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German Pages [545] Year 2020
Joachim Bahlcke
Konfessionelle Vielfalt als Herausforderung und Perspektive Zur Verschränkung von Religion und Politik im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa
Academic Studies
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Refo500 Academic Studies Herausgegeben von Herman J. Selderhuis In Zusammenarbeit mit Christopher B. Brown (Boston), Günter Frank (Bretten), Bruce Gordon (New Haven), Barbara Mahlmann-Bauer (Bern), Tarald Rasmussen (Oslo), Violet Soen (Leuven), Zsombor Tóth (Budapest), Günther Wassilowsky (Frankfurt), Siegrid Westphal (Osnabrück)
Band 63
Joachim Bahlcke
Konfessionelle Vielfalt als Herausforderung und Perspektive Zur Verschränkung von Religion und Politik im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0165 ISBN 978-3-666-56462-8
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Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9
Konfessionelle Selbstbehauptung, Herrschaftsintensivierung und gesellschaftliche Ordnung: strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Reformatorische Aufbrüche in Ostmitteleuropa: Historiographische Positionen und territorienübergreifende Strukturen . . . . . . . . . .
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Ein „kirchenhistorischer Sonderfall“? Zur Ausformung und Wahrnehmung religiöser Vielfalt in Siebenbürgen im ostmitteleuropäischen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Politische Funktionen kirchlicher Beziehungen: Ungarn und die Reichskirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bischöfliche Traditionen des schlesischen Adels in der Frühen Neuzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Religiöse Kommunikation, Reisediplomatie und politische Lagerbildung. Zur Bedeutung des reformierten Theologen Abraham Scultetus für die Beziehungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz um 1600. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Konfessionalisierung der Außenpolitik? Die Rolle der Konfession für die Außenbeziehungen der böhmischen und mährischen Stände im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Die „Bischöfe der Ungarischen Krone“. Ein Beitrag zur kirchlichen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts . . . 161
Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung: Erfahrungen und Wahrnehmungen religiös motivierter Gewalt Religiöse Gewalt gegenüber Kindern. Pupillengesetzgebung, Mündelstreitigkeiten und Vormundschaftskonflikte in Ostmitteleuropa (1500–1800) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
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Inhalt
Calvinismus, kulturelle Prägungen und ständische Freiheitsbewegungen in Böhmen und Ungarn (1570–1620) . . . . . . . . . . . . . 214 Kollektive Freiheitsvorstellungen aus den Erfahrungen konfessioneller Migration – das Beispiel Böhmen . . . . . . . . . . . . . . . 235 Veritas toti mundo declarata. Der publizistische Diskurs um Religionsfreiheit, Verfassungsordnung und Kirchenrecht in Ungarn im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Verantwortung in Zeiten der Krise. Zu Leben und Werk des polnischen Brüderseniors Christian Sitkovius (1682–1762) . . . . . . . . 268 „Turbulatores tranquillitatis publicae“? Zur Frage der Religionsfreiheit für die Reformierten in Schlesien im Umfeld der Altranstädter Konvention von 1707 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Der slowakische Prediger Matej Bahil und der preußisch-österreichische Antagonismus: Beobachtungen zur Europäisierung der ungarischen Religionsfrage im 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . 323
Konfessionelle Solidarität, Öffentlichkeit und Erfahrungsaustausch: Herausforderungen und Antworten Bücherschmuggel. Die Versorgung ostmitteleuropäischer Protestanten mit Bibeln, Gesangbüchern und lutherischen Erbauungsschriften in der Zeit der Gegenreformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 Bergesche Stipendien. Zielsetzung und Indienstnahme einer frühneuzeitlichen Studienstiftung im Konfessionellen Zeitalter . . . . . . . 370 Religiöse Kommunikation im Dreieck Berlin – Lissa – Herrnhut. Zinzendorf, die Erneuerte Brüderunität und das Verhältnis zur polnischen Unitas Fratrum in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396 Glaubenssolidarität und Öffentlichkeit. Antworten auf religiöse Diskriminierung und Verfolgung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa am Beispiel des Hofpredigers und Brüderbischofs Daniel Ernst Jablonski . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417
Inhalt
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Status catholicus und Kirchenpolitik in Siebenbürgen. Zum Verhältnis von weltlicher und geistlicher Macht zwischen Reformation und Josephinismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 Geistliche Karrieren der Schaffgotsch. Aufstiegsstrategien und Karrierewege in der hierarchia catholica vom 17. bis zum 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 „Die jüngste Glaubenscolonie in Preussen“. Kirchliche Praxis und religiöse Alltagserfahrungen der Zillertaler Protestanten in Schlesien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
Anhang Summary . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 Nachweis der Erstdrucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536
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Vorwort „Ein jeder muss wissen, wie er ohne Zwang, aus freien Stücken und nach eigenem Willen Christ sein kann.“1 Prokop aus Neuhaus (†1507)
I. Aus kirchen- und religionsgeschichtlicher Perspektive lässt der Raum zwischen Ostsee und Adria während der Frühen Neuzeit markante Eigenheiten und Wesenszüge erkennen, die nicht erst die moderne Forschung, sondern vielfach bereits die Zeitgenossen irritierten. Die gängigen, namentlich in der deutschen Historiographie vorherrschenden Abgrenzungen des Konfessionellen Zeitalters lassen sich auf Ostmitteleuropa nicht übertragen. Hier setzte nicht nur die Entwicklung religiöser Pluralität innerhalb der lateinischen Christenheit deutlich früher, rund ein Jahrhundert vor dem Auftreten Luthers, ein, hier blieb das Konfessionelle auch spürbar länger prägende Kraft, zum Teil bis weit in das 18. Jahrhundert hinein. Eine dem Heiligen Römischen Reich vergleichbare, nach Ende des Dreißigjährigen Krieges einsetzende Trennung von Politik und Religion erfolgte allenfalls in Ansätzen. Dieser Phasenverschiebung lassen sich weitere strukturelle Gemeinsamkeiten an die Seite stellen, die sich häufig wechselseitig bedingten und damit eine eigene Dynamik entfalteten. Besonders augenfällig in Polen-Litauen, den böhmischen Ländern, Ungarn und Siebenbürgen ist die Vielzahl der nebeneinander bestehenden religiösen Richtungen und Gruppierungen. Aus Sicht katholischer Geistlicher glichen die ostmitteleuropäischen Ständegesellschaften mitunter einem einzigen Sammelbecken von Irrlehren, Sekten und immer neuen Abspaltungen. In der Wahrnehmung der Landesherrschaft war die „religiöse Anarchie“2 – von der František Kameníček 1905 mit Blick auf die Markgrafschaft Mähren sprach – nur die Kehrseite der politischen Partizipationsansprüche des Adels. Die Auffächerung des Protestantismus in verschiedene Glaubensgemeinschaften verstärkte die Bereitschaft, innerevangelische Gegensätze abzu1 Die kurze Abhandlung des Bakkalaureus Prokop aus dem südböhmischen Neuhaus mit dem Titel Proč lidé k víře nucení býti nemají (Weshalb Menschen durch Gewalt nicht zum Glauben gezwungen werden sollen) edierte Molnár, Amedeo: Neznámý spis Prokopa z Jindřichova Hradce. In: Husitský Tábor 6–7 (1983/84) 423–448 (Zitat 435). Zum Autor vgl. Říčan, Rudolf: Dějiny Jednoty bratrské. Praha 1957, 67–75. 2 Kameníček, František: Zemské sněmy a sjezdy moravské. Jejich složení, obor působnosti a význam. Od nastoupení na trůn krále Ferdinanda I. až po vydání obnoveného zřízení zemského (1526– 1628), Bd. 1–3. Brno 1900–1905, hier Bd. 3, 298.
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Vorwort
schwächen. Aber auch mit der Katholischen Kirche wurden wegweisende Kompromisse geschlossen. Der auf einem Landtag im böhmischen Kuttenberg bereits 1485 vereinbarte Religionsfrieden, der sogar der untertänigen Bevölkerung die freie Wahl ihres religiösen Bekenntnisses einräumte, stellt eine epochale Zäsur auf dem Weg zu konfessioneller Koexistenz und öffentlicher Toleranz dar. Konfessionelle und ständische Selbstbehauptung griffen dabei eng ineinander, wie die berühmte Rede des mährischen Landeshauptmanns Wenzel von Ludanitz aus dem Jahr 1550 belegt: Er wolle sich lieber auf der Stelle den Kopf abschlagen lassen, als gegen sein Gewissen die Wahrheit des Evangeliums zu verleugnen, ja das Land würde sich eher in Schutt und Asche legen lassen, als einen solchen Gewaltakt zu ertragen.3 Als „vinculum societatis“, als einigendes Band der mehrkonfessionellen Gesellschaft und des Gemeinwesens, galt in Ostmitteleuropa gerade nicht die Religionseinheit, sondern umgekehrt die Religionsfreiheit, die „libertas religionis“.4 Im Zuge der Rekatholisierung der ostmitteleuropäischen Herrschaftsbildungen änderte sich diese Anschauung über die Voraussetzungen politischer und gesellschaftlicher Stabilität grundlegend. Da die reformatorischen Impulse in allen drei Ländergruppen mehrheitlich von den regionalen Ständen, nicht von den landesfürstlichen Obrigkeiten ausgegangen waren, bedrohte die allerorts zunehmende Herrschaftsintensivierung die bisherige Ordnung in ihren Grundfesten. Nur ein konfessionell disziplinierter Untertan versprach auch ein gehorsamer Untertan zu sein. Da religiöser Dissens mit tatsächlicher oder zumindest potenzieller Illoyalität gleichgesetzt wurde, rechtfertigte das Ziel religiöser Einheit zugleich Strafe und Zwang. Das Bestreben, zumindest im eigenen Territorium die religiöse Einheit erneut herzustellen, hatte daher vor allem im 17. Jahrhundert eine Fülle von Gewaltexzessen und Wanderungsbewegungen zur Folge. Glaubensvielfalt und Glaubensflüchtlinge gehören so gleichermaßen zur Signatur des Konfessionellen Zeitalters in Ostmitteleuropa, das die Praxis staatlichen Konfessionszwangs nur langsam überwand und erst im Jahrhundert der Aufklärung zu neuen Formen religiöser Koexistenz und Toleranz fand. Die innenpolitischen Vorgänge bedürfen dabei stets eines flankierenden Blicks auf die außen- und mächtepolitischen Beziehungen, wie das Beispiel Polen-Litauen zeigt. Folgt man zeitgenössischen Berichten im westlichen Europa, so war das Land vor allem im 18. Jahrhundert Hort eines schroffen 3 „Ego sane, antequam veritati Evangelicae reluctante conscientia nuntium remittam, [...] malim ilico mihi caput praecidi: Et verendum, ne Moravia prius in cineres abeat, quam violentiam eam sit perpessura.“ Národní archiv Praha, Ochranov, Acta Unitatis Fratrum, Bd. VIII, fol. 33v–36r, hier fol. 34v. Zum Kontext vgl. Válka, Josef: Morava reformace, renesance a baroka. Brno [1995] (Dějiny Moravy 2), 25–27. 4 Eberhard, Winfried: Konfessionelle Pluralität als grenzübergreifende Herausforderung in der Frühneuzeit. In: Heimann, Heinz-Dieter/Neitmann, Klaus/Tresp, Uwe (Hg.): Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrationslandschaft, Bd. 2: Frühe Neuzeit. Berlin 2014 (Studien zur brandenburgischen und vergleichenden Landesgeschichte 12), 19–37.
Vorwort
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Katholizismus. Ursächlich hierfür war nicht zuletzt die Selbstdarstellung der Adelsrepublik, die sich zu jener Zeit der Machtpolitik zweier aufstrebender Nachbarmächte – des orthodoxen Russland und des protestantischen Preußen – zu erwehren hatte und in der Betonung der Katholizität geradezu einen Eckpfeiler kollektiver Identität und Staatsräson sah. Gänzlich anders lagen die Verhältnisse zur gleichen Zeit in Ungarn. Aber auch ein Blick auf die dortige religiöse Situation zeigt, wie stark diese in die Staatenbeziehungen hineinwirkte – und umgekehrt die Staatenbeziehungen Einfluss nahmen auf die Religionspolitik des Wiener Hofes im Reich der Stephanskrone. Vor allem die nonkonformistischen Religionsgemeinschaften begannen in dieser Phase, in der man sich wachsender Diskriminierung und Verfolgung ausgesetzt sah, mit der Sammlung und Aufzeichnung ihrer eigenen Vergangenheit. Die Motive und Funktionen dieser Unternehmungen – religiöse Selbstvergewisserung und Rechtfertigung, aber auch Suche nach Identität und Anschluss – ähnelten einander in hohem Maße. Dies zeigt zum Beispiel ein Vergleich der Darstellung des polnischen Calvinisten Andrzej Węgierski, die 1652, drei Jahre nach seinem Tod, zunächst unter Pseudonym in Utrecht erschien,5 mit dem 1728 ebenfalls in den Niederlanden veröffentlichten Geschichtswerk des aus Debreczin gebürtigen Kirchenhistorikers Pál Ember über die Geschichte der Reformierten Kirche in Ungarn und Siebenbürgen, das nach mehreren Überarbeitungen von auswärtigen Glaubensbrüdern schließlich von Friedrich Adolf Lampe herausgegeben wurde.6 Viele weitere Bemühungen, die nicht zwingend in gedruckte Darstellungen münden mussten, ließen sich ergänzen. Konfessionelle Geschichtserzählungen und Dokumente religiöser Erinnerung, die in Zeiten wachsender konfessioneller Konkurrenz entstanden waren und auf die Herstellung und Erhaltung von Gruppenidentität abzielten, beeinflussten vielfach auch die Perspektiven späterer Forschergenerationen, die sich den in der Aufklärungsepoche entwickelten Prämissen einer kritischen Kirchengeschichtsschreibung verpflichtet wussten. Wenn man sich auch längst von den älteren Stereotypen einer konfessionell und gerade in Ostmitteleuropa oft auch sprachethnisch verengten Historiographie verabschiedet hat, so ist doch in einem Punkt die Kontinuität zu früheren Ansätzen weiterhin zu erkennen: Bei Lichte besehen werden unverändert Gruppengeschichten einzelner Religionsgemeinschaften erarbeitet – konfessionsübergreifende Darstellungen oder gar Ansätze zu einer Christentumsgeschichte sind für den 5 Regenvolscius, Adrianus [i. e. Węgierski, Andrzej]: Systema Historico-Chronologicum, Ecclesiarum Slavonicarum per Provincias varias, Praecipuè Poloniae, Bohemiae, Lituaniae, Russiae, Prussiae, Moraviae, etc. Distinctarum [...]. Trajecti ad Rhenum 1652. Die 1679 in Amsterdam erschienene zweite Ausgabe, für die sich polnische Sozinianer eingesetzt hatten, nannte den Namen des Verfassers auf dem Titelblatt. 6 Lampe, Frid[ericus] Adolphus: Historia Ecclesiae Reformatae, in Hungaria et Transylvania [...]. Trajecti ad Rhenum 1728.
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Vorwort
Raum zwischen Ostsee und Adria nur in ersten Ansätzen greifbar.7 Mitunter sind die wechselseitigen Verflechtungen, Abhängigkeiten und Beeinflussungen aus der Außenperspektive, mit dem gebotenen Abstand zum Untersuchungsgegenstand, leichter erkennbar. Als innovativ erweist sich in diesem Zusammenhang vor allem die französische Ostmitteleuropa-Forschung. Nur exemplarisch sei auf das Überblickswerk von Jean Bérenger Tolérance ou paix de religion en Europe centrale (1415–1792) verwiesen, das nicht nur eine bemerkenswerte zeitliche Epocheneinteilung zur Diskussion stellt, sondern auch wichtige Befunde zur Verschränkung von Religion und Politik im östlichen Mitteleuropa vorlegt.8 Diese Blickrichtung verfolgt auch die vorliegende Aufsatzsammlung, die sich verschiedenen Phänomenen kirchen-, gesellschafts- und kulturgeschichtlicher Natur der frühneuzeitlichen Geschichte Ostmitteleuropas widmet und die konfessionelle Vielfalt dieser Geschichts- und Strukturregion als Herausforderung und Perspektive zugleich versteht.
II. Nicht nur hinsichtlich der sozial- und gesellschaftsgeschichtlichen Strukturen, sondern auch mit Blick auf die kirchen- und religionsgeschichtliche Entwicklung erweist sich Ostmitteleuropa als eine Region der „langen Frühneuzeit“.9 Mehrere Beiträge der vorliegenden Aufsatzsammlung setzen im Spätmittelalter ein und skizzieren bestimmte Entwicklungen bis ins 19. Jahrhundert. Beim letzten Beitrag, einer Fallstudie zur kirchlichen Praxis und religiösen Alltagserfahrung der Zillertaler Protestanten in Schlesien während der 1830er Jahre, tritt neben die Konfession erstmals ein neues staatliches Ordnungsprinzip: die Nation. Die einzelnen Studien sind jedoch nicht in zeitlicher Abfolge angeordnet, und sie folgen auch keiner geographischen Zuordnung. Sie wurden vielmehr nach übergeordneten Gesichtspunkten zusammengestellt. Der erste thematische Schwerpunkt („Konfessionelle Selbstbehauptung, Herrschaftsintensivierung und gesellschaftliche Ordnung: strukturgeschicht7 Wichtige Vorüberlegungen dazu bei Zach, Krista: Anmerkungen zur Konfessions- und Religionsgeschichte Siebenbürgens [1998]. In: dies.: Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte. Hg. v. Joachim Bahlcke und Konrad Gündisch. Münster 2004 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 6), 151–171. Zum Konzept der Christentumsgeschichte vgl. Nowak, Kurt: Geschichte des Christentums in Deutschland. Religion, Politik und Gesellschaft vom Ende der Aufklärung bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. München 1995. 8 Bérenger, Jean: Tolérance ou paix de religion en Europe centrale (1415–1792). Paris 2000. 9 Zernack, Klaus: Staatsmacht und Ständefreiheit. Politik und Gesellschaft in der Geschichte des östlichen Mitteleuropa. In: Weczerka, Hugo (Hg.): Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit. Marburg 1995 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 16), 1–10, hier 4.
Vorwort
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liche Grundlagen und Machtverschiebungen“) wird mit einer vergleichenden Studie zu den reformatorischen Aufbrüchen im ostmitteleuropäischen Raum eingeleitet. Deutlich werden dabei die Grenzen einer Bewegung, die in aller Regel gegen den Willen der Landesherren erfolgte, zugleich aber an die Wechselfälle ständischer Partizipationsansprüche und Machtkonflikte gebunden war. Diskutiert wird die Frage, ob und inwiefern sich der Begriff der „Adelsreformation“ – in Anlehnung an den Begriff der „Fürstenreformation“, der in Forschungen zum Heiligen Römischen Reich verwendet wird – zur Beschreibung der Verhältnisse in Polen-Litauen, den böhmischen Ländern, Ungarn und Siebenbürgen eignet. Daneben werden Wege und Abwege der Reformationsgeschichtsschreibung erörtert. Der anschließende Beitrag wirft ein Schlaglicht auf die Ausformung und Wahrnehmung religiöser Vielfalt in Siebenbürgen und geht der Frage nach, ob die vermeintlich singulären Phänomene und Prozesse in dem zwischen Osmanischem Reich und Habsburgermonarchie gelegenen Fürstentum als „kirchenhistorischer Sonderfall“ einzuordnen sind; auch in diesem Fall erweist sich die Rekonstruktion historiographischer Positionen und Geschichtsbilder als unumgänglich. Eine folgenschwere Machtverschiebung zugunsten des Wiener Hofes stellten die staatskirchlichen Bestrebungen dar, die, wie im Beitrag über die Beziehungen zwischen Ungarn und der Reichskirche aufgezeigt wird, besonders im Reich der Stephanskrone Wirkung zeigten. Dass es in allen Konfessionskirchen enge personelle Verbindungen zwischen Geistlichkeit und Politik gab, wird nachfolgend zum einen am Beispiel des katholischen Episkopats in Schlesien, zum anderen am Werdegang eines exponierten reformierten Hofpredigers veranschaulicht. In beiden Fällen wird auf die Bedeutung der kirchlichen Raumbeziehungen, aber auch auf das Gewicht anderer Faktoren für individuelle Aufstiegswege verwiesen. Konfessions- und ständepolitische Alternativen, die sich häufig einer anderen Gewichtigung endogener und exogener Wirkfaktoren verdankten, werden am Beispiel Böhmens und Mährens im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert näher untersucht. Einer einmaligen Rechtsinstitution innerhalb der katholischen Hierarchie, den sogenannten Bischöfen der Ungarischen Krone, gilt der abschließende Beitrag. Die vom König ernannten, die Residentialbischöfe zahlenmäßig übertreffenden episcopi electi waren zwar oftmals Gegenstand des Streits zwischen Kurie und Kaiserhof. Letztlich aber profitierten beide Seiten von der Indienstnahme dieser Titularbischöfe, die auf den Reichstagen Mehrheitsverhältnisse und Abstimmungsergebnisse nachhaltig beeinflussen konnten und damit eine wichtige Funktionselite im mehrkonfessionellen Ungarn darstellten. Der mit „Diskriminierung, Ausgrenzung und Vertreibung: Erfahrungen und Wahrnehmungen religiös motivierter Gewalt“ überschriebene zweite Themenblock setzt mit einer Studie zur religiösen Gewalt gegenüber Kindern ein, bei der insbesondere die Genese und Reichweite der Pupillengesetzgebung, Mündelstreitigkeiten sowie Konflikte in Fragen der Vormundschaft un-
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Vorwort
tersucht werden. Ausgehend von der Entwicklung des Ehe-, Familien- und Waisenrechts während der Frühen Neuzeit wird die These entwickelt, dass es in den ostmitteleuropäischen Monarchien einen Zusammenhang zwischen den auffällig häufigen Konflikten um Erziehungs- und Vormundschaftsfragen und dem spezifischen Verlauf der Staats- und Nationsbildung gab. Die anschließenden drei Beiträge thematisieren unterschiedliche Formen von Gewalt und Zwang, die in den mehrkonfessionellen Ständegesellschaften Ostmitteleuropas an vielen Orten zu beobachten waren, einerseits sowie die ihnen folgenden Reaktionen andererseits: den gemeinsamen Kampf um religiöse und politische Freiheit in Böhmen und Ungarn zwischen 1570 und 1620, bei dem calvinistische Einflüsse eine jeweils unterschiedliche Rolle spielten; spezifische Freiheitsdiskurse, die sich den Erfahrungen der Vertreibung oder erzwungenen Aussiedlung Andersgläubiger verdankten; publizistische Debatten um Religionsfreiheit, Verfassungsordnung und Kirchenrecht. Im Anschluss werden die Chancen und Risiken grenzüberschreitender Kontakte von Mitgliedern einer evangelischen Minderheitskirche im östlichen Mitteleuropa an zwei Beispielen untersucht: Im ersten Beitrag, der dem Leben und Werk des polnischen Brüderseniors Christian Sitkovius gewidmet ist, geht es gleichzeitig um die Funktion und Bedeutung von Stipendien, akademischen Netzwerken und Kollektenreisen. Im zweiten Beitrag, der die Lage der Reformierten in Schlesien zwischen Dreißigjährigem Krieg und Altranstädter Konvention vorstellt, kommt Fragen von Diplomatie, Propaganda und Öffentlichkeitsarbeit größeres Gewicht zu. Diese Aspekte werden auch in der abschließenden Fallstudie beleuchtet, die sich mit den Gewalterfahrungen des slowakischen Predigers Matej Bahil und deren medialer Aufarbeitung im 18. Jahrhundert auseinandersetzt. Am Beginn des dritten Themenblocks („Konfessionelle Solidarität, Öffentlichkeit und Erfahrungsaustausch: Herausforderungen und Antworten“) findet sich eine Studie über die Versorgung ostmitteleuropäischer Protestanten mit Bibeln, Gesangbüchern und lutherischen Erbauungsschriften in der Zeit der Gegenreformation. Die Transportwege dieses Schrifttums weisen auf Regionen und Städte im östlichen Mitteleuropa hin, wo Protestanten das Recht auf freie Ausübung ihrer Religion vollständig oder zumindest länger als in der Umgebung bewahren konnten und entsprechende Texte für Zwecke der kirchlichen Praxis benötigten. Der von den Obrigkeiten kaum zu unterbindende Bücherschmuggel lässt sich als Antwort auf den Kampf gegen „häretisches Schrifttum“ verstehen, der teilweise bizarre Formen annahm und in regelrechten Bücherhinrichtungen münden konnte. Der anschließende Beitrag widmet sich einer schlesischen Studienstiftung, deren Glanz- und Krisenzeiten gleichermaßen Rückschlüsse erlauben auf die schul- und bildungsgeschichtliche Entwicklung der Habsburgermonarchie und auf den generellen Zusammenhang von Erziehung, Religion und Politik in der Frühen Neuzeit. In der religiösen Kommunikation zwischen der Kirchenleitung der polnischen Unitas
Vorwort
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Fratrum in Lissa, ihrem auswärtigen Senior in Berlin und der Erneuerten Brüderunität in Herrnhut werden die Grenzen konfessioneller Solidarität deutlich, die nicht zuletzt eine Folge der gänzlich unterschiedlichen konfessionspolitischen Gegebenheiten in Polen-Litauen, Preußen und Sachsen während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren. Dass gerade im Jahrhundert der Aufklärung Öffentlichkeit für alle Spielarten von Glaubenssolidarität eine immer größere Rolle spielte, zeigt die Fallstudie über die Antworten des einflussreichen Hofpredigers und Brüderbischofs Daniel Ernst Jablonski auf religiöse Diskriminierung und Verfolgung im östlichen Europa. Auch die Katholische Kirche war freilich mitunter auf unkonventionelle Maßnahmen angewiesen, um das eigene Überleben in einer mehrkonfessionellen Umgebung zu sichern. Ein gutes Beispiel dafür ist die Etablierung des Status catholicus in Siebenbürgen, einer im frühen 17. Jahrhundert entstandenen Versammlung aus katholischen Laien und Geistlichen, die selbstbewusst ihre Interessen durchzusetzen wusste und sowohl für den Wiener Hof als auch für den Heiligen Stuhl einen wichtigen Ansprech- und Bündnispartner darstellte. Dass bei aller Zusammenarbeit von Kirche und Staat immer auch familiäre Eigeninteressen eine Rolle spielten, wird beim Blick auf die geistlichen Karrieren der Schaffgotsch deutlich, einem Adelsgeschlecht, das nach Besitz und politischem Einfluss zu den führenden Familien der Habsburgermonarchie zählte. Die letzte Studie gilt der vergleichsweise kleinen Gruppe der Zillertaler Protestanten, die 1837 auf Druck von Kirche und Staat ihre Heimat verließen und in der Hohenzollernmonarchie ansässig wurden. Gefragt wird nach den Rahmenbedingungen für Aufnahme, Versorgung und Betreuung der österreichischen Konfessionsmigranten, den konkreten Maßnahmen zu ihrer kirchlich-religiösen Integration – und den Gründen für die wachsende Entfremdung auf beiden Seiten.
III. Die vorliegende Aufsatzsammlung vereint 21 Beiträge, die zwischen 1997 und 2017 in deutscher, englischer, ungarischer und rumänischer Sprache im Druck erschienen sind. Auch wenn die einzelnen Studien thematisch, zeitlich und räumlich einen weiten Bogen schlagen und vermeintlich unterschiedliche kirchen- und religionsgeschichtliche Phänomene in den Blick nehmen, so werden doch die wechselseitigen Verflechtungen der separaten Entwicklungen immer wieder deutlich: gegenseitige Berührungen und Beeinflussungen ebenso wie Formen von Konkurrenz und Konflikt. Dies gilt über die eigentliche Geschehensgeschichte hinaus auch für die Verstehensgeschichte, das Bemühen des Historikers um Abgrenzung, Einordnung, Deutung und Bewertung. Deutlich wird dies bereits in der einleitenden Studie über die reformatorischen Aufbrüche in Ostmitteleuropa, bei der, wie im Untertitel angedeutet, historiographischen Positionen dieselbe Aufmerksamkeit gilt wie territorienübergreifenden
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Vorwort
Strukturen. Aber auch in anderen Fallstudien – etwa zum Status catholicus in Siebenbürgen, zu dessen Verständnis ein Blick auf die stark differierenden Ansichten der rumänischen und der ungarischen Geschichtsforschung nach dem Ersten Weltkrieg unabdingbar ist – scheint dieser doppelte Blick geboten. Gerade Historiographiegeschichte lebt davon, dass sie bestimmte Deutungsmuster und Positionen konkreten Zeitpunkten, Phasen und Wissenshorizonten zuordnen kann, um die Bedingtheit und Veränderung historischer Urteile (und Vorurteile) aufzeigen zu können. Die hier vorgelegten Beiträge, die ihrerseits Zeugnis ablegen von ihrer jeweiligen Entstehungszeit, blieben daher inhaltlich unverändert. Jeder Beitrag wurde allerdings sprachlich-stilistisch überarbeitet und vereinheitlicht, die in den Anmerkungen zitierte Literatur den Richtlinien der Schriftenreihe angepasst. Neu aufgenommen wurden hier und da einzelne Abbildungen, die die Argumentation im Text zusätzlich unterstreichen und erweitern sollen. Die Anregung zu der vorliegenden Aufsatzsammlung ging von meinem niederländischen Kollegen Herman J. Selderhuis aus, Professor für Kirchengeschichte an der Theologischen Universität Apeldoorn und Direktor der Stiftung Refo500, die im Vorfeld des Jahres 2017, dem 500. Jubiläum des Thesenanschlags von Martin Luther an der Schlosskirche zu Wittenberg, gegründet worden ist. Für die Aufnahme der Aufsatzsammlung in die Schriftenreihe der Stiftung bin ich ihm zu großem Dank verpflichtet. Für ihre vielfältige Unterstützung danke ich Martin Rothkegel (Berlin) und Jiří Just (Prag), mit denen ich seit vielen Jahren in einem deutsch-tschechischen Forschungsvorhaben zusammenarbeite, das zahlreiche Verbindungen zum Gegenstand dieses Buches besitzt: der wissenschaftlichen Aufarbeitung der Acta Unitatis Fratrum, dem bedeutendsten Quellencorpus zur Geschichte und Theologie der Böhmischen Brüder im 15. und 16. Jahrhundert. Mein Dank gilt ferner Heather Rae (Melbourne), Oliver Rösch (Würzburg) und Christoph Spill (Göttingen), den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Stuttgart sowie allen Bibliotheken, Sammlungen und Bildagenturen, die das Recht zum Abdruck einzelner Abbildungen einräumten. Gewidmet ist dieses Buch meinem langjährigen Freund und Kollegen Winfried Eberhard (Leipzig), dem ich fachlich wie menschlich sehr viel zu verdanken habe. Nicht zufällig trug die Festschrift, die ihm Schüler, Kollegen und Weggefährten im Jahr 2006 übergaben, einen ganz ähnlichen Titel wie die vorliegende Aufsatzsammlung: Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Es ist ein Gegenstand, der ihn Zeit seines Lebens intensiv beschäftigte und noch immer bewegt. Entsprechend viel habe ich dazu von ihm lernen dürfen. Stuttgart, im April 2020
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Reformatorische Aufbrüche in Ostmitteleuropa: Historiographische Positionen und territorienübergreifende Strukturen 1. Marginalisierung – Nationalisierung – Separierung: Der Blick der deutschen Fachwelt auf die Reformationsbewegungen im östlichen Europa Vor zwei Jahrhunderten, 1816, veröffentlichte der an der Universität Berlin lehrende evangelische Theologe Philipp Konrad Marheineke mit Blick auf die dreihundertjährige Wiederkehr des Wittenberger Thesenanschlags sein zweibändiges Werk Geschichte der teutschen Reformation. Der reformatorische Aufbruch wurde, durchaus zeittypisch, als eine „Nationalangelegenheit“ dargestellt, und entsprechend galt bei der mit dem Werk bezweckten Erinnerung „an jene großen Tage der vaterländischen Geschichte“ den Landesfürsten, den „Häuptern der Nation“, die größte Aufmerksamkeit.1 Anlässlich des Jubiläums der Confessio Augustana legte Marheineke in den Jahren 1831 und 1834 eine überarbeitete und um zwei Bände erweiterte Ausgabe vor, die den Blick auch über das römisch-deutsche Reich hinaus richtete. Dadurch sollte eine Antwort auf die Frage gegeben werden, „inwiefern die Völker und Staaten wider oder für“ das Anliegen der lutherischen Reformation eingetreten waren. Das östliche Europa blieb dabei vollständig ausgeblendet, den „Ländern des römischen Glaubens“, die „wider den Willen ihrer Landesherren die Reformation angenommen hatten“, schenkte Marheineke keine nähere Beachtung.2 Die kirchengeschichtliche Bedeutung von Marheinekes Buch soll gewiss nicht überschätzt werden, obwohl seine Ausgaben im Vergleich zu anderen Schriften, die anlässlich der beiden Reformationsjubiläen von 1817 und 1830 erschienen, unzweifelhaft zu den durchdachteren und ausgewogeneren Dar-
1 Marheinecke, Philipp: Geschichte der teutschen Reformation, Bd. 1–2. Berlin 1816, hier Bd. 1, IV, XXV. Die Deutung von Luthers Reformation als nationale Tat setzte freilich nicht erst im 19. Jahrhundert ein, sondern war zu dieser Zeit in der deutschen Traditionsbildung schon längst etabliert. Vgl. Scheitler, Imgard: Lutherus redivivus. Das Reformationsjubiläum 1617. Mit einem Ausblick auf das Jubiläum 1717. In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie 55, 2016, 174–215. Zur Entwicklung der nationalen Reformationsdeutung in Deutschland vgl. Mecklenburg, Norbert: Der Prophet der Deutschen. Martin Luther im Spiegel der Literatur. Stuttgart 2016; Frank, Günter/Leppin, Volker/Selderhuis, Hermann J. (Hg.): Wem gehört die Reformation? Nationale und konfessionelle Dispositionen der Reformationsdeutung. Freiburg/Basel/Wien 2013. 2 Marheineke, Philipp: Geschichte der teutschen Reformation, Bd. 1–4. Berlin 1831–1834, hier Bd. 4, III, 520.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen
stellungen zu rechnen sind.3 Seine Ausarbeitung ist gleichwohl – und dieser Aspekt soll hier im Vordergrund stehen – in mehrfacher Hinsicht repräsentativ für den Blick der deutschen Fachwelt des 19. Jahrhunderts auf die reformatorische Entwicklung im östlichen Europa.4 An vorderster Stelle muss in diesem Zusammenhang Leopold (von) Ranke genannt werden, der durch seine große Schar von Schülern, seine umfangreichen Werke und seine methodischen Ausarbeitungen zur Geschichtsschreibung ganze Generationen deutscher Historiker prägte. Aufschlussreich ist dabei nicht erst die monumentale, zwischen 1839 und 1847 in sechs Bänden erschienene und von der Reformationsforschung bis heute vorrangig beachtete Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, in der Ranke die zäsursetzende Bedeutung Luthers besonders hervorhob und die von ihm ausgehende reformatorische Bewegung als „Ursprung der Spaltung in der Nation“, der Trennung „in zwei niemals ganz einverstandene und so oft feindselige Hälften“, deutete.5 Mindestens ebenso wichtig ist bereits das fragmentarische Erstlingswerk Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, dessen erster – und einziger – Band 1824 erschienen war. In ihm begründete Ranke seine reservierte Haltung gegenüber dem Begriff einer „lateinischen Christenheit“. Denn ein solcher schließe auch „slavische, lettische, magyarische Stämme“ ein, die dem Westen jedoch, der „Einheit“ der „romanischen und germanischen Nationen“, letztlich wesensfremd sei3 Zu Marheinekes kirchengeschichtlichen Veröffentlichungen vgl. Hünerbein, Kurt: Der Berliner Theologe Philipp Konrad Marheineke als Kirchenhistoriker. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 54, 1983, 74–96; Kunkel, Stephan: Kirchenreform und Gedanken zur evangelischen Union von 1817 bei Philipp Konrad Marheineke. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 58, 1991, 218–241; Ringleben, Joachim: Philipp Konrad Marheineke (1780–1846) – die Zuflucht im Begriff. In: Schröder, Bernd/Wojtkowiak, Heiko (Hg.): Stiftsgeschichte(n). 250 Jahre Theologisches Stift der Universität Göttingen (1765–2015). Göttingen 2015, 59–66. 4 Rhode, Gotthold: Die Reformation in Osteuropa. Ihre Stellung in der Weltgeschichte und ihre Darstellung in den „Weltgeschichten“. In: Kruska, Harald (Hg.): Gestalten und Wege der Kirche im Osten. Festgabe für Arthur Rhode zum 90. Geburtstage am 13. Dezember 1958. Ulm (Donau) 1958, 133–162, hier 143–161. 5 Ranke, Leopold: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. 1–6. Berlin 1839–1846, hier Bd. 2, 145. Zur Einordnung des Werkes vgl. Dickens, A[rthur] G[eoffrey]: Ranke as Reformation Historian [1980]. In: ders.: Reformation Studies. London 1982 (History Series 9), 565–581; Lutz, Heinrich: „Ursprung der Spaltung in der Nation“. Bemerkungen zu einem Kapitel aus Rankes Reformationsgeschichte [1971]. In: ders.: Politik, Kultur und Religion im Werdeprozeß der frühen Neuzeit. Aufsätze und Vorträge. Hg. v. Moritz Csáky u.a. Klagenfurt 1982, 211–224; SchornSchütte, Luise: Reformationsgeschichtsschreibung – wozu? Eine Standortbestimmung [2006]. In: dies.: Perspectum. Ausgewählte Aufsätze zur Frühen Neuzeit und Historiographiegeschichte anlässlich ihres 65. Geburtstages. Hg. v. Anja Kürbis, Holger Kürbis und Markus Friedrich. München 2014 (Historische Zeitschrift. Beiheft N.F. 61), 383–399; Muhlack, Ulrich: Leopold von Ranke und die Begründung der quellenkritischen Geschichtsforschung. In: Elvert, Jürgen/Krauss, Susanne (Hg.): Historische Debatten und Kontroversen im 19. und 20. Jahrhundert. Wiesbaden 2003 (Historische Mitteilungen. Beiheft 46), 23–33.
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en.6 In seinem späteren Reformationswerk benutzte er zwar die Bezeichnung „lateinische Christenheit“ dennoch, allerdings nur als Synonym für die „romanisch-germanische Welt des Abendlandes“.7 Dieses im Jahrhundert der Aufklärung verfestigte Geschichtsbild, demzufolge eine Kultur- und Zivilisationsgrenze zwischen West- und Mitteleuropa auf der einen und den Herrschaftsbildungen im östlichen Europa auf der anderen Seite bestand, lässt sich gewiss nicht nur bei Ranke nachweisen, sondern auch bei anderen Intellektuellen seiner Zeit.8 Aber durch Rankes Autorität fand es Eingang in die Reformationsforschung. Und in ihr entwickelte es eine Eigendynamik, auch wenn Ranke selbst seine Ausführungen in späteren Schriften abschwächte und modifizierte.9 Wenn Vertreter dieser Forschungsrichtung die Reformation im ethnisch, sprachlich und kulturell vielgestaltigen Raum zwischen Ostsee und Adria doch einmal näher betrachteten, dann waren es zuvorderst die dort lebenden Deutschen, die in das Blickfeld gerieten. Dies führte, lange vor der volksgeschichtlich akzentuierten Zuspitzung dieser Zusammenhänge nach dem Ersten Weltkrieg, zu nicht selten verzerrenden Urteilen. Einige wenige Schlaglichter mögen genügen, um diesen Befund zu unterstreichen. So habe die durch Luther bewirkte kirchliche Umgestaltung, wie Georg Weber in seinem höchst populären, seit Mitte des 19. Jahrhunderts in mehr als zwanzig Auflagen erschienenen Lehrbuch der Weltgeschichte schrieb, im polnisch-litauischen Einflussbereich die „Erhaltung des germanischen Wesens zur Folge“ gehabt.10 Georg Wilhelm Theodor Fischer wiederum gab als wichtigsten Grund für die Abfassung seines Buches Versuch einer Geschichte der Refor6 Ranke, Leopold: Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, Bd. 1. Leipzig/Berlin 1824, IIIf. Zur Einordnung des Werkes vgl. Schulin, Ernst: Rankes Erstlingswerk oder Der Beginn der kritischen Geschichtsschreibung über die Neuzeit [1966]. In: ders.: Traditionskritik und Rekonstruktionsversuch. Studien zur Entwicklung von Geschichtswissenschaft und historischem Denken. Göttingen 1979, 44–64, 239–245; Fulda, Daniel: Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760–1860. Berlin/New York 1996 (European cultures 7), 344–367. 7 Ranke: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. 1, 231. 8 Schenk, Frithjof Benjamin: Lemberg and Wolff revisited. ������������������������������������ Zur Entstehung und Struktur des Konzepts „Osteuropa“ seit dem späten 18. Jahrhundert. In: Aldenhoff-Hübinger, Rita/Gousseff, Catherine/Serrier, Thomas (Hg.): Europa vertikal. Zur Ost-West-Gliederung im 19. und 20. Jahrhundert. Göttingen 2016 (Phantomgrenzen im östlichen Europa 5), 43–62; Meyer, Klaus: Osteuropäische Geschichte. In: Hansen, Reimer/Ribbe, Wolfgang (Hg.): Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert. Persönlichkeiten und Institutionen. Berlin/New York 1992 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin 82), 553–570, hier 553. 9 Schulin, Ernst: Leopold von Ranke (1795–1886). In: Duchhardt, Heinz u.a. (Hg.): Europa-Historiker. Ein biographisches Handbuch, Bd. 1. Göttingen 2006, 129–151, hier 133f. �� Weber, Georg: Lehrbuch der Weltgeschichte mit Rücksicht auf Cultur, Literatur und Religionswesen, und einem Abriß der deutschen Literaturgeschichte als Anhang, Bd. 2. Leipzig 121867, 35. Zur Einordnung des Werkes vgl. Nissen, Martin: Populäre Geschichtsschreibung. Historiker, Verleger und die deutsche Öffentlichkeit (1848–1900). Köln/Weimar/Wien 2009 (Beiträge zur Geschichtskultur 34), 117, 196–203.
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mation in Polen im Vorwort des ersten, 1855 vorgelegten Bandes an, dass in Arbeiten polnischer Historiker die Lutheraner, mithin die Deutschen, „vielfach übersehen“ würden, die von Polen gelieferte „nur partielle Geschichte“ also ergänzungsbedürftig sei.11 Eine Überwindung der einzelnen Gruppengeschichten wurde wiederholt angemahnt. Es gebe unstrittig Themen, „welche von den wissenschaftlichen Forschern [...] mit einer befremdlichen Gleichgültigkeit übersehen und seitab gelassen zu werden pflegen“, so Otto Koniecki, evangelischer Pastor im großpolnischen Schildberg, in seinem zuerst 1872 in Breslau erschienenen Werk über den reformatorischen Aufbruch in der Adelsrepublik, das noch Anfang des 20. Jahrhunderts in dritter Auflage erschien. Dieses Schicksal habe „auf dem Gebiet der Kirchengeschichte besonders die Reformation in Polen“ gehabt, die in der deutschen Forschung „bisher fast nicht die geringste Beachtung“ gefunden habe. Als Ziel seines Werkes benannte Koniecki eine „vollständige Geschichte der Reformation in Polen“, eine Darstellung, in der sämtliche „gegen einander abgegrenzte, in sich organisirte evangelische Kirchengemeinschaften und Sekten“ ihren Platz fänden.12 Dass diese Forderung ungehört blieb, zeigt noch die große Darstellung In oriente crux. Versuch einer Geschichte der reformatorischen Kirchen im Raum zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer von Bruno Geißler und Günther Stökl aus dem Jahr 1963: Mit ihr wollten die Autoren, wie es bereits auf dem Umschlag hieß, „eine Ehrenschuld abtragen“ und „zeigen, daß man in Deutschland die Sache der Reformation eben nicht mehr mit der des deutschen Volkes gleichsetzt, sondern die Kräfte des Geistes auch in den anderen Sprachen in gleicher Weise wirksam sieht“.13 Beispiele für entsprechende Arbeiten zu den böhmischen und ungarischen Ländern, die in Ansatz und Argumentation ähnlich angelegt waren wie die eben zu Polen-Litauen genannten, ließen sich problemlos hinzufügen. Gewiss gab es kritische Einzelforschungen, die sich den in Deutschland vorherrschenden nationalprotestantischen Deutungsmustern der reformatorischen Bewegung entzogen, doch blieben diese die Ausnahme. In der Mehrheit zeigten sich die deutschen Gelehrten bis in das 20. Jahrhundert hinein von den Eigenheiten, die den Verlauf der Reformation im östlichen Europa von dem im römisch-deutschen Reich ganz offensichtlich unterschieden, eher irritiert: von den gesellschaftlichen, mit der Obrigkeit in Konflikt stehenden Trägergruppen der Reformbewegung, deren anderen zeitlichen Verläufen, �� Fischer, Georg Wilhelm Theodor: Versuch einer Geschichte der Reformation in Polen, Bd. 1. Grätz 1855, III. ��Koniecki, O[tto]: Geschichte der Reformation in Polen. Breslau 1872, VIf. �� Geissler, Bruno/Stökl, Günther: In oriente crux. Versuch einer Geschichte der reformatorischen Kirchen im Raum zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Hg. v. Herbert Krimm. Stuttgart 1963, Umschlag.
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Die Gestalt des tschechischen Reformators Jan Hus, der 1415 in Konstanz als Ketzer verurteilt und hingerichtet worden war, nahm in der reformatorischen Publizistik des 16. Jahrhunderts einen prominenten Platz ein. Das offene Bekenntnis Luthers zu Hus als heiligem Märtyrer wurde seit der Leipziger Disputation von 1519 zwischen dem Wittenberger Reformator und Johannes Eck zu einem wichtigen Motiv der evangelischen Bewegung. Der abgebildete Holzschnitt eines unbekannten Meisters, der Mitte des 16. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich rege Verbreitung fand, zeigt Luther (links) und Hus (rechts) bei der Austeilung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt an mehrere sächsische Fürsten.
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den verwirrend vielen Strömungen und Ausprägungen, der Rechtslage und den fehlenden landeskirchlichen Strukturen, die insgesamt plurale Gemeindebildungen begünstigten. Als dann im frühen 20. Jahrhundert unter deutschen Kirchenhistorikern und Theologen das Interesse an den Spezifika des reformatorischen Aufbruchs im östlichen Europa spürbar wuchs, verlor diese Wissbegierde rasch ihre wissenschaftliche Unschuld. Die Politisierung und Nationalisierung dieser Forschungsbemühungen lässt sich nicht nur, aber in besonderer Ausprägung bei Autoren beobachten, die mit der ethnischen, sprachlichen und kulturellen Pluralität in Ostmitteleuropa unmittelbar konfrontiert waren und aus der Deutung der Vergangenheit Argumente für die Gestaltung der Gegenwart ableiteten.14 „Mehr denn je sind die Augen unseres Volkes ostwärts gerichtet. Der völkische Streit, der in der Ostmark unseres Vaterlandes tobt, hat die Aufmerksamkeit von ganz Deutschland auf sie gezogen“,15 so Theodor Wotschke im Vorwort seiner Geschichte der Reformation in Polen, die 1911 als Pilotband einer neuen Schriftenreihe des Magdeburger Vereins für Reformationsgeschichte erschien, der bereits seit knapp drei Jahrzehnten „konfessionelle Volksbildung mit dem Ziel nationaler protestantischer Identitätsfestigung“ betrieb.16 Wotschke stellte sein Werk ganz in die Tradition früherer Arbeiten zur Geschichte des „Deutschtums im Osten“ und äußerte die Hoffnung, dass auch seine Studie, „die den Siegeszug der Reformation, dieser größten Tat deutschen Glaubens und Geistes durch ganz Polen verfolgt“, bei der Leserschaft freundliche Aufnahme finden möge.17 Erörterungen über den Zusammenhang von Raum und Reformation lassen sich in dieser Phase auch in den einzelnen ostmitteleuropäischen Nationalhistoriographien beobachten. Exemplarisch seien hier nur die Namen des polnischen Historikers Oskar Halecki und seines tschechischen Kollegen Jaroslav Bidlo genannt, die in der Zwischenkriegszeit heftige Debatten über die Abgrenzung der griechisch-orthodoxen Kulturwelt und die zivilisatori�� Müller, Michael G.: Bilder und Vorstellungen der Ostforschung von der Geschichte Polens in der Frühen Neuzeit. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 46, 1997, 376–391; ders.: Zweite Reformation und städtische Autonomie im Königlichen Preußen. Danzig, Elbing und Thorn in der Epoche der Konfessionalisierung (1557–1660). Berlin 1997, 9–35. ��Wotschke, Theodor: Geschichte der Reformation in Polen. Leipzig 1911 (Studien zur Kultur und Geschichte der Reformation 1), IX. Zum Hintergrund vgl. Rogall, Joachim: Die Geistlichkeit der Evangelisch-Unierten Kirche in der Provinz Posen 1871–1914 und ihr Verhältnis zur preußischen Polenpolitik. Marburg/Lahn 1990 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 6); Barycz, Henryk: Udział Teodora Wotschkego w rozwoju badań nad dziejami ruchu reformacyjnego w Polsce. In: Reformacja w Polsce 11, 1948/52, 115–122. ��Schorn-Schütte, Luise: Der Verein für Reformationsgeschichte 1883–2008: 125 Jahre Vereinsund Forschungsgeschichte. Eine Einleitung. In: dies. (Hg.): 125 Jahre Verein für Reformationsgeschichte. Gütersloh 2008 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 200), 11–26, hier 11 (Hervorhebung im Original). ��Wotschke: Geschichte der Reformation in Polen, IX.
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sche Mission der westeuropäischen Christenheit führten.18 Es war zunächst und vor allem die Kirchen- und Religionsgeschichte, die konstitutiv waren für bestimmte geschichtsregionale Konzeptionen im östlichen Europa, damit aber auch einer steten Aufladung durch außerwissenschaftliche Zuschreibungen ausgesetzt waren. Die Rolle der lutherischen Reformation war dabei nur ein Baustein innerhalb einer wesentlich breiter angelegten Diskussion, in der es vorrangig um die Überlappungen der verschiedenen religiösen Einflüsse im östlichen Europa und deren jeweilige Geschichtsmächtigkeit ging.19 Dass man darüber hinaus die ältere deutsche Lesart über den Zusammenhang von Konfession und Nation vielfach aufnahm, den „ethnisch-nationalkulturellen Wirkungsaspekt“20 des reformatorischen Aufbruchs in den Vordergrund stellte und – lediglich mit umgekehrten Vorzeichen – die Reformation als „Teil der deutschen Expansion“ im Osten deutete,21 wird angesichts der spezifischen Konfliktgeschichte in diesem Teil des Kontinents kaum verwundern. Dieser knappe forschungsgeschichtliche Rückblick ist geboten, um die Dimension der hier im Mittelpunkt stehenden Fragestellung anzudeuten. Wenn im Folgenden nach der Genese und Besonderheit der reformatorischen Aufbrüche in Ostmitteleuropa gefragt wird, dann kann dies nur in einem sachlich wie zeitlich breiteren Zugriff, mithin nicht in Begrenzung auf die von Wittenberg ausgehende Bewegung, erfolgen. Als Referenzwerk für einen solchen Zugriff, der in der deutschen Geschichtsforschung keine wirkliche Tradition besitzt,22 empfiehlt sich ein Buch, das gleichsam aus der Außenperspektive erarbeitet wurde. Gemeint ist die Abhandlung Tolérance ou paix de religion en Europe centrale des französischen Historikers Jean Bérenger, der seine Dar��Wandycz, Piotr S.: East European History and Its Meaning: The Halecki-Bidlo-Handelsman Debate. In: Jónás, Pál/Pastor, Peter/Toth, Pál Péter (Hg.): Király Béla emlékkönyv. Háború �������������� és társadalom – War and Society – Guerre et société – Krieg und Gesellschaft. Budapest 1992, 308–321; Lemberg, Hans: Mitteleuropa und Osteuropa. Politische Konzeptionen im Spiegel der Historikerdiskussion der Zwischenkriegszeit. In: Plaschka, Richard G. u.a. (Hg.): Mitteleuropa-Konzeptionen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wien 1995 (Zentraleuropa-Studien 1), 213–220; Bömelburg, Hans-Jürgen: Zwischen imperialer Geschichte und Ostmitteleuropa als Geschichtsregion: Oskar Halecki und die polnische „jagiellonische Idee“. In: Hadler, Frank/Mesenhöller. Mathias (Hg.): Vergangene Größe und Ohnmacht in Ostmitteleuropa: Repräsentationen imperialer Erfahrung in der Historiographie seit 1918 / Lost greatness and past oppression in East Central Europe: representations of the imperial experience in historiography since 1918. Leipzig 2007 (Geschichtswissenschaft und Geschichtskultur im 20. Jahrhundert 8), 99–133. �� Stasiewski, Bernhard: Zum Begriff der osteuropäischen Geschichte und Kirchengeschichte. In: Münchener Theologische Zeitschrift 4, 1953, 324–340; Troebst, Stefan: Meso-regionalizing Europe: History Versus Politics. In: Arnason, Johann P./Doyle, Natalie J. (Hg.): Domains and Divisions of European History. Liverpool 2010, 78–89. ��Müller: Zweite Reformation und städtische Autonomie, 12. ��Urban, Wacław: Die Entwicklung der Reformation in Ungarn, Böhmen und im polnisch-litauischen Staat. Versuch eines Vergleichs. In: Miscellanea historiae ecclesiasticae 7, 1985, 129–140, hier 134. �� Kaufmann, Thomas: Die deutsche Reformationsforschung seit dem Zweiten Weltkrieg. In: Archiv für Reformationsgeschichte 100, 2009, 5–47.
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stellung mit den Ereignissen in Böhmen 1415 beginnen lässt und erst mit den Religionsgesetzen Josephs II. am Ende des 18. Jahrhunderts abschließt.23 Eine so umfassende Beschreibung ist hier nicht zu leisten. Aber auch die folgenden Ausführungen stellen bewusst die größeren Zusammenhänge, nicht die lokalen und regionalen Spezifika und Eigentraditionen in den Vordergrund. Ziel dieser Darstellung kann es insofern nicht sein, die Entwicklung und die Ergebnisse der Reformationsgeschichtsschreibung in den einzelnen ostmitteleuropäischen Staaten selbst zu bewerten. Es wäre fraglos von Reiz, auch hier die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten und – um nur ein Beispiel zu nennen – die frühen, von Protestanten aus den einzelnen Territorien verfassten Abhandlungen des 17., 18. und 19. Jahrhunderts in Augenschein zu nehmen, die aufgrund der konfessionspolitischen Situation in ihrem jeweiligen Heimatland im westlichen Ausland erschienen.24 Insgesamt erweisen sich die einzelnen nationalen Historiographien jedoch als recht unterschiedlich, was die Schwerpunkte und Ansätze der Reformationsforschung betrifft. Dies hängt nicht nur, aber auch mit realpolitischen Erfahrungen im 20. Jahrhundert, kollektiven Erinnerungen, dem Wandel der Bedeutung von Religions- und Kirchengeschichte in den einzelnen „volksdemokratischen Ländern“ nach dem Zweiten Weltkrieg und der Neuausrichtung der Frühneuzeitforschung nach dem Ende des kommunistischen Herrschaftssystems zusammen.25
2. Raumtypische Charakteristika und strukturelle Gemeinsamkeiten Der erste Blick freilich wird beherrscht vom Divergierenden und Unvergleichbaren. Schon die Voraussetzungen, unter denen der östliche Bereich des lateinischen Kulturkreises im 16. Jahrhundert mit dem humanistisch��Bérenger, Jean: Tolérance ou paix de religion en Europe centrale (1415–1792). Paris 2000. ������������������������������������������������������������� Für den genannten Zeitraum vgl. exemplarisch die Werke von Regenvolscius, Adrianus [i.e. Węgierski, Andrzej]: Systema Historico-Chronologicum, Ecclesiarum Slavonicarum per Provincias varias, Praecipuè Poloniae, Bohemiae, Lituaniae, Russiae, Prussiae, Moraviae, etc. �������� Distinctarum [...]. Trajecti ad Rhenum 1652; Lubieniecius, Stanislaus: Historia Reformationis Polonicae. In qua tum Reformatorum, tum Antitrinitariorum origo & progressus in Polonia & finitimis Provinciis narrantur. Freistadii [i.e. Amsterdam] 1685; Lampe, Frid[ericus] Adolphus: Historia Ecclesiae Reformatae, in Hungaria et Transylvania. Inter perpetua certamina & afflictiones à primordiis praecipue repurgatorum sacrorum ad recentiora tempora per Dei gratiam conservatae. Trajecti ad Rhenum 1728; Krasinski, Valerian: Historical Sketch of the Rise, Progress, and Decline of the Reformation in Poland and of the Influence, which the Scriptural Doctrines have Exercised on that Country in Literary, Moral, and Political Respects, Bd. 1–2. London 1838–1840. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Die jüngere Fachliteratur kann an dieser Stelle nicht angemessen dokumentiert werden. Sie wird umfassend gewürdigt in den Forschungsberichten von Müller, Michael G.: Reformationsforschung in Polen. In: Archiv für Reformationsgeschichte 100, 2009, 138–154; Bahlcke, Joachim: Die tschechische und slowakische Geschichtsschreibung zu Reformation und konfessionellem Zeitalter. Vom Zweiten Weltkrieg bis zur Gegenwart. Ebd., 155–174; Crăciun, Maria: Centre or Periphery? The Reformation in Romanian and Hungarian Historiography, 1945–2008. Ebd., 175–192.
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reformatorischen Aufbruch in Wittenberg und der nachfolgenden Konfessionsbildung konfrontiert wurde, unterschieden sich in den einzelnen Herrschaftsbildungen zum Teil erheblich.26 Noch bevor die heidnischen Balten im Nordosten überhaupt ganz für das Christentum gewonnen worden waren, hatte im Südosten schon die politisch-religiöse Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich eingesetzt und in katholischen Grenzregionen das Bewusstsein eines antemurale christianitatis entstehen lassen.27 Im Osten, in der kirchlich und machtpolitisch labilen Grenzsituation zwischen römischer und griechisch-orthodoxer Christenheit, ist eine Vielzahl und Vielgestaltigkeit religiös-theologischer Synkretismen zu beobachten, die bis weit in die Neuzeit Bestand hatten.28 Besonders prägend waren vorreformatorische Erfahrungen und Traditionen in der geographischen Mitte des hier zu betrachtenden Raumes, in Böhmen. Hier wurde bereits im 15. Jahrhundert neben der katholischen eine hussitisch-utraquistische Kirche landesgesetz�������������������������������������������������������������������������������������������� Eine übergreifende Darstellung, die der religions- und kirchengeschichtlichen Entwicklung breiten Raum schenkt, bieten Kłoczowski, Jerzy: Młodsza Europa. Europa Środkowo-Wschodnia w kręgu cywilizacji chrześcijańskiej średniowiecza. Warszawa 1998, und Aleksiun, Natalia u.a.: Histoire de L’Europe du Centre-Est. Paris 2004. Wichtige Vergleichsstudien enthalten folgende Sammelwerke: Kłoczowski, Jerzy/Kras, Paweł/Polak, Wojciech (Hg.): Christianity in East Central Europe. Late Middle Ages. Lublin 1999 (Proceedings of the Commission Internationale d’Histoire Ecclésiastique Comparée 2); Łaszkiewicz, Hubert (Hg.): Churches and Confessions in East Central Europe in Early Modern Times. Lublin 1999 (Proceedings of the Commission Internationale d’Histoire Ecclésiastique Comparée 3). Zur kirchlichen Raumordnung Ostmitteleuropas vgl. Schmidt, Hans-Joachim: Kirche, Staat, Nation. Raumgliederung der Kirche im mittelalterlichen Europa. Weimar 1999 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 37), 77–80, 162–164, 513–540; Lübke, Christian: Mitteleuropa, Ostmitteleuropa, östliches Europa: Wahrnehmung und frühe Strukturen eines Raumes. In: Löwener, Marc (Hg.): Die „Blüte“ der Staaten des östlichen Europa im 14. Jahrhundert. Wiesbaden 2004 (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien 14), 15–43. ��Srodecki, Paul: Antemurale Christianitatis. Zur Genese der Bollwerksrhetorik im östlichen Mitteleuropa an der Schwelle vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit. Husum 2015 (Historische Studien 508); ders.: Antemurale Christianitatis. In: Bahlcke, Joachim/Rohdewald, Stefan/Wünsch, Thomas (Hg.): Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationenund epochenübergreifenden Zugriff. Berlin 2013, 804–822; David, Géza/Fodor, Pál (Hg.): Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The Military Confines in the Era of Ottoman Conquest. Leiden/Boston/Köln 2000 (The Ottoman Empire and its heritage 20); Tazbir, Janusz: Polskie przedmurze chrześcijańskiej Europy. Mity a rzeczywistość historyczna. Warszawa 1987; Borkowska, Urszula: The Ideology of „antemurale“ in the sphere of Slavic Culture (13th–17th centuries). In: The common Christian roots of the European nations, Bd. 2. Florence 1982, 1206–1221. ��Gil, Andrzej (Hg.): Kościoły wschodnie w Rzeczypospolitej XVI–XVIII wieku. Zbiór studiów. Lublin 2005 (Studia i materiały do dziejów chrześcijaństwa wschodniego w Rzeczypospolitej 3); Wünsch, Thomas/Janeczek, Andrzej (Hg.): On the Frontier of Latin Europe. Integration ���������������������� and Segregation in Red Ruthenia, 1350–1600. Warsaw 2004; Lübke, Christian: „Germania Slavica“ und „Polonia Ruthenica“: Religiöse Divergenz in ethno-kulturellen Grenz- und Kontaktzonen des mittelalterlichen Europa (8.–16. Jahrhundert). In: Herbers, Klaus/Jaspert, Nikolas (Hg.): Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich. Der Osten und der Westen des mittelalterlichen Lateineuropa. Berlin 2007 (Europa im Mittelalter 7), 175–190; Strzelczyk, Jerzy: Kościół polski na pograniczu chrześcijaństwa rzymskiego w średniowieczu. In: Przegląd Zachodni 62/1, 2006, 83–97.
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lich anerkannt, und auch die Unität der Böhmischen Brüder besaß lange vor der lutherischen Reformation einen beachtlichen Organisationsgrad und eine ausgeprägte Lehrtradition.29 Auf den zweiten Blick jedoch lassen sich im Raum zwischen Ostsee und Adria strukturelle Gemeinsamkeiten ausmachen, die sich wechselseitig bedingten und damit eine eigene Dynamik entfalteten. Kennzeichnend für die Reformation im östlichen Europa ist zunächst die Vielzahl der nebeneinander bestehenden religiösen Richtungen und Gruppierungen, die – wenn auch nicht durchgehend, so doch in größerer Zahl als andernorts – vom Schutz durch Landesgesetze profitierten.30 Besonders markant zeigt sich dies in Siebenbürgen, wo spezifische endogene und exogene Faktoren während der Frühen Neuzeit für ein Höchstmaß an verfassungsrechtlich garantierter religiöser Pluralität sorgten.31 Die auf mehreren Ständeversammlungen sukzessive ausgedehnte individuelle Bekenntnisfreiheit umfasste seit dem Thorenburger Landtag von 1568 Lutheraner, Reformierte, Katholiken und Unitarier (Antitrinitarier). Neben diesen vier „rezipierten Religionen“ – eine Formel, die man 1653 auch in die Approbatae constitutiones Regni Transylvaniae, die erste Sammlung der Landesgesetze, aufnahm – wurden die Orthodoxen rechtlich toleriert, theologisch abweichende Gruppen wie Sabbatarier, Anabaptisten und andere zumindest teilweise geduldet.32 Ähnliche Freiräume für ��Wernisch, Martin (Hg.): Unitas Fratrum 1457–2007. Jednota bratrská jako kulturní a duchovní fenomén. Praha 2009 (Studie a texty Evangelické teologické fakulty 15/2); Machilek, Franz (Hg.): Die hussitische Revolution. Religiöse, politische und regionale Aspekte. Köln/Weimar/Wien 2012 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 44); Eberhard, Winfried: Zur reformatorischen Qualität und Konfessionalisierung des nachrevolutionären Hussitismus. In: Šmahel, František (Hg.): Häresie und vorzeitige Reformation im Spätmittelalter. München 1998 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 39), 213–238. ������������������������������������������������������� Vergleichende Perspektiven bieten folgende Arbeiten: Louthan, Howard/Murdock, Graeme (Hg.): A Companion to the Reformation in Central Europe. Leiden/Boston 2015 (Brill’s companions to the Christian tradition 61); Maag, Karin (Hg.): The Reformation in Eastern and Central Europe. Aldershot 1997; Hotson, Howard: Central Europe, 1500–1700. In: Whitford, David M. (Hg.): Reformation and Early Modern Europe: a guide to research. Kirksville/Missouri 2008 (Sixteenth century essays & studies 79), 161–206; Murdock, Graeme: Central and Eastern Europe. In: Ryrie, Alex (Hg.): Palgrave Advances in the European Reformations. Basingstoke 2006, 36–56; ders.: Eastern Europe. In: Pettegree, Andrew (Hg.): The Reformation World. London 2000, 190–210; Eberhard, Winfried: Reformation and Counterreformation in East Central Europe. In: Brady, Thomas A. jr./ Oberman, Heiko A./Tracy, James D. (Hg.): Handbook of European History 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, Bd. 2: Visions, programs, outcomes. Leiden/New York/Köln 1995, 551–584. �� Bahlcke, Joachim/Gündisch, Konrad (Hg.): Toleranţă, coexistenţă, antagonism. Percepţii ale diversităţii religioase în Transilvania între Reformă şi Iluminism. Cluj-Napoca 2013; Zach, Krista: Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte. Hg. v. Joachim Bahlcke und Konrad Gündisch. Münster 2004 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 6); Crăciun, Maria/Ghitta, Ovidiu (Hg.): Church and Society in Central and Eastern Europe. Cluj-Napoca 1998. �� Daugsch, Walter: Toleranz im Fürstentum Siebenbürgen. Politische und gesellschaftliche Voraussetzungen der Religionsgesetzgebung im 16. und 17. Jahrhundert. In: Kirche im Osten. Studien
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konfessionelle Koexistenz und Toleranz bot die Landesverfassung der Markgrafschaft Mähren.33 Die Aufnahme der Hutterer, aber auch anderer Glaubensflüchtlinge wie der Mennoniten im Weichseldelta oder der Böhmischen Brüder in Großpolen, verdankte sich einer solchen Rechtslage.34 Generell sahen sich die Lutheraner, von einzelnen Regionen wie dem Herzogtum Preußen abgesehen, überall im östlichen Europa einer größeren Konkurrenz im evangelischen Lager ausgesetzt. Die Auffächerung des Protestantismus in verschiedene Glaubensgemeinschaften verstärkte die Bereitschaft, innerevangelische Gegensätze abzuschwächen.35 So konfliktreich der Wettbewerb unter den einzelnen reformatorischen Gruppen auch war, so ist doch nicht zu übersehen, dass dem östlichen Protestantismus bereits im 16. Jahrhundert ein irenischer, ein gleichsam unkonfessioneller Zug zu eigen war. Das konfessionslose oder überkonfessionelle Christentum, von dem vor allem polnische und tschechische Historiker sprechen, muss in enger Verbindung zu den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der ostmitteleuropäischen Ständestaaten gesehen werden.36 zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 26, 1983, 35–72; Philippi, Paul: Staatliche Einheit und gesellschaftliche Pluralität in der Religionsgesetzgebung des Fürstentums Siebenbürgen. In: Heidelberger Jahrbücher 18, 1974, 50–65. �� Válka, Josef: Husitství na Moravě – Náboženská snášenlivost – Jan Amos Komenský. Brno 2005; ders.: K otázkám úlohy Moravy v české reformaci. In: Studia Comeniana et Historica 15/30, 1985, 67–80; Janiš, Dalibor: Ústavní základy moravského zemského práva na počátku novověku. In: Malý, Karel/Pánek, Jaroslav (Hg.): Vladislavské zřízení zemské a počátky ústavního zřízení v českých zemích (1500–1619). Praha 2001, 113–135; Pánek, Jaroslav: The Question of Tolerance in Bohemia and Moravia in the Age of the Reformation. In: Grell, Ole Peter/Scribner, Bob (Hg.): Tolerance and Intolerance in the European Reformation. Cambridge u.a. 1996, 231–248; Mezník, Jaroslav: Tolerance na Moravě v 16. století. In: Machovec, Milan (Hg.): Problém tolerance v dějinách a perspektivě. Praha 1995, 76–85. ��Dölemeyer, Barbara: Rechtliche Aspekte konfessioneller Migration im frühneuzeitlichen Europa am Beispiel der Hugenottenaufnahme. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4), 1–25. �� Eberhard, Winfried: Konfessionelle Pluralität als grenzübergreifende Herausforderung in der Frühneuzeit. In: Heimann, Heinz-Dieter/Neitmann, Klaus/Tresp, Uwe (Hg.): Die Nieder- und Oberlausitz – Konturen einer Integrationslandschaft, Bd. 2: Frühe Neuzeit. Berlin 2014, 19–37; ders.: Toleranz und Religionsfreiheit im 15.–17. Jahrhundert in Mitteleuropa. Probleme und Prozesse. In: Hlaváček, Petr (Hg.): Bruncvík a víla. Přemýšlení o kulturní a politické identitě / Bruncwik und die Nymphe. Die Überlegungen zur kulturellen und politischen Identität Europas. Praha 2010 (Europaeana Pragensia 2), 55–72. �� Kołakowski, Leszek: Świadomość religijna i więź kościelna. Studia nad chrześcijanstwiem bezwyznaniowym siedemnastego wieku. Warszawa 1965; Válka, Josef: Tolerance, čí koexistence? K povaze soužití různých náboženských vyznání v českých zemích v 15. až 17. století. In: Studia Comeniana et Historica 18/35, 1988, 63–75; Winkelbauer, Thomas: Überkonfessionelles Christentum in der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts in Mähren und seinen Nachbarländern. In: Jan, Libor u.a. (Hg.): Dějiny Moravy a Matice moravská. Problémy a perspektivy. Brno 2000 (Disputationes Moravicae 1), 131–146; Maťa, Petr: Vorkonfessionelles, überkonfessionelles, transkonfessionelles Christentum. Prolegomena zu einer Untersuchung der Konfessionalität des böhmischen und mähri-
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Die Ausformung pluralistischer Konfessionslandschaften hatte zur Folge, das dem Protestantismus im östlichen Europa ein irenischer, ein gleichsam unkonfessioneller Zug zu eigen war. Die Bereitschaft, innerevangelische Gegensätze abzuschwächen, ist hier deutlich früher zu beobachten als in West- und Mitteleuropa. Der 1570 auf der Generalsynode im polnischen Sandomir geschlossene Consensus Sendomirensis steht exemplarisch für diese Kompromisshaltung. Es hatte programmatischen Charakter, dass ein Unionstheologe wie Daniel Ernst Jablonski mit seinem 1731 in Berlin erschienenen Werk an diese Übereinkunft erinnerte und sie als Modell für die Herausforderungen seiner Gegenwart zur Diskussion stellte.
Es war dieses Milieu, in dem das Werk des Humanisten, politischen Schriftstellers und religiösen Denkers Andrzej Frycz Modrzewski entstand, der bei Luther und Melanchthon studiert hatte, als katholischer Amtsträger in Polen für die Rechte von Calvinisten und Antitrinitariern kämpfte und auf dem Konzil von Trient den Eiferern seiner Kirche entgegentrat.37 Rechtliche Gestalt nahm diese Kompromisshaltung im polnisch-litauischen Unionsstaat in dem auf der Generalsynode zu Sandomir 1570 geschlossenen Consensus Sendomirensis an, in dem sich Reformierte, Lutheraner und Böhmische Brüder gegenseitig ihre Rechtgläubigkeit bestätigten, ohne ihre Eigenständigkeit als gesonderte Kirchen preiszugeben – ein beachtlicher Durchbruch in einer Zeit dogmatischer Enge und Rechthaberei.38 Ähnliche ökumenische Bestreschen Hochadels zwischen Hussitismus und Zwangskatholisierung. In: Bahlcke, Joachim/Lambrecht, Karen/Maner, Hans-Christian (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Leipzig 2006, 307–331. �� Séguenny, André/Urban, Wacław (Hg.): Andrzej Frycz Modrzewski (Modrevius). Baden-Baden/Bouxwiller 1997 (Bibliotheca dissidentium 18); Piwko, Stanisław: Frycza Modrzewskiego programm reformy państwa i kościoła. Warszawa 1979. In breiterem Zugriff zu den irenischen Strömungen in Polen während des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. Jobert, Ambroise: De Luther à Mohila. La Pologne dans la crise de la Chrétienté 1517–1648. Paris 1974 (Collection historique de l’Institut d’Etudes Slaves 21). ��Petkūnas, Darius: The Consensus of Sandomierz: An Early Attempt to Create a Unified Protestant Church in 16th Century Poland and Lithuania. In: Concordia Theological Quarterly 73, 2009, 317–346; Müller, Michael G.: Der Consensus Sendomirensis – Geschichte eines Scheiterns? Zur Diskussion über Protestantismus und protestantische Konfessionalisierung in Polen-Litauen im 16. Jahrhundert. In: Bahlcke/Lambrecht/Maner (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung, 397–408; Bartel, Oskar: Der Consensus Sendomiriensis vom Jahre 1570 im Lichte der öku-
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bungen lassen sich im benachbarten Böhmen beobachten, und dies nicht nur bei der Ausarbeitung der Confessio Bohemica fünf Jahre später.39 Das Gefühl innerer Zusammengehörigkeit der einzelnen Strömungen scheint allerdings auch Mehrfachkonversionen begünstigt zu haben, wie wir sie besonders ausgeprägt in Südosteuropa, in Ungarn und Siebenbürgen, finden, und zwar in allen Bevölkerungsschichten: bei Fürsten, Mitgliedern des Adels, Stadtbewohnern und Bauern.40 Der lutherischen Reformation ging dadurch jedenfalls die durchschlagende Kraft verloren, die sie dort besaß, wo sie die einzige Alternative zur römisch-katholischen Kirche darstellte. Mitentscheidend für die Akzeptanz oder Ablehnung der reformatorischen Lehrbildungen in Ostmitteleuropa, wo es nirgendwo eine Kongruenz zwischen politischen und sprachlich-ethnischen Grenzen gab, waren – und damit ist ein drittes Spezifikum angesprochen – die Siedlungs- und Bevölkerungsstrukturen.41 Diese bedingten nicht nur die regionalen Eigenarten, sondern auch die zeitlichen Abläufe bei der Aufnahme der von Wittenberg ausgehenden reformatorischen Impulse. Auffallend rasch öffneten sich zuerst die deutschsprachigen Gruppen zwischen Liv- und Estland, Oberungarn und Siebenbürgen einer Reformation in lutherischer Richtung. Eine Generation später wurde das reformierte Bekenntnis, besonders bei Polen und Magyaren, oftmals als Alternative zum ‚deutmenischen Bestrebungen in Polen und Litauen im 16., 17. und Jahrhundert. In: Lutherjahrbuch 40, 1973, 107–128; Jørgensen, Kai Eduard Jordt: Ökumenische Bestrebungen unter den polnischen Protestanten bis zum Jahre 1645. København 1942, 252–279. �� Otter, Jiří: Ekumenická dimenze České konfese. In: Křesťanská revue 42, 1975, 135–142; Říčan, Rudolf: Zur Frage des Ökumenismus, der Gewissensfreiheit und der religiösen Duldung in der tschechischen Reformation. In: Communio Viatorum 7, 1964, 265–284; Molnár, Amedeo: Harmonia confessionum a Jednota bratrská. In: Theologická příloha Křesťanské revue 20, 1953, 139–146. ��Andor, Eszter/Tóth, István György (Hg.): Frontiers of Faith. Religious Exchange and the Constitution of Religious Identities 1400–1750. Budapest 2001 (Cultural Exchange in Europe, 1400– 1750 1); Almási, Gábor: Andreas Dudith (1533–1589): Conflicts and Strategies of a Religious Individualist in Confessionalising Europe. In: De Landtsheer, Jeanine/Nellen, Henk (Hg.): Between Scylla and Charybdis. Learned Letter Writers Navigating the Reefs of Religious and Political Controversy in Early Modern Europe. Leiden/Boston 2011 (Brill’s Studies in Intellectual History 192), 161–184; Zach, Krista: Stände, Grundherrschaft und Konfessionalisierung in Siebenbürgen. Überlegungen zur Sozialdisziplinierung (1550–1650). In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 367–391; Crăciun, Maria/Deventer, Jörg/Elbel, Martin: Confession and Conversion. Transcending Religious Boundaries in Central and Eastern Europe, 1560– 1700. In: Bohemia 48, 2008, 192–202. ��Wünsch, Thomas: Deutsche und Slawen im Mittelalter. Beziehungen zu Tschechen, Polen, Südslawen und Russen. München 2008; Lübke, Christian: Die Deutschen und das europäische Mittelalter: Das östliche Europa. München 2004; Zernack, Klaus: Osteuropa. Eine Einführung in seine Geschichte. München 1977, 31–59, 71f.; Grimm, Gerhard/Zach, Krista (Hg.): Die Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa. Geschichte, Wirtschaft, Recht, Sprache, Bd. 1–2. München 1995– 1996 (Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks B 53, 73).
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schen Glauben‘ empfunden und angenommen.42 In der katholischen, vielfach xenophoben Publizistik Polens im 17. Jahrhundert konnte Häresie deshalb leicht mit ‚deutscher Ketzerei‘ gleichgesetzt werden, wie die wirkmächtigen Schriften von Paweł Piasecki, Bischof von Przemyśl, exemplarisch zeigen.43 Im östlichen Europa hatte die Reformation insofern erheblichen Anteil an der Festigung sozialer Gruppen und der Herausbildung ethnischer Identitäten. Angesichts der vielerorts zu beobachtenden Gruppenkonfessionalisierung entlang der Sprachgrenzen hatte ein jeder Bekenntniswechsel notgedrungen Folgen für die kulturelle Selbstverortung. Deutlich wird dies etwa bei zwei führenden lutherischen Theologen im siebenbürgischen Klausenburg, Franz Dávid und Kaspar Helth, die beide in Wittenberg studiert hatten: Der Übertritt dieser Mitglieder der natio saxonica zum Calvinismus, im Sprachgebrauch der Zeit zur confessio hungarica, zog in kürzester Zeit auch einen Sprachwechsel ins Magyarische nach sich.44 ��Doležalová, Eva/Pánek, Jaroslav (Hg.): Confession and Nation in the Era of Reformations. Central Europe in Comparative Perspective. Prague 2011; Crăciun, Maria/Ghitta, Ovidiu/Murdock, Graeme (Hg.): Confessional Identity in East-Central Europe. Aldershot 2002 (St Andrews Studies in Reformation History); Crăciun, Maria/Ghitta, Ovidiu (Hg.): Ethnicity and Religion in Central and Eastern Europe. Cluj 1995. Prägnante Problemaufrisse bieten Evans, Robert J. W.: Confession and Nation in Early Modern Central Europe. In: Central Europe 9, 2011, 2–17; Fata, Márta: Deutsche und schweizerische Einflüsse auf die Reformation in Ungarn im 16. Jahrhundert. Aspekte der frühneuzeitlich-vormodernen Identität zwischen Ethnie und Konfession. In: Kühlmann, Wilhelm/ Schindling, Anton (Hg.): Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Stuttgart 2004 (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 62), 53–91; Zach, Krista: Nation und Konfession im Reformationszeitalter. In: Weber, Georg/Weber, Renate (Hg.): Luther und Siebenbürgen. Ausstrahlungen von Reformation und Humanismus nach Südosteuropa. Köln/Wien 1985 (Siebenbürgisches Archiv III/19), 156–211. �� Bömelburg, Hans-Jürgen: Die Lutheraner in Polen-Litauen im 17.und 18. Jahrhundert. Bedrohungskommunikation, nationale Zuschreibungen und kulturelle Positionierung. In: Bahlcke, Joachim/Störtkuhl, Beate/Weber, Matthias (Hg.): Der Luthereffekt im östlichen Europa. Geschichte – Kultur – Erinnerung. Berlin/Boston 2017 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 64), 71–81. �� Keul, István: Early Modern Religious Communities in East-Central Europe. Ethnic Diversity, Denominational Plurality, and Corporative Politics in the Principality of Transylvania (1526–1691). Leiden/Boston 2009 (Studies in medieval and reformation traditions 143); Murdock, Graeme: Calvinism on the Frontier, 1600–1660. International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania. Oxford/New York 2000 (Oxford Historical Monographs); Szábo, András: Calvinismus und Ethnie im Reich der Stephanskrone im 16. Jahrhundert. In: Fata, Márta/Schindling, Anton (Hg.): Calvin und Reformiertentum in Ungarn und Siebenbürgen. Helvetisches Bekenntnis, Ethnie und Politik vom 16. Jahrhundert bis 1918. Münster 2010 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 155), 81–89; Kowalská, Eva: Das Reformiertentum in Ungarn zwischen Annahme und Ablehnung am Beispiel von Slowaken und Deutschen vom 16. bis 19. Jahrhundert. Ebd., 91– 110; Tóth, István György: Les luttes entre les confessions en Hongrie et en Transylvanie (XVIe– XVIIIe siècles). In: Platania, Gaetano (Hg.): Politica e religione nell’Europa centro orientale (sec. XVI–XX). Viterbo 2002 (Centro Studi sull’Età die Sobieski e della Polonia Moderna 5), 47–65; Zach, Krista: Religiöse Toleranz und Stereotypenbildung in einer multikulturellen Region. Volkskirchen in Siebenbürgen. In: Gündisch, Konrad/Höpken, Wolfgang/Markel, Michael (Hg.): Das
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Paweł Piasecki, Bischof von Przemyśl, war einer der wirkmächtigsten Geschichtsschreiber im frühneuzeitlichen Polen-Litauen. Mit seiner 1645 in Krakau gedruckten Chronica gestorum legte er eine Darstellung vor, in der nationale und konfessionelle Positionen miteinander verschmolzen. Den Protestantismus deutete Piasecki als ‚deutsche Ketzerei‘, ausländische Kultureinflüsse wies er scharf zurück. Als natürliche Staatsreligion war der Katholizismus für ihn gleichsam der Eckpfeiler kollektiver Identität und Staatsräson.
Ein vierter Wesenszug der reformatorischen Aufbrüche in Ostmitteleuropa schließlich berührt die wichtige Frage nach den Wechselbeziehungen zwischen politischer Herrschaft und Reformation. Die im 16. Jahrhundert von den Verhältnissen in West- und Mitteleuropa abweichende Machtverteilung im Osten des ständischen Europa hatte zur Folge, dass hier auch die reformatorischen Impulse mehrheitlich von anderen Gruppen, eben nicht von landesfürstlichen Obrigkeiten, ausgingen und getragen wurden.45 In den ostmitteleuropäischen Herrschaftsbildungen, die sich bis 1500 in auffallender Strukturähnlichkeit entwickelt hatten, war die Reformation in erster Linie ein Anliegen der Stände. Der Kampf für Religionsfreiheit, die zum „überwölbenden und vertiefenden Bild des Anderen in Siebenbürgen. Stereotype in einer multiethnischen Region. Köln/Weimar/Wien 1997 (Siebenbürgisches Archiv 33), 109–154; dies.: Zur Geschichte der Konfessionen in Siebenbürgen im 16. bis 18. Jahrhundert. In: Südostdeutsches Archiv 24/25, 1981/82, 40–89. �� Delsol, Chantal/Masłowski, Michel (Hg.): Histoire des idées politiques de l’Europe centrale. Paris 1998; Bahlcke, Joachim/Bömelburg, Hans-Jürgen/Kersken, Norbert (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert. Leipzig 1996 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 4); Weczerka, Hugo (Hg.): Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit. Marburg 1995 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 16); Evans, R[obert] J. W./Trevor, T[homas] V.(Hg.): Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. London 1991.
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Element aller übrigen ständischen Freiheiten“ avancierte,46 brachte zugleich neue Dynamik in die ständepolitischen Auseinandersetzungen. Diese Gewichtung wird vor allem in extremen Situationen, in den Fällen bewaffneten Widerstands, deutlich – etwa während der Jahre 1546/47, als es in Böhmen erstmals zu einem gewaltsamen, politisch wie religiös motivierten Zusammenstoß zwischen Land und Dynastie kam. Die protestantischen Stände verweigerten in jenen Jahren den katholischen Habsburgern den Gehorsam, als diese daran gingen, den Schmalkaldischen Bund der Lutheraner im römisch-deutschen Reich zu bekämpfen.47 Eine ähnliche Konfliktlage können wir im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges in Ungarn beobachten. Hier war ein von dem reformierten Adeligen István Bocskai angeführter Aufstand darum bemüht, die, wie es 1604 in einem offenen Schreiben an die Stände hieß, religiöse und politische Freiheit so, wie sie zuvor bestanden hatte, wiederherzustellen.48 Das entscheidende Element sowohl für die politischen Bestrebungen der ständischen Gruppierungen als auch für die Durchsetzung der Reformation bildete der Hochadel, eine überschaubare Gruppe selbstbewusster, reich begüterter Magnaten, die zentrale Ämter im Staat besetzten, das Geschehen auf Reichs- und Landtagen beherrschten und ein spezifisches Freiheitsideal nach innen wie nach außen vertraten.49 Ihre Autonomie kam generell dem �� Eberhard, Winfried: Reformation und Luthertum im östlichen Europa. Konflikte um konfessionelle und ständische Selbstbehauptung im 16. und 17. Jahrhundert. In: Bahlcke/Störtkuhl/Weber (Hg.): Der Luthereffekt im östlichen Europa, 11–38, hier 11. Vgl. ferner Bahlcke, J oachim: ‚Libertas‘-Vorstellungen in der ständischen Gesellschaft Polens, Böhmens und Ungarns. In: Manikowska, Halina/Pánek, jaroslav (Hg.): Political Culture in Central Europe (10th – 20th Century), Bd. 1: Middle Ages and Early Modern Era. Prague 2005, 163–177; Bůžek, Václav/Vybíral, Zdeněk: Freiheit in Böhmen und Mähren zwischen Hussitismus und Dreißigjährigem Krieg. In: Schmidt, Georg/Van Gelderen, Martin/ Snigula, Christopher (Hg.): Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850). Frankfurt am Main u.a. 2006 (Jenaer Beiträge zur Geschichte 8), 239–250. �� Vorel, Petr (Hg.): Stavovský odboj roku 1547. První krize habsburské monarchie. Pardubice/ Praha 1999; Eberhard, Winfried: Monarchie und Widerstand. Zur ständischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. in Böhmen. München 1985 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 54); Dillon, Kenneth J.: King and Estates in the Bohemian Lands 1526–1564. Bruxelles 1976 (Studies presented to the International commission for the history of representative and parliamentary institutions 57). ��Etényi, Nóra G./Horn, Ildikó/Szabó, Péter: Koronás fejedelem. Bocskai István és kora. Budapest 2007; Nagy, László: Iratok Bocskai István és kora történetéhez. A Bocskai szabadságharc 400. évfordulója. Debrecen 2005; Ságvári, György u.a. (Hg.): Bocskai és kora. Tanulmányok a Bocskaiszabadságharc 400. évfordulójará. Budapest 2005; Nagy, László: Egy szablyás magyar úr Genfben. A sokarcú Bocskai István. Hajdúböszörmény 2000; Schramm, Gottfried: Armed Conflict in EastCentral Europe: Protestant Noble Opposition and Catholic Royalist Factions, 1604–20. In: Evans/ Trevor (Hg.): Crown, Church and Estates, 176–195; Benda, Kálmán: Habsburg-politika és rendi ellenállás a XVII. század elején. In: Történelmi Szemle 13, 1970, 404–427. ��Maťa, Petr: Svět české aristokracie (1500–1700). Praha 2004 (Edice Česká historie 12); Bömelburg, Hans-Jürgen: Die polnisch-litauischen Magnaten als imperiales Personal und übergreifende Herrschaftselite. In: Wendehorst, Stephan (Hg.): Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien. Herr-
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Typus pluralistischer Reformation zugute, so dass in Ostmitteleuropa in der Regel keine territorial bestimmten evangelischen Landeskirchen entstanden, sondern die einzelnen Gemeinden mehr oder weniger nebeneinander ihr Glaubensleben organisierten. Die weit verbreitete Praxis des Prinzips cuius latifundium eius religio bewirkte, dass Konfessionalisierungsprozesse häufig dezentral und regional verliefen.50 Damit erhöhte sich das Gewicht einzelner Magnatengeschlechter für die Rezeption der unterschiedlichen reformatorischen Richtungen, aber auch die Gefahr des Entstehens einer bloßen Adelskonfession ohne nachhaltige und über den lokalen Güterbesitz hinausgehende kirchenorganisatorische Impulse.
3. Pluralistische Konfessionslandschaften: regionale und lokale Eigenentwicklungen Stärkere Unterschiede treten naturgemäß hervor, wenn man die Territorialverbände für sich genommen betrachtet und den Blick auf regionale und lokale Eigenentwicklungen richtet. Auch die einzelnen Reiche selbst lassen, wie schon der Blick auf Polen-Litauen zeigt, ein beachtliches Eigenleben der Länder und Landschaften erkennen.51 Förderlich für die Rezeption reformaschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation: Institutionen, Personal und Techniken. Berlin/ München/Boston 2015 (Bibliothek Altes Reich 5), 195–210; ders.: Die Magnaten: Avantgarde der Ständeverfassung oder oligarchische Clique? In: Bahlcke/Bömelburg/Kersken (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung, 119–133; Horn, Ildikó: Der ungarische Adel als Träger der Reformation in Siebenbürgen. In: Leppin, Volker/Wien, Ulrich A. (Hg.): Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2005 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 66), 165–177; Schimert, Peter: The Hungarian Nobility in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. In: Scott, Hamish M. (Hg.): The European Nobilities in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, Bd. 2. London/New York 1995, 144–182. ��Eberhard, Winfried: Voraussetzungen und strukturelle Grundlagen der Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. In: Bahlcke/Strohmeyer (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, 89–103; Winkelbauer, Thomas: Grundherrschaft, Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung in Böhmen, Mähren und Österreich unter der Enns im 16. und 17. Jahrhundert. Ebd., 307–338. ������������������������������������������������������������������������������������������ Den Zusammenhang von ständischem Regionalismus und reformatorischem Aufbruch betont vor allem Schramm, Gottfried: Der polnische Adel und die Reformation 1548–1607. Wiesbaden 1965 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 36. Abt. Universalgeschichte). Die reiche, in den letzten fünfzig Jahren erarbeitete Forschungsliteratur zur Situation in der Adelsrepublik wird in der polnischen Ausgabe erfasst. Vgl. ders.: Szlachta polska wobec reformacji 1548– 1607. Warszawa 2015 (Klio w Niemczach 20). Die folgenden Ausführungen zum Verlauf der Reformation in einzelnen Regionen müssen sich auf wenige Schlaglichter beschränken. Angesichts des Umfangs der einschlägigen Fachliteratur wäre es vermessen, an dieser Stelle mehr als einige Überblicksbeiträge – vornehmlich in westlichen Sprachen – zu nennen. Generell sei verwiesen auf Kłoczowski, Jerzy: Ostmitteleuropa: Böhmen, Ungarn und Polen. In: Venard, Marc/Smolinsky, Heribert (Hg.): Die Zeit der Konfessionen (1530–1620/30). Freiburg/Basel/Wien 1992 (Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur 8), 618–661, sowie auf die bereits genannten Studien von Winfried Eberhard.
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torischer Anliegen war die geographische Nähe zu lutherischen Territorien des römisch-deutschen Reichs beziehungsweise zum Herzoglichen Preußen, das mit seiner 1544 in Königsberg gegründeten Universität größten Einfluss auf die Reformationsbewegung namentlich in Nordosteuropa nahm.52 Frühe Einflüsse der Wittenberger Lehre lassen sich darüber hinaus im Königlichen Preußen – vor allem in den Handelszentren Danzig, Elbing und Thorn – sowie in Großpolen beobachten.53 Wie überall in Europa spielten dabei Bildungskontakte, Handelsverbindungen und Migrationswege, die einer Verbreitung lutherischer Schriften förderlich waren, eine wichtige Rolle.54 Offen für reformatorisches Gedankengut zeigten sich überdies größere Städte wie Krakau, die ein starkes deutschsprachiges Bürgertum besaßen und für Kirchenkritik empfänglicher waren als ländlich geprägte Orte.55 Die Lutheraner blieben jedoch stets eine Minderheit innerhalb des polnischen Protestantismus, der während des 16. Jahrhunderts weitaus stärker von Reformierten (mit den wichtigsten Zentren in Litauen, Kleinpolen und Reußen), Antitrinitariern und Anhängern der in die Adelsrepublik geflohenen Böhmischen Brüderunität geprägt wurde.56 Wichtige Entscheidungen für die kirchlichen Verhältnisse fielen im Interregnum nach dem Aussterben der Jagiellonen 1572 bei der Vorbereitung der ersten freien Königswahl. Die gesamtstaatliche Herausforderung bot den Rahmen, um zeitgleich auch den Frieden zwischen allen Glaubensparteien des Unionsstaats rechtlich abzusichern. Der von den katholischen, protestantischen und orthodoxen Ständen gemeinsam erarbeiteten Warschauer Konföderation von 1573 nach – einem Rechtsakt, der von den Zeitgenossen als pax ��Jähnig, Bernhart: Die Anfänge der evangelischen Landeskirche im Herzogtum Preußen zur Zeit von Herzog Albrecht. In: ders./Mentzel-Reuters, Arno/Neitmann, Klaus (Hg.): Preußen und Livland im Zeichen der Reformation. Osnabrück 2014 (Tagungsberichte der Historischen Kommission für Ost- und Westpreußische Landesforschung 28), 15–56; ders.: Die Bedeutung von Königsberg für Annahme und Ausbreitung der Reformation im östlichen Mitteleuropa. In: Bahlcke/Störtkuhl/ Weber (Hg.): Der Luthereffekt im östlichen Europa, 97–106. ��Müller, Michael G.: Protestant confessionalisation in the towns of Royal Prussia and the practice of religious toleration in Poland-Lithuania. In: Grell/Scribner (Hg.): Tolerance and Intolerance, 262–281; ders.: Unionsstaat und Region in der Konfessionalisierung: Polen-Litauen und die großen Städte des Königlichen Preußen. In: Bahlcke/Strohmeyer (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, 123–137. �� Almási, Gábor: Touring Europe: Comparing East-Central European Academic Peregrinations of the Sixteenth and Seventeenth Century. In: ders. u.a. (Hg.): A Divided Hungary in Europe: Exchanges, Networks and Representations, 1541–1699, Bd. 1: Study Tours and Intellectual-Religious Relationships. Newcastle upon Tyne, 17–34. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Überblicksdarstellungen zu den Phasen und Verbreitungsgebieten der Reformation in der Adelsrepublik bieten Lukšaitė, Ingė: Die Reformation im Großfürstentum Litauen und in Preußisch-Litauen (1520er Jahre bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts). Leipzig 2017, und Schmidt, Christoph: Auf Felsen gesät. Die Reformation in Polen und Livland. Göttingen 2000. �� Kleinmann, Yvonne (Hg.): Kommunikation durch symbolische Akte. Religiöse Heterogenität und politische Herrschaft in Polen-Litauen. Stuttgart 2010 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 35).
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dissidentium, als Religionsfriede, bezeichnet wurde – sollte niemand an der freien Ausübung seiner Religion gehindert oder wegen seines Glaubens in weltlichen Belangen benachteiligt werden. Alle künftigen Wahlkönige wurden verpflichtet, die Einhaltung dieser Toleranzordnung und anderer Ständeprivilegien vor ihrer Wahl zu geloben.57 Angesichts dieser nahezu singulären Rechtssicherheit muss der jähe Niedergang des polnischen Protestantismus, der nach einem stürmischen Aufschwung innerhalb von wenigen Generationen – mit Ausnahme der preußischen Städte – der Gegenreformation erlag, überraschen. Zwar hatte er auch in den 1570er Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Verbreitung und Durchsetzungskraft, unter der Gesamtbevölkerung Polen-Litauens nie eine Mehrheit gefunden; dass seine bisherigen Trägerschichten sich jedoch derart rasch, ohne die prägende Erfahrung eines Gewalteinsatzes wie in den böhmischen Ländern, umorientierten, ist letztlich wohl nur durch die nie in Frage gestellte Autorität der alten Kirche, Konflikte unter den einzelnen Adelsgruppen und die zunehmende Bedrohung der Adelsrepublik von außen zu erklären, die in der Betonung des katholischen Bekenntnisses einen Eckpfeiler kollektiver Identität und Staatsräson sah.58 Ein gänzlich anderes Bild zeigt sich in Ungarn, obwohl die sozialen Strukturen und politischen Traditionen hier seit dem Spätmittelalter größte Parallelen zu Polen-Litauen aufwiesen.59 Unter den Protestanten, die Ende des ��Müller, Michael G.: Dissidentes de religione Christianae in Polen-Litauen: Vom Interim (1552) zur Warschauer Konföderation (1573). In: Schilling, Heinz/Smolinsky, Heribert (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Heidelberg 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 206), 377–388; Ptaszyński, Maciej: Religiöse Toleranz oder politischer Frieden? Verhandlungen über den Religionsfrieden in Polen-Litauen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Paulmann, Johannes/ Schnettger, Matthias/Weller, Thomas (Hg.): Unversöhnte Verschiedenheit. Verfahren zur Bewältigung religiös-konfessioneller Differenz in der europäischen Neuzeit. Göttingen 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Universalgeschichte. Beiheft 108), 161–178; ders.: Das Ringen um Sicherheit der Protestanten in Polen-Litauen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Kampmann, Christoph/Niggemann, Ulrich (Hg.): Sicherheit in der Frühen Neuzeit. Norm, Praxis, Repräsentation. Köln/Weimar/Wien 2013 (Frühneuzeit-Impulse 2), 57–75. ��Brüning, Alfons: Unio non est unitas. Polen-Litauens Weg im konfessionellen Zeitalter (1569– 1648). Wiesbaden 2008 (Forschungen zur osteuropäischen Geschichte 72); Kriegseisen, Wojciech: Die Protestanten in Polen-Litauen (1696–1763). Rechtliche Lage, Organisation und Beziehungen zwischen den evangelischen Glaubensgemeinschaften. Hg. v. Joachim Bahlcke und Klaus Ziemer. Wiesbaden 2011 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 2). ������������������������������������������������������������������������������������������� Überblicksdarstellungen zu den Phasen und Verbreitungsgebieten der Reformation in Ungarn und Siebenbürgen bieten Fata, Márta: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Münster 2000 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 60); Bucsay, Mihály: Der Protestantismus in Ungarn 1521–1978. Ungarns Reformationskirchen in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1–2. Wien/Köln/Graz 1977–1979 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte I/3,1–2); Schwarz, Karl/Švorc, Peter (Hg.): Die Reformation und ihre Wirkungsgeschichte in der Slowakei. Kirchen- und konfessionsgeschichtliche Beiträge. Wien 1996 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte II/14); Roth, Erich: Die Reformation in Siebenbürgen.
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16. Jahrhunderts schätzungsweise 80–90 Prozent der Bevölkerung ausmachten, bekannte sich mehr als die Hälfte zum reformierten Bekenntnis.60 Von zentraler Bedeutung für die Ausbreitung der Reformation und das Entstehen einer pluralistischen Konfessionslandschaft im südosteuropäischen Raum waren Ereignisse, die mit der Westexpansion der Osmanen zusammenhingen, die 1529 bis vor die Tore Wiens vorstießen. Der Großteil der ungarischen Erzbischöfe und Bischöfe war im Kampf gegen die Heere des Sultans gefallen, die Oberherrschaft ungeklärt, das Königreich selbst seit 1541 dreigeteilt. Anders als in Polen-Litauen fehlten der katholischen Kirche der Hungaria tripartita damit Personal wie Machtmittel, um der reformatorischen Bewegung Einhalt zu gebieten.61 Auf der anderen Seite war es gerade jene Bedrohung von außen, die in Kroatien dazu führte, dass die katholische Konfessionsidentität prinzipiell nie in Frage gestellt wurde.62 Der nahezu vollständige Zusammenbruch der katholischen Kirchenorganisation, verbunden mit einer weitgehenden Säkularisation der Kirchengüter, Priestermangel und anderen Faktoren, waren der Ausbreitung der verschiedenen Richtungen der Reformation insgesamt förderlich und begünstigten das Entstehen eigener kirchenrechtlicher Strukturen.63 Wie in Polen-Litauen waren es auch in Ungarn zuvorderst die einflussreichen Mitglieder führender Magnatengeschlechter, die sich ihrer Patronatsrechte bedienten, um evangelische Pfarrer und Prediger an den Pfarrkirchen auf ihren Gütern und in den Städten und Dörfern, die unter ihrer Kontrolle standen, zu installieren.64 Eine eigentliche gesetzliche Absicherung der Religionsfreiheit hatte man im 16. Jahrhundert allerdings trotz der geschwächten königlichen Zentralgewalt Ihr Verhältnis zu Wittenberg und der Schweiz, Bd. 1–2. Köln/Graz 1962–1964 (Siebenbürgisches Archiv III/2,4). ��Bernhard, Jan-Andrea: Konsolidierung des reformierten Bekenntnisses im Reich der Stephanskrone. Ein Beitrag zur Kommunikationsgeschichte zwischen Ungarn und der Schweiz in der frühen Neuzeit (1500–1700). Göttingen 2015 (Refo500 Academic Studies 19). ��Szabó, András: Die Türkenfrage in der Geschichtsauffassung der ungarischen Reformation. In: Guthmüller, Bodo/Kühlmann, Wilhelm (Hg.): Europa und die Türken in der Renaissance. Tübingen 2000 (Frühe Neuzeit 54), 275–281; Adriányi, Gabriel: Zu den Auswirkungen der osmanischen Expansion auf die Kirche im Königreich Ungarn. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 23, 1997, 361–374; ders.: Geschichte der katholischen Kirche in Ungarn. Köln/Weimar/Wien 2004 (Bonner Beiträge zur Kirchengeschichte 26), 106–116. 62 Bahlcke, Joachim: Außenpolitik, Konfession und kollektive Identitätsbildung: Kroatien und Innerösterreich im historischen Vergleich [1999]. In: ders.: Gegenkräfte. Studien zur politischen Kultur und Gesellschaftsstruktur Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit. Marburg 2015 (Studien zur Ostmitteleuropaforschung 31), 258–276. ��Molnár, Antal: LʼEglise catholique dans la Hongrie ottomane (16e–17e siècles). In: Łaszkiewicz (Hg.): Churches and Confessions, 118–126. ��Teleky, Béla Matthias: Westungarische Magnaten und die Reformation. Die Auswirkungen des Reformglaubens auf das dreigeteilte ungarische Königreich mit besonderer Berücksichtigung der Hochadelsfamilien Batthyány und Nádasdy. Herne 2014 (Mitteleuropäische Studien 7); Reingrabner, Gustav/Schlag, Gerald (Hg.): Reformation und Gegenreformation im Pannonischen Raum. Eisenstadt 1999 (Wissenschaftliche Arbeiten aus dem Burgenland 102).
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Der aus Oberungarn gebürtige Albert Molnár war in den Jahrzehnten um 1600 einer der profiliertesten calvinistischen Theologen im östlichen Mitteleuropa. Obwohl der produktive Späthumanist einen Großteil seines Lebens im römisch-deutschen Reich verbrachte, war sein Einfluss namentlich auf das ungarische Reformiertentum von größter Bedeutung. Finanziell unterstützt vom Heidelberger Kirchenrat, begann Molnár 1618 mit der Übertragung von Calvins theologischem Hauptwerk Institutio Christianae Religionis ins Ungarische. Da der pfälzische Hof wenig später in die turbulenten Ereignisse in Böhmen nach dem Prager Fenstersturz verwickelt wurde, konnte Molnárs Übersetzung erst 1624 bei David Aubry in Hanau erscheinen.
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nicht durchsetzen können. Sie gelang erst – im Schatten des Langen Türkenkriegs und der in dieser Zeit einsetzenden habsburgischen Dynastie- und Staatskrise – nach dem militärischen Zusammenstoß zwischen Landesherrschaft und evangelischem Adel, der 1606 zum Frieden von Wien führte. Die dort vereinbarten Religionsbestimmungen konnten zwei Jahre später auf einem ungarischen Reichstag in Pressburg noch erheblich erweitert werden.65 An diesen Ereignissen wird zweierlei deutlich, was sich für die weitere Entwicklung im 17. Jahrhundert als grundlegend erweisen sollte: dass in Ungarn die Behauptung ständestaatlicher Strukturen und die Verteidigung der Religionsfreiheit in einer festen, im politischen Denken großer Teile der adeligen Elite tief verankerten Verbindung standen, und dass der semi-souveräne Kleinstaat Siebenbürgen, der bis 1660 nahezu durchgehend von reformierten Fürsten regiert wurde, für die Bewahrung und Festigung des konfessionspolitischen Status quo größte Bedeutung hatte.66 Mit dem Zusammenbruch der Macht Siebenbürgens und der Zurückdrängung der Osmanen änderten sich zwar wichtige Koordinaten. Der ungarische Protestantismus wusste sich jedoch trotz eines sich bis weit in das 18. Jahrhundert hinein verfolgten militanten Konfessionalismus von Wiener Hof und katholischer Hierarchie zu behaupten, eben weil die ständische Verfassung im Grundsatz nicht ausgehebelt werden konnte.67 In den böhmischen Ländern schließlich verlief die Rezeption der von Luther ausgehenden Kirchenerneuerung und der schweizerischen Theologie, trotz der seit 1526 im Prinzip gleichen Oberherrschaft der Habsburger, in völlig anderen Bahnen als in Ungarn.68 Das hing in erster Linie mit den �� Péter, Katalin: A vallásügy a bécsi békében. In: Papp, Klára/Jeney-Tóth, Annamária (Hg.): Frigy és békesség legyen... A bécsi és a zsitvatoroki béke. Debrecen 2006 (Bocskai-szabadságharc 400. évfordulója 8), 171–175; dies.: Tolerance and Intolerance in Sixteenth-century Hungary. In: Grell/Scribner (Hg.): Tolerance and Intolerance, 249–261; Pálffy, Géza: The Kingdom of Hungary and the Habsburg Monarchy in the Sixteenth Century. New York 2009 (East European Monographs 735), 209–233, 345–349. ��Bahlcke, Joachim: Veritas toti mundo declarata. Der publizistische Diskurs um Religionsfreiheit, Verfassungsordnung und Kirchenrecht in Ungarn im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts [2011]. In: ders.: Gegenkräfte, 102–117; Kessler, Wolfgang: Stände und Herrschaft in Ungarn und seinen Nebenländern im 18. und frühen 19. Jahrhundert. In: Weczerka (Hg.): Stände und Landesherrschaft, 171–191; Zach, Krista: Fürst, Landtag und Stände. Die verfassungsrechtliche Frage in Siebenbürgen im 16. und 17. Jahrhundert. In: dies.: Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation, 49–69. ��Bahlcke, Joachim: Élites religieuses et politiques dans le sud-est de la monarchie des Habsbourg. Clergé, constitution aristocratique et Église d’État en Hongrie à l’époque de Marie-Thérèse. In: Boehler, Jean-Michel/Lebeau, Christine/Vogler, Bernard (Hg.): Les élites régionales (XVIIe–XXe siècle). Construction de soi-même et service de l’autre. Épique de recherche en sciences historiques. Strasbourg 2002, 215–232; ders.: Hungaria eliberata? Zum Zusammenstoß von altständischer Libertät und monarchischer Autorität in Ungarn an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert [2006]. In: ders.: Gegenkräfte, 369–384. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Überblicksdarstellungen zur spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Religions- und Kirchengeschichte in den böhmischen Ländern bieten Kadlec, Jaroslav: Přehled českých církevních dějin, Bd. 1–2. Řím 1987; Vaccaro, Luciano (Hg.): Storia religiosa dei Cechi e Slovacchi. Milano 1987;
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Die hussitische Revolution in Böhmen hatte zur Folge, dass innerhalb von weniger als zwei Jahrzehnten die Einheit der kirchlichen Lehre und des kanonischen Rechts zerbrach. Religiös war das Land seit 1419 gespalten. Auf der einen Seite standen die Katholiken, auf der anderen die Utraquisten, die den Jurisdiktionsprimat des Papstes nicht anerkannten und in der Liturgie die Volkssprache verwendeten. Eine Allegorie des von Religionsstreitigkeiten zerrissenen Königreichs findet sich auf einer aufwendig gestalteten Landkarte – der ersten gedruckten Karte Böhmens überhaupt – von Mikuláš Klaudyán. Sie erschien 1518 in Nürnberg bei Hieronymus Höltzel. Unter den zahlreichen Humanisten- und Reformationsdrucken, die bei Höltzel verlegt wurden, finden sich mehrere tschechischsprachige Werke.
Folgen der vorreformatorischen, nach dem tschechischen Prediger Jan Hus benannten Protestbewegung zusammen, die das Land im 15. Jahrhundert vollständig umgestaltete. Innerhalb von weniger als zwei Jahrzehnten war in Böhmen die Einheit der kirchlichen Lehre und des kanonischen Rechts zerbrochen. Die Erschütterung der alten Ordnung ging hier sehr viel weiter als bei vergleichbaren Bewegungen in der lateinischen Christenheit, die vor der Reformation allgemein als Häresie bezeichnet wurden. In der Folge entstand ein breites Spektrum neuer religiöser Strömungen – und damit die fortwährende Herausforderung zu einem Ausgleich zwischen den einzelnen Gruppen und zu öffentlicher Toleranz.69 Diese religiöse und zwangsläufig auch politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzung, die bereits ein Jahrhundert vor dem Auftreten Luthers einsetzte, prägte die zweihundertjährige Epoche der sogenannten böhmischen Reformation.70 Medek, Václav: Cesta české a moravské církve staletími. Praha 1982; Seibt, Ferdinand (Hg.): Bohemia sacra. Das Christentum in Böhmen 973–1973. Düsseldorf 1974; Řičan, Rudolf: Das Reich Gottes in den böhmischen Ländern. Geschichte des tschechischen Protestantismus. Stuttgart 1957; Hrejsa, Ferdinand: Dějiny křesťanství v Československu, Bd. 1–6. Praha 1947–1950. �� Šmahel, František: Pax externa et interna. Vom Heiligen Krieg zur Erzwungenen Toleranz im hussitischen Böhmen (1419–1485). In: Patschovsky, Alexander/Zimmermann, Harald (Hg.): Toleranz im Mittelalter. Sigmaringen 1998 (Vorträge und Forschungen 45), 221–273. �� Molnár, Amedeo: Böhmische Reformation. In: Filipi, Pavel u.a. (Hg.): Tschechischer Ökumenismus. Historische Entwicklung. Praha 1977, 81–144.
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Die Ereignisse in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hatten in den böhmischen Ländern fundamentale Veränderungen zur Folge. Dies gilt in erster Linie für Böhmen und – mit gewissen Abstrichen – für Mähren. Religiös war vor allem das Hauptland der Krone seit 1419 gespalten: in Katholiken und in Utraquisten. Da Rom die Wahl eines gemeinsamen utraquistischen Erzbischofs für beide Kirchen nicht anerkannte, wurden diese jeweils von einem Konsistorium geführt. Das seit 1421 vakante Prager Erzbistum blieb nahezu anderthalb Jahrhunderte unbesetzt. Institutionell hatte sich die katholische Kirche damit zwar behauptet, materiell aber war sie durch Zerstörungen, Besetzungen und Verpfändungen von rund vier Fünfteln der Kirchengüter in eine prekäre Situation geraten. Vor allem der Hochadel, der utraquistische ebenso wie der katholische, profitierte von der Säkularisierung des Kirchenbesitzes. In den Jahrzehnten, in denen die bisherige Rechtsordnung völlig zusammengebrochen war und es faktisch keine monarchische Zentralgewalt mehr gab, baute er seine Macht in Verfassung und Verwaltung deutlich aus.71 Um 1500 bekannte sich die Mehrheit der Bevölkerung zur utraquistischen Kirche, die seit dem Religionsfrieden von Kuttenberg (1485) landesrechtlich legitimiert war.72 Das Nebeneinander von Hussiten und Katholiken entwickelte sich bis Mitte des 16. Jahrhunderts nicht nur durch die Brüderunität und das Luthertum, sondern auch durch eine Differenzierung innerhalb der utraquistischen Mehrheitskonfession zu einer zunehmend konfliktreichen Gemengelage weiter.73 Das Bemühen um eine Legitimation der Lutheraner und der Brüder sowie die Ausbildung einer gemeinsam agierenden, evangelischen Religionspartei waren das bestimmende Element der innenpolitischen Entwicklung seit der Erfahrung politisch-religiöser Gewalt im Zuge des Schmalkaldischen Krieges. Mit einer eigenständigen Bekenntnisschrift,
��Mezník, Jaroslav: Česká a moravská šlechta ve 14. a 15. století. In: Sborník historický 37, 1990, 7–36; Petráň, Josef: Skladba pohusitské aristokracie v Čechách. In: Acta Universitatis Carolinae – Philosophica et Historica 1. Studia Historica 14, 1976, 9–80. ��Just, Jiří: Der Kuttenberger Religionsfrieden von 1485. In: Bahlcke/Rohdewald/Wünsch (Hg.): Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa, 838–850; Eberhard, Winfried: Zu den politischen und ideologischen Bedingungen öffentlicher Toleranz: Der Kuttenberger Religionsfrieden 1485. In: Studia Germano-Polonica, Bd. 1. Kraków 1992, 101–118; ders.: Entstehungsbedingungen für öffentliche Toleranz am Beispiel des Kuttenberger Religionsfriedens von 1485. In: ����������������� Communio Viatorum 29, 1986, 129–154. �� Just, Jiří: Luteráni v našich zemích do Bílé hory. In: ders. u.a.: Luteráni v českých zemích v proměnách staletí. Praha 2009, 23–126; David, Zdeněk V.: Bohemian Utraquism in the Sixteenth Century: The Distinction and Tribulation of a Religious „Via Media“. In: Communio Viatorum 35, 1993, 195–231; Eberhard, Winfried: Die deutsche Reformation in Böhmen 1520–1620. In: Rothe, Hans (Hg.): Deutsche in den böhmischen Ländern. Köln/Weimar/Wien 1992 (Studien zum Deutschtum im Osten 25/1), 103–123; Thomsen, Martina: „Wider die Picarder“. Diskriminierung und Vertreibung der Böhmischen Brüder im 16. und 17. Jahrhundert. In: Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge, 145–164; Pánek, Jaroslav: The question of tolerance in Bohemia and Moravia in the age of the Reformation. In: Grell/Scribner (Hg.): Tolerance and Intolerance, 231–248.
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der auf dem Prager Landtag von 1575 vorgelegten Confessio Bohemica, wurde zumindest eine grundsätzliche inhaltliche Übereinstimmung der einzelnen reformatorischen Gruppen erzielt.74 Und 1609 konnte man dem in die Defensive geratenen katholischen König überdies die Ausstellung eines Majestätsbriefs für freie Religionsausübung abringen.75 Die Brüchigkeit dieser Übereinkunft und darüber hinaus der gesamten politischen Ordnung zeigte sich jedoch schon wenige Jahre später. Der Prager Fenstersturz von 1618 und die ihm folgende militärische Auseinandersetzung der böhmischen Protestanten mit dem Haus Habsburg führten zu einem völligen Systemwechsel, dem nicht nur die politische Libertät der Stände, sondern auch die Religionsfreiheit zum Opfer fiel.76 Dies gilt freilich nur für Böhmen und Mähren, nicht für Schlesien, dessen Bikonfessionalität erhalten blieb und während des 17. und 18. Jahrhunderts mehrfach rechtlich bestätigt wurde.77 Hier wie auch an anderen Phänomenen lässt sich das spezifische, auch für die religiöse Entwicklung wichtige Problem der Stellung der böhmischen Länder im und zum römisch-deutschen Reich erkennen,78 ein Problem, das sich in dieser Weise in Polen-Litauen und Ungarn-Siebenbürgen überhaupt nicht stellte.
�� David, Zdeněk V.: Utraquists, Lutherans, and the Bohemian Confession of 1575. In: Church History 68, 1999, 294–336; Pánek, Jaroslav: Zápas o charakter české stavovské opozice a sněm roku 1575. In: Československý časopis historický 28, 1980, 863–887. �� Hausenblasová, Jaroslava/Mikulec, Jiří/Thomsen, Martina (Hg.): Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen. Der �������������������������������������������������������������������� Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609. Stuttgart 2014 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 46); Just, Jiří: 9.7.1609. Rudolfův Majestát. Světla a stíny náboženské svobody. Praha 2009 (Dny, které tvořily české dějiny 19). �� Eberhard, Winfried: Zur Religionsproblematik in der böhmischen Landesverfassung der Reformationsepoche. In: Malý/Pánek (Hg.): Vladislavské zřízení zemské, 249–266; ders.: Entwicklungsphasen und Probleme der Gegenreformation und katholischen Erneuerung in Böhmen. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 84, 1989, 235–257; Mikulec, Jiří: 31.7.1627. Rekatolizace šlechty v Čechách. Čí je země, toho je i náboženství. Praha 2005; Hrubá, Michaela (Hg.): Víra nebo vlast? Exil v českých dějinách raného novověku. Ústí nad Labem 2001. ��Wąs, Gabriela: Akty prawne dotyczące wolności religijnych protestantów śląskich i ich znaczenie polityczne dla Śląska. In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 55, 2000, 373–405; Schott, Christian-Erdmann: Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Evangelischen in Schlesien. In: Hey, Bernd (Hg.): Der Westfälische Frieden 1648 und der deutsche Protestantismus. Bielefeld 1998 (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft 6; Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 3), 99–111; Bahlcke, Joachim: Turbulatores tranquillitatis publicae? Zur Frage der Religionsfreiheit für die Reformierten in Schlesien im Umfeld der Altranstädter Konvention von 1707. In: Bahlcke, Joachim/Dingel, Irene (Hg.): Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Göttingen 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für abendländische Religionsgeschichte. Beiheft 106), 205–246. �� Bahlcke, Joachim: Religionsfreiheit und Reichsbewußtsein. Deutungen des Augsburger Religionsfriedens im böhmisch-schlesischen Raum. In: Schilling/Smolinsky (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden, 389–413.
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Die konfessionelle Vielfalt in den böhmischen Ländern beflügelte auch die literarische Produktion. Die evangelischen Autoren schrieben mehrheitlich auf Tschechisch. Aus dem Schrifttum der Böhmischen Brüder ist besonders das umfangreiche Werk ihres Bischofs Jan Blahoslav hervorzuheben, das im mährischen Eibenschitz erschien, wo sich seit Anfang der 1560er Jahre eine brüderische Druckerei befand. Hier wurde 1564 auch das von Blahoslav zusammengestellte Kanzional gedruckt, das in späteren Jahren mehrfach neu aufgelegt wurde. Das abgebildete Titelblatt der Ausgabe von 1576 zeigt im unteren Teil einen singenden Brüderchor. In der Vorrede ist von den Prager Verhandlungen über die Confessio Bohemica im Vorjahr die Rede.
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4. Reformationsgeschichte und Adelsgeschichte. Real- und begriffsgeschichtliche Befunde der Regionalstudie Ostmitteleuropa Wie andernorts war auch im östlichen Europa die Frage der Annahme und vor allem der Durchsetzung der Reformation eng an die Frage der Machtverteilung im Gemeinwesen gekoppelt. Insofern zeigt die Regionalstudie Ostmitteleuropa die Grenzen eines reformatorischen Aufbruchs, der hier in aller Regel gegen den Willen der Landesherren erfolgte, damit aber auch zugleich an die Wechselfälle ständischer Partizipationsansprüche und Machtkonflikte gebunden war. Erfolg wie Misserfolg der Reformation waren im Raum zwischen Ostsee und Adria auffallend stark von der jeweiligen Stellung des Adels und von dessen Positionierung im gesamtgesellschaftlichen Gefüge abhängig. Dennoch wäre es sicherlich zu kurz gegriffen, die religiöse Entwicklung ausschließlich im Kontext der Auseinandersetzung zwischen Ständetum und Königsgewalt zu sehen. Denn auf der politischen Ebene zeigt sich doch immer wieder, dass die einzelnen Landesherren die ständischen, untereinander konkurrierenden Machtträger, die durchaus divergierende Einzel-, Familien- und Klientelinteressen vertraten, isolieren und gegeneinander ausspielen konnte. Umgekehrt eröffneten sich damit – und diese Beobachtung ist nicht zuletzt mit Blick auf die katholische Reform und die Rekatholisierung der ostmitteleuropäischen Gesellschaften zu beachten – Spielräume für wechselnde Allianzen und temporäre Koalitionen. Ein solcher Befund weckt Zweifel an der Sinnhaftigkeit des Begriffs vom meist statisch und unveränderlich gedachten ‚Dualismus‘ zwischen Herrscher und Ständen sowie anderen dichotomen Erklärungsmustern frühneuzeitlicher Macht- und Herrschaftskonflikte. Diese Überlegungen haben zugleich begriffsgeschichtliche Konsequenzen. Es erscheint fraglich, ob man dem in der deutschen Reformationsforschung zur Beschreibung der Verhältnisse im römisch-deutschen Reich weit verbreiteten Begriff der ‚Fürstenreformation‘ für den hier im Mittelpunkt stehenden Raum den der ‚Adelsreformation‘ entgegensetzen sollte. Ernst Schubert, der terminologischen Fragen stets großes Gewicht zumaß,79 hat die Problematik des Begriffs ‚Fürstenreformation‘ – vor allem als Terminus für die Gestaltung der Konfessionsverhältnisse bis zum Abschluss des Augsburger Religionsfriedens – präzise erfasst und seine Skepsis gegen dessen vorbehaltlose Verwendung mit gewichtigen Beispielen untermauert.80 Seine Kritikpunkte, �������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. exemplarisch das Kapitel „Die fragile Terminologie“, eine gedankenreiche Auseinandersetzung mit den Begriffen ‚Territorialstaat‘, ‚Landeshoheit‘ und ‚Landesherrschaft‘, bei Schubert, Ernst: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter. München 22006 [11969] (Enzyklopädie deutscher Geschichte 35), 52–61. �� Ders.: Fürstenreformation. Die Realität hinter einem Vereinbarungsbegriff. In: Bünz, Enno/ Rhein, Stefan/Wartenberg, Günther (Hg.): Glaube und Macht. Theologie, Politik und Kunst im Jahrhundert der Reformation. Leipzig 2005 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in SachsenAnhalt 5), 23–47. Zur Rezeption dieser Überlegungen in der deutschen Frühneuzeitforschung vgl.
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die nicht nur auf zeitliche wie räumliche Differenzierung abzielten, sondern auch das Nebeneinander von individuellen, familiären und dynastischen Interessen sowie strukturgeschichtlichen Faktoren zu bedenken gaben, lassen sich unter umgekehrtem Vorzeichen ebenfalls gegen eine allzu leichtfertige Verwendung des Begriffs ‚Adelsreformation‘ für den ostmitteleuropäischen Raum vorbringen. Dies betrifft zunächst den Träger der reformatorischen Aufbrüche. Volker Press schrieb bereits 1980 in einem programmatischen Beitrag über Stadt und territoriale Konfessionsbildung, dass sich die Bewegung, die man gemeinhin als Reformation bezeichne, „entlang von überkommenen Kommunikationswegen, gemäß territorialen Abhängigkeiten, entsprechend alten Bildungsbeziehungen“ vollzogen habe – und dass den Gang der Entwicklung „nicht allein die Ideen der großen Reformatoren, nicht bloß der Wille der deutschen Fürsten“ bestimmt hätten.81 Übertragen auf die hier vorgelegte Regionalstudie wäre zu ergänzen: Auch die mächtigen Adelsobrigkeiten, die sich faktisch im Besitz des ius reformandi befanden und über die Besetzung von Patronatspfarreien erheblichen Einfluss auf die Konfessionsbildung im ländlichen Raum nahmen,82 waren nicht der alleinige Faktor in diesem komplexen Umwandlungsprozess. Analog zu den Motiven der Landesherren – ging es primär um die Frage der „Herrschaftsgestaltung im Innern“ oder um den „Schutz der lutherischen Lehre“?83 – wäre überdies zu fragen, ob das Agieren des Adels in erster Linie als Bemühen um die Sache der Reformation zu deuten ist oder auf die Ausweitung herrschaftlicher Rechte abzielte, also im Kontext religiös-sozialer Disziplinierung und ökonomischer Interessen stand.84 Schattkowsky, Martina: Zwischen Rittergut, Residenz und Reich. Die Lebenswelt des kursächsischen Landadligen Christoph von Loß auf Schleinitz (1574–1620). Leipzig 2007 (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde 20); Volkmar, Christoph: Was hatte der Niederadel in Mitteldeutschland durch die Reformation zu verlieren? In: Greiling, Werner/Kohnle, Armin/Schirmer, Uwe (Hg.): Negative Implikationen der Reformation? Gesellschaftliche Transformationsprozesse 1470–1620. Köln/Weimar/Wien 2015 (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation 4), 373–400; Dannenberg, Lars-Arne: Reformation auf dem Land. Der Oberlausitzer Adel und die lutherische Lehre. In: Heimann/Neitmann/Tresp (Hg.): Die Nieder- und Oberlausitz, Bd. 2, 55–87. Begriffsgeschichtlich wie methodisch wichtig ist die Studie von Jendorff, Alexander: Heroen oder Verräter des Gotteswortes? Eine kritische Bestandsaufnahme des Verhältnisses zwischen Reformationsgeschichte und Adelsgeschichte. In: Lutherjahrbuch 82, 2015, 106–147. ��Press, Volker: Stadt und territoriale Konfessionsbildung [1980]. In: ders.: Das Alte Reich. Ausgewählte Aufsätze. Hg. v. Johannes Kunisch. Berlin 1997 (Historische Forschungen 59), 379–434, hier 429. ������������������������������������������ Vgl. das Kapitel „Adelsreformation“ bei Winkelbauer, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Tl. 2. Wien 2003 (Österreichische Geschichte 1522–1699), 106–111. ��Schubert: Fürstenreformation, 24, 29. �� Winkelbauer, Thomas: Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung durch Grundherren in den österreichischen und böhmischen Ländern im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung 19, 1992, 317–339.
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Schubert spricht ferner einen zentralen Punkt an, wenn er schreibt, die deutschen Landesfürsten des 16. Jahrhunderts seien stets „zu einer Konsensbildung mit den beherrschenden Kräften des Landes, mit den Landständen, mit hoher Geistlichkeit, mit dem Adel und den wichtigsten Städten“ gezwungen gewesen; er warnt ausdrücklich davor, die konkrete „Herrschaftswelt“ der Fürsten aus den Augen zu verlieren und bei jedem Territorium von einer „nahezu autonomen Gebietsherrschaft“ auszugehen.85 Ganz ähnlich wird man vor der Vorstellung einer weitgehenden Autonomie der ostmitteleuropäischen Adelswelt warnen müssen. Auch hier gab es – gerade wegen der konfessionellen Diskrepanz zum Herrscher – vielfältige politische Konstellationen, auf die Rücksicht zu nehmen war. Die Konfessionsfrage war von anderen politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Fragen nie zu trennen. Und die Funktionsfähigkeit der Landesverfassung stand den handelnden Akteuren, so darf man wohl generalisieren, ebenso vor Augen wie die Handlungsfähigkeit der Gesamtgesellschaft.
��Schubert: Fürstenreformation, 27, 35.
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Ein „kirchenhistorischer Sonderfall“? Zur Ausformung und Wahrnehmung religiöser Vielfalt in Siebenbürgen im ostmitteleuropäischen Kontext 1. Der „Fall Siebenbürgen“ – eine historiographiegeschichtliche Annäherung In der vielsprachigen Geschichtsschreibung in und über Siebenbürgen gibt es keinen Begriff, der über alle Epochen hinweg und in nahezu sämtlichen historischen Teildisziplinen häufiger Verwendung findet als der des Sonderfalls.1 Für Anton Radvánszky zeichnete Siebenbürgen „schon seit der Zeit der Landnahme“ eine „gewisse Sonderentwicklung“ innerhalb des Königreichs Ungarn aus, die prägend geworden sei für die spätere Ausformung von Verfassung und politischem System.2 Die sich seit dem Mittelalter herausschälenden Rechts-, Verwaltungs- und Sozialstrukturen Siebenbürgens sind vermutlich am häufigsten als vermeintlich einzigartig charakterisiert worden, dicht gefolgt von der außenpolitischen Stellung des Fürstentums zwischen dem Osmanischen Reich und der Habsburgermonarchie im 16. und 17. Jahrhundert.3 Doch nicht nur in politischer, sondern auch und vor allem in religiöser Hinsicht vollzog Siebenbürgen für viele Autoren eine singuläre Entwicklung.4 Das Land sei geradezu, wie es Volker Leppin formulierte, „ein 1 Kritisch zur Verwendung dieses Begriffs für die historische Entwicklung Siebenbürgens Zach, Krista: Stände, Grundherrschaft und Konfessionalisierung in Siebenbürgen. Überlegungen zur Sozialdisziplinierung (1550–1650). In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 367–391, hier 372. 2 Radvánszky, Anton: Grundzüge der Verfassungs- und Staatsgeschichte Ungarns. München 1990 (Studia Hungarica. Schriften des Ungarischen Instituts München 35), 50. 3 Vgl. stellvertretend für zahlreiche Studien Deák, Ernő: Die siebenbürgischen Städte im Habsburgerreich. Eine Fallstudie. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für interdisziplinäre Hungarologie 28, 2005/07, 29–54. Der Autor spricht auf nur zwei Seiten von der „Sonderrolle, welche dieses Kronland [Siebenbürgen] innerhalb des Königreiches Ungarn“ gespielt habe, er konstatiert ferner „eine gewisse Sonderstellung“, die das Land bereits im späten Mittelalter innerhalb des Stephansreiches eingenommen habe, und spricht schließlich von einer „rechtlichen Sonderrolle des Landes“, die sich nicht zuletzt in seiner politisch-rechtlichen Strukturierung gezeigt habe (31f.). Ähnlich argumentiert Heppner, Harald: Habsburg und die Siebenbürger Sachsen (1688–1867). Zum Thema politische Kultur. In: Lengyel, Zsolt K./Wien, Ulrich A. (Hg.): Siebenbürgen in der Habsburgermonarchie. Vom Leopoldinum bis zum Ausgleich (1690–1867). Köln/Weimar/Wien 1999 (Siebenbürgisches Archiv 34), 47–59. 4 Dies gilt beispielsweise für Fata, Márta: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Hg. v. Franz Brendle und Anton Schindling. Münster 2000 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 60); Philippi, Paul: Land des Segens? Fragen an die Geschichte Sie-
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kirchenhistorischer Sonderfall“: Aufgrund seiner konfessionellen Vielfalt, so der in Jena lehrende evangelische Kirchenhistoriker, könne Siebenbürgen „ein Paradefall zur Untersuchung der Prozesse werden, in denen sich in der Frühen Neuzeit auch ohne direkte staatliche Steuerung konfessionelle Identitäten bildeten, die freilich vielfach zugleich auch als ethnische Identität in Erscheinung treten“.5 Die These vom angeblichen Sonderweg Siebenbürgens noch im bürgerlichen Zeitalter ist derart verbreitet, dass Joachim von Puttkamer einen Aufsatz über das Nationalitätenproblem Ungarns im 19. Jahrhundert unter dem originellen Titel „Kein europäischer Sonderfall“ publizierte.6 Hinter der Annahme historischer Sonderfälle und Sonderwege verbirgt sich allerdings, und zwar unabhängig von den konkreten Inhalten solcher Postulate, eine Vielzahl methodischer und theoretischer Fallstricke, von den nationalhistorischen ganz abgesehen. Besondere Bedeutung kommt naturgemäß, um nur ein einzelnes Problem herauszugreifen, der Wahl des Vergleichsgegenstandes zu, die – ob explizit benannt oder ungenannt vorausgesetzt – jedem Urteil über die vermeintliche Einzigartigkeit geschichtlicher Phänomene oder Prozesse zugrunde liegt.7 Wenn der genannte Volker Leppin beispielsweise urteilt, dass sich die konfessionsrechtliche Situation im frühneuzeitlichen Siebenbürgen „fundamental“ von der Rechtslage im Heiligen Römischen Reich unterschieden habe,8 so wird man ihm sachlich-faktographisch kaum widersprechen wollen. Andererseits: Wo in Europa wäre die Rechtslage nicht fundamental anders gewesen als im römisch-deutschen Reich? Noch komplizierter wird die Sache dann, wenn der vermeintliche Regelfall selbst als Sonderfall gedeutet wird – und eben genau dies lässt sich in Deutschland während des 18. Jahrhunderts beobachten, denn in dieser Zeit wurde es üblich, Muster und Sonderwege im Prozess der europäischen Staats- und Nationsbildung einander gegenüberzustellen; und das hieß im benbürgens und seiner Sachsen. Köln/Weimar/Wien 2008 (Siebenbürgisches Archiv 39); Binder, Ludwig: Grundlagen und Formen der Toleranz in Siebenbürgen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Köln/Wien 1976 (Siebenbürgisches Archiv 11). 5 Leppin, Volker: Siebenbürgen: Ein kirchenhistorischer Sonderfall von allgemeiner Bedeutung. In: Leppin, Volker/Wien, Ulrich A. (Hg.): Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2005 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 66), 7–13, hier 13. 6 von Puttkamer, Joachim: Kein europäischer Sonderfall. Ungarns Nationalitätenproblem im 19. Jahrhundert und die jüngere Nationalismusforschung. In: Fata, Márta (Hg.): Das Ungarnbild der deutschen Historiographie. Stuttgart 2004 (Schriftenreihe des Instituts für Donauschwäbische Geschichte und Landeskunde 13), 84–98. 7 Arndt, Agnes/Häberlen, Joachim C./Reinecke, Christiane (Hg.): Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis. Göttingen 2011; Schreiber, Waltraud (Hg.): Der Vergleich. Eine Methode zur Förderung historischer Kompetenzen. Ausgewählte Beispiele. Neuried 2005 (Schriftenreihe Eichstätter Kontaktstudium zum Geschichtsunterricht 5); Haupt, Heinz-Gerhard/Kocka, Jürgen (Hg.): Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung. Frankfurt am Main/New York 1996. 8 Leppin: Siebenbürgen, 12.
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konkreten Fall: das vermeintlich rückständige Deutschland mit dem angeblich fortschrittlichen Westen, mit Frankreich und England, zu vergleichen.9 Mit anderen Worten: Dem vermeintlichen Sonderfall Siebenbürgen lässt sich gewiss kein „Normalfall Deutschland“ gegenüberstellen. Aufschlussreich wäre es gleichwohl, die Ursprünge solcher historiographischen Konstrukte näher zu verfolgen, die in der Zeit der Aufklärung Hochkonjunktur besaßen und vielfach mit Debatten um kulturelle und zivilisatorische Grenzziehungen innerhalb Europas verbunden waren.10 Ein Blick in andere Regionen Ostmitteleuropas zeigt rasch, dass entsprechende Diskurse keineswegs singulär sind. Sie hängen ganz offensichtlich mit der spezifischen Form der Staatlichkeit im östlichen Europa zusammen, mit der Langlebigkeit ständischer Strukturen und in diesem Zusammenhang auch religiöser Selbstbestimmungsrechte und Freiräume.11 Historiker tun sich bis zur Gegenwart generell schwer, die inneren Strukturen der polnischen, böhmischen und ungarischen Länderverbände angemessen zu beschreiben. Nur ein Beispiel aus den Ländern der Wenzelskrone: Wer die Ober- und Niederlausitz etwa zu den „Außenländern“12 der Krone Böhmen rechnet und damit das Geschehen im Hauptland, in Böhmen, für die Entwicklung des Gesamtstaates als das „eigentliche“ interpretiert, der verkennt nicht nur den spezifischen Zusammenhalt der corona Bohemiae und das eigentümliche Spannungsverhältnis zwischen staatlichem Gesamtverband und regionalen Gegenkräften in den einzelnen Teilsystemen. Er hält auch 9 Bahlcke, Joachim: Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit. München 2012 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 91), 56–58. ��Wolff, Larry: Inventing Eastern Europe. The Map of Ci���������������������������������������� vilization on the Mind of the Enlightenment. Stanford 1994; Hroch, Miroslav/Klusáková, Luďa (Hg.): Criteria and Indicators of Backwardness. Essays on uneven development in European history. Prague 1996; Adanir, Fikret u.a.: Traditionen und Perspektiven vergleichender Forschung über die historischen Regionen Osteuropas. In: Berliner Jahrbuch für osteuropäische Geschichte 1, 1996, 11–43. ���������������������������������������������������������������������������������� Zur Geschichtsregion Ostmitteleuropa in Spätmittelalter und Früher Neuzeit vgl. Kłoczowski, Jerzy (Hg.): Historia Europy Środkowo-Wschodniej, Bd. 1–2. Lublin 2000; Mączak, Antoni/Weber, Wolfgang (Hg.): Der frühmoderne Staat in Ostzentraleuropa, Bd. 1–2. Augsburg 1999–2000; Bahlcke, Joachim/Bömelburg, Hans-Jürgen/Kersken, Norbert (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert. Leipzig 1996 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 4); Weczerka, Hugo (Hg.): Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit. Marburg 1995 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 16); Wandycz, Piotr S.: The Price of Freedom. A History of East Central Europe from the Middle Ages to the Present. London/ New York 1992; Evans, R[obert] J. W./Thomas, T[revor] V. (Hg.): Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. London 1991. Vgl. zusammenfassend den Literaturbericht von Mühle, Eduard: Geschichte Ostmitteleuropas. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 52, 2001, 47–63, 122–138, 192–209, 260–283. ��Lemper, Ernst-Heinz: Anfänge akademischer Sozietäten in Görlitz und Bartholomäus Scultetus (1540–1614). In: Garber, Klaus/Wismann, Heinz (Hg.): Europäische Sozietätsbewegung und demokratische Tradition. Die europäischen Akademien der Frühen Neuzeit zwischen Frührenaissance und Spätaufklärung, Bd. 2. Tübingen 1996 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 27), 1152–1178, hier 1154.
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und vor allem unbewusst an einer auf den böhmischen Adel zurückgehenden und für dessen politisches Denken vom 15. bis 17. Jahrhundert zentralen Vergangenheitskonstruktion fest: dem Versuch nämlich, die Stellung des Königreichs Böhmen zu seinen inkorporierten Ländern Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz als lehensrechtliche Überordnung des Hauptlandes gegenüber den Nebenländern zu legitimieren. Umgekehrt besteht bei denjenigen, die sich mit der Geschichte eben jener Nebenländer beschäftigen, die Neigung, in ihrem jeweiligen Territorium zu jeder Zeit einen Sonderweg zu konstatieren. Dass beispielsweise „das Markgraftum Oberlausitz im Rahmen des böhmischen Staatsverbandes eine Sonderstellung einnahm“,13 behaupten nicht minder hartnäckig auch die über das spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Schlesien beziehungsweise Mähren arbeitenden Historiker. Die Tatsache, dass territoriale Veränderungen und der Wechsel der Oberherrschaft nur sehr begrenzt Rückwirkungen auf das innere Gefüge der Landschaften hatten und daher sowohl ständische als auch konfessionelle Traditionen, Identitäten und Loyalitäten auch nach Abtretungen oder Zusammenschlüssen nicht ohne weiteres in einer höheren Einheit aufgingen, ist allerdings kein Spezifikum der böhmischen Verhältnisse. Es ist geradezu der europäische Regelfall. Es ist daher wenig hilfreich, Staatsgebilde wie die Böhmische oder eben auch die Ungarische Krone als bloße Personalunionen, als Länderverbände mit regionalen Sonderentwicklungen, zu charakterisieren – ganz abgesehen davon, dass es sich auch hierbei in aller Regel um zeitgenössische, von einzelnen Herrschaftsträgern zu politisch-gesellschaftlichen Zwecken vorgebrachte Argumente handelt, die vielfältig einsetzbar waren und in ihrer Funktion und Zielsetzung daher ambivalente Bedeutung besaßen. Um Vorgänge territorial-politischer Verdichtung oder religiös-kirchlicher Entwicklung zu erfassen, bedarf es anderer als moderner formaljuristischer Kategorien.
2. Begründung und Bedeutung kirchlicher Raumbeziehungen im östlichen Europa Wenn im Folgenden nach Ursachen, Wirkungen und Wahrnehmungen religiöser Vielfalt in ganz Ostmittel- und Südosteuropa gefragt werden soll, dann vor allem deshalb, um den Blick zu schärfen für entsprechende Prozesse in Siebenbürgen beziehungsweise dort zum Tragen gekommene tatsächlich singuläre Entwicklungen. Als Beispiel sei nur die siebenbürgische Kirchenunion von 1697 genannt: Ihre spezifischen Merkmale werden erst dann deutlich, ��Reuther, Martin: Der Görlitzer Bürgermeister, Mathematiker, Astronom und Kartograph Bartholomäus Scultetus (1540–1614) und seine Zeit. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Technischen Hochschule Dresden 5, 1955/56, 1133–1161, hier 1134.
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wenn man sie mit der Genese mit Rom unierter Glaubensgemeinschaften in Polen-Litauen, in Karpato-Ruthenien und Kroatien-Slawonien in Verbindung sieht – und gleiches gilt für die Motive der Handelnden, für Wahrnehmungen und Widerstände, die sich trotz des zeitlichen Abstands der einzelnen Unionen erstaunlich stark ähneln.14 Dass auch eine solche geschichtsregionale Betrachtungsweise ihre im übertragenden Sinn eigenen Grenzen kennt, liegt auf der Hand, erfordert sie doch nicht nur ein hohes Maß an Abstraktion; sie unterliegt auch der Gefahr, zu wenig flexibel auf die einem stetigen historischen Wandel unterworfenen Raummuster zu reagieren. Dennoch wird es sich auch in diesem Beitrag als fruchtbar erweisen, den Blick über Siebenbürgen hinaus auf benachbarte Länder zu richten. Ein anderer Aspekt freilich, bei dem wir stets viel zu modern denken, ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich zu beachten. Wir haben uns angewöhnt, bei territorialen Raumgliederungen vorrangig an politische beziehungsweise Sprachgrenzen zu denken – und haben damit bei Lichte besehen den Anspruch frühneuzeitlicher Landesherren verinnerlicht, die überall in Europa auf ihre Souveränität pochten und ein geschlossenes Territorium mit exklusiver Befehlsgewalt anstrebten.15 Dass die okzidentale Kirche diejenige Institution war, die als erste begann, den Raum im großen wie im kleinen aufzuteilen und klare Grenzen zu ziehen, ist uns heute nur noch schwer vorstellbar. Die kirchlichen Raumbeziehungen wirkten gerade im östlichen Bereich des lateinischen Kulturkreises strukturbildend, denn hier hingen die Entstehung großräumiger Herrschaftsbildungen, die Ausbildung eines politischen Nationsbewusstseins der jeweiligen Führungsschichten und die Errichtung eigenständiger Kirchenorganisationen in der Epoche der Christianisierung auf das Engste miteinander zusammen. Dies ist insofern beachtenswert, als geistliche Sprengel und weltliche Territorien, bezieht man das gesamte papstkirchliche Europa ein, nur selten deckungsgleich waren. In der Regel kontrastierten kirchliche Gebietsumschreibungen deutlich mit anderen Mustern räumlicher Ordnung. Für das Zusammenleben der Menschen im Mittelalter kann die Wirkung der geistlichen Verwaltungsbezirke und Verbände, die langfristig zur Ausbildung und Stabilisierung eigener Kontakt-, Kommunikations- und Interaktionsräume beitra��Damşa, Teodor V.: Biserica greco-catolică din România în perspectivă istorică. Timişoara 1994; Pirigyi, István: A magyarországi görög katolikusok története, Bd. 1–2. Nyírgyháza 1990; Biserica Română Unită. Două sute cinci zeci de ani de istorie. Madrid 1952; Maner, Hans-Christian: Unierte Kirchen und Nationsbildungsprozesse im ostmitteleuropäischen Vergleich. In: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 8/5, 1998, 92–105; Ploechl, Willibald: The Church Laws for Orientals of the Austrian Monarchy in the Age of the Enlightenment. In: Bulletin of the Polish Institute of Arts and Sciences in America 2/3, 1944, 711–756. ��Anderson, Malcolm: Frontiers. Territory and State Formation in the Modern World. Cambridge 1997.
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gen, nicht hoch genug eingeschätzt werden.16 Auf lange Sicht gesehen, erweisen sich kirchliche Grenzen gegenüber weltlichen zudem als wesentlich beständiger. Dies hängt unmittelbar mit einem prinzipiellen Unterschied zwischen kirchlicher Raumgestaltung und weltlicher Bezirksgliederung zusammen, der das Verhältnis von Binnen- und Außengrenzen betrifft: Kirchliche Zirkumskriptionen gelten nach kanonischem Recht als Binnengliederung einer einzigen Institution. Das Recht, die Sprengel von Kirchenprovinzen und Diözesen zu verändern, gilt als ausschließlich päpstliche Prärogative. Gewiss unterlag auch die Kirche, unabhängig von ihrer universalen Verfasstheit, den Bedingungen jeder Gruppen- und Gemeinschaftsbildung. Dennoch gelang es ihr, auch gegen weltliche Herrschaften, gegen nationale Integrationsprozesse und gegen räumlich definierte Kommunikationsgemeinschaften ein weiträumiges Gebiet nach eigenen Vorgaben zu gestalten.17 Diese Überlegungen führen uns direkt in das östliche Europa, wo wir unsere im Kern der Frühen Neuzeit geltende Betrachtung zeitlich zunächst noch weit zurückverlegen müssen: nämlich bis zur ersten Jahrtausendwende, als sich die uns interessierende Geschichtsregion nach und nach zwischen den Einflusssphären der nachantiken Universalreiche herauszubilden begann. Konstitutiv für diesen Prozess wurde die Missionierung des Kiewer Reiches durch Byzanz und damit die Prägung eines sich seither vom römisch-christlichen Europa kirchlich und kulturell abhebenden Ostens. Die Missions- und Kirchengrenze zwischen lateinischem und griechischem Kulturkreis wurde für das kommende Jahrtausend zur Trennungslinie zwischen Mittel- und Osteuropa. Eine zweite kirchenorganisatorische Entscheidung um das Jahr 1000 nach Christus grenzte das nun in Umrissen erkennbare Ostmittel- und Südosteuropa, das seit dem 10. Jahrhundert durch eine fortschreitende Missionierung in die okzidentale Christenheit einbezogen wurde, auch nach Westen hin ab: die Gründungen der Erzbistümer Gnesen für Polen und Gran für Ungarn, die einer weiteren Ausdehnung der ostfränkisch-deutschen Reichskirche im Osten einen Riegel vorschoben und zu Mittelpunkten kirchlich-nationaler Eigenständigkeit wurden.18 ��Schmidt, Hans-Joachim: Kirche, Staat, Nation. Raumgliederung der Kirche im mittelalterlichen Europa. Weimar 1999 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 37). ��������������������������� Zum Forschungsstand vgl. Merisalo, Outi (Hg.): Frontiers in the Middle Ages. Louvain-la- Neuve 2006 (Textes et études du moyen âge 35); L’Église et le peuple chrétien dans les pays de l’Europe du Centre-Est et du Nord. Rome 1990 (Collection de LʼÉcole française de Rome 128); Genet, Jean-Philippe/Vincent, Bernard (Hg.): État et Église dans la genèse de l’État Moderne. ��� Madrid 1986 (Bibliothèque de la Casa de Velazquez 1); Marchal, Guy P. (Hg.): Grenzen und Raumvorstellungen (11.–20. Jh.). Frontières et conceptions de l’espace (11e–20e siècles). Zürich 1996 (Clio Lucernensis 3). Speziell zur österreichischen Monarchie vgl. Kecskeméti, Károly: Les constantes et les variations de la géographie religieuse dans l’Europe du Centre-Est (Xe–XVIIIe siècles). In: Etudes Danubiennes 2, 1986, 89–97; Loidl, Franz: Die Diözesanorganisation der katholischen Kirche Österreichs im Wandel der Jahrhunderte. In: Religion und Kirche in Österreich. Wien 1972, 29–43. ��Font, Marta: A keresztény nagyhatalmak vonzásában. Közep- és Kelet-Európa a 10–12. század-
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Wie bereits angedeutet, war es von größter Bedeutung, dass die Errichtung von Kirchenprovinzen und die Bildung von Königreichen in diesem Teil des „Jüngeren Europa“, ähnlich wie in Skandinavien, auf das Engste zusammengehörten. Die kirchenrechtliche Selbständigkeit kann für die Bildung und Konsolidierung der neuen Königsgewalten in Ungarn und Polen, für die herrschaftliche und kommunikative Verdichtung und letztlich für die Entstehung der mittelalterlichen nationes nicht hoch genug eingeschätzt werden.19 Von Beginn an herrschte hier eine Kongruenz von regnum und provincia, waren weltliche und geistliche Großbezirke deckungsgleich. In der Phase der Gegenreformation spielte diese Autorität der Vergangenheit eine erhebliche Rolle.20 Um überdies eine Vorstellung von der Renitenz kirchlicher Raumgestaltung zu erhalten, genügt ein Blick nach Ungarn: Auch hier war die geographische Gliederung der Kirche nicht mit der nationalen oder sprachlichen Differenzierung deckungsgleich. Es wurden jedoch gleich an mehreren Orten während des Mittelalters Versuche unternommen, eine Übereinstimmung der auf dem territorialen Prinzip basierenden Kirchenverfassung mit ethnischen beziehungsweise Sprachgruppen zu erzielen: in der oberungarischen Zips, in Siebenbürgen und in Kroatien. Bezeichnenderweise scheiterten sie jedoch allesamt, entweder am Widerstand der beiden ungarischen Metropoliten, am Protest des siebenbürgischen Bischofs oder an der fehlenden Zustimmung der päpstlichen Kurie.21 Hier lässt sich bereits erahnen, welche Attraktivität der reformatorische Aufbruch gerade dort haben musste, wo mit kirchlicher Identität zugleich territoriales oder sprachnationales Eigenbewusstsein untermauert werden sollte. ban. Budapest 2005; Kłoczowski, Jerzy: Młodsza Europa. Europa Środkowo-Wschodnia w kręgu cywilizacji chrześcijańskiej średniowiecza. Warszawa 1998; Gieysztor, Aleksander: L’Europe nouvelle autour de l’an mil. La papauté, l’empire et les „nouveaux venus“. Roma 1997. Eine prägnante Zusammenfassung bietet Lübke, Christian: Mitteleuropa, Ostmitteleuropa, östliches Europa: Wahrnehmung und frühe Strukturen eines Raumes. In: Löwener, Marc (Hg.): Die „Blüte“ der Staaten des östlichen Europa im 14. Jahrhundert. Wiesbaden 2004 (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien 14), 15–43. �� Somorjai, Ádám: Niektóre paralele i różnice w historii Kościoła katolickiego w Polsce i na Węgrzech. In: Gapski, Henryk (Hg.): Christianitas et cultura Europae. Księga jubileuszowa Profesora Jerzego Kłoczowskiego, Bd. 1. Lublin 1998, 144–147; Székely, György: Gemeinsame Züge der ungarischen und polnischen Kirchengeschichte des XI. Jahrhunderts. In: Annales Universitatis Scientiarum Budapestinensis de Rolando Eötvös nominatae 4, 1962, 55–80. �� Bahlcke, Joachim: Die Autorität der Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Politik beim höheren Klerus Ungarns im späten 17. und 18. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. Berlin 2002 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 29), 281–306. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Zu den Versuchen, die um 1200 errichtete exemte Zipser Propstei zum Bistum zu erheben, vgl. exemplarisch Špirko, Jozef: Začiatky spišského biskupstva. Snahy v minulosti o jeho utvorenie. In: Mons sancti Martini. Vrch sv. Martina. Sborník z príležitosti sedemdesiatky J. E. Msgr. Jána Vojtaššáka, biskupa spišského. [Ružomberok] 1947, 19–53.
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Vergleicht man die politisch-kirchliche Raumaufteilung des ausgehenden 10. Jahrhunderts, als im östlichen Europa erste Ansätze einer besonderen Geschichtsregion erkennbar wurden, mit derjenigen des ausgehenden 15. Jahrhunderts, so lassen sich – wie nicht anders zu erwarten – einige grundlegende Veränderungen erkennen, die in jenem halben Jahrtausend vor sich gegangen waren. Der gesamte Raum war nun nicht nur durchgehend territorialisiert. Er hatte sich auch, vor allem im Norden, beträchtlich nach Osten verschoben. Der große Landesausbau hatte darüber hinaus bis zum 14. Jahrhundert bewirkt, dass Siedlungsräume sich verdichteten, ausweiteten und dadurch so aneinanderrückten, dass einigermaßen klar umgrenzte Sprach- und Volksgebiete entstanden.22
3. Religiöse Prägungen: Unterschiede und Gemeinsamkeiten Auch und gerade mit Blick auf Religion und Kirche hatten sich im ostmitteleuropäischen Raum bis 1500 markante Eigenentwicklungen vollzogen. Schon die Voraussetzungen, unter denen der östliche Bereich des lateinischen Kulturkreises im 16. Jahrhundert mit der Reformation und der nachfolgenden Konfessionsbildung konfrontiert wurde, unterschieden sich in den einzelnen Herrschaftsbildungen zum Teil erheblich. Noch bevor die heidnischen Balten im Nordosten überhaupt ganz für das Christentum gewonnen worden waren, hatte im Südosten bereits die politisch-religiöse Auseinandersetzung mit dem Osmanischen Reich eingesetzt und in den katholischen Grenzregionen das Bewusstsein eines antemurale Christianitatis, einer Vormauer der Christenheit, entstehen lassen.23 Im Osten, in der kirchlich und machtpolitisch labilen Grenzsituation zwischen römischer und griechisch-orthodoxer Christenheit, ist eine Vielzahl und Vielgestaltigkeit religiös-theologischer Synkretismen zu beobachten, die bis weit in die Neuzeit Bestand haben.24 ��Karp, Hans-Jürgen: Grenzen in Ostmitteleuropa während des Mittelalters. Ein Beitrag zur Entstehungsgeschichte der Grenzlinie aus dem Grenzsaum. Köln/Wien 1972 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 9); Evans, R[obert] J. W.: Essay and Reflection: Frontiers and National Identities in Central Europe. In: The International History Review 14, 1992, 480–502. �������������������������������������������������������������������������������������� Borkowska, Urszula: The Ideology of „antemurale“ in the sphere of Slavic Culture (13th–17th centuries). In: The common Christian roots of the European nations, Bd. 2. Florence 1982, 1206–1221. ����������������������������������������������������������������������������� Exzellente Fallstudien zu dieser Problematik enthalten die Sammelbände von Gil, Andrzej (Hg.): Kościoły wschodnie w Rzeczypospolitej XVI–XVIII wieku. Zbiór studiów. Lublin 2005, und W ünsch, Thomas/Janeczek, Andrzej (Hg.): On the Frontier of Latin Europe. ������������������������ Integration and Segregation in Red Ruthenia, 1350–1600. Warsaw 2004. Vgl. ferner Lübke, Christian: „Germania Slavica“ und „Polonia Ruthenica“: Religiöse Divergenz in ethno-kulturellen Grenz- und Kontaktzonen des mittelalterlichen Europa (8.–16. Jahrhundert). In: Herbers, Klaus/Jaspert, Nikolas (Hg.): Grenzräume und Grenzüberschreitungen im Vergleich. Der Osten und der Westen des mittelalterlichen Lateineuropa. Berlin 2007 (Europa im Mittelalter 7), 175–190; Strzelczyk, Jerzy: Kościół polski na pograniczu chrześcijaństwa rzymskiego w średniowieczu. In: Przegląd Zachodni 62/1, 2006, 83–97.
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Spezifisch waren vorreformatorische Erfahrungen und Traditionen aber auch in der geographischen Mitte des hier zu betrachtenden Raumes, in Böhmen, das trotz seines besonderen Verhältnisses im und zum römisch-deutschen Reich und der formal bis 1344 bestehenden kirchenrechtlichen Abhängigkeit der Bistümer Prag und Olmütz von der Mainzer Metropole kirchenund strukturgeschichtlich Ostmitteleuropa zuzurechnen ist. Hier besaß neben der bereits im 15. Jahrhundert landesgesetzlich anerkannten hussitischutraquistischen Kirche die Unität der Böhmischen Brüder schon lange vor der lutherischen Reformation einen beachtlichen Organisationsgrad und eine ausgeprägte Lehrtradition.25 Diese fraglos deutlichen Unterschiede in der religiösen Prägung des Gesamtraumes zwischen Baltikum und Adria wird man gewiss nicht geringschätzen dürfen. Und dennoch lassen sich umgekehrt – und dies rechtfertigt einen zusammenfassenden Überblick wie den vorliegenden – Strukturmerkmale der Gesamtregion benennen, die gerade ab 1500, für die uns im Folgenden näher interessierende Zeit der Reformation also und die anschließende Konfessionsbildung, Bedeutung gewannen. Um diese Zusammenhänge zu erhellen, ist es unvermeidlich, auch die politischen und die sozialen Rahmenbedingungen zumindest stichwortartig in Erinnerung zu rufen. Von zentraler Bedeutung sind vor allem fünf solcher Strukturmerkmale, die zugleich Auskunft geben über die Ursachen und Wirkungen religiöser beziehungsweise konfessioneller Vielfalt im hier betrachteten Untersuchungsgebiet: Gemeinsam war den Ständestaaten im östlichen Mitteleuropa seit dem Spätmittelalter erstens eine markante politisch-partizipatorische LibertasKultur. Gemeint ist: Adel, Geistlichkeit und Städte wirkten hier über einen langen Zeitraum durch Reichs- und Landtage, Ämter und Gerichte ganz wesentlich mit bei Gesetzgebung, Finanzfragen und Militärorganisation und besaßen vielfältige Erfahrungen im Aushandeln regionaler und gesellschaftlicher, schließlich auch konfessioneller Interessen. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Nach dem Aussterben der angestammten Dynastien im herrschenden Mannesstamm – der Arpaden in Ungarn 1301, der Přemysliden in Böhmen 1306 und der Piasten in Polen 1370 –, konnten sich die nachfolgenden Herrscher, die in allen drei großen Kernländern Landfremde waren, nur durch Zugeständnisse an den Adel politisch behaupten. Bis 1500 hatten sich in Polen, Böhmen und Ungarn vergleichbare Ständeverfassungen mit weitgehenden Teilhabe- und Kontrollrechten und einem ausgeprägten Repräsentationsbewusstsein des Adels ausgebildet.26 ��Říčan, Rudolf: Dějiny Jednoty bratrské. Praha 1957; Brock, Peter: The political and social doctrines of the Unity of Czech Brethren in the fifteenth and early sixteenth centuries. s’Gravenhage 1957. �� Manikowska, Halina/Pánek, Jaroslav (Hg.): Political Culture in Central Europe (10th – 20th Century), Bd. 1–2. Prague 2005; Delsol, Chantal/Masłowski, Michel (Hg.): Histoire des idées po-
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Die Reformation wurde hier – abgesehen von Randräumen mit besonderen Bedingungen wie Kroatien, wo die katholische Konfessionsidentität nie prinzipiell in Frage stand27 – zu einem Anliegen vor allem des Adels. Die ständisch-korporative Macht und Autorität ermöglichten erst die Erringung einer de iure zugesicherten Religionsfreiheit oder sicherten zumindest einen de facto funktionierenden Religionsausgleich. Die regional und grundherrschaftlich abgesicherte Autonomie des Adels begünstigte generell den Typus pluralistischer Reformation, so dass in der Regel keine einheitlichen protestantischen Bekenntniskirchen entstanden. Die weit verbreitete Umsetzung des Prinzips cuius latifundium eius religio hatte zur Folge, dass Konfessionalisierungsprozesse zunächst dezentral verliefen. Damit erhöhte sich das Gewicht einzelner Adels-, meist Hochadelsgeschlechter für die Rezeption der unterschiedlichen reformatorischen Richtungen. Damit verstärkte sich gleichzeitig aber auch die Gefahr des Entstehens einer bloßen Adelskonfession ohne nachhaltige, über den lokalen Besitz hinausgehende kirchenorganisatorische Impulse. Ein zweiter Punkt: Mitentscheidend für die Akzeptanz oder Ablehnung der reformatorischen Lehrbildungen in Ostmittel- und Südosteuropa, wo es nirgendwo eine Kongruenz zwischen politischen und sprachlich-ethnischen Grenzen gab, waren ohne Frage die Siedlungs- und Bevölkerungsstrukturen.28 Das deutsche, bald nach 1517 für das Luthertum gewonnene Bürgertum im königlich-polnischen Preußen, in Oberungarn und in Siebenbürgen beispielsweise sah jede Abweichung vom Augsburgischen Bekenntnis nicht nur als Häresie, sondern auch als Gefährdung der eigenen politischen Selbständigkeit an. Eine Generation später wurde das reformierte Bekenntnis vielfach als Alternative zum „deutschen“ Glauben empfunden und angenommen.29 Besonders augenfällig, wenn auch kein Sonderfall, ist die Gruppenkonfessionalisierung entlang der Sprachgrenzen im semi-souveränen Fürstentum Siebenbürgen: Der Übertritt eines Mitglieds der natio Saxonica zum Calvinismus, im Sprachgebrauch der Zeit zur confessio Hungarica, zog hier sogar einen litiques de l’Europe centrale. Paris 1998; Auerbach, Inge: Stände in Ostmitteleuropa. Alternativen zum monarchischen Prinzip in der frühen Neuzeit. Litauen und Böhmen. München 1997. ��Bahlcke, Joachim: Außenpolitik, Konfession und kollektive Identitätsbildung: Kroatien und Innerösterreich im historischen Vergleich. In: Bahlcke/Strohmeyer (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, 193–209. �� Crăciun, Maria/Ghitta, Ovidiu (Hg.): Ethnicity and Religion in Central and Eastern Europa. Cluj 1995; Fata, Márta: Deutsche und schweizerische Einflüsse auf die Reformation in Ungarn im 16. Jahrhundert. Aspekte der frühneuzeitlich-vormodernen Identität zwischen Ethnie und Konfession. In: Kühlmann, Wilhelm/Schindling, Anton (Hg.): Deutschland und Ungarn in ihren Bildungsund Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Stuttgart 2004 (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 62), 53–91. �� Kłoczowski, Jerzy: Ostmitteleuropa: Böhmen, Ungarn und Polen. In: Smolinsky, Heribert (Hg.): Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur, Bd. 8: Die Zeit der Konfessionen (1530–1620/30). Freiburg/Basel/Wien 1992, 618–661.
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relativ raschen Sprachwechsel ins Magyarische nach sich.30 Die reformatorischen Impulse, die allgemein zu einer Aufwertung und Kodifizierung der Volkssprachen beitrugen, hatten insofern auch ihren Anteil an der Festigung sozialer Gruppen und der Herausbildung ethnischer Identitäten. Kennzeichnend für die Reformation in Ostmittel- und Südosteuropa, die unter Magyaren und Polen ohnehin erst als Spätreformation Anklang fand, ist drittens die Vielzahl der miteinander konkurrierenden Richtungen und Parteien.31 Die konfessionelle Pluralität vor allem war es, die Reisende, Gesandte und auswärtige Beobachter offenbar am stärksten faszinierte – oder umgekehrt zutiefst abstieß: Nirgendwo sonst habe er derart viele Irrlehren wie in Mähren vorgefunden, äußerte sich 1581 etwa der Rektor des Brünner Jesuitenkollegs.32 Tatsächlich kann die Markgrafschaft als Musterbeispiel einer „zersplitterten Konfessionslandschaft“33 gelten, wie wir sie von Siebenbürgen bis Litauen vielerorts finden. Nachdem bereits in den 1480er Jahren durch Landtagsbeschluss eine allgemein formulierte Religionsfreiheit der Pfarrgemeinden vereinbart worden war, verbreiteten sich unter aktiver Förderung oder zumindest Duldung des Adels neben den Utraquisten nicht nur die als eigentliche Erben des Hussitismus wahrgenommenen Böhmischen Brüder, sondern auch deren kleinere Abspaltungen sowie seit 1525 die Zwinglianer, Täufer und Antitrinitarier. Hinzu kamen ganz unterschiedliche Sakramentarier, bei denen sich einheimische theologische Traditionen mit humanistisch-reformatorischen Einflüssen zu mitunter eigenwilligen religiösen Auffassungen vermischten.34 Auch andernorts stießen die Lutheraner innerhalb des evangelischen Lagers in der Regel nicht nur auf die Konkurrenz �� Zach, Krista: Konfessionelle Pluralität, Stände und Nation. Ausgewählte Abhandlungen zur südosteuropäischen Religions- und Gesellschaftsgeschichte. Hg. v. Joachim Bahlcke und Konrad Gündisch. Münster 2004 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 6). ��Andor, Eszter/Tóth, István György (Hg.): Frontiers of Faith. ������������������������������� Religious Exchange and the Constitution of Religious Identities, 1400–1750. Budapest 2001 (Cultural Exchange in Europe 1400– 1750 1). ��Winkelbauer, Thomas: Die Vertreibung der Hutterer aus Mähren 1622: Massenexodus oder Abzug der letzten Standhaften? In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4), 207–233, hier 207f. �� Eberhard, Winfried: Reformatorische Gegensätze, reformatorischer Konsens, reformatorische Formierung in Böhmen, Mähren und Polen. In: Bahlcke/Bömelburg/Kersken (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa, 187–215, hier 203. �� Mulsow, Martin/Rohls, Jan (Hg.): Socinianism and Arminianism. Antitrinitarians, Calvinists and Cultural Exchange in Seventeenth-Century Europe. Leiden/Boston ������������������������������������������ 2005 (Brillʼs Studies in Intellectual History 134); Rothkegel, Martin: Mährische Sakramentierer des zweiten Viertels des 16. Jahrhunderts: Matěj Poustevník, Beneš Optát, Johann Zeising (Jan Čížek), Jan Dubčanský ze Zdenína und die Habrovaner (Lulčer) Brüder. ������������������������������������������������ Baden-Baden/Bouxwiller 2005 (Bibliotheca bibliographica Aureliana 208; Bibliotheca Dissidentium 24); Dán, Róbert/Pirnát, Antal (Hg.): Antitrinitariarism in the second half of the 16. century. Budapest 1982 (Studia humanitatis 5); Pirnát, Antal: Die Ideologie der Siebenbürger Antitrinitarier in den 1570er Jahren. Budapest 1961.
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von Reformierten, die hier – im Gegensatz etwa zum Heiligen Römischen Reich – ungleich früher rechtliche Anerkennung fanden.35 War der Wettbewerb unter den einzelnen reformatorischen Gruppen auch heftig, so war dem östlichen Protestantismus doch bereits im 16. Jahrhundert ein irenischer, ein gleichsam unkonfessioneller Zug eigen – zu denken ist hierbei etwa an den Konsens von Sandomir, in dem sich Lutheraner, Reformierte und Böhmische Brüder im Jahr 1570 gegenseitig ihre Rechtgläubigkeit bestätigten, an die Religionsgesetzgebung Siebenbürgens oder an das Œuvre des polnischen Theologen und Staatsdenkers Andrzej Frycz Modrzewski.36 Ein weiteres, viertes Strukturmerkmal des Gesamtraums tritt hervor, wenn man sich näher mit Ursachen und Verlaufsformen konfessionell motivierter Migration beschäftigt. Alle Herrschaftsbildungen in Ostmittel- und Südosteuropa waren zu unterschiedlichen Zeiten beides: vor allem während des 16. Jahrhunderts zunächst Ziel- und Aufnahmeland, in den beiden nachfolgenden Jahrhunderten Herkunftsregion von Glaubensflüchtlingen. Im einen Fall werden die Freiräume ständestaatlich verfasster Gemeinwesen mit starker Adelsautonomie deutlich, im anderen Fall zeigt sich das allmähliche Vordringen einer neuen, in West- und Mitteleuropa schon früher vorherrschenden Maxime der Politiktheorie, nach der die Einheit des Glaubens als eine wesentliche und unverzichtbare Voraussetzung für politische und gesellschaftliche Stabilität angesehen wurde.37 Ein dieser Auffassung auf den ersten Blick widersprechender Vorgang, die im 18. Jahrhundert erzwungenen Umsiedlungen österreichischer Protestanten nach Siebenbürgen, in eine andere Region der Habsburgermonarchie also, zeigt exemplarisch, dass das Phänomen konfessioneller Migration hier offenbar nicht nur länger, sondern auch tiefer und grundlegender mit Staats- und Nationsbildungsproblemen verbunden war als anderswo.38 �� Klueting, Harm: Reformierte Konfessionalisierung in West- und Ostmitteleuropa. In: Leppin/ Wien (Hg.): Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen, 25–55. ��Válka, Josef: Tolerance či koexistence? K povaze soužití různých náboženských vyznání v českých zemích v 15. až 17. století. In: Studia Comeniana et Historica 18/35, 1988, 63–75; Uray, Piroska: Az irénizmus Magyarországon a 16–17. század fordulóján. In: Varjas, Béla (Hg.): Irodalom és ideológia a 16–17. században. Budapest 1987 (Memoria saeculorum Hungariae 5), 187–207; Jordt Jørgensen, Kai Eduard: Ökumenische Bestrebungen unter den polnischen Protestanten bis zum Jahre 1645. København 1942. �� Bahlcke, Joachim/Bendel, Rainer (Hg.): Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive. Köln/Weimar/Wien 2008 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 40); Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge; Asche, Matthias: Religionskriege und Glaubensflüchtlinge im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Überlegungen zu einer Typendiskussion. In: Brendle, Franz/Schindling, Anton (Hg.): Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa. Münster 2006, 435–458; Schilling, Heinz: Die frühneuzeitliche Konfessionsmigration. In: Bade, Klaus J. (Hg.): Migration in der europäischen Geschichte seit dem späten Mittelalter. Osnabrück 2002 (IMIS-Beiträge 20), 67–89; Pettegree, Andrew: Protestant Migrations during the Early Modern Period. In: Cavaciocchi, Simonetta (Hg.): Le migrazioni in Europa, secc. XIII–XVIII. Firenze 1994, 441–458. ��Tropper, Peter G.: Von der katholischen Erneuerung bis zur Säkularisation – 1648 bis 1815. In:
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Und schließlich ein fünfter und letzter Punkt, der die zeitgenössische Wahrnehmung religiöser Vielfalt betrifft, die vielfach wohl eher als Konkurrenz denn als – neuzeitlich gedacht – Bereicherung empfunden wurde. Neben den überall verfassten, zum Teil bis ins 20. Jahrhundert hinein dominierenden Gruppengeschichten einzelner Glaubensgemeinschaften und dem hier auszuklammernden Fall religiöser Polemik gab es bei Lichte besehen nicht einmal innerhalb eines Territoriums Anlass, das Nebeneinander verschiedener Bekenntnisse zu reflektieren.39 Umso bemerkenswerter ist es, dass in einzelnen Werken durchaus ein übergreifender Ansatz erprobt wurde, der die Verhältnisse in dem uns hier interessierenden Gesamtgebiet in Augenschein nimmt. Dies gilt etwa für das 1652 veröffentlichte Werk Systema Historico-Chronologicum Ecclesiarum Slavonicarum, das erstmals die innere Zusammengehörigkeit und wechselseitige Beeinflussung der reformatorischen Strömungen in Ostmittel- und Südosteuropa beschrieb. Seinem Verfasser, dem Senior der reformierten Gemeinden von Lublin Andrzej Węgierski, stand unverkennbar das Ideal einer Union aller evangelischen Kirchen vor Augen. Węgierskis Abhandlung erschien freilich nicht ohne Grund unter Pseudonym und zudem außerhalb Polen-Litauens, im niederländischen Utrecht.40 Denn es war bereits aus der Defensive heraus geschrieben, als Reaktion auf die Zurückdrängung des protestantischen Lebens in der Adelsrepublik, und zielte insofern vorrangig auf Solidarität und Schulterschluss. Eine Duldung Andersgläubiger musste schwerfallen, nachdem der polnische König Johann II. Kasimir 1656 die Mutter Gottes zur Königin von Polen erklärt hatte.41
4. Wandlungen der einzelnen Religionslandschaften in Ostmitteleuropa Mit dem zuletzt angesprochenen Faktum, der phasenverschoben überall im Osten des ständischen Europa voranschreitenden Gegenreformation, ist eine Entwicklung angesprochen, die aufs Ganze gesehen das bisher skizzierte Bild konfessioneller Pluralität nachhaltig verändern sollte. Mögen die Instrumente und Formen der katholischen Konfessionalisierung einander auch Leeb, Rudolf u.a.: Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Wien 2003, 281–360, hier 288–296. �� Bahlcke, Joachim/Zach, Krista: Im Spannungsfeld von Kirche, Staat und Nation – Siebenbürgen in der katholischen Kirchengeschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhunderts. In: dies. (Hg.): Kirche – Staat – Nation. Eine Geschichte der katholischen Kirche in Siebenbürgen vom Mittelalter bis zum frühen 20. Jahrhundert. Az Erdély Katholicizmus múltja és jelene. München 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas. Wissenschaftliche Reihe – Geschichte und Zeitgeschichte 98), 9–25. �� Tazbir, Janusz: Andrzej Węgierski – historik słowiańskiej reformacji. In: Ars historica. Prace z dziejów powszechnych i Polski 1976, 603–616. �� Kriegseisen, Wojciech: Ewangelicy polscy i litewscy w epoce saskiej (1696–1763). Sytuacja prawna, organizacja i stosunki międzywyznaniowe. Warszawa 1996.
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ähneln, so verlief der Gesamtprozess in den einzelnen Teilgebieten doch recht unterschiedlich. In Polen-Litauen, wo der Protestantismus nach einem stürmischen Aufschwung innerhalb von wenigen Generationen – mit Ausnahme der preußischen Städte – der Gegenreformation erlag, kam es parallel zu den konfessionellen Veränderungen (und diese überhaupt erst ermöglichend) nicht zur Machtsteigerung eines zum Absolutismus neigenden Monarchen wie in Böhmen und Ungarn.42 Während in den böhmischen Ländern wiederum nach 1620 der bisherige Rechtsstatus der nichtkatholischen Bevölkerungsteile radikal verändert und durch Vertreibungsaktionen und Zwangsbekehrungen eine weitgehende konfessionelle Einheit erzielt wurde,43 blieb in Polen-Litauen das Toleranzgebot von 1573 als solches erstaunlicherweise bis Anfang des 18. Jahrhunderts bestehen. Anders als in der Adelsrepublik wiederum standen in Ungarn auch weiterhin die Selbstbehauptung des Ständestaates und die Verteidigung der Religionsfreiheit in einer festen und traditionsbildenden Verbindung.44 Mochten die Habsburger auch bis weit in das Jahrhundert der Aufklärung hinein an der Maxime religio vinculum societatis festhalten, so besaßen sie doch nicht die Machtmittel, um diese konfessionelle Pluralität im Osten ihres Herrschaftsbereichs und in Teilen Schlesiens zu beseitigen. Unterstützt wurde von ihnen allerdings die Gründung griechisch-katholischer Kirchen, schienen doch die Unierten als ein Instrument geeignet, das sich einerseits gegen die privilegierten Stände in Stellung bringen ließ und andererseits eine Forcierung der staatlichen Integration versprach. Zur Erklärung der religiösen Vielfalt speziell Siebenbürgens, wo wir seit der Reformation acht größere Religions- und Konfessionsgemeinschaften antreffen, sind jedenfalls gewiss nicht nur endogene, sondern auch exogene Faktoren zu berücksichtigen. Zu dieser Pluralität in Siebenbürgen trugen neben den orthodoxen Christen auch Angehörige des mosaischen und des muslimischen Bekenntnisses erheblich bei. Sie blieben in diesem Überblick unberücksichtigt, da sie bei einer Betrachtung der strukturbildenden, in unserem Fall vorwiegend stände- und konfessionspolitisch motivierten Entwicklungen des ostmitteleuropäischen Gesamtraums ausgeklammert werden können.45 Das regionale Ge��Müller, Michael G.: Toleration in Eastern Europe: the Dissident Question in Eighteenth-Century Poland-Lithuania. In: Grell, Ole Peter/Porter, Roy (Hg.): Toleration in Enlightenment Europe. Cambridge 2000, 212–229; Salmonowicz, Stanisław: O sytuacji prawnej protestantów w Polsce (XVI–XVIII w.). In: Czasopismo prawno-historyczne 26/1, 1974, 159–173. ��Mikulec, Jiří: 31.7.1627. Rekatolizace šlechty v Čechách. Čí j země, toho je i náboženství. Praha 2005; Hrubá, Michaela (Hg.): Víra nebo vlast? Exil v českých dějinách raného novověku. Ústí nad Labem 2001; Francek, Jindřich (Hg.): Rekatolizace v českých zemích. Pardubice 1995; Mikulec, Jiří: Pobělohorská rekatolizace v českých zemích. Praha 1992; Hanzal, Josef: Rekatolizace v Čechách – její historický smysl a význam. In: Sborník historický 37, 1990, 37–91. �� Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23). ��Haumann, Heiko: Geschichte der Ostjuden. München 1990.
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wicht der Juden schwankte zudem erheblich: Hatte sich in Polen seit dem späten Mittelalter die demographisch wie kulturell bedeutendste Bevölkerungsgruppe innerhalb der abendländischen Diaspora formiert, deren Eliten mit den nicht-jüdischen Führungsschichten eng vernetzt waren, so stellten die Kriegshandlungen und Pogrome nach 1648 mit ihren bis dahin unvorstellbaren Gewaltexzessen schlechterdings eine Katastrophe dar. In Böhmen und Mähren dagegen erlebten die Juden gerade zur gleichen Zeit, bedingt durch die sozialen und ökonomischen Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges, einen enormen Aufschwung. In Prag entwickelte sich die Judengemeinde, die mit gut 10.000 Bürgern rund ein Drittel der gesamten Einwohnerschaft umfasste, zur größten jüdischen Gemeinde überhaupt.46 Dass im Jahr 1744 allerdings auf Befehl von Maria Theresia sämtliche Juden aus Prag ausgewiesen wurden, ist für die hier verfolgte vergleichende Fragestellung wiederum aufschlussreich: Denn in diesem Fall kam es, ganz ähnlich wie nach Diskriminierungen und Verfolgungen von Protestanten in Polen und Ungarn, zu massiven Interventionen der evangelischen Höfe in West- und Mitteleuropa. Nimmt man noch die strukturell verwandten Vorstöße Russlands zugunsten der orthodoxen Bevölkerung im östlichen Europa hinzu, so lässt sich vielerorts eine Politisierung und gleichzeitige Internationalisierung der ostmittel- und südosteuropäischen Religionsfrage erkennen, die nicht ohne Auswirkungen auf die Verhältnisse im Innern bleiben konnte. Das lange Konfessionelle Zeitalter in Ostmittel- und Südosteuropa beschrieben westliche Beobachter im 18. Jahrhundert vielfach als retardierte Säkularisierung. Nachrichten über die Bedrückungen Andersgläubiger wurden freilich nicht nur als Beleg für vollständig antiquierte konfessionelle Legitimationsmuster gedeutet, sondern auch als unumstößliche Beweise für die defizitäre Sozialordnung und gesellschaftliche, ja zivilisatorische Rückständigkeit einer Großregion.47 Die im Jahrhundert der Aufklärung entstehende neue Einstellung des Herrschers zu Staat und Untertanen, die Idee von der Gleichheit und von der Gleichwertigkeit aller Menschen, änderte das Verhältnis von Staat und Kirche allerdings auch im östlichen Europa grundlegend. Ein gutes Beispiel hierfür liefert der habsburgische Staat Maria Theresias und Josephs II.: Von einer Stütze der Monarchie, ja dem einigenden Band der österreichischen Monarchie, wurde die katholische Kirche mehr und mehr zu einer jener Kräfte der Tradition, deren Sonderstellung und korporative Partizipationsrechte nun beseitigt werden sollten.48 Wo die Protestanten augsbur�� Buňatová, Marie: Die Prager Juden in der Zeit vor der Schlacht am Weißen Berg. Handel und Wirtschaftsgebaren der Prager Juden im Spiegel des Liber albus Judeorum 1577–1601. Kiel 2011. �� Bahlcke, Joachim: Frederick II of Prussia, Austria and the Hungarian Protestants: Bishop Márton Padányi Biró of Veszprém and the Enchiridion de fide. In: Austrian History Yearbook31, 2000, 15–32. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Einen guten Überblick über Interpretationsansätze und offene Forschungsfragen bietet die voluminöse Aufsatzsammlung von Plaschka, Richard G. u.a. (Hg.): Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II., Bd. 1–2. Wien 1985,
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gischer und helvetischer Konfession das Recht zu öffentlicher Religionsausübung noch nicht besaßen, erhielten sie überall durch besondere Toleranzpatente für die einzelnen Länder eine allgemeine private Religionsfreiheit. Der Widerstand gegen das am 25. Oktober 1781 für Ungarn und am 8. November für Siebenbürgen erlassene edictum tolerantiae war in Wien freilich völlig unterschätzt worden.49 Wie bereits in den Jahren zuvor stellte sich der ungarische Episkopat ganz auf den konstitutionellen Standpunkt: Das aufgezwungene Toleranzpatent sei ungesetzlich, eine willkürliche Anordnung der Krone, die weder in der Verfassung verankert noch durch einen Reichstag gutgeheißen worden sei. Der Weg zu einer dauerhaften Religionstoleranz war jedoch endgültig eingeschlagen. Dazu bedurfte es im 15. und 16. ebenso wie im 18. Jahrhundert der Einsicht in die Notwendigkeit von Toleranz und in den destruktiven Charakter von Intoleranz: „Den Ausgangspunkt dieser Einsicht bildete die Erkenntnis, daß Diskriminierung und Verfolgung für das Land schädlicher waren als die Duldung der Dissidenten; den Kern dieser Einsicht bildete der Prioritätenwechsel von der Religion als entscheidendem Einheitsband der Gesellschaft zum Landes- und Staatsinteresse als höchstem politischem, einheitsstiftendem Wert, mit dem sich auch die konfessionellen Dissidenten identifizieren sollten und aufgrund dessen der Religionsdissens tolerabel wurde.“50
die neben 52 Beiträgen auch eine umfassende Auswahlbibliographie enthält (Bd. 2, 969–1051). Darüber hinaus sind im Zusammenhang der hier verfolgten Fragestellung bedeutsam Klueting, Harm (Hg.): Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen. Darmstadt 1995 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe XIIa); Reinalter, Helmut (Hg.): Der Josephinismus. Bedeutung, Einflüsse und Wirkungen. Frankfurt am Main u.a. 1993 (Schriftenreihe der Internationalen Forschungsstelle Demokratische Bewegungen in Mitteleuropa 1770–1850 9); Kovács, Elisabeth (Hg.): Katholische Aufklärung und Josephinismus. Wien 1979. Gute Zusammenfassungen bieten Klingenstein, Grete: Radici del riformismo asburgico. In: Citterio, Ferdinando/Vaccaro, Luciano (Hg.): Storia religiosa dell’Austria. Milano 1997, 143–168; Dickson, P[eter] G. M.: Joseph II’s reshaping of the Austrian church. In: The Historical Journal 36, 1993, 89–114. Zu den Verhältnissen in Ungarn vgl. vor allem Fried, István: II. József, a józefinisták és a reformerek (Vázlat a XVIII. század végének magyar közgondolkodásáról). In: Az Országos Széchényi Könyvtár Évkönyve 1979, 563– 591; Benda, Kálmán: A jozefinizmus és jakobinusság kérdései a Habsburg-Monarchiában (Eredmények és feladatok a legújabb kutatások tükrében). In: Történelmi Szemle 8, 1965, 388–422. �� Mályusz, Elemér: A türelmi rendelet II. József és a magyar protestantizmus. Budapest 1939; ders. (Hg.): Iratok a türelmi rendelet történetéhez. Budapest 1940 (hier auch das Toleranzedikt für Ungarn, 269–276, Nr. 17); ders.: II. József tolerancia-gondolatának eredete. In: Emlékkönyv Domanovszky Sándor születése hatvanadik fordulójának ünnepére 1937 május 27. Budapest 1937, 450–473. Eine neuere Interpretation bei Kosáry, Domokos: Művelődés a XVIII. századi Magyarországon. Budapest 31996 [11980], 386–396. ��Eberhard, Winfried: Zu den Voraussetzungen und Widersprüchen der Toleranzpolitik Josephs II. in den Ländern des östlichen Mitteleuropa. In: Chocholáč, Bronislav/Jan, Libor/Knoz, Tomáš (Hg.): Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspěvků, jež věnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brno 1999, 347–362, hier 361.
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Politische Funktionen kirchlicher Beziehungen: Ungarn und die Reichskirche 1. Verflechtungsgeschichte als Politikum. Ungarn und die staatskirchlichen Bestrebungen des Wiener Hofes Im Jahr 1764 erschien in Wien eine höchst instruktive rechtshistorische Abhandlung, deren Verfasser, Jozef Bencúr, heute sowohl der ungarischen als auch der slowakischen Forschung weitgehend unbekannt ist. Der Titel des schmalen Bändchens, das knapp ein Jahrzehnt später in Tyrnau zwar nochmals aufgelegt wurde, nach dem Tod seines Verfassers, 1784, jedoch vollständig in Vergessenheit geriet, ist zugleich als Programm zu verstehen: Ungaria semper libera, suique iuris, et nunquam vel principi, vel genti alicui externae, obnoxia.1 Bencúr, damals Direktor der evangelischen Hochschule von Pressburg, war unter Maria Theresia und Joseph II. einer der wichtigsten Berater des Wiener Hofes in allen historisch-rechtlichen Belangen der natio hungarica. Mit ausführlichen Verweisen auf die juristische Literatur verneinte er in seinem Werk jede Abhängigkeit Ungarns vom römisch-deutschen Kaiser, vom Papst und vom Sultan. Die Einzelheiten der lehensrechtlichen Diskussion können hier ausgeblendet werden, zumal sie nur Variationen der einen Hauptthese sind, nach der das Land – allen äußeren Brüchen der staatlichen Ordnung zum Trotz – eine seit Jahrhunderten konstante Rechts- und Freiheitstradition aufweise. Ungarn zähle damit, so Bencúr, zu den wenigen Territorien in Europa, in denen es bis zur Gegenwart keine grundlegenden Änderungen gegeben habe. Dem protestantischen Rechtsgelehrten slowakischer Nationalität ging es in diesem Werk wie auch in anderen Schriften in erster Linie um den Nachweis der uneingeschränkten Souveränität des Königs von Ungarn, dessen Rechte durch nichts, weder durch die Macht des Adels und der Kirche
1 Benczur, Iosephus: Ungaria semper libera, suique iuris, et nunquam vel principi, vel genti alicui externae, obnoxia [...]. ������������������������������������������������������������������������ Vindobonae 1764. Über Bencúr (Pseudonym Eusebius Verinus), einen der bedeutendsten und produktivsten Vertreter der ungarischen Aufklärung, ist bis heute trotz des umfangreichen Œuvre so gut wie nichts bekannt. Vgl. Rezik, Ján/Matthaeides, Samuel: Dejiny gymnázií na Slovensku. Bratislava 1971, 410, 429; Balázs, Éva H.: Berzeviczy Gergely a reformpolitikus 1763–1795. Budapest 1967, 28–46; Kowalská, Eva: Pro Bono Publico: Enlightenment, Religion, Education and the State in Northern Hungary. In: Human affairs 2, 1992, 77–88; Pecze, Ferenc: Der Rechtsunterricht in Ungarn im 18. Jahrhundert besonders an den rechtswissenschaftlichen Akademien. In: Die juristische Bildung in der Slowakei und Ungarn bis zum J. 1848. Bratislava 1968, 203–214; Feyl, Othmar: Beiträge zur Geschichte der slawischen Verbindungen und internationalen Kontakte der Universität Jena. Jena 1960, 32, 131f., 272. Zu den wichtigsten Lebensstationen und Publikationen vgl. Slovenský biografický slovník 1, 1986, 203f.
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Jozef Bencúr, ein bedeutender evangelischer Gelehrter slowakischer Herkunft, stand dem Wiener Hof während der Regierung Maria Theresias und Josephs II. wiederholt als Berater zur Seite. Er galt als exzellenter Kenner der ungarischen Rechtstraditionen und Gesetze. In seinem 1764 in Wien publizierten Werk Ungaria semper libera ging es Bencúr um den Nachweis der vollständigen Unabhängigkeit Ungarns vom römisch-deutschen Kaiser, vom Papst und vom Sultan. Eine solche Rechtsauffassung lag durchaus im Interesse der Habsburger, die auch in kirchlicher Hinsicht die volle Souveränität in Ungarn für sich beanspruchten.
noch durch auswärtige weltliche wie kirchliche Rechtseinflüsse, beschränkt seien.2 Dass das Verhältnis Ungarns zur Reichskirche beziehungsweise zu Kaiser und Reich im Umfeld des Wiener Hofes nach 1750 verstärkt reflektiert wurde, lässt sich nicht nur am publizistischen Werk Bencúrs nachweisen. Auch der Kronprinzenunterricht Josephs II. zeigt deutlich, dass in jener Zeit, als das System Haugwitz durch das System Kaunitz ersetzt wurde, neu über die Religionspolitik im Osten der Habsburgermonarchie und die rechtliche Stellung der Kirche in Ungarn nachgedacht wurde, und zwar vornehmlich aus Gründen der Staatsökonomie und der Staatsräson.3 Der Grundgedanke war 2 Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Parallelen zum historisch-juristischen Werk Johann Peter (von) Ludewigs, das Bencúr während seines Studiums in Halle Mitte des 18. Jahrhunderts kennengelernt hatte. Der Hallesche Gelehrte, der es als seine Hauptaufgabe angesehen hatte, Brandenburg-Preußen mit den Waffen der Wissenschaft zu dienen und dessen Stellung im Reich zu stärken, galt Bencúr 1764 nach eigenem Bekunden als Vorbild seiner „defensionis domesticae libertatis“. Benczur: Ungaria semper libera, Vorwort (nicht paginiert). Zu Ludewig vgl. Hammerstein, Notker: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und 18. Jahrhundert. Göttingen 1972, 169–204; Roeck, Bernd: Reichssystem und Reichsherkommen. Die Diskussion über die Staatlichkeit des Reiches in der politischen Publizistik des 17. und 18. Jahrhunderts. Stuttgart 1984 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte 112; Beiträge zur Sozial- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 4), 110–114. 3 Conrad, Hermann: Reich und Kirche in den Vorträgen zum Unterricht Josephs II. In: Repgen, Konrad/Skalweit, Stephan (Hg.): Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach zum 10. April
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einfach: Eine politisch-wirtschaftliche Stabilisierung der Gesamtmonarchie schien nur durch die Heranziehung neuer Einkommensquellen möglich, und das hieß namentlich derjenigen Ungarns.4 Der aus Karrieregründen zum Katholizismus konvertierte Johann Christoph Bartenstein, als Geheimer Staatssekretär Maria Theresias maßgeblich mit der Leitung der kaiserlichen Außenpolitik betraut, war einer der ersten, der den Reichtum und die privilegierte Stellung der ungarischen Kirche ins Gespräch brachte. Die ohnehin beachtlichen Einkünfte der Bischöfe, die in den Ländern der Stephanskrone überdies politische Funktionen in der Lokalund Zentralverwaltung wahrnehmen würden, hätten seit der erfolgreichen Zurückdrängung der Osmanen Ende des 17. Jahrhunderts noch zugenommen. Sollte die Regierung beabsichtigen, die steuerliche Immunität des Klerus aufzuheben, so drohe keinerlei Konflikt mit der Reichskirche: Ungarn sei vom römisch-deutschen Reich vollständig unabhängig, und insofern sei der König von Ungarn – auch wenn dieser als summus imperans von sich einander unterscheidenden Ländergruppen und Territorien gleichzeitig an der Spitze eben jenes Reiches stehe – nicht an dessen Gesetze gebunden. Diese Auffassung machte sich 1765 auch der Staatsrat zu eigen, als die Frage im Raum stand, „in was für einem Nexu das Königreich Hungarn mit denen benachbarten Ländern und auswärtigen Mächten würcklich stehe und wie solches von Rechts wegen stehen sollte“.5 Die Überlegungen Bartensteins, der ähnlich wie andere Publizisten und Politikberater seit dem Westfälischen Frieden eine klare Grenze zwischen der österreichischen Monarchie und dem römisch-deutschen Reich zu ziehen suchte, fanden später Aufnahme in den Abriß des Geistlichen oder Kirchenrechts von Christian August Beck, der von 1755 bis 1759 den Rechts unterricht Erzherzog Josephs leitete.6 Der aus Thüringen stammende, ebenso 1964. Münster Westf. 1964, 602–612; ders.: Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Aus den Erziehungsvorträgen für den Erzherzog Joseph [1963]. In: Hofmann, Hanns Hubert (Hg.): Die Entstehung des modernen souveränen Staates. Köln/Berlin 1967 (Neue Wissenschaftliche Bibliothek 17. Geschichte), 228–243, 427–432. In die parallel erarbeitete Edition – ders. (Hg.): Recht und Verfassung des Reiches in der Zeit Maria Theresias. Die Vorträge zum Unterricht des Erzherzogs Joseph im Natur- und Völkerrecht sowie im Deutschen Staats- und Lehnrecht. Köln/ Opladen 1964 (Wissenschaftliche Abhandlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 28) – wurden die Vorträge zum Kirchenrecht nicht aufgenommen. 4 Szabo, Franz A. J.: Kaunitz and enlightened absolutism 1753–1780. Cambridge 1994, 305–315; ders.: Intorno alle origini del giuseppinismo: motivi economico-sociali e aspetti ideologici. In: Società e storia 2/4, 1979, 155–174; ders.: Haugwitz, Kaunitz, and the Structure of Government in Austria under Maria Theresia, 1745 to 1761. In: Historical Papers. Communications historiques 1979, 111–130. 5 Ember, Gy[őző]: Der österreichische Staatsrat und die ungarische Verfassung 1761–1768. In: Acta Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 6, 1959, 105–153, 331–371; 7, 1960, 149–182, hier III, 163, Nr. 80 (1765:2140). 6 Benna, Anna H.: Zur Situation von Religion und Kirche in Österreich in den Fünfzigerjahren des 18. Jahrhunderts – eine Denkschrift Bartensteins zum Kronprinzenunterricht Josefs II. In: Sacerdos
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wie Bartenstein konvertierte Beck, der 1747 als Professor für Staats- und Lehnsrecht an das Wiener Theresianum berufen worden war, verfasste während seiner Lehrtätigkeit auch eine Studie zum ungarischen Staatsrecht, die – und dies verbindet die zwei genannten Fälle zusätzlich – sechs Jahre nach seinem Tod mit Anmerkungen Jozef Bencúrs im Druck erschien.7 Die Frage nach den historischen und juristischen Beziehungen zwischen Ungarn, dem römisch-deutschen Reich und der Reichskirche, der sich in den 1750er und 1760er Jahren Gelehrte sowohl innerhalb als auch außerhalb Ungarns intensiv widmeten, war nicht Gegenstand eines bloßen Meinungsstreits im akademischen Milieu. Sie war Teil einer sehr viel umfassenderen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, die im Umfeld des Siebenjähriges Krieges an Schärfe gewann, durch die 1763 unter dem Pseudonym Justinus Febronius veröffentlichte Schrift De statu ecclesiae et legitima potestate Romani Pontificis des Koadjutors von Trier, Johann Nikolaus von Hontheim, neue Nahrung erhielt und seit 1764 schließlich die ungarische Öffentlichkeit in einem bisher nicht für möglich gehaltenen Ausmaß beschäftigte.8 Der point of no return in diesem folgenschweren Konflikt lässt sich exakt auf das Erscheinen eines knapp zweihundert Seiten umfassenden Buches im Frühjahr des Jahres 1764 datieren. Innerhalb weniger Wochen wurde es zum Bestseller in sämtlichen Ländern der Habsburgermonarchie. Mit seiner Studie über die gesetzgebende Gewalt der ungarischen Könige in kirchlichen Angelegenheiten hatte der Exjesuit Ádám Ferenc Kollár, custos primarius der Wiener Hofbibliothek und wie der mit ihm befreundete Bencúr slowakischer Nationalität, gleichsam ein Regierungsprogramm des künftigen kirchenpolitischen Kurses vorgelegt. Kollárs teilweise nüchtern und distanziert vorgelegte, teilweise polemisch überspitzte und verletzende Darlegungen, die sowohl beim Klerus als auch beim Adel auf schärfsten Widerspruch stoßen mussten, waren der erste Versuch, das ungarische Kirchenrecht auf der Grundlage der staatshoheitlichen und regalistischen Prinzipien des französischen Gallikanismus und der deutschen Aufklärung zu erläutern.9 et pastor semper ubique. Festschrift zum 40-jährigen Priesterjubiläum Franz Loidl. Wien1972 (Veröffentlichungen des Kirchenhistorischen Instituts der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien 13), 193–224; dies.: Der Kronprinzenunterricht Josefs II. in der inneren Verfassung der Erbländer und die Wiener Zentralstellen. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20, 1967, 115–179. 7 Beck, Christianus Augustus: Jus publicum Hungariae. Cum notis autoris et observationibus Josephi Benzur. Viennae 1790. Zum rechtsgeschichtlichen Hintergrund vgl. Szántay, Antal: Justi és Beck: kormányzati teóriák II. József környezetében. In: Történelmi Szemle 36, 1994, 53–78. 8 Bahlcke, Joachim: „Vexatio dat intellectum“. Klerus, Ständeverfassung und Staatskirchentum in Ungarn zur Zeit Maria Theresias. In: Historické štúdie 40, 1999, 35–50. 9 Kollar, Adamus Franciscus: De Originibus et Usu perpetuo potestatis Legislatoriae circa sacra Apostolicorum Regum Ungariae. Vindobonae ������������������������������������������������������������ 1764. Das Werk wurde zwar Anfang des 19. Jahrhunderts ins Ungarische übertragen; die Übersetzung blieb jedoch aufgrund des Hasses, der dem Werk Kollárs auch nach dessen Tod (1793) unverändert entgegenschlug, ungedruckt. Eine frühere, thema-
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Die Nachwelt kennt den aus Oberungarn gebürtigen Historiker und Theologen Ádám Ferenc Kollár, der mehr als zwei Jahrzehnte an der Hofbibliothek in Wien tätig war, vor allem als sprachgewandten und produktiven Gelehrten. Die Zeitgenossen dagegen sahen in Kollár, der mit seinen Werken die geistigen Grundlagen für die aufgeklärt-absolutistische Reformpolitik Maria Theresias und Josephs II. schuf, in erster Linie den Vordenker und Befürworter tiefgreifender Staatsreformen. Das Gemälde schuf der österreichische Hofkammermaler Josef Hauzinger im Jahr 1779.
Mit den klassischen Argumenten der europäischen Aufklärung bemühte sich Kollár, dessen enge Beziehungen zum Staatsrat in Ungarn nicht unbekannt waren, um den Nachweis, dass sich die Kirche Ungarns in der Vergangenheit verschiedene Rechte zum Schaden der weltlichen Souveränität ange maßt habe. Danach bestimme all das, was nicht de iure divino festgelegt sei, ausschließlich der Herrscher durch staatliche Gesetze. Man solle ihn selbst nicht bezichtigen, so Kollár, die väterliche Autorität der Päpste schmälern zu wollen – er kenne die Grenzen zwischen Kirche und Staat sehr genau und wisse, dass zwischen beiden Recht und Billigkeit bestehen müsse. Genau diese Grenzen aber würden von jenen Schwachköpfen verwischt, die vom ungarischen Staatsrecht nichts verstünden und meinten, dass die erlauchtesten Könige nur Marionetten in der Hand der Priester seien.10 tisch ähnliche Studie Kollárs war in Ungarn zunächst fast unbeachtet geblieben. Vgl. ders.: Historiae Diplomaticae Iuris Patronatus Apostolicorum Hungariae Regum libri tres. Vindobonae 1762. Zu Kollárs Leben und Werk vgl. Tibenský, Ján: Slovenský Sokrates. Život a dielo Adama Františka Kollára. Bratislava 1983 (ungarisch u.d.T.: A királynő könyvtárosa. Adam František Kollár élete és művei. Bratislava 1985). Die beste Darstellung des Konflikts von 1764/65 bietet Csizmadia, Andor: A „Kollár contra Status et Ordines“ [1964]. In: ders.: Jogi emlékek és hagyományok. Esszék és tanulmányok. Budapest 1981, 173–208; ders.: Adam Franz Kollár und die ungarische rechtshistorische Forschung. Wien 1982 (Österreichische Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte 398). ������������������������������������������������������������������������������������������� „Neque tamen haec a me quisquam ita dici velim, existimet, quasi paternae summorum Ponti ficum apud nos auctoritati derogatum quidpiam cuperem; absit haec a me scriptisque meis impia
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Dass in den 1760er Jahren ausgerechnet kirchliche Belange in den Mittelpunkt des sich verschärfenden Machtkampfs zwischen dem Wiener Hof und der natio hungarica gerieten, erklärt sich aus dem Kalkül der Regierung, die ständischen Partizipations- und Kontrollrechte durch einen Angriff auf das vermeintlich schwächste Glied, die Geistlichkeit, auszuhebeln.11 Da in Ungarn der Aufbau der kirchlichen Hierarchie zeitlich mit der Begründung der staatlichen Organisation zusammenfiel, lieferte die kirchenrechtliche Entwicklung beiden Seiten brauchbare Argumente. Erinnern heißt freilich immer auswählen: Mit der Autorität der Vergangenheit konnten ganz verschiedene Gruppen operieren und Politik betreiben.12 Aus diesem Grund werden im Folgenden – nach einigen einleitenden Bemerkungen über die Reichskirche – zunächst die Charakteristika der ungarischen Kirchenorganisation und die Form der Bischofsbestellung zu skizzieren sein. Die politischen Funktionen kirchlicher Beziehungen zwischen Ungarn und der Reichskirche werden dann konkret an zwei Beispielen aus der Frühen Neuzeit veranschaulicht: zum einen an der Präsenz von Reichsaristokraten im ungarischen Primatialverband während des späten 17. und 18. Jahrhunderts, zum anderen am Engagement des Corpus Evangelicorum in Ungarn nach dem Dreißigjährigen Krieg.
2. Kirchliche Raumbeziehungen und rechtliche Grundlagen des landesfürstlichen Nominationsrechts in Ungarn Weder Bencúr noch Bartenstein gingen in ihren oben genannten Arbeiten genauer auf Begriff und Wesen der Reichskirche ein, zu der die ungarische Kirche nach Ansicht beider Autoren zu keinem Zeitpunkt in einem Abhängigkeitsverhältnis gestanden habe. In der Forschung dagegen wird die Frage, ob und inwieweit man überhaupt von einer einheitlichen Reichskirche sprechen könne,
temeritas! cognitos enim probe habeo Sacerdotii & Imperii limites, inter quos jus & aequum consistere debent: sed dum hi ab imbecillis animi, & Juris Publici nostri imperitis homuncionibus temere permiscentur; dum serenissimi Reges nostri Sacerdotum neurospasta esse finguntur“. Kollar: De Originibus et Usu perpetuo, 56f. ��Győző, Ember: Der österreichische Staatsrat und Ungarn in den 1760er Jahren. In: Drabek, Anna M./Plaschka, Richard G./Wandruszka, Adam (Hg.): Ungarn und Österreich unter Maria Theresia und Joseph II. Neue Aspekte im Verhältnis der beiden Länder. Wien 1980 (Veröffentlichungen der Kommission für die Geschichte Österreichs 11), 43–54. �� Bahlcke, Joachim: Die Autorität der Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Politik beim höheren Klerus Ungarns im späten 17. und 18. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. Berlin 2002 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 29), 281–306.
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bis zur Gegenwart kontrovers diskutiert.13 Eine organisatorische Einheit bildete die deutsche Kirche des Spätmittelalters jedenfalls nicht, weder kirchennoch reichsrechtlich. Eine geistliche Spitze als gemeinsames Oberhaupt gab es nicht, und auch umfassendere Reichskonzilien fanden niemals statt. Den Rang eines mit Jurisdiktion ausgestatteten Primas beziehungsweise Legatus natus des Papstes – diesen Titel führte seit 1529 der Metropolit von Salzburg – be anspruchten gleich sechs Erzbischöfe für sich. Der Begriff Reichskirche hat deshalb nach Wolfgang Reinhard weniger eine Abgrenzung nach außen zum Inhalt als vielmehr eine Abgrenzung nach innen: „Reichskirchen“ – im Plural – sind demnach diejenigen hohen kirchlichen Pfründe, deren Besitz an weltlichen Gütern vom Reich zu Lehen geht, deren Inhaber also Reichsfürstenrang besitzen.14 Nur ihr reichsrechtlicher Status fügte demnach die Reichsbistümer zu einer (freilich sehr inhomogenen) Reichskirche zusammen.15 So gesehen lässt sich die Zugehörigkeit der Bistümer zur Reichskirche nach dem Geltungsbereich des Wiener Konkordats von 1448 bestimmen, das den Domkapiteln das Recht der freien Bischofswahl garantierte. Praktisch hörte die Reichskirche dort auf, wo dieses Recht der Domkapitel nicht existierte. Die salzburgischen Eigenbistümer Gurk, Chiemsee, Seckau und Lavant, deren Besetzung (mit Ausnahme von Gurk) vollständig in der Hand des Salzburger Metropoliten lag, und die späten habsburgischen Gründungen Wien und Wiener Neustadt werden entsprechend nicht der Reichskirche zugehörig betrachtet.16 Ähnliches gilt am Ende des Mittelalters für Prag, Olmütz und Breslau, obwohl sie zum Teil alte königliche Privilegien besaßen. Denn die Besitzungen dieser Bischöfe waren nur mediaten, landständischen Status, das heißt, die Ordinarien waren einem Landesherrn untertan und höchstens auf den jeweiligen Landtagen stimmberechtigt. Der wichtigen, sich geradezu aufdrängenden Frage, wie diese rechtliche Stellung im Wandel der Jahrhunderte einerseits von den kirchlichen Amtsträgern selbst wahrgenommen und �� Duggan, Lawrence G.: The Church as an Institution of the Reich. In: Vann, James A./Rowan, Steven W. (Hg.): The Old Reich. Essays on German Political Institutions 1495–1806. Bruxelles 1974, 151–164. ��Reinhard, Wolfgang: Die Verwaltung der Kirche. In: Jeserich, Kurt G. A./Pohl, Hans/Unruh, Georg-Christoph von (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd. 1: Vom Spätmittelalter bis zum Ende des Reiches. Stuttgart 1983, 143–176, hier 153f.; Willoweit, D[ietmar]: Reichskirche. In: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4. Berlin 1990, Sp. 667–679; Gottlieb, Gunther u.a.: Reichskirche. In: Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 8. Freiburg u.a. 31999, Sp. 988– 993. �� Kremer, Stephan: Herkunft und Werdegang geistlicher Führungsschichten in den Reichsbistü mern zwischen Westfälischem Frieden und Säkularisation. Fürstbischöfe – Weihbischöfe – Generalvikare. Freiburg/Basel/Wien 1992 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Supplementheft 47), 41. �� Seidenschnur, Wilhelmine: Die Salzburger Eigenbistümer in ihrer reichs-, kirchen- und lan desrechtlichen Stellung. In: Zeitschrift für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 9, 1919, 177–287.
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reflektiert und andererseits – und zwar sowohl an der östlichen als auch an der westlichen Peripherie des römisch-deutschen Reiches – für die Politik instrumentalisiert wurde, ist bisher nur in ersten Ansätzen nachgegangen worden.17 In seiner brillanten Arbeit über die Raumgliederung der Kirche im mittelalterlichen Europa unterscheidet Hans-Joachim Schmidt drei Zonen im Bereich der okzidentalen papstkirchlichen Christenheit, in denen sich auf unter schiedliche Weise kirchliche Zirkumskriptionen ablagerten.18 Ungarn ist in diesem Zusammenhang als Teil der östlichen Zone zu sehen, jenes von Jerzy Kłoczowski beschriebenen „Jüngeren Europa“, das seit dem 10. Jahrhundert durch eine fortschreitende Missionierung in die okzidentale Christenheit einbezogen wurde.19 Überall im Osten und Norden des kontinentalen Europa hingen Errichtung von Kirchenprovinzen und Bildung von Königreichen aufs engste zusammen. Die Bindung an antike Vorlagen fehlte hier völlig, und überflüssig wurde auch die fiktive Anbindung an einen vermeintlich älteren Zustand. Da bei der Begründung der jeweiligen Kirchenorganisation die Raumbeziehungen zur Zeit der Christianisierung zugrunde gelegt wurden, Herrschaftsausdehnung und Einrichtung kirchlicher Grenzen durchgehend aufeinander abgestimmt waren, entstand eine kirchliche Raumgliederung, die eng mit dem herrschaftlichen Gebiet verknüpft war. Während andernorts geistliche und weltliche Großbezirke nur selten deckungsgleich waren, herrschte hier von Beginn an eine weitgehende Deckungsgleichheit von provincia und regnum.20 Eine Ungarn und Polen vergleichbare Kongruenz von Land und Kirchenorganisation wies auch Böhmen auf, trotz seines besonderen Verhältnisses im und zum römisch-deutschen Reich und der bis 1344 formellen Abhängigkeit der Bistümer Prag und Olmütz von der Mainzer Metropole.21 Der Aufbau der kirchlichen Hierarchie in Ungarn, der zeitlich mit der Begründung des regnum zusammenfiel, wurde von diesem entscheidend mit bestimmt. Um die Jahrtausendwende war es Stephan gelungen, die Macht seiner stammesfürstlichen Rivalen zu brechen und eine königliche Ver����������������������������������������������������������� Vgl. zu dieser Frage die materialreichen Fallstudien von Minke, Alfred: Der „belgische“ Episkopat nach 1648 – ein Vergleich. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 83, 1988, 365–378, und Karp, Hans-Jürgen: Die Bischöfe von Ermland und Kulm als Mitglieder des Episkopats der Krone Polen 1644–1772. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 83, 1988, 379–396. ��Schmidt, Hans-Joachim: Kirche, Staat, Nation. Raumgliederung der Kirche im mittelalterlichen Europa. Weimar 1999 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 37). �� Kłoczowski, Jerzy: Młodsza Europa. Europa Średkowo-Wschodnia w kręgu cywilizacji chrześcijańskiej średniowiecza. Warszawa 1998, 23–57, 239–310. ��Schmidt: Kirche, Staat, Nation, 77–80, 162–164, 176. �� Székely, György: Gemeinsame Züge der ungarischen und polnischen Kirchengeschichte des XI. Jahrhunderts. In: Acta Universitatis Scientiarum Budapestinensis de Rolando Eötvös nominatae 4, 1962, 55–80; Borovi, Josef: Parallele zwischen der böhmisch-polnischen und der ungarischen Kirchenorganisation. In: Zagiba, Franz (Hg.): Millenium Dioeceseos Pragensis 973–1973. Beiträge zur Kirchengeschichte Mitteleuropas im 9.–11. Jahrhundert. Wien/Köln/Graz 1974 (Annales Instituti Slavici 8), 50–63.
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waltung und Kirchenverfassung zu schaffen. Im Einvernehmen mit Kaiser Otto III. hatte Papst Silvester II. dem Ungarn vermutlich zu Ostern 1001 die Königswürde verliehen, das Erzbistum Gran gegründet und Stephan die apostolische Macht für die Christianisierung des Landes und die Einrichtung weiterer Bistümer übergeben.22 Anders als in Polen begann in Ungarn die kirchliche Organisation unmittelbar mit der Gründung eines Erzbistums, einer kirchenrechtlich unabhängigen Behörde also. Die vor Stephans Kanonisation 1083 entstandene sogenannte Legenda maior, die erste von drei Stephansviten, gibt die Zahl der durch den ersten christlichen König gegründeten Bistümer mit zehn an. Ihre Einrichtung vollzog sich, nach der Gründung Grans, in der Zeit zwischen 1009 und 1030. Der parallele Ausbau der weltlichen und der kirchlichen Verwaltung hatte zur Folge, dass die Grenzen der Dekanate mit denen der Komitate, der um eine Burg gebildeten Lokalverwaltungseinheiten, weitgehend zusammenfielen.23 Um die Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert wurde das Land dann in zwei Kirchenprovinzen gegliedert. Die 1279 verliehene Primatialwürde des Erzbischofs von Gran, der stets einen Vorrang über den Metropoliten von Kalocsa beanspruchte, war allerdings in erster Linie politischer Natur und kam im kirchlichen Bereich kaum zur Geltung. So besaß der Graner Erzbischof ähnlich wie andere Primasse – Armagh, Bourges, Canterbury oder Toledo – beispielsweise das Ehrenrecht, sich die Kreuzfahne in seinem Primatialbezirk vortragen zu lassen. Auch durfte er hier in erstinstanzlichen Prozessen oder nach Appellation per saltum entscheiden.24 Der ungarische Primatialverband, der das Fürstentum (seit 1765 Großfürstentum) Siebenbürgen und die Regna tripartita Dalmatiae, Croatiae et Slavoniae einschloss, war bis zum letzten Drittel des 18. Jahrhunderts keinen grundlegenden Veränderungen unterworfen (sieht man von den folgenschweren, im Zusammenhang dieser Studie allerdings nicht relevanten Veränderungen in der Kirchenorganisation im Südosten des spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Ungarn ab, die auf die venezianische und osmanische Expansion zurückzuführen sind).25 Versuche, ��Györffy, György: István király és műve. Budapest 1977, 177–190, 565f.; ders.: Zu den Anfängen der ungarischen Kirchenorganisation auf Grund neuer quellenkritischer Ergebnisse. In: Archi vum Historiae Pontificiae 71, 1969, 79–113. �� Kristó, Gyula: A vármegyék kialakulása Magyarországon. �������������������������������� Budapest 1988. Eine deutschsprachige Zusammenfassung bietet ders.: Die Entstehung der Komitatsorganisation unter Stephan dem Heiligen. In: Glatz, Ferenc (Hg.): Etudes historiques hongroises 1990, Bd. 1. Budapest 1990, 13– rffy, Gy[örgy]: Die Entstehung 25. Ein ausgezeichneter Quellen- und Literaturüberblick bei Gyö der ungarischen Burgorganisation. In: Acta Archaeologica Academiae Scientiarum Hungaricae 28, 1976, 323–358. �� Erdő, Péter: Il potere giudiziario del Primate d’Ungheria. In: Apollinaris. Commentarius In stituti Utriusque Juris 53, 1980, 272–292; 54, 1981, 213–231; Mezey, László: Az esztergomi érsekség primáciává fejlődése (1000–1452). In: Vigilia 41, 1976, 368–374. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Die unverändert beste Darstellung stammt von dem ungarischen Jesuiten György Pray, dem neben István Katona bedeutendsten Kirchenhistoriker des 18. Jahrhunderts. Vgl. Pray, Georgius: Speci-
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eine Übereinstimmung der auf dem territorialen Prinzip basierenden Kirchenverfassung mit ethnischen beziehungsweise Sprachgruppen zu erzielen, wurden an mehreren Orten unternommen, allerdings stets ohne Erfolg. Da der König in Ungarn ein territorium clausum mit exklusiver Befehlsgewalt besaß, war es hier, im Gegensatz zu den österreichischen Erblanden etwa, aus Sicht des weltlichen Herrschers zu keinem Zeitpunkt notwendig, die kirchliche Geographie der politischen anzugleichen.26 Von dem Prozess des allmählichen Herauswachsens der österreichischen Länder aus dem römischdeutschen Reich in kirchenorganisatorischer Hinsicht – eine Entwicklung, die von Allgemeinhistorikern gern übersehen wird – war Ungarn als Territorium der Habsburgermonarchie in keiner Weise berührt.27 Das Recht, kirchliche Gesetze zu geben, hatte Ádám Ferenc Kollár 1764 in seinem Werk De Originibus et Usu perpetuo potestatis Legislatoriae circa sacra Apostolicorum Regum Ungariae mit Hilfe einer recht eigenwilligen Auslegung des Obersten Patronatsrechts in vollem Umfang dem Herrscher übertragen. Dieses Ius supremi patronatus regis war ein Bündel von Sonder rechten, das sich auf die besondere Art der ungarischen Pfründenverleihung bezog.28 Der Ursprung der auf den ersten christlichen König, Stephan, zurückgeführten Befugnisse, deren Umfang und das Verhältnis Ungarns zum Heiligen Stuhl beziehungsweise zum Heiligen Römischen Reich: diese Framen hierarchiae Hungaricae complectens seriem chronologicam Archiepiscoporum et Episcoporum Hungariae cum rudi dioecesium delineatione adjectis [...], Bd. 1–2. Posonii/Cassoviae 1776–1779. Vgl. ferner Caprioli, Adriano/Vaccaro, Luciano (Hg.): Storia religiosa dell’Ungheria. Milano 1992; Vaccaro, Luciano (Hg.): Storia religiosa dei Cechi e Slovacchi. Milano �������������������������������� 1987. Für die Verhältnisse im Dreieinigen Königreich vgl. Buturac, Josip/Ivandija, Antun: Povijest katoličke Crkve među Hrvatima. Zagreb 1973; Vaccaro, Luciano (Hg.): Storia religiosa dei popoli balcanici. Milano 1983. �� Kecskeméti, Károly: Les constantes et les variations de la géographie religieuse dans l’Europe du Centre-Est (Xe–XVIIIe siècles). In: Etudes Danubiennes 2, 1986, 89–97; Tomko, Joseph: The Development of Church Organization in Slovakia. In: Kirschbaum, Joseph M. (Hg.): Slovak Culture through the Centuries. Toronto 1978, 135–203; Loidl, Franz: Die Diözesanorganisation der katholischen Kirche Österreichs im Wandel der Jahrhunderte. In: Religion und Kirche in Österreich. Wien 1972, 29–43. ��Kovács, Elisabeth: Die „Herausentwicklung Österreichs aus dem Heiligen Römischen Reich“ im Reflex der Beziehungen von Kaisertum und Papsttum während des 18. Jahrhunderts. In: P laschka, Richard G. u.a. (Hg.): Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II., Bd. 1–2. Wien 1985, hier Bd. 1, 421–436; dies.: Die Österreichische Kirche am Ende des alten Reiches (1790–1806): Reflexionen zum „Josephinismus“. In: Archivum Historiae Pontificiae 33, 1995, 335–349. ��������������������������� Grundlegend nach wie vor Fraknói, Vilmos: A magyar királyi kegyúri jog Szent Istvántól Mária Teréziáig. Történeti tanúlmány. Budapest 1895. Überblicksdarstellungen bieten Erdő, Péter: Il Giuspatronato in Ungheria. In: Apollinaris. Commentarius Instituti Utriusque Juris 62, 1989, 189– 206; Csizmadia, Andor: Le développement des relations juridiques entre l’État et les Églises en Hongrie (1000–1944). In: Péteri, Zoltán (Hg.): Droit hongrois, droit comparé. Budapest 1970, 235–257; ders.: Die Entwicklung des Patronatsrechtes in Ungarn. In: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 25, 1974, 308–327; Adriányi, Gabriel: Das oberste königliche Patronatsrecht über die Kirche in Ungarn. In: ders.: Beiträge zur Kirchengeschichte Ungarns. München 1986 (Studia Hungarica 30), 26–40.
