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German Pages [132] Year 1981
Hans-Christoph Piper Kommunizieren lernen
Arbeiten zur Pastoraltheologie Herausgegeben von Martin Fischer und Robert Frick
B A N D 18
VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
Kommunizieren lernen in Seelsorge und Predigt Ein pastoraltheologisches Modell
Von H A N S - C H R I S T O P H PIPER
Mit einem Geleitwort von Eduard Lohse
VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N
Meinen Freunden und Kollegen in der Klinikseelsorge an der Medizinischen Hochschule Hannover gewidmet
CIP-Kurztitelaufnahme Piper,
der Deutschen
Bibliothek
Hans-Christoph:
Kommunizieren lernen in Seelsorge und Predigt: e. pastoraltheol. Modell / Hans-Christoph Piper. Mit e. Geleitw. von Eduard Lohse. - Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1981. (Arbeiten zur Pastoraltheologie; Bd. 18) ISBN 3-525-62191-4 NE: GT
© Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981. - Printed in Germany. O h n e ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. - Satz und Druck: Guide-Druck, Tübingen. - Bindearbeit: Hubert & Co., Göttingen.
Zum Geleit Der vorliegenden Studie möchte ich ein Wort des Geleits auf den Weg geben. Dabei sei daran erinnert, daß vor zweihundert Jahren ein Mann aus der hannoverschen Kirche, D . Heinrich Philipp Sextro, in Göttingen ein klinisches Pastoralinstitut schuf, dessen Ansätze in unserer Zeit neue Aktualität gewonnen haben. Vor zehn Jahren hat die hannoversche Landeskirche an der Medizinischen Hochschule in Hannover die Einrichtung eines Pastoralklinikums begründet. Es soll der Seelsorgeausbildung dienen und dabei die Einsichten aus den sog. Humanwissenschaften mit der theologischen Arbeit so verbinden, daß sie aufeinander bezogen werden und im Verein miteinander dazu helfen, daß die Kirche ihre Aufgabe besser erkennen und erfüllen kann. Dieser Dienst des Pastoralklinikums ist von Anfang an in ökumenischem Zusammenwirken getan worden, konnten doch insbesondere Erkenntnisse aus der niederländischen Pastoralpsychologie, wie sie von W. Zijlstra, H . Faber und anderen gewonnen wurden, aufgenommen und weitergeführt werden. Der Verfasser, der von seinem Beginn an das Pastoralklinikum in Hannover leitet, hat bereits in mehreren Veröffentlichungen von seiner Arbeit Rechenschaft gegeben. Diese Abhandlung, die sich den Gesprächsanalysen, Predigtanalysen und Gesprächen mit Sterbenden anschließt, handelt von Möglichkeiten und Wegen, die das Pastoralklinikum bietet, um Theorie und Praxis enger aufeinander zu beziehen. Kommunizierendes Lernen wird dadurch gefördert, daß Erfahrungen kritisch geprüft und theoretische Einsichten praktisch erprobt werden. Auf diese Weise wird eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der theologischen Disziplinen an so zentralen Themen wie Tod und Sterben oder Krankheit und Heilung betrieben. Es ist mein Wunsch, daß diese Untersuchung dazu ermutigen möchte, von den bisherigen Erfahrungen des Pastoralklinikums in Hannover zu lernen und die Anregungen, die es für Predigt und Seelsorge zu bieten weiß, weiterzuentwickeln. D. Eduard Lohse Landesbischof in Hannover
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Vorwort Ohne das Entgegenkommen meiner Freunde und Kollegen Erika Ostermann, Anneliese Stöben, H u g o Zabel und Klaus Brinker hätte ich nicht die Zeit gefunden, die vorliegende Arbeit zu schreiben. Sie haben aber darüber hinaus mehr Anteil an der Entwicklung, Organisation und ständigen Reflexionen der Arbeit des Pastoralklinikums, als ich in meinem Buch dokumentieren konnte. Ihnen sei es deshalb dankbar gewidmet. Dr. Ernst Berneburg, Kloster Loccum, und Karl-Heinz Bielefeld, Archivar des Ev.-luth. Stadtkirchenarchivs Göttingen, haben mir bei der „Ausgrabung" des Göttinger Pastoralinstituts von 1781 geholfen. Professor Dr. Friedrich Wintzer, Bonn, hat mich immer wieder ermutigt, den Weg weiter zu verfolgen, von dem das vorliegende Buch Zeugnis ablegen will. Dr. U w e Schnell, Rostock, half mir freundschaftlich beim Korrekturenlesen. Ich habe mich bemüht, das Buch so zu schreiben, daß der Text ohne Unterbrechung durch die Anmerkungen gelesen werden kann. Wen die Diskussion und weiterführende Literatur interessieren, mag sich zusätzlich in dem Anmerkungsteil informieren. Hannover, im Mai 1981
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Hans-Christoph Piper
Inhalt
Geleitwort von Eduard Lohse
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Vorwort
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1. Einführung 1 Das Problem 2 Der methodische Ansatz
9 9 10
2. Das Modell 1 Das Göttinger Pastoralinstitut (1781) 1 Die Konzeption Η. P. Sextros 2 Impulse und Zusammenhänge 1 Reform der medizinischen Ausbildung 2 Reform der Pädagogik 3 Zur Geschichte des Pastoralinstituts 4 Gegenkräfte 2 Das Hannoversche Pastoralklinikum 1 Zur Herkunft der Klinischen Seelsorgeausbildung 2 Die Struktur 3 Hinwendung zum Menschen
14 14 14 20 20 22 23 25 27 27 29 32
3. Struktur und Didaktik (Supervision) 1 Supervision als Struktur 2 Didaktik 1 Zur Geschichte des Lernbegriffs 2 Die sokratische Methode
34 34 36 36 38
4. Erfahrung 1 Das deduktive Lernmodell 2 Das induktive Lernmodell 3 Hermeneutische Erfahrung
44 44 46 50
5. Die G r u p p e 1 Lerngruppe 2 Gruppenprozeß 3 Individuation und Partizipation
52 52 55 56
6. Kommunikation 1 Gesprächsanalyse als Schule des Hörens 2 Pragmatische Axiome 3 Kommunikationsprozesse in der Seelsorge 4 Begleitende Seelsorge
60 60 60 63 68 7
7. Sprache 1 2 3 4
Predigtanalyse als Schule des Sprechens Ein Sprachmodell Der Konflikt zwischen Subjektivität und Objektivität Religiöse Sprache
8. Erfahrene Theologie 1 Persönliche Zeugnisse 2 Glaubens-Erfahrung 3 Dimensionen des Glaubensweges 9. Schlußüberlegungen: Grenzen und Perspektiven 1 Grenzen des Modells 2 Perspektiven für die Praktische Theologie Anhang:
Dokumentation zum Göttinger Pastoralinstitut
70 70 71 74 77 80 80 85 88 90 90 92 95
I Brief der Landesregierung betr. Zustimmung zur Einrichtung des Pastoralinstituts 1781 II Ordnung des Pastoralinstituts 1782 III Königliche Stiftungsurkunde 1783 IV Schreiben der Landesregierung betr. Dotierung der Stelle des Direktors 1786 V Bericht über das Pastoralinstitut bei Pütter 1788 VI Anweisung für die Anfertigung von Fallberichten und ihre Eintragung in das Protokollbuch (Repertorium) 1794 VII Krankenbericht aus dem Repertorium 1794 VIII Bericht über das Pastoralinstitut bei Gräffe 1803
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Anmerkungen
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Literatur (in Auswahl)
128
8
95 96 99 100 100
Wir brauchen weniger Theorien als vielmehr Erfahrung, die Quelle der Theorie ist. Ronald D. Laing1
1. Einführung 1.1 Das Problem Das Theorie-Praxis-Problem hält seit etwa einem Jahrzehnt sowohl die wissenschaftliche Theologie als auch die Kirche erneut in Atem. P. Cornehl umschrieb jüngst die Problematik mit den Worten: „Es dürfte keine unzulässige Dramatisierung sein, wenn man von einer Kluft zwischen der systematisch-theologischen Wissenschaft und dem religiös-kirchlichen Leben spricht. Diese Kluft ist mehr als die sinnvolle Distanz zwischen Theorie und Praxis, sie signalisiert tiefere Störungen." Und M. Josuttis beklagt an gleicher Stelle2, daß es der Praktischen Theologie in der Studienreform-Diskussion der letzten Jahre nicht gelungen sei, „ein wirkliches Alternativ-Modell zum herkömmlichen Studiengang zu entwickeln", und er fügt fast resignierend hinzu: „Es ist für den Augenblick viel erreicht, wenn es möglich wird, in den neuen Studienordnungen die positiven Aspekte des klassischen Ausbildungsverfahrens und einzelner bescheidener Neuansätze miteinander kombiniert zu erhalten." Zu diesen bescheidenen Neuansätzen gehören sicher auch die von Göttinger Krankenhausseelsorgern in den letzten Jahren nach dem Modell der Klinischen Seelsorgeausbildung durchgeführten Übungen für Studenten, in denen diese Krankenbesuche machen, die anschließend in den Gruppen kritisch und theologisch reflektiert werden. Ich will in der vorliegenden Schrift den Versuch unternehmen, den bescheidenen Neuansatz, der mit der Bezeichnung der „Klinischen Seelsorgeausbildung" umschrieben wird, ein Stück weit auf seine Struktur, Methodik und deren Hintergrund zu reflektieren. Das geschieht auf Grund nunmehr zehnjähriger Erfahrung mit diesem Ausbildungsmodell. Nachdem ich es 1968 in den Niederlanden kennengelernt hatte, führte ich es 1970 als Klinikpfarrer an der Medizinischen Hochschule in Hannover ein, wo es sich seitdem zum integrierten Bestandteil der Pfarrer-Fort- und Weiterbildung entwickelt hat. In der Reflexion meiner Arbeit in und an diesem Lernmodell greife ich zunächst auf ein „Pastoralinstitut" zurück, das vor zweihundert Jahren in Göttingen gegründet wurde und eine überraschende Vorwegnahme heuti9
ger Klinischer Seelsorgeausbildung darstellt. Mein Motiv, dem Göttinger „Pastoralinstitut" einen breiteren Raum im Rahmen dieser Arbeit zu widmen, ist nicht nur, damit einen Beitrag zur Geschichte der theologischen Ausbildung zu liefern, sondern vor allem, zu zeigen, wie die Klinische Seelsorgeausbildung keinesfalls als ein fremdes (amerikanisches) Produkt unseren Verhältnissen gleichsam künstlich aufgepfropft ist3, sondern durchaus im Zusammenhang europäischer Bildungsgeschichte zu verstehen ist. Sodann ist es mein Anliegen, konstitutive Elemente dieses Lernmodells in das Licht wissenschaftstheoretischer Diskussion zu rücken, um sie besser zu verstehen. Ich kann dabei nur selektiv vorgehen. Das Auswahlprinzip ist subjektiv und pragmatisch: Welche theoretischen Modelle haben sich in den Kursen für mich und für die Teilnehmer als hilfreich zum Verstehen und Verarbeiten unserer Erfahrungen erwiesen? Ich bleibe dabei also so nahe wie möglich an meiner eigenen Erfahrung. Das bedeutet aber, daß die theoretische Reflexion nicht abgeschlossen ist und nie abgeschlossen sein kann. Aus den folgenden Überlegungen wird sich, wie ich hoffe, ergeben, daß dies pragmatisch-selektive Verfahren dem Lernmodell selbst angemessen ist und sich aus diesem entwickelt hat. Der gelegentlichen Ungeduld gegenüber, mit der uns wohlgesinnte Beobachter die Mahnung zuriefen: „Freunde, werdet theoriebewußter!" 4 mußten wir unsere Geduld bewahren. Und selbst nach zehnjähriger Erfahrung versuche ich mich nur zögernd an der Aufgabe einer ersten Bestandsaufnahme, weil ich sowohl von der Größe der Aufgabe theoretischer Bewältigung der vorliegenden Probleme beeindruckt bin wie von der Vorläufigkeit meiner eigenen Uberlegungen. 1.2 Der methodische Ansatz Wir wollen in den folgenden Ausführungen das Theorie-Praxis-Problem in die Lehr-Lern-Situation hineinrücken. Auf diese Weise lösen wir es aus abstrakter Erörterung und führen es an den konkreten Ort zurück, an dem es seinen „Sitz im Leben" hat. Denn die Theorie-Praxis-Problematik lautet ja: Wie verhält sich die gelernte Theorie zu meiner Praxis? Und welche Rolle spielt die Theorie, wenn ich genötigt werde, die Praxis zu lernen? Diese Fragen stellen, heißt das Problem benennen. Es ist eine schmerzhafte, oft schockierende Erfahrung für den Praktiker, daß die „Anwendung" der Theorie in der Praxis nur bruchstückhaft gelingen will. Das Schmerzhafte dieser Erfahrung liegt in dem Umstand begründet, daß der Praktiker sich seiner Praxis hilflos und alleingelassen ausgeliefert fühlt. Als Beleg dafür zitiere ich aus der Einleitung einer wissenschaftlichen Hausarbeit, die ein Kandidat der Theologie zum zweiten theologischen 10
Examen schrieb. Er hat darin seine Verlegenheit in und mit der Praxis bereits ein Stück weit reflektiert: „Nach fünfjährigem Studium, das ich leidenschaftlich gern betrieben habe, fand ich mich im Herbst 1970 im Vikariat wieder. Dort lernte ich schnell, daß ich auf der Universität zu einem recht guten Wissenschaftler gemacht, nicht aber zu einem Pastor herangebildet worden war, der in einen lebendigen Kontakt und in ein gutes Verhältnis zu den Menschen zu treten vermag, die ihm anvertraut worden sind. Das Studium war rein akademisch und rational verlaufen, es wurde geübt der Umgang mit toten Dokumenten anstatt mit lebenden Menschen. Der Kopf war ständig in Betrieb, das Herz, die Gefühle eine reine Privatsache. Und im Vikariat zeigte sich, daß die Gemeindeglieder in den seltensten Fällen Hilfe auf rationaler Ebene benötigten, wie z.B. die Erklärung von Bibelstellen oder dogmatischen Aussagen. Nein, ihre Probleme liegen auf dem Gebiet der Emotionen und Gefühle; hier sind sie hilflos, weil niemand sie gelehrt hat, mit diesen umzugehen. Und hier versagte meine schöne theologische Erziehung, hier versagte auch besonders solche Poimenik, als deren Hauptvertreter H. Asmussen und E. Thurneysen gehört, gelesen und gelehrt wurden ..." 5 Die Rückführung des Theorie-Praxis-Problems in die Lehr-Lern-Situation hat methodisch weitreichende Konsequenzen. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht nicht mehr der Lernstoff, der tradiert wird, sondern der Lernende. Er wird dabei nicht verstanden als derjenige, der lediglich den Lernstoff zu bewältigen hätte. Sondern wir versuchen ihn zu verstehen als Menschen, der durch seine Biographie eine bestimmte Prägung erfahren hat - auch im Blick auf positive und negative Erfahrungen, die er mit seinen Lehrern und mit seinem Lernen gemacht hat - ; der in bestimmten sozialen Bezügen lebt und sich verhält; der berufliche Erfahrungen gesammelt hat und sammelt, die sich in Erfolgen und Mißerfolgen niedergeschlagen haben; und der schließlich bereit ist, seine Praxis zur Diskussion und damit sich selbst in Frage zu stellen (Lernmotivation) 6 . Es könnte auf den ersten Blick so aussehen, als ob damit zwar die Praxis angemessen berücksichtigt, die Theorie aber ausgeschaltet würde. Das ist aber keineswegs der Fall. Der Lernende kommt ja immer schon von bestimmten Theorien her. Er lebt bereits in einem relativ stabilen Bezugssystem; er versucht, mit seinem „Alltagswissen" 7 die Praxis zu bewältigen. Es kommt lediglich zu einer Konfrontation seines „Alltagswissens" mit der Praxis. Im Lernenden selbst treffen Theorie und Praxis aufeinander, und dies verursacht in der Regel Verunsicherung. Bleibt diese Verunsicherung unreflektiert und unverarbeitet, so hat dies eine Lernblockade sowohl im Blick auf die Praxis als auch hinsichtlich der Theorie zur Folge. Die 11
Vermittlung, das Gespräch zwischen Theorie und Praxis gelingt nicht. Die Theorie wird um der eigenen Stabilität willen als Bastion gegenüber der verunsichernden Praxis mißbraucht. Und das Handeln, mit dem Praxis bewältigt werden soll, geschieht ohne Reflexion und Ziel, aus Angst, daß jedes kritische Nachdenken und Nachfragen handlungsunfähig machen könnte. Auf der anderen Seite kann aber Verunsicherung, wenn sie aufgefangen und reflektiert wird, eine starke Lernmotivation zur Folge haben. Es geht also darum, Lernbedingungen herzustellen und ein Lernmodell zu entwerfen, in welchem dem Lernenden so viel Sicherheit geboten wird, daß er sich Unsicherheit leisten kann, um zu lernen. Der Kontakt zwischen Theorie und Praxis kann also nur im Lernenden selbst hergestellt werden. Deshalb steht er im Mittelpunkt unseres Interesses. Dieser methodische Ansatz legt sich auch im Blick auf die Handlungsfelder nahe, für die und in denen gelernt wird, sowie hinsichtlich des Lernziels. Die Handlungsfelder, für die das Modell der Klinischen Seelsorgeausbildung entwickelt wurde, sind die Seelsorge und die Predigt. Das Lernziel ist eine verbesserte Kommunikationsfähigkeit in beiden Feldern. Hierbei ist der Lernende persönlich betroffen, denn es geht ja um s e i n e Kommunikationsfähigkeit bzw. -Unfähigkeit, und nicht in erster Linie um die Aneignung bestimmter Kommunikationstheorien. Sicher spielen in dem Maß, wie die eigene Kommunikation reflektiert wird, theoretische Vorkenntnisse, sog. „Alltagswissen" eine (zunächst völlig unreflektierte) Rolle, die in der Praxis bewußt und aufs Spiel gesetzt werden, um korrigiert, erweitert oder verworfen zu werden. Auch dies spielt sich im Lernenden selbst ab: es geht um eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit seinem Verhalten, die nicht denkbar ist, ohne daß er es in der Praxis, indem er also Gespräche führt und predigt, auf die Probe stellt. Das Verhältnis von Theorie und Praxis stellt sich uns also weniger in einem Nacheinander dar, in dem zunächst die nicht zu hinterfragende Theorie zu rezipieren wäre, die in einem zweiten Schritt dementsprechendes Handeln aus sich heraussetzte, sondern eher in zwei Ebenen: der des Handelns, das größtenteils spontan erfolgt, und einer „Metaebene", auf der das Handeln reflektiert wird. Dadurch ändert sich auf beiden Ebenen etwas: Die Praxis wird im Blick auf die ihr innewohnenden Regeln und Gesetzmäßigkeiten durchschaubarer, so daß Störungen und deren Ursachen erkannt und aufgehoben werden können. Die Theorie wird von grundlegenden neuen Erfahrungen beeinflußt, die nach Erklärung und Einordnung rufen, damit sie ihre Handlungsfähigkeit nicht einbüßt. 12
Das entspricht den beiden Ebenen von Verstehen und Erklären. Verstehen ist ein intuitiver Vorgang, in dem der Verstehende mit sich selbst und mit dem, was er versteht und verstehend tut, im Einklang ist. Eine Störung macht sich in dem Augenblick bemerkbar, wo er „etwas nicht mehr versteht". Jetzt bedarf er der Erklärung, damit sein Verstehen wieder hergestellt wird. „Es zeigt sich also, daß Verstehen und Erklären einander nicht als gleichberechtigte Glieder einer Alternative gegenüberstehen. Das Verstehen ist vielmehr das Ursprüngliche und das Erklären setzt überall da ein, wo das Verstehen auf seine Grenzen stößt" (O. F. Bollnow)8. Wenn wir Theorie und Praxis auf diese Weise einander zuordnen, dann verstoßen wir praktisch sogleich grob gegen den eigenen methodischen Ansatz, indem wir uns - schreibend und lesend - gerade nicht auf das Ursprüngliche, auf die Praxis einlassen. Obgleich wir sie in den Blick bekommen wollen, abstrahieren wir dennoch in jedem Satz von der Praxis, die wir doch verstehen und erklären möchten. Dies Paradox ist auf schriftlichem Wege nicht auflösbar. Wenn wir uns trotzdem auf diesen Ansatz, den „Sitz im Leben" des Theorie-Praxis-Problems aufzusuchen, einlassen wollen, dann können wir es nur so tun, indem wir uns ständig vor Augen halten, daß wir gegen den eigenen methodischen Ansatz verstoßen. Die Praxis ist differenzierter und sperrt sich mehr gegen den erklärenden Zugriff als es in den folgenden Ausführungen den Anschein hat. Und in dem Augenblick, in dem die Theorie sich triumphierend über die Praxis erhebt, ist ihr diese schon entglitten. Freilich wird dieser Widerspruch ein wenig dadurch abgemildert, daß wir uns vorgenommen haben, ein Modell vorzustellen. Ein Modell widersetzt sich eher einer abstrakten Verflüchtigung. Deshalb ist es „ein wichtiges Medium der Vermittlung von Theorie zur Praxis hin ... Es stellt eine mittlere Abstraktionsebene zwischen Theorie ... und Praxis ... dar. Ohne eine direkte Anweisung geben zu können, vermittelt es exemplarisch und verbindlich, wie eine Theorie in Praxis umgesetzt werden kann" (N. Greinacher)9.
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Was die Zukunft erfordert, muß „vor O r t " offenbar werden. Α. M. Klaus Müller 1
2. Das Modell 2.1 Das Göttinger „Pastoralinstitut" (1781) 2.1.1 Die Konzeption Heinrich Philipp Sextros Soweit erkennbar ist, ist die Theorie-Praxis-Problematik, so wie sie heute noch der Lösung harrt, zuerst in der Aufklärung zur Diskussion gestellt worden 2 . Zugleich lassen sich in der Zeit erste Ansätze zu einer Uberwindung der von P. Cornehl beschriebenen Kluft zwischen der systematischtheologischen Wissenschaft und dem religiös-kirchlichen Leben entdecken - Ansätze, die freilich in der Zwischenzeit wieder verloren und vergessen wurden. Die seinerzeit aufgebrochenen Impulse haben sich allerdings nie ganz und gar ersticken lassen, sondern meldeten sich immer wieder neu zu Wort. Es lohnt sich deshalb, auf derartige Impulse aufzumerken und ein exemplarisches Modell, das ihnen seine Entstehung verdankt, der Vergessenheit zu entreißen. Im Jahr 1783 - Schleiermacher war gerade fünfzehn Jahre alt - erschien in Göttingen eine kleine programmatische Schrift des damaligen Pfarrers an St. Albani, Heinrich Philipp Sextroh: „Uber praktische Vorbereitungsanstalten zum Predigtamt. Nebst einer Nachricht vom Königlichen Pastoralinstitut in Göttingen." 3 Sextro geht aus von den „Entdeckungen", die bei den theologischen Prüfungen gemacht worden sind, daß nämlich die Kandidaten trotz gründlichen Studiums nur ungenügend zugerüstet seien. „Denn wozu hilft dem jungen Mann, der künftig Lehrer sein will, alles Studiren der Bibel, der exegetischen, dogmatischen, moralischen, historischen Wissenschaften für sich selbst, wenn er nicht den rechten Gesichtspunkt des mittelbaren und unmittelbaren Gebrauchs und der Anwendung erfaßt hat, und zur gehörigen Zeit Versuche macht, wie diese gründlichen Kenntnisse zur möglichst fruchtbaren Bestellung des Feldes seiner künftigen Bestimmung benützt werden können und müssen?" (5f.) Sextro spricht von der Benutzungsoder Anwendungskunst und verleiht ihr den Namen der „Pastoraltheologie". Diese könne - so bemerkt er - sich nicht auf „gelegentliche Erinnerungen" beschränken, „wie von dieser oder jener Wahrheit . . . einmal etwa in 14
einer P r e d i g t . . . Gebrauch gemacht werden könne, sondern sie ist so wohl eine Wissenschaft, als die Wissenschaft der theoretischen Kenntnisse" (6). Diese Wissenschaft, so deutet Sextro bereits in der Einleitung seines Büchleins an - bedarf einer eigenen Didaktik. Sie kann man nicht mehr wie die theoretischen Fächer - „für sich studiren". Hier geht es um „Erfahrungen, die in den mehrsten Fällen nur mündlich mitgetheilt werden können", um „gemeinschaftliche B e r a t s c h l a g u n g " und um „eigne Versuche mannigfaltiger Art und deren Beurtheilung auf der Stelle" (8f.). Damit sind bereits die wichtigsten Begriffe genannt, die den folgenden Erörterungen Sextros zugrunde liegen. In der von ihm so verstandenen Pastoraltheologie geht es um persönliche Erfahrungen, die sich in der Regel der Verobjektivierung entziehen, und die sich nur in eigener Praxis und ihrer unmittelbaren Beurteilung gewinnen lassen. In den Worten Sextros kündigt sich bereits das Prinzip des „learning by trial and error" an - später unterstreicht er ausdrücklich den Wert unbefriedigender Erfahrungen für das Lernen. Die „gemeinschaftliche B e r a t s c h l a g u n g " weist bereits darauf hin, daß bei seinem Modell die Lerngruppe eine wesentliche Rolle spielt. Sextro stellt weiter fest, daß es für diese Art Pastoraltheologie bislang keine geeigneten Modelle gäbe. Vorstellungen, die auf eine Umwälzung des bisherigen akademischen Studienbetriebes hinausliefen und entsprechende Widerstände hervorrufen würden, stellt er die „Regel der Klugheit" gegenüber, nämlich „gleich auf der Stelle . . . im kleinen zu wirken, in der Stille unbemerkt dafür zu arbeiten, und so allmählich zu einer wahren Verbesserung vorzubereiten" (14). Die Errichtung eines neuen Krankenhauses in Göttingen (1781), das in seiner Parochie gelegen war 4 , brachte Sextro auf eine originelle Idee: „Die wohltätige Errichtung des bekannten öffentlichen Krankenhauses in unserer Stadt hat auf der hiesigen Universität die erste Veranlassung zur Einrichtung einer solchen praktischen Vorbereitungsanstalt, die jenem Entwurf so nahe kommt, als bisher möglich war, gegeben" (40). Diese Bemerkung weist zugleich darauf hin, daß er die theologische Fakultät der jungen Universität für seine Vorstellungen gewinnen konnte. Dabei spielt der Professor Johann Benjamin Koppe eine entscheidende Rolle. In drei Schritten versucht Sextro nun, seine Leser von der Notwendigkeit und Nützlichkeit seines Modells zu überzeugen. Zunächst analysiert er die didaktische Unzulänglichkeit der bisherigen Ausbildung: „Über den Werth und die vermeintliche Hinlänglichkeit der gedachten längst vorhandenen Übungsanstalten"; darauf läßt er eine theoretische Begründung seines Modells folgen: „Anmerkungen über die Theorie jener gewünschten und dem Zweck und den Geschäften des Amts möglichst angemessenen prakti15
sehen Vorbereitung, und über die Notwendigkeit ihrer Einrichtung auf Universitäten"; und schließlich berichtet er über „die Entstehung, Einrichtung und den Erfolg des hiesigen Pastoralinstituts". In seiner Kritik der bisherigen Ausbildung bemängelt der Verfasser die homiletischen Übungen: sie geschähen allein im Blick auf „eine richtige objektivische Behandlung der Religionswahrheiten", also auf ihre dogmatische Richtigkeit. Für notwendig erachtet er aber ebenso die „subjektivische Behandlung", womit er die Berücksichtigung der konkreten Situation einer Gemeinde meint. Ferner hält er die Zurüstung für die Seelsorge für völlig unzureichend: „An die Bildung ... zur praktischen Erwerbung der Menschen· und Gemeindekenntnis . . . zur genauen, klugen und gemeinnützigen Seelsorge überhaupt, wird entweder gar nicht, oder doch nicht mit so viel Ernst und Applikation gedacht, als dieser Gegenstand wohl verdiente" (21). Die Vermittlung allgemeiner Menschenkenntnis sei an sich gut gemeint, „nur ohne persönliche Anführung zu eignen Versuchen und Erfahrungen möchte sie nicht viel wirken" (26). Sextro bezweifelt überhaupt den Nutzen der theoretischen Vermittlung „allgemeiner Menschenkenntnis", da diese abstrakt sei und die eignen „Versuche und Beobachtungen" nicht ersetzen könne: „Die gründlichste Kenntniß einer moralischen Krankheit4" nach allgemeinen Begriffen und Kennzeichen, die aus mehreren Beobachtungen anderer abgezogen sind, ist noch lange nicht Kenntniß des Moralischkranken in diesem (oder) jenem einzelnen Fall" (27). Die konkrete Begegnung hat also den Vorrang vor den Abstraktionen, die auf Kosten der konkreten Erfahrung geschehen. Es geht - nach heutiger Terminologie - um ein Lernen an „living human documents". Bildung kann nur durch Theorie und Praxis gewonnen werden: „Die Erfahrung lehrt, daß auch die gründlichsten theoretischen Vorlesungen über die Pastoraltheologie, ohne damit verbundene mannigfaltige und zweckmäßige praktische Ausarbeitungen und Übungen ... den Zuhörern, die sie besuchen, die Bildung nicht geben, die dies Studium geben müßte" (25). So weit es Übungen an der Universität und an den herkömmlichen Predigerseminaren gebe, seien es doch immer nur Übungen auf dem Trockenen (28)5. In seinen „Anmerkungen über die Theorie jener gewünschten . . . praktischen Vorbereitung" nennt Sextro als Voraussetzung für den ins Auge gefaßten Erfolg der Übungen erstens, daß sie „in einem dazu bestimmten Wirkungskreise" und zweitens, daß sie unter „genauer Aufsicht" geschehen. Damit ist das Prinzip eines begrenzten Arbeitsfeldes und der Supervision umschrieben. Wichtig ist für ihn dabei, daß die Studenten in eigener Verantwortung arbeiten können, und daß sie in der Supervision aus Erfahrung zur Einsicht hingeleitet werden. 16
A l s O r t f ü r den begrenzten W i r k u n g s k r e i s bietet sich das Krankenhaus an. In einer kleinen Krankenhaushomiletik 5 ', die k u r z vor unserer Schrift erschien, schreibt Sextro: „Das Spital ist eine trefliche Schule der moralischen Beobachtungskunst und Menschenkenntniß. Da lerne der junge Moralist die Kunst zu sehen, zu hören, zu fragen; da versuch' er in den H e r z e n der Menschen auch in kritischen Situationen zu lernen, das Betragen in diesen U m s t ä n d e n von allen Seiten zu prüfen und die Triebfeder desselben zu bemerken." H i e r ist in jedem Fall gewährleistet, daß konkret mit Menschen gearbeitet w i r d : „So wäre bey diesen Übungsarbeiten die Beziehung auf die Personen, nicht w i e bey manchen anderen Ü b u n g e n nur Nebensache . . . , sondern hier die H a u p t s a c h e " (33). Inspiriert hat Sextro die Ausbildung der Medizinstudenten in dem Krankenhaus, das er vor A u g e n hat, die ja ebenfalls „unter der beständigen gewissenhaften Aufsicht, Gegenwart und Leitung einsichtsvoller und erfahrener Ä r z t e " am konkreten Patienten geschieht (42). U n d schließlich - so leitet Sextro seinen konkreten Bericht über sein „Pastoralinstitut" ein - spricht für das Krankenhaus als Ort theologischpraktischer Ausbildung auch die Erfahrung, daß die Patienten vielfach ein Bedürfnis nach seelsorgerischer Betreuung haben. Sextro erfreut sich für sein Modell der ungeteilten Zustimmung der theologischen Fakultät (42/43) und teilt das Königliche Rescript vom 21. 12. 1781 im Wortlaut mit, durch welches das „Königliche Pastoralinstitut" seine öffentliche Bestätigung und A n e r k e n n u n g findet: „Wie die N u t z b a r k e i t dieser A r t Anweisungen zu Tage liegt, und dergleichen für die Universität längst gewünscht s e y ; so sollte den dort studirenden so weit gediehenen Theologen, unter dem N a m e n eines theologischpraktischen Collegii, eine solche A n w e i s u n g in Pastoralgeschäften ertheilt werden, daß sie in dem errichteten neuen Krankenhause, unter Aufsicht (des Herausgebers dieser Nachricht) zu den öffentlichen Andachtsübungen sowohl, als auch besonders zu den Privatunterhaltungen mit einzelnen den Zuspruch eines Predigers wünschenden Kranken gezogen und angeleitet w ü r d e n " (44)'. Sextro beschreibt im folgenden den Studienplan seines Instituts und berichtet über Erfahrungen aus seinen ersten vier Kursen. Acht bis zehn Studenten sind für ein halbes J a h r eingeschriebene Mitglieder des Pastoralinstituts 7 . Sie verpflichten sich, ihnen vom Direktor des Instituts angewiesene Patienten zu besuchen. Diese „Privatreligionsunterhaltungen" sind „ein Hauptgegenstand" des ganzen Unternehmens (53). Der Kandidat fertigt über sein Gespräch mit dem Patienten eine N i e d e r 17
schrift in einem dafür vorgesehenen Protokollbuch an, die dann der Gruppe zur „gemeinschaftlichen Beratschlagung" vorgelegt wird 8 . „In ihr teilt ein jeder die Manier und den Fortgang seiner Unterhaltungen ... mit." Der Nutzen dieser Übung ist, „daß sie das Nachdenken schärfen, die Erfahrung bereichern, die Ursachen eines etwa mißlungenen Versuchs bald entdecken helfen" (85). Einmal in der Woche wird von einem der Studenten vor den Patienten ein Gottesdienst gehalten9. Die übrigen Mitglieder reichen dem Direktor eine Predigtkritik ein, die dann wiederum Gegenstand einer gemeinsamen Besprechung, einer „freundschaftlich belehrenden Critik" wird. Dabei kommt auch zur Sprache, welche Reaktionen die Studenten bei ihren Gesprächen mit den Patienten auf die Predigt gehört haben. „Ob nun jeder gehaltene Vortrag zu diesem Zweck etwas gewirkt hat, das suchen die Mitglieder selbst durch Beobachtungen, Versuche und Mittheilung auf eine den Kranken nützliche Art zu erforschen" (72). Kriterium sowohl für die Beurteilung der Gespräche als auch der Predigten ist, ob sie der Situation und den Bedürfnissen der Patienten angemessen gewesen sind. Die Andachten sollten „in der den selbst beobachteten wirklichen Bedürfnissen dieser Zuhörer möglichst genau angemessenen Lehrart" gehalten werden (45), und „bey den Privatunterhaltungen mit einzelnen Kranken" wird auf die „den Umständen und der Krankheit selbst angemessenen, individuellen Anwendung der Religionswahrheiten" geachtet. Wir können hier also bereits mit Fug und Recht von der Anwendung „patientenzentrierter Seelsorge" und seelsorgerlicher Predigt reden! Auf diese Weise machen die Studenten die Erfahrung, „wie so ganz unschicklich und unwirksam in jedem Religionsvortrage an gemeine Zuhörer die neologische Kraftsprache der Empfindsamkeit ohne Empfindung, oder die kalte Manier in unbestimmten Algemeinsätzen, oder die abstrakte Sprache gelehrter Untersuchung seyn würde" (71) - eine ungewöhnlich hellsichtige Charakterisierung und Kritik so mancher Predigt nicht nur aus seiner Zeit!10 Die Erfahrungen bei den Krankenbesuchen bedürfen erst recht keiner Ubersetzung in die heutige Situation. Sextro berichtete ohne Beschönigung: „Wie sind doch, jenen Beobachtungen zufolge, manche junge Geistliche, ... so oft sie ... zu Kranken gerufen werden, und im Betragen am Krankenbette so furchtsam, ungeschickt, ängstlich zurückhaltend, oder kalt und gleichgültig, daß sie da dem Zweck ihres Berufs gemäß gar wenig oder gar nichts ausrichten! Einige reden gar nicht von dem, wozu sie eigentlich berufen sind, oder verstummen, wenn sie zum Kranken kommen: und da scheint es, als wenn sie glauben, daß die Gegenwart ihrer Person auf einige Minuten, die gelegentliche Erkundigung nach dem Befin18
den, und die allgemeine Höflichkeits- oder Mitleidsbezeugung zum Krankenbesuch hinreiche... Andre deklamiren einen auswendig gelernten Gesang, oder Gebet, und - gleich darauf verlassen sie den Kranken ..." (90f.) „Andre machen sich auch wohl selbst ... gewisse eigne Formulare zur Unterhaltung mit Kranken, die denn ohne Unterschied des Charakters, der Zeiten und Umstände, abwechselnd wieder angestimmt, und nach einiger Zeit ganz geläufig werden. Dabey eilt man denn so bald als möglich den Kranken wieder allein zu lassen, welches freylich für die mehrsten Patienten eine grössere Wohltat, als eine solche Unterhaltung ist" (94 f.). Ausdrücklich nimmt Sextro das „kluge Schweigen bey gewissen Umständen und nach Beschaffenheit der Krankheit" und die eigene Betroffenheit des Seelsorgers, „die in einzelnen Fällen Stimme und Worte auf einige Zeit unterbricht", von seiner Kritik aus. Es geht in dem Modell Sextros also um eine unmittelbare Wirkungskontrolle, um den „wirklichen Eindruck" (75) des eigenen Tuns als Prediger und Seelsorger, aus der sich dann notwendige Korrekturen ableiten lassen. Später - im Berufsleben selbst - kann er etwas Zuverlässiges über die Wirkung seines Arbeitens kaum erfahren. „Aber hier ... kann die Probe gemacht werden; und die Analogie des gegenwärtigen Erfolgs läßt, nach richtiger Vergleichung und Sonderung der Umstände, auf die Zukunft schließen" (74). Zunächst freilich bewirkt dies Vorgehen „nicht selten eine gewisse Demütigung", denn es treten mehr Mißerfolge als Erfolge zutage. Dennoch: „Ein Tropfen solcher Erfahrung wirkt oft mehr, als das reichste Maaß von wiederholten Belehrungen über diesen Punkt" (75). Beides: Gelingen und Mißlingen motiviert zum Lernen. „Bey den Privatunterhaltungen der Mitglieder mit einzelnen Kranken hat man ferner so wohl von mißlungenen, als wohlgelungenen Versuchen, die Gemüther der Patienten zu gewinnen ... für die Beförderung des Hauptzwecks der Bildung, gute Wirkung bemerkt" (82 f.). Uber dies ganz persönliche Lernen „durch Versuch und Irrtum" hinaus werden aber auch Beobachtungen am kranken Menschen gewonnen, die für die Seelsorge von Belang sind. „Die Beobachtungen über den Einfluß verschiedener Krankheiten in die Seelenstimmung der Patienten ... haben bereits gute Gelegenheiten zu Regeln der Klugheit auf die Zukunft gegeben" (84 f.). Sextro gibt diese Regeln in besonderen Vorlesungen seinen Studenten weiter. Die „Pastoralbehandlung der Kranken" lehrt er unter der Überschrift „Theologia pastoralis clinica"11. Sextro schließt seinen Bericht mit dem Hinweis auf ein gründliches 19
theologisches Studium als Voraussetzung für den Erfolg seines Modells ab: „Ohne gründliche Kenntniß der Religionstheorie, der richtigen und zweckmäßigen Bibelauslegung etc., ohne ernstlichen in dieser Absicht angewandten Fleiß in den eigentlich theologischen Collegien, werden freylich die praktischen Arbeiten nicht gelingen" (101)"'.
