalten anlässlich des 7. Jahrestreffens des ‚Wolfenbütteler Arbeitskreises für Barockforschung‘ in der HAB Wolfenbüttel vom 22. bis 25. August 1991. Harrassowitz, Wiesbaden 1995. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 25). S. 477 – 485. Strohschneider, Peter: „nu sehent, wie der singet!“ Vom Hervortreten des Sängers im Minnesang. In: Aufführung und Schrift in Mittelalter und Früher Neuzeit. Hg. von Jan-Dirk Müller. Metzler, Stuttgart 1996. (Germanistische Symposien-Berichtsbände 17). S. 7 – 30. Stucki, Clara: Grimmelshausens und Zesens Josephsromane. Ein Vergleich zweier Barockdichter. (Wege zur Dichtung 15). Münster-Presse, Horgen/Leipzig 1933. Tarot, Rolf: Narratio viva: Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der Erzählkunst vom Ausgang des 17. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Bd. 1: Theoretische Grundlagen. Lang, Bern u. a. 1993. (Narratio: Arbeiten zur Geschichte und Theorie der Erzählkunst 8). Timmermann, Ina: ‚löbliche Conversation‘ als ‚Einübung ins Räsonnement‘. Das Gespräch als Ziel und Funktion barocker Erzählsammlungen am Beispiel der Lustigen Schau-Bühne von allerhand Curiositäten des Erasmus Francisci (1627 – 1694). In: Simpliciana 21 (1999), S. 15 – 40. Timmermans, Linda: L’accès des femmes à la culture (1598 – 1715). Un débat d’idées de Saint François des Sales à la Marquise de Lambert. Champion, Paris 1993. Turner, Victor: Vom Ritual zum Theater. Fischer, Frankfurt am Main 1995. (Engl. Original: From Ritual to Theatre 1982). Ulbricht, Otto: Die Sektion des menschlichen Körpers als Feier. In: Wolfgang Adam (Hg.): Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Bd 1. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 365 – 378. Ulbricht, Otto (Hg.): Von Huren und Rabenmüttern. Weibliche Kriminalität in der frühen Neuzeit. Böhlau, Köln u. a. 1995. Van Gemert, Guillaume: Pikaro-Roman. In: Die Literatur des 17. Jahrhunderts. Hg. von Albert Meier. S. 453 – 469. Vanja, Christina: „Verkehrte Welt“. Das Weibergericht zu Breitenbach, einem hessischen Dorf des 17. Jahrhunderts. In: Journal für Geschichte 5 (1986), S. 22 – 29. von Moos, Peter: Literatur- und bildungsgeschichtliche Aspekte der Dialogform im lateinischen Mittelalter. Der Dialogus Ratii des Eberhard von Ypern zwischen theologischer disputatio und Scholaren Komödie. In: Tradition und Wertung. Festschrift für Franz Brunhölzl zum 65. Geburtstag. Hg. von Günter Bernt u. a. Thorbecke, Simaringen 1989. S. 165 – 210.