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gen waren über Jahrhunderte Gegenstand heftiger Kontroversen – unter Kirchen- und Allgemeinhistorikern ebenso wie unter Politikern und Publizisten. Trotz seines kanonischen Ursprungs war das Oberpatronatsrecht durch István Verbőczy, den Autor der bedeutendsten Sammlung des Gewohnheits rechts im frühen 16. Jahrhundert, zu einem festen Bestandteil des ungarischen Staatsrechts und der sorgsam gehüteten nationalen Rechte geworden.29 Auf dieses Recht stützten sich bis zum 20. Jahrhundert Anhänger unterschiedlicher politischer Strömungen. 1855 etwa protestierten die ungarischen Bischöfe in aller Schärfe gegen das Konkordat Österreichs mit dem Vatikan, da dieser Vertrag jahrhundertealte Rechte und Freiheiten wie eben das Oberste Patronatsrecht missachte und damit die historische Eigenständigkeit der ungarischen Kirchenorganisation ignoriere.30 Seit dem Ausgleich von 1867 wurde die nominatio regia nicht mehr als Ausfluss landesfürstlicher Rechte empfunden, sondern als Hoheitsrecht der „Heiligen Krone“ beansprucht – jener verfassungsrechtlichen Konstruktion, die wie keine andere die Staatsidee des Sankt-Stephans-Reiches symbolisierte. Über die Heilige Krone schrieb der nationalromantische Rechtshistoriker Ákos Timon kurz vor dem Ersten Weltkrieg, dass die souveräne nationale Existenz und Unabhängigkeit der magyarischen Nation mit ihr stehe oder falle.31 Die feste Verankerung des bischöflichen Vorschlagrechts in Ungarn, das hier eine kompliziertere Entwicklung durchlief als in anderen Teilen Europas, erfolgte unter der Herrschaft König Sigismunds, der sich jede Art päpstlicher Reservationen verbat. Er reklamierte für sich das Recht, nicht nur Kandidaten vorzuschlagen, sondern auch die betreffenden Pfründen zu verleihen. Unterstützt wurde er auf den Reichstagen zu Stuhlweißenburg 1387 und Temeswar 1397 vom ungarischen Adel, der seinerseits zu verhindern suchte, dass Landfremde durch päpstliche Bullen in den Besitz ungarischer Benefizien gelangten. Für sein Ziel, die kirchlichen Sonderrechte dauerhaft durch Rom anerkennen zu lassen, wusste Sigismund die Vakanz des päpstlichen Stuhls während des Konstanzer Konzils zu nutzen.32 ��Félegyházy, József: Werbőczy Hármaskönyve és a kánonjog. Budapest 1942, 124–136. ��Csáky, Moritz: Die römisch-katholische Kirche in Ungarn. In: Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 4: Die Konfessionen. Wien 1985, 248–331, hier 263. ��Timon, Ákos: A szent korona és a koronázás közjogi jelentősége. Budapest 1907, 13. ��Mályusz, Elemér: A konstanzi zsinat és a magyar főkegyúri jog. Budapest 1958; deutsch u.d.T. Das Konstanzer Konzil und das königliche Patronatsrecht in Ungarn. Budapest 1959 (Studia Historica Academiae Scientiarum Hungaricae 18); Csizmadia, Andor: A konstanzi bulla hatása a főkegyúri jog fejlődésére [1959]. In: ders.: Jogi emlékek és hagyományok, 77–100; deutsch u.d.T. Die Auswirkungen der „Bulle“ von Konstanz auf die Entwicklung des Oberpatronatsrechts. In: Acta Juridica Academiae Scientiarum Hungaricae 2, 1960, 53–82; Stolpa, József: Adalékok a magyar királyi főkegyúri jog történetéhez. (A konstanci bulla.). In: Angyal, Pál/Baranyay, Jusztin/Móra, Mihály (Hg.): Notter Antal Emlékkönyv. Dolgozatok az egyházi jogból és a vele kapcsolatos jogterületkről. Budapest 1941, 1007–1028.
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Die sogenannte Konstanzer Bulle, eine Erklärung der anwesenden Kardinäle über das Oberpatronatsrecht, die aus Sicht des Adels seither unter die libertates Regni gerechnet wurde, drang tief in das Rechtsbewusstsein der ungarischen Gesellschaft ein. Damit war selbst personellen Kontakten zwischen der Reichskirche und Ungarn, auf die sich die Beziehungen angesichts der vollständigen kirchenjurisdiktionellen Selbständigkeit des Landes beschränkten, weitgehend der Boden entzogen. Der König war zwar grundsätzlich frei bei der Ausübung seines Nominationsrechts, doch hatte er in seiner kirchlichen Personalpolitik fortan die Interessen des Adels zu berücksichtigen.33 Der ungarische Primatialverband stellte so – von Ungarn aus gesehen – einen eigenen Interaktions- und Kommunikationsraum dar, dessen Raumbeziehungen durch die Raumgliederung der ungarischen Kirche nachhaltig geprägt und stabilisiert wurden.34
3. Zur Präsenz von Aristokraten aus dem Heiligen Römischen Reich im ungarischen Primatialverband Die Zusammensetzung der geistlichen Führungsschicht und der Werdegang des einzelnen kirchlichen Amtsträgers wurden in Ungarn somit größtenteils durch die königliche Nomination und die Stellung der Bischöfe in der Verfassung bestimmt. Waren in der durch Wahlkapitel verfassten Domkirche des Heiligen Römischen Reichs Anzahl und Verteilung der Kanonikate maßgebliche Kriterien für den episkopalen Erfolg, so hatten hier die politischen Interessen der Regierung sowie Freundschafts-, Patronage- und Klientelbeziehungen entscheidende Bedeutung.35 Es überrascht daher nicht, dass die Zurückdrängung der Osmanen Ende des 17. Jahrhunderts in Ungarn einen Wechsel in der Zusammensetzung der bisher vorwiegend ungarischen Funktionseliten zur Folge hatte.36 Auf den �� Fügedi, Erik: A XV. századi magyar püspökök. In: Történelmi Szemle 8, 1965, 477–498; eine gekürzte Fassung erschien englisch u.d.T. Hungarian Bishops in the Fifteenth Century (Some Statistical Observations) [1965]. In: ders.: Kings, Bishops, Nobles and Burghers in Medieval Hungary. Hg. v. János M. Bak. London 1986, Nr. II, 375–391. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Auf die Folgen der Dreiteilung des Landes und die Lage der katholischen Kirche in Türkisch-Ungarn kann im Folgenden nicht näher eingegangen werden. Vgl. dazu zusammenfassend Tóth, István György: Die Beziehungen der katholischen Kirche zum Staat in Türkisch-Ungarn im 17. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhunderts in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 211–217. �� Eckhart, Ferenc: A püspöki székek és a káptalani javadalmak betöltése Mária Terézia korától 1918-ig. Budapest 1935. �� Schimert, Peter: The Hungarian Nobility in the Seventeenth and Eighteenth Centuries. In: Scott, Hamish M. (Hg.): The European Nobilities in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, Bd. 2: Northern, Central and Eastern Europe. London/New York 1995, 144–182.
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ungarischen Bischofsstühlen sind seit jener Wende verstärkt Aristokraten aus dem römisch-deutschen Reich (insbesondere aus den österreichischen Erblanden) zu finden, denen bei allen Unterschieden eines gemeinsam war: die unbedingte Loyalität oder zumindest die Nähe zum Kaiserhof. Bei Personen aus anderen nichtungarischen Landesteilen, die bischöfliche Dignitäten nur in kleiner Zahl und ausschließlich an der Peripherie des ungarischen Primatialverbands erwarben, ist eine vergleichbare systematische Indienstnahme durch die Regierung nicht zu beobachten.37 Nicht für alle dem Hof nahestehenden Geistlichen stand jedoch ein Residentialbistum unmittelbar zur Verfügung. In diesem Fall konnte man den Betreffenden – dies zeigt beispielsweise der Fall des langjährigen Erziehers Kaiser Karls VI., Ignaz von Lovina – zunächst auf ein ungarisches Titularbistum nominieren, das dann nur als Zwischenstation auf dem Weg nach oben diente.38 Mit Ausnahme von Erlau sowie den kroatischen Bistümern Agram, Syrmien und Zengg-Modruš fanden sich Reichsaristokraten in sämtlichen Diözesen der beiden ungarischen Kirchenprovinzen. Mit insgesamt 16 Amtsträgern bildeten sie die größte Gruppe auswärtiger Ordinarien im ungarischen Episkopat überhaupt. Von diesem Personenkreis, der in großer Mehrheit in den kritischen Jahrzehnten um 1700 auf ungarische Bischofsstühle gelangt war, erwartete sich der Wiener Hof in erster Linie einen Beitrag zur Stabilisierung des politischen Systems. Dies galt vor allem für den Primasstuhl, der nach dem Tod von György Széchényi im Jahr 1695 erst 1725 wieder mit einem Ungarn besetzt wurde. Die Chancen, über ein ungarisches Einstiegs bistum (denn ein solches war es stets) den weiteren Aufstieg in der hierarchia ecclesiastica einzuleiten, waren freilich ebenso unterschiedlich wie die Ambitionen der einzelnen Kandidaten. Einige ausgewählte Karrierewege sollen dies im Folgenden verdeutlichen. Für Christian August von Sachsen-Zeitz hatte sich ein ungarisches Bistum als standesgemäße Versorgung angeboten. Der wiederholte Versuch des in zahlreichen Domkapiteln vertretenen Herzogs, ein Reichsbistum zu erlangen – dies war nach dem Westfälischen Frieden lediglich zwei Konvertiten aus regierenden Dynastien gelungen –, war trotz massiver Protektion von Kaiser und Papst und trotz eines General-Eligibilitätsbreve für sämtliche Bi schofssitze in der Reichskirche gescheitert.39 Immerhin wurde der Erzbischof �� Bahlcke, Joachim: Aristokraten aus dem Reich auf ungarischen Bischofsstühlen in der frühen Neuzeit. Zur Instrumentalisierung einer geistlichen Elite. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 23, 1997, 81–103. ��Carlen, Louis: Bischof Ignaz von Lovina (1660–1720) [1969]. In: ders.: Studien zur kirchlichen Rechtsgeschichte. Freiburg/Schweiz 1982, 155–180, hier 161–166 (die Institution der ungarischen episcopi electi kennt der Autor allerdings nicht). ��Meszlényi, Antal: A magyar hercegprímások arcképsorozata (1707–1945). Budapest 1970, 25– 49; Schmitth, Nicolaus: Archi-Episcopi Strigonienses compendio dati, Bd. 1–2. Tyrnaviae 21758
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Christian August Herzog von SachsenZeitz gelangte 1707 über das westungarische Bistum Raab auf den Graner Primatialsitz. Der wiederholte Versuch des in zahlreichen Domkapiteln vertretenen Herzogs, ein Reichsbistum zu erlangen, war zuvor trotz massiver Protektion von Kaiser und Papst und eines General-Eligibilitätsbreve für sämtliche Bischofssitze in der Reichskirche gescheitert.
von Gran 1714, als Christian August Primas von Ungarn war, zum Reichsfürsten ernannt.40 Vier Geistlichen dagegen gelang nach dem Einstieg in die bischöfliche Hierarchie in Ungarn die Translation auf ein Reichsbistum. Eine kirchliche Familienpolitik großen Stils gab es in Ungarn nicht, dafür fehlten schlicht die Voraussetzungen. Der einzige Fall, bei dem eine Familie in dieser Zeit nacheinander zwei Mitglieder für ein und denselben Bischofsstuhl im ungarischen Primatialverband stellte, lässt sich bei der Familie Althann beobachten, die im süddeutschen Raum, in Österreich, Böhmen und Ungarn begütert war.41 Für ihre Verdienste um das Haus Habsburg wurde den Althann über[11752], hier Bd. 2, 183–194; Purpura Pannonica sive Vitae et res gestae S.R.E. Cardinalium, Qui aut in ditionibus Sacrae Coronae Hungaricae nati, aut Regibus sanguine conjuncti, aut Episcopatibus acci, Mario: Vitae, Hungaricis potiti fuerunt. Cassoviae 21745 [Tyrnaviae 11715], 312–324; Guarn et res gestae Pontificum romanorum et S.R.E. Cardinalium a Clemente X. ad Clementem XII., Bd. 1–2. Romae 1751, hier Bd. 2, Sp. 93–96. �� Márkus, Desiderius (Hg.): Articuli diaetales annorum 1657–1740. Lipsiae 1901, 524–526, Gesetzes-Artikel 111:1715 („Status et ordines suae majestati sacratissimae referunt gratias, quod futuros moderni domini archi-episcopi Strigoniensis in officio successores, dignitate sacri Romani imperii principis condecorare dignata est“); R[anft], M[ichael] M.: Merkwürdige Lebensgeschichte aller Cardinäle der Röm. Cathol. Kirche, die in diesem jetztlaufenden Seculo das Zeitliche verlassen haben, Bd. 1–4/2. Regensburg 1768–1781, hier Bd. 1, 338. ��Nagy, Győző J./Klekner, Tibor: A két Althann váci püspöksége 1718–1756. Vác 1941 (Vácegyházmegye multjából 1).
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dies 1721 die erbliche Obergespanwürde im Komitat Zala übertragen, eine Auszeichnung, die unter den Adelsgeschlechtern aus dem römisch-deutschen Reich nur noch den Schönborn-Buchheim im Komitat Bereg zuteil wurde.42 In der Regel war ein ungarisches Bistum die Belohnung für unterschiedliche politisch-diplomatische Tätigkeiten, etwa für Mitarbeiter der kaiserlichen Botschaft in Rom, des Kardinalprotektorats und des Auditoriats bei der Sacra Rota Romana, und es trug dazu bei, deren hohe Repräsentationskosten während der Jahre in Italien zu kompensieren.43 Den personell wie institutionell enger werdenden Verbindungen des ungarischen und des erbländischen Bistumsverbands korrespondierte im weiteren Sinn die sukzessive Herausentwicklung der Monarchia austriaca aus dem Heiligen Römischen Reich – auch dies lässt sich an den kirchlichen Beziehungen gut veranschaulichen. Die Habsburger selbst verfolgten in Ungarn keine kirchliche Familienpolitik. Der Grund war allerdings kein verändertes Kirchenverständnis, sondern schlichtweg das Fehlen geeigneter Prinzen. Schon seit Beginn des 17. Jahrhunderts hatte die Dynastie große Schwierigkeiten, selbst für die Germania Sacra genü gend Kandidaten aus den eigenen Reihen zu rekrutieren. Vermochten zunächst noch einige Erzherzöge mehrere Hochstifte in ihren Händen zu kumulieren, so konnte das Haus Habsburg nach 1665 für mehr als ein Jahrhundert kein weiteres Familienmitglied für den Dienst in der Reichskirche abstellen.44 Erst 1780 wurde mit Maximilian Franz, dem 16. und letzten Kind Maria Theresias, in Köln und Münster wieder ein habsburgischer Erzherzog zum Bischof gewählt. Knapp drei Jahrzehnte später, 1808, nahm dann erstmals ein Erzherzog, Karl Ambros von Habsburg d’Este, ein ungarisches Bistum in Besitz – in diesem Fall, das war ein Novum, sogar unmittelbar den Primatialsitz.45 �� Fallenbüchl, Zoltán: Magyarország főispánjai. Die Obergespane Ungarns. 1526–1848. Budapest 1994, 34, 40f., 68, 110f.; Fallenbüchl nennt vier Althann, die zwischen 1721 und 1824 im Besitz der erblichen Obergespanswürde gewesen seien; von fünf Althann ist dagegen die Rede bei Somogyi, Zsigmond: Magyarország főispánjainak albuma. Hazánk ezredéves fenállásának emlékére. Szombathely 1889, 468; von sechs spricht ders.: Magyarország főispánjainak története 1000–1903. Budapest 1902, 238f. �� Blaas, Richard: Das kaiserliche Auditoriat bei der Sacra Rota Romana. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11, 1958, 37–152; ders.: Das Kardinalprotektorat der deutschen und der österreichischen Nation im 18. und 19. Jahrhundert. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10, 1957, 148–185; ders.: Die k. k. Agentie für geistliche Angelegenheiten. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 7, 1954, 47–89. �� Reinhardt, Rudolf: Die hochadeligen Dynastien in der Reichskirche des 17. und des 18. Jahr hunderts [1988]. In: ders.: Reich – Kirche – Politik. Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Germania Sacra in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Hubert Wolf. Ostfildern 1998, 152–171, hier 152–163; Schnettger, Matthias: Der Kaiser und die Bischofswahlen. Das Haus Österreich und die Reichskirche vom Augsburger Religionsfrieden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Duchhardt, Heinz/ Schnettger, Matthias (Hg.): Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum. Mainz 1999 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung Universalgeschichte 48), 213–255, hier 250–255. ��Meszlényi: A magyar hercegprímások arcképsorozata, 147–167.
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4. Glaubenssolidarität und Machtpolitik: Das Corpus Evangelicorum, der Berliner Hof und die ungarischen Protestanten Vom Sacrum Imperium aus gesehen und überdies ins Politische gewendet, gilt es allerdings noch eine andere Perspektive für die Frage nach den Beziehungen zwischen Ungarn und der Reichskirche zu verfolgen. Ungarn gehörte zwar, auch nach Auffassung der meisten Reichsstände, nicht zum Heiligen Römischen Reich.46 Gleichwohl stand es in der zweiten Hälfte des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts häufig im Mittelpunkt der Verhandlungen des Corpus Evangelicorum. Die Vertretung der lutherischen und reformierten Reichsstände hatte sich zusammen mit dem Corpus Catholicorum nach dem Westfälischen Frieden konstituiert, um konfessionelle Unstimmigkeiten im Sinn einer amicabilis compositio gütlich beizulegen, dadurch Majorisierungen der einzelnen Konfessionsparteien zu vermeiden und so dauerhaft die politische und rechtliche Handlungsfähigkeit des Reiches zu erhalten.47 Über die konfessionellen Verhältnisse des Stephansreiches, die Religionspolitik des Wiener Hofes, die Zusammensetzung und das Profil des politisch exponierten katholischen Klerus und namentlich über die anhaltende Diskriminierung der Protestanten in Ungarn war man in Regensburg erstaunlich gut informiert. Das galt namentlich für Brandenburg-Preußen, das von den ungarischen und siebenbürgischen Protestanten als wichtigster auswärtiger Verbündeter angesehen wurde.48 Auf diese Verbindungen wies der Ungari sche Hofkanzler Miklós Pálffy in einer Denkschrift hin, die er im Auftrag Maria Theresias zu Anfang des Siebenjährigen Krieges verfasst hatte: In Ungarn wären die Reichsgesetze zwar nicht gültig; durch ihre engen Kontakte zu einzelnen Reichsständen und deren politische Unterstützung könnten die ungarischen Lutheraner und Calvinisten aber Forderungen im eigenen Land mit größerem Nachdruck durchsetzen, so dass im Reich geltende Regelwerke indirekt doch auf Ungarn Einfluss ausüben würden.49 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Die kontroversen Auffassungen zu dieser in Publizistik und Politik vielfach diskutierten Frage wären ebenso eine Studie wert wie die Pläne, Ungarn als Kurfürstentum dem Heiligen Römischen Reich zu inkorporieren. Vgl. Czikann-Zichy, Moricz: Die Pragmatische Sanktion in der ungarischen Geschichte. In: Der Donauraum 9, 1964, 18–25, hier 24; Oesterreichischer Erbfolge-Krieg 1740– 1748, Bd. 1. Wien 1896, 152. ��Wolff, Fritz: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum auf dem Westfälischen Friedenskongreß. Die Einfügung der konfessionellen Ständeverbindungen in die Reichsverfassung. Münster 1966 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 2); Belstler, Ulrich: Die Stellung des Corpus Evangelicorum in der Reichsverfassung. Diss. Tübingen 1968. Zu beiden Werken vgl. Schlaich, Klaus: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum. Aspekte eines Parteienwesens im Hlg. Römischen Reich Deutscher Nation. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte 11, 1972, 218–230. ��Szalay, László: Klement János Mihály, II. Rákóczi Ferenc követe Berlinben, Hágában, Londonban. In: Századok 4, 1870, 1–13, 73–87. ��Marczali, Henrik: Gróf Pálffy Miklós főkanczellár Emlékiratai Magyarország kormányzásáról. Adalék Mária Terézia korának történetéhez. Budapest 1884, 50.
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Je kritischer die Lage der Protestanten in den Ländern der Stephanskrone an den evangelischen Höfen Europas beurteilt wurde, desto stärker sah sich Wien genötigt, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen und das Verhältnis von Konfessionspolitik und Staatsräson neu zu definieren. Drängend wurde ein solcher Paradigmenwechsel nach 1750, als in Wien ein neuer Politik- und Denkstil die Oberhand gewann, der frei von konfessionellen Bindungen – und dies hieß auch frei von überholten konfessionellen Abgrenzungsbedürfnissen – die säkularen Interessen des Staates in den Vordergrund zu rücken suchte.50 Die rechtliche Handhabe des Corpus Evangelicorum, sich mittels Kollektiveingaben und Interzessionsschreiben „in causa religionis“ für die Protestanten in den habsburgischen Territorien einzusetzen, wurde von den Juristen der einzelnen Religionsparteien und Territorialfürsten naturgemäß unterschiedlich ausgelegt. In den Vordergrund rückten daher zunehmend politische Argumente. Als Leopold I. die sogenannte Magnatenverschwörung von 1670 in Ungarn zum Anlass nahm, mit offener Gewalt gegen die Protestanten vorzugehen, entschied sich Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg zu einer sofortigen Intervention, ohne ein votum commune des Cor pus Evangelicorum abzuwarten.51 In seinem entsprechenden Schreiben an den Kaiser hob er geschickt den Zusammenhang zwischen der Religionspolitik in Ungarn, der Türkengefahr und der Sicherheit des Heiligen Römischen Reiches hervor.52 Von den protestantischen Reichsfürsten ging wenig später auch die Initiative zu Religionsgesprächen aus, die – nicht zuletzt aus innenpolitischen Gründen – darauf abzielten, den konfessionellen Gegensatz zu entschärfen und so die Einheit des Reiches zu stärken. Eingeleitet wurden die kirchlichen Reunionsverhandlungen, das Lebenswerk des aus Kastilien stammenden und 1666 zum ungarischen Titularbischof ernannten Cristobal de Rojas y Spinola, Ende der 1670er Jahre bezeichnenderweise in Ungarn.53 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ein Bericht des preußischen Gesandten aus Wien vom Januar 1722, in dem er die theologischen und historisch-rechtlichen Argumente einer Streitschrift analysierte, die im Vorjahr der Bischof von Erlau, Gábor Erdődy, unter dem Titel Opusculum theologicum, in quo quaeritur, an et qualiter possit Princeps, Magistratus, Dominus Catho�� Klingenstein, Grete: Modes of Religious Tolerance and Intolerance in Eighteenth-Century Habsburg Politics. In: Austrian History Yearbook 24, 1993, 1–16. ��Krauske, Otto: Der große Kurfürst und die protestantischen Ungarn. In: Historische Zeitschrift 58, 1887, 465–496, hier 474f., 483–485. ��Ribini, Ioannes: Memorabilia augustanae confessionis in regno Hungariae a Leopoldo M. usque ad Carolum VI. Posonii 1789, 47–49, 434–436. �� Miller, Samuel J. T./Spielman, John P. Jr.: Cristobal Rojas y Spinola, Cameralist and Irenicist, 1626–1695. Philadelphia 1962; Bog, Ingomar: Christoph de Royas y Spinola und die deutschen Reichsstände. Forschungen zu den Reichseinigungsplänen Kaiser Leopolds I. In: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 14, 1954, 191–234; Tüchle, Hermann: Neue Quellen zu den Reunionsverhandlungen des Bischofs Spinola und seines Nachfolgers. In: Ratzinger, Joseph/Fries, Heinrich (Hg.): Einsicht und Glaube. Freiburg/Basel/Wien 1962, 405–437.
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licus in ditione sua retinere haereticos? vel contra, poenis eos aut exilio ad fidem Catholicam amplectendam cogere publiziert hatte.54 Der Diplomat sah in dem Pamphlet nur eine Kopie jener Positionen, die im Vorfeld der religionspolitischen Vereinbarungen von 1648 im Reich von den Jesuiten vertreten worden waren.55 Das Festhalten an aus seiner Sicht vollständig antiquierten konfessionellen Legitimationsmustern stellte sich dem Gesandten geradezu als Inbegriff gesellschaftlicher Rückständigkeit gegenüber Preußen dar. Bemerkenswert ist freilich auch die Reaktion des Kaisers auf die Veröffentlichung der bischöflichen Streitschrift. Karl VI., der in jenen Jahren angesichts der noch immer unsicheren Thronfolgeregelung jede konfessionspolitische Provokation zu vermeiden suchte, hatte sofort angewiesen, alle auffindbaren Exemplare einziehen zu lassen. Denn es stehe zu befürchten, so der preußische Resident in Wien über die Begründung des Kaisers, dass diese Drucke „bey gegenwärtigen Zeiten und Religions-Differentzien im Römischen Reich, einen schlechten Effect thun- und das Mißvergnügen der protestirenden Stände, Ihre Religions Verwandten dergestalt verfolget zusehen, eher vermehren, als verringern dürffte“.56 Aufs Ganze gesehen, trugen die Kollektiveingaben von Seiten des Corpus Evangelicorum und besonders die nüchtern kalkulierte Solidarisierung Preußens mit den ungarischen Protestanten dazu bei, auch in Ungarn die autonomen Kräfte des Konfessionalismus zu zügeln. Der stete Blick von Berlin auf Ungarn, der sich im engeren Sinn aus dem preußisch-österreichischen Dualismus im Reich und im weiteren Sinn aus säkularen Staatsinteressen im neuzeitlichen Mächteeuropa erklärt, wirkte sich auch unmittelbar auf die kirchlichen Beziehungen aus. 1751 war es wieder einmal die Verfolgung der Protestanten durch den katholischen Klerus in Ungarn, von der das lutherische Oberkonsistorium in Berlin Nachricht erhielt und die das preußische Auswärtige Departement zum Handeln veranlasste. Auslöser war das im Vorjahr veröffentlichte Werk Enchiridion de fide des Wesprimer Bischofs Márton Padányi Biró, eine polemische Streitschrift, die den Einsatz der mittelalterlichen Inquisitionsmittel forderte und die überwun den geglaubte Häretikertheorie des 17. Jahrhunderts zur Gänze erneuerte.57 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. HA, Rep. 11: Auswärtige Beziehungen Ungarn, Nr. 278, Fasz. 17, fol. 2r–3r (Wien, 24. Januar 1722). ��������������������������������������������������������������������������������������������� Zu der Theologendebatte um die richtige Religionsrechts-Politik im Vorfeld der Vereinbarun gen von 1648 vgl. Steinberger, Ludwig: Die Jesuiten und die Friedensfrage in der Zeit vom Prager Frieden bis zum Nürnberger Friedensexekutionshauptrezeß 1635–1650. Freiburg im Breisgau 1906 (Studien und Darstellungen aus dem Gebiete der Geschichte 5,2/3). ������������������������������������������������������������������������������������������������� Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. HA, Rep. 11: Auswärtige Beziehungen Ungarn, Nr. 278, Fasz. 13, fol. 28r–29v (Wien, 28. Juni 1721). Zur Bücherzensur in der Habsburgermonarchie, die sich in jenen Jahren im Umbruch befand, vgl. Kollárová, Ivona: Cenzúra kníh v tereziánskej epoche. Bratislava 1999, 21–32; Sashegyi, Oszkár: Az állami könyvcenzúra állandósulása Magyarországon (1706–1725). In: Magyar Könyvszemle 85, 1969, 321–338. ��Padánus Bironius, Martinus: Enchiridion [...] De Fide, Haeresiarchis, ac eorum asseclis, In genere de Apostatis, deque Constitutionibus, atque Decretis Imperatorum & Regum, contra Dissipato
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In diesem Fall entschied man sich in Berlin gegen eine Intervention Preußens oder des Corpus Evangelicorum am Kaiserhof. Stattdessen wurde der Bischof von Breslau instruiert, sich direkt mit dem ungarischen Episkopat und mit Rom in Verbindung zu setzen. Gerade Philipp Gotthard von Schaffgotsch für eine Intervention gegen die religiösen Missstände in der Habsburgermonarchie einzuspannen, war zugleich ein raffinierter Schachzug, um die in kürzester Zeit gelungene Integration des schlesischen Klerus in den preußischen Staat öffentlichkeitswirksam zu demonstrieren. Nur wenige Monate später kursierte der Briefwechsel zwischen Friedrich II., Schaffgotsch und Papst Benedikt XIV. in Abschriften in Ungarn.58 Der internationale Druck wurde schließlich so groß, dass sich Maria Theresia gezwungen sah, mit Padányi Biró einen Günstling im ungarischen Episkopat fallen zu lassen.59 Auf diese Weise hoffte sie den außenpolitischen Schaden und Prestigeverlust zu begrenzen und in Ungarn jede weitere Provokation zu vermeiden. Es ist bezeichnend, dass der aufgeklärte Theologe Johann Peter Süßmilch, der als Vorläufer der modernen Statistik in Preußen und Begründer der Demographie als wissenschaftlicher Disziplin gilt, den gesamten Vorfall in die zweite, 1761/62 in zwei Bänden gedruckte Auflage seines Hauptwerks an zentraler Stelle einarbeitete – als warnendes Beispiel, welch schädlichen Einfluss der Konfessionalismus in den habsburgischen Ländern unter etatistischpopulationistischem Gesichtspunkt haben müsse.60 Nicht minder bezeichnend ist ein Jahrhundert später Johann Gustav Droysens Erinnerung an die „grauenhafte Verfolgung der Evangelischen, wie in den Kron- und Erblanden, so namentlich in Ungarn“, die nach Ansicht des preußischen Historikers und Politikers nicht dazu angetan gewesen sei, „die östreichische Art der Regierung auch für das Reich [...] wünschenswerth zu machen“.61 Ungaria semper libera – dies galt, um die eingangs genannte Abhandlung Jozef Bencúrs nochmals aufzugreifen, für Ungarn, vor allem für seine kirchlichen Belange, tatsächlich in hohem Maße. Generell scheinen hier politische res Catholicae Ecclesiae editis. Jaurini 1750. Die unverändert beste Interpretation des Werkes bietet József Pehm, der spätere Kardinal József Mindszenty. Vgl. Pehm, József: Padányi Biró Márton veszprémi püspök élete és kora. Zalaegerszeg 1934, 199–235. �� Bod, Petrus: Historia Hungarorum ecclesiastica, Bd. 1–3. Hg. v. L[odewijk] W[illem] E[rnst] Rauwenhoff u.a. Lugduni Batavorum 1888–1890, hier Bd. 3, Lib. IV, Cap. 5, § 16. �� Bahlcke, Joachim: Frederick II of Prussia, Austria and the Hungarian Protestants: Bishop Már ton Padányi Biró of Veszprém and the Enchiridion de fide. In: Austrian History Yearbook 31, 2000, 15–32; ders.: Religion und Politik in Schlesien. Konfessionspolitische Strukturen unter österreichischer und preußischer Herrschaft (1650–1800). In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 134, 1998, 33–57, hier 51–57. �� Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen, Th. 1–2. Berlin 2 1761–1762, hier Th. 1, 552–573. �� Droysen, Johann Gustav: Geschichte der Preußischen Politik, Th. 1–5. Berlin/Leipzig 1855– 1886, hier Tl. 3/3, 610.
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und rechtliche Beziehungen in einem weniger brisanten Spannungsverhältnis gestanden zu haben als in anderen Teilräumen des östlichen Mitteleuropa. Die Beziehungen Ungarns zur Reichskirche sind freilich nur eine Perspektive, um dieses Spannungsverhältnis zu untersuchen. Hier, an der machtpolitisch labilen Grenzlage zwischen römischer und orthodoxer Christenheit, sei zumindest abschließend daran erinnert, dass Expansions- und Integrationsbestrebungen auch von Osten her den Raum prägten und veränderten.
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Bischöfliche Traditionen des schlesischen Adels in der Frühen Neuzeit 1. Adelige Interessen und Strategien in der hierarchia ecclesiastica – Fragestellung und Forschungsstand Als in der Nacht vom 18. auf den 19. April 1732 der Erzbischof von Mainz Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, der zugleich Bischof von Breslau und Worms, Hochmeister des Deutschen Ordens und Fürstpropst von Ellwangen war, für immer die Augen schloss, war der von verschiedenen Seiten längst vorbereitete Kampf um die Nachfolge in den vakant gewordenen Stiften gleichsam offiziell eröffnet.1 Die Position des kaiserlichen Hofes, vor allem im Hinblick auf den Mainzer Kurstuhl, war von Beginn an unmissverständlich. Unter allen Umständen mussten Johann Theodor von Bayern und die beiden Brüder Franz Georg und Friedrich Karl von Schönborn, die mächtigsten Rivalen der Habsburger in der Reichskirchenpolitik, von dem bedeutendsten Bischofsstuhl in der Germania Sacra ferngehalten werden. In Wien war man im äußersten Fall sogar bereit, Franz Georg von Schönborn das im eigenen Herrschaftsbereich liegende Breslau zukommen zu lassen, nur um
1 Demel, Bernhard: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg als Hoch- und Deutschmeister (1694–1732) und Bischof von Breslau (1683–1732). In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 36/37, 1995/96, 93–150; Zanters, Dagmar: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg. Erzbischof und Kurfürst von Trier (1716–1729). In: Kurtrierisches Jahrbuch 38, 1998, 75–98; Göller, Andreas: Hinein ins Ghetto? Zur Judenpolitik Franz Ludwigs von Pfalz-Neuburg als Erzbischof von Trier (1716–1729). In: Hirschmann, Frank G./Mentgen, Gerd (Hg.): Campana pulsante convocati. Festschrift anlässlich der Emeritierung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp. Trier 2005, 197–222; Grüger, Heinrich: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg als Bauherr in Schlesien (1683–1732) und Kurtrier (1716–1729). In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 29, 1988, 121–155; Kumor, Johannes: Die Ämter und Würden des Breslauer Bischofs Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1683–1732) im Lichte der päpstlichen Korrespondenz im Breslauer Diözesanarchiv. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 41, 1983, 241–247; Petry, Ludwig: Rheinischschlesische Beziehungen am Beispiel der Fürstbischöfe Rudolf von Rüdesheim und Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg [1972/73]. In: ders.: Dem Osten zugewandt. Gesammelte Aufsätze zur schlesischen und ostdeutschen Geschichte. Sigmaringen 1983 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 22), 161–169; ders.: Das Haus Neuburg und die Ausläufer der Gegenreformation in Schlesien und der Pfalz [1952]. Ebd., 338–357; ders.: Das Meisteramt (1694–1732) in der Würdenkette Franz Ludwigs von Pfalz-Neuburg (1664–1732). Zwischenbilanz für ein Forschungsanliegen [1967]. Ebd., 358–369; Conrads, Norbert: Die testamentarischen Verfügungen des Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 39, 1981, 97–136; Sofsky, Günter: Das Testament des Wormser Fürstbischofs Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 14, 1962, 467–471. Beiträge aus den einschlägigen biographischen Nachschlagewerken sowie aus theologischen und kirchengeschichtlichen Lexika und Enzyklopädien werden im Folgenden in der Regel nicht einzeln zitiert.
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in Mainz ans Ziel zu gelangen.2 Dass bei der dortigen Wahl schließlich alles nach den Vorstellungen der Hofburg verlief und man überdies mit Philipp Ludwig von Sinzendorf auch noch einen Favoriten in Schlesien durchzusetzen vermochte, verdankte sich in erster Linie der Koinzidenz von kaiserlicher und päpstlicher Politik. Denn Clemens XII. hatte den Gegnern Karls VI. das beantragte Wählbarkeitsbreve versagt, um die weitverbreitete Pfründenkumulation einzudämmen. Einzig Kardinal Sinzendorf hatte ein entsprechendes Breve erhalten, nachdem sein Vater, Oberster Hofkanzler und damit einer der einflussreichsten Politiker am Wiener Hof, rücksichtslos alle nur denkbaren macht- und kirchenpolitischen Druckmittel eingesetzt hatte.3 Um den Zusammenhang von habsburgischer Kirchenpolitik und bischöflichen Karrierewegen am Beispiel Breslaus zu verdeutlichen, ist die weitere Laufbahn gerade Sinzendorfs aufschlussreich. Das schlesische Suffraganbistum war keineswegs das Endziel des ehrgeizigen Klerikers, der seinen Einstieg in den Episkopat innerhalb des ungarischen Primatialverbands ebenso wie den Sprung ins Kardinalat ausschließlich landesfürstlicher und familiärer Patronage verdankte – und konnte es auch schon aus Standesrücksichten für ein Mitglied des Senats der Römischen Kirche nicht sein.4 Bereits 1734 bemühte sich Sinzendorf um ein Eligibilitätsbreve für das hochdotierte Erzstift Salzburg, wo er seit langem ein Kanonikat besaß. Das Breve erhielt er auch, zumal er von sich aus zugesichert hatte, im Fall eines Erfolgs unverzüglich auf Breslau zu resignieren. Der amtierende, an starkem Asthma lei2 Reinhardt, Rudolf: Die Reichskirchenpolitik Papst Klemens’ XII. (1730–1740). Das Motu proprio „Quamquam invaluerit“ vom 5. Januar 1731 [1967]. In: ders.: Reich – Kirche – Politik. Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Germania Sacra in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Hubert Wolf. Ostfildern 1998, 93–118, hier 99–103. 3 Strnad, Alfred A.: Der Kampf um ein Eligibilitätsbreve. Römische Quellen zur Breslauer Bischofswahl des Kardinals Philipp Ludwig von Sinzendorf (1732) [1975]. In: ders.: Dynast und Kirche. Studien zum Verhältnis von Kirche und Staat im späteren Mittelalter und in der Neuzeit. Hg. v. Josef Gelmi und Helmut Gritsch. Innsbruck 1997 (Innsbrucker Historische Studien 18/19), 587– 630; Köhler, Joachim: Zwischen den Fronten. Anmerkungen zur Biographie der Breslauer Fürstbischöfe Sinzendorf (1732–1742) und Schaffgotsch (1747–1795). In: Baumgart, Peter (Hg.): Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Sigmaringen 1990 (Schlesische Forschungen 4), 273–285; Jedin, Hubert: Die Krone Böhmen und die Breslauer Bischofswahlen 1468–1732 [1939]. In: ders.: Kirche des Glaubens – Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, Bd. 1: Kirchengeschichtsschreibung. Italien und das Papsttum. Deutschland, Abendland und Weltkirche. Freiburg/Basel/Wien 1966, 413–453, hier 446–449; Grünhagen, Colmar: Die Bischofswahl des Kardinals von Sinzendorf 1732. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 26, 1892, 196–212. 4 Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23), 118–124; Guarnacci, Mario: Vitae, et res gestae Pontificum romanorum et S.R.E. Cardinalium a Clemente X. ad Clementum XII., Bd. 1–2. Romae 1751, hier Bd. 2, Sp. 527– 530; R[anft], M[ichael] M.: Merkwürdige Lebensgeschichte aller Cardinäle der Röm. Cathol. Kirche, die in diesem jetztlaufenden Seculo das Zeitliche verlassen haben, Bd. 1–4/2. Regensburg 1768–1781, hier Bd. 2, 492–499.
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dende Erzbischof sollte jedoch noch zehn Jahre leben, so dass das päpstliche Papier nicht übermäßig viel wert war. 1738 bemühte sich Sinzendorf daher um das soeben verwaiste Olmütz, dessen Kapitel er gleichfalls angehörte. Um seinem Anliegen bei der Kurie Nachdruck zu verleihen, legte er Atteste dreier Ärzte bei, denenzufolge dem Kardinal die Luft in Schlesien nicht zuträglich sei. In diesem Fall erhielt er sogar ein Wählbarkeitsbreve, das ihm freilich abermals nicht zu dem avisierten Bischofssitz verhalf, da die Familie seines Hauptkonkurrenten, des in Schlesien geborenen Jakob Ernst von Liechtenstein-Kastelkorn, einen noch stärkeren Rückhalt in Rom, am kaiserlichen Hof und in Olmütz selbst besaß.5 Diese Vorgänge bestätigen nicht nur Ergebnisse der jüngeren kirchenhistorischen Forschung über das Beziehungsgeflecht bei geistlichen Wahlen, adelige Interessen und Strategien in der Reichskirche, die Kumulation von Kirchenämtern und die Attraktivität einzelner Bischofssitze.6 Sie erlauben auch einen Einblick in die Raumbeziehungen des Bistums Breslau und die Karriereverläufe seiner Ordinarien, unter denen wir bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts keine schlesischen Adeligen mehr finden. Obwohl das Breslauer Domkapitel sein Wahlrecht faktisch bis zum Ende der habsburgischen 5 Zuber, Rudolf: Osudy moravské církve v 18. století. 1695–1777. Praha 1987, 130–143; Reinhardt: Reichskirchenpolitik Papst Klemens’ XII., 102–104; Webersinn, Gerhard: Der Schlesier Jakob Ernst Julius Reichsgraf von Liechtenstein, Fürsterzbischof von Salzburg 1945–1947. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 31, 1973, 113–133. 6 Wolf, Hubert: Die Reichskirchenpolitik des Hauses Lothringen (1680–1715). Eine Habsburger Sekundogenitur im Reich? Stuttgart 1994 (Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 15); Kremer, Stephan: Herkunft und Werdegang geistlicher Führungsschichten in den Reichsbistümern zwischen Westfälischem Frieden und Säkularisation. Fürstbischöfe – Weihbischöfe – Generalvikare. Freiburg/Basel/Wien 1992 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte, Suppl.-Hft. 47); Christ, Günter: Studien zur Reichskirche der Frühneuzeit. Festgabe zum Sechzigsten. Hg. v. Ludwig Hüttl und Rainer Salzmann. Stuttgart 1989 (Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 12); ders.: Praesentia Regis. Kaiserliche Diplomatie und Reichskirchenpolitik vornehmlich am Beispiel der Entwicklung des Zeremoniells für die kaiserlichen Wahlgesandten in Würzburg und Bamberg. Wiesbaden 1975 (Beiträge zur Geschiche der Reichskirche in der Neuzeit 4); Reinhardt, Rudolf: Zur Reichskirchenpolitik der Pfalz-Neuburger Dynastie [1964]. In: ders.: Reich – Kirche – Politik, 74–84; ders.: Die hochadeligen Dynastien in der Reichskirche des 17. und 18. Jahrhunderts [1988]. Ebd., 152–171; ders.: Die Kumulation von Kirchenämtern in der deutschen Kirche der frühen Neuzeit [1990]. Ebd., 204–222; Weittlauf, Manfred: Die Reichskirchenpolitik des Hauses Bayern unter Kurfürst Max Emanuel (1679–1726). Vom Regierungsantritt Max Emanuels bis zum Beginn des Spanischen Erbfolgekrieges (1679–1701). St. Ottilien 1985 (Münchener Theologische Studien. Historische Abteilung 24); ders.: Kardinal Johann Theodor von Bayern (1703–1763), Fürstbischof von Regensburg, Freising und Lüttich. Ein Bischofsleben im Schatten der kurbayerischen Reichskirchenpolitik. Regensburg 1970 (Beiträge zur Geschichte des Bistums Regensburg 4); Schröcker, Alfred: Die Patronage des Lothar Franz von Schönborn (1655–1729). Sozialgeschichtliche Studie zum Beziehungsnetz in der Germania Sacra. Wiesbaden 1981 (Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit 10); Jaitner, Klaus: Reichskirchenpolitik und Rombeziehungen Philipp Wilhelms von Pfalz-Neuburg von 1662 bis 1690. In: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 178, 1976, 91–144; Von Lojewski, Günther: Bayerns Weg nach Köln. Geschichte der bayerischen Bistumspolitik in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Bonn 1962 (Bonner historische Forschungen 21).
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Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1664–1732), seit 1683 Bischof von Breslau und später unter anderem Kurfürst und Erzbischof von Trier und Mainz, starb 1732 in der schlesischen Hauptstadt und wurde in der nach Plänen Johann Bernhard Fischer von Erlachs durch Blasius Peintner am Breslauer Dom errichteten Kurfürstlichen Kapelle bestattet.
Herrschaft bewahrte und der regionale Adel in der Wahlkörperschaft eine sichere rechtliche Basis besaß,7 wurde das landsässige Bistum tendenziell zum Reservat für Angehörige der regierenden Dynastie sowie für Mitglieder gesamtösterreichischer Adelsfamilien, die durch Heiratsverbindungen, Gütererwerb und Indigenat fest in den österreichisch-böhmischen Erblanden verwurzelt waren. Nur selten waren die Wahlergebnisse dabei so eng wie im Fall Sinzendorf, der sich bei eigener Anwesenheit mit nur 13 von 24 Stimmen gegen einen von den in Breslau residierenden Kanonikern favorisierten schlesischen Adeligen durchsetzte.8
����������������������������������������������������������������������������������������������� Offenbar beanspruchte erst der preußische König Friedrich II. das landesherrliche Nominationsrecht, indem er 1744 das Wahlrecht der Kapitel in Schlesien für die Bischofs- und Abtswahlen für erloschen erklärte. Vgl. Bergerhausen, Hans-Wolfgang: Friedensrecht und Toleranz. Zur Politik des preußischen Staates gegenüber der katholischen Kirche in Schlesien 1740–1806. Berlin 1999 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 18), 140–146; Braun, Bettina: Friedrich der Große und seine Politik gegenüber der katholischen Kirche in Schlesien. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 78, 1992, 210–311; Hoffmann, Hermann: Die Breslauer Bischofswahlen in preußischer Zeit. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 75, 1941, 157–224; Kirsch, Peter Anton: Ein Franzose im 18. Jahrhundert als Kandidat für den Breslauer Bischofsstuhl. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 39, 1905, 226–244. 8 Jungnitz, Joseph: Die Breslauer Weihbischöfe. Breslau 1914, 200–222; Strnad: Der Kampf um ein Eligibilitätsbreve, 606f. Es handelt sich um Elias Daniel von Sommerfeld, der alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Wahl mitbrachte und sogar ein Eligibilitätsbreve vorweisen konnte. Auch 1738 war er der Favorit für die anstehende Bischofswahl. Bis zu seinem Tod 1742 kam er jedoch nicht mehr zum Zuge. Vgl. Pater, Józef: Eliasz Daniel Sommerfeld sufragan wrocławski (1681–
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In Schlesien stießen, wie die eingangs skizzierten Ereignisse veranschaulichen, nach dem Westfälischen Frieden dynastische und territorialpolitische Interessen Wiens im eigenen Herrschaftsbereich mit Ambitionen innerhalb der Reichskirche in besonderer Weise zusammen. Dieses Spannungsverhältnis, das naturgemäß durch die Zäsur der Jahre 1740/41 eine neue Qualität gewann, weist strukturell zahlreiche Parallelen mit der schwierigen Stellung des Bistums Breslau zwischen Polen und Böhmen während des 14. und 15. Jahrhunderts auf.9 Die Beziehungen Schlesiens zu den frühneuzeitlichen Reichsbistümern glichen allerdings durchgängig einer Einbahnstraße – Aufstiegsmöglichkeiten in der hierarchia ecclesiastica gab es für den schlesischen Adel nur innerhalb der habsburgischen Territorien.10 Der folgende Beitrag wird daher vor allem zwei Personengruppen zu untersuchen haben: zum einen die katholischen Adeligen Schlesiens, denen im 16. Jahrhundert innerhalb wie außerhalb Schlesiens ein Aufstieg in den Episkopat glückte, zum anderen diejenigen Aristokraten, die zwischen 1650 und 1740 ausnahmslos außerhalb des Oderlandes zu bischöflichen Würden gelangten.11 Einleitend aber sind zunächst die kirchenorganisatorischen Grundlagen des Bistums Breslau und damit die Rahmenbedingungen geistlicher Karrieren anzusprechen. 1742). In: Mandziuk, Józef/Pater, Józef (Hg.): Misericordia et veritas. Księga pamiątkowa ku czci księdza biskupa Wincentego Urbana. Wrocław 1986, 265–282. 9 Schmidt, Hans-Joachim: Kirche, Staat, Nation. Raumgliederung der Kirche im mittelalterlichen Europa. Weimar 1999 (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte 37), 77–80, 156–164; Wünsch, Thomas: Zur Geschichte des Bistums Breslau im Spätmittelalter. Forschungsüberblick und Forschungsperspektiven. In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 4, 1996, 39–69, hier 40–50; Weber, Matthias: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 1992 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 1), 161–179; Von Grawert-May, Gernot: Das staatsrechtliche Verhältnis Schlesiens zu Polen, Böhmen und dem Reich während des Mittelalters (Anfang des 10. Jahrhunderts bis 1526). Aalen 1971 (Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte N.F. 15); Rüther, Andreas: Landesbewußtsein im spätmittelalterlichen Schlesien: Formen, Inhalte, Trägergruppen. In: Werner, Matthias (Hg.): Spätmittelalterliches Landesbewußtsein in Deutschland. Stuttgart 2005 (Vorträge und Forschungen 61), 293–332; Gatz, Erwin: Zur Entwicklung der Bistümer im Heiligen Römischen Reich von ihren Anfängen bis zur Säkularisation. In: ders. (Hg.): Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von ihren Anfängen bis zur Säkularisation. Freiburg im Breisgau 2003, 23–33. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Als Quellengrundlage vgl. allgemein: Hierarchia Catholica medii et recentioris aevi sive Summorum Pontificium – S.R.E. Cardinalium Ecclesiarum antistitum series, Bd. 2–6: 1431–1799. Patavii u.a. 1914–1958; Gams, Pius: Series episcoporum ecclesiae catholicae, quotquot innotuerunt a beato Petro Apostolo. Ratisbonae 1873–1886 [ND Graz 1957]. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Franz Gescher, Ordinarius für Kirchenrecht an der Katholisch-theologischen Fakultät der Universität Breslau, hatte 1938 für eine Dissertation das Thema „Die ständische Herkunft der Breslauer Bischöfe“ vergeben. Die Studie blieb allerdings unvollendet, da sein zum Kriegsdienst eingezogener Doktorand im Jahr 1944 an der Ostfront fiel. Vgl. Brzoska, Emil: Katholische Edelleute Schlesiens im Bischofsamt. Ein Beispiel zur ständischen Herkunft des deutschen Episkopats. Wiesbaden 1965, 5. Weitere Übersichten bei Gottschalk, Joseph: Auswärtige auf dem fürstbischöflichen Stuhl zu Breslau von 1456–1945 und Schlesier als Bischöfe von 1204–1903. In: Brzoska, Emil: Neunhundertfünf-
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2. Kirchenorganisatorische Grundlagen und Raumbeziehungen des Bistums Breslau In den Jahrzehnten um 1500 war es noch völlig unklar, wer eigentlich die Interessen des Breslauer Bischofssitzes und die Modalitäten bei anstehenden Neubesetzungen an der Kurie wahrzunehmen habe. Nur vage Vorstellungen besaß man in Rom zudem über die Raumbeziehungen des schlesischen Bistums, das kirchlich der polnischen Kirchenprovinz Gnesen unterstand, politisch zur Krone Böhmen gehörte, zeitweilig aber auch einen ungarischen Oberherrn besaß.12 1482 ist im Zusammenhang mit der Wahl von Johannes IV. Roth bei der Vorstellung im Kardinalskollegium die Angabe „Wratizig Jahre Bistum Breslau. Königstein/Ts. [1951], 41–89; Brzoska, Emil: Bischöfe der katholischen Kirche aus Oberschlesien. Beiträge zur Geschichte des kirchlichen Ämterrechts. Augsburg 1965; Kastner, Karl: Breslauer Bischöfe. Breslau 1929; Hoffmann, Hermann: Glogauer Bischöfe. Breslau 1927 (Zur schlesischen Kirchengeschichte 2); Jungnitz, J[oseph]: Oberschlesische Bischöfe. In: Oberschlesische Heimat. Zeitschrift des Oberschlesischen Geschichtsvereins 7/2, 1911, 90–92, 129–132, 168–173. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Zur kirchlichen Raumgestaltung in Spätmittelalter und Früher Neuzeit sowie zur Geschichte des Bistums Breslau vgl. Dola, Kazimierz: Związki diecezji wrocławskiej z metropolitą z gnieźnieńska w latach 1418–1520. In: Studia Theologica Varsaviensia 15, 1977, 147–188; Hledíková, Zdeňka: Některé personální aspekty českého vlivu ve vratislavském biskupství kolem poloviny 14. století. In: Barciak, Antoni (Hg.): Tysiącletnie dziedzitwo kulturowe diecezji wrocławskiej. Katowice 2000, 75–85; Wisniowski, Eugeniusz: Structures diocésaines et paroissiales de l’Église catholique romaine dans les territoires polonais aux XIVe et XVe siècles. In: L’Église et le peuple chrétien dans les pays de l’Europe du Centre-Est et du Nord (XIVe–XVe siècles). Rome 1990 (Collection de l’École française 128), 13–28; Kopiec, Jan: Die Metropolitanbeziehung zwischen Breslau und Gnesen vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. In: Köhler, Joachim/Bendel, Rainer (Hg.): Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum, Bd. 1–2. Münster 2002 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 1), hier Bd. 1, 483–491; ders.: Bistum Breslau. In: Gatz (Hg.): Die Bistümer, 128– 144; ders.: Wrocław i Gniezno. Jeszcze o metropolitalnej więzi w XVII wieku. In: Saeculum Christianum 1, 1994, 155–159; Bobkowa, Lenka: Biskupstwo wrocławskie i jego powiązania z Koroną Czeską (1327–1742). In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 56, 2001, 92–99; Subera, Ignacy: Zależność diecezji wrocławskiej od metropolii gnieźnieńskiej w opinii kapituły wrocławskiej z dnia 5 czerwca 1654 roku. In: Analecta Cracoviensia 7, 1975, 459–482; ders.: Separatystyczne dążenia kapituły wrocławskiej do uniezależnienia się od metropolii gnieźnieńskiej. In: Prawo Kanoniczne 9/3–4, 1966, 185–197; 12/1–2, 1969, 3–34; Winowski, Leszek: Stosunki między biskupstwem wrocławskim a metropolią gnieźnieńską w latach 1740–1748. In: Przegląd Zachodni 11, 1955, 613–692; Sabisch, Alfred: Bistum Breslau und Erzbistum Gnesen, vor allem im 16. und 17. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der Exemtion Breslaus. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 5, 1940, 96–141; Schulte, Lambert: Die staatsrechtliche Stellung des Breslauer Bistums zur Krone Böhmen. In: Oberschlesische Heimat 14, 1918, 45–58; ders.: Die Exemtion des Breslauer Bistums. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 51, 1917, 1–29; Mandziuk, Józef: Historia Kościoła katolickiego na Śląsku, Bd. 1–2 [bis 1742]. Warszawa 1995–2005; Dola, Kazimierz: Dzieje Kościoła na Śląsku, Bd. 1: Średniowiecze. Opole 21996 (Z dziejów kultury chrześcijańskiej na Śląsku 9); König, Winfried (Hg.): Erbe und Auftrag der schlesischen Kirche. 1000 Jahre Bistum Breslau – Dziedzictwo i posłannictwo śląskiego Kościoła. 1000 lat diecezji wrocławskiej. Dülmen 2001; Marschall, Werner: Geschichte des Bistums Breslau. Stuttgart 1980; Urban, Wincenty: Zarys dziejów diecezji wrocławskiej. Wrocław 1962; Heyne, Johann: Dokumentirte Geschichte des Bisthums und Hochstiftes Breslau, Bd. 1–3. Breslau 1860–1868 [ND Aalen 1969].
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slaviensis in Ungaria“ zu finden.13 Bei einem 1520 nach dem Tod von Johannes V. Thurzó entbrannten Konflikt um die Nachfolge, bei dem ein Reichsfürst an den Statuten vorbei auf den Bischofsstuhl gehoben werden sollte, wandte sich das um seine Wahlfreiheit kämpfende Domkapitel an den Kardinalprotektor Polens an der Kurie. Entsprechend wurde anlässlich der Promotion Markgraf Johann Albrechts von Brandenburg mit der Breslauer Kathedra in den Konsistorialakten vermerkt, dass diese „in Polonia“ liege.14 Seit 1540 war es dann zwar in der Regel der erbländische Kardinalprotektor, dem das Referat über den schlesischen Bischofssitz oblag. Zeitweise war jedoch auch an der Kurie umstritten, ob Breslau nun in die Zugehörigkeit des erbländischen oder diejenige des deutschen Kardinalprotektorats falle. In einem während der Regierungszeit Rudolfs II. entstandenen Gutachten setzte sich ein vermutlich aus Italien stammender Geistlicher mit der Form der Pfründenvergabe in den beiden Protektoraten auseinander. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass im Gegensatz zum Heiligen Römischen Reich, wo nahezu alle Konsistorialbenefizien auf der Basis von Wahlen durch die jeweiligen Kapitel besetzt würden, in den österreichischen Erblanden sowie in Böhmen und Ungarn das landesfürstliche Ernennungsrecht vorherrsche – mit Ausnahme der Bistümer Breslau und Olmütz, denen aufgrund der Konkordate mit der Natio Germanica für Kirchen des Reichsgebiets das Recht der freien Kapitelwahl zustehe. Das Gutachten, mit dessen Hilfe Rudolf II. über den Prager Nuntius ein päpstliches Privileg für das fehlende Nominationsrecht in Breslau und Olmütz zu erlangen hoffte, belegt nichtsdestotrotz, dass der schlesische Bischofssitz in der Zeit um 1600 trotz des freien Kapitelwahlrechts dem für die Habsburgermonarchie zuständigen Kardinal anvertraut war.15 Mit der stets von den realpolitisch-dynastischen Entwicklungen Ostmitteleuropas abhängigen Zwischenstellung des Bistums Breslau korrespondierte die Besetzung des Bischofsstuhls, bei der seit Mitte des 15. Jahrhunderts die Zahl schlesischer Amtsträger zugunsten auswärtiger Oberhirten markant abnahm.16 Vergleichbare, bereits früher einsetzende Tendenzen lassen sich bei ��Strnad, Alfred A.: Breslaus Kardinalprotektor an der römischen Kurie, vornehmlich im 16. Jahrhundert. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 29, 1971, 90–106, hier 95f. �������������� Ebd., 96f.; Troska, Ferdinand: Die Bewerbung des Markgrafen Johann Albrecht von Brandenburg um den Breslauer Bischofssitz im Jahre 1529 und 1521. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 29, 1895, 1–34; Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich, 164f. ���������������������������������������������������������������������������������������������������� „S’aggionge, che prima che si movesse questa difficoltà il S. Cardinale Madruzzo dichiarò, che la propositione di Vratislauia, come di chiesa nella Slesia, che è provincia della Bohemia et conseguentemente della protettione d’Ungaria, Bohemia et stati patrimoniali, toccava al Cardinale Gesualdo, altrimente sarebbe toccata ad esso S. Cardinale Madruzzo, come a protettore dell’Imperio, non essendo, se non due protettori per l’Imperatore.“ Zit. nach Strnad: Breslaus Kardinalprotektor, 106. 16 Derwich, Marek: Świeccy i zakonnicy a wybór biskupa. Ze studiów nad funkcjonowaniem wczesnośredniowiecznego biskupstwa. In: Derwich, Marek/Mrozowicz, Wojciech/Żerelik, Rościsław (Hg.): Memoriae amici et magistri. Studia historyczne poświęcone pamięci Prof. Wacława Korty (1919–1999). Wrocław 2001, 67–87.
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der Zusammensetzung des Domkapitels erkennen.17 Einschlägige Gegenreaktionen, die Zulassung zu Dignitäten und Kanonikaten der Breslauer Kirche an das Indigenat zu koppeln, sind seit dem Spätmittelalter vielfach belegt. Sie kulminierten 1504 im sogenannten Kolovratschen Vertrag, der als Kandidaten für den Bischofsstuhl und alle sonstigen Pfründen in der Diözese nur Bewohner des Oderlandes und der anderen böhmischen Länder akzeptierte.18 Sowohl der dem Vertrag vorangegangene Konflikt zwischen den Fürsten Schlesiens, der Stadt Breslau und der Domgeistlichkeit als auch die Ungültigkeitserklärung des Dokuments durch Papst und König (1516), welche die Stände aufgrund ihrer machtpolitischen Stellung bis Anfang des 17. Jahrhunderts souverän ignorieren konnten, lassen bereits die vielfältige Einflussnahme auf sämtliche Breslauer Bischofswahlen exemplarisch erkennen.19 17 Samulski, Robert: Untersuchungen über die persönliche Zusammensetzung des Breslauer Domkapitels im Mittelalter bis zum Tode des Bischofs Nanker (1341), Bd. 1 [mehr nicht erschienen]. Weimar 1940 (Historisch-Diplomatische Forschungen 6), 80–87; Schindler, Georg: Das Breslauer Domkapitel von 1341–1417. Untersuchungen über seine Verfassungsgeschichte und persönliche Zusammensetzung. Breslau 1938 (Zur schlesischen Kirchengeschichte 33), 61–72; Dola, Kazimierz: Wrocławska kapituła katedralna w XV wieku. Ustrój – skład osobowy – działność. Lublin 1983, 130; Zimmermann, Gerhard: Das Breslauer Domkapitel im Zeichen der Reformation und Gegenreformation (1500–1600). Verfassungsgeschichtliche Entwicklung und persönliche Zusammensetzung. Weimar 1938 (Historisch-Diplomatische Forschungen 2), 85–99; Laug, Werner: Das Breslauer Domkapitel am Vorabend der Reformation nach den ‚Acta Capituli Wratislaviensis‘. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 54, 1975, 88–104; Wünsch, Thomas: Territorienbildung zwischen Polen, Böhmen und dem deutschen Reich: Das Breslauer Bistumsland vom 12. bis 16. Jahrhundert. In: Köhler/Bendel (Hg.): Geschichte des christlichen Lebens, Bd. 1, 199–264, hier 247f. Vgl. zum Hintergrund auch Czapliński, Władysław: Wpływ reformacji i kontrreformacji na stosunki narodowościowe na Śląsku (XVI–XVII w.). In: Przegląd Historyczny 40, 1949, 144–155. ����������������������������������������������������������������������������������������������� „Zum Ersten, wes antrifft die Welunge eines Bischofs, das uw nach hinfurder zu khein Getzeitten nymmermehr ein Bischof vom Capitel söll erwelet werden, er sey dann nemlich aus Beheim, Merhern, Slesien, Ober vnd Niderlawsitz, oder annder zugehörigen vnd anhangunnden Landen der Cron zu Beheim, ausz den Stenden, furderlich der Fursten, Herren, Ritterschafft vnd Stete, die darzu genuglich erkannt wurden vnd tuglich weren, alsz vnd die Wall eins Bischofs von Alters here nach Aussatzunge dem Capitel verlyhen vnd zugegeben, vnd kain annder von den Auslendischen zu Bischoue nicht gewelet noch aufgenommen werden in zukunfftigen Zeiten, vnuerhinndert als, so der königlichen Majestat in solicher Eleccion vnd Welunge alse dem Oberherren zugeburt.“ Stenzel, Gustav Adolph (Hg.): Urkunden zur Geschichte des Bisthums Breslau im Mittelalter. Breslau 1845, Nr. CCCX, 365–370, hier 365f. Zum Hintergrund vgl. Laug, Werner: Der Kolowratische Vertrag von 1504, sein Wortlaut und seine Auswirkung. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 56, 1977, 37–56. 19 Meyer, Arnold Oskar: Studien zur Vorgeschichte der Reformation. Aus schlesischen Quellen. München/Berlin 1903 (Historische Bibliothek 14), 121–147; Stenzel (Hg.): Urkunden, Nr. CCCXIV–CCCXV, 373–381. Zum Widerstand der Fürsten und Stände gegen „Ausländer“ in den Dom- und Kollegiatkapiteln Schlesiens, der in einzelnen Gravamina ebenso wie in Fürstentagsbeschlüssen zum Ausdruck kam, vgl. mit guten Quellenbeispielen, aber in schlechter Interpretation (denn die Differenzen hatten nichts mit „Partikularismus“ zu tun) Köhler, Joachim: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung im Bistum Breslau. Vom Abschluß des Konzils bis zur Schlacht am Weißen Berg 1564–1620. Köln/Wien 1973 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 12), 134–141. Ende Januar 1597 reiste Herzog Karl II. von MünsterbergOels, der zu jener Zeit die Oberlandeshauptmannschaft in Schlesien kommissarisch verwaltete, persönlich nach Prag, um für den Kolovratschen Vertrag und andere Landesprivilegien einzutreten; bei
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Die stärkste politische Beeinflussung ging dabei während der Frühen Neuzeit von königlichen Wahlgesandten aus, die bereits seit dem 15. Jahrhundert nachgewiesen sind. Vor allem nach 1526 entwickelte sich die Institution des Wahlkommissariats faktisch zum Ersatz des landesfürstlichen Nominationsrechts, das sich in Breslau – im Unterschied zu nahezu sämtlichen anderen Diözesen des habsburgischen Herrschaftsgebiets – nicht durchsetzen ließ.20 Das besondere Interesse von Seiten Wiens, aber auch das der schlesischen Fürsten und des böhmischen Adels erklärt sich nicht zuletzt aus der geistlich-weltlichen Doppelstellung des jeweiligen Breslauer Ordinarius. Dieser übte als Herzog von Neisse-Grottkau nicht nur eigenständige Landesherrschaft in Konkurrenz zu anderen Fürsten aus, sondern bekleidete mit dem Amt des Oberlandeshauptmanns auch traditionell die höchste weltliche Würde Schlesiens. Als Bindeglied zwischen Krone und Land bewegte er sich so an der sensiblen Schnittstelle zwischen ständischer Libertät und monarchischer Autorität.21 Die Chancen eines Adeligen, in die bischöfliche Hierarchie zu gelangen, hingen zunächst von den rechtlichen Gegebenheiten der jeweiligen Diözese ab. Bei einer Nomination in Mediatbistümern, bei der Patronage- und Klientelbeziehungen naturgemäß hohes Gewicht besaßen, konnten unterschiedliche Faktoren den Ausschlag geben: Nähe zur weltlichen Macht, Dienste in höheren Hofämtern und Verwaltungserfahrung, Bewährung im diplomatischen Umfeld, Zugehörigkeit zur ‚richtigen‘ Klientel oder zu einem bestimmten Orden, gute Familienbeziehungen zum Hof oder Protektion über verwandtschaftliche Netze.22 Auch wenn diese Voraussetzungen einem Erfolg in der durch Wahlkapitel verfassten Domkirche nicht hinderlich waren, so waren der drohenden Wahl Erzherzog Karls zum Bischof von Breslau 1608 beriefen sich die schlesischen Fürsten und Stände dann ein letztes Mal nachdrücklich auf den Vertrag. Vgl. Jedin: Die Krone Böhmen, 427, 431–434. ��Landersdorfer, Anton: Die Bestellung der Bischöfe in der Geschichte der katholischen Kirche. In: Münchener Theologische Zeitschrift 41, 1990, 271–290; Gaudemet, Jean: Un point de rencontre entre les pouvoirs politiques et l’Eglise: le choix des évêques (schéma pour une enquête). In: Genet, Jean-Philippe/Vincent, Bernard (Hg.): Etat et Eglise dans la génèse de l’Etat Moderne. Madrid 1986, 279–293; Kindermann, Adolf: Das landesfürstliche Ernennungsrecht. Warnsdorf 1933; Feine, Hans Erich: Die Besetzung der Reichsbistümer vom Westfälischen Frieden bis zur Säkularisation 1648–1803. Stuttgart 1921 (Kirchenrechtliche Abhandlungen 97/98) [ND Amsterdam 1964]; Breitenbach, Anton: Die Besetzung der Bistümer Prag und Olmütz bis zur Anerkennung des ausschließlichen Wahlrechtes der beiden Domkapitel. In: Zeitschrift des deutschen Vereines für die Geschichte Mährens und Schlesiens 8, 1904, 1–46. 21 Wünsch: Territorienbildung, 199–264; Orzechowski, Kazimierz: Dzieje i ustrój księstwa biskupiego na Śląsku. In: Szkice Nyskie. Studia i Materiały, Bd. 3. Opole 1986, 7–43; Turoń, Bronisław: Z dziejów kancelarii biskupów wrocławskich w Nysie w latach 1601–1700. In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 19, 1964, 88–96; Rachfahl, Felix: Die Organisation der Gesamtstaatsverwaltung Schlesiens vor dem dreißigjährigen Kriege. Leipzig 1894 (Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen 13/1), 156–186. 22 Millet, Hélène/Moraw, Peter: Clerics in the State. In: Reinhard, Wolfgang (Hg.): Power Elites and State Building. Oxford 1996, 173–188.
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Epitaph des aus dem Herzogtum Glogau gebürtigen Breslauer Weihbischofs Elias Daniel von Sommerfeld (1681–1742), der sich bei der Bischofswahl von 1732 trotz eines Eligibilitätsbreves nicht gegen einen auswärtigen Bewerber hatte durchsetzen können, im Breslauer Dom.
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hier doch vor allem Anzahl und Verteilung der Kanonikate maßgebliche Kriterien. Eine Wahl ex gremio war kirchenrechtlich zwar nicht vorgeschrieben, stellte aber insofern den gewünschten Normalfall dar, als Abweichungen andere Stimmenverhältnisse notwendig machten.23 Der Eintritt in ein Domkapitel war in der Regel von der Familie geplant, ein späterer Aufstieg zum geistlichen Regenten freilich kaum kalkulierbar und ein Glücksfall. Das erfuhr bei der eingangs erwähnten Breslauer Bischofswahl von 1732 ein erfahrener und angesehener Weihbischof wie Elias Daniel von Sommerfeld, der trotz eines eigenen Eligibilitätsbreves gegen einen auswärtigen Bewerber unterlag, der in seiner neuen Wirkungsdiözese zuvor kein Kanonikat besessen hatte.24 Auch im 16. und frühen 17. Jahrhundert, als die hochadelige Herkunft noch weniger über Erfolg oder Misserfolg bei geistlichen Wahlen beziehungsweise fürstlichen Nominationen entschied, lassen sich vergleichbare Beobachtungen machen. Der Breslauer Domherr Adam Landeck, Spross eines verarmten regionalen Adelsgeschlechts, besaß zwar bei der Bischofswahl von 1585 den vollen Rückhalt der schlesischen Fürsten und Stände, konnte sich jedoch gegen den aus Schwaben stammenden Kandidaten des Hofes, der erst Jahre später ein Breslauer Domkanonikat erhalten hatte, nicht durchsetzen.25 Und ein weiteres Beispiel: Der aus Tiroler katholischem Landadel gebürtige Johann Franz von Troilo, der mit seiner Familie im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts nach Schlesien ausgewandert war, arbeitete mit Hilfe römischer Protektion zielstrebig an der geistlichen Karriere eines seiner drei Söhne. 1597 erhielt er aus Rom die Zusage, dass der gerade fünfzehnjährige Nikolaus das nächste freiwerdende Kanonikat in Breslau erhalten werde.26 Nikolaus von Troilo, der 1606 durch apostolische Provision, nicht durch Wahl innerhalb des Kapitels zum Domdekan aufstieg und seine Position in den kommenden Jahrzehnten systematisch ausbaute, galt nach Auffassung des �� Feine: Besetzung der Reichsbistümer, 53–56. Zwischen 1648 und 1803 erfolgten mehr als vier von fünf Wahlen in den Reichsbistümern ex gremio, das heißt, sie fielen auf ein Mitglied des Domkapitels der betreffenden Diözese. Vgl. Kremer: Herkunft und Werdegang, 262. 24 Pater: Eliasz Daniel Sommerfeld, 265–282; Jungnitz: Breslauer Weihbischöfe, 200–222. 25 Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 312–314, 351–353; Jedin: Die Krone Böhmen, 423f. Zu dem aus der Bischofswahl erfolgreich hervorgegangenen Andreas (von) Jerin vgl. Nägele, Anton: Der Breslauer Fürstbischof Andreas Jerin von Riedlingen (1540–1596). Bilder aus dem Leben und Wirken eines Schwaben in Schlesien. Mainz 1911; ders.: Documenta Jeriniana. Archivalische Beiträge zur Biographie des Breslauer Bischofs Andreas von Jerin (1585–1596). In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 1, 1936, 98–156; ders.: Die schwäbischen Mitglieder des Breslauer Domkapitels im 16. Jahrhundert. In: Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte 4, 1940, 342–375; Jungnitz, Joseph: Die Breslauer Germaniker. Breslau 1906, 8–20. 26 Conrads, Norbert: Der Aufstieg der Familie Troilo. Zum kulturellen Profil des katholischen Adels in Schlesien zwischen Späthumanismus und Gegenreformation. In: Deventer, Jörg/Rau, Susanne/Conrad, Anne (Hg.): Zeitenwenden. Herrschaft, Selbstbehauptung und Integration zwischen Reformation und Liberalismus. Münster 2002 (Geschichte 39), 273–305, hier 287; Köhler: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung, 346.
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Wiener Nuntius Carlo Caraffa als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für die Bischofswahl im Jahr 1625, bei der das Kapitel überdies angesichts der neuerlich bedrohten Wahlfreiheit den neuen Ordinarius unbedingt aus den eigenen Reihen zu wählen gedachte.27 Trotz einer ausgefeilten, über Jahrzehnte verfolgten geistlichen Familienpolitik beachtlichen Ausmaßes blieb Troilo das Endziel seiner Kirchenlaufbahn, die Mitra, allerdings versperrt, die 1625 einem zwölfjährigen polnischen Prinzen aufgesetzt wurde, dem der regierende Ortsbischof, sein Onkel, erst im Vorjahr ein Kanonikat in Breslau verliehen hatte.28 Im Gegensatz zu den erfolgreich verlaufenen bischöflichen Karrieren ist die Zahl gescheiterter Laufbahnen ungleich schwerer zu erfassen. In eine umfassende Analyse der episkopalen Traditionen und Strategien des schlesischen Adels wären sie gleichwohl einzubeziehen, gerade um die Entscheidungskriterien für oder gegen einen Kandidaten schärfer fassen und so die Vielzahl von Einflussfaktoren bei Bischofswahlen gewichten zu können. Allgemein erhielten der Stellenwert und die Belastbarkeit überregionaler Netzwerke durch die Reformation in Schlesien und anderen habsburgischen Territorien, als zahlreiche alteingesessene Adelsfamilien zum Protestantismus übergingen und im katholisch verbliebenen Bistum teilweise durch auswärtige Adelsgruppen ersetzt wurden, einen spürbaren Schub.29 Am deutlichsten ��Kastner, Aug[ust] (Hg.): Archiv für die Geschichte des Bisthums Breslau, Bd. 3: Actenmässige Beiträge zur Geschichte des Bisthums Breslau von 1599 bis 1649. Neiße 1863, 56–63; Jedin: Die Krone Böhmen, 435f.; Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 47f. 28 Ćwięczek, Ginter: Królewicz Karol Ferdynand Waza jako biskup wrocławski. In: Studia z Historii Kościoła w Polsce 2, 1973, 7–269. 29 Schwartz, Michael: „Das Dorado des deutschen Adels“. Die frühneuzeitliche Adelskirche in interkonfessionell-vergleichender Perspektive. In: Geschichte und Gesellschaft 30, 2004, 594–638, hier 622f.; Conrads: Der Aufstieg der Familie Troilo, 278; Machilek, Franz: Dominikus Schleupner aus Neisse (um 1483–1547). Vom Kanzler des Bischofs Jakob von Salza und Domkapitular in Breslau zum evangelischen Prediger und Ratstheologen in Nürnberg. In: Bahlcke, Joachim/Lambrecht, Karen/Maner, Hans-Christian (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Leipzig 2006, 235–262; ders.: Schlesien. In: Schindling, Anton/Ziegler, Walter (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 2: Der Nordosten. Münster 1990 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 50), 102–138; Sabisch, Alfred: Die Bischöfe von Breslau und die Reformation in Schlesien. Jakob von Salza (†1539) und Balthasar von Promnitz (†1562) in ihrer glaubensmäßigen und kirchenpolitischen Auseinandersetzung mit den Anhängern der Reformation. Münster 1975 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 35); Weigelt, Horst: Anfänge und Verlauf der Reformation. In: Benrath, Gustav Adolf u.a. (Hg.): Quellenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schlesien. München 1992 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1), 1–55; Buckisch, Gottfried Ferdinand: Schlesische Religions-Akten 1517 bis 1675, Tl. 2: Regesten der Religions-Akten. Bearb. v. Joseph Gottschalk, Johannes Grünewald und Georg Steller. Köln/ Weimar/Wien 1998 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 17/2); Sabisch, Alfred (Hg.): Acta Capituli Wratislaviensis 1500–1562. Die Sitzungsprotokolle des Breslauer Domkapitels in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Bd. 1–2. Köln/Wien 1972–1976 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 10/1–2, 14/1–2).
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ist dies – und auch für diese Entwicklung ist die Familie Troilo repräsentativ – bei dem der römischen Kirche treu gebliebenen Teil des Tiroler Adels zu beobachten, der im 17. und 18. Jahrhundert eine außergewöhnliche Zahl von Kanonikaten und Bischofsstühlen besetzen konnte.30 Auch in Schlesien nahm der Anteil der nicht aus dem Oderland gebürtigen beziehungsweise erst in jüngerer Zeit zugewanderten Mitglieder des Domkapitels stetig zu. Diese Verschiebung verstärkte die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einsetzende Aristokratisierung des Kapitels, die innerhalb eines Jahrhunderts zur vollständigen Verdrängung des bürgerlichen Elements führte.31
3. Aufstieg in den Episkopat innerhalb Schlesiens In einer hitzigen Auseinandersetzung, die das während der Jagiellonenherrschaft gewachsene Selbstbewusstsein der Fürsten Schlesiens ebenso erkennen lässt wie den Unabhängigkeitswillen der Domgeistlichkeit und das Kronbewusstsein des böhmischen Adels, konnte 1520 nach mehr als sieben Jahrzehnten erstmals wieder ein schlesischer Adeliger bei einer Breslauer Bischofswahl durchgesetzt werden.32 Jakob von Salza,33 dessen Familie dem Zur Intensivierung der päpstlichen Personalpolitik im 16. Jahrhundert vgl. Köhler: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung, 134–156. ��Von Preradovich, Nokolaus: Die soziale Herkunft der österreichischen Kirchenfürsten. In: Mezler-Andelberg, Helmut J. (Hg.): Festschrift Karl Eder zum siebzigsten Geburtstag. Innsbruck 1959, 223–243; Noflatscher, Heinz: Österreichische Familien in der Reichskirche (1448–1803). In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 87, 1992, 282–305; Evans, R[obert] J. W.: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien/Köln 1989 (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6), 49–73, 99–121, 127–138; Endres, Rudolf: Adel in der Frühen Neuzeit. München 1993 (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 18), 22. 31 Dola, Kazimierz: Ständische Verhältnisse im Breslauer Domkapitel im 16. und 17. Jahrhundert. In: Jürgensmeier, Friedhelm (Hg.): Weihbischöfe und Stifte. Beiträge zu reichskirchlichen Funktionsträgern der Frühen Neuzeit. Frankfurt am Main 1995 (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 4), 180–184. 32 Macek, Josef: Jagellonský věk v českých zemích (1471–1526), Bd. 1–4. Praha 1992–1999, hier Bd. 2, 9–50; Válka, Josef: „Politická zavět“ Viléma z Pernštejna (1520–1521). (Příspěvek k dějinám českého politického myšlení v době jagelovské). In: Časopis Matice moravské 90, 1971, 63–82; ders.: „Státní a zemské“ v českých dějinách. In: Časopis Matice moravské 109, 1990, 320– 336; Pánek, Jaroslav: Proměny stavovství v Čechách a na Moravě v 15. a v první polovině 16. století. In: Folia Historica Bohemica 4, 1982, 179–217; Bahlcke; Joachim: Das Herzogtum Schlesien im politischen System der Böhmischen Krone. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 44, 1995, 27–55; Jedin: Die Krone Böhmen, 416f.; Lambrecht, Karen: Die Funktion der bischöflichen Zentren Breslau und Olmütz im Zeitalter des Humanismus. In: Garber, Klaus (Hg.): Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit, Bd. 1–2. Tübingen 2005 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 111), hier Bd. 1, 49–68; Otto, Carl: Ueber die Wahl Jacobs von Salza zum Bischof von Breslau und die derselben unmittelbar folgenden Ereignisse. (September 1520 bis September 1521.). In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 11, 1872, 303–327. ��Sabisch: Die Bischöfe von Breslau, 35–50; Jedin, Hubert: Originalbriefe des Bischofs Jacob von
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Oberlausitzer Landadel angehörte, aber schon seit langem enge Verbindungen nach Schlesien und zum Breslauer Domkapitel unterhielt, und in den nachfolgenden acht Jahrzehnten Balthasar von Promnitz,34 Kaspar von Logau35 und Johannes von Sitsch36 sollten die letzten Kandidaten des regionalen Adels sein, die der schlesischen Diözese bis 1740 vorstanden – Martin Gerstmann37 und Sebastian Rostock,38 die erst vor ihrer Wahl in den Adelsstand erhoben wurden, können an dieser Stelle ausgeklammert werden. Zwei weitere, aus dem oberschlesisch-slawischen Grenzgebiet stammende Adelige, Johann Grodecký von Brod39 und Stanislaus Pavlovský von Pavlovitz,40 erwarben Salza an die Päpste Clemens VII. und Paul III. betr. seine Stellung zur Reformation (1524–1536). In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 62, 1928, 82–100; Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 471–473. 34 Sabisch: Die Bischöfe von Breslau, 71–94; ders.: Balthasar von Promnitz als Kanonikus in Breslau 1526 bis 1539. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 70, 1936, 224–250; ders.: Zur Geschichte des Breslauer Bischofs Balthasar von Promnitz (1539–1562). Herkunft und Studiengang. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 2, 1937, 101–116; ders.: Das Hirtenschreiben des Breslauer Bischofs Balthasar von Promnitz an den Klerus und die Weihekandidaten vom Jahre 1555, seine Veranlassung und seine Folgen. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 8, 1950, 77–104; Kliesch, Gottfried: Bischof Balthasar von Promnitz (1539–1562), Oberlandeshauptmann von Schlesien. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 29, 1988, 73–102; ders.: Bischof Balthasar von Promnitz (1538–1562) als Landesfürst. In: Mitteilungen des Beuthener Geschichts- und Museumsvereins 49, 1989, 33–72; Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 440–443. 35 Engelbert, Kurt: Kaspar von Logau, Bischof von Breslau (1562–1574). Ein Beitrag zur schlesischen Reformationsgeschichte, Tl. 1. Breslau 1926 (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte 28); mehrere Fortsetzungen dieses Werkes erschienen ab 1938 im Archiv für schlesische Kirchengeschichte; Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 372–375. 36 Sikorski, Marek: War der Breslauer Bischof Johannes Sitsch (1600–1608) ein Kunstmäzen? In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 46, 1988, 77–89; Wagner, Romuald: Beiträge zur Geschichte des Breslauer Bischofs Johannes von Sitsch. (1600–1608). In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 4, 1939, 209–221; Lorenz, Klemens: Zur Landesverwaltung unter Johann VI. Sitsch. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 72, 1938, 235–246; Lindner, Theodor: Johann Matthäus Wacker von Wackenfels. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 8, 1868, 319–351, hier 335–338. 37 Lec, Zdzisław: Biskup Marcin Gerstmann (8 III 1527 – 23 V 1585). Życie i działalność. In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 56, 2001, 459–468; Borcz, Kazimierz: Synod biskupa Marcina Gerstmanna. In: Rocznik Teologiczny Śląska Opolskiego 1, 1968, 293–313; Jungnitz, Joseph: Martin von Gerstmann, Bischof von Breslau. Ein Zeit- und Lebensbild aus der schlesischen Kirchengeschichte des 16. Jahrhunderts. Breslau 1898; Engelbert, Kurt: Beiträge zur Geschichte des Breslauer Bischofs Martin von Gerstmann (1574–1585). In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 15, 1957, 171–188; Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 267–269. 38 Chomiak, Stanisław: Diecezja wrocławska w czasach rządów biskupa Sebastiana Rostocka. In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 56, 2001, 469–483; Jungnitz, J[oseph]: Sebastian von Rostock, Bischof von Breslau. Breslau 1891. �� Hipler, [Franz]: Johannes Grodiecky, Bischof von Olmütz. In: Österreichische Vierteljahresschrift für katholische Theologie 12, 1873, 561–608; Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 272–275. 40 Pánek, Jaroslav: Biskup Stanisław II Pawłowski, Polacy i Czesi. Prałat, polityk mi mecenas pośrednikiem pomiędzy dwoma sąsiednimi narodami. In: Gmiterek, Henryk (Hg.): Polacy w Czechach. Czesi w Polsce, X–XVIII wiek. Lublin 2004, 89–101; ders.: Mezi Olomoucí a Řimem. Ke stykům moravského duchovenstva a šlechty s Itálií za episkopátu Stanislava Pavlovského. In: Hlaváček, Ivan/Hrdina, Jan (Hg.): Facta probant homines. Sborník příspěvků k živatnímu jubileu prof.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Martin Gerstmann (1527–1585), Sohn eines Bunzlauer Tuchmachers, war erst wenige Jahre vor seiner Wahl zum Bischof von Breslau in den Adelsstand erhoben worden. Aus braunrotem Marmor gemeisseltes Reliefbildnis des Bischofs in der Pfarrkirche St. Jakobus zu Neisse.
die Mitra im benachbarten Bistum Olmütz. Vor allem drei Merkmale unterschieden die zuerst genannten Breslauer Oberhirten klar von denjenigen, die nach 1650 zu bischöflichen Würden gelangten: Keine der genannten Familien besaß – erstens – die Möglichkeit, mehr als einen Angehörigen in eine Spitzenstellung der katholischen Kirche zu bringen. Von einer kirchlichen Familienpolitik lässt sich daher im 16. Jahrhundert kaum sprechen, selbst bei Berücksichtigung abgebrochener oder gescheiterter geistlicher Karrieren im familiären Umfeld erfolgreicher Würdenträger nicht. Einzig der aus einem der ältesten schlesischen Adelsgeschlechdr. Zdeňky Hledíkové. Praha 1998, 311–323; ders.: Olomoucký biskup Stanislav Pavlovský a česká šlechta. In: Okresní archív v Olomouci 1989, 35–58; ders.: Dvůr olomouckého biskupa Stanislava Pavlovského ve světle hofmistrovské instrukce z roku 1592. In: Hojda, Zdeněk/Pešek, Jiří/Zilynská, Blanka (Hg.): Seminář a jeho hosté. Sborník prací k 60. narozeninám doc. dr. Rostislava Nového. Praha 1992, 189–199; ders.: Biskup a kancléř (Stanislav Pavlovský a Vratislav z Pernštejna 1579– 1582 a jejich úloha v počátcích rekatolizace Moravy). In: Časopis Matice moravské 113, 1994, 35– 47; Navrátil, Bohumíl: Biskupství Olomoucké 1576–1579 a volba Stanislava Pavlovského. Praha 1909; Wörster, Peter: Bischof Stanislaus Pawlowski. Zu seiner Bedeutung für Dichtung und Gelehrsamkeit in Mähren. In: Koselleck, Gerhard (Hg.): Oberschlesische Dichter und Gelehrte vom Humanismus bis zum Barock. Bielefeld 2000 (Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 8), 221–245; Procházka, Matej: Stručný životopis Stanislava II. Pavlovského, biskup olomouckého. Brno 1861; Zimmermann: Breslauer Domkapitel, 415–417.
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ter stammende Promnitz besaß über seine Mutter, eine geborene Pogarell, eine ältere episkopale Tradition.41 Er war es auch, der sein kirchliches Amt am stärksten nutzte, um die eigene politisch-ökonomische Stellung und diejenige seiner Verwandten in Schlesien auszubauen. Sein Testament und der Vorwurf, Kirchengüter eigenmächtig veräußert zu haben, waren Gegenstand einer Unterredung zwischen dem Wiener Nuntius Kardinal Stanislaus Hosius und König Ferdinand I.42 Eine ähnliche Hausmachtpolitik, wenn auch in bescheideneren Ausmaßen, lässt sich bei Logau feststellen; obwohl seine Brüder zum Protestantismus übergetreten waren, hatte er immer noch eine ausreichende Zahl an Familienangehörigen, denen er wichtige Bistumsämter vermitteln konnte.43 Nur einer, Logau, wurde zunächst auf ein erbländisches Bistum nominiert, bevor er nach Breslau wechselte; bei allen anderen war das Einstiegsbistum – zweitens – zugleich die letzte Stufe ihrer Kirchenlaufbahn. Der Werdegang des aus Neisse gebürtigen Logau, dessen Vater bischöflicher Kanzler war und später zum Landeshauptmann im Erbfürstentum Schweidnitz-Jauer aufstieg, lässt zugleich frühe Konturen einer österreichisch-böhmischen Integrationspolitik erkennen:44 Zusammen mit zwei habsburgischen Prinzen in Innsbruck erzogen, war er anfänglich als Kämmerer und Lehrer Erzherzog Karls von Steiermark tätig, bevor er durch päpstliche Provision ein Breslauer Kanonikat sowie mehrere Pfründen in Böhmen und Mähren erlangte. Seine Translation von Wiener Neustadt nach Breslau ist der einzige Fall, in dem eine Versetzung in die Herkunftsregion gelang. Anderen, etwa dem aus der Grafschaft Glatz stammenden, 1718 im ungarischen Waitzen zum Bischof nominierten Michael Friedrich von Althann, sollte ein solcher Schritt beispielsweise nicht gelingen, obwohl er dem Breslauer Kapitel seit Jahren angehörte.45 Ge41 Eistert, Karl: Beiträge zur Genealogie des Breslauer Bischofs Preczlaus von Pogarell (1299– 1376). In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 20, 1962, 226–290; Jurek, Tomasz: Najdawniejsze dobra śląskich Pogorzelów. In: Roczniki historyczne 68, 2002, 27–55. ��Köhler: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung, 50–53; Steller, Georg: Graf PromnitzSorau contra Saganer Regierung (1668–78). In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 3, 1938, 172–202; Kliesch: Balthasar von Promnitz als Landesfürst, 56f. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Auch aus diesen Gründen gilt Logau der traditionellen Kirchengeschichtsschreibung schlechterdings als „Versager“. Vgl. Marschall: Geschichte des Bistums Breslau, 68–70. Differenzierter Köhler: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung, 52f.; ders.: Bistumsgeschichte oder Christentumsgeschichte? Überlegungen aus Anlass des tausendjährigen Bestehens des Bistums Breslau. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 59, 2001, 125–159. ������������������������������������������������������������������������� Dieses Phänomen wurde bisher nur beim weltlichen Adel untersucht. Vgl. Winkelbauer, Thomas: Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters. Wien/München 1999 (Mitteilungen für Österreichische Geschichtsforschung Ergänzungsbd. 34), 39–46; ders.: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Bd. 1–2. Wien 2003 (Österreichische Geschichte 1522–1699), hier Bd. 1, 191–196, 559. 45 Bahlcke, Joachim: Damit „das Hungarländische zu Revolutionen und Unruhen geneigte Gebluet mit dem Teutschen temperiret [...] werden möchte“. Deutsche Adelige im ungarischen Episkopat des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Müns, Heike/Weber, Matthias (Hg.): „Durst nach Erkenntnis ...“.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Grabmal des Breslauer Bischofs Kaspar von Logau (1524–1574), dessen Karriere in der hierarchia ecclesiastica bereits Mitte des 16. Jahrhunderts Konturen einer sozialen Integration der werdenden Habsburgermonarchie erkennen lässt, in der Pfarrkirche St. Jakobus zu Neisse. Logau war bezeichnenderweise der einzige Ordinarius während der Frühen Neuzeit, der zunächst auf ein erbländisches Bistum nominiert worden war und erst später nach Breslau transferiert wurde.
wissermaßen ein Sonderfall ist Karl von Liechtenstein-Kastelkorn, der sich vom Bistum Olmütz nach Schlesien bewarb und 1682 auch die erforderliche Stimmenmehrheit bekam, aufgrund der Intervention Wiens aber die päpstliche Bestätigung nicht erhielt und zum Verzicht gedrängt wurde.46 Die ersten drei genannten Ordinarien waren – drittens – in erster Linie politisch denkende, juristisch und diplomatisch versierte Verwaltungsfachmänner, deren Werdegang ein Nahverhältnis zum Hof erkennen lässt. Salza war 1510 in königlich-böhmische Dienste getreten, wurde ein Jahr später Landeshauptmann im Erbfürstentum Glogau und übernahm 1536 nach dem Tod Forschungen zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. München 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 29), 79–101; ders.: Michael Fridrich hrabě z Althannu (1680–1734). Životní etapy preláta ve službách habsburské monarchie na počátku 18. století. In: Chocholář, Bronislav/Jan, Libor/Knoz, Tomáš (Hg.): Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspěvků, jež věnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brno 1999, 501–515; Nagy, Győző J./Klekner, Tibor: A két Althann váci püspök sége 1718–1756. Vác 1941 (Vácegyházmegye multjából 1). Althann wollte 1732 nach Schlesien zurückkehren, unterlag aber bei der Bewerbung um den Breslauer Bischofsstuhl Kardinal Sinzendorf. Vgl. Strnad: Kampf um ein Eligibilitätsbreve, 605. ��Buben, Milan M.: Encyklopedie českých a moravských sídelních biskupů. Praha 2000, 203–205; Matzke, Josef: Die Olmützer Fürstbischöfe. Königstein/Taunus 1974 (Schriftenreihe des Sudetendeutschen Priesterwerkes Königstein/Taunus 19), 42–52; Jedin: Die Krone Böhmen, 442–449; Jungnitz, [Joseph]: Die Breslauer Bischofswahl 1682/83. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 35, 1901, 245–257.
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eines weltlichen Amtsinhabers die schlesische Oberlandeshauptmannschaft. Promnitz, der sich an schlesischen Fürstenhöfen ebenso sicher bewegte wie in Prag oder in Wien, hatte sich als residierender Domherr mehrfach bei diplomatischen Missionen bewährt. Logau schließlich war vor seiner Wahl neben der Prinzenerziehung als königlicher Kommissar auf schlesischen Fürstentagen hervorgetreten. Eine Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang auch der hier unberücksichtigte, weil erst später geadelte Martin Gerstmann nicht: Die Wahl seines Vertrauten zum Breslauer Ordinarius 1574 hatte Maximilian II. mit den Worten kommentiert, das Kapitel hätte keinen wählen können, der ihm „fuisset magis gratus“.47 Das vorrangige Interesse der Habsburger an einer Konsolidierung ihrer Herrschaft in Schlesien, wo die Hoheitsansprüche der mehrheitlich evangelischen Fürsten und Stände nicht über Nacht zu beseitigen waren, ist unverkennbar.48 Auch die Auswahl der Wahlkommissare 1539 und 1562 zeigt deutlich, dass man einen Konsens mit den regionalen Machtträgern anstrebte und jede unnötige Provokation zu vermeiden suchte.49 Die Wahl von 1600 dagegen, die ohnehin noch von einem erst ein Jahr zurückliegenden Konflikt um Landesprivilegien, Nominationsrecht und kirchliche Autonomie überschattet wurde,50 stand erstmals im Zeichen nachtridentinischer Erneuerung: Nicht der reüssierende Breslauer Dompropst Johannes von Sitsch, sondern der für seinen konsequent gegenreformatorischen Kurs bekannte Bischof von Wiener Neustadt, Melchior Klesl, war der Kandidat des Königs gewesen, der als Wahlgesandte bezeichnenderweise – auch dies ein Novum – nur böhmische Adelige berufen hatte.51 Er wisse, hatte Rudolf II. am 15. Juli 1600 dem böhmischen Oberstkanzler Zdenko Adalbert Popel von Lobkowitz nochmals mit Nachdruck mitgeteilt, wie sehr ihm daran liege, dass „die Breßlawische ������������������������������������������������������������������������������������������ „Vestram electionem in Episcopum Wratislaviensem: quod faustum et felix sit!“ Zit. nach JungMartin von Gerstmann, 46. 48 Bahlcke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3), 56–308. 49 Jedin: Die Krone Böhmen, 417–422. 50 Stloukal, Karel: Papežská politika a císařský dvůr pražský na předělu XVI. a XVII. věku. Praha 1925 (Práce z vědeckých ústavů 9), 135–139, 194–196; Jedin: Die Krone Böhmen, 422–431; Köhler: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung, 251–267; Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich; Jungnitz, Joseph: Die Bischofswahl des Bonaventura Hahn 1596. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 34, 1900, 253–288. Das Breslauer Domkapitel wurde von den Fürsten und Ständen daran erinnert, dass aufgrund alter Landesprivilegien keine Fremden in das Bischofsamt gelangen dürften. Das Kapitel hätte „ehrliche Ursache dieselben ratione privilegiorum et pactorum abzulegen“. Das Interesse müsse – und dies unterstreicht einmal mehr die weltliche Stellung des Breslauer Ordinarius – umso größer sein, als dem Bischof das Oberamt übertragen werde, „die höchste Zier dieses Bisthums und das große Kleinod dieser Lande“ (ebd., 256f.). �� Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration, 254–258; Wagner: Johannes von Sitsch, 209– 221; Nägele, Anton: Ein Schwabe in Schlesien vor 400 Jahren. Paul Albert von Radolfzell, Domscholasticus und Fürstbischof von Breslau (1547–1600). In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 55, 1942, 134–201. nitz:
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Grabmal des Breslauer Bischofs Johannes VI. von Sitsch (1552–1608), der im Jahr 1600 vom Domkapitel – gegen den Willen König Rudolfs II. und der von ihm entsandten böhmischen Wahlkommissare – zum Nachfolger des noch vor seiner Bischofsweihe gestorbenen Paul Albert gewählt worden war, in der Pfarrkirche St. Jakobus zu Neisse.
Wahl“ zugunsten Klesls ausgehe.52 Dass sich die stände- und konfessionspolitische Konfrontation weiter vertiefte, zeigte bereits die anschließende Wahl 1608. Erstmals berief man nun einen Habsburger, und nur ein Jahr später wurde auf Betreiben der schlesischen Fürsten und Stände der Bischof vom Amt des schlesischen Oberlandeshauptmanns ausgeschlossen.53 Im mährischen Bistum Olmütz finden wir dagegen sehr viel früher einen Bischofstyp, wie er dem Reformkonzil von Trient entsprach54 – auch wenn ������������ Zit. nach Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration, 259. Zu Klesl vgl. Rainer, Johann: Kardinal Melchior Klesl (1552–1630). Vom „Generalreformator“ zum „Ausgleichspolitiker“. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 59, 1964, 14–35. Als Quellengrundlage vgl. unverändert Hammer-Purgstall, Joseph: Khlesl’s, des Cardinals, Directors des geheimen Cabinetes Kaisers Mathias, Leben, Bd. 1–4. Wien 1847–1851. 53 Köhler: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung, 251–278; ders.: Revision eines Bischofsbildes? Erzherzog Karl von Österreich, Bischof von Breslau (1608–1624) und Brixen (1613–1624), als Exponent der habsburgischen Hausmachtpolitik. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 32, 1974, 103–126. 54 Navrátil, Bohumil (Hg.): Jesuité olomoučtí za protireformace. Akty a listiny z let 1558–1619, Bd. 1: 1558–1590 [mehr nicht erschienen]. Brno 1916; ders.: Biskupství Olomoucké 1576–1579; ders.: Příspěvky k dějinám arcibiskupství Olomouckého. In: Český časopis historický 2, 1896, 135– 146; Breitenbach, Antonín: Příspěvek k dějinám reformace moravského kleru za biskupa Stanislava Pavlovského. In: Časopis Matice moravské 31, 1907, 152–176; Macourek, Vladimír A.: Počátky
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Ferdinand I. noch 1561 ein vernichtendes Urteil über die Wirkungslosigkeit sowohl des Bischofs von Breslau als auch desjenigen von Olmütz fällte.55 Der zügig erfolgende Wandel hin zur katholischen Reform und zur Gegenreformation ist gleichwohl in Mähren unverkennbar. Die Voraussetzungen und Verbindungen, die Grodecký und Pavlovský 1572 beziehungsweise 1579 in Olmütz zum Höhepunkt ihrer Karriere verhalfen, unterschieden sich denn auch erheblich von denen der Breslauer Oberhirten. Der aus einer Teschener Adelsfamilie stammende Johann Grodecký, der wie sein Bruder Wenzel Kanonikate in Breslau und Olmütz sowie zahlreiche weitere Pfründen im gesamten ostmitteleuropäischen Raum erwarb, wurde vor allem durch zwei Personen protegiert: durch Kardinal Hosius, den er zum Trienter Konzil begleitet hatte, und durch den ihm eng verbundenen Olmützer Bischof Wilhelm Prusinovský, den Grodecký während seiner Studienzeit in Padua und Rom kennengelernt hatte.56 Ähnlich ausgeprägt waren die römischen Kontakte bei seinem Verwandten Stanislaus Pavlovský.57 Beide wirkten eng zusammen: Während Pavlovský beispielsweise an der Kurie die päpstliche Bestätigung Grodeckýs als Bischof von Olmütz betrieb, setzte dieser sich dafür ein, dass sein Landsmann das damit vakante Breslauer Domkanonikat erhielt. Die Sicherheit, mit der sich beide in Oberschlesien an der Sprachgrenze aufgewachsenen Kleriker im deutsch-tschechisch-polnischen Milieu bewegten und bewährten, sollte kein späterer Ordinarius mehr erlangen.58 katolické restaurace na Moravě za biskupa Prusinovského (1565–1572). In: Sborník Historického kroužku 28, 1927, 42–48, 96–102; 29, 1928, 69–73, 122–128; 30, 1929, 59–61, 113–121; 31, 1930, 27–33, 102–109, 175–183; 32, 1931, 8–13, 79–86, 196–201, 264–268; 33, 1932, 19–28, 83–87, 133–138, 199–202; 34, 1933, 28–32, 73–83; Eberhard, Winfried: Entwicklungsphasen und Probleme der Gegenreformation und katholischen Erneuerung in Böhmen. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 84, 1989, 235–257; ders.: (Erz-) Bistum Olmütz. In: Gatz (Hg.): Die Bistümer, 510–528; Bahlcke, Joachim: Kontinuität und Wandel im politischen Selbstverständnis der katholischen Geistlichkeit Mährens (1580–1640). In: Skutil, Jan (Hg.): Morava a Brno na sklonku třicetileté války. Praha/Brno 1995, 84–98; Zemek, Metoděj: Das Olmützer Domkapitel. Seine Entstehung und Entwicklung bis 1600. In: Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien 9, 1988, 66–86; 10, 1989, 58–88; 11, 1990, 72–91; 12, 1993, 49–73. �������������������������������������������������������������������������������������������� Am 22. Juli 1561 schrieb der Wiener Nuntius Zaccaria Delfino an Kardinal Carlo Borromeo: „quanto alla Slesia et Moravia nelle quali due latissime provincie non sono più che due vescovi cioè Olomucense in Moravia et Waratislaviense in Slesia, disse S. Mtà il vero, cioè che quello di Waratislavia era decrepito et quasi sempre briaco, et questo de Olomuc stupido.“ Zit. nach Zela, Stanislav: Náboženské poměry v Olomouci za biskupa Marka K uena (1553–1565). Olomouc 1931, 146f. 56 Wojtyska, Henry Damian: Cardinal Hosius Legate to the Council of Trent. Rome 1967 (Studia ecclesiastica 3); Steinhuber, Andreas: Geschichte des Collegium Germanicum-Hungaricum in Rom, Bd. 1–2. Freiburg im Breisgau 21906, hier Bd. 1, 333f.; Brzoska: Bischöfe der katholischen Kirche, 29; Navrátil, Bohumil: Vilém Prusinovský do roku 1565. In: Český časopis historický 5, 1899, 205–216. 57 Pánek: Mezi Olomoucí a Řimem, 311–323; Brzoska: Bischöfe der katholischen Kirche, 29f. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Exemplarisch sei hier lediglich auf das literarische Wirken des aus Masowien gebürtigen, lange Jahre in Mähren tätigen Historikers Bartoloměj Paprocký verwiesen, der in besonderer Weise vom Olmützer Bischof Pavlovský gefördert und protegiert wurde. Vgl. Krejčí, Karel: Bartoloměj
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Synode des katholischen Klerus Mährens im Jahr 1591 unter Vorsitz des aus Oberschlesien gebürtigen Adeligen Stanislaus Pavlovský von Pavlovitz (†1598), der als Olmützer Bischof in religiöser wie in politischer und kultureller Hinsicht eine wichtige Vermittlerfunktion zwischen den böhmischen Ländern und Polen-Litauen innehatte.
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4. Aufstieg in den Episkopat außerhalb Schlesiens Anders als Grodecký und Pavlovský brachten die aus dem Oderland gebürtigen vier Aristokraten, die zwischen 1650 und 1740 ebenfalls nur außerhalb Schlesiens auf einen Bischofsstuhl gelangten, keine vergleichbaren sprachlich-kulturellen Voraussetzungen mit. Die Liechtenstein-Kastelkorn (die mit den österreichischen Herren und späteren Fürsten von Liechtenstein nicht verwandt waren) und die Althann entstammten hochadeligen Familien, die ihre zentralen Lebensinteressen ursprünglich nicht in Schlesien hatten, sondern dort erst im Zusammenhang mit dem politisch-konfessionellen Umbruch zu Anfang des 17. Jahrhunderts ansässig geworden waren.59 Der Vater des 1623 in Glatz geborenen Karl von Liechtenstein-Kastelkorn, der zahlreiche Kanonikate im erbländischen Bistumsverband besaß und in Olmütz schließlich in den Episkopat aufstieg, hatte zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges als kaiserlicher General die Grafschaft erobert, seinen durch konfiszierte Güter entstandenen Territorialbesitz dort aber nicht ausgebaut.60 Das ursprünglich aus Südtirol stammende Geschlecht, das gerade in Mähren hervorragend im politischen System vernetzt war, besaß zu dieser Zeit bereits eine geistliche Tradition: Karls Onkel Johann Christoph war 1624 Bischof des Salzburger Eigenbistums Chiemsee geworden, mehrere Verwandte besaßen innerhalb der habsburgischen Länder darüber hinaus Domkanonikate. Die Erhebung Karls in Olmütz 1665, die zeitlich zugleich das Ausscheiden Paprocki z Hlohol a Paprocké Vůle. Život – dílo – forma a jazyk. Praha 1946 (Práce Slovanského ústavu v Praze 17); Gmiterek, Henryk/Sobotková, Marie: Otázniky kolem Zrcadla slavného Markgrabství moravského Bartoloměje Paprockého z Hlohol a Paprocké Vůle. In: Česká literatura. Časopis prio literární vědu 35, 1987, 258–261; Sobotková, Marie: Olomouc u Šimona Ennia Klatovského a Bartoloměje Paprockého z Hlohol a Paprocké Vůle. In: Středisko. Sborník Vlastivědné společnosti muzejní v Olomouci 63, 1977, 76–83; Šimák, Josef V.: České dějiny u Bartol. Paprockého. In: Časopis Společnosti přátel starožitnosti českých 30, 1922, 46–53; Sedláček, August: Úvahy o Zrcadle Paprockého. In: Časopis Matice moravské 31, 1907, 18–30, 204–219; Jireček, Josef: Bartoloměj Paprocký z Hlohol a z Paprocké Vůle a spisovatelská činnost jeho. In: Časopis Českého musea 40, 1866, 3–34; Kersken, Norbert: Entwicklungslinien der Geschichtsschreibung Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung in den ostmitteleuropäischen Ständegesellschaften (1500–1800). Berlin 2002 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 28), 19–53. �� Maťa, Petr: Svět české aristokracie (1500–1700). Praha 2004, 500–507, 873–878; Evans: Das Werden der Habsburgermonarchie, 151–175, 357–365; Bílek, Tomáš V.: Dějiny konfiskací v Čechách po r. 1618, Bd. 1–2. Praha 1882–1883; Hauser, Wilhelm: Das Geschlecht derer von Althann. Phil. Diss. Wien 1949; ders.: Die Grafen von Althann, der österreichische Zweig der schwäbischen Herren von (Donau-) Altheim. In: Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen an der Donau 71, 1969, 97–123. Zur familiären Überlieferung und Erinnerungskultur vgl. auch die Angaben bei Zíbrt, Čeněk: Bibliografie české historie, Bd. 1–5. Praha 1900–1912, hier Bd. 1, 286, 436f. ��Herzig, Arno: Reformatorische Bewegungen und Konfessionalisierung. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in der Grafschaft Glatz. Hamburg 1996 (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 1), 101–125.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Der aus der Grafschaft Glatz gebürtige Michael Friedrich von Althann (1680– 1734) stieg 1718 über das ungarische Bistum Waitzen in den Episkopat auf. Trotz guter Beziehungen zum Wiener Hof und Mitgliedschaft im Breslauer Domkapitel gelang ihm die angestrebte Translation auf den schlesischen Bischofsstuhl nicht.
des Erzhauses Habsburg aus der Reichs- und österreichischen Landeskirche markierte, blieb nicht der letzte Erfolg des in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgestorbenen Geschlechts: Ein Großneffe Karls, der aus der Nähe von Sprottau gebürtige Jakob Ernst, gelangte über die Stationen Seckau und Olmütz 1745 sogar bis auf den erzbischöflichen Stuhl von Salzburg. Eine direkte Patronage innerhalb der bischöflichen Dignitäten ist zu vermuten, wenn auch nur selten nachweisbar – beispielsweise beim Kanonikat, das erst Bischof Karl einem Großneffen in Olmütz verschaffte und das dann, durch Verzicht freigeworden, unmittelbar an dessen Bruder Jakob Ernst gelangte.61 Nicht über Kanonikate und Bischofswahl, sondern über Hofdienste und Nomination vollzog sich der Werdegang Michael Friedrichs und seines Neffen Michael Karl von Althann, die 1718 beziehungsweise 1734 an die Spitze der westungarischen Diözese Waitzen gelangten.62 Auch die aus Schwaben �� Válová, Kateřina: Curia episcopalis Olomucensis v raném novověku. Olomouc 2002; Pavličková, Radmila: Sídla olomouckých biskupů. Mecenáš a stavebník Karel z LiechtensteinuCastelcorna 1664–1695. Olomouc 2001 (Knižnice Verbum 4); Zuber, Rudolf: Vývoj metropolitní kapituly v Olomouci v 18. století. In: Duchovní pastýř 30, 1981, 102–106, 115–120, 131–135; Seidenschnur, Wilhelmine: Die Salzburger Eigenbistümer in ihrer reichs-, kirchen- und landesrechtlichen Stellung. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 9, 1919, 177–287; Wolf: Reichskirchenpolitik, 55–57. 62 Karcsú, Antal Arzén: A váczi egyházmegye általános, s a püspöki lakok története és a püspökök életrajzai az első főpásztortól Peitler Antal Józefig bezárólag. (1036–1885). Vácz 1885, 190–206; Nagy/Klekner: A két Althann váci püspöksége; Chobot, Ferenc: A váci egyházmegye történeti névtára, Bd. 1–2. Vácz 1915–1917, hier Bd. 2, 611–624; Zuber: Osudy moravské církve v 18. století, 49–76; Magyar Katolikus Lexikon, Bd. 1. Budapest 1993, 200f.
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gebürtigen Althann, die bis etwa 1600 protestantisch waren und sich dann zu einem der für das habsburgische 17. Jahrhundert typischen gesamtösterreichischen, in allen Ländergruppen begüterten Adelsgeschlecht entwickelten, hatten von dem gewaltigen Güterwechsel in den böhmischen Ländern nach 1620 profitiert und Besitz in Schlesien erworben. Michael Friedrich von Althann, wie alle Liechtenstein-Kastelkorn ebenfalls Mitglied des exklusiven Olmützer Domkapitels und über diese Funktion mit der Politik in Berührung gelangt, vertrat als Diplomat die Interessen des Hauses Habsburg am Apostolischen Stuhl – als Auditor des päpstlichen Gerichtshofs wurde er aufgrund der dort notwendigen Repräsentationskosten wie üblich nach einigen Jahren mit einem Bistum entschädigt. Waitzen war in diesem Fall das Einstiegsbistum für den österreichischböhmischen Hochadel in Ungarn schlechthin. Auch den Kardinalspurpur verdankte Michael Friedrich von Althann ausschließlich der Patronage Wiens. Dass er trotz eigener Bestrebungen gleichwohl nicht über ein letztlich peripheres Suffraganbistum hinauskam, war eine Folge seines völligen Zerwürfnisses mit dem Hof. Immerhin konnte die Familie den Waitzener Bischofsstuhl für einen Neffen des Kardinals sichern – es blieb der einzige Fall, in dem ein Adelsgeschlecht nacheinander zwei Mitglieder für ein und denselben Bischofsstuhl im ungarischen Primatialverband stellte.63
5. Forschungsperspektiven Einer sozialgeschichtlichen Untersuchung über Herkunft und Werdegang zumindest der kirchlichen Elite, wie sie für andere Teile Europas teilweise seit Jahrzehnten vorliegt, stellen sich in Schlesien gleich mehrere Hindernisse in den Weg. Während zum schlesischen Adel des Mittelalters quellennahe und methodisch innovative Einzeluntersuchungen und Synthesen sowohl von der polnischen als auch von der deutschen Geschichtswissenschaft vorgelegt werden konnten,64 stellt die Erforschung der frühneuzeitlichen Aristokratie des Oderlandes in beiden Nationalhistoriographien seit langem ein Desiderat der Forschung dar65 – eine moderne Gesamtdarstellung, wie sie der tschechi��Bahlcke: Ungarischer Episkopat, 112–150. ����������������������������� Hier sei nur verwiesen auf Jurek, Tomasz: Obce rycerstwo na Śląsku do połowy XIV wieku. Poznań 1996 (Poznańskie Towarzystwo Przyjaciół Nauk, Komisja Historyczna: Prace Komisji Historycznej 54); Schmilewski, Ulrich: Der schlesische Adel bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Herkunft, Zusammensetzung und politisch-gesellschaftliche Rolle. Würzburg 2001 (Wissenschaftliche Schriften des Vereis für Geschichte Schlesiens 5). 65 Conrads, Norbert: Adelsgeschichte. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft. Köln/Weimar/Wien 2005 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 11), 347–381.
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sche Historiker Petr Maťa 2004 für den böhmischen Adel vorgelegt hat,66 wird angesichts fehlender Vorarbeiten noch lange Zeit nicht geschrieben werden können. In einschlägigen Studien zur frühneuzeitlichen Reichskirche wie Stephan Kremers verdienstvoller Untersuchung der kirchlichen Führungsschicht in den 26 Reichsbistümern zwischen Westfälischem Frieden und Säkularisation wird das Bistum Breslau trotz enger personeller und politischer Verflechtungen zum Heiligen Römischen Reich vollständig ausgeklammert.67 Umgekehrt werden aber auch andere Raumbezüge kaum einmal ernsthaft ins Auge gefasst, sieht man von den zahlreichen, in ihrer Mehrheit den Phasen der deutsch-polnischen Beziehungs- und Konfliktgeschichte folgenden Veröffentlichungen zum Verhältnis zwischen Gnesen und Breslau68 oder Einzelstudien etwa zur luxemburgischen Bistumspolitik in den böhmischen Ländern69 ab. Es scheint das Schicksal von Vielvölkerstaaten zu sein, dass sie von den modernen, in Konkurrenz zueinander entwickelten Nationalhistoriographien der sogenannten Nachfolgestaaten nur bruchstückhaft wahrgenommen werden. Ein nicht gering zu veranschlagendes Hindernis stellt schließlich die (katholische) Kirchengeschichtsschreibung dar. Nach dem Urteil von Thomas Wünsch sind spezifische kulturelle Rahmenbedingungen dafür verantwortlich, dass sich die „Prädominanz einer kirchenzentrierten und theologisch motivierten Behandlung der Religionsgeschichte im Fall Schlesien“ besonders markant auswirkte und noch immer auswirkt: „Ein Grund dafür ist sicherlich in der besonderen Stellung der Kirche nach den Schlesischen Kriegen und schließlich in den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert zu sehen, die erst mit der Errichtung der Zweiten Polnischen Republik nach 1918 überwunden wurden. Im 20. Jahrhundert haben dann die besonderen Forschungsprioritäten in sozialistischer Zeit dazu geführt, daß in Schlesien (wie in ganz Polen) die für religionsgeschichtliche Fragestellungen unabdingbare ‚Vergesellschaftung‘ von Religion und Konfession lange Zeit nicht wissenschaftlich nachvollzogen wurde.“70 Bei der Frage, warum die Präsenz des schlesischen Adels in Spitzenstellungen der hierarchia catholica innerhalb wie außerhalb Schlesiens nach 66 Maťa: Svět české aristokracie. 67 Kremer: Herkunft und Werdegang; Schnettger, Matthias: Der Kaiser und die Bischofswahlen. Das Haus Österreich und die Reichskirche vom Augsburger Religionsfrieden bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Duchhardt, Heinz/Schnettger, Matthias (Hg.): Reichsständische Libertät und habsburgisches Kaisertum. Mainz 1999 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz 48: Abt. Universalgeschichte), 213–255. ��������������� Vgl. Anm. 12. 69 Hölscher, Wolfgang: Kirchenschutz als Herrschaftsinstrument. Personelle und funktionale Aspekte der Bistumspolitik Karls IV. Warendorf 1985 (Studien zu den Luxemburgern und ihrer Zeit 1); Schmidt: Kirche, Staat, Nation, 204–208. 70 Wünsch, Thomas: Religionsgeschichte. In: Bahlcke (Hg.): Historische Schlesienforschung, 185–206.
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Einzig den Schaffgotsch – der älteren schlesischen und der jüngeren böhmischen Linie – gelang es, der eigenen Familie während des 18. und 19. Jahrhunderts drei Bischofsstühle an deren regionalen Lebenszentren zu sichern. Der hier (in der Bildmitte unten) im Kreis der Brünner Oberhirten zu sehende Johann Anton Ernst von Schaffgotsch (1804–1870), Neffe des Budweiser Bischofs Johann Prokop von Schaffgotsch, stieg 1841 allerdings zu einem Zeitpunkt in den Episkopat auf, als die große Zeit der Kirchenfürsten aristokratischer Herkunft in den österreichischen Diözesen bereits der Vergangenheit angehörte.
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1500 stark rückläufig war, wird man zunächst den Blick auf die spätmittelalterliche Entwicklung des Bistums Breslau und dessen sich wandelnde Raumbeziehungen richten müssen. Weitere Gründe sind stärker sozial- und kulturgeschichtlich in den Positionierungen und Sozialstrategien der einzelnen Adelsfamilien zu suchen, die sich mit der Reformation mehrheitlich von der römischen Kirche abwandten und später selbst nach Konversion beziehungsweise Rekatholisierung innerhalb der kirchlichen Führungsschicht in bestimmten Segmenten von auswärtigen Gruppen verdrängt blieben.71 Einzig den schlesisch-böhmischen Schaffgotsch sollte es im 18. und 19. Jahrhundert – freilich unter strukturell besonderen Voraussetzungen – gelingen, der eigenen Familie gleich drei Bischofsstühle zu sichern. Stärker als bisher sind gerade bei dieser mittleren Ebene zwischen großräumiger Kirchenpolitik regierender Dynastien und kirchlichen Einzelgestalten auch die nicht realisierten Karrieren in Blick zu nehmen. Die Chancen des regionalen Adels, in Breslau oder andernorts die Mitra zu erlangen, waren in hohem Maße abhängig von den sich in Mittelalter und Früher Neuzeit wenn auch nicht rechtlich, so doch faktisch wandelnden kirchlichen Raumstrukturen und politisch-dynastischen Rahmenbedingungen. Das auch während der Frühen Neuzeit in einer spezifischen Zwischenstellung verharrende Bistum Breslau sollte nicht einseitig aus dem ostmitteleuropäischen Kontext gelöst und in den Gesamtzusammenhang der Reichskirche gestellt werden. Die habsburgische Reichskirchenpolitik folgte eigenen Gesetzen, die mit der Integrations- und Elitenpolitik im eigenen Herrschaftsbereich nicht notwendigerweise deckungsgleich war.
71 Pater, Józef: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku. Ustrój – skład osobowy – działalność. Wrocław 1998 (Papieski Fakultet Teologiczny we Wrocławiu. Rozprawy naukowe 23), 40–51, 77–92.
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Religiöse Kommunikation, Reisediplomatie und politische Lagerbildung. Zur Bedeutung des reformierten Theologen Abraham Scultetus für die Beziehungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz um 1600 1. Annäherungen an eine Zentralgestalt des mitteleuropäischen Reformiertentums Abraham Scultetus, 1566 im niederschlesischen Grünberg geboren und seit seinem Studium in Heidelberg in vielfältiger Form an dessen religiöser, kultureller und politischer Entwicklung zum ‚Dritten Genf‘ beteiligt, stand als Kirchenrat und Hofprediger mehr als zwei Jahrzehnte an der Spitze der reformierten Kirche der Kurpfalz. Vor allem der südwestdeutschen Landes- und Kirchengeschichte, aber auch der theologischen und literaturwissenschaftlichen Forschung ist der gebürtige Schlesier, den es in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wie viele seiner philippistisch-calvinistisch orientierten Landsleute in den kurpfälzischen Kirchen- und Staatsdienst zog, kein Unbekannter, auch wenn es bis zur Gegenwart überraschenderweise keine moderne Biographie dieser Zentralgestalt des mitteleuropäischen Reformiertentums gibt.1 Über den Anteil, den Scultetus an den regen Beziehungen der pfälzischen Wittelsbacher zur Schweiz, zu den Niederlanden und zu England besaß, auf denen die Blütezeit des Calvinismus in Heidelberg und der Kurpfalz weitgehend beruhte,2 ist sich die Forschung ebenso einig wie über seine Bedeutung 1 Die dichteste Beschreibung von Leben und Werk stammt unverändert von Benrath, Gustav Adolf: Abraham Scultetus (1566–1624). In: Baumann, Kurt (Hg.): Pfälzer Lebensbilder, Bd. 2. Speyer 1970, 97–116. Benrath hatte sich in den Vorjahren intensiv mit der reformierten Kirchengeschichtsschreibung an der Universität Heidelberg – dieses Thema war Gegenstand einer 1959 von der Theologischen Fakultät der dortigen Alma mater als Dissertation angenommenen Studie – sowie mit der Autobiographie von Scultetus beschäftigt. Vgl. ders.: Reformierte Kirchengeschichtsschreibung an der Universität Heidelberg im 16. und 17. Jahrhundert. Speyer am Rhein 1963 (Veröffentlichungen des Vereins für pfälzische Kirchengeschichte 9); ders. (Hg.): Die Selbstbiographie des Heidelberger Theologen und Hofpredigers Abraham Scultetus (1566–1624). Karlsruhe 1966 (Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evang. Landeskirche in Baden 24). Auf diesen Arbeiten basieren alle späteren Einträge in den einschlägigen biographischen Nachschlagewerken. Rezeptionsgeschichtlich bedeutsam sind die älteren Biogramme bei [Peucker, Johann Georg]: Kurze biographische Nachrichten der vornehmsten schlesischen Gelehrten, die vor dem achtzehnten Jahrhundert gebohren wurden, nebst einer Anzeige ihrer Schriften. Grottkau 1788, 123–125; Bayle, Pierre: Dictionnaire historique et critique, Bd. 4. Basel 1741, 180–183, sowie die deutsche Übersetzung (Bayle, Peter: Historisches und Critisches Wörterbuch [...], Bd. 4. Hg. v. Johann Christoph Gottsched. Leipzig 1744, 186–189). 2 Zu den Außenbeziehungen der Kurpfalz vgl. Rüde, Magnus: England und Kurpfalz im werdenden
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für die Ausformung und Profilierung der pfälzischen Kirche, die im Heiligen Römischen Reich bis zum Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges kontinuierlich an Prestige und Autorität gewinnen konnte.3 Scultetus habe, um es mit den Worten seines wichtigsten Biographen, Gustav Adolf Benrath, auszudrücken, als „einer der führenden Theologen an der Gestaltung des Kirchenwesens und der Konfessionspolitik seines Landes vor dem Dreißigjährigen Krieg maßgeblichen Anteil“ gehabt.4 Entsprechend häufig findet sich sein Name in nahezu sämtlichen Abhandlungen, die der politischen, religiösen und kulturgeschichtlichen Entwicklung der Kurpfalz in den Jahrzehnten um 1600 gelten. Eine vergleichbare Hochschätzung findet man bei der Bewertung der homiletischen, patristischen, exegetischen und kirchenhistorischen Werke des produktiven Theologen, der kurzzeitig auch die alttestamentliche Professur an der Heidelberger Universität innehatte.5 Wie sehr Scultetus schließlich darüber hinaus in der Welt der Heidelberger Gelehrten- und Dichterkreise beheimatet und vernetzt war, wird durch eine beeindruckende Fülle literatur- und kulturwissenschaftlicher Studien unterstrichen, von denen nur stellvertretend der im Jahr 2011 von Wilhelm Kühlmann und anderen Fachkennern vorgelegte Kurpfalz-Band aus der Reihe Die deutschen Humanisten. Mächteeuropa (1608–1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen. Stuttgart 2007 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 166); Zwierlein, Cornel A.: Heidelberg und „der Westen“ um 1600. In: Strohm, Christoph/Freedman, Joseph S./Selderhuis, Herman J. (Hg.): Späthumanismus und reformierte Konfession. Theologie, Jurisprudenz und Philosophie in Heidelberg an der Wende zum 17. Jahrhundert. Tübingen 2006 (Spätmittelalter und Reformation N.R. 31), 27–92; Clasen, Claus-Peter: The Palatinate in European History 1555–1618. Oxford 21966 [11963]. 3 Zur Entwicklung der pfälzischen reformierten Kirche zwischen 1560 und 1620 vgl. Wolgast, Eike: Reformierte Konfession und Politik im 16. Jahrhundert. Studien zur Geschichte der Kurpfalz im Reformationszeitalter. Heidelberg 1998 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 10); Hepp, Frieder: Religion und Herrschaft in der Kurpfalz um 1600. Aus der Sicht des Heidelberger Kirchenrates Dr. Marcus zum Lamm (1544–1606). Heidelberg 1993 (Buchreihe der Stadt Heidelberg 4). 4 Benrath: Scultetus, 97. 5 Backus, Irena: The Bible and the Fathers according to Abraham Scultetus (1566–1624) and André Rivet (1571/73–1651). The case of Basil of Caesarea. In: Steinmetz, David C. (Hg.): Die Patristik in der Bibelexegese des 16. Jahrhunderts. Wiesbaden 1999 (Wolfenbütteler Forschungen 85), 231– 258; dies.: Irenaeus, Calvin and Calvinist Orthodoxy: The Patristic Manual of Abraham Scultetus (1598). In: Reformation and Renaissance Review 1/1, 1999, 41–53; Selderhuis, Herman J.: Eine attraktive Universität. Die Heidelberger Theologische Fakultät 1583–1622. In: ders./Wriedt, Markus (Hg.): Bildung und Konfession. Theologenausbildung im Zeitalter der Konfessionalisierung. Tübingen 2006 (Spätmittelalter und Reformation N.R. 27), 1–30; ders.: Ille Phoenix: Melanchthon und der Heidelberger Calvinismus 1583–1622. In: ders./Frank, Günter (Hg.): Melanchthon und der Calvinismus. Stuttgart/Bad Cannstatt 2005 (Melanchthon-Schriften der Stadt Bretten 9), 45–59; Axmacher, Elke: Praxis Evangeliorum. Theologie und Frömmigkeit bei Martin Moller (1547–1606). Göttingen 1989 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 43), 52–56; Benrath: Reformierte Kirchengeschichtsschreibung, 16–37; Goudriaan, Aza/van Lieburg, Fred (Hg.): Revisiting the Synod of Dordt (1618–1619). Leiden/Boston 2011 (Brill’s series in church history 49); Drüll, Dagmar: Heidelberger Gelehrtenlexikon 1386–1651. Berlin u.a. 2002, 498f.
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Abraham Scultetus (1566–1624), Kupferstich von Cornelis Koning aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit genannt werden soll.6 Was freilich für die Macht- und Konfessionspolitik der Kurpfalz an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert im Allgemeinen gilt, das gilt auch für die Person von Scultetus im Besonderen: Der Blick ist in sehr viel höherem Maß auf den Westen als auf den Osten des Kontinents gerichtet. Weder wurden eigene Forschungsanstrengungen in dieser Richtung unternommen noch einschlägige Untersuchungen aus den Staaten Ostmittel- und Osteuropas rezipiert. Dies gilt selbst für verdienstvolle Quellensammlungen, die – die Erfahrung des slavica non leguntur berücksichtigend – eigens in westlichen Sprachen kommentiert wurden.7 Die asymmetrische Behandlung der Thematik erstaunt zum einen, weil die spezifische Internationalität des europäischen 6 Kühlmann, Wilhelm u.a. (Hg.): Die Deutschen Humanisten. Dokumente zur Überlieferung der antiken und mittelalterlichen Literatur in der Frühen Neuzeit, Abt. I: Die Kurpfalz, Bd. 3: Jacobus Micyllus, Johannes Posthius, Johannes Opsopoeus und Abraham Scultetus. Turnhout 2010 (Europa humanistica 9), 295–614. Eine Frucht dieses Großunternehmens ist die Skizze von El Kholi, Susann: Schlesisch-pfälzische Beziehungen am Beispiel des Heidelberger Theologen Abraham Scultetus (24.8.1566 – 24.10.1624). In: Bandini, Ditte/Kronauer, Ulrich (Hg.): 100 Jahre Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Früchte vom Baum des Wissens. Heidelberg 2009, 223–227. 7 Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist Hrubý, František: Etudiants tchèques aux écoles protestantes de l’Europe occidentale à la fin du 16e et au début du 17e siècle. Documents. Bearb. v. Libuše Urbánková-Hrubá. Brno 1970 (Spisy University J. E. Purkyně v Brně 152).
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Calvinismus, sein grenzüberschreitender Charakter und die hohe Mobilität seiner Prediger und Anhänger, seit langem bekannt sind und diese Beobachtungen auch für die Kurpfalz schon vor Jahrzehnten fruchtbar gemacht wurden.8 Es überrascht zum anderen, weil Scultetus aus Schlesien nach Heidelberg gekommen war und insofern ein genauerer Blick auf diese Verbindung – auf „den Brückenschlag zwischen seiner ersten, der schlesischen, und seiner zweiten Heimat, der Pfalz, mitsamt den hundert und aberhundert günstigen Möglichkeiten, die sich daraus zu ergeben schienen“,9 wie es Benrath bereits vor mehr als vier Jahrzehnten formulierte – nahegelegen hätte. Fachgeschichtliche, aber auch und vor allem außerwissenschaftliche Gründe führten nach 1945 zu einer weitgehenden Marginalisierung historischer Forschungen über den Raum zwischen Ostsee und Adria. Es ist bezeichnend, dass der Aufsatz, der in der deutschen Geschichtsschreibung über den eben genannten „Brückenschlag“ regelmäßig an vorderster Stelle zitiert wird, bereits 1929 im Druck erschienen ist. Gustav Hecht, ein aus der Nähe von Heidelberg gebürtiger und zu jener Zeit bereits pensionierter Oberregierungsrat im badischen Innenministerium, hatte zwar für seinen Beitrag Schlesischkurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert die vorhandene Literatur sorgfältig ausgewertet, aber nur sehr begrenzt eigene Quellenstudien betrieben und insofern wenig Neues präsentiert.10 Gerade mit Blick auf die Quellen stand schon die nächste Generation vor erheblichen Schwierigkeiten: Wichtige Bestände wurden im Zweiten Weltkrieg vernichtet, viele Sammlungen blieben lange Zeit unzugänglich; erhaltenes Archivgut wurde verstreut und musste erst langsam wieder zusammengeführt und geordnet werden.11 Auch wenn man in einzelnen historischen Teildisziplinen seit der politischen Wende von 1989/91 neue, kräftige Forschungsimpulse feststellen kann: 8 Prestwich, Minna (Hg.): International Calvinism, 1541–1715. Oxford 1985, dort besonders – auch zur Rolle von Scultetus – Evans, R[obert] J. W.: Calvinism in East Central Europe: Hungary and Her Neighbours, 167–196. Weitgehend unbeachtet blieb der dritte, postum erschienene Teilband des bahnbrechenden Werkes über die kulturhistorische Bedeutung des Calvinismus von Schelven, A[art] A. van: Het Calvinisme gedurende zijn bloeitijd. Zijn uitbreiding en cultuurhistorische betekenis, Bd. 3: Polen – Bohemen – Hongarije en Zevenburgen. Amsterdam 1965. Zitiert wird allenfalls ders.: Der Generalstab des politischen Calvinismus in Zentraleuropa zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. In: Archiv für Reformationsgeschichte 36, 1939, 117–141. 9 Benrath: Scultetus, 109. �� Hecht, G[ustav]: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 42, 1929, 176–222. Zum Autor vgl. Ruck, Michael: Hecht, Gustav Heinrich, Dr. iur. In: Angerbauer, Wolfram (Hg.): Die Amtsvorsteher der Oberämter, Bezirksämter und Landratsämter in Baden-Württemberg 1810 bis 1972. Stuttgart 1996, 307. ������������ Vgl. etwa Alabrudzińska, Elżbieta/Jasiński, Grzegorz/Krajewska, Hanna (Bearb.): Dzieje protestantyzmu w Polsce. Przewodnik archiwalny/Geschichte des Protestantismus in Polen. Archivführer. Toruń 2001. Nicht mehr verfügbar sind selbst viele jüngere Hochschulschriften, so beispielsweise – bis auf einen zweiseitigen Auszug – die bis in die jüngste Zeit zitierte theologische Dissertation von Jeroschewitz, Adolf: Der Übertritt der Burggrafen zu Dohna zum reformierten Bekenntnis. Königsberg i. P. 1920.
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Vorhandene Wissensbestände müssen erst mühsam neu erarbeitet werden, und einmal abgerissene Forschungstraditionen sind kaum jemals wieder herzustellen und mit Leben zu füllen.12 Immerhin tauchen lange Jahrzehnte als verschollen geglaubte Bestände gelegentlich wieder auf. So schrieb Gustav Adolf Benrath beispielsweise 1966 über die aus der älteren Forschung bekannten Briefe von Scultetus an Fabian den Älteren, Abraham, Achatius und Christoph von Dohna: „Diese Schriftstücke müssen seit 1945 als vernichtet gelten.“13 Diese Korrespondenzen sind jedoch nicht vernichtet worden. Teile des Fürstlichen Hausarchivs Dohna-Schlobitten – und mit ihnen der genannte Briefwechsel – gelangten 1991 in das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin und sind dort mit Genehmigung des Eigentümers, der Familie, benutzbar.14 Was Abraham Scultetus betrifft, so ist uns nur eine Episode aus seinem Leben näher vertraut, die unmittelbar mit der Politik- und Religionsgeschichte Ostmitteleuropas zu tun hat. Es handelt sich, wie nicht anders zu erwarten, um die Ereignisse in Prag 1619/20, die Wahl und Krönung des pfälzischen Kurfürsten Friedrich V. zum böhmischen König und die kurze Herrschaft dieses reformierten Monarchen in den Ländern der Wenzelskrone, die mit der Schlacht am Weißen Berg bei Prag am 8. November 1620 faktisch ihr Ende fand.15 Die Bewertungen über die Rolle von Scultetus bei diesen auch in der Fachliteratur unvermindert als „böhmisches Abenteuer“ bezeichneten, mithin in Wahrnehmungs- und Deutungskategorien der jeweiligen Konfliktparteien zu Anfang des 17. Jahrhunderts beschriebenen Ereignissen gehen freilich weit auseinander.16 Besonders die Fragen, welchen politischen Ein��Bahlcke, Joachim: Historische Schlesienforschung zwischen nationaler Verengung und disziplinärer Weitung. In: ders. (Hg.): Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft. Köln/ Weimar/Wien 2005 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 11), IX–XX. Größten Respekt muss man in diesem Zusammenhang den buch-, kultur- und literaturwissenschaftlichen Arbeiten Klaus Garbers zollen. Vgl. exemplarisch Garber, Klaus: Das alte Buch im alten Europa. Auf Spurensuche in den Schatzhäusern des alten Kontinents. München 2006. ��Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 7 Anm. 24. �� Dietsch, Ute (Bearb.): Familienarchive und Nachlässe im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz. Ein Inventar. Berlin 2008 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Arbeitsberichte 8), 26–28 s.v. Dohna (-Schlobitten), Fürstliches Hausarchiv; Bömelburg, Hans-Jürgen: Reformierte Eliten im Preußenland: Religion, Politik und Loyalitäten in der Familie Dohna (1560–1660). In: Archiv für Reformationsgeschichte 95, 2004, 210–239, hier 211f., 228f. �� Bahlcke, Joachim: Falcko-české království (Motivy a působení zahraničněpolitické orientace Falce od české královské volby po ulmskou smlouvu 1619–1620). In: Časopis Matice moravské 111, 1992, 227–251; ders.: 1620 – Schlacht am Weißen Berg bei Prag: Ursachen, Verlauf und Folgen des Zusammenstoßes von ständischer Libertät und monarchischer Autorität. In: Scheutz, Martin/Strohmeyer, Arno (Hg.): Von Lier nach Brüssel. Schlüsseljahre österreichischer Geschichte (1496–1995). Innsbruck/Wien/Bozen 2010, 79–97. ������������������������������������������������������������������������������������������� Der Topos des „böhmischen Abenteuers“ wird nur noch von dem ebenfalls in die Fachsprache übernommenen Kampfbegriff „Winterkönig“, der auf die zeitgenössische Propaganda der Jesuiten zurückgeht, übertroffen. Vgl. Westphal, Jörn Robert: Die Darstellung von Unrecht in Flugblät-
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fluss der Schlesier am Heidelberger Hof besaß und welchen Anteil er ganz konkret an der Entscheidung des pfälzischen Kurfürsten zur Annahme der böhmischen Krone hatte, erregen seit jeher die Gemüter. „Jamais homme n’a été déchiré plus cruellement que lui par les médisances de ses ennemis“, urteilte bereits Pierre Bayle, „les prémieres Satires fraièrent le chemin aux suivantes; ce fut une boule de neige qui alla toûjours en augmentant.“17 Folgt man der zeitgenössischen politischen Publizistik, die – bezogen auf die drei Kriegsjahrzehnte – in den Jahren 1619 bis 1621 quantitativ wie qualitativ einen außergewöhnlichen Höhepunkt erlebte,18 so war Abraham Scultetus eine der maßgeblichen Figuren und Entscheidungsträger der Pfälzer Offensivpolitik, die 1619 im böhmischen Königtum Friedrichs V. und damit in einer unumgänglichen Konfrontation mit dem Kaiserhof und den katholischen Habsburgern gipfelte. In Texten, Graphiken und Spottliedern wurde Scultetus von Lutheranern wie von Katholiken gleichermaßen als fanatischer Kriegshetzer karikiert, als hinterlistiger Pfaffe und Versuchung in Gestalt einer Schlange, die dem Kurfürsten und seiner englischen Gemahlin vom Paradiesbaum herab die böhmische Krone gereicht habe, verhöhnt und sowohl für den Ausbruch des Krieges als auch für den Zusammenbruch der pfälzischen Herrschaft in Böhmen 1620 verantwortlich gemacht.19 Noch mehrere Jahre nach der militärischen Niederlage des Pfälzers finden sich Einblattdrucke, die diese Elemente aufgriffen und Scultetus, der dem jungen Kurfürsten die Wahl als einen Wink des göttlichen Ratschlusses ausgelegt habe, als einen der maßgeblichen Kriegstreiber darstellten.20 Eine kritische Bewertung dieser Einblattdrucke, Spottgedichte und sonstigen Quellen, die Scultetus eine derart prominente Rolle in den Jahren um 1619/20 zuschrieben, wird allerdings drei Punkte prinzipiell zu beachten hatern der Frühen Neuzeit. Mönchengladbach 2008 (Studien zur Kultur- und Rechtsgeschichte 4), 94, 121f., 162f. 17 Bayle: Dictionnaire historique et critique, Bd. 4, 181. �� Hubková, Jana: Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky. Letáky jako pramen k vývoji a vnímání české otázky v letech 1619–1632. Praha ���������������������������������������������������� 2010 (Opera Facultatis philosophicae Universitatis Carolinae Pragensis 8); Schilling, Michael: Bildpublizistik der frühen Neuzeit. Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700. Tübingen 1990 (Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29), 177–184; Bohatcová, Mirjam: Irrgarten der Schicksale. Einblattdrucke vom Anfang des Dreißigjährigen Krieges. Praha 1966. �� Hubková: Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky, 151–154, 191–197, 203–205; Westphal: Darstellung von Unrecht, 120, 161–163, 211–218; Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 1–4; Wolkan, Rudolf (Hg.): Deutsche Lieder auf den Winterkönig. Prag 1898 (Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen 8); Mays, Albert/Christ, Karl (Hg.): Einwohnerverzeichnis des Vierten Quartiers der Stadt Heidelberg vom Jahr 1600. Heidelberg 1893 (Neues Archiv für die Geschichte der Stadt Heidelberg und der rheinischen Pfalz 2), 37–39. �������������������������������������������������������������� Vgl. etwa „Des Paltzgraven verderbliche versuchung“ (1622). Harms, Wolfgang/Kemp, Cornelia (Hg.): Deutsche illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, Bd. 4: Die Sammlungen der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek in Darmstadt. Kommentierte Ausgabe. Tübingen 1987, 194.
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„Scultetus der Hoffpredicant/ Ein rechter Tölpel und Bachant, Hat hui ein schönen König gmacht/ Und disen Spruch gar nicht bedacht: Qui se exaltar stolide, Humiliatur solide“. Illustrierter Einblattdruck aus dem Jahr 1621.
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ben. Zum einen war es nicht opportun, einen Territorialfürsten – oder auch das Reichsoberhaupt selbst – direkt anzugreifen, denn eine derartige Herrscherkritik hätte die politische Ordnung und deren religiöse Legitimation als solche hinterfragt; der Topos der schlechten und böswilligen Räte, der hier einen Ausweg bot, findet sich als gängiges Stilmittel der politischen Rhetorik und Pamphletliteratur bereits im Spätmittelalter und war insofern nicht neu.21 Zum anderen waren es von allen Geistlichen gerade die Hofprediger, die sich in dieser Phase einer breiten literarischen Hofkritik ausgesetzt sahen, deren Hauptmonita – die Vermengung weltlicher und geistlicher Aufgabenbereiche sowie die fehlende Distanzierung zum engeren Hofleben – sich etwa im 1605 publizierten Hofpredigerspiegel des sächsischen Theologen Polykarp Leyser dem Älteren nachlesen lassen.22 Wenn man schließlich bei der Deutung eines offensichtlich komplexen Geschehens wie dem in Prag einen einzelnen Protagonisten derart stark in den Vordergrund rückte, so auch deshalb, weil vielen Menschen die Welt als undurchsichtiges Kräftespiel erschien, das sich anders gar nicht erfassen und erklären ließ. Dem „Labyrinth der Welt“ galt 1623 auch die fundamentale Gesellschaftskritik von Johann Amos Comenius, der die Wirren, Leiden und Widersprüche der universa vanitas, dieses manieristische, für historische Umbruchszeiten typische Lebensgefühl, eindrucksvoll in Worte und Bilder fasste.23 Die spätere Geschichtsschreibung hat diese Quellen und auch die zwischen 1622 und 1624 von Scultetus in Emden als narratio apologetica, als Rechtfertigungsschrift, konzipierte Autobiographie recht unterschiedlich gewichtet und interpretiert – und aus dem entsprechenden Befund ein allgemeines Urteil über den intendierten und tatsächlichen politischen Aktionsradius ��Weber, Wolfgang E. J.: Die Erfindung des Politikers. Bemerkungen zu einem gescheiterten Professionalisierungskonzept der deutschen Politikwissenschaft des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts. In: Schorn-Schütte, Luise (Hg.): Aspekte der politischen Kommunikation im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Politische Theologie – Res Publica-Verständnis – konsensgestützte Herrschaft. München 2004 (Historische Zeitschrift. Beiheft N.F. 39), 347–370; Schröder, Thomas: Die ersten Zeitungen. Textgestaltung und Nachrichtenauswahl. Tübingen 1995, 332f.; Bauer, Martin: Die „gemain Sag“ im späteren Mittelalter. Studien zu einem Faktor mittelalterlicher Öffentlichkeit und seinem historischen Auskunftswert. Phil. Diss. Erlangen/Nürnberg 1981, 214–219, 335–337. ��Kiesel, Helmuth: „Bei Hof, bei Höll“. Untersuchungen zur literarischen Hofkritik von Sebastian Brant bis Friedrich Schiller. Tübingen 1979 (Studien zur deutschen Literatur 60). Den Hofpredigerspiegel publizierte Polykarp Leyser der Ältere als Vorrede zu seinem Werk Regentenspiegel (Leipzig 1605, ND 1858). Vgl. Schorn-Schütte, Luise: Prediger an protestantischen Höfen der Frühneuzeit. Zur politischen und sozialen Stellung einer neuen bürgerlichen Führungsgruppe in der höfischen Gesellschaft des 17. Jahrhunderts, dargestellt am Beispiel von Hessen-Kassel, Hessen-Darmstadt und Braunschweig-Wolfenbüttel. In: Schilling, Heinz/Diederiks, Herman (Hg.): Bürgerliche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozialgeschichte des europäischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit. Köln/Wien 1985 (Städteforschung A 23), 275–336, hier 277, 279–281, 323f. �� Komenský, Jan Amos: Labirynth Swěta a Lusthauz Srdce [...]. O.O. 1631 [Erstdruck]. Zum geistes- und kulturgeschichtlichen Ort des Werkes vgl. Blekastad, Milada: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal des Jan Amos Komenský. Oslo/Praha 1969, 103–110.
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des Heidelberger Hofpredigers gefällt. Das Resultat, das jeweils nur die Alternative Schuld oder Unschuld, Verurteilung oder Freispruch kannte, blieb in beiden Fällen unbefriedigend, und zwar aus mehreren Gründen: Zeitlich lag der Schwerpunkt stets zu sehr auf den ersten Jahren des Dreißigjährigen Krieges, so dass ältere Kommunikationskanäle und Verbindungslinien, die sowohl bei der ein, zwei Jahrzehnte zuvor einsetzenden Ostorientierung der Pfälzer Politik als auch bei der um 1600 wachsenden Internationalisierung der böhmischen Frage von größter Bedeutung waren, aus dem Blick gerieten. Räumlich wiederum blieb bei den bisherigen Arbeiten zu Scultetus die Frage vollständig ausgeblendet, ob und inwieweit die Kontakte in seine schlesische Heimat auch Verbindungen nach Böhmen und Mähren begünstigten; nur in Ansätzen wurden überdies die Verbindungen zu den Reformierten in anderen Gebieten Ostmitteleuropas mit seinen untereinander eng verflochtenen Freiheits- und Widerstandsbewegungen näher untersucht.24 Sachlich wiederum ist zwar stets auf die prinzipielle Verkettung von weltlicher und geistlicher Macht, von politischem und religiösem Handeln in dieser Phase des Konfessionellen Zeitalters hingewiesen worden; die eigentliche Funktion und Legitimation eines Hofpredigers, der „im ausgehenden 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts definitiv politische Funktionen wahrgenommen hat und damit im politischen Entscheidungszentrum der Frühneuzeit, dem Hof, stand“,25 sind im Fall von Scultetus gleichwohl eigentümlich vernachlässigt worden. Gleiches gilt cum grano salis für das vorstaatliche, für den internationalen Calvinismus jener Jahre so typische Personen- und Institutionengeflecht, das Verbindungen schuf, die zwar nicht an sich politisch sein mussten, die aber jederzeit politisierbar waren. Zu nennen wäre hier etwa der aus Troppau gebürtige Amandus Polanus von Polansdorf, der – mit Unterbrechungen – bis zu seinem Tod 1610 als Theologe in Basel wirkte und hier zusammen mit seinem Schwiegervater, Johann Jakob Grynaeus, das reformierte Bekenntnis an der Universität verankerte.26 ��Bahlcke, Joachim: Calvinism and estate liberation movements in Bohemia and Hungary (1570– 1620). In: Maag, Karin (Hg.): The Reformation in Eastern and Central Europe. Aldershot 1997 (St Andrews Studies in Reformation History), 72–91. Auch hier kommen wichtige Impulse häufig von literaturwissenschaftlicher Seite. Vgl. etwa Seidel, Robert: Der ungarische Späthumanismus und die calvinistische Pfalz. In: Kühlmann, Wilhelm/Schindling, Anton (Hg.): Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Stuttgart 2004 (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 62), 227–251. ��Schorn-Schütte: Prediger an protestantischen Höfen der Frühneuzeit, 279. �� Greyerz, Kaspar von: Basels kirchliche und konfessionelle Beziehungen zum Oberrhein im späten 16. und 17. Jahrhundert. In: Bircher, Martin (Hg.): Schweizerisch-deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur Kulturgeschichte 1580–1650. Wiesbaden 1984 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 12), 227–252; Staehelin, Ernst: Amandus Polanus von Polansdorf. Basel 1955; ders.: Die Lehr- und Wanderjahre des Amandus Polanus von Polansdorf. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 44, 1945, 37–77.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Im Jahr 1612 publizierte Abraham Scultetus eine Briefauswahl des in Basel lehrenden Schweizer Theologen Johann Jakob Grynaeus, der kurzzeitig auch an der Heidelberger Universität Vorlesungen gehalten hatte. Grynaeus war einer der wichtigsten Verbindungsmänner zu den Reformierten in PolenLitauen, den böhmischen Ländern, Ungarn und Siebenbürgen.
Der aus Bern gebürtige Grynaeus, der 1584 von Basel nach Heidelberg berufen worden war und dort theologische und historische Vorlesungen hielt, an denen auch kurfürstliche Räte teilnahmen, war zugleich einer der wichtigsten Verbindungsmänner zu den Reformierten in Polen-Litauen, den böhmischen Ländern, Ungarn und Siebenbürgen.27 Seine Briefe wiederum – und damit werden die vielfältigen Verbindungen im europäischen Reformiertentum schlaglichtartig deutlich – brachte 1612 Abraham Scultetus im Druck heraus,28 der mit Grynaeus in intensivem Briefwechsel stand und ihn ��Szabó, András (Hg.): Johann Jacob Grynaeus magyar kapcsolatai. Szeged 1989 (Adattár XVI– XVIII. századi szellemi mozgalmaink történetéhez 22); Kupisz, Dariusz: Zbigniew Gorajski (1596– 1655). Studium z dziejów szlachty protestanckiej w Małopolsce w pierwszej połowie XVII wieku. Warszawa 2000. Für Böhmen vgl. Glücklich, Julius (Hg.): Václava Budovce z Budova. Korrespondence z let 1579–1619. Praha 1908 (Historický archiv 30). In den dort abgedruckten Briefwechseln mit Grynaeus geht es wiederholt ganz konkret um Schriften und Ansichten von Scultetus. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Ioannes Iacobi Grynaei [...] Epistolarum selectarum (quae sunt ad pietatem veram innocentiuum) libri duo [...]. Hg. v. Abraham Scultetus. Offenbaci 1612. Vgl. Kühlmann u.a. (Hg.): Die Deutschen Humanisten, Bd. I/3, 529–532.
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einige Jahre später nochmals im Zuge eigener Recherchen für seine Reformationsgeschichte in Basel besuchte.29 Die folgenden Ausführungen können nicht mehr als eine erste Annäherung an diese offenen, unmittelbar mit Abraham Scultetus zusammenhängenden Fragen darstellen. Um sie einigermaßen befriedigend zu beantworten, sind zudem sehr viel breiter angelegte Studien zum Reformiertentum in Ostmittel- und Osteuropa während der Frühen Neuzeit notwendig, das bisher, von einzelnen lokalen und regionalen Schwerpunkten in bestimmten Zeitabschnitten abgesehen, vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gefunden hat.30 Sichtbar wird bei Sonden zu einzelnen Geistlichen, Adeligen und Intellektuellen, wie Hans-Jürgen Bömelburg in einer Fallstudie zu den reformierten Eliten im Preußenland völlig zu Recht schreibt, vorerst „nur die Spitze einer größeren Bewegung“.31 Im Folgenden soll es nach einem kurzen Blick auf die Biographie von Scultetus vor allem um die politisch-religiöse und die kulturelle Dimension seines Wirkens gehen, weniger um seine genuin theologischen Ansätze, Positionen und Kontroversen.
2. Bausteine zu einer intellektuellen und politischen Biographie Eine Biographie von Abraham Scultetus ließe sich auf verschiedene Weise schreiben. Zum einen wird man in ihr Elemente und Stationen eines Lebensweges finden, der für große Teile der evangelischen Geistlichkeit im 16. Jahrhundert typisch ist – von der sozialen Herkunft über die Schulbildung und Karriere bis hin zum kirchlichen Amtsverständnis.32 Hinzu kom��Benrath: Reformierte Kirchengeschichtsschreibung, 11–13, 27f.; ausführlich zu den Beziehungen zwischen Scultetus und Grynaeus ders. (Hg.): Selbstbiographie, wo auch einige der zwischen ihnen gewechselten Briefe im Anhang abgedruckt werden. ��������������������� Zum Überblick vgl. Bahlcke, Joachim: Calvinismus im östlichen Europa. Entwicklungslinien des reformierten Typus der Reformation vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. In: Reiss, Ansgar/ Witt, Sabine (Hg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Dresden 2009, 196–203; Murdock, Graeme: Eastern Europe. In: Pettegree, Andrew (Hg.): The Reformation World. London u.a. 2000, 190–210. Dass sich der Forschungsstand aus literaturwissenschaftlicher Perspektive anders darstellt, ist unstrittig. Vgl. Garber, Klaus: Zentraleuropäischer Calvinismus und deutsche „Barock“-Literatur. Zu den konfessionspolitischen Ursprüngen der deutschen Nationalliteratur. In: Schilling, Heinz (Hg.): Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“. Gütersloh 1986 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 195), 317–348. �� Bömelburg: Reformierte Eliten, 237. Vgl. auch als beziehungsgeschichtliche Fallstudie ders.: Partia kalwińska? Stosunki między kalwinistami polskimi a niemieckimi w latach 1590–1632. In: Wijaczka, Jacek (Hg.): Stosunki polsko-niemieckie w XVI–XVIII wieku. Kielce 2002, 103–120. �� Schorn-Schütte, Luise: Evangelische Geistlichkeit in der Frühneuzeit. Deren Anteil an der Entfaltung frühmoderner Staatlichkeit und Gesellschaft. Dargestellt am Beispiel des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel, der Landgrafschaft Hessen-Kassel und der Stadt Braunschweig. Gütersloh 1996 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 62); dies.: Geistliche Amtsträger und regionale Identität im 16. Jahrhundert. Ein Widerspruch? In: Dingel, Irene/Wartenberg,
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men Spezifika des schlesischen Raumes, der aufgrund seiner kleinräumigen Binnenstruktur und infolge der fehlenden Landesuniversität vergleichsweise festgefügte, weil seit langem eingespielte und bewährte Kommunikations-, Bildungs- und Migrationswege kannte.33 Mit Blick auf diese Gegebenheiten ließe sich der intellektuelle Werdegang von Scultetus problemlos in ganz unterschiedliche Kollektivbiographien einbinden. Sogar eine klassische Doppelbiographie böte sich an: von Scultetus und dem fünf Jahre jüngeren, ebenfalls aus Grünberg stammenden Bartholomaeus Pitiscus. Von der Schulzeit in Breslau bis hin zum Aufstieg in das Hofpredigeramt der pfälzischen Kirche lassen die Werdegänge der beiden reformierten Theologen, die Zeit ihres Lebens einander eng verbunden waren und gemeinsame Freundes- und Bekanntenkreise unterhielten, eine Fülle von Parallelen erkennen.34 Auch bei ihren gelehrten Arbeiten und Interessen sind Berührungspunkte festzumachen. So war beispielsweise die von Pitiscus verfasste Trigonometria, die als Lehrbuch an zahlreichen Universitäten Verwendung fand, mehrere Neuauflagen erlebte und 1614 sogar ins Englische übersetzt wurde, zuerst 1595 in Neustadt an der Haardt als Anhang zu den Sphaericorum libri tres von Scultetus im Druck erschienen.35 Die Besonderheiten vor allem der hier interessierenden politischen Biographie von Scultetus erschließen sich dagegen erst im Vergleich, machen also mannigfache Recherchen und Untersuchungen zu anderen Personen und Gruppen in seiner Zeit und seinem räumlichen Umfeld notwendig. An vorGünther (Hg.): Kirche und Regionalbewusstsein in der Frühen Neuzeit. Konfessionell bestimmte Identifikationsprozesse in den Territorien. Leipzig 2009 (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 10), 11–22; dies.: The ‚New Clergies‘ in Europe: Protestant Pastors and Catholic Reform Clergy after the Reformation. In: Heal, Bridget/Grell, Ole Peter (Hg.): The Impact of the European Reformation. Princes, Clergy and People. Aldershot 2008 (St. Andrews studies in Reformation history); Dixon, C. Scott/Schorn-Schütte, Luise (Hg.): The Protestant Clergy of Early Modern Europe. Basingstoke u.a. 2003. ��Bahlcke, Joachim: Bildungswege, Wissenstransfer und Kommunikation. Schlesische Studenten an europäischen Universitäten der Frühen Neuzeit. In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 18, 2010, 37–55. �� Sarx, Tobias: Heidelberger Irenik am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. In: Ernst, Albrecht/Schindling, Anton (Hg.): Union und Liga 1608/09. Konfessionelle Bündnisse im Reich – Weichenstellungen zum Religionskrieg? Stuttgart 2010 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 178), 167–196; Jaumann, Herbert: Handbuch Gelehrtenkultur der Frühen Neuzeit, Bd. 1: Bio-bibliographisches Repertorium. Berlin/New York 2004, 520f.; Hellmann, Martin: „... et me amare perge.“ Briefe von Bartholomäus Pitiscus an seinen wie einen Vater geliebten Freund Johann Jakob Grynäus in Basel. In: Körkel, Boris/ Licht, Tino/Wiendlocha, Jolanta (Hg.): Mentis amore ligati. Lateinische Freundschaftsdichtung und Dichterfreundschaft in Mittelalter und Neuzeit. Festgabe für Reinhard Düchting zum 65. Geburtstag. Heidelberg 2001, 125–144. �� Kühlmann u.a. (Hg.): Die Deutschen Humanisten, Bd. I/3, 301–331; Hellmann, Martin: Bartholomäus Pitiscus (1561–1613). Geometrie als Zeitvertreib – Rechnen als Aufgabe. In: Gebhardt, Rainer (Hg.): Rechenbücher und mathematische Texte der frühen Neuzeit. Annaberg-Buchholz 1999 (Schriften des Adam-Ries-Bundes 11), 196–202; ders.: Pitiscus und seine kleine Trigonometrie. In: Mannheimer Geschichtsblätter N.F. 4, 1997, 107–129.
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derster Stelle zu nennen ist hier eine außergewöhnliche Mobilität, die sich sachlich wie funktional am ehesten als Reisediplomatie beschreiben lässt, die teils in staatlichem, teils in kirchlichem Auftrag erfolgte und die erhebliche Auswirkungen auf die religiöse Identitäts- und Gruppenbildung der Reformierten in Mittel- und Ostmitteleuropa hatte.36 Sie ist der in der Forschung weitaus besser untersuchten Reisediplomatie westeuropäischer Reformierter, etwa des französischen Hugenotten, Rechtsgelehrten und Politiktheoretikers François Hotman, durchaus vergleichbar.37 Eine solche Mobilität findet sich bei keinem anderen der in der Kurpfalz wirkenden Schlesier. Scultetus war nach seinem 1590 in Heidelberg fortgesetzten Theologiestudium zwar kontinuierlich – bis zum Zusammenbruch der pfälzischen Herrschaft in Böhmen 1620 – im pfälzischen Kirchendienst tätig, konnte aber bei ganz unterschiedlichen Anlässen und Aufträgen wichtige Erfahrungen außerhalb des Landes gewinnen, neben kirchlichen auch politisch und gesellschaftlich bedeutende Kontakte herstellen, dabei Neuigkeiten aus erster Hand erfahren und gleichzeitig dynastische sowie macht- und konfessionspolitische Interessen der pfälzischen Wittelsbacher bei anderen deutschen und europäischen Höfen vertreten. Schon lange vor den revolutionären Ereignissen in Prag war Scultetus, so formulierte es Karl Pahncke bereits vor mehr als einem Jahrhundert, eine „öffentliche Persönlichkeit“ geworden.38 Einige wenige Beispiele, allesamt aus dem Jahrzehnt vor dem Prager Fenstersturz, müssen hier als Belege genügen: Scultetus hatte schon mehrere Kirchen- und Schulvisitationen – unter anderem in der Unter- und der Oberpfalz sowie in der Grafschaft Hanau-Münzenberg – durchgeführt, als er zum Feldprediger Fürst Christians I. von Anhalt-Bernburg berufen wurde und mit diesem 1610 in den Jülich-Klevischen Erbfolgekrieg zog. Mehrere Monate in der nächsten Umgebung dieses die gesamte pfälzische Politik in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts beherrschenden Staatsmanns �������������������������������������������� Zu diesen Wechselwirkungen vgl. allgemein Jürgens, Henning P./Weller, Thomas (Hg.): Religion und Mobilität. Zum Verhältnis von raumbezogener Mobilität und religiöser Identitätsbildung im frühneuzeitlichen Europa. Göttingen 2010 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte. Beiheft 81); Dingel, Irene/ Schäufele, Wolf-Friedrich (Hg.): Kommunikation und Transfer im Christentum der Frühen Neuzeit. Mainz 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. für abendländische Religionsgeschichte. Beiheft 74); Schilling, Heinz: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660. Paderborn u.a. 2007 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2). �� Murdock, Graeme: Calvinism on the Frontier 1600–1660. International Calvinism and the Reformed Church in Hungary and Transylvania. Oxford u.a. 2000; Gräf, Holger Thomas: The Collegium Mauritianum in Hesse-Kassel and the Making of Calvinist diplomacy. In: Sixteenth Century Journal 28, 1997, 1167–1180. Zahlreiche einschlägige Briefwechsel bei Gillet, J[ohann] F[ranz] A[lbert]: Crato von Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte, Bd. 1–2. Frankfurt am Main 1860. �� Pahncke, K[arl]: Abraham Scultetus in Berlin. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 23, 1910, 35–53, hier 39.
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waren kaum weniger prägend als das unmittelbare Erlebnis des bewaffneten Konflikts, der die Gefahr einer Totalkonfrontation der europäischen Mächte und Konfessionsparteien bereits überdeutlich vor Augen führte.39 An der Jahreswende 1612/13 nahm Scultetus aus Anlass der Eheschließung Kurfürst Friedrichs V. mit Elizabeth Stuart an der aufwendig inszenierten Englandreise teil, die für die politische und religiöse Lagerbildung in Europa und namentlich für das spätere Engagement der Pfälzer in Böhmen von größter Bedeutung war.40 Die Kontakte, die bei Zusammenkünften dieser Art geknüpft werden konnten – in Oxford etwa zu Karl dem Älteren von Žerotín, einem der führenden Ständepolitiker in Mähren –, hatten später häufig einen durch Briefe fortgesetzten Austausch zur Folge.41 Nach dem Übertritt der brandenburgischen Hohenzollern zum Calvinismus wurde Scultetus 1614 zur Organisation des reformierten Kirchen- und Schulwesens nach Berlin entsandt, wo er stärker mit aktuellen Entwicklungen im östlichen Mitteleuropa – auch in Schlesien – in Berührung kam als in seiner pfälzischen Wahlheimat.42 Kaum von der Dordrechter Synode aus den Niederlanden zurückgekehrt, brach Scultetus 1619 bereits erneut zu einer zweimonatigen Reise nach Frankfurt am Main auf, um der Wahl Erzherzog Ferdinands von Steiermark zum neuen Kaiser beizuwohnen; es war der Wahltag, an dem abends dann auch die Nachricht von der Wahl des pfälzischen Kurfürsten zum König von Böhmen in der Reichsstadt eintraf.43 Alle bisherigen biographischen Arbeiten und Artikel zu Abraham Scultetus stützen sich letztlich – und diese Tatsache ist allgemein zu wenig beachtet ��Anderson, Alison Deborah: On the Verge of War: International Relations and the Jülich-Kleve Succession Crises (1609–1614). Boston 1999. Zu Christian I. von Anhalt-Bernburg vgl. Press, Volker: Fürst Christian I. von Anhalt-Bernburg, Statthalter der Oberpfalz, Haupt der evangelischen Bewegungspartei vor dem Dreißigjährigen Krieg (1568–1630). In: Ackermann, Konrad/Schmid, Alois (Hg.): Staat und Verwaltung in Bayern. Festschrift für Wilhelm Volkert zum 75. Geburtstag. München 2003 (Schriftenreihe zur Bayerischen Landesgeschichte 139), 193–216. ��Ginzel, Christof: Poetry, politics and promises of empire. Prophetic rhetoric in the English and Neo-Latin epithalamia on the occasion of the Palatine marriage in 1613. Göttingen 2009 (Super alta perennis 7); Rüde, Magnus: „Als der blutdürstig Spannier Uns verjaget uber Land und Meer“. Die Exulantengemeinde Frankenthal und die englisch-kurpfälzische Hochzeit von 1613. In: Isaiasz, Vera u.a. (Hg.): Stadt und Religion in der frühen Neuzeit. Soziale Ordnung und ihre Repräsentationen. Frankfurt am Main/New York 2007 (Eigene und fremde Welten 4), 177–200; Gömöri, George: „A memorable wedding“. The literary reception of the wedding of the princess Elizabeth and Frederick of Pfalz. In: Journal of European studies 34, 2004, 215–224. ��Odložilík, Otakar: Karel starší ze Žerotína 1564–1636. Praha 1936; ders.: Karel of Žerotín and the English Court (1564–1636). In: The Slavonic and East European Review 15, 1936/37, 413–425. Vgl. ferner Hrubý, František: Ladislav Velen ze Žerotína. Praha 1930. ��Nischan, Bodo: Prince, People, and Confession. ������������������������������������������� The Second Reformation in Brandenburg. Phi���� ladelphia 1994; ders.: Kontinuität und Wandel im Zeitalter des Konfessionalismus. Die zweite Reformation in Brandenburg. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 58, 1991, 87–133. �� Pursell, Brennan C.: The Winter King. Frederick V of the Palatinate and the Coming of the Thirty Years’ War. Aldershot 2003, 65–91.
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worden – auf dessen autobiographische Rechtfertigungsschrift, die 1625, ein Jahr nach dem Tod des zuletzt in Emden wirkenden Theologen unter dem Titel De Curriculo Vitae Inprimis verò De actionibus Pragensibus Abrah. Sculteti [...] Narratio Apologetica in lateinischer Sprache publiziert und drei Jahre später nochmals in einer deutschen Übersetzung herausgegeben wurde.44 Die „Historische Erzehlung Von dem Lauff des Lebens/ Insonderheit aber Von den Pragerischen Handlungen D. Abraham Sculteti“ war, wie es auf dem Titelblatt der ebenfalls in Emden gedruckten deutschen Ausgabe hieß, „von einem seiner und der warheit Liebhabern in die Hochteutsche Sprach ubergesetzet“ worden: Andreas Kregel (Kregelius), einst reformierter Pfarrer im oberpfälzischen Viechtach und Präzeptor mehrerer Studenten der Adelsfamilie Dohna, begründete seine persönlichen Motive für die Übertragung in einem ausführlichen Widmungsschreiben. Auf die politischen Zeitumstände freilich – die Folgen der militärischen Niederwerfung von Friedrichs letzten Bundesgenossen, den anhaltenden Propagandakrieg gegen das reformierte Lager45 und die Ausweitung des lokalen Konflikts zu einem das ganze Reich erfassenden Religions- und Machtkonflikt – ging Kregel auch ein Jahrzehnt nach dem Prager Fenstersturz mit keinem Wort ein. Der als Kriegstreiber angefeindete Hofprediger trat mit seiner Verteidigungsschrift dem Vorwurf entgegen, Mitverantwortung für politische Entscheidungen des Heidelberger Hofes zu tragen. Entsprechend unpolitisch stellt sich die gesamte Autobiographie dar, die sich über weite Strecken auf die Darstellung gelehrter Besuche, Kontakte und Austauschverhältnisse beschränkt und das Bild einer vermeintlich abgeschlossenen, von der politischen und religiösen Krise um 1600 gänzlich unberührten respublica litteraria, einer sich selbst genügenden Welt späthumanistischer Gelehrsamkeit und Gelehrtenkultur, suggeriert.46 Historiographiegeschichtlich blieben diese Selbstsituierung und Selbstinszenierung nicht ohne Folgen, förderten sie doch eine einseitige Beachtung der intellektuellen Biographie von Scultetus.47 ��������������������������������� Zur Entstehungsgeschichte vgl. Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 1–6. ��Koser, Reinhold: Der Kanzleienstreit. Ein Beitrag zur Quellenkunde der Geschichte des Dreissigjährigen Krieges. Halle 1874 (Hallesche Abhandlungen zur neueren Geschichte 1). ��Jancke, Gabriele: Gelehrtenkultur – Orte und Praktiken am Beispiel der Gastfreundschaft. Eine Fallstudie zu Abraham Scultetus (1566–1624). In: Krug-Richter, Barbara/Mohrmann, Ruth-E. (Hg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa. Köln/Weimar/Wien 2009 (Archiv für Kulturgeschichte. Beiheft 65), 285–312. Wichtig in diesem Zusammenhang sind die Beobachtungen von Kohlndorfer-Fries, Ruth: Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacques Bongars (1554–1612). Tübingen 2009 (Frühe Neuzeit 137), 5–7, und Schmidt, Alexander: Vaterlandsliebe und Religionskonflikt. Politische Diskurse im Alten Reich (1555–1648). Leiden/Boston/Tokyo 2007 (Studies in Medieval and Reformation Traditions. History, Culture, Religion, Ideas 126), 128f. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. etwa die Zusammenstellung der ausgewählten (Gelehrten-)Briefe, die Gustav Adolf Benrath im Anhang seiner Edition von Scultetus’ Autobiographie abdruckte: ders. (Hg.): Selbstbiographie, 105–129, oder die Auswahl der Korrespondenz bei Kühlmann u.a. (Hg.): Die Deutschen Humanisten, Bd. I/3, 297f.
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3. Die politische Dimension: Reformierte Netzwerke und dynastische Verflechtungen Kirchen-, Macht- und Heiratspolitik waren während des 16. und 17. Jahrhunderts eng miteinander verbunden. Dynastische Ehen dienten im Europa der Fürstenstaaten nicht nur der Sicherung und Erweiterung territorialer Macht und dem Ansehen des Herrschers, sondern auch der Behauptung und Festigung einzelner Glaubensbekenntnisse.48 Besonders die zum Calvinismus übergetretenen Häuser – die Pfälzer, Oranier, Hohenzollern und Askanier, aber auch nichtfürstliche Familien wie die Radziwiłł in Litauen, die Dohna und Dönhoff in Preußen oder die Schönaich-Carolath in Schlesien – waren bestrebt, Eheverbindungen entsprechend zu nutzen.49 Ihre grenzüberschreitenden Kontakte prägten zugleich die Lebenswege reformierter Theologen, die Trauungen, Taufen und Bestattungen vornahmen, als Seelsorger, Beichtväter und Ratgeber fungierten und so erheblichen Anteil an der zunehmenden Vernetzung der einzelnen Familien und Territorien besaßen.50 Deutlich wird dies auch und in besonderer Weise bei Abraham Scultetus. Für die Intensivierung der kirchlichen und politischen Beziehungen zwischen der Pfalz und Anhalt Ende des 16. Jahrhunderts ist eine der ersten Amtshandlungen von Scultetus als Hofkaplan in Heidelberg bereits von höchster Symbolkraft: die Trauung der Pfalzgräfin Dorothea von Simmern mit Fürst Johann Georg I. von Anhalt-Dessau im Jahr 1595.51 Dessen Bruder Christian I. ��Bechler, Katharina: Heirats-, Kirchen- und Machtpolitik. Dynastische Familiengeflechte im Zeitalter der Konfessionalisierung. In: Reiss/Witt (Hg.): Calvinismus, 122–128; Knöfel, Anne-Simone: Dynastie und Prestige. Die Heiratspolitik der Wettiner. Köln/Weimar/Wien 2009 (Dresdner Historische Studien 9); Nolde, Dorothea/Opitz, Claudia (Hg.): Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2008. �� Potkowski, Edward (Hg.): Radziwiłłowie XVI–XVIII wieku: w kręgu polityki i kultury. Warszawa/Łódź 1989; Bömelburg, Hans-Jürgen: Lojalność w protestancko-kalwińskiej rodzinie stanu panów w Prusach Książęcych: trzy pokolenia rodziny Dohnów (1540–1620). In: Skolimowska, Anna (Hg.): Panorama lojalności. Prusy Królewskie i Prusy Książęce w XVI wieku. Warszawa 2001 (Eseje i Studia 4), 46–62; ders.: Der Aufstieg der Familie Dönhoff in Ostmitteleuropa vom Mittelalter bis zum frühen 18. Jahrhundert. In: Heck, Kilian/Thielemann, Christian (Hg.): Friedrichstein. Das Schloß der Grafen von Dönhoff in Ostpreußen. München/Berlin 2006, 13–29, 293–294; ders.: Reformierte Eliten, 210–239; Opgenoorth, Ernst: Die Reformierten in Brandenburg-Preußen. Minderheit und Elite? In: Zeitschrift für Historische Forschung 8, 1981, 439–459; Grundmann, Günther: Die Lebensbilder der Herren von Schönaich auf Schloß Carolath. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 6, 1961, 229–330; Schaab, Meinrad (Hg.): Territorialstaat und Calvinismus. Stuttgart 1993 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B 127); Marra, Stephanie: Allianzen des Adels. Dynastisches Handeln im Grafenhaus Bentheim im 16. und 17. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2007. �� Thadden, Rudolf von: Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen. Berlin 1959 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 32). �� Hönicke, Joh[ann] Chr. (Hg.): Urkundliche Merkwürdigkeiten aus der Herzogl. Schloß- und Stadtkirche zu St. Maria in Deßau, besonders das Anhaltische Fürstenhaus betreffend. Deßau 1833, 91–104.
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von Anhalt-Bernburg trat im gleichen Jahr als Statthalter in der Oberpfalz in die Dienste des pfälzischen Kurfürsten.52 Eine ältere Schwester, Anna Maria, war bereits seit 1577 mit Herzog Joachim Friedrich von Liegnitz, Brieg und Wohlau verheiratet. Diese Verbindung, für die schlesischen Fürsten die erste zu einer reformierten Dynastie im römisch-deutschen Reich, war der Auftakt zu einer forcierten Annäherung beider Herrscherhäuser an die Piasten im Oderland.53 Sowohl mit Johann Georg I. als auch mit anderen Familienangehörigen stand Scultetus in den kommenden Jahrzehnten in regem Briefwechsel, in dem die gegenwärtige Lage in Europa – der „misserrimus ecclesiarum reformatarum status“ in England, Frankreich und Deutschland etwa oder die Beziehungen der Pfalz zum siebenbürgischen Fürsten Gabriel Bethlen, der als „acerrimus orthodoxae doctrinae defensor“ beschrieben wird – offen, kenntnisreich und kritisch erörtert wurde.54 Mehrfach war Scultetus zu Gast in den anhaltischen Residenzen. Bei einem dieser Besuche nahm er in Dessau 1614 die Trauung einer Tochter Johann Georgs I., Sophie Elisabeth, mit deren Cousin Herzog Georg Rudolf von Liegnitz, Brieg und Wohlau vor.55 In das Jahr 1614 fiel auch der öffentliche Übertritt von Georg Rudolf und dessen Bruder Johann Christian zum reformierten Bekenntnis. Dieser Entschluss, der den Status quo in Schlesien stände- wie konfessionspolitisch spürbar veränderte, verdankte sich in erster Linie exogenen Faktoren: den vielfachen dynastischen Kontakten und Verbindungen zu Anhalt, Brandenburg und der Pfalz sowie ganz konkret dem Wirken einzelner Theologen wie Abraham Scultetus.56 Der für ein halbes Jahr nach Berlin entsandte und �� Press, Volker: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619. Stuttgart 1970 (Kieler Historische Studien 7), 399–401. �� Szczur, Stanisław/Ożóg, Krzysztof (Hg.): Piastowie. Leksykon biograficzny. Kraków 1999, 528f., 547; Bahlcke, Joachim: Eckpfeiler der schlesischen Libertaskultur. Die Liegnitz-Brieger Piasten in der Frühen Neuzeit. In: Harasimowicz, Jan/Lipińska, Aleksandra (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim/Das Erbe der Reformation in den Fürstentümern Liegnitz und Brieg. Legnica 2007 (Źródła i materiały do dziejów Legnicy i księstwa legnickiego 4), 23–42; Weber, Matthias: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/ Wien 1992 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 1), 135–145; Krebs, Julius: Ein Prinzenbesuch am Hofe der Brieger Piasten (1618–21). In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 14, 1878, 431–450, hier 432–434. �������������������������������������������������������������������������������������������� Die Briefe von Scultetus, die zum Teil – und aus ganz unterschiedlichen Beweggründen – im Druck erschienen (vgl. etwa sein Schreiben an Johann Georg I. von Anhalt vom 30. April 1614. In: Fortgesetzte Sammlung von alten und neuen theologischen Sachen. Leipzig 1746, 337–339), wurden bisher nicht systematisch erfasst. Die Zitate im Text nach Pahncke: Scultetus in Berlin, 40f. Vgl. ferner Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 36 Anm. 73, 68–71, 73, 75. �� Szczur/Ożóg (Hg.): Piastowie, 543–547; Hönicke (Hg.): Urkundliche Merkwürdigkeiten, 95. In der Selbstbiographie vermerkte Scultetus mit Freude, er habe dies „umb soviel desto begieriger getan“, weil „der Bräutigam ein Fürst in Schlesien in meinem Vatterland war, Sophia aber, die Braut, meines gnedigen Fürsten und Herrn, Herrn Johan Georgs Fürsten zu Anhalt gottseliges Frewlein Tochter“, die er bereits seit ihrem vierten Lebensjahr kannte. Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 70. ��Pawelec, Mariusz: Idea protestanckiego irenizmu w księstwie brzeskim i legnickim w początkach XVII wieku. In: Harasimowicz/Lipińska (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko- brzeskim, 171–189.
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dort rasch zu einem der führenden Ratgeber avancierte Hofprediger war erst wenige Monate zuvor vom brandenburgischen Kurfürsten, der selbst Ende 1613 zum Calvinismus konvertiert war, nach Schlesien beordert worden.57 Scultetus’ dortige Predigten, Gespräche und Disputationen fielen auf fruchtbaren Boden. Ein weiterer Konfessionswechsel zugunsten des reformierten Lagers, der in jene Phase einer ausgesprochen dichten religiösen und politischen Kommunikation fiel, unterstreicht die Wertschätzung und den Einfluss von Scultetus: Johann Georg, ein jüngerer Bruder Kurfürst Johann Sigismunds von Brandenburg und seit 1606 Herzog von Jägerndorf, besaß seit seiner Zeit als Administrator des Bistums Straßburg enge Kontakte zum pfälzischen Hof. Er hatte schon in Heidelberg Predigten von Scultetus gehört und setzte sich später nachdrücklich mit dessen theologischen Werken auseinander.58 Insofern überrascht es nicht, dass gerade Johann Georg 1615 alle Hebel in Bewegung setzte, um den Heidelberger Theologen auf Dauer für das noch junge reformierte Kirchenwesen in Brandenburg zu gewinnen. Da die Hohenzollern darauf angewiesen waren, geeignete Pfarrer in anderen Territorien ausfindig zu machen und in ihr Land zu ziehen, wäre ein europaweit geschätzter, bestens vernetzter Theologe wie Scultetus geradezu eine Idealbesetzung der Kirchenleitung in Berlin gewesen.59 Ungleich schwieriger ist das Verhältnis von Scultetus zu nichtfürstlichen Familien im reformierten Europa zu bestimmen. Nur selten lässt sich auf Grundlage der erhaltenen Quellen exakt ermitteln, wie die Kontakte im Einzelnen zustande gekommen und danach verlaufen sind. Dass die Beziehung zu Fürst Krzysztof Radziwiłł, dessen Familie zu den wichtigsten Protektoren der Reformierten in Litauen zählte,60 1602 in Heidelberg zustande kam, wissen wir zwar aufgrund eines Hinweises in Scultetus’ Autobiographie.61 Über den weiteren Austausch dagegen sind wir nur spärlich informiert, viele Querverbindungen, etwa über die prägenden Eindrücke der Studien- und Bildungsreisen der einzelnen Familienmitglieder, lassen sich nur erahnen.62 �� Thadden, Rudolf von: Die Hinwendung des Kurhauses zum reformierten Bekenntnis (1598 bis 1620). In: Heinrich, Gerd (Hg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg. Berlin 1999, 255–265. ��Fukala, Radek: Role Jana Jiřího Krnovského ve stavovských hnutích. Opava 1997; Burghardt, Franz Josef: Zwischen Fundamentalismus und Toleranz. Calvinistische Einflüsse auf Kurfürst Johann Sigismund von Brandenburg vor seiner Konversion. Berlin 2012 (Historische Forschungen 96). ��von Thadden: Hofprediger, 70–77; Pahncke: Scultetus in Berlin, 52. �� Kosman, Marceli: Rola Radziwiłłów w ruchu kalwińskim na Litwie. In: Potkowski (Hg.): Radziwiłłowie XVI–XVIII wieku, 121–139. �� Benrath (Hg.): Selbstbiographie: 42. Zum Aufenthalt Krzysztof Radziwiłłs in Heidelberg vgl. Krollmann, C[hristian]: Die Selbstbiographie des Burggrafen Fabian zu Dohna (1550–1621) nebst Aktenstücken zur Geschichte der Sukzession der Kurfürsten von Brandenburg in Preussen aus dem fürstlich dohnaischen Hausarchive zu Schlobitten. Leipzig 1905, 98. Der Litauer stand auch später noch mit Heidelberger Gelehrten in Kontakt. Vgl. Seidel: Späthumanismus, 385f., 428, 471. ��Chachaj, Marian: Zagraniczna edukacja Radziwiłłów od początku XVI do połowy XVII wieku. Lublin 1995.
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Die erste Begegnung muss jedenfalls Wirkung gehabt haben, denn einem anderen Schriftstück entnehmen wir, dass Krzysztofs Bruder Janusz einige Jahre später ein Werk des Heidelberger Theologen mit seinem Wappen und Wahlspruch zieren und in Samt und Silber binden ließ, um es Johann Sigismund von Brandenburg für dessen Handbibliothek zu vermachen.63 Die Radziwiłł waren auch für die Reformierten in Schlesien über lange Jahrzehnte ein wichtiger Rückhalt. Als Herzog Johann Christian von Brieg – eine Schwester seiner Ehefrau Dorothea Sybille, Elisabeth Sophie von Brandenburg, war seit 1613 mit Janusz Radziwiłł verheiratet – im Jahr 1633 ins Exil nach Polen ging, schickte er seinen Sohn Christian an den Hof der Radziwiłł nach Litauen.64 Von Vorteil war ohne Zweifel, dass die Kurpfalz schon seit längerem ein Refugium vertriebener Reformierter war und außer durch die Fremdengemeinden auch über den Hof und die Universität ein reger Austausch mit anderen Regionen, Städten und Adelssitzen bestand.65 Schon lange bevor Scultetus 1618 Professor in Heidelberg wurde, hatte er in seinem privaten Haushalt Studenten unterrichtet, die teilweise sogar länger bei ihm wohnten. Dadurch ergaben sich vielfältige Begegnungen und Kontakte, die Menschen unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche, Geistliche, Politiker und Gelehrte, ins Gespräch brachten und so zum Ausgangspunkt neuer Verbindungen wurden. Ein anschauliches Beispiel hierfür liefert der aus dem oberschlesischen Neustadt gebürtige Nikolaus Henel, der sich später als Geschichtsschreiber und Rechtsgelehrter einen Namen machte. Er hatte sich nach dem Besuch des evangelischen Gymnasiums in Troppau zunächst an der Universität Jena eingeschrieben, das juristische Studium dann aber wegen des plötzlichen Todes seines Vaters abbrechen müssen. Als Hauslehrer bei Nikolaus Rhediger begleitete er dessen Söhne Ernst Friedrich und Wilhelm von 1609 bis 1611 auf ihrer akademischen Bildungsreise durch Deutschland, Frankreich, Italien und die habsburgischen Territorien. Auf dieser Reise, so berichtete Henel später in seiner Autobiographie, seien sie auch durch Heidelberg gekommen. „Daselbst haben wir nun ein Zeitlang verharret, und nachdem uns Herr Abrahamus Scultetus, eminentissimus ille Theologus, in sein Haus und Tisch genommen, und auch andern fürnemen Leuten, darunter nicht allein Herr Privinus Reuterus, Theolog. Doctor, so uns solemni convivio in Col��Krollmann (Hg.): Selbstbiographie des Burggrafen Fabian zu Dohna, LXf. (Einleitung). �� Czarnecka, Mirosława: Deutsch-polnische Kommunikation im plurinationalen Kulturkontext des Barock. In: Garber, Klaus (Hg.): Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit, Bd. 1. Tübingen 2005 (Frühe Neuzeit 111), 361–383, hier 362f.; Conrads, Norbert: Das preußische Exil des Herzogs Johann Christian von Brieg 1633–1639 [2001]. In: ders.: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Hg. v. Joachim Bahlcke. Köln/ Weimar/Wien 2009 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 16), 39–52. ��Kohnle, Armin: Die Kurpfalz – Asyl für Glaubensflüchtlinge im 16. Jahrhundert. In: Hugenotten 73/3, 2009, 59–75; Zwierlein: Heidelberg und „der Westen“, 36–55.
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legio Casimiriano excipiret, Herr Bartholomaeus Pitiscus, Churfürstlicher Hofprediger, Herr Janus Gruterus, cujus beneficio Bibliothecam illam totâ fere Europâ celeberrimam contemplari nobis contigit, sondern auch etliche Churfürstliche Räthe, als insonderheit Herr Otto von Grünrade, Präsident im Kirchen-Rath, Herr Marquardus Freherus, Vice-Hoferichter, und Herr D. Michael Lingelshemius, bekannt gemacht, von denen uns auch alle Gunst, Ehre, Lieb und Freundschaft erwiesen worden.“66 Bereits durch die wenigen hier genannten Namen ließe sich exemplarisch ein ganzes Bündel von geistigen, aber auch politischen Kontakten zwischen Schlesien und der Kurpfalz zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufzeigen, die später in recht unterschiedliche Richtungen gefestigt, ausgebaut und vertieft wurden. Ebenso wie sein Mäzen Rhediger zählte Henel zu jenen Späthumanisten in Schlesien, die sich in dieser Phase allmählich vom Luthertum abwandten und zum reformierten Bekenntnis orientierten.67 Es ist gewiss kein Zufall, dass Henels Rhedigeromnema, die zahlreiche Hinweise auf die während der dreijährigen Bildungsreise geknüpfen Bekanntschaften enthält, 1616 in Beuthen an der Oder bei Johann Dörffer gedruckt wurde68 – dem Typographus Schönaichianus, der die Schul- und Lehrbücher des zwei Jahre zuvor durch Georg von Schönaich gegründeten akademischen Gymnasiums, das sich innerhalb weniger Jahre zum intellektuellen Zentrum des schlesischen Reformiertentums entwickelte, sowie andere in diesem Umfeld entstandene Schriften verlegte.69 Wäre es nach dem Willen von Caspar Dornau (Dorna��Henel von Hennenfeld, Nikolaus: Kurze Beschreibung meines Lebenslaufs. In: Jachmann, Christian Gottlieb (Hg.): Beyträge zur Juristischen Litteratur in Schlesien. Breslau 1782, 3–40, hier 35. Zum Autor vgl. Roth, Gunhild: Nikolaus Henel und seine Stellung in der schlesischen Geschichtsschreibung. In: Kosellek, Gerhard (Hg.): Die oberschlesische Literaturlandschaft im 17. Jahrhundert. Bielefeld 2001 (Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 11), 247–268; Kessler, Wolfgang: Nikolaus Henel als Historiograph. In: Kosellek, Gerhard (Hg.): Oberschlesische Dichter und Gelehrte vom Humanismus bis zum Barock. Bielefeld 2000 (Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 8), 205–219; Heinisch, Klaus J.: Nikolaus Henel. Ein schlesischer Gelehrter der Barockzeit. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 20, 1979, 112–131. �� Fleischer, Manfred P.: Späthumanismus in Schlesien. Ausgewählte Aufsätze. München 1984 (Silesia 32); ders.: Wesen und Wirken der späthumanistischen Gelehrtenrepublik in Schlesien. In: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 35, 1983, 323–334; Lubos, Arno: Der Späthumanismus in Schlesien. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 2, 1957, 107–147. �� Henel, Nicolaus: Rhedigeromnema, sive de vita magnifici, strenui, ac nobilissimi Domini Dn. Nicolai Rhedigeri, Strisae, Slisae, Sponsbergae, & Ruckesii in Silesia Toparche Commentarius. Bethaniae ad Oderam 1616. Ein Exemplar des Druckes befand sich in der Bücherei des Neisser Gymnasiums. Als die Schule während des Dreißigjährigen Krieges an die Jesuiten fiel, notierte ein besorgter Nutzer sicherheitshalber auf dem Titelblatt „Haereticorum Auctoris Carmina“, und ein späterer Leser ergänzte noch „quaedam pestifera in Summum Pontificem Romanum Papam scommata“. Zit. nach Hoffmann, Hermann: Vom geistigen Leben im evangelischen Schlesien um 1600. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 31, 1941, 45–58, hier 45f. ������������������������������������������������������������������ Zu Dörffer und dessen Buchdruckerei in Beuthen an der Oder vgl. Reske, Christoph: Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Wiesbaden 2007 (Beiträge zum
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vius) gegangen, der in eben jenem Jahr, 1616, in Beuthen das Amt des Rektors übernahm, so wäre der ihm seit längerem bekannte Henel als juristischer Professor an das Schönaichianum berufen worden. Henel lehnte zwar ab, blieb aber mit Dornau, dessen gelehrte und politische Netzwerke und Tätigkeitsfelder die Lebendigkeit der einzelnen Austauschprozesse unterstreichen, auch später in Kontakt.70 Nicht weniger fruchtbar und aufschlussreich für das Anliegen dieses Beitrags wäre eine Skizze der in Briefwechseln und Kasualdrucken greifbaren Verbindungen Henels zu Martin Opitz, der seinem Freund beispielsweise 1618, als dieser zum fürstlich liegnitzischen Rat ernannt wurde, ein Gratulationsgedicht (Quod Lygiae Princeps gentis) zueignete.71 Im politischen Zentrum Schlesiens, in Breslau, zählte Henel wenig später zu den führenden Köpfen der reformierten Gemeinde. Hier traf er Anfang März 1620 auch wieder mit Abraham Scultetus zusammen, der den pfälzischen Kurfürsten, der ein halbes Jahr zuvor in Böhmen zum König gekrönt worden war, auf dessen Huldigungsreise nach Schlesien begleitete und im großen Saal der königlichen Burg die Predigt hielt.72 Viele „Breßlauische Patritii und Gelehrte“ hätten an dem Gottesdienst teilgenommen, wusste ein halbes Jahrhundert später der Geschichtsschreiber Friedrich Lucae, einer der letzten reformierten Hofprediger im schlesischen Fürstentum LiegnitzBrieg, zu berichten, und – die geradezu „Magnetische Krafft dieses geistreichen Lehrers“ empfindend – sich „freywillig der Reformirten Religion“ angeschlossen.73 Während der Feierlichkeiten in Breslau wurden dem König zahlreiche Huldigungsgedichte übergeben, darunter eine lateinische Rede (Oratio ad Serenissimum et Potentissimum Principem Fridericum Regem Bohemiae), die Martin Opitz, der zu jener Zeit als Hauslehrer bei Georg Michael Lingelsheim angestellt war, bereits bei der Abreise Friedrichs von Hei-
Buch- und Bibliothekswesen 51), 111; Klopsch, Christian David: Geschichte des berühmten Schönaichischen Gymnasiums zu Beuthen an der Oder. Groß-Glogau 1818, 39–43. Die wichtige Buchdruckerei fehlt bei Haberland, Detlef: Kommentierte Bibliographie zum Buch- und Bibliothekswesen in Schlesien bis 1800. München 2010 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 39). Zum Schönaichianum vgl. zusammenfassend Wollgast, Siegfried: Zum Schönaichianum in Beuthen an der Oder [1994]. In: ders.: Zur Frühen Neuzeit, zu Patriotismus, Toleranz und Utopie. Gesammelte Aufsätze. Berlin 2007, 89–143. ��Seidel: Späthumanismus in Schlesien, 247–254; Fechner, Jörg-Ulrich: Der Lehr- und Lektüreplan des Schönaichianums in Beuthen als bildungsgeschichtliche Voraussetzung der Literatur. In: Schöne, Albrecht (Hg.): Stadt – Schule – Universität – Buchwesen und die deutsche Literatur im 17. Jahrhundert. München 1976, 324–334. ��Opitz, Martin: Lateinische Werke, Bd. 2. Hg. v. Veronika Marschall und Robert Seidel. Berlin/New York 2011 (Ausgaben deutscher Literatur des XV. bis XVIII. Jahrhunderts 168), 363. ��Bruchmann, Karl: Die Huldigungsfahrt König Friedrichs I. von Böhmen (des „Winterkönigs“) nach Mähren und Schlesien. Breslau 1909 (Darstellungen und Quellen zur schlesischen Geschichte 9), 87. �� Lucae, Fridericus: Schlesiens curiose Denckwürdigkeiten/ oder vollkommene Chronica von Ober- und Nieder-Schlesien [...], [Bd. 1]. Franckfurt am Maeyn 1689, 502.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Tschechischsprachige Ausgabe von Scultetus’ Prager Predigt Von den Götzenbildern, Dezember 1619.
delberg nach Prag verfasst hatte.74 So lässt sich an vielen Orten und bei ganz unterschiedlichen Anlässen immer wieder die Beobachtung machen, wie einmal geknüpfte Kontakte erweitert und vertieft wurden. Durch eine persönliche Begegnung in Heidelberg 1601 kam auch die Bekanntschaft mit Abraham von Dohna zustande,75 die einen langjährigen Austausch von Scultetus mit Mitgliedern des reformierten, in Preußen begüterten Familienzweigs nach sich zog. In keinem anderen Fall lässt sich der Anteil von Scultetus an der Festigung, Vernetzung und Mobilisierung des reformierten Lagers in Mitteleuropa genauer nachweisen als an dieser engen Beziehung, die bis zu seinem Tod von einem wechselseitigen Geben und Nehmen geprägt war.76 Seinem Bruder Christoph schrieb Abraham von Dohna am 7. Juli 1601 über Scultetus, „dass negst Gott keiner sei, der nicht allein meinen studiis, sonder auch saluti animae meae besser helfen kan als er“.77 ��Szyrocki, Martin: Martin Opitz. München 21974 [Berlin 11956], 38; Noack, Lothar: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau (1616–1679). Leben und Werk. Tübingen 1999 (Frühe Neuzeit 51), 23–25. ��Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 41. ��Bömelburg: Reformierte Eliten, 210–239. ������������ Zit. nach Chroust, Anton: Abraham von Dohna. Sein Leben und sein Gedicht auf den Reichstag von 1613. München 1896, 29 Anm. 2.
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Wie mehrere seiner ebenfalls in Heidelberg studierenden jüngeren Brüder fand Abraham von Dohna über Scultetus, der umgekehrt dem einstigen Schüler noch zwei Jahrzehnte später in der Vorrede der dem preußischen Adeligen gewidmeten Exercitationes evangelicae seine tiefe Verbundenheit zum Ausdruck brachte,78 zum reformierten Bekenntnis. Die Autobiographie von 1625 war ihm ebenfalls zugeeignet. Zwischen diesen Eckdaten fand ein reger geistiger und politischer Austausch statt – direkt, etwa während des Jülich-Klevischen Erbfolgekriegs, an dem Dohna als Generalquartiermeister der protestantischen Unionsarmee und Scultetus als Feldprediger Christians I. von Anhalt-Bernburg teilnahmen, oder indirekt über Briefwechsel, Boten und gemeinsame Freunde. Abraham von Dohna, ein an vielen Höfen geschätzter Berater, Gesandter, Offizier und Militärtheoretiker, spielte nicht nur bei der Konversion des Kurfürsten von Brandenburg 1613 und der Vermittlung von Scultetus nach Berlin eine entscheidende Rolle, sondern war bis unmittelbar in den böhmischen Aufstand von 1618 hinein, als er in militärischen Diensten Herzog Johann Georgs von Jägerndorf stand, ein zentrales Bindeglied der calvinistischen Aktionspartei in Mitteleuropa – es ist erheblich zu kurz gegriffen, in ihm lediglich den „Typ des kultivierten, kenntnisreichen, tiefgläubigen, preußischen Landadligen [zu sehen], dessen Gesinnung von christlicher Verantwortung für Land, Untergebene und Familie bestimmt“ gewesen sei.79 In der Pfälzer Politik und Diplomatie spielten darüber hinaus mehrere Dohna in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts – vor allem zwei jüngere Brüder Abrahams, Achaz und Christoph – eine führende Rolle und trugen als Landfremde erheblich zur Radikalisierung der Außen- und Konfessionspolitik bei.80 Auch mit diesen beiden Adeligen, die weder Oberrat noch Hofgericht in Heidelberg angehörten, stand Scultetus über Jahre hinweg in Verbindung. Diese Kontakte und Austauschprozesse im Einzelnen zu belegen, ist für den Historiker keine leichte Aufgabe, da sich in aller Regel nur Spuren der Briefwechsel nachweisen lassen und andere Quellen meist nicht zur Verfügung stehen. Noch schwieriger freilich ist es, die Folgen solcher Verbindungen zu bemessen und zu bewerten. So intensiv auch gerade in ��Kühlmann u.a. (Hg.): Die Deutschen Humanisten, Bd. I/3, 584–599. �� Roloff, Hans-Gert: Abraham Burggraf zu Dohna – Ein ostpreußischer Dichter zu Beginn des 17. Jahrhunderts. In: Garber, Klaus/Komorowski, Manfred/Walter, Axel E. (Hg.): Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühen Neuzeit, Teilbd. 2. Tübingen 2001 (Frühe Neuzeit 56), 815–942, hier 822. ��Press: Calvinismus und Territorialstaat, 494f.; Eickels, Christine van: Schlesien im böhmischen Ständestaat. Voraussetzungen und Verlauf der böhmischen Revolution von 1618 in Schlesien. Köln/ Weimar/Wien 1994 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 2); Tecke, Anneliese: Die kurpfälzische Politik und der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Phil. Diss. Hamburg 1931; U flacker, Hans Georg: Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte des pfälzischen Königtums in Böhmen. Phil. Diss. Dessau 1926; Krebs, Julius: Christian von Anhalt und die kurpfälzische Politik am Beginn des dreißigjährigen Krieges (23. Mai – 3. October 1618). Leipzig 1872.
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reformierten Kreisen Ostmitteleuropas um 1600 über Freiheit, Recht, Herrschaft und Glauben nachgedacht wurde, so spekulativ bleibt letztlich doch die Annahme, dass diese Diskurse Einfluss auf Bestimmungen politischer Entscheidungsträger hatten.81 Überdies bleibt stets fraglich, welches Gewicht entsprechende Reflexionen gegenüber der jeweils regional verankerten politischen Kultur und Praxis besaßen.
4. Die kulturelle Dimension: Bildungsmäzenatentum und Buchwidmungen Tatsächliche oder zumindest angestrebte Beziehungen, Transferprozesse und Abhängigkeiten im vorpolitischen Raum dagegen lassen sich eher nachweisen, durch Personalschriften etwa, Gelegenheitsdichtungen und bio-bibliographische Werke, die als „Medien und Katalysatoren zur Bildung von Gruppen-Identität“ fungierten.82 Auch die im 16. und 17. Jahrhundert in allen Textgattungen zu findenden und in großer Formenvielfalt auftretenden Dedikationen, mit denen der Verfasser Schutz und Gönnerschaft für sich und sein Werk erbat, finanzielle Anerkennung erhoffte und auf die Gewogenheit des Adressaten spekulierte, waren häufig Ausdruck von Gruppenbildungen und Gruppenbindungen.83 Wichtige Kontakte ergaben sich allerdings schon früher, durch den Bildungsgang und die berufliche Qualifikation. Unterstützungs-, Förder- und Hilfsmaßnahmen – von Freitischen und Stipendien über Bücher- und Kleidergelder bis hin zu zweckgebundenen Kollekten – waren besonders für kleine, von Ausgrenzungen oder offenen Verfolgungen bedrohten Gruppen wie die Philippisten und Reformierten in Schlesien von existentieller Bedeutung. Eine der sowohl in mehreren Widmungen als auch in der Autobiographie des �� Pánek, Jaroslav: K úrovni českého politického myšlení na počátku novověku. In: Časopis Matice moravské 117, 1998, 453–464; Delsol, Chantal/Masłowski, Michel (Hg.): Histoire des idées politiques de l’Europe centrale. ������������������������������������������������������������ Paris 1998, hier besonders die Beiträge von Michael Soubbotnik, Matei Cazacu, Ferenc Szakály, Josef Válka, Zbigniew Ogonowski, Vladimír Urbánek und Jerzy Kłoczowski; Roos, Hans/Barudio, Günter: Politische Ideen und Verfassungsstrukturen in Ost- und Nordeuropa im 16. und 17. Jahrhundert. In: Fetscher, Iring/Münkler, Herfried (Hg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 3. München/Zürich 1985, 163–200; Leszczyński, Józef: The Part Played by the Countries of the Crown of St. Wenceslaus and by Hungary in the Freedom Ideology of the Polish Gentry (1572–1648). In: Hejl, František/Kolejka, Josef (Hg.): Otázky dějin střední a východní Evropy, Bd. 2. Brno 1975, 25–64. ��Garber, Klaus: Die Piastenhöfe in Liegnitz und Brieg als Zentren der deutschen Barockliteratur und als bibliothekarische Schatzhäuser. In: Harasimowicz/Lipińska (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim, 191–209, hier 195. ��Wittmann, Reinhard: Der Gönner als Leser. Buchwidmungen als Quellen der Lesergeschichte. In: Estermann, Monika/Fischer, Ernst/Wittmann, Reinhard (Hg.): Parallelwelten des Buches. Beiträge zu Buchpolitik, Verlagsgeschichte, Bibliophilie und Buchkunst. Festschrift für Wulf D. von Lucius. Wiesbaden 2008, 1–28.
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Scultetus als „großer Patron“ und „Beforderer“ prominent geehrten Personen, der ebenfalls aus dem Herzogtum Glogau gebürtige Jurist und Diplomat Joachim vom Berge, kann exemplarisch die Dimension, aber auch die realund konfessionspolitische Wirkung dieses kulturellen und Bildungsmäzenatentums veranschaulichen.84 Das Stipendium, das Scultetus von seinem finanzkräftigen Förderer zunächst für den Besuch des philippistischen Gymnasiums in Görlitz Mitte der 1580er Jahre und im Anschluss auch für sein Universitätsstudium in Wittenberg und Heidelberg erhalten hatte, eröffnete ihm bereits in jungen Jahren den Zugang zu einem kulturell-religiösen, die Grenzen Glogaus wie Niederschlesiens überschreitenden und auch in späteren Jahren belastbaren Beziehungsnetz.85 Joachim vom Berge hatte seit seiner eigenen Bildungsreise enge Kontakte zur Kurpfalz und stand in direktem Austausch mit dem Heidelberger Hof. Über den gebürtigen Breslauer Zacharias Ursinus – er hatte 1562/63 in Heidelberg den Katechismus verfasst, der zum maßgeblichen Lehrbuch der reformierten Kirche werden sollte86 – schrieb ihm Kurfürst Friedrich III., der Fromme, von der Pfalz, Schlesien sei eines solchen Mannes nicht würdig gewesen – und forderte ihn gleichzeitig auf, weitere Landsleute an seinen Hof zu führen. Dieser Bitte kam Joachim vom Berge nach, wobei vermutlich nur ein kleiner Teil seiner Empfehlungen bis heute überhaupt bekannt ist. 1584 hatte er beispielsweise dem aus Glogau stammenden Hieronymus Gebelius ein Studium an der Universität Heidelberg ermöglicht,87 und auch andere Schlesier, die es in die Kurpfalz zog, wurden von ihm unterstützt. Der reformierte Theologe Daniel Toussain (Tossanus), der seit den 1570er Jahren in verschiedenen Funktionen in der Kurpfalz, zuletzt als Hofprediger und Professor an der Universität Heidelberg, wirkte und 1590 Präses bei der ersten theologi�� Bahlcke, Joachim: O „szerzeniu prawdziwej Nauki Chrześcijańskiej“, dla „dobrobytu“ i „pomyślności ojczyzny“. Życie oraz dzieło śląskiego humanisty i prawnika Joachima vom Berge (1526– 1602). In: Hałub, Marek/Mańko-Matysiak, Anna (Hg.): Śląska republika uczonych – Schlesische Gelehrtenrepublik – Slezská vědecká obec, Bd. 3. Wrocław 2008, 133–154. Die Zitate von Scultetus bei Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 33, 42. ��Bahlcke, Joachim: Bergesche Stipendien. Zielsetzung und Indienstnahme einer frühneuzeitlichen Studienstiftung im konfessionellen Zeitalter. In: ders./Winkelbauer, Thomas (Hg.): Schulstiftungen und Studienfinanzierung. Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern, 1500–1800. Wien/München 2011 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 58), 129–151. Zu Formen und Intentionen von mäzenatischem Handeln und Stiften im universitären und voruniversitären Raum vgl. ferner Flöter, Jonas/Ritzi, Christian (Hg.): Bildungsmäzenatentum. Privates Handeln – Bürgersinn – kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2007 (Beiträge zur historischen Bildungsforschung 33). ��Rott, Hans: Briefe des Heidelberger Theologen Zacharias Ursinus aus Heidelberg und Neustadt a. H. In: Neue Heidelberger Jahrbücher 14, 1906, 39–172. ������� Nach Neu, Heinrich: Pfarrerbuch der evangelischen Kirche Badens von der Reformation bis zur Gegenwart, Tl. 2. Lahr 1939, 186, war Gebelius 1587 Diakon in Neckarelz und 1588 bis 1593 Pfarrer in Lorbach; seit 1606 ist er als Pfarrer in Hildelsheim nachgewiesen.
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schen Disputation von Scultetus war,88 sprach in seinen Briefen an Joachim vom Berge wiederholt von dessen dortigen „beneficiarii“. Die „Unterbringung von Stipendiaten in Heidelberg von seiten Joachims“, so der Pfortaer Religionslehrer und Kirchenhistoriker Karl Pahncke, der diese Zusammenhänge bisher am genauesten erforscht hat, scheine „eine ständige Einrichtung gewesen zu sein“, so dass jeweils „in die Stelle der Ausscheidenden alsbald andere nachrückten“.89 Wann und wo Scultetus genau in Kontakt mit Joachim vom Berge gekommen war, ist ungewiss. Vermutlich kam die Verbindung bereits über Abraham Buchholzer in Grünberg zustande, die prägende Lehrergestalt von Scultetus, Pitiscus und vielen anderen Schlesiern, die ihren Weg vom Philippismus zum Calvinismus gingen.90 Mit dem „doctissimus vir D. Abraham Bucholzer“, der 1556 auf Empfehlung von Melanchthon Rektor der Schule in Grünberg geworden war, stand Berge in der Zeit, als Scultetus dort seinen ersten Unterricht erhielt, nachweislich in Briefkontakt.91 In Görlitz, wo Scultetus im Anschluss für zwei Jahre die Prima besuchte, erhielt er dann bereits eine finanzielle Unterstützung.92 Auf den Rat seines Wohltäters hin, so äußerte sich Scultetus gegenüber Caspar Peucer, habe er Heidelberg als Studienort gewählt.93 Die Verbindung blieb auch in späteren Jahren familiär und freundschaftlich. Im Frühjahr 1594 etwa reiste Scultetus, der zu diesem Zeitpunkt schon seit mehreren Jahren in Heidelberg studierte, zusammen mit Christoph Georg vom Berge – der Neffe seines Förderers übernahm 1602, nach dem Tod des Onkels, die Verantwortung für die evangelische Studienstiftung – in die schlesische Heimat.94 Es ist fast überflüssig zu be����������������������������������������������������������������������������������������������� Aphorismi Theologici contra aliquot haereses, desumti ex epist. D. Pauli ad Philippenses: De quibus disputabitur favente Domino XX. ��������������������������������������������������������� Junii. praeside Daniele Tossano, S. Theologiae D. et Professore ordinario. Respondente verò Abrahamo Sculteto Grunebergensi Silesio. Heidelbergae 1590. �� Pahncke, [Karl]: Joachim von Berge. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 32, 1911, 68–88, hier 84. �� Schott, Christian-Erdmann: M. Abraham Buchholzer (1529–1584). Chronolog – Polyhistor – Pastor. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 38/39, 1997/98, 289–305; Sturm, Erdmann K.: Der junge Zacharias Ursin. Sein Weg vom Philippismus zum Calvinismus. Neukirchen-Vluyn 1972 (Beiträge zur Geschichte und Lehre der Reformierten Kirche 33), 42, 134f., 196–212. Bemerkenswert ist das lange Lebensbild, das der aus Grottkau stammende Melchior Adam, der später als Lexikograph und späthumanistischer Gelehrter in Heidelberg bekannt wurde, in seiner monumentalen Vitensammlung über Buchholzer veröffentlichte. Es enthält eine lange Liste von dessen schlesischen Schülern und Freunden, darunter an prominenter Stelle Joachim vom Berge. Vgl. Adam, Melchior: Vitae Germanorum Theologorum [...]. Haidelbergae 1620, 548–561. ��Pahncke: Joachim von Berge, 76f. �� Bahlcke, Joachim: Das Görlitzer Gymnasium Augustum. Entwicklung, Struktur und regionale Ausstrahlung einer höheren Schule im konfessionellen Zeitalter. In: ders. (Hg.): Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse. Stuttgart 2007 (Forschungen und Quellen zur sächsischen Geschichte 30), 289–310. ��Pahncke: Joachim von Berge, 84. ��Benrath (Hg.): Selbstbiographie, 32f.; Bahlcke: Bergesche Stipendien, 142. Sein Verhältnis zu Caspar Dornau beleuchtet Seidel: Späthumanismus in Schlesien, 52, 158, 251, 416, 428, 461, 465.
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tonen, dass sich die vertrauliche Beziehung zu Joachim vom Berge auch in Gedichten und Buchwidmungen niederschlug. So eignete ihm Scultetus beispielsweise 1598 den ersten Band seiner Medulla Theologiae Patrum, seinem wichtigsten, wenn auch unvollendeten Werk zu den Schriften der Kirchenväter, zu.95 Hinweise auf die Stipendiaten des Joachim vom Berge, zu denen der Chronist und Rektor des Brieger Gymnasiums Jacob Schickfus, der Rektor der Brüderschule im mährischen Eibenschitz Esrom Rüdinger sowie viele andere, nach ihrer Ausbildung in den anhaltischen Territorien, Brandenburg, Schlesien, der Pfalz und der Oberlausitz tätige Pfarrer, Lehrer und Gelehrte zählten, finden sich in zahlreichen, wenn auch verstreuten Quellen.96 Die späteren Verbindungen der einstmals geförderten Schüler und Studenten im Detail nachzeichnen zu wollen, ist freilich ein nahezu aussichtsloses Unterfangen.97 Es bedarf in jedem einzelnen Fall umfassender Recherchen, um diese Netzwerke zu rekonstruieren. Dass es solche gab und mithin Nachwuchsförderung und Studienfinanzierung häufig mit gezielter Klientelbildung und Personalpolitik einhergingen, lässt sich am Beispiel von Abraham Scultetus exemplarisch nachweisen. Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem aus der Oberlausitz gebürtigen Martin Füssel zu, der ebenfalls vom Gymnasium in Görlitz bis zum späteren Theologiestudium durch Joachim vom Berge gefördert wurde, dann zunächst in dessen Diensten in Niederschlesien stand und schließlich als erster reformierter Hof- und Domprediger in Berlin tätig wurde.98 An Füssels Wechsel nach Brandenburg 1614 hatte der fünf Jahre ältere Scultetus maßgeblichen Anteil.99 Durch Füssel und Scultetus, so das Urteil des brandenburgischen Kurfürsten, sei ein „ziemlich gutes und nützliches fundament zur Erbauung der wahren Kirchen“ gelegt ��Scultetus, Abraham: Medulla Theologiae Patrum [...], [Bd. 1]. Ambergae 1598. Zum Werk vgl. Kühlmann u.a. (Hg.): Die Deutschen Humanisten, Bd. I/3, 332–487; Benrath: Reformierte Kirchengeschichtsschreibung, 21–27. ������������������������������ Vgl. lediglich exemplarisch Becker, Heinrich: Böhmische Pastoren, in Anhalt ordinirt 1583– 1609. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Oesterreich 17, 1896, 72–95, 129–156; 18, 1897, 73–87; Kliesch, Gottfried: Der Einfluß der Universität Frankfurt (Oder) auf die schlesische Bildungsgeschichte, dargestellt an den Breslauer Immatrikulierten von 1506– 1648. Würzburg 1961 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 5). ������������������������������������������������������������������������������������������ Hilfreich sind Vitensammlungen mit ihrer Fülle von Namensnennungen und Querverbindungen wie die bereits genannte von Melchior Adam, der einst selbst durch Joachim vom Berge gefördert worden war und seinem Mäzen in Heidelberg später ein würdiges literarisches Denkmal setzte. Vgl. Adam, Melchior: Vitae Germanorum iureconsultorum et politicorum [...]. Haidelbergae 1620, 359–379. Zum Verfasser vgl. Bahlcke, Joachim: Melchior Adam (um 1575–1622). In: Borchardt, Karl (Hg.): Schlesische Lebensbilder, Bd. 10. Insingen 2010, 91–102. �� Pahncke, Karl: Martin Füssel. In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 6, 1909, 104–121; von Thadden: Hinwendung des Kurhauses zum reformierten Bekenntnis, 255–257; ders.: Hofprediger, 66f., 76, 104; Schneider, Julius: Die Geschichte des Berliner Doms. Von der Domstiftung im 15. Jahrhundert bis zum Wiederaufbau im 20. Jahrhundert. Berlin 1993, 167–181. ���������������������������������������������������������������������������� Auch hier spielte Abraham von Dohna, der 1613 eine Neuauflage von Füssels Confessio veranlasst hatte, eine wichtige Vermittlerrolle. Vgl. Chroust: Abraham von Dohna, 105–111.
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worden, nämlich derjenigen, die sich „in Lehre und Ceremonien dem Worte Gottes und der apostolischen Kirche mehr als andere anpasse“.100 Es wäre lohnend, die Verbindungen zwischen Scultetus und Füssel, aber auch die spezifischen Formen und Anliegen ihrer religiösen Kommunikation und Reisediplomatie genauer nachzuzeichnen, zumal beide von der Ausbildung bis zu späteren Wirkungsorten ähnliche Erfahrungen machen konnten. Füssel erlebte die unmittelbaren Folgen der Calvinisierung des Berliner Doms, die mit der Entfernung von Altarbildern und Kruzifixen einherging, hautnah: Nach seiner Predigt im April 1615, in der er die Befreiung der Kirche von „Götzenbildern“ als dem Evangelium gemäß verteidigt hatte, kam es in der Stadt mit ihrer lutherischen Mehrheitsbevölkerung zu einem regelrechten Aufstand.101 Gut vier Jahre später erlebte Scultetus ganz Ähnliches, als er in Prag alle Statuen und Heiligenbilder aus dem Veitsdom, der altehrwürdigen Metropolitankirche, entfernen ließ; auch er rechtfertigte sein Vorgehen mit einer Predigt über das Bilderverbot.102 Auf der Ebene zweier Hofprediger lassen sich entsprechende Verbindungen und Vernetzungen noch immer ungleich besser fassen als bei Theologen und Pfarrern außerhalb der reformierten Zentren und Residenzen. Dies gilt selbst für lokal und regional bedeutende Persönlichkeiten wie den aus Schweidnitz gebürtigen Christoph Pelargus, einen früheren Mitschüler von Scultetus, Pitiscus und Polanus in Breslau, der später im brandenburgischen Kirchendienst Karriere machte und dabei ebenfalls von der Fürsprache des Scultetus profitierte.103 Auch der Blick in das umfangreiche Œuvre von Scultetus macht deutlich, dass die Kontakte ins Oderland stets lebhaft blieben und nicht nur die zentralen Gestalten des schlesischen Späthumanismus umfassten, der namentlich von literaturwissenschaftlicher Seite in den letzten Jahrzehnten breit erforscht worden ist.104 Die Namen adeliger wie bürgerlicher Widmungsempfänger, darunter mehrere Amtsträger und Ständepolitiker in den piastischen Territorien, weisen auf Querverbindungen hin, die sich durch Korrespondenzen ������������� Zit. nach Pahncke: Martin Füssel, 112. ��� Faden, Eberhard: Der Berliner Tumult von 1615. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 5, 1954, 27–45. ���Hubková: Fridrich Falcký v zrcadle letákové publicistiky, 189–212; Hemmerle, Josef: Die calvinische Reformation in Böhmen. In: Stifter-Jahrbuch 8, 1964, 243–276. ���Arnold, Franklin: Christoph Pelargus aus Schweidnitz in seinen Beziehungen zu Schlesien. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 42, 1908, 151–186; ders.: Ungedruckte Briefe des Christoph Pelargus an Martin Weindrich. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 11, 1908, 47–76; Spieker, Christian Wilhelm: Beschreibung und Geschichte der Marien- oder Oberkirche zu Frankfurt an der Oder. Ein Beitrag zur Kirchen- u. Reformations-Geschichte der Mark Brandenburg. Frankfurt a. d. Oder 1835, 251–270, 478. ������������������������������������������������������������������������������������������������ „Für kaum eine Region des alten Reiches ist der Späthumanismus als Staat und Gesellschaft beeinflussende wie gleichzeitig von beiden beeinflußte geistige und politische sowie soziale Kraft mit seinen untrennbaren Verwurzelungen in der Reformation und besonders dem schlesischen Kryptocalvinismus so ausführlich untersucht worden wie für Schlesien.“ Walter, Axel E.: Späthumanis-
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allein nicht dokumentieren lassen.105 Predigten und Traktate des Scultetus sind in zahlreichen Büchersammlungen Schlesiens nachgewiesen, wobei der Büchertransfer im Ganzen ebenso verschlungene Wege kannte wie der ihm parallel laufende Ideentransfer.106 Zweimal besuchte Scultetus 1614 das berühmte Gymnasium academicum in Beuthen an der Oder, mit dessen Stifter Georg von Schönaich er ebenso wie mit einem Teil der reformierten Professorenschaft über lange Jahre in Briefwechsel stand.107 Je weiter man freilich in der ständischen Hierarchie nach unten geht, desto schwieriger wird es, einen Zusammenhang zwischen gelehrten Interessen und religiösen Bindungen einerseits und politischem Denken und Handeln andererseits zu erfassen. Welche Bedeutung hat es etwa, dass Scultetus dem aus Glogau stammenden, um 1600 an der Universität Heidelberg nachgewiesenen, heute allerdings gänzlich unbekannten Juristen Balthasar Wilpert zu dessen Hochzeit 1606 ein Gedicht verfasste – jenem Wilpert, der dem Kaiser 1621 von berufener Seite als einer der „calvinischen Rädelsführer“ des böhmischen Aufstandes in Schlesien genannt wurde?108 Im Fall von Scultetus liegt es auf der Hand, dass eine Untersuchung der pfälzisch-schlesischen Kontakte stets auch die Verbindungen nach Böhmen und England einzubeziehen hätte. Zahlreiche Publikationen des Heidelberger Theologen, die bisher nicht einmal bibliographisch zuverlässig erfasst worden sind, wurden ins Tschechische und ins Englische übersetzt. Und auch bei diesen Übersetzungen lassen sich ebenso wie bei Einträgen in Stammbüchern und Widmungsadressen, über Sprach- und zum Teil Kulturgrenzen hinweg, aufschlussreiche Einblicke in gelehrte Kommunikationsstrukturen gewinnen, die nicht ohne Auswirkungen auf politische Entscheidungsprozesse und Abläufe blieben.109 mus und Konfessionspolitik. Die europäische Gelehrtenrepublik um 1600 im Spiegel der Korrespondenzen Georg Michael Lingelsheims. Tübingen 2004 (Frühe Neuzeit 95), 318. ��������������������� Auf der Basis von Kühlmann u.a. (Hg.): Die Deutschen Humanisten, Bd. I/3, 295–614; zusammenfassend El Kholi: Schlesisch-pfälzische Beziehungen, 223–227. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Scultetus versandte – wie andere Gelehrte – Bücher zusammen mit Begleitbriefen. Vgl. am Beispiel der Anhalter Fürsten Pahncke: Scultetus in Berlin, 40f. ���Wollgast: Schönaichianum, 95f., 126f. Wie Scultetus allerdings in Schlesien und Beuthen Anklang fand, ist unsicher. So berichtet Seidel: Späthumanismus, 237, beispielsweise von einem „Zeugnis, wonach die Beuthener Theologen den Nachdruck einer Schrift des Heidelberger Hofpredigers Abraham Scultetus [...] verboten, weil sie Anlaß zu Angriffen auf die Schule hätte geben können“. ��� Deventer, Jörg: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526–1707. Köln/Weimar/Wien 2003 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 8), 134, 149f., 165; Zonta, Claudia A.: Schlesische Studenten an italienischen Universitäten. Eine prosopographische Studie zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte. Köln/Weimar/Wien 2004 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 10), 204, 301, 445. ���Hejnic, Josef/Martínek, Jan: Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě, Bd. 5. Praha 1982, 37. Aufschlussreich für den Zusammenhang von Religion, Kultur und politischer Praxis sind nicht nur die Kontakte von Scultetus zu den genannten Humanisten in Böhmen und Mähren, sondern auch deren Wege nach der erzwungenen Flucht nach 1620. Vgl. Odložilík, Otakar: Education, Religion, and Politics in Bohemia, 1526–1621. In: Cahiers d’Histoire Mondiale 13, 1971, 172–203.