2.1.2 Impulse und
Zusammenhänge
2.1.2.1 Reform der medizinischen Ausbildung Die Entstehung des Pastoralinstituts ist nicht zufällig. Die historischen und geistesgeschichtlichen Zusammenhänge sind auch heute noch des Nachdenkens wert 12 . Heinrich Philipp Sextro (geboren 1746) wurde 1779 Pastor an St. Albani in Göttingen. Die theologische Fakultät der jungen Göttinger Universität bestand aus drei Professoren; so wurden die Göttinger Stadtpastoren zu Kollegs und praktischen Übungen hinzugezogen. Auch an Sextro muß die Fakultät gleich nach seinem Amtsantritt herangetreten sein. Die Errichtung des Pastoralinstituts selbst ist aufs engste mit der Gründung des ersten akademischen „chirurgischen und Kranken-Hospitals" in Göttingen im Jahr 1780 verbunden. Dies Hospital lag in Sextros Parochie; auch im Zusammenhang mit seinen sozial-diakonischen Interessen zog es alsbald seine Aufmerksamkeit auf sich. Entscheidend ist freilich, daß sich Sextro in seinem methodischen Ansatz von der Reform der medizinischen Ausbildung hat beeinflussen lassen. Das Göttinger Hospital hat nämlich das klinische Modell der Universität Leiden zum Vorbild, von wo eine Bewegung zur Schaffung von klinischen Lehrstühlen und Hospitalen in ganz Europa ausging 13 . Hier wurde den Studenten die Möglichkeit geboten, kraft eigener Anschauung und Erfahrung zu lernen. „Hiesige Studierende, welche diese Anstalt benutzen, bezahlen einen mäßigen Beytrag zu der Casse, wovon das Hospital unterhalten wird. Sie wohnen alsdann täglich den Krankenbesuchen und vorfallenden Operationen bey, und werden nach und nach angeleitet, selbst Operationen zu verrichten, und sowohl Krankheiten zu beurteilen als Arzneyen zu verordnen" (Pütter) 14 . Zwangsläufig mußte sich dabei der Lehr- und Lernstil von Grund auf gegenüber dem herkömmlichen akademischen Vorlesungsbetrieb wandeln. Bedeuteten die Patienten in einem akademischen Hospital vielleicht zunächst noch Demonstrationsobjekte, an Hand derer die Lehrenden ihren Studenten Instruktionen weiterreichten, so geriet dieser Lehrstil spätestens 20
in dem Augenblick in eine Krise, wo sich eine Diagnose als falsch erwies. Die Theorie wurde vor den Augen der Studenten erprobt; die Studenten führten - wie am Beispiel der Klinik in Edinburgh nachgewiesen wird - bei den Visiten genaue Protokolle über die Diagnose, den Zustand des Patienten und die verordneten Medikamente. „Diese klinische Erprobung war von grosser Redlichkeit, denn sie setzte sich . . . selber aufs Spiel", wobei sich für das Lernen selbst Fehler oft nützlicher erweisen als Erfolge. So sollte in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts - nach Foucault - „die Klinik ein Anwendungsfeld finden, in dem Wissen nicht nur gesagt wird, sondern in dem es entsteht, sich bewährt und vollendet... Aus einer Form des Lehrens und Sagens wird eine Methode des Lernens und Sehens." Im Hintergrund dieser Wandlung fort von der Tradition ererbten Wissens hin zur eigenen Anschauung steht das Vertrauen in die originale Bildungsfähigkeit jedes Menschen. Der Einfluß Rousseaus und Pestalozzis ist unverkennbar. Dem unverbildeten Auge kommt eine zentrale Bedeutung für die Bildung des Menschen zu; die eigene Anschauung steht vor und über der tradierten Theorie. Eng hieran schließen sich aber auch Kants Überlegungen zu einer Didaktik der Philosophie an. In der „Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbenjahre von 1765-1766" 1 ' schreibt er: „Der den Schulunterweisungen entlassene Jüngling war gewohnt zu lernen. Nunmehro denkt er, er werde Philosophie lernen, welches aber unmöglich ist, denn er soll jetzt philosophieren lernen." Er begründet seine Didaktik mit dem Hinweis, daß der Mensch bei der Ausbildung seines Verstandes bei der Erfahrung anfängt, durch sie kommt er zu anschauenden Urteilen und durch diese zu Begriffen, die dann von der Wissenschaft geordnet und zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Er folgert daraus, daß die Unterweisung eben denselben Weg zu nehmen habe. „Kurz, er soll nicht Gedanken sondern denken lernen; man soll ihn nicht tragen sondern leiten, wenn man will, daß er in Zukunft von sich selbsten zu gehen geschickt sein soll." Der Mensch ist mündig geworden, seinen Weg selbst zu gehen. Das Prinzip der eigenen Anschauung und eine Didaktik, welche die Fähigkeit des Menschen, seinen eigenen Weg zu suchen und zu gehen, respektiert und fördert, werden uns in unseren Überlegungen ständig begleiten. Sextros originelle Leistung ist, daß er die epochemachende Einführung einer klinischen Ausbildung für Mediziner konsequent auf die Theologenausbildung übertrug, wobei er nicht nur denselben Ort des Lernens, nämlich die Klinik, wählte, sondern auch die dahinter stehende Methodik und Didaktik reflektierte. 21
2.1.2.2 Reform der Pädagogik Sextro ist ein bedeutender Reformpädagoge gewesen. Er gab 1785 eine Schrift „Uber die Bildung der Jugend zur Industrie" heraus, die als grundlegend für die Industrie- und Arbeitsschulen des späten 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts gilt und mit einer ausführlichen Würdigung vor kurzem als Faksimiledruck neu herausgegeben wurde16. Sextro ist auch der geistige Urheber der Göttinger Industrieschule (1784). Zum Begriff „Industrie" sagt Sextro: „Industrie sey ... anhaltende Thätigkeit, möglichste Übung und schnelle Anwendung der Kräfte der Seele und des Körpers nicht an einem allein, sondern an mehreren und verschiedenen Gegenständen, zur wirklichen und mannigfaltigen dauerhaften und edelsten Production . . . " (34). Man kann in heutiger Terminologie zusammenfassen: .„Industrie' ist als Inbegriff persönlicher Verhaltensweisen verstanden."161 In seiner Schrift beruft Sextro sich immer wieder auf Beispiele aus anderen (ungenannten) Ländern. Er muß über die Industrieschulen in Holland und England gut informiert gewesen sein. In seinem Projekt fließen soziale und pädagogische Impulse zusammen. Seit Beginn seiner Göttinger Tätigkeit war Sextro Mitglied der ArmenAdministration: er sah kein Heil darin, Bedürftige mit Almosen zu unterstützen. Statt einer „Armenversorgungsanstalt" forderte er die „Armenbildungsanstalt". Es geht ihm aber nicht allein um die Lösung des sozialen Problems der immer mehr verelendenden Unterschicht, sondern um eine grundlegende Reform des gesamten Schulwesens und um einen neuen pädagogischen Ansatz, wofür er sich auf Rousseau beruft (93), dessen Schriften in seiner Privatbibliothek zahlreich nachzuweisen sind17. Es geht ihm um die Anwendung und Einübung des theoretischen Wissens an Ort und Stelle, um eine Kombination von Lern- und Industrieschule. „Die mehrsten dem V. bisher bekannt gewordenen sonst vortreflichen Anstalten zur Verbesserung der Volksschule scheinen nur das Lehren, nur den Unterricht in nützlichen Kenntnissen und Grundsätzen, allein zur Absicht zu haben. Aber an die Anwendung dieser Kenntnisse und Grundsätze auf der Stelle, an Anführung zur Arbeitsamkeit, zur vorzüglichen Thätigkeit und Industrie, hat man gar nicht, oder zu wenig gedacht" („Vorerinnerung", 3 f.). „Man lehrt: ,die Religion müsse nicht vom Leben und von der Arbeit getrennt werden', und doch wird sie hier vorerst davon getrennt. Man lehrt: Beten und Arbeiten sey Menschenberuf - und doch macht man hier den Kindern das Beten allein zum Beruf. Man verfährt so, als wenn man einem Kinde von etwa einem Jahr und darüber Wochen lang vorsagen 22
oder vordemonstriren wollte: ,nun ist es Zeit, daß du selbst allein gehest, das ist nun deine Pflicht u.s.w.' - ohne es jemals anzufassen oder zu leiten" (67). Sextro prangert die Einseitigkeit des bisherigen Schulbetriebes an: „Alle andre sinnliche und fühlende Kräfte sind wie im Druck und Zwange. Diese wollen immer durchbrechen, dürsten nach Übung. Aber Furcht und Gefühl der Gewalt und Strafe müssen sie in der Einschränkung oder im unnatürlichen Schlummer erhalten. Ein schlimmer Eindruck auf die Zukunft!" (68). Sextro dehnt seine Überlegungen auch auf die Erwachsenenbildung aus - das Programm „lebenslangen Lernens" taucht bereits deutlich am Horizont auf. Wir können Sextros pädagogische Schrift an dieser Stelle nicht ausführlich würdigen. Es ist uns aber gelungen, Sextros Projekt des Pastoralinstituts aus eben jenen pädagogischen Reformideen herzuleiten, die Theorie und Praxis unmittelbar aufeinander beziehen wollen und dabei den ganzen Menschen, mit seinen intellektuellen Gaben, aber auch mit seinen „sinnlichen und fühlenden Kräften" im Auge haben. Die dahinter stehende Anthropologie bezieht sich auf die schöpfungsmäßige Bestimmung des Menschen zur Entfaltung seiner körperlichen und seelischen Kräfte und Fähigkeiten zu seinem eigenen wie zum Nutzen der ganzen Gesellschaft. Wo diese Bestimmung verfehlt wird, droht nach Sextro der „Verfall der Menschheit". 2.1.2.3 Zur Geschichte des Pastoralinstituts Im Unterschied zu der Bedeutung, die das Göttinger akademische Hospital für die Zukunft der medizinischen Ausbildung erlangen sollte, hat Sextros Pastoralinstitut keine Geschichte gemacht. Sextro verläßt 1788 Göttingen, um eine Professur in Helmstedt anzunehmen. Die Gründe für seinen Fortgang lassen sich nur vermuten. 1784 hatte Koppe Göttingen verlassen, dem er seitens der Fakultät die größte Unterstützung für sein Projekt verdankte. An seine Stelle kommt Gottlieb Johann Planck als praktischer Theologe nach Göttingen. Planck war ein entschiedener Verfechter der strikten Trennung von Theorie und Praxis, und obgleich Sextros Biographen stereotyp seine freundschaftlichen Beziehungen zu jedermann, also auch zu Planck, betonen, liegt die Vermutung nahe, daß er sich nicht mehr derselben Unterstützung seines Instituts erfreute wie vordem. Läßt sich eine mangelnde ideelle Unterstützung nicht unmittelbar nachweisen, so liegt uns der Hinweis auf eine fehlende Dotierung seiner Stelle als Direktor des Instituts vor. In einem Schreiben des 23
königlichen Geheimrats vom 13. September 1786 heißt es: „Wir haben den guten Nutzen des unter eurer Aufsicht bisher geführten dortigen Pastoralinstituts mit Wohlgefallen bemerkt, und wünschen auch zu dessen Fortsetzung aufmuntern zu können. Es mangelt Uns aber an Mitteln solches durch eine ständige Besoldung zu tun." 18 Sextro wird mit einer „außerordentlichen Belohnung von 50 Reichstalern" abgespeist. Denselben Betrag erhält er auch für seine Tätigkeit als Universitätsprediger, was ihn „anreitzen" soll, „diese Bemühung auf dem bisherigen Fuße annoch fortzusetzen." Der zweimalige ausdrückliche Wunsch, er möge seine Tätigkeit fortsetzen, obgleich seiner Forderung kein Genüge getan wird, läßt den Schluß zu, daß Sextro die Fortsetzung in seinem Antrag zur Diskussion gestellt hatte. Jedenfalls hält er am 2. Sonntag nach Epiphanias 1789 seine Abschiedspredigt in der Albanikirche. Nachfolger auf seiner Pfarrstelle und als Direktor des Pastoralinstituts wurde Joh. Aug. Chr. Nöbling, was aus einem handschriftlichen „Repertorium über den moralischen und religiösen Zustand der im öffentlichen Krankenhause zu Göttingen sich befindenden Kranken" aus dem Jahre 1794 hervorgeht 19 . Hier hat Nöbling die Gebrauchsanweisung des Buches als „z. Director des Instituts" unterschrieben. Er wird diese Stelle bis zu seinem Tode 1801 versehen haben. 1802 folgte Joh. Fr. Chr. Gräffe auf die Pfarrstelle an St. Albani und übernahm ebenfalls das Pastoralinstitut. Er hatte schon zehn Jahre lang Vorlesungen an der Universität, vor allem über Katechetik, gehalten; so wurde ihm „mittelst hohen Rescripts vom 14ten Nov. 1801 der akademische Vortrag der Pastoraltheologie und die Leitung der damit verbundenen Übungen im Krankenhause übertragen, welche letztere er zu Anfange des Dezembers d.J. mittels einer besondern in dem Krankenhause selbst, in Gegenwart sämmtlicher Mitglieder des Pastoralinstituts über Matth. 11,28-30 gehaltenen Erbauungsrede feyerlich übernahm, aber nur bis zum Schluß des Jahres 1803 fortführte." 20 An dieser Stelle bricht die Geschichte des von Sextro gegründeten Pastoralinstituts abrupt ab. Der Abbruch ist um so überraschender, als Gräffe in seiner 1803 erschienenen „Pastoraltheologie" noch ausdrücklich und empfehlend auf die nützliche Einrichtung des Pastoralinstituts, dessen Direktorat ihm anvertraut sei, hinweist 21 . Es ist uns bislang nicht gelungen, irgendeinen Anlaß oder Grund für das Ende seiner Tätigkeit im Pastoralinstitut zu finden. Vermutlich ist das Ende seines Direktoriums zugleich das Ende des Instituts gewesen 22 . In den Annalen der Universität, die es früher (1788) ausführlich beschrieben hatten, fehlt fortan (1820, 1838) jeder Hinweis darauf23. Sextro selber wechselte 1798 in Konsistorium nach Hannover über und 24
widmete sich u.a. der Planung eines hannoverschen Predigerseminars. In einem 1797 datierten Entwurf zur „Vorbereitung, Bildung und Ermunterung der Theologen" 24 , in dem bereits auch an die Fortbildung der Theologen gedacht wird, fehlt aber jeder Hinweis auf die Möglichkeit einer klinischen Ausbildung. Der Ton liegt auf der Katechetik, und das geplante Predigerseminar soll in enger Nachbarschaft zum schon bestehenden Schullehrer-Seminarium entstehen, damit die Kandidaten das Geschäft der Aufsicht über das Schulwesen lernen. So hat Sextro versucht, über die Pädagogik seine Ideen zu verwirklichen. Die Seelsorge geriet ihm dabei aus dem Blickfeld. 2.1.2.4 Gegenkräfte Sextros Modell erlebte im 19. Jahrhundert keine Neuauflage. Dazu waren die Widerstände und die Gegenimpulse offenbar zu groß. Christian Palmer setzt sich in seiner 1860 erschienenen „Evangelischen Pastoraltheologie" ausführlich mit dem Gedanken an eine klinische Seelsorgeausbildung für Theologiestudenten auseinander. Auch er beklagt zunächst die mangelnde Vorbereitung des Studierenden für die Praxis. „Noch weniger vorbereitet scheint der Candidat im Fach der Privatseelsorge zu werden . . . Daher ist öfter der Vorschlag gemacht und von Praktikern plausibel gefunden worden, es sollte, wie bei den Medicinern, eine geistliche Poliklinik eingerichtet oder dem Leiter der praktischen Uebungen das akademische Krankenhaus übergeben werden, damit er täglich Krankenbesuche mit einigen Studirenden mache, die dann seinen Zuspruch hören, mit denen er nachher über seinen Zweck und die angewandten geistlichen Mittel Conferenz halte, und damit er einzelne Kranke immer auch einzelnen Studirenden zur geistlichen Pflege überlasse, die ihm dann über das, was sie beobachtet, wie über ihr Verfahren Bericht zu erstatten hätten." Dieser Text läßt darauf schließen, daß Palmer Kenntnis von dem Sextroschen Modell gehabt haben muß zum mindesten über Gräffes Pastoraltheologie. Freilich stimmt seine Vorstellung an einem wesentlichen Punkt nicht mit dem Modell überein: Sextro hat nie daran gedacht, daß die Mitglieder seines Instituts ihn bei Krankenbesuchen begleiten sollten - er legte im Gegenteil Wert auf ihre selbständige und eigenverantwortliche Tätigkeit. Wenn Palmer den Gedanken an eine klinische Ausbildung für Theologen rundweg abweist: „Wir gestehen, daß wir von solcher Einrichtung uns nicht viel Heil versprechen würden" dann belegt er das mit Argumenten, die gegen eine Demonstration an Krankenbetten sprechen: „Man kann nicht einem Kranken zusprechen mit dem Bewußtsein, daß das zugleich für einen Dritten ein Muster seyn soll, 25
wie man zusprechen müsse. Alle Unbefangenheit, alle Einfalt und Wahrheit des seelsorgerlichen Verkehrs . . . würde verloren gehen . . . Müßte der Lehrer nach einem solchen Besuche gleichsam Rechenschaft geben, warum er gerade dieß oder jenes gesprochen, so müßte er eine so stricte, technische Methode haben und anwenden, wie sie wohl beim leiblichen Arzte nötig ist, wie sie auch, wo ein bestimmtes geistiges Uebel vorhanden ist, nöthig werden kann, aber keineswegs immer und überall erforderlich ist." Der Gedanke, daß die Studenten eigenständig Krankenbesuche machen, ist Palmer offensichtlich so unvorstellbar, daß er sich damit nicht auseinandersetzt. Er kann sich höchstens vorstellen, „einzelnen Studirenden, denen man so viel Vertrauen schenken kann, zu erlauben, daß der eine diesen, der andere einen anderen Kranken in der Zwischenzeit zwischen den Besuchen des Vorstehers besucht, und wenn ihm dabei irgend ein pastorales Problem aufstößt, er dann jenen um Rath angeht; aber das wäre nicht ein officiell auferlegtes Berichtenmüssen über das, was man an der armen Seele zu Stande gebracht. . . . Was aber über diese ganz freie Form der Theilnahme an der Seelsorge hinausgienge, also eine förmlich organisierte Seelsorgerschule, wäre vom Uebel." Palmer kann es sich nicht anders vorstellen, als daß Theorie und Praxis voneinander geschieden sind: „Die Seelsorge lernt man praktisch nur im Amte selber; die Pastoraltheologie, als akademisches Lehrfach, wird dazu die nötigen Gesichtspunkte darbieten, wie man sich auf ein Land, das man bereisen will, auch noch ehe man es gesehen hat, durch Studien sehr erfolgreich vorbereiten kann" (93/94). Für eine Didaktik des Lernens mittels eigener Erfahrung war im ^ . J a h r hundert immer weniger Raum. Der „Bildungsidealismus" gewann immer mehr Einfluß; der Geist eilte der Praxis wieder davon. Die Herbartsche Pädagogik breitete sich aus und verdrängte das experimentelle Lernen. Herbart, Nachfolger Kants in Königsberg, hat auch in Göttingen gewirkt. Er entwickelte einen philosophisch-psychologischen Lernprozeß, der freilich streng lehrerzentriert ablief. Aus unserem Blickwinkel noch schwerer wiegt, daß die letzten beiden „Formalstufen" dieses Lernprozesses, und zwar die entscheidenden: die persönliche Integration des Lernstoffs und sein Transfer in die Praxis, aus dem Unterricht selbst herausfielen. Sie wurden in die „Schularbeiten" verbannt. Hier war also der Schüler wieder sich selbst überlassen! Aus der Sicht des Schülers beschreibt der Pädagoge H . - W . Jannasch den Bildungsvorgang nach Herbart: 25 Unter einer guten Allgemeinbildung „verstand man . . . eine Fülle von Fakten, Daten Zahlen und Begriffen aus den verschiedensten Gebieten, die fest eingeprägt uns später jederzeit zur Hand sein sollten, um uns als ,gebildet' auszuweisen. Das erforderte von uns im 26
Unterricht ein vorwiegend rezeptives Verhalten . . . " . „Echte Bildung" geschah für den Schüler eher am Rande des Unterrichts, nämlich dann, ^wenn der Lehrer abschweifte und damit in die Lebenswirklichkeit vorstieß." Jannasch berichtet eindrucksvoll, wie sich ihm Abstraktionen durch wortwörtliche Er-fahrungen erschließen. Er konnte sich räumliche Entfernungen nicht lebendig vorstellen, bis er sie selber durchmaß; über die Zeit, die er dabei brauchte, erschloß sich ihm die Vorstellung der Entfernung. Es ist deutlich, daß die Pädagogik Herbarts und seiner Schüler der „klinischen Didaktik", wie sie Sextro für die praktische Theologie nutzbar zu machen suchte, diametral entgegensteht, und daß dort, wo sich jene Pädagogik alles-beherrschend ausbreitet, kein Platz ist für das Experiment, für das Lernen aus Erfahrung. Daß Sextro seinen klinischen Ansatz fallenließ und ganz und gar auf die Pädagogik setzte, hat sich im Nachhinein als verhängnisvoll erwiesen. Das klinische Modell hätte vielleicht dem Sog des Bildungsidealismus mehr Widerstand entgegensetzen können als die Reformpädagogik. Es hätte zu einem wichtigen Korrektiv einer allzu einseitigen Theologenausbildung werden können, die über der Lehre nur allzu oft vergaß, den konkreten Menschen wahrzunehmen.
2.2 Das Hannoversche 2.2.1 Zur Herkunft
der Klinischen
Pastoralklinikum
(1970)
Seelsorgeausbildung
Die Klinische Seelsorgeausbildung in ihrer heutigen Gestalt hat ihren Ursprung in den USA 26 . Auch hier ist es ein einzelner Mann, der den Anstoß gegeben hat: Anton Theophilus Boisen, der 1925 mit vier Theologiestudenten ein Praktikum in einer psychiatrischen Anstalt begann. Seine Motivation war sehr persönlicher Art: Er hatte als psychiatrischer Patient eine seelsorgerische Betreuung schmerzlich vermißt und wollte dazu beitragen, diese Lücke in der kirchlichen Arbeit zu schließen. Die Clinical Pastoral Education ist aus kleinen Anfängen zu einer „Bewegung" (movement) geworden, ohne welche die theologische Ausbildung in den U S A nicht mehr denkbar ist. Diese Bewegung erreichte Anfang der sechziger Jahre Europa, schlug zunächst in den Niederlanden Wurzel und breitete sich dann rasch in den Kirchen in der Bundesrepublik aus27. Noch ist es zu früh, zu urteilen, ob es sich dabei nur um eine vorübergehende Episode handelt, oder ob es gelingt, sie in Kirche und Theologie zu integrieren. Viel wird vermutlich davon abhängen, ob es gelingen wird, klinische Seelsorgeausbildung in irgendeiner Form auch für die Ausbildung 27
in den theologischen Fakultäten fruchtbar zu machen. Seward Hiltner hat im Blick auf unsere Situation eindringlich gewarnt: „Wenn Sie sich nicht bemühen, Clinical Pastoral Education in die Universitätsausbildung zu integrieren, werden Sie den Graben zwischen Theorie und Praxis verewigen und in bezug auf den Pfarrdienst beiden schaden." 28 In unserem Zusammenhang interessiert die Frage, warum die Klinische Seelsorgeausbildung in den U S A offenbar einen vorbereiteten Boden vorfand. H. Faber weist darauf hin, daß „in Amerika der Zusammenhang mit dem neunzehnten Jahrhundert viel stärker ist als in Europa" 29 . Die dynamischen Impulse der französischen Revolution sind in Kirche und Gesellschaft stärker zur Wirkung gelangt als in Europa. Die mitteleuropäische Gesellschaft blieb statischer. Das hatte seine Konsequenzen für den Begriff des Lernens und für das Lernverhalten. „Man ist dann erwachsen, wenn man nichts mehr zu lernen braucht. Bei diesem Phänomen handelt es sich um Auswirkungen eines jahrtausendealten Systems der Nachwuchsschulung. In einer statischen Gesellschaft, die bis zur industriellen Revolution Leben und Denken der Menschen bestimmt hat, hatte eine derartige Begrenzung der Lernprozesse ihr gutes Recht. Ein relativ bescheidener Kanon des Wissens und Könnens reichte zur Bewältigung des Lebens aus. Auch das soziale Verhalten hatte durch vorgegebene Ordnungsbegriffe und Wertvorstellungen eine verläßliche Führung. Orientierungsverlust oder Verhaltensunsicherheit gab es nur selten. In solcher gesellschaftlichen Situation war es möglich, Schulabschluß, Fertigsein und Eintritt in das Erwachsenenleben gleichzusetzen" (G. Strunk) 30 . Es ist deutlich, daß eine Immigrantengesellschaft wie die amerikanische sich einen derartig frühzeitigen Lernabschluß nicht leisten konnte: Überleben bedeutete lebenslanges Lernen. Eindrucksvoll beschreibt P. Tillich seine Erfahrungen nach seiner Emigration aus Deutschland 31 . Rückblickend urteilt er: „Am wichtigsten . . . war wohl die Berührung mit einem ganz anderen Verständnis von Theorie und Praxis. Von Deutschland her waren wir gewohnt, daß die Theorie völlig unabhängig war von jeder theoretischen Anwendung. Diese Trennung wurde im Hinblick auf das pragmatisch-empirische Vorgehen der amerikanischen Theologie nun fragwürdig." In diesem Zusammenhang fällt ihm auf, daß die „Erfahrung" ein „Zentralbegriff in allen geistigen Bereichen" ist, und er führt diesen pragmatischen Zug auf den starken calvinistischen Einfluß auf die frühe amerikanische Geschichte zurück, „der die Verwirklichung des Reiches Gottes in der Geschichte proklamierte, anstatt die reine Lehre zu betonen, wie es das 28
deutsche Luthertum tat." Tillich hat sich von diesen empirischen Akzenten theologischen Denkens stark beeinflussen lassen, was sich u.a. in seinen Aufsätzen zur Seelsorge niedergeschlagen hat32. Daß die Klinische Seelsorgeausbildung in Europa zuerst in den Niederlanden Wurzeln schlug, ist mir im Rückblick auf mein Amsterdamer Studienjahr 1954/55 nicht verwunderlich. Ich fand dort ebenfalls einen für mich bis dahin nicht gekannten empirischen Zug theologischen Denkens und Arbeitens vor, der auf mich nach anfänglichem Befremden eine befreiende Wirkung hatte". Ich kam dort zum ersten Male mit Religionsphänomenologie und Pastoralpsychologie in Berührung - eine ungeahnte Erweiterung meines theologischen Horizonts 34 . Im Blick auf die gegenwärtige deutsche Theologie fällt ins Auge, wie jene Disziplinen, die sich mit religiöser Erfahrung befassen (Religionspsychologie und Religionsphänomenologie) noch immer ein Schattendasein führen und sich von dem Verdikt durch die Dialektische Theologie noch nicht erholt haben. (Die niederländische, von Karl Barth außerordentlich stark beeinflußte Theologie hat diesen Bruch nicht mit vollzogen!) Es wird sicher das Schicksal der Klinischen Seelsorgeausbildung mit bestimmen, inwieweit es der Theologie gelingt, den Begriff der Erfahrung zu integrieren. Dabei könnte der Klinischen Seelsorgeausbildung die wichtige Aufgabe zufallen, sich selbst theologisch zu artikulieren 35 .
2.2.2 Die
Struktur
Das Hannoversche Pastoralklinikum ist geprägt von dem Modell, das W. Zijlstra und H . Faber seit 1963 in den Niederlanden entwickelt haben. Das ist persönlich bedingt. Ich lernte das niederländische Werk von H . Faber und E. van der Schoot: Het pastorale gesprek (Utrecht 1962) kennen, das ich später übersetzte (Praktikum des seelsorgerlichen Gesprächs, Göttingen 1968). In dieser Gestalt hat es - zusammen mit D. Stollbergs „Therapeutische Seelsorge" (1969) - den Boden für die Klinische Seelsorgeausbildung bei uns vorbereitet. 1965 nahm ich an einem Kurs für Gesprächsführung bei E. van der Schoot in Utrecht teil36, 1968 war ich der erste deutsche Teilnehmer an einem Kurs Klinischer Seelsorgeausbildung unter W. Zijlstra37, bei dem ich auch meine Supervisorenausbildung erhielt. So prägten meine niederländischen Erfahrungen meine Arbeit bis heute. Das Hannoversche Pastoralklinikum 33 dient schwerpunktmäßig der Pfarrerfortbildung. Die Teilnehmer an den längeren Kursen haben in der Regel eine dreijährige Gemeindepraxis (wenigstens) hinter sich. Vorher - als Vikare im Predigerseminar oder in dem Fortbildungsangebot für die ersten 29
drei Berufsjahre - haben sie Gelegenheit, sich in vierzehntägigen Praktika mit den Methoden Klinischer Seelsorgeausbildung vertraut zu machen. Organisatorisch ist das Pastoralklinikum mit der Klinikseelsorge an der Medizinischen Hochschule in Hannover verbunden. Die dortigen Klinikpfarrer sind zugleich ausgebildete Supervisoren. Wer einen Kurs begleitet, ist zeitlich so beansprucht, daß er seine Arbeit auf den Stationen stark einschränken muß. Dafür übernehmen die Kursteilnehmer je eine Station in die eigene Verantwortung als Seelsorger. Sie haben für die Zeit den Status eines Mitarbeiters im Klinikpfarramt. Ohne die Kooperationsbereitschaft der helfenden Berufe in der Klinik wäre das Modell undenkbar.
Abb. 1: Organisationsmodell
Auf diese Weise ist die Struktur des Pastoralklinikums vorwiegend funktional: es hat kaum institutionelle Kennzeichen. Der administrative und finanzielle Aufwand ist denkbar gering. Das kommt der Flexibilität des Modells zugute. Programmangebot und -gestaltung, Arbeitsfelder und didaktische Methodik können sich nach den Umständen, Erfordernissen und Bedürfnissen richten39. Ein Langkurs Klinische Seelsorgeausbildung umfaßt drei Monate; dieser Kurs wird auch in zweimal sechs Wochen unterteilt, mit einjähriger Zwischenpause angeboten. In der Regel setzt sich ein Kurs aus acht Teilneh30
mern zusammen. Diese gehen nachmittags ihrer seelsorgerischen Tätigkeit auf den Krankenstationen nach. Vormittags trifft sich die Gruppe zu gemeinsamer Arbeit. Das Programm sieht regelmäßige Fallbesprechungen anhand von schriftlichen Gedächtnisprotokollen (sog. Verbatims) vor, wobei mit Hilfe von ad hoc angesetzten Rollenspielen alternative Verhaltensweisen und Reaktionen des Seelsorgers „durchgespielt" werden können. Einmal in der Woche hält einer der Kursteilnehmer eine Andacht für die Patienten, die anschließend in einer „Predigtanalyse" hinsichtlich ihrer gelungenen oder auch nicht gelungenen Kommunikationsstruktur in der Gruppe besprochen wird. Ein wichtiger Bestandteil des Kurses ist, daß der intensive Gruppenprozeß, den jede Gruppe durchläuft, die als Team zusammenarbeitet und auch zusammenlebt, vom Supervisor begleitet wird. Das erklärte Ziel dieser täglichen, durch kein vorgegebenes Thema strukturierten Gruppengespräche ist, daß deren Kommunikationsprozeß jeweils durch ein „Feed-back" (Rückkopplung) erhellt und auf diese Weise für den Lernprozeß fruchtbar gemacht wird.
Abb. 2: Integrationsmodell 31
Schließlich hat jeder Kursteilnehmer wöchentlich Gelegenheit zu einem Gespräch mit dem Supervisor, das in der Regel den persönlichen Lernprozeß zum Gegenstand hat. Es ist ein Zeichen für die Flexibilität dieses Modells, daß die Arbeitsfelder auch andernorts gesucht werden können. So haben im Lauf der letzten Jahre mehrere Kurse für Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Hannover stattgefunden 40 . Als besonders effektiv haben sich auch Kurse herausgestellt, in denen Gemeindepfarrer und kirchliche Mitarbeiter in ihren Gemeinden Hausbesuche machten. Hier wurden in den betreffenden Gemeinden anschließend Umfragen durchgeführt und nach soziologischen Gesichtspunkten im Blick auf die Erwartungen an den Hausbesuch des Pfarrers und dessen Wirkungen ausgewertet 41 . Das Modell des Pastoralklinikums wird jenem Bildungsbegriff gerecht, den der Deutsche Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen wie folgt umschrieb: „Gebildet im Sinne der Erwachsenenbildung wird jeder, der in der ständigen Bemühung lebt, sich selbst, die Gesellschaft und die Welt zu verstehen und diesem Verständnis gemäß zu handeln." 41 " Vergleicht man die Struktur heutiger Klinischer Seelsorgeausbildung mit dem Modell, das Sextro vor zweihundert Jahren in Göttingen praktiziert hat, so fällt ins Auge, daß sich die konstitutiven Elemente hier und dort bis in Einzelheiten gleichen. In einem fest umrissenen Arbeitsfeld wirken die Lernenden in eigener Verantwortung. Sie sind zu einer überschaubaren Lerngruppe zusammengefaßt. Die Ubereinstimmung erstreckt sich auch auf die verhältnismäßig lange Dauer eines Kurses (ein Semester bzw. ein „quarter"). In beiden Modellen wird mit schriftlichen Aufzeichnungen über die Seelsorgegespräche gearbeitet, die in der Gruppe ausgewertet werden. Hier und dort gibt es die wöchentliche Andacht, und selbst die Prinzipien ihrer Besprechung kommen überein. Es gibt die „Aufsicht" oder „Supervision", wie es heute genannt wird, und - last not least - beide Modelle basieren auf dem Grundsatz des Lernens aus eigener Erfahrung „by trial and error".
2.2.3 Hinwendung
zum
Menschen
Die auffallende Verwandtschaft der beiden, durch zweihundert Jahre voneinander getrennten Modelle läßt sich durch eine unmittelbare Tradition nicht erklären. Es muß sich um eine geistesgeschichtliche Verwandtschaft handeln. Heute wie damals ist sich der Mensch in besonderem Maß zum Problem geworden, wenn auch mit einem charakteristischen Unterschied. In der Aufklärung entdeckt sich der Mensch in seinen ihm innewoh32
nenden Möglichkeiten und Kräften neu; er befreit sich von den Fesseln, die ihn daran hindern, sich zu entfalten. Er entdeckt, daß er lernen kann. Heute entdeckt der Mensch die Grenzen seiner wahrlich himmelsstürmenden Möglichkeiten und Kräfte; sie drohen, ihm zu entgleiten und sich gegen ihn zu wenden. So wird ihm bewußt, daß er (um)lernen maß*2. So ist damals wie heute die Hinwendung zur Anthropologie und die Konzentration auf die Humanwissenschaften zu verstehen. Dies hat theologische Folgen. Offenbar ähneln sich diese theologischen Folgen in jeder Aufklärung. Wir zitieren die Beurteilung, die der Alttestamentler Gerhard von Rad der Aufklärung gegeben hat, die mit der Epoche des Königs David verbunden war: „Für eine Zeit, die Jahwes Wirken nicht mehr vornehmlich in der sakralen Form von Wundern oder wunderähnlichen Episoden erfuhr . . . , mußte sich ihr ganzes Verhältnis zu der sie umgebenden Wirklichkeit von Grund auf gewandelt haben. Diese Wirklichkeit - wir würden sagen ,Natur und Geschichte' - ist weltlich geworden und war wie über Nacht aus den bergenden sakralen Ordnungen entlassen . . . Ohne Frage haben wir es hier mit den Spuren einer sich auf breiter Basis vollziehenden Aufklärung zu tun, mit einer Selbstbefreiung des Geistes und einem Heraustreten aus Vorstellungen, die überaltert waren. Aber es war doch kein Heraustreten aus dem Glauben an Jahwe, auch nicht ein Hinüberwechseln in eine verdünnte rationalisierte Gläubigkeit. Jahwe war mitgegangen, er hatte sich auch draußen in der entsakralisierten Weltlichkeit finden lassen, ja, sein Geschichtshandeln konnte jetzt in einer viel völligeren Form wahrgenommen werden. Um Jahwes Wirken zu zeigen, bedürfen diese (biblischen) Darsteller nicht der Wunder oder des Auftretens von Charismatikern; die Ereignisse wickeln sich ab, scheinbar ganz nach ihrer immanenten Gesetzlichkeit . . . jedenfalls wurde immer die unsichtbarste Form des göttlichen Eingreifens gewählt, irgend ein menschliches Verhalten, wie man es oft erleben kann, bar jeder Wunderhaftigkeit ... Das Wichtigste aber ist doch dies: Jahwes Walten umspannt hier alle Lebensbereiche, die sakralen wie die ganz profanen . . . Und zum andern: das vornehmste Betätigungsfeld dieses Waltens ist das menschliche Herz . . . Damit, daß das sakrale Geschehen aufhörte, der eigentliche Gegenstand eines gehobenen Erzählens zu sein, trat etwas ganz Neues in den Mittelpunkt des Interesses, nämlich der Mensch, und zwar der Mensch in der unübersehbaren Vielfalt seines Wesens."45
33
Denn die Wahrheit erfaßt nur, wer innerlich in Bewegung kommt. R o m a n o Guardini 1
3. Struktur und Didaktik 3.1 Supervision als Struktur Für Sextro war die „beständige gewissenhafte Aufsicht, Gegenwart und Leitung einsichtsvoller und erfahrner Arzte zur Anführung und Bildung junger Ärzte" in dem Göttinger Hospital Vorbild für die klinische Ausbildung der Theologen (42). Sowohl das deutsche Wort „Aufsicht" als auch die Intention, die in diesem Zusammenhang damit verbunden ist, entsprechen dem heute geläufigen Begriff der „Supervision". Im angelsächsichen Sprachbereich meint er ursprünglich eine Beaufsichtigung im Sinne von Qualitätskontrolle in Wirtschaft und Schule. Es ist denkbar, daß Sextro diesen englischen Begriff gekannt hat und mit „Aufsicht" übersetzte. Heute ist er im Bereich pädagogischer und helfender Berufe gängig und meint „eine methodisch angelegte Beratung, die problemorientiertes Lernen ermöglicht. Ihr Ziel ist es, auf Probleme in Berufsfeldern einzuwirken, die sich mit Erziehung und Bildung, mit Konfliktlösungen, mit der Wiederherstellung gestörter sozialer Beziehungen, mit Therapie und sozialer Planung befassen" (Strömbach/Fricke/Koch) 2 . Supervision ist nur im Zusammenhang mit eigener Praxiserfahrung denkbar. Von ihr wird erwartet, „daß sie Widersprüche aufdeckt, kognitive Konflikte erzeugt, zur Konfrontation von mitgebrachten Wertvorstellungen und Strategien führt und dadurch fruchtbar für weiteres Lernen wird" 3 . Wir unterscheiden zwischen Einzel- und Gruppensupervision. In der Klinischen Seelsorgeausbildung kommen beide Formen zur Anwendung. In den verschiedenen Berufsfeldern sind Ausbildungsgänge entwickelt worden, die fachliche Kompetenz zur Ausübung von Supervision vermitteln. So kommt es zur Bezeichnung des „Supervisors" für denjenigen, der jene Beratung für „Supervisanden" durchführt. Wie stellen sich die Aufgaben der Supervision in der Klinischen Seelsorgeausbildung dar? - Sie ist verantwortlich für die Strukturen, innerhalb deren der Lernprozeß optimal verlaufen kann. Strukturen vermitteln dem Lernenden die Sicherheit und Geborgenheit, in der er es sich leisten kann, sich verunsichern zu lassen. Verunsicherung setzt Lernmotivation frei. Das Maß der Strukturierung wird im Lauf eines Lernprozesses immer wieder 34
revidiert: Supervision muß in dieser Hinsicht äußerst flexibel sein. Zu starke Strukturierung wirkt sich hemmend auf das eigene experimentierende Lernen aus, zu geringe Strukturierung löst Angst aus und blockiert auf diese Weise das Lernen. Organisation. Relativ fest steht die äußere Struktur eines Kurses, die Organisation des Arbeitsfeldes, die Zusammenstellung der Lerngruppe, die Einteilung des Tagesablaufs, das Kursprogramm. Hier kommt es darauf an, die äußere Struktur den Teilnehmern in ihrer Absicht so durchsichtig wie nur möglich zu machen und sie auch immer wieder zur Diskussion zu stellen, damit unnötige Störungen vermieden werden. Begleitung des Lernprozesses. Der Supervisor begleitet den Lernprozeß der Gruppe wie des einzelnen Supervisanden strukturierend, indem er hilft, (verunsichernde) Erfahrungen zu ordnen, zu verstehen und schließlich in das Bezugssystem des Lernenden einzuordnen. Dazu stehen ihm unterschiedliche Supervisonstechniken zur Verfügung, die im wesentlichen Feed-back-(Rückkoppelungs-)Verfahren sind. Informationen. Auch gezielte Sachinformationen gehören in diesen Zusammenhang. Auch an Hand der Informationen kann wieder verdeutlicht werden, daß es in der Supervision um eine möglichst ausgeglichene Balance zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig geht. Zuviel Information verhindert das eigene Experiment und blockiert den Weg des Lernens „by trial and error". Sie fixiert den Lernenden auf den Supervisor, den er dann als den „Alles-Wissenden" versteht. Hier entstehen vor allem am Anfang eines Kurses häufig Konflikte, die aufgedeckt und bearbeitet werden müssen, wenn der Lernprozeß nicht stagnieren soll. Der Ruf nach Information seitens der Teilnehmer entstammt in der Regel der eigenen, nicht eingestandenen Verunsicherung, der Angst vor dem Wagnis, selber Erfahrungen zu machen. Gibt der Supervisor an dieser Stelle nach, wird seine Information nicht integriert. Rechtzeitig gegebene und angemessen dosierte Information dient dem nachträglichen Verstehen von Erfahrungen und ihrer Integration. Lernkontrakt. Zur Strukturierung gehört auch, daß der Supervisor mit dem einzelnen Supervisanden einen - ständig revidierbaren - Lernkontrakt schließt. Es ist wichtig, daß der Lernende sich ständig Rechenschaft über seine eigenen Lernziele, die er während des Lernprozesses immer wieder neu absteckt, ablegt. Dem dient auch die regelmäßige Evaluation, die der Teilnehmer in schriftlichen Wochenberichten und einem Schlußbericht durchführt. Diese Berichte sind Gegenstand der wöchentlichen Einzelsupervision und der Schlußbesprechung am Ende des Kurses. 35
Lernanamnese. Als äußerst hilfreich hat sich in diesem Zusammenhang die „Lernanamnese" erwiesen, in der sich der Lernende zusammen mit dem Supervisor Klarheit über seine negativen und positiven bisherigen Lernerfahrungen verschafft. Unerledigt gebliebene diesbezügliche Konflikte aus der Biographie werden nämlich leicht auf die Lerngruppe und den Supervisor projiziert und können zu schweren Störungen in den Beziehungen führen, die wiederum den Lernprozeß sowohl des einzelnen wie auch der Gruppe blockieren. Für die Supervision in der Klinischen Seelsorgeausbildung ist es kennzeichnend, daß der Supervisor selbst in demselben Berufsbild tätig ist wie die Kursteilnehmer. Während etwa Balintgruppen für Theologen auch von Berufsfremden, in der Regel einem Psychoanalytiker geleitet werden, ist der Supervisor in unserem Modell selber Klinikpfarrer; die Kursteilnehmer sind seine Kollegen und Mitarbeiter. Damit wird der Gefahr gewehrt, daß die Lernenden sich mit einer anderen Berufsrolle identifizierren und dazu neigen, auch die Methoden jenes anderen Berufs zu übernehmen. In der Klinischen Seelsorgeausbildung steht der Supervisor nicht über der Lerngruppe, sondern er gehört dazu. Indem er einen Lernprozeß begleitet, bleibt er selber Lernender in demselben Berufsfeld wie seine Supervisanden auch. 3.2 3.2.1 Zur Geschichte des
Didaktik
Lernbegriffs
Jede reflektierte Didaktik richtet sich nach ihrem Verständnis dessen, was Lernen ist. Abendländisches Denken hat griechische und hebräisch-semitische Wurzeln; die Spannung in unserem Verständnis von Lernen läßt sich in der jeweiligen Geschichte des Wortes Lernen zurückverfolgen und erhellen (ThWNT IV, 392 ff.). Die Grundbedeutung des Wortes „lernen" geht im Griechischen auf die Bedeutung „erfahren" zurück. Es weist auf einen „geistigen Prozeß" hin, „der bestimmte äußere Wirkungen hat". Homer kennt noch keine bewußte Unterscheidung oder Scheidung von Theorie und Praxis. Der Gebrauch von „manthano" erstreckt sich auf beides zusammen. Aeschylos prägte die Formel „durch Leiden lernen". „Ein Erlebnis oder ein Wort führen zu einer Einsicht, die nunmehr Haltung oder Handeln bestimmen soll" (396, 19f.). Die Entwicklung führt dann aber zu einer Trennung von Praxis und Theorie um der reinen Erkenntnis (theoria) willen. Sokrates wandte sich gegen den formalisierten Lernbetrieb seiner Zeit und entwickelte eine Didaktik, die Lernen und Handeln dialektisch aufeinander bezieht. Hier ist 36
„Lernen zum ersten Male die unerläßliche Voraussetzung für die Entstehung des sittlichen Urteils, auf dem seinerseits das sittliche Handeln beruht" (396, 32 f.). Nach Plato ist Lernen ein Bewußtwerden dessen, was auf dem Grund der Seele schon immer ruht. Sokrates' Anliegen ist - außer von seinem Schüler Plato - nicht verstanden, geschweige denn weitervermittelt worden. So ist Lernen „je länger desto stärker intellektualisiert und rationalisiert worden" (Aristoteles, Stoiker) und hat in diesem Verständnis die Philosophiegeschichte weithin geprägt (399, 11). Das hebräische „lamad" meint ursprünglich ein praktisches Einüben (beispielsweise des Krieges). „Anders als in der spätantiken Philosophie und Ethik geht es im biblischen Sprachgebrauch stets um den ganzen Menschen . . . Demgemäß wird nur das gelernt, was ... letzten Endes getan werden bzw. verwirklicht werden soll" (403, 13 f.). Das rabbinische Judentum macht wiederum - beeinflußt von hellenistischen Strömungen - eine starke Intellektualisierung durch, die sich im Verständnis des Lernens niederschlägt. Es ist in diesem Zusammenhang bedeutungsvoll, daß das Neue Testament das Wort „manthano" nicht verwenden konnte, um das, worum es seiner Botschaft ging, angemessen zu fassen und zu vermitteln. Es kommt im ganzen Neuen Testament überhaupt nur fünfundzwanzigmal vor, in den Evangelien ganze sechsmal. Das Merkmal des Jüngers (mathetes) ist nicht das Lernen in dem vorherrschenden intellektuellen Verständnis, sondern vielmehr die Nachfolge - also wiederum eine Haltung und ein Handeln. „Jesus kommt es nicht auf die Mitteilung von Kenntnissen an..., sondern auf vorbehaltlosen Anschluß an ihn" (408, 19f). Von Jesus lernt der Jünger, indem er sein Joch auf sich nimmt, das - im Gegensatz zur Last des Gesetzes, das die Schriftgelehrten dem Volk zu lernen geben - sanft und leicht ist (Matth. 11,29); er lernt am Feigenbaum ein Gleichnis (Matth. 24,32); Jesus selber lernt durch sein Leiden Gehorsam (Hebr. 5,8); die Gemeinde richtet ihr Handeln danach aus, wie sie „Christus gelernt" hat (Eph. 4,20), und schließlich wird Timotheus vor denen gewarnt, die „alles lernen und doch nicht zur Erkenntnis der Wahrheit kommen können" (2.Tim. 3,7) - eine deutliche Abgrenzung gegenüber einem intellektuellen Lernbegriff, dem es um quantitative Lerninhalte geht, der am Wesentlichen aber vorbeigeht. Diese Beispiele zeigen, wie sich das Lernen nicht auf Lehren und Gesetze bezieht, sondern auf die Person Jesu. Es umgreift den ganzen Menschen und beschränkt sich nicht auf intellektuelles Aneignen. Einsichten hat Jesus im wesentlichen durch Gleichnisse vermittelt, die auf Einstellungsänderungen (metanoiein) abzielen. 37
Was die Alte Kirche betrifft, so spiegelt sich im Gebrauch des Wortes „manthano" wiederum die „Intellektualisierung des Glaubens wider, wie sie zu den Merkmalen der beginnenden und fortschreitenden Hellenisierung des Christentums gehört" (414, 47f.). Der Rückblick auf das Verständnis des Wortes „lernen" im hebräischen (biblischen) und im (späteren) griechischen Denken verdeutlicht die Spannung, in der wir uns heute noch wiederfinden. Thorleif Boman hat in seiner Untersuchung hebräischen und griechischen Denkens an Hand des WortBegriffs die unterschiedliche Ausrichtung des Lernens dargestellt4: vorwärtstreiben
sammeln, ordnen
reden
reden, rechnen, denken
\
Vernunft
/
Tat
A b b . 3: dynamische und statische Lernrichtung
Das Schaubild macht die Spannung zwischen einer dynamischen und einer statischen Ausrichtung des Lernens deutlich, „denn für die Hebräer ist es charakteristisch, daß ihre Worte wirken, für die Griechen, daß das Wort ist" (Boman). Es wird unsere Aufgabe sein, beide Weisen, Wirklichkeit zu begegnen und zu erfassen, nicht als sich gegenseitig ausschließende zu verstehen, sondern sie fruchtbar aufeinander zu beziehen.