2.2. Monografien und Aufsätze
321
Vosskamp, Wilhelm: Romantheorie in Deutschland. Von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg. Metzler, Stuttgart 1973. (Germanistische Abhandlungen 40). Warning, Rainer: Der inszenierte Diskurs. Bemerkungen zur pragmatischen Relation der Fiktion. In: Funktionen des Fiktiven. Hg. von D. Henrich und W. Iser, München 1983. (Poetik und Hermeneutik 10), S. 183 – 206. Wengeler, Martin: Topos und Diskurs. Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960 – 1985). Niemeyer, Tübingen 2003 (Reihe Germanistische Linguistik 244, zugl. Habil. Düsseldorf 1999). White, Graham: Luther as Nominalist. A Study of the Logical Methods used in Martin Luther’s disputations in the Light of their Medieval Background. Luther-Agricola-Society, Helsinki 1994. Wichert, Adalbert: Literatur, Rhetorik und Jurisprudenz im 17. Jahrhundert. Lohenstein und sein Werk. Niemeyer, Tübingen 1991. (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 32). Wieckenberg, Ernst-Peter: Herrscherlob und Hofkritik bei Friedrich von Logau. In: Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Bd. 2. Hg. von August Buck. Hauswedell, Hamburg 1981. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 9). S. 67 – 74. Wiesner, Merry E.: Gender, Church, and State in Early Modern Germany. Essays by Merry E. Wiesner. Longmann, London/ New York 1998. Wiggin, Bethany: Fiction, France, and other vices. Crossing German borders in fictional narratives 1680 – 1720. ProQuest, Ann Arbor 2003 (Microfiche-Ausgabe AAC3072699 zugl. Diss. University of Minnesota, Minneapolis 2002). Wimmer, Ruprecht: Grimmelshausens Joseph und sein unverhofftes Weiterleben. In: Daphnis 5 (1976), S. 369 – 413. Wimmer, Ruprecht: Jesuitentheater. Didaktik und Fest. Das Exemplum des ägyptischen Joseph auf den deutschen Bühnen der Gesellschaft Jesu. Klostermann, Frankfurt am Main 1982. Wodianka, Stephanie: Betrachtungen des Todes. Formen und Funktionen der meditatio mortis in der europäischen Literatur des 17. Jahrhunderts. Niemeyer, Tübingen 2004. (Frühe Neuzeit 90). Wunder, Heide: ‚Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‘. Frauen in der Frühen Neuzeit. Beck, München 1992. Wunder, Heide: „Weibliche Kriminalität“ in der Frühen Neuzeit. Überlegungen aus der Sicht der Geschlechtergeschichte. In: Von Huren und Rabenmüttern. Weibliche Kriminalität in der frühen Neuzeit. Hg. von Otto Ulbricht. Böhlau, Köln u. a. 1995. S. 39 – 62.
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2. Texte nach 1800
Zeller, Rosmarie: Die Rolle der Frauen im Gesprächspiel und in der Konversation. In: Geselligkeit und Gesellschaft im Barockzeitalter. Bd I. Hg. von Wolfgang Adam. Harrassowitz, Wiesbaden 1997. (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 28). S. 531 – 542. Zeller, Rosmarie: Spiel und Konversation im Barock. Untersuchungen zu Harsdörffers „Gesprächspielen“. De Gruyter, Berlin/ New York 1974. (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker. NF 58, 177).
Dank Diese Arbeit ist in einem Geflecht von Diskussionen und Gesprächen in Eglisau, Weimar, Wolfenbüttel, Berlin, Halle und Zürich entstanden. Folgenden Personen möchte ich für Anregungen, Hinweise, Kritik und Ermunterungen ganz besonders danken: Barbara Renaud-Luscieti Manfred Beetz Paul Michel Claudia Benthien Cornelia Niekus Moore Gillian Bepler Jan-Dirk Müller Gunhild Berg Ernst Osterkamp Heidi Brunnschweiler Ina Ulrike Paul Pierre Bühler Elisabeth Pellegrini-Reithaar Judit Ecsedy Renato Pellegrini Ursula Fiechter Sergio Pellegrini Karin Fuchs Uwe Puschner Esther Hebach Werner Röcke Claudia Heidemann Lothar Schilling Regula Hohl Trillini Rüdiger Schnell Christian Kiening Julia Schreiner Alexandra Kleihues Christa Stocker Alice Kundert-Reithaar Ina Timmermann Sonja Kundert Stephanie Wodianka Urs Heiner Kundert Angelika Linke Das Forschungsprojekt wurde durch folgende Institutionen und Personen finanziert: Schweizerischer Nationalfonds Deutscher Akademischer Austauschdienst Universität Zürich Dr.-Günther-Findel-Stiftung Alice und Urs Heiner Kundert-Reithaar