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5. Biographie zwischen Struktur und autonomer Handlungsfähigkeit „Christlicher Konfessionsfundamentalismus“, so Heinz Schilling in einem sachlich wie begriffsgeschichtlich anregenden Beitrag im Jahr 2005, stehe für die in Europa an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert signifikante „enge Allianz von religiösem Wahrheitsanspruch und politischem Machtwillen, verbunden mit der Bereitschaft, beides mit Gewalt durchzusetzen, besonders ausgeprägt im calvinistischen und katholischen Lager“.110 Es geht Schilling um Aspekte der Mächtebeziehungen im Europa um 1600, eschatologisches Endzeitringen, Apokalyptik und Bewältigungsstrategien kollektiver Angstzustände sowie allgemein um das Zusammenspiel von Politik, Gewalt und Religion. Zwei Jahre später legte Schilling zu dieser Thematik einen breit angelegten Sammelband mit europäischen Fallstudien vor. Der Begriff „Konfessionsfundamentalismus“ solle primär dazu dienen, heißt es im Vorwort, „die Strukturen und Ereignisse am Vorabend des großen europäischen Konfessions- und Staatenkrieges zu beschreiben und die Ursachen und Mechanismen der Ausbrüche von Gewalt innerhalb und zwischen den Staaten zu analysieren, aber auch und nicht zuletzt die Bedingungen der Überwindung dieser konfessionsfundamentalistischen Falle und der Hinwendung zu einer friedlich-schiedlichen Austragung der Gegensätze zu klären“.111 Es lag auf der Hand, in einen derart fokussierten Sammelband auch einen Beitrag über die Kurpfalz aufzunehmen. Eike Wolgast, der die „Konfessionsbestimmte[n] Faktoren der Reichs- und Außenpolitik der Kurpfalz 1559–1620“ kenntnisreich und klar analysierte, kam geradezu unumgänglich auch auf Abraham Scultetus zu sprechen: Als Hofprediger habe dieser die Pfälzer Politik begleitet und religiös legitimiert. „Von den Folgen seines Prager Engagements her gesehen“, so das abschließende Urteil von Wolgast, „ließe sich Scultetus als der einflußreichste der Heidelberger Hofprediger bezeichnen“.112 Angesichts des thematischen Rahmens, in dem der Beitrag von Wolgast erschien, ist gerade das Urteil über Scultetus wenig überzeugend. Die Amtsbezeichnung Hofprediger ist in diesem Zusammenhang eher irreführend, suggeriert sie doch allzu leicht ein vorrangiges Handeln im höfischen und allenfalls territorialstaatlichen Kontext. Unter allen neuzeitlichen Konfessionen waren
���Schilling, Heinz: Gab es um 1600 in Europa einen Konfessionsfundamentalismus? Die Geburt des internationalen Systems in der Krise des konfessionellen Zeitalters. In: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2005, 69–93, hier 89. ��� Ders. (Hg.): Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 70), VIIf. ��� Wolgast, Eike: Konfessionsbestimmte Faktoren der Reichs- und Außenpolitik der Kurpfalz 1559–1620. In: Schilling (Hg.): Konfessioneller Fundamentalismus, 167–187, hier 175.
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die Reformierten jedoch – und dies wird auch am Werdegang von Scultetus vor 1620 deutlich – in besonderer Weise durch die Erfahrung von Unsicherheit, Verbannung, Flucht und Exil geprägt. Die bereits im 16. Jahrhundert einsetzenden Verfolgungen sind eine Ursache für den grenzüberschreitenden Charakter dieser Konfession, ihren ausgeprägten Internationalismus und die hohe Mobilität ihrer Anhänger. Die Existenz als Flüchtlings-, Untergrundund Minderheitenkirche bestimmte nicht nur Ordnung und Institutionen, sondern auch Denken und Handeln der Reformierten.113 Die mit Scultetus’ Wirken verbundene religiöse Kommunikation und Reisediplomatie, die sich nicht auf die Pflege späthumanistischer Gelehrsamkeit beschränkte, trug in hohem Maße zur politischen Lager- und Frontenbildung in Mitteleuropa bei. Man mag über die intendierten Zielsetzungen dieses Kontroverstheologen streiten, dem durchaus Züge von Irenik und Ausgleich zu eigen waren – die nicht-intendierten Wirkungen dagegen scheinen, auch bei vergleichsweise dürftiger Quellenlage, eindeutig. Der Begriff „Christlicher Konfessionsfundamentalismus“ ist insofern gut geeignet, den strukturellen Rahmen für die individuelle Biographie von Abraham Scultetus zu benennen. Den Beziehungen zwischen Böhmen und Schlesien auf der einen, der Kurpfalz und anderen reformierten Territorien im römisch-deutschen Reich auf der anderen Seite, mithin also den engeren geographischen Bezugspunkten für das Wirken von Scultetus, kommt dabei spezifische Bedeutung zu. Besonders die Unionsbestrebungen Heidelbergs – in politischer Hinsicht, aber auch mit Blick auf einen Schulterschluss der einzelnen evangelischen Bekenntnisse – fielen bei der evangelischen Ständeopposition in den böhmischen Ländern auf fruchtbaren Boden. Die Schweizer seien zu bewundern, seien sie doch trotz unterschiedlicher Konfession politisch verbunden und vereint und dadurch für ihre Feinde unbesiegbar: Diese Auffassung lässt sich in den Korrespondenzen von Wenzel Budovetz von Budov, dem wichtigsten Theoretiker der böhmischen Brüderunität um 1600, wiederholt finden.114 Bei der Europäisierung der böhmischen Frage in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts spielten die Reformierten im Reich und im westlichen Europa eine tragende Rolle.115 ��� Kingdon, Robert M.: International Calvinism. In: Brady, Thomas A. jr./Oberman, Heiko A./ Tracy, James D. (Hg.): Handbook of European History 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, Bd. 2. Leiden/New York/Köln 1995, 229–247; Schilling, Heinz: Peregrini und Schiffchen Gottes. Flüchtlingserfahrung und Exulantentheologie des frühneuzeitlichen Calvinismus. In: Reiss/Witt (Hg.): Calvinismus, 160–168. ��� Glücklich, Julius (Hg.): Václava Budovce z Budova korrespondence z let 1579–1619. Praha 1908 (Historický archiv 30); ders. (Hg.): Nová korrespondence Václava Budovce z Budova z let 1580–1616. Praha 1912 (Historický archiv 38). ��� Gmiterek, Henryk: Bracia czescy a kalwini w Rzeczypospolitej. Połowa XVI – połowa XVII wieku. Lublin 1987; Odložilík, Otakar: Bohemian Protestants and the Calvinist Churches. In: Church History 8, 1939, 342–355; Klueting, Harm: Reformierte Konfessionalisierung in West- und
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Umgekehrt fand man in der Pfalz sowie in anderen reformierten Territorien über Theologen wie Scultetus, Gelehrte, Präzeptoren und Studenten Ansprechpartner im vorpolitischen Raum. Prag wurde immer deutlicher zur Chiffre für eine vermeintlich unausweichliche Konfrontation zweier Weltentwürfe und Politikmodelle.116 Endogene und exogene Faktoren verstärkten sich dabei wechselseitig – dies wird Anfang des 17. Jahrhunderts deutlich, als in Schlesien zwei Liegnitz-Brieger Piasten zum Calvinismus konvertierten. Der letzte Vertreter der Teschener Piasten dagegen, Adam Wenzel, trat zum Katholizismus über.117 Beide Linien waren zu einer Parteinahme, die nicht nur innerer Überzeugung, sondern auch nüchternem Machtkalkül folgte, förmlich gezwungen. Die Beobachtung von Heinz Schilling, der von der der „enge[n] Allianz von religiösem Wahrheitsanspruch und politischem Machtwillen, verbunden mit der Bereitschaft, beides mit Gewalt durchzusetzen, besonders ausgeprägt im calvinistischen und katholischen Lager“,118 sprach, wird an dieser parallelen Konversion exemplarisch deutlich.
Ostmitteleuropa. In: Leppin, Volker/Wien, Ulrich A. (Hg.): Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit. Stuttgart 2005 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 66), 25–55. ��� Bahlcke, Joachim: Theatrum Bohemicum. Reformpläne, Verfassungsideen und Bedrohungsperzeptionen am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges. In: Schulze, Winfried (Hg.): Friedliche Intentionen – Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich? St. Katharinen 2002 (Studien zur Neueren Geschichte 1), 1–20. ���Szczur/Ożóg (Hg.): Piastowie, 536–540, 543–547, 833–837. ���Schilling: Konfessionsfundamentalismus, 89.
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Konfessionalisierung der Außenpolitik? Die Rolle der Konfession für die Außenbeziehungen der böhmischen und mährischen Stände im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert 1. Konfession und frühmodernes Staatensystem Die Herausbildung des neuzeitlichen Mächteeuropa, der neue Typus zwischenstaatlicher Beziehungen und die Frage nach den stilbildenden Leitkategorien innerhalb dieses Wandlungsprozesses werden in der Frühneuzeit-Forschung kontrovers beurteilt. Grundsätzliche Einigkeit besteht darüber, dass die Entwicklung des sich formierenden internationalen Systems durch ein Zusammenwirken vielfältiger Kräfte bestimmt war. Dynastie, Konfession, Staatsinteresse und Tradition gelten als Faktoren, die, in zeitlicher und räumlicher Differenzierung, als maßgebliche Leitkategorien für Aufbau und Dynamik des internationalen Beziehungsgeflechts angesehen werden können. Umstritten ist dagegen die konfessionelle Dimension der Außenpolitik, die besonders in der Zeit zwischen dem Zusammenbruch des habsburgischen Universalismus unter Karl V. 1559 und der Westfälischen Friedensordnung von 1648, die eine zweite Phase des frühneuzeitlichen Mächtesystems umspannt, zum Tragen kam. Den markantesten, am stärksten systematisch gefassten Interpretationsansatz zu dieser Frage lieferte Heinz Schilling, der den Zusammenhang von religiösem und gesellschaftlichem Wandel, von Konfessionalisierung und Staatsbildung,1 auch auf den Bereich der Außenpolitik und neuzeitlichen Staatenordnung übertrug: „Die Funktion der Konfessionalisierung von Außenpolitik bei der Herausbildung des frühmodernen Staatensystems verlief analog zu ihrer Funktion bei der frühmodernen Staatsbildung im Innern: Als Hauptfunktionen gelten dort die Beseitigung konkurrierender Herrschaftsträger zugunsten einer einheitlichen Staatsgewalt, die Integration der Untertanengesellschaft im Innern und die teilweise aggressive Abgren1 Schilling, Heinz: Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe. Gütersloh 1981 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 48). Aus der Fülle weiterer Detailbetrachtungen vgl. ders.: Religion, political culture and the emergence of early modern society. Essays in German and Dutch history. Leiden 1992 (Studies in Medieval and Reformation Thought 59); ders.: Nation und Konfession in der frühneuzeitlichen Geschichte. Zu den konfessionsgeschichtlichen Voraussetzungen der frühmodernen Staatsbildung. In: Garber, Klaus (Hg.): Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit. Tübingen 1989 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 1), 87–107; ders.: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620. In: Historische Zeitschrift 246, 1988, 1–45.
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zung nach außen. Auch auf dem Feld überregionaler und überstaatlicher Politik erscheint mir die Dialektik von Vereinigung und Separation entscheidend, weil sie formierende und modernisierende Kräfte freisetzte.“2 Für die ostmitteleuropäischen Ständestaaten sind Überlegungen dieser Art in vergleichender Perspektive nur in ersten Ansätzen angestellt worden. Erst seit den 1990er Jahren stoßen Polen, Böhmen und Ungarn in der allgemeinen Frühneuzeit-Forschung wieder auf spürbares Interesse.3 Ihre vormoderne Entwicklung hatte aus komparatistischer Sicht zuvor lediglich während der kurzen Phase zwischen dem Warschauer Historikertag von 1933 beziehungsweise der drei Jahre später erfolgten Gründung der Commission Internationale pour lʼHistoire des Assemblées dʼEtats und dem Ende eines politisch unabhängigen Ostmitteleuropa in den westlichen Geschichtswissenschaften Beachtung gefunden. Der Osten des ständischen Europa wird dabei immer mehr als historisch zusammenhängende Geschichts- und Strukturregion ins Auge gefasst. Mit gutem Grund: Denn im politischen System und in der politischen Kultur der Länder zwischen Ostsee und Adria, im Gebiet zwischen dem römischdeutschen Reich, der moskowitischen und der osmanischen Großmachtbildung hatten sich über drei Jahrhunderte, vom späten 15. bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert, Strukturen und Traditionen ausgebildet, die diesen Raum von den angrenzenden historischen Großregionen deutlich unterscheiden.4 Den für die Gestaltung des neuzeitlichen internationalen Systems genannten Leitkategorien kommt im ostmitteleuropäischen Flächenstaat, angesichts traditionell fest verankerter Ständeverfassungen mit weitgehenden korporativen Partizipations- und Kontrollrechten, der prinzipiellen Wählbarkeit des Fürsten sowie der pluralistischen Reformation mit starkem adeligen Autonomie- und Repräsentationsbewusstsein zwangsläufig eine andere Wertigkeit 2 Ders.: Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte. In: Krüger, Peter (Hg.): Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems. Marburg 1991 (Marburger Studien zur neueren Geschichte 1), 19–46, hier 36. In ähnlicher Argumentation vgl. ders.: Konfessionalisierung und Formierung eines internationalen Systems während der frühen Neuzeit. In: Guggisberg, Hans R./Krodel, Gottfried G. (Hg.): Die Reformation in Deutschland und Europa: Interpretationen und Debatten. Gütersloh 1993 (Archiv für Reformationsgeschichte. Sonderbd.), 591–613. 3 Vgl. exemplarisch Neugebauer, Wolfgang: Standschaft als Verfassungsproblem. Die historischen Grundlagen ständischer Partizipation in ostmitteleuropäischen Regionen. Goldbach 1995. Zum Kontinuitätsproblem und Modernisierungsparadigma der Ständeforschung vgl. ders.: Politischer Wandel im Osten. Ost- und Westpreußen von den alten Ständen zum Konstitutionalismus. Stuttgart 1992 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 36), 1–27. 4 Bahlcke, Joachim/Bömelburg, Hans-Jürgen/Kersken, Norbert (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.– 18. Jahrhundert. Leipzig 1996 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 4); Evans, Robert J. W./Thomas, Trevor V. (Hg.): Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. London 1991; Weczerka, Hugo (Hg.): Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit. Marburg 1995 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 16).
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zu als in Mittel- und Westeuropa.5 Im Ergebnis zeigt sich dies am Verlauf des Transformationsprozesses vom altständischen Verfassungsstaat der Adelsreiche zur modernen Industriegesellschaft, der in Polen, Böhmen und Ungarn vergleichbare Züge aufweist.
2. Die spezifischen Rahmenbedingungen und Eigentraditionen in den böhmischen Ländern Die qualitativ anderen Voraussetzungen außenpolitischer Aktivität waren den Zeitgenossen durchaus bewusst. In der umfangreichen Korrespondenz Karls des Älteren von Žerotín etwa, eines der begabtesten Ständepolitiker und -theoretiker in den Ländern der Wenzelskrone im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, finden sich zahlreiche Hinweise zu den europäischen Staatenbeziehungen und zur aktuellen politischen Lage in den böhmischen Ländern, der Habsburgermonarchie und den ostmitteleuropäischen Ständemonarchien.6 Der Mährer, der an den führenden calvinistischen Hochschulen Europas studiert hatte, mit den religiösen Auseinandersetzungen im Frankreich der Bürgerkriege ebenso vertraut war wie mit den theologischen Problemen monarchomachischer Widerstandslehren und der über die politische und gesellschaftliche Situation in Siebenbürgen nicht weniger gut unterrichtet war als über das Geschehen in den Niederlanden oder in Spanien, riet angesichts der innenpolitischen Strukturprobleme des eigenen Landes außenpolitisch zur Zurückhaltung. Die protestantische Union von 1608 und den zunehmenden Konfrontationskurs der einzelnen Konfessionslager im Reich hielt der zur Brüderunität neigende Žerotín für ebenso gefährlich wie die Internationalisierung der böhmischen Frage. Gerade in Böhmen dürfe man nicht ad extrema gehen, so meinte er im Frühjahr 1615 in einem Disput mit dem Landeshauptmann des schlesischen Fürstentums Jägerndorf, einem engen Vertrauten Markgraf Johann Georgs von Brandenburg. Denn hier seien die Stände der einzelnen Kronländer aufgrund religiöser Spannungen und politischer Partikularismen heillos zerstritten. Die Tatsache, dass sich die Stände vor wenigen Jahren der 5 Eberhard, Winfried: Reformation and Counterreformation in East Central Europe. In: Brady, Thomas A. jr./Oberman, Heiko A./Tracy, James D. (Hg.): Handbook of European History 1400– 1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, Bd. 2. Leiden 1995, 551–584. 6 Brandl, Vincenc (Hg.): Spisy Karla staršího z Žerotína. Listové psaní jazykem českým, Bd. 1–3. Brno 1870–1872; Dvorský, František (Hg.): Dopisy Karla st. z Žerotína 1591–1610. Praha 1904 (Archiv český 27); Rejchrtová, Noemi (Hg.): Karel starší ze Žerotína. Z korespondence. Praha 1982 (Živá díla minulosti 93); Chlumecky, Peter: Carl von Zierotin und seine Zeit 1564–1615. Zweiter oder Beilagen-Band. Brünn 1879. Die beste Biographie stammt von Odložilík, Otakar: Karel starší z Žerotína 1564–1636. Praha 1936. Zum neueren Forschungsstand vgl. Spurný, František (Hg.): Karel starší ze Žerotína a jeho doba. Bludov 1995.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Der mährische Adelige Karl der Ältere von Žerotín zählte im Vorfeld des Ständeaufstands von 1618 zu denjenigen Politikern in den böhmischen Ländern, die mit Nachdruck vor einer Konfessionalisierung der Außenpolitik warnten. Federzeichnung, spätes 17. Jahrhundert.
communia pericula wegen verbündet hätten, sei ein Sonderfall gewesen und könne nicht als Legitimation einer politisch-konfessionellen Gruppenbildung wie im Reich dienen.7 Keine konfessionalisierte Außenpolitik, sondern ein überkonfessionelles Christentum bot sich Žerotín und anderen Ständepolitikern am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges als Ausweg aus der Krise an.8 Was die außenpolitische Orientierung der böhmischen Stände in ihrer Gesamtheit, die Denkweise und spezifischen Interessen ihrer Trägergruppen sowie die Frage der handlungsleitenden Kategorien für das sich herausbil7 Fukala, Radek: Diplomatická mise Hartvíka ze Stittenu v březnu 1615. In: Slezský sborník 91, 1993, 1–8; ders.: Hartvík ze Stittenu – Žerotínův politický partner. In: Spurný (Hg.): Karel starší ze Žerotína, 21–28; ders.: Role Jana Jiřího Krnovského ve stavovských hnutích. Opava 1997 (Opera Facultatis philosophicae et rerum naturalium Universitatis Silesianae Opaviensis. Studia Historica – Monographiae 1). 8 Válka, Josef: Die „Politiques“: Konfessionelle Orientierung und politische Landesinteressen in Böhmen und Mähren (bis 1630). In: Bahlcke/Bömelburg/Kerksen (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa, 229–241; ders.: Komenský a nadkonfesijní křesťanství. In: Studia Comeniana et Historica 24/51, 1994, 124–130. Zum Begriff „überkonfessionelles Christentum“ vgl. Kołakowski, Leszek: ������������������������������������������������������������������������� Świadomość religijna i więź kościelna. Studia nad chrześcijaństwem bezwyznaniowym XVII wieku. Warszawa 1965. Zum Problem der Toleranz in den böhmischen Ländern vgl. Pánek, Jaroslav: The question of tolerance in Bohemia and Moravia in the age of the Reformation. In: Grell, Ole Peter/Scribner, Bob (Hg.): Tolerance and intolerance in the European Reformation. Cambridge 1996, 231–248.
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dende internationale Beziehungsgeflecht vor allem im östlichen Mitteleuropa betrifft, so stellte ein außerböhmisches Ereignis, der im Herbst 1604 in Ungarn ausgebrochene Aufstand István Bocskais, einen entscheidenden Wendepunkt dar.9 Der bewaffnete Konflikt in Ungarn ließ gleichsam über Nacht die Erkenntnis reifen, dass ein überregional organisierter Widerstand gegen Königsgewalt und Gegenreformation das Gebot der Stunde sei. Die mehrfach bekundete transnationale Konfessionssolidarität hatte zwar keinen unmittelbaren politischen Schulterschluss zur Folge. Die anschließenden Friedensverhandlungen in Wien, an denen ständische Korporationen der einzelnen Kronländer aktiv beteiligt waren, beförderten jedoch unter den Ständen Böhmens einen doppelten Umdenkprozess.10 Zum einen stärkten sie das Bewusstsein für die gemeinsamen Anliegen der einzelnen habsburgischen Ländergruppen, zum anderen forcierten sie eine prinzipielle Verbindung von Konfession und Außenpolitik.11 Im Gegensatz zu der seit Anfang des 17. Jahrhunderts gewachsenen Bedeutung der innermonarchischen Sphäre für die außenpolitische Orientierung der böhmischen Stände, die ihre Dominanz bis zum Zusammenbruch des Konföderationssystems im Jahr 1620 wahrte, behielten die zwischenstaatlichen Beziehungen in dieser Zeit eher ihren bisherigen Stellenwert bei. Dies hing nicht zuletzt mit der besonderen Stellung Böhmens im und zum römisch-deutschen Reich in nachhussitischer Zeit zusammen, die im Einzelfall eine Einheit von konfessioneller und politischer Identitätsfindung erschwerte und wiederholt widersprüchliche Verhaltensmuster erzwang.12 Grundsätzlich stellte die Abwehr jedweder Einflussnahme vonseiten des Reichs auf die innere Politik der böhmischen Länder während der Frühen Neuzeit eine feste Größe der ständischen Programmatik dar. Die Stände des in die Reichsrefor9 Benda, Kálmán: Habsburg-politika ��������������������������������������������������������������������������������� és rendi ellenállás a XVII. század elején. In: Történelmi Szemle 13, 1970, 404–427; Daniel, David P.: The Fifteen Yearsʼ War and the Protestant Response to Habsburg Absolutism in Hungary. In: East Central Europe 8, 1981, 38–51. �� Borovička, Josef: Čeští poslové do Uher roku 1606 (České přípravy k ratifikaci Vídeňského míru). In: Jenšovský, Bedřich/Mendl, Bedřich (Hg.): K dějinám československým v období humanismu. Sborník prací věnovaných Janu Bedřichu Novákovi k šedesátým narozeninám. Praha 1932, 407–418; Nehring, Karl: Magyarország és a zsitvatoroki szerződés (1605–1609). In: Századok 119, 1985, 1401–1448; 120, 1986, 3–50. ��Bahlcke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3), 309–324. Zur öffentlichen Meinung zu Anfang des 17. Jahrhunderts vgl. Polišenský, Josef/Hrubeš, Jiří: Bocskaiovy vpády na Moravu r. 1605 a jejich ohlas ve veřejném mínění. In: Historické štúdie 7, 1961, 133–159. �� Pánek, Jaroslav: Der böhmische Staat und das Reich in der Frühen Neuzeit. In: Press, Volker (Hg.): Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? München 1995 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 23), 169–178. Zu den zwischenstaatlichen Beziehungen vgl. ders.: Das politische System des böhmischen Staates im ersten Jahrhundert der habsburgischen Herrschaft (1526–1620). In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 97, 1989, 53– 82, hier 77–81.
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men Maximilians I. nicht einbezogenen Königreichs Böhmen besaßen auf der einen Seite ein hohes Eigeninteresse, ihre Sonderrechte zu wahren: nämlich an keine Reichstagsbeschlüsse gebunden zu sein, keine Reichssteuern zu zahlen und keine militärischen Hilfsdienste leisten zu müssen.13 Auf der anderen Seite war man freilich bei der Türkenabwehr auf die militärische und finanzielle Unterstützung des Reichs angewiesen.14 Noch komplizierter wurde die Stellung zum römisch-deutschen Reich nach der Reformation, als einige der schlesischen Fürstenhäuser enge familiäre und politische Bindungen zu protestantischen Reichsfürsten knüpften. Das Schicksal der liegnitz-brandenburgischen Erbeinigung von 1537, der Verlauf des Breslauer Fürstentags von 1546 und zahlreiche weitere Konfliktfälle zwischen den schlesischen Fürstentümern, Böhmen und anderen Reichsterritorien bis ins 17. Jahrhundert zeigen anschaulich, dass einer konfessionsgeleiteten überregionalen und überstaatlichen Politik enge Schranken gesetzt waren. Denn zum einen sahen sich die Stände des Hauptlands Böhmen gezwungen, die Integrität des Länderverbands, auch und gerade angesichts des eigenen Führungsanspruchs, zu behaupten und die Einflussnahme einzelner Reichsfürsten abzuwehren. Zum anderen bot sich die einmalige Gelegenheit, den schlesischen Fürstenstand, dessen eigenständige Innen- und Außenpolitik sowohl in Wien als auch in Prag auf Missfallen stießen, unter Rückendeckung des Herrscherhauses nachhaltig zu disziplinieren.15 Die zwischenstaatlichen Beziehungen beschränkten sich so weitgehend auf die Erneuerung der traditionellen Erbeinungen mit Polen, Sachsen und der Pfalz, die zur Einhaltung des Friedens mahnten, die Förderung des Handels anstrebten und zeitweilige Grenzstreitigkeiten beilegten.16 Die Stände sahen hier, ähnlich wie in Fragen der Türkenabwehr, zunächst nicht die Notwendigkeit eigener Initiative und Profilierung. Dies war ein Grund, warum die Chance ungenutzt blieb, den Widerstand aller Protestanten während des böhmischen Aufstands von 1547 unmittelbar in causa fidei zu legitimieren.17 ���������������������������������������������������������������������������������������������� Die wichtigste Quellengrundlage für diese Fragen bildet die Edition der böhmischen Landtagsverhandlungen und -beschlüsse. Vgl. Sněmy české od leta 1526 až po naši dobu, Bd. 1–11/2 [1526– 1607], 15/1–3 [1611]. Praha 1877–1954. �� Pánek, Jaroslav: Podíl předbělohorského českého státu na obraně střední Evropy proti osmanské expanzi. In: Československý časopis historický 36, 1988, 856–872; 37, 1989, 71–84; ders.: Turecké nebezpečí a předbělohorská česká společnost. In: Studia Comeniana et Historica 11/23, 1981, 53–72. ��Bahlcke, Joachim: Das Herzogtum Schlesien im politischen System der Böhmischen Krone. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 44, 1995, 27–55; ders.: Die Herren von Pernstein und die Herzöge von Teschen (Ständische Interessenpolitik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts). In: Vorel, Petr (Hg.): Pernštejnové v českých dějinách. Pardubice 1995, 203–211. ��Kliment, Josef: Orgány zahraničních styků v českém státě před Bílou horou. Praha 1929 (Práce ze semináře českého práva na Karlově universitě v Praze 14), 43–51. ��Eberhard, Winfried: Monarchie und Widerstand. Zur ständischen Oppositionsbildung im Herrschaftssystem Ferdinands I. in Böhmen. München 1985 (Veröffentlichungen des Collegium Caroli-
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Die Tatsache, dass 1595 schließlich mit der Pfalz die letzte Erbeinung erneuert wurde, spiegelt die folgenschwere Gewichtsverschiebung in der böhmischen Innenpolitik an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert wider.18 Die Vergegenwärtigung dieser Eckdaten und Traditionslinien trägt zum Verständnis der zwei Kardinalprozesse bei, die sowohl die innenpolitische Entwicklung als auch die außenpolitische Orientierung der böhmischen Stände nach 1600 maßgeblich bestimmten und entscheidenden Anteil an der neuen Qualität der zwischenstaatlichen Beziehungen hatten. Auf der einen Seite brachte ein innerböhmischer Emanzipationsprozess, verstärkt durch den Konflikt in Ungarn und die eng damit verknüpfte Krise der Dynastie, neue Dynamik in die Ständepolitik. Er war bewusst überkonfessionell motiviert und legitimiert und hatte seine bedeutendsten Vordenker in der Markgrafschaft Mähren. Parallel dazu verdichtete sich auf der anderen Seite ein mitteleuropäischer Konzentrationsprozess, der von außen in den böhmischen Raum einwirkte und auf eine strikt konfessionsgeleitete Außenpolitik abzielte. Er war von Protestanten im römisch-deutschen Reich und im westlichen Europa, besonders von deren religiöser und politischer Speerspitze, den Calvinisten, geprägt und bewirkte eine spürbare Europäisierung der böhmischen Frage. Als gutes Beispiel kann hier die von Théodore de Bèze organisierte Kollektenreise von Charles Liffort 1592/93 in das östliche Mitteleuropa gelten.19 Endogene wie exogene Faktoren, die sich gegenseitig überlagerten und verstärkten, ließen gerade in Böhmen einen Über- und Veränderungsdruck entstehen, der sich dann im Frühjahr 1618 in gewaltsamer Form entlud.20
3. Innenpolitische Radikalisierung und ständische Außenbeziehungen Doch zunächst zur Genese und Struktur der beiden Prozesse im Einzelnen. Der innerböhmische Emanzipationsprozess, eine Folge der seit dem 15. Jahrhundert problematischen verfassungsrechtlichen Ordnung der böhmischen Länder, führte in mehreren Schüben bis 1619 zu einem ständisch-föderativen num 54). Zum Vergleich der Aufstände von 1547 und 1618/20 vgl. Válka, Josef: Čechy a Morava ve stavovských povstáních. In: Sborník prací filosofické fakulty brněnské university C 34, 1987, 119–129. �� Bittner, Ludwig: Chronologisches Verzeichnis der österreichischen Staatsverträge, Bd. 1: Die österreichischen Staatsverträge von 1526 bis 1763. Wien 1903 [ND Nendeln/Liechtenstein] (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs 1), 30, Nr. 153. ��Buscay, Mihály: Protestáns gyűlés Genf javára Kelet-Euroópában, Magyar- és Erdélyországban 1592–1593-ban. In: Theológiai Szemle 16, 1974, 200–207. ��Bahlcke, Joachim: Calvinism and estate liberation movements in Bohemia and Hungary (1570– 1620). In: Maag, Karin (Hg.): The Reformation in Eastern and Central Europe. Aldershot 1997 (St Andrews Studies in Reformation History), 72–91.
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Staatsmodell, das die Einheit der Böhmischen Krone gewährleistete und zugleich den einzelnen Ländern eine eigenständige und gleichberechtigte Stellung zugestand.21 Dem Konsens der Confoederatio Bohemica ging freilich eine oft missverstandene Phase der Desintegration voraus, die, mit Blick auf die ständischen Außenbeziehungen, zu zwei völlig unterschiedlichen Systemen geführt hatte.22 Die stärksten Impulse für eine konsequente Anlehnung an die ungarisch-österreichischen Stände waren nach dem Wiener Frieden von der Markgrafschaft Mähren ausgegangen. Sie konnte das Argument, durch ein länderübergreifendes Ständebündnis das Vertragswerk von Wien und Zsitvatorok zu garantieren und damit – den Text der Präambel aufgreifend – die Christenheit vor der türkischen Bedrohung zu schützen, am glaubwürdigsten vorbringen. Durch den Anschluss Mährens an die von Erzherzog Matthias, den Bruder Rudolfs II. und zu erwartenden Thronfolger, getragene Konföderation der Stände Ungarns und Österreichs im April 1608 war zudem nach außen hin die Legalität gewahrt.23 In der Allianzpolitik Mährens trat die Konfession ebenso wenig als Leitkategorie des politischen Handelns in den Vordergrund wie in dem zuvor vollzogenen Umsturz der Landesregierung. Letzterer wurde von einer überkonfessionell zusammengesetzten und damit mehrheitsfähigen politischen Elite getragen und – ähnlich wie in Polen der Aufstand des Mikołaj Zebrzydowski im Jahr 1606 – von einem Katholiken aus dem Hochadel angeführt. Gleiches gilt für das als Übergangsregierung gedachte Direktorium und den Ständeausschuss für auswärtige Angelegenheiten, mit dem ein neues, ständisches Instrument für die Gestaltung der Außenpolitik geschaffen wurde.24 Die Gefahren, die eine konsequent konfessionalisierte Außenpolitik für die böhmischen Länder haben musste, wurden von den maßgeblichen Ständepolitikern nüchtern reflektiert. Von der berühmten Apologie Karls des Älteren von
�� Adamová, Karolina: K otázce konfederačních snah v českém státě na počátku 17. století. In: Právněhistorické studie 27, 1986, 57–96. ��Bahlcke, Joachim: Modernization and state-building in an east-central European Estatesʼ system: the example of the Confoederatio Bohemica of 1619. In: Parliaments, Estates and Representations 17, 1997, 61–73. ��Válka, Josef: Zemsko-stavovská politická mentalita v bělohorském období. In: Janák, Jan (Hg.): Studie Muzea Kroměřížská ʼ90. Brno 1990, 55–66; Loserth, Johann: Die Stände Mährens und die protestantischen Stände Oesterreichs ob und unter der Enns in der zweiten Hälfte des Jahres 1608. In: Zeitschrift des deutschen Vereines für die Geschichte Mährens und Schlesiens 4, 1900, 226–278; Krofta, Kamil: Zápisky Viléma Slavaty o věcech moravských z l. 1607, 1608, 1613–1615. In: Český časopis historický 16, 1910, 44–51. �� Kameníček, František: Zemské sněmy a sjezdy moravské. Jejich složení, obor působností a význam. Od nastoupení na trůn krále Ferdinanda I. až po vydání obnoveného zřízení zemského (1526–1628), Bd. 1–3. Brno 1900–1905, hier Bd. 2, 446–459, Bd. 3, 398–402; Tenora, Jan: Účast kardinála Dietrichštejna za boje mezi arciknížetem Matyášem a Rudolfem II. roku 1608. Brno 1917; Stloukal, Karel: Karel z Lichtenštejna a jeho účast ve vládě Rudolfa II. (1596–1607). In: Český časopis historický 18, 1912, 21–37, 153–169, 389–434.
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Žerotín von 1606, in der, um die Landesautonomie der Markgrafschaft zu erhalten, zur Eintracht der Christenheit gemahnt wurde, über das Misstrauen gegenüber der Politik der protestantischen Union im Reich bis hin zur langanhaltenden Distanzierung Mährens im böhmischen Ständeaufstand 1618 lässt sich als Kernelement eine eindeutige Zurückstellung konfessioneller Leitlinien in der Politik ausmachen.25 Im Gegensatz zur Stabilisierung des politischen Systems in Mähren hatten die Ereignisse in Böhmen zu einer weitgehenden Destabilisierung geführt. Ja, auf dem Höhepunkt der Herrschaftskrise im Jahr 1609 kam es sogar zu einer vollständigen Spaltung des politischen Systems, die das von überstürzten eigenen Aktionen und Überschätzung der eigenen Kräfte getragene Handeln der böhmischen Stände in zentralen Belangen der außenpolitischen Orientierung zum Teil zu erklären vermag.26 Eine einheitliche Linie wurde durch die neu begründeten alternativen Machtorgane nicht gefördert, die sich nun neben der bestehenden Landesregierung etablierten. Diese hatte, anders als in Mähren, mit den Kräften der Ständeopposition nicht gestürzt werden können.27 Freilich fehlte hier auch lange – und dies gilt in noch höherem Maße für Schlesien – eine Integrationsfigur, die der doppelten Herausforderung hätte begegnen können: dem außenpolitischen Alleingang der mährischen Stände sowie der wachsenden Einflussnahme auswärtiger, vor allem calvinistischer Scharfmacher. Hinzu kam ein nicht unberechtigtes Misstrauen gegen den ambitionierten Habsburger Matthias als Haupt der ungarisch-österreichischmährischen Konföderationsbewegung. Die nur auf den ersten Blick überraschende Folge war, dass die böhmischen und schlesischen Stände 1609 ein eigenständiges Bündnissystem errichteten, das sich außenpolitisch vor allem um Anerkennung und Beistand der protestantischen Reichsstände bemühte. Als maßgebliche Legitimierung des vor Erlass des Majestätsbriefs geschlossenen Widerstandsbündnisses – und hierauf deutet bereits die Bezeichnung als „Religions defension werck“
��Kopecký, Milan: Karel starší z Žerotína a jeho Apologia. In: Z Kralické tvrze 8, 1975/76, 1–19; Konopka, Josef: Separační snahy Moravanův na generálním sněmu r. 1611. In: Časopis Matice moravské 38, 1914, 26–71, 240–267, 361–399; Brandl, Vincenc (Hg.): Sněm držaný léta 1612. Ze zápisů Karla z Žerotína. Brno 1864; Válka, Josef: Morava ve stavovské konfederaci roku 1619 (Pokus o vytvoření paralelních církevních a politických struktur v Čechách a na Moravě). In: Folia Historica Bohemica 10, 1986, 333–349. ��Pešák, Václav (Hg.): ������������������������������������������������������������������������������ Protokoly ����������������������������������������������������������������������� české státní rady z let 1602–1610. Praha 1952 (Prameny a studie k českým dějinám 2); Glücklich, Julius: O historických dílech Václava Budovce z Budova z let 1608–1610 a jejich poměru k Slavatovi, Skálovi a neznámému dosud diariu lutherána Karla Zikmundova. Praha 1911 (Rozpravy České akademie císaře Františka Josefa pro vědy, slovesnost a umění I/42); Jireček, Josef (Hg.): Paměti nejvyššího kancléře českého Viléma hraběte Slavaty [...] od l. 1608 do 1619, Bd. 1–2. Praha 1866–1868 (Monumenta Historiae Bohemica 1). ��Pánek: Das politische System des böhmischen Staates, 68–71.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen Ihr 1609 in Prag geschlossenes Widerstandsbündnis, das ein Jahrzehnt tiefgreifender innerer Reformen einleitete, sahen die Stände Böhmens und Schlesiens vorrangig als „Religions defension werck“.
hin – diente die Konfession.28 Strukturell, nicht in personeller und konfessioneller Hinsicht wie in Mähren, entfalteten auch in Böhmen ein ständisches Direktorium und ein Defensorenkollegium eigene außenpolitische Vorstellungen. Ihnen stand das Recht zu, über den Bündnisfall zu entscheiden, Truppen anzuwerben und eigenmächtig bestimmte Ständeversammlungen einzuberufen.29 Aufs Ganze gesehen war dieses zweite, im engeren Sinn innerböhmische Bündnissystem jedoch nur eine Notlösung. Es war keinesfalls die Vorstufe zur Bildung eines protestantischen Blocks unter Führung eines Generalstabs des politischen Calvinismus in Zentraleuropa, dessen historiographische Konstruktion die realpolitische Geschlossenheit der protestantischen Stände bei weitem überzeichnete.30 Dennoch sind gerade im östlichen Mitteleuropa, wo sich eine Tendenz zur transnationalen Konfessionssolidarität erst an der Wende vom 16. zum �� Gindely, Anton: Geschichte der Ertheilung des böhmischen Majestätsbriefes von 1609. Prag 1858; Goll, Jaroslav: O slezském majestátě Rudolfa II. [1874]. In: ders.: Vybrané spisy drobné, Bd. 2. Praha 1929, 152–168; Knothe, Hermann: Die Bemühungen der Oberlausitz um einen Majestätsbrief, 1609–1611. In: Neues lausitzisches Magazin 56, 1880, 96–117. ��Glücklich, Julius: O pravomoci, dané defensorům na sněmu roku 1609. Praha 1913, 6–17. ��Van Schelven, Aart Arnout: Der Generalstab des politischen Calvinismus in Zentraleuropa zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. In: Archiv für Reformationsgeschichte 36, 1939, 117–141. Einen vergleichend angelegten Überblick für Ostmitteleuropa bietet Evans, Robert J. W.: Calvinism in East Central Europe: Hungary and Her Neighbours, 1540–1700. In: Prestwich, Menna (Hg.): International Calvinism, 1541–1715. Oxford 1985, 167–196.
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17. Jahrhundert beobachten lässt, die prä- und protostaatlichen Strukturen frühneuzeitlicher Außenpolitik zu beachten, die die These einer solchen politisch-konfessionellen Kooperation immerhin plausibel machen. So erweist sich eine Analyse der Kommunikationskanäle der Humanisten, Theologen und Gelehrten zwischen Ost und West, der Studienkontakte und regen Reisediplomatie sowie des vielfältigen nichtstaatlichen Personen- und Institutionengeflechts besonders im böhmischen Fall als ausgesprochen fruchtbar. Denn hier waren die wenigen politiktheoretischen Diskurse, die eine gewisse Rückständigkeit gegenüber dem Westen Europas nicht verbergen konnten, auch nach 1600 noch ganz von einem altständischen Gleichgewichtsdenken beherrscht.31 Das Spannungsverhältnis zwischen intellektueller Positionierung, Konfession und politischer Praxis lässt sich bei vielen Ständepolitikern beobachten. Im Juli 1608 schrieb Wenzel Budovetz von Budov, der führende Theoretiker der Böhmischen Brüder, an Johann Jakob Grynaeus, ganz Europa verfolge den Kampf der Böhmen um ihre Religionsfreiheit: „Etenim puto, universam Europam, durante exercitu archiducis Mathiae, oculos ad hoc regnum Bohemiae coniectos habuisse.“32 Das Hauptwerk des böhmischen Adeligen dagegen, der Anfang der 1590er Jahre verfasste Anti-Alkoran war im Jahr 1614, als es endlich in Prag im Druck erschien, für die aktuelle stände- und konfessionspolitische Auseinandersetzung bereits vollständig antiquiert. Das Werk war für die antitürkische Literatur der Zeit typisch, verband es doch mit seiner Kritik am tyrannischen Herrschaftssystem des Sultans einen Appell für eine die Konfessionen überwölbende christliche Solidargemeinschaft.33 Die Kontakte der humanistischen Intellektuellen und Theoretiker, die überregionale Beziehungen verdichteten, waren nicht zwangsläufig politisch. Aber sie fielen in eine von hoher Aufnahmebereitschaft geprägte geistige Atmosphäre und waren politisierbar. Dies zeigte sich in Böhmen an den schon von Zeitgenossen als konspirativ gedeuteten Beziehungen zwischen Heidelberger Politikern und dem Hof der Herren von Rosenberg in Wittingau.34 �� Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit, 260–308. Als zentrale Quellengrundlage zu den universitären Kontakten vgl. Hrubý, František: Etudiants tchèques aux écoles protestantes de lʼEurope occidentale à la fin du 16e et au début du 17e siècle. Documents. Bearb. v. Libuše Urbánková-Hrubá. Brno 1970 (Spisy University J. E. Purkyně v Brně 152). �������������� Eine herausragende Fallstudie bietet Seidel, Robert: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk. Tübingen 1994 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 20). �� Glücklich, Julius (Hg.): Václava Budovce z Budova korrespondence z let 1579–1619. Praha 1908 (Historický archiv 30), 66–68, Nr. 38; Nachträge in ders. (Hg.): Nová korrespondence Václava Budovce z Budova z let 1580–1616. Praha 1912 (Historický archiv 38). Die neueste Biographie verfasste Rejchrtová, Noemi: Václav Budovec z Budova. Praha 1984 (Odkazy pokrokových osobností naší minulosti 74). ��Budovec z Budova, Václav: Antialkorán. Hg. v. Noemi Rejchrtová. Praha 1989. �� Pánek, Jaroslav: Poslední Rožmberkové. Velmoži české renesance. Praha 1989, 306–319; Hulec, Otakar: Konspirační charakter předbělohorské protestantské opozice. In: Jihočeský sborník
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Wenzel Budovetz von Budov war einer der wichtigsten Vordenker und Vorkämpfer für Religionsfreiheit in Böhmen. Sein nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Konstantinopel entstandenes, aber erst 1614 in Prag veröffentlichtes Hauptwerk, das eine Kritik am tyrannischen Herrschaftssystem des Sultans mit dem Appell für eine die Konfessionen überwölbende christliche Solidargemeinschaft verband, konnte jedoch angesichts der tiefen Konflikte zwischen den Konfessionslagern zu jener Zeit keine Wirkung mehr erzielen.
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Dies zeigte sich auch in Schlesien, dessen kleine reformierte Gemeinde sich zwischen 1570 und 1620 nahezu geschlossen im pfälzischen Staats- und Kirchendienst wiederfand und von hier aus aktiv an der Formierung eines antihabsburgisch-protestantischen Blocks im östlichen Mitteleuropa beteiligt war.35 Und es lässt sich schließlich an dem Personal nachweisen, das nach 1618, in der Mobilisierungsphase des Ständeaufstands, Diplomatie und Außenpolitik prägen sollte, auch wenn hier eine genaue Analyse der Personengruppen, ihres Sozialprofils, konfessionellen Selbstverständnisses und politischen Programms sowie ihrer konkreten Außenbeziehungen noch immer aussteht.36 Je weniger sich Prag in den zwischenstaatlichen Beziehungen zum römisch-deutschen Reich engagierte, desto stärker drangen die Nachbarmächte, allen voran die Kurpfalz, in das vorhandene Vakuum ein und stellten die Weichen für eine konfessionalisierte Außenpolitik – dieser Eindruck drängt sich geradezu auf. Das abnehmende Engagement der einen Seite und die zunehmende Aktivität auf der anderen fallen zeitlich exakt zusammen. Im Jahr 1595, zur gleichen Zeit, als die letzte böhmische Erbeinung mit der Pfalz erneuert worden war, übernahm im oberpfälzischen Amberg mit Christian I. Fürst von Anhalt-Bernburg ein ehrgeiziger und hochbegabter Calvinist das Ruder, der Böhmen innerhalb des protestantischen Internationalismus eine
historický 30, 1961, 97–102. Aus der älteren Fachliteratur vgl. Uflacker, Hans Georg: Christian I. von Anhalt und Peter Wok von Rosenberg. Eine Untersuchung zur Vorgeschichte des pfälzischen Königtums in Böhmen. Phil. Diss. München 1926; Weiss, Johann Gustav: Zur Vorgeschichte des böhmischen Abenteuers Friedrichs V. von der Pfalz. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 53, 1939/40, 383–492. �� Bellardi, Werner: Schlesien und die Kurpfalz. Der Beitrag vertriebener schlesischer Theologen zur „reformierten“ Theologie und Bekenntnisbildung (1561–1576). In: Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte N.F. 51, 1972, 48–66; Hecht, Gustav: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 42, 1929, 176–222. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Erste Schlussfolgerungen erlauben die von den Direktorialregierungen in Prag und Brünn herausgegebenen Korrespondenzen. Vgl. Prokeš, Jaroslav (Hg.): Protokol vyšlé korespondence kanceláře českých direktorů z let 1618 a 1619. Praha 1934 (Sborník archivu ministerstva vnitra 7); Urbánková, Libuše (Hg.): Povstání na Moravě v roce 1619. Z korespondence moravských direktorů. Praha 1979. Ein Überblick zur Quellenüberlieferung bei Volf, Miroslav: Prameny k dějinám českého stavovského povstání 1618–1620. In: Sborník archivních prací 21, 1971, 235–263. Detailuntersuchungen liefern Hrubý, František: Ladislav Velen ze Žerotína. Praha 1930; ders.: Václav Vilém z Roupova a Vilém z Roupova a Vilém z Roupova, čeští emigranti. In: Český časopis historický 43, 1937, 24–50; Lukášek, Josef: Jáchym Ondřej hrabě Šlik. Praha 1913; Odložilík, Otakar: Poslední Smiřičtí. In: Od pravěku k dnešku. Sborník prací z dějin československých k šedesátým narozeninám Josefa Pekaře, Bd. 2. Praha 1930, 70–87; Polišenský, Josef: Jan Jesenský – Jessenius. Praha 1965 (Odkazy pokrokových osobností naší minulosti 11). Nur noch historiographiegeschichtlich wichtig ist die Studie von Jelinek, Břetislaw: Die Böhmen im Kampfe um ihre Selbständigkeit 1618–1648. Ein Beitrag zur Genealogie und Biographie der böhmischen Kombattanten des Dreissigjährigen Krieges. Prag 1916, deren Autor sich der „unglücklichen Freiheitskämpfer und Exulanten“, der „heldenmütigen Ahnen“ (IV), annimmt und der Idee nationaler Unabhängigkeit in Geschichte und Gegenwart eine Lanze bricht.
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zentrale Stellung einräumte.37 Die Konfessionssolidarität in Prag kannte jedoch ihre Grenzen. Selbst ein so mächtiger Magnat wie der 1582 zur Brüderunität konvertierte Peter Wok von Rosenberg hielt es 1609 nicht für opportun, seinen Namen unter eine in seinem Auftrag ins Tschechische übersetzte Streitschrift des Heidelberger Theologen Bartholomaeus Pitiscus zu setzen, die zu einer Einigung aller protestantischen Bekenntnisse und zur Solidarität mit dem reformierten Lager aufgerufen hatte.38 Obwohl sich im politischen Denken der wichtigeren Ständepolitiker in Böhmen durchaus eine realistische europapolitische Zustandsanalyse aufzeigen lässt, beschränkte sich das politische Handeln im gesamten Jahrzehnt vor dem Prager Fenstersturz 1618 doch weitgehend auf eine überfällige Reform im Innern. Eine genauere Betrachtung dieses innerböhmischen Reformwerks zeigt, wie wenig geschlossen die politisch-konfessionellen Fronten selbst unter den Kronländern waren und wie stark Tradition und Partikularinteresse die Bildung von Zweckallianzen prägten.39 Aufgrund der Strukturschwäche der verfassungsrechtlichen Ordnung sowie der Uneinigkeit und Isolation der Ständeopposition kam für die Mehrzahl der Ständepolitiker eine konfessionsgeleitete Außenpolitik wie im römisch-deutschen Reich nicht in Frage. Tatsächlich hatte noch im Spätsommer 1614 der Verlauf des Linzer Generalkonvents gezeigt, dass die Ständevertreter der böhmischen Länder, im Gegensatz zu denjenigen Ober- und Niederösterreichs unter Führung Georg Erasmus von Tschernembls, für eine Intervention am kaiserlichen Hof zugunsten der Protestanten Siebenbürgens nicht zu gewinnen waren.40 Die Ernüchterung darüber, dass sich die Dynastie schließlich sogar die wichtigste ständische Initiative, den Zusammenschluss der beiden bestehenden �� Press, Volker: Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden der Kurpfalz 1559–1619. Stuttgart 1970 (Kieler historische Studien 7). ��Bartoš, František M.: Výzva falcké církve k náboženskému míru v Čechách z r. 1609. In: Český bratr 20/3, 1944, 29–30; Hrubeš, Jiří: Z dějin protestantského politického myšlení a jeho ohlasu v Čechách. In: Strahovská knihovna 5–6, 1970/71, 237–253; ders.: Politická polemika mezi Falcí a Saskem na konci 16. století a její ohlas v Čechách. In: Strahovská knihovna 4, 1969, 38–56. ��Stloukal, Karel: Česká kancelář dvorská 1599–1608. Pokus z moderní diplomatiky. Praha 1931 (Rozpravy České akademie věd a umění I/76); Polišenský, Josef: Viléma Slavaty relace o jednání v příčině knížetství Opavského 1614–1615. Příspěvek k poznání politického myšlení předbělohorských Čech. In: Slezský sborník 51, 1953, 488–498; Schroubek, Georg R.: Die böhmischen Landtagsverhandlungen des Jahres 1611. In: Seibt, Ferdinand (Hg.): Die böhmischen Länder zwischen Ost und West. Festschrift für Karl Bosl zum 75. Geburtstag. München/Wien 1983 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 55), 89–102. ��Gindely, Anton: Der erste österreichische Reichstag zu Linz im Jahre 1614. In: Sitzungsberichte der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften. Philos.-Hist. Classe, Bd. 40. Wien 1862, 230–254; Lukinich, Imre: Geschichte Siebenbürgens. Von Baron Erasmus Georg Tschernembl. In: A Bécsi Magyar Történeti Intézet Évkönyve 1, 1931, 133–160; Sturmberger, Hans: Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns. Linz/Graz/Wien 1953 (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 3), 231–235.
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Konföderationssysteme, mit Blick auf die Türkenabwehr zunutze machte, trug in Böhmen nicht unerheblich zur Radikalisierung der Ständeopposition bei. Ihr seither zunehmend antihabsburgisch ausgerichteter Kurs, der vom politischen Calvinismus im Reich massiv gefördert wurde, ließ zugleich erste Gedanken an eine pfälzische oder sächsische Kandidatur reifen.41 Die Grundmuster dieser außenpolitischen Orientierung zeigten sich auch während des Ständeaufstands der Jahre 1618 bis 1620, der im Zuge der Mobilisierung der Kräfte nun eine konsequent konfessionsgeleitete Außenpolitik zumindest in Prag und Breslau unumgänglich machte. Die ständischen Gesandtschaften nach England, Siebenbürgen, ins Reich und in die Niederlande zeigen ebenso wie Traktate und Apologien der Aufständischen, dass die Konfession ins Zentrum der innerböhmischen Integrationsansätze sowie in den Mittelpunkt der internationalen Beziehungen rückte.42 Trotz zunehmender Konfessionalisierung der Außenpolitik blieben die vorrangig verfolgten Ziele, der Abschluss des innerböhmischen Reformwerks und die Ausdehnung des Konföderationssystems auf Österreich, Ungarn und Siebenbürgen, vergleichsweise unspektakulär. Eine neue Qualität der außenpolitischen Beziehungen bahnte sich erst mit der Rückkehr zum Monarchismus 1619 unter pfälzischem Oberhaupt an.43 Die Übernahme des böhmischen Throns durch den Landesherrn der Kurpfalz, die im Kreis des selbstbewusst auftretenden politischen Calvinismus die führende Stellung einnahm, bedeutete für beide Seiten ein enormes Risiko: für die Kurpfalz das Wagnis einer Neuorientierung ihrer bisher auf das Heilige Römische Reich und nach Westeuropa ausgerichteten Außenpolitik oder zumindest deren entsprechende Modifizierung, für die böhmischen Stände das Risiko einer neuen Konkurrenz in sämtlichen Belangen der Außenbeziehungen.44 ��Bahlcke, Joachim: Durch „starke Konföderation wohl stabiliert“. Ständische Defension und politisches Denken in der habsburgischen Ländergruppe am Anfang des 17. Jahrhunderts. In: Winkelbauer, Thomas (Hg.): Kontakte und Konflikte. Böhmen, Mähren und Österreich: Aspekte eines Jahrtausends gemeinsamer Geschichte. Horn/Waidhofen an der Thaya 1993 (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 36), 173–186. ��Polišenský, Josef: Od stavovského povstání k české revoluci 1618. In: Český časopis historický 89, 1991, 78–87; ders.: Tragic Triangle. The Netherlands, Spain and Bohemia, 1617–1621. Praha 1991; ders.: Nizozemská politika a Bílá hora. Praha 1958; ders.: Anglie a Bílá hora. Praha 1949. �� Bahlcke, Joachim: Falcko-české království (Motivy a působení zahraničněpolitické orientace Falce od české královské volby po ulmskou smlouvu 1619–1620). In: Časopis Matice moravské 111, 1992, 227–251. ������������������������������������������������������������������������������� Zur – bisher nicht vollständig geklärten – Überlieferung des pfälzischen Aktenmaterials, das nach der Schlacht am Weißen Berg den Siegern in die Hände gefallen war, vgl. Koser, Reinhold: Der Kanzleienstreit. Ein Beitrag zur Quellenkunde der Geschichte des dreißigjährigen Krieges. Halle 1874 (Hallesche Abhandlungen zur neueren Geschichte 1). �� Clasen, Claus-Peter: The Palatinate in European History 1559–1660. ���������������������� Oxford 1963. Als Quellengrundlage vgl. Toegel, Miroslav: Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges. Der Kampf um Böhmen, Quellen zur Geschichte des Böhmischen Krieges. 1618–1621. Prag 1972 (Documenta Bohemica Bellum Tricennale illustrantia 2).
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Illustrierte Flugblätter und antikatholische Schmähschriften, die häufig außerhalb des Landes gedruckt wurden, trugen während des Ständeaufstands der Jahre 1618 bis 1620 massiv zur politisch-konfessionellen Polarisierung und Radikalisierung in Böhmen bei. „Bäpstliche Heilosigkeit Wappenbrieff/ auch Böhmisches Aller Augen/Märhrisch Vatter unser/ und Alter Schlesischer Glaub“, Folioblatt mit Kupfer, 1619.
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Der Prüfstand einer erfolgversprechenden Mobilisierung und Solidarisierung lag in der Frage, ob es gelänge, zwei unterschiedliche außenpolitische Konzepte aufeinander abzustimmen und eine gemeinsame Linie auch und gerade in der Gewichtung konfessioneller Elemente zu finden.45 Denn Reibungsflächen zwischen den protestantischen Bekenntnissen zeigten sich nicht nur zwischen den einzelnen Kronländern, sondern auch innerhalb Böhmens selbst. Noch wenige Tage vor der Königswahl Ende August 1619 hatte eine größere Gruppe ständischer Vertreter, die unter Führung des lutherischen Adels Nordböhmens stand und das propfälzische Lager scharf attackierte, eine Kandidatur des sächsischen Kurfürsten für sicher erachtet.46 Das Ergebnis des so schwungvoll begonnenen politischen Experiments zeigt, dass es der Kurpfalz während ihres Prager Königtums nicht gelungen war, die ständischen Initiativen jener Monate zwischen August 1619 und November 1620 zu bündeln und für eine Mobilisierung umzusetzen. Umgekehrt vermochten die böhmischen Stände sich zu keinem Zeitpunkt dem pfälzischen Politikverständnis unterzuordnen. Die Expansionspolitik, in der beide Partner auf die konfessionelle Karte gesetzt hatten, wurde durch den komplizierten Geschäftsgang zwischen Heidelberg und Prag, die Auflösung der böhmischen und der mährischen Direktorialregierung und nicht immer glückliche personelle Neubesetzungen zusätzlich belastet.47 Spätestens im Dezember 1619, als Altäre, Reliquien und Bildwerke des Prager Veitsdoms, der Krönungskirche der böhmischen Herrscher, einem mehrtägigen Verwüstungszug zum Opfer fielen, erhielt in Böhmen auch das Vertrauen der propfälzischen Parteigänger in die neuen reformierten Machthaber einen herben Rückschlag.48 Einer über das eigene Konföderationssystem hinausgehenden coniunctio Evangelicorum, wie sie in Traktaten und Apologien vielfach beschworen wurde, standen die Stände zunehmend mit Misstrauen
�� Adamová, Karolina: K otázce česko-rakouského a česko-uherského konfederačního hnutí v letech 1619–1620. In: Právněhistorické studie 27, 1986, 57–96; Krivošík, Štefan: Príspevok k dejinám stavovskej konfederácie českých a uhorských stavov z r. 1620. In: Právnické štúdie 7, 1959, 147–187; Wittmann, Tibor: A nemzeti monarchia megteremtéséért vivott harc a cseh-magyar szövetség keretében a terjeszkedö Habsburg-hatalom ellen. 1619–20. Budapest 1954; Demkó, Kálmán: A magyar-cseh confoederatio és a beszterczebányai országgyűlés 1620-ban. In: Századok 20, 1886, 105–121, 291–308. ��Barteček, Ivo: Saská politika a české stavovské povstání, květen 1618 – srpen 1619. In: Sborník historický 30, 1984, 5–47; ders.: Vyhlídky saské kandidatury na český trůn roku 1619. In: Folia Historica Bohemica 8, 1985, 89–107. Vgl. auch die Berichte des sächsischen Gesandten Friedrich Lebzelter bei Müller, Karl August: Fünf Bücher vom Böhmischen Kriege in den Jahren 1618 bis 1621. Ein Beitrag zur Geschichte des Siebzehnten Jahrhunderts. Dresden/Leipzig 1841 (Forschungen auf dem Gebiete der neueren Geschichte 3/1). ��Malý, Karel: ������������������������������������������������������������������������������ Změny státního zřízení v českém stavovském povstání��������������������������� . In: Folia Historica Bohemica 8, 1985, 63–88. �� Hemmerle, Josef: Die calvinische Reformation in Böhmen. In: Stifter-Jahrbuch 8, 1964, 243– 276, hier 260–264.
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gegenüber. Die herrschaftsimmanenten Mängel verliehen der gesamten böhmisch-pfälzischen Außenpolitik bis zur Schlacht am Weißen Berg bei Prag Anfang November 1620, die im Idealfall die Interessen und Erfahrungen beider Bündnispartner hätte vereinen müssen, vielfach improvisierende Züge.
4. Zusammenfassung Innerhalb der Bündnispolitik der böhmischen Stände kam dem konfessionellen Faktor im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert, blendet man nochmals auf die einleitenden Vorüberlegungen zurück, ein unterschiedliches Gewicht zu. Eine konfessionalisierte Außenpolitik, die nur auf Kosten der Ständelibertät zu gehen drohte, war angesichts der hierarchischen Struktur innerhalb des Länderverbands, der wechselnden Traditionen einzelner Kronländer im Rahmen der ostmitteleuropäischen Regionalkultur und der stets zu beachtenden besonderen Lage Böhmens im und zum römisch-deutschen Reich nicht ohne weiteres umzusetzen; sie fand auch keine größere Anhängerschaft unter den Ständepolitikern. Selbst im Königreich Böhmen, wo die ständisch-konfessionelle Polarisierung im Vergleich zu den Nebenländern seit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert deutlich schärfere Konturen angenommen hatte, neigte die Mehrheit der Ständegemeinde noch am Vorabend des Dreißigjährigen Krieges eher zu religiöser Toleranz und politischem Kompromiss als zu unbedingter Konfessionssolidarität und schrankenloser Konfrontation. Der Konfession kam in dieser Phase, und dies zeigt besonderes anschaulich die Analyse des von reformiert-calvinistischem Boden ausgehenden vorstaatlichen Personen- und Institutionengeflechts, vor allem eine katalysatorische Funktion für die Formierung der ständischen Freiheitsbewegung zu.
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Die „Bischöfe der Ungarischen Krone“. Ein Beitrag zur kirchlichen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts 1. Ungarische Titularbistümer: Genese, rechtlicher Status und Forschungsgegenstand Eine einmalige Rechtsinstitution innerhalb der hierarchia catholica, über die in kaum einem einschlägigen Handbuch der Kirchengeschichte Informationen zu finden sind, stellen verschiedene Bischöfe der Ungarischen Krone dar: einzig vom König von Ungarn ernannte Titularbischöfe, die in ihrer Mehrheit von Rom nicht anerkannt wurden und keine bischöfliche Konsekration empfangen hatten.1 Im Gegensatz zu den Residential- oder regierenden Diözesanbischöfen wurden sie auf den „titulus“ von Diözesen ernannt, die einst der Metropolitangewalt von Gran unterlegen hatten, später aber untergegangen oder unter die Herrschaft der Republik Venedig beziehungsweise des Osmanischen Reiches gekommen waren. Es handelt sich dabei nicht um die ganz oder zum Teil im türkischen Herrschaftsgebiet in Ungarn und Kroatien gelegenen Diözesen, die 1623, zu einem Ganzen zusammengeschlossen, zum Missionsgebiet erklärt und einem Apostolischen Vikar oder Administrator im Rang eines (Missions-)Bischofs mit Sitz in Belgrad übertragen wurden.2 Deren Oberhirten wurden als gewöhnliche Ortsbischöfe behandelt und, obwohl sie nicht im türkischen Eroberungsgebiet residierten, ebenso wie diejenigen im Königlichen Ungarn oder in Banalkroatien vom Landesherrn nominiert und vom Papst konfirmiert. Nicht anders als die Residentialbischöfe wurden auch die Titularbischöfe vom ungarischen König kraft dessen Nominationsrecht („autoritate iuris patronatus nostri regii“) ernannt.3 1 Erdő, Péter: Egyházjog. Budapest 1991, 246f. 2 Tóth, István György: A szaggatott kapcsolat: A Propaganda és a magyarországi missziók 1622– 1700. In: Századok 138, 2004, 843–892; ders.: A Propaganda megalapítása és Magyarország (1622). In: Történelmi Szemle 42, 2000, 19–68; ders.: Koszovóból vagy Mezopotámiából? Misszióspüspö�������������� kök a magyarországi török hódoltságban. In: Történelmi Szemle 41, 1999, 279–329; ders.: Die Beziehungen der katholischen Kirche zum Staat in Türkisch-Ungarn im 17. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 211–217. 3 Zum Nominationsrecht und zur Praxis der Bischofsernennungen im 17./18. Jahrhundert in Ungarn vergleiche allgemein Fraknói, Vilmos: A magyar királyi kegyúri jog Szent Istvántól Mária Teréziáig. Történeti tanúlmány. Budapest 1895; Eckhart, Ferenc: A püspöki székek és a káptalani javadalmak betöltése Mária Terézia korától 1918-ig. Budapest 1935; Erdő, Péter: Il Giuspatronato in Ungheria. In: Apollinaris. Commentarius Instituti Utriusque Juris 62, 1989, 189–206; Csizmadia, Andor: Le développement des relations juridiques entre l’État et les Églises en Hongrie (1000–1944). In: Péteri,
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Kirchenrechtlich dürfen die in der Regel nicht geweihten ungarischen Titularbischöfe nicht mit den „episcopi in partibus infidelium“ (i.p.i.) verwechselt werden, die auf den Titel untergegangener, im Herrschaftsgebiet der ‚Ungläubigen‘ befindlicher Bistümer in Kleinasien, den Mittelmeerinseln und Nordafrika promoviert und konsekriert wurden. Auch diese „episcopi consecrati“ wurden, nachdem das Distinktivum „in partibus infidelium“ infolge einer Verordnung Papst Leos XIII. vom Jahr 1882 weggefallen war, von der Kurie nur noch als Titularbischöfe bezeichnet. Der Vatikan trug insofern zur Verwirrung bei, als er die ungarischen Titularbistümer teilweise in den offiziellen, im Auftrag der Konsistorialkongregation 1933 veröffentlichten Index Sedium Titularium archiepiscopalium et episcopalium und ein Jahr später in das Annuario Pontificio, das offizielle Handbuch der Kurie, aufnahm.4 Angesichts der uneinheitlichen Bezeichnung in den Quellen ist es besonders bei Geistlichen, die später kein Residentialbistum erlangten, häufig nicht einfach, die vom König nominierten Titularbischöfe von den durch den Papst promovierten und geweihten zu unterscheiden, zumal mehrere Sitze sogar von beiden Seiten verliehen wurden – vom Heiligen Stuhl überdies in zweifacher Form: als ordentliche Residentialbistümer und als römische Titularbistümer „in partibus infidelium“. Sowohl über das Phänomen der Bischöfe der Ungarischen Krone als auch über Anzahl, Lage und Besetzung der einzelnen Titularbistümer herrscht allgemeine Unkenntnis – von zeitgenössischen Stimmen des 17. und 18. Jahrhunderts bis hin zur kirchenhistorischen Forschung der Gegenwart.5 1626 teilte István Sennyey, Bischof von Waitzen und Königlicher Kanzler, dem Heiligen Stuhl auf Anfrage mit, dass dem König von Ungarn mehr als zwanzig solcher Titularbischofssitze zur Verfügung stünden, diese aber, da die Ungarn sich nicht nach Titeln drängten („czímmekkel a magyarok nem sokat törődnek“), nur selten verliehen würden.6 In verschiedenen Quellen finden Zoltán (Hg.): Droit hongrois, droit comparé. Budapest 1970, 235–257; ders.: Die Entwicklung des Patronatsrechtes in Ungarn. In: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 25, 1974, 308–327. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Index Sedium Titularium archiepiscopalium et episcopalium. Romae 1933, 1–67, enthält das offizielle Verzeichnis von 1.712 römischen Titularbistümern. Ein Verzeichnis sämtlicher römischer Titularerzbischöfe und -bischöfe erschien unter dem Titel: Essai de liste générale de tous les archevêques et évêques titulaires nommés depuis le XIIIe siècle jusqu’à nos jours. In: Annuaire pontifical catholique 1916, 347–518. Die Angabe „in partibus infidelium“ findet sich durchgängig in den Quellen, etwa im Schreiben des kaiserlichen Gesandten in Rom, des Gurker Bischofs Josef Maria von Thun und Hohenstein, an Maria Theresia über den ungarischen Titularbischof von Nin, Ferenc Zichy. Vgl. Magyar Országos Levéltár Budapest, A 29, 75:1742 (Rom, 26. Mai 1742). 5 Vgl. exemplarisch Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Hungarica, Fasz. 199, Konv. B, fol. 25r–36v (Relatorenliste des Reichstags von Pressburg 1723). Über die „promotiones“ ungarischer Titularbischöfe berichteten auch die preußischen Gesandten am Wiener Kaiserhof. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. HA, Rep. 1: Beziehungen zum Kaiser, Abt. I, Nr. 96/1, fol. 226r–228v (Wien, 4. August 1751); Magyar Katolikus Lexikon, bisher Bd. 1–12 [A-Szentl]. Budapest 1993–2007, hier Bd. 2, 237f. (s.v. „címzetes püspök“). 6 Fraknói: A magyar királyi kegyúri jog, 322f.
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sich Hinweise, dass der König durchaus noch weitere Titularbischöfe nominieren könnte.7 Angesprochen auf seine Meinung über die Ernennung eines neuen Titularbischofs von Belgrad, musste Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg 1754 eingestehen, dass ihm „das Personale im Königreich Hungarn noch nicht so genau bekannt“ sei.8 Die vielen Titulaturen, schrieb der belesene Márton Schwartner Anfang des 19. Jahrhunderts in seinem großen Werk zur Statistik des Königreichs Ungarn, seien „selbst für den Antiquar“ kaum „mehr brauchbar, als die Namen der 72 Bergschlösser, welche in der kleinen Peripherie des Lycaner Districts in ihren Ruinen liegen“.9 Schwartner stützte sich dabei auf ein Verzeichnis geistlicher Würden („Episcopatus Titulares“), das Michael Anton Paintner, ein unermüdlicher Sammler kirchenhistorischer Quellen, im Jahr 1802 publiziert hatte. Der aus Ödenburg stammende Jesuit, der nach der Aufhebung des Ordens Domherr, Archidiakon und Großpropst zu Raab, Hofrat, Oberstudiendirektor und in den Jahren 1816 bis 1826 selbst ungarischer Titularbischof („ep. Novien.“) wurde, hatte neben den geweihten Titularbischöfen von Belgrad-Semendria und Knin („Consecrabiles“) 34 weitere Würden („Electi“) aufgelistet,10 darunter die bis heute als ungarische Titularbistümer nicht verifizierten Diözesen Pullti („Poletensis“) in Nordalbanien und Svač („Suacinensis“) nördlich von Ulcinj.11 Erst nach der Reform des ungarischen Oberhauses durch Gesetzesartikel 7:1885, der das Recht der Titularbischöfe auf Sitz und Stimme an der Magnatentafel – mit Ausnahme der Oberhirten von Belgrad-Semendria und Knin – aufgehoben hatte, fand die bis dahin kaum beachtete Rechtsinstitution eine
�������������������������������������������������������������������������������������������������� „altri vescovati in partibus nelle provincie già per qualche tempo posseduti dalla corona d’Ungaria“. Gutachten von Rafael Levaković 1645. Ebd., 207. 8 Zit. nach Szabo, Franz A. J.: Fürst Kaunitz und die Anfänge des Josephinismus. In: Plaschka, Richard G. u.a. (Hg.): Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II., Bd. 1–2. Wien 1985, Bd. 1, 525–545, hier 529. 9 Schwartner, Martin von: Statistik des Königreichs Ungern. Ein Versuch, Bd. 1–2. Ofen 21809– 1811 [Pest 11798], hier Bd. 1, 175. Der Autor ging davon aus, dass „ungefähr drey Dutzend Bisthümer“ allein vom ungarischen König verliehen würden, „ohne alle Concurrenz des Papstes“ (Bd. 2, 99 Anm. b). ���������������������������������������������������������������������������������������������� „Horum Titulorum aliquorum Dioeceses reapse actu tenent consecrati Episcopi in Dalmatia, antehac Venetorum, sub Archiepiscopis Spalatensi, Jadrensi, & Ragusino: & dum nunc sub potestam Regum Hungariae jure postliminii venerunt, facies titulorum horum in multis tota mutatur.“ Paintner, Mich[ael Anton]: Verzeichniß der im Königreiche Ungern, und den damit verbundenen Ländern bestehenden geistlichen Würden, deren Benefizien oder Titel, die apostol. Könige dieses Reiches zu ertheilen pflegen. In: Zeitschrift von und für Ungern, zur Beförderung der vaterländischen Geschichte, Erdkunde und Literatur 1, 1802, 68–86, hier 69f.; zu Paintner als Bischof der Ungarischen Krone vgl. Kratz, Wilhelm: Exjesuiten als Bischöfe (1773–1822). In: Archivum historicum Societatis Iesu 6, 1937, 185–215, hier 207. ������������������������������������������� Zur Identifizierung dieser Bistümer vgl. Cordignano, Fulvio: Geografia ecclesiastica dell’Albania dagli ultimi decenni del secolo XVIo alla metá del secolo XVIIo. Roma 1934; Bartl, Peter (Hg.): Quellen und Materialien zur albanischen Geschichte im 17. und 18. Jahrhundert, Bd. 1–2. Wiesbaden/München 1975–1979 (Albanische Forschungen 15, 20).
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gewisse Aufmerksamkeit in der Fachwelt.12 Der Jesuitenpater Nikolaus Nilles, Professor für Kirchenrecht an der Universität Innsbruck, wies damals zu Recht auf die „Unklarheit und Verwirrung“ hin,13 die sich bei der Zuordnung der Bischöfe der Ungarischen Krone in den einschlägigen Lehrbüchern des Kirchenrechts beobachten lasse. Es dauerte jedoch bis zum Jahr 1971, ehe das Thema erstmals systematisch aufgegriffen wurde. Der Befund, dass zahlreiche von der Caesarea Maiestas für die Residentialbistümer der österreichischen Monarchie nominierten Bischofskandidaten bereits als Bischöfe gewisser anderer Bischofssitze erschienen, veranlasste Remigius Ritzler im Zusammenhang mit Vorarbeiten für die Bände 5 bis 8 der Hierarchia Catholica (1668–1878) zu einer ersten Untersuchung über die Rechtsinstitution der ungarischen Titularbischöfe. Die „Bedeutung dieser staatskirchenrechtlichen Institution im Hinblick auf die Politik der Habsburger in Ungarn und auf die Kirchengeschichte dieses Landes zu untersuchen“,14 erschien dem seit 1936 in Rom tätigen Franziskaner und Kirchenhistoriker neben der Erstellung einer verlässlichen Übersicht sämtlicher Bischöfe der Ungarischen Krone als vordringliche Forschungsaufgabe. Ritzler stützte sich in seiner verdienstvollen, quellennahen Studie allerdings ausschließlich auf römisches Material und ließ selbst die vorhandene ungarische und kroatische Fachliteratur unberücksichtigt. Das wohl vollständigste Gesamtverzeichnis der ungarischen Titularbischofssitze und deren Amtsinhaber vom Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts (mit genauen Angaben zum Zeitpunkt der königlichen Ernennung) befindet sich im Ungarischen Staatsarchiv in Budapest in den Libri dignitariorum.15 Die der Forschung bislang unbekannte, um 1857 entstandene Zusammenstellung liefert nicht nur den Beweis für bisher nur vermutete Titularbistümer. Sie erlaubt auch zuverlässige Rückschlüsse auf die Karrierepfade geistlicher Würdenträger in Ungarn und die Kirchenpolitik des Wiener Hofes im ausgehenden Konfessionellen Zeitalter. �� Keményfy, Kálmán Dániel: Ötven év alkotmányos egyházpolitikája. (1848–1898.) Esztergom 1898, 241f.; Fraknói, Vilmos: Magyarország egyházi és politikai összeköttetései a római SzentSzékkel, Bd. 1–3. Budapest 1901–1903, hier Bd. 3, 343–346, 541f.; ders.: A magyar királyi kegyúri jog, 258–274, 357f.; der Autor, Domherr zu Großwardein, war selbst ungarischer Titularbischof („ep. Arben.“). Vgl. Berzeviczy, Albert de: Guillaume Fraknói. Historien hongrois (1843–1924). In: Revue des études hongroises 6, 1928, 139–165, hier 140; Kérészy, Zoltán: Rendi országgyűléseink tanácskozási módja. Jogtörténeti tanulmány. Kassa 1906, 54f.; Macháček, Pavel: Hlavnopatronátne právo v dejinách uhorských (historicko-právna úvaha). Bratislava 1930, 100, 110f., 123–125. �� Nilles, Nikolaus: Ueber die ungarischen Titularbischöfe. In: Zeitschrift für katholische Theologie 15, 1891, 159–164; 18, 1894, 751–756, hier 160. Vgl. ergänzend Hoffer, Alexander: Das Verzeichnis der ungarischen Titularbischöfe. In: Zeitschrift für katholische Theologie 19, 1895, 355–364. ��Ritzler, Remigius: Die Bischöfe der ungarischen Krone. In: Römische Historische Mitteilungen 13, 1971, 137–164, hier 153. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár Budapest, Magyar kincstári levéltárak, E 683: Libri dignitariorum (1000–1876), Tom. 2: Dignitariorum Regni Hungariae Ecclesiasticorum Liber Ius, fol. 284–363.
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Im Folgenden wird zunächst knapp die historische Entwicklung der ungarischen Titularbistümer skizziert und nach den Motiven für die Etablierung dieser außergewöhnlichen Institution gefragt. Mit Blick auf Herkunft und Werdegang der jeweiligen Amtsinhaber soll dann die politische und kirchliche Funktion dieser Gruppe im 17. und 18. Jahrhundert näher beleuchtet werden.
2. Ernennungsverfahren und Besetzungsstrategien Im Zusammenhang mit dem Konflikt, der 1635 zwischen der Propagandakongregation, Papst Urban VIII. und König Ferdinand II. um das landesfürstliche Nominationsrecht in Türkisch-Ungarn ausgebrochen war, hatte der ungarische Primas im Auftrag des Habsburgers eine rechtshistorische Abhandlung über die Titularbischöfe in Ungarn verfasst. In seinem Discursus brevis circa motam in Curia Romana difficultatem de Titularibus Episcopatibus Hungariae nannte Péter Pázmány sechs Argumente, warum der Papst bei der Ernennung der Titularbischöfe keinerlei Rechtsvorbehalte geltend machen könne – ein siebtes Argument bezog sich auf die besondere Situation in Siebenbürgen.16 Im Wesentlichen berief sich Pázmány dabei auf die jahrhundertelange Praxis der „nominatio regia“ in Ungarn als solcher. Der größte Teil des Gebiets, in dem die Titularbistümer lägen, sei zwar gegenwärtig im Besitz der Ungläubigen („magna pars haeretica est“); in der Zeit, als die Könige von Ungarn das Nominationsrecht für jene Bistümer erworben hätten, im Mittelalter also, sei das gesamte Territorium jedoch katholisch gewesen („Catholica erat tota Hungaria, & tamen Sedes Apostolica, nullam hac de re litem movit“). Vor allem aber seien die Bischöfe der Ungarischen Krone nicht einfache, vom Papst für die Gebiete der Ungläubigen ernannte Titularbischöfe, die keinerlei Gewalt in ihren fiktiven Diözesen hätten, sondern vielmehr mit realer Macht ausgestattete Würdenträger, die fest im politischen System verankert seien und Sitz und Stimme in Ständeversammlungen und bei Gericht besäßen. Päpstliche Bullen würden sie daher im Gegensatz zu den von Rom promovierten Titularbischöfen nicht benötigen.17 Die Ausführungen Pázmánys �� Péterfy, Carolus: Sacra Concilia Ecclesiae Romano-Catholicae in regno Hungariae celebrata. Ab Anno Christi MXVI. usque ad Annum MDCCXV. Accedunt Regum Hungariae et Sedis Apostolicae legatorum constitutiones ecclesiasticae, Bd. 1–2. Posonii 1741–1742, hier Bd. 1, 78f.; Török, János: Magyarország primása. Közjogi és történeti vázolat, Bd. 1–2. Pest 1859, hier Bd. 2, 142f., Nr. CXXXI; Tomcsányi, Lajos: A főkegyúr szerepe a püspökök kinevezésénél. Budapest 1922, 57f. ���������������������������������������������������������������������������������������������������� „Titulares Episcopi Hungariae, non sunt sicut titulares, quos Sedes Apostolica in partibus infidelium nominat: ut Patriarcha Constantinopolitanus, Antiochenus, Episcopi Ephesiorum &c. hi enim nomen gerunt, nullum realem actum Ecclesiasticum, vel politicum retinent, quem antea, dum in sedibus erant, retinebant. Ideoque sunt meri titulares. In Ungaria nullus est talis titulatus: nam hi Episcopi, locum, sessionem, jus suffragii in comitiis, ac judiciis aeque retinent, atque tum residebant; nec ullus illorum est, qui non ovibus aliquibus sui Episcopatus e vicino advigilet. Itaque Bullae, quae de nudis
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wurden – zum Teil im Wortlaut – auch in spätere Gutachten übernommen.18 Da sich die ungarischen Könige in dieser Zeit propagandistisch als letzte Hoffnung für die gefährdete Christenheit inszenierten, hatte der Heilige Stuhl kaum eine Möglichkeit, die eigenwillige Nomination der Titularbischöfe wirkungsvoll zu unterbinden. Ähnlich wie bei seiner Stellungnahme zum Nominationsrecht hatte der Primas auch in diesem Gutachten argumentiert, dass das Recht, Titularbischöfe zu ernennen, von den ungarischen Königen fortwährend ausgeübt worden sei („in continuato usu“). Dies war freilich nur zum Teil richtig. Zwar gab es einige untergegangene beziehungsweise unter fremde Oberherrschaft gekommene Diözesen in Dalmatien – Nin, Skradin, Knin, Hvar und Makarska –, die seither als ungarische Titularbistümer durchgängig besetzt worden waren. Das Motiv der ungarischen Könige war in diesem Fall, analog zum Beweggrund des Papstes bei der Ernennung der „episcopi in partibus infidelium“, in erster Linie ein politisches gewesen. Die Nomination der Titularbischöfe – mit anderen Worten: das bewusste Festhalten an der kirchlichen Raumgliederung des Mittelalters, die sich ungeachtet der gewandelten politischen Raumstrukturen im kollektiven Gedächtnis erhalten hatte – sollte gegenüber Venedig und dem Osmanischen Reich den Rechtsanspruch der Corona regni Hungariae auf die militärisch verloren gegangenen Gebiete im Süden erhärten. Gehörten diese auch nicht mehr zum engeren Sanktionsraum der ungarischen Herrschaft, so waren sie doch im Bewusstsein der Zeitgenossen noch vorhanden und Teil des weiteren Legitimationsraums. Die vergangenen kirchlichen Grenzziehungen markierten so gleichsam die Ziellinien für weltliche Expansionsbestrebungen und Ansprüche der Kirchenoberen. Die Masse der ungarischen Titularbistümer wurde jedoch erst im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts erstmalig beziehungsweise nach jahrhundertelanger Vakanz neu besetzt. Sie lagen mehrheitlich in den südlichen und östlichen, der zweiten ungarischen Kirchenprovinz Kalocsa unterstehenden Grenzgebieten, die in den von Ungarn abhängigen Vasallenfürstentümern auf dem Balkan bis zum Ende des Mittelalters gegründet oder wiederhergestellt worden waren.19 Diese zum Teil längst in Vergessenheit geratenen titularibus Episcopis editae sunt, ad hos Episcopos Ungariae in odiosis extendi nullo modo possunt, cum non sint nude titulares.“ Péterffy: Sacra Concilia Ecclesiae Romano-Catholicae, Bd. 1, 79. �������������������������������������������������������������������������� „Informatio de episcopatibus regni Hungariae ad curiam Romanam“ (1661).� Fraknói, Vilmos (Hg.): Oklevéltár a magyar király kegyúri jog történetéhez. Budapest 1899, 237–241, Nr. CLXVIII, hier 239. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Einen Überblick vermittelt Rafael Levaković, Historiker des Bistums Agram, in einem Gutachten aus dem Jahr 1645. Darin führt er – ganz im Sinn Pázmánys – den Nachweis, dass das königliche Nominationsrecht auch die Ernennung der ungarischen Titularbischöfe einschließe: „Archiepiscopatus cum suffraganeis ad coronam regni Hungariae mediate vel immediate spectantes, quorum nominatio ab antiquo est de jure patronatus Hungariae regis: In Hungaria. Archiepiscopatus ������������������������ Strigoniensis, cujus suffraganei sunt: 1. Agriensis. 2. Quinqueecclesiensis, sive Pecchivyensis. 3. Vesprimiensis. 4. Jauriensis. 5. Vaciensis. 6. Nitriensis. Archiepiscopatus Colocensis et Bachiensis, cujus
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Sitze neu zu beleben beziehungsweise deren Vorgeschichte im Sinn des Hofes zu konstruieren, hatte nur vordergründig etwas mit Rechts- oder Gebietsansprüchen zu tun. Der Vorstoß hing bei Lichte besehen vielmehr mit dem absolutistischen und gegenreformatorischen Angriff der Habsburger zusammen, der in den 1670er Jahren seinen Höhepunkt erreichte. Den Titularbischöfen kam dabei aus Sicht Wiens eine doppelte Funktion zu: Sie sollten einerseits die politische Basis der alten Kirche verstärken und das verfassungsrechtliche Gewicht des Prälatenstands erhöhen, andererseits die latente (protestantische) Ständeopposition im Land bekämpfen und die Allianz zwischen der Dynastie und den Trägern der weltlichen und kirchlichen Macht in Ungarn festigen. Die Zahl der von Wien besetzten ungarischen Titularbistümer, die seit dem Episkopat Pázmánys sprunghaft angestiegen war, erreichte im 18. Jahrhundert mit dreißig Sitzen ihren Höhepunkt, wobei Bosnien und Krbava allerdings nur bis Anfang des 18. Jahrhunderts eigenständig blieben. Aus politischem Kalkül wurde letztmalig im Jahr 1774 ein seit Jahrhunderten vakanter Bischofssitz neubesetzt: das im 6. Jahrhundert gegründete, nach 1200 neuerrichtete Bistum Drisht in Albanien, das seit 1470, als es unter osmanische Herrschaft gekommen war, vom Heiligen Stuhl als (römisches) Titularbistum vergeben wurde.20 Der von Maria Theresia nominierte Titularbischof, der Wesprimer Domherr Ignác Nagy, wurde nur wenige Jahre später auf das neuerrichtete, der Erzdiözese Gran als Suffragan unterstellte Bistum Stuhlweißenburg transferiert.21 Die religionspolitische Zäsur an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert lässt sich auch an der Besetzung der ungarischen Titularbistümer ablesen, die nach 1820 immer häufiger vakant blieben und politisch nach dem gescheiterten Experiment des josephinischen Reformabsolutismus nur noch eine untergeordnete Rolle spielten. suffraganei sunt: 1. Zagrabiensis. 2. Transylvaniensis. 3. Varadiensis. 4. Chanadiensis. 5. Bosnensis alia Diacoviensis. 6. Sirmiensis. In Croatia et Dalmatia. Archiepiscopatus Jadrensis, cujus suffraganei sunt: 1. Ansarensis sive Ausarensis. 2. Veglensis. 3. Arbensis. Archiepiscopatus Spalatensis, cujus suffraganei sunt: 1. Traguriensis. 2. Scardonensis. 3. Tininniensis. 4. Novensis. 5. Sibinicensis. 6. Temnensis. 7. Segniensis. 8. Almiensis. 9. Modrusiensis. 10. Macariensis. 11. Pharensis. Archiepiscopatus Ragusiensis, cujus suffraganei: 1. Stagnensis. 2. Rosonensis. 3. Tribunicensis vel Tribuniensis. 4. Cathariensis. 5. Bacensis. 6. Biduanensis sive Buduanensis.“ Fraknói (Hg.): Oklevéltár a magyar király kegyúri jog történetéhez, 205–208, Nr. CLVII, hier 205f. Im Jahr 1647 wurde Levako vić vom Heiligen Stuhl zum Titularerzbischof „Ocridae seu Achridae“ ernannt. Vgl. Fermendžin, Eusebius (Hg.): Acta Bosnae potissimum ecclesiastica cum insertis editorum documentorum regestis ab anno 925 usque ad annum 1725. Zagrabiae 1892 (Monumenta spectantia historiam Slavorum meridionalium 23), 462, Nr. MCCCXCVII. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Index Sedium Titularium, 12, Nr. 143. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurd�������� e allerdings noch das ähnlich wie Bosnien und Serbien nach dem Land – in etwa der heutigen Herzegowina – benannte Zakulmia („ep. Zaculonen.“) als ungarisches Titularbistum neu besetzt; es war seit dem 13. Jahrhundert nicht mehr in den Quellen genannt worden. Vgl. Hoffer: Verzeichnis, 358, 364. ��Pfeiffer, János: A veszprémi egyházmegye történeti névtára (1630–1950) püspökei, kanonokjai, papjai. München 1987 (Dissertationes Hungaricae ex historia Ecclesiae 8), 162f.
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Strukturgeschichtliche Grundlagen und Machtverschiebungen
Im Zusammenhang mit den ungarischen Titularsitzen taucht in zeitgenössischen Quellen ebenso wie in der späteren Forschungsliteratur immer wieder (mit stark voneinander abweichenden Angaben) der Name eines „episcopus Svidnicensis“ auf, dessen Besetzung bisher, so zuletzt 1971 Remigius Ritzler, nicht habe nachgewiesen werden können.22 Die Vorgeschichte dieses Bischofssitzes – es steht nicht eindeutig fest, auf welche Stadt sich der Titel bezieht – ist eng mit der Kirchenunion in Kroatien verknüpft.23 1611 hatte der serbische Bischof Simeon Vratanja, der im Kloster von Marča residierte, das katholische Glaubensbekenntnis abgelegt. Nach dessen Tod 1632 begaben sich die unierten Bischöfe allerdings erneut zum serbischen Patriarchen von Peć, um von diesem die Bischofsweihe zu erbitten. Für die Propagandakongregation blieb die Kirchenunion daher zweifelhaft. Als Ferdinand III. 1644 als König von Ungarn dann noch dem unierten Bischof Vasilije Predojević den an der Kurie völlig unbekannten Titel eines „episcopus Svidnicensis“ zugestand, zeigte man sich in Rom empört und verweigerte strikt die Anerkennung, da „episcopus graecus non est capax tituli latini“.24 Kaiser und Kurie einigten sich zwar schließlich nach der im kroatisch-krainischen Grenzgebiet von Sichelburg liegenden Ortschaft Pleterje auf den Titel „episcopus Plateensis in Beotia“ für den unierten Bischof in Kroatien. Der umstrittene Titel des „episcopus Svidnicensis“ wurde jedoch auch weiter vergeben, trotz regelmäßiger Proteste von Seiten der Propaganda Fide.25 ��Ritzler: Bischöfe, 147, 150. Indifferent in dieser Frage Magyar Katolikus Lexikon 2, 1993, 237f. Die Übersicht der ungarischen Titularbischöfe in Magyar Országos Levéltár Budapest, Magyar kincstári levéltárak, E 683: Dignitariorum Regni Hungariae Ecclesiasticorum Liber Ius, fol. 346, nennt als ersten Würdenträger den Basilianermönch Gavrilo Predojević. Zu seiner Person vgl. Golub, Ivan: Križanić kontroverzist. In: Zagrebačka biskupija i Zagreb 1094–1994. Zbornik u čast kardinala Franje Kuharića. Zagreb 1995, 203–225, hier 205–208. �� Nilles, Nicolaus: Symbolae ad illustrandam historiam Ecclesiae Orientalis in terris Coronae S. Stephani [...], Bd. 1–2. Oeniponte 1885, hier Bd. 2, 704–729; Buturac, Josip/Ivandija, Antun: Povijest katoličke Crkve među Hrvatima. Zagreb 1973, 184–187. ��Šimrak, Ioannes (Hg.): De relationibus Slavorum Meridionalium cum Sancta Romana Sede Apostolica saeculis XVII. et XVIII., Bd. 1: De rebus gestis unionis in confiniis Croatiae ab episcopo Simeone Vratanja usque ad Sabbam Stanislavić (1611–1661). Zagreb 1926 (Hrvatska Bogoslovska Akademija 7), 19. Über die Berechtigung des Titels „svidnicensis“ hatte es bereits Jahrzehnte zuvor mehrere Anfragen der Propagandakongregation gegeben. So berichtete der Waitzener Bischof und Hofkanzler István Sennyey am 10. Juni 1626 nach Rom: „Episcopatum Suidnicensem esse sub Archiepiscopatu Colocensi, immediate Coronae Hungariae subiecto et inter Archiepiscopatus Colocensis septem suffraganeos quintum locum tenere. Quia tamen Episcopatus ille fere sub initio ruinae hungaricae ad manus infidelium deuenit a nemine pro titulo sibi conferendo inscitum est, unde credibile est a centum et quinquaginta uel etiam ultra annis nemini collatum fuisse. Cum praeter hunc etiam alii circiter viginti Episcopatus sint, quorum usus ualde rarus est, etiam Hungarica natione parum huiusmodi titulos curante.“ Ebd., 53. Im Jahr 1775 verfasste der Agramer Domkapitular und Historiker Baltazar Adam Krčelić eine Abhandlung mit dem Titel De episcopatu Svidnicensi (ebd., 78 Anm. 5). ����������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár Budapest, A 32, 95:1727 (Agram, 4. ��������������� Februar 1727); Jačov, Marko (Hg.): Spisi tajnog vatikanskog arhiva XVI–XVIII veka. Beograd 1983 (Srpska akademija nauka i umetnosti. Zbornik za istoriju, jezik i književnost srpskog naroda II/22), 188, Nr. 167.
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Bei den an Venedig gefallenen Bistümern Dalmatiens und den dazugehörigen Inseln an der Adriaküste erweist sich die Lokalisierung der Titularbischofssitze als unproblematisch. Deutlich schwieriger ist es dagegen, die Diözesen (und deren politisch-kirchenrechtliche Entwicklung) im vortürkischen Albanien mit seiner komplizierten Kirchenstruktur und häufigen Verschiebung der Bischofsresidenzen genau zu bestimmen. Bei der Gründung der zahlreichen Bistümer, die später zum Teil als ungarische Titularbistümer verliehen wurden, lassen sich mit dem kroatischen Historiker Milan Šufflay drei Formationsperioden unterscheiden:26 eine primäre (bis 602), deren Gründungen unter dem Druck der Völkerwanderung teilweise rasch wieder verschwanden (Shkodra); eine sekundäre (bis 1250), die neue Bischofssitze hervorbrachte oder ältere, in der Antike begründete Sitze erneuerte (Drisht); schließlich eine tertiäre, nach dem Zusammenbruch des byzantinischen Reiches Anfang des 13. Jahrhunderts einsetzende Phase (bis etwa 1370), in der neben den neuerrichteten Bistümern alle orthodoxen Bischofssitze in katholische verwandelt wurden. Ein Beispiel für diese dritte Phase ist Prizren am östlichen Rand des albanischen Bistumsgürtels im Norden, ein zunächst orthodoxer Sprengel mit einzelnen katholischen Pfarreien, der zuerst zum Erzbistum Ochrid, später dann kurz unter den serbischen Patriarchen von Peć gehörte und im 14. Jahrhundert einen lateinischen Bischof erhielt. Seit 1717 wurde Prizren als ungarisches Titularbistum verliehen.27 In die folgende Gesamtübersicht – in alphabetischer Reihenfolge – wurden nicht sämtliche in den Quellen genannte, sondern nur diejenigen (lateinischen) ungarischen Titularbistümer aufgenommen, deren Verleihung für das 17. und/oder 18. Jahrhundert durch Quellenbelege gesichert ist:28 Batsch �� Šufflay, Milan von: Die Kirchenzustände im vortürkischen Albanien. Die orthodoxe Durchbruchszone im katholischen Damme [1915]. In: Thallóczy, Ludwig von (Hg.): Illyrisch-albanische Forschungen, Bd. 1. München/Leipzig 1916, 188–281, hier 188–231; Thallóczy, Ludovicus de/ Jireček, Constantinus/Sufflay, Emilianus de (Hg.): Acta et diplomata res Albaniae mediae aetatis illustrantia, Bd. 1: 344–1343; Bd. 2: 1344–1406. Vindobonae 1913–1918, Register s.v. „Prizren“ („Prisdiana, Presari, Prisarin“). ��������������������������������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár������������������������������������������������������������������� Budapest, Magyar kincstári levéltárak, E 683, Dignitariorum Regni Hungariae Ecclesiasticorum Liber Ius, fol. 333. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Die Gesamtübersicht basiert auf der ebd., fol. 284–363, überlieferten Zusammenstellung, ferner auf der Auswertung ungarischer Reichstagsbeschlüsse und Schematismen, Angaben der Hierarchia Catholica, Vorarbeiten von Ritzler: Bischöfe, 147–151, dem ebd. im Quellenanhang (158–163) abgedruckten Verzeichnis der ungarischen Titularbistümer (um 1815) aus dem Archivio della Nunziatura di Vienna im Vatikanischen Geheimarchiv, den bei Galla, Ferenc: A püspökjelöltek kánoni kivizsgálásának jegyzőkönyvei a Vatikáni Levéltárban. (A magyar katolikus megújhodás korának püspökei.). In: Levéltári Közlemények 20-23, 1942–1945, 141–186, hier 162–186, genannten Zeugenlisten der Informativprozesse sowie kirchengeschichtlichen Grundlagenwerken – zu nennen sind hier vor allem Farlati, Danielis: Illyricum Sacrum, Bd. 1–8. Venetiis 1751–1819; Bd. 9 unter dem Titel Bulić, Fr[ane] (Hg.): Accessiones et correctiones all’Illyricum Sacrum del P. D. Farlati di P. G. Coleti [Supplemento al „Bulletino di Archeologia e Storia Dalmata“ a. 1902–1910]. Spalato 1910; Bomman, Gianantonio: Storia civile ed ecclesiastica della Dalmazia, Croazia e Bosna, Bd. 1–2. ��� Venezia 1775 – sowie auf eigenen biographischen Studien der kirchlichen Führungsschicht in Ungarn.
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(„ep. Bacen.“); Belgrad („ep. Belgradien.“); Bosnien („ep. Bosonen.“); Budva („ep. Biduanen.“); Drisht („ep. Drivestien.“); Dulma („ep. Dulmen.“); Hvar („ep. Pharen.“); Knin („ep. Tinien.“, „ep. Tinninien.“); Korčula („ep. Corczolen.“); Kotor („ep. Cattaren.“); Krbava („ep. Corbavien.“); Krk („ep. Veglien.“); Makarska („ep. Macarien.“); Nin („ep. Novien.“, „ep. Nonen.“); Omiš („ep. Almisien.“); Osor („ep. Ansarien.“); Prizren („ep. Pristinen.“); Rab („ep. Arben.“); Risan („ep. Rosonen.“); Sardika („ep. Sardicen.“, „ep. Varnen.“); Serbien („ep. Serbien.“); Shkodra („ep. Scutarien.“); Šibenik („ep. Sibenicen.“); Skopje („ep. Scopien.“); Skradin („ep. Scardonen.“); Ston („ep. Stagnen.“); „ep. Temnen.“ (unsicher); Trebinje („ep. Tribunicen.“); Trogir („ep. Tragurien.“); Ulcinj („ep. Dulcinen.“). Besonders bei den in der Frühneuzeit unter venezianischer Herrschaft stehenden Bischofssitzen in Dalmatien und auf den Inseln der Adriaküste („sotto il dominio di christiani“),29 die vom Heiligen Stuhl mit wirklichen Oberhirten besetzt wurden, war es die Regel, dass zwei verschiedene Bischöfe den gleichen Sitz innehatten: ein päpstlicherseits promovierter und konsekrierter Ordinarius, dessen Name im offiziellen apostolischen Register („canonica series“) geführt wurde und Aufnahme in die Hierarchia Catholica fand, und ein königlich ungarischer Titularbischof, der gewöhnlich nicht geweiht war. Während des 18. Jahrhunderts galt dies beispielsweise für die (Titular-)Bistümer Hvar, Korčula, Kotor, Makarska, Osor, Rab, Šibenik, Trebinje und Trogir.30 Andere Bischofssitze wiederum wie das bosnische Dulma, für die der König von Ungarn einen „episcopus electus“ ernannte, wurden von Rom ebenfalls als Titularbistum i.p.i. verliehen.31 In diesem Fall sind sie – neben Bischofssitzen, die ausschließlich vom ungarischen König als Titularbistümer vergeben wurden – in den offiziellen römischen Verzeichnissen nachgewiesen.
������������������������������������������������������������������������������������������������� „Ma poi essendo venuta la Dalmatia sotto i Veneziani e Turchi e cosi ancora essendo stati occopate altre provincie dalli inimici, bona parte di esse chiese a poco a poco sono venuti alla sede apostolica, e particolarmente in Dalmatia quelle, che sono sotto il dominio di cristiani. Cosi al tempo nostro la sede apostolica et li sommi pontefici di essa proveggono e conferiscono l’arcivescovato di Zara con li suoi suffraganei di Osoro, Vegla et Arbe. L’arcivescovato di Spalato e li suffraganei di quello cioè Trau ovvero Traguriense, Sebencio e Lesina che è Pharense. L’arcivescovato di Ragusa e suoi suffraganei di Stagno, Tribunio e Catharo.“ Gutachten von Rafael Levaković 1645. Fraknói (Hg.): Oklevéltár a magyar királyi kegyúri jog történetéhez, 206. ������������������������������������������������� Grundlegend hierzu ist die Quellensammlung von Jačov (Hg.): Spisi tajnog vatikanskog arhiva XVI–XVIII veka. Exemplarisch für Makarska vgl. ferner die Studie von Pandžić, Bazilije Stjepan: Izvještaji makarske biskupije sačuvani u Tajnom vatikanskom arhivu [1980]. In: ders.: Bosna Argentina. Studien zur Geschichte des Franziskanerordens in Bosnien und der Herzegowina. Köln/ Weimar/Wien 1995 (Quellen und Beiträge zur kroatischen Kulturgeschichte 6), 267–320; für Trebinje vgl. ders.: De dioecesi Tribuniensi et Mercanensi. Romae 1959 (Studia Antoniana 12), 83– 101. Die meisten Bistümer sind aufgelistet bei Gams, Pius Bonifatius: Series episcoporum ecclesiae catholicae, quotquot innotuerunt a beato Petro Apostolo. Ratisbonae 1873–1886 [ND Graz 1957], 391–426. ������������������������������������������������������������������������������ Essai de liste générale de tous les archevêques et évêques titulaires, 408f.
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Zu personellen Überschneidungen wie der zweimaligen Verleihung desselben Bistums an einen Titularbischof kam es nur in bestimmten Phasen: in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als die vom Landesherrn zu politischen Zwecken genutzte Institution der Bischöfe der Ungarischen Krone zu Konflikten zwischen Kaiserhof und Kurie führte, und erneut nach dem Wiener Kongress 1814/15, als die territorial vergrößerte Lombardei und Venetien als vereinigtes lombardo-venetianisches Königreich direkt Österreich angeschlossen wurden. Denn nun setzte der Kaiser von Österreich zu gleicher Zeit, etwa im Fall der Diözese Sebenico (Šibenik), zwei verschiedene Geistliche auf denselben Bischofsstuhl. Zahlreiche Bischöfe der Ungarischen Krone waren zugleich römische Titularbischöfe. Gábor Erdődy, im März 1713 von Karl VI. zum Koadjutor mit Nachfolgerecht des amtierenden Ordinarius von Erlau, István Telekesy, und gleichzeitig zum ungarischen Titularbischof von Rab ernannt, wurde mit Übersendung der päpstlichen Ernennungsbulle Ende des darauffolgenden Jahres zugleich auf den Titel eines römischen Titularbistums geweiht („ep. tit. Fesseitan.“).32 Ähnlich lagen die Verhältnisse bei Imre Esterházy, Bischof von Neutra (1740–1763, zuvor Titularbischof von Šibenik und „ep. tit. Doren.“), Ferenc Zichy, Bischof von Raab (1744–1783, zuvor Titularbischof von Nin und „ep. tit. Botryen.“) und Antal de Révay, Bischof von Rosenau und Neutra (1776–1780, 1780–1783, zuvor Titularbischof von Korčula und „ep. tit. Milenen.“).33 Während jeder (römische) Titularbischof in der Regel zugleich Weihbischof oder Koadjutor „cum iure successionis“ (c.i.s.) eines Diözesanbischofs war, war dies bei den ungarischen „episcopi electi“ die Ausnahme. Ihre früheren Titel als nicht konsekrierte Bischöfe der Ungarischen Krone, die sich einzig aus der königlichen Nomination ableiteten, behielten die Geistlichen auch im Fall ihrer päpstlichen Promotion zu Weihbischöfen bei, weil sie ein ständisches Recht begründeten. Das Ernennungsverfahren der ungarischen Titularbischöfe unterschied sich nur graduell von demjenigen der Diözesanbischöfe. Allgemein lässt sich feststellen, dass weniger Personen und Institutionen auf die Personalentscheidungen des Königs Einfluss nahmen. Gutachten wurden in der Regel nur von der Ungarischen Hofkanzlei verfasst.34 Ein Informativprozess wurde
�� Sugár, István: Az egri püspökök története. Budapest 1984 (Az Egri főegyházmegye schematizmusa 1), 394f.; „Mgr Evelroy (Gabriel)“, so die Angabe in Essai de liste générale de tous les archevêques et évêques titulaires, 415. �������������������������������������������������������������������������������������������� „Mgr Eszterhazy de Galantha (Eméric)“: Essai de liste générale de tous les archevêques et évêques titulaires, 407. Beim römischen Titularbistum Botrys (Botra) beginnen die Einträge erst mit dem Jahr 1724 (ebd., 375), „Mgr Revay de Réva (Jean-Antoine)“ (ebd., 448). ������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár Budapest, A 1, 24:1758 (Wien, 16. Dezember 1757), betreffend Mathias Hubert für das Titularbistum Krk; ebd., A 1, 166:1758 (Wien, 30. August 1758), betreffend Gábor Ordódy für Dulma; ebd., A 1, 81:1764 (Wien, 11. April 1764), betreffend Ferenc Berchtold für Nin, Zsigmond Keglević für Makarska und János Ferlanday für Risan; ebd., A 1, 103:1765 (Wien,
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vom Wiener Nuntius, sieht man von einigen Sonderfällen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts ab, nur für diejenigen Bischöfe der Ungarischen Krone eingeleitet, die der König auf die Titularbistümer von Belgrad-Semendria und Knin nominiert hatte.35 Diese wurden als einzige vom Apostolischen Stuhl nach Empfang der Provisionsurkunden konsekriert und als Weihbischöfe (traditionell) dem Metropoliten von Kalocsa beziehungsweise dem Bischof von Agram zur Seite gestellt.36 Mitunter kam es dabei zu eigenwilligen Konstellationen. 1755 etwa wurde der Informativprozess für den Propst und Generalvikar des Zipser Kapitels, József Károly Zbiskó, durchgeführt, den Maria Theresia zum Titularbischof von Knin ernannt hatte.37 Dieser war allerdings bereits seit fast einem Jahrzehnt Titularbischof von Krk, das heißt, er hatte einen Bischofssitz inne, dem der Heilige Stuhl in der Vergangenheit stets seine Anerkennung versagt hatte. Die Tatsache, dass auch nicht konsekrierte Titularbischöfe (Budva, Shkodra, Skopje, Skradin) als Zeugen für Informativprozesse herangezogen wurden,38 zeigt jedoch, dass die Kurie in der Frage der Bischöfe der Ungarischen Krone flexibel war. Dies gilt auch im Fall von Knin, das im Jahr 1688, als es an Venedig fiel, mit dem von der Kurie als Residentialbistum besetzten Šibenik vereinigt wurde und trotzdem bei der päpstlichen Präkonisation und Konsekration des vom ungarischen König ernannten Titularbischofs als eigenständig betrachtet wurde – eine, mit den Worten von Nikolaus Nilles, „kanonistische Rarität erster Classe“.39
3. Karrieremuster in der hierarchia catholica Von den 154 Bischöfen der Ungarischen Krone, die während der Jahre 1685 bis 1790 in 31 römisch-katholischen Titularbistümern nachgewiesen werden konnten, wurden 41 (26,6 Prozent) später auf ein Residentialbistum nominiert, drei davon auf ein Bistum in den österreichischen Erblanden: der aus alter kastilischer Familie stammende Cristobal de Rojas y Spinola, 1666 bis 1685 Titularbischof von Knin, im Juli 1685 auf das Bistum Wiener Neu23. März 1765), betreffend Mihály Besznyák für Hvar; ebd., A 1, 203:1765 (Wien, 22. Juni 1765), betreffend János Mapy für Ulcinj. ��Galla: A püspökjelöltek kánoni kivizsgálásának, 164–182. �� Werner, O[scar]: Orbis terrarum catholicus sive totius Ecclesiae catholicae et occidentis et orientis conspectus geographicus et statisticus. Friburgi Brisgoviae 1890, 87–99 (Cap. 10: Austria et Hungaria). Werner nahm die „tituli consecrabiles“ von Belgrad-Semendria und Knin ebensowenig in seine Statistik auf wie die anderen ungarischen Titularbischofssitze. ��Kollányi, Ferenc: Esztergomi kanonokok 1100–1900. Esztergom 1900, 353; Slovenský biografický slovník, Bd. 1–6. Martin 1986–1994, hier Bd. 6, 422. ��Galla: A püspökjelöltek kánoni kivizsgálásának, 165f., 169, 177, 179, 182. �� Nilles, Nikolaus: Asterisken zur Geschichte der Ordination des heiligen Ignatius von Loyola und seiner Gefährten. In: Zeitschrift für katholische Theologie 15, 1891, 146–159, hier 154 Anm. 3.
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stadt, der aus der Oberpfalz gebürtige Franz Ferdinand von Rummel, 1695 bis 1706 ebenfalls Titularbischof von Knin, im April 1706 auf das Bistum Wien und der schon erwähnte Walliser Theologe Ignaz von Lovina, 1711 bis 1718 Titularbischof von Šibenik, im November 1718 auf das Bistum Wiener Neustadt.40 Für alle drei Geistlichen stellte die jeweilige Diözese den Gipfel ihrer kirchlichen Karriere dar. Umgekehrt bedeutet dies aus der Sicht des ungarischen Episkopats: Für 38 und damit für mehr als ein Drittel (35,2 Prozent) der 108 Ordinarien in Ungarn, Kroatien und Siebenbürgen im Zeitraum von 1685 bis 1790 bildete ein ungarisches Titularbistum die wichtigste Vorstufe für den Aufstieg in der hierarchia catholica. Diese Zahl fiele sogar noch höher aus, berücksichtigte man die gesamte zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts, in der es aufgrund der politisch unsicheren Verhältnisse und der für den Hochadel fehlenden Attraktivität eines Großteils der Bischofssitze häufiger zu Translationen kam und der Episkopat zwangsläufig weniger exklusiv war als im 18. Jahrhundert.41 Bei einer höheren sozialen Stellung des Geistlichen oder dessen Familie war der Aufstieg in den Episkopat über ein ungarisches Titularbistum eher die Ausnahme. Die häufigsten Übergänge auf ein Residentialbistum lassen sich bei den Titularbistümern Nin (8), Knin (6), Kotor (3) und Šibenik (3) beobachten. Namentlich Nin, das im 18. Jahrhundert einem Reservat des staatsloyalen Hochadels glich,42 bot die sichere Gewähr für ein weiteres gesellschaftliches Fortkommen. Von hier war nicht nur die Versetzung nach Großwardein und Tschanad möglich, den am häufigsten folgenden Anschlussbistümern, sondern auch eine Translation nach Raab, Fünfkirchen, Neusohl und (seit 1804) Kaschau.43 Der Zeitpunkt, zu dem ein Residentialbistum übernommen werden konnte, war zwar naturgemäß nicht kalkulierbar. Gewisse Tendenzen, die auf eine Rangfolge der Titularbistümer und deren Funktion für die königliche Personalpolitik schließen lassen, sind dennoch klar zu erkennen.44 Während die genannten „episcopi electi“ von Nin, Knin, Kotor und Šibenik mehrheitlich nur wenige Jahre zu warten hatten, bevor sie zu Ordinarien ernannt wurden, konn��������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár Budapest, Magyar kincstári levéltárak, E 683: Dignitariorum Regni Hungariae Ecclesiasticorum Liber Ius, fol. 342, 356f. �� Evans, Robert J. W.: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien/Köln 1986 (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6), 185f., 368f. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Das Titularbistum Nin erhielten unter anderem Imre Csáky, Miklós Csáky, Ferenc Zichy, Adam Aleksandar Patačić und Ferenc Berchtold. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár Budapest, Magyar kincstári levéltárak, E 683: Dignitariorum Regni Hungariae Ecclesiasticorum Liber Ius, fol. 328–330. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Auf die Anziehungskraft der Bischofssitze deuten auch die Translationen (in den Quellen „traductiones“) von einem ungarischen Titularbistum auf ein anderes hin. In sieben der insgesamt neun Versetzungen in den Jahren 1685 bis 1790 erfolgte eine solche auf das Titularbistum Knin, dessen Amtsinhaber konsekriert und traditionell dem Metropoliten von Kalocsa als Weihbischof zur Seite gestellt wurde.
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te sich dies bei anderen Titularbistümern über Jahrzehnte hinziehen. Ferenc Miklósy, Antal de Révay und János Galgóczy, Titularbischöfe von Budva, Korčula und Risan, erhielten erst nach mehr als zwei Jahrzehnten eine wirkliche Diözese anvertraut. Der Titularbischof von Risan, Pál Forgách, dessen Familie bis 1700 eine für ungarische Verhältnisse ausgesprochen starke geistliche Prägung besessen hatte, wurde sogar erst nach 35 Jahren auf ein ordentliches Bistum – Großwardein – nominiert.45 Bei anderen Titularbistümern wie Hvar, Makarska, Omiš und Trebinje, deren Inhaber oft schon bei der Verleihung in hohem Alter standen, war ein weiterer Aufstieg praktisch ausgeschlossen. Mit Ausnahme der beiden erzbischöflichen Sitze in Gran und Kalocsa, die für keinen Kleriker die erste Station innerhalb der ungarischen Hierarchie bildeten, wurden Titularbischöfe für den Fall ihres Aufstiegs in den Episkopat zwar auf alle ordentlichen Bistümer nominiert. Die Regel war jedoch zunächst eine Ernennung auf eines der traditionellen Einstiegsbistümer, die entsprechend die größte Versetzungsquote aufwiesen: Großwardein (6) oder Tschanad (5). In die gut dotierten, als Sprungbrett für eine glänzende kirchliche Karriere bekannten und genutzten Diözesen Waitzen und Raab, die einer kleinen Gruppe ausgewählter Hofaristokraten vorbehalten waren, gelangten Bischöfe der Ungarischen Krone nur wenige Male. In allen drei Fällen – Sigismund Kollonich (Shkodra), Károly Esterházy (Kotor) und Ferenc Zichy (Nin) – handelte es sich dabei um Hochadelige, die ihre Loyalität zum Haus Habsburg bereits vielfach unter Beweis gestellt hatten.46
4. Titularbischöfe und Politik: Einflussfelder, Erwartungshaltungen und Eigeninteressen In welchem Maße die Bischöfe der Ungarischen Krone im 18. Jahrhundert politisch wirkten, lässt sich insgesamt nur schwer ermessen. Publizistisch traten lediglich einzelne Würdenträger wie der am Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom ausgebildete Domherr von Neutra und Titularbischof von Ulcinj, László Szörényi, hervor, der 1724 zum Mitglied der ersten innerhalb des Statthaltereirats entstandenen kirchlichen Fachkommission („piae fundationes“) ernannt wurde. Seine fünf Jahre später in Pressburg verlegte Sammlung kirchlicher Rechte und Privilegien fand damals viel Beachtung.47 Die „episcopi electi“, welche die Residentialbischöfe zahlenmäßig übertrafen, konnten Mehrheitsverhältnisse und Abstimmungsergebnisse im Ober��������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár Budapest, Magyar kincstári levéltárak, E 683: Dignitariorum Regni Hungariae Ecclesiasticorum Liber Ius, fol. 335. ��������������������������� Ebd., fol. 323, 329, 345. ��Szörény, Ladislaus: Praerogativae, libertates, & Privilegia Ecclesijs, & Clero Regni Hungariae Non modò Jure Canonicô, verùm & municipali competentia [...]. Posonij 1729.
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haus nachhaltig beeinflussen, da sie Sitz und Stimme auf dem Reichstag besaßen. Nicht zu unterschätzen sind die dabei zwangsläufig auftretenden Sessionsstreitigkeiten, die sich zum Teil über Jahre hinzogen. Einen solchen Rangkonflikt schilderten der Primas und der Palatin, Imre Esterházy und János Pálffy, im Juli 1744 der Königin. Kurz vor seiner Ernennung zum Referenten der Ungarischen Hofkanzlei hatte György Klimó das ungarische Titularbistum Nin erhalten, das ihm nun einen Platz an der Magnatentafel sicherte. Dass Klimó aber, der Sohn eines slowakischen Handwerkers, seinen Platz im Oberhaus noch vor Graf János Csáky einnehme, dessen Familie zu den ältesten im Königreich zähle und eine Vielzahl höchster Würden im Staat bekleidet habe, sei nicht hinnehmbar.48 Als Titularbischof von Knin nahm – um ein weiteres Beispiel zu nennen – der Spanier Cristobal de Rojas y Spinola, der sich schon ein Jahrzehnt zuvor im römisch-deutschen Reich für protestantische Flüchtlinge aus Ungarn verwandt hatte, 1681 am Ödenburger Reichstag teil und warb hier für sein Reformprojekt einer Annäherung der christlichen Bekenntnisse. Noch stärker als bei den regierenden Diözesanbischöfen stand die Loyalität dieser Gruppe, die ihre Nomination ausschließlich dem Wohlwollen des Landesherrn verdankte, außer Frage. Der Heilige Stuhl sah in den „Oberhirten ohne Untertanen“, obwohl sie bischöfliche Gewänder und Insignien trugen, nichts anderes als weltliche Magnaten. In einem Bericht an das päpstliche Staatssekretariat vom August 1775 hob der Internuntius am Wiener Kaiserhof, Giuseppe Antonio Taruffi, die rein säkulare Funktion der ungarischen „episcopi electi“ hervor: Sie trügen zwar das Kreuz auf der Brust, dürften aber weder Pontifikalämter halten noch kirchliche Jurisdiktion ausüben.49 Die Titularbischöfe – hauptsächlich infulierte Pröpste und Äbte, Mitglieder bedeutender Kathedralkapitel oder allgemein verdiente Persönlichkeiten des ungarischen Klerus – behielten, da sie aus ihrer Titulardiözese keine Einkünfte bezogen, ähnlich wie die vom Papst ernannten Weihbischöfe in der Regel ihr früheres Kanonikat beziehungsweise ihre bisherigen Benefizien bei. Sie hielten sich an unterschiedlichen Orten auf: am Sitz ihrer Abtei oder ihres Kapitels, sofern dies möglich war, am Graner Primatialsitz, am Wiener Hof oder auf eigenen Ländereien. Adam Aleksandar Patačić zum Beispiel war, wie andere Bischöfe der Ungarischen Krone vor und nach ihm, seit seiner Ernennung zum Titularbischof von Nin 1751 in der Ungarischen Hofkanzlei ������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar Országos Levéltár Budapest, A 30, 539:1744 (Pressburg, 16. Juli 1744); ebd., A 1, 10:1749 (Wien, 3. Oktober 1749). ������������������������������������������������������������������������������������������������ „I Vescovi Titolari, che si nominano da S. Maestà Ap.lica, non ricevono Bolle da Roma, nè vengono consagrati ne godono verun privilegio, o autorità nello Spir.tle, solamente si considerano come Magnati d’Ungheria, e appunto in qualità de’ Magnati hanno sessione e voto nelle Diete; portano la Croce in petto, ma non fanno Pontificali, se non ne abbiano altronde la facoltà.“ Zit. nach Tomko, Josef: Die Errichtung der Diözesen Zips, Neusohl und Rosenau (1776) und das königliche Patronatsrecht in Ungarn. Wien 1968 (Kirche und Recht 8), 26, 28f., 121f. (Zitat 122).
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tätig, ehe ihn Maria Theresia acht Jahre später für das Bistum Großwardein nominierte. Franz Ferdinand von Rummel, dem Leopold I. 1695 das ungarische Titularbistum Knin und wenig später zwei Pfründen in Altbunzlau und Breslau verliehen hatte, lebte nach der Übernahme dieser Pfründen auf den Familiengütern Waldau und Weiden in der Oberpfalz. Über die tatsächliche Bedeutung des Titularbistums hatte sich Rummel, der am Hof in Ungnade gefallen war, von Beginn an keinerlei Illusionen gemacht. „Episcopatus Tinniensis“, heißt es in einem Brief an seinen Bruder, „est in Possnia, Croatiam versus, quae ego non videbo“50 – eine Gegend also, die er sicher nie zu Gesicht bekommen werde. Unabhängig davon bedeutete die kirchliche Titularwürde stets einen Prestigegewinn. Da der (kirchen-)rechtliche Status der Bischöfe der Ungarischen Krone nur den wenigsten bekannt war, drohte überdies kaum Gefahr, wenn man als tatsächlich amtierender Diözesanbischof auftrat. Rojas y Spinola, 1666 bis 1685 Titularbischof von Knin, ließ sich in jenen Jahren stets als „Episcopus Tiniensis“ beziehungsweise „Bischoff von Tina“ ansprechen.51 Auch Maria Theresia nannte den Direktor der Wiener Theologischen Fakultät und ungarischen Titularbischof von Risan, Simon Ambros von Stock, nur „l’évêque Stock“.52 Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der Fall des aus Maastricht gebürtigen Jesuiten Henri-Jean Kerens, einer der wichtigsten Stützen der kurialen Politik in Wien. Maria Theresia, die Kerens als Professor und Rektor des Theresianums schätzen gelernt hatte, forderte ihn 1768 einem Bericht des Wortführers des Wiener Jansenistenkreises, Markus Anton Wittola, zufolge auf, aus dem Orden auszutreten. Der Wiener Erzbischof und Administrator des Bistums Waitzen, Migazzi, habe ihm in diesem Fall ein Kanonikat in seiner ungarischen Diözese reserviert. Kerens verlange jedoch eine Pension, ein ungarisches Titularbistum „in partibus“ und den Stephansorden. Seine gewiss nicht von fehlendem Selbstbewusstsein zeugende Forderung wurde hinfällig, da Maria Theresia ihren Protegé schon 1769 ohne die sonst übliche Konsultation der örtlichen Instanzen zum Bischof von
������������ Zit. nach Rummel, Friedrich von: Franz Ferdinand von Rummel. Lehrer Kaiser Josephs I. und Fürstbischof von Wien (1644–1716). München 1980, 81. �� Miller, Samuel J. T./Spielman, John P. jr.: Cristobal Rojas y Spinola, Cameralist and Irenicist, 1626–1695. Philadelphia 1962 (Transactions of the American Philosophical Society N.S. 52/5), 3, 28, 101. Als „Evesque de Thina“ beziehungsweise „Bischoff von Dina“ bezeichneten ihn nicht nur Zeitgenossen wie Gottfried Wilhelm Leibniz oder Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels, sondern auch heutige Kirchenhistoriker. Vgl. Raab, Heribert: „De Negotio Hannoveriano Religionis“. Die Reunionsbemühungen des Bischofs Christoph de Rojas y Spinola im Urteil des Landgrafen Ernst von Hessen-Rheinfels. In: Bäumer, Remigius/Dolch, Heimo (Hg.): Volk Gottes. Zum Kirchenverständnis der katholischen, evangelischen und anglikanischen Theologie. Festgabe für Josef Höfer. Freiburg/Basel/Wien 1967, 395–417, hier 405, 408f., 415. 52 Arneth, Alfred von (Hg.): Briefe der Kaiserin Maria Theresia an ihre Kinder und Freunde, Bd. 1–4. Wien 1881 [ND Osnabrück 1978], hier Bd. 1, 172 (23. Dezember 1772).
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oermond in den österreichischen Niederlanden und sechs Jahre später zum R Nachfolger Hallweils in Wiener Neustadt ernannte.53 In den Relatorenlisten der ungarischen Reichstage, später auch im Schematismus des Erzbistums Gran, wurden die Titularbischöfe zusammen mit den Diözesanbischöfen namentlich unter dem „Status praelatorum“ aufgeführt. Nach der erstmals 1723 vom König festgelegten Sitzordnung der Prälaten an der Oberen Tafel folgte den regierenden Ordinarien als erster der Titularbischof von Knin als dem Metropoliten von Kalocsa untergeordneter Suffragan. Hinter ihm nahmen die übrigen Bischöfe der Ungarischen Krone Platz, und zwar in der zeitlichen Reihenfolge ihrer Nomination.54 Die Zahl der an den Reichstagen persönlich oder durch einen Vertreter teilnehmenden Titularbischöfe nahm vom späten 17. Jahrhundert an zunächst kontinuierlich zu. Während 1681 in Ödenburg nur fünf Titularbischöfe anwesend gewesen waren,55 nahmen an den Reichstagen in Pressburg der Jahre 1715, 1723 und 1729 jeweils 19, 24 und 21 „episcopi electi“ teil. Sie bildeten damit eine deutlich größere Gruppe als die anwesenden Diözesanbischöfe.56 Bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert stabilisierte sich die Zahl der an den Reichstagsverhandlungen teilnehmenden Titularbischöfe bei einem guten Dutzend (1741: 14, 1751: 14, 1765: 14, 1792: 15),57 um danach, bis zur Reform des ungarischen Oberhauses im Jahr 1885, beständig abzunehmen.58 Ähnlich wie bei der Nominierung der Residentialbischöfe lassen sich auch bei der Ernennung der Titularbischöfe Konflikte zwischen dem Kaiserhof und der Kurie beobachten. Sie traten hauptsächlich im 17., selten dagegen im 18. Jahrhundert auf. Im Fall des Graner Domherrn Hiacynth Macripodari �� Hersche, Peter: Der Spätjansenismus in Österreich. Wien 1977 (Veröffentlichungen der Kommission für Geschichte Österreichs 7), 347–349. �� Eckhart, Ferenc: A praecedentia kérdése a magyar rendi országgyűlésen. In: Angyal, Pál/ Baranyay, Jusztin/Móra, Mihály (Hg.): Notter Antal Emlékkönyv. Dolgozatok az egyházi jogból és a vele kapcsolatos jogterületekről. Budapest 1941, 172–179, hier 179. ������������������������������������������������������������������������������������������� Articuli dominorum praelatorum, baronum, magnatum, et nobilium, coeterorumque statuum et ordinum regni Hungariae, & c. in generali eorum conventu, anno M.DC.LXXXI. Sopronii celebrato, conclusi. Sopronii 1681, 57 (zwei der noch genannten vier Sitze waren in jenem Jahr vakant). ��������������������������������������������������������������������������������������������� Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC.XV. Posonii 1715, 180–182; Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC.XXIII. Posonii 1723, 136f.; Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC. XXIX. Posonii 1729, 73f. ���������������������������������������������������������������������� Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC.XLI. Posonii 1741, 86–88; Kolinovics, Gabrielis: Nova Ungariae Periodus [...], sive comitiorum generalium, quibus [...] Maria Theresia, in reginam Ungariae Posonii anno 1741 inaugurabatur [...] libris novem recensens absolutissima Narratio. Hg. v. Martinus Georgius Kovachich. Budae 1790, 652–654. Der Autor führt nur elf Titularbischöfe an (fünf davon seien durch „ablegati“ vertreten gewesen); Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC. LI. Posonii 1751, 47f.; Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC.LXV. Posonii 1765, 46f.; Articuli diaetales Budenses anni M.DCC.XCII. Pestini/Posonii 1792, 54f. ������������������������������������������������������������������������������������������ Im Jahr 1807 waren am Reichstag von Ofen zwar nochmals 17 Titularbischöfe anwesend; die Mehrzahl von ihnen war jedoch bereits im 18. Jahrhundert nominiert worden. 1808 nahmen zehn Titularbischöfe am Reichstag teil, 1830 nur noch drei.
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etwa, den Ferdinand III. im Juli 1645 zum Titularbischof von Skopje ernannt hatte,59 kam es in Rom unerwartet zu Schwierigkeiten.60 Die Folge war, dass sich die Konfirmation immer weiter hinauszögerte. Im Januar 1647 und im April 1649 erneuerte der König die Nomination auf Bitten und Drängen des griechischen Dominikaners, der sich schließlich im September selbst nach Rom begab, um diese bei Papst Innozenz X. zu erwirken. Erst danach leitete Kardinal Girolamo Colonna den Informativprozess für Macripodari ein, der wenig später tatsächlich vom Heiligen Stuhl als Titularbischof von Skopje bestätigt und konsekriert wurde.61 Besonders aufschlussreich ist der Fall des Italieners Giovanni Battista Barsotti, der in den Jahren 1638 bis 1655 als Agent verschiedener (nichtungarischer) Bischöfe beim Vatikan wirkte.62 Trotz höchster Protektion war es ihm nicht gelungen, ein Titularbistum oder ein Benefizium in Rom zu erhalten. 1652 wurde Barsotti zwar dank zahlreicher Empfehlungsschreiben (vor allem des Erzbischofs von Prag, Kardinal Ernst Adalbert von Harrach) für das ungarische Titularbistum Trebinje nominiert, die päpstliche Konfirmation erhielt er jedoch nicht. Gerade für diese beiden Titularbistümer, Skopje und Trebinje, beanspruchte die Propaganda Fide noch 1701 das alleinige Besetzungsrecht.63 Auch der Versuch, mit Hilfe des Harrachschen Agenten am Kaiserhof eines der anderen in diesen Jahren vakanten ungarischen Titularbistümer zu erhalten, blieb ohne den gewünschten Erfolg. Neue Hoffnung machte sich Barsotti 1654, als der bisherige Titularbischof von Risan, der Moraltheologe und Philosoph Juan Caramuel y Lobkowitz, als erster Bischof für das in Böhmen zu errichtende Bistum Königgrätz nominiert wurde, dieses allerdings wegen des Unmuts, den seine theologischen Schriften in Rom ausgelöst hatten, nicht erhielt. Tatsächlich wurde Barsotti, �� Theiner, Augustinus (Hg.): Vetera monumenta Slavorum meridionalium historiam illustrantia, Bd. 1: ab Innocentio PP. III. usque ad Paulum PP. III. 1198–1549; Bd. 2: a Clemente VII. usque ad Pium VII. (1524–1800) cum additamentis saec. XIII. et XIV. Romae/Zagrabiae 1863–1875 [ND Osnabrück 1968], hier Bd. 2, 129f., Nr. CLXIV; Kollányi: Esztergomi kanonokok, 266f. �������������������������������������������������������������������������������������������� „difficultas apud sanctam sedem apostolicam“. Kaiser Ferdinand III. an Papst Innozenz X., Pressburg 30. April 1649. Fraknói (Hg.): Oklevéltár a magyar királyi kegyúri jog történetéhez, 217f., Nr. CLX. �� Galla: A püspökjelöltek kánoni kivizsgálásának, 168f.; Juhász, Coloman: Das Tschanad- Temesvarer Bistum während der Türkenherrschaft 1552–1699. Untergang der abendländischchristlichen Kultur im Banat. Dülmen/Westf. 1938 (Deutschland und Ausland. Studien zum Auslanddeutschtum und zur Auslandkultur 61/63), 176–183. �� Jedin, Hubert: Propst G. B. Barsotti, seine Tätigkeit als römischer Agent deutscher Bischöfe (1638–1655) und seine Sendung nach Deutschland (1643–1644). In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 39, 1931, 377–425, hier 381–384 (auf Grundlage des in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrten handschriftlichen Nachlasses Barsottis); Macháček: Hlavnopatronátne právo, 125. ����������������������������������������������������������������������������������������������� „Episcopatus regni Hungariae cum annexis, qui ad nominationem caesareae majestatis, seu liberae collationis sunt.“ (1701). Fraknói (Hg.): Oklevéltár a magyar királyi kegyúri jog történetéhez, 305f., Nr. CXCVIII.
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der einflussreiche Fürsprecher an der Hofburg besaß, im Juli 1657 von Leopold I. für Risan vorgeschlagen. Doch auch diesmal zögerte der Papst die Bestätigung hinaus. Im Folgejahr, als der König die Nomination erneuerte, verweigerte er sogar schlichtweg die Konfirmation mit der Begründung: 1. Römische Titularbistümer würden an Italiener und nur dann verliehen, wenn es sich um Geistliche in besonderer Stellung handele oder diese anderweitig im Dienst der Kurie beschäftigt seien; 2. Ungarische Titularbistümer aber könnten nur an geborene Ungarn verliehen werden, die rechtlich befugt seien, auf den Reichstagen Sitz und Stimme wahrzunehmen.64 Vergeblich wies Leopold I. darauf hin, das päpstliche Argument, nur solche Personen für ungarische Titularbistümer nominieren zu können, die auch das Indigenat besäßen, entspräche nicht dem bisherigen Brauch. Schließlich sei einer der letzten vom Papst widerspruchslos konfirmierten Inhaber des Titularbistums Risan, Vincenzo Zucconi, ein Kleriker aus Mantua gewesen.65 In einem ausführlichen Gutachten wandte sich auch Kardinal Harrach 1658 gegen die an der Kurie geltend gemachten Gründe.66 Zunächst betonte er die Einzigartigkeit des königlichen Nominationsrechts in Ungarn, das keinerlei Beschränkung („senz’ alcuna limitatione“) kenne, um dann konkret auf die beiden Argumente des Heiligen Stuhls einzugehen. Was die ungarischen Titularbischöfe anbetreffe, führte Harrach aus, so sei deren Nomination durch keinerlei Auswahlkriterien eingeengt („non ristretto à certa spetie, natione ò conditione di persona“). Eine solche Einschränkung sei nirgends in den päpstlichen Breven, die das „ius patronatus“ in Ungarn beträfen, nachweisbar. Auch die Begründung, man müsse das ungarische Indigenat besitzen, um den ständepolitischen Pflichten eines Titularbischofs nachkommen zu können, gehe ins Leere. Zum einen nämlich genüge es vollauf, der lateinischen Sprache mächtig zu sein, um die Sitzungen der „dieta“ und der Komitate verfolgen zu können, zum anderen sei Barsotti bereits so lange in den kaiserlichen Erblanden, dass er nicht mehr als Landfremder gelten könne.67
��Jedin: Barsotti, 282f. ������������������������������������������������������������������������������� Quellen zur königlichen Nomination und päpstlichen Konfirmation Zucconis bei Fraknói (Hg.): Oklevéltár a magyar királyi kegyúri jog történetéhez, 168f., Nr. CXXIV, 172, Nr. CXXVIII, 175f., Nr. CXXXII; ders. (Hg.): Magyarország egyházi és politikai összeköttetései a római Szent-Székkel, Bd. 3, 344–346, 541f. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Relazione del S. Card. Harrach data nel Consiglio di Stato di S. Maestà Caesarea in favore del preposto G. B. Barsotti, nominato Vescovo Rosanense. ��������������������������������������������������������������������������������������������������� „In secondo luogo si rappresenta che nelle diete e ne i comitii del regno d’Ungheria hanno luogo tutti i vescovi, ancorche forastieri, purche possedino la lingua latina, onde molto meno ne restarebbe escluso il signor Barsotti che si può dir nato et allevato in Germania. In terzo luogo si toglie ogni difficoltà à questo punto, perchè il Barsotti deve considerarsi come naturale e non come forastiere, atteso che è stato dichiarato (già sono molti anni) naturale di quei paesi e gode come nationale la prepositura d’una chiesa et il titolo di consigliere cesareo, et ha la lingua Alemanna.“ Fraknói (Hg.): Oklevéltár a magyar királyi kegyúri jog történetéhez, 223–227, Nr. CLXV, hier 225f.
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Der Protest blieb gleichwohl erfolglos. Am 5. Oktober 1661 erhielt Kardinal Harrach von der Ungarischen Kanzlei die Mitteilung, dass die seit Jahren betriebene Konfirmation Barsottis endgültig im Sande verlaufen sei und dieser sich nur noch persönlich an den Papst wenden könne. Die langjährige Obstruktion an der Kurie hatte nicht in erster Linie der Institution der ungarischen Titularbistümer gegolten, deren Existenz man in Rom notgedrungen akzeptiert hatte, sondern der Person von Barsotti. Dessen Fall demonstriert gleichwohl die unterschiedlichen Strategien, ein Titularbistum in Ungarn zu erhalten, und zeigt anschaulich, wie diese Einrichtung von Klerikern, Kaiserhof und Kurie wahrgenommen, beurteilt und für eigene Interessen instrumentalisiert wurde. Im politischen System Ungarns waren seit dem Mittelalter bestimmte Würden traditionell der römisch-katholischen Geistlichkeit vorbehalten. Dazu zählte auch das Amt des Königlichen Hofkanzlers, das erst seit 1733 durchgängig mit weltlichen Adeligen besetzt wurde.68 Während der Übergangszeit zwischen 1680 und 1730 zeigte sich bereits deutlich, dass die wachsenden bürokratischen Anforderungen und Verwaltungsaufgaben sowie die ständige Präsenz am Kaiserhof kaum noch mit den Seelsorgepflichten eines Diözesanbischofs in Einklang zu bringen waren. 1690 und 1696 wurden daher zwei Titularbischöfe, Blasius Jáklin de Elefánth („ep. Tinien.“) und László Matyasovszky („ep. Temnen.“), zu Königlichen Kanzlern ernannt.69 Bei der Berücksichtigung der „episcopi electi“ für politische Aufgaben ließ sich der Hof nicht nur von administrativen und kirchenpolitischen, sondern auch von finanziellen Überlegungen leiten.70 Die personelle Zusammensetzung des Statthaltereirats, dessen Errichtung der ungarische Reichstag mit Gesetzesartikel 97:1723 beschlossen hatte, war lange Zeit umstritten gewesen. Ende Januar 1723 ließ Johann Georg von Mannagetta, einer der drei königlichen Kommissare in Pressburg, Karl VI. eigene Personalvorschläge zukommen. Mannagetta kritisierte vor allem die „propositio“ der Ungarischen Hofkanzlei, die den Episkopat vollständig ausgeschlossen habe. Der geplante Statthaltereirat müsse jedoch „conformiter legibus Regni“ und daher mit Vertretern aller vier Stände besetzt werden. Da man ohne Zweifel nur Personen ���������������������������������������������������������������������������� Das repräsentative Amt des Großkanzlers hingegen blieb auch weiterhin dem Primas Hungariae vorbehalten beziehungsweise im Vakanzfall dem Erzbischof von Kalocsa als dessen Stellvertreter. �� Fallenbüchl, Zoltán: Magyarország főméltóságai 1526–1848. Budapest 1988, 60f., 99. Die Interpretation bei Fallenbüchl, der die einzelnen Bischöfe der Ungarischen Krone falsch zuordnet, ist freilich problematisch. Denn zum einen waren auch die Vorgänger im Amt des Königlichen Kanzlers, János Gubasócsy und Péter Korompay, Titularbischöfe („ep. Scopien.“ beziehungsweise „ep. Corbavien.“), zum anderen wurden sowohl Jáklin de Elefánth als auch Matyasovszky später zu Bischöfen von Neutra nominiert. Entscheidend ist das Novum, dass beide als Titularbischöfe zu Königlichen Kanzlern ernannt wurden. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Zu den Einkünften aus den einzelnen Titularbistümern vgl. Magyar Országos Levéltár Budapest, A 1, 80:1758.
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berücksichtige, welche zur Förderung der landesfürstlichen Autorität und des Staatswohls das „velle et posse“ besäßen, werde man die Prälaten ohnehin nicht übergehen können. Um die Diözesanbischöfe zeitlich und finanziell zu entlasten, schlug Mannagetta neben dem Primas, dem Metropoliten von Kalocsa und den Bischöfen von Agram und Erlau zwei „Episcopi titulares, oder so genannte Episcopi in partibus“ vor, da diese das Land „weiter nichts kosten, sonder denenselben die Diurna aus dem Salario Archi- vel Episcoporum absentium gereicht werden“ könne.71 Die Auslagen dieser Geistlichen sollten demnach von den mit Gesetzesartikel 47:1715 festgelegten Absenzgeldern bestritten werden, von deren Einführung sich die Regierung eine größere Präsenz am Reichstag erhoffte.72 Mannagettas Wahl fiel auf den Titularbischof von Rab, Pál Spáczay, Domherr und Generalvikar zu Gran, und den Titularbischof von Osor, János Kiss senior, Großpropst zu Erlau. Dem Bischof von Neutra, László Ádám Erdődy, müsse man in diesem Fall zu verstehen geben, so der königliche Kommissar, dass man seine Beförderung andernorts vornehmen werde. Dass die Titularbischöfe gerade in der Religionskommission des Statthaltereirats, die unter Vorsitz des Graner Erzbischofs stand, eine politisch bedeutsame Funktion ausübten, zeigen sowohl die Sitzungsprotokolle des Consilium locumtenentiale als auch diesbezügliche Gutachten der Ungarischen Hofkanzlei.73 Die Indienstnahme der Titularbischöfe für die Interessen der römischen Kirche und der (katholischen) Landesherrschaft hatte von Beginn an unter dem ungarischen Adel Unmut hervorgerufen. In den Jahren nach dem 1604 in Ostungarn ausgebrochenen Bocskai-Aufstand waren wiederholt Rufe laut geworden, die „Papisterei“ dauerhaft einzuschränken, die Zahl der katholischen Diözesen und Ordinarien drastisch zu reduzieren, die Prälaten aus dem königlichen Rat und den Gerichtshöfen auszuschließen und die Ernennung von Titularbischöfen zu unterbinden.74 Als Gegenleistung für die Wahl von Erzherzog Matthias zum König konnte die protestantische Ständeopposition unter Führung von György Thurzó im Januar 1608 durchsetzen, dass bei der erstmals gesetzlich kodifizierten Zusammensetzung des Reichstags (Gesetzesartikel 1:1608 „Quinam status, et ordines dicantur? Et qui locum, et vota ������������������������������������������������������������������ Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien, Hungarica, Fasz. 209, fol. 39r–45v, 50r–50v (das Referat der Ungarischen Hofkanzlei in Kopie, fol. 46r–49v); Ember, Győző: A m. kir. helytartótanács ügyintézésének története 1724–1848. Budapest 1940, 197–267. ����������������������������������������������������������������� Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC.XV. Posonii 1715, 72. ������������������������������������������������������������������������������������������� Magyar ����������������������������������������������������������������������������������������� Országos Levéltár����������������������������������������������������������������� Budapest, A 1, 188:1755 (26. Juni 1755); ebd.,, A 23, 278:1764, 313:1764 (5. Mai, 25. Mai 1764). �� Zsilinszky, Mihály: A magyar országgyűlések vallásügyi tárgyalásai a reformátiótól kezdve, Bd. 1–4 [1523–1712]. Budapest 1880–1897, hier Bd. 1, 345–360. Vgl. dazu auch den Bericht des Bischofs von Tschanad, Faustus Verancsics, an Papst Paul V. vom 3. Mai 1606. Tóth, László: Verancsics Faustus csanádi püspök és emlékiratai V. Pál pápához a magyar katholikus egyház állapotáról. In: A Gróf Klebelsberg Kuno Magyar Történetkutató Intézet Évkönyve 3, 1933, 155–211.
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in publicis diaetis habere debeant“) von den kirchlichen Würdenträgern nur die Residential-, nicht aber die Titularbischöfe an der Magnatentafel berücksichtigt wurden.75 Die Praxis der Reichstagsverhandlungen sah jedoch anders aus. Schon nach wenigen Jahren waren auch Bischöfe der Ungarischen Krone wieder auf der „dieta“ zugegen. Die Einhaltung des Gesetzesartikels 1:1608 wurde so bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zum Hauptargument derjenigen Ständemitglieder, die vordergründig gegen deren Instrumentalisierung protestierten, die es jedoch eigentlich darauf anlegten, die Autorität des Königs zu schwächen und diesem eine Verletzung der Verfassung nachzuweisen.76 Es war allerdings nicht nur der (protestantische) Adel, der eine distanzierte Haltung zu den Titularbischöfen einnahm. Auch in der kirchlichen Hierarchie, vor allem unter dem kroatischen Episkopat, wurde das Auftreten der lediglich durch weltliche Funktionen legitimierten Geistlichen misstrauisch beäugt. Für die Residentialbischöfe erwiesen sich die hofnahen, bis Ende des 18. Jahrhunderts in immer größerer Zahl ernannten „episcopi electi“ zwangsläufig als zusätzliche Konkurrenten im Kampf um gesellschaftliches Ansehen und politischen Einfluss. Martin Brajković, seit 1698 Bischof von Zengg-Modruš, war der erste, der nach der Türkenbefreiung wieder in Zengg seine Residenz nahm. Nachdem wenig später Krbava von kaiserlichen Truppen zurückerobert worden war, beanspruchte auch der dortige Titularbischof, der Agramer Domherr Stjepan Dojčić, das Residenzrecht für sich. Brajković, dessen Ehrgeiz allgemein bekannt war, war keineswegs gewillt, dem Anspruch eines bloßen Titularbischofs nachzugeben. In mehreren Schreiben an Papst Clemens XI. und Kaiser Leopold I. und in einer eigenen rechtshistorischen Abhandlung (Historia Episcopatus Corbaviensis Modrussam translati) suchte er zwei Sachverhalte zu belegen: dass Krbava und Modruš nur zwei Namen ein und desselben Bistums seien und dass die Diözese Krbava (Modruš) im 15. Jahrhundert bereits kanonisch mit derjenigen von Zengg vereinigt worden wäre und demzufolge ihm als Diözesanbischof von ZenggModruš zufalle.77 ���������������������������������������������������������������������������������������������� „§. 4. Praelatorum autem statum hunc esse volunt: ut quicunque episcoporum, capitulum suum, cum praeposito suo, sub sua jurisdictione episcopali, aut loca residentiae sua habuerit; ex tunc idem episcopus in conventu dominorum praelatorum et baronum, pro sua persona propria, locum et vocem habeat: nomine autem capituli; praepositus una cum capitulo inter regnicolas, pari ratione unam, et conjunctam vocem habeat [...] §. 12. Praeter hos itaque status et ordines, ne sua majestas regia (demptis illis, qui publicis regni officiis funguntur; utpote consiliarii nobiles, judices regni ordinarii, eorum vicesgerentes, proto-notarii, et jurati assessores tabulae suae majestatis regiae) ad comitia generalia adhibeat; eorumque vota, juxta antiquum usum et sessionem, admittantur.“ Dezső, Márkus (Hg.): 1608–1657. évi törvényczikkek. Budapest 1900, 24. ��Schwartner: Statistik des Königreichs Ungern, Bd. 2, 99 Anm. b, 137–139 Anm. k. ��Farlati: Illyricum Sacrum, Bd. 4, 150–157; Bogović, Mile: Veze zagrebačke i senjsko-modruške biskupije. In: Zagrebačka biskupija i Zagreb, 283–293, hier 286. Zum historischen Hintergrund vgl. Bogović, Mile (Hg.): Krbavska biskupija u srednjem vijeku. Rijeka/Zagreb 1988 (Analecta Croatica
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Tatsächlich entschied Leopold I. den Streit 1702 zugunsten von Brajković, der sich künftig, ebenso wie sein Nachfolger, „episcopus Segniensis & Modrussiensis, seu Corbavienis“ nannte.78 Das seit 1624 besetzte Titularbistum Krbava wurde seither – Dojčić starb noch im gleichen Jahr – nicht mehr verliehen. Ähnlich lagen die Verhältnisse beim Bistum Bosnien, dessen Sitz schon seit dem 14. Jahrhundert im slawonischen Ðakovo lag. Unabhängig vom Residentialbistum Ðakovo wurde es bis zum Tod von Nicolò Piombese 1701 als ungarisches Titularbistum verliehen, ebenso wie auch Batsch um die Mitte des 17. Jahrhunderts neben Kalocsa als Titularbischofssitz wiederaufgelebt war.79 Die seit nahezu zwei Jahrhunderten umstrittene Frage, welche Stellung den ungarischen Titularbischöfen im politischen System Ungarns gebühre, wurde während des Ofener Reichstags von 1790/91, der ganz von der Regelung der konfessionellen Gegensätze geprägt war, erneut heftig diskutiert. Angesichts der Vielzahl der Verhandlungsgegenstände war mit Gesetzesartikel 67:1791 beschlossen worden, verschiedene Deputationen zur „Verbesserung der Landes-Mängel“ einzurichten. Einer der neun Ausschüsse, die Deputatio in Publico-Politicis, war für die „Regulirung der öffentlichen Reichsverfassung und Verwaltung“ zuständig. Die katholische Kirche war unter den 17 Ausschussmitgliedern mit dem Kardinalprimas, József Batthyányi, und dem Titularbischof von Krk, József Zábráczky, vertreten.80 Im Vordergrund stand eine Reform der Ersten Tafel, deren Zusammensetzung und Kompetenz besonders vom Kleinadel und vom Bürgerstand massiv kritisiert wurden. Als „wahrer Missbrauch“, als „hinzugeflickter Lappen in der ungrischen Constitution“ erschien das Oberhaus dem protestantischen bürgerlichen Verfasser eines anonym publizierten zeitgenössischen Berichts über die Ausschussverhandlungen, als Forum von „neugeschaffenen Privilegirten“, das „nur zur Begünstigung und Fortpflanzung des hierarchischen und aristocratischen Hochmuths“ diene.81 Danach wurde unter anderem ein Vorschlag des Obergespans des Komitats Torontál, Péter Balogh, erörtert, nach dem künftig „die Legion der Titular-Bischöfe, das heißt Episcoporum in partibus Hungariae per Turcas occupatos, aus dem Reichstage, wie billig, laut Art. I. 1608, weil sie keine Domcapitel und keine Besitzungen haben [...] Christiana 25); Sladović, Manoilo: Pověsti biskupijah senjske i modruške ili krbavske. Trst 1856, 42–52, 114f., 394–405. ������������������������������������������������������������������ Articuli diaetales Posonienses anni M.DCC.XV. Posonii 1715, 181. �� Premrou, Miroslav: Serie documentata dei Vicarii Apostolicii di Bosna ed Erzegovina 1735– 1881. In: Archivum Franciscanum Historicum 21, 1928, 346–361, 580–590; 22, 1929, 163–180, hier 354; Galla: A püspökjelöltek kánoni kivizsgálásának, 170. ��Marczali, Henrik: Az 1790/1-diki országgyűlés, Bd. 1–2. Budapest 1907, hier Bd. 2, 8, 45. ��Grellmann, H[einrich] M[oritz] G[ottlieb]: Ungrische Reichsdeputationen zu Verbesserung der Landes-Mängel. In: ders. (Hg.): Statistische Aufklärungen über wichtige Theile und Gegenstände der österreichischen [Bd. 3: Oesterreichischen] Monarchie, Bd. 1–3. Göttingen 1795–1802, hier Bd. 2, 195f.
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ausbleiben“ solle.82 Balogh, der seit 1789 die Stelle eines Generalinspektors der lutherischen Gemeinden in Ungarn innehatte, zählte während des Reichstags zu jenen Politikern, die sich am entschiedensten für die Gleichstellung der evangelischen Bekenntnisse einsetzten. Eine Reform des ungarischen Oberhauses, die namentlich den Titularbischöfen Sitz und Stimme auf den Reichstagen genommen hätte, brachte die Deputation 1791 jedoch ebensowenig zustande wie der einige Jahrzehnte später, durch Gesetzesartikel 8:1827 zum gleichen Zweck eingesetzte parlamentarische Ausschuss. Auch in den Jahren 1848 und 1867, als die ungarische Verfassung von Grund auf geändert wurde, blieb die Zusammensetzung der Magnatentafel unangetastet. So hatten auch die kroatischen Bischöfe als Würdenträger der Ungarischen Krone Sitz und Stimme im Magnatenhaus behalten, obwohl deren Bistümer seit Dezember 1852, als Pius IX. Agram durch die Bulle „Auctorem omnium“ zum Erzbistum erhob, eine selbständige „Provincia croatico-slavonica“ bildeten und in kirchlicher Beziehung von Ungarn unabhängig waren. Im Vorfeld dieser kirchenorganisatorischen Neugliederung wurde die Frage, welche ungarischen Titularbistümer dem neuen Metropoliten künftig als Suffragane unterstehen sollten, zwischen Wien, der päpstlichen Kurie und den Kirchenprovinzen Gran und Kalocsa kontrovers debattiert.83 Ernsthaft zur Disposition gestellt wurde die politische Repräsentanz der ungarischen Titularbischöfe erst, als Ministerpräsident Kálmán Tisza dem Abgeordnetenhaus am 20. Oktober 1884 einen Gesetzentwurf über „Die Organisation der Magnatentafel als Oberhaus“ vorlegte. Den unmittelbaren Anlass dazu bot ein im Vorjahr von der Regierung eingebrachter Gesetzentwurf über die Ehe von Christen und Juden, der vom Unterhaus zwar angenommen, vom Oberhaus aber verworfen worden war. Das neue Reformprojekt fand ein ungewöhnlich breites publizistisches Echo. Es sei, so der siebenbürgische Nationalökonom und Reformbefürworter Oskar von Meltzl – er hatte bereits 1880 eine staatsrechtliche Studie über die Zusammensetzung des ungarischen Reichstags vorgelegt – „eine in unseren Tagen unerhörte Anomalie, daß der gesamte römisch-katholische Episkopat, sogar die bloßen Titularbischöfe ohne Diözese im Oberhause sitzen, während die mit der römisch-katholischen dem Gesetze nach vollständig gleichberechtigten protestantischen Konfessionen nicht einen einzigen Vertreter im Oberhaus haben“.84 Auch ������������ Ebd., 196. ��Šišić, Ferdo: Kako je postala zagrebačka nadbiskupija (11 dec. 1852). In: Starine Jugoslavenske akademije znanosti i umjetnosti 40, 1939, 1–74, hier 26–57. ��Meltzl, Oskar von: Zur Reform des ungarischen Oberhauses. Hermannstadt 1884, 4. Das ungarische Oberhaus, so Meltzl 1880, ist „dasjenige Institut der ungarischen Verfassung, dessen Reformbedürftigkeit am frühesten empfunden und ausgesprochen worden“ sei, das sich aber „trotz aller Reformbestrebungen mit merkwürdiger Zähigkeit seit seinem Ursprung bis zum heutigen Tag in nahezu völlig unveränderter Gestalt erhalten hat“. Ders.: Die Zusammensetzung des ungarischen Reichstages. Eine staatsrechtliche Studie. Hermannstadt 1880, 42.
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der die Parität der Konfessionen als zweitrangig betrachtende Entwurf des Ministers für Kultus und Unterricht, Ágoston Trefort, sah einen vollständigen Ausschluss der Titularbischöfe vor.85 Diese spielten nicht einmal mehr in dem wohl konservativsten Reformvorschlag eine Rolle, den der Präsident der Magnatentafel, László Szögyény-Marich, zur Diskussion stellte.86 Für die Beibehaltung der bisherigen Praxis erhoben sich nur vereinzelte Stimmen aus kirchlichen Kreisen. Diese konnten immerhin durchsetzen, dass Gesetzesartikel 7:1885 zumindest zwei Titularbischöfen, denjenigen von Belgrad-Semendria und von Knin, das Recht auf Teilnahme am Reichstag beließ. War die römisch-katholische Kirche dort bisher mit rund 44 Dignitären vertreten gewesen, so hatte sich die Zahl ihrer Vertreter – neben den Residential- und zwei Titularbischöfen der Erzabt von Pannonhalma, der Probst von Jászó und der Prior von Auranien (Vrana in Dalmatien), dessen Titel mit der Dompropstei von Agram vereinigt wurde – nun durch den fast vollständigen Ausschluss der „episcopi electi“ nahezu halbiert. Die von einer breiten Mehrheit als überfällig empfundene Oberhausreform änderte nicht nur die konfessionelle Zusammensetzung der Ersten Tafel, an der nun neben den Vertretern der lateinischen Kirche und denjenigen der unierten sowie griechisch-byzantinischen Kirche auch Vertreter der evangelischen Glaubensgemeinschaften Sitz und Stimme besaßen. Sie schuf auch die Voraussetzungen, dass der aus dem protestantischen mittleren Adel Ostungarns stammende Tisza seine Reformtätigkeit, die in der Vergangenheit häufig vom Episkopat blockiert worden war, unter neuen Vorzeichen fortsetzen konnte.87 Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der Titel eines königlich ungarischen Titularbischofs dann nicht mehr verliehen.
��Trefort, Ágoston: A felsőház reformja. In: Budapesti Szemle 30, 1882, 116–126. �� Sz[ögyény-Marich], L[ászlo]: Igénytelen nézetek a magyar főrendi ház szervezéséről. SzékesFehérvár 1882, 21, 25. ��������������������������������������������������������� 1884–1886. évi törvényczikkek. Budapest 1897, 187–195; Salacz, Gábor: Egyház és állam Magyarországon a dualizmus korában 1867–1918. München 1974 (Dissertationes Hungaricae ex historia Ecclesiae 2), 72–74; Csizmadia, Andor: A magyar állam és az egyházak jogi kapcsolatainak kialakulása és gyakorlata a Horthy-korszakban. Budapest 1966, 82–97. In Gesetzesartikel 22:1926, mit dem die Nationalversammlung das 1920 außer Kraft gesetzte Zweikammersystem des Reichstags erneuerte, wurden keine Titularbischöfe in der Reihe der Mitglieder des Oberhauses genannt. Vgl. Ungarische Reichsgesetzsammlung für das Jahr 1926. Budapest 1926, 496–522.
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Religiöse Gewalt gegenüber Kindern. Pupillengesetzgebung, Mündelstreitigkeiten und Vormundschaftskonflikte in Ostmitteleuropa (1500–1800) 1. Rechtliche Rahmenbedingungen: Ehe-, Familien- und Waisenrecht in der Frühen Neuzeit „Pupillar-Angelegenheiten“ – ein Rechtsbereich, der die Erziehung von Minderjährigen und Waisen, die Regelung der Vormundschaft sowie die Beaufsichtigung und Verwaltung des Vermögens von Schutzbefohlenen betrifft – nahmen im Reformwerk Kaiser Josephs II. Ende des 18. Jahrhunderts erstaunlich breiten Raum ein. Die einzelnen Neuerungen im Rahmen des Ehe- und Familienrechts, die sich in Ansätzen bereits in den Toleranzpatenten für die verschiedenen Landesteile der Habsburgermonarchie finden, sind der einzige Teil des groß angelegten, bereits von seiner Mutter Maria Theresia Mitte des 18. Jahrhunderts begonnenen Gesetzeswerks, das unter seiner Regentschaft publiziert wurde.1 Im Oktober 1785 hatte Joseph II. beschlossen, nicht länger abzuwarten, bis das angestrebte, das gesamte Privat-, Straf- und Prozessrecht erfassende Kodifikationswerk fertiggestellt würde, sondern den ersten, fertigen Teil dieses Gesetzes schon gesondert als Gesetz zu verkünden. Dieser erste Teil des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) – dessen Arbeiten dann erst wieder nach dem Tod Josephs II. 1790 fortgesetzt und 1811 abgeschlossen wurden – wurde am 1. Januar 1787 für die gesamten deutschen Erbländer der Österreichischen Monarchie in Kraft gesetzt.2 Dieses sogenannte Josephini1 Mertens, Bernd: Gesetzgebungskunst im Zeitalter der Kodifikationen. Theorie und Praxis der Gesetzgebungstechnik aus historisch-vergleichender Sicht. Tübingen 2004 (Tübinger Rechtswissenschaftliche Abhandlungen 98); Ogris, Werner: Recht und Staat bei Maria Theresia [1981]. In: ders.: Elemente europäischer Rechtskultur. Rechtshistorische Aufsätze aus den Jahren 1961–2003. Hg. v. Thomas Olechowski. Wien/Köln/Weimar 2003, 97–123; ders.: Joseph II.: Staats- und Rechtsreformen [1981]. Ebd., 125–164; Strakosch, Heinrich: Privatrechtskodifikation und Staatsbildung in Österreich (1753–1811). München 1976; Conrad, Hermann: Rechtsstaatliche Bestrebungen im Absolutismus Preußens und Österreichs am Ende des 18. Jahrhunderts [1961]. In: Hubatsch, Walther (Hg.): Absolutismus. Darmstadt 1973 (Wege der Forschung 314), 309–360. 2 Brauneder, Wilhelm: Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch. In: Cordes, Albrecht u.a. (Hg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1. Berlin 22008, Sp. 146–155; ders.: Das österreichische ABGB als neuständische Zivilrechtskodifikation. In: Klingenberg, Georg/Rainer, Joh[ann] Michael/Stiegler, Herwig (Hg.): Vestigia Iuris Romani. Festschrift für Gunter Wesener zum 60. Geburtstag am 3. Juni 1992. Graz 1992 (Grazer rechts- und staatswissenschaftliche Studien 49), 67–80; ders.: Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch für die gesamten Deutschen Erbländer der österreichischen Monarchie von 1811. In: Gutenberg-Jahrbuch 62, 1987, 205–254; Ogris, Werner: Zur Geschichte und Bedeutung des österreichischen Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) [1989]. In: ders.: Elemente europäischer Rechtskultur, 311–331; Schima, Stefan:
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sche Gesetzbuch umfasste fünf Bücher („Hauptstücke“): I. „Von den Gesetzen“ (§§ 1–27), II. „Von den Rechten der Unterthanen überhaupt“ (§§ 1–9), III. „Von den Rechten zwischen Eheleuten“ (§§ 1–126), IV. „Von den Rechten zwischen Aeltern und Kindern“ (§§ 1–33), V. „Von den Rechten der Waisen und anderer, die ihre Geschäfte selbst nicht besorgen können“ (§§ 1–98).3 An diesem Gesetzbuch zum Ehe-, Familien- und Waisenrecht ist vor allem eines zu erkennen: Im Vordergrund stehen nicht mehr wie in der Vergangenheit ordnungs- und polizeirechtliche Interessen sowie konfessionspolitische Motive, sondern eine deutlich weiter gefasste Sozialfürsorge und das eigentliche Wohl des Kindes.4 Bereits in der ersten Regelung zur Vormundschaft im Josephinischen Gesetzbuch ist das Fürsorge- und Schutzprinzip klar erkennbar. Demnach gewähren die Gesetze durch einen Vormund oder durch einen Kurator vor allem denjenigen Personen besonderen Schutz, denen die Sorge eines leiblichen Vaters nicht zustatten kommt, die noch minderjährig sind oder aus einem anderen Grund ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen können. Eine staatliche Einflussnahme war nur noch in wichtigen Fällen vorgesehen. Sollte der Vormund die Erziehung des ihm anvertrauten Mündels vernachlässigen, konnte er entlassen werden. Auch für den Fall, dass der Vormund seine Macht missbrauchte und seiner Fürsorgepflicht nicht nachkam, waren präzise Schutzmaßnahmen vorgesehen. Den Versuch Josephs II. schließlich, die Rechtsstellung der unehelichen Kinder der Rechtsstellung der ehelichen weitgehend anzugleichen,5 bezeichnete Hermann Conrad völlig zu Recht als „geradezu radikal“.6 Dass das Wohl des Mündels unter dem Einfluss des Vernunftrechts systematisch in den Mittelpunkt der vormundschaftlichen Gesetzgebung gestellt wurde und die bis dahin vorherrschenden älteren Motive – von konfessioneller Kontrolle über Sozialdisziplinierung bis hin zur Staatsräson – weitgehend verblassten, lässt sich vor allem bei den Bestimmungen zur Ausrichtung der Das Eherecht des ABGB 1811. In: Kohl, Gerald u.a. (Hg.): Eherecht 1811 bis 2011. Historische Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen. Wien 2012 (Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs 2/1), 13–26. 3 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, Th. 1. Wien 1786. Auszüge bietet Klueting, Harm (Hg.): Der Josephinismus. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der theresianisch-josephinischen Reformen. Darmstadt 1995 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 12a), 358–366, Nr. 161. 4 Heider, Mirjam: Die Geschichte der Vormundschaft seit der Aufklärung. Baden-Baden 2011 (Schriften zum Familien- und Erbrecht 4), 89–114; Schlüter, Reinhild: Das Vormundschaftsrecht in den Kodifikationen der Aufklärungszeit. Diss. Bonn 1960, 157–206. ������������������������������������������������������������������������������������������ „Hingegen wenn ein Kind zwar ausser der Ehe, doch von zwo unverehelichten Personen gezeuget worden, und desto mehr, wenn ein Kind nur aus einer ungiltigen Ehe gebohren ist, wo nämlich das Hinderniß so beschaffen war, daß es hätte gehoben werden können, ist das Kind den ehelichen Kindern gleichzuhalten, und wird dasselbe von der väterlichen sowohl, als mütterlichen Seite aller Gerechtsame theilhaft, die den ehlich gebohrnen Kindern zugestanden sind.“ Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, Th. 1, Viertes Hauptstück, § 16. 6 Conrad: Rechtsstaatliche Bestrebungen, 335.
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Erziehung erkennen, die in der Vergangenheit am häufigsten zu Konflikten geführt hatten. Im Josephinischen Gesetzbuch hieß es dazu: „Jeder Vormund, ohne alle Ausnahme, soll bei der Vormundschaftsbehörde getreulich annehmen, sie [die Waisen] zur Gottesfurcht und Tugend anführen, nach ihrem Stande zum Nutzen des gemeinen Wesens erziehen, ihr Vermögen gleich dem Seinigen besorgen, und sich in allem nach den Anordnungen der Gesetze verhalten wolle.“7 Noch bei der Erarbeitung des Codex Theresianus, des wichtigsten Vorläufers des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches in der Habsburgermonarchie (der freilich ein bloßer Gesetzesentwurf blieb und niemals Rechtsgeltung erlangte), hatte man erwogen, dem jeweiligen Vormund die Erziehung des Mündels im römisch-katholischen Glauben vorzuschreiben; gegen einen entsprechenden Vormundschaftseid, der als bloßes konfessionspolitisches Instrument der Regierung kritisiert und überdies als tortura animae empfunden wurde, hatte sich allerdings Widerstand geregt.8 Von der älteren Praxis, wie sie für Niederösterreich beispielsweise in der Vormundschaftsordnung vom 18. Februar 1669 geregelt war, versuchte man sich im Jahrhundert der Aufklärung mit Nachdruck zu distanzieren. Artikel IX („Von der Pupillen Auferziehung“) jener Gerhabschaftsordnung nach war es die „erste und fürnehmste Sorge“ des jeweiligen Vormunds, dass er die „ihm anvertrauten Pupillen in dem wahren Catholischen Glauben, in der Gottesforcht, Zucht, Ehrbarkeit und Erlernung guter Künst, oder sonst nach deß Pupillen Stand und Zuneigung erziehe“.9 Es liegt auf der Hand, dass vergleichbare Verpflichtungen in der josephinischen Toleranzzeit nicht mehr denkbar waren.10 Zugute kam die neue, naturrechtlich begründete und das Wohlergehen des Waisen, nicht die Interessen des Staates und der Kirche betonende Vormundschaftsgesetzgebung in erster Linie evangelischen Waisen und Unmündigen, denn die obrigkeitlich-staatliche Aufsicht über diese Kin7 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, Th. 1, Fünftes Hauptstück, § 40. 8 Harras von Harrasowsky, Philipp (Hg.): Der Codex Theresianus und seine Umarbeitungen, Bd. 1–5. Wien 1886, hier Bd. 1, 88f., 191–193. 9 Zit. nach Chorinsky, Carl: Das Vormundschaftsrecht Niederösterreichs vom sechzehnten Jahrhundert bis zum Erscheinen des Josephinischen Gesetzbuches. Wien 1878, 170. �� Wangermann, Ernst: Confessional Uniformity, Toleration, Freedom of Religion: An Issue for Enlightened Absolutism in the Eigheenth Century. In: Louthan, Howard/Cohen, Gary B./Szabo, Franz A. J. (Hg.): Diversity and Dissent. Negotiating Religious Difference in Central Europe, 1500–1800. New York/Oxford 2011 (Austrian and Habsburg studies 11), 209–218; Eberhard, Winfried: Zu den Voraussetzungen und Widersprüchen der Toleranzpolitik Josephs II. in den Ländern des östlichen Mitteleuropa. In: Chocholáč, Bronislav/Jan, Libor/Knoz, Tomáš (Hg.): Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspěvků, jež věnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brno 1999, 347–362; Klingenstein, Grete: Modes of Religious Tolerance and Intolerance in Eighteenth-Century Habsburg Politics. In: Austrian History Yearbook 24, 1993, 1–16; Landau, Peter: Zu den geistigen Grundlagen des Toleranz-Patents Kaiser Josephs II. In: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 32, 1981, 187–203; Lutz, Heinrich: Das Toleranzpatent von 1781 im Kontext der europäischen Aufklärung [1981]. In: ders.: Politik, Kultur und Religion im Werdeprozeß der frühen Neuzeit. Aufsätze und Vorträge. Hg. v. Moritz Csáky u.a. Klagenfurt 1982, 292–306.
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der war während der Frühen Neuzeit besonders eng und häufig mit religiös motivierter Gewalt und Nötigung gekoppelt. Zähe und oft langjährige Konflikte um Erziehungs- und Vormundschaftsfragen und alle damit zusammenhängenden Fragen lassen sich in Ostmitteleuropa bis weit in das 18. Jahrhundert hinein beobachten. Für die Geschichtsregion zwischen Ostsee und Adria ist allgemein eine retardierte Säkularisierung charakteristisch.11 Dies hängt mit dem spezifischen Verlauf der Staatsbildung in den ostmitteleuropäischen Monarchien zusammen, in denen die katholische Kirche bis in das Jahrhundert der Aufklärung hinein ein wichtiger Bündnispartner der weltlichen Staatsgewalt blieb.12 Polen-Litauen zum Beispiel wurde von den Aufklärern im Westen als Hort eines unduldsamen Katholizismus wahrgenommen. Ursächlich hierfür war nicht zuletzt die Selbstdarstellung der Adelsrepublik, die sich seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert der Machtpolitik zweier aufstrebender Nachbarmächte – des orthodoxen Russland und des protestantischen Preußen – zu erwehren hatte und in der Betonung des katholischen Bekenntnisses einen Eckpfeiler kollektiver Identität und Staatsräson sah.13 Auch für die Habsburgermonarchie, also für die böhmischen, ungarischen und österreichischen Länder, hatte das katholische Bekenntnis eine zentrale integrative Funktion. Bis in die Zeit Maria Theresias und Josephs II. blieb der Katholizismus in all seinen geistigen, sozialen und kulturellen Ausprägungen, wie Robert J. W. Evans, einer der besten Kenner dieses Reiches, urteilte, ein „entscheidendes Element des Zusammenhalts“.14 Religiöse Gewalt gegenüber Kindern, die im Folgenden am Beispiel des Umgangs mit evangelischen Waisen und Mündeln in den katholisch regierten Territorien Ostmitteleuropas betrachtet werden soll, vollzog sich nicht zwingend außerhalb rechtlicher und moralischer Normen – diese Feststellung ist besonders deshalb wichtig, weil der allgemeine Umgang mit Kindern in der Frühen Neuzeit, von der Kinderaufzucht über die Erziehung bis hin zur wachsenden Emotionalisierung der Eltern-Kind-Beziehungen, ein ��Lehmann, Hartmut (Hg.): Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 130). �� Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23); ders.: Geistlichkeit und Politik. Der ständisch organisierte Klerus in Böhmen und Ungarn in der frühen Neuzeit. In: Bahlcke, Joachim/Bömelburg, Hans-Jürgen/ Kersken, Norbert (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert. Leipzig 1996 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 4), 161–185. ��Kriegseisen, Wojciech: Die Protestanten in Polen-Litauen (1696–1763). Rechtliche Lage, Organisation und Beziehungen zwischen den evangelischen Glaubensgemeinschaften. Hg. v. Joachim Bahlcke und Klaus Ziemer. Wiesbaden 2011 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 2). �� Evans, Robert J. W.: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien/Köln 1989 (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6), 316.
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gänzlich anderer war als in moderner Zeit.15 Generell zu beachten ist, dass es ein einheitliches „Waisenrecht“, das erst durch die großen naturrechtlichen Kodifikationswerke der Aufklärung in Angriff genommen wurde, im 16. und 17. Jahrhundert nirgendwo gab. Die einschlägigen Ordnungsgesetze waren vielfach ungenau und verteilten sich überdies auf mehrere Regelungs- und Rechtsbereiche, vor allem auf das Vormundschaftsrecht, das Eheund Familienrecht, strafrechtliche Bestimmungen zur Kindesaussetzung und zu Findelkindern, Polizeigesetze zum Armenwesen sowie rechtliche Bestimmungen zu Witwen- und Waisenkassen.16 Entsprechend finden sich Einzelhinweise zum Waisenrecht in den zahlreichen Vormundschafts-, Waisen-, Pflege-, Vogtei- und Polizeiordnungen von Territorien und Städten.17 Die beiden wichtigsten Monographien zum räumlichen Schwerpunkt dieses Beitrags – die materialreiche Studie von Carl Chorinsky über das Vormundschaftsrecht Niederösterreichs vom 16. Jahrhundert bis zum Erscheinen des Josephinischen Gesetzbuches18 und die ebenso informative Abhandlung von Jan Kapras über die Vormundschaft über Waisen im böhmischen Recht19 – enthalten dazu eine Fülle von Belegmaterial. Wegweisend waren in diesem Zusammenhang die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577, denen zufolge jedem tutor legitimus die Vormundschaft durch ein obrigkeitliches Dekret übertragen werden musste.20 Im Kern ging es dem Reich als höchster Gesetzgebungs- und Aufsichtsbehörde darum, den einzelnen Obrigkeiten ein Einschreiten vorzuschreiben und Mündeln Schutz zu gewähren gegen Betrug und Nachteil. So war denn die erste Pflicht, die das Reich den Reichsständen auferlegte, dafür zu sorgen, dass „Pupillen und minderjährige Kinder“, also alle wegen ihres Alters vormundschaftsbedürftigen Personen, Vormünder haben beziehungsweise dort, wo diese fehlen, durch die Obrigkeit erhalten. Kein Einschreiten der Obrigkeit war in denjenigen Fällen vorgesehen, in denen durch Anordnung der Eltern in Testamenten oder in an�� Gestrich, Andreas: Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert. München 1999 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 50), 35–41; Schwab, Dieter: Familie. In: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2. Stuttgart 1975, 253–301. �� Härter, Karl: Waisenfürsorge und Waisenhäuser im Kontext der frühneuzeitlichen Policey: Ordnungsgesetze und obrigkeitliche Maßnahmen. In: Veltmann, Claus/Birkenmeier, Jochen (Hg.): Kinder, Krätze, Karitas. Waisenhäuser in der Frühen Neuzeit. Halle (Saale) 2009 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen 23), 49–65, hier 50–52. �� Pelz, Franz-Josef: Die Vormundschaft in den Stadt- und Landrechtsreformationen des 16. und 17. Jahrhunderts und das zeitgenössische gemeine Recht. Diss. Münster 1966. Eine ausgezeichnete Regionalstudie bietet Repgen, Tilman: Vormundschaftsrecht im frühneuzeitlichen Hamburg. In: Eisfeld, Jens u.a. (Hg.): Naturrecht und Staat in der Neuzeit. Diethelm Klippel zum 70. Geburtstag. Tübingen 2013, 113–129. ��Chorinsky: Das Vormundschaftsrecht Niederösterreichs, 10–24 („Rechtsquellen“). ��Kapras, Jan: Poručenství nad sirotky v právu českém se zřetelem k pravům římskému, německému a v rakousích platnému. Praha 1904 (Knihovna sborníku věd právních a státních A 7). ��Heider: Geschichte der Vormundschaft, 17.
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Gesetze zu Mündel- und Vormundschaftsangelegenheiten verteilten sich im 16. und 17. Jahrhundert auf mehrere Regelungs- und Rechtsbereiche. Das kaiserliche Reskript „in puncto Verfassung einer Vormundschaffts-Ordnung in Schlesien, insbesondere für die Fürstentümer Oppeln und Ratibor“ (Wien, 2. Mai 1689) erschien 1720 in einer Gesetzessammlung, die Johann Jacob von Weingarten, ein aus dem böhmischen Komotau gebürtiger Jurist und Appellationsgerichtsrat in Prag, begründet hatte.
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deren letztwilligen Verfügungen bereits ein Vormund für die Kinder bestellt war oder in denen Verwandte die Vormundschaft übernommen hatten. Mit anderen Worten: Nur wenn ein solcher Vormund nicht ernannt wurde und auch keine Verwandten zur Übernahme der Vormundschaft da waren (oder zu einer solchen, aus persönlichen oder finanziellen Gründen, nicht in der Lage waren), sollte die Obrigkeit einschreiten und Vormünder einsetzen.21 In der Praxis der territorialen Umsetzung dieser Vorgaben kam es allerdings schon bald zu einer Eigendynamik: Je stärker die Landesherrschaft auf alle Fürsorgebelange Einfluss nahm, desto mehr verloren diese ihren bisherigen familienrechtlichen Charakter. Geborene Vormünder waren seither nicht mehr Verwandte, sondern von Amts wegen eingesetzte Personen, über deren Eignung der Territorialherr entschied, der zugleich die obervormundschaftliche Aufsicht für sich beanspruchte und diese als Teil der eigenen Landeshoheit proklamierte.22 Teil der seit dem 16. Jahrhundert zunehmenden Aufsichts- und Eingriffsrechte territorialer wie städtischer Obrigkeiten war das Recht und zugleich die Pflicht der religiösen Kindererziehung von Mündeln und Waisen. Die Vormünder hatten von Gesetzes wegen darauf zu achten, dass die in ihrer Obhut befindlichen Kinder in der rechten, das heißt in der landesgesetzlich vorgeschriebenen Religion aufwuchsen. Neben die Sorge um das leibliche Wohl trat gewissermaßen die Verantwortung für das Seelenheil.23 Für eine katholische Obrigkeit war es angesichts geltenden kanonischen Rechts selbstverständlich, Schutzbefohlene bis zu deren Mündigkeit in der katholischen Religion aufzuziehen.24 Damit aber wurden nicht nur Fragen der Dauer der Vormundschaft und des Eintritts der Volljährigkeit zum Streitgegenstand, son��Debray, Arthur Friedrich: Das Vormundschaftsrecht der Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577. Diss. Göttingen 1899, 8–15; Roth, Andreas: Zu den Anfängen der Vormundschaft über Erwachsene im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Chiusi, Tiziana J./Gergen, Thomas/Jung, Heike (Hg.): Das Recht und seine historischen Grundlagen. Festschrift für Elmar Wadle zum 70. Geburtstag. Berlin 2008 (Schriften zur Rechtsgeschichte 139), 945–961, hier 947–951. Zum Hintergrund vgl. Weber, Matthias (Hg.): Die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577. Historische Einführung und Edition. Frankfurt am Main 2002 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 146); Wagner, Alexander: „Gleicherweiß als wasser das feuer, also verlösche almuse die sünd“. Frühneuzeitliche Fürsorge- und Bettelgesetzgebung der geistlichen Kurfürstentümer Köln und Trier. Berlin 2011 (Schriften zur Rechtsgeschichte 153); Ludyga, Hannes: Obrigkeitliche Armenfürsorge im deutschen Reich vom Beginn der Frühen Neuzeit bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges (1495–1648). Berlin 2010 (Schriften zur Rechtsgeschichte 147). �� Schmelzeisen, Gustaf Klemens: Polizeiordnungen und Privatrecht. Münster/Köln 1955 (Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte 3), 87–89. Zur Entwicklung von Landeshoheit und Landesherrschaft in der Frühen Neuzeit vgl. Bahlcke, Joachim: Landesherrschaft, Territorien und Staat in der Frühen Neuzeit. München 2012 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 91). ��Schmelzeisen: Polizeiordnungen und Privatrecht, 111f. �� Roderfeld, Werner: Rechtsprobleme der religiösen Kindererziehung in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Paderborn u.a. 1997 (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der Görres-Gesellschaft N.F. 79), 42f.
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dern auch – und dies besonders in gemischtkonfessionellen Ehen25 – Fragen der Religionsmündigkeit und der kirchlichen Rechtsfähigkeit des Kindes.26 Alle rechtlichen Grundsatzfragen, die in letzter Konsequenz eine Trennung der Kinder von ihrer Familie oder von einem Elternteil zur Folge haben konnten, waren nie einzig und allein auf dem Weg von Gesetz und Norm zu entscheiden. Denn sie waren während der Frühen Neuzeit ebenso mit konfessionspolitischen Interessenlagen von Landesherrschaften und Kirchen wie mit Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Amtsträgern und Geistlichen verknüpft, sie standen im weiteren Umfeld von Souveränitätsbestrebungen der einzelnen Obrigkeiten, und sie lassen sich nicht losgelöst von den politischen und ideengeschichtlichen Maximen ihrer Zeit beschreiben und deuten. Sämtliche Vormundschafts- und Erziehungsangelegenheiten gerieten daher unvermeidlich in das Fahrwasser von Zwangsbekehrung, erpresstem Konfessionswechsel und obrigkeitlichem Druck.
2. Waisen und Mündel im Fall konfessioneller Migration und Flucht Die größte Publizität und öffentliche Aufmerksamkeit fanden Mündelstreitigkeiten und Vormundschaftskonflikte im Zuge der konfessionell motivierten Migrationsbewegungen in Ostmitteleuropa, die hier während der Hussitischen Revolution einsetzten, ihren Höhepunkt im 16. und 17. Jahrhundert fanden und erst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einem Ende gelangten.27 Für eine entsprechende Öffentlichkeit sorgten naturgemäß nicht ��Freist, Dagmar: One body, two confessions: mixed marriages in Germany. In: Rublack, Ulinka (Hg.): Gender in Early Modern German History. Cambridge 2002 (Past and Present Publications), 275–304. Eine interessante Diskussion darüber, „ob gerade gemischte Ehen dem confessionellen Ausgleich dienen, und ob sie deshalb aus Gründen der Staatsraison zu befördern“ seien, findet sich bei Hübler, Bernhard: Die religiöse Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen im Gebiet des Preussischen Allgemeinen Landrechts. Berlin 1888 (Zitat 1). ��������������������������������������������������������������������������� Diese Rechtsfragen stehen in engem Zusammenhang mit den Bestimmungen zum annus discretionis, dem Jahr des Unterscheidungsvermögens, das das Alter für die kirchliche Rechtsfähigkeit anzeigt und zur Beichte und zum Abendmahlsempfang berechtigte und verpflichtete. Im zeitgenössischen Wortgebrauch war es kurzerhand „das Jahr, darinne einer zu seinem Verstande kömmt“. Hübner, Johann: Curieuses Natur- Kunst- Gewerck- und Handlungs-Lexicon [...]. Leipzig 1712, Sp. 78. Eine moderne Analyse bietet Freist, Dagmar: Lebensalter und Konfession. Zum Problem der Mündigkeit in Religionsfragen. In: Brendecke, Arndt/Fuchs, Ralf-Peter/Koller, Edith (Hg.): Die Autorität der Zeit in der Frühen Neuzeit. Berlin 2007 (Pluralisierung & Autorität 10), 69–92. ������������������������������������������������������������������������������������������� Innerhalb der west- und mitteleuropäischen Migrationsforschung fand die Geschichtsregion Ostmitteleuropa erst in den letzten drei Jahrzehnten höhere Aufmerksamkeit. Aus der umfangreichen, vielsprachigen Fachliteratur vgl. vor allem Hrubá, Michaela (Hg.): Víra nebo vlast? Exil v českých dějinách raného novověku. Ústí nad Labem 2001; Bobková, Lenka: Exulanti z Prahy a severozápadních Čech v Pirně v letech 1621–1639. Praha 1999 (Documenta Pragensia. Monographia 8); Kizik, Edmund: Mennonici w Gdańsku, Elblągu i na Żuławach Wiślanych w drugiej połowie XVII i w XVIII wieku. Studium z dziejów małej społeczności wyznaniowej. Gdańsk 1994 (Gdańskie Towarzystwo Naukowe. Wydział I. Nauk społecznych i humanistycznych. Seria mono-
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die Gesellschaften der Herkunftsländer selbst, also die Teile ihrer eigenen Bevölkerung vertreibenden katholischen Monarchien, denn diesen musste im Gegenteil daran gelegen sein, dass die Konsequenzen ihrer rigiden Religionspolitik einer kritischen Öffentlichkeit nicht bekannt wurden. Es waren vielmehr die Aufnahmeterritorien, die diese Aufgabe übernahmen, und hier namentlich die protestantischen Höfe im Heiligen Römischen Reich und das Corpus Evangelicorum am Reichstag in Regensburg.28 Die Motive waren gewiss vielfältig. Ideelle Beweggründe zum Schutz von Glaubensbrüdern mischten sich dabei mit machtpolitischem Kalkül, durch Interventionen am Kaiserhof in Wien Vorteile zu erringen. Dies gilt besonders für das 18. Jahrhundert, wo am Reichstag, an den höheren Reichsgerichten und auch in der Reichspublizistik in der Regel keine religiösen Kämpfe mehr ausgetragen wurden, wie wir sie aus dem Konfessionellen Zeitalter kennen. Es waren vielmehr säkulare Staatsinteressen, die besonders die mächtigeren Reichsstände dazu veranlassten, das Corpus Evangelicorum und das Corpus Catholicorum zu Instrumenten ihrer Machtpolitik zu machen.29 Dieser Kongrafii 95); Bahlcke, Joachim/Bendel, Rainer (Hg.): Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive. Köln/Weimar/ Wien 2008 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 40); Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge; Bade, Klaus J. u.a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn u.a. 2007; Schunka, Alexander: Glaubensflucht als Migrationsoption. Konfessionell motivierte Migrationen in der Frühen Neuzeit. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 56, 2005, 547–564; Asche, Matthias: Religionskriege und Glaubensflüchtlinge im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Überlegungen zu einer Typendiskussion. In: Brendle, Franz/Schindling, Anton (Hg.): Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa. Münster 2006, 435–458; Schilling, Heinz: Die frühneuzeitliche Konfessionsmigration. In: Bade, Klaus J. (Hg.): Migration in der europäischen Geschichte seit dem späten Mittelalter. Osnabrück 2002 (IMIS-Beiträge 20), 67–89. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Die Vielzahl der Informationen über Ostmitteleuropa, die aus Territorien wie Ungarn oder Schlesien (die nicht zum Zuständigkeitsbereich des Corpus Evangelicorum gehörten) zu dieser Reichsbehörde gelangten, sind bisher nicht systematisch erfasst und interpretiert worden – trotz der im Grundsatz ausgezeichneten Quellensituation. Vgl. Schauroth, Eberhard Christian Wilhelm von: Vollständige Sammlung Aller Conclusorum, Schreiben Und anderer übrigen Verhandlungen des Hochpreißlichen Corporis Evangelicorum Von Anfang des jetzt fürwährenden Hochansehnlichen Reichs-Convents Bis auf die gegenwärtige Zeiten, Bd. 1–3. Regensburg 1751–1752; Herrich, Nikolaus August: Sammlung aller Conclusorum, Schreiben und anderer Verhandlungen des hochpreißlichen Corporis Evangelicorum vom Jahre 1753. bis 1786 [...]. Regensburg 1786. Regionale Fallstudien bietet Bahlcke, Joachim: Politische Funktionen kirchlicher Beziehungen: Ungarn und die Reichskirche. In: Willoweit, Dietmar/Lemberg, Hans (Hg.): Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa. Historische Beziehungen und politische Herrschaftslegitimationen. München 2006 (Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa 2), 227–245; ders.: Religion und Politik in Schlesien. Konfessionspolitische Strukturen unter österreichischer und preußischer Herrschaft (1650–1800). In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 134, 1998, 33–57. ��Bahlcke, Joachim: Konfessionspolitik und Staatsinteressen. Zur Funktion der brandenburgischpreußischen Interventionen zugunsten der ungarischen Protestanten nach dem Westfälischen Frieden. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 76/77, 1997/98, 177–187; Haug-Moritz, Gabriele: Corpus Evangelicorum und deutscher Dualismus. In: Press, Volker (Hg.): Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? München 1995 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 23), 189–207.
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text ist für den Historiker wichtig, damit er den Quellenwert von zeitgenössischen Berichten über Mündelstreitigkeiten, Vormundschaftskonflikte und religiöse Gewalt gegen Kinder – die besonders gut geeignet war, die Menschen anzusprechen, Emotionen zu schüren und das Vorgehen zu einem Skandal zu machen – stets mit der notwendigen Kritik hinterfragt. Beachtliche Aufmerksamkeit unter den Zeitgenossen im römisch-deutschen Reich fanden beispielsweise verschiedene Publikationen, die der slowakische, aus Ungarn vertriebene evangelische Prediger Matej Bahil in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in verschiedenen Reichsterritorien publizierte.30 Dies gilt in besonderer Weise für sein umfangreiches, erstmals unter seinem Namen (und nicht anonym oder unter Pseudonym) erschienenes Werk Tristissima, ecclesiarum Hungariae protestantium facies. Traurige Abbildung der protestantischen Gemeinden in Ungarn, das 1747 im schlesischen Brieg in einer zweisprachigen Ausgabe erschien31 – in lateinischer Sprache für die Leser in Ungarn, auf Deutsch für die Leser im römisch-deutschen Reich. Das Werk, das wenig später in der vielerorts gelesenen Zeitschrift Acta Historico-Ecclesiastica sowie in anderen Organen nochmals ganz oder in Teilen, im Originalwortlaut oder paraphrasiert und kommentiert, abgedruckt wurde, war beides zugleich: eine ergreifende Schilderung eines Exulantenschicksals und eine scharfzüngige politische Anklageschrift.32 Dramatische Vorfälle über religiöse Gewalt gegen Kinder durften in diesem Zusammenhang nicht fehlen. So berichtete Bahil zum Beispiel: „Auch die kleinen Kinder in Ungarn bleiben von dergleichen gewalttätigen Zwangsmitteln nicht ���������������������������� Zu Bahils Biographie vgl. Fábry, Ján Alexander: Matej Bahýl, verný svedok a vyznavač čistého evanj. učenia Kristovho. Liptovský Sv. Mikuláš 1935; Slovenský biografický slovnik, Bd. 1. Martin 1986, 101; Rosenbaum, Karol (Hg.): Encyklopédia slovenských spisovateľov, Bd. 1. Bratislava 1984, 17f.; Zoványi, Jenő: Magyarországi protestáns egyháztörténeti lexikon. Bearb. v. Sándor Ladányi. Budapest 31977, 37f. ��Bahil, Matthia: Tristissima, ecclesiarum Hungariae protestantium facies, omnes religionis consortes ad christianam compassionem lacrymabundam invitans. ����������������������������������� Traurige Abbildung der protestantischen Gemeinden in Ungarn/ alle Glieder gleicher Bekenntniß zu einem Christlichen Mitleiden und Gebete thränend zu erwecken. Bregae 1747. Die lateinische Fassung wurde 1863 – in zeitpolitischer Absicht – erneut veröffentlicht von Fabó, András (Hg.): Monumenta evangelicorum aug. conf. in Hungaria historica. A magyarországi ágost. vall. evangelikusok történelmi emlékei, Bd. 2. Pestini 1863, 363–428. Die starke emotionale Wirkung und Suggestivkraft des Textes führte dazu, dass sein Autor im ganzen 19. und 20. Jahrhundert als religiöser Erinnerungsort lebendig blieb. Vgl. exemplarisch Martinek, K.: Mladý věk Bahylův. In: Nový kalendář pro lid Ewanjelický na rok 1857. Pest 1857, 53–80; Nicolaus Lange und Matthias Bahil, zwei Lebensbilder aus der evangelischlutherischen Kirche. Eisleben/Leipzig 21867 [11858]; Matthias Bahil, ein Bekenner des Glaubens in Verfolgungen und Nöthen. Hermannsburg 1884; Masznyik, Endre: Bahil Mátyás. Életkép a magyarhoni evangéliomi-protestáns egyház üldöztetésének idejéből. Pozsony 1892 (A Luther-Társaság kiadványai 10); Uellenberg, Emil: Die vier Särge des Matthias Bahil. Gütersloh 1930 (spätere Auflagen u.d.T.: Die Flucht des Matthias Bahil). ��Bahlcke, Joachim: Der slowakische Prediger Matej Bahil und der preußisch-österreichische Antagonismus: Beobachtungen zur Europäisierung der ungarischen Religionsfrage im 18. Jahrhundert. In: ders. (Hg.): Glaubensflüchtlinge, 307–334.
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verschont; vielmehr nimmt die Catholische Geistlichkeit sogleich diejenigen Kinder weg, deren Vater oder Mutter der Catholischen oder Griechischen Religion angehörten, und zwingt sie mit Gewalt, die Catholische Religion anzunehmen, obwohl diese Kinder von dem Catholischen Vater oder der Mutter bisher nichts anderes als ihr Leben empfangen haben, und als verlassene Waisen entweder von dem noch lebenden Teil der Eltern, welcher der Evangelischen Religion angehört, oder von Evangelischen Verwandten oder Vormündern bloß allein erzogen wurden. Ja, selbst wenn noch alle beide Eltern leben, und ihre Kinder in der Evangelischen Religion erziehen wollen; so reißt man sie ihnen doch gegen ihren Willen weg.“33 Bahil brachte weitere Beispiele dafür, welche konkreten Formen religiöse Gewalt gegen Kinder in Ungarn annehmen konnte. So wurden Minderjährige von den Jesuiten gewaltsam zum katholischen, einem ihnen fremden Glauben gezwungen, man überfiel und entführte sie, brachte sie an fremde Orte und zwang sie trotz ihres oftmals extrem jungen Alters zur Beichte. Je nachdrücklicher Eltern dies zu verhindern suchten und Widerstand leisteten, desto stärker gerieten sie in Verdacht, Religionsgesetze zu missachten und Widerstand gegen die Obrigkeit zu leisten. Bei einem konkreten Vorfall, den der slowakische Prediger in seinem Buch skizzierte, hatte am Ende der Vater „eine Kette um den Hals“ und wurde ins Gefängnis geworfen, während die Mutter gezwungen war, zu fliehen und sich in den Wäldern zu verstecken. Es habe freilich, so Bahil weiter, noch weitaus gewalttätigere und grausamere Vorfälle gegeben. Mit „Versprechungen, Geschenken, Drohungen und Schlägen“ versuchte man die Kinder evangelischer Eltern zu einem Abfall von ihrer Religion zu treiben, und dies so lange, bis man mit seinen Grausamkeiten ans Ziel gelangt sei.34 Die größte Brutalität aber hätte in Ungarn nicht ein Geistlicher an den Tag gelegt, so Bahil, sondern Gräfin Klára Bárkoczy, die Ehefrau von Tomás Szirmay – er war von 1720 bis zu seinem Tod 1760 Obergespan des Komitas Sáros – und Schwester des Bischofs von Erlau, Ferenc Bárkoczy, der später zum Erzbischof von Gran und Primas von Ungarn aufstieg.35 Die Gräfin habe ��������������������������������������������������������������������������������������������������� „A talibus violentis coactionibus, nec ipsi quoque parvuli in Hungaria sunt immunes, quin potius si alicujus alteruter parentum olim fuerit vel Rom. ��������������������������������������������� Catholicus, vel Graeci ritus, mox Rom. Catholicus Clerus tales liberos surripit, violenterque ad acceptandam Catholicam religionem adigit, nihil considerans, quod praeter vitam nihil a parente acceperint, relictique orphani a superstite vel patre, vel matre, vel amicis aut tutoribus Evangelicis fuerint educati. Immo etiamsi uterque parentum sit superstes, suosque liberos in Evangelica religione educandos velit, tamen porro invitis parentibus rapiuntur.“ Bahil: Tristissima, ecclesiarum Hungariae protestantium facies, 230, 232. ���������������� Ebd., 232–238. ��Dóka, Klára: Barkóczy II. Ferenc. In: Beke, Margit (Hg.): Esztergomi érsekek 1001–2003. Budapest 2003, 341–347; Fallenbüchl, Zoltán: Magyarország főispánjai. Die Obergespane Ungarns. 1526–1848. Budapest 1994, 94; Sugár, István: Az egri püspökök története. Budapest 1984 (Az Egri főegyházmegye schematizmusa 1), 406–424; Bitskey, István: Barkóczy Ferenc, az irodalmi mecénás. In: Szauder, József/Tarnai, Andor (Hg.): Irodalam és felvilágosodás. Tanulmányok. Bu-
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Anfang der 1740er Jahre „alle Kinder ihrer Untertanen“ unter dem Vorwand, ihnen Arbeit zu geben, auf ihrem Schloss in Torysa (Tarca) zusammenbringen lassen. Dort hörte sie „nicht eher auf die dort versammelten Kinder peitschen zu lassen, bis sie alle zur Römischen Kirche übertraten“. Nach diesem Schritt aber übe sie nunmehr „denselben grausamen Gewissenszwang gegen die Eltern und andere Erwachsene aus, welche sie mit Gefängnis und Schlägen dazu zwingt, der Evangelischen Religion abzuschwören, so dass daher die meisten bei Verlassung ihrer eigenen Häuser anderswo Schutz suchen. Wobei bis zur Gegenwart in Ungarn der härteste Strick das Gewissen ist, denn denjenigen, die sich einmal, auf was für eine Weise es auch geschenen sein mag, zur Römisch-Catholischen Kirche bekannten, steht keine Rückkehr zur Evangelischen Kirche weiter frei, sofern sie nicht riskieren wollen, als Apostaten oder Abtrünnige von neuem das härteste Gefängnis und andere willkürliche allerschwerste Strafen zu erhalten.“36 Über alle diese Personen, Maßnahmen und Schicksale konnte der Leser im Heiligen Römischen Reich durch verschiedene Medien Informationen erhalten: Paraphrasen von Bahils Darstellung fand er in den bereits genannten Acta Historico-Ecclesiastica 37 und in der Zeitschrift Hanauische Berichte von Religions-Sachen;38 darüber hinaus konnte er sich umfassend mit der Biographie des Obergespans Tamás Szirmay befassen.39 Diese Nachrichten über religiöse Gewalt gegen Kinder in Ungarn wurden stets so dargestellt, dass ihnen ein möglichst hoher Grad an Objektivität zukam. Daneben gab es auch klare, von den evangelischen Höfen initiierte Propagandaschriften, die solche Schicksale aufgriffen und publikumswirksam verarbeiteten. Ein Beispiel dafür ist die 1756 unter strengster Geheimhaltung am Berliner Hof erarbeitete preußische Propagandaschrift Unbilliges Verfahren des Erz-Haudapest 1974, 333–365; Bahlcke, Joachim: Gegenkräfte. Studien zur politischen Kultur und Gesellschaftsstruktur Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit. Marburg 2015 (Studien zur Ostmitteleuropaforschung 31), 436–452; Entz, Géza: Barkóczy Ferenc gróf a magyar barokk-kor nagy mecénása. In: Történetírás. Egyetemes történettudományi szemle 3, 1939, 167–187. ���������������������������������������������������������������������������������������������� „Haec quippe aestate proxime praeterita, subditorum suorum liberos, sub praetextu exhibendi ipsis labores, in suum Tarczense Castellum congregari curavit, congregatos vero non cessavit flagellare, priusquam omnes ad Romana Sacra acessissent. Nunc autem eandem crudelitatem exercet in conscientias parentorum aliorumque adultorum, carcere & verberibus eosdem ad veritatis Evangelicae abnegationem cogens, ut adeo plurimi relicitis propriis aedibus alibi quaerant perfugium. Hic autem durissimus est in Hungaria conscientiarum laqueus, quod qui semel, quocunque modo Ecclesiae Rom. Catholicae dant nomina, illis amplius ad Evangelicos redire non liceat, nisi sub apostatarum titulo velint denuo carceribus includi, & gravissimae arbitrariae poenae subjici.“ Bahil: Tristissima, ecclesiarum Hungariae protestantium facies, 236, 238. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Fortgesetzte Nachricht eines vertriebenen Predigers aus Ungarn von dem Zustand der dasigen Protestanten. In: Acta Historico-Ecclesiastica Oder Gesamlete Nachrichten von den neuesten Kirchen-Geschichten, Bd. 81. Weimar 1750, 317–387, hier 383f. ������������������������������������������������������������������������������������������ Schluß der Nachricht von dem gegenwärtigen Zustand derer Evangelischen im Königreich Ungarn. In: Hanauische Berichte von Religions-Sachen, Bd. 9. [Hanau] 1750, 704–754, hier 751f. �������������������������������������������������������������������������������������������� Acta Historico-Ecclesiastica Oder Gesamlete Nachrichten von den neuesten Kirchen-Geschichten, Bd. 43. Weimar 1744, 552–563.
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ses Oesterreich gegen die Evangelische, die zugleich in französischer und lateinischer Sprache gedruckt wurde.40 Auch hier finden sich die genannten Vorfälle in großer Ausführlichkeit. Nahezu in allen Fällen, in denen zeitgenössische Berichte über religiöse Gewalt mit Migration, Vertreibung und Zwang verbunden waren, sind Wahrheit, Überhöhung und Idealisierung, Skandalisierung und Übertreibung sowie gezielte, machtpolitisch motivierte Inszenierung und Instrumentalisierung kaum voneinander zu trennen. Entsprechende Nachrichten über religiöse Gewalt in Ostmitteleuropa, die besonders gegen Kinder gerichtet war, begegnen uns bereits in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Das Zurückbehalten und die Bekehrung von Kindern, deren Eltern ihre Heimat aus Glaubensgründen verließen, können wir schon 1547/48 in Böhmen bei der Emigration von Angehörigen der Brüderunität beobachten.41 Ein genau geplantes, zielgerichtetes Vorgehen ist dann nach dem zweiten gescheiterten Ständeaufstand im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts zu erkennen. Mit Patent vom 6. Dezember 1627 verbot Ferdinand II. die Abwanderung evangelischer Waisen aus Adels- und Bürgerfamilien aus Böhmen und ordnete zugleich an, katholische Vormünder – Verwandte, die neuen Gutspächter oder bestimmte Orden – für die Kinder einzusetzen. Sollten Waisen dennoch außer Landes gebracht worden sein, wäre ihr Besitz zu „sequestrieren“, also einzuziehen und einem Verwalter zu unterstellen.42 Ähnlich wurden die Pupillenangelegenheiten in den österreichischen Ländern gehandhabt. In der Steiermark etwa kam man überein, die früheren evangelischen Stiftungen und Stipendien für die Versorgung mittelloser Waisen beziehungsweise zurückgelassener Kinder zu nutzen.43 ������������������������������������������������������������������������������������������������� Unbilliges Verfahren des Erz-Hauses Oesterreich gegen die Evangelische. [Frankfurt an der Oder 1756]. Zur Entstehung der Schrift vgl. Krauske, Otto (Hg.): Preußische Staatsschriften aus der Regierungszeit König Friedrichs II., Bd. 3: Der Beginn des Siebenjährigen Kriegs. Berlin 1892, 234– 317 (die Propagandaschrift ebd., 256–317). Der von dem Gelehrten und führenden Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin Jean Henri Samuel Formey ins Französische übersetzte Text erschien unter dem Titel: Exposé des injustices que les protestans ont souffertes des princes de la maison d’Autriche. O.O. [1756]. Der von Wolfgang Balthasar Adolf von Steinwehr, seit 1742 Professor der Geschichte und des Natur- und Völkerrechts an der Universität Frankfurt an der Oder, ins Lateinische übertragene Text erschien unter dem Titel: Commentatio de evangelicis iniquitate archiducum Austriae oppressis. [Frankfurt an der Oder 1756]. Aus den nachfolgenden Jahren sind mehrere, zum Teil voneinander abweichende Nachdrucke bekannt. �� Thomsen, Martina: „Wider die Picarder“. Diskriminierung und Vertreibung der Böhmischen Brüder im 16. und 17. Jahrhundert. In: Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge, 145–164, hier 151. ����������������������������������������������������������������������������� Zu den Pupillenangelegenheiten im Zuge der Rekatholisierung in Böhmen vgl. Catalano, Alessandro: La Boemia e la riconquista delle coscienze. Ernst Adalbert von Harrach e la Controriforma in Europa centrale (1620–1667). Roma 2005; Čornejová, Ivana: Tovaryšstvo Ježíšovo. Jezuité v Čechách. Praha 1995; Mikulec, Jiří: Pobělohorská rekatolizace v českých zemích. Praha 1992; Francek, Jindřich (Hg.): Rekatolizace v českých zemích. Pardubice 1995; Čornejová, Ivana (Hg.): Úloha církevních řádů při pobělohorské rekatolizaci. Praha 2003. �� Loserth, Johann (Hg.): Akten und Korrespondenzen zur Geschichte der Gegenreformation in Innerösterreich unter Ferdinand II., Bd. 2. Wien 1907 (Fontes Rerum Austriacarum II/60), 852–854, Nr. 2549.
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Die gewaltsame Zerreißung von Familien nahm man billigend in Kauf, wenn beispielsweise Kinder aus einer früheren Ehe zurückgehalten wurden. Gesuche von Emigranten, minderjährige Angehörige zu einem späteren Zeitpunkt nachholen zu dürfen, scheiterten in aller Regel am Widerstand der Behörden oder der neuen Vormünder.44 Die im Umfeld des Dreißigjährigen Krieges ausgebildete Praxis lässt sich in ganz ähnlichen Mustern bei der staatlich verordneten Protestantenverfolgung im Osttiroler Defereggental zwischen 1684 und 1691, der Salzburger Emigration und der sogenannten Transmigration ober- und innerösterreichischer Protestanten nach Siebenbürgen im 18. Jahrhundert wiederfinden.45 Die Beispiele, die sich dazu in den einschlägigen Akten und Verhörprotokollen finden, sind zahlreich. So berichteten 1686 vier in Regensburg verhörte Bauern aus Österreich, dass die bei ihrem Transport mitreisenden Eltern „alle ihre Kinder zu Inspruck mit Gewalt verlohren“ hätten, man hätte sie ihnen „daselbst im Wirtshause“ weggenommen; zwar hätten sich die Eltern sofort an die Regierung gewandt, um ihre Kinder wiederzubekommen. „Man habe sie aber, auf anderen Befehl, wieder weggenommen, und ins Spital gethan“, also in ein Waisenhaus gegeben, die Kinder hätten „erbärmlich geweinet, als sie von ihren Eltern weggemust“.46
������������������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., 866, Nr. 2595. Vgl. ferner ebd., 435, Nr. 1718, 639, Nr. 1989, 656, Nr. 2048, 670f., Nr. 2104, 700, Nr. 2132, 703, Nr. 2146, 774–776, Nr. 2360f., 836–839, Nr. 2515f. ��Steiner, Stephan: Rückkehr unerwünscht. Deportationen in der Habsburgermonarchie der Frühen Neuzeit und ihr europäischer Kontext. Wien/Köln/Weimar 2014; ders.: Reisen ohne Wiederkehr. Die Deportation von Protestanten aus Kärnten 1734–1736. Wien/München 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 46); Walker, Mack: Der Salzburger Handel. Vertreibung und Errettung der Salzburger Protestanten im 18. Jahrhundert. Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 131); Florey, Gerhard: Geschichte der Salzburger Protestanten und ihrer Emigration 1731/32. Wien/Köln/Graz 1977 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte I/2); Schlachta, Astrid von: Die Emigration der Salzburger Kryptoprotestanten. In: Leeb, Rudolf/Scheutz, Martin/Weikl, Dietmar (Hg.): Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert). Wien/München 2009 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 51), 63–92; Leeb, Rudolf: Die große Salzburger Emigration von 1731/32 und ihre Vorgeschichte (Ausweisung der Deferegger 1684). In: Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge, 277–305. ������������ Zit. nach Küppers-Braun, Ute: Zerrissene Familien und entführte Kinder. Staatlich verordnete Protestantenverfolgung im Osttiroler Defreggental (1684–1691). In: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 121, 2005, 91–168, hier 114. Einen geographisch und zeitlich noch breiteren Problemaufriss bietet dies.: „Kinder-Abpracticirung“: Kinder zwischen den Konfessionen im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 49, 2001, 208–225. Vgl. ferner dies.: Und die kleinen Kinder von den Brüsten und Schössen ihrer Eltern gerissen werden. Transmigrantenkinder zwischen Indoktrination und Propaganda. In: Leeb, Rudolf/Pils, Susanne Claudine/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien/München 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 47), 213–229; dies.: Erzieh- und Exulantenkinder im Regensburger Waisenhaus für die Armen Kinder 1725–1779. In: Verhandlungen des Historischen Vereins für Oberpfalz und Regensburg 144, 2004, 173–193.
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Bilder von evangelischen Glaubensflüchtlingen, die mit ihren Kindern die Heimat verlassen mussten, wurden vor allem während der Emigration der Salzburger Protestanten Anfang der 1730er Jahre in großer Zahl veröffentlicht. Illustrierte Werke wie das von Johann Heinrich Baum verfasste, 1732 in Nürnberg erschienene Buch, dem der hier abgebildete Kupferstich entnommen wurde, fanden große Verbreitung in den evangelischen Gebieten Deutschlands.
Mit den „Kindern von Häretikern“ und „hartnäckigen Ketzern“, von evangelischen Eltern also, zeigte man keinerlei Milde und Barmherzigkeit – sie waren die ersten Opfer obrigkeitlicher Gewaltmaßnahmen. Sie wurden zurückgeschickt oder mussten von Beginn an zurückgelassen werden. Ute Küppers-Braun hat die Schicksale der Kinder während der staatlich verordneten Protestantenverfolgung im Osttiroler Defreggental in den Jahren 1684 bis 1691 exakt verfolgt. Ihre Ergebnisse sprechen eine eindeutige Sprache: So sollten laut Ausweisungsbefehl vom Dezember 1684 alle Kinder unter 15 Jahren grundsätzlich in Defreggen bleiben; zwei Drittel aller Kinder, die man dazu zwang, ohne ihre Eltern in der alten Heimat zu verharren, waren jünger als acht Jahre, bedurften also unstrittig noch erhöhter Zuwendung und Aufsicht. Sie verblieben auf den väterlichen Höfen, wo sie fortan unter der Aufsicht von neuen, katholischen Pächtern standen. Kinder armer Eltern verteilte man sogar an Fremde, selbst Geschwister wurden zerrissen und verschiedenen Familien zugewiesen. Zu weiteren Gewaltakten kam es in solchen Fällen, wenn emigrierte oder geflohene Eltern zurückkamen, um ihre Kinder zu sich zu holen. Solche Kindesentführungen hatten auf Seiten der katholischen Obrigkeiten in aller Regel weitere, drakonische Reaktionen zur Folge – von Zwangsmaßnahmen gegen die Kinder selbst bis zur Androhung von Galeerenstrafen für deren Väter –, so dass sich die Gewaltspirale unaufhörlich weiter drehte.47 ��Dies.: Zerrissene Familien und entführte Kinder, 111–115, 134–137.
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Zur Begründung des Zurückhaltens von Kindern hieß es von den staatlichen Behörden meist, die Kinder seien religionsmündig und hätten sich auf entsprechende Befragungen freiwillig zum katholischen Glauben bekannt. Einmal abgesehen davon, dass viele der Kinder die annos discretionis – das von katholischer Seite ohnehin sehr früh angesetzte Alter für die Wahl des Religionsbekenntnisses – noch gar nicht erreicht hatten, gab es auch andere Unstimmigkeiten an dieser Argumentation. So zog man auf protestantischer Seite vehement in Zweifel, dass selbst ein korrekt erfolgter Religionswechsel das gesetzliche Gewaltverhältnis, das heißt die gemeinsame elterliche Aufsicht, in Frage stellen könne.48 Als nachgerade perfide stellte sich die Verbindung von Mission und Zwangsumsiedlung unter Maria Theresia für die Kinder von Protestanten heraus. Diese sollten evangelischen Witwen „ob periculum perversionis“, wegen der Gefahr der Glaubensverkehrung, ohne weitere Fallprüfung weggenommen und Katholiken zur Erziehung übergeben werden, damit man – wie es in den Quellen heißt – „auf solche Weise die nachwachsende Brut ersticke“.49
3. Umsetzung und Reichweite der Pupillengesetzgebung Es liegt in der Natur der Sache, dass die Pupillengesetzgebung vor allem dort für Konfliktstoff und Streit sorgte, wo Protestanten trotz des wachsenden Rekatholisierungsdrucks seit Mitte des 17. Jahrhunderts eigene Freiräume zu bewahren vermochten, ihre Kinder damit aber zwangsläufig zwischen die Fronten der Konfessionen gerieten. Dies gilt innerhalb Ostmitteleuropas vor allem für Siebenbürgen, für die Königlichen Freistädte der Zips, das bikonfessionelle Schlesien und für die Zentralorte des zu Polen-Litauen gehörenden Königlichen Preußen.50 Dass es gerade in diesen Regionen und Städten ������������������������������������������ Zum Problem von Kinderkonversionen vgl. Freist, Dagmar: Kinderkonversionen in der Frühen Neuzeit. In: Lotz-Heumann, Ute/Missfelder, Jan-Friedrich/Pohlig, Matthias (Hg.): Konversion und Konfession in der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 205), 393–421. ������������ Zit. nach Tropper, Peter G.: Von der katholischen Erneuerung bis zur Säkularisation – 1648 bis 1815. In: Leeb, Rudolf u.a.: Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Wien 2003, 281–360, 511–517, hier 293. Eine Fülle weiterer Beispiele bietet Leeb, Rudolf: Staatliche Kirchenpolitik, Geheimprotestantismus und katholische Mission in Kärnten (1752–1780). Klagenfurt 1989 (Das Kärnter Landesarchiv 16). ���������������������������������������������������������������������������������������������� Zur religiösen Pluralität als Strukturmerkmal Ostmitteleuropas und speziell zur Entwicklung der reformatorischen Religionsgemeinschaften vgl. Louthan, Howard/Murdock, Graeme (Hg.): A Companion to the Reformation in Central Europe. Leiden/Boston 2015 (Brill’s companions to the Christian tradition 61); Bahlcke, Joachim/Rohdewald, Stefan/Wünsch, Thomas (Hg.): Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff. Berlin 2013; Wernisch, Martin (Hg.): Unitas Fratrum 1457–2007. Jednota bratrská jako kulturní a duchovní fenomén. Praha 2009; Bérenger, Jean: Tolérance ou paix de religion en Europe centrale (1415–1792). Paris 2000; Maag, Karin (Hg.): The Reformation in Eastern
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zu verstärkten Auseinandersetzungen evangelischer Bevölkerungsteile mit katholischen Landesherren und Obrigkeiten kam, hatte freilich auch andere Gründe. Denn diese Gegenden, in denen Protestanten das Recht auf freie Ausübung ihrer Religion vollständig oder zumindest länger als in der Umgebung bewahren konnten, brauchten auch Bibeln, Gesangbücher und religiöses Schrifttum für Zwecke der kirchlichen Praxis. Der mit großem Aufwand betriebene Kampf gegen „häretisches Schrifttum“ und das Vorgehen gegen „häretische Kinder“ kannten denn auch viele Parallelen und Überschneidungen – die Wege und Wegbereiter illegaler Bücherversorgung begegnen uns auffallend häufig ebenfalls im sachlichen Kontext von Mündelstreitigkeiten und Vormundschaftskonflikten in Ostmitteleuropa.51 Die größte Dichte an Kontroversen in Pupillen-, Vormundschafts- und Waisensachen, zeitlich mit einem klaren Höhepunkt in den Jahrzehnten zwischen dem Westfälischen Frieden von 1648 und dem Abschluss der Altranstädter Konvention im Jahr 1707, finden wir nicht zufällig in Schlesien. Dieses österreichische Kronland, das politisch seit dem 14. Jahrhundert zur Böhmischen Krone gehörte, hatte für den Untergrundprotestantismus geradezu ideale kirchliche wie politische Binnenstrukturen.52 Die Kleinräumigkeit der politischen Verhältnisse schuf eine Vielzahl von Grenzen, die es and Central Europe. Aldershot 1997; Łaszkiewicz, Hubert (Hg.): Churches and Confessions in East Central Europe in Early Modern Times. Lublin 1999 (Proceedings of the Commission Internationale d’Histoire Ecclésiastique Comparée 3); Geissler, Bruno/Stökl, Günther: In oriente crux. Versuch einer Geschichte der reformatorischen Kirchen im Raum zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Hg. v. Herbert Krimm. Stuttgart 1963. Einen konzisen Überblick bietet Eberhard, Winfried: Reformation and Counterreformation in East Central Europe. In: Brady, Thomas A. jr./Oberman, Heiko A./Tracy, James D. (Hg.): Handbook of European History 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, Bd. 2. Leiden/New York/Köln 1995, 551–584. �� Bahlcke, Joachim: Bücherschmuggel. Die Versorgung ostmitteleuropäischer Protestanten mit Bibeln, Gesangbüchern und lutherischen Erbauungsschriften in der Zeit der Gegenreformation. In: Bahlcke, Joachim/Störtkuhl, Beate/Weber, Matthias (Hg.): Der Luthereffekt im östlichen Europa. Geschichte – Kultur – Erinnerung. Oldenburg 2017 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 64), 161–176; Pörtner, Regina: Die Kunst des Lügens. Ketzerverfolgung und geheimprotestantische Überlebensstrategien im theresianischen Österreich. In: Burkhardt, Johannes/Werkstetter, Christine (Hg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. München 2005 (Historische Zeitschrift. Beihefte N.F. 41), 385–408; D ucreux, Marie-Elizabeth: Le livre et l’hérésie, modes de lecture et politique du livre en Bohême au XVIIIe siècle. In: Bödeker, Hans Erich/Chaise, Gerald/Veit, Patrice (Hg.): Le livre religieux et ses pratiques. Études sur l’histoire du livre religieux en Allemagne et en France à l’époque moderne. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 101), 131–155. �� Bahlcke, Joachim: Un siècle des extrêmes. La situation confessionelle en Silésie au cours du XVIIe siècle. In: XVIIe siècle 68, 2016, 635–647; ders.: Turbulatores tranquillitatis publicae? Zur Frage der Religionsfreiheit für die Reformierten in Schlesien im Umfeld der Altranstädter Konvention von 1707. In: Bahlcke, Joachim/Dingel, Irene (Hg.): Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Göttingen 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für abendländische Religionsgeschichte. Beiheft 106), 205–246; Schunka, Alexander: Protestanten in Schlesien im 17. und 18. Jahrhundert. In: Leeb/Scheutz/Weikl (Hg.): Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg, 271–297.