3.2.2 Die sokratische
Methode
Uber eine in sich schlüssige Didaktik ist - was die Supervision in der Klinischen Seelsorgeausbildung betrifft - bislang wenig nachgedacht worden. Auf der Suche nach einem didaktischen Modell, in dem wir uns wiederfinden können, bin ich auf die „sokratische Methode" gestoßen, wie sie Leonhard Nelson 1922 in der Pädagogischen Gesellschaft in Göttingen vorgetragen hat5. Dabei müssen wir uns freilich von dem herkömmlichen (Miß-)Verständnis der sokratischen Methode und den Erinnerungen an eine Praxis dieser Methode freimachen, die sich in einem Frage-Antwort-Spiel erschöpfte, 38
wobei die Antwort von vorherein feststeht und die Kunst des Lehrenden nur darin besteht, seine Fragen so zu formulieren und aneinanderzureihen, daß sich die Antwort für den Schüler wie von selbst ergibt. Zwar sollte durch diese so verstandene Methode das selbständige Denken und Urteilen des Schülers gefördert werden - das Konzept lag dennoch fest in der Hand des Lehrers. Diese Lehr- und Lernpraxis erlebte um 1800 ihren Höhepunkt - mit Sextros Konzeption des Lernens aus eigener Erfahrung und mit der Supervision in der Klinischen Seelsorgeausbildung sowie mit Nelsons Ansatz hat sie nichts gemein6. Mehrere Gründe bewegen uns, wenn wir Nelsons Arbeit herausgreifen, um unsere eigene Methode darzustellen. Sein Aufsatz schlägt die Brücke zu den didaktischen Bemühungen, wie wir sie bei Sextro kennengelernt hatten. Zugleich erkennen wir in ihm Grundsätze heutiger Erwachsenenbildung in ihrem Bemühen wieder, den Lernenden als solchen wahrzunehmen und seine Situation in den Lernprozeß mit hineinzunehmen7. In jüngster Zeit wird der sokratischen Methode im Rahmen des philosophischen (Schulunterrichts wieder besondere Bedeutung beigemessen8. Sie ist zunächst eine Methode des philosophischen Unterrichts, läßt sich aber unschwer auf alle Gebiete übertragen, in denen der Mensch selbständig denken, entscheiden und handeln lernen will. In Anlehnung an Kants didaktische Bemerkung in seiner Vorlesungsankündigung 1765/66, die wir fast wörtlich bei Nelson wiederfinden', können wir sagen: Es geht in der sokratischen Methode nicht darum, Seelsorge als ein System von Grundsätzen, Verhaltensregeln und einer Kasuistik zu lehren - das wäre im Gegensatz zur sokratischen die „dogmatische" Methode - ; sie will vielmehr eine Methode - einen Weg - vermitteln, auf dem wir selber verantwortlich Seelsorge üben lernen. Die dogmatische Methode vermittelt Daten und Vorschriften, ohne sich die Mühe zu machen, den Weg aufzuzeigen, der zu den Erkenntnissen führt. Sie gibt vor, wissend zu sein, während Sokrates immer wieder sein Nichtwissen zugestanden hat und seine Aufgabe darin sah, seinen Schülern den Weg zu zeigen, auf dem sich die Wahrheit finden läßt. So ist diese Methode ein Lernmodell für das Lernen selbst. Nicht allgemeine Wahrheiten werden gelehrt, sondern ein Weg des Lernens. „Jene allgemeinen Wahrheiten lassen sich, sofern sie in Worten ausgesprochen werden, zu Gehör bringen. Aber sie werden darum keineswegs eingesehen. Einsehen kann sie nur derjenige, der von ihrer Anwendung ausgeht in Urteilen, die er selbst fällt, und der dann, indem er selbst den Rückgang zu den Voraussetzungen der Erfahrungsurteile vollzieht, in ihnen seine eigenen Voraussetzungen wiedererkennt" (204, kursiv von mir)10. 39
Um dies an einem Beispiel aus der Praxis zu erläutern: Eine Gruppe von Seelsorgern kann lange über die These diskutieren, einem unheilbaren Kranken sei auf jeden Fall die Wahrheit über seinen Zustand mitzuteilen oder über die entsprechende Gegenthese. Im Blick auf das Für und Wider lassen sich eine Fülle von Argumenten aufzählen: zu einer Einsicht wird es für keinen der Diskussionsteilnehmer kommen, es sei denn, sie bringen diesen Satz mit eigenen Erfahrungen zusammen. Auf Grund von Gesprächen mit Schwerkranken bilden sich in den Seelsorgern Erfahrungsurteile, etwa das Urteil, es sei nur sinnvoll, einem Kranken so viel mitzuteilen, wie dieser bereit ist zu akzeptieren. Dies ist bereits - im Vergleich zu dem Satz, der eine allgemeine Wahrheit aussagte - eine E r k e n n t n i s . Befragt der Seelsorger diese Erkenntnis auf ihre Voraussetzung, dann findet er eine Erfahrung, die er schon kannte, etwa die, daß jede Mitteilung ein komunikativer Vorgang ist, an dessen Zustandekommen auch der Empfänger beteiligt ist. Er erkennt also durch die Prüfung seines Erfahrungsurteils, auf welchen Voraussetzungen es beruht. Damit hat er zu seiner Wahrheit gefunden, mit deren Hilfe er - im Gegensatz zu dem eingangs diskutierten dogmatischen Satz - sinnvoll handeln kann. Bis zu diesem Ziel ist es allerdings ein mühsamer Weg. Um es zu erreichen, muß der Supervisor verschiedene methodische Gesichtspunkte im Auge behalten. Die sokratische Methode rekurriert immer auf eigene Anschauung und Erfahrung. Sokrates schickte seine Schüler auf den Markt, damit sie dort das tägliche Tun und Treiben der Menschen wahrnahmen und auf ihre Voraussetzungen befragten. In der Klinischen Seelsorgeausbildung gehen die Teilnehmer nach der Gruppenarbeit regelmäßig auf die Stationen und reden mit Patienten. Damit wird der Ausflucht in eine Theorie gewehrt, die keinen Berührungspunkt mit der Praxis und eigenen Erfahrungsurteilen hat. Auch die Konzentration auf Wortprotokolle in den Sitzungen, die das seelsorgerliche Tun zum Thema haben, verhindert das Abgleiten in die fruchtlose Diskussion über allgemeine Grundsätze und Wahrheiten. Es ist verständlich, daß die Teilnehmer vor allem am Anfang eines Kurses, wenn sie durch die ihnen ungewohnte Umgebung verunsichert sind, sich an den Supervisior mit der Erwartung wenden, er solle ihnen Anweisungen für ihr Verhalten geben, er - der „Erfahrene" - möge ihnen sagen, „wie man es macht". Es zeichnet die sokratische Methode aus, daß der Lehrer oder der Supervisor, um dem verführerischen Dogmatismus keine Chance zu geben, auf jedes belehrende Urteil und auf jede urteilende Belehrung verzichtet. Er widersteht grundsätzlich Fragen, die ein Urteil (auch über ihr Tun!) von seiner Seite provozieren möchten. 40
Das vergrößert auf seiten der Teilnehmer natürlich die Unsicherheit und Verwirrung, in die sie schon die neue und ungewohnte Situation geführt hat. Aber „die Aufgabe des Lehrers kann nicht die eines Führers sein in dem Sinn, daß er die Mitarbeiter vor Irrwegen und vor Unfällen schützt; auch nicht in dem Sinn, daß er vorangeht, die Mitarbeiter nur folgen - in der Erwartung, daß sie dadurch in den Stand gesetzt werden, den gleichen Weg künftig allein zu finden. Nein, hier hängt alles von der Kunst ab, die Schüler von Anfang an auf sich zu stellen, sie das Selbstgehen zu lehren, ohne daß sie darum alleine gehen, um diese Selbständigkeit so zu entwikkeln, daß sie eines Tages das Alleingehen wagen dürfen, weil sie die Obacht des Lehrers durch die eigene Obacht ersetzen" (Nelson, 215 f.). Enthält sich der Supervisor aller urteilenden Antworten, so stellt er selber auch nicht durch gezielte Fragen ein Thema zur Diskussion. Die Initiative und Aktivität liegt bei der Gruppe. Er verhält sich streng „nicht-direktiv". Er hilft lediglich, und zwar durch eigenes Nachfragen, unklare Fragen schärfer zu fassen, und stellt Antworten ebenfalls durch Nachfragen zur Diskussion. Die Beschreibung, die Nelson von einem solchen Gruppengespräch gibt, trifft so genau das Geschehen in unseren Trainingsgruppen, vor allem in den ersten Wochen, daß wir sie an dieser Stelle wiedergeben wollen: „Es springen Fragen und Antworten durcheinander. Manche verstehen die Entwicklung, manche verstehen sie nicht. Diese versuchen dann durch tastende Zwischenfragen die Verbindung wieder herzustellen. Aber die anderen drängen darauf, sich in ihrem Gang nicht aufhalten zu lassen. Sie übergehen jene Fragen. Da tauchen neue, verständnislosere Fragen auf. Schon beginnen einzelne zu schweigen. Es schweigen ganze Gruppen. Dazwischen geht die Unruhe der immer zielloser werdenden Fragen. Selbst die anfangs noch Sicheren lassen sich dadurch verwirren. Sie verlieren gleichfalls den Faden. Sie wissen nicht, wie sie ihn wiederfinden sollen. Endlich weiß niemand mehr, wohin die Aussprache steuert. Die schon bei Sokrates berühmte Verwirrung ist eingetreten. Alle sitzen ratlos da. Das anfangs Gewisse ist ihnen ungewiß geworden" (219). Dieser Verlust der vertrauten Sicherheit hat seine didaktische Funktion: nur über die Unsicherheit führt der Weg des Lernens. Nur auf diesem Weg können die ,Stützen' des Dogmatismus, die sich für das Lernen als Barrieren erweisen, fallen. Aus diesem Grunde läßt der Supervisor diese Verwirrung zu und widersteht allen Versuchen, sie durch autoritatives Eingreifen zu beheben. Würde er an dieser Stelle ,helfend' eingreifen, so wäre das für die Gruppe alles andere als hilfreich. Denn sein Eingreifen geschähe, um der eigenen Unsicherheit zu entkommen. Die Gruppe bekäme damit 41
signalisiert, daß sie nicht in der Lage ist, ihren Weg aus dem Irrgarten selbständig herauszufinden. Die Zurückhaltung des Supervisors basiert also auf dem Vertrauen in die Selbständigkeit und Kreativität der Gruppe. Durch sein zurückhaltendes Dabeisein vermittelt er der Gruppe das Vertrauen, das nötig ist, damit sie ihren Weg trotzdem weitergeht. Und in der Tat - die Erfahrung gibt ihm recht. Es gehört immer wieder zu den großen Überraschungen eines derartigen gemeinsamen Lernprozesses, daß der Gruppe die Kraft innewohnt, ihren Weg durch Irren und Wirren zu finden. Und es ist eine ungewöhnliche Stärkung des Selbstvertrauens der einzelnen Teilnehmer, zu erkennen, daß sie den Weg gemeinsam gefunden haben. „Der ... Lehrer, der nicht den Mut hat, seine Schüler vor diese Probe der Verwirrung und Entmutigung zu stellen, beraubt sie nicht nur der Fähigkeit, die Widerstandskraft auszubilden, deren der Forscher bedarf, er täuscht sie über ihr eigenes Können und macht sie unehrlich gegen sich selbst" (202). Die Hilfestellung, die der Lehrer der Gruppe in diesem Stadium geben kann, ist die schon bei Nelson beschriebene ,Rückkoppelung'. Der Lehrer bricht die Erstarrung der Schüler auf, indem er mit ihnen den Rückgang zum Ausgangspunkt antritt und sie anleitet, die Fehlerquellen in jedem einzelnen ihrer Schritte zu entdecken. Dadurch geschieht Lernen. Und in der ständigen Anwendung des Erlernten geht der Weg des Lernens weiter. In dem Maße, wie die Teilnehmer lernen, selbständig zu lernen, macht sich der Supervisor als Lehrer überflüssig. Er wird zu einem Mitglied der Gruppe und bringt sich auch als solches ein. In dem, was er selber als Seelsorger tut, ist er seinen Kollegen ja nicht überlegen. Auch er ist und bleibt Lernender, mit anderen gemeinsam auf dem Wege. Nelson ist sich der Schwierigkeit, sein Anliegen über einen Vortrag plausibel zu machen, deutlich bewußt. Er widerspricht damit seinem eigenen methodischen Ansatz - wie wir durch unser Schreiben und Lesen dieser Ausführungen auf Schritt und Tritt unserer Methode widersprechen. Er schließt daraus (und wir stimmen dem uneingeschränkt zu): „Für die Sache, die ich hier führe, wird schließlich doch niemand anders als durch das Zeugnis des Experiments und also durch eigene Erfahrung gewonnen werden" (233). Und in der Tat: Durch die ständige Reflexion meiner eigenen Erfahrungen in meiner zehnjährigen Tätigkeit als Supervisor in der Klinischen Seelsorgeausbildung, durch eigenes Lernen „by trial and error" hat sich allmählich wie von selbst eine Didaktik herausgebildet, die sich in der von Nelson beschriebenen „sokratischen Methode" sehr genau wiederfindet und von ihr eine theoretische Erhellung und Grundlegung gewinnt. 42
Auch die Lerngruppen assoziieren in der Reflexion ihrer Beziehung zum Supervisor gelegentlich die „sokratische Methode" (ohne Nelson zu kennen). So fand kürzlich ein Kursteilnhmer dafür ein Brecht-Zitat (aus „Der verwundete Sokrates"): „ . . . der in seinen Zwiegesprächen so gut und leicht und unter so kräftigen Scherzen seine Freunde wohlgestalteter Gedanken entbinden konnte und sie so mit eigenen Kindern versorgte, anstatt wie andere Lehrer ihnen Bastarde aufzuhängen..."
43
Wenn ich versuche, den zurückgelegten W e g zu überschauen, so stelle ich fest, daß ich Stück für Stück zu einer Aufwertung der Erfahrung geführt worden bin. Gabriel Marcel 1
4. Erfahrung 4.1 Das deduktive
Lernmodell
Im Mittelpunkt klinischer Seelsorgeausbildung steht der Begriff der Erfahrung, und zwar in einem gegensätzlichen Spannungsverhältnis zu theoretischer Belehrung. So lesen wir es schon bei Sextro: „Diese eigne Erfahrung . . . greift in jedem Fall tiefer ein, und ein Tropfen solcher Erfahrung wirkt oft mehr, als das reichste Maaß von wiederholten Belehrungen . . . , die der Lehrer . . . aus seiner Erfahrung, die aber dem jungen Mann noch fremd ist und oft unbegreiflich scheint, mittheilen mag" (75). Dies uns allen vertraute Lehr- und Lernmodell theoretischer Belehrung läßt sich als Schaubild so darstellen:
Abb. 4 : Das deduktive Lernmodell
Das Verhältnis von Lehrer und Schüler ist durch ein Oben und Unten gekennzeichnet. Der Lehrer hat aus den vielfältigen und differenzierten Erfahrungen, die er selber gemacht hat, oder die ihm bereits tradiert sind, die jeweiligen Besonderheiten abgezogen und in der Spitze des Kegels das höchstmögliche Abstraktionsniveau erreicht: einen allgemeingültigen Satz. An dieser Stelle begegnen sich Lehrer und Schüler. Der Schüler ist genötigt, sich auf die Abstraktion des Lehrers einzulassen: anders wäre eine Begegnung nicht denkbar. Also berühren sich die beiden Kegel an ihrer
44
Spitze. Nach dem Schema ist es jetzt Aufgabe des Schülers, in einem Deduktionsverfahren den allgemeingültigen Satz auf alle möglichen und denkbaren Verhältnisse anzuwenden. In diesem Integrations- und Transfer-Prozeß ist er sich - entsprechend der Herbartschen Stufentheorie selber überlassen. Aber es ist überhaupt die Frage, ob es nach diesem Modell gelingen kann, aus der Abstraktion des Lehrers Hilfen für das Verstehen und Bewältigen eigener Erfahrungen abzuleiten. Der Schüler wird bestrebt sein, die Hintergründe der Abstraktion auf seiten des Lehrers zu erfragen, um überhaupt Anhaltspunkte an der Realität zu haben. Und der Lehrer wird ihm seine eigenen Erfahrungen auch nicht samt und sonders vorenthalten können. Dann ist aber der Schüler auf die Erfahrungen des Lehrers fixiert: er wird bestrebt sein, die vergangenen Erfahrungen des Lehrers zu reproduzieren. Damit ist er nicht mehr offen für eigene Erfahrungen in der Gegenwart und Zukunft. Das entspricht der Denkbewegung des Lehrers, der auf Abstraktion bedacht ist: sie hält die eigene Erfahrung in der Retrospektive für abgeschlossen. Er hat sie ja abstrahierend in ein System gebracht, das erschüttert würde, gäbe es neue Erfahrungen! Das Modell ist also an der Vergangenheit orientiert: ihm fehlt die Öffnung in die Zukunft. Mehr noch: es basiert auf der Grundannahme, daß „neue" Erfahrung immer nur Reproduktion alter Erfahrung ist, daß also der Schüler schließlich den Kegel auf den Kopf stellt, der dann mit dem des Lehrers deckungsgleich ist. Um dies an einem Beispiel zu demonstrieren: Hans Asmussens These: „Seelsorge ist die Verkündigung des Wortes Gottes an den einzelnen" hat die kirchliche Seelsorge seit dem Erscheinen seines Buches im Jahr 1933 stark geprägt2. Auch ich selbst bin mit diesem Satz in die seelsorgerische Praxis hineingegangen (1958). Jedoch verursachte mir seine Definition von Seelsorge zunehmend ein schlechtes Gewissen, weil ich sie je länger desto weniger mit meinen Erfahrungen, beispielsweise beim Hausbesuch oder am Krankenbett, zusammenbringen konnte. Ich scheiterte, indem ich versuchte, diesen Satz, den ich vollinhaltlich bejahte, in den verschiedenen Situationen pfarramtlicher Praxis anzuwenden. Ich führte das auf mein Unvermögen zurück, hatte Schuldgefühle und war schließlich in meiner seelsorgerischen Tätigkeit weithin blockiert und befangen. Fixiert auf Asmussens Definitionen, auf seine Beispiele und Ratschläge war ich zu neuen Erfahrungen, die mich zu neuer Praxis ermutigt hätten, nicht in der Lage. Der Satz: „Seelsorge ist die Verkündigung des Wortes Gottes an den einzelnen" ist - wie fast jede Abstraktion - durchaus „richtig". Das macht Definitionen unangreifbar. Wenn „Verkündigung des Wortes Gottes" nicht 45
allzu eng auf rein verbales Geschehen begrenzt wird, kann dieser Satz auch heute über unserer seelsorgerlichen Praxis stehen. Nicht die Definition als solche ist also anfechtbar, wohl aber unsere Einbildung, es gäbe keine neuen Erfahrungen über diejenigen hinaus, aus denen heraus H. Asmussen sein Buch geschrieben hat, so daß wir ein schlechtes Gewissen haben müßten, wenn wir seine Erfahrungen, die ihn zu seiner Definition von Seelsorge geführt haben, nicht reproduzieren können. Jede Definition ist für das Mißverständnis anfällig, es sei mit ihr ein „finis" erreicht. Das ist ihre Gefahr. Sie droht damit neue Erfahrungen zu blockieren. 4.2 Das induktive
Lernmodell
Auch das klinische Lernmodell läßt sich in einem Schaubild darstellen: Widerfahrnis
I I
Schüler und Lehrer
Erfahrung Fertig(keit) Widerfahrnis
\
Erfahrung
Abb. 5: Das induktive Lernmodell
Wir differenzieren in dem Lernprozeß zwischen drei Schritten: mir widerfährt etwas - ich erfahre es - ich bin „fertig" und habe Fertigkeit erworben. Ein Widerfahrnis ist noch keine Erfahrung. Es hat noch keinen Ort in meiner Erfahrung. „Etwas" ist mir widerfahren. Ich kann es noch nicht benennen, geschweige denn verstehen. Meine erste Reaktion ist Erschrekken, Stutzen, Staunen und Verwunderung. Es kann auch sein, daß mich das, was mir widerfährt, verletzt. Albert Einstein geht in seinem „erkenntnistheoretischen Credo" 3 davon aus, daß „unser Denken zum größten Teil ohne Verwendung von Zeichen oder Worten vor sich geht, und dazu noch weitgehend unbewußt. Denn wie sollten wir sonst manchmal dazu kommen, uns über ein Erlebnis ganz spontan zu wundern? Dieses Sich-Wundern scheint dann aufzutreten, wenn ein Erlebnis mit einer uns hinreichend fixierten Begriffswelt in 46
Konflikt kommt. Wenn solcher Konflikt hart und intensiv erlebt wird, dann wirkt er in entscheidender Weise zurück auf unsere Gedankenwelt". Dies Sich-Wundern hat eine Dynamik zur gedanklichen Verarbeitung in sich, das Fassungslose möchte gefaßt werden (ich möchte mich wieder fassen), ich suche Erklärungen, um zu verstehen. „All dies Stutzen und Staunen und im Verstehen Nicht-weiterkommen ist offenkundig immer auf Weiterkommen, auf eindringlichere Erkenntnis angelegt" (Gadamer)4. Erfahrung ist also verstehende Erfahrung. In dem Maße, wie ich verstehe, intergriere ich das Widerfahrnis, sodaß es zu meiner Erfahrung wird5. Es ordnet sich in meine Biographie ein - etwa so, daß ich Zusammenhänge mit ähnlichen Erfahrungen entdecke6. Damit Widerfahrnis zur Erfahrung wird, muß es aber zur Sprache gebracht werden. Ich muß mich mit ihm auseinander-setzen, und dazu bedarf es eines oder mehrerer Gesprächspartner, die mir den Raum bieten, das Widerfahrnis auszubreiten. Erfahrung ist an einen Raum gebunden, den ich er-fahren kann. Der Schritt vom Sich-Wundern zum Verstehen wird durch das sog. „Aha" -Erlebnis markiert. Ich habe verstanden! Ich habe eine Erfahrung gemacht. Jetzt bin ich „fertig" - freilich nicht im Sinne eines „finis", sondern im ursprünglichen Wortgebrauch. „Fertig" heißt ursprünglich (mittelhochdeutsch) „fartig", d.h. zur Fahrt bereit. Dieser Wortgebrauch findet sich noch in der Luther-Ubersetzung von Eph. 6,15: „an den Beinen gestiefelt, als fertig, zu treiben das Evangelium des Friedens." Dies Zitat zeigt, wie das „Fertig-sein" ein procedere, einen Prozeß zur Folge hat. Die Beine sind gerüstet, in die Zukunft zu gehen. Es verfügt aber keineswegs über die Zukunft; vielmehr ermöglicht es den weiteren Lernprozeß, an dessen Beginn wieder ein Widerfahrnis steht. Ohne die Möglichkeit, Widerfahrnisse zur Erfahrung zu verarbeiten, wäre der Weg in die Zukunft blockiert. Auf diesem Weg zahlloser Erfahrungen kann es dann zur Bildung einer (fachlichen) „Fertigkeit" kommen, die es mir erlaubt, den Herausforderungen ähnlicher Widerfahrnisse „fertig" zu begegnen, d.h. der mühsame und langwierige Weg durch die „Erfahrung" wird abgekürzt. Auch diese „Fertigkeit" ist Ziel Klinischer Seelsorgeausbildung. Der Weg von Widerfahrnis zum „Fertig-sein" ist in der Regel komplizierter und weniger gradlinig als das Schaubild suggeriert. Oft sind eine ganze Reihe von Widerfahrnissen ähnlicher Art nötig, bis man sich zu einer Fertigkeit hindurchgerungen hat und jenen Widerfahrnissen wirklich anders begegnet. Sextro erzählt einmal eine Parabel, die das verdeutlicht. Ein wohlhabender Mann läßt von vielen Arbeitern ein Schiff bauen und zu großer Fahrt ausrüsten. Als das Werk getan und das Schiff bereit ist, Segel 47
zu setzen, gibt jener Mann den Auftrag, das Schiff wieder auseinanderzureißen und ein neues zu bauen. Das neue Schiff wird besser, die Bauzeit ist kürzer - doch auch diesmal muß es wieder in seine Bestandteile zerlegt werden. Dies wiederholt sich mehrere Male - jedesmal verkürzt sich die Bauzeit und wird das Schiff vollkommener, bis es schließlich „fertig" fahrbereit - ist und zusammen mit den Arbeitern in See sticht, um neue Länder zu gewinnen 7 . Supervision, die Menschen mit ihren Widerfahrnissen über ihre Erfahrung bis hin zu bestimmten Fertigkeiten begleiten will, muß fortwährend eine Gefahr im Auge behalten, die darin besteht, Widerfahrnisse, die negativ erlebt werden, als falsches Verhalten zu brandmarken. Sie würde sich damit eines didaktischen Mittels bedienen, das dem zuerst skizzierten (deduktiven) Lernmodell zugehört. Als „falsch" kann nur etwas angesichts einer abstrakten N o r m bezeichnet werden, an der sich „richtig" und „falsch" scheiden. Ein derartiges Urteil legt aber fest, es fixiert auf die Vergangenheit und blockiert Erfahrung; ja, es führt schließlich dazu, daß man sich gegen neue Widerfahrnisse abschirmt und der Resignation anheimfällt. Denn das Urteil ruft Angst hervor, Angst vor der Verurteilung, die ein abschließendes Urteil bedeuten würde, ein finis. Es macht mich in jeder neuen Supervisionsgruppe immer wieder betroffen, wie groß die Ängste der Teilnehmer vor dem Urteil und der Verurteilung seitens des Supervisors und der Kollegen sind; sie führen dazu, daß der Raum der Erfahrung zunächst so eingeengt wird, daß es unmöglich erscheint, eigene Widerfahrnisse zur Sprache zu bringen. So groß die eigene Angst vor dem Urteil auch ist - so unfähig sind wir auf der anderen Seite aber auch zunächst, anders als urteilend mit den eigenen Widerfahrnissen und denen unserer Kollegen umzugehen. Es bedarf in der Regel eines mühsamen Prozesses, eine Gruppe aus der sich gegenseitig blockierenden Angst zu einem „non-judgmental approach" zu führen. Das Ziel ist in dem Augenblick erreicht, wo erkannt wird, daß das Urteil einer Abwehr der Erfahrung (der eigenen wie der des anderen) entspringt. „Abwehrmechanismen sind Aktionen der Person gegen die eigene Erfahrung" (Laing) 8 . Hinsichtlich unseres Schaubildes bleibt noch erläuternd nachzutragen, daß es deutlich machen will, daß der Lernprozeß sowohl zur Vergangenheit hin (ich komme immer schon von Erfahrungen her; es gibt weit zurückliegende Widerfahrnisse, die noch nicht zur Erfahrung wurden) als auch im Blick auf die Zukunft unabgeschlossen ist: Erfahrung heißt „aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen" (C. F. von Weizsäcker) 9 , ist also stets auf die Offenheit der Zukunft hin ausgerichtet. 48
Ebenso will das Bild aufzeigen, daß es sich um einen gemeinsamen Weg handelt, den der Supervisor mit seinen Supervisanden bzw. mit seiner Lerngruppe geht. Das Widerfahrnis eines Teilnehmers wird zum Widerfahrnis des Supervisors und der Lerngruppe. Der Weg der Erfahrung ist ein gemeinsamer Weg. Der Supervisor hat dabei die Aufgabe, auf Blockaden zu achten, die diesen gemeinsamen Weg verstellen können, diese wiederum als „Widerfahrnisse" sichtbar zu machen und mit der Gruppe erfahrend zu verarbeiten. Die Deutungsmuster, deren er sich bedient, um sich selber und der Gruppe zum Verstehen bestimmter Widerfahrnisse zu helfen, können den verschiedensten theoretischen Systemen entstammen. Das richtet sich nach der Biographie und nach der Ausbildung des Supervisors. Es kann sich etwa um ein tiefenpsychologisches Muster handeln, oder eines, das aus der Transaktionsanalyse oder der Gestalttherapie herrührt. Entscheidend ist, daß es zu seiner Erfahrung geworden ist10. Der Supervisor hat seinen Supervisanden ledigleich ein Stück mehr „Fertigkeit" voraus, wobei er jederzeit bereit sein muß, sich neuen Widerfahrnissen zu stellen. Ich will den Lernprozeß in dem aufgezeigten Dreischritt wieder an einem persönlichen Beispiel demonstrieren. Es stammt aus der Anfangszeit meiner seelsorgerischen Tätigkeit. Ich wollte eine krebskranke Patientin besuchen, auf deren hoffnungslosen Zustand mich der Stationsarzt hingewiesen hatte. Ich kannte sie flüchtig. Der Besuch wurde ein Fiasko. Ich hatte mich ihr kaum zu erkennen gegeben, als sie mich heftig angriff und beschimpfte. Sie entlud ihre Aggression nicht nur gegen mich, sondern gegen Gott und die Kirche, gegen die Welt und das Krankenhaus mit seinen Ärzten und Schwestern. Ich selber kam nicht zu Wort. Mir blieb schließlich nichts anderes übrig, als mich rückwärts zur Tür zu tasten und zu fliehen. Kurz bevor ich die Tür schließen konnte, hörte ich noch, wie die Frau mit leiser Stimme sagte: „Kommen Sie doch einmal wieder!" Ich bin, ratlos, verletzt und erschüttert über das, was mir widerfahren war, nicht wieder hingegangen. Wenige Tage später war die Frau gestorben. Ich habe dies Erlebnis lange nicht verarbeiten können. Ich fand keine Erklärung für das Verhalten dieser Frau. „Erfahrenere" Kollegen, die ich um Rat anging, konnten mir auch nicht weiterhelfen. Ihre wohlmeinenden Ratschläge hinderten mich schließlich daran, die Geschichte weiter zu erzählen. Ich blieb mit Schuldgefühlen zurück. Ich hatte aber auch Angst vor weiteren Erfahrungen dieser Art. So habe ich die Türen gemieden, hinter denen ich sterbende Patienten wußte oder vermutete. Ich war blockiert. Erst Jahre später, in meiner eigenen klinischen Ausbildung, konnte ich mein Erlebnis zur Sprache bringen. Ich sprach nicht nur über das mir 49
unverständliche Verhalten der Frau, sondern auch über die Empfindungen, die es in mir ausgelöst hatte. Das Widerfahrnis wurde zur Erfahrung. Zum Verstehen half dabei auch eine Information aus der Untersuchung von E. Kübler-Ross „On Death and Dying", die gerade erschienen war". Ich lernte die Bedeutung von Aggression in menschlichen Krisensituationen verstehen - zugleich wurde ich meiner eigenen Ängste vor Aggressionen gewahr. Damit war die Blockade aufgehoben. Ich war wieder „far-tig", bereit, mich der Herausforderung meiner Seelsorge durch das Sterben von Mitmenschen zu stellen. 4.3 Hermeneutische
Erfahrung
Wir verstehen Erfahrung also mit Gadamer als „hermeneutische Erfahrung"12. Das Problem, sich ihr wissenschaftlich zu nähern, liegt darin begründet, daß es das Ziel der Wissenschaft ist, „Erfahrung so zu objektivieren, daß ihr keinerlei geschichtliches Moment mehr anhaftet" (Gadamer, 329). Damit verhält sich Wissenschaft paradox zur Erfahrung. „Sie steht in einem unaufhebbaren Gegensatz zum Wissen und zu derjenigen Belehrung, die aus theoretischem oder technischem Allgemeinwissen fließt" (338). Streng genommen kann man keine Erfahrung zweimal machen. Erfahrung umfaßt immer den ganzen Menschen, nicht etwa nur seinen Intellekt. Sie verändert ihn und fließt in ein verändertes Verhalten ein. „Verhaken ist eine Funktion der Erfahrung" (Laing, 19). Sie schlägt sich also nicht in erster Linie in einem vermehrten Wissen nieder. Eher kann man von einem veränderten Wissen, von Einsicht sprechen. Sie ist „mehr als die Erkenntnis dieser oder jener Sachlage. Sie enthält stets ein Zurückkommen von etwas, worin man verblendeterweise befangen war. Insofern enthält Einsicht immer ein Moment der Selbsterkenntnis" (Gadamer, 338). Der Mensch muß sie deshalb immer selber machen und kann sich darin von niemandem anders vertreten lassen. Erfahrung in diesem Sinne ist immer „biographische Erfahrung" (Α. M. Klaus Müller) und kann deshalb auch nur im Ich-Stil erzählend vermittelt werden. Sie gehört zum geschichtlichen Wesen des Menschen. Der Weg der Erfahrung ist deshalb immer mühsam und nicht selten schmerzhaft. Es ist leichter, in Selbstbefangenheit zu verharren, auf Vorurteilen zu beharren und sich mit seinem Wissen vor Überraschungen zu schützen. Im Umdenken (metanoiein) vollzieht sich immer auch ein Stück Sterben. Gadamer zitiert in diesem Zusammenhang Aischylos' Formel „durch Leiden lernen" und folgert: „Was der Mensch durch Leiden lernen 50
soll, ist nicht dieses oder jenes, sondern ist die Einsicht in die Grenzen des Menschseins, die Einsicht in die Unaufhebbarkeit der Grenze zum Göttlichen hin. Es ist am Ende eine religiöse Erkenntnis" (340).13
51
Wer jedoch in all diesen massierten, vermengten, marschierenden Kollektivitäten ahnt noch, was Gemeinschaft ist? Martin Buber 1
5. Die Gruppe 5.1
Lerngruppe
Die Anzahl der Teilnehmer an der Arbeit in seinem Pastoralinstitut begrenzt Sextro auf sieben bis zehn, „damit ein jeder desto mehr Gelegenheit zu Pastoralübungen haben möge." Nach heutigen Erfahrungen sind damit die untere und die obere Grenze für eine optimale Lerngruppe angegeben. Die durchschnittliche Größe der Gruppen im Pastoralklinikum Hannover beträgt acht Teilnehmer. Innerhalb der Erwachsenenbildung lassen sich drei unterschiedliche Arten von Gruppen nach ihren Anwendungsgebieten unterscheiden: Selbsterfahrungsgruppen, Lerngruppen und Arbeitsgruppen 2 . Die Gruppe in der Klinischen Seelsorgeausbildung vereinigt Elemente aller drei Gruppen in sich. Arbeitsgruppe ist sie, weil in ihr Kollegen gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten. Als solche nimmt sie teilweise auch die Gestalt einer Projekt- oder Forschungsgruppe an; die Auswertung des reichen Materials, das in einem zwölfwöchigen Kurs zusammengetragen wird, fördert immer wieder neue Erkenntnisse zutage 3 . Lerngruppe ist sie, weil sie ein Stück professioneller Ausbildung im Auge hat. Deshalb bietet sie sich auch für die Ausbildung zur Krankenhaus- oder Gefängnisseelsorge (je nach dem Arbeitsfeld des Kurses) an. Selbsterfahrungsgruppe ist sie, weil in ihr eigene Einstellungen und eigenes Verhalten reflektiert werden und die Beziehungen der Gruppenteilnehmer untereinander zur Sprache kommen. Allerdings fehlt in der klassischen Selbsterfahrungsgruppe der für die Klinische Seelsorgeausbildung typische Praxisbezug. R. Battegay unterscheidet zwischen „autozentrierten" und „allozentrierten" Gruppen. Erstere sind auf die Beteiligten selbst bzw. auf deren Haltung ausgerichtet, es handelt sich dann um „therapeutische" Gruppen. Die anderen bestimmen sich dadurch, daß sie auf ein äußeres Ziel ausgerichtet sind. Doch können solche Gruppen auch einen therapeutischen Nebeneffekt haben. „Wenn parallel zu der eigentlichen Gruppenaufgabe noch therapeutische Anliegen erfüllt werden können, so zeugt es davon, 52
daß sich jede Gruppe, auch wenn sie nicht oder nicht ausdrücklich zu Behandlungszwecken zusammengestellt ist, im Sinne der Förderung einer Genesung und Entfaltung der Persönlichkeit auswirken kann" (R. Battegay) 4 . Das gilt insbesondere für die Gruppen der Klinischen Seelsorgeausbildung. Ihr Lernziel ist eine verbesserte Kommunikationsfähigkeit in Seelsorge und Predigt. Dabei kann es nicht ausbleiben, daß Kommunikationsstörungen der Teilnehmer aufgedeckt werden, und daß die Motivation geweckt wird, diese Störungen zu bearbeiten und - wenn möglich - zu beheben. Das kann sich „im Sinne der Förderung einer Genesung und Entfaltung der Persönlichkeit auswirken." Dennoch kann es sich nicht um Therapie im engeren Sinn handeln. In der Regel ist der Supervisor kein Therapeut. Die in den vorigen Abschnitten aufgezeigte Struktur der Klinischen Seelsorgeausbildung würde damit einschneidend verändert. Damit dieser Struktur durch etwaige starke latente Therapiebedürfnisse seitens der Teilnehmer keine Gefahr droht, werden vor der Zusammenstellung der Gruppen sog. Auswahlgespräche unter Hinzuziehung eines Psychoanalytikers durchgeführt. Ziel dieser Gespräche ist die Klärung der Motivation des Bewerbers und seine eventuelle Therapiebedürftigkeit. Die Kleingruppenforschung ist ein noch junger Wissenschaftszweig. In ihm fließen soziologische, sozialpsychologische und tiefenpsychologische Untersuchungsmethoden zusammen und befruchten sich gegenseitig. Die Anfänge gehen in die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts zurück und sind mit Untersuchungen über das Unterrichtsverhalten von Lehrern, ihren Führungsstil und dessen Auswirkungen auf den Lernprozeß ihrer Schüler verbunden (Kurt Lewin). Dabei trat deutlich zutage, daß sich Lernprozesse auf zwei Ebenen abspielen: der Rezeption von Wissen und einer affektiven Ebene, die sehr viel weniger greifbar ist, weil sie in der Regel nicht zur Sprache kommt, sondern vorbewußt oder unbewußt bleibt. In diese zweite Ebene gehören Lernmotivation und Neugierverhalten ebenso wie Angst vor Versagen und Bestrafung, Widerstände, die sich in Langeweile und Fluchttendenzen äußern können, oder aggressive Gefühle gegenüber Lehrer und Mitschülern. Daraus resultieren oft Macht- und Rivalitätskämpfe, die einen Lernprozeß nachhaltig blockieren. Der lernende Erwachsene hat bereits eine lange und sehr komplizierte Lerngeschichte hinter sich, die ihn und sein Lernverhalten entscheidend geprägt hat. Dabei spielt die „Primärgruppe" (die Familie, aus der der Teilnehmer stammt) eine grundlegende Rolle. Fatal wirkt sich dabei das Prinzip unserer Leistungsgesellschaft aus, das wir in der Familie zumeist unreflektiert übernehmen: Leistung wird mit Liebe, Zuwendung und 53
„Zuwendungen" belohnt - Leistungsabfall und Versagen mit Liebesentzug bestraft. Liebesentzug aber ruft wahre Höllenängste hervor. Ängste blokkieren das Wagnis, sich neuen Erfahrungen auszusetzen, blockieren also das Lernen. Wie groß diese Ängste auch bei Erwachsenen sind, kann jeder beobachten, der an Elternversammlungen von Schulklassen teilnimmt. O f t pochen Eltern noch mehr als die Lehrer ihrer Kinder auf die Notwendigkeit von Leistungssteigerungen und fordern die Lehrer zu einer Vermehrung ihrer Anforderungen auf. Sie fühlen sich schuldig und bekommen Angst, wenn sie vom Lehrer mit dem Leistungsabfall ihrer Kinder konfrontiert werden, und fordern ihn dann zu größerer Strenge auf. Sie merken nicht, daß sie mit dieser Aggressivität auf ihre eigenen Ängste reagieren. Die Ängste, zu versagen, haben auch noch eine andere Wurzel. Sie hängen mit den Allmachtsphantasien des Kindes zusammen, die der Erwachsene oft noch verborgen mit sich trägt, und die die Angst nähren, seinen eigenen Ansprüchen (die er als solche nicht erkennt) nicht genügen zu können. Jedesmal, wenn ein Mensch sich aus einer Gruppe löst und sich vor die Aufgabe gestellt sieht, sich in eine andere zu integrieren, werden die Ängste aus seiner bisherigen Lerngeschichte reaktiviert. Das läßt sich beim Eintritt in den Kindergarten, in die Schule, beim Schulwechsel und beim Studienbeginn unschwer beobachten. Das geschieht aber auch, wenn sich eine Lerngruppe in der Klinischen Seelsorgeausbildung zusammenfindet; hier spielt gewiß eine zusätzliche Rolle, daß die Gruppe so klein ist und auch über ein Vierteljahr - zusammen wohnt, daß sich darin die Primärgruppe mit Eltern, jüngeren und älteren Geschwistern und eventuell auch weiteren Verwandten widerspiegelt. Unbewußt werden unverarbeitete Konflikte mit Eltern, Lehrern und Geschwistern auf die Gruppenmitglieder und den Supervisor übertragen. Uneingestandene Bedürfnisse und Ängste werden ausagiert. D a es sich aber in der Realität um eine neue Gruppe handelt, in der das Gruppenmitglied sein bisheriges Beziehungsmuster nicht ohne weiteres reproduzieren kann, gerät es in eine Identitätskrise, in der es sich neu orientieren muß. Hier ist es nun die Chance gerade der Kleingruppe, die Zwänge, an deren Erhaltung die anonyme Gesellschaft durchaus interessiert ist (so lebt die Leistungsgesellschaft von dem angstbesetzten Leistungszwang), zu durchschauen und zu durchbrechen, um einen Freiraum für neue Erfahrungen zu schaffen. Das geschieht durch Beziehungsklärungen innerhalb der Gruppe. „Die Mitglieder einer Gruppe . . . sind nicht ohne weiteres in der Lage, real zu lernen, bevor nicht ihre tatsächlichen Beziehungen, Beziehungserwar54
tungen und -befürchtungen untereinander und dem Lehrenden gegenüber so weit geklärt sind, daß sie erwartungsfrei die Wirklichkeit wahrnehmen können" (T. Brocher, 70).
5.2
Gruppenprozeß
Das spiegelt sich in dem dreimonatigen Gruppenprozeß wider, wie ihn W. Zijlstra aus seinen Kursen Klinischer Seelsorgeausbildung aufgezeichnet hat 5 . Dabei ist eindrucksvoll zu sehen, welch großer Raum den Beziehungsklärungen eingeräumt wird, und durch welche Krisen eine Gruppe in diesem Prozeß hindurchgeht. Die zunächst mühsam verdrängte und verleugnete affektive Ebene des Lernprozesses führt bis zu fast völliger Stagnation und Depression, bis sie schließlich durchbricht, ausagiert wird und bearbeitet werden kann. Zijlstra unterscheidet zwischen der „Informationsphase", in der· die Gruppenmitglieder einander vorsichtig abtasten, der „Aggressionsphase", in welcher sie ihre konventionelle Vorsicht fallenlassen und einander „angehen" (in der doppelten Bedeutung des Wortes), und schließlich der Reflexionsphase, in der ohne Angst und ohne Beziehungsstörungen gemeinsam auch thematisch und theologisch gearbeitet werden kann. Ein weiteres Merkmal des Gruppenprozesses ist, daß er nach einem „go-and-stop"-Modell verläuft. Auf eine aktive Phase, in der die Gruppe vorwärtsdrängt, folgt jedesmal eine Art Sturmstille, in der das Geschehen reflektiert wird. Erst dann kann die Gruppe wieder den nächsten Schritt tun. Derselbe ständige Wechsel von Aktion und Reflexion findet sich auch in dem Wechsel von Gruppengespräch und Feedback wieder. Das täglich stattfindende „freie Gruppengespräch" wird nach einer halben Stunde abgebrochen und als Feedback fortgesetzt, das der Supervisor strukturiert. Der Begriff Feedback (ursprünglich der Elektronik entnommen) „bezeichnet . . . die Bereitschaft von Gruppenmitgliedern innerhalb einer Gruppe beim Experimentieren mit der gruppendynamischen Methode sowohl die Feststellung anderer über die eigene Wirkung innerlich anzunehmen und zu prüfen, wie umgekehrt offen und sachlich einem anderen Gruppenmitglied auf eine entsprechende Frage hin Auskunft zu geben, wie seine Verhaltensweise wahrgenommen, verstanden und erlebt wird. N u r auf diesem Wege ist es möglich, die Fremdwahrnehmung mit der Selbstwahrnehmung systematisch zu vergleichen" (Brocher, 64). Dem Feedback- Verfahren liegt folgendes, von Laing formuliertes Axiom zwischenmenschlicher Beziehung zugrunde: „Wenn zwei (oder mehr) Personen miteinander in Beziehung stehen, wird das Verhalten einer jeden zur anderen durch die Erfahrung 55
einer jeden von der anderen vermittelt und die Erfahrung einer jeden durch das Verhalten einer jeden" (Laing, 19). Auf diesem Wege werden zugleich zwei Ziele verfolgt: Einmal erkennt das einzelne Gruppenmitglied das, was es am Lernen hinderte. Es lernt also zu lernen. Zum anderen werden in der Meta-Ebene des Feedback alle Erfahrungen sogleich zum Lernmaterial erhoben. Der Gruppenteilnehmer lernt also aus eigener Erfahrung an sich und anderen im lebendigen Vollzug, was Abwehrmechanismen, was Projektionen und Identifikationen sind. In der Bearbeitung seiner eigenen Abwehrmechanismen lernt er zu kommunizieren. Das hat wiederum seine unmittelbaren Auswirkungen auf seine seelsorgerische Tätigkeit und sein Predigen. Seine Kommunikationsstruktur innerhalb der Gruppe findet sich ja - modifiziert - in seiner Art, ein seelsorgerliches Gespräch zu führen, oder in der Art und Weise, wie er eine größere Gruppe anspricht (in der Predigt), wieder6. In der Gruppe werden also neue Erfahrungen möglich, und zwar in dem Sinne, wie wir im vorigen Kapitel dargestellt haben. Α. M. Klaus Müller bezeichnet die Gruppe als den „Ort biographischer Erfahrung" 7 . Wenn Lernen sich nicht nur auf Wissensstoff begrenzt, sondern auch menschliches Verhalten mit umschließt, dann kann ich nicht ohne Gruppe lernen. Ich kann mein Verhalten, das auf einen anderen bezogen ist, nicht selber wahrnehmen. Das kann nur der andere selbst. Er erfährt mich in meinem Verhalten und kann mir seine Erfahrung mitteilen. Ich kann nur zu mir und meinem Verhalten finden in der Beziehung zu Menschen, die mir Nächste sein wollen.