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Gläubigen erlaubte, der eigenen Obrigkeit in Konfliktfällen rasch auszuweichen.53 Gleichzeitig lag das Herzogtum geopolitisch zwischen den ostmitteleuropäischen Herrschaftszentren und dem Heiligen Römischen Reich, und mit beiden Räumen unterhielten die schlesischen Eliten enge Beziehungen in Sachen Kommunikation, Bildung, Wissens- und Ideentransfer.54 Für die Anhänger des evangelischen Bekenntnisses im Herzogtum Schlesien war das 17. Jahrhundert, in dem sich die innere Staatsbildung der Habsburgermonarchie im Zeichen der politiktheoretischen Maxime religio vinculum societatis vollzog, ein Jahrhundert der Extreme. Am Beginn des Zeitraums markierte der von Rudolf II. 1609 erlassene Majestätsbrief für freie Religionsausübung, der durch ständische Initiative durchgesetzt und rechtlich verankert werden konnte, ein Höchstmaß an Bekenntnisfreiheit.55 Am Ende des Jahrhunderts war von diesen konfessionellen Freiräumen und Rechten nichts mehr zu spüren, im Gegenteil: Ähnlich wie in Ungarn nahm die Rekatholisierung auch im Oderland mitunter militante Züge an. Der Fall Schlesien unterscheidet sich jedoch in mehrfacher Hinsicht von der bereits vorgestellten Gegenreformation im Königlichen Ungarn, das zwar ebenfalls von den Habsburgern regiert wurde, aber außerhalb des römisch-deutschen Reiches und damit außerhalb der Reichsordnungen und -gesetze lag.56 Genau diese Verbindungen aber waren es, welche der Wiener Hof stets zu beachten hatte und die sein Vorgehen gegenüber den Protestanten und vor allem gegenüber evangelischen Mündeln und Waisen in Schlesien maßgeblich beeinflussten. Prinzipiell bezog sich die einschlägige Religionsgesetzgebung der Habsburger in Schlesien auf Waisen aller sozialen Schichten, also auch auf bürgerliche und bäuerliche Mündel. Der Hauptdruck aber war – und dies zeigt die grundsätzliche Verkettung von Pupillar-Angelegenheiten mit wirtschaftsund gesellschaftspolitischen Interessen der Regierung – gegen den Adel als ��Deventer, Jörg: Nicht in die Ferne – nicht in die Fremde? Konfessionsmigration im schlesischpolnischen Grenzraum im 17. Jahrhundert. In: Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge, 95–118. �� Bahlcke, Joachim: Bildungswege, Wissenstransfer und Kommunikation. Schlesische Studenten an europäischen Universitäten der Frühen Neuzeit. In: Berichte und Forschungen. Jahrbuch des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 18, 2010, 37–55; ders.: Religionsfreiheit und Reichsbewußtsein. Deutungen des Augsburger Religionsfriedens im böhmischschlesischen Raum. In: Schilling, Heinz/Smolinsky, Heribert (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Heidelberg 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 206), 389–413. �� Hausenblasová, Jaroslava/Mikulec, Jiří/Thomsen, Martina (Hg.): Religion und Politik im frühneuzeitlichen Böhmen. Der Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. von 1609. Stuttgart 2014 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 46). ���������������������������������������������������������������� Zur Rekatholisierung Ostmitteleuropas im 17. Jahrhundert vgl. Chaline, Olivier: La reconquête catholique de l’Europe centrale, XVIe–XVIIIe siècle. Paris 1998; Eberhard: Reformation and Counterreformation in East Central Europe, 551–584; Evans, Robert J. W.: Die Grenzen der Konfessionalisierung. Die Folgen der Gegenreformation für die Habsburgerländer (1650–1781). In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 395–412.
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die politisch-soziale Führungsschicht der Gesellschaft gerichtet.57 Ein Mittel, um die im Zuge der Gegenreformation verstärkte Sesshaftmachung katholischer Adeliger zu forcieren, war die Einheirat. Um diese zu fördern, mussten zum einen Erbtöchter und landbesitzende Witwen an einer Auswanderung gehindert werden. Zum anderen mussten Verbindungen zu Katholiken, die sich mit Heiratsabsichten trugen, hergestellt werden.58 Eine Fülle von Reskripten regelte exakt diese beiden Punkte. 1681 etwa untersagte man den Witwen, ihre unmündigen Kinder „zu ausländischer Education und Instruirung“ zu verschicken.59 Waisen und Halbwaisen wurde faktisch das beneficium emigrandi entzogen.60 War die evangelische Vormundschaft durch eine katholische ersetzt oder den Tutoren ein katholischer übergeordnet, so ließ die Regierung das Kind dessen unmittelbarem Einfluss unterstellen. Auch in diesen Fällen können wir feststellen, wie die tatsächliche, sachlich nicht zu bestreitende religiöse Gewalt gegen Kinder propagandistischpublizistisch genutzt wurde, um auf Seiten der evangelischen Mächte Front zu machen gegen den katholischen Kaiserhof. Exakt zur Zeit der schwierigen Auseinandersetzungen um die Altranstädter Konvention in Schlesien erschien 1708 anonym das quellennahe Werk Schlesische Kirchen-Historie, wobei zugleich – wie es bereits auf dem Titelblatt heißt – „die von dasigen Evangelischen Ständen Wider die Päbstl[ichen] Eingriffe Geführten Beschwerden Nebst denen darauff erfolgten allergnädigsten Käyserl. Begnadigungen/ und hierüber ertheilten Privilegiis mit beygefügt worden“.61 Ein zweiter Band er��Schwencker, [Friedrich]: Die evangelischen adligen Mündel in Schlesien zur Zeit der Gegenreformation. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 9, 1905, 224–283; ders.: Schlesisches Waisenelend während der Gegenreformation. In: Evangelische Kirchen-Zeitung für Oesterreich 24, 1907, 81–84, 100–103. �� Velsen, Dorothee von: Die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz-Brieg-Wohlau. Ihre Vorgeschichte und ihre staatsrechtlichen Grundlagen. Leipzig 1931 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 15), 72f. Zu den rechtlichen Aspekten dieser Praxis vgl. Sikora, Michael: Ehe – Stand – Recht. Hochadlige Verwicklungen. In: Baumann, Anette/Jendorff, Alexander (Hg.): Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Europa. München 2014 (Bibliothek Altes Reich 15), 103–125. ������������ Zit. nach von Velsen: Die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz-Brieg-Wohlau, 79. Zum Reskript vom 4. Juli 1681 vgl. auch Schönwälder, K[arl] F[riedrich]: Die Piasten zum Briege oder Geschichte der Stadt und des Fürstenthums Brieg, Bd. 3. Brieg 1856, 284–287. ������ Zum beneficium emigrandi vgl. Heckel, Martin: Zu den Anfängen der Religionsfreiheit im Konfessionellen Zeitalter. In: Ascheri, Mario u.a. (Hg.): „Ins Wasser geworfen und Ozeane durchquert“. Festschrift für Knut Wolfgang Nörr. Köln/Weimar/Wien 2003, 349–401; Schneider, Bernd Christian: Das ius reformandi. Die Entwicklung eines Staatskirchenrechts von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches. Tübingen 2001 (Jus Ecclesiasticum 68), 265–269; Spiegel-Schmidt, Friedrich: Vom „beneficium emigrandi“ zur Toleranz. In: Barton, Peter F. (Hg.): Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph II., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen. Eine Festschrift. Wien 1981 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte II/8), 39–75. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Schlesische Kirchen-Historie worinnen Der Schlesier unterschiedliche Religionen und GottesDienste Welche sie sowohl im Heyden- als Pabstthum Und nach erfolgter Reformation biß dato gehabt kürtzlich vorgestellet wird, Wobey zugleich die von dasigen Evangelischen Ständen Wider
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schien ein Jahr später unter dem programmatischen Pseudonym „Irenicus Ehrenkron“ und dem sicher fiktiven Druckort „Freyburg“.62 Die Tatsache, dass beide Bände 1715 noch einmal in einer zweiten Auflage erschienen (in „Freystadt“, gewiss ebenfalls einem fiktiven Druckort), lässt nicht nur auf ein großes Interesse des Werkes in der Öffentlichkeit schließen, sondern auch auf die offensichtliche Wirkung des Buches im zeitgenössischen Diskurs. Als Autor des zweibändigen, immens materialreichen Werkes, das eine intime Vertrautheit mit den Verhältnissen in Schlesien zeigte, vermuteten die Zeitgenossen den sächsischen Publizisten Johann Ehrenfried Zschackwitz. Die heutige Forschung dagegen geht eher davon aus, dass das Buch von dem politischen und geistlichen Schriftsteller Philipp Balthasar Sinold, genannt von Schütz, verfasst wurde, der 1702 das Journal Die Europäische Fama gegründet hatte (das wiederholt über die Religionspolitik in Schlesien berichtete) und 1711 in die Dienste des Herzogs von Württemberg-Oels trat und in Bernstadt als Regierungsrat amtierte.63 Das Thema Waisen, Vormünder und religiöse Gewalt gegenüber Kindern nahm bei Sinold erstaunlich großen Raum ein, eben weil diese spezifische Form von obrigkeitlichem Zwang in Schlesien stark ausgeprägt und weil das Thema unzweifelhaft besonders öffentlichkeitswirksam war. Immer wieder spricht der Autor über „Verfolgungen, vielfältige Memoralia und Supplicationes“, zitiert Details aus dem „sehr delicaten und wichtigen Religions-Tutelund Pupillen-Werck“, informiert über Schicksale „der Adelichen Pupillen in denen Erb-Fürstenthümern“, er demonstriert, „wie die Pupillen zuforderst unter Cathol. Vormunder Education, und also folglich von Jugend auff zu der Catholischen Religion gebracht werden sollen“.64 Konflikte bei Eheschließungen, der Kampf gegen Mischehen, konfessionelle Migration und offene Gewalt gegenüber Kindern – die Beispiele des Autors zeigen, wie konfessionelle Homogenisierung in der Praxis umgesetzt wurde. die Päbstl. Eingriffe Geführten Beschwerden Nebst denen darauff erfolgten allergnädigsten Käyserl. Begnadigungen/ und hierüber ertheilten Privilegiis mit beygefügt worden. Franckfurt 1708. �� Ehrenkron, Irenicus: Der Schlesischen Kirchen-Historie Anderer Theil/ Worinnen Was der Schlesischen Religions-Angelegenheiten halber Vor der Hohen Käyserl. und Königl. Schwedischen Commission Ferner Vorgegangen und gehandelt worden Kürtzlich enthalten. Freyburg 1709. �� Rau, Susanne: Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln. Hamburg u.a. 2002 (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 9), 374f.; Jaumann, Herbert: Sinold gen. von Schütz, Philipp Balthasar. In: Kühlmann, Wilhelm (Hg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, Bd. 11. Berlin u.a. 22011 [Gütersloh 11991], 29–31. �������������������������������������������������������������������������������������������� Schlesische Kirchen-Historie, Bd. 1, 310–313, 331–336, 439–448, 507–509, 728–730. Auch in diesem Fall lässt sich – ähnlich wie im Fall des bereits genannten Buches von Matej Bahil – aufzeigen, dass die Berichte in der Schlesischen Kirchen-Historie rasch in andere Bücher und Zeitschriften übernommen und dabei ergänzt und kommentiert wurden. Vgl. exemplarisch [Gude, Heinrich Ludwig]: Staat von Schlesien. [Halle ca. 1708], 490–492.
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In Schlesien wetteiferten lokale und zentrale Behörden und Amtsträger der römisch-katholischen Kirche geradezu miteinander in der Überwachung der Pupillenfälle. Penibel wurden in den einzelnen Territorien Listen geführt, die regelmäßig dem Breslauer Oberamt vorzulegen waren. Aber auch Privatleute und selbst Angehörige lieferten eine Fülle von teils vertraulichen, ja intimen Hinweisen über die Lage in einzelnen Familien. In vielen Fällen kam es zu erzwungenen Vorladungen von Pupillen, Festnahmen durch das Militär, Geldstrafen und Güterkonfiskationen. Nicht minder zahlreich sind Befehle des Oberamts, weibliche Mündel nur zu einer katholischen Heirat aus dem Kloster zu entlassen. Bestehende oder geplante Verlöbnisse mit evangelischen Adeligen wurden kurzerhand sistiert. Bei der Prüfung von Ehehindernissen nach kanonischem Recht erhielt das Fehlen der vormundschaftlichen Einwilligung immer größeres Gewicht.65 Die konsequente „weegnehmung der kinder“,66 über die der böhmische Oberstkanzler Johann Wenzel Wratislaw von Mitrowitz 1707 Kaiser Joseph I. Bericht erstattete, betraf vor allem hochadelige Familien. Signalwirkung, auch wegen der aus Sicht Wiens erfolgreichen Bewährung dieser Maßnahme, hatte hierbei der Umgang mit den vier unmündigen Söhnen des 1635 zum Tod verurteilten protestantischen schlesischen Adeligen Hans Ulrich von Schaffgotsch, die dem Jesuitenkolleg in Olmütz überantwortet worden waren.67 Ähnliches widerfuhr in Wien den zwölf minderjährigen Kindern des lutherischen Reichshofrats Rudolf von Sinzendorf. Er hatte am Ende seines Lebens versucht, sie an einen sicheren Ort in einem protestantischen Reichsterritorium zu verschicken. Die Kinder konnten jedoch nicht außer Landes gebracht werden, sie wurden bereits wenige Meilen hinter Wien abgefangen. Man hielt sie so lange fest, bis der Tod des Vaters eingetreten war und der Kaiser daraufhin von seinem Recht auf Vormundschaft Gebrauch machen konnte. Die Mutter protestierte heftig gegen die Wegnahme der Kinder, allerdings vergeblich. Die Regierung entschied, dass die acht Töchter in katholische Klöster gebracht und die vier Söhne auf Jesuitenschulen geschickt ����������������������������� Zahlreiche Einzelfälle bei von Velsen: Die Gegenreformation in den Fürstentümern LiegnitzBrieg-Wohlau, 75–86. ������������ Zit. nach Conrads, Norbert: Die Durchführung der Altranstädter Konvention in Schlesien 1707– 1709. Köln/Wien 1971 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 8), 313. �� Bahlcke, Joachim: „Der Glanz des Schlesischen Adels“. Die adeligen Eliten Schlesiens vom Mittelalter bis zum Ende der habsburgischen Herrschaft/„Blask śląskiej szlachty“. Szlacheckie elity Śląska od średniowiecza po schyłek panowania Habsburgów. In: Bauer, Markus u.a. (Hg.): Adel in Schlesien. Mittelalter und Frühe Neuzeit / Szlachta na Śląsku. Średniowiecze i czasy nowożytne. Dresden 2014, 18–29, hier 26–29; Eiden, Maximilian: Die Piasten in der Erinnerungskultur des schlesischen Adels. Zum Selbstverständnis der Schaffgotsch als Nachkommen der polnischen Könige und schlesischen Landesfürsten (17.–19. Jahrhundert). In: Bahlcke, Joachim/Schmilewski, Ulrich/ Wünsch, Thomas (Hg.): Das Haus Schaffgotsch. Konfession, Politik und Gedächtnis eines schlesischen Adelsgeschlechts vom Mittelalter bis zur Moderne. Würzburg 2010, 141–175, hier 142–145.
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werden sollten. Gegen die willkürliche Kinderentziehung protestierte die Familie 1678 und 1679 beim Corpus Evangelicorum am Reichstag, auch in diesem Fall allerdings ohne Erfolg, zumal der Kaiser bereits die Vorsprache bei dieser Behörde in Regensburg als Bruch der Treuepflicht gegen den Landesherrn empfand.68 Nicht grundlegend anders erging es den neun Kindern des Karl Gustav Colonna von Fels nach dessen Tod im Jahr 1686.69 Dass nicht einmal Mitglieder des Hofes vor einer strikten Anwendung der Pupillengesetzgebung sicher waren, veranlasste zahlreiche evangelische Geschlechter, rechtzeitig die notwendigen Schritte zu unternehmen und ihre unmündigen Kinder beizeiten vor einem ähnlichen Schicksal zu bewahren.70 Um dem Zugriff der Behörden zu entgehen, war die Flucht der Kinder beziehungsweise deren rechtzeitige Fortschaffung tatsächlich oft der einzige Ausweg. Die Akten über konfessionelle Auseinandersetzungen in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie sind voll mit Hinweisen, dass evangelische Pupillen außer Landes geschleppt wurden.71 Behördenprotokolle aus dem schlesischen Brieg etwa belegen, dass man örtlich einen regelrechten Nachrichtendienst organisierte, um Kindern an der Landesgrenze aufzuspüren und gleichzeitig einer Verschleppung von Mündelgut zuvorzukommen.72 Beim Gerangel um Mündel und Waisen ging allerdings nicht notwendigerweise die Initiative von der Obrigkeit oder vom Klerus aus. Oft waren es in gemischtkonfessionellen Ehen auch Angehörige eines katholischen Familienzweigs, die ihre evangelisch erzogenen Neffen und Nichten gewaltsam zu sich zogen. Oder evangelische Vormünder akzeptierten nicht den Willen �� Raupach, Bernhard: Erläutertes Evangelisches Oesterreich, Oder: Dritte und Letzte Fortsetzung Der Historischen Nachricht von den vornehmsten Schicksalen der Evangelisch-Lutherischen Kirchen in dem Ertz-Hertzogthum Oesterreich [...]. Hamburg 1740, 471f.; Conrads, Norbert: Bildungswege zwischen Schlesien und Wien. Ein historischer Überblick vom Mittelalter bis zur Aufklärung [1992]. In: ders.: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Hg. v. Joachim Bahlcke. Köln/Weimar/Wien 2009 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 16), 177–207, hier 193–195; ders.: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 313; Küppers-Braun: „Kinder-Abpracticirung“, 210; Reissenberger, Friedrich: Das Corpus evangelicorum und die österreichischen Protestanten (1685–1764). In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 17, 1896, 207–221. ��Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 313. ��Feigl, Helmuth: Geschichte des Marktes und der Herrschaft Trautmannsdorf an der Leitha. Wien 1974 (Forschungen zur Landeskunde von Niederösterreich 20), 138 Anm. 573. Er zitiert dort Raupach: Evangelisches Oesterreich, Bd. 4, 471: „Vgl. dazu die Vorgänge um die Pupillen nach dem 1677 gestorbenen Rudolf von Sinzendorf, die eine Reihe evangelischer Herren, u.a. Weikhard von Polheim, Wolf Ehrenreich von Prösing, Khevenhiller und Teufel veranlaßten, daß sie ihre ‚unmündige Kinder... außer Landes nach Evangelische Örter brachten, damit sie vor der Gefahr der Verführung mögten gesichert seyn.“ �� Wuttke, Heinrich: König Friedrichs des Großen Besitzergreifung von Schlesien und die Entwicklung der öffentlichen Verhältnisse in diesem Lande bis zum Jahre 1740, Bd. 2. Leipzig 1843, 262–265; Wotschke, Theodor: Urkunden zur Geschichte des Pietismus in Schlesien. In: Jahrbuch des Vereins für Schlesische Kirchengeschichte 20, 1929, 58–129; 22, 1931, 103–131, hier 72. ��von Velsen: Die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz-Brieg-Wohlau, 84.
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einer katholischen Witwe. Joseph Adam von Zedtwitz, ein protestantischer Adeliger aus Böhmen, hinterließ bei seinem Tod 1747 neben seiner katholischen Ehefrau einen zwölf Jahre alten Sohn, der zu seinen Lebzeiten evangelisch erzogen worden war und dem Willen des Vaters nach bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres in diesem Bekenntnis unterrichtet werden sollte. Die testamentarisch zum Vormund eingesetzte Mutter begann jedoch schon bald, ihren Sohn in das eigene Bekenntnis zu ziehen und vor allem dessen anstehende Konfirmation zu hintertreiben. Die protestantischen Agnaten brachten den Jungen daraufhin eigenmächtig in ein evangelisches Alumnat, wogegen die Mutter wiederum Klage erhob. Die Böhmische Hofkanzlei erließ schließlich an die Beklagten ein mandatum de restituendo filii, das durch eine Militärexekution vollstreckt wurde. Dass diese Maßnahme „von einem Lieutenant und 58 Soldaten“ durchgeführt wurde, stieß beim Corpus Evangelicorum auf heftige Kritik, zumal die „Executions-Mannschafft“, wie man in Regensburg verlautbaren ließ, täglich „empfindlichste Excesse“ verübe, „so daß die Gebrüdere und Vettere von Zedtwitz bey längerer dessen Continuation ihres totalen Ruins gegenwärtig seyn müssen“.73
4. Religiöse Gewalt gegenüber Kindern – Ereignis und Erinnerung Eine prinzipielle Konfliktanfälligkeit von Vormundschaftskonflikten lässt sich während der Frühen Neuzeit in ganz Europa beobachten. Im östlichen Mitteleuropa, in den großen Herrschaftsbildungen zwischen Ostsee und Adria, war diese Konfliktanfälligkeit aber ganz offensichtlich mit einer ausgeprägten Gewaltträchtigkeit verbunden. Die Gründe für die lange Dauer des Disputs um Vormundschafts- und Erziehungsfragen und der beinahe ununterbrochene Streit um Waisen vom 16. bis zum späten 18. Jahrhundert hängen ganz offensichtlich mit Problemen der Staats- und Nationsbildung, der Souveränität und der Staatsräson in dieser Geschichtsregion zusammen. �� Roderfeld: Rechtsprobleme der religiösen Kindererziehung, 61f.; Schmidt, Karl: Die Confession der Kinder nach den Landesrechten im deutschen Reiche. Freiburg i.B. 1890, 39f. In der zeitgenössischen Publizistik und Rechtslehre schlug der Fall hohe Wellen. Vgl. exemplarisch Moser, Johann Jacob: Überzeugend- und unwiderleglicher Beweis, daß die Cron Böhmen auf die LandesHoheit des von derselben zu Lehen gehenden Gerichtes Asch weder in Possessorio noch Petitorio die allergeringste Ansprache zu machen berechtiget, Hingegen aber derer Herrn von Zedtwitz, als Besitzere ermelten Gerichts, So wohl persönliche, als auch reale Reichs-Unmittelkeit in Possessorio et Petitorio unwidersprechlich auf das vollkommenste gegründet seye. O.O. 1746; Europäische Staats-Cantzley 97, 1750, 518–540; Pütter, Johann Stephan: Unpartheyisches rechtliches Bedenken über die zwischen der Krone Böhmen und den Herren von Zedtwitz wegen Mittelbarkeit oder Unmittelbarkeit der Herrschaft Asch obwaltende Streitigkeit. Göttingen 1772, 111–114; Schreiben An Ihro Röm. Kayserl. Majestät Vom Corpore Evangelicorum Unterm 25. Octobris 1747. Derer von Zedtwitz zu Asch & c. jetziger besonderer Umstände halber sambt Beylagen [...] abgelassen. Regenspurg 1747.
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Über religiöse Gewalt, die in Ostmitteleuropa gegenüber evangelischen Kindern ausgeübt wurde, erhielten die Menschen in den west- und mitteleuropäischen Staaten eine Vielzahl von Informationen und Nachrichten. Öffentlichkeit war während der Frühen Neuzeit eine wirksame Waffe, um gegen die repressive Religionspolitik der katholischen Regierungen die Stimme zu erheben. Allerdings nutzten die evangelischen Höfe solche Publikationen auch, um eigene machtpolitische Interessen zu verfolgen und sich als Schutzmächte auswärtiger Glaubensbrüder zu inszenieren. Das Buch, das der Niederländer Abraham van Poot 1684 in Amsterdam über die Verfolgungen der Protestanten in Ungarn veröffentlichte, erlangte vor allem wegen seiner zahlreichen Kupferstiche große Bekanntheit.
In den ständisch geprägten Monarchien des östlichen Europa, die religiös, sprachlich und kulturell eine große Vielfalt aufwiesen, waren die Herstellung eines geschlossenen Flächenstaats – eines territorium clausum in der Gedankenwelt der zeitgenössischen Theoretiker –, die Schaffung eines einheitlichen Untertanenverbandes und die Durchsetzung der kontrollierenden und gestaltenden Kraft der fürstlichen Macht schwerer als andernorts. Deutlich länger als in den west- und mitteleuropäischen Staaten, wo nach Ende des Dreißigjährigen Krieges eine spürbare Entkonfessionalisierung einsetzte, blieb Religion (in diesem Fall das katholische Bekenntnis) in Polen-Litauen, den böhmischen, ungarischen und österreichischen Ländern ein zentraler Integrationsfaktor für die einzelnen Gesellschaften, mit allen Konsequenzen für die andersgläubigen Teile der Bevölkerung. Religio vinculum societatis: die Einheit des Glaubens als eine wesentliche und unverzichtbare Voraussetzung für politische und gesellschaftliche Stabilität – diese Maxime hatte im östlichen Europa zwangsläufig länger Bestand. Entsprechend war in der Logik der katholischen Spätkonfessionalisierung die Pupillengesetzgebung nicht irrational oder willkürlich, ebenso wenig wie die Gesetzgebung,
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die konfessionelle Migrationswellen oder die Verbrennung protestantischer Bücher nach sich zog. Da religiöser Dissens mit tatsächlicher oder zumindest potentieller Illoyalität gleichgesetzt wurde, rechtfertigte das Ziel religiöser Einheit zugleich Strafe und Zwang. Eine rigide und in zahlreichen Fällen auch repressive Pupillengesetzgebung wurde freilich außerhalb der ostmitteleuropäischen Monarchien mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. Namentlich die evangelischen Reichsstände im Heiligen Römischen Reich waren über die konfessionspolitischen Verhältnisse in Ostmitteleuropa seit der Mitte des 17. Jahrhunderts bestens informiert. Viele Nachrichten erhielt man durch protestantische Glaubensflüchtlinge aus den östlichen Nachbarterritorien. Die Konfessionsmigranten verfolgten allerdings – ebenso wie die sie aufnehmenden Länder – in der Berichterstattung über ihre Schicksale durchaus Eigeninteressen. Da alle Mündelstreitigkeiten und Vormundschaftskonflikte die größte Publizität und öffentliche Aufmerksamkeit im Zuge der konfessionell motivierten Migrationsbewegungen fanden, waren sie von vornherein Gegenstand einer breiteren, die zwischenstaatlichen Beziehungen betreffenden machtpolitischen Auseinandersetzung. Entsprechende Konfliktfälle waren besonders gut geeignet, Menschen anzusprechen, Emotionen zu schüren und das Vorgehen der katholischen Staaten im östlichen Europa zum Skandal zu erklären. In der Mehrzahl aller Fälle, in denen zeitgenössische Berichte über religiöse Gewalt mit Migration, Vertreibung und Zwang verbunden waren, sind Überhöhung und Idealisierung, Skandalisierung und Übertreibung sowie gezielte, eine säkular motivierte Inszenierung und Instrumentalisierung kaum voneinander zu trennen. Öffentlichkeit war in solchen Fällen eine weitaus wirksamere Waffe als eine politische Intervention oder ein juristisches Vorgehen, zu dessen Inangriffnahme in der Frühen Neuzeit ohnehin die Voraussetzungen fehlten. Trotz der bis weit in das 18. Jahrhundert hinein anhaltenden Berichte über religiöse Gewalt gegenüber Kindern in den ostmitteleuropäischen Staaten lassen sich im Jahrhundert der Aufklärung parallel Entwicklungen beobachten, die auf eine Konfliktentschärfung von Mündelstreitigkeiten und Vormundschaftskonflikten abzielten. Zur Gewaltprävention trug in diesem Zusammenhang vor allem ein neuartiges Ehe-, Familien- und Waisenrecht bei, das sich von früheren Regelungen spürbar unterschied. Im Vordergrund standen nun eine deutlich weiter gefasste Sozialfürsorge und das eigentliche Wohl des Kindes, nicht mehr wie in der Vergangenheit ordnungs- und polizeirechtliche Interessen des Staates sowie konfessionspolitische Interessen. Der Zusammenhang dieser neuen Rechtsauffassung mit zeitgenössischen Diskursen um religiöse Duldsamkeit und den Erlass staatlicher Toleranzedikte ist offensichtlich.
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Calvinismus, kulturelle Prägungen und ständische Freiheitsbewegungen in Böhmen und Ungarn (1570–1620) 1. Formen transnationaler Konfessionssolidarität um 1600 Seit dem 10. Dezember 1604 unterrichtete der aus dem Vogtland stammende Gelehrte Caspar Dornau (Dornavius) seinen Züricher Freund Caspar Waser in regelmäßigen Abständen über die sich überschlagenden Ereignisse in Ungarn, wo die Auseinandersetzung zwischen Landesherrschaft und Ständeopposition wenige Wochen zuvor zu einem bewaffneten Aufstand unter der Führung des siebenbürgischen Adeligen István Bocskai eskaliert war. Die Verantwortung für das Blutvergießen in Ungarn lag für Dornau zweifelsohne bei den katholischen Scharfmachern des Wiener Hofes und deren politischkonfessioneller Speerspitze, den Jesuiten; der auf seine alten Freiheitsrechte pochende Adel dagegen habe lediglich „im Schoß der reformierten Kirche Zuflucht“ gesucht.1 Auch in späteren Briefen und Traktaten trat Dornau, ein in vielen Zügen schillernder Intellektueller, der trotz seines im Geist der Irenik stehenden Denkens und Wirkens deutlich zum Calvinismus neigte, als Anwalt der Ständerechte und Religionsfreiheit in Böhmen und Ungarn auf. Dies belegt sowohl seine staatspolitische Schrift Menenius Agrippa ‒ sie erschien 1615 im Wechel-Verlag, einer hugenottischen Exulantendruckerei, die in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts zu einer wichtigen Schaltstelle im Kommunikationsnetz des internationalen Calvinismus avancierte2 ‒ als auch eine unter dem Pseudonym Adrianus Varposcus erschienene Gedenkschrift auf die am 21. Juni 1621 in Prag hingerichteten Aufständischen, in der Ferdinand II. als „Tyrann“, „Schlächter“ und „Antichrist“ bezeichnet wurde.3 Dornaus letzter, im Zusammenhang mit den Ereignissen in Ungarn an Waser gerichteter Brief vom 14. April 1606 galt den Modalitäten des Wiener Friedens, der Vertreter der ungarischen und der böhmischen Stände in
1 Seidel, Robert: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk. Tübingen 1994 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 20), 110f. 2 Evans, R[obert] J. W.: The Wechel Presses: Humanism and Calvinism in Central Europe 1572– 1627. Oxford 1975 (Past and Present. Suppl. 2), 71. 3 Seidel: Späthumanismus, 129–141, 386–393. Zur politischen und ideengeschichtlichen Entwicklung Böhmens und Ungarns zwischen 1570 und 1620 vgl. Evans, R[obert] J. W.: The Making of the Habsburg Monarchy, 1550–1700. An Interpretation. Oxford 1979; ders.: Rudolf II and his World: A Study in Intellectual History, 1576–1612. Oxford 21984 [11973].
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der österreichischen Hauptstadt zusammenführte.4 Dornau erkannte deutlich die Notwendigkeit, auf evangelischer Seite ein theologisches und politisches Aktionsprogramm zu entwickeln, um der sich formierenden Gegenreformation Halt zu gebieten.5 Sein Appell an die ständische Solidarität war freilich zugleich eine Mahnung zu Frieden und Eintracht der Christenheit. Der Warnung vor einer streng konfessionalisierten, ohne Rücksicht auf gemeinsame Interessenfelder geführten Außenpolitik verlieh er 1615 in einer Bearbeitung von Georg Fabricius’ historischer Abhandlung De incrementis dominatus Turcici, die er bis zum Waffenstillstand von Zsitvatorok weitergeführt hatte, abermals Nachdruck. Der ausgedehnte Schriftwechsel Dornaus, der seit seinen Studienreisen durch die Schweiz, Frankreich und die Niederlande weitreichende Kontakte zu den Zentren des westeuropäischen Reformiertentums besaß und gleichzeitig enge Beziehungen zu ostmitteleuropäischen Adelskreisen pflegte, verdeutlicht exemplarisch die neuen Kommunikationslinien, die sich seit dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts unter den protestantischen Glaubensbrüdern zwischen Ost und West zu festigen begannen.6 Anders als in den ungarischen und böhmischen Ländern, wo sich erst um 1600 eine Gewichtsverlagerung zugunsten des katholischen Lagers abzeichnete, war der tridentinisch erneuerte Katholizismus im Westen Europas und im römisch-deutschen Reich früher zur Offensive übergegangen. Als Reaktion auf den von den spanischen und österreichischen Habsburgern geführten ,gegenreformatorischen Internationalismus‘ formierte sich ein ,protestantischer Internationalismus‘, der von den calvinistischen Vormächten, den nördlichen Niederlanden und den Pfälzern, angeführt wurde. Zwischen 1570 und 1620 verfestigte sich diese dualistische Struktur der europäischen Mächtekonstellation besonders im Nordwesten des Kontinents, an der am heftigsten umkämpften Trennlinie der beiden Konfessionssysteme.7 4 Borovička, Josef: Čeští poslové do Uher roku 1606 (České přípravy k ratifikaci Vídeňského míru). In: K dějinám československým v období humanismu. Sbornik praci věnovaných Janu Bedřichu Novákovi k šedesátým narozeninám. Praha 1932, 407–418. 5 „Dies XXIII Aprilis Posonii dictus est solennibus Ungarorum comitiis: in quibus de tota pace, inter Potzskaiam [Bocskai] et Turcarum Principem ferienda, agatur, atque utinam transigatur. Delecti sunt, qui ex Silesia, Moravia, Bohemia eo abeant Barones nonnulli, Nobiles ac Doctores: uti in caussa communi consilia sua interponant: quae ut spiritu bono gubernentur, atque in Ecclesiae et Reipub. pacem redundent, Deum pacis invocemus.“ Dornau an Johann Jakob Grynaeus, 14. April 1606. Zit. nach Seidel: Späthumanismus, 114f. Anm 23. 6 Bahlcke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3), 282–300. 7 Schilling, Heinz: Konfessionalisierung und Formierung eines internationalen Systems während der frühen Neuzeit. In: Guggisberg, Hans R./Krodel, Gottfried G. (Hg.): Die Reformation in Deutschland und Europa. Interpretationen und Debatten. Gütersloh 1993 (Archiv für Reformationsgeschichte. Sonderbd.), 591–613.
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Im westeuropäischen Reformiertentum, das durch die Bartholomäusnacht von 1572 entscheidend politisiert und solidarisiert worden war, hatte eine in der Pamphletistik und Flugschriftenpropaganda greifbare prophetisch-eschatologische Deutung des Staatensystems das Bewusstsein einer internationalen Schicksalsgemeinschaft außerordentlich verstärkt.8 Im östlichen Mitteleuropa lässt sich eine entsprechende transnationale Konfessionssolidarität erst an der Wende zum 17. Jahrhundert beobachten. Sie fällt zeitlich mit dem Bocskai-Aufstand zusammen, der in Ungarn und Böhmen zum ersten Mal den Ruf nach einem überregional organisierten Widerstand laut werden ließ, und wirft damit die Fragen nach dem grundsätzlichen Zusammenhang und den Wechselwirkungen von reformiertem Bekenntnis und ständischer Freiheitsbewegung auf. Es soll daher im Folgenden mit Blick auf die längerfristigen geistig-gesellschaftlichen Wirkungszusammenhänge und die konkreten ständischen Formierungsphasen in Böhmen und Ungarn überprüft werden, ob und inwieweit sich die beiden Ländergruppen in einen „Generalstab des politischen Calvinismus“ einfügten,9 dessen Existenz sich, ausgehend von der Präsenz der Pfälzer im westlichen wie im östlichen Mitteleuropa, trotz aller Skepsis über den Grad der realpolitischen Geschlossenheit der einzelnen reformierten Mächte gelegentlich geradezu aufdrängt.10
2. Calvinistische Einflüsse: Rechtslage, Zentren und Gruppenbildungen Die Verbreitung calvinistischer Lehren wies in den ungarischen und den böhmischen Ländern nahezu gegensätzliche Züge auf.11 Während sich die 8 Ders.: Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte. In: Krüger, Peter (Hg.): Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems. Marburg 1991 (Marburger Studien zur neueren Geschichte 1), 19–46; Sutherland, Nicola: The Massacre of St Bartholomew and the European Conflict 1559–1572. London 1973; Mieck, Ilja: Die Bartholomäusnacht als Forschungsproblem. In: Historische Zeitschrift 216, 1973, 73–110. Zum Widerhall der Bartholomäusnacht in Böhmen vgl. Dostál, Josef: Ohlas Bartolomějské noci na dvoře Maxmiliána II. In: Český časopis historický 37, 1931, 335–349. 9 Schelven, A[art] A. van: Het Calvinisme gedurende zijn bloeitijd. Zijn uitbreiding en cultuurhistorische betekenis, Bd. 3: Polen ‒ Bohemen ‒ Hongarije en Zevenburgen. Amsterdam 1965. Ungleich bekannter als dieses materialreiche Werk ist eine kleine Studie, die an prominenter Stelle auf Deutsch publiziert wurde. Vgl. ders.: Der Generalstab des politischen Calvinismus in Zentraleuropa zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges. In: Archiv für Reformationsgeschichte 36, 1939, 117–141. 10 Clasen, Claus-Peter: The Palatinate in European History 1559–1660. Oxford 1963. Als regionale Fallstudien vgl. Bahlcke, Joachim: Falcko-české království (Motivy a působení zahraničněpolitické orientace Falce od české královské volby po ulmskou smlouvu 1619–1620). In: Časopis Matice moravské 111, 1992, 227–251; Eickels, Christine van: Schlesien im böhmischen Ständestaat. Voraussetzungen und Verlauf der böhmischen Revolution von 1618 in Schlesien. Köln/Weimar/Wien 1994 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 2), 228–400. 11 Eberhard, Winfried: Reformation und Counterreformation in East Central Europe. In: Brady, Thomas A. jr./Oberman, Heiko A./Tracy, James D. (Hg.): Handbook of European History 1400–
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reformierte Kirche im geteilten Ungarn seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zu einer Art magyarischer Nationalkirche entwickelte, beschränkte sich ihr Einfluss in Böhmen und Mähren gänzlich auf die Brüderunität, eine kleine, aus dem Hussitismus erwachsene Glaubensgemeinschaft mit straffer, selbständiger Kirchenverfassung sowie unabhängigen Kontroll- und Gerichtsorganen, die ihren Weg radikaler als der Utraquismus gegen Rom eingeschlagen hatte. Sie stand bis 1609 außerhalb des Schutzes der Landesgesetze.12 Die zunehmende Calvinisierung insbesondere des Brüderadels, die sich seit dem Sieg der Gnesiolutheraner in den innerprotestantischen Lehrstreitigkeiten Anfang der 1570er Jahre beobachten lässt, führte bis 1602 mehrfach zur Erneuerung früherer antibrüderischer Mandate. Die Reformierten betrachteten die Unität ohnehin als zu ihnen gehörig. Sie hatten die lateinische Konfession der Brüder ohne deren Wissen 1581 in ihre Sammlung symbolischer Bücher aufgenommen. Seit 1558 besaß die Brüderunität im mährischen Eibenschitz eine hochangesehene Schule, vornehmlich zur Priesterausbildung, deren erster Rektor der Wittenberger Gräzist Esrom Rüdinger wurde.13 In der unitätseigenen, 1578 nach Kralitz verlegten Druckerei wurde unter Heranziehung calvinistischer Literatur die sechsteilige Kralitzer Bibel in tschechischer Sprache gedruckt.14 Ein ähnlicher Einfluss reformierter Ideen auf die Brüderunität zeigte sich in der Übersetzung des Neuen Testaments durch Senior Jan Blahoslav.15 Doch schon die kurz vor Blahoslavs Tod 1571 neugewählten Senioren Jan Kálef für Böhmen und Ondřej Štefan für Mähren bewiesen, dass es auch starke innere Widerstände gegen die Calvinisierung und Politisierung der Brüderunität und Forderungen zu einer Rückkehr auf deren früheren apolitischen Weg gab. Durch die Confessio Bohemica des Jahres 1575, an deren Ausarbeitung die Brüder vor allem durch den zum reformierten Bekenntnis neigenden Priester Jiří Strejc mitgewirkt hatten, gewann die Brüderunität in Böhmen spürbar an 1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, Bd. 2. Leiden/New York/Köln 1995, 551– 584; Kłoczowski, Jerzy: Ostmitteleuropa: Böhmen, Ungarn und Polen. In: Venard, Marc (Hg.): Die Geschichte des Christentums. Religion – Politik – Kultur, Bd. 8: Die Zeit der Konfessionen (1530–1620/30). Freiburg/Basel/Wien 1992, 618–661, hier 628f. 12 Molnár, Amedeo: Die Böhmische Brüderunität. Abriß ihrer Geschichte. In: Buijtenen, Mari P. van/Dekker, Cornelis/Leeuwenberg, Huib (Hg.): Unitas Fratrum. Herrnhuter Studien/Moravian Studies. Utrecht 1975, 15–34; Machilek, Franz: Böhmische Brüder. In: Theologische Realenzyklopädie 7, 1981, 1–8. 13 Cvrček, Josef: Bratrská škola v Ivančicich (Doplněk k dějinám školským na Moravě). In: Časopis Matice moravské 31, 1907, 193–293, 313–325; Odložilík, Otakar: Die Wittenberger Philippisten und die Brüderunität. In: Steinitz, W[olfgang] (Hg.): Ost und West in der Geschichte des Denkens und der kulturellen Beziehungen. Festschrift für Eduard Winter zum 70. Geburtstag. Berlin 1966 (Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas 15), 106–118. 14 Daňková, Mirjam: Bratrské tisky ivančické a kralické (1564–1619). Praha 1951. 15 Hrejsa, Ferdinand: Náboženské stanovisko B. Jana Blahoslava. In: Novotný, Václav/Urbánek, Rudolf (Hg.): Sborník Blahoslavův (1523–1923). Přerov 1923, 50–120, hier 59–63, 89–99.
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Der aus Mähren gebürtige Jiří Strejc, der 1575 im Auftrag der Böhmischen Brüder an der Ausarbeitung der Confessio Bohemica beteiligt war, vertrat innerhalb der Unität die zum Reformiertentum neigende Richtung. In den 1580er und 1590er Jahren übersetzte er den Genfer Psalter und Calvins Institutio Christianae religionis ins Tschechische. Die 1587 in Kralitz erschienene Übersetzung der Psalmdichtungen wurde in den nachfolgenden drei Jahrzehnten mehr als ein Dutzend mal neu aufgelegt; die Abbildung zeigt das Titelblatt der Ausgabe Prag 1618.
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politischem Gewicht. Allerdings bewirkte der zunächst gescheiterte Versuch, die romfernen Bekenntnisse zusammenzuschließen, auch eine schärfere innere Konturierung der Unität. In Böhmen wandten sich die Brüder in der Folgezeit stärker dem lutherisch orientierten Utraquismus zu, um auf diese Weise die volle Religionsfreiheit zu erlangen, die ihnen dann 1609 durch einen königlichen Majestätsbrief auch gewährt wurde; in Mähren dagegen blieben die Brüder, die sich hier einer rechtlich zwar nicht abgesicherten, faktisch aber anerkannten Bekenntnisfreiheit erfreuten, ihrer stärker helvetischen Ausrichtung treu.16 Zahlreiche Priester und Diakone bekannten sich auf den Synoden zu Leipnik (1591, 1592), Prerau (1594) und Žeravice (1595) öffentlich zum Calvinismus. In Prerau wurde 1594 mit Jan Němčanský ein Senior gewählt, der sich klar für eine Öffnung der Brüderunität zur helvetischen Kirche einsetzte. Ein Jahrzehnt später wurde auf der Synode zu Žeravice die Abendmahlsfrage ganz im calvinistischen Sinn interpretiert.17 In Böhmen wurde die reformierte Strömung innerhalb der Brüderunität, besonders nach 1609, immer stärker von eingewanderten Calvinisten aus der Kurpfalz getragen, die sich häufig zugleich als Scharfmacher der ständischen Opposition erwiesen. Die im Hauptland der Wenzelskrone ohnehin gegen die Brüder gerichtete Atmosphäre hatte sich nach dem Übertritt des Peter Wok von Rosenberg zur Brüderunität 1582 noch verstärkt. Selbst ein so mächtiger Adeliger wie der südböhmische Magnat hielt es 1609 nicht für opportun, den eigenen Namen unter eine in seinem Auftrag ins Tschechische übersetzte Streitschrift des Heidelberger Theologen Bartholomaeus Pitiscus zu setzen, die zu einer Einigung aller protestantischen Bekenntnisse und zur Solidarität mit den Reformierten aufrief.18 Eine spezifische Stellung innerhalb der böhmischen Ländergruppe nahm das territorial zerklüftete, mehrheitlich lutherische Schlesien ein,19 wo sich eine kleine, mit polnischen Glaubensbrüdern in Verbindung stehende reformierte Gemeinde hauptsächlich aus Ärzten und Theologen zusammengefunden hatte. Angesichts der konfessionellen Spannungen mit den schlesischen Lutheranern entschlossen sich die führenden Köpfe dieser Gruppe zur 16 Hrubý, František: Luterství a kalvinismus na Moravě před Bílou horou. In: Český časopis historický 40, 1934, 265–309; 41, 1935, 1–40, 237–268; Hrejsa, Ferdinand: Luterství, kalvinismus a podobojí na Moravě před Bílou horou. In: Český časopis historický 44, 1938, 296–326, 474–485. 17 Kameníček, František: Zemské sněmy a sjezdy moravské. Jejich složení, obor působnosti a význam. Od nastoupení na trůn krále Ferdinanda I. až po vydání obnoveného zřízení zemského (1526– 1628), Bd. 1–3. Brno 1900–1905, hier Bd. 3, 437–448. 18 Pánek, Jaroslav: Poslední Rožmberkové. Velmoži české renesance. Praha 1992, 214f., 325; Bartoš, František M.: Výzva falcké církve k náboženskému míru v Čechách z r. 1609. In: Český bratr 20, 1944, 28–30; Rejchrt, Luděk: Bratrští studenti na reformovaných akademiích před Bílou horou. In: Acta Universitatis Carolinae – Historia Universitatis Carolinae Pragensis 13, 1973, 43– 82, hier 53. 19 Bahlcke, Joachim: Das Herzogtum Schlesien im politischen System der Böhmischen Krone. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 44, 1995, 27–55.
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Auswanderung. Sie fanden sich nahezu geschlossen im pfälzischen Staatsund Kirchendienst wieder, wo sie zwischen 1570 und 1620 als Hofprediger, Mitglieder der Kirchenbehörde und Universitätslehrer führende Positionen einnahmen und aktiv an der Formierung eines gegen Habsburg gerichteten Machtblocks im östlichen Mitteleuropa beteiligt waren.20 Wie konkret diese schlesisch-pfälzische Gruppe den politischen Calvinismus in der böhmischen Ländergruppe beförderte, zeigt die rasche Profilierung des im Herbst 1614 gegründeten Schönaichianum in Beuthen an der Oder, einer mit reformierten Gelehrten hochkarätig besetzten Akademie, die, ähnlich wie die Goldberger Schule und die Altdorfer Akademie, zahlreiche Anhänger der Brüderunität aus Böhmen und Mähren anzog.21 Während sich damit in den böhmischen Ländern der calvinistische Einfluss bis 1600 nahezu gänzlich auf die kleine Gemeinschaft der Böhmischen Brüder beschränkte, bekannte sich in Ungarn an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert mehr als die Hälfte der zu 85 bis 90 Prozent protestantischen Bevölkerung zum helvetischen Bekenntnis.22 Hatte sich östlich der Theiß bis nach Siebenbürgen und im türkisch besetzten Teil Mittel- und Südungarns das Reformiertentum bald nach 1550 dauerhaft etablieren können, so stieß seine Konsolidierung im königlichen Westungarn bis in die 1590er Jahre auf den zum Teil zähen Widerstand des Wiener Hofes, der römisch-katholischen Kirche sowie einiger mächtiger, an der lutherischen Richtung festhaltender Adelsfamilien. Entsprechend hatten zuerst der Landstreifen östlich der Theiß und Siebenbürgen, aufbauend auf den von Péter Melius Juhász entworfenen Gemeindeaufbau,23 eine einheitliche kirchliche Organisation erhalten, die durch die Bildung der beiden reformierten Kirchendistrikte Transdanubien und Šamorín in West- und Oberungarn Anfang der 1590er Jahre weitgehend 20 Bellardi, Werner: Schlesien und die Kurpfalz. Der Beitrag vertriebener schlesischer Theologen zur „reformierten“ Theologie und Bekenntnisbildung (1561–1576). In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 51, 1972, 48–66; Hecht, Gustav: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 42, 1929, 176–222. 21 Wollgast, Siegfried: Zum Schönaichianum in Beuthen an der Oder. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 35, 1995, 63–103; Bauch, Gustav: Valentin Trozendorf und die Goldberger Schule. Berlin 1921 (Monumenta Germaniae Paedagogica 57), 247–336; Kunstmann, Heinrich: Die Nürnberger Universität Altdorf und Böhmen. Beiträge zur Erforschung der Ostbeziehungen deutscher Universitäten. Köln/Graz 1963, 1–139. 22 Evans, R[obert] J. W.: Calvinism in East Central Europe: Hungary and Her Neighbours, 1540– 1700. In: Prestwich, Menna (Hg.): International Calvinism, 1541–1715. Oxford 1985, 167–196, 174; Bucsay, Mihály: Der Protestantismus in Ungarn 1521–1978. Ungarns Reformationskirchen in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1: Im Zeitalter der Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform. Wien/Köln/Graz 1977 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte I/3/1), 99f., 104–131. 23 Unghváry, Alexander Sándor: Péter Somogyi Juhász (Melius), his Importance in the History of the Hungarian Reformed Church 1536–1572. In: ders.: The Hungarian Protestant Reformation in the Sixteenth Century under the Ottoman Impact. Essays and Profiles. Lewiston u.a. 1989, 275–313, hier 283–290.
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abgeschlossen wurde.24 Die Tatsache, dass sich die Konfessionsbildung an sprachlichen und ethnischen Grenzen orientierte, begünstigte die spätere Solidarisierung und Politisierung des ungarischen Calvinismus: Es waren vor allem der magyarische Adel und die Bewohner der rund 800 Kleinstädte und Marktflecken, die sich der reformierten Kirche zuwandten, während die Deutschen in Westungarn in den oberungarischen Bergstädten, in den deutschen Kolonien der Zips und in Siebenbürgen mehrheitlich am strengen Luthertum festhielten.25 Bedeutsam für die ständische Oppositionsbildung in Ungarn nach 1600 war die politische und konfessionelle Situation des seit 1541 selbständigen, im Innern weitgehend autonomen Fürstentums Siebenbürgen. Hier fanden vier Glaubensgemeinschaften, die katholische, lutherische, reformierte und unitarische Kirche, grundsätzliche Gleichberechtigung und gesetzliche Anerkennung.26 Theologisch war der maßgebliche Vorstoß der Calvinisten von Debreczin ausgegangen, dem ,ungarischen Genf‘, wo nach dem Tod von Márton Sánta Kálmáncsehi 1557 der junge Melius und Gergely Szegedi auf die religiöse Entwicklung starken Einfluss ausübten. In Anschluss an die Synode von Straßburg am Mieresch, die in der Abendmahlsfrage eine Entscheidung herbeizuführen suchte, erkannte der Landtag von Thorenburg 1564 de facto die Existenz der reformierten Kirche an. Die folgenden Landtage von Hermannstadt 1566 und Thorenburg 1568 bestätigten diese Rechtslage erneut.27 Als der Jesuitendiplomat Antonio Possevino 1584 im Auftrag des Heiligen Stuhls Ungarn besuchte, fand er eigenen Angaben zufolge allein in Siebenbürgen rund 500 protestantische Prediger vor, davon jeweils ungefähr zweihundert reformierte und lutherische und hundert unitarische.28 Die in Europa beispiellose religiöse Freiheit und Toleranz waren auch eine Folge der weitgehenden Differenzierung und Autonomie der ständischen Gesellschaft, die später zum Rückgrat der Adelsopposition im königlichen Ungarn wurde.29 24 Révész, Imre: Magyar református egyháztörténet, Bd. 1. Derbrecen 1938, 142–146. 25 Daniel, David P.: Calvinism in Hungary: The Theological and Ecclesiastical Transition to the Reformed Faith. In: Pettegree, Andrew/Duke, Alastair/Lewis, Gillian (Hg.): Calvinism in Europe, 1540–1620. Oxford 1993, 205–230; Varsik, Branislav: Vznik a vývin slovenských Kalvínov na východnom Slovensku. In: Historický časopis 39, 1991, 129–148. 26 Roth, Erich: Die Reformation in Siebenbürgen. Ihr Verhältnis zu Wittenberg und der Schweiz, Bd. 1–2. Köln/Graz 1962–1964 (Siebenbürgisches Archiv 2, 4); Binder, Ludwig: Johannes Honterus und die Reformation im Süden Siebenbürgens mit besonderer Berücksichtigung der Schweizer und Wittenberger Einflüsse. In: Zwingliana 13, 1973, 645–687. 27 Binder, Ludwig: Grundlagen und Formen der Toleranz in Siebenbürgen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Köln/Wien 1976 (Siebenbürgisches Archiv 11), 66–88. 28 Adriányi, Gabriel: Die Ausbreitung der Reformation in Ungarn. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 5, 1973, 66–75, hier 70. 29 Depner, Maja: Das Fürstentum Siebenbürgen im Kampf gegen Habsburg. Untersuchungen über die Politik Siebenbürgens während des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart 1938 (Schriftenreihe der Stadt der Auslandsdeutschen 4), 27–94.
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3. Besonderheiten der kirchlichen Infrastruktur Die Überlegenheit und das intellektuelle Gewicht der protestantischen Kirchen in Ungarn zeigten sich naturgemäß auch in kultureller Hinsicht und im Schulbereich.30 Nachdem der Humanist Tamás Nádasdy 1536 in SárvárÚjsziget die erste Offizin ausschließlich im Dienst der Reformation gegründet hatte, schossen neue Druckereien förmlich aus dem Boden. Um 1600 standen 29 von 30 Druckereien im Dienst von Lutheranern und Reformierten. Von den mehr als 500 im 16. Jahrhundert auf Ungarisch publizierten Büchern waren rund neun Zehntel von Protestanten verfasst. 1565 wurde die wichtigste Rechtskodifikation des Landes, das Tripartitum opus iuris consuetudinarii inclyti regni Hungariae des Juristen und Politikers István Verbőczy, durch Balázs Weres erstmals in ungarischer Übersetzung in Debreczin herausgegeben.31 Schon für das Jahr 1568 heißt es in zeitgenössischen Quellen, dass die Werke Calvins in Ungarn geschätzt und eifrig gelesen würden; diese Hochachtung wird man auch für Calvins theologisches Hauptwerk, die Institutio Christianae religionis, annehmen dürfen, obwohl diese erst nach 1620, anders als in Böhmen, ins Ungarische übertragen wurde. Calvins Genfer Katechismus war bereits 1562 von Melius übersetzt worden.32 Den Katholiken gelang es erst 1577, in Tyrnau eine eigene Druckerei zu begründen. Nach den Worten des päpstlichen Nuntius gab es 1588 in Ungarn keine Bildungsstätte mehr, an der man katholische Theologie hätte studieren können. Der Großteil der Lateinschulen, die wegen des Fehlens einer eigenen Universität im Land hohe Autorität genossen, lag in Händen der Protestanten. Unter ihnen besaßen die reformierten Kollegien in Pápa, Sárospatak und vor allem in Debreczin – hier war 1560 auch die erste calvinistische Druckerei gegründet worden – bereits vor 1600 ein herausragendes Niveau.33 In Ungarn wie in Böhmen festigte sich über Studienkontakte die Bindung des protestantischen Lagers mit auswärtigen Glaubensbrüdern in Mittel- und
30 Révész, László: Die helvetische Reformation in Ungarn. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 4, 1972, 72–100, hier 87–89; Péter, Katalin: Die Reformation in Ungarn. In: Glatz, Ferenc (Hg.): European Intellectual Trends and Hungary. Budapest 1990, 39–51, hier 47–50; Glettler, Monika: Probleme und Aspekte der Reformation in Ungarn. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 10, 1979, 225–239. 31 Erdős, Károly: A kálvini reformáció hatása hazánkra. Debrecen 1909, 10–24. Zur Einführung in die Geschichte des Tripartitum vgl. Bak, Janos M.: Königtum und Stände in Ungarn im 14.–16. Jahrhundert. Wiesbaden 1973 (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 6), 74–79, 121–123. 32 Révész: Magyar református egyháztörténet, Bd. 1, 125. 33 Unghváry, Alexander Sándor: The Reformed College of Debrecen, Developed by Melius. In: ders.: The Hungarian Protestant Reformation, 315–322; Bucsay: Der Protestantismus in Ungarn, Bd. 1, 161–163, 216–222.
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Westeuropa. Diese Kontakte blieben nicht ohne Auswirkung auf Politik und Gesellschaft. Für Ferdinand II. lag es auf der Hand, wie er 1622 aus Ödenburg an den Olmützer Bischof schrieb, dass die „calvinistischen verführerischen Schulen“, auf denen „die Jugend schon im Anfang das Gift der Rebellion und Widersetzlichkeit gegen die ordentliche Obrigkeit“ eingesogen habe, ihren Anteil an den Ständeaufständen der letzten Jahre gehabt hatten.34 Insgesamt konnten allein aus Böhmen und Mähren im Zeitraum von 1503 bis 1622 mehr als 5.200 Immatrikulationen an auswärtigen Universitäten nachgewiesen werden. Eine Analyse der Matrikelverzeichnisse der reformierten Akademien in Basel, Genf und Heidelberg belegt, dass der Anteil böhmischer und mährischer Studenten nach 1570 kontinuierlich anstieg und im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, während der großen Erfolge der ständischen Konföderationsbewegung, seinen Höhepunkt erlebte.35 Obwohl die konfessionelle Ausrichtung einer Hochschule nicht das einzige Kriterium für die Wahl eines Studienortes war,36 lassen sich bestimmte Entwicklungen – etwa die allmähliche Hinwendung der Brüderunität zum Calvinismus – doch klar erkennen. Nur in Einzelfällen lässt sich der generelle Wirkungsmechanismus ,Bildung – Konfession – politisches Denken‘ freilich genauer dokumentieren: Die in Basel 1605 von Jaroslav Smiřický von Smiřice verfasste Dissertation De Consiliariis Florilegium Politicum, in der sich zahlreiche Anlehnungen an die Werke von Théodore de Bèze, François Hotman und Philippe Duplessis-Mornay, allesamt Klassiker des politischen Calvinismus, finden, erlaubt es beispielsweise, die Auffassungen junger Adeliger der Unität zu Fragen des legitimen Widerstands und der Staatsführung zu konkretisieren.37 Smiřický verteidigte seine Dissertation bei Amandus Polanus von Polansdorf, einem aus dem schlesisch-mährischen Grenzgebiet stammenden Theologen, der nach dem Tod des in Breslau gebürtigen Intellektuellen Johann Crato von Krafftheim 1585 für mehrere Jahrzehnte der wichtigste Ver-
34 Hrubý, František: Etudiants tchèques aux écoles protestantes de l’Europe occidentale à la fin du 16e et au début du 17e siècle. Documents. Hg. v. Libuše Urbánková-Hrubá. Brno 1970 (Spisy University J. E. Purkyně v Brně 152), 309f. 35 Rejchrt: Bratrští studenti, 43–82; Pešek, Jiří/Šaman, David: Les étudiants de Bohême dans les universités et les académies d’Europe centrale et occidentale entre 1596 et 1620. In: Julia, Dominique/Revel, Jacques/Chartier, Roger (Hg.): Les Universités européennes du XVIe au XVIIIe siècle. Histoire sociale des populations étudiantes, Bd. 1: Bohême, Espagne, Etats italiens, Pays germaniques, Pologne, Provinces-Unies. Paris 1986, 89–111. 36 Kohler, Alfred: Bildung und Konfession. Zum Studium der Studenten aus den habsburgischen Ländern an Hochschulen im Reich (1560–1620). In: Klingenstein, Grete/Lutz, Heinrich/Stourzh, Gerald (Hg.): Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Wien 1978 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 5), 64–123. 37 Odložilík, Otakar: Poslední Smiřičtí. In: Od pravěku k dnešku. Sborník prací z dějin československých k šedesátým Josefa Pekaře, Bd. 2. Praha 1930, 70–87.
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mittler zwischen den Zentren des westeuropäischen Calvinismus und den böhmischen Ländern war.38 Für die protestantische Elite Ungarns war zunächst Wittenberg der geistiguniversitäre Mittelpunkt im Westen gewesen; für die Jahre zwischen 1526 und 1597 konnten hier bisher knapp 500 Studenten nachgewiesen werden. Mit den wachsenden dogmatischen Spannungen innerhalb des evangelischen Lagers und der verschärften Beobachtung kryptocalvinistischer Strömungen durch die landesfürstlichen Universitätsvisitatoren seit den 1570er Jahren kam es jedoch zu einem deutlichen Rückgang der Immatrikulationen, sowohl der Studenten aus Ungarn als auch der aus den böhmischen Ländern.39 Die ungarische Studentenorganisation in Wittenberg, der nach dem Vorbild der Krakauer Bursa Hungarorum gegründete Coetus Hungaricus, wurde 1592 wegen Verbreitung calvinistischer Lehren angeklagt; nach kurzzeitiger Neubelebung löste er sich 1613 endgültig auf.40 Vom Bedeutungsverlust Wittenbergs profitierte die seit Mitte der 1560er Jahre reformierte Hochschule Heidelberg, die rasch zum Mittelpunkt der ungarischen Calvinisten wurde. Zwischen 1595 und 1621 waren hier 175 ungarische und siebenbürgische Studenten immatrikuliert.41 Diese wurden besonders durch den Heidelberger Theologen David Pareus, der wie die Hofprediger Bartholomaeus Pitiscus und Abraham Scultetus aus Schlesien stammte, angezogen. Pareus unterhielt vielfältige Beziehungen nach Ungarn. Er intensivierte diese Kontakte mit dem Ziel, die in Ungarn vorhandenen Lehrunterschiede zwischen Luterhanern und Reformierten als geringfügig darzustellen und damit ‒ dies zeigen besonders der Briefwechsel mit dem Fürsten von Siebenbürgen, Gabriel Bethlen, seit 1616 und die drei Jahre später einsetzende Kooperation der Kurpfalz und Siebenbürgens ‒ eine politische Verbindung von protestantischen Territorien zu schaffen.42 Seit der
38 Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration, 274–308. 39 Szabó, András: Magyarok Wittenbergben, 1555–1592. In: Békési, Imre u.a. (Hg.): Régí és új peregrináció: Magyarok külföldön, külföldiek Magyarországon, Bd. 1–3. Budapest/Szeged 1993, hier Bd. 2, 626–638; Asztalos, Miklós: A wittenbergi egyetem és a magyarországí kálvinizmus. In: A Bécsi Magyar Történeti Intézet Évkönyve 1932, 81–94. 40 Szabó, Géza: Geschichte des ungarischen Coetus an der Universität Wittenberg 1555–1613. Theol. Diss. Halle/Saale 1941. 41 Heltai, János: A heidelbergi egyetemjárás 1595–1621. In: Békési u.a. (Hg.): Régí és új peregrináció, Bd. 2, 540–548; ders.: Adattár a heidelbergi egyetemen 1595–1621 között tanult magyarországi diákokról és pártfogóikról. In: Az Országos Széchenyi Könyvtár Évkönyve 1980, 243–347. 42 Ders.: David Pareus magyar kapcsolatai. In: Herner, János (Hg.): Tudóslevelek művelődésünk külföldi kapcsolataihoz 1577–1797. Szeged 1989, 13–76; Brinkmann, Günter: Die Irenik des David Pareus. Frieden und Einheit in ihrer Relevanz zur Wahrheitsfrage. Hildesheim 1972 (Studia Irenica 14); Benrath, Gustav Adolf: David Pareus. In: Neubach, Helmut/Petry, Ludwig (Hg.): Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Würzburg 1968 (Schlesische Lebensbilder 5), 13–23; Uray, Piroska: Az irénizmus Magyarországon a 16.–17. század fordulóján. In: Varjas, Béla (Hg.): Irodalom és ideológia a 16.–17. Században. Budapest 1987, 187–207.
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Thronbesteigung Bethlens 1613 kam es zu einem sprunghaften Zuwachs der in Heidelberg studierenden ungarischen Reformierten, zumal diese auf Anraten von Bethlens Hofprediger János Keserüi Dajka, einem ehemaligen Heidelberger Studenten, finanziell nicht unwesentlich unterstützt wurden.43 Im Gegensatz zum Westen Europas und auch zur benachbarten polnischlitauischen Adelsrepublik erwiesen sich das staatstheoretische Schrifttum und die politische Publizistik in Böhmen und Ungarn als vergleichsweise rückständig.44 Die Tatsache, dass um 1600 in beiden Ländergruppen in Flugblättern und Traktaten nahezu hysterisch vor den Gefahren des „Calvino-Turcismus“, einer Zusammenarbeit der reformierten Mächte mit den Osmanen, gewarnt wurde, führt eine der Ursachen für diese Entwicklungsdefizite vor Augen: Angesichts der permanenten äußeren Bedrohung durch die Türken, deren Abwehr ein funktionierendes Königtum unverzichtbar machte, war die Motivation für ständischen, auf eine Schmälerung dieser Herrschermacht abzielenden Widerstand das ganze 16. Jahrhundert über gering.45 Die jüngere Generation um 1600 jedoch, die auf westlichen Akademien mit theoretischen Schriften über Fragen von Vertragstheorien, Widerstandsrecht und Volkssouveränität konfrontiert worden war, gab diese Zurückhaltung allmählich auf. Sie war geradezu gezwungen, innerhalb der konfessionell-politischen Großlager, die sich seit 1570 immer schärfer herauskristallisierten, eine eigene Position zu beziehen. Der Umweg über die peregrinatio academica förderte Kontakte zwischen ungarischen und böhmischen Reformierten gerade in einer Phase, in der sich beide Ländergruppen auch politisch deutlich aufeinander zu bewegten.46 Die Korrespondenz zwischen den führenden Intellektuellen und Ständepolitikern Böhmens sowie Ungarns und Anhängern des westeuropäischen 43 Heltai, János: Alvinczi Péter és a heidelbergi peregrinusok. Budapest 1994, 42–49, 74–94, 155f. 44 Hrubeš, Jiří: Z dějin protestantského politického myšlení a jeho ohlasu v Čechách. In: Strahovská knihovna 5–6, 1970/71, 237–253; Pánek, Jaroslav: Republikánské tendence ve stavovských programech doby předbělohorské. In: Folia Historica Bohemica 8, 1985, 43–62; Odložilík, Otakar: Political Thought in Bohemia in the Early 17th Century. In: VIIe Congrès International des Sciences Historiques. Zürich 1938, Communications [...], Bd. 2. Paris 1938, 635–637; d’Eszlary, Charles: Jean Calvin, Théodore de Bèze et leurs amis hongrois. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme français 110, 1964, 74–99. 45 Hrubeš, Jiří: Politické a náboženské rozpory v Evropě v dobové publicistice 1590–1617. Praha 1974 (Acta Universitatis Carolinae – Philosophica et Historica. Monographia 52), 103; Mout, M. E. H. Nicolette: Calvinoturcisme in de zeventiende eeuw. Comenius, Leidse oriëntalisten en de Turkse bijbel. In: Tijdschrift voor Geschiedenis 91, 1978, 576–607, hier 582–589. 46 Pražák, Richard: Cesty uherských humanistů reformavaného vyznání do českých zemí v předvečer třicetileté války. In: Sborník prací filosofické fakulty brněnské univerzity C 29, 1982, 131–142; ders.: Szenci Molnár Albert Prágában. In: A Ráday Gyűjtemény Évkönyve 1981, 182– 187; Odložilík, Otakar: Jan Filiczki z Filic a jeho čeští přátelé. In: K dějinám československým, 431–442; Benda, Kálmán: Filiczki János levele 1605-böl. In: Acta historiae litterarum Hungaricarum 13, 1973, 83–90; Révész, Imre: Jegyzetek Méliusz Péter és a cseh-morva atyafiak levélváltásához. In: Theológiai Szemle 14, 1939, 35–40.
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Calvinismus gibt einen Einblick in jene späthumanistische Lebenswelt und die im Einzelnen nicht leicht aufzuspürenden Querverbindungen.47 Nur für wenige Intellektuelle wie den Basler Theologen und Schwiegervater des Polanus, Johann Jakob Grynaeus, der seit 1584 am Heidelberger Sapienzkollegium sowie als Erzieher des pfälzischen Kurfürsten tätig war und intensive Verbindungen in das östliche Mitteleuropa besaß,48 liegen Editionen für den Briefwechsel mit Böhmen und Ungarn vor, die einen direkten Vergleich erlauben.49 Diese Schriftwechsel sind über den gelehrten Disput hinaus Indizien einer eifrigen Reisediplomatie, die für das nichtstaatliche Personen- und Institutionengeflecht des internationalen Calvinismus als charakteristisch gelten darf. Im östlichen Mitteleuropa begegnen uns solche reformierten Reisediplomaten in dem Schlesier Polanus,50 in dem Mährer Jan Opsimathes, der die Söhne des Ulrich von Kaunitz in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts auf westeuropäische Universitäten begleitete,51 und in dem Ungarn Albert Szenczi Molnár, dem Lexikografen, Dichter und Übersetzer calvinistischer Literatur, der nach Aufenthalten in Heidelberg, Basel, Genf und Prag schließlich im reformierten Herborn und in Altdorf wirkte.52
47 Gillet, J[ohann] F[ranz] A[lbert]: Crato von Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte, Bd. 1–2. Frankfurt am Main 1860; Hrubý: Etudiants tchèques; Müldner, Josef: Jan Myllner z Milhauzu, Bd. 2 [mehr nicht erschienen]. Praha 1934. 48 Greyerz, Kaspar von: Basels kirchliche und konfessionelle Beziehungen zum Oberrhein im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. In: Bircher, Martin (Hg.): Schweizerisch-deutsche Beziehungen im konfessionellen Zeitalter. Beiträge zur Kulturgeschichte 1580–1650. Wiesbaden 1984 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 12), 227–252; Guggisberg, Hans R.: Reformierter Stadtstaat und Zentrum der Spätrenaissance. Basel in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In: Buck, August (Hg.): Renaissance – Reformation. Gegensätze und Gemeinsamkeiten. Wiesbaden 1984 (Wolfenbütteler Abhandlungen zur Renaissanceforschung 5), 197–216; Weiss, Fritz: Johann Jacob Grynaeus. In: Basler Biographien, Bd. 1. Basel 1900, 159–199. 49 Szabó, András (Hg.): Johann Jacob Grynaeus magyar kapcsolatai. Szeged 1989; Hrubý: Etudiants tchèques; Glücklich, Julius (Hg.): Václava Budovce z Budova korrespondence z let 1579– 1619. Praha 1908 (Historický archiv 30); ders.: Nová korrespondence Václava Budovce z Budova z let 1580–1616. Praha 1912 (Historický archiv 38); Brandl, Vincenc (Hg.): Spisy Karla staršího z Žerotína. Listové psani jazykem českym, Bd. 1–3. Brno 1870–1872; Rejchrtová, Noemi (Hg.): Karel starší ze Žerotína. Z korespondence. Praha 1982 (Živá díla minulosti 93). 50 Staehelin, Ernst: Amandus Polanus von Polansdorf. Basel 1955 (Studien zur Geschichte der Wissenschaften in Basel 1); ders.: Die Lehr- und Wanderjahre des Amandus Polanus von Polansdorf. In: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 44, 1945, 37–77; Sita, Karel: Amandus Polanus z Polansdorfu. Phil. Diss. Praha 1951; Hrubý, František: Kalvínský theolog a bouře opavská r. 1603. In: Český časopis historický 37, 1931, 593–601; Zukal, Josef: Polanové z Polansdorfu. Památná rodina opavská 16. věku. In: Časopis Matice moravské 51, 1927, 99–123. 51 Hrubant, Jaroslav G.: Památník Jana Opsimata z let 1598–1620. In: Časopis Matice moravské 40, 1916, 123–130; Odložilík, Otakar: Cesty z Čech a Moravy do Velké Británie v letech 1563– 1620. In: Časopis Matice moravské 59, 1935, 241–320. 52 Vásárhelyi, Judit: Eszmei áramlatok és politika Szenci Molnár Albert életművében. Budapest 1985; Csanda, Sándor/Keserű, Bálint (Hg.): Szenci Molnár Albert és a magyar késő-reneszánsz. Szeged 1972; Dézsi, Lajos (Hg.): Szenczi Molnár Albert naplója, levelezése és irományai. Budapest 1898.
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Der reformierte Adelige Gabriel Bethlen, von 1613 bis 1629 Fürst von Siebenbürgen und zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges Anführer eines antihabsburgischen Aufstands im Königlichen Ungarn, stand in enger Verbindung zur Kurpfalz. Zahlreiche Studenten aus Ungarn und Siebenbürgen, die sich in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts an der Universität Heidelberg eingeschrieben hatten, wurden von ihm finanziell unterstützt.
Die zahlreichen Berührungspunkte im weitverzweigten Netzwerk des internationalen Calvinismus lassen allerdings nur selten erkennen, wo politische Ideen, die auf Studienreisen gewonnen und über Schriftwechsel vertieft worden waren, die Grenzen der Theorie tatsächlich überschritten und sich auch in der politischen Praxis niederschlugen. Dass diese Beziehungen gleichwohl jederzeit politisierbar waren, zeigt die Kollektenreise von Charles Liffort während der Jahre 1592/93 in das östliche Mitteleuropa.53 Die im Auftrag von Théodore de Bèze organisierte Reise, die den bedrängten, im Krieg mit dem Herzog von Savoyen stehenden Stadtstaat Genf finanziell entlasten sollte, führte Liffort über Böhmen, Mähren und Schlesien bis nach Ungarn und Siebenbürgen. Der Personenkreis, der sich durch seine Aufenthalte, Empfehlungsschreiben und Spendeneinnahmen identifizieren lässt, hatte fast ausnahmslos in Westeuropa studiert und nahm unterdessen führende politische Ämter oder intellektuelle Funktionen in den ungarischen und böhmischen Ländern wahr. Abermals wird die Schlüsselstellung der schlesischen Reformierten für die Kommunikation zwischen Ost und West und die Ansätze einer politischen Frontbildung deutlich: Es war nicht zufällig der Breslauer Arzt und Humanist Jakob Monau (Monavius) – er besaß seit längerem 53 Bucsay, Mihály: Eine Hilfsaktion für Genf in Ost- und Südosteuropa im 16. Jahrhundert. Die Kollektenreise von Charles Liffort 1592–1593. In: Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 17, 1974, 163–179.
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enge Kontakte zum reformierten Lager in Oberungarn und Siebenbürgen54 –, der Liffort schließlich während der Frankfurter Buchmesse die zwischenzeitlich aufbewahrten Unterstützungsgelder aus den ostmitteleuropäischen Ländern übergab.
4. Der Kampf um religiöse und politische Freiheit In Böhmen und Ungarn war der Kampf um religiöse Selbstbestimmung im 16. Jahrhundert ebenso wie im Westen Europas mit innenpolitischen Auseinandersetzungen und einem Machtkonflikt zwischen Königtum und Adelsmacht verbunden.55 In beiden Ländergruppen verbreitete sich um 1600 unter den Ständen ein beklemmendes Gefühl der Unterdrückung von Landesfreiheiten, der Missachtung des konfessionellen Status quo und des Vordringens eines neuen, der bisherigen Ordnung entgegenstehenden Herrschaftsmodells. Die Spannungen eskalierten Anfang des 17. Jahrhunderts, als Rudolf II. im Schatten des ‚langen Türkenkriegs‘ nahezu zeitgleich in königlichen Städten Schlesiens und Oberungarns die Gegenreformation rigoros mit militärischer Macht durchzusetzen begann. Im Herbst 1604 griffen zuerst die ungarischen Stände zu den Waffen, um ihre Rechte gegen den Wiener Hof zu verteidigen.56 Obwohl die Ansätze zu einem überregional organisierten Widerstand scheiterten und alle Aufrufe zur Konfessionssolidarität verhallten, wurde der Aufstand doch, begünstigt durch die Krise der Landesherrschaft seit dem Wiener Frieden von 1606, zum Auslöser einer alle Länder der Habsburgermonarchie erfassenden ständischen Freiheitsbewegung.57 Diese Bewegung fand 1619/20 mit dem pfälzischen Königtum in Böhmen ihren Höhe- und Schlusspunkt zugleich. Es war ein gewagter und letztlich gescheiterter Versuch, die Herrschaft der Habsburger abzuschütteln und gleichzeitig eine Gewichtsverschiebung zugunsten des politischen Calvinismus zu erzwingen.
54 Szabó: Grynaeus magyar kapcsolatai, 26–29, 133–136; Hrubý: Etudiants tchèques; Gillet: Crato von Crafftheim, Bd. 1–2. 55 Makkai, László: A Habsburgok és a magyar rendiség a Bocskai-felkelés előestéjén. In: Történelmi Szemle 17, 1974, 155–182; Pánek, Jaroslav: Politický system předbělohorského českého státu. In: Folia Historica Bohemica 11, 1987, 41–101; Odložilík, Otakar: Education, Religion, and Politics in Bohemia, 1526–1621. In: Cahiers d’Histoire Mondiale 13/1, 1971, 172–203; MacHardy, Karin J.: The Rise of Absolutism and Noble Rebellion in Early Modern Habsburg Austria, 1570 to 1620. In: Comparative Studies in Society and History 34, 1992, 407–439. 56 Daniel, David P.: The Fifteen Years’ War and the Protestant Response to Habsburg Absolutism in Hungary. In: East Central Europe 8, 1981, 38–51. 57 Schramm, Gottfried: Armed Conflict in East-Central Europe: Protestant Noble Opposition and Catholic Royalist Factions, 1604–20. In: Evans, R[obert] J. W./Thomas, T[revor] V. (Hg.): Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. London 1991, 176–195.
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Der großformatige Holzschnitt von Johann Nel aus dem Jahr 1581 stellt eine Allegorie des von den Türken gemarterten Ungarn dar. Der an den Beinen gefesselten Hungaria in der Bildmitte hatte man die Arme abgeschnitten und Hunden zum Fraß vorgeworfen. Rettung könne, wie der Vormarsch der Soldaten und auch die lateinische Inschrift links zum Ausdruck bringen, allein aus dem Heiligen Römischen Reich kommen. Die Idee christlicher Solidarität wich allerdings schon bald der Sorge, die Reformierten in Ungarn und Siebenbürgen könnten sich aus taktischen Gründen zur Hohen Pforte orientieren. Katholische Propagandaschriften prägten den Begriff „Calvinoturcismus“, um den Protestanten eine Allianz mit dem als „Erbfeind der Christenheit“ dargestellten Osmanischen Reich zu unterstellen.
Die bündisch-genossenschaftlichen Formen der ständischen Freiheitsbewegung kamen in zahlreichen Konföderationen unter den einzelnen Ländern zum Ausdruck, die in ihrer Mehrheit ein positivrechtlich fixiertes Widerstandsrecht enthielten. Die auffallende Analogie zu dem Unionsgedanken der reformierten Theoretiker und zu deren säkularem Vertragsdenken legt die Frage nahe, ob und inwieweit sich in Böhmen und Ungarn im Zuge jener Konföderationsbewegung eine Belebung ständischen Widerstandsrechts aus calvinistischem Geist nachweisen lässt.58 Deutlich lässt sich ein solcher Zusammenhang im benachbarten Oberösterreich aufzeigen, wo Georg Erasmus Tschernembl im 58 Bahlcke, Joachim: Die Böhmische Krone zwischen staatsrechtlicher Integrität, monarchischer Union und ständischem Föderalismus. Politische Entwicklungslinien im böhmischen Länderverband vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. In: Fröschl, Thomas (Hg.): Föderationsmodelle und Unionsstrukturen. Über Staatenverbindungen in der frühen Neuzeit vom 15. zum 18. Jahrhundert. Wien/ München 1994 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 20), 83–103.
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Jahr 1600 unter dem Titel De resistentia subditorum adversus Principem legitima eine typische, der Lehre der Monarchomachen ähnelnde Widerstandsschrift publiziert hatte. In Tschernembls politischem Denken, das in Böhmen und Ungarn nicht unbekannt war, erschienen Unionen und Konföderationen als das brauchbarste Instrument gegen weltliche und päpstliche Tyrannei.59 Auch in Böhmen und Ungarn nahmen die Stände ein bestimmtes Widerstandsrecht für sich in Anspruch, das ihre Obstruktion nicht als Ursache, sondern als Folge interpretierte und damit in einen breiteren Legitimationszusammenhang stellte. Im politischen Denken der ungarischen und auch der mährischen Stände – diese hatten, zusammen mit den Ständen von Niederund Oberösterreich sowie Erzherzog Matthias, im Februar 1608 in Pressburg die erste länderübergreifende Konföderation geschlossen – zeigte sich das Bemühen, Fragen des Landes und der Landesfreiheiten über konfessionelle Belange zu stellen. Das religiöse Anliegen der evangelischen Stände trat erstmals in jener „Condition“ hervor, die die Konföderierten im Juni 1608 im Feldlager von Sterbohol nicht nur ohne Erzherzog Matthias, sondern sogar gegen diesen abschlossen. Danach sollte dem Habsburger nur dann gehuldigt werden, wenn er die unumschränkte Religionsfreiheit zulasse – so interpretierte man die Worte „qualemcunque ob causam justem et legitimam“ –, andernfalls sollte die Huldigung kompromisslos verweigert werden. Ein Jahr später, beinahe zeitgleich zur Konversion dreier schlesischer Herzöge zum reformierten Bekenntnis, schlossen die Stände Schlesiens und Böhmens ihrerseits ein Widerstandsbündnis. Notfalls „bis auf den letzten Blutstropfen“ wollten sie mit Gewalt gegen jeden vorgehen, der sie in ihrer Religion bedränge. Vom Bündnisfall ausgeschlossen war einzig der König „als von Gott vorgesetzte höchste Obrigkeit“.60 Der ersten Welle ständischer Konföderationen folgte nach dem Prager Fenstersturz eine zweite, deren Kernstück die Confoederatio Bohemica vom Juli 1619 darstellt. Die neue Verfassung wurde wenig später zum Vorbild für den Abschluss von Allianzen mit Nieder- und Oberösterreich Mitte August 1619 sowie mit den ungarischen Ständen und dem Fürsten von Siebenbürgen im Laufe des Jahres 1620.61 Welche politische Bedeutung dabei den späthu59 Sturmberger, Hans: Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns. Linz/Graz/Wien 1953 (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs 3), 90–107, 194f., 336–365. 60 Bahlcke, Joachim: Durch „starke Konföderation wohl stabiliert“. Ständische Defension und politisches Denken in der habsburgischen Ländergruppe am Anfang des 17. Jahrhunderts. In: Winkelbauer, Thomas (Hg.): Kontakte und Konflikte. Böhmen, Mähren und Österreich: Aspekte eines Jahrtausends gemeinsamer Geschichte. Horn/Waidhofen an der Thaya 1993 (Schriftenreihe des Waldviertler Heimatbundes 36), 173–186; ders.: Konföderation und Widerstand. Die politischen Beziehungen der böhmischen und mährischen Ständegemeinde vom Bruderzwist bis zum Aufstand gegen Habsburg (1608–1619). In: Folia Historica Bohemica 13, 1990, 235–288. 61 Krivošik, Štefan: Príspevok k dejinám stavovskej konfederácie českých a uhorských stavov z r. 1620. In: Právnické štúdie 7, 1959, 147–187; Wittmann, Tibor: A nemzeti monarchia megteremté-
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manistischen Intellektuellen zukam, verdeutlicht der eingangs zitierte Caspar Dornau, der im Auftrag der schlesischen Fürsten und Stände 1620 an zwei Gesandtschaften zum ungarischen Reichstag nach Neusohl teilnahm, um das Konföderationssystem im östlichen Mitteleuropa weiter zu stabilisieren.62 Der kritischste Beobachter dieser Ereignisse, der wiederholt vor den drohenden Folgen ständischer Emanzipation und Konföderation warnte, war Kardinal Melchior Klesl.63 Im protestantischen Lager war die Diskussion über die Chancen und Gefahren eines solchen überregionalen, bei Lichte besehen gegen das Königtum gerichteten Programms relativ unübersichtlich. Der Mährer Karl der Ältere von Žerotín zum Beispiel, der mit der ganzen Breite westeuropäischer Widerstandslehren und politischer Theoriebildung vertraut war,64 zog sich aus der Ständebewegung just zu dem Zeitpunkt zurück, als 1618 die Konfrontation endgültig an die Stelle des Kompromisses trat. Einen Ständebund wie die Utrechter Union 1572 oder einen Zusammenschluss wie den der Protestantischen Union im römisch-deutschen Reich von 1608 hielt Žerotín im politischen Gesamtgefüge der habsburgischen Länder für unerreichbar. Denn hier bilde allein der König das einigende Band der Einzelterritorien, die ihrerseits wegen religiöser Konflikte und politischer Partikularismen heillos zerstritten seien. Die Skepsis Žerotíns hing allerdings auch damit zusammen, dass er ein Gegner der allzu engen Bindung an die pfälzische Politik war und eine Internationalisierung der regionalen Belange ablehnte. Aus diesem Grunde beobachtete er auch genau die Situation in Siebenbürgen seit 1613, denn Gabriel Bethlen war der erste Fürst, der, von der Pforte eingesetzt, den Türken allein seine Herrschaft verdankte.65 Die Impulse, die der ständisch-konfessionelle Widerstand in Böhmen und Ungarn in jener Zeit durch den Calvinismus erhielt, sind vielfältig. Der ungarische reformierte Humanist István Miskolczi Csulayak, der seit seinem Auf-
séért vívott harc a sceh-magyar szövetség keretében a terjeszkedő Habsburg-hatalom ellen. 1619– 20. Phil. Diss. Budapest 1954; Demkó, Kálmán: A magyar-cseh confoederatio és a beszterczebányai országgyűlés 1620-ban. In: Századok 20, 1886, 105–121, 291–308. 62 Hejnic, Josef: Kašpar Dornavius a české povstání. In: Zprávy Jednoty klasických filologů 6, 1964, 167–173; Chroust, Anton: Abraham von Dohna. Sein Leben und sein Gedicht auf den Reichstag von 1613. München 1896, 145–150; Seidel: Späthumanismus, 369–375; Hemmerle, Josef: Die calvinische Reformation in Böhmen. In: Stifter-Jahrbuch 8, 1964, 243–276. �������������������� Vgl. exemplarisch Hammer-Purgstall, Joseph: Khlesl’s, des Cardinals, Directors des geheimen Cabinetes Kaisers Mathias, Leben, Bd. 1–4. Wien 1847–1851, hier Bd. 2, 201f. 64 Odložilík, Otakar: Karel starší ze Žerotína 1564–1636. Praha 1936; Hrubý, František: Filip du Plessis-Mornay a Karel Žerotín v letech 1611–1614 (Morava v zrcadle hugenotského zpravodaje). In: Od pravěku k dnešku, 39–69. 65 Péter, Katalin: Two Aspects of War and Society in the Age of Prince Gábor Bethlen of Transylvania. In: Bak, János M./Király, Béla K. (Hg.): From Hunyadi to Rákóczi. War and Society in Late Medieval and Early Modern Hungary. Brooklyn NY 1982, 297–313; Glettler, Monika: Überlegungen zur historiographischen Neubewertung Bethlen Gábors. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 9, 1978, 237–255.
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enthalt 1601 in Görlitz zusammen mit Miklós Thököly von Käsmark aus in enger Verbindung mit den führenden Köpfen der böhmischen Brüderunität stand, rühmte in seinem Tagebuch noch vor dem Bocskai-Aufstand die revolutionären Traditionen des hussitischen Böhmen.66 Die politisch und intellektuell angespannte Atmosphäre der ständischen Freiheitsbewegung spornte den weitgereisten Mährer Jan Opsimathes an, zwischen 1612 und 1617 die Institutio Christianae religionis Calvins, die 1595 durch Jiří Strejc ins Tschechische übertragen worden war, im Druck herauszugeben.67 In der Confoederatio Bohemica erschien der König nur als Vollstrecker des göttlichen Willens („minister Dei“), gegen den Widerstand berechtigt sei („defensio legitima“), wenn er den göttlichen Geboten zuwiderhandle. Die dort genannten ständischen Defensoren, die eine zentrale Kontrollfunktion auf regionaler und zentraler Ebene besitzen sollten, entsprachen den „ephori speciales“ und „ephori generales“, wie sie Johannes Althusius in seinem 1603 in Herborn veröffentlichten Werk Politica Methodice Digesta genannt hatte.68 Der ungarischen Opposition kam das politische Denken des reformierten Theologen Péter Alvinczi zugute, der 1600/01 in Heidelberg studiert hatte und seit 1604 als Hofprediger Bocskais großen Einfluss auf dessen Politik erhielt. Alvinczi, Mitverfasser der an die europäischen Mächte gerichteten Apologia Bocskais von 1605, publizierte 1619 und 1620 eine ganze Reihe radikal-antikatholischer Flugschriften, unter denen die Quereles die größte Wirkung erzielten.69 Albert Szenczi Molnár veröffentlichte 1608, im zeitlichen Umfeld der Gründung der Protestantischen Union, eine deutsche Übersetzung der Apologia Bocskais, die im römisch-deutschen Reich große Aufmerksamkeit für den ungarischen Protestantismus hervorrief. 1619/20 übersetzte er zahlreiche Predigten des pfälzischen Hofpredigers Abraham Scultetus ins Ungarische.70 Trotz dieser vielfältigen Bezüge darf nicht übersehen werden, dass der Calvinismus nur eine der Strömungen war, die die Formierung einer ständischen Freiheitsbewegung in Böhmen und Ungarn und die Idee berechtigten Widerstands gegen tyrannische Fürsten begünstigte. In allen Traktaten und Apologien stoßen wir nicht minder häufig auf das herkömmliche Rechtsbewusstsein des Mittelalters und das geschriebene Recht des Ständestaats, das 66 Pražák: Cesty uherských humanistů, 135–138. 67 Urbánková, Emma: Několik poznámek k českému vydání Kalvínovy Instituce. In: Literární archiv 1, 1966, 237–245; Hejnic, Josef/Martínek, Jan (Hg.): Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě. Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae, Bd. 1–5. Praha 1966–1973, hier Bd. 4, 67f., Bd. 5, 479f. 68 Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration, 430–445. 69 Heltai: Alvinczi Péter és a heidelbergi peregrinusok, 90, 126–154; Benda, Kálmán: Alvinczi Péter, kassai magyar prédikátor történeti följegyzései 1598–1622. In: Ráday Gyűjtemény Évkönyve 1955, 5–26; Révész, Kálmán: Bocskai István apológiája. In: Protestáns Szemle 18, 1906, 305–312. 70 Vásárhelyi: Eszmei áramlatok és politika, 26–54, 58–62, 95–102.
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handfester als politische Theorien und wirkungsvoller als bloß durch Literatur vermittelte staatsrechtliche Lehren war.71 Die Frage, wie Widerstand um 1600 im östlichen Mitteleuropa legitimiert wurde, ist besonders häufig am Beispiel des Bocskai-Aufstands analysiert worden.72 Schon Ferenc Eckhart hatte 1933 festgestellt, dass in den Äußerungen und Dokumenten Bocskais und seiner Anhänger keine expliziten calvinistischen Anklänge festzustellen sind.73 Tatsächlich fällt auf, dass gerade Passagen über das Widerstandsrecht in einzelnen Übersetzungen reformierter Bekenntnisschriften fehlen.74 Zu einem ausgewogenen Urteil gelangte 1993 Kálmán Benda, der das Selbstverständnis Bocskais als von Gott gesandter Befreier, als „Moses Ungarns“, der den wahren Glauben dem das göttliche Gebot nicht achtenden Tyrannen gegenüber verteidige, als typische Parallele zum calvinistischen Königsideal deutete.75 Die Gründe für die auffallend traditionelle Begründung des ungarischen Widerstands unter Bocskai, als Kampf für politische und religiöse Freiheit, liegen nicht zuletzt in dessen Person. Bocskai, der zum Revolutionär wider Willen wurde, war ein Militär, der ganz in der alten Tradition des antiosmanischen Kampfes aufgewachsen war und keine Beziehungen zum mitteleuropäischen humanistischen Milieu besaß. Auch in der politischen Publizistik der böhmischen Länder wurde Bocskai zwar vereinzelt als wichtiger Verbündeter gegen die „giftige päpstliche Brut“ begrüßt,76 zugleich aber, vor allem aber aus Angst vor einem möglichen Schulterschluss mit den Türken, als „tyrannus“ gefürchtet.77 71 Puttkamer, Ellinor von: Grundlinien des Widerstandsrechts in der Verfassungsgeschichte Osteuropas. In: Repgen, Konrad/Skalweit, Stephan (Hg.): Spiegel der Geschichte. Festgabe für Max Braubach zum 10. April 1964. Münster Westf. 1964, 198–219. 72 Benda, Kálmán: Le calvinisme et le droit de résistance des ordres hongrois au commencement du XVIIe siècle. In: Études européennes. Mélanges offerts à Victor-Lucien Tapié. Paris 1973, 235– 243; ders.: A Kálvini tanok hatása a magyar rendi ellenállár ideológiájára. In: Helikon 17, 1971, 322–330; Makkai, László: Etat des Ordres et théocratie calviniste au XVIe siècle dans l’Europe Centro-Orientale. In: Études historiques hongroises 1, 1975, 329–346. 73 Eckhart, Ferenc: Bocskay és híveinek közjogi felfogása. In: Emlékkönyv Károlyi Arpád születése nyolcvanadik fordulójának ünnepére 1933 október 7. Budapest 1933, 133–141. 74 Révész, Imre: Szempontok a magyar „kálvinizmus“ eredetének vizsgálatához. In: Századok 68, 1934, 257–275, hier 272–274. 75 Benda, Kálmán: Bocskai István. Budapest 1993; ders.: La Réforme en Hongrie. In: Bulletin de la Société de l’Histoire du Protestantisme français 122, 1976, 30–53; ders.: Absolutismus und ständischer Widerstand in Ungarn am Anfang des 17. Jahrhunderts. In: Südost-Forschungen 33, 1974, 85–124; ders.: Habsburg-politika és rendi ellenállás a XVII. század elején. In: Történelmi Szemle 13, 1970, 404–427. 76 Polišenský, Josef/Hrubeš, Jiří: Bocskaiovy vpády na Moravu r. 1605 a jejich ohlas ve veřejném mínění. In: Historické študie 7, 1961, 133–159, hier 142–144; dies.: Turecké války, uherská povstání a veřejné mínění předbělohorských Čech. In: Historický časopis 7, 1959, 74–103. 77 Volf, Josef: Příspěvek ku vpádu Bočkajovců na Moravu r. 1605. In: Časopis Musea království Českého 81, 1907, 466–470, hier 470. Unverändert grundlegend ist die Edition von Kameníček, František (Hg.): Prameny ke vpádům Bočkajovců na Moravu a k ratifikaci míru vídeňského od zemí koruny české roku 1605–1606. Praha 1894 (Historický archiv 4).
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Entsprechend nüchtern müssen die Ziele und Motive der länderübergreifenden Formierung und deren Einbindung in den internationalen Protestantismus um 1600 gewichtet werden. In den böhmischen Ländern hatte die Konföderationsbewegung vor allem einen emanzipatorischen Effekt nach innen. Mit dem neuen Verfassungsmodell von 1619 lösten die Stände der böhmischen Kronländer jahrzehntelang strittige administrative, politische und religiöse Fragen. Durch die Confoederatio Bohemica sollten nicht nur weitere Vorstöße und Eingriffe von Katholizismus und Königsgewalt verhindert, sondern auch neue, in die Zukunft weisende und ausbaufähige Verfassungsstrukturen geschaffen werden. Das Defensorenkollegium, das sich seit Beginn des Aufstands von einem kirchenpolitischen Instrument der evangelischen Stände zu einem staatlichen Organ entwickelt hatte, wurde zur wichtigsten Verfassungseinrichtung. Mit diesem Instrument waren zugleich Mechanismen eines spezifischen Widerstandsrechts verbunden. Die Konföderation gewann damit den Charakter eines Herrschaftsvertrags, mit dem die Stände – als eigentliche Träger der Oberhoheit des Gemeinwesens – dem König Regierungsbefugnisse lediglich übertrugen.78 Dass die Konfessionssolidarität ihre Grenzen besaß und das Bekenntnis nicht die alleinige und alles beherrschende Leitkategorie für das außenpolitische Handeln darstellte, zeigt eine Episode aus dem Sommer 1620. Zu jener Zeit scheiterte eine Audienz bei Gabriel Bethlen in Neusohl wegen Präzedenzstreitigkeiten unter den konföderierten Ständevertretern. Mit aller Deutlichkeit unterstrich man in der oberungarischen Stadt, dass es sich bei den einzelnen Bündnissen durchaus um „actus contrarios“ handele.79 Im Ganzen betrachtet aber zeigt die Entwicklung in Böhmen und Ungarn zwischen 1570 und 1620, dass der Calvinismus und das von reformiertem Boden ausgehende vorstaatliche Personen- und Institutionengeflecht ein maßgeblicher Katalysator für die Formierung der ständischen Freiheitsbewegungen im östlichen Mitteleuropa wurden. Erst durch die vom Calvinismus ausgehende prophetisch-eschatologische Deutung der internationalen Mächtekonstellation entwickelte sich in dieser Phase ein länderübergreifendes Aktionsbündnis der evangelischen Stände, dessen Zielsetzung sich mitnichten in bloßer Bewahrung und Verteidigung erschöpfte.
78 Válka, Josef: Morava ve stavovské konfederaci roku 1619 (Pokus o vytvoření paralelních církevních a politických struktur v Čechách a na Moravě). In: Folia Historica Bohemica 10, 1986, 333–349; Bahlcke: Böhmische Krone, 97–102; Becker, Winfried: Ständestaat und Konfessionsbildung am Beispiel der böhmischen Konföderationsakte von 1619. In: A lbrecht, Dieter u.a. (Hg.): Politik und Konfession. Festschrift für Konrad Repgen zum 60. Geburtstag. Berlin 1983, 77–99. 79 Bahlcke: Regionalismus und Staatsintegration, 444.
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Kollektive Freiheitsvorstellungen aus den Erfahrungen konfessioneller Migration – das Beispiel Böhmen 1. Migrationsprozesse und Freiheitsdiskurse Von allen frühneuzeitlichen Wanderungsbewegungen hat sich die Migration von Glaubensflüchtlingen ohne Zweifel am tiefsten und nachhaltigsten in das historisch-politische Bewusstsein des Kontinents eingeprägt. Dazu zählen, um nur die bekanntesten, in der Forschung naturgemäß dominierenden Migrationsvorgänge dieser Art zu nennen, die Vertreibung der protestantischen Niederländer im 16. Jahrhundert, die nachfolgenden Wanderungen der Hugenotten, Waldenser und Wallonen, schließlich die Ausweisung der Salzburger und Berchtesgadener im 18. Jahrhundert. Maßgeblich ausgelöst wurde die Migration aus Glaubensgründen – und darüber liegt unterdessen eine breite Forschungsliteratur vor – durch die Konfessionalisierung der europäischen Staaten und Gesellschaften, die auf eine religiös-kirchliche Vereinheitlichung der Bevölkerung nach lutherischen, calvinistischen oder katholischen Konfessionsnormen abzielte.1 Diskriminierung, obrigkeitliche Verfolgung und schließlich in ihrer radikalsten Variante Vertreibung oder erzwungene Aussiedlung Andersgläubiger fanden nicht erst in der Zeit der Aufklärung Interesse und Anteilnahme einer europäischen Öffentlichkeit. Auch für das 16. und 17. Jahrhundert lässt sich ohne weiteres nachweisen, dass erzwungene Wanderungen aus religiösen Gründen regelmäßig den Anlass boten, neu über politische Selbstbestimmung und konfessionelle Koexistenz, über Fundamentalrechte und Toleranz nachzudenken.2 Man wird solche Erörterungen, beispielsweise die langjährigen 1 Schilling, Heinz: Die frühneuzeitliche Konfessionsmigration. In: Bade, Klaus J. (Hg.): Migration in der europäischen Geschichte seit dem späten Mittelalter. Osnabrück 2002 (Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien. Beiträge 20), 67–89; ders.: Das konfessionelle Europa. Die Konfessionalisierung der europäischen Länder seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen für Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 13–62; Klingebiel, Thomas/Lilienthal, Andrea: Glaubensflüchtlinge in der Frühen Neuzeit: Das Beispiel der Hugenotten. In: Meiners, Uwe/Reinders-Düselder, Christoph (Hg.): Fremde in Deutschland – Deutsche in der Fremde. Schlaglichter von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart. Cloppenburg 1999, 91–104; Duchhardt, Heinz: Glaubensflüchtlinge und Entwicklungshelfer: Niederländer, Hugenotten, Waldenser und Salzburger. In: Bade, Klaus J. (Hg.): Deutsche im Ausland – Fremde in Deutschland. Migration in Geschichte und Gegenwart. München 1992, 278– 287, 496. 2 Klingebiel, Thomas: Vorreiter der Freiheit oder Opfer der Modernisierung? Zur konfessionell bedingten Migration im frühneuzeitlichen Europa. In: Friederich, Christoph (Hg.): Vom Nutzen der Toleranz. 300 Jahre Hugenottenstadt Erlangen. Nürnberg 1986, 21–28.
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Auseinandersetzungen um das ius emigrandi im Heiligen Römischen Reich und die Beschränkungen des landesfürstlichen Religionsbanns in den westfälischen Friedensverhandlungen, durchaus als Freiheitsdiskurse bezeichnen dürfen, zeigen sie doch vor allem eines: dass mit neu entstandenen Einsichten bei Herrschaften und Regierungen wie bei den unmittelbar betroffenen Gruppen und Individuen auch neue Freiheitsvorstellungen befördert wurden, die über die unmittelbare Gewissensfreiheit deutlich hinausgingen.3 Solche Freiheitsdiskurse sind in der Regel in erheblichem Maße kontextgebunden, das heißt, sie enthalten neben nahezu klassischen Versatzstücken – in diesem Fall etwa biblischen Vorstellungen oder der Rezeption antiker Schriftsteller – eine Fülle autochthoner Basiselemente und Argumentationsmuster, die der jeweiligen Geschichtskultur und Traditionsbildung entlehnt werden. Ideen- und mentalitätsgeschichtlich sind sie daher im Zusammenhang mit der Bildung und Veränderung politischer Identitäten, mit Formen der Aneignung und Vergegenwärtigung von Vergangenheit, mit Zeitbewusstsein, Erinnerung und Wandlungen des kollektiven Gedächtnisses zu sehen.4 Dass diese Freiheitsvorstellungen gerade durch die Erfahrung konfessioneller Migration eine neue Qualität gewannen, soll hier am Beispiel der böhmischen Emigration nach 1620 dargelegt werden. Der Fall Böhmen ist dabei in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Er zeigt zum einen, wie ,Freiheit‘ identitätsstiftende Wirkung erzielt und gleichzeitig gegen Fremde und Andere in Stellung gebracht wird, und er zeigt zum anderen, wie ein zwangsläufig ins Exil verlagerter Freiheitsdiskurs, der im Herkunftsland noch ganz den traditionellen Mustern ostmitteleuropäischer Libertaskultur verhaftet war, über 3 May, Georg: Zum ‚ius emigrandi‘ am Beginn des konfessionellen Zeitalters. In: Archiv für katholisches Kirchenrecht 155, 1986, 92–125; ders.: Die Entstehung der hauptsächlichen Bestimmungen über das ius emigrandi (Art. V §§ 30–43 IPO) auf dem Westfälischen Friedenskongreß. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 74, 1988, 436–494; Asch, Ronald G.: „Denn es sind ja die Deutschen ... ein frey Volk“. Die Glaubensfreiheit als Problem der westfälischen Friedensverhandlungen. In: Westfälische Zeitschrift 148, 1998, 113–137; Ehrenpreis, Stephan/Ruthmann, Bernhard: Ius reformandi – ius emigrandi. Reichsrecht, Konfession und Ehre in Religionsstreitigkeiten des späten 16. Jahrhunderts. In: Weinzierl, Michael (Hg.): Individualisierung, Rationalisierung, Säkularisierung. Neue Wege der Religionsgeschichte. Wien/München 1997 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 22), 67–95; Ballestrem, Karl Graf: Zur Theorie und Geschichte des Emigrationsrechtes. In: Birtsch, Günter (Hg.): Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848. Göttingen 1981 (Veröffentlichungen zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte 1), 146–161; Selig, Robert A.: The Idea and Practice of the Ius Emigrandi in the Holy Roman Empire from the Reformation to the French Revolution. In: Yearbook of German-American Studies 27, 1992, 15–22. 4 Langthaler, Ernst: Gedächtnisgeschichte: Positionen, Probleme, Perspektiven. In: Beiträge zur Historischen Sozialkunde 29, 1999, 30–46. Wichtig im Zusammenhang dieser Darstellung sind ferner die Beiträge in Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. Berlin 2002 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 29).
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die Vermittlung von (tschechischen) Glaubensflüchtlingen einen deutlichen Nationalisierungsschub erfährt. Im Folgenden wird nach einigen kurzen Ausführungen zu Fragen der Methodik und Quellenauswahl zunächst das vergangene Geschehen skizziert, das dazu führte, dass Zehntausende böhmischer Protestanten infolge eines gescheiterten Staatsgründungsexperiments an der östlichen Peripherie des römisch-deutschen Reiches ihre Heimat verlassen mussten. Im Anschluss werden im Exil entstandene Freiheitsvorstellungen auf ihre Inhalte, Vorbilder und Verbreitungswege hin untersucht. In einem knappen Ausblick soll schließlich angedeutet werden, wie die im Fall der böhmischen Emigration ursprünglich stark religiös geprägten Freiheitsvorstellungen im Zuge der säkularen Wandlungsprozesse seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in neue Denkmuster und Nationskonzepte eingebettet wurden.
2. Freiheitsvorstellungen: Idee, Abgrenzung und politische Praxis Die Formenvielfalt von Wanderungsvorgängen in Alteuropa, die eine differenzierte Betrachtung von Migrationsmotiven und Handlungszielen in der hochmobilen Frühen Neuzeit unumgänglich macht, kann als vergleichsweise gut erforscht gelten.5 Weniger befriedigend dagegen sind die bisherigen Ansätze, Unterscheidungsmerkmale zu bestimmen und so die alteuropäische Migration typologisch zu erfassen. Einen ersten Vorschlag zu einer solchen Typologisierung unterbreitete 1997 Thomas Klingebiel, indem er historisch und systematisch miteinander verwandte Wanderungsformen unter einem übergeordneten, gemeinsamen Gesichtspunkt zusammenführte und (unter Auslassung des Sonderfalls der im 16. Jahrhundert einsetzenden Überseemigration) für die Frühneuzeit drei Haupttypen von Migration unterschied: die marktbedingte, die erzwungene und die staatlich gelenkte. Dem zweiten Typus wurden alle jene Vorgänge zugeordnet, in denen Migration erzwungen wurde, und zwar in einer Weise, die keinen Raum für Alternativen beließ. Ursache dieser Migrationsbewegungen seien, so Klingebiel, zuvorderst religiöse Zwangsmaßnahmen beziehungsweise aus solchen Maßnahmen resultierender ökonomischer und politisch-sozialer Druck gewesen.6
5 Hoerder, Dirk: Cultures in Contact. World Migrations in the Second Millennium. Durham, NC/ London 2002; Bade, Klaus J.: Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. München 2000; Cavaciocchi, Simonetta (Hg.): Le migrazioni in Europa, secc. XIII– XVIII. Firenze 1994. 6 Klingebiel, Thomas: Migrationen im frühneuzeitlichen Europa. Anmerkungen und Überlegungen zur Typologiediskussion. In: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 7/5–6, 1997, 23–37. Speziell zum Typus konfessionell motivierter
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So hilfreich diese stark etatistische Typologie auf den ersten Blick zu sein scheint, so problematisch ist sie hinsichtlich des im einzelnen komplizierten Zusammenspiels von Alltag und Migration, von sozialer Mobilität und religiöser Praxis in der Frühen Neuzeit. Die Annahme, dass Freiheit und Unfreiheit vermeintlich scharf gezogenen konfessionellen Scheidelinien folgten, beschränkt sich nicht auf die im 16. Jahrhundert begründete „Exulantenhistorie“, sie ist auch und vor allem der politischen und Kulturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts zu eigen: „Das liberale borussianische Geschichtsbild setzte Deutsch-Sein mit Protestantismus gleich, feierte den Sieg von Königgrätz als Triumph des Protestantismus über katholische Rückständigkeit und römischen Universalismus und belastete die nationale Identitätsbildung mit der Abgrenzung und einem prinzipiellen nationalen Superioritätsanspruch gegenüber den Katholiken.“7 Bezogen auf den Fall Böhmen zeigen neuere mikrohistorische und Fragestellungen der Historischen Anthropologie aufgreifende Forschungen indes: Die Vorstellung, bei den Migrationswellen von den frühen 1620er Jahren bis zu den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts handele es sich um eine einheitliche Fluchtbewegung glaubenstreuer Protestanten, folgt weitgehend der Selbststilisierung der Emigranten als Religionsverfolgte, die ganz praktisch von Nutzen war – für die Betroffenen selbst wie auch für die Aufnahmebehörden und die Wirtsgesellschaft. Konfessionelle Argumente wurden in diesem Zusammenhang von den Exulanten ebenso zielgerichtet wie pragmatisch eingesetzt, um einerseits gesellschaftliche Ordnungsfunktionen zu erfüllen und andererseits eigene Revisionsbemühungen in Hinblick auf den künftigen politischen und religiösen Status im Herkunftsland zu stützen.8 Dass sich bei der migrationsnahen publizistischen und späteren literarischen Tätigkeit der Glaubensflüchtlinge selbst – „unnß armen Frembdlingen unndt wegen der Religion verfolgeten Leutten“,9 wie sie uns in zeittypischen Quellen von den Niederlanden bis nach Siebenbürgen vom 16. bis zum Migration vgl. die früheren Ausführungen bei Schilling, Heinz: Die niederländischen Exulanten des 16. Jahrhunderts. Ein Beitrag zum Typus der frühneuzeitlichen Konfessionsmigration. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 43/12, 1992, 67–78. 7 Hardtwig, Wolfgang: Staatsbewußtsein und Staatssysmbolik im deutschen Kaiserreich. In: Rumpler, Helmut (Hg.): Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisierung in Österreich und Deutschland 1867/71 bis 1914. Wien/München 1991, 41–52; ders.: Von Preußens Aufgabe in Deutschland zu Deutschlands Aufgabe in der Welt. Liberalismus und borussianisches Geschichtsbild zwischen Revolution und Imperialismus [1980]. In: ders.: Geschichtskultur und Wissenschaft. München 1990, 103–160. 8 Schunka, Alexander: Gäste, die bleiben. Zuwanderer in Kursachsen und der Oberlausitz im 17. und frühen 18. Jahrhundert. Hamburg 2006 (Pluralisierung & Autorität 7); Wäntig, Wulf: Grenzerfahrungen. Böhmische Exulanten im 17. Jahrhundert. Konstanz 2007 (Konflikte und Kultur 14). 9 Winter, Eduard: Die tschechische und slowakische Emigration in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der hussitischen Tradition. Berlin 1955 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik 7), 302.
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18. Jahrhundert begegnen – eine zum Teil erheblich heroisierende Traditionsund Legendenbildung beobachten lässt, wird kaum verwundern. Besonders intensiv wurden diese Zusammenhänge von kollektiver Erinnerung, Gruppenidentität und historiographischer Selbstdarstellung am Beispiel der Hugenotten erforscht, deren Eigencharakterisierung in der zwischen 1782 und 1799 entstandenen, von den reformierten Pastoren Jean Pierre Erman und Pierre Chrétien Frédéric Reclam verfassten neunbändigen Geschichte der Ansiedlung der f ranzösischen Réfugiés in Brandenburg-Preußen ihren ersten Höhepunkt fand.10 Ein vergleichbares, dem eigentlichen Migrationsgeschehen zeitlich näherstehendes Werk ist die Synopsis historica persecutionum ecclesiae Bohemicae, die unter Leitung des böhmischen Brüderbischofs und Exulanten Johann Amos Comenius in den 1630er Jahren entstand, in lateinischer Sprache 1647 in Leiden zum Druck gelangte und wenig später in Basel und London in deutscher beziehungsweise englischer Übersetzung erschien.11 Bei aller Vorsicht, mit der diese Texte für den Verlauf der eigentlichen Migrations- und Integrationsvorgänge heranzuziehen sind, stellen sie doch für die politische Ideengeschichte bedeutsame Quellen dar. Ein Element scheint dabei allen derartigen Vergangenheitskonstruktionen gemeinsam zu sein: der Begriff einer allgemeinen, wenn auch nur nebulös umrissenen ,Freiheit‘. Er ist in seinem Kern naturgemäß auf die Forderung nach Religions- und Bekenntnisfreiheit zurückzuführen, ließ als Inbegriff aller Sehnsüchte und Hoffnungen der Migranten aber immer auch andere Bedeutungsinhalte anklingen.12 Grenzerfahrungen waren, dies zeigt die an den biographischen Dimensionen der Wanderungsbewegungen interessierte Migrationsforschung, vielfach Freiheitserfahrungen.13 Ein solcher Freiheitsbegriff konnte funktional beides bedeuten: eine Eigenzuschreibung, ein spezifisches Abgrenzungsmerkmal, das 10 Rosen-Prest, Viviane: L’historiographie des Huguenots en Prusse au temps des Lumières. Entre mémoire, histoire et légende: J. P. Erman et P. C. F. Reclam, Mémoires pour servir à l’histoire des réfugiés françois dans les Etats du Roi (1782–1799). Paris 2002 (Vie des huguenots 23); François, Étienne: Die Traditions- und Legendenbildung des deutschen Refuge. In: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Exodus der Hugenotten. Die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 als europäisches Ereignis. Köln/Wien 1985 (Archiv für Kulturgeschichte. Beiheft 24), 177–193. �� Kumpera, Jan: Historie o těžkých protivenstvích církve české v kontextu Komenského doby, života a díla. In: Francek, Jindřich (Hg.): Rekatolizace v českých zemích. Pardubice 1995, 57–64. ����������������������������������������������������������������������������������������� Zur Begriffsgeschichte und zum Bedeutungswandel alteuropäischer Freiheitsdiskurse vgl. Conze, Werner u.a.: Freiheit. In: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 2. Stuttgart 1979, 425–542; Blickle, Peter: Von der Leibeigenschaft zu den Menschenrechten. Eine Geschichte der Freiheit in Deutschland. München 2003; Schmidt, Georg: Die „deutsche Freiheit“ und der Westfälische Friede. In: Garber, Klaus/Held, Jutta (Hg.): Der Frieden. Rekonstruktion einer europäischen Vision, Bd. 2: Frieden und Krieg in der Frühen Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. Hg. v. Ronald G. Asch, Wulf Eckart Voss und Martin Wrede. München 2001, 323–347. 13 Gestrich, Andreas/Krauss, Marita (Hg.): Migration und Grenze. Stuttgart 1998 (Stuttgarter Beiträge zur Historischen Migrationsforschung 4).
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der Identität einer Migrantengruppe in ihrem jeweiligen Aufnahmeland diente und ihren Zusammenhalt erleichterte, und eine allgemeine Zielvorstellung, die auf eine Neugründung des corpus politicum im Herkunftsland abzielte. Korporative Freiheitsvorstellungen waren während des 16. Jahrhunderts nicht nur in den böhmischen Ländern, sie waren im gesamten partizipationsstarken Osten des ständischen Europa Teil einer ausgeprägten Libertaskultur, die jeder monarchischen Herrschaftsintensivierung enge Grenzen setzte. Es ist gerade der Freiheitsbegriff als geschichtsregionales Charakteristikum, über den sich der polnische Exilhistoriker Piotr S. Wandycz der Neueren Geschichte des Raumes zwischen Baltikum und Balkan annäherte.14 Zu finden sind entsprechende Konzepte allerdings weniger in theoretischen Grundlagenreflexionen zu Macht, Souveränität und Widerstand als vielmehr in der politischen Praxis. Bis 1500 hatten sich in Polen, Böhmen und Ungarn vergleichbare Ständeverfassungen mit weitgehenden Partizipations- und Kontrollrechten und einem ausgeprägten Repräsentationsbewusstsein der Eliten, namentlich des Adels, ausgebildet. In Böhmen gelang es auf ständische Initiative, das gesamte Landrecht, vom Verfassungs- und Verwaltungsrecht über das Straf- und Privatrecht bis hin zum Rechtsgang, zu kodifizieren und gegen königliche Eingriffe und Restriktionen weitgehend zu sichern. Das Kompilationswerk bildete seither die Grundlage der umfassenden Ständefreiheiten und wurde bis zur verfassungsrechtlichen Systemveränderung von 1627 lediglich redaktionell verändert.15 Hinzu kam in den böhmischen Ländern, und dies ist für die Ausprägung und Behauptung kollektiver Freiheitskonzepte von besonderer Bedeutung, ein historischer Vorsprung in der Geschichte von Widerstand, Oppositionsbildung und Revolution. Erstmals in der Geschichte der Christenheit hatten die böhmischen Laienstände Anfang des 15. Jahrhunderts Widerstand „in causa fidei“ realisiert und damit die mittelalterliche Tradition ständischer Renitenz durch eine transzendentale Legitimation vertieft.16 Von der böhmischen Frei14 Wandycz, Piotr S.: The Price of Freedom. A History of East Central Europe from the Middle Ages to the Present. London/New York 1992; Ogonowski, Zbigniew: La „liberté dorée“. Le courant démocratique républicain dans la Pologne du XVIIe siècle. In: Delsol, Chantal/Maslowski, Michel (Hg.): Histoire des idées politiques de l’Europe centrale. Paris 1998, 202–214; Kersken, Norbert: Entwicklungslinien der Geschichtsschreibung Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit. In: Bahlcke/ Strohmeyer (Hg.): Die Konstruktion der Vergangenheit, 19–53. 15 Malý, Karel/Pánek, Jaroslav (Hg.): Vladislavské zřízení zemské a počátky ústavního zřízení v českých zemích (1500–1619). Praha 2001. 16 Eberhard, Winfried: The Political System and the Intellectual Traditions of the Bohemian Ständestaat from the Thirteenth to the Sixteenth Century. In: Evans, R[obert] J. W./Thomas, T[revor] V. (Hg.): Crown, Church and Estates. Central European Politics in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. London 1991, 23–47; ders.: Stände, Herrscher und Religion in den böhmischen Ländern in der frühen Neuzeit. In: Weczerka, Hugo (Hg.): Stände und Landesherrschaft in Ostmitteleuropa in der frühen Neuzeit. Marburg 1995 (Historische und landeskundliche Ostmitteleuropa-Studien 16), 121–136.
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heit profitierten letztlich auch die anderen territorialen Subsysteme des zusammengesetzten Ständestaats.17 Es fehlte im 16. und frühen 17. Jahrhundert nicht an Versuchen der Staatsgewalt, die monarchische Position auszubauen, Rechte und Freiheiten der Stände zurückzudrängen und die ausgewogene Ordnung aus dem Gleichgewicht zu bringen.18 Die nach 1600 aus zahlreichen Quellen herauszulesende Befürchtung der Stände, dass die Landesfreiheiten systematisch unterdrückt würden – „svobody v nic“,19 die Freiheiten lösten sich in Luft auf, schrieb im Juni 1606 der wichtigste Ständepolitiker Mährens, Karl der Ältere von Žerotín, in seiner berühmten Apologie –, deutete bereits den Umschwung an, der sich dann in den politisch dramatischen Jahren bis zum Prager Fenstersturz vollziehen sollte. Wie schon während des Schmalkaldischen Krieges verstand sich auch der ständische Widerstand im Jahr 1618 nicht als Legalitätsbruch und Aufruhr, sondern im Gegenteil als Garantie des Rechts.20 ,Freiheit‘ im abstrakten Sinn, außerhalb konkreter, nur einem gebildeten Publikum verständlicher politisch-rechtlicher Sachverhalte, stand weder programmatisch noch propagandistisch im Mittelpunkt der Flugschriftenliteratur und Rechtfertigungsschreiben. Man solidarisierte sich nicht einmal offen mit dem ständischen Freiheitsdrang überall in Europa, sondern bemühte sich, die Erhebung aus der Besonderheit der böhmischen Staatlichkeit herzuleiten.21 In der Außenwahrnehmung, vor allem bei den Reichsständen, stand die ständische Erhebung dagegen ganz im Zeichen republikanischer Freiheit.22
17 Harasimowicz, Jan: „Was kann nun besser seyn, dann für die Freyheit streiten und die Religion.“ Konfessionalisierung und ständische Freiheitsbestrebungen im Spiegel der schlesischen Kunst des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Bussmann, Klaus/Schilling, Heinz (Hg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa, Bd. 2. Münster 1998, 297–306. 18 Bahlcke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3); ders.: Calvinism and Estate Liberation Movements in Bohemia and Hungary (1570–1620). In: Maag, Karin (Hg.): The Reformation in Eastern and Central Europe. Aldershot 1997, 72–91. ��Kopecký, Milan: Karel starší z Žerotína a jeho Apologia. In: Z Kralické tvrze 8, 1975/76, 1–19, hier 14. 20 Seibt, Ferdinand: Revolution in Europa. Ursprung und Wege innerer Gewalt. Strukturen – Elemente – Exempel. München 1984, 377–384. 21 Pánek, Jaroslav: K úrovni českého politického myšlení na počátku novověku. In: Časopis Matice moravské 117, 1998, 453–464; ders.: Republikánské tendence ve stavovských programech doby předbělohorské. In: Folia Historica Bohemica 8, 1985, 43–62; Malý, Karel: Změny státního zřízení v českém stavovském povstání. In: Folia Historica Bohemica 8, 1985, 63–88; Bahlcke, Joachim: Modernization and State-Building in an East-Central European Estates’ System: The Example of the Confoederatio Bohemica of 1619. In: Parliaments, Estates and Representation 17, 1997, 61–73. �������������������� Vgl. exemplarisch Friedensberg, Herman Conrad zu [Schoppe, Caspar?]: Oratio Paranetica, de Auctoritate Regum et Principum asserenda, et bellorum causis in Europa. O.O. �������������������� 1619. Die Flugschrift erschien ein Jahr später in deutscher Übersetzung.
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3. Religion, Sprache, Patria: Zur Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung der böhmischen Exulanten im 17. Jahrhundert Dem völligen Zusammenbruch der politischen Ordnung Ende 1620 folgten Hinrichtungen, Vertreibungsaktionen und Zwangsbekehrungen, einschneidende Eingriffe in die bisherige Besitzstruktur und die endgültige Verankerung des monarchischen Absolutismus. Die massenhafte, in Schüben erfolgende und das ganze 17. Jahrhundert hindurch anhaltende Auswanderung betraf Angehörige aller Schichten, Utraquisten, Lutheraner, Reformierte und Angehörige der Brüderunität, tschechische wie deutsche Landeseinwohner.23 Angesichts der durch diese Umbrüche bedingten gespaltenen Erinnerungskultur und Geschichtsschreibung verlagerten sich Freiheitsdiskurse, die innerhalb Böhmens erst wieder im Zuge der sogenannten Nationalen Wiedergeburt, seit dem späten 18. Jahrhundert, in größerer Dichte auftraten, in weiten Teilen in das Exil.24 Räumlich sind in diesem Zusammenhang vor allem das benachbarte Kursachsen, die Oberlausitz und das Königliche Preußen von Bedeutung, Territorien, die nun als Vermittlungsregionen für das politische Exulantentum dienten, das bis zum Westfälischen Frieden eine organisierte Rückkehr, vor allem aber eine nachhaltige Systemveränderung in der alten Heimat anstrebte. Typisch für den Freiheitswillen und das Denken dieser ‚Freiheit‘ als herrschaftseinschränkendes politisches und religiöses Postulat aufstellenden Gruppe ist das Schreiben eines der politisch agilsten Emigranten, Graf Heinrich Matthias Thurn, das dieser 1621 an einen protestantischen Mitstreiter in Böhmen richtete: Man gehe erneut in den Kampf und werde blutige Opfer für die Restitution des ruhmreichen Vaterlands darbringen; man habe nicht nur großartige Beispiele der Heiligen Schrift vor Augen, sondern auch die Taten der Vorfahren Jan Žižka und Prokop des Kahlen, die in schwerster Not mit Hilfe Gottes vor ihren Feinden gerettet worden seien und ihre Religion und Freiheit bewahrt hätten.25 23 Hrubá, Michaela (Hg.): Víra nebo vlast? Exil v českých dějinách raného novověku. Ústí nad Labem 2001; Schunka, Alexander: Exulanten in Kursachsen im 17. Jahrhundert. In: Herbergen der Christenheit 27, 2003, 17–36; ders.: Böhmische Exulanten in Sachsen seit dem 17. Jahrhundert. In: Bade, Klaus J. u.a. (Hg.): Enzyklopädie Migration in Europa. Vom 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Paderborn u.a. 2007, 410–413. ��Svatoš, Martin: „Patria“ und die patriotischen Tendenzen in der lateinischen Historiographie in den böhmischen Ländern im 17. und 18. Jh. In: Thome, Gabriele/Holzhausen, Jens (Hg.): Es hat sich viel ereignet, Gutes wie Böses. Lateinische Geschichtsschreibung der Spät- und Nachantike. München/Leipzig 2001 (Beiträge zur Altertumskunde 141), 203–216; ders.: Quellen und Formen des Patriotismus der Jesuiten der Böhmischen Provinz im XVII. und XVIII. Jahrhundert. In: Monok, István/Ötvös, Péter (Hg.): Lesestoffe und kulturelles Niveau des niederen Klerus. Jesuiten und die nationalen Kulturverhältnisse. Böhmen, Mähren und das Karpatenbecken im XVII. und XVIII. Jahrhundert. Szeged 2001 (Olvasmánytörténeti dolgozatok. Különszám 3), 92–100. 25 Hrubý, František: Ladislav Velen z Žerotína. Praha 1930, 120.
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Was für diese Briefstelle typisch ist: die eigenwillige Mischung von politisch-staatlichem Nationsbegriff, religiösem Pathos, Freiheitsverständnis und Erinnerung an den Hussitismus, finden wir verstreut auch in historiographischen Zeugnissen, in Exulantenliedern, Traktaten, Predigten und Selbstzeugnissen.26 In antik-humanistischer Tradition gehörte ,Freiheit‘ hier eng zum semantischem Feld ,Vaterland‘. Dieses meinte freilich nicht ausschließlich Heimat im weiteren, sondern immer häufiger auch die tschechische Sprachund Kulturnation im engeren Sinn.27 Besonders klar tritt dies in den – bei Pavel Skála von Zhoře, Václav Nosidlo von Geblice, Johann Theodor Sixt von Ottersdorf und vielen anderen nur handschriftlich überlieferten – historischen und zeitgeschichtlichen Werken eines Jan Jiří Harant von Polžice (Paměti za léta 1624–1648), Jiří Kezelius Bydžovský (Kronika mladoboleslavská), Ondřej Habervešl von Habernfeld (Bellum Bohemicum) und Jan Rosacius Hořovský (Koruna neuvadlá mučedníků Božích českých) hervor – bei letzterem mit einem für das Exil typischen protestantischen Märtyrerbuch.28 Ganz konkret trug zu diesem sprachnationalen Bewusstsein der in Kursachsen geführte Kampf der Exulantengemeinden um das exercitium religionis in tschechischer Sprache bei. Die Glaubenslehren der Neuankömmlinge wurden von der jeweiligen Stadtgeistlichkeit, aber auch von der lutherischen Orthodoxie in Dresden streng überwacht, die das Einsickern calvinistischer Einflüsse befürchteten. Zu einem ideen- und mentalitätsgeschichtlich hochinteressanten, auch publizistisch ausgetragenen Konflikt um Freiheit, Sprache, Konfession und Patriotismus kam es in dieser Frage in den 1630er Jahren, und zwar zwischen dem seit 1627 in Pirna wirkenden Exulantenprediger Samuel Martini von Dražov, der eine theologische Annäherung der tschechischen Utraquisten an das sächsische Luthertum anstrebte und dabei auch gegen die Brüderunität polemisierte, auf der einen und Comenius, der hierin einen Verrat am reformatorischen Erbe und an der nationalen Tradition sah, auf der anderen Seite.29 Es sei geradezu kläglich, so Comenius, dass ein eige-
26 Kutnar, František/Marek, Jaroslav: Přehledné dějiny českého a slovenského dějepisectví. Od počátků národní kultury až do sklonku třicátých let 20. století. Praha 1997, 91–193; Odložilík, Otakar (Hg.): Z korespondence pobělohorské emigrace z let 1621–1624. In: Věstník královské české společnosti nauk (třída fil.-hist.). Praha 1932, 1–198; ders.: Ze zápasů pobělohorské emigrace. In: Časopis Matice moravské 56, 1932, 1–58, 369–388; 57, 1933, 59–157. 27 Urbánek, Vladimír: Patriotismus pobělohorského exilu. In: Historické Listy 4, 1995, 3–6. ����������������������������������������������������������������� Bio- und bibliographische Angaben zu den genannten Autoren bei Hejnic, Josef/Martínik, Jan: Rukověť humanistického básnictví v Čechách a na Moravě. Enchiridion renatae poesis Latinae in Bohemia et Moravia cultae, Bd. 1–5. Praha 1966–1973. �� Blekastad, Milada: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal des Jan Amos Komenský. Oslo/Praha 1969, 220f.; Winter: Die tschechische und slowakische Emigration, 25–33, 39–42; Bobková, Lenka: Exulanti z Prahy a z severozápadních Čech v Pirně v letech 1621–1639. Praha 1999 (Documenta Pragensia. Monographia 8); dies.: Pobělohorský exil v Sasku a možnosti jeho dalšího výzkumu. In: Hrubá (Hg.): Víra nebo vlast, 72–106.
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ner Landsmann Tschechen gegen Tschechen zusammenrotte und den Namen der eigenen Nation derart in den Schmutz ziehe.30 Man wird freilich neben den vielfältigen Vaterlandsreflexionen unter den Bedingungen des Exils nicht übersehen dürfen, dass es andere Themenfelder im exulantischen Denkhorizont gab, beispielsweise die neustoische constantia-Rezeption eines Lipsius, die als abgewandelte Freiheitsdiskurse eine vergleichbare integrative und homogenisierende Funktion übernahmen.31 Dort, wo es direkt zu militärischen Aktionen kam, lässt sich vielerorts überdies ein Aufleben der älteren Hus- und Kelchsymbolik beobachten. Die Rückgabe der ,vollen Freiheit‘, die sich das politische Exil etwa von einem Königtum Wallensteins erhoffte, wurde dann zum Appell an das Schwert der hussitischen Heerführer, an die Heldentaten der alten Tschechen anzuknüpfen und deren Freiheit neu zu erkämpfen.32 Was die historiographische Einschreibung dieser Freiheitsvorstellungen betrifft, so ist besonders ein Exulant hervorzuheben, dem die tschechische Kultur-, Ideen- und Literaturgeschichte seit jeher eine führende Stellung innerhalb der um die libertas Bohemiae kämpfenden Intellektuellen eingeräumt hat: der ehemalige Leitmeritzer Stadtrat Pavel Stránský, der, obwohl er sich weder vor noch nach 1618 politisch übermäßig exponiert hatte, als Utraquist und Sympathisant des reformierten „Winterkönigs“ nach der Schlacht am Weißen Berg bei Prag ebenfalls zu den Leidtragenden des Zusammenbruchs gehörte.33 Stránský hatte bereits 1618 mit seiner Abhandlung Proti hostinským, v Čechách se do kostelův tlačícím jazykům na nedbalého Čecha učiněný okřik (Anruf an den unachtsamen Tschechen wider die fremden, in Böhmen sich in die Kirchen drängenden Sprachen) eine im Kontext dieses Beitrags einschlägige Verteidigungsschrift der tschechischen Sprache vorgelegt, die eine klare Aussage zur ethnischen Identität der Tschechen enthielt: Fremde Sprache bringe fremdes Joch, fremdes Joch Sklaverei, diese aber unweigerlich den Verderb eines Volkes – als Gegenbild dienten ihm die Altvorderen, die Vaterland, Freiheit und Sprache stets als ihre höchsten Güter verteidigt hätten.34 30 Čapek, E[mil]: Jana Amose Komenského výchovný odkaz. Dvě studie. Praha 1957, 40. 31 Schunka: Gäste, die bleiben, 130–142. 32 Husa, Václav (Hg.): Naše národní minulost v dokumentech. Chrestomatie k dějinám Československa, Bd. 1. Praha 1954, 289–291. Für die Zeit nach 1648 vgl. Kumpera, Jan: Poslední pokus českého pobělohorského exilu o svržení habsburské nadvlády v českých zemích. In: Beneš, Zdeněk/ Maur, Eduard/Pánek, Jaroslav (Hg.): Pocta Josefu Petráňovi. Sborník prací z českých dějin k 60. narozeninám prof. dr. Josefa Petráně. Praha 1991 (Práce Historického Ústavu AV ČR C/4), 327–346. ��Marek, František: Pavel Stránský. Ústí nad Labem 1983. 34 Volf, Jos[ef]: Pavla Stránského Okřik na nedbalého Čecha učiněný 1618. In: Časopis Musea království Českého 84, 1910, 23–40; Udolph, Ludger: Der Streit um die čechische Sprache in Böhmen vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 1620. In: Harder, Hans-Bernd/Rothe, Hans (Hg.): Später Humanismus in der Krone Böhmen 1570–1620. Studien zum Humanismus in den böhmischen
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Berühmt wurde der bisher nur in späthumanistischen Zirkeln bekannte Dichter als politischer Autor allerdings erst durch sein 1634 in Leiden, innerhalb der berühmten „Elzevirschen Republiken“ erschienenes Werk Respublica Bohemiae, eine Abhandlung, die wie keine andere das Bemühen verdeutlicht, die Erinnerungshoheit, die Aneignung der Vergangenheit Böhmens, nicht völlig den Siegern von 1620 zu überlassen und Akzente einer eigenen, notgedrungen vom Exil aus initiierten Erinnerungskultur zu setzen.35 Allgemein ging es Stránský um dreierlei: erstens um die Verteidigung einer landesspezifischen, von den slawischen Ursprungsmythen von Čech, Krok, Libuše und Přemysl her entwickelten Rechts- und Freiheitstradition, zweitens um die Legitimation des – faktisch gescheiterten – Verfassungsexperiments der kurzen Zeitspanne nach 1618 sowie drittens um das geradezu beschwörende Festklammern an eine Kontinuität der tschechischen Nationsidentität und Staatlichkeit in Böhmen, die von der tiefen Zäsur der Niederlage der protestantischen Stände unbeschadet geblieben sei.36 Im Kern kreiste die Argumentation um einen einzigen, naturgemäß vielfach variierten Begriff, den der ,Freiheit‘ – und dies in einer solchen Dichte und Überzeugungskraft, dass sogar sein kaisertreuer Historikerkollege Ignaz Cornova, der Stránskýs Respublica Bohemiae in Prag in der Zeit der Aufklärung wiederentdeckte, voller Respekt feststellte: „So spricht ein Freyheitsschwärmer des 17ten Jahrhunderts.“37 Gleichwohl war es dem aufgeklärten Exjesuiten, der die „beynahe vergeßne Respublica Boiema“ erneut ans Licht zog, ein Anliegen, sich in nahezu jedem Kapitel von „Stransky’s Denkungsart über Religion und Staatsverfassung“ zu distanzieren und dessen Ansichten durch umfangreiche Exkurse zu „berichtigen“.38 Dass man bereits in einem der ersten Verlagskataloge der Elzevirschen Buchdruckerei ein Werk über Böhmen – das Land, dessen schwere Verfas-
Ländern IV. Dresden 1998 (Schriften zur Kultur der Slaven 3), 169–180; Valeš, Vlasta: Sprachverhalten in den Ländern der böhmischen Krone in der Frühen Neuzeit. In: Frühneuzeit-Info 10/1–2, 1999, 30–42. ��Stránský, Pavel: Respublica Bohemiae. Lugd[unum] Batavorum 1634. 36 Maur, Eduard: Pojetí národa v díle M. Pavla Stránského O státě českém. In: Acta Universitatis Carolinae – Philosophica et historica 3, 1996, 41–52; ders.: Pojetí národa v díle českých pobělohorských exulantů. In: Hrubá (Hg.): Víra nebo vlast, 174–183; Schamschula, Walter: Pavel Stránskýs Respublica Bohemiae und die literarische Tradition. In: Harder, Hans-Bernd/Rothe, Hans (Hg.): Studien zum Humanismus in den böhmischen Ländern III: Die Bedeutung der humanistischen Topographien und Reisebeschreibungen in der Kultur der böhmischen Länder bis zur Zeit Balbíns. Köln/Weimar/Wien 1993 (Schriften des Komitees der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung der Slawischen Studien 17), 113–126. 37 Cornova, Ignaz (Hg.): Paul Stransky’s Staat von Böhmen, Bd. 1–7. Prag 1792–1803, hier Bd. 7, 120 Anm. a. ��������������������������������������������������������������� Ebd., Bd. 1, Vorrede (nicht paginiert). Zum Herausgeber vgl. Kutnar, František: Život a dílo Ignáce Cornovy. (Příspěvek k osvícenské historiografii). In: Český časopis historický 36, 1930, 327–350, 491–519.
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sungskrise in den ersten beiden Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts schließlich zum Auslöser des Krieges geworden war – annonciert hatte, versprach eine besondere Brisanz, musste doch zum damaligen Zeitpunkt der Frage der Legitimation politischer Macht- und Herrschaftsansprüche in den Ländern der Wenzelskrone zentrale Bedeutung zukommen. Der angekündigte Band, der im Gegensatz zu anderen, zum Teil anonym veröffentlichten Werken für die avisierte Buchreihe neu verfasst worden war, erschien erstmals 1634 unter dem Titel Respublica Bohemiae. 1643 kam es zu einer erweiterten und überarbeiteten Neuausgabe unter dem Titel Respublica Bojema, die fünf Jahre später, im Jahr des Westfälischen Friedens, nochmals nachgedruckt wurde. Obwohl die besonders sensiblen Abschnitte des Werkes – über die stets umstrittene Frage von Wahl- oder Erbrecht etwa oder über den Grad der Souveränität Böhmens gegenüber dem römisch-deutschen Reich – juristische Fragen aufgriffen, die von böhmischen Rechtsgelehrten bereits mehrfach und detailliert erörtert worden waren,39 war Stránskýs Verfassungsbegriff doch insgesamt weiter gefasst. Dieser stand für ein System von Fundamentalgesetzen, einen allgemeinen Normenkonsens, der die ständischen und religiösen Freiheiten als politisch und rechtlich fest umrissene und praktisch einlösbare Rechte beschrieb. Was das Verhältnis Böhmens zum Reich anbetrifft, so stand die „Bojemae gentis absoluta libertas“ für den Exulanten außer Frage, denn diese sei nie vom Willen einer auswärtigen Macht abhängig gewesen.40 Zu allen Zeiten habe die Nation Anordnungen aller Art frei und ungehindert getroffen. Die Regenten verdankten ihre Machtvollkommenheit, so Stránský, ausschließlich der Gnade Gottes und dem freien Willen des Volkes.41 Was gegen diese ursprüngliche Freiheit in späteren Zeiten – im Krieg durch offene Gewalt, im Frieden durch Kunstgriffe – unternommen worden sei, sei lediglich dem Wechsel des Glücks und den Zeitumständen zuzuschreiben. Mit Nachdruck hob Stránský, hierbei altslawische Herrschaftsvorstellungen aufgreifend, die ungebrochene Gültigkeit der freien Wahl der Könige hervor.42 Das regional-föderative Wesen des böhmischen Länderkonglomerats, für den Autor eine bewunderungswürdige, durch weise Gesetze verbundene Eintracht, war für ihn wichtiger als dessen monarchischzentralistischer Charakter.43
39 Malý, Karel: Právní kultura v českém stavovském státě. In: Malý/Pánek (Hg.): Vladislavské zřízení zemské, 55–66; Urfus, Valentin: Jurisprudence in Comenius’s Times. In: Pešková, Jaroslava/Cach, Josef/Svatoš, Martin (Hg.): Homage to J. A. Comenius. Praha 1991, 97–104. 40 Stránský: Respublica Bohemiae, 120. Einige Seiten später spricht Stránský von der ererbten Freiheit des Volkes („avita gentis libertas“, 132). ������������ Ebd., 137. ������������� Ebd., 208f. ������������������������������������������������������������������������������������������������ „Hoc igitur est totius Bojemi Regni ac coronae, harmonia sane membrorum pereleganti sapienter coagmentatum corpus, hae concordia admirabili, legumque vinculis mutuis, firmiter inter se conne-
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Am eindringlichsten entwickelte Stránský seine Vorstellung von der böhmischen Libertaskultur im Kapitel „De Bojemorum Comitiis“, mit dem er an die seit dem 13. Jahrhundert im weltlichen Recht verbreitete Konsenstheorie des Quod omnes tangit ab omnibus debet approbari anknüpfte,44 diesen Rechtsgrundsatz aber zu einem weitergehenden Freiheitsprinzip erhob. Die Macht, frei über alles, was das Gemeinwohl betreffe, seine Auffassung darzulegen, müsse jedem Mitglied der politischen Nation eingeräumt werden: als Mittel, um eine jede Machtkonzentration schon im Ansatz zu verhindern, und gleichzeitig als Beweis, dass die Freiheit der Landtage unverändert gegeben sei. Dieses Recht, mithin die durch keine landesherrliche Maßnahme eingeschränkte Praxis freier Ständezusammenkünfte, die nach Stránskýs Empfinden in der Vergangenheit ein Vorzug des böhmischen Gemeinwesens gewesen und dies auch noch in der Gegenwart sei, symbolisierte für den tschechischen Exulanten ein wesentliches Element der Freiheit des ganzen Volkes.45 Dass ihm darüber hinaus die (hussitische) Kirche mit ihrer ursprünglich slawischen Liturgie als Hort des reinen, politisch wie ethnisch bedrohten Tschechentums erschien, machte den Neuutraquisten auch in späteren Jahrhunderten für eine unter neuen Vorzeichen stehende kollektive Identitätsstiftung interessant. In der Hoffnung auf die Restitution eines religiös toleranten Ständestaats lebte auch der gewiss berühmteste Emigrant jener Jahre, der tschechische Theologe, Philosoph, Pädagoge und letzte Bischof der Brüderunität in Böhmen, Johann Amos Comenius. Überzeugt, dass die Katastrophe von Flucht und Vertreibung durch die Sünden des ganzen Volkes, durch die Lauheit und Nachlässigkeit vieler Jahre verursacht worden sei, empfand er seine eigene Mitschuld. In einer Situation, die der Wiederkehr Israels aus der babylonischen Gefangenschaft ähnlich schien, forderte er, der gern vom gemeinsa-
xae provinciae, de quibus ea saltem quae illustrandae Bojemorum reipub. servire posse vidimus, compendio referre voluimus, quaeque lectoribus, ut non ingrata, ita nec inutilia fore judicavimus.“ Ebd., 310f. 44 Eberhard, Winfried: Herrscher und Stände. In: Fetscher, Iring/Münkler, Herfried (Hg.): Pipers Handbuch der politischen Ideen, Bd. 2. München/Zürich 1993, 467–551, hier 485–487; Von Oer, Rudolfine Freiin: Quod omnes tangit as Legal and Political Argument: Germany, Late Sixteenth Century. In: Parliaments, Estates and Representation 3, 1983, 1–6. ���������������������������������������������������������������������������������������������������� „Libere autem, sed sobrie quoque, dicendi in iis, quae quis è repub. esse existimat, facultas est membro non temerario cuique danda, & postulata cujusque citra impeditionem audienda, tam ut quod omnes tangit ab omnibus peragatur, & qui în magna sunt potentia, horum comitiorum metu contineantur in ordine, quam ut libertatem populo priscam superesse, illibatamque conservari, hoc modo appareat. Viguit semper vigetque hactenus, in Bojemia hoc quoque jus & comitiorum libertas. Restricta namque in hoc regno; ut diximus, usque adeo est Regum potestas, ut ubicunque de repub. vel arduo reipub. quocunque negotio, est statuendum, in comitiis id, & de populi voluntate, fieri oporteat. Indicendorum porro comitiorum, & populi de profanis rebus ad deliberationes communes convocandi jus, praeter Regem, vel in Interregno, praeter Senatum regni, concessum est nemini.“ Stránský: Respublica Bohemiae, 407f.
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men Exilschicksal seines Volkes sprach, zur Wiedererrichtung des Tempels des Herrn, seiner Kirche, der christlichen Gemeinschaft auf.46 Ähnlich wie bei anderen Exilschriftstellern finden wir auch bei Comenius, oft in Anlehnung an die hussitische Tradition und im Kontext zu Überlegungen einer Pflege der Muttersprache, die Sprach- und Abstammungsgemeinschaft als integrative Idee.47 Dies gilt etwa für sein ergreifendes Werk Kšaft umírající matky Jednoty bratrské (Vermächtnis der sterbenden Mutter, der Brüderunität), das er nach den für ihn enttäuschenden Friedensverhandlungen von Münster und Osnabrück verfasste, durch die der Status quo ante in Böhmen nicht, wie erhofft, wiederhergestellt worden war.48 ,Freiheit‘, das war nunmehr für den Exulanten die demütige, nicht anklagende Annahme des Exulantenloses: „Nicht für dieses Leben und seine Angelegenheiten sind wir da, das sind bloß eine Wallfahrt und geläufige, den Wanderern hinzugegebene Dinge. Unsere Heimat ist der Himmel“,49 wie er 1650 nach Hebr 11,13–16 schrieb. Eines verlor Comenius jedoch nie aus den Augen: die Hoffnung auf die Besserung des Menschengeschlechts, die erhabene politische Utopie eines Weltstaats der „homines bonae voluntatis“.50 Als politischer Denker, als Visionär, der keine Erfahrung in der Ausübung politischer Macht besaß und nur durch die äußeren Umstände zu entsprechenden Auftritten in der Öffentlichkeit gezwungen wurde, blieb Comenius eine widersprüchliche und zutiefst tragische Gestalt. Seine Erwartungen an die antihabsburgischen Mächte, eine Lösung der böhmischen Frage herbeizuführen, waren ohne Zweifel ebenso überzogen wie seine Vorstellungen, das in sich gespaltene Exil religiös einen zu können. Gleichwohl beeinflussten die politische Kultur und die mehrkonfessionelle Tradition seiner Heimat auf der einen sowie die Erfahrungen des Exils auf der anderen Seite nachhaltig seine Vision einer künftigen Gesellschaft. „Comenius spann den Grundsatz, daß sein Heimatland und auch die dort lebenden ständischen Personen frei sind, auch für die Angehörigen der übrigen Länder und Völker, die freie und gleichberechtigte Bürger eines weltweiten Staates werden sollten. [...] Er �� Blekastad: Comenius, 194f.; Michel, Gerhard/Beer, Jürgen: Johann Amos Comenius. Leben, Werk und Wirken. Autobiographische Texte und Notizen. Sankt Augustin 1992 (Schriften zur Comeniusforschung 21), 31–36. Auf Einzelbelege der kaum noch überschaubaren tschechischen und internationalen Comenius-Forschung muss hier verzichtet werden. 47 Skarka, Antonín (Hg.): Ad Bohemiam. Výbor z Komenského projevů a výzev k vlasti a národu. Praha 1970. 48 Comenius, Johann Amos: Vermächtnis der sterbenden Mutter, der Brüderunität. Hg. v. Miloš Bič. Neukirchen 1958 (Zeugen und Zeugnisse 6), 98–101. Zum realpolitischen Hintergrund vgl. Šindelář, Bedřich: Vestfálský mír a česká otázka. Praha 1969. 49 Comenius: Vermächtnis, 89. 50 Seibt, Ferdinand: Comenius als Utopist. In: Michel, Gerhard/Schaller, Klaus (Hg.): Pädagogik und Politik. Comenius-Colloquium Bochum 1970. Ratingen/Kastellaun/Düsseldorf 1972 (Veröffentlichungen der Comeniusforschungsstelle im Institut für Pädagogik der Ruhr-Universität Bochum 1), 22–31.
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suchte auch das Kardinalproblem des Übergangs aus dem bisherigen Labyrinth zu einem neuen System interhumaner Beziehungen zu lösen und fand den Ausweg in einer allgemeinen Vergebung der zugefügten Unbilden, in einer universalen Amnestie, die allein fähig sei, die erforderliche Atmosphäre gegenseitiger Toleranz herbeizuführen.“51
4. Das Nachleben der Freiheitsdiskurse frühneuzeitlicher Konfessionsmigranten aus Böhmen Im Jahrhundert der Aufklärung wurde auch in Böhmen, wo sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Entstehen eines frühnationalen Bewusstseins bei Teilen des Adels, der Geistlichkeit und des gehobenen Bürgertums bemerkbar machte, in privaten Zirkeln und Salons, in Leseclubs und wissenschaftlichen Gesellschaften über ,Freiheit‘ diskutiert und geschrieben: über soziale Grundrechte, Presse- und Meinungsfreiheit ebenso wie über religiöse Bekenntnis- und Kultusfreiheit. Eine Anweisung des Böhmischen Guberniums an die ländlichen Gastwirte aus dem Jahr 1793, die „Freiheitsschwärmerei“ in ihren Wirtschaften nicht länger zu dulden, ist nur ein Beispiel dafür, in welchem Maße die politischen Ideen der Französischen Revolution auch die Landbevölkerung erreichten.52 Zu den allgemeineuropäischen Freiheitspostulaten konnten die Exulanten des 17. Jahrhunderts kaum einen ideellen Beitrag leisten. Sie gewannen erst in dem Moment erneut an Aktualität – dies lässt sich unschwer an einschlägigen Übersetzungen, Popularisierungen und künstlerischen Darstellungen im 19. Jahrhundert nachweisen53 –, als sich die moderne tschechische Nationalbewegung als eine Wiederaufnahme ihrer religiösen Sendung, das heißt ihrer hussitischen Tradition, erklärte. Bei dieser sakralen Überhöhung der eigenen Nation, die ihren Niederschlag in einem regelrechten Hus- und Hussitenkult fand, standen die religiösen Akzente den nationalen Anliegen stets nach. Die volkstümlichen Massenversammlungen beispielsweise, die in den Jahren �� Pánek, Jaroslav: Jan Amos Comenius: Zum politischen Denken und politischen Handeln. In: Mack, Karlheinz (Hg.): Jan Amos Comenius und die Politik seiner Zeit. Wien/München 1992 (Schriftenreihe des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 21), 55–74, hier 73; V álka, Josef: Obsah pojmů národ a vlast u Komenského (K otázce Komenského „moravanství“). In: Vlastivědný věstník moravský 22, 1970, 281–290. 52 Mejdřická, Květa: Listy ze stromu svobody. Praha 1989. Das genannte Zitat in dies.: Die böhmischen gebildeten Schichten und die Französische Revolution. In: Wangermann, Ernst u.a. (Hg.): Die schwierige Geburt der Freiheit. Wien 1991, 239–259, hier 245. 53 Hojda, Zdeněk: Náboženská perzekuce po Bílé hoře jako součást českého mýtu. Příspěvek k poznání výtvarných a literárních zdrojů historického vědomí v 19. století. In: Hlaváček, Ivan/Hrdina, Jan (Hg.): Facta probant homines. Sborník příspěvků k životním jubileu Zdeňky Hledíkové. Praha 1998, 181–203.
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1868 bis 1871 an den historischen Stätten der hussitischen Bewegung stattfanden, standen ganz im Zeichen weltlicher Themen. Eine Geschichte der Freiheit und des modernen politischen Denkens in Böhmen wurde bis zum heutigen Tage nicht geschrieben.54 In ihr nähmen die kollektiven Freiheitsvorstellungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigranten einen besonderen Platz ein.
����������������������������������������������������������������������������������������������� Dass eine solche Untersuchung zeitlich bis zu den mittelalterlichen Libertasvorstellungen zurückgreifen müsste, verdeutlicht exemplarisch Bláhová, Marie: Die Freiheitsvorstellungen der böhmischen Intelligenz des frühen 12. Jahrhunderts (Der Begriff „libertas“ bei Cosmas von Prag). In: Gobbi, Domenico (Hg.): Florentissima proles ecclesiae. Miscellanea hagiographica, historica et liturgica Reginaldo Grégoire O.S.B. XII lustra complenti oblata. Trento 1996, 31–39; dies.: Offizielle Geschichtsschreibung in den mittelalterlichen böhmischen Ländern. In: Wenta, Jarosław (Hg.): Die Geschichtsschreibung in Mitteleuropa. Projekte und Forschungsprobleme. Toruń 1999 (Subsidia historiographica 1), 21–40.
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Veritas toti mundo declarata. Der publizistische Diskurs um Religionsfreiheit, Verfassungsordnung und Kirchenrecht in Ungarn im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts 1. Das Fanal – eine Kaschauer Streitschrift und ihr Autor Der kleine, 1671 in Kaschau in lateinischer Sprache veröffentlichte Traktat Veritas toti mundo declarata1 erschien zu einem Zeitpunkt, als der nach Aufdeckung der Wesselényi-Verschwörung erhöhte politische Druck Wiens die gesamte Verfassungsordnung Ungarns zu beseitigen drohte. Nach Auffassung des Hofes hätten die rebellischen Stände ihre Privilegien verloren, darunter auch die evangelische Glaubensfreiheit. Schon der Kampfansage auf dem Titelblatt wegen konnten die Protestanten den Traktat daher nur als eine programmatische Grundlegung dieser Verwirkungstheorie empfinden. Für sie war die Schrift, die Leopold I. – hier bereits als „Rex Hungariae Apostolicus“ tituliert – gewidmet war, der unumstößliche Beweis, dass die staatliche Religionspolitik nur ein Ziel verfolgte: die völlige Entrechtung und Vernichtung ihrer Glaubensgemeinschaften. Für die Katholiken wiederum verband sich mit der forcierten Gegenreformation der Habsburger, der mit dem genannten Traktat eine scheinbar unwiderlegbare Rechtsposition zugesprochen wurde, die Hoffnung auf eine durchgreifende Umgestaltung der religiösen Verhältnisse und kirchlichen Strukturen. Die seit dem Episkopat Péter Pázmánys an Schärfe gewinnende konfessionelle Polarisierung innerhalb der ungarischen Gesellschaft,2 die während der Jahre 1671 bis 1681 auf einen Höhepunkt zusteuerte, lässt sich in besonderer Weise an der Rezeptionsgeschichte gerade jenes kleinen Druckes aufzeigen: Keine katholische Streitschrift erhielt so
1 [Bársony, Georgius]: Veritas toti mundo declarata; argumento triplici ostendens, Sac. Caes. Regiamque Majestatem non obligari, tolerare in Ungaria Sectas, Lutheranam & Calvinianam, quam Catholicae Religionis Zelo concinnavit. Cassoviae 1671. Zitiert wird im Folgenden nicht nach der seltenen Erstausgabe, sondern nach der im Folgejahr gedruckten zweiten Ausgabe (Viennae 1672). Zur politischen und konfessionellen Publizistik im frühneuzeitlichen Ungarn vgl. Bitskey, István: Konfessionen und literarische Gattungen der frühen Neuzeit in Ungarn. Beiträge zur mitteleuropäischen vergleichenden Kulturgeschichte. Frankfurt am Main u.a. 1999 (Debrecener Studien zur Literatur 4); ders.: Az egyházak szerepe XVI–XVIII. századi irodalmunk fejlődésében. In: Bárdos, István/Beke, Margit (Hg.): Egyházak a változó világban. Esztergom 1991, 41–46. 2 Bitskey, István: Pázmány Péter. Budapest 1986. Eine prägnante Skizze bietet ders.: Péter Pázmány (1570–1637). In: Zombori, István/Cséfalvay, Pál/De Angelis, Maria Antonietta (Hg.): A Thousand Years of Christianity in Hungary. Hungariae Christianae Millennium. Budapest 2001, 101–109.
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viele Widerlegungen von protestantischer Seite, keine wiederum wurde bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts derart oft nachgedruckt.3 Der Druckort Kaschau war im Jahr 1671, als die Streitschrift veröffentlicht wurde, noch immer Sitz der Bischöfe von Erlau, die Ende des 16. Jahrhunderts, als ihr bisheriger Bischofssitz in türkische Hände gefallen war, nach Nordungarn ausgewichen waren. Erst 1687, im Zuge der Zurückdrängung der Osmanen aus Südosteuropa, sollten sie zusammen mit dem Domkapitel nach Erlau zurückkehren.4 Dass Kaschau im 17. Jahrhundert in besonderem Maße zum Schauplatz heftiger Glaubenskämpfe wurde, hängt zum einen mit der von den Bischöfen im Zusammenwirken mit den Jesuiten verstärkten Rekatholisierung zusammen. So richtete Bischof Benedek Kisdi, der 1651 ein umfangreiches katholisches Gesangbuch veröffentlicht hatte, in Kaschau eine Jesuitenakademie und ein nach ihm benanntes Priesterseminar („Kisdianum“) ein. Sein Nachfolger, Tamás Pálffy, gründete eine katholische Buchdruckerei, in der in den kommenden Jahren eine ganze Reihe religiöser Streitschriften erschien, darunter auch der Traktat Veritas. Zum anderen wurden die konfessionellen Konflikte durch die Interessen der einzelnen ethnischen Gruppen in der Stadt verschärft, unter denen die Magyaren mit über 80 Prozent die deutschen Einwohner (und die kleine slowakische Minderheit) numerisch zwar deutlich überragten, in Magistrat und Stadtverwaltung aber kaum präsent waren.5 Einem neuen Druckerzeugnis, das die religiösen und politischen Verhältnisse nach Aufdeckung der Magnaten-Verschwörung zu verändern drohte, war daher gerade in Kaschau eine große Aufmerksamkeit gewiss. Der Verfasser wurde auf dem Titelblatt zwar nicht namentlich genannt, durch eine den Rang und Namen bezeichnende, für die Zeitgenossen wohl vergleichsweise leicht aufzulösende Buchstabenfolge („G. B. E. V. P. S. S. C. R. M. C. C.“) jedoch angedeutet: Georgius Barsony, Episcopus Varadiensis, Praepositus Scepusiensis, Sacrae Caesareae Regiaeque Majestatis Consiliarius Camerarius. Es war mithin ein Mitglied des Episkopats, das 1671 zur Feder gegriffen und eine radikale Umkehr der bisherigen Religionspolitik gefordert hatte, kein jesuitischer Scharfmacher, sondern ein vornehmes Mitglied der kirchlichen Hierarchie und des primus status Regni. 3 Esze, Tomás: Bársony György „Veritas“-a. In: Irodalomtörténeti Közlemények 75, 1971, 667–693; Zoványi, Jenő: Bársony György. In: Magyar Könyvszemle N.F. 37, 1930, 292–295. 4 Bitskey, István: Az egri egyházmegye szerepe a régió művelődésében (1687–1848). In: Magyar Egyháztörténeti Vázlatok 11, 1999, 65–74; Szákaly, Ferenc: Katolikus hierarchia a török hódoltságban. In: Bárdos/Beke (Hg.): Egyházak a változó világban, 245–249. 5 Bitskey, István: Püspökök, írók, könyvtárak. Egri főpapok irodalmi mecenatúrája a barokk korban. Eger 1997 (Studia Agriensia 16), 29–40; ders.: Katolicka vzdelanosť na územi Slovenska v 17. storoči. In: Čičaj, Viliam (Hg.): Rozpravy k slovenským dejinám. Bratislava 2001, 17–36; ders.: Multikonfessionalität und kulturelle Vielfalt: Oberungarn im 17. Jahrhundert [2002]. In: ders.: Lebensgemeinschaft und nationale Identität. Beiträge zur frühneuzeitlichen Kulturgeschichte Ungarns im mitteleuropäischen Kontext. Wien 2007, 85–104.
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Die oberungarische Stadt Kaschau war das ganze 17. Jahrhundert hindurch Schauplatz heftiger Glaubenskämpfe zwischen Katholiken und Protestanten. Dies hing auch damit zusammen, dass der Erlauer Oberhirte, dessen Bischofssitz Ende des 16. Jahrhunderts in die Hände der Türken gefallen war, zusammen mit dem Domkapitel in der Stadt Zuflucht gefunden hatte und hier die Gegenreformation energisch vorantrieb. Im Zentrum der Auseinandersetzungen stand die monumentale Elisabethkirche, die auf dem abgebildeten Kupferstich, der 1618 in dem Städteansichtenbuch Civitates Orbis Terrarum veröffentlicht wurde, gut zu erkennen ist. 1671 – in dem Jahr, in dem in Kaschau der Traktat Veritas toti mundo declarata von György Bársony im Druck erschien – hatten die Lutheraner die Kirche auf Befehl Kaiser Leopolds I. endgültig zu räumen und den Katholiken zu übergeben.
Über den Werdegang des Bischofs von Großwardein, seine Tätigkeit als Seelenhirte, seine publizistischen Ambitionen und politischen Verbindungen sind wir zumindest in groben Umrissen informiert.6 Der aus einer ungarischen Kleinadelsfamilie stammende, 1626 im siebenbürgischen Petersdorf geborene György Bársony hatte von 1646 bis 1650 in Rom am Collegium Germanicum-Hungaricum studiert. Schon auf seiner ersten Pfarrstelle im oberungarischen Waagneustadtl wurde sein Name mit aggressiven Auftritten gegenüber den örtlichen Protestanten in Verbindung gebracht. Der Ernennung zum Domherrn in Gran 1653 folgten weitere Pfründe, bevor Bársony, der gute Kontakte zum Primas György Lippay besaß und durch seine Teilnahme am politischen Leben auch beim Wiener Hof kein Unbekannter war, 1663 der Einstieg in die bischöfliche Hierarchie gelang. Großwardein, das auch in späterer Zeit das klassische Einstiegsbistum im ungarischen Primatialverband mit der größten Versetzungsquote blieb, war 6 Ders.: Hungariából Rómába. A római Collegium Germanicum Hungaricum és a magyarországi barokk mũvelődés. Budapest 1996, 231, 460; Kollányi, Ferenc: Esztergomi kanonokok 1100– 1900. Esztergom 1900, 268; Sugar, István: Az egri püspökök története. Budapest 1984 (Az Egri főégyházmegye schematizmusa 1), 347–353; Esze: Bársony György „Veritas“-a, 668–671.
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zwar wenige Jahre zuvor als einer der letzten Bischofssitze an die Osmanen gefallen und warf daher keine Einnahmen ab, so dass Bársony aus finanziellen Gründen noch im gleichen Jahr die Zipser Propstei verliehen wurde. Ein Prestigegewinn war der Aufstieg in den Episkopat gleichwohl, zumal damit auch handfeste Vorteile für eine politische Tätigkeit verbunden waren. Am Hof jedenfalls muss man mit Bársony zufrieden gewesen sein, sonst wäre er nicht 1675 als Nachfolger des verstorbenen Ferenc Szegedi an die Spitze der gut dotierten Erlauer Diözese – unverändert mit Sitz in Kaschau – gestellt worden, der er bis zu seinem Tod 1678 vorstand. Eine solche Translation nach Erlau war auch in der späten Türkenzeit, als der ungarische Episkopat noch nicht jene Exklusivität besaß wie ein halbes Jahrhundert später, eine Auszeichnung.7 Dass Bársony überdies nach dem Kardinalsbirett gestrebt habe,8 erscheint angesichts seines letztlich doch recht engen Horizonts, seiner vielfach belegten und noch häufiger beklagten schroffen Vorgehensweise gegenüber Lutheranern und Reformierten und – seit dem Tod seines Patrons, Erzbischof Lippays, im Jahr 1666 – der fehlenden Unterstützung im Bischofskollegium und am Hof wenig glaubhaft.9
2. Anlage, Adressatenkreis und Argumentation des bischöflichen Traktats Der Traktat Veritas war nicht die erste Schrift, mit der Bársony als kirchlicher Schriftsteller hervortrat. Unmittelbar zuvor war in Kaschau bereits ein anderes, sehr viel weniger bekanntes Werk als lateinisch-ungarische Parallelausgabe erschienen. Die Abhandlung war ebenfalls ohne namentliche Nennung des Autors gedruckt worden: Speculum Hungariae, ein an die Adresse der Protestanten gerichteter „Spiegel von Ungarn“, durch dessen Betrachtung man zur Erkenntnis gelange, was das Land früher gewesen sei und wie es sich nun, Anfang der 1670er Jahre, darstelle.10 Das Werk war im Grunde nichts anderes als eine von Bársony kommentierte Edition der sogenannten Silvester-Bulle, der in der ungarischen Rechtstradition eine herausgehobene 7 Tusor, Péter: A magyar hierarchia és a pápaság a 17. században (Problémák és fordulópontok). In: Századok 136, 2002, 527–545; Bouydosh, Ernest: Náboženské pomery v Uhorsku za arcibiskupa J. Lippayho 1642–1666. In: Most. Štvrťročník pre slovenskú kultúru 8, 1961, 4–36. 8 Esze: Bársony György „Veritas“-a, 669. 9 Zur Isolation Bársonys im Bischofskollegium während seines Erlauer Episkopats vgl. ebd., 680– 682. Esze äußert überdies die Vermutung, dass der Neudruck der Veritas im Jahr 1677 mit dem Bemühen des unnachgiebigen Oberhirten zusammenhing, die auf Ausgleich hinarbeitenden Prälaten nochmals aufzurütteln. ���[Bársony, Georgius]: Magyar Ország Tüköre, kiben tekintvén Megismérje magát, Mitsodás vólt hajdan? Mitsodás most? És honnét vötte aʼ Keresztény Országát, és Királyit? honnét az Angyali Koronáját? Cassan 1671.
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Bedeutung zukam: Das vermeintliche Privileg, das Papst Silvester II. dem ungarischen König Stephan I. verliehen haben soll, war ein wichtiger Baustein in der langwierigen Auseinandersetzung um Ursprung und Umfang der königlichen, niemals klar umrissenen Sonderbefugnisse („ius supremi patronatus regis“), die sich auf die besondere Art der Pfründenverleihung in den Ländern der Stephanskrone bezogen.11 Die angebliche (lateinische) Bulle hatte erstmals der aus Ungarn stammende Jesuit Menyhért Inchofer 1644 in Rom im ersten Band seiner Annales Ecclesiastici Regni Hungariae veröffentlicht.12 Knapp drei Jahrzehnte später publizierte Bársony den Text nun auch in ungarischer Übersetzung. Dass es sich bei der Bulle um eine geschickte Fälschung handelte, konnte erst Anfang des 20. Jahrhunderts mit Sicherheit nachgewiesen werden. Der Bischof von Großwardein war ohne Zweifel von der Echtheit des Textes überzeugt, wenn auch seine eigene Angabe, das versiegelte Originalschreiben Papst Silvesters II. an den ersten König von Ungarn in Händen gehalten zu haben, wissentlich falsch war.13 Die Motive, die Bársony später zu einer Veröffentlichung des Traktats Veritas bewegten, ergeben sich aus den beiden im Detail voneinander abweichenden Begleitkommentaren und in gewisser Weise bereits aus dem Titel seiner Schrift, in dem er auf zwei Bibelstellen anspielte: auf Jer 6,16 („So spricht der Herr: Tretet hin an die Wege und schauet und fragt nach den Wegen der Vorzeit, welches der gute Weg sei, und wandelt darin, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele! Aber sie sprechen: Wir wollens nicht tun!“) und auf Offb 2,4–5 („Aber ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlässest. Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße und tue die ersten Werke. Wo aber nicht, werde ich über dich kommen und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wenn du nicht Buße tust“). Bársony verstand seine Abhandlung – und nichts anderes sollte der für heutige Ohren sperrige ungarische Titel ausdrücken – als Weckruf und Mahnruf zugleich: Lutheraner und Reformierte, an die er sich wandte, sollten von ihren „ketzerischen Lehren“ lassen, umkehren, in die Fußstapfen des „apostolischen Königs“ treten und den Papst als Haupt der einen Christenheit anerkennen – denn nur so achte man Tradition und altes Herkommen und schütze 11 Fraknói, Vilmos: A magyar királyi kegyúri jog Szent Istvántól Mária Teréziáig. Történeti tanúlmány. Budapest 1895; ders. (Hg.): Oklevéltár a magyar királyi kegyúri jog történetéhez. Budapest 1899. 12 Inchofer, Melchior: Annales Ecclesiastici Regni Hungariae, Bd. 1. Romae 1644. ���������������������������������������������� Zur Auseinandersetzung mit Bársonys Schrift Speculum Hungariae im 18. Jahrhundert vgl. J uxta Hornad, Gabriel de [i.e. Schwarz, Gottfried]: Initia religionis christianae inter Hungaros ecclesiae orientali adserta [...]. Dissertatio historico-critica. Francofurti u.a. 1740; ders.: Entlarvte Bulle Pabsts Sylvester des II. die er an den heiligen Stephanus König in Ungarn abgeschickt haben soll. Samt ihren widergelegten Behelfen aus der Legende Chartuitii und Pabsts Gregorii des VII. Briefen. Lemgo 1777.
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zugleich die genuinen Rechte und Interessen der eigenen Nation. Die Gegenreformation wird hier gleichsam als nationale Tat apostrophiert, als Rückkehr zum vermeintlich ursprünglichen Ungartum, als alternativloses Projekt, dem sich auch die evangelischen Magyaren nicht entziehen könnten, sofern sie noch über einen Rest von Selbstwertgefühl und Patriotismus verfügten.14 Diese erste, in der Forschung nahezu ausnahmslos übergangene Veröffentlichung Bársonys steht damit in unmittelbarem Zusammenhang mit der zweiten, der ungleich bekannteren Veritas, in welcher der Verfasser Leopold I. nicht nur aufforderte, sondern auch und vor allem legitimierte, die „Ketzerei“ in Ungarn auszumerzen und der katholischen Religion wieder den ihr gebührenden Platz einzuräumen. Der Großwardeiner Oberhirte bemühte sich um den Beweis, dass der König von Ungarn in keiner Weise an die Freiheitsdekrete der ungarischen Protestanten gebunden sei und insofern weder die lutherische noch die calvinistische „Sekte“ tolerieren müsse. Das Neue an dieser legistischen Argumentation war, dass sich Bársony gar nicht erst auf eine Erörterung der Häresie einließ, sondern den ungarischen Protestantismus schlichtweg für verfassungswidrig erklärte. In seiner Beweisführung folgte er der auf dem Titelblatt bereits angekündigten Dreiteilung. Das erste Argument („Ex legibus Hungariae“) zielte darauf, die Gültigkeit von Artikel 1 des Wiener Friedens von 1606, der Lutheranern und Reformierten in Ungarn die freie Religionsausübung garantierte, zu widerlegen. Die Zusage eines freien Religionsexerzitiums sei nämlich an drei Bedingungen geknüpft gewesen: dass dieses erstens nicht der Alten Kirche zum Nachteil gereichen dürfe, dass zweitens die bestehenden katholischen Kirchenbauten unangetastet bleiben sollten und dass drittens die während der Reformation entfremdeten Gotteshäuser und Kirchengüter zu restituieren seien. Die religiöse Entwicklung seit 1606 habe nun aber gezeigt, dass man sich an keine der Bedingungen gehalten habe. Katholische Kirchen seien vielmehr geplündert und säkularisiert, Altäre niedergerissen, Priester verfolgt und – schlimmer als vom Erbfeind der Christenheit, den Türken – gemartert und getötet worden. Die Schicksale dreier Märtyrer aus Kaschau könnten gerade Letzteres bezeugen. Wenn aber die Vertragsbedingungen nicht eingehalten würden, sei man zur Erfüllung des Vertrags ebenfalls nicht verpflichtet. Wer keine ������������������ Zusagen einhalte, dem sei man nicht verpflichtet, seinerseits Glauben zu schenken.15 An dieser Rechtslage ändere auch Artikel 5 des Linzer Friedens von 1647 nichts, so Bársony, sei dieser doch aufgrund des Widerstands, den sowohl Prälaten als
14 Esze: Bársony György „Veritas“-a, 672. ��������������������������������������������������������������������������������������������� „Teneturne itaque Sacra Caesarea Regiaque Majestas, eosdem in Libero Religionis illorum Exercitio conservare? Neutiquam: Nam Regula juris nota est; non servatis conditionibus, non servari pacta: & violatis conditionibus, violari pacta: & illud: Frangent Fidem, fides frangatur eidem.“ [Bársony]: Veritas toti mundo declarata, 5.
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auch katholische Adelige und städtische Delegierte geleistet hätten, niemals mit den Stimmen aller vier Stände ordnungsgemäß von einem Reichstag angenommen worden. Mit seinem zweiten Argument („Rationes deducta ex Legibus“) stützte sich der Großwardeiner Bischof ganz auf die Autorität István Verbőczys und dessen Sammlung des ungarischen Gewohnheitsrechts, das im Auftrag des Reichstags verfasste, 1517 in Wien gedruckte Tripartitum opus iuris consuetudinarii inclyti regni Hungariae.16 Taktisch gesehen war dies ein raffinierter Schachzug, stellte doch Verbőczis Werk im 16. und 17. Jahrhundert eine Art Heiligtum der um ihre Rechte kämpfenden ungarischen Stände dar. Dem ungarischen Juristen und Politiker, der 1521 versucht haben soll, Luther in Worms zu bekehren, mochte Bársony auch aus religiösen Gründen Sympathien entgegenbringen. In der Schrift Veritas kam es ihm allerdings nur darauf an, dessen Prestige zu nutzen, um seiner bereits genannten Auffassung über die notwendigen Voraussetzungen eines rechtmäßigen Gesetzes zusätzliches Gewicht zu verleihen. Ein solches Gesetz bedürfe prinzipiell – und darauf hätten die Protestanten in anderen Zusammenhängen selbst verwiesen – des Konsenses von König und allen vier Ständen des Königreichs, der aber bei keinem der Religionsgesetze bestanden habe.17 Bársony beließ es bei diesem zweiten Argument freilich nicht bei der Feststellung, dass allen Lutheraner und Reformierte begünstigenden Gesetzen eine klare Rechtsgrundlage fehle. Er forderte überdies demonstrativ die Wiederherstellung der alten Gesetze gegen die Ketzereien.18 Darunter befand sich auch der berüchtigte Gesetzesartikel 4:1525, nach dem „Lutherani omnes extirpentur [...] & conburantur“.19 Indem der Großwardeiner Oberhirte nicht nur mit Nachdruck eine unerbittliche Verfolgung der Protestanten verlangte, sondern auch zu deren physischer Vernichtung und zum Einsatz erprobter Inquisitionsmittel aufrief, kehrte er bei Lichte besehen zu einer nach den Friedensschlüssen von Wien und Linz längst überwunden geglaubten Häretikertheorie und Häretikerpraxis zurück. Das dritte, am detailliertesten vorgetragene Argument („Ex adversariorum Confessione“) musste angesichts der bisher vertretenen radikalen Positionen des Verfassers zunächst irritieren: Angenommen, man müsse Lutheraner und Reformierte in Ungarn tatsächlich dulden, so seien diese nur insofern zu tole-
16 Verbőczi, István: Tripartitum opus iuris consuetudinarii inclyti regni Hungariae per Stephanum de Werbewcz editum. Viennae 1517 [ND Glashütten/Taunus 1971]. ���[Bársony]: Veritas toti mundo declarata, 8. ����������� Ebd., 10. 19 Kovachich, Martinus Georg[ius]: Supplementum ad Vestigia Comitiorum apud Hungaros ab exordio Regni eorum in Pannonia, usque ad hodiernum diem celebratorum, Bd. 1–3. Budae 1798– 1801, hier Bd. 3, 26; Zsilinszky, Mihály: A magyar országgyũlések vallásügyi tárgyalásai a reformátiótól kezdve, Bd. 1–4 [1523–1712]. Budapest 1880–1897, hier Bd. 1, 20.
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Der Traktat Veritas toti mundo declarata erschien erstmals 1671 in Kaschau, vermutlich in sehr kleiner Auflage und zunächst nur an den engeren Kreis der kirchlichen Führungsschicht in Ungarn gerichtet. Größere Publizität erlangte die Streitschrift von György Bársony durch die lateinischdeutsche Ausgabe, die nur ein Jahr später in Wien gedruckt wurde.
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rieren, als sie sich auch wirklich zur Confessio Augustana beziehungsweise zur Confessio Helvetica bekennen würden. Das aber war nach Auffassung Bársonys nicht der Fall, was wiederum zwingend zur Folge habe, dass Angehörige beider Bekenntnisse in den Ländern der Stephanskrone gar nicht geduldet werden dürften.20 Mit Hilfe einer Vielzahl historischer Exkurse namentlich zu den vier ersten Reichssynoden bemühte sich Bársony, eine Vielzahl von Neuerungen bei beiden Glaubensgemeinschaften, die sich auf Beschlüsse jener Konzile beriefen, in den letzten Jahrzehnten nachzuweisen. Letztlich könne man sich seitens der Protestanten doch gar nicht mit den einschlägigen Bestimmungen zur freien Religionsausübung identifizieren. Es sei daher ratsamer, so die wenig überzeugende Schlussfolgerung Bársonys, in Einigkeit des heiligen römischen katholischen Glaubens brüderliche Eintracht zu lieben, Gott zu fürchten und den König zu ehren.21 Spätere Nachdrucke des Traktats wurden dann teilweise noch durch einen Dokumentenanhang ergänzt. Dieser enthielt neben dem Constitutum Constantini, einem im 8./9. Jahrhundert wohl in den päpstlichen Kanzleien gefälschten Schreiben des römischen Kaisers an Papst Silvester I., in dem jener unter anderem den päpstlichen Primat und Vorrang vor den Kaisern anerkannt haben soll, die vermeintliche Bulle Papst Silvesters II., die im Gegensatz zu der bereits im 15. Jahrhundert als Fälschung erachteten Konstantinischen Schenkung unverändert für echt gehalten wurde, sowie die Religionsdekrete der ungarischen Könige von Stephan I. bis zu Rudolf II.22 Der Traktat Bársonys, der innerhalb des Landes rasch Verbreitung fand und bereits ein Jahr später in Wien auch in deutscher Übersetzung sowie als zweisprachige Ausgabe erschien,23 verschaffte zwar dem Namen des Großwardeiner Ordinarius eine ungeahnte Publizität. Die eigentlichen Argumente, die er vorbrachte, waren gleichwohl nicht neu. Schon 1658 hatte der Graner Erzbischof und Primas von Ungarn, Lippay, auf einer Synode zu Tyrnau eine neue Strategie des Klerus vorgestellt, die der protestantenfeindlichen, den Einsatz von Gewalt fordernden Linie des ihm vertrauten Bársony in weiten Teilen entsprach.24 Insofern wurde der Traktat Veritas von den Zeitgenossen ���[Bársony]: Veritas toti mundo declarata, 11. „Hinc apparet, quod & Calvinistarum judicio, moderni Lutherani non sint Augustanae Confessionis, ideoque nec tolerandi in Hungaria.“ Ebd., 16. ������������ Ebd., 17f. 22 Esze: Bársony György „Veritas“-a, 683. Dass die Konstantinische Schenkung längst als Fälschung erkannt worden sei, wurde Bársony von seinen reformierten Kritikern später nicht ohne Spott entgegnet. ���[Bársony, Georgius]: Grund-Veste der Warheit/ Welche der gantzen Welt entdeckt/ Und darinnen mit dreyfachem Grund erwiesen wird/ Daß Ihre Kays. und Königl. Majestät nicht schuldig seye/ die Lutherische und Calvinische Sect in Ungarn zu gedulten. Auß Eyffer zur Catholischen Religion auffgesetzt. Wien 1672. 24 Péterfy, Carolus: Sacra Concilia Ecclesiae Romano-Catholicae in regno Hungariae celebrata. Ab Anno Christi MXVI. usque ad Annum MDCCXV. Accedunt Regum Hungariae et Sedis Apostoli-
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zu Recht nicht als die Stimme eines einzelnen Geistlichen wahrgenommen, sondern als programmatische Schrift des Episkopats in seiner Gesamtheit. Die Eigeninteressen des Bischofskollegiums und dessen Indienstnahme durch die Staatsgewalt waren in jenen Jahren allgemein bekannt.25 Dass Bársonys Traktat allerdings gerade in der angespannten Lage Anfang der 1670er Jahre, als immer unverhohlener über einen absolutistischen Vorstoß Wiens gesprochen wurde, in der bischöflichen Druckerei in Kaschau erschien, ließ allerorts Befürchtungen einer neuen Qualität der religiösen Auseinandersetzung im Königlichen Ungarn aufkommen. Der tatsächliche Gewaltausbruch in den kommenden Jahren, der selbst loyale Parteigänger des Wiener Hofes in Scharen in die Opposition trieb, überraschte dann aber selbst viele Protestanten.26 Die lokalen Diskriminierungen, Verhaftungen, Konfiskationen und Übergriffe, die 1672 in einen regelrechten Religionskrieg übergingen, schlugen naturgemäß auch gegen die katholischen Würdenträger zurück, die sich in ihrem militanten Vorgehen vielfach kaum von den österreichischen Heerführern unterschieden. Bársony entging nur knapp dem Tod, als er sich anschickte, Mitte Juli 1672 zusammen mit seinem Bruder János, der Richter der königlichen Tafel war, eine lutherische Kirche in Turaluka im Komitat Neutra zu beschlagnahmen. Während man den Großwardeiner Bischof mit Stöcken und Mistgabeln schwer malträtierte und schließlich halb tot auf der Straße liegen ließ, wurde sein Bruder von der aufgebrachten Menge mit Äxten und Beilen totgeschlagen. Der Vorfall, der in Wien und Rom als Skandal gewertet wurde, fand eine erhebliche Resonanz. Während der Wiener Nuntius Mario Albrizio das „attentato de gli eretici in Ungaria contro la persona di Mr. Barsoni Vescouo di Varadino“ zum Anlass für einen drastisch formulierten Bericht an die römische Kurie nahm,27 informierte der Bischof von Wiener Neustadt, Leopold Kollonich, die Kongregation des Komitats Neutra über das Geschehen in Turaluka. Auf Weisung des Hofkriegsrats sollte Bársony, dessen Aktionsradius von Pressburg bis nach Bartfeld reichte, Kirchen fortan nur noch unter militärischem Begleitschutz aufsuchen.
cae legatorum constitutiones ecclesiasticae, Bd. 1–2. Posonii u.a. 1776–1779, hier Bd. 2, 376–393. Zur Position des Primas vgl. Tusor, Péter: Lippay IV. György. In: Beke, Margit (Hg.): Esztergomi érsekek 1001–2003. Budapest 2003, 296–303. 25 Esze: Bársony György „Veritas“-a, 684–686. Der Autor zitiert aus dem zeitgenössischen, 32 vierzeilige Strophen umfassenden Gedicht eines unbekannten Verfassers – Kálmán Thaly gab diesem Gedicht den Titel „Papvilág Magyarországon“ (Pfaffenwelt in Ungarn) –, in dem genau dieser Zusammenhang hergestellt wurde. 26 Bitskey, István: Katholische Reform und Gegenreformation in Ungarn. Ein Bericht über neuere Forschungen [2005]. In: ders.: Lebensgemeinschaft und nationale Identität, 187–205. 27 Vanyó, Tihamér Aladár (Hg.): A bécsi nunciusok jelentései Magyarországról 1666–1683. Pannonhalma 1935 (A Pannonhalmi Főiskola könyvei 3), 65f.
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3. Rezeption und Resistenzstrategien auf protestantischer Seite Die Aufregung, die spätestens seit dem Erscheinen des Traktats Veritas im Jahr 1671 mit dem Namen des Großwardeiner Oberhirten verbunden war, erklärt die heftigen, ideengeschichtlich ausgesprochen interessanten Reaktionen protestantischer �������������������������������������������������������� Autoren������������������������������������������������� . Die genaue Identifizierung der seit 1672 durchgehend anonym publizierten, mit dem Molimen Sisyphium einsetzenden Widerlegungen ist freilich kompliziert und beschäftigt die buchgeschichtliche Forschung seit langem.28 Die größte Bedeutung erlangte die in Klausenburg erschienene Schrift Falsitas veritatis toti mundo detecta des Philosophen und Theologen János Pósaházi. Er war bis 1671 am reformierten Kolleg in Sárospatak tätig gewesen, das Zsófia Báthori, seit ihrer Rückkehr zum Katholizismus persona gratissima bei den ungarischen Prälaten und diesen in der Durchführung der Gegenreformation in nichts nachstehend, samt Druckerei und Bibliothek hatte schließen lassen.29 Pósaházi hatte daraufhin in Siebenbürgen Zuflucht gefunden und dort 1672 auf Wunsch Miklós Bethlens eine mit dem fiktiven Druckort „Antverpiae“ versehene Replik auf Bársonys Streitschrift veröffentlicht – die einzige übrigens, die ihrerseits, wenn auch eigentümlicherweise erst neun Jahre später, eine Gegenschrift von katholischer Seite auslösen sollte. Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass man erst allmählich die Wirkung von Pósaházis Schrift an den protestantischen Höfen in Mittel- und Westeuropa sah, die von Bethlen systematisch über die aktuellen Diskriminierungen in Ungarn unterrichtet wurden. Im gleichen Jahr wie Pósaházis Traktat erschien auch eine im Titel nur leicht abweichende Replik aus der Feder des aus Gönc vertriebenen und in Debreczin untergetauchten reformierten Theologen Mihály Szathmárnémethi.30 Sein Werk Falsitas veritatis toti mundo declaratae, das nur als lateinischdeutsche Parallelausgabe belegt ist, war möglicherweise – als direkte Antwort auf den zeitgleich in Wien erschienenen zweisprachigen Traktat Veritas – zur Information des nichtungarischen Publikums gedacht.31 Das würde auch die
28 Zoványi: Bársony György cáfolói, 292–295; Esze: Bársony György „Veritas“-a, 687–692. 29 Zoványi, Jenő: Magyarországi protestáns egyháztörténeti lexikon. Bearb. v. Sándor Ladányi. Budapest 31977, 483f.; Evans, Robert J. W.: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien/Köln 1986 (Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6), 195f., 236, 384. 30 Zoványi: Magyarországi protestáns egyháztörténeti lexikon, 577f. ���[Szathmárnémethi, Mihály]: Falsitas veritatis toti mundo declaratae, In negotio tolerantiae exerciti publici Religionis Protestantium in Ungaria. Falschheit Der Grund-Veste der Warheit/ Welche der gantzen Welt entdeckt. Betreffent die Duldung der offentlichen Religions-Ubung der Protestirenden in Ungern. O.O. 1672. Die lateinische Fassung wurde abermals abgedruckt bei [Okolicsányi, Pál]: Historia diplomatica de Statu Religionis Evangelicae in Hungaria in tres Periodos distincta, Quarum
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Exkurse zu den religiösen und rechtlichen Verhältnissen im römisch-deutschen Reich – in den einzelnen katholischen Diözesen, in protestantischen Territorien – sowie zur „Teutschen Freyheit“ erklären. Das Werk war im Gegensatz zu Bársonys Ausführungen ausgesprochen persönlich verfasst und von eigenen Erfahrungen durchsetzt: Bei der Lektüre der Veritas habe er, schrieb Szatmárnémethi, „einen grossen Muth/ geringe Wissenschaft/ und gar keine Liebe [gefunden]/ welche ein Mensch dem andern schuldig“32 sei. Auch in den nachfolgenden Kapiteln, in denen Szatmárnémethi die Gedankenführung des Großwardeiner Bischofs aufgriff, blieb seine Darstellung ausgewogen und differenzierend. Von Gewalttätigkeiten auf protestantischer Seite, die er einräumte, distanzierte er sich unmissverständlich. Sein Fernziel wird in Begriffen wie allgemeiner Frieden („pax publica“) oder freiwillige Übereinstimmung beziehungsweise Harmonie („consensus spontaneus“) greifbar. Hetzschriften wie der 1671 in Kaschau gedruckte Traktat Veritas dagegen, die einen gänzlich unzeitgemäßen Fanatismus erkennen ließen, würden nicht das Geringste zu einem solchen Ziel beitragen – sie würden nur zu einem neuerlichen Religionskrieg („bellum sacrum“) anstacheln. Szatmárnémethi griff einen Satz Bársonys wörtlich auf: Was mit Gewalt geschehe, habe keinen Bestand.33 Habe die spanische Inquisition etwa die Niederlande zu halten vermocht? Auch andere Bezüge zur europäischen Religions-, Kulturund Geistesgeschichte machen den Text Szatmárnémethis zu einem wichtigen, die Wirkungen eines vielseitigen Kultur- und Ideentransfers dokumentierenden Zeugnis. Im Jahr 1672 erschien darüber hinaus eine erste publizistische Reaktion aus dem Ausland, überdies die erste eines Lutheraners.34 Der Autor, der aus dem oberungarischen Bartfeld stammende Wilhelm Christoph Kriegsmann, hatte an der Universität Jena studiert und sich seither in verschiedenen Reichsterritorien betätigt. 1674 trat er in den Dienst Landgraf Ludwigs VI. von Hessen-Darmstadt, vier Jahre später findet man ihn als Kammer- und Rechnungsrat bei Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz in Mannheim, wo er 1679 auch starb. Kriegsmanns Darstellung lässt sich in die Reihe der zahlreichen Beschwerden des Corpus Evangelicorum stellen, die sich keineswegs nur auf die Situation in den kaiserlichen Erblanden beschränkten. Auch über die anhaltende Verfolgung der Protestanten in Ungarn, die konfessionellen Verhältnisse des Landes und das Selbstverständnis des Episkopats waren die Prima agit de Ejus ortu & miro sub Continuis persecutionibus incremento, Secunda de ejus Publica libertate & summo securitatis solstitio, quod pacificationibus, articulis & legibus regni consecuta est, Tertia de Libertatis & Securitatis illius decremento [...]. O.O. 1710, Anhang. ���[Szathmárnémethi]: Falsitas veritatis toti mundo declaratae, 6. ����������� Ebd., 15. 34 Kriegsmann, Wilh[elm] Christ[oph]: Gründe und Ursachen welche Die Römische Keyserliche/ auch zu Hungarn und Böhmen Königl. Majest. bewegen sollen/ nicht zu zugeben Daß die Evangelische verfolgt/ und auß dero Erb-Königreichen und Ländern vertrieben werden [...]. O.O. 1672.
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lutherischen und reformierten Reichsstände erstaunlich gut informiert.35 Anfang Juni 1672 hatte beispielsweise das in Regensburg versammelte Corpus Evangelicorum bei Leopold I. scharf gegen dessen Religionspolitik in Ungarn protestiert.36 Über die dortige Situation erhielt man gerade in jenen Jahren, als die Lage für die Protestanten immer bedrohlicher wurde, von vielen Seiten Informationen: über die große Zahl kollektiver und individueller Beistandsgesuche, einzelne Glaubensflüchtlinge, die Vermittlung auswärtiger Gesandtschaften,37 über Flugschriften, gedruckte Petitionen oder Abschriften einschlägiger Dokumente. Auf einem dieser Wege wird auch Kriegsmann auf den Kaschauer Traktat aufmerksam geworden sein. Seine Ausführungen, die allerdings nicht einmal ansatzweise das Niveau eines Pózaházi oder Szatmárnémethi erreichten, glichen einem typischen Bittgesuch an den Kaiser, seine Politik zu überdenken, „gesunde Vernunfft“ walten und den „angefochtene[n] Evangelische[n]“ Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Zum dritten Argument Bársonys führte Kriegsmann beispielsweise aus: „Führen wir der Römischen Keys. Maj. allergehorsamst zu Gemüt/ ihre und dero glorwürdigsten Vorfahren hochbetheuerte Zusagungen/ auch Keys. und Königl. Hand und Siegel/ Krafft deren den Evangelischen das freye Religions-Exercitium in dero Erb-Königr. und Landen heiliglich versprochen/ mit demütigster Bitte/ nicht zugestatten/ daß solche von gewissenlosen Leuten/ unter dem vorwand/ den Ketzern keinen Glauben zu halten/ durchlöchert/ oder sonst umb liederlicher Ursachen willen/ (als die in droben besagtem Scripto sind) in zweiffel gezogen werden.“38 Eine andere, 1683 unter dem Pseudonym Job Krestianski „auß Freyberg“ publizierte Replik auf den Traktat des Großwardeiner Bischofs hatte möglicherweise ein ungarischer Konfessionsmigrant verfasst – diese These wird zumindest in der ungarischen Forschung vertreten.39 Ebenfalls ungesichert ist, wer sich ein Jahr später unter dem Namen „Eliphaz Themanites“ zu einer 35 Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23), 214–224. 36 Schauroth, Eberhard Christian Wilhelm von: Vollständige Sammlung Aller Conclusorum, Schreiben Und anderer übrigen Verhandlungen des Hochpreißlichen Corpus Evangelicorum Von Anfang des jetzt fürwährenden Hochansehnlichen Reichs-Convents Bis auf die gegenwärtige Zeiten, Bd. 1–3. Regensburg 1751–1752, hier Bd. 1, 22–24 (6. Juni 1672). Bereits zwei Wochen zuvor, am 24. Mai, hatte sich Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, ohne das „votum commune“ des Corpus Evangelicorum abzuwarten, im Alleingang an Kaiser Leopold I. gewandt und dessen Vorgehen in Ungarn auf das Schärfste verurteilt. Vgl. Ribini, Ioannes: Memorabilia augustanae confessionis in regno Hungariae a Leopoldo M. usque ad Carolum VI. Posonii 1789, 47–49, 434–436. 37 Antal, G[éza] von/Pater, J[an] C[ornelis] H[endrik] de (Hg.): Weensche gezantschaps-berichten van 1670 tot 1720, Bd. 1–2. ’s-Gravenhage 1929–1934, hier Bd. 1 [1670–1697]. �������������������������������������� Kriegsmann: Gründe und Ursachen, 11. 39 Zoványi: Magyarországi protestáns egyháztörténeti lexikon, 351f.; Esze: Bársony György „Veritas“-a, 691.
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Antwort auf die „unverschambte Läster-Schrifft“ entschloss und dem „Hussitischen Job“ auf 125 Druckseiten seine Ansichten über Religion, Rechtsordnung und Gemeinwohl entgegenstellte.40
4. Der steinige Weg zu religiöser Toleranz in Ungarn Schriften wie György Bársonys Veritas toti mundo declarata trugen erheblich dazu bei, dass der ungarische Katholizismus im protestantischen Europa seit dem letzten Drittel des 17. Jahrhunderts als Hort einer unzugänglichen, zu keinerlei Konzessionen bereiten Orthodoxie galt. Besonders der Episkopat wurde geradezu als blutrünstig wahrgenommen. Die römisch-katholischen Bischöfe, die für die „barbarischen Drangsahle“ in Ungarn verantwortlich seien, respektierten „keine Decreta, die von dem Kayser als König in Hungarn und Obersten Bischoff daselbst“ erlassen würden, ja, durch die „Raserey“ der Prälaten werde „schier gantz Europa“ in Unruhe versetzt.41 Die Urteile des aus der Zips gebürtigen Emanuel Boltz, der als einer von vielen Konfessionsflüchtlingen an westeuropäischen Höfen um Unterstützung für seine verfolgten Glaubensbrüder warb, lassen sich – namentlich in der Phase der katholischen Spätkonfessionalisierung im Osten der österreichischen Monarchie – vielerorts vernehmen. Mit dem Pressburger Reichstag von 1681 setzte zwar eine gewisse Entspannung ein. Die Frage nach der künftigen Rechtsstellung der ungarischen Protestanten blieb jedoch auch weiterhin umstritten. Hinzu kam, dass die Bischöfe, deren politische und ökonomische Machtbasis während der Türkenzeit zwangsläufig eingeschränkt war, im Zuge der Rückeroberung Ungarns und Kroatiens von den Osmanen als traditioneller Bündnispartner der katholischen Monarchie zu neuem Selbstbewusstsein fanden. Schließlich war Wien nicht nur bestrebt, die staatliche Autorität zu stärken und das Fundament für eine durchgreifende Reorganisation der weltlichen und kirchlichen Verwaltung zu legen. Es ging nach den Vorstellungen der Regierung unverändert auch darum, Ungarn von der „Ketzerei“ zu säubern und in ein Regnum Marianum zu verwandeln. An der politischen und theologischen Publizistik des 18. Jahrhunderts lässt sich der steinige Weg zu religiöser Toleranz in Ungarn exemplarisch 40 Themanites, Eliphaz (Pseud.): Misthauffen Deß ungedultigen Jobs. Das ist Stinckende Lügen/ falsche Inzuecht/ und greuliche Lästerungen des so genannten Jobs Krestiansky auß Freyberg [...]. O.O. 1684. ������������������������������������������������������������������������������������������� Ein Remarquabel Supplicat, So Ihro Königl. Majestät Der Königin von Groß-Britannien/ von einem Hungarischen Exulanten, Nahmens Emanuel Boltz/ Im Namen aller bedrängten Protestanten alda in Hungarn ist übergeben worden/ und auf Verlangen zum Druck befördert. Leyden 1735. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. HA, Rep. 11: Auswärtige Beziehungen Ungarn, Nr. 278, Fasz. 22, fol. 77r–87v.
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nachzeichnen.42 Dass auch Bársonys Nachfolger weder das Ziel eines einheitlichen Religionsbekenntnisses aufgaben noch die Gestaltungskraft religiös begründeter und alles umgreifender Normierung in Frage stellten, zeigt der kurze, nicht zufällig während der schwierigen Verhandlungen um eine Annahme der Pragmatischen Sanktion verfasste Traktat des Erlauer Bischofs Gábor Erdődy aus dem Jahr 1721.43 Über das Opusculum theologicum, in quo quaeritur, an et qualiter possit Princeps, Magistratus, Dominus Catholicus in ditione sua retinere haereticos? vel contra, poenis eos aut exilio ad fidem Catholicam amplectendam cogere urteilte der evangelische Theologe und Publizist Ján Molnár 1790 nicht zu Unrecht, dass die Abhandlung offenbar „in einem Anfall von Wuth“ geschrieben worden sei, so unerbittlich sei der Verfasser „in der Verdammung der Protestanten“.44 Der Kalocsaer Metropolit Imre Csáky sprach für den gesamten Episkopat, als er im Jahr 1722 während einer feierlichen Ansprache vor dem König mit Nachdruck unterstrich, dass die Krone des ungarischen Regnum Marianum niemals an einen Monarchen fallen dürfe, der nicht römisch-katholischen Glaubens sei.45 Eine neue, letzte Offensive gegen die Protestanten wurde durch eine umfangreiche Streitschrift des Wesprimer Bischofs Márton Padányi Biró eingeleitet. Sein 1750 in Raab erschienenes Enchiridion de fide war eine einzige Polemik gegen die reformatorischen Kirchen.46 Das längste Kapitel („De Constitutionibus, & Decretis Regum, & Imperatorum in rebus fidei“) widmete der ebenso streitbare wie wortgewaltige Oberhirte der Rechtslage der protestantischen Kirche in Ungarn. Seine Argumentationskette war der des Großwardeiner Bischofs aus dem späten 17. Jahrhundert im Grunde ähnlich. Biró ging freilich noch einen Schritt weiter und radikalisierte die These Bársonys von der Gegenreformation als nationaler Tat: Den Protestanten politische Mitsprache zu gewähren, hieße die heimischen Rechtsgrundsätze vollständig aufzugeben und die vaterländischen Gesetze gleichsam niederzureißen.47 42 Bahlcke, Joachim: Die Autorität der Vergangenheit: Geschichtsbilder, Erinnerung und Politik beim höheren Klerus Ungarns im späten 17. und 18. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Die Konstruktion der Vergangenheit. Geschichtsdenken, Traditionsbildung und Selbstdarstellung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa. Berlin 2002 (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 29), 281–306. 43 Sugár: Az egri püspökök története, 394–405. ���[Molnár, Ján]: Präliminarien zu einer historisch-kritischen Untersuchung über die Rechte und Freyheiten der protestantischen Kirche in Ungarn. Ein Beytrag zur Erleichterung der Verhandlungen über kirchliche Gegenstände auf dem nächst künftigen Reichstage in Ungarn. O.O. 1790, 136. �������������������������������������������������������������������������������������������� Csákys vielbeachtete Rede wurde mehrfach gedruckt, übersetzt und in andere Schriften übernommen. Vgl. exemplarisch Bel, Matthias: Notitia Hungariae novae historico geographica [...], Bd. 1–4.Viennae Austriae 1735–1742, hier Bd. 1, 397–400. 46 Bahlcke, Joachim: Frederick II of Prussia, Austria and the Hungarian Protestants: Bishop Márton Padányi Biró of Veszprém and the Enchiridion de fide. In: Austrian History Yearbook31, 2000, 15–32. 47 Bironius, Martinus Padánus: Enchiridion […] De Fide, Haeresiarchis, ac eorum asseclis, In genere de Apostatis, deque Constitutionibus, atque Decretis Imperatorum & Regum, contra Dissipatores Catholicae Ecclesiae editis. Jaurini 1750, 194.
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Dass die theologischen und politischen Auffassungen des Wesprimer Ordinarius, die auf die konfessionelle Konfrontation, nicht auf einen Religionsfrieden abzielten, selbst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch von Teilen der ungarischen Geistlichkeit gebilligt wurden, zeigen zwei Schriften aus dem Jahr 1763: ein weiterer – und nunmehr der letzte – Nachdruck von Bársonys Traktat Veritas, und das „cum Facultate Superiorum, & Approbatione Theologorum“ erschienene Werk Justa religionis coactio von János Damiani, das schon durch die Überschrift des ersten Kapitels („Haeresis horribile Monstrum, gravissimaeque damna in anima parit“) Stil und Inhalt der nachfolgenden knapp 800 Seiten erkennen ließ.48 Beide Werke wurden vom Hof beschlagnahmt, ebenso wie das Enchiridion de fide bereits mehr als ein Jahrzehnt zuvor. Dass man in Wien schon länger, in vorsichtigen Ansätzen seit der Regierung Karls VI., vom Konfessionalismus älterer Prägung abgerückt war und dabei auch auf Distanz zum früheren kirchlichen Bündnispartner ging, wurde vom Episkopat lange Zeit verdrängt. Es waren vor allem zwei Gründe, die den Hof zu einer solchen Modifizierung der Religionspolitik in Ungarn zwangen. Zum einen waren – und das gestand man sich unterdessen nüchtern ein – alle bisherigen Versuche gescheitert, die katholische Glaubenseinheit notfalls auch mit Gewalt zu erzwingen. Zum anderen standen die Verteidigung der Religionsfreiheit und die Selbstbehauptung des ungarischen Ständestaats unverändert in einer festen traditionsbildenden Verbindung. Der Staatsmacht schien es daher ratsamer, den Protestanten eine Existenzmöglichkeit zu bieten, statt sie weiterhin zu diskriminieren und offen zu verfolgen.49 Für den ungarischen Episkopat hatte diese Reformpolitik freilich einen viel zu kurzen Vorlauf. Unter sämtlichen Ländern der österreichischen Monarchie, schrieb schon 1795 der aufgeklärte katholische Kirchenschriftsteller Peter Philipp Wolf, „war wohl keines so wenig, als Ungarn, auf irgend eine Veränderung in seinen kirchlichen Verhältnissen vorbereitet“. Indem man dort „die Nichtkatholiken durch allmählige Bedrückungen, die sich in der Folge bald unter den ehrwürdigen Mantel der Landesgesetze hüllten, um ihre bürgerliche Freyheit gebracht“ habe, seien die Katholiken die mächtigste konfessionelle Gruppe im Königreich geworden. Es sei insofern kein Wunder, so Wolf, dass sich der Episkopat, der Erste Stand, immer dann auf die ungarische Konstitution berufen habe, „wenn es irgendwo darum zu thun 48 Damiani, Joannes: Justa religionis coactio, seu apodixis quod Reges, Principes, Magistratus, & Dynastae Romano-Catholici, habitâ occasione, & opportunitate, possint, ac debeant Acatholicos in suis Ditionibus commorantes cogere mediis etiam violentis, imò & extremis (quoties mitiora non prosint) ad amplectendam veram, & unicè salvificam Romano-Catholicam fidem. Budae 1763. 49 Kowalská, Eva: Uhorskí protestanti a viedenský dvor: formovanie cirkevnej politiky habsburského štátu pred rokom 178. In: Historický časopis 50, 2002, 407–422; dies.: Evanjelické a. v. spoločenstvo v 18. storočí. Hlavné problémy jeho vývoja a fungovania v spoločnosti. Bratislava 2001, 55–99.
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war, sich der Einführung nützlicher, und Aufklärung befördernder Anstalten widersetzen zu müssen“.50 In den zehn Jahren der Alleinregierung Josephs II. von 1780 bis 1790 erfuhr die staatliche Toleranzpolitik, die Teil eines bereits unter Maria Theresia eingeleiteten Modernisierungsprozesses war, ihren Höhepunkt. Durch Motive und Ziele war sie eng mit den Bewegungen der europäischen Aufklärung verbunden. Die neue Einstellung des Herrschers zu Staat und Untertanen, die Idee von der Gleichheit und von der Gleichwertigkeit aller Menschen, änderte das Verhältnis von Staat und Kirche grundlegend. Von einer Stütze der Monarchie, ja dem einigenden Band der österreichischen Monarchie, wurde die (katholische) Kirche so zu einer jener Kräfte der Tradition, deren Sonderstellung und korporative Partizipationsrechte beseitigt werden sollten. Wo die Protestanten Augsburgischer und Helvetischer Konfession das Recht zu öffentlicher Religionsausübung noch nicht besaßen, erhielten sie überall durch besondere Toleranzpatente für die einzelnen Länder eine allgemeine private Religionsfreiheit. Der Widerstand gegen das am 25. Oktober 1781 für Ungarn und am 8. November für Siebenbürgen erlassene edictum tolerantiae war in Wien freilich völlig unterschätzt worden.51 Wie bereits in den Jahren zuvor stellte sich der ungarische Episkopat ganz auf den konstitutionellen Standpunkt: Das aufgezwungene Toleranzpatent sei ungesetzlich, eine willkürliche Anordnung der Krone, die weder in der Verfassung verankert noch durch einen Reichstag gutgeheißen worden sei. Der Weg zu einer dauerhaften Religionstoleranz war jedoch endgültig eingeschlagen. Dazu bedurfte es, wie Winfried Eberhard zu Recht unterstreicht, im 15. und 16. ebenso wie im 18. Jahrhundert der Einsicht in die Notwendigkeit von Toleranz und in den destruktiven Charakter von Intoleranz: „Den Ausgangspunkt dieser Einsicht bildete die Erkenntnis, dass Diskriminierung und Verfolgung für das Land schädlicher waren als die Duldung der Dissidenten; den Kern dieser Einsicht bildete der Prioritätenwechsel von der Religion als entscheidendem Einheitsband der Gesellschaft zum Landes- und Staatsinteresse als höchstem politischem, einheitsstiftendem Wert, mit dem sich auch die konfessionellen Dissidenten identifizieren sollten und aufgrund dessen der Religionsdissens tolerabel wurde.“52
50 Wolf, Peter Philipp: Geschichte der römischkatholischen Kirche. Unter der Regierung Pius des Sechsten, Bd. 1. Zürich 1793, Bd. 2–3. Germanien 1794–1795, Bd. 4–7. Leipzig 1796–1802, hier Bd. 3, 282f. 51 Kosáry, Domokos: Művelődés a XVIII. századi Magyarországon. Budapest 31996 [11980], 386–396. 52 Eberhard, Winfried: Zu den Voraussetzungen und Widersprüchen der Toleranzpolitik Josephs II. in den Ländern des östlichen Mitteleuropa. In: Chocholáč, Bronislav/Jan, Libor/Knoz, Tomáš (Hg.): Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspěvků, jež věnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brno 1999, 347–362, hier 361.
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Verantwortung in Zeiten der Krise. Zu Leben und Werk des polnischen Brüderseniors Christian Sitkovius (1682–1762) 1. Biographische Zugänge in Vergangenheit und Gegenwart Nur vereinzelt und mit jeweils spärlichen Informationen fand der aus dem polnischen Lissa gebürtige evangelische Theologe Christian Sitkovius (1682–1762) Eingang in die großen biographischen Nachschlagewerke Mitteleuropas.1 Selbst Józef Łukaszewicz, der beste Kenner der polnischen Unitätsgemeinden, dessen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erschienene quellennahe Werke ihres Materialreichtums wegen noch immer nicht überholt sind, musste bei seiner Vorstellung der großpolnischen Seniors gestehen, über Sitkovius keine näheren Nachrichten gefunden zu haben.2 In der polnischen Historiographie, so könnte man vermuten, ließe sich diese Unkenntnis zumindest zum Teil mit der um 1650 einsetzenden und bis Mitte des 20. Jahrhunderts anhaltenden Ausblendung der nichtkatholischen Gemeinschaften, Traditionen und Identitäten der alten Adelsrepublik erklären, die erst in den letzten zwei, drei Jahrzehnten über die engere Gruppengeschichtsschreibung einzelner Kirchen hinaus die Aufmerksamkeit der Allgemeinhistoriker gefunden haben.3 Doch auch in neueren Werken, etwa in dem 1998 von Jan Szturc vorgelegten biographischen Lexikon der Protestanten in Polen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert,4 sind über Sitkovius keinerlei Angaben zu finden. So überrascht es denn auch kaum, dass seine Person nicht einmal in einem 2004 vorgelegten Lexikon Aufnahme fand, das nahezu 400 Biogramme von Lissaer Bürgern und Bürgerinnen beziehungsweise von Personen, deren Lebensweg eng mit der großpolnischen Stadt verbunden war, vereint.5 Es scheint, als sei Sitkovius in seiner eigentlichen Heimat vollständig in Vergessenheit geraten.
1 Vgl. exemplarisch Orgelbrand, S[amuel]: Encyklopedja Powszechna, Bd. 13. Warszawa 1902, 511; Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste [...], Bd. 37. Leipzig/Halle 1743 [ND Graz 1962], Sp. 1843f. 2 „Okoliczności życia jego i data zgonu nie są mi znajome.“ Łukaszewicz, Józef: O Kościołach Braci Czeskich w dawnéj Wielkiejpolsce. Poznań 1835, 384. 3 Kriegseisen, Wojciech: Ewangelicy polscy i litewscy w epoce saskiej (1696–1763). Sytuacja prawna, organizacja i stosunki międzywyznaniowe. Warszawa 1996; Kawczyński, Sebastian: Duchowieństwo Jednoty Wielkopolskiej od potopu a czasów stanisławowskich. Phil. Diss. Warszawa 2004. 4 Szturc, Jan: Ewangelicy w Polsce. Słownik biograficzny XVI–XX wieku. Bielsko-Biała 1998. 5 Głowinkowska, Barbara/Konior, Alojzy (Hg.): Słownik biograficzny Leszna. Leszno 2004.
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Außerhalb der Grenzen Großpolens dagegen ist der Name Sitkovius keineswegs unbekannt, auch wenn er traditionell nur mit einem einzigen konkreten Ereignis in Verbindung gebracht wird: mit der Ordination von David Nitschmann im Jahr 1735 und der Bischofsweihe von Nikolaus Ludwig von Zinzendorf zwei Jahre später durch den Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski, zu der Sitkovius als Senior der polnischen Brüderkirche jeweils seine schriftliche Einwilligung gegeben hatte. Entsprechende Hinweise finden sich naturgemäß in den einschlägigen Darstellungen zur Geschichte Herrnhuts, der Erneuerten Brüderunität und speziell zu Leben und Werk ihrer ersten beiden Bischöfe,6 sie finden sich aber darüber hinaus auch in Gesamtdarstellungen und Handbüchern der europäischen Kirchengeschichte.7 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Sitkovius damit ausgerechnet im Zusammenhang mit einem Ereignis erwähnt wird, dem er selbst äußerst kritisch gegenüberstand. Formal hatte er zwar in der gebotenen Form seine Einwilligung zur Ordination von Nitschmann und Zinzendorf gegeben, in der Sache aber lehnte er eine Verbindung der eigenen Unitätsgemeinde mit der in Herrnhut neu entstehenden Gemeinschaft sowohl aus religiösen als auch aus politischen Gründen ab. Welche Überlegungen Sitkovius im Einzelnen zu seiner Haltung veranlassten, wird noch genauer zu betrachten sein.
2. Verwandschaft, Sozialisation und Ausbildung in der Brüdergemeine Christian Sitkovius, der am 16. Mai 1682 in Lissa geboren wurde, entstammte einer seit langem mit der Brüderunität und der reformierten Kirche Polens eng verbundenen Familie.8 Sein Großvater Gregor Sittkowitz, der 1632 in Lissa ordiniert und von der Leitung der Brüderkirche nach Zichlin entsandt worden war,9 starb 1648 als Pfarrer im kujawischen Swierczyn in der Nähe
6 Müller, Joseph Th[eodor].: Geschichte der Böhmischen Brüder, Bd. 1–3. Herrnhut 1922–1931, hier Bd. 3, 365, 375; Hamilton, J. Taylor/Hamilton, Kenneth G.: Die Erneuerte Unitas Fratrum 1722–1957. Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine, Bd. 1–2. Herrnhut 2001–2003 (Unitas Fratrum. Beiheft 5–6), hier Bd. 1, 82, 87; Meyer, Dietrich/Peucker, Paul/Langerfeld, Karl-Eugen (Hg.): Graf ohne Grenzen. Leben und Werk von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Herrnhut 2000, 41, 174; Mannsbart, Claus: David Nitschmann. První biskup obnovené Jednoty bratrské. Suchdol 1995; Dalton, Hermann: Daniel Ernst Jablonski. Eine preußische Hofpredigergestalt in Berlin vor zweihundert Jahren. Berlin 1903, 392f. 7 Vgl. etwa Guericke, Heinrich Ernst Ferdinand: Handbuch der Kirchengeschichte. Mit steter Rücksicht auch auf die dogmengeschichtliche Bewegung, Bd. 3. Berlin 81855, 502. 8 „Sitkovius, Predigerfamilie der Unität.“ Von Sanden, Alfred: Zur Geschichte der Lissaer Schule 1555–1905. Lissa 1905, 61. 9 Bickerich, Wilhelm: Das Tagebuch der polnischen Unität von 1643–1751. In: Aus Posens kirchlicher Vergangenheit. Jahrbuch des Evangelischen Vereins für die Kirchengeschichte der Provinz Posen 3, 1913, 73–112; 5, 1915/16, 125–132; 6, 1917/18, 113–141, hier [3], 104.
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von Thorn.10 Von seinen Söhnen ist Johannes, der Vater von Christian, seit 1667 als Tischler in Lissa nachgewiesen,11 während Andreas die geistliche Laufbahn wählte und 1673 ebenfalls in Zichlin die Predigerstelle der Unitätsgemeinde übernahm.12 Der Lebensweg seines hier geborenen Sohnes Samuel David (1679–1718) – er hatte die Gymnasien in Lissa und Berlin besucht, an den Universitäten Frankfurt an der Oder und Leiden studiert und im Anschluss verschiedene Predigerstellen in Unitätsgemeinden Polen-Litauens innegehabt13 – ähnelt so sehr dem Werdegang seines Vetters Christian, dass beide in der Fachliteratur wiederholt verwechselt worden sind.14 Man wird sogar noch weitere Parallelen zu anderen Mitgliedern der Lissaer Unitätsgemeinde ziehen dürfen, die in großer Zahl von älteren Netzwerken, Kontakten und Stipendien profitierten und insofern häufig ähnliche Ausbildungsstationen durchliefen. Die Parallelen der äußeren Lebenswege fanden überdies ihr Pendant häufig in engen verwandtschaftlichen Verbindungen untereinander. Zum einen war die Kirchenleitung stets darauf bedacht, dass die Waisen und Töchter von Predigern frühzeitig eine Ehe schlossen. Zum anderen wurde allgemein der Kreis der reformierten Familien in Polen-Litauen seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts immer kleiner, so dass besonders die großen Predigerfamilien der Unität häufig miteinander versippt und verschwägert waren.15 Über den Bildungsweg von Christian Sitkovius sind zwar nur wenige Hinweise bekannt, doch geben diese ein durchaus schlüssiges Bild, das sich kaum von vergleichbaren Werdegängen reformierter Theologen aus Polen-Litauen unterscheidet. Das Rektorat des berühmten Gymnasiums der Böhmischen Brüder in seiner Heimatstadt, in dessen Matrikel Sitkovius 1695 nachgewiesen ist,16 hatte in jenem Jahr Johann Serenius Chodowiecki übernommen, der 1702 als Rektor der reformierten Petrischule nach Danzig berufen wurde. Chodowiecki, der zweite Nachfolger Daniel Ernst Jablonskis in der Leitung
��Łukaszewicz: O Kościołach Braci Czeskich, 349; Arndt, Paul: Die reformierten Geistlichen im Stadt- und Landkreis Thorn 1586–1921. In: Mitteilungen des Coppernicus-Vereins für Wissenschaft u. Kunst zu Thorn 47, 1939, 1–52, hier 11. ��Harms, Hansjoachim (Hg.): Lissaer Geburtsbriefe 1639–1731. Posen 1940 (Deutsche Sippenforschung im Osten N.F. 6), 52, Nr. 139; ders.: Lissas Neubürger zwischen dem ersten und zweiten Stadtbrande (1661–1707). In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift im Wartheland 3, 1942, 259–284, hier 264. ��Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [3], 104. ��Arndt: Die reformierten Geistlichen im Stadt- und Landkreis Thorn, 25f. �������������������������������������������������������������������������������� Nicht Christian Sitkovius wirkte als Prediger der Unität in Thorn, wie es bei Hamilton/Hamilton: Die Erneuerte Unitas Fratrum, Bd. 1, 82, heißt, sondern sein Vetter Samuel David. ��Dworzaczkowa, Jolanta: Z dziejów braci czeskich w Polsce. Poznań 2003 (Publikacje Instytutu Historii UAM 57); Gmiterek, Henryk: Bracia czescy a kalwini w Rzeczypospolitej. Połowa XVI– połowa XVII wieku. Studium porównawcze. Lublin 1987. ��von Sanden: Zur Geschichte der Lissaer Schule, 60.
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des Brüdergymnasiums, stand mit dem brandenburgischen Hofprediger stets in freundschaftlichem Kontakt und war auf dessen Empfehlung 1701 sogar als auswärtiges Mitglied in die Berliner Sozietät der Wissenschaften aufgenommen worden.17 Über die Verbindung zu Jablonski fand Sitkovius, der am 9. März 1698 in Lissa zur Akoluthie angenommen worden war,18 kurze Zeit später Aufnahme in das Alumnat des Joachimsthaler Gymnasiums in Berlin.19 Auch die nach dem uckermärkischen Joachimsthal benannte, nach dem Dreißigjährigen Krieg in die brandenburgische Residenzstadt verlegte Fürstenschule, die über mehrere Freitische für angehende Prediger verfügte, genoss als reformierte Bildungsstätte in jener Zeit einen ausgezeichneten Ruf.20 Am 29. November 1703 finden wir „Christianus Sitkowius Lesna-Polonus“ dann an der Theologischen Fakultät der Oderuniversität Frankfurt,21 die für Protestanten aus dem östlichen Mitteleuropa allgemein eine große Anziehungskraft besaß. Mit Blick auf die Brüderkirche hat Othmar Feyl ermittelt, dass „die große Mehrzahl aller Senioren der Unität in Großpolen und der Direktoren des von den Brüdern entwickelten Lissaer Gymnasiums [...] seit 1620 an der Viadriana“ studiert hatte.22 Den Angehörigen der Brüderunität musste die irenisch-unionistische, vom Berliner Hof unterstützte Richtung der brandenburgischen Landesuniversität in besonderer Weise entgegenkommen. Diese Ausrichtung wurde durch den aus Königsberg gebürtigen Theologen Samuel Strimesius, der zahlreiche Veröffentlichungen zu Fragen eines innerprotestantischen Ausgleichs und Unionswerks publizierte und als Dekan bei den Feierlichkeiten aus Anlass des zweihundertjährigen Jubiläums der Viadrina im Jahr 1706 eine zentrale Rolle einnahm, geradezu personifiziert.23 ��Brather, Hans-Stephan (Hg.): Leibniz und seine Akademie. Ausgewählte Quellen zur Geschichte der Berliner Sozietät der Wissenschaften 1697–1716. Berlin 1993, 346. �� Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [3], 111. Zum historischen und theologischen Hintergrund vgl. Vogt, Peter: Geschichte und Aktualität des Akoluthenamts in der Brüdergemeinde. In: Unitas Fratrum. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüdergemeine 63/64, 2010, 1–28. ��Werner, Albert/Steffani, Johannes: Geschichte der evangelischen Parochien in der Provinz Posen. Lissa i. P. 1904, 193. ��Winter, Agnes: Das Joachimsthalsche Gymnasium im Zeitalter der Konfessionalisierung (1607– 1707). In: Flöter, Jonas/Ritzi, Christian (Hg.): Das Joachimsthalsche Gymnasium. Beiträge zum Aufstieg und Niedergang der Fürstenschule der Hohenzollern. Bad Heilbrunn 2009, 45–66. �� Friedlaender, Ernst (Hg.): Aeltere Universitäts-Matrikeln Universität Frankfurt a. O., Bd. 1–3. Leipzig 1887–1891 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 32, 36, 49) [ND Osnabrück 1965], hier Bd. 2, 261; Wotschke, Theodor: Lissaer Studenten bis 1800. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 19, 1930, 123–141, hier 133; ders.: Polnische Studenten in Frankfurt [an der Oder]. In: Jahrbücher für Kultur und Geschichte der Slaven N.F. 5, 1929, 228–244, hier 243. �� Feyl, Othmar: Die Viadrina und das östliche Europa. Eine bildungsgeschichtliche Studie. In: Haase, Günther/Winkler, Joachim (Hg.): Die Oder-Universität Frankfurt. Beiträge zu ihrer Geschichte. Weimar 1983, 105–139, hier 112. ����������������������� Zum Hintergrund vgl. Schunka, Alexander: Brüderliche Korrespondenz, unanständige Korrespondenz. Konfession und Politik zwischen Brandenburg-Preußen, Hannover und England im Wen-
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Zahlreiche Angehörige der Brüderunität studierten während der Frühen Neuzeit an der Viadrina in Frankfurt an der Oder, einer Universität, die auch im östlichen Mitteleuropa für ihre unionistische Haltung in Konfessionsfragen bekannt war. Vor diesem Hintergrund ist auch die Disputation von Christian Sitkovius 1706 über die Heilsbedeutung der Person Christi und andere zwischen Lutheranern und Reformierten umstrittene theologische Fragen zu sehen, die 1706 unter dem Vorsitz von Samuel Strimesius erfolgte. Die noch im gleichen Jahr gedruckte Abhandlung war zwei Berliner Theologen gewidmet, den reformierten Hofpredigern Benjamin Ursinus von Bär und Daniel Ernst Jablonski.
Die Abhandlung über die Heilsbedeutung der Person Christi und andere zwischen Lutheranern und Reformierten umstrittene theologische Fragen, mit der Sitkovius am 30. September 1706 unter Vorsitz von Strimesius in Frankfurt disputierte, ist denn auch vor diesem aktuellen konfessionspolitischen Hintergrund zu sehen.24 Die gedruckte Abhandlung widmete Sitkovius, der sich auf dem Titelblatt als „Lesnâ Polonus, SS. Th. Cultur & Alumnus Regius“ bezeichnete, zwei reformierten Hofpredigern in Berlin, Benjamin Ursinus von Bär und Daniel Ernst Jablonski.25 dejahr 1706. In: Bahlcke, Joachim/Korthaase, Werner (Hg.): Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Wiesbaden 2008 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 1), 123–150, hier 129–136. ���������������������������������������������������������������������������������������������� De Persona Christi ������������������������������������������������������������������������� δεανδρωπσυ��������������������������������������������������������������� , de Baptismo deque ritibus quibusdam non plane adiaphoris controversias inter protestantes, Hexade Annotationum comprehensas [...] praeside [...] Dn. Samuele Strimesio [...] placido Eruditorum examini sistit Christianus Sitkovius [...]. Francofurti ad Viadrum [1706]. Vgl. Jocher, Adam (Hg.): Obraz bibliograficzno-historyczny literatury i nauk w Polsce, od wprowadzenia do niej druku po rok 1839 włacznie [...], Bd. 2. Wilno 1842, Nr. 2662, 186. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. die Anzeige der Disputation in: Nova literatura Germaniae aliorumque Evropae regnorum. Lipsiae/Francofurti 1707, 49.
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Eine Rückkehr in seine großpolnische Heimatstadt, die Sitkovius nach Abschluss seiner Studien vermutlich geplant hatte, erwies sich freilich als unmöglich. Die prosperierende Stadt, die Mitte des 17. Jahrhunderts rund 14.000 Einwohner deutscher und polnischer Herkunft gezählt haben dürfte, hatte während des schwedisch-polnischen Krieges in den Jahren 1655 bis 1660 schon einmal einen herben Rückschlag erlebt.26 Wirtschaftlich konnte sich die Stadt damals vergleichsweise rasch von den schweren Zerstörungen erholen. Die Schrecken des Großen Nordischen Krieges aber trafen Lissa, das 1707 ein zweites Mal vollständig niedergebrannt wurde, mit noch größerer Wucht, und wiederum sah sich die Stadtbevölkerung zur Flucht in die Nachbargebiete genötigt. Der Neuaufbau Lissas und die Wiederherstellung des gesamten Gemeindelebens verzögerten sich in diesem Fall sehr viel länger, als man erwartet hatte. Zudem zwang die im Sommer 1709 ausgebrochene Pest die Rückkehrer erneut zum Verlassen der Stadt. Das Tagebuch der polnischen Unität, das in jenen Jahren nur spärliche Einträge verzeichnet, berichtet mehrfach von Predigern, die „in exilio“ gestorben oder „von der Pest hingerafft“ worden seien.27 Die Kirchenältesten, die gute Kontakte nach Schlesien besaßen und sich während des Krieges mehrheitlich zu den Höfen von Brieg und Liegnitz begeben hatten, sandten Sitkovius daher 1707 in das nordöstlich von Posen gelegene Schokken.28 An der dortigen Gemeinde, die sich nach dem Schmalkaldischen Krieg Mitte des 16. Jahrhunderts, als zahlreiche Mitglieder der in Böhmen verfolgten Unitas Fratrum nach Polen geflohen waren, gebildet hatte, lassen sich die tiefgreifenden Veränderungen innerhalb des polnischen Unitätszweigs beispielhaft verfolgen. In Schokken wurde wie in allen großpolnischen Kirchen der Brüder seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts kaum mehr in tschechischer, sondern fast nur noch in deutscher und polnischer Sprache gepredigt29 – selbst in Lissa löste sich in den 1680er Jahren die böhmische Gemeinde gänzlich auf.30 Die an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert noch existierenden 15 Unitätsgemeinden hatten sich überdies längst den Reformierten angeschlossen und einzig aus Gründen der Tradition den älteren Namen beibehalten. Es spricht insofern vieles dafür, dass der im deutschen Milieu Lissas aufgewachsene Sitkovius tatsächlich, wie es der mit den einschlägigen Quellen bestens ver-
�� Dworzaczkowa, Jolanta: Zniszczenie Leszna w roku 1656. In: dies: Reformacja i kontrreformacja w Wielkopolsce. Poznań 1995 (Wielkopolska 3), 279–310. ��Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [5], 126f. ��Łukaszewicz: O Kościołach Braci Czeskich, 343–348; Werner/Steffani: Geschichte der evangelischen Parochien, 353–360. ��Dworzaczkowa, Jolanta: Reformacja a problemy narodowościowe w przedrozbiorowej Wielkopolsce. In: dies: Reformacja i kontrreformacja w Wielkopolsce, 88–114. ��Werner/Steffani: Geschichte der evangelischen Parochien, 185f.
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Während seines Theologiestudiums in Frankfurt an der Oder war Sitkovius Zeuge der großen Feierlichkeiten anlässlich des zweihundertjährigen Bestehens der Viadrina, die zugleich als Demonstration lutherisch-reformierter Einigungsbestrebungen in Szene gesetzt wurden. Der zeitgenössische Kupferstich, der das Feuerwerk am 26. April 1706 zeigt, unterstreicht die Bedeutung der brandenburg-preußischen Hohenzollern für die Umsetzung einer solchen Kirchenunion.
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traute Theodor Wotschke vermutete, nach Schokken geschickt wurde, „um sich im polnischen Predigen zu üben“.31 Ein solches Motiv wird auch bei dem Brüdertheologen Christian Gersom Tobian angenommen, der nach dem Besuch der Gymnasien in Lissa und Berlin sowie einem Studium in Frankfurt an der Oder von 1694 bis 1696 zwei Jahre lang seine Polnischkenntnisse in Schokken vervollkommnen sollte.32 Ob Sitkovius’ Aufenthalt in Schokken von Anfang an nur für begrenzte Zeit geplant gewesen war oder ob ihn andere Ereignisse zu einem Weggang nötigten, ist unbekannt. Am 5. Februar 1708 jedenfalls begegnet er uns bereits zusammen mit Johannes Samuel Musonius in Leiden, wo die Unität im Jahr 1700, wie es in deren Überlieferung heißt, „durch die Fürsorge des ehrw. Seniors H. [Daniel Ernst] Jablonski und auf eigene Fürsprache des durchlauchtigen Kurfürsten von Brandenburg [...] bei den erlauchten Staaten von Holland eine Stiftung zum Unterhalt zweier Alumnen auf der Hochschule“ erhalten hatte.33 In Leiden disputierte Sitkovius unter Vorsitz von Pieter Hollebeek über Psalm 119.34 In den folgenden Jahren verliert sich seine Spur vollständig. Von Musonius, der ebenfalls aus einer alten Lissaer Theologenfamilie stammte, ist bekannt, dass er im Oktober 1710 in Berlin vom auswärtigen Senior Jablonski zum Predigtamt geweiht worden ist.35 Vermutlich war es im Fall von Sitkovius ähnlich, denn die Aufzeichnungen der Lissaer Unität zum Jahr 1711 lassen erkennen, dass der unterdessen neunundzwanzigjährige Theologe nach mehr als einem Jahrzehnt in seine Heimatgemeinde zurückgekehrt war: „Am 2. August trat der ehrw. Christian Sitkovius, in Berlin vom hochw. Antistes [Daniel Ernst] Jablonski zum Predigtamt ordiniert, an die Stelle des ehrw. S[amuel] Arnold, zum Dienst des göttlichen Wortes in der deutschen Gemeinde zu Lissa von dem ehrw. H. Konsenior [Salomon] Opitz eingeführt.“36 Nur eine Woche zuvor war sein Vetter Samuel David, wie das Tagebuch vermerkt, „in der Thorner Gemeinde, in der er nach dem Tode des ehrw. [Christian Gersom] Tobian37 fast ein ganzes Jahr lang das hlg. Amt verwaltete, nach Empfang der Berufung als Pastor der genannten Gemeinde rechtmäßig eingesetzt, im folgenden Jahre aber auf der Synode zu Thorn in dem Amt, das ihm durch Diplom [ebenfalls durch Jablonski, d. Verf.] übertragen worden war, von den 3 Senioren bestätigt“ worden.38 Beide Vettern, deren Familie mit großer Wahrscheinlichkeit polnischen Ur��Wotschke: Lissaer Studenten, 133. ��Arndt: Die reformierten Geistlichen im Stadt- und Landkreis Thorn, 25. ��Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [3], 112. �������������������������������������������������������������������������������������������� ������������������������������������������������������������������������������������������ Disputatio theologica in qua modestè disquiritur, quodnam sit Psalmi CXIX subjectum? ����� Pars prior: quam praeside [...] Petro Hollebeek [...]. Lugduni Batavorum 1708. ��Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [5], 129. ����������������� Ebd., [5], 128. ��Arndt: Die reformierten Geistlichen im Stadt- und Landkreis Thorn, 26. ��Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [5], 128.
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sprungs war, wirkten fortan in deutschen Brüdergemeinden – Christian, dem ein Aufstieg bis in die Kirchenleitung der Unität gelang, noch für mehr als fünf Jahrzehnte in Lissa, Samuel David dagegen nur eine kurze Zeitspanne bis zu seinem Tod 1718 in Thorn.39 Eine letzte Parallele im Leben der beiden Vettern stellen ihre Eheschließungen dar, die fast zur gleichen Zeit erfolgten. Aus der Heirat Samuel Davids mit Elisabeth Keßler gingen zwei Kinder hervor, ein 1714 geborener Sohn (Johann Ernst) und eine Tochter (Anna Dorothea), die zwei Jahre später zur Welt kam.40 Christian Sitkovius heiratete am 22. August 1713 Catharina Dorothea Woide, die am 11. März 1687 in Lissa geboren worden war.41 Ihr Vater war der Lissaer Ratsherr Peter Woide (1648–1705), dessen erste Frau Anna Sophia Felsmann 1676 gestorben war. Für ihre Mutter, Susanna Callmann (Kollmann, 1652–1693), war es sogar schon die dritte Ehe gewesen. Vor allem der Werdegang ihres ersten Gemahls Nikolaus Gertich (1624–1671) – er war nach dem Lissaer Stadtbrand von 1656 nach Schlesien gezogen, dort zum reformierten Hofprediger der Liegnitz-Brieger Piastenherzöge avanciert und 1662 zusammen mit Peter Figulus, dem Vater Jablonskis, zum Senior der großpolnischen Unität ordiniert worden – spiegelt die engen Kontakte zwischen den reformierten und den Brüdergemeinden in Großpolen und Schlesien während des 17. Jahrhunderts wider.42 Aufschlussreich für die verwandtschaftlichen Verbindungen unter den großpolnischen Predigerfamilien sind auch die Werdegänge der Geschwister und Stiefgeschwister von Christian Sitkovius’ Ehefrau: So heiratete ihre Stiefschwester Anna aus der ersten Ehe der Mutter beispielsweise Samuel Arnold (1675–1711), der 1695 in Frankfurt an der Oder Theologie studiert hatte, 1702 Rektor des Brüdergymnasiums in Lissa und 1704 deutscher Prediger an der dortigen Johanniskirche wurde;43 eine andere Stiefschwester aus der dritten Ehe des Vaters, Johanna Sophia, heiratete 1740 den aus einer alten Predigerund Seniorenfamilie stammenden, in Frankfurt an der Oder und Leiden aus�� Arndt, Paul: Geschichte der evangelisch-reformierten Gemeinde in Thorn. Thorn 1904, 20; Moeller, Friedwald: Altpreußisches evangelisches Pfarrerbuch von der Reformation bis zur Vertreibung im Jahre 1945, Bd. 1: Die Kirchspiele und ihre Stellenbesetzungen. Hamburg 1968 (Sonderschriften des Vereins für Familienforschung in Ost- und Westpreußen 11), 236. ��Arndt: Die reformierten Geistlichen im Stadt- und Landkreis Thorn, 26. �� Strehlau, Helmut (Bearb.): Posener Geschlechterbuch (umfassend das gesamte Wartheland), Bd. 4. Limburg an der Lahn 1965 (Deutsches Geschlechterbuch 140), 501–513; Harms, Hansjoachim: Die Grabsteine der Familie Woide in Lissa. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift im Wartheland 3, 1942, 285–292, hier 287f. Die genealogischen Angaben weichen in Details voneinander ab. �� Dworzaczkowa, Jolanta: Bracia czescy w Wielkopolsce. Warszawa 1997, 165–191; Bečková, Marta: Die Briefe Nicolaus Gertichs an Jan Bytner aus den Jahren 1661–1668. Die Senioren der polnischen Brüderunität über Comenius. In: Acta Comeniana 12, 1997, 159–195; Blekastad, Milada: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal des Jan Amos Komenský. Oslo/Praha 1969, 597–624. ��Werner/Steffani: Geschichte der evangelischen Parochien, 192f.
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gebildeten Theologen Johann Alexander Cassius (1703–1788), der 1746 der Nachfolger von Sitkovius als leitender Senior in Lissa werden sollte.44
3. Formen und Ziele grenzüberschreitender Kommunikation bei der Brüderunität Eine der ersten Bewährungsproben für den jungen Lissaer Kaplan war eine Kollektenreise nach Westeuropa, zu der die Kirchenleitung neben Sitkovius den Juristen Samuel Andersch ausgewählt hatte. Mit solchen Spendenkampagnen, die seit der Reformationszeit von verschiedenen Gruppen organisiert wurden, hatten die Böhmischen Brüder bereits in der Vergangenheit Erfahrungen sammeln können.45 Ausgestattet mit einer ganzen Reihe von Empfehlungsschreiben des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., des Berliner Hofpredigers und Seniors Jablonski sowie mehrerer Pastoren und Professoren aus Leiden, Amsterdam und Den Haag, trafen Sitkovius und Andersch 1715 in London ein. Dort mussten sie allerdings feststellen, dass zeitgleich zwei Abgesandte des reformierten Kollegiums im siebenbürgischen Enyed – András Ajtai Szabó und Ferenc Pápai Páriz – um eine Unterstützung in der englischen Hauptstadt nachsuchten.46 Die Konkurrenz um finanzielle Hilfeleistungen König Georgs I. war unübersehbar, auch wenn man, wie ein Eintrag von Sitkovius im Album amicorum von Pápai Páriz belegt,47 äußerlich freundlich miteinander umging. „Ob man nun wohl, zumahl bey Gnaden-Sachen, gegen seinen Nächsten nicht muß neidisch seyn, so erfordert doch die Billigkeit, daß bey der Englischen Collecte wir in Pohlen ein grösseres Anteil, als die Siebenbürger zu hoffen haben“,48 schrieb Jablonski am 11. April 1716 an Sitkovius und sagte zu, sich in dieser Sache an den Prediger der Londoner reformierten Gemeinde Johann Jacob Caesar wenden zu wollen. Als Sitkovius und Andersch 1717 �� Moliński, Zdzisław: Cassius Johann Alexander (Kasjusz Jan Aleksander). In: Głowinkowska/ Konior (Hg.): Słownik biograficzny Leszna, 59f. ��Hans, Nicholas: Polish Protestants and their Connections with England and Holland in the 17th and 18th Centuries. In: The Slavonic and East European Review 37, 1958/59, 196–220; Prümers, Rodgero: Eine Lissaer Kollektenreise. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 12, 1897, 129–221; ders. (Hg.): Tagebuch Adam Samuel Hartmanns über seine Kollektenreise im Jahre 1657–1659. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 14, 1899, 67–78, 241–308; 15, 1900, 95–160, 203–246. ����������������������� Zum Hintergrund vgl. Nishikawa, Sugiko: Die Fronten im Blick. Daniel Ernst Jablonski und die englische Unterstützung kontinentaler Protestanten. In: Bahlcke/Korthaase (Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 151–168; dies.: The SPCK in Defence of Protestant Minorities in Early Eighteenth-Century Europe. In: Journal of Ecclesiastical History 56, 2005, 730–748. ��Gergely, Pál: Pápai Páriz-album az Akadémia kézirattárában. In: Magyar Tudomány. A Magyar Tudományos Akadémia értesítője 68, 1961, 128–132. ��������������������������������������� Unitätsarchiv Herrnhut, Sign. NSC.10.
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Kollektenreisen ins westliche Europa waren für die Protestanten Polens, Böhmens und Ungarns besonders in der Zeit der Rekatholisierung über die vordergründigen finanziellen Beweggründe hinaus von hoher Bedeutung. Für solche Spendenkampagnen benötigte man möglichst viele Referenzen. Die Abbildung zeigt ein in den Niederlanden 1715 ausgestelltes Empfehlungsschreiben mehrerer Pfarrer für Christian Sitkovius und Samuel Andersch, die von der Kirchenleitung der Brüderkirche im polnischen Lissa den Auftrag zu einer Kollektenreise nach England erhalten hatten.
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nach Polen zurückkehrten, konnten sie eine durchaus stattliche Kollekte vorweisen. Sie ermöglichte es der Lissaer Gemeinde, das durch den Stadtbrand von 1707 zerstörte Gymnasium wiederherzustellen, einen Neubau der reformierten Kirche in Angriff zu nehmen und überdies die eigenen Pfarrer und Lehrer hinlänglich zu besolden. Das anschließende Wirken von Sitkovius innerhalb der Lissaer Unitätsgemeinde ist aus seiner umfangreichen Korrespondenz mit Jablonski, mit dem er bereits während des Studiums in Frankfurt an der Oder und Leiden in regelmäßigem Briefkontakt gestanden hatte, gut rekonstruierbar.49 Ein nicht minder reger Austausch mit anderen Angehörigen der Unität, etwa mit dem von schottischen Vorfahren abstammenden Johannes Albert Young, der seit 1714 in den Niederlanden studierte und später Nachfolger von Samuel David Sitkovius in Thorn wurde, lässt ein weites Kontakt- und Kommunikationsnetz erkennen.50 Aus diesen und anderen Quellen erfahren wir überdies zahlreiche Details über die Bedrängnisse, denen sich die reformierten und die Brüdergemeinden nach Ende des Großen Nordischen Krieges ausgesetzt sahen, als man in Polen endgültig mit dem Buchstaben der Toleranzakte von 1573 brach und alle Protestanten vom politischen Leben ausschloss. In einem Schreiben vom 10. Januar 1737 an die litauische Unitätsleitung stellte Sitkovius eine Übersicht zusammen, wie teuer den großpolnischen Brüdern allein die Prozesse gekommen seien, die man seit Beginn des 18. Jahrhunderts gegen sie geführt habe.51 Literarisch ist Sitkovius, anders als der Lissaer Senior Salomon Opitz, offenbar nicht hervorgetreten. Zur Hochzeit von dessen Tochter Susanna Dorothea mit dem Konrektor des Gymnasiums Joachim Georg Musonius am 13. April 1718 ist uns immerhin ein Gedicht von Sitkovius überliefert, das ein Wechselgespräch von Apollo und den Musen enthält.52 Darüber hinaus kennen wir aus seiner Lissaer Zeit lediglich einige gedruckte Leichenpredigten, auf den Kirchenältesten und damit weltlichen Führer der reformierten Gemeinde Daniel Zugehör etwa, der 1729 in Lissa starb, sowie auf andere verdiente Persönlichkeiten der Stadt.53 �� Bečková, Marta: Daniel Ernst Jablonski und seine Beziehungen zu Polen. In: Bahlcke/Kort(Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 205–222, hier 214f. ��Warschauer, A[dolf]: Mitteilungen aus der Handschriftensammlung des Britischen Museums zu London vornehmlich zur polnischen Geschichte. Leipzig 1909 (Mitteilungen der K. Preussischen Archivverwaltung 13), 56f. Zu Young vgl. Arndt: Die reformierten Geistlichen im Stadt- und Landkreis Thorn, 27–31. ��Kriegseisen: Ewangelicy polscy i litewscy, 128f. �� Bickerich, Wilhelm: Ein vergessener Dichter des Posener Landes [Salomon Opitz]. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 28, 1913, 69–104, hier 78. ������������������������������������������������������������������������������������������ Belegt sind folgende Drucke: Gedächtnüß-Predigt Weyland Frauen Anna Schillerin gebohrne von Palland [...]. Oels [1718]; Magnis manibus magnifici et genrosissimi domini domini Alexandri De Złotnik Złotnicki, Primum Tribuni Wschovensis, postea Sub-Da piseri Posnaviensis [...]. Lesnae [1723]; Christus Der Gläubigen eintziger Trost und Ruhm im Leiden und im Sterben Vergnügt empfunden und danckbar gespriesen Von [...] Frauen Philippina gebohrnen Schillerin Des [...] Herrn
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In der Züricher theologischen Zeitschrift Tempe Helvetica, zu der ihm der Vorsteher der örtlichen reformierten Gemeinde Johann Conrad Wirz einen Kontakt vermittelt hatte, erschien in lateinischer Sprache 1741 noch ein Verzeichnis der polnischen, böhmischen und deutschen Brüdergemeinden in Polen und Litauen, in dem Sitkovius auch die Namen sämtlicher ihm bekannter Prediger aufgelistet hatte.54 Einige theologische Handreichungen für die kirchliche Alltagspraxis sind nur als Handschrift überliefert.55 Gewidmet wurde Sitkovius, dem „Geistl. Seniori emerito der Böhm. Brüder-Unität in Groß-Pohlen und Pohlnisch-Preussen, Pastori der deutschen Gemeine und Proto-Scholarchen des illustren Gymnasii zu Lissa“, das Werk BöhmischEvangelischer Palmbaum, das der ihm persönlich bekannte Pastor der evangelisch-reformierten böhmischen Gemeinde zu Berlin Johann Gottlieb (Theophil) Elsner 1763 veröffentlichte.56
4. Die Brisanz von Auslandskontakten für eine Minderheitskirche Sitkovius, seit 1732 Konsenior der Unität in Großpolen, wurde am 22. November 1734 im Alter von 52 Jahren in der reformierten Kirche in Frankfurt Christian Sigmund Försters [...] Ehe-Gattin Welche [...] zu Breßlau den 3. Julii 1723 selig ausgespannet. Oelß 1724; Die Wachsamkeit des Christen gegen einen unvermutheten Tod, Als Der [...] Herr Daniel Zugehör [...] den 5. Febr. 1729. Auf dem Rath-Hause, bey öffentlicher Rahts-Session [...] verschieden [...]. Lissa 1729; Leich-Predigt Hrn David Cassii, der löbl. Unität böhm. Confession in Gross-Polen und Preussen Senioris, der polnischen und adelischen Gemeine zu Lissa Pastoris, und des Gymnasii Scholarchens und Rectoris [...]. [Lissa 1734]; Christliches Ehren-Gedächtniß, Weyland tit. Herrn Pilgram Schillers, Alten Bürgers, Kauf- und Handelsmanns in Breßlau [...]. Oels [1737]; Leichen-Predigt Hrn Mart. Gottlieb Woydes, Ihro Königl. Maj. in Polen Secretarii und Postmeisters in Lissa, Raths-Assessoris und Notarii [...]. [Lissa 1737]. Zu diesen Veröffentlichungen vgl. Szymańska, Kamila: Drukarnie Presserów w Lesznie w XVIII wieku. Leszno 2008, 226f.; Estreicher, Stanisław (Hg.): Bibliografia Polska, Bd. 28. Kraków 1930 [ND Warsaw 1964], 120; Łukaszewicz: O Kościołach Braci Czeskich, 384; Bickerich, W[ilhelm]: Die Lissaer Pulvermühlen und die Familie Zugehör. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 28, 1913, 211–242, hier 227, 229f. �� Sitkovius, Christ[ianus]: Notitia Ecclesiarum ac Scholarum Evangelico-Reformatarum, Per Regnum Poloniae & magnum Ducatum Lithuaniae dispersarum ac Ministrorum, qui in illis S. Officio defunguntur. In: Tempe Helvetica, Dissertationes atque Observationes theologicas, philologicas, criticas, historicas, exhibens, Bd. 5. Tiguri 1741, 489–510. Vgl. die Anzeige in: Leipziger Gelehrte Zeitung 1741, 702. �� Bielecka, Janina: Akta Braci Czeskich w Wielkopolsce w latach (1507) 1557–1817 (XX w.). Przewodnik po zespole. Warszawa 1981, 13, 16, 27. �� Elsner, Johann Gottlieb: Böhmisch-Evangelischer Palmbaum; oder: Zuverlässige Gedanken von Denen oft und sehr gedrukten, aber doch nie ganz unterdrukten Bekennern Des lautern Evangelii im Königreich Böhmen, nebst einigen hiezu gehörigen historisch-dogmatischen Beylagen. In: Simler, Johann Jakob (Hg.): Sammlung Alter und neuer Urkunden zur Beleuchtung der KirchenGeschichte vornemlich des Schweizer-Landes, Bd. 2/3. Zürich 1763, 853–947. Zu Elsner vgl. Liegl, Otmar: Die böhmischen Gemeinden und ihre Prediger in Berlin und Rixdorf. In: Korthaase, Werner (Hg.): Das Böhmische Dorf in Berlin-Neukölln 1737–1987. Dem Kelch zuliebe Exulant. Berlin 1987 (Stätten der Geschichte Berlins 20), 176–196, 301–303, hier 191f.
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an der Oder durch Daniel Ernst Jablonski zum Senior ordiniert.57 Aus Polen waren der Rektor des Lissaer Gymnasiums Musonius, der Thorner Pastor Young sowie drei weltliche Senioren aus dem Adelsstand zu dem feierlichen Ereignis gekommen.58 1734 setzte freilich auch eine Entwicklung ein, die zu nachhaltigen Verwerfungen zwischen Lissa und Berlin führen sollte. In jenem Jahr waren sich Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und Jablonski zum ersten Mal in der preußischen Hauptstadt begegnet. Von der dort erörterten Frage einer Übertragung der alten bischöflichen Weihe auf die neue Herrnhuter Brüdergemeine, zu der sich der Hofprediger prinzipiell bereit erklärt hatte, war auch Sitkovius in besonderer Weise betroffen. Die Rolle, die er als polnischer Senior bei der Ordination von Nitschmann und Zinzendorf spielte, und vor allem die Beweggründe für seine von Jahr zu Jahr wachsende Distanz zu den Herrnhutern sind in einer Reihe quellennaher Abhandlungen genau untersucht worden59 und können hier daher in aller Kürze zusammengefasst werden. In der überkonfessionellen, ökumenisch geprägten Brüdergemeine in Herrnhut entdeckte Jablonski in gewisser Weise eine Verwirklichung seiner eigenen Unionspläne. Sitkovius dagegen hatte zwar seine schriftliche Einwilligung zu den Ordinationen gegeben, fühlte sich aber zum Teil, wie seine zahlreichen Briefe aus jenen Jahren eindeutig belegen, hintergangen. Ihm sei die Sache so dargestellt worden, schrieb er Jablonski am 25. Oktober 1740, „dass der H. Graf [Zinzendorf] die Ordination verlange, um in Indien den Heyden das Evangelium zu predigen, nicht aber, dass er seinen Charakter [sein Bischofsamt, d. Verf.] in Europa publiciren und führen würde“.60 Tatsächlich gerieten die Reformierten in Polen nach der unmittelbaren Veröffentlichung des Ordinationszeugnisses sowie der Einwilligung von Sitkovius gleich in doppelter Weise unter Druck: zum einen durch die staatlichen Behörden und die katholische Hierarchie in Polen-Litauen, zum anderen durch die Glaubensgenossen in der Schweiz, den Niederlanden, England und im Reich, von deren finanzieller Förderung man in hohem Maße abhängig war. Darüber hinaus beanstandeten die Lissaer Reformierten die Kirchenverfas��Hrejsa, Ferdinand: Sborové Jednoty bratrské. Praha 1935, 195. ��Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [6], 114. ��Wotschke, Theodor: Hilferufe nach der Schweiz. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 15–17, 1929, 69–74; Bickerich, Wilhelm: Lissa und Herrnhut. In: Zeitschrift für Brüdergeschichte 2, 1908, 1–74 (selbständig u.d.T.: Lissa und Herrnhut. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus in der Provinz Posen. Lissa 1908); Müller, Jos[eph] Th[eodor]: Zinzendorf als Erneuerer der alten Brüderkirche. Leipzig 1900. Zum Hintergrund vgl. Schunka, Alexander: A Missing Link: Daniel Ernst Jablonski als the Connection Between Comenius and Zinzendorf. In: Lempa, Heikki/ Peucker, Paul (Hg.): Self, Community, World. Moravian Education in a Transatlantic World. Bethlehem PA 2010, 55–77; Bahlcke, Joachim: Religiöse Kommunikation im Dreieck Berlin – Lissa – Herrnhut. Zinzendorf, die Erneuerte Brüder-Unität und das Verhältnis zur polnischen Unitas Fratrum in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Unitas Fratrum. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüdergemeine 67/68, 2012, 31–49. ������������������������������������������������������������� Archiwum Państwowe Poznań, Akta Braci Czeskich, Sign. 1022.
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sung der Herrnhuter und waren durch deren Mission unter den Mitgliedern der polnischen Brüderunität verstimmt. Der Tod Jablonskis am 25. Mai 1741 verschärfte die Spannungen zwischen Lissa und Herrnhut noch zusätzlich. Der Tod des auswärtigen Seniors der Unität brachte für Sitkovius allerdings noch ganz andere Probleme mit sich. Jablonski hatte für seine TalmudAusgabe, durch die er in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, Geld von der Brüderunität geliehen und in diesem Zusammenhang eine Haftungserklärung unterschrieben, für die Schulden gegebenenfalls mit seinem persönlichen Eigentum einzustehen. Nach dessen Tod beschloss die Kirchenleitung in Lissa bereits Anfang Juni, Sitkovius und den Konsenior Johann Alexander Cassius nach Berlin zu entsenden, um diese für alle Seiten unangenehmen Geldangelegenheiten zu regeln. Dies scheint auch gelungen zu sein, sonst wäre der 1705 geborene jüngste Sohn des Hofpredigers, Friedrich Wilhelm Jablonski, ein Jahr später von der Lissaer Synode gewiss nicht einstimmig zum Nachfolger des Vaters als auswärtiger Senior gewählt worden.61 Sitkovius übte das Amt des leitenden Seniors noch ein halbes Jahrzehnt aus. Am 17. August 1746 legte er es, wie das Tagebuch der Unität vermerkt, „wegen Altersbeschwerden“ nieder – sein Nachfolger wurde der bereits genannte Johann Alexander Cassius.62 Nachdem Sitkovius’ erste Ehefrau 1737 gestorben war,63 hatte der beinahe sechzigjährige Geistliche am 19. Oktober 1740 in Lissa ein zweites Mal geheiratet. Auch die Eheschließung mit Susanne Elisabeth Vigilantius, 1721 in Heyersdorf bei Fraustadt geboren, lässt die enge Verbindung der reformierten Predigerfamilien Großpolens untereinander deutlich erkennen. Seine zweite Frau starb am 23. Juli 1757,64 Sitkovius folgte ihr am 24. Juli 1762 nach. Mit ihm verlor die Brüderunität in Polen-Litauen einen weit über die Adelsrepublik hinaus bekannten Theologen, Pfarrer und Senior, der seiner Kirche über mehr als fünf Jahrzehnte in politisch schwierigen Zeiten gedient hatte.65 ��Kvačala, Johann: D. E. Jablonsky und Großpolen. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 15, 1900, 1–30, 247–320; 16, 1901, 1–53, hier [16], 46f. ��Bickerich: Das Tagebuch der polnischen Unität, [6], 121. ���������������������������������������������������������������������������������������� Des Parnassi Anagrammatische Trost-reiche Enucleation der Willigen Wider-Gabe Der von Christo abgeforderten Gottes-Gabe Bey Hochansehnlichen Leichen-Ceremonien Der [...] Catharina Dorothea Sitkowiussin Einer Gebohrnen Woidin Des [...] Christiani Sitkovii [...] Im Leben Liebgewesenen Ehe Liebste [...]. Lissa [1737]. Vgl. Szymańska: Drukarnie Presserów w Lesznie, 214f. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Bey dem Grabe Der [...] Susanne �������������������������������������������������������������������� Elisabeth Sitkowskiussin gebohrner Vigilantissin, bezeigten [...] Christian Sitkovius [...] Ihr Schuldigkeit Mittleid über den frühzeitigen Tod Seiner geliebten Ehegattin Die sämmtlichen Lehrer des Lissnischen Gymnasii. Lissa [1757]. Vgl. Szymańska: Drukarnie Presserów w Lesznie, 183. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Im familiären Umfeld wurde kein Nachlass von Christian Sitkovius, dessen beide Ehen kinderlos blieben, überliefert. Teilnachlässe mit umfangreichen Korrespondenzen und amtlichen Dokumenten liegen im Staatsarchiv Posen, wo die Akten der Böhmischen Brüder aufbewahrt werden, sowie im Unitätsarchiv Herrnhut. Verstreute Briefwechsel, Reisetagebücher und andere Dokumente finden sich darüber hinaus im Staatsarchiv des Kantons Zürich und im British Museum in London.
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„Turbulatores tranquillitatis publicae“? Zur Frage der Religionsfreiheit für die Reformierten in Schlesien im Umfeld der Altranstädter Konvention von 1707 1. Eine forschungsgeschichtliche Annäherung In keiner anderen Phase ihrer Geschichte scheint die Bedeutung der Reformierten in Schlesien geringer gewesen zu sein als zwischen der Mitte des 17. und der Mitte des 18. Jahrhunderts. Größere Beachtung finden sie in aller Regel letztmals bei den Verhandlungen im Umfeld des Westfälischen Friedens: 1648 hatten sich Kaiser und Reichsstände zwar in den vier eigens für das Oderland aufgenommenen Paragraphen 38 bis 41 von Artikel V des Instrumentum Pacis Osnabrugensis darauf verständigt, dass den Anhängern des Augsburger Bekenntnisses in gewissen Gebieten Schlesiens das Recht evangelischer Religionsausübung eingeräumt werde; die reichsverfassungsrechtliche Anerkennung der reformierten Konfession, durch die bei Lichte besehen die Trikonfessionalität des Reiches festgeschrieben wurde, war allerdings nicht auf Schlesien ausgedehnt worden.1 Danach ist von Reformierten in Schlesien erst dann wieder verstärkt die Rede, wenn die Religionspolitik der calvinistischen Hohenzollern, der neuen Landesherren in Schlesien seit 1740/41, angesprochen wird, die von Beginn an den Aufbau eines reformierten Gemeindelebens im Oderland mit Nachdruck förderten.2 1 Fukala, Radek: Slezská otázka a vestfálský mír. In: Forycki, Maciej u.a. (Hg.): Polska – Francja – Europa. Studia z dziejów Polski i stosunków międzynarodowych. Poznań 2011 (Publikacje Instytutu Historii 104), 113–118; Wąs, Gabriela: Akty prawne dotyczące wolności religijnych protestantów śląskich i ich znaczenie polityczne dla Śląska. In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 55, 2000, 373–405; Conrads, Norbert: Die Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648 für die schlesische Geschichte [2000]. In: ders.: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Hg. v. Joachim Bahlcke. Köln/Weimar/Wien 2009 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 16), 53–69; Schott, Christian-Erdmann: Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Evangelischen in Schlesien. In: Hey, Bernd (Hg.): Der Westfälische Frieden 1648 und der deutsche Protestantismus. Bielefeld 1998 (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft 6; Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 3), 99–111; Šindelář, Bedřich: Slezská otázka na mírovém kongresu vestfálském 1643–1648. In: Sborník prací filosofické fakulty brněnské university C 8/10, 1961, 266–295. Zur konfessionspolitischen Situation um 1648 in den böhmischen Ländern insgesamt vgl. Hrbek, Jiří/Polehla, Petr/Zdichynec, Jan (Hg.): Od konfesijní konfrontace ke konfesijním míru. Sborník z konference k 360. výročí uzavření vestfálského míru. Ústí nad Orlicí 2008. 2 Schott, Christian-Erdmann: Die Reformierten in Schlesien bis zum Beginn der preußischen Zeit In: Selderhuis, Herman J./Lange van Ravenswaay, J. Marius J. (Hg.): Reformed Majorities in Early Modern Europe. Göttingen 2015 (Refo500 Academic Studies 23), 73–88; Stribrny, Wolfgang: Friedrich der Große und seine evangelischen Untertanen. In: Forschungen zur brandenburgischen
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Allenfalls der Landes- und Lokalhistoriker ist mit den Verhältnissen in den Territorien des letzten Piastenzweiges in Liegnitz und Brieg, der seit dem frühen 17. Jahrhundert das kirchliche, politische und intellektuelle Rückgrat des Reformiertentums in Schlesien darstellte, näher vertraut.3 Das Aussterben dieses semisouveränen Fürstenhauses im Mannesstamm 1675, die Abwanderung ihrer führenden Geistlichen und die massiv betriebene Rekatholisierung auch dieser Landesteile scheinen eine eindeutige Zäsur zu markieren; dass die letzte Herzogin aus dem Geschlecht der schlesischen Piasten, Charlotte von Liegnitz, Brieg und Wohlau, nach ihrer Heirat zum Katholizismus konvertierte,4 fügt sich scheinbar bruchlos in das Narrativ vom Ende reformierten Lebens im Herzogtum Schlesien ein. Umso mehr muss die Intensität überraschen, mit der im Umfeld der Altranstädter Konvention von 1707 Theologen, Diplomaten und Publizisten über Jahre hinweg, innerhalb wie außerhalb des Oderlandes, auch Belange der schlesischen Reformierten erörterten. Zu keinem Zeitpunkt fand die Frage des liberum religionis exercitium für Anhänger des reformierten Bekenntnisses mehr Aufmerksamkeit als bei der Aushandlung jenes Vertrags zwischen König Karl XII. von Schweden und Kaiser Joseph I., der am 1. September 1707 im schwedischen Feldlager westlich von Leipzig geschlossen und mit dem Breslauer Exekutionsrezess vom 8. Februar 1709 zum Abschluss gebracht wurde.5 Das Ergebnis der Verhandlungen, das aus Sicht der Reformierten letztlich ernüchternd war und keine Änderung ihres rechtlichen Status quo bewirkte, ist in diesem Zusammenhang nur nachrangig. Wesentlich wichtiger ist die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass eine im Land vermeintlich gar nicht mehr existente Religionsgemeinschaft Öffentlichkeit und Politik in Teilen Europas in einem solchen Ausmaß beschäftigen konnte. Wo lassen sich in Schlesien Anhänger des reformierten Bekenntnisses an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert geographisch, familiär und sozial verorten? Über welche Verbindungen untereinander verfügten sie, über welche Kanäle kamen Kontakte zu Glaubensbrüdern und -schwestern außerhalb des Landes zustande? Und wie lässt sich zur Zeit der Altranstädter Konvention und preußischen Geschichte N.F. 2, 1992, 147–161; Mempel, Dieter: Der schlesische Protestantismus vor und nach 1740. In: Baumgart, Peter (Hg.): Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Sigmaringen 1990 (Schlesische Forschungen 4), 287–306; Hultsch, Gerhard: Friedrich der Große und die schlesischen Protestanten. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 58, 1979, 84–100. 3 Harasimowicz, Jan/Lipińska, Aleksandra (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnickobrzeskim. Das Erbe der Reformation in den Fürstentümern Liegnitz und Brieg. Legnica 2007 (Źródła i materiały do dziejów Legnicy i księstwa Legnickiego 4). 4 Szczur, Stanisław/Ożog, Krzysztof (Hg.): Piastowie leksykon biograficzny. Kraków 1999, 567– 569. 5 Conrads, Norbert: Die Durchführung der Altranstädter Konvention in Schlesien 1707–1709. Köln/Wien 1971 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 8).
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innerhalb Schlesiens das Verhältnis zu den Lutheranern beschreiben, die, blickt man auf die sich seit Ende des Dreißigjährigen Krieges von Jahrzehnt zu Jahrzehnt verschärfende Rekatholisierungspolitik des Wiener Hofes im Oderland,6 praktisch vor ähnlichen Herausforderungen standen wie die Reformierten? Diese Fragen sind in den Tagungsdokumentationen und Ausstellungskatalogen, die vor einigen Jahren in Polen und Deutschland anlässlich des 300. Jahrestages der Konvention von Altranstädt erschienen, allenfalls angerissen, nirgendwo aber angemessen diskutiert und problematisiert worden.7 Titel wie „Ein Meilenstein religiöser Toleranz in Europa“ oder „300 Jahre schlesische Toleranz“ wären auch kaum geeignet, die Rolle der Reformierten in Schlesien und allgemein das Verhältnis zwischen den dort zu findenden konfessionellen Gruppen näher zu beleuchten, denn bei einer solchen Akzentuierung würden sich bereits in der innerprotestantischen Kommunikation zahllose Beispiele von Intoleranz, theologischer Ausgrenzung und gesellschaftlicher Diffamierung finden. Es waren namentlich lutherische, nicht katholische Geistliche, die in den Reformierten Unruhestifter, Feinde des religiösen Friedens und Störer der öffentlichen Ruhe („turbulatores tranquillitatis publicae“) sahen – und damit ein seit der Kirchenreformbewegung des 15. Jahrhunderts gern verwendetes Argument benutzten, das auch später noch gegen alle mit dem eigenen Bekenntnis konkurrierenden Gruppen, Jesuiten wie Pietisten, vorgebracht worden ist.8 Dietrich Meyer, einer der besten Kenner der diffizilen 6 Deventer, Jörg: Konfrontation statt Frieden. Die Rekatholisierungspolitik der Habsburger in Schlesien im 17. Jahrhundert. In: Garber, Klaus (Hg.): Kulturgeschichte Schlesiens in der Frühen Neuzeit, Bd. 1–2. Tübingen 2005 (Frühe Neuzeit 111), hier Bd. 1, 265–283; ders.: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungpolitik in Glogau und Schweidnitz 1526–1707. Köln/Weimar/Wien 2003 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 8); Herzig, Arno: Der Zwang zum wahren Glauben. Rekatholisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Göttingen 2002; ders.: Konfession und Heilsgewissheit. Schlesien und die Grafschaft Glatz in der Frühen Neuzeit. Bielefeld 2002 (Religion in der Geschichte. Kirche, Kultur und Gesellschaft 9); ders.: Reformatorische Bewegungen und Konfessionalisierung. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in der Grafschaft Glatz. Hamburg 1996 (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 1). 7 Harc, Lucyna/Wąs, Gabriela (Hg.): Religia i polityka. Kwestie wyzaniowe i konflikty polityczne w Europie w XVIII wieku. W 300. rocznicę konwencji w Altranstädt. Wrocław 2009 (Acta Universitatis Wratislaviensis 3148); Bergerhausen, Hans-Wolfgang (Hg.): Die Altranstädter Konvention von 1707. Beiträge zu ihrer Entstehungsgeschichte und zu ihrer Bedeutung für die konfessionelle Entwicklung in Schlesien. Würzburg 2009 (Beihefte zum Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 11); Wolf, Jürgen Rainer (Hg.): 1707–2007 Altranstädter Konvention. Ein Meilenstein religiöser Toleranz in Europa. Halle (Saale) 2008 (Veröffentlichungen des Sächsischen Staatsarchivs A 10); Metasch, Frank: 300 Jahre Altranstädter Konvention, 300 Jahre schlesische Toleranz. 300 lat ugody Altransztadzkiej, 300 lat śląskiej tolerancji. Dresden 2007 (Spurensuche. Geschichte und Kultur Sachsens 2). 8 Ein früher Beleg („turbulatores pacis et unitatis“) bei Kaňák, Bohdan: Soudce chebský – mikrohistorie vzniku, diplomatický rozbor a edice předběžné dohody husitů s basilejským koncilem z roku 1432. In: Olomoucký archivní sborník 1, 2003, 109–157, hier 121. Zum späteren Gebrauch dieser
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religiösen und konfessionspolitischen Situation im frühneuzeitlichen Schlesien, urteilt völlig zu Recht: „Die von den evangelischen Schlesiern so hoch gefeierte Religionsfreiheit, von Karl XII. erzwungen und durch die Gnade des Kaisers gewährt, blieb hinsichtlich der Reformierten hinter den Zugeständnissen des Westfälischen Friedens zurück und ist von echter Toleranz weit entfernt.“9 Das realgeschichtliche Verhältnis zwischen Lutheranern und Reformierten in Schlesien spiegelt sich in eigentümlicher Weise auch in der Kirchengeschichtsschreibung wider, und zwar zeitlich von den im 18. und 19. Jahrhundert vorgelegten, mehrheitlich von Theologen der einzelnen Bekenntnisse verfassten Arbeiten bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein. Es wäre der Mühe wert, die zum Teil bis in die Gegenwart tradierten, ältere Verwerfungen und Abgrenzungen übernehmenden Geschichtsbilder unter dieser Fragestellung zu untersuchen und zumindest die einflussreichsten Autoren vergleichend in den Blick zu nehmen: von den produktiven Geistlichen Abraham Gottlob Rosenberg,10 Gottlieb Fuchs,11 Johann Adam Hensel12 und Daniel Heinrich Hering,13 deren von der Aufklärung geprägte Arbeiten ein neues, Erbauung und religiöse Sinnstiftung zurückstellendes Wissenschaftsverständnis ankündigten, bis hin zur unverändert vielzitierten Schlesische[n] Kirchengeschichte von Hellmut Eberlein aus dem Jahr 1932, die, stark erweitert und um Begrifflichkeit vgl. Büchting, Wilhelm/Keil, Siegmar: Martin Rinckart. Leben und Werk. Spröda 1996, 56; Schott, Christian-Erdmann: Der Pietismus in Schlesien. Von der Reformation bis zu den Herrnhutern. In: Meyer, Dietrich/Schott, Christian-Erdmann/Schwarz, Karl (Hg.): Über Schlesien hinaus. Zur Kirchengeschichte in Mitteleuropa. Festgabe für Herbert Patzelt zum 80. Geburtstag. Würzburg 2006 (Beihefte zum Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte 10), 125–144, hier 134. Die Tatsache, dass in Schlesien noch 1730 ein Geistlicher als „turbulator tranquillitatis publicae“ abgesetzt, arretiert und des Landes verwiesen wurde, ist nicht nur ideen- und begriffsgeschichtlich von Interesse, sondern zeigt auch die Auswüchse des langen Konfessionellen Zeitalters im Oderland. Vgl. Meyer, Dietrich: Der Einfluß des hallischen Pietismus auf Schlesien. In: Wallmann, Johannes/ Sträter, Udo (Hg.): Halle und Osteuropa. Zur europäischen Ausstrahlung des hallischen Pietismus. Halle 1998 (Hallesche Forschungen 1), 211–229, hier 226. 9 Meyer, Dietrich: Die Auswirkungen der Altranstädter Konvention auf die evangelische Kirche Schlesiens und die Bewegung der betenden Kinder. In: Wolf (Hg.): 1707–2007 Altranstädter Konvention, 88–107, hier 96. ��Rosenberg, Abraham Gottlob: Schlesische Reformations-Geschichte. Breslau 1767. ��Fuchs, Gottlieb: Materialien zur evangelischen Religionsgeschichte der Fürstenthümer und freyen Standesherrschaften in Oberschlesien. Bestehend in Sechs Stücken nebst zwo Fortsetzungen und nöthigen Registern aus bewährten Schriftstellern, seltnen Handschriften und archivalischen Urkunden. Breßlau 1770–1776. �� Hensel, Johann Adam: Protestantische Kirchen-Geschichte der Gemeinen in Schlesien. Nach allen Fürstenthümern, vornehmsten Städten und Oertern dieses Landes, und zwar vom Anfange der Bekehrung zum christlichen Glauben vor und nach Hußi, Lutheri und Calvini Zeiten biß auf das gegenwärtige 1768ste Jahr. Leipzig/Liegnitz 1768. �� Hering, Daniel Heinrich: Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Reformirten Kirche in den Preußisch-Brandenburgischen Ländern, Bd. 1–2. Breslau 1784–1785; ders.: Neue Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-Reformirten Kirche in den Preußisch-Brandenburgischen Ländern, Bd. 1–2. Berlin 1786–1787.
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Abschnitte zur jüngsten Geschichte ergänzt, noch drei Jahrzehnte später aus Mangel an anderen Darstellungen in vierter Auflage nachgedruckt wurde.14 Ein ausgewogener Zugriff wird erst mit dem 1992 veröffentlichten Quellenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schlesien deutlich, in dem Ulrich Hutter-Wolandt zum Forschungsstand der hier interessierenden Zusammenhänge nüchtern anmerkte: „Neuere Gesamtdarstellungen zur lutherischen oder reformierten Orthodoxie in Schlesien fehlen bislang.“15 Hutter-Wolandt war es auch, der zu jener Zeit einen ersten Abriss der Geschichte der Reformierten im Oderland vorlegte und dort nochmals konstatierte: „Eine umfassende Darstellung der Geschichte der Reformierten in Schlesien fehlt bisher ebenso wie für andere Territorialkirchen in den historischen preußischen Ostprovinzen. Die schlesische Kirchengeschichtsforschung hat sich nie intensiv mit dieser Frage beschäftigt, da die Reformierten innerhalb der lutherisch geprägten Landeskirche nur über einen geringen Einfluß verfügten.“16 Dass man außerhalb des Oderlandes oft mehr über das schlesische Reformiertentum wusste als im Land selbst, überrascht nur auf den ersten Blick, waren doch unter allen neuzeitlichen Konfessionen die Reformierten in besonderer Weise durch die Erfahrung von Unsicherheit, Verbannung, Flucht und Exil geprägt. Die vielerorts bereits im 16. Jahrhundert einsetzenden Verfolgungen sind eine Ursache für den grenzüberschreitenden Charakter dieser Konfession, ihren ausgeprägten Internationalismus und die hohe Mobilität ihrer Anhänger. Die Existenz als Flüchtlings-, Untergrund- und Minderheitenkirche bestimmte nicht nur Ordnung und Institutionen, sondern auch Denken und Handeln der Reformierten.17 Besonders gut informiert sind wir über die ansehnliche Gruppe reformierter Schlesier, die im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts in den pfälzischen Staats- und Kirchendienst eintraten und als gelehrte Räte, Hofprediger, Mitglieder des Kirchenrats oder Universitätsprofessoren einflussreiche Positio�� Eberlein, Hellmut: Schlesische Kirchengeschichte. Ulm/Donau 41962 [11932] (Das Evangelische Schlesien 1). ��Hutter-Wolandt, Ulrich: Das Zeitalter nach der Reformation. In: Benrath, Gustav Adolf u.a. (Hg.): Quellenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schlesien. München 1992 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1), 101–155, hier 102. �� Ders.: Die Reformierten in Schlesien [1991]. In: ders.: Tradition und Glaube. Zur Geschichte evangelischen Lebens in Schlesien. Dortmund 1995 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund B 51), 94–108, hier 94. �� Prestwich, Menna (Hg.): International Calvinism. 1541–1715. Oxford 1985; Kingdon, Robert M.: International Calvinism. In: Brady, Thomas A./Oberman, Heiko A./Tracy, James D. (Hg.): Handbook of European History, 1400–1600. Late Middle Ages, Renaissance and Reformation, Bd. 2. Leiden u.a. 1995, 229–247. Speziell zu Ostmittel- und Osteuropa vgl. Bahlcke, Joachim: Calvinismus im östlichen Europa. Entwicklungslinien des reformierten Typus der Reformation vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. In: Reiss, Ansgar/Witt, Sabine (Hg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Dresden 2009, 196–203; van Schelven, A[art] A.: Het Calvinisme gedurende zijn bloeitijd. Zijn uitbreiding en cultuurhistorische betekenis, Bd. 3: Polen – Bohemen – Hongarije en Zevenburgen. Amsterdam 1965.
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nen einnahmen.18 Ungleich weniger Aufmerksamkeit fanden die Wechselbeziehungen zu reformierten Kreisen in den unmittelbaren Nachbarregionen: zu Schlesien, Böhmen und Mähren auf der einen, Großpolen und Kleinpolen auf der anderen Seite. In der tschechischen Geschichtsschreibung wurden diese Kontakte allenfalls im Zusammenhang mit der Vertreibung der Böhmischen Brüder von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges aufgegriffen.19 In Polen wiederum, wo Fragen nach entsprechenden Beziehungen lange Zeit vor allem von Pädagogen, Bildungs- und Kulturhistorikern gestellt wurden,20 entstanden in den letzten Jahren anregende Studien zu konfessionellen Austauschprozessen im Grenzgebiet von Schlesien, Großpolen und Brandenburg.21 Zeitlich haben diese Untersuchungen ihren Schwerpunkt in den Jahrzehnten um 1600. Für die Zeit um 1700 fehlen vergleichbare Studien vollständig. Die folgenden Überlegungen werden notgedrungen mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben – für genauere Analysen wären angesichts des gegenwärtigen Wissensstandes umfassende archivalische Studien notwendig. Dies gilt nicht nur im engeren Sinn für Details der Religions- und Kirchengeschichte, sondern auch für andere Untersuchungsfelder, etwa für die Erfassung der Außenkontakte schlesischer Gelehrter und Geistlicher. Es spricht für den unbefriedigenden Forschungsstand, dass wir bis heute auf Studien Theodor Wotschkes aus den 1920er und 1930er Jahren angewiesen sind, wenn es um Einblicke in die Korrespondenz schlesischer Theologen mit Briefpartnern in anderen Reichsterritorien zur Zeit der Frühaufklärung geht.22 ��Bahlcke, Joachim/Ernst, Albrecht (Hg.): Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung. Heidelberg/Ubstadt-Weiher/Basel 2012 (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte 5). �� Bečková, Marta: Význam Slezska pro bratrskou pobělohorskou emigraci. In: Bobková, Lenka/ Konvičná, Jana (Hg.): Náboženský život a církevní poměry v zemích Koruny české ve 14.–17. století. Praha 2009 (Korunní země v dějinách českého státu 4), 657–669; Bidlo, Jaroslav: Jednota bratrská v prvním vyhnanství, Bd. 1–4. Praha 1900–1932; ders.: Vzájemný poměr české a polské větve Jednoty bratrské v době od r. 1587–1609. In: Časopis Matice moravské 41/42, 1917/18, 108–188. �� Korcz, Władysław: „Schönaichianum“ – gimnazjum w Bytomiu Odrzańskim. In: Mazur, Zbigniew (Hg.): Wokół niemieckiego dziedzictwa kulturowego na Ziemiach Zachodnich i Północnych. Poznań 1997 (Ziemie Zachodnie – Studia i Materiały 18), 117–126; Barycz, Henryk: Schönaichianum w Bytomu Odrzańskim i jego polskie koneksje. In: ders. (Hg.): Śląsk w polskiej kulturze umysłowej. Katowice 1979, 229–245; Śliziński, Jerzy: Śladami Braci czeskich na Śląsku i w Malopolsce. In: Przegląd historyczny 48, 1957, 289–318. ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. besonders das Themenheft „Zróżnicowanie wyznaniowe a więzi społeczne na pograniczu śląsko-wielkopolsko-brandenburskim (XVI–XVIII w.)“ der Zeitschrift Rocznik Lubuski 23/1, 1997, dort vor allem die Studien von Bartkiewicz, Kazimierz: Czynniki s składniki zróżnicowania wyznaniowego na pograniczu śląsko-wielkopolsko-brandenburskim w okresie wczesnonowożytnym (9– 16), Jaworski, Tomasz: Kontakty Braci czeskich i kalwinów na Dolnym Śląsku w XVI i XVII wieku (69–81) und Majchrzak, Jerzy Piotr: Protestanckie gimnazjum „Schönaichianum-Carolatheum“ w Bytomiu Odrzańskim – jego ponadregionalny i ponadkonfesyjny program (1609–1629) (91–96). ����������������� Vgl. vor allem Wotschke, Theodor: Scharffs Briefe an Cyprian. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 18, 1925, 1–72; ders.: Löschers Bezie-
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Oder dass wir auf noch ältere Darstellungen zurückgreifen müssen, wenn wir beispielsweise Informationen zu den Schönaich suchen, einem der führenden reformierten Adelsgeschlechter im frühneuzeitlichen Schlesien, das in engem Austausch mit gleichkonfessionellen Kreisen in Böhmen, Mähren und Großpolen stand.23 Nur punktuell können im Folgenden handschriftliche Überlieferungen einbezogen werden, um das Zusammenspiel einheimischer und auswärtiger Akteure im Umfeld der Altranstädter Konvention aufzuzeigen. Hauptsächlich wurden diejenigen Quellen ausgewertet, in denen das Problem der Religionsfreiheit für die Reformierten in Schlesien um 1700 besonders intensiv diskutiert wurde: theologische Traktate und Periodika, ferner Flugschriften und diplomatische Briefwechsel, die Gegner wie Fürsprecher des liberum religionis exercitium in Druck gaben und gezielt vertrieben, um die Öffentlichkeit für die eigene Position zu gewinnen,24 sowie die zeitgenössische Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung.
2. Auslegungen der rechtlichen Rahmenbedingungen und Handhabung des Interzessionsrechts Dreh- und Angelpunkt der Argumentation aller Beteiligten, die im Umfeld der Altranstädter Konvention zur Religionsfreiheit der evangelischen Schlesier im Allgemeinen und zum Status der Reformierten im Besonderen Stellung bezogen, waren die reichsrechtlichen Bestimmungen von 1648. Der Streit um die einschlägigen Festlegungen des Westfälischen Friedens wiederum war nur Teil einer zeitlich wie sachlich wesentlich umfassenderen Auseinandersetzung, der Frage nämlich, ob Reichsgesetze im Königreich Böhmen und in dessen Nebenländern Mähren, Schlesien und den Lausitzen überhaupt Gel-
hungen zu Schlesien. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 18, 1926, 208–285; ders.: Schlesische Mitarbeiter an den Acta historico-ecclesiastica. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 12, 1928, 74–129; ders.: Urkunden zur Geschichte des Pietismus in Schlesien. In: Jahrbuch des Vereins für Schlesische Kirchengeschichte 20, 1929, 58–129; 22, 1931, 103–131. ��Klopsch, Christian David: Geschichte des Geschlechts von Schönaich, Bd. 1–4. Glogau 1847– 1856; Barth, W[ilhelm]: Die Familie von Schönaich und die Reformation. Festschrift zur einhundertfünfzig jährigen Erinnerungsfeier der Erhebung der freien Standesherrschaft Carolath und Beuthen zum Fürstenthum. [Beuthen an der Oder 1891]. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Zur Herstellung europäischer Öffentlichkeit am Beispiel anderer konfessionspolitischer Auseinandersetzungen der Zeit vgl. Swobodziński, Marcin: Narodziny mitu „toruńskiej krwawej łaźni“ i „krwawego sądu“. In: Rocznik Toruński 38, 2011, 197–213; Bellingradt, Daniel: Flugpublizistik und Öffentlichkeit um 1700. Dynamiken, Akteure und Strukturen im urbanen Raum des Alten Reiches. Stuttgart 2011 (Beiträge zur Kommunikationsgeschichte 26); Schulze Wessel, Martin: Religiöse Intoleranz, grenzüberschreitende Kommunikation und die politische Geographie Ostmitteleuropas im 18. Jahrhundert. In: Requate, Jörg/Schulze Wessel, Martin (Hg.): Europäische Öffentlichkeit. Transnationale Kommunikation seit dem 18. Jahrhundert. Frankfurt u.a. 2002, 63–78.
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tung beanspruchen dürften. Die Antwort auf diese Frage, die angesichts der kaum zu entwirrenden Vielzahl regionaler Rechtstraditionen und Rechtsnormen ohnehin schwerfallen musste, hing ganz entscheidend von den jeweils aktuellen macht- und konfessionspolitischen Interessen der involvierten Parteien ab.25 Selbst ein einzelner Akteur, der habsburgische Oberherr, konnte faktisch für unterschiedliche, realpolitisch nicht miteinander zu vereinbarende Positionen stehen: Als Herzog von Schlesien oder König von Böhmen, mithin als Territorialherr, vertrat er nicht selten einen politisch-rechtlichen Standpunkt, der den Eigeninteressen des römisch-deutschen Kaisers entgegenstehen musste – und umgekehrt.26 Dies gilt in gleicher Weise für den sensiblen, weil durch konfessionelle Lesarten zusätzlich dynamisierten Bereich der Religionspolitik. Die juristische Problematik, aber auch die daraus resultierende Flexibilität, mit der die Habsburger im Alten Reich und in ihrem unmittelbaren Herrschaftsbereich in konfessionspolitischen Angelegenheiten agierten, werden in der Geschichtsschreibung nicht nur von den Anhängern eines „verknöcherten Konfessionalismus“ regelmäßig verkannt.27 Als böhmisches Kronland war Schlesien nur mittelbar mit dem römischdeutschen Reich verbunden. Die schlesischen Fürsten waren keine Reichsfürsten und entsprechend nicht mit Sitz und Stimme auf dem Reichstag zugelassen. Zwar gab es 1648 auch abweichende Auffassungen, zumal die evangelischen Schlesier ihre Forderungen auf dem Westfälischen Friedenskongress auf verschiedenen Wegen einzubringen verstanden. Letztlich aber stimmten Kaiser und Reichsstände darin überein, dass für die Schlesier nur die eigens aufgenommenen Paragraphen 38 bis 41 des Artikels V gelten sollten, nicht aber die anderen Bestimmungen des Friedensvertrages. Die Tatsache, dass das reformierte Bekenntnis 1648 im Heiligen Römischen Reich neben Katholizismus und Luthertum de facto den Status einer dritten, reichsrechtlich anerkannten Konfession erhielt, hatte insofern keinerlei Auswirkungen auf Schlesien oder ein anderes Territorium des Gebiets, das �� Bahlcke, Joachim: Religionsfreiheit und Reichsbewußtsein. Deutungen des Augsburger Religionsfriedens im böhmisch-schlesischen Raum. In: Schilling, Heinz/Smolinsky, Heribert (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Heidelberg 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 206), 389–413. ����������������������������������������������������������������������������������������� Zu den Konsequenzen dieser auch in anderen habsburgischen Territorien zu beobachtenden Spannungen vgl. Winkelbauer, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Bd. 1–2. Wien 2003, hier Bd. 1, 311–407; Press, Volker: Österreich und Deutschland im 18. Jahrhundert. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 42, 1991, 737–753; ders.: Österreichische Großmachtbildung und Reichsverfassung. Zur kaiserlichen Stellung nach 1648. In: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 98, 1990, 131–154. ������������������� Der Begriff nach Schneider, Bernd Christian: Ius Reformandi. Die Entwicklung eines Staatskirchenrechts von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches. Tübingen 2001 (Jus ecclesiasticum 68), 209 Anm. 27, der damit die Darstellung von Tomek, Ernst: Kirchengeschichte Österreichs, Bd. 2: Humanismus, Reformation und Gegenreformation. Innsbruck u.a. 1949, charakterisiert.
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von der kaiserlichen Seite unter dem bis dato vagen Begriff „Erblande“ zusammengefasst wurde.28 Da das ius reformandi jedoch den zum Zeitpunkt des Friedensschlusses in Schlesien noch regierenden Mediatherzögen in Schlesien (sowie der Stadt Breslau) zugesprochen wurde, änderte sich an der kirchlichen Praxis der Reformierten in den Fürstentümern der Liegnitz-Brieger Piasten zunächst nichts. Die Hochzeit Herzog Christians von Brieg mit Luise von AnhaltDessau im November 1648 war für viele sicherlich ein Zeichen, dass man in Schlesien auch weiterhin mit der Unterstützung und Fürsprache der reformierten Höfe im Reich rechnen dürfe.29 Die Gemeinden in den piastischen Territorien erhielten nach dem Dreißigjährigen Krieg zunächst sogar noch Zulauf, vor allem durch Glaubensflüchtlinge – etwa aus Ungarn – und durch Angehörige der Böhmischen Brüderunität aus den benachbarten Regionen Polens.30 Wie sicher man sich im Oderland wähnte, lässt sich daran erkennen, dass man sogar das Archiv der Unitas fratrum und die Reste der einstmals im mährischen Eibenschitz und Kralitz befindlichen, durch den Lissaer Stadtbrand von 1656 in Mitleidenschaft gezogenen brüderischen Druckerei im schlesischen Brieg unterbrachte.31 Trotz der Festlegungen des Westfälischen Friedens blieb die rechtliche Unsicherheit in Schlesien auch nach 1648 groß, da die vom Wiener Hof zunehmend rigide Auslegung der einzelnen Paragraphen für zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen sorgte – für „allerhand Diskurse“, wie der aus Oels gebürtige, zum Katholizismus konvertierte Jurist und Kirchenhistoriker Gottfried Ferdinand Buckisch, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine umfangreiche Sammlung Schlesische[r] Religions-Akten von Beginn der Reformation bis zum Jahr 1675 zusammenstellte, recht beschwichtigend formulierte.32 �� Weber, Matthias: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich in der Frühen Neuzeit. Köln/ Weimar/Wien 1992 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 1), 245–254; Schneider: Ius Reformandi, 322–409; von Meiern, Johann Gottfried: Acta Pacis Westphalicae Publica Oder Westphälische Friedens-Handlungen und Geschichte, Bd. 1–7. Hannover 1734–1740, hier Bd. 6, 239– 286 („Umständliche Beschreibung von Einschließung der Reformirten in den Religions-Frieden“). �� Lucae, Friedrich: Schlesiens curieuse Denckwürdigkeiten oder vollkommene Chronica Von Ober- und NiederSchlesien [...]. Frankfurt/Main 1689, 1337–1340. �� Schönwälder, K[arl] F[riedrich]: Die Piasten zum Briege oder Geschichte der Stadt und des Fürstenthums Brieg, Bd. 1–3. Brieg 1855–1856, hier Bd. 3, 225. ��Karlak, Weronika: „Hic liber Ducali Bibliothecae offerebatur a Fratribus Moravis...“ – brzeski epizod z dziejów Jednoty po pożarze Leszna. In: Císařová Smítková, Alena u.a. (Hg.): Libri magistri muti sunt. Pocta Jaroslavě Kašparové. Praha 2013, 153–194; Bečková: Význam Slezska pro bratrskou pobělohorskou emigraci, 664f.; Müller, Joseph Th[eodor]: Geschichte der Böhmischen Brüder, Bd. 1–3. Herrnhut 1922–1931, hier Bd. 3, 336, 351; Bickerich, Wilhelm: Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 19, 1904, 29–60, hier 42f., 47f. ��Buckisch, Gottfried Ferdinand: Schlesische Religions-Akten 1517 bis 1675, Tl. 2: Regesten der Religions-Akten. Bearb. v. Joseph Gottschalk, Johannes Grünewald und Georg Steller. Köln/
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Praktisch zeitgleich mit dem Vorgehen der kaiserlichen „Reduktionskommissionen“, die in den frühen 1650er Jahren mit der Einziehung evangelischer Kirchen und der Ausweisung ihrer Geistlichen im Gebiet der Erbfürstentümer und Standesherrschaften begannen, setzte eine Internationalisierung der schlesischen Religionsfrage ein, deren rechtliche Grundlage eng mit den Friedensschlüssen von Münster und Osnabrück zusammenhing: Mit der Institutionalisierung einer ständischen Religionsaufsicht entstand eine Handhabe, um künftig gegen Religionsbeschwerden aller Art auf dem Weg von Politik und Recht vorzugehen. Obwohl das Corpus Evangelicorum, die diplomatische Vertretung sämtlicher lutherischen und reformierten Reichsstände, eigentlich für die Erblande keine Zuständigkeit besaß, waren es gerade habsburgische Territorien – Schlesien und darüber hinaus Ungarn –, die immer wieder im Mittelpunkt von Kollektiveingaben und Interzessionsschreiben an den Kaiser, die Reichsstände und die obersten Reichsgerichte standen.33 Es ist erstaunlich, dass diese Zusammenhänge – die Anrufung und Mobilisierung auswärtiger Fürsprecher zum Schutz des eigenen Bekenntnisses auf der einen, die Vorstöße evangelischer Höfe, Einzelpersonen und Institutionen zugunsten der evangelischen Schlesier auf der anderen Seite – bisher nie systematisch untersucht worden sind.34 Denn Quellenmaterial gäbe es hierzu in ungewöhnlich großem Umfang: von der bereits Mitte des 18. Jahrhunderts dokumentierten Tätigkeit des Corpus Evangelicorum35 über zeitgenössische Flugschriften, gezielt in die Öffentlichkeit lancierte Briefwechsel und individuelle Korrespondenzen bis hin zur Fülle archivalischen Materials, das vor allem durch den diplomatischen Verkehr zwischen den größeren Höfen entstanden ist.36 Im Folgenden sollen nur einige wenige Beispiele das GrundmuWien 1998 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 17/2). Das Zitat nach von Velsen, Dorothee: Die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz-BriegWohlau. Ihre Vorgeschichte und ihre staatsrechtlichen Grundlagen. Leipzig 1931 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 15), 15. ��Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23), 214–224; ders.: Konfessionspolitik und Staatsinteressen. Zur Funktion der brandenburgisch-preußischen Interventionen zugunsten der ungarischen Protestanten nach dem Westfälischen Frieden. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 76/77, 1997/98, 177–187. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Ein Grund dürfte in den Auswirkungen des preußisch-österreichischen Dualismus im Alten Reich auf die Schwerpunkte von Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung liegen. Vgl. stellvertretend Schaefer, Reinhold (Hg.): Bittgesuche evangelischer Schlesier an Friedrich den Großen. Görlitz 1941 (Quellen zur Schlesischen Kirchengeschichte 2); Bellardi, Werner: Die Bittgesuche evangelischer Gemeinden Schlesiens an Friedrich den Großen. In: Jahrbuch für Schlesische Kirche und Kirchengeschichte N.F. 33, 1954, 64–83. �� von Schauroth, Eberhard Christian Wilhelm: Vollständige Sammlung Aller Conclusorum, Schreiben Und anderer übrigen Verhandlungen des Hochpreißlichen Corpus Evangelicorum Von Anfang des jetzt fürwährenden Hochansehnlichen Reichs-Convents Bis auf die gegenwärtige Zeiten, Bd. 1–3. Regensburg 1751–1752. ������������������������������������������������������������������������������ Nur in Einzelfällen wurden diplomatische Berichte ediert. Vgl. exemplarisch von Antal, G[éza]/
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ster der grenzüberschreitenden Kommunikation und Interaktion veranschaulichen, die ihren qualitativen wie auch quantitativen Höhepunkt im Umfeld der Altranstädter Konvention gewinnen sollten. Angesichts massiver Proteste sah sich Kaiser Ferdinand III. am 7. Mai 1654 zu einer Resolution und „Versicherung“ genötigt, dass „die Protestirenden in Schlesien/ wider dasjenige/ was ihnen in dem Instrumento Pacis zu gute verordnet worden/ keinesweges bedränget/ sondern darbey allergnädigst manuteniret und geschützet werden sollen“.37 Vorausgegangen war dieser Resolution eine Vielzahl von Einzelaktionen: von einem ersten Schreiben der Herzöge von Liegnitz, Brieg und Oels an den Herzog von Sachsen, der als „Patron des Landes Schlesien und vornehmste[r] Churfürst der A. C.-Verwandten“ um Unterstützung ersucht wurde, und weiteren Bittgesuchen bis hin zu Interventionen Schwedens und der evangelischen Reichsstände.38 Dieser Verfahrensmodus wiederholte sich in den folgenden Jahrzehnten, ausgelöst durch immer neue gravamina ecclesiastica im Oderland, viele Male, obwohl die Vorstöße in der Masse der Fälle keine unmittelbare Wirkung zeigten. Als zentrale Drehscheibe für die Informationsbeschaffung, -aufnahme und -weitergabe sowie allgemein für die Herstellung von Öffentlichkeit fungierte der 1663 begründete Immerwährende Reichstag in Regensburg.39 Von den insgesamt 154 Interzessionsschreiben, die das unter dem Dach des Reichstags tätige, unter der Führung des Kurfürsten von Sachsen stehende Corpus Evangelicorum bis zum Jahr 1750 an den Kaiser richtete, betrafen mindestens 34 ausschließlich oder zu einem Teil schlesische Religionsbeschwerden.40 Für Anliegen speziell der Reformierten in Schlesien wurden Verbindungen genutzt, die zum Teil schon seit der Zeit der Reformation bestanden. Dies gilt in besonderer Weise für den Kontakt zwischen den Herzögen von Liegnitz, Brieg und Wohlau zu den brandenburgischen Hohenzollern, zwei lutherischen Dynastien, die Anfang des 17. Jahrhunderts auch parallel und in Pater, J[an] C[ornelis] H[endrik] (Hg.): Weensche gezantschapsberichten van 1670 tot 1720, Bd. 1–2: 1670–1720. ’s-Gravenhage 1929–1934. ���[Lehmann, Christoph]: Lehmannus, suppletus & continuatus; Das ist: Fortsetzung Der ReichsHandlungen/ Schrifften und Protocollen über des Heiligen Römischen Reichs Constitutiones Von dem Land- und Religion-Frieden/ Auch was dieser wegen bey denen Friedens-Tractaten Zu Münster und Oßnabrug/ Von Anno 1643. bis 1648. da der Friede geschlossen/ sich begeben und erinnert worden. Franckfurt am Mayn 1709, 815. Die Resolution im Wortlaut bei Hensel: Protestantische Kirchen-Geschichte der Gemeinen in Schlesien, 395. �� de Buckisch & Löwenfels, Godofredus Ferdinandus: Observationes historico-politicae in Instrumentum Pacis Osnabrugo-Westphalicum [...]. Moguntiae 1756, 428–515; ders.: Schlesische Religions-Akten 1517 bis 1675, Tl. 2, 384f.; von Velsen: Die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz-Brieg-Wohlau, 15. �� Friedrich, Susanne: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700. Berlin 2007 (Colloquia Augustana 23). ��Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich, 274, 278f., 421–426. de
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enger Abstimmung zum Calvinismus übergetreten waren.41 Es wundert daher nicht, dass sich Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg 1676 wegen Unterdrückung der Reformierten in den ehemals piastischen Territorien Niederschlesiens, die nach dem Tod Herzog Georg Wilhelms ein Jahr zuvor an die Krone Böhmen heimgefallen waren, direkt an Kaiser Leopold I. wandte, mit der Forderung, dass „unsern Glaubens-Genossen dero bißher gehabte Gewissens-Freyheit“ erhalten bleiben müsse; er erbitte „nichts neues/ [...] noch eine mehrere Freyheit/ als sie bißher gehabt“, sondern lediglich, dass „denen Evangelisch-Reformirten wiederumb frey gelassen werden moege/ ihren Gottesdienst nach wie vor in der Schloß-Capellen zu Liegnitz/ und in der Kirchen zu Brieg zuverrichten“.42 Dass sich im Zuge der Frühaufklärung auch die Argumentation solcher Bittgesuche allmählich änderte, zeigt ein Schreiben des Sohnes des Großen Kurfürsten, König Friedrichs I. in Preußen, der sich 1705 ebenfalls wegen der Lage der Reformierten in den früheren piastischen Fürstentümern an Kaiser Joseph I. wandte: Viele der jüngsten Maßnahmen des Wiener Hofes in Schlesien seien schlicht „wider aller Voelcker Recht“. Der Hohenzoller ging nicht nur auf Bedingungen der Möglichkeit sozialen Friedens und politischer Stabilität in gemischtkonfessionellen Gebieten ein (es sei bekannt, „daß die Ruhe der Laender/ wo unterschiedliche Religions-Verwandten wohnen/ guten Theils von dem Schutz und der Beybehaltung der einem ieden Theile zukommenden Immunitaeten dependiret“), sondern rief auch gleichgerichtete Initiativen der anderen „Evangelischen Puissancen“ und „Alliirten“ in Erinnerung, um seinem Anliegen höheren Nachdruck zu verleihen.43 Die nach dem Frieden von Rijswijk von 1697 spürbar an Intensität gewinnende Koope��Bahlcke, Joachim: Religiöse Kommunikation, Reisediplomatie und politische Lagerbildung. Zur Bedeutung des reformierten Theologen Abraham Scultetus für die Beziehungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz um 1600. In: Bahlcke/Ernst (Hg.): Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600, 187–220; Schmilewski, Ulrich: Die Beziehungen des schlesischen Adels zum Heiligen Römischen Reich im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. In: Harasimowicz, Jan/Weber, Matthias (Hg.): Adel in Schlesien, Bd. 1: Herrschaft – Kultur – Selbstdarstellung. München 2010 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 36), 207–222; Nischan, Bodo: Kontinuität und Wandel im Zeitalter des Konfessionalismus. Die zweite Reformation in Brandenburg. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 58, 1991, 87–133. ��Benrath u.a. (Hg.): Quellenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schlesien, 139–141. ����������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., 144–147. Zur Bedeutung Brandenburg-Preußens für den Protestantismus in Ostmitteleuropa vgl. Gehrke, Roland: Europäische Großmacht, protestantische Schutzmacht. Der Aufstieg Brandenburg-Preußens im Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg (1648–1740). In: Bahlcke, Joachim/Dybaś, Bogusław/Rudolph, Hartmut (Hg.): Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Dößel 2010, 136–151; Bahlcke, Joachim: Glaubenssolidarität und Öffentlichkeit. Antworten auf religiöse Diskriminierung und Verfolgung in Ostmitteleuropa. Ebd., 202– 219. Material- und gedankenreich, wenngleich in der Interpretation mitunter problematisch Rhode, Gotthold: Brandenburg-Preußen und die Protestanten in Polen 1640–1740. Ein Jahrhundert preußischer Schutzpolitik für eine unterdrückte Minderheit. Breslau 1941 (Deutschland und der Osten 17); ders.: Preußens Bedeutung für den Protestantismus in Osteuropa. In: Der Remter. Schriften ostdeutscher Besinnung 2, 1954, 33–43.
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ration und Koordination im protestantischen Europa, die in Schriftstücken wie diesen deutlich werden, gehören bereits in die unmittelbare Vorgeschichte der Altranstädter Konvention. Um öffentlichkeitswirksame Vorstöße dieser Art zu widerlegen und gleichzeitig die Legitimität der habsburgischen Religionspolitik in Schlesien zu untermauern, rekurrierte die kaiserlich-katholische Seite ihrerseits auf die Friedensbestimmungen von 1648. Deutlich wird dies in einer für die theologische Streitkultur jener Jahre typischen Kontroverse aus den 1670er Jahren.44 Die beiden Kontrahenten waren der Breslauer Theologe Johannes Scheffler, dessen Dichtungen – anders als seine Streitschriften – seit 1653, dem Jahr seines Übertritts zum Katholizismus, unter dem Namen Angelus Silesius erschienen, und der ebenfalls aus Schlesien gebürtige, aus religiösen Gründen von dort geflohene Lutheraner Valentin Alberti, der zu jener Zeit als Theologieprofessor an der Universität Leipzig lehrte, mit der alten Heimat aber über Jahrzehnte hinweg in engem Austausch blieb und als aktiver Fürsprecher seiner Glaubensgenossen im Reich auftrat.45 In einem halben Dutzend hin und her wechselnder Traktate ging es im engeren Sinn, so der Titel einer in der Prager erzbischöflichen Druckerei hergestellten Schrift von Scheffler, um die Frage, „Ob die Lutheraner in Schlesien/ der in Instrumento Pacis denen Augsburgischen Confessions-Verwandten verliehenen Religions-Freyheit/ sich getrösten können“. Scheffler verneinte diese Frage mit Nachdruck: Die evangelischen Schlesier hätten sich der im Instrumentum Pacis Osnabrugensis zugesicherten Freiheiten gleichsam selbst beraubt, weil sie sich in Religionssachen wiederholt an auswärtige Höfe gewandt hätten, dies aber ausdrücklich dem Wortlaut des Vertragswerks widerspreche.46
3. Innerevangelische Wahrnehmungen und Konflikte Die unmittelbaren, durch die Regierung in Wien und die bischöfliche Kirchenleitung in Breslau initiierten Diskriminierungen und Verfolgungen schlesischer Protestanten nach dem Dreißigjährigen Krieg verdecken leicht, dass ����������������������� Zum Hintergrund vgl. Gierl, Martin: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsreform der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts. Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 129). �� Döring, Detlef: Studien zur Wissenschafts- und Bildungsgeschichte in Deutschland um 1700. Gelehrte Sozietäten – Universitäten – Höfe und Schulen. Hg. v. Joachim Bahlcke und Mona Garloff. Wiesbaden 2015 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 5), 165f. �� Barner, Wilfried: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. Berlin 22002 [Tübingen 11970], 79–83; Reichert, Ernst Otto: Johannes Scheffler als Streittheologe. Dargestellt an den konfessionspolitischen Traktaten der „Ecclesiologia“. Gütersloh 1967 (Studien zu Religion, Geschichte und Geisteswissenschaft 4); Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich, 357–359.
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lutherische Theologen einen erheblichen Anteil an der Polemik gegen die Reformierten und an der Infragestellung von deren Rechtsstellung hatten.47 Die Grundkonstellation hat bereits Johann Adam Hensel, Verfasser der ersten protestantischen Kirchengeschichte Schlesiens, im Jahr 1768 treffend, wenn auch zurückhaltend umschrieben: „Zur Vollständigkeit unserer Kirchengeschichte von Schlesien in Ansehung der Protestanten gehöret auch, daß wir nach den Beschwerungen, so sie römischer Seits erlitten, auch etwas von ihren innerlichen Unruhen gedenken, welche sie von 1648 bis 1675 unter sich selbst erregt haben, weil leider der Geist der Uneinigkeit damals viel Gewalt hatte, daß die Lutherischen und Reformirten als beyderseits Protestirende sowohl im Reiche und in der Mark, als auch in Schlesien wegen der Kirchensachen nicht die vertrautesten Freunde waren, worüber die dritte Parthey, nemlich die Catholischen im Lande, eben kein Mißvergnügen bezeugten, weil dergleichen Uneinigkeit unter den Protestirenden selbst selten ihr Schaden gewesen; sondern sie vielmehr immer etwas dadurch gewonnen, als verlohren haben.“48 Der 1689 geborene Hensel, der aus einer lutherischen Pfarrersfamilie stammte, ebenfalls Theologe wurde und zur Zeit des Erscheinens seines Werkes als Pfarrer in Neudorf am Gröditzberg wirkte, war, wie er selbst schrieb, „zur Zeit der [Altranstädter] Convention schon mit Verstand in Breslau“ und „von vielen Sachen und Nachrichten ein Augenzeuge“.49 Dieser Zeitzeugenschaft wegen ist sein beinahe 800 Seiten umfassendes Werk für die hier interessierenden Zusammenhänge von besonderer Wichtigkeit. Je prekärer ihre eigene Lage wurde, desto größer wurde das Interesse der Lutheraner in Schlesien, ihre Konfession von Abweichungen rein zu halten: von Auffassungen der Schwenckfelder, Weigelianer, Separatisten, „fanatischen Leute“ und derer, die sich „Schwermereyen“ hingäben, ebenso wie von solchen der Reformierten.50 Wer sich im Einzelnen hinter Personen ver-
�� Schunka, Alexander: Protestanten in Schlesien im 17. und 18. Jahrhundert. In: Leeb, Rudolf/ Scheutz, Martin/Weikl, Dietmar (Hg.): Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert). Wien/München 2009 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 51), 271–297; van Eickels, Christine: Rechtliche Grundlagen des Zusammenlebens von Protestanten und Katholiken in Oberund Niederschlesien vom Augsburger Religionsfrieden (1555) bis zur Altranstädter Konvention (1707). In: Wünsch, Thomas (Hg.): Reformation und Gegenreformation in Oberschlesien. Die Auswirkungen auf Politik, Kunst und Kultur im ostmitteleuropäischen Kontext. Berlin 1994 (Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 3), 47–68. ��Hensel: Protestantische Kirchen-Geschichte der Gemeinen in Schlesien, 396. �������������������������������������������������������������� Ebd., 530. Zur Darstellung der Reformierten bei Hensel vgl. Harc, Lucyna: Johanna Adama Hensela sposób widzenia reformacji w księstwie legnicko-brzeskim. In: Harasimowicz/Lipińska (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim, 121–133; Grünewald, Johannes: Dem schlesischen Kirchenhistoriker Johann Adam Hensel (1689–1778) zum 300. Geburtstag. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 68, 1989, 43–55. ��Hensel: Protestantische Kirchen-Geschichte der Gemeinen in Schlesien, 327. Wichtig bereits für die Jahrzehnte vor 1707 die Studie von Schott, Christan-Erdmann: Die Transformation des Luther-
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birgt, die in den Quellen als „haeretici“ oder „pseudoministri“ bezeichnet werden, ist kaum zu entscheiden. Dorothee von Velsen, die im Zuge ihrer Heidelberger Dissertation über die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz, Brieg und Wohlau das Quellenmaterial in Breslau, Liegnitz, Prag und Pennsburg, Pa. gründlich gesichtet hat, kam 1931 zu dem Ergebnis: „Die Reformierten und die Sekten werden zerrieben und auf wenige kleine Ortschaften beschränkt. [...] Fällt so in den Dokumenten der Zeit die äußere Ähnlichkeit der katholischen und evangelisch-lutherischen Kirche auf, so nicht minder das Fehlen dogmatischer Auseinandersetzung. Unvergleichlich heftiger gehen beide gegen Calvinismus und Sektierertum vor. Nicht nur weil in der historisch gegebenen Sachlage die beiden privilegierten Glaubensgemeinschaften sich miteinander hatten einrichten müssen. Weit stärker wirkt, daß sie beide auf geoffenbarter, in Wort und Schrift niedergelegter Wahrheit standen und im religiösen Subjektivismus der Sektierer – zu denen in Schlesien auch die reformierten Splittergemeinden gerechnet wurden – den gemeinsamen verhaßten Widersacher erblickten.“51 Noch komplizierter wurde die Lage durch die Abwehr pietistischer Einflüsse aus Halle. Philipp Jakob Spener, der durch verschiedene Korrespondenzpartner mit den Verhältnissen in Schlesien gut vertraut war, schrieb am 23. Juli 1701 an Friedrich Breckling: „In Schlesien werden die Unsrigen von den Papisten immer mehr unterdrückt. Indessen ist kaum ein Land, da die [lutherischen] Prediger meistenteils solche Heftigkeit gegen die sogenannten Pietisten gebrauchen und sie aus unserer Kirche ausgestoßen haben wollen, also daß auch solche Prediger, die nicht mitmachen, sondern das Gute ernstlich befördern, in den Verdacht unrichtiger Lehre deswegen gezogen werden und in Gefahr geraten.“52 Für einschlägige Berichte über theologische Kontroversen stand den schlesischen Lutheranern im Reich vor allem die Zeitschrift Unschuldige Nachrichten Von Alten und Neuen Theologischen Sachen offen, ein von Valentin Ernst Löscher seit Januar 1701 – im ersten Jahr noch unter anderslautendem Titel – herausgegebenes Blatt, das sich innerhalb kurzer Zeit zum „Zentralorgan der lutherischen Orthodoxie“53 entwickelte. Löscher war es auch, der an der Universität Wittenberg Disputationen leitete, die sich aus orthodoxer Sicht mit der
tums in Schlesien als Reaktion auf die Konvention von Altranstädt (1707–1709). In: Bergerhausen (Hg.): Die Altranstädter Konvention von 1707, 59–77. ��von Velsen: Die Gegenreformation in den Fürstentümern Liegnitz-Brieg-Wohlau, 22f. ������������ Zit. nach Wotschke: Löschers Beziehungen zu Schlesien, 233 Anm. 41a. ��Gierl: Pietismus und Aufklärung, 400. Zum Hintergrund vgl. ferner Greschat, Martin: Zwischen Tradition und neuem Anfang. Valentin Ernst Löscher und der Ausgang der lutherischen Orthodoxie. Witten 1971 (Untersuchungen zur Kirchengeschichte 5); Wotschke: Löschers Beziehungen zu Schlesien, 208–285.
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religiösen Situation in Schlesien auseinandersetzten.54 Recht einfach machte es sich der Breslauer Magister Gottlieb Liefmann mit der Ketzertheorie in seiner 1698 ebenfalls in Wittenberg verteidigten, bis 1733 noch mehrfach nachgedruckten Dissertation De Fanaticis Silesiorum, in der er die Anhänger aller gegen das strenge Luthertum opponierenden Strömungen kurzerhand unter den Begriffen „fanatici“ und „enthusiastae“ zusammenfasste.55 Die innerprotestantische Annäherung im römisch-deutschen Reich und in Europa, die im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts auf eine Vereinigung von Lutheranern, Reformierten und nach Möglichkeit auch Anglikanern in einer Kirche abzielte, wurde in Schlesien aufmerksam verfolgt. Dies gilt besonders für die Reformierten, die mit den Zentren und wichtigsten Protagonisten irenischer Bestrebungen zum Teil schon lange in Verbindung standen.56 Der aus Brieg stammende, in Frankfurt an der Oder, der Schweiz und England ausgebildete Heinrich Schmettau etwa, der wohl gelehrteste Hofprediger der Piastenherzöge, veröffentlichte in Breslau in den 1660er Jahren verschiedene erbauliche und für die Einigungsbestrebungen in der Anglikanischen Kirche werbende Schriften, die er aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt hatte.57 Seit der von lutherischen und katholischen Kreisen gemeinsam erzwungenen Aufgabe seines Amtes und dem Wegzug nach Berlin war er der wichtigste Kontaktmann zwischen Brandenburg und dem Oderland.58 Und Brandenburg war nicht nur Schutzmacht der schlesischen Protestanten, seine Dynastie war auch prädestiniert für die führende Rolle bei der „Vereinigung des Lutherund Calvinusthumes“,59 wie es der aus Breslau gebürtige Mystiker und Poet �������������������� Vgl. exemplarisch Zelenka, Samuel: Schvengfeldismum in Pietismo renatum. Vitembergae 1708. Zur konfessionspolitischen Einordnung vgl. Weigelt, Horst: Von Schlesien nach Amerika. Die Geschichte des Schwenckfeldertums. Köln/Weimar/Wien 2007 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 14), 148f. �� Liefmannus, Gottlieb: Dissertatio historica, de Fanaticis Silesiorum [...]. Vitembergae 1698. Zum Autor vgl. Koffmane, Gustav: Die religiösen Bewegungen in der evangelischen Kirche Schlesiens während des siebzehnten Jahrhunderts. Breslau 1880, 2, 26, 46. ��Pawelec, Mariusz: Idea protestanckiego irenizmu w ksęstwie brzeskim i legnickim w początkach XVII wieku. In: Harasimowicz/Lipińska (Hg.): Dziedzictwo reformacji w księstwie legnicko-brzeskim, 171–189. �� Sträter, Udo: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert. Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie 71), 10–12, 23, 43–45. Zu Leben und Werk Schmettaus vgl. S[plett], J[ürgen]: Schmettau (Schmettow, Schmettaw), Heinrich. In: Noack, Lothar/Splett, Jürgen: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Berlin-Cölln 1640–1688. Berlin 1997, 396–403. ����������������������������������������������������������������������� Zur Fluktuation kirchlicher Amtsträger zwischen beiden Regionen vgl. von Thadden, Rudolf: Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen. Berlin 1959 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 32); Bahl, Peter: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens. Köln/Weimar/Wien 2001 (Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz. Beiheft 8), 151–153. ��Kuhlmann, Quirin: Zwei Erklährte Berlinsche Kühl-Jubel von der Vereinigung des Luther- und Calvinusthumes an Seine Churf. Durchlauchtikeit zu Brandenburg. Amsterdam 1688. Zur Einord-
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Quirinus Kuhlmann 1688 formulierte. Schmettau, der bei den Vorbereitungen der Unionsverhandlungen zwischen Berlin und Hannover eng mit seinem reformierten Kollegen Daniel Ernst Jablonski zusammenarbeitete,60 starb allerdings 1704, stand also während der Altranstädter Verhandlungen nicht mehr als Vermittler zur Verfügung. Für den Berliner Hof war Jablonski fortan der wichtigste Ansprechpartner für alle Fragen, die Anliegen und Probleme der Reformierten in Schlesien betrafen. Die lutherische Orthodoxie in Schlesien stand diesen Ausgleichsverhandlungen im Allgemeinen distanziert gegenüber; eine Verständigung mit den Reformierten im eigenen Land lehnte man rigoros ab. Exemplarisch kann die Haltung der Lutheraner zur kirchlichen Reunionsfrage an dem (nicht mehr erhaltenen) Briefwechsel verdeutlicht werden, den Johann Sigismund von Haunold, Ratspräses in Breslau, Philanthrop und Verfasser erbaulicher Schriften, in den Jahren 1690 bis 1710 mit dem evangelischen Abt von Loccum, Gerhard Wolter Molanus, führte.61 Die in Haunolds Korrespondenz gelegentlich aufgenommenen theologischen Stellungnahmen stammten aus der Feder von Haunolds wichtigstem kirchlichen Vertrauten, Caspar Neumann, Inspektor des Breslauer Schul- und Kirchenwesens. Neumann war an der Wende zum 18. Jahrhundert der vielleicht bedeutendste Kopf der lutherischen Kirche ganz Schlesiens: ein Gelehrter mit starken Interessen an der Frühaufklärung, der freilich als Theologe alle Konzessionen gegenüber den Reformierten noch entschiedener zurückwies als mögliche Zugeständnisse an die Katholiken.62 In einem Schreiben an Haunold vom 20. Februar 1694 führte Molanus aus, dass die theologischen Differenzen zwischen Lutheranern und Reformierten letzten Endes gering seien. Gleichzeitig kam er auf den ehemaligen Brieger Hofprediger Anton Brunsenius zu sprechen, der nach dem Aussterben der nung dieser Schrift vgl. Dietze, Walter: Quirinus Kuhlmann, Ketzer und Poet. Versuch einer monographischen Darstellung von Leben und Werk. Berlin 1963 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft 17); Lackner, Martin: Geistfrömmigkeit und Enderwartung. Studien zum preußischen und schlesischen Spiritualismus, dargestellt an Christoph Barthut und Quirin Kuhlmann. Stuttgart 1959 (Kirche im Osten. Beiheft 1). �� Rudolph, Hartmut: Daniel Ernst Jablonski und Gottfried Wilhelm Leibniz in ihrem ökumenischen Bemühen. In: Bahlcke, Joachim/Korthaase, Werner (Hg.): Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Wiesbaden 2008 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 1), 265–284; ders.: Zum Nutzen von Politik und Philosophie für die Kirchenunion. Die Aufnahme der innerprotestantischen Ausgleichsverhandlungen am Ende des 17. Jahrhunderts. In: Fontius, Martin/Rudolph, Hartmut/Smith, Gary (Hg.): Labora diligenter. Stuttgart 1999 (Studia Leibnitiana. Sonderheft 29), 108–166. �� Becker, Joseph: Die Aufnahme der Leibniz-Molanschen kirchlichen Unionsbestrebungen in Schlesien. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 65, 1931, 358–390; Garber, Klaus: Das alte Breslau. Kulturgeschichte einer geistigen Metropole. Köln/Weimar/Wien 2014, 98–101, 494–496. ��Zimmermann, Hildegard: Caspar Neumann und die Entstehung der Frühaufklärung. Ein Beitrag zur schlesischen Theologie- und Geistesgeschichte im Zeitalter des Pietismus. Witten 1969 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 4), 64–69.
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Liegnitz-Brieger Piasten nach Brandenburg emigriert und wenige Monate zuvor als Hofprediger in Berlin gestorben war, und beklagte die fehlende Achtung, die diesem bedeutenden Ireniker von lutherischer Seite entgegengebracht werde.63 Haunolds Antwort vom 1. Mai lag eine längere, namentlich nicht gezeichnete Denkschrift von Neumann bei, der Molanus’ Argumentation detailliert zu widerlegen suchte. Mit großer Sachkenntnis legte er zunächst die Standpunkte von Jacques Bénigne Bossuet, Cristobal de Rojas y Spinola und anderen katholischen Theologen dar. Abschließend ging er auf strittige Lehrfragen mit den Reformierten ein: Diese bewegten sich nach seiner Einschätzung, anders als Molanus es beurteile, überhaupt nicht, sondern erwarteten ein Entgegenkommen nur auf der Gegenseite. Dies erkläre, so Neumann weiter, warum die Lutheraner in Schlesien solchen Friedensbeteuerungen skeptisch gegenüberstünden und – mit Hinweis auf Vergils Sentenz „Latet anguis in herba“, die im Konfessionellen Zeitalter in Verbindung mit Irrlehren oder allgemein bei drohenden Gefahren zitiert wurde – konkrete Gefährdungen für die eigene Konfession befürchteten.64 Dieses geistige Klima in Breslau war offenbar ein Grund, warum Christian Wolff 1705 nicht in seine Vaterstadt zurückkehren wollte.65 Auch in anderen schlesischen Städten lässt sich ein „Streben nach Reinhaltung der lutherischen Lehre“ beobachten, das mitunter in starren Dogmatismus überging.66 Joseph Becker, der als Bibliothekar in Breslau mit den frühaufklärerischen, später durch den Zweiten Weltkrieg stark in Mitleidenschaft gezogenen Briefwechseln schlesischer Gelehrter bestens vertraut war, urteilte 1931, dass die „literarische Teilnahme an einer ökumenischen Geisteshaltung“ im Oderland nur gering gewesen sei. Die wohl entscheidende Ursache für die kaum entwickelte „unionistische Einstellung“ sah er im Fehlen einer Landesuniversität mit einer Evangelisch-Theologischen Fakultät.67 Hinzu kam, dass bei innerevangelischen Auseinandersetzungen ein Schulterschluss zwischen Lutheranern und Katholiken nicht zu übersehen war. Deutlich wurde dies beim Fall Schmettau, der 1666 zur Entlassung des Brie-
��Becker: Die Aufnahme der Leibniz-Molanschen kirchlichen Unionsbestrebungen, 369. ��������������������������������������������������������� Ebd., 370–373. Zur Verwendung der genannten Sentenz vgl. Camerarius d. J., Joachim: Symbola et emblemata tam moralia quam sacra. Die handschriftlichen Embleme von 1587. Hg. v. Wolfgang Harms und Gilbert Hess. Tübingen 2009 (Neudrucke deutscher Literaturwerke N.F. 54), 492f. �� Wuttke, Heinrich: Christian Wolffs eigene Lebensbeschreibung. Herausgegeben mit einer Abhandlung über Wolff. Leipzig 1841 [ND Königstein/Ts. 1982], 5–9, 120–123. �� Dahlke, Hans: Johann Christian Günther. Seine dichterische Entwicklung. Berlin 1960 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft 10), 28–35 (Zitat 31); Koffmane: Die religiösen Bewegungen in der evangelischen Kirche Schlesiens, 48–54. �� Becker: Die Aufnahme der Leibniz-Molanschen kirchlichen Unionsbestrebungen, 383. Zu Beckers Person und Werk vgl. Rüffler, Alfred: Die Stadtbibliothek Breslau im Spiegel der Erinnerung. Geschichte – Bestände – Forschungsstätte. Sigmaringen 1997 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 28), 113–137.
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ger Hofpredigers geführt hatte: Gegen die herzoglichen Versuche einer reformierten Konfessionalisierung hatte sich nicht nur unter den lutherischen Prädikanten und Gemeinden, sondern auch beim lutherischen Adel des Fürstentums Widerstand geregt. Als die Konfrontation eskalierte und Friedrich von Schellendorf, der Sprecher der Adelsopposition, in Brieg gefangengesetzt wurde, erhob dieser Klage beim Oberlandeshauptmann Sebastian von Rostock, „daß Ihro Herrschaft im Fürstenthumb Liegnitz reformirte und dero Unterthanen allso hart bedrängte, daß sie genotdränget würden, bei dem Bischof umb Schutz anzuhalten und lieber unter catholischer Obrigkeit als unter ihrem reformierten Fürsten sich wünschen wollten“.68 Nur wenige Lutheraner, wie der Liegnitzsche Landeshauptmann David von Schweinitz, äußerten Bedenken, sich mit solchen Streitfällen an den Bischof oder an die kaiserliche Obrigkeit nach Wien zu wenden. „Die Tragik, die darin liegt, daß sich die überall sonst in Schlesien verfolgten Evangelischen in der durch den Westfälischen Frieden ermöglichten Religionsfreiheit des Herzogtums Liegnitz in der letzten Zeit der Herrschaft der Piasten in innerevangelischen Streitigkeiten entzweiten, an denen sich die Katholiken nur freuen konnten, wird er wohl gefühlt und unter ihr gelitten haben.“69
4. Diplomatie und Öffentlichkeitsarbeit nach Abschluss der Altranstädter Konvention Der am 1. September 1707 in Altranstädt geschlossene Religionsvertrag zwischen König Karl XII. von Schweden und Kaiser Joseph I., der den rechtlichen Status der Lutheraner im Oderland und die Rückgabe der ihnen von katholischer Seite enteigneten Kirchen zum Gegenstand hatte, wurde zum Auslöser intensiver diplomatischer Bemühungen Preußens, Englands und der Generalstaaten, auch die schlesischen Reformierten in die Konvention einzubeziehen und ihnen die freie und öffentliche Ausübung ihres Bekenntnisses zu ermöglichen. Dass die schlesische Religionsfrage überhaupt zu einem Thema der schwedisch-kaiserlichen Unterredungen wurde, hängt eng mit dem Verlauf des Großen Nordischen Krieges und dem ein Jahr zuvor, am 24. September 1706, ebenfalls im schwedischen Feldlager von Altranstädt geschlossenen Frieden zwischen Karl XII. und Friedrich August I. von Sachsen zusammen. Die entscheidende Initiative zur Thematisierung der schlesischen Religionsgravamina ging vom schwedischen Gesandten in Wien,
�� Buckisch: Schlesische Religions-Akten 1517 bis 1675, Tl. 2, 409. Zum Fall Schmettau vgl. Hensel: Protestantische Kirchen-Geschichte der Gemeinen in Schlesien, 397–406. ��Wallmann, Johannes: Pietismus und Orthodoxie. Gesammelte Aufsätze III. Tübingen 2010, 170.
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Henning von Stralenheim, aus, einem aus Stralsund gebürtigen Lutheraner, der während seines fast dreijährigen Aufenthaltes in Breslau von September 1707 bis Juli 1710 zugleich der wichtigste Ansprechpartner der schlesischen Protestanten war. Die Forschung spricht Stralenheim unterdessen die maßgebliche Verantwortung für die Ausarbeitung und Durchsetzung der Altranstädter Konvention zu.70 Angesichts der früheren Interventionen zugunsten der Reformierten und des regen theologischen und konfessionspolitischen Austausches an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert71 muss es verwundern, dass es nach Abschluss der Altranstädter Konvention mehr als zwei Monate dauerte, bis ein erster offizieller Vorstoß – in diesem Fall von Berlin – zugunsten der schlesischen Reformierten am Wiener Kaiserhof erfolgte. Zwar hatte sich die schwedische Seite in diesem Punkt anfangs gesprächsbereit gezeigt, wie die ersten Vertragsentwürfe zeigen, und auch die vorgesehenen „Garanteurs“ der Konvention, England und die Generalstaaten (Preußen kam erst später hinzu), schienen ihre Unterschrift zunächst wegen dieser Streitfrage zurückzuhalten. Eine einheitliche Haltung dieser Staaten, die sich in der Folgezeit wiederholt einzeln an Schweden wandten, war jedoch lange Zeit nicht zu erkennen. Zu einer abgestimmten Aktion kam es erst Ende Januar 1708, als der niederländische Gesandte in Wien, Jacob Jan Hamel Bruynincx, ein Memorial im Namen der drei genannten Höfe übergab „circa liberum Conscientiae & Religionis Exercitium eorum in Silesia, qui inter Augustanae Confessioni adictos Reformati vocantur“. Als nicht zu erwartender Vorteil erwies sich, dass die in der Konvention festgeschriebene Sechsmonatsfrist am 1. April 1708 ablief, ohne dass Stralenheim die Umsetzung der in Altranstädt vereinbarten Maßnahmen vermelden konnte. Erst am 8. Februar 1709, elf Monate nach der ursprünglichen Frist und beinahe anderthalb Jahre nach Unterzeichnung der Konvention, bestätigten die schwedische und die kaiserliche Seite im Breslauer Exekutionsrezess die erfolgreiche Durchführung. Das gab den
�� Conrads, Norbert: Der Anteil des schwedischen Gesandten Stralenheim an der Entschlussbildung und Durchführung der Altranstädter Konvention von 1707. In: Wolf (Hg.): 1707–2007 Altranstädter Konvention, 26–50. Zu den internationalen Beziehungen in der Frühphase des Großen Nordischen Krieges vgl. Duchhardt, Heinz: Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785. Paderborn u.a. 1997 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 4), 172–176, 237–243; Baumgart, Peter: Schlesien im Spannungsfeld der europäischen Mächtekonflikte um 1700. Zur Vorgeschichte der Altranstädter Konvention von 1707. In: Bergerhausen (Hg.): Die Altranstädter Konvention von 1707, 15–38; Kretzschmar, Hellmut: Der Friedensschluß von Altranstädt 1706/07. In: Kalisch, J[ohannes]/Gierowski, J[ózef] (Hg.): Um die polnische Krone. Sachsen und Polen während des Nordischen Krieges 1700–1721. Berlin 1962 (Schriftenreihe der Kommission der Historiker der DDR und Volkspolens 1), 161–183. �� Schunka, Alexander: Internationaler Calvinismus und protestantische Einheit um 1700. In: Bahlcke/Dybaś/Rudolph (Hg.): Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung, 168–185.
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reformierten Höfen größeren Spielraum für immer neue diplomatische Initiativen, die nicht einmal durch den Exekutionsrezess ein Ende fanden.72 Als besonders betriebsam erwies sich in diesem Zusammenhang die junge preußische Monarchie, die im internationalen Mächtesystem durch die Königsberger Königskrönung von 1701 spürbar an Gewicht gewonnen hatte.73 Friedrich I. hatte bereits am 12. August 1707, also noch vor Abschluss der Konvention, von Carl Albrecht von Schönaich, Verweser der Fürstentümer Crossen und Züllichau und Mitglied einer der bedeutendsten reformierten Adelsfamilien Schlesiens, die Information erhalten, dass die Prager Kanzlei zwei Personen bestimmt hätte, die Beschwerdepunkte der Protestanten in Schlesien zu prüfen; er befürchtete jedoch, dass diese sich der Anliegen der Reformierten nicht ausreichend annehmen würden.74 Der preußische König reagierte umgehend und schickte einen Gesandten direkt nach Breslau, wo eine vom Kaiser eingesetzte Kommission die Details der Ausführungsbestimmungen erarbeitete. Der preußische Hofrat Daniel Burchard konnte als Experte für Kirchenrecht und Religionsverfassung im Alten Reich gelten – erst 1705 hatte er in Düsseldorf den „Religions-Vergleich zwischen den Reformirten und Päbstlern in der Pfaltz“ ausgehandelt.75 Die in Breslau ansässigen �������������������������������������������������������������� Eine Auflistung der diplomatischen Aktionen findet sich bei Walther, Ant[hon] Balth[asar]: Silesia Diplomatica [...], Bd. 1. Breslau 1741, 110–120. Eine zusammenfassende Bewertung bei Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 49, 151–164. Das Zitat nach: Bericht/ Wie Die Gerechtsame Der Evangelisch-Reformirten in dem Hertzogthum Schlesien/ Ihr ReligionsExercitium, Und desselben Restitution, Mittelst Jure & Facto wohlbegründeter schrifft- und mündlicher Vorstellungen Ihro Käyserlichen Majestät/ Und Dero Ministerio, Nicht nur Die/ Bey dieser Sache Sich absonderlich interessirende Auswärtige Puissances Evangelisch-Reformirter Religion, Sondern auch/ Das Gesammte Corpus Evangelicum des H. R. Reichs/ Durch Ihre Ministros, Annis 1707. 1708. 1709. 1710. und 1711. Verschiedentlich darthun und deduciren lassen. O.O. 1711, 39. Zur bisher wenig bekannten Rolle der sächsischen Diplomatie in jenen Jahren vgl. Perłakowski, Adam: Saksonia wobec konwencji w Altranstädt. Misja Kaspara Christiana von Seligmanna w Wiedniu w latach 1707–1709. In: Harc/Wąs (Hg.): Religia i polityka, 106–119. ��Barmeyer, Heide (Hg.): Die preußische Rangerhöhung und Königskrönung 1701 in deutscher und europäischer Sicht. Frankfurt am Main u.a. 2002; Baumgart, Peter: Die preußische Königskrönung von 1701, das Reich und die europäische Politik. In: Hauser, Oswald (Hg.): Preußen, Europa und das Reich. Köln/Wien 1987 (Neue Forschungen zur brandenburg-preußischen Geschichte 7), 65–86. ��Neuss, Erich: Geschichte des Geschlechtes v. Wilmowsky. Eine Grundlegung. Halle (Saale) 1938, 124. An der Person von Schönaich und seiner Schwester Helene Sophie lassen sich die engen Verbindungen zwischen den Reformierten in Brandenburg, Schlesien und Polen beispielhaft erkennen. Eine wichtige Drehscheibe war auch in diesem Fall Lissa, wo die Schönaich 1664 ein eigenes Haus erworben hatten und wo sie später eine Stiftung zur Förderung des theologischen Nachwuchses errichteten. Züllichau wiederum war einer der wichtigsten Aufnahmeorte für Mitglieder der Brüderunität nach der Zerstörung der großpolnischen Stadt im Großen Nordischen Krieg 1707. Vgl. Bickerich, W[ilhelm]: Die Beziehungen zwischen der großpolnischen Unität und der Neumark. In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 17, 1919, 18–47, hier 31–34; ders.: Die Hohenzollern und die Unität im Posener Lande. In: Reformirte Kirchen-Zeitung 64, 1914, 137–139, 145–147. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Religions-Vergleich zwischen den Reformirten und Päbstlern in der Pfaltz/ und dißfals ergangenes Churfürstliches Edict. In: Unschuldige Nachrichten von Alten und Neuen Theologischen Sachen [...] Auf das Jahr 1706. Leipzig 21708, 82–102; Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Kon-
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Reformierten hielten den Berliner Hof auch in den folgenden Monaten auf dem Laufenden.76 Darüber hinaus wurde der an der Viadrina in Frankfurt an der Oder lehrende Natur- und Völkerrechtler Heinrich von Cocceji beauftragt, eine juristisch fundierte Abhandlung der reformierten Rechtsansprüche in Schlesien zu erstellen. Sein Gutachten, die bald als Druck in Umlauf gebrachte Schrift Der Evangelisch-Reformirten JURA Im Hertzogthum Schlesien, wurde Anfang Februar 1708 der Religionskommission in Breslau übergeben.77 Cocceji versuchte zunächst ganz im Stil der brandenburgischen Kongressdiplomatie von 1648,78 den Begriff der Augsburgischen Konfessionsverwandten möglichst weit zu fassen, um „Paria Jura & Privilegia“ zwischen Lutheranern und Reformierten beanspruchen zu können.79 Einmal mehr pochte man auf einen materialen Religionsbegriff und stritt um die alte Frage, was unter den „Augustanae Confessioni addicti“ zu verstehen sei – eine Frage, die in Staatslehre und Theologie unverändert umstritten war und dementsprechend bei den Vertretern des Wiener Hofes, Schwedens und der reformierten Mächte gänzlich unterschiedlich gedeutet wurde.80 Bemerkenswert ist die für den Berliner Hof erarbeitete Abhandlung allerdings nicht wegen dieser allgemeinen, schon mehrfach vorgebrachten Grundsatzargumente, sondern wegen der konkreten Hinweise und Forderungen, die eine intime Kenntnis der konfessionspolitischen Gegebenheiten Schlesiens verrieten. Die Gebiete, in denen es den Reformierten erlaubt sein müsse, ihr Bekenntnis öffentlich oder zumindest privat auszuüben, wurden genau benannt.81 Drei Orte wurden explizit hervorgehoben: die Landeshauptstadt Breslau, ferner Carolath (Freie Standesherrschaft Carolath-Beuthen) und Rattimau („Ratimow“, „Wrathimow“; Fürstentum Teschen), die Sitze zweier revention, 156; Kohnle, Armin: Von der Rijswiker Klausel zur Religionsdeklaration von 1705. Religion und Politik in der Kurpfalz um die Wende zum 18. Jahrhundert. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 62, 2010, 155–174. ��Neuss: Geschichte des Geschlechtes v. Wilmowsky, 124f. ��Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 156f.; zu Coccejis Bedeutung für die Reformierten in Schlesien vgl. Bardong, Otto: Die Breslauer an der Universität Frankfurt (Oder). Ein Beitrag zur schlesischen Bildungsgeschichte 1648–1811. Würzburg 1970 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 14), 71–73. �� Baumgart, Peter: Kurbrandenburgs Kongreßdiplomatie und ihre Ergebnisse. In: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte. München 1998 (Historische Zeitschrift. Beihefte N.F. 26), 469–484. ������������������������������� Zu dieser Argumentation vgl. Dingel, Irene: Augsburger Religionsfrieden und „Augsburger Konfessionsverwandtschaft“ – konfessionelle Lesarten. In: Schilling/Smolinsky (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555, 157–176. ��Buchholz, Stephan: Pietismus und Aufklärung. Beiträge Johann Jacob Mosers zu den Religionskonflikten des 18. Jahrhunderts. In: Schwab, Dieter u.a. (Hg.): Staat, Kirche, Wissenschaft in einer pluralistischen Gesellschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Paul Mikat. Berlin 1989, 203–220. ����������������������������������������������������������������������������������������� Bericht/ Wie Die Gerechtsame Der Evangelisch-Reformirten in dem Hertzogthum Schlesien, 61–63.
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formierter, mit Brandenburg-Preußen eng verbundener Adelsgeschlechter in Nieder- beziehungsweise in Oberschlesien: der Herren von Schönaich82 und der Herren Skrbenský von Hříště.83 Den Berichten des nach Breslau beorderten schwedischen Gesandten ist zu entnehmen, dass er sich rasch ein Bild der rechtlichen und religiösen Verhältnisse des Landes zu verschaffen suchte. Was die Reformierten in Schlesien betreffe, schrieb Stralenheim im Dezember 1707, sei ihm bekannt, dass ihnen „so wenig von denen Catholischen, als insonderheit denen Lutheranern, niemahlen ein freyes Religions-Exercitium zugestanden worden“ sei.84 Als Fürsprecher war er für die reformierte Seite zu keinem Zeitpunkt zu gewinnen. Das wussten nicht nur die lutherischen Stände zu verhindern, die den Gesandten einerseits abschirmten, andererseits mit verschiedenen Aufmerksamkeiten – einer Gedenkmedaille mit dessen geharnischtem Brustbild „ob fidem regi et relig[ioni] in/ restaurat[ione] sacrorum/ Silesiac[orum] praest[itam]“ etwa oder einem „geschmackvolle[n] Tischgedeck“ – bedachten.85 Das wussten auch die Katholiken in Schlesien zu unterbinden, allen voran der Breslauer �� Grundmann, Günther: Die Lebensbilder der Herren von Schoenaich auf Schloß Carolath. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 6, 1961, 229–330, hier 275– 289. Die Kontakte der Herren von Schönaich nach Brandenburg-Preußen gewannen nach der Altranstädter Konvention noch weiter an Intensität (Ausbildung, Gütererwerb, gesellschaftliche Beziehungen zum preußischen Adel). Die reformierten Schönaich profitierten am stärksten vom Wechsel der Oberherrschaft in Schlesien: 1741 wurde die bisherige Freie Standesherrschaft Carolath-Beuthen zum Fürstentum, Hans Carl von Schönaich entsprechend in den Rang eines Fürsten zu CarolathBeuthen erhoben. Vgl. ebd., 290–294. Vgl. ferner Conrads, Norbert: Friedrich der Große und der schlesische Adel. In: Kurilo, Olga (Hg.): Friedrich II. und das östliche Europa. Deutsch-polnischrussische Reflexionen. Berlin 2013, 60–85, hier 67–69. �� Sinapius, Johannes: Schlesischer Curiositäten [...] Vorstellung. Darinnen die ansehnlichen Geschlechter Des Schlesischen Adels, Mit Erzehlung Des Ursprungs, der Wappen, Genealogien, der qualificirtesten Cavaliere, der Stamm-Häuser und Güter beschrieben [...], Bd. 1–2. Leipzig 1720– 1728 [ND Neustadt an der Aisch 1999–2000], hier Bd. 1, 213–215; Stibor, Jiří/Fukala, Radek/ Trapl, Miloš: Skrbenští z Hřiště. In: Dokoupil, Lumír/Miška, Milan (Hg.): Biografický slovník Slezska a severní Moravy, H. 4. Opava u.a. 1995, 118–125; Nešpor, Zdeněk R.: Slezsko v dějinách českého a moravského protestantismu 17.–18. století. In: Slezský sborník 112, 2014, 179–191; Knoz, Tomáš: Die Integration des Adels schlesischer Herkunft in die Gesellschaft Mährens in der Frühen Neuzeit. In: Harasimowicz/Weber (Hg.): Adel in Schlesien, Bd. 1, 263–291, hier 272–279. Ludwig Moritz von Wilmowsky, auf dessen Rolle in Breslau nach Abschluss der Altranstädter Konvention noch genauer einzugehen sein wird, schrieb zu jener Zeit über die Religionsverhältnisse in seiner oberschlesischen Heimat: „In dem Fürstentum Teschen hatt man die reformierte Religion so zeitig, ja eher alß die lutherische, eingeführet und es haben viele vornehme Familien, zum Exempel: die Baron Seldnitzkische, Sobeckische, Skrbenskische, Bergische, Leichnowskische, Scharowetzkische und Wilkische pp. nebst einer großen Anzahl Volkes sich darzu bekannt, Ihren Gottesdienst in dem Dorf Ratimow stets und bis Anno 1654 geruhig exerciret.“ Zit. nach Neuss: Geschichte des Geschlechtes v. Wilmowsky, 128. ������������ Zit. nach Conrads: Der Anteil des schwedischen Gesandten Stralenheim, 42. ��Niederquell, Theodor: Der merkwürdige Beleg einer seltenen Medaille. In: Schweizer Münzblätter 18–22, 1968–1972, 97–100; Medaille auf den schwedischen Minister Freih. von Stralenheim. In: Numismatische Zeitung 17/7, 1850, Sp. 55f.; Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 159–161, 243.
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Bischof und Oberlandeshauptmann Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, der bereits gegen den Abschluss der Altranstädter Konvention massiv protestiert hatte. Eine gewisse Abstimmung mit den Lutheranern – dies wurde der Kirchenleitung rasch deutlich – war unvermeidbar, eine Erweiterung der 1707 festgeschriebenen Zugeständnisse dagegen war niemals eine Option.86 Während der gesamten Frühneuzeit war eine der traditionellen Waffen des Protestantismus das gedruckte Wort. Im 16. Jahrhundert hatten sich Flugblatt und Flugschrift nachgerade zu „Kampfmedien“ der reformatorischen Bewegung entwickelt.87 Daran änderte sich bis zum Ende des Konfessionellen Zeitalters wenig, auch wenn das Ausmaß der Polemik allmählich zurückging. Die kaum zu überblickende Zahl von Relationen, Edikten, Briefwechseln, Interzessionen auswärtiger Mächte, Dank- und Glückwunschschreiben, Predigten und sonstigen, bei den Verhandlungen der einzelnen Parteien entstandenen Schriftstücken, die im Umfeld der Altranstädter Konvention zeitnah im Druck erschienen, macht deutlich, dass Lutheraner und Reformierte gezielt auf eine Beeinflussung der öffentlichen Meinung hinarbeiteten, um eigene Anhänger zu mobilisieren und den Druck auf die Entscheidungsträger in Wien und Breslau zu erhöhen. Die umfangreiche Publizistik wurde von den Redaktionen der wichtigeren Jahrbücher und Zeitschriften ausgewertet, die ihrerseits Artikel über die Ereignisse in Schlesien in Auftrag gaben.88 Viele Drucke erschienen, neu zusammengestellt, übersetzt oder als Nachdruck, noch Jahre später in umfangreichen Dokumentationen. Der bereits genannte, 33 Schriftstücke enthaltende Bericht/ Wie Die Gerechtsame Der Evangelisch-Reformirten in dem Hertzogthum Schlesien/ Ihr Religions-Exercitium, Und desselben Restitution, Mittelst Jure & Facto wohlbegründeter schrifft- und mündlicher Vorstellungen Ihro Käyserlichen Majestät/ Und Dero Ministerio, Nicht nur Die/ Bey dieser Sache Sich absonderlich interessirende Auswärtige Puissances EvangelischReformirter Religion, Sondern auch/ Das Gesammte Corpus Evangelicum des H. R. Reichs/ Durch Ihre Ministros, Annis 1707. 1708. 1709. 1710. und
��Kopiec, Jan: Protest biskupa wrocławskiego Franciszka Ludwika Neuburga przeciw ustaleniom konwencji altransztadzkiej 1707 r. In: Rabiej, Stanisław (Hg.): Ad Christianorum unitatem fovendam. Księga pamiątkowa dedykowana Księdzu Arcybiskupowi Alfonsowi Nossolowi Wielkiemu Kanclerzowi Wydziału Teologicznego Uniwersytetu Opolskiego z okazji 30-lecia święceń biskupich, 50-lecia prezbiteratu oraz 75-rocznicy urodzin. Opole 2007, 211–215; ders.: Śląski epizod w dziejach nuncjatury polskiej w czasach Augusta II (1705–1709). In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 47, 1992, 331–336; ders.: Konwencja altransztadzka z 1707 roku w relacjach papieskich dyplomatów. In: Harc/Wąs (Hg.): Religia i polityka, 97–106; Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 74–82. ��Faulstich, Werner: Medien zwischen Herrschaft und Revolte. Die Medienkultur der frühen Neuzeit (1400–1700). Göttingen 1998 (Die Geschichte der Medien 3), 301. ��Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 165–177 (danach auch die folgenden Beispiele).
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Titelblatt einer der zahlreichen, nach Abschluss der Altranstädter Konvention erschienenen Streitschriften, die für die Reformierten in Schlesien Partei ergriff.
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1711. Verschiedentlich darthun und deduciren lassen zum Beispiel erschien 1711 zeitgleich auch in französischer Sprache.89 Keine geringe Wirkung auf die öffentliche Meinung hatte zudem die zeitgenössische Geschichts- und Kirchengeschichtsschreibung, die das Geschehen in Schlesien unmittelbar aufgriff und kommentierte. Zwei Werke verdienen besondere Beachtung. Zum einen die Schlesische Kirchen-Historie, deren erster Band 1708 anonym in Frankfurt und deren zweiter Band ein Jahr später unter dem programmatischen Pseudonym „Irenicus Ehrenkron“ und dem (sicher fiktiven) Druckort „Freyburg“ erschien.90 Während die Zeitgenossen den sächsischen Publizisten Johann Ehrenfried Zschackwitz hinter dem Pseudonym vermuteten, geht die heutige Forschung eher davon aus, dass das Werk von dem politischen und geistlichen Schriftsteller Philipp Balthasar Sinold, genannt von Schütz, verfasst wurde, der 1702 das Journal Die Europäische Fama gegründet hatte – das wiederholt über Schlesien und die Altranstädter Konvention berichtete – und 1711 in die Dienste des Herzogs von Württemberg-Oels trat und in Bernstadt als Regierungsrat amtierte.91 Zum anderen muss in diesem Zusammenhang das 1710 und 1711, ebenfalls in zwei Bänden und anonym, erschienene Werk Schlesische Kern-Chronicke genannt werden.92 Sein Autor war der 1706 von Stralenheim als Hofmeister und Sekretär angestellte Historiker Johann David Köhler, der den fast drei
���������������������������������������������������������������������������������������������� Representation Des Droits, Des Evangeliques Reformés en Silesie, Et de leur Retablissement, Tant à legard du Spirituel que du Temporel proposés A Sa Majesté Imperiale, Par les Ministres, Des Puissances Etrangeres de la Religion Reformée, Qui s’interessent particulierement dans cette Affaire, Comme aussi par tout le Corps des Protestants du S. Empire Dans leurs Deductions solides, Et Leurs Intercessions pressentes & tres energiques, Tant ecrites que verbales Fondées en Droit, & en Fait & reiterées à diverses fois Dans les Années 1707. 1708. 1709. 1710. 1711. [...]. O.O. 1711. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Schlesische Kirchen-Historie worinnen Der Schlesier unterschiedliche Religionen und GOttesDienste Welche sie sowohl im Heyden- als Pabstthum Und nach erfolgter Reformation biß dato gehabt kürtzlich vorgestellet wird, Wobey zugleich die von dasigen Evangelischen Ständen Wider die Päbstl. Eingriffe Geführten Beschwerden Nebst denen darauff erfolgten allergnädigsten Käyserl. Begnadigungen/ und hierüber ertheilten Privilegiis mit beygefügt worden, [Bd. 1]. Franckfurt 1709; Der Schlesischen Kirchen-Historie Anderer Theil/ Worinnen Was der Schlesischen Religions-Angelegenheiten halber Vor der Hohen Käyserl. und Königl. Schwedischen Commission Ferner Vorgegangen und gehandelt worden Kürtzlich enthalten. Freyburg 1709. Beide Bände erschienen 1715 in „Freystadt“ in einer zweiten Auflage (ein vermutlich ebenfalls fiktiver, aber gut gewählter Druckort, zählte doch das schlesische Freystadt zu den sechs Städten im Oderland, denen durch die Altranstädter Konvention das Recht zur Errichtung einer evangelischen Gnadenkirche gewährt worden war). �� Rau, Susanne: Geschichte und Konfession. Städtische Geschichtsschreibung und Erinnerungskultur im Zeitalter von Reformation und Konfessionalisierung in Bremen, Breslau, Hamburg und Köln. Hamburg/München 2002 (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 9), 374f.; Jaumann, Herbert: Sinold gen. von Schütz, Philipp Balthasar. In: Kühlmann, Wilhelm (Hg.): Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, Bd. 11. Berlin/Boston 22011 [Gütersloh 11991], 29–31. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Schlesische Kern-Chronicke/ Oder Kurtze jedoch gründliche Geographisch- Historisch- und Politische Nachricht von dem Hertzogthum Schlesien [...]. Nürnberg 1710; Der Schlesischen KernChronicke Anderer Theil [...]. Franckfurt/Leipzig 1711.
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Jahre währenden Aufenthalt seines Herrn in Breslau genutzt hatte, um das Quellenmaterial für seine mehr als 1.500 Seiten umfassende Darstellung zu sammeln.93 Die Aktivität der reformierten Höfe wurde von den lutherischen Kreisen in Schlesien genauestens verfolgt. Soweit möglich, versuchte man öffentlichkeitswirksam gegenzusteuern. Am leichtesten war dies naturgemäß bei Druckwerken. In der Leipziger Zeitschrift Unschuldige Nachrichten Von Alten und Neuen Theologischen Sachen erschien 1708 eine Besprechung des im selben Jahr veröffentlichten ersten Bandes der Schlesische[n] Kirchen-Historie. „Den Reformirten“, so der namentlich nicht genannte, allerdings unzweifelhaft dem schlesischen Luthertum zuzuordnende Rezensent, zeige sich der Autor „ziemlich geneigt, worzu ihn der Herr [Friedrich] Lucae, dessen er sich sehr bedienet/ mag gebracht haben. [...] Ja er nennt unsern Zwist mit ihnen einen Wort-Streit/ [...] ein unnütz Schul-Gezänck/ unnöthiges Disputiren.“94 An Friedrich Lucae, dem letzten Liegnitzer Hofprediger und Autor gewichtiger, vor allem außerhalb Schlesiens vielbeachteter Geschichtswerke, arbeiteten sich lutherische Theologen im Oderland noch lange ab. Der „Lichtstern“ – unter dem Pseudonym „Fridrich Lichtstern“ hatte Lucae 1685 sein Werk Schlesische Fürsten-Krone/ Oder Eigentliche/ warhaffte Beschreibung Oberund Nieder-Schlesiens veröffentlicht – erweise sich ein ums andere Mal als „Irrstern“, so Gottfried Balthasar Scharff, einer der führenden Geistlichen schlesischer Orthodoxie, in einem von ihm 1733 herausgegebenen Werk zur Liegnitz-Brieger Geschichte.95 Aber nicht nur die Lutheraner, auch die Katholiken empfanden das Buch als Herausforderung. 1711 verbot der Kaiser den Verkauf der Schlesische[n] Kirchen-Historie in den Erblanden, zwei Jahre später publizierte der Breslauer Prälat und Kirchenhistoriker Michael Joseph Fibiger den ersten Band einer scharfen Widerlegungsschrift.96 Im Jahr 1712 erschien in der Zeitschrift Unschuldige Nachrichten Von Alten und Neuen Theologischen Sachen noch einmal eine – erneut namentlich nicht gekennzeichnete – Polemik gegen Sinolds Werk, dessen Verfasser, so ��Conrads: Der Anteil des schwedischen Gesandten Stralenheim, 29; ders.: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 110. ���������������� Rezension der Schlesische[n] Kirchen-Historie (1708). In: Unschuldige Nachrichten Von Alten und Neuen Theologischen Sachen [...] Auf das Jahr 1708. Leipzig 1708, 351–354. �� Thebesius, Georg: Liegnitzische Jahr-Bücher, Worinnen so wohl die Merckwürdigkeiten dieser Stadt, Als auch die Geschichte der Piastischen Hertzoge in Schlesien [...] untersuchet [...], Th. 1–3. Hg. v. Gottfried Balthasar Scharff. Jauer 1733, hier Th. 1, Vorrede (nicht paginiert). Es ist durchaus möglich, dass Scharff der Autor der genannten Rezension war, war er doch der älteste, von Löscher persönlich gewonnene Mitarbeiter aus Schlesien bei den Leipziger Unschuldige[n] Nachrichten Von Alten und Neuen Theologischen Sachen und „einer ihrer treuesten Rezensenten“ (Wotschke: Scharffs Briefe an Cyprian, 1). �� Fibiger, Michael Joseph: Das In Schlesien Gewaltthätig eingerissene Lutherthum: Und die Dadurch erfolgete schwere Verfolgung der Röm: Kirchen und Geistlichkeit [...], Th. 1. Breßlau 1713. Zwei weitere Teile erschienen 1723 und 1724.
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gab bereits der Titel zu verstehen, „umb die Wohlfahrt des Vaterlandes bekümmert“ sei. Hinter dem anonymen Autor verbarg sich der Breslauer Ratsherr Ferdinand Ludwig Breßler von Aschenburg. Dieser setzte sich nicht nur kritisch mit der früheren Kirchenpolitik der reformierten Fürsten in Schlesien auseinander, die seiner Auffassung nach gar nicht die notwendige „superioritas territorialis“ besessen hätten und deren Mandate infolgedessen „mera Attentata wider die Landes-Verfassungen und Privilegia“ gewesen seien. Er verwahrte sich auch gegen jede aktuelle Debatte einer „mixtura religionum“, einer „Religions-Union“, die nichts anderes wäre als eine dem Staat gefährliche „neue Religion/ oder vielmehr eine Confusion“; die Auffassung einer „universalen Toleranz aller Religionen und Secten“ sei in religiöser wie in politischer Hinsicht, so der Verfasser, leichtgläubig und weltfremd.97 Völlig unklar ist bisher, wie sich die schlesischen Reformierten, die als Gruppe kaum zu fassen sind und nirgendwo in den Vordergrund drängten, ihrerseits zu den Verhandlungen nach Abschluss der Altranstädter Konvention stellten. Der in den Akten der Brüderunität im Staatsarchiv Posen überlieferte Briefwechsel zwischen Ludwig Moritz von Wilmowsky, einem aus dem Teschener Schlesien gebürtigen Adeligen, und dem Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski gibt hierzu wichtige Einblicke.98 Beide Korrespondenzpartner waren seit langem mit der konfessionspolitischen Situation im Oderland vertraut. Und beider Lebenswege, die von Migration und Exil geprägt waren, zeigen exemplarisch die Bedeutung Brandenburg-Preußens für den Protestantismus in Ostmitteleuropa. Wilmowsky, 1658 in Oberschlesien geboren und auf den väterlichen Gütern im Fürstentum Teschen aufgewachsen, war um 1692 aus Glaubensgründen nach Brandenburg emigriert. Er hatte mit seiner Familie zunächst in Frankfurt an der Oder gelebt und war dann nach Crossen übergesiedelt. Etwa zeitgleich mit dem Eintritt in brandenburgische Dienste Ende der 1690er Jahre vollzog sich auch der Übertritt des lutherisch erzogenen Adeligen zum re-
��������������������������������������������������������������������������������������������������� Extract eines Brieffs eines vornehmen schlesiers an einen Freund/ der sich umb die Wohlfahrt des Vaterlandes bekümmert. In: Unschuldige Nachrichten Von Alten und Neuen Theologischen Sachen [...] Auff das Jahr 1712. Leipzig 1712, 1008–1021. Auch in diesem Text finden sich Spitzen gegen Friedrich Lucae: „Wann das intendirte Mischmasch/ welches Herr Lucae eine liebliche Harmonie nennet/ zwischen Lutheranern und Reformirten nur zur Perfection kommen wäre/ so würde beyden der Garaus gar bald seyn gemacht worden; [...] Ich sage noch einmahl: Alle dergleichen Vorschläge von Vereinigung mit den Lutheranern und Reformirten sind vergebene Dinge“ (ebd., 1013f.). Zur Autorschaft vgl. Wotschke: Löschers Beziehungen zu Schlesien, 248f. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Überliefert sind lediglich die Briefe Wilmowskys, die über den Nachlass des 1741 verstorbenen Jablonski nach Posen kamen. Vgl. Bielecka, Jamina: Akta Braci Czeskich w Wielkopolsce w latach (1507) 1557–1817 (XX w.). Przewodnik po zespole. Warszawa 1981; dies.: Zespół archiwalny Jednoty Braci Czeskich przechowywany w Archiwum Państwowym w Poznaniu. In: Leja, Leon (Hg.): Jan Amos Komeński a problemy wpółczesnej pedagogiki. Poznań ������������������������������������� 1974, 133–142. Die Gegenkorrespondenz konnte bisher trotz intensiver Recherchen nicht gefunden werden.
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Schreiben des aus dem Teschener Schlesien gebürtigen, nach Brandenburg emigrierten und dort zum Reformiertentum konvertierten Ludwig Moritz von Wilmowsky an den Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski wegen „der Briegischen HoffKirchen“ (1707).
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formierten Bekenntnis.99 In der preußischen Diplomatie nach Abschluss der Altranstädter Konvention wurde dem Hof- und Legationsrat eine wichtige Aufgabe zugewiesen. Am 19. Dezember 1707 berichtete der preußische Diplomat Wolfgang von Schmettau – ein noch in Schlesien geborener Vetter von Friedrich Lucae, mit dem er in Briefwechsel stand, und Verwandter des einstigen Brieger Hofpredigers Heinrich Schmettau100 – im Geheimen Rat, dass er unter anderem mit Jablonski und dem „Herrn von Willemofsky aus Crossen wegen der Reforrmierten Religion Interesse in Schlesien bey anietz vorseyender execution des Alt-Ranstädtischen Recessus conferirt“ habe.101 Die genauen Hintergründe der Entsendung Wilmowskys liegen im Dunkeln. Am 25. März 1708 jedenfalls schrieb der preußische Obristleutnant David Nathanael Siltmann, der zu offiziellen Gesprächen mit Stralenheim in der schlesischen Hauptstadt weilte, aus Breslau an den König: „Nachdem auch Ew. Kgl. Maj. Legations Rath der von Wilmofsky, ein Ober Schlesier, so sonsten zu Crossen wohnet, sich alhier seith einigen Tagen befindet, und mit seinen Landsleuten viel umbgehet, und Uns ebenfalls frequentiret, schöpft man darüber unbefugten Argwohn, als wann er Namens Ew. Kgl. Maj. alhier were, und sich in das Werk melirte, dahero Wir ihm bey seiner Rückkunfft vom Lande, da er seine Freunde besuchet, hirvon Nachricht geben, und ihn warnen wollen, wann er anderst noch länger alhier bleiben sollte.“102 Wilmowsky war also allem Anschein nach in geheimer Mission in Schlesien. Der in Polen-Litauen geborene und aufgewachsene Jablonski wiederum war mit den Verhältnissen im Oderland bereits aus seiner Zeit im großpolnischen Lissa vertraut, das für die Reformierten aus Schlesien das ganze 17. Jahrhundert über ein zentraler Bezugspunkt war.103 Das brüderische Gymnasium, �� Neuss: Geschichte des Geschlechtes v. Wilmowsky, 108–119. „Es ist gelegentlich in familiengeschichtlichen Aufzeichnungen [...] die Auffassung niedergelegt worden, Ludwig Moritz v. W. sei noch in Teschen vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis übergetreten und habe aus diesem Grunde seine Heimat verlassen müssen. Für diese Auffassung spricht nichts, dagegen aber der Umstand, daß man ihm bei seinem Weggang die Privilegien und Urkunden der Evangelischen Stände des Fürstentums Teschen anvertraute“ (ebd., 119 Anm. 2). Zur konfessionspolitischen Situation im Fürstentum Teschen im 17. Jahrhundert vgl. Patzelt, Herbert: Der Pietismus im Teschener Schlesien 1709–1730. Göttingen 1969 (Kirche im Osten. Monographienreihe 8), 16–24; Maroń, Franciszek: Kościół na Górnym Śląsku w pierwszej połowie XVII wieku. In: Śląskie Studia Historyczno-Teologiczne 12, 1979, 209–263. ��� von Schmettow, Matthias G.: Schmettau und Schmettow. Geschichte eines Geschlechts aus Schlesien. Büderich bei Düsseldorf 1961, 79–86, 472f., 530–537. ������������� Zit. nach Neuss: Geschichte des Geschlechtes v. Wilmowsky, 125. Zur Zusammensetzung des Geheimen Rates vgl. Neugebauer, Wolfgang: Monarchisches Kabinett und Geheimer Rat. Vergleichende Betrachtungen zur frühneuzeitlichen Verfassungsgeschichte in Österreich, Kursachsen und Preußen. In: Der Staat 33, 1994, 511–535. ������������� Zit. nach Neuss: Geschichte des Geschlechtes v. Wilmowsky, 125. ���Bahlcke, Joachim: Daniel Ernst Jablonski (1660–1741). Glaubenssolidarität, Kirchenunion und Frühaufklärung. In: Beutel, Albrecht (Hg.): Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte, Bd. 1: Vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf 1817. Frankfurt am Main 2009, 133–162.
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dem Jablonski von 1686 bis zu seinem Weggang nach Königsberg 1691 als Rektor vorstand, hatte traditionell enge Beziehungen zu dem von Georg von Schönaich in Beuthen an der Oder gegründeten Gymnasium.104 Das von Jablonski begonnene Schülerverzeichnis, das älteste des Lissaer Gymnasiums überhaupt, enthält die Namen von nicht wenigen Schülern aus Schlesien.105 In Königsberg und seit 1693 in Berlin war er in Kontakt mit zahlreichen schlesischen Konfessionsmigranten und Theologen. Als brandenburg-preußischer Hofprediger war Jablonski von Amts wegen mit Fragen der Religionspolitik im östlichen Mitteleuropa befasst, als Mitbegründer der brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften suchte er den Austausch mit Gelehrten. Darüber hinaus war er stets auf der Suche nach Quellenmaterial für seine eigenen kirchengeschichtlichen Arbeiten. Im Nachlass Jablonskis befindet sich ein 312 Blätter umfassendes Konvolut, das in der Zeit der Altranstädter Konvention zusammengestellt wurde: Es enthält Korrespondenzen mit dem preußischen Gesandten in Wien Christian Friedrich von Bartholdi, mit dem Kämmerer Bonaventura von Kurnatowski, der ebenfalls vom Berliner Hof nach Schlesien entsandt worden war, um die Sache der Reformierten zu befördern, den bereits genannten Carl Albrecht von Schönaich und Wolfgang von Schmettau. Hinzu kommen weitere Briefwechsel, umfangreiche Exzerpte, Abschriften älterer Religionsgravamina und Interzessionsschreiben sowie historische Ausarbeitungen, die zeitlich bis zur Geschichte der Waldenser und der Böhmischen Brüder zurückreichen.106 Die Angaben zur Zahl der Reformierten in Schlesien blieben in den rund fünfzig Briefen, die Wilmowsky in dieser Angelegenheit an Jablonski sandte, durchgehend vage. Mehrfach sprach Wilmowsky sinngemäß von einem „klei��� Konior, Alojzy (Hg.): Daniel Ernest Jabłoński. Rektor gimnazjum w Lesznie (1686–1691). Leszno 22010 [11990]; Majchrzak: Protestanckie gimnazjum „Schönaichianum-Carolatheum“ w Bytomiu Odrzańskim, 91–96; Jabłecki, Tomasz: Georg Freiherr von Schönaich (1557–1619). Bedeutender Humanist und Stifter des protestantischen Gymnasiums „Schönaichianum“ in Beuthen an der Oder. In: Białek, Edward/Bieniasz, Łukasz (Hg.): Hereditas culturalis Soraviensis. Beiträge zur Geschichte der Stadt Sorau und zu ihrer Kultur. Dresden 2010 (Orbis linguarum. Beihefte 95), 167–176; Wollgast, Siegfried: Zum Schönaichianum in Beuthen an der Oder [1994]. In: ders.: Zur Frühen Neuzeit, zu Patriotismus, Toleranz und Utopie. Gesammelte Aufsätze. Berlin 2007, 89–143. ���von Sanden, Alfred: Zur Geschichte der Lissaer Schule 1555–1905. Lissa 1905, 22–25, 56–62; Bickerich, Wilhelm: Ein Programm des polnisch-christlichen Universalismus. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 15–17, 1929, 5–25, hier 17f. ���������������������������������������������������������������������������������������� Archiwum Państwowe Poznań, Akta Braci Czeskich, Sign. 2522, Bl. 1–312 („Materiały dotyczące kościoła na Śląsku zebrane przez Daniela E. Jabłońskiego w początkach XVIII w.“). Einer der besten Kenner des Materials, der slowakische Kirchenhistoriker Ján Kvačala, urteilte an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert über das Konvolut: „Ein großpolnischer Edelmann Bonaventura Kurnatowski, Jablonskys bereits genannter Freund, übernahm die Mission eines außerordentlichen preußischen Gesandten nach Breslau und war eifrigst bemüht, für die benachbarten Glaubensgenossen wenigstens etwas Freiheit zu erwirken. Mit großem Fleiß sammelte Jablonsky für ihn und für Wilmowski die historisch-statistischen Daten und die kirchlichen Rechte der Reformierten Schlesiens.“ Kvačala, Johann: D. E. Jablonsky und Großpolen. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 15, 1900, 1–30, 247–320; 16, 1901, 1–53, hier [15], 265.
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ne[n] Häufflein der rechtgläubigen Schlesier“,107 die allein schon aufgrund ihrer geringen Zahl nur wenig Einfluss hätten. Er schrieb allerdings auch – und einen Grund, hier übertreiben zu wollen, gab es im Grunde nicht –, reformierte Familien gebe es im Oderland „viel mehr, als die vieleicht unserer Relligion Ubelwohlende vorgeben“.108 Die „meisten oder doch vornehmbsten Reformirten in Schlesien“, hieß es am 24. August 1708 in einem Schreiben des preußischen Hof- und Legationsrats, hätten „ihren Ursprung von der Böhmischen Unität“.109 Ein ander Mal schrieb Wilmowsky, Jablonskis Glaubensbrüder in Polen – also die Angehörigen der Brüderunität, die sich der reformierten Kirche in der Adelsrepublik angeschlossen hatten – hätten „einen Ursprung mit denen in Schlesien“.110 Nur ausnahmsweise wurden Personen außerhalb des diplomatischen Umfelds namentlich genannt. So bat Wilmowsky mehrmals darum, Post für ihn nach Breslau an die Anschrift von Pilgram Schiller zu richten, Mitglied einer örtlichen reformierten Patrizierfamilie.111 Auch die Widersacher, die seine Vermittlung mit Misstrauen verfolgten, werden in aller Regel nur als Gruppe benannt. „Dann nichts Gewißeres ist, alß daß die Lutherische Geistligkeit, alles mögliche vorkehren werden, die reformirten auszuschließen.“112 Die Frage, welche Kirchen möglicherweise zu restituieren seien, gestaltete sich schwierig. Klarheit bestand nur im Fall der Gotteshäuser in den ehemaligen reformierten Residenzen. „Aber die von Holtz und Steinen gebauete Kirchen, welche die Reformirten im Besitz gehabt tempore dictae pacificationis [Vestphalicae, 1648], die liegen außerhalb dehnen in Conventione exprimirten Fürstenthümern, Woraus leicht zu schließen, daß wann sich die Restitution nur alleine auff die mit Nahmen benannete Fürstenthümer und nicht weiter extendiren solte, so werden der Reformirten auch kein Jus haben, die Kirchen zurückzufordern.“113 Bemerkenswert ist die noch Ende August 1708 von Wilmowsky geäußerte Hoffnung, die Reformierten könnten unter Umständen eine der Kirchen erhalten, die in den Gegenden lag, in denen Protestanten eine öffentliche Ausübung ihrer Konfession grundsätzlich untersagt blieb, also eine der späteren Gnadenkirchen.114 Als größeres Problem erwies ��������������������������������������������������������������������������������������� Archiwum Państwowe Poznań, Akta Braci Czeskich, Sign. 1063, Bl. 44–46 (21. November 1708). ������������������������������������ Ebd., Bl. 1–3 (28. Oktober 1707). ������������������������������������� Ebd., Bl. 34–37 (24. August 1708). ���������������������������������� Ebd., Bl. 75–78 (12. Mai 1709). ���������������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., Bl. 56–58 (4. Januar 1709); vgl. ebd., Bl. 79–81 (6. Juli 1709). Zur Familie Schiller vgl. den Hinweis bei Koch-Schwarzer, Leonie: Das sage ich. Das Tagebuchfragment der Anna Katharina Garve (1716–1792) oder Interpretationen zur schriftlichen Konstituierung des weiblichen Subjektes. In: Köhle-Hezinger, Christel/Scharfe, Martin/Brednich, Rolf Wilhelm (Hg.): Männlich. Weiblich. Zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht in der Kultur. Münster u.a. 1999, 490–511, hier 493f. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Archiwum Państwowe Poznań, Akta Braci Czeskich, Sign. 1063, Bl. 13–16 (29. Dezember 1707). ��������������������������������������� Ebd., Bl. 13–16 (29. Dezember 1707). ������������������������������������� Ebd., Bl. 34–37 (24. August 1708).
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sich auch die avisierte Kirche in Rattimau, einem Dorf, das „nicht einmal einen volkommenen Steinwurff von der Mährischen Gräntze lieget“; hier hoffte man ganz offensichtlich, auch Gläubige aus den böhmischen Ländern und Polen, „Reliquien“ der alten Brüderunität, anziehen zu können.115 Größere Schwierigkeiten ergaben sich immer wieder, weil Wilmowsky bestimmte Schriftstücke, Abschriften oder zeitgenössische Drucke nicht zur Hand hatte. Mal benötigte er ein Schriftstück, das bereits „in Londorpii Actis publicis, in dem 7. od. 8.ten Tomo“ veröffentlicht worden sei,116 mal ging es um eine Abschrift des „Schreibens von dem Evangelico Corpore aus Regensburg“117 oder eine „Copie des Pfältzischen Collectenbuchs“.118 Dann bat der preußische Gesandte Jablonski, die Familienangehörigen des letzten Brieger Hofpredigers Anton Brunsenius, der 1680 nach Potsdam gegangen und 1693 in Berlin gestorben war, nach Unterlagen über die Religionsverhältnisse im Herzogtum Brieg zu fragen; desgleichen solle man bei den Erben des 1704 gestorbenen, ebenfalls aus Schlesien gebürtigen Hofpredigers Heinrich Schmettau nachfragen.119 Ein ander Mal erbat er eine Abschrift der „Chur Pfältzische[n] Relig. Declaration“ von 1705.120 Die Deduktion von Cocceji erhielt Wilmowsky zunächst nur als Abschrift, er erbat nicht nur eine ausreichende Zahl von Drucken, sondern berichtete auch vom Unmut des den schlesischen Reformierten wohlgesonnenen englischen Gesandten Philip Meadow, der eine lateinische Übersetzung des Gutachtens für dringend notwendig erachtete.121 Von überregionalem Interesse sind schließlich diejenigen Briefe, in denen es um die geheime Reise Jablonskis an die Höfe Englands und der Gene��������������������������������������� Ebd., Bl. 10–12 (16. Dezember 1707). ������� Ebd. ������������������������������������ Ebd., Bl. 26–29 (2. August 1708). ��������������������������������������� Ebd., Bl. 52–55 (31. Dezember ��������������� 1708). �������������������������������������� Ebd., Bl. 65–68 (18. Februar 1709). ����������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., Bl. 56–58 (4. Januar 1709). Die genannte Religionsdeklaration von 1705 war für die Politik des Berliner Hofes im Umfeld der Altranstädter Konvention von größerer Bedeutung als bisher angenommen. Bei Buckisch ist ein wohl auf das Jahr 1707 zu datierendes Schriftstück überliefert, das folgendermaßen beginnt: „Die von Ihrer Königl. Majestät in Preußen mit höchstrühmlichster Sorgfalt bisher geführte Religionsaffaire der untern Pfaltz hat einigen wohl gesinnten Gemüthern Gelegenheit gegeben zu erwegen, ob denen in der Schlesien gedruckten Evangelischen in ihrem großen Anliegen auf geziemende und erlaubte Weise nach dem Exempel wie denen Pfältzern geschehen, nicht auch könte geholfen werden.“ Von denjenigen, die einen solchen Vorstoß ablehnten, wurde unter anderem als Argument vorgebracht, dass „Schlesien zu Böhmen gehöre“, zu „denen Reichs-Anlagen nicht contribuire“, es auf „Reichs-Tagen nichts zu thun habe“ und folglich „alß eine außer dem Reich gelegene Landschaft angesehen wäre, woselbst die Stände des Reichs weder was zu sprechen noch in die daselbst vorlaufende Dinge sich einzumischen hätten“. Buckisch: Schlesische Religions-Akten 1517 bis 1675, Tl. 2, 425. ������������������������������������������������������������������������������������������� Archiwum Państwowe Poznań, Akta Braci Czeskich, Sign. 1063, Bl. 82–85 (7. August 1709). Zu Meadows Intention vgl. Jarnut-Derbolav, Elke: Die Österreichische Gesandtschaft in London (1701–1711). Ein Beitrag zur Geschichte der Haager Allianz. Bonn 1972 (Bonner historische Forschungen 37), 267.
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ralstaaten 1709 ging, zeigen sie doch anschaulich, wie eng die hier separat betrachtete Frage der Reformierten in Schlesien generell mit Aspekten des internationalen Calvinismus und der protestantischen Einheit an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert zusammenhing.122
5. Vom Breslauer Exekutionsrezess bis zum Beginn der preußischen Herrschaft im Oderland Auch in den folgenden Jahren war Ludwig Moritz von Wilmowsky hauptsächlich mit der Angelegenheit der Reformierten in Schlesien beschäftigt. Er pendelte zwischen Breslau, Wien und Berlin, verfasste immer neue Denkschriften, verhandelte mit den Vertretern Englands und der Generalstaaten, warb während der Krönungsfeierlichkeiten Karls VI. in Frankfurt am Main 1711 unter den Reichsständen für die schlesische „affaire“, besuchte einzelne Territorialfürsten wie den reformierten Landgrafen von Hessen-Kassel und trug seine Anliegen 1712/13 im niederländischen Utrecht vor, wo zahlreiche Abgesandte der am Spanischen Erbfolgekrieg beteiligten Staaten zu Friedensverhandlungen zugegen waren. Ende Juli 1713 schließlich bat er Friedrich Wilhelm I., der erst wenige Monate zuvor in Preußen den Thron bestiegen hatte, um seine Abberufung. Nach fast sechsjähriger Abwesenheit kehrte Wilmowsky wenig später nach Crossen zurück. Seinen jüngsten Sohn Friedrich Karl hatte er noch gar nicht, die „nombreuse übrige Familie“, wie er dem König schrieb, seit Jahren kaum zu Gesicht bekommen.123 Die von Wilmowsky in seiner Korrespondenz und in seinen Denkschriften genannten Gründe für das Scheitern aller Versuche, die schlesischen Reformierten in die Altranstädter Konvention einzubeziehen, decken sich in weiten Teilen mit den bisherigen Befunden der Forschung. Viele Vorstöße erfolgten erst zu einem Zeitpunkt, als andernorts längst Entscheidungen gefallen waren. Obwohl Stralenheim sich in der Frage der Reformierten offenbar noch bis Ende 1708 flexibel zeigte, war der Wiener Hof in diesem Punkt von Beginn an festgelegt und unbeweglich. Zum Widerstand von katholischer Seite kam noch der Einspruch der örtlichen Lutheraner, die ihre Erfolge gefährdet sahen, sollte man die ursprünglichen Vereinbarungen gegen den erklärten Willen der Regierung zu erweitern suchen. ��� Schunka, Alexander: Zwischen Kontingenz und Providenz. Frühe Englandkontakte der Halleschen Pietisten und protestantische Irenik um 1700. In: Pietismus und Neuzeit 34, 2008, 82–114; ders.: Brüderliche Korrespondenz, unanständige Korrespondenz. Konfession und Politik zwischen Brandenburg-Preußen, Hannover und England im Wendejahr 1706. In: Bahlcke/Korthaase (Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 123–150; ders.: Von der Irenik zur Anglophilie. Großbritannien in der Kultur deutscher Protestanten (1688–1740). Habil.-Schrift Stuttgart 2014. ���Neuss: Geschichte des Geschlechtes v. Wilmowsky, 127–132 (Zitat 131).
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Die im Laufe der Verhandlungen faktisch nicht veränderte Position der katholischen Seite wird aus einer Erklärung der kaiserlichen Religionskommission vom April 1708 deutlich. Zum einen sei es angesichts der kleinen Zahl an Reformierten im Oderland zutiefst bedenklich, hieß es in der vom Böhmischen Kanzler Johann Wenzel Wratislaw von Mitrowitz ausgearbeiteten Stellungnahme, in der schlesischen Landesverfassung „eine so merckliche Alteration“ vorzunehmen und damit eine „Zerrüttung“ des Gemeinwesens zu riskieren. Zum anderen pflege eine größere „Diversität der Religion“ zum „Nachtheil des Status Publici“ zu sein – damit umschrieb der Wiener Diplomat, der im Vorjahr in Altranstädt die Konvention ausgehandelt hatte, nur die im Konfessionellen Zeitalter vorherrschende politiktheoretische Maxime religio vinculum societatis. Seine Schlussfolgerung macht verständlich, warum man sich im Oderland mit einer solchen Begründung auf der sicheren Seite wusste: „mithin die Verstattung eines dritten Religions Exercitii vielleicht denen Augspurgischen Religions-Verwandten selbsten nicht zu beständiger Zufriedenheit angedeyen dürffte“.124 Es überrascht nicht, dass die Altranstädter Konvention in Schlesien als Triumph der Lutheraner empfunden, beschrieben und inszeniert wurde, als ein Sieg über katholische Unduldsamkeit, Diskriminierung und Verfolgung.125 Es war „das grosse Luther-Fest“, wie es 1707 in dem Werk Poetische Gedancken eines nicht bekannten schlesischen Schriftstellers hieß.126 Im Mittelpunkt der zeitgenössischen Akteure stand der schwedische König Karl XII., der in Medaillen, Stichen und Gedichten idealisiert und verklärt wurde. Die in diesem Zusammenhang besonders wichtigen Gedenkmedaillen hat der Breslauer Gelehrte Johann Christian Kundmann 1742 in seinem numismatischen Werk Die Heimsuchungen Gottes in Zorn und Gnade Uber ������������� Zit. nach Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 159. Zum ideengeschichtlichen Hintergrund sowie zum Problem Religion als Integrationsfaktor in der Frühen Neuzeit vgl. Schilling, Heinz: Das konfessionelle Europa. Die Konfessionalisierung der europäischen Länder seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen für Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 13–62; Eberhard, Winfried: Zu den Voraussetzungen und Widersprüchen der Toleranzpolitik Josephs II. in den Ländern des östlichen Mitteleuropa. In: Chocholáč, Bronislav/Jan, Libor/Knoz, Tomáš (Hg.): Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspěvků, jež věnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brno 1999, 347–362; Rödel, Walter G.: Religio vinculum societatis. Konfessionalisierung, Sozialdisziplinierung und der Alltag. In: Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 62, 1995, 405–420. ��� Mall, Susanne: Die Altranstädter Konvention. In: Bahlcke, Joachim/Rohdewald, Stefan/ Wünsch, Thomas (Hg.): Religiöse Erinnerungsorte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff. Berlin 2013, 954–964. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Poetische Gedancken über das grosse Luther-Fest in Schlesien/ welches von Ihro Röm. Kayserl. Maj. etc. Josepho I. Durch Vermittelung Ihro Königl. Maj. in Schweden etc. Caroli XII. Allergnädigst auffs Neue verstattet worden, 1707. In: [Lehmann]: Lehmannus, suppletus & continuatus, 1041f.
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das Hertzogthum Schlesien in Müntzen präzise beschrieben. Die Umschrift „A Deo Et Carolo Libertas“ – die Freiheit, Gottes Wort zu lehren und zu hören, habe man 1707 von Gott und Karl XII. erhalten – bildete gleichsam den Grundtenor aller Würdigungen des schwedischen Königs.127 Preußen, England und die Niederlande fanden nur als Garantiemächte der Altranstädter Konvention Erwähnung.128 Die Genugtuung über den Erfolg, sich auch gegenüber den Reformierten durchgesetzt zu haben, könnte den Hintergrund des Kupferstichs „Le Triomphe de Luther“ bilden, der zu jener Zeit entstanden ist. Der dem Stich beigefügte Text in französischer und niederländischer Sprache scheint weniger auf die Herkunftsregion als vielmehr auf den Adressatenkreis hinzuweisen. Der im französischen Textteil genannte „Pierre Banboche“ ist möglicherweise eine ironische Anspielung auf den Haarlemer Maler Pieter van Laer und dessen Spottnamen „il Bamboccio“ (im Französischen „le Bamboche“).129 Zumindest punktuell sind auch satirische Schriften bekannt, deren Autoren die Anliegen der Reformierten ins Lächerliche zu ziehen und auf diese Weise zu delegitimieren suchten.130 Für die diplomatischen Bemühungen Preußens, Englands und der Generalstaaten, die Reformierten in Schlesien in das Altranstädter Vertragswerk einzubeziehen, stellt der Anfang Februar 1709 in Breslau unterzeichnete Exekutionsrezess im Grunde keine Zäsur dar. Gleich dreimal wandte sich das im Kern von Preußen, längst nicht mehr von Sachsen dominierte Corpus Evangelicorum in dieser Frage zwischen 1709 und 1712 an den Kaiser. Auch die anderen Höfe blieben nicht tatenlos.131 Bei den Friedensverhandlungen im niederländischen Utrecht 1713 war Schlesien – neben Ungarn – ebenfalls ein zentrales Thema, als die umstrittene Religionspolitik des Wiener Hofes zur Diskussion stand. „Es halff aber alles nichts“,132 resümierte Johann Jacob Moser spürbar unzufrieden, als er 1773 die Rechtsgarantien der libertas christiana im Reich und in den Einzelterritorien untersuchte und in diesem Zusammenhang auch auf die Verhältnisse im Herzogtum Schlesien einging. ���Kundmann, Johann Christian: Die Heimsuchungen Gottes in Zorn und Gnade Uber das Hertzogthum Schlesien in Müntzen [...]. Leipzig 1742, 364–412 („Müntzen/ auf die Wiedererstattung der Evangelisch-Lutherischen Kirchen/ in Schlesien“), hier 399. ����������������� Ebd., 393–395. ��� Mai, Ekkehard: Satiren, Burlesken und Capricci – Salvator Rosa und die Bamboccianti in Rom. In: Held, Jutta (Hg.): Intellektuelle in der Frühen Neuzeit. München 2002, 149–169. Eine Beschreibung des Flugblatts bei Conrads, Norbert: Die Bedeutung der Altranstädter Konvention für die Entwicklung der europäischen Toleranz [2007]. In: ders.: Schlesien in der Frühmoderne, 149–160, hier 157. ���Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 162–164; Palm, H[ermann]: Satiren und Spottgedichte aus Schlesien auf Karl XII. und die Alt-Ranstädter Convention. In: Schlesische Provinzialblätter N.F. 3, 1864, 324–331. ���Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 161f. ��� Moser, Johann Jacob: Von der Landeshoheit im Geistlichen [...]. Franckfurt/Leipzig 1773 (Neues teutsches Staatsrecht 15) [ND Osnabrück 1967], 350.
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Zeitgenössisches Flugblatt auf den Abschluss der Altranstädter Konvention. Der Kupferstich zeigt, dass die Altranstädter Konvention auch außerhalb des Oderlandes als Trimph der Lutheraner beschrieben und inszeniert wurde. Der dem Stich beigefügte Text in französischer und niederländischer Sprache lässt Rückschlüsse auf den Adressatenkreis zu.
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Nicht international, sondern im Rahmen des römisch-deutschen Reiches kam in die gesamte Religionsfrage noch einmal unerwartet Bewegung infolge der Readmission der böhmischen Kurstimme, die bereits 1708 in Regensburg beschlossen worden war, die aber erst etwas später mit Nachdruck für die Interessen der Reformierten in Schlesien fruchtbar gemacht wurde. Die Argumentation ihrer Fürsprecher war ebenso einfach wie einleuchtend: Wenn das Königreich Böhmen und dessen inkorporierte Länder nach der Readmission „in des Reichs Schutz/ Schirm/ und Protection“ genommen worden seien, dann wäre auch „das Hertzogthum Schlesien gleichen Rechtes mit denen Reichs-Landen“ und dürfe sich der „aus dem Münsterischen FriedensSchluß/ tanquam basi & fundamento herfliessende[n] Religions-Freyheit“ erfreuen. Mit anderen Worten: Es gebe fortan keinen Rechtsgrund mehr, den schlesischen Reformierten die im Reich seit 1648 für Anhänger ihres Bekenntnisses garantierte Religionsfreiheit zu verwehren. Denn es würde „eine merckliche und gar bekümmerte Ungleichheit involviren“, sollten „die Pacta Publica [...] nur nach blosser Willkühr gelten“.133 Auch in diesem Streit blieb es letztlich beim höflichen Austausch der wechselseitigen Argumente zwischen Kaiser und Reichsständen, ohne dass sich in der Sache etwas änderte – die Detailfrage war juristisch ebensowenig zu klären wie die überwölbende, von Staatsrechtlern während der gesamten Frühneuzeit kontrovers diskutierte Frage nach dem Verhältnis Böhmens zum Alten Reich.134 Daneben gab es im Umfeld der Altranstädter Konvention andere, freilich nicht weniger öffentlichkeitswirksam ausgetragene Streitfälle, die den rechtlichen Status der Reformierten in Schlesien betrafen. Ein Beispiel hierfür ist die Auseinandersetzung um die 1598 im niederschlesischen Herrndorf begründete evangelische Studienstiftung des Joachim vom Berge, der schon zu Lebzeiten des Kryptocalvinismus verdächtigt und angeklagt worden war. Erst 1704 hatte Kaiser Leopold I. verfügt, dass die Rechte der Fundation künftig beim Ältesten der katholischen Linie, nicht mehr dem der Gesamtfamilie liegen sollten. Unerwartet wurde dann nur wenig später, eben im Zuge der von Schweden angestoßenen Debatte, auch die Frage der Restituierung der alten Stipendien, Stiftungen und Fideikommisse aktuell. Da die Rechtslage der Reformierten von dem in Altranstädt ausgehandelten Religionsvertrag nicht berührt werden sollte, war dem katholischen Teil der Familie daran gelegen, die Nähe des Stifters und dessen Einrichtung zum Calvinismus zu betonen, so dass eine Bezugnahme auf die Bestimmungen des Westfälischen Friedens von vornherein aussichtslos sein musste. Beide Familienzweige entwickelten ������������������������������������������������������������������������������������������ Bericht/ Wie Die Gerechtsame Der Evangelisch-Reformirten in dem Hertzogthum Schlesien, 6f., 78–81. ���Begert, Alexander: Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Studien zur Kurwürde und zur staatsrechtlichen Stellung Böhmens. Husum 2003 (Historische Studien 475), 442–476, 479–505; Weber: Das Verhältnis Schlesiens zum Alten Reich, 28f., 49–53, 361f.
„Turbulatores tranquillitatis publicae“?
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eine beachtliche publizistische Aktivität: durch eigene, umfangreiche Deduktionen ebenso wie durch lancierte Beiträge in den Acta Historico-Ecclesiastica und anderen Zeitschriften. Der erbittert geführte Vermögensprozess endete 1713 – zumindest vorläufig – mit einem Erfolg der katholischen Linie.135 Schon an der späteren Entwicklung dieses Konflikts lässt sich der Zäsurcharakter des Jahres 1740/41 für die Lage der Reformierten im Oderland exemplarisch ablesen. Denn der „Prozeß wegen des Bergeschen Stipendii“ wurde nach dem Wechsel der Oberherrschaft in Schlesien umgehend neu aufgerollt und von Friedrich II., dem neuen Landesherrn, nunmehr zugunsten der evangelischen Familienangehörigen entschieden.136 Generell zielte die Kirchen- und Religionspolitik des preußischen Königs, von der in besonderer Weise die Anhänger des reformierten Bekenntnisses profitierten, auf eine Befriedung des Oderlandes ab. Am zweiten Adventssonntag des Jahres 1741 konnten die Reformierten in Breslau erstmals seit sehr langer Zeit wieder einen öffentlichen Gottesdienst feiern, zunächst noch in der Wohnung eines preußischen Generals. Verstärkt durch den Zuzug aus Böhmen und Polen sowie die Versetzung von preußischen Beamten und Militärs entstanden im ganzen Land innerhalb weniger Jahre reformierte Gemeinden, die größten in der Landeshauptstadt und in Glogau.137 Auf die Gewährung der „Libertas Relligionis Reformatae Per LX Annos In Silesia Oppressa“, die 1742 wiederhergestellt wurde, erschienen mehrere Gedenkmedaillen in leicht abgewandelter Form. Außerordentlich interessant an der hier abgebildeten Medaille ist der Zusatz „imperator piasticus“, durch den man Friedrich II. sowohl politisch als auch religiös in die piastisch-reformierte Tradition Schlesiens stellte.138 Auch auf andere Weise verstand es Preußen, den Schutz der Protestanten im Oderland medial als Rechtfertigung für das eigene militärische Vorgehen darzustellen. Von der zeitgenössischen Publizistik innerhalb wie außerhalb ��� Bahlcke, Joachim: Bergesche Stipendien. Zielsetzung und Indienstnahme einer frühneuzeitlichen Studienstiftung im konfessionellen Zeitalter. In: Bahlcke, Joachim/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Schulstiftungen und Studienfinanzierung. Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern, 1500–1800. Wien/München 2011 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 58), 129–151. ��� Hoffmann, Hermann: Fürst Carolath contra Glogauer Jesuiten. Ein Beitrag zur Friderizianischen Kabinettsjustiz. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 1, 1936, 167–201. ��� Gillet, J[ohann] F[ranz] A[lbert]: Kurze Geschichte von der Entstehung der Hofkirchengemeine zu Breslau [...]. Breslau 1850; Hutter-Wolandt, Ulrich: Geschichte der reformierten Gemeinde zu Glogau (1742–1945). Darstellung und Quellen [1984]. In: ders.: Die evangelische Kirche Schlesiens im Wandel der Zeiten. Studien und Quellen zur Geschichte einer Territorialkirche. Dortmund 1991 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund B43), 86–128; Schwencker, Friedrich: Zur Geschichte der reformierten Kirche in Schlesien. In: Reformierte Kirchenzeitung 86, 1936, 371–373, 379–382. ���Eiden, Maximilian: Das Nachleben der schlesischen Piasten. Dynastische Tradition und moderne Erinnerungskultur vom 17. bis 20. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2012 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 22), 112–114, 143–154.
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Gedenkmedaille zur Wiederherstellung der Religionsfreiheit für die Reformierten in Schlesien (1742).
Schlesiens, die in Friedrich II. den „great Protestant Defender“ sah,139 bis zur heutigen protestantischen Kirchengeschichtsschreibung, die den Hohenzollern unverändert als „Befreier der Reformierten“ charakterisiert,140 wird allerdings nicht nur die aggressive Außenpolitik der preußischen Monarchie verkannt. Auch die im engeren Sinn kirchlichen Neuerungen Friedrichs II., der „keine Konfessionspolitik im alten Sinne mehr trieb“, sondern in erster Linie den „staatspolitischen Wert“ der reformierten Familientradition vor Augen hatte,141 drohen missverstanden zu werden. Es gab freilich auch schon unter den Zeitgenossen aufmerksame Beobachter, denen die Janusköpfigkeit religiöser Fürsorge- und Schutzpolitik nicht verborgen blieb. Ein enger Weggefährte und Amtsbruder des Berliner Hofpredigers Daniel Ernst Jablonski, der Mitte der 1730er Jahre in die Kirchenleitung der Brüderunität in Polen-Litauen aufgestiegene Senior Christian Sitkovius, äußerte hierzu 1742 in einem Schreiben an den Vorsteher der reformierten Gemeinde in Zürich Bemerkenswertes. Er könne aus eigener Erfahrung berichten, so Sitkovius, „wie viel oder wenig Vertrauen man in Beschützung der Religion zu den Potentaten“ haben dürfe: „Wenn bisweilen weltliche Mächte einen besonderen Eifer für die Religion äußern, so wird nicht selten ein weltliches Interesse darunter gesucht. So bald man dieses erhalten ist jener verschwunden, dessen man sich nur bedient, den zeitlichen Vorteil so viel kräftiger durchzutreiben.“142 ������������� Zit. nach Anderson, M[atthew] S.: The War of Austrian Succession, 1740–1748. London/New York 1995, 107f. ���Schott: Die Reformierten in Schlesien bis zum Beginn der preußischen Zeit, 86. ���von Thadden: Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert, 27f. ������������� Zit. nach Wotschke, Theodor: Hilferufe nach der Schweiz. In: Deutsche wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 15, 1929, 69–110; 16, 1929, 26–74, hier [16], 38–40, Nr. 27. Zu Leben und Werk des Brüderseniors vgl. Bahlcke, Joachim: Christian Sitkovius (1682–1762). In: Meyer, Dietrich (Hg.): Lebensbilder aus der Brüdergemeine, Bd. 2. Herrnhut 2014 (Beihefte der Unitas Fratrum 24), 111–126.
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Der slowakische Prediger Matej Bahil und der preußisch-österreichische Antagonismus: Beobachtungen zur Europäisierung der ungarischen Religionsfrage im 18. Jahrhundert 1. Zur Qualität und Einordnung konfessioneller Konflikte in Mitteleuropa nach 1648 Der Westfälische Friedenskongress in Münster und Osnabrück, der dem Heiligen Römischen Reich nach drei Jahrzehnten der Totalkonfrontation die ersehnte Waffenruhe brachte, schuf nicht nur die Voraussetzungen für eine neue Form politischer Verständigung und zwischenstaatlicher Konfliktbewältigung. Die pax christiana von 1648 markierte auch einen Wendepunkt in der seit mehr als einem Jahrhundert von Glaubenskämpfen zerrissenen Welt, indem sie die Einflusssphären der Konfessionen abgrenzte und mit neuen juristischen Mitteln festlegte.1 Nach Johann Gottfried von Meiern, der zwischen 1734 und 1736 die Kongressakten herausgab, müsse man den Frieden, durch den „die Religion und der Staat in demselben, zu einer beständigen Ordnung, Sicherheit und Ruhe ist erhaben worden, als ein Göttliches GnadenGeschenk“ verehren, für den zeitgleich wirkenden Staatsrechtler Johann Jakob Schmauß war er „das Band, wodurch die Ruhe des teutschen Reichs und die Freundschaft zwischen Catholischen und Protestanten aufrecht erhalten“ wurde.2 Tatsächlich trugen die in den Verträgen getroffenen Regelungen der Religionsfragen, die im Kern auf eine Sicherung des beiderseitigen Konfessionsbestandes abzielten, entscheidend zur Rechtssicherheit und zur Beruhigung der konfessionell aufgeladenen Atmosphäre im römisch-deutschen
1 Die Forschungsliteratur zum Westfälischen Frieden – vgl. Duchhardt, Heinz (Hg.): Bibliographie zum Westfälischen Frieden. Münster 1996 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 26) – ist kaum noch zu überblicken. Vgl. die anlässlich der 26. Europarats-Ausstellung „1648 – Krieg und Frieden in Europa“ herausgegebenen beiden Aufsatzbände und den Ausstellungskatalog, die eine aktualisierte Auswahlbibliographie enthalten: Bussmann, Klaus/Schilling, Heinz (Hg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa, Bd. 1–3. Münster 1998. Prägnant Gerhardt, Volker: Zur historischen Bedeutung des Westfälischen Friedens – Zwölf Thesen. Ebd., Textbd. 1, 485–489. Zur konfessionspolitischen Entwicklung in den einzelnen Territorien und Städten des Reiches vgl. Schindling, Anton/Ziegler, Walter (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 1–7. Münster 1989– 1997 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 49–53, 56–57). 2 Zit. nach Schmidt, Georg: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806. München 1999, 192.
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Reich bei.3 Endete insofern im Jahr 1648, wie es die Epochengliederung der deutschen Geschichtswissenschaft traditionell vorsieht, das „Zeitalter der Glaubenskämpfe“, in nüchternerer Diktion das „Konfessionelle Zeitalter“?4 Die Quellen scheinen auf den ersten Blick eine andere Sprache zu sprechen, und mit guten Argumenten ist angesichts der neuen Qualität konfessioneller Konflikte zu Beginn des 18. Jahrhunderts sogar von einer „Rekonfessionalisierung“ der Reichspolitik gesprochen worden.5 In der Regel traten bei diesen Auseinandersetzungen, die im gesamten Reichsgebiet zu beobachten sind und mehrheitlich Fragen kirchlicher Praxis und religiösen Alltagslebens betrafen, Protestanten als Beschwerdeführer auf. Auch wegen augenscheinlich marginaler Konfessionsstreitigkeiten wurden Reichshofrat und Reichskammergericht sowie die beiden Corpora am Reichstag, das Corpus Evangelicorum beziehungsweise das Corpus Catholicorum, eingeschaltet, um politischen Druck zu erzeugen und die Gegenseite öffentlichkeitswirksam unter Zugzwang zu setzen.6 Das umfangreiche Aktenmaterial dieser Institutionen und die zeitgenössische, den konfessionellen Dissens widerspiegelnde Reichspublizistik können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass am Reichstag und an den höchsten Reichsgerichten während des 18. Jahrhunderts nicht mehr vorrangig religiös motivierte Gegensätze ausgetragen wurden. Es waren vielmehr säkulare Staatsinteressen, welche vor allem die mächtigeren Reichsstände dazu ver-
3 Schindling, Anton: Der Westfälische Frieden und das Nebeneinander der Konfessionen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. In: Ackermann, Konrad/Schmid, Alois/Volkert, Wilhelm (Hg.): Bayern. Vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, Bd. 1. München 2002, 409–432; Asch, Ronald G.: Das Problem des religiösen Pluralismus im Zeitalter der „Konfessionalisierung“: Zum historischen Kontext der konfessionellen Bestimmungen des Westfälischen Friedens. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 134, 1998, 1–32. 4 Zur Begriffsgeschichte vgl. Klueting, Harm: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte. Darmstadt 2007, 27–33. 5 Luh, Jürgen: Unheiliges Römisches Reich. Der konfessionelle Gegensatz 1648 bis 1806. Potsdam 1995 (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches 1); Haug-Moritz, Gabriele: Kaisertum und Parität. Reichspolitik und Konfessionen nach dem Westfälischen Frieden. In: Zeitschrift für Historische Forschung 19, 1992, 445–482; dies.: Kreittmayr und die Religionsverfassung des Reiches im Zeichen der Rekonfessionalisierung. In: Bauer, Richard/Schlosser, Hans (Hg.): Wiguläus Xaver Aloys Freiherr von Kreittmayr 1705–1790. Ein Leben für Recht, Staat und Politik. München 1991, 141–157; Stievermann, Dieter: Politik und Konfession im 18. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Historische Forschung 18, 1991, 177–199. 6 Kleinehagenbrock, Frank: Die Erhaltung des Religionsfriedens. Konfessionelle Konflikte und ihre Beilegung im Alten Reich nach 1648. In: Historisches Jahrbuch 126, 2006, 135–156; Vötsch, Jochen: Die Hohenloher Religionsstreitigkeiten in der Mitte des 18. Jahrhunderts. In: Württembergisch Franken 77, 1993, 361–399. Als Quellengrundlage vgl. vor allem Schauroth, Eberhard Ch. W. von: Vollständige Sammlung Aller Conclusorum, Schreiben Und anderer übrigen Verhandlungen des Hochpreißlichen Corporis Evangelicorum [...], Bd. 1–3. Regensburg 1751–1752; Herrich, Nikolaus A.: Sammlung aller Conclusorum, Schreiben und anderer Verhandlungen des hochpreißlichen Corporis Evangelicorum vom Jahre 1753. bis 1786. [...]. Regensburg 1786.
Der slowakische Prediger Matej Bahil
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anlassten, die Corpora zu Instrumenten ihrer Machtpolitik zu machen.7 Erfolgreich mit dieser Politik waren besonders die brandenburgischen Hohenzollern, die angesichts der lutherisch-reformierten Bikonfessionalität in ihren eigenen Territorien einerseits schon länger als andere Landesherren eine auf Koexistenz und Toleranz ausgerichtete Konfessionspolitik betrieben,8 andererseits aber auch früher Erfahrungen mit dem politischen Nutzen religiös begründeter Interventionen gewonnen hatten.9 Noch über Friedrich II. heißt es durchaus zutreffend in einem kleinen, den preußischen Militärstaat und das Projekt eines Fürstenbunds kritisierenden Traktat, den 1785 der aus Baden gebürtige und zu jener Zeit in Wien wirkende Staatsmann und Aufklärungspublizist Otto Heinrich von Gemmingen-Hornberg publizierte: „Wie sehr wußte der Weise jede Triebfeder zu seinem Vortheile in Bewegung zu setzen? wie geschickt zu lenken den Sektengeist der Religion? wir alle können uns der Zeit noch erinnern, wo fast jeder protestantische Prediger ein Alliierter des Königs von Preußen war: und was hat man auf dem Reichstage nicht schon zur Religionssache gemacht, wenn der König etwas durchsetzen oder verhindern wollte.“10
7 Haug-Moritz, Gabriele: Corpus Evangelicorum und deutscher Dualismus. In: Press, Volker (Hg.): Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit? München 1995 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 23), 189–207; Schlaich, Klaus: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum. Aspekte eines Parteienwesens im Hlg. Römischen Reich Deutscher Nation. In: Der Staat 11, 1972, 218–230. In breiterem Kontext vgl. Schilling, Heinz: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660. Paderborn u.a. 2007 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2). 8 Kraus, Hans-Christof: Staat und Kirche in Brandenburg-Preußen unter den ersten beiden Königen. In: Bahlcke, Joachim/Korthaase, Werner (Hg.): Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Wiesbaden 2008 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 1), 47–85; Luh, Jürgen: Zur Konfessionspolitik der Kurfürsten von Brandenburg und Könige in Preußen 1640 bis 1740. In: Lademacher, Horst/Loos, Renate/Groenveld, Simon (Hg.): Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich. Münster u.a. 2004 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 9), 306–324; Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der Brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union. 1540 bis 1815. Bielefeld 1977 (Unio und Confessio 6). 9 Rhode, Gotthold: Brandenburg-Preußen und die Protestanten in Polen 1640–1740. Ein Jahrhundert preußischer Schutzpolitik für eine unterdrückte Minderheit. Breslau 1941 (Deutschland und der Osten 17); ders.: Preußens Bedeutung für den Protestantismus in Osteuropa. In: Der Remter 2, 1959, 33–43; Bahlcke, Joachim: Konfessionspolitik und Staatsinteressen. Zur Funktion der brandenburgisch-preußischen Interventionen zugunsten der ungarischen Protestanten nach dem Westfälischen Frieden. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 76/77, 1997/98, 177–187. �������������������������������������������������������������������������������������������������� Die 1785 „in Deutschland“ gedruckte, eine längere publizistische Debatte auslösende Flugschrift von Gemmingen-[Hornburg], Otto [Heinrich] von: Ueber die Königl. Preußische Association zu Erhaltung des Reichssystems, wurde abermals abgedruckt, kommentiert und gleichzeitig scharf zurückgewiesen von Dohm, Christian [Conrad] Wilhelm [von]: Ueber den deutschen Fürstenbund. Berlin 1785, 45–128 (Zitat 54). Zum Hintergrund vgl. Burgdorf, Wolfgang: „Reichsnationalismus“ gegen „Territorialnationalismus“. Phasen der Intensivierung des nationalen Bewußtseins in Deutschland seit dem Siebenjährigen Krieg. In: Langewiesche, Dieter/Schmidt, Georg (Hg.): Föde-
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Diese Beobachtung eines auf diplomatischem Parkett erfahrenen Intellektuellen über die politische Indienstnahme evangelischer Geistlicher durch den preußischen Monarchen lässt sich noch zuspitzen: Sie trifft in besonderem Maße auf protestantische Prediger zu, die ihres Bekenntnisses wegen die Heimat verlassen und in Preußen Aufnahme gefunden hatten.11 Nur selten lassen sich diese Zusammenhänge freilich aus den Quellen so deutlich rekonstruieren wie im Fall von Matej Bahil, einem slowakischen, 1746 von Oberungarn nach Preußisch-Schlesien geflohenen Prediger, über dessen Person und Werdegang wir vor allem aus zwei Gründen ungewöhnlich gut unterrichtet sind: zum einen wegen des politischen Antagonismus zwischen Preußen und Österreich im Alten Reich und im östlichen Mitteleuropa, der seinen Niederschlag besonders in der deutschsprachigen Geschichtsschreibung fand,12 zum anderen wegen des anhaltenden Interesses an seiner Person bei Slowaken und Magyaren in der Zeit von Neoabsolutismus und Dualismus, als im multiethnischen Ungarn erbittert um politische, kirchliche und kulturelle Autonomievorstellungen, um konkurrierende Geschichtsbilder und Nationalideen gerungen wurde.13 Bahil ist ohne Zweifel eine Ausnahmeerscheinung, und doch lassen sich von seinem Fall durchaus verallgemeinernde Beobachtungen zur Qualität der rative Nation. Deutschlandkonzepte von der Reformation bis zum Ersten Weltkrieg. München 2000, 157–189; Bodi, Leslie: Tauwetter in Wien. Zur Prosa der österreichischen Aufklärung 1781–1795. Wien/Köln/Weimar 21995 [Frankfurt am Main 11977] (Schriftenreihe der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 6), 78, 128f. �������������������������������������������������������������������� Zur Aufnahme von Konfessionsmigranten in Brandenburg-Preußen vgl. Niggemann, Ulrich: Immigrationspolitik zwischen Konflikt und Konsens. Die Hugenottenansiedlung in Deutschland und England (1681–1697). Köln/Weimar/Wien 2008 (Norm und Struktur 33); Asche, Matthias: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts. Münster 2006. ������������������������������������������������������������������������������� Zum preußisch-österreichischen Dualismus im Alten Reich vgl. zusammenfassend Aretin, Karl Otmar Frhr. von: Das Alte Reich 1648–1806, Bd. 3. Stuttgart 1997; Bein, Werner: Schlesien in der habsburgischen Politik. Ein Beitrag zur Entstehung des Dualismus im Alten Reich. Sigmaringen 1994 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 26). Vergleichbare, systematisch angelegte Arbeiten zur Genese des preußisch-österreichischen Antagonismus in Ostmitteleuropa gibt es bis zur Gegenwart nicht. Vgl. vorerst Duchhardt, Heinz: Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785. Paderborn u.a. 1997 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 4), 363–394; Weber, Matthias (Hg.): Preußen in Ostmitteleuropa. Geschehensgeschichte und Verstehensgeschichte. München 2003 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 21); Kłoczowski, Jerzy (Hg.): Historia Europy Środkowo-Wschodniej, Bd. 1–2. Lublin 2000; Lukowski, Jerzy: The partitions of Poland 1772, 1793, 1795. London/New York 1999; Zernack, Klaus: Preußen – Deutschland – Polen. Aufsätze zur Geschichte der deutsch-polnischen Beziehungen. Hg. v. Wolfram Fischer und Michael G. Müller. Berlin 1991 (Historische Forschungen 44); Staszewski, Jacek: Die polnisch-österreichischen Beziehungen im 18. Jahrhundert. In: Österreichische Osthefte 32, 1990, 229–239. ��Evans, R[obert] J. W.: Austria, Hungary, and the Habsburgs. Central Europe c.1683–1867. Oxford 2006; Kováč, Dušan/Suppan, Arnold/Hrabovec, Emilia (Hg.): Die Habsburgermonarchie und die Slowaken 1849–1867. Bratislava 2001; Wandruszka, Adam/Urbanitsch, Peter (Hg.): Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 1–8. Wien 1973–2006.
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internationalen Beziehungen im 18. Jahrhundert ableiten – zum Verhältnis dynastisch-säkularer und konfessionspolitischer Interessen im Mächteeuropa jener Zeit ebenso wie zur wachsenden Steuerung der öffentlichen Meinung. Denn es war sein publizistisch mit Geschick verarbeitetes Exulantenschicksal, das entscheidend dazu beitrug, die europäische Öffentlichkeit Mitte des 18. Jahrhunderts für die habsburgische Religionspolitik in Ungarn und die ungebrochene Diskriminierung der Protestanten zu sensibilisieren.14 Dieser weitere Blickwinkel soll stets mitberücksichtigt werden, auch wenn im Mittelpunkt der folgenden Darstellung ganz bewusst ein Einzelfall stehen wird.
2. Lebensweg und Lebenswerk des lutherischen Predigers Matej Bahil Der 1706 in der Nähe des oberungarischen Rosenau geborene Matej Bahil entstammte einer sich seit langem zum Luthertum bekennenden slowakischen Pfarrerfamilie, in deren kollektivem Gedächtnis Unterdrückung, Ausgrenzung, Verhör und Vertreibung aus Glaubensgründen seit mehreren Generationen einen fest Platz besaßen.15 Es waren gerade die Verfolgungen der ����������������������� Zum Hintergrund vgl. Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur im östlichen Mitteleuropa 23). ���������������� Zu Bahil vgl. Fábry, Ján Alexander: Matej Bahýl, verný svedok a vyznavač čistého evanj. učenia Kristovho. Liptovský Sv. Mikuláš 1935; Masznyik, Endre: Bahil Mátyás. Életkép a magyarhoni evangéliomi-protestáns egyház üldöztetésének idejéből. Pozsony 1892 (A Luther-Társaság kiadványai 10); Matthias Bahil, ein Bekenner des Glaubens in Verfolgungen und Nöthen. Hermannsburg 1884; Nicolaus Lange und Matthias Bahil, zwei Lebensbilder aus der evangelisch-lutherischen Kirche. Eisleben/Leipzig 21867 [11858]; Martinek, K.: Mladý věk Bahylův. In: Nový kalendář pro lid Ewanjelický na rok 1857. Pest 1857, 53–80. Knappe Biogramme finden sich in: Slovenský biografický slovnik, Bd. 1. Martin 1986, 101; Rosenbaum, Karol (Hg.): Encyklopédia slovenských spisovateľov, Bd. 1. Bratislava 1984, 17f.; Zoványi, Jenő: Magyarországi protestáns egyháztörténeti lexikon. Bearb. v. Sándor Ladányi. Budapest 31977, 37f.; Wurzbach, Constant von: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich [...], Bd. 1. Wien 1856, 123; Horányi, Alexius: Memoria Hungarorum et Provincialium Scriptis editis notorum, Bd. 1. Viennae 1775, 79. Vollständig unbekannt ist der internationalen Bahilforschung bis zur Gegenwart ein nie zum Druck gelangtes umfangreiches, 358 Blätter umfassendes Manuskript („Matthias Bahil 1706–1761. Lebens- und Charakterbild eines evangel. Pfarrers der Slovakei und Schlesiens. Untersuchungen, Ergebnisse, Darstellung“), das der aus Schlesien gebürtige evangelische Pfarrer und Kirchenhistoriker Gottfried Reymann (1873–1946) verfasst und 1944 zur Veröffentlichung an den renommierten SüdosteuropaHistoriker Fritz Valjavec nach München gesandt hat (Manuskript und Briefwechsel zwischen Reymann und Valjavec befinden sich heute im Archiv des Südost-Instituts, Regensburg. Für umfangreiche Nachforschungen in den dortigen Beständen danke ich Konrad Clewing). Bahil beschäftigte Reymann nicht zuletzt deshalb, weil er sich selbst „als einer der Nachfolger von Matthias Bahil im Pfarramt“ Parchwitz sah (ebd., 337). Nur einige kleine Vorarbeiten Reymanns erschienen im Druck. Vgl. ders.: Zur Geheimreise Matthias Bahils nach Ungarn im Jahre 1756. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus im ehemaligen Österreich 60, 1939, 75–80; ders.: Zur Verfasserschaft der „Kurzen Nachricht“. Matthias Bel oder Matthias Bahil? In: Südost-Forschungen 9/10, 1944/45, 389–399; ders.: Zur konfessionellen Kontroverse im 18. Jahrhundert. Zur Bahilforschung. In: Südost-Forschungen 11, 1946/52, 297–303.
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Lutheraner in Oberungarn gewesen, die schon im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts massive Proteste der evangelischen Reichsstände gegen die militante Rekatholisierung Kaiser Leopolds I. ausgelöst hatten. Tatsächlich schien die staatliche Religionspolitik im Stephansreich nach der Aufdeckung der sogenannten Wesselényi-Verschwörung auf eine vollständige Entrechtlichung und Vernichtung der evangelischen Glaubensgemeinschaften hinzudeuten.16 Ein kurzer, 1671 am Sitz der Erlauer Bischöfe in Kaschau publizierter Traktat eines katholischen Geistlichen (Veritas toti mundo declarata), der als programmatische Kampfschrift des gesamten Bischofskollegiums verstanden wurde, bekräftigte die Protestanten in ihrem Verdacht, dass dabei Hof und Episkopat an einem Strang zogen.17 Die lokalen Diskriminierungen, Verhaftungen und Konfiskationen, die 1672 in einen regelrechten Religionskrieg übergegangen waren, prägten die gesellschaftspolitische Atmosphäre für Jahrzehnte.18 Wie andere Mitglieder der Familie hatte Matej Bahil ein Theologiestudium in Wittenberg absolviert, bevor er im Alter von 24 Jahren eine Pfarrstelle in seiner Heimat übernahm.19 Es habe dem Allerhöchsten allerdings nicht gefallen, heißt es später in seiner Autobiographie, ihn länger als vier Jahre in der kleinen, von religiösen Reibereien verschonten Gemeinde Čerenčany in Oberungarn zu belassen. Gott habe ihn daher auf einen Ringplatz („in palaestram“) geführt, auf dem er nicht weniger als Paulus in Ephesus beständig mit Bestien habe kämpfen müssen.20 �� Fata, Márta: Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700. Hg. v. Franz Brendle und Anton Schindling. ������������������������������������������������������������������������� Münster 2000 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 60), 269–277. Weiterhin grundlegend Kvačala, Ján: Dejiny reformácie na Slovensku 1517–1711. Lipt. Sv. Mikuláš 1935; Oberuč, Jean [Ján]: Les Persécutions des Luthériens en Slovaquie au XVIIe Siècle. Strasbourg 1927. ��Bahlcke, Joachim: „Veritas toti mundo declarata“. Der publizistische Diskurs um Religionsfreiheit, Verfassungsordnung und Kirchenrecht in Ungarn im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts – eine Fallstudie. In: Bahlcke, Joachim/Lambrecht, Karen/Maner, Hans-Christian (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Leipzig 2006, 553–574. ��Kowalská, Eva: The Social Function of Orthodoxy: The Lutherans in Hungary, 1700–1750. In: Andor, Eszter/Tóth, István György (Hg.): Frontiers of Faith. Religious ���������������������������������� Exchange and the Constitution of Religious Identities 1400–1750. Budapest 2001, 195–201. ����������������� Vgl. allgemein Plaschka, Richard G./Mach, Karlheinz (Hg.): Wegenetz europäischen Geistes, Bd. 2: Universitäten und Studenten. Die Bedeutung studentischer Migrationen in Mittel- und Südosteuropa vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Wien 1987 (Schriftenreihe des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts 12). Zu den in der Fachliteratur namentlich für das 16. Jahrhundert vielfach bearbeiteten Verbindungen zwischen Ungarn und Wittenberg vgl. Ötvös, Péter: Aus Wittenberg heimgekehrt. Möglichkeiten und Grenzen der Aktivität in der Heimat. In: Kühlmann, Wilhelm/ Schindling, Anton (Hg.): Deutschland und Ungarn in ihren Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen während der Renaissance. Stuttgart 2004 (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitätsund Wissenschaftsgeschichte 62), 199–206. �� Bahil, Matthia: Tristissima, Ecclesiarum Hungariae Protestantium Facies, Omnes Religionis Consortes Ad Christianam Compassionem Lacrymabunda Invitans. Traurige Abbildung Der Prote-
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Die königliche Freistadt Eperies nördlich von Kaschau, in die Bahil 1734 kam und in der er beinahe 13 Jahre lang als lutherischer Pfarrer des slawischen Bevölkerungsteils wirken sollte, ähnelte tatsächlich einem Kampfplatz.21 Seit die ethnisch wie konfessionell gemischte Stadt 1687 durch das berüchtigte „Blutgericht“, die Folter und anschließende Hinrichtung von zwei Dutzend protestantischer Bürger, weit über Ungarn hinaus als Ort politischer Widersätzlichkeit und religiöser Unduldsamkeit bekannt geworden war,22 brachen die konfessionspolitischen Gegensätze hier immer wieder mit besonderer Heftigkeit aus.23 Sie wurden auch Bahil zum Verhängnis, der Ende November 1746 zunächst vom Magistrat inhaftiert und verhört, dann wenige Tage später auf Anordnung des Consilium Regium in Pressburg in verschärften Gewahrsam genommen wurde. Offiziell klagte man ihn zunächst nur der Herausgabe, Übersetzung und Verbreitung antikatholischer Schriften, verdeckt aber auch damals schon der Majestätsbeleidigung und der Spionage für Preußen an. Die im Pfarrhaus versiegelte Bibliothek Bahils einschließlich aller Aufzeichnungen und Manuskripte ließ man zur Residenz der Jesuiten in Eperies bringen. Was war die Ursache für die Verhaftung Bahils? Auslöser war ein Brief an einen befreundeten Lutheraner im Komitat Neutra gewesen, wo bereits seit längerer Zeit, spätestens seit der Verhaftung des Superintendenten Daniel Krman 1729, von einer uneingeschränkten Religionsausübung der Protestanten keine Rede mehr sein konnte.24 Der preußische Gesandte am Wiener Kaiserhof hatte allerdings bereits ein Jahrzehnt zuvor, am 29. März 1719, über die namentlich in Oberungarn „vom Clero und andern indiscreten Religions-Eiferern“ ausgehenden Protestantenverfolgungen nach Berlin berichtet. Er habe unterdessen „von sehr guter hand“ in Erfahrung gebracht, dass sogar Kaiser Karl VI. den Bischof von Neutra, László Ádám Erdődy, ermahnt habe, die Gläubigen seines Bistums mit weniger straffer Hand zu führen und stantischen Gemeinden in Ungarn/ alle Glieder gleicher Bekenntniß zu einem Christlichen Mitleiden und Gebete thränend zu erwecken. Bregae 1747, 18f., 32f. ��Kónya, Peter: Národnostné a konfesijné pomery v slobodnom kráľovskom meste Prešove v 16.– 18. storočí. In: Kokojanová, Michaela (Hg.): Měšťané, šlechta a duchovenstvo v rezidenčních městech raného novověku (16.–18. století). Prostějov 1997, 276–290. 22 Ders: Prešovský krvavý súd z r. 1687. Prešov 2001 (Acta Collegii Evangelici Prešoviensis 8); ders.: Az eperjesi vértörvényszék 1687. Prešov/Budapest 1994; ders.: Das Blutgericht von Prešov/ Eperjes im Jahre 1687. In: Schwarz, Karl/Švorc, Peter (Hg.): Die Reformation und ihre Wirkungsgeschichte in der Slowakei. Kirchen- und konfessionsgeschichtliche Beiträge. Wien 1996 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte II/14), 98–114. �� Ders.: Prešov, Bardejov a Sabinov počas protireformácie a protihabsburských povstaní (1670– 1711). Prešov 2000; ders.: Konfesijné ciele posledných protihabsburských povstaní a ich realizácia (na príklade Prešova). In: Doruľa, Ján (Hg.): Obdobie protireformácie v dejinách slovenskej kultúry z hľadiska stredoeurópskeho kontextu (z príležitosti 300. výročia úmrtia Tobiáša Masníka). Bratislava 1998, 69–92. �� Kowalská, Eva: Evanjelické a. v. spoločenstvo v 18. storočí. Hlavné problémy jeho vývoja a fungovania v spoločnosti. Bratislava 2001.
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diese stattdessen „mit douceur“ für die katholische Kirche zu gewinnen.25 Bahil hatte 1746 seinem Vertrauten geschrieben, dass er angesichts der kritischen Lage der evangelischen Kirche in Oberungarn zwei Bücher über die Irrtümer der papistischen Monarchie und die Wahrheit der eigenen Lehre aus der deutschen in die slawische Sprache („in vernaculam nostram Slavonicam linguam“) übersetzt und herausgegeben habe; die erbetenen fünfzig Exemplare von jedem dieser Werke wolle er ihm gern zukommen lassen. Der Brief, dessen Überbringer man bezeichnenderweise für einen preußischen Kundschafter („pro Borussico exploratore“) gehalten hatte, wurde jedoch abgefangen und in mehreren Abschriften an hochgestellte geistliche und weltliche Würdenträger übersandt.26 Im anschließenden Verhör, das sich zunächst ganz auf Bahils literarische Tätigkeit konzentrierte, trat die von katholischer Seite bisher offenbar völlig unterschätzte Bedeutung des Eperieser Predigers für den gesamtungarischen Protestantismus von Tag zu Tag deutlicher hervor. In dem abgefangenen Brief hatte sich Bahil erstmals offen als Übersetzer und Herausgeber zweier Bücher bekannt, die er 1744 und 1745 unter dem Namen „Theodorus ab Hybla“ in Wittenberg hatte drucken und in einer Teilauflage illegal nach Ungarn transportieren lassen.27 Die an diesem Beispiel genau zu verfolgende Form des Buch- und Wissenstransfers ist durchaus typisch für den gesamten südosteuropäischen Raum in der Phase der katholischen Spätkonfessionalisierung. „Im Zuge der Gegenreformation wurden die Handelsmöglichkeiten [...] eingeschränkt, was später zur Produktion von vor allem religiösen Büchern führte, die als verbotene Literatur nur auf illegalem Weg und in gut versteckbarer Form die Leserschaft erreichen konnten. Ein Höhepunkt solcher Verlagstätigkeit liegt zu Beginn des 18. Jahrhunderts, als die ins Exil gegangenen Protestanten zum einen für den eigenen Bedarf muttersprachliche Literatur in den Aufnahmeländern druckten, um ihre sprachliche Identität zu wahren, zum anderen aber in erheblichem Umfang Bibeln, Gesangbücher, Erbauungsbücher und Traktate als Schmuggelgut, und deswegen überwiegend in Kleinformaten herstellten.“28 ������������������������������������������������������������������������������������������������ Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 11: Auswärtige Beziehungen Ungarn, Nr. 278, Fasz. 25, fol. 5r–7r (Wien, 17. März 1719). Zu László Ádám Erdődy vgl. Stránsky, Albert/Cserenyey, Štefan: Dejiny biskupstva nitrianskeho. Trnava 1933, 237–240. �� Reymann: Matthias Bahil, 196–204 (dort auch das auf Tschechisch verfasste, im Auftrag des Statthaltereirats in Pressburg ins Lateinische übertragene Schreiben Bahils in deutscher Übersetzung). ��������������������������������������������������������������������������������������������� Zum slawischen Buchdruck in Deutschland sowie zum Buch- und Wissenstransfer in Mittel- und Ostmitteleuropa vgl. Winter, Eduard: Die tschechische und slowakische Emigration in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der hussitischen Tradition. Berlin 1955 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik 7). ��Rohmer, Ernst: Buchdruck für Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa in den Zentren der Gelehrsamkeit nördlich der Alpen. In: Haberland, Detlef (Hg.): Buch- und Wissenstransfer in Ostmittelund Südosteuropa in der Frühen Neuzeit. München 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur
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Mit dem in Gotha wirkenden Theologen und Kirchenhistoriker Ernst Salomon Cyprian hatte Matej Bahil bereits länger in Korrespondenz gestanden, bevor er 1744 dessen polemisch-apologetisches Werk Uberzeugende Belehrung vom Ursprung und Wachsthum des Pabstthums ins Tschechische übersetzte und unter dem Pseudonym Theodorus ab Hybla publizierte.
Bei den Publikationen Bahils, von denen der Pressburger Statthaltereirat 1746 erfuhr, handelte es sich zunächst um eine zwei Jahre zuvor in Wittenberg bei Johann Christoph Tschidrich gedruckte Übersetzung des in erster Auflage 1719 erschienenen Werkes Uberzeugende Belehrung vom Ursprung und Wachsthum des Pabstthums, dessen Autor, der in Gotha wirkende Theologe und Kirchenhistoriker Ernst Salomon Cyprian, einer der letzten und einflussreichsten Vertreter der lutherischen Orthodoxie im Heiligen Römischen Reich war.29 Cyprians polemisch-apologetische Darstellung von fast und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 34), 135–154, hier 140f. Vgl. ferner Měšťan, Antonín: Die Produktion von Büchern in tschechischer Sprache im 18. Jahrhundert. In: Göpfert, Herbert G./Koziełek, Gerard/Wittmann, Reinhard (Hg.): Buch- und Verlagswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Kommunikation in Mittel- und Osteuropa. Berlin 1977 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 4), 130–137. �� Cyprianus, Ernestus Ssalomaunus: Naučenj O Půwodu a Zrůstu Papežstwa spoľu s Obranau Obnoweni Cýrkwe z Půwodnjch důwodů a swědků sebrané a sepsané Které k utwrzenj a potěssenj Cýrkwe Ewangelické z Nemeckého gazýku přeľožiľ Theodorus ab Hybla. Witemberk 1744. Die Erstausgabe von Cyprians Werk war erschienen u.d.T.: Uberzeugende Belehrung vom Ursprung und Wachsthum des Pabstthums nebst einer Schutz-Schrifft vor die Reformation. Gotha 1719.
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800 Seiten, die während des 18. Jahrhunderts mehrere Neuauflagen erlebte und nach heutigem Kenntnisstand seine am weitesten verbreitete Schrift war, war vor ihrer Übersetzung ins Tschechische bereits auf Niederländisch im Druck erschienen.30 Der Gothaer Kirchen- und Konsistorialrat suchte darin zum einen den Nachweis zu erbringen, dass es in der alten Kirche überhaupt keine Päpste gegeben und deren Herrschaft allen Staaten nur zum Schaden gereicht habe. Zum anderen war er in sieben der dreißig Kapitel um eine Darstellung und Rechtfertigung des reformatorischen Aufbruchs bemüht, dessen göttlichen Ursprung er ebenso herausstellte wie die ohne Waffengewalt erfolgte Ausbreitung. Der Übersetzung Bahils war eine längere Korrespondenz mit Cyprian vorausgegangen, der bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Geistlichen und Gelehrten Ungarns und Siebenbürgens in brieflichem Austausch stand und über die Lage der dortigen Protestanten ungewöhnlich gut informiert war.31 Um sich nicht unnötig in Gefahr zu bringen, hatte Bahil sein Buch unter dem Decknamen „Theodorus ab Hybla“ – gebildet aus der Übersetzung des hebräischen Matthias ins Griechische und der Umstellung der Buchstaben seines Nachnamens – veröffentlicht. Ein Jahr nach der Übersetzung von Cyprians Werk Uberzeugende Belehrung gab Bahil ein weiteres Buch heraus, das bereits eine längere Rezeptionsgeschichte besaß. Fünf Jahre nach der Schlacht am Weißen Berg bei Prag 1620, die bereits für die Zeitgenossen das Ende des evangelischen böhmischen Ständestaates symbolisierte,32 hatten mehrere Mitglieder der Theologischen Fakultät zu Wittenberg für ihre in den Ländern der Wenzelskrone verfolgten Glaubensbrüder eine Trost- und Streitschrift verfasst. Die gut 300 Seiten umfassende Trewhertzige Warnungs-Schrifft/ Daß man die Päpstliche Lehre meyden/ und bey der Lutherischen standhafftig bleiben sol,33 die vermutlich ��������������������������������������������������������������������������������������������������� 2. Auflage 1721, 3. Auflage 1724, 4. Auflage 1726, 5. Auflage 1736, 6. Auflage 1769, neue verbesserte Auflage 1783. Eine niederländische Übersetzung erschien nach der 4. Auflage u.d.T.: Grondig Onderrecht Van Den Oorsprong En Wasdom Des Pausschaps [...]. ’s Gravenhage 1731. Vgl. Dixon, C. Scott: Faith and History on the Eve of Enlightenment: Ernst Salomon Cyprian, Gottfried Arnold, and the History of Heretics. In: Journal of Ecclesiastical History 57, 2006, 33–54; Koch, Ernst: Kirchenleitung in Übergangszeiten. Zum Lebenswerk von Ernst Salomon Cyprian (1673–1745). In: Diestelkamp, Jürgen/Schillhahn, Wolfgang (Hg.): Einträchtig lehren. Festschrift für Bischof Dr. Jobst Schöne. Groß Oesingen 1997, 286–298; Benrath, Gustav Adolf: Ernst Salomon Cyprian als Reformationshistoriker. In: Koch, Ernst/Wallmann, Johannes (Hg.): Ernst Salomon Cyprian (1673–1745) zwischen Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung. Gotha 1996 (Veröffentlichungen der Forschungs- und Landesbibliothek Gotha 34), 36–48. ��Keserü, Bálint: Cyprian in Ungarn. In: Koch/Wallmann (Hg.): Ernst Salomon Cyprian, 84–95. ��Chaline, Olivier: La bataille de la Montagne Blanche (8 novembre 1620). Un mystique chez les guerriers. Paris 1999. ������������������������������������������������������������������������������������������� Trewhertzige Warnungs-Schrifft/ Daß man die Päpstliche Lehre meyden/ und bey der Lutherischen standhafftig bleiben sol: An Die Evangelische Christen/ so in Böheimb und andern örtern bedrenget werden/ aus Christlichem Mitleiden verfasset/ und in öffentlichen Druck gegeben/ Durch Die Doctorn und Professorn der Theologischen Facultet zu Wittemberg. ������������������������ Fidelis Admonitio de re-
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in Teilen von Balthasar Meisner verfasst worden war oder zumindest auf dessen ab der zweiten Auflage ebenfalls in Wittenberg erschienene Consultatio catholica de fide Lutherana capessenda, et Romana-papistica deserenda zurückgriff,34 fand während des Dreißigjährigen Krieges auch in Böhmen Verbreitung – ob sie dort Mitte der 1630er Jahre tatsächlich ins Tschechische übersetzt wurde, wie Bahil angab,35 konnte bisher nicht bestätigt werden. Bahil passte seine in slawischer Sprache („w Slowanský gazyk“) – mithin auf Tschechisch – verfasste, abermals in Wittenberg gedruckte Ausgabe den aktuellen Bedürfnissen der Protestanten in Oberungarn an, legte insofern also keine eng an der Originalschrift orientierte Übersetzung vor.36 Was während des Verhörs immer größere Aufmerksamkeit fand und zu mehrfachen Nachfragen führte, war jedoch eine andere Darstellung, von deren Übersetzung und nahezu abgeschlossener Vorbereitung zum Druck man in Eperies und Pressburg bisher gar nichts gewusst hatte. Es war ein Werk, das im deutschen Sprachraum noch Jahrzehnte nach seinem Erscheinen geradezu als Klassiker der Migrationsliteratur galt und insofern durchaus ein Politikum darstellte: die Vollkommene Emigrations-Geschichte Von denen Aus dem Ertz-Bißthum Saltzburg vertriebenen Und größstentheils nach Preussen gegangenen Lutheranern, die der beruflich mit der Ansiedlung in Preußen befasste Lutheraner Gerhard Gottlieb Günther Göcking 1734 und 1737 in zwei Bänden publiziert hatte.37 Das Werk, zu dem der evangelische Theologe Johann Lorenz Mosheim noch eine Vorrede beigesteuert hatte,38 musste aus Sicht der Wiener Regierung in vielerlei Hinsicht eine politische Provokation darstellen. Es enthielt nicht nur umfassende Angaben über die Aufnahme und Privilegierung der ligione papistica fugienda et Lutherana constanter retinenda ad Evangelicos in Bohemia et alibi pressos ex Christiana compassione scripta et publicata per Facultatis Theologicae doctores et professores in Academia Wittebergensi. Wittenberg 1625. �� Meisner, Balthasar: Consultatio catholica de fide Lutherana capessanda, et Romana-papistica deserenda: Opposita haereticae consultationi Leonardi Lessii, Jesuitae et theologi Lovaniensis. Giessae Hessorum 1611 (2. Auflage 1615, 3. Auflage 1623). Zu Meisner vgl. Appold, Kenneth G.: Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710. Tübingen 2004 (Beiträge zur historischen Theologie 127). ��Bahil: Tristissima Facies, 40f.; Reymann: Matthias Bahil, 151–154. �� Hybla, Theodorus ab (Hg.): Srdečné Napomenutj k wystřjhánj se Papežského a k stálemu setrwáwanj při Lutheranském Učenj Které někdy Sľáwné Wittenberské Akademye Teoľoǧowé, pro Cžeské obzwlásstě v wjče přenasledowánj trpjcý w Německém gazyku sepsali nynj pak k vtwrzenj w poznáné prawdě, gak Uherské Zěmě, tal y giných sausedných Kragin Národu Sľowanského, podobný téměř ľos okaussegjcých Ewangeliků. [Wittenberg] 1745. �� Göcking, Gerhard Gottlieb Günther: Vollkommene Emigrations-Geschichte Von denen Aus dem Ertz-Bißthum Saltzburg vertriebenen Und größstentheils nach Preussen gegangenen Lutheranern [...], Bd. 1–2. Franckfurt/Leipzig 1734–1737. Zum Verfasser vgl. Hubatsch, Walther: Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens, Bd. 1. Göttingen 1968, 188–194. ������������������ Zu Mosheim vgl. Mulsow, Martin u.a. (Hg.): Johann Lorenz Mosheim (1693–1755). Theologie im Spannungsfeld von Philosophie, Philologie und Geschichte. Wiesbaden 1997 (Wolfenbütteler Forschungen 77).
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Erfahrungen und Wahrnehmungen religiös motivierter Gewalt Die 1745 von Bahil ebenfalls auf Tschechisch vorgelegte Trost- und Streitschrift für seine verfolgten Glaubensbrüder in Oberungarn basierte auf einem älteren deutschen Text, der bereits eine längere Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte besaß und ursprünglich für die Protestanten in Böhmen abgefasst worden war.
Salzburger Protestanten in der Hohenzollernmonarchie und zeigte auf mehreren Karten deren genaue Wanderrouten. Es informierte auch kenntnisreich über die öffentlichen Kampagnen und Sammlungen zur Unterstützung der österreichischen Glaubensflüchtlinge, die „Emigranten-Casse“, in welche namentlich die Städte Hamburg, Regensburg und Frankfurt am Main sowie die Könige von Schweden und Großbritannien große Summen eingezahlt hatten.39 Es war mithin ein Werk, das zum einen die praktische Bewältigung konfessioneller Migration vor Augen führte und zum anderen die Haltung anderer Höfe und Menschen zu Fragen von konfessioneller Koexistenz und Toleranz dokumentierte. Auch in diesem Fall hatte Bahil ganz offensichtlich keine wörtliche Übersetzung angestrebt, sondern eine gekürzte, auf die Interessen der heimischen Leser ausgerichtete Ausgabe. Bemerkenswert ist, dass Bahil Göckings in Frankfurt am Main und Leipzig gedrucktes Werk überhaupt besaß. Seine ungewöhnlich große, auch Neuerscheinungen in mehreren Sprachen enthaltende Bibliothek, über die wir dank einer nach der Konfiskation seiner gesamten Büchersammlung angefertigten Bestandsliste zumindest in groben Zügen unterrichtet sind,40 zeugt je��Göcking: Emigrations-Geschichte, Bd. 1, 292f. ��Reymann: Matthias Bahil, 168–195.
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denfalls von einem trotz vielfältiger Kontrollen funktionierenden Austausch von Druckschriften über die Landesgrenzen hinweg.41 Auch hier zeigt sich, ähnlich wie in österreichischen Regionen, dass Verbote des Bucherwerbs und besonders der „Kampf gegen das evangelische Buch“ letztlich wenig erfolgreich waren: „Der Schmuggel von Bibeln, Erbauungs- und Gesangbüchern, Katechismen und Predigtwerken durch Bücherträger, Emissäre aus dem Reich, Bauernburschen und Handwerker führte zu steter Ergänzung des evangelischen Bücherschatzes. Die landesfürstlichen Dekrete und Verordnungen gegen ketzerische Bücher waren nahezu ebenso zahlreich wie die Fälle, in denen sich Personen wegen des Besitzes akatholischen Schrifttums vor der Obrigkeit zu verantworten hatten.“42 Ein anderes, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls von Bahil – und nicht, wie zunächst vermutet worden ist, von Mátyás Bél43 – stammendes Werk, in diesem Fall eine ganz und gar eigenständige Arbeit, blieb dagegen während des sich über Jahre hinziehenden Prozesses gegen den Eperieser Prediger unerwähnt: die 1744 in deutscher Sprache erschienene, zwei Jahre später in einer um drei Beilagen erweiterten Neuauflage vorgelegte Kurze und zuverläßige Nachricht von dem Zustande der Protestantischen Kirche in dem Königreich Ungarn, ein Werk, das seiner gesamten Konzeption nach für eine nichtungarische Leserschaft gedacht war und namentlich im römisch-deutschen Reich um Verbündete gegen den katholischen Kon���������������������������������������������������������������������������������� Ein solcher Austausch ist andernorts ebenfalls zu beobachten. Vgl. exemplarisch Pörtner, ReDie Kunst des Lügens. Ketzerverfolgung und geheimprotestantische Überlebensstrategien im theresianischen Österreich. In: Burkhardt, Johannes/Werkstetter, Christine (Hg.): Kommunikation und Medien in der Frühen Neuzeit. München 2005 (Historische Zeitschrift. Beihefte N.F. 41), 385–408; Ducreux, Marie-Elizabeth: Le livre et l’hérésie, modes de lecture et politique du livre en Bohême au XVIIIe siècle. In: Bödeker, Hans Erich/Chaise, Gerald/Veit, Patrice (Hg.): Le livre religieux et ses pratiques. Études sur l’histoire du livre religieux en Allemagne et en France à l’époque moderne. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 101), 131–155; dies.: Reading unto Death: Books and Readers in Eighteenth-Century Bohemia. In: Chartier, Roger (Hg.): The Culture of Print. Power and the Uses of Print in Early Modern Europe. Princeton, NJ 1989, 191–229; Dedic, Paul: Besitz und Beschaffung evangelischen Schrifttums in Steiermark und Kärnten in der Zeit des Kryptoprotestantismus. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 58, 1939, 476–495; ders.: Die Einschmuggelung lutherischer Bücher nach Kärnten in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus im Ehemaligen Österreich 60, 1939, 126–177. �� Tropper, Peter G.: Von der katholischen Erneuerung bis zur Säkularisation. 1648 bis 1815. In: Leeb, Rudolf u.a.: Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Wien 2003, 281–360, 511–517, hier 290f. Weitere Beispiele hierzu bei Leeb, Rudolf/Pils, Susanne Claudine/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien/München 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 47). ���������������������������������������������������������������������� Die These einer Autorschaft Béls vertrat vor allem Ján Oberuč (vgl. ders.: Matthieu Bel. Un Piétiste en Slovaquie au XVIIIe Siècle. Strasbourg 1936; ders.: Črty zo života a diela Mateja Bela. Bratislava 1940). Zur Entstehung der Schrift und der Frage der Autorschaft vgl. grundlegend Reymann: Zur Verfasserschaft der „Kurzen Nachricht“, 389–399. gina:
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fessionalismus im Osten der österreichischen Monarchie warb.44 Der Verfasser zog ein vernichtendes Fazit der habsburgischen Religionspolitik in Ungarn: „Man will dermahlen nichts mehr von einer Toleranz der Religion in Ungerland wissen, und richtet alles dahin, daß das Religions-Wesen auf den Böhmischen und Mährischen Fuß gesetzet werde.“45 An den drei der zweiten Auflage angehängten Beilagen, die eigene Titelblätter, Vorreden und unter schiedliche Vignetten besaßen und im Grunde den Charakter von eigenständigen Flugschriften besaßen,46 waren allerdings offensichtlich noch andere Verfasser beteiligt – oder sie wurden, wofür am meisten spricht, gänzlich unabhängig von Bahil verfasst. Bis zum Erscheinen von Bahils Werk Tristissima Facies, das noch näher zu betrachten sein wird, war diese Abhandlung ohne Zweifel die anspruchsvollste und genaueste Situationsbeschreibung der Hungaria evangelica in der zweiten Hälfte des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Dass Matej Bahil frühzeitig über die Möglichkeiten einer Europäisierung der ungarischen Religionsfrage reflektierte und dass er dazu sowohl die intellektuellen Fähigkeiten besaß als auch über die notwendigen persönlichen Beziehungen verfügte, belegt seine private, allerdings nur in kleiner Zahl überlieferte Korrespondenz.47 Sie zeigt einen an theologischen Streitfragen interessierten Geistlichen, sie zeigt aber vor allem einen politisch denkenden Intellektuellen, der nicht nur die Diskriminierung der Protestanten in seiner engeren Heimat genau dokumentierte und alle Informationen über die Haltung der Wiener Regierung und deren Verhältnis zum ungarischen Episkopat sammelte, sondern der auch die Reaktion der protestantischen Mächte auf die österreichische Religionspolitik kritisch beobachtete. Bahil unterhielt seit seiner Wittenberger Studienzeit vielfältige Briefkontakte ins römisch-deutsche Reich, er sorgte sich um dort studierende Landsleute und trat wiederholt als Vermittler für Geldsendungen auf – alles Handlungen, welche die Wiener Regierung besonders seit dem Krieg mit Preußen um Schlesien aufmerksam verfolgte und zunehmend konsequent ahndete.48 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Kurze und zuverläßige Nachricht von dem Zustande der Protestantischen Kirche in dem Königreich Ungarn; besonders von den gegenwärtigen gefährlichen Umständen. O.O. 1744 (im Folgenden zitiert nach der zweiten, erweiterten Auflage von 1746). ������������ Ebd., 107. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Beylage zu der im vorigen Jahr herausgegebenen Nachricht von dem Zustande der Protestanten im Königreich Ungarn. O.O. 1745; Zuverläßiger Bericht von einer neulich in Ungarn errichteten Adlichen Gesellschaft, welche die Unterdrückung der Protestanten zum Endzweck hat. Oder zweyte Beylage zu der Nachricht von dem Zustande der Protestantischen Kirche im Königreich Ungarn. O.O. 1745; Kurzer Unterricht von denjenigen Gründen, mit welchen die Römisch-Catholischen Herrn Geistlichen fordern; es sollen die Protestanten, im Königreich Ungarn, wider ihr Gewissen bey der Mutter Gottes Maria, schweren. Oder dritte Beylage zu der zuverläßigen Nachricht von dem Zustande der Ungarischen Protestanten. O.O. 1746. �������������������������������������� Zum Briefwechsel Bahils ausführlich Reymann: Matthias Bahil, 67, 116–140. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Von Bahils Verbindungen zeugen auch seine (bisher nicht näher untersuchten) Einträge in ver-
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Wichtige Vermittler waren häufig die in Wien tätigen auswärtigen Protestanten: die Angehörigen vor allem der dänischen, schwedischen, niederländischen und preußischen Botschaft, die an der Gewinnung aktueller Informationen über die politischen und religiösen Verhältnisse in den einzelnen Regionen der österreichischen Monarchie interessiert sein mussten und zudem eigene Gesandtschaftskapellen unterhielten, die also für die Bedrängnisse der evangelischen Bevölkerung in besonderer Weise sensibilisiert waren.49 Wie belastbar diese Beziehungen Bahils zu Freunden im Heiligen Römischen Reich waren, lässt sich an der finanziellen Unterstützung erkennen, die ihm im Zuge der Drucklegung der Cyprian-Übertragung von mehreren Seiten gewährt wurde.50 Die Jesuiten in Eperies sahen in Bahil – jedenfalls nach dessen eigener Darstellung – lediglich einen „Preussischen Ausforscher“, einen Agenten, der, obwohl dies „auf das schärfste verboten“ gewesen sei, Kontakte nach Preußen unterhalten habe mit dem alleinigen Ziel, mit „Ihro Königl. Majestät von Ungarn Krieg anzufangen“.51 Kritisch wurde die Situation für Bahil in seinem Eperieser Gefängnis, nachdem sein gesamter Bücherbesitz, seine Manuskripte und Korrespondenzen der Religionskommission des Statthaltereirats überstellt worden waren.52 schiedene Stammbücher. Vgl. Finno-Ugrisches Institut der Humboldt-Universität Berlin, Handschriftensammlung, Sign. 30, fol. 155v (1. Oktober 1736), Sign. 47, fol. 87r (22. Dezember 1745), Sign. 53, fol. 201r (22. Oktober 1745). Zum Hintergrund vgl. Evans, Robert J. W.: Maria Theresa and Hungary. In: Scott, Hamish M. (Hg.): Enlightened Absolutism. Reform and Reformers in Later Eighteenth-Century Europe. An Arbor 1990, 189–207, 329f., 357–360. ������������������������������������������������������������������������������������������ Eine Rekonstruktion der auch für Bahil wichtigen pietistischen Personennetzwerke bietet Csepregi, Zoltán: Magyar pietizmus 1700–1756. Tanulmány és forrásgyűjtemény a dunántúli pietizmus történetéhez. Budapest 2000 (Adattár XVI–XVIII. századi szellemi mozgalmaink történetéhez 36), 15–72, sowie die im Anhang gedruckten Dokumente zur Geschichte des Pietismus in Transdanubien (73–267). Vgl. ferner ders.: Beziehungen ungarischer Pietisten zur halleschen Druckerei Orban. In: Donnert, Erich (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 3. Weimar/Köln/Wien 1997, 613–618; Bahlcke: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie, 214–224; Fabiny, Tibor: Kirchengeschichtliche Beziehungen zwischen Halle und Ungarn zur Zeit des Rákóczi-Aufstandes (1703–1711). In: Wallmann, Johannes/Sträter, Udo (Hg.): Halle und Osteuropa. Zur europäischen Ausstrahlung des hallischen Pietismus. Halle 1998 (Hallesche Forschungen 1), 263–273; Seefeld, Fritz: Diasporahilfe vor 1750 in Wien. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 83, 1967, 82–92; Kühnert, Wilhelm: Das Taufbuch der schwedischen Gesandtschaftskapelle in Wien 1733 bis 1786. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 68–69 (1953) 99–111; Stubbe, Christian: Die Dänische Gesandtschaftsgemeinde in Wien und ihre letzten Prediger. Ein Stück Diasporaarbeit vor dem Gustav Adolf-Verein. In: Beiträge und Mitteilungen des Vereins für Schleswig-Holsteinische Kirchengeschichte 9 (1932) 258–312; ders.: Vom dänischen Gesandtschaftsprediger Burchardi in Wien. Ein Beitrag zur Geschichte des evangelischen Gottesdienstes in Wien vor dem Toleranzpatent. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus im Ehemaligen und im Neuen Österreich 53, 1932, 52–60. ��Reymann: Matthias Bahil, 137f. ��Bahil: Tristissima Facies, 53, 67, 243. ��������������������������������������������������������������� Zu Funktion und Zusammensetzung der Religionskommission vgl. Ember, Győző: A helytartótanács egyházügyi bizottságának kialakulása. In: Regnum. Egyháztörténeti évkönyv 5, 1942/43, 229–252.