5.3 Individuation
und Partizipation
Das weist auf eine polare Grundstruktur unseres Seins zurück. Die grundlegenden polaren Elemente können mit Individuation und Partizipation umschrieben werden (Tillich) 8 . Zwei polar aufeinander bezogene Grundbedürfnisse bestimmen den Menschen: sich selbst zu sein bzw. zu finden als einmaliges, unverwechselbares, freies Selbst, und: Gemeinschaft zu haben, Teil zu sein, mit anderen zu sein. Dabei ist das eine nicht ohne das in Spannung zu ihm stehende andere zu verwirklichen. Ich kann mich als unverwechselbares Individuum nur entdecken und verwirklichen in einer Gemeinschaft. Ich lerne „ich" sagen nur auf Grund dessen, daß andere zu mir „du" sagen (die selber wieder gelernt'haben, „ich" zu sagen). Und auf der anderen Seite: Ich kann nur Gemeinschaft haben, teilhaben und Teil sein, wenn ich mich dabei als das einmalige, unverwechselbare Selbst einbringe. Ich kann nur „du" oder 56
„ihr" sagen auf Grund dessen, daß ich „ich" sagen kann (was ich wiederum gelernt habe, indem andere „du" zu mir sagten). „Das Fundament des Mensch-mit-Mensch-seins ist dies Zwiefache und Eine: der Wunsch jedes Menschen, als das, was er ist, ja was er werden kann, von Menschen bestätigt zu werden, und die dem Menschen eingeborene Fähigkeit, seine Mitmenschen eben so zu bestätigen. Daß diese Fähigkeit so unermeßlich brachliegt, macht die eigentliche Schwäche und Fraglichkeit des Menschengeschlechts aus: aktuale Menschheit gibt es stets nur da, wo diese Fähigkeit sich entfaltet" (M. Buber)'. Das Hilfreiche des Denkmodells der polaren Spannung zwischen Individuation und Partizipation für unseren Zusammenhang ist, daß es sich unmittelbar in Erfahrung umsetzen läßt. In der psychologischen Wirklichkeit ist diese Polarität nämlich keinesfalls in einem ausgeglichenen Ruhezustand. Vielmehr beobachten wir gerade an unserem Verhalten in kleinen Gruppen, wie polar aufeinander bezogene Ängste die Polarität von Individuation und Partizipation ständig stören. So kann in der Begegnung mit einer Gruppe die Angst, seine Individualität, sich selbst zu verlieren, so stark sein, daß ich, um mich zu schützen, mich in mich selber zurückziehe. Ich habe Angst, von der Gruppe vereinnahmt zu werden und meine Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit einzubüßen, und ziehe mich in die Isolation zurück. Umgekehrt kann die Angst, von der Gruppe getrennt zu werden (Trennungsangst), mich derart übermannen, daß ich meine Selbständigkeit unterdrücke, verleugne und ablege, um ganz und gar in der Gruppe aufzugehen. In einem Schaubild dargestellt, in dem wir die beiden Pole in eine Ellipse eintragen:
f Individuation
Isolation
γ Vereinnahmung
Verein- N. nahmung \ Isolation
Partizipation
J
Abb. 6 a: Polaritätsmodell
Die Polarität von Individuation und Partizipation (in der Waagerechten) setzt sich in meinem Verhalten fort (in der Senkrechten), wobei der jeweils untere Teil die unbewußte Motivation meines Verhaltens kennzeichnet: ich „wähle" die Isolation aus Angst vor der Vereinnahmung; ich lasse mich von der Gruppe vereinnahmen aus Angst vor der Isolation. Die Tendenz, zu dem einen oder anderen Pol hinzuneigen, kann mit der vorgegebenen Persönlichkeitsstruktur eines Menschen zusammenhängen. 57
Überwiegend „depressiv" strukturierte Personen neigen mit ihren Trennungsängsten mehr zum Gruppenkonformismus, überwiegend „schizoid" Veranlagte mit ihren Ängsten, vereinnahmt und festgelegt zu werden, neigen eher zur „Isolation" 10 . So lassen sich auch andere polare Verhaltensweisen in das Schaubild eintragen, beispielsweise das Widerspiel von autoritär (aus Angst vor Ich-Verlust) und laissez-faire (aus Angst vor dem Verlust der Gruppe): / Individuation
\
autoritär
laissez\ faire
laissezfaire
\
autoritär
J
Partizipation
Abb. 6b: Polaritätsmodell
Dies Modell läßt auch einen unmittelbaren Transfer in die Struktur seelsorgerlicher Einzelbeziehungen zu, wobei für deren Gelingen viel davon abhängt, ob eine Ausgeglichenheit zwischen Nähe und Distanz gewahrt wird: /
Distanz
Nähe
\ Partizipation
Individuation V
Nähe
Distanz
J
Abb. 6c: Polaritätsmodell
Das außerordentlich dynamische Beziehungsgeflecht in einer Gruppe läßt sich nun darauf zurückführen, daß die Gruppenmitglieder jeweils verschiedene Gewichtungen in ihren persönlichen polaren Strukturen in die Gruppe einbringen und damit Einfluß ausüben auf das polare (Ungleichgewicht der übrigen Gruppenmitglieder. Dadurch wird die relative Stabilität der polaren Spannung im einzelnen instabil. Derjenige, der zur „Isolation" neigt und dies in seinem Verhalten zu erkennen gibt, löst Trennungsängste bei anderen aus, die ihn durch ihr Verhalten (Vereinnahmungsversuche) nur noch mehr in die „Isolation" treiben. Das Schaubild muß also in durchsichtigen, übereinandergeschichteten Folien gedacht werden, wobei jedes Gruppenmitglied seine mehr oder weniger extreme Position nach der einen oder anderen Seite hin markiert. Auch dann kann das dynamische Geschehen noch nicht festgehalten werden, weil die Instabilität der Polarität im 58
einzelnen nur durch einander anziehende oder abstoßende Kurven graphisch sichtbar gemacht werden könnte. Das Schaubild läßt übrigens auch die Mißverständnisse verständlich werden, die der Gruppendynamik vielfach von außen entgegengebracht werden. Man befürchtet dabei entweder eine Isolation des Individuums in seiner Selbsterfahrung - oder aber den Zwang, sich einer autoritären Gruppennorm unterwerfen zu müssen. In beiden Fällen spielen dieselben Ängste eine Rolle, die aus der Instabilität der Polarität von Individuation und Partizipation herrühren. „Die Strenge und Tiefe der menschlichen Individuation" schließt aber in sich „das elementare Anderssein des Andern" (M. Buber) 11 . Wir haben das Geschehen in der Gruppe auf das Polaritätsmodell von Individuation und Partizipation zurückgeführt, das Tillich als ontologische Struktur unseres Menschseins beschreibt. Mit ihm lehrt uns Tillich den „Mut zum Sein" als „Mut, man selbst zu sein" und „Mut, Teil eines Ganzen zu sein" verstehen. Der Ort, wo dieser „Mut zum Sein" gelernt wird, ist die Gruppe, Die größte Bedeutung hat dabei die Primärgruppe, die Familie, in der man aufgewachsen ist. Aber abgesehen von dem Umstand, daß sich der „Mut zum Sein" dort oft genug - im Blick auf den einen oder den anderen Pol - nicht voll hat entfalten können, hat man in dieser Hinsicht nie „ausgelernt". „ N u r in der fortwährenden Begegnung mit anderen Personen wird die Person zur Person und bleibt Person. Der Ort dieser Begegnung ist die Gemeinschaft" (Tillich, 71). Wenn schließlich beide Pole, Individuation und Partizipation gleichermaßen akzeptiert und transzendiert werden, spricht Tillich von Glauben (118).
59
Einander reichen die Menschen das Himmelsbrot des Selbstseins. Martin Buber 1
6. Kommunikation 6.1 Gesprächsanalyse als Schule des Hörens Fallberichte gibt es schon in der Arbeit des Pastoralinstituts von Sextro. Sie werden schriftlich aufgezeichnet, und zwar nach Sextros Anweisung besonders sorgfältig, „wenn der Kranke gefährlich ist oder sich besonders lehrreiche und nicht ganz gewöhnliche Umstände ereignen". Auch über den Gesprächsverlauf soll Auskunft erteilt werden. Diese Berichte werden der Gruppe zur Auswertung vorgelegt. Auch in der Klinischen Seelsorgeausbildung werden Gesprächsprotokolle vor allem aus Situationen angefertigt, die „critical incidents" enthalten, zum mindesten aber für das Empfinden des Teilnehmers unbefriedigend verlaufen sind. Ziel der Gesprächsanalysen in der Gruppe ist, zu erkennen, wie Kommunikationsprozesse verlaufen, und die eigne Kommunikationsfähigkeit zu erweitern und zu verbessern. Dabei kommt es zu einem intensiven Hineinhorchen sowohl in die Aussagen des Gesprächspartners als auch in sich selbst bzw. in die Mitteilungen des Seelsorgers. So kann man die Gesprächsanalyse als Schule des Hörens bezeichnen.
6.2 Pragmatische
Axiome
Was Kommunikation ist, kann nur allgemein umschrieben werden. Wenn Paulus sein Verhältnis zu den Philippern (4,15) als eine Gemeinschaft bezeichnet, die auf dem gegenseitigen Austausch, auf dem wechselseitigen „Geben und Nehmen" beruht, dann beschreibt er damit das Wesen der Kommunikation, wie es nicht anders auch heute bei Kommunikationsforschern zu lesen ist2. Dies „Geben und Nehmen" weist auf einen Mangel als Grundphänomen menschlichen Lebens hin, der durch die Kommunikation gestillt wird. „Es ist der Mangel an Kommunikation, der in mir das Bedürfnis weckt, mich dem anderen mitzuteilen, ihm darzustellen, was ich denke, was mich bewegt, wie ich mich verhalten soll oder werde - bis zum schwer zu bremsenden Redefluß eines Kranken" (D. Wyss)3. Dieser Grundmangel wird in der alttestamentlichen Schöpfungsgeschichte angesprochen: „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; ich will ihm eine 60
Gehilfin machen, die um ihn sei" (Gen 2,18). So sehr im Blick auf diese allgemeine Umschreibung von Kommunikation Ubereinstimmung besteht, so unwissend sind wir hinsichtlich der Regeln, nach denen sie sich gestaltet. Das hängt damit zusammen, daß es keinen Punkt außerhalb der Kommunikation gibt, von dem aus ihre Gesetzmäßigkeiten objektiv erforscht werden könnten. Uns fehlt „eine auch nur annähernde Bewußtheit der Regeln, die in normaler Kommunikation befolgt, in gestörter Kommunikation dagegen durchbrochen werden. Wir sind wie eingesponnen in Kommunikation; selbst unser Ich-bewußtsein hängt . . . von Kommunikation ab" (Watzlawick)4. Das gilt insbesondere für zwei oder mehr Menschen, die in einer Beziehung miteinander verflochten, „eingesponnen" sind. Sie sind unfähig zu erkennen, nach welchen Regeln sich ihre Beziehungen zueinander gestalten und durch welche Regelverletzungen sie gestört werden. Einem außenstehenden Beobachter, der sich nicht in das „Spiel" ihrer Kommunikation mit einbeziehen läßt, fällt es leichter, Strukturen in dem Beziehungsgeflecht zu erkennen. Auf dem Grund dieser Gegebenheit ist jeder therapeutische Eingriff in eine gestörte Beziehung zu verstehen. Der Therapeut kann den Kommunizierenden die Art und Weise ihres Miteinanders bewußt machen. Er spricht mit ihnen über ihre Kommunikation, er lehrt sie, selber Uber ihre Kommunikation zu kommunizieren. Dies wird als „Meta-Kommunikation" bezeichnet. Auch die Supervision von Berufen, deren Handwerkszeug die Kommunikation ist (Pfarrer, Sozialarbeiter usw.) beruht auf dieser Gegebenheit. Auf dem Gebiet der Seelsorge ist es aus naheliegenden Gründen kaum möglich, die Kommunikation zwischen einem Seelsorger und seinem Gesprächspartner unmittelbar zu beobachten. Auch die Benutzung von Videorecordern und Tonbandaufzeichnungen stößt in der Regel (Krankenhausbesuche, Hausbesuche, Kasualgespräche) auf unüberwindbare Schwierigkeiten. Wir behelfen uns deshalb mit Gedächtnisprotokollen (sog. Verbatims), in denen der Seelsorger nachträglich so wörtlich wie möglich das aufzeichnet, was ihm von dem Gespräch im Gedächtnis geblieben ist5. Was jedoch zunächst als Notbehelf aussieht, erweist sich für die Beobachtung von Kommunikationsprozessen als äußerst hilfreich. Es zeigt sich nämlich, daß die Verbatims zwar hinsichtlich der präzisen Wörtlichkeit Mängel und Lücken aufweisen, wenn man sie etwa mit Tonbandprotokollen vergleicht, daß aber die Kommunikationsprozesse selber, vor allem aber die Störungen in ihnen, um so deutlicher zutage treten. Hier bestätigt sich bereits das zweite pragmatische Axiom, das Watzlawick für die zwischenmenschliche Kommunikation aufgestellt hat: „Jede 61
Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt. Dabei ist letzterer dem ersten übergeordnet und bestimmt daher dessen Verständnis mit." Das schlägt sich in den Gedächtnisprotokollen nieder. Sie lassen in erster Linie die Beziehungsstruktur erkennen. Diese hat sich dem Protokollanten tiefer eingeprägt. Vor allem aber sind die Störungen in dem Kommunikationsablauf aufgezeichnet - ohne daß sich der Protokollant dessen klar bewußt zu sein braucht. Gedächtnislücken beispielsweise markieren in der Regel Kommunikationsunterbrechungen in dem aufgezeichneten Gespräch. In der Regel ist der Teilnehmer motiviert, ein Gespräch aufzuzeichnen und es später dem Supervisor und der Gruppe vorzulegen, wenn er nach dem Gespräch ein vages Unbehagen über dessen Ablauf verspürt. Es möchte verstehen, was sich eigentlich in ihm abgespielt hat. „Er hat ... den Anschein, als wüßten wir von ihnen (sc. den Regeln der Kommunikation), ohne zu wissen, daß wir von ihnen wissen" (Watzlawick), und als würden wir ihrer erst auf dem Umweg über Verletzungen dieser Regeln gewahr, so wie wir unsere vegetativen Organe erst in dem Augenblick spüren, wenn diese sich regelwidrig verhalten (etwa bei einer Herzrhythmusstörung). „Es sind die gestörten und erschwerten Situationen der Verständigung, in denen die Bedingungen am ehesten bewußt werden, unter denen jede Verständigung steht" (Gadamer, 361)6. Die Störungen haben also den Charakter der „Widerfahrnisse", die zu verstehender Erfahrung hindrängen. Diese Grundgegebenheit macht sich auch die „sokratische Didaktik" zunutze, indem sie Störungen zuläßt und in den Lernprozeß einbezieht. Eignen sich also derartige Gedächtnisprotokolle besonders für das Erkennen von Kommunikationsabläufen, so haben sie in anderer Hinsicht auch ihre deutlichen Grenzen. „Schriftliche Protokolle verbaler Interaktionen stellen zwar eine beträchtliche Vereinfachung des Materials dar, sind aber unbefriedigend, weil sie kaum mehr als den sprachlichen Inhalt vermitteln, den Großteil des analogen Materials dagegen (Volumen, Geschwindigkeit, Pausen und alle anderen akustischen Stimmungsmanifestationen wie Lachen, Seufzen usw.) unberücksichtigt lassen" (Watzlawick, 72, Anm 1). Watzlawick greift hier auf sein viertes Axiom zwischenmenschlicher Kommunikation zurück: „Menschliche Kommunikation bedient sich digitaler und analoger Modalitäten." Der „analoge" Kommunikationsmodus ist phylogenetisch primär, ist weitgehend averbal oder äußert sich in paralinguistischen Phänomenen, während der „digitale" Kommunikationsmodus entwicklungsgeschichtlich einer späteren Phase zuzurechnen ist, eine differenzierte logische Syntax aufweist und verbal in Zeichen (digits) ausge62
drückt werden kann. Es liegt auf der Hand, daß eine Abstraktion von dem „analogen" Material das Verständnis eines Gesprächs in einem umfassenden Sinn nicht zuläßt. Für die Gesprächsanalyse auf Grund eines Verbatims ergibt sich daraus, daß dabei auf die Anwesenheit des Protokollanten nicht verzichtet werden kann. Er erinnert sich nämlich während der Besprechung seines Protokolls in zunehmendem Maße des „analogen" Materials und ergänzt das Wortprotokoll dementsprechend. Auf diese Weise wird das Gespräch wieder lebendig. Ja, ihm selber zunächst nicht bewußt, reproduziert er während der Besprechung oft sein eigenes „analoges" Verhalten, auf das dann die Gruppe dementsprechend reagiert. Das heißt: Der Kommunikationsprozeß zwischen dem Protokollanten und seinem Gesprächspartner im Verbatim findet auf modifizierte Weise seine Fortsetzung in der Kommunikation zwischen ihm und der Gruppe. Die Gruppenmitglieder identifizieren sich (teilweise) mit dem Gesprächspartner. Sowohl die „analoge" als auch die Beziehungsebene werden in dem Gespräch in der Gruppe reproduziert. Wird dieser Vorgang erhellt, ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Verstehen dessen, was sich in dem vorgelegten Gespräch ereignet hat. An dieser Stelle ist auch die Grenze schriftlich abgefaßter Gesprächsanalysen deutlich markiert. Sie sind ein Notbehelf, der eine Teilnahme an der gemeinsamen, sich nicht selten über mehrere Tage erstreckenden Arbeit an einem Protokoll in der Gruppe selbst nicht entfernt aufwiegt. Wir erinnern uns daran, daß schon Sextro darauf hinweist, daß es hier um Erfahrungen geht, die „in den mehrsten Fällen nur mündlich mitgetheilt werden können", in „gemeinschaftlicher Berathschlagung". 6.3 Kommunikationsprozesse
in der Seelsorge
Die erwähnten Axiome zwischenmenschlicher Beziehung lassen sich nun auch in den Protokollen selbst aufweisen und dienen als Verstehenshilfen. Zwischen dem Inhalts- und Beziehungsaspekt ist zu unterscheiden, wenn in Erstgesprächen dem Seelsorger von negativen oder positiven Erfahrungen mit anderen Pfarrern und mit der Kirche überhaupt berichtet wird. In der Regel teilt der Gesprächspartner dem Seelsorger dadurch mit, welche Beziehung er zu ihm haben möchte. Ist die Mitteilung über den anderen Pfarrer aggressiv gefärbt, dann soll der Seelsorger getestet werden: Wie reagierst du auf mich? Was kann ich dir zumuten? Läßt der Seelsorger diesen Beziehungsaspekt außer acht und versteht die Äußerung seines Gesprächspartners als pure Mitteilung, so ist er in Gefahr, mit einer Verteidigung des Angegriffenen oder mit einer Gegenaggression zu reagieren. 63
E r läßt sich auf einen Disput ein, der in der Regel im Sande verläuft. Hat er dagegen den Beziehungsaspekt im Auge, kann er ruhig antworten: „Sie haben negative Erfahrungen mit der Kirche gemacht" und erlebt dann in der Regel, daß der Gesprächspartner seine Beziehung zu ihm anspricht: „Sie habe ich ja nicht gemeint" und das Gespräch mit seinem Anliegen fortsetzt. U m den Beziehungsaspekt nicht zu vernachlässigen, soll sich der Seelsorger ständig fragen: Warum erzählt mein Gesprächspartner dies
gerade mir ? Ebenso wichtig ist die Unterscheidung zwischen digitaler und analoger Kommunikation. Zum analogen Material gehören auch sprachliche Phänomene, die digital keinen logischen Sinn ergeben. Wir haben gerade in der Krankenhausseelsorge die vielfältige Beobachtung gemacht, daß Menschen in Krisensituationen ihre Befindlichkeit häufig in „Analogien" ausdrücken, weil sie es digital offenbar nicht vermögen. Hierzu gehören Bilder, Träume, Gleichnisse, Symbole und Metaphern 7 . Diese werden nur allzu oft im Sinne einer exakten, digitalen Mitteilung mißverstanden. Das Verstehen analoger Mitteilungen ist deshalb so schwierig, weil sie nicht eindeutig im Sinn logischer Schlüssigkeit zu verifizieren sind; Doppeldeutigkeit uns aber verunsichert. Der oft aus dem Mund eines Sterbenden gehörte Wunsch, „endlich nach Hause zu dürfen", kann sich natürlich auf seine vier ihm vertrauten Wände beziehen, in die er endlich wieder entlassen werden möchte. Reagieren wir darauf aber mit Argumentationen, daß dies ja angesichts seines Zustands noch nicht möglich sei, daß er doch Pflege und medikamentöse Versorgung benötigte usw., und entdecken wir an seinen Reaktionen, daß er sich überhaupt nicht verstanden fühlt, so liegt nahe, daß sein Wunsch im analogen Sinn zu deuten ist, etwa im Sinne des alten Sterbelieds: „Ich wollt, daß ich daheime wär und aller Welte Trost entbehr." Das Problem aller analogen Deutung liegt darin, daß sie nicht eindeutig zu beweisen, sondern eher zu erahnen und höchstens aus dem Kontext (vor allem, wenn unsere digitale Deutung vom Patienten nicht akzeptiert wurde) zu erschließen ist8. Wir sind damit auf ein weiteres Axiom zwischenmenschlicher Kommunikation gestoßen, das für die Gesprächsanalyse auf Grund von Verbatims von grundlegender Bedeutung ist: „Die Natur einer Beziehung ist durch die Interpunktion der Kommunikationsabläufe seitens der Partner bedingt." Watzlawick spricht von Interaktionsketten, die auf eine spezifische Art gegliedert sind, insofern als eine Mitteilung beim Gesprächspartner eine entsprechende Reaktion provoziert, die er wiederum in eine Mitteilung umsetzt, auf die eine Reaktion erfolgt usw. Dabei ist es schwierig wenn nicht gar unmöglich, festzustellen, bei wem der Anfang einer derartigen 64
Interaktionskette zu suchen ist, wer also bei Konflikten, die sich hier ergeben können, „angefangen hat". Eine der Kirche fernstehende Frau fragt den Pfarrer anläßlich eines Besuchs bei ihr, unter welchen Bedingungen es möglich sei, ihren heranwachsenden Sohn taufen zu lassen. Der Pfarrer reagiert gereizt auf die offensichtliche Unkirchlichkeit der Frau und nimmt ihr die Ernsthaftigkeit ihres Wunsches nicht ab. Die Frau wiederum reagiert gereizt auf die ihr entgegenkommende Kritik und Skepsis des Pfarrers. Dieser hört daraus, was er hören möchte, daß die Frau gar nicht ernsthaft an der christlichen Erziehung des Kindes interessiert ist. Seine Distanz verstärkt sich. Die Frau ihrerseits glaubt daraus zu erkennen, daß der Pfarrer die Taufe grundsätzlich ablehnt. Das Ergebnis dieser sich eskalierenden Kommunikationsstörung ist, daß die Taufe unterbleibt. Dieser Prozeß hat sich allerdings keinesfalls so offen und eindeutig vollzogen, wie ich ihn hier nachgezeichnet habe. Oberflächlich betrachtet, hatte es sich um ein durchaus in verbindlicher Atmosphäre abgelaufenes Gespräch gehandelt. Der Pfarrer hatte es der Gruppe nur deshalb vorgelegt, weil in ihm ein unbehagliches Gefühl zurückgeblieben war und er nicht verstehen konnte, warum es nicht zur Taufe des Kindes gekommen war. Erst durch das sorgfältige Wahrnehmen jeder einzelnen Interaktion, wobei für das Verstehen meiner eigenen Aktion die Reaktion des Gesprächspartners eine wesentliche Hilfe ist (was ich gesagt habe, verstehe ich erst durch das Echo, das ich darauf erhalte), trat die Interaktionskette allmählich zutage. Der Pfarrer erkannte, daß er - ohne sich dessen bewußt zu sein der Gesprächspartnerin mit seinen Worten auf der Beziehungsebene und analog zugleich auch seine Gefühle (Ärger, Mißtrauen) vermittelt hatte, auf welche die Frau dementsprechend reagierte - und umgekehrt. 8b Watzlawick spricht von der „Kreisförmigkeit" von Kommunikationsabläufen, welche durch folgende Formulierung präzise gekennzeichnet wird: „Um sich selbst zu verstehen, muß man von einem anderen verstanden werden. U m von anderen verstanden zu werden, muß man den anderen verstehen."' Watzlawick sieht seine Axiome als „provisorische Formulierungen" an, „die weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Endgültigkeit erheben können. Ihrer theoretischen Schwäche können wir aber ihre praktische Nützlichkeit gegenüberstellen". Im Blick auf die Seelsorge liegt ihre praktische Nützlichkeit vor allem darin, Kommunikationsabläufe als sich gegenseitig beeinflussende und bedingende Interaktionen verstehen zu lernen. Das macht bestimmte Phänomene verstehbar, die bei dem traditionellen Verständnis von Kommunikation als einem linearen, gleichsam zweigleisig nebeneinander herlaufen65
den Prozeß im Dunkel blieben. Die klassischen Seelsorgelehren (Asmussen, Thurneysen) setzen stillschweigend einen linearen Kommunikationsablauf voraus, wobei die Aktivität in erster Linie vom Seelsorger ausgeht. „Seelsorge ist wirkliches Gespräch, welches vom Seelsorger ausgeht, und in welchem der Seelsorger mit Würde und Takt die Führung hat." 10 Asmussen betont, daß auch dann das Gespräch vom Seelsorger ausgeht, wenn er das Gemeindeglied zuerst reden läßt. Auch das Ziel des Gesprächs wird vom Seelsorger bestimmt, ja, „der Ausgangspunkt . . . wird vom Seelsorger im Blick auf das Ziel des Gesprächs gewählt". Ein Scheitern von Gesprächen, die auf Grund dieser Thesen geführt wurden, konnte dann nur dem verständnislosen, verstockten oder unwilligen Gemeindeglied zugeschoben werden. Mit Hilfe der von Watzlawick formulierten Axiome können jetzt Kommunikationsabläufe und -Störungen durchsichtiger gemacht werden; der Seelsorger hat eine Handhabe, seine eigenen Anteile an den Störungen zu erkennen und an ihnen zu arbeiten. Die Analyse des Supervisionsmaterials, das wir in zehn Jahren in unseren Kursen zusammengetragen haben - es handelt sich um über zweitausend Gesprächsprotokolle aus den unterschiedlichsten Situationen - fördert ein bestürzendes Defizit in unserer Seelsorge zutage: eine durchgehende Unfähigkeit, zuzuhören und zu verstehen. Hier macht sich die einseitige Ausbildung zum Predigen und Lehren verhängnisvoll bemerkbar. Die Kirche des Wortes wird das Hören neu lernen müssen, will ihr das Wort neu gelingen11. Die Unfähigkeit zuzuhören läßt sich auf zwei Wurzeln zurückführen. Einmal ist der Mangel an Sensitivität offenkundig, die nötig ist, um die Inhalts- und die Beziehungsebene, den digitalen und den analogen Kommunikationsmodus verstehend zu unterscheiden und die mit den Worten geäußerten Gefühle wahrzunehmen. Zum anderen handelt es sich um Widerstände, die das Zuhören (und damit auch das Sich-aussprechen des Gesprächspartners) verhindern: um Ängste vor unkontrollierten Gefühlen beim anderen und bei sich selbst, um die Unerträglichkeit eigener Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit - und dies um so mehr, als das Helfenwollen ja die eigne Berufswahl bestimmt hat12. Eng damit hängt die Angst vor dem Verlust der schützenden Rolle zusammen, der eintreten kann, wenn ich mich auf einen anderen wirklich einlasse. Ich bin dann oft „nur noch Mensch" - ohne meine mir vertraute und Sicherheit verleihende Rolle. Die daraus resultierenden Widerstände, die seitens des Seelsorgers das Gespräch blockieren, können sich verschieden artikulieren. C. R. Rogers hat derartige Variablen, welche die Kommunikation stören und unterbrechen, aufgewiesen; sie sind von H . Faber/E. van der Schoot in die Seelsorgelehre 66
eingeführt worden. Dazu gehören das Verallgemeinern, Moralisieren, D o g matisieren und das „pushing" 13 . Wir wollen das an einem Beispiel veranschaulichen. Viele Gespräche lassen sich in ihrer Dynamik durch die Vorstellung einer nach unten verlaufenden Spirale verstehen. So beginnt ein Patient im Krankenhaus das Gespräch mit dem ihn besuchenden Seelsorger, indem er ihm einige Informationen über seine Kinder (Zahl, Alter, Schulbildung) mitteilt, um dann auf Konflikte und Schwierigkeiten des jüngsten Sohnes zu sprechen zu kommen. Der sei ein Einzelgänger, um den er sich Sorge mache. Auf der nächsten Spiralebene wird deutlich, daß er selber in seiner Beziehung zu diesem Sohn Probleme hat, wobei er die Schuld in dem Verhalten des Sohnes sucht, nämlich darin, daß dieser sich von ihm distanziert. Schließlich - und damit erreicht er wieder eine tiefere Ebene - drückt er seine eigene augenblickliche Befindlichkeit (Verlassenheitsgefühle) aus, die durch seine augenblickliche Situation (Krankenhausaufenthalt) unerträglich verstärkt werden. Familie Probleme des jüngsten Sohnes Beziehungsprobleme mit dem jüngsten Sohn G e f ü h l e von Verlassenheit und O h n m a c h t
Abb. 7: Spiralenmodell des Gesprächs
Erst, indem der Patient über seine eigene Befindlichkeit im Hier und Jetzt spricht, hat er das Ziel seines Weges erreicht. Er kann sich hier und jetzt dem andern mitteilen, und indem der andere ihn in dessen Situation hier und jetzt erträgt, ja, diese Situation ein Stück weit mit ihm teilt, kann der Patient ein wenig Abstand davon gewinnen und seiner selbst wieder gewiß werden. Es handelt sich dabei um den Prozeß vom Widerfahrnis zur Erfahrung, für den er einen Weggenossen braucht: „Wir wissen, was für die Bewältigung einer Erfahrung ihre sprachliche Erfassung leistet. Es ist, als ob ihre drohende und erschlagende Unmittelbarkeit in die Ferne rückt, in 67
Proportionen gebracht, mittelbar gemacht und damit gebannt würde" (Gadamer 429). Es läßt sich leicht vorstellen, was geschehen wäre, hätte der Seelsorger etwa auf der zweiten Ebene verallgemeinernd zu beruhigen versucht: „Solche Sorgen bleiben keinem Vater erspart", oder moralisiert: „Sie dürfen Ihrem Sohn aber auch keine Vorwürfe machen!" Das Gespräch wäre auf der Stelle ins Stocken geraten. Ebenso hätte es die Kommunikation blockiert, wenn er auf der nächsttieferen Ebene dogmatisierend eingegriffen hätte: „Kinder sind nicht unser Eigentum, sondern uns von Gott anvertraut", oder wenn er ein wenig ungeduldig gedrängt hätte: „Sie sollten sich damit abfinden, daß Ihr Sohn sich ein eigenes Leben aufbaut." Dem Patienten wäre verwehrt worden, zu dem zu kommen, was ihn in eine akute Krise gestürzt hat. Und eben dies wäre auch der tiefere Sinn der Interventionen seitens des Seelsorgers gewesen: die Angst, sich den Verlassenheitsgefühlen seines Gesprächspartners und damit seiner eigenen Ohnmacht auszusetzen.
6.4 Begleitende
Seelsorge
Seelsorge ist in solchen Situationen begleitende Seelsorge. Sie erinnert an Jesu Wort aus der Bergpredigt (Matth. 5,41): „Wenn dich jemand bittet, eine Meile mitzugehen, so gehe mit ihm zwei." Zijlstra umschreibt es so: „Der wahre Seelsorger macht sich mit dem anderen auf den Weg, gehorsam wie Abraham, als er aus Ur auszog, ohne zu wissen, wo er ankommen würde." 14 Auf diesem Weg kann sich der Seelsorger auch nicht durch eine angelernte Methode der Gesprächsführung absichern. „Wir sagen zwar, daß wir ein Gespräch ,führen', aber je eigentlicher ein Gespräch ist, desto weniger liegt die Führung desselben in dem Willen des einen oder anderen Partners. So ist das eigentliche Gespräch niemals das, das wir führen wollten. Vielmehr ist es im allgemeinen richtiger zu sagen, daß wir in ein Gespräch geraten, wenn nicht gar, daß wir uns in ein Gespräch verwikkeln... Was bei einem Gespräch ,herauskommt', weiß keiner vorher . . " (Gadamer 361). Deshalb gibt es in diesem Sinne auch keine nichtdirektive Gesprächsführung - das wäre ein Widerspruch in sich selbst - , und die „reflection of feelings" ist in diesem Sinn keine eingeübte Methode (als „Spiegeln" mehr mißverstanden als verstanden), sondern das Äußern der eignen spontanen Betroffenheit von dem, was der andre mir anvertraut, wodurch er erfährt, daß ich noch mit ihm auf dem Wege bin15. Ein Kursteilnehmer notiert nach einer Klinischen Seelsorgeausbildung: „Die Möglichkeiten, ein Gespräch zu führen, sind tausendfältig. Es ist nicht eine Möglichkeit richtiger als die andere. Für den Gesprächsverlauf 68
entscheidend ist, ob Kontakt entsteht, der beide Partner zueinander führt und füreinander öffnet, der das Gespräch voran führt. Meine Art, Kontakt zuzulassen und herzustellen, ist anders als deine usw. Eine Gesprächsmethode ist nur in wenigen Situationen hilfreich. Keinesfalls läßt sich auf einer Methode ein ganzes Gespräch aufbauen. Was ich gelernt habe, ist keine Methode, aber eine Art des Umgangs mit mir selber: Ich biete mich dem andern an als Gegenüber, der für die Dauer des Gesprächs bereit ist, die Sache des andern mit zu seiner zu machen. Ich lasse die Sache des andern auf mich wirken und sage, wie sie auf mich wirkt, was sie in mir auslöst, was sie mir ausmacht. Ich versuche, gegenwärtig zu sein, und meine Methode ist die Gegenwärtigkeit. Diese Gegenwärtigkeit bedeutet auch: Widerstände bemerken und gelten lassen. Das Unmittelbare ist der Schlüssel für den Fortlauf des Gesprächs. Das Unmittelbare ist das, was ich sehe, höre, fühle, denke, verspüre. Ich bin der Gesprächspartner. Ich kann nur mit meinen Möglichkeiten reagieren. Aber meine Möglichkeiten stelle ich zur Verfügung." Wenn wir das seelsorgerliche Gespräch seitens des Seelsorgers als Begleitung auf Geheiß des Mitmenschen vertehen, so wird der Seelsorger damit keinesfalls in eine passive oder schweigende Rolle gerückt. „Verstehen enthält immer Auslegung" (Gadamer 377). Und jemand, der sich einen Seelsorger als Begleiter aussucht, hat an ihn gewiß eine andere Rollenerwartung als an einen Berater, Therapeuten oder Arzt. Diese Erwartung zielt mehr oder weniger vage, mehr oder weniger deutlich ab auf einen bestimmten Sinnhorizont, den der Seelsorger in der Tradition seiner Kirche vertritt. Aus der Sicht eines Therapeuten lautet das so: „Als Psychotherapeut und Psychoanalytiker hat man es nicht selten mit Menschen zu tun, denen ihr Zuwachs an seelischer Gesundheit nicht ausreicht. Sie wollen mehr. Sie wollen einen Sinn in ihrem Dasein erfahren, der für sie spezifisch und einmalig ist. Der Therapeut kann diese Erwartungen nicht erfüllen. Dafür sind Spezialisten nötig, die man Spezialisten des Heils' nennen könnte. Damit sind keine Funktionäre abstrakter Wahrheiten gemeint, sondern Menschen, die sich und ihr Heil gefunden haben. Nur diese sind in der Lage, das Wort des Paulus verständlich zu machen, das heißt: ,Wir wollten euch nicht nur die Heilsbotschaft Gottes, sondern auch uns selbst mitteilen' (l.Thess 2,8).""
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Überall ist hier die Sprache erkrankt, so daß sie nun gerade das nicht mehr zu leisten vermag, wessentwegen sie allein da ist: um über die einfachsten Lebensnöte die Leidenden miteinander zu verständigen. F. Nietzsche 1
7. Sprache 7.1 Predigtanalyse als Schule des Sprechens Den Ansatz, Sprache im Blick auf ihre Wirksamkeit an Hand von Predigten und Hörerreaktionen zu untersuchen, finden wir bereits bei Sextro. Dabei stellte sich heraus, „wie so ganz unschicklich und unwirksam in jedem Religionsvortrage an gemeine Zuhörer die neologische Kraftsprache der Empfindsamkeit ohne Empfindung, oder die kalte Manier in unbestimmten Allgemeinsätzen oder die abstrakte Sprache gelehrter Untersuchung sey" (71). Predigtanalysen sind auch fester Bestandteil der Klinischen Seelsorgeausbildung. Ist die Gesprächsanalyse gleichsam eine Schule des Hörens, so kann man die Predigtanalyse eine Schule des Sprechens nennen, wenngleich es sich dabei natürlich um Akzentsetzungen, nicht aber um grundsätzliche Unterscheidungen handelt. Während der Seelsorger im Gespräch seinem Partner, den er begleiten will, gleichsam den Vortritt läßt, so tritt er nun als Prediger auch selber hervor, um seine Partner ein Stück weit mit auf den Weg zu nehmen. Dafür bedient er sich der Sprache2. In der Predigtnachbesprechung werden die Hörer (in der Regel die Gruppe, die aber durch nicht an der Ausbildung beteiligte Hörer erweitert werden kann) gefragt, was sie als Botschaft der Predigt gehört haben, und was ihre Empfindungen während der Predigt gewesen sind. Der Prediger gibt seinerseits Auskunft darüber, was seine Botschaft gewesen sei, welche Empfindungen er bei den Hörern wecken wollte und - wenn die Predigt zu Beginn der Besprechung noch einmal vom Tonband oder Videorecorder abgespielt wurde - wie er sich selber als Hörer seiner eigenen Predigt erlebte. Auf diese Weise werden sowohl die Inhalts- als auch die Gefühlsund Beziehungsebene der Kommunikationsstruktur berücksichtigt. In der Gegenüberstellung und im Vergleich der Aussagen des Predigers und seiner Hörer treten etwaige Kommunikationsstörungen und deren Ursache zutage. Diese Störungen - vor allem auf seiten des Predigers - zu erhellen und zu bearbeiten, ist das Ziel der Predigtanalyse 2 '.
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7.2 Ein
Sprachmodell
„Was Sprache ist, gehört zum Allerdunkelsten, was es für das menschliche Nachdenken gibt. Unserem Denken ist die Sprachlichkeit so unheimlich nahe und sie wird im Vollzuge so wenig gegenständlich, daß sie ihr eigentliches Sein von sich aus verbirgt" (Gadamer) 3 . Auch hier nähern wir uns dem, was Sprache ist, wieder gleichsam via negationis, auf dem Wege über die Störungen. Auch hier lernen wir wieder aus „Fehlern". Das aber ist nur im Vollzug selber, also sprechend und hörend möglich. Das schriftlich fixierte, ins Zeichen gebannte Wort ist bereits eine weitgehende Abstraktion von der lebendigen Sprache, so daß beispielsweise eine Homiletik, die sich auf die Prüfung schriftlich vorliegender Predigten beschränkt, nur einen Teilbereich des Predigens erfaßt, und zwar vermutlich nicht einmal den wesentlichen. Es gilt also: „Die Grundlage für alle Sprachbeschreibung und Sprachbetrachtung ist nicht die Strukturanalyse des räsonnierenden Denkens, sondern das Sprachgefühl', das hörende Ohr. Das allein kann feststellen, ob Sprache von sich her spricht und also wahre Sprache ist" (K. Heeroma) 4 . Wir stellen den Bezug zu unseren früheren Überlegungen her, wenn wir Sprache als „Medium hermeneutischer Erfahrung" (Gadamer) zu verstehen suchen. Wenn ich sprechen lerne, bin ich darauf angewiesen, daß mir die Erfahrung meines Redens von dem, den ich angeredet habe, mitgeteilt wird: ich kann mich selbst als Sprechenden nicht unmittelbar erfahren. Daß es hier zu Überraschungen kommen kann, ahne ich bereits, wenn ich meine Stimme zum ersten Male vom Tonband vernehme. N u r selten stimmt die Vorstellung, die ich von mir als Redendem habe, mit dem überein, was ich von mir durch ein Medium und erst recht durch andere Menschen erfahre. Auch hier gilt, daß ich mich in einen Kommunikationszirkel hineinbegeben muß, wenn ich mich selber verstehend erfahren will. „Um sich selbst zu verstehen, muß man von einem andren verstanden werden. U m von anderen verstanden zu werden, muß man den anderen verstehen." Auf diese Axiome ist die Predigtanalyse und ihre Methodik in der Klinischen Seelsorgeausbildung zurückzuführen. Für die folgenden Ausführungen steht uns Karl Bühlers „OrganonModell" der Sprache vor Augen. Bühler findet die „dreifache Leistung der menschlichen Sprache" schon in Piatos Kratylos 5 .
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Gegenstände
Der Kreis in der Mitte symbolisiert das konkrete Schallphänomen der Sprache. Die drei Seiten des Dreiecks bezeichnen die drei variablen Aspekte des Sprachgeschehens. Im Blick auf Gegenstände und Sachverhalte, über die ein Mensch mit dem anderen kommunizieren will, ist die Sprache Darstellung. Im Blick auf den „Sender" ist sie Ausdruck seiner inneren Befindlichkeit, und im Blick auf den „Empfänger" ist sie Appell. Die entsprechenden semantischen Relationen bezeichnet Bühler mit den Begriffen Symbol, Anzeichen (Indicium) oder Symptom, und Signal. Bühlers ausgesprochene Absicht mit diesem Modell ist, die Dominanz der „Darstellung" in dem Sprachgeschehen zu relativieren. Zu beachten ist dabei, daß die einzelnen Sprechhandlungen sich nicht in die drei Sektoren aufteilen lassen. „Vielmehr zeigt sich für den weitaus größten Teil unserer Rede, daß in ihr die Sprachzeichen alle drei Funktionen erfüllen. Es liegt allemal in der Intention des Sprechenden und vor allem in der - u. U . von ihr erheblich abweichenden - Auffassung des Hörenden, als was die Rede verstanden, welche der drei Sinnrichtungen den Zeichen gegeben wird." 6 Damit ist das Feld umrissen, auf dem sich Verstehensschwierigkeiten, Mißverständnisse und Kommunikationsblockaden abspielen. Da es uns in der Klinischen Seelsorgeausbildung in erster Linie darum geht, derartige Störungen zu erkennen, zu verstehen und - wenn möglich - zu beheben, erscheint es uns hilfreich, Bühlers differenziertes Sprachmodell in die Homiletik einzuführen. In Kombination mit Watzlawicks pragmatischen Axiomen zwischenmenschlicher Kommunikation ist es jenen Sprach- und Kommunikationsmodellen überlegen, die ihren Akzent auf die Informationsvermittlung (Gegenstände und Sachverhalte) setzen.
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Eine Grundbedingung für das Verstehen von Sprache ist, daß ihre drei in dem vorliegenden Modell eingezeichneten Aspekte gleichermaßen zur Geltung kommen, und daß sie in einem bestimmten harmonischen Verhältnis miteinander korrespondieren. Fallen die Aspekte auseinander oder widersprechen sie einander, so ist Verstehen nicht mehr möglich. Man kann in diesem Zusammenhang von einer Pathologie der Sprache reden. So beobachten wir vielfach eine Diskrepanz zwischen „Darstellung" und „Ausdruck", wobei letztere sich auch averbal (analog) manifestieren kann. Dafür ein Beispiel aus der Psychotherapie 7 : „Am besten funktioniert Stefans Sprache auf einer sachbezogenen Ebene, die er konsequenterweise in jeder neuen Beziehung zunächst anbietet . . . Aber diese Sprache bleibt eigentümlich abstrakt, losgelöst von Stefans eigener Geschichte, aber auch von der konkreten Situation und daher nicht bezogen auf die Erwartungen des Sprechpartners. Manchmal zitiert er wörtlich aus Zeitschriften und Sachbüchern, die er gerne mitbringt; doch wirken diese Zitate wie unverstandene Plagiate und bedrohen damit den Bezug zum Sprechpartner, zumal Stefan auch persönliche und zwischenmenschliche Probleme vornehmlich mit dieser gebrochenen Schriftsprache zum Ausdruck bringt. Er sagt mir beispielsweise nicht: Ich habe eine schlechte Note in Mathematik, ich habe Angst, was mein Vater dazu sagen wird, sondern: in unserem Schulsystem stehen die Schüler ständig unter Leistungsdruck, die erwachsene Generation verliert den Kontakt zur Jugend. Auf dieser Ebene kann er dann erstaunlich lange fortfahren, so als zitiere er wie ein überlegener Fachmann aus sachkundigen Büchern. Gleichzeitig aber - und das ist noch wichtiger - drückt seine averbale Sprache genau das Gegenteil aus: seine Angst, doch nicht verstanden zu werden." Der Leser dieses Fallberichts assoziiert unschwer zahllose Predigten, die er gehört hat, mit einer Sprache, die auf der Ebene der „Darstellung" brilliert - hierher gehören auch die beliebten, oft sich häufenden Zitate aus der Literatur - , aber jeden persönlichen Bezug vermissen läßt und daher völlig abstrakt bleibt. Auch in der Beschreibung der Wirkung dieser pathologischen Sprache auf den Zuhörer kann sich der Leser in Erinnerung an entsprechende Predigten ohne Mühe wiedererkennen: „Diese Diskrepanz zwischen verbaler und averbaler Sprache hat mich immer wieder verwirrt. Konzentrierte ich mich nur auf die Worte und deren Inhalt, so stellte sich zunächst eine Faszination her; was Stefan nicht alles wußte und aussprach, war erstaunlich. Aber immer wieder schlug diese Faszination in Arger und Langeweile um, weil ich das Plagiathafte spürte, mich daher nicht eingeschlossen fühlte in das Gespräch . . . " 73
Die Diskrepanz zwischen „Darstellung" und „Ausdruck" hat also eine tiefgreifende Störung auf der Beziehungsebene zur Folge (therapeutisch gesprochen ist die Ursache der Diskrepanz in einer grundlegenden Beziehungsstörung überhaupt zu suchen). Der Gesprächspartner (Zuhörer) fühlt sich ausgeschlossen. Diese Sprache ist ohne Beziehung. Der Sprecher selbst ist nicht in seiner Sprache, er wohnt nicht in ihr, oder besser: er wohnt nicht ganz in ihr. Seine Sprache ist nicht „wahr". „Nicht alles, was in der Sprache gesprochen wird, akzeptiert unser Ohr als wahr. Sprache, die als wahr angenommen werden will, muß eine innere Glaubenswahrheit besitzen" (K. Heeroma)8. Sprache ist „vollmächtig" nur dann, wenn der Mensch so in ihr wohnt, daß er sich in ihr aussprechen kann. Wird (nach dem uns vor Augen stehenden Modell) der Aspekt des „Appells" absolut gesetzt und der „Ausdruck" dabei ausgeschaltet, kommt es zu einer folgenschweren Beziehungsstörung, auf die Viktor von Weizsäcker auf Vorträgen vor Pfarrern bereits 1925 warnend aufmerksam gemacht hat9. Er fragt nach den Ursachen der Wirkungslosigkeit von Ermahnungen und kommt zu dem Ergebnis, daß sich der Mahnende in der Regel aus dem Spiel läßt, um seine Forderung absolut zu setzen. Damit zerbricht er die Beziehung, die Grundbedingung „jeder seelischen Wirkung durch Sprache und Geste von Mensch zu Mensch" ist (11). „Weil also die bloße Ermahnung ein Nehmen und kein Geben ist und weil es keinen sittlichen Akt darstellt, darum kann es auch nicht sittlich wirken" (9). Theologisch gesprochen haben wir es hier mit der Gesetzlichkeit zu tun. „Sie binden aber schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf den Hals; aber sie selbst wollen dieselben nicht mit einem Finger regen" (Matth. 23,4). Wird nach unserem Modell der Aspekt des „Ausdrucks" verabsolutiert, dann haben wir es mit „Zungenreden" zu tun, das weder an der Realität (Gegenstände und Sachverhalte) Anhalt hat, noch sich einem anderen verständlich macht (1.Kor. 14,1 ff.). Es gilt also, daß Sprache alle drei Aspekte gleichermaßen berücksichtigen muß, will sie Sprache im Vollsinn bleiben, und daß diese drei Aspekte harmonisch aufeinander bezogen sein müssen, will sie sich nicht selbst widersprechen und damit unverständlich machen.
7.3 Der Konflikt zwischen Subjektivität und
Objektivität
Auf das drohende Auseinanderfallen von Ich und Sprache, so daß das Ich sich nicht mehr aussprechen kann und Sprache dadurch ihre Kommunikationsfähigkeit verliert, weisen Dichter und Wissenschaftler verschiedenster 74
Richtungen immer wieder warnend hin. Subjektiv wird dies Phänomen als Verarmung empfunden. Christa Wolf läßt in ihrem Buch „Unter den Linden" eine Studentin klagen: „Jahre meines Lebens hat es mich gekostet, mich jenem Denken, dessen höchste Tugenden Nichteinmischung und Ungerührtheit sind, unterwerfen zu lernen. Heute habe ich Mühe, mir wieder Zutritt zu verschaffen zu den verschütteten Bezirken in meinem Innern.'" 0 Diese Verarmung der Sprache läßt sich als ihre Verdünnung zur Information beschreiben. C. F. von Weizsäcker spricht von der Zerstörung der Sprache durch den „Telegrammstil"11. „Wenn ich telegraphiere: ,Ich freue mich, daß ich am Montag, den 19. Januar, nachmittags fünf Uhr in München eintreffen kann', so habe ich Worte vergeudet. Der Ausdruck der Freude i s t . . . vielleicht wahr, aber nicht notwendige Information. Das ,ich' ist überflüssig . . . Schließlich lautet das Telegramm ,Eintreffe Montag 17 Uhr". Diesem „Telegrammstil" entspricht in der Predigt jene dogmatische Sprache, in der sowohl der „Ausdruck der Freude" als auch das „ich" überflüssig sind. Diese Sprache wird weithin nicht mehr verstanden. Halten wir uns das Bühlersche Sprachmodell vor Augen, dann besteht die Sprachzerstörung darin, daß wiederum ein Aspekt der Sprache, nämlich der des Sachverhalts, verabsolutiert wird. „Vielleicht bringt eben das Absolutsetzen eines einseitigen Aspekts das in der Sprache, was nicht Information ist, zum Welken" (C. F. von Weizsäcker). Nun verfolgt die Säuberung der Sprache von subjektiven Befindlichkeiten und ebenso von dem subjektiven (im Gegensatz zum objektiven) Appell eine bestimmte Absicht: den der objektiven Darstellung, die aus sich selbst evident ist. Wissenschaftliche Darstellung ist um ihrer Objektivität willen darauf bedacht, sich von subjektiven Impulsen freizuhalten. Dadurch bildet sich ein bestimmter Sprachstil heraus. E. Fromm beobachtet in den westlichen Sprachen innerhalb der letzten Jahrhunderte eine zunehmende Verwendung von Hauptwörtern und eine Abnahme der Tätigkeitswörter12. Das kennzeichnet für ihn eine Verlagerung des Existenzverständnisses von der Seins- in die Haben- Struktur. Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob ich sage: Ich denke - oder: ich habe einen Gedanken. Im ersten Fall lasse ich meinen Partner an einem Prozeß teilhaben. Im anderen Fall setze ich ihm das Ergebnis eines Denkweges vor. Die nach vorne hin offene Erfahrung in einem Prozeß wird ab- und damit ausgeschlossen und in ein Objekt verwandelt, das ich besitze. Es ist fertig im finalen Sinn. „Eine Tätigkeit durch haben in Verbindung mit einem Hauptwort auszudrücken, heißt aber die Sprache falsch zu gebrauchen, denn Prozesse und Tätigkeiten können nicht besessen, sondern nur erlebt werden" (E. Fromm, 30). 75
Es liegt auf der Hand und wird in unseren Predigtanalysen auf Schritt und Tritt nachgewiesen, daß eine derartige Sprachstruktur ihre Kommunikationsfähigkeit verliert. Der Hörer wird nicht mit auf einen Weg genommen, sondern mit Richtigkeiten konfrontiert, die von jeglicher Erfahrung abstrahieren. Wo aber die Erfahrung (verstanden als hermeneutische Erfahrung) fehlt, kommt es nicht zum Verstehen. Die Sprache erweist sich nicht als „wahr". „Nichts bezeichnet die Armut des wissenschaftlichen Sprechens besser, als daß die Richtigkeit darin die Stelle der Wahrheit eingenommen hat" (K. Heeroma) 13 . Wolfgang Schadewaldt spitzt die Problematik, vor der wir hier stehen, zu, indem er von zwei komplementären Formen der Sprache redet, die sich gegenseitig ausschließen. „Im ganzen scheint sich nach allem anzuzeigen, daß die Sprache in ihrem Vermögen, Wirklichkeit zu entdecken, zwei komplementäre Formen entwickelt hat. Es ist dem Worte offenbar unmöglich, gleichzeitig exakt und total zu sein. Spricht die Sprache exakt, muß sie auf Totalität verzichten, spricht sie total, drängt sie zum Gleichnis hin." 14 Auf das Bühlersche Modell bezogen beschränkt sich die „exakte" Sprache ausschließlich auf den Aspekt der Gegenstände und Sachverhalte, während sie, wenn sie „total" ist, alle drei Aspekte gleichermaßen umfaßt. Sprache der Dichtung und Sprache der Wissenschaft stehen also einander im Konflikt gegenüber. Im allgemeinen Bewußtsein erfreut sich das „nur Subjektive" einer weit geringeren Wertschätzung als das Objektive, Allgemeingültige und Feststehende. Mit subjektiv wird unsicher, fragwürdig, von schwankenden Gefühlen abhängig, für Fehler und Irrtümer anfällig assoziiert. Subjektives ist vergänglich. Dagegen ist objektiv das Verläßliche, der feste Boden, auf dem man steht, das Immerwährende. Objektiv ist die Wahrheit. In dieser Wertung hat sich ein naturwissenschaftliches Weltbild niedergeschlagen, das - wie Α. M. Klaus Müller nicht müde wird, nachzuweisen - von der modernen Physik überholt ist. Eine längst fällige Neuorientierung auf allen Gebieten unseres Lebens verknüpft Müller mit der Uberlebensfrage der Menschheit. Das Gefährliche der Verobjektivierung unseres Denkens und Lebens ist der damit verbundene Abblendungseffekt menschlicher Geschichtlichkeit, die sich durch die Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit jedes Menschen, seine biographische Erfahrung, seine innere Zwiespältigkeit, sein Leid und seine Betroffenheit, seine Endlichkeit und seine Hoffnung, d. h. seine Zeitlichkeit auszeichnet. Mit dieser Abblendung bringt er seine Subjektivität, d.h. sich selber einer vermeintlich ewig vorgegebenen Objektivität zum Opfer, die doch selber nur ein spezielles Produkt subjektiver Erkenntnisweise ist. So ist er „incurvatus in se" - ohne es zu wissen. 76
Das vermeintlich Feststehende und Immerwährende ist aber auf Grund von neuen Erfahrungen revidierbar. Zukunft ist nicht mehr von vornherein durch die Vergangenheit präpariert und vorprogrammiert, sondern wieder offen. Wir brauchen Gottes Schöpfung, die sich durch eine offene Zukunft (Eschatologie) auszeichnet, nicht mehr mit den Produkten überholter Erkenntnistheorie zu verwechseln, denen wir uns selber als Opfer darbringen müßten. „Jener naturwissenschaftlich-erkenntnistheoretische Objektivitätsbegriff ist eine logische Fehlkonstruktion in der Anthropologie" (Viktor v. Weizsäcker, 64). Es entspricht der Angst des Menschen vor der Unsicherheit, vor offenen Situationen, vor ihn betreffenden und ratlos machenden Widerfahrnissen, daß er sich mittels des von Α. M. Klaus Müller dargestellten Abblendungsmechanismus zu schützen sucht15. Die Beharrlichkeit, mit der er sein Heil in der Verobjektivierung sucht, ist psychologisch in dem um sich greifenden Gefühl der Verunsicherung zu verstehen, dem er sich hilflos ausgesetzt fühlt. Die Verobjektivierung verhindert aber gerade die Verarbeitung verunsichernder Widerfahrnisse zur Erfahrung und zur „Fertigkeit", die Zukunft anzunehmen. Der Mensch befindet sich in einem Teufelskreis. Das ist der Hintergrund der Sprachzerstörung, die den Menschen seiner Kommunikationsfähigkeit, und das heißt: seiner Mit-menschlichkeit beraubt16. Die in Theologenkreisen anzutreffende abwertende Bestimmung des Wortes „Mitmenschlichkeit", die in dem Zusatz des Wörtchens „nur" zum Ausdruck kommt, ist ein Zeichen dafür, wie auch der Theologe dem geschilderten Abblendungsmechanismus verfallen kann. Denn dem „nur" Mitmenschlichen wird dann das „objektive" Wort Gottes gegenüber gestellt. Mit diesem Konflikt zwischen „horizontaler" und „vertikaler" Theologie wird der Prediger angesichts der Predigtanalysen in der Klinischen Seelsorgeausbildung konfrontiert. Es gelingt ihm nur allzu oft nicht, beide Ebenen zusammenzubringen; er erlebt sie als ein unversöhnliches Widereinander. 1 ' 1
7.4 Religiöse
Sprache
Es ist einem Denken, das zu Klarheit, Exaktheit und Eindeutigkeit erzogen ist und „dessen höchste Tugenden Nichteinmischung und Ungerührtheit sind", nur schwer zugänglich, daß „nicht die Eindeutigkeit des Wortes, sondern die Mehrdeutigkeit die lebendige Sprache konstituiert" (M. Buber)17. Christa Wolf macht das an einem Beispeil deutlich. Sie weist darauf hin, daß die beiden so gegensätzlichen Worte „urteilen" und „lieben" in einem 77
einzigen zusammengefaßt sein konnten, nämlich in dem Wort „meinen". In ihm ist die Spaltung in Objektivität (urteilen) und Subjektivität (minnen) aufgehoben. Das macht aber zugleich seine Mehrdeutigkeit aus. Es ist die Mehrdeutigkeit der Sprache, die auf Verstehen hin angelegt ist und die auf die Mehrdeutigkeit der menschlichen Existenz überhaupt zurückweist. „Wir haben die Doppeldeutigkeit anzuerkennen, die allem, was wir sind, anhaftet, die allem, was wir als an sich gleichbleibende Subjekte sind, dennoch anhaftet . . . J a und Nein, das ist die einzige Antwort dort, wo es um uns selbst geht. Wir glauben und wir glauben nicht, wir lieben und wir lieben nicht, wir sind und wir sind nicht; aber wenn das so ist, dann heißt das, daß wir auf dem Wege zu einem Ziel sind, das wir zugleich sehen und nicht sehen" (G. Marcel) 18 . Das heißt, daß wir nur im Anerkennen dieser unserer Doppeldeutigkeit auf dem Wege bleiben, den wir Erfahrung genannt haben und dem wir nach Gabriel Marcels Worten (das „Ziel, das wir zugleich sehen und nicht sehen") den Namen Glauben geben können. Denn nicht nur der Wirklichkeit des Menschen ist die Sprache, die „zum Gleichnis hindrängt", angemessen, sondern auch dem Inhalt der Botschaft, die in der Predigt zur Sprache gebracht werden soll. Man kann sich dieses Inhalts nicht durch exakte Definitionen habhaft machen. Die Wahrheit, um die es hier geht, läßt sich nicht ab- und ausgrenzen. Religiöse Sprache ist nach Romano Guardini", „wenn der Redende von eigener Erfahrung her spricht - oder so, daß er die eines anderen Anteil nehmend nachvollzieht." Dabei muß sich die Sprache, die religiöse Inhalte aussagen will, welthafter Begriffe bedienen. Wie kann sie dies leisten? „Sie kann Welt-Inhalte in einer Weise gebrauchen, daß diese, nicht direkt und einfachhin, sondern auf indirektem, dialektischem Wege aussagefähig werden". Dies leistet die Sprache durch Bilder, Gleichnisse, Symbole und Metaphern. In ihnen legt die Sprache nicht eindeutig fest, sondern wird transparent für das, was sich der Eindeutigkeit entzieht. Den Bildern, Gleichnissen und Symbolen ist eine „zutreffende Uneigentlichkeit" eigen. „Dadurch wird der Hörende aufmerksam und vermag - aus einem Mindestmaß eigenen Erfahrens heraus - das Gemeinte zu verstehen." Die besondere Kommunikationsfähigkeit einer derartigen Sprache wird in den Predigtanalysen immer wieder belegt. Gleichnisse, Bilder, Symbole und Metaphern werden als besonders eindrücklich erlebt und bleiben dem Gedächtnis bewahrt. Durch ihre Doppeldeutigkeit hat die Sprache also gerade die Fähigkeit, neues Sein, das über die vorfindliche Faktizität hinausweist, zu erfassen. Das ist der Sinn der „Metapher". Sie ist nach Paul Ricoeur „jene Strategie 78
der Rede, durch die sich die Sprache ihrer gewöhnlichen Funktion entledigt, um der außerordentlichen Funktion der Neu-Beschreibung zu dienen." 20 Diese Sprache gilt es neu zu lernen. Das kann nur im Hören geschehen, im Hören auf die Sprache der Bibel, und im Hören auf den leidenden Nächsten. Denn auch er redet von seinen Erfahrungen in Metaphern, in Bildern, Gleichnissen und Symbolen. „Das Wort Gottes kommt neu zur Sprache allein aus einem neuen Hören, einem angespannten Horchen und Aufmerken darauf, wie das überlieferte Wort Gottes sich gerade durch die Wirklichkeit, der wir selbst ausgeliefert sind, verständlich macht. Dieses Horchen verbindet ein Doppeltes zur Einheit: ein ehrliches Ausharren in der Erfahrung und ein geduldiges Harren auf Verstehen. Wenn so das Wort Gottes neu vernommen würde, könnte es auch neu mit der ihm eigenen Vollmacht gesagt werden. Denn was als Sprachnot des Wortes Gottes erscheint, ist in Wahrheit unsere eigene Sprachnot" (Gerhard Ebeling) 21 .
79
Es gibt heute zu viele Theologen, die Gott für einen N o m i nativ halten. Sie drehen sich nicht auf seinen Anruf um. Eugen Rosenstock-Huessy 1
8. Erfahrene Theologie 8.1 Persönliche
Zeugnisse
Welche Rolle spielt die Theologie in der Klinischen Seelsorgeausbildung? Welche Relevanz hat sie innerhalb der Strukturen, wie wir sie dargestellt haben, und für sie? Wir können zunächst - wiederum von negativen Erfahrungen ausgehend - die Worte eines Psychoanalytikers nur unterstreichen, der auf Grund vieler Begegnungen mit Theologen über „die Funktion der Theologie" nachgedacht hat. Er stellt fest, „daß sich viele Theologen in ihrem reflektierenden Umgang mit der Bibel zuvor und danach nicht oder wenig von der sie darin anrufenden Wirklichkeit Gottes existentiell betreffen lassen... Die doctrina tritt an die Stelle der Betroffenheit... Sie dient als festes Gehäuse, welches dem Theologen Sicherheit verleiht vor sich und vor Gott... Er macht den Hörer zum Abnehmer seiner Lehrinhalte. Aus dem Du, auf das sich eigentlich Verkündigung bezieht, wird ein Objekt" (R. Affemann) 2 . Im Blick auf Bühlers Sprachmodell wird damit die verobjektivierende Darstellung absolut gesetzt; nach Watzlawick herrschen die Inhalts- und digitale Ebene der Kommunikation vor - damit zersetzt sich die lebendige, umfassende Sprache; tiefgreifende Kommunikationsstörungen sind die Folge, und der Verstehensprozeß wird blockiert. Betroffenheit vom Widerfahrnis ist ja der Anfang des Weges, der zum Verstehen führt. Im Verlauf eines Kurses kommen die Teilnehmer zu der Einsicht, wie fruchtlos ihre auf diese Weise von Gott und dem Mitmenschen abgeschnittene Theologie ist. Sie bringen ihre Theologie mit ihren Erfahrungen zusammen. Das ist ein schmerzhafter und zugleich befreiender Prozeß, von dem wir im folgenden die Teilnehmer selber Zeugnis ablegen lassen wollen. An erster Stelle soll die Reflexion eines Teilnehmers über die Art und Weise seines Lernens stehen: „Beim Zusammenstellen meiner Lernerfahrungen nach Abschluß des Kurses wurde mir deutlich, daß sie sich schlecht systematisieren lassen. Auch kognitive Lernschritte wuchsen aus emotionalen Erfahrungen und haben existentielle Dimensionen. Das mag eine Auswirkung des Lernstils sein, den ich als meine erste wichtige Lernerfahrung nennen möchte: Mir fehlten weder Informationseinheiten noch praktisch80
methodische Hinweise noch theoretische Modelle oder Hintergründe, denn das alles ereignete sich in der Gruppe, bekam Gestalt in der Kommunikation, wurde erfahrbar beim Erarbeiten des Materials. Wurde es im Nachhinein durch sparsame Systematisierung durchsichtig gemacht, war es wie ein Wiedererkennen - der eigentliche Lernvorgang geschah im Vollzug." Die folgenden Auszüge differenzieren und konkretisieren diese Lernerfahrung: „Die Gruppe als ganze war für mich der Raum, in dem ich mich als ,alter Adam' erlebt habe und in dem ein Stück ,neue Schöpfung' möglich war. Es war für mich ein gemeinsamer Weg, wo wir miteinander zunächst ein gutes Stück in die Irre gegangen sind, um dann festzustellen, daß es so nicht weitergeht (im doppelten Sinne). Dauernd die alten stereotypen Verhaltensmuster, jeder hat seine eigenen zur Genüge vorgeführt. Jetzt im Nachhinein wundere ich mich, wie groß bei uns das Beharrungsvermögen war und der Wunsch, dabei zu bleiben und nicht verunsichert zu werden. Daß neues Leben nicht ohne Leiden und auch Sterben zu haben ist, habe ich bei den anderen und bei mir am eigenen Leibe gespürt." Dieser Bericht erinnert an die Beschreibung des Lernprozesses in dem Abschnitt über die Didaktik der Supervision. Das Geschehen selbst wird theologisch interpretiert als „Sterben" und „neues Leben"; besser: es wird als solches auf Grund der eigenen Erfahrungen verstanden3. Derselbe Teilnehmer setzt seinen Bericht fort: „Was bedeutet die Erfahrung hier (im Kurs) für meinen Glauben, meine Theologie und meine Auffassung von Seelsorge? - Für alle drei Bereiche gilt gemeinsam, daß ich sie nicht mehr sehen kann abstrahiert von meinen Erfahrungen und meinem Leben. Theologie hat für mich keine Chance mehr als systematische Theologie', die wissenschaftlich ist in dem Maße, wie sie von den Erfahrungen von Menschen abstrahiert und einen Kanon von überzeitlichen Glaubenssätzen zu formulieren versucht. Ich kann Theologie immer weniger mit meinem Kopf, dafür aber immer mehr mit meinem Herzen treiben. Von daher rücken für mich Glaube und Theologie mehr und mehr zusammen. Die Schrift wird für mich immer mehr eine Sammlung von Erfahrungen, die Menschen mit sich, miteinander und mit Gott gemacht haben, die auch ich machen kann. Glauben wird für mich dabei zu einem Mit- oder Nacherfahren." Aus diesen Worten läßt sich erkennen, wie sich der Abblendungsmechanismus der Abstraktion prozeßhaft („mehr und mehr", „immer weniger immer mehr") auflöst und es zu einer „Wende der Wahrnehmung" kommt, in der Leben, Glauben und Theologie immer mehr integriert werden. Von ähnlichen Erfahrungen berichtet ein anderer Teilnehmer, indem er 81
von seinem Predigen ausgeht: „Keine meiner Predigten vor dem Training war in der Weise wie dort an meinem Glauben festgemacht", und er reflektiert dann weiter sein Theologe-sein: ^Systematische Theologie' scheint mir nun endgültig suspekt, ja zuwider zu sein, ich habe sie beziehungslos und als allgemeine Wahrheiten und eben damit als Unwahrheiten gehört. Ich dachte bislang, daß sie (dennoch) den ganzen Theologen ausmacht - ich habe mich also auch nie als guter Theologe fühlen können. Nach dem Training will ich ein solcher Theologe sein, der Texte, seine und die Betroffenheit anderer (Gesprächspartner) miteinander in ein Kommunikationsverhältnis zu bringen versucht." Die Integration von Glauben und persönlichem Leben durch die Erfahrungen des Kurses wird immer wieder als grundlegend bezeugt: „Mein persönliches Leben und Erleben haben sich durch den Kurs sehr viel stärker mit dem Glauben verbunden. Mein Leiden, meine Freuden, meine Klagen und meine anderen Erfahrungen kann ich jetzt besser mit meinem Vertrauen auf Gott verbinden. Gott ist dabei sehr viel stärker zum Partner geworden, der wirklich unser Leben mitleidet, der mit uns, mit mir unterwegs ist, der mich aber nicht wie eine Marionette führt und festlegt." Gerade die Arbeit an den Kommunikationsstörungen in der Gruppe kann zu sehr persönlicher theologischer Arbeit führen, nämlich dann, wenn erfahren wird, wie eng Beziehungsstörungen eine theologische Entsprechung haben können. So berichtet eine Teilnehmerin: „Für meinen Glauben habe ich erfahren, daß meine Bereitwilligkeit, auf den Himmel zu hoffen, auch mit meinen gestörten Kontakten zu der Umwelt zusammenhing. Baue ich hier meinen Leidensdruck ab, so wird die Sehnsucht nach einem Ausgleich geringer." Bezeichnenderweise hat ihr der Widerstand der Gruppe im Blick auf ihr Anlehnungs- und Unterordnungsbedürfnis zu dieser Einsicht geholfen, so daß sie darüber nachdenkt, „wieweit ich infantile Bedürfnisse zu schnell in meine Gottesbeziehung eingebe, weil mir da ja kein menschlicher Widerstand begegnet. Dann ist mein Glaube ein Hindernis, erwachsen zu werden". Ihr Erleben in der Gruppe schildert dieselbe Teilnehmerin: „Durch die Gruppe habe ich erfahren, wie Gott sich durch Menschen vermittelt. Das ist mir sehr wichtig, weil ich in den letzten Jahren gerade in dieser Beziehung im Raum der Kirche verletzt worden bin, und hier war es eine heilende Erfahrung. Den Nächsten zu lieben wie mich selbst - das habe ich hier neu gefüllt verstanden." Das Erleben des Teil-seins einer Gruppe hat seine unmittelbaren Auswirkungen auf das Selbstsein und findet seinen theologischen Ausdruck in folgenden Worten eines Teilnehmers: 82
„Die wichtigste Aufgabe für meine Theologie, die ich vor mir habe, ist die Gewinnung einer wirklich eigenen Identität. Ich glaube, daß Gott will, daß ich Ich werde. So verstehe ich jetzt das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden, das mir bisher eigentlich immer nur zur Leistungsanstachelung und Selbstüberforderung gediehen ist." Wenn in einer Gruppe Erleben, Glauben und Theologie miteinander in Kontakt kommen, entsteht wie von selbst das Bild der Kirche. So sagt es eine Teilnehmerin: „Ich möchte diese Gruppe als ,Kirche' begreifen: offen, verstehend, miteinander auf dem Weg, suchend, begleitend, fragend, warm, zugewendet. So wünsche ich mir Kirche. Ich möchte versuchen, das auch in meine konkrete Situation (nach dem Kurs) umzusetzen, damit auch da Kirche wird." 4 In diesem Zusammenhang werden nicht nur biblische Texte lebendig und können in einem neuen Licht erscheinen (wie das Gleichnis von den anvertrauten Pfunden), sondern auch abstrakte, theologische Begriffe. Dabei spielen die Begriffe der Inkarnation und der Rechtfertigung immer wieder eine zentrale Rolle. Auch dafür Belege: „Die Einbeziehung tieferer emotionaler Schichten in die Reflexion über die Beziehungen der Menschen zueinander läßt mich das Humanum der christlichen Inkarnationstheologie neu entdecken. Das ,Wort' als Kommunikationsmittel verstehe ich nun besser in seiner Fülle, die hinter Sach-Informationen zurückgeht und Befindlichkeiten der Existenz und Beziehungen ausdrückt. Von daher bekommt .Theologie' als offenbarende Rede von Gott eine unmittelbare christologische Dignität, Christologie als offenbarende Rede von Christus eine unmittelbar humane Dignität." Die Bearbeitung von Rivalitäten und Konkurrenz in einer Gruppe und die schließliche Erfahrung des Angenommenseins und der Annahme wird für einen Pfarrer, der einen Herzinfarkt hinter sich hatte, zum Spiegel der Rechtfertigung: „Theologisch wichtig geworden ist mir besonders das Gespräch über Konkurrenz und Annahme des einzelnen in seiner Besonderheit als Spiegel der Rechtfertigung mit den Konsequenzen für den Umgang mit Leistungsforderungen durch mich selbst und durch andere..." Ein anderer Teilnehmer berichtet: „Immer wieder kam es zur theologischen Reflexion von Erfahrungen... Dabei wurde für mich die justificatio impii, die zentrale reformatorische Erkenntnis, von einem rationalen theologumenon zu einer erfahrbaren Wirklichkeit. Ich habe gemerkt, daß es die Annahme dessen, der sich kaum selber annehmen mag, gibt." 5 Im folgenden zieht dieser Teilnehmer seine Reflexion weiter aus: „Das wirft Fragen 83
auf, die sich erst in einem langen Reflexions- und Erfahrungsprozeß werden klären lassen. Sie zielen aber wohl in eine Richtung, die mir geeignet erscheint, die heutige Kontroverse zwischen sozialethischer und dogmatischer Predigt produktiv zu überwinden. Denn dann kann es nicht mehr heißen: Appell oder Glaubenssatz, Diesseitigkeit oder Transzendenz, sondern nur: Wie leben wir miteinander als von Gott Angenommene? Das Leben in Gemeinschaften aller Art, von der Ehe über die Gruppe und Gemeinde bis hin zur politischen Gemeinschaft wird der Ort, an dem die Predigt verständlich wird." Schließlich haben die Erfahrungen des Kurses ihre Auswirkungen auf das Verständnis von Predigt und Seelsorge. „Theologisch ist mir neu aufgegangen, daß die Bereitschaft, sich betreffen zu lassen von Menschen, Schicksalen und Situationen - und das heißt: das Kreuz zu akzeptieren - vor der Verkündigungsaufgabe steht. Verkündigung kann sonst Ausweichen vor der Situation sein . . . " Die gleiche Gefahr des Ausweichens vor der konkreten Situation wird auch für die Seelsorge erkannt. „Die Konfrontation mit dem unendlichen Ausmaß an Leid im Krankenhaus läßt mir eine Theologie, die sich zu schnell des Leidens bemächtigt, suspekt werden. Zu bereitwilliges Annehmen von Leiden kann auch Ich-Schwäche sein und keine christliche Tugend." Dabei hat das Eingestehen und Annehmen der eigenen Ohnmacht unverkennbaren Einfluß auf das Verständnis von Seelsorge: „Durch das Anerkennen der eigenen Ohnmacht, am Krankenbett und bei der Kommunikation, ist mir die Position des nichtwissenden Nichtfachmannes, der den Partner in seinem Nichtwissen versteht und bei ihm bleibt, deutlicher geworden. Ich kann jetzt diese Rolle als Seelsorger übernehmen. Mir ist auch der Unterschied zu den Ärzten und Therapeuten deutlich geworden, die mehr aus der Position des wissenden Fachmanns mit ihren Patienten ein ziemlich klares Ziel ansteuern. Mir ist klar geworden, welche anderen Erwartungen an uns Seelsorger gestellt werden." Ein anderer Teilnehmer, der zu ähnlichen Formulierungen kommt, bekennt, daß sich seine Auffassung von der Seelsorge insofern geändert hat, „als ich bislang davon ausging, daß der Seelsorger in jedem Fall der heile und stabile Partner sein muß - derartig praktizierend habe ich mich sicher oft selbst betrogen und bin bei mir stehen geblieben". Und schließlich faßt ein weiterer Teilnehmer zusammen: „Hilfe geschieht, sie kann nicht gegeben werden. Hilfe geschieht, nicht indem ich Hilfe anbiete, sondern indem ich mich anbiete." Zu diesem Satz ist er nach einem schmerzhaften Lernprozeß in der Gruppe gekommen, in dem er die 84
Erfahrung machte, wie er mit allen seinen guten Ratschlägen und Weisheiten, die er stets bereithielt, in seinen Beziehungen Schiffbruch erlitt. Vergleichen wir die Zitate der verschiedenen Kursteilnehmer miteinander, so fallen bestimmte Ubereinstimmungen ins Auge. Es sind ausnahmslos persönliche Aussagen, in keiner fehlt das „ich" oder „für mich". Es sind keine objektiven Aussagen. Auch die Bemerkungen über die „systematische Theologie" beanspruchen keine Allgemeingültigkeit - sie geben die Erfahrung mit einer bestimmten Art der Vermittlung von Theologie wieder - als solche freilich sollten sie gehört und ernst genommen werden6! Die Zitate enthalten durchgehend unabgeschlossene Aussagen. Das Prozeßhafte schlägt sich in ihnen auf Schritt und Tritt nieder: „mehr und mehr" wird etwas erkannt, schrittweise wird es „deutlicher", und sei es als Aufgabe, die in der Zukunft vor mir liegt. Es sind durchweg Aussagen „auf dem Wege". Das ist die Sprache der Erfahrung. Oft entsteht gegen Ende eines Kurses unter den Teilnehmern spontan der Wunsch, vor dem Auseinandergehen das Abendmahl miteinander zu feiern. Das Merkmal dieser Feiern ist, daß sie von allen Gruppenmitgliedern gemeinsam gestaltet werden. Mir steht ein Gespräch am vorletzten Tag eines Kurses vor Augen, in dem der Wunsch nach dem Abendmahl laut wurde. Spontan sagte jeder, was er dazu beitragen wollte: der eine Blumen, um den Tisch zu schmücken, der andere Brot, der dritte Wein, der nächste wollte seine Flöte mitbringen, um zu musizieren, wieder ein anderer wollte die Einsetzungsworte sprechen, einer eine Meditation einleiten, einer die Lieder anstimmen.. Die Feiern finden in der Form eines Kreises statt, Brot und Wein werden von einem zum anderen gereicht. Die gemeinsamen Erfahrungen des Kurses verdichten sich in dieser Stunde und werden besiegelt. Danach sind die Teilnehmer „fertig", auseinanderzugehen.
8.2
Glaubens-Erfahrung
Wir stehen damit vor dem Problem der religiösen Erfahrung bzw. der Glaubenserfahrung. Wir wollen zum Schluß unsere bisherigen Überlegungen in diesen erweiterten Horizont hineinstellen und damit zugleich einen Beitrag zur Diskussion um die religiöse Erfahrung leisten7. Zurückgreifend auf unsere bisherigen Gedankengänge können wir umschreiben: Wenn Widerfahrnisse mit Hilfe religiöser Deutungsmuster erfahrend verarbeitet und verstanden werden, können wir von religiöser Erfahrung 85
reden. Wenn Widerfahrnisse mit Hilfe von Deutungsmustern aus dem christlichen Glauben erfahrend verarbeitet und verstanden werden, können wir von Glaubenserfahrung reden. U m welche Art von Widerfahrnissen geht es dabei? William James 8 geht in seiner Untersuchung der religiösen Erfahrung von außergewöhnlichen biographischen Widerfahrnissen wie der Bekehrung oder der mystischen Erleuchtung aus, die in der Regel auch nur außergewöhnlichen Menschen zuteil werden. Wir möchten in die religiöse bzw. Glaubenserfahrung auch mehr „alltägliche" Widerfahrnisse einbeziehen. Es handelt sich - allgemein gesprochen - um Widerfahrnisse, die wir in besonderem Maße als „von außen auf uns zukommend" erfahren. Es wird uns etwas geschenkt. Oder es wird uns etwas genommen. Α. M. Klaus Müller spricht in diesem Zusammenhang von „Einbrüchen in die Biographie" (424) 8 \ W i r erleben Geburt und Tod als solche Widerfahrnisse, die uns tief betreffen. Und wir können diese dann glaubend-verstehend deuten mit den alten und immer wiederholten Worten: „Der Herr hat's gegeben. Der Herr hat's genommen. Der Name des Herrn sei gelobt" (Hiob 1,21). So kann auch das überwältigende Widerfahrnis der Liebe zur glaubendverstehenden Erfahrung werden, die über das zufällige Zusammentreffen zweier Menschen auf einen „höheren Sinn" hinausweist. Dann können wir es in die Worte fassen: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden" (Matth. 19,6). Auf Grund unserer bisherigen Überlegungen können wir derartige Erfahrungen dahingehend bestimmen, daß sie nicht eindeutig und damit verobjektivierbar sind. Das Widerfahrnis der Geburt eines Kindes muß nicht logisch-stringent als Gabe Gottes verstanden werden. Das Widerfahrnis des Sterbens eines Mitmenschen kann auch ganz anders „erfahren" werden, wie sich aus den Todesanzeigen in der Zeitung unschwer ablesen läßt. Und das Widerfahrnis der Liebe wird durchaus nicht in jedem Fall als das „Zusammengefügt-werden durch G o t t " „verstanden". Es gibt keine Möglichkeit, auf logisch-deduktivem Weg Eltern nachzuweisen, daß ihr Kind Gottes Gabe ist, Eheleuten nahezulegen, ihre Ehe als „im Himmel geschlossen" zu verstehen oder einen Trauernden davon zu überzeugen, daß hinter dem Sterben eines Angehörigen Gottes guter Wille steht. Das widerspräche auch dem Wesen des Glaubens, der darin selig ist, daß er „nicht sieht und doch glaubt" (Joh. 20,29), denn „wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen" (2.Kor. 5,7). Als Erfahrung hat Glauben Anteil an der aufgezeigten Struktur der Erfahrung als einem subjektiven Verstehen aus persönlicher Betroffenheit heraus, das nicht für alle gleichermaßen evident, also nicht objektivierbar ist. Insofern steht der Glaube in der 86
polaren Struktur von Glaube und Zweifel: „Ich glaube - hilf meinem Unglauben" (Mark. 9,24). Gleichwohl - und das hat sich als ein weiteres Merkmal hermeneutischer Erfahrung gezeigt - drängt das Widerfahrnis zur sprachlichen Äußerung, zur Mitteilung. Auf Grund der dialogischen Struktur der Erfahrung kann sie sich selbst nicht anders verstehen. Deshalb ist die Gruppe oder die Gemeinde der „Ort biographischer Erfahrung" (Α. M. Klaus Müller). Es ist das „wandelnde Gottesvolk", das mit mir auf dem Weg ist. Ich bin auf das „Amen" der Gemeinde angewiesen, wenn ich verstehen will, was mir widerfahren ist. Aus mir selber kann ich es nicht verstehen 9 . Meine Mitteilung des Widerfahrnisses hat ebenso wie die Sprache der Erfahrung den Charakter des „Zeugnisses". Dies Zeugnis ist nicht verobjektivierbar - aber es kann auch nicht esoterisch bleiben. Deswegen äußert es sich in einer Sprache, die von der Gruppe oder der Gemeinde verstanden wird. Es ist nicht zufällig, daß es oft geprägte Formulierungen sind, in denen sich Erfahrungen aussprechen: „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen." „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden." Den Weg von den Widerfahrnissen zur Erfahrung und dem Mitteilen der Erfahrung in der Gemeinde können wir in vielen Psalmen, vor allem den sog. individuellen Klageliedern nachzeichnen, die sich nur auf Grund des Umstands erhalten haben, daß die Gemeinde ihr „Amen" dazu sagen konnte. Im 73. Psalm spricht der Sänger zunächst seine Widerfahrnisse aus - die vielen anklagenden und zweifelnden Fragen zeigen sein Nichtverstehen, die Sinnlosigkeit dessen, was ihm geschehen ist, an. „Ich dachte ihm nach, daß ichs begreifen möchte, aber es war mir zu schwer. Bis daß ich ging in das Heiligtum . . . " (V. 16-17). Dort wird ihm die Einsicht zuteil, die er bezeichnenderweise nicht in einem objektiven Sinnspruch findet, sondern im Zeugnis „Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand . . . " (V. 23ff.) Dies ist „meine Freude", die sich dann zugleich Ausdruck darin verschafft, „daß ich verkündige all dein T u n " (V. 28) - indem er also seine Erfahrung mitteilt. Häufig werden die Erfahrungen des „wandernden Gottesvolkes" aus seiner Geschichte - Auszug aus Ägypten und Wüstenwanderung - „erinnert"; in ihnen findet der Beter seine individuellen Erfahrungen wieder. Erfahrung bedeutet, „aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen" (C. F. von Weizsäcker). Der Mensch weiß seine Individualität aufgehoben, ja, er findet sich als Teil des Ganzen. Der Mut zum Sein ist verbunden mit dem Mut, ein Teil zu sein (Tillich). So ist Erfahrung nicht ohne „Tradition" und ohne Gruppe oder Gemeinde denkbar, die in dieser Tradition steht. 87
Hier hat nun auch die religiöse Sprache ihren „Sitz im Leben". Sie hat Anteil an der Mehrdeutigkeit der religiösen Erfahrung, kann also nicht durch die wissenschaftlich-exakte Redeweise ersetzt werden. In dem Versuch, religiöse Erfahrung oder Glaubenserfahrung zu definieren, festzulegen und ihre Eindeutigkeit (die oft mit „Wahrheit" verwechselt wird) nachzuweisen, würde sie aus der Sein-Struktur in die Haben-Struktur verfallen (E. Fromm), würde ihre Offenheit verlieren, weil sie einen Endpunkt markiert, und schließlich auch ihre Kommunikationsfähigkeit einbüßen. „An der Fähigkeit zu sprachlich-symbolischer Aktion . . . hängt weithin die Gemeinschaftsfähigkeit des Menschen" (D. Rössler)10. Religiöse Sprache bedient sich der Symbole. „Das Symbol repräsentiert etwas, was es nicht selbst ist, das es aber vertritt und an dessen Mächtigkeit und Bedeutung es teil hat... Es soll uns die Wirklichkeitsschichten eröffnen, die sonst verborgen sind und die auf keine andere Weise sichtbar gemacht werden können" (Tillich)11. Das Symbol lebt von seiner „Zweideutigkeit", kraft deren es über sich selbst hinausweist. In Rudolf Alexander Schröders Abendmahlslied findet das sprachlich seinen adäquaten Ausdruck: Wein und mehr denn Weines, Brot und dennoch keines, Meister, deines12. So drängt das Symbol schließlich zum Ritus13. Dort, in Taufe, Trauung, Bestattung, Abendmahl, wird es „vollzogen". Ohne den rituellen Vollzug fehlt ihm etwas, so wie die Urkunde des Kaisers in früheren Zeiten so lange unvollständig war, als er sie nicht „vollzogen" hatte, indem er seinen bereits vom Schreiber gezeichneten Namenszug durch einen Strich, der allein ihm vorbehalten blieb, „vollzog". Jetzt war das Schriftstück in Kraft gesetzt. Es war „konfirmiert". Es war „fertig", sein Werk zu beginnen.
8.3 Dimensionen des Glaubensweges Damit haben wir in der religiösen oder Glaubenserfahrung die Struktur, die wir dem Lernprozeß in der Klinischen Seelsorgeausbildung zugrunde legten, wiedergefunden: Mir widerfährt etwas - ich erfahre es - ich bin fertig (far-tig), um mich neuen Widerfahrnissen zu stellen. Dietrich Zimmermann stellt diesen Prozeß als „Dimensionen des Glaubensweges" in den drei Schritten: Leben - Glauben - Feiern dar14. Er beruft sich dabei auf Philippe Beguerie, dessen Anliegen es ist, die Liturgie (Eucharistie) aus ihrer Isolation zu befreien und sie in das menschliche Leben zu integrieren15. Er unterscheidet die drei Dimensionen im 88
Abb. 9: Modell des Glaubensweges
menschlichen Leben: Was wir leben - Wessen wir uns bewußt werden Was wir feiern. Alle drei Dimensionen stehen in beständigen Wechselwirkungen zueinander. Was wir leben oder erleben: „Die Handlungen, die wir vollziehen, die Situationen, in denen wir uns befinden, die Ereignisse, die uns betreffen." Wessen wir uns bewußt werden: „Damit unser Leben ein wahrhaft menschliches Leben ist, muß uns das, was wir gelebt haben, bewußt werden." Was wir feiern: „Was wir leben und wessen wir uns bewußt werden, das können wir feiern." Die Feier ist ein „rite de passage". Sie faßt das Erfahrene symbolisch zur Erfahrung zusammen und macht fertig (far-tig) zu neuem Aufbruch. Dabei wird die Erfahrung des einzelnen in die Erfahrung des wandernden Gottesvolkes eingegliedert, das wiederum die Erfahrung des einzelnen ermöglicht.