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In ihrer Stellungnahme („opinio“) kamen die Kommissionsmitglieder bereits am 6. Dezember 1746 zu einem eindeutigen Ergebnis. Ihrer Auffassung nach stellten die Taten Bahils eine Gefahr nicht nur für die römisch-katholische Kirche, sondern auch und vor allem für das habsburgische Staatswesen als Ganzes dar. Mit seinen verleumderischen Schriften und Drucken („criminosa Scripta et impressa“) habe er ohne jeden Zweifel mutwillig und wider besseren Wissens gegen königliche Mandate verstoßen.53 Der Kommissionsbericht wurde Maria Theresia übersandt, zusammen mit einer langen Liste dringend gebotener Sofortmaßnahmen: von der Information der Zollstellen in den einzelnen Grenzkomitaten bis hin zur verschärften Überwachung aller ungarischen Studenten im Ausland, die offenbar immer mehr dazu neigten, falsche Lehren und Unkraut in das Apostolische Königreich („falsae Doctrinae et Zizania in hoc Regnum Apostolicum“) einzuführen.54 Bahil, der aus Sicherheitsgründen unterdessen die Ältesten der Gemeinde dazu bewegt hatte, einen neuen Prediger wählen zu lassen, blieb diese Stellungnahme der am Kaiserhof einflussreichen Religionskommission nicht verborgen. Angesichts der unerwarteten Ausweitung der Anklage entschied er sich vermutlich kurzfristig zum Ausbruch. Inwieweit seine Flucht, die ihn nordwärts zur polnischen Grenze über Krakau nach Schlesien führte, von anderer Seite vorbereitet und unterstützt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis – die wichtigste Quelle dieser Ereignisse, Bahils spätere autobiographische Darstellung, enthält hierzu verständlicherweise keine Angaben.55 Dass ein entsprechender Beistand für die prozessführende Seite jedoch außer Frage stand, zeigt die sofort eingeleitete und mit großem Aufwand betriebene Untersuchung („strictissima inquisitio“). Ein vorläufiges Ende fand der Prozess gegen Bahil nach acht weiteren Eingaben des Statthaltereirats erst mit der Resolution Maria Theresias vom 30. Dezember 1748, in welcher die Flucht als Zeichen der Schuldigerklärung („indicium culpabilitatis“) gewertet wurde. Bemerkenswert an den umfangreichen Prozessakten ist dabei vor allem, dass die vermeintlichen religiösen Verfehlungen, die man in Pressburg zunächst in den Mittelpunkt der Anklage gestellt hatte, in Wien immer weniger Interesse fanden. In der Zentrale der österreichischen Monarchie waren es ganz offensichtlich die außenpolitischen und diplomatischen Zusammenhänge, die unterdessen eine wesentlich größere Aufmerksamkeit beanspruchten. ��Kollárová, Ivona: Cenzúra kníh v tereziánskej epoche. Bratislava 1999, 69–74. ����������������������������������������������� Auf Grundlage der überlieferten Prozessakten Reymann: Matthias Bahil, 213–222. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Vergleichbare Fälle, die auch für Bahils Flucht relevante Probleme von Zensur, Konfiskation, konfessionell motivierter Migration und Asyl betreffen, bei Spies, Hans-Bernd: Die Flucht des Theologen Johann Christian Edelmann von Berleburg nach Hachenburg (1741). In: Siegener Beiräge 2, 1997, 38–50; Spalding, Paul S.: Im Untergrund der Aufklärung: Johann Lorenz Schmidt auf der Flucht. In: Donnert, Erich (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 4. Weimar/Köln/Wien 1997, 135–154.
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3. Propaganda und öffentliche Meinung: Intentionen zeitgenössischer Berichte zur Lage des Protestantismus in Ungarn Der Grund für diesen Perspektivenwechsel war ein neues, 1747 vorgelegtes und erstmals unter dem eigenen Namen publiziertes Buch Bahils, dem vor dem Hintergrund des preußisch-österreichischen Dualismus im Alten Reich eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte beschieden war. Die im schlesischen Brieg publizierte Abhandlung Tristissima, Ecclesiarum Hungariae Protestantium Facies, die Traurige Abbildung Der Protestantischen Gemeinden in Ungarn, war beides zugleich: ergreifende Schilderung eines Exulantenschicksals und scharfzüngige politische Anklageschrift.56 Das in lateinischer und deutscher Sprache gedruckte – und damit für eine Leserschaft in Mitteleuropa wie in Ungarn geeignete – Werk erschien bei Tramp, einem deutschen Verlag und Buchhandel, der sich seit dem frühen 18. Jahrhundert ganz auf den Verkauf religiöser Literatur in tschechischer und polnischer Sprache spezialisiert hatte.57 Der eigentliche Organisator des oberschlesischen Verlags, ein ebenso geschäftstüchtiger wie unabhängiger Kopf, Samuel Trautmann, unterhielt enge Beziehungen zu den pietistischen Kreisen in Halle. Mit dem Druckhaus verband die Wiener Regierung bereits einen langjährigen Streitfall aus der Zeit, als Schlesien noch österreichisch war. Mit der Konfiskation zahlreicher Bücher bei Trautmann im Jahr 1731 hatte man ungeahnte Proteste in der Öffentlichkeit ausgelöst, die, wie üblich bei derartigen konfessionell motivierten Maßnahmen, durch den preußichen König Friedrich Wilhelm I. und das Corpus Evangelicorum in Regensburg nicht nur informiert, sondern auch mobilisiert worden war.58 ���������������������������������������������� Eine inhaltliche Analyse der Schrift bietet Reymann: Matthias Bahil, 244–270. Die lateinische Fassung wurde 1863 erneut veröffentlicht von Fabó, András (Hg.): Monumenta evangelicorum aug. conf. in Hungaria historica. A magyarországi ágost. vall. evangelikusok történelmi emlékei, Bd. 2. Pestini 1863, 363–428. Spätere Nacherzählungen des Werks im 19. und 20. Jahrhundert (vgl. Anm. 15) trugen ebenso zur Verbreitung von Bahils Darstellung bei wie die Novelle von Uellenberg, Emil: Die vier Särge des Matthias Bahil. Gütersloh 1930 (spätere Auflagen u.d.T.: Die Flucht des Matthias Bahil). �� Przywecka-Samecka, Maria: Drukarstwo muzyczne w Polsce do końca XVIII wieku. Kraków 1969, 143, 182. Zur Bedeutung des Druckorts Brieg vgl. Haberland, Detlef: Druck- und Buchgeschichte. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft. Köln/Weimar/Wien 2005 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 11), 69–91; ders.: Schlesien. In: Corsten, Severin/Füssel, Stephan/Pflug, Günther (Hg.): Lexikon des gesamten Buchwesens, Bd. 6. Stuttgart 22003, 549–555. ��Winter, Eduard: Die Pflege der west- und südslavischen Sprachen in Halle im 18. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte des bürgerlichen Nationwerdens der west- und südslavischen Völker. Berlin 1954 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Slavistik 5), 28–30, 74, 120–122, 195; ders.: Die tschechische und slowakische Emigration, 209, 243f., 283.
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Das in lateinischer und deutscher Sprache gedruckte Werk, das Bahil 1747 im schlesischen Brieg veröffentlichte, beschrieb nicht nur mit ergreifenden Worten das Schicksal eines aus Oberungarn geflüchteten Konfessionsmigranten. Es war auch eine scharfzüngige politische Anklageschrift, die erheblichen Anteil an der Europäisierung der ungarischen Religionsfrage Mitte des 18. Jahrhunderts hatte.
Die weitere Entwicklung verlief im Fall von Bahil 1747/48, als Wien auf politische Entscheidungen in Schlesien längst keinen Einfluss mehr auszuüben vermochte, nicht sehr viel günstiger als im Jahr 1731. Die Verbreitung von Bahils Darstellung erhielt wenig später sogar noch einen weiteren Schub, als der vollständige deutsche Text 1750 in den einflussreichen Acta Historico-Ecclesiastica des Weimarer Hofpredigers Wilhelm Ernst Bartholomaei erneut im Druck erschien.59 1752 erschien darüber hinaus eine Übersetzung ins ������� Acta Historico-Ecclesiastica, Oder Gesammelte Nachrichten von den neuesten Kirchen-Geschichten, Bd. 1–20 (Th. 1–120). Weimar 1734–1758, hier Bd. 14 [1750], 159–213, 317–387. Über die Lage der ungarischen Protestanten wurde hier ebenso intensiv berichtet wie beispielsweise in der von Johann Jacob Moser herausgegebenen Zeitschrift Hanauische Berichte von Religions-Sachen. Ein nicht näher bekannter Autor einer in den Akten des Berliner Auswärtigen Departements (unvollständig) überlieferten zeitgenössischen Dokumentation über die aktuelle Situation der Protestanten in Ungarn zitierte als Quelle vor allem die Schriften Bahils sowie deren Bearbeitungen in verschiedenen deutschsprachigen Periodika. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 1: Beziehungen zum Kaiser, Abt. I, Nr. 101/4, fol. 5r–17v. Für den Bekannt-
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Niederländische.60 Innerhalb weniger Jahre gewann der ehemalige Eperieser Prediger so in Preußen, aber auch an anderen protestantischen Höfen Europas den Ruf eines exzellenten Kenners der politischen und religiösen Verhältnisse in Ungarn. Seinem in dem Werk Tristissima Facies erklärten Ziel kam er dadurch einen großen Schritt näher: nicht nur „Christliches Mitleiden und Gebete“61 für seine verfolgten Glaubensbrüder zu erwecken, sondern auch die diplomatische Unterstützung protestantischer Landesfürsten zu gewinnen und so den politischen Druck auf Österreich zu erhöhen. Wie erklärt sich ein derart beachtlicher Erfolg für einen Konfessionsmigranten, der ohne persönliche Habe in einem ihm bisher nicht bekannten Territorium eintraf und froh sein konnte, dass nur wenige Monate später seiner von den Behörden bedrängten Frau mit den drei Kindern trotz Reiseverbots ebenfalls die Flucht aus Ungarn gelungen war? Die Antwort auf diese Frage führt zu dem lutherischen Theologen Johann Friedrich Burg: einem ebenso tatkräftigen wie patriotischen Geistlichen mit langjährigen persönlichen Beziehungen zu dem von ihm als „Gesalbten“ Gottes bezeichneten Friedrich II., der den Günstling seinerseits 1742 als Oberkonsistorialrat des Breslauer Bezirks in das von ihm neueingerichtete schlesische Oberkonsistorium berufen hatte.62 Was den Breslauer Geistlichen genau dazu bewegte, sich des ungarischen Glaubensflüchtlings anzunehmen, lässt sich nur vermuten. Vieles spricht dafür, dass Burg, der in seinen Predigten häufig auf politische Gegenwartsfragen einging,63 nicht nur das Talent Bahils frühzeitig erkannte. In der schlesischen Hauptstadt mit ihren teilweise noch starken Loyalitäten gegenüber Wien sah er vermutlich auch sofort die Möglichkeiten, das Exulantenlos des slowakischen Predigers zu nutzen, um der Öffentlichkeit die unverändert anhaltende religiöse Unduldsamkeit des Kaiserhofes, die der friderizianischen Kirchenpolitik zur Gänze entgegenstand, vor Augen zu führen.64 Eine verheitsgrad von Bahils Lebensweg und Lebenswerk spricht nicht zuletzt seine Aufnahme in das Werk von Ersch, J[ohann] S[amuel]/Gruber, J[ohann] G[ottfried] (Hg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, Sekt. 1, Tl. 7. Leipzig 1821 [ND Graz 1970], 125f. 60 Reymann: Zur Verfasserschaft der „Kurzen Nachricht“, 396–398; ders.: Matthias Bahil, 252. ��Bahil: Tristissima Facies, 245. ��������������� Zu Burg vgl. Blümel, Georg: Der Kircheninspektor Johann Friedrich Burg. Ein schlesisches Lebens- und Zeitbild aus den Tagen Friedrichs des Großen. Breslau 1928; Schott, Christian-Erdmann: Geschichte der schlesischen Provinzialgesangbücher (1742–1950). Würzburg 1997, 11–30; Müller, Konrad: Von Amt und Art der Breslauer Kircheninspektoren. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 37, 1958, 76–91. ��Horn, Curt: Die patriotische Predigt zur Zeit Friedrichs des Großen. ������������������������� In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 19, 1924, 78–128; 20, 1925, 134–160. �� Pörtner, Regina: Propaganda, Conspiracy, Persecution: Prussian Influences on Habsburg Religious Policies from Leopold I to Joseph II. In: Scheutz, Martin/Schmale, Wolfgang/Štefanová, Dana (Hg.): Orte des Wissens. Bochum 2004 (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts 18/19), 457–476. Vgl. ferner Bergerhausen, Hans-Wolfgang: Friedensrecht und Toleranz. Zur Politik des preußischen Staates gegenüber der katholischen Kirche in Schlesien 1740–1806. Berlin 1999 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preu-
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gleichbare Intention verfolgte der preußische Monarch mit seinem Protest gegen die eigenmächtige Konfiskation der Bücher Bahils durch das Jesuitenkolleg in Eperies und mit der Entschädigung, zu der er die Breslauer Gesellschaft Jesu verpflichtete65 – ein Schachzug, der seine Wirkung in den Medien nicht verfehlte. Mit dieser Taktik war bereits Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg erfolgreich gewesen, als er sich über seinen Gesandten in Wien für einen aus Ungarn ausgewiesenen und nach Frankfurt an der Oder übergesiedelten Geistlichen eingesetzt hatte, dessen Bücher zuvor ebenfalls von den Jesuiten beschlagnahmt worden waren.66 Burg war es denn auch, der sich bei der Königlichen Kriegs- und Domänenkammer in Breslau für die Einbürgerung Bahils einsetzte und seinem Schützling Ende 1747 eine Pfarrstelle im schlesischen Arnsdorf bei Strehlen verschaffte.67 Der Wiederabdruck von Bahils Kampfschrift in den Acta Historico-Ecclesiastica verdankte sich ebenfalls mehreren Empfehlungsschreiben des Breslauer Oberkonsistorialrats an die Herausgeber des Weimarer Periodikums, für das er selbst als Mitarbeiter tätig war:68 Bahils Schrift Tristissima Facies sei, so Burg am 15. April 1750 an Bartholomaei, „höchstdenckwürdig“; sie stelle kaum vorstellbare Praktiken religiöser Verfolgung in Ungarn dar, die vermutlich „biß ietzo fortgesetzet“ würden.69 Ob Burg es schließlich auch war, der Bahil Kontakt nach Berlin verschaffte, ist nicht mit letzter Gewissheit zu klären. Vieles spricht allerdings für eine entsprechende Vermittlung. Als sich am 11. Februar 1751 der Berliner Oberkonsistorialrat Johann Peter Süßmilch „auf Ersuchen des in Schlesien jetzt stehenden Prediger Bahil“ und „im Namen der bedrängten Evangelischen in Ungarn“, wie er schrieb, über das Auswärtige Departement an den preußischen König wandte,70 war für keine Seite absehbar, welche Kreise der damit eingeleitete Vorgang schon bald ziehen sollte.71 ßischen Geschichte 18), 42–122; Conrads, Norbert: Politischer Mentalitätswandel von oben. Friedrichs II. Weg vom Gewinn Schlesiens zur Gewinnung der Schlesier. In: Baumgart, Peter (Hg.): Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Sigmaringen 1990 (Schlesische Forschungen 4), 219–236; Köhler, Joachim: Zwischen den Fronten. Anmerkungen zur Biographie der Breslauer Fürstbischöfe Sinzendorf (1732–1742) und Schaffgotsch (1747–1795). Ebd., 273–285. �������������������������������������������������� Zu Friedrichs II. Stellung zu den Jesuiten vgl. Samerski, Stefan: Jesuiten in Preußen. In: Bahners, Patrick/Roellecke, Gerd (Hg.): Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück. Stuttgart 2001, 190–203, 506f. ��Krauske, Otto: Der große Kurfürst und die protestantischen Ungarn. In: Historische Zeitschrift 58, 1887, 465–496, hier 494. ��Reymann: Matthias Bahil, 297–302. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Vgl. die Briefe Burgs an Bartholomaei in Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 947, Nr. 193– 199 und Chart A 954, Nr. 130–142. Vgl. ferner Wotschke, Theodor: Schlesische Mitarbeiter an den Acta historico-ecclesiastica. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 19, 1927, 53–122. ����������������������������������������������������������������������������������������� Forschungsbibliothek Gotha, Chart. A 947, Nr. 196, 385r–386v (Breslau, 15. April 1750). ������������������������������������������������������������������������������������������������ Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 11: Auswärtige Beziehungen Ungarn, Nr. 278, Fasz. 26, fol. 16r–17v (Berlin, 11. Februar 1751). ��Bahlcke: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie, 225–242.
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Anlass für das Schreiben Bahils, das sich in der Form kaum von früheren individuellen oder kollektiven Beistandsgesuchen ostmitteleuropäischer Protestanten unterschied, war ein wenige Monate zuvor von einem ungarischen Oberhirten veröffentlichtes Buch, das eine neue Qualität der konfessionellen Konfrontation anzukündigen schien. Das Enchiridion De Fide des Wesprimer Bischofs Márton Padányi Biró, dessen Radikalität ohne die sich Mitte des 18. Jahrhunderts vertiefende Legitimationskrise der katholischen Führungsschicht in Ungarn nicht zu verstehen ist, machte noch einmal auf ganzer Linie Front gegen alle „Dissipatores Catholicae Ecclesiae“, gegen „Ketzer“ und „Abtrünnige“ der römischen Kirche.72 Dass dieses Buch schließlich auf Anordnung Maria Theresias offiziell beschlagnahmt und überdies der Autor, ein bisher an der Hofburg angesehener kirchlicher Würdenträger, ausdrücklich gerügt wurde,73 ging ausgerechnet auf einen ungarischen Konfessionsmigranten zurück, der die preußische Regierung als erster über Gegenmaßnahmen beraten hatte. Es lässt sich Punkt für Punkt nachweisen, dass in den folgenden diplomatischen Schritten nicht nur die Argumente Bahils übernommen wurden, sondern auch dessen Vorschläge für den konkreten Verlauf der Intervention. Es war kein Zufall, dass gerade der Bischof von Breslau für den Protest gegen die österreichische Religionspolitik ausgewählt wurde.74 Und ebensowenig �� Bironius, Martinus Padánus: Enchiridion [...] De Fide, Haeresiarchis, ac eorum asseclis, In genere de Apostatis, deque Constitutionibus, atque Decretis Imperatorum & Regum, contra Dissipatores Catholicae Ecclesiae editis. Jaurini ���������������������������������������������������������������� 1750. Den ersten Versuch einer Werkinterpretation unternahm József Pehm, der spätere Kardinal József Mindszenty, in seiner bei Lichte besehen nachsichtigen Biographie des Wesprimer Bischofs. Vgl. Pehm, József: Padányi Biró Márton veszprémi püspök élete és kóra. Zalaegerszeg 1934, 199–235. Zu Biró vgl. ferner Tüskés, Gábor/Knapp, Éva: Padányi Biró Márton és a dunántúli protestantizmus. In: Történelmi Szemle 32, 1990, 259–273, deutsch u.d.T.: Ein konservativer Bischof zwischen Gegenreformation und Aufklärung: Márton Padányi Biró. In: dies.: Volksfrömmigkeit in Ungarn. Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturgeschichte. Dettelbach 1996 (Quellen und Forschungen zur europäischen Ethnologie 18), 399–418; Pfeiffer, János: A veszprémi egyházmegye történeti névtára (1630–1950) püspökei, kanonokjai, papjai. München 1987 (Dissertationes Hungaricae ex historia Ecclesiae 8), 17–19. �� Bahlcke, Joachim: Frederick II of Prussia, Austria and the Hungarian Protestants: Bishop Márton Padányi Biró of Veszprém and the Enchiridion de fide. In: Austrian History Yearbook31, 2000, 15–32. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Lutheraner und Reformierte würden in Ungarn, so Friedrich II. am 16. Februar 1751 in einem Schreiben an den Breslauer Bischof Philipp Gotthard von Schaffgotsch, „wider den klaren Inhalt der mit ihnen selbst unter Mediation fremder Potentien geschlossenen Verträge“, nicht nur an der Ausübung ihres Bekenntnisses gehindert, sondern auch im bürgerlichen Leben auf unerhörte Weise benachteiligt und ausgegrenzt. Das Vorgehen des Wiener Hofes sei zwar abstoßend. In erster Linie aber sei es der römisch-katholische Klerus, der sich die vollständige Ausrottung der Protestanten zum Ziel gesetzt habe. Deutlich werde dies gerade gegenwärtig durch die „scandaleuse Schrift“, die der Wesprimer Bischof unter dem Titel Enchiridion De Fide publiziert habe, „worinne derselbe gleichsam die Sturmglocke gegen die sogenannten Ketzer anziehet und seine durchlauchtigste Beherrscherin zu deren Ausrottung animiret, auch zu solchen Behuf die odieusesten und alle Bande der menschlichen Gesellschaft zerreissenden Principis, welche alle vernünftige Römisch-Katholische selbst verabscheuen und in keine Wege an sich kommen lassen wollen, als Lehren seiner Kirche anrühmet und behauptet“. Lehmann, Max (Hg.): Preußen und die katholische Kirche seit 1640, Th. 3. Leipzig 1882 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 13) [ND Osnabrück 1965],
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war es Zufall, dass das entsprechende Schreiben des preußischen Königs an Philipp Gotthard von Schaffgotsch sowie dessen Antwort kurze Zeit später in Abschriften in Ungarn kursierten, wo bereits Spottgedichte über Biró verbreitet wurden.75 Der politische Druck, von protestantischer wie von katholischer Seite, wuchs schließlich derart an, dass Maria Theresia sich zum Nachgeben gezwungen sah,76 wollte sie nicht einen nachhaltigen Prestigeverlust riskieren und vor allem Preußen die Möglichkeit bieten, sich außenpolitisch und publizistisch durch die Kritik ihrer Religionspolitik weiter zu profilieren. War es 1750 Bahil gewesen, der die Initiative ergriffen und den Kontakt zu verschiedenen preußischen Behörden gesucht hatte, so drehten sich die Vorzeichen wenige Jahre später um. Denn Friedrich II., der die Kunst, Presse und Öffentlichkeit für politische Eigeninteressen zu nutzen, virtuos beherrschte,77 war auch von sich aus interessiert, den Exulanten als Alliierten in eigener Sache einzusetzen. Als es 1756 im Vorfeld des erneut heraufziehenden Krieges um Schlesien darum ging, publizistisch ein weiteres Mal die Reputation des Wiener Hofes in ganz Europa zu schmälern,78 lag es nahe, die Hilfe des aus Ungarn gebürtigen Predigers in Anspruch zu nehmen. Es lag auf der Hand, dass die Religionspolitik Wiens im Mittelpunkt einer solchen Flugschrift stehen müsste. Schon am 10. Juni 1756 hatte der preußische König gegenüber dem englischen Gesandten Sir Andrew Mitchell – nach dessen Bericht – freimütig bekannt, dass es vorteilhaft sei, „to raise a religious war in Hungary“.79 Das im September schließlich unter strengster Geheimhaltung durch den seit kurzem im Berliner Generalfinanzdirektorium tätigen Juristen Ludwig Martin Kahle80 fertiggestellte Werk, das den Titel Unbilliges Verfahren des Ertz310–313, Nr. 351. Schaffgotsch legte, wie mit dem König vereinbart, am 7. März 1751 bei der Kurie Protest ein gegen das Vorgehen des Bischofs von Wesprim. Vgl. Theiner, Augustin: Zustände der katholischen Kirche in Schlesien von 1740–1758 und die Unterhandlungen Friedrich’s II. und der Fürstbischöfe von Breslau, des Kardinals Ludwig Ph. Grafen v. Sinzendorf und Ph. Gotth. Fürsten v. Schaffgotsch mit dem Papst Benedikt XIV., Bd. 2. Regensburg 1852, 81f. Papst Benedikt XIV. antwortete Schaffgotsch am 3. April 1751 (ebd., 338f.). ��Bod, Petrus: Magyar Athenas avagy az Erdélyben és Magyar-Országban élt tudos Embereknek [...] historiájok. O.O. 1766, 44. �� Ders.: Historia Hungarorum ecclesiastica, Bd. 3. Hg. v. L[odewijk] W[illem] E[rnst] Rauwenhoff u.a. Lugduni-Batavorum 1890, 267. �� Kienast, Andreas: König Friedrich II. von Preussen und die Ungarn bis zum Hubertusburger Frieden 1763. In: Mittheilungen des k. und k. Kriegs-Archivs N.F. 9, 1895, 195–315; Duchhardt: Balance of Power und Pentarchie, 71. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Zu Genese, Umfang und Qualität dieser Propaganda in den beiden ersten Kriegen um Schlesien vgl. Mazura, Silvia: Die preußische und österreichische Kriegspropaganda im Ersten und Zweiten Schlesischen Krieg. Berlin 1996 (Historische Forschungen 58). Speziell zum Siebenjährigen Krieg vgl. Schort, Manfred: Politik und Propaganda. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Flugschriften. Frankfurt am Main u.a. 2006 (Europäische Hochschulschriften III/1023). �������������������������������������������������������������������������������������� Politische Correspondenz Friedrichs des Grossen. Berlin ����������������������������������� 1884, 399. Zu ����������������� Mitchell vgl. Bisset, Andrew: Memoirs and papers of Sir Andrew Mitchell, Envoy extraordinary and minister plenipotentiary from the Court of Great Britain to the Court of Prussia, from 1756 to 1771, Bd. 1–2. London 1850. ���������������� Zu Kahle vgl. Schulte, Joh[ann] Friedrich von: Die Geschichte der Quellen und Literatur des Canonischen Rechts von Gratian bis auf die Gegenwart, Bd. 3. Stuttgart 1880, 134.
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Hauses Oesterreich gegen die Evangelische trug, wurde zeitgleich in französischer und lateinischer Sprache gedruckt.81 Bemerkenswert ist, dass Bahil nicht nur an der Ausarbeitung beteiligt, sondern auch für deren Distribution in Ungarn vorgesehen war. Tatsächlich ging der ehemalige Eperieser Prediger trotz seiner Verurteilung in Ungarn und der strengen Grenzkontrollen das hohe Risiko ein. Dass Bahil hinter der preußischen Propagandaschrift steckte, stand für die Hofburg völlig außer Zweifel. Dies belegen die Akten des Hofkriegsarchivs über ein ausführliches Verhör des Geistlichen am 30. Oktober 1758, mit dem die verwickelte preußischösterreichische Konfliktgeschichte zugleich ihren Abschluss fand. Gezielt war Bahil einige Wochen zuvor im schlesischen Arnsdorf von österreichischen Militärs verhaftet und nach Wien gebracht worden. Dass der flüchtige Verkünder nicht wegen Hochverrats verurteilt wurde, war ausschließlich Friedrich II. zu verdanken, der seinerseits einen katholischen Geistlichen in Österreichisch-Schlesien hatte verhaften lassen und erst im Austausch gegen Bahil wieder laufen ließ.82
4. Konfessionssolidarität versus Staatsinteresse Die geschilderten Ereignisse zeigen anschaulich, dass das konfessionelle Argument im Alten Reich ein Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden größtenteils zur Propaganda verkommen war. Hier war – und darin liegt ein markanter Unterschied gegenüber den Verhältnissen in der österreichischen Monarchie, namentlich in Ungarn83 – das Konfessionelle nicht mehr strukturierende Kraft, sondern nur noch Ornament der internationalen Mächtepolitik. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Unbilliges Verfahren des Ertz-Hauses Oesterreich gegen die Evangelische. [Frankfurt an der Oder 1756]. Zur Entstehung der Schrift vgl. Krauske, Otto (Hg.): Preußische Staatsschriften aus der Regierungszeit König Friedrichs II., Bd. 3: Der Beginn des Siebenjährigen Kriegs. Berlin 1892, 234–317 (die Schrift ebd., 256–317). Der von dem Gelehrten und führenden Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin Jean Henri Samuel Formey ins Französische übersetzte Text erschien u.d.T.: Exposé des injustices que les protestans ont souffertes des princes de la maison d’Autriche. O. O. [1756]; der von Wolfgang Balthasar Adolf von Steinwehr, seit 1742 Professor der Geschichte und des Natur- und Völkerrechts an der Universität Frankfurt an der Oder, ins Lateinische übertragene Text erschien u.d.T.: Commentatio de evangelicis iniquitate archiducum Austriae oppressis. [Frankfurt an der Oder 1756]. Aus den nachfolgenden Jahren sind mehrere, zum Teil voneinander abweichende Nachdrucke bekannt. �� Reymann: Zur Geheimreise Matthias Bahils, 75–80; ders.: Matthias Bahil, 303–329; Grünhagen, Colmar: Schlesien unter Friedrich dem Großen, Bd. 2. Breslau 1892, 118. ��Klingenstein, Grete: Modes of Religious Tolerance and Intolerance in Eighteenth-Century Habsburg Politics. In: Austrian History Yearbook 24, 1993, 1–16; Evans, Robert J. W.: Die Grenzen der Konfessionalisierung. Die Folgen der Gegenreformation für die Habsburgerländer (1650–1781). In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 395–412.
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Erfahrungen und Wahrnehmungen religiös motivierter Gewalt
Aus dem Blickwinkel Berlins war an die Stelle des protestantisch-katholischen Gegensatzes längst der preußisch-österreichische Antagonismus getreten. In Wien hatte Johann Christoph von Bartenstein, als Geheimer Staatssekretär Maria Theresias maßgeblich mit der Leitung der Außenpolitik betraut, schon 1744 vor weiteren antiprotestantischen Maßnahmen in Ungarn gewarnt, die Preußen nur die Möglichkeit einer Intervention gegen den Kaiserhof bieten würden. Auch im Rahmen des Kronprinzenunterrichts für Erz herzog Joseph empfahl der aus Karrieregründen zum Katholizismus konvertierte Bartenstein, der gewiss kein Verfechter des Toleranzprinzips war, mit Blick auf die Vergangenheit namentlich für das mehrkonfessionelle Ungarn eine Kirchenpolitik, die vorrangig auf den Religionsfrieden ausgerichtet sein müsse und damit einer politisch-wirtschaftlichen Stabilisierung der Monarchie förderlich sei. Das wichtigste Vorbild für eine notwendige Kirchenreform sah er im preußischen Staatskirchentum.84 Entsprechend kritisch kom mentierte er die Machtfülle, den Konservativismus und die Romtreue des ungarischen Episkopats. Nicht erst Kaunitz, der Bartenstein 1750 aus dem Bereich der auswärtigen Angelegenheiten verdrängte, wusste die Postulate der Kirchenpolitik den politischen Gegebenheiten anzupassen.85 Dem Vorfall, den Bahil 1750 einst Johann Peter Süßmilch geschildert hatte, verschaffte der Berliner Oberkonsistorialrat ein Nachleben, das zugleich die Verarbeitung konfessioneller Migrationserfahrungen im Jahrhundert der Aufklärung demonstriert. Denn Süßmilch, der zu Recht als Vorläufer der modernen Statistik in Preußen und Begründer der Demographie als wissenschaftlicher Disziplin gilt,86 baute jene Ausführungen in die zweite, 1761/62 in zwei ��Benna, Anna Hedwig: Zur Situation von Religion und Kirche in Österreich in den Fünfzigerjahren des 18. Jahrhunderts – eine Denkschrift Bartensteins zum Kronprinzenunterricht Josefs II. In: Sacerdos et pastor semper ubique. Festschrift zum 40-jährigen Priesterjubiläum Prälat Univ.-Prof. Dr. Franz Loidl. Wien 1972 (Veröffentlichungen des Kirchenhistorischen Instituts der katholischtheologischen Fakultät der Universität Wien 13), 193–224; dies.: Der Kronprinzenunterricht Josefs II. in der inneren Verfassung der Erbländer und die Wiener Zentralstellen. In: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 20, 1967, 115–179. �� Klueting, Harm: Kaunitz, die Kirche und der Josephinismus. Protestantisches landesherrliches Kirchenregiment, rationaler Territorialismus und theresianisch-josephinisches Staatskirchentum. In: Klingenstein, Grete/Szabo, Franz A. J. (Hg.): Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg 1711–1794. Neue Perspektiven zu Politik und Kultur der europäischen Aufklärung. Graz u.a. 1996, 169–196; Szabo, Franz A. J.: Intorno alle origini del giuseppinismo: motivi economico-sociali e aspetti ideologici. In: Società e storia 2/4, 1979, 155–174; ders.: Haugwitz, Kaunitz, and the Structure of Government in Austria under Maria Theresia, 1745 to 1761. In: ������������������������������� Historical Papers. Communications historiques 1979, 111–130; Klingenstein, Grete: Kaunitz kontra Bartenstein. Zur Geschichte der Staatskanzlei 1749–1753. In: Fichtenau, Heinrich/Zöllner, Erich (Hg.): Beiträge zur neueren Geschichte Österreichs. Wien/Köln/Graz 1974 (Veröffentlichungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 20), 243–263. �� Neugebauer, Wolfgang: Johann Peter Süßmilch. Geistliches Amt und Wissenschaft im friderizianischen Berlin. In: Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch des Landesarchivs Berlin, 1985, 33–68; ders.: Johann Peter Süßmilch. In: Heinrich, Gerd (Hg.): Berlinische Lebensbilder, Bd. 5: Theologen. Berlin 1990 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Ber-
Der slowakische Prediger Matej Bahil
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Bänden gedruckte Auflage seines Hauptwerkes Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts87 an zentraler Stelle ein. Der Berliner Theologe, der sich als Konsistorialbeamter häufig mit statistischen Erhebungen, bevölkerungspolitischen und medizinhygienischen Fragen zu beschäftigen hatte, analysierte in seiner Darstellung demographische Phänomene, um daraus bevölkerungstheoretische Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Besonderes Augenmerk richtete Süßmilch in diesem Zusammenhang auf die Hindernisse, die einem beständigen Bevölkerungswachstum entgegenstehen mussten. Der Fall des von Bahil der Diskriminierung und Verfolgung Andersgläubiger beschuldigten Wesprimer Bischofs fand daher Aufnahme in das Kapitel „Betrachtung der vierten und letzten Regel der Bevölkerung, vermöge der man suchen muß, seine Unterthanen im Lande zu erhalten, und Fremde, wenn es nöthig ist, anzulocken“88 – als Beispiel dafür, welchen schädlichen Einfluss Konfessionalismus unter etatistisch-populationistischem Gesichtspunkt haben müsse. Zur Freiheit gehöre auch die Freiheit des Gewissens, und daraus folge eine vernunftgemäße Duldung verschiedener Religionsparteien. Das Buch des ungarischen Oberhirten, ein „heßlicher Schandfleck des Catholicismus“, zeige exemplarisch „die Wirkung der Intoleranz in Absicht auf die Bevölkerung“. Die vernünftige Toleranz und aufgeklärte Moral der Protestanten müssten weder mit einer richtig verstandenen Theologie noch mit der Staatsräson in Widerspruch stehen. Intoleranz dagegen zerreiße, so Süßmilch, nicht nur „alle Bänder der bürgerlichen Gesellschaft“, sie dezimiere auch die Bevölkerung, den größten Reichtum eines Staates.89 Es spricht für sich, dass man das Werk Süßmilchs in Österreich unverzüglich in den Catalogus librorum prohibitorum aufnahm.90
lin 60), 184–200; Dreitzel, Horst: J. P. Süßmilchs Beitrag zur politischen Diskussion der deutschen Aufklärung. In: Birg, Herwig (Hg.): Ursprünge der Demographie in Deutschland. Leben und Werk Johann Peter Süßmilchs (1707–1767). Frankfurt am Main/New York 1986 (Universität Bielefeld. Forschungsberichte des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik 11), 29–141. �� Süssmilch, Johann Peter: Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts, aus der Geburt, dem Tode und der Fortpflanzung desselben erwiesen, Th. 1–2. Berlin 2 1761–1762 [11741]. Zu diesem Werk vgl. Gessinger, Joachim: Johann Peter Süßmilch. Göttliche Ordnung und universale Struktur der Sprachen. In: Bach, Reinhard/Desné, Roland/Hassler, Gerda (Hg.): Formen der Aufklärung und ihrer Rezeption. Festschrift zum 70. Geburtstag von Ulrich Ricken. Tübingen 1999, 271–284; Weiling, Franz: Die „Göttliche Ordnung“ J. P. Süßmilchs als Erstlingswerk statistischer und biometrischer Arbeitsweise. In: Forschungen und Fortschritte 41, 1967, 296–300. Eine ausführliche Werkinterpretation und zugleich eine Übersicht der internationalen Süßmilch-Forschung enthält die kommentierte französische Ausgabe von Hecht, Jacqueline (Hg.): Johann Peter Süßmilch 1707–1767: „L’Ordre divin“ aux origines de la démographie, Bd. 1–3. Paris 1979–1984 (zu Márton Padányi Biró vgl. Bd. 3, 624). ��Süssmilch: Die göttliche Ordnung, Th. 1, 552–573. ��������������������� Ebd., 562, 564–566. ��Schwartner, Martin: Statistik des Königreichs Ungern. Ein Versuch. Pest 1798, 69.
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Bücherschmuggel. Die Versorgung ostmitteleuropäischer Protestanten mit Bibeln, Gesangbüchern und lutherischen Erbauungsschriften in der Zeit der Gegenreformation 1. Eine spektakuläre „Bücher-Inquisition“ in Nordböhmen Als einen „merkwürdige[n] Beitrag zur Märtyrergeschichte des böhm[ischen] Bücherwesens“1 beschrieb ein Prager Gelehrter Mitte des 19. Jahrhunderts eine Begebenheit, die sich zur Zeit Kaiser Karls VI. im nördlichen Böhmen zugetragen hatte. Legitimiert durch ein vom Kaiser gebilligtes Dekret der Böhmischen Hofkanzlei besetzten in den frühen Morgenstunden des 26. Juli 1729 einige Dutzend Kürassiere den Kurort Kukus an der Elbe sowie umliegende Dörfer Franz Anton Graf von Sporcks, eines katholischen und gesellschaftlich einflussreichen Adeligen, der im Laufe seines politischen Lebens hohe Landesämter in Böhmen innegehabt hatte.2 Die Militäraktion galt ausschließlich der Bibliothek des Grafen, in der man verdächtige und nichtzensierte Bücher und Drucksachen vermutete. Sämtliche Gebäude der Herrschaft wurden peinlichst genau durchsucht, Briefwechsel konfisziert, Untertanen verhört, einzelne Angestellte verhaftet. Selbst ein Trauerzug erregte an jenem Tag Verdacht. So wurde, wie es in einer zeitgenössischen Beschreibung heißt, „die Leiche von denen Soldaten angehalten, die Bahre aufgeschlagen, der Cörper in die Höhe gerissen, und alles darinnen visitirt, als ob weiß nicht was für wichtige Heimlichkeiten oder ketzerische Bücher bey dieser Gelegenheit fort-practicirt werden solten“.3 Tausende Bücher, die man unwirsch und ohne jede Ordnung zusammenwarf, wurden schließlich in versiegelten Verschlägen zum zuständigen Ortsbischof nach Königgrätz gebracht.
1 Hanslik, Joseph A[dolph]: Geschichte und Beschreibung der Prager Universitätsbibliothek. Prag 1851, 580. 2 Zu seiner Biographie vgl. Preiss, Pavel: František Antonín Šporck a barokní kultura v Čechách. Praha 22003 (die Erstausgabe erschien unter dem Titel: Boje s dvouhlavou saní. František Antonín Šporck a barokní kultura v Čechách. Praha 1981); Rösel, Hubert: Johann Sporck und Franz Anton Sporck. In: Stupperich, Robert (Hg.): Westfälische Lebensbilder, Bd. 11. Münster 1975 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Westfalens 17A), 203–226; Benedikt, Heinrich: Franz Anton Graf von Sporck (1662–1738). Zur Kultur der Barockzeit in Böhmen. Wien 1923. 3 Verschiedene hin und wieder durch Correspondentz und gute Freunde zu Händen bekommene Nachrichten, Von dem den 26. Julii, 1729. in Böheimb, Und zwar in dem sogenannten KuckusBaad, mit Zuziehung der Kayserl. Miliz beschehenen Einfall und vorgenommener Bücher-Inquisition [...]. O.O. 1730, [15].
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Das Kurbad Kukus in Nordböhmen, wo lutherische Badegäste aus Schlesien und Sachsen regelmäßig zu Besuch waren, war eine wichtige Drehscheibe für den Schriften- und Gedankenaustausch. Der Kupferstich stammt aus einer Biographie Franz Anton Graf von Sporcks, die der aus Schlesien gebürtige Buchhändler und Gelehrte Friedrich Roth-Scholtz 1730, ein Jahr nach der berüchtigten „Bücher-Inquisition“, zur Verteidigung des böhmischen Adeligen ein zweites Mal herausgab.
Bereits die Vorzensur der in Kukus beschlagnahmten Bücher ergab, dass sich unter ihnen kirchlicherseits verbotene Werke befanden.4 Die Titel dieser Ausgaben wurden noch im Herbst des Jahres 1729 von dem tschechischen Jesuitenpater Antonín Koniáš in dessen wirkmächtiges, in Königgrätz veröffentlichtes Indexwerk aufgenommen, den „Schlüssel“ – so der tschechische Paralleltitel –, „der ketzerische Irrlehren zur Unterscheidung öffnet und zur Ausrottung verschließt“.5 Nur wenig später, am 9. Februar 1730, wurde offiziell Anklage gegen Sporck wegen Häresie erhoben. Nach mehr als drei Jahren aufwendigster Untersuchungen und Verhöre erging 1733 vor dem Größeren Landrecht in Prag das Urteil. Dass Sporck letzten Endes nur wegen Besitz, Drucklegung und Verbreitung ketzerischer Schriften verurteilt wurde, nicht aber wie beantragt zum Verlust des Landesinkolats und der landtäflichen Güter, hatte er vor allem einflussreichen Freunden in Böhmen und am Wiener Hof zu verdanken. Alle Versuche, seine beschlagnahmte Bibliothek aus Kukus zurückzuerhalten, scheiterten dagegen. Ebenso wie die konfiszier4 [Riegger, Joseph Anton von]: Beyspiel einer Bücherinquisizion des königgrätzer bischöf. Ordinariats vom Jahre 1729. In: [ders.]: Materialien zur alten und neuen Statistik von Böhmen 10, 1790, 37–42. 5 [Koniáš, Antonín]: Clavis Haeresim claudens & aperiens. Kljć Kacýřské Bludy K rozeznánj otwjragich/ K wykořeněnj zamjkagich. Aneb Registřjk Některých bludných/ pohorssliwých/ podezřelých/ neb zapowěděných Kněh. Hradec Králowe 1729. Zum Hintergrund vgl. Schamschula, Walter: Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Aufklärungszeit. Köln/Wien 1990 (Bausteine zur Geschichte der Literatur bei den Slaven 36/1), 300–303.
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ten Lagerbestände aus der eigenen Druckerei vermoderten die Bücher zum größeren Teil in den Gewölben der kirchlichen Untersuchungskommission.6 Die Prozessakten und die Verteidigungsschriften,7 die Sporck nach der „Bücher-Inquisition“ von Kukus zum Druck befördert hatte, brachten eine Vielzahl von Details ans Tageslicht, die von größter Aussagekraft sind für die komplexe, auf den ersten Blick oft widersprüchliche Entwicklung des mittel- und ostmitteleuropäischen Buch- und Verlagswesens im Konfessionellen Zeitalter. Sie beleuchten vor allem Sporcks Doppelrolle als Büchersammler und Leser auf der einen, als Verleger und Buchagent auf der anderen Seite. Der böhmische Graf hatte mehrere Jahre in Lissa an der Elbe eine Privatoffizin betrieben, nach deren Schließung durch das Prager erzbischöfliche Konsistorium 1713 aber keineswegs die Drucktätigkeit eingestellt, sondern diese nur ins benachbarte Ausland verlagert.8 Es sind mehr als 160 meist religiös-erbauliche Traktate in deutscher und tschechischer Sprache bekannt, die Sporck auf eigene Kosten und meist ohne vorherige Zensur der geistlichen Aufsichtsbehörde herausgab und später ins Land schmuggeln ließ. Im Verlagsprogramm des Grafen, der Sympathien für den Jansenismus hegte, sich aber vor allem als Anhänger eines überkonfessionellen „thätige[n] Christenthum[s]“ sah,9 befanden sich auch Werke lutherischer, reformierter und anglikanischer Autoren.10 Vorgeworfen wurde ihm ferner, dass er einen lutherischen Kupferstecher angestellt habe. Die meisten Titel ließ Sporck überdies bei lutherischen Buchdruckern in Schweidnitz, Leipzig und Nürnberg drucken und durch eigene Boten, vorbei an Zollstationen und unter Umgehung der Maut, illegal nach Böhmen bringen.11 Sofern es geboten schien, formulierte man Buchtitel um, band abgeänderte Titelblätter ein, gab fingierte oder gar keine Druckorte an und datierte das Erscheinungsjahr um.12 Sporck persönlich organisierte die Verbreitung der von ihm verleg6 Zur Geschichte der Schlossbibliothek in Kukus vgl. Mašek, Petr: Kuks. In: ders. (Bearb.): Handbuch deutscher historischer Buchbestände in Europa, Bd. 2: Tschechische Republik. Schloßbibliotheken unter der Verwaltung des Nationalmuseums in Prag. Hildesheim/Zürich/New York 1997, 114f. 7 Hrdina, Antonín Ignác: Kacířský proces s hrabětem F. A. Šporckem v právně-historickém a teologickém kontextu. Ostrava 2011. 8 Benedikt: Franz Anton Graf von Sporck, 167–172, 369. 9 Bücher-Inquisition 1730, [23]. �� Dolezel, Stephan: Frühe Einflüsse des Jansenismus in Böhmen. In: Seibt, Ferdinand (Hg.): Bohemia Sacra. Das Christentum in Böhmen 973–1973. Düsseldorf 1974, 145–153, 566f.; Jelinek, Hanuš: Le Comte F.-A. de Sporck et le Jansénisme français en Bohême. In: Revue de littérature comparée 14, 1934, 53–67. ��������������������������������������� Bücher-Inquisition 1730, [17], [23]; Benedikt: Franz Anton Graf von Sporck, 191f., 200–204, 371. Zu Michael Rentz vgl. Andresen, Andreas: Handbuch für Kupferstichsammler oder Lexicon der Kupferstecher, Maler-Radirer und Formschneider aller Länder und Schulen [...], Bd. 2. Leipzig 1873, 375. ������������������������������������������������������������������������ Zu diesen Praktiken in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie vgl. Frimmel, Johannes/Wögerbauer, Michael (Hg.): Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert. Das Beispiel der Habsburgermonarchie. Wiesbaden 2009 (Buchforschung. Beiträge zum Buchwesen in Österreich 5).
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ten Schriften, ließ sie auf Jahrmärkten verteilen oder verschiffen, zum Teil bis nach Ungarn und weiter nach Konstantinopel. Für den Schriften- und Gedankenaustausch, aber auch für den Ausbau von Sporcks Bibliothek erwies sich der Kurort Kukus am oberen Lauf der Elbe, wo lutherische Badegäste besonders aus Schlesien und Sachsen regelmäßig abstiegen, als wichtige Drehscheibe.13 Von Beginn an verdächtigten die Behörden die „Evangelische[n] Pastores und Praedicanten“14 aus Schlesien, die das Kurbad regelmäßig aufsuchten, illegaler Buchtransporte. Und dies nicht ohne Grund, hatte Sporck doch 1725 – mit einer solchen Einfuhr die Todesstrafe riskierend – von einem lutherischen Prediger aus Schweidnitz eine ganze Bibliothek käuflich erworben und heimlich nach Kukus bringen lassen.15
2. Der Kampf gegen „häretisches Schrifttum“ Als Aufklärer, Mäzen und Freigeist war Franz Anton von Sporck in seiner Zeit gewiss eine Ausnahmepersönlichkeit, und auch die Offenheit im Umgang mit evangelischem Schrifttum war in der Phase der habsburgischen Spätkonfessionalisierung nahezu einzigartig.16 Dennoch lassen sich an seinen Unternehmungen und Erfahrungen allgemeine Probleme der Buchkultur in der Zeit des Barock erkennen. Dass Buchdruck und Buchhandel in hohem Maße zur Ausbreitung der Reformation und zur Konsolidierung des neuen Bekenntnisses beitrugen, gilt unter umgekehrtem Vorzeichen auch für die Gegenreformation.17 Die vom Konzil von Trient festgelegten Grundsätze zur �� Tausch, Harald: Franz Anton von Sporcks „Kuckus=Bad“. Intermediale Aspekte von Gartenkunst und Literatur in einem böhmischen Badeort zwischen Barock und Frühaufklärung (J. Chr. Günther und Ph. B. Sinold). In: Hoefer, Natascha N./Ananieva, Anna (Hg.): Der andere Garten. Erinnern und Erfinden in Gärten von Institutionen. Göttingen 2005, 125–157. ���������������������������������������� Bücher-Inquisition 1730, [16], [36f.]. ��Benedikt: Franz Anton Graf von Sporck, 200f., 216, 243f., 375–377. ��Wögerbauer, Michael/Pokorný, Jiří: Barocke Buchkultur in den böhmischen Ländern. In: Gastgeber, Christian/Klecker, Elisabeth (Hg.): Geschichte der Buchkultur, Bd. 7: Barock. Graz 2015, 383–426, hier 414f.; Evans, Robert J. W.: Die Grenzen der Konfessionalisierung: Die Folgen der Gegenreformation für die Habsburgerländer (1650–1781). In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 395–412; Bödeker, Hans Erich/Chaix, Gerald/Veit, Patrice (Hg.): Le livre religieux et ses pratiques. Etudes sur l’histoire du livre religieux en Allemagne et en France à l’époque moderne – Der Umgang mit dem religiösen Buch. Studien zur Geschichte des religiösen Buches in Deutschland und Frankreich in der frühen Neuzeit. Göttingen 1991 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 101); Winter, Eduard: Die tschechische und slowakische Emigration in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der hussitischen Tradition. Berlin 1955 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Slawistik 7), 258–261. ��Ducreux, Marie-Elizabeth: Le livre et l’hérésie, modes de lecture et politique du livre en Bohême au XVIIIe siècle. In: Bödeker/Chaix/Veit (Hg.): Le livre religieux et ses pratiques, 131–155.
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Titelblatt des berühmten Indexwerks, das der tschechische Jesuitenpater Antonín Koniáš 1729 in Königgrätz veröffentlichte. Wörtlich übersetzt lautet der lateinischtschechische Titel: „Schlüssel, die Häresie schließend und öffnend. Schlüssel, der ketzerische Irrlehren zur Unterscheidung öffnet und zur Ausrottung verschließt“. Koniáš rühmte sich damit, Z ehntausende solcher „ketzerischen“ Bücher selbst verbrannt zu haben.
Bücherinquisition, wonach alle Buchdrucker und Buchbinder der geistlichen Aufsicht unterstellt und zur Führung und Vorlage ihrer Auftragslisten verpflichtet waren, setzten Maßstäbe auch für die weltlichen Zensurvorschriften bis weit in das 18. Jahrhundert. Dem römischen, später durch nationale Ausgaben erweiterten Index librorum prohibitorum zufolge war einem Katholiken generell die Lektüre protestantischer Texte, sofern diese nicht ausdrücklich von kirchlicher Seite erlaubt waren, verboten.18 Neben spektakuläre Maßnahmen wie der vollständigen Bibliothekskonfiskation Graf von Sporcks traten, gleichsam als Extremfälle von Zensur und mit hoher Symbolkraft, Bücherverbrennungen und Bücherhinrichtungen im ��Paintner, Ursula: Streiten über das, was Streit verhindern soll. Die öffentliche Debatte um den Index librorum prohibitorum im konfessionellen Zeitalter. In: Jürgens, Henning P./Weller, Thomas (Hg.): Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter. Göttingen 2013 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Beihefte 95), 297–321; Wolf, Hubert (Hg.): Inquisition und Buchzensur im Zeitalter der Aufklärung. Paderborn u.a. 2011 (Römische Inquisition und Indexkongregation 16); Fischer, Heinz-Dietrich (Hg.): Deutsche Kommunikationskontrolle des 15. bis 20. Jahrhunderts. München 1982 (Publizistik-historische Beiträge 5); Eisenhardt, Ulrich: Die kaiserliche Aufsicht über Buchdruck, Buchhandel und Presse im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation (1496–1806). Ein Beitrag zur Geschichte der Bücher- und Pressezensur. Karlsruhe 1970 (Studien und Quellen zur Geschichte des deutschen Verfassungsrechts A/3).
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Kampf gegen „Ketzer“ und „häretisches Schrifttum“. Beanstandete Schriften sollten, wie es in der Peinlichen Halsgerichtsordnung Kaiser Josephs I. für Böhmen, Mähren und Schlesien von 1707 hieß, öffentlich am Pranger oder an „Schmach-Säulen“ durch den Scharfrichter verbrannt werden.19 Genau so wurde fünf Jahre später in Teschen verfahren, nachdem man bei der Kontrolle einer Büchersendung „infame und der Catholischen Religion höchst schimpfliche Bücher“ gefunden hatte: Am Scheiterhaufen habe der Henkersknecht, wie es ein Beobachter der Ereignisse beschrieb, „erstlich die kleinen Bücher jedes auf einer hölzernen Gabel, hernach die größeren“ dem Feuer übergeben. Vorher aber habe man noch „allerley Ceremonien mit Henkers Sprüchen, Abreißung derer Kupferstiche“ gemacht; dabei sei „insonderheit von den Jesuiten Schülern viel Gespött getrieben“, und Lutherbibeln und Konkordienformel seien „sehr verhöhnet“ worden.20 In weiten Teilen Ostmitteleuropas können wir in nachtridentinischer Zeit, abhängig von Verlauf und Intensität der Rekatholisierung, einen mehr oder weniger radikalen Umbruch im Bereich von Verlagswesen, Buchproduktion, Transportwegen und Lesegewohnheiten beobachten. Regional gab es allerdings Unterschiede, etwa was die Dichte jesuitischer Ordensoffizinen betrifft, die in Polen-Litauen – ganz anders als in den böhmischen Ländern und in Ungarn – das ganze Staatsgebiet erfassten.21 Die Unternehmensverlagerung des evangelischen Buchdruckers Johannes Manlius, der aus religiösen Gründen 1582 Laibach verließ und in Westungarn sowie in Kroatien seine Produktion fortsetzte,22 zeigt überdies die ausgeprägte Mobilität in einem Gewerbe, das in den vergleichsweise wenig verdichteten Flächenstaaten zwischen Ostsee und Adria vielerorts politisch-religiöse Freiräume fand und nutzte. In Schlesien profitierte man von der Nähe zum großpolnischen Lissa, um Drucke in der dortigen lutherischen Offizin in Auftrag zu geben.23 Deutlich wird ein solches Ausweichen auch bei der 1637 von dem evangelischen Drucker Václav Vokál, der nach dem gescheiterten Aufstand der böhmischen Stände von Prag nach ��Schlecht, Anke: Die Ikonographie wahrer Lehrmeinungen. Himmlische Verdammnis häretischer Schriften in Klosterfresken des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Europäische Ethnologie 3/1, 2006, 150–175; Rafetseder, Hermann: Buchhinrichtungen. Öffentliche Schriftenverbrennungen durch Henkershand als Extremfälle der Zensur. In: Göpfert, Herbert G./Weyrauch, Erdmann (Hg.): „Unmoralisch an sich...“. Zensur im 18. und 19. Jahrhundert. Wiesbaden 1988 (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens 13), 89–103. ������������ Zit. nach Rafetseder, Hermann: Bücherverbrennungen. Die öffentliche Hinrichtung von Schriften im historischen Wandel. Wien/Köln/Graz 1988 (Kulturstudien. Bibliothek der Kulturgeschichte 12), 188f. �� Krzak-Weiss, Katarzyna: Zur polnischen Buchproduktion in der Ära des Barock. In: Gastgeber/Klecker (Hg.): Geschichte der Buchkultur, 427–446, hier 429; Wögerbauer/Pokorný: Barocke Buchkultur, 388f. ��Borsa, Gedeon: Der Drucker und Buchhändler Joannes Manlius im Dienste der Südslawen. In: Studia Slavica Hungaria 14, 1979, 63–69. �� Bickerich, Wilhelm: Zur Geschichte des Buchdrucks und Buchhandels in Lissa. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 19, 1904, 29–60.
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Die reich illustrierte, 1537 in Prag „noch zu Lutheri Zeiten“ gedruckte Tschechische Bibel hat eine bewegte Geschichte. Über einen nach Sachsen geflohenen böhmischen Protestanten gelangte sie zu Heinrich Milde, den bedeutendsten Slawisten der Franckeschen Stiftungen in Halle, der den Weg des Buches in seinen handschriftlichen Anmerkungen genau dokumentierte. Milde war auch für die Drucklegung des „Böhmischen Bibelwercks“ verantwortlich, das unter dem Titel Biblia Sacra, To gest: Biblj Swatá A neb Wssecka Swatá Pjsma/ Starého y Nowého Zákona 1722 in Halle erschien.
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Oberungarn geflohen war, in Trentschin gegründeten Offizin, die sich auf tschechischsprachige Gebet- und Gesangbücher und auf Werke zum Schulunterricht spezialisierte.24 Vergleichbare Fälle lassen sich in Ostmitteleuropa während der Frühen Neuzeit in erstaunlich hoher Zahl finden. Entsprechende Migrationswege weisen auf Regionen und Städte hin, wo Protestanten das Recht auf freie Ausübung ihrer Religion vollständig oder zumindest länger als in der Umgebung bewahren konnten und Bibeln, Gesangbücher und religiöses Schrifttum für Zwecke der kirchlichen Praxis benötigten. Dies gilt vor allem für Siebenbürgen, für die Königlichen Freistädte der Zips, das bikonfessionelle Schlesien oder für die Zentralorte des zu PolenLitauen gehörenden Königlichen Preußen. Evangelische Verleger aus Danzig, Elbing und Thorn, die oft enge familiäre und berufliche Verbindungen zum Buchmarkt im Reich besaßen, stellten ihre Drucke regelmäßig auf den deutschen Buchmessen aus. Durch den Tauschhandel, der im Verlagswesen die gesamte Frühneuzeit über vorherrschend blieb, gelangte im Gegenzug Schrifttum aus westlicher Produktion ganz regulär in die östlichen Nachbargebiete. Dies gilt auch für religiöse Werke, die von vornherein für dort lebende Protestanten gedacht waren, aber in deutschen Offizinen gedruckt wurden.25 Eine Kontrolle der einzelnen Handelsstraßen, Postrouten und Seewege war faktisch kaum zu gewährleisten. Nimmt man noch Vertriebsformen jenseits des örtlichen Buchhandels, etwa die lokalen Messen oder die nach 1670 auch in Ostmitteleuropa zunehmenden Buchauktionen, hinzu, so wird rasch deutlich, dass ein Zugang zu evangelischer Literatur trotz schärfster Zensur- und Einfuhrbestimmungen vielerorts möglich war.
3. Wege und Wegbereiter illegaler Bücherversorgung Dem stärksten Rekatholisierungsdruck war freilich die Landbevölkerung ausgesetzt. Die Untertanen konnten weder ihren evangelischen Glauben behalten noch durften sie, wie dies für Angehörige des Adels und des Bürgertums galt, legal auswandern. Sofern sie nicht heimlich flohen, blieb ihnen nur die Konversion. Diejenigen, die diesen Schritt nach außen hin gingen, innerlich aber an ihrem ursprünglichen Glauben festhielten und fortan als Kryptoprotestanten quasi im Untergrund lebten, waren vollständig von jeder kirchlichen Betreuung abgeschnitten.26 Dass „das feuer bey etlichen allzeit unter der �� Horváth, Pavel: Humanisti z českých krajin v pobelohorskom exile v Trenčíne. In: Zborník Filozofickej fakulty Univerzity Komenského. Historica 26, 1975, 155–168. ����������������������������������������� Zahlreiche Fallstudien finden sich bei Haberland, Detlef (Hg.): Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit. München 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 34). ��Leeb, Rudolf/Scheutz, Martin/Weikl, Dietmar (Hg.): Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert). Wien/Mün-
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Johann Arndt, einer der wichtigsten nachreformatorischen lutherischen Theologen, schuf mit seinem geistlichen Werk Vier Bücher vom wahren Christentum einen Bestseller, der zu den erfolgreichsten Büchern christlicher Erbauungsliteratur zählt. Bei den Franckeschen Stiftungen erfolgte 1715 eine Übersetzung ins Tschechische. Einen Erscheinungsort gab man sicherheitshalber nicht an, denn die gesamte Auflage wurde über Schlesien illegal nach Oberungarn transportiert.
aschen verborgen“ und durch „heimblich behaltene uncatholische bücher ist erhalten worden“,27 wie 1733 ein jesuitischer Missionar im Salzkammergut schrieb, war geistlichen wie weltlichen Behörden bewusst. Je konsequenter dieses Schrifttum aber eingezogen wurde, desto größer wurde der Bedarf an heimlich ins Land gebrachter protestantischer Gebrauchsliteratur, ließ sich doch die christliche Botschaft nur auf diesem Weg bei Konventikeln, Hausandachten und heimischen Gesangkreisen verkünden und vermitteln.28 Die
chen 2009 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 51); Dedic, Paul: Der Geheimprotestantismus in Kärnten während der Regierung Karls VI. (1711–1740). Klagenfurt 1940 (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 26). ������������ Zit. nach Scheutz, Martin: Das Licht aus den geheimnisvollen Büchern vertreibt die Finsternis. Verbotene Werke bei den österreichischen Untergrundprotestanten. In: Mulsow, Martin (Hg.): Kriminelle – Freidenker – Alchemisten. Räume des Untergrunds in der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/ Wien 2014, 321–351, hier 322f. �� Bachleitner, Norbert/Eybl, Franz M./Fischer, Ernst: Geschichte des Buchhandels in Österreich. Wiesbaden 2000 (Geschichte des Buchhandels 6), 107f.
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Bücher waren es, die „ihnen liecht gegeben“ hätten,29 wie es ein oberösterreichischer Bauer 1756 bei einem Verhör formulierte. Die meisten deutschsprachigen Drucke wurden, mit einem zeitlichen Schwerpunkt zwischen Mitte des 17. und Mitte des 18. Jahrhunderts, illegal in die österreichischen Erbländer und das Erzstift Salzburg eingeführt. Noch 1756 erging ein landesfürstliches Patent an die Mautämter, mit dem diese strikt angewiesen wurden, keine „Ausländische[n] Kalender, Christenlehr-[,] Gebeth- und Andachtsbücher“ mehr in das Land zu lassen; dies sei allen „Buchführern, Buchdruckern, Buchbindern, und andern mit derley Büchern handlenden Partheyen“ kundzutun und nochmals einzuschärfen.30 Zahl, Umfang und Inhalt der Büchertransporte, über die wir in aller Regel nur durch Festnahmen, Verhörprotokolle und Hausvisitationen Informationen erlangen, lassen sich nur punktuell näher bestimmen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich Titel oft nicht eindeutig identifizieren lassen. Darauf wurde bereits bei der Herstellung entsprechender Werke geachtet. So waren nach Aussage eines Faktors der Endterschen Buchhandlung zwei Buchbinder in der Nürnberger Offizin damit beschäftigt, „lutherische Bücher für das Gebirge“ einzubinden. Konkret hieß das, wie er weiter ausführte, dass die Drucke „zur Täuschung Frauenbilder im Titel führten, Approbationen enthielten und einen catholischen Druckort: Amberg, Sulzbach oder Prag nennen“.31 Um durch solche Manipulationen das Verhältnis zum Kaiser nicht zu belasten, ermahnten süddeutsche Reichsstädte wiederholt die eigenen Drucker oder erließen verschärfte Zensurvorschriften.32 Nichtsdestotrotz gelangten entsprechende Drucke weit über Kärnten, die Steiermark und Oberungarn hinaus bis in entfernteste Landstriche im östlichen Europa, in denen Deutsch die Sprache der religiösen Lektüre, Unterweisung und Erziehung war.33 Produziert und geschmuggelt wurden aber auch Werke in tschechischer, polnischer und – für den ungarischen Raum – in lateinischer Sprache. Am frühesten tätig wurden die nach 1620 in Sachsen angesiedelten Druckereien tschechischer Exulanten, die religiöse Bücher in ihrer Muttersprache für die Ortsgemeinden, aber auch für den Export herstellten. Allein in Zittau entstanden während der Frühneuzeit mehr als hundert Drucke, die meisten als so������������ Zit. nach Weikl, Dietmar: Das Buch im Geheimprotestantismus. In: Frimmel/Wögerbauer (Hg.): Kommunikation und Information im 18. Jahrhundert, 255–263, hier 258. �� Pock, Thomas Ignaz von: Supplementum Codicis Austriaci, oder Chronologische Sammlung aller vom 20ten Oktober 1740 [...] bis letzten Dezember 1758 [...] erlassenen Generalien [...], Th. 5. Wien 1777, 1149f. (Wien, 14. September 1756). ������������ Zit. nach Weikl: Das Buch im Geheimprotestantismus, 262. �� Rohmer, Ernst: Buchdruck für Ostmittel-, Ost- und Südosteuropa in den Zentren der Gelehrsamkeit nördlich der Alpen. In: Haberland (Hg.): Buch- und Wissenstransfer, 135–154, hier 150f. ��Ducreux, Marie-Elizabeth/Svatoš, Martin (Hg.): Libri prohibiti. La censure dans l’espace habsbourgeois 1650–1850. Leipzig 2005 (L’Europe en réseaux 1); Dedic, Paul: Die Einschmuggelung lutherischer Bücher nach Kärnten in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus im ehemaligen Österreich 60, 1939, 126–177.
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Von 1559 bis 1948 gab die römische Kirche in unregelmäßigen Abständen den Index librorum prohibitorum heraus, ein Verzeichnis der verbotenen Bücher, deren Lektüre jedem Katholiken streng untersagt war. Das hier abgebildete Frontispiz, das die himmlische Verdammnis häretischer Schriften symbolisiert, war mehreren Ausgaben vorangestellt. Dargestellt sind, als Verkörperung der römischen Inquisition und der Indexkongregation, die Apostel Petrus und Paulus. An ihren Herzen brechen die vom Heiligen Geist entsandten Strahlen und entzünden die verbotenen Werke, die einem Scheiterhaufen gleich in der Mitte aufgetürmt liegen.
genannte špalíčky (Klötzchen) im Halbduodez, weil sich Kleinformate am leichtesten verstecken und in größerer Zahl transportieren ließen.34 Für die Verbreitung der in der Oberlausitz gedruckten Bücher sorgten auch Prediger im tschechischen und slowakischen Sprachgebiet, etwa Ján Simonides in Neusohl, der eine von ihm zusammengestellte Glaubenslehre 1704 in Zittau hatte drucken lassen. Gänzlich andere Voraussetzungen und Motive hatten die Bestrebungen der Pietisten um August Hermann Francke in Halle an der Saale, wo im Laufe des 18. Jahrhunderts die mit Abstand meisten Slavica gedruckt wurden. Die Ausstrahlungskraft der Franckeschen Stiftungen in das östliche Europa, das vorrangige Wirkungsfeld des hallischen Pietismus in seinen auswärtigen Beziehungen, lässt sich an der Übersetzungs- und Editionstätigkeit (an der deutsche Gelehrte sowie auswärtige Theologen, Konfessionsmigranten und Studenten gleichermaßen beteiligt waren) exemplarisch aufzeigen.35 Das wirkmächtigste lutherische Erbauungsbuch, Johann Arndts Vier Bücher vom wahren Christentum, erschien in der Druckerei des Waisenhauses in vier ��Wögerbauer/Pokorný: Barocke Buchkultur, 393–395; Udolph, Ludger: Die tschechischen Emigranten in Zittau und ihre Literatur (1620 bis Mitte des 18. Jahrhunderts). In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse. Stuttgart 2007 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 30), 326–347. ��Wallmann, Johannes/Sträter, Udo (Hg.): Halle und Osteuropa. Zur europäischen Ausstrahlung des hallischen Pietismus. Tübingen 1998 (Hallesche Forschungen 1).
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Übersetzungen: 1715 auf Tschechisch, 1716 auf Polnisch, 1735 auf Russisch und 1741 auf Ungarisch. Der rege Austausch in Halle und ein weitverzweigtes Korrespondentennetz eröffneten dem Vertrieb der deutschen wie der nichtdeutschen Drucke völlig neue Organisationsformen. Eine wichtige Verteilerstation wurde im oberschlesischen Teschen errichtet, wo in der örtlichen Kirchengemeinde neben deutschen auch polnische und tschechische Protestanten zusammenkamen.36 Der Zittauer Drucker Václav Kleych besaß hier bezeichnenderweise ein umfangreiches Warenlager.37 Die Größenordnung der hallischen Buchproduktion lässt sich dank zahlreicher Notizen Heinrich Mildes, des führenden Slawisten in Halle, zumindest in Teilen genauer bestimmen. So seien nach 1718, wie Milde dem in Berlin wirkenden, mit dem Buchdruck und -transport evangelischer Literatur ins östliche Europa bestens vertrauten Hofprediger Daniel Ernst Jablonski mitteilte, innerhalb von rund fünf Jahren „zusammen 39000 kleine böhmische Tractätlein [...] mit Gottes Hülffe unter die Leute gebracht“ worden.38 Bei dieser Zahl blieben die 1722 gefertigten tschechischsprachigen Ausgaben der Bibel und des separat gedruckten Neuen Testaments, die beide hohe Auflagen hatten, sogar noch unberücksichtigt. Die pietistische Literatur, die im 18. Jahrhundert in das östliche Europa gelangte, stieß freilich auf ganz neue Widerstände. Neben der katholischen „Bücherpolizei“ versuchten nun auch Vertreter der lutherischen Orthodoxie, die Einfuhr und Verbreitung entsprechender Werke zu unterbinden. Deutlich wird dies besonders in Teschen, gerade weil die Stadt eine strategische Bedeutung für die literarische Versorgung protestantischer Bevölkerungsgruppen in ganz Ostmittel- und Südosteuropa hatte. 1714 etwa gab man sich nicht damit zufrieden, in Teschen eine größere Buchlieferung aus Leipzig zu beschlagnahmen. Der kaiserliche Hof beschwerte sich überdies beim Kurfürsten von Sachsen über die Einführung von „lasterhaften mit lauter wider die Catholische Religion und das Publicum, ja wider die Principia der Augspurgischen ��Wagner, Oskar: Mutterkirche vieler Länder. Geschichte der Evangelischen Kirche im Herzogtum Teschen 1545–1918/20. Wien/Köln/Graz 1978 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte I/4/1–2), 90–95; Patzelt, Herbert: Der Pietismus im Teschener Schlesien 1709–1730. Göttingen 1969 (Kirche im Osten. Monographien 8). 37 Udolph: Die tschechischen Emigranten in Zittau, 344. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Bericht Heinrich Mildes über tschechische Drucke in Halle 1718–1723 für Daniel Ernst Jablonski. In: Winter, Eduard: Die Pflege der west- und südslavischen Sprachen in Halle im 18. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte des bürgerlichen Nationwerdens der west- und südslavischen Völker. Berlin 1954 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Veröffentlichungen des Instituts für Slavistik 5), 229–233, hier 232. Zum Hintergrund vgl. Bahlcke, Joachim: Daniel Ernst Jablonski (1660–1741). Glaubenssolidarität, Kirchenunion und Frühaufklärung. In: Beutel, Albrecht (Hg.): Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte, Bd. 1: Vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf 1817. Frankfurt am Main 2009, 133–162; Rösel, Hubert: Die tschechischen Drucke der Hallenser Pietisten. Würzburg 1961 (Marburger Ostforschungen 14), 23–30; Mietzschke, Alfred: Heinrich Milde. Ein Beitrag zur Geschichte der slavischen Studien in Halle. Leipzig 1941 (Veröffentlichungen des Slavischen Instituts an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin 29), 37–44.
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Für die im Untergrund lebenden Protestanten waren geistliche Bücher von fundamentaler Bedeutung. Der katholischen Kirchenleitung war daher ebenso wie den staatlichen Behörden klar, dass man das evangelische Schrifttum konsequent einziehen müsse, wollte man die „Häresie“ wirksam und nachhaltig bekämpfen. Hier abgebildet ist ein Bücherverzeichnis, das bei einer Visitation in Oberösterreich 1750 erstellt wurde. Bestimmte Vermerke in dem „Catalogus der Hinweg genommenen lutherischen Bücher“ – etwa die wiederholte Angabe „ohne Tit[e]l[blatt]“ – zeugen von den Bemühungen der Geheimprotestanten, die Identifikation der in ihrem Besitz befindlichen, offiziell verbotenen Werke zu erschweren.
Confession selbsten lauffende höchstärgerliche Calumnien und Unwahrheiten angefüllten und [...] gefährlichen Büchern“.39 Orthodoxe Theologen sprachen, wie ein Schreiben von Gottlieb Wernsdorf dem Älteren an Valentin Ernst Löscher zeigt, kurzerhand von einer „Kiste von polemischen Schriften“.40 Die Leipziger Buchhändler hatten sich schon 1667 beschwert, dass ihnen aus der Unterdrückung des evangelischen Glaubens im „Königreich Böhmen, Oesterreich, Schlesien, Mehren und andern Keyserlichen Landen“ erhebliche Verluste beim Absatz ihrer Bücher entstanden seien: Vor dem Dreißigjährigen Krieg habe man dort einen beachtlichen Absatz „von guten Lutherischen Büchern“ erzielt, nun aber verkaufe man in diese Länder fast gar nichts mehr.41 Die Titelliste, welche die Leipziger Buchhändler Gleditsch und Weidmann Anfang des 18. Jahrhunderts bei ihrer Vernehmung vorlegten, enthielt in der großen Masse jedoch nur privilegierte, aber eben pietistische Andachts- und Gebetbücher.42 Besonders Halle wurde geradezu als „Nest der Ketzerei“ angesehen, so der evangelische, in Oberungarn wirkende Theologe Pavol Severini im Jahr 1741 in einer antipietistischen Kampfschrift.43 Das ������������� Zit. nach [Kirchhoff, Albrecht]: Beiträge zur Geschichte der österreichischen Bücherpolizei. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 8, 1883, 303–309, hier 305. ������������� Zit. nach. Wotschke, Theodor: Löschers Beziehungen zu Schlesien. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 18, 1926, 208–285, hier 249. ������������ Zit. nach Kirchhoff, Albrecht: Ein Reformversuch aus dem Jahre 1668. In: Archiv für Geschichte des Deutschen Buchhandels 1, 1878, 78–90, hier 83. ���[Kirchhoff]: Beiträge zur Geschichte der österreichischen Bücherpolizei, 306–308. ��Winter: Die tschechische und slowakische Emigration, 204f.
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hatte sich schon zwei Jahrzehnte zuvor bei Versuchen gezeigt, das ins Tschechische übersetzte Werk Johann Arndts, das für die slowakischen Lutheraner bestimmt war, in das Land einzuführen. Von Heinrich Milde besitzen wir eine Beschreibung des „Excessus [...] auf der ungarischen Gräntze“, als ein ganzer Wagen mit Exemplaren dieses Buches „von denen Soldaten auf Anstiften der Jesuiten“ überfallen wurde und die Werke „durch Hauen, reißen etc. [...] ruiniret“ wurden.44 Die finanzielle und logistische Dimension der Büchertransporte, über die nur wenige Quellen Auskunft geben, lässt vielfach Unterschiede erkennen. Dies beginnt schon bei der Produktion: Wurden die hallischen, von adeligen Mäzenen, in beachtlicher Zahl aber auch von Pfarrern finanzierten Drucke45 „alle gratis distribuiret“,46 wie Milde 1723 betonte, so waren Herstellung und Verteilung evangelischer Gebrauchsliteratur ansonsten vielfach ein einträgliches Geschäft. „Die nach Böhmen gebrachte[n] Evang[elischen] Bücher wurden allda durchgehends sehr gut bezahlet, und der Ueberbringer derselben noch dazu sehr wol bewirthet“,47 schrieb der Prediger Johann Gottlieb Elsner in einer zeitgenössischen Darstellung. Wer mit illegalem Schrifttum aufgegriffen wurde, wusste um die Konsequenzen – die bloße „Wegnehmung deren Sectischen Büchern“,48 wie es in einem Mandat der innerösterreichischen Regierung in Religionssachen von 1733 hieß, war gewiss noch die mildeste Strafe. Hinter den „Bücherträgern“ und Kolporteuren, die von ihren Widersachern schlicht als „seductores“, als Verführer und agitatorische Häretiker, gesehen wurden, verbargen sich nicht selten Exulanten, die gute Ortskenntnisse besaßen.49 Einzelne Drucker sorgten auf längeren Touren persönlich für den Verkauf ihrer Titel. Dies gilt etwa für den schon genannten Zittauer Verleger Václav Kleych, der auf einer solchen Reise 1737 in Oberungarn starb. Vielfach boten Händler Bücher neben einer Vielzahl anderer Waren an, oder diese wurden Fuhrleuten oder Haus������������ Zit. nach Rösel: Die tschechischen Drucke, 9. ��Patzelt, Herbert: Der Pietismus im Teschener Schlesien und seine Förderung slawischer Sprachen. In: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 121, 2005, 187–203. ������������ Zit. nach Rösel: Die tschechischen Drucke, 32. ��Elsner, Johann Gottlieb: Der Böhmisch-Evangelische Palmbaum; oder: Zuverläßige Gedanken, von den oft und sehr gedruckten, aber doch nie ganz unterdrukten Bekennern des lautern Evangelii in Böhmen. In: Simler, Johann Jakob: Sammlung Alter und neuer Urkunden zur Beleuchtung der Kirchen-Geschichte vornemlich des Schweizer-Landes, Bd. 2/1. Zürich 1763, 853–947, hier 917. ���������������������������������� Mandat vom 29. August 1733. In: Dedic: Der Geheimprotestantismus in Kärnten, 180–182, hier 180. �� Bahlcke, Joachim: Der slowakische Prediger Matej Bahil und der preußisch-österreichische Antagonismus: Beobachtungen zur Europäisierung der ungarischen Religionsfrage im 18. Jahrhundert. In: ders. (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4), 307–334; Jaksch, Peter Karl: Gesetzlexikon im Geistlichen, Religions- und Toleranzfache [...] für das Königreich Böhmen von 1601 bis Ende 1800, Bd. 5. Prag 1828, 54.
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Der evangelische Drucker Václav Vokál war nach dem Zusammenbruch des böhmischen Ständeaufstands von Prag nach Oberungarn geflohen und hatte 1637 in Trentschin eine neue Offizin gegründet. Er druckte mehrere evangelische Bücher, darunter 1658 das für den Schulunterricht konzipierte Werk Parva Schola (Kleine Schule) des lutherischen Pfarrers von Skalitz, Ján Sinapius-Horčička. Dieser sah sich einige Jahre später aus Glaubensgründen ebenfalls zur Flucht gezwungen – er starb im Exil in Halle, wo er zuletzt noch mehrere geistliche Werke veröffentlicht hatte.
lehrern einfach mitgegeben.50 Ein außergewöhnlicher Fall begegnet uns bei Stanislaus Rücker, der als lutherischer Glaubensflüchtling aus Schlesien nach Brandenburg gekommen war: Er brachte ganze Wagenladungen religiöser Literatur illegal ins Oderland und schaffte auf dem Rückweg evangelische Mündel aus dem Land, um diese vor dem Zugriff der katholischen Behörden in Sicherheit zu bringen.51
4. Das lutherische Buch in der kollektiven Erinnerung In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – und damit später als in Westund Mitteleuropa – verlor die Prägekraft des Konfessionellen auch im östlichen Europa allmählich an Gewicht. In der Habsburgermonarchie wurde die Zensur nach den Reformen der Jahre 1748/49 Zug um Zug in den zentralen Staatsapparat eingegliedert und weltlichen Zensoren überantwortet. Schon bald sah man in radikalen politischen, nicht mehr in religiösen Schriften die größere Bedrohung für die Monarchie.52 Gedanken über das freye Lesen ge��Scheutz: Das Licht aus den geheimnisvollen Büchern, 326f.; Weikl: Das Buch im Geheimprotestantismus, 259; Winter: Die tschechische und slowakische Emigration, 248f. ��Zimmermann, Elisabeth: Schwenckfelder und Pietisten in Greiffenberg und Umgegend. Ein Beitrag zur Geschichte der Frömmigkeit im Riesen- und Isergebirge von 1670 bis 1730. Görlitz 1939 (Sonderheft des Vereins für schlesische Kirchengeschichte 7), 116f. �� Bahlcke, Joachim: Gegenkräfte. Studien zur politischen Kultur und Gesellschaftsstruktur Ostmitteleuropas in der Frühen Neuzeit. Marburg 2015 (Studien zur Ostmitteleuropaforschung 31),
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fährlicher Bücher, so der Titel einer 1771 anonym in Pressburg erschienenen (freilich vor den Gefahren einer solchen Lektüre warnenden) Broschüre,53 waren Gesprächsstoff zahlreicher Aufklärungszirkel. Ähnlich wie in Brünn, wo man 1774 einen ersten öffentlichen Lesesaal eröffnete, wurde auch in anderen Städten der Zugang zum Buch erleichtert.54 Der gesamte Handel mit Druckwerken wurde durch Unternehmer aus westlichen Ländern belebt, die sich in dieser Phase im östlichen Mitteleuropa niederließen. 1781 schließlich beendeten die Toleranzpatente Josephs II. in der österreichischen Monarchie auch rechtlich das Leben der protestantischen Bevölkerungsgruppen im Untergrund. Bereits zwei Jahre später erschienen in Wien die ersten lutherischen Gesangbücher im Druck.55 Die fehlende seelsorgliche Betreuung, die über lange Jahrzehnte durch Hausandachten und Bibellesungen nur ungenügend ausgeglichen werden konnte, hatte erhebliche Auswirkungen auf die Neuformierung des Protestantismus in Ostmitteleuropa während des 19. Jahrhunderts. Die dogmatische Unsicherheit der ehemaligen Kryptoprotestanten trug dazu bei, dass ihnen ein klares Konfessionsbewusstsein vielfach fehlte.56 Welche Rolle in diesem Zusammenhang die über lange Jahre unterschiedslose Lektüre religiöser Texte spielte, wurde noch einmal bei den scharfen Befragungen deutlich, die lutherische Theologen nach der Ausweisung der Zillertaler 1837 in Preußisch-Schlesien durchführten. Ihre Anführer seien „eingebildete Schriftgelehrte, hinreißende Schwätzer und unwissende Pastoren“ – dieses Urteil 227–235, 412–435; ders.: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23), 253–255; Wagner, Hans: Die Zensur in der Habsburger Monarchie (1750–1810). In: Göpfert, Herbert G./Koziełek, Gerard/Wittmann, Reinhard (Hg.): Buch- und Verlagswesen im 18. und 19. Jahrhundert. Beiträge zur Geschichte der Kommunikation in Mittelund Osteuropa. Berlin 1977 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 4), 28–44. ��Kollárová, Ivona: Cenzúra kníh v tereziánskej epoche. Bratislava 1999, 75f., 108–117. Scharf wandte sich der Verfasser gegen diejenigen, die sich erdreisteten, „mit nichtswürdigen Büchern so gar Gewerbe zu treiben, sie in Geheim zu verkaufen, oder sonst auf eine andere Weise an jemanden zu bringen“. Gedanken über das freye Lesen gefährlicher Bücher. Preßburg 1771, § 6 (ohne Paginierung). ��Wögerbauer/Pokorný: Barocke Buchkultur, 419–421; Šimeček, Zdeněk: Geschichte des Buchhandels in Tschechien und der Slowakei. Wiesbaden 2002 (Geschichte des Buchhandels 7), 38–42, 50–60. ��Wennemuth, Heike: Deutschsprachige Gesangbücher im östlichen Europa in der Frühen Neuzeit. In: Haberland (Hg.): Buch- und Wissenstransfer, 103–133, hier 109. ��Noller, Matthias: Glaubensausübung und Kirchenzugehörigkeit protestantischer Emigranten in der Aufnahmegesellschaft. Die Berliner Böhmen und ihr Religionsstreit 1747. In: Bahlcke, Joachim/ Bendel, Rainer (Hg.): Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive. Köln/Weimar/Wien 2008 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 40), 95–111; Melville, Ralph: Der evangelische Gustav-Adolf-Verein und die böhmischen Protestanten im Vormärz. In: Eberhard, Winfried u.a. (Hg.): Westmitteleuropa – Ostmitteleuropa. Vergleiche und Beziehungen. München 1992 (Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 70), 209–227.
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eines österreichischen Vikars aus der Herkunftsregion ist zweifellos abwertend und einseitig, trifft aber durchaus einen zentralen Punkt, wurden die Glaubensbrüder und -schwestern doch auch in der neuen Heimat oft als „Irrgläubige“ und „Sektierer“ bezeichnet.57 In der Erinnerung an den Umgang mit dem religiösen Buch in der Zeit der Gegenreformation lassen sich vor allem zwei Muster unterscheiden. Das erste finden wir dort, wo mit der Unterdrückung evangelischer Freiheiten auch sprachliche und kulturelle Eigentraditionen gewaltsam zurückgedrängt wurden. Dies gilt in besonderer Weise für den tschechischen Sprachraum, wo Rekatholisierung und Germanisierung als einander ergänzende Ziele einer Regierung gesehen wurden, die immer mehr als Fremdherrschaft wahrgenommen wurde.58 Zwischen der Verbrennung evangelischer und derjenigen tschechischer Schriften in der Zeit der Gegenreformation, die während des 19. Jahrhunderts in unzähligen Varianten bildlich dargestellt und popularisiert wurde, unterschied man faktisch nicht. Als Haupttäter galten die Jesuiten, besonders der bereits genannte Antonín Koniáš, der häufig entstellt und nachgerade dämonisiert wurde. Gefestigt wurde dieses Geschichtsbild durch historische Romane wie Alois Jiráseks im Jahr 1915 erstmalig erschienenes und seither in zahlreichen Auflagen nachgedrucktes Werk Temno, wörtlich „Finsternis“, in Anspielung auf die Periode des politischen und kulturellen Bedeutungsverlusts nach der Niederlage der Stände in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag 1620. Auch dieses Werk, das der tschechischen Nationalgeschichtsschreibung einer ganzen Epoche – dem tschechischen Barock – den Namen gab, richtete den Blick vorrangig auf die Unterdrücker evangelischer Glaubensfreiheit in den böhmischen Ländern.59 Ein anderes Muster begegnet uns überall dort, wo die Verkettung von Religion, Sprache und Ethnizität nicht in gleicher Weise gegeben war. Eingerahmt durch die Stichwörter „mühsam erkämpfte Legalität“ und „widerstrebende Duldung“,60 ist die Zeit des Geheimprotestantismus im heutigen Österreich zu einem festen Bestandteil der öffentlichen Erinnerungskultur avanciert. Nicht die Absetzung vom Fremden steht hier im Vordergrund, sondern die Hervorhebung der religiös-kulturellen Eigenidentität.61 ������������ Zit. nach Bahlcke, Joachim: „Die jüngste Glaubenscolonie in Preussen“. Kirchliche Praxis und religiöse Alltagserfahrungen der Zillertaler in Schlesien. In: Bahlcke/Bendel (Hg.): Migration und kirchliche Praxis, 181–202, hier 184. ��Kutnar, František/Marek, Jaroslav: Přehledné dějiny českého a slovenského dějepisectví. Od počátků národní kultury až do sklonku třícátých let 20. století. Praha 1997, 208–264, 281–358. ��Rak, Jiří/Vlnas, Vít: Druhý život baroky v Čechách. In: Vlnas, Vít (Hg.): Sláva barokní Čechie. Stati o umění, kultuře a společnosti 17. a 18. století. Praha 2001, 13–60. ��Leeb, Rudolf/Scheutz, Martin/Weikl, Dietmar: Mühsam erkämpfte Legalität und widerstrebende Duldung. Der Protestantismus in der Habsburgermonarchie im 17. und 18. Jahrhundert. In: dies. (Hg.): Geheimprotestantismus, 7–24. �� Leeb, Rudolf: Josephinische Toleranz, Toleranzgemeinden und Toleranzkirchen, Toleranzbethaus. In: Bahlcke, Joachim/Rohdewald, Stefan/Wünsch, Thomas (Hg.): Religiöse Erinnerungs-
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Die Toleranzpatente Kaiser Josephs II. beendeten in der österreichischen Monarchie auch rechtlich das Leben der protestantischen Bevölkerungsgruppen im Untergrund. Die an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert entstandene Tafel, die sich heute im Stadtmuseum von Klobouk bei Brünn befindet, zeigt, wie stark der Habsburger wegen seiner Toleranzgesetzgebung im tschechischen Sprachraum verehrt wurde. Die Inschrift unter dem kaiserlichen Wappen verweist unmittelbar auf den Wortlaut des für die Markgrafschaft Mähren am 27. Oktober 1781 erlassenen Toleranzpatents.
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Das Evangelische Diözesanmuseum in Fresach/Kärnten, das erste evangelische Diözesanmuseum in Österreich überhaupt, wurde 1960 als Gedenkstätte für die Geheimprotestanten errichtet. In zahlreichen anderen Museen, vor allem aber bei Ausstellungen und Tagungen griff man das Thema seither auf. 2008 eröffnete die Evangelische Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in Österreich den Pilgerweg „Weg des Buches“, der entlang einer bekannten Route von Bibelschmugglern von Schärding bis an die slowenische Grenze führt. Eine Verlängerung der Route bis nach Triest ist bereits in Planung. „Die Erinnerungsorte und Gedächtnisstätten, die am Weg liegen, zeigen“, so ist im Vorwort einer zur Eröffnung des Pilgerwegs entstandenen kirchen-, kunstund kulturgeschichtlichen Begleitpublikation zu lesen, „dass das Schicksal und der Umgang mit dem Protestantismus in Österreich mit seinen Blütezeiten, seinen Massenausweisungen, Emigrationen, Zwangsumsiedlungen und seiner Besonderheit als Geheimprotestantismus, dass diese Geschichte mit all ihren Licht- aber auch Schattenseiten ein wichtiger Teil der österreichischen Geschichte ist.“62
orte in Ostmitteleuropa. Konstitution und Konkurrenz im nationen- und epochenübergreifenden Zugriff. Berlin 2013, 965–977. �� Leeb, Rudolf/Schweighofer, Astrid/Weikl, Dietmar (Hg.): Das Buch zum Weg. Kirchen-, Kunst- und Kulturgeschichte am Weg des Buches. Wolfsberg 2008, Vorwort, 9.
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Bergesche Stipendien. Zielsetzung und Indienstnahme einer frühneuzeitlichen Studienstiftung im Konfessionellen Zeitalter 1. Stiftungen und Stipendien in rechts-, sozial- und bildungshistorischer Sicht Frühneuzeitliche Studienstiftungen, hier im engeren Sinn verstanden als Einrichtungen, bei denen der Stifter in Form einer testamentarischen Verfügung ein Kapital dauerhaft zur Verfügung stellt und zweckgebunden anlegt mit der Maßgabe, dass die Erträge des Kapitals als Stipendien für die Schul- oder Universitätsausbildung vergeben werden, stehen in einer langen Tradition sehr unterschiedlicher Stiftungsformen.1 Als Vorläufer können vor allem die für das Spätmittelalter so charakteristischen Altar- und Messstiftungen gelten, bei denen der Stifter die Einkünfte der jeweiligen Altarpfründe auch für die Durchführung eines Studiums bestimmen konnte. Eine solche Stiftung diente zum einen der Sorge um das Seelenheil (pro salute animae) namentlich des Stifters beziehungsweise der Stifterfamilie, zum anderen war sie Ausdruck christlicher Mildtätigkeit (caritas), die Handlungen zu frommen Zwecken (ad pias causas) verlangte. Die christlich verstandene Zweckbestimmung dieser Stiftungen blieb, trotz einer allmählich einsetzenden Verweltlichung, im Grundsatz über die Reformation hinaus erhalten.2 Private, zunächst vor1 Grundlegend für das Stiftungswesen im Mittelalter Borgolte, Michael: Stiftungen des Mittelalters im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft. In: Geuenich, Dieter/Oexle, Otto Gerhard (Hg.): Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters. Göttingen 1994 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 111), 267–285; ders.: Von der Geschichte des Stiftungsrechts zur Geschichte der Stiftungen. In: Liermann, Hans: Geschichte des Stiftungsrechts. Hg. v. Axel von Campenhausen und Christoph Mecking. Tübingen 22002, 13*–69*; ders.: Die Stiftungen des Mittelalters in rechts- und sozialhistorischer Sicht. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 105. Kanonistische Abteilung 74, 1988, 71–94; ders. (Hg.): Stiftungen und Stiftungswirklichkeiten. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Berlin 2000 (Stiftungsgeschichten 1); ders. (Hg.): Stiftungen in Christentum, Judentum und Islam vor der Moderne. Auf der Suche nach ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden in religiösen Grundlagen, praktischen Zwecken und historischen Transformationen. Berlin 2005 (Stiftungsgeschichten 4). 2 Vgl. exemplarisch für die Universitäten Heidelberg, Greifswald und Tübingen Machoczek, Ursula: Der armen Studirenden Jugendt zum Besten. Stipendienstiftungen an der kurpfälzischen Universität Heidelberg 1386–1803. In: Kohnle, Armin/Engehausen, Frank (Hg.): Zwischen Wissenschaft und Politik. Studien zur deutschen Universitätsgeschichte. Festschrift für Eike Wolgast zum 65. Geburtstag. Stuttgart 2001, 425–440; Auge, Oliver: „Zum Nutzen der daselbst studirenden Jugend von gottseligen Herzen gestiftet“ – Private Stipendien und Studienstiftungen an der Universität Greifswald bis 1945. In: Alvermann, Dirk/Spiess, Karl-Heinz (Hg.): Universität und Gesellschaft. Festschrift zur 550-Jahrfeier der Universität Greifswald 1456–2006, Bd. 2: Stadt, Region und Staat. Rostock 2006, 135–168; Schäfer, Volker: „Zu Beförderung der Ehre Gottes und Fortpflanzung der Studien“. Bürgerliche Studienstiftungen an der Universität Tübingen zwischen 1477 und 1750. In:
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nehmlich von bepfründeten und vermögenden Geistlichen, später auch von bürgerlichen Laien gestiftete Studienstipendien erlebten quantitativ während des 15. Jahrhunderts einen deutlichen Anstieg. Sie kamen primär Mitgliedern der eigenen Verwandtschaft, aber auch Schülern und Studierenden der jeweiligen Heimatstadt oder Herkunftsregion des Stifters zugute. Das Präsentationsrecht lag in der Regel bei der Familie, beim Stadtrat oder bei der Institution, deren Besuch gefördert wurde.3 Durch die Reformation und das wachsende Bedürfnis der Obrigkeiten, territoriale Führungseliten für den Schul- und Staatsdienst heranzubilden, erhielt das Stiftungswesen im gesamten mitteleuropäischen Raum kräftige Impulse.4 Appelle evangelischer Theologen an Mitglieder aller Stände, aus dem Privatvermögen Stipendien für Studienzwecke zu stiften, verfehlten ihre Maschke, Erich/Sydow, Jürgen (Hg.): Stadt und Universität in Mittelalter und in der früheren Neuzeit. Sigmaringen 1977 (Stadt in der Geschichte 3), 99–111. 3 Wriedt, Klaus: Studienförderung und Studienstiftungen in norddeutschen Städten (14.–16. Jahrhundert). In: Duchhardt, Heinz (Hg.): Stadt und Universität. Köln/Weimar/Wien 1993 (Städteforschung A/33), 33–49; Wegner, Karl-Hermann: Studium und Stipendium in Hessen vor der Reformation. In: Heinemeyer, Walter (Hg.): Studium und Stipendium. Untersuchungen zur Geschichte des hessischen Stipendiatenwesens. Marburg 1977 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen in Verbindung mit der Philipps-Universität Marburg 37), 3–76. 4 Zu den Bildungsreformen des 16. Jahrhunderts und im Überblick vgl. Hammerstein, Notker (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. München 1996; ders.: Bildung und Wissenschaft vom 15. bis zum 17. Jahrhundert. München 2003 (Enzyklopädie deutscher Geschichte 64). Wertvolle Anregungen im Zusammenhang dieses Beitrags überdies bei Schindling, Anton: Schulen und Universitäten im 16. und 17. Jahrhundert. Zehn Thesen zu Bildungsexpansion, Laienbildung und Konfessionalisierung nach der Reformation. In: Brandmüller, Walter/Immenkötter, Herbert/Iserloh, Erwin (Hg.): Ecclesia Militans. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte. Remigius Bäumer zum 70. Geburtstag gewidmet, Bd. 2. Paderborn u.a. 1988, 561–570; Menk, Gerhard: Territorialstaat und Schulwesen in der frühen Neuzeit. Eine Untersuchung zur religiösen Dynamik an den Grafschaften Nassau und Sayn. In: Jahrbuch für westdeutsche Landesgeschichte 6, 1983, 177–220; Boehm, Laetitia: Die Erneuerung des Augsburger Schulwesens im 16. Jahrhundert: Christliche Pädagogik in konfessioneller Parität [1982]. In: dies.: Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsorganisation. Ausgewählte Aufsätze. Hg. v. Gert Melville, Rainer A. Müller und Winfried Müller. Berlin 1996 (Historische Forschungen 56), 433–445; Kiessling, Rolf: Gymnasien und Lateinschulen – Bemerkungen zur Bildungslandschaft Ostschwaben im Zeitalter der Konfessionalisierung. In: ders. (Hg.): Die Universität Dillingen und ihre Nachfolger. Stationen und Aspekte einer Hochschule in Schwaben. Dillingen/Donau 1999 (Jahrbuch des Historischen Vereins Dillingen a. d. Donau 100), 243–270; Schilling, Heinz/Ehrenpreis, Stefan (Hg.): Erziehung und Schulwesen zwischen Konfessionalisierung und Säkularisierung. Forschungsperspektiven, europäische Fallbeispiele und Hilfsmittel. Münster 2003; dies. (Hg.): Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten in konfessionsvergleichender Perspektive. Schulwesen, Lesekultur und Wissenschaft. Berlin 2007 (Beihefte der Zeitschrift für Historische Forschung 38); Dickerhof, Harald (Hg.): Bildungs- und schulgeschichtliche Studien zu Spätmittelalter, Reformation und konfessionellem Zeitalter. Wiesbaden 1994 (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg/Eichstätt 19); Moeller, Bernd/Patze, Hans/Stackmann, Karl (Hg.): Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Göttingen 1983 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Philologischhistorische Klasse III/137).
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Wirkung ebenso wenig wie Anregungen, die säkularisierten Kirchengüter und Pfründvermögen zur Studienförderung zu nutzen. Nachwuchsförderung und Studienfinanzierung gingen dabei häufig mit gezielter Klientelbildung und Personalpolitik einher. Einer der frühesten Theoretiker, der Zielsetzung und Organisation der Stipendien einer eingehenden Betrachtung unterzog, war der lutherische Theologe und Reformator Erasmus Sarcerius, der diesem Themenkomplex 1554 in seinem Werk Von mitteln und wegen/ die rechte und ware Religion [...] zu befördern und zu erhalten einen ganzen Abschnitt gewidmet hat.5 Seine Darstellung war Beschreibung, Analyse und Handlungsanleitung zugleich und zielte darauf ab, Vermögende – weltliche wie geistliche Obrigkeiten, Handwerker und reiche Kaufleute – zur Einrichtung von Stipendien an Schulen und Hochschulen zu bewegen. Sarcerius erörterte überdies, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Höhe Bedürftige zu fördern seien und wer die Stipendiengelder am besten zu verwalten habe.6 Seine Anregungen gingen in zahlreiche landesherrliche Stipendienordnungen ein, die seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in immer größerer Zahl nachgewiesen sind.7 Die Vielzahl territorialherrschaftlicher und reichsstädtischer, dazu noch bürgerlicher und adeliger Stipendienstiftungen des 16. bis 18. Jahrhunderts ist schlichtweg unüberschaubar.8 Während ältere Priesterstellenstiftungen 5 Rhein, Stefan/Wartenberg, Günther (Hg.): Reformatoren im Mansfelder Land. Erasmus Sarcerius und Cyriakus Spangenberg. Leipzig 2006 (Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 4). 6 Sarcerius, Erasmus: Von mitteln und wegen/ die rechte und ware Religion (welche uns Gott in diesen letzten und gefehrlichen Zeiten/ widerumb geoffenbaret hat) zu befördern und zu erhalten. Eisleben 1554. Eine weiterführende Interpretation bietet Stieda, Wilhelm: Hansestädtische Universitätsstipendien. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte 16, 1911, 274–334, hier 275–279. 7 Reiches Quellenmaterial bieten die mehrbändigen Editionen von Vormbaum, Reinhold (Hg.): Evangelische Schulordnungen [16.–18. Jahrhundert], Bd. 1–3. Gütersloh 1860–1864; Sehling, Emil u.a. (Hg.): Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 1–20. Leipzig u.a. 1902–2008. Speziell für den Untersuchungsraum dieses Beitrags vgl. Jessen, Hans/Schwarz, Walter (Hg.): Schlesische Kirchen- und Schulordnungen von der Reformation bis ins 18. Jahrhundert. Görlitz 1938 (Quellen zur Schlesischen Kirchengeschichte 1). Zur Aussagekraft von Stipendiatenund Studienordnungen vgl. Ebneth, Bernhard: Inspektionsordnungen der Reichsstadt Nürnberg und des Markgrafentums Brandenburg-Ansbach für Stipendiaten in Wittenberg im 16. Jahrhundert – Reglementierung und Kontrolle des Studiums in der Frühen Neuzeit. In: Brühl, Charlotte/ Fleischmann, Peter (Hg.): Festschrift Rudolf Endres zum 65. Geburtstag. Neustadt a.d. Aisch 2000 (Jahrbuch für Fränkische Landesforschung 60), 158–176; Müller, Gerhard: Philipp Melanchthon und die Studienordnung für die hessischen Stipendiaten vom Mai 1546. In: Archiv für Reformationsgeschichte 51, 1960, 223–242. 8 Von den einschlägigen Studien, die neben der Intensivierung auch die Funktionalisierung des im Konfessionellen Zeitalter aufblühenden Stipendienwesens betonen, vgl. besonders Ratajszczak, Theresa: Landesherrliche Bildungspolitik und bürgerliches Mäzenatentum. Das Stipendienwesen an der Universität Leipzig 1539–1580. Leipzig 2009 (Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte B 14); Gössner, Andreas: Die Studenten der Universität Wittenberg. Studien zur Kulturgeschichte des studentischen Alltags und zum Stipendienwesen in der zweiten Hälfte
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häufig den Anforderungen der reformatorischen Lehre angeglichen wurden, nahm die Ausschreibung allgemeiner Stipendien oder solcher für Studierende speziell der Theologie allerorts eindeutig zu. Die regionalen Unterschiede sind freilich enorm: So lassen landesherrliche Stipendienkassen und umfassende Stipendienordnungen in stärker verdichteten lutherischen Territorien wie Hessen, Sachsen oder Württemberg geradezu eine „bildungspolitische Gesamtkonzeption“9 erkennen. Im territorial zerklüfteten Herzogtum Schlesien – unter einem katholischen Oberherrn – behielt die reformatorische Studienförderung dagegen während der gesamten Frühneuzeit ihren individuellen Charakter, der keine Zentralisierung oder nachhaltige Institutionalisierung erkennen lässt. Bemerkenswert ist gleichwohl, dass sie sich trotz katholischer Konfessionalisierung überhaupt erhalten konnte. Das aufblühende, besonders für die östlichen Reichsgebiete bisher nur in ersten Ansätzen erforschte Stipendienwesen verdankte sich seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts immer klarer kirchen-, stände- und staatspolitischen Interessen. Durch fürstliche Stipendien für „Landeskinder“ wurde nicht nur der Hochschulbesuch zugunsten bestimmter, häufig vom Landesherrn fundierter Universitäten im eigenen Herrschaftsbereich kanalisiert – die finanziellen Anreize boten auch ein Instrument zur Kontrolle und Sozialdisziplinierung künftiger Amtsträger. Andere Stiftungen zielten auf die Stärkung konfessioneller, teilweise auch ethnisch-sprachlicher Identitäten, der patria oder des Landesbewusstseins oder auch nur des Familienzusam-
des 16. Jahrhunderts. Leipzig 2003 (Arbeiten zur Kirchen- und Theologiegeschichte 9); Ebneth, Bernhard: Stipendienstiftungen in Nürnberg. Eine historische Studie zum Funktionszusammenhang der Ausbildungsförderung für Studenten am Beispiel einer Großstadt (15.–20. Jahrhundert). Nürnberg 1994 (Nürnberger Werkstücke zur Stadt- und Landesgeschichte 52); Geiger, Johannes: Studienförderung in der Neuzeit. Das Stipendium des Peter Trautwein in Bietigheim 1547–1922. Bietigheim-Bissingen [1988] (Schriftenreihe des Archivs der Stadt Bietigheim-Bissingen 2); Real, Heinz Jürgen: Die privaten Stipendienstiftungen der Universität Ingolstadt im ersten Jahrhundert ihres Bestehens. Berlin 1972 (Ludovico Maximilianea – Forschungen 4); Göing, Anja-Silvia: „In die Fremde schicken“: Stipendien für Studierende des Zürcher Großmünsterstifts an auswärtigen Hochschulen. In: Schilling/Ehrenpreis (Hg.): Frühneuzeitliche Bildungsgeschichte der Reformierten, 29–45; Franken, René: Die Kölner Studienstiftungen in der Frühen Neuzeit. In: Flöter, Jonas/ Ritzi, Christian (Hg.): Bildungsmäzenatentum. Privates Handeln – Bürgersinn – kulturelle Kompetenz seit der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2007 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 33), 73–84; Arndt, Steffen: Humanistische Bildung und Adel. Die Löwensteinische Stipendiatenstiftung aus dem Jahr 1536. In: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte 110, 2005, 63–82; Czubatynski, Uwe: Die Perleburger Stipendienstiftung des Matthäus Ludecus. In: Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte 54, 2003, 143–151. 9 Heinemeyer, Walter: Pro studiosis pauperibus. Die Anfänge des reformatorischen Stipendienwesens in Hessen [1977]. In: ders.: Philipp der Großmütige und die Reformation in Hessen. Gesammelte Aufsätze zur hessischen Reformationsgeschichte. Hg. v. Hans-Peter Lachmann, Hans Schneider und Fritz Wolff. Marburg 1997 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 24,7: Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landgrafen Philipps des Großmütigen), 116–137, hier 117.
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menhalts.10 Eine Überlappung der Motive war der Regelfall. Komplizierter waren die Verhältnisse stets dort, wo Stifter und Landesherr unterschiedlichen Bekenntnissen anhingen, bei Konfessionskonkurrenz innerhalb eines Territoriums also, oder wenn eine Stiftung in den Sog ständisch-fürstlicher Auseinandersetzungen geriet. Genau dies war der Fall bei der 1598 im niederschlesischen Herzogtum Glogau begründeten Fundation des Joachim vom Berge, die trotz aller Widrigkeiten nahezu drei Jahrhunderte lang existierte. Mit Hilfe dieser Stiftung, die im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht, erhielten rund 700 evangelische Schüler und Studierende bis Anfang des 19. Jahrhunderts eine finanzielle Unterstützung – dies ist zugleich die einzige einigermaßen verlässliche Angabe zur Zahl der Nutznießer und zur Größenordnung der Stiftung, deren Archivalien seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen sind und vermutlich vernichtet wurden.11 Aufgrund der schlechten Überlieferung kennen wir nur wenige Stipendiaten mit Namen und ihren Herkunftsorten und können auch nur in Einzelfällen angeben, von wem sie präsentiert wurden und bis zu welcher Graduierung sie ihr Studium durchgeführt haben.12 Besser infor10 Diese ������������������������������������������������������������������������������������������ Zusammenhänge blieben in der Forschung zu kollektiven Identitäten in der Frühen Neuzeit bisher unberücksichtigt. Vgl. Holtz, Sabine: Württembergische Landeskirche und territoriale Identität. In: Dingel, Irene/Wartenberg, Günther (Hg.): Kirche und Regionalbewußtsein in der Frühen Neuzeit. Konfessionell bestimmte Identitifikationsprozesse in den Territorien. Leipzig 2009 (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 10), 129–139; Friedeburg, Robert von: „Patria“ und „Patrioten“ vor dem Patriotismus. Pflichten, Rechte, Glauben und die Rekonfigurierung europäischer Gemeinwesen im 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2005 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 41); Stauber, Reinhard: Nationalismus vor dem Nationalismus? Eine Bestandsaufnahme der Forschung zu „Nation“ und „Nationalstaat“ in der Frühen Neuzeit. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47, 1996, 139–165. 11 ����������������������������������������������������������� Maßgeblich ist unverändert die quellennahe Darstellung von Keller, Karl Benj[amin] Gottlob: Joachim vom Berge und seine Stiftungen. Ein wichtiger Beitrag zur Geschichte Schlesiens. Glogau/Leipzig 1834. Auf diesem Werk, das im Anhang eine Reihe einschlägiger Quellen zur Studienstiftung enthält (163–218), beruhen alle späteren Biogramme. Weitere Quellen vor allem zur politischen Tätigkeit des Stifters sind greifbar bei Füldner, Johann Jacob von: Sammlung Einiger zur Erleuterung Schlesischer und anderer Historien, Geschlecht-Register und Rechts-Gelehrsamkeit dienender Brieflichen Urkunden Und Nachrichten. Breßlau 1738; Range, [Johann Anton David]: Die Ober-Herrndorffer Stipendien Fundation. In: Schlesische Provinzialblätter 11, 1802, 448–456; Grundmann, Günther: Gutachten über die geschichtliche Bedeutung des Seniorats Herrndorf und den kunst- und kulturgeschichtlichen Wert der Baulichkeiten, Kunstgegenstände und Archivalien des Gutes zwecks Bildung eines Erbhofes. Typoskript Breslau 1941. Eine Zusammenfassung des Forschungsstandes bei Bahlcke, Joachim: O „szerzeniu prawdziwej Nauki Chrześcijańskiej“, dla „dobrobytu“ i „pomyślności ojczyzny“. Życie oraz dzieło śląskiego humanisty i prawnika Joachima vom Berge (1526–1602). In: Hałub, Marek/Mańko-Matysiak, Anna (Hg.): Śląska republika uczonych – Schlesische Gelehrtenrepublik – Slezská vědecká obec, Bd. 3. Wrocław 2008, 133–154. 12 �������������������������������������������������������������������������������������������� Für die Bergesche Studienstiftung gilt, was Rudolf Endres 1984 generell zum Forschungsstand über solche Stiftungen im römisch-deutschen Reich konstatierte: „Es gibt kaum systematische Untersuchungen über die Effizienz solcher Bildungseinrichtungen, und noch kaum jemand hat sich eingehender dafür interessiert, was aus den geförderten Stipendiaten später geworden ist oder welche Bedeutung einer Studienstiftung insgesamt im Rahmen des Bildungswesens einer Stadt oder eines Territoriums zukam.“ Endres, Rudolf: Die Elisabeth Krauß’sche Studienstiftung in Nürnberg
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Titelblatt der Christliche[n] Leichpredigt/ Bey dem Begräbnüß deß Edelen Gestrengen/ Ehrenvesten/ Hoch und Wohlbenambten/ Herren Joachim von Berge/ auff Herndorff und Clade/ Weiland Ferdinands deß I. Maximilians deß II. Rudolffs deß II. aller dreyer Röm: Kayser Reichshoffrath, die 1602 der aus Görlitz stammende, zu jener Zeit in Kladau als reformierter Pfarrer tätige Martin Füssel gehalten hat, der zuvor selbst durch ein Stipendium Joachim vom Berges unterstützt worden war.
miert sind wir dagegen über die Motive des Stifters und vor allem über die politischen und juristischen Konflikte, die sich im Fall der Bergeschen Fundation über die Verhandlungen während der Altranstädter Konvention von 1707 hinaus bis in die Zeit der preußischen Oberherrschaft hinzogen. Sie sind nicht zuletzt aufschlussreich für eine retardierte Säkularisierung, die sich in der österreichischen Monarchie und im gesamten östlichen Mitteleuropa beobachten lässt.13
2. Die Entwicklung der Bergeschen Fundation: Stiftungszweck – Vergabekriterien – Bestandsschutz Die einzelnen Bestimmungen zur Finanzierung der Stiftung, die Art der Fördermaßnahmen und der Stiftungszweck der Bergeschen Fundation ähneln in weiten Teilen protestantischen Studienstiftungen in anderen Reichsterritorien. (1639–1923). In: Bittner, Franz/Bauer, Lothar (Hg.):120. Bericht des Historischen Vereins für die Pflege der Geschichte des ehemaligen Fürstbistums Bamberg. Festschrift Gerd Zimmermann. Bamberg 1984, 601–614, hier 601. 13 Lehmann, Hartmut (Hg.): Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 130).
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Der eigentliche Stiftungsakt bestand in der Übergabe einer genau definierten Vermögensmasse – in diesem Fall der Summe von 31.000 Talern an die Städte Bunzlau, Freystadt, Görlitz, Grünberg, Guben, Guhrau und Sagan, die das geliehene Kapital mit sechs Prozent zu verzinsen hatten. Der jährliche Zinsertrag sollte nach dem Willen des Stifters verschiedenen Zwecken zugeführt werden: Der Fundationsordnung vom 1. März 1598 nach, in der die Höhe der einzelnen Geldstipendien genau festgelegt wurde, sollten sechs begabte, aber bedürftige Kinder aus Bürger- und Bauernfamilien – „zum studiren tüchtig, ihres Alters ohngefähr im Funfzehenden oder Sechzehenden Jahre“ – auf Partikularschulen verbleiben und drei Jahre lang „ihre Studia [...] continuiren“; bei entsprechender Eignung sollten sie auf eine Hochschule wechseln und das große Stipendium erhalten.14 An der Universität sollten zwölf qualifizierte Bürger- und Bauernsöhne, dazu einer aus dem Adelsstand, gefördert werden. Der Adelige hatte sich zu verpflichten, nach Beendigung des Studiums seine Dienste zuerst den örtlichen Landständen anzubieten. Über den zu wählenden Studienort machte die Stiftungsurkunde keinerlei Vorgaben, gedacht war an Hochschulen im Heiligen Römischen Reich, aber auch in Frankreich und Italien;15 sie bestimmte die Stipendien aber ausschließlich für Protestanten aus dem Herzogtum Glogau und enthielt überdies eine genaue Auffächerung der zu belegenden Studienfächer. Demnach sollten acht Stipendiaten „bonas et liberales artes et Linguas Ecclesiae necessarias Graecam et Hebraicam, Historias, und sonderlich veram Ecclesiae Doctrinam, fleißig und wohl lernen, und studiren“, des Weiteren „drey Juris 14 ��������������������������������������������������� Fundationsordnung vom 1. März 1598, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 175–195, hier 178. Trotz zahlreicher Anfragen bei polnischen Archiven konnte der Verbleib des ehemaligen Herrndorfer Schlossarchivs nicht geklärt werden, so dass von einem Verlust dieser Quellen, vermutlich im Umfeld des Zweiten Weltkriegs, ausgegangen werden muss. Eine aussagekräftige Aufstellung zentraler Dokumente des früheren Schlossarchivs bietet Wutke, Konrad (Hg.): Die Inventare der nichtstaatlichen Archive Schlesiens, 2: Kreis und Stadt Glogau. Breslau 1915 (Codex Diplomaticus Silesiae 28), 237f. s.v. „Herrndorf, Ober (v. Bergsches Seniorat, Familienbesitz seit 1406)“. Bereits im Spätmittelalter war es nicht unüblich, dass bestimmte Stipendien an Schüler und Studenten gleichermaßen vergeben wurden. Vgl. Boockmann, Hartmut: Die Lebenswelt eines spätmittelalterlichen Juristen. Das Testament des doctor legum Johannes Seeburg. In: Grenzmann, Ludger/Herkommer, Hubert/Wuttke, Dieter (Hg.): Philologie als Kulturwissenschaft. Studien zur Literatur und Geschichte des Mittelalters. Festschrift für Karl Stackmann zum 65. Geburtstag. Göttingen 1987, 287–305, hier 301f. 15 ��������������������������������������������������������������������������������������������������� Der Stadtrat von Görlitz hatte sich beispielsweise zu verpflichten, den Stipendiaten die Unterstützungsgelder auf eigene Kosten bis nach Frankreich und Italien bringen zu lassen. Vgl. Keller: Joachim vom Berge, 61 Anm. *. Denkbar wäre, dass der Stifter dabei an die angesehene, nur wenige Jahre zuvor (1593) von Philippe Duplessis-Mornay gegründete Akademie in Saumur dachte. Vgl. Dotzauer, Winfried: Deutsches Studium und deutsche Studenten an europäischen Hochschulen (Frankreich, Italien) und die nachfolgende Tätigkeit in Stadt, Kirche und Territorium in Deutschland. In: Maschke/Sydow (Hg.):Stadt und Universität in Mittelalter und in der früheren Neuzeit, 112–141, hier 116; Seidel, Robert: Späthumanismus in Schlesien. Caspar Dornau (1577–1631). Leben und Werk. Tübingen 1994 (Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext 20), 81.
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prudentiam, und Einer Medicinam“.16 Bei denjenigen Studenten, die sich der Theologie widmen wollten, sei in besonderer Weise darauf zu achten, dass sie nach Abschluss ihrer Studien in den Kirchen- oder Schuldienst des Herzogtums eintreten. Wie bei anderen Stiftungen wurden testamentarisch sogenannte Exekutoren bestimmt,17 in diesem Fall neben einem Familienmitglied zwei Adelige der Region. Sie hatten die Auswahl der Stipendiaten und – in Absprache mit zwei Pfarrern Bergescher Herrschaften – der Studienorte zu treffen, ihre Studienleistungen zu prüfen, halbjährlich die Stipendien auszuzahlen und zu kontrollieren, dass die vorgesehenen Absolventen später zunächst in Glogau ihre Dienste anboten und sich für eine Anstellung in der Landesverwaltung, im Schul- oder Kirchdienst zur Verfügung stellten. Ob die auch im religiösen und politischen Schrifttum der Zeit zu findende Formulierung, dass die Exekutoren „nechst Gott, Defensores seyn“ der Stiftung, auf die Funktion der utraquistischen Defensoren in Böhmen hindeutet, ist nicht zu entscheiden.18 Ihre wichtigste Aufgabe aber war, den Stiftungszweck zu wahren und so die „Fundation in esse würklich [zu] erhalten“.19 Genannt werden in der Fundationsordnung sowohl kirchlich-religiöse als auch säkulare Stiftungszwecke: die „Fortpflantzung der rechten reinen Christlichen Lehre“ sowie „der reinen Göttlichen Wahrheit“, die „Beförderung junger Leute studien“, die „Erhaltung, gutter von GOTT gegebener Künste, und Studia, die nöthig seyn, zur zeitlichen Wohlfahrth, und zu gutten seeligen Regimenten dieses Lebens“, sowie allgemein des „Vaterlandes Nutz“.20 Dies entsprach zur Gänze den Zweckbestimmungen vergleichbarer Privatstiftungen im evangelischen Umfeld.21 Die Frage nach den persönlichen Beweggründen Joachim vom Berges macht es notwendig, die Biographie des Stifters und dessen wesentliche Prä16 ��������������������������������������������������� Fundationsordnung vom 1. März 1598, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 181. 17 Pries, Joachim Heinrich: Die Testaments-Exekutoren nach ihrem Ursprunge und ihrer heutigen Bedeutung. Rostock 1843. 18 Fundationsordnung ��������������������������������������������������� vom 1. März 1598, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 182. Solche und ähnliche Bezeichnungen lassen sich in den zeitgenössischen reformierten Traktaten, von den 1579 in Basel gedruckten Vindiciae contra tyrannos bis hin zu Georg Erasmus Tschernembls Schrift De resistentia subditorum adversus Principem legitima von 1600, häufig finden. Vgl. Stricker, Günter: Das politische Denken der Monarchomachen. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Ideen im 16. Jahrhundert. Phil. Diss. Heidelberg 1967, 137–145, 170–173, 230–237; Sturmberger, Hans: Georg Erasmus Tschernembl. Religion, Libertät und Widerstand. Ein Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation und des Landes ob der Enns. Linz/Graz/Köln 1953 (Forschungen zur Geschichte Oberösterreichs), 90–107. Zu den böhmischen Defensoren vgl. Glücklich, Julius: O pravomoci, dané defensorům na sněmu roku 1609. Praha 1913; ders.: O defensorech a českém povstání 1618–1620. In: Český časopis historický 27, 1921, 63–93. 19 ��������������������������������������������������� Fundationsordnung vom 1. März 1598, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 182. 20 �������������������� Ebd., 177, 180, 194. 21 Vgl. ���������� etwa Ebneth: Stipendienstiftungen in Nürnberg, 152–154; Real: Die privaten Stipendienstiftungen der Universität Ingolstadt, 122–125.
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gungen zu betrachten.22 Geboren 1526 auf dem niederschlesischen Familiengut Herrndorf, war die Karriere des späteren Reichshofrats eng mit dem Aufstieg des Hauses Habsburg verknüpft, das im gleichen Jahr den böhmischen und den ungarischen Thron bestieg. Seit dem Besuch der renommierten Humanistenschule im schlesischen Goldberg war Berge, der in einem streng katholischen Elternhaus aufgewachsen war, tief vom Bildungsprogramm und von der Vermittlungstheologie Melanchthons berührt. „Diesem fürtrefflichen Mann, und ausbündigen Werkzeug des heiligen Geistes“, schrieb er später rückblickend, „habe ich nächst Gott und meinen Eltern zu danken alles, was mir in meinem ganzen Leben Gutes widerfahren ist, und danke ihm auch dafür in alle Ewigkeit“.23 Über langjährige Studien in Wittenberg, Leipzig und Frankfurt an der Oder sowie Bildungsreisen hatte er eine genaue Kenntnis der europäischen Hochschullandschaft gewonnen und war wie andere philippistisch-calvinistisch orientierte Schlesier in engen Kontakt vor allem zur Kurpfalz geraten.24 Aufgrund der wachsenden konfessionellen Spannungen besonders mit den Lutheranern war ein Wegzug in das reformierte Zürich eine gewisse Zeit lang offenbar ernsthaft geplant.25 Seine eigentliche Karriere als Jurist und Diplomat führte ihn innerhalb kürzester Zeit von der Peripherie der schlesischen Landesverwaltung in das Zentrum der politischen Macht. Durch den böhmischen Oberstkanzler für die Stelle eines Reichshofrats empfohlen, begann 1560 ein zehnjähriger, später noch vereinzelt wieder aufgenommener Dienst am Kaiserhof. Danach zog sich Berge auf seine schlesischen Güter zurück, nahm nur noch vereinzelt Funktionen in der Glogauer Fürstentumsverwaltung wahr und widmete sich seinen humanistischen Interessen. Seine Briefwechsel und seine Büchersammlung lassen erkennen, dass Joachim vom Berge mit dem Gedankengut westeuropäischer Widerstandstheorien vertraut war, auch wenn er für seine Person die Konsequenzen des kämp22 Jöcher, Christian Gottlieb: Allgemeines Gelehrten-Lexicon, Th. 1. Leipzig 1750 [ND Hildesheim 1960], Sp. 989; Grünhagen, [Colmar]: Joachim vom Berge. In: Allgemeine Deutsche Biographie 2, 1875, 365f.; Pahncke, [Karl]: Joachim von Berge. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 32, 1911, 68–88. Eine Zusammenfassung des Forschungsstandes bei Bahlcke, Joachim: Joachim vom Berge (1526–1602). In: ders. (Hg.): Schlesische Lebensbilder, Bd. 9. Insingen 2007, 121–133. 23 Zit. nach Keller: Joachim vom Berge, 17 Anm. *. Zum Hintergrund vgl. Eberlein, Gerhard: Melanchthon und seine Beziehungen zu Schlesien. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangel[ischen] Kirche Schlesiens 6, 1898, 76–101. 24 Hecht, Gustav: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins N.F. 42, 1929, 176–222; Bellardi, Werner: Schlesien und die Kurpfalz. Der Beitrag vertriebener schlesischer Theologen zur „reformierten“ Theologie und Bekenntnisbildung (1561–1576). In: Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte N.F. 51, 1972, 48–66. 25 ������������������������������������������������������������������������� Zum Briefwechsel Joachim vom Berges mit Zürich in den 1570er Jahren vgl. Wotschke, [Theodor]: Zu den Beziehungen Schlesiens zu der Schweiz. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangel[ischen] Kirche Schlesiens 11/2, 1909, 171–189; Rott, Hans: Briefe des Heidelberger Theologen Zacharias Ursinus aus Heidelberg und Neustadt a. H. In: Neue Heidelberger Jahrbücher 14, 1906, 39–172, hier 121, 127.
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ferischen politischen Calvinismus ablehnte und loyal zum Haus Habsburg stand.26 Den zunehmenden Hass gegen die religio orthodoxorum, von dem ihm 1596 Daniel Toussain (Tossanus), einer der profiliertesten reformierten Theologen seiner Zeit, berichtete,27 spürte freilich auch er. Als Bildungsmäzen trat Berge bereits lange vor seiner Studienstiftung auf. So hatte er 1584 beispielsweise dem aus Glogau stammenden Hieronymus Gebelius ein Studium an der Universität Heidelberg ermöglicht,28 und auch andere Schlesier, die es in die Kurpfalz zog, wurden von ihm finanziell unterstützt. Der Autor des 1620 in den Vitae Germanorum jureconsultorum et politicorum veröffentlichten ersten literarischen Porträts von Joachim vom Berge, der aus Schlesien gebürtige und nach Heidelberg ausgewanderte Melchior Adam, war ebenfalls ein früherer Stipendiat Berges.29 Ähnliche Beobachtungen lassen sich bei der Vergabe von Schulstipendien machen, wobei die Beziehungen zum Görlitzer Gymnasium, erkennbar an Buchwidmungen und Dankesschreiben, besonders eng waren. So widmete der zweite Rektor der 1565 im Zuge des Ausbaus eines protestantischen Schulwesens in der Oberlausitz zum Gymnasium erweiterten Görlitzer Stadtschule, Joachim Meister, dem Herrnhuter Juristen eines seiner Werke.30 Martin Füssel (Füsselius), der sowohl in Görlitz als auch später während des Studiums in Wittenberg durch Joachim vom Berge finanziell unterstützt wurde, nannte diesen wiederholt seinen „Patronus“.31 Abraham Scultetus, der 26 ������������������������������������������������������������������������������������������� Als Beleg dafür können die zum Teil heiklen diplomatischen Aufträge, die Joachim vom Berge vom Hof übertragen wurden, sowie seine Gesandtschaften zum Reichstag nach Regensburg und zum Fürstentag nach Breslau gelten. Vgl. Füldner: Sammlung, 12–115. 27 Pahncke: Joachim von Berge, 83f. 28 Deventer, Jörg: Gegenreformation in Schlesien. Die habsburgische Rekatholisierungspolitik in Glogau und Schweidnitz 1526–1707. Köln/Weimar/Wien 2003 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 8), 133 Anm. 245; Hecht: Schlesisch-kurpfälzische Beziehungen, 204. Nach T oepke, Gustav: Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662, Bd. 2. Heidelberg 1897 [ND Nendeln/Liechtenstein 1976], 550, war Gebelius 1588 Pfarrer zu Lorbach, wurde 1606 nach Heidelsheim versetzt und 1618 zum Schulmeister zu Reihen ernannt. 29 Adam, Melchior: Vitae Germanorum jureconsultorum et politicorum: qui superiori saeculo, et quod excurrit, floruerunt. Haidelbergae 1620, 359–379. Zum Autor vgl. Bahlcke, Joachim: Melchior Adam (um 1575–1622). In: Borchardt, Karl (Hg.): Schlesische Lebensbilder, Bd. 10. Insingen 2010, 91–102. 30 Grosser, Samuel: Lausitzische Merckwürdigkeiten Darinnen Von Beyden Marggraffthümern in fünff unterschiedenen Theilen von den Wichtigsten Geschichten, Religions- und Kirchen-Begebenheiten, Regiments-Verfassung, Beschaffenheit der Schulen und Literatur, Landes-Art und Fruchtbarkeit Wie auch Gewerben, Handthierungen und Commercien, zulängliche Nachrichten gegeben, Tl. 4. Leipzig/Budißin 1714, 121a, 158; Bahlcke, Joachim: Das Görlitzer Gymnasium Augustum. Entwicklung, Struktur und regionale Ausstrahlung einer höheren Schule im konfessionellen Zeitalter. In: ders. (Hg.): Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse. Stuttgart 2007 (Forschungen und Quellen zur sächsischen Geschichte 30), 289–310, hier 308. Zu Meister vgl. Peschek, [Christian Adolf]: Zur Geschichte des Krypto-Calvinismus in der Lausitz. In: Neues Lausitzisches Magazin 21, 1843, 353–378, hier 365. 31 Pahncke, Karl: Martin Füssel. In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 6, 1909, 104–121, hier 106.
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trotz fortgeschrittenen Alters Mitte der 1580er Jahre noch zwei Jahre die Prima der angesehenen Görlitzer Lehranstalt besucht hatte, beschrieb ihn später in seiner Autobiographie als seinen „großen Patron“ und „Beforderer“;32 er hatte seinem Gönner bereits 1598 den ersten Band seiner Medulla Theologiae Patrum gewidmet.33 Von allen Stiftungen zur Unterstützung bedürftiger Schüler wurde in der Görlitzer Matrikel nur diejenige des Joachim vom Berge – ein Zeichen ihrer Wertschätzung und Bedeutung – namentlich genannt.34 Der heute vor allem als Hofprediger des böhmischen „Winterkönigs“ Friedrich V. von der Pfalz bekannte reformierte Theologe Abraham Scultetus widmete den ersten, 1598 in Amberg veröffentlichten Band seines Werkes Medulla Theologiae Patrum seinem schlesischen Mäzen Joachim vom Berge, den er später in seiner Autobiographie als „großen Patron“ und „Beforderer“ beschrieb.
32 Benrath, Gustav (Hg.): Die Selbstbiographie des Heidelberger Theologen und Hofpredigers Abraham Scultetus (1566–1624). Karlsruhe 1966 (Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evang[elischen] Landeskirche in Baden 24), 33, 42. Die Historische Erzehlung von dem Lauff des Lebens [...] D. Abrahami Sculteti, die 1628 in Emden auf Deutsch erschien, war drei Jahre zuvor bereits in lateinischer Sprache publiziert worden. Sie ist für die philippistisch-calvinistischen Netzwerke in Mitteleuropa von größter Aussagekraft. Über den Kontakt zu Joachim vom Berge bemerkte Scultetus beispielsweise: „Auf Einraten dieses Ludovici [Laurentius Ludovicus, d. Verf.], aber aus Milt- und Freygebigkeit des sowohl wegen seiner berühmten Vorfahren, als wegen seiner Tugend Wol-Edlen Joachims von Berge, Schlesischen Ritters auf Herrndorff und Claden etc., der Kayerlichen Majesteten Ferdinandi, Maximiliani und Rudolphi Rats (zu dessen Gunst u. Kundschaft mir der Edle Jacobus Monavius durch des Ludovici Commendation geholfen hat) hab ich die berümbte Hohe Schul Wittenberg besucht, gleich auf die Leyptziger Frülingsmeß des 1588. Jahrs, welches der Welt Untergang oder sonst grosse Verenderung bringen sollte, wie die Astrologi und Kalenderschreiber hatten fürgegeben, aber fälschlich.“ Ebd., 23. 33 Scultetus, Abraham: Medulla Theologiae Patrum, [Bd. 1]. Ambergae 1598. 34 „David ����������������������������������������������������������������������������� Mollerus Suebusius fruens stipendiis Magnifici Dom. ������������������ Joachim a Berge.“ Sieg, Gustav: Die älteste Matrikel des Gymnasium Augustum zu Görlitz. In: Neues Lausitzisches Magazin 106, 1930, 66–79, hier 75.
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Joachim vom Berges zu Beginn seines achten Lebensjahrzehnts begründete Stiftung hing allerdings auch mit familiären und wirtschaftlichen Aspekten zusammen. Alle Kinder aus erster Ehe waren bereits in jungen Jahren gestorben, die zweite Ehe war kinderlos geblieben.35 Da keine leiblichen Erben zur Verfügung standen, entschloss sich Berge, aus seinen schuldenfreien Gütern Herrndorf und Kladau ein Familienfideikommiss für seine lutherischen Vettern zu bilden. Durch dieses Rechtsinstitut, mit dem die Studienstiftung verknüpft wurde, war über seinen Tod hinaus festgelegt, dass der unmittelbare Nutzen des ausgesonderten Vermögens immer nur einem Mitglied der Familie ungeteilt und in einer bestimmten Reihenfolge zukam.36 Die Folgeordnung wurde vom Stifter als Seniorat festgelegt, demzufolge unter den möglichen Anwärtern nur der Älteste des Geschlechts Nachfolger werden konnte – vorausgesetzt, er bekannte sich zur Augsburger Konfession. Die tieferen Beweggründe für seine Studienstiftung, deren Konzeption Joachim vom Berge zusammen mit dem am Hof der Liegnitz-Brieger Piasten tätigen, ihm geistig und geistlich eng verbundenen Jakob Monau (Monavius) entworfen hatte, liegen in seiner tiefen Religiosität und seiner hohen Wertschätzung humanistischer Bildung und Erziehung.37 So sollte auch seine Bibliothek, wie es im Testament hieß, nach seinem Tod in Herrndorf verbleiben, „keinesweges distrahiret werden“ und „tanquam publicum bonum, frommen gelehrten Leuten geöffnet und zugebrauchen, gestattet werden“.38 In zwei literarischen Zeugnissen, die nach Berges Tod (1602) erschienen, treten beide Motive besonders hervor: in der vom ersten Senioratsherrn 1609 veröffentlichten Memoria Bergeriana, und 1620 im letzten Band der von Melchior Adam erarbeiteten berühmten Vitensammlung, welche die Zusammengehörigkeit der humanistischen Gelehrtenrepublik, über Landesgrenzen, 35 Sinapius, Johannes: Schlesischer Curiositäten Erste Vorstellung, Darinnen die ansehnlichen Geschlechter Des Schlesischen Adels [...] beschrieben [...] werden. Leipzig 1720, 249–257; ders.: Des Schlesischen Adels Anderer Theil/ Oder Fortsetzung Schlesischer Curiositäten [...]. Leipzig/Breßlau 1728, 517–522. 36 ��������������������������������������������������������� Zur Entwicklung und Struktur dieses Rechtsinstituts vgl. Trott zu Solz, Thilo von: Erbrechtslose Sondervermögen. Über die Möglichkeiten fideikommißähnlicher Vermögensbindungen. Frankfurt/Main u.a. (Europäische Hochschulschriften II/2544); Eckert, Jörn: Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland. Studien zum Absterben eines Rechtsinstitutes. Frankfurt am Main u.a. 1992 (Rechtshistorische Reihe 104); Lewis, William: Das Recht des Familienfideikommisses. Berlin 1868 [ND Aalen 1969]. 37 Axmacher, Elke: Praxis Evangeliorum. Theologie und Frömmigkeit bei Martin Moller (1547– 1606). Göttingen 1989 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 43), 67–89; Hoffmann, Hermann: Vom geistigen Leben im evangelischen Schlesien um 1600. In: Jahrbuch für schlesische Kirchengeschichte 31, 1941, 45–58. Eine herausragende, bis heute kaum genutzte Quellengrundlage für Querverbindungen und Gruppenbildungen im Europa der Späthumanisten ist Gillet, J[ohann] F[ranz] A[lbert]: Crato von Crafftheim und seine Freunde. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte, Bd. 1–2. Frankfurt/Main 1860. 38 ������������������������������������������������������������������ Testament des Joachim vom Berge vom 25. Juli 1597, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 163–175, hier 171.
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konfessionelle Lager und Standesgrenzen hinweg, ein letztes Mal unter Beweis stellte.39 Ob Joachim vom Berge im engeren Sinn politische Absichten verfolgte, ist nicht zu ermitteln. Dass seine Stiftung gleichwohl ein Politikum darstellte, war offensichtlich. Als der Herrndorfer Jurist seine Fundation 1598 in Niederschlesien gründete, wurde zeitgleich in der Steiermark das evangelische Schul- und Kirchenministerium durch Erzherzog Ferdinand aufgehoben.40 Die Landschaft vermochte zwar noch eine gewisse Zeit Studenten an auswärtigen Universitäten durch Stipendien finanziell zu unterstützen; doch schon bald erschienen Erlasse, die den Mitgliedern des Herren- und Ritterstands einen Besuch auswärtiger protestantischer Hochschulen untersagten.41 Obgleich sich kurzfristig kein radikaler Bruch in den Studiengewohnheiten des innerösterreichischen Adels feststellen lässt, ist eine generelle Umorientierung bei der Auswahl der Hochschulen und damit ein Erfolg der landesherrlichen Bildungspolitik doch augenfällig.42 Die im Zuge der gegenreformatorischen Formierung in den österreichischböhmischen Ländern verstärkten Bemühungen, das Auslandsstudium vor allem des protestantischen Bürgertums und des protestantischen Adels zu unterbinden, wurden gerade in Schlesien, das keine eigene Landesuniversität besaß, ängstlich verfolgt. In keinem anderen Territorium der Monarchie war
39 Die ��������������������������������������������������������������������������������������������� in humanistischer Tradition und Stilform stehenden Lobreden auf den Verstorbenen gab der erste Besitzer des Seniorats, Christoph Georg vom Berge, zusammen mit einer in Heidelberg gehaltenen Rede über die Vortrefflichkeit der Monarchie (De praestantia Monarchiae) heraus. Vgl. Berge, Christoph Georg vom (Hg.): Memoria Bergeriana, hoc est, Historica Biothanatographia, Magnifici & Generosi Viri, Dn. Ioachimi de Bergk, in Herrndorff & Claden, Tribus Imperatoribus, semper augustis [...]. Hanoviae 1611. Zu Adams Darstellung vgl. Seidel, Robert: Melchior Adams Vitae (1615–1620) und die Tradition frühneuzeitlicher Gelehrtenbiographik: Fortschritte und Grenzen eines wissenschaftlichen Paradigmas. In: Kosellek, Gerhard (Hg.): Oberschlesische Dichter und Gelehrte vom Humanismus bis zum Barock. Bielefeld 2000 (Tagungsreihe der Stiftung Haus Oberschlesien 8), 179–204; Weiss, James Michael: The Harvest of German Humanism. Melchior Adam’s Collective Biographies as Cultural History. In: Fleischer, Manfred P. (Hg.): The Harvest of Humanism in Central Europe. Essays in Honor of Lewis W. Spitz. St. Louis 1992, 341–350. 40 Zur ���������������������������������������������� Konfessionspolitik in der Steiermark vgl. Pörtner, Regina: The Counter-Reformation in Central Europe. Styria 1580–1630. Oxford 2001; dies.: Die Gegenreformation in der Steiermark (Innerösterreich). In: Leeb, Rudolf/Pils, Susanne Claudine/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien/München 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 47), 376–385. 41 Loserth, Johann: Die Beziehungen der steiermärkischen Landschaft zu den Universitäten Wittenberg, Rostock, Heidelberg, Tübingen, Straßburg u.a. in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Graz 1898, 30. 42 Kohler, Alfred: Bildung und Konfession. Zum Studium der Studenten aus den habsburgischen Ländern an Hochschulen im Reich (1560–1620). In: Klingenstein, Grete/Lutz, Heinrich/Stourzh, Gerald (Hg.): Bildung, Politik und Gesellschaft. Studien zur Geschichte des europäischen Bildungswesens vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Wien 1978 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 5), 64–123, hier 104f., 110.
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Titelblatt des zuerst 1609, zwei Jahre später in einem weiteren Druck vom ersten Senioratsherrn veröffentlichten, dem Andenken des 1602 verstorbenen Joachim vom Berge dienenden Werkes Memoria Bergeriana, das zugleich wertvolle Einblicke in die Berührungen und Verbindungen des mitteleuropäischen Reformiertentums vermittelt.
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der Anteil derer, die auf Universitäten außerhalb des habsburgischen Machtbereichs studierten, größer als im Oderland.43 Auch bei den Schlesiern, die in Wien studierten,44 war man in der Vergangenheit um die Wahrung eigener Landesprivilegien bemüht gewesen. So hatte der Breslauer Fürstentag im Jahr 1559 etwa den König mit Blick auf eine ältere Stipendienstiftung aufgefordert, dass „das Schlesische Hauß zu Wien sampt etlichen jährlichen stipendiis und provisionibus, darein die Wienischen Herrn der Universitet frembde Nationen einnehmen/ und de facto einsetzen/ für die Schlesier verbleiben möchte“.45 Um 1600 nahm jedoch auch der Druck auf das evangelische Schulwesen allerorts spürbar zu.46 Beinahe als Fanal wirkte der Umschwung in dem unter Valentin Trozendorf zu hohem Ansehen gelangten Gymnasium zu Goldberg.47 Hier hatten die Jesuiten tatsächlich durchsetzen können, dass ihnen der reformierte Herzog Georg Rudolf von Liegnitz-Wohlau die Schule und deren Einkünfte überließ.48 Wie real die Bedrohung um die Jahrhundertwende von den Zeitgenossen empfunden wurde, lässt sich nicht zuletzt bei Joachim vom Berge ablesen, der die Originaldokumente seiner Fundation und andere Urkunden aus Sicherheitsgründen bei ihm vertrauten evangelischen Reichs43 Zonta, Claudia A.: Schlesische Studenten an italienischen Universitäten. Eine prosopographische Studie zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte. Köln/Weimar/Wien 2004 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 10), 16–35. 44 Conrads, Norbert: Bildungswege zwischen Schlesien und Wien. Ein historischer Überblick vom Mittelalter bis zur Aufklärung [1992]. In: ders.: Schlesien in der Frühmoderne. Zur politischen und geistigen Kultur eines habsburgischen Landes. Hg. v. Joachim Bahlcke. Köln/Weimar/Wien 2009 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 16), 177–207. 45 Schickfus, Jakob: New Vermehrete Schlesische Chronica unnd Landes Beschreibung, Tl. 3. Leipzig 1625, 205. 46 ������������������������������������������ Zahlreiche Einzelbeobachtungen hierzu bei Burda, Bogumiła: Szkolnictwo średnie na Dolnym Śląsku w okresie wczesnonowożytnym 1526–1740. Zielona Góra 2007; Pietrzak, Ewa: Das Brieger Gymnasium und seine Rektoren in den Jahren 1604–1633. In: Acta Universitatis Wratislaviensis 1227. Germanica Wratislaviensia 88, 1989, 29–46; Fürle, Friedrich: Schlesiens Schulwesen in seiner geschichtlichen Entwickelung. In: Festschrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des Schlesischen Lehrervereins (E.V.) am 6. Oktober 1921 in Breslau. Neurode 1921, 97–113; Bauch, Gustav: Petrus Vincentius, der Schöpfer des Görlitzer Gymnasiums und erste Breslauer Schuleninspektor. In: Mitteilungen der Gesellschaft für deutsche Erziehungs- und Schulgeschichte 19, 1909, 269–330; Soffner, [Johannes]: Zur Geschichte des schlesischen Schulwesens im 16. Jahrhunderte. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 19, 1885, 271–294; Oelrichs, Heinrich: Zur Geschichte des Schulwesens in Schlesien. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 16, 1882, 63–86. Vgl. allgemein den Forschungsüberblick von Absmeier, Christine: Schul- und Bildungsgeschichte. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft. Köln/Weimar/Wien 2005 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 11), 543–563. 47 Bauch, Gustav: Valentin Trozendorf und die Goldberger Schule. Berlin 1921 (Monumenta Germaniae Paedagogica 57). Zum Bergeschen Stipendium vgl. ebd., 161, 401, 411, 417, 444, 461. 48 Hoffmann, Hermann: Die Jesuiten in Schweidnitz. Schweidnitz 1930 (Zur schlesischen Kirchengeschichte 3).
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fürsten in der (damals gerade nicht durch Erbteilungen zersplitterten) Grafschaft Anhalt hinterlegen ließ.49 Dass der Landesherr parallel zur Förderung katholischer Bildungseinrichtungen und zur Steigerung seiner Schulaufsicht darauf hinarbeitete, sämtliche Formen privater Studienstiftungen zu kontrollieren und – ähnlich wie im Fall von Bildungsreisen50 – seiner Genehmigungspflicht zu unterwerfen, lässt sich exemplarisch an der Stiftung Joachim vom Berges belegen. Nach der Prüfung der beim Glogauer Landeshauptmann Heinrich Burggraf von Dohna eingereichten Urkunden versagte Rudolf II. dem testamentarisch verfügten Rechtsgeschäft nicht nur die erbetene Konfirmation. Der ehemalige Reichshofrat wurde überdies auch des Kryptocalvinismus beschuldigt und vor dem Glogauer Manngericht angeklagt. Gerade in der Hauptstadt des gleichnamigen Immediatfürstentums hatte es in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder massive, teilweise gewaltsame Zusammenstöße zwischen den Religionsparteien gegeben.51 1581 hatte sich die katholische Bürgerschaft in einem Schreiben an den Landesherrn darüber beklagt, dass seit der Inbesitznahme der städtischen Pfarrkirche durch die Protestanten „ansehnliche stifftungen und testamenta zue grundt und baden gehen“ würden.52 Hier musste Rudolf II. Stärke demonstrieren. Eine evangelische Studienstiftung, die Stipendien für den Universitätsbesuch in anderen deutschen Territorien vergab und damit eine der herrschenden Dynastie ohnehin suspekte Reichsorientierung in Schlesien verstärkte, lief seiner Politik in Glogau aber auch aus einem anderen Grund zuwider. Gerade im Zusammenhang mit dem Glogauer Kirchenstreit hatte Rudolf den Fürsten und Ständen unmissverständlich dargelegt, dass „die Reichsordnungen die Länder, so zu Reichstägen 49 „Die ������������������������������������������������������������������������������������������ Originalia aber, meiner Fundation und Testaments, oder letzten Willens, neben den andern Instrumenten, und der obbenannten Städte Mir, über die von Ihnen erkaufften Jährlichen ErbZinsen, vollzogene Assecurationes, und der Röm: Kays. Majest. darauff erfolgte gnädigste Consens und Confirmationes, sind beyn denen Durchlauchtigen, Hochgebohrnen Fürsten und Herren, Herrn Johannes Georgen, Herrn Christian, Herrn Augusten, Herrn Rudolph, Herrn Johann Ernst, und Herrn Ludwigen, alle Fürsten zu Anhalt, Graffen zu Ascanien, Herren zu Zerbst, und Bernburg, etc. Meinen Gn. Fürsten und Herren, zu treuer Verwahrung, deponirt und hinterleget worden, vermöge und Innhalts, I. F. Gn. auß derselben Fürstl. Cantzelley hierüber gegebenen Recognition, und Bekänntnüß.“ Fundationsordnung vom 1. März 1598, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 192. Ausführliche Informationen zu Joachim vom Berges Beziehungen zu Anhalt liefert Becker, Heinrich: Böhmische Pastoren, in Anhalt ordinirt 1583–1609. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Oesterreich 17, 1896, 72–95, 129–156; 18, 1897, 73–87. 50 Heiss, Gernot: Standeserziehung und Schulunterricht. Zur Bildung des niederösterreichischen Adeligen in der frühen Neuzeit. In: Adel im Wandel. Politik – Kultur – Konfession 1500–1700. Wien 1990 (Katalog des Niederösterreichischen Landesmuseums 251), 390–407, hier 403. 51 Weigelt, [Carl]: Der Kirchenstreit in Großglogau (1564–1609). In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 22, 1888, 25–73; Bahlcke, Joachim: Regionalismus und Staatsintegration im Widerstreit. Die Länder der Böhmischen Krone im ersten Jahrhundert der Habsburgerherrschaft (1526–1619). München 1994 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 3), 237–239, 251–255, 319f. 52 Deventer: Gegenreformation in Schlesien, 112.
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nicht gehörten, gar nicht angingen“. Mit anderen Worten: Der Religionsfriede von 1555 gelte weder für das Herzogtum Glogau noch für ganz Schlesien, wo man sich ausnahmslos an „die sonderliche Ordnung“ der Krone Böhmen zu halten habe.53 Der Prozess gegen Joachim vom Berge wurde schließlich nach drei Jahren niedergeschlagen. 1601 erhielt der ehemalige Reichshofrat eine die Stiftungsurkunden bestätigende königliche Urkunde, die zusammen mit dem entsprechenden Schreiben des Glogauer Landeshauptmanns Ende des Jahres publiziert und damit rechtskräftig wurde.54 Vor allem in den Jahren zwischen 1580 und 1620 besaßen die Bergeschen Stipendien im protestantischen Mitteleuropa, namentlich unter den Reformierten, einen hohen Bekanntheitsgrad. Die Vergabekriterien wurden zwar nicht immer scharf eingehalten, und zumindest für Guhrau ist überliefert, dass die Zinsen der Gelder, die der Stadt ad pios usus stipendiorum vermacht worden waren, teilweise zweckentfremdet verbraucht wurden.55 Doch schon der erste Senioratsherr, Christoph Georg vom Berge, nahm, wie seine langjährige Korrespondenz mit dem an den Gymnasien in Görlitz und Beuthen tätigen Caspar Dornau (Dornavius) exemplarisch zeigt, seine Verantwortung für die Stiftung sehr ernst.56 Die Leichenpredigt auf den Stifter hatte 1602 der bereits genannte aus Görlitz stammende, in jener Zeit in Kladau als reformierter Pfarrer tätige Martin Füssel gehalten,57 der selbst die Förderung des Verstorbenen erfahren hatte und wenig später zum brandenburgischen Hofprediger in Berlin aufstieg.58 Es sind zahlreiche illustre Persönlichkeiten, die wie Füssel in ihrer Jugend in den Genuss eines Bergeschen Stipendiums gekommen waren: der aus Schwiebus gebürtige Chronist und Rektor des Brie53 Bahlcke, Joachim: Religionsfreiheit und Reichsbewußtsein. Deutungen des Augsburger Religionsfriedens im böhmisch-schlesischen Raum. In: Schilling, Heinz/Smolinsky, Heribert (Hg.): Der Augsburger Religionsfrieden 1555. Heidelberg 2007 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 206), 389–413. 54 Königlicher ������������������������������������������������������������������ Majestätsbrief vom 29. September 1601, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 199–204; Königliche Amtskonfirmation vom 20. Dezember 1601, abgedruckt ebd., 204–206. 55 Köhler, Joachim: Das Ringen um die Tridentinische Erneuerung im Bistum Breslau. Vom Abschluß des Konzils bis zum Sieg der Habsburger in der Schlacht am Weissen Berg 1564–1620. Köln 1973 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 12), 83f. 56 �������������������������������������������������������������������������������������������� In einem Schreiben an Christoph Georg vom Berge hatte Caspar Dornau dem Senioratsherrn 1610 beispielsweise seinen Görlitzer Primaner Valentin Ritter für das Bergesche Stipendium empfohlen. Vgl. Koch, Ernst: Böhmische Edelleute auf dem Görlitzer Gymnasium und Rektor Dornavius. In: Neues Lausitzisches Magazin 93, 1917, 1–48, hier 13. Angaben zu weiteren Korrespondenzen, zu Ritter sowie zur Datierung des genannten Schreibens bei Seidel: Späthumanismus in Schlesien, 52, 158, 251, 395, 416, 428, 446f., 454, 461, 465. 57 Füssel, Martin: Christliche Leichpredigt/ Bey dem Begräbnüß deß Edelen Gestrengen/ Ehrenvesten/ Hoch und Wolbenambten/ Herren Joachim von Berge/ auff Herndorff und Clade/ Weiland Ferdinands deß I. Maximilians deß II. Rudolffs deß II. aller dreyer Röm: Kayser Reichshoffrath [...]. O.O. 1602. 58 Thadden, Rudolf von: Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen. Berlin 1959 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 32), 172–174.
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ger Gymnasiums Jacob Schickfus,59 der ebenfalls schon erwähnte gebürtige Grünberger Abraham Scultetus,60 reformierter Hofprediger des als „Winterkönig“ bekannten Friedrich V. von der Pfalz, oder der in Bamberg geborene Gräzist und erste Rektor der Brüderschule im mährischen Eibenschitz Esrom Rüdinger,61 um nur einige wenige Namen hervorzuheben.
3. Der Streit um das Erbe: Konfessionspolitische Auseinandersetzungen und innerfamiliäre Konflikte Die tiefe Zäsur der Jahre 1620/30 für die böhmischen Länder, deren Auswirkungen auf Politik, Religion, Gesellschaft und Kultur aus zahlreichen Blickwinkeln untersucht worden sind, zog mittelfristig auch im Bildungsund Schulbereich gravierende Veränderungen nach sich.62 1622 hatte Ferdinand II. in einem Schreiben an den Olmützer Bischof die „calvinistischen verführerischen Schulen“, auf denen „die Jugend schon im Anfang das Gift
59 Schickfus ������������������������������������������������������������������������������������������� widmete seinem Stifter am 15. Dezember 1593 ein in Distichen abgefasstes Gedicht über die Geburt Christi. Vgl. Kliesch, Gottfried: Der Einfluß der Universität Frankfurt (Oder) auf die schlesische Bildungsgeschichte, dargestellt an den Breslauer Immatrikulierten von 1506–1648. Würzburg 1961 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 5), 31 Anm. 26, 97, 174. Zu seiner Biographie vgl. ders.: Jakob Schickfus. In: Neubach, Helmut/Petry, Ludwig (Hg.): Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Würzburg 1968 (Schlesische Lebensbilder 5), 29–40. 60 Benrath, Gustav Adolf: Abraham Scultetus (1566–1624). In: Baumann, Kurt (Hg.): Pfälzer Lebensbilder, Bd. 2. Speyer 1970 (Veröffentlichung der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer 60), 97–116; Pahncke, K[arl]: Abraham Scultetus in Berlin. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 23, 1910, 35–53, mit Hinweisen auf den Briefwechsel zwischen Scultetus und Joachim vom Berge. 61 Odložilík, Otakar: Bohemian Protestants and the Calvinist Churches. In: Church History 8, 1939, 342–355; ders.: Die Wittenberger Philippisten und die Brüderunität. In: Steinitz, W[olfgang] u.a. (Hg.): Ost und West in der Geschichte des Denkens und der kulturellen Beziehungen. Festschrift für Eduard Winter zum 70. Geburtstag. Berlin 1966 (Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas 15), 106–118. 62 Holinková, Jiřina: Městská škola na Moravě v předbělohorském období. Příspěvek ke kulturním dějinám Moravy. Praha 1967 (Acta Universitatis Palackianae Olomucensis. Facultas Philosophica 45. Historica 12); Charouz, Jindřich Z.: K základům řádového školství v 16.–18. století. In: Časopis Matice moravské 115, 1996, 115–123; Kolejka, Josef: Z dějin gymnaziálního vzdělávání na Moravě a ve Slezsku v 16.–18. století (Období řádových gymnázií). In: Časopis Matice moravské 113, 1994, 115–127; ders.: Organizace a učební programy řádových škol 1566–1773. Z dějin gymnaziálního vzdělávání na Moravě a ve Slezsku (II). In: Časopis Matice moravské 115, 1996, 97–114; Pešek, Jiří: Pražská univerzita, městské latinské školy a měšťanské elity předbělohorských Čech (1570– 1620). In: Český časopis historický 89, 1991, 336–355; Moškoř, Milan: Studentské nadace a jejich zakladatelé v Čechách (1583–1754). In: Folia Historica Bohemica 14, 1990, 229–255; Bartůšek, Václav: Pobělohorské školní řády v českých zemích. In: Pedagogika 36, 1986, 697–707; Hanzal, Josef: Nižší školy v Čechách v 17. a. 18. století. In: Muzejní a vlastivědná práce 10, 1972, 152–170; Blatenský, Tomáš: Studentské. In: Vlast. Časopis pro poučení a zábavu 41, 1924/25, 68–72, 126– 128, 176f., 215–217; Dvorský, František (Hg.): Paměti o školach českých. Listář školství českého v Čechách a na Moravě od l. 1598 do 1616 s doklady starší i pozdější. Praha 1886.
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der Rebellion und Widersetzlichkeit gegen die ordentliche Obrigkeit“ eingesaugt habe, für die nur wenige Jahre zurückliegenden Ständeaufstände in Böhmen und Ungarn verantwortlich gemacht.63 In zwei Anfang der 1620er Jahre für den Wiener Hof erstellten Denkschriften war unter den Empfehlungen, wie die landesherrliche Autorität im Oderland gesteigert werden könne, auch die eindringliche Mahnung zu finden, alle evangelischen Schulen aufzulösen und die bisher zahlreichen Studienaufenthalte schlesischer Aristokraten an protestantischen Universitäten strikt zu unterbinden.64 Es entsprach dieser Maxime, dass 1628 das Anfang des 17. Jahrhunderts in Beuthen an der Oder, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Herrndorf, durch Georg von Schoenaich gegründete und als reformiert geltende Gymnasium academicum, eine hochschulähnliche, die fehlende Landesuniversität ersetzende Einrichtung mit zwölf Lehrstühlen, auf landesherrlichen Befehl geschlossen und der Societas Jesu übergeben wurde.65 Neue Vorschriften wie die Pupillengesetzgebung, mit der ein kaiserliches Vormundschafts- und Erziehungsrecht für protestantische Waisenkinder beansprucht wurde, flankierten dieses rigide Vorgehen im Bildungsbereich.66 Ähnlich wie in Beuthen hofften die Jesuiten auch in Glogau, in den Genuss des Herrndorfer Stipendienfonds zu gelangen, scheiterten damit jedoch in den ersten Jahrzehnten am hartnäckigen Widerstand der Exekutoren und Senioratsherren. 1669 wurde zwischen dem Breslauer Bischof und dem Glogauer Landeshauptmann der Vorschlag diskutiert, ob eine Vergabepraxis denkbar sei, nach der die Bergeschen Stipendien nur noch mit Vorwissen und Genehmigung des königlichen Oberamts verliehen werden dürften.67 Dass die Studienstiftung ein Jahrzehnt später in eine tiefe Krise geriet, war allerdings kein Verdienst der genannten Amtsträger in Schlesien oder des Hofes in Wien, sondern schlicht die Folge eines innerfamiliären Konflikts. Denn der älteste Sohn des vierten Senioratsherrn Christoph Georg vom Berge, ein typischer Aufsteiger innerhalb der österreichischen Hofaristokratie der 63 Hrubý, František: Étudiants tchèques aux écoles protestantes de l’Europe occidentale à la fin du 16e et au début du 17e siècle. Documents. Bearb. v. Libuše Urbánková-Hrubá. Brno 1970 (Spisy University J. E. Purkyně v Brně 152), 309f. 64 Palm, Hermann/Krebs, Julius (Hg.): Acta Publica. Verhandlungen und Correspondenzen der schlesischen Fürsten und Stände [1618–1629], Bd. 1–8. Breslau 1865–1906, Bd. 5, 9–27, hier 24f.; Engelbert, Kurt: Das Bistum Breslau im Dreißigjährigen Kriege [Tl. 3]. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 25, 1967, 201–251; Jedin, Hubert: Eine Denkschrift über die Gegenreformation in Schlesien aus dem Jahre 1625 [1938]. In: ders.: Kirche des Glaubens – Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, Bd. 1: Kirchengeschichtsschreibung. Italien und das Papsttum. Deutschland, Abendland und Weltkirche. Freiburg/Basel/Wien 1966, 395–412. 65 Wollgast, Siegfried: Zum Schönaichianum in Beuthen an der Oder. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 35, 1994, 63–103. 66 Conrads: Bildungswege, 194, mit Verweis auf einen Vormundschaftsstreit, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis vor das Corpus Evangelicorum in Regensburg gelangte. 67 Keller: Joachim vom Berge, 65.
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Nachkriegszeit,68 war zum Katholizismus konvertiert. Aufgrund seiner Konversion schloss ihn der Familienverband von dem Erbbesitz aus. Dank einer nicht ungeschickten Argumentation,69 vor allem aber wohl aufgrund exzellenter Beziehungen zum Hof konnte Christoph Georg 1679 jedoch zweierlei durchsetzen: dass der Kaiser die Religionsklausel aufhob und er als Bergescher Nachkomme daraufhin doch das reiche Fideikommiss erhielt, und dass die Stiftungsgelder an das Jesuitenkolleg ausgeliefert wurden, das künftig zudem sämtliche für die stipendia majora vorgesehenen Zinszahlungen erhalten sollte.70 Die eigentliche Auseinandersetzung hatte damit allerdings noch kein Ende gefunden. 1704 konnte der unterdessen in den Reichsgrafenstand erhobene Christoph Georg vom Berge überdies die Umwandlung des Seniorats in ein Majorat durchsetzen, das künftig nur noch dem Ältesten der katholischen Linie, nicht mehr dem Ältesten der Gesamtfamilie zufallen sollte. Argumentativ knüpfte der Kaiser in seinem Machtspruch vom 29. April 1704 an bereits in der Vergangenheit erhobene Vorwürfe gegen die Studienstiftung und dessen Gründer an: Durch die Fundation habe von Beginn an die in Schlesien „niemahlen tolerirte Sect derer Taboriten, oder so genannten Böhmischen Brüder“ gefördert werden sollen; da sich die sowohl die bisherigen Senioratsherren als auch die Exekutoren insofern des Betruges schuldig gemacht hätten, werde die Folgeordnung des Fideikommisses geändert und das Executorium vollständig aufgelöst.71 68 ����������������������������������������������������������������������������������������������� Zu vergleichbaren Konvertiten und zum Entstehen einer gesamtösterreichischen Aristokratie vgl. Winkelbauer, Thomas: Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters. Wien/München 1999 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Ergänzungsbd. 34), 39–46, 85–145. 69 Der ������������������������������������������������������������������������������� eigentliche Stiftungszweck, die Bildungsförderung, und damit der Grundsatz Voluntas testatoris suprema lex blieben auch bei einem Übergang der Fundationskapitalien an die Glogauer Jesuiten gewahrt. Die Änderung der konfessionellen Zusammensetzung der Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten zugunsten der Katholiken könne in der Bildungspolitik sinnvollerweise nicht unberücksichtigt bleiben; die bisherigen Vergünstigungen seien den Protestanten in Schlesien nur aus kaiserlicher Gnade gegeben worden, sie könnten daher auch ohne Rechtsbruch wieder zurückgezogen werden. 70 Dekret �������������������������������������������������������������� Kaiser Leopolds I. vom 21. Januar 1679, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 206–208. Die Einzelheiten sind kompliziert und aus den überlieferten Quellen nicht eindeutig zu rekonstruieren (vgl. ebd., 76–104). Erst 1887, so Sieg: Die älteste Matrikel, 75, habe man das Kapital von 21.500 Mark an das Kuratorium der Stiftung nach Glogau gezahlt. Ebenso unklar ist, welche Rolle die Befunde der Visitation des Archidiakonats Glogau im Jahr 1679 in diesem Zusammenhang gespielt haben. Vgl. Jungnitz, J[osef] (Hg.): Visitationsberichte der Diözese Breslau. Archidiakonat Glogau, Tl. 1. Breslau 1907 (Veröffentlichungen aus dem Fürstbischöflichen Diözesan-Archive zu Breslau 3/1), 148–151 (mit einem „Extractum Deß H. Joachim von Berg zu Herrndorff undt Klade Röm. Kays. Maytt. Reichs-Hoff-Ratths Testaments undt Fundation ad pias causas, ex primo originali“). 71 ������������������������������������������������������������� Dekret Kaiser Leopolds I. vom 29. April 1704, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 208–211, hier 209. Daraus ergebe sich zwingend, so der Kaiser, „daß so lange Catholische Subjecta in denen Geschlechtern derer vom Berge, und derer von Braun vorhanden, selbte vor allen anderen secundum Senium, in der Succession bey gedachtem Berg Herrendorffischen Fidei Commiss, den
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Der damit noch vertiefte Konflikt zwischen den beiden verfeindeten Familienzweigen fand 1706/07, im Umfeld der Verhandlungen um die Altranstädter Konvention, seinen Höhepunkt. Die von Schweden unternommenen Bemühungen, die Rechte der schlesischen Protestanten nach Maßgabe des Westfälischen Friedens wiederherzustellen,72 schlossen auch eine Restituierung der alten Stipendien, Stiftungen und Fideikommisse mit ein.73 Der umstrittenste Fall war die Bergesche Fundation. Da die Rechtslage der Reformierten freilich von dem Religionsvertrag nicht berührt werden sollte,74 war dem katholischen Teil der Familie daran gelegen, die Nähe des Stifters zum Calvinismus zu betonen, so dass eine Bezugnahme auf die Bestimmungen des Westfälischen Friedens von vornherein aussichtslos sein musste. Diese Taktik verfolgte man 1707 durch eine Veröffentlichung, die sich gezielt als Information an auswärtige, mit dem schlesischen Religionswesen weniger vertraute Protestanten wie die lutherischen Unterhändler aus Schweden wandte, aber auch an Katholiken, denen nicht näher bekannt sei, „worauff sich der Evangelische Schlesier Religions- und Gewissens-Freyheiten gründen“.75 Mit immer neuen Belegen lief letztlich alles auf den einen Vorzug haben, und dem itzigen Possessori bemeldten Fidei Commissi, sein Catholischer Bruder, Joachim Ladislau vom Berge, im fall Er dessen Tod erlebt, succediren, nach diesem aber, mehr berührten Christoph George vom Berge, Männliche Catholische Descendentes von selbigem sich befinden, allezeit der ältiste Sohn davon, und nach diesem wieder sein ältister Sohn, und dieses so lang, als eine Männliche Succession vorhanden, allemahl der ältiste Sohn des letzten Possessoris nachfolgen, und also solches Bergisch-Herrendorffisches Fidei Commiss bey dieser öffters ernannten Christophs George vom Berge Linie, ein Majorat seyn, und wann dessen Succession exspiriret, es hernach auf andere Bergische Vettern, im fall Sie bey Absterben des letzten Possessoris der wahren Catholischen Religion zugethan seynd, fallen, und selbte diese Fidei Commissi-Gütter, als ein Seniorat geniessen, nach derer völligen Abgang aber, es alsdenn erst auf die Braunische Geschlechts-Vettern angezeigter massen, gleichfalls als ein Seniorat, des Primi Instituentis Meinung nach, kommen solle.“ (Ebd). 72 Conrads, Norbert: Die Bedeutung des Westfälischen Friedens von 1648 für die schlesische Geschichte [2000]. In: ders.: Schlesien in der Frühmoderne, 53–69; Schott, Christian-Erdmann: Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die Evangelischen in Schlesien. In: Hey, Bernd (Hg.): Der Westfälische Frieden 1648 und der deutsche Protestantismus. Bielefeld 1998 (Religion in der Geschichte 6. Studien zur deutschen Landeskirchengeschichte 3), 99–111. 73 Conrads, Norbert: Die Durchführung der Altranstädter Konvention in Schlesien 1707–1709. Köln/Wien 1971 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 8), 119f. 74 Meyer, Dietrich: Die Auswirkungen der Altranstädter Konvention auf die evangelische Kirche Schlesiens und die Bewegung der betenden Kinder. In: Wolf, Jürgen Rainer (Hg.): 1707–2007 Altranstädter Konvention. Ein Meilenstein religiöser Toleranz in Europa. Halle/Saale 2008 (Veröffentlichungen des Sächsischen Staatsarchivs A/10), 88–107, hier 95f. 75 ��������������������������������������������������������������������������������������� Eine Benachrichtigungs-Antwort-Zuschrifft/ Welche Von einem in dem Land Schlesien wohnhafften gegen guten Freunde und Lands-Mann An Den jenen auß Schlesien sich außwärtig befindlichen/ in dem Lande zwar eingebohrnen sich nennenden guten Freund und Lands-Mann Der gantzen Welt zur Erkanntnuß/ und der heylsamben Justitz zur Wahrheit/ diesem zu einer näheren und wahreren Information, Auff daß jene [...] der darin gegründeten Fundamenta, in wie viel die im Hertzogthumb Ober- und Nieder-Schlesien Evangelische in ihrer Religions-Freyheit laediret/ und wieder ihre concedirte Gewissens-Freyheit graviret/ der darin punctatim angeführten Gravaminum
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zentralen Vorwurf zu, dass Joachim vom Berge „keineswegs der unverändert Augspurgischen Confession, vielmehr der Calvinischen/ der Bekanntnuß nach/ der so genannten Böhmischen Brüder Ritterschafft Einigkeit Religion zugethan gewesen“ sei. In der „Bergischen Majorat Successions-Veränderung“ könne daher, so das Fazit, „kein Universal-Gravamen Religionis“ gesehen werden, denn die Bedingungen der Möglichkeit, auf die Bestimmungen von 1648 zu rekurrieren, seien in keiner Weise gegeben.76 Auch der evangelische Familienzweig ließ keinen Versuch ungenutzt, um trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen Einfluss auf die einzelnen Entscheidungsträger auszuüben, und legte in einer ausführlichen Deduktion nochmals die eigene Position dar. Das Titelblatt des Drucks von 1708 ist in diesem Fall geradezu Programm: „Ausführliche und wahrhaffte Deduction, Auf was Weise, das, von Weyland Herrn Joachim vom Berge, Anno 1597. am 25. Jul. per Testamentum, vor die Augspurgischen Confession-Verwandten Vettern, verordnete Herrendorffische Fidei-Commiss, und dessen Anno 1598. den 1. Mart. darauf gemachte Fundation zu Jährlicher Unterhaltung auf Schulen/ und Universitäten Achtzehen zum studiren tauglicher und bemeldter Augspurgischen Bekäntnüß ergebener Knaben und Jünglinge/ von einem Catholisch gewordenen Vetter/ seit Anno 1678. angefochten und verändert: Auch in wie weit, das von dem Fundatore hierüber constituirte perpetuirliche Executorium, und nach Cessirung dessen, die Sämbtlichen mehr besagter Augspurgischen Confession zugethane Geschlechts-Vettern derer vom Berge, auf Ihre allerflehentlichste pro conservatione eingerichtete Preces, und allerunterthänigstübergebene Supplicata, bey Kayserl. Hofe allergnädigst gehöret worden/ und noch gehöret zu werden verhoffen. [...] Von einem wegen genossenen Stipendii der Familie vom Berge höchst-verbundenem“. Vehement wehrte man sich gegen den altbekannten und erst im Vorjahr nochmals erhobenen Vorwurf, der Stifter habe sich gar nicht zur lutherischen Kirche bekannt, sondern sei Mitglied irgendeiner Sekte gewesen. „Welches eben der wieder aufgekochte Kohl ist/ der von denen widrig Gesinnten/ dem guten Fundatori, noch bey seinen Lebzeiten/ umb diese Christliche Fundation zu verhindern vorgesetzet worden/ welchem übelen Gerüchte aber gleichwohl ungeachtet/ nach oben mentionirter vorgegangenen Inquisition, und befundenen Unschuld/ die allergnädigste Confirmation [...] erfolget ist.“ Es gelte, diese „alte und nothorische falsche Beschuldigung“ ein für allemal zu widerlegen.77 Religionis in Freyburg Anno 1707. zum Druck herauß gegebenes Manifest Entgegen Einem in dem 6.ten Punct, in Sachen des Bergisch-Herrndorffischen in dem Fürstenthumb Glogau gelegenen FideiCommiss- oder Seniorat-Weesens (sehr übel informirt) mit zugezogenem Religions-Gravamini Ingleichen von dem Principal-Interessenten unerlaubet und unwissend/ jedoch zu ersehen/ worin dieß Werck bestehet/ In Gegendruck außgegeben worden/ Zu Wahrenburg 1707. 76 ���������������� Ebd., [4], [13]. 77 Ausführliche ���������������������������������������������������������� und wahrhaffte Deduction [...]. O.O. 1708, 6.
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Konfessionelle Solidarität, Öffentlichkeit und Erfahrungsaustausch Im Jahr 1742, unter der neuen preußischen Oberherrschaft, ließ der evangelische Zweig der Familie vom Berge die erstmals 1708 publizierte Ausführliche und wahrhaffte Deduction ein weiteres Mal drucken, um seinen Forderungen hinsichtlich der Bergeschen Studienstiftung Nachdruck zu verleihen.
Der erbittert geführte Vermögensprozess fand schließlich 1713 nach mehr als drei Jahrzehnten ein Ende – und zwar mit einem vollständigen Sieg der katholischen Linie, deren lutherischen Verwandten mit kaiserlichem Dekret „das perpetuum Silentium Ein vor allemahl“ auferlegt wurde.78 Die evangelische Stiftung lebte allerdings in Görlitz und Guben weiter, deren Magistrate die Forderungen des Glogauer Jesuitenkollegs nie anerkannt hatten und einen Teil der Zinsen in eigenen Stipendien anlegten. Nur wenige Jahrzehnte später deutete sich jedoch unerwartet ein neuerlicher Wechsel an, denn 1742 erlosch mit dem Tod Johann Karl Emerich vom Berges die gräfliche katholische Linie der Familie bereits in der zweiten Generation. Damit fiel das Fideikommiss abermals in die Hände der lutheri78 Dekret ���������������������������������������������������������� Kaiser Karls VI. vom 28. Juli 1713, abgedruckt bei Keller: Joachim vom Berge, 211f.; der Verfasser, selbst als Superintendent und Pastor primarius im schlesischen Sprottau tätig, kommentierte die Entscheidung des Hofes mit den Worten: „Das Andenken an die Stipendienfundation zu erhalten, und die Hoffnung für ihre Wiedergewinnung nicht untergehen zu lassen, ward selbige sonntäglich in der evangelischen Friedenskirche zu Glogau in das Kirchengebet eingeschlossen, wofür die Familie der Geistlichkeit jährlich 8 Thaler zahlte.“ (Ebd., 103 Anm. *).
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schen Verwandten. In der Hoffnung, auch die protestantische Studienstiftung wiederherstellen zu können, gingen die Senioratsherren unter der neuen preußischen Oberherrschaft nicht nur publizistisch in die Offensive, indem sie die Ausführliche und wahrhaffte Deduction von 1708 ein weiteres Mal drucken und verbreiten ließen.79 Sie gingen nun auch mit juristischen Mitteln gegen das Jesuitenkolleg vor.80 „Die Herren Jesuiten in Glogau haben den Prozeß wegen des Bergschen Stipendii [...] verloren“,81 schrieb am 18. April 1746, nur wenige Wochen nach der für den evangelischen Familienzweig günstigen Entscheidung Friedrichs II., der Liegnitzer Diakon Tobias Ehrenfried Gebauer dem Verleger der Acta historico-ecclesiastica. In dem einflussreichen Organ war bereits in den Jahren zuvor umfassend über die schlesische Studienstiftung berichtet worden. „Unter denen mancherley heylsamen Stiftungen, die an diesem und jenem evangelischen Ort seit der Reformation gemachet worden, ist eine der ansehnlichsten diejenige Fundation, welche Herr Joachim von Berge, auf Herrendorf und Cladau im Fürstenthum Glogau gelegen, den 1 Merz 1598 errichtet“,82 hieß es 1743 in der in Weimar verlegten Zeitschrift, die in dem aktuellen Konflikt um die schlesische Studienstiftung neue Belege für eine Rekonfessionalisierung der Reichspolitik zu finden meinte.83
4. Forschungsergebnisse und Forschungsperspektiven Für die Schul- und Bildungsgeschichte der Habsburgermonarchie, aber auch für den Zusammenhang von Erziehung, Religion und Politik in der Frühen Neuzeit vermittelt die Bergesche Studienstiftung wichtige Einblicke. Im Gegensatz zu den in evangelischen Gebieten früh etablierten und finanziell in der Regel gut fundierten landesherrlichen Stipendienstiftungen machten private Stiftungen häufig an Landesgrenzen nicht halt. Auch die Bergesche Fundation ist in Anlage und Praxis im Zusammenhang mit älteren Bildungs- und Schul79 Ausführliche �������������������������������������������������� und wahrhaffte Deduction [...]. O.O. 21742. 80 �������������������������������������������������������������������� Eine umfassende, aus den Quellen gearbeitete Darstellung hierzu bei Hoffmann, Hermann: Fürst Carolath contra Glogauer Jesuiten. Ein Beitrag zur Friderizianischen Kabinettsjustiz. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 1, 1936, 167–201. 81 Wotschke, Theodor: Schlesische Mitarbeiter an den Acta historico-ecclesiastica. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 19, 1927, 53–122, hier 76. 82 ������������������������������������������������������������������������������������������������ Was wegen der bergischen Stiftung in Schlesien zeither vorgegangen. In: Acta historico-ecclesiastica, Oder Gesammlete Nachrichten von den neuesten Kirchen-Geschichten 7/42, 1743, 823–847, hier 823. Eine Fortsetzung erschien zwei Jahre später unter dem Titel: Was wegen der bergischen Stiftung in Schlesien weiter vorgegangen. Ebd. 9/50, 1745, 373–380. 83 ������������������������������������������������� Zu entsprechenden zeitgenössischen Debatten vgl. Luh, Jürgen: Unheiliges Römisches Reich. Der konfessionelle Gegensatz 1648 bis 1806. Potsdam 1995 (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches 1). Kritisch dazu Kleinehagenbrock, Frank: Die Erhaltung des Religionsfriedens. Konfessionelle Konflikte und ihre Beilegung im Alten Reich nach 1648. In: Historisches Jahrbuch 126, 2006, 135–156.
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landschaften zu sehen. Solche Stiftungen verstärkten zugleich, wie Michael Beyer jüngst für den Raum Sachsen formuliert hat, „regionale Identifikationsprozesse innerhalb der reformatorischen Kommunikationsgemeinschaft“.84 Aus Sicht der katholischen Oberherrschaft machte sie das doppelt verdächtig. In der Habsburgermonarchie blieben jedoch die „regionalistische Prägung des Bildungswesens“85 und mit ihr eine Fülle älterer Traditionen, Identitäten und Loyalitäten trotz gegensätzlicher Bestrebungen während der gesamten Frühneuzeit zumindest in Teilen erhalten. Aufschlussreich ist die Entwicklung der Bergeschen Studienstiftung überdies für die intellektuellen Netzwerke, Kontakte und Bildungsbeziehungen im reformierten Europa, die sich an Stipendienverzeichnissen ebenso ablesen lassen wie an Universitätsmatrikeln, Ordinationszeugnissen, Stammbuchaufzeichnungen und Widmungsvorreden. Gerade weil der reformierte Protestantismus keine dem Luthertum vergleichbare organisatorische und bekenntnismäßige Geschlossenheit besaß und räumlich überdies stark zersplittert war, waren soziale und kommunikative Verbindungen unter den einzelnen Gruppen von besonderer Wichtigkeit.86 Auf politischer Ebene hat dies Streben nach Zusammenschluss und Vereinigung einmal der bereits erwähnte Georg Erasmus Tschernembl, der calvinistische Wortführer der Stände in Österreich ob der Enns, mit Blick auf die evangelischen Bündnisse und Allianzen gegen das katholische Haus Habsburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts in geradezu überschwänglicher Euphorie mit den Worten formuliert: „so wir die ganze Welt könnten in die confoederation ziehen, wir wollten kein Fleiss noch Zeit versäumen“.87 Über Stipendienvergaben, Stiftungsumwidmungen und andere Beispiele aus dem Bereich von Bildung und Bildungsförderung lassen sich aber nicht nur Einblicke in konfessionelle Homogenisierungs- und Sozialdisziplinie-
84 Beyer, Michael: Literarische Vorgaben für regionale Identifikationsprozesse innerhalb der reformatorischen Kommunikationsgemeinschaft zwischen 1521 und 1585. In: Beyer, Michael/Gössner, Andreas/Wartenberg, Günther (Hg.): Kirche und Regionalbewußtsein in Sachsen im 16. Jahrhundert. Regionenbezogene Identifikationsprozesse im konfessionellen Raum. Leipzig 2003 (Leipziger Studien zur Erforschung von regionenbezogenen Identifikationsprozessen 10), 79–97; vgl. auch Alvermann, Dirk: Stipendien als strukturelle Elemente des Migrationsnetzes. Das Beispiel Greifswald. In: Fata, Márta/Kurucz, Gyula/Schindling, Anton (Hg.): Peregrinatio Hungarica. Studenten aus Ungarn an deutschen und österreichischen Hochschulen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Stuttgart 2006 (Contubernium. Tübinger Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 64), 345–384. 85 Neugebauer, Wolfgang: Staatsverfassung und Bildungsverfassung. In: Becker, Hans-Jürgen (Hg.): Interdependenzen zwischen Verfassung und Kultur. Berlin 2003 (Der Staat. Beiheft 15), 91– 125, hier 101f. 86 Bahlcke, Joachim: Calvinismus im östlichen Europa. Entwicklungslinien des reformierten Typus der Reformation vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. In: Reiss, Ansgar/Witt, Sabine (Hg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Dresden 2009, 196–203. 87 ���������� Zit. nach Sturmberger: Georg Erasmus Tschernembl, 194f.
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rungsprozesse gewinnen.88 Es finden sich auch vielfältige Indizien für eine staatliche Verselbständigung des habsburgischen Länderkomplexes, wie sie Ende des 17. Jahrhunderts in der bekannten wirtschaftspolitischen Kampfschrift Oesterreich Uber alles wann es nur will gefordert wurde. Nach Auffassung ihres Autors, Philipp Wilhelm von Hörnigk, sollten die inner- wie außerhalb des Heiligen Römischen Reiches gelegenen habsburgischen Länder, die „gleichsam nur einen Leib formiren“, so organisiert werden, dass sie „beynahe wie eine kleine Welt in sich selbst“ bestehen und sich „in kurzem über alle andere Staat von Europa“ erheben könnten.89 Der merkantilistische Grundsatz, nach dem das Geld im Land gehalten werden müsse, schob sich auch bei der Stipendienvergabe immer mehr in den Vordergrund. In dieser Hinsicht war es ein Erfolg, dass das Bergesche „Stipendium nobile“ seit 1704 nur noch an ein katholisches Familienmitglied gelangen durfte – und zwar an eines, dass das juristische Studium an der Universität Salzburg aufnahm.
88 Kleinknecht, Thomas: Entstehung und Verwaltung von Stiftungen als Gegenstand historischer Forschung. In: Jakob, Franz-Joseph u.a. (Hg.): Stiftungen und Armenfürsorge in Münster vor 1800. Münster 1996 (Studien zur Geschichte der Armenfürsorge und der Sozialpolitik in Münster 1), 9–25. 89 Winkelbauer, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Bd. 1–2. Wien 2003 (Österreichische Geschichte 1522– 1699), hier Bd. 1, 399f.
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Religiöse Kommunikation im Dreieck Berlin – Lissa – Herrnhut. Zinzendorf, die Erneuerte Brüderunität und das Verhältnis zur polnischen Unitas Fratrum in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 1. Historische Berührungspunkte und historiographische Positionen Im Juni 1729 nahm Nikolaus Ludwig von Zinzendorf erstmals Kontakt zu Daniel Ernst Jablonski auf, der seit 1693 als reformierter Hofprediger an der Berliner Domkirche tätig war und gleichzeitig das Amt eines Seniors der nur noch in Polen existierenden Brüderunität innehatte. Die 1722 im oberlausitzischen Herrnhut entstandene kleine Siedlung vorwiegend protestantischer Glaubensflüchtlinge hatte zu diesem Zeitpunkt bereits den Charakter einer religiösen Sondergemeinschaft mit differenzierten Gemeinschaftsstrukturen, spezifischen Erbauungs- und Liturgieformen sowie eigenen sozialen Netzwerken angenommen.1 „Nachdem unsere Mährische Brüder durch den lebendigen Heyland nach einem treuen Kampfe von etlichen Jahren unter meinem territorio zur Ruhe gebracht sind“, schrieb Zinzendorf dem vierzig Jahre älteren, bereits im 70. Lebensjahr stehenden Jablonski, „so sind sie begierig, einige Nachricht von ihrem übrigen Samen zu haben. Wir wissen nichts anderes, als dass Ew. Hochwürden Episcopiam Fratrum Bohemorum et Moravorum, soviel deren unter Protektion der Evangelisch-Reformierten Kirche stehen, führen, und hoffen also von Ihnen die Liebe eines Ermunterungsschreibens an die hiesige Brüder-Gemeine und eines kleinen avertissements von dem Generalstaat dieses Volkes Gottes.“2 Diese Anfrage und die weiteren Nachrichten über die Vorgänge in Herrnhut erzielten bei dem betagten Hofprediger eine Wirkung, die Zinzendorf gewiss nicht hatte erwarten können. Denn für Jablonski verkörperte die junge Gemeinschaft, deren Leitbild die rechte Nachfolge Christi war, von Beginn 1 Modrow, Irina: Dienstgemeine des Herrn. Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und die Brüdergemeine seiner Zeit. Hildesheim/Zürich/New York 1994 (Theologische Texte und Studien 4); dies.: „Wir sind philadelphische Brüder mit einem lutherischen Maul und Mährischen Rock...“. Die Lösung der Identitätsfrage der Herrnhuter Brüdergemeine. In: Donnert, Erich (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt, Bd. 1: Vormoderne. Weimar/Köln/Wien 1997, 577–591; dies.: Dienstgemeine des Herrn. Die Herrnhuter als alternative Gemeinschaftsbildung im Pietismus. In: Vogler, Günter (Hg.): Wegscheiden der Reformation. Alternatives Denken vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Weimar 1994, 503–512. 2 Nikolaus Ludwig von Zinzendorf an Daniel Ernst Jablonski, Herrnhut, 1. Juni 1729. Unitätsarchiv Herrnhut, Sign. R.04.D.1,8.
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an eine echte Erneuerung und evangelische Vertiefung der alten böhmischmährischen Brüderkirche, der er geistlich wie familiär eng verbunden war.3 „Meine Voreltern sind in derselben geboren, und haben im Exilio in Pohlen mich erzeuget, ich bin in derselben erzogen, und habe die Liebe zu selbiger mit der Muttermilch eingesogen“,4 heißt es in einem Schreiben Jablonskis an den Reichsgrafen vom 13. August 1729. Gut zwei Monate später, am 31. Oktober, brachte er seine tiefe Bewegung zum Ausdruck, die er nach Erhalt weiterer Informationen über das Anliegen und die Gemeinschaftsstruktur der Herrnhuter empfunden habe: Es sei ihm vorgekommen, so Jablonski, als sähe er „die Uralte Apostolische Lebens-Art der ersten Christen, oder/ die nach solchem Model eingerichtete Verfaßungen der alten brüder in Böhmen und Mähren, nun wieder neu aufleben, und in den Augen der Christen-Welt wiedererscheinen“.5 Auf den ersten Blick mag es überraschen, dass Zinzendorf nicht früher den Kontakt zu dem in Berlin wirkenden und bekanntermaßen eng mit der Unitas Fratrum verbundenen Enkel von Comenius, dem letzten Bischof des böhmischen Zweigs der alten Brüderunität, gesucht hat. Bereits 1727 hatte er sich nachweislich mit Comenius’ Schrift über die Geschichte und Ordnung der alten Brüderunität auseinandergesetzt.6 Einen Teil der 1702 von Johann Franz Budde (Buddeus) in Halle an der Saale besorgten Ausgabe,7 die Zinzendorf in der für ihre reichen Bestände an Bohemica bekannten Ratsbibliothek im oberlausitzischen Zittau entliehen hatte, übersetzte dieser für die eigene Gemeindegestaltung in Herrnhut aus dem Lateinischen ins Deutsche – mit Ausnahme der Senioratsverfassung freilich und unter Weglassung aller Aussagen, welche die von ihm bekämpften Bestrebungen, sich von der lutherischen Landeskirche zu separieren, zusätzlich hätten verstärken können. Angesichts 3 Bahlcke, Joachim: Daniel Ernst Jablonski (1660–1741). Glaubenssolidarität, Kirchenunion und Frühaufklärung. In: Beutel, Albrecht (Hg.): Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte, Bd. 1: Vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf 1817. Frankfurt a.M. 2009, 133– 162. Speziell zur Familientradition vgl. Kvačala, J[án]: Jedna exulantská rodina česká. (FiguloJablonská.). In: Slovenské Pohľady 18, 1898, 587–597; Hýbl, František: Po stopách posledních potomků J. A. Komenského z rodu Figulusů. In: Studia Comeniana et Historica 21/43, 1991, 7–27; Korthaase, Werner: První zpráva o dalších potomcích J. A. Komenského. In: Studia Comeniana et Historica 23/50, 1993, 35–56. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Daniel Ernst Jablonski an Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Berlin, 13. August 1729. Unitätsarchiv Herrnhut, Sign. R.0401, Brief 13. 5 Daniel Ernst Jablonski an Nikolaus Ludwig von Zinzendorf, Berlin, 31. Oktober 1729. Ebd., Sign. R.4.D.1b.3. 6 Bartoš, F[rantišek] M.: Komenský a Zinzendorf. In: Reformační sborník. Práce z dějín československého života náboženského 3, 1929, 24–31; Plecháč, Miroslav: J. A. Comenius und die Belebung der Brüder-Unität im 18. Jahrhundert. In: Unitas Fratrum. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüdergemeine 4, 1978, 35–51; Bintz, Helmut: Comenius und die Erneuerte Brüder-Unität. Verbindungen, Parallelen, Divergenzen. In: Unitas Fratrum. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüdergemeine 32, 1992, 53–63. 7 Comenius, Io[annes] Amos: Historia fratrum Bohemorum, eorum ordo et disciplina ecclesiastica [...]. Hg. v. Io[annes] Franciscus Buddeus. Halae 1702.
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Die Abbildung zeigt die erste Seite eines achtseitigen Briefes, den Daniel Ernst Jablonski am 31. Oktober 1729 an Nikolaus Ludwig von Zinzendorf sandte. Das Schreiben zeugt von dem tiefen Eindruck, den die zuvor erhaltenen Nachrichten über die Anliegen und die Gemeinschaftsstruktur der Herrnhuter bei ihm hinterlassen hatten. Es sei ihm vorgekommen, so der Berliner Hofprediger und Senior der Unitas Fratrum in Polen-Litauen, als sähe er „die Uralte Apostolische Lebens-Art der ersten Christen, oder/ die nach solchem Model eingerichtete Verfaßungen der alten brüder in Böhmen und Mähren, nun wieder neu aufleben, und in den Augen der ChristenWelt wiedererscheinen“.
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der direkten Einflüsse und historischen Parallelen zwischen der Alten und der Erneuerten Unität, etwa zwischen der altbrüderischen Kirchenzucht und -ordnung und der Herrnhuter Gemeinde-Ordnung von 1727, hätte eine frühere Fühlungnahme mit Jablonski durchaus nahe gelegen.8 Nicht weniger überraschend ist es umgekehrt, dass der mit halb Europa in Briefwechsel stehende und alle Formen konfessioneller Diskriminierung und Migration genau verfolgende Berliner Hofprediger ausgerechnet über die religiösen Vorgänge in der Oberlausitz – einer mit der Heimat seiner Vorfahren eng verbundenen Region, die zudem über Jahrzehnte Aufnahmeland böhmischer Protestanten war9 – nicht früher und genauer informiert war. Man fühlt sich unwillkürlich an August Ludwig Schlözer erinnert, der 1778 aus Göttingen an den aus Lauban gebürtigen Juristen und späteren Gründer der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften Karl Gottlob Anton schrieb: „Ihre Oberlausitz ist bekanntlich für uns entfernte Deutsche eine Terra incognita.“10 Gerade die Erneuerte Brüderunität – „das herrnhutsche Unkraut“, um aus einem Schreiben des Laubaner Pfarrers Gottlob Friedrich Gude an den Verleger der Weimarer Acta Historico-Ecclesiastica aus dem Jahr 1750 zu zitieren11 – sollte nicht unwesentlich zu einer vertieften Wahrnehmung der oberlausitzischen Gesellschaftsordnung und Religionsverfassung im protestantischen wie im katholischen Deutschland beitragen.12
8 Müller, J[oseph Theodor]: O souvislosti obnovené církve bratrské se starou Jednotou bratří českých. In: Časopis Musea království Českého 59, 1885, 193–210, 441–455; ders.: Das Bischoftum der Brüder-Unität. Eine geschichtliche Untersuchung. Herrnhut 1889; ders.:����������������������� Zinzendorf als Erneuerer der alten Brüderkirche. Festschrift des theologischen Seminars der Brüdergemeine in Gnadenfeld zum Gedächtnis der Geburt Zinzendorfs am 26. Mai 1700. Leipzig 1900 [ND Hildesheim/New York 1975]; ders.:�������������������������������������������������������������������������������������� Das Ältestenamt Christi in der erneuerten Brüderkirche. In: Zeitschrift für Brüdergeschichte 1, 1907, 1–32; Bartoš, F[rantišek] M.: Biskupství v Jednotě bratrské. Praha 1944; Motel, H[einz]: Die Beziehungen der alten und der erneuerten Brüderunität zur Reformation. Hamburg 1958 (Herrnhuter Hefte 11), engl. u.d.T.: The Relation of the Old and Renewed Moravian Church to the Reformation. In: Transactions of the Moravian Historical Society 17/2, 1960, 269–283. 9 Štěříková, Edita: Exulantská útočiště v Lužici a Saksu. Praha 2004; dies.: Mährische Brüder, böhmische Brüder und die Brüderunität. In: Unitas Fratrum. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüdergemeine 48, 2001, 106–114; dies.: Die böhmischen Emigranten und Zinzendorf. In: Brecht, Martin/Peucker, Paul (Hg.): Neue Aspekte der Zinzendorf-Forschung. Göttingen 2006 (Arbeiten zur Geschichte des Pietismus 47), 97–114. ������������ Zit. nach Zwahr, Hartmut (Hg.): Meine Landsleute. Die Sorben und die Lausitz im Zeugnis deutscher Zeitgenossen. Von Spener und Lessing bis Pieck. Bautzen 1984, 80. Zum Hintergrund vgl. Bahlcke, Joachim: Die Oberlausitz – Raumbildung und Raumbewußtsein im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. In: ders. (Hg.): Die Oberlausitz im frühneuzeitlichen Mitteleuropa. Beziehungen – Strukturen – Prozesse. Stuttgart 2007 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 30), 7–16. ������������ Zit. nach Wotschke, Theodor: Schlesische Mitarbeiter an den Acta historico-ecclesiastica. In: Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens 19, 1927, 53– 122, hier 74 Anm. 1. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Zur zeitgenössischen Publizistik und Polemik gegen die Herrnhuter vgl. die wertvolle Quellenund Literaturzusammenstellung von Meyer, Dietrich (Hg.): Bibliographisches Handbuch zur Zinzendorf-Forschung. Düsseldorf 1987.
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Die 1729 aufgenommene Korrespondenz zwischen Zinzendorf und Jablonski, die fünf Jahre später zu einer ersten persönlichen Begegnung in Berlin führte, riss bis zum Tod des Hofpredigers im Jahr 1741 nicht mehr ab. Über einen Besuch Jablonskis in Herrnhut sind keine Nachrichten überliefert – und eine Geheimreise, wie sie Gottfried Wilhelm Leibniz nach Wien unternahm, um in den evangelischen Reichsterritorien eigene Ambitionen auf eine Anstellung am Kaiserhof zu verschleiern, ist mehr als unwahrscheinlich. Ein Hinweis auf die Beziehung zwischen Zinzendorf und Jablonski, in der Regel konzentriert auf die bischöfliche Ordination des Reichsgrafen in Berlin 1737, findet sich zwangsläufig in jeder historischen Darstellung der neueren Brüderhistorie der vergangenen 250 Jahre – von der buchgeschichtlich überaus erfolgreichen ersten Synthese des David Cranz13 über die monumentale Forscherleistung Joseph Theodor Müllers14 bis hin zu der gedankenreichen, bis in die Gegenwart führenden Darstellung von Dietrich Meyer.15 Über die Initiative Zinzendorfs, dessen eigene pragmatische Intentionen und die theologische Anknüpfung an den älteren brüderischen Gemeingedanken hinaus bleiben dagegen die eigentlichen Beweggründe Jablonskis, und zwar in seiner doppelten Funktion als Berliner Hofprediger wie als Brüderbischof in Polen, weitgehend im Dunkeln. Gleiches gilt eigentümlicherweise für die Anfang des 18. Jahrhunderts existierende Gruppe der Brüder in der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Zwar wird im Aufbau der Brüdergemeine in Herrnhut, in Erinnerungskultur, Historiographie und Selbstdarstellung bereits frühzeitig die Kontinuität zur älteren Unität aus Böhmen unterstrichen – erwähnt sei hier nur der von Zinzendorf nach Anerkennung der Erneuerten Brüderunität durch das britische Parlament 1749 in Auftrag gegebene und Würdenträgern der Anglikanischen Kirche als Dank überreichte Kupferstich von Comenius, der diesen in neubrüderischem weißen Talar mit rotem Gürtel darstellt.16 Das Kontinuitätsstreben und Traditionsbewusstsein beziehen sich allerdings zur Gänze auf den eben mit Comenius untergegangenen böhmischen, nicht auf den bereits seit dem 16. Jahrhundert existierenden und bis dato bestehenden polnischen Zweig der Unität. Damit wurden zugleich �� Cranz, David: Alte und Neue Brüder-Historie oder kurz gefaßte Geschichte der Evangelischen Brüder-Unität in den älteren Zeiten und insonderheit in dem gegenwärtigen Jahrhundert. Barby 21772. ��Müller, Joseph Th[eodor]: Geschichte der Böhmischen Brüder, Bd. 1–3. Herrnhut 1922–1931. ��Meyer, Dietrich: Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine 1700–2000. Göttingen 2000. �� Mettele, Gisela: Das Gedächtnis der Bilder. Malerei und Memoria in der Herrnhuter Brüdergemeine. In: Gleixner, Ulrike/Hebeisen, Erika (Hg.): Gendering Tradition. Erinnerungskultur und Geschlecht im Pietismus. Korb 2007 (Perspektiven in der neueren und neuesten Geschichte. Kultur, Wissen, Geschlecht 1), 149–169; Peucker, Paul: Kreuzbilder und Wundenmalerei. Form und Funktion der Malerei in der Herrnhuter Brüdergemeine um 1750. In: Unitas Fratrum. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüderunität 55/56, 2005, 125–174; Meyer, Dietrich/ Peucker, Paul/Langerfeld, Karl-Eugen (Hg.): Graf ohne Grenzen. Leben und Werk von Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf. Herrnhut 2000, 183–185; Müller, J[oseph] Th[eodor]: Die Bilder Zinzendorfs. In: Zeitschrift für Brüdergeschichte 4, 1910, 98–123, hier 109.
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Spannungen ausgeblendet, die sich aus der Wiederbelebung der Brüderkirche unter gewandelten politischen wie konfessionellen Rahmenbedingungen nahezu zwangsläufig ergeben mussten. Auch hierbei stand Jablonski in gewisser Weise im Mittelpunkt, hatte er doch stets in mehrere Richtungen zu vermitteln und Verantwortung zu tragen. Die folgenden Überlegungen konzentrieren sich auf die Positionen und Motive der Akteure in Berlin und in Lissa, personifiziert in den Senioren der polnischen Unität Daniel Ernst Jablonski und Christian Sitkovius. Einzubeziehen ist darüber hinaus die Beziehung König Friedrich Wilhelms I. zu Zinzendorf beziehungsweise allgemeiner Preußens Blick auf den konkurrierenden Reichsstand Kursachsen. Im Kern geht es darum, in der Darstellung der Anfänge Herrnhuts, einem insgesamt gut erforschten, ja zum Teil überforschten Untersuchungsgebiet, gleichsam über die Außenperspektive den einen oder anderen neuen Akzent zu setzen.17
2. Erwartungen und Bewertungen der Bischofsweihe von Zinzendorf in Sachsen, Preußen und Polen-Litauen Die tieferen Zusammenhänge von innerer Konsolidierung und äußerer Anfeindung und Ausgrenzung der Herrnhuter Brüdergemeine seit den späten 1720er Jahren, die Anfänge der Mission in Europa und in Übersee sowie Zinzendorfs theologische Entwicklung können hier als bekannt vorausgesetzt werden.18 Eine zunächst praktische, durch die Verbindung des Missionsgedan�������������������������������������������� Zum hier vorgestellten Themenkomplex vgl. Schunka, Alexander: A Missing Link: Daniel Ernst Jablonski als the Connection Between Comenius and Zinzendorf. In: Lempa, Heikki/Peucker, Paul (Hg.): Self, Community, World. Moravian Education in a Transatlantic World. Bethlehem PA 2010, 55–77; Modrow, Irina: Daniel Ernst Jablonski, Nikolaus Ludwig von Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine. In: Bahlcke, Joachim/Korthaase, Werner (Hg.): Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Wiesbaden 2008 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 1), 331–343; Meyer, Dietrich: Von Herrnhut in die Neue Welt. Jablonski als Begleiter Zinzendorfs und der mährischen Exulanten. In: Bahlcke, Joachim/Dybaś, Bogusław/Rudolph, Hartmut (Hg.): Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Dößel 2010. Von zentraler Bedeutung für die folgenden Ausführungen sind die bei Bickerich, Wilhelm: Lissa und Herrnhut. In: Zeitschrift für Brüdergeschichte 2, 1908, 1–74 (selbständig u.d.T.: Lissa und Herrnhut. Ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus in der Provinz Posen. Lissa 1908) und Wotschke, Theodor: Hilferufe nach der Schweiz. In: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 15–17, 1929, 69–74, edierten Korrespondenzen. �� Daniel, Thilo: Zinzendorfs Unionspläne 1719–1723. Nikolaus Ludwig von Zinzendorfs theologische Entwicklung bis zur Gründung Herrnhuts. Herrnhut 2004 (Unitas Fratrum. Beiheft 11); Zimmerling, Peter: Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine. Geschichte, Spiritualität und Theologie. Holzgerlingen 1999; Beck, Hartmut: Brüder in vielen Völkern. 250 Jahre Mission der Brüdergemeine. Erlangen 1981; Hahn, Hans-Christoph/Reichel, Hellmut (Hg.): Zinzendorf und die Herrnhuter Brüder. Quellen zur Geschichte der Brüder-Unität von 1722 bis 1760. Hamburg 1977; Beyreuther, Erich: Zinzendorf und die Christenheit 1732–1760. Marburg a.d.L. 1961.
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Konfessionelle Solidarität, Öffentlichkeit und Erfahrungsaustausch Die bischöfliche Ordination von N ikolaus Ludwig von Zinzendorf 1737 hatte nicht nur eine Zunahme des brieflichen Austausches zwischen Berlin, Lissa und Herrnhut zur Folge, sie vertiefte auch spürbar die Spannungen zwischen der Brüderunität in Polen-Litauen und ihrem auswärtigen Senior am Berliner Hof. Der abgebildete Kupferstich aus den späten 1740er Jahren stammt von Martin Tyroff, dem Stammvater eines bedeutenden Kupferstecher- und Verlegergeschlechts im süddeutschen Raum.
kens mit Ansiedlungsplänen allerdings zunehmend an Brisanz gewinnende Frage, nämlich die der Ordination und Durchführung kirchlicher Amtshandlungen in den sich mehrenden Kolonien, führte Zinzendorf 1734 zu Jablonski nach Berlin. Der Hofprediger sagte von Beginn an seine Unterstützung zu und stellte bereits im September des Jahres dem mährischen Exulanten David Nitschmann, der sich mit vier weiteren Brüdern auf der Durchreise nach Holstein zur Einrichtung einer Kolonie – dem späteren Pilgerruh – in Berlin aufhielt, bereitwillig ein Zeugnis und Empfehlungsschreiben aus.19 Gleichzeitig wurde jedoch über eine andere Lösung des Problems nachgedacht: die Übertragung der alten bischöflichen Weihe auf die neue Brüdergemeine, zu der Jablonski sich grundsätzlich bereit erklärte.20 Die Wahl fiel auf den genannten Nitschmann, der am 13. März 1735 durch Handauflegung zum „Senior, Aufseher und Hirten derer auswärtigen mährischen Gemeinen“ ordiniert wurde.21 Der Schritt sei unumgänglich, wie Zinzendorf in Herrnhut erklärte, „damit solche Brüder in den Kolonien lehren und geistliche Handlun��������������������� Zu Nitschmann vgl. Mannsbart, Claus: David Nitschmann. První biskup obnovené Jednoty bratrské. Suchdol 1995. ��Müller: Zinzendorf als Erneuerer, 51. ����������������������������������������������������������������������������������������� Büdingische Sammlung Einiger In die Kirchen-Historie Einschlagender Sonderlich neuerer Schrifften, Bd. 1. Büdingen 1742, 524–526. Das von Jablonski ausgestellte Ordinationszeugnis für Nitschmann sowie das Votum von Christian Sitkovius wurden ebenfalls in den Acta HistoricoEcclesiastica, Oder Gesammlete Nachrichten von den neuesten Kirchen-Geschichten 2/11, 1738, 810–815, veröffentlicht.
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gen verrichten könnten“; er ergänzte unmittelbar, dass ein solches Bischofsamt „aber sonst in der Gemeine keinen Vorzug oder Ansehen geben sollte“.22 Wichtig an diesem Akt ist im Zusammenhang dieses Beitrags vor allem zweierlei: zum einen, dass Jablonski zwar mit Zustimmung des polnischen Seniors in Lissa, aber ohne Wissen des preußischen Königs handelte,23 und zum anderen, dass durch die Ordinationsbefugnis lediglich ein Weihbistum konstituiert wurde, das Bischofsamt mithin keine Änderung der Leitungsgewalt nach sich zog und für Herrnhut zunächst also ohne alle Bedeutung war.24 In das von Jablonski persönlich geführte Diarium Unitatis wurde die Ordination Nitschmanns allerdings korrekt eingetragen: „1735 13. Mart. Ist H. David Nitschmann aus Herrenhuth zum Seniore der Unit. FFr. Moraworum in aedibus meis ordinieret worden.“25 Dass mit der Erneuerung der alten bischöflichen Ordination in der Brüderkirche gleichwohl der Weg zu eigenständigen kirchlichen Strukturen und zum Selbstverständnis der Brüder als einer Missionsgemeinschaft eingeschlagen wurde, war für den Berliner Theologen gewiss nicht absehbar. Einen gänzlich anderen Charakter besaß die Bischofsweihe von Zinzendorf selbst, die zwei Jahre später, am 20. Mai 1737, ebenfalls durch Jablonski erfolgte. Sie hatte in erster Linie den Zweck, die mährische Identität der neuen Gemeinschaft in der kritischen Situation nach der abermaligen Ausweisung des Reichsgrafen aus Sachsen im Vorjahr zu festigen und ihre Existenz kirchenrechtlich abzusichern.26 Mit den Worten Zinzendorfs: Die angedrohte Aufhebung Herrnhuts habe dazu genötigt, „dem mährischen Tropus seine eigene Hierarchie i. e. seine von Menschen unabhängige Existenz zu restituieren“.27 Über historische und theologische Aspekte der apostolischen Sukzession bei den böhmischen Brüdern hatte sich Zinzendorf mit Jablonski schon seit 1729 ausgetauscht, und auch über eine konkrete Ordination des Reichsgrafen war bereits früher gesprochen worden. Sie war beim Hofprediger jedoch lan������������ Zit. nach Müller: Zinzendorf als Erneuerer, 51. �� Rackwitz, Werner: Der „Soldatenkönig“ und der „Prediger der Herzensreligion“. Der Briefwechsel zwischen Friedrich Wilhelm I. und dem Grafen Zinzendorf. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte Berlins 102, 2006, 309–322. ��Müller: Zinzendorf als Erneuerer, 52. ��Bickerich, Wilhelm: Das Tagebuch der polnischen Unität von 1643–1751. In: Aus Posens kirchlicher Vergangenheit. Jahrbuch des Evangelischen Vereins für die Kirchengeschichte der Provinz Posen 3, 1913, 73–112; 5, 1915/16, 125–132; 6, 1917/18, 113–141, hier [6], 114; ders.: Lissa und Herrnhut, 8. Das bei Müller: Zinzendorf als Erneuerer, 67 Anm. 3 (der hier irrt) zitierte Nekrologium, das Bidlo, Jaroslav: Nekrologium polske větve Jednoty Bratrské. In: Věstník královské České Společnosti Nauk, třída filozoficko-historicko-jazykozpytná 1897, Nr. II. Praha 1898, 1–40, hier 34, nennt, beruhte auf einer nicht vollständigen Abschrift. ��Benz, Ernst: Bischofsamt und apostolische Sukzession im deutschen Protestantismus. Stuttgart 1953, 56–78. ������������ Zit. nach Becker, Bernhard: Zinzendorf und sein Christentum im Verhältnis zum kirchlichen und religiösen Leben seiner Zeit. Geschichtliche Studien. Leipzig 21900, 513.
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ge auf Vorbehalte gestoßen. Einerseits war ihm zweifelsohne bewusst, dass das Bischofsamt im Fall von Zinzendorf, anders als bei Nitschmann, nicht auf die Missionsgemeinden beschränkt bliebe, sondern in einem umfassenderen Sinn verliehen würde – und so zumindest die Gefahr neuer Spannungen innerhalb der sächsischen Landeskirche verstärken musste.28 Die daraus resultierenden Gefahren für die Herrnhuter Gemeinschaft waren unkalkulierbar. Andererseits war Jablonski ein viel zu politischer Mensch, um bei einem abermals eigenmächtigen Vorgehen nicht die drohenden Verwicklungen in Preußen und im Reich vorherzusehen und auch das persönliche Risiko abzuschätzen – er war von Friedrich Wilhelm I. schon einmal aus politischen Gründen kurzzeitig seines Amtes enthoben worden.29 Es ist bezeichnend, dass Jablonski erst auf eine ausdrückliche Weisung des preußischen Königs hin aktiv wurde, der seinem Hofprediger die förmliche Anweisung erteilte, den lutherischen Geistlichen „nach Prüfung seiner Orthodoxie und Sentiments“ auf dessen Verlangen hin zu ordinieren.30 Mit der Überprüfung der Glaubensgrundsätze Zinzendorfs wurden daraufhin mehrere Pröpste in Berlin beauftragt. Ihre Bedenken, durch die Ordination des sächsischen Reichsgrafen könnte der Anschein erweckt werden, es existiere eine vierte Konfession im Heiligen Römischen Reich, wusste Jablonski zu zerstreuen. Anders als bei Nitschmann gab es in diesem Fall eine längere Korrespondenz mit der Kirchenleitung der Brüder in Lissa. Auf sie wird noch genauer einzugehen sein. Jablonski war jedenfalls gut beraten, vor der Ordination Zinzendorfs das schriftliche Urteil des polnischen Seniors einzuholen. Nicht einfach zu beurteilen ist die Haltung des preußischen Königs. Ähnlich wie anderen Geistlichen, die in seinen Augen vorwiegend zu Kanzelpolemik und unnützem Zank neigten und die unmittelbaren Erfordernisse des kirchlichen Lebens vernachlässigten, war der praxisorientierte, den aktivistisch-weltzugewandten Reformpietismus fördernde Friedrich Wilhelm I. auch Zinzendorf anfänglich mit Skepsis begegnet.31 Der Reichsgraf hatte allerdings mit seiner Bitte, ihn als „treuen Handlanger“ in dem „Salzburgischen Pflege Garten in Litthauen“ anzunehmen, schon im Sommer 1736 das politische Interesse des Monarchen geweckt. Bei der bekannten dreitägigen ��Meyer: Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine, 42. �� Kvačala, Ján: Daniel E. Jablonský a Fraňo Rákóczy II. In: Sborník Museálnej slovenskej spoločnosti 14, 1909, 81–89; Szalay, László: Klement János Mihály, II. Rákóczi Ferencz követe Berlinben, Hágában, Londonban. In: Századok 4, 1870, 1–13, 73–87; Friedberg, Heinrich von: Der Kriminalprozeß wider den Ungarn Michael v. Klement. Eine Episode aus der Regierungszeit Friedrich Wilhelm’s I. In: Historische Zeitschrift 62, 1889, 385–465. �� Benz: Bischofsamt und apostolische Sukzession, 72. Sitkovius berichtete dem Antistes der Züricher reformierten Gemeinde Johann Conrad Wirz am 14. Dezember 1740, dass Jablonski dem Grafen „die verlangte Ordination mehr als einmal abgeschlagen“ und dieser sich daraufhin an den König gewandt habe (zit. nach Bickerich: Lissa und Herrnhut, 7). Vgl. ebd., Beilage 3 und 14. �� Stolze, Wilhelm: Friedrich Wilhelm I. und der Pietismus. In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 5, 1908, 172–205.
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Unterredung in Wusterhausen Ende Oktober, während der nicht nur der religiöse Inhalt, sondern auch der konkrete Nutzen einer Ordination erörtert wurde, legte Zinzendorf hierzu einen ausführlichen Plan vor.32 Die Integration der erst vier Jahre zuvor in Preußisch-Litauen östlich von Königsberg angesiedelten Salzburger Emigranten, die sich bisher beharrlich geweigert hatten, dem König einen Treueid zu leisten, bereitete der Regierung eine Fülle von Problemen – kirchliche ebenso wie politische, gesellschaftliche und ökonomische. Die Ideen und Zielsetzungen, für die Zinzendorf stand, versprachen für Preußen in mehrfacher Hinsicht „einen realen Nutz“ – eine Formulierung, die Gottfried Wilhelm Leibniz in einem Schreiben an Jablonski im Vorfeld der Sozietätsgründung in Berlin benutzt hatte.33 Wenn man nach dem Verhältnis Friedrich Wilhelms I. zu Zinzendorf und zu Herrnhut fragt, wird man darüber hinaus weitere Aspekte zu berücksichtigen haben, die sich nicht in der tiefen persönlichen Frömmigkeit des Königs – die in diesem Zusammenhang meist zu stark gewichtet wird – erschöpfen: den inneren Staatsausbau, wirtschafts- und bevölkerungspolitische Maßnahmen und nicht zuletzt alle Bestrebungen, Preußen nach dem machtpolitischen Niedergang Schwedens als protestantische Schutzmacht zu etablieren.34 Mit dem Kampf gegen konfessionelle Diskriminierung und Verfolgung profilierten sich die Hohenzollern nicht nur gegenüber den Habsburgern, sondern auch gegenüber den Wettinern, demjenigen Reichsstand also, mit dem man sowohl um die Führung im Corpus Evangelicorum als auch spätestens seit der sächsisch-polnischen Personalunion um die Vorherrschaft in Ostmitteleuropa konkurrierte.35 Hellsichtig und vorausblickend brachte der bereits genannte Christian Sitkovius, seit 1734 Senior der Brüderunität in Polen, diese Zusammenhänge in einem Schreiben an den Vorsteher der reformierten Gemeinde in Zürich, Johann Conrad Wirz, auf den Punkt. Neben Neuigkeiten über die Tätigkeit der Herrnhuter in Lissa berichtete er aus eigener Erfahrung, „wie viel oder wenig Vertrauen man in Beschützung der Religion zu den Potentaten“ haben dürfe: „Wenn bisweilen weltliche Mächte einen besonderen Eifer für die Religion ��Müller: Zinzendorf als Erneuerer, 62f. ���������������������������������������������������������������������������������������� Gottfried Wilhelm Leibniz an Daniel Ernst Jablonski, Wolfenbüttel, 12. März 1700. In: Kapp, Johann Erhard: Sammlung einiger Vertrauten Briefe, welche zwischen dem weltberühmten Freyherrn, Gottfried Wilhelm von Leibnitz, und dem berühmten Berlinischen Hof-Prediger, Herrn Daniel Ernst Jablonski, auch andern Gelehrten, Besonders über die Vereinigung der Lutherischen und Reformirten Religion, über die Auf- und Einrichtung der Kön. Preuss. Sozietät der Wissenschaften etc. gewechselt worden sind [...]. Leipzig 1745, 145–149. ��Gehrke, Roland: Europäische Großmacht, protestantische Schutzmacht. Der Aufstieg Brandenburg-Preußens im Jahrhundert nach dem Dreißigjährigen Krieg (1648–1740). In: Bahlcke/Dybaś/ Rudolph (Hg.): Brückenschläge, 136–151. �� Bahlcke, Joachim: Konfessionspolitik und Staatsinteresse. Zur Funktion der brandenburgischpreußischen Interventionen zugunsten der ungarischen Protestanten nach dem Westfälischen Frieden. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 76/77, 1997/98, 177–187.
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äußern, so wird nicht selten ein weltliches Interesse darunter gesucht. So bald man dieses erhalten ist jener verschwunden, dessen man sich nur bedient, den zeitlichen Vorteil so viel kräftiger durchzutreiben.“ Und ebenso klar die konsequente Überordnung merkantilistischer Maximen erkennend, fügte er hinzu: „Nun aber sähe man lieber, daß die dissidentischen Polen wegen Religionsverfolgung im Vaterlande in das Brandenburgische übergingen.“36 Die kaum zu trennende Verquickung von Politik und Religion noch während des gesamten 18. Jahrhunderts ist, um erneut auf die Rolle Jablonskis umzuschwenken, ein Grund, warum polnische Historiker in dem Berliner Hofprediger mitunter – und dies höchst einseitig – das Werkzeug eines preußischdeutschen Imperialismus im Vorfeld der Teilungen Polens gesehen haben.37 Als Senior der Brüderunität war Jablonski allerdings geradezu verpflichtet, die im polnisch-litauischen Unionsstaat immer stärker unter Druck geratende eigene Kirche zu unterstützen. Die einzelnen Maßnahmen waren denkbar vielfältig: Er leistete finanzielle Hilfe durch die Unterstützung bei Spendensammlungen und Stipendien, verschaffte jungen Polen als Visitator und inspector alumnorum am Joachimsthalschen Gymnasium Freistellen an der wichtigsten Bildungseinrichtung der Reformierten in Berlin, vermittelte angehende Theologen auf Universitäten im Heiligen Römischen Reich und in Westeuropa, schrieb in großer Zahl Empfehlungsschreiben und gab Bedürftigen dank seiner ausgezeichneten Beziehungen im Kontakt- und Korrespondenznetz des europäischen Protestantismus wertvolle Ratschläge und Informationen.38 Dabei ist unstrittig, dass Jablonski politische Konstellationen nutzte, um seinen Zielen näher zu kommen. Er verstand es, religiöse Gewalt gegen evangelische Gläubige durch das gezielte Schaffen von Öffentlichkeit zum Skandalon zu machen und damit Interventionen der evangelischen Höfe den Boden zu ebnen.39 Sein Bemühen, den Legitimationsdruck auf diejenigen zu erhöhen, die für religiöse Ausgrenzung und Verfolgung verantwortlich waren, wird nirgendwo deutlicher als im Umfeld des sogenannten Blutgerichts von Thorn im Jahr 1724.40 Jablonskis im Druck erschienene Schilderung des ������������ Zit. nach Wotschke: Hilferufe nach der Schweiz, 38–40. Zum Hintergrund vgl. Rhode, Gotthold: Brandenburg-Preußen und die Protestanten in Polen 1640–1740. Ein Jahrhundert preußischer Schutzpolitik für eine unterdrückte Minderheit. Breslau 1941 (Deutschland und der Osten 17). Eine kritische Auseinandersetzung mit der Position Rhodes bietet Bömelburg, Hans-Jürgen: Konfession und Migration zwischen Brandenburg-Preußen und Polen-Litauen 1640–1772. Eine Neubewertung. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4), 119–144. ��Feldman, Józef: Sprawa dysydencka za Augusta II. In: Reformacja w Polsce 3, 1924, 89–116. ��Bahlcke: Jablonski, 147–149. ��Lewitter, L[ucjan] R[yszard]: Intolerance and Foreign Intervention in Early Eighteenth-Century Poland-Lithuania. In: Harvard Ukrainian Studies 5, 1981, 283–305. ��Thomsen, Martina: „Das Betrübte Thorn“. Daniel Ernst Jablonski und der Thorner Tumult von 1724. In: Bahlcke/Korthaase (Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 223–246.
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Konfessionskonflikts, in dessen Folge zehn Protestanten hingerichtet wurden, wurde nicht nur wiederholt aufgelegt, sondern auch in mehrere Sprachen übersetzt. Sie zog direkte politische Konsequenzen nach sich. Die Nähe zum preußischen Hof, die bei seiner Wahl zum auswärtigen Senior eine gewichtige Rolle gespielt hatte, gab ihm hierbei zusätzliche Möglichkeiten. Dass Jablonski dabei an die Glaubenssolidarität aller protestantischen Kirchen appellierte, hatte manchen Konflikt mit der Kirchenleitung der Brüder in Polen zur Folge. Dazu nur ein Beispiel: Nachdem die Kirche in Lissa 1707 während des Großen Nordischen Krieges ein weiteres Mal nach 1656 von schweren Bränden, Verwüstungen und Plünderungen heimgesucht worden war, wehrte Jablonski für die im Folgejahr geplante Kollektenreise sämtliche Versuche ab, ausschließlich für die reformierte Gemeinde zu sammeln. Eine solche Distanzierung von den Lutheranern hielt er, wie es in einem Bericht über die Kollektenreise von 1708 heißt, „vor ein grösser unglük, als dass Lissa zerstöret worden“.41 Hier werden Spannungen zwischen Berlin und Lissa deutlich, die aus unterschiedlichen theologischen Standpunkten resultierten, die gleichzeitig aber auch überpersönliche Ursachen hatten. Sie sollten später in ähnlicher Form bei der Frage, wie man sich zur Herrnhuter Brüdergemeine stellen solle, auftreten. Als Berliner Hofprediger wirkte Jablonski nicht nur in einem anderen politisch-staatlichen Umfeld, er fand auch in religiöser Hinsicht besondere Strukturen in Brandenburg-Preußen vor.42 Die deutschen und nach dem Edikt von Potsdam 1685 neu hinzugekommenen französischen Hoftheologen waren für die Anfang des 17. Jahrhunderts zum reformierten Bekenntnis übergetretenen Hohenzollern ein kirchen- wie staatspolitisch wichtiges Instrument. Die vollständig an das Herrscherhaus gebundenen Geistlichen vermochten als Mitglieder der lutherischen Konsistorien beachtlichen Einfluss auf alle kirchlichen Angelegenheiten auszuüben, ohne von der ständisch-lutherischen Opposition ausgeschaltet werden zu können.43 Sämtliche Hofprediger, be��Prümers, Rodgero: Eine Lissaer Kollektenreise. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 12, 1897, 129–221, hier 145. ����������������������� Zum Hintergrund vgl. Kraus, Hans-Christof: Staat und Kirche in Brandenburg-Preußen unter den ersten beiden Königen. In: Bahlcke/Korthaase (Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 47–85; Luh, Jürgen: Zur Konfessionspolitik der Kurfürsten von Brandenburg und Könige in Preußen 1640 bis 1740. In: Lademacher, Horst/Loos, Renate/Groenveld, Simon (Hg.): Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich. Münster u.a. 2004 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas 9), 306–324; Klingebiel, Thomas: Pietismus und Orthodoxie. Die Landeskirche unter den Kurfürsten und Königen Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I. In: Heinrich, Gerd (Hg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg. Berlin 1999, 293–322; Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der Brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union 1540 bis 1815. Bielefeld 1977 (Unio und Confessio 6), 53–67. �� Thadden, Rudolf von: Die brandenburgisch-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Beitrag zur Geschichte der absolutistischen Staatsgesellschaft in Brandenburg-Preußen. Berlin 1959 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 32); Eibach, Joachim/Zwank, Katja: Zwischen Herr-
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sonders aber diejenigen in Berlin, waren verpflichtet, in dem polykonfessionellen, noch wenig verdichteten Staatsgefüge auf ein einvernehmliches Verhältnis zwischen den einzelnen Bekenntnissen hinzuwirken. Diese Bestimmungen standen einerseits in der Tradition einer schon länger verfolgten christlichen Toleranzpolitik, folgten andererseits aber auch politisch-ökonomischen Zwecküberlegungen. Geistlich wie intellektuell fügte sich der wie viele Hoftheologen von der Peripherie nach Preußen gekommene Jablonski, wie bereits Adolf Harnack betonte, bestens in dieses Milieu ein. „Den ökumenischen Protestantismus, dem alle nationalen Ecken und Kanten fehlten, hatte er als ein Erbteil seines Heimatlandes und seines Großvaters überkommen.“ Als Enkel von Comenius sei für ihn, so Harnack, „die religiöse Toleranz, die Richtung auf das, was allen Protestanten gemeinsam ist,
Zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften im Heiligen Römischen Reich brachten in den 1730er Jahren „Herrnhuthische Nachrichten“, Informationen und Berichte über die junge, die älteren Traditionen der Böhmischen Brüder aufgreifende Religionsgemeinschaft in der Oberlausitz. Die hier abgebildete Seite ist Teil eines längeren Berichts, der 1738 in den Weimarer Acta HistoricoEcclesiastica erschien. scherlob und Kritik. Hofprediger in Brandenburg-Preußen (1613–1740). In: Rinn, Giselind (Hg.): Der Himmel auf Erden. 1000 Jahre Christentum in Brandenburg. Berlin 2005, 67–75.
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das unermüdliche Streben, sie zu einigen und die Bedrängten zu schützen, die praktische Haltung in der Religion und der Kontakt mit allen idealen Bestrebungen von Jugend auf etwas Selbstverständliches“ gewesen.44 Beinahe fünf Jahrzehnte wirkte Jablonski an der Domkirche der aufstrebenden Residenzstadt, wo um 1700 nahezu jeder fünfte Einwohner französisch-reformierter Konfession war. Sein gesamtes Wirken lässt erkennen, wie tief der Enkel von Comenius in der Tradition der böhmisch-mährischen Brüderunität stand. Mit seinem Kirchen- und Unionsverständnis, dem ausdrücklichen Festhalten an der einen allgemeinen Kirche bei gleichzeitiger Hochschätzung individueller Eigenständigkeit und Mannigfaltigkeit, seiner auf die Praxis gerichteten Frömmigkeit, seinen episkopalen und liturgischen Reformplänen und seinen darüber hinausreichenden irenischen und ökumenischen Bestrebungen knüpfte Jablonski zudem unmittelbar an zentrale Anliegen seiner Vorfahren an. „Ego Episcopi Filius, Nepos, Pronepos, in Unitate Fratrum Bohemorum [...] natus“,45 schrieb er 1697 an Patrick Gordon, er sei der Sohn, der Enkel und der Urenkel eines Bischofs, geboren in der böhmischen Brüderunität. Dieses tiefe Empfinden der eigenen religiösen und familiären Wurzeln erklärt zum Teil die eingangs genannte, geradezu emphatische Reaktion auf die ersten Nachrichten Zinzendorfs über die Vorgänge in Herrnhut. Darüber hinaus sah er dort die Chance, im Kleinen etwas zu verwirklichen, was er in weit größeren Dimensionen Zeit seines Lebens vergeblich angestrebt hatte: eine „Union, oder Vereinigung beider Evangelischen Kirchen“, wie es in einem der in diesem Zusammenhang verfassten zahlreichen Gutachten des Hofpredigers hieß.46 Lange Jahre hatte Jablonski auf brandenburg-preußischer Seite an den 1697 einsetzenden innerprotestantischen Ausgleichsverhandlungen teilgenommen, Denkschriften verfasst und mit der Einrichtung von Simultankirchen in Berlin, der konfessionellen Öffnung von Waisenhäusern und anderen Unionsmaßnahmen auch erste Ansätze einer praktischen Verständigung zwischen Reformierten und Lutheranern erleben können. Die ursprünglich ins Auge gefassten Ziele aber ließen sich im römisch-deutschen Reich nicht �� Harnack, [Adolf]: Das geistige und wissenschaftliche Leben in Brandenburg-Preußen um das Jahr 1700. Eine Skizze. In: Hohenzollern-Jahrbuch 4, 1900, 170–191, hier 176. �������������������������������������������������������������������������������������������������� Daniel Ernst Jablonski an Patrick Gordon, Berlin, 31. Juli ������������������������������������������ 1697. Lambeth Palace Library London, Sion Mss. ARC L.40.2/L.29. ��������������������������������� Ausführliche Darstellungen bei Meyer, Dietrich: Daniel Ernst Jablonski und seine Unionspläne. In: Klueting, Harm (Hg.): Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert. Hildesheim/Zürich/New York 2003 (Hildesheimer Forschungen 2), 153–175; Catsch, Regina: Die Bedeutung von Leibniz, Molanus und Jablonski bei den kirchlichen Unionsbestrebungen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Besier, Gerhard/Gestrich, Christof (Hg.): 450 Jahre Evangelische Theologie in Berlin. Göttingen 1989, 105–123; Levis, R. Barry: The Failure of the Anglican-Prussian Ecumenical Effort of 1710–1714. In: Church History 47, 1978, 381–399; Delius, Walter: Berliner kirchliche Unionsversuche im 17. und 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 45, 1970, 7–121.
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verwirklichen. Nur in Litauen gelang es ihm als Brüderbischof 1719, eine Einigung zwischen den einzelnen protestantischen Bekenntnisgemeinschaften durchzusetzen.47 Gegen diejenigen, die „halsstarriglich die innerliche Trennung“48 der evangelischen Christen aufrechterhielten, konnte Jablonski Zeit seines Lebens ebenso deutlich werden wie gegen katholische Eiferer. Als Modell einer Union, die er auch durch eigene Veröffentlichungen immer wieder in Erinnerung rief, schwebte ihm der Konsens von Sandomir vor, ein Zusammenschluss, bei dem sich Lutheraner, Reformierte und Böhmische Brüder 1570 in Polen gegenseitig ihre Rechtgläubigkeit bestätigt hatten, ohne ihre Eigenständigkeit als gesonderte Kirchen preiszugeben.49 In der überkonfessionellen, ökumenisch geprägten Brüdergemeine in Herrnhut entdeckte Jablonski in gewisser Weise die Realisierung der eigenen Unionspläne. Einen „von dem gottseligen Zinzendorf“ aus Kopenhagen erhaltenen Brief stellte er seinem an der Universität in Frankfurt an der Oder tätigen Sohn Paul Ernst mit den angefügten Worten zu: Unter Zinzendorfs Protektion stehe „in Herrnhut der Consensus Sendomiriensis in voller Praxis, weil an dem Orte, der aus lauter böhmischen und mährischen Exulanten besteht, die Lutheraner und Reformierten zusammen friedlich communizieren, kein Disput geduldet wird und sowohl Patron als Pastor darüber wachen“.50 Auch öffentlich würdigte der Hofprediger die Brüder in Herrnhut als die „genuinos Sendomiriensium Posteros“, als die wahren Nachkommen der Anhänger jener Übereinkunft.51 „Theologi Sendomiriensis“ wie Jablonski, so formulierte es Zinzendorf, seien der Auffassung, dass in der neuen �� Kriegseisen, Wojciech: Ewangelicy polscy i litewscy w epoce saskiej (1696–1763). Sytuacja prawna, organizacja i stosunki międzywyznaniowe. Warszawa 1996, 160f. �� Jablonski, Daniel Ernst: Der in seinen grossen Thaten Verherrlichte grosse Gott. Cölln an der Spree 1701, 40. ��Müller, Michael G.: Der Consensus Sendomirensis – Geschichte eines Scheiterns? Zur Diskussion über Protestantismus und protestantische Konfessionalisierung in Polen-Litauen im 16. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/Lambrecht, Karen/Maner, Hans-Christian (Hg.): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Leipzig 2006, 397–408. ������������ Zit. nach Dalton, Hermann: Daniel Ernst Jablonski. Eine preußische Hofpredigergestalt in Berlin vor zweihundert Jahren. Berlin 1903, 393. Vgl. ferner Meyer: Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine, 27, 157, 159. Am 21. April 1731 sandte Jablonski sein kurz zuvor im Druck erschienenes Werk Historia Consensus Sendomiriensis an Zinzendorf mit der Bemerkung: „Ew. Hochgräfl. Excellenz werden darin wahrnehmen können, wie dass die frommen alten Böhmischen Brüder vor mehr als anderthalbhundert Jahren mit grosser Mühe dasjenige gesucht und danach getrachtet, was Ew. hochgr. Exc. in Herrnhut gefunden und wirklich zustand gebracht, dass nämlich die evangelischen Brüder daselbst einträchtig beieinander wohnen.“ Zit. nach Bickerich: Lissa und Herrnhut, 6. �� Jablonski, Daniel Ernestus: Ad Virum Pl. Reverend. & Eruditissimum Dn. Paulum Aemilium de Mauclere, Seren. & Potent. Regis Prussiae Concionatorem Aulicum, Ecclesiaeque Sedinensis Pastorem, Epistola Apologetica, Qua ab Anonymi Stricturis, Historiae Consensus Sendomiriensis oppositis, Conscientiae fuae Candorem & Integritatem placide tuetur.����������������������������� Berolini 1731��������������� , 12. An Sitkovius schrieb Jablonski am 24. Februar 1736, er habe der Mährischen Colonie in Herrnhut in seiner Epistola Apologetica gedacht. Vgl. Bickerich: Lissa und Herrnhut, Beilage 3.
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Brüdergemeine „das grosse Werk der in Regensburg gesuchten Vereinigung sichtbarlich existiere“.52 Damit spielte Zinzendorf auf die Bemühungen des Corpus Evangelicorum am Reichstag um eine Annäherung der Konfessionen in jenen Jahren an.53 Dass er selbst gänzlich anderer Ansicht war und gerade über den Zusammenschluss von 1570 andernorts ein geradezu vernichtendes Urteil abgab,54 wäre eine eigene Betrachtung wert. Als ein Weg zu einem innerprotestantischen Ausgleich wurde unter den kontinentaleuropäischen Befürwortern einer Union vor allem die Wiederherstellung der Episkopalverfassung und der apostolischen Sukzession in allen protestantischen Kirchen erörtert. Von der Wiedereinführung einer bischöflichen Kirchenverfassung nach anglikanischem Vorbild versprach sich auch Jablonski eine nachhaltige Vertiefung des kirchlichen Lebens.55 Die successio legitima Episcopalis seiner Kirche verstand er stets als bedeutenden Beitrag zur Wiedererlangung der kirchlichen Einheit und zur Erneuerung der kirchlichen Disziplin. Konnte er in Preußen auch das bischöfliche Amt im altkirchlichen Sinn nicht rekonstituieren, so war ihm zumindest die Übertragung des Bischofsamtes an die neue Brüdergemeine gelungen. Sie war für ihn ein kleiner Schritt zu dem großen Ziel, sämtliche evangelische Kirchen unter einer einzigen gleichartigen Verfassung zu einigen. Dass Jablonski, der seit langem an einer großen Gesamtdarstellung der ostmitteleuropäischen Reformationskirchen schrieb, schließlich auch ein historisches Interesse an der Genese der Herrnhuter Gemeine hatte, sei hier nur angedeutet.56 Spürbar skeptischer wurde die Herrnhuter Brüdergemeine dagegen von Beginn an im großpolnischen Lissa wahrgenommen, wo auch die Kritik an Jablonski eine bis dahin nicht gekannte Schärfe gewann. Um sie zu verstehen, muss man sich die personell wie politisch immer bedrohlicher werdende Lage der verbliebenen Brüder in Polen-Litauen vergegenwärtigen.57 Die Adelsrepublik ließ bereits seit Mitte des 17. Jahrhunderts eine Tendenz zur Stigmatisierung der Dissidenten erkennen. Nach dem Großen Nordischen ������������ Zit. nach Müller: Zinzendorf als Erneuerer, 76. �� Schäufele, Wolf-Friedrich: Christoph Matthäus Pfaff und die Kirchenunionsbestrebungen des Corpus Evangelicorum 1717–1726. Mainz 1998 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abt. Abendländische Religionsgeschichte 172). ��Müller: Zinzendorf als Erneuerer, 101. ��Sykes, Norman: Daniel Ernst Jablonski and the Church of England. A Study of an Essay towards Protestant Union. London 1950. ��Bahlcke, Joachim: Calvinismus im östlichen Europa. Entwicklungslinien des reformierten Typus der Reformation vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. In: Reiss, Ansgar/Witt, Sabine (Hg.): Calvinismus. Die Reformierten in Deutschland und Europa. Dresden 2009, 196–203, hier 197. �������������������������������������������������� Zur Lage der Brüderunität in Polen-Litauen vgl. Dworzaczkowa, Jolanta: Z dziejów braci czeskich w Polsce. Poznań 2003; dies.: Bracia czescy w Wielkopolsce. Warszawa 1997; Gmiterek, Henryk: Bracia czescy a kalwini w Rzeczypospolitej. Połowa XVI – połowa XVII wieku. Studium porównawcze. Lublin 1987; Kawczyński, Sebastian: Duchowieństwo Jednoty Wielkopolskiej od potopu a czasów stanisławowskich. Phil. Diss. Warszawa 2004.
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Die um 1734 entstandene Federzeichnung Friedrich Bernhard Werners, von dem zwei Reisen durch Polen-Litauen belegt sind, veranschaulicht die religiöse Vielfalt im frühneuzeitlichen Lissa. Die Nummern in der Legende verweisen auf die Synagoge (3), die reformierte Johanniskirche (4), das katholische Gotteshaus (6) und die lutherische Kreuzkirche (7). Die Anfang des 18. Jahrhunderts in der Adelsrepublik noch existierenden Brüdergemeinden der polnischen Unität hatten sich zu jener Zeit längst den Reformierten angeschlossen.
Krieg brach man dann endgültig mit dem Buchstaben der Toleranzakte von 1573 und schloss alle Personen, die sich nicht zur katholischen Kirche bekannten, vom politischen Leben aus.58 Geändert hatte sich allerdings auch das Verhältnis unter den verbliebenen Anhängern der evangelischen Bekenntnisse. Die um 1700 noch existierenden 15 brüderischen Gemeinden der polnischen Unität hatten sich längst den Reformierten angeschlossen und einzig aus Gründen der Tradition den älteren Namen beibehalten. Aus der Brüderverfassung hatten sie lediglich die Wahl von Ältesten auf Lebenszeit und die Seniorordination in der seit dem 16. Jahrhundert erhaltenen Sukzession übernommen.59 Erste Spannungen hatte es bereits im Zuge der Ordination Nitschmanns gegeben, über die offenbar nur spärliche Nachrichten bis nach Lissa gelangt waren. „Mein Herr Bruder wird sich nebst mir erfreuen, dass die liebe Unität, welche in patria nach und nach erstirbet, apud Exteros, etiam Remotissi��Müller, Michael G.: Toleration in Eastern Europe: the Dissident Question in Eighteenth-Century Poland-Lithuania. In: Grell, Ole Peter/Porter, Roy (Hg.): Toleration in Enlightenment Europe. Cambridge 2000, 212–229; Salmonowicz, Stanisław: O sytuacji prawnej protestantów w Polsce (XVI–XVIII w.). In: Czasopismo prawno-historyczne 26/1, 1974, 159–173. ��Kriegseisen: Ewangelicy polscy i litewscy, 79–88.
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mos, aufzuleben beginne“, schrieb Jablonski im Februar 1736 dem ihm seit beinahe vierzig Jahren bekannten Sitkovius, den er selbst zwei Jahre zuvor zum Senior geweiht hatte, über die bereits nahezu ein Jahr zurückliegende Bischofsweihe von Nitschmann in Berlin.60 Sitkovius antwortete nur zwei Wochen später. Zwar teile er Jablonskis Freude, doch hätte er lieber zuvor die Kirchenordnung und -disziplin der Herrnhuter genauer kennengelernt. Und mit Blick auf die Lage der eigenen Kirche ergänzte er: „Wir sollten die Augen dazu aufthun, an uns selbst zurücke denken und ihnen nacheyfern mit reparirung der zerfallenen Ordnung.“61 Die Ordination Zinzendorfs schließlich mündete in einen offenen Konflikt. Über die Auseinandersetzung sind wir vor allem durch den umfangreichen Briefwechsel zwischen Sitkovius und dem bereits genannten Vorsteher der reformierten Gemeinde in Zürich, Wirz, informiert.62 Sitkovius fühlte sich, so ist seinem Schreiben an Jablonski vom Oktober 1740 zu entnehmen, zum Teil hintergangen. Ihm sei die Sache so dargestellt worden, „dass der H. Graf die Ordination verlange, um in Indien den Heyden das Evangelium zu predigen, nicht aber, dass er seinen Charakter [sein Bischofsamt, d. Verf.] in Europa publiciren und führen würde“.63 Tatsächlich gerieten die Brüder in Polen nach der raschen Veröffentlichung des Ordinationszeugnisses und der damit offensichtlichen Verbindung mit der „Herrnhuterei“ gleich in doppelter Weise unter Druck: zum einen durch die staatlichen Behörden und die katholische Hierarchie in Polen-Litauen, zum anderen durch die Glaubensgenossen in der Schweiz, den Niederlanden, England und im römisch-deutschen Reich, von deren finanzieller Förderung man in nicht geringem Maße abhängig war.64 Wären ihm die Einzelheiten der Ordination Zinzendorfs zuvor bekannt gewesen, so Sitkovius im Dezember 1740 an Wirz, hätte er seine Zustimmung gewiss nicht erteilt.65 In demselben Brief brachte der polnische Senior noch einen anderen Punkt vor, der eine weitere Ursache des Konflikts mit Jablonski andeutete. Er wundere sich, dass der Berliner Hofprediger „die böhmischen Brüder mit aller Gewalt zu Lutheranern“ machen wolle. In diesen Vorwurf fügt sich eine Äußerung Zinzendorfs auf der Ebersdorfer Synode von 1739 ein, nach der Jablonski die „mährischen principia“ habe – gemeint war die Neigung ������������ Zit. nach Bickerich: Lissa und Herrnhut, 52f. Zum Verhältnis von Jablonski und Sitkovius vgl. Bahlcke, Joachim: Christian Sitkovius (1682–1762). In: Meyer, Dietrich (Hg): Lebensbilder aus der Brüdergemeine, Bd. 2. Herrnhut 2014 (Unitas Fratrum. Beiheft 24), 111–126. ������������ Zit. nach Bickerich: Lissa und Herrnhut, 53. ��������������� Zu Wirz vgl. Widmer, Sigmund: Zürich – eine Kulturgeschichte, Bd. 7. Zürich 1979, 34f. ������������ Zit. nach Bickerich: Lissa und Herrnhut, Beilage 14. ��������������������������������������������������������������������������������������������������� In einem Schreiben vom 10. Januar 1737 an die litauische Unitätsleitung hatte Sitkovius eine von ihm erstellte Übersicht als Nachweis beigefügt, wie teuer den Böhmischen Brüdern in Großpolen allein die Prozesse zu stehen gekommen seien, die man seit Beginn des 18. Jahrhunderts gegen sie geführt habe. Vgl. Kriegseisen: Ewangelicy polscy i litewscy, 128f. ��Wotschke: Hilferufe, 31.
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zum lutherischen Pietismus – und diese zu fördern suche, Sitkovius aber ein „harter Reformierter“ und Gegner dieser Bemühungen sei.66 Auch wenn die Auffassung Zinzendorfs, nach der sich im Zusammenhang mit der jüngsten Emigration der Mährer eine Spaltung bei den Resten der alten Brüderkirche vollzogen habe,67 fraglos übertrieben ist, so kann sie doch einen Beleg dafür liefern, warum es trotz mehrfacher Anläufe zu keiner Annäherung zwischen den Brüdern in Polen und in Herrnhut gekommen ist. Nur als Entwurf ist uns ein Schreiben Zinzendorfs an den Senior in Lissa überliefert, das, selbst wenn es seinen Empfänger nicht erreicht haben sollte, doch ein Licht auf die verfahrene Situation und die Gereiztheit der einzelnen Akteure zu werfen vermag: Er wolle „aus christlicher Liebe und Bescheidenheit“ Sitkovius und „dero polnischen Freunden gerne was nachsehen und keine königliche Grossmut von Pfarrern fordern, die ihren Weibern und Kindern Brod schaffen müssen“; er warne ihn jedoch ernstlich, so der Reichsgraf, sich „in keine Kontrovers“ gegen ihn einzulassen und ihn zu nötigen, „das rauhe herauszukehren“.68
3. Getrennte Wege: Die Beziehungen zwischen Lissa und Herrnhut nach 1741 Nach dem Tod Jablonskis – der Hofprediger und Brüdersenior war am 25. Mai 1741 in Berlin gestorben – entspannte sich die Situation nicht wirklich.69 „Einen solchen Mann, der uns an jenem Ort solche Dienste leisten könne“, heißt es vier Monate später in einem Brief von Sitkovius an Wirz, „wissen wir nicht mehr aufzusuchen, und mir sind dadurch viele Sorgen und Bekümmernisse zugewachsen“.70 Mit Jablonski schied eine allseits anerkannte geistliche und moralische Autorität aus dem Leben, der es bisher weitgehend gelungen war, zwischen den Brüdern in Polen und denjenigen in Herrnhut zu vermitteln. ������������ Zit. nach Becker: Zinzendorf und sein Christentum, 473. ������������� Ebd., 473f. ������������ Zit. nach Bickerich: Lissa und Herrnhut, Beilage 16. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Der Tod des auswärtigen Seniors der Unität brachte für Sitkovius noch ganz andere Probleme mit sich. Jablonski hatte für seine Talmud-Ausgabe, durch die er in finanzielle Schwierigkeiten geraten war, Geld von der Brüderunität geliehen und in diesem Zusammenhang eine Haftungserklärung unterschrieben, für die Schulden gegebenenfalls mit seinem persönlichen Eigentum einzustehen. Nach Jablonskis Tod beschloss die Kirchenleitung in Lissa bereits Anfang Juni 1741, Sitkovius und den Konsenior Johann Alexander Cassius nach Berlin zu entsenden, um die für alle Seiten unangenehmen Geldangelegenheiten zu regeln. Dies scheint letztlich auch gelungen zu sein, sonst wäre der 1705 geborene jüngste Sohn des Hofpredigers, Friedrich Wilhelm Jablonski, ein Jahr später von der Lissaer Synode gewiss nicht einstimmig zum Nachfolger des Vaters als auswärtiger Senior gewählt worden. Vgl. Kvačala, Johann: D. E. Jablonsky und Großpolen. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 15, 1900, 1–30, 247–320; 16, 1901, 1–53, hier [16], 46f. ������������ Zit. nach Wotschke: Hilferufe, 33.
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Welcher Art die Spannungen und vor allem der Missmut auf Seiten der polnischen Brüderunität waren, lässt sich in besonderer Dichte einem langen Schreiben entnehmen, das Sitkovius Ende Dezember 1743 an den Vorsteher der reformierten Gemeinde in Zürich richtete. Aus ihm seien einige längere, besonders eindringliche Passagen zitiert: „Ich gestehe“, so der Senior, „daß ich für den Grafen von Zinzendorf und diese sogenannten mährischen Brüder auf die ersten nachrichten mehr Achtung gehabt, wie ich denn auch bei denen, die ich gesehen und gesprochen, allerhand Gutes meinte bemerkt zu haben. Insonderheit habe zu den günstigen Nachrichten und dem Urteil des sel. H. Seniors [Daniel Ernst] Jablonski das Vertrauen gehabt, daß ich damals auch dadurch bewogen worden, zu der Ordination meine Zustimmung zu geben. Je mehr aber von ihnen zu hören und zu lesen bekommen, je mehr Bedenklichkeiten habe ich dabei gefunden. Überhaupt ist es schwer, sich von ihren besonderen Meinungen einen rechten Begriff zu machen, weil sie sich vieler dunkler, zwei- oder mehrdeutiger Redensarten zu gebrauchen pflegen. [...] Sie nennen sich zwar nach den böhmischen und mährischen Brüdern, allein die vielen Veränderungen sowohl in der Disziplin als in der Lehre machen das Ansehen einer besonderen neuen Religion. Wenigstens müßten sie die neuen mährischen Brüder genannt werden. Ich merke auch immer mehr und mehr, daß der Graf von Zinzendorf der Autor ihrer ganzen neuen Verfassung ist [...]. Man könnte sich also wundern, daß es dem H. Grafen beliebet, den Namen der mährischen und böhmischen Brüder beizubehalten, da er doch der Lehre der mährischen Brüder irrige und gefährliche Meinungen zuschreibt.“ Er schätze durchaus vieles an ihnen, endete Sitkovius, könne aber gleichwohl „ihre Neuigkeiten nicht billigen [...], wegen welcher und anderer Ursachen wir uns mit ihnen nicht nur in keine Vereinigung, sondern auch in keine Korrespondenz einlassen können, daher ihre Briefe unbeantwortet bei mir liegen bleiben. Ein solcher Briefwechsel könnte leicht zu einer Kontroverse ausschlagen und solche endlich, indem die Herrnhuter vieles drucken lassen, bekannt werden. Daß es aber uns an unserem Orte nicht ratsam ist, in Religionssachen mit Streitigkeiten zu erscheinen, kann leicht ohne weitere Erklärung verstanden werden.“71 Die religiöse Kommunikation während der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Dreieck Berlin – Lissa – Herrnhut lässt vielfältige Spannungen und Differenzen erkennen. Über die offensichtlichen Unterschiede zwischen den Brüdern in Polen und der in Herrnhut neu entstandenen Gemeinschaft urteilte Wilhelm Bickerich in seiner kurz vor dem Ersten Weltkrieg erschienenen, von nationalem Pathos nicht ganz freien Abhandlung über das Verhältnis von Lissa und Herrnhut zur Zeit Zinzendorfs: „Die jugendfrische erneuerte Unität war ihrer älteren und schon altersschwachen polnischen Schwester an ������������������������ Zit. nach ebd., 41–44.
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Geist und Gaben, insbesondere an religiöser Kraft und Begeisterung, derart überlegen, dass ein Vergleich beider, abgesehen von den ähnlichen äusseren Ordnungen und den von der böhmischen Mutter ererbten Traditionen, wenig Gemeinsames ergibt.“72 Die politisch und auch ökonomisch schwierige Situation, in der sich die reformierten und Brüdergemeinden nach dem Großen Nordischen Krieg in Polen-Litauen befanden, wird damit freilich zu stark in den Hintergrund geschoben. Der mit diesen Problemen eng vertraute auswärtige Senior der Unität, der Berliner Hofprediger Daniel Ernst Jablonski, befand sich gleichsam zwischen den Fronten. Der Unionstheologe, der sein Leben lang das Gemeinsame, nicht das Trennende der evangelischen Kirchen zu betonen pflegte, empfand jedoch zwischen den Gemeinschaften in Lissa und Herrnhut eine tiefe Wesensverwandtschaft. Die Weitergabe seines Bischofsamtes an die durch Zinzendorf erneuerte Brüdergemeine war für ihn zudem der Trost seines Alters. „Wenn der Zustand der Seligen im Himmel litte, dass der fromme und eifrige Comenius einen Blick herabthun könnte, und seine wiederaufblühenden mährische Brüder schauen“, schrieb der achtundsiebzigjährige Hofprediger am 9. August 1738 an den Reichsgrafen, „o wie würde er sich inniglich ergötzen, und ein neues Loblied anstimmen dem Lamme, das erwürget war, das aber nun triumphiret und herrschet“.73 Die Haltung von Zinzendorf, der die ihm nicht näher bekannte polnische Unität ganz in der reformierten Kirche aufgegangen sah und damit bei Lichte besehen die Position seiner lutherischen Kritiker annahm, er sei lediglich von zwei reformierten Bischöfen geweiht worden, war in diesem Zusammenhang durchaus ambivalent. Einerseits hatten die durch die Übertragung des Bischofsamtes zum Ausdruck gebrachte Zustimmung und Unterstützung Jablonskis für ihn große Bedeutung. Andererseits schrieb er 1741, nachdem er sein Amt als Bischof niedergelegt hatte, dem ihm befreundeten Oberamtshauptmann Friedrich Caspar von Gersdorf, er sei dankbar dafür, dass er „nur drei Jahre genötigt gewesen, ein Sektenbischof“ zu sein.74
��Bickerich: Lissa und Herrnhut, 1. ����������� Zit nach Benz: Bischofsamt, 77. ������������ Zit. nach Becker: Zinzendorf und sein Christentum, 474.
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Glaubenssolidarität und Öffentlichkeit. Antworten auf religiöse Diskriminierung und Verfolgung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa am Beispiel des Hofpredigers und Brüderbischofs Daniel Ernst Jablonski Das Konfessionelle Zeitalter in Europa steht für eine umfassende kirchliche Erneuerung und Vertiefung des religiösen Lebens. Gleichzeitig brachte es aber auch unvorstellbare Gewaltexzesse hervor, regelrechte Religionskriege sowie zahlreiche Exilbewegungen. Vor allem im östlichen Europa, wo die Gegenreformation seit dem 17. Jahrhundert allerorts auf dem Vormarsch war, führte der Zwang zum vermeintlich wahren Glauben noch bis in die Zeit der Aufklärung zu religiöser Diskriminierung und Verfolgung. Als Bischof der polnischen Brüderunität und aufgrund seiner herausgehobenen Stellung am Berliner Hof verfügte Daniel Ernst Jablonski über internationale Beziehungen und konnte sich so mit Nachdruck für die Belange der Protestanten in PolenLitauen, Böhmen und Ungarn-Siebenbürgen einsetzen. Durch Interventionen, Gutachten und eigene Publikationen gelang es ihm, die öffentliche Meinung in Europa für die Lage der religiösen Minderheiten zu sensibilisieren.
1. Das Konfessionelle Zeitalter in Europa Während des 16. und 17. Jahrhunderts erlebte Europa mehrere grauenvolle konfessionelle Mächtekriege, bei denen sich politische und religiöse Interessen kreuzten und wechselseitig verstärkten. Das Gegenüber konkurrierender christlicher Glaubensgemeinschaften und Glaubensformen, das zu den Grundzügen des Konfessionellen Zeitalters zählt, stellte für die europäische Staatenwelt aber auch innenpolitisch eine der größten Herausforderungen dar.1 Denn die Staats- und Politiktheoretiker dieser Zeit sahen die Einheit des Glaubens als eine unerlässliche Voraussetzung für politische und gesellschaftliche Stabilität an. Religio vinculum societatis, eine einheitliche Religion ist das unverzichtbare Band jeder Gesellschaft, lautete die Maxime einer
1 Zum Überblick über die Gesamtepoche vgl. Klueting, Harm: Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte. Darmstadt 2007; Fritsch, Matthias J.: Religiöse Toleranz im Zeitalter der Aufklärung. Naturrechtliche Begründung – konfessionelle Differenzen. Hamburg 2004 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 28); Herzig, Arno: Der Zwang zum wahren Glauben. Rekatholisierung vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Göttingen 2000; Lehmann, Hartmut: Das Zeitalter des Absolutismus. Gottesgnadentum und Kriegsnot. Stuttgart u.a. 1980 (Christentum und Gesellschaft 9).
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Lehre, nach der nur ein konfessionell disziplinierter Untertan auch ein gehorsamer Untertan war.2 Da umgekehrt religiöser Dissens mit tatsächlicher oder zumindest potentieller Illoyalität gleichgesetzt wurde, rechtfertigte das Ziel religiöser Einheit zugleich Strafe und Zwang. Angesichts der engen Verkettung von weltlicher und geistlicher Macht, von politischem und religiösem Handeln in der Frühen Neuzeit war es – und darin waren sich Katholiken, Lutheraner und Reformierte im Grundsatz einig – die Aufgabe der staatlichen Organe, als Irrtümer angesehene religiöse Ideen zu unterdrücken und deren als Häretiker deklarierte Anhänger zu bestrafen. Das Bestreben, zumindest im eigenen Herrschaftsbereich diese Einheit zu bewahren oder erneut herzustellen, hatte deshalb im nachreformatorischen Europa eine Fülle von Gewaltausbrüchen zur Folge. Glaubensvielfalt und Glaubensflüchtlinge gehören so gleichermaßen zur Signatur eines Zeitalters, das die Praxis staatlichen Konfessionszwangs nur langsam überwand und erst im Jahrhundert der Aufklärung zu neuen Formen religiöser Koexistenz und Toleranz fand. Eine Antwort auf die Frage, wie das Zusammenleben von Menschen verschiedener Konfession in einer gemeinsamen politischen Ordnung möglich sein könne, bestand in der Herausnahme der Politik aus der vorgegebenen religiös-kirchlichen Einbindung.3 Der sich weltlich aufbauende und legitimierende, von den Forderungen der streitenden Konfessionen emanzipierende Staat setzte so allmählich den Primat der Politik gegenüber der Religion durch. Man wird sich diesen Prozess einer tiefgreifenden Säkularisierung aller Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens nicht idealtypisch als eine stetig fortschreitende, gewissermaßen unaufhaltsame Entwicklung vorstellen dürfen; das religiös-konfessionelle Konfliktpotential verschwand nicht über Nacht,4 und auch das Nachlassen eines spezifisch christlichen Einflusses in der Politik und bei der Begründung politischer Ordnung ist eher ein Kennzeichen von zunehmender Dechristianisierung als von Säkularisierung.5
2 Rödel, Walter G.: Religio vinculum societatis. Konfessionalisierung, Sozialdisziplinierung und der Alltag. In: Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde 62, 1995, 405– 420; Schreiner, Klaus: Rechtsgläubigkeit als „Band der Gesellschaft“ und „Grundlage des Staates“. Zur eidlichen Verpflichtung von Staats- und Kirchendienern auf die „Formula Concordiae“ und das „Konkordienbuch“. In: Brecht, Martin/Schwarz, Reinhard (Hg.): Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch. Stuttgart 1980, 351–379. 3 Böckenförde, Ernst-Wolfgang: Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisierung [1967]. In: ders.: Recht, Staat, Freiheit. Studien zur Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte. Frankfurt am Main 21992, 92–114. 4 Kleinehagenbrock, Frank: Die Erhaltung des Religionsfriedens. Konfessionelle Konflikte und ihre Beilegung im Alten Reich nach 1648. In: Historisches Jahrbuch 126, 2006, 135–156. 5 Lehmann, Hartmut: Zur Bedeutung von Religion und Religiosität im Barockzeitalter. In: Breuer, Dieter (Hg.): Barock und Religiosität im Zeitalter des Barocks, Bd. 1. Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 25,1), 3–22.
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Und dennoch: Die bis Mitte des 17. Jahrhunderts in zahlreichen Staaten vollzogene Entkoppelung von Politik und Religion in der politischen Theorie und Praxis, die Zurückdrängung der Theologen in der inneren Rangordnung der Höfe, die Errichtung eines staatlichen Gewaltmonopols jenseits der streitenden Konfessionen, die Ausbildung eines religionsneutralen Rechts- und Verfassungsbegriffs sowie die Verrechtlichung der Bürokratie bilden eine deutliche Zäsur im Übergang vom Konfessionsstaat älterer Prägung hin zum Verwaltungs-, Wohlfahrts- und Toleranzstaat der Aufklärung.6 Einen solchen Wendepunkt markierte im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation die pax christiana von 1648, indem sie die Einflusssphären der Konfessionen abgrenzte und mit neuen juristischen Mitteln festlegte. Nach Johann Gottfried von Meiern, der zwischen 1734 und 1736 die Akten des Westfälischen Friedenskongresses herausgab, müsse man den Frieden, durch den „die Religion und der Staat in demselben, zu einer beständigen Ordnung, Sicherheit und Ruhe ist erhaben worden, als ein Göttliches GnadenGeschenk“ verehren, für den Staatsrechtler Johann Jakob Schmauß war er „das Band, wodurch die Ruhe des teutschen Reichs und die Freundschaft zwischen Catholischen und Protestanten aufrecht erhalten“ wurde.7 Um die politische und rechtliche Handlungsfähigkeit des Reiches zu wahren und Majorisierungen der einzelnen Konfessionsparteien zu vermeiden, hatte der Westfälische Friede im Rahmen seiner kirchlichen Bestimmungen festgelegt, dass die katholischen und evangelischen Reichsstände künftig getrennt zusammentreten, beraten und alle Unstimmigkeiten gütlich beilegen sollten.8 Dem 1653 begründeten, von Kursachsen geführten Corpus Evangelicorum oblag als diplomatische Vertretung der lutherischen und reformierten Reichsstände fortan das Recht zu Kollektiveingaben und Interzessionsschreiben an den Kaiser sowie die obersten Reichsgerichte. Prinzipiell hatte auch das vom Reichsvizekanzler geleitete Corpus Catholicorum dieses Recht, doch wurden von ihm nur selten Beschwerden gegen die evangeli-
6 Schilling, Heinz: Das konfessionelle Europa. Die Konfessionalisierung der europäischen Länder seit Mitte des 16. Jahrhunderts und ihre Folgen für Kirche, Staat, Gesellschaft und Kultur. In: Bahlcke, Joachim/Strohmeyer, Arno (Hg.): Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur. Stuttgart 1999 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), 13–62, hier 60–62; S tolleis, Michael: Religion und Politik im Zeitalter des Barock. „Konfessionalisierung“ oder „Säkularisierung“ bei der Entstehung des frühmodernen Staates? In: Breuer, Dieter: Religion und Religiosität im Zeitalter des Barock. Wiesbaden 1995 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 25, 1), 23–42. 7 Zit. nach Schmidt, Georg: Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806. München 1999, 192. 8 Schlaich, Klaus: Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum. Aspekte eines Parteienwesens im Hlg. Römischen Reich Deutscher Nation. In: Der Staat. Zeitschrift für Staatslehre, Öffentliches Recht und Verfassungsgeschichte 11, 1972, 218–230.
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schen Reichsstände vorgetragen. Diese Regelungen, die im Kern auf eine Sicherung des beiderseitigen Konfessionsbestandes abzielten, trugen nach dem Dreißigjährigen Krieg entscheidend zur Rechtssicherheit und zur Beruhigung der konfessionell aufgeladenen Atmosphäre im Reich bei.9 Allgemein lässt sich in Europa bei der Überwindung des Konfessionalismus ein gewisses West-Ost-Gefälle beobachten. Während in Frankreich die unter dem Namen Politiques bekannten Kronjuristen als Reaktion auf den konfessionellen Bürgerkrieg bereits im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts eine Theorie vom Vorrang des Staates und politischer Werte gegenüber der Glaubenseinheit formulierten, die in den Leitsatz „L’Estat et la Religion n’ont rien de commun“ mündete,10 ist im östlichen Europa allgemein eine erst deutlich später einsetzende Säkularisierung zu konstatieren.11 Diese Beobachtungen hängen eng mit den Strukturproblemen der frühmodernen Staatsbildung und Nationswerdung im Raum zwischen Baltikum und Adria zusammen. In Ungarn beispielsweise, wo die Habsburger erst nach der dauerhaften Zurückdrängung der Türken um 1700 den Spielraum gewannen, ihre monarchische Autorität durchzusetzen, blieben die auch politisch einflussreichen katholischen Bischöfe noch lange unentbehrliche Bündnispartner. Dies erklärt zum Teil, wie der aus der Zips gebürtige Protestant Emanuel Boltz mit drastischen Worten in einer 1735 im niederländischen Leiden publizierten Schrift über die „gottlose Römische Geistlichkeit“ in Ungarn formulierte, die „schier gantz Europa“ in Unruhe versetzende „Raserey“ des dortigen Episkopats.12 Ohne Blick auf die politischen Gegebenheiten ist tatsächlich eine Schrift wie das 1750 im westungarischen Raab erschienene Enchiridion de fide nicht zu erklären: In dem gegen die Abtrünnigen und Zerstörer der katholischen Kir9 Schindling, Anton: Der Westfälische Frieden und das Nebeneinander der Konfessionen im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. In: Ackermann, Konrad/Schmid, Alois/Volkert, Wilhelm (Hg.): Bayern. Vom Stamm zum Staat. Festschrift für Andreas Kraus zum 80. Geburtstag, Bd. 1. München 2002, 409–432. Eine Gegenposition vertritt Luh, Jürgen: Unheiliges Römisches Reich. Der konfessionelle Gegensatz 1648 bis 1806. Potsdam 1995 (Quellen und Studien zur Geschichte und Kultur Brandenburg-Preußens und des Alten Reiches 1). �� Klippel, Diethelm: Staat und Souveränität [VI.–VIII.]. In: Brunner, Otto/Conze, Werner/Koselleck, Reinhart (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 6. Stuttgart 1990, 98–128, hier 107–110. 11 Lehmann, Hartmut (Hg.): Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa. Bilanz und Perspektiven der Forschung. Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 130); ders.: Über die Varianten einer komplementären Relation: Die Säkularisierung der Religion und die Sakralisierung der Nation im 20. Jahrhundert. In: ders.: Protestantisches Christentum im Prozeß der Säkularisierung. Göttingen 2001, 81–101; Musolff, Hans-Ulrich/Jacobi, Juliane/Le Cam, Jean-Luc (Hg.): Säkularisierung vor der Aufklärung? Bildung, Kirche und Religion 1500–1750. Köln/Weimar/Wien 2008 (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 35). ������������ Zit. nach Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23), 222.
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che gerichteten Handbuch vom Glauben und von den Ketzern forderte der Wesprimer Bischof Márton Padányi Biró den Einsatz der mittelalterlichen Inquisitionsmittel und drängte mit Nachdruck auf eine vollständige Liquidierung des Protestantismus in Ungarn.13
2. Die Bedeutung Brandenburg-Preußens für den Protestantismus im östlichen Europa Diskriminierung, obrigkeitliche Verfolgung und schließlich in ihrer radikalsten Variante Vertreibung oder erzwungene Aussiedlung Andersgläubiger fanden allerdings nicht erst in der Zeit der Aufklärung Interesse und Anteilnahme der europäischen Öffentlichkeit. Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen zugunsten in Bedrängnis geratener Glaubensverwandter lassen sich im protestantischen Europa bereits im Jahrhundert der Reformation in großer Zahl finden. Charakteristisch war das Bewusstsein internationaler Solidarität besonders für die Reformierten, die zu fernen ausländischen Glaubensbrüdern und -schwestern oft engere Beziehungen unterhielten als zu den gleichsprachigen, aber anderskonfessionellen Nachbarn. Mit dem Argument, man habe die christliche Pflicht zum Löschen des Feuers, wenn das Haus des Nachbarn brenne, warb der pfälzische Kurfürst Friedrich III. der Fromme, unter dessen Regierung die Kurpfalz zum Calvinismus überging, im Jahr 1568 bei anderen evangelischen Reichsständen um aktiven Beistand für die Reformierten in den Niederlanden.14 Gleichzeitig nahm er zahlreiche Flüchtlinge in sein Territorium auf und ließ in Heidelberg ausländische Bekenntnisschriften drucken, die andernorts nicht erscheinen durften.15 Wie weiträumig und aufwendig Hilfs- und Spendenaktionen schon im 16. Jahrhundert angelegt waren, zeigt die Kollektenreise des Charles Liffort in den Jahren 1592/93. Die im Auftrag des Genfer Reformators Théodore de Bèze organisierte Reise, die den im Krieg mit dem Herzog von Savoyen stehenden Schweizer Stadtstaat finanziell entlasten sollte, führte Liffort über Böhmen, Mähren und Schlesien bis nach Ungarn und Siebenbürgen.16 Als 13 Ders.: Frederick II of Prussia, Austria and the Hungarian Protestants: Bishop Márton Padányi Biró of Veszprém and the Enchiridion de fide. In: Austrian History Yearbook 31, 2000, 15–32. ����������������������������������������������������������������������������������������� Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz an Christoph Ehem, Heidelberg 11. Juni 1568. In: Kluckhohn, A[ugust] (Hg.): Briefe Friedrich des Frommen Kurfürsten von der Pfalz mit verwandten Schriftstücken, Bd. 2/1. Braunschweig 1870, 221f., Nr. 523. �� Wolgast, Eike: Konfessionsbestimmte Faktoren der Reichs- und Außenpolitik der Kurpfalz 1559–1620. In: Schilling, Heinz (Hg.): Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 70), 167–187, hier 182–186. ��Bucsay, Mihály: Protestáns gyűjtés Genf javára Kelet-Európában, Magyar- és Erdélyországban 1592–93-ban. In: Theológiai Szemle 16, 1974, 200–207.
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Zeichen konfessioneller länderübergreifender Solidarität bewährten sich solche Sammlungen nicht nur in aktuellen Notlagen. Sie begründeten häufig auch Verbindungen, deren Belastbarkeit und Bedeutung sich noch Generationen später erwies.17 Dass vor allem Brandenburg-Preußen für den Protestantismus im östlichen Europa große Bedeutung erlangen sollte, hing zunächst mit der Entwicklung innerhalb der hohenzollernschen Lande zusammen. Der geschlossene konfessionelle Territorialstaat wurde hier frühzeitig überwunden, da Kurfürst Johann Sigismund nach dem Übertritt vom lutherischen zum reformierten Bekenntnis 1613 darauf verzichtete, seine Untertanen ebenfalls zur Annahme seines Glaubens zu zwingen. Der Dualismus von calvinistischem Herrscherhaus und lutherisch geprägtem Land war einem Festhalten an konfessionalistischen Positionen abträglich, so dass Brandenburg-Preußen schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auf den Weg religiöser Toleranzpolitik geführt wurde.18 Verordnungen wie diejenige vom 24. Februar 1614, wonach „allenthalben gute Bescheidenheit und Moderation von denen Geistlichen auff den Cantzeln und sonsten, Ergernüß, Verwirrung der Gewissen und Benachtheilung der Kirche zu verhüten, gebrauchet und geführet werden solle“,19 waren der Auftakt zu einer ganzen Reihe ähnlicher Erlasse, mit denen der Frieden zwischen Lutheranern und Reformierten im Land hergestellt und bewahrt werden sollte. Die Aufnahme zahlreicher Glaubensflüchtlinge aus west- wie osteuropäischen Ländern, in denen die Rekatholisierung mit Macht auf die Konversion beziehungsweise Auswanderung der evangelischen Bevölkerungsteile drängte, war ein weiterer Beitrag BrandenburgPreußens zur Ausformung eines „protestantischen Gemeinbewußtseins“.20 Namentlich für die nach dem Dreißigjährigen Krieg immer stärker in die Defensive geratenden evangelischen Gemeinden in Ostmitteleuropa gewann der aufstrebende, durch seine außerhalb des Heiligen Römischen Reiches liegenden Gebiete in Preußen ohnehin den östlichen Nachbarn nahestehende Hohenzollernstaat eine wichtige Funktion als Fürsprecher und Verbündeter. �� Kowalská, Eva: Exil als Zufluchtsort oder Vermittlungsstelle? Ungarische Exulanten im Alten Reich während des ausgehenden 17. Jahrhunderts. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4), 257–276. ��Thadden, Rudolf von: Wie protestantisch war Preußen? Gedanken zur evangelischen Kirchengeschichte Preußens. In: Jahrbuch für Berlin-Brandenburgische Kirchengeschichte 53, 1981, 37–54, hier 39f.; Kraus, Hans-Christof: Staat und Kirche in Brandenburg-Preußen unter den ersten beiden Königen. In: Bahlcke, Joachim/Korthaase, Werner (Hg.): Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700. Wiesbaden 2008 (Jabloniana. Quellen und Forschungen zur europäischen Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit 1), 47–85, hier 47–54. �������������� Abdruck bei Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der Brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union 1540 bis 1815. Bielefeld 1977 (Unio und Confessio 6), 132–136, Nr. 8; zum Hintergrund vgl. ebd., 22–29. ��von Thadden: Wie protestantisch war Preußen?, 41.
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Die „Marsch Carte“, die als Einblattdruck verkauft wurde, war auch dem schon 1732 erschienenen Buch von Johann Heinrich Baum über die Salzburger Emigration beigebunden, das sich gerade wegen seiner Kupferstiche und Landkarten großer Beliebtheit erfreute. Karten wie die vorliegende, die durch die Darstellung betroffener Familien und ihrer oft spärlichen Habseligkeiten noch an Authentizität gewannen, verstärkten das Bild Preußens als Schutzmacht aller ihres Glaubens wegen verfolgten und vertriebenen Protestanten. Da sie gleichzeitig die praktische Bewältigung konfessioneller Migration vor Augen führten, suchten katholische Staaten wie die österreichische Monarchie deren Verbreitung im eigenen Herrschaftsbereich mit allen Mitteln zu verhindern.
Schon 1652 hatten protestantische Abgesandte aus den habsburgischen Erblanden auf dem Reichstag in Regensburg erklärt, Brandenburg sei unterdessen die „einzige Macht, auf die sie nebst Gott hoffen könnten“.21 Aus ganz ähnlichen Motiven richteten 16 Jahre später die reformierten Gemeinden aus Kleinpolen eine umfangreiche Bittschrift an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, den sie als „den eifrigsten Verteidiger und Beschützer der evangelischen Religion“ ansprachen.22 Diesem ersten förmlichen Hilfegesuch einer größeren Gruppe von Dissidenten in Polen-Litauen an den brandenburgischen Kurfürsten folgten bis zum Ende des 18. Jahrhunderts viele weitere, in denen von Überfällen auf Kirchen, Geistliche und Gläubige, vom ������������ Zit. nach Rhode, Gotthold: Preußens Bedeutung für den Protestantismus in Osteuropa. In: Der Remter. Schriften ostdeutscher Besinnung 2, 1959, 33–43, hier 38. ��Łukaszewicz, Józef: O kościołach braci czeskich w dawnej Wielkopolsce. Poznań 1853, 287–291.
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Verbot evangelischer Gottesdienste und rechtlichen Konflikten mit weltlichen und katholischen Amtsträgern berichtet wurde. Die Bitten zielten stets darauf ab, dass Berlin sich für eine Bestätigung der Rechte der Dissidenten in der Adelsrepublik und bei anderen evangelischen Höfen einsetze, dabei auf eine Rückgabe konfiszierter Kirchen und anderer Besitztümer dränge und insgesamt den polnischen König zu einer Änderung seiner rigiden Religionspolitik bewege.23 Ganz ähnliche Beobachtungen lassen sich bei den Beziehungen Brandenburg-Preußens zu den Ländern der ungarischen Stephanskrone während der Frühen Neuzeit machen.24 Mit der großen Zahl kollektiver und individueller Beistandsgesuche gelangten – häufig durch auswärtige Gesandtschaften, Studenten und Kaufleute übermittelt – Bücher, Flugschriften und gedruckte Petitionen nach Berlin. Im November 1706 zum Beispiel wandten sich Vertreter der evangelischen Gemeinde Ödenburgs zum wiederholten Mal an den preußischen König, den, wie sie schrieben, „Retter und Beförderer der Ehr Gottes“. In diese kommunikativen Netzwerke waren auch andere Kreise eingebunden, etwa der schwedische Legationsprediger Johann Christian Lerche, der mit namhaften Protestanten in Pressburg, Schemnitz und Neusohl in Kontakt stand. Um für „eine gantze beträngte Nation“ zu intervenieren, wandten sich 1746 sogar zwei Göttinger Professoren, der Mathematiker Johann Andreas von Segner und der Theologe Christian Kortholt, an König Friedrich II., dessen „weltgepriesene Entfernung von allem Gewissenszwang“ das exakte Gegenteil zur Haltung Wiens in allen Fragen von religiöser Selbstbestimmung und Toleranz darstelle.25 Die Reaktionen des Berliner Hofes konnten ganz unterschiedlich ausfallen. Einmal wählte man den Weg der offiziellen Beschwerde über das Corpus Evangelicorum am Reichstag in Regensburg oder direkte Interventionen bei den entsprechenden Mächten,26 ein anderes Mal hielt man sich eher bedeckt ���������������������������������������������������������������������������������������������� Unverändert wertvoll in ihrem Materialreichtum, wenn auch mitunter problematisch in der Wertung, ist die Abhandlung von Rhode, Gotthold: Brandenburg-Preußen und die Protestanten in Polen 1640–1740. Ein Jahrhundert preußischer Schutzpolitik für eine unterdrückte Minderheit. Leipzig 1941 (Deutschland und der Osten 17). Neuere Perspektiven bieten Dworzaczkowa, Jolanta: Bracia czescy w Wielkopolsce w XVI i XVII wieku. Warszawa 1997; Kriegseisen, Wojciech: Ewangelicy polscy i litewscy w epoce saskiej (1696–1763). Sytuacja prawna, organizacja i stosunki międzywyznaniowe. Warszawa 1996. ��Wertheimer, Ede: Magyarország és II. Frigyes Vilmos porosz király. In: Budapesti Szemle 109, 1902, 1–26; Kienast, Andreas: König Friedrich II. von Preussen und die Ungarn bis zum Hubertusburger Frieden 1763. In: Mittheilungen des k. und k. Kriegs-Archivs N.F. 9, 1895, 195–315; Krauske, Otto: Der große Kurfürst und die protestantischen Ungarn. In: Historische Zeitschrift 58, 1887, 465–496; Marczali, Henrik: Porosz-magyar viszonyok 1789–90-ben. In: Századok 12, 1878, 305–325. ������������������� Alle Zitate nach Bahlcke: Ungarischer Episkopat, 220–223. ������������������������������������ Ausführliches Quellenmaterial bei Schauroth, Eberhard Christian Wilhelm von: Vollständige Sammlung Aller Conclusorum, Schreiben Und anderer übrigen Verhandlungen des Hochpreißlichen Corporis Evangelicorum [...], Bd. 1–3. Regenspurg 1751–1752; Herrich, Nikolaus August:
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oder nutzte allenfalls informelle Kanäle, um sich für die Anliegen auswärtiger Protestanten zu verwenden. Entscheidend waren hierbei nicht zuletzt die Eigeninteressen der Hohenzollern.27 Als Leopold I. 1670 einen Adelsaufstand zum Anlass nahm, um mit offener Gewalt gegen die Protestanten im Königlichen Ungarn vorzugehen, bereitete das Corpus Evangelicorum eine gemeinsame Fürsprache vor. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg wartete jedoch das votum commune nicht ab, sondern umging die Gesandtenversammlung und den Reichstag und wandte sich im Alleingang an den Kaiser.28 Der Grund hierfür ist einfach, denn mit solchen Interventionen ließ sich stets auch Machtpolitik betreiben. Man erhöhte das eigene Prestige, desavouierte öffentlichkeitswirksam den politischen Gegner – in diesem Fall die katholischen Habsburger – und gewann Vorteile gegenüber den konkurrierenden Reichsständen. Nicht zufällig ging die Führung des Corpus Evangelicorum nach 1697, als Kurfürst Friedrich August I. von Sachsen zum katholischen Glauben konvertierte, trotz unveränderter Leitung durch Sachsen bei Lichte besehen auf Brandenburg-Preußen über.29 Seit der Errichtung einer obersten Zentralbehörde für auswärtige Angelegenheiten 1728 verfügten die Hohenzollern über eigens ausgewählte Kabinettsräte, deren Aufgabe darin bestand, die deutsche und außerdeutsche Öffentlichkeit durch geeignete Stellungnahmen, Gutachten und Traktate zu gewinnen. „Mag Preußen in anderer Hinsicht gegenüber den übrigen Großmächten immer im Wettbewerbsnachteil geblieben sein: in bezug auf die propagandistische Vertretung seiner Politik lief es den meisten deutlich den Rang ab.“30 Den Zeitgenossen blieb die Janusköpfigkeit der religiösen Schutzpolitik der Hohenzollern, aber auch anderer Mächte, keineswegs verborgen. Ein enger Weggefährte und Amtsbruder Daniel Ernst Jablonskis, der 1734 in die Kirchenleitung der Brüderunität in Polen aufgestiegene Senior Christian Sitkovius, äußerte hierzu 1742 in einem Schreiben an den Vorsteher der reformierten Gemeinde in Zürich bemerkenswerte Gedanken. Neben Neuigkeiten über die Tätigkeit der Herrnhuter in Lissa konnte er aus eigener Erfahrung berichten, „wie viel oder wenig Vertrauen man in Beschützung der Religion zu den Potentaten“ haben dürfe: „Wenn bisweilen weltliche Mächte einen beSammlung aller Conclusorum, Schreiben und anderer Verhandlungen des hochpreißlichen Corporis Evangelicorum vom Jahre 1753. bis 1786 [...]. Regensburg 1786. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Von solchen „propres interests“ des preußischen Königs ist im Umfeld der Fürsprache Berlins zugunsten der ungarischen Protestanten während des Rákóczi-Aufstands wiederholt die Rede. Vgl. Fiedler, Josep (Hg.): Actenstücke zur Geschichte Franz Rákóczy’s und seiner Verbindungen mit dem Auslande [...], Bd. 1–2. Wien 1855–1858 (Fontes rerum Austriacarum, Abth. 2: Diplomatara et acta 9,17) [ND Graz 1964], hier Bd. 1, 160. ��Ribini, Ioannes: Memorabilia augustanae confessionis in regno Hungariae a Leopoldo M. usque Carolum VI. Posonii 1789, 47–49, 434–436. ��Frantz, Adolph: Das Katholische Directorium des Corpus Evangelicorum. Marburg 1880. �� Duchhardt, Heinz: Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700–1785. Paderborn u.a. 1997 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 4), 71.
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sonderen Eifer für die Religion äußern, so wird nicht selten ein weltliches Interesse darunter gesucht. So bald man dieses erhalten[,] ist jener verschwunden, dessen man sich nur bedient, den zeitlichen Vorteil so viel kräftiger durchzutreiben.“ Ebenso klar die konsequente Verfolgung merkantilistischer Maximen in Berlin erkennend, fügte er hinzu: „Nun aber sähe man lieber, daß die dissidentischen Polen wegen Religionsverfolgung im Vaterlande in das Brandenburgische übergingen.“31 Und über Friedrich II. heißt es durchaus zutreffend in einem kleinen Traktat, den 1785 der aus Baden gebürtige, zu jener Zeit in Wien wirkende Aufklärungspublizist Otto Heinrich von Gemmingen-Hornberg verfasst hatte: „Wie sehr wußte der Weise jede Triebfeder zu seinem Vortheile in Bewegung zu setzen? wie geschickt zu lenken den Sektengeist der Religion? wir alle können uns der Zeit noch erinnern, wo fast jeder protestantische Prediger ein Alliierter des Königs von Preußen war: und was hat man auf dem Reichstage nicht schon zur Religionssache gemacht, wenn der König etwas durchsetzen oder verhindern wollte.“32
3. Protestantische Identität und grenzüberschreitende Kommunikation In der Selbstdarstellung des brandenburg-preußischen Staates kamen religiöser Toleranz und Glaubenssolidarität erhebliche Bedeutung zu. Ähnlich wie der Thesaurus Brandenburgicus, eine 1696 bis 1701 in drei Bänden vorgelegte Beschreibung der hohenzollernschen Münz- und Antikensammlung, verfolgten auch die anderen numismatischen Werke des Vorstehers der Berliner Kunstkammer und des Naturalienkabinetts Lorenz Beger eine politische Absicht. Mit ihrer Hilfe wurden zum einen die antiken Sammlungsgegenstände in den Dienst panegyrischen Herrscherlobs gestellt. Zum anderen unterstrichen sie, durch den Text wie durch die beigefügten hochwertigen Illustrationen, den Herrschaftsanspruch der aufstrebenden Dynastie.33 Es tra�� Wotschke, Theodor: Hilferuf nach der Schweiz. In: Deutsche wissenschaftliche Zeitschrift für Polen 15, 1929, 69–110; 16, 1929, 26–74, hier [16], 38–40, Nr. 27. Zum Hintergrund der vom Berliner Hof favorisierten Auswanderung der polnischen Dissidenten, zu der Jablonski ein alternatives Projekt entwickelte, vgl. Bömelburg, Hans-Jürgen: Konfession und Migration zwischen Brandenburg-Preußen und Polen-Litauen 1640–1772. Eine Neubewertung. In: Bahlcke (Hg.): Glaubensflüchtlinge, 119–144, hier 134f. ������������������������������������������������������ Die 1785 „in Deutschland“ gedruckte Flugschrift von Gemmingen[-Hornburg], Otto [Heinrich] von: Ueber die Königl. Preußische Association zu Erhaltung des Reichssystems, wurde abermals abgedruckt, kommentiert und gleichzeitig scharf zurückgewiesen durch Dohm, Christian [Conrad] Wilhelm [von]: Ueber den deutschen Fürstenbund. Berlin 1785 (Zitat 54). ��Wrede, Henning (Hg.): 300 Jahre „Thesaurus Brandenburgicus“. Archäologie, Antikensammlungen und antikisierende Residenzausstattungen im Barock. München 2006 (Cyriacus. Studien zur Rezeption der Antike 2); Segelken, Barbara: Anspruch und Wirklichkeit einer Monarchie. Die Selbstdarstellung Friedrichs I. im Spiegel der „Antiken-, Kunst- und Naturalienkammer“. In: Preußen 1701.
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ge zum Ruhm der Hohenzollern bei, so Beger mit Blick auf die Aufnahme Tausender von Glaubensflüchtlingen, dass sie „die Frömmigkeit, die durch die Grausamkeit der Kriege und des Aberglaubens vertrieben worden war“, großherzig in ihr Land aufgenommen hätten.34 Eine ganz ähnliche Aussage zur aktuellen Lage des Protestantismus in Europa enthält das Titelkupfer des im Jahr 1700 in Berlin erschienenen Gesangbuchs für die reformierten Gemeinden in Brandenburg, zu dem Daniel Ernst Jablonski in seiner Funktion als Hofprediger der Schloss- und Domkirche das Vorwort verfasste:35 Über einer zehnsaitigen Harfe thront, von der göttlichen Glorie umstrahlt, der Heilige Geist – mit ihm blickt der Betrachter auf die von der Reformation beeinflussten Staaten Europas. Zehn nach dem Inhalt des Psalters benannte Ströme ergießen sich aus den Saiten und bewässern einzelne Länder. Frankreich, das 1685 die Hugenotten des Landes verwies, wird durch eine Harfe ohne Saiten und einen Baum beschrieben, dem die blühenden Zweige abgebrochen wurden; in Ungarn, wo sich die evangelische Bevölkerung in jenen Jahren der Gegenreformation ausgesetzt sah, grünt zumindest noch der untere Teil. Auch England verfügt über eine Harfe. In vollem Laub aber präsentiert sich – in der Bildmitte – nur ein einziger Baum: Zwischen den Harfen am Stamm prangt das Kurzepter Brandenburgs. Berlin wird in dieser Darstellung zur Hauptveste des Protestantismus in Deutschland erklärt. Als reformierter Hofprediger der Hohenzollern war Jablonski nachgerade dazu prädestiniert, die staatliche, auf einen Ausgleich zwischen den protestantischen Bekenntnissen und auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit mit auswärtigen Glaubensverwandten abzielende Religionspolitik zu vertreten. Das Wissen um die Diskriminierung und Verfolgung seiner eigenen Kirche, der böhmisch-mährischen Brüderunität, hat seine Vorstellungswelt ohne Zweifel nachhaltig geprägt. Die katholische Kirche war für ihn, wie er am 16. März 1700 dem Halberstädter Pastor Johann Melchior Götze schrieb, Eine europäische Geschichte. Essays. Berlin 2001, 335–340; Gröschel, Sepp-Gustav: Herrscherpanegyrik in Lorenz Begers „Thesaurus Brandenburgicus Selectus“. In: Rössler, Detlef (Hg.): Antike und Barock. Stendal 1989 (Winckelmann-Gesellschaft. Vorträge und Aufsätze 1), 37–61. ��Begerus, Laurentius: Numismata pontificum romanorum [...]. Coloniae Brandenburgicae 1704, 88. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Jablonski, Daniel Ernst: Dem Christlichen Leser [Vorrede]. In: Des Königs und Propheten Davids Geistreiche Psalmen/ Nach Frantzösischen Melodien in Deutsche Reimen gebracht durch D. Ambrosium Lobwasser [...]. Berlin 1700, Vorrede (ohne Paginierung). Zum Hintergrund vgl. Bachmann, J[ohann] F[riedrich]: Zur Geschichte der Berliner Gesangbücher. Ein hymnologischer Beitrag. Berlin 1856 [ND Hildesheim/New York 1970], 63–86, 191–203; Winterfeld, Carl von: Der evangelische Kirchengesang und sein Verhältniß zur Kunst des Tonsatzes, Th. 3. Leipzig 1847 [ND Hildesheim 1966], 159–195. Zu Jablonski vgl. zusammenfassend Bahlcke, Joachim: Daniel Ernst Jablonski (1660–1741). Glaubenssolidarität, Kirchenunion und Frühaufklärung. In: Beutel, Albrecht (Hg.): Protestantismus in Preußen. Lebensbilder aus seiner Geschichte, Bd. 1: Vom 17. Jahrhundert bis zum Unionsaufruf 1817. Frankfurt am Main 2009, 133–162.
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Für die reformierten Gemeinden in Brandenburg erschien 1700 in Berlin ein Gesangbuch, für das Daniel Ernst Jablonski in seiner Funktion als Hofprediger in der Schloss- und Domkirche das Vorwort verfasste. Das Titelkupfer symbolisiert die aktuelle Lage des Protestantismus in Europa. Unter Anspielung auf das Zusammenleben von Lutheranern und Reformierten in der Hohenzollernmonarchie heißt es in einer „Erklärung des Kupffer-Blats“ im Gesangbuch: „Vor allen steht die Harff wo Brandenburg regieret/ Sein Scepter ist der Schmuck/ mit dem viel Landes prangt; Er macht/ daß viel das Band der Einigkeit bezieret/ Daß zweyer Harffen Thon zu einem Klang gelangt.“
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eben stets auch eine „Ecclesia Tyrannica und Persecutrix“,36 eine Kirche der Gewaltherrschaft und Verfolgung. Zudem verfügte Jablonski über eigene Erfahrungen selbstloser Hilfsbereitschaft und Solidarität. Als Zwanzigjähriger durfte er selbst ein Stipendium beanspruchen, das in England 1680 auf Bitten der großpolnischen Brüderunität für ein Universitätsstudium in Oxford eingerichtet worden war. Vor allem aber bot ihm das Amt des Seniors der Brüderkirche in Polen, das vor ihm bereits sein Vater und andere Mitglieder der Familie innegehabt hatten, vielfältige Möglichkeiten praktischer Hilfestellung und Vermittlung. Die Wahl des ebenso weltgewandten wie einflussreichen Jablonski zum auswärtigen Senior 1699 war in Lissa mit besonderem Nachdruck betrieben worden, eben weil der Hofprediger von Berlin aus beste Voraussetzungen besaß, um sich für die Anliegen der Protestanten im polnisch-litauischen Unionsstaat stark zu machen.37 „Einen solchen Mann, der uns an jenem Orte solche Dienste leisten könne“, schrieb der bereits genannte Senior Christian Sitkovius nach Jablonskis Tod 1741 an den Züricher Kirchenvorsteher Johann Conrad Wirz, „wissen wir nicht mehr aufzusuchen, und mir sind dadurch viele Sorgen und Bekümmernisse zugewachsen“.38 Da der Berliner Hofprediger nur selten persönlich nach Polen-Litauen kam, wurden die meisten Informationen durch Briefe ausgetauscht, die zum Teil auf dem üblichen Postweg befördert wurden, zum Teil auch durch Studenten und andere Besucher, die mit Jablonski in der preußischen Haupt- und Residenzstadt zusammentrafen. An den auswärtigen Senior wandten sich ganze Gemeinden ebenso wie einzelne Gläubige, Repräsentanten der Stadt Lissa, Senioren, Geistliche und Studenten der Brüderunität sowie Theologen anderer Bekenntnisse aus allen Teilen des Unionsstaates. Durch die ihm übersandten Mitteilungen der Kirchenleitung, Beschlüsse der regionalen Adelsversammlungen, Synodalakten und andere Schriften war er über alle wichtigen Vorkommnisse in Polen-Litauen stets gut unterrichtet.39 Jablonski revidierte Gesangbücher und Katechismen, sorgte für Lehrer und Kantoren, setzte sich für eine polnische Bibelübersetzung ein, wachte über die Alumnen der Unität und unterstützte Mitglieder der reformierten Gemeinden in Litauen. Durch die Doppelfunktion als Hofprediger und Brüderbischof fiel ihm nahezu zwangsläufig eine Aufgabe zu, die er zeit seines Lebens mit großer Hingabe ausfüllte: die politische, materielle und geistliche Unterstützung bedrängter Glaubensbrüder und -schwestern. ��������������������������������������������������������������������������������������������� Daniel Ernst Jablonski an Johann Melchior Götze, Berlin 16. März 1700. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Nachlass A. H. Francke, Sign. 11,2/13:11. ��Kvačala, Johann: D. E. Jablonsky und Großpolen. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 15, 1900, 1–30, 247–320; 16, 1901, 1–53, hier [15], 13f. ��Wotschke: Hilferuf nach der Schweiz, [16], 32–34, Nr. 24. �� Bečková, Marta: Daniel Ernst Jablonski und seine Beziehungen zu Polen. In: Bahlcke/Korthaase (Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 205–222.
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Jablonskis Unterstützung für diesen Personenkreis beschränkte sich freilich nicht auf die Adelsrepublik, sondern galt auch anderen Ländern im östlichen Mitteleuropa. In der Fachliteratur ist er daher gelegentlich, auch wenn dies naturgemäß nur in einem übertragenen Sinn verstanden werden kann, als „Bischof der Polen und Ungarn“40 bezeichnet worden. Der Einsatz für die Protestanten in Ungarn und Siebenbürgen, der seinen Höhepunkt Anfang des 18. Jahrhunderts nach Ausbruch eines von Ferenc II. Rákóczi geführten Adelsaufstands gegen die habsburgische Zentralmacht fand, hatte für Jablonski persönlich überdies ernste Konsequenzen. In enger Verbindung mit zwei Vertrauten Rákóczis, Pál Ráday und János Mihály Klement, war der Hofprediger nicht allein als Fürsprecher der ungarischen Protestanten aufgetreten, die sich in jenen Jahren in großer Zahl mit Beistandsgesuchen an den preußischen König wandten. Darüber hinaus versuchte Jablonski auch in einer heiklen, nur zum Teil von Friedrich I. befürworteten diplomatischen Aktion, die protestantischen Höfe zu einer Intervention zugunsten Ungarns zu bewegen. Zu diesem Zweck reiste er 1709 in die Niederlande und nach England. Auch sein späterer Briefwechsel über die Verhältnisse in Ungarn drehte sich immer wieder um die Haltung der europäischen Höfe, diplomatische Kontakte, Kriegshandlungen und Geldtransfers41 – um Fragen mithin, die weit über den Zuständigkeitsbereich seines Amtes und die Formen unmittelbarer Hilfsleistungen hinausgingen. 1711 teilte der preußische Minister Heinrich Rüdiger von Ilgen dem Hofprediger mit, dass die „für die Herrn Ungern“ unternommene Fürsprache sowohl in Wien, Den Haag und Regensburg als auch an anderen Orten „gross bruit“ gemacht habe; er könne nur hoffen, dass „die Sache noch nicht eclatiret“, sondern weiter geheim gehalten werden könne.42 Dass die Angelegenheit später dennoch mächtige Wellen schlug, hing vorrangig mit der Person von Klement zusammen, der sich in Preußen nach verschiedenen Vorfällen einem Hochverratsprozess ausgesetzt sah und am 18. April 1720 in Spandau öffentlich hingerichtet wurde.43 Auch Jablonski war in diesem Zusammenhang angeklagt, durch königliche Ordre vom 4. Februar 1719 seiner Ämter enthoben und erst nach fünfmonatiger Untersuchung „restituiert“ worden. Der Hofprediger erhielt einen nachdrücklichen Verweis, weil er sich leichtfertig in Angelegenheiten der Regierung eingemischt �� Joseph, David: Die Parchialkirche in Berlin 1694–1894. Eine bau- und kunsthistorische Studie auf Grund archivalischer Quellen. Berlin 1894, 155. ����������������������������������������������������������������������� Zahlreiche Korrespondenzen, Protokolle und Aufzeichnungen hierzu bei Fiedler (Hg.): Actenstücke zur Geschichte Franz Rákóczy’s. ������������������� Ebd., Bd. 2, 171. ��Friedberg, Heinrich von: Der Kriminalprozeß wider den Ungarn Michael v. Klement. Eine Episode aus der Regierungszeit Friedrich Wilhelm’s I. In: Historische Zeitschrift 62, 1889, 385–565; Szalay, László: Klement János Mihály, II. �������������������������������������������������� Rákóczi Ferencz követe Berlinben, Hágában, Londonban. In: Századok 4, 1870, 1–13, 73–87.
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habe. Jablonski hatte der königlichen Untersuchungskommission nicht nur die rund 150 Briefe abzugeben, die er bis zum Jahr 1716 an Klement geschrieben hatte, sondern auch alle älteren Korrespondenzen, die Politik und Kirche in Ungarn betrafen.
4. Praktische Hilfsmaßnahmen und publizistischer Einsatz Ähnlich zielstrebig wie die politische Fürsprache zugunsten bedrängter Protestanten waren Jablonskis Bemühungen, diesen durch Spendensammlungen und Stipendien finanziell zu helfen. Solche Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen hatten in der Geschichte der Brüderkirche bereits eine lange Tradition.44 Seine spätere Fürsorge galt verständlicherweise besonders der eigenen Kirche in Lissa, die 1707 während des Großen Nordischen Krieges ein weiteres Mal nach 1656 von schweren Bränden, Verwüstungen und Plünderungen heimgesucht wurde. Die Kollektenreise im Folgejahr, zu der detaillierte Aufzeichnungen überliefert sind, lässt nicht nur das Verhandlungsgeschick Jablonskis, seine persönlichen Beziehungen und diplomatischen Erfahrungen erkennen. Sie zeigt auch, dass der Berliner Hofprediger und Brüderbischof solche Unternehmungen zu nutzen suchte, um die Glaubenssolidarität aller evangelischen Christen einzufordern. So wehrte er sämtliche Versuche ab, nur für die reformierte Gemeinde in Lissa zu sammeln: Eine solche Distanzierung von den Lutheranern hielt er, wie es in einem Bericht über die Kollektenreise von 1708 heißt, „vor ein grösser unglük, als dass Lissa zerstöret worden“.45 Im Kontakt- und Korrespondenznetz des europäischen Protestantismus war Jablonski, korrespondierendes Mitglied der 1699 in London gegründeten Society for Promoting Christian Knowledge, zu einem der wichtigsten Vermittler zwischen dem Westen und dem Osten Europas geworden.46 Er leistete litauischen Reformierten Beistand, die sich in England um eine finanzielle ��Greengrass, Mark: The Financing of a Seventeenth-Century Intellectual Contributions for Comenius, 1637–1641. In: Acta Comeniana 11, 1995, 71–87; Wilson, Renate: Continental Protestant Refugees and their Protectors in Germany and London. Commercial and Charitable Networks. In: Pietismus und Neuzeit. Ein Jahrbuch zur Geschichte des neueren Protestantismus 20, 1994, 107– 124; Hans, Nicholas: Polish Protestants and their Connections with England and Holland in the 17th and 18th Centuries. In: The Slavonic and East European Review 37, 1958/59, 196–220; Prümers, Rodgero (Hg.): Tagebuch Adam Samuel Hartmanns über seine Kollektenreise im Jahre 1657–1659. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 14, 1899, 67–140, 241–308; 15, 1900, 95–160, 203–236. ������������ Zit. nach Prümers, Rodgero: Eine Lissaer Kollektenreise. In: Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz Posen 12, 1897, 129–221, hier 145. �� Nishikawa, Sugiko: Die Fronten im Blick. Daniel Ernst Jablonski und die englische Unterstützung kontinentaler Protestanten. In: Bahlcke/Korthaase (Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 151–168; dies.: The SPCK in Defence of Protestant Minorities in Early Eighteenth-Century Europe. In: Journal of Ecclesiastical History 56, 2005, 730–748.
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Im Jahr 1730, aus dem das abgebildete Vorlesungsverzeichnis der Universität Frankfurt an der Oder stammt, stand Paul Ernst Jablonski der Viadrina als Rektor vor. Seiner Führsprache und der Unterstützung seines Vaters, des Berliner Hofpredigers Daniel Ernst Jablonski, hatte es der auf der linken Seite an dritter Stelle genannter Pál Gyöngyössi zu verdanken, dass er 1726 als Theologieprofessor in den Lehrkörper der Oderuniversität aufgenommen wurde. Gyöngyössi hatte nach Studien in England und den Niederlanden eine Predigerstelle in der reformierten Gemeinde seiner Heimatstadt Kaschau übernommen, war aber nach der Publikation eines Buches gegen das militante Gebaren der katholischen Bischöfe zunehmend unter Druck geraten und schließlich gewaltsam aus Ungarn vertrieben worden.
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Unterstützung ihrer Gemeinden bemühten,47 verschaffte als Visitator und inspector alumnorum am Joachimsthalschen Gymnasium jungen Polen Freistellen an der wichtigsten Bildungseinrichtung der Reformierten in Berlin,48 förderte angehende Theologen in Ungarn und Siebenbürgen, die er auf Universitäten im Heiligen Römischen Reich und in Westeuropa vermittelte,49 verfasste immer wieder Empfehlungsschreiben und gab Bedürftigen wertvolle Auskünfte und Ratschläge. Sein Briefwechsel mit dem siebenbürgischen Gelehrten Ferenc Pápai Páriz dem Älteren zeigt die hohe Bedeutung, die Jablonski der Förderung des theologischen Nachwuchses einräumte,50 dessen Handlungsräume während der katholischen Spätkonfessionalisierung in der österreichischen Monarchie immer mehr eingeengt wurden. Dem Berliner Hofprediger war es auch zu verdanken, dass der brandenburgische Kurfürst für siebenbürgische Reformierte aus Enyed zwei Stipendien an der Oderuniversität Frankfurt einrichtete.51 Andere Maßnahmen ließen sich ergänzen: Jablonskis Bemühungen etwa, in Königsberg die Stelle eines eigenen Predigers für die polnischen Reformierten einzurichten, seine Förderung des slawischen Buchdrucks in Deutschland und seine Anstrengungen, Informationen über die Lage des Protestantismus im östlichen Europa in west- und mitteleuropäischen Zeitschriften zu publizieren. Anzusprechen ist abschließend aber vor allem sein eigener literarischer Einsatz gegen religiöse Intoleranz und Diskriminierung. Öffentlichkeit war in der Zeit der Frühaufklärung eine wirksame Waffe, um jede Form religiöser Unduldsamkeit zu brandmarken und den Ausläufern der Gegenreformation ohne direkte politische Intervention Grenzen zu ziehen.52 Ein glaubwürdiger Bericht in einer Zeitschrift wie den Weimarer Acta historico-ecclesiastica konnte die gleiche Wirkung erzielen wie eine Interzession des Corpus Evangelicorum am Kaiserhof. Auch Jablonski ging es bei mehreren seiner Publikationen darum, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, an den Zusammenhalt der protestantischen Mächte zu appellieren und den ��Kriegseisen, Wojciech: Podróże i projekty pastora Bogusława Jelitko Kopijewicza. In: Kowecki, Jerzy/Tazbir, Janusz (Hg.): Ludzie, kontakty, kultura XVI–XVIII w. Prace ofiarowane Profesor Marii Boguckiej. Warszawa 1997, 246–252. ��Winter, Agnes: Das Joachimsthalsche Gymnasium im Zeitalter der Konfessionalisierung (1607– 1707). In: Flöter, Jonas/Ritzi, Christian (Hg.): Das Joachimsthalsche Gymnasium. Beiträge zum Aufstieg und Niedergang der Fürstenschule der Hohenzollern. Bad Heilbrunn 2009, 45–66. ������������������������ Zahlreiche Belege bei Hoffmann, Gizella (Hg.): Peregrinuslevelek 1711–1750. Külföldön tanuló diákok levelei Teleki Sándornak. Szeged 1980 (Adattár 16–18. századi szellemi mozgalmaink történetéhez 6). ��Pápai Páriz, Ferenc: Békességet magamnak, másoknak. Hg. v. Géza Nagy. Bukarest 1977. �� Ladányi, Sándor: Ungarische Studenten an der Universität Frankfurt an der Oder. In: Szabó, András (Hg.): Iter Germanicum. Deutschland und die Reformierte Kirche in Ungarn im 16–17. Jahrhundert. Budapest 1999, 214–220. �� Jäger, Hans-Wolf (Hg.): „Öffentlichkeit“ im 18. Jahrhundert. Göttingen 1997 (Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa 4).
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Böhmische Protestanten, die auch im 18. Jahrhundert noch aus ihrer Heimat vertrieben wurden, fanden in den evangelischen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Aufnahme und Unterstützung. Ausgestattet mit einer Ansiedlungserlaubnis König Friedrich Wilhelms I., kamen 1737 mehrere Flüchtlingstrecks nach Berlin, wo bereits seit 1729 eine kleine böhmische Kolonie existierte. Für das religiöse Leben und die Gruppenidentität der Neusiedler spielte die tschechische Sprache, die in der Brüdergemeine weiter gelehrt wurde, eine große Rolle. Die 1757 in Berlin gedruckte tschechische Neuausgabe der Geschichte des Leidens, Todes, Begräbnisses und der Auferstehung unseres Herrn Jesu Christi, die Jablonskis Großvater, Johann Amos Comenius, zur religiösen Unterweisung der im polnischen Exil lebenden Gemeindemitglieder zusammengestellt hatte, war erstmals 1631 in Lissa veröffentlicht worden.
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Legitimationsdruck auf diejenigen zu erhöhen, die für religiöse Verfolgung und Ausgrenzung verantwortlich waren. Die wichtigsten dieser Schriften bezogen sich auf die Lage im polnischlitauischen Doppelreich.53 In seiner 1708 zunächst auf Latein, einige Jahre später auch auf Deutsch und Polnisch gedruckten Schrift Jura et Libertates Dissidentium in Religione Christiana stellte Jablonski die wichtigsten Dokumente über die Rechte der polnischen und litauischen Protestanten zusammen, um die Ungesetzlichkeit ihrer Unterdrückung zu belegen. Ebenso wie die anderen Abhandlungen und Streitschriften, die Jablonski in den folgenden Jahren zur Dissidentenfrage in Polen-Litauen vorlegte, kursierte die Schrift bald an vielen Orten in Europa. Die größte Publizität erreichte ein erstmals 1725 veröffentlichtes, danach mehrfach neu aufgelegtes und in zahlreiche Sprachen übersetztes Werk über das „Blutgericht“ in Thorn, wo 1724 nach Zusammenstößen zwischen den einzelnen Konfessionslagern zehn Protestanten hingerichtet worden waren. Es sei nicht zu bezweifeln, so Jablonski, dass „dergleichen unmenschliche Grausamkeit der menschlichen Natur selbst ein Entsetzen und Abscheu erwecket, also werde sie bey allen vernünfftigen Catholischen ins besondere ein rechtmäßiges Mißfallen und Unwillen, bey den Evangelischen aber ein Christliches Mitleiden und Bejammern erzeuget haben“.54 Auch bei seinen Bemühungen, religiöse Gewalt gegen evangelische Gläubige durch gezieltes Herstellen internationaler Öffentlichkeit zum Skandalon zu machen, hatte Jablonski nicht ausschließlich den polnisch-litauischen Staat vor Augen. Wenig bekannt ist sein literarischer Einsatz für die kleine Gruppe der Evangelischen in Russland, die unmittelbar nach dem Tod Zar Peters I., der nichtorthodoxe Ausländer in hohem Maß gefördert hatte, heftigen Anfeindungen ausgesetzt waren. Besonderen Aufwand betrieb Jablonski zur Widerlegung eines Werkes, das 1728 in Moskau im Druck erschienen war: Das Buch Kamen Very (Fels des Glaubens) war von dem sechs Jahre zuvor verstorbenen Metropoliten von Rjasań, Stefan Javorskij, verfasst worden.55 Jablonski arbeitete sich für seine Gegenschrift, zu der er in einer Reihe von Briefen aus Russland gedrängt worden war, sogar ins Kirchenslawische ein. Der immense Aufwand schien ihm auch aus einem anderen Grund angemessen. Denn seiner Auffassung nach unternahm die katholische Kirche zu ������������������������� Einen Überblick bietet Völker, Karl: Der Protestantismus in Polen auf Grund der einheimischen Geschichtsschreibung. Leipzig 1910, 104–120. ���[Jablonski, Daniel Ernst]: Das Betrübte Thorn, Oder die Geschichte so sich zu Thorn Von Dem 11. Jul. 1724 biß auf gegenwärtige Zeit zugetragen [...]. Berlin 1725, 94f. Zum Hintergrund vgl. Thomsen, Martina: „Das Betrübte Thorn“. Daniel Ernst Jablonski und der Thorner Tumult von 1724. In: Bahlcke/Korthaase (Hg.): Daniel Ernst Jablonski, 223–246. �� Müller, Ludolf: Die Kritik des Protestantismus in der russischen Theologie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Wiesbaden 1951 (Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse 1/1951), 79–83.
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Konfessionelle Solidarität, Öffentlichkeit und Erfahrungsaustausch Die verwickelte Entstehungsgeschichte des 1728 im niederländischen Utrecht publizierten Buches, einer ersten Gesamtdarstellung des Reformiertentums in Ungarn und Siebenbürgen, wirft ein Schlaglicht auf die Praxis der religiösen Kommunikation und des Wissenstransfers zwischen den einzelnen Zonen des gesamteuropäischen Calvinismus. Das Werk geht auf ein Manuskript des aus Debreczin gebürtigen Pfarrers und Kirchenhistorikers Pál Ember zurück, das in dessen Heimat aus politischen Gründen nicht gedruckt werden konnte. Über ungarische Stipendiaten an der Universität Frankfurt an der Oder gelangte es an Daniel Ernst Jablonski, der das Manuskript nochmals überarbeitete und erweiterte. Der Berliner Hofprediger überließ die Veröffentlichung dann jedoch dem reformierten Theologen Friedrich Adolf Lampe, dessen Vater Heinrich der Vorgänger von Jablonski im Hofpredigeramt im preußischen Königsberg gewesen war.
jener Zeit große Anstrengungen, die Orthodoxen, „welche die Protestanten bißher wohl leiden mögen, von diesen abzuwenden und unter anderem zu verhindern, daß sie nicht in Polen mit den übrigen Dissidenten causam communem machen“.56 Die in Teilen schon fertiggestellte Abhandlung, über deren Aufbau wir durch verschiedene Ankündigungen gut informiert sind, ist freilich nie im Druck erschienen.
5. Zusammenfassung Im Ergebnis wird man vordergründig konstatieren müssen, dass politische Interventionen auswärtiger Mächte oder einschlägige Veröffentlichungen keinen unmittelbaren Richtungswechsel in der Religionspolitik einzelner Staaten herbeiführen konnten. Mit spürbarer Ernüchterung musste bereits der preußische Gesandte am Kaiserhof Christian von Brandt 1732 feststellen, dass alle Fürsprachen und Interzessionsschreiben, die von nahezu sämtlichen „Ministern der Protestantischen Puissancen“ zugunsten der ungarischen Protestan��������������������������������������������������������������������� Daniel Ernst Jablonski an Heinrich von Huyssen. Berlin [1730]. In: Winter, Eduard: Die Brüder Daniel Ernst und Johann Theodor Jablonský und Rußland. In: Archiv pro bádání o životě a díle Jana Amose Komenského. Acta Comeniana 23, 1965, 122–175, hier 167f.
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ten erfolgt seien, nichts gefruchtet hätten.57 Mittel- und längerfristig verfehlten diese Vorstöße ihre Wirkung allerdings nicht, wurde doch auch hierdurch der Weg zu einer dauerhaften Religionstoleranz geebnet. Dazu bedurfte es im 18. Jahrhundert wie auch zu früheren Zeiten der Einsicht in den destruktiven Charakter von Intoleranz. „Den Ausgangspunkt dieser Einsicht bildete die Erkenntnis, daß Diskriminierung und Verfolgung für das Land schädlicher waren als die Duldung der Dissidenten; den Kern dieser Einsicht bildete der Prioritätenwechsel von der Religion als entscheidendem Einheitsband der Gesellschaft zum Landes- und Staatsinteresse als höchstem politischem, einheitsstiftendem Wert, mit dem sich auch die konfessionellen Dissidenten identifizieren sollten und aufgrund dessen der Religionsdissens tolerabel wurde.“58 Daniel Ernst Jablonski darf als einer der Vordenker und Vorstreiter dieses zivilisatorischen Aktes im Zeitalter der Frühaufklärung gelten.
������������ Zit. nach Bahlcke: Ungarischer Episkopat, 224. ��Eberhard, Winfried: Zu den Voraussetzungen und Widersprüchen der Toleranzpolitik Josephs II. in den Ländern des östlichen Mitteleuropa. In: Chocholář, Bronislav/Jan, Libor/Knoz, Tomáš (Hg.): Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspěvků, jež věnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brno 1999, 347–362, hier 361.
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Status catholicus und Kirchenpolitik in Siebenbürgen. Zum Verhältnis von weltlicher und geistlicher Macht zwischen Reformation und Josephinismus 1. Der Status romano-catholicus Transsilvaniensis: Nationalhistoriographische Positionen und politische Interessen In den Jahren 1921 bis 1927, während der Konkordatsverhandlungen Rumäniens mit dem Vatikan, spielte die Frage des Status romano-catholicus Transsilvaniensis eine bedeutende Rolle. Als ungarische und katholische Institution war die über große kirchliche Vermögenswerte verfügende Vertreterversammlung, die vollständig autonom die Stiftungen, Kirchen- und Schulfonds der Diözese Siebenbürgen verwaltete und alle Schul- und Erziehungsfragen regelte, gleich in doppelter Hinsicht in das Blickfeld der beiden rumänischen Kirchen und des Staates geraten.1 Der siebenbürgisch-ungarische Jurist und Politiker Elemér Gyárfás, Mitglied im Direktorialrat des Status catholicus und später Vorsitzender des Diözesanrats, formulierte das Grundproblem 1923 folgendermaßen: „Les grands changements politiques, survenus au cours de ces dernières années, nous ont apporté de grands problèmes à résoudre dans les différents domaines de la vie publique. L’un des plus graves est la question religieuse, et particulièrement l’adaptation au nouveaux régime des autonomies ecclésiastiques, qui existent en Transylvanie depuis des siècles [...]. Les plus grandes difficultés résident, à mon avis, dans le fait, que l’opinion publique roumaine ne connait pas suffisamment ni les bases et le développement historiques, ni l’organisation actuelle des institutions transylvaines, dont le Status Catholicus (l’organisation autonome des Catholiques de Transylvanie) est une des plus importantes, des plus anciennes et des plus considérables.“2 Eine seit Herbst 1931 drohende Auflösung des Status catholicus durch das Bukarester Kultusministerium konnte nach Interventionen der römischen Kurie verhindert werden, die im Gegenzug den Wünschen der rumänischen Regierung entgegenkam und dem Bistum von Siebenbürgen den Titel von 1 Gyárfás, Elemér: Erdélyi problémák 1903–1923. Cluj-Kolozsvár 1923. Zu Einzelheiten vgl. Netzhammer, Raymund: Bischof in Rumänien. Im Spannungsfeld zwischen Staat und Vatikan. Hg. v. Nikolaus Netzhammer und Krista Zach, Bd. 1–2. München 1995–1996 (Veröffentlichungen des Südostdeutschen Kulturwerks B 70–71). 2 Gyárfás, E[lemér] de: L’Église catholique en Transylvanie. Diciosânmărtin 1923, Préface, 3. Eine Kurzbiografie von Gyárfás bei Várady, Aladár/Berey, Géza (Hg.): Erdélyi monografia. Satu-Mare 1934–1939, Sp. 161; Memorandum of the Roman Catholic Laymen of Transylvania to the Holy Apostolic See. Budapest 1925.
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„Alba-Iulia“ gab. Der in Rom am 30. Mai 1932 unterzeichnete vatikanische Akkord präzisierte den Wortlaut des 1929 ratifizierten Konkordats und stellte den Status catholicus unter dessen besonderen Schutz. Gleichzeitig wurde das Gremium jedoch in einen Diözesanrat umgewandelt, der als bloßes Konsultativorgan des Bischofs wirken und künftig von dessen Zustimmungsvorbehalt abhängig sein sollte.3 Auch in den folgenden Jahren stand die Institution, die 1940 von Bukarest per Gesetz bestätigt wurde, acht Jahre später dann aber von den Kommunisten den Todesstoß erhielt, immer wieder im Mittelpunkt hitziger politischer und publizistischer Debatten. Diese kurze Rückblende ist insofern von Bedeutung, als gerade in den spannungsreichen 1920er und 1930er Jahren – 1930 wurde überdies die Diözese Siebenbürgen dem katholischen Erzbistum Bukarest unterstellt und damit endgültig aus ihrer jahrhundertelangen Zugehörigkeit zur ungarischen Kirchenprovinz Kalocsa gelöst – ein Großteil der Literatur über die Genese der siebenbürgischen katholischen Kirche, ihre Autonomie und ihre Rechtsstellung verfasst wurde, deren Intention und Zielsetzung ohne diese zeithistorischen Bedingtheiten unverständlich ist.4 Das Anliegen, den siebenbürgischen Status catholicus als das – mit den Einleitungsworten einer theologischen Dissertation aus dem Jahr 1934 zu sprechen – „schützende Bollwerk
3 Statusul catolic ardelean şi acordul de la Roma. Recursul episcopiei catolice de rit latin de Alba-Iulia în contra sentinţei Nr. 51/1932 din 4 iulie 1933 a tribunalului Cluj. Cluj 1933; Gyárfás, Eleutherius/Jánossy, Adalbertus (Bearb.): Explanatio iuridico-historica documentorum de fundis dioecesis Albaiuliensis ritus Latini. Cluj-Claudiopoli 1937; De Institutione Catholica: „Status Romano-Catholicus Transsylvaniensis“. De evolutione historico-juridica. De legalitate juxta leges civiles. De jure personalitas. De canonica institutione. Claudiopoli 1932. 4 Ghibu, Onisifor: Catolicismul unguresc în Transilvania şi politica religioasă a statului roman. Cluj 1924 (mit gutem Quellen- und Literaturverzeichnis, 289–296). Zu diesem Werk vgl. Netzhammer: Bischof in Rumänien, Bd. 2, 1282. Vgl. ferner Kosutány, Ignácz: A római katholikus egyház Erdélyben. Szeged 1925; Vorbuchner, Adolf: Az erdélyi püspökség. Brassó 1925; Tichner, Henrietta M.: Roumania and her Religious Minorities. London [1925]; Cornish, Louis C. (Hg.): The Religious Minorities in Transylvania. London 1926; Bitay, Árpád: Erdély jeles katholikus papjai. Cluj-Kolozsvár 1926; Balázs, András: Az erdélyi katholikus autonómia. Budapest 1930; Ghibu, Onisifor: Un anahronism şi o sfidare: Statul romano-catolic ardelean. Studiu istoric-juridic. Cluj 1931; Szász, Zsombor: Az erdélyi római katholikus „status“. In: Magyar Szemle 17, 1933, 193–200, 290–296; 18, 1933, 97–104; Lukinich, Emerich (Hg.): Die siebenbürgische Frage. Studien aus der Vergangenheit und Gegenwart Siebenbürgens. Budapest 1940. Ebenfalls stark zeithistorisch geprägt sind die älteren Arbeiten von Csorba, Ferencz: Az erdélyi katholikus autonomiáról. Budapest 1897; Bochkor, Mihály: Az erdélyi katholikus autonómia. Kolozsvár 1911. Bibliografische Überblicke bieten Balogh, Margit/Gergely, Jenő: Egyházak az újkori Magyarországon 1790–1992. Adattár. Budapest 1996 (História Könyvtár. Kronológiák, adattárak 4), 285–451; Hermann, Egyed: A katolikus egyház története Magyarországon 1914-ig. München 1973 (Dissertationes Hungaricae ex historia Ecclesiae 1), 515–556; Adriányi, Gabriel: Geschichte und Quellen der ungarischen Kirchengeschichtsschreibung. In: Adriányi, Gabriel/Gottschalk, Joseph (Hg.): Festschrift für Bernhard Stasiewski. Beiträge zur ostdeutschen und osteuropäischen Kirchengeschichte. Köln/Wien 1975, 147–163; ders.: Neue marxistische Kirchengeschichtsschreibung in Ungarn. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 96, 1985, 395–404.
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des Katholizismus gegen den Osten“5 zu interpretieren, bildete den Grundtenor zahlreicher, vor allem in Ungarn verlegter Schriften. Diese Abhandlungen stellen freilich oftmals das einzige Material dar, auf das für Fragen der Konfessions- und Religionsgeschichte Siebenbürgens in der Frühen Neuzeit zurückgegriffen werden kann. So ist beispielsweise der 1925 in Martinskirch (Dicsőszentmárton) von führenden ungarischen Kirchenhistorikern publizierte, beinahe 600 Seiten starke und dreißig Aufsätze umfassende Sammelband über Vergangenheit und Gegenwart des siebenbürgischen Katholizismus nicht nur der erste Versuch einer halbwegs ausgewogenen Synthese. Er ist auch die einzige Untersuchung, in der die Lage der katholischen Kirche in Siebenbürgen nach dem Ende des autonomen Fürstentums in größerem Maße Beachtung findet.6 Dass der Erkenntnisstand für die hier interessierenden Zusammenhänge seither kaum vertieft werden konnte, zeigt die 1993 erschienene kirchenhistorische Gesamtdarstellung zum Bistum Siebenbürgen, ein schmales Werk, das lediglich Bekanntes resümiert und auf Literaturverweise vollständig verzichtet.7 Der unbefriedigende Kenntnisstand gerade über die katholische Kirchengeschichte Siebenbürgens in der Frühneuzeit lässt sich aus dem Zusammenfallen verschiedener, die Forschung jeweils in eine bestimmte Richtung lenkender Faktoren erklären, die Krista Zach in mehreren kritischen, ausgesprochen anregenden Studien klar benannt hat.8 Die Tatsache, dass die verschiedenen Religionsgemeinschaften und Konfessionen in Siebenbürgen jeweils nur ihre eigene Gruppengeschichte aufzeichneten, erhellt, warum sich für den katholischen Restbestand beziehungsweise für die Zeit der fehlenden katholischen Hierarchie im Fürstentum bis 1716 und die Phase ihrer anschließenden mühsamen Neukonsolidierung kein Historiker so recht zu-
5 Vild, Friedrich: Geschichte der Autonomie der Katholiken Siebenbürgens. Theol. Diss. Wien 1934, II. 6 Az Erdélyi Katholicizmus multja és jelene. Dicsőszentmárton 1925. 7 Marton, József (Hg.): Az erdélyi/gyulafehérvári egyházmegye története. Gyulafehérvár 1993. Noch weniger brauchbar ist die nahezu zeitgleich in Bukarest erschienene Studie von Barabás, Zoltán/Bodó, Barna/Miklós, László: Erdélyi egyházaink évszázadai. Bukarest 1992. 8 Zach, Krista: Zur Geschichte der Konfessionen in Siebenbürgen im 16. bis 18. Jahrhundert. In: Südostdeutsches Archiv 24/25, 1981/82, 40–89; dies.: Nation und Konfession im Reformationszeitalter. In: Weber, Georg/Weber, Renate (Hg.): Luther und Siebenbürgen. Ausstrahlungen von Reformation und Humanismus nach Südosteuropa. Köln/Wien 1985 (Siebenbürgisches Archiv III/19), 156–211; dies.: Religiöse Toleranz und Stereotypenbildung in einer multikulturellen Region. Volkskirchen in Siebenbürgen. In: Gündisch, Konrad/Höpken, Wolfgang/Markel, Michael (Hg.): Das Bild des anderen in Siebenbürgen. Stereotype in einer multiethnischen Region. Köln/Weimar/ Wien 1998 (Siebenbürgisches Archiv III/33), 109–154; dies.: Die katholische Kirche in Siebenbürgen vom 12. bis zum 20. Jahrhundert. In: Siebenbürgische Semesterblätter 12, 1998, 43–67; dies.: Anmerkungen zur Konfessions- und Religionsgeschichte Siebenbürgens. In: Siebenbürgische Semesterblätter 12, 1998, 15–42.
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ständig fühlte und fühlt.9 Es überrascht daher kaum, dass die 1860 und 1893 von Károly Veszely in zwei Bänden vorgelegte, wenig systematische und überdies vielfach fehlerhafte Quellensammlung zur siebenbürgischen katholischen Kirchengeschichte für Studien zum 18. Jahrhundert unverändert als maßgebliches Referenzwerk dient.10 Als Beispiel für die Auswirkungen dieser konfessionellen Partikulargeschichten kann ein Beitrag Ludwig Binders über die siebenbürgische Kirchengeschichtsschreibung aus dem Jahr 1982 gelten. Binder skizziert diese historiografische Entwicklung trotz des allgemein formulierten Titels mitnichten in ihrer Gesamtheit, sondern lediglich aus Sicht der siebenbürgisch-sächsischen Kirchenhistoriografie.11 Auf die einschlägigen Forschungsansätze in Südosteuropa kann hier nicht näher eingegangen werden. Während auf rumänischer Seite Themen zum Bereich ,Kirche‘ (namentlich der katholischen) und ,Religion‘ unverändert stark vernachlässigt werden,12 ist in Ungarn eine stärkere Hinwendung zur Konfessions- und Religionsproblematik auch für das historische Siebenbürgen zu spüren. Die 1994 von István György Tóth publizierten Relationes missionariorum an die Glaubenskongregation von 1627 bis 1707 seien hier nur exemplarisch genannt.13 Die folgenden Ausführungen, die nach dem Zusammenwirken von Geistlichkeit und Politik und damit auch nach dem Spannungsverhältnis von 9 Sogar für den Bereich der vieldiskutierten josephinischen Reformen konstatiert Walter Daugsch, dass „der sonst in der Forschung hervorgehobene kirchenpolitische Aspekt für die Verhältnisse in Siebenbürgen, wenn überhaupt, nur am Rande und im Gesamtrahmen der antiständischen, staatsvereinheitlichenden Reformen des Kaisers von Bedeutung“ sei. Daugsch, Walter: Der Josephinismus und die Auflösung der ständischen Verfassung Siebenbürgens. In: Deutsche Ostkunde 34, 1988, 78–85, hier 78. 10 Veszely, Károly: Erdélyi egyháztörténelmi adatok, Bd. 1. Kolozsvár 1860; Bd. 2 u.d.T.: Az erdélyi róm. kath. püspöki megye autonomiája, vagy is az 1711-től 1892-ig tartott erdélyi római katholikus status gyülések nevezetesebb tárgyalásainak, határozatainak, felterjesztéseinek és más ezekre vonatkozó okmányoknak gyüjteménye. Gyulafehérvár 1893. 11 Binder, Ludwig: Tendenzen und Aufgaben der siebenbürgischen Kirchengeschichtsschreibung. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 5, 1982, 188–195. Eine vergleichbare Perspektivenverengung lassen andere Beiträge Binders erkennen. Vgl. ders.: Die kirchlichen und religiösen Verhältnisse Siebenbürgens im 16. und 17. Jahrhundert im Lichte der Toleranz. In: Miscellanea Historiae Ecclesiasticae 7, 1985, 102–110; ders.: Dokumentation zur Ortsmonographie: Kirchengeschichte. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 12, 1989, 152–157. Die Linie dieser Betrachtungsweise reicht zurück bis zu dem Schäßburger lutherischen Theologen Georg Haner (1672–1740). Vgl. Haner, Georgius: Historia Ecclesiarum Transylvanicarum, Inde a primis Populorum Originibus ad haec usque tempora [...] Francofurti/Lipsiae 1694. Eine ���������������������������� Ausnahme bildet in diesem Zusammenhang Teutsch, Friedrich: Die kirchlichen Verhältnisse Siebenbürgens. In: Deutschevangelische Blätter. Zeitschrift für den gesamten Bereich des deutschen Protestantismus 31, 1906, 483–502, 535–554, 614–635. ��Zach: Anmerkungen. Wichtige Einsichten vermittelt die Darstellung von Bocşan, Nicolae/Lumperdean, Ioan/Pop, Ioan-Aurel: Ethnie et confession en Transylvanie (du XIIIe au XIXe siècles). Cluj-Napoca 1996. 13 Tóth, István György (Hg.): Relationes missionariorum de Hungaria et Transilvania (1627– 1707). Roma/Budapest 1994 (Bibliotheca Academiae Hungariae in Roma. Fontes 1).
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kirchlicher Autonomie und staatlichem Machtanspruch im 18. Jahrhundert fragen, können nur eine Annäherung an ein in vielen Zügen noch unscharfes Bild darstellen. Der Beitrag gliedert sich in drei Abschnitte: Nach einem kurzen Rückblick auf die Entwicklung der katholischen Kirchenorganisation in Siebenbürgen wird zunächst die Problematik der Neufundation des Weißenburger Bistums erläutert. Einem Einblick in die Phase der kirchlichen Konsolidierung in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts folgt schließlich eine Betrachtung des Konflikts zwischen Kirche und Staat, der während der Herrschaft Josephs II. immer deutlicher zum Tragen kam.
2. Genese, Zusammensetzung, Wirkungskreis und Machtstellung des Status catholicus Es ist in der Forschung bis zur Gegenwart umstritten, ob das an der östlichen Peripherie des Königreichs Ungarn gelegene lateinische Bistum Siebenbürgen, ein Suffragan des ungarischen Erzbistums Kalocsa, gleichzeitig mit den Bistümern von Raab, Fünfkirchen und Erlau 1009 vom heiligen Stephan oder erst knapp ein Jahrhundert später durch König Ladislaus gegründet worden ist. So ist auch fraglich, ob der in einer Urkunde von 1075 genannte Bischof Franco, der unter dem slawischen Namen Weißenburgs als „episcopus Bellegradiensis“ erscheint, als erster namentlich bekannter siebenbürgischer Bischof gelten kann oder erst der 1111 urkundlich nachgewiesene Simon, der ausdrücklich als „episcopatus Ultrasilvanus“ bezeichnet wird.14 Der Zeitpunkt der Bistumsgründung, über den bis ins 18. Jahrhundert gestritten wurde, ist vor allem für die Frage der Bischofsernennung bedeutsam, da sich das königliche Patronatsrecht rechtlich nur auf die vom heiligen Stephan gegründeten Bischofssitze bezog.15 Die komplizierte Verwaltungsstruktur und ���������������������������������������������� Argumente für eine spätere Gründung liefert Schönemann, Herbert: Der politische und kirchliche Aufbau Siebenbürgens bis zum Tartareneinfall. In: Leipziger Vierteljahrsschrift für Südosteuropa 1/1, 1937, 14–53, hier 42–53. Für eine frühe Gründung des Bistums plädiert dagegen Köpeczi, Béla (Hg.): Kurze Geschichte Siebenbürgens. Budapest 1990, 145f.; von der dreibändigen ungarischen Darstellung ist der zweite Teilband heranzuziehen: Makkai, László/Szász, Zoltán (Hg.): Erdély története 1606-tól 1830-ig. Budapest 1986. Vgl. ferner Müller, Friedrich: König Stephan I. von Ungarn und das siebenbürgische Bisthum. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 2, 1887, 293–319; Temesváry, János: Erdély középkori püspökei. Cluj-Kolozsvár1922. Temesváry beginnt seine Darstellung von 32 Bischofsporträts mit Simon (1111–1113); vgl. auch ders.: Series episcoporum Transylvaniensium emendata et correcta. In: Erdélyi Történelmi Értesitő 1, 1912, 45–48. Zur frühesten Bezeichnung Siebenbürgens als Ultrasilvania („vltra, et syluam“) in den Quellen der Arpadenzeit vgl. Teutsch, G[eorg] D[aniel]/Firnhaber, Fr[iedrich] (Hg.): Urkundenbuch zur Geschichte Siebenbürgens. Erster Theil, enthaltend Urkunden und Regesten bis zum Ausgang des arpadischen Mannesstammes (1301). Wien 1857 [ND Graz 1971], XIII, Nr. 1. Der Name Transsilvania ist gesichert erst nach 1461 belegt. 15 Biró, Vencel: Püspökjelölés az erdélyi római katholikus egyházmegyében. Cluj-Kolozsvár 1930. Für das historische Ungarn vgl. Fraknói, Vilmos: A magyar királyi kegyúri jog Szent Istvántól Mária
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-autonomie spiegelte sich auch in der Bistumsgliederung Siebenbürgens wider, das jurisdiktionell neben dem Weißenburger Ortsbischof zum Teil dem Erzbischof von Gran, zum Teil demjenigen von Kalocsa sowie den Bischöfen von Großwardein und Tschanad unterstand.16 In der Amtszeit von Bischof Adrianus (1187–1202) wurden erstmals Angehörige des Weißenburger Domkapitels erwähnt, das aber nur wenige Jahrzehnte später mit Archiv und Regesten von den Mongolen zerstört wurde. Eine folgenschwere Veränderung in der Weißenburger Diözese bewirkte die Erhebung der ecclesia Theutonicorum zur Freien Propstei St. Ladislaus durch König Béla III. im Jahr 1191, durch die der siebenbürgische Ortsbischof in seiner Rechtsstellung empfindlich getroffen wurde. Durch die Exemtionen der Hermannstädter Propstei sowie die des an den Deutschen Orden verliehenen Burzenlands, die dem Primas von Ungarn beziehungsweise direkt dem Heiligen Stuhl unterstellt waren, entstanden langjährige Konflikte zwischen den einzelnen Kirchenfürsten, der Kurie und dem König.17 Die Rangerhöhung der Hermannstädter Propstei zum Bistum wurde zwar zweimal, Anfang des 13. und Ende des 15. Jahrhunderts, vom Papst abgelehnt, die Sonderstellung der katholischen hospites-Kirche nahm jedoch gleichwohl immer festere Formen an. Ihr Zusammenwachsen zu einer eigenen Kirchenorganisation, ein Prozess, der durch die Gegnerschaft des Weißenburger Bischofs nur noch gefördert wurde, führte bis zur Wende zum 15. Jahrhundert zur sogenannten Geistlichen Universität der Siebenbürger Sachsen, die diesen nach der Reformation als Verband sowohl der beiden hospites-Dekanate als auch der Landkapitel eine organisatorisch feste, in vielfältigen Auseinandersetzungen erprobte Dachorganisation bot.18 Um die Mitte des 16. Jahrhunderts, als die Reformation in voller Blüte stand, brach die römisch-katholische Kirchenorganisation in Siebenbürgen vollständig zusammen. Der Autoritätsverlust der geistlichen Obrigkeit ist dabei zu einem guten Teil auf die politischen Konflikte um die Oberherrschaft im Fürstentum zurückzuführen. Während des Episkopats von Paulus Bornemisza, den Ferdinand I. im Mai 1553 nach der kurzzeitigen Besetzung des Fürstentums zum Bischof ernannt hatte, erreichte der seit mehr als zwei JahrTeréziáig. Történeti tanúlmány. Budapest 1895; ders. (Hg.): Oklevéltár a magyar királyi kegyúri jog történetéhez. Budapest 1899. Knappe Zusammenfassungen bieten Adriányi, Gabriel: Das oberste königliche Patronatsrecht über die Kirche in Ungarn. In: ders.: Beiträge zur Kirchengeschichte Ungarns. München 1986 (Studia Hungarica 30), 26–40; Csizmadia, Andor: Die Entwicklung des Patronatsrechtes in Ungarn. In: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 25, 1974, 308–327. 16 Zach: Geschichte der Konfessionen, 46f. 17 Dies.: Katholische Kirche, 43–67. 18 Binder, Ludwig: Geistliche und Weltliche Universität. In: Kessler, Wolfgang (Hg.): Gruppenautonomie in Siebenbürgen. 500 Jahre siebenbürgisch-sächsische Nationsuniversität, Köln/Wien 1990 (Siebenbürgisches Archiv III/24), 45–60; Gündisch, Konrad: Zur Entstehung der Sächsischen Nationsuniversität. Ebd., 63–92; Daugsch, Walter: Die Nationsuniversität der Siebenbürger Sachsen im 16. und 17. Jahrhundert. Ebd., 180–216.
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zehnten schwelende Streit um die bischöflichen Einkünfte seinen Höhepunkt. Angesichts der faktisch zum großen Teil bereits vollzogenen Säkularisation seiner bischöflichen Einkünfte und Güter bat Bornemisza im März 1556 den Erzbischof von Gran, seinen Bischofsstuhl verlassen zu dürfen.19 Im Dezember sanktionierte der Landtag den Einzug des bischöflichen Vermögens durch ein entsprechendes Gesetz. Kurze Zeit später löste sich auch das Domkapitel auf. Der bischöfliche Palast in Weißenburg wurde zur fürstlichen Residenz.20 Die Tatsache, dass Siebenbürgen aus Sicht der Kurie nach 1556 zum Missionsgebiet geworden war, verschärfte den um diese Zeit neuerlich auflodernden Streit zwischen Rom und Wien um die Frage des Besetzungsrechts der Bischofsstühle in Ungarn um ein Weiteres. Während die seit 1622 bestehende römische Glaubenskongregation das Fürstentum zu ihrem Jurisdiktionsgebiet rechnete und entsprechend das Ernennungsrecht des dortigen Bischofs für sich reklamierte,21 pochten die Habsburger auf ihr Patronatsrecht und nominierten eigene Kandidaten für den Weißenburger Bischofsstuhl.22 Das Motiv des Hofes war in erster Linie ein politisches: Zum einen meldete man so den Rechtsanspruch der Corona regni Hungariae auf das vorerst verlorene Territorium an, zum anderen verstärkte man auf dem ungarischen Reichstag die Königspartei.23 Die von Wien ernannten Bischöfe für Siebenbürgen, die nicht mit den zu gleicher Zeit ernannten episcopi electi verwechselt werden dürfen, waren wie diese Titularwürdenträger ohne bischöfliche Konsekration, da sie als solche von Rom nicht anerkannt worden waren.24 Noch unübersichtlicher wurde die 19 Zach: Geschichte der Konfessionen, 57, 60–64. Paulus Bornemisza unterschrieb den Brief vom 15. März 1556 auf der Burg Gyalú mit den Worten: „Der Bischof von Siebenbürgen ohne Diözese und ohne Einkünfte“ (ebd., 61 Anm. 95). Vgl. ferner den Aufsatz: Zwei Briefe des Bistritzer Kapitels an den Weißenburger Bischof Paul Bornemißa oder Abstemius, worin es sich wegen Annahme der Reformation rechtfertigt vom Jahre 1554. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 1, 1853, 375–388. Zum Umfang des bischöflichen Güterbesitzes vgl. Schönebaum, Herbert: Der politische und kirchliche Aufbau Siebenbürgens bis zum Ende des Arpadenreiches. In: Leipziger Vierteljahrsschrift für Südosteuropa 2, 1938, 1–55, hier 44–47. 20 Fassel, Horst: Der Fürstenhof von Weißenburg (Alba Iulia) und seine Bedeutung für Wissenschaft und Kunst in Siebenbürgen zur Zeit Gabriel Bethlens. In: Buck, August u.a. (Hg.): Europäische Hofkultur im 16. und 17. Jahrhundert. Hamburg 1981 (Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 9), 637–645. 21 Kokša, Djuro: L’organizzazione periferica delle Missioni in Ungheria e in Croazia. In: Metzler, Josef (Hg.): Sacrae Congregationis de Propaganda Fide Memoria Rerum 1622–1972, Bd. I/2: 1622–1700. Rom/Freiburg/Wien 1972, 274–291. 22 Temesváry, János: Erdély választott püspökei (1618–1695), Bd. 1–2. Szamosújvár 1913–1914. 23 Ferdinandy, Ladislaus de: Das Verhältnis des Fürstentums Siebenbürgen zu Ungarns Heiliger Krone. In: Farkas, Josef Gerhard (Hg.): Überlieferung und Auftrag. Festschrift für Michael de Ferdinandy zum sechzigsten Geburtstag. Wiesbaden 1972, 337–352; Tomko, Josef: Die Errichtung der Diözesen Zips, Neusohl und Rosenau (1776) und das königliche Patronatsrecht in Ungarn. Wien 1968 (Kirche und Recht 8), 27. 24 Ritzler, Remigius: Die Bischöfe der ungarischen Krone. In: Römische Historische Mitteilungen 13, 1971, 137–164.
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Frage des Patronatsrechts durch Versuche des katholischen Hauses Báthori, seinen Machtanspruch in Siebenbürgen mit der Besetzung des Weißenburger Bischofsstuhls zu untermauern. Wegen des Widerspruchs des Heiligen Stuhls, aber auch wegen der Gegnerschaft der sich überwiegend zum Protestantismus bekennenden Stände blieben diese Bemühungen jedoch Episode. Trotz der formalrechtlichen Gleichberechtigung der vier „rezipierten Religionen“ in Siebenbürgen (Katholiken, Evangelische, Reformierte, Unitarier), deren Belange seit Mitte des 16. Jahrhunderts in die autonome Entscheidungsgewalt eines jeden Standes fielen, unterlag die katholische Kirche gewissen Beschränkungen.25 Von besonderem Gewicht war die bloße Zulassung eines Vikars an der Spitze der Kirchenverwaltung, der auf kirchlichen Versammlungen zu wählen und vom Fürsten zu bestätigen war.26 In dieser Ausnahmesituation der katholischen Kirche, die nur auf einzelnen Inseln – im östlichen Szeklerland, im Umfeld der wenigen Franziskanerklöster oder bei Adelsfamilien wie den Báthori – zu überdauern vermochte, konstituierte sich bis Mitte des 17. Jahrhunderts ein Institut, das autonom die Vermögens- und Schulverwaltung der katholischen Kirche sowie deren besondere Interessen wahrnahm.27 Die aus katholischen Laien und Geistlichen zusammengesetzte Versammlung, die 1591 in einem Bericht über die Lage der Diözese Siebenbürgen noch als „congregatio universorum Catholicorum in Transsilvania“ bezeichnet wurde,28 trat 1615 während eines Landtags erstmals geschlossen als Status catholicus auf. Die Selbstverwaltung dieses Instituts, die Fülle seiner Befugnisse und besonders das Mitwirken Weltlicher an der Verwaltung der Kirche – Funktionen, die im 17. Jahrhundert das Überleben der an den Rand gedrängten katholischen Kirche gesichert hatten – wurden ein Jahrhundert später nach der Wiederbesetzung des Weißenburger Bischofsstuhls zum Gegenstand zahlreicher Konflikte: mit dem Residenzbischof, der ungarischen Mutterkirche, der Kurie und mit dem Hof. 25 Daugsch, Walter: Toleranz im Fürstentum Siebenbürgen. Politische und gesellschaftliche Voraussetzungen der Religionsgesetzgebung im 16. und 17. Jahrhundert. In: Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 26, 1983, 35–72; ders.: Gegenreformation und protestantische Konfessionsbildung in Siebenbürgen zur Zeit Stephan Bátorys (1571–1584). In: Weber/Weber (Hg.): Luther und Siebenbürgen, 215–228. ������������������������� Zu Vikaren wurden nach Marton: Az erdélyi/gyulafehérvári egyházmegye története, 204, seit Anfang des 17. Jahrhunderts ernannt: Márton Fehérdi (1618–1626), Miklós Fejér (1626–1634), György Ferenczi (1634–1641), István P. Szalinai (1641–1653), János Sükösd (1654–1659), János László (1659–1669), Kázmér P. Domokos (1669–1677), János Kászoni (1677–1678), Bertalan Szebelébi (1678–1707) und János Antalfi (1707–1712). Quellen zu ihrer Amtstätigkeit bei Veszely: Erdélyi egyháztörténelmi adatok, Bd. 1, 40–51, 54–57, 296–301. Zur rechtlichen Stellung des geistlichen Standes vgl. Kiss, István Rugonfalvi: Az egyházi rend közjogi helyzete Erdélyben és Bethlen Gábor armalisa. Debrecen 1936. 27 Zach: Geschichte der Konfessionen, 49, 58, 61, 77. ���������������������������������������������������������������������������������������������� „Hoc ut efficeret Cardinalis, tam a Principe, quam a Congregatione universorum Catholicorum in Transsilvania diligenter rogatus est.“ Veszely: Erdélyi egyháztörténelmi adatok, Bd. 1, 303 (Memoriale pro Cardinale Batthoreo 1591).
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Zusammen mit der Gleichberechtigung der vier „rezipierten Religionen“ fand auch der Wirkungskreis dieses Instituts Aufnahme in die Approbatae constitutiones regni Transylvaniae et partium Hungariae eidem annexarum, die 1653 vom Landtag angenommene Sammlung der Landesgesetze Siebenbürgens.29 Neben den Zusammenkünften des gesamten Status catholicus, die seit der Abfassung der Approbaten in regelmäßigen Abständen, oft im Zuge einer Landtagssitzung, abgehalten wurden, traten die Geistlichen auch allein in einer als „communis congregatio“ bezeichneten Versammlung zusammen. Eine feste Organisationsform, die den Vorsitz, die Zahl der Teilnehmer einschließlich der Zweidrittelbeteiligung der Laien sowie den genauen Wirkungskreis bestimmte, wurde erst nach der Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn in den 1868 unter Bischof Mihály Fogarasy angenommenen Statuten festgelegt.30 Der Status catholicus Transsilvaniae, der nach außen geschlossen auftrat und selbstbewusst seine Interessen durchzusetzen wusste, stellte bis zum Ende des autonomen Fürstentums sowohl für den Wiener Hof als auch für den Heiligen Stuhl einen wichtigen Ansprech- und Bündnispartner zur Wahrnehmung kirchenpolitischer Interessen in Siebenbürgen dar. Seine Machtstellung kam insbesondere in dem Recht, dem Hof Vorschläge für die Besetzung des lateinischen Bischofssitzes unterbreiten zu dürfen, zum Ausdruck. Den Höhepunkt seines Einflusses sollte der Status catholicus in Siebenbürgen während der ersten Jahrzehnte unter habsburgischer Herrschaft erreichen.31
3. Konfessions- und ständepolitische Konstellationen, Kompromisse und Konflikte im 17. und 18. Jahrhundert Die konfessionelle Vielfalt, die für Siebenbürgen seit der Reformation charakteristisch war, blieb von dem politischen Wandel nach 1687 unberührt. Ebenso wie der ständestaatlich konstituierte Landtag und der privilegierte Status der drei nationes erhielt sich im 18. und 19. Jahrhundert auch die verfassungsmäßig garantierte Gleichberechtigung der vier „rezipierten Religionen“. Durch die in der grundlegenden Verfassungsurkunde des Landes, dem Leopoldinischen Diplom vom 4. Dezember 1691, sowie in einem eigenen Religionsdiplom vom 9. April 1693 gewährte freie Religionsausübung war 29 Szilágyi, Sándor (Hg.): Erdélyi országgyűlési emlékek. Monumenta Comitialia Regni Transsylvaniae, Bd. 11: 1649–1658. Budapest 1886. Zum verfassungsrechtlichen Kontext vgl. Csizmadia, Andor: Az erdélyi jog fejlődése a fejedelmi korban. Kodifikációs munka a XVII. századi Erdélyben [1975]. In: ders.: Jogi emlékek és hagyományok. Esszék és tanulmányok. Budapest 1981, 141–171. 30 Fogarasy, Mihály: Az erdélyi püspökökről polgári tekintetben. Bécs 1837; Márton: Az erdélyi/ gyulafehérvári egyházmegye története, 137–141. ������������������������������� Ein prägnanter Überblick bei Gyárfás, E[lemér] v.: Der katholische „Status“ von Siebenbürgen und seine Kämpfe. In: Nation und Staat. Deutsche Zeitschrift für das europäische Minoritätenproblem 8, 1935, 513–522.
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einer gewaltsamen Gegenreformation, wie sie sich seit Anfang des Jahrhunderts im königlichen Ungarn vollzog, in Siebenbürgen ein verfassungsrechtlicher Riegel vorgeschoben.32 Für den Status catholicus verlief diese Entwicklung wenig befriedigend, zumal die Habsburger, ähnlich wie in den böhmischen Ländern nach 1620, wenig Neigung empfanden, der katholischen Kirche das frühere Vermögen zu restituieren. Vorschläge General Caraffas, die in diese Richtung zielten, hatten am Hof kein Gehör gefunden.33 Die zähen Verhandlungen der Landtage von 1691 und 1692 zeigen deutlich die Instrumente, mit deren Hilfe der Status catholicus seine Position zu festigen hoffte: die Berufung eines lateinischen Bischofs, Maßnahmen zur Rückkehr der im frühen 17. Jahrhundert vertriebenen Jesuiten und eine Verbindung mit der zahlenmäßig etwa zehnmal so starken Gruppe der Unierten, um damit die protestantischen Landeskonfessionen quantitativ zu übertreffen.34 Denn die Katholiken, die einem römischen Bericht aus dem Jahr 1714 zufolge etwa 30.000 Seelen ausmachten, bildeten nur eine Minderheit. Die katholische Kirche sei zwar die schwächste, heißt es 1702/03 in den Siebenbürgischen Kommissionsakten, sie wäre „hingegen die stärckhiste“, wenn „die union der Wallachen ein bestandt hette“.35 Entsprechend war man bemüht, die Schranken, die zwischen dem orientalischen und dem lateinischen Ritus bestanden, nur als Provisorium erscheinen zu lassen. Ein Teilerfolg konnte im Januar 1696 errungen werden, als der Kaiser auf Anregung des Graner Erzbischofs Kardinal Leopold Kollonich, an den sich der Status catholicus in den letzten Jahren wiederholt gewandt hatte, dessen Domherrn András Illyés zum Bischof von Siebenbürgen ernannte.36 Die Eu32 Endes, Miklós: Erdély három nemzete és négy vallása autonomiájának története. Budapest 1935, 267–371; Zach, Krista: Fürst, Landtag und Stände. Die verfassungsrechtliche Frage in Siebenbürgen im 16. und 17. Jahrhundert. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 11, 1980/81, 63–90; dies.: Geschichte der Konfessionen, 43f., 78f.; Philippi, Paul: Staatliche Einheit und gesellschaftliche Pluralität in der Religionsgesetzgebung des Fürstentums Siebenbürgen. In: Heidelberger Jahrbücher 18, 1974, 50–65; Müller, Friedrich (Hg.): Materialien zur Kirchengeschichte Siebenbürgens und Ungarns im siebzehnten Jahrhundert. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 19, 1884, 579–750. Zeitgenössische Stimmen werden dokumentiert bei Makkai, Sándor (Hg.): Haldokló Erdély 1662–1703. Budapest [1942] (Erdély öröksége. Erdély emlékírók Erdélyről 6); Tolnai, Gábor (Hg.): Erdély változása 1703–1750. Budapest [1942] (Erdély öröksége. Erdély emlékírók Erdélyről 7). 33 Gräser, Andreas (Hg.): Caraffa’s Project: wie Siebenbürgen unter k. k. österreichischer Devotion zu erhalten – an Kaiser Leopold, vom Jahre 1690. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 1, 1853, 162–188. 34 Fabritius, K[arl]: Der Religionsstreit auf den siebenbürgischen Landtagen von 1691 und 1692. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 6, 1863, 107–151. 35 Bârlea, Octavian: Ostkirchliche Tradition und westlicher Katholizismus. Die Rumänische Unierte Kirche zwischen 1713–1727. München 1966 (Societas Academica Dacoromana. Acta Historica 6), 34f. Anm. 72. 36 Szeredai de Szent-Háromság, Antonius: Series Antiquorum, et recentiorum Episcoporum Transilvaniae. A[lbae] Carolinae 1790, 220–223; Kollányi, Ferenc: Esztergomi kanonokok 1100–1900. Esztergom 1900, 314–317.
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phorie war anfänglich groß: In einem Memorandum nach Rom schrieb Illyés, dass der Moment gekommen sei, Siebenbürgen politisch und kirchlich in das staatliche Gefüge des Königreichs Ungarn neu einzubinden.37 Die Wahl war zwar klugerweise auf einen gebürtigen Siebenbürger gefallen (Illyés stammte aus Csik-Szent-György), doch war bei seiner Kandidatur der Status catholicus vollständig übergangen worden. Angesichts der Verletzung der siebenbürgischen Rechtsordnung sah sich das Gubernium zum Handeln gezwungen. Noch 1697 forderte es Illyés – dieser hatte gerade erst im Januar 1697 die päpstliche Bestätigung erhalten, die Kirchenvisitation aufgenommen und im Juli eine Status-Versammlung einberufen38 – zum Verlassen des Landes auf. Illyés konnte somit, hierin unterschied sich sein Amt nicht von dem der vor ihm ernannten Bischöfe, seinen Sitz in Weißenburg nicht einnehmen. Nach dem Freiheitskampf Rákóczis kam auf den Status-Versammlungen des Jahres 1712 in Mediasch neue Bewegung in die Frage der kirchlichen Hierarchie. Tatsächlich konnte der Status catholicus eine Rückgabe der bischöflichen Residenz, der Kathedrale und eines Teils der hierzu gehörenden Güter durchsetzen. Als Karl VI. am 18. Februar 1713 György Mártonfi zum lateinischen Bischof von Weißenburg ernannte, wurde er jedoch abermals übergangen. Als Entgegenkommen mochte es immerhin aufgefasst werden, dass auch Mártonfi aus dem Szeklerland stammte und mit den Verhältnissen des Landes vertraut war. Der Hof konnte es freilich nicht riskieren, die Machtstellung des Status catholicus zu diesem Zeitpunkt weiter zu untergraben: Auf sein Mitwirken an den kirchenpolitischen Maßnahmen der Regierung konnte man kaum verzichten, der Verdienste und Autorität dieser Institution wegen und weil die Lage des siebenbürgischen Katholizismus am Hof unverändert als bedenklich eingestuft wurde.39 Mártonfi, der bis zur päpstlichen Bestätigung am 9. August 1714 in seine Diözese noch nicht eingeführt worden war, verfügte bis zu diesem Zeitpunkt über keine Güter in Siebenbürgen. Er besaß lediglich die beschränkten Einkünfte eines Domherrn von Gran und die dortige Präpositur von St. Stephan. Für den Fall, dass die Einführung eines lateinischen Bischofs erneut am Widerstand der protestantischen Stände scheitern würde, wäre Mártonfi also auch außerhalb seiner Diözese versorgt gewesen. Ihm kam zugute, dass der Kaiser 1715 zu einem neuen Krieg gegen die Türken rüstete und dabei den Ausbau Weißenburgs – die Stadt trägt seither den Namen Karlsburg – zu einer modernen Festung in Angriff nahm. Ihr Zentrum sollten das fürstliche 37 Köpeczi (Hg.): Kurze Geschichte Siebenbürgens, 371. 38 Veszely: Erdélyi egyháztörténelmi adatok, Bd. 1, 51–54. 39 Biró, Vencel: Az imperiumváltozas kora (1690–1716). In: Az Erdélyi Katholicizmus, 104–124; ders.: A katholikus restaurácio kora. (III. Károly, Mária Terézia, II. József). Ebd., 147–173; Fabritius, Karl (Hg.): Beiträge zur Kirchengeschichte Siebenbürgens unter Kaiser Karl VI. (I): Urkunden über die Abtretung von Kirchen in Bistritz und Hermannstadt für den römisch-katholischen Gottesdienst. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 1, 1853, 238–269.
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Schloss und die bisher in Händen der Calvinisten befindliche Kathedrale bilden. Außerhalb der Mitsprachebefugnisse der Stände, gleichsam unter dem Schutz des Militärs, konnte der lateinische Bischof in Weißenburg seine Residenz nehmen. Innerhalb kürzester Zeit avancierte die Stadt zum Zentrum der katholischen Hierarchie Siebenbürgens, zumal das unierte Bistum durch kaiserliche Entscheidung im folgenden Jahr nach Fogarasch verlegt wurde.40 Die Umstände dieser Verlegung machen einen kurzen Blick auf die Lage der rumänisch-unierten Kirche nach dem Tod ihres Bischofs Athanasius im Jahr 1713 notwendig, da die Frage der Neubesetzung des unierten Bistums zugleich einen Einblick in Politik und Selbstverständnis der katholischen Hierarchie in Siebenbürgen erlaubt.41 Diese stand erstmals vor der schwierigen Situation, kirchliche Ansprüche und staatspolitische Rücksichten miteinander verbinden zu müssen. Kurz zum Hintergrund: Auch nach zweifach wiederholter Wahl hatte es die rumänische Synode abgelehnt, Ioan Pataki, den Kandidaten des Hofes, in die seit dem sogenannten Zweiten Leopoldinischen Diplom von 1701 rechtlich vorgeschriebene Vorschlagsliste aufzunehmen. Während der insgesamt zehnjährigen Vakanz des unierten Bistums traten die Interessengegensätze zwischen dem Erzbischof von Gran, der aus kirchlichen Erwägungen die Rechte der rumänischen Synode zu wahren suchte, und dem Gouverneur von Siebenbürgen, Graf Sigismund Kornis, sowie der Siebenbürgischen Hofkanzlei in Wien klar hervor, die als Anwälte der kaiserlichen Autorität und Rechte auftraten. Erst im Dezember 1714 beugte sich der rumänische Klerus schließlich dem weltlichen Druck und votierte – freilich in einer fragwürdigen Wahl – für den kaiserlichen Kandidaten. Lag eine neue Dotation des lateinischen Bistums mit der Installation Mártonfis auf der Hand, so verlangte Rom eine solche überraschend auch für das vakante unierte Bistum. Karl VI. verfügte eine entsprechende Schenkung daher am 11. Dezember 1715 zeitgleich für beide Bistümer. Das lateinische Bistum erhielt aus der fiskalischen Domäne Karlsburg sowie aus den Abgaben der Sachsen eine neue Dotation von insgesamt 13.000 Gulden jährlich, wobei 8.000 Gulden für den Bischof, 2.000 für den Unterhalt von Schule und Kathedrale und 3.000 für die vier Domherren vorgesehen waren. Darüber hinaus wurde dem Bischof die Hälfte des Schlosses in Karlsburg zur Residenz übergeben; weitere 4.000 Gulden sagte man für deren Herrichtung zu.42 Bei der doppelten Schenkung fällt auf, dass sie dem Wortlaut des kaiserlichen Dekrets nach „per modum novae fundationis“ erfolgte.43 Der Wiener Hof versuchte also, beide Bistümer als gänzlich neue Fundationen auszuge40 Teutsch, Friedrich: Geschichte der ev. Kirche in Siebenbürgen. Bd. 2: 1700–1917. Hermannstadt 1922, 3–72. 41 Bârlea: Ostkirchliche Tradition, 21f., 33, 40, 72. �������������� Ebd., 34f.; Zach: Geschichte der Konfessionen, 75. 43 Bârlea: Ostkirchliche Tradition, 100f.
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ben und damit in einem klugen Schachzug das königliche Oberpatronatsrecht, das der Heilige Stuhl für die ungarischen Bistümer längst nicht mehr anzweifelte, auch in Siebenbürgen zu rechtfertigen. Der Machtanspruch Wiens musste mit den Interessen sowohl des Karlsburger Bischofs als auch des Status catholicus kollidieren. Dieser war seinerseits bemüht, die Rechte, die er bei der Auswahl des Vikars beziehungsweise des lateinischen Bischofs in Siebenbürgen besaß, auch auf die unierte Kirche auszudehnen. Dies belegt ein Schreiben des Status catholicus, das Mitte Januar 1715 im Namen sämtlicher Katholiken orientalischen und lateinischen Ritus an den Kaiser sowie an den Erzbischof von Gran, Kardinal Christian August von Sachsen-Zeitz, gerichtet war. Darin bat man, Pataki zum Bischof zu ernennen, da seine Ernennung am ehesten dazu tauge, den Boden für einen Übertritt der rumänischen Nation zum lateinischen Ritus zu bereiten. Ende des Jahres, am 5. Dezember 1715, berichtete der Gouverneur von Siebenbürgen dem ungarischen Jesuitenpater und Rektor des Wiener Pazmaneums, Gábor Hevenesi, dass sich der gesamte Status catholicus einstimmig für die Bestätigung Patakis zum rumänischen unierten Bischof in Siebenbürgen ausgesprochen habe.44 Ähnliche Versuche, den Umfang der eigenen Jurisdiktionsgewalt auszudehnen und die eigene Macht auch auf Gebiete der unierten beziehungsweise orthodoxen Kirche auszudehnen, lassen sich beim Karlsburger Bischof erkennen.45 Mit der Zusicherung, dass seine Gerichtsbarkeit durch die neue Fundation des unierten Bistums nicht beeinträchtigt werde, begnügte sich Mártonfi nicht. Er strebte die Unterstellung Patakis unter seine Jurisdiktion an. Dabei stützte er sich auf die Bestimmungen des 4. Laterankonzils von 1215, das den mit Lateinern lebenden Orientalen lediglich einen Ritualbischof, diesen jedoch als Vikar des lateinischen Bischofs, gewährt hatte. In einem Schreiben an die Propagandakongregation vom 8. Oktober 1718 wies er auf die Rechtsstellung der anderen Unierten hin, namentlich auf den unierten Bischof von Munkatsch, der dem lateinischen Bischof von Erlau unterstellt sei.46 Mártonfi, der wenige Wochen später Pataki sogar direkt aufgefordert hatte, sich als seinen Vikar für den Ostritus zu betrachten, konnte erst vom Nuntius und von der Glaubenskongregation von den besonderen Privilegien der rumänischen Kirche und der Gleichberechtigung beider Riten überzeugt werden.47 ����������������������� Ebd., 14 Anm. 16, 30. ��������������������������������������������������������������������������� Mit Beispielen aus anderen Diözesen (nach römischen Quellen) ebd., 78–80. �������������������� Ebd., 37f., 48–50. ������������������������������������������������������������������������������������������������ „Eapropter etiam ego quà Sanctae Romanae Ecclesiae subjectus et obedientissimus Filius eandem Fundationem ultra non controverto, sed me dispositioni Sacrae Congregationis subjicio, et quantocius pro magna animarum necessitate et salute a Sede Apostolica nominati Domini Episcopi confirmationem ex Gratia Eminentiae Vestrae per secretam viam fiendam devotissime recommendo et efflagito, firmiter sperando eandem cum modis et formis Bullae Pij Papae IV de data 16 Februarij Anni 1564 expediendam fore.“ Bischof Georg Mártonfi an die Propagandakongregation, Wien 24. Dezember
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Nach der Wiederbesetzung des lateinischen Bistums und dessen Dotation stabilisierten sich die neuen kirchenpolitischen Verhältnisse rasch. Zu Konflikten zwischen dem Ortsbischof und dem Status catholicus kam es in dieser Phase noch nicht. Seit 1711 konnte das Institut seine innere Organisation daher weiter festigen. Dies belegt auch die Fülle der bis zu hundert Personen vereinenden Status-Versammlungen in den folgenden Jahrzehnten, die, mit Blick auf den Klerus, außer von dem Vorsitz führenden Bischof von verschiedenen Geistlichen geprägt wurden: einzelnen Jesuitenvorstehern, dem Kustos der Franziskaner, Kapitularen, Archidiakonen oder Bezirksdechanten.48 Im Verkehr mit den Hofstellen besaß der Status catholicus oft eine wichtigere Funktion als der Residenzbischof. Am 25. Juni 1725 wurde er von der Siebenbürgischen Hofkanzlei aufgefordert, eine den Jurisdiktionsbereich sowie die Ansprüche des unierten Bischofs auf die Kirche in Fogarasch betreffende Streitfrage zu prüfen, wo es zu einem Konflikt zwischen den Orthodoxen und dem Ortsbischof gekommen war. Auf der Grundlage des vom Status catholicus erstellten Gutachtens trafen die Wiener Behörden schließlich ihre Entscheidung.49 In der Regel arbeiteten Status catholicus und Bischof jedoch einvernehmlich zusammen. Deutlich wird dies besonders an dem jahrzehntelangen Bemühen, auch formalrechtlich die Religionsgleichheit durchzusetzen und eine Aufhebung der die katholische Kirche benachteiligenden Gesetze zu erwirken. Diese Gesetze waren zwar durch das Ersatzdiplom von 1699, die sogenannten Fünf Punkte, außer Kraft gesetzt, formal jedoch bisher nicht aus der siebenbürgischen Gesetzessammlung gestrichen worden. Das Insistieren des Status catholicus am Hof führte 1729 zu einem ersten Erfolg, als der Kaiser das Gubernium hinsichtlich der entsprechenden Gesetze zu einem Gutachten aufforderte. Ein vom Gubernium eingebrachter Vorschlag, die Gesetze zu streichen, kam zwar im folgenden Jahr auch vor den siebenbürgischen Landtag, wurde jedoch von der Mehrheit abgelehnt. Erst 1744 kam es dann zum Durchbruch. Sämtliche älteren Beschlüsse, die Existenz oder Wirken des Bischofs, der Domherren und der Orden eingeschränkt hatten, wurden für ungültig erklärt. Die Güter der Jesuiten nahm man aus den Schatzkammergütern heraus und übertrug sie dem Status catholicus, der sie unverzüglich den Jesuiten anvertraute.50 1718. Zit. nach ebd., 152; vgl. ferner ebd., 49f. Bereits zwei Jahre zuvor hatte das Propagandaarchiv eine Überprüfung der Lage der unierten Bischöfe in Ungarn vorbereitet (ebd., 38, 106–108). ���������������������������������� Zahlreiche Quellen zu einzelnen Status-Sitzungen seit 1711 enthalten die beiden materialreichen, allerdings schwer zu benutzenden Bände von Veszely: Erdélyi egyháztörténelmi adatok; Schuller, G[eorg] A[dolf]: Ein aktenmäßiger Beitrag zur Geschichte der Gegenreformation in Siebenbürgen im 18. Jahrhundert. In: Festschrift Seiner Hochwürden D. Dr. Friedrich Teutsch gewidmet zu seinem 25jährigen Bischofs-Jubiläum vom Ausschuß des Vereins für siebenbürgische Landeskunde. Hermannstadt 1931, 274–305. 49 Bârlea: Ostkirchliche Tradition, 76, 80 Anm. 233. 50 Trócsányi, Zsolt: Az ellenreformáció Erdélyben 1711-től a felvilágosult abszolutizmus kezdetéig. In: Theologiai Szemle 22, 1979, 219–226.
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Der politische Einfluss des Status catholicus zeigte sich überdies bei der Besetzung der Ämter, sowohl geistlicher als auch weltlicher. Im Jahr 1714, unmittelbar nach der Thronbesteigung Karls VI., hatte man, und zwar gegen die entsprechenden Vorschläge der Landesregierung, die Ernennung des eigenen Kandidaten zum Gouverneur durchsetzen können. Sigismund Kornis, der seit vielen Jahren an der Spitze der weltlichen Status-Mitglieder stand, war der erste Katholik in diesem Amt.51 Ungleich komplizierter war die Frage der rechtlichen Zuständigkeiten bei der Bischofsernennung. Hatte der Kaiser im Fall von Illyés, Mártonfi sowie dessen 1722 bereits ernannten, wenig später gestorbenen Nachfolger Ferenc Mednyánszky jeweils uneingeschränkt das Patronatsrecht beansprucht, so pochte der Status catholicus seither mit größerem Nachdruck auf seine Rechte. Ende Dezember 1722 schlug er dem Kaiser den Graner Domherrn Mihály Olász vor oder, sofern ein gebürtiger Siebenbürger gewünscht werde, den Großpropst von Siebenbürgen János Antalfi beziehungsweise István Letai. Die Entscheidung Karls VI., mit Antalfi einen Kandidaten des Status catholicus zu nominieren, eröffnete diesem von neuem das Recht, Kandidaten für den Karlsburger Bischofsstuhl vorzuschlagen. Sein Vorschlagsrecht übte das Institut bis zur Nominierung von József Antal Bajtay im Oktober 1760 aus. War es bis dahin schon mehrfach zum Konflikt mit der Siebenbürgischen Hofkanzlei gekommen, die das Recht, die Bischofskandidaten auszuwählen, analog zu dem der Ungarischen Hofkanzlei für sich beanspruchte, so setzte Wien der Ausnahmeregelung für Siebenbürgen nun endgültig ein Ende.52 Die Entscheidung Maria Theresias fügt sich ganz in deren neue, von einem absolutistischen Staatsverständnis geprägte kirchenpolitische Linie ein, die seit der Begründung des Staatsrats auf eine konsequente Zurückdrängung der Privilegien des katholischen Klerus und dessen stärkere Inanspruchnahme für die Belange des Staates abzielte.53 Der siebenbürgische Status catholicus, der zunächst als Garant der staatlichen und kirchlichen Autorität gestützt wurde, galt nun als Hemmschuh der Modernisierung und gleichzeitig als potentieller Widersacher aufgeklärt-absolutistischer Herrschaftspraxis. 51 Höchsmann, Johann: Studien zur Geschichte Siebenbürgens aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 11, 1873/74, 253–310, hier 265. 52 Temesváry, János: Öt erdélyi püspök rangemelése. Kolozsvár 1910; ders.: Az erdélyi püspöki szék betöltése (1696–1897). Cluj-Kolozsvár 1932; Eckhart, Ferenc: A püspöki székek és a káptalani javadalmak betöltése Mária Terézia korától 1918-ig. Budapest 1935, 14f.; Biró: Püspökjelölés, 12, 18, 23. 53 Reinhardt, Rudolf: Zur Kirchenreform in Österreich unter Maria Theresia. In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 77, 1966, 105–119; Benna, Anna Hedwig: Zur Situation von Religion und Kirche in Österreich in den Fünfzigerjahren des 18. Jahrhunderts – eine Denkschrift Bartensteins zum Kronprinzenunterricht Josefs II. In: Sacerdos et pastor semper ubique. Festschrift zum 40-jährigen Priesterjubiläum [...] Franz Loidl. Wien 1972 (Veröffentlichungen des Kirchenhistorischen Instituts der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien 13), 193–224.
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Die Zäsur des Jahres 1760 zeigt sich nicht zuletzt beim Blick auf die StatusVersammlungen, die schlagartig abbrachen und erst 1790 wieder einsetzten. Auch in der Auswahl der Bischöfe lassen sich die stärkere Anbindung an Wien und das Zurücktreten regionaler Kompetenz erkennen.54 Hinsichtlich ihrer sozialen Herkunft und ihres kirchenpolitischen Selbstverständnisses unterschieden sich die Bischöfe des 18. Jahrhunderts deutlich von früher ernannten, wobei gewisse Parallelen zu den Bischofsstühlen in Ungarn zu beobachten sind. Im Gegensatz zu den dortigen Bischofsstühlen, bei deren Besetzung der Hof um 1700 vielfach Aristokraten aus dem römisch-deutschen Reich heranzog,55 war das bei der Apostolischen Kammer mit einem vergleichsweise bescheidenen Jahreseinkommen eingestufte Bistum Karlsburg freilich von geringerer Bedeutung. Den drei ausschließlich vom Kaiser nominierten, aus Siebenbürgen stammenden Bischöfen Illyés, Mártonfi und Mednyánszky folgte mit János Antalfi (1724–1728) als Kandidat des Status catholicus einer der ersten vier Domherren und spätere Propst des 1715 neu dotierten Kapitels in Karlsburg.56 Für Antalfi wie für dessen Nachfolger Gergely Zorger (1729–1739), Ferenc Klobusiczky (1741–1748), Zsigmond Antal Sztoyka de Szala (1749–1759), Graf József Batthyány (1759–1760) und József Antal Bajtay (1760–1772), Pius Manzador (1772–1774), Graf Ladislaus Kollonich (1774–1780) und Graf Ignác Batthyány (1780–1798) bedeutete das siebenbürgische Bistum jeweils den Einstieg in den Episkopat. Es ist offenkundig, dass Karlsburg in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrheitlich als erste oder Zwischenstation für den Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie diente. Die Vertrautheit der einzelnen Kandidaten mit der siebenbürgischen Politik nahm seit der Ernennung Klobusiczkys immer mehr ab.57 Auch dominierten – anders als noch vor 1750, als in erster Linie Siebenbürger nominiert wurden – seither Angehörige der ungarischen Hofaristokratie wie József und Ignác Batthyány oder Ladislaus Kollonich beziehungsweise unmittelbar am Wiener Hof tätige Geistliche wie der Provinzial der österreichischen Barnabiten, Pater Pius Manzador, der als Mitglied der Religionshofkommission und kaiserlicher Delegierter ein enger Vertrauter Maria Theresias war.58 ������������������������������������������������������������������������������������������� Heranzuziehen ist neben den klassischen kirchenhistorischen Nachschlagewerken für Siebenbürgen auch der Sammelband von Biró, Vencel/Boros, Fortunát (Hg.): Erdélyi katolikus nagyok. Kolozsvár 1941, 93f., 109–119. 55 Bahlcke, Joachim: Aristokraten aus dem Reich auf ungarischen Bischofsstühlen in der frühen Neuzeit. Zur Instrumentalisierung einer geistlichen Elite. In: Ungarn-Jahrbuch. Zeitschrift für die Kunde Ungarns und verwandte Gebiete 23, 1997, 81–103. 56 Bârlea: Ostkirchliche Tradition, 40f., 100f., 111, 113f. 57 Trócsányi, Zsolt: Die ständische Bewegung in Siebenbürgen 1741–1742. In: Benda, Kálman u.a. (Hg.): Forschungen über Siebenbürgen und seine Nachbarn. Festschrift für Attila T. Szabó und Zsigmond Jakó, Bd. 2. München 1988 (Studia Hungarica 32), 31–58. 58 Temesváry, János: Manzador Pius erdélyi püspök élete és irodalmi működése. Budapest 1931.
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Nicht nur in ihrer kirchlichen Tätigkeit, auch in ihrem politischen Aktionskreis war die katholische Hierarchie Siebenbürgens, anders als in Ungarn, weitgehend auf sich selbst gestellt. Von Amts wegen war der katholische Bischof zwar seit dem kaiserlichen Reskript vom 21. März 1721 erster Gubernialrat und damit als Stellvertreter des Gouverneurs Mitglied der Landesregierung; der fehlenden Repräsentanz des römisch-katholischen Klerus im Landtag wegen konnte er dort jedoch nur als Einzelpersönlichkeit auftreten.59 Den größten Einfluss hatte noch Bischof Sztoyka, der 1753 in seiner Residenz ein Priesterseminar gegründet hatte.60 Während der Vakanz des Gouverneursamtes in den Jahren 1755 bis 1759 war er der nominelle Leiter des Guberniums. Für eine geradlinige Interessenpolitik gegenüber der protestantischen Ständemehrheit fehlte allerdings, sieht man hier einmal vom Gewicht des Status catholicus, der Autorität des kommandierenden Generals in Hermannstadt und der Rolle der 1743 vom Landtag wieder zugelassenen Jesuiten ab, der politische Rückhalt, wie ihn das Zweikammersystem des ungarischen Reichstags bot. Die Stände protestierten mehrfach am Hof gegen die durch keine Wahl legitimierte kirchlich-weltliche Doppelfunktion des Bischofs, der dieser Personalunion überdies gar nicht gerecht werden könne, da er entweder den in den Approbaten festgelegten Eid auf die siebenbürgischen Landesgesetze (darunter die Gleichberechtigung der vier „rezipierten Religionen“) brechen oder den eigenen kirchlichen Eid verletzen müsse.61 Ebenso verwahrte man sich dagegen, dass sich der Bischof der römischen Kirche in Siebenbürgen stets als „Bischof von Siebenbürgen“ bezeichne.62 Gleich mehrere Vorstöße, die eigene Macht zu vergrößern, unternahm in den 1760er Jahren Bischof Bajtay, der als ehemaliger Erzieher des Thronfolgers Joseph gute Beziehungen zum Hof besaß. Während seiner Amtszeit von 1760 bis 1772 wurde ein Teil der dem Erzbischof von Gran unterstehenden Gebiete erneut der Gerichtsbarkeit des Karlsburger Bischofs unterstellt, wodurch die römisch-katholische Diözese Siebenbürgen insgesamt einheitlicher wurde.63 Das auf Anregung Samuel von Brukenthals entstandene Projekt ei59 Kutschera, Rolf: Landtag und Gubernium in Siebenbürgen 1688–1869. Köln/Wien 1985 (Studia Transylvanica 11), 52. 60 Marton, József: Papnevelés az erdélyi egyházmegyében 1753-tól 1918-ig. Budapest 1993 (Studia Theologica Budapestinensia 5). 61 Juhász, István: Das Edictum tolerantiae und das siebenbürgische Fürstentum. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 7, 1984, 1–17, hier 3. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Am 26. Juli 1854 richtete Bischof Ludwig Haynald an das Wiener Kultusministerium die Bitte, künftig den Titel „Bischof von Siebenbürgen“ führen zu dürfen. Trotz des Einspruchs der Ungarischen Statthalterei, dass der Bischof bei der Fundation des Bistums als „episcopus romano catholicus Transsilvaniensis“ bezeichnet worden sei, legte das Ministerium am 24. Oktober 1854 als künftige Bezeichnung die Formulierungen „Bischof von Siebenbürgen“ und „Bistum von Siebenbürgen“ fest. Vgl. Teutsch: Kirchliche Verhältnisse Siebenbürgens, 548f. 63 Miskolczy, István: Bajtay J. Antal. Budapest 1914; ders.: Bajtay Antal szerepe Erdély közéletében. In: Századok 47, 1913, 656–669, 736–752.
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ner protestantischen Landesuniversität in Hermannstadt, zu dem Maria Theresia 1765 bereits ihre Zustimmung gegeben hatte, brachte Bajtay erfolgreich zu Fall.64 Im Jahr 1766 versuchte Bajtay schließlich mit Unterstützung des kommandierenden Generals Andreas von Hadik stärkeren Einfluss auf die Ämterbesetzung und vor allem auf die Landesverwaltung zu gewinnen. Mit den Argumenten, dass die katholischen Bischöfe die „ansehnlichsten Possessores im Albenser Comitat sind, ihren Sitz immer in Karlsburg, oder in Hermannstadt“ hätten und „dadurch mehr Gelegenheit, und wirksamere Mittel finden würden, den wahren Glauben unter denen alldort sehr mächtigen und zahlreichen Akatholischen zu schützen und auszubreiten“, griff er offen nach der Obergespanschaft. Seine weitere Begründung, dass nämlich „vormalen die siebenbürgischen Bischöfe perpetui supremi Comites Albenses“ gewesen seien,65 stand freilich auf wackligen Füßen, denn dieses Amt hatten – mit Ausnahme Bischof Mártonfis in den Jahren 1716 bis 1721 – in der Vergangenheit ausschließlich weltliche Würdenträger innegehabt.66
4. Umbruch im Zeichen der Aufklärung. Die sukzessive Zurückdrängung des Status catholicus Bajtays kirchliches und politisches Selbstverständnis, seine kirchenorganisatorische und pastorale Tätigkeit in der gesamten Diözese, sein Autonomieanspruch, seine zahlreichen Jurisdiktionskämpfe und endlosen Konflikte mit führenden Vertretern der saxonitas fielen in eine Übergangsperiode um die Mitte des 18. Jahrhunderts, in der die Formen der traditionellen Barockfrömmigkeit immer rascher zerfielen und sich mit den Ideen der religiösen Toleranz und der Aufklärung sowohl zwischen den Konfessionen als auch zwischen Staat und Kirche neue Prinzipien des Zusammenwirkens und -lebens herausbildeten.67 64 Schuller, Georg Adolf: Samuel von Brukenthal, Bd. 1–2. München 1967–1969 (Buchreihe der Südostdeutschen Historischen Kommission 18–19), hier Bd. 1, 150–153. Das Gutachten Brukenthals („Vorläuffige allerunterthänigste Gedanken über die Errichtung einer Universität in dem Fürstentum Siebenbürgen“) trägt kein Datum. 65 Teutsch, G[eorg] D[aniel]: Actenmäßige Beiträge zur Geschichte Siebenbürgens im XVIII. Jahrhundert (1). Gutachten des römisch-katholischen Bischofs in Siebenbürgen, Freiherrn Joseph Bajtay, wie die katholische Religion hier in größere Aufnahme zu bringen sei. In: Archiv des Vereines für siebenbürgische Landeskunde N.F. 11, 1873/74, 469–484, hier 481. 66 Lázár, Miklós: Erdély főispánjai (1540–1711). Budapest 1889; Fallenbüchl, Zoltán: Magyarország főispánjai. Die Obergespane Ungarns. 1526–1848. Budapest 1994, 142. �������������������������������������������������������������������������������������������������� Die Legitimationskrise, die in Kreisen der katholischen Geistlichkeit zu beobachten ist, zeigte sich in ähnlicher Form auch beim Adel. „Es ist merkwürdig, wie sich die Welt um uns herum zu verändern beginnt“, heißt es beispielsweise im Tagebuch des in Siebenbürgen ansässigen ungarischen Adeligen György Rettegi Ende 1765: „Unsere alten Gesetze, die gewohnte Ordnung sind
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Während Bajtay noch alle Kräfte gegen die Protestanten zu mobilisieren suchte, um das „sacrum Diploma“,68 wie er es abwertend bezeichnete, und damit die verfassungsmäßig garantierte Gleichberechtigung der einzelnen Konfessionen in Siebenbürgen zu Fall zu bringen, hatte der Hof längst andere Wege eingeschlagen – weg von der konfessionellen Polarisierung und hin zum Religionsfrieden. Bajtays Wirken in Siebenbürgen wirkte ähnlich anachronistisch wie das Streben von Márton Padányi Biró zur gleichen Zeit in Wesprim. Das Schicksal beider Bischöfe ähnelt sich in vielen Zügen. Padányi Biró war nach der Publikation seiner Kampfschrift Enchiridion de fide 1750, in der er bei Lichte besehen der Häretikerpraxis früherer Jahrhunderte eine Lanze brach, bei Maria Theresia dauerhaft in Ungnade gefallen.69 Bajtay wählte einen anderen Weg und resignierte im Oktober 1772 von seinem Amt. Die Trendwende am Hof zeigt sich deutlich bei den Bischof-Obergespanstellen in Ungarn, die Bajtay noch 1766 für das Komitat Karlsburg angestrebt hatte. Schritt für Schritt wurden sämtliche Kirchenfürsten seit Anfang der 1770er Jahre aus den Obergespanstellen verdrängt.70 Auch in Siebenbürgen standen die Privilegien des Bischofs und die Sonderrechte des Status catholicus zur Disposition. Seit 1772, dem Jahr der Resignation Bajtays, war der Karlsburger Bischof wieder nur noch einfaches Ratsmitglied. 1786 ordnete Joseph II. die Entlassung des Bischofs aus dem Gubernium an.71 Der Einfluss des Status catholicus wurde durch die Gründung der Commissio in publicoecclesiasticis begrenzt, eine aus katholischen Gubernialräten zusammengesetzte staatliche Behörde, die in Religionsangelegenheiten unter Umgehung des Guberniums, des Status und zum Teil des Ortsbischofs sogar Dekrete erlassen konnte. Brukenthal, der angesichts der Machtfülle der Katholischen Kommission von einem „zweyten Gubernium“72 sprach, gelang es 1777 zumindest, dass sie der Aufsicht des Gouverneurs unterstellt wurde.
umgeworfen [...], alles ist so unsicher geworden, und keiner kann einen Rat geben, wie wir uns benehmen sollen.“ Rettegi, György: Emlékezetre méltó dolgok 1718–1789. Hg. v. Zsigmond Jakó. Bukarest 1970, 185f., 196. Vgl. auch Benda, Kálmán: Politische Strömungen in Siebenbürgen während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde 2, 1979, 185–196, hier 185. 68 Teutsch: Actenmäßige Beiträge, 473. Bajtays Haltung gegenüber den Wiedertäufern erhellt Klima, Helmut: Das Verhalten der Wiener Regierung unter Maria Theresia gegen die siebenbürgischen Wiedertäufer und Herrenhuter. Ein Beitrag zur theresianischen Religionspolitik. In: Südost-Forschungen 7, 1942, 118–136. 69 Bahlcke, Joachim: Frederick II of Prussia, Austria and the Hungarian Protestants: Bishop Márton Padányi Biró of Veszprém and the Enchiridion de fide. In: Austrian History Yearbook31, 2000, 15–32. 70 Fallenbüchl: Magyarország főispánjai, 41–47. 71 Kutschera: Landtag und Gubernium in Siebenbürgen, 154. 72 Schuller: Samuel von Brukenthal, Bd. 2, 8. Eine Kurzdarstellung der außerordentlichen Karriere des lutherischen Sachsen bei Klima, Helmuth: Samuel von Brukenthal, Gouverneur von Siebenbürgen. In: Südostdeutsche Forschungen 4, 1939, 703–717.
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Vier Jahre später gliederte Joseph II. die Kommission formal dem Gubernium ein und gründete eine selbständige Studienkommission, der die Aufsicht über das Schulwesen übertragen wurde.73 Der Status catholicus erkannte die Existenz und Tätigkeit der mit seinen Zuständigkeiten konkurrierenden Kommission, der ein Teil der Vermögensverwaltung der katholischen Kirche (darunter das 1768 in Hermannstadt gegründete Waisen- und Findelhaus sowie 1773 nach Auflösung des Jesuitenordens dessen Güter) übertragen worden war, niemals an.74 Das am 8. November 1781 für Siebenbürgen erlassene Toleranzedikt, das der eigentlichen Intention Josephs II. nach die Übermacht der katholischen Kirche eindämmen sollte, musste in einem Land, in dem vier Religionsgemeinschaften verfassungsrechtlich gleichberechtigt waren, zwangsläufig auf gemischte Gefühle stoßen. Eine bewilligte Toleranz hätte zunächst die Dominanz des Katholizismus zur Voraussetzung gehabt. Entgegen den Erwartungen des Hofes geriet die katholische Kirche massiv unter Druck. Einem Bericht des Karlsburger Bischofs Ignác Batthyány zufolge kam es innerhalb von nur zwei Monaten zu 168 Kirchenaustritten, so dass sich Joseph II. am 22. Mai 1782 zu einer Verordnung gezwungen sah, den freien Religionsübertritt juristisch zu erschweren.75 Gegen die kirchlichen Maßnahmen des josephinischen Reformwerks regte sich zwar auch in Siebenbürgen Widerstand. Dieser erreichte hier allerdings nicht das Ausmaß wie in Ungarn, wo sich schon seit dem Pressburger Reichstag von 1764/65 der Klerus zum Wortführer der Opposition und zum Verteidiger der natio Hungarica aufgeschwungen hatte. In Ungarn hatte die Geistlichkeit aus taktischen Erwägungen den Weg eines konsequenten Ultramontanismus eingeschlagen, für den es in Siebenbürgen nur wenige Beispiele gibt. Zum kirchenpolitischen Programm des ungarischen Klerus zählte dabei auch, wie die folgenschwere Flugschrift Vexatio dat intellectum zeigt, die engere Einbindung Siebenbürgens in die ungarische Mutterkirche.76 Ähnliche kirchliche Neuorientierungen der Geistlichkeit in Siebenbürgen fallen in die Amtszeit von Ignác Batthyány, eines naturwissenschaftlichen Methoden und Experimenten ebenso wie neuen Kunst- und Geistesströmungen gegenüber aufgeschlossenen Kirchenfürsten.77 Batthyány, der in Aus73 Josupeit-Neitzel, Elke: Die Reformen Josephs II. in Siebenbürgen. München 1986 (Studia Hungarica 33), 84–88; Kutschera: Landtag und Gubernium in Siebenbürgen, 150. 74 Veszely: Az erdélyi róm. kath. püspöki megye autonomiája, Bd. 2, 119f. 75 Lungu, Ion: Les Lumières en Transylvanie et le joséphisme. ���������������������������������� In: Cahiers roumains d’études littéraires 2, 1977, 70–86; Juhász: Das Edictum tolerantiae, 11–15. 76 Bahlcke, Joachim: „Vexatio dat intellectum“. Klerus, Ständeverfassung und Staatskirchentum in Ungarn zur Zeit Maria Theresias. In: Historické štúdie 40, 1999, 35–50. 77 Biró, Vencel: Gr. Batthyány Ignác. 1741–1798. Emlékezés születésének kétszázéves évfordulóján. Kolozsvár 1941; Jakó, Zsigmond: Batthyány Ignác, a tudós és a tudo-mányszervező. In: Erdélyi Múzeum 53, 1991, 76–99.
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tausch mit führenden Aufklärern und Gelehrten wie György Pray, Daniel Cornides, Ádám Ferenc Kollár, István Katona und István Kaprinai stand, trug sich 1781 mit dem Gedanken, eine „Siebenbürgisch Literarische Gesellschaft“ zu gründen. Sein Vorhaben ließ sich allerdings nicht verwirklichen.78 Gleichzeitig hielt Batthyány jedoch, der 1782 die Handschriftenund über 8.000 Bände umfassende Büchersammlung des Wiener Erzbischofs Christoph Bartholomäus Anton Migazzi aufkaufte und nach Ungarn brachte, mit allen Mitteln die kirchliche Autonomie gegen alle staatlichen Unifizierungsbestrebungen aufrecht. Sein Briefwechsel mit dem Wiener Nuntius Giuseppe Garampi, der zentralen Schlüsselfigur im ultramontanen Netzwerk der 1770er und 1780er Jahre, spiegelt Batthyánys apostolische Gesinnung ebenso wider wie sein Liminarbericht aus dem Jahr 1788.79 Seit 1785 erschien mit Batthyánys monumentalem dreibändigen Werk Leges ecclesiasticae regni Hungariae die wichtigste kirchenrechtliche Antwort auf die josephinischen Reformen in Siebenbürgen.80 Den Ausklang des josephenischen Jahrzehnts markiert der Klausenburger Landtag von 1790/91, der eine Reihe wichtiger Gesetze über Religionsangelegenheiten beschloss, der vor allem aber mit der Frage der rumänischen Nationalbewegung konfrontiert wurde.81 Diese Bewegung stellte eine Zäsur zu den bisherigen Auseinandersetzungen in kirchenpolitischer Hinsicht dar.82 Mit Blick auf das 18. Jahrhundert in seiner Gesamtheit zeigt sich, dass den Bedingungen für ein Zusammenwirken von katholischer Geistlichkeit und Politik in Siebenbürgen enge Grenzen gesetzt waren. Aus dem Bündnispart-
78 Stănescu, Heinz: Eine geplante Siebenbürgisch Literarische Gesellschaft. In: Südost-Forschungen 31, 1972, 335–337; ders.: Deutschsprachige wissenschaftliche und Lesegesellschaften der achtziger Jahre des 18. Jahrhunderts in Siebenbürgen und im Banat. In: Amburger, Erik/Cieśla, Michał/Sziklay, László (Hg.): Wissenschaftspolitik in Mittel- und Osteuropa. Wissenschaftliche Gesellschaften, Akademien und Hochschulen im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert. Berlin 1976 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 3), 187–194; Göllner, Carl: Aspekte der Aufklärung in Siebenbürgen im 18. Jahrhundert. In: Balázs, Éva H. u.a. (Hg.): Beförderer der Aufklärung in Mittel- und Osteuropa. Freimaurer, Gesellschaften, Clubs. Essen 1987 (Studien zur Geschichte der Kulturbeziehungen in Mittel- und Osteuropa 5), 153–160. 79 Vanyó, Tihamér Aladár (Hg.): Püspöki jelentések a magyar szent korona országainak egyházmegyéiről 1600–1850. Pannonhalma 1933 (Olaszországi magyar oklevéltár 2), 91–123; ders. (Hg.): A bécsi pápai követség levéltárának iratai Magyarországról 1611–1786. Budapest 1986, 187–191. 80 Batthyán, Ignatius de: Leges ecclesiasticae regni Hungariae, et provinciarum adiacentium [...], Bd. 1. Albae-Carolinae 1785; Bd. 2–3. Claudiopoli 1827. 81 Zieglauer, Ferdinand von: Die politische Reformbewegung in Siebenbürgen in der Zeit Joseph’s II. und Leopold’s II. Wien 1881. 82 Hitchins, Keith: The Rumanian Movement in Transylvania, 1780–1849. Cambridge, Mass. 1969; Prodan, David: Supplex Libellus Valachorum. Aus ������������������������������������������� der Geschichte der rumänischen Nationsbildung 1700–1848. Köln/Wien 1982 (Studia Transylvanica 9); Turczynski, Emanuel: Konfession und Nation. Zur Frühgeschichte der serbischen und rumänischen Nationsbildung. Düsseldorf 1976 (Geschichte und Gesellschaft 11); Bernath, Mathias: Habsburg und die Anfänge der rumänischen Nationsbildung. Leiden 1972 (Studien zur Geschichte Osteuropas 15).
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ner des Hofes wurde hier nur in der Spätphase des Josephinismus ein Konfliktpartner, der innerhalb des eigenen Landes auf Unterstützung, etwa durch den Status catholicus, hätte rechnen können. Die späte Neuherstellung der katholischen Hierarchie und Kirchenorganisation, die Minderheitensituation der katholischen Kirche und die spezifische verfassungsrechtliche Situation brachten es mit sich, dass der höhere Klerus in Siebenbürgen nur in geringem Maße in das politische Leben des Fürstentums integriert war.
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Geistliche Karrieren der Schaffgotsch. Aufstiegsstrategien und Karrierewege in der hierarchia catholica vom 17. bis zum 19. Jahrhundert 1. Voraussetzungen und Spielräume kirchlicher Familienpolitik Graf Philipp Gotthard von Schaffgotsch, der 1747 in der Zeit des preußischösterreichischen Machtkampfes um Schlesien zum Bischof von Breslau avancierte, war als nachgeborener Sohn frühzeitig zum geistlichen Stand bestimmt worden. Mit zwölf Jahren hatte er vom Breslauer Weihbischof die Tonsur, mit 15 dann die Niederen Weihen empfangen. Bereits 1734, unmittelbar nach Abschluss seines Studiums am Collegium Germanicum et Hungaricum in Rom, erhielt er ein Kanonikat am ständisch exklusiven Olmützer Domkapitel, wenig später durch Vermittlung seines Gönners, des Breslauer Bischofs Philipp Ludwig von Sinzendorf, ein weiteres in der schlesischen Hauptstadt.1 Aus Löwen, wo er seine theologische Ausbildung fortsetzte, schrieb der Zwanzigjährige am 30. April 1737 seinem Vater Johann Anton von Schaffgotsch, dass er sich nunmehr die Subdiakonatsweihe erteilen lassen wolle, und bat ihn, die dafür notwendigen Dimissorialien bei Kardinal Sinzendorf zu beschaffen. Der Vater, seiner Reaktion nach erfreut über die Zielstrebigkeit des Sohnes, plante die nächsten Schritte sehr genau. Am 8. Oktober teilte er Philipp Gotthard, der sich unterdessen an der Jesuitenuniversität im lothringischen Moselbrück aufhielt, zu dessen Überraschung mit: „Unterdessen aber ist mein Wille, daß du sothanes Diaconat nicht in Breslau, sondern andernwärts zu nehmen 1 Pater, Józef: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku. Ustrój – skład osobowy – działalność. Wrocław 1998 (Papieski Fakultet Teologiczny we Wrocławiu. Rozprawy naukowe 23), 221f.; Gatz, Erwin: Schaffgotsch, Philipp Gotthard Graf von (1716–1795). In: ders. (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1648 bis 1803. Ein biographisches Lexikon. Berlin 1990, 415f. Die älteren Studien zur kirchlichen Laufbahn und politischen Positionierung Philipp Gotthard von Schaffgotschs, besonders diejenigen von deutschen Allgemein- und Kirchenhistorikern, haben sich nur selten von zeitgenössischen, im Umfeld des preußisch-österreichischen Dualismus entstandenen und zwangsläufig auch konfessionell konnotierten Verzerrungen lösen können. Die bloße Kritik der katholischen Geschichtsschreibung – vgl. exemplarisch Köhler, Joachim: Zwischen den Fronten. Anmerkungen zur Biographie der Breslauer Fürstbischöfe Sinzendorf (1732–1742) und Schaffgotsch (1747–1795). In: Baumgart, Peter (Hg.): Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Sigmaringen 1990 (Schlesische Forschungen 4), 273–285; Bendel, Rainer: Philipp Gotthard Fürst Schaffgotsch (1716–1795). In: Menzel, Josef Joachim (Hg.): Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Stuttgart 2001 (Schlesische Lebensbilder 7), 96–104 – reicht in diesem Zusammenhang nicht aus und verkennt eher das eigentliche Problem. Zum Forschungsstand vgl. auch Anm. 26, 55 und 61. Beiträge aus deutschen, polnischen und tschechischen biographischen Nachschlagewerken sowie theologischen und kirchengeschichtlichen Lexika und Enzyklopädien werden im Folgenden nur in Ausnahmefällen einzeln zitiert.
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suchen sollest. Du hast dich daher an einem andern Orte darum zu bewerben und im Fall Deine Natales dazu erforderlich sein sollten, wollte ich solche von Jauer kommen lassen und Dir hernach entweder originaliter oder vidimirt übersenden, wovon du mich zu benachrichtigen hast.“2 Der junge Schaffgotsch erhielt die Subdiakonatsweihe schließlich am 21. Dezember in Trier, wohin seit dem Episkopat Franz Ludwigs von Pfalz-Neuburg, dem Vorgänger Sinzendorfs in Schlesien, enge Verbindungen bestanden.3 Nachdem Philipp Gotthard am 13. September 1738 in Breslau die Diakonatsweihe empfangen hatte, benötigte er für die Priesterweihe allerdings eine Dispens vom Apostolischen Stuhl, da er das vorgeschriebene Mindestalter noch nicht erreicht hatte. Auch dies gelang – nicht zuletzt dank exzellenter Familienbeziehungen zum Reichsoberhaupt – innerhalb kürzester Zeit, so dass er bereits am 4. Oktober in Wien von Erzbischof Sigismund von Kollonich ordiniert werden konnte.4 Diese auf den ersten Blick scheinbar randseitigen Details, der weitere Briefwechsel zwischen Vater und Sohn sowie die im Folgenden noch näher zu betrachtenden Stationen einer außergewöhnlichen Kirchenlaufbahn sind ungemein aufschlussreich für ein historisches Phänomen, für das es im Fall des habsburgischen Länderverbands und speziell Schlesiens bisher nur 2 Zit. nach Wuttke, Konrad: Das Geburtsdatum des Breslauer Fürstbischofs Philipp Gotthard Schaffgotsch (geb. 3. Juni 1716 zu Jauer). In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 68, 1934, 168–177, hier 172. Zu Johann Anton von Schaffgotsch vgl. Conrads, Norbert: Johann Anton Graf von Schaffgotsch (1675–1742). In: Herzig, Arno (Hg.): Schlesier des 14. bis 20. Jahrhunderts. Neustadt an der Aisch 2004 (Schlesische Lebensbilder 8), 121–128. 3 Petry, Ludwig: Rheinisch-schlesische Beziehungen am Beispiel der Fürstbischöfe Rudolf von Rüdesheim und Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg [1972/73]. In: ders.: Dem Osten zugewandt. Gesammelte Aufsätze zur schlesischen und ostdeutschen Geschichte. Sigmaringen 1983 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 22), 161–169; ders.: Das Haus Neuburg und die Ausläufer der Gegenreformation in Schlesien und der Pfalz [1952]. Ebd., 338–357; Grüger, Heinrich: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg als Bauherr in Schlesien (1683–1732) und Kurtrier (1716–1729). In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 29, 1988, 121–155. Zur Person und Politik des Pfalz-Neuburgers vgl. ferner Göller, Andreas: Hinein ins Ghetto? Zur Judenpolitik Franz Ludwigs von Pfalz-Neuburg als Erzbischof von Trier (1716–1729). In: Hirschmann, Frank G./Mentgen, Gerd (Hg.): Campana pulsante convocati. Festschrift anläßlich der Emeritierung von Prof. Dr. Alfred Haverkamp. Trier 2005, 197–222; Zanters, Dagmar: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg. Erzbischof und Kurfürst von Trier (1716–1729). In: Kurtrierisches Jahrbuch 38, 1998, 75–98; Demel, Bernhard: Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg als Hoch- und Deutschmeister (1694–1732) und Bischof von Breslau (1683–1732). In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 36/37, 1995/96, 93–150; Kumor, Johannes: Die Ämter und Würden des Breslauer Bischofs Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg (1683–1732) im Lichte der päpstlichen Korrespondenz im Breslauer Diözesanarchiv. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 41, 1983, 241–247; Conrads, Norbert: Die testamentarischen Verfügungen des Kurfürsten Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 39, 1981, 97–136; Sofsky, Günter: Das Testament des Wormser Fürstbischofs Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg. In: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 14, 1962, 467–471. 4 Wuttke: Das Geburtsdatum, 173. Zur Rolle der Bildung geistlicher Würdenträger im 18. Jahrhundert, auch am Beispiel Philipp Gotthard von Schaffgotschs, vgl. Köhler, Joachim: Die Leopoldina als Bildungsstätte katholischer Bischöfe in Preußen. In: Conrads, Norbert (Hg.): Die tolerierte Universität. 300 Jahre Universität Breslau 1702 bis 2002. Stuttgart 2004, 130–147.
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wenige Vorarbeiten gibt: für die geistliche Familienpolitik und Ämterpraxis katholischer Adelsgeschlechter, die systematisch und meist über Generationen hinweg Positionen in der hierarchia ecclesiastica anstrebten und damit eine bereits erreichte weltliche Machtstellung erweiterten oder umgekehrt das Fehlen einer solchen durch Präsenz in der diözesanen Führungsschicht zu kompensieren suchten.5 Die seit der Reformation protestantischen und mit der Zentralgewalt in Wien wiederholt in Konflikt geratenen Schaffgotsch, die sich wie zahlreiche andere Adelsgeschlechter im Laufe des 17. Jahrhunderts religiös wie politisch zu einer loyalen Stütze der werdenden Habsburgermonarchie entwickelten,6 gehören unzweifelhaft zur ersten Gruppe. Trotz der Erfahrungen zur Zeit Hans Ulrich von Schaffgotschs, der 1635 des Hochverrats beschuldigt und in Regensburg hingerichtet worden war,7 zeichnete sich schon in der nächsten 5 Bahlcke, Joachim: Bischöfliche Traditionen des schlesischen Adels in der Frühen Neuzeit. In: Harasimowicz, Jan/Weber, Matthias (Hg.): Adel in Schlesien, Bd. 1: Herrschaft – Kultur – Selbstdarstellung. München 2010 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 36), 337–362; ders.: Damit „das Hungarländische zu Revolutionen und Unruhen geneigte Gebluet mit dem Teutschen temperiret [...] werden möchte“ – Deutsche Adelige im ungarischen Episkopat des 17. und 18. Jahrhunderts. In: Müns, Heike/Weber, Matthias (Hg.): „Durst nach Erkenntnis...“. Forschungen zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa. München 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 29), 79–101; Noflatscher, Heinz: Österreichische Familien in der Reichskirche (1448–1803). In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 87, 1992, 282–305; Preradovich, Nikolaus von: Die soziale Herkunft der österreichischen Kirchenfürsten. In: Mezler-Andelberg, Helmut J. (Hg.): Festschrift Karl Eder zum siebzigsten Geburtstag. Innsbruck 1959, 223–243. 6 Zur Geschichte des Hauses Schaffgotsch in der Frühen Neuzeit vgl. allgemein Kuzio-Podrucki, Arkadiusz: Schaffgotschowie. Zmienne losy śląskiej arystokracji. Bytom 2007. Die schmale Studie von Twardoch, Irena: Z dziejów rodu Schaffgotschów. Ruda Śląska 1999 (deutsch u.d.T.: Geschichte des Geschlechts von Schaffgotsch. Ruda Śląska 2001), behandelt ausschließlich die oberschlesischen Schaffgotsch im 19. und 20. Jahrhundert. Genealogische Übersichten bei Schmilewski, Ulrich: Schaffgotsch, Freiherren (seit 1592), Grafen (seit 1654), Reichsgrafen (seit 1708), schlesisch-böhmisches Adelsgeschlecht (kath.). In: Neue Deutsche Biographie 22, 2005, 536–538; Schwennicke, Detlev (Hg.): Europäische Stammtafeln. Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten N.F., Bd. 9. Marburg 1987, Taf. 117–126; Witzendorff-Rehdiger, Hans-Jürgen von: Die Schaffgotsch, eine genealogische Studie. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-WilhelmsUniversität zu Breslau 4, 1959, 104–123; Nentwig, [Heinrich]: Von der Familie Schaffgotsch. (Aeltere Zeit bis 1742.). In: Schlesien. Illustrierte Zeitschrift für die Pflege heimatlicher Kultur 1, 1907/08, 359–361, 401–404; 4, 1910/11, 47f.; Wurzbach, Constant von: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, enthaltend die Lebensskizzen der denkwürdigen Personen, welche seit 1750 in den österreichischen Kronländern geboren wurden oder darin gelebt und gewirkt haben, Bd. 29. Wien 1875 [ND New York 1966], 67–85. Eine wertvolle Übersicht über ältere genealogische Arbeiten, Personalschriften und das bibliographisch nur schwer zu fassende zeitgenössische Gelegenheitsschrifttum bietet ders. (Hg.): Schaffgotschiana in der Reichsgräflich Schaffgotsch’schen Majoratsbibliothek zu Warmbrunn. Leipzig 1899. 7 Weiterhin maßgeblich ist die Studie von Krebs, Julius: Hans Ulrich Freiherr von Schaffgotsch. Ein Lebensbild aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges. Breslau 1890; Kaufmann, Johannes: Hausgeschichte und Diplomatarium der Reichs-Semperfreien und Grafen Schaffgotsch, Bd. 2/2: Die Erhaltung der Schaffgotschischen Stammgüter durch Fideicommisse. Bad Warmbrunn 1925, 26–32.
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Generation ein erfolgreiches, durch den gewaltigen Güterbesitz begünstigtes Hineinwachsen in die gesamtösterreichische Aristokratie ab.8 Hatte Hans Ulrich noch in das reformierte Piastenhaus von Liegnitz-Brieg eingeheiratet,9 so lassen die nachfolgenden Eheschließungen eine enge Anlehnung an katholische Hochadelsfamilien in Österreich, Böhmen und Ungarn erkennen.10 Vergleichbar mit den ebenfalls in Schlesien begüterten und Anfang des 17. Jahrhunderts zum Katholizismus konvertierten Althann, die nach dem Dreißigjährigen Krieg innerhalb von zwei Generationen nach Besitz und politischem Einfluss zu den führenden Familien der Monarchie zählten,11 vollzog sich der Aufstieg der Schaffgotsch im habsburgischen Hof- und Militärdienst. In beiden Familien waren dann im frühen 18. Jahrhundert die Bedingungen gegeben, um auch in die kirchliche Hierarchie auszugreifen.12 Während die Althann allerdings ihr Ziel im ungarischen Primatialverband erreichten und 1718 sowie 1734 zweimal nacheinander den Bischofsstuhl von Waitzen besetzen konnten,13 konzentrierten sich die Schaffgotsch, und zwar sowohl die Ausschließlich auf diesen beiden Darstellungen basiert das Biogramm von Klawitter, Willy: Hans Ulrich Freiherr von Schaffgotsch. In: Andreae, Friedrich u.a. (Hg.): Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts. Sigmaringen 21985 [Breslau 11928] (Schlesische Lebensbilder 3), 27–36. Eine lediglich belletristische Darstellung verbirgt sich hinter dem Werk von Henkel, Hans-Eberhard: Schaffgotsch und der Schatten Wallensteins. Eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg. Mainz 2002. Zu Einzelaspekten seiner Regierung in der Freien Standesherrschaft Trachenberg vgl. Kysil, Małgorzata: Rządy baronów Adama, Krzysztofa i Hansa Ulryka Schaffgotschów z linii karpnickiej w baronii żmigrodzkiej w latach 1592–1635, na tle dziejów wolnego państwa stanowego w Żmigrodzie. In: Rocznik Jeleniogórski 35, 2003, 155–162. 8 Indizien hierfür bei Winkelbauer, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter (Österreichische Geschichte 1522–1699), Bd. 1–2. Wien 2003; Evans, Robert J. W.: The Making of the Habsburg Monarchy: 1550–1700. An Interpretation. Oxford 1979 (deutsch u.d.T.: Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien/Köln 1986 [Forschungen zur Geschichte des Donauraumes 6]). 9 Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 26f.; Jaeckel, Georg: Geschichte der Liegnitz-Brieger Piasten, Bd. 1–2. Lorch/Württ. 1980–1982 (Beiträge zur Liegnitzer Geschichte 10, 12), hier Bd. 2, 11–78. �������������������� Vgl. exemplarisch Lehsten, Lupold von: Die Ahnenprobe für den Grafen Ladislaus Gothard von Schaffgotsch. In: Archiv für Familiengeschichtsforschung 9, 2005, 300–305. �� Bahlcke, Joachim: Michael Fridrich hrabě z Althannu (1680–1734). Životní etapy preláta ve službách habsburské monarchie na počátku 18. století. In: Chocholář, Bronislav/Jan, Libor/Knoz, Tomáš (Hg.): Nový Mars Moravicus aneb Sborník příspěvků, jež věnovali Prof. Dr. Josefu Válkovi jeho žáci a přátelé k sedmdesátinám. Brno 1999, 501–515. Zur Konversion von Michael Adolf von Althan(n), der 1619 in Olmütz den Ritterorden Christianae militiae für hervorragende Leistungen im Kampf gegen Heiden und Türken gegründet hatte, vgl. Winkelbauer, Thomas: Fürst und Fürstendiener. Gundaker von Liechtenstein, ein österreichischer Aristokrat des konfessionellen Zeitalters. Wien/München 1999 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Erg.Bd. 34), 134–140. ������������������������������������������������������������������������������������������������� Einen anschaulichen, bisher nur wenig beachteten Einblick in die schlesische Adelsgesellschaft der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vermittelt Gebauer, Curt: Schlesischer Adel im Spätbarock. Nach Tagebüchern des Grafen Otto Wenzel v. Nostitz, Landeshauptmanns von Breslau. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 68, 1934, 133–167. �� Bahlcke, Joachim: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie. Von einer Partnerschaft zur Konfrontation (1686–1790). Stuttgart 2005 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 23), 112–150.
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ältere schlesische als auch die jüngere böhmische Linie, von Beginn an ganz auf die jeweiligen regionalen Lebenszentren der Familie. Genau dort, in den Bistümern Breslau, Budweis und Brünn, sollte auch ihnen der Einstieg in die bischöfliche Hierarchie gelingen. Ein solcher Aufstieg zum geistlichen Regenten kannte freilich seine eigenen Gesetze und Gefahren und war nicht in gleicher Weise planbar wie die Erlangung weltlicher Würden. Die Chancen eines Adelsgeschlechts, ein eigenes Familienmitglied in den Episkopat aufrücken zu lassen, hingen naturgemäß zunächst von den rechtlichen Voraussetzungen und Raumbeziehungen des jeweiligen Bistums ab. In der durch Wahlkapitel verfassten Domkirche waren in erster Linie Anzahl und Verteilung der Kanonikate maßgebliche Kriterien für einen Erfolg – in den Reichsbistümern erfolgten zwischen 1648 und 1803 immerhin mehr als vier von fünf Bischofswahlen ex gremio, das heißt sie fielen auf ein Mitglied des Domkapitels der betreffenden Diözese.14 Kirchenrechtlich war eine solche Wahl zwar nicht vorgeschrieben; sie stellte aber insofern den gewünschten Normalfall dar, als Abweichungen stets andere Stimmenverhältnisse notwendig machten.15 Das Recht der freien Kapitelwahl bestand allerdings in der Habsburgermonarchie nur noch in Breslau und Olmütz – an allen anderen Orten hatte sich das landesfürstliche Ernennungsrecht unterdessen durchgesetzt.16 Hier ebneten zwangsläufig andere Faktoren den Weg für eine erfolgreiche Kirchenlaufbahn: Von Vorteil waren vor allem gute Familienbeziehungen zum Hof, eine Protektion über verwandtschaftliche Netze, die Nähe zur weltlichen Macht, Dienste in höheren Hofämtern, Verwaltungserfahrung oder eine entsprechende Bewährung im diplomatischen Umfeld.17 Bei dem eingangs genannten Philipp Gotthard von Schaffgotsch lässt sich nicht nur nachweisen, dass die erste Aufnahme in ein Domkapitel – in diesem Fall 1734 in Olmütz – zielstrebig vom Vater in die Wege geleitet worden ist.18 Es lässt sich auch erkennen, wie bei allen weiteren Karrieresprüngen stets die Gesamtfamilie im Blickfeld blieb. Denn um nur ein Jahr später bereits eine weitere Dompräbende für Philipp Gotthard in Breslau zu erwerben, musste �� Kremer, Stephan: Herkunft und Werdegang geistlicher Führungsschichten in den Reichsbistümern zwischen Westfälischem Frieden und Säkularisation. Fürstbischöfe – Weihbischöfe – Generalvikare. Freiburg/Basel/Wien 1992 (Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte. Suppl. 47), 262. �� Feine, Hans Erich: Die Besetzung der Reichsbistümer vom Westfälischen Frieden bis zur Säkularisation 1648–1803. Stuttgart 1921 (Kirchenrechtliche Abhandlungen 97/98) [ND Amsterdam 1964], 53–56. �� Rainer, Johann: Die Politik der Bischofsernennung in Österreich 1648–1803. In: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 85, 1990, 225–235. ��Millet, Hélène/Moraw, Peter: Clerics in the State. In: Reinhard, Wolfgang (Hg.): Power Elites and State Building. Oxford 1996, 173–188. �� Zuber, Rudolf: Vývoj metropolitní kapituly v Olomouci v 18. století. In: Duchovní pastýř 30, 1981, 102–106, 115–120, 131–135.
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erst dessen älterer Bruder Leopold Gotthard auf sein eigenes Kanonikat resignieren.19 Auch Leopold Gotthard war 1728 erst in das Domkapitel gelangt, nachdem ein anderer Bruder, Franz Gotthard, seinerseits den Platz freigemacht hatte.20 Kirchenrechtlich war die Weitergabe eines Kanonikats an Verwandte und damit die faktische Ausschaltung der Aufnahmemodalitäten durch eine päpstliche Provision durchaus möglich.21 Solche Gnadenerweise zu erlangen, setzte jedoch gute Beziehungen zur Kurie, zum Nuntius oder zum Kaiserhof voraus. Den einzelnen Familien boten sie, jedenfalls bei ausreichendem Personalreservoir, eine Handhabe, eine wichtige Schaltstelle für den weiteren Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie längerfristig zu besetzen und zugleich den jeweils aussichtsreichsten Kandidaten – und das war aus einer Reihe von Gründen Philipp Gotthard – gezielt zu fördern. Zumindest in Ansätzen gab es dabei auch eine Kooperation zwischen dem schlesischen und dem böhmischen Zweig der Familie,22 die ansonsten seit dem 16. Jahrhundert eigenständige Machtzentren und Sozialstrategien ausbildeten.23 Familiäre Patronage- und Klientelbeziehungen spielten jedoch meist schon wesentlich früher eine Rolle, deutlich erkennbar etwa bei der Wahl des Weihespenders oder dem Ort, an dem die einzelnen Weihen empfangen wurden. Dass Philipp Gotthard die Subdiakonatsweihe gerade in Trier erlangte, war gewiss kein Zufall, verband den regierenden Erzbischof Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg doch schon seit seinem Breslauer Episkopat ein besonderes Vertrauensverhältnis mit dem Vater, der im Umfeld der Altranstädter Konvention 1707 bis 1709 als kaiserlicher Prinzipalkommissar der Religionskommission eng mit ihm zusammengearbeitet hatte.24 1717 hatte Johann Anton von Schaffgotsch den Breslauer Ordinarius überdies als Taufpaten für seinen Sohn Ludwig Gotthard gewählt.25 Für die gruppenbildenden und verwandtschaftsstiftenden Formen von Taufpatenschaften, die später geeignet waren, den Anhängerkreis eines Domkapitulars zu vergrößern, liefert die Reichskirche vielfältige Beispiele.26 Diese 19 Pater: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku, 223f. ������������� Ebd., 222f. ��������������������������� Zahlreiche Beispiele bei Kremer: Herkunft und Werdegang, 274–288. �� Jedin, Hubert: Die Krone Böhmen und die Breslauer Bischofswahlen 1468–1732 [1939]. In: ders.: Kirche des Glaubens – Kirche der Geschichte. Ausgewählte Aufsätze und Vorträge, Bd. 1: Kirchengeschichtsschreibung. Italien und das Papsttum. Deutschland, Abendland und Weltkirche. Freiburg/Basel/Wien 1966, 413–453, hier 447. �� MaŤa, Petr: Der Aufstieg des Hauses Schaffgotsch in Böhmen im 17. und 18. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/Schmilewski, Ulrich/Wünsch, Thomas (Hg.): Das Haus Schaffgotsch. Konfession, Politik und Gedächtnis eines schlesischen Adelsgeschlechts vom Mittelalter bis zur Moderne. Würzburg 2010, 57–126. �� Conrads, Norbert: Die Durchführung der Altranstädter Konvention in Schlesien 1707–1709. Köln/Wien 1971 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 8), 86f. ��Wuttke: Das Geburtsdatum, 176f. ��Kremer: Herkunft und Werdegang, 390–402.
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„Carte du Diocese de Breslav, avec ses IV. Archidiaconats, subdivisés en ses Cercles Archipresbyteriales“. Die 1751 im Verlag der Homännischen Erben in Nürnberg erschienene Karte, die ein Jahr später mit geringfügigen Änderungen auch im Atlas Silesiae veröffentlicht wurde, war der erste Versuch, den Umfang des Breslauer Bistums exakt darzustellen. Entworfen hatte sie der Abt des Saganer Augustiner-Chorherrenstifts Johann Ignaz von Felbiger, der später als Reformer des katholischen Schulwesens hohes Ansehen erlangte. Auf der Karte sind die vier farblich voneinander unterschiedenen Archidiakonate eingezeichnet, in die das Bistum Breslau während des Episkopats von Philipp Gotthard von Schaffgotsch eingeteilt war (Glogau, Liegnitz, Breslau, Oppeln), ferner Kollegiatstifte, Abteien, Propsteien, Archipresbyteratssitze, Pfarreien, Kuratien, Wallfahrtsorte sowie Männer- und Frauenklöster. Neben der Legende sind drei bischöfliche St.-JohannesGroschen mit Vorder- und Rückseiten zu erkennen. In der linken unteren Kartusche des kolorierten Kupferstichs befindet sich eine Widmung an Bischof Schaffgotsch, die vom fürstbischöflichen Wappen gekrönt wird.27
�� Czechowicz, Bogusław: Visus Silesiae. Treści i funkcje ideowe kartografii Śląska XVI–XVIII wieku. Wrocław 2008 (Acta Universitatis Wratislaviensis 3032), 143–151; Kwaśniewski, Artur: Herb Schaffgotschów – fakty i legendy. In: Karkonosz 3–4/10–11, 1993, 65–117; Lindner, Klaus: Zwischen Oder und Riesengebirge. Schlesische Karten aus fünf Jahrhunderten. Weissenhorn/Bayern 21995 [11987] (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Ausstellungskataloge 29), 136, 208f.; Growka, Květoslav: Mince na mapě vratislavského biskupa Schaffgotsche. In: Slezský numismatik N.R. 8/8, 2005, 8–10.
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sozialen Verflechtungen sind bisher sowohl in der romfreundlichen als auch in der romkritischen Literatur zu Philipp Gotthard von Schaffgotsch, dem einzigen bisher überhaupt näher untersuchten kirchlichen Amtsträger der Familie, nahezu vollständig unberücksichtigt geblieben. Ja, gerade er, der von dem schlesischen Magnatengeschlecht am zielstrebigsten für eine kirchliche Karriere aufgebaut wurde, wird durchgängig und höchst einseitig als bloße Kreatur des preußischen Monarchen gesehen.28 Bereits an diesem einen Fall kann exemplarisch gezeigt werden, wie fruchtbar sich kirchengeschichtliche Forschung mit sozialgeschichtlichen Fragestellungen verbinden lässt.29 Zu beachten ist ferner die staatliche Einflussnahme auf kirchliche Stellenbesetzungen. Zumindest für die schlesische Linie der Schaffgotsch kann gezeigt werden, wie die hier nur angedeuteten verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Verflechtungen durch Interessen der Wiener Hofburg und politische Konstellationen überlagert wurden. Anzusprechen ist hier namentlich die Institution des Wahlkommissariats, das sich gerade in Breslau seit dem 16. Jahrhundert bei Lichte besehen zum Ersatz des landesfürstlichen Nominationsrechts entwickelte.30 Die Tätigkeit der Wahlkommissare hebelte das freie Wahlrecht des Kapitels zwar nicht prinzipiell aus. Der mitunter hohe finanzielle und diplomatische Aufwand, den der Kaiserhof betrieb, um eine gewünschte Person auf den Bischofsstuhl zu bringen, sowie die verbrei�������������������� Vgl. exemplarisch Cauer, Eduard: Die Ernennung des Grafen Schaffgotsch zum Coadjutor des Bischofs von Breslau im Jahre 1744. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 4, 1862, 225–271; Stettiner, Paul: Friedrich der Grosse und Graf Schaffgotsch, Fürstbischof von Breslau. In: Programm des städtischen Realgymnasiums zu Königsberg i. Pr. Königsberg 1889, 1–34; Kirsch, Peter Anton: Ein Franzose als Kandidat für den Breslauer Bischofsstuhl. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Altertum Schlesiens 39, 1905, 226–244; Müting, Josef: Philipp Gotthard Fürst Schaffgotsch, Bischof von Breslau, als Kirchenpolitiker. Breslau 1916; Hoffmann, Hermann: Die Breslauer Bischofswahlen in preußischer Zeit. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 75, 1941, 157–224, hier 158–162. Das hier und in anderen Studien vermittelte Bild von Schaffgotsch hängt freilich auch mit der Anlage und Auswahl zweier (eine historiographiekritische Betrachtung verdienenden) Quellenwerke zusammen, auf die sich die Forschung zum bekanntesten kirchlichen Würdenträger aus dem Haus Schaffgotsch seit mehr als einem Jahrhundert vorrangig stützt. Vgl. Theiner, Augustin: Zustände der katholischen Kirche in Schlesien von 1740–1758 und die Unterhandlungen Friedrich’s II. und der Fürstbischöfe von Breslau, des Kardinals Ludwig Ph. Grafen v. Sinzendorf und Ph. Gotth. Fürsten v. Schaffgotsch mit dem Papst Benedikt XIV., Bd. 1–2. Regensburg 1852; Lehmann, Max (Hg.): Preußen und die katholische Kirche seit 1640, Th. 2–4. Leipzig 1881–1883 (Publicationen aus den K. Preußischen Staatsarchiven 10, 13, 18) [ND Osnabrück 1965]. �� Kremer: Herkunft und Werdegang, 13–22, 383–446; Reinhard, Wolfgang: Möglichkeiten und Grenzen der Verbindung von Kirchengeschichte mit Sozial- und Wirtschaftsgeschichte. In: Klingenstein, Grete/Lutz, Heinrich (Hg.): Spezialforschung und „Gesamtgeschichte“. Beispiele und Methodenfragen zur Geschichte der frühen Neuzeit. München 1982 (Wiener Beiträge zur Geschichte der Neuzeit 8), 243–278; Bahlcke, Joachim: Frederick II of Prussia, Austria and the Hungarian Protestants: Bishop Márton Padányi Biró of Veszprém and the Enchiridion de fide. In: Austrian History Yearbook31, 2000, 15–32. ��Jedin: Die Krone Böhmen und die Breslauer Bischofswahlen, 413–453; Hoffmann: Die Breslauer Bischofswahlen, 157–224.
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tete Praxis, dem eigenen Kandidaten etwa benötigte päpstliche Dispensen und Eligibilitätsbreven zu verschaffen beziehungsweise deren Gewährung an nicht genehme Personen in Rom zu verhindern, verfehlten ihre Wirkung gleichwohl nicht.31 Der Brauch, jeweils ein Mitglied der schlesischen und der böhmischen Zentralverwaltung als Vertrauenspersonen des Kaisers bei den Bischofswahlen in Breslau hinzuzuziehen, wurde nach dem Dreißigjährigen Krieg zur festen Gewohnheit.32 Genau an diesem Punkt kommen die Schaffgotsch ins Spiel, hatten sie doch von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Beginn der preußischen Herrschaft im Oderland höchste Ämter in der schlesischen Kammerverwaltung sowie im Breslauer Oberamt inne.33 Über diese Funktionen wurden sie nicht nur direkt in die eigentlichen bischöflichen Wahlakte involviert. Sie erhielten auch Einblick in die Aufnahmestatuten, Traditionen, Gewohnheitspraktiken und personellen Verflechtungen des Domkapitels – und gewannen so wertvolle Informationen, die ihrer eigenen geistlichen Familienpolitik nur förderlich sein konnten. Seit 1655, als der Breslauer Bischofsstuhl mit dem Tod Karl Ferdinands vakant geworden war,34 hatte Christoph Leopold von Schaffgotsch, einer der von den Jesuiten erzogenen Söhne des hingerichteten Hans Ulrich und Großvater des späteren Bischofs Philipp Gotthard, mehrfach als Abgesandter des Wiener Hofs an den Bischofswahlen in Schlesien teilgenommen.35 Brisant war die Aufgabe insofern, als mit Gotthard Franz ein jüngerer, vom Kaiser ebenfalls früh protegierter Bruder des Wahlkommissars seit 1647 ein Kanonikat in Breslau besaß.36 Gotthard Franz war es auch, der bei der Wahl von 1655 im Auftrag des Domkapitels über Wien nach Rom reiste, um die päpstliche Bestätigung der Wahl Erzherzog Leopold Wilhelms zu erwirken.37 ���������������� Beispiele bei Bahlcke: Bischöfliche Traditionen des schlesischen Adels, 337–362. ���������������������� Einzelnachweise bei Jedin: Die Krone Böhmen und die Breslauer Bischofswahlen, 413–453. ��Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 33–47. ��Ćwięczek, Ginter: Królewicz Karol Ferdynand Waza jako biskup wrocławski. In: Studia z Historii Kościoła w Polsce 2, 1973, 7–279; ders.: Kapituła wrocławska za rządów biskupa królewicza Karola Ferdynanda Wazy (1625–1655). In: Colloquium Salutis. Wrocławskie Studia Teologiczne 3, 1971, 103–121. �� Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 31–41; Buckisch, Gottfried Ferdinand: Schlesische Religions-Akten 1517 bis 1675, Teil II: Regesten der Religionsakten. Bearb. v. Joseph Gottschalk, Johannes Grünewald und Georg Steller. Köln/Weimar/Wien 1998 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 17/II), 406 Anm. 86. �� Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 32f.; Jungnitz, J[oseph]: Die Prälaten des Breslauer Domstifts seit der Mitte des 17. Jahrhunderts. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 25, 1891, 282–286. ��Jungnitz, Joseph: Die Breslauer Germaniker. Breslau 1906, 159; Jedin: Die Krone Böhmen und die Breslauer Bischofswahlen, 439. Zur Wahl Erzherzog Leopold Wilhelms vgl. Strnad, Alfred A.: Wahl und Informativprozeß Erzherzog Leopold Wilhelms von Österreich, Fürstbischof von Breslau (1655–1662). Nach römischen Quellen. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 26, 1968, 153–190.
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Nach dessen Tod 1662 leitete Gotthard Franz als Präses des Kapitels die anschließende Bischofswahl, bei welcher der ältere Bruder abermals als kaiserlicher Vertrauter in Breslau zugegen war.38 Bei der schon 1664 erneut anstehenden Wahl dagegen trat als schlesischer Wahlkommissar nicht Christoph Leopold von Schaffgotsch auf, sondern ein politisch wenig exponierter Rat des Breslauer Oberamts. Just bei dieser, abermals vom Präses Gotthard Franz geleiteten Wahl wurde der kaiserliche Kandidat – der Prager Erzbischof Kardinal Harrach – von den Domherren zurückgewiesen, die nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte in ihrer Mehrheit zu einer Wahl ex gremio neigten.39 Gotthard Franz war einer der genannten Kandidaten, unter denen sich dann jedoch – allerdings erst im sechsten Wahlgang und auch nur mit einfacher Mehrheit – der Archidiakon Sebastian Rostock durchsetzte.40 Ob Christoph Leopold von Schaffgotsch in diesem Fall das Wahlkommissariat bewusst abgelehnt hatte, um die Wahlchancen des Bruders nicht durch dessen zu enge Verbindung mit dem Vertreter des Kaiserhofs zu mindern, ist ungewiss. Ein Zusammenhang liegt allerdings nahe. Da Gotthard Franz, kaum 39 Jahre alt, 1668 starb und in der nachfolgenden Generation kein Mitglied der Familie Schaffgotsch in den geistlichen Stand trat, konnte es bei den anschließenden Wahlen bis 1732 zu einer vergleichbaren Interessenkollision nicht mehr kommen. Mit Beginn der preußischen Herrschaft wiederum änderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend.41
2. Kirchliche Karrieren der Schaffgotsch in Schlesien und Böhmen Nach diesen systematischen, den Möglichkeiten und Grenzen kirchlicher Familienpolitik geltenden Überlegungen sollen im Folgenden die geistlichen Karrieren der Schaffgotsch nacheinander in beiden Linien genauer verfolgt werden.42 Ein Vergleich beider Zweige lässt recht klar erkennen, dass der ältere schlesische in der kirchlichen Hierarchie nicht nur früher, sondern auch mit mehr Mitgliedern und über drei Generationen lang präsent war. Der jüngere ��Marschall, Werner: Geschichte des Bistums Breslau. Stuttgart 1980, 90. ��Jedin: Die Krone Böhmen und die Breslauer Bischofswahlen, 440. �� Urban, Wincenty: Sebastian Ignacy Rostock, biskup wrocławski (1664–1671), jako zasłużony bibliofil. In: Nasza Przeszłość 45, 1976, 73–189; Chomiak, Stanisław: Diecezja wrocławska w czasach rządów biskupa Sebastiana Rostocka. In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 56, 2001, 469–483; Mandziuk, Józef: Diecezja wrocławska w XVII wieku. In: Colloquium Salutis. Wrocławskie Studia Teologiczne 17, 1985, 335–342; Jungnitz, J[oseph]: Sebastian von Rostock, Bischof von Breslau. Breslau 1891; ders.: Die Breslauer Germaniker, 161. ��Hoffmann: Die Breslauer Bischofswahlen in preußischer Zeit, 161. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. allgemein als Quellengrundlage Hierarchia Catholica medii et recentioris aevi sive Summorum Pontificium – S.R.E. Cardinalium Ecclesiarum antistitum series, Bd. 2–6: 1431–1799. Patavii u.a. 1914–1958; Gams, Pius: Series episcoporum ecclesiae catholicae, quotquot innotuerunt a beato Petro Apostolo. Ratisbonae 1873–1886 [ND Graz 1957].
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böhmische dagegen war zwar, nimmt man die Anzahl bischöflicher Dignitäten als Maßstab, mit zwei Oberhirten erfolgreicher, insgesamt aber von einer deutlich weniger markanten geistlichen Prägung. Beide Bischöfe erlangten zudem keines der alten Landesbistümer in Böhmen und Mähren, sondern verdankten ihren Aufstieg ausschließlich der theresianisch-josephinischen Diözesanregulierung des 18. Jahrhunderts, die innerhalb weniger Jahre den Bedarf an kirchlichen Amtsträgern deutlich erhöht hatte.43 Der Kardinalshut, den die eingangs genannten Althann etwa aufgrund der ausgeprägten Hofnähe in einem Fall zu erhalten vermochten,44 war für keinen Schaffgotsch jemals auch nur im Gespräch. Dass selbst die Kinder von Rebellen zu höchsten Würden gelangen konnten, spricht für die erfolgreiche Elitenintegration der Habsburgermonarchie während des 17. Jahrhunderts. László Nádasdy, Sohn eines 1671 im Zuge der ungarischen Magnatenverschwörung enthaupteten Landesrichters, stieg bis zum Bischof von Tschanad auf.45 Vergleichbare Absichten schien der Hof mit Gotthard Franz von Schaffgotsch zu haben, der wie seine beiden Brüder auf Befehl Ferdinands II. im Jesuitenkolleg zu Olmütz erzogen worden war und 1636, ein Jahr nach der Hinrichtung des Vaters, als Siebenjähriger seinen Übertritt zum Katholizismus erklärt hatte.46 Gotthard Franz, der zunächst in ������������������������������������������������������������������������������������������������� Eine vergleichende, sämtliche Territorien der österreichischen Monarchie berücksichtigende Darstellung stellt unverändert ein Desiderat der Forschung dar. Vgl. vorläufig die geographisch begrenzten Überblicke bei Boháč, Zdeněk: Vývoj diecézní organizace českých zemí. In: Hledíková, Zdeňka (Hg.): Traditio et cultus. Miscellanea historica bohemica Miloslao Vlk archiepiscopo Pragensi ab eius collegis amicisque ad annum sexagesimum dedicata. Praha 1993, 21–35; Hledíková, Zdeňka/ Polc, Jaroslav V.: Pražské arcibiskupství v kontextu vývoje země a státu. In: dies. (Hg.): Pražské arcibiskupství 1344–1994. Sborník statí o jeho působení a význam v české zemi. Praha 1994, 10–29; Tomko, Jozef: Zriadenie Spišskej, Banskobystrickej a Rožňavskej diecézy a kráľovské patronátne právo v Uhorsku. Spišské Podhradie 1995; ders.: The Development of Church Organization in Slovakia. In: Kirschbaum, Joseph M. (Hg.): Slovak Culture through the Centuries. Toronto 1978, 135–203; Kovács, Elisabeth: Die „Herausentwicklung Österreichs aus dem Heiligen Römischen Reich“ im Reflex der Beziehungen von Kaisertum und Papsttum während des 18. Jahrhunderts. In: Plaschka, Richard G. u.a. (Hg.): Österreich im Europa der Aufklärung. Kontinuität und Zäsur in Europa zur Zeit Maria Theresias und Josephs II., Bd. 1–2. Wien 1985, hier Bd. 1, 421–436; Loidl, Franz: Die Diözesanorganisation der katholischen Kirche Österreichs im Wandel der Jahrhunderte. In: Religion und Kirche in Österreich. Wien 1972, 29–43; Draganović, Krunoslav Stjepan: Le diocesi croate. In: Croazia sacra. Un popolo lotta per i suoi ideali sul confine tra l’oriente e l’occidente. Roma 1943, 181–231; ders.: Hrvatske biskupije. In: Croatia sacra. Arkiv za crkvenu povijest Hrvata 11–12, 1943, 78–130. Anregend in diesem Zusammenhang auch der das gesamte östliche Mitteleuropa erfassende Überblick von Kecskeméti, Károly: Les constantes et les variations de la géographie religieuse dans l’Europe du Centre-Est (Xe–XVIIIe siècles). In: Etudes Danubiennes 2, 1986, 89–97. ��Guarnacci, Mario: Vitae, et res gestae Pontificum romanorum et S.R.E. Cardinalium a Clemente X. ad Clementum XII., Bd. 1–2. Romae 1751, hier Bd. 2, Sp. 347–350; R[anft], M[ichael] M.: Merkwürdige Lebensgeschichte aller Cardinäle der Röm. Cathol. Kirche, die in diesem jetztlaufenden Seculo das Zeitliche verlassen haben, Bd. 1–4/2. Regensburg 1768–1781, hier Bd. 2, 170–176. ��Bahlcke: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie, 187f. ��Jungnitz: Die Breslauer Germaniker, 157–162; Zonta, Claudia A.: Schlesische Studenten an italienischen Universitäten. Eine prosopographische Studie zur frühneuzeitlichen Bildungsgeschichte. Köln/Weimar/Wien 2004 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 10), 380.