89
„ . . . daß eure Liebe je mehr und mehr reich werde in allerlei Erkenntnis und Erfahrung."
(Phil. 1,9)
9. Schlußüberlegungen: Grenzen und Perspektiven 9.1 Grenzen des Modells W. Zijlstra hat als größte Gefahr für die Klinische Seelsorgeausbildung die Verabsolutierung dieses Modells bezeichnet. „Je gründlicher am Schluß eines Trainingskurses das CPT selber relativiert wird, desto besser ist es für die geistige Hygiene des Pfarrers. Erst dann wird der wirkliche Wert des CPT sichtbar. Diese Form der Seelsorge-Ausbildung ist nur eine Möglichkeit ..., ein nüchterner Versuch, für eine wissenschaftlich qualifizierte Ausund Fortbildung von Pfarrern einen Beitrag zu liefern."1 Schon kurz, nachdem die Klinische Seelsorgeausbildung in der Bundesrepublik ihre ersten, zaghaften Schritte wagte, richtete Y. Spiegel an dies Modell eine kritische Anfrage: Ob das CPT sich der gesellschaftlichen Bedingungen bewußt sei, dem es seine Entstehung verdanke, ob es nicht zu individualistisch ausgerichtet sei und unreflektiert die Illusion nähre, „nicht die Individualität als solche, sondern nur einzelne Individuen befänden sich in der Krise" 2 . Es wird also die Frage nach der gesellschaftspolitischen Relevanz des Modells gestellt. Und in der Tat läßt sich fragen, ob dies Ausbildungsmodell zwar eine veränderte Praxis zur Folge hat (was unbestritten ist) - nicht aber eine verändernde Praxis im Blick auf die veränderungswürdigen Strukturen (etwa der Klinik, im Gefängnis, in der Kirche), in denen es arbeitet. Um die hier vorliegende, nicht von der Hand zu weisende Problematik zu verstehen, ist die Einsicht der Soziologie (deren Kleingruppenforschung sich erst in den allerersten Anfängen befindet) hilfreich, daß das Phänomen der Kleingruppe selber „für das soziologische Verständnis von Gesellschaft nur einen geringen Rang besitzt" (F. Neidhardt)3. Das hängt damit zusammen, daß die Kleingruppe „ein soziales Gebilde (ist), das den Individualitäten seiner Mitglieder so nah und deren je besonderen Wahrnehmungen, Gefühlen und Motivationen so unmittelbar ausgeliefert ist, daß sich eine Psychologisierung des Gegenstandes geradezu aufdrängt." Die Kleingruppe grenzt sich auf der einen Seite gegen das „einfache Sozialsystem" der flüchtigen Begegnung, des kurzen Gesprächs zwischen 90
Tür und Angel ab, auf der anderen Seite von der festgefügten „Organisation". Ihre relative Dauerhaftigkeit unterscheidet sie von Augenblickskontakten; die „Individualisierung sozialer Wahrnehmungen", indem die Gruppenmitglieder sich immer differenzierter kennenlernen, die „Personalisierung von Handlungszurechnungen", indem in einer Gruppe den einzelnen Mitgliedern bestimmte Rollen zufallen, und die Bedeutung der Gefühle als „Steuerungsmedien" (Vertrauen als Grundlage der Beziehung untereinander) grenzt sie von der „Organisation" ab. Die Organisation kann sich eine derartige Personalisierung und Individualisierung nicht leisten, wenn sie funktionieren will. Hinzu kommt, daß ein großer Teil der Energie einer Gruppe sich auf die Beziehungsklärung untereinander richtet, sowie auf die sich aus der jeweiligen Individualität ergebenden Rollenverteilung. Die Gruppe ist eher einem Organismus zu vergleichen, dessen Struktur sich erst in einem langwierigen und komplizierten Prozeß herausbildet; ihre Struktur reagiert überdies sehr empfindlich auf Störungen von außen und von innen. Die Organisation dagegen ist ein - für den einzelnen kaum durchschaubares - hierarchisches Strukturgeflecht, das vom Individuum ein hohes Maß an Anpassung verlangt. Es muß große Bereiche seiner Individualität - die in der Gruppe gerade gefragt sind - draußen lassen. Die dadurch bedingte Frustration der einzelnen Menschen erklärt die Anziehungskraft der Kleingruppe in unserer Zeit, welche die verdrängten Bedürfnisse befriedigt. Damit ist deutlich, daß Gruppe und Organisation einander abstoßen. Tendenzen, die eine Gruppe bestimmen, bedrohen die Organisation. Strukturelemente der Organisation (autoritative Hierarchie) verhindern die Gruppenbildung. Dies erklärt die Schwierigkeit, daß die in und durch einen Gruppenprozeß veränderte Praxis nun auch verändernd in die fest strukturierte Praxis der Organisation eindringt. Freilich zeichnet sich die Klinische Seelsorgeausbildung dadurch aus, daß sie dem Phänomen der Flucht in die Gruppe zuvorkommt, indem der Praxisbezug gerade in der Organisation (Krankenhaus, Gefängnis) täglich hergestellt wird. Dadurch wird die Grenze zwischen Gruppe und Organisation durchlässig. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß es einem Kursteilnehmer nach dem Training - freilich eingebettet in die Gruppe des Kollegenteams - gelang, auf einer Station seiner Klinik ein pflegerisches Team zu bilden, in dem auch die Arzte integriert waren. Dadurch änderte sich sowohl der Umgang untereinander als auch der Umgang mit den Patienten signifikant. Veränderte Praxis hatte deutlich eine Veränderung der Struktur zur Folge.
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Ebenso gelang nach einem Training, an dem Pastoren und Mitarbeiter eines Kirchenkreises teilnahmen, die Integration der Trainingsgruppe in den großen Pfarr- und Mitarbeiterkonvent des Kirchenkreises. Auch hier änderten sich dadurch deutlich verfestigte Kommunikationsstrukturen. Beiden Beispielen ist gemeinsam, daß es sich bei den zur Diskussion stehenden Organisationen um kleine, überschaubare Bereiche handelt: um die Station eines Krankenhauses und den Kirchenkreis einer großen Kirche. Theoretisch müßte sich der Einfluß der jeweils veränderten Praxis verändernd auf der nächst höheren Organisationsebene (die Abteilung des Krankenhauses, zu der die Station gehört, und der „Sprengel" der Kirche, zu dem der Kirchenkreis gehört) fortsetzen. So käme es zu einer „Reform an Haupt und Gliedern", deren Dringlichkeit von niemandem bestritten wird, der in diesen Feldern arbeitet - für die uns aber noch die notwendigen Strategien fehlen. Dafür müßte u.a. auch erforscht werden, was sich bei „Grenzübertritten" zwischen Gruppe und Organisation psychologisch und soziologisch abspielt, und welche Funktion „Grenzgänger" von beiden Seiten und auf beiden Seiten haben. Entscheidend wird aber sein, daß sich „Organisation" und Gruppe nicht gegenseitig verteufeln. Dafür ist es hilfreich zu erkennen, daß jeder von uns in einer polaren Spannung zwischen „Funktion" und „Struktur" lebt4, wobei die „Funktion" mit ihren dynamischen Kräften der Gruppe, und die „Struktur" mit ihren statischen und bewahrenden Tendenzen der Organisation zuzurechnen ist. Wenn wir diese Grundgegebenheit unseres Lebens anerkennen, dann werden sich Erneuerungen und Reformen nicht vollziehen können, wenn beide Seiten sich gegenseitig abstoßen und isolieren, sondern indem sie in dem Spannungsverhältnis zueinander ausharren und die Spannung kreativ nutzen. Die Verantwortung liegt dann nicht mehr allein bei der Gruppe, sondern gleichermaßen bei der Organisation5. Innerhalb dieser Spannung wird auch die Klinische Seelsorgeausbildung ihre Grenzen wie ihre Chancen wahrnehmen. 9.2 Perspektiven für die Praktische
Theologie
Unser Modell steht auch in dem Spannungsfeld zwischen Praktischer Theologie und Pastoraltheologie. Darin findet sich die Spannung zwischen Wissenschaft und Praxis wieder, wobei herkömmlich die Wissenschaft der Praktischen Theologie und die Praxis mit ihrem Bedarf an Handlungsanweisungen der Pastoraltheologie zugerechnet wird. Die Konkurrenz beider hatte nicht selten den wechselseitigen Vorwurf der Wissenschaftsfeindlichkeit bzw. der Praxisverleugnung zur Folge6. 92
Unser Modell befindet sich in diesem Spannungsfeld auf der Seite der Pastoraltheologie. Freilich ist in ihm - wie wohl überhaupt seitens der Pastoraltheologen - die Notwendigkeit wissenschaftlicher Theoriebildung nicht bestritten worden. Sextro setzt bei seinen Studenten eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung voraus. Das Pastoralklinikum gehört in die nach Studium und Predigerseminar - dritte, berufsbegleitende Phase theologischer Ausbildung. Hier bringen die Teilnehmer nicht nur ihre theoretischen Kenntnisse, sondern auch bereits vielfältige Erfahrungen aus ihrer Praxis mit in die Kurse ein. Struktur und Didaktik sind darauf abgestimmt. So läßt sich dies Modell auch nicht ohne weiteres in die erste Ausbildungsphase, die des theologischen Studiums verpflanzen 7 . Welche Perspektiven ergeben sich bei dieser Gegebenheit für die Praktische Theologie, die ihren O r t an der Universität hat? 1. Wenn die Praktische Theologie die Praxis der Kirche im Auge hat, dann ist in ihrer Beschränkung als Universitätsdisziplin „alles auf Fortsetzung, auf Erweiterung und Besonderung in der zweiten (und dritten) Phase angelegt" 8 . Unser Modell bietet sich dafür an, da es sich um ein Integrationsmodell von Theorie und Praxis handelt, das in einem exemplarischen Arbeitsfeld kirchlicher Praxis verwurzelt ist. Da man ihm gegenüber das Urteil gegenüber der Pastoraltheologie nicht mehr aufrecht erhalten kann, es bzw. sie habe sich „mit dem lerntheoretischen Problem, ob und wie eine aus Erfahrungen gebildete Weisheit zu lehren und zu lernen sei, nicht ausführlich beschäftigt" 9 , da dies Modell also Rechenschaft über seine theoretischen Voraussetzungen und Methoden ablegt, ist es für ein Gespräch mit der Praktischen Theologie an der Theologischen Fakultät besser gerüstet als eine Pastoraltheologie, welche die Reflexion der eigenen Voraussetzungen weniger berücksichtigte. 2. Wenn M. Seitz die Forderung aufstellt: „Das Exemplarische und das Experimentelle müssen in Forschung und Lehre der Praktischen Theologie einen bevorzugten Platz einnehmen" 10 , dann bietet sich unser Modell vorzüglich dafür an, diesen Aspekt der Praktischen Theologie zu vertreten. 3. V o r allem in Gestalt von Supervisionsmaterial (Gesprächsprotokolle und -analysen aus den verschiedensten Bereichen kirchlicher Praxis) erhält die Praktische Theologie von unserem Modell ständige Rückmeldung und Rückkoppelung aus der Praxis - zur eigenen Demonstration und kritischen Bearbeitung. 4. In (zeitlich) beschränktem Umfang kann unser Modell sich in poimenischen und homiletischen Übungen an der Theologischen Fakultät darstellen. Ziele dieser Übungen sind die Einführung in Methoden kriti93
scher Reflexion eigener Praxis sowie die Stärkung der Motivation und Hilfestellung zum Finden einer eigenen theologischen Identität. 5. Da die Praktische Theologie nicht nur eine Teildisziplin der Theologie, sondern zugleich ihr ganzheitlicher Aspekt ist, könnte unser Modell Anregungen für eine interdisziplinäre und integrative Zusammenarbeit geben, in der ein Thema von den verschiedenen Disziplinen erarbeitet wird. So ist es beispielsweise vorstellbar, daß Themen wie: Tod und Sterben, oder: Krankheit und Heilung exegetisch, dogmatisch, dogmen- und kirchengeschichtlich und praktisch-theologisch erarbeitet werden, wobei unser Modell die Aufgabe der Praxisbegleitung (Krankenbesuche u.a.) übernehmen könnte. Bei alledem wird unser Modell seine Identität als an der Praxis orientierte Pastoraltheologie zu wahren haben. Denn „wer ... für die Pastoraltheologie eine Lanze bricht, soll nicht vergessen, daß Name und Sache im Streit bleiben müssen, weil die - von der Praktischen Theologie nicht allein, aber in besonderer Weise auszuhaltenden - Spannungen zwischen Theologie und Wissenschaft und zwischen Wissenschaft und kirchlicher Praxis zu den verheißungsvollsten Grundgegebenheiten des christlichen Glaubens zu zählen sein dürften" 11 .
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ANHANG
Dokumentation zum Göttinger Pastoralinstitut 1781-1803 I Brief der Landesregierung betr. Zustimmung zur Errichtung des Pastoralinstituts 1781 Unsere freundliche Dienste zuvor. Ehrwürdig-Wohlgelahrter, günstig guter Freund! Der Professor Koppe, hat Uns zu vernehmen gegeben, wasmaßen ihr den Vorsatz gefasset, unter dem Nahmen eines theologisch-praktischen Kollegii, den dort studirenden, soweit gediehenen Theologen, eine solche Anweisung in Pastoral-Geschäften zu ertheilen, daß sie in dem errichteten neuem Krankenhause, unter eurer Aufsicht zu den öffentlichen AndachtsÜbungen sowol, als auch besonders zu den Privatunterhaltungen mit einzelnen - den Zuspruch eines Predigers wünschenden Kranken, gezogen und angeleitet werden. Gleichwie nun die Nutzbarkeit dieser Art Anweisungen zu Tage liegt, und dergleichen für die Universität von Uns längst gewünschet ist, Wir auch in eure Geschicklichkeit und Treue ein völliges Vertrauen setzen; so ertheilen Wir euch die Vergünstigung zu iener Absicht und daß ihr selbige öffentlich ankündigen auch deshalb euch des ohnehin in eurer Pfarre belegenen Hospitals frei bedienen möget. Wir haben darüber zugleich der theologischen Fakultät Eröfnung gethan, und sind euch zu freundlichen Diensten geneigt. Hannover, den 21. December 1781 Königl. Groß-Britannische zur Churfürstl. Braunschweig Lüneburg. Regierung verordnete Geheimte Räthe. Unterschrift Bestand Predigerseminar Erichsburg. Dienstliche Briefe und Dokumente 1778-1789 I, 2. Landeskirchliches Archiv im Landeskirchenamt Hannover
Göttingen
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II O r d n u n g des Pastoralinstituts Aus: Verzeichniß der öffentlichen Erbauungsstunden im Krankenhause zu Göttingen gehalten von einer geschloßenen Gesellschaft studirender Theologen. Angefangen im May 1782. P. M. Nach der wohlthätigen Errichtung des öffentlichen Krankenhauses in Göttingen wünschte man auch eine den Bedürfnissen der Kranken angemessene Gottesdienstliche Unterhaltung zu veranstalten, und damit eine für die hiesige Universität von Königl. Churfürstl. Landesregierung längst gewünschte Anleitung zu Pastoral-Ubungen für studirende Theologen zu verbinden. Zu diesem Zweck wurde daher in einem gnädigsten Rescript aus Königl. u. Churfürstl. Landesregierung vom 21. Dec. 1781 dem Pastor Η . P. Sextroh aufgetragen, „den auf hiesiger Universität studirenden so weit gediehenen Theologen eine solche Anweisung in Pastoralgeschäften zu ertheilen, daß sie in dem errichteten neuen Krankenhause unter seiner Aufsicht zu den öffentlichen Andachtsübungen so wohl, als auch zu den Privatunterhaltungen mit einzelnen den Zuspruch eines Predigers wünschenden Kranken gezogen und angeleitet werden." Diesem gnädigsten Befehl zufolge ist die Absicht dieses zu errichtenden neuen Pastoraluebungsinstituts unter dem Namen eines Theologisch-praktischen Kollegiums in einem Programm im Monath Feburar 1782 öffentlich bekannt gemacht. Die erste gleich nach Ostern 1782 errichtete Gesellschaft von studirenden Theologen, die zu diesem Pastoralinstitut sich gemeldet, und als Religionsund Menschenfreunde zur gemeinschaftlichen und Privat-Erbauung der Kranken, und zur eignen Vorübung in einem der wichtigsten Geschäfte des Predigtamts nach folgenden gemeinschaftlich bestimmten Grundsätzen und Gesetzen sich haben vereinigen wollen, bestand aus 8 Mitgliedern, die ihre Namen hier selbst unterzeichnet haben: D. J. Pott, aus dem Hannoverschen G . Detharding aus Rostock J. C. Bödeker, aus Osnabrück J. G. Drechsler, aus Koburg Ε. A. Meine, aus Rinteln Η . H . F. Lentin, aus Clausthal P. L. Cropp, aus Hamburg 96
Die Grundsätze und Gesetze dieses Pastoralinstituts zu dem oben· angeführten Zweck, die man bey der ersten Errichtung, bis auf weitere den künftigen Umständen gemäß zu treffende Abänderung, angenommen hat, sind folgende: 1. Jedes Mitglied verpflichtet sich zu diesem einmahl in der Woche und an den Festtagen zu haltenden gemeinschaftlichen öffentlichen Gottesdienste für die Kranken im Spital, wie zu einem besonderen Berufsgeschäfte, und sorgt dafür, daß wenn Unpäßlichkeit oder andre Veranlassungen ihn abhalten sollten, dem in der Ordnung ihn treffenden Tage den Religionsvortrag selbst zu halten, kein Andrer, als ein Mitglied des Pastoralinstituts seine Stelle vertrete. 2. Der Gottesdienst gehet 5 Minut. nach dem Schlage, donnerstags um 10 Uhr, und an den Festtagen um 2 U h r an, und darf in der Woche mit Gesang und Gebet nicht über 30 Minuten, der Vortrag selbst aber nicht über 20 Min. dauern. 3. Die übrige Zeit der Stunde von 10-11 wird theils zur gemeinnützigen freundschaftlichen und summarischen Critik über das Äussere, Anstand, T o n pp des gehaltenen paraenetischen Vortrags, dessen Inhalt die Herren Mitglieder bereits schriftlich in gedrängter Kürze recensiert, und den der zeitige Direktor des Instituts durchgesehen hat, theils zur Revision Relation - und zur gemeinschaftlichen Ueberlegung in Absicht der künftig erforderlichen Privatunterhaltungen mit einzelnen Kranken angewandt.
4. Wer in der Woche den Gottesdienst gehalten, und den Tag, Text und Inhalt seines Vortrags im Verzeichniß der öffentlichen Erbauungsstunden bemerkt hat, übernimmt von der Zeit an, die Woche über, von einem Donnerstage zum andern, eine allgemeine und besondere Pastoralaufsicht über die Kranken im Spital. Die allgemeine Aufsicht wird vorerst in der Accuratesse bewiesen, womit der zeitige Aufseher die a) in seiner Woche ankommenden Kranken beobachtet, sich möglichst genau, den Rubriken im Verzeichniß der Kranken zufolge, nach ihren äußeren Umständen erkundiget, und b) die abgehenden Personen bemerkt. 97
Die Spezial-Aufsicht erfordert eine genaue Erkundigung nach dem Befinden der einzelnen Kranken, um diejenigen zu beobachten, die eine Privatreligionsunterhaltung wünschen oder bedürfen möchten, und in ordentlichen Fällen diese demjenigen anzuzeigen, dem ein solcher Patient bereits zur Specialaufsicht angewiesen worden. Mit den Ankommenden versucht der zeitige Aufseher durch eine freundliche u. theilnehmende Unterredung bekannt zu werden. Ueber denjenigen Kranken, der in der Inspektionswoche zuerst angekommen, behält der zeitige Aufseher auch nachher noch die Spezialaufsicht, wenn er nicht bereits schon einen Patienten zu besuchen hat, oder besondere Umstände eine Aenderung nothwendig machen. Die uebrigen Kranken, die in der Woche aufgenommen worden sind, werden nach Befinden der Umstände bey der Deliberation am Donnerstag einzelnen Mitgliedern zur Spezialaufsicht angewiesen. Auch die Personen, die bald abgehen werden, sind ein Gegenstand der Specialaufsicht und Privatunterhaltung. Der zeitige Aufseher erfährt von dem Verwalter des Krankenhauses den bestimmten Tag des Abschieds, und gibt dem, der den - oder die - Abgehende bisher besucht hat, davon Nachricht. Zu dieser Absicht wird der zeitige Aufseher in seiner Woche, wo nicht täglich einmahl, doch um den anderen Tag das Lazareth besuchen.
5.
Die Mitglieder des Pastoralinstituts wählen unter sich auf den Vorschlag des zeitigen Direktors einen Senior, der ein genaues Verzeichniß der Kranken nach den angenommenen Rubriken hält, welches am Donnerstag revidiert wird. Diesem übergibt der zeitige Aufseher die in seiner Woche gesammleten Nachrichten von den Ankommenden und Abgehenden zum Eintragen in dieses Verzeichniß. In außerordentlichen Fällen, wo periculum in morte eintritt, z . B . wenn jemand plötzlich befallen, oder in einer Woche mehrere Kranke ins Spital kommen sollten, wovon diese - jene Person sogleich sehr schlecht wurde und Religionsunterhaltung wünschte, wendet sich der Verwalter - dem man's nicht zumuthen kann, daß er die Wohnungen der sämtlichen Herren Mitglieder so genau wisse - an den Senior, der dem zeitigen Direktor des Instituts sogleich Nachricht ertheilt. Auch bemerkt der Senior im Verzeichniß der Kranken genau, wem jeder Patient zuerst zur besonderen Aufsicht anvertraut worden ist. Wenn jemand in ungewöhnlichen Fällen bey der Privatunterhaltung Beystand verlangen, oder durch Unpäßlichkeit, Reisen pp an der Fortsetzung der erforderlichen Privatunterhaltung gehindert werden sollte, so wird in jedem Fall der Senior geneigt sein, dessen Geschäft zu übernehmen, 98
und gelegentlich mit dem Direktor des Instituts darüber sprechen. Die Rechnung über die vorfallenden Armen-Ausgaben, die Aufsicht über die Ordnung in den Büchern und im Bureau des Instituts übernimmt der Senior. 6. Auch über die Privatunterhaltungen mit einzelnen Kranken wird ein besonderes und allgemeines Tagebuch geführt. 7. Jedes Mitglied kann zu seiner Belehrung, besonders in Rücksicht auf den zu haltenden Vortrag, die Bücher des Instituts nachsehen, und zu dem Ende von dem Senior oder zeitigen Aufseher sich das Bureau des Instituts im Lazareth gelegentlich öfnen lassen. 8.
Jedes Mitglied des Pastoralinstituts hinterläßt einen oder zween Vorträge, mit Bemerkung des Namens, Vaterlandes, der Jahreszahl und des Tages, an welchem der Vortrag gehalten wurde, im Archiv des Instituts zu seinem Andenken. E v . - l u t h . Stadtkirchenarchiv G ö t t i n g e n ( B e s t a n d : ) S t a d t s u p e r i n t e n d e n t u r , H S .
III Königliche Stiftungsurkunde 1783 G E O R G der Dritte, König und ChurFürst Liebe andächtige Räthe und Getreue, Wir vernehmen gern, daß die, von dem dortigen Prediger zu St. Albani, Sextroh, bisher geführte Pastoralanstalt und praktische Anleitung im öffentlichen Krankenhause von verschiedenen Studiosis Theologiae fleißig besucht worden und dem dabei gesuchten nützlichen Endzwecke allerdings entspreche. Da Wir nun diesen immer mehr zu befördern wünschen, so haben wir sothanes Institut, nach dem von besagtem Prediger entworfenen, und von euch dem Professor Koppen als Directoren des Prediger-Seminarii gebilligten Plan, hirmit förmlich bestätigen, und allen, die daran Theil nehmen, Unseres gnädigen Wohlgefallens auch besondern Schutzes versichern wollen. 99
Wir unverhalten euch ein solches zu eurer Direction auch etwa nöthiger öffentlicher Ankündigung, und sind Hannover, den 3. Mertz 1783 Ad mandatum Regis An die Universität zu Göttingen Bestand Predigerseminar Erichsburg. Dienstliche Briefe und Dokumente 1778-1789 I, 2. Landeskirchliches Archiv im Landeskirchenamt Hannover
Göttingen
IV Schreiben der Landesregierung betr. Dotierung der Stelle des Direktors 1786 Unsere freundliche Dienste zuvor, Ehrwürdig-Hochgelahrter, günstig guter Freund! Wir haben den guten Nutzen des, unter eurer Aufsicht bisher geführten dortigen Pastoralinstituts mit Wohlgefallen bemerkt, und wünschen auch zu dessen Fortsetzung aufmuntern zu können. Es mangelt Uns aber an Mitteln solches durch eine ständige Besoldung zu thun, und müssen Wir Uns dasmal auf eine außerordentliche Belohnung von 50 Rthlrn. beschrenken, die ihr auf angefügte Designation alhier erheben könnet. Ihr erhaltet dabei zugleich eine anderweite Anweisung von 50 Rthlrn. für die ein Jahr lang in der Universitäts Kirche mit versehene Predigten, und werdet euch dadurch anreitzen lassen, diese Bemühung auf dem bisherigen Fuße gleichfalls annoch fortzusetzen. Wir sind euch zu freundlichen Diensten geneigt. Hannover den 13ten Sept. 1786 Königliche Groß-Britannische zur Churfürstlichen Braunschweig-Lüneburgischen Regierung verordnete Geheimte Räthe. Unterschrift Bestand Predigerseminar Erichsburg. Dienstliche Briefe und Dokumente 1778-1789 I, 2. Landeskirchliches Archiv im Landeskirchenamt Hannover
Göttingen
V Bericht über das Pastoralinstitut bei Pütter Aus Pütters „Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen" Göttingen 1788, 246-247. 100
§. 181.
Ausser den bisher beschriebenen Anstalten zur Uebung im Predigen und Catechisiren ist seit dem Jahre 1783 zur Beförderung einer nützlichen Vorbereitung auf die wichtigsten Pastoralgeschäffte, besonders zur Uebung im populären practischen Religionsvortrage und in Privatunterhaltungen mit Kranken, wie auch in der dem Prediger und Seelsorger nothwendigen Menschenbeobachtung und Menschenkenntnis, noch ein eignes Pastoralinstitut nach dem vom Prof. Sextroh angegebenen Plane, errichtet worden. Das königliche Stiftungsrescript vom 3. März und die Grundsätze der Einrichtung dieses Instituts sind in der Nachricht vom königlichen Pastoralinstitute S. 48-65 abgedruckt und die dirigirende Aufsicht über dasselbe ist dermalen dem Prof. Sextroh anvertrauet. Die ordentlichen Mitglieder dieses Instituts, deren Anzahl aus guten Gründen nicht über 12 steigen darf, verpflichten sich zu den bestimmten und erforderlichen öffentlichen und Privatreligionsvorträgen und Unterhaltungen mit den Kranken im hiesigen öffentlichen Krankenhause, nach der Anleitung und Anordnung des Professors der Theologie, der die Aufsicht über das Institut hat. wie zu einem wohlthätigen Berufsgeschäffte. An jedem Sonntage Fest- und Bußtage wird von einem Mitgliede des Instituts, Nachmittags von 3-4 in Gegenwart des Professors und der übrigen Mitglieder, zunächst für die Kranken und die übrigen Personen im Hospitale, in dem mittleren Saale des hiesigen Krankenhauses, eine öffentliche Andachtsübung gehalten. Nach derselben versammlen sich der Professor und die Mitglieder in einem besondern Zimmer zur Conferenz. Hier wird 1. das Aeussere, der Anstand etc. desjenigen, der den Vortrag gehalten hat, beurtheilt. (Das Manuskript des Vortrags selbst circulirt von dem Tage an unter den Mitgliedern zur schriftlichen Recension. Diese übergibt ein jeder besonders dem Professor als dirigirendem Aufseher, der dann wöchentlich in einer dazu bestimmten critischen Stunde die Resultate aus diesen erhaltenen Critiken, und seine eigne Bemerkungen über den Vortrag und jene Recensionen mittheilt) 2. Ein jedes Mitglied, dem religiöse Besuche eines Kranken in der Woche, nach der gegebenen Anweisung, aufgetragen worden, stattet hier von dem Inhalte und der Art seiner Unterhaltung, und dem Resultate seiner dabey gemachten Beobachtungen, Bericht ab. 3. Nach der Lage und Prüfung der Umstände, Bedürfnisse und geäusserten Wünsche der vorhandenen Kranken werden ferner diejenigen Patienten, die Erinnerung, Belehrung oder Ermunterung aus der Religion suchen, einzelnen Mitgliedern auf die Art angewiesen, daß sie diese den Umständen und dem Character einer jeden Person angemessene Unterhaltungen, dem Hauptzweck des künftigen Predigtamts gemäß, versuchen können. 101
Ausserdem hält der Professor, der die Aufsicht über das Institut hat, den Mitgliedern desselben, und anderen Zuhörern, noch besondere Vorlesungen über die ganze Pastoraltheologie, und gibt Anweisung und Gelegenheit zu anderen Pastoralübungen. Diejenigen unter den Theologiestudierenden, die in ihrem letzten academischen Jahre oder Halbenjahre an diesem Institute Theil nehmen, müssen sowohl die wichtigsten theologischen Collegia schon gehört, als auch einige Versuche im öffentlichen Religionsvortrage gemacht haben.
VI Anweisung für die Anfertigung von Fallberichten und ihre Eintragung in das Protokollbuch (Repertorium) 1794 Repertorium über den moralischen und religiösen Zustand der im öffentlichen Krankenhause zu Göttingen sich befindenden Kranken, so wie dieselben von den Mitgliedern des Pastoralinstituts von Zeit zu Zeit beobachtet worden ist. Zum Gebrauch in den gemeinschaftlichen und Privatreligionsunterhaltungen mit den Kranken. Angefangen im Mai 1794. Einige Bemerkungen und Erinnerungen den weisen und nützlichen Gebrauch dieses Repertoriums betreffend. 1. In dieses Buch werden die von jedem Mitglied am Krankenbette gemachten Bemerkungen über die religiösen Bedürfnisse des ihm anvertrauten Kranken, so wie über die Mittel und die Art und Weise, wie und wodurch er jenen Bedürfnissen abzuhelfen sich bemüht hat, entweder von ihm selbst oder von dem jedesmaligen Aufseher eingetragen. Ehe aber diese psychologischen Bemerkungen zum Gebrauch für die übrigen Mitglieder des Instituts eingeschrieben werden können, müssen sie dem zeitigen Direktor vorher zur Durchsicht und Beurtheilung übergeben worden seyn. Dieses Repertorium muß als ein Heiligthum betrachtet und verwahret werden, d. h. es darf nicht in fremde Hände kommen, sondern, so oft einer und der andere sich daraus belehren und seine Religionsvorträge demnach einrichten will, muß es erst dem dazu bestimmten Aufseher über die Hospitalbibliothek angezeigt werden, und dieser sorgt dann dafür, daß es sorglich wieder an seinen Ort gestellt und verschlossen werde. Alle 8 oder 14 Tage werden diese Bemerkungen eingeschrieben, und alle Sonntage nach geen102
digtem Gottesdienst vorgewiesen, und am Ende eines jeden Monats wird das Resultat desselben ausgehoben, um dadurch eine beständige und genaue Ubersicht der ganzen innern Verfassung unsers Instituts zu erhalten. 2.
Jeder Kranke kann und muß von 2 Hauptseiten betrachtet und behandelt werden, von Seiten des Verstandes und Herzens. Nach dieser doppelten Rücksicht müssen nun auch die Beobachtungen, die man am Krankenbette macht, bestimmt und eingerichtet werden. Man sieht also entweder auf die Religionskenntnisse oder auf den Charakter des Patienten. I. 1. 2. 3.
In Absicht der Religionskenntnisse richtet man sein Augenmerk auf ihre Beschaffenheit ihre Ursachen die dabei zu gebrauchenden Berichtigungs- und Erweiterungsmittel, ad 1. U m die Beschaffenheit der Religionskenntnisse zu erforschen, nimmt man vorzüglich Rücksicht a. auf die Gegenstände; Z . B . was für Kenntnisse und Vostellungen hat der Kranke von Gott - von Jesu - von der Religion und dem Christenthum - von der Vorsehung - von den Verhältnissen, in welchen Gott gegen uns und wir gegen ihn stehen - von der Natur und Bestimmung des Menschen von den Mitteln des Heils - von den Pflichten des Menschen - von der Zukunft und Ewigkeit u. dergl. m. b. auf den Umfang der Kenntnisse, die der Kr. von den (Nr. a) genannten Gegenständen hat; wieviel oder wie wenig ist ihm davon bekannt? Von welchen Gegenständen dieser Art weiß er nichts, und von welchen ist er unterrichtet? c. auf den Grad der Richtigkeit, Deutlichkeit und Lebhaftigkeit; ob seine religiösen Vorstellungen wahr oder falsch, klar oder dunkel, mehr oder weniger lebhaft sind. ad 2. Die Ursachen, nach denen man die (Nr. l.a.b.c.) bemerkten größeren oder geringeren Kenntnisse untersuchen und beurtheilen muß, sind: a. innerer - d.h. die natürlichen Verstandeskräfte, ob sie stark oder mittelmäßig oder schwach sind b. äußerer - Erziehung - Unterricht - Beispiel - Lebensart - Alter - Ortund Zeit-Umstände. ad 3. In Ansehung der Berichtigungs- und Erweiterungsmittel kommt es hauptsächlich auf folgende Punkte an: 103
a. Welcher Methode man sich bedienen muß und bedient hat, d.h. wie und wodurch man sich bemühte, die ganz irrigen Vorstellungen zu entfernen und mit besseren zu vertauschen, die halbwahren zu bekräftigen und die richtigen zu erweitern, oder welche Vorstellungen man an jene anknüpft und mit denselben verbunden hat. b. Was man mit dieser Belehrungsart ausgerichtet, ob man seinen Zweck erreicht hat oder nicht. c. Was für einen anderen Weg man eingeschlagen, falls man auf dem ersten nichts ausrichten konnte; und ob und inwiefern man glauben kann, auf diese Art seinen Zweck erreicht oder verfehlt zu haben. II. In Absicht des Charakters macht man ebenfalls zum Gegenstand seiner Beobachtungen 1. dessen Beschaffenheit 2. dessen Ursachen 3. die dabei anzuwendenden Besserungs- und Vervollkommnungsmittel ad 1. Die Beschaffenheit des Charakters sucht man auf folgende Art zu ergründen. Man sieht dabei a. auf die herrschende Gesinnungsart des Kranken und auf ihren moralischen Werth oder Unwerth. Hier sucht man folgende Fragen zu beantworten: Wie ist der Kranke gegen Gott und göttliche Dinge gesinnt? Freut er sich, wenn man sich mit ihm über Religionssachen unterredet, oder ist er dagegen gleichgültig? Sind ihm dergleichen Unterredungen lästig und beschwerlich? Ist sein Herz z.B. mit Neid, oder mit Stolz, oder mit Unversöhnlichkeit, oder mit anderen bösen Gesinnungen erfüllt? Oder findet sich bei ihm das Gegentheil? b. auf die Art, wie er diese Gesinnungsart äußert; ob sie gut oder schlecht ist; wie sich der Kranke während der Krankheit gegen seinen Wärter und die übrigen Kranken und insonderheit gegen den, der ihn besucht, beträgt. Hier muß der Lazarethverwalter erst um die Aufführung des Kranken befragt werden. ad 2. Die Ursachen, aus denen sich die Güte oder die Schlechtheit des Charakters erklären und beurtheilen läßt, sind a. innere - natürlich gute oder schlechte Beschaffenheit des Herzens; ob das Herz weich und leicht zu rühren, oder ob es hart und unempfindlich sei; ob vernünftige und christliche Betrachtungen und Vorstellungen bald und leicht Eindruck auf denselben machen, oder ob es dabei gleichgültig und gefühllos bleibe. - Temperament. c. äußere - Erziehung - Unterricht - Beispiel - Umgang - Lebensart Alter - Ort- und Zeit-Umstände. 104
ad 3. In Rücksicht auf die Besserungs- und Vervollkommnungsmittel wird und muß gezeigt werden: a. Wie man den Kranken von der einen oder andren (Nr. II. 1. a. b.) bemerkten Seite habe kennen lernen nebst Anführung der Gründe für das Resultat, welches man aus den gemachten Beobachtungen gezogen hat; b. durch was für Mittel und Beweggründe man die schlechte Gesinnungsart des Kranken zu verbessern, oder ihn in der guten noch mehr zu befestigen gesucht habe; c. ob und in wie weit diese Mühe von gutem Erfolg oder vergeblich gewesen sey; d. was für innere und äußere Schwierigkeiten die glückliche Bearbeitung des Kranken erschwert, oder welche Umstände sie erleichtert und begünstiget haben; z . B . Sorgen der Nahrung für die Zukunft bei der Hofnung der Wiedergenesung; u. dergl. m. Ehe aber dieser jener Kranke auf die hier beschriebene Art bearbeitet werden kann, muß man sich erst mit seiner Lebensgeschichte, so weit man sie durch Fragen von ihm selbst hat erfahren können, bekannt gemacht haben. Und diese Kenntnis muß man sich gleich bei den ersten Unterredungen mit ihm zu verschaffen suchen. Göttingen, d. 30ten Mai 1794 M. J A C Nöbling z. Director des Instituts Ev.-luth. Stadtkirchenarchiv Göttingen (Bestand:) Stadtsuperintendentur, HS.
VII Krankenbericht aus dem Repertorium 1794
Namen des Kranken und dessen, der ihn besucht: Heinrich Brunke, besucht von Zimmermann. Die Bemerkungen, die ich am Krankenbette dieses alten 66jährigen, ungefähr seit 4 Wochen mir anvertrauten blinden Mannes habe machen können, sind folgende:
A. 1. Deren
Religionskenntnisse
Beschaffenheit
Er hatte von Gott die würdigste und erhabenste Vorstellung, indem er ihn für unsern höchsten Oberherrn, für den hielt, dem wir alles zu 105
verdanken hätten, für den Regierer unserer Schicksale u. für die einzige Hülfe in allen Nöthen und Anfechtungen. - „ J a " - sagte er einmal - „wenn wir Gott nicht hätten, an wen wollten wir uns denn halten, und wie hätte es mir denn da gehen wollen, als ich vor ungefähr 6 Jahren nach . . . mit meiner Frau kam, und dort keinen kannte, als Gott, und das Uebel, das ich jetzt an meinen Augen leide, muß mir doch gut seyn, denn sonst würde er es mir doch wohl nicht zugeschickt haben." Uebrigens schienen seine Kenntnisse von den Religionswahrheiten mir geringe und nicht gründlich genug zu seyn. Zwar gestand er den großen Werth derselben ein, schien auch ihre Tröstungen, die sie besonders Leidenden giebt, zu fühlen und sich über sie zu freuen, aber er wußte sie nicht selbst zu seinem Tröste und zu seiner Beruhigung im Leiden anzuwenden. Wenn ich ihn auf einige Sprüche der Bibel oder auf ganze Geschichten derselben aufmerksam machte, so waren ihm diese entweder ganz unbekannt, oder er wußte doch den Zusammenhang derselben nicht so daß er sie zweckmäßig hätte benutzen können. Daher hörte er sehr aufmerksam zu, wenn ich sie dann und wann mit in unsere Unterredung einmischte.
2.
Ursachen
Eine nicht geringe Ursache dieser Unwissenheit schien mir die durch sein Alter bewirkte Abnahme seines Gedächtnisses zu seyn, welches er auch selbst fühlte, indem er sagte, daß er sonst ein sehr gutes Gedächtnis gehabt und alles gut hätte begreifen und behalten können; aber jetzt schiene ihn dies ganz zu verlassen. - Vorzüglich aber glaube ich, waren es überspannte körperliche Sorgen, die ihn im Nachdenken und Aufbewahren der Religionswahrheiten hinderten, und den Eindruck, den diese auf sein Herz hätten machen können, erstickten.
3. Berichtigungs-
und,
Erweiterungsmittel
Diese zu große Sorge und Bekümmernisse, die sein Herz beschwerten, versagten daher auch mancher Religionswahrheit den Zugang zu derselben, so daß bey meinen ersten Besuchen weder seinen Lebenswandel erforschen noch mich in Religionsgespräche mit ihm einlassen konnte und durfte. Ich sähe mich daher genöthigt, damit noch zu warten und bemühte mich vielmehr, zunächst seinem Herzen, so viel wie möglich alle Sorgen, die das größte Hinderniß seiner Aufmerksamkeit auf wichtige Dinge waren, zu benehmen. Ich machte also den Versuch, ihn ganz wie einen Leidenden und
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Kranken zubehandeln; suchte, so viel ich konnte, die Ursachen seiner Sorgen zu erforschen und wandte meine ersten Besuche blos dazu an, ihn zu trösten, theils durch passende Schriftstellen, theils durch gute Liederverse; ihn vor ängstlichen Sorgen zu warnen und ihn deswegen sehr ernsthaft, aber freundschaftlich Vorstellungen zu machen, wodurch ich denn meinen Zweck recht gut erreichte, und von dieser Behandlungsart bald, zu meinem größten Vergnügen, die erwünschteste Wirkung verspürte, denn da er mich nun als seinen Tröster und theilnehmenden Freund betrachtete, so schenkte er mir sein ganzes Vertrauen, und versprach es mir auf einem Handschlage, in Zukunft ganz geduldig zu seyn, und alle ängstlichen Sorgen fahren zu lassen. - Von nun an schien auch sein Herz wirklich empfänglicher für Religionswahrheiten zu werden, daher suchte ich nun auch, seinem schwachen Gedächtnisse durch öftere Wiederholung einer und derselben Wahrheit zu Hülfe zu kommen. Vorzüglich aber lenkte ich meine Unterredungen mit ihm auf das Verhältniß zwischen Gott und uns hin, wovon er wenig oder fast gar nichts zu wissen schien, und machte ich zwischendurch auch auf einzelne und besondere Wohlthaten Gottes aufmerksam, und ich glaube, wenn ich ihn länger hätte besuchen können, daß ich von dieser angefangenen Methode auch in Zukunft den besten Erfolg hätte hoffen können.
1. Dessen
Beschaffenheit
B. Charakter
Diese Hoffnung machte mir auch sein Herz, das ich, so viel ich Gelegenheit hatte, von einer recht guten Seite habe kennengelernt. - Es schien ganz für Religion und Tugend offen zu seyn: Denn wenn ich mich in den letzten Tagen mit ihm über Religionssachen unterhielt, und ihm dann besonders die unzähligen Wohltaten Gottes recht fühlbar machte, so schien er darüber eine große Freude zu empfinden, welche er noch besonders durch das Verlangen äußerte, daß ich doch bald wiederkommen möchte, indem er sich gerne mit göttlichen Dingen beschäftigte. Ja, es schien ihm sogar unangenehm zu seyn, wenn ich schon abbrechen und ihn verlassen wollte, weil er mich noch immer mit seiner Hand festhielt und zu weinen anfing. Auf meine Frage, woran er denn dächte, wenn er so alleine liege, antwortete er: an Gott, ob man wohl an noch besseres denken könne? - Zum Beyspiele seines guten rechtschaffenen Herzens mag noch eine eigene Erzählung von einem Förster aus seinem Orte dienen. Dieser grobe Mensch, wie er sich ausdrückte, der sich weder vor Gott noch Menschen fürchte und in den Jahren, die er dort zugebracht habe, erst ein einziges Mal 107
zum Abendmahl gewesen wäre, hätte den dortigen Pastoren, einem guten, rechtschaffenen aber kränklichem Mann auf eine sehr ungeziemende Art des Jagen untersagt, welches ihm doch wegen seiner schwächlichen Gesundheitsumstände erlaubt worden wäre. Dies, glaubte er, hätte er sich doch gegen keinen Menschen, am allerwenigsten aber gegen einen Pastoren erlauben mögen, was dieser sich gegen diesen Mann herausgelassen habe. Gegen seine Frau schien er eine aufrichtige Liebe zu haben, indem er dies nicht allein selbst versicherte, sondern auch noch besonders durch die ausnehmende Sorge für sie zeigte. Er denke immer, sagte er, an seine Frau, wie es doch der wohl gehen möge; denn er habe sie krank verlassen, und wahrscheinlich wolle man es ihm nur nicht sagen, daß sie schon todt sey. Dagegen schien ihm aber das unartige Betragen seiner Kinder desto mehr Kummer zu verursachen, indem er es nicht begreifen konnte, wie Kinder so ausarten könnten. Der eine Sohn, der ihn neulich besucht hätte, wäre freilich, seitdem er in Kriegsdiensten wäre, so schlimm nicht, als vorher; aber dagegen wären auch seine andern beiden Söhne desto ärger. Diese achteten ihn gar nicht und bekümmerten sich jetzt auch nicht mehr um ihn. Freylich könne er sie jetzt, da er blind sey, nicht so mehr unterstützen, als er wohl wollte, denn so lange er hätte sehen können, habe er manchesmal Garn ihretwegen gesponnen, dies wäre ihm nun aber ja unmöglich, da ihm Gott dies Leiden auferlegt habe. Deswegen müßten sie ihn ja doch nun auch nicht hassen! -
2. Ursachen Diese Güte seines Charakters war wohl hauptsächlich die Folge eines weichen, leicht zu rührenden Herzens und vorzüglich einer guten Erziehung, welche er genossen zu haben versicherte.
3. Besserungs-
und
Vervollkommnungsmittel
Die Unterredungen, wodurch ich sein von Natur gutes Herz noch mehr im Guten zu vervollkommnen suchte, betrafen nun meistens solche Gegenstände, die sich am besten auf seine Lage und Umstände, so weit ich solche hatte kennen lernen können, bezogen; z.B. wenn ich von den Wohlthaten Gottes mit ihm redete, so blieb ich vorzüglich bey der Wohlthat stehen, die Gott uns dadurch erzeige, wenn er uns Gesundheit schenke und uns vor Krankheit bewahre, weil er von sich rühmte, daß er wenig oder fast gar nicht in seinem Leben krank gewesen wäre. Dies suchte ich seinem Herzen als eine besondere "Wohlthat und Güte Gottes recht nahe zu legen, um ihn dadurch immer mehr zur willigen und geduldigen Ertragung seines gegen108
wärtigen Uebels aufzumuntern, das doch in Vergleichung gegen das viele in seinem Leben genossene Gute nur geringe sey, da er doch den größten Teil desselben in Gesundheit hingebracht habe. War er denn hiervon völlig überzeugt und fand ich sein Herz von wahrer Dankbarkeit gegen Gott erfüllt, so machte ich ihn auch auf die große und wichtige Wohlthat der christlichen Religion aufmerksam, zeigte ihm, welch ein Glück es sey, daß wir in einem solchen Lande geboren wären, wo die christliche Religion herrschend sey, welche Freude diese uns gewähre, wie sehr wir uns durch ihre Trostgründe im Leiden beruhigen könnten und welche frohe Aussichten in die Zukunft uns durch sie eröfnet wären, wodurch wir uns bey den Mühen und Unbequemlichkeiten dieses Erdenlebens aufrichten und unserm kummervollen Herzen Erleichterung und Ruhe verschaffen könnten. Als er seine und seiner Frau gegenseitige Liebe zu einander rühmte, so nahm ich hiervon Gelegenheit, ihm das Glück und die Vortheile einer glücklichen und zufriedenen Ehe zu zeigen und auch diese ihm als eine vorzügliche Wohlthat Gottes vorzustellen. Vergeblich aber suchte ich bey dieser Gelegenheit die Ursache zu erforschen, warum seine Söhne, die doch, wie er sagte, an ihren Eltern ein gutes Beyspiel gehabt hätten, dennoch so übel gerathen wären. Immer fertigte er mich hier mit der seufzenden Antwort ab: Er wüßte es nicht. Wahrscheinlich aber fürchtet er sich vor den Anwesenden, die er um sich sprechen hörte, es mir zu sagen. Ein ander Mal, als er die große Sorgfalt für seine Frau äußerte, gab mir dieses Veranlassung, mich mit ihm über die allwaltende Vorsehung Gottes zu unterreden, die sich über alle Menschen erstrecke und es also auch mit seiner Frau so machen werde, wie es ihr und ihm am heilsamsten und nützlichsten seyn würde. Die Geschichten und Sprüche der Bibel aber, die ich mit anführte, waren: die Geschichte des alten blinden Tobias, woraus ich die unerwartete, aber immer zur rechten Zeit eintretende Hülfe Gottes herleitete; die Geschichte Hiobs und Abrahams, woraus ich die großen Vortheile eines festen unerschütterlichen Vertrauens auf Gott zu beweisen suchte. Einzelne Sprüche, die ich theils zu seiner Beruhigung, theils zum Beweise meines Satzes anführte, waren unter andern folgende: Mat. 6,25-28 u.V. 31-34; Ps. 73,23.24.; lCor. 10,13; Hiob 2,10; 2.Cor. 4,17.18.; Hebr. 12, 6.7. u.a.m. Zu Liederversen aber bediente ich mich von Zeit zu Zeit einiger aus dem Gesänge: Wer nur den lieben Gott läßt walten etc. und den schicklichsten aus dem Gesänge: Befiehl du deine Wege u.s.w. Ev.-luth. Stadtkirchenarchiv Göttingen (Bestand:) Stadtsuperintendentur HS.
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VIII Bericht über das Pastoralinstitut bei Gräffe 1803 Aus: Joh. Fr. Chr. Gräffe: Die Pastoraltheologie nach ihrem ganzen Umfange. Göttingen 1803, 2. Teil, S. VI-VIII. Die Seelsorge, die einen so wichtigen Theil der Pastoraltheologie ausmacht, und auch von keinem Schriftsteller in diesem Fache ganz übergangen wurde, schien mir einer genauem Bestimmung um desto mehr zu bedürfen, je mehr Prediger es geben mag, deren Vorstellungen hierüber mangelhaft sind, und je nöthiger es ist, daß der jüngere Theolog auf jeden Zweig dieses Geschäfts aufmerksam gemacht werde. Auf der hiesigen Universität kommt für mich noch eine besondere Veranlassung hinzu, die Bearbeitung dieses Theils zu beherzigen. Wir haben hier den bedeutenden Vortheil, ein akademisches mit vielen Kranken angefülltes Hospital zu besitzen, dessen Einrichtung für die praktische Bildung der studierenden Mediciner und Theologen gleich nützlich ist. Jedes Mitglied des Königlichen Pastoral-Instituts, dessen Directorat mir anvertrauet ist, erhält einen oder mehrere Kranke zur speciellen Behandlung. Die Resultate seiner Unterredungen, Beobachtungen und angewandten Methoden werden den sämmtlichen Mitgliedern zur Beurtheilung vorgelegt und einer genauen Prüfung von ihnen und von mir unterworfen. Wie viele Gelegenheiten biethen sich nicht unter solchen günstigen Umständen, wo die Kranken zu jeder Zeit besucht werden können, dem Studierenden dar, in der Kunst der Krankenbehandlung sich zu üben, und praktische Versuche anzustellen, wie viel er von den eingesammelten theoretischen Religionskenntnissen zu seinem würklichen Eigenthume gemacht habe, und wie weit er im Stande sey, das scientivisch Gedachte in einer populären herzlichen Sprache zum Nutzen des Leidenden anzuwenden!
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Anmerkungen 1. Einführung 1 Ronald D . Laing, Phänomenologie der Erfahrung, Frankfurt/M. seinen Satz: „Theorie ist die artikulierte Vision der Erfahrung" (17).
2
1969, 11. Vgl. auch
2 Verkündigung und Forschung (Beihefte ζ. Ev. Theol.) 2, 1978, 3. Das Zitat von M. Josuttis S. 1. Vgl. zum ganzen den instruktiven Aufsatz von W . Steck: Tendenzen des praktisch-theologischen Studiums in der Gegenwart, in: W u P K G 6 9 / 1 9 8 0 , 364ff. In die von ihm aufgezeigten Tendenzen läßt sich das vorliegende Modell gut einordnen. ! So z . B . N . Mette in seinem für unser T h e m a wichtigen B u c h : Theorie der Praxis. Wissenschaftsgeschichtliche und methodologische Untersuchungen zur Theorie-Praxis-Problematik innerhalb der praktischen Theologie. Düsseldorf 1978: „Bisher ungenügend berücksichtigt wurde bei der Adaption der klinischen Seelsorgeausbildung im europäischen bzw. speziell deutschsprachigen R a u m , daß sie ein Produkt der amerikanischen Seelsorgebewegung, also in einem ganz bestimmten soziokulturellen Kontext entwickelt worden und davon geprägt ist" (231). 4 J . Scharfenberg in: W . Becher (Hg.), Klinische Seelsorgeausbildung (Schriften der ev. Akademie in Hessen und Nassau, Heft 98) F r a n k f u r t / M . 1972, 165. In seinem Artikel „Seelsorge" in S. Keil (Hg.), Familien- und Lebensberatung. Ein Handbuch, meint er, daß die Klinische Seelsorgeausbildung von den „Praktischen Theologen teilweise argwöhnisch k o m mentiert (würde), die vielleicht nicht ganz zu Unrecht einen Pragmatismus befürchten, der sich mit jeder beliebigen theologischen Theorie amalgamieren läßt" (901). E . Herms stellt lapidar fest, ich litte (übrigens in schöner Eintracht mit D . Solle) „unter der Forderung von Erfahrung statt T h e o r i e " (Theologie - eine Erfahrungswissenschaft. T h e o l . Existenz heute N r . 199. München 1978, 9 0 A n m . 1). O h n e Wertung konstatiert K . - F . Daiber: „Für HansChristoph Piper wird die Gesprächsanalyse zu einem Verfahren des emphatischen (gemeint ist sicher: empathischen!) Nachzeichnens von Gesprächsverläufen, das auf einen expliziten Theorieansatz sogar verzichten kann" (Grundriß der praktischen Theologie als Handlungswissenschaft, M ü n c h e n - M a i n z 1977, 182). Freilich möchte ich mit K. Winkler die Problematik theoretischer und methodologischer Reflexion gerade für die Seelsorge (im Gegensatz zu Beratung und Psychotherapie) hervorheben. Das hängt damit zusammen, daß für den Seelsorger der „ E r f o l g " seines Handelns nicht nur weniger greifbar ist als für den Berater/Therapeuten, sondern auch nicht konstitutiv für sein Handeln. „Für sein berufliches Handeln ist nicht in erster Linie Geschick und Begabung sondern eine Glaubensaussage konstitutiv. Alles methodische Vorgehen b e k o m m t damit von vornherein einen relativen Stellenwert (wobei diese Relativität oft genug zur Vernachlässigung des methodischen Elements geführt hat und verheerenderweise mit ,Unwichtigkeit' verwechselt worden ist!)" (Seelsorge im Vergleich. Berliner H e f t e f. ev. Krankenseelsorge N r . 45, hg. v. Konsistorium der Ev. Kirche in BerlinBrandenburg, Berlin-West 1979, 13). Meine weitgehende Abstinenz im Blick auf Theorie und Abstraktion in meinen „Gesprächsanalysen" und „Gesprächen mit Sterbenden" verfolgt in erster Linie ein didaktisches Ziel: eben die Empathie des Lesers anzusprechen und zu stärken. So fühle ich mich in meinem Anliegen von F . Winter verstanden, der in einer Rezension des Buches „Gespräche mit Sterbenden" (in der Theol. Literaturzeitung 1980, N r . 1, 7 4 f . ) der vorliegenden Art und Weise, Seelsorge-Gespräche auszuwerten, die Bezeichnung „SeelsorgeMeditationen" (als Gegenstück zu den Predigtmeditationen) gegeben hat. 5 Η . H . R ü b e n k a m p , Seelsorgerliches Handeln in den Kasualien. Wissenschaftl. Hausarbeit zum 2. theol. Examen 1974 (Masch.schriftl. Manuskript), 2. Das wird von der Praktischen Theologie selbst sehr wohl erkannt: „Der Pfarrer hat mit Texten und mit Begriffen, er hat aber nicht mit Menschen umzugehen gelernt. E r kann eine neutestamentliche Perikope und einen systematischen Sachverhalt analysieren, aber er bringt aus seinem Studium keine Kategorien
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und Methoden mit, die ihm zu einem verantwortlichen Umgang mit den Menschen verhelfen. Dieser Sachverhalt ist gerade im Sinn der biblischen Texte und der theologischen Zentralbegriffe höchst skandalös. Man kann das Evangelium, das die Zuwendung Gottes zum Menschen verkündigt, nicht weitergeben, ohne sich um die psychische und soziale Situation dieses Menschen wissenschaftlich zu bemühen. Der Arbeitsbereich Seelsorge ist ein eklatantes Beispiel für den Widerspruch zwischen der Vorbildung für den Beruf und der beruflichen Praxis" (M. Josuttis, Praxis des Evangeliums zwischen Politik und Religion. Grundprobleme der Praktischen Theologie. München 1974, 16). 6 Dieser Ansatz wird zunehmend auch in der Erwachsenenbildung und -pädagogik verfolgt. Vgl. dazu H . Siebert, Erwachsenenbildung. Aspekte einer Theorie (Konzepte Sozialwissenschaft 6), Düsseldorf 1972. „ D e r Erwachsene wird hier als Lernsystem und nicht - wie allgemein üblich - als Lernender bezeichnet, um zu verdeutlichen, daß das Lernen der Erwachsenen ein sozial vermittelter Prozeß ist. Nicht nur Lernmotive und Lernbarrieren, sondern auch die Lernfähigkeit des Erwachsenen ist gesellschaftlich determiniert" (118). U n d zum Problem der Theorie der Erwachsenenbildung: „Wünschenswert ist . . . nicht ,die' Theorie, sondern ein vielseitiger, dynamischer Prozeß der prinzipiell unabschließbaren Theoriebildung" (17). Zu diesem erweiterten Lernbegriff vgl. auch den instruktiven Sammelband: Lernende Kirche. Ein Leitfaden zur Neuordnung kirchlicher Ausbildung, hg. v. R. Köster und H . Oelker, München o . J . E s geht in den Beiträgen dieses Buches um die 2. Ausbildungsphase (Predigerseminar), wobei wiederholt auf Erfahrungen mit und aus der Klinischen Seelsorgeausbildung zurückgegriffen wird. Z u m Ganzen vgl. den Band: Bildung als Aufgabe der Kirche (epd dokumentation, hg. v. H . - W . Heßler, Bd. 7) Witten, Frankfurt, Berlin 1972, vor allem die Fragestellungen in dem Nachwort von G . Scharffenorth S. 316 f.: „Wie verhält sich die Forderung, den Menschen zur Freiheit zu erziehen, zu den theologischen Aussagen über den Menschen, die Gesellschaft und ihre Entwicklung? Was bedeutet die Glaubensaussage: ,Das Evangelium befreit von Ängsten, Zwängen und Leistungsdruck' für die Lerninhalte und für die Organisation der Lernprozesse? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Botschaft, daß G o t t sich in Christus jedes Menschen, ungeachtet seiner Begabung und Leistung, annimmt, für die Wahl der Zielgruppen oder die Erfolgskontrolle von Lernvorgängen?" Wir glauben, daß das vorliegende Modell diese Fragen beantwortet. 7 „Alltagswissen" ist nach der Definition der Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen jener „Bestand von alltäglichem Wissen, auf dessen Grundlage die gesellschaftliche Wirklichkeit erfahren wird" (Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen, Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, 2 Bände, H a m b u r g 1973). Vgl. auch N . Greinacher, D a s TheoriePraxis-Problem in der Praktischen Theologie, in: Praktische Theologie heute, hg. v. F . Klostermann und R. Zerfaß, München-Mainz 1974: „ E s gibt bewußtlose, aber keine theorielose Praxis. Diese ist immer durch Theorie mitbedingt. Wer sich dessen nicht bewußt ist, verfällt einer ideologischen Praxis" (107). 8 O . F. Bollnow, D i e Methode der Geisteswissenschaften (Mainzer Universitätsreden 16/ 17), Mainz 1950, 15. Hilfreich ist die Unterscheidung von „Begründungszusammenhang" und „Entdeckungszusammenhang" bei G . Sauter, Wissenschaftstheoretische Kritik der Theologie, München 1973, 308 ff. Sauter wendet sich gegen eine Entwertung des zweiten zugunsten des ersten. „Ein Entdeckungszusammenhang hat heuristische und innovatorische Bedeutung" (315). D i e Methode, die damit verbunden ist, ist - nach einer Formulierung von A . Schlatter die „Direktion für die beobachtende Aufmerksamkeit" (225). Schon C . H a r m s hatte im Zusammenhang der Pastoraltheologie von der „initiativen Methode" (im Unterschied zur „Magistralmethode") gesprochen (Pastoraltheologie in Reden an Theologie-Studierende I, G o t h a 2 1891, 18). Theologische Theoriearbeit ist - nach E. Herms - „sich selbst metatheoretisch kontrollierende handlungsorientierende Theoriebildung im Wechselspiel von Theorie und Erfahrung" (a.a.O. 10). ' N . Greinacher, a.a.O., 114.
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2. Das Modell 1 Α. Μ. Klaus Müller, Die präparierte Zeit. Der Mensch in der Krise seiner eigenen Zielsetzungen. Stuttgart 1972, 541. Ich verdanke diesem Buch und seinem weiteren: Wende der Wahrnehmung. Erwägungen zur Grundlagenkrise in Physik, Medizin, Pädagogik und Theologie, München 1978, sowie einer Begegnung mit Α. M. Klaus Müller mehr, als ich das in dieser Arbeit expressis verbis dokumentieren könnte. 2 Vgl. den Abschnitt „Zur Geschichte der Disziplin" und den Beitrag von A. Exeler/N. Mette: Das Theorie-Praxis-Problem in der Praktischen Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Praktische Theologie heute, hg. v. F. Klostermann und R. Zerfaß, München-Mainz 1974. Philosophisch wurde das Theorie-Praxis-Problem erst von K. Marx in letzter Konsequenz in Angriff genommen. Vgl. dazu seine „Thesen über Feuerbach", der „im Wesen des Christentums nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche (betrachtet), während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird. Er begreift daher nicht die Bedeutung der Revolutionären', der praktisch-kritischen Tätigkeit" (Karl Marx, Auswahl und Einleitung v. F. Borkenau, Frankfurt/M. und Hamburg 1956, 41). E. Bloch hat die „Thesen über Feuerbach" ausführlich interpretiert und gewürdigt, in: Das Prinzip Hoffnung I, Frankfurt/M. 1959, 288 ff. 3 Auf diese Schrift und ihre Bedeutung für die Pastoralpsychologie machte mich der Direktor des Predigerseminars St. Michael in Hildesheim, Dr. H . Büß aufmerksam. Aus der dortigen Bibliothek erhielt ich auch diese und andere Schriften Sextros. Sextro schrieb sich nur in der Anfangszeit mit „h". * Es handelt sich um den ehemaligen „Frankfurter H o f " am Geismar Tor, vgl. F. Saathoff, Geschichte der Stadt Göttingen, 2. Teil Göttingen 1940, 76 (Abbildung). Ein ausführlicher Bericht über die Einrichtung dieses Hospitals findet sich in: Pütter, Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte von der Georg-Augustus-Universität zu Göttingen, 2. Teil (1765-1788) 1788, 264ff.: „Darin sind bisher 15 Betten gewöhnlich immer mit chirurgischen oder anderen Patienten besetzt. Diese werden gleich bey ihrem Eintritt ins Hospital erst mit anderer reinlichen Kleidung (die bey Verlassung des Hospitals wieder mit der eingebrachten vertauscht wird,) sodann auch mit Nahrung, Arzneyen und Hülfeleistung unentgeltlich versehen. Doch sind immer ein Paar Zimmer in Bereitschaft, wo auch vermögende Kranke für mäßige Bezahlung chirurgische und medicinische Hülfe, Pflege, Wartung und Kost haben können..." 4 ' „Moralisch krank" meint im Sprachgebrauch jener Zeit: psychisch krank. 5 Vgl. auch W. Löhes Kritik an den Predigerseminaren: „Vielleicht ist kein einziges Predigerseminar so gestellt, daß es die Kandidaten in's h. Amt einführen könnte. Was hilft es, wenn man noch so viele Predigten schreibt, so lange diese Predigten zu keiner Gemeinde in Beziehung stehen, so lange sie Exercitien sind, bei denen man sich Gemeindezustände denken m u ß . . . Mit einem Wort: man predige und katechisire, so fehlt dem jungen Manne die amtliche Stellung, die Alles und Alles ändert" (Der evangelische Geistliche, Stuttgart 1852, I, 53). 51 Ueber Materialien zum Religionsvortrage an Kranke, Göttingen 1782, 9. 6 Das betreffende Schreiben gibt Sextro nur verkürzt wieder. Den vollen Wortlaut s. Dokumentation I. 1783 folgte ein königliches Schreiben an die theologische Fakultät, das als Stiftungsurkunde des „Königlichen Pastoralinstituts" gelten kann, s. Dokumentation III und bei Sextro 48. 7 Zu den ersten Mitgliedern des Pastoralinstituts gehörte nach dem im Anhang bei Sextro hinzugefügten „Verzeichniß der Namen der bisherigen Mitglieder" auch der spätere hannoversche Senior J. C. Bödeker, der sich sogar zwei Semester (von Ostern 1782-Ostern 1783) eingeschrieben hatte. Vgl. dazu auch die (handschriftliche) Ordnung des Pastoralinstituts aus dem Jahr 1782, Dokumentation II. 8 Eines dieser Protokollbücher ist noch vorhanden, s. Dokumentation VI und VII. ' Auch von diesen Gottesdiensten ist noch ein handschriftliches Dokument vorhanden. Der
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kalliographisch geschriebene Titel lautet: „Verzeichniß der öffentlichen Erbauungsstunden im Krankenhause zu Göttingen, gehalten von einer geschloßenen Gesellschafft studirender Theologen, Angefangen im May 1782." Es wurde bis 1791 geführt und umfaßt Namen des Predigers, Datum, Text und stichwortartige Inhaltsangabe der Predigt. Auf den ersten Seiten dieses Buches ist von der Hand Sextros die Entstehung und die Ordnung des Pastoralinstituts aufgezeichnet, wie sie sich (verändert) auch in seinem Buch wiederfindet. Vgl. Dokumentation II. 10 J. F. C. Gräffe, der 1802-1803 das Pastoralinstitut leitete, hat die Grundsätze der Predigtkritik übernommen. In seiner Schrift: Ueber den Werth academischer homiletischer Vorübungen nebst Beschreibung meines homiletischen Seminariums, Göttingen 1812, schreibt er: „... es kommt uns bei diesem Institute nicht sowohl darauf an, was der Prädicant im Sinne hatte, was er hatte sagen wollen u.s.f., als vielmehr darauf, was er gesagt hat, wie er es gesagt; und welchen Eindruck er auf seine Zuhörer gemacht hat. Dieß ist ja die Hauptsache." Zit. bei E. Koch, Der Prediger als Problem der Predigt in der Homiletik des 19. und 20. Jahrhunderts, in: Das lebendige Wort. Festschrift f. G. Voigt zum 65. Geburtstag. EVA Berlin (z. Zt. der Abfassung dieser Arbeit noch nicht erschienen). " Η . P. Sextroh, Ueber Pflicht, Beruf und Verdienst des Predigers. Tabellarischer Entwurf einer encyclopädischen Einleitung in die ganze Pastoraltheologie zum Gebrauch in Vorlesungen. Göttingen 1786, 18: „Die Pastoralbehandlung der Kranken lehrt die ,Theologia pastoralis clinica'." Man beachte den Anklang an den Namen des Hannoverschen Pastoralklinikums, wenn wir das „Klinikum" auch nicht nur auf die Klinik als solche beziehen, sondern es im Sinne von „Praktikum" verstanden wissen wollen. 111 Sextro hat übrigens die Bedeutung der Erfahrung auch für die Auslegung biblischer Schriften betont. Er wendet sich gegen ein einseitig philologisch-kritisches Studium beispielsweise der Evangelien ohne Berücksichtigung der „Anwendungskunst", zu der „noch andere Kenntnisse, Uebungen und Erfahrungen, als die Anleitung zum Studium der Exegetik nach der gewöhnlichen Einrichtungen darbietet" gehören. „Die bekanntgemachte Erfahrung verschiedener einsichtsvoller Theologen in praktischen Aemtern, denen die Prüfung der Candidaten des Predigtamts anvertraut worden ist, beweißt, wie jene bisweilen unter diesen geschickte junge Männer antreffen, die zwar den Text dieser jener Stelle, die ihnen vorgelegt wird, philologisch erklären, manches aus den Alterthümern erläutern, auch wohl über die kritische Geschichte des Textes sich ausbreiten können; aber auf die Hauptfrage: ,welcher Gebrauch nun von dem Inhalt der erklärten Stelle im Vortrage, in dieser jener bald vorkommenden Situation des Amts . . . gemacht und gezeigt werden müsse?', - entweder verstummen ... oder aufrichtig gestehen:,darauf hätten sie sich nicht gelegt, vielmehr einer veranlaßten freygebigen Voraussetzung zufolge geglaubt, solche Applikation werde sich von selbst finden, die Erfahrung im Amte werde das lehren u.s.w.'. Aber die Beobachtung lehrt, daß sich das nicht so findet. Wer sich nicht vorbereitet, wer kein geübtes Auge, keine Kenntniß, Kraft und Sinn hat, aus der Erfahrung zu lernen, den lehrt die Erfahrung so Etwas nicht." (Ueber die Beförderung des praktischen Studiums der Geschichte Jesu zur Vorbereitung auf das Predigtamt, Göttingen 1785.) Das Lernen aus der Erfahrung muß also gelernt und gelehrt werden! 12 Zu den geistesgeschichtlichen Zusammenhängen vgl. wieder die entsprechenden Abschnitte aus: Praktische Theologie heute (Anm. 2). Hinweise auf das Pastoralinstitut finden sich in der Literatur nur spärlich. Zeitgenössische Berichte bei Pütter (Dokumentation V) und Gräffe (Dokumentation VIII). In der von F. Rupstein verfaßten Gedächtnisschrift für Sextro (Hannover 1839) wird das Pastoralinstitut knapp gewürdigt (26f.), während es Steinmetz in seinem Artikel über Sextro in: Die Generalsuperintendenten von Calenberg (Zeitschr. der Gesellschaft f. nieders. Kirchengeschichte 13/1908, 220ff.) nicht erwähnt. In der RGG 2 IV, 1409 (Artikel „Predigerseminar") findet sich eine kurze Notiz. Joh. Meyer widmet ihm in seiner „Geschichte der Göttinger theologischen Fakultät" (Zeitschrift f. nieders. Kirchengeschichte 42/1937) fünfzehn Zeilen (35). M. Josuttis weist in seinem Literaturbericht: Seelsorge und Psychologie (Verkündigung und Forschung 1/1970, 42, Anm. 13) unter Verweis auf Meyer auf die Bedeutung des
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Pastoralinstituts hin und schreibt dazu: „Bei der jetzigen Struktur der theologischen Fakultäten, die natürlich nicht unveränderlich feststeht, wird man im Augenblick nur eine stärker praxisbezogene, aber nicht unbedingt mit Praxis gepaarte Ausbildung anstreben können" (41-42). Die „Festschrift zum 150-jährigen Bestehen des Hannoverschen Predigerseminars auf der Erichsburg" (hg. v. Ch. Mahrenholz), Hannover 1952, widmet Sextro als dem Begründer des Predigerseminars einige Aufmerksamkeit, gibt auch das Titelblatt seiner Schrift „Uber praktische Vorbereitungsanstalten" wieder (9) - die Bemerkung über das Pastoralinstitut ist aber mißverständlich, da sie das Hauptanliegen Sextros, nämlich die Seelsorge, nicht erwähnt! 15 M. Foucault, Die Geburt der Klinik. Eine Archäologie des ärztlichen Blicks (Anthropologie - hg. v. W. Lepenies und H . Ritter) Frankf./M., Berlin, Wien 1976, 72 ff. Der Empirismus, der dieser Entwicklung zugrunde liegt, läßt sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts zurückverfolgen und ist von Ärzten, die zugleich Philosophen waren, maßgeblich beeinflußt worden. Der Engländer Thomas Willis (1621-1675) formuliert in seinem Werk „Diatribae duae de Fermentione . . . de Febribus" 1659 das empiristische Programm: „Nachdem ich in den Büchern am wenigsten gefunden hatte, was einem wahrheitsdurstigen Geist genügen könnte, beschloß ich, das in lebenden und atmenden Beispielen zu suchen; also saß ich oft bei den Kranken, erforschte ihren Fall mit Sorgfalt, wägte die einzelnen Symptome ab und schrieb sie mit genauen Tagebüchern der Krankheiten auf; dann begann ich darüber eingehend nachzudenken, das eine mit dem anderen zu vergleichen und schließlich den einzelnen Vorgängen allgemeine Vorstellungen anzupassen." Ich verdanke diesen Hinweis dem Medizinhistoriker Fritz Hartmann, dessen vervielfältigtem Vorlesungsmanuskript „Medizin der Aufklärung" (WS 1980/81) ich das Zitat entnahm. 14 Versuch einer academischen Gelehrten-Geschichte (s. Anm. 4), 265. Auch in diesem Zusammenhang wird das Pastoralinstitut erwähnt: „Von den zugleich hiermit in Verbindung gesetzten Pastoralübungen für Theologiestudenten ist oben schon das nöthige gesagt worden." 15 Abgedruckt in: I. Kant, Was ist Aufklärung? Aufsätze zur Geschichte und Philosophie, hg. v. J. Zehbe, Göttingen 1967, 3Iff. " Quellenschriften zur Industrieschulbewegung Bd. 1, mit einer Einleitung v. G. Koneffke, Frankf./M. 1968. "· G. Koneffke a.a.O., XVIII. 17 Sextro hat seine umfangreiche Bibliothek dem Predigerseminar Hannover vermacht. Sie befindet sich jetzt in der Bibliothek des Predigerseminars Hildesheim. Es existiert noch ein alphabetisches Autorenverzeichnis mit Signaturen und der erste Teil eines systematischen Katalogs seiner Bibliothek. Folgende Editionen von Werken Rousseaus, die vor Sextros Schrift „Uber praktische Vorbereitungsanstalten" erschienen sind, lassen sich aus seiner Bibliothek ausmachen: Abhandlung von dem Ursprung der Ungleichheit unter Menschen, Berlin 1756; Aemil oder von der Erziehung, Bern, Frankfurt, Leipzig 1762; Bekenntnisse, Berlin 1782; Collection complete des oeuvres, Zweibrücken 1782 f. 18 Siehe Dokumentation IV. " Siehe Dokumentation VI. 20 Vierteljährige Nachrichten von Kirchen- und Schulsachen 1816, 194. 21 Siehe Dokumentation VIII. 22 Darauf weist auch die Notiz von Joh. Meyer, Geschichte der Göttinger theologischen Fakultät (s. Anm. 12), 46, hin: „.. während Superintendent Graeffe von St. Albani, der das von Sextroh begründete Pastoralinstitut bis zu dessen Auflösung 1804 fortgeführt hatte.." 25 3. Teil der academischen Gelehrten-Geschichte von 1788-1820, von Saalfeld, Hannover 1820; und 4. Teil der academischen Gelehrten-Geschichte von 1820-1837, von Osterley, Göttingen 1838. 24 Landeskirchliches Archiv im Landeskirchenamt Hannover, Bestand Predigerseminar Erichsburg II, 13. 25 H.-W. Jannasch, Pädagogische Existenz. Ein Lebensbericht, Göttingen 1967, 175 ff. 26 Vgl. zur Geschichte: D. Stollberg, Therapeutische Seelsorge. Die amerikanische Seelsor-
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gebewegung. Darstellung und Kritik. Mit einer Dokumentation. München 1969; und H. Faber, Klinische Semester für Theologen, Bern 1965. 27 Vgl. W. Zijlstra, Seelsorge-Training. Clinical Pastoral Training, München 1971; W. Becher (Hg.), Klinische Seelsorgeausbildung, Clinical Pastoral Education (Schriften der ev. Akademie in Hessen und Nassau, Heft 98), Frankf./M. 1972; Themaheft „Klinische Seelsorgeausbildung" Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 62/1973, Heft 4; Themaheft „Klinische Seelsorgeausbildung in der Bundesrepublik Deutschland" Wege zum Menschen 28/1976, Heft 7; Themaheft „Fünfzig Jahre Klinische Seelsorgeausbildung" Wege zum Menschen 27/1975, Heft 7 (mit einer Bibliographie der deutschsprachigen Literatur 1959-1975 v. W. Becher). 28 S. Hiltner, Fünfzig Jahre Clinical Pastoral Education, in: Wege zum Menschen 27/1975, 267f.; Auch M. Josuttis sieht diese Gefahr deutlich: „So begrüßenswert die Initiative der Landeskirchen (im Blick auf den verstärkten Ausbau pastoralpsychologischer Institute) . . . auch sein mag, so darf man doch die Nachteile dieser Entwicklung nicht übersehen. Die Ausklammerung dieser Ausbildungsaufgaben aus dem akademischen Studium entlastet dieses Studium von dem Zwang, sich selbst im Blick auf die künftige Berufspraxis zu reformieren und trägt also zur Konsolidierung der bisherigen unbefriedigenden Lösungen bei." Auf der anderen Seite liegt die Gefahr eines Theoriedefizits für die kirchliche Praxis auf der Hand. (Zur Didaktik der Praktischen Theologie, in: Praktische Theologie heute, hg. v. F. Klostermann und R. Zerfaß, München-Mainz 1974, 563.) 2 ' A.a.O. (Anm. 26), 23. 30 G. Strunk, Bildung als Prozeß verstanden. In: Luth. Monatshefte 9/1970, 176ff. J1 P. Tillich, Uberwindung des Provinzialismus in der Theologie, in: Offenbarung und Glaube, Ges. W. VIII, Stuttgart 1970, 17. 32 P. Tillich, Ges. W. VIII, Stuttgart 1970: Die theologische Bedeutung von Psychoanalyse und Existentialismus (304ff.); Seelsorge und Psychotherapie (316ff.); Der Einfluß der Psychotherapie auf die Theologie (325ff.); der letzte Aufsatz findet sich auch abgedruckt in: F. Wintzer, Seelsorge. Texte zum gewandelten Verständnis und zur Praxis der Seelsorge in der Neuzeit (Theol. Bücherei, Praktische Theologie, Bd. 61) München 1978, 134 ff. 33 Vgl. meinen Aufsatz: Apostolatstheologie und Gemeindeaufbau, in: Monatsschr. f. Pastoraltheologie 45/1956, 145ff. 34 Ich übersetzte seinerzeit: G. van der Leeuw, Unsterblichkeit oder Auferstehung (Theol. Existenz heute 52) München 1956; G. van der Leeuw, Einführung in die Phänomenologie der Religion, 2. Aufl. Darmstadt 1961; J. H . van den Berg, Der Kranke. Ein Kapitel medizinischer Psychologie für jedermann. Göttingen 21974. 35 Vgl. den großangelegten Versuch, die Erfahrung auf der Grundlage der Anthropologie von C. Rogers theologisch zu verstehen, in der Arbeit von A. Zottl, Erfahrung und Gegenwärtigkeit. Dialogische Folien über der Anthropologie von Carl Rogers, Göttingen 1980, bes. das 4. Kapitel: Die theologische Folie (326ff.). Dies Buch macht Rogers für die Theologie fruchtbar - weit über die gängige, oft kurzschlüssige Adaption gesprächstherapeutischer Methoden hinaus. 36 Vgl. meinen Bericht: Praktikum für Gesprächsführung in Utrecht, in: Wege zum Menschen 17/1965, 217f. 37 Vgl. meinen Bericht: Pastoralklinikum. Bericht aus dem ersten europäischen Zentrum f. klinische Seelsorge-Ausbildung in den Niederlanden, in: Wege zum Menschen 20/1968, 492; wieder abgedruckt in: H.-E. Heß und Η. E. Tödt (Hg.), Reform der theologischen Ausbildung III, Stuttgart-Berlin 1969, 137ff. 3 ' Vgl. meinen Bericht. Ein Zentrum für Clinical Pastoral Training in Hannover, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 59/1970,418ff.; wieder abgedruckt in: W. Becher (Hg.) Klinische Seelsorgeausbildung, a.a.O. (Anm. 27) 153ff.; und meine Darstellung: Klinische Seelsorge-Ausbildung (Berliner Hefte f. ev. Krankenseelsorge Nr. 30, hg. v. Ev. Konsistorium Berlin-Brandenburg) Berlin 21973. 39 Das Pastoralklinikum ist darüber hinaus Mitglied der „Arbeitsgemeinschaft Seelsorge",
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eines Zusammenschlusses derjenigen Institutionen in der hannoverschen Landeskirche, die in der seelsorgerlichen Aus-, Fort- und Weiterbildung tätig sind. Die Arbeitsgemeinschaft ist einem Kuratorium verantwortlich. Derzeitiger geschäftsführender Vorsitzender ist der Verf. 40 Vgl. meinen Aufsatz: Isolation bekämpfen. Zur Ausbildung in der Gefängnisseelsorge, in: Ev. Kommentare 11/1978, 730ff. 41 Vgl. meinen, gemeinsam mit E. Olszowi geschriebenen Aufsatz: Der Hausbesuch in der Gemeinde. Erfahrungen mit einem Kurs Klinischer Seelsorge-Ausbildung, in: Wege zum Menschen 31/1979, 308 ff. Deutscher Ausschuß für das Erziehungs- und Bildungswesen: Zur Situation und Aufgabe der deutschen Erwachsenenbildung (1960), Stuttgart o.J. 20. 42 Vgl. A. Exeler/N. Mette, Das Theorie-Praxisproblem in der Praktischen Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Praktische Theologie heute (s. Anm. 2): „Die Praktische Theologie bzw. Pastoraltheologie als Universitätsdisziplin ist in ihrem Ursprung eine theologische Krisen Wissenschaft'" (67). Ähnlich N . Greinacher (a.a.O., 103): „Das Verhältnis von Theorie und Praxis wird in der Kirche vor allem dann problematisch, wenn die Kirche sich in einer Identitätskrise befindet und sich ihrer Funktion in der Gesellschaft nicht mehr sicher ist." 43 G. von Rad, Theologie des Alten Testaments, München I 31961, 61 ff.
3. Struktur und Didaktik 1
R. Guardini, Der Tod des Sokrates (Rowohlts deutsche Enzyklopädie) Hamburg 1956,
35. 2 R. Strömbach, P. Fricke, Η . B. Koch, Supervision, Gelnhausen 1975, 3. Eine differenzierte Bibliographie zur Supervision findet sich in: Sozialpädagogik Heft 6, 1977, 282ff. Das Standardwerk für Supervision im kirchlichen Bereich ist: H . Andriessen, Pastorale Supervision, München 1977. Siehe auch das Themaheft: Supervision in der kirchlichen Praxis, Wege zum Menschen 29/77, Heft 7. 3 O . Herz (Hg.), Blickpunkt Hochschuldidaktik 35. Praxisbezug im Studium. Dokumentation des Kongresses vom 20.-22. 11. 1974 im Congress-Centrum Hamburg 1975. 4 Th. Boman, Das hebräische Denken im Vergleich mit dem Griechischen. Göttingen 21954, 35. 5 L. Nelson, Die sokratische Methode, in: Vom Selbstvertrauen der Vernunft. Schriften z. kritischen Philosophie und ihrer Ethik, hg. v. G. Henry-Neumann, Hamburg 1975. L. Nelson (1882-1927) schreibt über seine trostlose Schulzeit: „Was die Schattenseiten der Schuljahre betrifft, so glaube ich, daß sie weniger auf Rechnung des Zwanges an sich als gerade auf den Mangel an wahrer geistiger (und körperlicher) Beschäftigung und die Abspeisung mit mechanischem und totem Lehrstoff kommen." Und über das wissenschaftliche Studium: „Ich habe bis vor nicht vielen Jahren in der Einbildung gelebt, die reine Wissenschaft sei das höchste und einzige Gut, sie allein könne, würde und solle mein Leben ausfüllen.. Von diesem Irrtum bin ich gründlich befreit. In der Geisteswissenschaft allein liegt nur noch der Zweck des Lebens und ihr allein auch hat die Pflege der Wissenschaft ihren wahren und höchsten W e n . Philosophie wenigstens, diese Königin der Wissenschaften, ist eine soziale Wissenschaft und kann nur als solche gedeihen" (zit. in der „Zeittafel zum Leben Leonhard Nelsons", a.a.O. 239). ' Vgl. dazu: W. Schulz, Die Institutionalisierung der Katechetik an den deutschen Universitäten unter dem Einfluß der Sokratik - dargelegt am Beispiel J. F. C. Gräffe. Theol. Diss. Göttingen 1979 (masch.schr.). 7 Vgl. H . Siebert, Erwachsenenbildung. Aspekte einer Theorie. Düsseldorf 1972, bes.: „Der Erwachsene als Lernsystem", 118 ff. 8 Nelsons Methode gewinnt z. Zt. wieder an Aktualität. 1979 wurde eine „Zeitschrift für Didaktik der Philosophie" gegründet, die sein Anliegen aufnimmt und weiterführt. Von der
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Mitherausgeberin der Zeitschrift, G. Raupach-Strey, Hannover, wurde ich auf die Verwandtschaft der sokratischen Methode Nelsons mit der Didaktik der Klinischen Seelsorgeausbildung aufmerksam gemacht. ' „Die sokratische Methode i s t . . . nicht die Kunst, Philosophie, sondern Philosophieren zu lehren, nicht die Kunst, über Philosophen zu unterrichten, sondern Schüler zu Philosophen zu machen" (193). 10 Nelson, a.a.O. 205.
4. Erfahrung 1 P. Ricoeur, G. Marcel, Gespräche. Frankf./M. 1970, 103. Vgl. auch Luthers Ausspruch: „Im deutschen Sprichwort sagt man von einem jungen Arzt, daß er einen neuen Kirchhof haben müsse, von einem jungen und unerfahrenen Juristen, daß er alles in Streitigkeiten verwickle, von einem jungen Theologen, daß er die Hölle mit Seelen fülle. Denn sie wollen alles ohne die Erfahrung, die allein klug macht, nach ihren Gesetzen und Regeln fertigbringen; darum laufen sie an und irren, sehr den Menschen zum Schaden wie der Seele" ( W A 42, 505, 15-20; zit. nach: Luther Deutsch, Ergänzungsband III Luther-Lexikon, 96). 2 H. Asmussen, Die Seelsorge, München Ί 9 3 5 , 15. 3 G. Süßmann, Die Rolle von Erfahrung und Denken bei Albert Einstein, in: Kommunikation, Festgabe f. Noack, Kassel 1965, 46. 4 H . - G . Gadamer, Sprache und Verstehen, in: H.-G. Gadamer u.a., Sprechenlernen und verstehen, Stuttgart 1971, 21. 5 Umgekehrt ist Verstehen an Erfahrung gebunden. Diese hermeneutische Grundeinsicht streicht K. Holl bei Luther heraus: Luthers Bedeutung für den Fortschritt der Auslegungskunst, in: Ges. Aufs. z. Kirchengeschichte I, Tübingen 7 1948, 549: „Der Zusammenhang zwischen Auslegung und eigenem Erleben, die Bedingtheit des Verstehens durch eine innere Angleichung an die im Wort ausgedrückte Sache ist ihm (Luther) bereits vollkommen deutlich geworden." 6 Es kann auch geschehen, daß das neue Widerfahrnis früherer Erfahrung derart widerspricht, daß ich gezwungen bin, meine frühere Erfahrung zu revidieren - auf diesem, als außerordentlich schmerzhaft erlebten Prozeß - beruht jede Veränderung von Attitüde und Verhalten. 7 Ueber die Bildung der Jugend zur Industrie, Göttingen 1785, 137. 8 Ronald D. Laing, Phänomenologie der Erfahrung, Frankf./M. 2 1969, 29. 9 Dieser Satz ist in Α. M. Klaus Müllers Werk ein Leitsatz, z . B . Die präparierte Zeit, Stuttgart 1972, 275. 10 Das schließt eine theologische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen psychologischen Deutungsmodell mit ein. Vgl. D. Stollberg, Wahrnehmen und Annehmen. Seelsorge in Theorie und Praxis, Gütersloh 1978: „Verschiedene psycho-therapeutische Verfahren haben Eingang in die seelsorgerliche Methodik gefunden. Sie alle müssen von Situation zu Situation kritisch überprüft werden, ob sie eine Hilfe sind, die Bedingungslosigkeit der Gnade Gottes auszusagen, oder ob sie irgendeine Art neuer Gesetzlichkeit, Werkgerechtigkeit und Moral implizieren, die den Klienten wiederum auf den Weg des Aberglaubens an die eigene Fähigkeit, sich selbst moralisch zu rechtfertigen, brächte" (48). Stollberg setzt sich in diesem Zusammenhang kritisch mit der Verhaltenstherapie auseinander. Dagegen erscheinen „die von der Freudschen Psychoanalyse herkommenden Verfahren eher geeignet.., den Zielen der Seelsorge . . . zu dienen" (49). Vgl. dazu vor allem J. Scharfenberg, Sigmund Freud und seine Religionskritik als Herausforderung für den christlichen Glauben, Göttingen Ί 9 7 1 , und die entsprechenden Aufsätze von P. Tillich (s. Anm. Teil 2, 32). " Deutsch: Interviews mit Sterbenden, Stuttgart, Berlin 1971. 12 H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 4 1975. 13 Hieran schließt sich ein außerordentlich bedeutsamer Aufsatz von Α. M . Klaus Müller an:
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„Vom Sinn des Leidens", in: Die vielen Namen Gottes. Festschr. f. G. Heinz-Mohr, hg. v. M. Krauss u. J. Lundbeck, Stuttgart 1974, 311 ff.: „Unser Weltbild ist auf Aktion gestellt, und Hoffnung wird in der Regel über Veränderung durch Aktion errichtet. Die Bedeutung des Leidens erschließt sich aber erst dort, wo nicht Aktion, und damit Verfügbarkeit, sondern Interaktion und damit immer zugleich Unverfügbarkeit die höhere Priorität gewinnt. Eine Bedingung dafür, daß Interaktion als eine Mischung aus strukturellem und personalem Wechselspiel für die lebendige Wahrnehmung produktiv wird, ist Solidarität. In das Zustandekommen von Solidarität in einer Gruppe sind aber stets leidvolle Prozesse investiert, und es kann kein ,Lernziel Solidarität' geben, ohne daß von eben solcher leidvoller Erfahrung selbst etwas erhofft wird." Diese Gedanken weisen voraus zu unseren weiteren Überlegungen.