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Thorn und dann bis 1651 in Rom studierte, wurde in einer internen Übersicht der Societas Jesu als vorbildlicher Schüler des Collegium Germanicum et Hungaricum hervorgehoben. Er erfreute sich von Beginn an der Gunst des Kaisers, der ihm bereits in jungen Jahren zu hohen Würden verhalf. Darüber hinaus nahm er Gotthard Franz, der vom Gnesener Weihbischof die Tonsur und die Niederen Weihen empfangen hatte, als Kommissar für schlesischpolnische Grenzregulierungen in Anspruch. Ein enges Zusammenwirken mit dem älteren Bruder Christoph Leopold, der in den 1660er und 1670er Jahren sechsmal als kaiserlicher Gesandter in Polen-Litauen tätig war,47 ist anzunehmen. Beide verband zudem ein ausgeprägtes Interesse an der königlich-piastischen Familientradition mütterlicherseits: Bei Gotthard Franz beschränkte sie sich auf genealogische Studien,48 Christoph Leopold wurde sogar einmal von mehreren Wojewodschaften als Kandidat für den polnischen Thron präsentiert.49 Wiederholt wurde der Breslauer Kanoniker seiner hohen Herkunft wegen ausgewählt, um das Kapitel nach außen zu repräsentieren. 1661 erlangte er dort als Nachfolger von Weihbischof Johann Balthasar Liesch von Hornau die höchste Würde, womit er – der regierende Ortsbischof Leopold Wilhelm residierte nicht in Breslau – zum Administrator des Bistums aufstieg.50 Auch wenn er bei der Bischofswahl drei Jahre später unterlag, so wäre ihm doch bei längerer Lebensdauer vermutlich noch größere Verantwortung zugewachsen. In der nachfolgenden Generation erreichte überhaupt nur ein Neffe, Johann Anton, die Volljährigkeit, so dass die bisher geknüpften Verbindungen zunächst nicht weiter genutzt werden konnten. Dieser freilich machte eine noch steilere Karriere als sein Vater Christoph Leopold und erreichte 1708 die Erhebung der schlesischen Linie in den Grafenstand.51 Seit 1719 stand er nicht nur dem Breslauer Oberamt vor, sondern trat gleichzeitig auch an die Spitze der schlesischen Oberlandeshauptmannschaft, die bis dahin in der Hand des jeweiligen Bischofs von Breslau gelegen hatte (der seit 1683 regierende Bischof von Breslau, Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg, hatte sein �� Chmielewska, Mieczysława: O dawnej agitacji politycznej. Misja Krzysztofa Leopolda Schaffgotscha na sejm elekcyjny w Rzeczypospolitej 1669 r. In: Zeszyty Edukacji Kulturalnej 49, 2005, 54–71; dies.: Misja Krzysztofa Leopolda Schaffgotscha na sejm elekcyjny w Rzeczpospolitej 1669 roku. In: Rocznik Jeleniogórski 34, 2002, 87–94; Ziątkowski, Leszek: Poselstwo Krzysztofa Leopolda Schaffgotscha do Polski w latach 1667–1674 (Przyczynek do organizacji i funkcjonowania poselstw austriackich w II połowie XVII w.). In: Śląski Kwartalnik Historyczny Sobótka 43, 1988, 31–48; Woliński, Janusz: Poselstwo Krzysztofa Leopolda Schaffgotscha na elekcję polską 1674 roku [1952]. In: ders.: Z dziejów wojny i polityki w dobie Jana Sobieskiego. Warszawa 1960, 100–125. ��Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 32f. �������������� Ebd., 36f.; Nentwig: Von der Familie Schaffgotsch, 401. �� Jungnitz: Die Prälaten des Breslauer Domstifts, 282; ders.: Die Breslauer Germaniker, 161; ders.: Sebastian von Rostock, 73f., 79. ��Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 41–47; Conrads: Die Durchführung der Altranstädter Konvention, 86–88; Zonta: Schlesische Studenten, 381.
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schlesisches Bistum zwar beibehalten, nachdem er auf den erzbischöflichen Stuhl von Trier gewechselt war; da er aber künftig nicht mehr in Schlesien residieren würde, hatte er auf die Oberlandeshauptmannschaft resigniert).52 Der Landesverfassung nach hätte zwar nur ein schlesischer Fürst dieses Amt ausüben dürfen, doch hatte der Kaiser die fürstlich-piastische Herkunft des Grafen explizit als gleichwertig anerkannt.53 Von seinen Söhnen traten gleich vier in den geistlichen Stand. Zwei weitere Kinder heirateten darüber hinaus in Familien mit ausgeprägt episkopaler Tradition ein, die Hatzfeldt und die Kollonich. Der älteste Sohn, Franz Gotthard, hatte sein 1724 schon mit 13 Jahren erhaltenes Kanonikat am Breslauer Domkapitel vier Jahre später für seinen zu jenem Zeitpunkt vierzehnjährigen Bruder Leopold Gotthard freigemacht.54 Erneut mit päpstlicher Provision sollte dann 1735 auch dieser, wie es in gleicher Weise bei Konkurrenten wie den Liechtenstein-Kastelkorn etwa in Olmütz zu beobachten ist,55 im Namen der Familienräson auf seine Domherrenstelle resignieren – er begegnet uns später als Malteserordensritter und königlich preußischer Major sowie als zweiter Majoratsherr.56 Nutznießer war jener Philipp Gotthard, der 1747 nach jahrelangen Querelen mit dem Domkapitel, dem regierenden Ordinarius sowie dem Heiligen Stuhl von Friedrich II. und ausgestattet mit einem päpstlichen Wählbarkeitsbreve zum Bischof von Breslau ernannt wurde.57 Damit war das Ringen um die wertvolle Domherrenstelle freilich noch nicht beendet. Angesichts des gänzlich unkanonischen Wahlverfahrens hatte man es in diesem Fall vorgezogen, kein Mitglied des Kapitels, sondern den
�� Orzechowski, Kazimierz: Historia ustroju Śląska 1202–1740. Wrocław 2005 (Acta Universitatis Wratislaviensis 2806), 201; ders.: Dzieje i ustrój księstwa biskupiego na Śląsku. In: Szkice Nyskie. Studia i Materiały, Bd. 3. Opole 1986, 7–43. Zur Ämterkumulation des Pfalz-Neuburgers vgl. Reinhardt, Rudolf: Zur Reichskirchenpolitik der Pfalz-Neuburger Dynastie [1964]. In: ders.: Reich – Kirche – Politik. Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Germania Sacra in der Frühen Neuzeit. Hg. v. Hubert Wolf. Ostfildern 1998, 74–84; ders.: Die Kumulation von Kirchenämtern in der deutschen Kirche der frühen Neuzeit [1990]. Ebd., 204–222. �� Broda, Grażyna/Chmielewska, Mieczysława: König Stanisław Leszczyński von Polen und Graf Johann Anton Schaffgotsch. Ihr Briefwechsel aus den Jahren 1721–1730. In: Sachs, Rainer (Hg.): Amator Scientiae. Festschrift für Dr. Peter Ohr. Breslau 2004 (Ratsarchiv der Stadt Görlitz. Deutsch-polnisches Zentrum zur Erforschung des schlesischen Kulturerbes des Polnischen Kunsthistorikerverbands in Breslau. Wissenschaftliche Reihe 2), 195–204. ��Pater: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku, 174, 222–224. ��Bahlcke: Bischöfliche Traditionen des schlesischen Adels, 337–362. ��Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 46; Wuttke: Geburtsdatum, 174. ��Bergerhausen, Hans-Wolfgang: Friedensrecht und Toleranz. Zur Politik des preußischen Staates gegenüber der katholischen Kirche in Schlesien 1740–1806. Berlin 1999 (Quellen und Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 18), 86–110; Bahlcke, Joachim: Religion und Politik in Schlesien. Konfessionspolitische Strukturen unter österreichischer und preußischer Herrschaft (1650–1800). In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 134, 1998, 33–57; Braun, Bettina: Friedrich der Große und seine Politik gegenüber der katholischen Kirche in Schlesien. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte – Kanonistische Abteilung 78, 1992, 210–311.
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Der im Jahr 1754 während des Breslauer Episkopats von Philipp Gotthard von Schaffgotsch geprägte Halbe Konventionstaler (Gulden) zeigt das Brustbild des Oberhirten im geistlichen Gewand nach rechts sowie rückwärtig Fürstenmantel mit behelmtem Wappen und Ordenskette, oben Krummstab, Mitra, Fürstenhut und Schwert. Die Münzen der Bischöfe von Breslau – diese waren zugleich Landesherren im Fürstentum Neisse – wurden traditionell in Neisse geprägt, dessen Münzgeschichte schon Ende des 13. Jahrhunderts begonnen hatte. Die Stempel für die jeweiligen Taler, Gröschel, Kreuzer und Dukaten waren dabei teilweise auch in Wien geschnitten worden. In diesem Fall war der Stempelschneider der aus Niederösterreich gebürtige Matthäus Donner, Direktor der von Kaiser Karl VI. gegründeten Graveursakademie am Wiener Hauptmünzamt, der unter anderem mit der Gnadenmedaille von 1743 das vielleicht schönste Medaillenporträt Maria Theresias geschaffen hat.58
Hausgeistlichen Kardinal Sinzendorfs, Giovanni Battista Bastiani,59 als Boten an die Kurie zu entsenden und Benedikt XIV. um Bestätigung der Wahl zu bitten. Pikanterweise war Bastiani von Schaffgotsch zugleich der Auftrag erteilt worden, beim Papst das durch seine Ernennung zum Bischof erledigte Domkanonikat für seinen jüngeren Bruder Ceslaus Gotthard zu erwirken.60 Der Papst hatte gerade seine Bewilligung zugesichert, da sprach der preußische Geschäftsträger in Rom vor und hielt im Auftrag Friedrichs II. für Bastiani um dasselbe Kanonikat an. Die nachfolgenden, offen und in ungewöhnlicher Schroffheit ausgetragenen Auseinandersetzungen lassen nicht nur
��Baum, Walter: Die Münzen und Medaillen der Bischöfe von Breslau, Tl. 2: Von Karl Ferdinand (1625–1655) bis Georg Kopp (1887–1914). In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 31, 1973, 87–112; Kábdebo, Heinrich: Matthäus Donner und die Geschichte der Wiener Graveur-Akademie in der ersten Periode ihres Bestandes. Wien 1880; Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 50f. �� Pater: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku, 166f.; Andreae, Friedrich: Giovanni Battista Bastiani. In: ders. u.a. (Hg.): Schlesier des 18. und 19. Jahrhunderts. Sigmaringen 21985 [Breslau 11926] (Schlesische Lebensbilder 2), 78–86. ������������������� Vgl. detailliert Fechner, H[ermann]: Die Streitigkeiten des Abbés Bastiani mit dem Breslauer Domkapitel und dem Fürstbischof Philipp Gotthard Grafen Schaffgotsch 1753–1756. In: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 17, 1880, 465–501. Zu Ceslaus Gotthard von Schaffgotsch vgl. ferner Kopiec, Jan: Schaffgotsch, Ceslaus Gotthard (1726–1781). In: Gatz (Hg.): Die Bischöfe 1648 bis 1803, 413; Jungnitz, Joseph: Die Breslauer Weihbischöfe. Breslau 1914, 235, 244; ders.: Die Prälaten des Breslauer Domstifts 282–284; Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 46, 48, 54.
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klar die Interessen und Motive der einzelnen Parteien erkennen. Sie zeigen auch und entgegen gängigen Interpretationen in der Forschung, dass es keine klare Frontbildung gegen den neuen Breslauer Oberhirten im Kapitel gab und dieser die politischen Gegebenheiten durchaus realistisch zu beurteilen wusste. Indem er seinem Bruder zum denkbar frühesten Zeitpunkt zu einer Domherrenstelle verhalf und damit die kapitelsinterne Hausmacht stärkte, verbesserte er einerseits seine Position gegenüber den anderen Kanonikern, die auf die Statuten hinwiesen und kein Interesse an einer Aufnahme eines Landfremden von niederer Herkunft hatten. Andererseits verhinderte er, dass der König eine allzu enge Vertrauensperson in seiner unmittelbaren Nähe installierte. Friedrich II., der seinem Ärger über die eigenmächtige Familienpolitik Philipp Gotthards schon im Gratulationsschreiben zu dessen Bischofswahl Luft gemacht hatte,61 konnte sich erst 1751 mit der angestrebten Zuwahl Bastianis in Breslau durchsetzen.62 An den tiefen Zerwürfnissen um die Person von Bastiani lassen sich zugleich wichtige Zäsuren der kirchlichen Biographie Schaffgotschs ablesen, die hier als bekannt vorausgesetzt und daher zurückgestellt werden kann. Durch mehrere Quellenpublikationen genau rekonstruierbar sind vor allem der eigentliche Weg Philipp Gotthards an die Spitze der Diözese Breslau und die Rolle Friedrichs II., der den regierenden Oberhirten Kardinal Sinzendorf in einer eigenhändigen Nachschrift zu einem Kabinettsschreiben vom 17. Dezember 1743 wissen ließ: „Der Heilige Geist und ich, wir haben gemeinsam beschlossen, daß der Prälat Schaffgotsch zum Koadjutor von Breslau erwählt werden solle, und diejenigen von Euch Domherren, die sich dem entgegensetzen sollten, werden als Parteigänger des Wiener Hofes und des Teufels angesehen, und wer sich dem Heiligen Geist entgegenstelle, verdiene die allerlängste Zeitspanne der Verdammnis.“63 Die angedrohte Verdammung traf später freilich Schaffgotsch selbst, dessen kirchliche und politische Positionierung während des Siebenjährigen Krieges unverändert Rätsel aufgibt.64 Nach der Flucht Philipp Gotthards in ��Theiner: Zustände der katholischen Kirche in Schlesien, Bd. 1, 355–357; Fechner: Die Streitigkeiten des Abbés Bastiani, 471f. ��Pater: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku, 167. ���������������������������������������������������������������������������������������������� „Le St. Esprit et Moy nous avons resolus ensemble que Le Prelat Schafgotsch seroit elû Quadjuteur de breslau, et Ceux de Vos Chanoines qui si oposeront seront regardéz Comme des Ames Devouées à la Cour de Viene et au Diable, et qui resistant au St. Esprit Meritent le plus haut periode de Damnation.“ Lehmann (Hg.): Preußen und die katholische Kirche, Th. 2, 399*, Nr. 458. Kardinal Sinzendorf antwortete dem König am 25. Dezember 1743 durchaus schlagfertig: „La grande intelligence entre le St.-Esprit et V. M. est quelque chose de fort nouveau pour moi; je ne savais pas seulement, que la connaissance fût faite. Je souhaite, qu’il envoie au pape et aux chanoines des inspirations conformes à nos désirs.“ Ebd., *406f, Nr. 467. �� Fechner, H[ermann]: Die erste Flucht und Verbannung des Fürstbischofs von Breslau, Philipp Gotthard Grafen Schaffgotsch. 1757–1763. In: Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 17, 1880, 465–501; Münch, Gotthard: Das Tagebuch der Komtesse Theresia Schaffgotsch
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den österreichischen Teil seiner Diözese konnte sich auch sein Bruder Ceslaus Gotthard, der 1753 in Breslau zum Dompropst ernannt worden war und drei Jahre später zum Generalvikar aufstieg, nicht länger halten und verließ 1757 Preußisch-Schlesien; 1763 resignierte er ganz auf seine Breslauer Kapitelstelle.65 Er wird uns später noch in Böhmen begegnen, wo er zum Probst von Wyschehrad aufrückte. Der neue Kandidat, den der verbannte Bischof als Generalvikar vorschlug, stieß freilich auf das Misstrauen des Königs, der ein weiteres Mal Bastiani ins Gespräch brachte, damit aber in Rom auf Widerstand stieß. Friedrich II. erklärte daraufhin das gesamte Domkapitel zum Generalvikariatamt und ordnete an, dass künftige Dekrete vom Präses zu unterschreiben seien. Schließlich wurde Johann Maria von Strachwitz zum Weihbischof (1761) und Apostolischen Administrator (1766) ernannt.66 Mit dessen Hilfe erlangte 1775 noch einmal ein Neffe des auf Schloss Johannesberg bei Jauernig residierenden Bischofs, Cajetan von Schaffgotsch, eine Domherrenstelle in Breslau.67 Wie zahlreiche andere Kanoniker resignierte er 1810, als das Domkapitel im Zuge der Säkularisierung der Kirchengüter aufgelöst wurde; dem zwei Jahre später gebildeten neuen Interimskapitel gehörte er nicht mehr an.68 Vergleichbare Spannungen und Zerwürfnisse, die sich in erster Linie dem Wechsel der Oberherrschaft Mitte des 18. Jahrhunderts verdankten, blieben dem böhmischen Zweig der Schaffgotsch erspart, der gerade in jener Zeit ein Bischofsbewusstsein zu entwickeln begann. Ähnlich wie in der älteren schlesischen Linie war der Weg in höchste regional-kirchliche Dignitäten an die primären Lebenszentren der Familie und damit zugleich an deren Patronagenetze und soziale Abhängigkeiten gekoppelt. Prägend wirkten sich in diesem Fall zudem die besonderen rechtlichen Rahmenbedingungen aus. Für alle während des 17. und 18. Jahrhunderts in Böhmen und Mähren neugegründeten Bistümer hatten die Habsburger die nominatio regia erhalten, im aus dem Jahre 1769. In: Schlesien. Zeitschrift für Heimatkunde 1, 1933, 123–126, 131–133; Lorenz, Kl[emens]: Bischof [Philipp Gotthard] Schaffgotsch im Oppelner Exil (1763–66). In: Schlesische Geschichtsblätter 2, 1930, 31–38; Kropp, M[ax]: Eine Bischofsbeisetzung in Warmbrunn. In: Schlesien. Zeitschrift für Heimatkunde 2, 1934, 76f.; Bein, Werner: Dittersdorfs schlesischer Mäzen: Philipp Gotthard von Schaffgotsch (1716–1795), Fürstbischof von Breslau. In: Unverricht, Hubert (Hg.): Carl Ditters von Dittersdorf. Leben, Umwelt, Werk. Tutzing 1997 (Eichstätter Abhandlungen zur Musikwissenschaft 11), 75–89. Wichtig in diesem Zusammenhang ist ferner die quellennahe Studie von Demel, Bernhard: Der Plan einer Bistumsgründung in Troppau in den Jahren 1773– 1777. In: Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien 5, 1978, 101–189. ��Pater: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku, 221. ����������������� Ebd., 237–239; Jungnitz: Die Breslauer Weihbischöfe, 242–265; ders.: Die Breslauer Germaniker, 313–324. �� Pater: Wrocławska kapituła katedralna w XVIII wieku, 223; Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 53f.; Jungnitz: Die Breslauer Weihbischöfe, 294f. ��Negwer, Josef: Geschichte des Breslauer Domkapitels im Rahmen der Diözesangeschichte vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Hg. v. Kurt Engelbert. Hildesheim 1964, 8–17; Hoffmann: Die Breslauer Bischofswahlen, 166f.
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Das Schreiben des Breslauer Bischofs Graf Philipp Gotthard von Schaffgotsch an den preußischen König Friedrich II. vom 30. Januar 1758, das zusammen mit der Antwort des Monarchen vom 15. Februar in deutscher und in französischer Sprache gedruckt wurde, zeugt von den Spannungen innerhalb Schlesiens während der Kriege zwischen Preußen und Österreich im 18. Jahrhundert. Während Schaffgotsch bemüht war, seine „Treue und schuldigste Danckbarkeit“ gegenüber dem neuen Landesherrn zu belegen, gab sich Friedrich II. unversöhnlich: Die Rechtfertigungsversuche des Bischofs, der Schlesien widerrechtlich verlassen und sich unter den Schutz Österreichs begeben habe, seien geradezu bodenlos. „Nein, dieses Verfahren ist zu arg und zu schändlich. Ich kann Sie nicht anders als einen Verräther ansehen, der auf die Seite meiner Feinde getreten, und von freyen Stücken einen Posten verlassen, den Sie in Betracht der Pflichten Ihres Standes niemahls hätten verlassen sollen. [...] Ich weiß gewiß, daß eine so impardonnable Aufführung wie die Ihrige, ohnfehlbar die gebührende Strafe nach sich ziehen wird. Weder der göttlichen Rache, noch der Verachtung der Menschen werden Sie entgehen können, denn so verderbt wie diese auch immer seyn mögen, so sind sie es doch nicht in solchem Grad, als daß sie nicht für Verräther und Undanckbare einen Abscheu haben sollten.“ Die tiefe Verachtung, die Friedrich II. gegenüber Schaffgotsch empfand, prägt das Bild des Breslauer Bischofs in der deutschen Geschichtsschreibung bis zum heutigen Tag.
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Fall von Brünn sogar trotz dessen Zugehörigkeit zum Erzbistum Olmütz (seit 1777), das ein Wahlbistum war.69 Mochte der Monarch bei Personalentscheidungen in kirchlichen Angelegenheiten auch rechtlich weder an staatliche oder kirchliche Institutionen noch an ihm vorgelegte Gutachten oder Empfehlungen gebunden sein, so war die Einflussnahme in der Praxis doch ausgesprochen vielfältig.70 Durchaus verbreitet war sogar eine Selbstbewerbung um erledigte Bistümer, die erst 1799 verboten wurde.71 So vergingen nur wenige Tage, bis nach dem Tod des Leitmeritzer Bischofs Moritz Adolf, Herzog von Sachsen-Zeitz,72 im Jahr 1759 erste Bittgesuche in Wien eingingen – darunter bemerkenswerterweise ein solches des erst zwei Jahre zuvor aus Preußisch-Schlesien geflohenen Breslauer Domherrn Ceslaus Gotthard von Schaffgotsch, der nun die Patronage des böhmischen Familienzweigs für sich zu nutzen suchte,73 sowie eines vom Prager Weihbischof Emmanuel Ernst von Waldstein, der tatsächlich wenig später auf den vakanten Bischofsstuhl berufen wurde.74 Aufschlussreich sind die Hintergründe auch bei der ersten erfolgreichen Ernennung eines Schaffgotsch in Böhmen. Im Hofdekret an das Landesgubernium, durch das Kaiser Joseph II. am 9. Februar 1783 Johann Prokop von Schaffgotsch zum Bischof von Budweis ernannte, heißt es zwar, dass dieser vom Prager Erzbischof primo loco vorgeschlagen worden sei. In Wirklichkeit ������������������������������������������������������������������������������������������ Vgl. für die einzelnen Diözesen in den böhmischen Ländern die einschlägigen Beiträge in Gatz, Erwin (Hg.): Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von ihren Anfängen bis zur Säkularisation. Freiburg im Breisgau 2003; vgl. ferner Bahlcke, Joachim: Geistlichkeit und Politik. Der ständisch organisierte Klerus in Böhmen und Ungarn in der frühen Neuzeit. In: Bahlcke, Joachim/ Bömelburg, Hans-Jürgen/Kersken, Norbert (Hg.): Ständefreiheit und Staatsgestaltung in Ostmitteleuropa. Übernationale Gemeinsamkeiten in der politischen Kultur vom 16.–18. Jahrhundert. Leipzig 1996 (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 4), 161–185; Doskocil, Walter: Die Gründung des Bistums Brünn und das sogenannte landesherrliche Patronat. Kanonistische Randbemerkungen zu zwei Urkunden. In: Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum 17, 1976, 396–416; Huber, Kurt Augustinus: Das Verhältnis der Bischöfe von Prag und Olmütz zueinander. Ein Überblick [1973]. In: ders.: Katholische Kirche und Kultur in Böhmen. Ausgewählte Abhandlungen. Hg. v. Joachim Bahlcke und Rudolf Grulich. Münster 2005 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 5), 9–29; ders. u.a.: Die Diözesanorganisation von Böhmen-Mähren-Schlesien. In: Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-MährenSchlesien 1, 1967, 9–40; Breitenbach, Anton: Die Besetzung der Bistümer Prag und Olmütz bis zur Anerkennung des ausschließlichen Wahlrechtes der beiden Domkapitel. In: Zeitschrift des deutschen Vereines für die Geschichte Mährens und Schlesiens 8, 1904, 1–46. ��Bahlcke: Ungarischer Episkopat und österreichische Monarchie, 76–90. ��Kindermann, Adolf: Das landesfürstliche Ernennungsrecht. Warnsdorf 1933, 150. ��Vlnas, Vít: Vévoda Mořic Saský, enfant terrible na litoměřickém biskupském stolci. In: Kaiserová, Kristina (Hg.): Čechy a Sasko v proměnách dějin. Ústí nad Labem 1993 (Acta Universitatis Purkynianae. Philosophica et Historica 1; Slavogermanica 2), 441–448. ��Kindermann: Das landesfürstliche Ernennungsrecht, 147, 420f. ������������������������������������������������� Vgl. zum Bistum Leitmeritz die Darstellung von Macek, Jaroslav: Biskupství litoměřícké. Biskupové a osudy litoměřícké diecéze 1655–2005. Kostelní Vydří 2005, sowie speziell zu Waldstein den Überblick von Vlnas, Vít: Emanuel Arnošt Valdštejn, barokní prelát v epoše rozumu. In: Folia Historica Bohemica 15, 1991, 343–379.
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Der 1748 in Prag geborene Johann Prokop von Schaffgotsch aus der böhmischen Linie des Adelsgeschlechts war der erste Bischof des neugegründeten Bistums Budweis, um dessen Einrichtung Kaiser Joseph II. 1784 Papst Pius VI. ersucht hatte. In Schaffgotschs Amtszeit fielen die josephinischen Reformen, die das Verhältnis von Staat und Kirche grundlegend ändern sollten. Im Grundsatz akzeptierte der neue Ordinarius das vom Geist der Aufklärung getragene Reformwerk, das die Kirche der uneingeschränkten Staatsaufsicht unterwarf, auch wenn damit Eingriffe in die rechtliche und soziale Autonomie der Kirche und die geistliche Jurisdiktionsgewalt verbunden waren. Aufmerksame Beobachter wie der französische Gesandte am Kaiserhof Jean Jacques Barthélemy hatten freilich schon zu Beginn von Josephs II. Alleinregierung gemutmaßt, dass von den Bischöfen Böhmens und Österreichs – ganz im Gegensatz zu den ungarischen Oberhirten – gewiss kein Widerstand gegen den König und dessen Politik ausgehen würde.75 Ein weiterer Aufstieg in der kirchlichen Hierarchie gelang Schaffgotsch, der 1813 in Budweis starb, allerdings trotz seiner Hofnähe nicht.
����������������������������������������������������������������������������������������������� „Le Clergé est dans un état violent de fermentation. ���������������������������������������� On s’attend que celui d’Autriche, et de Bohême se soumettra à la volonté de l’Empereur; on ne paraît pas croire que le Clergé de Hongrie marque la même docilité.“ Zit. nach Mitrofanov, Paul von: Joseph II. Seine politische und kulturelle Tätigkeit, Bd. 2. Wien/Leipzig 1910, 747 Anm. 1 (30. Oktober 1781).
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aber war es der Kaiser selbst, der Schaffgotsch an der Spitze des neuen Suffraganbistums in Südböhmen sehen wollte, die Initiative ergriffen und dem Metropoliten nahegelegt hatte, in seinem Dreiervorschlag hauptsächlich auf ihn Rücksicht zu nehmen.76 Welche Faktoren im Einzelnen den Ausschlag für die Ernennung Johann Prokops in Budweis und seines Neffen Johann Anton Ernst 1841 in Brünn gaben, ist nicht mit letzter Klarheit zu erkennen, offensichtlich aber im Zusammenhang mit ihrer wohlwollenden Haltung gegenüber den staatskirchlichen Reformen der Regierung zu sehen. Beide waren jedenfalls durch Erziehung, Ausbildung und einschlägige Erfahrungen in der kirchlichen Praxis gut auf das Bischofsamt vorbereitet.77 Als wichtige Drehscheibe für den weiteren Aufstieg erwies sich ein weiteres Mal das in sozialer wie materieller Hinsicht exponierte Olmützer Domkapitel, dessen Trend zur Vergräflichung seit dem 17. Jahrhundert unübersehbar ist. Eine Translation von dem peripheren Suffraganbistum, das beide in jungen Jahren gewonnen hatten und nahezu drei Jahrzehnte regierten, auf einen besser dotierten Bischofssitz ist offenbar nur ein einziges Mal erwogen worden. Nach dem Tod des Leitmeritzer Bischofs Ferdinand Kindermann von Schulstein 1801 wurde Johann Prokop von Schaffgotsch vom böhmischen Oberstburggrafen an erster Stelle als Nachfolger empfohlen – allerdings unter der Voraussetzung, „daß die Erträgnis des Leitmeritzer Bistums ungehindert der Trennung der Wyschehrader Probstei doch noch etwas ergiebiger als jene des Bistums Budweis verbleiben sollte“.78 Offenbar scheiterte die Versetzung schließlich wegen der unzureichenden finanziellen Ausstattung der neuen Diözese.
3. Zusammenfassung Mit den bischöflichen Spitzenfamilien in der Habsburgermonarchie – den Herberstein, Lamberg und Kuenburg, Schrattenbach, Spaur und Thun – sind ��Mardetschläger, Franz: Kurz gefasste Geschichte des Bisthums und der Diöcese Budweis zur Jubiläumsfeier ihres hundertjährigen Bestehens. Budweis 1885, 3f. ��Macek, Jaroslav u.a.: Biskupství brněnské. Brno 2000, 21–25, 56f.; Kadlec, Jaroslav: Českobudějovická diecéze. České Budějovice 1995, 27f.; Buben, Milan M.: Encyklopedie českých a moravských sídelních biskupů. Praha 2000, 291–295; Kuzio-Podrucki: Schaffgotschowie, 107–112; Huber, Kurt A.: Johann Prokop Graf Schaffgotsche, erster Bischof von Budweis. In: Archiv für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien 7, 1985, 56–67; ders.: Die Gründung des Bistums Budweis 1784/85. Ebd., 37–55; ders.: Der Budweiser bischöfliche Visitationsbericht von 1811. Ebd., 68–88; Zabel, Johann: Zweihundert Jahre Bistum Brünn (1777–1977). Königstein/Taunus 1976 (Schriftenreihe des Sudetendeutschen Priesterwerkes Königstein/Taunus 21), 13f.; Weinbrenner, Emil: Mähren und das Bisthum Brünn. Eine Festschrift anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Errichtung des Brünner bischöflichen Sitzes. Brünn 1877, 70–79. ������������ Zit. nach Kindermann: Das landesfürstliche Ernennungsrecht, 453f.
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Der aus Brünn gebürtige Johann Anton Ernst von Schaffgotsch (1804–1870), ein Neffe des ersten Bischofs von Budweis, galt Tschechen wie Deutschen als Ultramontaner. Der aus dem Olmützer Domkapitel hervorgegangene Geistliche vertrat während seines Episkopats im liberalen Brünn eine streng kirchliche Ausrichtung an den mährischen Priesterseminarien und theologischen Lehranstalten. Besonders der weltoffene Kurs des Augustinerklosters St. Thomas zu Alt-Brünn fand das Missfallen des Bischofs. Für das nationale Erwachen der Tschechen hatte Schaffgotsch, der zweisprachig war und den ersten Brünner Katholikentag 1851 mit einer tschechischen Ansprache eröffnet hatte, durchaus Verständnis. Der Bischof wurde 1870 in Brünn auf dem städtischen Friedhof beigesetzt – die mährische Statthalterei hatte Schaffgotschs Antrag, in der St. Peter-und-PaulKathedrale bestattet zu werden, zurückgewiesen. Das Gemälde, dessen Maler nicht bekannt ist, zeigt den Brünner Oberhirten um das Jahr 1865.79
�� Huber, Kurt Augustinus: Kirche in Mähren-Schlesien im 19. und 20. Jahrhundert. Strukturen, Probleme, Entwicklungen [1978]. In: ders.: Katholische Kirche und Kultur in Böhmen, 39–141, hier 48–115.
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die Schaffgotsch gewiss nicht zu vergleichen. Zwischen 1448 und 1803 stellten allein jene sechs Adelsgeschlechter 46 Bischöfe beziehungsweise besetzten aus ihrem Kreis 62 Bischofsstühle. Die Zahl ihrer Kanonikate, die sie in jenem Zeitraum erlangten, beläuft sich gar auf 199.80 Typisch für sie waren regelrechte bischöfliche Stammbäume, die mehrere Jahrhunderte hindurch ohne Unterbrechung eine aufeinanderfolgende Protektion erlaubten. Bei den Schaffgotsch, die in beiden Linien auf zusammen neun Domherrenstellen kamen und dreimal die Mitra erlangten,81 bestätigt sich die für die Habsburgermonarchie allgemein errechnete Relation, nach der auf gut drei Kanonikate jeweils ein Bischofssitz entfiel.82 Die Protektionstechniken, die den Schaffgotsch zur Verfügung standen, wurden insofern mit Erfolg genutzt, um ein eigenes Familienmitglied in eine Spitzenstellung der kirchlichen Hierarchie zu bringen. Das Einstiegsbistum bildete freilich stets die letzte Stufe der jeweiligen Kirchenlaufbahn, und auch der regionale Aktionsradius innerhalb des erbländischen Bistumsverbands blieb klar begrenzt. Ein Ausgreifen in die Reichskirche gar lag jenseits der eigenen Möglichkeiten.83 Ein weiteres Hindernis zeigt sich bei den böhmischen Schaffgotsch, die erst im späten 18. Jahrhundert in den Episkopat aufstiegen. Es ist bezeichnend, dass ihnen auf beiden Bischofssitzen Bürgerliche nachfolgten – die große Zeit der Kirchenfürsten aristokratischer Herkunft gehörte in der Masse der österreichischen Diözesen der Vergangenheit an.84 Von den sechs genannten bischöflichen Spitzenfamilien übernahm nach 1803 kein einziges Mitglied mehr eine bischöfliche oder kanonikale Dignität.85
��Noflatscher: Österreichische Familien in der Reichskirche, 288f., 292, 296f. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Hier mitberechnet zwei Domherrenstellen in Minden (Cajetan von Schaffgotsch) und Königgrätz (Johann Prokop von Schaffgotsch). ��Noflatscher: Österreichische Familien in der Reichskirche, 292. �������������������������������������������������������������������������������������������������� Über Aufstiegsstrategien in der Reichskirche beziehungsweise in den geistlichen Territorien des Heiligen Römischen Reiches und den Stellenwert weitreichender sozialer und politischer Netzwerke wird zu Recht immer wieder auf das Beispiel der Schönborn verwiesen. Zu den Schönborn liegt eine ausgezeichnete Gesamtdarstellung vor, die zugleich als Musterbeispiel für eine gelungene Familienbiographie dienen kann. Vgl. Schraut, Sylvia: Das Haus Schönborn. Eine Familienbiographie. Katholischer Reichsadel 1640–1840. Paderborn u.a. 2005. Zu den Aufstiegschancen weniger prominenter Adelshäuser in der Reichskirche vgl. zusammenfassend Kremer: Herkunft und Werdegang, 383–446. ��Preradovich: Die soziale Herkunft, 238–243. ��Noflatscher: Österreichische Familien in der Reichskirche, 304.
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„Die jüngste Glaubenscolonie in Preussen“. Kirchliche Praxis und religiöse Alltagserfahrungen der Zillertaler Protestanten in Schlesien 1. Selbstwahrnehmung – Zuschreibung – Typologisierung: Historiographiegeschichtliche Annäherungen Von allen Wanderungsvorgängen der Neuzeit fanden Migrationen aus Glaubensgründen, von der Vertreibung der protestantischen Niederländer im 16. Jahrhundert bis zur Ausweisung der Salzburger und Berchtesgadener im 18. Jahrhundert, unter den Zeitgenossen seit jeher größte Aufmerksamkeit. Dies gilt auch für die vergleichsweise kleine Gruppe der Zillertaler Protestanten, die im Jahr 1837 auf Druck von Staat und Kirche ihre österreichische Heimat verließen und im preußischen Teil Schlesiens ansässig wurden.1 Zwar trugen die gut 400 Einwanderer, in der Mehrzahl Bauern, Weber, ����������������������������������������������������������������������������������������������� Ein Blick in das umfangreiche Schrifttum zum religiösen Selbstverständnis der Zillertaler Protestanten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigt, dass die Übergänge zwischen der älteren, in hohem Maße konfessionalistisch geprägten Erinnerungs- und Erbauungsliteratur und modernen Forschungsansätzen fließend sind. Über die materialreiche, methodisch freilich problematische Innsbrucker theologische Dissertation von Sauser, Ekkart: Die Zillertaler Inklinanten und ihre Ausweisung im Jahre 1837. Innsbruck 1959 (Schlern-Schriften 198), urteilt Sebastian Hölzl völlig zu Recht, dass der Autor „den Standpunkt eines orthodoxen Klerikers [vertritt], der die religiöse Überzeugung Andersgläubiger für Torheit oder Fanatismus hält. Dadurch blieb ihm der Blick für die Hintergründe der protestantischen Bewegung im Zillertal verstellt.“ Hölzl, Sebastian: Die Zillertaler Protestanten vor 150 Jahren. Dargestellt am Beispiel Brandbergs. In: Tiroler Heimat. Jahrbuch für Geschichte und Volkskunde 50, 1986, 149–173, hier 171 Anm. 3. In Sausers Interpretation überwiege „ein eigenartig gegenreformatorischer Geist“, so Maleczek, Werner: Glaube und Heimat. Zur Vertreibung der Zillertaler Inklinanten vor 150 Jahren. In: Das Fenster. Tiroler Kulturzeitschrift 21/42, 1987, 4152–4158, hier 4158. Vgl. über diese beiden Überblicksdarstellungen hinaus für die Fragestellung dieses Beitrags vor allem Glatz, Alfred: Aus der Geschichte der evangelischen Kirchengemeinde Zillerthal-Erdmannsdorf (Riesengebirge), Kreis Hirschberg. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 52, 1973, 127–156; Marschner, Hugo: Zum Gedenken der 1837 von Tirol eingewanderten evangelischen Zillertaler und die Ursachen zur Auswanderung. Schmiedeberg i. Riesengeb. 1937; Federer, Johann: Die Auswanderer aus dem Zillertal. Innsbruck 1937; Blätter der Erinnerung an die Hundert-Jahr-Feier der Tiroler-Einwanderung vom 24. bis 26. September 1837 in Zillerthal-Erdmannsdorf im Riesengebirge. [Schmiedeberg i. Riesengeb.] 1937; Völker, Karl: Die Zillertaler „Inklinanten“ im Spiegel der Geschichtsschreibung. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus im ehemaligen und im neuen Österreich 58, 1937, 109–124; Bibl, Viktor: Die Zillertaler Emigration. In: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 45, 1933, 66–98; Loesche, Georg: Zillertaler-Nachlese. Nach Archivalien des k.k. Ministeriums für Kultus und Unterricht. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 25, 1904, 262–274; Gasteiger, Gustav von: Die Zillerthaler Protestanten und ihre Ausweisung aus Tirol. Eine Episode aus der vaterländischen Geschichte. Hg. v. Anton Edlinger. Meran 1892; Rauch, Gotthard: Die Auswanderung der Evangelischen Zillerthaler aus Tirol. Barmen 21890 [11888]; Blätter der Erinnerung an das 50jährige Jubiläum der preußischen Ko-
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Holzarbeiter und Handwerker, nichts zu ihrer Selbstdarstellung bei, und auch in späterer Zeit kam es zu keiner eigentlichen konfessionellen Gruppengeschichtsschreibung, für die das zwischen 1782 und 1799 erschienene neunbändige Werk der beiden reformierten Pastoren Jean Pierre Erman und Pierre Chrétien Frédéric Reclam über die Ansiedlung der französischen Réfugiés in Brandenburg-Preußen ein prominentes Beispiel ist.2 Die breitere Öffentlichkeit in den deutschen Staaten war gleichwohl mit der religiösen Diskriminierung der Zillertaler seit längerem vertraut: durch zahlreiche, bereits Anfang der 1830er Jahre in der protestantischen Presse einsetzende Berichte über die religiöse Lage in Tirol und die nicht minder hohe Zahl an Erwiderungen von katholischer Seite, Stellungnahmen, bei denen die für das 16. und 17. Jahrhundert typische konfessionelle Polemik noch einmal in allen Schattierungen lebendig wurde. So sah sich beispielsweise „wegen des bittern und gehässigen Tones, der pietistischen Färbung und des hämischen Nationalhasses“ eines Beitrags über die Verfolgung der Protestanten im Zillertal, der 1834 in der Berliner Evangelischen Kirchen-Zeitung gedruckt worden war, die in Köln erscheinende Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie zu einer Erwiderung genötigt; die hier gemachten Aussagen zu den „Verblendeten“ in Tirol, deren „Geschrei nach den zwei Gestalten im Abendmahl“ als religiöse Auffassung nicht ernst zu nehmen sei,3 trugen freilich nicht zu einer Klärung des Sachverhalts bei, sondern boten in ihrer Einseitigkeit nur Anlass für neue publizistische Reaktionen auf evangelischer Seite. Tatsächlich liest sich die Publizistik über die Zillertaler in weiten Teilen als „ein Beitrag zur Chronik der Pfaffenränke des 19. Jahrhunderts“,4 wie Ludwig Schnell bereits 1850 zugespitzt formulierte. Die Auffassung, nach der man es bei der Ausweisung der Zillertaler mit „einem der letzten Ausläufer der Gegenreformation“5 zu tun habe, findet sich seit der materialreichen, im Jahr 1892 aus dem Nachlass herausgegebe-
lonie Zillerthal im Jahre 1887. Schmiedeberg i. Riesengeb. 1887; Beheim-Schwarzbach, Max: Die Zillerthaler in Schlesien. Die jüngste Glaubenscolonie in Preussen. Breslau 1875 (das Zitat im Titel dieses Beitrags geht auf die Darstellung von Beheim-Schwarzbach zurück). 2 Rosen-Prest, Viviane: L’historiographie des Huguenots en Prusse au temps des Lumières. Entre mémoire, histoire et légende: J. P. Erman et P. C. F. Reclam, Mémoires pour servir à l’histoire des réfugiés françois dans les Etats du Roi (1782–1799). Paris 2002; François, Étienne: Die Traditions- und Legendenbildung des deutschen Refuge. In: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Exodus der Hugenotten. Die Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 als europäisches Ereignis. Köln/Wien 1985 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 24), 177–193. 3 Ueber die Erweckten des Zillerthals. In: Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie 13, 1835, 172–183 (Zitate 172f., 176, 178f.). 4 Schnell, Ludwig: Die Vertreibung der Zillerthaler. Ein Beitrag zur Chronik der Pfaffenränke des 19. Jahrhunderts. Berlin 21913 [Hamburg 11850]. 5 Gasteiger: Die Zillerthaler Protestanten und ihre Ausweisung aus Tirol, 155.
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nen Abhandlung Gustav von Gasteigers in nahezu allen einschlägigen kirchen- wie allgemeingeschichtlichen Gesamtdarstellungen.6 Demnach seien die Ereignisse von 1837 – so die traditionelle Bewertung jener Vorgänge – nur der Endpunkt einer leidvollen Entwicklung, die mit der konfessionellen Differenzierung Europas im 16. Jahrhundert ihren Anfang genommen habe. Die Kontinuitätsthese wirft jedoch zahlreiche Fragen auf: Bildeten jene Vorgänge, die der Talgegend zwischen Innsbruck und Kufstein eine unerwartete Aufmerksamkeit bescherten, tatsächlich eine Art Fremdkörper im 19. Jahrhundert? Trifft es wirklich zu, dass in dieser Phase die bis zur Aufklärung produzierten konfessionellen Feindbilder lediglich nachwirkten, wie Richard van Dülmen 1994 in seiner großen Darstellung über Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit annahm?7 Die Tatsache, dass sich in Schlesien selbst nahezu zeitgleich mit der Ansiedlung der Zillertaler tausende Lutheraner zur Emigration nach Australien und Nordamerika entschlossen,8 deutet zugleich auf eine neuerliche Schärfung des konfessionellen Bewusstseins und einen Wiederaufschwung christlicher Glaubensinhalte hin.9 Die Diagnose einer religiösen Erweckung stellte Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, dem im Zusammenhang dieser Überlegungen eine wichtige Rolle zufällt, schon 1799 in seinem anonym bei Unger in Berlin publizierten Werk Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern auf, dem wohl bedeutendsten Dokument frühromantischer Religiosität: „In das Hilferufen der Meisten über den Untergang der Religion stimme ich nicht ein, denn ich
6 Vgl. exemplarisch Leeb, Rudolf u.a.: Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart. Wien 2003; Becker, Winfried u.a.: Die Kirchen in der deutschen Geschichte. Von der Christianisierung der Germanen bis zur Gegenwart. Stuttgart 1996; Greschat, Martin (Hg.): Die Geschichte des Christentums. Religion – Politik – Kultur, Bd. 11. Freiburg/Basel/Wien 1997; Jedin, Hubert (Hg.): Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 6/1. Freiburg/Basel/Wien 1985. 7 Dülmen, Richard van: Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 3. München 1994, 108–121. 8 Schott, Christian-Erdmann: Die Auswanderung der Altlutheraner nach Australien. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 64, 1985, 127–136; Heyne, Bodo: Schlesische Auswanderung nach Südaustralien aus den Anfangszeiten der deutschen Auswanderung. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau 10, 1965, 188–202; Lerche, Otto: Die lutherische Auswanderung und die Union (Beispiel Australien). In: Zeitschrift für Kirchengeschichte 62, 1943/44, 272–294; Iwan, Wilhelm: Die Altlutherische Auswanderung um Mitte des 19. Jahrhunderts. Ludwigsburg 1943; ders.: Um des Glaubens willen nach Australien. Eine Episode deutscher Auswanderung. Breslau 1931, sowie weitere, vor allem im Jahrbuch des Vereins für Schlesische Kirchengeschichte veröffentlichte Studien des Autors. 9 Zur Diskussion über das 19. Jahrhundert als „Zweites Konfessionelles Zeitalter“ vgl. Blaschke, Olaf (Hg.): Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter. Göttingen 2002; ders.: Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter? In: Geschichte und Gesellschaft 26, 2000, 38–75. Kritisch dazu Steinhoff, Anthony J.: Ein zweites konfessionelles Zeitalter? Nachdenken über die Religion im langen 19. Jahrhundert. In: Geschichte und Gesellschaft 30, 2004, 549–570; Schulze Wessel, Martin: Das 19. Jahrhundert als „Zweites Konfessionelles Zeitalter“? Thesen zur Religionsgeschichte der böhmischen Länder in europäischer Hinsicht. In: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 50, 2001, 514–530.
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wüßte nicht, daß irgendein Zeitalter sie besser aufgenommen hätte als das gegenwärtige [...].“10 Im Fall der Zillertaler stand seit Beginn der Konfrontation mit Ortspfarrern, Kirchenbehörden und Landesämtern eine Frage im Zentrum, die auch in der bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts stark konfessionalistischen Geschichtsforschung zu diesem Thema auffallend breiten Raum einnimmt: die Frage, ob es sich bei den späteren Auswanderern „um eine bewußt evangelische Bewegung“ gehandelt habe oder um bloße „Sektierer“, um „Irrgläubige“, die sich einzig in ihrem konsequenten Antikatholizismus einig gewesen seien.11 Auf diese Spannung deutet bereits der Begriff „Inklinanten“ hin, der in Österreich zur religiösen Zuordnung der Zillertaler von deren Gegnern geprägt worden ist, die den Andersgläubigen ein Leben nach der Bibel absprachen.12 Auf katholischer Seite finden sich Urteile wie das des Vikars von Brandberg zuhauf, wonach die Anführer der Zillertaler Protestanten lediglich „eingebildete Schriftgelehrte, hinreißende Schwätzer und unwissende Pastoren“13 gewesen seien. Die selbstempfundene Unsicherheit der Zillertaler über die religiöse Identität, die in Religionsgesprächen und Verhören immer wieder zum Ausdruck kam, wurde mit Vorliebe zum Gegenstand spöttisch-ironischer Darstellungen gemacht: So sei ein katholischer Geistlicher in ein Haus gekommen, hieß es in der bereits genannten Kölner Zeitschrift für Philosophie und katholische Theologie über die religiösen Verhältnisse in Tirol, „wo lauter Erweckte waren, Vater und Mutter und zwei Kinder von sechzehn und achtzehn Jahren. Da fragte er sie, was sie denn eigentlich glaubten. Sogleich rief die Mutter mit Heftigkeit: Wir glauben an die heilige Dreifaltigkeit und an die augsburgische Convinion; ja, wiederholten die zwei Kinder, an die heiligste Dreifaltigkeit und an die augsburgische Confiction; endlich bemerkte auch der Vater: an die unveränderte augsburgische Confession. Auf die Frage, ob sie solche besäßen und gelesen hätten, gaben sie zur Antwort: Das braucht es nicht, wir können nicht lesen. [...] So ist demnach die unveränderte augsburgische Confession für die Erweckten ein sehr magerer und verworrener Begriff, und es wäre sogar wünschenswerth, ihnen auf die Spur zu helfen, wo denn, in welchem Winkel der protestantischen Welt, im Jahre 1834 die unveränderte augsburgische Confession mit Ohrenbeicht und Messe im wirklichen Leben noch anzutreffen sei [...].“14 �� Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Hg. v. Andreas Arndt. Hamburg 2004, 2. ��Sauser: Die Zillertaler Inklinanten und ihre Ausweisung im Jahre 1837, 19f., 48, 55. ��Völker: Die Zillertaler „Inklinanten“, 113. ������������ Zit. nach Hölzl: Die Zillertaler Protestanten, 159. Vgl. auch ders.: Brandberg, eine Gemeinde im hintersten Zillertal. Innsbruck 1984 (Ortschroniken 46). ������������������������������������������������������������������������������������������������� Ueber die Erweckten des Zillerthals, 177f.; noch Jahrzehnte später, erneut vor dem Hintergrund aktueller kirchenpolitischer Auseinandersetzungen, erregte die Frage nach der religiösen Identi-
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Doch auch in Preußen und anderen protestantischen Ländern des Deutschen Bundes, in denen über die Verfolgung und anschließende Auswanderung der Zillertaler intensiv berichtet wurde, sprach man aus einer Mischung von Verlegenheit und Distanzierung oft nur von den „Evangelischgesinnten“.15 Durchaus nicht untypisch für das zunächst vorherrschende Bild der Zillertaler ist eine ausgesprochen abschätzige Meldung in der Königlich privilegirten Berlinischen Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, die am 23. Juni 1837 erschien – zu einem Zeitpunkt also, als die erste Vorsprache mehrerer Abgesandter aus dem Zillertal am Berliner Hof gerade erst wenige Wochen zurücklag: „Die Religionsbegriffe, zu welchen diese Leute sich bekennen, weichen so vielfältig von den allgemein gültigen Lehren des Christenthums ab, daß man die Anhänger der neuen Secte kaum mehr für Christen halten darf, denn sie verwerfen die Taufe der Kinder und die Einsegnung der Ehe, und betrachten die eine, wie die andere, als Zumuthungen, welche mit ihrer Doctrin durchaus unverträglich seien. Aller Wahrscheinlichkeit nach durch Einflüsterungen von Außen aufgeregt, und durch Sinnesverwandte zur Widerspenstigkeit verleitet, schweben sie in dem Irrthume, als wären sie ein Gegenstand der Bewunderung des Auslandes, verspotten die gottesdienstlichen Gebräuche, beschimpfen und beunruhigen die friedlich lebenden Katholiken, welche sich zu ihrer Lehre nicht bequemen wollen, und veranlassen dadurch tagtäglich die gerechtesten Klagen und Beschwerden. Die ihrerseits verübten Ungebührlichkeiten gehen so weit, daß man zu der Vermuthung berechtiget ist, als legten sie es geflissentlich darauf an, die Obrigkeiten zu einer ernstgemessenen Einschreitung zu nöthigen, damit sie sich dereinst für Opfer der Verfolgung geltend machen können.“16 Die hier zum Ausdruck kommende Melange aus Besorgnis, Zweifel und Misstrauen lässt sich auch bei denjenigen beobachten, die einige Monate später unmittelbar mit den Neuankömmlingen, die sich selbst durchweg als „Lutheraner“ bezeichneten, zusammentrafen und über deren Glaubensansichten berichteten. Als die Tiroler im September 1837 in Michelsdorf ersttät der „einst von den Liberalen glorificirten“ Zillertaler die Gemüter. Vgl. exemplarisch den in mehreren Fortsetzungen gedruckten Beitrag: Gehörten die Zillerthaler Inklinanten zur Augsburger Confession? In: Tiroler Stimmen 74, 1863, 405f.; 75, 1863, 413f.; 76, 1863, 417 (Zitat 417, Hervorhebung im Original). Zur These, dass „die Zillerthaler Auswanderer [...] kein bestimmtes Glaubensbekenntnis gehabt“ hätten, vgl. auch den Beitrag: Ueber die Zillerthaler Auswanderer. In: Tiroler Stimmen 53, 1863, 291. �������������������������������������������������������������������������������������������������� „Die ersten Nachrichten aus Zeitungen enthalten über die Zillerthaler evangelisch Gesinnten die widersinnigsten Gerüchte.“ Kurze Geschichte der Auswanderung der Zillerthaler Protestanten und ihres Durchzugs durch Oberösterreichs evangelische Gemeinden. Nürnberg 1838, 5. Typisch waren in dieser Phase Artikelüberschriften und Buchtitel wie derjenige von Schulze, Christian Ferdinand: Die Auswanderung der evangelischgesinnten Salzburger, mit Bezug auf die Auswanderung der evangelischgesinnten Zillerthaler. Gotha 1838. �������������������������������������������������������������������������������������������������� Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen, Nr. 144 vom 23. Juni 1837.
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mals preußischen Boden betraten, berichtete der evangelische Ortspfarrer, Gustav Bellmann, hierüber ausführlich in den Schlesischen Provinzial-Blättern. Seine Freude über die „Genossen des Glaubens“, die nun nicht länger eine „hirtenlose Heerde“ seien, war ganz unverkennbar groß. Und doch blieben allem Anschein nach für Bellmann zahlreiche Fragen offen: „Was hat sich denn nun aber die evangelische Kirche Schlesiens zu diesen ihren neuen Mitgliedern zu versehen? So fragt vielleicht jetzt Mancher, und hier und da wohl auch Einer nicht ohne bängliche Besorgniß, indem er sich die traurigen Zerwürfnisse, welche eine exaltirte Partei in der jüngsten Zeit [gemeint sind die Altlutheraner, d. Verf.] über die evangelische Kirche Schlesiens brachte, vergegenwärtiget. Werden sie diese Partei nicht noch verstärken? Sind sie vielleicht schwärmerische Mystiker, oder scheinheilige Frömmler? Läßt so etwas die ganze Lage, worin sie sich befunden haben, nicht viel eher erwarten, als das Gegentheil. Werden sie, von jeher durch den Drang der Umstände daran gewöhnt, den vielbekämpften Conventikel-Freunden nicht als neue Alliirte sich anschließen? Oder, fragen Andere, sind’s vom Geiste unserer alles aufklärenwollenden Zeit ergriffene, neuerungssüchtige, unruhige Köpfe, rationalistisch gesinnte Verstandesmenschen?“17 Diese Einzelstimme darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass über die lokalen Ereignisse in der Regel weniger kritisch berichtet wurde. Ähnlich wie in anderen Druckschriften wurde auch in der kleinen, 1838 in Berlin gedruckten Broschüre Blicke in die Christenwelt. Die Tyroler aus dem Zillerthale bey ihrem Eintritt in die Provinz Schlesien – die, „aus Briefen von theilnehmenden Augenzeugen der Begebenheit“ zitierend, um größtmögliche Authentizität bemüht war – ein Bild von ungetrübter Harmonie gezeichnet, „voll ungefärbter Bruder- und Schwesterliebe“.18
��Bellmann, [Gustav]: Die Tyroler aus dem Zillerthale bei ihrem Eintritt in die Provinz Schlesien. In: Schlesische Provinzial-Blätter 106, 1837, 429–439, hier 429f., 436. Zum Autor vgl. Gerber, Michael Rüdiger: Die Schlesischen Provinzialblätter 1785–1849. Sigmaringen 1995 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 27), 139. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Blicke in die Christenwelt. Die Tyroler aus dem Zillerthale bey ihrem Eintritt in die Provinz Schlesien. Berlin [1838] (Zitate 3, 11). Typisch sind überdies Vergleiche, die in eine Kritik der eigenen „Lauheit“ münden: „Der Gedanke, daß wir von nun an Hand in Hand, als Brüder und Schwestern in Christo mit ihnen nach dem Himmelreiche pilgern und unsere Gebete sich vereinigen würden, bewegte mich tief. Ach, in wie vielen Stücken schienen sie mir – uns, denen sie sich angeschlossen haben, weit voraus zu sein! Wie viel haben sie schon ihres Glaubens wegen erdulden müssen! Wie vieles ihrem Herrn und Gott geopfert, während wir in unsern ungestörten Kirchenverfassungen – oft so träge und lau – es kaum werth sind, ihnen zur Seite zu stehen. [...] Viele von ihnen haben eine unglaubliche Schriftkenntniß, und man könnte ihre Sprache biblisch nennen, da Alles, was sie sagen, durch Worte der Schrift belegt ist, und sie in diesem theuren Worte ganz zu leben scheinen.“ (Ebd., 17f., 20).
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2. Die konfessionspolitische Lage in Tirol und die Genese der Aussiedlungspläne Das kirchliche Einleben der mit spezifischen Erwartungen aufgebrochenen Zillertaler, ihre religiösen Alltagserfahrungen und das Verhalten der ortsansässigen Bevölkerung in der neuen Heimat stehen im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen, die freilich nur auf spärliches Quellenmaterial aufbauen können. Die Religiosität der Auswanderer kommt weder in deren Petitionen noch in den amtlich-statistischen Unterlagen zum Ausdruck, die im Zuge der staatlich-gelenkten, über Monate vorbereiteten Auswanderung in großer Zahl entstanden sind. Über aussagekräftige Selbstzeugnisse, Tagebücher, Briefe oder Erinnerungen der Zillertaler selbst verfügen wir dagegen kaum, so dass wir uns deren Glaubenshaltungen und Frömmigkeitsformen, ihre Ansprüche an Seelsorge und gottesdienstliche Praxis wie überhaupt ihre kirchlichen Anliegen allenfalls über Zeugnisse und Bewertungen aus der Außenperspektive zu erschließen vermögen. Darüber hinaus wurden archivalische Quellen der preußisch-schlesischen Überlieferung herangezogen, die bisher nicht systematisch ausgewertet worden sind. Richten wir den Blick kurz zurück, auf die Eigenart des Protestantismus in Tirol, der seit dem 16. Jahrhundert nie ganz hatte ausgerottet werden können.19 Das Zillertal bot in diesem Zusammenhang besondere Voraussetzungen.20 ��������������������� Zum Überblick vgl. Ortner, Franz: Reformation, katholische Reform und Gegenreformation im Erzstift Salzburg. Salzburg 1981; ders.: Religiöse Verwirrung, Schwärmer, Sekten und Geheimprotestantismus in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts in der Erzdiözese Salzburg. Mit Anhang „Der Visitationsbericht des Salzburger Fürsterzbischofs Friedrich Fürst zu Schwarzenberg vom 22. November 1836“. In: Paarhammer, Hans/Rinnerthaler, Alfred (Hg.): Salzburg und der Heilige Stuhl im 19. und 20. Jahrhundert. Festgabe zum 75. Geburtstag von Erzbischof Georg Eder. Frankfurt am Main u.a. 2003, 133–217; Gratzer, Franz: Kryptoprotestantismus in Oberösterreich. Ein geschichtlicher Überblick. In: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines 131, 1986, 17–67; Tropper, Peter G.: Emigriert – missioniert – deportiert. Protestanten und Geheimprotestantismus in Österreich und Salzburg zwischen Gegenreformation und Toleranz. In: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 13, 1994, 179–189; Leeb, Rudolf: Protestantismus und evangelische Kirche in Tirol im 19. Jahrhundert. In: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich 123, 2007, 43–64. Zum politischen und konfessionspolitischen Hintergrund vgl. Winkelbauer, Thomas: Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter, Tl. 1–2. Wien 2003; Vocelka, Karl: Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat. Wien 2001; Leeb, Rudolf/Pils, Susanne Claudine/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Staatsmacht und Seelenheil. Gegenreformation und Geheimprotestantismus in der Habsburgermonarchie. Wien/Münhen 2007 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 47). �� Ortner, Franz: Erzbistum Salzburg. In: Gatz, Erwin (Hg.): Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von ihren Anfängen bis zur Säkularisation. Freiburg im Breisgau 2003, 631–654; Gelmi, Josef: Bistum Brixen. Ebd., 145–153; Zeeden, Ernst Walter: Salzburg. In: Schindling, Anton/Ziegler, Walter (Hg.): Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 1. Münster 1989 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 49), 72–85; Noflatscher, Heinz: Tirol, Brixen, Trient. Ebd., 86–101.
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An der Nahtstelle zweier Diözesen gelegen, gestaltete sich die Ergreifung von Andersgläubigen hier schwieriger als andernorts, weil Landeshoheit und kirchliche Jurisdiktion zwischen der Grafschaft Tirol und dem Hochstift Salzburg beziehungsweise zwischen dem Bistum Brixen und dem Erzbistum Salzburg geteilt waren und sich nicht deckten. In größerer Zahl überlieferte „Seelenbeschreibungen“ aus der Mitte des 18. Jahrhunderts, die Angaben über Religionskenntnisse, Lesevermögen und Sittlichkeit enthielten, zeigen, dass in einzelnen Dörfern beinahe in jedem zweiten Haus Auffassungen geäußert wurden, die der katholischen Lehre zutiefst widersprachen.21 Die Angaben der Talbewohner, die ihren Glauben mehr als ein Jahrhundert hindurch ohne Pfarrer und liturgischen Gottesdienst, rein auf der Grundlage der persönlichen Andacht in Gruppen auf Laienbasis erhalten hatten, fielen verständlicherweise oft recht eigenwillig aus. Über Johann Eberharter aus Unterwindhag notierte man beispielsweise: „Lutherisch sei er nit, was dann, wisse er auch nit. Von den Bruderschaften wisse er auch nichts, auch nichts vom Papst.“22 Wohl nicht ganz zu Unrecht schrieb Lorenz Hübner 1796 in seiner Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfürstenthums Salzburg in Hinsicht auf Topographie und Statistik über das Zillertal: Es gebe dort Bauern, „die sich ein eigenes Hausreligiönchen zusammenschmieden, das weder lutherisch noch katholisch ist und das ihnen nur ein sehr gewandter Menschenkenner aus den Köpfen demonstriren“23 könne. Salzburg und der Brixner Ordinarius unternahmen allerdings lange Zeit nichts – wohl in realistischer Einschätzung der Lage, dass eine bessere Pastorierung der entlegenen Höfe ohnehin kaum möglich gewesen wäre. Bewegung kam nach 1816 in die Religionsfrage, als erstmals das gesamte Zillertal mit seinen rund 15.000 Einwohnern an das Kronland Tirol gekommen war und somit alle Talbewohner rechts des Zillers zu österreichischen Staatsbürgern wurden. Denn diese gaben sich nun der Hoffnung hin, dass für sie das Toleranzpatent Josephs II. vom 13. Oktober 1781 Geltung hätte, das für die Protestanten neben dem Recht auf häusliche Religionsausübung die Errichtung eines Bethauses und einer eigenen Schule bei mehr als hundert Familien mit Lehrer und Seelsorger vorsah.24 Als die von den Landesbehörden wie von der Amtskirche lange vertretene Auffassung, das kaiserliche Patent ��Hölzl: Die Zillertaler Protestanten, 150f. ���������������������� Zit. nach ebd., 152. �� Hübner, Lorenz: Beschreibung des Erzstiftes und Reichsfürstenthums Salzburg in Hinsicht auf Topographie und Statistik, Bd. 2. Salzburg 1796, 723. �� Hölzl: Die Zillertaler Protestanten, 153f.; zum Hintergrund vgl. Barton, Peter F. (Hg.): Im Zeichen der Toleranz. Aufsätze zur Toleranzgesetzgebung des 18. Jahrhunderts in den Reichen Joseph II., ihren Voraussetzungen und ihren Folgen. Wien 1981 (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte II/8); Loesche, Georg: Von der Duldung zur Gleichberechtigung. Archivalische Beiträge zur Geschichte des Protestantismus in Österreich 1781–1861. Wien/Leipzig 1911, 33–81; Völker, Karl: Das Protestantenpatent in Tirol. In: Jahrbuch der Gesellschaft für die Geschichte des Protestantismus im Ehemaligen und im Neuen Österreich 53, 1932, 61–94.
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besitze gar keine Gültigkeit für Tirol, nicht mehr aufrechtzuerhalten war, blieb nur noch die Möglichkeit, die religiösen Grundsätze der Bewegung in Zweifel zu ziehen: indem man den Nachweis erbrachte, dass es sich gar nicht um eine durch die österreichische Gesetzgebung tolerierte Konfession handele. Die Berufung der Zillertaler auf die Heilige Schrift und die Grundsätze der Augsburgischen Konfession, die Ablehnung des Papstes und der Beichte, ihre Lesestoffe und nicht zuletzt ihre Forderung nach einem eigenen Seelsorger und Religionsunterricht lassen ihr reformatorisches Selbstverständnis allerdings klar erkennen. Dass ihre religiösen Ansichten der reinen Lehre des Evangeliums entsprachen, bestätigte im Juni 1837 denn auch der preußische Dom- und Hofprediger Friedrich Strauß.25 Dieser war im Auftrag König Friedrich Wilhelms III. von Preußen nach Tirol gereist, um sich ein eigenes Bild von der Religiosität des Personenkreises zu machen, der den König am 27. Mai ganz offiziell um Aufnahme in die Hohenzollernmonarchie ersucht hatte.26 Deutlich wurde dabei aber auch, dass rund 65 Prozent der Auswanderungswilligen Analphabeten waren, die sich ihr Wissen über Bibel und Evangelium nur von den Eltern oder von Laienpredigern angeeignet hatten.27 Der Weg bis hin zu diesem Aufnahmegesuch der Zillertaler, von der zunehmenden Vergiftung zwischen den Konfessionen in Tirol über die ersten Kirchenaustritte und die Repressionen von Ortsbischöfen, Landtag und Hofstellen bis hin zu jener kaiserlichen Entscheidung vom 12. Januar 1837, welche die protestantischen Zillertaler vor die Alternative Glaube oder Heimat stellte,28 ist an dieser Stelle von nachgeordneter Bedeutung. Mit ihrem Aufnahmegesuch hatten die Tiroler selbst die Initiative ergriffen, noch bevor sich die Regierung in Österreich um einen geeigneten Platz im Ausland umzusehen vermochte. Die Auswahl eines möglichen Ansiedlungsortes überließen sie dem preußischen König, in dem sie traditionell den Schutzherrn des Evangeliums erblickten. Mit dem Wunsch, nach dem eigenen Glauben leben zu können, verbanden sie lediglich die Hoffnung, in einer Gemeinde beisammen zu bleiben und nach Möglichkeit in eine Gegend gesetzt zu werden, deren geographisch-landwirtschaftliche Verhältnisse ihren bisherigen Wohnorten vergleichbar seien. Die Ansiedlungsfrage war in den Monaten bis zur tatsächlichen Ausreise der Zillertaler Gegenstand zahlreicher Gutachten und Arbeitsgespräche. Es ist bemerkenswert, dass sich Friedrich Wilhelm III. nicht nur über alle ökonomischen Erwägungen hinwegsetzte, die bei der Gründung früherer Exulantensiedlungen stets eine gewichtige Rolle gespielt hatten, sondern auch ��Hölzl: Die Zillertaler Protestanten, 161. ��Gasteiger: Die Zillerthaler Protestanten und ihre Ausweisung aus Tirol, 104–112. ��Hölzl: Die Zillertaler Protestanten, 165, 168. �� Sauser: Die Zillertaler Inklinanten, 71–87; Gasteiger: Die Zillerthaler Protestanten und ihre Ausweisung aus Tirol, 87–95.
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nationalpolitische Argumente – in diesem Fall die Verstärkung des deutschen Elements im Posener Raum – in den Wind schlug.29 Er nahm das religiöse Begehren der künftigen Untertanen, wie noch zu zeigen sein wird, ausgesprochen ernst. Auf ihn persönlich ging auch die Entscheidung zurück, die Zillertaler im Winter 1837/38 zunächst interimistisch im Hirschberger Tal in Niederschlesien unterzubringen. Für die Übergangszeit berief man zwei besondere provisorische Ausschüsse ins Leben: als höchste Instanz zunächst in Berlin die „Königliche Immediat-Commission zur Regulirung der Zillertaler Angelegenheiten“, der neben Staatsminister Carl Friedrich Heinrich Graf von Wylich und Lottum als Vorsitzendem der schon genannte Hofprediger Strauß sowie der Geheime Oberregierungsrat Jakobi angehörten; dann das in Absprache mit dem schlesischen Oberpräsidenten gegründete „Comité für die Angelegenheiten der Zillertaler Inklinanten“, das als erster Ansprechpartner für die Neuankömmlinge und als Vermittlerstelle zwischen diesen und der Kommission in der Hauptstadt dienen sollte. Dieses Gremium, das sich noch vor Abreise der Zillertaler konstituiert hatte, war nicht nur für organisatorische und logistische Fragen zuständig, für die Beschaffung von Bettstellen, Schlafdecken, Haushaltsutensilien und Nahrungsmitteln, es sollte auch kirchliche und geistliche Betreuungsaufgaben koordinieren.30 Von den drei Mitgliedern dieses Gremiums – Friederike Gräfin von Reden, Kreislandrat Gustav Graf Matuschka, einem Katholiken, und dem Schmiedeberger Bürgermeister – war die Vorsitzende, Witwe des preußischen Bergwerkministers Friedrich Wilhelm Graf von Reden,31 ohne Zweifel die bemerkenswerteste Persönlichkeit: eine ebenso kraftvolle wie einflussreiche Laienchristin, eine „‚Autorität in Glaubenssachen‘ für das protestantische Schlesien“,32 deren Biographie zugleich ein Licht wirft auf die Lage der Evangelischen Kirche in ganz Preußen zwischen Aufklärung und Restauration.33 �� Beheim-Schwarzbach, Max: Friedrich Wilhelm III. und die Zillerthaler im Riesengebirge. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Alterthum Schlesiens 13, 1876, 73–112, hier 73–89. Vgl. auch Nasz, Hanna: Die gesellschaftlich-kulturellen Konsequenzen der Migration der Tiroler nach Niederschlesien. Ein historisch-ethnographischer Umriß am Beispiel des Dorfes Mysłakowice, ehem. Zillerthaler-Erdmannsdorf. In: Österreichische Zeitschrift für Volkskunde 35/84, 1981, 67–83. ��Beheim-Schwarzbach: Die Zillerthaler in Schlesien, 24f. �� Fuchs, Konrad: Friedrich Wilhelm Graf von Reden (1752–1815). In: Menzel, Josef Joachim/ Petry, Ludwig (Hg.): Schlesier des 15. bis 20. Jahrhunderts. Sigmaringen 1990 (Schlesische Lebensbilder 6), 111–127; ders.: Friedrich Wilhelm Graf von Reden. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte 27, 1982, 1–21; Galbas, Paul A.: Friedrich Wilhelm Graf von Reden 1752–1815. In: Kalthoff, Edgar (Hg.): Niedersächsische Lebensbilder, Bd. 7. Hildesheim 1971, 196–234. ��Kropp, Max: Unbekannte Briefe der Gräfin von Reden an die preußischen Könige Friedrich Wilhelm III. und Friedrich Wilhelm IV. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 75, 1941, 237–251, hier 237. ���������������������������������������������������� Die älteren biographischen Arbeiten und Artikel – Reuss, Eleonore Fürstin: Friederike Gräfin von Reden geb. Freiin Riedesel zu Eisenbach. Ein Lebensbild nach Briefen und Tagebüchern,
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3. Rahmenbedingungen für Aufnahme, Versorgung und Betreuung der österreichischen Konfessionsmigranten in Preußen Mit Blick auf die hier verfolgte Fragestellung sind vor allem zwei Punkte hervorzuheben, die für das Verständnis der kirchlichen Alltagserfahrungen der Neusiedler in Niederschlesien bedeutsam sind: zum einen die Union der beiden evangelischen Konfessionen und der damit verbundene Agendenstreit, zum anderen die Formierung der sogenannten Erweckungsbewegung. Die zur Säkularfeier der Reformation 1817 für Preußen verkündete Union von Lutheranern und Reformierten, von der sich Friedrich Wilhelm III. eine Neubelebung christlicher Frömmigkeit erhoffte, hatte hohe Erwartungen erweckt; die anfängliche Begeisterung war allerdings schon bald in Kritik umgeschlagen.34 Als problematisch erwies sich vor allem die Verbindung von Union und neuer Gottesdienstordnung: Die angestrebte flächendeckende Einführung einer Liturgie, die zu einem evangelischen Christentum beitragen sollte, führte in Schlesien zu heftigsten Lehrdifferenzen, die einem restaurativen Neukonfessionalismus Vorschub leisteten.35 Hier, wo sich das Luthertum unter habsburgischer Herrschaft selbständig entwickelt hatte, kam es vor allem zu einer Neubelebung der lutherischen Orthodoxie, die sich jedem Ausgleich gegenüber als unzugänglich erwies. Gegen die Opposition dieses bald als „Altlutheraner“ bezeichneten Kreises, die sich teilweise wohl auch antiBd. 1–2. Berlin 1888 (eine zweite Auflage erschien Berlin 1897 in einem Band); Gebhardt, Erich: Gräfin Friederike von Reden, die Wohltäterin des Riesengebirges. Diesdorf bei Gäbersdorf 41919 [11906]; Valeton, Anna: Friederike Gräfin von Reden. In: Andreae, Friedrich u.a. (Hg.): Schlesier des 18. und 19. Jahrhunderts. Sigmaringen 21985 [Breslau 11926] (Schlesische Lebensbilder 2), 156–160 – sind in weiten Teilen veraltet. Neue Zugänge eröffnen die Studien von Kopp, Nadine: Weibliche Handlungsräume in der Frühen Neuzeit. Das gemeinnützige Engagement der Gräfin Friederike von Reden vor dem Hintergrund der Erweckungsbewegung. Magisterarbeit Stuttgart 2006, und Urszula Bończuk-Dawidziuk, die am Kunsthistorischen Institut der Universität Breslau an einer Dissertation über das kulturelle Handeln Friederike von Redens arbeitet. ��Goeters, J. F. Gerhard/Mau, Rudolf (Hg.): Die Geschichte der Evangelischen Kirche der Union. Ein Handbuch, Bd. 1. Leipzig 1992; Loock, Hans-Dietrich: Vom „Kirchenwesen“ zur Landeskirche. Das Zeitalter der Reformen und der Konfessionsunion (1798 bis 1840). In: Heinrich, Gerd (Hg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg. Berlin 1999, 363–427; Ruhbach, Gerhard: Die Religionspolitik Friedrich Wilhelms III. von Preußen. In: Moeller, Bernd/Ruhbach, Gerhard (Hg.): Bleibendes im Wandel der Kirchengeschichte. Kirchenhistorische Studien. Tübingen 1973, 307–330. �� Meyer, Dietrich: Die evangelische Kirche 1797–1932. In: Menzel, Josef Joachim (Hg.): Geschichte Schlesiens, Bd. 3: Preußisch-Schlesien 1740–1945, Österreichisch-Schlesien 1740– 1918/45. Stuttgart 1999, 271–315, 640–654; Hutter-Wolandt, Ulrich: Die Evangelische Kirche in Schlesien 1815–1848. Grundzüge und Quellen [1986]. In: ders.: Die evangelische Kirche Schlesiens im Wandel der Zeiten. Studien und Quellen zur Geschichte einer Territorialkirche. Dortmund 1991 (Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ostmitteleuropa an der Universität Dortmund B 43), 156–191; Maser, Peter: Erweckung – Union – Altluthertum. In: Benrath, Gustav Adolf u.a. (Hg.): Quellenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schlesien. München 1992 (Schriften des Bundesinstituts für ostdeutsche Kultur und Geschichte 1), 251–308.
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preußischen Ressentiments verdankte, gingen die Behörden zeitweilig mit harten Zwangsmaßnahmen vor, ohne die Separation freilich verhindern zu können.36 Dass die Zillertaler Protestanten diese „exaltirte Partei“, von welcher der Michelsdorfer Pfarrer in der eingangs zitierten Textstelle gesprochen hatte, verstärken könnten, war eine wiederholt zu hörende Befürchtung. Umgekehrt allerdings bestand andernorts, vor allem am Hof, die Hoffnung, in den amtskirchlich bisher nicht gebundenen Tirolern ein Gegengewicht gegen die als Separatisten empfundenen Altlutheraner zu gewinnen.37 Wer sich der Aufnahme und Integration der Migranten widmet, muss – zweitens – das Wirken der schlesischen Erweckungsbewegung berücksichtigen, die gerade im Hirschberger Tal, das für die Ansiedlung auserkoren war, ihr zweites wichtiges Zentrum nach Breslau besaß. Dabei handelte es sich, vereinfacht gesprochen, um eine innerprotestantische Erneuerungsbewegung, die sich dem Rationalismus in Kirche, Theologie und öffentlichem Leben mit Wort und Tat entgegenstellte und mit Nachdruck auf die wachsenden sozialen Nöte der Zeit reagierte. Zentrale Elemente waren Anschauung, Gefühl, Reserviertheit gegenüber Dogmen, Gemeinschaft ohne Hierarchie und ohne Gegensatz von Priestern und Laien, Kritik gegenüber dem Staatskirchentum sowie aktive Fürsorge für Kinder, Arme und Verwahrloste. Dem Ideal religiöser Gemeinschaft kamen die unscheinbaren, von der Kirche abgelösten Gruppen nach Auffassung der Erwecker sehr viel näher.38 „Der veränderten Situation suchte man durch eine neuartige evangelisierende Predigt und durch modern organisierte missionierende Kräfte
�� Klän, Werner: Um Kirche und Bekenntnis. Die preußischen Altlutheraner zwischen Selbstbehauptung und Staatstreue. In: Jähnig, Bernhart/Spieler, Silke (Hg.): Kirchen und Bekenntnisgruppen im Osten des Deutschen Reiches. Ihre Beziehungen zu Staat und Gesellschaft. Bonn 1991, 177–199; ders.: Die Anfänge der altlutherischen Bewegung in Breslau. In: Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 21/22, 1978/79, 141–169; Hauptmann, Peter (Hg.): Gerettete Kirche. Studien zum Anliegen des Breslauer Lutheraners Johann Gottfried Scheibel (1783–1843). Göttingen 1987 (Kirche im Osten. Monographienreihe 20); Kiunke, Martin: Johann Gottfried Scheibel und sein Ringen um die Kirche der lutherischen Reformation. Göttingen 1985 (Kirche im Osten. Monographienreihe 19) [ND der Ausgabe Kassel 1941]; Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Johann Gottfried Scheibel und der Breslauer Protest gegen die Preußische Union [1962]. In: ders.: Gestalten und Typen des Neuluthertums. Beiträge zur Erforschung des Neokonfessionalismus im 19. Jahrhundert. Gütersloh 1968, 44–65; Maser, Peter: Georg Philipp Eduard Huschke an Hans Ernst von Kottwitz. Eine Untersuchung zum Verhältnis der altlutherischen Opposition in Breslau zur Erweckungsbewegung. In: Kirche im Osten. Studien zur osteuropäischen Kirchengeschichte und Kirchenkunde 25, 1982, 11–63. ��Beheim-Schwarzbach: Friedrich Wilhelm III. und die Zillerthaler im Riesengebirge, 98. ��Maser, Peter: „Berathung der Armuth“. Das soziale Wirken des Barons Hans Ernst von Kottwitz zwischen Aufklärung und Erweckungsbewegung in Berlin und Schlesien. Frankfurt am Main u.a. 1991 (Forschungen zur Praktischen Theologie 10); ders.: Hans Ernst von Kottwitz. Studien zur Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts in Schlesien und Berlin. Göttingen 1990 (Kirche im Osten. Monographienreihe 21); ders.: Schlesiens Anteil an der Erweckungsbewegung des frühen 19. Jahrhunderts. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 63, 1984, 45–66.
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zu begegnen, die über die etablierte Ordnung der Staats- und Landeskirchen bewußt hinausgriffen.“39 Mit ganzer Seele in der Erweckungsbewegung stand Gräfin von Reden, die sich nach dem Tod ihres Mannes 1815 auf Gut Buchwald am Fuße des Riesengebirges zurückgezogen hatte. Hier genoss die energische, herrnhuterisch geprägte Hochadelige größtes Ansehen.40 Nachdem Prinz Wilhelm 1822 Fischbach und sein Bruder König Friedrich Wilhelm III. von Preußen ein Jahrzehnt später Erdmannsdorf erworben hatten, entwickelten sich enge Beziehungen zwischen den Besitzern der Nachbargüter und der Gräfin, die auch zur Berliner Gesellschaft intensive Kontakte unterhielt.41 In Buchwald, das von Mitgliedern des Hofes und deren Gästen häufig besucht wurde, hatte ihr Mann 1815 eine Bibelgesellschaft gegründet, die unter allen schlesischen Vereinen die größte Aktivität entfaltete.42 Vorrangiger Zweck der Gesellschaft, die wenig später mit der Preußischen Hauptbibelgesellschaft vereinigt wurde, war nach § 1 der Statuten die „möglichst reichliche Verbreitung der heiligen Schrift ohne erklärende Anmerkungen“.43 Der bewusst christlichen Gesinnung und Tatkraft der Gräfin war 1844 der vom preußischen König finanziell unterstützte Neudruck der Hirschberger Bibel zu verdanken, durch den die höchst einflussreiche, im Geist der Spätaufklärung konzipierte Schullehrer-Bibel Gustav Friedrich Dinters verdrängt werden sollte.44
�� Benrath, Gustav Adolf: Art. Erweckung/Erweckungsbewegungen I. In: Theologische Realenzyklopädie 10, 1982, 205–220, hier 206. �������������������������������������������������������������������� Zur Ausstrahlung der Herrnhuter Brüdergemeine nach Schlesien vgl. Schulte, Birgit A.: Die schlesischen Niederlassungen der Herrnhuter Brüdergemeine Gnadenberg, Gnadenfeld und Gnadenfrei. Beispiele einer religiös geprägten Siedlungsform im Wandel der Zeit. Insingen 2008 (Quellen und Darstellungen zur schlesischen Geschichte 31); Eberlein, [Hellmut]: Die Diaspora-Arbeit der Brüdergemeinde im schlesischen Gebirge. In: Jahrbuch des Vereins für Schlesische Kirchengeschichte 21, 1930, 33–69; 22, 1931, 39–64. ��Hartmann, Idis B.: Die Besitzer von Buchwald: Friedrich Wilhelm Graf von Reden und Friederike Gräfin von Reden. In: Das Tal der Schlösser und Gärten. Das Hirschberger Tal in Schlesien – ein gemeinsames Kulturerbe. Dolina Zamków i Ogrodów. Kotlina Jeleniogórska – wspólne dziedzictwo. Berlin/Jelenia Góra 32003 [12001], 152 –168; dies.: Friedrike Gräfin von Reden: „Alles kommt von unserm teuren König“. In: Jahrbuch Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg 1, 1995/96, 181–189; Berndt, Horst: Die Hohenzollern und die Ansiedlung der Tiroler im Hirschberger Tal. Die Kolonie Zillerthal. In: Das Tal der Schlösser und Gärten, 169–181; Franke, Arne: Burgen, Schlösser, Herrenhäuser im Hirschberger Tal. Ein Überblick. Ebd., 322–410. ��Breest, E[rnst]: Geschichte der Buchwalder Bibelgesellschaft in ihrem ersten Jahrhundert 1815– 1915. [Hirschberg 1916]; Schütze, O[tto]: Die innere Mission in Schlesien. Hamburg 1883 (Die innere Mission in Deutschland. Eine Sammlung von Monographien über Geschichte und Bestand der inneren Mission in den einzelnen Teilen des deutschen Reichs 6), 22–33. In breiterem Zugriff vgl. Gundert, Wilhelm: Geschichte der deutschen Bibelgesellschaften im 19. Jahrhundert. Bielefeld 1987 (Texte und Arbeiten zur Bibel 3); Thilo, Wilhelm: Geschichte der Preußischen Haupt-Bibelgesellschaft in ihrem ersten Halbjahrhundert 1814–1864. Berlin 1864. ��Schütze: Die innere Mission in Schlesien, 263. ��Bennack, Jürgen: Gustav Friedrich Dinter. Seine Bedeutung für Schule und Lehrerstand. Ratingen/Kastellaun 1975; Biller, Karlheinz: Gustav Friedrich Dinter (1760–1831). In: Glöckel, Hans
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Als Vorsitzende des „Comités für die Angelegenheiten der Zillertaler Inklinanten“ fiel Friederike Gräfin von Reden (1774–1854) eine zentrale Rolle für die kirchlich-religiöse Integration der österreichischen Konfessionsmigranten in Schlesien zu. Für die ebenso energische wie einflussreiche Laienchristin waren die Anliegen der Tiroler eine religiöse und eine soziale Herausforderung. Das hier abgebildete Bildnisrelief aus Alabaster befindet sich an dem vom preußischen Baumeister Friedrich August Stüler gestalteten Denkmal, das 1856 zu Ehren der Gräfin am Berghang bei der Stabkirche Wang, unterhalb der Schneekoppe, aufgestellt wurde.
Nach den alten Glaubenswahrheiten fragend, jede konfessionelle Verengung ablehnend und dabei zugleich tief überzeugt, dass Frömmigkeit immer auch der Bewährung im sozialen Leben bedürfe, schien die Gräfin geradezu prädestiniert, um sich der österreichischen Konfessionsmigranten anzunehmen. Ihrer umfangreichen Korrespondenz und ihren Tagebüchern verdanken wir dabei wichtige Einblicke in die kirchliche und gesellschaftliche Integration der Tiroler und vor allem in ihr Alltagsleben, über das wir in anderen Quellen kaum Hinweise finden.45 Für die Gräfin, die sich in allen Entscheidungen des uneingeschränkten Rückhalts beim ihr nahestehenden Friedrich Wilhelm III. sicher sein konnte, waren die Belange der Tiroler eine religiöse und eine soziale Herausforderung. Die Prägbarkeit dieser „Naturmenschen“, dieser, wie sie schrieb, „durch lange auferlegten Zwang aufgeregten Gemüther, die auf einmal aller Banden frei gemacht“46 worden seien, schien ihr eine einmalige Gelegenheit, ihre u.a. (Hg.): Bedeutende Schulpädagogen. Werdegang – Werk – Wirkung auf die Schule von heute. Bad Heilbrunn/Obb. 1993 (Beiträge zur Fachdidaktik und Schulpädagogik 5), 11–24. ����������������������������������������������������������������������������������������������� Das wegen des Fehlens einer historisch-kritischen Edition des Briefwechsels noch immer unverzichtbare Werk der Schriftstellerin und Kirchenlieddichterin Eleonore Fürstin Reuß (dies.: Friederike Gräfin von Reden geb. Freiin Riedesel zu Eisenbach. Ein Lebensbild nach Briefen und Tagebüchern, Bd. 1–2) weist aus Sicht des Historikers erhebliche Mängel auf. Ein Vergleich einzelner Originalbriefe mit den bei Fürstin Reuß veröffentlichten Briefen habe gezeigt, so bereits Max Kropp 1941, „daß die in diesem Lebensbilde zum Abdruck gelangten Briefe der Gräfin von den Originalen zum Teil ganz erheblich abweichen, nämlich zum Teil sehr ungenau wiedergegeben und zum Teil auch sehr stark gekürzt sind“. Kropp: Unbekannte Briefe der Gräfin von Reden, 238. Ergänzend zu den von Kropp mitgeteilten Briefen vgl. den von Konrad Wutke in mehreren Fortsetzungen im ersten Jahrgang der Schlesischen Monatshefte 1924 edierten Briefwechsel zwischen Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum Stein und der Gräfin von Reden sowie Grundmann, Günther: Die Briefe der Gräfin Reden während der Aufrichtung der Bergkirche unseres Erlösers zu Wang. In: Zeitschrift des Vereins für Geschichte Schlesiens 67, 1933, 231–252. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 230.
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Vorstellungen von wahrer religiöser Gemeinschaft zu verwirklichen. Jede äußere Einflussnahme suchte sie zu unterbinden, von weltlicher wie von amtskirchlicher Seite – und dies um so mehr, als sowohl dem schlesischen Oberpräsidenten, Friedrich Theodor von Merckel, als auch dem Breslauer Generalsuperintendenten, Friedrich Ribbeck, beide religiös aufgeklärte Männer, die pietistischen Konventikel in der Provinz zuwider waren.47 Mit Erfolg und gegen den dezidierten Widerstand des Oberpräsidenten gelang es der Gräfin vor allem, den König für die Zustimmung zur dauerhaften Ansiedlung im Hirschberger Tal, in Erdmannsdorf, zu gewinnen. Die „fremden Gestalten voll Glauben und Treue in meiner Kirche“48 sollten nicht durch zu große Publizität verdorben werden. Nach Auffassung der Gräfin nutze es weder den Neuankömmlingen noch deren religiösem Anliegen, „daß man sie so en évidence“49 setze. Als sie im März 1838 eigenmächtig den ersten Baum für den Bau der neuen, Zillerthal genannten Kolonie50 fällen ließ, schrieb sie ihrer Nachbarin in Fischbach, Prinzessin Maria Anna: „Es erinnerte mich an den ersten, den Christian David zum Bau von Herrnhut umwarf – ach, möchte doch unsere Colonie ein zweiter Friedensort der Art werden!“51
4. Maßnahmen zur kirchlich-religiösen Integration und ihr Echo bei den Zillertaler Protestanten Größte Wichtigkeit, für das Komitee wie auch und vor allem für die Zillertaler selbst, hatte zunächst die Suche eines geeigneten Seelsorgers. Der Gräfin schwebte ein Erweckungsprediger vom Format eines Johannes Evangelista Goßner vor. Goßner, ein charismatischer Geistlicher, der bereits als Katholik enge Kontakte zu Buchwald unterhalten hatte und 1826 in Schlesien zur Evangelischen Kirche übergetreten war, hatte durch seine Arbeit auf dem Gebiet der Inneren und Äußeren Mission viel Aufmerksamkeit gefunden.52 ��Meyer: Die evangelische Kirche, 288f., 646; Eberlein, Hellmut: Schlesische Kirchengeschichte. Ulm/Donau 41962 [Breslau 11932] (Das Evangelische Schlesien 1), 126. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 163. ��������������������������������������� Ebd., 181 [Hervorhebung im Original]. ��Grundmann, Günther: Zillerthal-Erdmannsdorf. In: Weczerka, Hugo (Hg.): Handbuch der historischen Stätten: Schlesien, Stuttgart 1977, 579–580. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 218. Zu Christian David vgl. Meyer, Dietrich: Zinzendorf und die Herrnhuter Brüdergemeine 1700–2000. Göttingen 2000, 19–24; Bautz, Friedrich Wilhelm: Christian David. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 1, 1990, Sp. 1234– 1236. ��Philipp, Franz-Heinrich: Ad fontes. Johannes Evangelista Goßner. Leben und Lebenswerk. Stuttgart 1964; Brandenburg, Hans: Rufer Gottes in der Großstadt, Bd. 1. Bad Salzuflen 1951; Simon, Matthias: Johannes Evangelista Goßner. In: Pölnitz, Götz von (Hg.): Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, Bd. 3. München 1954, 389–405; Dalton, Hermann: Johannes Goßner. Ein Lebensbild aus der Kirche des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 31898 [11874]; Bautz, Friedrich Wil-
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Die Vorsitzende des Comités ging davon aus, dass ein einjähriger, intensiver Religionsunterricht notwendig sei, um die Zillertaler, von denen bisher nicht einmal ein Dutzend zum Luthertum übergetreten sei, mit den Grundlagen evangelischen Glaubenslebens vertraut zu machen. Ein kürzerer Unterricht werde allenfalls „Maulchristen und Heuchler“53 erzeugen. Um so größer war das Erstaunen und bald auch der Ärger der Gräfin, als sie erfuhr, dass man in Berlin bereits an eine baldige Zulassung zum Abendmahl denke und damit den Übertritt zur Evangelischen Kirche der Union vorbereite. Die Hauptschuld an diesem aus ihrer Sicht gänzlich übereilten Vorgehen gab sie dem Berliner Hof- und Domprediger Strauß.54 Dieser vergesse über dem König von Preußen den König aller Könige, der alle zur Verantwortung ziehen werde, sofern in dieser Sache etwas verdorben würde. Die Hast, die Tiroler zum Abendmahl zuzulassen, „ohne specielle Prüfung, nur um dem König eine große Liste zu senden“,55 schien ihr vollkommen unverantwortlich – als Christin habe dieser Schritt jedenfalls nicht ihre Zustimmung. Einen Aufschub vermochte allerdings auch sie nicht durchzusetzen, so dass die Tiroler bereits am 12. November 1837, nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft in Schlesien, in Anwesenheit von Prinz Wilhelm und dessen Familie in einem feierlichen Gottesdienst in Schmiedeberg in die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union aufgenommen wurden. Auch über dieses einschneidende Ereignis findet sich in den Schlesischen Provinzial-Blättern ein ausführlicher Bericht, in diesem Fall aus der Feder des Schmiedeberger Pastors Theophil Süssenbach: „Nachdem [...] in mehrwöchentlichen prüfenden und belehrenden Unterredungen die mit ihrer Seelsorge beauftragten Geistlichen und der im Königlichen Auftrage allhier erschienene Königl[iche] Hofprediger und Ober-Consistorial-Rath Dr. Strauß aus Berlin sich von der Aechtheit und Aufrichtigkeit ihres Glaubens, von ihrer Bekanntschaft mit der Heiligen Schrift, der Lehre des Evangeliums und den Bekenntnißschriften unserer Kirche überzeugt hatten, wurden dieselben am 12. November in heihelm: Johannes Evangelista Goßner. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 2, 1990, Sp. 268–271. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 166. ���������������������������������������������������������������������������������������������� Kritische Äußerungen zu Strauß – „Das Schwerste und Wichtigste bleibt die Seelsorge, und in der verdirbt Strauß selbst aus Unkunde und falscher Ansicht viel und erschwert mir Alles, und doch bestätigt sich täglich meine Ansicht von der hohen Wichtigkeit und dringenden Nothwendigkeit des Seelsorgers und gründlichen Unterrichts für die ganze Gemeinde vor dem Uebertritt.“ (ebd., 166); „da des Hofpredigers Strauß falsche Ansichten und Vorstellungen Alles erschweren“ (ebd., 167) – finden sich in großer Zahl im Briefwechsel Friedrike Gräfin von Redens. Zu den religiösen und kirchenpolitischen Ansichten von Strauß vgl. Wendland, Walter: Studien zur Erweckungsbewegung in Berlin (1810–1830). In: Jahrbuch für Brandenburgische Kirchengeschichte 19, 1924, 5–77; Roseeu, Annelies: Zur Theologie und Kirchenpolitik am preußischen Hof (1786–1850). Dargestellt an den preußischen Hofpredigern Sack, Eylert und Strauß. Phil. Diss. Göttingen 1956; Kienzler, Klaus: (Gerhard) Friedrich (Abraham) Strauß. In: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon 11, 1996, Sp. 33–34. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 176; vgl. ebd., 166, 174f., 178.
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Von den Zillertaler Protestanten, die 1837 ihre österreichische Heimat verließen und nach Preußen auswanderten, sind keine aussagekräftigen Selbstzeugnisse, Tagebücher, Briefe oder Erinnerungen überliefert. Auch zeitgenössische Bildquellen sind extrem rar. Eine der frühesten Darstellungen der „Tyroler aus dem Zillerthale in Schmiedeberg“ findet sich auf dem Briefpapier der Gräfin von Reden. Die Verwendung dieser Briefbögen ist zugleich Ausdruck der romantischen Religiosität der Gräfin, die in der Ansiedlung der aus ihrer Sicht noch prägbaren „Naturmenschen“ eigene Vorstellungen von wahrer christlicher Gemeinschaft zu verwirklichten suchte.
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ligen, festlichen, durch des Herrn Gnade ihnen gewiß für immer gesegneten Feierstunden mit dem erstmaligen Genuß des heil[igen] Abendmahls unter beiderlei Gestalt in unsre evangelische Landeskirche aufgenommen.“56 Als neue Glieder der Landeskirche, setzte Süssenbach seinen Bericht fort, „leben sie nun unter uns und erscheinen nicht nur mit Andacht und treuem Eifer bei unserm sonntägigen und Wochen-Gottesdienste, sondern benutzen auch gewissenhaft die durch besondere Fürsorge für sie angeordneten Erbauungs- und christlichen Unterrichtsstunden in dem geräumigen Saale ihrer Schule“.57 Diese und andere Äußerungen vornehmlich evangelischer Geistlicher können freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir über den eigentlichen Verlauf der kirchlichen Integration nur wenige konkrete Hinweise besitzen – ganz im Unterschied zu Fragen von Landerwerb, Hausbau, Steuererlass und Löhnen, in denen wir einzelne Positionen in den Quellen exakt nachzuweisen vermögen. Ganz im Sinn der Buchwalder Bibelgesellschaft ließ Gräfin von Reden jeder der gut 130 Familien eine Heilige Schrift aushändigen.58 Die Gottesdienste und Abendandachten waren zumindest anfänglich zufriedenstellend besucht, und auch der Religionsunterricht und die Katechismusstunden machten offenbar gute Fortschritte.59 In Erdmannsdorf-Zillerthal, dessen evangelische Gemeinde bisher in Lomnitz eingepfarrt war, gründete der König 1838 eine eigene Parochie. Die Stellung des neuen Seelsorgers sei gewiss nicht leicht, notierte die Gräfin: „Er muß erst eine Gemeinde bilden, wohl abwägen, und zwischen den alten und neuen Erdmannsdorfern, wie sie es bedürfen und verlangen, sich einen Weg bahnen und sein Verhältniß feststellen.“60 Integrierend wirkte dabei die nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel errichtete neue Kirche, mit deren Bau zwar bereits vor Ankunft der Zillertaler begonnen worden war, die aber, nachdem im Juni 1838 der Turm eingestürzt war, umgebaut und den Anforderungen der neuen Gemeinde angepasst werden musste, so dass viele hundert Gläubige in ihr Platz fanden.61 Gewisse Konflikte im Zuge der religiösen Integration waren jedoch von Beginn an unübersehbar. Unmut bei den Tirolern, die eigenes kirchliches �� Süssenbach, [Theophil]: Die evangelische Gemeinde aus dem Zillerthale in Schmiedeberg. In: Schlesische Provinzial-Blätter 106, 1837, 548–552, hier 550. Zum Autor vgl. Gerber: Die Schlesischen Provinzialblätter, 267. In breiterem Kontext vgl. Bittermann, Johannes: Chronik der evangelischen Kirchengemeinde Schmiedeberg im Riesengebirge. Erlangen 1970. ��Süssenbach: Die evangelische Gemeinde aus dem Zillerthale in Schmiedeberg, 550f. �� Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 168. Über eine andere „Bibelschenkung“ wird berichtet in: Blicke in die Christenwelt, 18. Zur Stiftung einer Altarbibel vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 89, Nr. 15697, fol. 13r–v, 14r–15v. ��Rheinwald: Die Evangelischen Zillerthaler in Schlesien, 54. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 248. ��Badstübner, Ernst u.a. (Hg.): Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler in Polen: Schlesien. München/Berlin 2005, 634f.
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Liedgut mitgebracht hatten und weiter pflegten,62 rief beispielsweise die Einführung des als zu wenig lutherisch empfundenen Neuen Jauerschen Gesangbuches hervor,63 eines der rund siebzig evangelischen Gesangbücher, die zu jener Zeit in Schlesien gleichzeitig in Gebrauch waren.64 Auf den aus ihrer Sicht übereilten Übertritt zur Evangelischen Kirche der Union führte Gräfin von Reden denn auch die erneute Auswanderung von 21 Tirolern zurück, zu der es bereits Ende November 1837 kam.65 „Ich halte gewiß dafür, daß nicht eine große Erkenntniß erfordert wird, um ein Genosse der Gnadenmittel unsers Herrn zu werden, aber eine große Treue, eine Ueberzeugung unserer Sündhaftigkeit, die Gewißheit, daß nur Christi Blut uns davon rein waschen kann, daß in keinem Andern Heil ist – muß der Gast am Tisch des Herrn mitbringen und mit dem Wandel in Schwachheit besiegeln. Daß dies der Fall war, muß ich doch bei Vielen meiner lieben Zillerthaler mit Seufzen bezweifeln.“66 Die Ernüchterung der Vorsitzenden des Comités und des Kreises von Erweckern um sie herum ist unüberhörbar, und auch in Berlin wurde man angesichts dutzender weiterer Fälle von Remigration mit jedem Monat unruhiger.67 Am 22. Mai schrieb die Gräfin an Prinzessin Maria Anna, die Schwierigkeiten kämen ja nicht nur von außen, durch den schleppenden Häuserbau etwa und die wirtschaftlich schwierige Lage, sie kämen auch von den Tirolern selbst, „die von Gemeinsinn, allgemeiner Nächstenliebe gar nichts wissen [...]. Von Apostelgeschichte 2,44 und 4,32 wollen sie gar nichts ausüben und die Ausnahmen sind gar gering; diese Wenigen sind innig betrübt darüber. Ja, arbeiten wollen sie wohl, aber mit hohen Löhnen, für den nächsten Freund sogar, umsonst gar nichts – wo bleibt da die wahre christliche Liebe, der thätige Glaube?“68 ��Beheim-Schwarzbach: Die Zillerthaler in Schlesien, 65. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 260. ��Schott, Christian-Erdmann: Geschichte der schlesischen Provinzialgesangbücher (1742–1950). Würzburg 1997, 8. Zu Schlesiens „nur schwer überschaubare[r] Gesangbuchlandschaft“ (ebd., 7f.) vgl. auch Mańko-Matysiak, Anna: Schlesische Gesangbücher 1525–1741. Eine hymnologische Quellenstudie. Wrocław 2005 (Acta Universitatis Wratislaviensis 2800); Büchner, Arno: Das Gesangbuch des Breslauer Kircheninspektors Johann Friedrich Burg vom Jahre 1745. Seine Vorgänger, seine Zeitgenossen, seine Nachfolger. In: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte N.F. 58, 1979, 135–168; Wennemuth, Heike: Deutschsprachige Gesangbücher im östlichen Europa in der Frühen Neuzeit. In: Haberland, Detlef (Hg.): Buch- und Wissenstransfer in Ostmittel- und Südosteuropa in der Frühen Neuzeit. München 2007 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 34), 103–133. ��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 179f. ������������ Ebd., 187. ����������������������� Zum Hintergrund vgl. Hahn, Gustav: Die Zillerthaler im Riesengebirge. Was ist aus den hier eingewanderten Zillerthalern und ihren Nachkommen geworden? Denkschrift zum 50jährigen Jubiläum der Einwanderung der evangelischen Tyroler aus dem Zillerthale. Schmiedeberg i. Riesengeb. 1887. �� Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 229f.; Apg 2,44: „Aber alle, die gläubig waren geworden, waren beieinander und hatten alle Dinge gemeinsam.“ Apg 4,32: „Die Menge aber der Gläubigen war ein Herz und eine Seele; auch nicht einer sagte von seinen Gütern, dass sie sein wären, sondern es war ihnen alles gemeinsam.“
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Der aufsehenerregendste Fall nicht nur von Remigration, sondern auch von Rekonversion ist der des Zillertalers Andreas Egger, der sich seit 1826 offen zur Augsburger Konfession bekannt hatte. Nachdem alle Bemühungen, seine Frau ebenfalls zum Austritt aus der Katholischen Kirche zu bewegen, fehlgeschlagen waren, übersiedelte Egger 1837 ohne seine Familie nach Preußen. Seine familiäre Situation fand in der Publizistik über die Zillertaler von Beginn an ein breites Echo.69 1862, nach zweieinhalb Jahrzehnten in Schlesien, kehrte er allerdings nach Österreich zurück und trat vier Jahre später wieder der Katholischen Kirche bei. Sein 1836 als jüngstes von neun Kindern noch auf dem Hof Obermühltal am Schwanberg oberhalb Hippach im Zillertal geborener Sohn Franz, der als Professor für philosophisch-theologische Propädeutik und später für spezielle Dogmatik internationalen Ruf erwarb und 1912 zum Fürstbischof von Brixen avancieren sollte, berichtete in seinen bereits 1879 verfassten, in den 1930er Jahren aus dem Nachlass veröffentlichten Erinnerungen ausführlich über die Glaubensnöte seines Vaters.70 Mag die Darstellung Franz Eggers auch stark apologetischen Charakter tragen und insofern in ihrem Quellenwert begrenzt sein, so sind doch mehrere in die Erinnerungen übernommene Berichte von Geistlichen in der Gemeinde Hippach, die eine Rückkehr des Vaters und eines weiteren Auswanderers nach Österreich um jeden Preis verhindern wollten, für die hier im Mittelpunkt stehende Fragestellung aufschlussreich. Beide Migranten seien „feuereifrige Altlutheraner“ gewesen, heißt es beispielsweise in einer Mitteilung an das Dekanalamt vom 5. Dezember 1848; sie seien „auch in Erdmannsdorf von ���������������������������������������������������������������������������������������������� In dem Brief eines Augenzeugen von der „Ankunft und Einführung der Zillerthaler in die evang[elische] Kirche zu Schmiedeberg“ im September 1837 hieß es: „Ganz besonders rührte mich bei dieser Gelegenheit ein lieber 45jähriger – aber durch Kämpfe und Schmerz schon ergrauter Mann, Namens Egger, der dieses Wortes [scil. Gottes Wortes] und seiner Untrüglichkeit wegen seine theure geliebte Frau und 8 Kinder, die katholisch und zurück blieben, verlassen hatte, und da vor uns stand mit einem Gefühl und einem Ausdruck, für den alle Worte zu schwach und zu gering sind. Ich habe den lieben Mann, dessen Anblick mich so tief bewegte, mehrmals seitdem gesprochen und aus seinem Munde gehört, wie viel er seines Glaubens und seines Gewissens wegen erdulden mußte, und nicht umhin konnte, seinem Herrn dieses große Opfer zu bringen. Ich habe aber die Hoffnung, daß der Herr ihn, wie er dem Abraham, nachdem er schon das Messer angesetzt hatte, seinen Isaak wieder gab, mit den Seinigen auch hienieden wieder vereinigen wird. Bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ Blicke in die Christenwelt, 18f. Vgl. auch das Schreiben des Erdmannsdorfer Pfarrers Johann Gottlieb Roth vom 24. Juli 1844, in dem er von Eggers Wunsch berichtet, „die Seinigen nur ein einzig Mal noch zu sehen“. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 89, Nr. 15696, fol. 244r–v. �� Egger, Franz: Ein Bischof erzählt von seiner Mutter. Hg. v. Klemens Oberhammer. Innsbruck/ Wien/München [1935] (eine zweite Auflage der Erinnerungen von Franz Egger erschien unter dem aussagekräftigeren Titel: Glaubenseifer und Tragik der Zillertaler Auswanderer. Jenbach 1977). Zum Verfasser vgl. Gelmi, Josef: Die Brixner Bischöfe in der Geschichte Tirols. Bozen 1984, 256– 260; ders.: Franz Egger (1836–1918). In: Gatz, Erwin (Hg.): Die Bischöfe der deutschsprachigen Länder 1785/1803 bis 1945. Ein biographisches Lexikon. Berlin 1983, 162–164; Sparber, Anselm: Fürstbischof Dr. Franz Egger (†1918). Eine große Zierde des Brixner Klerus. In: Der Schlern 26, 1952, 246–259.
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Konfessionelle Solidarität, Öffentlichkeit und Erfahrungsaustausch Der preußische Dom- und Hofprediger Friedrich Strauß (1786–1863) hatte sich im Auftrag des Königs bereits in Tirol ein Bild von der Religiosität der ausreisewilligen Zillertaler machen können. Die folgenreiche Entscheidung, die Neuankömmlinge so rasch wie möglich in die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union aufzunehmen, ging vor allem auf ihn zurück. Kritiker des einflussreichen Hofpredigers sahen in dem übereilten Vorgehen eine der Hauptursachen für die späteren Integrationsprobleme der österreichischen Protestanten.
dieser Richtung nicht abgegangen, konnten sich nie ganz zum preußischen [...] Glauben verstehen“. Beide hätten „sich daher auch mehr an ihren eigenen Hausgottesdienst [gehalten], als an den protestantischen Pfarrgottesdienst zu Erdmannsdorf“.71 Differenzen, die unmittelbar mit der Aufnahme in die Evangelische Kirche der Altpreußischen Union zusammenhingen, werden durch andere Quellen gleichfalls bestätigt. Ein Priester, bei dem sich 29 Auswanderer über den Glaubensgeist in Schlesien beklagten, fasste deren Aussagen mit den Worten zusammen: „Sie sagten es geradezu, in Schmiedeberg müsse man das Luthertum nicht suchen. Sie waren unzufrieden mit der Predigtweise, mit der gänzlichen Vernachlässigung des Gottesdienstes, welchem fast nur sie allein beigewohnt hätten. Sie hatten Klagen über die allgemeine Sabbathentheiligung [...], kurz, sie verloren allen Respekt vor einer so gearteten evangelischen Kirche und beschlossen, ihren Wanderstab wieder zu ergreifen und Gegenden aufzusuchen, wo sie doch ein Lutherthum antreffen würden.“72 Breite Aufmerksamkeit erfuhren diese Probleme in der ersten größeren Darstellung über die Zillertaler von Georg Friedrich Heinrich Rheinwald, die 1838 in Berlin im Druck erschien, mehrere Auflagen erlebte und 1840 sogar
������������ Zit. nach Egger: Ein Bischof erzählt von seiner Mutter, 79. ������������ Zit. nach Sauser: Die Zillertaler Inklinanten, 64.
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ins Englische übersetzt wurde.73 Danach habe es nicht an Versuchen gefehlt, den österreichischen Migranten „einen bestimmten Typus aufzudrücken“; allein ihr gesunder Menschenverstand, so Rheinwald, habe „eben bald jeden Druck [erkannt], und da ihre Richtung unter Glaubenszwang nothwendig sich zu einer protestantischen entwickelt hat, so dürfte es im allgemeinen nicht so leicht sein, sie, die nach Freiheit rangen, in irgend ein andres knechtisches Joch zu fangen“.74 Kaum ein Vorgang ist so ausführlich in den Akten dokumentiert wie der Konflikt des Erdmannsdorfer Pfarrers und späteren Superintendenten Johann Gottlieb Roth mit der aus Tirol eingewanderten Familie Kolland.75 Der schlesische Geistliche stand bereits seit 1838 in intensivem Austausch mit dem preußischen Staatsminister Christian von Rother, dem er seit der Zeit, als das „neue Erdmannsdorfer Kirchensystem“ begründet worden war, immer wieder „eine Menge Erdmannsdorfiana“ zukommen ließ.76 Im Februar 1842 nun ging Roth in einem Bericht über die kirchlichen Zustände in seiner Gemeinde, den er dem in Niederschlesien weilenden Staatsminister persönlich übergeben hatte, einleitend nochmals auf die Entwicklung der letzten Jahre ein. Habe er noch im August 1839 anzeigen können, „daß das AltLuther[ische] Sektiererwesen in der Zillerthaler Gemeinde vorüber sey“, so sei seine damalige Freude unterdessen „in tiefen Schmerz verkehrt worden“.77 Vom neuerlichen Aufleben dieser Gruppe sei nun auch Michael Kolland aus Mittel-Zillerthal erfasst worden, der den Gottesdienst nur noch spärlich besuche und
�� Rheinwald, [Georg Friedrich Heinrich]: Die Evangelischen Zillerthaler in Schlesien. Berlin 4 1838 (die Schrift basiert auf einem statistischen Artikel, den Rheinwald 1837 in dem von ihm redigierten Werk Allgemeines Repertorium für theologische Literatur und kirchliche Statistik publiziert hatte); englisch u.d.T.: The Protestant Exiles of Zillerthal. Their persecutions and expatriation from the Tyrol, on separating from the romish church and embracing the reformed faith. London 1840. Die Motive zur Abfassung seiner Schrift erläuterte Rheinwald dem preußischen König in einem Schreiben vom 5. Juli 1837. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 89, Nr. 15696, fol. 12r–v. Seine Eindrücke nach Lektüre der Schrift teilte der König Rheinwald am 16. April 1838 mit, vgl. ebd., fol. 71r. Zu Rheinwald, einem durch gelehrte Werke ebenso wie durch Beiträge zur aktuellen Kirchenpolitik ausgewiesenen evangelischen Theologen, vgl. Allgemeine Deutsche Biographie 28, 1889, 383. ��Rheinwald: Die Evangelischen Zillerthaler in Schlesien, 53. Zum Stil der zeitgenössischen innerprotestantischen Auseinandersetzung vgl. exemplarisch den anonym erschienenen Beitrag: Ein Wort zum kirchlichen Frieden an die Lutheraner in Schlesien. In: Schlesische Provinzial-Blätter 108, 1838, 413–422. ��������������� Zu Roth vgl. Meyer: Die evangelische Kirche, 299f., 650; zur Familie Kol(l)and vgl. BeheimSchwarzbach: Die Zillerthaler in Schlesien, 88, 91, 99; in der „Tabelle der Häuser und Grundstücke besitzenden Zillerthaler“ ist hinter dem Namen von Michael Koland vermerkt: „Einzige altluth[erische] Dissidenten-Familie“ (ebd., 91). �������������������������������������������������������������������������������������������� Die Zitate stammen aus einem Brief Roths an den preußischen Staatsminister vom 30. August 1838. Vgl. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 89, Nr. 15697, fol. 14r–15v. ���������������������������������������������������������������������������� Ebd., Rep. 89, Nr. 15696, fol. 226r–227v (dort auch die folgenden Zitate).
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dem Abendmahl bereits seit langem ganz fernbleibe. Da mehrere Gespräche keine Änderung seines Verhaltens bewirkt hätten, habe er sich schließlich am 6. Januar 1842 brieflich an ihn gewandt.78 Daraufhin sei Kolland wenige Tage später zu ihm gekommen und habe erklärt, er sei „mit seiner Frau zur AltLutherischen Kirche übergetreten“. Seine eigenen Erkundigungen hätten ergeben, so Roth, dass Kolland in Hartliebsdorf bei Löwenberg mittlerweile in eine altlutherische Gemeinde aufgenommen worden sei. Nur wenig später habe ihm ein weiterer Zillerthaler, Johann Degesser, mitgeteilt, aus „unserer Kirche“ austreten zu wollen – ihm stößen besonders die Union als „etwas Zusammengelegtes“ und die Verfolgung der Altlutheraner auf. Dass er selbst, Roth, die Begriffe Union und uniert gar nicht verwende, sondern von „Herzens-Sache“ spreche, habe an Degessers Haltung nichts zu ändern vermocht. Eine Ausweisung der beiden Familien halte er für unabwendbar, zumal die Aufnahme der Glaubensflüchtlinge nur unter der Bedingung erfolgt sei, dass diese der Evangelischen Kirche der Union beitreten würden. Überdies sei die Gefahr groß, schloss der Erdmannsdorfer Pfarrer seinen Bericht, dass „das Uebel um sich greife“ und der „kranken AbsonderungsSucht“ weitere Neusiedler anheimfielen: „Nichts steckt mehr an als religiöse Krankheit, und die Proselytenmacherey liegt am Tage.“ Rother, der dem König nach seiner Rückkehr in die Hauptstadt Ende Februar 1842 zunächst nur die erste Darstellung des Erdmannsdorfer Pfarrers mit einem kurzen Begleitschreiben übersandt hatte,79 kurz darauf aber noch eine weitere Erklärung Roths nachreichte,80 erstattete Friedrich Wilhelm IV. am 1. April ausführlich Bericht über das „Separatisten-Wesen“ in Zillerthal. Die entscheidende Frage allerdings könne er, da er in der Vergangenheit lediglich mit den „äußeren Lebensverhältnisse[n]“ der Zuwanderer befasst gewesen sei, nicht beantworten: ob und inwiefern nämlich bei der Ansiedlung „eine Verpflichtung der Eingewanderten dahin, daß sie sich, unter allen Umständen und unwiderruflich, zu der in Erdmannsdorf gebildeten Evangelischen Kirche halten und niemals von ihren Lehrsätzen abweichen woll-
������������������������������������������������������������������������������������������������ Eine Kopie des Schreibens, mit dem Roth nach Auswegen aus „dieser trüben Sache“ suchte, ebd., fol. 228r. �������������������� Ebd., fol. 225r–v. �������������������������������������������������������������������������������������������������� Ebd., Rep. 89, Nr. 15697, fol. 66r; der Bericht Roths vom 7. März 1842 „als Fortsetzung“ seiner Darstellung vom 1. Februar in Abschrift ebd., fol. 67r–68v: Momentan wenigstens, so Roth, sei „keine Nachfolge des Uebertritts zu befürchten, indem die Leute, Gott sei Dank, bekennen, hier auch das rechte Evangelium mit seinen Segnungen zu haben. Aber wo des Gährungs-Stoffs so viel ist, als wie überall in Leuten, welche den Glauben gewechselt, ja um des Glaubens willen das Vaterland verlasssen haben, – dort ist keine Sicherheit, denn die Empfänglichkeit für allerlei Einwirkungen von außen ist daselbst zu groß. – Und insbesondere ist Zillerthal eine Gemeinde, von der jeder glaubt, einwirken zu können und zu müssen, – ein Umstand, welcher ihr selbst nicht dienlich, mir aber recht schwer ist.“
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ten, zur Sprache gekommen [sei] und ob sie eine Erklärung, auf verbindliche Weise, der Art, abgegeben haben, daß ein späteres Abweichen davon als ein Bruch des zwischen ihnen und dem Staate, welcher sie aufnahm, bestehenden Kontraktes angesehen werden müßte“.81 Seiner Ansicht nach sei jedoch eine „Ausweisung einzelner Abtrünniger“ weder juristisch noch ethisch gerechtfertigt. Eine solche Ausweisung trüge unweigerlich den „Charakter einer lokalen Glaubens-Verfolgung“, drohe das Problem der Kirchenaustritte nur zu verstärken und verletze überdies die „Civil-Rechte der Betheiligten“. Rothers Argumente überzeugten auch den König, der ein Vorgehen, wie es der Erdmannsdorfer Theologe vorgeschlagen hatte, entschieden ablehnte.82 Pfarrer Roth gab sich jedoch nicht geschlagen, sondern meldete sich am 31. Mai 1842 mit einer aktuellen Darlegung der religiösen Ansichten der Zillertaler abermals zu Wort: Auch wenn der König „keine Zwangs-Maaßregeln gegen sie“ ergreifen werde, so wolle er, Roth, doch „von Zeit zu Zeit weitere Berichte über die ärgerliche Sache erstatten“.83 Unterdessen habe sich auch der Nagelschmied Franz Hein den Altlutheranern in Hartliebsdorf zugewandt und ihm dieses schriftlich, „unter Zurücksendung der KirchenStände-Zettel“, angezeigt: „Die Union ist sein Beweggrund.“ Hein könne nach eigener Aussage selbst dann nicht in die Erdmannsdorfer Kirche gehen, wenn dort ein Ludwig Feldner84 oder ein Johannes Evangelista Goßner,85 „ja selbst ein Engel vom Himmel“, predigte! Niemals zuvor habe ihm, Roth, jemand „so weh gethan als dieser Mann mit seiner Familie“. Sein ursprüngliches Anliegen schwächte der Erdmannsdorfer Geistliche nur geringfügig ab: Wäre es „nicht zweckdienlich [...], wenn Seine Majestät der König geruhten, eine Order an die Gemeinde Zillerthal ergehen zu lassen, etwa des Inhalts, daß Allerhöchstdieselben mit dem größesten Mißfallen von den Sektirern in ihrer Mitte vernommen hätten, zwar diese nicht ausweisen wollten, obschon Grund dazu vorhanden sei, aber doch wünschen müßten, solche Leute möchten nicht erst hierher gekommen sein, und daß die Gemeinde selbst über sich wachen möge, und man Absonderungen verhüten, wann sie sich nicht in die Gefahr setzen wolle, der Königlichen Gnade gänzlich verlustig zu gehen?“ Friedrich Wilhelm IV. hielt jedoch, wie nicht anders zu erwarten, an seiner früheren Entscheidung fest. Roth fand auch fernerhin kein Gehör in Berlin.
������������������������������������������� Ebd., Rep. 89, Nr. 15696, fol. 233r–235v. ������������������ Ebd., fol. 236r. ��������������������������������������������������������������������������������������������������� Eine Abschrift des Berichts (ebd., fol. 239r–240r, dort auch die folgenden Zitate) sandte Staatsminister von Rother am 9. Juni 1842 von Breslau an Staatsminister Johann Albrecht Friedrich Eichhorn nach Berlin (ebd., fol. 238r). ������������������ Zu Feldner vgl. Meyer: Die evangelische Kirche, 278, 294, 296; Gerber: Die Schlesischen Provinzialblätter, 158; Eberlein: Schlesische Kirchengeschichte, 136, 139, 141, 209, 211. ������������������������� Zu Goßner vgl. Anm. 52.
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5. Zusammenfassung Man wird die kirchlichen Alltagserfahrungen der hier vorgestellten Migrantengruppe – um abschließend einige Beobachtungen knapp zusammenzufassen – zumindest als ambivalent bezeichnen müssen. Auch in diesem Fall beobachten wir typische Integrationsprobleme von kirchlich bisher nicht geprägten, sozialisierten, disziplinierten „Naturmenschen“, die als Migranten in ein konfessionell ausdifferenziertes Gastland gelangten.86 Ein gewisser religiöser Individualismus, der sich bei vergleichbaren Migrationsvorgängen vielerorts beobachten lässt, ist ebenso wenig zu übersehen wie die fehlende Toleranzerfahrung. Die Tiroler waren die Dauerkonfrontation mit der Katholischen Kirche gewohnt, nicht aber die Behauptung und Rechtfertigung in innerprotestantischen Konfessionskonflikten. Es waren freilich auch die vielfach als fremd empfundenen, mit der eigenen Erfahrungs- und Glaubenswelt nicht in Einklang zu bringenden Ausdrucksformen der Religion, welche bei den Zillertalern beinahe zwangsläufig auf Befremden stießen: die stark gefühlsbetonte Frömmigkeitskultur beispielsweise, die Abschwächung konfessioneller Identitäten und die daraus resultierende Vielfalt der religiösen Lebenswelten, die aktivistischen Züge des Erweckungschristentums und ganz konkret die romantische Religiosität einer Gräfin von Reden.87 Wenn die Gräfin etwa angesichts der 1839 erfolgten Demission des Schreiberhauer Erweckungspredigers Ludwig Feldner ��Mempel, Dieter: Der schlesische Protestantismus vor und nach 1740. In: Baumgart, Peter (Hg.): Kontinuität und Wandel. Schlesien zwischen Österreich und Preußen. Sigmaringen 1990 (Schlesische Forschungen 4), 287–306. Zum Stand der religions- und kirchengeschichtlichen Forschung über Schlesien vgl. Wünsch, Thomas: Religionsgeschichte. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Historische Schlesienforschung. Methoden, Themen und Perspektiven zwischen traditioneller Landesgeschichtsschreibung und moderner Kulturwissenschaft. Köln/Weimar/Wien 2005 (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 11), 185–206; Köhler, Joachim/Bendel, Rainer (Hg.): Geschichte des christlichen Lebens im schlesischen Raum, Bd. 1–2. Münster 2002 (Religions- und Kulturgeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 1/1–2); dies.: Kirchengeschichtliche Forschung zu Schlesien. In: Archiv für schlesische Kirchengeschichte 63, 2005/06, 41–73. ������������������������������������������������������������������������������������������������ Ausdruck dieser romantischen Religiosität war auch das Briefpapier mit der bildlichen Darstellung der „Tyroler aus dem Zillerthale in Schmiedeberg“, das Gräfin von Reden seit 1837 für ihre Korrespondenz benutzte. Vgl. exemplarisch Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 89, Nr. 15696, fol. 42r–44v. Zum Überblick vgl. Bormann, Alexander von (Hg.): Romantische Religiosität. Würzburg 2005 (Stiftung für Romantikforschung 30); Friedrich, Martin u.a. (Hg.): Sozialer Protestantismus im Vormärz. Münster u.a. 2001 (Bochumer Forum zur Geschichte des sozialen Protestantismus 2); Jung, Martin H. (Hg.): „Mein Herz brannte richtig in der Liebe Jesu“. Autobiographien frommer Frauen aus Pietismus und Erweckungsbewegung. Eine Quellensammlung. Aachen 1999; Hölscher, Lucian: „Weibliche Religiosität“? Der Einfluß von Religion und Kirche auf die Religiosität von Frauen im 19. Jahrhundert. In: Kraul, Margret/Lüth, Christoph (Hg.): Erziehung der Menschen-Geschlechter. Studien zur Religion, Sozialisation und Bildung in Europa seit der Aufklärung. Weinheim 1996 (Frauen- und Geschlechterforschung in der historischen Pädagogik 1), 45–62; Gause, Ute: Frauen und Frömmigkeit im 19. Jahrhundert. Der Aufbruch in die Öffentlichkeit. In: Pietismus und Neuzeit 24, 1998, 309–327.
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den Zillertalern gegenüber äußerte, dass dieser Akt „eine neue Verfolgung des Glaubens“ darstelle,88 so waren diese mit einer solchen Auslegung offenkundig überfordert. Die „unveränderte augsburgische Confession“,89 welche die Tiroler in Preußen zu finden gehofft hatten, war tatsächlich „ein sehr magerer und verworrener Begriff“,90 wie auf katholischer Seite mit Genugtuung über die religiöse Indifferenz der Zillertaler Protestanten schon früh gemutmaßt worden war. Als maßgeblichen Grund einer Rekonversion zum Katholizismus vermutete man nicht zu Unrecht die Einsicht der Konfessionsmigranten, dass drei Jahrhunderte nach der Reformation „Protestantisch und Lutherisch ganz verschiedene Begriffe geworden“ seien und „auf dem vagen Meere des Protestantismus“ niemand sein Lebensschifflein „im Ungewissen herumtreiben“ lassen wolle.91 Mochten auch die vordringlichsten Aufgaben der Ansiedlung der Zillertaler im engeren Sinn bewältigt worden sein, als das „Comité für die Angelegenheiten der Zillertaler Inklinanten“ am 4. Juli 1839 offiziell aufgelöst wurde,92 so war doch die eigentliche soziale und religiöse Integration der österreichischen Protestanten ein ungleich schwierigerer und langwierigerer Prozess.
��Reuss: Friederike Gräfin von Reden, Bd. 2, 278. ��������������� Vgl. Anm. 14. ������������������������������������������� Ueber die Erweckten des Zillerthals, 178. ������������������������������������������������������������������������ Gehörten die Zillerthaler Inklinanten zur Augsburger Confession?, 417. ��Beheim-Schwarzbach: Die Zillerthaler in Schlesien, 57.
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Religious Diversity as a Challenge and a Perspective. On the Intertwining of Religion and Politics in Early Modern East-Central Europe Summary From the perspectives of church and religious history, the region between the Baltic Sea and the Adriatic demonstrates striking features and significant characteristics that can be a disturbing irritant for more than just modern academic research. It was also frequently a source of frustration for people at the time. The conventional boundaries surrounding the Confessional Age, the distinctions that typically prevail in German historiography, are not easily transferred to East-Central Europe. Religious plurality within Latin Christianity developed at a much earlier time in this region – around a century before Luther appeared on the religious stage – and the denominational influence retained its shaping force for noticeably longer, in part until well into the 18th century. The separation of politics and religion, similar to that in the Holy Roman Empire and taking effect after the end of the Thirty Tears War, was only evidenced, at best, in rudimentary stages. Further common structural features can be placed alongside this shift of phases, similarities that are frequently mutually dependent but, nevertheless, develop a dynamism of their own. The multitude of religious trends and groups existing in parallel is particularly apparent in the Polish-Lithuanian Commonwealth, Bohemia, Hungary and Transylvania. From the perspective of Catholic priests, the East-Central European hierarchical societies sometimes seemed to resemble a unique collection plate filled with false doctrines, sects and constantly new spin-offs. In the perception of the sovereigns and lords of the region, this “religious anarchy” – which František Kameníček described in 1905 with a view to the Margraviate of Moravia – was simply the flip side of the nobility’s political aspirations for participation. The diversification of Protestantism in various denominations and religious communities increased the general willingness to mitigate differences within the realm of the Evangelical Church. However, the Catholic Church was also prepared to implement ground-breaking compromises. As early as 1485, the parliament in Bohemian Kutná Hora enacted a Religious Peace, which granted citizens the right to choose their religious faith, extending even to the lower and serving classes. This represented a revolutionary turning point on the path to religious co-existence and public tolerance. In doing so, religious autonomy and self assertion within the estates were closely intertwined, as the renowned speech from the Moravian aristocratic politician,
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Václav z Ludanic, in the year 1550 verifies: He would prefer to have his head cut off on the spot than to act contrary to his beliefs and renounce the truth of the Gospel. Verily, the country would rather be reduced to rubble and ashes than to tolerate such an act of violence. It was not religious unity that held true at this time as “vinculum societatis” in East-Central Europe, as a unifying bond of multi-faith society and community. On the contrary, it was the reverse, religious freedom, “libertas religionis”. In the course of the re-Catholicization of the East-Central European power structures, there was a fundamental change in this view of the requirements for political and social stability. Because the Reformation movements in all three groups of countries, for the most part, can be sourced back to the regional estates rather than originating from the reigning authority of crown princes and sovereigns, the increasing intensification of sovereignty across the board posed a serious and fundamental threat to the previous social and political order. Only a religiously disciplined subject would also promise to be an obedient subject. Furthermore, given that religious dissent was equated with genuine or, at the very least, potential disloyalty, the aim to achieve religious unity also vindicated the use of punishment and coercion at the same time. As a consequence, the aspiration, at least in their own territories, to establish religious unity once again resulted in a profusion of acts of violence and flows of migration, especially in the 17th century. In this way, diversity in faith and religious refugees are equally part and parcel of the Confessional Age in East-Central Europe and only the state-level practice of requiring people to practise a specific religion was gradually able to overcome these phenomena. It was not until the century of Enlightenment that new forms of religious coexistence and tolerance really came into their own. At the same time, domestic political processes were constantly in need of an associated view to relations in the areas of foreign policy and power politics, as the example of the Polish–Lithuanian Commonwealth demonstrates. Contemporary reports from Western Europe would indicate that the country, especially through the 18th century, harboured a harsh form of Catholicism. The main reason for this was not least the self-portrayal of the Aristocratic Republic, which, at that time of power politics, had to resist two emerging neighbouring powers – Orthodox Russia and Protestant Prussia. Furthermore, the Polish–Lithuanian Commonwealth saw the act of emphasising its Catholicism as a direct means of establishing a cornerstone of collective identity and reasons of state. Relations were, however, completely different at this time in Hungary. Nevertheless, a simple look into the religious environment there indicates how strong an impact this situation had on state relations – and, conversely, how state relationships exercised considerable influence on religious policy in the Viennese Court within the Empire of the Crown of St Stephen.
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Nonconformist religious communities, in particular, started to emerge at this stage, seeing themselves confronted with increasing discrimination and persecution, and with the collection and recording of details from their own past. The motives behind and the purpose of these operations – religious self-reassurance and justification, but also a search for identity and affiliation – were largely very similar. At this point, it is valuable to compare the publications from the Polish Calvinist, Andrzej Węgierski, and the Hungarian church historian, Pál Ember. Węgierski’s history of the Calvinist Church and the Polish Brethren was initially published under a pseudonym in Utrecht in 1652, three years after his death. Born in Debrecen in Hungary, Pál Ember wrote about the history of the Reformed Church in Hungary and Transylvania. Like Węgierski, Ember’s historical work was also published in the Netherlands in 1728. The work had undergone several revisions by fellow Christians from other countries, and was published by Friedrich Adolf Lampe. Many further endeavours that did not necessarily lead to printed publications could be supplemented. Religious historical narratives and documents containing religious recollections, which emerged in times of growing denominational competition, were targeted at the creation and preservation of group identity. They also influenced the perspectives of later generations of researchers time and again, as these felt beholden to the premises of critical church historiography developed in the Enlightenment era. Even if it had been possible long ago to bid farewell to older stereotypes of a denominational historiography and, especially in East-Central Europe, to dispense with what was often also linguistically-ethnically restricted historiography, there remains a recognisable continuity to earlier approaches, to be seen in one specific aspect. In reality, there has been no change in the recording of group histories of individual religious communities. Cross-community and inter-faith representations, or even just approaches towards the writing of a history of Christianity, have only reached the early stages of development for the region between the Baltic Sea and the Adriatic. Occasionally, mutual interconnections, dependencies and influences from the external perspective, with the necessary detachment from the object of investigation, are more readily apparent. In this respect, French research into East-Central Europe is proving to be particularly innovative. Using it as an example, reference is made to the synopsis work by Jean Bérenger, Tolérance ou paix de religion en Europe centrale (1415–1792). This work not only presents for discussion a remarkable chronological classification of the era, but it also provides important findings on the entanglement of religion and politics in East-Central Europe. This collection of essays also traces this perspective. The collection is devoted to the many varying phenomena of church history, social and cultural
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history within the Early Modern history of East-Central Europe, exploring, at the same time, the challenges and perspectives of denominational diversity within this historical and physical region. It is not only with respect to social and societal-historical structures, but also with a view to church-historical and religious development that East-Central Europe proves to be a region of “extended Early Modern Era”. A number of contributions to this collection of essays make a start at the time of Late Middle Ages and outline particular developments through to the 19th century. Case studies, however, have not been arranged in chronological sequence, nor do they follow a specific geographical classification. Instead, they have been compiled more broadly according to the perspectives presented. The first thematic focus (“Denominational autonomy, intensification of sovereignty and social order: structural-historical foundations and shifts of power”) is introduced with a comparative study on the beginnings of the Reformation in the East-Central European region. The limitations of a movement that was developing, as a general rule, against the will of the sovereigns become apparent here, even though it was, at the same time, interconnected with the twists and turns of estate-based power struggles and aspirations for participation. The question is discussed whether, and to what extent, the concept of “Nobles’ Reformation” (Adelsreformation) – in the style of the concept of the “Princely Reformation” (Fürstenreformation), which is often applied in research into the Holy Roman Empire – is appropriate to describe relationships in the Polish-Lithuanian Commonwealth, Bohemia, Hungary and Transylvania. In addition, right ways and wrong ways to approach the writing of Reformation history are discussed. The final article throws a spotlight onto the shaping and awareness of religious diversity in Transylvania. It examines the question of whether the allegedly unique phenomena and processes in the principality located between the Ottoman Empire and the Habsburg Monarchy can be classified as a “special case in church history”. Once again, in this case, the reconstruction of both historiographical locations and views of history appears to be inevitable. An article about relations between Hungary and the Imperial Church demonstrates how aspirations on the part of the State Church constituted a momentous shift of power in favour of the Viennese Court, and exerted a considerable impact within the Empire of the Crown of St Stephen. The fact that close personal connections between the clergy and politics exist in all church establishments is illustrated, on the one hand, through the example of the Roman Catholic Episcopate in Silesia and, on the other hand, by means of the career path of an exposed reformed Court Chaplain. In both cases, reference is made to the significance of spatial relationships within the church, as well as the importance of other factors for individual paths to career advancement, generally occurring between structural integration and the ability to act autonomously. Denominational
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and estate-based political alternatives, which frequently evolved from the varying weighting of endogenous and exogenous influencing factors, are analysed in detail based on the examples of Bohemia and Moravia in the late 16th and early 17th century. The final contribution in this section is committed to a unique concept under law within the Catholic hierarchy, namely the so-called Bishops of the Hungarian Crown. Appointed by the King and numerically outnumbering the episcopi electi, the Residential Bishops were, without doubt, frequently the cause of serious disputes between the Roman Curia and the Imperial Court. Ultimately, however, both sides profited from the commissioning of these titular bishops, who were able to exercise a sustained influence on majorities and voting results in the Diet of Hungary and, thereby, represented a significant functionary elite within the multidenominational Empire of the Crown of St Stephen. The second thematic block, collated under the heading “Discrimination, exclusion and expulsion: experiences and perceptions of religiously motivated violence” commences with a study into religious violence inflicted on children. This investigation focuses, in particular, on the genesis and scope of legislation regarding pupils, disputes over wards, as well as conflicts over issues of guardianship. Based on the development of laws governing marriage, families and orphans in the Early Modern era, the hypothesis is explored that there was a direct connection in East-Central European monarchies between the strikingly frequent conflicts over issues of upbringing and guardianship, on the one hand, and the specific course of state and nation building, on the other hand. It becomes apparent that in the majority of cases where there were contemporary reports of violence against children, it was effectively impossible to gain any form of unbiased reporting or representation. The following three articles broach the issue, firstly, of different forms of violence and coercion that were to be observed in many locations of the multidenominational hierarchical societies of East-Central Europe and, secondly, the consequent reactions to this violence. The articles explore the common struggle for religious and political freedom in Bohemia and Hungary between 1570 and 1620, in which Calvinist influences in each case played a varying role; the specific discourses about freedom that evolved from the experiences of expulsion or enforced resettlement for dissenters and those of different faith; and, finally, journalistic debates over religious freedom, constitutional order and canon law. Subsequently, opportunities and risks involved in cross-border contacts between members of an Evangelical minority church in East-Central Europe are analysed using two thought-provoking examples. The first article, which is devoted to the life and work of the Polish Bishop of the Bohemian Brethren, Christian Sitkovius, deals simultaneously with the function and the significance of scholarships, networks and fundraising trips. Questions of diplomacy, propaganda and public relations assume
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greater importance in the second article, which introduces the situation of the Reformed Church in Silesia between the Thirty Years War and the Treaty of Altranstädt. These aspects are also examined in the concluding case study, which tackles the Slovakian preacher Matej Bahil’s experiences of violence and the media coverage of these experiences in the 18th century. To begin the third thematic collection (“Denominational solidarity, the general public and exchanges of experience: challenges and responses”), a study is to be found that shines a light on the provision of Bibles, hymnbooks and Lutheran devotional writings to East-Central European Protestants at the time of the Counter-Reformation. The transport routes for this literature point to regions and cities in East-Central Europe where Protestants were still able to preserve the right to freely practise their religion outright, or at least for longer than in the surrounding areas. Consequently, these Protestants required relevant texts for the purpose of ecclesiastical practices. The smuggling of these books, which the authorities seemed powerless to prevent, can be understood as a response to the struggle against “heretical literature”, a battle that assumed bizarre forms in some instances and would lead to regular book-based executions. The next article is devoted to a Silesian academic study foundation, whose high times and times of crisis equally encourage conclusions to be drawn about developments within the history of schools and education in the Habsburg Monarchy, as well as the general connection between education, religion and politics in Early Modern era. The practical boundaries of denominational solidarity become apparent in religious communications between the church leadership of the Polish Unitas Fratrum in Leszno, their foreign Senior in Berlin and the Renewed Bohemian Brethren in Herrnhut. These limitations were not least a consequence of the completely different denominational-political circumstances in the Polish-Lithuanian Commonwealth, Prussia and Saxony through the first half of the 18th century. The fact that, even in the century of the Enlightenment, the public sphere for all varieties of solidarity of belief played an increasingly significant role, is demonstrated through the case study into the responses from Daniel Ernst Jablonski, the influential Court Preacher and Brethren Bishop, addressing religious discrimination and persecution in Eastern Europe. Even the Catholic Church found itself needing to rely on unconventional measures from time to time in order to ensure its own survival in a multi-denominational environment. A good example of this reality is to be found in the establishment of the Status catholicus in Transylvania. This was an assembly of Catholic laity and clergy that emerged in the early 17th century, and which was very aware of the need to enforce its interests with confidence, making it an important contact and ally for both the Viennese Court and the Holy See. Furthermore, the reality that informal vested-interests also always played a key role in all forms of cooperation between the Church and State becomes apparent when looking
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at spiritual journeys among the Schaffgotsch family, a noble family whose property and political influence alone made it one of the leading families of the Habsburg Monarchy. The final study focuses on the comparably small group of Zillertal Protestants, who settled under the Hohenzollern Monarchy after being forced to leave their homeland in response to pressure from both Church and State. Questions are posed as to the frameworks for admission, care and support of the Austrian religious refugees, and the concrete measures implemented for their integration into the Church. In addition, reasons behind the increasing development of a mutual sense of alienation are explored, both on the part of the society accepting the new settlers and among the migrants from Tirol, to whom a certain religious individualism as well as a lack of experience of tolerance can certainly be ascribed.
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Nachweis der Erstdrucke Reformatorische Aufbrüche in Ostmitteleuropa. Historiographische Positionen und territorienübergreifende Strukturen. In: Kohnle, Armin/Rudersdorf, Manfred (Hg.): Die Reformation. Fürsten – Höfe – Räume. Stuttgart 2017 (Quellen und Forschungen zur sächsischen Geschichte 42), 400–420. Ein „kirchenhistorischer Sonderfall“? Zur Ausformung und Wahrnehmung religiöser Vielfalt in Siebenbürgen im ostmitteleuropäischen Kontext. Erschien u. d. T.: Diversitate religioasă în Europa Centrală şi de Sud-Est în Evul Mediu şi în epoca premodernă. Cauze, efecte, percepţii. In: Bahlcke, Joachim/Gündisch, Konrad (Hg.): Toleranţă, coexistenţă, antagonism. Percepţii ale diversităţii religioase în Transilvania între Reformă şi Iluminism. Cluj-Napoca 2013, 11–27. Politische Funktionen kirchlicher Beziehungen: Ungarn und die Reichskirche. In: Willoweit, Dietmar/Lemberg, Hans (Hg.): Reiche und Territorien in Ostmitteleuropa. Historische Beziehungen und politische Herrschaftslegitimationen. München 2006 (Völker, Staaten und Kulturen in Ostmitteleuropa 2), 227–245. Bischöfliche Traditionen des schlesischen Adels in der Frühen Neuzeit. In: Harasimowicz, Jan/Weber, Matthias (Hg.): Adel in Schlesien, Bd. 1: Herrschaft – Kultur – Selbstdarstellung. München 2010 (Veröffentlichungen des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 36), 337–362. Religiöse Kommunikation, Reisediplomatie und politische Lagerbildung. Zur Bedeutung des reformierten Theologen Abraham Scultetus für die Beziehungen zwischen Schlesien und der Kurpfalz um 1600. In: Bahlcke, Joachim/Ernst, Albrecht (Hg.): Schlesien und der deutsche Südwesten um 1600. Späthumanismus – reformierte Konfessionalisierung – politische Formierung. Heidelberg/ Ubstadt-Weiher/Basel 2012 (Pforzheimer Gespräche zur Sozial-, Wirtschaftsund Gesellschaftsgeschichte 5), 187–220. Konfessionalisierung der Außenpolitik? Die Rolle der Konfession für die Außenbeziehungen der böhmischen und mährischen Stände im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Erschien u. d. T.: Konfessionalisierung der Außenpolitik? Die Rolle der Konfession für die Außenbeziehungen der böhmischen Stände im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. In: Beiderbeck, Friedrich/Horstkemper, Gregor/Schulze, Winfried (Hg.): Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Berlin 2003 (Innovationen. Bibliothek zur Neueren und Neuesten Geschichte 10), 265–283. Die „Bischöfe der Ungarischen Krone“. Ein Beitrag zur kirchlichen Sozial- und Verfassungsgeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts. Erschien u. d. T.: A „Magyar Korona püspökei“. Adalék az egyház 17–18. századi társadalom- és alkotmánytörténetéhez. In: Történelmi Szemle 48 (2006) 1–24. Religiöse Gewalt gegenüber Kindern. Pupillengesetzgebung, Mündelstreitigkeiten und Vormundschaftskonflikte in Ostmitteleuropa (1500–1800). Erschien u. d. T.: Religious violence against children. Legislation regarding pupils, disputes over wards and conflicts about guardianship in East-Central Europe (1500–1800). In: Bahlcke, Joachim/Bobková-Valentová, Kateřina/Mikulec, Jiří (Hg.): Religious Violence, Confessional Conflicts and Models for Violence Prevention in Central Europe (15th–18th Centuries) / Religiöse Gewalt, konfessionelle Konflikte und
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Modelle von Gewaltprävention in Mitteleuropa (15.–18. Jahrhundert). Praha/ Stuttgart 2017, 89–116. Calvinismus, kulturelle Prägungen und ständische Freiheitsbewegungen in Böhmen und Ungarn (1570–1620). Erschien u. d. T.: Calvinism and estate liberation movements in Bohemia and Hungary (1570–1620). In: Maag, Karin (Hg.): The Reformation in Eastern and Central Europe. ������������������������������� Aldershot 1997 (St Andrews Studies in Reformation History), 72–91. Kollektive Freiheitsvorstellungen aus den Erfahrungen konfessioneller Migration – das Beispiel Böhmen. In: Schmidt, Georg/Gelderen, Martin van/Snigula, Christopher (Hg.): Kollektive Freiheitsvorstellungen im frühneuzeitlichen Europa (1400–1850). Frankfurt am Main 2006 (Jenaer Beiträge zur Geschichte 8), 381–396. Veritas toti mundo declarata. Der publizistische Diskurs um Religionsfreiheit, Verfassungsordnung und Kirchenrecht in Ungarn im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts. Erschien u. d. T.: Ungarns langer Weg zu religiöser Toleranz. Die Kaschauer Streitschrift Veritas toti mundo declarata (1671) des Großwardeiner Bischofs György Bársony und ihre Widerlegungen von protestantischer Seite. In: Imre, Mihály u. a. (Hg.): Eruditio, virtus et constantia. Tanulmányok a 70 éves Bitskey István tiszteletére, Bd. 2. Debrecen 2011, 572–583. Verantwortung in Zeiten der Krise. Zu Leben und Werk des polnischen Brüderseniors Christian Sitkovius (1682–1762). Erschien u. d. T.: Christian Sitkovius (1682–1762). In: Meyer, Dietrich (Hg.): Lebensbilder aus der Brüdergemeine, Bd. 2. Herrnhut 2014 (Unitas Fratrum. Beiheft 24), 111–126. „Turbulatores tranquillitatis publicae“? Zur Frage der Religionsfreiheit für die Reformierten in Schlesien im Umfeld der Altranstädter Konvention von 1707. In: Bahlcke, Joachim/Dingel, Irene (Hg.): Die Reformierten in Schlesien. Vom 16. Jahrhundert bis zur Altpreußischen Union von 1817. Göttingen 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für abendländische Religionsgeschichte. Beiheft 106), 205–246. Der slowakische Prediger Matej Bahil und der preußisch-österreichische Antagonismus: Beobachtungen zur Europäisierung der ungarischen Religionsfrage im 18. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim (Hg.): Glaubensflüchtlinge. Ursachen, Formen und Auswirkungen frühneuzeitlicher Konfessionsmigration in Europa. Berlin 2008 (Religions- und Kirchengeschichte in Ostmittel- und Südosteuropa 4), 307–334. Bücherschmuggel. Die Versorgung ostmitteleuropäischer Protestanten mit Bibeln, Gesangbüchern und lutherischen Erbauungsschriften in der Zeit der Gegenreformation. In: Bahlcke, Joachim/Störtkuhl, Beate/Weber, Matthias (Hg.): Der Luthereffekt im östlichen Europa. Geschichte – Kultur – Erinnerung. Oldenburg 2017 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 64), 161–176. Bergesche Stipendien. Zielsetzung und Indienstnahme einer frühneuzeitlichen Studienstiftung im Konfessionellen Zeitalter. In: Bahlcke, Joachim/Winkelbauer, Thomas (Hg.): Schulstiftungen und Studienfinanzierung. Bildungsmäzenatentum in den böhmischen, österreichischen und ungarischen Ländern, 1500–1800. Wien/München 2011 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 58), 129–151.
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Religiöse Kommunikation im Dreieck Berlin – Lissa – Herrnhut. Zinzendorf, die Erneuerte Brüderunität und das Verhältnis zur polnischen Unitas Fratrum in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. In: Unitas Fratrum. Zeitschrift für Geschichte und Gegenwartsfragen der Brüdergemeine 67/68 (2012) 31–49. Glaubenssolidarität und Öffentlichkeit. Antworten auf religiöse Diskriminierung und Verfolgung im frühneuzeitlichen Ostmitteleuropa am Beispiel des Hofpredigers und Brüderbischofs Daniel Ernst Jablonski. Erschien u. d. T.: Glaubenssolidarität und Öffentlichkeit. Antworten auf religiöse Diskriminierung und Verfolgung in Ostmitteleuropa. In: Bahlcke, Joachim/Dybaś, Bogusław/Rudolph, Hartmut (Hg.): Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Dößel 2010, 202–219. Status catholicus und Kirchenpolitik in Siebenbürgen. Zum Verhältnis von weltlicher und geistlicher Macht zwischen Reformation und Josephinismus. Erschien u. d. T.: Status catholicus und Kirchenpolitik in Siebenbürgen. Entwicklungsphasen des römisch-katholischen Klerus zwischen Reformation und Josephinismus. In: Lengyel, Zsolt K./Wien, Ulrich A. (Hg.): Siebenbürgen in der Habsburgermonarchie. Vom Leopoldinum bis zum Ausgleich (1690–1867). Köln/Weimar/ Wien 1999 (Siebenbürgisches Archiv 34), 151–180. Geistliche Karrieren der Schaffgotsch. Aufstiegsstrategien und Karrierewege in der hierarchia catholica vom 17. bis zum 19. Jahrhundert. In: Bahlcke, Joachim/ Schmilewski, Ulrich/Wünsch, Thomas (Hg.): Das Haus Schaffgotsch. Konfession, Politik und Gedächtnis eines schlesischen Adelsgeschlechts vom Mittelalter bis zur Moderne. Freiburg im Breisgau 2010, 187–210. „Die jüngste Glaubenscolonie in Preussen“. Kirchliche Praxis und religiöse Alltagserfahrungen der Zillertaler Protestanten in Schlesien. Erschien u. d. T.: „Die jüngste Glaubenscolonie in Preussen“. Kirchliche Praxis und religiöse Alltagserfahrungen der Zillertaler in Schlesien. In: Bahlcke, Joachim/Bendel, Rainer (Hg.): Migration und kirchliche Praxis. Das religiöse Leben frühneuzeitlicher Glaubensflüchtlinge in alltagsgeschichtlicher Perspektive. Köln/Weimar/Wien 2008 (Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 40), 181–202.
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Verzeichnis der Abbildungen Seite 23: Jablonski-Forschungsstelle an der Universität Stuttgart. Seite 30: Jablonski, Daniel Ernestus: Historia Consensus Sendomiriensis inter Evangelicos Regni Poloniae, et M. D. Lithvaniae in Synodo Generali Evangelicorum utriusque partis Sendomiriae An. MDLXX. ����������������������������������� Die 14 Aprilis initi, continua serie, quae Synodum Sendomiriensem antegressa, quae in ipsa Synodo acta, quaeque eam consecuta sunt, ex archivis Ecclesiarum, et monumentis maximam partem MSS. percensens, ad praesens usque tempus deducta. Cui subjicitur ipse Consensus, nec non Synodi Generales, Consensui jungi solitae. Berolini 1731. Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Sign. Kirch.G.qt.1071. Seite 33: Muzeum Archidiecezjalne w Przemyślu. Seite 39: Calvinus, Janos: Az Keresztyeni Religiora Es Igaz Hitre Valo Tanitas [...]. Hanovia 1624. Országos Széchényi Könyvtár Budapest, Régi Nyomtatványok Tára, Sign. RMK I. 540. Seite 41: Sátní oblastní archiv Litoměřice, Biskupské sbírky Litoměřice. Seite 44: Pisně Duchownj Ewangelistské [...]. V Ivancicích 1576. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign. 4 TH PAST 506/80 RARA. Seite 65: Benczur, Iosephus: Ungaria semper libera, suique iuris, et nunquam vel principi, vel genti alicui externae, obnoxia [...]. Vindobonae 1764. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign. 8 J STAT XVI, 1100. Seite 68: Magyar Nemzeti Múzeum, Budapest. Seite 77: Österreichische Nationalbibliothek Wien, Bildarchiv und Grafiksammlung PORT_00056283_01. Seite 87: Deutschordensmuseum Bad Mergentheim, Foto Besserer, Lauda-Königshofen. Seite 93: Herder-Institut, Bildarchiv, Inv.-Nr. 239795. Seite 98: Herder-Institut, Bildarchiv, Inv.-Nr. BAG_3540. Seite 100: Herder-Institut, Bildarchiv, Inv.-Nr. 4d 3729. Seite 102: Herder-Institut, Bildarchiv, Inv.-Nr. 4d 3730. Seite 104: Paprocký z Glogol a z Paprocké Woly, Bartholoměj: Zrdcadlo Slawného Margkrabstwij Morawského: W kterémž jeden každý Staw/ dáwnost/ wzáctnost/ y powinnost swau vhléda. Olomutii 1593, kap. CCXXIIII. Seite 106: Guarnacci, Mario: Vitae, et res gestae Pontificum romanorum et S. R. E. Cardinalium a Clemente X. ad Clementum XII., Bd. 2. Romae 1751, Sp. 347f. Seite 109: Weinbrenner, Emil: Mähren und das Bisthum Brünn. Eine Festschrift anlässlich des hundertjährigen Jubiläums der Errichtung des Brünner bischöflichen Sitzes. Brünn 1877. Seite 113: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Sign. Portr. I 12420. Seite 117: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Sign. Einbl. YA 5444 kl. Seite 120: Universitätsbibliothek Leipzig, Sign. Ges.theol.W.303. Seite 132: Královská kanonie premonstrátů na Strahově, Strahovská knihovna, Sign. AM XIII 4/25. Seite 146: Zemský archiv Opava, pracoviště Olomouc, Rodinný archiv Žerotínů, Kniha 5 (inv. č. 279).
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Seite 152: Vorbündtnüß und Union, So zwischen den Löblichen Evangelischen drey Ständen der Cron Böheimb/ und den Herrn Fürsten und Ständen inn Schlesien auffgericht/ auffm Prager Schloß/ den 25. Junij/ Anno 1609. O. O. 1609. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke, Sign. Flugschr. 1609/6. Seite 154: Budovec z Budova, Václav: Anti-Alkoran. To gest: Mocnj a nepřemoženj důwodowé toho, že Alkorán Turecký z ďábla possel, a to půwodem Aryánů s wědomým proti Duchu Swatému rauhánjm [...]. Praha 1614. Biblioteka Uniwersytecka we Wrocławiu, Oddział Starych Druków, Sign. 389686. Seite 158: ����������������������������������������������������������������������� Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Handschriftenabteilung, Sammlung historischer Einblattdrucke, Sign. YA 5060 mb. Seite 194: Weingarten, Johann Jacob von: Codex Ferdinandeo-Leopoldino-Josephino-Carolinus: Pro Haereditario Regno Bohemiae, Ac incorporatis aliis Provinciis, utpote, Marchionatu Moraviae, Et Ducatu Silesiae [...]. Prag 1720, 534. Seite 203: Der Saltzburgischen Emigranten Freudenmüthige und höchst-gesegnete Wanderschafft, in die Königlich-Preussische Lande, oder ihre durch das Reich biß dorthin genommene March-Route [...]. Nürnberg 1732, nach 4. Seite 212: Jablonski-Forschungsstelle an der Universität Stuttgart. Seite 218: Strejc, Jiří: Žalmowe, anebo Zpěwowé Svatého Dawida Proroka Božjho Jůdského a Izrahélského Krále [...]. [Praha] 1618. Knihovna Českého muzea stříbra Kutná Hora, Sign. 66-99. Seite 227: Schrot, Martin: Wappenbuch Des Heiligen Römischen Reichs/ und allgemainer Christenheit in Europa [...]. München 1581. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. ESlg/2 Herald. 49, fol. Seite 229: Jablonski-Forschungsstelle an der Universität Stuttgart. Seite 253: Hogenberg, Franz/Braun, Georg: Civitates Orbis Terrarum, Bd. 6. [Coloniae Agrippinae] 1618, 31a. Seite 258: [Bársony, Georgius]: Veritas toti mundo declarata [...]. Wien 1672. Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Sign. Hist. Hung. 640, misc. 1. Seite 272: Jablonski-Forschungsstelle an der Universität Stuttgart. Seite 274: Bahlcke, Joachim/Dybaś, Bogusław/Rudolph, Hartmut (Hg.): Brückenschläge. Daniel Ernst Jablonski im Europa der Frühaufklärung. Dößel 2010, 179. Seite 278: Unitätsarchiv Herrnhut, Sign. NSC.7. Seite 307: Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. 4 Ded. 350 w. Seite 311: Archiwum Państwowe Poznań, Akta Braci Czeskich, Sign. 1063, Bl. 8. Seite 319: Rijksmuseum, Amsterdam. Seite 322: Münzkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, Objekt-Nr. 18232749. Fotograf: Reinhard Saczewski. Seite 331: Cyprianus, Ernestus Ssalomaunus: Naučenj O Půwodu a Zrůstu Papežstwa spoľu s Obranau Obnoweni Cýrkwe z Půwodnjch důwodů a swědků sebrané a sepsané Které k utwrzenj a potěssenj Cýrkwe Ewangelické z Nemeckého gazýku přeľožiľ Theodorus ab Hybla. Witemberk 1744. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. Res/H.eccl. 3200. Seite 334: Hybla, Theodorus ab (Hg.): Srdečné Napomenutj k wystřjhánj se Papežského a k stálemu setrwáwanj při Lutheranském Učenj Které někdy
Verzeichnis der Abbildungen
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Sľáwné Wittenberské Akademye Teoľoĝowé, pro Cžeské obzwlásstě v wjče přenasledowánj trpjcý w Německém gazyku sepsali nynj pak k vtwrzenj w poznáné prawdě, gak Uherské Zěmě, tal y giných sausedných Kragin Národu Sľowanského, podobný téměř ľos okaussegjcých Ewangeliků. [Wittenberg] 1745. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. Res/H.eccl.3200#Beibd. 1. Seite 340: Bahil, Matthia: Tristissima, Ecclesiarum Hungariae Protestantium Facies, Omnes Religionis Consortes Ad Christianam Compassionem Lacrymabunda Invitans. Traurige Abbildung Der Protestantischen Gemeinden in Ungarn/ alle Glieder gleicher Bekenntniß zu einem Christlichen Mitleiden und Gebete thränend zu erwecken. Bregae 1747. Universitätsbibliothek Tübingen, Sign. 12 A 11559. Seite 352: Roxas, Ferdinand van der [i. e. Friedrich Roth-Scholz]: Leben Eines Herrlichen Bildes, Wahrer und rechtschaffener Frömmigkeit, Welches GOTT in dem Königreich Böhmen in der hohen Person Sr. Hoch-Gräfl. Excellenz, Herrn Herrn Frantz Antoni, Des Heil. Röm. Reichs Grafen von Sporck [...] Als einen Spiegel reiner Gottes-Furcht, allen Frommen zu einem Beyspiel aufgerichtet hat. Amsterdam 1715. Seite 355: [Koniáš, Antonín]: Clavis Haeresim claudens & aperiens. Kljć Kacýřské Bludy K rozeznánj otwjragich/ K wykořeněnj zamjkagich. Aneb Registřjk Některých bludných/ pohorssliwých/ podezřelých/ neb zapowěděných Kněh. Hradec Králowe 1729. Seite 357: Bibliothek der Franckeschen Stiftungen Halle, Sign. 6 A 10. Seite 359: Arnd, Jan: Paterý Knihy O Prawém Křesťanstwj [...]. [Halle] 1715. Seite 361: Index Librorum Prohibitorum. Usque ad Annum M.DCCXI. Regnante Clemente XI. P.O.M. Romae 1711. Seite 363: Stiftsarchiv Lambach, Sign. AstL Schuber 118 C I/1 y. Seite 365: Sinapius, Ioannes: Parva Schola in usum Discipulorum Christi accommodata et disposita. [Trencsén] 1658. Országos Széchényi Könyvtár, Budapest, Sign. RMK II 917. Seite 368: Malmuková, Eva: Patent zvaný toleranční. Praha 1999, nach 176. Seite 375: Universitätsbibliothek Leipzig, Sign. Fam.334. Seite 380: Scultetus, Abraham: Medulla Theologiae Patrum, Bd. 1. Ambergae 1598. Universitätsbibliothek Heidelberg, Sign. Q919-6, Blatt 2. Seite 383: Vom Berge, Christoph Georg von (Hg.): Memoria Bergeriana. Memoria Bergeriana, hoc est, Historica Biothanatographia, Magnifici & Generosi Viri, Dn. ��������������������������������������������������������������������� Ioachimi de Bergk, in Herrndorff & Claden, Tribus Imperatoribus, semper augustis [...]. Hanoviae 1611. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. 4 Asc. 108#Beibd.1. Seite 392: Ausführliche und wahrhaffte Deduction [...]. O.O. 21742. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Sign. 2 DEDUCT B 114/a. Seite 398: Unitätsarchiv Herrnhut, Sign. R.4.D.1b.3. Seite 402: Unitätsarchiv Herrnhut, Sign. P.X.08.1.a. Seite 408: Acta Historico-Ecclesiastica, Oder Gesammlete Nachrichten von den neuesten Kirchen-Geschichten 2/11, 1738, 802. Seite 412: Muzeum Narodowe w Poznaniu, nr inw. Gr 3305. Seite 423: Baum, Johann Heinrich: Nachlese zu der Salzburgischen Emigranten Wanderschafft, oder fernere March-Route [...]. Nürnberg 1734.
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Anhang
Seite 428: Des Königs und Propheten Davids Geistreiche Psalmen/ Nach Frantzösischen Melodien in Deutsche Reimen gebracht durch D. Ambrosium Lobwasser [...]. Berlin 1700. Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Abteilung Historische Drucke, Sign. EBD 132-1B. Seite 432: Brandenburgisches Landeshauptarchiv Potsdam, Rep. 86, Nr. 217/2. Seite 434: [Komenský, Jan Amos]: Hystorya O Umučenj a Smrti, Pohřbu, y Wzkřjssenj, Pána nasseho Gežjsse Krysta. Ze wssech čtyr Ewangelistů sebraná a w gistý Pořádek vwedená. Berljn 1757. Bayerische Staatsbibliothek München, Sign. Hom. 2092 s. Seite 436: Lampe, Frid[ericus] Adolphus: Historia Ecclesiae Reformatae, in Hungaria et Transylvania [...]. Trajecti ad Rhenum 1728. Seite 466: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kartenabteilung, Kart. N 16375. Seite 473: Projektbereich Schlesische Geschichte an der Universität Stuttgart. Seite 476: Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, Sign. Hist.Germ.D.360,5.n. Seite 478: Kadlec, Jaroslav: Českobudějovická diecéze. České Budějovice 1995, 114. Seite 480: Macek, Jaroslav u.a.: Biskupství brněnské. Brno 2000, Abb. 35. Seite 495: Projektbereich Schlesische Geschichte an der Universität Stuttgart. Seite 498: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin, I. Hauptabteilung, Rep. 89, Nr. 15696, fol. 42r. Seite 502: Jablonski-Forschungsstelle an der Universität Stuttgart.
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Personenregister Adam, Melchior 136f., 379, 381f. Adam Wenzel, Hzg. von Teschen 142 Adrianus 443 Ajtai Szabó, András 277 Albani, Giovanni Francesco → Clemens XI., Papst Albert, Paul 102 Alberti, Valentin 295 Albrizio, Mario 260 Althan(n), Fam. 77f., 105–107, 463 Althan(n), Michael Adolf von 463 Althan(n), Michael Friedrich von 99f., 106f. Althan(n), Michael Karl von 106f. Althusius, Johannes 232 Alvinczi, Péter 232 Andersch, Samuel 277f. Angelus Silesius → Scheffler, Johannes Anna Maria, Hzgn. von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geb. Pzn. von AnhaltBernburg-Zerbst 127 Antalfi, János 445, 452f. Anton, Karl Gottlob (von) 399 Arndt, Johann 359, 361, 364 Arnold, Anna, geb. Gertich 276 Arnold, Samuel 275f. Athanasius 449 Aubry, David 39 August, Fst. von Anhalt 385 August II., der Starke, Kg. von Polen, als Friedrich August I. Kurfst. von Sachsen 301, 425 Aurillac, Gerbert von → Silvester II., Papst Bahil, Fam. 327f., 341 Bahil, Matej (Pseud. Theodorus ab Hybla) 14, 198–200, 208, 326–347 Bajtay, József Antal 452–456 Balogh, Péter 183f. Barberini, Maffeo → Urban VIII., Papst Bárkoczy, Ferenc 199 Bárkoczy, Klára 199f. Bársony, Fam. 253
Bársony, György 252–266 Bársony, János 260 Barsotti, Giovanni Battista 178–180 Bartenstein, Johann Christoph (von) 66f., 69, 346 Barthélemy, Jean Jacques 478 Bartholdi, Christian Friedrich von 313 Bartholomaei, Wilhem Ernst 340, 342 Bastiani, Giovanni Battista 473–475 Báthori, Fam. 445 Báthori, Zsófia 261 Batthyány, Ignác 453, 457f. Batthyány, József 183, 453 Baum, Johann Heinrich 203, 423 Bayle, Pierre 116 Beck, Christian August (von) 66f. Becker, Joseph 300 Beger, Lorenz 426f. Beheim-Schwarzbach, Max 483 Bél, Mátyás 335 Béla III., Kg. von Ungarn 443 Bellmann, Gustav 487 Bencúr, Jozef (Pseud. Eusebius Verinus) 64f., 67, 69, 82 Benda, Kálmán 233 Benedikt XIV., Papst 82, 473 Benrath, Gustav Adolf 111f., 114f. Berchtold, Ferenc 171, 173 Bérenger, Jean 12, 25 Berge, Fam. 305, 321, 376–378, 381, 389–392 Berge, Christoph Georg vom 136, 382, 386, 388–390 Berge, Joachim vom 135–137, 320, 374f., 377–386, 389–391 Berge, Joachim Ladislaus vom 390 Berge, Johann Karl Emerich vom 392 Besznyák, Mihály 172 Bethlen, Gábor → Gabriel Bethlen Bethlen, Miklós 261 Beyer, Michael 394 Bèze, Théodore de 149, 223, 227, 421 Bickerich, Wilhelm 415 Bidlo, Jaroslav 24
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Binder, Ludwig 441 Blahoslav, Jan 44, 217 Bocskai, István 34, 147, 181, 214–216, 232f. Bömelburg, Hans-Jürgen 121 Boltz, Emanuel 264, 420 Bończuk-Dawidziuk, Urszula 492 Borghese, Camillo → Paul V., Papst Bornemisza, Paulus 443f. Borromeo, Carlo 103 Bossuet, Jacques Bénigne 300 Brajković, Martin 182f. Brandt, Christian von 436 Braschi, Giovanni Angelo → Pius VI., Papst Braun, Fam. 389f. Breckling, Friedrich 297 Breßler von Aschenburg, Ferdinand Ludwig 310 Brukenthal, Samuel von 454, 456 Brunsenius (Brunsen), Anton 299, 315 Buchholzer, Abraham 136 Buckisch (und Löwenfels), Gottfried Ferdinand (von) 291, 315 Budde (Buddeus), Johann Franz 397 Budovetz von Budov (Budovec z Budova), Wenzel (Václav) 141, 153f. Burchard, Daniel 303 Burg, Johann Friedrich 341f. Caesar, Johann Jacob 277 Callmann (Kollmann), Susanna → Woide, Susanna Calvin, Johannes 39, 218, 222, 232 Caraffa, Antonio 447 Caraffa, Carlo 95 Caramuel y Lobkowitz, Juan 178 Carlen, Louis 76 Carolath-Beuthen, Hans Carl zu 305 Cassius, Johann Alexander 277, 282, 414 Cassius, Johanna Sophia, geb. Woide 276 Charlotte, Hzgn. von Liegnitz, Brieg und Wohlau 284 Chodowiecki, Johann Serenius 270 Chorinsky, Carl 193
Christian, Hzg. von Liegnitz und Brieg 129, 291 Christian I., Fst. von Anhalt-Bernburg 123, 126f., 133, 155, 385 Christian August von Sachsen-Zeitz 76f., 450 Clemens XI., Papst 182 Clemens XII., Papst 85 Clewing, Konrad 327 Cocceji, Heinrich von 304, 315 Colonna, Girolamo 178 Colonna von Fels, Fam. 210 Colonna von Fels, Karl Gustav 210 Comenius (Komenský), Johann (Jan) Amos 119, 239, 243f., 247–249, 397, 400, 408f., 416, 434 Conrad, Hermann 190 Cornides, Daniel 458 Cornova, Ignaz 245 Corsini, Lorenzo → Clemens XII., Papst Cranz, David 400 Crato von Krafftheim, Johann 223 Csáky, Fam. 175 Csáky, Imre 173, 265 Csáky, János 175 Csáky, Miklós 173 Cyprian, Ernst Salomon 331f., 337 Damiani, János 266 Daugsch, Walter 441 David, Christian 496 Dávid, Franz 32 Degesser, Fam. 504 Degesser, Johann 504 Delfino, Zaccaria 103 Dinter, Gustav Friedrich 494 Dörffer, Johann 130 Dohna, Fam. 115, 125f., 132f. Dohna, Abraham von 115, 132f., 137 Dohna, Achaz (Achatius) von 115, 133 Dohna, Christoph von 115, 132f. Dohna, Fabian der Ältere von 115 Dohna Heinrich von 385 Dojčić, Stjepan 182f. Domokos, Kázmér P. 445 Donner, Matthäus 473
Personenregister
Dornau (Dornavius), Caspar (Pseud. Adrianus Varposcus) 130f., 136, 214f., 231, 386 Dorothea, Fstn. von Anhalt-Dessau, geb. Gfn. von Pfalz-Simmern 126 Dorothea Sybille, Hzgn. von Brieg, geb. Mkgfn. von Brandenburg 129 Droysen, Johann Gustav 82 Dülmen, Richard van 484 Duplessis-Mornay, Philippe 223, 376 Eberhard, Winfried 35, 267 Eberharter, Johann 489 Eberlein, Hellmut 286 Eck, Johannes 23 Eckhart, Ferenc 233 Egger, Fam. 501 Egger, Andreas 501 Egger, Franz 501 Ehrenkron, Irenicus → Sinold, Philipp Balthasar (genannt von Schütz) Ehrenreich von Prösing, Wolf 210 Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 505 Elizabeth Stuart, Kgn. von Böhmen 124 Elsner, Johann Gottlieb (Theophil) 280, 364 Ember, Pál 11, 436 Endres, Rudolf 374 Endter, Fam. 360 Erdődy, Gábor 80, 171, 265 Erdődy, László Ádám 181, 329 Erman, Jean Pierre 239, 483 Ernst, Landgf. von Hessen-Rheinfels 176 Esterházy, Imre 171, 175 Esterházy, Károly 174 Esze, Tomás 254 Evans, Robert J. W. 192 Fabricius, Georg 215 Fallenbüchl, Zoltán 78, 180 Febronius, Justinus → Hontheim, Johann Nikolaus von Fehérdi, Márton 445 Fejér, Miklós 445
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Felbiger, Johann Ignaz von 466 Feldner, Ludwig 505f. Felsmann, Anna Sophia → Woide, Anna Sophia Ferdinand I., Ks. 99, 103, 380, 443 Ferdinand II., Ks. 124, 165, 201, 214, 223, 382, 387, 470 Ferdinand III., Ks. 168, 178, 293 Ferenc II. Rákóczi, Fst. von Siebenbürgen 430, 448 Ferenczi, György 445 Ferlanday, János 171 Feyl, Othmar 271 Fibiger, Michael Joseph 309 Figulus, Daniel Ernst → Jablonski, Daniel Ernst Figulus, Peter 276 Fischer, Georg Wilhelm Theodor 21 Fischer von Erlach, Johann Bernhard 87 Fogarasy, Mihály 446 Forgách, Fam. 174 Forgách, Pál 174 Formey, Jean Henri Samuel 201, 345 Fraknói, Vilmos 164 Francke, August Hermann 359, 361 Franco 442 Franz Ludwig von Pfalz-Neuburg 84, 87, 306, 461, 465, 471 Freher, Marquard 130 Friedrich I., Kg. in Preußen, als Friedrich III. Kurfst. von Brandenburg 294, 303, 430 Friedrich I., Kg. von Böhmen, als Friedrich V. Kurfst. von der Pfalz 115f., 124f., 131, 244, 380, 387 Friedrich II., der Große, Kg. von Preu- ßen 82, 87, 321f., 325, 341–345, 393, 424, 426, 472–476 Friedrich III., Kurfst. von Brandenburg → Friedrich I., Kg. in Preußen Friedrich III., der Fromme, Kurfst. von der Pfalz 135, 421 Friedrich V., Kurfst. von der Pfalz → Friedrich I., Kg von Böhmen Friedrich August I., Kurfst. von Sachsen → August II., der Starke, Kg. von Polen
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Friedrich Wilhelm, Kurfst. von Brandenburg 80, 263, 294, 342, 423, 425 Friedrich Wilhelm I., Kg. in Preußen 277, 316, 339, 401, 403–405, 434 Friedrich Wilhelm III., Kg. von Preußen 490, 492, 494f. Friedrich Wilhelm IV., Kg. von Preußen 504f. Fuchs, Gottlieb 286 Füssel (Füsselius), Martin 137f., 375, 379, 386 Gabriel Bethlen, Fst. von Siebenbürgen 127, 224f., 227, 231, 234 Galgóczy, János 174 Garampi, Giuseppe 458 Garber, Klaus 115 Gasteiger, Gustav von 484 Gebauer, Tobias Ehrenfried 393 Gebelius, Hieronymus 135, 379 Geißler, Bruno 22 Gemmingen-Hornberg, Otto Heinrich von 325, 426 Georg I., Kg. von Großbritannien, als Georg Ludwig Hzg. von Braunschweig-Lüneburg 277 Georg Ludwig, Hzg. von BraunschweigLüneburg → Georg I., Kg. von Großbritannien Georg Rudolf, Hzg. von Liegnitz, Brieg und Wohlau 127, 384 Georg Wilhelm, Hzg. von Liegnitz, Brieg und Wohlau 294 Gersdorf, Friedrich Caspar von 416 Gerstmann, Martin (von) 97f., 101 Gertich, Anna → Arnold, Anna Gertich, Nikolaus 276 Gertich, Susanna → Woide, Susanna Gescher, Franz 88 Gleditsch, Fam. 363 Göcking, Gerhard Gottlieb Günther 333f. Götze, Johann Melchior 427, 429 Gordon, Patrick 409 Goßner, Johannes Evangelista 496, 505 Grodecký von Brod (Grodecký z Brodu), Fam. 103
Grodecký von Brod (Grodecký z Brodu), Johann (Jan) 97, 103, 105 Grodecký von Brod (Grodecký z Brodu), Wenzel (Václav) 103 Grünrade, Otto von 130 Gruter, Jan 130 Grynaeus, Johann Jakob 119f., 153, 215, 226 Gubasócsy, János 180 Gude, Gottlob Friedrich 399 Gyárfás, Elemér 438 Gyöngyössi, Pál 432 Habervěsl von Habernfeld (Habervěsl z Habernfeldu), Ondřej 243 Hadik, Andreas von 455 Halecki, Oskar 24 Hallweil, Ferdinand Michael Cyriakus von 177 Hamel Bruynincx, Jacob Jan 302 Haner, Georg 441 Harant von Polžice (Harant z Polžic), Jan Jiří 243 Harnack, Adolf (von) 408 Harrach, Ernst Adalbert von 178–180, 469 Hatzfeld, Fam. 472 Haugwitz, Friedrich Wilhelm von 65 Haunold, Johann Sigismund von 299f. Hauzinger, Josef 68 Haynald, Ludwig 454 Hecht, Gustav 114 Hein, Franz 505 Helth, Kaspar 32 Henel, Stephan 129 Henel (von Hennenfeld), Nikolaus 129– 131 Hensel, Fam. 296 Hensel, Johann Adam 286, 296 Herberstein, Fam. 479 Hering, Daniel Heinrich 286 Hevenesi, Gábor 450 Höltzel, Hieronymus 41 Hölzl, Sebastian 482 Hörnigk, Philipp Wilhelm von 395 Hollebeek, Pieter 275 Homann, Fam. 466
Personenregister
Hontheim, Johann Nikolaus von (Pseud. Justinus Febronius) 67 Hosius, Stanislaus 99, 103 Hotman, François 123, 223 Hubert, Matthias 171 Hübner, Lorenz 489 Hus, Jan 23, 41, 244 Hutter-Wolandt, Ulrich 287 Huyssen, Heinrich von 436 Hybla, Theodorus ab → Bahil, Matej Ilgen, Heinrich Rüdiger von 430 Illyés, András 447f., 452f. Inchofer, Menyhért 255 Innozenz X., Papst 178 Iwan, Wilhelm 484 Jablonski (Figulus), Fam. 409, 429 Jablonski (Figulus), Daniel Ernst 15, 30, 269–272, 275, 277, 279, 281f., 299, 310–315, 322, 362, 396, 398–417, 425, 427–433, 435–437 Jablonski, Friedrich Wilhelm 414 Jablonski, Paul Ernst 410, 432 Jáklin de Elefánth, Blasius 180 Javorskij, Stefan 435 Jelinek, Břetislaw 155 Jirásek, Alois 367 Joachim Friedrich, Hzg. von Liegnitz, Brieg und Wohlau 127 Johann Albrecht, Mkgf. von Brandenburg 90 Johann Christian, Hzg. von Brieg 127, 129 Johann Ernst, Fst. von Anhalt 385 Johann Georg, Mkgf. von Brandenburg, Hzg. von Jägerndorf 128, 133, 145 Johann Georg I., Fst. von Anhalt-Dessau 126f., 385 Johann II. Kasimir, Kg. von Polen 60 Johann Sigismund, Kurfst. von Brandenburg 128f., 422 Johann Theodor, Hzg. von Bayern 84 Joseph I., Ks. 209, 284, 294, 301, 356 Joseph II., Ks. 26, 62, 64–66, 68, 167, 189–192, 267, 346, 366, 368, 442, 454, 456–458, 470, 477f., 489
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Kahle, Ludwig Martin 344 Kálef, Jan 217 Kameníček, František 9 Kapras, Jan 193 Kaprinai, István 458 Karl II., Erzhzg. von Österreich 92, 95, 99 Karl II., Hzg. von Münsterberg-Oels 91 Karl V., Ks. 143 Karl VI., Ks. 76, 81, 85, 171, 180, 266, 316, 329, 351, 392, 448f., 452, 473 Karl XII., Kg. von Schweden 284, 286, 301, 317f. Karl Ambros von Habsburg d’Este 78 Karl Ferdinand Wasa, Pz. von Polen 95, 468 Karl Ludwig, Kurfst. von der Pfalz 262 Kászoni, János 445 Katona, István 72, 458 Kaunitz, Fam. 226 Kaunitz, Ulrich von 226 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton von 65, 163, 346 Keglević, Zsigmond 171 Kerens, Henri-Jean 176 Keserüi Dajka, János 225 Keßler, Elisabeth → Sitkovius (Sittkowitz), Elisabeth Kezelius Bydžovský, Jiři 243 Khevenhiller, Fam. 210 Kindermann von Schulstein, Ferdinand 479 Kisdi, Benedek 252 Kiss, János der Ältere 181 Klaudyán, Mikuláš 41 Klement, János Mihály 430f. Klesl, Melchior 101f., 231 Kleych, Václav 362, 364 Klimó, György 175 Klingebiel, Thomas 237 Klobusiczky, Ferenc 453 Kłoczowski, Jerzy 71 Köhler, Johann David 308 Kolland (Koland), Fam. 503f. Kolland (Koland), Michael 503f. Kollár, Ádám Ferenc 67f., 73, 458 Kollonich, Fam. 472
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Kollonich, Ladislaus 453 Kollonich, Leopold 260, 447 Kollonich, Sigismund 174, 461 Koniáš, Antonín 352, 355, 367 Koniecki, Otto 22 Koning, Cornelis 113 Kornis, Sigismund von 449, 452 Korompay, Péter 180 Kortholt, Christian 424 Krčelić, Baltazar Adam 168 Kregel (Kregelius), Andreas 125 Kremer, Stephan 108 Krestianski, Job 263f. Kriegsmann, Wilhelm Christoph 262f. Krman, Daniel 329 Kropp, Max 495 Kühlmann, Wilhelm 112 Kuenburg, Fam. 479 Küppers-Braun, Ute 203 Kuhlmann, Quirinus 299 Kundmann, Johann Christian 317 Kurnatowski, Bonaventura von 313 Kvačala, Ján 313 Ladislaus I., der Heilige, Kg. von Ungarn 442 Laer, Pieter van 318 Lamberg, Fam. 479 Lambertini, Prospero Lorenzo → Benedikt XIV., Papst Lampe, Friedrich Adolf 11, 436 Lampe, Heinrich 436 Landeck, Fam. 94 Landeck, Adam 94 László, János 445 Lebzelter, Friedrich 159 Leibniz, Gottfried Wilhelm 176, 400, 405 Leo XIII., Papst 162 Leopold I., Ks. 80, 176, 179, 182f., 251, 253, 256, 263, 294, 320, 328, 389, 425, 446, 449 Leopold Wilhelm, Ehzg. von Österreich 468, 471 Leppin, Volker 48f. Lerche, Johann Christian 424 Letai, István 452
Levaković, Rafael 163, 166, 170 Leyser, Polykarp der Ältere 118 Lichnowsky, Fam. 305 Lichtstern, Friedrich → Lucae, Friedrich Liechtenstein, Fam. 105 Liechtenstein-Kastelkorn, Fam. 105, 107, 472 Liechtenstein-Kastelkorn, Jakob Ernst von 86, 106 Liechtenstein-Kastelkorn, Johann Christoph von 105 Liechtenstein-Kastelkorn, Karl von 100, 105f. Liechtenstein-Kastelkorn, Rudolf Philipp von 105 Liefmann, Gottlieb 298 Liesch von Hornau, Johann Balthasar 471 Liffort, Charles 149, 227f., 421 Lingelsheim, Georg Michael 130f. Lippay, György 253f., 259 Lipsius, Justus 244 Löscher, Valentin Ernst 297, 309, 363 Logau, Fam. 99 Logau, Kaspar von 97, 99–101 Lovina, Ignaz von 76, 173 Lucae (Lichtstern), Friedrich 131, 309f., 312 Ludanitz (z Ludanic), Wenzel (Václav) von 10 Ludewig, Johann Peter (von) 65 Ludovicus, Laurentius 380 Ludwig, Fst. von Anhalt 385 Ludwig VI., Landgf. von Hessen-Darmstadt 262 Luise, Hzgn. von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geb. von Anhalt-Dessau 291 Łukaszewicz, Józef 268 Lundorp, Michael Caspar 315 Luther, Martin 9, 19–21, 23, 25, 28, 30, 40f., 56, 257, 357 Macripodari, Hiacynth 177f. Manlius, Johannes 356 Mannagetta, Johann Georg von 180f. Manzador, Pius 453 Mapy, János 172
Personenregister
Marheineke, Philipp Konrad 19f. Maria Anna Amalie, Pzn. von HessenHomburg → Marianne, Pzn. von Preußen Maria Theresia, Kgn. von Böhmen und Ungarn 62, 64–66, 68, 78f., 82, 162, 167, 172, 176, 189, 192, 204, 267, 338, 343f., 346, 452f., 455f., 470, 473 Marianne, Pzn. von Preußen, geb. Ma- ria Anna Amalie, Pzn. von Hessen- Homburg 496, 500 Martinius von Dražov (Martinius z Dražova), Samuel 243 Mártonfi, György 448–450, 452f., 455 Mastai-Ferretti, Giovanni Maria → Pius IX., Papst Maťa, Petr 108 Matthias, Ks. 150f., 181, 230 Matuschka, Gustav von 491 Matyasovszky, László 180 Maximilian I., Ks. 148 Maximilian II., Ks. 101, 380 Maximilian II. Franz, Ehzg.von Österreich 78 Meadow, Philip 315 Mednyánszky, Ferenc 452f. Meiern, Johann Gottfried von 323, 419 Meisner, Balthasar 333 Meister, Joachim 379 Melanchthon, Philipp 30, 136, 378 Melius Juhász, Péter 220–222 Meltzl, Oskar von 184 Merckel, Friedrich Theodor von 496 Meyer, Dietrich 285, 400 Migazzi, Christoph Bartholomäus Anton 176, 458 Miklósy, Ferenc 174 Milde, Heinrich 357, 362, 364 Mindszenty, József → Pehm, József Miskolczi Csulyak, István 231f. Mitchell, Andrew 344 Modrzewski, Andrzej Frycz 30, 59 Molanus, Gerhard Wolter 299f. Moller (Mollerus), David 380 Molnár, Ján 265 Monau (Monavius), Jakob 227, 381
531
Moritz Adolf, Hzg. von Sachsen-Zeitz 477 Moser, Johann Jacob 318, 340 Mosheim, Johann Lorenz 333 Müller, Joseph Theodor 400 Musonius, Fam. 275 Musonius, Johannes Samuel 275, 281 Musonius, Susanna Dorothea, geb. Opitz 279 Nádasdy, László 470 Nádasdy, Tamás 222 Nagy, Ignác 167 Nel, Johann 229 Němčanský, Jan 219 Neumann, Caspar 299f. Nilles, Nikolaus 164, 172 Nitschmann, David 269, 281, 402–404, 412f. Nosidlo von Geblice (Nosidlo z Geblic), Václav 243 Oberuč, Ján 335 Olász, Mihály 452 Opitz, Martin 131 Opitz, Salomon 275, 279 Opitz, Susanna Dorothea → Musonius, Susanna Dorothea Opsimathes, Jan 226, 232 Ordódy, Gábor 171 Otto III., Ks. 72 Padányi Biró, Márton 81f., 265, 343f., 421, 456 Pahncke, Karl 123, 136 Paintner, Michael Anton 163 Pálffy, János 175 Pálffy, Miklós 79 Pálffy, Tamás 252 Pamphilj, Giovanni Battista → Innozenz X., Papst Pápai Páriz, Ferenc der Ältere 277, 433 Paprocký (Paprocki), Bartoloměj (Bartosz) 103 Pareus, David 224 Patačić, Adam Aleksandar 173, 175 Pataki, Ioan 449f.
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Anhang
Pavlovský von Pavlovitz (Pavlovský z Pavlovic), Stanislaus (Stanislav) 97, 103–105 Pázmány, Péter 165–167, 251 Pecci, Vincenzo Gioacchino → Leo XIII., Papst Pehm, József (Kard. József Mindszenty) 82 Peintner, Blasius 87 Pelargus, Christoph 138 Peter I., Zar von Russland 435 Peucer, Caspar 136 Piasecki, Paweł 32f. Piombese, Nicolò 183 Pitiscus, Bartholomaeus 122, 130, 136, 138, 156, 219, 224 Pius IV., Papst 450 Pius VI., Papst 478 Pius IX., Papst 184 Pogarell, Fam. 99 Polanus von Polansdorf, Amandus 119, 138, 223, 226 Polheim, Weikhard von 210 Popel von Lobkowitz (Popel z Lobkovic), Zdenko Adalbert (Zdeněk Vojtěch) 101 Poot, Abraham van 212 Pósaházi, János 261, 263 Possevino, Antonio 221 Pray, György 72, 458 Predojević, Gavrilo 168 Predojević, Vasilije 168 Press, Volker 46 Prokop aus Neuhaus (Prokop z Jindřichova Hradce) 9 Prokop der Kahle 242 Promnitz, Fam. 98f. Promnitz, Balthasar von 97, 99, 101 Prusinovský, Wilhelm (Vilém) 103 Puttkamer, Joachim von 49 Ráday, Pál 430 Radvánsky, Anton 48 Radziwiłł, Fam. 126, 128f. Radziwiłł, Elisabeth Sophie, geb. Pzn. von Brandenburg 129 Radziwiłł, Janusz 129
Radziwiłł, Krzysztof 128f. Rákóczi, Ferenc II. → Ferenc II. Rákóczi Ranke, Leopold (von) 20f. Reclam, Pierre Chrétien Frédéric 239, 483 Reden, Friederike von 491f., 495–500, 506f. Reden, Friedrich Wilhelm von 491 Reinhard, Wolfgang 70 Rettegi, György 455 Reuß, Eleonore Fstn. 495 Reuter, Quirin 129 Révay, Antal de 171, 174 Reymann, Gottfried 327 Rhediger, Ernst Friedrich 129 Rhediger, Nikolaus 129f. Rhediger, Wilhelm 129 Rheinwald, Georg Friedrich Heinrich 502f. Rhode, Gotthold 406 Ribbeck, Friedrich 496 Ritter, Valentin 386 Ritzler, Remigius 164, 168 Rojas y Spinola, Cristobal de 80, 172, 175f., 300 Rosacius Hořovský, Jan 243 Rosenberg, Abraham Gottlob 286 Rosenberg (z Rožmberka), Fam. 153 Rosenberg (z Rožmberka), Peter Wok (Petr Vok) von 156, 219 Rostock, Sebastian (von) 97, 301, 469 Roth, Johann Gottlieb 501, 503–505 Roth, Johannes IV. 89 Roth-Scholtz, Friedrich 352 Rother, Christian von 503–505 Rudolf II., Ks. 90, 101f., 150, 206, 228, 259, 380, 385 Rudolph, Fst. von Anhalt 385 Rücker, Stanislaus 365 Rüdinger, Esrom 137, 217, 387 Rummel, Franz Ferdinand von 173, 176 Salza, Fam. 96f. Salza, Jakob von 96, 100 Sánta Kálmáncsehi, Márton 221 Sarcerius, Erasmus 372
Personenregister
Sauser, Ekkart 482 Schaffgotsch, Fam. 15, 109f., 209, 460– 481 Schaffgotsch, Cajetan von 475, 481 Schaffgotsch, Ceslaus Gotthard von 473, 475, 477 Schaffgotsch, Christoph Leopold von 468f., 471 Schaffgotsch, Franz Gotthard von 465, 472 Schaffgotsch, Gotthard Franz von 468– 471 Schaffgotsch, Hans Ulrich von 209, 462f., 468, 470 Schaffgotsch, Johann Anton von 460, 465, 471, 479f. Schaffgotsch, Johann Anton Ernst von 109 Schaffgotsch, Johann Prokop von 109, 477–481 Schaffgotsch, Leopold Gotthard von 465, 472 Schaffgotsch, Ludwig Gotthard von 465 Schaffgotsch, Philipp Gotthard von 82, 343f., 460f., 464–468, 472–474, 476 Scharff, Gottfried Balthasar 309 Scheffler, Johannes (Angelus Silesius) 295 Schellendorf, Friedrich von 301 Schickfus, Jacob 137, 387 Schiller, Fam. 314 Schiller, Pilgram 314 Schilling, Heinz 140, 142f. Schinkel, Karl Friedrich 499 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 484 Schlözer, August Ludwig (von) 399 Schmauß, Johann Jakob 323, 419 Schmettau, Fam. 315 Schmettau, Heinrich 298–300, 312, 315 Schmettau, Wolfgang (von) 312f. Schmidt, Hans-Joachim 71 Schnell, Ludwig 483 Schönaich, Fam. 289, 303, 305 Schönaich, Carl Albrecht von 303, 313 Schönaich, Georg von 130, 139, 313, 388
533
Schönaich, Hans Carl von → CarolathBeuthen, Hans Carl zu Schönaich, Helene Sophie von 303 Schönaich-Carolath, Fam. 126 Schönborn, Fam. 481 Schönborn, Franz Georg von 84 Schönborn, Friedrich Karl von 84 Schönborn-Buchheim, Fam. 78 Schrattenbach, Fam. 479 Schubert, Ernst 45, 47 Schwartner, Márton 163 Schweinitz, David von 301 Scultetus, Abraham 111–142, 224, 232, 379f., 387 Sedlnitzky, Fam. 305 Segner, Johann Andreas von 424 Sennyey, István 162, 168 Severini, Pavol 363 Sigismund, Ks. 74 Siltmann, David Nathanael 312 Silvester I., Papst 259 Silvester II., Papst 72, 254f., 259 Simon 442 Simonides, Ján 361 Sinapius-Horčička, Ján 365 Sinold, Philipp Balthasar (genannt von Schütz) (Pseud. Irenicus Ehrenkron) 208, 308f. Sinzendorf, Fam. 209f. Sinzendorf, Philipp Ludwig von 85–87, 100, 460f., 473f. Sinzendorf, Philipp Ludwig Wenzel von 85 Sinzendorf, Rudolf von 209f. Sitkovius (Sittkowitz), Fam. 269f., 275f. Sitkovius (Sittkowitz), Andreas 270 Sitkovius (Sittkowitz), Anna Dorothea 276 Sitkovius (Sittkowitz), Catharina Dorothea, geb. Woide 276, 282 Sitkovius (Sittkowitz), Christian 14, 268–282, 322, 401–406, 410, 413– 415, 425, 429 Sitkovius (Sittkowitz), Elisabeth, geb. Keßler 276 Sitkovius (Sittkowitz), Gregor 269 Sitkovius (Sittkowitz), Johannes 270
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Anhang
Sitkovius (Sittkowitz), Johann Ernst 276 Sitkovius (Sittkowitz), Samuel David 270, 275f., 279 Sitkovius (Sittkowitz), Susanne Elisabeth, geb. Vigilantius 282 Sitsch, Johannes von 97, 101f. Sixt von Ottersdorf, Johann Theodor 243 Skála von Zhǒre (Skála ze Zhǒre), Pavel 243 Smiřický von Smiřice (Smiřický ze Smiřic), Jaroslav 223 Sobeck, Fam. 305 Sommerfeld, Elias Daniel von 87, 93f. Sophie Elisabeth, Hzgn. von Liegnitz, Brieg und Wohlau, geb. Pzn. von Anhalt-Dessau 127 Spáczay, Pál 181 Spaur, Fam. 479 Spener, Philipp Jakob 297 Sporck, Franz Anton von 351–355 Štefan, Ondřej 217 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom und zum 495 Steinwehr, Wolfgang Balthasar Adolf von 201, 345 Stephan I., der Heilige, Kg. von Ungarn 71–73, 255, 259, 442 Stock, Simon Ambros von 176 Stökl, Günther 22 Strachwitz, Johann Maria von 475 Stralenheim, Henning von 302, 305, 308, 312 Stránský, Pavel 244–247 Strauß, Friedrich 490f., 497, 502 Strejc, Jiří 217f., 232 Strimesius, Samuel 271f. Stüler, Friedrich August 495 Sükösd, János 445 Süßmilch, Johann Peter 82, 342, 346f. Süssenbach, Theophil 497, 499 Šufflay, Milan 169 Szalinai, István P. 445 Szathmárnémethi, Mihály 261–263 Szebelébi, Bertalan 445 Széchényi, György 76
Szegedi, Ferenc 254 Szegedi, Gergely 221 Szenczi Molnár, Albert 39, 226, 232 Szirmay, Tomás 199f. Szögyény-Marich, László 185 Szörényi, László 174 Sztoyka de Szala, Zsigmond Antal 453f. Szturc, Jan 268 Taruffi, Giuseppe Antonio 175 Telekesy, István 171 Teufel, Fam. 210 Thaly, Kálmán 260 Themanites, Eliphaz 263 Thököly, Miklós 232 Thun, Fam. 479 Thun und Hohenstein, Josef Maria von 162 Thurn, Heinrich Matthias von 242 Thurzó, Johannes V. 90 Thurzó, György 181 Timon, Ákos 74 Tisza, Kálmán 184f. Tobian, Christian Gersom 275 Tóth, István György 441 Toussain (Tossanus), Daniel 135, 379 Tramp, Fam. 339 Trautmann, Samuel 339 Trefort, Ágoston 185 Troilo, Fam. 94, 96 Troilo, Johann Franz von 94f. Troilo, Nikolaus von 94 Trozendorf, Valentin 384 Tschernembl, Georg Erasmus von 156, 229f., 377, 394 Tschidrich, Johann Christoph 331 Tyroff, Fam. 402 Tyroff, Martin 402 Unger, Fam. 484 Urban VIII., Papst 165 Ursinus, Zacharias 135 Ursinus von Baer (Bär), Benjamin 272 Valjavec, Fritz 327 Varposcus, Adrianus → Dornavius (Dornau), Caspar
Personenregister
Velsen, Dorothee von 297 Verbőczy, István 74, 222, 257 Vergil 300 Verinus, Eusebius → Benczúr, József Veszely, Károly 441 Vigilantius, Susanne Elisabeth → Sitkovius (Sittkowitz), Susanne Elisabeth Vokál, Václav 356, 358, 365 Vratanja, Simeon 168 Waldstein (z Valdštejna), Emmanuel Ernst (Emanuel Arnošt) von 477 Wallenstein (z Valdštejna), Albrecht Wenzel Eusebius (Albrecht Václav Eusebius) von 244 Wandycz, Piotr S. 240 Waser, Caspar 214 Weber, Georg 21 Węgierski, Andrzej 11, 60 Weidmann, Fam. 363 Weingarten, Johann Jacob von 194 Weres, Balázs 222 Werner, Friedrich Bernhard 412 Werner, Oscar 172 Wernsdorf der Ältere, Gottlieb 363 Wesselényi, Ferenc 251, 328 Wilhelm, Pz. von Preußen 494, 497 Wilmowsky, Fam. 310, 316 Wilmowsky, Friedrich Karl von 316 Wilmowsky, Ludwig Moritz von 305, 310–316 Wilpert, Balthasar 139 Wirz, Johann Conrad 280, 404f., 413f., 429 Wittola, Markus Anton 176 Woide, Anna Sophia, geb. Felsmann 276 Woide, Catharina Dorothea → Sitko- vius (Sittkowitz), Catharina Dorothea
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Woide, Johanna Sophia → Cassius, Johanna Sophia Woide, Peter 276 Woide, Susanna, geb. Callmann (Kollmann), verw. Gertich 276 Wolf, Peter Philipp 266 Wolff, Christian 300 Wolgast, Eike 140 Wotschke, Theodor 24, 275, 288 Wratislaw von Mitrowitz (Vratislav z Mitrovic), Johann Wenzel (Jan Václav) 209, 317 Wünsch, Thomas 108 Wutke, Konrad 495 Wylich und Lottum, Carl Friedrich Heinrich von 491 Young, Johannes Albert 279, 281 Zábráczky, József 183 Zach, Krista 440 Zbiskó, József Károly 172 Zebrzydowski, Mikołaj 150 Zedtwitz, Fam. 211 Zedtwitz, Joseph Adam von 211 Žerotín (ze Žerotína), Karl der Ältere (Karel starší) 124, 145f., 150f., 231, 241 Zichy, Ferenc 162, 171, 173f. Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von 269, 281, 396–398, 400–405, 409–411, 413–416 Žižka, Jan 242 Zorger, Gergely 453 Zschackwitz, Johann Ehrenfried 208, 308 Zucconi, Vincenzo 179 Zugehör, Daniel 279
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Ortsregister Agram (kroat. Zagreb, ung. Zágráb) 76, 166, 168, 172, 181f., 184f. Aiud → Straßburg am Mieresch Alba Iulia → Weißenburg Almissa → Omiš Altbunzlau (tsch. Stará Boleslav) 176 Altdorf 220, 226 Altranstädt 14, 205, 207, 283–285, 289, 293, 295f., 299, 301f., 305–308, 310, 312f., 315–320, 375, 390, 465 Amberg 155, 360, 380 Amsterdam 11, 212, 277 Arbe → Rab Armagh 72 Arnsdorf (poln. Karnków) 342, 345 Augsburg 45 Bač → Batsch Bács → Batsch Bamberg 387 Banská Bystrica → Neusohl Banská Štiavnica → Schemnitz Bardejov → Bartfeld Bartfeld (slow. Bardejov) 260, 262 Basel 119–121, 223, 226, 239, 377 Batsch (serb. Bač, ung. Bács) 169, 183 Belgrad (serb. Beograd) 161, 163, 170, 172, 185 Beograd → Belgrad Berchtesgaden 482 Berlin 14, 19, 30, 79, 81f., 115, 124, 127f., 133, 137f., 200f., 269–272, 275, 277, 280–282, 298–300, 302, 304, 310f., 313, 315f., 322, 329, 340, 342, 344–347, 362, 386, 396–409, 413–416, 424, 426–429, 431–434, 436, 483f., 486f., 491, 494, 497, 500, 502, 505 Bern 120 Bernstadt (poln. Bierutów) 208, 308 Besztercebánya → Neusohl Beuthen an der Oder (poln. Bytom
Odrzański) 130f., 139, 220, 312, 386, 388 Bierutów → Bernstadt Böhmisch Budweis (tsch. České Budějovice) 109, 464, 477–480 Bolesławiec → Bunzlau Bourges 72 Brandberg 485 Bratislava → Pressburg Breslau (poln. Wrocław) 22, 70, 82, 84– 103, 106, 108, 110, 122, 131, 135, 138, 148, 157, 176, 209, 223, 227, 284, 291, 295–300, 302–306, 309f., 312, 314, 316–318, 321, 341–343, 379, 384, 388, 460f., 464–469, 471– 477, 492f., 496, 505 Brieg (poln. Brzeg) 131, 137, 142, 198, 210, 273, 284, 291, 294, 297–301, 309, 311f., 315, 339f., 381, 386f., 463 Brixen 489, 501 Brno → Brünn Brünn (tsch. Brno) 58, 109, 366, 368, 464, 477, 479f. Brzeg → Brieg Buchwald (poln. Bukowiec) 494, 496, 499 București → Bukarest Buda → Ofen Budapest 164 Budua → Budva Budva (ital. Budua) 170, 172, 174 Budweis → Böhmisch Budweis Bukarest (rum. București) 438f. Bukowiec → Buchwald Bunzlau (poln. Bolesławiec) 98, 376 Bytom Odrzański → Beuthen an der Oder Byzanz → Konstantinopel Canterbury 72 Carolath (poln. Siedlisko) 304 Cattaro → Kotor Cenad → Tschanad
Ortsregister
Čerenčany 328 České Budějovice → Böhmisch Budweis Český Těšín → Teschen Chomutov → Komotau Cieszyn → Teschen Ciucsângeorgiu → Csik-Szent-György Cluj-Napoca → Klausenburg Crossen (poln. Krosno Odrzańskie) 303, 310, 312, 316 Csanád → Tschanad Csik-Szent-György (rum. Ciucsângeorgiu, ung. Csíkszentgyörgy) 448 Csíkszentgyörgy → Csik-SzentGyörgy Curzola → Korčula Đakovo (ung. Diakovár) 183 Danzig (poln. Gdańsk) 36, 270, 358 Debrecen → Debreczin Debreczin (ung. Debrecen) 11, 221f., 261, 436 Den Haag 277, 430 Dessau 127 Diakovár → Đakovo Dicsőszentmárton → Martinskirch Dordrecht 124 Dresden 243 Drisht (ital. Drivasto) 167, 169f. Drivasto → Drisht Düsseldorf 303 Dulcigno → Ulcinj Dulma 170f. Ebersdorf 413 Eger → Erlau Eibenschitz (tsch. Ivančice) 44, 137, 217, 291, 387 Elbing (poln. Elbląg) 36, 358 Elbląg → Elbing Ellwangen 84 Emden 118, 125, 380 Enyed → Straßburg am Mieresch Eperies (slow. Prešov) 329f., 333, 335, 337, 341f., 345 Erdmannsdorf-Zillerthal (poln. Mysłakowice) 494, 496, 499, 501–505
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Erlau (ung. Eger) 76, 80, 171, 181, 199, 252–254, 265, 328, 442, 450 Esztergom → Gran Făgăraș → Fogarasch Fischbach (poln. Karpniki) 496 Fogaras → Fogarasch Fogarasch (rum. Făgăraș, ung. Fogaras) 449, 451 Frankfurt am Main 124, 228, 308, 316, 334 Frankfurt an der Oder 201, 270–272, 274–276, 279–281, 298, 304, 310, 342, 345, 378, 410, 432f., 436 Fraustadt (poln. Wschowa) 282 Fresach/Kärnten 369 Freystadt (poln. Kożuchów) 308, 376 Fünfkirchen (ung. Pécs) 173, 442 Gdańsk → Danzig Genève → Genf Genf (frz. Genève) 111, 218, 221–223, 226f., 420 Glatz (poln. Kłodzko) 99, 105f. Glogau (poln. Głogów) 93, 100, 135, 139, 321, 374, 376–379, 385f., 388f., 392f., 466 Głogów → Glogau Gnesen (poln. Gniezno) 53, 89, 108, 471 Gniezno → Gnesen Gönc 261 Görlitz 135–137, 232, 375f., 379f., 386, 392 Göttingen 399, 424 Goldberg (poln. Złotoryja) 220, 378, 384 Góra → Guhrau Gotha 331f. Gran (ung. Esztergom) 53, 72, 77, 161, 167, 174f., 177, 181, 184, 199, 253, 259, 443f., 447–450, 452, 454 Greifswald 370 Grodków → Grottkau Großenyed → Straßburg am Mieresch Großwardein (rum. Oradea, ung. Nagyvárad) 164, 173f., 176, 253, 255– 257, 259–263, 265, 443
538
Anhang
Grottkau (poln. Grodków) 92, 136 Grünberg (poln. Zielona Góra) 111, 122, 136, 376, 387 Guben (poln. Gubin) 376, 392 Gubin → Guben Guhrau (poln. Góra) 376, 386 Gurk 70, 162 Győr → Raab Gyulafehérvár → Weißenburg Haarlem 318 Halberstadt 427 Halle an der Saale 65, 297, 339, 357, 361–365, 397 Hamburg 334 Hanau 39 Hannover 299 Hartliebsdorf (poln. Skorzynice) 504f. Heidelberg 39, 111f., 114, 116, 119f., 123, 125f., 128f., 131–133, 135–137, 139–141, 153, 156, 159, 219, 223– 227, 232, 297, 370, 379, 382, 420 Heidelsheim 379 Herborn 226, 232 Hermannstadt (rum. Sibiu, ung. Nagyszeben) 221, 443, 454f., 457 Herrndorf (poln. Żukowice) 320, 376, 378, 380–382, 388f., 391, 393 Herrnhut 15, 269, 281f., 379, 396–405, 407, 409–411, 413–416, 425, 494, 496 Heyersdorf (poln. Jędrzychowice) 282 Hildelsheim 135 Hippach 501 Hirschberg (poln. Jelenia Góra) 491, 493f., 496 Hradec Králové → Königgrätz Hvar (ital. Lesina) 166, 170, 172, 174 Innsbruck 99, 164, 202, 482, 484 İstanbul → Konstantinopel Ivančice → Eibenschitz Jägerndorf (tsch. Krnov) 145 Jászó 185 Jauer (poln. Jawor) 461 Jauernig (tsch. Javorník) 475
Javorník → Jauernig Jawor → Jauer Jędrzychowice → Heyersdorf bei Fraustadt Jelenia Góra → Hirschberg Jena 49, 129, 262 Jindřichův Hradec → Neuhaus Joachimsthal 271 Käsmark (slow. Kežmarok, ung. Késmárk) 232 Kaliningrad → Königsberg i. Pr. Kalocsa 72, 166, 172–174, 177, 180f., 183f., 265, 439, 442f. Karlsburg → Weißenburg Karnków → Arnsdorf Karpniki → Fischbach Kaschau (slow. Košice, ung. Kassa) 173, 251–254, 256, 258, 260, 262f., 328f., 432 Kassa → Kaschau Késmárk → Käsmark Kežmarok → Käsmark Kiew (ukr. Kyïv) 53 Kladau (poln. Kłodawa) 375, 380f., 386, 389, 393 Klausenburg (rum. Cluj-Napoca, ung. Kolozsvár) 32, 261, 458 Klobouk (tsch. Klobouky) 368 Klobouky → Klobouk Kłodawa → Kladau Kłodzko → Glatz Knin 163, 166, 170, 172f., 175–177, 185 København → Kopenhagen Köln 78, 483, 485 Königgrätz (tsch. Hradec Králové) 178, 238, 351, 355, 481 Königs Wusterhausen (Wusterhausen) 405 Königsberg i. Pr. (russ. Kaliningrad) 36, 271, 303, 312, 405, 436 Kolozsvár → Klausenburg Komotau (tsch. Chomutov) 194 Konstantinopel (Byzanz, türk. İstanbul) 53, 154 Konstanz 23, 74f.
Ortsregister
Kopenhagen (dän. København) 410 Korčula (ital. Curzola) 170f., 174 Košice → Kaschau Kotor (ital. Cattaro) 170, 173f. Kowary → Schmiedeberg im Riesengebirge Kożuchów → Freystadt Krakau (poln. Kraków) 33, 224, 338 Kraków → Krakau Kralice nad Oslavou → Kralitz Kralitz (tsch. Kralice nad Oslavou) 217f., 291 Krbava 167, 170, 182f. Krk (ital. Veglia) 170–172, 183 Krnov → Jägerndorf Krosno Odrzańskie → Crossen Kufstein 484 Kuks → Kukus an der Elbe Kukus an der Elbe (tsch. Kuks) 351– 354 Kutná Hora → Kuttenberg Kuttenberg (tsch. Kutná Hora) 9f., 42 Kyïv → Kiew
539
Litoměřice → Leitmeritz Ljubljana → Laibach Loccum 299 Löwen (ndl. Leuven) 460 Löwenberg (poln. Lwówek Śląski) 504 Łomnica → Lomnitz Lomnitz (poln. Łomnica) 499 London 239, 277, 282, 431 Lorbach 135, 379 Lubań → Lauban Lublin 60 Lwówek Śląski → Löwenberg Lysá nad Labem → Lissa an der Elbe
Maastricht 176 Macarsca → Makarska Magdeburg 24 Mainz 56, 71, 84f., 87 Makarska (ital. Macarsca) 166, 170f., 174 Mannheim 262 Mantova → Mantua Mantua (ital. Mantova) 179 Marča 168 Laibach (slowen. Ljubljana) 356 Martinsberg (ung. Pannonhalma) 185 Lauban (poln. Lubań) 399 Martinskirch (ung. Dicsőszentmárton, rum. Târnăveni) 440 Legnica → Liegnitz Medgyes → Mediasch Leiden 239, 245, 270, 275–277, 279, Mediaș → Mediasch 420 Mediasch (rum. Mediaș, ung. Leipnik (tsch. Lipník nad Bečvou) 219 Medgyes) 448 Leipzig 23, 284, 295, 309, 334, 353, 362f., 378, 380 Michelsdorf (poln. Miszkowice) 486, Leitmeritz (tsch. Litoměřice) 244, 477 493 Lesina → Hvar Minden 481 Leszno → Lissa Miszkowice → Michelsdorf Modruš 76, 182f. Leuven → Löwen Liegnitz (poln. Legnica) 131, 142, 273, Moselbrück (frz. Pont à Mousson) 460 284, 294, 297, 301, 309, 381, 393, Moskau (russ. Moskva) 435 Moskva → Moskau 463, 466 Linz 156, 256f. München 327 Lipník nad Bečvou → Leipnik Münster/Westfalen 78, 248, 292, 320, Lissa (poln. Leszno) 15, 268–271, 273, 323 275–282, 291, 303, 312, 356, 401– Mukačeve → Munkatsch 405, 407, 411f., 414–416, 425, 429, Mukačevo → Munkatsch 431, 434 Munkács → Munkatsch Lissa an der Elbe (tsch. Lysá nad Munkatsch (ukr. Mukačeve, ung. Labem) 353 Munkács, slow. Mukačevo) 450
540
Anhang
Mysłakowice → Erdmannsdorf-Zillerthal Nagyenyed → Straßburg am Mieresch Nagyszeben → Hermannstadt Nagyvárad → Großwardein Neckarelz 135 Neisse (poln. Nysa) 92, 98–100, 102, 130, 473 Neudorf am Gröditzberg (poln. Nowa Wieś Grodziska) 296 Neuhaus (tsch. Jindřichův Hradec) 9 Neusohl (slow. Banská Bystrica, ung. Besztercebánya) 173, 231, 234, 361, 424 Neustadt O.S. (poln. Prudnik) 129 Neustadt an der Haardt 122 Neutra (slow. Nitra, ung. Nyítra) 171, 174, 180f., 260, 329 Nin (ital. Nona) 162, 166, 170f., 173– 175 Nitra → Neutra Nona → Nin Nové Mesto nad Váhom → Waagneustadtl Nowa Wieś Grodziska → Neudorf am Gröditzberg Nürnberg 41, 203, 353, 360, 466 Nyítra → Neutra Nysa → Neisse Ochrid → Ohrid Ödenburg (ung. Sopron) 163, 175, 177, 223, 424 Oels (poln. Oleśnica) 291 Ofen (ung. Buda) 177, 183 Ohri → Ohrid Ohrid (Ochrid, türk. Ohri) 169 Oleśnica → Oels Olmütz (tsch. Olomouc) 56, 70f., 86, 90, 98, 100, 102–107, 209, 223, 387, 460, 463f., 470, 472, 477, 479f. Olomouc → Olmütz Omiš (ital. Almissa) 170, 174 Opava → Troppau Opole → Oppeln Oppeln (poln. Opole) 466
Oradea → Großwardein Osnabrück 248, 292, 323 Osor (ital. Ossero) 170, 181 Ossero → Osor Ostrzeszów → Schildberg Oxford 124, 429 Padova → Padua Padua (ital. Padova) 103 Pannonhalma → Martinsberg Pápa 222 Peć (Peja, alban. Pejë) 168f. Pécs → Fünfkirchen Peja → Peć Pejë → Peć Pennsburg, Pa. 297 Petersdorf (rum. Petrești) 253 Petrești → Petersdorf Pforta 136 Pirna 243 Pleterje 168 Pont à Mousson → Moselbrück Posen (poln. Poznań) 273, 282, 310 Potsdam 315, 407 Poznań → Posen Pozsony → Pressburg Prag (tsch. Praha) 39, 42–44, 56, 62, 70f., 90f., 101, 115, 118, 123, 125, 132, 138, 140, 142, 148, 152–157, 159f., 178, 194, 214, 218, 226, 230, 241, 244f., 295, 297, 303, 332, 351– 353, 356f., 360, 365, 367, 469, 477f. Praha → Prag Prerau (tsch. Přerov) 219 Přerov → Prerau Prešov → Eperies Prešporok → Pressburg Pressburg (slow. Bratislava, Prešporok, ung. Pozsony) 40, 64, 162, 174, 177f., 180, 230, 260, 264, 329, 331, 333, 338, 366, 424, 457 Prizren 169f. Prudnik → Neustadt O.S. Przemyśl 32f. Raab (ung. Győr) 77, 163, 171, 173f., 265, 420, 442
Ortsregister
Rab (ital. Arbe) 170f., 181 Rattimau (tsch. Vratimov) 304, 315 Regensburg 79, 197, 202, 210f., 263, 293, 315, 320, 327, 334, 339, 379, 388, 411, 423f., 430, 462 Reihen 379 Rijswijk 294 Risan (ital. Risano) 170f., 174, 176, 178f. Risano → Risan Rjasań 435 Roermond 177 Rom (ital. Roma) 52, 74, 78, 82, 86, 89, 94, 103, 162, 164f., 168, 170, 174f., 178, 180, 253, 255, 260, 346, 439, 444, 448f., 460, 467f., 471, 473, 475 Roma → Rom Rosenau (slow. Rožňava, ung. Rozsnyó) 171, 327 Rožňava → Rosenau Rozsnyó → Rosenau Sagan (poln. Żagań) 376, 466 Salzburg 70, 85, 105f., 202f., 334, 395, 405, 423, 482, 489 Sandomierz → Sandomir Sandomir (poln. Sandomierz) 30, 59, 410 Sardika → Sofia Sárospatak 222, 261 Sárvár-Újsziget 222 Saumur 376 Scardona → Skradin Schäßburg (rum. Sighișoara, ung. Segesvár) 441 Schemnitz (slow. Banská Štiavnica) 424 Schildberg (poln. Ostrzeszów) 22 Schmiedeberg im Riesengebirge (poln. Kowary) 491, 497f., 501f., 506 Schokken (poln. Skoki) 273, 275 Schreiberhau (poln. Szklarska Poręba) 506 Schweidnitz (poln. Świdnica) 138, 353f. Schwiebus (poln. Świebodzin) 386 Scutari → Shkodra Sebenico → Šibenik Seckau 70, 106
541
Segesvár → Schäßburg Segna → Zengg Semendria (serb. Smederevo) 163, 172, 185 Senj → Zengg Serdica → Sofia Shkodër → Shodra Shkodra (Shkodër, ital. Scutari) 169f., 172, 174 Shkupi → Skopje Šibenik (ital. Sebenico) 170–173 Sibiu → Hermannstadt Sichelburg (kroat. Žumberak) 168 Siedlisko → Carolath Sighișoara → Schäßburg Skalica → Skalitz Skalitz (slow. Skalica) 365 Skoki → Schokken Skopje (türk. Üsküb, alban. Shkupi) 170, 172, 178 Skorzynice → Hartliebsdorf Skradin (ital. Scardona) 166, 170, 172 Smederevo → Semendria Sofia (Sardika, Serdica, bulg. Sofija) 170 Sofija → Sofia Sopron → Ödenburg Spandau 430 Sprottau (poln. Szprotawa) 106, 392 Stagno → Ston Stará Boleslav → Altbunzlau Sterbohol (tsch. Štěrboholy) 230 Štěrboholy → Sterbohol Ston (ital. Stagno) 170 Stralsund 302 Strasbourg → Straßburg Straßburg (frz. Strasbourg) 128 Straßburg am Mieresch (Enyed, Großenyed, rum. Aiud, ung. Nagyenyed) 221, 277, 433 Stuhlweißenburg (ung. Székesfehérvár) 74, 167 Sulechów → Züllichau Sulzbach 360 Świdnica → Schweidnitz Świebodzin → Schwiebus Swierczyn in Kujawien (poln. Świerczyny) 269
542
Anhang
Świerczyny → Swierczyn in Kujawien Székesfehérvár → Stuhlweißenburg Szklarska Poręba → Schreiberhau Szprotawa → Sprottau Târnăveni → Martinskirch Temesvár → Temeswar Temeswar (rum. Timișoara, ung. Temesvár) 74 Teschen (poln. Cieszyn, tsch. Český Těšín) 142, 305, 310–312, 356, 362 Thorenburg (rum. Turda) 28, 221 Thorn (poln. Torún) 36, 270, 275f., 279, 281, 358, 406, 435, 471 Timișoara → Temeswar Toledo 72 Toruń → Thorn Trachenberg (poln. Żmigród) 463 Traù → Trogir Trebinje 170, 174, 178 Třeboň → Wittingau Trenčín → Trentschin Trento → Trient Trentschin (slow. Trenčín) 358, 365 Trient (ital. Trento) 30, 102f., 354 Trier 67, 87, 461, 465, 472 Triest (ital. Trieste) 369 Trieste → Triest Trnava → Tyrnau Trogir (ital. Traù) 170 Troppau (tsch. Opava) 119, 129 Tschanad (rum. Cenad, ung. Csanád) 173f., 181, 443, 470 Tübingen 370 Turaluka 260 Turda → Thorenburg Tyrnau (slow. Trnava) 64, 222, 259 Üsküb → Skopje Ulcinj (ital. Dulcigno) 163, 170, 172, 174 Unterwindhag 489 Utrecht 11, 60, 231, 316, 318, 436 Vác → Waitzen Veglia → Krk
Venedig (ital. Venetia) 161, 166, 169f., 172 Venetia → Venedig Veszprém → Wesprim Viechtach 125 Vrana 185 Vratimov → Rattimau Waagneustadtl (slow. Nové Mesto nad Váhom) 253 Waitzen (ung. Vác) 99, 106f., 162, 168, 174, 176, 463 Waldau/Oberpfalz 176 Warschau (poln. Warszawa) 36, 144 Warszawa → Warschau Weiden/Oberpfalz 176 Weimar 340, 342, 393, 399, 408, 433 Weißbrunn → Wesprim Weißenburg (Karlsburg, rum. Alba Iulia, ung. Gyulafehérvár) 442–445, 448–450, 452–457 Wesprim (Weißbrunn, ung. Veszprém) 167, 265f., 343f., 347, 420, 456 Wien 11, 13, 15, 38, 40, 63–65, 67–70, 76, 79–81, 84f., 88, 92, 95, 99–101, 103, 106f., 147, 150, 162, 164, 167, 171–173, 175f., 184, 194, 197, 206, 209, 214f., 220, 228, 251, 253, 256– 261, 264, 266f., 285, 291, 294f., 301f., 304, 306, 313, 316–318, 325, 329, 333, 336–346, 352, 366, 384, 388, 400, 426, 430, 436, 444, 446, 449, 450–454, 458, 461, 467f., 473f., 477 Wiener Neustadt 70, 99, 101, 172f., 177, 260 Wittenberg 19, 23, 25, 27, 32, 36, 135, 224, 297f., 328, 330–333, 336, 378– 380 Wittingau (tsch. Třeboň) 153 Wohlau (poln. Wołów) 297 Wolfenbüttel 405 Wołów → Wohlau Worms 84, 257 Wrocław → Breslau Wschowa → Fraustadt Wusterhausen → Königs Wusterhausen
Ortsregister
Żagań → Sagan Zágráb → Agram Zagreb → Agram Zengg (kroat. Senj, ital. Segna) 76, 182f. Žeravice 219 Zichlin (poln. Żychlin) 269f. Zielona Góra → Grünberg Zillerthal → Erdmannsdorf-Zillerthal Zittau 360–362, 364, 397
543
Złotoryja → Goldberg Żmigród → Trachenberg Żukowice → Herrndorf Züllichau (poln. Sulechów) 303 Zürich 214, 280, 282, 322, 378, 404f., 413, 415, 425, 429 Žumberak → Sichelburg Żychlin → Zichlin