5. Die Gruppe 1
M. Buber, Das dialogische Prinzip, Heidelberg 1962, 185. Die Literatur zur Kleingruppenforschung ist unüberschaubar geworden. Da es uns in unserer Untersuchung um den Lernaspekt geht, greifen wir auf eine der ersten deutschsprachigen Publikationen zur Gruppendynamik zurück, die diese ebenfalls für die Erwachsenenpädagogik fruchtbar zu machen suchte: T. Brocher, Gruppendynamik und Erwachsenenbildung (Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, hg. v. d. Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschulverbandes) Braunschweig 1967. Wir finden in diesem Ansatz das, was sich in der Klinischen Seelsorgeausbildung unter der Bezeichnung „Gruppendynamik" abspielt, am besten wiedergegeben. Die amerikanische Forschung auf dem Gebiet der Gruppendynamik und ihre Relevanz für die Theologie hat A. Hollweg in einer großangelegten Arbeit dargestellt: Theologie und Empirie. Ein Beitrag zum Gespräch zwischen Theologie und Sozialwissenschaften in den USA und in Deutschland, Stuttgart 1971. J Aus der Arbeit des Pastoralklinikums heraus ist kürzlich eine Dissertation erschienen: E. Engelke, Sterbenskranke und die Kirche, München-Mainz 1980. Engelke war von 1973 bis 1976 Mitglied des Teams im Pastoralklinikum. ' R. Battegay, Der Mensch in der Gruppe, Bern-Stuttgart-Wien III, ; 1972, 48. 5 W. Zijlstra, Seelsorge-Training. München-Mainz 1971. ' Vgl. meinen Aufsatz: Einflüsse psychischer Strukturen auf Predigt und Seelsorge, in: Ev. Theologie 35/1975, 60f. 7 Die präparierte Zeit, Stuttgart 1972, 423. 8 P. Tillich, Sein und Sinn, Ges. W. XI, 70 ff. Auch W. Zijlstra verweist in diesem Zusammenhang auf Tillich: „Im Gruppen- und Lernprozeß des CPT geht man von der anthropologischen Voraussetzung der Polarität zwischen Individualisation und Partizipation (Tillich) aus" (a.a.O. 17). Von ihm habe ich auch das Schaubild 6 übernommen. J. Illies sieht die Zusammengehörigkeit von Individualität und Gruppenstruktur nicht allein individualpsychologisch begründet, sondern versteht sie als Ergebnis eines „gruppendynamischen Evolutionsprozesses", vgl.: Biologie und Evolution des Gruppenverhaltens, in: Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik V, 1972, (hg. v. R. Battegay u.a.) 126/127: „Wir kennen als Menschen aus eigenem Erleben die entlastende Funktion gelungener Solidarisierungen und dürfen annehmen, daß es den Tieren hier nicht anders geht. Der feste Platz in der Gruppenstruktur - das Ruhen in der Ordnung - erlaubt dem Individuum den Verzicht auf ständige Revierverteidigung und ist damit kräfteschonend. Darin aber liegt ein unmittelbarer Selektionsvorteil, denn in solchem Gruppenfrieden werden den einzelnen die Hände frei (bei Affen gilt dies Bild ganz wörtlich!) für ein spielerisches, intentionales Verhalten, das sogar kreativ sein kann. N u r durch personale Entfaltung ihrer Mitglieder kann so eine Gruppe von hohem Strukturwert entstehen, zugleich aber findet der einzelne nur im Schutz und in der Geborgenheit einer solchen Gruppenstruktur den Freiheitsraum für personale Entfaltung. Individualität und Gruppenstruktur bedingen sich also gegenseitig und bilden in ihrer funktionalen Einheit einen hohen Selektionsvorteil. In dieser Sicht ist die Menschwerdung nicht nur 2
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als ein anatomisch-physiologischer oder als individualpsychologischer, sondern auch als gruppendynamischer Evolutionsprozeß zu verstehen. ' Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, Heidelberg 1951, 33f. 10 F. Riemann, Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. München-Basel 1973. 11 Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, 36.
6. Kommunikation ' Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, Heidelberg 1951, 44. Zu diesem und dem nächsten Kapitel vgl. R. Riess, Seelsorge. Orientierung, Analysen, Alternativen. Göttingen 1973, bes. das Kapitel „Seelsorge und Kommunikation" 102ff.; und: E. Winkler, Kommunikation und Verkündigung (Aufsätze und Vorträge z. Theologie u. Religionswissenschaft, hg. v. E. Schott u. H. Urner, Heft 69) Berlin 1977. 2 D. Wyss, Beziehung und Gestalt, Göttingen 1973: „Austausch ist das der Kommunikation übergeordnete Regulans" (175). 3 D. Wyss, Mitteilung und Antwort. Untersuchungen zur Biologie, Psychologie und Psychopathologie von Kommunikation, Göttingen 1976, 38. Vgl. den ganzen Abschnitt: Mangel und Bedürfen als Grund von Kommunikation, 35 ff. 4 P. Watzlawick, J . H. Beavin, D. D. Jackson, Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien. Bern-Stuttgart-Wien 4 1974, 37. 5 Diese Methode haben wir von dem amerikanischen CPT übernommen (R. L. Dicks, vgl. D. Stollberg, Therapeutische Seelsorge, München 1969, 51 ff.). Zur Methodik der Analyse von Verbatims vgl. W. Becher, Die Gesprächsprotokollanalyse, in: W. Becher (Hg.), Seelsorgeausbildung. Theorien, Methoden, Modelle. Göttingen 1976, 77ff.; H. Faber, Die Gesprächsanalyse in der Klinischen Seelsorgeausbildung, in: W. Becher (Hg.), Klinische Seelsorgeausbildung (Schriften der ev. Akdademie in Hessen und Nassau Heft 98) Frankf./M. 1972, 43 ff. Übrigens läßt sich schon bei S. Freud die nachträgliche Analyse eines aus dem Gedächtnis aufgezeichneten Gesprächsverlaufs nachweisen, vgl. H. Argelander, Das psychoanalytische Erstinterview und seine Methode, in: Psyche 32/1978, 1089ff. 6 Es ist auffallend, daß das Wesen mitmenschlicher Kommunikation häufig von seinen Störungen aus angegangen worden ist. Oft waren es Arzte und Psychiater (Jaspers, Wyss, Watzlawick), die bahnbrechende Forschungen dazu beigetragen haben. Aber auch M. Buber antwortete auf die Frage von C. Rogers, auf welchen Wegen er sich sein Wissen vom Menschen und seinen Beziehungen angeeignet habe: „That is rather a biographical question . . . I'm not entirely a stranger in . . . psychiatry, because when I was a student long ago I studied three terms psychiatry and what they call in Germany Psychiatrische Klinik. I was most interested in the later . . . I had the feeling that I wanted to know about man, and man in the socalled pathological state . . . I wanted to see, if possible to meet, such people and, so far as I can remember, to establish a sane man and what we call a pathological man." Das Protokoll dieses faszinierenden Dialogs zwischen Martin Buber und Carl Rogers aus dem Jahre 1952 steht in: Psychologia, an international Journal of Psychology in the Orient. Kyoto/Japan III, 1960, 208-221. 7 Vgl. hierzu besonders mein Buch: Gespräche mit Sterbenden, Göttingen 2 1980, und auch: Gesprächsanalysen, Göttingen 3 1980, passim. D. Wyss (Beziehung und Gestalt, Göttingen 1973) führt diesen Aspekt der Sprache auf die „antilogische Grundverfassung des Subjektes" zurück. „Die Darstellung und Beschreibung des Gefühls der Niedergeschlagenheit oder der Wehmut bedarf des dieses Gefühl veranschaulichenden Bildes, einer Handlung (aktiv/passiv) oder einer Lebenssituation (pathisch, Widerfahrnis)" (192). „Der reflektierte Begriff, das Urteil, können Aussagen des Gefühls, aber auch der Triebe und der Stimmungen in ihrem eigentlichen ,Was und Wie' nicht vermitteln, sie geben nur allgemein verbindliche Korrelationen wieder. Ich muß vielmehr um die Einzelheiten, die Spezifität einer Stimmung darzustel-
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len, zu Situationen, zu Bildern, zu Handlungsschilderungen greifen, um mit diesen mein Anliegen dem anderen zu veranschaulichen. Wird der Begriff dagegen fallengelassen, beobachte ich den Gesichtsausdruck z.B. der niedergeschlagenen Bauersfrau oder des wehmütig trauernden Mannes, erfühle ich unmittelbar auf der vorlogischen Ebene ihren Zustand" (192). „Im aperspektivischen Innern (Psyche), in Traum und Tagtraum, in Phantasie, Mythos und Bildgeschehen bin ich mit meiner Heterogenität identisch, da ich sie nicht mehr reflektiert wahrnehme" (194). Vgl. dazu auch das nächste Kapitel. 8 Darauf verweist mit allem Nachdruck, wenn auch mit einem allzu skeptischen Unterton, was die Methode der Gesprächsanalyse betrifft, D. Rössler: Methoden in der kirchlichen Ausbildung, Wege zum Menschen 29/1977, 433 ff., bes. 436 f. 8b Die ausführliche Analyse dieses Gesprächs findet sich in: Das missionarische Wort 34/ 1981 Heft 2, 69ff. ' Th. Hora, zit. bei Watzlawick, a.a.O., 37. 10 H . Asmussen, Die Seelsorge, München J1935, 16. 11 Wie sehr Menschen in einer seelischen Krise auf dies Zuhören angewiesen sind, geht eindrucksvoll aus dem Bericht einer Betroffenen hervor: „Ich hätte gern mit jemandem gesprochen, aber mit wem? ... Mein Gott, gibt es wirklich niemand, der zuhört? ... Wer kann auf dieser Welt zuhören? ... Sein (des Menschen) schwerstes Problem ist das Bedürfnis, jemand zu haben, der als menschliche Seele zuhört. Der Mensch muß seine Gedanken jemandem anvertrauen können, wenn er sich bemüht, zu ergründen, warum er geboren ist, wie er leben soll und welches sein Schicksal ist. Es würde genügen, uns zuzuhören, denn jemand haben, der uns in Ruhe zuhört . . . ist das tiefste Bedürfnis unserer Seele. Es genügte, wenn wir mit ihm sprechen würden, er verstünde unsere innere Sprache, unser Entsetzen, unsere Auflehnung . . . unsere Leiden ... Er würde sich nicht von uns abwenden" (72/73). J e m a n d erzählen, der zuhört! Das war das einzige, was ich brauchte ... Sprechen können! Nicht allein sein ..." (235). Aus: Jeannie Carette, Ich hab' dich auf die Welt gebracht, Freiburg 1974. 12 Vgl. dazu W. Schmidbauer, Die hilflosen Helfer. Uber die seelische Problematik der helfenden Berufe. Reinbek b. Hamburg 1977; D. Stollberg, Wahrnehmen und Annehmen, Gütersloh 1978, 25ff.; und meinen Aufsatz: Uber die Schwierigkeit, Lasten anderer zu tragen, in: Radius 22/1977, H . 2, 30ff. 13 H . Faber-E. van der Schoot, Praktikum des seelsorgerlichen Gesprächs, Göttingen Ί 9 8 0 . Natürlich gehen nicht alle Kommunikationsstörungen auf das Konto des Seelsorgers. Es ist wichtig, auch die Störungen auf Seiten des anderen wahrzunehmen. Im Zusammenhang mit seinem 1. Axiom zwischenmenschlicher Beziehung: „Man kann nicht nicht-kommunizieren" weist Watzlawick auf eine Art von Störungen hin, die darin besteht, „die eigenen Aussagen oder die des Partners zu entwerten, d.h. sie - absichtlich oder unabsichtlich - einer klaren Bedeutung zu berauben. Hierfür gibt es eine Reihe semantischer Möglichkeiten, wie Widersprüchlichkeit, Ungereimtheiten, Themawechsel, unvollständige Sätze, absichtliches Mißverstehen . . . und dergleichen mehr" (a.a.O., 75). Damit gibt der Partner zu verstehen, daß er die Kommunikation nicht will. 14 W. Zijlstra, Seelsorge-Training, München-Mainz 1971, 37. 15 Dies richtet sich gegen eine teilweise stark formalisierte Ausbildung in der „Gesprächspsychotherapie" nach Rogers/Tausch. " P. Matussek, Seelsorge heute: Aus der Sicht eines Psychotherapeuten, in: J. M. Reuß (Hg.), Seelsorge ohne Priester? (Schriften der kathol. Akademie in Bayern, Bd. 75), Düsseldorf 1976, 107. Dieser Aspekt der Seelsorge ist vor den stark psychotherapeutischen und beraterischen Impulsen, welche die Seelsorge in den letzten Jahren geprägt haben, vielfach in den Hintergrund getreten. Beraterische Regeln und therapeutische Techniken wurden oft unreflektiert auf die seelsorgerliche Situation übertragen. Die Notwendigkeit einer speziellen beratenden und therapeutischen Seelsorge ist unbestritten - dennoch stehen wir vor der Aufgabe, die Grenzen und Chancen der Seelsorge in einer „normalen" Situation eines Gemeindepfarrers
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wahrzunehmen. Mein Anliegen, vor allem in dem Buch: Gesprächsanalysen, Göttingen 31980, war es, Situationen aus dem Alltag des Gemeindepfarrers herauszustellen und zu untersuchen. In seinem Buch: Wahrnehmen und Annehmen (Gütersloh 1978) unternimmt D. Stollberg einen bemerkenswerten Versuch, die Seelsorge aus ihrer therapeutischen Engführung zu befreien, vgl. S. 20ff.: Der Begriff der Seelsorge: das generelle Proprium.
7. Sprache 1 F. Nietzsche, zit. b. K.Jaspers, Die Sprache, München 1964, 61 ( = Abdruck aus: Von der Wahrheit II, München 21958). Vgl. zu diesem Kapitel auch: J. Scharfenberg, Seelsorge als Gespräch, Göttingen 1972, bes. § 1: Seelsorge und Sprache. 2 Selbstverständlich sind Watzlawicks Axiome zwischenmenschlicher Kommunikation, auf die wir uns vor allem im vorigen Kapitel bezogen, auch für die Predigtanalyse hilfreich, so wie das Sprachmodell, das wir diesem Abschnitt zugrunde legen, auch bei der Gesprächsanalyse unersetzliche Dienste leistet. Ich habe diese Bezüge hinüber und herüber in meinem Aufsatz: Kommunizieren-lernen in Seelsorge und Predigt, Wege zum Menschen 32/1980, 138ff. stärker berücksichtigt als - um der besseren Übersichtlichkeit willen - in dieser Arbeit. 2 ' Vgl. dazu mein Buch: Predigtanalysen. Kommunikation und Kommunikationsstörungen in der Predigt. Göttingen und Wien 1976; H. van der Geest, Du hast mich angesprochen. Die Wirkung von Gottesdienst und Predigt, Zürich 1978; und meinen Artikel: Religiöse Kommunikation. Predigtanalysen, in: Die Psychologie des 20. Jahrhunderts, Bd. XV, Zürich 1979, 406 ff. 3 H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 4 1975, 359. 4 K. Heeroma, Der Mensch in seiner Sprache, Witten 1963, 117f. 5 K. Bühler, Die Axiomatik der Sprachwissenschaften (1933), Frankf./M. 2 1969 (Quellen der Philosophie 10, hg. v. R. Berlinger); Ders., Sprachtheorie (1934) Stuttgart 21965. Die wiedergegebene Zeichnung daselbst 28. Der Begriff „Organon-Modell" knüpft an Plato an, der die Sprache als „Organon" bezeichnet, „um einer dem anderen etwas mitzuteilen". Bühlers Arbeiten sind weithin vergessen worden, so daß neuere Untersuchungen zur Kommunikationsforschung als neue Erkenntnisse darstellen, was Bühler bereits vor 45 Jahren beschrieben hat. Dabei berücksichtigt Bühler die Mehrdimensionalität mitmenschlicher Kommunikation mehr als die sozialpsychologischen Theorien, die sich mehr für eine störungsfreie Vermittlung von Informationen interessieren. K. W. Dahm hat an letzteren Theorien angeknüpft, um den Kommunikationsprozeß der Predigt zu erhellen (Beruf: Pfarrer, München 1971, 310 ff.) Im Vergleich zu Bühlers Sprachmodell wird deutlich, warum dies unbefriedigend bleiben mußte. Die Linien von Bühlers Sprachmodell lassen sich bis zu dem „Dreieck" in R. Cohns „Themenzentrierter interaktioneller Methode" (Ich - Wir - Es) ausziehen. ' E. Ströker in ihrem Kommentar zu Bühler, in: Die Axiomatik der Sprachwissenschaften, a.a.O., 148. 7 F. Diergarten, Zur Störung des Zusammenhangs zwischen verbaler und averbaler Sprache, in: Dynamische Psychiatrie 11/1978, Heft 4, 333ff. 8 K. Heeroma, Die Sprache der Theologie, in: J. D. Bellmann (Hg.), Sprache, Dialekt und Theologie. Beiträge zur plattdeutschen Verkündigung heute, Göttingen 1979, 51. ' V. von Weizsäcker, Seelenbehandlung und Seelenführung nach ihren biologischen und metaphysischen Grundlagen betrachtet (Studien des apologetischen Seminars, hg. v. C. Stange, Heft 16) Gütersloh 1926. 10 Christa Wolf, Unter den Linden, Berlin und Weimar "1979, 116. " C. F. von Weizsäcker, Sprache als Information, in: Die Sprache, 5. Folge des Jahrbuchs Gestalt und Gedanke, hg. v.d. Bayerischen Akademie der schönen Künste, München 1959, 52. 12 E. Fromm, Haben oder Sein, Stuttgart 1976, 30 13 K. Heeroma, Der Mensch in seiner Sprache, Witten 1963, 112. Das Problem der
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Kommunikabilität wissenschaftlicher Sprache ist bislang von den Wissenschaften kaum reflektiert worden. Will die Wissenschaft aus der Sackgasse ihrer zunehmenden Unverständlichkeit und Isolation heraus, muß sie das Problem der Kommunikation ihrer Erkenntnisse mit in die Reflexion einbeziehen. 1979 fand in Wolfenbüttel eine Tagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung unter dem T h e m a : „Gelehrte Prosa - F o r m e n und Möglichkeiten" statt, auf der W . Killy ein auch für Theologen beachtenswertes Referat hielt: „Man brauche gewöhnliche W o r t e und sage ungewöhnliche Dinge. Bemerkungen über wissenschaftliche P r o s a " (Süddeutsche Zeitung N r . 1 2 0 / 1 9 7 9 vom 2 6 . / 2 7 . 3. 1979, 113/114). Killy wendet sich gegen eine Redeweise, die nicht mehr kommuniziert: „Ihr Ziel ist Theorie, deren Wortsinn verloren ist. Ihr Instrument ist eine Fachsprache, die sich von der Gemeinsprache ebenso losgelöst hat wie von dem Gegenstand, dem ihr vorgebliches Interesse dienen soll . . . Solche Fachsprache ist ihrer Sache fremd, sie ist Fremdsprache schlechthin und nicht auf K o m m u n i kation angelegt, sondern auf ihre selbstischen Zwecke . . . O h n e Tradition . . . läuft sie Gefahr, esoterisch zu bleiben oder arrogant zu sein . . . Wissenschaftliche Prosa aber will wirklich sprechen und bedarf deshalb historischer wie ästhetischer D i m e n s i o n . " 14 W . Schadewaldt, Das W o r t der Dichtung, in: W o r t und Wirklichkeit, 6. Folge des J a h r b u c h s Gestalt und Gedanke, hg. v. der Bayerischen Akademie der schönen Künste, München 1960, 112. 15 Vgl. das Schaubild der Abblendungsskala bei Α . M . Klaus Müller, Die präparierte Zeit, 211. Es erinnert an die Kontrastierung von „ W o r t " und „Zeichen" bei K . Jaspers, Die Sprache, 2 0 ff. " Vgl. dazu auch: U . D . Finger, Sprachzerstörung in der Gruppe (Psychoanalytische Reflexion und therapeutische Verfahren in der Pädagogik, Bd. 2, hg. v. A . Leber) F r a n k f . / M . 1976. Interaktionsstörungen manifestieren sich in Sprachstörungen und umgekehrt. In der Gruppentherapie k o m m t es zu einer „Rekonstruktion der Sprache". Die Verf. bezieht sich auf: A . Lorenzer, Sprachzerstörung und Rekonstruktion, F r a n k f . / M . 1970.
N a c h W . Trillhaas verliert das Christentum seine Konturen, wenn es das „Gesetz der Subjektivität" außer acht läßt. „Was ist mit dem Gesetz der Subjektivität gemeint? Es besagt, daß alles, wovon im wirklich oder vermeintlich Christlichen die Rede ist, mich selbst betrifft. Betrifft es mich nicht - also etwa deswegen, weil es ein .objektiver Tatbestand', eine ,unaufgebbare Heilsweisheit' zu sein vorgibt, oder weil eine Aussage eben in der dogmatischen Korrektheit ihr Kriterium zu haben vorgibt, so ist vom Christlichen nicht mehr die Rede. . . . D e r Prediger kann nur .inklusiv' predigen, indem er sich selbst immer mit einbezieht. Alles Beiseitelassen der Subjektivität im Predigtvorgang führt in einen Nach-außen-hin oder V o n oben-herunter sprechen . . . " D e r Konturverlust des Christentums in der Gegenwart, in: Perspektiven und Gestalten des neuzeitlichen Christentums, Göttingen 1975, 259. 17 M . Buber, Das W o r t , das gesprochen wird, in: W o r t und Wirklichkeit (a.a.O. siehe A n m . 14), 12. 18 P. Ricoeur, G . Marcel, Gespräche, F r a n k f . / M . 1970, 100 f. " R . Guardini, D i e religiöse Sprache, in: Die Sprache (a.a.O. siehe A n m . 11), 1 4 9 f . ; Vgl. auch D . Solle. D i e Hinreise. Zur religiösen Erfahrung, Stuttgart 1975, 4 2 : „Die Sprache der Religion ist gesammelte Erfahrung, die lebendig nur dort wird, w o sie aus Erfahrung auf Erfahrung hin spricht." 20 P. Ricoeur, Stellung und Funktion der Metapher in der biblischen Sprache, in: P. R i c o e u r , E . Jüngel, Metapher. Ev. T h e o l . (Sonderheft) München 1974, 53. 21 G . Ebeling, W o r t Gottes und Sprache, in: Sonntagsblatt, hg. v. H . Lilje, vom 22. 3. 1959, 17.
8. Erfahrene Theologie 1 2
E . R o s e n s t o c k - H u e s s y , D e r A t e m des Geistes, F r a n k f . / M . o. J . , 67. R . Affemann, Die Funktion der Theologie, untersucht mit den Methoden der Tiefenpsy-
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chologie, in: P. Neuenzeit (Hg.), Die Funktion der Theologie in Kirche und Gesellschaft, München 1969, 19. 3 Vgl. dazu die Bemerkung des Magdeburger Bischofs W . Krusche: „Gruppenfähigkeit ist nicht eine Frage der Technik, sondern eine Frage der Kommunikation. Gruppenfähig wird man nicht durch intellektuelle Aneignung, sondern durch existentielle Eignung, die keiner von Natur mitbringt, sondern die gewonnen wird, indem erhebliche Hindernisse der Kommunikabilität behoben werden. Gruppenfähig-werden ist ein eminent geistlicher Vorgang. Es ist letztlich ein Bußgeschehen." Wie werden wir Pfarrer gruppenfähig? In: Pastoralblätter 110/ 1970, 569. 4 Derartige Erfahrungen, die ich in ähnlicher Form bereits in meinen Aufsatz: „Theologische Perspektiven und Erfahrungen im Clinical Pastoral Training" wiedergegeben habe (Wege z u m Menschen 24/1972, 91 ff., zuletzt wieder abgedruckt in: F. Wintzer (Hg.), Seelsorge, München 1979, 200ff). hat H. Tacke in seinem Buch: Glaubenshilfe als Lebenshilfe, Neukirchen-Vluyn 1975, 67, scharf angegriffen. Er hat diese Aussagen dogmatisch-wertend verstanden, so als ob die Gruppen der klinischen Seelsorgeausbildung ganz selbstverständlich ekklesiologische Dignität in elitärer und exklusiver Weise für sich in Anspruch nähmen. Er konnte nicht sehen, daß derartige Aussagen „nur" als Erfahrungssätze verstanden werden können. s Vgl. dazu den Aufsatz des Dresdner Bischofs J. Hempel: Die Gnade nicht verschleudern. Wie wird Rechtfertigung im Alltag lebendig? In: Lutherische Monatshefte 17/1978, 195ff.: „Die .Rechtfertigung aus Gnade' meint - umschrieben - eine verhaltensunabhängige Annahme. Ihr entspricht die Erfahrung: Mich nimmt einer an, obwohl ich so bin, wie ich bin, also unabhängig von meinem Verhalten." Vgl. jetzt auch dazu E.-R. Kiesow, Die Erfahrung der Rechtfertigung in der seelsorgerlichen ,Annahme', in: Die Zeichen der Zeit 11/79, 408ff., der in die Diskussion von Glaube und Erfahrung am Beispiel der Rechtfertigung eingreift. 6 Vgl. dazu H . - M . Barth, Partnerzentrierte Seelsorge als Herausforderung an die Systematische Theologie, in: Anthropologie als Thema der Theologie, hg. v. H . Fischer, Göttingen 1978, 203ff.: „Das Problem ist gegeben: Einmal - was heißt es für das Verständnis und den Vollzug von Kommunikation, wenn Heiliger Geist, Rechtfertigung, Sakrament, Priestertum, Inkarnation mit Kommunikation zu tun haben? Sodann auch umgekehrt: Was bedeutet es für das Verständnis von Heiligem Geist, von Rechtfertigung, Sakrament, Priestertum und Inkarnation, wenn es dabei - mindestens in bestimmten Hinsichten - um Kommunikation geht?" Vgl. auch Ders.: Erfahrung, die der Glaube bringt, in: WuPKG 69/1980, 567ff. G. Sauter stellt das Problem in den oekumenischen Zusammenhang: Wie kann Theologie aus Erfahrungen entstehen? in: Theologie im Entstehen, hg. v. L. Vischer, München 1976, 99ff. Er fordert: „Wir müssen lernen, die großen Worte des Glaubens - Freiheit, Hoffnung, Liebe - im einzelnen zu buchstabieren, sie nicht als suggestive Parolen nachzusprechen, sondern müssen uns dem Risiko aussetzen, begrenzte Konkretionen auszusprechen und an ihnen gemeinsam zu erproben, welche Heilkraft sie besitzen - um dann nach einiger Zeit wieder von neuem zu fragen. Die Erfahrungslosigkeit unserer Kirchen und unserer theologischen Arbeit hat sehr viel damit zu tun, daß wir als Theologen allzu gerne absolute Werte, Aussagen von unbegrenzter Reichweite wählen, die dementsprechend schwer in unsere alltägliche, begrenzte, revisionsbedürftige Erfahrungswelt hineinreichen" (111). Zugleich weist er auf die Problematik der Mitteilung von Erfahrung und auf die Gefahr hin, daß sich die Erfahrung theologisch verselbständigen könnte. „Die künftige Pneumatologie wird Regeln darüber nennen müssen, wie wir in unserer heutigen Situation Erfahrungen wahrnehmen und theologisch klären" (116). P. Tillich klärt das Verhältnis von Erfahrung und systematischer Theologie: „Erfahrung ist nicht die Quelle, aus der die Inhalte der systematischen Theologie genommen werden können, sondern das Medium, durch das sie existentiell empfangen werden" (Systematische Theologie I, Stuttgart 2 1956, 53). Nach W . Steck ist es Aufgabe der Praktischen Theologie, dem Studierenden zu einer existentiellen Integration von Theologie und Frömmigkeit, von Theorie und Praxis zu verhelfen (Tendenzen des praktisch-theologischen Studiums, in: WuPKG 69/1980, 364ff.).
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7 Vgl. dazu W. H . Ritter, Erfahrungshafte Theologie, in: Deutsches Pfarrer Blatt 80/1980, H . 2, 53f.: „ K a n n Lernen pädagogisch und psychologisch als Ausdeutung von Wirklichkeit mittels Erfahrung verstanden werden, dann ist es wichtig, daß christlicher Glaube seinen .Gehalt', sein Wirklichkeitspotential und seine Wirklichkeitsperspektiven (für die Öffentlichkeit) erschließt und in den Prozeß menschlichen Wirklichkeitsbegreifens einbringt" (56). Vgl. Ders., Offenbarung und Erfahrung, in: W u P K G 69/1980, 555ff. Daß dies bislang nur unvollkommen gelingen wollte, führt S. Vierzig darauf zurück, daß „das Verhältnis von Glauben und Lernen . . . in der Vergangenheit sehr oft als ein Gegensatz verstanden worden (ist): Der Glaube ist das Werk des rechtfertigenden Gottes, bei dem jede menschliche Verfügbarkeit ausgeschlossen ist. Lernen dagegen gehört zum Bereich menschlichen T u n s " (Glauben und Lernen, in: R. Köster u. H . Oelker, Lernende Kirche, München o. J . , 15.). Die Religionspädagogik hat schon früher den Zusammenhang von Erfahrung, Lernen und Glauben gesehen und berücksichtigt, vgl. H . Halbfas, Fundamentalkatechetik. Sprache und Erfahrung im Religionsunterricht, Düsseldorf 1968, und: H . J . Fraas, Glauben und Lernen. Ein theologisch-didaktischer Leitfaden für die Elementarerziehung, Göttingen 1975. Zum ganzen vgl. D . Solle, Die Hinreise. Zur religiösen Erfahrung. Texte und Überlegungen. Stuttgart 1975. 8 W. James, D i e religiöse Erfahrung in ihrer Mannigfaltigkeit, bearb. v. G . Wobbermin, Leipzig 3 1920. Eine Neuausgabe dieses wichtigen Werkes ist, übersetzt und herausgegeben v. E. Herms, 1980 in Ölten u. Freiburg/Br. erschienen. 8 ' In der Literatur läßt sich das besonders eindrücklich an Hand von L. Tolstois R o m a n : Anna Karenina nachweisen, und zwar an der Art und Weise, wie Lewin das Sterben seines Bruders, seine eigene Hochzeit und die Geburt seines Kindes erfährt. ' J . Track kommt in seinen „Sprachkritischen Untersuchungen zum christlichen Reden von G o t t " (Göttingen 1977) zu dem Ergebnis: „daß das Wort Gott als Eigenname nur über religiöse Erfahrung verstehbar eingeführt werden kann. Religiöse Erfahrungen aber können nur dann Anspruch auf intersubjektive Verstehbarkeit erheben, wenn die Äußerungen, die mit ihnen verbunden sind, in einer Lehr- und Lernsituation eingeübt sind" (316). Damit ist die Bedeutung der Klinischen Seelsorgeausbildung für das Reden von Gott präzise umschrieben. 10 D . Rössler, Krankheit als Krise der Lebensgeschichte. Symbol und Wirklichkeit in der psychosomatischen Medizin, in: Evang. Kommentare 10/1977, 212. 11 P. Tillich, D i e verlorene Dimension, H a m b u r g 1962, 42/43 12 Evangelisches Kirchengesangbuch N r . 162, 4. Die Theologie nimmt sich in jüngster Zeit wieder verstärkt des Symbolbegriffs an. Vgl. J . Scharfenberg, H . Kämper, Mit Symbolen leben. Soziologische, psychologische und religiöse Konfliktbearbeitung. Ölten u. Freiburg/ Br. 1980. Zum Symbolbegriff siehe auch Sh. Kreitler, Symbolschöpfung und Symbolerfassung. Eine experimentalpsychologische Untersuchung, Basel 1965. 13 Vgl. W. Jetter, Symbol und Ritual. Anthropologische Elemente im Gottesdienst, Göttingen 1978: „Im Gottesdienst soll es zur Kommunikation des Evangeliums kommen. Dies soll dort nicht nur geschehen, sondern auch ausdrücklich werden. Wieder fällt auf, wie wenig man vor allem im protestantischen Raum auf Vorgänge im M o d u s der analogen Kommunikation zu achten pflegt . . . " (169). " D . Zimmermann, Leben - Glauben - Feiern. Dimensionen des Glaubensweges, in: Lebendige Seelsorge 29/1978, 148 ff. 15 Ph. Beguerie, Liturgie und Leben, in: Lebendige Seelsorge 29/1978, 304ff.
9. Grenzen und Perspektiven W. Zijlstra, Seelsorge-Training, München 1971, 175. Y. Spiegel, N e u e Art von Heilsarmee, in: W. Becher (Hg.), Klinische Seelsorge-Ausbildung (Schriften der ev. Akademie in Hessen u. Nassau Heft 98) Frankfurt/M. 1972, 150 ff. 3 F. Neidhardt, Das innere System sozialer Gruppen, in: Kölner Zeitschrift f. Soziologie und Sozialpsychologie 4/1979, 639 ff. 1
2
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4 Vgl dazu L. Vranckx, Soziologie der Seelsorge. Grundlagen und Ausblicke für eine soziologisch orientierte Seelsorge (Werdende Welt Bd. 4), Limburg 1965. Vranckx geht aus von der „Hypothese von Spannung und Entspannung zwischen Funktion und Struktur" und mahnt die Seelsorger: „Wir müssen uns die Sehnsucht des Menschen, einmal das Sachliche in seinem Leben auszuklammern, damit er als Mensch anerkannt wird, ständig vor Augen halten" (105). „Bisher ging man in der Kirche und auch in der Pfarrei zu viel und zu ausschließlich vom Strukturellen aus. W i r haben vergessen, daß die Kirche als Gemeinschaft der im Herrn Erlösten in erster Linie funktionell ist. Die Struktur ist zwar notwendig, doch ist sie in der Kirche nicht das Wichtigste. W i r beabsichtigen, die Wiederbewertung der Funktion hervorzuheben, ohne darüber die Strukturen zu vernachlässigen" (162). Das entspricht dem „Exodus-Modell" der Kirche, das in Spannung zum „VaterhausModell" steht, vgl. H . Faber, Profil eines Bettlers? Der Pfarrer im Wandel der modernen Gesellschaft, Göttingen 1976. Faber sieht die Bewegung der Klinischen Seelsorgeausbildung in den U S A und bei uns in dieser Spannung. 5 Vgl. dazu den Abschnitt: Kommunikation und Verkündigung als Probleme kirchlicher Leitungstätigkeit, bei E. Winkler, Kommunikation und Verkündigung, Berlin 1977, 83 ff. Winkler zeigt, daß es hilfreich für die „Organisation" sein kann, Erkenntnisse aus der Kleingruppenforschung (die Unterscheidung von Sach- und Beziehungsebene!) wahrzunehmen. 6 Vgl. dazu den instruktiven Aufsatz von G. Krause, Hat die Praktische Theologie wirklich die Konkurrenz der Pastoraltheologie überwunden? In: Theol. Literaturzeitung 95/1970, 722 ff. 7 Freilich gibt es - ζ. B. an der Kirchlichen Hochschule Bethel - Kurse Klinischer Seelsorgeausbildung, an denen Studenten und erfahrene Praktiker gemeinsam teilnehmen (vgl. D. Stollberg, Art. Praktische Theologie, in: Praktisches Wörterbuch der Pastoralanthropologie, Göttingen und Freiburg - Basel - Wien 1975, Sp. 846, und: Notwendigkeiten der Seelsorgeausbildung, in: Wenn Gott menschlich wäre, Stuttgart 1978, 31: „Je früher die Seelsorgeausbildung parallel zum theoretischen Studium einsetzt, desto wahrscheinlicher auch ein integratives Lernen, das existentielle Problemstellungen und Angebote der Wissenschaft aufeinander zu beziehen vermag. U m es konkret zu sagen: Die Seelsorgeausbildung muß mit dem ersten Semester beginnen!") Im allgemeinen werden hier aber große Schwierigkeiten gesehen: „Bei der jetzigen Struktur der theologischen Fakultäten, die natürlich nicht unveränderlich feststeht, wird man im Augenblick nur eine stärker praxisbezogene, aber nicht unbedingt mit Praxis gepaarte Ausbildung anstreben können" (M. Josuttis, Verkündigung u. Forschung 1/ 1970, 42, Anm. 13); „Eine gründliche Spezialausbildung für die differenzierten Bedürfnisse des Pfarrdienstes wird erst nach Ablegung der Ersten Theologischen Prüfung möglich sein" (F. Winter, Praktische Theologie und Pfarramt, in: Fides et Communicatio, Festschrift f. M . Doerne, Göttingen 1970, 426); „Die eigentliche Einübung kommunikativer Fähigkeiten ist, allein aus Zeitgründen, nicht Sache des Hochschulstudiums, sondern muß in der pfarramtlichen Vorbereitungsphase oder während der ersten Praxisjahre erfolgen" (E.-R. Kiesow, Die Seelsorge, in: Handbuch der Praktischen Theologie III, Berlin 1978, 193). Auch G. Krause weist auf arbeitsökonomische Gründe hin, die eine Pastoraltheologie als Parallelunternehmung zur Praktischen Theologie im theologischen Lehrbetrieb unmöglich machen. Er stellt im Anschluß daran aber die Frage, „ob sich die Intentionen der Pastoraltheologie nicht in alle Fachgebiete der Praktischen Theologie integrieren lassen" (a.a.O., 730). 8 Jürgen H e n k y s , Die Praktische Theologie in den einzelnen Ausbildungsphasen, in: Handbuch der Praktischen Theologie I, Berlin 1975, 55. 5 G. Krause, a . a . O . , 728. 10 M. Seitz, Die Aufgabe der Praktischen Theologie, in: E. Jüngel, K. Rahner, M. Seitz, Die Praktische Theologie zwischen Wissenschaft und Praxis, München 1968, 75. Die Fortsetzung des Zitats lautet: „Das Experiment, an dem der Praktische Theologe anstoßend, beratend und auswertend teilhat, weil es die unserer kirchlichen Situation angemessenste Weise des Suchens nach neuen Wegen ist; das Exemplarische, weil anstelle der nicht mehr zu bewältigenden Fülle
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der Lehrgegenstände ausgewählte, eindrucksvolle Beispiele, exempla modellartigen Charakters treten können, an denen die Strukturen des Gesamtstoffes durchscheinend und deutlich werden." 11 G. Krause, a.a.O., 731. Daß die Pastoraltheologie neuerdings wieder im Schwange ist, zeigt die Rückkehr der Zeitschrift „Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft", die bis 1969 unter dem Namen „Monatsschrift für Pastoraltheologie" erschienen war, zum Titel „Pastoraltheologie" ab 1981. Vgl. das H e f t 1/1981 der Zeitschrift mit seinen Beiträgen zur Diskussion.
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Literatur (in Auswahl) Schriften von H. Pb.
Sextro:
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Hans-Christoph Piper Gespräche mit Sterbenden 2. Auflage. 169 Seiten, kartoniert „H.-Chr. Piper präsentiert in einer didaktisch gelungenen Art und einer gut verständlichen, stark berührenden Sprache fünfzehn Protokolle von Gesprächen mit Sterbenden in den verschiedenen Stadien ihres Weges von den ersten Ahnungen bis zur vollen Gewißheit des nahen Endes. Es handelt sich bei diesem Buch um einen Beitrag zum Verständnis der - von den Umstehenden mißverstandenen - .Sprache der Sterbenden'; um eine Hilfe zum besseren Einfühlen und für die Begleitung Sterbender. Dieses ungewöhnlich informative Buch kann nachdrücklich empfohlen werden." Prof. Dr. med. H. Freyberger
Gesprächsanalysen 3., durchgesehene Auflage. 120 Seiten, kartoniert „Wer immer kritische Maßstäbe für seine seelsorgerliche Praxis sucht, wird auf den wenigen Seiten dieser Sammlung unvergleichliche Hilfe finden. Jedes dieser Gesprächsprotokolle zeigt das gleiche an, es ist das Einmaleins des Seelsorgers, aber zugleich die schwierigste Rechnungsart in heutiger verständnisarmer Zeit." Johann Chr. Hampe
Predigtanalysen Kommunikation und Kommunikationsstörungen in der Predigt. 136 Seiten, kartoniert (Vandenhoeck/Herder) „Es geht hier nicht um Fragen der Textauslegung, des Aufbaus, der Sprache oder der rhetorischen Gestaltung. Ziel der Analyse ist die Aufhellung des Kommunikationsvorgangs zwischen Prediger und Hörer. Die emotionale Beziehungsebene hat dabei besonderes Gewicht. Im Gruppengespräch werden die Eindrücke der Hörer und des Predigers verglichen und so das Gelingen bzw. das Mißlingen der Kommunikation herausgearbeitet." Luth. Monatshefte „Predigthörer wie auch alle, die selbst Andachten und Predigten zu halten haben, werden dieses Buch mit Gewinn durcharbeiten." Korrespondenzblatt der diakon. Gemeinschaften v. Neuendettelsau
Ida und Hans-Christoph Piper Schwestern reden mit Patienten Ein Arbeitsbuch für Pflegeberufe im Krankenhaus. 2., durchgesehene Auflage. 114 Seiten, kartoniert „Fünfzehn Gesprächsprotokolle aus problembeladenen Situationen ermöglichen dem Leser, sein eigenes Gesprächsverhalten zu überdenken. Die Verfasser untersuchen die Protokolle einfühlsam und sachkundig und kommentieren sie verständlich. Sie machen deutlich, daß es kein Patentrezept gibt; dafür liefern sie konkrete Hinweise für eine patienten- und personalgerechte Gesprächsführung. Dieses Buch ist eine willkommene Hilfestellung für Pflegekräfte." Schwesternrevue
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen und Zürich
Arbeiten zur Pastoraltheologie 1
Harding Meyer · Pascals Pensees als dialogische Verkündigung
160 Seiten, kart.
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Heinrich Wittram · Die Kirche bei Theodosius Harnack
Ekklesiologie und Praktische Theologie. 189 Seiten, kart.
3 Hartmut Metzger Kriterien christlicher Predigt nach Sören Kierkegaard 196 Seiten, kart.
6 Friedrich Wintzer · Die Homiletik seit Schleiermacher bis in die Anfänge der dialektischen Theologie' in Grundzügen 231 Seiten, kart.
7 Hans-Jürgen Fraas · Katechismustradition Luthers kleiner Katechismus in Kirche und Schule. 370 Seiten, kart.
8
Bjarne Hareide · Die Konfirmation in der Reformationszeit
Eine Untersuchung der luth. Konfirmation in Deutschland 1520-1585. 317 Seiten, kart.
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Werner Krusche · Schritte und Markierungen
Aufsätze und Vorträge zum Weg der Kirche. 217 Seiten, kart.
10 Jörg-Viktor Sandberger · Pädagogische Theologie Friedrich Niebergalls prakt. Theologie als Erziehungslehre. 292 Seiten, kart.
11 Hans Mohr · Predigt in der Zeit Dargestellt an der Geschichte der evang. Predigt über Lukas 5,1-11. XXXII + 416 Seiten, kart.
12 Olaf Meyer · „Politische" und „Gesellschaftliche Diakonie" in der neueren theologischen Diskussion IV + 479 Seiten, kart.
13 Wolfgang Steck · Das homiletische Verfahren Zur modernen Predigttheorie. 232 Seiten, kart.
14 Joachim Gandras · Predigt als Zeugendienst bei Hans Joachim Iwand Aspekte und Perspektiven einer homiletischen Theorie und theol. Kommunikation nach seinen Predigtmeditationen im Kontext seiner Theologie. 214 Seiten, kart.
15 Ellen Stubbe · Seelsorge im Strafvollzug Historische, psychoanalytische und theol. Ansätze zu einer Theoriebildung. 275 Seiten, kart.
16 Christian-Erdmann Schott Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärungspredigt Dargestellt am Beispiel Franz Volkmar Reinhardts. 368 Seiten, kart.
17 Friedemann Oettinger · Gottesbild und Gottesdienst Gedanken zur Gottesfrage in der Versammlung des Leibes Christi. 251 Seiten, kart.
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen und Zürich